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ZEITSCHRIFr

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DEUTSCHES ALTERTUM

UNÜ

DEUTSCHE LITTEIUTÜR

HERAUSGEGEBEN

EDWARD SCHROEDER UND GUSTAV ROETHE

ACHTUNDDREISSIGSTER BAND DER NEUEN FOLGE SECHSUNDZWANZIGSTER BAND

BKHLIN

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG

1894.

INHALT.

.Seite

Zu Walther von der Vogelweide, von Hildebrand . . 1

1. Der vaden 44, 9 1

2. Ich bin nilit nimve 59, 17 5

3. Walther und die höfische gesellschaft 8

4. Das bilde 67, 32 10

Segen aus Londoner hss., von Priebsch 14

Mittelhochdeutsches aus einer hs. des Merton College in Oxford, vcm

Priebsch 21

Zu cap. 28 der Germania, von Möller 22

Der Strafsburger gönner Konrads von Würzburg, von Schröder . . 27

Germanische anlaiilregeln, von PiMMeyer 29

Eine urgermanische inlautregel, von RMMeyer 53

Zwei gedichte Frauenlobs, von Hampe 55

Bruchslücke aus Ulrichs von Türheim Rennewart, von Barack ... 58

Quellenstudien zur mittelhochdeutschen Spielmannsdichtung, von EHMeyer 65

II. Zum Ortnit 65

III. Zum Wolfdietrich 87

Kritisches und exegetisches zu altdeutschen dichtem, von Schröder . 95

I. Moriz von Graon 95

II. Peter von Staufenberg 105

Lückenbüfser 111

1. Aus der nachgeschichte des Wigalois 111

2. Der alte druck des pfaffen Amis .112

Der germanische Orendel, von Laistner 113

^ijbermuot diu alte von Schönbach 136

Kleine beitrage zur erläuterung Wolframs, von Stosch 138

Alldeutsche kleinigkeilen, von Keinz 145

I. Der hämisch des toten ritters 145

II. Klage eines angehnden ehemannes (vgl. Anz. s. 336) . . 153

III. Liebesreime 154

IV. Spinnvers 154

V. Parodie 154

VI. Eine scherzhafte liebeserklärung . 155

VII. Minnelied 155

vui. Unbetonte endung als reimträger 156

IV I.MIAI.T

Seite

IX. Mar'uTi roscnkraiiz 15"

\. Zu brudtT Bcrclilnitl 157

\i. Zwt'i tolgeboreiif «liililei von glciclier abstamiiiun^ . . 158

SM. Zu Muskalblüts Mühlenlicd 158

Mii. Srlier/.liafti- aiifz;ililuiig von nicisterlöni-ii 159

I»ii' iiisi-liriften ilcs sleiiis von Tuiu% von Hurg 161

.Muspilli, von .Martin 180

Dca (Jarniangabis, von vGrienl)er},'er 189

Zur Kudrun, von Zingerle und Schröder 195

Siifskind von Triniberg, von RiMMcyer 2U1

Zu ririili Füelrtr, von Singer 205

Zur predigtlilleratur i. von Straucli 200

(Kfridstuditn i, von Scbönbach 209

Brut lisliicke der Weltciironik Heinrichs von Münclien, von Schönbach 218

Altenburijcr brnchslück des Wilhelm von Orlens, von Seeinüller . . 219

Die Golhair bolenrolle, von Schröder 222

Beiträge zur rhyliimik des allilteralionsverses, von Franck .... 225

Ti'.vtkrilisihes zur Krone, von Singer * . . 25U

Dir zweite teil der schwanriltersage, von Bloete 272

Eiti neues bruciistück der Nibelungenhandsciirifl K, von Schröder . . 289 Der altdeutsche reimvers und sein Verhältnis zur allitterationspoesie,

von Hirt 3U4

Zur isländischen Hectorsage, von Meifsner ..... ... 333

Otfridstudien ii, von Schönbach 336

Das kloster der .Minne, von Schaus 361

Das Münchener bruchslück der Österreichischen reimchronik, von

Seernüller ' 368

zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE.

1. Der vaden 44, 9. Das lied im liohen slil 43, 9 ff Ich Jicere in so lügende jehen, eine huldigiiug des Sängers, die er einer frau darbringt, und zwar vor ilir selbst, in persönlicher gegen wart vorgetragen gedacht, geht durch antworten der Iran in eine wechselrede über, in welcher die rechte art der minne verhandelt wird, am Schlüsse verhelfst die frau dem bewerber, der recht verfahre, das beste (womit natürlich den edlen trauen mehr zugeschoben wird, was sie tun sollten):

kau er ze rehte ouch icesen frö

nnd tragen gemüete ze mdze nider unde ho,

der mac erwerben swes er gert.

welch wip verseil im einen vaden'1 guot man ist guoter siden wert. Der faden war das zeichen der guusi, die verheifsen wurde, und zwar der höchsten, nur dass, wie bei aller verblümten rede, der grad, das wieviel der zugesagten gunst unbestimmt bleibt.

Wie es eigentlich gedacht war, wird deutlich durch eine stelle in Boccaccios Decamerone 9, 5, wo eine frau einem manne ihre gunst gewährt u. a. mit den worten: tu m'hai con la pia- cevolezza Ina tratto il fdo della camiscia, in Steinhowels Über- setzung: du hast mir mit deiner lieplichen (so 1.) zncht den faden aus dem hemde gezogen (s. 567 Keller), es erscheint da schon zur blofsen redensarl geworden, setzt aber voraus, dass die frau zuerst würklich einen faden aus dem gewebe ihres kleides herauszog (das also ein entsprechend lockeres sein muste) und dem manne übergab, damit aber sinnbildlich sich selbst: der faden war ein für eine zusage gegebenes pfand.

Sprachlich zu bemerken ist noch für Walthers worte, dass das einen vaden nicht einen beliebigen meint, sondern den be- stimmten mit der bekannten bedeutung, wie es auch bei Boccaccio il ßlo heifsl, mit derselben bedeutung; es gehört zu dem dritten ein, das der beobachtung so lange entgangen ist, obschon es uns in 'ein hohes ministeriuni' uä. noch so nahe liegt, und das sich nun immer häufiger findet, seitdem man das äuge dafür hat. Z. F. D. A. XXXVllI. N. F. XXVI. 1

2 ZI WALTIIEH VON DER VOGELWEIDE

Der gebiiiucli dos latk'us crsclieint mich in der uiederläodi- schcn Fassung des alten liedes von der Er;iu von Weifsenburg im Anlwerpener liederbucli von 1544 nr 23 (auch in ühlands Volks- liedern s. 2S9 fl), hier aber so, dass umgekehrt der mann den laden aus dem ärmel zieht und der frau hingibt, der Trau 'von Lulseuborch' hat ihr buhle Friedrich den willen getan und ihren gatten erschlagen; aber da sie nun ihn selbst für sich will, weist er sie schnöde ab (s. 293), er wolle ihre treue nicht, denn sie könne ihn ebenso verraten:

hl iroc \iut sijnder mouwen

ein sijden snoerken fijn:

'hont daer ', ghi aahche vrouwe,

ghi sultei^ bij'^ bedroghen siju' dh. er übergibt ihr nur den faden, hier schnür genannt, aber damit nicht sich selbst, worauf sie rechnete, sodass das her- kömmliche Sinnbild hier umgekehrt verwendet ist. die frau er- halt äulserlich, worauf sie anspruch machte, aber nur so, die schnür ist da nicht mehr Sinnbild, sondern die ganze gäbe selber, die doch durch die sonstige bedeutung nun eine verhöhnende i)edeutung erhält, es erinnert an den im minneleben entwickelten seltsamen gebrauch des korbes, eigentlich zum aufziehen des be- werbers zum Stelldichein, dann aber mit dem boden so einge- richtet, dass der arme 'durchüel', der korb also als zeichen schein- baren gewährens, aber höhnisch ins gegenteil verkehrt.

Die sinnbildliche Verwendung des aus dem kleide genommenen fadens stamcnt aber aus dem rechtsleben , jener gsbraiich im minneleben ist eigentlich eine rechtshandlung -*. der faden ist

' 'nelinil hin', genau wie Iranz. Ie7iez lä.

* d. i. sull daer bij.

^ ich verdanke das meinem verstorbenen coliegen vom deutschen recht, prot. Stübbe, und möclite, da einmal sein name zu nennen isl, auch eines wi-nig bekannt gewordenen umstandes erwähnung tun, der freilich schmcrz- iirhe empfindungen erregen nuiss. Slobbe iiatle jähre lang für eine zweite ausgäbe von JGrimms Rechtsaitertümern mit liingebender liebe gesammelt und ist zur ausführung des Vorhabens nicht gekommen, wie JGrimm selbst auch nicht, sodass nun ein buch von 1828 die stelle ausfüllen muss, für die seitdem durch lorschung und funde so viel stoff und licht hinzugekommen ist. wie fehlt uns nicht, aucii für philologische zwecke, eine genauere keiiiitnis des alten rechtslebens, das ja damals leben und denken der leute (von Jugend auf) umspannte und durchdrang, nicht wie jetzt ein vom leben abgesondertes gelehrtes gebiet war. der obige fall kann das wider nahe legen.

zu VVALTHER VON DER VOGELWEIDE 3

an die stelle des halmes gelreteu, deu man ill)erreichte als zeiclien einer übernommenen verptlichlung, zuerst als stellvertretendes zeichen eines landstücks, das man einem andern abtrat, s. darüber JGrimms Rechtsallertümer s. 121 ff, vgl. 604; der lateinische aus- di'uck ist festnca, stipulus (daher noch stipuliereu). der halm war nicht überall zu haben, besonders nicht in Städten, das führte zu seiner Vertretung durch den faden, der in der form ähnlich doch jederzeit zur band war. so bestimmte im j. 1166 kaiser Friedrich für die Stadt Aachen, die betreffende Verfügung des kaisers, in einer längeren Urkunde bei Lacomblet Urkundenbuch für die geschichte des Niederrheins i 184, lautet: Quia qiiaedam abusio pro longa consuetndiue (als altes herkommen) in populo aqnensi locum justüiae obtinuit (zu einem rechtssatz geworden ist), ut qui de calumpnia vel aliqna re impetebatur, non poterat ex- purgationis satisdalioneni offerre (Sicherung geben, dass er zur rechtfertigung vor gericht erscheinen werde), nisi per festucam, quam indinatus de terra levasset , quam st subüo non inventsset, in penam composilionis (hülse) incidit. nos hanc iniquam legem perpetuo condempnantes . . . slatuimus, quod liceat unicuique in hoc nostro regali loco Äqm'sgrani, pro qualibet causa, qua impe- titus fuerit , expurgationem suam offerre per quodlibet vel mini- mum, quod de mantello vel tunica vel pellicio vel camisia vel qualibet veste, qua inditus (so) est, manu potest aveUere directe stando sine aliqua corporis ßexione. s. dazu Heiur. Siegel Die gelalir vor gericht und im rechtsgang, Wien 1866, s. 25 ff. übrigens war das verfahren in der sitte schon länger tatsächlich im gange, s. Siegel s. 26 zb. aus SGallen. auch kaiser Friedrichs Verordnung kann dafür zeugen; denn wenn da für das überreichen des Stückchens vom kleide ein niederbücken für unnötig erklärt wird, was sich ja gar zu sehr von selbst versteht, so muss das von pedanten bei dem neuen verfahren noch mit verlangt worden, dies also schon im gange gewesen sein, auch die von VVallher bezeugte anwen- dung im minneleben sieht durchaus wie schon länger feststehend aus und kann daher mit für den rechtsgebrauch als Zeugnis dienen.

In der kaiserlichen Verfügung ist freilich nicht der faden bestimmt, sondern quodlibet vel minimum de mantello usw., da- her der begriff in allgemeinster fassung, um für die ausführung Spielraum zu lassen, der bei dem allen gebrauch gar zu eng be-

1*

l ZL \\ALTI!i:il VüN DER VOGELWEIDE

schränkt war. wir man aber das quodlibel vel mmimnm de man- tello avellemlum am It'iclilestiMi iiml «lalier wol am gewöhnlichsten auslilhrli', das zeigen eben (he dichterslellen. dabei scheint auf seide iMsimdercr wert gelegt zu sein.

Hier im nnnnelehen gewinnt aber der faden eine ganz andere, neue wendung des sinnes, die sich ja so nahe legte, aus dem laden oder der schnür wird ein band als zeichen, dass die frau den mann gleichsam bindet, tür sich gelangen nimmt in liebe, in einem fastnachtspiel 'die Harnischvasnacht' spricht einer von einem kample, den er vor habe:

do schicket mir mein pul ein seidene pinden, das ich durch iren willen teer keck usw.

Fastuacbtsp. 756, IS. die seidene binde, mit dem eignen kleide doch in keiner be- ziehung mehr, ist da doch vorwiegend noch ein zeichen der gunst, wie jener laden, das ihn im kample mutig machen soll, aber doch zugleich, indem es ihn an sie bindet, zu ihrem ritter macht, geradezu als gelangenschaft, durch eine fessel angezeigt, erscheint das Verhältnis des liebenden zu seinem buhlen im 16 jh. zb. bei Murner in der Geuchmatt, wo die geuchin ihrem gauch ein halsband machen lässt:

nnd nmb sin hals dermasz beschlieszen, das si den Schlüssel soll behan nnd er im halsband gfangen gan.

Scheibles Kloster vni 940. der gauch wird sogar als an der schnür geführt gedacht, wie es ebenda heifst: (genche)

die si mit schwarzen siden schnüren am hals gefangen har musz füren.

s. auch in Grimms VVb. unter 'gefängnis' 2, c. das bild des mannes als eines gefangenen in der gewalt der frau gehört doch auch schon dem 12 jh. an, s. Morungen Mir. 126, 18; um so leichter konnte es sich bei dem aus dem rechtsleben über- nommenen laden einstellen und unterschieben.

Die Vorstellung und das bild vom bände als zeichen der 'Ver- bindung' in liebe und Ireuudschaft (wir haben ja dafür kaum ein andres bild) ist übrigens fortgeführt worden und bis heute nicht abgerissen, wobei die anknüpiung an die alte sitte wol erkennbar bleibt, das sog. angvbinde zum gcburtstag ist eine unmittelbare

zu VVALTHER VON DER VOGELWEIÜE 5

fortsetzung jenes bandes und fadens, jetzt zwar nur noch vom geschenk selbst, aber dies war ursprunglich und lange von einem bände begleitet, das man auch mit sprilchen, versen und maierei versah, das band war gemeint als zeichen des neu geknüpften, geistigen bandes zwischen dem geber und dem beschenkten, mehr ein zeichen der ergebenheit des erstem, als dass dieser den andern neu an sich fesseln wollte, wie es uns leicht erscheint, dh. immer noch mit dem grundgedanken, den jener faden bei Walther aus- sprechen sollte, im 17 jh. scheint ein band die notwendige be- gleitung jedes Wunsches zum geburts- und namenstag gewesen zu sein. Fleming s. 121 (149 Läpp.) hat ein langes gedieht 'im Nahmen Dreyer Schwestern auff ihres Vätern Nahmens-Tag', in dem von einem bände nichts gesagt ist, aber am Schlüsse: so viel zieh förderhin des glückes bey euch ein, so viel der schlingen hier an unserm bände seyn.

Fleming 122. also das band mit vielen schlingen versehen, die das bild des bindens und haltens verstärken sollten, wenn sie auch der dichter sich anders auslegt, auf dieser linie liegt noch das mit blumen und blättern bemalte band, das Goethe der Friederike in Sesen- hein) als begleilung eines gedichtes zuschickte, am Schlüsse:

und das band, das uns verbindet,

sei kein schwaches rosenband. auch die bänder, mit denen man auf kirchhöfen die zum ge- dächtnis ausgehängten totenkränze reich geschmückt sieht, mit gedichten bedruckt, gehören hierher, ein zeichen der Verbindung und treue übers grab hinaus, immer von kostbarer seide, die von jeher als stoff geboten scheint, schon bei Walthers faden, alles das war den leuten wol noch im 17 jh. wenigstens unge- fühlt gegenwärtig durch lebendige Überlieferung, was wir jetzt uns auf gelehrtem wege wider auffrischen.

2. Ich bin niht niuwe 59, 17.

Das niuwe war nicht weiter beachtet, so sehr es hervortritt, bis Simrock in seiner ausgäbe s. 175 es besonders ins äuge fasste und als 'karg' auslegte, was Wilmanns in der 2 ausg. 'im hohen grade wahrscheinlich' findet, aber als ich bei Simrock brieflich genauer nachfragte, hatte er doch keine würkliche stütze für die

6 ZU WAITIIER VON PER VOGELWEIDE

liedeiilung, es w;»r vitlinehr zu Ix'iiKM'ken, dass es sich ihm mit genouire vcrwisclil iiiul veiwechseh halle.

Die ."ihhilte liegt ddth iKihe: 'ich hin kein neuer, gehöre nicht zu den neuen', ich hin noch von den ;ilten: ich bin niht niuwe, dem ich da gan, dem gan ich gar, wem ich meine gunst und neigung schenke, dem gehe ich sie ganz, niclit in stücken oder auf zeit, wie man jetzt tut, werden neuen sitlen, dem neuen Zeitgeist folgt, das niht tmtwe muss sich aher auch auf die vorhergenannten schäm unde triuwe be- ziehen, lugenden aller zeit, an denen er festhält, ohschon sie nun sehr schaden, worauf er trotzig ausruft:

schaden nu also darl ich bin niht niuwe usw., also, mich geht das nichts an, weil ich noch auf dem allen stand- puncl stehe, das gan in der schlusszeile muss als eine einzelne jjufserung der trinwe gemeint sein, auf die es hier besonders ankommt der frau gegenüber, der er mit dem liede huldigle, so scheint der rechte gedankenfaden gewonnen, in dem das niht niuwe doch fast den knotenpunct darstellt.

Wallhers liederhuch ist ja voll von klagen, oft den aller- bitterslen, dass in der höfischen well eine ändcruug des geschmacks, der sinnesweise, der grundsätze für leben und denken eingerissen sei, die ihm als der schmerzlichste verfall erschien, während die Vertreter dei* neuen lichlung die der alten mit höhn und spott behandelten, den auch Walther erfahren musle. wen hat nicht schon, der Walther mit herzensteilnahme lisl, die frage beun- ruhigend heim lesen begleitet, was an dem bösen bilde der zeit l)ei ihm tatsächlich wahres gewesen und was etwa als Übertreibung oder auch als folge seines scharfen und feinen, auch überfeinen emplindens anzusehen sei , wie es grofsen künstlern eigen ist (fehlt es doch auch Goethen nicht), freilich bringt er diese klage nicht allein, sie ist bei den Zeitgenossen fast allgemein und reicht schon ins 12 jh. ziemlich weit zurück.

im schärfsten gegensatz, mit berechnendem bewustsein grell gegeneinander gestellt, erscheinen im Meier Helmbrecht, also um die niilie des jhs., die alten und die ninwen site, jene vom vater, wie er sie in seiner Jugend hei hofe gesehen, diese vom söhn geschil- dert, der freilich um- vom hofleheu in einer ganz verkommenen, ins lielste gesunkenen form zu berichten hat. der söhn sagt:

zu WAL! HER V0.\ DER VOGELWEIDE 7

der nimoen sile loeiz ich vil 912. und der vater. nachdem er mit seiner Schilderung zu ende ist: als vil weiz ich der alten site. sun, nn ere mich dd mite vnd sage mir die niuwen, 981 IT. VVallher klagt seine zeit an:

mit den getriuwen alten siten ist man nn zer weite versniten 90, 27. dicht vorher mit der äufserung von furchtbarer hilterkeit: deich so gar ertöret hin

in miner zuht und mir daz nieman wert 90, 25. dazu kurz die alten, als Vertreter der alten guten sitten und sinnesweise:

wir Magen alle, daz die allen sterbent nnd erstorben sint 38, IG, wobei doch das alle auffallen darf, da die jungen, von denen oft die rede ist, als die eigentlichen Vertreter der neuen denkweise in die klage doch nicht einstimmen konnten. Wallher meinte vvol sich und seine gesinnungsgenossen.

Neben den alten muss wo! aber auch die niuwen gangbar gewesen sein, wie Walthers äufserung doch wol sehen lässt. es liegt auch so nahe, bei einem Umsatz der Weltanschauung, in Welcher sich ja die grofse entwicklung bewegt, die gegensätze mit diesen einfachen namen zu unterscheiden, so im Zeitalter der reformation. da heifsen die Vertreter der alten kirche 'die alten, die alten Christen' und nennen sich selber so, zb. in einem katholischen streitliede aus Solothurn v. j. 1533 iu meinen Histo- rischen Volksliedern:

do die luterschen knaben mit irer rot die alten tatendt schmähen.

Soltaus Hist. vi. 2 hundert s. 143. got und sin würde muter geschändt (geschimpll), dar zu die frommen alten, das. sant Urs stund by der allen rot. s. 146. wo inen ward (begegnete) ein alter Christ, do brnchten sy gewalt und list. s. 149 uö. dagegen 'die neuen' von den Lutherischen zb. bei Luther iu der schrill Wider Haus Worst, wo er bauptsäclilich deu gedanken ver- ficht, er und die seinen verträten das alte, er wäre kein neuerer, der Vorwurf träfe vielmehr die papisten : darumb lestern die Papisten

8 ZU WALTIIEI^ VON DER VOGELWEIDE

CInislHin selbs, die Apostel vnd gantze Chrislenheit, wenn sie vns yewe vnd Ketzer schelten, s. 14 in Kuaakes neudruck (1880). ich will beweisen, das jr die Newe, falsche Kirche seid, s. 18. Christ. Weise in seiner poetik, Ciiricise gecUuiken von deutschen Versen Leipz. 1692, nennt, wo er von Opitzens rhylhmik handelt, dies äul'serlich 'die neue manier' im gegensatz zu der alten des 16jhs. mit silbenzühluog.

Aber tlie benennung ist so natürlich, dass sie gewis von jeher und überall sich geltend gemacht hat, und auch Walthers niuwe steht damit wol im rechten lichte.

3. Walther und die hülische gesellschaft. Von Walthers Verhältnis zu seinem höfischen lebenskreise ist in seinem liederbuch so viel die rede, dass eine genaue dar- stellung, die in der kunst zwischen den Zeilen zu lesen geübt sein müste, ein buch für sich füllen könnte, man könnte da- mit, da in des dichlers Verhältnis und misverhältnis zur gesell- schaft auch eine entwicklung versteckt vorliegt, selbst zur her- stellung einer innern Chronologie von des Sängers leben und liedern beitragen.

Ich will nur ein lied anziehen, das, bei dürftiger Überlieferung schwer erkennbar, doch auf jenes Verhältnis in einer bestimmten läge ein volles, wenn auch schmerzliches licht wirft, eine kleine äuderung des überlieferten textes vorausgesetzt, den gruudton, aus dem es klingt, kann die bittere äufserung in dem liede In nnmme dumme ich wil beginnen 31, 33 ff anschlagen, das an herzog Leopold gerichtet ist, der um schütz des bedrohten höfischen geschmacks augegangen wird:

ich hän wol und hovelichen her gesungen: mit der hüvescheit bin ich verdrungen, daz die unhövcschen ze hove gencemer sint dan ich. daz mich e'ren solle, daz uneret ynich. 32, 1 ff. das ist noch in zorn geredet, wie denn die auslassuiig in die drohung ausglüht: so verke'r ich mine zungen , in dem darauf folgenden spruche deullicher und kräftiger ausgedrückt: s6 wil ich mich des scharpfen sanges ouch genieten 32, 7 ff.

Aber aus ganz anderer tonarl klingt es, aus denselben ver- hültnisseu heraus, iu einem liede oder spruche, der nur in der Würzburger hs. erhalten ist, mit sinnentstellenden fehlem,

zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE 9

vou Lachmann nur in den anmerkungen mitgeteilt (s. 186 der 2 ausg.) mit besserungsvorsciilägen, dann von den herausgebern in den lext aulgenonmieu, auch mit beitragen zur versuchten herstellung, für die doch eine stelle noch zu tun übrig lässt. das lied gibt ein bild von des dichters Stellung bei hofe, dass man den blick gern davon wegwendet, so unwürdig ist es des edlen geistes. es hebt an in der überlieferten form der weh- klage, des weherufs, zugleich als anklage bei der hövescheit ge- dacht, die als richterin angerufen wird (wie in dem erwähnten Spruche Leopold als helfer angerufen wird):

Owe (laz mir so maniger^ missebieten sol! (laz klag ich Mute und iemer rehter hövescheit. ir sint doch lützel, den ir schapel ste s6 wol, ichn fünde in doch ein lange werndez herzeleit,'^ und wäre ich (hs. er, L. et) von in anderswdJ wan daz ich gerne bi in [ir hs., in L.) bin, daz ist der

schade, ich bin eht (hs. oc) gerne dd. iedoch swer sine znht behielte, dem stüende ein schapel wol von slden. Er hat über schlechte liehandlung zu klagen, nach andern äufseruugen eben durch sein festhalten an der alten znht her- beigeführt, und deutet ein mittel an, wie er sich rächen könnte: es sind doch wenige, die sich die besten dünken, ton angebend auftreten uä., denen ich nicht ein tief gehndes leid zu finden wüste, wenn ich von ihnen fort wo anders wäre; nur dass ich

* Lachmann wollte manegiu haben, und allerdings kommen klagen vor, dass der geschmack der Trauen entartet sei und sie bildung, ziiJd und fuoge nicht mehr zu schätzen wüsten , zb. in dem liede Ane liep so manic leit, das aus bitterstem klagemut kommt:

Idt mich ziio den f'rotven gdn,

so ist daz min aller vieisle klage,

so ich iejnere zühte hau,

so ich ie minder werdekeit bejage usw. 91,1 ff. aber nur Pfeiffer ist Lachmann darin gefolgt, dieser mochte mit durch das erwähnte schapel bestimmt sein, aber auch niänner trugen in festlicher haltung kränze (s. in Grimms \Vb. unter 'kränz'), auch schapel genannt (s. i\lhd. wb. II 2, 86).

^ so Rieger, hs. (ohne lange) nur herze werndez leit; nur werndez leit 37, 27.

3 auch Lachmann meinte eigentlich mit et schon denselben gedanken, aber mit ich ist er doch erst durchgedrückt.

10 zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE

gern bt'i iliiien hin, ilas ist d(!r schaden; und noch einmal: ich hin nun einmal gerne da, darum muss ich die schlechte behand- luug eilragen. aber doch wären nur die wert, die tonangebenden ersten zu sein, die an der hildung festhielten also auch mir gegenüber, das lässl er nur raten , so gedrückt ist jenen ziilit- lösen gegenüber sein mut: er muss in der unwürdigen läge bleiben, weil er keinen andern ort für sich weifs, wo er doch noch so gerne sein könnte, der gedanke, dass auch die gesell- schalt ihn nicht missen könnte, tritt auch in einem andern Hede auf, in dem er sich mit der weit auseinandersetzt, schon in ziem- lich gespannter Stimmung,

iind ist vil windhen, daz ich dir noch sül versmdhen. 60, 4. am schärfsten aber klingt in dieser richtung ein wort in einem der lieder von der 'weit', von denen gleich mehr die rede sein wird:

Well, ich hdn dinen lön ersehen . . .

ich hdn lip und sele (des was gar ze vil)

geiodget tnsentslnnt durch dich:

bin ich alt und hdst mit mir din gampelspil.

ist mir daz zorn, so lachest du. 67, 12 ff. die jungen, die neuen trieben ihren spolt mit ihm und seiner alten lehre von minne und holzucht {gampelspil sonst eigent- lich noch schlimmeres, ein lätliches narreuspiel) und lachten ihn aus, wenn er darob zürnte, auch in liedern. man fragt sich aufs neue, was daran wol Übertreibung des reizbaren dichters sein mochte: aber auf alle fälle blieb genug übrig, um auch uns nachträglich schärfsten zorn empfinden zu lassen über die un- würdige läge, in die der edle Sänger, unserer edelsten einer, eben durch treues walten seines dichteramtes geraten war. aber ein tief greifender unterschied von heute er durfte solche anklage den davon betrolfeuen offen ins gesiebt singen, während ein heuliger dichter sich in sicherer deckung auf seinem sofa beim ofeu schreibend auslassen würde.

4. Das bilde 67, 32. Lachmann bringt am ende seines zweiten buches ein biischel lieder von besonders hoher kunst und besonders tiefem gehalt. es ist wesentlich eine endliche auseinandersetzung des betagten

zu WALTHER VON DER VOGELVVEIDE 11

Sängers mit der 'well', von der öfters die rede ist, aber nicht wider so entschieden als hier, für toelt, wie er das wort braucht, auch anderwärts, ist zu bemerken, dass ihm darin der kirchliche begriff und der höfische sich kreuzen oder in eins verrinnen, also die weit im gegeosatz zur ewigkeit und die weit als die höfische gesellschaft, dieses wie ähnlicii noch französisch '/e monde\

Die form ist wie gesagt eine besonders kunstvolle, die beiden Stollen nehmen den abgesang und damit die krönung des kleinen kunstganzen aufsergewöhnlich in die mitte, und dieser ist in sich besonders kunstvoll, ja künstlich gestaltet durch pausenreime, schade, dass wir von der melodie nicht einen schein haben ! es lässt sich übrigens bemerken, dass bei Walther die form dann gern am künstlichsten ist, wenn er selbst vom inhalt am meisten erregt ist: der sicherste beweis vom künstler höchster art, der seine aufregung durch kunstarbeit bändigt und gerade da das schönste erzeugt.

Für den inhalt und seinen Vortrag aber ist zu bemerken, dass ihn der dichter in der form eines rätseis bringt, das ist an der ganzen kunstarbeit die hauptsache; man weifs ja, wie beliebt und geübt diese form seit Jahrhunderten war, im kreise der fahrenden besonders ausgebildet und auch im kunstgesang gern verwendet. Wallhern aber dient hier die rälselform zu seinem höchsten zwecke, geht über geistreiches spiel hinaus in vollsten schwersten ernst über.

Was oder wer ist das bilde, von dem er in so rätselhaften wechselnden bilderu erzählt, wie es ihn anzog und abstiels und er ihm doch nicht entrinnen kann, ohne bis zum schluss das rätsei gelöst zu geben? die herausgeber haben sich in mancherlei richtung versucht, wobei doch mehr eine leidliche auskunft aus der Verlegenheit herauskam, auch die hörer von damals niusten und sollten raten, werden aber, wie sie den sänger und seine Stimmung und denkart kannten, bald gemerkt haben, wen er meinte: sie selbst, die hörer selbst, als Vertreter der höfischen gesellschaft, der weit, seiner weit, darauf führt ja schon die Stellung des liedes am schluss und als abschluss der andern Strophen in gleicher kunstform von der weit und Walthers Ver- hältnis zu ihr^ er erzählt von dem lebenswege, den er gegangen, und dem ziele, dem er nachgegangen war:

* dabei muss icb doch erwähnen, dass schon Pfeiffer in seiner 2 ausg.

12 ZU NVALTllEU V0> DER VOGELWEIDE

Ich lidte ein schcetiez bilde erkorn,

iDid oue daz ichz ie yesacli

nid ie so cil^ znoz ime gesprachl

ez hat schoene unde rede verlorn.

da uonle ein wunder inne, daz fnor ine iceiz war,

dii von gesweic daz bilde iesd.

»in liljerösevarwe icart so karkelvar,

daz ez verlos sinac unde schin.

min bilde, ob ich bekerkelt bin

in dir, so Id mich uz also,

daz wir einander vinden vrö:

wan ich muoz aber wider in. Es wird einem schwer, dem meisterhaften gebikle, das sich durchaus iu reiner kunsthohe bewegt, schleppende bemerkuugeu in prosa anzuhängen; aber es muss doch sein, das alte bilde galt allgemein auch von lebenden wesen, sogar mit erhöhtem sinn (jetzt noch 'Irauenbild' uä,), hier von der weit, als hohe erschei- nung gedacht, deren dienste sich der dichter gewidmet hatte, um ihre gunst zu werben, auf einmal hat er das bitter zu bereuen, (las bild ist unheimlich verwandelt; wenn ihm ein in ihm woh- nendes wunderbares etwas Schönheit und rede gegeben hatte, so ist das wunder nun verschwunden und das bild stumm und hässlich geworden: der dichter sieht die well auf einmal mit ganz anderen äugen an. statt der lilien- und rosenfarbe, wie sie schöne frauen als färbe haben, hat sie nun eine kerkerfarbe, dass der blumen duft und glänz verschwunden sind und nun mit plötzlicher anrede traulich und treulich (es steht ja vor ihm) : 'mein bild, wenn ich (oder gleich: da ich nun einmal) in dir gefangen bin im kerker, so lass mich doch aus, nicht um ganz von dir zu gehn, sondern so, dass wir uns (auf eine zeit einmal wider) froh finden, denn hinein muss ich ja doch wider'.

Es ist im gründe dieselbe Stimmung, dasselbe Verhältnis

(1866) s. 148 meine auffassung vortrug; er hatte mich nämlich für diese um meine benierkungen zur ersten ausgäbe gebeten, ich schrieb ihm zu obigem liede: 'die weit ist es, die von Walther so oft erwähnte, genauer sein höfischer lebenskreis, das hofieben, das ihm eben seine weit war', was dann Pfeiffer gelten liefs und aufnahm.

' SU vil meint nicht würkiich viel, sondern 'auch nur so viel', wie wir sagen, dh. so wenig, wie man es durch eine handbewegung andeutet, lat. vel lantUlum.

zu WALTHER VON DER VOGELWEIDE 13

zwischen dem dichter und dem hofe, wie sie sicli in dem spruch oben Owe daz mir s6 maniger missebieten sol aussprachen, aber hier weitergeführt und in anderer lassuug, dort nur der gedanke in trotziger drohung hingeworfen, dass er ja fortgehn könne, hier weichmütig die bitte, ihn auf zeit einmal an die lufl zu lassen, daz wir einander (einmal) vrö vinden, denn: wenn wir immer beisammen sind, ärgert ihr mich und ich euch (mit liedern) denn entbehren kann ich euch doch nicht, wozu als ergäa- zuug aus dem andern liede sich ergibt: ihr mich doch auch nicht.

Es ist unmöglich, von einem kunstgebilde, wie dieses, den Inhalt so prosaisch auseinander zu zupfen, nur wer in die tiefe des vorgetragenen empfindungsganges vordringt, kann es wahrhalt verstehn. man denke sich aber, wie den hörern, da ihnen das aus des sängers munde (gewis auch mit bedeutsamem geberden- spiel) unmittelbar ins gesiebt erklang, zu mute sein muste: ich bewundere hier, wie anderwärts, die einzige kunst des dichters, mit den gedanken und empfindungen der hörer gleichsam fang- ball zu spielen i, während er sich selbst zugleich ihnen treulich kindlich preisgibt, in dem liede Owe daz mir usw. ist von dem Verhältnis zwischen ihm und der 'weit' wie nüchtern tatsächlich geredet, in dem andern aber ist das ganze in eine reine kunst- hühe gehoben, auf der nichts von dem schlimmen beschönigt wird, aber doch wie in ein inneres traumhaftes schauen hinaufge- hoben, in dem man sich an dem Stoff, der im gründe mehr traurig als tragisch ist, doch weidet wie an echtem schönen ich ge- stehe, dass sich meine bewunderung des liedes , so oft ich es seit Jahren näher vorgenommen habe, immer mehr vertieft hat, als könne man hier zugleich besser als sonst lernen, was eigent- lich rechte kunst ist.

Eben zur kunstarbeit ist noch zu erinnern, wie der dichter ein paarmal mit seinen bildern gleichsam spielt, indem er sie plötzlich ernst nimmt, sie verschieben sich ihm unter der band gleichsam, wie es nur mit traumbildern geschieht, so das lilje- rösevar der hohen frauengestalt, wozu dann auf einmal die blumen mit ihrem duft und glänz ernst genommen werden, und

* ein deutliches beispiel gii)t das Med Die mir in dem winter vröude hdnt benomen 73, 23, wo er auch mit der höfischen gesellschaft wegen ihres Verhaltens gegen ihn scharf ins gericht geht, das aber so witzig in scherz zu kleiden weifs, dass der bittere ernst nur einmal scharf aufleuchtet.

11 zu WALTIIEH VülN DHU VüGELVVElDE

(Jas karkelvar eigeutlich von einem, der durch lange kerkerhaft (und wie waren damals die kerker bescliafl'en) wie zum gespenst abgemagert und enllärht ist aber der diciiler ninunt die Vor- stellung des kerkers aul einmal ernst, womit dann das ganze in überraschender Wendung zum abschluss eilen kann: die weit selbst der kerker, in dem der diciiler schmachtet, dass er einmal an die lult nuiss und dann ganz unerwartet die Schlusswendung, in welcher, da sie in der zeit beliebt war, Wallher überhaupt meisler ist, aber nirgends so merkwürdig durchschlagend, wie hier: wand ich muoz aber wider in damit wird über das ganze ein welimiilig mildes liebt der ergebung gegossen, aus dem doch erbebend die kralt des dicbters herausleuchtet, berr seiner selbst zu sein.

Leipzig im sommer 1893. BUDOLF HILDEßRAND.

SEGEN AUS LONDONER HSS.

1) Wiindsegeti von den drei brüdern. ms. Sloane 962 in quart, xv jhs., 261 6//., pergament und papier, medicinische tractale in prosa und versen enthallend, bl. 63*: A Charme tor a woöde.

Tres buni fralres ibant et per vnam viam ambulabant et obuiavit eis dominus noster ihesus christus et dixit eis. o boni fratres quo ilis? domine et magister nos imus ad montem oli- ueti ad colligendas herbas et doloris et plagationis. et dixit eis ueoile post me et iurate in signis maximis et per uulnera cbristi vt Qon abscondite dicatis neque mercedem inde capiatis set (sie) ite ad montem oliueti et accipite oleum oliue et lanam ouis et pouite super plagam et dicite sicut longiaus bebreus percussit latus domini nostri ihesus cbristi et plaga illa non diu sangui- nauit nee putruit nee doluit nee gultam fecit nee tempestatem habuit ardoris sie fiat ista plaga. in nomine patris + et filii -j- et Spiritus sancli -{- amen, vt non sanguinet nee putriat nee düleal nee guttam faciat nee senleat nee lumeat. In nomine patris 4" *^^ hlii -f- et spirilus sancli -}- amen.

Derselbe segen deutsch in der papierhs. Add. 28170 in quart, \v jhs., bl. llli'^:

Iz giengen drei vil gute prvder einen wech do pechom iu vnser herre ihesu ehrisl. Er sprach wa weit ir bin drei vil

SEGEN AUS LONDONER HSS. 15

gute prvder Herre wir suclin ein cliraut. Dez chraft ze wuden gUet sey. Iz geschozzQ sey iz geslagen sey. Iz gesuiten sey iz gemüll sey. Swie so der uunten sei dez clirafl gewunden (== ze wunden) gut sey. Er sprach swert in gol in got (sie). daz ir sein nicht lün enphaliet vnd daz ir sein vnheileich seit vud pey dem spiinne der milier sand Marien. Get auf den perch ze chunoiaphet {aus muut olivet verderbt). Nemt des öles ab dem olpaum vnd eins schafes der wolle vnd legt vber diu wnde vnd sprecht als geschehe der wunden, als der wunden geschach do Juda loynus (J. der Jude longinus) unserem herren durch sein zeswe seyte stach. Diu wnde diu plüt nicht vil si gewan weder hiltz noch hier {vgl. dazu zb. Anz. des germ. mus. 1859 sp. 166 noch erschwiczt noch enhuri). si gesvval noch geswar. Noch me ailer gewan. Christ nicht enwelle daz diu wnde geswere noch geswelle amen.

Ich schliefse hier an ans der papierhs. Arund. 33, xv jhs., 66 blt. medicinischen inhalts, bl. 95 einen Longinus -blut- und pfeilsegen: Vor das blut {rot), ich bit dich blut vnd gebut dir blut durch das vil heylige blut das louginus unseren herren durch seyn rechte seyte liefs do gink aus blut vnd wazzer. daz du blut durch daz vil heylige blut vnsers herren blutest nicht mere.

Der phil segen {rot). Longinus eyu Juden Ritter waz der vnsern libü herren ihesum Christum eyu sper durch seyn reyue Site stach Nicodemus der Jude der vnsern libn herrn ihesu Christo dy nagel aus lienden vnd aus iuzzen tzoch. Alzo war dese wori sint Alz war gebe mer gol liule alz heyl daz der pliil aus ge.

2) Wurmsegen, die beiden folgenden formein stehn am schluss eitler reihe von meist deutschen recepten, welche die bll. lOS" 110' def von verschiedenen künden geschriebenen miscellan- hs. Arundel 164 in folio, xv jhs., (aus dem Nürnberger augu- stinerkloster) füllen :

Wider den wurm der heizet der wirzel sprich dise wort, der wurme varen dri di saucte ioben azeu. der ein was wiz der ander waz swarz. der dritte waz röt. Herre sancle Jobs (s von anderer hand zugesetzt) die wurme siut tot. Daz sprich dristunt vnd wende als dicke daz phert wmme {sie) sprich auch dri pater noster in sancte jobes ere.

Noch ist ein ander wurm deren wirzel {gemeint tanue-

16 SEGEN AUS LONDONER HSS.

wetzel?). sclirip dise wort in ein bli^ Ego siim alpha et o. primiis f*t novissimus. vnd sprich ein pater nosler. vntl nym (laz Mi vnd ganc (hs. gäl) zu dorn pherde vnd sprich im in die ur"». (hisliinl. Toi ist der wurm vnd hinde dem j)herde daz Idi an die Stirn.

Avnndel 33 (s. obeii) bl. 95: Vor dy worme (rot). Job lag in den slrozen bas (bis oder das) en dy worme oßen der eyne was weys der ander swarlz der dritte rot nu leget ir worme alle tot daz gebut euch goi vnd der gute sant Job. a. m. e. n.

3) Segen gegen zahnweh. hs. Arimdel 33 bl. 87* (vgl. MSD' II 281):

Vor den tzanswern (rot). lu nomine palris et filii et Spi- ritus sancti. Maria super petram maxillam manuque tenens venit filius dei et dixit ei cur hie sedes maxillam in manuque tenens. Respoudit Maria venit ille vermiculus (v'^niculus hs.) qui dicilur magranus (magnus hs. = eniigraneus) et me mordet. Ihesus respoudit adiuro te magrane in nomine palris et filii et Spiritus sancti ut exeas et inde recedas ab hoc famulo dei ul non noceas ei in dentibus aul in membro aliquo per christum dominum nostrum amen.

4) Fiebersegen, hs. Hart. 2558 in quart, ITi blL, rnedi- cinische tractate aus verschiedenen zeiten enthaltend, p. 195 von eitler hand des xiv/xv jhs.:

Pro frebribus (rot). Petrus stabat ante portas ierusalem. superuenit dominus et ait illi quid hie iaces petre. Respoudit pelrus domine iaceo de mala lehre et ait illi dominus demitte illam t'ebrem et sequere (segn^ere hs.) me. et stalim dimissa est et recepit sanitatem et secutus est ihesum et ait illi pelrus domine oro ut quicunque hanc literam portaverit non sibi noceat l'ebris. dixit dominus hat sibi (sie) verbum. In nomine patris et filii et Spiritus sancti amen. Crux sacra -\- (alle ki^euze rot) Crux splendida -|- Crux salua et libera hunc famulum dei R. ab omni perpesie {l. perpessione?) febris et ab omnimodis maus presenlibus preterilis aique futuris Amen. + In mouie tebon {di. Celeon) re- quiescunt vii dormientes s. Malens Maximianus Marcianus Constau- linus Johannes Cerol'yon Dionysius {di. Serapion) per merita eorum et inlercessiones omnium sanctorum defende hunc famulum R om- nimodis malis et infirmilatibus ui posset remedium habere ab Omni- bus lebribus et pacem. libera ab omnibus i ncidiis (s^c) iuimicorum

SEGEN AUS LOM)ONER HSS. 17

suorum visibiliiim et iiivisihilium amen. -\- liel -\- lieloy -{- yahel -{- hee + ix + ye + ye + adonay -{- Sabotli + Tet- gramacio + lien + toto + '^^^'e + al -j- al + la -|- herni -j- la + la 4- ua (?) -\- » -\- i\a -\- geradi deo -f- iliesu clirisli piisimo pater. R. famuli lui misereie per tua saiicia nomina me R fendc (e pius et libera nie ab omi)ibiis inürmilatibus et ab Omnibus nialis inimicoium meoriun visibiliuni et invisibiliiim. amen.

5) Anfjensegen. hs. Add. 28170 hinter dem oben abge- druckten wundsegen von den drei brüdern bl. 113'':

Himlischer valer verucbe daz maal vTi den . . . . g der äuge vo disem mensciien sam du hast abgenoin daz mall de

äuge deins dieners herren Jacob In nomine pat's et filii et spi- rilui (sie) -\- sei am. Kirieleison xpeleison pr ür. Januarius felix philippus saluanus alexander vitalis maitialis. Daz sint die sibii silu sand felicila^ die chöme (l. ciiönuen) vns gehelfe am.

+ +

Ich beswer dich mail oder sm'cze der augeu p + eim vater vu

_ + _

p + eim siin vn dem heiligen geist vn pei der werde muter sand

marieu + pei den vier vii zwainzege aitherre (sie) vfl pei den

+ vie + r evangelisten pei den zwelpoien pei allen heiligen vn er- weiten daz du disem mensche entweichest du vngen^m^ pünchte. Ich besw^ dich pei der signuft dez heiligen chravcze + (sie) pei der salgen erczneie dez heilige leichnam vnsers h'ren ihm xpm vi) seines heilige pluts pei seinen füC + wnle pe[i] allen engel (sie) gots du varst dahin da du her chom pist Kirieleison xpe- leison pT' iir. Nilaria duicia (?) fllana xpoforus abraham divina incliua (?) sal'ipina ir lieben heiligen helft vns in diser nöt ayos ayos ayos scs dns scs deus scs otiipotes erpm dich hVe über vns. Ich besw^ dich meil daz du swiudest in disem menschL vii furpas nicht wachsest du seist weis oder swarcz oder röt gepüt ich dir daz du vswindest in der chraft der heiligen dri- valtichait Ki xpe pr. lir. nu plas im in diu äugen vn nenne daz mensch.

User (/. Xps) vh^wint christ reichsent xps gepütet -+- der sege dez himlische vat^s helf dise äuge h^re got helf disen äugen am als dein^ dieners sam du hast abgenom® geholfen den

äuge h^n tobias plinde rainst vn vtreib allez daz I

Z. F. D. A. XXXVIll. N. F. XXVI. 2

IS SEf.EN AIS LONDONER HSS.

sclieilleicli <ei tiaz wir dercliünie dein iHiiug vn dich lobii ewick- leich am. (iiu rilr daz erlreicli) Unser lierre riFt daz ertreich vn ncczi'/l (/. iieczttz) mit der spaicliel vn salwolt (sie) da mit disiu aug? des plinlS gepünen (/. gepo'nen) mensche vn sprach wasche dich als du gelauhesi als wirslu erlauchlet mit dem zaichn dez heilige chravz + Ich gepiut dir mail per(0 + val' per + dem sun viT per + dem heilige geist pei dem vorchtsam gerichte pei dem zil'ten (!) nam der heilige t' . tat (/. trinitat) pei d' heilige -h marig pei de heilige enget sand gabri + vn sand raphahel + daz du genczleich' vswindest vn furpas nicht wachsest . . . dich (js va + ler vn d' sun -\- vii der heilige geist + der sege der drivaltichait sege disiu äuge aiii. Wa du ein chrävcz sehest da mache ein chravcz mit guter andacht | der sege ist gilt zu d@ augeu.

6) Segen gegen feinde, hs. Add. 17527 in folio, w jhs., papier, bl. \A^:

Qui habet ininicicioz (sie) audiat vnam missam et dicat in honore dei pTis et filii et sps sancti am. in. pr. nr. cum tribus genuflexionibus et beate marie nr. pl'. IIT-. cum tribus genuÜexi- onibus et oninium sanctorum in, pr. m-. cum tribus geuuflexi- unibus et sub eleuatione die.

Eya immer den nam ibesu crist vor gleich alle mein wint (so noch öfter w für v) toten leuten sint. Als wenig möge se mir geschaden als di vor dreisik iar sint begrabin. Se haben in irin rächen toder mann wachen. Se haben in eren herczen totir manne smerczen. Als vor (= war) mus das sin als mein Irawe sente marey enphing vnd gebar ein kint an alle mau als vor müssen alle müssen irew glider sin kegen mir lan (verderbt). Eya immer den nam ihesu crist vor ein leich das ist. Eya immer den [nam] ihesu crist vor ein wäre das ist. Eya etc. wy gleich ein leich der andern ist.

Der waler sei mit mir der son sei mit allen meinen winden, der heilige geist czwischen vns beyden. Der mus vns mit libe vnd mit togunt scheiden, et die tribus vicibus.

7) hl derselben hs. bl. 17 '' beginnt ein zauber 'de per- vinca', der bisher unediert scheint; ähnliches ist von verbena bekannt s. Anz. des germ.mus. 1862 sp. 234 (deutsch auch in der oben erwähnten hs. Arnndel 164 bl. 11 2* j:

SEGEN AUS LONDONER HSS. 19

Hie est de pervinca.

In prima luna cum ad uesperem stit (sie) accipe parum auri et aliquautuliim argenti et crustam panis tritaci ad mensuram digiti et parum salis addis et omnia subpone et dimitte iacere sub radice pervince et veniens ad eam ante ortum solis dicens: In non)ine patris et filii et spiritus sancti amen. 0 pervinca, patrem et matrem occidisti, Romam ambulasti pacatum delesti et portas intrasti per hostium (sie) exivisti. Propter hoc tibi dico, ut vincas omnes liomiues, clericos et laycos, |)otestates masculinas, et femi- nias, et cum veniam ad pallacium omnes sinl mihi placiti, qui mihi nocere vohint; quamdiu te mecum portauero semper me amant omnes homiues et femine ante et relro. Vincas etiam omnes inimi- cos meos mihi mala volentibus {sie) vincasque potestates masculinas et femininas et omnes genles et totam orbem terrarum. Vinca ideodi- cis (sie) et omnes karactheres, vincas et omnes homiues, viros et mulieres, malum indiceotes et nialum dominum et malam dominam.

Super ripam riue sorores sedebant pervincam manibus tene- bant carmina reuoluebant sed nesciebant pre mala domina, quam habebant. Tunc supervenit sancta maria et dixit : super ripam riui tres sorores sedent. Respondit una: pervincam sendeus {l. sedentes) manibus lenemus carminare eam nescimus.

Tunc sancta maria respiciens videt ihesum stantem et dixit: Ihesus tili karissime, hanc pervincam mihi carmina. Ihesus xpus ut audivit, dextera sua manu benedixit, dextero suo pede calcavit, dextera sua manu signavit, dextera sua manu benedixit, dextero pede calcavit et dixit: 0 pervinca benedicta sis super omnes herbas, sis hoc carmine carminata, ut ad omnes res faci- endas sis bona. Si quis te in nomine meo portauerit, sit secu- rus in omnibus locis ubicumque ambulauerit. In nomine patris et fdii et spiritus sancti domini nostri ihn xpT adiuro te herba vulgariter appellata pervinca quam in manu mea teneo eo quod cuncta vincas per deum patrem omnipotentem, qui pro salute generis humani descendit de celo et nalus ex maria virgine passus sub poncio pylato cru. mor. et se. desce. ad inl". tertia die res. a mor. asce. ad celos. se. ad dex, dei patris om. inde ven. et iudi. vivas et mor. 7 seculü p igne ..... Nun folgt eine lange reihe der üblichen beschwörungen und anrufnngeti , von denen nur etwa folgendes ausgehoben ioerden mag:

invoco te pervinca per dei tonitrua necnon per coruscati-

2*

20 SEGEN AUS LONDONER HSS.

ones el lulfj;ora. Adiuro le per seplem candelabra, quae in suis

luminaribus ante allare dei aureum sunt lucencia

(-oniiiio le por palrcm et filiiim et spiritum sanclum et per sanclam mariam malrem dni uf Jhü xpi per celum et terram el herbas et flores et per luceroas solis et lune et per aquas tur- ricutes (sie) et per locas ardeules et per liguum verum et per onines crealuras et per omnes papas romauos et pir cunctos episcopos et abbates et per cunctas viduas et virgines et per ciinclas undas maris et per vii. dormientes. Coniuro te per inaxima luminaria cell et terrae die et nocte lucencia et per cla- ritatem celi el per cuncta cetera sydera et per cuncta terrena dei deo plena, que per terram sunt serpentia et per omnia maria et per cuncta piscium genera, quae in maribus omnibus sunt natantia, et per quatuor elementa scilicet aquam, terram, aerem,

ignem, et per omnia terrestria et infernalia Coniuro

te per nomen dei sanctissimum, quod est compositum hys iiii°' a. g. 1. a. Coniuro te per sanctum, qui bodie celebratur per Universum mundum, ut qualemcunque puellam sive feminam te manu mea habens tetigero illico in amore meo ardeat inextin- guabiliter nee praeter me aliquem diligat nee eoncupiscat. Etiam quamdiu te super me habuero omnes inimicos meos prevaleam et potentes devincam et quasi perterriti omnes omnes (sie) volun- tatem meam faciant et impleant. Et si te meeum habuero eoram aliquo episcopo siue rege aut alio principe sive magnate et etiam quocunque homiue clerico uel muiiere sive viro sim illis placens. Et si aliquod negotium sive benefieium uel experimentum et ali- quod experiri [velim oder ähnlich], slalim ardentes sint tarn ho- inines quam spirilus ad illum perüciendum pro mea voluntale; et quamdiu te super me habeam non mihi arasci (sie) valeant sed semper me ament et quidcunque agavi (sie) sit illis placens et si aliquis uel aliqua mea licentia te gerat sive super se habeat voluntatem suam tamquam meam perficiat. Et si aliquis uel ahqua te furatus fueril, non illi proficias sed semper iupedias. pervinca nomen omne imple vincas et vim babeas contra omnia illa, pro quibus te invoeavi et eoniuravi per virtutem et pote- statem domini ür ihn xiTi qui in trinitate vnus regnas in secla seclor amen. pT'. nT\ Credo, Deinde amputa superiorem ramum omni auro quod ibi tenes et repone in ceram benedictam et feras teeum honeste.

SEGEIS AUS LONDONER HSS. 21

Herrn prof. ESteinmeyer habe ich für seineu wertvollen rat bei auswahl und drucklegntig der einzelnen stücke zu danken. London. ROBERT PRIEBSCH.

MITTELHOCHDEUTSCHES AUS EINER HS. DES MERTON COLLEGE IN OXFORD.

Herrn prof. Napier verdanke ich den hinweis auf den jetzt mit H 3. 15 (früher als CCCXV) bezeichneten codex und die möglich- keit ihn zu benutzen, der codex, von Coxe Catal. codd. mss. qui in collegiis aulisque Oxoniensibus hodie asservantur vol. i s. 125 besprochen, gehört dem 10 jh. an und enthält die canones des Eusebius in, der bearbeitung des Hierouymus ; ASchoene in seiner ausgäbe des Eusebius vol. ii verzeichnet ihn nicht, auf der leer gebliebenen Vorder- seite von hl. 9 sowie auf hl. 154 {dem letzten blatte) hat eine hand des \3l\4jhs. in grofser, ungelenker schrift die nachfolgenden fragmente, vielleicht ausätze zw selbständigen poetischen versuchen, eingetragen, ich gebe sie mit auflösung der ziemlich häufigen compendien und indem ich die ergänzten buchstaben resp. Wörter einklammere. für das thema von ii verweist prof. GRoethe auf Raumsland HMS

ni6lM4).

I bl. 9^ [Div] sele gert des vvortes kvnft D[az] komen sol mit engel zvnft [V]on himel her in erden Und mensche mit vns werden. 5 Almehtig, svnder,^ ist daz wort, De (!) himlen zil gab er den ort Und alier creature ein wesen vil gehvre^. II bl. 154' 'De profundisS hie wil ih Als div schrift bewisel niili Von der latine rihten In tische zvngen lihten.

' hs. ffvn; über die stelle radiert. ^ v. 7. 8 in eine zeile ge-

schrieben, währeJid sonst die verse abgesetzt sind.

^ der Schreiber hat schon vorher einmal init De pfuedis {verschrieben'.) angesetzt.

22 MITTKLHOCHDEUTSCHES AIS MEHTOiN COLLEGE

5 Ein wiser vnd eiu lörscher mau GL'selleschalt sich uameii au VI reliier slraze verte. Der weg rvh vude herle. bl. 154^ Dornig den tumlten dvhle

10 Wand wisheil im uilil Ivliie. Dar nah si sahen schiere Vor in vf der riviere Einen phat gesellen dise (Der gie [z]e lal dvr eine wise) 15 Der linde seufle svze vv[as]; Blumen in zierten vnde graz. Der narre sprab: 'geselle gül, Vf disen phat stet gar min mvt. Du soll dvr gut gelingen 20 Mit mir vi den nv springen'. Oxford, Ostern 1893. ROBERT PRIEBSCH.

ZU CAP. 28 DER GERMANIA.

Igün?^ inter Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes . . . Helvetii, ulteriora Boii, Gallica utraque gens, tenuere.

Unsere jungen Germauiahss. haben keine lücke und der arche- typus hat also auch keine solche gehabt ; aber wenn grammatische oder sachliche gründe die annähme eiuer lücke notwendig machen, hindert nichts anzunehmen, dass der Schreiber des archetypus ein Wort seiner vorläge übersehen hat (wenn nicht der fehler noch hoher hinaufreicht).

Ohne annähme einer lücke vor Helvetii, als fortlaufender text gelesen, erregen die angeführten worte in doppelter hinsieht be- denken, zunächst in slil i stischer hinsieht, wir vermissen im ersten gliede des satzes eiu grammatisches object zu tenuere. ver- schiedene Philologen haben ans diesem gründe zur annähme einer lücke sich genötigt gesehen. FRilter (Rhein, mus., u. f. 20, 213) wollte agros nach amnes vor Ilelvetii einsetzen, gegen diesen Vorschlag bemerkt VVülfl'lin mit recht, dass durch das zusammen- treffen der zwei nicht coonlinierten acc. pl. der satz noch viel plumper werde, besser wäre agros nach igitur eingesetzt worden. NVoIfflin selbst, der früher (Philo!. 26, 101) keine änderung vor-

zu CAP. 28 DER GERMANIA 23

nehmeü wollte, jedoch meinte, das lateiii werde besser, wenn man quantum vor inter einsetze (er belegt quantum inier aus Tacilus Sprachgebrauch, so Anna!, i 60 qnantinnque Amisiam et Lttpiam amnes inter vastatitm), hat später vorgeschlagen zu lesen: Igitur {quantum agri porrigitury inter etc. JPrammer will lesen : Igitnr (cunctii) inter etc. in einer anzeige der 7 aufl. von Tückings aus- gäbe kommt Prammer auf die 'harte structur' des überlieferten textes zu sprechen und meint (Zs. f. o. g. 40, 998), es werde nichts übrig bleiben, als entweder nach seinem vorschlage 'cuncta nach igitur einzuschieben oder nach WülfFlin quantum mit oder ohne den Zusatz agri porrigitur'. diese benierkuug Prammers veran- lasst mich, eine besserung des textes zu veröffentlichen, die ich zum ersten male im Wintersemester 1881 82 und seitdem mehr- fach in Vorlesungen dargelegt und begründet habe, es sind in- dessen ganz andere gründe als stilistische, die für mich die an- nähme einer lücke notwendig machen, aus stilistischen gründen allein wird nämlich eine äuderung kaum als unumgänglich not- wendig bezeichnet werden können, die mehrzahl der philologeu, die sich mit dem Germaniatext beschäftigt haben, hat au dem satze, wie er überliefert ist, keinen anslofs genommen, bei Plinius lesen wir ähnlich Nat. bist, iv 31: a Scaldi (= 'das gebiet von der Scheide an') incoiunt Texuandri. Schweizer-Sidler bemerkt: 'igi- tur inter Hercyniam s. cet. ist hart für das nach Tacitus stil zu erwartende: quantum inter H. s. cet., darf aber nicht geändert werden', wie die mehrzahl der philologen hat auch ganz gewis der Schreiber des archetypus (oder der desjenigen urcodex, der zuerst den satz in der überlieferten gestalt hatte) au dem satze in stilistischer beziehung keinen anstofs genommen: um so leichter erklärt es sich, dass dieser Schreiber ein wort seiner vorläge über- sehen konnte, wenn sachliche gründe die annähme eines solchen ausgefallenen Wortes notwendig macheu.

Welche gebiete weist Tacitus in dem angeführten satze den Helvetiern und welche den Bojern als frühere sitze zu ? es wird zur beaulwortung der frage das richtigste sein, sogleich eine andre auf uns gekommene nachricht über die frühern sitze der Helvetier heranzuziehen. Ptolemaeus ii 1 1 setzt, wo er den am Rhein gelegenen teil Germaniens {tu naga xbv 'Pf vor noxct- f.i6v) von norden nach Süden zu fortschreitend, bespricht, an süd- lichster stelle an : rj xwv '^E).ovriTuov egr^fiog f^iixQi twv eigij-

21 ZU CAP. 2^ DER r.ERMAMA

fiiviüv Ulnliov OQtiov. diese von ihm vorher angetilhrten {dQr- lürct) lierge werden an der früheren slelle (kurz voriier) bezeich- net als Tct o/ntüvii-ia zoig 'Alnioig y.al vrchq rr^v /.scfakrjv tov Javoißlov, die sich über 4 längengrade und 6inen breitengrad in di'r richtung von sw. nach no. erstrecken, die 'Alma oqh] iRUdiich der oberen Donau sind also der schwäbische Jura oder die rauhe Alb, die früheren sitze der Helvetier {rj tcüv ' Elovrj- Tiior eQr'Uog) befanden sich also nach Ptolemaeus in dem winkel zwischen dem Hhein und der rauhen Alb. natürlich niuss die Verbindung zwischen den hier ihnen zugewiesenen gebieten nordwestlich der rauhen Alb und ihrem späteren und engeren gebiete ebenfalls im besitze der Helvetier gewesen sein, als mini- mum würden also die Helvetier im norden ihres spätem engeren gebieles das heutige Baden und Würtemberg (mit Hoheuzollern) aufserden nordlichsten gebieten und aufser dem würlcmbergischen Donaukreise inne gehabt haben.

Um richtig zu verslehn, was Tacitus mit jenem satze hat sagen wollen, müssen wir nun vor allen dingen wissen, was an dieser stelle unter der Hercynia silva verstanden werden soll. Sohweizer-Sidler fasst, jedesfalls um der Ptolemaeusstelle willen, die 'Hercynia silva' an unserer Tacitusstelle als die 'rauhe Alp' (so in der 3) oder den 'deutschen oder schwäbischen Jura' (so in der 5 aufl.). hätte Tacitus mit der 'Hercynia silva' hier die rauhe Alb gemeint, dann hätte er sich die nennung der 'Hercynia silva' selbst ersparen können: das einfache inter Rhenum et Moenum amnes hätte das gebiet nördlich des Rheins vom Bodensee bis Basel, östlich des mittleren Rheins, südlich des Mains bezeichnen können, aber die 'Hercynia silva' als 'rauhe Alb' würde die ost- grenze des gebietes angeben, die gebiete der Bojer, die ^uJleriora tenuere', könnte der leser sich nun nördlich des Jlains denken: bei gutem willen aber wird derjenige leser, der über die altern sitze der Bojer schon vorher unterrichtet ist, die gebiete östlich der 'Hercynia silva' verstelin. die ausdehnung des früheren ge- bietes der Bojer indessen wäre im gegensatz zu dem der Helvetier gar niclu angegeben (der leser, der bereits weifs, wo 'Böhmen' liegt, kann diese ausdehnung dem folgenden satze entnehmen: der leser aber, der nicht vorher unterrichtet ist, erfährt über diese ausdehnung nichts), aber Tacitus konnte bei seinen lesern un- möglich aui Verständnis rechnen, «enn er mit der 'Hercynia silva'

Zu CAP. 28 DER GERMANIA 25

hier weder den ganzen sonst mit diesem namen bezeichneten geltirgszug noch einen teil desselben, sondern die rauhe Alb gemeint hätte, der leser konnte unmöglich von selbst darauf ver- fallen, unter der 'Heicynia silva' dieses specielle gebirge zu ver- stebn: konnte der leser von selbst wissen, dass die 'Hercynia Silva' als ost grenze des helvetischen gebietes zu denken war, so würde er, weit eher als an die ihm wenig oder gar nicht be- kannte rauhe Alb, an den Bühmerwald haben denken können. Baumstark (Ausfilhrl. erl. des besondern teils, s. 13) und andre haben die 'Hercynia silva' hier als den Böhmerwald verstanden, die Helvetier würden dann also nach Tacitus das gesamte gebiet zwischen dem Rhein im Süden und vveslen, dem Main im norden, dem Böhmerwald im nordosten innegehabt haben: ein im ver- gleich mit dem der Bojer, wenn diese demnach nur Böhmen ge- habt hätten, offenbar viel zu grofses gebiet, das gebiet der Bojer wäre einfach als jenseits des Böhmerwaldes gelegen bezeichnet, dem Wortlaut nach eigentlich auch als jenseits des Mains gelegen, und so hätte derjenige leser es auffassen müssen, der über die älteren sitze der Bojer nicht vorher unterrichtet war. indesen der Böhmerwald kann zwar wol im verein mit den andern gebirgen, die Böhmen umgeben, der Hercynia silva zugezählt werden (so bei Veliejus u 108: Nihil erat iam in Germania quod vinci posset praeter getitem Marcomanorum, quae Maroboduo duce excita sedibus suis . . . incinctos Hercynia silva campos incolebat), aber auch er kann nicht speciell im gegensatz zu andern bergen, welchen derselbe name zukommt, 'Hercynia silva' genannt werden, der name 'Hercynia silva' bezeichnet seit Caesar im eigentlichen sinne den Germanien von westen nach osten 'ad fines Dacorum' (Bell. gall. VI 25) durchschneidenden gebirgszug. Caesar lässt den- selben 'ab Helvetiorum et Nemetum et Rauracorum finibus' mit dem Schwarzwald beginnen, diesen südwestlichen teil des ge- birgszuges kann indessen Tacitus hier nicht gemeint haben , da er für denselben (Germ. 1) den speciellen namen 'rnons Abnoba' kennt: Tacitus hätte, wenn er das gebiet zwischen Rhein, Main und Schwarzwald den Helvetiern zuweisen wollte, statt 'Hercynia silva' notwendig diesen ausdruck brauchen müssen, wenn er richtig verstanden sein wollte, im 30 cap. bezeichnet 'Hercynius saltus' an der ostgrenze der Chatten speciell den nördlich vom Main gelegenen von sw, nach no. sich erstreckenden teil des

26 ZU CAP. 2S DER GERMANIA

gebirgszuges (Spessarl und Rhön): an unserer stelle kann unter der 'Hercynia silva' nur eben dieser selbe gebirgszug nördlich des Mains und dessen fortsetzung nach osten hin (Thüringer Wald, Sudeleu), oder ein teil dieses gebirgszuges verslanden sein. Mülleuholl' DA ii 268 versteht die 'Hercynia silva' an unsrer stelle in diesem allgemeinen sinne: er sagt, dass 'Tacitus (Germ. 28) sehr bestimmt behauptet, dass die Helvetier ehedem das süd- westliche Deutschland diesseit des Rheins bis zum Main und hercynischen walde inne gehabt hätten, während die Bojer schon üsllicher in Rühmen safsen'. also Tacitus hätte den Ilelvetiern das gebiet nördlich und östlich vom Rhein , südlich vom Main und vom hercynischen walde zugeschrieben, inhaltlich käme dies so ziemlich auf dasselbe hinaus, wie wenn man die 'Hercynia Silva' als den Böhmerwald fasst: das den Helveliern zugeschriebene gebiet ist gegenüber dem, was wir von Ptolemaeus lernen, und dem, was wir als wahrscheinlich bezeichnen können, offenbar viel zu grols. und das gebiet der Bojer wird, im gegensatz zum genau bezeichneten gebiet der Helvetier, gar nicht genau deüniert. eigentlich müste nun 'ulteriora' bei Müllenhoff das gebiet nörd- lich des hercynischen waldes bezeichnen, so dass, wie bei Baum- starks auffassung, nur die diesseitige, nicht die jenseitige grenze angegeben wäre; aber Müllenhoff tut gleich allen andern er- klärern Tacitus den gefallen, das 'ulteriora' als 'östlicher' zu ver- stehn: in diesem falle wird überhaupt keine grenze der Bojer genannt.

Alle diese sachlichen bedenken und zugleich das von einigen Philologen erhobene stilistische bedenken können mit einem schlage gehüben werden durch einsetzung 6iues «ortes. während die von Ritter, Wölffliu und Prammer eingesetzten Wörter, agros, quantum usw. oder cuncta, an der sache nichts änderten, kommt durch einsetzung des richtigen Wortes erst der richtige sinn in den satz: dieses richtige wort ergibt sich aus Tacitus eignen werten als ergänzung mit uotwendigkeii. das wort ulteriora bei den Bojern fordert nämlich zur ergänzung sein gegenstück bei den Helveliern: keiner kann schwanken, welches wort dies sein muss, so dass ein hin- und herralen ausgeschlossen ist. zu lesen ist:

Igitnr inter Hercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes {citeriora)Iklvetii, uUeriora Boii, Gallica utraqne gens, tenuere.

zu CAP. 28 DER GERMANIA 27

1) kommt so ein salz zu stände, an dem kein Stilist anstofs nehmen kann, diejenigen pliilologen, welche bestimmt behaup- teten, dass der satz, wie überliefert, Tacitus stil nicht entspreche, behalten recht. 2) vor allen dingen wird so erst der satz richtig, die Bojer sind nun nicht mehr jenseits des hercynischen waldes zu suchen und es ist nicht unbestimmt gelassen, wo. sondern zunächst wird das ganze gebiet der Helvetier und der Bojer um- spannt: beide keltische Völker zusammengefassl besafsen das ge- biet 'inter llercyniam silvam Rhenumque et Moenum amnes', di. ganz Oberdeulschland nordlich der Donau von Baden bis Böhmen, das gebiet nördlich und östlich vom Rhein , südlich vom Main, weiter im oslen südlich vom hercynischen walde (den Sudeten und ihrer fortselzung). und innerhalb dieses gebietes besafsen 'citeriora Helvetii, ulteriora Boii'. Tacitus gibt also nicht an, wo die grenze zwischen den beiden Völkern war. indessen das ge- biet der Helvetier konnte er darum als 'citeriora' bezeichnen, weil es zu seiner zeit zum römischen reiche gehörte: es waren die agri decumates zwischen dem Rhein zur einen, der rauhen Alb und dem limes (Germ. 29) zur andern seite. an die grenze des reichs, die vom limes gegeben war, muste bei Tacitus 'citeriora' der leser vor allen dingen denken. Tacitus weist also südlich vom Main den Helvetiern das gebiet diesseits des limes (des Trajauswalles vom Main bis zur rauhen Alb) zu, den Bojeru aufser Böhmen auch noch das gebiet zwischen limes und Böhmer- wald, mit dem ohne allen zweifei von Tacitus geschriebenen und von einem abschreiber ausgelassenen 'citeriora' entsprach also der satz wahrscheinlich möglichst genau den frühern tatsächlichen Verhältnissen.

Frederiksberg (Kopenhagen). HERMANN MÖLLER.

DER STRASSBURGER GÖNNER KONRADS VON WÜRZBURG.

Seine dichtung von 'Otte mit dem harte' hat Konrad von Würzburg verfassl für einen herrn von Tiersberc 'zu Strafsburg in der guten Stadt', wo dieser als 'probest ze dem tuome' (v. 755 Q die höchste würde des kapitels bekleidete, dem ersten heraus- geber KAHahn wurde durch Strobel bereits ein cauonicus Bertold von Tiersberg zum jähre 1247 nachgewiesen (s. 36), und Hahn

28 STIIASSBURGEK GÖNNER KONRADS VON WCRZBURG

meinte, der domlierr liüone j;i wol 'um 12(jü oder auch etwas später' propst geworden sein, so naiv diese art der anselzung war, sie hat heif'all gelunden, und beispielsweise PleilTer Germ. 12,28, Koherslein-Bartscli i"204, Lambel Erzählungen und schwanke s. 240 datieren den Ölte daraufhin 'um 1260'. was wir über Konrads lebensgang und die reihent'olgc seiner werke wissen oder vermuten, empliehlt diese ungelähre zahl besser als Hahns einziger urkund- licher anhält und tatsächlich hat Hahn gar nicht übel geraten, wie ich im folgenden an der band des neuen Strafsburger urkunden- buches zeigen werde.

Unter den vielen hunderten von Strafsburger geisthchen, welche die register von Baltzer zu bd. i und von Schulte zu bd. in bequem übersehen lassen, erscheint das geschlecht 'von Tiersberc' di. Diersburg (eine gute meile ssw. von OlTenburg) würklich nur durch den einzigen 'Bertholdus de Thiersberc (Tiersperg, Diersberc)' vertreten, der in den jähren 1247, 1251 und 1259 je einmal als 'canonicus Argeutinensis' dh. als domherr des münsters nachgewiesen ist (SlUB i 236,4. 271,34. 328,29). das anit des propstes am münster hatte seit 1252\Valther von Geroldseck inne, der im j. 1260 auf den bischofstuhl erhoben den Strafsburgern bald viel zu schalfen machte, wenn nun um die zeit von Walthers erhohung der canonicus Berthokl von Tiersberc aus den Urkunden verschwindet, dafür aber seit 1261 ein 'Bertholdus prepositus' oder 'Berlholt der iflmprobist von Strazburg' (i 464,30) auftaucht, so gibt uns die angäbe Konrads, da sie nur in die sechziger oder allenfalls in den anfang der siebziger jähre fallen kann, die Zuver- sicht, in ihm einen Diersburger zu erkennen, sein geschlecht war in der heimatlichen Ortenau dem der Geroldsecke benach- bart und obendrein waren sie verwante: das friedensinstruraent vom 30 juii 1266, mit welchem der durch das 'bellum Waltherianum' aufgerührte hader seinen endgiltigen abschluss findet und das ua, auch propst Berthold mit untersiegelt hat, nennt unter dem an- hange des Wallher von Geroldseck auch ^sins vetteren kint dez voti Tiersberc' (i 464, lu); der vater, 'dominus de Tiersberg, patrtius epi- scopi\ war in der schlacht von Hausbergen am 8 märz 1262 ge- fallen (MG. SS. xvn 111,34).

Propst Berlhold von Tiersberg war mithin iler unmittelbare nachfolger Walthers von Geroldseck, und für Konrads dichtung ist mit dem jähre 1260 ein fester lerminus ante quem non ge-

STRASSBUKGER GÖNNER KONRADS VON WÜHZBURG 29

geben, die zeit bischof Walibers freilich (f 14 febr. 1263) wird man für den museu wenig günstig ansehen müssen, im sommer 1261 verliefs nahezu der gesamte clerus die Stadt (MG. SS. xvii 105, 29 IT), in die er gewis nicht vor märz 1263 zurückkehrte, nicht ganz sicher lässt sich der mögliche endtermiu bestinmien. 'Beriholdus prepositus' erscheint in Urkunden der jähre 1261 (i 361,4), 1264(1417,33), 1266 (i 464,27), 1272 (in 17,8); seinen nachfolger Friedrich (von Lichtenberg?) linde ich zum ersten male 1277 (ii 41,4), aber schon 1275, beim eintritt seiner tochter Junta in das kloster der reuerinnen (Maria Magdalena), wird 'ßertholdus prepositus' als verstorben bezeichnet (iii 25,35). nach dem register iii 439 sollte mau nun allerdings glauben, dass zwei prüpsle des namens Berthold unterschieden werden müsten, denn zum j. 1269 (in 6,27) wird unsere obige belegreihe 1261 1272 (1275) unterbrochen durch einen 'R. prepositus': allein die betr. Urkunde (nr. 19) ist nur in altern drucken erhalten, die selbst wider blofs auf einer copie fufsen; einem dieser drucke (Herrgott) fehlt obendrein noch der 'R. prepositus', und der herausgeber be- merkt ausdrücklich, die richtige form der namen sei überhaupt aus den schlechten abdrücken nicht herzustellen, es wäre auch ein eigentümlicher zufall, wenn uns in rascher folge zwei pröpste des namens Berlhold über ihre familie im unklaren liefsen, während wir über die geschlechtsnamen der vier nächsten Vorgänger und aller nachfolger im amt unterrichtet sind.

So dürfen wir denn die entstehungszeit des Otte vorläufig fest umgrenzen durch die jähre 1260 und 1275 und von diesen beiden ist das von Hahn richtig geratene als ausgangsjahr auch jetzt noch das wichtigere.

Marburg i. H. EDWARD SCHRÖDER.

GERMANISCHE ANLAUTREGELN.

Der umstand, dass die germ. Ursprache ein System genau geregelter auslautgesetze entwickelt hat, beweist an sich noch nicht, dass sie auch den anlaut neu reguliert haben müste. aber eine ganze reihe von erwägungen macheu dies doch von vorn- herein wahrscheinlich, bei metrischen Untersuchungen wurde ich widerholt vor die frage gestellt, ob gewisse eigenheiten des vers- aulautes nicht auf allgemein sprachlicher basis ruhen, als ich dann einmal zu ganz anderen zwecken den germ. wurzelvorral

30 GERMANISCHE ANLAUTREGELN

mit (lein der iiii.'. muttersprache verglich, drängte sich mir die Vermutung aut, dass das verschwinden alter wurzeln im germ. sondciifben (lurchweg phonetische Ursachen habe, und zwar ganz besonders in der weise, dass der Germane wurzein mit un- bequemem anlaui ganz oder teilweise aufgab, als ich endlich im colleg eine allgemeine darstellung der germ. grammalik zu geben hatte, schien mir zum zweck genauer beschreibung des sprach- lichen characters auch eine übersieht der talsächlich vorkom- menden anifuile, in- und auslaute notwendig; und hierbei bekam ich denn lür alle drei fälle wiirkliche regeln an die band, ich versuche nun, diese aus metrischen, lexikalischen und grammati- schen gesichtspuncten notwendig erscheinenden anlautgesetze mög- lichst knapp zu formulieren und sodann ihren inneren grund aufzustellen, die leser bitte ich, nicht zu übersehen, dass es sich um einen ersten anhieb handelt*; unsere regeln werden mit der zeit besser formuliert und klarer begründet werden können.

Wir unterscheiden einfachen und combinierten au- laut. was zunächst einfach a nlau tende worte angeht, so ist für vocalischen anlaut auf Sievers allgemeine bestim- muugen Phonetik^ s. 129f und in Pauls Grundriss i 281 f zu ver- weisen, wie es scheint, ist jeder urgerm. überhaupt vorhandene vocal oder diphthong an sich im anlaut gestaltet, so besitzen ags. 6ra ('litus'), got. aivs, got. ankan unveränderte idg. anlaute, got. ahtan die regelrechte entwicklung eines solchen.

Aber nicht alle vocale sind u n bedingt gestattet, für i und u gilt folgende regel: i und w stehn anlautend gewöhnlich in ton seh wach er silbe, in betonter fast nur, wenn diese zugleich lang ist. wenn auf ? oder w liquida oder nasalis folgt, so wird diese regel zum gesetz.

Zumeist also stehn i und u in tonschwacher silbe. dies ist der fall in praeüxen wie germ. ms-, ahd. ir-; in partikeln wie ibn, uf, ubar; in pronominalformen wie is, ik: im verbum substan- tivum: alles formen, die fast nie satzton haben.

Bei betonler anlautsilbe sind kurzsilbige substanliva wie idis^ sehr seilen, adjectiva v/\eubü etwas häufiger, meist aber ist dann die anlautsilbe lang: positione oder natura, bei i ist das letztere häutiger: iva-, isa-, doch auch zb. got. idreiga

[* (lieser gesichtspunct ist auch für die redaction mafsgebend gewesen, E. SCH.1

vgl. hierzu Kugel Beitr. lü, 502fr, der ursprüngliche länge nachweist.

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 31

(mit urgerm. 0- '^»^i '* iil)er\viegt positionsliinge: nhna (of^n), wÄsan (ochse), «fra (oKor), jot//?/ (woge), «/)'« (menge), »r/i (kraul), nsda (spitze) alle nach Kick angesetzt; auch nsila (f'euerasche), wenn es selbst nicht als nsla anzusetzen witre, hat posilion bildende consonanz. aber sogar die werte mit langer anlantsilbe haben oll geringere tonstärke. eine kleine anzahl von adjecliven ist als erster teil von composilis sehr beliebt: ahd. iinmi, alln. ill, itr; sie erhalten dann treilich den ton, aber ihre Verwendung selbst beweist doch, dass sie früh an lonkraft eingebUfst hallen : Worte von selbständiger bedeutung sinken nicht zu adjectivischen praefixen herab.

Die regel hat zur folge, dass mehreie idg. häutige wurzeln urgeim. in abnähme sind, die wurzel i (gehen) ist fast ganz ver- schwunden; von ?f (besitzen) und is (begehreu) sind nur ablei- tungen mit andern anlauten vorhanden. wurzeln mit anlauten- dem u sind schon idg. selten, aber auch von ihnen sind nk (gewohut sein) und nd (benutzen) bis auC einige langsilbige ab- leilungen verschwunden, und nachgot. ist die erste (got. in hiuhts) ganz untergegangen, auch das schöne idg. wort für morgenröte haben wir so verloren.

Bei i und u vor verschlusslaul und spirans herscht also nur abneigung gegen betonung kurzer silben. vor r l m n wird diese abneigung zum geselz.

Tonarme formen sind namentlich die so häufigen praefixe ahd. ir- un-, partikeln wie m, umbi^ undei\ dann aber, be- sonders characleristisch, die pronominallormen. wir besitzen in dieser abneigung der germ. spräche wahrscheinlich den grund, weshalb in ird irü imö indn dem i der accent sogar völlig vor- enthalten blieb, warum aber wider iro eine ausnähme bildet und den, wenn auch synlaktisch schwachen, ton auf der Wurzel- silbe erlangt, das ist so wenig jetzt wie früher zu erklären.

Volllonige formen haben doppelconsonanz oder langen vocal; positionslänge überwiegt durchaus: ags. irre, altfries. irst, ahd, irdin ahd. ilki (Graff i 245), ags. ilca (pronomen) ahd. untorn. mit naturlänge zb. altn. »r, ahd. nro.

Ausnahmen hat diese regel so gut wie gar nicht, von ein paar namen wie Iro und Uro abgesehen finde ich eigentlich nur eine : ahd. irah (neben uronta consternaotem Graff i 459 steht urronta, neben ula ebd. i 234 stehn (da und olla).

32 GEnMAMSCHK ANLAUTHEGELN

Es (l;uT ilarai) erinncrl werden, dass der liäudgsle fall dieser slelluDg der lieiden vocale, nämlich die aulaule ir und «r, got. ja ganz allgemein durch hrecluing heseiligl wird, viclleichl ist das nur der coniparativ der nrgeim. und in allen andern germ. dialeclen modificierlen ahneigung gegen diese anlaute.

Ührigens sind diese regeln nicht ausschliefslich germanisch, auch lal. ist wenigstens vor r silbenlänge bediugung: nrhs urna ursus uro ürus imio 7ra. griech. scheint sogar lediglich nalurlänge gestattet; 7r, ilr sind nicht selten, fr fehlt, dagegen kommt vor l vereinzelt kurze silbe vor: iilulaie; weit freilicli überwiegt dop- pelconsonanz: i)J,6g, ille ullus. vor m n sind griech. und lat. keine heschränknngeu: mago, ivho. die germ. anlautsregel scheint also, wie das germ. accentgesetz und wie bestimmte acte der lautverschiebung, die Verallgemeinerung einer urdialectischen be- wegung. sie hat wider den Verlust älterer worte zur folge, zb. lat. uliicus = skr. ulnka (Fick i 32) wird urgerm. aufgegeben.

Für ar al am an existieren weder germ. noch aufsergerni. derartige beschränkuugen: got. ara alan, ags. arod alet, ahd. ajwi alah usw.; ganz ebenso lat. arator aliquis, griech. agä akvay.0}.

Die regel ist also würklich in zweifacher weise beschränkt: sie gilt erstens nur für i und ?/, und zweitens nur für den echten anlaut, dh. für silben, die weder flexivische noch syntaktische enclilica sind (wie nn- ir- einerseits, partikeln, pronominallormen, copula anderseits), wir können sie also einfacher so formulieren: altgerni. stehn i und n im echten anlaut in langer silbe bei folgender liquida und uasalis immer, bei andern lauten fast immer.

Die regel wird nun nicht etwa in der arl durchgeführt, dass i und n in erster silbe vor r l m n gedehnt würden, das ist mhd. praxis: 'liquidae stören vorausgehnde kürze, indem sich ihr vocalischer nebeuton dem wurzelvocal verschmilzt, die mhd. dichter brauchen häulig reime von an:dn, in: in, er: er, or : 6r, ir : ier, nr : uor' (Weinhold Mhd. gramm. § 15). doch scheint auch mhd. die dehnun^ vorzugsweise am wortschluss beliebt, altgerm. bleibt jedesfalls in tonsilben die quantilät des vocals vor liquida unbehelligt, wie denn auch consonantisch an- lautende Silben auf ungedeckte liquida kurz sein dürfen: ahd. birut, kuri, altn. firin, munud, ags. hama, gelmren. die regel betrifft also würklich deu vocalischen anlaut ausschliefslich. und sie wird auch

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 33

iiiclit durch Verdoppelung der liquida durchgeführt; wo doppelte liquida folgt, ist sie aus idg. zeit hegriindet: ahd. irri zu got. airzis mit derselhen assimilation wie lat. errare, sie wird also auf eiue dritte art durchgefühlt, indem uämlich die widerstreheu- den wurzeln oder worte aufgegeben werden.

Dies ist, so weit ich sehe, der einzige fall, in welchem voca- lische anlaute hestimmlen regeln unterworfen scheinen, hei dem häufigen lausch von ar und ra, \d und lu usw. greift jedoch vocalischer schon zum consonantischen anlaut über.

Einfacher con so na n tischer anlaut ist zunächst wider unbeschränkt, jeder überhaupt vorhandene consonant kommt ur- germ. im anlaut vor, doch ist 'p ungemein selten (wie idg. b) und/ last ganz für pronominalstämme reserviert, besonders beliebt sind r s f k t. die vier letzten consonanteu sind sehr oft mit andern consonanten, und zwar fkt fast immer mit liquiden, nasalen oderr verbunden, wo das nicht der fall ist, enthält die erste silbe der mit s fkt anlautenden wurzeln überwiegend wenigstens am schluss ein r oder /, was bei den mit g d anlautenden wurzeln nicht ebenso häufig scheint, eine regel, dass jede mit s f k t beginnende Wurzel r oder liquida oder nasal enthalten müsse, existiert frei- lich nicht (zb. urgerm. kovi kuh , taita heiter), aber ziemlich oft sind doch idg. wurzeln aufgegeben worden, die urgerm. diese gestalt angenommen hätten : so die idg. wurzeln gadh (fassen) denn got. gitan^ engl, to get kann man nicht mit Fick i3 65 hierher stellen gad (sprechen), gas (erlöschen), da(; (zeigen), fig (malen).

allgemein aber kann man die regel aussprechen: f k t sind urgerm. als anlaut in offener silbe nicht geduldet, jedesfalls also muss die so anlautende silbe noch einen conso- nanteu enthalten, am liebsten l r. für s gilt diese regel nicht.

Es werden also urgerm. alle wurzeln abgelegt, die idg. nur aus 'p g d -\- vocal bestehn. dies ist eine bedeutsame gruppe wich- tiger wurzeln, hierher gehören pd 1 (trinken) und pd 2 (schützen)

denn in der oxytonierten ableitung patdr steht p ja ursprüng- lich nicht im echten anlaut, sonder proklitisch vor der tousilbe; weiter pi (schwellen), pii (schlagen), bis aufs gotische gelangt pi (höhnen) in faian., später lebt es nur im part. 'feind* noch fort; aber fiands hat fijands neben sich und später wird durch Unter- drückung des vocals der endung der anlaut in geschlossene silbe gestellt, oder das wort stirbt aus, wie englisch, nur pu (faul

Z. F. D. A. XXXVIU. N. F. XXVI. 3

34 GERMANISCHE ANLAUTREGELN

werden) komint bis in spätere perioden aber in einer ableilung mit l: got. füh, ursprünglich auch in alln. füi (fäulnis) [dazu feyja- fninnl]. mit g lautet idg. (he starke wurzel gd (gehn) an, die deshalb das Schicksal der gleichbedeutenden wurzel i teilt; ferner gd (tönen), gi (bewJiltigen), gu (cacare), gu (treiben), einige kom- men noch bis in die älteren germ. Sprachphasen , sterben aber got. oder spätestens ahd. ab: gd (glänzen), gu (schreien); nur in wenigen ableitungen dauert gi (leben) fort, welches noch dazu anl. doppelconsonanz entwickelt hat. mit d beginnt die bedeutende wurzel dd (geben), der wurzel gd parallel, ferner dd (binden); du (brennen) fehlt mindestens mhd., nhd., auch engl. usw.

Eine allgemeinere abneigung gegen idg. offene wurzeln über- haupt besteht durchaus nicht, idg, wurzeln mit vocalischem aus- laut sind erhalten, wenn sie nur nicht mit idg. p g d (urgerm. fk t) anlauten: md (messen), mi (vermindern), sd (säen), su (erregen) sind wurzeln, die unverändert urgerm. fortdauern, und ebenso treiben wurzeln mit idg. gh dh t wie gi (gähnen), (setzen), thu (schwellen) ihre blühenden triebe bis in die gegenwart.

Stärker noch als das Zahlenverhältnis der erhaltenen zu den verlorenen idg. wurzeln spricht die qualität der letzteren gegen die annähme des zufalls. wurzeln wie dd, gd, pd gehn nicht ohne jede bestimmte Ursache verloren, an der bedeutung kann es bei ihnen wahrhaftig auch nicht liegen, und also liegt es an der lautlichen geslaltung. so entschieden urgerm. sonst stimmloser anlaut bevorzugt wird (t k f s), so entschieden besteht auch die neigung, entweder den cons. oder den vocal der anlautsilbe mit eng sich anschmiegenden lauten zu verbinden, entweder geht der anlautende tonlose consonant selbst eine doppelconsonanz ein, oder seine silbe schliefst mit einem zweiten consonanten, am liebsten mit der liquide, die ja dem vocal am nächsten verwant ist. (der bequemlichkeit wegen fassen wir hier /, m, n, r unter diesem ausdruck, wie früher üblich, zusammen.) wurde diese intimität zwischen vocal und liquida doch so früh gefühlt, dass gruppen wie em, ar , la die ältesten binderunen ergaben (vgl. Wimmer Runenschrift s. 168).

Was kann der grund dieser regel, oder sagen wir noch vor- sichtiger, dieser sprachneigung sein?

In all diesen fällen wird die anlautende silbe gleichsam um-

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 35

pfählt von eiuer schützemleu umwalluug. mag der zauu aus den durcheiuaiulergeschobenen liolzsläbeu eng zusammengehöriger cou- sonaulengruppeu (wie str, ß, kr) beslehu und vorn schützen, oder hinten eine mauer aus dem kilt der vocale und den Ziegelsteinen der liq. errichtet sein (wie kar, ful) immer ist eine stärkere ah- grenzung vorhanden als bei einer wurzel wie 'pd. indessen diese bevorzugung der ersten silbe würde noch nicht erklären , wes- halb gerade liquidae so beliebt sind, und anderseits fanden wir vorhin bei vocalischem aulaut gerade für diese Schwierigkeiten. Ich glaube, diese verschiedenen regeln sind am besten aus der bewegung herzuleiten, welche durch die allmähliche durch- lührung des germ. accentgesetzes in den urgerm. sprachsloff oder vielmehr in den sprachsloif derjenigen ludogermaneu, aus denen eben die Germanen sich loszulösen begannen, gebracht wurde, der accent ist idg. frei und überwiegend musicalisch; nun wird er nach und nach auf die Wurzelsilbe geheftet und überwiegend ex- spiralorisch. der unterschied zwischen tousilbe und nebentou- silbe wurde durch beide umsiände vergröfsert. der hauptton schwebte nicht mehr auf eiuer durch alle silbeu gebildeten scala, sondern schied sich von allen andern silben schroff ab; und diese, die in keinem fall mehr (wie früher etwa in einem casus obliquus) des accentes teilhaftig wurden, sanken in ihrem wert, so ist denn auch das germ. auslautsystem eine folge des accentgesetzes. jene beiden neuerungen waren aber selbst schwerlich von einander unabhängig, dass der accent auf die Stammsilbe ge- heftet wurde, war sicher das ursprüngliche; denn eine bewegung dieser art reicht ja in die idg. urzeit zurück, alle Westeuropäer, aufser den Germanen auch die Kelten, die Griechen, die Lateiner haben an einer derartigen festlegung des haupttons anteil. die Umwandlung des wesentlich tonsteigernden accents in den wesent- lich touverstärkenden aber war erst eine folge der barytonierung ; ist sie ja doch in ahd. zeit noch nicht völlig durchgeführt, ja noch jetzt nicht in den 'singenden' dialecten. sie folgt psychologisch aus der betonung der ersten silbe. durch diese neue betonung werden naturgemäfs die nebensilben oft verkürzt, weil sie al.« nebensächlich undeutlicher gesprochen werden, zu den wesent- lichen Zügen jedes tonbildes gehört aber sein zeitmafs. wir nehmen kaum je bei der ausspräche einem wort einen teil seiner kraft, ohne ihn anderswo wider einzubringen (vgl. QF 58, 34).

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am (kiitlicIisU'i) iritl diese erscheiDun}* in der mit uurecht jetzt gewidiiiliili nu den praiifier der ganseriirscheii angeschlosseneu S'rsatzdtliiuinij;' aut. durch Verlust eines lautes eines nasals zl). wild die Zeitdauer des Wortes verringert; da mau aber noch die urspriln«j:liche Zeitdauer im gedächtuis hat, fügt man durch ein ausruhen aut dem vocal das verlorene zeilteilcheu wider dem wortbilde ein. so also wird es auch damals ge- wesen sein: die tonsilbe wurde gedehnt, zunächst nicht durch den accent, aber doch um des accentes willen; und allmählich ilbernahm dann der mit dehnung der silbe (nicht gerade immer mit dehnung des vocals!) gewohnheitsmälsig verbundene accent die dehnung selbst: er wurde tonverstärkeud.

Auf jeden fall ist in der zeit, in der das germ. acceutgesetz sich durchsetzte, der lonabsland von der ersten zu den späteren gilben ein bedeutender, nirgends fällt aber der ton jäher ab als in einer mit tonlosem cousonanten beginnenden offenen silbe. der exspiralionsdruck hebt gleichsam die aulautsilbe auf einen Wellenberg, um sie dann in das tiefe thal der tonlosigkeit herabzu- schleudern, ist nun aber vor oder nach dem vocal ein consonaut vorhanden, auf dem die stimme etwas aushalten kann, so wird die tlisharmonie gemildert, es erschien deshalb wol ein urgerm. stamm dedi- zulässig, wo der stimmhafte anlaut gleich einen teil der lonkraft wegnahm und so dem vocal weniger liefs, nicht aber zb. ein fddi- zu pd, oder wenigstens nicht mehr, als der exspiratorische accent seine volle stärke erlangt halte: got. kommt faß noch vor, aber auch blofs als minderbetonter zweiter teil von compositis, nachgotisch verschwindet es ganz. ebenso steht es aber auch mit anlautendem vocal vor liquida. bleibt zuviel toukraft für das silbenscbliefsende r oder l, so fällt die stimme jäh herab ; ist ein teil dieser kraft durch langen vocal vorher oder durch die anpassung auf einen neuen consonanten nachher ihr ent- zogen, so ist das misverhältnis geringer, in iiach entsteht etwa dies tonbild: "^v,, in irdin dagegen "^^^. wenn a die aulautsregel nicht hat, so liegt das vielleicht darau, dass die gröfsere modu- lationsfäliigkeit der extremen vocale mitspielte, vielleicht auch Mols an der sehr viel gröfsern häufigkeit des a: es konnten nicht alle Worte dieser form aufgegeben und ersetzt werden.

Indes, wir geben zu, dass erklärungen solcher regeln immer viel subjectives behalten, die hauptsache bleiben die tatsacheu;

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 37

dass aber tatsächlich stimmloser anlaut im germ. seine eigen- heiten hat, lässt sich auch für spätere zeit zeigen.

Wie urgerm., so wird auch ahd. die gruppe p t k besonders gern zur worterüffnung benutzt, in Nolkers Regel stehn p t k im satzaufang und nach slimmiosem laut, in viel weiterem mafse aber zeigt die zweite lautverschiebung Vorliebe für den tonlosen anlaut: d wird allgemein zu t, anl. b und anl. g werden wenig- stens auf weiten gebieten zu p und k. die urgerm. tenues aber behalten ihre tonlosigkeit, ob sie nun zur afl'ricata oder zur doppelspirans verschoben werden.

Dazu stimmt nun noch mhd. die regel, dass tenuis cäsur fordert (QF 58, 19). irgend welche beschränkungen gelten hier- bei weder für den anfang des ahd. wertes noch für den des mhd. kolons. nach durchführuug des neuen tonsystems hatten sich ja zwischen die hochtonsilbe und den rest des Wortes vermittelnd nehentöne eingeschoben, und so war der jähe absturz von der tonsilbe zur nebeusilbe gemildert, dass er aber noch immer gefühlt wurde, beweist die mhd. verskunst. für den mhd. vers gelten ähnlidie regeln wie für das altgerm. wort: p t k allein in offener silbe werden fast ganz vermieden; wo diese conso- nanten anlauten, schliefst entweder liquida die silbe oder, noch lieber, sie stellt sich zwischen p t k und den vocal. aber ein unterschied bleibt freilich: altgerm. war mit diesen cautelen anJ. tenuis sehr beliebt, mhd. wird sie überhaupt lieber ver- mieden.

Die mhd. dichtuug, in allen fragen der harmonie und des wol- klangs feinhörig wie keine zweite, lässt ungern einen vers mit einem laut beginnen, die ihn vom schluss des vorigen zu stark abheben würde, ebendeshalb fügen sich die worle so wundersam :

si koment den man mit süen an ,

si tuont sich nähe zuo dem man

und liehent rehtem mnote. vocale, d s, sind die herschenden anlaute der mhd, poesie; da- neben ist V ziemlich häufig, f aber nicht. was nun speciell die l'ortis angeht, so ist ihre Vermeidung am versbeginn geradezu ein kriterium gröfserer Sorgfalt bei mhd. dichtem, alle Sper- vogelstrophen haben noch nach der lässigeren und altertümlichen art der fahrenden öfters anlautend t und k; dass in den betreffen- den Worten fast stets einer jener vermittelungslaute, zumeist r,

3S GERMANISCHE ANLAUTREGELN

vorhanden ist, liegt sclion im sprachsloff, aber in den älteren Hergerstroplien ist k sogar besonders häutig: Kerlinc MFr. 26, 15 körn 30, 6 krist 30, 13 künec 30, 22. in den jüngeren Sper- vogelslropben sieht daj;egen nur noch das eine kein 20, 20. die minnedichter meiden A- von anfang an; nur 5, 2 knmest: auch hierdnrcli beweist das alterlilmliche verschen Carm. Bur. 136^ seinen Volkston: chnme bei^innt die hallte der verse. natürlich hat der tugendhafte Schreiber Hartmann nirgends anlautendes /f. merkwürdig aber ist es, wie bei Reinmar dieser unschuldige versanlaut fast als kennzeichen der unechtbeit angesehen werden kann, es steht 180, 31 kcem in einem von Burdach s. 220 angezweifelten lied, 185, 6 knme in einem von Erich Schmidt und Burdach s. 221 Reinmar abgesprochenen gedieht, 194,35 koiide in einem von diesen kennern ihm allerdings gelassenen, aber nicht völlig sichern liede (Burdach s. 229); ebenso steht es mit kürme 201, 35. als ganz sichere ausnähme bleibt somit bei Reinmar nur 197, 15 wo aber das erste wort des ganzen gedichtes mit k beginnt und also die von uns als grund der Vermeidung stimmlosen anlautes betrachtete glatte Verbindung von versschluss und versanfang nicht in betracht kommt. in Strophen, die Haupt Reinmar ab- spricht, stehn dagegen kceme 305,6, klage 313,2.

Nicht ganz so streng wie bei k ist die regel bei t, zwar einfaches t erlauben nur die volkstümlich -altmodischen Strophen wie tongen 3, 12 (in den Carm. Bur. dicht neben den chume- versen), tcBt Riet. 19, 10, tvgende Dietmar 3(3,30. bei Reinmar ist t (wie k) fast verdächtig: tno 176, 6, tuoz 176, 21 und tougen- lichen 177, 6 in einem und demselben, von der hs. A Reinmar dem fiedler zugeschriebenen gedieht (welches jedoch Burdach s. 218 für echt hält). 179,28 ist tuot in hdt zu ändern (ebd. s. 219). 185, 17 tanzen mit knme 185, 6 in demselben unechten gedieht, es bleiben aber doch drei ausnahmen sicher: teste 160,32, tuot 179, 1, tnos 190, 10. in den sicher unechten Strophen steht tnmber 310, 7. Hartmann hat t nirgends im versanfang. zeigt sich schon in den formen von t^ion bei Reinmar eine ge- ringere strenge als bei k, so ist allgemeine licenz , dass tr an- lauten darf, so in frühen gedichten triuwe 21,33 und 31,5 Sperv., trnrk 32, 20 und tragen 38, 6 bei Dietmar, tribet in einem volkstümlichen liedchen 204, 9. ebenso Hausen 42, 13 trnren. aber Reinmar hat nur trceste 190,37 in einer Strophe, die mit

GERMAiMSCHE ANL AUTREGELN 39

jenen vielleicht Reinmar dem fiedler gehörigen eine griippe bildet (Rurdach s. 218); 179, 4 wird mit bE vröude in den versan- fang gesetzt werden müssen.

Auch /■ lautet nicht gern allein au. alle gestatten sich frowe, sogar Hartmanu 217, 8, der auch 214, 2 fröite hat; ebenso Reinmar 172, 1 fröide, 192,23 frage, aber ßeres 182,24 (neben dem erlaubten fröide 182, 20) steht in einem wol sicher unechten gedieht (Rurdach s. 220). Dietmar hat 34, 14 fremedet, ebenso Hausen 50, 33 frömde. f als alleinigen cons. versanlaut meiden auch die ältesten. v dagegen steht nicht nur bei den älteren, in dem in den Carm. Rur. beliebten vil: 116a. 141a. 144a, sondern auch bei Reinmar Verliese 167, 11, vdhe 173, 15; /"und v sind eben im klang noch verschieden, v der für den inlaut und daher auch für die liednähte bestimmte laut.

Der unterschied in der behandlung dieser anlaute, den jün- gere und ältere, echte und unechte Strophen aufweisen, beweist, dass die Vermeidung der stimmlosen anfange nicht lediglich aus dem sprachstofT hervorgeht, formen wie trmwe, tröst, frouwe, fröide haben im mhd. vers vor tnon, fiteren eben das voraus, was altgerm. fri- vor altgerm. *fa[)ar voraus hat: der unterschied ist ein gewollter, zweckmäfsiger. aber allerdings ist es voll- kommen richtig, dass anlaute mit tenuis mhd. überhaupt nicht sehr häufig sind, schon spätahd. tritt ja anl. ]p meist, anl. k fast immer vor den älteren lenes zurück, während allerdings t un- berührt bleibt, diese gröfsere Seltenheit der ahd. so beliebten tonlosen anlaute in der mhd. spräche beweist aber lediglich, dass hier wie überall der poetische gebrauch lediglich die quintessenz des spracbgeistes bedeutet, und hiermit kommen wir auf den allerwichligsten punct.

Wir haben eben ausgesprochen, dass mhd. tonloser anlaut unbeliebt ist in der spräche überhaupt wie besonders im verse , dass dagegen ahd. gerade tonloser anlaut beliebt ist und nur bestimmte formen desselben aus bestimmten gründen einschränkungen unterliegen, worauf beruht nun dieser gegensatz? man sieht wol, dass er band in band gehl mit dem gegensalz der barytonierenden allilleralion und des oxytoniereuden endreims, des altgerm. gegenrefraius und des mhd. refrains sowie vieler verwanter begleilerscheinuugen. suchen wir aber dem gegensatz auf den grund zu gehu, so dürfen wir wol sagen: die altgerm.

10 GERMAMSCHE ANLAUTREGELN

Zeil iiimml tins wori, die mlul. (und ebenso die gleichzeitigen andern f,'eini. dialecte) nehmen den salz als einheit. stark und energistii sondert der germ. urdialecl das wort aus der gcbunden- heit des salzes aus. die wesentlich logische einrichtung des accent- fjoselzes dient vor allem der isolierung des wortes: wenn es vorher durch die sandhiregeln des satzes wechselnde tonbilder annahm, bleibt es nunmehr starr, von der Umgebung fast unberührt; derjenige teil, welcher vor solcher Umgebung am leichtesten zu isolieren ist, die erste silbe, wird zum regierenden teil gemacht, aber auch rein lautliche Vorgänge dienen demselben zweck, vom an- lanl beginnt die Verschiebung der idg. med. aspir. zur spirans (und weiterhin zur media); die gemeingerm. Schwächung von anl. X zum h oder zum Schwund des anlauts bleibt vielfach ganz auf den anlaut beschränkt, in beiden fällen wird der anlaut der aspiralion beraubt, weil die schärfere ausspräche das neue wort stärker hervorhebt, die anlautgesetze, mögen sie auch selbst nur consequenzen der andern regeln sein , winken in gleicher lendenz. bedenkt man, dass von den vier im skr. häufigsten aus- lauten: ch m n t (Whitney § 149) zwei urgerm. gänzlich verboten sind, so tritt die Verschiedenheit der auf weiche wortbindung bedachten altindischen und der auf scharfe wortabhebung sinnenden altgerm. spräche deutlich ins äuge, ebenso schwinden altgerm. die meisten vocalischen auslaute, die im skr. besonders beliebt sind: bei vocalischem schluss geht das eine wort ja fast unwill- kürlich in das andere über, so bindet jene älteste binderune, auf die wir schon einmal bezug genommen haben, gerade ein aus- lautendes e mit einem anlautenden m (VVimmer aao. s. 104). auch hier können metrische regeln die sprachlichen verdeutlichen helfen: mit ganz ähnlichen, nur freilich weit mehr ausgearbeiteten 1,'renzgeboten wird im vers der classischen mhd. dichtung das vor- letzte wort von dem (vocalisch beginnenden) letzten abgeschlossen. man lese nur einmal ein beliebiges stück Ulfilas zwanglos laut vor: man wird sofort sehen, wie die bindnng zweier selb- ständiger Worte sich fast von selbst verbietet, nur tonschwache Worte, pronominalformen besonders, schmiegen sich oft an das lolgewort, seltener an den Vorgänger an.

Im übrigen gebrauchen die altgerm, dialecte nicht alle die gleichen mittel, um den auslaut vom inlaul zu scheiden, ob aber das gotische lünende sjiiranten auslautend in tonlose wandelt, das

GERMANISCHE ANLAUTREGELN -41

altnord. auslautende n unterdrilckt oder das alid. auslautende gemi- nation vereinfacht ein bewustes abheben der Stellung in pausa liegt allemal vor. eine weitgchnde niilderung dem gotischen (und vollends dem urgerm.) gegenüber ist i'reilich in den späteren dia- lecten nicht zu verkennen, die phonetische isolierung der worte ist dabei überall von einer syntaktischen begleitet: wie diecompositions- ungehener des sanskril exponenten der indischen lust am ver- schmelzen und zusammenrübren der silben sind, so beweist die starke zunähme der Wortzusammensetzung vom gotischen zu den späteren dialecten eine zunehmende lendenz von der isolierung der Worte zur durchcomponierung der sätze.

In mlul. zeit ist nun diese beweguug ohne die die durcb- filhrung der endreimpoesie schwerlich denkbar wäre zum ab- schluss gelangt, nicht mehr die streng logische Vereinzelung der Worte, sondern ihre harmonische fiigung ist nun das lieblings- ziel des sprachgeistes. und so kommt es in laullehre und syntax olt zur geraden umkehr althochdeutscher regeln, das schlagendste beispiel, die rückverscbiebung, haben wir schon angeführt, urgerm. war auslautendes d t beseitigt worden ; mhd. tritt es gern an. wenn einstmals idg. *dont zu alid. zan, idg. Hhernt zu got. herun geworden war (Kluge in Pauls Grundriss i 360, 2), so wird jetzt aus nie- man niemand, aus nllenhalben allenthalben eine jener merk- würdigen sprachlichen restitutionen, über die noch im Zusammen- hang einmal zu handeln wäre.

Anlaut und auslaut, das sahen wir schon vorhin, sind von einander nicht unabhängig, sondern beider regulierung fliefst ans gemeinschaftlichen principien. diese aber berühren auch den in laut, daher stehn sogar auch in bezug auf den inlaut abd. und mhd. in Widerspruch, das mhd. beseitigt die ahd. zahlreich entwickelten sprossvocale, wie es überhaupt den wolklang im wort zurücksetzt gegen den im satz. seine allgemeine tendenz ist die euphonische vermiltelung der worte. deshalb slöfst es nach der so glatt vermittelnden liquida das stumpfe e gern ab, das durch die abschwächung der endungen schon zum kenn- zeichen des wortschlusses geworden war; deshalb stellt es in fällen wie wie, wd sogar offenen auslaut her. allerdings scheint dieser allgemeinen neigung eine sehr bekannte regel zu wider- sprechen, wenn ahd. nur selten auslautende lenis zur fortis ward, geschieht mhd. dies regelmäfsig. wird nun aber hierdurch nicht

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dor auslaul ««benso stark horvorgelioben, wie alul. der anlaut, weun dort lenis zur lortis ward? gewis. aber gerade auch diese aus- nähme isl cliaracleristisch. vorzugsweise haudelt es sich ja um verbalformen, die in der regel am satzschluss stehn, wir finden denn auch würkhcl), dass 'vocalischer anlaut des nächsten worles, auch zuweilen m, rf, s die lenis oll erhält' (Weinhold Mhd. gram. § 148), wenigstens bei der labialis; auch bei ausl. d kommt nach li(|ui(la bewahrung der lenis vor (ebd. § 172).

Wir haben uns bei dem einfach consouautischen anlaut am längsten aufgehalten, weil dies der lehrreichste fall ist, glaubten wir an ihn gleich einige allgemeinere betrachtungen knüpfen zu dürfen, denn wenn die betreffenden regeln auch an sich sprachlich keine grofse tragweite haben sie kommen fast nur für die lexikalische vergleichung in betracht , sind sie doch lehrreich für die all- gemeine entwicklung der spräche, ich weifs wol, dass die alte lehre vom durchgehn der 'sprachidee' durch isolierende, affigierende und agglutinierende zustände jetzt vielfach ganz verworfen, allgemein aber skeptisch angesehen wird, mir scheint es doch wahrscheinlich, dass die lehre von den drei aggregatzuständen der spräche wider zu ehren kommen wird; mir scheint sie nicht sowol der speculierenden Sprachphilosophie anzugehören, als viel- mehr einfach der erfahrungsmäfsigen Sprachwissenschaft, für sie spricht, dass im einzelleben jeder spräche jene drei stufen sich widerholen, vergleichen wir die einfache coordination der Sätze in alter zeit mit der mäfsigen subjunction der mhd. prosa, mit den verwickelten perioden der neuzeit, die den eingearbeiteten satz bis zur Unkenntlichkeit biegen und zerreifsen, so finden wir wider isolierende, affigierende, agglutinierende zeit; denken wir an die stufen der worlzusammensetzung von der blofsen zu- sammenrückung (got. ga-n-lmibjats, banrgsvaddjns) über die beliebte nnd klare composition späterer epochen zu der rein mechanisclien worifahrication unserer tage, so sehen wir dieselben stufen, sollte es sich nicht einfach um phaseu notwendigen lernens und vervollkommnens handeln? sollte diese urgerm. wort- vereinzelun^, dann die ndid. art die rundung des satzes zur haupt- sache zu machen, endlich der nhd. periodenbau nicht in gleicher weise eine unvermeidliche Stufenleiter darstellen ?

Wir kommen zu den regeln für anlautende doppel- cousona nz.

GERMANISCHE ANLAÜTREGELN 43

Von solche» anlauten abgesehen, die durch die lautverschie- bung unmöglich gemacht wurden (gin' gJw, dhr dhv, bhr), fehlen nrgerm. drei idg. anlautende consonantenverbindungen: gv, pr, sr. doch hat jede von ihnen eine andere Stellung, nur bei sr liegt unzweifelhaft germ. abneigung vor: in völlig sicherer weise wird diese Verbindung im anl. durch str ersetzt, geradeso wie auch sonst t gern vermittelnd in schwierige consonantengruppen ein- tritt (nhd. eigentlich udgl.). dagegen ist einerseits bei gv zweifel- haft, ob dieser anlaut idg. vorkam (Fick stellt i'^ 78 die wurzel gvar auf), anderseits ist zweifelhaft, ob urgerm, pr' würklich ver- mieden wurde, zwar scheinen alle alten worte mit pr entlehnt (auch got. Tpraggan Schade ii 685), aber der umstand selbst, dass alle germ, dialecte lehnworte wie 'priester' rasch und völlig ein- bürgern, spricht gegen die annähme einer einstigen antipathie gegen diesen anlaut. wurzeln mit idg. hr waren nicht vorhanden, wurzeln mit idg. pr sind zahlreich zu dem durch die laut- verschiebung hergestellten und beliebten anlaut fr herübergeführt worden, es bleibt also schliefslich nur 6in idg. anlaut urgerm. würklich verboten : sr. problematisch ist die Verwandlung des mr in hr (Johansson Kuhns zs. 30, 445 f), und sie wäre gemein- iudogerm. die Verbindungen von s(s) -\- guttural -j- l, m, n, über deren Vereinfachung durch ausstofsung des Spiranten oder des gntturals Johansson Beitr. 14, 289 f handelt, scheinen allgemein indogerni. dieser Vereinfachung zu unterliegen; vgl. über iudogerm. s-\-k-\-m zu sm Johansson Kuhns zs. 30, 424.

Durchaus nicht selten ist es dagegen, dass solche doppel- laute germ. nicht erscheinen, die in andern idg. sprachen sich neu entwickelt haben, besonders hat das griech. anlaute mit nasal nach dentalem und labialem verschlusslaut, die urgerm. fehlen : rÄär df.u6g, nveiif-ia. die einzige ausnähme bildet das zweifelhafte got. wort &naMan (nach Johansson Beitr. 15,227 mit hi- componiert wie altn. hnere). ganz vereinzelt begegnen ferner die anlaute fn (nur in der wurzel fnas altn. ags. ahd., später verschwunden, alle andern lalle scheinen aus älterem sn her- zuleiten; doch vgl. Bugge Kuhns zs. 22, 329, Johansson Beitr. 14, 329. 334) und vi (nur in vlit got. ags. as. später aufgegeben), endlich dem got. ausschliefslich eignet der dort nicht seltene an- laut pl. bei keinem der hierher gehörigen worte steht idg. anl. tl oder tr fest, wol aber steht die elymologie von got.

n GERMANISCHE ANLÄUTREGELN

ßahta zu i>lekt- nUyLrio fest, und es scheint in einem zweiten fall bt'i «;ot. plaqs fiie schon von JGrinuii (GDS i* 245) gek'hiie verwantschall mit lat. flaccus zu besteh n. danach wird man schhefsen müssen, dass nicht, wie man gewöhnlich annimmt, f.'erni.-gof. /»/ nord.-westgcrm. /? geworden sei (so zb. Khjge bei Paul I 3G4, 4), sondern dass vielmehr im got. aus urgerm. ß erst pl geworden sei, während nord.-westgerm. der idg. anlaut bewahrt blieh. auch got. haben wir ja noch nsßangjan gegenüber plinhan. Tonnen mit aiil. ß stehn nur im ev. Luc. (ßekan 8, 52, ßodus 6, 49) und in den briefen {nsßaugjan Eph. 4, 14, ßautjan I Cor. 13, 4, ßants Gal. 5, 26, ßahta i Tim. 2, 9), die auch sonst zuweilen mit dem ev. Luc. sprachliche eigenheiten teilen (Braune Got. gramm. § 194 anm.). formen mit anl. pl stehn (ibcrall (besonders yi//?/Äan), auch im ev. Luc. (gaplahsnan 1,29, gaplaihts G, 24). nun sind die abweichungen im ev. Luc. ja auf die rechnung der späteren ostgot. abschreiber zu setzen, (vgl. VVrede Anz. xvi 66 anm. 2), diese brauchen doch aber nicht notwendig immer jüngere formen hineingebracht zu haben: der ostgot. dialect kann in seiner unlitterarischen art sehr wol eine ausspräche bewahrt haben, die von dem rascher vorschreitenden westgot. dialect und insbesondere von der Schriftsprache des ülfilas schon überwunden worden waren, dies scheint zb. der fall zu sein, wtenn im ev. Luc. das auslautende d oft gewahrt ist, wo sonst mit grammatischer genauigkeit/ gesetzt wird (Braune § 70 anm. 1). ebenso würden wir im ev. Marc, vielleicht *nsplaugjan lesen, vielleicht würkt auch auf bewahrnng oder wandelung des fl der folgende laut ein, sowie der verwante tausch von f mit h alt- sächsisch nur vor t stattfindet: ahter, craht. pl steht vorzugs- weise vor hellen vocalen : gaplaihan^ gaplaihts-, pliuhan enthalten », auch in plahsjan kann das j eine andeutung von umlaut des a bewürkt haben; vor ganz dunkeln vocalen ?.\.e\\v\ plauts und plaqus- beide gerade im ev. Marc, ß steht meist vor dunkler sillic: nsßangjan ßautjan und ßauts ßodus, aber auch ßekan und ßahtn. wir könnten also annehmen, urgerm. anlautendes ß sei vor hellen vocalen got. zu pl geworden, und die Orthographie des Ulfilas habe diese Schreibung verallgemeinert. aber wie das auch sei: ein recht, urgerm.^/ auzuuehmen, haben wir jeilesfalls nicht, wie sollte auch zb. das gemeingerm. (got. nicht belegte) ahd. ßfozzan altn. ßjöta ags. ßeötan, dessen beziehungen zu der idg.

GERMANISCHE ANLAUTREGEI.N 45

Wurzel plu niemand bezweil'ell, jemals dazwisclien zu einem pl gekommen sein? allerdings wendet man mir ein, dass Über- gang von ^ in f belegt sei, nicbt aber von f in p. wenn aber die Lex Salica P in f wandelt, so steht auch dieser Vor- gang im germ. sprachleben so vereinzelt, dass Heinzel (Nieder- l'ränk. geschäflssprache s. 41) ihn auf eine 'dem salfr. eigene, im nfr. wie alts. unerhörte ausspräche der germ. dentalspirans' zurücklühren muste. gerade für fl- ist aber auch an den tausch mit sl (Johansson Beilr. 14, 323) zu erinnern, der nicht ganz lern abliegt. lür die ursprünglichkeit von pl würden Oslhoffs etymologien von flehen, fleisch, fliehen Beitr. 13, 399 sprechen, wenn sie sicherer wären.

Es bleiben danach folgende consonaulenverbindungen im urgerm. aulaut: kv kn kr kl, hv hn hr hl, gn gl gi\ tr tv, pr pv, dr dv, pr pl, fr fl, hr bl, vr, sk st str sn sp spr sm sl sv und aufserdem mit nur je einem fall fn und vi sowie vielleicht 671. besonders beliebt sind alle Verbindungen mit r an zweiter stelle.

An erster stelle kommen hier also vor am häuflgsten gut- turale laule (k h g), am seltensten labiale (p f l); die dentalen stehn dazwischen, wenn man die Verbindungen mit s nicht dazu rechnet, von den einzelnen lauten sind am häufigsten s k f t; wir haben es schon besprochen , wie diese als urgerm. anlaute eines zweiten stützenden consonanteu nahezu bedürfen, im übrigen hängt die häuügkeit der laute in worlerolTneuder consonanten- verbindung wol einfach von ihrer häuügkeit im anlaut überhaupt ab: p -{-X ist selten, weil p selten ist, s und k -{- x sind häufig, weil s und k häufig sind, aus demselben gründe ist spirans be- liebter als tenuis, diese als media.

An zweiter stelle treffen wir vor allem r, demnächst /, weiter n und endlich v. nur nach s stehn andere laute: t,\ p, aber auch in. aber die Verteilung ist sehr verschiedenartig.

Nach sämtlichen vorlauten steht r, nach allen labialen und gutturalen, aber nach keinem dentalen l (einzige ausnähme wäre germ. pl), nach allen gutturalen, aber nicht nach dentalen und labialen steht n (einzige ausnahmen fn in fnasa und got. bnauan). verschlusslaute, doppelconsonanzen {tr kr pr) und m stehn nur nach s; von den drei sonst erlaubten nachlauteu aber stehen nach s nur l und m, dagegen r, der häufigste aller nach- laute, niemals. der halbvocal v (an erster stelle nur vor r.

46 r.EBMAMSCIlE ANLAUTREGELN

lind fiiiiii.il vor /) stt'hi an zweiter stelle nach allen deutaleu, nach zwei ^'iiiliiralen {liv ln\ aher nicht gv), nach keiner labialis, der halhvucal j sielil nrjjienn. iiheriiau|tl nicht nach cous., während er spater, besonders altii., ein sehr beliebter begleitlaut wird {kj

yj 0 <0. ••^"p"'" /O' *'(^ usw.).

Von diesen regeln erklärt sich nur eine aus tler natur der betr. sprachlaule selbst ohne weiteres: pw bw fw sind für uns last unsjjrechbare combinationen. aber beinahe alle andern kommen in andern sprachen vor. wir haben sciion auf griech. // und yn hingewiesen, auffallend ist besonders die Seltenheit von m an zweiler stelle; worte wie griech. xfUjTog skr. kmar, griech. rfii]oig öuojg beweisen auch hier die sprechbaikeit der germ. vermiedenen gruppen. nun ist richtig, dass diese anlaut- grnppen (gerade wie zb. griechisch z/mv auch) erst durch Unterdrückung eines zwischeuvocals entstanden, weshalb wurde aber germ. in solchen fällen nie ein zwischenvocal unterdrückt? sind doch möglicherweise alle anlautenden doppelconsonanzen erst auf diese art gebildet worden, wir haben auch zb. ahd. nicht selten Synkopen wie gicisso; niemals sind diese zu her- schenden formen geworden wie mlid. gnade, glouben. wir sagen wider gewiss, aber nicht genade: gn gl sind urgerm. anlaute, gw nicht. auch mit der umkehr dieser erwägung ist nichts gehollen, man könnte etwa denken, es kämen nur solche au- lautgruppen vor, bei denen ein zwischenvocal entwickelt werden kann, ich glaube allerdings, dass altgerm. fr kr usw. fast stets mit leiser svarabhakli gesprochen wurden, und habe dies vor kurzem in einem aulsatz über allitterierende doppelcousonauz im Heliand (Zs. I. d. phil. 26, 144 ft) zu erweisen versucht, aber diese sprossvocale waren doch überall möglich, wenn got. ibns zu eban wird, rechtfertigt dies ein bnauan noch nicht, denn ebenso wird aus *bodm bodam (Braune Ahd. gramm. § 65), ohne dass dm als germ. anlaut vorkäme.

Wir müssen also die vorkommenden combinationen einzeln prüfen, da an sich keine derselben etwas auffallendes hat, stellen wir besser die frage so: warum kommen die andern combina- tionen nicht vor? weshalb fehlen (von unsprechbareu gruppen abgesehen) km hm gm gv tl tm tv tu ßm pn dl dm dn pn gänz- lich, pl fn bn vi so gut wie gänzlich? und weshalb ist sr ver- boten, sm sn sl erlaubt?

GERMANISCHE AlNLAUTREGELN 47

Wir müssen zunächst scheiden zwischen solchen urgerm. anlauten, die direct lautgesetzliche t'ortsetzungen von idg. anlaufen sind, und solchen, die urgerm. (durch unterdrückuug von vocalen, durch aufnähme neuer wurzeln, durch analogiebildung) neu ent- stehn. den letzteren stehn als dritte gruppe diejenigen anlaute gegenüber, die ohne bisher erkannte lautgesetzliche nohvendig- keit urgerm. verschwinden.

1) Lautgesetzliche entwickelungeu oder fortlührungen von idg. anlauten sind kr (in alid. chrannh, nilul. kränz, alln. kriny, alle unsicher; lerner in lehnworlen wie kreuz, krieg), kl (ahd. chltoban zu yXvg)Cü), hv (got. hvapjan zu skr. kvath), hu (wurzel hnu zu -Aviio), hr (ahn. hrikta zu y.QiCio), hl (wurzel hli zu -/.livw), gl (nur in ags. gleö ahn. glg zu yXeui]), gr (as. ahd, gram zu Xf^^J' flog), tr (ahd. trägt zu skr. drdgh, wurzel trän zu didgccamo), tv (got. tvai zu skr. dva), dr (wurzel drug zu skr. druh aus dhrugh, wurzel dran zu S-Qtivog), dv (wurzel dval zu skr. dhvar), fr (wurzel fri zu skr. pri), fl (ahd. flehtan lat. plectere), hr (got. hröpar zu skr. bhrdtar, got. brikan zu lat. frango), hl (ags. bldvan lal. ßo), lor (wurzel vrask zu skr. vrkshä), sk (skaban zu o/mtctco), st (stigan OT€ixco), str (ahd. strihhan zu lat. stringo, aber auch strauma- zu Wurzel sru), sn (wurzel snu == skr. s7iu), sp (ahd. spehon zu specio), sm (ahd. smerzo zu o/ii€Qda?.e6g), sl (wurzel sluk zu ir. shig), SV (got. svistar idg, süesr, svaran skr. syar).

2) Anlaute, die urgerm. neu entstanden sind:

a) ausschliel'slich auf neuformationen beruhen /fv (aus idg. velar- lauten entwickelt; germ. nicht vor duukeln vocalen); kn (geht immer auf germ. synkope zurück: wurzel knö zu wurzel kau kvan, knd zu Wurzel kan, kneva- zu yövv genujdmi; in fallen, wo solche Synkope nicht nachzuweisen ist, liegen entweder aufs germanische hescliriinkte wurzeln vor, wie vielleicht in kneifen, knocken, knospe, oder junge neubildungen wie in knapp, knarren, knittern, s. Kluge); gn (deutsch meist junge synkopen wie gndda, sonst specitisch germ. wurzeln wie in altn. gneypa gmjja, as. gnornön, ahd. gni- tan oder onomatopoetische neubildungen wie mhd. gnappen; nach Bugge Beitr. 13, 311 f auch alte synkopen wie in ags. gnorn zu griech. y.ivvQÖg); pl (nur in specifisch germ. wurzeln: altn. plokka, ahd. plegan, ags. plöh); spr (meist specitisch germ. wurzeln wie sprek sprip sprut sprew s. Kluge ; bei springen vielleicht synkope).

b) auf neuformation beruhen oft die sonst auch unter 1) ver-

4S GKKMAMSCIIE AM.AUTHEGELN

ireleiieii aiilaiiU' Ar (spcciliscli gerni. wurzeln zb. in kraft, krank, hiey, kraus, kriechen; lelinworle wie kreuz; selten mit synkopc wie (las It-Iinwort kröne); kl (speciüscli germ. zb. abd. chlagön, aliil. chlany, alid. chldica, ags. ddp, abd. chleini, mbd. kluoc; lebnwurle wie kiosler; keine fälle mit wurzelsynkope); gr (mit germ. niiiatliesis wurzel grad zu skr. gardh, wurzel grip zu skr. garbh; specilisch germ. wurzel graba-); br (specitiscb germ. wur- zeln abd. brdtan, abd. brucca; lebnworte wie brief; und nacb Uugge Beilr. 15, 181. 184 auch urgerm. syukopen wie in abd. brödi, got. brüps); bl (specifiscb germ. abd. blio, got. blinds, gol. blöfia; junge syukopen wie mbd. bliben; und nacb Bugge Beilr. 13, 180. 181 auch scbon urgerm. synkopen wie in abd. blödi, got. bleips); sk (metatbesis in as. scarp zu idg. skrap; germ. wurzeln wie ski, specil'. abd. skimp; zweiCelbalt germ. skud, neu oder zu skr. khid mit eigentümlicher metatbesis); str (specif. germ. wurzeln strid, strub ua.); sn (germ. wurzeln snub, snag; altn. snaudr); sp (germ. wurzel spar, got. spinnan); sm (westgerm. wurzel smak, smuk); sw (abd. swdri, ags. sweoi'd); endlich nach Bugge Beitr. 12, 412 auch hn in ags. hnitu; nach dems. Beilr. 13, 311 auch hr in hrani zu griech. yMQiovog durch synkope.

Sehr oll gehören die hier als speciliscb germ. bezeicbnelen wurzeln aul'ser unserer spräche noch der slavischen au, aber nur dieser, oll liegt dann gewis eullebnung vor wie bei pßug und graben , nicht selten aber auch würklich gemeinsamer besitz der nachbarn, wie bei schmecken, nicht selten sind ander- seits die betr. wurzeln dialectiscb oder zeitlich beschränkt: smak ist nur weslgerm., brauchen und bringen l'eblen altn., biet l'eblt ags. und zb. kleid und klug treten erst spät auf. für das be- iiagen der Germanen an solchen anlauten sind gerade solche neu- bildungen der sprachen, dialecte, epocbeu besonders bezeichnend, lehnt man aus priucipiellen gründen den begriff der 'neubil- dung' gänzlich ab, so würde die wideraufuabme lang verborgener Worte in die lilteralur kauui weniger zu bedeuten haben.

Ob lautgesetzliche forlsetzung. (1) oder germ. ueubildung (2) vorliegt, das ist iu verschiedenen fällen zweifelhai'i. besonders wichtig ist darunter abei' eine gruppe. nicht ganz selten scheint es nämlich, als ob doppeller anlaut einen sonst zu verschiebenden consonautt'u geschützt hätte, dies ist in den Verbindungen ap st ja ausnahmslose regel. aber auch Ficks gleicbsetzuug der

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 49

Wurzel bru zu ßQvio (wofür Kluge urgriech. *cfQvto annimmt; doch vgl. zh. ßQffiiü = ;ili(l. breman zu skr. bhram) ist niclil olme weiteres abzulelinen ; mit wnrzcisynkope ist zusamnu-nliang der germ. wnrzel grö mit der idg. würze! gar müglicli. ich habe vor kurzem gezeigt, wie in metrischer hinsieht jene andern doppelconsonanzen von den 'unlöslichen Verbindungen' sk sp st nur dem grade nach, nicht absolut verschieden sind; es ist sehr wo! möglich, dass auch in rein sprachlicher hinsieht sie den- selben näher stehn als man gemeiniglich annimmt.

3) Von idg. anlauten verschwinden lautgesetzlich urgerm. sr, indem durch eine besondere regel hierfür (nicht blof» im anhiut) str eintritt, ferner in folge der lautverschiebung ghr ghv dhr dhv bhr usw. (s. unter 1). ohne lautgesetzliche notwendigkeit fehlen urgerm.

a) idg. vorhandene anlaute: gv (idg. ghv selten, nur zur Wurzel ghn; idg. gv ebenfalls selten); pr (idg. br selten, idg. pr beliebt; urgerm. nur in fremdworten).

b) in den einzelsprachen entwickelte anlaute: km gm, tl tm, pl, dm, pn und mn, von denen pl got. aus fl gebildet ist, während die übrigen griech., ind., slav. durch wurzelsynkopen hergestellt sind; bis auf eine ausnähme auch wl.

c) auch in den andern sprachen fehlende anlaute: pn dn tn ua; bis auf einzelne ausnahmen bn (?) und fn.

Auf diese gruppe 3) haben wir unser hauptaugenmerk zu richten, die anlaute sr {gv pr) hätten sehr wol durch einfache lautgesetzlicbe forlfuhrung, km gm dm pn sehr wol durch wurzel- synkopen germ. gebildet werden können, und speciflsch germ. wurzeln mit tn pn wären ebensogut möglich wie solche mit kn gn pl spr. weshalb sind diejenigen idg. wurzeln, die germ. mit gv pr hätten anlauten müssen, aufgegeben worden? und weshalb ist Unterdrückung von zwischenvocalen bei gn erlaubt, bei dm nicht? weshalb ist bei sr sogar entwicklung eines zwischen- consonanten gefordert?

OITenbar liängt duldung.oder verbot einer gruppe wesentlich von der natur des zweiten lautes ab. allgemein finden wir nun hier die nasale seltener als die liquidae. diese laute sind sonst germ. nichts weniger als unbeliebt, aucii nicht neben andern lauten, und dies eben führt uns vielleicht auf die Ursache, es wurden wol solche Verbindungen im anlaut des Wortes vermieden, Z. F. D. A. XXXVllI. N. F. XXVJ. 4

ÖO ('.i:nMAMSC[lE ANLAUTREGELN

die im inl.nii liiiiilif,' waroii. j-ruppeii, die sich oft auf der naht von zweiler und (hilter (oder dritter und vierter) silhe fanden, iTschimen tilr den worlanfang zweideutig, nach dem, was wir schor) gefunden haben, hat (hese annalime von vornherein nichts unwahrscheinliches.

Icli lu'lune das gotische zum heispiel , nicht hlofs weil es im ganzen die allgerm. ait am treusten hewahrt, sondern be- sonders auch weil es der einzige germ. dialect ist, für den wir, in Leo Meyers buch, eine vollständige lauthche beschreibung be- sitzen, liabeu wir doch filr die andern nicht einmal eine solche laulstatistik, wie sie Whitney (Ind. gramm. § 75) für das sanskrit gibt; nur für das nhd. finde ich bei Hess (Geist und wesen der deutschen spräche s. 32 f) eine ungefähre angäbe über die häufig- keit der laute.

Nun ist zunächst m, als zweiter wortanlaut so auffällig selten, einer der beliebtesten suffixanlaute, im wortinlaut trell'en wir be- sonders hm oft: hiuhman- ahman- milhman-; aber auch gm zb. in bagma-, [tm in maipma-, tm in akmatjan, glitmnnjan. dagegen haben wir für sm einzig das wort klismön-, ein wort, das nicht häufig genug war, um den idg. beliebten anlaiit sm zu discre- (lilieren. [hierin freilich dürfte got. vereinzelt daslehn; ESchroeder verweist mich auf die häufigkeit von ahd. fällen wie wahsmo, (lihsmo.] freilich kommen auch dm und km im inlaut nicht vor.

Auch n ist ein sehr beliebter suffixanlaut. aber hier konnnt doch gerade das aul. gestattete sn nicht selten vor: mit wort- bildungssuffix in anabnsni, usbeisni, mit suffixabstufung in anhsne, mit verbalsulüx in usgeisnan. auch hat kn gewis zb. in einem verbum *drngknan existiert, anderseits begegnen solche gruppen, die aul. fehlen, auch im inl. nicht besonders häufig: namne mit mn (wie fxväo/.iat), abne mit bn (wie in bnanan). ilass pi lehlt, ist bei der Seltenheit von Tpri nicht auflallend.

Ahuliche gründe können bei der Vermeidung von gv gewürkt haben; hier war ja bei der Seltenheit von idg. ghv nicht viel zu beseitigen, aber ohne Inlaute wie in triggva und glaggvo be- säl'sen wir doch vielleiclu ein urgerm. *gvona 'ton'. wenn urgerm. niemals durch wurzelsynkope ein aul. pr geschaffen wurde, so liegt das vielleicht schon daran, dass in den betr. lehn- worien (wie got. prmtfeteis praizbytairei praitoria) die erste Silbe fast stets vor dem lou steht; bei einer analogen neubil-

GERMANISCHE ANLAUTREGELN 51

duiig wäre deshalb zu leicht ebenfalls die zweite silbe beloiil worden.

Wir werden mit unsern Vermutungen wol nicht über die annähme herauskommen: urgerm. wurden alle aus dem idg. Sprachvorrat einfach sich ergebenden doppelanlaute fortgesetzt und alle bequem sprechbareu neuen doppelanlaule geduldet, wenn nicht die gefahr vorliegt, dass sie die deutlichkeit der lonsilbe verringern könnten, das urgerm. liebt doppelten anlaut sogar mehr als einfachen und stellt ihn oft und gern neu her {kv kn gn pl spr kr kl gr br bl sk skr sti' sn sp sin sw); für fehlenden doppelanlaut muss also jedesfalls immer eine Ursache gesucht werden, in euphonischen rücksichten allein darf man sie nicht finden wollen, schon weil die auf euphonie so viel mehr be- dachten schweslersprachen , ind. und griech., manchen doppel- anlaut gestatten (Arm dm mn ua.), den das urgerm. sich versagt, erst später beginnt diese rücksicht die spräche zu beeinflussen, wir sahen schon, dass auf die urgerm. wurzelpQege allmählich eine junggerm. satzcultur folgt, ihr dient das ahd., wenn es mit der Vereinfachung der anlaute vorangeht und von allen germ. dialecten zuerst lo und h vor cons. beseitigt, worin nach und nach ihm fast alle folgen, ahd. fehlen schon folgende ältere doppel- laute: lor wl, hl hn hr hw (seit dem 9 jb.), bn fn, plprpv. besonders characleristisch ist es, wie dv vermieden wird : zu dwal wird die neben- form dnl dol hervorgezogen, auch der altn. beliebte anlaut gn hat ahd. abgenon)men. überall hätte hier durch zwischenvocale abge- holfen werden können, die bei der gruppe mula -f- liquida sich so leicht bilden, ebenso gut wie die ältesten runen haringa, warüu, halaiban schrieben (Noreen Altn. gramm.^ § 119), hätte ja auch ahd. die ausspräche von hreo, writan, hlüt erleichtern können, aber noch hatte man Verwirrung in den touverhältnisßen zu fürchten; hat man ja doch auch im norden die sprossvocale wider aufgegeben, lieber half man sich, indem man auf diese Worte verzichtete, gerade wie man es mit wurzeln vom lypus ])(l gemacht halte.

Wenn wir für vocalischen und für einfach consonantischen anlaut zu bestimmten regeln gelangt sind, so hat es uns bei an- lautender doppelconsonanz nicht gelingen wollen, über die empirie herauszukommen, wir können eben nur constatieren, dass ur- germ. die aulautsgruppen kr kl kn kv (aber nicht km) gr gn

4*

52 GERMANISCHE ANLAUTREGELN

(aber iiiclit gl, noch wciiificr gv) hr hl (aber nicht bn) pl (aber nicht pr) sk skr str s)i sp spr sm sw (aber nicht sr) beson- ders behebt sind, so dass viele cheser combinationen durch vvurzel- synkopeo erst eigens hergestellt werden, weshalb zb. gl weniger beliebt ist, als gr, das vermögen wir nicht anzugeben.

Wir trösten uns aber einstweilen mit der tatsache, dass die grammaliken der nachbarsprachen über den anlaut noch weniger zu lehren wissen, auch in den modernsten lehrbilchern fand ich angaben und regeln nur für den relativen anlaut, dh. für die Umgestaltung des bereits vorhandenen anlauts nach bestimmten auslauten, für den absoluten anlaut, dh. den von allen sandhi- rücksichten freien wortanfang, beschränkt man sich durchweg auf die erörterung derjenigen lautgesetze, die bei bewahrung indo- germanischerwurzeln eine urdialectische Umgestaltung bewürken (so in allerdings sehr lehrreicher weise Stolz Lat. gramm. s. 301 f). eine vollständige beschreibung der anlaute gibt nur GMeyer (Griech. gramm. § 245 IT), und auch er wirft dabei die frage nicht auf, ob bestimmte idg. wurzelformen im griech. urdialect nicht ihres an- lautes wegen überhaupt geschwunden sein könnten, für den auslaut kommt die gleiche frage kaum in betracht, weil dieser überall fügsamer ist, während der anlaut sich in der regel starr behauptet oder mit dem ganzen wort abgeht, das gilt für die idg. Ursprache (Brugmann i 488) genau wie für das romanische (Meyer -Lübke i 322) oder speciell für das französische (ebd. 51 L 514). GMeyers behaudlung der griech. consonantengruppen im anlaut ist also eigentlich die einzige stelle, wo wir uns für den urgerm. anlaut von aufserhalb rats erholen könnten, aber hier ist die regellosigkeit noch viel gröfser: nicht einmal die laut- gesetzliche behandlung von anl. sk und sp steht fest (aao. § 253 anm.). und während sn stets zu n vereinfacht wird, schwankt sm mit m (Solmsen Kuhns zs. 29, 84 f). ich kann also nur die griech. und lat. anlaute zur vergleichung mit den urgerm. hier aufstellen : Griechische anlautsgruppen.

1) Itewahrt aus idg. wurzel: .sm sk st sp kl kn gn tr dr pr pl pn skl str stl spl.

2) laulgeselzlich entwickelt: ehr chl chn phr.

3) neu gebildet durch meiathesis oder wurzelsynkope:

a) ausschliefslich : kr gr km tl tm dm mn,

b) neben der bewahrung: kl tr dr pr.

GERMANISCHE ANLAÜTREGELN 53

4) aufgegeben : vr vi sw sv tv dv.

Während das gerinauische doppelanlaut bevorzugt, werden griech. auch erlaubte anl. doppelconsouanzen gern vereinfacht: sk st sp verlieren öfters das s und str zuweilen das t. in beiden puncten ist das griech. zum germ. in entschiedenem gegensatz, be- sonders im zweiten : germ. wird sr stets zu str, griech. str umge- kehrt zuweilen zu sr. auch metathesis erlaubter doppelanlaute und sonstige Umgestaltung kommt vor: sk wird zu ks und kt, sp zu ps und phth. dies sind anlaute, welche germ. absolut fehlen; griech. werden sie eigens hergestellt.

Lateinische anlautsgruppen.

Im lat. beschränken sich die anlautsgruppen fast ganz auf Spirant + verschlusslaut und verschlusslaut + hquida oder na- salis. durchweg wird Vereinfachung angestrebt: sk st sp wechseln auch hier oft mit (meist sogar überwiegendem) k t p; tl gn sm sn sl vi vr werden sämtlich auf den zweiten laut beschränkt, ebenso werden dreilache consonanzen vereinfacht.

Zu fehlen scheinen idg. wurzeln mit dl dr. beliebt sind be- sonders kr tr pr fr kl ß die auch germ. häutigsten an- lautsgruppen. —

Allgemeinere regeln bin ich nicht im stände aus diesen angaben zu erzielen, aber der grundcharacter der sprachen ver- leugnet sich auch hier nicht, auf maunigfalligkeit des wolklangs achtet das griechische; auf wegwerfen alles überflüssigen Schmucks besteht das lateinische; in sorgfältiger Scheidung führt das germ. eine feingegliederte hierarchie der worte und silben nach ihrer bedeutung durch, auch die germ. anlautsregeln sind ein werk desselben geistes, der die subtilsten gliederuugen wissenschaftlicher methodik und die unmöglichsten politischen rangverhältnisse im heiligen römischen reich deutscher nation schuf.

Berlin, 29 märz 1893. RICHARD M. MEYER.

EINE URGERMANISCHE INLAUTREGEL.

So viel ich sehe, ist noch nirgends eine im urgerm. inlaut streng durchgeführte und folgenreiche regel formuliert worden, sie lautet: urgerm. stehn nie zwei Spiranten neben- einander, daher wird bei der lautverschiebung kt nicht zu ;(y&, sondern zu x^ p( nicht zu fp, sondern zu ft, tt nicht zu //>,

54 KINE URGKRMANISCIIE 1^LAÜTHEGEL

süikIiiii /u J)t (und wciler allerdings zu ss, s. u.). dieselbe regel lii'i'i auch der grösleu ausnähme vou der laulverscliiehung, der hewahrung von sk st sp, zu gründe, in lallen wie gol. yahugds, as. habda sagda scheint idg. doppelspirans vereinfacht: ghdh zu gh + t, bhdh zu hh -\- t (Kluge in Pauls Grundriss i 327, d); da- nach Irin dann verschiehung ein. über urgerni. doppelspirans vgl. Kluge aao. 335,1): ss ausgenommen gehören die doppelspi- ranlen durchweg erst den dialecleu an.

Eine ausnähme von jenem geselz niachl nur s. dieser spiraut steht sowol gemioiert als auch nach x p f, abeV nicht voi- ihueu. die Verschiebung von sk st sp wird also durch diese ausnähme noch nicht möglich.

Wenn drei consonaoten zusanjmenslofseu , steht zwischen zwei Spiranten fast immer der typisclie vermittelungsconsonaut i: got. piauhts. auch zwischen spirans und andern öfl'nuugslauteu sieht vermittelnd t: svistr. spirans + f ist überhaupt allgerm. eioe lieblingsverbindung. got. wird ja die gruppe verschlusslaut oder Spirans -|- dentahs allemal in die gruppe spirans -\- t gewandelt: nicht pt, sondern ft in gaskafts, nicht bd, sondern ft in paurfla, nicht kt, sondern ht in sauhts; ebensowenig tt, pt, dt. die Ver- bindungen ft ht st im got. vergleichen sich den urgerm. Verbin- dungen fs /S SS.

Die regel scheint speciüsch germanisch, der gegensatz zu dem griech. assimilationsgesetz (rclsyiü)- e^c/Jx^^^) 'st zwar nur ein scheinbarer, da griech. x^ ja , wenigstens ursprünglich , nicht Spiranten, sondern aspiraten darstellt; überdies ist auch die assi- inilalion hier nur fürs äuge berechnet (GMeyer Griech. gramm. § 275). aber griech. wird gerade das germ. stets geduldete ss vereinlacht: hceooL wird %nsoL (Brugmann Grundr. i § 563, 2). dagegen kann wol an das ind. hauch-dissimilationsgesetz (ebenda § 475. 480) erinnert werden, obwol auch hier ind. aspirata gegen germ. spirans steht, dass aber zwei germ. unmittelbar benach- barte wurzelconsonauteu ind. durch einen vocal getrennt sind, ist eine so häufige erscheinung, dass ein vergleich beider dissi- milaiionen wol erlaubt scheint.

Berlin, 28 märz 1893. KICHARD M. MEYER.

ZWEI GEDICHTE FRAUENLOBS 55

ZWEI GEDICHTE FKAUENLOBS.

]n der Kolmnrer meisterliederhandschrifl {cgin. 4997) finden sich hl. Tö** 77^ und hl. 104'' ** zxoei Weder, in denen sich, was Bartsch {Meisterlieder der Kolmarer handschrift s. 1 1 nr 53 nnd s. 14 nr 95) entgangen zu sein scheint, Frauenlob als dichter nennt, hei einer etwaigen neuunsgahe der Frauenlohschen gedichte wird man auch aus ihnen krilerien jür die echtheit zu geiviiinen suchen müssen, ich gehe sie genau nach der hs., nur unter auflösung der ahkürzungen, hier wider, sie sind heide in Frauenlohs langem ton gedichtet. Nürnhery. TU. UAMFE.

Eiu ander par von den p ri es ler ii.

1. 0 du vil liocligelopler werder piieslers uam du ireuden slani

nienlschlicher diel gesclileclile

wer daz uu reclU belreclile'

wie got so reclile knelliicliclr^ sin bürde zu dir hreclite

da von diu lop gelobet ist vnd all sin liymmel wunne

Daz enmag uieinan vollen singen noch durchgraben

sin kunst uiusz schnaben

an sines lobes orte

der durch niarien porla

sleicli da der ersten Sachen sou nach gabrieles uorle

dez [77 a] lian wir vor dei- helle frysl den ial schuir adains kiiniie

Sus sagt der wysen nieynster list

gewaltig du in liynimel bist

vnd auch diu krisl

on alle trist

den du geber vor hell geuist

der hört ob allen horden ist

eiu vsserweller tVeuden bort

gel hat es wol besunne.

2. Wie vil eiu priester arger sunde bat gelan^ die müsz er lau

So er sich angegerwet vnd in sin cleit geferwet

* das Schlüsse ist ausgestrichen. ^ ein c vor dem k ist ausgestrichen.

^ in der hs. steht suwol vor als auch hinter priester noch ein arger, die beide ausgestrichen sind.

56 ZWKI GEniCIlTE FRAUENLOBS

So isl er luler vude dar alz einer der verserwet

an keinen dingen nie enwarl

nu nierckcnl wer daz künde

Wann er sich vmbegibet mit dem edeln schilt

Zu ym gespilt

kunipl aller engel blicken

so kan sich wol verzwickeo

gut für in In daz lebend brot

vnd vir den allar schicken

so dient ym zu der selben zyt

der höchsten engel wunne

Du priester solt nach lugend streben

daz dinem schopier komet eben

der mentschlich leben

hat vir gegeben

der wolt sich zu dem tode weben

daz dich ym bringet gliche neben

heltstu dich wirdeclich

du bist der tugend luter brune.

3. Wer priester eret vnd darzu die werden wyp dez [77''] mut des lyp nach hohen eren wirbet ee ym der lip erstirbet

Ich wen daz syner seien heil vor gölte nil verdirbet sie haut mit yrem lybe wol den bryss so hoch besessen Ir reinen wyp al durch die meit die got gebar nempt uwer war was uvver leben swende den priester nit enschende

sit sich got vnser höchster Irost gyt in dez prieslers hende ey iunger man du soll dich au der wirde nit vergessen Ir reinen priester tugend zil Ich nymnier tag verswygen wil au in lyt vil der eren zyl

Sie schirment vns vor lulels gil Ich frauweulop daz nil verhil Nu wissent daz got lobes vil in beyden hat gemessen.

ZWEI GEDICHTE FRAUENLOBS 57

Ei n prysz lyet. 1. Wyp aller wird vnd aller gut vnd alier zucht wyp reynü fruchti ob aller creatur wer [104 ''J lebet so gehure

der gein dir müg du hoher adel du hast alle sture genommen in so wol dir wart du wurczen augers trone Wyp alles Wunsches hört vnd in dez höchsten reiff ein vmbesweiff In aller cristenheite da hastu wirde breyte

wer dinera rate volget nach dem gibest du geleyte erlichen au der mynnen fart wirstu gezierel schone Wyp morgenröt brehender tag din lop nie man volgrunden mag wyp mandels slag wyp brys bejag wyp rosenlarwer blunder bag got selber diner wirde pflag wyp halt din zucht syt daz du Ireist dez höchsten pryses crone.

2. Wyp syt du bist ob aller creatur ein lust vor mann akust Hut dich vff allen orten Her Trau wen lop mit worlen

gyt dysen rat mit willen dir vsz siues mundez- porten du solt ver(sa)gen durch din heil vil mangem narren giegen Wyp mannes kurczewyle gut du solt versagen Lasz dir behagen den falken lur den gyren lut singen tut die lyren

Hut dich vor böser swacher diet mau wurck (?) oder salfyren^ dir get die zyt mit freuden hin du lasz dich nit betrygen Wyp Jung vnd alt wip rieh vnd arn wyp geret din eins adels^ barn

' die verszeilen sind bei diesem gedieht in der regel nicht abgeteilt.

* synes ausgestrichen, munde* übergeschrieben.

^ Das a steht über einem ausgestrichenen unleserlichen buclistaben.

* vor adels ist adbar (?) ausgestrichen.

58 ZWEI GEDICHTE FRAUENLOBS

Masz [1U4"'| kiiiii|H linliirii

Will dich bewaru

rliclie ding soll du iiit sparii

so iiiachl du leben sunder kam

Wy|) lusl du daz so ma<; din niüt mang rilich lop nkiiegen.

3. Ir werden mau die meynster scbribeul von lame der brach sin ee liie vor mit reinen nyben der loo musl im belyben

von sineu lugen worleu meyu die meinster auch boschryben wie daz an ym gerochen wart daz noch vil mauger Irybel Man seyt vns wie gol durch die wyp mit ym gewarp Lamech verdarp von vngeuaulen plagen Er (sol) sol auch niemau wagen

daz er vner die reynen wyp zwar von den edeln niageo Ist nalure von höherer arl alz kung dauid beschrybel Wyp sin ob aller engel schar gehohet vnd gepryset gar wyp schänden bar wyp myunevar

wyp gymm du bsl (1) geschryben dar Zu got in aller menlschen nar wyp wol dii' vor wyp wol dir nach oh dir die er lidybet.

BRUCHSTÜCKE AUS ULRICHS VON TÜRHEIM RENNEWART.

Den bisher veröff'eiUlichte?i hruchstücken aus diesem gedickte bin ich in der läge den abdruck eines weitem anzureihen, xoelches seit kurzem in den besitz der nniversitäts- und landesbibliotliek zu Strafsburg gelangt ist. es besteht aus 4 pergamentblättern in foL, die als Überzug eines bucheinbandes gedient hatten, loelcheni zwecke vom obern rande 17 Zeilen und von den ersten 2 blättern je etwa zwei drittel zum Opfer gefallen sind, die nach auswärts gekehrten seilen ivurden überdies mit rotbrauner färbe bestrichen. der 418 Zeilen "umfassende text ist in 2 spalten, jede zu 45 Zeilen, von einer hand des lAjhs. geschrieben, jeder erste buch- atabe ist von einem roten strich durchzogen, die initialen beim

BRCCHSTCCKE AUS DEM RENNE WART 59

beginne von absätzen sind größer und in blauer oder roter färbe ausgeführt, nach vergleichung mit der Heidelberger hs. nr 404 ergaben sich diese 4 blätter als teile einer und derselben läge, welcher zum vollen Zusammenhang jedoch die zwei, 36U zeilen um- fassenden inneren blätter fehlen, [die blätter gehörten, wie mich nachträgliche vergleichung gelehrt hat, zu der gleichen hs. wie das Münchener blatt, das bei Lohmeyer Die hss. des Willehalm s. als nr 14 verzeichnet ist.] die spräche trägt den character des bairisch- ö st er reichischen dialects.

Der abdruck schliefst sich genau an die hs. an, nur sind die wenigen abkürzungen sjjcli in sprach, -e in eu und v^- in ver- auf gelöst, die ergänzten buchstaben und Wörter sind cursiv gedruckt.

Beim beginn jeder spalte ist auf das entsprechende blatt, die spalte und die zeilen der Heidelberger hs., sowie auf die Nabburger bnichstücke {hrsg. v. KRoth 1856), und auf die von OMellzer Germania 16 veröffentlichten zwei bruchstücke ', mit welchen einige stellen der unserigen zusammentreffen, hingewiesen.

Strafsburg. K. A. BARACK.

Bl. 1*, sp. 1 {cod. Pal. bl. 239% sp. 1, 33 s;;. 2, 2; Roth s. 38, 297— s. 39,320; z. 12—26 = Germania 16, 56, 1 15). Ein vil rainev mail gepar, Ich wolt eiu weip haben ir geleich,

Dar nach gelaube ich vil gar, Dev waer so schöne vnd so raine, Swaz gelauben sol ein Christen, Vnd hei ich sei alaine, Viid wil des tevfels listen, Vnd waere gar au vorhte,

Inimernier sein gehaz, Daz si niht ir er entworhle,

Vnd wil vil gerne werden naz, Do dev Iraw bechlaidel wart, Mit dem tauffe here. Der Kvnich van Portebaleart,

Fraw ich wil niht piten inere. Sprach nu inügt ir schawen. Ich enweil ev gerne lauflVn, An dirre schönen fraweu, Vud auz allen sünden slauCfen, Daz si ist auz geschöuet, DO der raine lauf geschach, Für allev weip gechrönet, An der rainen Irawen man sach, Anderr frawen stüul da genüch, Schönev chlaider harte reich. Der iegleichev dev schöne trüch,

sp. 2 {Pal. bl. 239% sp. 2, 22—47 ; Roth s. 47, 4—29; Germ. 16, s. bl, 35 60.

Kvnich Ma Daz dv lüsl

Gehaizzen Ich praech

Liebev Tu Vater oh ich

ich bemerke, dass das zweite dem ersten vor angestellt sein sollte.

60

BRUCHSTÜCKE AUS DEM RENNEWART

Des mich Nv sollv u

Ich pin ile Tohter v .

Valer swcs Bearosein .

Ich pin dev Sprach auz

Nv hörem Prüder K .

Vil hoch ge Wie sweig

Swes ich Vnd wae .

Daz wirt Daunoch

Waistv To Der früh .

Gelobet P Ich wil .

Bl. \\ sp. 1 {Pal. bl. 239^ sp. 1, 1 1—36; Roth s. 48,49—49, 74

z. 53—74 = Germ. 16, s. 57, 80—102).

nimer wert, erchen

gert, n gezemen

erlle phligt, u nemen

o*^sigt, ssygewaizzen

oltv phlegen, zzen

ewegen, ern hell

vnstaete, n erweit

ete, ü leit

oeü soll, u im geit

miune holt, wi

zer gan, r ligt

hab getan, n

chen, niainen

sp. 2 {Fal. bl. 239\ sp. 2,2—36; Roth s. 49, 94— s. 50, 119)

Swer ez danne fürpaz lenget, Gedenchet selbe waz ez sei,

Dei' niuz die sünde püzzeu, Da zwai ligent einander pei,

Den süzzen vnd dev vil süzzen, Die nie ze sammen iner chanien,

Gab man an ander vngesworn, Die beginnent eins zils ramen,

In waer lait vvaer ez verporn, Daz ist so woi gesüzzet,

Ir sin gar gen einander stünt, Daz ez senden chumber püzzet,

Sv taten als die gelieben tüut, Des dev fraw was vngewon,

Sv giengen danneu sa Ize stunt, Da chom si vngerne van,

Passygeweiz vand einen lunt, Vnd was da pei vil gerne,

Daz er nie so lieben vant, Minne ist ein süzzer eherne,

Wie der lunt sei genant. Der in chau rehte chewen,

All der tat wil ich verzagen, Ane valsch mit trewen,

Vnd iiiht die glose dar vber sagen. Da van ein sölich schimpfen wirt,

BRÜCHSTÜCKE AUS DEM RENNEVVART 61

Bl.2\spA(Palbl139^, sp.2,48— 240\ s/). 1,8; z. 105— 107 Roth s. 51, 138—140).

Malfer vil säzze sprach, Got den seinen nie verlie,

Zv den werden Ktnigeu paiden, Ich waiz wol daz er mich niht

Nv mäz ich vao ev schaiden, verlat,

Vnd gehl mir paide ewrn rat, Do sprach der Kvnich Faufaserat,

Werder Ktnich Faufaserat, Swie dv wil daz wellen wir,

Vnd dv Ki^nich Gamelerot, Wildu daz wir varen mit dir,

Ewre hiife ist mir not, Des pislv vnuerirret gar,

Sol ich immer chömen da hin, Wil du füren manich schar,

Dar mir der Enge! Keruhyn, Van Rittern die siot vnuerzagt,

Gepot pei Gotes hulde, Dein mille hat an vns heiagt,

Mit dienst ich ez verschulde, Dendienstden wir pringen mugen,

Vnd chvmt ez immer dar zv, Swa wir dich mit warten trvgen.

Ich wil hinnen morgen frö, So wurden vnser ciirone,

Vnd niht lenger wesen hie, An preyse in swachem lone,

sp. 2 {Pal bl. 240% sp. 1, 31—53).

Daz er lebe Daz ist mein

Daz im daz Des antwur

Werde dort Vater swa h

Van Tetra Hat gewend

So pit ich d Dar ist gech

Mein vil her Ich pin der

Daz dein tre Lieber Tote

Dv weisest Chains dien

Dev in Assy Ich var mit

Do sprach der Daz gar mei

Er sol tvn sw Beleibet an Vnd dar an s

Bl. 2\ sp. 1 {Pal. 240% sp. 2, 20-42).

ent e

niemen Iricke

vf die riemen lange

erhawen gedrange

raweu men,

so wol me,

ben sol z erchlingen,

nazze vil ringen,

chez spil n gesellen,

02 BHICIISTÜCKE AUS DEM RENNEWART

vi'llcn, Iiort,

t'sczzt'ii, Wort,

niezzen,

sp. 2 {Pal. bl. 24ü^ sp. 1, 5—31). £m grozwuiulerdarangeschach, Herev Irawe mein nu sprich, ^arle iamerleichen si sprach, Prüder du will töUen midi, Owe lieher Prfider göt, Vnd wildv van mir schaiden,

Wie mir heswaeret den müt, Waerslv noch ein hayden. Dein vil lange hinvart, Dv taetest niht die missetat,

0 we mir daz ich ie wart, Die dein leip an mir hegal, Wie mich iamert deiner vorte, Swester ich heleibe niht, Ir lait was so herte, Swaz vns paideu da van geschiht,

Daz si vor vnmaht nider saich. Da van la dein Irauren ligen, Vnd aller rede gar geswaich. Den frawen schon wart genigen,

0 we liehev Swester mein, Da mit giench er van in dau, Wie we mir tut deiiis laides pein. In dem hof was ninderl man, Gamelerot in laide sprach. Er waer arme oder reich,

Do er si also ligen sach,

BLd\ sp.\{Pal. 6/. 242% sp. 2,21—48; z. 221— 232 = Germ. 16, s. 55, 1—12).

Vnd stach auf in so harte, Vnd der Kvuich Gamelerot,

Daz der van Portebalearte, Die warn iu vil grozzer not,

Was gevallen vil nach. Van streiten vnder in paideu.

Malfern wart nach im gach. Der streit was vngeschaiden, Daz er mit der slauge slöch, Do des Malfer wart gewar, Die er in den handen tröch, Do begund er vaste dar, Manigen vngefitgen slach. Mit den seinen ze rvrn,

Ez wart so dicke nie chain hach, Vnd die rott gar ze fürn. Mau möht ez mit minner siegen. Mit vil vngelügen straichen, Ze dem ahrelln uider legen, Wan des chraölzes zaicheu, Also slüch er mit der Stange, Daz er sach die chrislen tragen. Er mahl iu dem gedrange, Ir waer vil van iiu erslagen,

Wil harte weite gazzen, Groz wart da daz gedrenge.

Der Kvuich wert Tachalazzen, Viul der streit vil strenge,

sp. 2 {Pal bl. 242% sp. 1, 11— 37; Germ. 16, s. 56, 31—55). Der lach vor iui mauiger tot, Ein haydeu da vau genas, Nv gedahl Giuiielerot, Swaz ir lebte daunoch,

Daz er eiwenue was. Der werde Kvnich van Marroch%

' (//i:se und die fallende zeile fehlen in Mellzers brnchstück. '

BRUCHSTÜCKE AUS DEM RENNEWART 63

Begunde vasJe gahen her, Da waiz ich wol daz si van gole,

Do was der Kvnich Malfer, Und alle menschen worden sint,

Er sprach la mich erwerben, Swie doch ist ein vnderbint,

Daz die niht verderben, Vnder hayden inden vnd Christen,

Die noch sint hie lebende. Ob dev zwai leben wisten,

Tote ich pin dir gebende. Wie sitzze leben Christen ist,

Swes dein leip niht wil enbern, Si gelaublen alle gern an Christ,

Des wil ich allez dich gewern. Töte la mich versuchen,

Wan daz dv mich beschaiden mfist. Ob der Kvnich des thviin gerflcheii.

Dl welhem sinne dv ez tflst, Daz er sich welle landen lan, Daz sag ich dir vil lieber Tote,

Bl. 3^ sp. 1 [Pal bl. 242^ sp. 1, 56 sp. 2, 20; Germ. 16, s. 56, 74—91).

hat gephlegen Der ich daz waeger nemen wil,

Daz ir ist chainer tot gelegen. Ich wil so lösen mein leben,

Daz merchet all geleiche, Daz ich wil Malfern geben.

Der arme vnd (]eT reiche, Aigenleichen meinev lant.

Die haizzen Sarrazzeine, Vnd wider enphahen van seiner Wie wol Got hat die seine, hant.

Vor dem tode hat bebflt. Ich waene berr des ist genücb,

Ist ev liep vnd dnucht ev gut. Nie cbainen mach ich im ersiflch,

So hat ein ende dirre streit, Noch raubte noch enprande,

Dev wal an ev selber leit. In chainem seinem lande,

Welt ir tot sein oder genesen, Vnd pin doch hie zv gedigen. Der müz daz aine schiere wesen. Man siht hie manigen toten ligen,

Kvnich van Marroch deinev wort, Vnd dannoch mer der wunden,

Han ich vil gerne gebort, Nv wil ich den gesunden, Mir ist getailt zwai spil,

sp. 2 (Pal bl. 242^ sp. 2, 44—6/. 243% sp. 1, 15).

Niht lenger er die gab behielt, Ais mir der lauf so wart bechant,

Wan als ich waene drei tag, Do gab er mir ze lone,

Gelaube mir waz ich dir sag. Mit alle laut vnd chrone,

Ez geleichet niht seiner mille, Dev het der Kvnich Faufaserat,

Den der gäbe niht bevilte, Der gehaizzen ist der Allmerat,

Gen dem vogte van Baldach, Daz ist der Kvnich Terramer, Nie chain gab so hoch gewach. Dem gab er dannoch lande mer,

Vnd gen Faufaserat, Dann mir sein milte taete.

Der paider lant er hat. Sein herlz daz ist so slaete,

legleichez in seiner hant, Daz sein vil wol gerainter mflt.

64 BRUCHSTÜCKE AUS DEM HENNEWART

An dir niriimcr misse löt, Svnt in streilleicher ger,

Var mit gulem willen flan, Er enweste vmbe waz,

Nv clionien die gepreysten man, Nv was Kvnicli Tachalaz,

Paide da hin da Malfer, Herne habt her ower liant,

Bl. 4\ sp. 1 {Pal bl 243% sp. 1, 35 sp. 2, 4).

Sage Ueher saehch man, Der aine Kvnicli Terramere,

Ob deins hertzen sin dir gar. Der gehaizzen ist der Almerat,

Daz dir nihl chan versmahen. Der ander Kvnich Faiifaserat,

Dv rüchesl van mir enphahen, Wes wir zwen engnlten,

Wider deiner lande gut, Daz wir vngenad da dulten,

Swaz ir mir herr genaden tut, Ich vnd der Kvnich van Marrnch,

Van ev mich des genüget, Daz ist dir verporgen noch,

Ez hat sich also gefüget, Ewr Ane Terramer,

Daz ich ew Irewe laislen muz, Der hat vil herizen ser,

Vnd dienen vmb ewr hulde gruz, Gelüget her der chrislenhait,

Vnd wil mich nimmer des ge- Daz ist ev ze rebte lait,

schämen. Da mit wil ich sweigen,

Ir habt zwen hohe namen, Vnd ewrn hulden neigen. Van gute der ere,

sp. 2 {Pal bl 243% sp. 2, 24—49).

Des waiz ich niht man zocb im Do sprach der Kvnich Gamelerot,

mite, Herre ir sollet fragen,

Wol dreizzicb harte starchev Vnd niht ev des lan vertragen,

Rosz, Den Kvnich hie van dem lande,

e

Vber berge i vnd vber mos. War ewr vart sich wände,

Giench er da pei vil dicke, Daz waer an eile vns gewin,

Wie sich sein vart nu schicke, Er sprach der engel Cbervbin,

Daz werdenl süzzev maere, Der chan wol weisen vns die wege,

Sein hertzen gerndev swaere, Got hat vns in seiner phlege,

Begund in sere twingen, Daz vns vil cblaine wirret,

Wan daz in liebes gedingen. Ich pin des vnuerirret,

An sendem möi entbabte, Ich chvm mit seiner helfe dar,

Vnd jm2 daz herlze labte, Daz ich nimmer irr gevar,

So waer erchomen in grozzevnot, Do sprach der Kvnich Tachalaz,

Bl 4% sp. \ {Pal bl 243^ sp. 1, 13—38).

Vnd aller meiner saelden trost, Mich entroste dev werde raine,

Ich pin laides vuerlost, Die ich mit trewen maine,

' verwischt.

■•* luc/i im pergament.

BRUCHSTÜCKE AUS DEM RENINEWAUT 65

Dev haizzet Peutesyleye, Als deu liebten tag sleriie,

Dev süzze valsches vreie, Die wahter die da friusei,

Swenn die sol mein äuge sehen, Niement sei ze trevnt verliuset, So chan mir lieber nihtgescliehen, Ahey waz si fraüden pbligt, Wer bat ewan der schönen niagt, Ir schön für alle schöne wigt, Lieber berre mein nu sagt, Die vveibes pilde ie getrüch, Ir schöne der geleichet niht, Ich waen des lobes sei genücb, Swie vil man sei pei frawen siht, Ich darf sei niht loben mer. Die doch vil wol geschönet sint, Si hat vil lop vnd er. So duucbet gar ir schöne plint, WIzze Kvnich Tachalaz, Man sihet sei als gerne, Ich gehört nie weip gelobeo paz,

sp. 2 {Pal. bl. 243^ sp. 2, 2—26). Da wirt ev van erst erchant, Daz er genaden gert an weip, Waz ist angestleicher streit, leb waiz chains Ritters leip, Me chain man pei seiner zeit, Der enphangen hab so hohen Ion, Herter streit nie gestrait, Der Kvnich von Satragou,

Dann der Ktnich Befamarait, Ab garen minne erwarp, Er waltet grozzer slerche. Der leip nach seiner minn erstarp-,

Ez get seins landes gemerche, Daz er so cburtz pei ir belaip, Reht piz her an den pblvm, Daz schaidensi van dem leben traip, Er bat gemacbet mauigen rflm, Chain weip chan nv so werben, Swa er in gedrenge was, Daz si van laid ibt sterben,

Kain munt van Ritter nie gelas, In sint dev hertz erstainet. Der waere paz gepreyset, Swie vil der leip gewainel.

Sein hertz in dar an weiset, So wil daz bertze doch geuesen,

QUELLENSTUDIEN ZUR MITTEL- HOCHDEUTSCHEN SPIELMANNSDICHTUNG.

11 ZUM ORTNIT.

Die oberdeutsche sage von Ortnit liegt uns in drei fassungen vor: im mhd. Ortnil und Wolfdietrich, in Dietrichs flucht von 2109 2294' und in einer der drei Hertnidsagen der Thidreks- saga c. 417 fl". die erste fassung fällt nach Müllenboff in die jj. 1225/26, die zweite wird um 1300, die nordische erzählung

' diese zeile fehlt in der Heidelb. Iis.

2 diese und die folgende zeile sind in der Heidelb. lis. umgestellt. 5 DHB 111 s. 3 ff. II s. 89 ff. Z. F. D. A. XXXVlll. N. F. XXVI. 5

ÖO MiTTELllOCIlDEUTSCnE SPIELMANNSDICHTUNG

in die miUe des 13 jlis. gesetzt, deu geeiguetsteu ausgaugspunct zur weiteren Untersuchung ihres Inhalts gewährt die älteste und am reichsten entfaltete ilb^rlielerung, aus der ich zunächst den kern der label, die brautfahrt k. Ortnits, heraushebe, um darnach ihre ausschmückung ins äuge zu fassen.

1. Der kern der fabel: der dichter des Oitnit beginnt mit der Versicherung, in der Stadt Suders (dh. Tyrus ') sei ein von den beiden aus bosheit vergrabenes buch aufgefunden, das vom königreich Lamparten singe, in Lamparten wuchs der ge- waltige künig Ortnit heran, bis ihm seine edlen rieten, eine frau zu nehmen, und zwar die tochter des mohrenkönigs Machorel, der, in Muntabur geboren, die kröne in Jerusalem trage und dessen hauptstadt Suders in Syrien sei. freilich jeder werber habe bis dahin sein leben verloren , schon seien 72 häupter zu Muntabur auf die zinnen gesteckt, denn der vater hoffe auf den baldigen tot seiner gemahlin, um dann selbst seine tochter zum weihe zu nehmen, nachdem Ortnit dies gehört, trifft er um- fassende rüstungen zur heerfahrt und gewinnt auch den beistand des von ihm bezwungenen zauberkundigen zwerges Alberich, der sich als seinen vater zu erkennen gibt, diesem ist der könig von Muntabur samt der umgegend der bürg schon bekannt (str. 123. 266). unter dem vorgeben, sie seien kaufieule, fahren die Christen in den hafen von Suders und erobern die Stadt, wäh- rend Alberich nach Muntabur eilt, um bei Machorel seine Werbung anzubringen. Machorel ist aufs tiefste empört, aber da der zwerg sich unsichtbar zu machen weifs, kann er ihm nichts anhaben, so dreist er auch aus nächster nähe von ihm verhöhnt wird. Alberich kehrt zu seinem herrn zurück, um ihn nun zum stürm auf die bürg Muntabur aufzufordern, der aber scheitert, denn die aus dem tore mutig den Christen entgegenriickendeu beiden werden zwar zurückgedrängt, lassen aber ihre feinde, die schwere Verluste erleiden, nicht in die bürg hinein, doch gelingt es dem listigen zwerg, die Jungfrau zu bewegen, durch ihn dem könig Ortnit ihren ring als zeichen des eheversprechens zu übermitteln, nun bläst Ortnit zum rückzug, Alberich lockt die Jungfrau aus der bürg, sein herr entführt sie trotz der Verfolgung der beiden

' Tyrus, das im mhd. Snrs oder Stiders hiefs, wie DHB iii s. xxx nacii- gewiesen ist, wird schon in den Schlettstädler glossen (Zs. 5,368) Süris ge- nannt. Sür ist die arabische bezeichnung.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMAiNNSDlCHTÜiNG (37

glücklich nach Suders. iiacli ihrer laule macht er sie aul der heimfahrt zu seinem weihe, der schluss der fabel wird weiter unten betrachtet werden,

Ortnils meert'ahrt gegen Muntahur spiegelt einige der wicii- ligslen begebenheilen des kreuzzugs künigs Andreas von Ungarn im j. 1217 wider, an dem viele Österreicher, ßaiern und auch die landsleule des Ortnildichters, die Tiroler, teilnahmen, sie be- rannlen das von Malek-al-Adel (Machorel), dem sullao von Syrien und Aegypten, 1212 gebaute und 1218 schon wider geschleifte schloss auf dem berge Tabor vergeblich, bei der kräftigen gegen- wehr der aus dem tor hervordringenden Saracenen. diese und einige andere Übereinstimmungen der geschichte mit der dichlung haben Müllenhoff und Amelung eingehend dargelegt '. erinnert man sich meiner Orendeluntersuchung (Zs. 37, 348), so ergibt sich, dass jener bruder Saladins, Malek-al-Adel, ein vierteljahr- hunderl früher auf die ältere Spielmannsdichtung einwurkte in ähnlicher weise wie darnach auf die jüngere des Ortnit; aber noch ein anderes bisher übersehenes historisches datum müssen wir erwähnen, weil aus ihm der einfall der einmischung des Zwerges Alberich entsprungen zu sein scheint, von den abend- ländischen darstellern dieses kreuzzugs schildert nämlich Oliverius scholasticus, ein kölnischer domherr, der einer der eifrigsten kreuzprediger in Westfalen und Friesland war und im j. 1218 selber mit nach Damiette fuhr^, die belagerung des berges Tabor am genauesten, und zwar so, dass deren grundzüge mit der im Ortnit dargestellten im wesentlichen übereinstimmen: nur rücken die belagerer nicht von Tyrus, sondern von Ptolemais (Accon) heran, nach Oliverius^ taucht nun bei dieser belagerung ein durch seinen kleinen wuchs auffälliger Saracene, 'parvus Sarra- cenus', auf, der zu den Christen überläuft und dieselbe rolle über- nimmt, wie der zwerg Alberich, ortskundig wie dieser verrät auch er den Christen, dass die festung trotz der Steilheit des berges nicht uneinnehmbar sei. aber auch hier mislingt der stürm, dies fremde männchen , das auf den gang des kreuzzugs von»

» DHB m «. xxviii ff.

■^ Wilken Gesch. d. kreuzzüge vi 98 ff. 178; Waltenbach Deutschlands geschichtsquellen n^ 407.

3 Oliver, scholast. Hist. Damiatina c. 2; vgl. Wilken Gesch. d. kreuz- züge VI 149.

5*

68 MITTELIIüCIlDEÜTSCIIE SPIELMANNSDICHTUNG

j. J217 i'iiu'ii niclil ganz unbedeutenden einfluss gewann, bewog, wie es scheint, den Ortnitdicliter dazu, es mit frischem humor in <len sagenhaften zwerg Alherich zu verwandeln, der ja auch in seinem gedieht iWr einen alten i)ekannten des sultans gilt, im übrigen bildete er ihn zum grösten teil dem französischen Aubron, dl), dem romanisiertcn Alborich, wie er im Huon von Bordeaux dargestellt ist, und nur zum kleineren teil dem altdeutschen Alberich nach, der denn auch im Ortnit, zum unterschiede von Aubron, kostbare waffen zu schmieden versteht und der vater des haupthelden ist i. die scene, wo der zwerg Alberich, bevor er den beiden nach Muntabur führt, den eine Jungfrau behütenden beiden trifft, wie er vor der gruft sich kühlt, erinnert an die bemerkung des liedes vom Hürnen Seyfried str. 137 (Gollher), mit der es das erscheinen des vom zwerge Euglein (= Alberich) unter- stützten beiden vor dem dracbenstein begleitet: der eine Jungfrau behütende dracbe kühlt sich vor dem loch, so erklärt sich die ansprechendste figur des ganzen gedicbls.

Auch die quelle einiger anderer poetischer hauptmotive, die jene bistoriscbeu grundzüge durchsetzen, ist bisher noch nicht erkannt worden, obwol gleich die erste Strophe, nach der k. Ortnits gescbicble in einem von den beiden zu Tyrus vergrabenen buche gefunden worden sein soll, auf die spur führt, denn Tyrus war nicht nur der bauptscbauplalz (Zs. 37,321), sondern auch der auf- bewahrungsort der bellenistiscbeu romane. nicht nur Dictys Cre- tensis sollte nach dem prolog mit seinem wol dem 1 jh. n. Chr. anbörigen 'Bellum trojanum' hier begraben worden sein, das dann zu Neros zeit bei einem erdbeben wider zum Vorschein gekommen sei, sondern auch der roman des Antonios Diogenes von Dinias und Derkyllis war dem beiden desselben zu Tyrus mit ins grab gelegt und nach der einnähme der Stadt durch Alexander wider entdeckt worden. Apollonius von Tyrus aber liefs ein exemplar seiner berühmten historia im Dianenlempel zu Epbesus, ein anderes in seiner bibliotbek, also widerum zu Tyrus, aufbewahren^, solche Schwindelei ahmten nun die dichter des ma.s gern nach, widerholt

DHB III s. XXI; Lindiicr Die beziehungen des Ortnit zu Huon de Bor- deaux. Hoslock, inaug.-diss. 1872. dass der Huon auch den h. Ernst be- oinflusste, vermulele rictilig; schon .TGrimm Zs. 7,298

* fiHB IV s. 239; Rhode Criecli. roman s. 258. 271. 282;. Hist. Apoll, regis Tyri reo. Riese c. 51.

i

MITTELIIOCIIDEUTSCIIE SPIELMAINNSDICHTUNG (59

berufeQ sich die iVanzüsischea epiker auT geschicliteii, die im münster von Mout Laon oder von Saint Denis liegen sollten i, und so will nun auch unser dichter seine geschichte vom könig Ortnit aus einem zu Suders dh. Tyrus von heiden vergrabenen und wider gefundenen buche genommen haben slr. 1. 2.

Aber in diesem falle hat doch die wunderliche berulung einen lieferen sinn, als in den meisten andern, denn in der tat hat er die in Tyrus angeblich aufbewahrte Historia Apollonii regis Tyri dazu benutzt, um durch sie wie durch die kreuzzugsgeschichte die alte Ortnitsage umzugestalten, wenn aber der Orendel den ersten teil des Apolloniusromans, der von blutschande zwischen valer und tochier handelt, gleich dem Jourdain und dem grie- chischen märchen hinter eine anders motivierte Vorgeschichte zurückdrängt, dagegen den zweiten und dritten teil desselben zur grundlage macht (Zs. 37, 339), so scheut der Ortnit nicht vor jenem furchtbaren motiv des ersten teils zurück, das schon früher das rheinische gedieht vom hl. Albanus (Lachmann Kl. sehr, i 52311) in legendarischer form mit grausamem ernst behandelt halte.

In der Vorgeschichte nämlich tut der verwitwete konig An- liochus von Antiochien seiner eignen schönen tochter gewalt an und, um sich ihren besitz zu sichern und die Werbung ihrer freier zu vereiteln, gibt er ihnen rälsel auf, deren lösung ihnen die band seiner tochter verschafft, ileren nichilösung aber ihnen den hals kostet, obgleich die zinnen des schlosstores bereits mit den bäuplern der unglücklichen werber besteckt sind, versucht der reiche und kluge Tyrier Apollonius - dennoch sein glück und deutet kühn in seiner lösung dem könige an, dass er den furcht- baren sinn des rätseis, das die blutschande des vaters verhüllt, wol durchschaut habe, der rachsucht des königs entrinnt er nach Tyrus, aber auch hier stellt dieser ihm nach dem leben, so tlüchtet er nach Tarsus und, da ersieh auch hier bedroht fühlt, nach der cyrenäischen Penlapolis, an deren küste er schilfbruch leidet, damit beginnt die eigentliche, im Orendel aufgenommene fabel.

Amis et Amiles hg. von KHofmann s. lxii.

* Hofmann aao. s. 418 verweist auf Wilhelms von Tyrus Hist. xiii c. I, der als die berühmtesten Tyrier hintereinander aufzählt Hiram, den miter- bauer des Salomonischen tempels, den durch seine geschichte bekannten Apollonius und Abdaimons söhn Abdimus, der die von Salomon an Hiram geschickten rätsei zuerst gelöst habe, vgl. Fl. Joseph. Antiq. viu c. 5.

GS MITTEMIüCIlDKl'TSCIlE SPIELMANNSDICHTUNG

j. 1217 einen niclil ganz uiilieüeulenden einfliiss gewann, bewog, wie es scheint, den ürlnitdicliler dazu, es mit frischem humor in den sagcnhallcn zwerg Alherich zu verwandeln, der ja auch in seinem gedieht für einen allen l)ekannlen des sultans gilt, im übrigen bildete er ihn zum gröslen teil dem französischen Aubron, dh. dem romanisierten Alberich, wie er im Huon von Bordeaux dargestellt ist, und nur zum kleineren teil dem altdeutschen Alherich nach, der denn auch im Ortnit, zum unterschiede von Aubron, kostbare wallen zu schmieden versteht und der vater des liaui)lhelden ist', die scene, wo der zwerg Alberich, bevor er den beiden nach Muntabur führl, den eine Jungfrau behütenden beiden trifft, wie er vor der gruft sich kühlt, erinnert an die bemerkung des liedes vom Hürnen Seyfricd str. 137 (Gollher), mit der es das erscheinen des vom zwcrge Euglein (= Alberich) unter- stützten beiden vor dem drachenstein begleitet: der eine Jungfrau behütende dracbe kühlt sich vor dem loch, so erklärt sich die ansprechendste figur des ganzen gedichls.

Auch die quelle einiger anderer poetischer hauptmotive, die jene historischen grundzüge durchsetzen, ist bisher nocli nicht erkannt worden, obwol gleich die erste Strophe, nach der k. Orlnits geschiclite in einem von den beiden zu Tyrus vergrabenen buche gefunden worden sein soll, auf die spur führt, denn Tyrus war nicht nur der hauptschauplatz (Zs. .37,321), sondern auch der auf- bewahrungsort der hellenistischen romane. nicht nur Dictys Cre- lensis sollte nach dem prolog mit seinem wol dem 1 jh. n. Chr. anhörigen 'Bellum irojanum' hier begraben worden sein, das dann zu Neros zeit bei einem erdbeben wider zum Vorschein gekommen sei, sondern auch der roman des Antonios Diogenes von Dinias und Derkyllis war dem beiden desselben zu Tyrus mit ins grab gelegt und nach der einnähme der sladt durch Alexander wider entdeckt worden. Apollonius von Tyrus aber liefs ein exemplar seiner berühmten historia im Dianentempel zu Ephesus, ein anderes in seiner bibliothek, also widerum zu Tyrus, aufliewabren^, solche Schwindelei ahmten nun die dichter des ma.s gern nach, widerholt

' IlHB III s. XXI; Lindner Die beziehungen des Ortnit zu Huon de Bor- deaux. Hoslock, inaug.-diss. 1872. dass der Huon auch den h. Ernst be- riiiflussle, vermulele richtig: schon .IGrimm Zs. 7, 29S

2 DHU IV s. 239; Rhode Griech. roman s. 25S. 271. 282^ Hisl. Apoll. regis Tyri reo. Riese c.51.

.AHTTELIIOCEIDEUTSCIIE SPIELMAINNSDICllTUING 69

Ijerut'en sich die franzüsiscliea epiker aul' geschicliteii, tlie im milnster von Moni Laon oder von Saint Denis liegen sollten ', und so will nun auch unser dichter seine geschichte vom könig Ortnit aus einem zu Suders dh. Tyrus von heiden vergrabenen und wider gefundenen buche genommen haben slr. 1. 2.

Aber in diesem lalle hat doch die wunderliche berul'ung einen tieferen sinn, als in den meisten andern, denn in der tat hat er die in Tyrus augeblich aufbewahrte Ilistoria Apollonii regis Tyri dazu benutzt, um durch sie wie durch die kreuzzugsgeschichte die alte Ortnitsage umzugestalten, wenn aber der Orendei den ersten teil des Apolloniusromans, der von blutschande zwischen vater und lochler handelt, gleich dem Jourdain und dem grie- chischen märchen hinler eine anders motivierte Vorgeschichte zurückdrängt, dagegen den zweiten und dritten teil desselben zur grundlage macht (Zs. 37, 339), so scheut der Ortnit nicht vor jenem furchtbaren motiv des ersten teils zurück, das schon früher das rheinische gedieht vom hl. Albanus (Lachmann Kl. sehr, i 523 IT) in legendarischer form mit grausamem ernst behandelt hatte.

In der Vorgeschichte nämlich tut der verwitwete künig An- tiochus von Antiochien seiner eignen schönen tochter gewalt an und, um sich ihren besitz zu sichern und die Werbung ihrer freier zu vereiteln, gibt er ihnen rälsel auf, deren lösung ihnen die band seiner tochter verschafft, deren nichtlösung aber ihnen den hals kostet, obgleich die zinnen des schlosstores bereits mit den häuptern der unglücklichen werber besteckt sind, versucht der reiche und kluge Tyrier Apollonius - dennoch sein glück und deutet kühn in seiner lösung dem künige an, dass er den furcht- baren sinn des rätseis, das die blutschande des valers verhüllt, wol durchschaut habe, der rachsucht des königs entrinnt er nach Tyrus, aber auch hier stellt dieser ihm nach dem leben, so tlüchtet er nach Tarsus und, da er sich auch hier bedroht fühlt, nach der cyrenäischen Pentapolis, an deren küste er Schiffbruch leidet, damit beginnt die eigentliche, im Orendei aufgenommene fabel.

Amis et Ainiles hg. von KHofmann s. lxii.

2 Hofmann aao. s. 418 verweist auf Wilhelms von Tyrus Hist. xni c. 1, der als die berühmtesten Tyrier hintereinander aufzählt Hiram, den miter- bauer des Salomonischen tempels, den durch seine geschichte bekannten Apollonius und Abdainions söhn Abdimus, der die von Salonion an Hiram geschickten rätsei zuerst gelöst habe, vgl. Fi. Joseph. Antiq. vni c. 5.

ill

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG

»las packende rälselmoliv lial unser dichler fallen lassen aber ancli Orlnil hegelirl eine prinzessin, die von ihrem valer, einem syiisclien künig, verhrcclierisch geliebt wird, auch er wagt sich werbend in dessen nähe auf die gefahr hin, dass sein köpf zu den bereits von den zinnen herabblickenden häuptern seiner un- glücklichen vorganger gesteckt werde, und muss dann, freilich mit glücklicherem erfolg, vor dem rachsüchtigen könige fliehen wie Apollonins. die züge des alten syrischen königs Antiochus sind von ihm aus dem Apollonins auf den syrischen sultan Malck- ;tl-A(leI übertragen worden, und es stellt sich nun das merkwür- dige ergebnis heraus, dass der spielmännische dichter des Orendel am ende des 12jhs. diesen bruder Saladins zum sündenbock für die vergehen der Unschuldsbedränger, die im 3 teil des Ai)ollonius auftreten, und derjenige des Ortnit ihn ein menschenalter später sogar zum sündenbock für die blutschande des königs Antiochus macht, der im 1 teil des Apollonins eine l)auptperson ist. dies ergebnis macht wahrscheinlich, dass die allgermanische sage kaum mehr als den namen des haupthelden und einiger genossen, so- wie das gewöhnliche motiv einer gefahrvollen brautfahrt beige- steuert hat, während die geschichte des kreuzzugs von 1217, die daraus entsprungene einflechtung des hier mehr fremden als beimischen zwerges Alberich und der erste teil des Apollonius- romans dem kümmerlichen alten sagenstoff das eigenartige ge- präge verliehen, doch ist mit dem bisherigen quellennachweis

2. die weitere ausschmückung der fabel, die doch so viele auffällige züge darbietet, noch nicht erklärt, auch diese verdanken wir zum teil historischen anspielungen auf eine dem kreuzzug von 1217 folgende wie vorangehnde zeit.

Schon Müllenhoff meinte, die Vermutung liege doch zu nahe, dass des kaisers Friedrich n Vermählung mit der jungen königin Isabella (Jolantha) von Jerusalem am 9 nov. 1225 für den dichter der anlass gewesen sei, die erneuerung der alten fabel von könig Orlnits brautfahrt zu versuchen, weil nun im frühjahr 1226, wo Friedrichs ohnmacht in Oberitalien den lombardischen Städten gegenüber offenbar wurde, am wenigsten ein Tiroler gesungen haben könnte, dass alle vom gebirge bis zum meer den könig fürchteten und ihm zins brächten (str. 4), so falle das gedieht etwa in die scheide der jähre 1225/26. jene hochzeil halle auch ich für eine wichtige anregnng des dichters, aber ich füge mehrere

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG 71

ereignisse der üächsteu fiiuf jähre des fridericiauischen regimenls hinzu, die der dichter gleichfalls in seinem Orüiit angedeutet hat. auch die kreuzzugsunternehmungen der jähre 1227 und 1228;29 schweben ihm vor. er entwirft nicht so sehr 'ein ideales hild von einem einheitlichen Königreich Italien, veie es Friedrich ii nach seiner ruckkehr aus Deutschland in den zwanziger jähren des 13jhs. herzustellen suchte und in gewisserweise auch nach damaligen begritfen bis 1226 zu stände brachte'', als vielmehr eine knabenhafte, höchst verschwommene und bunt zusammengeflickte Skizze dieses königreichs aus der zweiten hälfte der zwanziger jähre, als es namentlich durch die langen Vorbereitungen und die endliche ausfiihrung des kreuzzugs 1228/29 immer tiefer in schwere innere Streitigkeiten hineingerissen wurde, erst bei dieser an- nähme verstehn wir, warum Ortnil ganz abweichend von den kreuzfahrern des j. 1217 nicht über land, sondern zu wasser von Italien nach dem heiligen land zieht, zuvor allerlei Schwierigkeiten daheim zu überwinden hat und seine fahrt wegen eines bösen Segelwindes auf ein jähr verschieben muss. freilich nimmt sich die zustutzung der fabel des gedichts fast wie eine parodie der furchtbar ernsten geschichte dieser zeit aus.

Auf dem stattlichen congress zu Ferenlino im j. 1223, der vom kaiser und papst, vielen deutschen, italienischen und morgen- ländischen grofsen und römischen cardinälen besucht war, gelobte kaiser Friedrich ii eine kreuzfahrt für das j. 1225 und genehmigte auch den verschlag dieser herren , unter denen namentlich Her- mann von Salza als des kaisers vertrautester ratgeber hervorge- hoben wird, Isabella, das einzige kind Johanns von Brienne, die jugendliche erbin Jerusalems, zu heiraten. Friedrich war damals nahe daran , den letzten rest von widerstand in seinem König- reiche Sicilien niederzuwerfen, und mit dem papst und den lom- bardischen Städten hatte er damals noch nicht gebrochen 2. so herscht Ortnit über alle länder 'ze Walhen' vom gebirge bis ans meer, in Lamparten , Brissen (Brescia), Berue (Verona), Garte (Garda), Bome und Lateran str. 3 6, Tuscan 36, Troye (Troja in Apulien) 39, Cecilje41, Nutschir (Luceria) und Bonavente 48. ihm raten seine edelen, allen voran der nach Ortnit 'teuerste' mann,

> DHB m s. XXV.

* Jahrbücher der deutschen geschichte: Winkelmann Kaiser Friedrich II I 140—206, besonders 197.

!■> MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG

Yljas von Hinzen, ein weib zn nehmen, die tochler des kOnigs von .l.'iusalem str. 7. 1 1 11'. dessen liauptstadt isl Suders (Tyrus) slr. 14.

im j. 1225 schickte Friedrich ii eine flotte nach Accon, um Isahella abzuholen, diese wird hier dem kaiser angetraut, indem ihr dessen Vertreter den ring an den ünger steckt, und in Tyrus als künigin von Jerusalem gekrönt, die würkliche hochzeit findet im november desselben Jahres in Brindisi statt '. Ortnit entl'ührt die tochter des königs von Jerusalem nach Suders str. 480, unter- wegs wird sie getauft str. 481. Ortnit het ouch mit der frouwen üf Garte höchzit str. 483.

Aber der dichter wirrt nicht nur den kreuzzug von 1217 und die heimholung der Isabella 1225 durcheinander, sondern er mischt nun auch noch die ereignisse des kreuzzugsunterneh- mens Friedrichs ii ein, das bekanntlich aus zwei hauptacten be- stand. Friedrich schwur 1225 zu San Germano in gegenwart mehrerer deutscher forsten und sicilischer grofseu und liefs Rainald von Spoleto in seine seele schwören, dass er im augusl 1227 mit 1000 rittern, 100 transportschiffen und 50 galeereu eine zwei- jährige heerfahrt nach dem heiligen lande unternehmen, auch schiffe für andere ritter und ihre leute stellen und 100000 unzen gold beisteuern würde. Rainald von Spoleto, der schon 1224 zum kaiserlichen legalen in Tuscien ernannt worden war, wurde vom kaiser beim beginn des kreuzzugs 1228 als reichsverweser, der auch für die kaiserliche familie zu sorgen hatte, eingesetzt 2. Ortnit verspricht .30000 beiden über die see zu führen; ja wenn er 100000 findet, so will er ihnen sold geben str. 44. 50. mit speise- und weinbeladenen schiffen versorgt ihn Sicilien str. 41. er beüehlt dem markgrafen Helmuot von Tuscan leute und land, insbesondere auch seine mutter str, 36 ff.

Aber ehe der kaiser seine fahrt antrat, erneuerte sich im j. 1226 die liga der lombardischen Städte, die von einer beihilfe zum kreuzzug nichts wissen wollten, endlich 400 ritter zusagten, um auch nicht einmal dies versprechen zu hallen, und sogar im j. 1228 die durch ihr gebiet ziehenden deutschen kreuzfahrer plünderten 3. so wollen auch die oberilalienischen grofseu Ornits, der burggraf Engeiwan von Garte und sein bruder Helmnot von

* Winkeiniann aao. i 242 ff.

» aao. 1 254 vgl. 303. 307. Wilken Gesch. d. kreuzzüge vi 450.

3 Winkelmann aao. 267 fr. 312. 321. 337. Wilken aao. 453,

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIEUIAISNSDICHTUNG 73

Ortüits unternehmen anfangs nichts hören, bis sie sich doch zur beihilfe verstehn slr. 30 (T.

Der eifrigste helfer Friedrichs war der deutschordensmeister Hermann von Saiza, der inzwischen 1226 die Schenkung des Kulmer landes und die beslätigung alles dessen erhalten halte, was der orden in Preufsen erobern werde, er gewann den hind- grafen Ludwig von Thüringen für den kreuzzug, nahm für Friedrich 700 ritter in sold und, gelockt durch des kaisers verheifsung freier überfahrt, strömten gewaltige scharen im j. 1227 über die Alpen. Friedrich traf am 3 aug, zu kurzer rast mit den Deutschen Lud- wigs von Thüringen in Troja, wo er öfter verweilte, zusammen •. der eifrigste helfer Orlnils ist Yljas von Riuzen, der ihm helfen will, so gut wie möglich, dafür will Friedrich mit ihm silber und gold teilen und ihm sein königreich mehren str. 23. 24. 29. jener führt ihm 5000 ritter zu str. 28. 46 und wird zum väterlichen ratgeber von Ortnit erhoben str. 54. 55. um gut und gäbe sah man da viele herankommen, um ihr leben zu wagen str. 50. 51. auch der herzog Gerwart von Troye stellt sich und 5000 helden zur Verfügung, ihm wird aber geboten, daheim des 'hergebirges'2 zu pflegen.

Nun wurde das versammelte kreuzfahrerheer in Brindisi durch eine 'corruptela aeris', wie die gleichzeitigen geschichtsquellen es bezeichnen, heimgesucht, ein grofses sterben folgte, der kaiser selber wurde von der seuche erfasst und verschob deshalb auf den rat Hermanns von Salza und einiger hoher geistlicher seine abfahrt auf den mai des nächsten Jahres 122S. Hermann von Salza aber segelte ab, während daheim Rainald von Spoleto den kaiser gegen Gregor ix, der diesen in den bann tat, verteidigte 3. als

' Winkelmann aao. i 205. 225. 237. 242 ff. 325. 327. 486. Röhricht Beitr. z. gesch. d. kreuzzüge i 12.

* dies wort, wofür A Heugebwges, e marcke, ac guten vesten hat, dient vielleicht dazu, die Winkelmann aao. i 537 unerklärliche nachricht der Ännal. Marbac. p. 174 aufzuklären, nach der sicilianische Saracenen in den zwanziger Jahren des 13jhs. vom kaiser nach einem bisher unbewohnbaren orte, namens Hotiberck, übergesiedelt seien, gewöhnlich wird Luceria ge- nannt, dessen castell das wegen eines aufstands entfestigste Troja ersetzte (liyccard. de S. Germano a. 1233); vgl. Winkelmann aao. i 209. ['Heuberg' {Hoiuebevc, Höiiberc) ist, wie wir aus Rudolfs Weltchronik und der Kaiser- chronik v. 17136 wissen, der deutsche name des Monte Gargano. E. SCH.]

3 aao. I 329 ff. 337.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG

Orliiils hcor sich in UnterilalieD versammelt lial, rät Yljas von Hiuzcn (lern künig von der fahrt wegen des 'bösen Segelwindes' ah, nnd sie wird in der tat auf den mai des nächsten Jahres ver- schollen slr. 5G. 57. diese iliierraschende Übereinstimmung wird durch die Verwandlung der bö^en luft in einen bösen Segelwind und auch da(hirch nicht wesentlich beeinträchtigt, dass Hermann von Saiza seinem iierrn voranfährt, während Yljas von Riuzen bei ihm daheim bleibt.

Trotz dem Widerwillen der Lombarden sticht Friedrich mit seiner Holte im nächsten jähre von Brindisi und Otranto in see und landet in Tyrus. er zeichnet sich während des krieges durch seine milde gegen die Saracenen aus. sein stärkster bundes- genosse ist auch hier wider der treffliche deutschmeisler Hermann von Salza, der auch das mit dem sultan vereinbarte friedenswerk eifrig unterstützt, nach der selbstkrönung Friedrichs in der kirche des heiligen grabes das verfahren des gebannten kaisers recht- fertigt und zur befestigung Jerusalems auffordert, dann kehrt er mit ihm im mai 1229 nach Italien zurück i. nachdem Ortnit einen kämpf mit einem lombardischen burggrafen bestanden hat slr. 201 ff, fährt er im nächsten jähr von Messina nach Tyrus Str. 214 ff. er erbarmt sich der heidenfrauen, die Yljas von Riuzen lötet 329 ff. dieser aber ist im übrigen auch hier widerum sein tapferster und tätigster genösse, der nach der gewinnung der königstochter von Jerusalem mit ihm nach Italien heimkehrt.

Nachdem Friedrich das beilager mit Isabella vollzogen und tags darauf ihren vater, Johann von Brienne, aufgefordert hatte, auf das königreich Jerusalem zu verzichten, geriet dieser aufser sich und war seitdem seines Schwiegersohns schlimmster feind. wäh- rend dessen abwesenheit im heiligen lande rächte er sich durch einfalle ins königreich Sicilien in den jj. 1228/29, und schon wurde der kaiser tot gesagt, um die Verwirrung zu steigern, nach seiner siegreichen rückkehr aber erneuerten die Lombarden im J.1231, also 6 jähre nach seiner Vermählung, ihren bund, 'schlangen und muränen gleich' entzogen sie sich seinen griffen, und ganz Oberitalien wurde viele jähre lang durch kriege verheert 2. Ortnits Schwiegervater, der könig von Jerusalem, rast, als er hört,

' Wilkcn aao. vi 450. 486 fr. 497. 505. Schirrmacher K. Friedrich II n 171. 175, vgl. 210. 212.

* Schirrmacher aao. 11 92. 149. 210 fr. 272.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPlELMANNSDlCHTUrSG 75

dass sich seine tocliler mit dem fremden könig verbunden hat. im sechsten jähre nach Orlnits heirat str. 540 nötigt das unglUcii, das der zornige Schwiegervater durch die Sendung von Würmern über Lampartenland gebracht hat, den könig zum lodeskampl. als er tot gesagt wurde, 'rfd hnop sich im lande jdmer unde not' Str. 585. 'rfcr b'nte nnd onch der lande leider niemen phlac. zöch ir iegeltcher zuo im daz er begreif: dd von des landes wirde und ere gar zersleif str. 592. dass auch hier die wiirk- lichkeit arg verzerrt ist, ist jedem sofort klar, der sicli erinnert, dass einerseits Isabella schon im j. 1228 bei der gehurt ihres Sohnes Konrad starb, anderseits der kaiser noch bis zum j. 1250 «las leben behielt, auch denke ich nicht daran, dass in den Würmern der dichter die historische Zwietracht der Lombardei habe symbolisch darstellen wollen, aber er scheint auch hier allerhand geschichtliche anekdötchen in die alte sage von Ortnits drachenkampf und aufserdem fremde märchenmotive eingeschmug- gelt zu haben, dass der heidenkönig im Ortnit wie in Dietrichs flucht zwei oder vier würmer dem Christenkönig '/</" sinen lip schupfet' slr. bd4, die ihn verschlingen sollen, ist wahrscheinlich ein orientalischer zug, der stark an das sicher orientalische moliv der Kudrun str. 54 ff erinnert, wonach der übele teufel einen wilden greifen in könig Sigebauts reich sendet, der den jungen Hagen in seinen klauen davonträgt, wie denn auch wol statt des jireifen ein wilder drache die entführung besorgt i. die morgen- ländische herkunft mögen auch saracenische seidengewebe be- zeugen, welche zwei geflügelte würmer und darüber zwei lier- kopfe mit aufgesperrtem rächen darstellen, deren jeder einen mann halb verschlungen hat 2. auf das morgenland weist vielleicht auch der ganz neue zug str. 498 zurück, dass ein Jäger jene untiere. in form von eiern in kostbare baumwolle und seide verpackt, samt gold und edelsteinen in Ortnits reich schafft und sie hier für eine 'Abrahamsche kröte' aus dem garten und für einen schönen elephanten, den er im gebirge aufziehen will, ausgibt str. 510 fl. der elephant und die kostbarkeiten rufen uns die gesantschaft des Sultans AI-Kämil an k. Friedrich vom j.1228 ins gedächtnis zurück.

' Herzog Ernst hg. von Bartsch clii (T. vgl. den altfranz. ütovien hg. von Vollmöller 5S3 ff; Kudrun hg. von Martin s. xvi.

^ Bock Gesch. d. liturgischen gewänder des mittelalters i 175. tafel v der 2 lieferung.

7». MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG

sie ilbeibrachle ihm seiilene und goldene stolTe, zehn kameele, zehn arabische Stuten und manche Seltenheiten, darunter einen von den geschichlsschreibern ganz besonders gepriesenen ele- phanlen '. die sonderbare Ahrahamsche gartenkröte, die mich l'rilher an den 'giardino d'Abraham' hei Mcran erinnerte (Zs. 12,510), wird richtiger von Ameluug (DIIB ivs. 260) auf den garten Abrahams bei Jerusalem bezogen, den auch der Orendel 1523 kennt, die Franzosen nannten das land Hebron 'Ja terre d'Abraam' 2 und im weiteren sinne auch woi das heilige land überhaupt, mehr will auch hier der Abrahamsche garten nicht besagen, aus dem der Jäger des königs von Jerusalem dem künig Ortnit eine kröte zu überbringen vorgibt, die in gold und seide verpackte krüte mag aus den goldnen, in morgenländische seide gewiirkten Salamandern, wurm- und eidechsenartigen tieren, die als abbilder wilrklicher lebewesen aufgefasst wurden, sich erklären, was noch weiter unten zur Sprache kommt 3.

Der gesamliiberblick über diese neue parallelenreihe versetzt uns von der weiten, durch tiefe leidenschafteu bewegten biihne der fridericianischen kreuzzugsunternehmungen in die engen und viel harmloseren Verhältnisse einer spielmännischen erzählung. diese schaut fast wie eine carricatur des ernsten und verhängnis- vollen Zeilbildes aus, das uns die historiker und die grofsen brief- steiler entworfen haben, und nur eine gewisse frische der dar- stellung und die gut deutsche, kaisertreue gesinnung können uns etwas günstiger stimmen, die personennamen der geschichte hat

* Schirrmacher k. Friedrich ii ii 184. Wilken aao. vi 463. Röhricht Beitr. z. gesch. d. kreuzzüge i 31. 37.

2 Wilken aao. vi 520. Goergens und Röhricht Arabische quellenbei- träge I 292.

3 nebenbei bemerkt, ist 'rfm ivise von Amile', die kein christ gelernt, Horant aber 'w/" dem loilden vluote gehört hat und in der interpolierten Kudrunstrophe 387 vor Hilde singt, nicht ein lied von Amicus und Amelius, wie schon Hnupt Engelhart s. x richtig bemerkt, sie muss auf einen frem- den, morgenländischen Ortsnamen deuten. Morolf singt str. 252 eine weise k. Davids, die er aber str. 256 zu Cilest bei dem lande Endian (Indien) ge- lernt haben will, in der zudichtung der Kudrun str. 1588 singen die besten aus Morland eine weise von Araben. Amile könnte der berg Aamileh sein, der am meer lag und mit Sidon und einem teil des landes Tiberias im j. 1240 von neuem den Christen abgetreten wurde (Wilken aao. vi 601). Richard Löwenherz liefs sich vor Askalon 1191 als gast Malek-al-Adels musel- männische lieder vorsingen (Zs. xxxvii 349. Wilken aao. iv 447).

MITTELHOCHDELTSCIIK SI'IELM ANNSDICHTUNG 77

der dichter durcliwefi verändert, dagegen die von ihr dargehoteuen orts- und landschal'tsnamen durchweg heihehalten. aber ob er auch die historischen ereignisse und deren träger stark verschiebt und mit andern umrissen, färben und lieweggriinden ausstattet, dennoch ist der Zusammenhang des gedichts, soweit er nicht durch die alle sage, neue mären und die boriicksichligung des kreuz- zugs vom j. 1217 verdunkelt und unterbrochen wird, mit der geschichte kaiser Friedrichs u nicht zu verkennen, so vereinigt denn Orlnit von Lamparten die rolle des belagerers vom berge Tabor im j. 1217 und die des kreuzfalirenden herrn von Italien, kaiser Friedrichs aus den jj. 1225 31 in sich, beide gewinnen sie die einzige tochler des königs von Jerusalem zur gemahlin, beiden leisten die Lombarden nur widerwillig ihre hilfe, beide reizen durch verheifsung hohen soldes zum zuzug, beide weilen vor antritt der fahrt in Troja, beide werden unerwartet durch böse Witte- rung genötigt, dieselbe aufzuschieben, und zwar beide auf den mai des nächsten Jahres, beide zeichnen sich drüben im heiligen lande durch ihre milde gegen die Saracenen aus, beide werden nach der Vermählung vom erzürnten Schwiegervater im eignen lande mit nachstellung und innerem zwisl bedroht, beide gerade 6 jähre nach ihrer Vermählung widerum in lombardische händel verstrickt, dazu überlassen beide bei ihrem abschied die sorge für reich und haus dem fürsten von Tuscien, beiden steht noch auffälliger ein hervorragender mann als ratgeber zur seile, zu dem der ursprünglich russische held Ilija von Murom, der am ende des 11 jhs. in die deutsche sage verpflanzt war (vgl. Zs. 12, 353 ff), den namen, der deutschordensmeisler Hermann von Salza aber mehrere wichtige züge geliehen hat. denn es kann kein zufall sein, dass Yljas von Riuzen seinem herrn den verschlag macht, die tochter des königs von Jerusalem zu heiraten, dass ihm der herr sein reich vergröfsert, dass er ihm rät, wegen der bösen Witterung von der fahrt nach dem heiligen land abzulassen, dass er der eifrigste und erfolgreichste mitkämpfer seines herrn dort ist, alles genau so wie Hermann von Salza. bewahrt nun demnach der Ortnit würk- lich ein Spiegelbild, wenn auch ein noch so verzerrtes, von diesen Personen, Verhältnissen und begebenheilen, so ist er nicht im j. 1225/26, sondern mindestens 5 jähre später, nicht vor dem j. 1231, entstanden, in welchem die Lombarden von neuem das kaiserliche regiment so schwer schädigten.

78 MITTELIIOCIIDEÜTSCIIE SIMELMANNSDICIITÜNG

Aut eines der dreifsiger jähre drängt uns nun aber noch eine bisher übergangene Persönlichkeit des gedichtes hin, die sich durch ihren heidengiauhen von allen übrigen genossen des könig- lichen hauplhelden, aber auch dadurch unterscheidet, dass sie, wie sich gleich zeigen wird, ihren historischen namen in die dichtung hinüber gerettet hat. als Ortnit seine 'schargenossen' zur reise nach Syrien auffordert, wird unter ihnen einer, namens Zacharis, folgendermafsen geschildert :

41 Du sprach der von Cecilje, der heideii Zacharis

'ich sitze in dime gedinge, du bist min oberstez ris.

des du ander Hute vlegest, daz tuon ich ungebeten.

ich wil dich höhe stinren, swenn du nf den se xoilt treten.

42 Swenne du wilt ßiezen nf den se vorne staden, ich teil dir zwelf kiele vol richer spise laden

und mit dem besten wine, den man künegen ie getruoc. nu sitz üf swenyi du wellest, ich gibe dir driu jdr genuoc. AZ Ich wil dich höhe stiuren, richer künec Ortnit: zweinzic tnsent helden phelle und samit, richiu tuoch von golde wol gewefelt und geweben, des wil ich dir den vollen und zweinzic tüsent helden geben '

65 sprach der loise heiden 'tvä möhte ez anders sin, dd er die kiele funde, ezn geschehe in Messin,

in minem kilnicriche und in miner besten habe, dd alle marnaere sitzent üf unt abe?'

66 sprach der Pülleschaere 'nu Idz mich, herre, varn, sol ich dine kiele berihten und auch dar zuo bewarn, daz du si also vindest, als ich gelobet hän'.

sprach der Lamparte ''wie wol ich dir des gan'. nach Str. 215 ff fährt der Lamparte di. Ortnit mit den schifleu des heiden aus Messina ab. vor Muutabür lagert sein beer:

363 dactens über anger manec herlich gezelt,

364 Als imz der riche heiden ze Messin het gegeben, der wären zwei von golde gestrickel und geweben. swenn man diu zerbreite, ir dach den schaten truoc, daz hundert ritler Helen dar under rüms genuoc.

365 Von helfenbeine Stangen lüier als ein Spiegelglas, daz an der Stangen orte der knoph der hätten was.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPlELMAiMNSDICHTÜING 79

da was in gesenket ein karfunkelstein, der in den palas(i)^ reht als ein kerze schein. endlich winl str. 482 bemerkt, dass Orlnit in neiiiizelin tagen von Suders nach Messina zurückkehrte, wo ihn dieser lieide goltwill- kommeD hiefs.

Dies aut'fäliige bundes- und Ireundschaltsverliällnis des christ- lichen königs Ortnit zu einem über Sicilieu und Apulien her- schenden heidnischen forsten scheint auf den ersten blick aller historischen glaubwürdigkeit zu widersprechen, aber auch dieses ist aus den damaligen zuständen wol begreiflich, seit dem j. 1206 hatten sich die Saracenen wider zu herren des inneren Sicilieus gemacht, und es gelang kaiser Friedrich ii erst nach mehreren gegen ihre bergfesten unternommenen feldzügen in den jähren 1222 1225 sie dauernd zu unterwerfen '-. er verpflanzte viele von der insel nach dem feslland, insbesondere nach Luceria und Girofaico in Apulien, wo sie waffen und teppiche arbeiteten und den acker bestellten, gegen eine koplsteuer in ihrem muhameda- nischen glauben ungestört 3. der name Apulien umfasste damals auch wol die insel Sicilien, und gerade Messina, das der dichter den besten hafen des Zacharis, des beiden von Cecilje oder des PüUeschaere nennt, heifst im 13 jh. auch einmal eine civitas Apuliae, der junge sicilianische k. Friedrich in vielen deutschen und besonders romanischen quellen das 'kind von Apulien' ^. diese beiden von Sicilien und Apulien standen unter des kaisers besonderem schütz, und er schuf sich später eine leibvvache aus ihnen, ein in Sicilien geborener Araber unterrichtete ihn in der dialektik und befand sich mit andern Muhamedanern auch wäh- rend seines kreuzzugs von 1228/29 im kaiserlichen lager, wo sie in der ausübung ihrer religion nicht behindert waren ^. Friedrichs nächster muhamedanischer nachbar aber stand mit ihm in einenj 'gedinge' dh. Vertragsverhältnis, wie Zacharis mit ürluit, und dieser fürst trug würkhch denselben namen. als künig von Si- cilien hatte Friedrich im j. 1231 mit Abu-Zakaiia oder Zekeria,

* Amelung vermutet: der an dein pavelüne (DHB iv s. 250). - Winkelmann aao. i 140. 188. 206. 3 Winkelmann aao. i 208. 537.

'' Amaii Storia de! Musulmani di Sicilia ni 696; Röhricht Beitr. zur gesch. d. kreuzzüge i 3.

* Schirrmacher aao. u 186.

80 MITTELIIUCUDEITSCHE SPlELMANKSDlCHTUi>G

dein macliliyeii Harsideurürslen vou Tunis, aul zehn jähre einen Ireundschafts- und handelsverlrag geschlossen, krall dessen die handeilreihcnden Untertanen beider ISnder in beiden wie die ei'-enen Untertanen geschützt sein sollten '. freilich wissen wir nichts näheres über die beziehungen des kaisers zu diesem muha- medaner. Abu-Zakaria war kein untergebner des kaisers, ver- waltete auch weder Apulien noch Sicilien, aber seine leute ge- nossen docii auch dort freien verkehr wie des kaisers leute, und wenige jähre vorher hatten doch auch noch in Sicilien un- abhängige niuhamedanische emire geherscht. Abu-Zakaria galt als ein meerbeherschender iürst auch den Arabern in Spanien, denen er auf ihren notruf 1238 eine wolausgeriistele tlotte zu hilfe sandte 2, und so liefert er auch im Ortnit schiffe, mit der schon oft von ihm beobachteten willkür verband der dichter diese verschiedenartigen Verhältnisse zu einem einzigen, wie er die kreuzzüge der jähre 1217 und 1227 samt dem vorereignis des j. 1225 und 1228/29 in einander schüttete und mit den lombar- dischen begebenheiten des j. 1231 verknüpfte, so würfelte er hier allerlei erinnerungen aus der neuereu und der allerueueslen ge- schichte der sicilianischen und der benachbarten Saraceneu durcheinander und führt uns auch auf diesem gebiet bis zum j. 1231 hin.

Aber seine anspielungen auf Sicilien greifen noch etwas weiter, schon Müllenhoff hob zur erläuterung unserer obigen Ortnitstrophen aus Leos Italienischer gescbichte zwei angaben heraus, dass Messinas handel unter k. Friedrich sehr blühte und von allen sicilianischen fabrikaten die sammte, geblümten seidenzeuge, brokaie und feinen lücher von französischer wolle obenan standen, war einmal jener Abu-Zakaria von Tunis vom dichter in einen herrn von Sicilien verwandelt worden, so kann es nicht auffallen, dass dieser in Messina seinen oberherrn, sein 'oberstes reis', mit 12 schiffen und speise und wein unterstützte, denn der handel dieser sladt hatte in folge der massenhaften

* Scliirrmaclier aao. 11 256 setzt den vertrag unrichtig ins j. 1230 und schreibt unrichtig Abulissac statt Abuissac. Amari aao. m 624 bezweifelt die von Huillard-Breholles Historia diploni. Friderici II iii 277 behauptete identität von Abu-Zakaria und Abuissac, aber auch ihm gilt Abuissac als ein von Abu-Zal<aria zum abschluss obigen Vertrags bevollmächtigter, vgl. auch Röhriciit Bcitr. z. gesch. d. kreuzzüge i 50.

' vSchack Poesie und kuiisl der Araber in Spanien und Sicilien i 142.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG Sl

durclizüge vuii kreuzfahrein durch den Faiü di Messiua iu der zweiten haltte des 12 jhs. den der residenz Palermo überflügelt, uud unter Friedrich ii war sie die hauplstation der kaiserlichen kriegstlotte geworden ^ es fehlte auch nicht an speise uud wein, denn noch immer war die insel eine kornkammer, die in diesen Zeiten die länder Nurdalrikas aus mancher hungersnot errettete, und auch der Weinbau land aul ihr damals eitrige pflege '-. so mochte denn auch der mal'slose Richard Löwenherz 1190 in Mes- sina von könig Tancred von Sicilien 60000 last körn und gerste, wein und 100 schitTe fordern, und würklich erhielt er 1191 von ihm 4 grofse schifte und 15 galeeren, wobei es nicht an kern und wein gefehlt haben wird, dass der dichter des Ortuit würk- lich diese in Messina geleistete kreuzzugsbeisteuer tür sein ge- dieht verwertete, das wird durch die kostbare zugäbe von zwei zelten bezeugt, die von elfenbeinstangen getragen und, wie es scheint, zu einem pavillon zusammengestellt, unter ihrem gold- durchwirkten dach hundert oder je hundert riltern schatten ge- währten, dieses Wunderwerk ist kein phanlasiegebilde des dich- lers. zu jenen forderungeu von schifTeu , körn und wein, die Richard Löwenherz 1190 iu Messina stellte, fügte er auch noch die eines seidenen zelles von solcher gröfse hinzu, dass darin zweihundert ritter zur tatet sitzen könnten ^. man sieht also, dass der dichter Vorgänge der ganzen zeit vom dritten kreuzzug bis über den fünften hinaus, von Richard Löwenherz bis zum Abu- Zakaria, von 1190 bis mindestens 1231, zur ausschmückuug der meerfahrt seines Ortnit mehr oder minder frei verkettete und dass die dichtung demgemäfs allem anschein nach in die dreifsiger jähre des 13 jhs. fällt.

Wir können von seinem werke aber nicht scheiden, bevor wir nicht noch einen blick auf die 'phelle, samit und richiu tuoch von golde wol gewefelt (dh. gestickt) und gewehen' geworfen haben. es ist meines wissens die einzige stelle mhd. poesie, welche die musulmännische seiden- und sammelweberei und -Stickerei Sici- liens erwähnt, der roman d'Alixandre gedenkt einmal 'd'un semit de Palerme vermeil ou vermenus'. bekannter scheinen auch den Franzosen die 'pailles d'Andre (Andros?), d'Alexandrie, d'Orient,

» Amari ni 629. 811. Scliirrmactier ii 25". 261. ^ Amari iii 782 ff.

3 Willien aao. iv 166. Amari ui 52y. Z. V. D. A. XXXVill. N. F. XXVI. 6

82 .MlTTtLIlOCH DEUTSCHE SPlELMANNSDlCHTLiNG

EITiiquans' '. die deutschen dichter, obgleich auch sie geru mit ihrer kcnntiiis der tabrikorte pruukeu, nennen doch nur pfellel, sammele, cindale und seiden aus asiatischen, afrikanischen, sj)a- nischen und einigen griechischen Städten 2, wahrend sicilianische aufser unserer Ortnitstelle nicht vorzukommen scheinen 3. der ;;rund liegt nicht etwa darin, dass diese an wert hinler jenen zurückgestanden hätten, sondern darin, dass die meisten sara- cenischen oder auch griechischen Seidenstoffe durch die kreuz- fahrer nach dem abendlande gebracht wurden, namentlich nach der einnähme von Jerusalem, Damascus und Constauliuopel, wo sie ihnen in ungeheuren massen zur beute fielen 4, diese praclit- gewänder aus golddurchwürktem seiden- oder sammetstoff gröfseren und kleinereu formats hiefsen miat. pallia und palliola, mhd. pfelle üni pfellel, ihre verierüger palliarii ^. ein 'pallium circumtextum i. e. rolundum' wurde nach dem griech. yivyJ.og cyclas, cydatum, afrz. ciglaton, siglelon, singleton, mhd. cicldt genannt •'. wol nicht nach der form des kleides, sondern nach den darauf gestickten oder eingewebten radfiguren gab es auch ein pallium rotatum, afrz. paille roe, auch 'circumrotatum et scutellatum '^ und schon der im j. 886 verstorbene römische presbyter Anastasius nennt in seiner Bibhotheca de vitis romanorum pontificum 'vela serica, pallia aquilata, leoniua, leonata, elephanlina, pavonatilia' nach den darauf sichtbaren tiermustern 8. ob aber das uralte und noch heute so beliebte palmettenmuster, das in seiner primitiven form auf orientalischen seidengeweben im 12 jh. aufkam^, dem palmät,

' Aniaii iii 802. Franc. Michel Recherches sur le commerce, la fabri- cation et l'usage des etoffes de soie i 172, 210. Ducange-Henschel iv 116.

^ vgl. das ausführliche Verzeichnis im mhd. wb. s. v. pfelle, das aber die Ortnitstelle übersieht.

^ genauere, aber schwerlich directe kuiidc Siciliens erhellt aus Wolframs Willeh. 36, 7. 84,1.11. 205,22. die Jräbeise und Seciljeise von Palerne, (h'iffdne, Cullöne, Sötiers und de Latriscteii stammen oH'enbar aus Palermo, dem südlich davon gelegenen Monte Grifone, den weiter südlich gelegenen Corleone und Sutera, arab. im 9 jh. Sotir, und dem centralen Caltanisetta, aus Ortschaften, die alle Jahrhunderte lang in der gewalt der Saracenen waren, vgl. Amari i 294. 310. 334. ni 109. 174.

■• Bock Gesciiichte d. liturg. gewänder des mittclalters i 15. 101. 174.

» Bock I 4. 105. 146. Amari iii 802.

Ducange-Henschel 11 6S5.

' Ducange-Henschel vi s. v. pallium. Bock i S.

8 Muratori Script, m 271. 272. Bock 1 11. 13. 23. ^ Bock i 96.

iMlTTELlIOCHDEüTSCHI:: SPlELMAiNNSDICHTUNG 83

der palmdtside lier mhd. diclUuug deu uameii gegeben habe, ist noch zweilelhaft. ein miat. 'palhum palmatum' scheint nicht nachweisbar, aber einige deutsche dichter hatten offenbar diese schönen saraceuischen mustcr, die wir uocli heute bewundern, auch vor ihren äugen, so preist Ulrich vdTürlin in seinem VVillehalm (Casparson s. 104'') ein phelle vol tndnen und gesierne von golde entsprechend den mit goMnen halbmondeu und Sternen bestickten saraceuischen seidenzeugen, wie sie Bock abbildet', noch genauer stiniml der von Konrad von VVürzburg im Trojan, krieg v. 3739 ff geschilderte rote sammet, in den eine Syrene gebriten war, mit einem uns erhaltenen alten roten Seidenstoff aus Sicilien übereio, in den mit verschiedenen musikinstrumenten beschät'ligle Sirenen eingewebt sind '-. erzählt nun VVoK'ram im Farz. 71,17ff, dass ein arabischer 'wäpenroc mit golde gebildet' war, das greifenklauen aus dem Kaukasus gezerrt hätten, so folgt er zwar nicht dem älteren, aus llerodot 3, 116. 4,13 bekannten märchen von goldhütenden , wol aber dem jüngeren, von Ktesias Indica 12 aufgebrachten von goldgrabendeu greifen, doch den ge- (lanken, dass sie gerade das zum bildwerk eines arabischen wap- penrockes verwendete gold herausgezerrt haben sollten, scheint ihm der anblick eines der vielen arabischen prachtgewänder des 12jhs., auf denen geflügelte ihre klauen vorstreckende greifen in gold gestickt waren , eingegeben zu haben 3. auch die andere abenteuerliche geschichte, dass die Salamander kostbare Stoffe im teuer webten 'zeinander worhten' (Parz. 735,25, vgl. VVigal. 7435 ff. Lohengriu 5480. 6525. KvMegenberg Buch d. nalur 276,28), ist wol ein gemisch von alter physiologusweisheit und von einfallen, welche die vielen wurm- und eidechsenartigen liere erweckten, die paarweise

* Bock aao. i 38. 69.

^ Bock I 177 tafel vi der 2 lieferung.

3 Röscher Lex. d. griech. mylhol. i 1769. nicht die pfeife, wie es im mhd. wb. s. v. phelle s. 489'^ heifst, werden den greifen von den Arabern abgenommen, sondern das gold. erst in Ulrichs vdTürlin Wilieh. Casp. 95a hüten die greifen auch glänzende phellel, die die beiden ihnen mit list abnehmen, wie hier Wolfram misverstanden zu sein scheint, wird er (um 1300) nachge- ahmt vom dichter des Reinfried von Braunschweig v. 3346, der von greifen spricht, die gold aus den bergen zerren und zum Kaukasus tragen, vgl. Herzog Ernst hg. v. Bartsch cliv ff. übrigens tragen schon nach dem mylhographen Konon, einem Zeitgenossen Caesars, greifen einen goldgrabenden hirten aus einer goldreichen höhle (Photios cod. 186. VVestermann Mythogr. s. 130, vgl. Zs. 7, 297).

6*

S4 MITTELIIOCUDELTSCIIE SPIELMANNSDICHTUNG

oiiJimtJcr gcgeuüber aul den schöneu seidenzeugen in gold zu leben und gegeneinander zu arbeiten schienen, so hat man ja auch den niijrchcnli;if(en ring Moroll's, in den eine nachligall von bezau- l)erndcni gesang verwiiikt ist, aus der naiven bewunderuug antikei' geschnitlener steine erklärt '.

Von solchen seidenmuslern berichtet der dichter des Orlnit leider nichts, aber er weist, indem er eine grofsartige ausstattung vieler tausende mit goldgevvürkten oder -gestickten Stoffen (tuoch), lihelle und samlt und die Schenkung zweier ebenfalls golddurch- wobener, hundert oder zweihundert ritter fassender zelte seitens eines fUrsten von Sicilien meldet, auf eine merkwürdige kunst- stätte des mitlelallers hin, obgleich er deren namen nicht nennt, ein Deutscher, FrBock, hat uns zuerst tiefer in die jahrhundert- lange künstlerische lätigkeit der zuerst saracenischen, dann nor- mannischen und endlich staufischen seiden- und sammetmanufactur des königlichen palastes zu Palermo eingeführt -. diese werkstätte hiefs nach dem persischen worte für 'ehrenkleid, feierkleid' tirdz, weil sie namentlich fürstliche kleidergeschenke fertigte, schon ums j. 1000 waren neben den spanischen die sicilianischen Sara- cenen die meister feiner weberei und Stickerei im abendland. 'pallia saracenica, auro intexta' werden schon im 9 10 jh. ge- rühmt, und schon vor der ankuuft der Normannen muss der tiräz tätig gewesen sein ^. von seinem kriegszug nach Griechenland brachte der Normannenkönig Roger von Sicilien 1147 athenische, thebanische und korinthische Weberinnen mit, die nach Otto von Freisiug die aufserhalb Griechenlands bisher unbekannte kunst ins christliche abendland gebracht hätten^, in würklichkeit einige neue ferligkeilen und muster in Palermo eingeführt haben mögen, je- doch einerseits schloss auch der musulmännische tirAz im 11 jh. keineswegs antike, ja sogar auch nicht christliche muster und gegenstände aus, wie wir alsbald sehen werden, anderseits blieb der grundcharacter dieser gewebe und ihrer werkstätte bis in die mitte des 13 jhs. ein wesentlich niuhamedanischer. die weher hiefsen auch unter dem normannischen regiment mlat. careri di.

' Salmaii und IMorolf lig, v. FVogt slr. 248 If mit anm. ■■^ Bock Gescliiclile der lilurg. gewänder des ina.s, 3 bände, 1859 fr und Kleinodien d. heil. röm. reiches deutscher nation 1864. ^ Bocli I 36. 9Sfr. 174. 196. Amari ni 447. 798. * Otlonis Frising. gesta Friderici imper. I. i c. 33. IMG. SS. xx s.. 370.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG S5

arab. hariri, ihre meister waren noch unter künig Wilhehii ii io der zweiten hallte des 12 jhs. Moshmiten, wie Yahya und Aaroun. bei einem erdbeben im j. 1169 hörte künig Wilhelm ii die damen und pagen seiner königsburg in ihrem schrecken Allah und den Propheten um hilfe anrufen, und sogar noch 1180 zogen die jungen musulmännischen arbeiter des tiräz ihre christlichen mit- arbeiterinnen zum islam herüber, die grofse zahl von kostbaren kleidern, die der Sicilier Zacharis den leulen Ortnits schenkte, brauchen wir kaum für rein poetische Übertreibung zu halten, wenn wir erfahren, dass zb. bei der kröuung Rogers die mauern des palastes zu Palermo mit seiden- und sammtstolTen bedeckt, auch die niedrigsten diener in seide gekleidet waren und am weihnachtsfeste 118') die fraueu der stadt in goldgelber seide lust- wandelten 1. auch die Französinnen und Italienerinnen Palermos kleideten sich nach musulmännischer mode ^ .

Die schönen gewebe des tiräz haben als ehrengeschenke an mächtige forsten sogar eine gewisse historische bedeutung erlangt, namentlich diejenigen, mit denen mehrere deutsche kaiser aus- gestattet wurden, der reiche bürger von Bari, Melo, auch herzog von Apulien genannt und mit den sicilianischen musulmännern, die ihn ganz musulmännisch Ismahel nannten, verbündet, erhob 1010 in seiner Vaterstadt die fahne des aufruhrs gegen die drückende Griechenherschaff, von blutigen niederlagen schwer getroffen, suchte er hilfe bei kaiser Heinrich ii in Bamberg, wo ihn inmitten der festfreude 1020 der tod ereilte 3, er hatte hier dem kaiser einen noch im Bamberger domschatz aufbewahrten prächtigen seideumantel überreicht, auf dem antike, arabische und christliche motive in einer in der kunstgeschichte seltenen weise vereint dargestellt waren, ein lieblingsgegenstand der ara- bischen kunst und Wissenschaft, ein 'orbis pictus terrarum' mit dem tierkreis, umgeben von der figur des lierrn mit den Sym- bolen der evangelisten, der mutter gotles und tiguren des alten und neuen testaments, ist darauf eingewürkt, dazu sonne und niond , die ganz wie Helios und Selene auf einem zwiegespann dahinfahren. die inschrift des saumes nennt den schenker Ismahel. da, wie es scheint, der tiräz damals ein monopol auf Siciüen be-

1 Bock I 35. .37. Amari i 168. iii 448. 532. 534. 801 ff.

2 Amari in 534.

^ Giesebrecht Gesch. d. deutschen kaiserzeit m^ 180. Amari iii 25 ff. 799.

MnTi:LiiocnnEUTscHE Spielmannsdichtung

gafs und das italienische leslland vor dem 13jli. kciue seiden- fabricaU' leisten konnte, so wird dieses kuuslwerk ohne zweifei niil recht als ein erzeugnis jener werkstälte zu Palermo be- trachtet '. als Spender dieses gewis lange zeit berühmten sicilia- nischen seidengewandes an einen deutschen kaiser mochte dieser mit Sicilien verbündele Pülleschaere muhamedanischen namens auch noch dem dichter des Ortnil bekannt geworden sein und dazu gedient haben, den beiden Abu-Zakaria von Tunis, den bundesgenossen des deutschen kaisers, in einen Sicilier und Apu- lier umzuwandeln, der dem Vertreter dieses kaisers in der poesie, dem Ortnit, kostbare sicilianische seidenzeuge schenkte: und zwar zu Messina, wo ja würklich später einem sicilianischen fürslen der künig von England ein grofsarliges seidengezelt abforderle, wie es fast genau so auch jener Zachaiis dem Ortnil in Messina verehrte, es wird in Deutschland auch nicht an künde von dem tirüz gefehlt haben, mehrere der herlichen in Wien befindlichen reichsinsignien, die von den kaiseru bei der krönung angelegt wurden, wie namentlich ein krönungsmantel und eine alba, giengcn aus ihm hervor 2, Saracenen von Sicilien waren es, die noch im j. 1211 kaiser Otto iv kostbare seidenroben in arabi- schem geschmack zusanten 3. unsre gewaltigen kaiser Heinrich vi und Friedricli 11 fand man bei der 1781 iu Palermo vorgenom- menen Öffnung ihrer gräber in goldgestickte, mit arabischen Sprüchen geschmückte Seidenkleider eingehüllt 4. es lässt sich ja nicht genau bestimmen, wie der dichter die bestandteilchen, die er aus diesen oder ähnlichen geschichtlich denkwürdigen Schen- kungen sicilianischer iürsten an deutsche könige zog, durchein- ander mengte, dass er aber sie samt jenem zelte des Richard LOwenherz und dem vertrag k. Friedrichs mit Abu-Zakaria für die erfindung des heidnischen Sicilianers und Apuliers ZacharJs zu k. Ortnit verwertete, wird jetzt als ausgemacht gellen können. Das gesamlergebnis der vorliegenden Untersuchung möchte etwa folgendes sein: das gedieht von könig Ortnil hat zur grund- lage eine nur in den schwächsten umrissen erhaltene deutsche sage von einem könig Ortnit, der auf einer gefahrvollen, aber erfolgreichen hrautfahrt von einem klugen und lapfern väterlichen

Bock I 167 fr. Aniari in 799, vgl. 11 342. Schiirmaclier 11 261. ' Bock Kleinodien (s. 0.). ^ Schirrmaclier aao. 11 24. i 69.

* Bock Gesch. i 199. Amari m 553. 633. 801.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG 87

freuDfle, dem ursprüDglicli der russischen sage angehörigen Yljas von Riuzen, unterstützt wird und nach der heimholung in einem drachenkampf ums leben kommt, diesen kern bettele der diclitei' zunächst in die geschichte des kreuzzngs vom j. 1217 gegen den berg Tabor ein, der er auch den anlass zur einflecl)tung des teils dem Auberon im Hdon von Bordeaux, teils dem heimischen zwerg- könig Alberich nachgebildeten zweiten ralgebersOrtnits, deszwerges Alberich, verdanktet er stattete seinen beiden ferner mit einigen hauptziigen der einleitungsgeschichle des romans von Apollonins von Tyriis aus. schliefslich entlieh er den Unternehmungen kaiser Friedrichs n, seiner Verbindung mit Isabella von Jerusalem, seinem ersten unterbrochenen und seinem zweiten durchgeführten kreuz- zug, seinem zwist mit dem Schwiegervater, seiner freundschaft mit Hermann von Salza, seinen früheren und späteren lombardischen bändeln, seinen und andrer könige Verhältnissen zu den kunst- sinnigen fürsten und Mohamedanern Siciliens, der ganzen zeit von 1190 1231, eine reihe von zügen, aus denen er einen rei- chen, glänzenden rahmen für sein phantastisches sagenbild zu- sammensetzte, dies brachte ein Tiroler dichter in den dreifsiger Jahren des 13jhs. zu stände.

ni ZUM WOLFDIETRICH. Den einfluss des ApoUoniusromans möchte man vom Orendel und Ortnit auch noch auf Ortnits fortsetzung, den Wolfdietrich, erstrecken: denn hier kommt der held in einem seiner mittleren abenteuer zu einem heidenkünig, der jeden gast zu seiner tochter führt, um am andern morgen dessen haupt abstofsen und auf die Zinnen seiner bürg pflanzen zu lassen, wenn er nicht in der nacht zu- vor die minue der Jungfrau gewonnen hat. aber das motiv der eigen- tümlichen, grausigen bestrafung der fremden, in dem die beiden erzählungen allerdings zusammentreffen, steht unter den zahl- reichen abweichenden moliven vereinzelt da, und in dem Verhältnis des Vaters, der tochter und des bedrohten fremdlings zu einander stimmen die beiden doch nur im allgemeinen überein. dort lebt der vater, Antiocbus, in verbrecherischem umgang mit seiner tochter und enthält sie den freiem aufs eifersüchtigste vor, hier ist von blutschande keine rede und bringt der vater den ankomm-

Seemüller Zs. 26, 210f meint, Alberich sei in die brautfalirt einge- schoben, nur um deren gelingen zu ermöglichen.

8S MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG

ling sotoil Ulli der locliler zusammen, eine genauere betraclitung des abenleuers führt denn auch zu einer andern, ergibigereo (|iiell»' hinüber, die allerdings auch wie die des Orendel antik und durch die Iranzösische poesie vermittelt ist, die betreffende partie liegt io drei Fassungen vor:

VVolfd. B Str. 531—648: von der alten Troye (vgl. sIr. 536. 471) reiU't W. von Griechenland nach der bürg Falkenis, die zu Baden (di. Widdin in Bulgarien, DHß iv 315) auf dem plan liegt und auf ihren leuchtenden zinnen 500 christenhäupter trSgt. »T wird von dem heidnischen burgherrn und dessen schöner lochter freundlich empfangen, das mädchen und der gast gefallen sich gegenseitig sofort, er nennt sich ihr *köiiig Pilgeriu von Troye' und befreit sie dadurch von der angst, dass er könig Wolfdietrich sei, der nämlich dazu bestimmt war, ihren vater im messerwerfen zu besiegen, der wirt beOehlt ihm, die nacht bei seiner tochter zu schlafen, und bringt ihm einen Schlaftrunk, den aber die tochter unter vorwürfen über die tücke ihres vaters hinters belt giefsf. ihre zudringliche begehrlichkeit weist W., obgleich sie ihm alle ihre reize enthüllt, zurück, weil sie sich nicht von Machmet zu Jesus bekehren will, als der vater am andern morgen erfährt, dass der held seine tochter verschmäht hat, fordert er ihn zum messerkampf heraus und erinnert ihn daran, dass noch 6ine zinne leer steht, er tut drei fehlwürfe auf W., beim ersten treffenden gegenwurf verrät ihm dieser zu seinem schrecken, dass er Wolfdietrich sei, trifft darauf des bei- den Scheitel und herz, besiegt auch dessen leute, tauft die nicht erschlagenen und nimmt die Jungfrau auf sein ross. aber sie hat inzwischen einen see um die bürg gezaubert , die darüber führende gläserne brücke zerbricht hinter und vor ihm. seine gefährtin verwandelt sich in eine elsler, die ihm von einer zinne herab seinen Untergang im wasser verkündet, dann fliegt sie da- von, er aber sprengt kühn in die flut und entkommt, um andere abeoteuer zu bestehen und schliefslich die ihm bestimmte witwe Ortnits heimzuführen.

Wolfd. A Str. 252—287 (Dresd. hs. DHB ni 153 ff) stimmt im wesentlichen überein , doch werden Troye und Buden nicht ^'enannt und die bürg heifst Walledeis. die Weissagung, dass Wolfdielricli den alten besiegen würde, wird genauer als ein Spruch der 'gütter' bezeichnet str. 261.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPlELMANiNSDICHTUNG 89

Wolfcl. D VI Str. 1 221 malt breit aus und weicht weiter ab. Troye und der name der bürg werden nicht erwähnt, wol aber Bilden, der burgherr heilst Belian und seine lochter Mar- paly. auch hier gehn die Iremden ritter mit der tochter zu bette, und es wird bemerkt, dass sie, obgleich sofort durch einen trunk eingeschläfert, am andern morgen wie notzilchtiger nach alt- deutschem recht (DHB iv 330) bestraft werden, indem man ihnen mit einer dille das haupt abstufst, das dann auf die zinne gesteckt wird, als Wolfdietrich eintrilTt, zaubert Marpaly sofort einen see um die bürg, der seine umkehr verhindert, ein buch von der alten Sibille hat ihr geweissagt, sie solle ihr magdtum für Wolfdietrich aufsparen, am morgen nach ihrer lagergemein- schaft führt ihn der heidnische vater vor dem messerwerfen vor das bild des Todes, das der held unerschrocken zerbricht, der messerkampf ist verworren dargestellt, als nach dem tode des beiden dessen leute W. angreifen, giefst iMarpaly aus einer büchse nebel vor des beiden äugen, aber er wirft sie mit dem messer zu boden, und es wird wider licht, nach seinem sieg lässt er die häupter von den zinnen holen und schön bestatten, von der über den zaubersee sich schwingenden brücke sprengt Marpaly mit W. zu ross in die tiefe und erst, als er ihr unten auf der aus dem see verwandelten wiese vom pferde hilft, zieht sie ihr kleid aus, schlägt lachend die bände zusammen und fliegt als krähe unter pech- und schwefelgestank davon.

Dieses abenteuer steht inmitten des Wolfdietrichsepos zu- sammenhangslos und völlig überflüssig da. es zeichnet sich vor den meisten andern durch seinen phantastischen character aus und flöfst durch seine fremdartigen namen und motive: Marpaly, Troye, den götter- oder Sibillenspruch usw. sofort den verdacht unheimischer und zwar antiker herkunft ein. aber ebensowenig wie der oben berührte hinweis auf das erste abenteuer des Apol- lonius von Tyrus genügt zur erklärung dieser episode Jäuickes citat eines scholion zu den Ekklesiazusen des Aristophanes V. 1029, das im Diomedesartikel des Roscherschen mythologischen lexicons übersehen worden ist. hier wird nämlich die sprich- wörtliche Jioi-irßsia aväyyir] nicht auf den raub des palladiums durch Odysseus und Diomedes, sondern auf den wilden Thraker- lürsten Diomedes bezogen, der die vorüberkommenden fremdlinge zwang, seine lüsternen töchter zu befriedigen, weil jene nach

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dem erzwungenen geniiss gelölel wurden, liabe man die lücliter *mensclienfresserische pferde' genannt, offenbar haben die Stuten, denen nach der Jilteren sage Diomedes die landenden fremdlinge zum frais vorwarf, i)is Herakles ihn tütete, in der rationalistisch umgebildeten jüngeren sage den obscoenen sinn von 'lUTiog be- kommen und sind zu zügellos begehrlichen mädchen geworden, aber selbst wenn man annimmt, dass auch der jüngeren form der dabei nicht bezeugte rächende kämpf des Herakles mit Dio- medes nicht fehlte, so erscheint sie auch dann noch zu abwei- chend und zu dürftig, um sie als grundlage des VVolfdietrichs- abenteuers anerkennen zu können.

Dagegen kommt unsrer fabel die bisher übersehene bekannte sage von Oinomaos, Hippodameia und Pelops, namentlich in ihrer späteren, von Diodorus, dem scholiasteo des Apollonius Rhodius, 1, 752 ff und Hyginus fab. 84 überlieferten fassung viel näher, zunächst ist Hippodameia nicht eine von vielen töchtern, sondern wie Marpaly die einzige tochter ihres vaters. den Oinomaos schreckt ein orakel, dass ihm durch einen siegreichen Schwieger- sohn der tod bestimmt sei , wie den ßeliao der Sibillen - oder göllcrspruch von seiner besiegung durch Wolfdietrich, daher setzt jener als probestück eine Wettfahrt an, bei der seine tochter den wagen des freiers besteigen muss, um diesen unterwegs durch ihre reize zu verwirren, im vorbeirennen durchbohrt der vater den überholten mit seiner lanze. das antike vvagenrennen, dem mittelaller kaum verständlich, muste in eine zeitgemäfsere wettleistung verwandelt werden, man wählte das messerwerfen, wovon weiteres unten, damit entfiel das gemeinsame besteigen des Wagens seitens des mädchens und des Jünglings und wurde durch ein gemeinsames besteigen des bettes ersetzt, wobei die auch hier versuchte Verwirrung durch die weiblichen reize noch durch einen betäubenden trank verstärkt wurde, in der Pelops- sage wird der verwegene freier doppelt oder, wenn man will, dreifach bestraft: er wird durchbohrt, enihauptet und endlich sein haupl an der säule eines tempels aufgehängt oder über der lür aufgepflanzt, die einführung des Schlaftrunks bevvürkte im M'olldielrichgedicht eine Verteilung der strafen, da der betäubte nicht zum wettkampf fähig war, muste die durchbohrung auf- gegeben werden; er wird sofort enthauptet und sein haupt auf der zinne aufgesteckt, aber die durchbohrung während eines

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG 91

wellkampfes ist deshalb nicht ganz vergessen, sie isl ja dem letzten hei der tochter wachgebliebenen rilter Wolfdietrich zugedacht, trifft aber nun rächend den bösen vater. der siegreiche held, der diese wendung herbeizuführen hat, wird hier wie dort durch das Orakel angekündigt, und wie Pelops und Hippodameia ver- lieben sich Wolfdietrich und Marpaly sofort in einander, die eine wie die andre verrät diesmal ihrem liebhaber, dass der vater ihn verwirren oder betäuben wolle, um dadurch den sieg über ihn davonzutragen, und so wird diesmal Oinomaos wie Belian von dem gewarnten beiden besiegt und getütet , und wie Pelops den getöteten freiem auf ihrem grabe ein gemeinsames denkmal errichtet (Pausan. 6, 21, 9), bestattet auch Wolfdietrich die bäupter seiner unglücklichen Vorgänger, das folgende weicht ab und muste abweichen, denn die ältere hauptsage des Wolfd. bestimmte ihrem beiden eine andere frau, als die heldin dieser aus der an- tike eingeschwärzten episode. Pelops heiratet Hippodameia, um sich erst späterhin von ihr loszusagen, weil sie ihren Stiefsohn Chrysippos ermordete. Wolfd. und Marpaly trennen sich als- bald, nachdem sie noch nach dem tode ihres vaters einige Zauber- künste aufgewendet hat, um den beiden zu verderben, aber die gleichheit und ähnlichkeit all der übrigen grundzüge der grie- chischen und .der deutschen so eigenartigen geschichte verbürgt beider Zusammenhang zur genüge, und die abweichungen erklären sich entweder aus dem zwange der sie einfassenden Wolfdietricb- sage oder aus den veränderten Zeitumständen oder aus dem ein- fluss anderer, verwanter sagen, unter denen widernm eine antike voransteht.

Der noch unerklärte name Marpaly, Marpalie mit seinem durchaus undeutschen klänge weist den weg. trotz seiner offen- bar romanischen endung ist er auch aus dem romanischen sprachkreise nicht abzuleiten, wol aber, wenn man eine Ver- lesung oder vertauschung des ersten buchstabcns annimmt, aus dem griechischen. Marpalie war früher eine französische *^flr/)fl[/?ei, deren name am ende ähnlich geschwächt worden isl wie das

' mögiiclierweise lial der name der iMarpessa, deren freier mit ihrem vater Euenos ein Wettrennen zu wagen eingeiin musten, wobei er sie ein- liolle und tötete (Simonides bei scliol. Hom. II. 9, 553. Bakchylides bei sctioi. Pind. Istlim. 4,92), wie Oinomaos die freier der Hippodameia, auf die nm- nennung der Harpaiyke in Marpalyke eingewürkl.

«)2 MlTTKLIiOCnnEUTSCHE SPIELMAMS'SDICIITUNG

lat. antiqua im iililraiiz. antie, also auf eine Harpalike, Harpalyke ziirückluhrt. iiacli den Virgilscholien und Hyginfabeln ^ war Harpalyke wie flippodameia mit rossen wol vertraut, eine wind- schnelle reiterin, von Jugend auf durch ihren vater Harpalykos oder Klymenos, einen berühmten reit-, ring- und lechtmeister, mit allen leihesübungen bekannt gemacht, zu diesem wilden, dem Oinomaos iihnlichen Thrakerkünig kam auf seiner heimkehr von Troja und zwar über land Neoptolemos und besiegte und ver- wundete ihn schwer, nun erst begreifen wir, warum in Wolt'd. B der held zum wilden bulgarischen heidenkönig auf seiner heim- kehr von der alten Troja kommt, wodurch im miltelalter würk- iich, wie das beiwort bezeugt, das alte Ilion zum unterschied von der apuliscben sladl Troja bezeichnet zu werden pflegte, vgl. DHB iii s. Lxx. und noch ein anderer bisher nicht nachweisbarer zug wird uns klar, nach Pseudolukians Aovv.Loq ^ ovog verzaubert sich eine Iran durch bestreichen mit einer salbe in einen nachtraben, nach den auf die gleiche quelle zurückgehenden metamorphosen des L. Apulejus in eine eule. so verwandelt sich auch Harpa- lyke, nachdem sie mit ihrem vom vater verfolgten gatten, der hier Alastor heifst, davongeeilt ist, nach verschiedenen schicksals- wechseln in eine /«A/fg dh. einen schwarzen habicht oder eine eule. ähnlich entfernen sich W. und Marpalie von der väter- lichen bürg, aber alsbald verwandelt sie sich in einen schwarzen vogel. ein später mylhograph oder ein mittelalterlicher dichter löste also aus der Harpalykesage einzelne laden: die rückkehr des beiden von Troja, den namen der heldin und deren ver- wandelung in einen schwarzen vogel, um sie in die Hippoda- meiasage zu verweben, die annäherung beider mylhen hatte schon im altertum begonnen, schon damals wurde dem vater der Hip- podameia wie dem der Harpalyke nachgesagt, sie seien von sünd- hafter liebe zu ihrer tochter ergriffen gewesen und Hyginus, wol nicht der freigelassene des Augustus, sondern ein mylhograph wahrscheinlich des 2 jhs. n. Chr. 2, stellt in seiner 253 fabel unter der Überschrift 'Quae contra las concubuerunl' 'Harpalyce cum Clymeno patre' und 'Hippodamia cum Oenomao patre' dicht neben einander, bei der willkürlichen sagenmischung der römi- schen kaiserzeit mögen auch der Thrakerkönig Diomedes mit

* vgl. Roschers Lexicon i 1835.

^ TeufTel Gesch. d. röm. literatui'* § 262.

MlTTELIlOCIlDElTStHE Sl'lELMAMSSDlCHTUKG 93

seiueu töclileru und der ThraUerkünig Clymeuos oder Harpalykos mit seiner lochter mit einander verschmolzen worden und so der zug der Wolfdielrichssage, dass der valer seine lochter den Irem- dcn preisgibt, schon früher eingedrungen sein, auch ein einfluss der verwanten Marpessa aut den namen der Ilarpalyke ist denkbar.

Das antike mischproducl zeigt sich im Woltdietrich viellacl» umgemodelt durch die anschauungsweise und cultur der kreuz- zugszeit, aus der das gedieht stanmit. schon nach der antiken ilberlielerung hiengen die häupter der unglücklichen freier an Säulen oder waren über der tür aufgesteckt, aber ihre massen- hafte aufpflauzuug auf die zinnen der bürg war doch erst sara- ceuische sille, welche die Araber namentlich auch in Spanien oft in erschrecklicher ausdehnung an christenhäuplern ausübten (DHB ni s. xxix). wie das antike balispiel des ApoUonius von Tyrus in ein schirmfechten Jourdains von Blaivies und weiterhin in ein turnier Orendels umgebildet wurde (Zs. 37, 331), so ver- wandelte mau das antike wagenrennen des Oinomaos, der seinen gegoer mit einer lanze durchbohrt, in ein messerwerfen Belians, der seinen gegner mit einem messer zu durchbohren trachtet, die wähl gerade dieses gefährlichen Weltspiels erklärt sich aus der häufig bezeugten Ireude jener zeit am messer- oder schwerler- werfeu, das vielleicht an die altheimischen schwerttänze anknüpfte, und weiterhin aus dem, wie es scheint, morgenländischen messer- kampf. nach den älteren berichten tat sich Taillefer nicht durch seinen sang, sondern durch sein spiel mit hoch in die luft ge- worfenen schwerlern hervor '. über die bewegten rüder an der aufsenseite des schiffes hinschreilend spielte der norwegische könig Olaf Tryggvasou mit drei messern, die er in die luft warf, und der mythische kOnig Gylfi traf vor ValhüU einen mann, der sogar sieben messer zugleich in der luft halte 2. in ganz ähnlicher jage wie Belian den Wolfdietrich fordert Galagandreiz den Lan- zelet, der ohue seine eiuwilligung seine lochter beschlalen hat, zum Zweikampf mit zwei zweischneidigen messern heraus 3. dass

uacli einem gedichle des Tioubadours Guiraul von Calanson fiengen die spielniänner kleine äpfel mit messern auf, vgl. AKaufmann Caesarius von Heisterbach s. 123.

2 KHoffmann Roman. Studien i 432. Heimskringla c. 92 s. 195. Gyl- faginn. c. 2.

3 Lanzelet v. 1119. Heinzel Wiener SB. 119, 6Sff. 78 ff; DHB iv 317. Vgl. AScIiullz Höfisches leben ii 130.

1)1 MITTELIIOCIIDEUTSCIIE SPIELMANNSDICHTUNG

im Wollil. der iiifislor im messerkampf eiu beide ist und Belian heifst, hat seine guten gründe. Belian, Pelian, Baligan usw. gilt im allfranzösisclien und darnach im mhd. epos für einen heiden- namen, den manche SaracenenfUrsten und später in würklichkeit auch christliche herren im morgenlande, zb. die berren von Sidon, trugen, er wird von Belus, dem Bei oder Baal zu Babel, her- zuleiten sein, die euhemerisierende kirche sah in diesem einen vergötterten künig, den ersten götzen, den urheber alles heiden- tums '. darum heifst Belian zb. im Orendel v. 400 f ein wol ver- messener heidnischer künig der wüsten Babilouie und, weil man Belus im allertum auch als söhn der Libya kannte, erwälmt Bite- rolf v. 315 einen Baligan von Lybia. anderseits ktnint ihn Hyginus lab, 274 als den ersten, 'qni gladio belUgeratus est, nnde bellum est dictum', nach diesem zuerst mit dem schwert hantierenden heidenkönig des Orients wurde in unsrer dichtung oder deren vorläge der aus der Oinomaos-Harpalykos(-Diomedes?)- sage hervorgegangene vater der heldin benannt und vollends zu einem mörderischen, messerwerfenden , auf einer einsamen bürg hausenden heidenfürsten Belian umgeprägt, seitdem der Assas- sinenhäuptling, der scheik der Ismaeliten, der geheimnisvolle Alte vom Berge oder Senior Montanas, durch seine messer einen furchtbaren ruf im abendlande erlangt hatte, der kreuzzugs- historiker Jacob von Vitry nannte ihn 'dominus cultellorum'. mancher mubamedanische fürst liel unter den meuchlerischen messern seiner sendlinge, wie auch mancher christliche: 1152 graf Baimuud von Tripolis, 1193 markgraf Konrad von Tyrus und, was die Deutschen näher berührte, 1231 herzog Ludwig von Baiern. der berr dieser leute selber konnte kaum anders denn als ein grausamer messerwerfer auf seinem bergscblosse gedacht werden, die annähme eines einllusses dieser merkwür- digen historischen ligur auf den niesserwerfenden burgberrn Belian in VVolfd. D scheint der eigentümliche zug zu bestätigen, dass der böse beide den ritter an der band über den hof vor das bild des Todes führt mit den Worten:

'schotiwe, ritter edele, daz bilde heizt der Tot.

ez bringt dich, degen küene, noch hiiite in gröze not!' denn es wurde von dem Alten vom Berge erzählt, er habe vor

vgl. zh. Lactantii Institut, epilome c. 19 (24). Isidor. Etymolog, vn 11, 23.

MITTELHOCHDEUTSCHE SPIELMANNSDICHTUNG 95

sich ausruten lassen, dass er den tod der künige in seiner band traget

Der hauptstocii des Woltdielrichsabenleiiers ist damit erklärt, nur einzelne uebenzüge sind noch unaufgebellt. der burguame scheint romanisch, sowie die Zaubereien, die an ähnliche in den Artusromauen vorkommende erinnern, wie denn überhaupt aucii die namenformen Belian und Marpalie einen durchgaug des stoll'es durch französische epen befürworten, noch kann man hinzutilgen, dass ebenso wie unsre ßelianepisode wesentlich der Peiopssagen- fassung des scholion zum ApoUonius Rhodius 1, 752 entspricht, noch ein anderes abenteuer vom kämpf mit einem ungeheuer, dessen ausgeschnittene zunge vorweisend Wolfdietrich sich der königin als den würklichen sieger einem betrüger gegenüber aus- weist, auf ein scholion zu demselben Schriftsteller 1, 516 zurück- geht, vgl. DHE IV s. XLiii.

An drei beispielen der mhd. spielmannspoesie des 12 und 13 jhs. ist der einfluss des hellenistischen romans und des spät- griechischen mytbus nachgewiesen, wie diese art der antiken poesie um dieselbe zeit auch in die nordische sagenweit, nament- lich Saxos und der Prosaedda übergegriffen hat, davon ein andermal. Freiburg i. B., 28 jan. und 20 sept. 1893.

ELARD HUGO MEYER.

KRITISCHES UND EXEGETISCHES ZU ALT- DEUTSCHEN DICHTERN.

Es sei mir gestattet, diese analecta zu beginnen mit zwei gedichten , die ich selbst soeben, zu einem bändchen vereinigt, neu herausgegeben habe, in der einleitung zu den Zwei alt- deutschen riltermseren (Berlin, Weidmann, 1894) haben litterar- historische erürterungen einen so breiten räum eingenommen, dass es geraten schien, über die wähl einzelner lesarten wie über das ganze kritische verfahren an anderer stelle rechenschaft zu geben.

1. Mouiz voiN Craon.

Mir selbst so wenig wie dem leser habe ich eine augenweide bereitet mit der scharfen heraushebung derjenigen Wörter und wörtchen, die einzuschieben mir notwendig oder richtig schien;

' Weil in der Histor. zs. 9, 419. DöUinger Akadem. vortrage iii 207.

MORIZ V0^ CUAOiN

ich wünsche auch gar nicht, dass mein beispiel legehiiäfsige uach- aiimuug finde, l'ür diesmal habe ich einen bestininiteu zweck tiabei im äuge gehabt, unter den 42 zusatzwürlern oder wort- gruppeii , die icli nur zum lileinern teil in Übereinstimmung mit Haupt oder Mal'smann eingeschaltet habe, befinden sich nur wenige, bei denen lür mich metrische rücksichten entscheidend gewesen sind, wenn ich auch oll genug durch einen metrischen anstofs aulmerksam geworden bin, so habe ich doch nur in zwei oder drei fällen dem vers zu liebe interpoliert, ich wollte mit den vielen ( ) einmal nachdrücklich zeigen, wie oll ein gewissenhafter herausgeber, der mit den idiomatischen eigentümlichkeiieu der mhd. dichtersprache rechnet und auch das wenige besondere, was sich einer dichlung von kaum 1800 versen für die eigenart des Verfassers entnehmen lässt, zu lernen versucht hat, einer einzigen lis. gegenüber in die läge kommt, den vers 'füllen' zu müssen, ich denke metrisch viel weniger streng als MHaupt und nehme beispielsweise an inhaltlich und sprachlich tadellosen dreihebigeu versen oder wenigstens versparen keinen anstofs und doch habe ich noch weit öfter als er ein wörtchen eingeschoben, wort- auslassungen sind die häufigste aller fehlergaltungen: ganz beson- ders aber da, wo die hs. (oder ihre vorläge) ohne absetzung der verszeilen geschrieben ist; denn die unter einander gerückten verse erleichtern ungemein die controle des zeilenumfangs und wort- bestandes. einer unserer jüngsten melriker, AHeusler, dem ich sonst in vielem gegen Lachmann und meine eigene frühere aul- fassung recht gebe, hält doch in der Verteidigung des nur in der minnesängerhs. C erhaltenen textes der Küreuberg-lieder (zb. Mfr. 8, 13; Zur gesch. d. altd. verskunst s. 94) gelegentlich allzu ein- seitig an dem fest, was metrisch möglich ist.

Es schien mir aber die heraushebuug der restituierten Wörter auch noch einen andern nutzen zu gewähren: die verschiedenen gründe der auslassung, meist solche fürs äuge, treten schon bei einem raschen überblick zu tage, so die Verwechselung zweier Avoriausgänge in fällen wie 538 muoz <es>, 833 tviz {üz), 960 em(swan), 1281 ü?7(wo/); blQ {docIi)ich, 634 (das) e«; seltener tler worlanlänge: 561 wizzet (wol), 1739 müejet (mich): der Schreiber glaubt das mit s, n, ch; w, m auslautende resp. anlau- tende nachbarwort schon geschrieben zu haben, ähnliche wort- bildrr haben den Verlust auch herbeigeführt in fällen wie 484

MORIZ VON CRAON 97

mir(te), 1346<rf?r)io?e; selbstversläudlich in \bi'S (er) erschrikte, 1709 (ir)irgdn, sehr wahrscheinlich in 1164 darinn {in), 1435 hin loider (in), 1401 ich (ir), 1 129 ich(iz), 1717 muoz ich [/t-ähn- liches ^1]. viermal ist nach meiner recension der versanlang verloren (90. 576. 983. 1284), nur einmal der versschluss : 1748, worüber unten näheres. den artikel habe ich viermal einsetzen zu müssen geglaubt: 208 (die) Sicherheit ist vielleicht nicht un- bedingt nötig; die übrigen drei fälle aber bilden eine gruppe, und die ist belehrend:

672 und sante nach (dem) mäste 872 Mwd rouben wolle nf (dem) mere 1553 tind erschrac und mit (dem) munde vielleicht erklären sich alle drei beispiele aus enklise des arlikels an die praeposition in der vorläge: nachem, ufern S mittem, was dem abschreiber nicht geläufig war.

Ich wende mich nun zur besprechuug ausgewählter stellen, wobei ich ein paarmal mich mit einem hinweis auf die Seiten- zahlen meiner einleitung begnügen kann, wo ich einer restitution oder emendation FBechs gefolgt bin, wird man die begrüudung, soweit eine solche nötig ist, auch in dessen aufsalz Germ. 17, 168 ff finden.

V. 2 ist mit rede eine adverbialische bestimmung, die dasselbe besagen mag wie das adv. redeliche und die also durch das von wwrlichem mcere des folgenden verses nur variiert wird, im übrigen vgl. Er. 3804 f als ez diu werlt vernceme und ez ir für kceme. V. 21 1. Deiphebus, vgl. einl. s. xii'. v. 31 f: ich habe v. 32 hypotactisch genommen (für reguläres si enherten) und reichte der hs. stehn lassen, obwol ich eine genaue parallele für diesen gebrauch des verbums reichen 'sufficere' nicht nachweisen kann. zu v. 76 vgl. einl. s. xiv. v. 90. 91 hs. vnd bereitet sich weyt im lannde haben wir einen jener fälle, wo der Schreiber völlig in die prosa entgleist scheint: den zweiten vers habe ich genau so hergestellt, wie er in der Eneide mehrfach (zb. 4526. 10641) vorkommt (vgl. auch gr. Rud. ß 5 ivitene after deme lande); das im 12 und im anfang des 13 jhs. so häufig bezeugte after lande wird in Jüngern hss. oft genug durch in dem lande ver- drängt, vgl. zb. die laa. zu En. 2418. 8432. die ergänzung von V. 90 wird einer bessern gern platz machen. in v. 94 scheint

^ so hat Haupt auch eingesetzt. Z. F. n. Ä. XXXVIII. N. F. XXVI. 7

98 MORIZ VON CRAON

Ihiiipl, in ilor sacho Malsniaun folgend, eine Verlesung von was aus vnz anzunehmen: davor warnt sclion der dem was resp. swaz genau entsprechende gen. pl. lande 95, den iM. H. natürlich be- seitigen müssen, indem ich mich eng an die hs. anschliefse, er- i)altc ich einen guten sinn und brauche nicht mit IL eine 9 verse umspannende parenthese anzunehmen. v. 142 habe ich die negation, welche ßech fordert, ebensowenig wie v. 32. 188. 205 und sonst eingeführt, weil sie die hs. in derartigen abhängigen conjunclivsätzen niemals überliefert und es auch an frühen be- legen für diesen fortfall der negationspartikel durchaus nicht fehlt. zu v, 144 gleich ein wort über hete usw. ich finde es nirgends ausgesprochen, Ciass hete eine junge, nach analogie von tele täten aus dem plural häten erschlossene analogieform ist. noch weit jünger sind die spät und spärlich bezeugten formen du hetest, wir heten, ir hetet, si heten, die gleichwol von Lachmano bis Paul herab in allen ausgaben aus der blUtezeit spuken, aber genau soweit verwerflich sind, als man tetest, teteji, tetet fernhalten zu müssen glaubt. 165 hs. Ein hart schwere purde; die im^ willkürliche wähl der prosaischen Wortfolge zog im nächsten vers die fast mechanische änderung von were in wurde nach sich. v. 177: er tat, was in seinem wissen, in seinen kräften stand. v. 202: das hsl. die Römcere wäre metrisch gewis unanslüfsig, indessen pflegen alte hss. (des 12 und 13 jhs.) den plural 'Romani' deutsch niemals mit dem artikel zu geben , den dann jüngere stets einsetzen. v. 217. 218: den schwachen acc. zu beseitigen, haben wir umsoweniger recht, als er keineswegs dem Sprachgebrauch des Schreibers entspricht, die brandstiftuug Roms erscheint dem dichter als eine 'mafslosigkeit', etwas unerhörtes, und weil Nero damit den brand von Troja nachahmen will, ist es eine 'eften- unmdze\ v. 224 229: die schwierigste stelle in der Über- lieferung des gedichtcs; auch ich glaube nicht sie geheilt zu haben, sondern will durch meinen text nur andeuten, welchen sinn ich dem dichter unterlege, gibt man 11. s correctur des noch an 224 in niht in mit mir als richtig zu , so wird die haupt- schwierigkeit auf v. 229. 30 eingeschränkt, dem dichter lag es in erster linie daran, auf den Neronischen brand die sittliche" degeneration der Romer zurückzuführen (222—227): und wenn er nach der hs. v. 228 f fortfährt noch gesiht man manic palas ze Röme so erwartet man als gegensatz: 'aber keine lüch-

MORIZ VON CRAON 99

tigen menschen, keine ganzen nuinner mehr', paläsle sind wol übergeblieben, aber keine Stammväter für ein wackeres Rümer- geschlecht: die frumen lägen alle löt! das ganzen, das ich in V. 229 {a7c6 -/.oivov) stall dhainen eingesetzt habe, entnahm ich dem V. 230. hier kann ganz keinesfalls richtig steho, denn 1) hat ein derartiger zusammenlassender rückblick (ganz (si) also verbran) keinen sinn, nachdem soeben gesagt worden ist, man könne zu Rom noch manchen palas erblicken, 2) widerspricht es durchaus dem ndid. Sprachgebrauch, zu sagen: 'die Stadt verbrannte ^a«s''; selbst gänzliche würde man hier schwerlich brauchen. v. 241 iwingen st. betwingen hat schon M. eingesetzt: 1) erregt begnnde betwingen euphonischen anstofs, 2) pflegt das simplex Iwingen in Jüngern hss. auch sonst oft durch das compositum betwingen verdrängt zu werden. v. 294: 'das ist dann hingegen ihr kaulpreis'? auffällig bleibt der reim e:e, der einzige im gedieht. v. 305: der fehler nie für riuwe scheint zu beweisen , dass in der vor- läge in md. weise ruwe geschrieben war, was gleichmäfsig als riuwe und ruowe gelesen werden konnte. v. 313 (ähnlich 1309) habe ich den schweren versausgang sin mac in wesen mac ge- ändert, wie es 358 überliefert ist (vgl. auch 1351). jüngere hss. ersetzen sehr oft das veraltende xoesen durch sin. v. 363 schreibe ich schade dn ere, wie 1718 auch Haupt geschrieben hat, nicht seh. an ere; es ist nur eine stilistische Variation des schade und schände. v. 391 der selbe (hs. derselbig) substantiviert als sub- ject (oder object) zu gebrauchen , ist dem mhd. der guten zeit noch fremd. v. 407: dass vor tuge ein dativ der person zu ergänzen sei, stand mir längst fest, aber ich habe bis zuletzt ge- schwankt, ob nicht ein mehr pointierter ausdruck hergestellt werden müsse: etwa der diene so ez (herren) tuge. so wie es in meinem text steht, scheinen die beiden ausdrücke so ez (ime) tuge und dd man im gelÖ7ie7i muge, auf dasselbe hinauszulaufen, doch berührt sich tugen auch oft mit zemen, und eben mit dieser be- deulung würde die Wendung so ez (herren) tuge zu nehmen sein. V. 422 scheint mir die Verdrängung eines unanstöfsigen in- linitivs (M. H.) weniger wahrscheinlich, als die ersetzung des alter- tümlichen genilivs durch den accusaliv. v. 440 waz löne nach der hs. ; ich sehe keinen grund zur beseitigung des plurals.

* aus diesem gefühl heraus hat Bech das ganz durch gare s' oder gar si ersetzen wollen.

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elH'iis(iwi'iii{,' V. 4h2, wo schon der i)lur. leide im nächsten vers H.s iiiideruiig verbleiet. \. bdS vei'tragen 'ausliallen, hinunter- schlucken' in verdagen (H.) zu ändern, hegt kein grund vor, V. 554 komet der hs. kann nur durch einen lesefehler entstanden sein, darum habe ich statt vart (H.), das die Verderbnis nicht er- klärt, ki-ret eingesetzt, nur wegen der sonstigen beziehungen des MvC. zu Chresliens Chg6s erwähne ich, dass dort v. 58 17 ff drei ärzte aus Salerno vorkommen. v. 561 ?r wizzet (wol) daz ich bin, wie v. 1618 ir wizzet wol waz man tuot. v. 617: ich wagte nicht zu lesen liebe sin umbvie und habe darum si aus- gelassen , wodurch zugleich die syntaktische form des verses alter- tümlicher wird; grözer, das H, fortliefs, ist nicht gut zu ent- behren. — V. 629 uö. habe ich die «-formen von gdn (stdn) ein- gesetzt, die durch reime für indicativ und infinitiv reichlich be- zeugt sind und also keinesfalls dem dichter widerstrebten, im conj. hat er die e-formen. v. 634: viel geld und verstand war nütig, damit (nicht 'ehe' H.) das schiff fertig wurde; aucti grax phisch ist der ausfall des daz vor ez ebenso leicht zu erklären wie der eines e. v. 661 : die änderung von M. H. kann nicht richtig sein, denn zu dem singular 'die aufsenwand' kann man nicht alle samt sagen; aufserdem lässl sie die entslehung des enmitten aus mit unerklärt, sehr leicht aber erklärt sich eine Verlesung von alsamitin mite zu alsamit inmitten, allesambt enmitten der hs. nun ist der stofi", mit dem die aufsenwand beschlagen ward, zwar kurz vorher (658) als 'Scharlach' bezeichnet worden, aber unter scarlatum, scharlät, Scharlach wurde wol nicht nur der feinste Wollstoff, sondern gelegentlich auch sammt von gleicher färbung verstanden, und jedesfalls hat der feine Scharlach ('panus rasilis') des mittelalters in herstellung und äufserer erscheinung mit dem sammet die gröste ähnlichkeit. v. 667 : das schilT kann un- möglich, weil es von aufsen mit stolTen behangen ist, ein tnochtner kiel heifsen, wie M. H. im anschluss an die hs. schreiben, wenn wir nun sehen, wie der dichter die Vorstellung von dem land- schilf zu antithetischen Wendungen ausbeutet: 684 ez stnont an trucknem gestade, 765 an einer wise waz sin habe, 926 soll ich ertrinken äne se, 1059 f schif dne wazzer, so ist es klar, dass man für den tuechen einen trnchen, trnckenen kiel einsetzen muss ; der fehler des Schreibers bleibt aus dem unmittelbar vorausge- gangenen leicht verständlich. v. 674 hs. das Mere Bnder haben

MORIZ VON CRAOiN 101

M. H. nächstliegend als merruoder aufgefasst, mit der bedeutung 'Steuerruder', die man hier erwartet, dass die lexica ein solches wort nicht auTweiseo, würde mich nicht iiindern, der autTassung meiner Vorgänger zu folgen, aber der dichter hat kurz vorher V. 6-il f ausdrücklich gesagt, dass das fahrzeug einem rheinschiff gleichgesehen habe: und auf den rheinschiffen, die er offenbar kannte, wird man das 'gubernaculum ' vielleicht als das merre ruoder, das gröfsere oder hauptruder, aber doch schwerlich als 'meerruder' bezeichnet haben ^ wer aber zur rechtfertigung von M. H. die verse 676(1 anführen will, müste doch wol ein mere- rnoder schreiben, nicht daz m., wie die hs. bietet. v. 714: obwol ich weifs, dass in der regel das neutrum banier heifsl und nur das fem. von den wbb. als baniere aufgeführt wird, habe ich den vers doch belassen , wie ihn die hs. bot. v. 727 spiele ich zur rechtfertigung der hsl. la. Haupt zu Er. 8239 gegen Haupt aus. zu v. 754 vgl. einl. s. vni, v. 756 vielleicht Frankenriche. v. 761 grdwen wie v. 28 töten und siechen. V. 783 konnte man, um das 961 kslsldmäe zenddte {:hdte) auch 784 anzubringen, immerhin conjicieren harte wol genäte: ge- steppte kulter werden öfter erwähnt; aber nach einl. s. ix f nehme ich an doppelformen wie zenddle neben zenddte keinen anstofs. V. 784 steht meine besserung der hsl. la. näher als die H.s, und obendrein kann ein 'golter' wol von zindel und mit gold be- stickt {gemdl) sein, was aber gemdl von guldim zenddle heifsen soll, wüste ich nicht anzugeben , selbst wenn man mir guldinen (goldfarbenen?) zenddl nachweisen könnte. die verse 791 f gefallen mir noch nicht recht. v. 818: M.s änderung 'für je zwei' ist zwar nicht notwendig, aber doch sehr wahrscheinlich. V. 833 die blanken stahlhosen werden ebenso wie v. 846 der hals- berg wiz genannt: der ausfall des wiz vor uz erklärt sich leicht. v. 843 die metonymische bezeichnung der angriffswaffe als er, die Becbs änderung voraussetzt, findet Roethe nirgends belegt; aber sie ist doch nicht so anslöfsig, und ich weifs vorläufig nichts besseres. zu v. 886 vgl. gr. Rud. C" 9 f ich xcene ist An- ticrist den heiden kumen ze helfe; so ruft der christliche könig aus,

* er sagt von dem ding^ ausdrücklich: daz was als daz schif getan, also war auch das Steuerruder durchaus dem bau eines Fahrzeugs gemäfs, daz ze Kölne solle fliezen. das würde gegen eine heranziehung der folgenden verse sprechen.

102 MORIZ VON CRAON

wie er die als nianner verkleideten iieidinnen auf den mauern von Scalun erblickt. v. 957 an oller s'iner gelwze der hs, wäre vielleiclil trotz den wbb,, die nur ein nlr. gelceze kennen, zu halten. V. 960 ein (swan), der ausfall ist leichter zu erklären als bei ein (sney II. v. 9S3: der ausfall des ersten wortes begegnet mehrfach, eine Umstellung von er kam (H.) in kam er ist da- gegen weniger wahrscheinlich. zu v, 998 If vgl. Wig. 484 f diu ros liefen ledec dd, als ein stuot wcer nz geslagen. ich führe l)arallelen wie diese und die zu v. 886 nur an, weil die ßiden, die unser gedieht mit der übrigen hüfischen epik verbinden, bis- her so spärlich sind: es ist schon von inleresse, zu sehen wie sich ihm in ähnlicher Situation ähnliche Wendungen einstellen, die den anschein litlerarischer ausprägung tragen. v, 1030 habe ich Haupts änderung von ze raine in ze rdme ' g^elassen, wenn ich auch eher übersetzen möchte: 'was er gerade [mitxden bänden] erreichen konnte', man könnte vielleicht auch an (die rame, das geslell, denken, das nach 651 rings um das scl^ifls- verdeck lief: swaz im zer rame gehe. v. 1042 hsl. auch <iuch d. i. iu, wie v. 2. 33. 1365. meine wendung 'für wen würde es euch passender dünken' scheint mir der alten spräche mehr ge- mäfs, als 'für wen wäre es auch passender gewesen'. v. 1069 f kalte : entwalte hs. setzt ein praesens twellen voraus, das ja obd. und bes. bair.-ösl. quellen durchaus geläufig ist. da aber unser dichter v. 1045 gezelen: eleu reimt, so wird er auch tioelen, twelte geschrieben haben, und damit schwindet auch das stf. kalte, das ich sonst nur bair. , schwäb. und ostdeutsch bezeugt finde, aus seinem wertschätz. v. 1085: Haupts geniliv es ist zit erinnere ich mich nicht, iu alten hss. gefunden zu haben: H. ist hier all- deutscher als die quellen. v. 1092 f: die lis. besagt, dass ihn der knecht in einem baumgarten verliefs, M. H. ändern unnötig 'in einen baumgarlen hineinliefs'. v. 1156f: der dichter brauchte zuerst eine Steigerung, begnügt sich aber dann mit einer gleichsetzung. zu v. 1164 vgl. Zs. 35, 182 und Zs. 37, 373 die laa. zu Greg. 1923. v. 1226 hat sich ein sonderbarer Schreib- fehler auch bei Haupt gehallen: müede nnde laz, wie ich her- gestellt habe, ist eine ganz geläufige Verbindung 2, für die ich

' den gleichen, freilicli sehr naheliegenden lesefehler weist Lexer ii 388 n Schillers abdruck von Strickers Karl nach.

2 miicde tmde genomocji 1235 besas;! dasselbe.

MORIZ VON CK AON 103

nur anführe Flore 5558 i, Krone 19789, Happolsl. Parz. 106, 13; möglich (lass sie sich einem schreiher mii (rüebe nnde naz (zb. Trist. 10373) vermengt hat. v. 1233 1 kome:frumme der hs, habe icli nach md. weise ausgeglichen; ebenso v. 1287.88. V. 1237 entivenken steht auch v. 446 ob er sorgen wil enlioenken und mag liier elliptisch gebraucht sein : 'ehe ich mich [ans dem schlafe] losreifsen könnte', mindestens hat das wort in der vor- läge gestanden: m't wencken ist zunächst aus intwenken verderbt, nicht aus entwachen. v. 1253: meine anderung will besagen 'was er nun ungeschicklerweise verscherzte'. Haupts nnknste- lichen führt ein unbelegtes und sowol in der form unhaltbares (es mUsle miküstlichen heifsen) als in dieser bedeulung unwahr- scheinliches wort ein. mit grözer wiküste 653, das ihm vorge- schwebt hat , ist schwerlich direct zu nnknst zu stellen (das niemals etwas ähnliches! bedeutet), sondern mindestens eine anlehnung an koste, also unserem Unkosten entsprechend, meine anderung ist radicaler, schafft aber kein uubezeugtes wort und keinen so gezwungenen ausdruck wie es Haupts miküstelichen phlac sein würde. zu v. 1299 vgl, einl. s. vni. v. 1346 fehlt die an- gäbe der la. : sage (di?^) wie] sage wie h (H.), sagiu wie M. V. 1358: drizec, die liebliügszahl Freidauks, scheint auch dieser dichter zu bevorzugen: sie steckt in der anspielung auf den bairischen Schilling 491 f, dh. den langen Schilling zu 30 pfennigen (Schmeller-Fr. ii 398); verdoppelt in sehzic 1329. v. 1373 hs. so toisset ir doch, ausweichen in die prosaische worlfolge. V. 1457 loil sie mich armen wäre metrisch und grammalisch immer- hin zu ertragen, aber der ausfall eines sich über erklärt sich gar zu bequem. v. 1468 habe ich Haupts schöne coujectur sigen für sind gevallen nicht beseitigen mögen: in einer hs. mit alemannischem anstrich konnte sigen wol für eine form des verbum subslantivum (Alem. gr. § 353) genommen werden und so die zusetzung des part. gevallen notwendig erscheinen, näher liegt freilich die erwägung, dass jüngere obd. hss. oft die neigung zeigen, das umschriebene perfeclum an stelle des praeleritums einzuzetzen (vgl. Zs. 37,383 anm. l), dass also einfach mit Mafs- mann zu schreiben wäre ir vielen an die moimen die zäher und uf die hande. v. 1498: voyi hinnen setzen jüngere hss. fast regelmäfsig für einfaches hinnen ihrer vorläge. v. 1501: 'du ' ich übersetze 'mit siofseni aufwand'.

104 MORIZ VON CRAON

weilst uiclit, was du da ausrichtest, zu was liir einem auftrag du dicli hergibst'. H.s conjectur ist durchaus überflüssig. V. 1539 beseitigen M. H. den guten sinn der Überlieferung: 'da schliefen sie beide' = 'da fand er beide schlafen'. v. 1565 1. lip'.

V. 1592: meine ergänzung ir hdte der {zotiber) benomen beide witze unde sin will besagen 'sie war wie verzaubert' •; aber es ist einfacher, mit Roethe zu schreiben der (ritter). jedesfalls suche ich ein substantivum, dessen ausfall sich (graphisch und psychologisch) leichter erklärt, als der {schrie) M. II. v. 1604 kann Mafsmann insofern recht haben, als wenigstens sU ez sich (so) gefüeget hat in 1449. 1748 seine stütze findet. v, 1636 ver- güte steht deutlich in der hs. und braucht nicht durch vergibe ersetzt zu werden. v. 1650: mein des soll dasselbe sein wie H.s des, M.s deis. v. 1672: darauf, dass hier ein fehler steckt, hat mich erst Roethe aufmerksam gemacht. v. 1677 an der zit nach 1761 an der unzit. v. 1692: vielleicht ist ez zu streichen, denn mit maneger hande blüete genmoset ist doch nur das gras, nicht die waldbäume. mit v. 1724 bin ich noch nicht zufrieden; dass aber von dem aus von diu entstellt ist, scheint nach 101, wo die gleiche Verderbnis vorliegt, sehr wahr- scheinlich 2. an H.s emendation ist mir vor allem das scheinbar parallele des des mit verschiedenen werten anstöfsig. v. 1742 I. riet'. v. 1748: wie der Schreiber für gut mhd. ez ensi 1668 die uns nhd. geläufige ausdrucksweise es sey dann wählt, so hat er hier für ez enfüege sich mir geschrieben es füege sich mir dann; den schluss der zeile hat er ferner entstellt, indem er statt des reim- worts so das noch aus der folgenden zeile vorausnahm, das von M. H. in den text gesetzte dannoch (hs. dann noch) setzt sich also aus zwei unechten bestandteilen verschiedener herkunft zusammen.

V. 1761 erkannte H. richtig, dass nichtzit (über nnzit, ver- lesen) aus imzit entstellt sei, er übersah aber oder verschmähte wegen 'Überladung des versfufses'? die bequeme Umänderung von mich annders in michz an der. v. 1780 neben meinem Vorschlag sol {er) die rede rihten lässt sich auch der von H. mit der modification sol {sich) diu rede rihten verteidigen.

' vgl. 1588 daz was ein michel wunder und v. 1600 fr ich wa-ne ein wunder hie geschiht dd man immer von saget biz der jüngste tac taget: also tin starker ausdruck wäre schon zulässig.

* vgl. auch die übrigen entstellungen des altertümlichen vo?i diu: 254 wann die, 1499 von dannen, 1772 vnd da.

iMORlZ VON CRAON 105

In der eiüleilung zu MvC. bitte ich zwei kleine versehen zu berichtigen: s. viii z. 15 v. u. I. 'e) in 4 fällen (2. 33. 1042. 1365)'. s. XXII z. 11 V. 0. I. 'östlichen'.

Die von RMMeyer ADB. 35,670 angetleutete müglichkeit, der Moriz von Craon sei ein teil des verlorenen und sehnlichst gesuchten Umbehangs, würde in der sprachlichen beschaffen- heit des gedichtes kein hindernis finden, während das bekannte Salmannsweiler fragment schon um seines alemannisch gefärbten strengen oberdeutsch willen nicht gut von dem 'Pfälzer Bligger von Steinach herrühren kann, aber freilich ist auch die neue hypothese hinfällig, sobald mein datierungsversuch für den MvC, vor allem der nachweis der bekanntschaft mit dem Tristan aner- kennung findet, mit andern einwänden will ich erst hervor- treten, wenn Meyer selbst, von mir nicht überzeugt, sich ent- schhefsen sollte, die ausführliche begründung seiner ansieht noch jetzt dem druck zu übergeben, sie hat mir im manuscript vor- gelegen , aber mich trotz mancher feinen einzelbeobachtung nicht zu überzeugen vermocht.

2. Peter von STAUFE^BERG.

liier noch weniger als beim vorausgehnden gedieht beab- sichtige ich jede einzelne abweichung etwa von Jänickes text zu begründen, es liegt mir mehr daran, au ausgewählten beispielen und gruppen von solchen zu zeigen, welcherlei beobachtungen und gesichtspuncte mich zu einer im verlaufe der arbeit noch mehr und mehr gesteigerten heranziehung der druckversion ge- führt haben, die mehrzahl der einzelentscheidungen mag sich dann selbst rechtfertigen ; nicht alle lassen sich mit gründen verteidigen.

Aber zunächst ein paar worte zur erläuterung und, wo nötig, einschränkung des auf s. ixl f über die Spaltung unserer Über- lieferung vorgetragenen, die möglich keit, dass ein und der- selbe Schreiber der urheber zweier abweichenden Versionen sein könne, habe ich, da ich ähnliches bisher nirgends ausgesprochen fand, scharf betont, vielleicht etwas schärfer, als es gerade zur erläuterung des vorhegenden textes nötig oder auch nur nützlich war. denn ich bin keineswegs der ansieht, dass unsere beiden Versionen, die hs. von ca 1440 und der druck von ca 1483, nun direct aus derartigen zwillingscopien von ca 1320 geschöpft seien, es können recht wol zwischen h und h*, d und d* ein oder mehrere

106 PETEU VON STAUFENBERG

Zwischenstufen liegen, die auch ihrerseits die zahl der ahweichungen verniehrlen, p um gewisse varianlengruppen vermehrten, die aus der seele meines urcopislen allein heraus keine orklärung finden würden, denn es ist zh. n)in(lesleus nicht wahrscheinlich, dass dieser bei der herstellung der einen copie Wörter und worlformen grundsätzlich beseitigte, die er bei einer andern ohne anstand durchgchn liefs. so wird in d beidemal der grobmundartliche reim gen: neu {== geben : nemen) eliminiert durch iinderungeu, die sich recht unbeholfen ausnehmen':

h d

733 man welle dir ein cwip gen, man welle dir ei?i elich weih geben.

so soUu dine briieder nen so nym dein bruder, merck mich eben

885 du soll frilich min muoTnen nen du soll meine mumen neme?i

die ich nie /iirsten wolle ge?i. die mochte einem pursten wolgezemen"^.

eine sprachliche rohheit aus h, der wir in Jänickes texte öfter begegnen, habe ich dagegen nicht als berechtigt anerkannt : ich meine die analogische Verlängerung einsilbiger Wörter, vor allem substantiva, um ein angefügtes e: es kann weder zufall noch tcndenz von d sein, wenn hier alle diese formen wie bürge (d uesie 3) 539, die wyten lande (d der witen well /<m) 611, AUuff denselben hofe (d gar schiere do ze hove) 764 , künge (d kiüüg) 796.959, hare ronffen (d har er ziehen) 1042 fehlen, ohne dass doch jemals der vers geschädigt erscheint, es ist auch gewis kein zufall, dass gerade in den plusversen von h sich diese formen noch widerholl zeigen, so 618" lonnsche, 698'' fründe. man hat es hier zweifellos mit einer eigeutümlichkeit der mutterhs. von h zu tun: aber es ist immerhin nicht ausgeschlossen, dass derselbe Schreiber bei einer ersten copie wort für wort der vorläge abschrieb, bei einer spätem die zum lullen des versfufses so bequemen formen seines eigenen brauchs hier und da un- willkürlich einmengte, wie sie ihm auch in eigenen zusalzversen unterliefen.

Diese plusverse von li habe ich fast sämtlich ausgeschieden : sie enthalten regelmäfsig eine zerdehnung des ausdrucks, ein hin- zerren der Situation, die nur in dem einen falle 524"'' um einen

* ich gebe die als echt erkannte la. in der sciireibung meiner ausgäbe. ^ das braucht doch der könig nicht von seiner nichte, der herzogin von Kärnten zu sagen!

' vgl. hierzu speciell noch s. 109.

PETER VON STAUFENBERG 107

kleiüen zug bereichert wird: der ritter opfert einen ganzen gülden auf den altarl dass sie sich mehrfach in der verdächtigen nähe der illustrationen zeigen, habe ich einl. s. xl liervorgehoben: man könnte diesen grnnd nur umkelnen, wenn es der einzige wäie. der ausdruck ist oft äufserst unbeholfen, wie zb. 636®"'' Als sy do fröid gehattent vil Mit liep wid frÖid und seüenspil, Ze lest nff einen tag allein Nanient sy in an ein ein. und in den 14 reim- paren tritt überraschend viel grobdialectisches zu tage, freilich lauter elsässische binduugen des 14 jhs., aber doch zum teil solche, die der dichter sonst nie wider im reim verwendet, so steht durchaus isoliert mol : sol : o vor /!) 464'^ das einsilbige praeteritum hat (: statt) 618% das part. praet. gesin 618® (und Variante zu 601), der gebrauch von sitenibilen als klingender versschluss 636% die schrofle apokope gezem : nem 636*^'', die leichtere des adv. wit {'.zit) 618%

Nur eine pluspartie von h habe ich aus guten gründen auf- genommen: V. 643 656. freilich liegt auch hier nur eine breit ausgesponnene rede vor, die wir als vorerwogen bereits aus 628 634 kennen; aber zunächst fehlen die üblichen Verdachts- momente: a) vers und ausdruck sind ohne anstofs, die 7 reim- pare enthalten nicht eine sonst unbezeugle bindung, während oben auf 14 mindestens 5 kamen; b) es ist keine illustration in der nähe, weiterhin aber wird gerade durch diese partie von h eine lesart von d im unmittelbar vorausgehnden abschnitt bestätigt. Petermanns brüder bedauern seine ehelosigkeit und beklagen, dass er voraussichtlich ohne leibeserben sterben wird: 631 daz er ouch lat kein kindelinl

daz muoz uns iemer schände sin. schaden h (J.)

vil gerne im git ein fürst sin kint,

davon loir alle geret sinl. beraten h (J.)

der dichter ist schon etwas weitblickend, indem er die herren an die möglichkeit einer fürstlichen heirat ihres bruders denken lässt: h geht noch weiter, wenn er ihnen buchst materielle er- wägungen dabei unterschiebt, aber gerade auch h in seinen plus- versen bestätigt dann wider die richligkeit der obigen la. von d 645 soltestu vor zite gan

und keinen erben nach dir lan,

daz were uns allen schände und Icit.

so ist noch manig fürst gemeit

lüS l'ETEK VON STAUFEiNBEUG

der dir sin (ohler gunde wol.

(352 des habent er die fründe diu. natüilich reicht diese letztere erwägung nicht als beweis der L'chtheit aus, denn die einschiebung der verse 643 656 in h könnte ja immerhin auf einer frühern stufe der Überlieferung erfolgt sein, als die Verderbnis von v. 632. 634.

Einen noch stärkern Widerspruch zur Situation, wie ihn hier h bietet und J. reproduciert, weisen v. 483 f auf. der riller und die (lame haben (von v. 313 ab) zusammen im grase gesessen; jetzt steht er auf und hebt galant auch die fee in die höhe, so richtig d: hu ob mit znhten von der erde, h (J.) aber schreibt : saste nider uf die erde.

Solche fehler begeht ein Schreiber, der seinen text genau genug zu kennen glaubt, um sich nach erneuter durchlesung gelegentlich streckenweise dem eigenen gedächtnis zu überlassen, und dieselbe sorglose nachlässigkeit tritt weiterhin in einer grofsen fehlergruppe von h zu tage, aus der J. nur den kleinern teil be- richtigt hat. wir sahen oben, wie h so will ich kurzweg auch h* bezeichnen in den einschubversen sich recht saloppe wider- holungen von Wörtern und ausdrücken gestattet, wie 636®^/röVd fröid, 637«'' allein: an ein ein, 61S^ liehen fründen 621 liehen fründen. dieselbe gleichgiltigkeit von äuge und ohr gegen die widerkehr gleicher oder engverwanter Wörter tritt nun auch im ganzen übrigen h-text hervor: wir würden sie wahrscheinlich dem dichter zuschieben, wenn wir nicht zum glück d zur controle besäfsen. ich gebe eine auswahl solcher Sünden von h, beson- ders aus partien, wo sie sich häufen.

212 schöner wip 215 schöner wip (schöner bilde d)

216 liehten (claren d) 217 Wehten

232 wnnehar ^ (rosevar d) 233 xonnecliches

247. 48 zwar (clar d) : war

284 der ritter (sin herre d) 287 der ritter

311 nider 313 nider (beide d)

373 nach dem willen min 378 dem willen (der lere d) min

385 dinen tot 387 dinen jüngsten (denjungestlichen d) tag

388 gekrenken 389 krenker (schwer di. swecher d)

urspiünglich wol ivu/mevar.

PETER V0^ STALFENBEKG 109

602 ritterlichen {der tng enthafte d) 603 ritterlichen

{wnnneclichen il) 1077 vol ziihte {bescheiden d) 1078 zühleclichen. in gevvis der hälfte aller beispiele bietet der druck die variatiou an erster stelle, daraus isl zweierlei zu scbliefsen: 1) dass zum mindesten diese Varianten nicbt von d* eingelillirt sein wer- den, denn wer unter dem schreiben einen gleichförmigen ausdruck zu variieren strebt, wird dies in der regel bei der widerbolung, nicht aber beim ersten auftreten des wortes ausführen ; 2) dass li* wiirklich gröfsere absälze überlas und dann niederschrieb; wären es immer nur ein oder zwei verspare gewesen , so hätte zwar sehr leicht der voraugehnde ausdruck sich den folgenden unterjochen können, die häufigkeit des umgekehrten Verhältnisses, sozusagen der regressiven assimilation wäre damit nicht erklärt. Da sich die Überschriften sogut wie die abbildungen bereits im archetypus unserer Überlieferung vorfanden, so kann auch ihr ursprünglicher Wortlaut, sobald er sich durch Übereinstimmung von hd ermitteln lässt, gelegentlich über die echtheit oder un- echlheit einer la. entscheiden oder doch zur controle einer aus andern gründen getroffenen enlscheidung dienen, das ist zb. der fall bei v. 539: die Überschrift (s. laa. zu 539. 543) bietet nach hd itf die veste, und sie hat diesen ausdruck ofl'enbar entlehnt aus V. 539, wo er ebenso in d lautet, während h (J.) dafür bürge hat. gegen dies bürge und mithin gegen die annähme, dass umgekehrt etwa d den vers nach der Überschrift geändert haben könnte, sprechen folgende erwägungen: 1) die oben s. 106 betonten bedenken gegen alle derartigen formerweiterungen in h, 2) Staufen- berg ist auch v. 172 als sin liebe veste gnot eingeführt worden, während der ausdruck bürg sonst im gedichte nicht überliefert ist. Wer den text bei Culemann mit dem bei Engelhardt ver- gleicht, wird d nicht gerade im verdacht eines metrischen revisors haben: die verse der hs. lesen sich im grofsen und ganzen ent- schieden besser als die des druckes. wo also d trotzdem einen bessern, glättern vers bietet als h, da dürfen wir ihn in der regel ohne anstand aufnehmen, ein paarmal tritt noch eine be- stäligung von aufsen hinzu: v. 387 bii an den jüngestlichen tag d kommt wörtlich so öfter bei Konrad von NVürzburg vor"; v. 858

* s. ni. einl. s. l anm. 2, wo übrigens v. 008 zu streichen und durch ■den oben angeführten v. 85S zu ersetzen isl.

HO PETER VON STAUFENBERG

es »67 also gevdllen d ist genau = Silv. 5080. im erstem lalle fehlt in h der oullact, im letzlern ist er zweisilbig, der dichter als ein treuer scliüler Konrads strebt aber nach regelmäfsigem Wechsel von Senkung und hebung, und wo diese von d geboten wird, bin ich dem drucke meistens gefolgt, auch auf die gefahr hin, dass dadurch ein und der andere von d* (Öfter unwillkürlich als absichtlich) geglättete vers in meinen text geraten möchte, denn eine gewisse mechanische neigung, den vers auf die rechte Silbenzahl zu bringen, ist für d* nicht abzuleugnen: zb, in dem aller- dings durchaus vereinzelt dastehnden archaischen v. 520 nach dller gewöuheü hat d ein unpassendes seiner eingeschoben, hier zu un- bedingter Sicherheit zu gelangen, ist unmöglich, denn unser poet ist wie im stil so in der melrik epigone und gehört einer Über- gangszeit an. so klar es ist, dass er den zweisilbigen auftact meidet, so habe ich doch v. 460 so geschdch mir nie so leide den leichten fall eines solchen nicht gegen hd beseitigen/ mögen, von den fällen , in welchen ein mbd. wortbild ^^ im versausgang klingend gebraucht erscheint ', hätte ich (aufser 435 f, wo ich von h und Jänicke abweiche) mit hilfe von d wol noch einen oder den andern (zb. 397 f) eliminieren können: da aber andere bei- spiele (wie vor allem 1007 f) unanfechtbar gesichert sind, habe ich der Versuchung widerstanden 2.

Wenn ich auch im voraustehnden über einige gesichtspuncte, die mich bei der auswahl der lesarten geleitet haben , praecise auskunft geben konnte, so bin ich doch weit entfernt davon, aufgaben wie dieser gegenüber nach festen regeln und grund- sätzen zu streben, an die ich mich selbst binden möchte und deren Verletzung mir ein kritiker zum Vorwurf machen dürfte, ich scheue mich vielmehr ganz und gar nicht, mein verfahren ausdrücklich als ein eklektisches zu bezeichnen: der dichter ist mir hier wie sonst interessanter und wichtiger er- schienen als die Schreiber und setzer, und wo ich nach dutzend- facher lectüre des werkchens aus meinem gewis noch immer subjectiven Verständnis seiner eigenart heraus glauben durfte,

* tu^fent : j'ugenl 25 f. erhaben : durchgi'aOen 235 f. knaben : haben 273 f. tage : sage 397 f. gebefit : widerstrebent 879 f. lüge : trüge 1007 f.

* ich trage noch ein paar kleinere änderungen, meist correclurversehen, nach: V. 76 1. davon. v. 85 1. zornig. v. 282 1. not so und dafür ia. note h (J.) V. 534 1. hicmit. v. 570 1. sü. v. 989 1. kütiig.

NACHGESCHICHTE DES WIGALOIS 111

das richtige gefuiulen zu haben, da habe ich es genommen, gleich- viel von wem es geboten wurde.

Marburg, weihnaciiten 1893. EDWARD SCHRÖDER.

LÜCKENBÜSSER.

1. Aus DER NACUGESCHICHTE DES VViGALOis. aus der iuhalt- reichen einleitung zu ßeneckes ausgäbe des gedichtes s. xxix (f (vgl. auch Wackernagel -Martin ii 42, § 96 anm. 2; Koberstein n^ 167, § 209 anm. 2) wissen woi die meisten leser von der bearbeituug des Volksbuchs in jüdisch- deutschen reimen: 'Ein schön Maase. Von König Artis Hol". .... Und von dem be- rühmten Ritter Wieduwilt ....', als deren autor (denn so lasse ich das 'gestelt durch' am Schlüsse des prologs mit Benecke gegen Wackernagel auf) sich der Schreiber Josel Witzenhausen nennt, dass er gegen ende des 17 jhs. geschrieben habe, wie bei Kober- stein aao. steht, ist jedesl'alls unrichtig: die arbeit wird vielmehr noch ins 16 jh. fallen, man kennt das werk seither nur aus JChphWagenseils Belehrung der jüdisch-teutschen red- und Schreib- art (Königsberg 1699) s. 157 302, und hier erfährt man leider gar nichts über den zu gründe liegenden druck. Wagenseils aus- gäbe wurde sonderbar genug widerholt in den Erzehlungen aus dem heldenalter teutscher nationen, Danzig 1780, s.375 509. und noch einige jähre später fiel sie einem anonymen Schrift- steller in die bände, der den text abermals der reime ent- kleidete und daraus ein wunderliches und unerfreuliches mach- werk schuf: 'Vom Könige Artus und von dem bildschönen Ritter Wieduwilt. Ein Ammenmärchen, (vignette.) Leipzig, im Verlage der Dykischen Buchhandlung 1786' 264 ss. kl. 8<^ in guter aus- slaitung (exemplar in der Marburger Universitätsbibliothek), der Widmung an die 'tugeudsame Jungfer Gertraud' folgt eine erste vorrede an dies sein 'herzallerliebstes ammenmültercheu', dann eine 'nachricht an die herren rezensenten', schliefslich ein 'zuruf an die lesewell', eins immer gespreizter als das andere, das erste stück ist datiert 'Berlin den 7 febr. 1786' und ohne namen unterzeichnet 'Dein ewig dankbarer Sekretär bey '. die ge- schichte selbst wird in 3 wochen zu je 7 'abendstündchen' er- zählt in dem sattsam bekannten ironisch naiven , mit gesuchten anachronisnien und satirischen Witzeleien gespickten tone, mit dem

112 DRUCK DES PFAFFEN AMIS

die aulklciriingszeil die well des riltertumes zu tradieren liebte, so reicht die geschichte der entstelluug des alten werkes prosa- auflösung, jüdisch-deutsche knitlelreime, travestierende prosa hinein in die zeit seiner wissenschaftlichen widerenldeckung. denn schon Gottsched und Bodmer kannten das original, von dem dann 1784 JChpliAdelung die erste öffentliche künde und ca 1787 ChphHMjiler umfangreiche texlproben gab (vgl. vdHagen und Büsching Litt. grdr. s. 135. 142).

2. Der alte druck des pfaffen Amis. Zs. 30, 376 ff hat Steinmeyer zeileugctreu das einzelne blatt eines alten Amis- druckes reproduciert, das auf der Milnchener hof- und Staats- bibliothek als 'ine. s. a. 1719™ 4^' aufbewahrt wird, die elsäs- sische herkunft des druckes erkannte St. sofort, nur fehlte es ihm an material zur festslellung der officio, ich selbst habe das fragment vor jähren nach Berlin entliehen und erinnerte mich der majuskeln , insbesondere des merkwürdigen antiqua-W mit einwärts gekrümmten häkchen und des M noch recht genau, als ich vor kurzem die gleichen letlern in verschiedenen drucken von Job. Prüss d. ä. von Strafsburg widerfand, die direction der kgl. hof- und Staatsbibliothek, deren entgegenkommen ich immer von neuem dankbar zu rühmen habe, gab mir auf wünsch als- bald gelegenheit, das fragment mit der Melusine des Job. Prüss (vgl. meine Zwei alldeutschen rittermeeren s. xxxin) in dem Ber- liner exemplar (Yu 751) zu confronlieren und so zu bestätigen, was ich gleich beim ersten anblick des Staufenbergers aus Douau- eschingen (d' meiner ausgäbe) vermutet hatte. Job. Prüss d. ä. (vgl. Ch. Schmidt Rep. bibliogr. Strasbourgeois in) hat gedruckt von 1480 1511. ich vermute aber, dass der druck des Amis auch zeitlich nicht weit absteht von dem der Melusine, und da dieser in das jähr 1483 zu fallen scheint, so wird man an- nähernd so auch den Amis datieren dürfen.

E. S.

DER GERMAMSCin: OUE^L)EL \\:\

DER GERMANISCHE ORENDEL.

Heinzeis gehallvolle schrill Uher den kütiig Orendel eiUhall einen abschnitt 'Entwicklung der Orendelsage', der verfrüht er- scheint, weil darin der nordische Aurvandil keine stelle findet', mit der Helenalegende allein lässt sich nicht auskommen, zwar die heimkehrsagen, auf die man bisher, vcrt'ilhrt durch einzelne anklänge an die Odyssee, das augenmerk gerichtet hat, müssen aus dem spiel bleiben, aber eine bekannte märchengruppe kommt in belrachl, über die wir der kürze halber auf Leskit-n - und IJrugmann Litauische Volkslieder und miirchen nr 9 und Cosquin Contes populaires de Lorraine nr 12 verweisen, auch Buovo von Antona, dessen ähnlichkeil mit dem Orendelgedichl H. s. 30 her- vorhebt, gebort hierher, und zwar zu den Versionen mit der un- getreuen frau, die ihr kind durch gift aus dem weg räumen will (Cosquin i 142); mir ist er nur in der abgeleiteten Fassung des russischen Volksbuches bei Dietrich s. 68 (T zur band, doch ist das wol von keinem wesentlichen belang, da im nachstehnden ohnehin nur umrisse angedeutet werden können; sie dürfien ge- nügen für den versuch, der hier gewagt werden soll, aus der litterariscben, halbgelehrlen überwucberung den allen volksmäfsigen kern herauszuschälen, nach dem sich das gedieht benennt.

Orendel, der in unscheinbarem gewand an den hof zu Jeru- salem kommt, durch tapfre taten in turnier und feldscblacbl sich hervortut, wobei ihm engelsbände dienstbar sind, endlich (iiacli dem kämpf mit Pelian , wie der russische Bowa beim auszug wider Lukoper, Dietrich s. 86) den beharrlich verschwiegenen uamen verrät und mit der band der künigin zugleich den thron ge- winnt — das ist, in den hauptzügen deutlich erkennbar, der

* die naclistehnden ausführungen sind einer besprechung von Heinzels sciirift entnommen, die für den Anz. f, d. a. bestimmt war, aber trotz ihrer gedrängtheil zu umfänglich geriet, die arbeit war im oclober abgeschlossen, vor dem erscheinen von EHMeyers Ouellenstudien zum Orendel (Zs. 37, 325(1"). nachtrage, die seither hinzukamen, sind in eckige klammern eingeschlossen, zu einer den stofF bequemer vorlegenden neubearbeitung feiilt die zeit, gut wäre es deshalb, vor dem lesen wenigstens den Inhalt von KHM nr 130 'Kisen- hans' im gedächtnis auf/iufrischen,

2 ciliert als Leskien, wiewol meistens NVollners annierkunjen ge- meint sind.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 8

114 DER GERMAMSCHE OREiNDEL

märchentypus von 'Eisenlians' oder 'Goldener' oder 'VVerweifs', nur (lass das märclien stall der engel, die auch in dem gleichfalls hierher gehörigen Rohert dem teulcl auflrelen, einen hilfreichen eisenmann, waldmenschen oder dgl. nennt, die stummheit Roberts des leufels, welche anderwärts durch eine auf das stereotype 'weifs nicht' sich beschränkende Schweigsamkeit ersetzt ist, stammt aus solchen märchen, die von stumm ertragener alptraumqual handeln, und ist nur für einen teil unserer gruppe characterislisch. wenn aber im russischen märchen (Afanassieff vn 117) dem beiden auf sein ne znaj'u ('weifs nicht') erwidert wird: 'dann sei du eben der INesnajko', so hat das sein gegenstück im Orendel (842 ff): 'Got grüez inch, her Grdwer roc, ich kan hich nit anders nennen, weiz got\ Ob ich inch, her, erkante, wie gern ich iuch anders nantel statt des grauen rockes verwenden die märchen ochsenhaut und blase (Afan. VII 116), andere tierbäute, sogar menschenbaut, die auch im Morolf eine rolle spielt, blase, strohkappe udgl. (Rätsel der Sphinx II 144. 147). nachdem Orendel den Merzian in die wüste Schalung gejagt hat, ruht er vierzehn tage, ähnlich wie Bowa sich von seinen kraftwerken durch einen vieltägigen märchenschlaf erholt, wenn bei drohender gefahr Bride in des Graurocks kemenale tritt, ihn fragt, oh er schlafe, und auf seine verneinende antwort ihm ansagt, dass eine grofse heeresmacbt heranrücke, so ist das ein zug, der ganz ähnlich im russischen märchen begegnet (Dietrich s. 46. 48); in einem kleinrussischen lässt sich Nesnajko von der künigstochter durch einen nadelsticb in die wange auf- wecken (Leskien s. 541). der jungfräuliche ebestand Orendels mit Bride ist, wie H. s. 32 richtig sieht, in asketischem sinn ge- meint; aber als moliv stammt er aus unserm märchenkreis (vgl. Beuves bei H. s. 30. 33; Gonzenbach nr 26 und 67): der 'grind- kopf weifs nämlich, dass die braut seine Schwester ist, oder der 'gänsejunge' bat schon eine frau, gerade wie Beuves. auch daran ist zu erinnern, dass das trennende schwert auf dem ehebett der künigstochter typisch ist für das zweibrüdermärchen (Gonzenbach II 230; vgl. Gervasius, hsg. v. Liebrecht 101 f); dieses aber kommt hie und da mit Zügen aus unsrer gruppe ausgestattet vor, in den 'Goldkindern' (KIIM nr 85) hüllt sich der goldene prinz in ein biirenfell, oder der held erwirbt die prinzessin, wie unser Oren- del usf., im tnrnier (Gonzenbach nr 39; Verualeken bei Cosquin I 72; Sonmicr nr 7; vgl. auch Wolf Deutsche märchen und sagen

DER GERMANISCEiE ORENDEL 115

nr 27 mil Cosquin aao.): ein einlliiss von dieser seile wäre also nicht undenkbar.

Das märchen kennt nebenfignren, in der regel Schwäger des helden, die auf diesen mit verachUing herabsehen, aber sich von ihm das mal der knechtschaft aufprägen lassen, damit er ihnen gestalte, sieb mit seinen Verdiensten zu schmücken (Gonzenbach II 240 aum. 2; Grundtvig, übers, v. Leo s. 245; Germ. 15, 180). ihnen entsprechen die beiden Sudan und Merzian; jener behandelt Orendel als ' vilzgehüren\ dieser erklärt ihn für seinen eigen- knecbl, wird aber nachmals durch Bride auf gnade und Ungnade dem angeblichen sklaven überlassen, wenn Orendel die beiden beim spiel antrifft, so ist das dieselbe Situation wie im klein- russischen märchen bei Leskien s. 541 (vgl. ebd. s. 540 die karten- spielenden Schlossfrauen, denen der held prächtige kleider abge- winnt), dem verachteten märcheuhelden gibt man am königshof ein schlechtes pferd und unbrauchbare waffen (Peter Volkstümliches aus Österreichisch -Schlesien ii 184; Wolf Hausmärchen s. 282 f; Asbjürnsen und Moe i 95; Germ. 15, 180; Grundtvig-Leo 244. 247; Zingerle i^ 161), die er dann insgeheim mit der wunder- baren, vom hilfreichen Eisenhans udgl. dargereichten ausrüstung vertauscht, au das letztere märchen gemahnen noch die goldnen schuhe, die Orendel vom engel empfängt, der tausch der rosse da- gegen vollzieht sich in andrer weise: der dichter lässt das tier, das Merzian dem Graurock leiht, kein verkrüppeltes sein, sondern ein unbändiges, so dass es mit dem unbändigen märchenross verfliefsl, das zb. Eisenhans (KHM nr 136) statt des kleppers herbeischafft, das rostige, hölzerne oder sonst untaugliche schwert endlich, das im märchen dem unscheinbaren helden spottender weis ein- gehändigt wird, gab anlass zu der scene mit dem unechten, splitternden Schwerte v. 1600 ff, wobei sich Bride gegen den kämmerling benimmt, wie Siegfried im Siegfriedsliede ^ gegen den austlüchte machenden zwergkonig Äugel oder auch wie 'Bärensohn' gegen den zudringlichen zwerg (Sphinx i 58 f; n 21). wenn der eifersüchtige Merzian grimmidichen zu Bride spricht (1466 f): ist daz nun getan reht, daz ir küssent minen knehtl, so gleicht er dem Orlop, der der Druschnewna vorwürfe macht, als sie

' an einen zu» der tiersage von wolf und stute klingt eine andre stelle an: vgl. v. 2658 ff mit RF cclxhi; Haltrich Zur Volkskunde der Siel)cn- bürger Sachsen, 1885, s. 502 f.

116 DER GEiniANISCIIE ORENDEL

bowii küssl (Üieiiich s. b7 ; zum küssen vgl. auch ebd. s, 80 mit Leskien s. 538).

So bewegt sich der erste teil des Orendel nur um diesen handelt es sich in den bahnen des Eisenhansmärchens; eine ausnähme macht der eiugang, doch nur scheinbar. Berger hat die entdeckung gemacht, dass der schifl'bruch des Orendel und seine begeguung mit Ise aus dem Apollonius von Tyrus stamme; wenn einzelne zilge dieser Orendelscene näher zu dem homerischen Vor- bild des sophistenromans stimmen, als was dieser selbst berichtet, so findet sich ähnliches in dem iranzüsischen Apollonius, dem Jourdain de Blaivies (Dunlop-Liebrecht s. 137). nun beruht aber der Apollonius bis dahin, wo der held die tochter des königs Archi- strates heiratet, auf unsrer märchengruppe vom Eisenhans oder Werweifs, und zwar, wie es scheint, auf einer form, welche mit unbehaglichen familienverhältnissen anhebt, wie Bovo d'Antona und seine gruppe, oder mit einer Weissagung von ellernmord und schwesterehe wie bei Gonzenbach nr 26 und im Seghelijn (H. s. 51 f); denn das reich, aus dem der held entflieht, ist ur- sprünglich sein väterliches (Rohde Griech. roman s. 418), von lasterhaften zuständen darin berichtet die auf uns gekommene lateinische fassung, die jedoch ihre motive dem weiblichen seilen- stück unsrer märchengruppe entlehnt (Rohde s. 420; Archiv f. slav. phil. 2, 622ff). dass also der Apollonius, dessen Zugehörig- keit zu unsrem märchenkreis sich deutlicher als in der lateinischen Version in der dem griechischen volksmund entnommenen aus- spricht (Hahn nr 50; BSchmidt Griech. märcheu s. 7 anm. ; Rohde s. 421), einfluss auf den Orendel gewann, ist sehr erklärlich, den vermittler braucht nicht erst imser dichter gemacht zu haben, denn wir haben eine spur, dass man auch sonst in Deutschland die verwantschaft des gelehrten romans mit dem Volksmärchen erkannte, in das man dann den griechischen namen des beiden einschwärzte auf ähnliche weise, wie sich die russische form des märchens mit den namen Lukopero und Polkan aus dem Bowa aufgeputzt hat (vgl. Dietrich s. 43. 46 mit 83 ff. 104 ff).

Durch die Thidrekssage nämlich wissen wir von einem 'Apol- lonius von Tyra unfern des Rheins', der mithin als landsmann Orendels von Trier ob der Mosel zu denken ist und ihm sagen- geschichllich nahe steht, auch wenn der anklang von Tyra an Trier /ufällig und für die localisation des märchens in der Stadt

DER GERMANISCHE ORENDEL 117

des ungenäliten rockes ohne bedeuliing sein sollte, aufser dem namen des beiden ist fast nichts aus dem roman entlehnt: die briefliche liebeserklärung der Herburg (Rassmann Heldensage 11 542) gemahnt an das schriftliche bekenntnis der griechischen köuigs- tochter (Rohde s. 410; Halin i 277), ihr früher tod an den sciieintod der andern (Rassmann 11 546; Rohde s. 410; Hahn i 279). da auch ihr gatte bald stirbt (Rassmann 11 560) und die erzählung fortan seines bruders Iron Schicksalen gilt, so erstreckt sich dieser deutsche Apollonius nicht über den ersten teil des griechisch- lateinischen hinaus, gerade wie das Volksmärchen, und mit diesem stimmt denn auch sein Inhalt überein. durch könig Isung seines väterlichen reiches beraubt, entflieht Apollonius und findet Unter- kunft in Tyra, wo ihn der Hunuenkönig zum jarl einsetzt, weil er blofs jarl sei und nicht könig, verweigert ihm künig Salomon von Frankreich die band seiner tochter; diese aber fasst liebe zu dem scheinbar unebenbürtigen und reicht ihm einen apfel, worin er dann den vorhin erwähnten brief findet, ein zweites mal begibt sich der jarl vermummt an Salomons hof: er hatte unterwegs mit einem weihe die kleider getauscht, die prinzessin erkennt ihn und wirft ihm einen apfel zu mit einem briefe, worin sie abrede zur entführung trifft; dann zieht sie mit ihm nach Tyra 'ins hühuerhaus' würde das märchen sagen (Wolf Haus- märchen s. 282) und stirbt, die schliefsliche enthüllung der alten königsherlichkeit ist also weggelassen, dafür aber auch die erniedrigung sehr gemildert, und nur in der vermummung bricht eine erinnerung an die knechtsgestalt des märchenhelden durch (zum kleidertausch vgl. Cosquin i 134. 147). landflüchtig gleich Apollonius ist der märchenprinz bei Schneller Märchen aus Wälsch- tirol s. 42. der zugeworfene apfel begegnet in unsrer märchen- reihe häufig, als zeichen der gattenwahl (zb. Schneller s. 45. 183; Hahn nr 6). wenn Apollonius den wald des künigs Salomon ver- ödet und niederbrennt (Rassm. 11 553), so mag das auf den zug des märchens zurückgehn, dass der verkappte held den königlichen garten verwüstet (Hahn n 198; AfanassiefT viii 603 == Dietr. s. 44; Müllenhoß" Sagen s. 423). möglicherweise war dem Verfasser neben der Version des märchens, worin der kleidertausch vorkommt, auch diejenige bekannt, wonach sich der held in die haut eines men- schen hüllt falls folgender schluss nicht trügt: Apollonius ge- winnt die liebe der künigstochter nicht durch musikalische künste

118 DER GERMANISCHE ORENDEL

wie sein griechischer namensveller (vgl. auch Bowa, Dietr. s. 76), sontlern durch den zauber eines rings, den er ihr ansteckt ein aus dem Morolf bekanntes motiv; seine Schwägerin, von der er den ring hat, drückt spuren in den schnee, ähnlich wie Markolt'; da nun diese beiden scenen im Morolf so nahe bei- sammeustehn, dass sie bei Vogt i p. xxu auf derselben seite sich finden, und diese seile auch noch Morolfs Verkleidung in Bermans haut bericlitel, so liefse sich denken, dem Verfasser des Apollo- nius sei bei der oben gemutmafsten Verkleidung in menschenhaut der Jude Berman eingefallen und das habe ihm den anlass ge- geben, die beiden andern scenen nachzuahmen, wobei jedoch zu erinnern ist, dass die geschichte mit den schneespuren nicht so- wol im Morolf, als vielmehr in dem entsprechenden Markolf- schwanke ihr gegenstück hat. wie dem nun sei (und wir können uns hier so wenig auf die trotz Weselowsky und andenV noch immer sehr der aufklärung bedürftige Markolffrage als auf die sonstigen bezüge unsers gedichts zu Morolf einlassen), so viel ist klar, dass der ApoUonius der deutschen heldensage nach abzug des leichten griechischen anflugs sich als der wolbekannte märchen- held entpuppt, den wir auch im griechischen ApoUonius, im Bovo und Orendel widergefunden haben.

Wenn trotz der gemeinsamen berkunft keine merkliche ähn- lichkeit zwischen 'ApoUonius von Tyra' und 'Orendel' besieht, so liegt das, abgesehen von der Verstümmelung des 'ApoUonius' zu Irons gunslen , an der verschiedenen tendenz, die dort erotisch- romantisch, hier legendarisch und heroisch ist i. gleichwol ist ein nicht unwichtiger berührungspunct vorhanden: der name des königs Isung klingt bedeutsam an den des üschers Ise au, und es ist schwerlich zufällig, dass als dritter vom kiudermärcben her der Eisenhans (RHM 136) und der eiserne mann (Sommer nr 2) hinzutritt, die koseforni Iso enthält wol ein synonymon von gang {Gangolf, Wolf gang usw.), nämlich das auch in uhd. eisbein steckende *isa 'gang', von einer aus i 'gehu' (nhd. eile) weiter- gebildeten Wurzel IS (lil. eisme, eisena 'gang', skt. esha 'eilen', lat. ira, gr, olorgog 'wut', altn, eisa 'sich reifsend schnell bewegen'), wie, im veihälmis zu Ises namen, der des Eisenhans zu beur- teilen sei, darüber später; vorläufig sei nur gefragt, ob das wort Ise, das für einen fischer nicht besonders bezeichnend ist, viel-

* vgl. (las widerum andre gcpräge des asketischen 'Robert der leufel'.

DER GERMANISCHE ORENDEL 119

leicht sprechender werde, wenn Ise so schon hiefs, ehe er nach dem Vorbild des griechischen romans zum fischer ward, damals muss er dem Eisenhans geglichen haben, bei dem der held sich aufhiell, bevor er an den hof kam. dass Eisenhans seinen jungen Schützling auf den nacken setzt und 'mit schnellen schritten* in den wald trägt, will nicht viel sagen; aber der entsprechende waldmensch des dänischen märchens, der den königssohn nicht blofs hinein, sondern nachmals auch herausträgt, bewegt sich mit wunderbarer schnelle (Grundtvig s. 234. 235 f), im tschechi- schen märchen aber entführt der 'ritter' den Jüngling durch die lufl (Leskien s. 539). wo vollends die sache so gewendet ist, dass der riese, drakos udgl., dem entflohenen prinzen mit Windeseile nachsetzt (Cosquin i 138 ff. 152 ff; bei Leskien s. 380 durchmisst der flüchlling drei länder in einer stunde), da wäre der name Iso erst recht am platze, an welche der beiden Versionen die dem Orendel zu gründe liegende erzählung sich hielt, lässl sich wegen der griechischen Umgestaltung des Ise nicht mehr erkennen; aber die sonderbare angäbe, niemand habe Orendel folgen können, als er aus des fischers hause fortzog (v. 788; Zs. f. d. phil, 22, 488; Heiozel s. 26 f), scheint ein verblasster märchenzug zu sein, der dann für die eile des tragenden oder verfolgenden ^ Ise zeugen würde, im 'Apollonius von Tyra' ist kein platz für den vvald- menschen, dessen stelle der nur kurz erwähnte konig Attila mehr belegt als einnimmt; aber vermöge einer leichten Verschiebung, die sich an dem märchen (Schneller nr 20) einfach klar machen lässt, ist der alte sagenhafte name, in der form Isung, an dem eroberer hängen geblieben, vor dem der prinz das land räumt, in der ungetrübten Überlieferung stand wol die Apolloniusfigur bei einem Ise oder Isung in diensten (vgl. zb. KHM 136; Grundtvig s. 233; Zingerle i^ nr 28), und eine nachahmung dieses Verhält- nisses mag es sein, wenn, gleichfalls nach der Thidrekssage, ein andrer heimatloser heldenjüngling, Sigurd, dem Isung dient (Rassm. ii 27 f. 34. 487 ff. 512).

Dass Apollonius von rechtswegen Orendel heifsen mUste, ist

* wenn Orendel von dem engel, den wir oben s. 115 als Vertreter des Eisenhans kennen lernten, v. 717 den auftrag ertiält, den grauen rock zu erwerben, so lässt sich damit vergleichen, dass die drakosfigur dem fliehen- den prinzen den rat nachruft, sich die haut eines alten mannes als hülle zu verschaffen (Hahn ii 198, vgl. i 200; Arch. f. slav. phil. v 21. 22).

120 ni^K (.EKMA^'ISC[1E ORKNDEL

sonncli niclil chen unwalirsclieiiilicli, zumal da die Orendelsage sogar dem norden bekannt war. die vala Groa, die über Thors Uoplwunde ihre zaubcriieder sang, ist als l'rau Aurvandils des kecken bezeichnet, olTenbar weil die Situation ihr gegeustück im kreise jener sage hat: dem in Thors haupte steckenden stein, der abgebrochenen waffe seines gegners, entspricht der stein, der den Bowa am kople verwundet, so dass ihn Druschuewna lieilen muss (Dietr. s. 80). auch sonst wird berichtet, die königstochter habe ihren wunden mann verbunden (WoiC Hausmärchen s. 283; Lesk. s. 538) und ist von waflenspliltern die rede, die in seinem leibe stecken geblieben sind (Cosq. i 145; Zingerle i- 162 f). der umstand also, dass Thor eine wundenheilerin braucht, eine Groa igröa 'wachsen, verheilen'; groeda trans. 'heilen'), zieht die verwaute märchenscene herbei, und nun wird ein 'gottermythus' zurecht gemacht, dessen sinn kein andrer ist als der, dass das alte märchen sich zur abwechslung einmal sub specie tonantis darstelle. Thor muss den Aurvandil aus Riesenheim über die Elivagar tragen, wie der waldmensch seinen Schützling zur men- schenweit zurückträgt (s. vorhin s. 119); und wenn das märchen von verbotenen türen und von eben solchen brunnen weifs, in die der knabe haar, finger, füfse taucht und woraus er sie ver- goldet zurückzieht, so streckt Aurvandil die zehe aus dem be- hälter, der ihu umschliefst, und erfriert sie in den Elivagar; dieser behälter aber ist ein eisenkorb (jartnneiss), wie seinem träger im märchen der Eisenhans entspricht: Thor ist also an die stelle des eisernen waldmanns getreten, dass er die erfrorne zehe ab- bricht und an den himmel wirft, stimmt zu der version, wonach die dem Eisenhaus entsprechende figur den goldnen Überzug des ins verbotene wasser getauchten tingers abstreift und in den brunnen zurückwirft (Leskien s. 540): in der Thorsage ist der brunnen durch den himmel ersetzt, und die erfrorne (eigentlich, wie das märchen ausweist, goldne) zehe steht dort als ein stern Aurvandils-td ; es ist wol derselbe, der im ags. edrendel heil'sl , der morgenstern , und dass er zu dem märchenhelden in hezug ge- setzt wird, dafür bietet das zweibrüdermärchen, auf dessen Ver- flechtung mit unsrer gruppe oben s. 114 f hingewiesen ward, eine analogie: in der rumänischen fassung geht der kaiserliche prinz, nach seinem stürz in den brunnen, am himmel als morgenstern auf (Kremnilz s. 212; vgl. über Sterne im Verhältnis zu märchen-

DER GERMANISCHE ORENDEL 121

heldeu Sphinx ii 214. 217 t). dass bei den Tschechen unser held mit einem stern auf der slirn gedacht wird (Leskien s. 539; vgl. ein bengalisches märchen bei Cosquin i 151), ist in diesem Zu- sammenhang gleichfalls zu erwähnen, die heilung von Thors wunde wird dadurch vereitelt, dass Thor der Groa die heimkchr ihres galten meldet; denn diese vergisst vor lauter freude ihre Zaubersprüche, hält man dazu v. 1440 des gedichts: mir sagt diu gotes stimme, wonach also Bride auf Orendels ankunft vor- bereitet ist, gerade wie Brynhiid auf Sigurds (Rassmann ii 27; vgl. ebd., wie Sigurd all ihre dienstmänner erschlägt, mit v. 1428: ir hdnt mir erslagen tttine man, auch die vergebliche jagd auf den hengst Grane mit dem rossefang v. 3003 f , Heinzel s. 34), so legt sich die frage nahe, ob nicht die ankündigung der heimkehr durch Thor, wozu wol auch die kirgisische Version (Cosq. i 145) sich vergleichen lässt, als neue wendung eines älteren sagenzuges zu fassen sei. unverkennbar leiten die einzelheiten der nordischen Überlieferung auf eine Orendelsage, aus der auch unser gedieht geschöpft hat. wir verdanken dies nordische Zeugnis dem um- stand, dass die nur in einem teil der haiidschriften beibehaltene angäbe, ein sympalhiemiltel zur lockerung des in Thors haupt steckenden Steines sei das wegwerfen solcher steine, zu einer er- weilerung einlud: es galt zu begründen, warum der stein bis heute stecke und nicht schon damals entfernt worden sei.

Von dem jarnmeiss auf Thors rücken kommen wir auf Eisen- hans und den 'eisernen mann' (KHM 136; Sommer nr 2). solche eisenleute sind auch aus andern märchen bekannt (zb. Archiv f. slav. phil. 2, 619), namentlich aus der gruppe vom 'blauen licht' (KHM nr 116; vgl. Myth.4 420; iii 363); es treten hier mehrere eisenkerle (Wolf Deutsche märchen und sagen nr 18), ein französi- scher und ein deutscher eiserner mann, ein eiserner Johann, ein ungarischer roi de bronze, ein südsibirischer mann aus holz auf (Cosquin i 1.6.7. 8), wo die aufzeichnung der brüder Grimm ein schwarzes mänuchen und die oslfla ndrische volkssage (Wolf aao. nr 209) ein Rolmützchen kennt, also einen zwerg oder kobold, der auch im kinderspiel vom Eisenmändel eine rolle hat (Lieb- recht, Gervas. s. 102; Rochholz Alem. kinderlied s. 406; Wuttke^ § 119; brauuschweigisch heifst es eisermännchen , gebildet wie eiserkuchen Nordd. sag. s. 370). in dem Hasenhütermärchen (KHM nr 165) hat ein mit eisernem kleidlein angetanes 'isig manndle'

122 DER GERMANISCHE ORENDEL

das anil eines scliulzgeisles, ganz ähnlich unserm Eisenhans, wie der kobold nach seinem hüte 'Hütchen' benannt wird, so be- gegnet auch 'Eisenhillol' unter seinen namen (Mylh.^ 420). für Eisenherta (Myth.'230; ui 89 f) lisl man Bercht mit der eisenen nosen (Schmeiler^ i 270). die eiserne band, die nacli der thüringi- schen Fassung unsres märchens (Sommer nr 2) dem waldmann eigen ist, kehrt auch sonst in volksvorsteliungen wider; vgl. die eisernen bände und finger, sichelbände litauischer feld- und wald- lure (Sphinx I 74; n 223); die brüste der Kornmulter sind an vielen orten als eisern, selten hölzern bezeichnet, und sie selbst heifst die eiserne Baba (Mannhardt Mythol. forschungen s. 299. 303 IT), die lederne frau im Aargau hat eiserne zahne (Rocbholz n 181); wie sie neben der eisernen Berta und Baba stobt, so sind die 'ledernen männdlen' oder 'erdleutlein' der schwäbischen sage (Meier s, 54 f) die doppelgänger des Eisenmändels und Eisen- bütchens, dem wir vorbin ein Rotmülzchen entsprechen sahen, und dem widerum in Pommern ein Rotböschen und Roljäck- cheu zur seile tritt (Jahn s. 106), anderwärts ein roter junge (Wolf Beitr. ii 331 f). der schluss wird sich nicht abweisen lassen, all diese bezeichnungen seien nach der färbe und dem stoff der gotzeubilder und amuletlpuppen gewählt (vgl. die eisernen wür- (..inger in ihrem lederbarniscb bei Panzer ii 24 ff. 390 ff. 568; die rotgekleideten alraunen in der Wiener bibliotbek, Wolf Deutsche märcben und sagen nr 327). leder und holz haben keine andre als diese stolTlicbe beziebung; aber der roten färbe wohnt wie dem eisen eine scbadenabwebrende, zauberbrechende kraft iune (Rocb- holz Deutscher glaube und brauch n 230 f; Liebrecht, Gervas. s. 99 ff; Zur Volkskunde s. 395 f. 312). das bild des alps verscheucht den alp (Sphinx ii 208 f), metallene tiere steuern dem schaden der würklichen (Liebrecht, Gerv. s. 99); wenn nun der kobold Eisen- bütel, Eisenmändel heifst, so richtet sich die Vorstellung von ihm nach dem, was man an seiner bildlichen darstellung zu sehen gewohnt war; die eiserne zilze der kornfrau hat von haus aus den sinn des zauberscbutzes gegen die den kindern so gefähr- lichen brüste der Baba, dh. sie gebührt eigentlich nur ihrer puppe, Sphinx u 209 ist der name des Hermes von den an bett- und andern Stollen (eQuaza, egiiilveg} angebrachten bildern abgeleitet; ebenso heifst der Eisenbans, dasEisenmänolein nach seinem bildnis, und vielleicht ist der Stiefeli (Rocbholz i 577; ii i ff. 120) auf

DER GERMANISCHE ORENDEL 123

den im Rätsel der Sphinx ii 208 erwälinleu slicfcl zu beziehen, in einen sagenvorgang wandelt sich die Übertragung nm, wenn eine solche puppe bei frevelhafter beschimpfung lebendig wird und den vermessenen straft (Sphinx ii 189; mit dem daselbst bespro- chenen Heinzel oder Hansel vgl. Hans in Eisenhans).

Thors eisenkiepe, die sich dem tragkorb des kornweibs, der Rutzenbercht, des kinderfressers vergleicht (Mannhardt aao. s. 305; Rirlinger Schwäbisch-Augsburgisches wörterb. 471 473), stammt also nirgend anders her, als wo auch Perseus seinen schnappsack entlehnt hat (Sphinx ii 289). nicht so unmittelbar wie in der ersten hälfte von jarnmeiss verrät sich in Ise und Isnng die herkunft vom eisenmann; denn das sind blofse anklänge an Isew, deren sinn jedoch für die zauberschnelle des dienstbaren geistes sich trefflich schickt, der name des haupthelden zeigt im nordischen (wo doch Noregr, Haraldr begegnen) ein ic, das in Orendel, ags. edrendel eingebilfst, aber in langobard. Aurivandalns (a. 720) erhalten ist; der einzige gleichgebildete personenname ist Gerwentü, mit dem ihn denn auch Saxos Horvendillsage genealo- gisch zusammenbringt, man könnte an wandet denken und ein synonym von gang vermuten: 'mit dem speer wandelnd', 'am morgen seinen gang nehmend', was auch auf das appellativische edrendel ^8cogq>6Qog' zutreffen würde; aber die reihe Ge'rawan, Kerwant, Kerwantil weist eher auf Zusammenhang mit altn. vanr, vandr 'gewöhnt' (von ven 'lieben, sich freuen'), so dass Gerwentü der 'speerfrohe' wäre, Orendel der 'glanzliebende' oder auch der 'morgenfrohe', auf alle fälle liegt in Orendel eine hindeutung auf morgenstern und morgenstunde, die dem uamen einen glück- verheifsenden sinn gab (vgl. Sphinx ii 360). im märchen konnte er als 'prinz iMorgensteru' empfunden werden; wie aber das ver- wante lat. Aurelins nicht blofs an aurora, sondern auch an anrum gemahnt, so legt sich auch eine andere deutung nah: 'Goldkind', 'Goldener', ^qnel dalla coda d'oro' heifst der prinz KHM nr85; Zingerle i^ nr32; Schneller ur 20; der glänz seiner haare wird dem der sonne verglichen (KHM 136, vgl. Leskien s. 385). als kurzform liefse sich, gebildet wie Wigaiit (Fick Gr. pers.-nam. s. Liii), ein Osant denken, worauf das alsdann wie idauevocpav- zog (ebd. s. lv) zu beurteilende Osantrich, mhd. Oserkh führen könnte; denn Osantrich gehört sagengeschichtlich hierher.

Seine (oder Rothers) braulfahrl beruht der hauptsache nach

124 DER r.ERMAMSClIE ORENDEL

aul unserem märcheii, nur ist die knechlsgestalt und vermummung abgeschwächt zur angahe eines falschen namens, die bekannte annnitige schul)scene verrät, dass als Stoff unser miircheu nicht in seiner einfachen geslalt, sondern in der Verflechtung zu denken ist, wie es sich bei Gonzenbach nr 61 darstellt i. wegen des namens der braut, Oda (vgl. Zs. 1,21 11), sei darauf hingewiesen, wie vom 'eisernen mann' (Sommer nr 2) durch das begehren, in der kammer zu schlafen, ein faden herüberführt nach 'Ode und de slang' (Müllenbofl' nr 1 ; hier widerum gleicht die abgelegte schlaugengestalt dem abgeworfenen bärenfell in den 'Goldkindern' KHiM 85). auch der kämpf mit den feinden des schwähers fehlt nicht: Rother besteht den Ymelot; wenn ihm dabei Asprian und Widolt helfen, also dieselbe märchenkumpanei (Sphinx ii 357 ff), die auch in Osantrichs diensten steht (Rassm. ii 163), so ent- sprechen sie der 'eisernen scbaar' im Eisenhansmärchen, und wir dürfen uns nicht wundern, sie auch als Isungs dienstmannen zu finden (Rassm. n 481.482; Heldens. 286; über Isung oben s. 119); der morgendliche held Asprian (s. Sphinx ii 359) ward für den orendelhaften Osantrich aus einer ganz andern märchengruppe herbeigeholt, die dem märchen gemäfse Verbannung ins hühner- haus ist wie im deutschen Apollonius (oben s. 117) durch eine flucht der liebenden ersetzt; zu dieser Umgestaltung bot das mär- chen selbst einen fingerzeig: viele seiner Versionen wissen von einer flucht des beiden, die ihn an den hof seines nachmaligen schwähers bringt und die mit ganz ähnlichen umständen erzählt wird, wie in einer andern märchengruppe die flucht eines Jüng- lings und einer Jungfrau aus dem riesenhause (vgl. Cosquin i 141 ; II 27 : 'l'öpisode des objets magiques qui opposeni des obstacles ä la poursuite').

Wichtig für uns ist ferner die seltsam zersplitterte geschichte Walthers, die von der heldensage mit Osantrich in bezug gesetzt wird, zunächst lässt sie diesen die kecke tat seiner Jugend büfsen: wie er selbst sein weih erlistet, wird ihm die tochter Ospirin (Erka) entführt durch Rodolf, der sich unter falschem namen (Sigurd) einführt, und zwar, noch stark im märchenstile, als alter mann mit blöden äugen und tiefem hut (Rassm. ii 199;

' von den daselbst in Köhlers anm. ii 240 angefülirteii märchen ist vor allem wichtig Dietrich nr 5, wo s. 57 schuhe ohne naht und wie gegossen vorkommen ; Rother lässt sie würklich giefsen.

DER GERMANISCHE GRENDEL 125

da der werber nicht für sich, sondern lür Atlila auftritt, so be- kommt, damit er nicht leer ausgehe, Erka eine schvvester Rerla, die mit ihm entflieht), in dritter generation, wenn man so sagen darf, da ja Hildegund nicht die tochler des hauses ist, wider- holt sich dann die flucht am hofe der Ospiriu-Erka; aber nur eben die flucht, nicht die brautwerbung nach der weise von Osantrich und Rodolf: es ist eine heroisierung der vorhin er- wähnten flucht aus dem riesenhause ('Goldfeder und Goldmariecheu' und wie diese märchen alle heifsen). aber die abenteuer des gärtnerburschen am königshof fehlen auch bei VValther nicht; er erlebt sie nachträglich am hofe des Asinarius: es ist das kein fürstenhof, sondern der klosterhof von Novalese, wo Walther auf seine alten tage als gärtner eintritt und gelegenheit findet, zwar nicht eine prinzessin zu gewinnen (denn die hat er ja schon in seiner Jugend entführt), aber das kloster siegreich gegen Wider- sacher, darunter dreimal gegen einbrechende beiden zu vertei- digen (Grimm in den Lat. gedichten des 10 und 11 jhs. s. 105 0"). es würde zu weit führen, wollten wir die einzelnen züge dieser klösterlichen sage auf ihren Zusammenhang mit dem märchen prüfen; bedeutsamer ist überdies ein andrer bezug. Grimm hat aao. s. 112 auf die ähulichkeit von Walthers kloslerleben mit dem des Heime hingewiesen, dieser lässt sich, unter dem falschen namen Lodvig, von den mönchen aufnehmen und besteht den riesen Aspilian in einem kämpfe, dessen Schilderung (wie schon Singer erkannt hat, Anz. xvn 124, vgl. Heinzel 28) auffällig an Orendels kämpf mit Mentwin erinnert, und noch etwas kehrt in unserm gedichte wider: als der abt dem Heime sein schwert und seine heerkleider vorenthält, springt dieser auf ihn zu, fasst ihn bei der kapuze und schüttelt ihn, dass vier zahne heraus- fahren, davon einer in den hals, und die erschrockenen niönche nach der kiste laufen, worin Nagelring und seine andern waffen aufbewahrt sind (Rassm. n 672) kurzum er gebärdet sich so, wie Bride gegen den kämmerer, der das rechte schwert für den Graurock herbeizuschaffen zögert (v. 1600 ff); die grundlinien der scene begegnen schon im Novaleser bericht, wo es sich übrigens nur um das ross, nicht um die wafl"en handelt und das dem gegner in den rächen geschlagene stück bein in anderem Zusam- menhang erwähnt wird (Grimm aao. s. HO), da die wurzeln der episode bis ins märchen zurückreichen (oben s. 115), so kann sie

126 DER GERMANISCHE ORENDEL

im Orendelgediclil nicht erst aus einem liistorisclien i Vorgang (Zs. 12,388 1), der viel jünger ist, als selbst die chronik von Novalese, erwachsen sein, auch dass Heime ohne Stegreif in den sattel springt (Rassm. m 675), wie das von Orendel widerholt be- richtet wird (zl). v. 990. 1651), darf in diesem Zusammenhang erwähnt werden, wenn Heime dem künig Thidrek sich verläugnet, schliefslich aber doch bekennt und mit ihm zu fahren einwilligt (Rassm. ii 678), so iässt sich das gar wol zu Orendels widerliolter verläugnung vor Bride und seinem endlichen geständnis lialten. dass er dann die kutte abwirft, wie der verkappte prinz seine niedere hülle, das leitet ebenso auf das märchen zurück, wie vorhin Walthers gärtneramt in Novalese, auf die polnische Wallhersage einzugehn, wäre beim zweiten teil unseres gedichles anlass, der jedoch aufserhalb des hier gesteckten rahmens fällt.

Durch das Verhältnis zwischen den gemünchten beiden, Wallher und Heime, und dem graurock Orendel blicken wir auf einen welllichen 'Orendel' hindurch, dem schon im 11 jh. die gestalt des kuttentragenden Walther entnommen ward, vermutlich war schon dieser ältere Orendel in einen grauen rock, ein pilger- gewand oder dgl. gekleidet, worunter sich seine, wol damals schon ins heroische übertragene märcbenberlichkeit verbarg, die chronik von Novalese reicht bis 1048 (Waltenbacb Deutsche geschicbts- quellen^ ii 181), ist also älter als der früheste, schüchterne bin- weis auf den heiligen rock in Trier (nach 1054) und vollends als die Urkundenfälschung v. j. 1196, welcbe jenes gerücht zur ge- wisheit erbeben sollte (Bergers einleilung zum 0. s. c f). [vgl. auch Germ. 18, 353.] dass aber der held in der tat Orendel hiefs, bestätigt uns widerum ein nordisches zeugnis, das des Saxo, aus dem ende des 12jhs., zu dem wir nun übergehn.

Auf einem werd kämpfte Heime mit Aspilian, dessen bei Asprian entlebnter name auf willkürliches schalten mit altem gute deutet; an einem baclie ficht Haymon 2 seinen slraufs mit dem riesen Tbyrsus aus (Zingerle Sagen s. 89): auf einem eiland findet

' [EHiMeyer tritt neuestens wider (Zs. 37, 344 0) für diese chronolo- giscii unmögliche herleitung ein. dass bei der ausmalung einzelheiten der gescliichtlichen scene vorgeschwebt hätten, wäre immerhin denkbar; aber die drei Schlüssel des Schreins, worin das David-schwert nicht ist, gleichen den historischen drei schatztruhenschlüsseln kaum mehr als durch die anzahl,]

^ Ilaymons stein bei Ambras, der, ein denkmal seiner heldenstärke, die grenze der Wiltener klosleräcker bezeichnet, Zingerle Sagen s. 416, lässt sich

DER GERMANISCHE OREKDEL 127

nach Saxo der Zweikampf zwischen Collerus und Ilorvendillus statt, wobei jener desecto pede (idit, gerade wie Aspihan erUegt, nachdem ihm Heime ein stück vom heine ', wie eine plerdelast grofs, abgeschlagen hatte (Rassm. ii 675 f). für den namen des Collerus hat WMuiler (Zur niyihologie d. gr. und d. heldens. s. 156) die richtige beziehung auf das kalte Nordland gefunden; seine Schwester Sela scheint nach den Seehunden benannt zu sein, was sich hier von der geschichte des Orwentil erhalten hat, wäre, obschon durch die bewahrung des namens wertvoll genug, immer- hin dürftig, wenn nicht das übrige, unter anderem namen, in einer fortsetzung Unterkunft gefunden hätte.

Horvendillus erscheint bei Saxo als vater des Amlethus. dieser stellt sich närrisch gleich Robert dem teufel; und wie im sicilischen märchen (Gonzenbach ii 70) der gänsejunge mit lehm- püppchen krieg spielt, damit jede spur seiner heldenschaft ver- wischt werde, so versteckt Amlethus seine Vorbereitungen zur räche am niürder seines vaters hinter das kindische spiel mit den h'gnei und. die rachepflicht selbst aber teilt er mit Bowa (Dietrich s. 73), in dessen geschichte die Stellung des sohnes zur ehebre- cherischen multer, die den mörder des vaters geheiratet hat, deut- lich auf die Zugehörigkeit des ganzen zu einer bestimmten, bei Cosquin i 142 (dazu auch Gonzenb. ir 67) besprochenen Unter- abteilung unsrer märchengruppe hinweist'^, die nachstellungen, denen der prinz des märchens im hause seines Stiefvaters aus- gesetzt ist, sind in der Hamletsage zum teil umgewandelt in ver- suche, seine narrheit als verstellt zu erweisen , geblieben aber ist eine lebensgefährliche Sendung, jedoch nicht nach einem schwer zu erlangenden heilmitlel wie Gonzenb. nr 26, Schneller s. 46, sondern an einen fremden königshof, wohin er einen üriasbrief zu .überbringen hat gerade wie Bowa (Dietrich s. 90), nur dass hier dies Bellerophontes-moliv an andrer stelle steht, schliefslich lotet er den Stiefvater im schlafgemach, widerum wie Bowa (Dietrich s. 112 f; vgl. Hahn ii 282 f. 284). die nun sich an-

mit der ferita Walthei'ii zum andenken an den sieg über die feinde seines klosters, Grimm aao. s. 110, vergleiclien.

* dass er zuvor die rectite hand einbüfst, ist eine Verdoppelung, bei der vielleiciit die reminiscenz an des Wallharius ähnliche Verstümmelung mitspielt.

2 vgl. namentlich den Vergiftungsversuch Dietrich s. 75 mit Hahn nr 6; Wolf Hausm. s. 277; Peter ii 181.

128 DER GERMANISCHE ORENDEL

sciilielsende sage von HermuUiruda (worüber ßeilr, 4, 509) geht uns hier ebensowenig an als die frage, woher im ersten teil die Züge zur Schilderung von Hamlets eigentümlicher narrheit ent- lehnt seien: beides würde uns in recht verworrene gebiete der Sagengeschichte hineinführen, wichlig ist für uns nur das er- gebuis, dass jener erste teil nach dem muster des Orendelmär- chens gebaut ist, und zwar nach einer lassung, auf der auch Bowa beruht, das verlahren dabei lässt sich unschwer erkennen : die ereignisse, die im märchen zwischen dem aufeuthalt daheim und dem beim nachmaligen schvväher liegen, sind herausgebro- chen, und der väterliche, vom morder in besitz genommene hof bildet den Schauplatz auch für die dümmlingsrolle und die Bel- lerophon-ausfahrl eine Verschmelzung, die um so leichler war, als unser märchen gefahrvolle Sendungen nicht blofs auf anstiften des ehebrecherischen pares, sondern auch der neider in des schwähers banse kennt, wenn im märchen der tapfre köuigssohn in lauter kleine stücke gehackt wird, wovon er jedoch durch Zauberkraft wider genist (Gonzenb. i 164; ii 67. 246; Schott Walach. märchen nr 27 ; Leskien s. 550 ff), so wUrkt dies motiv bei Saxo, wo für solche wunder kein platz war, in der weise nach, dass Amlethus als verstellter narr jenes Schicksal einem lauscher (Shakespeares Polonius) zu teil werden lässt, cujus corpus in partes conscissum devorandiim porcis effudit (vgl. auch Leskien s. 551 ob.). was den namen Amlethus betrifft, der in der Hrolf- krakesage Amlödhi lautet (Eltmüller Allnord, sagensch. s. 358 anni.), so könnte er hamlodhi meinen (vgl. lodinhöfdi und hamljötr) und zum beweis dienen, dass der held des zu gründe liegenden mär- chens sich mit einem zotlelkleide {lodi 'lucerna hirsula') ver- mummle; über die Unsicherheit des anlautenden A, die anderseits auch an der form Ilorvendillus schuld ist, vgl. IVoreen § 212: vielleicht kommt in betracht, dass für den hehluamen und den eigentlichen gleichheit des anlauts hergestellt werden sollte, wo- her haben die Engländer ihr Ilanblett, Ilamleti und woher hat Shakespeare den zug, dass der vater (also, nach Saxo, Ilorven- dillus) durch ins ohr geträufeltes gift umkommt (dazu Sphinx i 303)? gab es etwa eine volkstümliche Überlieferung, worin das 6r- in dem namen des alten kiUiigs zum moliv ward, nicht wunderlicher als in der legende vom h. Orendel, den man gegen ohrenleiden anruft (Zs. 7, 55S f)?

DER GERMANISCHE ORENDEL 129

Was wir auf deutschem bodeu gesehen haben, vviderholt sich sonach auf dänischem: wie dort verschiedene berichte von einem Orendel auf mehrere generalioueu verteilt sich aneinander reihen, so sind hier Orendel und Hamlodhi, dh. dieselbe person je nach ihrer verl)orgenen herlichkeit oder äufseren knechtsgestalt, zu vater und söhn gemacht (vgl. auch die ganz ahnliche anläge des hieher gehörigen märchens bei Wolf Hausm. s. 269 ff mit Cosquin i 150 f und den zahlreichen verwanten). der name Feugo, den Amleths Stiefvater führt, hängt wol mit fengr 'beule' zusammen (vgl. fengscellr) und stammt vermutlich aus dem märchen, sofern der liebhaber der 'treulosen mutter' nicht immer als menschenfresser, drache udgl., sondern auch als räuber bezeichnet ist (Leskieu s. 397. 402; Schleicher s. 54); zum oheim des Hamlet wird er nur durch die genealogische Verknüpfung, die das alte motiv von der treulosen mutter zu dem einer familientragüdie auszuweiten gestattete, es leuchtet ein, dass jeder versuch, in Hamlets mutter die Groa der Thorsage widerzulinden, vergebliche mühe sein muss, denn vom standpunct des märchens aus, das nur einen Aur- vandill hamlodhi kennt, ist Gerutha eigentlich Horvendills mutter, wie nach Saxo Gervendillus sein vater ist. dieser erschlossene 'Orwenlil im lodenrock' aber, dem unser 'Orendel als graurock' entspricht, bestätigt, was s. 126 vermutet worden ist, dass schon der 'weltliche' Orendel ein gewand trug, das ohne sonderliche änderung im schnitt sich ebensowol in die münchskutte Wullhers und Heimes, wie in den ungenähten rock ^ von Trier umwan-

' [dass Orendels grauer rock vor wunden schützte (v. 720. 1282), wie das kinderbälglein nach FischarL (Scheibles Kloster vni 430), ist um so be- merkenswerter, als auch die andre eigenschaft des roclies Christi, sicheriieit vor gericht zu gewähren (Heinzel s. 25), jenem natürlich -ungenähten rock, der auch glückshaube, kleidchen, gewandel, westerhemd heifst, zugesciirieben wird (Myth.* 728 und nachtr.; Wultke Volksaberglaube^ §579; dazu eine stelle des Theodoros Balsamen, angeführt in Historiae Augustae scriptores, Lugd. Batav. 167t, i 780 f). da sonach die legendarische Vorstellung beim Volksglauben geborgt hat, ist die frage nicht müfsig, ob jene wunderkraft vielleicht dem graurock schon eigen war, ehe er mit dem rocke Christi idenli- ficiert ward, ob etwa der kern unsres märchens ein 'Jüngling mit der glücks- haube' sei: die glückshaube ist nach isländischem glauben der sitz des Schutzgeistes, und es liefse sich denken, dass die haut, in die sich der mär- chenheld auf des drakos rat einhüllt, aus ihr erwachsen wäre und ursprüng- lich die geheimnisvolle Verbindung mit dem Schutzgeiste vermiltelte. mehr als diese andeutung lässt sich hier nicht geben, ist sie gegründet, dann Z. F. D. A. XXXVIll. N. F. XXYI. 9

130 DER GEUMAiMSClIE ORENDEL

dein liefs. heroisiert, zum epischeu slil erhoben, war sicherlich auch dieser vvellliche Orendel, der dann bei Saxo und in unserm gedieht historisiert erscheint; daneben aber bestand das schlichtere miirclu'n fort, nicht ohne seinerseits stolTliche rückwürkungen von der epischen gestalt her zu erfahren, denn die älteren jagd- und reiseabenteuer sind häufig durch ritterliches schlacht- und kampfwesen verdrängt.

[Über die Hamletsage steht Zs. 36, 1 ff eine abhandlung von Detter, auf die mich nachträglich prof. Roethe aufmerksam ge- macht hat. wichtig daraus sind für uns vornehmlich die nordi- schen parallelen , worin der held die kosenamen Harn oder Hamall führt (s. 16), denn es erhellt daraus, dass in Amlethus ein an- lautendes h verloren gieng. wenn in den modernen nordischen sprachen amlödt, amlod, amblode einen narren oder tölpel be- deutet, so liegt, wie auch Detter selbst findet (s. 6), die Vermutung nahe, der name des sagenhelden sei in appellalivischen gebrauch übergegangen, die beziehung auf aml, die den sonderbaren sinn 'verdrusswütend' ergibt (s. 7), sieht nach einer Volksetymo- logie aus, die das vorn verstümmelte wort zu deuten unternahm, und ihr wäre dann die länge des o in Amlödi zu danken; zur bestäligung dient schwed. hamhloter 'fjollig' (s. 18), das zwar nur aus der gegenwart bezeugt wird, aber gleichwol altertümlicher sein kann als das, wie es scheint, schon vor Saxos Zeiten (s. 6) vorkommende Amlödi. aber wäre selbst dies letztere die erste, alte bezeichnung eines narren überhaupt und unsres beiden ins- besondere, so brauchte es darum nicht Übertragung des lat. Brutus zu sein, denn dass das märchen auf sie verfiel, dazu be- durfte es keiner anregung i durch römische sage (vgl. wie im russ. märchen bei Afan. v 74 der narr von sich selbst als vom Durak spricht), ein einfluss der Brutussage ist an und für sich gar vvol denkbar; zeigt doch Ise im Orendel und der Apollonius von Tyra spuren gelehrter einwürkuug. die entscheidung aber,

würde die gleichselzung des grauen rocks mit dem rocke Clirisli nicht blofs auf äufserer äluilichkeit beruhen, sondern zwei unabhängig entstandene spross- formen der Vorstellung von der glückshaut wären in eins gefasst.]

* [der Zufall will auch sein spiel haben: das isl. Brjäyji (s. 22) hat denselben anlaut wie Brutus, das griechische wort, womit Dionysius den lateinischen uamen übersetzt, ^?.id-tos, dor. aXid-ioi klingt von fern an Jmletlius an, und der verstellte narr Ambrosius Germ. 33,345 sieht aus, als liälte ihn ein amblode zur taufe gehalten.]

DER GERMAMSCIIE ORENDEL 131

ob und wie weit eullehnuug stattgefunden habe, häugt von der Vorfrage ab, woher die Brulussage selber stamme, den anlass gab der name Brutus (Paulys Realenc. iv 5ÜS anm.), den sto(T viel- leicht unser märclienkreis; wenigstens erinnert das aureum ba- culum mdusum corneo cavato ad id baculo daran, dass der mär- chenheld nicht blofs sich in menschenhaul steckt, sondern auch seine goldnen tiere in tierhäute (Hahn ii 198 vgl. mit i 260; Arch. f. siav. phil. 5, 21. 22). eine nähere erörterung ist hier untunlich, sie würde uns auf das Verhältnis einzugebn nötigen, das zwischen unserni märchen und dem Hraum des prinzen' (Sphinx II 144; Arch. f. slav. phil. 2, 638f. 640; Zs. f. d. phil. 26,414), so- wie dem märchen vom Glasberg obwaltet; als notdürftiger (inger- zeig diene der hinweis auf märchen wie Alan, v 74 nr 18 (vgl. Lesk. s. 525 mitte) und das oben s. 129 erwähnte bei Wolf Hausm. s. 269 ff. auch der schwank vom verstellten narren (Liebrecht Zur volksk. s. 141 fl'; Germ. 33, 342 ff) scheint aus derselben wurzel entsprossen; sein 'jo je, je jo' gemahnt an das beharrliche 'weifs nil' der Nesnajko-gruppe, und der eingangs der zigeunerischen Version Germ. 33, 345 zeigt die Situation des gütlich ratenden drakos (oben s. 119 anm.), der kuss aber in das autlitz, das der Zmora nicht behagt (Sphinx i 342), dürfte, wiewol gerade hierüber die fassuugen weit auseinander gehn, mit dem kuss im Glasberg- märchen (Lesk. s. 525. 526; Alan, v 75) in Zusammenhang stehn. anzuführen war dieser schwank, weil er auf eine weniger burleske form zu schliefsen gestattet, woraus der zug stammen konnte, dass der verstellte narr Brutus die mutter erde küssl. so unsicher diese spuren sein mögen, so lassen sie doch der Vermutung räum, der Ursprung der Brutussage liege im bereich unsres märchens, und die möglichkeit bleibt offen, dass die zwei mit gold ge- füllten Stäbe 2 der Hamletsage nicht auf dem wege litterarischer

* [vgl. aucli den sterbenden weibliclien sctiutzgeist bei Gosquin i 146 nebst Aich. f. slav. phil. 5, Ü5 oben.]

^ [bei UJahn Volksmärchen aus Pommern und Rügen i 354 f stofse ich nachträglich auf einen höchst merkwürdigen märcheneingang. von den nach- stellungen seiner widernatürlichen mutter und ihres zweiten galten bedroht, fährt ein prinz über nieer zu seiner braut nach Niederland, leidet Schiffbruch und rettet sich mit einem diener auf eine insel. da fiudet er die leiche eines greises nebst einem Schriftstück, worin dem, der sie bestatte, alle schätze des verstorbenen zugesprochen werden, nachdem die letzten tliren erwiesen sind, füllt er das vorgefundene gold in ausgehöhlte hollunder-

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132 DER GEHMAMSCIIE ORENDEL

eullelinuug nach dem norden gebracht wurden , zumal sie besser motiviert sind als der heimliche goldstab des Rrutus.]

Als nordischer name von Orwenlils frau bleibt nur Groa übrig, die Thorsage hielt sich, wie oben gezeigt, an die bedeu- tung 'heilen', eigentlich aber besagt das mit dem Grön- deutscher nameu vorwaute wort soviel wie ahd. Wahsaiita und ist vielleicht gerade um des doppelsinns willen an stelle eines älteren gesetzt worden, das nur mit ' Wachstum' zusammenhieng: in Ospirin uiimlich, das mit Orendel slabreimbindung gestattet, scheint das gemutmafsle worl zu stecken, auf verlust eines v vor s (der jedeslalls viel älter wäre, als Sphinx ii 360 noch angenommen werden durfte) weist nichts bei 6s-, das am einfachsten mit as- und ast-, auch wol äsen- in Asinarius (Fürstem. 129; Asenharil) zusammenzustellen ist. eine idg. wurzel ös 'wachsen', deren um- ständlichere nachweisung nicht hierher gehört, zeigt in lat. an- nona 'ertrag' (Bezzenb. Beitr. 1, 329), got. asneis 'lohuarbeiter, mietling', mhd. arnen 'verdienen', asten '■wuocherhaft machen' eine bedeulung 'wucher, gewinn', die gestattet, in den mit ös-, as- usw. gebildeten namen eine hindeutung auf gedeihen, einkünfte und wolstand zu finden, wie sie iür den reichen abt Asinarius und für den könig Oserich nebst seinem kinde Ospirin gar wol passt. durch die kyklische genealogie der heldensage ist das ursprüng- liche Verhältnis verwischt worden , dass Uosrich, Uospirin, Asen-

stämme, die er an sichrem ort zur Verwahrung gibt, um sie auf der heim- fahrt von Niederland mitzuneiimen. der erkenntliche tote hat die gröste ähnlichkeit mit dem iti der anm. vorhin erwähnten sterbenden greis, der als lohn für sein begräbnis ein wunderross verhelfst (Arch. f. slav. phil. 5, 65), und steht wie dieser dem freundlichen drakos gleich, die goldgefüllten Stäbe erscheinen demnach genau an der stelle, wo sie nach der im text ge- äufserten Vermutung ihren sagengeschichtlichen Ursprung haben müssen, nämlich beim abschied von dem fürsorglichen allen, der den andern fassungen zufolge dem Jüngling sich und seine goidnen tiere in hüllen zu stecken rät. da sie mithin einer älteren entwicklungsstufe angehören, als die entsprechen- den in der Brutus- und Hamletsage, so ist an eine entlehnung aus diesen beiden, die sich überdies in ihrem einzel verlauf schwer dürfte begreiflich machen lassen, nicht zu denken. Saxo kann also die seinigen gar wol aus alter Volksüberlieferung haben, und wenn ihm dabei das baculum cavatum im Livius einfiel, so erklärt sich die ähnlichkeit seiner darslellung mit der römi- schen genugsam, obschon das pommersche märchen weiterhin den typus von 'Werweifs' aufgibt und in den des 'treuen Johannes' einlenkt eine ausweichung, der wir hier nicht folgen können , steht doch die Zugehörig- keit des mitgeteilten Stückes zu unsrer gruppe aufser zweifei.]

DER GERMANISCHE ORENDEL 133

hari die Vertreter des königlichen hauses im miirchen waren, in- dem Orvvantil als eidam dem Stammbaum eingefügt ward, gab er seinen namen auf, doch nicht ohne spuren einer Verschmel- zung, die in der millelsilbe von Osantrix und in dem jungen 6 von Oserich (statt Uosrich) sich zeigen falls dies nicht auf entlehnung aus Niederdeutschland führt, eine koseform Osant für Orwantil [ohen s. 123) ist dann nicht nötig anzunehmen; sie würde sich freilich zum namen des Asprian (Sphinx ii 358 f) ähnlich verhalten, wie dbant i zu dem seines bruders Abendrot, und älter als 'abend und morgen' könnte es eine formel 'dbant enti ösanC gegeben haben, dass an dem hofe, wo der verkappte held des märchens und ihm nach der der Wallhersage das Wachstum des gartens zu pflegen hat, die namen von 'incrementum' sprechen, sieht nicht nach zufall aus, besonders wenn wir noch Groa hin- zunehmen.

Gieng die nordische sage bei der wähl des vaternamens {Ger- vendiUus) von der zweiten hälfte in Aurvandül aus, so hielt sich (las deutsche gedieht an die erste, ob in Ougel ursprünglich Aur- anzunehmen sei (Sphinx ii 360), oder spielerisch das äuge mit dem ohr zusammengebracht ward , lässt sich nicht sagen ; sicher ist nur, dass Ougel und Orendel allitterieren und dass jenes von der koseform .40^0 (Förstern. 181) und dem namen des Zwergkönigs Öugel nicht zu trennen ist. von persouennamen werden auch Ouwo usw. (Purstem. 189) und weiterhin die mit Aim- und And- gebildeten (Förstem. 181. 161; Zs. 3, 144. 151) beizuziehen sein, die zu der wurzel e'v, av (in lvr]^s, aveo, s. Fick i" 357. 170) zu gehören scheinen, und dann wäre Ougel^ Öugel wol der 'riebe kunic'. dass der einsam stehende name Orendel lautlichen anklängen folgte, dafür gibt es beispiele. an zwei puncten des nach dem flüsschen Orana benannten Oringouwe (Bacmeister Alem. Wanderungen s. 108) hat sich ein sagenhafter hl. Orendulus eingenistet: für sein grabmal giluder zwischen Ohm und Langem gewende liegende Orendelstein, für seine siedelei das angeblich mit dem grab (in wUrklichkeit einer brunnenstube, s.

^ das wort sieht wol im ablaul mit gr. ^Ttl und omd-ev und gehört samt diesen zu onioqa 'spätjahr', ot/zt' 'spät, abends', ähnlich sind skt. «' und abhi in äpitva, abhipitva 'abend' (Fick i^ 248) verwendet, altn. aplann könnte den nämlichen vocal wie oyt enthalten, also hierin dem griechischen wort näher slehn als dem deutschen mit seinem alten ''.

134 DEH GKIJMANISCllE ORENDEL

Kellei- Viciis Aiirelii s. 3S) durcli einen unlerirdisclien gang ver- bundene Orendelsall, eine im Ohrngau oder Ohrnwald (ebd. s. 14) gelegene bositzung des klosters Mainbard (im 'grofsen wakle', Maginhard); halten doch schon die Hrtnier sich durch den fluss- namen verführen lassen, die grenzfesliing an der Orana, das spä- tere Öringouwe oder Öhringen, auf den namen eines Aurelius (Caracalla?) zu taufen (Bück Fiurnamenbuch s, 198) spukt etwa dieser heidnische namenspatron der ROmerstadt in dem frommen kultenträger mit dem etymologisch nahestehnden namen fort? und die von lleinzel s. 14 erwähnten grafen im gau ad Isina werden ihren namen Orentil infolge davon haben, dass dieser durch den an Iso erinnernden gaunamen angezogen ward.

Für Bride scheint nehen Ospirin kein i)lalz im altern Orendel. deutsch ührigens ist der name vgl. ahd. Pridker (Fürslem. 282), nebst Breiding (ebd. 279). mhd. briden 'flechten, wehen' weist nach analogie von dringen 'flechten, wehen' auf die allgemeinere Vorstellung 'dringen' zurück, die in ahd. breit 'amplus, opimus' (Ahd. gl. I 219, 15. 21) die besondere färbung von 'gliscere' zeigt; mhd. bridel 'halfter' ist vom dringen, schnüren benannt {in dem breidel twink ire kinbacken), vgl. bhrei 4- s in mhd. brisen 'schnü- ren', bris, brisem. es kann neben breit ein brid 'gliscens, amplus, opimus' bestanden haheu, und so käme Bride (ähnlich wie Gröa) im sinn ohngefähr mit Oas- üherein ; vgl. dazu mhd. breite muoter 'mater ampla' für 'muttergottes', ein ausdruck, den Mannhardt (Mylh. zs. 2, 317 aum. 1) noch aus Trierschen hexenacleu des 16jhs. nachweist: [ran Breitte, Breyde, Praitle; ich ninste sagen Christo und der Preitten. der Verfasser des legendarischen Orendel- gedichts gab der ührigens robust genug geschilderten unirdischen braut einen namen von legendarischem anstrich, das unerweiterte bhrei erscheint in lat. frivolus, das mit TtSQiaaog synonym, aber auf die üble bedeutung 'supervacuus' eingeschrumpft ist und die edlere 'abundans, amplus' eingehüfst hat; fyiare 'zerdrücken' wendet die grundhedeulung 'dringen' in einer weise, die den Zu- sammenhang von bhrei mit bher in lat. ferire, mhd. bern, nhd. bar 'rammklotz' erkennen lässl (Fick i^ 90). dazu die inlcnsiva borzen, bärzen 'drängen' (Sfalder i 205; Schraeller^ i 284. 285); mhd. bor 'empor' (sc. dringend, slrehend) und in sog. ironischem gebrauch 'gar wenig' (dem lat. frivolus nahestehend); gr. q)OQ- HÖg 'flechtwerk', (fägog 'zeug' (mit äg aus agg; vgl. briden

DER GERMANISCHE ORE-\DEL 135

'flechten'); cpeQÖr^v ^= /cleydrjV in /.leoocpeQÖr]}'; cpgeu) 'dringen lassen, drängen'; ifQ>\v 'praecordia, Zwerchfell' (neben ^ogirrj 'cutis, membrana'; eig. 'geflecht, uelzhaul', wie nihd. slieme sowol 'praecordium' als 'membrana' ist); lat. fre-num 'bridel'.

Wenn, wie Ileinzel s. 16 andeutet, ein Zusammenhang des namens der Königin Bride mit dem des Königs Prides im Seghe- lijn statlfiudel (wozu sich Zs. 30, 389 Bonifail und Bonafeide hallen liefse), so würde der zeilliche vorrang der Bride gebühren, über d(Mi Seghelijn selbst nur wenige bemerkungen. zwei an- klänge an sicilische märchen unsrer gruppe seien verzeichnet: der träum im eingang gemahnt an Gonzenb. nr 26 •, und den sieben schönen heidinnen (Ileinzel s. 53 5S) vergleichen sich die sieben feen bei Gonzenb, ii 67 nr 67. das einfangen der pferde begegnet nicht blofs im Orendel wider (Heinzel s. 53. 34. 40), son- dern auch bei jung Sigurd, auf den schon widerholt anlass war hinzuweisen (Rassm. ii 27; oben s. 119. 121). ist es zufall, dass die namen Sigurd und Seghelijn übercinlreffen?

Bei der Unterschätzung, der noch immer die ungeschriebene dicbtung begegnet, lässt sich der einwand erwarten, an der band der dargelegten verwantschaften sei ein ganz andrer entwicklungs- gang zu entwerfen, etwa nach dem beispiel Heinzeis, der (s. 88) in Beuves lediglich einen ableger des Apollonius sieht, aber den ApoUüuius an die spitze zu stellen 2, verbieten schon die indischen parallelen, auf diese bei Cosquin mitgeteilten orientalischen Ver- sionen, die für freunde einer mechanischen eutlehnungstheorie nach einseilig litterargeschichtlichen Voraussetzungen genügen wer- den, unsern Orendel und Aurvandil aus Indien herzuleiten, müssen wir verzichten einzugehn; Klarheit könnte nur eine mylheuge- schichtliche betrachlung verschaffen, die jedoch einem andern orte vorbehalten bleibt, hier kam es blofs auf den nachweis an, in Heinzeis aufstellungen, deren hober wert im übrigen unange- tastet bleibt, sei ein factor übersehen, der bei einem gedieht wie Orendel nicht aufser acht bleiben darf, der volkstümliche. Stuttgart, im od. 1S93. LUDWIG LAISTNER.

über den 'träum des prinzen' vgl. oben s. 131.

* [wie das in dem aufsatz von EHMeyer Zs. 37, 325(1 nun würklich geschehen ist.]

136 UBERMUOr DIU ALTE

^UBEUMUOT DIU ALTE\

MSD' II 312 i lindel sich der in der 2 aufl. hier aufgenoni- meoe spruch aus dem 12 jh. abgedruckt:

Ubermnot diu alte

diu ritel mit yewalte:

untreice leitet ir den vanen,

girischeit diu scehet dane

ze scaden den armen weisen.

diu lant diu stdnt wol alliche envreise. Milllenhoff meint, dieser 'wunderschöne' spruch habe 'eine be- stimmtere historische beziehuug und wird daher besser einmal unter den namenlosen liedern des MSF eine stelle finden', das kann sich höchstens auf die schlusszeiie beziehen. KRaab hat in seiner ersten und einzigen schrilt 'Über vier allegorische motive in der lateinischen und deutschen litteralur des mittelalters' (1885) s. 31 anm. 63 den spruch an einen anonymen lateinischen Iractat des cgm. 660 ge- knüpft, wo Superbia als erste der apparitores Saul, qui r aper ent David (i Reg. 19, 14) auf einem dromedar geritten kommt, das ist mir sehr unwahrscheinlich, weil da gerade das bezeichnende des Spruches fehlt: Superbia als heerführerin auf dem kriegszuge. dass zunächst Ubermuot (die weibliche bilduug scheint die ältere, Graff ii 688) diu alte genannt wird, entstammt sicher der biblischen lehre: Eccli. 10, 14 f: initium superbiae hominis apostatare a Deo, quoniam initinm omnis peccati est superbia; Tob. 4, 14: in ipsa {superbia) enim initium sumpsit omnis perdilio', Sap. 14,6: ab initio cum per- irent superbi gigantes usw. in der kirchlichen lilteratur ist darnach die zahl der stellen unübersehbar, an denen Superbia als Urheberin aller Sündhaftigkeit geschildert wird, sie nimmt darum auch in allen beschreibungen des 'conflictus vitiorum et virlutum' den vor- dersten platz ein. so reitet sie au der spitze einer heerschaar in den prachtvollen versen der Psychomachie des Prudenlius 178ff: forte per efpusas inflata Superbia turmas effreni volitabat equo etc., und in den vielen davon abhängigen scbriften, über die man einstweilen Raab aao. s. 26 ff. vergleichen möge, besonders be- schäftigt sich Gregor d. Gr. häufig mit diesem bilde, am wichtig- sten darunter ist die stelle Moralia lib. 31, cap. 44 (Äligne 76, 620 D): tentantia quippe vitia, quae invisibili contra nos praelio regnanti super se superbiae militant, alia more ducum praeennt, ulia more exercilus s^ibsequunlur. neque enim culpae omnes pari

UBERMUOT DIU ALTE 137

accessH cor occupant. sed dum maiores et pancae neghctam meutern praevenhüit, minores et inntimerae ad illam se catervatim fundunt. ipsa namqne vitiornm regina superbia, cum devktum plene cor ceperit, mox illnd septem piincipalibns vitiis, quasi qnibusdam suis dncibus deiastandum tradit. quos videlicet duces exercitus sequitur, quia ex eis procul dubio importnuae vitiornm multitudines oriun- tnr. quod melius ostendimns , si ipsos duces atque exercitum spe- cialiter , nt possumns, enumerando proferamus. darauf lolj^t die sehr eiugehnde aufzählung, in der proditio, fallacia, fraus (hier V. 2 nntrexoe, bei Priidenlius sehr hervorragend neben Superbia) perinria genannt werden, und zwar geführt von Avaritia (hier v. 4 girischeit). avaritia kommt zu diesem platze durch ihre ver- wanlschaft oder identilät mit cupiditas, die schon i)ibhsch (i Tim. 6, 10 radix enim omninm malorum est cupiditas) dazu berechtigt ist. es wird also mit gewalte v. 2 übersetzt werden müssen durch: mit heerschaar, mit kriegsvolk (vgl. Lexer i 972). vgl. übrigens noch Hildeberlus Ccnomanensis in den briefen lib. i nr 10 (Migne 171, 165f).

Daraus ergibt sich meines erachtens, dass dieser spruch, sofern überhaupt als volkstümlich , doch kaum als historisch anzusprechen ist und dem gesichlskreise kirchlicher bildung zu- gewiesen werden muss. dazu stimmt die beschaüenheil der Über- lieferung, nach FKeinz Silzber. der Münchner akademie, philos.- hislor. cl., 1869 s. 319 'gehörte das quarlblatt, das die verse enthält, zu einer lateinischen handschrift theologischen Inhaltes, mit welchem auch die eine seile bedeckt ist. von der andern Seite nimmt den gröfseren räum ein symbolischer bäum mit lateinischen Inschriften ein', icli vermute, dass dieser bäum nichts anderes ist als eine 'arbor virtulum et vitiorum', wie sie (ähnlich den 'arbores consanguinitatis') ungezählte male in mittelalterlichen hss. sich findet, auch die erwähnte stelle Gregors weist in den nächsten Sätzen schon auf dieses verbreiteiste bild hin. darf man demnach diese slrophe von sechs versen auch nicht, wie Keinz aao. meinte, für das bruchstück eines 'allegorischen gedichtes' halten, sondern für den gelegentlichen versuch eines theologischen lesers der handschrift, so wird man sie doch schwerlich der namenlosen volkspoesie des 12 jhs. zurechnen können.

Graz. ANTON E. SCHÖNBACH.

138 KLEINE BEITHÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAM

KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAMS.

1. Willclialm 02, Hfl'.:

sölh süeze an diine Übe lac:

des breiten mers salzes smac

müese al znkermcezic sin,

der din ein zehen würfe drin. ich habe auf diesen wunderbar überschwänglicben ausdruck io der klage Wiliebalms über den lod des Viviauz schon Zs. 33, 127 f hingewiesen und an eine nachahmung in dem gedieht 'Frauen- preis und rillerpreis'i (Diutisca i 321 = ILMS iii 442j erinnert, wo eine dame von ihrem geliebten rühmt:

qua'me sin in daz mer zwo zehen,

ez müeste deste milier wesen. aber eine andere, weit interessantere parallele war mir ent- gangen: in Unser vrouwen klage (her. von Milchsack Beitr. 5, 193 fl) r293fl" bricht Maria in die werte aus:

des billern mers salzes smac

der müesle zuckermazic sin,

swie daz ein zäher kcem dar in

des bluoles, daz geolozzen ist

von dinem Übe, süezer Crist. Die nachbildung Wolframs an dieser stelle ist evident, wie überhaupt seine klage um Viviauz mehrfach dem dichter von Uvkl. vorgeschwebt hat (s. Milchsack s. 355 f). zugleich aber zeigt sich eine sehr bemerkenswerte abweichung: statt Wolframs ein zehen ein zäher, wie viel schöner ist unserm gefühl nach dieses bild 1 die trähne ist sonst salzig wie das meer, aber von ihn), dem reinen und guten, würde selbst eine trähne das meer versüfseu.

Sollte der dichter selbständig auf diese leichte und doch so wUrkungsvolle änderung verfallen sein? seine lateinische quelle, der IMauclus Mariae in der Interrogatio sancti Anshelmi de pas- sioue domini (Germ. 17, 231 fl) "^ enthält nichts, was ihn darauf

' unter diesem titel hat es ESchröder nach der Leipziger und der ver- brannten SUafsburger hs. für das Marburger germanist. seminar drucken lassen.

^ [vielmehr aus dem Tractalus b. Bernardi de planctu b. M. v., wie Milch- sack in einem mir oben entgangenen nachtrag Beitr. 7, 201 f dargetan hat.]

KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAMS 139

Ijätte liihren können, ich darl' hier vvol , oiine dem verstorhenen zu nahe zu treten, eine Vermutung von RLucae erwähnen, der ich, so geistreich sie ist, doch jetzt nicht mehr beizustimmen vermag: nach ihr wäre zäher {oi\er zäher) die echte Wolframsche lesarl und ze'heti ein schon früh in die Überlieferung einge- drungener fehler, den vielleicht die schreil)Uog zeher im arche- lypus verursacht hätte, ich will nicht entwickeln, wie niislich diese auf den ersten blick wol bestechende annähme doch bei dem vervvantschaftsverhällnis der Wh.-hss. ist; sie entsprang dem wünsche, den dichter von einer vermeintlichen geschmacklosig- keit zu reinigen, die wir ihm nicht gern zutrauen mochten, weitere erwägungeu aber haben mich überzeugt, dass wir mit unrecht an dem ausdruck zehen anstofs nehmen, weil derselbe in dem mild. Sprachgebrauch hinreichend begründet ist. haben ihn doch auch sämtliche hss. unverändert beibehalten ein zeichen, dass er den Schreibern nicht fremdartig erschien und ein späterer autor, wie wir sahen, ohne scheu ihn widerholt.

Das Mhd. wb. m 861 führt zur erklärung unserer \Vh.-stelle an, dass von gewissen gewürzen, zb. ingwer, kleine Stückchen zehen genannt würden; es fasst also das worl hier in übertragener bedeutung auf: 'ein teilchen, ein quentcheu von dir'', das ist auch gewis der sinn der stelle, aber ich möchte ihn doch in anderer, unserm Sprachgefühl näherliegender weise vermitteln, wir gebrauchen heute vielfach das wort 'finger', um damit all- gemein ein möglichst kleines glied des menschlichen körpers zu bezeichnen, zb. 'er ist so gesund, ihm tut kein finger (dh. auch nicht das geringste glied) weh'; oder 'wir konnten keinen finger still halten' (dh. zitterten an allen, auch den kleinsten gliedern) 2. auch mhd. kommt vinger in dieser bedeutung vor, zb. Parz. 298, 26 f: het ab ir ein vinger dort verlorn, dd wägte ich gegen mm houhet = 'hättet ihr das geringste glied dort verloren, da- gegen wagte ich das vornehmste, das haupt, also zugleich mein leben'; j.Tit. 3319,3: (sein tod wäre mir lieber,) danne ob dir ein vinger swwre (nhd. etwa: 'als wenn dir nur ein haar gekrümmt würde'); ebda 5942, 2 f: man war mich e begrabende dann ob ich wolt daz im ein vinger swcere. man braucht nur das

' ebenso Starck Die darsteilungsmiltei des Wolframschen humors s. 20a. ^ beide beispiele sind im DWb. angeführt, wo aber die in rede stehnde bedeutung von 'finger' nicht besonders hervorgehoben ist.

140 KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAMS

bei Lexer s. v. vmger zusammengeslellte material durchzugeho, um noch mehr belege zu ündeu. in demselben sinne aber wird nihd. auch die bezeichnuog für digilus pedis, zehe, verwendet: Konrads Trojanerkrieg 38380 ff:

e dir an diner zehen (: vUhen)

solle ein deiner schade geschehen,

und si daz miieste sehen,

e Ute si groz nngemach. der Vordersatz besagt genau dasselbe, als wenn er lautete: e dir ein vinger swcere. ähnlich ist eine stelle in Rosenblüts Kaiserin zu Rom (Keller Fastnachtspiele ni 1144):

er sprach ^ati irer mimten zehen (: flehen) wolt ich ir ungern leit lassen thun\ wir würden statt dessen sagen : 'an ihrem kleinsten finger'. aus Lexer entnehme ich Suchenwirt 42, 74:

manic gruz gesieht zerget,

daz sin ein zche niht bestet. nhd. etwa: 'dass auch kein atom von ihm übrig bleibt', als zwei weitere beispiele sind unsere Wh. -stelle und ihre nachbildung im Frauenpreis und ritterpreis anzusehen, hätte Wolfram den markgrafen sagen lassen : 'das kleinste teilchen , ein finger von dir schon müste das meer versüfsen', so würden wir mit dem ausdruck völlig einverstanden sein, das wort 'zehe' aber hat in diesem Zusammenhang für uns etwas unedles, verletzendes, wer die angezogenen verse dem sinne gemäfs ins nhd. übertragen will, darf diesen unterschied im Sprachgebrauch nicht unberück- sichtigt lassen.

Das bild von der zähre wird also nach dem, was unsere betrachtung ergeben hat, doch erst dem Verfasser von Uvkl. an- gehören, was ihn zu dieser abweichung von Wolfram veranlasst haben mag, ist nicht mit Sicherheit auszumachen : gewis war es nicht scheu vor der im mhd. gar nicht ungewöhnlichen aus- drucksweise, herr dr Milchsack schrieb mir: '■zäher ist sentimen- taler (als zehen) und ganz im charactcr dieses gedichtes'. ich glaube, dass er damit den gruud der änderung getroffen hat.

Schliefslich notiere ich noch eine stelle, die gleichfalls an die Worte des Willehalm anklingt, ohne jedoch für die oben be- handelte frage in betracht zu kommen. Dietrichs von Glatz ge- dieht 'Der borte' (vdHagens Ga. i nr 20) v. 73 ff:

KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAMS 141

ir güete ivas so süeze,

und wcBren ir die viieze

komen in des meies vluol,

daz mer daz wcere worden guot

von ir vüezen reinen

und von ir loizen leinen.

2. Will. 307, Iff. das zur schlacht ausrückende Christen heer ermahnt Gybiirg zur nienschlichkeit gegen die heiden; auch sie seien ja gottes geschüpfe und nicht alle zur verdanamnis bestimmt.

306, 28 schönt der gotes hantgetdt.

ein heiden was der erste man

den got machen began. 307, 1 nu geloubt daz Eljas nnde Enoch

für heiden sint behalten noch.

Nöe auch ein heiden was,

der in der arken genas. 5 Jöp für ^odr ein heiden hiez,

den got dar nmbe niht verstiez usw. die beiden gesperrt gedruckten zeilen (307, 1 f) sind nicht ganz leicht zu verstehn. San-Marte übersetzt sie höchst unbefangen: 'für beiden sind Elias und Enoch gehalten auch, so glaubt ihr doch', dass mhd. behalten nicht 'wofür halten' bedeuten kann, braucht kaum gesagt zu werden. Elias und Enoch sind nach der bibel (iv Reg. 2,11. Gen. 5, 24. Eccli. 44, 16. 49, 16. Ehr. 11,5) die einzigen menschen, die nicht gestorben, sondern lebend von der erde entrückt worden sind, auf dieses wunder hat Gyburg schon in der Unterredung mit ihrem vater Terramer (218, 16 ff) angespielt: (um Evas schuld willen)

dar umb die helleclichen vart

Adams geslähte fuor iedoch,

wan Hellas (I. Eljas?) und Enoch.

die andern muosen alle queln:

dane kund sich niemen von versteln. die Christen erinnert sie jetzt gleichfalls daran : 'Elias und Enoch sind noch (heute) am leben erhalten für beiden!' auf diese beiden worte kommt es an.

Ein freund, mit dem ich über unsere stelle correspondierte,

142 KLEIiNE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERUNG WOLFRAMS

meinte: 'E. uiul E. haben das vor den beiden voraus, dass sie usw.' diese auf'fassuug wäre sprachlich vielleicht möglich, ist aber durch den Zusammenhang ausgeschlossen, denn dem zweck ihrer rede gemäfs kann Gyburg nur solche fälle hier anführen, wo gott in besonderer weise grade beiden seine gnade erzeigt hat. am allerwenigsten aber hat sie veranlassung, zu erzählen, was zwei nichlheidnische männer vor jenen 'voraus haben', folglich muss der sinn der worte sein: 'E, und E. sind als beiden (dh. obwol sie beiden sind) noch (heute) am leben er- halten'.

Dass die praeposilion vür im mhd, bisweilen zur hervor- hebung des praedicativen Verhältnisses dient (= nbd. 'als'), während gewöhnlich in der alten spräche der blofse nominativ erscheint (vgl. MSDii75f), zeigt deutlich noch eine zweite stelle bei Wolfram, Parz. 471, 1 f : sie körnen alle dar für kint, die nu da gröze Hute sint. 'sie kamen alle dabin (zum gral) als kinder, die nun dort erwachsene leute sind.' das Mhd. wb. (iii 377a, 32) citiert daneben Rol. 305, 14 f (8940 f): unt wiltn Genelüne ge- wegen y fur aigen wil ich dir dieyien. dieser stelle sehr ähn- lich ist wider j.Tit. 6034, 1: dri India die witen im dienent gar für eigen, auch beim praedicativen accusativ steht vür in fällen, wo wir nhd. 'als' anwenden, zli. Parz. 105,22: den man noch malet für daz lamp; 735, 11: {die r Icheil) die der heiden für zimierde truoc; Wh. 159, 2f: ich pin iedoch des selben snon, der si für eine tohter zöch; Georg 3830 ff: den hie vor der künic Nabchodonosor ane bette für ein kalp. bei weiterem suchen werden sich ohne frage noch mehr belege aus der mhd. lilteratur nachweisen lassen, eine Sammlung zumeist aus späteren quellen bringt das DWb. iv 1, sp. 62511'.

in der oben angeführten Parzivaistelle 105, 22 list d also statt für, und 42,28 heifst es ohne Varianten: gemalt als ein durchstochen man; Greg. 3440: (zodiacus) der ist als ein rat gemdlet; Parz. 470, 11 ff: dd von der steiJi cniifa'het swaz guots üf erden drmhel von trinken unt von spise, als den tounsch von pardise. hat man in diesen und ähnlichen construetionen die ersten spuren des heutigen gcbrauches von 'als' beim praedicat zu erblicken? ich glaube niciü, denn in den angeführten beispielen ist das als vergleichend (='wie'), während unser heutiges 'als' beim prae- dicat von JGrimm DWb. i 254 wol mit recht als demonstrativ bezeichnet wird, wenigstens hat es sich aus der demonstrativpartikel entwickelt, es scheint mir vorbereitet durch das hinweisende als oder also in fällen wie

KLEINE BEITRÄGE ZUH ERLÄUTERUNG WOLFRAMS 143

Aber nun erhebt sich ein neues bedenken: wie können Elias und Enoch beiden genannt werden? ich meine, mit gleichem recht, wie in den vorhergchnden versen Adam und in den fol- genden Noah und Hiob. in einem briefe an MHaupt wundert sich Lacbmann (RLachmanns briefe an MHaupt hsg. von JVahlen s. 124), dass im Rheinauer Paulus (Zs. 3, 518 ff) der opostel vor seiner laufe v. 129 der hedine man heilst, obwol er doch Jude war. auch Rüdiger Zs. 20, 308 bemängelt die bezeichnung. doch machte er selbst mich vor kurzem freundlichst darauf aufmerksam, dass auch in Marien himmelfahrt (Zs. 5, 515 IT) v. 896 f von Paulus gesagt wird: wand er alrest hatte sich beke'ret von der Imden- schaft. die beispiele zeigen, dass im mhd. heiden auch in der allgemeineren bedeutung von 'nicht-christ' gebräuchlich ist, also auch einen Juden oder einen frommen der vormosaischen zeit bezeichnen kann', es ist characteristisch für Wolfram, den an- walt der heiden, dass er das wort in diesem weiteren und mil- fleren sinne hier anwendet.

Somit möchten die Schwierigkeiten unserer Willehalmstelle wol sämtlich gehoben sein.

3. Will. 458, 11 ff . Willehalm ist nach der eulscheidungs-

Nib. 944, 2 fr: ez hiez Hagne tragen Sifriden also toten für eine keme- ndten, was Laclimann in den anmerkungen sehr richtig übersetzt: 'tot wie er war', unser 'als toten' besagt dasselbe, ist aber nicht mehr so nach- drucksvoll, vgl. ferner Wessobr. glaube i, MSD xc 27 (= Bamb. glaube, MSD xci 52 f): ih glouba daz er also toter in sine situn getiundot iniart Parz. 120, SfT: swennerrschoz daz swwre .... als unzerworht (so unzeriegt wie es war) hin heim erz truoc; 141, 24: ?i7i minne i'n also toteji; Wh. 203, 28 f: tvand ich smorgens kuste Fivianzen also tot; KvMegenberg 128, 19: pockes pluot also frischez (dh. so frisch wie es vom bock kommt); neuer Parz. 618, 14 f: die iruogent den bruoder min also toten mit in hinin; jTit. 5086, 4: ich wil in also toten min?ien beide triutende und an sehende; 5574, 4: die wolt er also muode (1. müederl) besten mit Mutter- schaft der lobesbceren. lehrreich ist die vergleichung von W. Tit. 49, 2 : wan einer der niht ougen hat, der müht dich spüren, gienger blinder mit der entsprechenden Strophe im jTit. (Hahn 078,2; Zarncke Grallempel s. 52): gieng er also blinder (dh. blind wie einer, der keine äugen hat 'als blinder'): in der älteren fassung der blofse nominativ, in der jüngeren voran- gestelltes ahd.

' Heyne im DWb iv 2, 800: beide heifst 'im mhd. jeder, der noch nicht oder nicht mehr den orthodoxen glauben an Christum hegt*, dagegen in seinem eignen \Vb. ii 95: 'ungläubiger schlechthin, auch die menschen vorchristlicher zeit, aufs erhalb der Juden'.

144 KLEINE BEITRÄGE ZUR ERLÄUTERÜiNG WOLFRAMS

Schlacht trostlos über eleu verliist des Rennewart; sein bruder, Bernart von Brubant, tadelt seine schwäche: man müsse dem übrigen beere, das auch grofse Verluste erlitten habe, ein heispiel der l'assung geben:

nn haben nianlichen muot!

nach dem gelich denn maneyer tuot,

den hie vil kumbers twinget

und oucli mit jdmer ringet.

zum zweiten vers (458, 12) bemerkt Paul Beitr. 2, 338: 'denn ist conjectur: den (gewis als arlikel verstanden) K, dir Imt, der n, als op. dir hat also die meiste autorität für sich und ist richtig: welchem (männlichen sinne) gemäfs mancher gleich dir tun wird'. Paul ist hier leider das opter eines druckfehlers geworden, der sich von der 2 aufl. an durch alle folgenden hindurchzieht, in der ersten, auf die allein verlass ist, weil sie die einzige ist, deren druck Lachmann selbst überwacht hat, steht: nach den gelich denn maneger tuot. die von Paul angeführten laa. be- ziehen sich also gar nicht auf die partikel denn vor maneger, sondern auf die pronominalform den vor gelich. das würde Paul, auch ohne die erste aufläge nachzuschlagen, bemerkt haben, wenn ihn nicht der eifer, Lachmanu zu corrigieren , blind ge- macht hätte, die lesarten für denn folgen nämlich im varianteu- apparat unmittelbar nach: '■denn n), denne K, dan 1, fehlt n'. das denn vor maneger ist also nicht 'conjectur', sondern ganz sichere Überlieferung, und der dat. pl. den vor gelich stammt aus K: nach denen (nämlich nach 'mänuern', zu entnehmen aus dem adj. manlichen v. 11) in gleicher weise (wie wir) dann mancher tun wirdi, es handelt sich somit hier um die entnähme eines Substantivs aus einem vorhergehnden adjectiv, jenen bekannten fall, den Benecke zu Iw. 458 und Haupt zu Er. 7814 (vgl. zu 5532) besprochen haben. Paul kann unsere stelle künftig als hübschen beleg in seinem verdienstvollen abriss «1er mlid. syntax § 394 citieren.

Marburg, im sommer 1893. JOHANNES STOSCH.

' tuot ist hier vielleicht nicht absolut gemeint, sondern verlreler des vorangegangenen verbs: = muot hdt.

ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN 145

altdf:utsohe Kleinigkeiten.

In meinem zur 41 philologenversammlnng gegebenen sein i fl- ehen 'Alldeutsches' sind eine anzahl bruchstücke der hiesigen bibliothek erwähnt , von denen noch kein abdruck vorhanden ist. einige, die dessen wol wert sind, gebe ich im nachfolgenden und füge dazu ein paar kleinigkeiten , die mir eben zur hand sind.

I DER HARNISCH DES TOTEN RITTERS.

(Cgm. 5249 nr 45.)

Ztoei papierblätter in 2^ einst als deckelschutz eines gedruckten buches ('Evaiigelibuch, Augsburg 15ü0') venoendet, zweispaltig in abgesetzten verszeilen von einer hand des 15 jhs. beschrieben, ent- halten fast den ganzen Wortlaut einer erzählung, der ich nach ihrem haupt gegenständ den obigen titel gegeben habe, sonst wenig be- schädigt, haben sie durch die scheere des buchbinders den oberen rand und mit ihm auch schrift, 2 5 Zeilen, verloren ; da dieser vertust aber nicht mit Sicherheit zeilenmäfsig bestimmt werden kann, habe ich ihn bei der Zählung der verse nicht berücksichtigt, die erzählung ist aus den Gesta Romanorum entnommen und steht in Kellers ausgäbe {Bibliothek der g. d. nat.-lilteratur bd 23) s. 148/f; in Cammerlanders ausgäbe {Strafsburg 1538) s. xli. der gang der er- zählung ist in der dichterischen behandlung genau beibehalten und lässt sich mit dem prosaischen text fast satz für satz vergleichen, diese vergleichung ergibt auch, dass unserem gedieht aufser den erwähnten obersten Zeilen jeder spalte nur zu anfang und ende einige Zeilen fehlen, einen einzigen zug hat der dichter nicht sehr passend hinzugefügt, indem er in u. 48 die dauer der tätig- keit des rilters auf 34 jähre bestimmt, ähnlich der zahl der lebens- jahre Christi in v. 203.

Ob die blälter einer Sammlung, entweder aus den Gesta oder von predigtmären udgl. angehört haben, lässt sich nicht bestimmen.

Von den 8 spalten des bruchstückes fügen sich die des 1 blattes leicht aneinander, die des 2 blattes aber zeigen eine ganz sonder- bare anordnung. es ist nämlich die seile, die ich nach dem prosa- text zur ersten machen muste, in der ersten spalte nur \ingefähr zu zwei dritteln beschrieben; die zweite spalte zeigt oben zuerst freien räum, dann folgt in roler schrift der titel 'Von dem geistlichen sin', tind hierauf mit grofser initiale B die drei verse: Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 10

146 ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN

Bey dem kayser Ponipeio beteytel vns die geschrift also Golt der vatter in ewigkeit; hieran schliefsen sich die verse 162 175. von den drei versen können die ersten zwei nach dem prosatext der anfang unsrer ge- schichte sein, der dritte vers aber und das folgende hat damit keine Verbindung. die 2 seile gibt zu keiner erinnerung anlass.

Die spräche des dichters ist zwar ohne höhern schwung, der Vortrag aber /liefsend, die mundart ist die schwäbische mit einigen scharf ausgeprägten besonderheiten. ivas zur mundart beziig haben kann, ist im abdruck genau beibehalten; graphische eigenheiten da- gegen, wie y für i, cz für z, \ für u sind weniger berücksichtige, die einsätze in v. 103. 16L 234. 237 stehn für schrift, die durch be&chädigung des papiers verloren gegangen ist, jene in v. 14. 69 ergänzen nachlässigkeilen des Schreibers; in v. 160 steht in der slat am rande. die oben an den spalten durch beschneiden er- zengten lücken habe ich, damit der gang der erzählung versländlich bleibe, auf grund des prosatextes mit einigen icorten ausgefüllt.

Der kaiser Pompejus hat verordnet, dass jeder ritler in seiner rüstung zu begraben sei, und loer einen toten beraube, solle selbst getötet werden, nun geschah es einst, dass eine edle Stadt von einem Wüterich belagert und bereits hart bedrängt wurde, die bürger verzweifelten schon an ihrem heile

[bl. 1. s. l. sp. IJ vnd vvarent alles trostes an , wan si nit mochten wider staun den [gjewalt des kinges reich: si waren verzagt all geleicli. 5 do si also in trübsal waren, do kam ain rilter aiu gefarn zu die (!) selben statt vil gut der was kün und wolgemftt starck fr um vnd dar zfl fest. 10 do er sacli den gebrest und ir grolses herzen laid, das erbarmet den ritler gemaid. da die burger saciient das, das [erj ain zierlicher ritter wafs 15 und des leibs ein rechter held ,

ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN 147

dem ritter aufserwclt giengen die besten burger do und sprachen zu im also: lieber her ir secht hie wol, 20 das wir seyen laides vol und vor den vieynden vnbehQt die wellent uns nemen leib vnd gut; hellent uns zu diser frist das uns die vient mit ire list 25 nich schaden bringent vnd ze pein, das wel wir umb ücli dienen sein, do sprach der ritter wol gitaun: secht ir wol das ich nit haun haruesch hie zu mieynem leib 30 da mit ich die vyent vertreib; an harnech bin ich gar etwicht darunib kau ich Uch hellen nicht, ein weiser man wass uoder in; der sprach zu dem ritter: in einer kirche iinsrer Stadt liegt begraben [bl. 1. s. 1. sp. 2J ain riller edel und wolgetan, 35 der halt gar guten harnesch an; den seit ir im ton ziechen ab, wann er leit toder in dem grab; dar mit solt ir Uch wapnen trat, so mügent ir uns und der stat 40 vor den vieynden erneren wol, wan ir send aller manhait vol, der ritter eilet do zu haut zii dem grab, do er ine fand den toden ritter unbehüt 45 ligen in seinem harnesch gut. den zoch er im ab ze band und leit an dafs selb gcwand und strait dar in, das ist war, wol auf xxxnn jar; 50 der stat er frid und sün gewan, und treib die vieynt all hindan. do er das volendet hell,

10*

MS ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN

er trug den liarnoch an die stelt hin wider zu des grabes spor,

55 do er es hell genumen for. do nun der rilter als loblich gestritten helt und och heriiklicli, der ward dar umb geneidet ser; über in gieng grols red enzwer,

60 das er in des kaisers gebiet

sein gebot und gesagt zerbrochen biet,

das er hett gezogen ab

den toten ritter in dem grab

als sein wapen gevvand.

65 die m6r kamen do zfi band von der besen leüten gefär für den heftigen richter. der richter lud den ritter vor gericht

[hl 1. s. 2. sp. 1] zu der selben stund und tet im dise wor[te] kund :

70 warum hast du toreter man wider des kaysers gesagt getaun, das du dem toten ritter im grab sein wapen hast gezoge ab? da mit hastu dein leben verlorn.

75 do sprach der ritler hochgeborn zu dem richter gar waisslich: in meinem sin so dunckt mich, under zwaien übel tat ist das alwegen mein rat,

80 ob man ain ietvveders müss bestaun, man sol das merer übel laun, da von sol man alzeit fliehen und sich von dem mindern ziehen, kan sich der nit wol bewarn,

85 der das gesagt hat übervarn, der müfs unrecht haün getaün; noch müfs der mer schuld han, der ein slat und als ir hör mit des buttern lodes {hs. totedes) ker

ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN 149

tio kleglichen wil verderben lauo,

das er wol möchi under staun.

vil weger ist, als mich des zimpt,

das er auss dem grab nimpt

den totten ritter sein harnescli gflt, 95 das nit so vil Schadens tut,

sam das ain ganze stat sol sterben

und von den vieynden gar verderben.

do ich das recht vernam,

das man der stat vvz so gram 100 do woll ich ir zu hilf kummen

ich bin an laugnen ich haun genummen des toten ritlers hämisch und waffen, aber nicht nun ihn zu be- rauben, sondern

[bl. 1. s. 2. sp. 2]

nu zu frume der stat so göt

das die vor schaden \v[erd be]hät;

nu haun ich an der selben stet 105 den harnesch hin wider gilet.

hell ich gehabt bösen waun,

dass ich wölt beraubt haun

den toten ritler siener wat,

als man mich für getragen hat, 110 so hett ichs nit hinwider tragen.

ich wil das für war sagen,

das ich dise sach haun

umb gemainen nucz getaun

und dem ritter nit zfl laid, 115 das wölt ich schweren ainen aid.

ich hoff ich wöl da mit bestaun,

das ich nichcz unrecht hab gilaun ;

wan der ain hauss brinen sech,

der es zu stund den nider brech 120 und Hess das füir nit fürbas gaun,

der bette dar an wolgilaun,

ob das haus wurd vernichtet gar,

das wer dann vil bösser zwar

wan dz die ganz stat schaden enpfieng, 125 do das fuir den über gienff.

15U ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN

also liaun icli acli getaun, die wapen icli ginummen liauii dem todeii riller aiiss dem grab, da mil haun ich gelriben ab 130 die vyent von diser stat gut, die ich vor schaden hau Itehul; wau wer die slat von im belüpl so werent die greber all beiöpt und were leib und göt verlorn.

oIs der richter dies gehört hatte, sprach er zu denen, die den ritter [bl. 2. s. 1. sp. 1] 135 hellen vermeli(?) mil gruse gefert (so !j:

ich find an im Kain ursach,

di wese müge also schwach,

da milt der mensch den billern tot

verschull hab noch kainerlav noll. 140 sagt mir was gefeil ilch wol

wie ich mit im faren sol?

de schwurent sy all ginott,

er halt wol verschuld den lol;

n)an soll in von der weite ton, 145 er halt weder frid noch son

umb sein vil grosse misselat,

so er des kaisers gesagt hat

über farn gar gever.

do das erhört der richter, 150 er forcht des kaysers ungenad ,

er gieng ab de rechten pfad

und gab die urtail zu band,

daz man den künen wigant

nemen soll das leben sein. 155 der rilter müst des todes pein

dar umb laiden, als ich ilch sag.

des hflb sich vil iamers klag

von den leylen gemainklich

bayde von arm vnd reich 160 in der slat, die er hell vor

er[Io]st von der vyent spor.

ALTDEUTSCHK KLEINIGKEITEN 151

nntzanwendnng [moralisatio). [hl. 2. s. 1 sp. 2] Die slat von der ist gesait, die lielTligkliclien liesessen was von des feigen kinges hass, 1(J5 das ist die weit gar gever; die hau gelilen nianig schwer von des bösen tüifels rall, der si mit gewall besessen lial und si teglicli füchte an 170 al zeit mit seinen dienst man : das send die sihen tot sünd, und leglich schuld als ich euch kind. die haben die weit umbgeben ser auf allenweg da hin und her 175 gangen um die seihen stat

{hier fehlt von dem prosatext tiichts) [bl. 2. s. 2. sp. 1] (gage macht?) der edel ritten vor bedacht, der der stat kam zu trost, vnd si von den vyenden erlost, ISO das ist Jesus crist der gflt; der sach die stat unhehuot, der gieng in die stat hinein, das ist in diser weit schein, do er die menschait an sich nam ; 1S5 zwar er waz der stat nit gram, er laid mit ir ungemach, vil schier er do ersach, das die stat nit mochl bestan, es müst ain streit darum ergan; 190 das ist die weit die wz ... h wer (?) von den tüifel gar gefär, der edel rilter Jesus crist gieng do zu der selben frist gar tougen zu dem grab ein 195 in den leib der muter sein, dar auss er den harnesch nam

152 ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN

UDsern vatter AcJam, der lang was gelegen tot, (lern zoch er ab genott

200 und laid an sich die selben klaid das ist die blöden menschait und slrit durch unsern willen zwar dar in wol xxxini jar, die weil er gieng auf erdreich

205 wider den tüifel hefftikleich dem tet er grossen ungemach, an dem karfreitag das beschach, da kämpfte er gegen den tenfel und besiegte ihn [bl. 2. s. 2. sp. 2] da mit die stat difs weit gevär ward erlöst aus aller schwer.

210 des gewunnen die iudeu leid zu Jesu Christo grossen neid , si leiten auf in grosse schuld gross, das er seins lebens wurde bloss; zu dem richter Pilato

215 schruwen sy all gemainklich also: crucifige crucifige eum, das sprich du soll in kreyziguo. Pilatus fand an im kain schuld, da mit er hett verwürck ir huld,

220 das er des todes wirdig wer; do ward ain vrtail also schwer von Pilato do gegeben , das crist verliern müst sein leben. Jheseus crist der ritter werd

225 leit hinwider in die erd seine streitber wapen klaid, das ist sein hailige menschait, do sein leib der rüwe pflag und III tag in der erd lag.

530 also hat uns die menschait sein erlöst von der ewigen pein, das ist vil nuzlicher zwar alle menschliche geschlecht gar,

ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN 153

das crist die mensch D[am a]ii sich, 235 den das all menschen gemainklich gelitten hetten heiliche pein, das under sliiod die menschait se[in]. die müst darumh sterhen do das geweifssagt also

n KLAGE EINES ANGEHNDEN EHEMANNES. Eiti papierbidttcheyi in 8", einst einer inmnabel 'Anlhidotarius animae' beigelegt, enthält in schrift des \b jhs. die nachfolgende klage, es führt jetzt die bezeichming Cgm. 5249 nr 46\

0 ich armer preuligan!

ich hab miers selbers auf gethan;

ich mocht hinz got ainen aidt gesberen,

in biet mich kaum allain ze neren ; 5 seidt ich nvn sand ritter (?) pin,

gib ich sberdt und pinden [hin?J,

das kauft ich erst verdt,

das ist noch wol werdt.

wie han ich verzerdt mein iunges leben, 10 das ichs mues in der ee wider hin geben,

und mues mein not darinen pedenken,

und mues voraus (an im allen wol) drei schilingen schenken,

da mit daz ich lass das kindl tauffen,

und dar zu meinem weib ein prawdt in die kindelpet kauffen. 15 o weib zbee hab ich dich genomen 1

ich wolt du werst ein wolf und lufest ze holz umben.

also mües ich mile und arbeit haben.

0 we mir armen knaben !

mocht ich ier sein mit eren an, 20 so wolt ich erst werden ein piderman,

und wolt mier zwen hochschuech kauffen,

und wolt in das pirg lauffen,

und wolt got lob und ere sagen,

und wolt nimer mer nach kainem ee weib fragen.

4 hs. kaym an layn. 5 [/. selbdritter? dk. mit weib und kind {u. 13) fi.] 12 die von mir eingeklammerten ivorte sind wol über/lüssig: 14 statt prawdt ist vielleicht, wie ein alter brauch vermuten lässt, kleid zu setzen. 15 zbee = zwe (ze wiu) warum. 21 hoclischuech = bergschuhe.

154 ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN

III LIEBESREIME (Cgm. 5249 nr 43).

Ein stück ans einem nrknndenbogen, der ah schütz für den deckel der Tegernseer hs. 1&S22 verwendet war und beim ablösen seine ganze schrifl mit ausnähme des namens Schaffhausen einge- büfst hat, enthält auf der freigelegenen seile die folgenden verse von eine)' hand des 14 jhs.:

Manigcr wenl liehe lian

der nie dlieins gewan.

Also ist mir öch hcsclielien,

das mus ich fiir warheil jehen ;

doch ist frowen gute vi),

der ich wo! gclruvven \\\\,

das si ir ^ule an mir tu ;

so wil ich ir dienen spät und frii

und ir willig eigen sin,

die wil ich hau das lehen min.

Ich hin ein kint das liehe gerl;

selig si die mich gewerl!

wil si mich nicht geweren,

so mü/.z ich Irüde enheren.

IV SPINNVERS (Cgm. 5249 nr 42'^j.

Ein pergamentblatt unbekannter lierkunft enthält verschiedene kleine lat. eintrage und aufserdem das bild einer Spinnerin mit folgenden versen des \b Jhs. darunter:

INun spinn, nun spinn, vil lihiv mait,

vil leycht so wirl mir ach ain pfait;

so wirl mein har gesponnen,

daz hau ich wol besonnen,

V PARODIE (Cgm. 5249 nr 46). Auf einem aus Tegernsee stammenden sonst leeren blatte finden sich folgende scherzverse des 1 5 jhs., die an ein altes schon in Gott- frieds Tiislati V. 11538 erwähntes see- oder wall fahr erlied anknüpfen {verschiedene fassungen desselben s. Uoffmann Kirchenlied nr 12, Böhme »r 568, Wackernagel Kirchenlied u QlSff):

[In] Gottes namen faren wir;

der wein ist pesser dann das pier,

so helf uns das grösser vas,

do der pesser wein in was,

ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN 155

so trincU wir alle desler pas, kyrieleyson, dasselbe Sprüchlein steht ans gleicher zeit auch iri der Tcgernseer hs. Clm. 19476 (Cat. 22) f. 26S.

VI EINE SCHERZHAFTE LIEBESERKLÄRUNG auf grnndlage der 7 freien kiinsle, denen eine achte beigefügt ist. sie sieht auf einem leeren pergamentblatle {Cgm. b'2A9 nr 4(V), in Schrift des \b jhs. derselbe sprnch findet sich auch in der Wolfen- hntller hs. 29. ^ Aug. f. VI.

MeiutMi dienst voran in Helhorica

ich piu dir hold in Gramalica

nach der zai in Arismelrica

du gevellst mir wol in Geomelria

dar umh wil ich singen in Musica

wan du pisst ferltig in Astronomia

du pisl peschissen in Loyca

des plas ir inn a . . Medicina.

vn MINNELIED. In dem aus dem Master Windberg in Niederbayern stammenden Clm. 22305, fhcol. inhalts, aus dem \b jh., ist auf leer gebliebenem räum des 05 blattes das folgende minnelied eingetragen, das höheres alter beanspruchen dürfte, die erste Strophe ist vollständig mit sing- nolen versehen. das in v. 7 stehende grusl kenne ich jetzt nur als in Schwaben {Stuttgart) gebräuchlich: gruschi = 'kehricht'; Schneller (i^ 1015) hat es aus der Oberpfalz, {einige y habe ich unterdrückt.) Die lerch ist laides wol ergeizet: sne reif hat si da hin geselzel,

daz si waz an süzzem sang erslummet gar. hör wie reichleiche si nu dönet, 5 da mit si awer mayen clirönet,

secht der pringet ir ifuieichen leibes nar. Auz erde grust

wirt girich piricii manich zwei daz süzzer lust 10 durchwaet drAet

dar nach pjüel iier für, daz sei.

Ich chlag von schulden wol mein trewe, di ze allen Zeilen waz gein ir newe

156 ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEN

recht sam ichz mit dienst aller erst heb gein ir an. 15 Dez vvil si laider nicht wechennen, (lez möcht sich leib und herz intrennen,

dann daz mich nur holnung niert und liewer wan. rat wie ich lü,

ir niinne sinne tut mich vrey, 20 spat unde vrü

ir(in?) hertzen smertzen leid ich von ir lieb, daz sei.

Nu dar ir iungeu ir seit gemanet! der mayen zeit sich Irävvden anet, 25 der hab im den schaden und gült er ain pfunt. E ich die zeit also verläge, und (?) im mayen Iräwden pfläge, senfter weld ich sein wegraben tausent stunt. Zweu schol ein man, 30 dem trauren sauren wanet peyl

pald var hindan ! daz dhaine raine

l'rau im werd ze tail, daz sey.

vm UNBETONTE ENDUNG ALS REFMTRAGER. In der heutigen schnadahüpfeldichtnng ist die Verwendung der endung als reim nicht selten, besonders in versen, die einer über- mütigen Stimmung entquellen, zb.

s dirndl mi'n roudn miedä is ma de alb liebä!

solts ma net lieba sei~? wan i kirn lasst s mi ei~, s dirndl mi'n roudn mieda! {der rhythmus daktylisch; die 2 ersten verse gähen genau einen pentameter, wobei das 1 in dirndl und das n in roudn als silben- bildend gelten.)

Ein altes beispiel dieser art scheint der Schreibung nach in den nachfolgenden versen zu stecken.

In Clm. 4394 f. 64, \Q Jh., ist ein blatt mit einer handzeich- nung eingefügt, diese zeigt im Vordergrund einen bauer, der seine Schweine futtert tind dem sich, wie es scheint, ein dienstsuchender knecht nähert, während daneben einer gräbt und einer ackert, rechts

ALTDEUTSCHE KLEINIGKEITEIN 157

reiht sich ohne trennnng daran ein Verbrecher in der fnfszwinge, dem ein möiich zuspricht, ein weiterer, der vom henker ilber die leiter ztim galgen hinaufgeführt wird, nnd einer, der bereits hängt, darunter ein sitzender und ein sprechender mönch. unter dem bilde stehn die verse:

Bin ich genant Mair auf der stelcze Riedee

Und han fyll der sawen und kyee; Tust mir dem (dan) woll und Recht, So bist du mir ein trwer knechl. Über den hausnamen 'auf der stelzen' s. Sitzungsber. d. k. b. akad. d. w. phil.-hist. cl 1887 ii 423.

IX MARIEN HOSENKRANZ.

Der U7igeachtet des abfälligen urteils von Gervinus schon mehrfach gedruckte rosenkranz Maria {Zs. 8, 276; Wackernagel Kirchenlied n 199 201; Goedeke Deutsche dichtung im ma. 152) ist in eitlem anszuge erhalten in Cgm. 5249 nr 64, papier 6 bl. in 8", schöne schrift des Ihjhs. derselbe enthält die folgenden Strophen in der angeführten Ordnung (nach Wackernagel)

nr 199 str. 8—10. 1. 4—6. 11. 14. 15. 19—23. 25. 26 und

am rande der ersten seile 39. 40 nr 200 str. 2. 7. 6. 45. 3—5, 39. 50 nr 201 Str. 31. 4. 40. 11. 5. 15. 42. 49. 50 die erste abteilung hat Docen in Mise, ii 244 mitgeteilt, da an- fang und ende des Stückes erhalten sind und zwischen den blättern nichts fehlt, so liegt hier ein selbständiger auszug vor. das gebet der frau {Zs. 8 , 298) ist nicht dabei, dem stücke geht voraus eine erzählung in prosa von meister Eckhart und der tochter, die nicht weifs, wer sie ist. das letzte blatt enthält einen teil des Lauda Syon salvalorem lateinisch, und in der Übersetzung des mönchs von Salzburg {Wack. ii nr 79) deutsch.

X zu BRUDER BERCHTOLD.

Die ausgäbe des Berchtold von Regensburg von Pfeiffer- Str obl •zeigt in bd. n s. 270 am schhiss der 69 predigt eine liicke, die durch ein hier befindliches bruchstück Cgm. 5250, 6*^ ausgefüllt wird, dasselbe ist ein doppelblatt in 8*^ 1'6 jh., den schluss dieser nebst an fang der 60 und den 2 teil der letzteren, mit ausschluss einer zeile am schbisse, enthaltend, das füllsel lautet: saehe die verwandeluuge] er solt sich uiht bewarn e daz er sich wider verwandelt in die oblat.

158 ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN

XI ZWEI TOTGEBORNE DICHTER VON GLEICHER ABSTAMMUNG.* In PhWackernagels Kirchenlied ii nr 523 steht ein lied: St. Johaunis gesiclUe. m dessen str. 5, 21 sah Adelung das icort 'kürewein' filr den namen des dichters an. Wackernagel änderte es nach einer handschriftlichen bemerkung JGrimms in küre nein, wobei Grimm wol an die neun chÖre der enget dachte, dafür ist aber gerade an dieser stelle kein platz: kürewein ist vielmehr, wie das darauf folgende seral'ein zeigt, als 'cheruhim' aufzufassen.

An einer andern stelle hat dasselbe wort den gleichen irrtum erzeugt, in den Meisterliedern der Kolmarer hs. beschreibt Bartsch auch den inhalt des Cgm.'3b\. aufs. 135 erwähnt er ein daselbst /". 243 stehndes dreistrophiges lied mit der angäbe: in der letzten Strophe nennt sich ' Ketowein ' als Verfasser, es steht aber kero wein im reim auf serafein, und der mit obiger Strophe fast gleiche inhalt lässl keinen zwei fei darüber bestehn, dass auch hier die ' Cherubim ' gemeint sind, {vielleicht ist an dem zweiten misver- ständnis der bei Keller Fastnachtspiele iii s. 1416 erscheinende bruder Kuttewein mitschuldig.)

Ebenso spukt dieser dichter noch in der Dresdener hs. M 13, im Katalog s. 427.

xn ZU MUSKATBLÜTS MÜHLENLIED (Gioote nr 29) v. 1. Der erste vers dieses liedes, in der Trierer hs. und bei Groote:

Icli rüwet und will na eyner mül, in Cgm. 811 /. 60 und Basler hs. 0 iv 28 /". 26

Ich rewl und wül nach einer mül hat schon manches bedenken veranlasst. Groote erklärt: 'ich ruhte und verweilte nahe bei einer mühle' ; Puls {diss. s. 19) fragt, ob '■ich ritt und reiste', oder 'ich reite und will' nach einer mühle. Ich denke, dass wül aufser zweifei bleibt und rewt zu dem früher in bayrischer mundart sehr gebräuchlichen und auch jetzt noch nicht ausgestorbenen raiten = rechnen gehöre und der sinn also ist: 'ich rechne {erwäge) und wühle {grüble) über eine mühle'. über das wort selbst vgl. Schmeller n- 170//', wo zu den Zu- sammensetzungen zu ergänzen wäre, dass in Bayern im vorigen Jahrhundert das einmaleins der kinder mit dem {gedruckten) titel 'Railknecht' vorkam.

* [der hr verf. hat übersehen, dass ich die dichter Kürewein und heto- ivein bereits in jneincm Reininar von Zweier s. 164 mit haridschriftlichej- gtwühr aus der Welt geschafft halte. lioethe.]

ALTDEUTSCHE RLEIISIGKEITEN 159

xiii SCHERZHAFTE AUFZÄHLUNG VON MEISTERT()NEN. In der Abentheuerweis H. F(olzen). Der in den Sitzungsberichten der k. b. akademie d. w., phil.- hist. d. 1893 s. 168//" beschriebene (7/^.5102 enthält f. 164 das folgende launige lied des fruchtbaren Augsburger meist er Singers maier Daniel Ilohmann, dessen gröfsere werke ich in meiner schrift : Ein Verzeichnis der Augsb. meistersinger des \ijjhs., München 1893, auf- gezählt habe, im abdrnck sind die regellos und gerade bei Substantiven nur spärlich verwendeten großen anfangsbuchstaben beseitigt worden. Die darin erwähnten namenlosen töne sind von folgenden meistern: 'schrotweise' von Hart. Schrott von Augsburg, 'schlag- weise' von LNunnenyeck, 'lieber ton' von Casp. Singer von Eger, 'verkerter ton' ton Mich. Beheim, 'zugweis' von Frauenlob, 'blofser ton' von Mich. Herwert, 'gefangener' tind 'verborgener ton' unsicher'^. Eins iniils ein gueter freund mich Tragt, (las ich im vnbeschvverlich sagt, ob auch der singer weiber schon zu Zeiten sungen maysters Ihön. 5 ich antwort im: es ist nit lang, das mir mein weih gar selczam sang, er sprach: bericht mich des mit vieifs! ich sprach: des Sachsen morgen weil's sang ich an einem morgen frue; 10 mein weib stimmet mir zimhch zue. wir arbeyteten, wje ich sag, elwan zwue stund nach mittem tag. darnach gieng ich spaczieren aus, kam ungefar in ein wirts haus, 15 meine gsellen safsen beym tisch, zu ihnen seczt ich mich gancz frisch, des Vogels glasweis sangen wir, sein reben weis auch mit begir, wir sangen auch zue gleicher mafs 20 zuehand des Neidharts langen frafs. Die seh rot weis sangen wir der zeit, des Haiden kolber weis bereit sangen wir arthch und geziert; gegen dem abenl kam der wirf,

* [de>' gefangene ton v. 57 ist jedesfalh der so betitelte ton Hans f'ogels, de}- ja v. 56 genannt wird; einen vielbenulzlen verborgnen ton hat Fritz Zorn verfassl. ]{.]

160 ALTDEUTSCHE KLEIMGKEITEN

25 saug uns des Sachsen gülden thon,

den kundt unser keiner verston;

sein reben weis* auch inn der still,

den kundlen under uns nit vil.

ich war der erst der heim warcz gieng; 30 mein weih mil singen mich empfieng

inn Ihönen, wie ich aller sach

euch ieczt vermelden will hernach.

als ich gieng inn die sluben ein,

saug ich den Irischen Vogel fein; 35 mein weih hinder dem ölen safs,

des Vogels säur weis singen was.

die suefs weis begeri ich von ir,

sie sang den laugen Mar n er mir.

darunder menget sie mit tleifs 40 des Nunenbeckhen zeher weils. Den verwirlten Vogel ich sang,

in irem haar verwirlt mich lang,

den roten Zwinger ich bericht

saug starckh under ir angesicht, 45 den plavven Regenbogen auch

under ir angsicht lend vnd bauch.

als ich den lieben thon begert,

sang sie mir ein haist der verkert,

den plofsen thon auch au der stet 50 das hinder theil mir wefsen thet.

da sang ich die schlag weis mit graufs,

sangs inn der zugweis durch das haufs.

sie sang des Wilden flucht weis ball,

des Lochners clag weis der gestalt 55 vor dem richter, der mir unlind

den strengen Vogel sang geschwind.

der gefangen thon kam aufs der sach

des Folczen ketten weifs hienach,

den verborgen thon sang ich lang 60 das kam aus meines weibs gesang.

d. D. H. (= dichts Daniel Holzmann).

* [es muss statt 'lebenweis' m;o/ 'silberweis' heifseri; H Sachs hat huhie ebenweise verfasst, und auch der sinn empfiehlt die änderung. li.]

München. F. KEINZ.

DIE LNSCIIRIFTEN DES STEINS VON TUNE 161

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE.

zu BUGGES NEUER INTERPRETATION.

Die Sammlung der in ähereu runen abgefasslen inschrifleo ^'orwegens, welche Bugge mit ausführlicheD erläuteruugen heraus- gibt, ist mir zur kritischen besprechuug im Anzeiger anvertraut worden, das erste heft beliaudelt hauptsächlich den stein von Tuue und hat mich zu einer nachprüfung vieler mit diesem deukmal zusammenhängender fragen veranlasst, die ich auf Vorschlag der redactiou meiner anzeige der gesamtpublication voraussende.

Das original befindet sich seit 1857 in der universitälssamm- lung für nordische altertümer zu Chrisliania und ist für die heraus- gäbe im 1 heft von Norges iudskrifter med de seldre ruuer (Chri- stiania, 1891) von ORygh und dem herausgeber Bugge aufs neue untersucht worden, neu sind auch zwei von verschiedenen stand- puncten aus aufgenommene Photographien (in lichldruck), die in ungleichem mafsslabe ein kleineres und ein gröfseres stück des obersten teiles der dohtriR-seite des Steines darstellen, die Zeich- nungen beider inschriftseiten dagegen, sowie die der inschriflen an sich, die B. mitteilt, sind von VVimmer entlehnt, und B. citiert die empfehluug, mit der sie W. in seiner Runenschrift s. 152 einführt, aber schon in der M'iwaR-inschrifl, die ja in viel gröfseren dimensionen und regelmäfsiger eingehauen und besser erhalten ist, als die inschrift der andern seile, constaliert er hinter dem Worte after 'einen deutlichen puncl, der in der hier benutzten Zeichnung zu einer ritze gemacht ist' (s. 6), der 'angebracht sein muss, nachdem die ihn umgebenden runen geschrieben waren', weil sonst der abstand zwischen ihnen grüfser geworden wäre, als er ist (s. 25), und über welchem möglicherweise noch ein zweiler puncl eingehauen gewesen, im übrigen list B. diese seile genau so wie früher, also:

= ekwi^iaBafter woduri (rechlsläuüg) g

"o dewitadahalaiban:norahto:r[uDoB] i (liuksläufig) s

Winimer Runensclir. s. 152 stellt den schluss der iiischiifl durch l:runoR] dar. beide darstellungen sind hinsichtlich des interpunctionszei- chens gleich unzulänglich, da der obere puncl erhalten, der untere durch den bruch des Steines verschwunden ist. im übrigen aber verdient W'ininiers den Vorzug, da der erhaltene rest des auf den punct folgenden Zeichens keineswegs eine r-rune sichert, sondern auch ergänzung zu andern runen, zb. zu einer w-rune, gestattet.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. U

162 DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE

aber jener puuct bestärkt ihn wesentlich darin, das syntaktische Verhältnis der worle after und Moduride etwas anders zu eni- püodeo, nämlich nicht als: nach (= nach dem tode des) W., sondern als: hinterdrein (^ nach dessen tode) für W. (s. 23), also after als adverb, nicht als proklitische praeposilion, und woduride, 'womit es logisch zusammengehört' (s. 29), rein dativisch, den anstofs zu dieser auffassung die ihn im Arkiv 8, 16 sogar kurzweg sagen lässt: 'worahto r[unoH] auf dem Tune- stein ... ist verbunden mit einem dativ eines personennamens' hat freilich etwas anderes gegeben , das vermeintliche metrum der Inschrift:

ek WiwäR after

Wödürlde

ic^tädä-hlcitän

worhtö rnnöR. dass in dieser 'metrischen widergabe' die svarabhaktivocale fort- gelassen sind, begründet B. sehr bündig: 'das erste a in halaiban bildet keine eigene silbe. ebensowenig das a in worahto' (s. 23, vgl. auch s. 16). er muss also annehmen, entweder, dass die orthographische redaction der inschrift von einer andern person herrühre als ihr Wortlaut, oder, dass der Verfasser eine traditio- nelle Orthographie befolgt habe, die seiner eigenen ausspräche nicht durchweg adaequai gewesen, im übrigen list ß. das i in Wiwän etwas entschiedener, als es die 'metrische widergabe' er- kennen lässt, lang und deshalb ek als auftakt, lässt after die zweite hebung tragen und verschleift wUä-,

Als gründe für die Vermutung, dass die inschrift würkliche verse enthalte, führt B. an, dass 'von den in der inschrift vor- kommenden 4 Substantiven 3 mit w beginnen, wie die verbalform worahto, die vor das vierte Substantiv gestellt', und dass 'soviel wir bei einer spräche, von der so wenig übrig ist, beurteilen können, die Zusammensetzung >vitada-halaibau nicht der einfachste ausdruck für den begriff, den sie ausdrückt, zu sein, sondern dem höheren Stile anzugehören und gerade deshalb gewählt zu sein scheint, weil sie mit w beginnt'. als stütze endlich für jene Vermutung führt er die inschrift der Torsbjeerger zwinge und den aufang der Steutofla- inschrift an. ob diese poetisch oder pro- saisch sind, sind zwei fragen für sich.

Dass vier der erhaltenen worte unserer inschrift mit w an-

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE 163

fangen, ist wol unbestreitbar ', aber die kunstform des Stabreims erforderte doch nicbt, dass zwei aufeinander folgende langzeilen mit einander durcb allilteration verknüpft wurden; es wäre also etwas principiell unwesentlicbes, dass in beiden langzeilen gerade derselbe wortanlaut (w) reimte, die alliteration in der ersten ver- meintlichen langzeile nun kann sich nicht nur ohne jede poetische absieht eingestellt haben, sondern war ja unvermeidlich, wenn nicht WiwaR seinen eigenen namen oder den des loten ver- schweigen wollte.

Was die Stellung des verbs betrifft, so wäre freilich wita- dahalaiban runoR worahlo, als prosa betrachtet, mindestens eben so möglich und, als poesie betrachtet, eine noch schlechtere langzeile; aber schon eine langzeile witadahalaiban worahto r u uoR kommt mir für die mutmafsliche zeit WiwaRS so mangelhaft vor, dass ich sie nicht für beabsichtigt halten möchte, dass der reim das verbum über das object erhöhte, dazu lag weder der Stellung des subjects im Verhältnis zum praedicat noch dem sachlichen In- halt nach hier eine veranlassung vor, und das wäre doch leicht zu vermeiden gewesen, zb. bei erselzung des runoR durch wraita oder, falls etwa [wraita] 2 anstatt [rnnoii] zu ergänzen ist (vgl. hierselbst s. 161 anm.), schon durch blofse Umstellung, nun gar anzunehmen, dass dem Verfasser das kraft- und farblose verbum worahto als reimwort, und somit abermals w-allitteration, im voraus festgestanden habe und er gerade darum den ausdruck witadaha- laiban gewählt habe, dazu kann ich mich vollends nicht ent- schliefsen.

Dass witadahalaiban an sich den eindruck höheren stiis mache, kann ich nicht nachempfinden, dazu niüste ich erstens wissen, welchen begriff es ausdrückt, und zweitens, dass man diesen begriff damals im niederen Stile anders ausdrückte, der eindruck scheint auch bei Bugge nicht tief oder nicht alt zu sein: s. 18 findet B. die möglichkeit, witadahalaiban als 'fest angewie- senen kostkamerad' aufzufassen, es also nach analogie von an. nnglamh u. dgl. zu zerlegen, weniger wahrscheinlich und begründet sein urteil über diese auffassung so: 'denn bei ihr drückt witada-

* man niüste denn etwa, an got. qiwa- denkend, die k-rune doppelt lesen wollen.

2 wer die inschrift nicht für metrisch hält, fände natürlich [waraita] besser als [wraita].

11*

162

DIE INSCHRIFTEN DB STEINS VON TUNE

aber jener puuct bestärkt ihn v»seütlich darin, das syntaktische Verhältnis der worte after undvoduride etwas anders zu em- plinden, nämlich nicht als: nac (= nach dem tode des) W., sondern als: hinterdrein (=nach dessen tode) für W. (s. 23), also after als adverb, n;ht als proklitische praeposition, und woduride, 'womit es logisc zusammengehört' (s. 29), rein dativisch, den anstofs zu dieseiauffassung die ihn im Arkiv 8, 16 sogar kurzweg sagen lässt: worahto r[unoii] auf dem Tune- stein ... ist verbunden mit einei dativ eines personennameus' hat freilich etwas anderes gegeba, das vermeintliche metrum der inschrift:

ek Wiwä after

Wödurlo

witädä-Jaibän

worhtö inöR. dass in dieser 'metrischen wide^abe' die svarabhaktivocale fort- gelassen sind, begründet B. sehibündig: 'das erste a in halaiban bildet keine eigene silbe. ebenjwenig das a in worahto' (s. 23, vgl. auch s. 16). er muss alsc annehmen, entweder, dass die orthographische redaction der iichrift von einer andern person herrühre als ihr Wortlaut, oder.dass der Verfasser eine traditio- nelle Orthographie befolgt habe die seiner eigenen ausspräche nicht durchweg adaequat gewesD. im übrlE^p^ ''"' " ' WiwaR etwas entschiedener, alses die 'm« kennen lässt, lang und deshalb e als auf! hebung tragen und verschleift \tä-

Als gründe für die vermut verse enthalte, führt B. an, dj kommenden 4 Substantiven worahto, die vor das vij wir bei einer sprac^ können, die zusami ausdruck für den höheren stile ai scheint, weil %^ Vermutung fül anfaug der saisch sind,j Dass

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DIE INSCHRIFTEN STEINS VON TÜNE 163

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fangen, ist wol unbestreitbar i, ber die kunstform des Stabreims erforderte doch nicht, dass zwt auf einander folgende langzeilen mit einander durch allitterationverknüpft wurden; es wäre also etwas principiell unwesentlichem dass in beiden langzeilen gerade derselbe wortanlaut (w) reimte, iie alliteration in der ersten ver- meintlichen langzeile nun kann ich nicht nur ohne jede poetische absieht eingestellt haben, soncrn war ja unvermeidlich, wenn nicht WiwaR seinen eigenen imen oder den des toten ver- schweigen wollte.

Was die Stellung des verbf betrifft, so wäre freilich wita- dahalaiban runoR worahtt, als prosa betrachtet, mindestens eben so möglich und, als poesidietrachtet, eine noch schlechtere langzeile; aber schon eine langzle witadahalaiban worahto runoR kommt mir für die mutafsliche zeit WiwaRS so mangelhaft vor, dass ich sie nicht für beabsicligt halten möchte, dass der reim das verbum über das object erhate, dazu lag weder der Stellung des subjects im Verhältnis zum faedicat noch dem sachlichen in- halt nach hier eine veranlassungvor, und das wäre doch leicht zu vermeiden gewesen, zb. bei ersßung des runoR durch wraita oder, falls etwa [wraita] 2 aniilt [ronoB] zu ergänzen ist (vgl. hierselbst s. 161 anm.), schon dreh blofse Umstellung, nun gar anzunehmen, dass dem verfasse das kraft- und farblose verbum worahto als rein^- * rmals w-allilteration, im voraus

^"^ larum den ausdruck witadahä-

ich mich vollends nicht ent-

Uli

(tili udL^nyjt

jegrifF ^0|

■ud zw

amai

011

höheren Stils mUste ich erstens

eitens, das*« m,,, en- i nicht

11 s. 6 und 25.

11: bei Wimmer,

I ter in dieser liin-

inschriftcn zu einander (i für wesenllicli gleich- I halten (vgl. hierselliflt

politischem sinne geJiinlig.

164 DIE LNSCimiFTEN DES STEINS VON TUNE

einen bcgrill aus, der, ^vie es sclicinl, als {^altungsmerkmal uiclil so hezeiclinend für halaiba gewesen sein kann, (kiss man er- warten sollte, es als erstes zusammenselzungsglied damit verbunden zu finden', mit so nücliternen anforderungen an praegnanz ver- trägt sich die characlerisierung unseres conipositums als eines ausdrucks hölieren slils und die rechtfertigung seiner wähl durch hinweis auf das reimhedürfnis schleclil.

Um aus rücksichl auf den neuentdeckten punct das Verhältnis der Worte after und woduridc anders als bisher zu beurteilen, dazu milsten wir in der gesamtinterpunclion der insclirift ein syntaktisches princip wenigstens durchschimmern sehen.

Bei besprechung der andern seile des Steins sucht B. die orthographische Verschiedenheit des dort von ihm conjicierlen [aftcJR und unseres after daraus zu erklären, dass ersteres würk- lich proklitische praeposilion ist. falls man nun etwa den spiefs umkehren wollte, so könnte ich auch diesem letzten argumenle kein gewicht zugestehn. sehr glücklich führt B. s. 29 die er- sclzung von -r durch -ä, deren älteste belege [afte]R und ubaR sind, zurück auf 'analogischen einfluss comparalivischer adverbia auf -iJ, in denen dies r. aus gemeingermanischem -z entstanden war (so der adverbia auf *-iR, *-ör und *maiR 'mehr' ua.)', der natürlich sei, weil auch jenes 'comparativische worte' seien, wenn er es aber für möglich hält, dass 'die form afteB früher in pro- klilischer Stellung gebraucht sein kann, als da, wo das wort ab- solut stand und betont war', so scheint mir die ratio dieses ent- wicklungsganges unentdeckbar, und ich würde a priori eher den umgekehrten voraussetzen.

>Yäre after tatsächlich durch Orthographie, inlerpunction, verseinschnitl und hebung als adverb characterisiert , so würde m. e. selbst Buggcs neue interpretation nicht ausreichen, son- dern als der zeitpunct, von dem an gerechnet wäre, müste dann entweder die einmeifselung der dohlriK- insclirift oder ein in dieser erzähltes ereignis gelten; diese müste also älter sein als die M'iwaR- Inschrift, ß. nimmt s. 29 das gegenteil an. sein einziges argumcnt ist freilich nur der eindruck, das äufsere des Steins spreche dafür, dass nur die wiwaR-seite von vorn- herein dazu bestimmt gewesen beschrieben zu werden (s. 24); denn der hübschen ^Yimmerschen erklärung für die mangelhafte lechnik der dobtriR- Inschrift, sie sei erst eingehauen, als der

DIE LNSCHRIFTEN DES STELNS VON TUNE 165

stein bereits aufgerichtet war, niisst B., und allerdings mit recht, entscheidendes gewicht nicht bei (s. 39). wenn Bugges annähme (s. 25) richtig ist, dass auf der dohtriB-seite der untere teil der linken und der mittleren zeile vollständig bewahrt ist, und dass alle drei Zeilen ungefähr gleich weit abwärts gereicht haben, so könnte Wimmer zu gunsten seiner hypothese auch den umstand anführen, dass die dohtriK-inschrift ca 46 cm weniger weit abwärts reicht, als die wIwaR-inschrift , die, wie der stein jetzt steht, der erde bis auf 36 '/2 cm nahe kommt: an dem aufrecht aus der erde hervorragenden steine zu meifseln, wäre natürlich je weiter unten um so unbequemer gewesen, jedoch ehe dieser umstand verwertet werden dürfte, müsle auch erstens noch wahrscheinlich gemacht sein, dass die grofse abbröckelung unterhalb der dohtriR- Inschrift jünger als die inschrift sei, und zweitens eine Untersuchung des jetzt in der erde steckenden teiles das allerdings von vorn- herein wahrscheinliche resultat ergeben haben, dass der stein auch bei seiner ersten aufrichtung nicht erheblich flacher einge- lassen sein kann, wenn er einigermafsen fest stehen sollte 2.

Das einzige wort der wiwaR-inschrift, welches der Übersetzung ernstliche Schwierigkeit bereitet, ist der dat. sg. masc. witadaha- laiban. B. übersetzt ihn: 'lags - frelle', und freier: 'krigs- kammerat'. ersteres könnte man etwa: ' verei nsgenosse' oder: 'gesellschaftsgenosse' verdeutschen 3. er geht von der Voraus- setzung aus, dass das zweite compositionsglied dasselbe bedeute wie got. gahlaiba. den mangel des ga- hier und in ahd. örrnno, nölstallo erklärt er durch 'einen drang Zusammensetzungen zu vermeiden, in denen ein glied wiederum als Zusammensetzung auf- gefasst wurde, denn solche 'decomposita' sind den alten germani- schen sprachen überhaupt zuwider' (s. 16). letztere behauptung scheint mir etwas gewagt; denn um von solchen Zusammen- setzungen, deren erstes glied schon ein compositum ist, gar nicht

* ungefähr diese difTerenz ergiebL sich aus Bugges angaben s. 6 und 25. die Petersenschen Zeichnungen, sowol bei Stephens wie bei Wimmer, scheinen die proportionen sehr zu verzerren; viel correcter in dieser hin- sieht scheinen die Zeichnungen bei Munch zu sein.

^ wie Läffler sich das zeitliche Verhältnis beider inschriften zu einander denkt, ist mir nicht ganz klar; er scheint beide für wesentlich gleich- zeitig und beide für von WiwaR eingehauen zu halten (vgl. hierselbst s. 174 anm. 2).

^ Noreens 'bundesgenosse' ist mir nur in politischem sinne geläufig.

1ÖI3 DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE

zu retlen so sind ja nicht nur auch nötgestallo und örkim'ow, sondern viele andere worle mit innerem -ga- ijelegt: got. aglait- gastalds, mipgasinpa, ahd. huskinöz, as. hehngürösteo , ae. heaJs- gebedda , beodgeneat , langob. andegauuerc et arigauuerc usw., darunter solche, die sich durch ihre lautform als recht all er- weisen, wie ae. gupgeldwe (Kluge Kuhns zs. 26, 75, Pauls Grdr. 1 344). ferner ist es nicht in jedem falle richtig, den einem com- positum innewohnenden wie Grimm ihn nennt gesell- schaftsbegriff als eben so alt wie die composition selbst zu betrachten; dieser begriff kann sich unter umständen auch erst nachträglich einfinden, wie zb. hei unserm landsmann. vor allem aber ist es überhaupt nicht sicher, dass der gesellschaftsbegriff in unserm compositum wirklich stecke, es ist ja sehr wol denkbar, dass durch >fitadahalaiban der tote, ohne die leiseste andeutung darüber, ob er einen gahlaiban gehabt habe, als einer be- zeichnet wird, der witada- brod gewährt oder bezogen, vielleicht (leui Wiwan gewährt oder von Wiwan bezogen habe.

B. list, wie schon gesagt, xoitüda- und setzt dies = ur- germ. *witeda-, dem part. zu lat. videre , got. witan (icitaida), das im an. sowol als adjectivisches vitaär mit den bedeutungen 'ausersehen, angewiesen, bestimmt' vorkomme wie auch in dem ackernamen Vttazgjaß 'han som giver det, som er visst'. und wie der erste teil dieses namens so könne, meint B. , auch unser witada- substantivisch gedacht sein, eigenthch bedeuten 'det hestemte', 'anvisning' und besonders angewandt worden sein auf das durch feste bestimmungen geordnete Verhältnis der gefolgs- leute, welche demselben häuptlinge dienen, zu einander.

Gewis ist das punct für punct denkbar, aber wodurch wird die sich so ergebende möglichkeit vorausgesetzt selbst, dass -halaibaii notwendig 'genösse' bedeuten müsse zur Wahr- scheinlichkeit? erstens könnte »itada- grammatisch zwar genau so aufzufassen sein, wie Bugge will, aber ein anderes Verhältnis meinen als das von gefolgsleuten zu einander, auch ein anderes als das von gefolgsleuten zu ihrem häuptling. zweitens könnte es zwar etymologisch von B. richtig gedeutet, aber adjectivisch gemeint sein. B.s hiergegen erhobener einwand (hierselbst s. 163) ist schwach; denn weder dass ein adjectivisches wUada- den be- griff'kostkammerat' erheblicher modificieren müsle, als etwa trüt- in trntgespile den begriff gespile, ist uns verbürgt, noch auch

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE 167

dass es ihn nicht ungefähr ehen so erheblich modificieren könnte wie tmg- in nnglainb den begrifl" lamh. drittens erklärt B. seihst es nur für 'weniger wahrscheinlich', dass wifada kurzes a in der zweiten silbe habe, indem er gegen die parallelisierung von witada- und ßloro- einwendet, letzteres sei wol von einem no- minalstanime ßio- abgeleitet, gegen die annähme eines ablauts- verhältnisses zwischen got. witöda- und witada- aber bemerkt, gol. iDÜöp sei doch wol am wahrscheinlichsten von einem verbum *witön abgeleitet, und dann lakonisch hinzufügt, holl. tcet f. 'geselz', pl. toetten, erkläre Möller (Beitr. 7, 478) aus einer grundforni *witadä-. den ersten einwand versteh ich nicht; denn warum sollte witada- nicht von einem nominalstamme *wita-, oder idg. *vido-, abgeleitet sein können? (vgl. hierselbst s. 168). überdies liefse sich ja witada- auch mit got. liuhada- in eine linie stellen, da die kürze der ersten silbe eben so unsicher ist wie die länge der zweiten.

Die alte existenz eines verbs * witön ist ziemlich fragwürdig Sievers (Ags. gramm.'- § 416, anm. 6) lässt ae. Imoitian in die 2 klasse nur übergetreten sein ; je zuversichtlicher man sie aber voraussetzt, um so weniger zuversichtlich kann man das a in an. vitn^r und Vita%- auf urgerm. e , statt auf ö , zurückführen, wenn wir von wüdp absehen, begegnet im got. kein einziges neutrales part. praet. eines schwachen verbs mit ausgeprägt sub- stantivischer bedeutung. deshalb halle ich nach wie vor die Ver- mutung, dass wüüp auf einem alten consonantischen stamme be- ruhe, die neuerdings auch Bartholomae (Stud. z. idg. sprachgesch. I 63 f.) angedeutet hat, für nicht unwahrscheinlich.

Betreffs ek kommt B. zu der ansieht , zu welcher auch Kluge in Pauls Grdr. i schliefslich , dh. s. 394 § 52 gelangt, als selb- ständiges wort könnte ek, sagt B. s. 9, aus einem idg. *eg6 her- vorgegangen sein; 'aber wenn die form ek auch proklitisch ge- braucht wird, kann sie kaum in dieser Stellung aus einer idg. grundform ego- entstanden sein; denn o müsle sich wol als a erhallen haben, wie ö im auslaute eines Vordergliedes einer Zu- sammensetzung, vielmehr scheint das Verhältnis zwischen den bei- den urnord, formen ek und -eka dafür zu sprechen, dass ek aus einer idg. form *eg (ohne nachfolgenden vocal) entstanden ist, die in der idg. Ursprache vor tunenden lauten zu hause gewesen '.

Dass die idg. grundform des proklit, ek selber schon pro-

168 DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE

klilisch gewesen sei, ist eiue nicht nur unnötige, sondern un- wahrscheinliche Voraussetzung, nimmt man aber an, *^gö sei vor eintritt jedes germ. auslautgesetzes prokiitisch gebraucht wor- den, so können nominalcomposita nicht dafür zeugen, dass es in dieser Stellung hätte *Ska- bleiben müssen, das Verhältnis zwischen der urnord. proklitischen und enklitischen form könnte gegen die ableitung der proklitischen aus *Sf)ö und für ihre ableitung aus *^g doch nur dann sprechen, wenn man die urnord. enklitische form auf *^^Ö zurückführte; das tut aber B. nicht, sondern er erkennt s. 8 an, dass sie sich mit einem idg. *S(}öm verträgt, und ich möchte sogar auch das proklitische ek noch immer als reinlautgesetzliche fortsetzung eines *eka"{><) anerkennen; jedes- falls weit lieber als etwa mit Kluge (Pauls Grdr. i 360) an die möglichkeit von so etwas glauben , wie dass got. ana ' durch völlige tonlosigkeit der apokope entzogen' sein könne.

Das idg. *eg ist vorläufig sehr zweifelhaft und findet am germanischen jedesfalls keine stütze.

Dass M'iwaß langes i habe, hält B. s. 12 deshalb für wahr- scheinlich, weil 'kurzes i unter dem einflusse des folgenden a wol zu e geworden wäre', combinieren wir hiermit, dass er die kürze des ersten vocals von witada- stillschweigend als sicher voraussetzt und doch die qualität desselben keiner rechlfertigung würdigt, so können wir schliefsen, dass B. den eintritt des sogen, a- Umlauts von i früher als den abschluss des lautwandels von urgerm. e in urnord. ä setzt, da ich aus Inschriften, welche ungefähr auf derselben sprachstufe wie der Tunestein zu stehn scheinen, weder einen sichern beleg für eingetretenen noch einen sichern beleg für unterbliebenen a-umlaut des t kenne, so kann ich bisjetzt den schluss aus der qualität des ersten vocals von wiwaR auf seine Quantität nicht mitmachen, sondern muss Brenners ansieht; wiwaB = aisl. * Ver als eben so berechtigt gelten lassen, neben die möglichkeit des Zusammenhangs von wiwaR mit got. xoeihan stellt B. als eine zweite die nächster Zusammengehörig- keit mit got. weihs 'heilig', lautlich ist leider damit nichts ge- wonnen, und überdies können weihan und weihs^ wenn man an die bedeutungsentwicklung von leQog denkt, leicht selber aus einer wurzel entsprossen scheinen,

after leitet B. aus vorgerm. * apter her (s. 12). alternativ neben *apteri hatte diese grundform bereits JSchmidt Plural-

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE 169

bildiingen s. 197 aufgeslellt, und zwar sowol für unser after wie für an. eplir, obwol mit den sonstigen dort (s. 198 ff) angenommenen entwicklungen die grundform *apter gar nicht, und *apteri nur als grundform für an. epu'r unter der Voraussetzung, dass dies ursprünglich nominalcompositionsform war vereinbar ist. die grundform *apteri für after verwirft B. deshalb, weil sie nach seiner und Torps meinung auf dem Tunestein *aftir ergeben hätte ', wie das *-eti der 3 sg. praes. in dem bAriu(il> des Stentofta- sleines durch -i|) reflectirt werde, mit eben so gutem recht könnte man sagen, vorgerm. *apter mUste gleichfalls *aftir ergeben, denn vorgerm. *-es erscheine in dohtriB als -ir. wenn B. das urgerm. i von doblriB s. 27 entstehn lässt 'in unbetonter silbe unter einwirkung des folgenden consonanten', so bleibt leider dunkel, ober dem umstand, dass überhaupt ein consonant folgt, oder wie Paul Beitr. 4, 418 tat dem, dass speciell -z folgt, wert beilegen will, ich lege nur dem wert bei, dass nicht speciell r folgt, diesem umstände aber denselben wert in bAriuti}) wie in dohtriB. für in jedem falle irrelevant hält auch B. es nicht, ob der auf das ursprüngliche e folgende consonant ein r oder ein anderes nicht-s ist. an. eptir nämlich geht nach seiner meinung auf ein idg. * apterei zurück und würde nach seiner meinung auf dem Tunesteine *afteri heifsen, und hierin könnte die intaclheit des e doch nur auf rechnung des folgenden r ge- setzt werden, da zb. 'geheifsen' zweifellos auch auf dem Tune- steine so lauten würde wie es auf dem Tanumsteine lautet, näm- lich haitinaH, mit i statt idg. e in mittlerer silbe. warum aber *apteri nicht, trotz bArlutip, after ergeben soll, wenn -^apterei, trotz haitinaB, ein *afteri ergäbe, sehe ich nicht ein, und eben deshalb scheint mir die grundform *apter entbehrlich, während ich B.s standpunct hier also höchstens als halbberechtigt an- erkennen kann, stimme ich ihm sowol darin vollkommen bei, dass das AfatB des Istabysteines die durch synkope regelrecht wie bA{)nnolafB verkürzte und wie dies mit svarabhaktischem a geschriebene fortsetzung von [afte]B sei, als darin, dass an. aflr\ aptr seiner bedeutung wegen zu got. aftra zu stellen sei und sich zu ihm verhalten könne wie oft zu ufta usw.

' bei dieser meinung hätte es jedesfalis recht nahe gelegen, die frage wenigstens zu streifen, ol) auf der dohtriB- seile nicht [afti]B statt [afte]B zu ergänzen möglich sei.

170 DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE

Auch die neue etymologische auffassuug des composilions- gliedes wodu- als des adjeclivischen n-slammes mit der bedeutuug 'wütend', den Kluge Stammbildungslehre § 181 f erschlossen, ist gewis die beste.

In den Streitfragen, ob das -e des dativs woduride und der übrigen urnord. dative von o- stammen, sammt dem entsprechen- den an. -e, -i und westgerm, -e den idg. dativausgang -öi oder den idg. localivausgang -oi, und ob das got. -a den idg. locativ- ausgang -oi oder einen idg. dativausgang reflectiere, ergreift B. nicht partei, sondern er begnügt sich mit einem kurzen, sogar zu kurzen, berichte (s. 14). ob er mit CoUitz (Bezz. Beilr. 17, 48 Q idg. -äi und -öi zu urgerm. -ai werden lässt, bleibt unklar, es sieht aber mehr danach aus, dass er es nicht lul; die andere CoUitzsche folgerung dagegen (aao, 46f), dass nämlich idg. -oi, -ai mehrsilbiger Wörter bereits urgerm. durch -a fortgesetzt werde, lehnt er, ohne sie zu erwähnen, dadurch deutlich ab, dass er zwischen idg. -oi und idg. -öi, wie gesagt, nicht wählt und trotzdem unser -8 von vorne herein als lang und -ai als seine urgerm. gestalt betrachtet, gegen die hierdurch ja gleichfalls abgelehnten her- leitungeu unseres -e aus einem idg. dalivischen -e (noch älteren -ei) oder ablativischen -ed oder instrumentalischen -e sprechen nach seiner ansieht die urnord. nominative der raasculinen n-stämme auf -a und der urnord. nominativ swesfar des Steines von Opedal. inwiefern, lässt sich aus seinen bemerkungen im Arkiv 8, 17 ff. entnehmen, auf die ich jedoch vorläufig nicht eingeh, weil er sie vermutlich bei der zu erwartenden neuen besprechung der Opedal-inschrift etwas modificieren wird, schon hier scheint er mir von den dort vertretenen anschauungen erheblich und glücklich abzuweichen, am klarsten mit dem satze (s. 33): 'die Verkürzung der vocale in silben mit nebenton scheint erst stattzufinden gegen den schluss des Zeitraums, wo die runen der längern reihe die einzige schrift im Norden waren', ohne diese abweichuug wäre er hier so wenig berechtigt das -e von woduride für lang zu halten, wie er dort berechtigt ist Wa^e zu sprechen.

Entschiedener als in den dativ-streitfragen nimmt Bugge, ge- legentlich unseres norahto, betreffs des dental-pl-aeteritums Stellung zu CoUitz. er widerspricht Collilz, dessen aufsatz hierüber inzwischen auch in Bezz. Beitr. 17, 22711 erschienen ist, nur in einem puucte, in diesem aber ausdrücklich, er ersetzt nämlich die Gislasonsche

DIE IINSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE 171

idenlificierung des urnord. -o mit dem -au des got. conjunctivs durch eine neue liypothese (s. 20): 'im got. Iiat das schwache praeteritum in 2 person sg. die endung -(d)es. diese entspricht wahrschein- lich der aind. secundären endung in 2 ps. sg. med, -thäs. also scheinen got. 1 und 3 ps. waurhla ihrem Ursprung nach perf. med. zu sein , 2 ps. waurhtes dagegen aor. med. aber in 2 ps. sg. hat das ahd. gewöhnUch die endung -ös, zb. kesnahtoos in der ßenediclinerregel. das lange o (indet sich im alemann, auch in 1 und 3 ps. plur.: suohtön, 'wir, sie suchten' (Kögel in der Zeitschr. f. gymu. 34, 407). Sievers vermutet (Beitr. 9, 562), dass dieser in den endungeu des schwachen praeteritums auf- tretende Wechsel von e und ö von hause aus auf verschiedener Stellung des haupttones beruht, und er hält in den urnord. formen der 1 ps. worabto usw. für von hause aus identisch mit dem langen ö in ahd. formen der 2 ps. zb. kesnahtoos.

Es scheint mir möglich, dass das urnordische einst in der 2 ps. nicht nur eine dem aisl. -er, -ir, got. -es entsprechende form gehabt hat, sondern auch eine form mit langem o wie in ahd. -ÖS. danach könnte für die 1 ps. die form *-ön später (wie in worabto usw. vorliegt) gebildet sein, wie man im ahd. teilweise das lange o aus der 2 ps. sg. in pluralformen übertragen hat und wie mau im griechischen nach JWackernagel (Kuhns zs. 30, 307) nach 2 ps. -d^r^g im aorist (= aind. -thäs) 1 ps. -d-tjv gebildet hat. der vocal ö in worabto würde nach dieser erklärung ursprünglich dem aor. med. angehören, während das -a der endung in got. waiirhta ursprünglich dem perf. med. an- gehört hat'.

Dass die berufung auf Sievers darlegungen Beitr. 9, 561 ff hierher passt wie die faust aufs äuge, wird sich jeder selber sagen, der die stelle nachschlägt, auch die kühnheit der hypo- these springt wol ohne weiteres ins äuge, was aber leichter über- sehen werden könnte, ist, dass diese hypothese sich selber über- flüssig macht, dass sie dies aber, genau genommen, gar nicht zu tun brauchte, so, wie sie vorliegt, setzt sie ja für jene asch- graue Vorzeit der nordischen spräche, wo man noch nicht flectierte: 1 ps. *worhtdn\ 2 ps. *iDorhtds, sondern halte: 1 sg. perf.

* icti behalte dieses, auf jeden fall anachronistische, -w der bequeni- lichkeit halber bei und schreibe demgemäfs in der 2 ps. -s. auch im übrigen kommt es mir hier keineswegs auf genaue reconslructionen an.

172 DIE LNSCHIUFTEN DES STEINS VON TUNE

*icorkai (resp. *icorh(ai), 2 sg. aor. * icorhtüs , als unentbehr- liches erfordernis ein paradigma voraus, in welchem die 1 ps. sg. bereits auf -n, die 2 ps. sg. auf -s ausging; denn die 1 ps. *worhtön, auf die die hypolhese hinausläuft, kann doch weder aus '^icorkai (resp. *ico)litai) noch aus irgend einer andern l ps. aufser aus einer auf -n ohne das muster einer auf -n gebildet sein, waren nun aber im voraus schon oder noch 1 pss. auf -?i (= idg. -m) vorhanden, so ist schwer abzusehn, warum darunter nicht solche auf -ön gewesen sein sollten; und waren solche auf -ön darunter, dann brauchen wir das ö nicht aus der 2 ps. herzuholen; von einem *kunön *kui\pes aus lässt sich durch Verschleppung des^ zu einem *kuvpön Hunpes gelangen, dagegen hätte die hypothese, wenn auch nicht band und fufs, so doch eines von beiden, verlegte Bugge die neubildung der 1 ps. dicht vor die zeit, aus der unsere inschriften stammen: ahd. icorhta l ps., nach Collitz-Bugge = urnord. *icorahte ahd. icorhtös 2 ps., mutatis mutandis = urüon]. '^icorahtöR; daraus, mit ersetzung des -e der 1 ps. durch das ö der 2 ps., 1 ps, icorahtö = worahto auf dem Tunesteine. was Bugge ver- hindert hat, sich die sache so leicht zu machen, lässt sich er- raten : das bedenken, dass dicht vor der zeit unserer inschriften die 2 sg. praet. doch wol nirgend mehr auf -ör ausgegangen sein werde, andererseits aber ein viel früher in die l ps. übertragenes nacktes bereits auf dem Tunesteine -ii, und bald danach gar nicht mehr geschrieben sein würde, indes ist bisher dieser entwicklungsgang nur für geradezu urgermanisch auslautendes bezeugt, und was das erste bedenken anlangt, so ist es beinah ebenso unwahrscheinlich, dass eine urnordische 2 ps. sg. praet. auf -CB, wie dass eine auf -or in ruuen zu tage kommen werde, sobald aber eine, und zwar sichere, auf -or zu tage kommt, bin ich überzeugt.

Von den ausstelluogen, welche B. an der Wimmerschen Zeichnung der ilohtriR-inschrift zu machen hat, sind die erheb- lichsten die, dass der abstand der rune J) von der obern kante des Steines etwas zu grofs (s. 25, anm. 2) und die auf das J) folgende rune nicht genau widergegeben ist (s. 38, anm. 1), was beides die Photographien bestätigen.

Die bisher vorhersehende lesung dieser Inschrift war be- kanntlich:

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE 173

arbii2asfi3osfeB.arbii3ano (reclitsläiifig) = })uii3oRdohfriHdaliduii (linksläufig) |- =■ : «u|K)s : a|>!Jnpo.UH[3)je] (oynB|s>|ui|)

Aber Vigfiisson (Corp. poet. bor. i 436, 572 f) batle mebrere runeo anders gelesen, namentlich {)r stall ))u und durchweg j stall V,- und diesen beiden Vigfussonschen lesungen ' schliefst sich B. mit aller entschiedenheil an, während er die übrigen ncuerungen Vigfussons, die in der tat keiner Widerlegung be- dürfen, kurzweg verwirft. *die zweile rune in der niittelreihe', sagt B. s. 38, '...ist auf dem steine unglücklich eingehauen und ist sowol von den r-runen wie von den u-runen, die sich sonst auf derselben seile finden, wesentlich verschieden, der seiten- slricb biegt sich zuerst nach unten , aber gehl dann auswärts nach links, dieser seilenslrich , der auswärts nach links geht, ist in seinem ersten teile ebenso lief und glalt wie der seilenslrich im übrigen, und der macht es notwendig, die rune als r, nicht als u zu lesen, der letzte teil des seilenslriches, durch den dieser mit der folgenden rune i verbunden ist, ist dagegen weniger glatt und tief, und der muss als zufällig angesehen werden'.

Auf B.s Photographien sieht das auf J) folgende am ehesten aus wie (linksläufiges) is. da jedoch alle, welche den stein selber gesehen haben, mil B. wenigstens darin übereinzustimmen scheinen, dass sie nicht is, sondern statt dessen nur eine rune lesen, ja die lesung is weder als undenkbar noch als ev. denkbar über- haupt nur erwähnen , so muss sie wol unmöglich sein : um so sicherer, je näher sie wenn die zUge des Originals sie irgend zuliefsen deshalb läge, weil ihr s zusammen mil den 3 folgenden runen ja einen complex ergäbe, der sich mil rune 7 10 der Imken zeile deckte.

Während sich B. zu der lesung |}r statt J)u schon aus rein graphischen gründen gezwungen sieht so dass es ihm eigent- lich nicht der mühe wert sein sollte, noch sprachliche einwände (s. 30 f) gegen die lesung Jiu zu machen , entscheidet ersieh fllr die lesung j stall V, eingeslandenermafseu ausschliefslich aus gründen der interprelalion, indem er unumwunden zugesteht (s. 37), dass das fragliche zeichen wesentlich dasselbe sei wie das ij-zeichen anderer Inschriften und sonst bisher nirgends j bedeute, und aus

' Bugges Vermutung (•5.43), dass icli diese lesungen 1884 nocli niclit kannte, ist riclilig.

174 DIE LNSCilRlFTEN DES STEINS VON TüiNE

griliuleu der nämlicheu art gelangt er, und zwar vor unsern augea

zwischeü dem 13 juni und l juli 1891 zu der Überzeugung, dass die rechte oder die rechte und die mittlere zeile der inschrift oben unvollständig sei, das denkmal also, wie auf der wiwaR- seite , so auch auf dieser seite etwas von seiner ursprünglichen höhe eingebUlst habe (s. 33), was er vorher (s. 25) aus innern wie äufsern gründen unwahrscheinlich, wenn auch keineswegs den äufsern indicien nach undenkbar gefunden.

Die auffassung des Zeichens ^> als einer form der j - rune schliefst die zwar sehr überraschende, aber nicht von vorne herein unzulässige Voraussetzung in sich, dass dem verfertiger unserer inschrift die ij-rune entweder nur in hiervon verschiedener ge- stalt oder aber als lautzeichen überhaupt ebensowenig geläufig gewesen sei wie dem WakraR von Reidstad.

Alle anlaufe, welche von den 3 Voraussetzungen ausgingen : den lesuugen Iju und JJ und der annähme, dass unsere inschrift

abgesehen von dem untersten teile der rechten zeile voll- ständig sei, haben zu keiner einwandfreien gesamterklärung geführt.

Bugge list:

[afte]B noduride : staina : (linksläufig) J nnp!{i;[> Hij;qop Hurijc} (äyueisiiaii) ^ onBfiqji! Haisofis «riqje (gijneisiqoaj) nimmt au, dass in der rechten zeile hinter staina: oder aber teils hier, teils in der mittleren vor [)rijoB, oder endlich beide Zeilen verbindend noch eine 3 ps. pl. mit etwa der bedeulung 'setzten', 'errichteten' oder 'beschrieben'^, oder auch mehrere Wörter, zb. noch ein wort mit der bedeutung 'auch', auf einem längst abgebrochenen und verlorengegangenen teile des Steines gestanden-, und übersetzt: ' efter Vodurid [mserkede] tre dotre stenen, de nsermest besiseglede af arvingerne dellearven'. d.i.: ' uach (= nach dem tode des) Vodurid [beschrieben] den stein drei tochter, die nächstverwanten unter den erben teilten das erbe'.

Da 'teilten' so viel besagen soll wie 'teilten unter sich', so erinnert der satz 'die nächstverwanten unter den erben teilten

* ich meine mit dieser Übersetzung des Buggeschen 'maerkede' selbst- verständlich: inscripserunt.

^ Läffler (Uppsalastudier s. 5 anm. 1) giebt 'setzten' den vorzug vor 'beschrieben': "märkf stenen, d. v. s. skrivit runorna, hade ju WiwaR'. vgl. hiersclbst s. 165 anm. 2.

DIE INSCHKIFTEN DES STEINS VON TUiNE 175

(las erbe' in logischer liinsicht einigermafsen an solche salze wie 'ich bio der älteste meiner brilder' oder 'es ist ein glück lilr deine kinder, dass du keine hast', gewis ist es Dicht unlogisch, zu sagen: 'unter den und den umständen solider und der erbe nichts erben', oder auch: '. . .sollen alle erben nichts erben'; aber nach geschehener teilung jemand, der nichts abbekommen hat, noch mit unter die erben zu rechneu , um dann diejenigen, die tatsächlich geerbt haben, geflissentlich als nur einen brucliteil der erben zu kennzeichnen, kommt mir sonderbar vor. zum min- desten muss, wer das tut, mit seinen gedanken noch tief in der Situation, die vor der teilung herschle, belangen sein; denn 'der erbe' bedeutet und bedeutete auch ursprünglich nicht soviel wie der 'verwaiste', sondern 'das erbe' ist es, wonach er in allen germ. sprachen benannt ist; vgl. Sievers in den Beitr. 12, 174 IT. Bugge scheint in jenem ausdrucke nichts auffälliges zu findend er erwägt nur (s. 36), ob die 'drei tüchler' in den 'nächstver- wauten unter den erben' mitiubegriffen seien, und hält wegen der unverbuudenheit der beiden aussagen (a) 'drei töchler [be- schrieben] den stein', (b) 'die nächstverwauteu unter den erben teilten das erbe' für das wahrscheinlichste, dass sie das nicht seien, oder vielmehr genau genommen für das wahrschein- lichste, dass sie überhaupt in den 'erben' nicht mitiubegriffen seien, für ihre nichlzugehörigkeit zu den 'erben' überhaupt findet sich aber wenn wir annehmen, dass söhne näherverwante erben waren, als töchter waren, in B.s Übersetzung kein anhält, anders in der aus dieser erwachsenen Läfflerschen (üppsalastudier tillegnade Sophus Bugge, üppsala 1892, s. 1 (1). Läffler übersetzt: 'die nächstverwanten unter den männlichen erben teilten das erbe', er meint nämlich, dass 'die nächstverwanten erben das erbe teilten ', sei ja das normale gewesen , unser satz müsse mehr als solche trivialilät enthalten ; die absieht sei gewesen , 'anzugeben, dass in diesem falle der ältere rechtsbrauch, welcher die töchter vom erbe ausschloss, befolgt sei. dies widerum setzt voraus, dass damals die neue erbordnung, welche den töchtern zu erben gestattete, sich geltend zu machen angefangen, aber die ältere noch nicht verdrängt hatte, dass also damals ein über-

' belege für diese ausdrucksweise wären mir jedesfalls erwünschter, als für die ausdrucksweise 'ich N. N.', deren ehrwürdigkeil wol seit 40 jähren kein vernünflisrer mehr bestritten hat.

176 DIE INSCIIRIFTEIS DES STEINS VON TÜNE

gangssladium bezüglich des erhrechts eiugelreteu war', aber ab- gesehen davon, dass uns LiilTler hiermit vor zwei psycliologische alternativen stelh, die beide gleich ungeheuerlich sind, liegt es ja auf der band, dass seine Übersetzung lexikalisch unzulässig ist und selbst 'die nächstverwauten männlichen unter den erben . . .' grundverkehrl sein würde.

Bugge legi offenbar den hauplnachdruck auf 'nächst-'; man könnte ihn auch auf 'teilten' legen, indem man voraussetzte, dass nach dem tode VVoduridans Verhältnisse obwalteten , unter denen zur zeit unserer iuschrift in der gegend von Tune teilung uiciit das normale gewesen; man könnte ihn auch auf 'erben' legen, indem man voraussetzte, dass anspruch auch jemand er- hoben hatte, der nicht wenigstens nach der juristischen an- sieht der töchter und der teuer nicht zu den erben gehörte, etwa WiwaR. in jedem falle aber ist es, so lange wir die töchler von den 'nächslverwanten' ausschliefsen, höchst befremdlich, dass sie sich gedrungen gefühlt haben, diese erbteilung zu verewigen, weit weniger befremdlich wäre das, wenn sie mit den 'nächsl- verwanten unter den erben' gerade sich selber gemeint hätten; und da dies anzunehmen bei B.s Übersetzung nicht wol mögUch ist, so drängt sich wol jedem die frage auf, warum B. nicht über- setze: 'nach \\. den stein [beschrieben] drei löchter teilten das erbe als uächslverwanle unter den erben', er findet wenn ich ihn recht versteh hierin (s. 36) ein 'unglückliches asyn- delon'. ich sehe aber nicht, inwiefern dies asyndelon unglück- licher wäre als zb. das: Sipan lavc konnngr vpp seUargerdina. melti sva. pat scal upphaf .... (Saga Olafs konungs eus Helga . . . Chrisliania 1853, s. 120^). das pragmalische Verhältnis von 'teilten' zu '[beschrieben]' wäre ja freilich ein anderes, als das von melti zu lavc . ..upp; denn wir könnten wol kaum umhin, darin, dass die töchler als nächstverwaule unter den erben das erbe teilten, das frühere und die veranlassung zu dem beschreiben anzuerkennen, aber das schadete ja nichts, nein, mau könnte sogar den reflex dieses Zusammenhanges aus der ich wage nicht zu sagen 'inversion' gruppierung: object verbum subjecl verbum object herauszulesen sich versucht fühlen und etwa interpretieren : ' teilten sie doch das erbe', ob man nicht allein vor 'teilten', sondern auch hinter 'erbe' ein komnia setzte, also das 'als nächstver- waule unter den erben' grammatisch zu 'den stein [beschrieben]

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE 177

drei lücliter' zöge, wie mau grammatisch das 'nach Woduridan' ja nur hierzu ziehen könnte, das dürfte geschmackssache hleihen. kurz, wenn es sicher wäre, dass eine der heiden ilhersetzungen die Huggesche oder diese modification der Buggeschen die im wesenlhciien richtige sei. so müste das m. e. die letztere sein i.

Wie wenig sicher das aher ist, ergiht sich, sobald man be- denkt, dass, abgesehen von der lesung J)r statt des nach Wimmers Versicherung (Runenschrift s. 152) zweifellosen J)u, abgesehen von der lesung des nach Bugges eigenem Zugeständnisse sonst ij be- deutenden Zeichens als j , abgesehen von der, wie Bugge seihst einräumt, durch äufserliche indicien nicht gebotenen annähme, dass oben an der Inschrift etwas abgebrochen sei, abgesehen von der hieraus folgenden zweifelhaftigkeit des rechtes dort etwas zu ergänzen, abgesehen von der das ergänzungsbedürfnis voraus- gesetzt — hier unvermeidlichen Unsicherheit der richtigkeil des ergänzten dass, abgesehen von alledem, die eine Übersetzung sowol wie die andere noch zwei emendationen innerhalb der In- schrift erfordert, nämlich die lesungen da(i)li(Iun und si(b)josfeii. B. räumt freilich nur die nolwendigkeit der zu zweit genannten emendation ein, und Läffler (aao. s. 1 IT) glaubt sogar diese ent- behren zu können, aber wenn B. (s. 28) in einer erörterung, die er mit dem satze einleitet: 'in ilaliiluii ist a aus ai ent- standen . . .', zu dem resultat gelangt, das a anstatt ai sei noch nicht hinreichend aufgeklärt, man sollte vom jetzigen standpunct unseres wissens aus *dailiilun erwarten, er nehme hier eine ungenaue lautbezeichnung an, die möglicherweise andeute, dass das erste dement in dem diphthong ai das am meisten hervor- tretende war, so scheint mir das keine glückliche Umschrei- bung, erstens lässt sich wol nicht bezweifeln, dass auch in dem diphthong von slaina das erste dement das am meisten hervortre- tende gewesen, zweitens aber stellen die Schreibungen arbija und arbijano vorausgesetzt, dass so zu lesen ist dem ortho- graphischen redaclor unserer inschrift ein glänzendes Zeugnis aus: er muss ein ausgezeichneter phonetiker gewesen sein! da- gegen lässt sich angesichts der runenformen sowie der zeilen- krümmungen und angesichts des Schreibfehlers sijosteR voraus-

' ah sicli zu gunsten von einer von beiden Übersetzungen die starke flexion des Superlativs auf -en verwerten iiefse, muss icti leider daliinge- stelU sein lassen.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 12

178 DIE IKSCHRlFTt.N DES STELNS VON TUNE

gesetzt, dass *sibjosteK geiiieiiil wav jedeslalls (vgl. liierselbsl s. 164 f) nicht beliaiipteu , dass die iuscliril't von dem sorgfältigsleu ruuenrilzer ausgeführt ist, gleichviel oh beides eine person war oder nicht.

Das hateka 'heifse ich' der Lindholmer schlänge lässt sich allenfalls als eine 'ungenaue lautbezeichiiung' characterisieren, weil dort solche orthographischen finessen wie ij nicht begegnen; ich ziehe jetzt aber auch dort 'Schreibfehler' vor.

Bugges hier und schon früher (Beitr. 13, 334) unternom- mene versuche, ebenso wie die anderer ', eines der beiden a oder beide grammatisch zu rechtfertigen , glaube ich übergehn zu dürfen , und erst recht wenigstens bei dieser gelegeuheit Läfflers etymologische rettung der form sijosteB. weit mehr dürfte die tatsache interessieren , dass B. sich zu der von Ste- phens ja seit bald 30 jähren vertretenen auffassung des dalidun als 'teilten' bereits bekehrt hatte, ehe er zu der Überzeugung gekommen war, dass die inschrift oben unvollständig sei, wo er also, wenn auch unbefriedigt, noch staina als object hierfür gelten lassen muste (s. 27. 29. 33) -.

Was B. für die lesung j erwärmt, ist der 'so unmittelbar ansprechende ausdruck' (s. 31) 'drei töchter' und die gramma- tische correctheit der form jjrijoE, prijöR. mit |)riTjoB liefse sich allerdings, aufser etwa durch ergänzung, zb. zu ^[broJljriijoB, kaum etwas besseres anfangen als mit Ijuirjon^. aber gegen sein eigenes sirjosteK, an das er Beitr. 13, 329 noch glaubte, macht ihn jene neue liebe, wie mir scheint, etwas ungerecht, dass das got. nur den anomalen Superlativ sinista aufweist, brauchte uns so wenig zu beirren wie aind. yavlyän gegen- über lat. junior, wie lat. junior gegenüber an. ere und wie h'e

* Wimmer Runenschrift 155, Noreen in Pauls Grdr. i 449 § 38 b, y, An. Gramm, i-^ § 57 anm. 4, Wadstein Beitr. 17, 422 f, Kock Arkiv 9, 166 f, Liden in Uppsalastudier 86 anm. 1.

* B. tut s. 35 so, als sei die ergänzung einer zweiten verbalform eine syntaktische notwendigkeit, sobald man arbija als object von da- lidiiii fasse, gegen die syntax eines salzes 'nach Vodurid den stein drei töchler teilten, den nachlass die nächslverwanten unter den erben' wäre aber nichts einzuwenden.

3 es gibt auch jemanden, der die vierte Variation gewählt hat: KHjKempfi ist puijoz (Jalirbb. d. ver. v. ailertumsfr. im Rheinl. 93,87).

DIE INSCHRIFTEIN DES STEINS VON TUNE 179

seinerseits gegenüber yngre, zumal sinista ja nur subslautivisch gebraucht ist. Mass got. sineiys nicht nachgewiesen ist im nor- dischen' (s. 31) eine behauj)tung, die man auf got. *sibjis ebenfalls anwenden kann wird vielleiciil ewig zu rechte be- slehn; indes 'Heimdali streitet mit Loki bei Singasteinn. dieser iiame lässt sich nicht ohne zwang aus dem nordischen erklären' (Bugge Beilr. 12, 76 anm.), schien aber bei der alten lesung unserer inschrift, vom urnordischen aus betrachtet, so durch- sichtig wie Höchslädt, Oberstorf udgl. oder um genügsam zu sein Alienstein udgl. die annähme, dass ein urnord. sii^östeR, wenn nicht den mittelvocal des got. sineigos, so doch den des got. gahigai dessen in den viersilbigen formen gabigamma usw. ausnahmslose kürze Bugge Beitr. 12, 416 f ja selbst erwähnens- wert findet innerhalb der nordischen Sprachentwicklung ein- gebüfst haben könne, ist zwar nicht als zulässig, aber ebensowenig als unzulässig erwiesen. B. hat im Arkiv 8, 8 fT als regei auf- gestellt , dass der i- (J-) umlaul des haupltonigen e bis zur zeit unserer inschriften nur eingetreten sei, wo e in geschlossener Silbe gestanden habe, dieser regel gemäfs findet er sein si(b)josteB, da er es ausspricht si^-jTjsleR^ also nach dem von Sievers Beitr. 16, 262 f bekämpften typus ^tal-m'. da sich aber das iuiR des Möjebro-steines nicht wol in-iR sprechen lässt, so lässt B. hierin das vordere i aus e entstanden sein 'durch einfluss des folgenden n vor i, nicht durch einfluss des folgenden i allein', schön, auch so! jedesfalls liefse sich von Bugges standpunct gegen das vor- dere i in einem jenseits der Tune-sprache vorausgesetzten *sim- ^östeR nichts einwenden, bleibt also noch der nachweis, dass daraus in der Tune-sprache hätte resp. nicht hätte sitjö- stCR werden können, ich kann meinen nachweis nicht führen, sehe aber auch nicht, wie B. seinen führen könnte, denn meines wissens kommt in den nord. inschriften mit älteren runen weder ein viersilbiges noch sonst ein dreisilbiges uncomponiertes wort vor, das auf eine urgerm. viersilbige grundform zurückweisen könnte, deren auord. reflex durch einbufse der zweiten silbe dreisilbig geworden sein mUste. das 'aBinari' auf dem By-steiu hat ja seine rolle bereits ausgespielt (Noreen An. gramm. i'^ 257 im vergleich mit desselben Urgerm. judlaera, Upsala 1890, s. 86). ich wäre aufrichtig dankbar für den nachweis der undenk- barkeit davon , dass zb. Hjadningar, bei dem vorgeriU. syu-

12*

ISO DIE INSCIinilTEN DES STEI^S VON TUNE

kope doch \\o\ nicht zu hille gerufen worilen kann, auf dem Tune-sleine *lie(hür^öii, der noni. sg. dagegen *he(IaniqaR lauten köDQte.

Das i in arbijaiio widerspräche selbstverständlich nicht, da artijanö lautgeselzlich anord. * erfina ergäbe, ebenso selbstver- ständlich aber schliefsen sieb ja die lesungen .irbijaiio und siijosteR einander aus.

Noreen (Gramm, i" 265) gibt als lautgeselzliche Fortsetzung von arbijano, das er 'der erbinneu?' übersetzt, aisl. *erfna. dann müste er auch für lautgesetzlich zb. nicht heilagrar halten, sondern hcülgrarl ob dagegen der gen. pl. zu einem aisl. *erfa 'erbin' in würklichk ei t ^erfna heifsen würde, ist eine frage, die ich hier nicht zu erörtern brauche, denn zu dem zweiten teile von Noreens Übersetzungen 'nachOdridr den stein...? iH'ieng's? (oder drei) tüchter teilten, der erben? (oder: das erbe) die .? .steu der erbinnen?', worin ja, wie Bugge bereits s. 30. 32 bedacht hat, der genitiv 'der erbinneu' unmöglich ein von dem masculinen 'die . ? . sten' abhängiger \)ar- titivus sein könnte, lässl sich schwerlich etwas befriedigendes hinzu denken, zu dem fragwürdigen masc. aisl. er/ie, das LLarsson in seinem Ordförräd ansetzt, aber nur mit dem 'erf*' in der lücken- haften Strophe 58 der Placilusdr^pa (AM 673 4*0 8, lO'-"*) belegt, resp. zu dem aschw. cervi (vgl, Tamm Uppsalastudier 30), hiefse der gen. pl. jedesfalls *erfa resp. *airva.

An der nach meinen begriffen geradezu idealen Orthographie, die ich von einem Norweger vor etwa anderthalb Jahrtausend nie erwartet hätte, geht B. kühl vorüber: 'dass wir auf dem Tune- stein arbijano haben, nicht '^arhjano, ist aus der idg. regel zu erklären, dass im inlaut vor vocal der halbvocal y nach kurzem vocal und einfachem consonant stand, dagegen ij nach langem vocal und einfachem consonant oder nach kurzem vocal und einer consonantengruppe (Brugmann Grundriss d. vgl, gr. i § 120 s. 113 f). aus dieser regel hat man auch den gegensatz zwischen got. harjis und hairdeis erklärt' (s, 32). was ich be- wundere ist, dass wir arbijano haben oder haben sollen und nicht *arbiano.

Die ruhige sicherheil, mit der B. weil von Brugmanns 'dürfte' und 'wahrscheinlich' usw. entfernt jene idg. regel vorträgt und sie bis in die zeit des Tune-steins forlwürken lässt,

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE 181

steht in sonderbarem Widerspruche dazu, dass er im Arkiv 8, 14 ff der spräche des Opedal-sleius '*rais/an (oder *raisijan)' und 'wurkjan' zutraut, wenn er vollends fünf Zeilen vor jener idg. regel Kluges meinung citiert, dass das unumgelautele an. arfe 'der erbe' 'den in got. arbja vorliegenden stamm voraussetze, indem y unter gewissen lanlbedingungen (vielleicht in der weise, dass im dat. -jiti zu -in wurde) schwand', so muss ich bekennen, ihn nicht zu verstehn. soll das citat bedeuten, dass Kluge, der ja jenes germ. -ij- überhaupt bestreitet, im irrtume ist, oder dass -ißn über -im zu urgerm. -in geworden sei, oder was sonst? was die sache selbst anlangt, so kann ich an der existeoz von arfe ebensowenig wie OsthofT (Forschungen ii 109 f) etwas be- sonderliches finden, das auffallende liegt vielmehr noch einen sciiritt weiter rückwärts.

Bei der auffassung des artijanö als gen. pl. eines masc. n- stammes machen nach Buggcs meinung (s. 32) zwei formen schwie- rigkeilen, die eine ist das auiia des seeländischen bracleaten Stephens nr 57, das Läffler als gen. pl. des Stammes *awan- 'ver- fahr' gedeutet hat. diese foim oder vielmehr ihre Läfflersche deutung findet B. auch für die auffassung des runo der seiner datierung zufolge viel Jüngern Björketorp-inschrift als eines gen. pl. hinderlich, mindestens mit dem ansatz einer Vorstufe *aunö unvereinbar, aber 'wenn Läfflers erklär ung richtig ist' oder auch nur insofern richtig ist, dass aiina gen. pl. eines masc. ;t-stan,mes ist und durch nordische synkope einen millelvocal ein- gebüfsi hat (Arkiv im 287 f), so sehe ich hier keine ernstliche Schwierigkeit, mit rünö als dem gen. pl. eines fem. ä-stammes braucht der gen. pl. eines masc. )t-stammes überhaupt nicht com- mensurabel zu sein, und mit unserm -anö verträgt sich, und zwar als laulgesetzliche fortsetzung dieses -anö, das -na, di. -nä, des bracteateu sehr wol. schwierig wäre nur, zu entscheiden, ob die Vorstufe *aunü genauer geschrieben: *äunö keinen Widerspruch in sich selber berge, ob nicht schon vor der synkope des mittelvocals zu geworden, die entscheidung darüber hat aber mit aitijanö, wo ja noch -anö vorliegt, nichts zu schaffen.

Weder gelost noch zerhauen ist damit der knoten, dass Bugge sagt, er sei 'geneigt, Lälllers erklärung von aima für unsicher zu halten, umsomehr als auch andere rücksichten zweifei an der

182 DIE LNSCURiFTEN DES STEINS VON TÜNE

richligkeit dieser erklärung wecken'', das mindeste mUsle doch sein: er sei geneigt, sie für falsch zu lialten I für unsicher? wer hielte sie dafür nicht? und ist die lesung arbijano und die ühersetzung 'unter den erhen' etwa sicher?

Die andere form, welche Bugge Schwierigkeit macht, ist das in oder noch vor der von ihm und Wimmer für die Tune-in- schriften angenommenen zeit aufgefangene, aber nur durch Jordanes Getica in 23 überlieferte ' Raumarkiae (oder -rici), worin wir die einvvohner von Raumariki widererkennen', und die frage: 'wie soll man den gegensatz zwischen den genetivformen arbijano, runo auf der einen seile, Raurna auf der andern erklären?' be- antwortet B. so: 'man könnte vermuten, dass die a-stämme, zu denen Rauma gehört, ihren gen. pl. auf = got. e gebildet haben im gegensatz zu den männlichen H-stämmen und zu Wörtern weiblichen geschlechts, die ihren gen. pl. auf bildeten, aber ich bin geneigt eine andere erklärung für die richtige zu halten, man kann gleichzeitig mit *Raumö gesagt haben Raumariki, weil hier eine silbe folgte, die entweder starken nebenton oder haupt- ton hatte', also das sollen wir glauben, dagegen nicht, dass das proklitische ek auf *egöf geschweige auf *egöm, zurückgehn könne I (vgl. hierselbst s. 167 f). zunächst ist es mir unerfindlich, warum das anord. -riki schon vor oder in der zeit des Tune- steins -7iki gelautet haben sollte, während das neuirum an. erfi hier arbija lautete, wenn B. (s. 33), ohne jedoch ausdrücklich zuzustimmen, anführt, dass der einem accus, arbija entspre- chinde uominaliv nach Streitbergs annähme Beitr. 14, 167 und Noreens in seiner Gesch. d. nord. spr. § 171, 2 urnordisch nicht auf -a ausgienge, so tut er Streitberg unrecht und Noreeu zu viel ehre an.

Setzen wir nun voraus, man hätte Romerige damals *Rau- mar'ikija genannt, so hätte dieser name lautgeselzlich sein mitt- leres a gleichviel woraus es hervorgegangen genau so sicher bis zur anord, zeit einbüfsen müssen, wie Wödurlde sein u, und das an. Raumariki müste also auf neubildung beruhen, täte es das aber, so läge nicht nur für mich, sondern auch für B. am nächsten, in dem mittleren a jenes *Ranmarlkija den stamm-

* Aikiv 8, 20 nennt er Läfflers auffassung der vorausgchnden runen gibu als 'gäbe', anord. gjof, 'zweifelhaft', und zwar desliaib, weil auna 'kaum sicher erklärt ist'.

DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TUNE 183

auslaut anzuerkennen, s. 30, also zwei seilen vorher, meint B., dem arbinasii^osteR der allen lesung wäre nur dadurch beizu- kommen, dass man es für ein composilum erklärle, 'ungefähr wie virdinga-mestr Isl. ss. ii 9, nur mil dem unlerschiede, dass hier das erste glied die form des genelivs hat', also nicht der leiseste argwöhn, dass das -a- eines composilums arbiijasinosfeB auf dem Tune-steine gleichfalls aus dem des gen. pl., das B. ja unterschiedslos und gleichwertig bei «-, o- und n-slämmen voraus- setzt, unter der wucht des folgenden accenis hervorgegangen sein könnte I ebenso gelten witada-, hlewa- in hlewagastiR, und so- gar walha- in walhakurue, s. 17 f von vornherein und ohne jedes bedenken für nackte stamme.

Erkennt man in dem bei Jordanes überlieferten nicht etwa das land selbst wider, vielmehr mit B. die bewohner, so kann man aber auch voraussetzen, dass das land damals *Ranmör~ikija hiefs, die bewohner dagegen durch eine ableitung allerdings eine andere als Aaseus Romnieriking bezeichnet wurden , in der die casusendung des ersten gliedes nach uraltem und sehr logischem brauche durch den Stammauslaut ersetzt war.

Stellte B. neben Ranmö, als den directen reflex eines älteren *Ranmdrlkija , für die spräche des Tune-steins ein *Ranmär}kija, mit -ö-, auf, so liefse sich hieraus allerdings das an. Raumariki laulgeselzlich herleiten, aber diese aufstellung müste doch so lange als höchst fragwürdig gelten, bis für die spräche des Tune-steins ein entsprechendes composilum sicher nachgewiesen würde, in dem sich das -a des ersten leiles weder als sei es echter, sei es substituierter stammauslaul deuten noch auch dem got. -e gleichsetzen liefse; bedingungen, die etwa dann erfüllt wären, wenn eine und dieselbe in der spräche des Tune-steins abgefasste iuschrifl zb. die genilive pl. *gastijo 'der gaste' und * gastijahuso 'der gäslehäuser' enthielte.

Den Übergang von n zu o in dohtriB erklärt B. , zu meiner freude, offen und deutlich für eine gemeingerm. würkung der folgenden gutturalen spirans (s. 26). geheimnis- und ver- heifsungsvoU klingt dagegen sein ausspruch; 'I dohtriH kan o endnu ikke sees al vsere omlydt ved indflydelse af det feigende i som i detr\ um so geheimnisvoller, als eine entsprechende Warnung bei dem a- von arbija und arbijano fehlt, obwol die widerholung an sich dem slile des commentars keineswegs wider-

184 DIE INSCIIHIFTEN DES STELNS VON TUiNE

spräche, die dohtriR- inschrilt sclieiut Bugge zwar keine vetse, aber beabsichtigte zweimalige allitteraliuu zu enthalten (s. 38). d, g, b des wortanlautes hält B- im gegensalz zu Wimmer, je- doch ohne hier seine gründe darzulegen, bereits in den ältesten inschrilten lür mutae, die auslautenden vocale in staina, arbija, arbijauo, worahto im gegensatz zu Noreen für nicht mehr nasa- liert, aus der Verwendung der rune (> für den laut j schlielst er (s. 37) folgerichtig, dass der runenname "ßra das anlautende j- noch nicht eingebufst hatte, für die datierung dieser ein- bulse werden wir auf die besprechung der Fonnaas-icsclirilt ver- tröstet. —

Um eine absolute Zeitbestimmung für unser denkmal zu ge- winnen, vergleicht B. damit zunächst (s. 39) den in vieler hinsieht daran erinnernden stein von Varnum in Vermlaud (Schweden) bis ins einzelste, nachdem er nicht nur auf die Zeichnung bei Stephens, sondern auch auf seine eigene deulung der Varnum- iuschrift (in der Tidskr. f. philol. og psed. 7, 237 244) verwiesen hat, woraus ich schliefse, dass er an dieser glänzenden und, wie mir scheint, endgiltigen deutung festhält, als ähnliclikeit rechnet er sogar das an, dass der Varnum-steiu 'nur einmal interpunction (durch 3 puncte), der Tuue-stein zweimal auf jeder Seite durch 2 puncte und daneben einmal auf seite a entweder 1 oder 2 puncte' hat, während ich, hinsichtlich der interpunction, blofs darin eine ähnlichkeit aber nur mit der dohtriH- inschrift entdecken kann , dass die einzige interpunction des Varnum-steines gerade hinter ubaiihite gesetzt ist; dagegen bei der hervorhebung der Verschiedenheiten verschweigt er wie in dem ganzen commentar vollkommen die allermerk- würdigste, nämlich die Schreibung iah (nach seiner deulung =^ goi. jah 'und') gegenüber seinem viermaligen j in der dohtrin- inschrift, die hervorgehobeneu verschiedenheilen, nämlich die in der gestalt der b- und der k-runen , erweisen den Tune- stein als in palaeographischer hinsieht etwas altertümlicher als den Varnum-stein; ahnlichkeiten und verschiedenheilen gegen einander abgewogen, stellt sich für B. der Varnum-stein als der um etwa 50 jähre jüngere dar.

Sodanu führt B. einerseits die runologischen merkmale es sind wider die formen für k und n an , durch die sich der Varnum-steiu jünger zeigt als die allermeisten bracleat-inschriften.

DIE INSCFIRIFTEIN DES STEllNS VON TUNE 185

auderseits die runologischen merkmale abermals k und b , die ihn etwas iUter als die iusclirift auf der Fonnaas-spange er- scheinen lassen, was, wie bei der besprechuug der spange nach- gewiesen werden soll, die sprachformen gleichfalls tun. gelingl B. dieser nachweis und lässt sich sowol die hauplniasse derbracleatea wie auch die Fonuaas-inschrifl datieren, so sind beide grenzen des zeitlichen Spielraums für den Varnum-stein gefunden und jeder kann durch subtraction der zahl 50 daraus den für die Tune- inschriflen freistehnden zeillichen Spielraum selber ermitteln, und alles glückt würklich! mittels einer halbgeheimen ich möchte sagen : potenzierten majorilätsrechnung, die darin besteht, dass zunächst die zeit der gesamten bracteaten, alle als eine masse betrachtet, in diejenigen jähre gelegt wird, welche die majorität der archäologischen stimmen für sich haben , die jähre ca 450 600; dass dann aber die zeit der bracteaten -majorität, die zeit derjenigen bracteaten nämlich, welche älter als der Varuiun- slein zu sein scheinen, = den ersten 2/3 des für die gesamten •bracteaten gefundenen Zeitraums, also = ca 450 550 gesetzt wird mittels dieser rechnung ergiebl sich: der Varnum-stein nicht älter als ca. 550 ^ der ersten majoritätsrechnung gegenüber muss ich bekennen, dass ich in wissenschaftlichen fragen die gründe wäge, nicht die stimmen zähle; die zweite majoritäts- rechnung — und mag ihr facil der Wahrheit so nahe kommen wie nur denkbar ist aber weder demokratisch noch mathe- matisch noch kaufmännisch noch sonst wie. wenn ich von 15 mark- stücken weifs, dass das älteste von ihnen 1876 und das jüngste 1890 geprägt ist und dass 10 von ihnen älter sind als die übrigen 5, dann kann ich doch noch lange nicht mit irgend welcher Zuver- sicht vermuten, dass das jüngste von den 10 älteren 1885 geprägt sein werde.

Diearchaeologische dalierung der Fonnaas-spange der spange an sich hätte für die Chronologie des Varnum-steines natürlich nur dann bedeutuug, wenn sie mit aller bestimmtheit auf: 'sehr viel später als 550' lautete; so lauge sie sich in der gegeud von 550 aufhält, oder gar auf: 'älter als ca 550' lautet, hat sie keinen wert für uns hier. Rygh möchte die spange ins 6 oder 7,

' bei ßugge lautet das lesultat statt dessen sofort aber kaum lo- giscli : 'liiernach dürfte man den Varnum-slein setzen ungefähr 55U— GOO'. vgl. Arkiv 8, 32, woraus der gedankensprun^ allenfalls verständlich wird.

186 DIE INSCHRIFTEN DES STEINS VON TÜNE

Monlelius sie ins 5 jb. selzeu. also beides belanglos, ersl da- diircb, dass er die inschrift der spange datiert: ca. 600 (Arkiv 8,32), erbält B. den terminus ad quem für den Varnum-stein. 50 subtrabierl, giebl für den Tune-slein: c. 500 550.

Und der Tune-steio soll sich wirklich von dem Varnum-slein einfach ins schlepptau nehmen lassen, um absolut in weiter keinen unmittelbaren altersvergleicb , weder mit den bracteaten , noch mit der Fonnaas-inschrift , noch mit irgend einem andern denkmal, zu kommen, und seine neue j-rune, sie geht dahin, als wäre sie nicht gewesen?

Hat denn die form der j-rune nicht gerade so gut eine ent- wicklung gehabt wie die k- oder R-rune? und muss nicht die eine seite des Tune-steines auch dieser entwicklung eingepasst werden? ja, da die lesuug des Zeichens () zu der annähme zwingt, dass damals und dort der laut 7] anders geschrieben worden, auch der geschichte der ij-rune?

Ich wage mich an diese aufgäbe nicht, schon deshalb nicht, weil mir die autopsie fehlt, aber dass, so lange diese aufgäbe ungelöst ist, weder die relative noch die absolute datierung des Tune-steines neuer lesung noch überhaupt die lesung der rune <> als j für hinreichend gesichert gelten darf, das wage ich zu be- haupten, und ich hoffe, dass Wimmer uns diese aufgäbe löst oder aber als unlösbar dartut.

Hamburg. FR. BURG.

MUSPILLI.

Über den ersten teil des auch altsächsisch wie altnordisch bezeugten, nach allgemeiner annähme aus heidnischer zeit stam- menden Wortes für den wellbrand sind die meinungen noch ge- teilt. Kögel in Pauls Gruudriss ii 1, 212 sucht ihn in 'erde', einem worte, welches zwar nicht für sich, wol aber auch in ahd. mnwerf, muwerfo (Graff i 1040) erscheine, schon JGrimm Myth.^ 768 ff hatte neben mnd auch an mu gedacht, und finnisch maa 'terra, solum' herangezogen.

Allein es scheint methodischer, von der altsächsischen form mudspelli, mutspelli auszugehn. dass der dental vor sp im ahd. und altnordischen schwand, begreift sich; nicht aber, dass er

MUSPILLl 1S7

erst nachträglich hineingekommen wäre. Kügels annähme, cliiss man den alten nusdruck misverständlich angelehnt hätte an das Wort, welches mhd. mot lautet und 'schwarze torfartige erde' be- deutet, setzt voraus, dass man ihn in Sachsen im 9 jli. nicht mehr verstanden hätte, was doch erst irgendwie wahrscheinlich gemacht werden müste. das wort 'der moW ist noch jetzt weit- verbreitet, wie das DWb, vi 2600 zeigt, ganz besonders ist in der Schweiz (s. das Schweizerische idioticon und Seiler Baseler wb.) und in den angrenzenden teilen des Elsasses, im Suudgau, bei Thann und Allkirch eine vorzüglich passende bedeutung vor- handen: der molt ist das ergebnis der Verbrennung von rasen, stoppeln und gesträuch, wie sie im herbst zur dilngung aul den feldern stattfindet, wie in der Schweiz kommt auch im elsäss. Sundgau muthüfe [nach Kräuters lautbezeichnung müthüfd, niüthyfd] vor, wie jetzt namentlich die kartolfelstautien heifsen, die zum verbrennen zusammengetragen sind, auch im Sundgau kennt man wie in der Schweiz mute{n) 'stoppeln und standen verbrennen'; für das schwäbische bezeugt es aufser den belegen des DWbs. auch JCvSchmid Schwäbisches wb. die bedeutung haute von wert- losen dingen, die man zusammenkehrt, um sie zu verbrennen oder sonst zu beseitigen, zeigt auch mntich, welches wie in der Schweiz auch im Elsass bekannt ist. es bedeutet 'Unordnung, kehricht'; aber auch einen heimlichen vorrat von äpfeln u8., den sich etwa ein kind in irgend einem winkel anlegt; auch ein geld- vorrat, den etwa eine trau hinter dem rücken ihres gatten anlegt und für ihre eigenen zwecke vorbehält '. das mittelniederdeutsche kennt mudeke 'pomarium': s. Schiller- Lubben. niederrheinisch, in der gegend von Jülich heifst möd heimlich angelegter äpfel- haufen, wie mir von dort einheimischen versichert wurde.

Allerdings ist nun englisch »??(f/, niederdeutsch wn^We'schlamn)', muddy muddig 'kotig', daneben hat das englische auch moat 't'estungsgraben', welches Skeat vom altfranz. la mote, jetzt la motte ableitet, bei diesem ist wider die bedeutung 'häufen, erdwaÜ' vorhanden, und so muss wol die bedeutung 'schlämm' sich erst aus der von brennbaren erdhauteu mit pflanzeustoffen entwickelt haben, in Bayern heifst der mott auch torf: Schmeller- From- mann I 1693. aber torf fand man doch nur an einzelnen

' vgl. hierüber und über das Verhältnis zu mot auch Vilmar Idiotieon von Kurhessen s. 277f.

188 MUSPILLI

stellen des gerniaiiisclicn boilens. so lial sich ja auch die be- deutuiig des worles torf selbst erst aus der von rasenstück ent- wickelt, wie das engl. Inrf und das alid, zurba zeigt: s. bes. Schade Altd. wb.

Wir blicken in ein gewis uraltes verfahren bei der tlilngung der leider: rasenstücke, wie sie nach der brache vorhanden waren, wurden ausgehoben, dann mit den trockenen standen und ge- sträuchen verbrannt und die asche verstreut, die Vegetation bot dem Teuer den eigentlichen nährstofl', wie denn das (euer nordisch bani viclar, gyand vidar, herr aus vidar heifst: Grimm Myth.- 568. nach der Völuspa 57 verbrennt die erde selbst nicht, sondern sinkt ins meer, im Muspilli wird zuerst von den bergen ge- sprochen, die entbrennen, sodass kein bäum stehn bleibt, das preita icasal verbrennt dh. die weite rasentläche. dagegen das muor varswUhit sih, also das sumptland brennt nicht, sondern verliert nur sein wasser. nicht der moorbrand, wie er ja nur in bestimmten gegenden Germaniens vorkommen konnte, gab anlass zu der allgemein verbreiteten Vorstellung vom weltende, sondern der beide- und Waldbrand, wie er sich aus den feuern bei der felddüngung leicht und oft entwickeln mochte.

Gegen die annähme, dass mud der erste bestandteil von mu- spilli sei, wird man die kürze des u einwenden, welche bei einem i- oder u-stamm die erhallung dieser vocale in der compositions- fuge erwürkl haben miisle. aber warum soll das wort nicht auch consonantische llexiou gehabt haben? dann wäre der mangel eines vocals zwischen den zwei ersten silben von mudspelli nicht auffallend, so wenig wie im gotischen gudhns; sind doch auch got. puthaurn, Gutpiuda Zusammensetzungen ohne fugenvocal, obschon die stamme put- gut- sonst nur vocalisch erscheinen. iüv Puthaurn nimmt allerdings Cremer Beitr. 8,411 ü an, was gegenüber dem mhd. duz doch erst irgendwie begründet wer- den mUste.

Ich benutze die gelegenheit, auch über den text des Muspilli zu sprechen, den ich zu pfingslen 1893 verglichen habe, aller- dings konnte ich Steinmeyers lesungen in der neuen ausgäbe der Denkmäler nur bestätigen, aufser dass ich in v. 71 (im diplo- matischen abdruck in Müllenhoffs Sprachproben z. 77) bestimmt glaube: eru suonu gelesen zu haben; und dass in dem erwähnten abdruck z. 79 mit einem grofsen buchstaben, wol einem P anfieng.

MUSPILLl 189

sodass sich diese zeile ergänzen lässl: Pi daz scoUa wanno nohhei)i, mit einem Übergang in i)rosastil, wie äliiiliclies ja auch sonst in der Überlieferung des gedicbles vorkommt.

Slrafsburg, 11. 1. 94. K. MARTIN.

DEA GARMANGABIS.

Im Sommer des verllossenen Jahres wurde zu Lanchesler in der grafschaft Durham eine römische ara gefunden, deren in- schrift zuerst Fllaverfield in der Academy nr 1 1 1 1 s. 158 vom 19 aug 1893 nach einer Photographie, dann Ellübner im Corre- spondeuzblatt der westdeutschen Zeitschrift 1893 nr 8/9 sp. 184 6 nach Photographie und papierabdruck veröffentlicht hat. die in- schritt lautet nach dem letzteren:

D E A E G A R

M A N G A B I

E T N / / / / /

/ / / A V G N P Rc

SAL -VEXSVEBo

RVM-LoN-GoR- Vo

TvMSoLVeRVNT-m

zeile 3/4 ist ein wort getilgt, dessen erkennbare resle auf G0RD1|ANI, nicht auf NVM1INI|BVS, woran man zunächst denken sollte, führen, wenigstens A1\I ist, wie Hübner versichert, zeile 4 auf der Photographie eher erkennbar als BVS. die auf- lösuDg der Inschrift ergibt demnach den text: Deae Garmangahi et n{umini) G[ordiqni\ Aug{nsli) [n{pstri)\ fr\o\ sal{ule) vex{illarii) Suebornm Lon{. . .) Gor^dianorum) votum solvernnl m(erüo). in der kürzung Lon- steckt nach Hühner unzweifelhaft der name des castells, dessen stehnde besatzung die vexillarii Sueborum bil- deten, es liegt nahe, dabei an den ersten teil von Lanchesler zu denken, allein der römische name dieses castells, das an der grofsen von Eburacum nach dem norden führenden strafse lag, ist bisher nicht nachgewiesen, denn die Station Longovtci'o in der Notitia dignilatum ed. Böcking ni p. 113, zu welcher der ebenda genannte praefeclns nnmeri *Lon(jook(ian)orum, überliefert Lon- govicariornm, gehört, ist nach der ansieht Hübners aus topo- graphischen gründen auf Lancaster, das viel weiter südlich und

190 DEA GARMA^GABIS

westlich au der milndung des flusses Lnne oder Lon gelegene castell, voD dem die grafscliaft Lancaster ihren nameu führt, zu beziehen, die uauieuverwantschall zwischen Lancaster und Lan- chester erklärt sich also vielleicht aus einem gleichen oder ähn- lichen antiken namen, den beide t'ührlen. das aber hat zur Voraussetzung, dass Lancaster nicht nach dem flusse Lune oder Lon benannt sei, denn Lanchester hat mit diesem llusse keinerlei gemeinschaft und erfordert unbedingt ein anderes etymon im ersten teile, die Verbindung beider wäre leicht, wenn man annähme, dass diese castelle in angelsächsischer zeit *Langcaster und *Lany- ceaster geheifsen haben, und das allerdings erschiene in jedem falle wie eine directe Übersetzung aus römischem Longovlcium kelt. *LongovlcioH zu lat. vlctis, griech. oiy.og, got, weihs. die in- schrift wird nach Hübner durch den beinamen der Gordiani und den geliiglen namen des kaisers auf die zeit des dritten Gordianus 238 244 bestimmt, es ist dabei allerdings zu bedenken, dass der name des Gordiau sonst nicht getilgt ist (Haverfield 158, Ilübner 1S5) und dass die eiusetzung von GORDI in zeile 3 wesentlich durch das GOR- der 7 zeile bedingt ist und sehr zwei- felhaft würde, wenn dem LOA GOR eine andre bedeutung zu- käme, als die herausgeber der inschrift gemutmafst haben. Haver- field selbst machte nebenher auf die ^oufjßoi oi ylayyoßÜQÖoi des Ptolemaeus aufmerksam, aber für die mitte des 3 jhs. spricht nach seiner Versicherung die form der huchstaben, und somit dürfte doch die gegebene aullösung vex{illarii) Sueborum Lon{go- vicianorum) Gor(dianorum) am meisten befriedigen, sei dem wie immer, die von swebischen Soldaten verehrte gütlin Garmangabis muss eine germanische sein, und der erklärung ihres namens ist diese kleine Untersuchung eigentlich zugedacht.

Garmangabi ist lateinischer dativ eines uomens der t-decli- nation, nom. sing. Garmangabis, der wie Albis aus *Albi von einem germanischen -I (-yö)-stamme *Garmangabi, gen. *Garman- gabjöz ausgeht, -gabi zu got. giban slv,, giba stf., as. ahd. geba, ags. gifu, an. gjpf, mhd. gebe, gäbe, ndl. gaaf, aschwed. gdfa, mit jener vocalstufe, die im perf. got. gaf sowie in dem adj. got. gabigs (gabeigs), isl. gofegr, gofogr und nach Bosworth-ToUers an- salz auch im ags. gcefe f. 'grace', mid Gods gcefe 'by Gods grace' uud goifel n. 'gift, offering, tribute' vorliegt, ist ohne zweifei 'die gebende' und identisch mit jenem femininen nomen agentis, das

DEA GARMANGABIS 191

vou eleu rheiuisclieu malronis Gabiabus und Alagabiabus ' her bereits bekaunl ist.

lu gannati, dem ersten teile der couipusilioii, Uaiiu entweder ein object gesucht werden , wie bei der zemaitischen Polengabia di. *Pelengabia des Jan Lasicki, der göttiu des berdleuers, oder ein modus, wie bei den ubischeu Alagabiae, oder eine copulation, wie bei der iemailischeu Matergabia di. wol die 'mutter-geberin', oder eine eigeuscbalt, beziehungsweise auch eine bestimmung der Zu- gehörigkeit, der gütlin. man könnte auf den einlall geraten, in *Garmangahi eine composition mit dem kellisch-römischen volks- uamen Germüni zu erblicken, wonach die göttin als Gabis Ger- manica oder Gerrnanorum zu umschreiben wäre und garman jenes a hesälse, das gerade in Britannien im nameu der Germani für e bezeugt ist. so teilt Jäkel (Zs. f. d. phil. 26, 311 anm.) mit, dass noch zur zeit Bedas die Angli und Saxones von den be- nachbarten Briten Garmani genannt worden seien, das aber würde wol voraussetzen, dass das ganze compositum keltisch wäre, denn eine hybride bildung von kelt. *Garmanoi und germ. gabi hat formelle wie sachliche bedenken gegen sich, es ist also sehr viel wahrscheinlicher, dass wie gabi so auch garman ein germa- nisches wort sei und eine in beiden vocalen, des Stammes und des Suffixes, ablautende form zu jenem westfränkischen germen, girmin, gormen darstelle, welches in den namen bei Förslemann Namenbuch i Germening, Germenberga, Germenar, Germeiüldis, Germentrada, Germemilf, Gormenleus und Girminburg vorkommt, die mit ausnähme des letzleren (der aus den iraditiones Corbeienses stammt) sämtlich dem Polypt. Irmiuonis, einer (Germeiiildis) dem Pulypi. S.Remigii Ben)eusis, entnommen sind, dieses uamenelemeot germeUj dessen vocale nach girmin zu urteilen nichts anderes als

' über die angebliche Dea Idbangabia », r Idiae '^^' J^'axliini Der Matronencullus s. 28, vQ-f 'ABIAB ''" ^'^^ *^^^' welche gleichfalls hierher gehört, weigere ich niicii noch ein urteil abzugeben, denn es liegen mir zwei mitleilungen Zangemeisters über diese Inschrift vor, nach welchen die reste des S zeile 2 gesichert scheinen, das E statt B in zeile 1 moderne Inter- polation, das N in 2 auch N gewesen sein kann, der letzte buchstab der zweiten zeile aber wegen eines senkrecht durch seine mitte gehnden bruches sowol einem E als einem B genügt, es ist daher vorläufig nicht auszumachen, ob wir es hier mit einer Dea Idban(i]sgabia oder mit deae Idban{i)i>gabiae, allesfalis auch Idbunae Gabiae zu tun haben.

192 ÜEA GARMANGABIS

zwei kurze e sein Uünnen, steht ohne zwcilel in irgend einem Verhältnis, anscheinend dem einer ahleitung, zu dem demente germ in Gernward saec. 7 (Conc. Cabiion.) nnd Germard saec. 9 (biscl)of von Orange), das wider als selhsländiger name Germo, Ghermo, Geremo aus dem 8 und 9 jh. mehrfach bezeugt ist. und dieser umstand, dass neben germen ein einfacheres germ als an- lautendes namenelement vorkommt, macht es von vornherein un- wahrscheinlich, dass germen, wie schon behauptet worden ist, mit dem aus mlat. carminure, frz. charmer, entlehnten ahd. germinon swv. 'incantare' zusammenhängen könne, da man doch nicht wird sagen wollen, dass in Germo, gen. latinisiert Germoni und Ger- mune, national Germen, Germon, German (Purstem. Nbch. i), in Germard und Germoard ein synkojDiertes germ- <C. *germn- <! *ger- min- gelegen sei. aufserdem ist zu bedenken , dass die ahd. gruppe garminön, kei'menön, germenön swv., carminöt, garminöth, herminöth stm. 'incantalio" und carmüiari, garminari , germinari stm. 'incantator' ausschlielslich auf dem verbum carminare be- ruht und kein beleg dafür vorhanden ist, dass neben diesem etwa auch lat. Carmen, afrz. charme 'Zauberformel' selbst entlehnt wor- den wäre, was man verlangen milste, wenn die namen mit ger- men-, die ja gewis nicht verbale, sondern nominale composita sind, damit zusammenzubringen wären, schliefslich verbietet die form girmin mit ihrem augenscheinlichen i << e jede gemeinschafl des westfränkiscben germen mit lat. carmen.

Aber auch mit lat. germänus, denke man nun an das appella- livum oder an den christlichen namen Germänus, Germäna, frz. Ger- main, Germaine (Stadler Ileiligen-lexicon) oder, noch entlegener und unwahrscheinlicher, an den volksnamen GermUni , kann ger- men, girmin, gormeti nichts zu tun haben, und wenn die kinder des Germennlf im Pol. Irm., wie Förstemann anmerkt, Germänus und Germäna heifsen, so ist daraus nicht etwa zu schliefsen, dass westfränkisch germen aus hl. germänus noslrificiert sei, sondern nur, dass die lateinischen oder romanischen namen der kinder mit riicksicht auf das ähnlich klingende fränkische dement germen im namen des vaters gewählt und beigelegt worden sind, also eine art annomination lateinischer an einen germanischen namen darstellen.

Zeuss Die Deutschen 59 verglich zu Germo an. Garmr, den namen des mythischen hundes. wenn man aber, wie ich zugel)e,

DEA GARMANGABIS 193

hei dem garman der swebischen göllin versucht sein köDute, an Garmr zu denken , so ist das doch hei gtrmin und dem damit zu- sammenhängenden Germo niciit angebracht, ganz abgesehen davon, dass nach Noreen Altisl. und allnorw. gramm.^ § 248 Garmr neben Gramr nichts anderes als eine metathesis vocal -\- r <Cr -\- vocal ist, weshalb mau in diesem mythischen weseu, mit berücksich- tigung der specifischen bedeutung, die dem aisl. gramr, ags. gram, grom, as. ahd. gram in der religiösen phraseologie zukommt (bei- spiele bei Cleasby-Vigfussou , Bosworlh- Toller, Heliand, GrafI), nichts anderes als 'die zürnende gottheit' oder 'den feindlichen gotl au sich' erblicken dar! , wie denn as. (he gramo (Heliand 1084) geradezu den teufel bezeichnet.

Mit isl. gormr m. 'dreck, schlämm', einem concretum aul -ma wie härm, darm, skArn, sUm ua. Kluge Nom. stammb. § 88, das zu nord. gor n. 'dynd, sele', ags. gor n. 'düng, dirt', ahd. gor 'timus' gehurt, mag ich mich nicht aufhalten; ein wort dieser begriffsreihe ist weder in den p. u. mit germen, girmin, gormen, germ, noch in dem namen der göttin zu erwarten, bei Lexer wird gor zu gern, jesen gestellt, was mir mit hinblick auf mhd. gerwe swstf. 'hefe, unreinigkeit, auswurf recht annehmbar er- scheint, und hierher gehören dann wol auch die Ikissnamen (Förstemann ii'^) Germepi und Germizen, 'Girms' mit vollerer ab- leitung *Ge7'mense in Germenzer marca.

Die bedeutung von girmin, garman kann nur im zusam- menhange mit dem einfaciieren germ in Germo usw. erschlossen werden.

Da ist es nun sehr beachtenswert, dass das Verhältnis von germen, girmin zu gei'm bei dem in personennamen noch viel häufigeren, gleichfalls nur anlautend vorkommenden, demente ir- min widerkehrt, sodass den oben nachgewieseneu namen jedesmal eine genaue parallelform gegenübergestellt werden kann, also Ermening, Ermenberga , Ermenar, Ermenitdis, Ermendrada (neben Ermenrada), Ermemdf, Ermentens, Irminburg und Ermoard, Erm- hard (Ermhart Sanct Peter), Ermo, und auch diese namen sind westfränkisch und stammen fast durchweg aus den polyptychen Irminonis und Sti. Remigii Remensis. diese parallelen beweisen meines erachtens unwiderleglich, dass, so wie *ermaz *ermenaz auch *germaz *ge'rmenaz germanische bildungen sein müssen und von einer entlehnung dieses namenelements aus dem lateinischen Z. F. ü. A. XXXVill. N. F. XXVI. 13

194 DEA GARMA^GABIS

oder kellisclien nicht die rede sein kann, iiim ist aber für *ermenaz meines Wissens noch heute die von Müllenhoff Zs. 23, 3 begründete ansiebt in geltung, dass dieses adjectiv als vereinzelter rest einer germanischen medioparticipialen bildung zur wurzel germ. ar (er) 'sich erheben' anzusprechen sei, wonach demselben die bedeutung 'excelsus, hoch, erhaben, grofs' zukommt, vgl. irmingot Hild, gleich unserm 'grofser goll'.

Zu diesem irmin germ. *ermenaz verhält sich einfacheres *ermaz, das der ganzen läge der dinge nacii weder etwas anderes bedeuten noch grammalisch etwas wesentlich anderes als *er- menaz sein kann, wie dia wurzelhaflen adjectiva auf -tno (Kluge Nom. stammb. § 184), annd. warm (vgl. zur ableitung griecb. &fQ- f.i6g), arm, härm, ags. rüm usw., und es ist vielleicht gestattet, aufBrugmann Grundriss ii* 154 zu verweisen, wonach im umbr.- osk. und ball.-slavischen das suftix -mo in gleicher funclion an stelle des idg. -mno, -meno, -mono auftritt, db. participia med. (pass.) bildet.

Ist also nun zweifellos *ermaz gleich *ermenaz 'hoch, er- haben, grofs', so ist auch *germaz gleich * germenaz und das Verhältnis des voranstebnden bekannteren uamenelements kann ohne weiteres auf das zweite übertragen werden, ^germenaz ist demgemäfs gleichfalls eine participiale bildung zur wurzel ger, griecb. yag, welche in ahd. ger, giri adj. 'cupidus', gerön, germ swv. 'cupere', gern(i) adj. 'intentus* cupidus, Studiosus, pronus', got. pcfi'rns in compp., n\\(\. gieiig, gern, hegehren, hegier de, griech. X^iQct, ;f«C;Wö, ^«C'Sj Xf^i'Q^'^, '3t- grätns, grätia (Curtius Grund- züge der griecb. etymol.^ s. 187 88) erhalten ist.

Dem westfränk. germen entspricht nun mit ablautenden vo- calen das swebische garman, germ. * garmanaz im namen der gottin , genau so wie das adj. warman im flussnamen War- manou saec. 11 (FOrstemann Nbch. ii^) der anders vocalisierten form wirmin, werman in den flussnamen Wirmina saec. 8, Wer- mana saec. 11, Wirmüaha, dissimiliert aus *lF?rmmfl/ja, saec. 11 entspricht, worin icli eine zweite parallele zu irmin vermute, denn Wirmina wie Warmanon können nicht getrennt werden und auch hier steht einfacheres wirm germ. *wermaz in Wirmse'o saec. 9 dem volleren participialen *wermenaz, *warmanaz zur Seite, sowie sich sogar die ablautstufe Gormentens im fl. n. Worm, Wurm saec. 10 widerholt.

DEA GARMAiNGABlS 195

Wie er/«, ermen zu ar, er uiul germ, germen, garman zur Wurzel gei\ griech. %aQ^ gehurt das gemeingermanisclie *wannaz^ ahd. as. wann, ags. jcearw, an. vantir, gol. in warmjän swv. zu einer idg. wurzel xcar 'wallen, kochen', asl. v)reti 'wallen, sieden, quellen', varn 'aeslus', izvorü 'Ions', litt, wirti 'kochen', wirejas 'der koch', deren ahlaulstiiren e und u > ö im germanischen durch ahd. wermnoiha, unermoda, wermili, nuormota 'ahsinlhium' (ab- synthium ^'potio mellila, monachica' Du Gange), ags. toermdrf, wor- möd slm., got. etwa *wairmödns, belegt werden, worunter ich zunächst nicht die pilanze vermute, sondern ein abgekochtes ge- tränk, einen absud oder aut'guss verstehe, vgl, das ganz analog gebildete ahd. meröd 'coena'.

Wenn nun die bedeulung dieses genieingei'm. wortes und seiner verwanten wirmin und loarman durch den perfectiven he- grid' 'ins kochen, wallen geraten seiend', 'sich erhitzt habend' vermittelt wird, die von ermen aber aus 'sich erhoben habend' ent- springt, so wird für germ. *germaz, *germenaz, *garmanaz von dem begriüe 'verlangt, begehrt' zu der bedeutung 'erwünscht, willkommen, erfreulich' fortgeschritten werden dürfen, di. im wesentlichen dieselbe entwicklung, die in lat. gr-ätus vorliegt.

Es ist gewis nicht zufall, dass in ermen und germen zwei durch den reim gebundene parallele bildungen erhalten sind und man wird annehmen dürfen, dass sie auch in der rede gepaart worden seien, dem sinne nach ungefähr wie unser 'hoch und leuer' oder ähnliches, in *Garmangabi für *Garmanagabi ist wie bei Hermunduri der thematische vocal synkopiert, der name selbst ungefähr als 'grata donatrix' zu übersetzen.

Wien, 31 Jan. 1894. THEODOR VON GRIENBERGER.

ZUR KUDRUN.

12, 1 ist die Überlieferung lückenhaft. Ziemanns allgemein gebilligte ergänzung will mich aber nicht befriedigen, die hs. l)ietet V. m. sawbermanle tr., die herausgeber schreiben v. m. sou- mcere rieh getötete trnoc. dass sawber (jedoch nicht smcber- maule) auf soumcBre, sonmer zurückgehe, halte auch ich nicht für unwalirscheinlich. graphisch steht allerdings silber einem voraus-

13*

196 ZUR KUDRUN

zuselzentleo suber nahe und man könnte auch an swcpi-e, swere denken, doch lässt sich damit wenig anlangen, will man nicht zu weitern änderungen greifen, man milstc dann etwa anuelmien, bereits ein früherer abschreiher liabe wegen der graphisch ahn- lichen wortausgänge -cere und -cete rieh gewwte übersprungen, HRied somer als sonber gelesen und inaule ergänzt, ich glaube indes, dass maule ein lesefehler des letzten abschreibers ist und dass in der vorläge mulih stand, schlage also vor zu schreiben vil manic sonnifere niüeliche Inioc, daz ir hovegesinde usw., wo- mit sich vergleichen lässt 270, 2 ün ros giengen swtere von sHber und gewanl; 923, 2 unsanfte gdnt die mcere, geladen harte swcere ; s. aufserdem zb. Nib. 1117, 2 man sach ir soumcere so rehte sicare tragen Riterolf 544. 3S61. 5517. Dielr. Fl. 3697. müeliche, das, allerdings in anderm sinne, in unserer dichlung 83, 2. 350, 4. 891, 4 begegnet, wahrt nicht blofs am besten die handschriftliche Überlieferung, sondern macht auch v. 4, der bei der ergänzung rieh gewcete wesentlich nur eine widerholung von v. 2 ist, nicht überflüssig.

26, 1 Eines tages Sigebant uf einer greden saz. zu grede bemerkt Martin in der gröfsern ausgäbe: 'es sind hölzerne oder steinerne stufen vor einem gebäude; aber auch eine rasenterrasse lieifst so', wozu auf Helbl. ii 510 verwiesen wird. M. hat dann in der Zs. f. d. ph. 15,205 andere bedeutungen des Wortes (stein- lage vor dem hause, Steinterrasse, aus lehm gestampfte grede vor dem süddeutschen hause) angeführt. Schwarze in derselben zs. 16, 404 hält die grede, auf welcher das königspaar plaudernd sitzt, für eine lerrasse vor der vordem Umfassungsmauer (!), und ASchullz Höf. leb. i 58 führt unsere stelle als beleg dafür an, dass man auf der treppe safs, um sich der frischen luft zu er- freuen, als stufe, treppe können wir hier grede nur fassen, sobald die folgenden verse als Interpolation aufser betracht bleiben, wenn wir den text aber nehmen, wie er vorliegt, kann diese auffassung nicht bestehn, denn man wird sich die Situation doch nicht so vorstellen, dass Sigebant auf einer treppe platz genommen hat und die königin unter einer nahestehnden cypresse sich befindet, sondern vielmehr, dass beide zusammen nf einer greden unter dem bäume sitzen, dann können wir darunter aber nur einen bankähnlichen, oder sagen wir stufenartigen sitz verstehn. Helbl. II 508 ist zu lesen wol dan mit mir zeiner bank, daz wir sitz-en

ZUR KCDRUN 197

bede: dort stet ein gre'de, beleit schön mit grüeneni wasen. hier sind nuu bank und grede nicht etwa verschiedene dinge, sondern identisch, im ma. wurden sitzbänke im Freien, besonders in gärten, ganz gewöhnlich in der weise hergestellt, dass man vier oder mehr pfähle in entsprechenden abständen in den boden schlug, auf allen seilen eine bretterverschalung anbrachte, den hohl- raum mit erde ausfüllte und schliefslich die obertläche mit rasen bedeckte, derartige sitze sehen wir auf allen bildern häufig, ich verweise beispielshalber auf die im Anz. f, k. d. d. vorz. 1880 s. 71 abgebildete liebesscene zwischen Paris und Helena vom j. 1441, auf Dürers 'Madonna mit der meerkalze' und dessen 'hl. familie mit den drei hasen'. daneben gab es auch steinerne bänke, sei es, dass ein block behauen oder kleinere stücke mit oder ohne mörtelverband hierzu geschichtet wurden.

Dass für solche silzvorrichlungen neben banc auch die in rede stehnde bezeichnung üblich gewesen ist, bezeugt gleichfalls Wiga- lois 7098 ff, wo die grede, auf der die beiden rilter sitzen, unter der vor demburgtore stehenden linde siluiert erscheint, weshalb eine andere deutung ausgeschlossen ist. man könnte höchstens daran denken, dass durch ummauerung und auf'schüt- tung ein den stamm rings umgebender sitzplatz geschaffen wurde, wie wir das noch hier und dort bei alten dorf- und burglinden wahrnehmen.

39, 2 hat die hs. aus reich. Martin ergänzte aller viirsten und ihm folgte Symons, Barisch hinwider emendierle nzer Irriche. vielleicht ist zu schreiben verre üz dem riche oder üz verren riehen, stand in der hs. v^re vze, so erklärt sich der ausfall eines der beiden worle um so leichter, als z und r in Rieds vorläge zu verwechseln waren, ähnlich verhält es sich mit vz vhe riche) s. dazu 64,4. 118, 2.

72, 4 halten sich die herausgeber meist an die Überliefe- rung: Sit kam er ze tröste in Ir lande manegem schoenen \cibe. Martin änderte in dem lande, an Eyrland hat man mit vollem recht austofs genommen, aber die änderung in dem lande muss bedenken erregen, weil sie die handschriftliche Überlieferung nicht berücksichtigt, ich kann mir wenigstens nicht erklären, wie daraus die lesart Eyrland hervorgegangen sein könnte, es ist zweifellos zu emendieren in ir eilende, wodurch nicht nur der vers den denkbar besten sinn erhält, sondern auch das befremd-

198 ZUR KUDRUN

liclie Eyrland erkläit wird, wir liabeii es' iiiil einer irrlüiiilitlieu auflassuiig zu tuu, die einem lUlcliligen absclneiber um so leichler passieren konnte, wenn in der vorläge ir elende stand und zwar bluls durch ein geringes spatium gelrennt, sodass er beide worte zu irelende verband und mit irlande identiücierte oder bei ober- tlächliclier aulnahme des wortbildes gleich irlande las.

96, 4 hat bereits Ziemann nach ir willen ergänzt, was trelliich passt, sofern man nur dem sinn rechnung trägt, aber gleichwol anzutechten ist, indem nämlich der aust'all nicht begründet wer- den kann, dass ein copist die phrase absichtlich ausgelassen habe, ist höchst unwahrscheinlich; wenn es aber aus flilchtigkeit geschah, so ist anzunehmen, dass die fehlenden worte nicht mit den tolgenden, sondern mit den vorausgehnden graphische ähii- lichkeit besafsen, und darum ziehe ich vor dne sorye, was in einer hs. aus der zweiten hälfte des 13 jhs. an dem oder anme, ame berge, wie vielleicht die vorläge aufwies, sehr ähnlich ist. man beachte aulserdem den ant'ang der folgenden Strophe in der grözen sorgen von im gar gebrast, das fragezeichen wäre dann nach ivaz mohte in gewerren zu setzen.

IIU, 1. Daz schif het einen Iierren üz Salme. Marlin (Zs. f. d. ph. 15,207) glaubt, es könne mit Salme der Solway frith bei Carlisle nicht fern von Cardigan gemeint sein, nach meiner Überzeugung beruht Salme auf einem lesefehler und steckt Garade oder eine Variante hiervon dahinter. S und G gleichen sich in haudschriften des spätem 13 jhs. häufig so, dass selbst Schreiber jener zeit irre giengen und ihnen unbekannte ortsnamen fehler- haft widergaben, die bemerkung in der vorausgehnden Nibe- lungenstrophe 108 ez kam von Garade kann meine annähme nur unterstützen.

Czernowitz im jänner 1894. OSWALD V. ZINGERLE.

II.

Dass in S, 2 (lere:) der begnnde er volgen sere ein caesur- reim eingeschwärzt sei, hat schon Ellmüller erkannt, aber schwer- lich ist es richtig, das sere einfach zu streichen, wie mit E. alle späteren herausgeber (Vollmer, Bartsch, Martin, Symons) luu. ein schlichtes volgen zu dem abscheuliclien , noch nhd. unerlaubten volgen sere zu erweitern, lag zumal für einen redaclor so Irülien datums, wie es der caesurreimer nach Symons ist keineswegs

ZUR KLIDHL^ 199

nahe, leicliler schon konnte sere als ersalz eines andern adver- biums eindringen, die stelle hat wol ursprünglich so gelautet:

Sinej- muoter lere diu behagete im wol.

der begunde er volgen gerne, als man friunden sol. lere : gerne erschien dem betr. schreiher als ein unreiner reim (wie etwa Rol. 13, 22 f e're : gerne), den er mechanisch ausglich zu lere : sere. für jenes ursprüngliche gerne spricht noch zweierlei: 1) die Verbindung gerne volgen ist eine sehr geläufige: sie be- gegnet gleich wider str. 35, 2, vgl. ferner Rol. 13, 23. Nih. 274, 1. 391, 4. aH. 828 und besonders Kehr. 12632 ja volge ich gerne diner lere, 12960 vil gerne volge ich diner lere; 2) gerne stellt sich in der luidrun ungemein leicht in der caesur ein, so allein in der einleituug noch 9 mal: 9,4. 10,3. 28,2. 78,4. 91,3. 123, 4. 133, 4. 141, 4. 185, 4.

Am ausführlichsten hat üher das eindringen der caesurreime Symons Beitr. 9, 24 51 gehandelt, seine gesichlspuncte sind verständig und seine resultate annehmbar bis auf die Vorstellung, als seien sämtliche caesurreime, soweit sie nicht das werk des Zufalls sind, auf einer stufe der textgeschichte aufgekommen, rührten von einem und demselben bearbeiter her. die greise masse ganz gewis: aber nachdem jener hauplschuldige einmal sein reimgeglitzer über das ganze, hier dichter dort spärlicher, aus- gestreut und bei lesern und Schreibern eine völlige Unsicherheit über ausdehnung und berechtigung dieses 'schmuckes' hervor- gerufen hatte, haben sich gewis auch spätere copisten an der Ver- mehrung der binnenreime beteiligt vielleicht bis herunter auf HRied, der hier und da halb unwillkürlich und wol auch mis- versländlich einen neuen reim in den texl gebracht haben mag. ein solcher reim von jüngerer und mehr zufälliger entstehung dürfte zb. vorliegen

1216,3.4 bidemet von dem froste daz arme ingesinde.

si wären in swacher koste. jd wdten die kalten mer-

zischen xoinde. in swacher koste 'mit geringem aufwand gekleidet', umschreibt Martin, aber koste ist hier schwerlich das rechte wort, als die hochzeit der armen Goteliot ein jähes ende gefunden hat, heifst es Helmbr. 1631 if:

Gotelint vlös ir brutgewant. bi einem zune man si vant

200 ZUR KUDRIN

in vil sw acher küste.

si het ir beide brüste

mit banden verdecket, 'kläglicli anzuseheu', 'in diirltiger ausslaüung, kleiduug'. der reim aut brüste sichert das «: beide hss. aber und die eine ist unsere Anibraserl haben hier koste^ und dasselbe wort hat HRied oder seine vorläge auch in der Kudrunstelle lilr ursprüngliches küste eingesetzt, und noch ein drittes mal begegnet der gleiche fehler bei ihm: Biteroif 837 m koste harte riche. der gegensalz zu in (ze) swacher küste ist in (ze) richer küste 'reich ausgestattet'; so zb. Rindh. Jesu 858 f {brüste :) die vant si ze richer küste mit milche beraten harte xool, wo die hs. C dem altertümlichen aus- druck aus dem wege gehl, so werden wir auch Bit. 837 lesen müssen: er fnor, als im wol gezam,

in küste harte riche. koste (wie hier wider die Ambraser hs. bietet) ist in allen diesen fällen our eine späte umdeutung des alten subst. kust, gen. küste 'species', das schon um 1300 unverständlich zu werden beginnt.

Zs. 33, 101 f habe ich dem anonymus Spervogel ein schlecht bezeugtes adjectivum künde, künde abgestritten und unter hinweis auf eine reihe von stellen aus gedichteu des 12 jhs. für MFr. 30, 29 f die fassung vorgeschlagen iint elliu abgrnnde diu sint dir, herre, {in} künde i. für dies in künde {unkünde) loesen {werden, tuoti) gibt es noch einen spätem beleg, in der Kudrun:

329. 3 dannoch was er Hagenen . . . in unkünde hs. in unknnden. und wahrscheinlich muss das positive in künde an vier weitem stellen der Kudrun hergestellt werden, wo es, wie in der Milstäter hs. der Exodus und in gewissen hss. der Kehr.-, durch einfaches kunt, künde verdrängt worden ist. ich lese:

135.4 diu craft sines libes wart den pilgerinen harte in künde* 225,2 ist ((lir) daz nicere in künde**, du solt mich icizzen Idn 867,4 herter frouwen dienest wart dd (dem küenen) Herwige

i n k ü nde* 1033,1 Nu ist iu wol in künde** {daz ist mir kit genuoc). * hs. künde ** lis. kunt

ich glaube also, dass wir aus der Kudrun den '/o-slamm künde' eliminieren dürfen: der vers wird nirgends verschlechtert, wenn

* vgl. aucti gGerti. 367 f 7tnd hast in diner künde die tiefe der ubSründe. ^ Zs. 33, 102.

ZUR KÜDRÜIN 201

wir in künde dalilr eiusetzeu, imd jenes 329,3 überlieferte was ... in unkünde scheiut uns ein recht dazu zu geben.

Nur ein bedenken bleibt: auch im Nibelungenliede steht ein paarmal künde, 4 mal in A, 5 mal in B: S3, 2 (B 82, 2). 378, 2 390, 2). 461, 4 (B 492, 4). 2182, 4 (B 2245, 4) und B 1075, 2 fA 1015], und hier bietet die umfangreiche Überlieferung nirgends einen anhält für in künde ', dessen einsetzung gegen die hss. obendrein ein paarmal den vers verschlechtern würde, die ad- jeclivform künde ist also nicht aus der weit zu schaffen, sie er- scheint im Nib. ausschliefslich in der caesur, wo wir auch sonst eine leicht begreifliche neigung zur bevorzugung vollerer formen bemerken können {-heile, arbeile neben den reimformen -heil, arbeit usw.). man besafs in gewissen gebieten des bair.-öst. dia- lects die aus der Vermischung der i- undya-stämme'^ herrührenden zvvilliugsformen wie hart herte, snoz süeze, und nach deren aualogie mag man auch zu kunt ein künde gebildet haben, das sich dann für den caesurausgang besonders bequem erwies. Marburg. EDWARD SCHRÖDER.

SÜSSKIND VON TRIMBERG.

Zwei minnesänger teilen das Schicksal, dass die kritik ihnen die sociale Stellung absprechen müchte, welche die Überschriften der mittelalterhcheu sammler ihnen zuerteilen : kaiser Heinrich und Süfskiüd von Trimberg. zwar ist die läge sonst nicht ganz die gleiche : während bei dem grofseu fürsten eine wolbekannte individualitSt zu dem ton der lieder nicht zu stimmen schien, erregt bei dem unbe- kannten fränkischen spielmann die allgemeine Stellung der Juden im mittelalter zweifei. so hat zb. Burdach (Reinmar u. VVallher s. 135, z. 10 v.u.) zu der bezeichnung Süfskinds als eines Juden ein fiagezei- chen gesetzt, einer eingehnden begründung des zweifeis entsinne ich mich nicht; er beruht wol aber jedesfalls auf jener erwägung und auf der meinuug, man habe aus dem vers 'ich wil in alter Juden leben mich hintian für wert ziehen' (MSH ii 260', Bartsch Ld. nr lxxiv 20) die Standesangabe mit ebenso geringer berech- ligung herausgelesen, wie nach Haupts ansieht (MFr. s. 228) aus dem vers: 'e ich mich ir verzige, ich verzige mich e der kröne' (MFr.

' wenn sich auch einzelne hss., besonders A, gegen die form sträuben und trotz der einen klingenden ausgang fordernden caesur lieber kunt schreiben. ^ und alten Unebenheiten des paradigmas.

202 SÜSSKIP^D VON TKIMBERG

5,36). indes, wie Scheier (DSl. u lU) Haupls verdaclit beseitigt hat, so lässl sich vielleicht auch bei Süfskinti die angäbe unserer Vor- läufer in mild, lilteraliirgeschichte rechtfertigen, dass der Jude von Trimberg nicht so ganz vereinzelt dastünde, erwies Creizenach (vgl. Germ. 14, 127). und vdHagen suchte aus den gedichlen selbst des dichters jüdischen Ursprung zu erweisen: die gleichnisse aus <ler arzneikuust und dem geldgeschält sollten dahin deuten (MSH IV 538). die sind freilich auch anderweit nicht seilen, bilder mit zius und darlehu zb. bei Hartmann von Aue ungemein beliebt, auch sonst würde ich es kaum wagen, aus den wenig characte- ristischen liedern biographische anhaltspuncte zu holen. Sülskind bewegt sich durchaus im fahrwasser der spielmännischen didaktik: dass wahrer adel nicht auf der gehurt beruhe (MSH ii 258, 1), haben auch Freidank und der Wälsche gast gelehrt (Wilmanns Leben Walthers 420. 451), dass gedanken frei sind (MSH ii 258, 4), ist ein lieblingssatz der minnesänger (Wilmanns aao. 403, 339; ESchmidt QF 4, 109 anm. 46, WGrimm Freidank" xci). wenn dem vor der Ihür des festgefügten domes mittelalterlicher rang- ordnung stehnden Juden auch beide gedanken besonders nahe liegen mochten, muss man doch der Versuchung widerstehn, ihn deshalb zum ahnherrn liberaler Journalisten zu machen, eher noch konnte man in dem preis des tugendhaften eheweibes (MSH II 259, G) einen anklang an stellen des alten testameuts wie Prov, 31, 10 f. Eccli. 26, 1 f sehen wollen; aber auch solche sätze waren durch die kanzel gemeingut geworden und niemand wird Wallher 32, 21—24 aus Prov. 31, 30 herleiten.

Ist es also bisher nicht gelungen, Süfskinds eigenartige Stellung positiv zu erhärten, so doch noch viel weniger, sie als unmöglich zu erweisen, der name ist in der gleichen gegeud, in Würzburg, 1218 lür einen Juden belegt (MSH iv 537) und war daher wahrscheinlich um diese zeit schon ausschliefslich für Juden in gebrauch, dass dieser name nun mit jeuer stelle ganz zufällig zusammenträfe, in der der dichter erkläi t, die brotlose kunst aufgeben und fortan in hut und nianlel der Juden umherschleichen zu wollen, das wäre doch sellsan). und wenn ein jüdischer minne- sänger undenkbar gewesen wäre, hätten rubricaior und maier trotz jenem verse den Süfskind nicht dafür nehmen können.

Merkwürdig genug bleibt immer die erscheiuung, und so scheint sie denn auch nicht spurlos vergangen zu sein.

SÜSSKIND VON THIMBEKÜ 203

Als ich im lolzleii soinmer mit KEFrauzos von Kissingeu aus einen ausflug nach der Trimburg machte, versuchten wir leslzuslellen, ob uocli künde von dem jüdischen minuesiinger lorliebe, ich muss es zu meiner schände gestehn, dass der schrili- sleller und nicht der philolog die kleine forschungslährt vorschlug und durchtührte. unser kulscher, eine alle Trau, ein handwerker wüsten nichts von einen) jüdischen dichter; ebenso wenig die trau bürgermeisterin oder der herr lehrer. aber ein zweiler hand- werker auf der kegelbahn erinnerte sich, seine magd, die tochter des alten Zoll, habe davon erzählt: 'dass er Süfskind geheil'sen habe und ein dichter war, davon sei ihm nichts bewust; aber ein jüd habe dort gewohnt; seitdem sei keiner mehr im ort', wir pilgerten also zum allen Zoll (Ti imberg, haus 52). der junge Zoll, ein Schuhmacher, sal's mit seinem kind am tisch: ja, hier habe der jüd gewohnt, er zeigte uns das haus; fast alles war ziemlich neu, aber der keller war alt; er hatte zwei holzgeschnitzie Säulen, auch auf dem boden fand sich ein geschnitzter quer- balken, mit apfelrechen behängen, ich fragte, ob er einmal eine iuschrift gefunden hätte: ja, einen balken halten sie einmal ge- funden, auf dem 1797 stand, inzwischen war der vater, der 'alte Zoll', selbst herangekommen; der wusle mehr: Süfskind liabe der jüd geheifsen (wir hatten ihm den namen nicht genannt); mit denen auf der bürg oben habe er es gehallen, sei ihr 'schmuser' gewesen, ihr 'beiläufer'; mit beiden worten schien er etwa einen agenten zu meinen, von gedichten wusle auch er nichts, im alter sei es dem schlecht gegangen: seine kinder seien von ihm fortgelaufen und er habe nicht mehr viel gehabt. Franzos fragte, wann das etwa gewesen sei? nun, mehr als zweihundert jähr sei es her. woher er es wisse? der alte (wörtlich): 'durch erb- sage', ob manchmal danach gefragt würde? der alte: vor zwei jähren habe einer danach gefragt, ein doclor soll es gewesen sein, er (Zoll) habe auch von einem buch gehört, wo davon stünde, aber gelesen habe er es nicht.

Ich gebe den bericht genau, wie ich ihn am folgenden tage aufgezeichnet habe, auf keinen fall scheint er mir uninteressant: den wenigen litlerarhislorischen legenden, die wir besitzen, ver- dient vielleicht die tradilion von dem verarmten 'beiläufer' der Trimburger burgherren beigefügt zu werden, natürlich würde die Überlieferung fast allen wert verlieren, wenn sie erst neuer-

204 SCSSKliND VON TRliMßERG

diiigs iu die leute hineingebracht wäre, mir scheint das aber nicht der lall zu sein, iu den 'führern' von Kissingen land ich keinen anhält lür Zolls erzähluug; und wenn jüngst etwa jener doctor den iuhalt in die erzähler hiueingelragt hätte, wäre dann gerade das vergessen, dass Süfskind dichter war? und wer in die leute etwas hineininterpretiert hätte, würde darüber wol auch uü'entlich berichtet haben, auch die Vereinzelung der künde scheint auf würkliche 'erbsage' zu deuten, dass diese zuletzt auf den einstigen bewohner des alten hauses zurückgienge, ist nicht un- denkbar, aufserdeni aber enihält die erzählung selbst beachtens- werte Züge, dass ein Jude den dorfbewolmern gleich in den beruf des Vermittlers (ritt, will nichts besagen, und ein Zusammenhang mit der bürg ist auch leicht dazu gefunden, aber die bestimmte aus- sage über Süfskinds trauriges alter lässt sich kaum a priori con- struieren. wäre sie noch mit jener nachricht, dass er der letzte Jude im ort gewesen sei, in aetiologische beziehuug gebracht! aber dazu ist nur mit den vvorteu , die kinder seien von ihm fortgelaufen, der anfang gemacht, sonst aber stellt sich das volk einen judeu als reich vor; sollte die abvveichuug auf historischen grund gehn? Jedesfalls widerspricht bei Süfskind nichts dieser 'erbsage', seine erste Strophe deutet auf beziehungen zum adel, und in einer der letzten heifst es:

Wähebüf und Nihtenvint

tnot mir vil dicke leide:

her Bigenöt von Darbidn

der ist mir vil gevwre.

des weinent dicke miniu kint,

boes ist ir snabehceide. Der einzige zug, der in Süfskinds gedichten einigermafsen originell hervortritt, ist der starke hinweis auf den nahenden tod (MSH II 258, 3; 259, 7). vielleicht weist auch das auf ein ein- sames vergrämtes alter hin. und die fabel vom hungernden wolf deutet man doch wol am besten mit vdHagen auf den entschluss des armen Sängers, mit den vvülfen zu heulen, statt uf der tören vart zu singen, all diese einzelheiteu passen zu des allen Zoll erzählung gut genug, um die müglichkeit zu lassen, dass würklich einst in dem hause Trimberg nr 52 'her Dünnehabe' dem jüdi- schen minuesänger ungemach geschafft habe. . Berlin, 12 nov. 1893. RICHARD iM. MEYER.

zu ULRICH FÜETUER

205

ZU ULRICH FÜETRER.

Aigor teümarch

hef lupfe

tschionachtoJand^

Grales anfortas

Jeschaude frmc karnannt

logrois

Chonnfolais

Mtnitschalfacz

sekureys

Trihabilott

Tüurell

Titmissam

finmmtell

lancziloU

tcigamnr

Melleranns

ygnölle

Arttus

Gössicein

Tamitarins

pyramns

floir

Anfortas grale

parcziual

Dieses verzeiclinis findet sich eiogelragen auf der leer ge- bliebenen zweiten spalte der rückseite des dritten folio der hs. 3406 der Wiener hofbibliothek, welche das Pantheon des Gotfrid von Viterbo enthält, nach Waitzens bezeichnung D^. die band ist vielleicht die des Ulrich Sattner presbyter in Regensburg, der Dach seiner eintragung auf dem deckel den codex 1469 von Heinrich Huebmer gekauft hat, jedesfalls aber dieselbe, die auf fol. 40 das Verzeichnis der Salzburger erzbischöfe bis 1466, auf fol. 124 das der Regensburger bischöfe bis 1465 (Heinricus de Absperg) und auf fol. 170 das der bairischen herzöge bis 1335 nebst einzelnen notizen eingetragen hat, worunter die auf dem deckel von der enthauptung des Andreas Paumkirchner und Andreas Greifenegker im jähre 1471 bereits durch Waitz bemerkt ist. verschieden von dieser sind die eintragungen derjenigen

^ danach y5 ffestrichen.

Maroll vT) jjlanndt

hef Tristram

Gab ein erek

ybein

Graharczoys

der vo laland^

Ekonot pontg perwestor

karel ' gilion

Jskiloban

Kanfferl

Gailot spanie landt

kitnig gramoflancze

wigelays, rial daniel pärsiwein

Galoes Gandin Gardis lohagrin

Gamuret, pottislier

Ilher vo kukumerlanden

litschois, Mill Viviancz

karl rueland olifter vd orliens

orollf, Theserais

Markis, Witich vom Jordan

Amadens

206 ZU ULRICH FÜETRER

schrill, welche auf dem decke! unterhalb der ersteren bemerkte, dass das buch im jähre 1472 vom aht von Mondsee dem ge- nannten Ulrich Saltner abgekaul'l worden sei, und die dann auf fol, 40 den erzbischofskatalog bis zum jähre 1506 Ibrlfilbrl.

Ich zweifle sonach durchaus nicht daran, dass dieses namen- verzeichnis vor dem jähre 1472, wahrscheinlicli zwischen 1469 und 1472 niedergeschrieben wurde, obwoi sich dem ein ge- wichtiges bedenken entgegenstellt, denn die namen gehören nach allem, was ich durch Hofstätler (Altdeutsche gedichte aus den Zeiten der tafeirunde, Wien 1811), Spiller (Zs. 27, 158ff. 262 fl"), Hamburger (Zs. f. d. phil. 21, 404 IT) von diesem werke weifs, dem Buch der abenleuer von Ulrich Filelrer an ', indem mir einige von ihnen (zb. Pärsiwein, F'ottislier 2) überhaupt, andere in dieser form (zb. Tschionachtolander^) nur dort begegnet sind, die uns überlieferte fassung des grofsen werkes kann nun freilich nicht vor dem jähre 1473 gedichtet sein, aber es könnte eine ältere verlorene, etwa eine programmskizze, wie ESchröder meint, bestanden haben, trotzdem das namenverzeichnis mit einer spitzeren feder geschrieben ist als daserzbischofsverzeichnis, scheint mir doch der Charakter der einzelnen buchstaben, vor allem der majuskeln (zb. der G und E des erstem mit denen auf der dritten seile des letzlern) so übereinstimmend , dass ich eher zu dieser immerhin gewagten hypothese meine Zuflucht nehmen, als an der identilät der Schreiber zweifeln wollte.

Bern, 20 juni 1893. S. SINGER.

ZUR PREDIGTLITTERATUR.

I.

Bei eitlem meiner letzten besuche auf der Münchener Staats- bibliothek übergab mir herr dr FKeinz einige ans bücher einbänden abgelöste hsliche predigtenfragmente zur näheren bestimmung, von denen das eine es trägt jetzt die Signatur cgm 5250, 6* sich sofort als zu der von Kelle unter dem tilel 'Speculum ecclesiae altdeutsch' herausgegebenen predigtensammlung {A) gehörig erioies. es ist ein pergamentdoppelblatt, das die mitte einer läge ausmachte, von dessen erster hälfte die schere des bnchbinders aber nur noch ein

* ob sämtliche darin vorkommen, iiann icii niclit sagen, doch ist es wol möglich, ja wahrscheinlich.

■■' dies allerdings auch in Füetrers prosaischem Lanzelot.

' [doch siehe jetzt Tschynachtvlander in den jüngst veröffentlichten Münchner bruciistücken Zs. 37, 28.]

ZUR PREDIGTLITTERATLR 207

1,7 cm. breites stück übrig yeJassen hat; das zweite blatt ist oben 14,3cw., unten 14,0 cw. breit und 21,2 cw. hoch, doch hat auch hier die schere die drei unteren seilen abgeschnitten, sodass von den ursprünglich 40 zeilen auf der zweispaltig geschriebenen seite nur 42 erhalten sind, das schön, mit altertümlichem ductus ge- schriebene fragment gehurt sicher dem anfange des 13 //(s. an und reicht von Spec. eccl. 77,21 nli (zoliimele) bis 84, 29 rinder liirtc» doch beginnt der fortlaufende text erst mit 81,14 iemer niere, wäh- rend vom vorher gehnden bl. V bietet in seiner jetzigen gestalt als letztes wart (a)ne 78, 14, bl. l*" als erstes (rjepii = repenle 80, 17, als letztes niic(liilome) 81, 12 nur 1 5 buchstaben der Zeileneingänge resp. -ausgänge bewahrt blieben, wie A im wesent- lichen alemannisches Sprachgepräge trägt (s. WSchaper Zur laut- und flexionslehre des Spec. eccl. Hallenser diss. 1891), so auch unser fragment B. ich habe bei den folgenden Variantenangaben die orthographischen abweichungen von A , insofern sie sich con- sequent durchgeführt ftnden , unberücksichtigt gelassen und schicke deshalb einige allgemeine bemerkungen voraus, in B sind mit einer ausnähme (S2, 23) keine accente gesetzt, an stelle des häufigen i in vor-, ableitungs- und endungssilhen in A ist in B sehr oft e getreten, doch bietet auch B gelegentlich i, wo A e zeigt, was dann angemerkt worden ist, doch mit ausnähme des häufigen gi-, bi- für ge-, be- in A. für ei steht weitaus überwiegend ai. die Schreibungen w v in A für wo vo begegnen in B nicht; für wr steht meist wur. im anlaut wechselt k mit cli: kiinnen 81, 17. kiimet 82, 26. clioriinge 82, 28, im auslaut c mit ch : dinc 83, 3. (iinch 82,1. clireflicb 84, 8. B schreibt consequent im auslaut h: ob, (lob, durli, iinsib , nab, mib. für iieilic ist in seinen ver- schiedenen formen meist die abkürzung bau' angewandt, in dem falle, wo A durch B berichtigt wird, habe ich im folgenden die bessere lesart durch gesperrten druck hervorgehoben.

77, 22 henhornis 23 ur] für, doch war wol fiir beabsichtigt 31 sult 32 engi\e hevschinin 78, 5 v^rtiti

80. 20 bre{\\gotin 24 g.] ^al 30 da im vergleich mit Keiles text der zeilenschluss g\\6{bic) dem vorhergehnden des sel(6m) zu nahe steht, vermute ich, dass im fragment stand: vvrtin driv Uisint man gilöbic 31 getuffeÄll 81, 2 gehug\de 10 berge 6^ 11 do erschein 14 (bl 2') iemer m. zwi br. niuwes 15 zi sinem a. opberten wsere daz de 16 egyptiscbes diensles 17 gewizzenlich buch 18 xpc]x bVe ist daz w. 19 sunde

iiirliligel 20 irloste beiliscben scb. um bat 21 heren 21 f dem fiinfzigislem 22 slabte d. lambes 23 gigeben ir- scbain 24 grozeni fiure uf einem 25 fünfzigistem b'ren 26 xpl

gigeben bail' 27 lieiligin] zwelf einime b.] einem bohen 28 samt waren. Vzinan ein in fehlt 29 gisuniclicben innerb. in ir berze erlfibte er si götis {so besserte schon Schönbach Zs. 24, 93) steht zweimal, das zweite mal ausgestrichen

208 ZUH PREDIGTLITTERATIJR

30 gevvizzens Hie was] waz ist 31 mftshftses wüste 32 gäbe 33 zwi l)r. div si zi ^iliiigiile oplierten {vgl. Zs. 24,91) 82, 1 zwi 2 die vn der liail' g. liclienamen. 3 sendet liiule 4 der eriühle hciligim fehlt 5 siiln wir 6 zu gihaisen

6 1' heiligim fehlt 7 d. ni.] dilig me 8 h\\\a{ltit), das folgende ist bis 10 merclicl durch abschnitt fortgefallen 10 (bi 2'') min

Iioclizit 11 cliiimlt d. almah' g. ziliabenne 12 scholti 13 triunt zu iwcrm lifls 14 wirl hüs iht [da] wsere 15 div t'riuudes irbolgile cliere 16 iegelicli sinem 17 got gariwet sine sele {vgl. Bech Genn. 4,501) zi liiise 18 apt laciem'

dare 19 unsir hainiode sumilich' mennisch' herzen 20 ne- wonel nih chumt 21 uns sundaeren vil agesllich. Sint vil manige die groze r. o. giwiunet 23 lieuels laider daz si 6 giniwi 24 sunden 25 se fehlt 26 lierzin 27 wand 28 niemer dehain 29 nehain 30 windl mennisch ie mere [böse] 31 uerrer uon golis minnen 32 sp"h s.Jser. seruat] s' 33 m. niene minnet min 88, 1 grillet 2 ne wirl niemer müzic 3 herzen 4 habt ir, das folgende ist bis 5f vivrinin zvngin durch abschnitt fortgefallen 6 bl 2<= beginnt un gai»

7 gote also heri scrift 8 zimbern uirlurn gimaine 9dannoh

werk niwan einer zungen 10 gischaiden zw oder zuo?

\m fehlt sibenzich 11 heren 1 1 f diumütlichen chorlen 12 geimfltet zaieiner {so) z. 13 garnt bis do sind durch ab- irren des auges ausgefallen 14 garnte dem 15 gaisl giscriben 16 scrift 17 geziert 18 tuginde bredigere 181' hat S. Paulus gizelt 19 gigeben 20f sumilich' ist d. gut gispreche sumilich' rehtir gilöbe 21 sumilichin div] div rehte 22 beidemal sumilich'u 23 zvngin fehlt paulus 24 lailt teinem iegelichem 25 daune d'd' 26 giueslenl 27 dri t.] i r tugende deme 28 giueslinet 30 laersere chumfte weren 31 chumfte 32 erzaigt 33 gitanir 84, 1 wie bis 2 div der sind durch abschnitt fortgefallen 3 bl. 2'' beginnt Iure wider bis 4 vrhtin] wider die 4 uirlögenote Petrus

schepheres; in Keiles text toird uerlogenole s. p. zu tilgen sein 5 uirlogenie lebennes 6 schachere ane dingite] diete 7 lögente forhtiges 8 dar nah uor d. chumfte 9 sult ir uirnemen zwei am zeilenschluss 10 irfuUet 1 1 bredigen un yon] mit 12 saminoten maistere 14 uirbulen 15 scs Pel's horthabunge 17 gihorsam denne 20 hall suln iiernemen 21 ertailet wirn megen 21 f wir müzzin daz redin] uerswigen 22 uirnomen gihorel haben 23 pf^s Irolichen 24 weren durh 25 sehet Pef^s 25 f giruril 26 div] smelinne vgl. smelinge in Keiles text 84,2; Germ. 4,498; Lexer 2, 1006, nachtrage s. 367 27 list werchsere 28 giwiset dauiden {vgl. Bech Germ. 4, 501) herphsere derj daz er 29 erre fülle.

Tübingen, august 1893. PHllLPP STRAUCH.

OTFRinSTUDIEN 209

OTFRIDSTUDIEN.

i Die arbeit, die eleu fachgenosseu hiermit stückweise vorge- legt wird, ist im vvesentiicheü während der jähre 1891 93 eul- standen. als ich den vierten band meiner Alldeutschen predigten zum drucke rüstete, wurde es mir klar, dass ich mir eine befrie- digende Übersicht des Verhältnisses zwischen der deutschen geist- lichen poesie und ihren theologischen quellen bis zum ende des I2jhs. herauC verschallen müste, um für meine geschichle der geistlichen prosa den rechten rahmen zu gewinnen, das, dachte ich, Heise sich in raschem zuge unternehmen; diese holTnung hat mich getäuscht: ich bin schon bei Otfrid stecken geblieben, schwere krankheit trat dazu, lange zeit fand ich mich zu ernster täligkeit unfähig, dann erwies es sich nötig, ungedruckte hand- schrilleu alter evangelieucommentare durchzusehen, und die kost- barsten Stücke musten an ort und stelle aufgesucht werden, erst jetzt glaube ich mich weit genug, um die ergebnisse meiner Unter- suchungen über Oli'rids Evangelienbuch verülTentlichen zu kOnuen. den grüfseren abschnitten schicke ich einen kleinen vorauf, in dem dargelegt werden soll, dass Otfrid bei der auswahl der von ihm behandelten stoll'e der evangelischen geschichte nicht frei vorgegangen ist, sondern sich selbst an die von der kirche bereits vorgenommene, an die liturgischen perikopen seiner zeit, gebun- den hat. noch bemerke ich, dass an dem stände der sache, so- weit sie Otfrid betrifft, weder durch die ausgezeichneten Studien Leopold Delisles (1879. 1887), noch durch die arbeiten von Stephan Beissel S. J. (1889) und Ferdinand Propst (1892) und die daran geknüpfte erörterung der frage nach dem Verhältnisse der älteren sacrameularien unter einander etwas geändert worden ist.

Der Übersichtlichkeit halber lege ich nun eine tabelle vor, die folgeudermafsen eingerichtet ist: die erste reihe enthält die abschnitte des Otfridischen Werkes, natürlich nur die erzählenden, angeführt; dehnt sich eine perikope über zwei oder mehrere abschnitte aus, so werden diese durch eine klammer zusammen- gehalten; Sternchen vor den zahlen Otfrids zeigen an, dass seine abschnitte nicht mit demselben verse schliefsen wie die peri- kopen. diese stehn in der zweiten reihe; klammern neben ihnen bedeuten, dass ein abschnitt Otfrids zwei perikopen befasst. die Z. F. D. A. XXXVlll. N. F. XXVI. 14

210 OTFRIDSTÜDIEN

drille reihe ziililt die läge des kirclieujahres aiil, au deueu die daneben slehnden perikopen gelesen werden, herangezogen habe ich dabei mil hüte von Ernsl Ranke Das kirchliche perikopen- sysiem (Berlin 1847) folgende hauplquelien:

1. Spir. = ManuscriplumSpirense: CapituIareEvangeliorum

de anni circulo. nach Gerben Monuni. vet. lit. alem. (Sau -Blas. 1777) abgedruckl bei Ranke Appendix monumentorum p. xxvn lu.

2. Pani. = Liber Comitis secundum Pamelii Codices, nach des

Jacob Paniel, canonicus zu Brügge, Lilurgica latinoruni (Col.Agr. 1571, lom. i), abgedruckt bei Ranke App. mou. p. lii lxxxiii.

3. Com. = Liber Comilis (S. Hieronymi), auclus aTheotincho,

sive Leclionarius per circulum anui. Migue Palrol. lal. 30, 503 548; verkürzt bei Ranke App.

mou. LXXXIII LCU.

4. MR. = Missale Romauum.

stimmen alle vier quellen überein, was meistens der fall ist, dann habe ich den tag des kirchenjahres ohne beisatz augeführt; weichen sie von einander ab, dann wird das ausdrücklich ange- geben, übrigens folgen noch erläuternde bemerkungen.

tag des kirchenjahres in Couceptione und in ^'alivitate

S. Mariae Virginis MR. In Vigilia ß. Joannis ßaptistae. Feria iv. Qualuor Temporum ante Nalale Domini. MR. Spir. Com. Feria iv. Dom. ii. ante Nat. Dom. Pam. Auuunlialio S. Mariae V. überall. 6* Luc. 1, 39—47 Hebd. i. ante Nat. Dom. Spir.

Dom. 11. ante Nat. Dom. Pam. Feria VI. QuatuorTemp. Adveu- tus. Com. MR. Vigilia Nativitatis. In Nativ. S. Joannis ßaptistae. Spir.

Com. MR. in Mode Nativitatis i.

Otfrid

perikopi

e

I 3*

Matth.

1,1-

-16

4*

Luc. 1,

1 ö

17

5

Luc. 1,

, 26-

-38

8

Matth. 1, 18—21

9*

Luc. 1, 57—68

^H

Luc. 2, 1 14

12

OTFRIDSTUDIEN

211

Olfrid perikope

13 Luc. 2, 15—20

14j Luc. 2, 21—32

15ji Luc. 2, 33—40

16)

17 Mallh. 2, 1 12

191 Mallh. 2, 13—18

20/

21 Mallh. 2, 19—23

22 Luc. 2, 42—52

23l Luc. 3, 1—6

24J Luc. 3. 7—14

25 Mallh. 3, 13—17

27 Joauü. 1, 19—27

II ll Joann. 1, 1 14

4 Mallh. 4, 1 11

7 Joann. 1, 35 51

8 Joann. 2, 1 11

11 I Joann. 2, 13—25 l Mallh. 21, 10—17

12 Joann. 3, 1 15

Joann. 3, 16—21 13* Joann. 3, 22—29

lag des kircheujahres In Nocle Nalivitalis ii. aulser-

dem noch In Oclava Nal. MR. In Oclava Domini. Circumcisio

MR. Domin. 1. poslNaliv. Kai. Januar.

Com. Epiphania In Nalali Innocenlium

in Vigilia Epiphaniae. Spir. Pam.

MR. Innocenlium MR. Rhe-

naugiensis. Domin i. posl Epiphaniam Sahhalo Qualuor Temp. Adventus Feria vi. posl Domiu. i. anle Nal.

Dom. Pam. Kai. Januar, (si non in Dominica

est) Com. Ilebdom. i. anle INal. Dom. Spir.

Com. Domin. prox. Mal. Dom.

Pam. Domin. III. Advent. MR. In die S. Nalivitalis in.

Quadragesima In Vigilia S. Andieae Domin. ii. posl Epiphaniam Feria II. posl Domin. iv. Quadrages. Feria in. posl Doniin. i. Quadra-

gesimae In Pascha annolina. Spir. Pam.

Com. auch Oclava F^entecosi.

Spir. Pam. Feria ii. posl Penlec. Feria iv. Hebdom. v. posl Pascha.

Spir. Feria IV. Domin. ii. posl

Oclav. Pasch. Pam. In Nalali

s. V. Perpeluae el Felicitalis.

Com.

14*

212 OTFRlDSTÜDlEiN

Oll rill

pei

rikope

14

Joann.

4, 3—42

151 16/

Matlh.

5, 1 12

17

xMallli.

5, 13—16

18

Maltli.

5,17 6,2

19>

20 21

22*

Matlh.

6, 24—33

23*

Mallh.

7, 12—21

III 2

Joann.

4, 45 53

lag des kircheujahres Feria vi. posl Domin. iii. Quadrag. In Natali plurim. sanct. Spir. Die

X, Julii liel)tlom. ii. posl iNat.

Aposl. Spir. an vielen lieiligenfesten Hebdoni. in. posl Pascha. Spir.

Feria iv. Dom. i. posl oclav.

Pasch. Pam.

Domin. iv. postNat. Laurent. Spir.

Com. Doniin. xv. posl Pen-

tec. Pam. WR.

In Episcopos male agenles. Spir.

Feria VI. posl. Lei. maj. und Nal.

Nerei et Achillei. Spir. Dom.

XXI. poslOctav. Pentec. Pam.

Domin. XX. post Pentec. MR.

4 Joann. 5,1 15 Feria vi. posl Domin. iv. Quadra-

gesimae 6 Joann. 6, 1 14 Domin. iii. in Quadragesima

8 Mallh. 14,22—33 In Oclava Aposloi. Spir. Pam.

Kalend. Aug. Spir. Com.

9

10 Mallh. 15, 22— 28 Ilebdom.ii. in Quadrag. Spir. Pam.

Domin. ii. in Quadrag. Com.

Feria iv. post Domin. i. Quadrag. MR.

In Natali Aposl. Pelri et l'auli Die IX. Augusli. Spir.

12

Mallh.

16, 13—19

13*

Matlh.

16, 24—28

14

-

15

Joann.

7, 1 13

16

Joann.

7, 14—31

17

Joann.

8, 1—11

18

Joann.

8, 46—59

20

Joann.

9, 1—38

22*

Joann.

10, 22-38

Feria ni. post Domin. v. Quadrag.

(de Passione) Feria III. post Domin. iv. Quadrag. Sabbato post Domin. iii. Quadrag. Dominica de Passione Feria IV. post Domiu.iv. Quadrag. Feria iv. post Domin. v. Quadra-

gesimae

OTFRIDSTUDIEN 213

perikope tag des kirchenjahres

Joanu. 11, 1 46 Feria vi. posl Domin. iv. Quadra-

gesimae Joann. 11,47 54 Feria vi. post Domin. v. Qiiadrag. Joann. 12, 1 13 Feria ii. post Domin. in Palmis

(Maltli. 21, 1—9 Ilebdom. iv. ante Nat. Dom. Spir.

, Pam. In die Palmarum. MR.

[Mallh. 21, 10 17 Feria in. post Domin. i. Quadrag.

Luc. 21, 1

-23,;

Joann. 13,

2-15

Joann, 12,

1—37

Joann, 13,

1—32

Feria iv. posl Uomin. in Palmis (Passio sec. Lucam).

in Coena Domini Feria in et iv. post Domin. in Pal- mis. Spir, Pam.

[Joann. 18, 1 19, 42 Domin, in Palmis (Passio sec. Mat-

' thaeum).

|.Maltli. 26, 2 27,66 P'eria vi, post Domiu, in Palmis (Passio sec. Joann.) Sabbalo sancto Sabbalo in Albis Feria v, post Pascha Feria ii. post Pascha

4

Matlh. 28, 1—7

5

Joann. 20, 1—9

7

Joann. 20, 11 18

'1 101

Luc. 24, 13—35

11

fJoann, 20, 19—23

[Luc, 24, 37-46

13*

Joann, 21, 1 14

15

Joann, 21, 15 19

16

x>Iarc, 16, 14—20

"1

181

Sabbato post Pascha Feria in, post Pascha Feria iv. post Pascha In Vigilia S. Pelri et Pauli In Ascensione Domini Act. Apost. 1, 1 11 Epistel in Ascensione Domini

20—22 Matth. 25, 31— 46 Feria ii. post Domin. i. Quadrag.

Zunächst die allgemeine bemerkung, dass der Liber Comilis des Pamelius zwar die anfangs-, nicht aber die schlussverse der perikopen angibt.

OllVid I 3: in dem stück wird der Inhalt der perikope nur im

214 OTFRIDSTÜDIEN

allgemeinen erledigt, diese perikope wird auch in einer Beda iinler- schobenen liomilie (Subdil. nr lv 94, 4l3n" = Alciiin 100,72511) In nalivitate S. Mariae V. angesetzt, während dasselbe stück, dem Rabanus Maurus beigelegt, 11 0,458 ff, ohne einen bestimmten fest- tag geblieben ist. i 4: die perikope im Spir. Com. MR. reicht nur bis Luc. 1, 17, dagegen setzt die alia lectio des tages in Pam. sich mit Luc. 1, 18 fort; es wäre also sehr wol müglicb, (lass Olfrids abschnitt mit Luc. 1, 24 in derselben weise wie die perikope der gruppe Pam. abgeschlossen hätte. i ß hier ist die perikope von Otfrid deshalb abgebrochen worden, weil der nächste abschnitt das vollständige Magnificat, die bekannte kirchliche lection, enthallen sollte, ganz ebenso verhält es sich bei i 9 mit dem Canticum Zachariae. i 11. 12 hier ist die perikope in zwei durch den verschiedenen inbalt bestimmte abschnitte zerlegt wor- den. — I 14 16 zwei perikopen nach mafsgabe des inhalts in drei abschnitte aufgeteilt. i 19. 20 zwei sinngemäfse abschnitte einer perikope. i 21 in Pam. findet sich die bemerkung: Re- qnire in Nat. Itinoc, sodass vielleicht dort in das evangelium des tages Innocentium noch Mattb. 2, 19—23 aufgenommen wurde; Otfrid hätte, wenn er einer solchen vorläge folgte, dann die peri- kope in drei abschnitten erledigt. 'Rhenaugiensis' ist ein von Gerbert beigezogenes lectionarium des klosters Rbeinau aus dem 10 jh. wird es nicht ausdrücklich genannt, so stimmt es mit dem Spirensis des 8 jhs. überein. i 22 der Com. beginnt die peri- kope mit Luc. 2, 41, also mit dem verse, den Otfrid im anfange seines abscbnilts behandelt, der schluss von Luc. 2,52: et gratia apnd Deum et homines hätte von Erdmann in der quellenangabe nicht fortgelassen werden sollen, da auf ihm Otfrids 62^ beruht. I 23. 24 hier bat Otfrid zwei perikopen in abschnitte nach dem Inhalte geteilt und es scheint ihm dabei ein lectionar der gruppe Pam. als vorbild gedient zu haben. i 25 diese perikope enthält nur Com. u 1. 2 nachdem i 11. 12 das erste, 13 das zweite evangelium des grofsen weihnacbtstages erledigt war, trägt Otfrid hier das dritte, in zwei abschnitte sachgemäfs zerfällt, vor. vielleicht gab das auch die veranlassung zu dem abschnitte ii 3, der nach seinen marginalien die Überschriften der lectionen der Weihnachtszeit abbandelt. ii 1 1 hier hat Otfrid zwei periko|)en ineinander gearbeitet, ohne jedoch ihren umfang zu überschreiten, die aufschrift des abschnittes ist der ersten hälfte des verses

OTFRIDSTUDIEN 215

Joann. 2, 13 eiUnommen, welche im texte nicht übersetzt wurde. II 12 zwei perikopen sind in einen abschnitt zusammengel'asst. die erste wird auch aufser an den angegebenen tagen noch mehr- mals verwendet, zh. Inventione und Exaltatione S. Crucis, Die xii, mensis Junii usw. ii 13 wie in der ansetzung des tages, so stimmen auch im ahschluss der perikope die lectionarien nicht tiberein; es muss daher die möglichkeit offen bleiben, dass auch Ott'rids schluss durch den einer vorläge bestimmt worden ist. II 14 das gedieht von der samariterin MSD^ nr x bearbeitet dieselbe perikope, und die anfangsworte lesen wir sollen vielleicht aus- drücklich darauf hinweisen. ii 15. 16 die perikope beginnt hier gegen ende von 15, schliefst aber genau mit 16. im vorauf- gehnden teile von 15 bat Otfrid verschiedenes zusammengearbeitet, vielleicht auch die perikojie Luc. 6, 17 23, die der Spirensis viermal, an Wochentagen des Januar, august, September und october verwendete ii 17 hier ist eine angäbe des tages der perikope gar nicht möglich, weil das stück an verschiedenen beiligenfesten (besonders von hl. bischöfen, zb. Augustinus usw.) gelesen wird. II 18 20 eine perikope ist auf drei abschnitte aufgeteilt, stücke davon werden auch sonst noch als perikopen in den lectionarien verwendet, zb. Mattb. 5, 20 26 Hebdom. i. post Nat. Aposl. Spir.; Domin. vi. post Octav. Pentec. Pan).; Mattb. 5, 25 ff Feria iv. post Domin. in. post Octav. Pentec. und Feria iv. post Domin. xv. post Octav, Pentec. Pam.; Malth. 5,43 6,6 Feria vr. post Quinquag. Spir. Pam.; Mattb. 5, 43 6, 4 Feria iv. Hebdom. iv. post Nat. S. Laurentii. Spir. (Com.). ii 21 der abschnitt ist als perikope nicht nachweisbar, da er mit Matlh. 6, 15 schliefst und eine bekannte perikope Feria iv. post Quinquag. Spir. Pam. Com. MR. mit Mattb. 6, 16 beginnt, so ist es nicht unmöglich, dass Otfrid eine der- artige perikope Malth. 6, 5 15 vorgelegen hat. ii 22 Spir. Com. MR. schliefsen mit Mattb. 6, 33. aber was Otfrid von v. 31 ab behandelt, entspricht der wolbekannten perikope Luc. 11, 5—13 in Lelania majore, sodass er vielleicht hier zwei perikopen in einen abschnitt zusammengefügt bat. mit Matth. 7, 11 beginnt überdies Pam. Domin. vni. post Octav. Pentec. (vgl. Domin. post Nat. Apost. Com. und Domin. vii. post Pentec. MR.), deren schluss uns leider nicht bekannt ist; vielleicht verteilten sich dann drei perikopen auf zwei abschnitte. iii 6 wie Otfrids abschnitt schliefst mit Joann. 6, 14 die perikope in Spir. und Com., das

216 OTFRIDSTUDIEN

MR. fügt noch 6, 15 hinzu, und merkwürdigerweise hat damit Otfrid seinen abschnitt 8 begonnen, der im übrigen die vollstän- dige perikope Mallh. 14, 22 33 genau enthält. Otfrid hat also wol das hier fallengelassene dort nachgetragen. ni 14 viel- leicht hat hier die perikope Luc. 8, 41 56 zu gründe gelegen, die Spir. für Sabbato Hebdom, ii. post Pcntec, ansetzt. m 22 die schlussverse des abschniltes, entsprechend Joann. 10, 391, sind hier wol nur hinzugefügt, um die erzählung abzurunden. ni 23. 24 dass die perikope hier in zwei abschnitten behandelt wurde, geschah wol ihres grofsen umfanges wegen. ni 25 der Zusatz des evangeliums: in civitatem, quae dicitiir Ephrem, et ihi morabatnr cum disdpnlis snis ist wenigstens durch die worte mit smen 40" angedeutet und gehurt auch noch zur perikope. IV 2. 3 zwei abschnitte bearbeiten eine perikope, deren schluss die lectionarieu verschieden ansetzen. die abschnitte iv 4. 6. 7 scheinen in engerem zusammenhange zu siehn. auch den ab- schnitten 6 und 7 entspricht der Inhalt einiger perikopen: Matth. 21, 33 46 Feria vi. Hebdom. ir. Quadrag. Spir., vgl. Lectio viii in Vigilia Pasch. Com.; iMallh. 22, 1 14 Hebdom. ix. post Theo- phan. und Hebdom. iv. post S. Cyprian. Spir.; Matth. 22, 15 21 Hebdom. vi. post S. Cyprian. Spir.; Matth. 22,23— 32 Hebdom. ir. post S. Cyprian. Spir.; Matth. 23, 1 12 Feria in. Hebdom. ii, Quadrag. Spir.; Matth.23,34— 39 Natal. S. Stephani. Spir.; Matth. 24, 3—13 Die ii. mens. Jul. Spir.; Matth. 24, 42—47 Natal. S. Silvestri und ISalal. S. Fabiani, aufserdem noch viermal, im märz, mai, august und october, Spir. ; Matth. 25, 1 13 Natal. S. Martinae und Natal. S. Agnae, aufserdem noch im februar und november. Spir.; Matth. 25, 14 30 im Januar, juni und november. Spir, IV 8 10 mit diesen abschnitten beginnt die Passio sec. Lucam, die am mittwoch der charwoche verlesen wird; ebenso ist dann in den abschnitten 16 36 die Passio sec. Matth. vom palm- sonntag und sec. Joann. vom charfreitag zusammengearbeitet, eine weitere Scheidung ist von den kirchlichen lectionarieu selbst nicht zugelassen. iv 11 die überschritt enthält den ersten vers der perikope, Joann. 13, 1, der im text nicht übersetzt wird. v 9. 10 die beiden abschnitte behandeln eine perikope und sind durch einen einschnitt der erzählung gesondert. v 11 zwei perikopen sind in einen abschnitt zusammengearbeitet, auch die überschritt ist ein compromiss aus Luc. 24,36 und Joann. 20, 19. es fehlt

OTFRIDSTUDIEN 217

nur Luc. 24, 46: et lUxit eis: quoniam sie scriplnm est et sie oportebat Christum pali et resurgere a mortnis terlia die et prae- (iicari in nomine eins poenitentiatn et remissionem peccatornm in omnes gentes. aber dieser vers lial den anslol's für den nächsten abschuill Spiritaliter gegeben. v 13 der erste vers von Joann. 21 fehlt in Olfrids text nur scheinbar, denn er steckt in der Über- schrift des abschnittes. die am sclilusse fehlenden verse 2l,l3r sind bedeutungslos. v 16 die ilberschrift ist gesetzt, weil der abschnitt die perikope des himinelfahrtstages zwar enthält, in dem abschnitt selbst aber von der himmelfahrt noch nicht gesprochen wird. V 17. 18 sind das einzige beispiel der aufnähme einer epistel in die erzählung; das stück durfte aber, wie man sieht, nicht fehlen. v 20 22 sogar diese abschnitte, die doch sonst frei gestaltet sind, hallen sich an eine perikope, und der letzte bearbeitete evangelienvers Matth. 25, 46 bildet auch zugleich ihren schluss.

Auf grund dieser beobachtungen lässl sich behaupten , dass Olfrid ein lectionarium benutzt hat, das mit keiner der bekannten ältesten quellen völlig übereinstimmte, aber der gruppe kirch- licher Überlieferung angehörte, die auch den Spirensis und die für Pamels edilion mafsgebenden Codices umlasst. immerhin ge- währt damit Otfrid ein mittelbares Zeugnis aus dem 9 jh. für den durch Ernst Ranke festgestellten gemeinsamen bestand der peri- kopen. ich bemerke noch, dass selbstverständlich die in der ta- belle gebrauchten grenzzahlen der perikopen die moderne einteilung der bibel in verse nach RSiephanus voraussetzen, desgleichen die capileleinteilung, welche von Stephanus Langlou, erzbischof von Canterbury (-f 1228), herrührt, die zu Olfrids zeit benutzten bibel- handschriften besafsen eine von der heutigen sehr verschiedene einteilung in 'tituli', 'breves' und 'capilula'. für die hier vorge- tragenen beobachtungen ist dieser unterschied ohne bedeutung; ja die tatsache, dass Olfrids abschnitte mit den perikopen der leclio- narien übereinslimmen, wird noch auffallender, wenn wir berück- sichtigen, um wie viel weniger die damalige einteilung der evangelien in ihren absätzen einen anhält für die abgreuzung der kirchlichen lesestücke darbot als die heute gebrauchte, über die ganze frage vgl. Otto Schmid Über verschiedene einteilungen der heiligen schrift (Graz 1892), besonders den dritten abschnitt s. 30 11.

Graz, 7 febr. 1894. AISTON E. SCHÖINBACH.

218 BRÜCIISTICKE AUS HEINHICII V. MÜNCHEN

BRUCHSTÜCKE DER WELTCHRONIK HEINRICHS VON MÜNCHEN.

Herr Jakob Wicliner, archivar und bibliolhekar des sliltes Admont, erfreute mich unlängst durcli die Übersendung zweier pergamentbläller, die als umscliläge von acten der ebemaligen propsteilierscbaft Zeiring in Obersteiermark gedient hatten, das erste ist 45 cm. hoch, 31 cm. breit, doch ist vom aufsenrande ein schiefer streifen abgeschnitten; der innere seitenrand be- trägt 4, der äufsere 6 cm. das hiatt ist in zwei spalten be- schrieben , zwischen denen 3 cm. räum bleibt, jede spalte ent- hält 62 Zeilen, die mit majuskel beginnen, abschnitte werden dadurch angedeutet, dass je zwei Zeilen um 1.5 cm. eingerückt werden: der freie räum war für eine farbige initiale bestimmt, die jedoch nur mit tinte vorbezeichnet ist. die oberste zeile jeder spalte beginnt ohne rücksicht auf ihre Stellung im satze mit einem grofsen verzierten schwarzen buchstaben. die schrift stammt aus dem ende des 14 jhs. die 248 verse dieses blattes enthalten das ende der geschichte des Tobias und die erzählung von der herschaft des königs Ezechias. anfang: Des frawt sich do Tobias Vnd sein mnter Anna . . . .; schluss: ich wil im Ungern sein tag,. Fnnfczehen jar wil ich im czn geben Vnd im lengern so vil sein leben. Damit gie ysayas .... (4 Heg. 20, 6). darnach gehört das blatt in die bearbeitung der weltchronik des Rudolf von Ems, die Heinrich von München vorgenommen hat, vgl. Vilmar Die iieiden recensionen . .. der wellchr. R.s v. E. s. 55 ff. das zweite blatt, am untern und am äufsern seitenrande beschnitten, ist 42 cm. hoch, 31 cm. breit, der innenrand misst überall 2 cm., der aufsenrand 4 9. zwei spalten, durch einen Zwischenraum von 6 cm. getrennt, stehn auf der seite, jede befassl 68 Zeilen, die mit majuskeln beginnen, abschnitte sind in derseli)en weise bezeichnet wie auf dem ersten blatte, desgleichen ist die oberste zeile jeder spalte ebenso ausgestaltet wie dort, auf spalte 3 ist der beginn eines capitels durch die drei rotgeschriebenen zeilen der folgenden Überschrift angedeutet : Wie nu WiUiahn Markis von den haiden gen Tondiernen gevangen wart 'pracht vnd wie es im darnach ergie. die Übereinstimmung der beiden blätter im schriftcharacter und in den wesentlichen puncten der einrichlung bringt den eindruck hervor, dass sie demselben werke entnommen

BRUCHSTÜCKE AUS HEliNHICH V. MÜNCHEN 219

und zu gleicher zeit verschnitten worden sind, wahrscheinlich ist das erst im 17 jh. geschehen, denn das erste blatl trägt der quere nach (he aufschrift: Copeij Büech de Anvo i637 biß 1642. das zweite : Copeij Büech 1651 1662. iielllöcher und heflfäden bezeugen noch die Verwendung der stilcke als umschlage. das zweite blalt nun gehurt der hearhcilung des VVillehalm Ulrichs von dem Tiirlin an, die Heinrich von München in sein wüstes Sammelwerk aufgenommen hat, vgl. Suchier über die quelle Ulrichs von dem Türlin s. 12; Singer Willehalm (Prag 1S93) p. Lxxxnrff. anfang: Vtid chunig Sinagnn Der slat ie stund in preises snn ; schluss: Eines tages die chnnigin sprach, Ich main die von Tu- sanguh . die 272 verse des hiaites entsprechen also in dem gedichte Ulrichs der parlie i.i 13 lxxx 13, also 930 versen. das war nur möglich , indem aus dem originale sämmtliche stellen fortgelassen wurden, die nicht handlung enthielten, also vor allem die beschreihung der minnenot Arabels und der herlichkeit der küniginnen. mau begreift darnach sehr wol, wie das ursprüng- liche werk in dieser bearbeitung fast auf ein drilteil seines um- fanges einschwinden konnte. die biälter werden jetzt im Staats- archiv von Admont aufbewahrt.

Graz. ANTON E. SCHÜNBACH.

ALTEN13URGER BRUCHSTÜCK DES WILHELM VON ORLENS.

Das bruchstück, dessen inhall ich im folgenden mitteile, hat der archivar des sliftcs AJtenhurg in Niederöslerreich, P. Friedrich Endl, von einer pfarrhofrechnnng des \Q jhs. abgelöst, für seine freundliche Übersendung sage ich dem geehrten fmder auch an dieser stelle den besten dank.

Das fragment ist auf einem pergamenlstreifen von 30*3 cm länge und (durchschnittlich) 10 cm breite erhalten: er ist der rest eines in der mitte der länge nach durchschnittenen blattes der ur- sprünglichen hs. das blatt war zweispaltig beschrieben ; unser streifen ist seine innere, den falzteilen des bandes anliegende hälfte. das ergibt sich schon aus seiner äufseren beschaffenheit : denn rechts neben den zeilen 16 und 19 der spalte a sind noch die reste des grün und rot gefärbten Ornaments einer auf der weggeschnittenen gegenüberstehenden spalte (6) gewesenen initiale sichtbar, und der

220 DRUCIISTCCK DES WILHELM VON ORLENS

streifen selbst mnss so gehalten werden, dass die schnidUnie rechts und die mit Daz er beginnende spalte dem beschauer zugewendet Hege, weil sonst wemi man die spalte Den kunc Alan auf die Vorderseite brächte die andere spalte die unmittelbare und lücken- lose fortsetzung des textes enthalten müste, was schon der erste blick auf den Zusammenhang des Sinnes ausschliefst.

Es sind also die spalten a und d des blattes erhalten, und zwar vollständig {spaltenhöhe durchschnittlich 22 cm, -breite 7 cm), die Schrift, die ich noch ins l'S Jahrhundert setzen möchte, ist sorg- fältig, die verse abgesetzt, die anfangszeile jedes reimpares aus- gerückt und fast durchaus mit rubricierter initiale versehen , nur die Zeilen a 20 22 und b 7 9, welche neben die grofsen orna- mentierten initialen H und N (der zeilen a 20 und b 7) auf ver- kürzten räum geschrieben werden musten, sind unabgesetzt und leihoeise ohne markierung des reimpaaranfangs. über jene illu- minierten und mit bildern versehenen anfangsbuchstaben s. zu a 20 und b 7. versleilung spunde sind vereinzelt, mein abdruck gibt die Schreibweise der hs. genau wider, zur vergleichung der texte, teil- weise auch zu stillschweigender Verbesserung der fehler unserer hs. habe ich Varianten aus dem texte der hs. der Wiener hofbibliothek nr 2704 beigefügt.

Den inhalt des Streifens hat als ein bruchstück aus dem Wil- helm des Rudolf von Ems Steinmeyer erkannt, er gehört in die Sylyvois-episode, vgl. die inhaltsangabe in Mones Anzeiger 4 (1835) sp. 32: auf der insel Sylyvois war eine ablei, welche Sovine, Schwester des königs von England, regierte, könig Alan von Ir- land sprach die vogtei über das kloster an und führte gegen die äbtissin krieg, diese suchte hilfe bei Amilot hier setzt der text unseres pergamentslreifens ein, der, soviel ich sehe, zu keiner der in bruchstücken bekannt gewordenen hss. gehört.

s. 1 sp. a:

(laz er vo mir icli welle nemen Vrevnl vn gericlile 10

Wan daz er vogl vn h^re sei wan er hat gar ze iiiclile

vbers goles huz daz ist vrei. An mir. oh ich ie man gewan E. ich daz welle prechen ere. od*^ dienst man

e wohl ich v'^sprechen. Geburl oder edeikeit

Daz ez imm* wüste enr tv mir lasL*" vn leit 15

vn ode iresen uiuste. Vn hat mir des getan so vil

E. daz er sfn wrde h re daz ich gole klagen wil.

nv sint mir gar ze verre VF) allen den die ane spot

BRUCHSTÜCK DES WILHELM VON ORLENS

221

miüeul reclil goles gebot 20 Herre kunc Amilot.

dirre kumber die nol. bäl mich lier an euch geiagel wan ich vch gar vuv<za^el

10

Weii libes vh mvies d\reu vn dez gutes

Der seiden vn d* werdekeil d-' vch gote wart bereit

Do er vch her ze lande

25

20 Heire] rot, grüji und blau iüuminierler atifangsbuc/istabc mit bild- lin/is zwei frauen mit flehender kandgeberde, rechts drei mäntier, von denen einer eine kröne auf dem haupte trügt; burgzinne u?id -dach im hintergrunde.

Cod. vind. 2704 fol. SS*": 1 mir ich] icht von mir ü ez] erz 7 o. w. ni.] öde ligen niuest 8 sin fehlt 9 sint] ist v. t2. 13. 14 Mein mag vnd mein dienstman | Vnd ob ich ere ie gewan | Von gepuit vn uon edelchait 15 enr tv] Er tuet 17 icli] ich ez 22 geiaget] ueriagt 24 mvtes] guetes 25 gutes] mueies

Zwischen dem ende dieses und dem anfany des folgenden Stücks enlhiih die Wiener lis. 63 Zeilen, in denen Amilot sich erbietet, den Alan zu einem Waffenstillstand aufzufordern, während welches er sich über die klage der äblissin verantworten und sühne schaffen solle; weigere er sich dessen, so werde Amilot für ihr recht ein- treten. als Überbringer Jener botschaft wird graf Moi'ant abge- schickt; dieser begibt sich nach Isels silvoys zu Alan.

s. 1 sp. d:

Den kunc Alan irlanl

er mit grozen kreften vant Ligende vor den vesten

mit w'lichn gesten Hei er als vns daz mer seil

die insel wusle gar geleit. ]S^v qvam mit rilt'iichen siten.

d*grave zv dem her geriten Do wart er wo! enphange

do dilz waz ergangen In condewirlen vber vell

vnlz in dez kvniges geczelt Vd beide nuiles riclie

sar Keselliolicbe

erheizten mit im vi' den plan 15

do ditz ervrisch d^ kviic alan hubscldicii er in enphie

do daz ovch ergie Der graue morant sagt im gar

durcli daz ez waz kumen dar waz d"^ kvuc Amilot

mit siner bolscliaft im eupot Dez nam er keine war

v'smeliet ez vi! gar Mit spolliclier smaclioit

daz im da wart wid*seit. Daz waz im rin'^e als ein bar.

20

25

Auf den oberen freien rund der s/j. d, ferner zwischen z, 2 und 3 und 3 und 4 derselben, e?idlich i?i die grofse illuminierte initiale N sind federprobeyi von späterer band geschrieben. 7 Nv] rot, blau und grün illimiinierter anfangsbuchstabe mit bild: links eine gruppc von zwei per- sonen, die eiiie mit bedecklcmi haupt, die andere barhaupt, letztere über- reicht einen pergame7itstreifen (?) einer gege7Üiberstehnden gruppe von

222 BRüCilSTLCK DES WILHELM VON ORLENS

fünfen, von denen vier das haupt ebenso bedeckt haben wie jene eine persun drüben, die fünfte aber eine kröne trägt.

Cod.vind.2~0ifol.Si^: 1 A. vö] alant in G i. w. g.] iiiselii gar

Liiist lU ditz] daz 11 c. v. v.] conducierten vber daz uäll 14 gar] Da dar v. 15 Da er paizt er auf d. p. i-. 16 Do daz erförst cli. a. u, 18 Dar zu sein her do daz e. daz ez] was er 26 im fehlt

27 w. im] wag er

Innsbruck. JOSEPH SEEMÜLLER.

DIE GOTHAER BOTENROLLE.

KBarlsch hat in seinen Beüräyen zur qiieltenknnde der all- deutschen litteratur (1886) s. 355 fl" das 'bnichstück eines dramas' aus Gotha bekannt gemacht, das mehr aufmerksamkeit verdient, als es gefunden zu haben scheint: wir haben darin irümmerhafte reste eines Schauspiels von zwei tagen, das, nach einer nicht genau fest- zustellenden form der legende, die geschichle der Zerstörung Jeru- salems behandelte; voraus gieng wol die Veronicasage, den schluss scheint die bestrafung des Nero zu bilden, an dem Titas und Vespa- sianus für die Verfolgung der apostel räche nehmen, aufser diesen drei römischen kaisern traten darin auf (Veronica'l), Petrus und Paulus (bl. 1 ) ; Ecclesia und Synagoge {bl. 2" v. 5.15); Pilatus (bl. 2) ; alles aber was uns erhalten ist, sind die reden einer person, des boten, der von kaiser zu kaiser, von apostel zu apostel wandert, zum publicum spricht usio. loir haben hier in. w. das älteste beispiel einer bewahrten einzelrolle , und wir kennen sogar den namen des darstellers: zweimal auf bl. 1 wird der sprechende als Olteber (Olteb^) eingeführt, und da dieser unzweifelhaft deutsche name, mag er nun auf einen Oüjero zurückgehn oder eine nebenform zu odebar 'Storch' darstellen {vgl. Lexer s. v.), in der legende selbst keinen platz findet, so muss er der person des Schauspielers zukommen.

Die hs. der herzogt, bibliolhek in Gotha cbarl. B. 1582(xv s.), die ich durch die gefälligkeit des hm geh. hofrats pro f. dr Perlsch wider- holt hier in Marburg benutzen konnte, umfasst 2 blätler des bekannten schmalen regislerformats. von bl. 1, das durch lunysbruch halbiert und dessen erhaltene innere hälfte überdies von moder und motlen- frafs arg heimgesucht ist, hat Bartsch nur wenige zeilen abgedruckt ; ich gebe alles was zu entziffern ist : wo die lesung unsicher bleibt, brauche ich cursiven druck, wo ich eine ergänzung andeute, über- dies eckige klammern, die inlerpunction ist von mir hinzugefügt.

DIE GOTHAER BOTENRüLLE 223

6/. 1 Vorderseite d^ hat mich her zc[m dir gefant,] wann du oni wol [bift behaut,] vnd hat dy le^ von d[/r vernomen,\ h^ bilh dich das du tlvollest komen,\ 5 das lier dicli l'roliche [intfa] vnde frege wy dirs °[a\ vüd ouch dir fyo ßr[e clage.] ho^e was ich fdir im fage.]

\\n dl]

jung .... frouwin

10 ir sult des lvOuig[es geböte] uwir opphir breuge i'[iuem gote] by d^ hant vnd by der [vrift,] alßo is uch gebotin (i[urch in i/t.] DU kompt l'nel, das [ir intfat] 15 al;o man uch vor[Äe?//"m hat.]

Et fic finis e pfr/m? diei.] * Alte^o die piiTo dt Olteb' Nu horit ir h^n mit fcha[//e], ir rilt^e vnd ir knechte [alle,] vnde vornemet mich [alfus:] hy kompt der keiß T[«Yms] 20 obir das romische r[icA,]

her ift hobifch vnde w[. . . lich'l] des lull ir tliffig ne[meM war\

\\\ dt Nu fchouwit nach uip[?r? . . . da riten zcwene kom[^an, j 25 der eyne heiffith vefp[a/'m«,] dy da habiT mit [^^ojfHr mac[/*/] vorftoret d[^] fnode bof/{e j'iat.]

In dt Nu horit obir al gemey[ne.j

lU dt Wicht balde, tret(t) obir hoi[. . . .

i'. 1 d^ scheint aus das geändert. v. 1 15 sind wol als öutsc/iafte/i (des Fespasianus?) an Feronica und an das volk aufzufassen.

flach V. 8 erscheint die majiiskel I noch eben sichtbar.

* ergänzt von Bartsch, der von bl, 1 nur diese scenische bemerkung und V. 16—22 abdruckt. v. 26 liabii übergesc/trieben.

224 DIE GUTHAER BOTEKROLLE

llt dt 30 Kii I'eel vud kert dy oiig[e« her.] In dt Iroiiwit iicli alle viul l'[yt yemeil,]

\[\ dl ad fem [paulum.] gerue, vil libir he|re,J ich vvil loullin alfo [feie] vod oenic brot in [myne fag,] 35 des wil ich louffin i)[acht nnd tag,] bis das ich on vinde vod fnelle zcu dir br[inge.

Olteb^ currit ad p[efn<w.] Pelir, hir ift kome her paiiwil der wife ierei'. auf bl. 1 rück seile sitid fast mir noch die reimwörter erhalten, die über die bruchlinie hinausragten: alt, wol geltalih; hoflart,

loart ; [/i'JIbervviß, dem priß. [folgen 7 Zeilen ganz unkennt- lich.] — lichir mau, [fehlen 2 Zeilen,^ ich uch vorkundigio fal; rechte (?), vechte; gelretin(?), fetin; [3zz.] war. [folgt scenische bemerkung] iögeii vnd ir alden; griffm; vnd alles des da was', my rad ; [1 s.] ift h^ [ger] aut, anth; [1 s.J dy ougin her; [\zz.] goug; fpoie; [2 zz.] gan; wolde,

folde; [1 s.] vod vmm^ me^; [1 z.] ger, her; [1 z.]

Bl. 2 hat Bartsch vollständig, aber nicht besonders sorgfällig abgedruckt : ich gebe eine collalion, ohne dabei die richtig aufgelösten abkürzungen zu berücksichtigen, vorderseile: v.9 bebe! fy; man sieht an mehrfachen ünderungen, dass der sehr eiber selbst die stelle nicht verstand, es ist zu corrigieren bevel sich; v. 19 hs. g^ne frouwe, nicht Myne frouwe; das folgende, v. 20 ff etwas abgerückt, toeil zum publicum gesprochen; y. 31 konig; v. 50 l. der ke'\\fir .... lieh], es stand sicher ein adj. auf -lieh da, B.s sendit mich hat keines- falls platz; y. 53 hettin 0(/er haltin st. habin; v. bl ulferftandinge; v. 58/ lautete zweifellos und is vil er[ringe] in [rfeme] lande obir al. rück seile: v. 14 zcwelfbolin; u. 19: es stand ursprünglich Sy gebe her nicht, dies wurde geändert in So gebe fy nicht.

Da der text auf der mitte der seile schliefst, so scheint die rolle des boten hier zu ende zu sein, das siück erweist sich durch die spräche als thüringisch und zeigt auch zu der thüringisch-hessischen Spielgruppe leise beziehungen, wie in der aufforderung zum 'lobe- tanz\ die sich ähnlich im Alsfelder passionsspiel und im spiel von frau Julien findet. E. S.

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 225

BEITRÄGE ZUR RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES K

Es herscht allgemeine Übereinstimmung darüber, tlass der halbvers der allitterationszeile, abgesehen von dem lypiis, den Sievers A^ nennt, zwei höciiste gipf'el hat. der ton dieser gipt'el war meiner Überzeugung nach ein viel stärkerer, als der der höchstbelonten silben anderer verse. ich habe mir den Vortrag von allilteratioDsversen niemals anders vorstellen können, als mit einer ganz ungewöhnlichen hervorhebung dieser vier silben (vgl. Sievers § 10, 4). im zusammenhange damit muss ich auch die annähme, der Vortrag sei langsam und feierlich gewesen, von vornherein zurückweisen, im gegenteil, er muss in beschleu- nigtem tempo den etwas gewaltsam betonten silben zugeeilt sein, anders vermag ich mir überhaupt schwer vorzustellen, wie die allilleration würksam gewesen sein könne, es ist zwar eine be- liebte behauptung, das ohr unserer vorfahren sei empfindsamer gewesen, als das unsere; aber durch nichts ist bewiesen, dass es empfindsam genug gewesen sei, um den gleichen anlaut betonter Wörter eines längeren salzes bei einem Vortrag, wie dem eines gewöhnlichen verses, mit der genügenden rhythmischen vvürkuug

' diese beitrage sind im engsten Zusammenhang mit einer, im nächsten hefte des Anzeigers erscheinenden recension von Sievers 'Altgermanischer metrik' entstanden, man wolle ihrer form das zu gute halten, meine ansichten stimmen in wesentlichen puncten mit denen überein, die Heusler in seiner neuen lehrreichen schrift Über germanischen versbau entwickelt, ich hatte den leitenden grundgedanken, dass die allitteration die eigenarligkeiten ihres verses erklären müsse, mit Wilmanns besprochen, als er mir das eben ein- gelrofTene buch Heuslers gab. da mein blick sofort auf s. 134 fiel, liefs ich absichtlich die schrift vorläufig ungelesen, und auch die obige nieder- schrift sowie die recension sind unbeeinflusst von ihr, insoweit nicht aus- drücklich auf sie bezug genommen ist. diese Sachlage betone ich nicht nur zu meinen gnnsten, sondern mehr noch aus dem gründe, weil ich in dieser weise verfahren bin, um etwaigen weiteren Übereinstimmungen dadurch eine vielleicht gröfsere Überzeugungskraft zu verleihen, ich verhehle mir nicht, dass manche meiner einzelansichten Widerspruch, und vielleicht be- gründeten, finden werden; ich würde auch von selbst einzelnes vorläufig zurückbehalten haben, wenn ich nicht von dem begreiflichen wünsche geleitet gewesen wäre, die wesentlichen der zahlreichen eigentümlichkeiten, welche durch die Untersuchungen der letzten jähre beim allilterationsvers festgestellt sind, berührt zu haben, dass durch die Widerlegung auch die grundgedanken erschüttert werden, fürchte ich nicht.

Z. F. D. A. XXXVlll. N. F. XXVI. 15

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zu vernehmen, sogar den anreim von vocal zu vocal. ein be- weis, dass das niclil der fall war, liegt auch darin, dass im allilleralionsvers sogar helonle silben gleichen anlaul haben l<ünnen, ohne zu reimen, sollte auch die allitleralion als versbindung auf dem grund allillerierender formein erwachsen sein, so muste sie doch zu dem neuen zweck einen neuen uachdruck erhallen, man wird gegen diese auffassung wol die überladenen versteile vor den Stäben, besonders dem ersten, geltend machen, allein man kann den einwurf mit besserem recht zurückgeben, gegen die aufnähme einer längeren silbenreihe in die einzelnen lacte spricht bei einem schnellen tempo höchstens die sprechschwierigkeil, hei einem langsam feierlichen aber ästhetische rücksichlen. wo wer- den die tacte wortreicher sein, in einem presto oder einem adagio? in dem bewegten mafs von 'fa pa geschmauset' klingen die tacte wie rappelköpfig sein, finger darnach leckt ganz gut, bei einem laugsam feierlichen vorlrag würden entsprechende tacte, wenn die ausspräche der worte auch absolut laugsamer wäre, eher stören, so ist es auch im allillerationsvers, selbst wenn man sich die Sache so zurechtlegt, wie Sievers in § 176. es ist indessen nicht gesagt, dass ein mafs, dessen eigentümlichkeiten sich unter einem bewegten tempo ausgebildet haben, nachträglich nicht auch in einem feierlichen tempo hätte gebraucht werden können, aber je gröfser die Wahrscheinlichkeit eines solchen gebrauches ist, umsomehr werden auch die überladenen glieder zurücktreten.

Die tatsache, dass der vers zwei meistens sofort kenntliche, besonders hervorragende, gipfel hat, weist darauf hin, dass er in zwei gleiche teile zerfällt, und diese teilung wird bestätigt durch die weitere tatsache, dass der erste vers in der regel doppelte allilteration trägt, damit weise ich natürlich Sievers ungleich- füfsige typen zurück. S. sagt selbst vom typus D (s. 208) 'mit theoretischer Verteilung der zeit nach dem Verhältnis 1 : 3, doch so, dass die erste hebung gegenüber der zweiten etwas überdehnt wird', m. e. erfordert das allererste rhythmische grundgeselz, den ausgleich bis zur völligen gleichheit auszudehnen; sonst ist gar kein rhythmus vorhanden, beim typus E kommt der gegensatz nicht zum ausdruck, weil hinter die zweite hebung die ausglei- chende pause fällt.

Der rhythmus besteht doch in der widerkehr gleicher oder entsprechender bewegungen oder bewegungsreihen. seine geselze

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liegen in den gesetzen der miiskel- und lierztäligkeil und waren aus einer beobachlung dieser läligkeit zu erscliliefsen. ich glaube, dass es durchweg ganz einfache hewegungsreihen sind, auf denen unsere gehräuchliclien rhylhmen beruhen, dass die complicierler erscheinenden sich in einfache auflösen lassen, die bewegungen enlsteliu durch die arliculalion an sich und durch die betonung. ein teil der bewegungen kann latent sein, so dass zb. -l gleich- wertig wird mit -' x. ob in diesem falle die muskeln doch eine ent- sprechende bewegung machen, oder die reihe akustisch ergänzt wird, weifs ich nicht, den rhythmischen ictus kann das heben der stimme (der höhere ton) ersetzen, die Senkung ist von der \ürangehnden hebung abhängig: nach einem starken ton, wie dem ictus des gewöhnlichen verses, der auf eine Wurzelsilbe fällt, ist bei länge der silbe, wenigstens nach altgermanischer prosodie, wol nur 6ine wiirklich unbetonte silbe möglich, bei kürze und bei schwächerem ton vielleicht zwei, eine rhythmische reihe kann stets hinler der hebung, nie hinter der auf eine hochbe- tonle länge folgenden unbetonten silbe abgebrochen werden; im letzteren falle übernimmt die unbetonte silbe einen folgenden ictus, zb. beim dactylus, bei dem die dritte silbe eine leise hebung hat (die ich mit bezeichne), wird >< x x in der katalexe zu x x ^ eine bekannte latsache ist, dass der ictus noch einen besonderen nach- druck erhält, dem unmittelbar ein starker nebenton folgt, ähn- lich wird aber auch bei natürlicher recitation der ictus hervor- gehoben, auf den eine innerhalb der rhythmischen reihe liegende pause folgt, in diesen beiden fällen erhält also die allitterierende hebung nochmals eine Steigerung.

Nach dem gesagten ist es für mich selbstverständlich, dass der allitterationsvers (av.) einen tact hat. einen rhylhmus ohne tact gibt es überhaupt nicht, es würde mir auch von vornherein unglaublich vorkommen, dass in einer dichtung ganz verschieden- artige rhylhmen in völlig ungeregelter folge mit einander abge- wechselt haben, die verschiedenen typen also nicht doch einen grofsen grad von Übereinstimmung besitzen sollten, aufserdem vergesse man nicht, dass das metrum auch berufen ist, die ge- dächtuismäfsige tradition der kunst zu erleichtern, nun waren bei diesem metrum Verschiedenheiten eingerissen, welche seine lähigkeit dazu allerdings schwächten, ein gesichtspunct, der wol

' s. die anmerkung auf s. 232 f.

15*

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io belraclit zu zieheu ist für die übermäfsige ausbiltlung des formel- >vesens und der Variation, die es dem recitalor erleichterten, da wo ihn sein gedächtnis im Stiche Hefs, selbstgeslaUend lorlzu- schreiten, aber ganz kann jene zweckdienhchkeil des metrnms nicht geschwunden gewesen sein, es war ein bestimmter rahmen vorhanden, in den jeder vers hinein passle.

Wenn nun die rhylhmeu des alhtlerationsverses so stark aus- geprägte eigentümhchkeiten zeigen, so ist von vorniierein zu ver- muten, dass diese in den besonders starken icten dieses verses, also in der allitteration selbst ihre begründung finden.

Zunächst erklärt sich durch die übermächtigen zwei gipfel der halbzeile, dass aufser ihnen andere betoute silben höchstens nur 'nebenhebungen' tragen können, zweitens erklärt es sich, dass doppelalliileration dann regcl ist, wenn der erste Stab auf eine silbe fällt, bei der die bedinguugen höchster tonsteigerung zutreffen, der parallelismus zwischen den teilen der rhythmischen reihe erfordert zwar keine völlige gleiciiheit, es ist aber begreif- lich, dass er sich gern so weit erstreckt; also bei höchstem grad des einen gipfeis auch höchster grad des entsprechenden, und dabei stellt sich naturgemäfs leicht neue allitteration ein. der sogenannte typus A hat viel leichter doppelallitteration in der ge- stalt s] y_±y, als in der -^x :-^ x (: deutet die worttrennung an); vgl. Hirt Untersuchungen zur westgerm. verskunst i 91 ff. ich er- kläre mir dies daraus, dass -i vor der pause (angedeutet durch einen dickeren punct in der linie) kräftiger ist, als vor dem durchgängig nur schwachen nebenlon in -^ x (= - x). - x - x ist also rhythmisch verschieden von -i . v - x , wie ähnlich Möller be- tont Zur ahd. allitterationspoesie s. 119.

Auch eine der auftälligsten erscheinungen des allitterations- verses findet vielleicht hier schon ihre erklärung, der sogenannte typus C^ seine auffälligkeit ist freilich zum teil nur scheinbar und dadurch hervorgerufen , dass Sievers ihn mit den andern C zusammenstellt, dass dies nicht richtig ist, hat schon Hirt aufs überzeugendste nachgewiesen (aao. s. 5211); der typus stellt sich vielmehr neben B, von dem er sicli blol's insoweit unterscheidet, als die beiden haupticteu nur durch eine pause von einander getrennt sind, man kann die frage aufwerfen, warum neben X X- . ^ x die typen x x -^ . - und x x ^ x . -^ beinah ausgeschlos- sen seien? was das erstere betrifft, so darf man darauf hinweisen.

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dass es auch im reimvers, wo die liebuügeii viel weniger wucliiig sind, zu den ausnahmen gehört, wenn die beiden letzten hebungen in ungefähr gleicher stärke so unvermittelt nebeneinander stehn, während dort versschlUsse wie tnüez ich gelebeii niet, daz ist ein edel man recht beliebt sind (im 3 hebigen vers, s. unten s. 245 ff. weniger beliebt ist ein entsprechender schluss im 4 hebigen, zb. sach man vollen trahen dan, gegenüber dem schluss -!> x x - oder -^ X -). wenn diese letztere form im av, sehr seilen ist, so ist vielleicht die Vermutung gestattet, dass xx-^x und -^ als rhyth- misch entsprechende teile zu ungleichartig erschienen sein würden, vor allem aber kommt für beide typen in betracht, was unten bei der besprechung des lypus A gesagt ist: die formen halten den rhythmus nicht genügend, dass aber x x-.^x ein beliebter typus wurde, dürfte sich aus principielien physiologischen grün- den erklären: nach der durch den starken ictus und die er- warlung eines nach der pause folgenden etwa gleichen ictus erregten muskelspannung ist eine muskelbewegung, die der aus- spräche vL x entspricht, die befriedigendste lüsung. man spreche sich nur solche verse mit den starken icten, wie ich sie annehme, und der pause zwischen den beiden vor, oder noch besser: man ahme den rhythmus mit unterdrückter stimme nach und beob- achte die muskelbewegung, so wird man ein ~L x als das der letzten hebung am meisten entsprechende herausfühlen.

Das weitere vorgehn erleichtern wir uns sehr, wenn wir jetzt gleich nach dem Ursprung des av. fragen. Wilmanns (Bei- träge z. gesch. d. älteren deutschen litt, ni 141) will ihn auf die kola der gewöhnlichen rede zurückführen, aber, selbst eine übermäfsige anwendung der allitteralion in prosaischer rede vorausgesetzt, kann ich mir die ausbildung eines Verhältnisses, wie die bindung zwi- schen Stollen und hauptslab in der prosa nicht denken; diese setzt notwendig das Vorhandensein eines rhythmischen gebildes von zwei zusammengehörigen teilen voraus, tatsächlich finden wir auch in der prosa, soweit wir das controlieren können, die typen und ihre eigentümlichkeiten nicht wider, wenn man zb. die Stelleu poetischen inhaltes in den afries. geselzen vergleicht, so wird man sich vor allem überzeugen, dass gebilde, welche einigermafsen mit den absteigenden typen des av. ähnlichkeit haben, durchweg auflade, sogar längere aufweisen, auch wenn wir etwa vermuten wollten, der av. sei aus den allitterierenden

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formelu der spräche erwachsen, so liiulen wir an den lalsachen keioen genügenden anhält.

Die annähme ist doch anch die nalilrlichste, dass die allil- teration auf einen vorhandenen rhyliimns, sagen wir es geradezu: auf einen vorhandenen vers angewanl worden, und aus dieser anwendung die eigentilmiichiieilen des av. zu erkhiren seien.

Wenn unsere Voraussetzungen richtig sind, so berechtigen uns alle empirischen latsachen dazu, von dem viermal gehobenen vers auszugehn, der als idg. wahrscheinlich gemacht ist und in der germ. volkspoesie lortlebt, umsomehr, als wir bei diesem vers, zumal nach dem eintritt der germ. betonung, das überwiegen einzelner hebungen über die andern voraussetzen dürfen (vgl. die angezogene recension). wir haben also an ihm einen meistens zweigipfligen vers, und als geläufige typen dürfen wir (vgl. Sievers §149 und Otfridsvers) die folgenden annehmen, nebst den entspre- chenden auf synkope der Senkungen beruhenden nebeuformen: 1. (x) X X X X X X X 2. (x) X X ><; X X X X

3. (x) X X A X X X X 4. (x) V X X X X X X.

daraus lassen sich unter berUcksichtigung des besonderen Charak- ters der allitteration nach den rhythmischen grundgeselzen auch die geläufigen typen des av. herleiten, selbstverständlich ist nicht gesagt, dass jeder einzelne av. immer nur aus dem typus hätte erwachsen können, mit dem wir seinen typus vergleichen, wie überhaupt die typen sich nicht immer scharf von einander scheiden.

Wir betrachten zunächst den 1 halbvers.

Die form l zerfällt in zwei hälften (x) x x x x I x x x. der vers könnte ohne weitere Veränderung, nur mit der nötigen Ver- stärkung der icten , als av. gesprochen werden; aber bei dem characler, den ich für den vers voraussetze, würden die hebungen etwas unangenehm spitzes erhalten, es ist vielmehr naturgemäfs, dass mit der gröfseren wucht derselben sich auch eine längere dauer paart, also die glieder sich in der regel verkürzen, inso- weit sie nicht schon im urmetrum verkürzt waren, für das erste glied ergeben sich dann die gestalten: a) -^ x x b) -i x c) ^ d)-£:x, für das zweite a) -i x b) -^. die combinationen ergeben die von Sievers A und E genannten typen , vielleicht auch einige D. nicht alle combinationen kommen vor: im westgerm. sind si, ±\- j. und J-± )■: ausgeschlossen, oder selten, von anderem abgesehen gilt für diese alle, dass eine spräche, die nicht in starke manier und

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dunkelheit verfallen mochte, nicht leicht die möglichkeit halte, ein Satzglied von zwei ungefähr gleich betonten Wörtern dieser form zu gestalten, zumal noch der betonung wegen wol doppelallille- ralion geboten gewesen wäre, das wichtigste ist aber die gefahr, bei solchen rhylhmizomena in einen andern rhylhmus zu ver- fallen, mit andern worlen: wenn ein tact einsilbig ist, muss der andere, um den rhythnuis für den ganzen vers zu halten, möglichst 'voll' sein, das nähert sich ja Heuslers formulierungen, bei denen aber kein versuch gemaciit ist, das wesen der erschei- nungen zu fassen, ein typus .. -^.-^x, also mit auftact, wäre übrigens denkbar, indem durch den scharfen gegenzug der bei- den teile die pause gefestigt wird, solche verse wären unter dem sogenannten typus C zu suchen.

Der entwickelte tact J- y. ist wol bei einfachen Wörtern als J. X zu fassen, dieser schwächste nebenton scheint nicht genügend gewesen zu sein, um den rhylhmus zu ballen; denn ein tact wie foke to [fröfre] scheint bei einsilbigem zweiten tact nicht zu reichen, während er bei sprachlichem stärkeren nebenton, sivhdt (jescet, wol genügt, der unterschied vom reimvers, in dem solche rhythmischen nebentöne hebungen tragen, erklärt sich ohne wei- teres durch das gröfsere übergewicht der hebungen bei beschleu- nigtem tempo. ein worl wie mesta kann mithin sovvol bei ein- silbigem wie zweisilbigem 2 tact gebraucht werden, dass aeresla sohle im 2 halbvers nicht vorkommt, könnte man scbliefslich schon daraus begreifen, dass der typus zu denen gehört, die zur doppelallilteralion in wahlverwantscbaft stehn. weiter unten ergibt sich noch ein andrer gruud.

Das Urbild des von Sievers als \' bezeichneten typus sind die verse, in welchen das böchslbetonte wort die 3 und 4 bebung einnimmt, wie bei Otfrid (ho scöllnn siu mit willen, im NL. ir enknnde in dirre icerlte, ich sag in von dem degnc, daz er eine danne icurbe, wenne sol inwer höchzit, und wie sie überall zahl- reich sind, wäre der av. niclit an einem vorhandenen metrum erwachsen , so ist nicht wol einzusehen , wie dieser typus hätte aufkommen können, in demselben kann die allitleration, da sie nachfolgt, nicht den gleichen einOuss auf den nicht allitlerierenden tact ausüben, wie sonst, der erste tact wäre also ungefähr in der geslalt der 1 dipodie eines altgerm. 4 hebigen verses zu erwarten, in der tat stellt er sich so dar.

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Form 2. bei OltVid stehn solche verse mit unter der nali- verwanten folgenden form, aber es ist erlaubt, zb. thie höhun dltj'atera zu betonen; vgl. aus dem ^L. die guoten videlcere, dem degne leiden hegan, in Irinwen rate ich in daz. häutig ist diese betouung im reimvers nicht, es wäre indessen zu begreifen, wenn der av. den typus seinerseits verallgemeinert oder der reimvers ihn zurückgedrängt hätte, der av. muss teilen in j.x\^xy x /<, und der rhythmns erfordert gleichheit der teile, der erste tact ergibt die formen -^ x und i, der zweite i xx, mit dem stärkeren nebenlon auf dem 1 oder 2 x. ich glaube nun, dass die be- lonung des gliedes ^ x x, vvie sie für den reimvers gilt, also ^xxS im av. nicht bewahrt, sondern zu -^ x mit 'überschüssiger' letzter silbe wird, also identisch mit der betonung desselben rhylhmizomenons als 1 tact; xx als betonungseinheit ist ebenso- gut möglich wie -L x-. dreihebigkeit des zweiten tactes würde wol

1 mit unrecht nennt man sie absteigend, wenn man seine muskeln beobachtet, wird man gewahren, dass die Spannung bei der letzten silbe gröfser ist, als bei der vorletzten, dh. die letzte silbe erhält einen höheren ton, als die vorletzte, die rhythmische bewegung in den zwei gliedern eines Otfridschen verses xx-xx ist gleichmäfsig steigend, ich bezeichne im folgenden die höheren töne durch höher gesetzten accent.

- diese rhylhmisierung von -— x (bei einheitlichem woit oder syn- taktischer Verbindung), die dem gebrauche des reimverses widerspricht, wird auch sowol von Sievers wie von Heusicr angenommen (s. Heusler s. 112). S. sagt: 'der ausgang - X ist nur gestattet, wenn er einem dreisilbigen wort von der form --^x angehört, der grund hierfür liegt offenbar darin, dass in diesem falle die dauer der mittelsilbe als quantitativ indifferent der sprachlichen kürze gleich behandelt werden konnte '. H. polemisiert gegen diese auffassung und meint, es könne im ernste nicht discutiert werden, dass zb. in ok allar oh-finar, wenn ok allar ol- = * ] r p | | sei, von der silbe ol, nachdem sie einen vollen 4 tact gedauert hat, noch die würkung aus- gehe, die folgende sprachliche länge 'herabzudrücken', sodass -riinar nicht mehr als \f'f gemessen werden könnte, sondern nur noch als |f* , wie etwa -stoß in dem verse lof ok likstafi. man könnte H. recht geben, wenn man gezwungen wäre, sich jenen tact als adagio vorzustellen, m. e. ist aber gerade das gegenteil anzunehmen, nach H.s eigner ansieht ist die fragliche rhythmisierung erlaubt, weil solche Wörter oder Verbindungen wie olrmar den tact |x (x)xx| darstellen, dass es am tactgeschiecht allein nicht liegen kann, beweisen die reimverse, die jenes rhythmizomenon im versschluss nicht so verwenden können, wenn auch noch so ausgeprägt ein dipodisches Ver- hältnis herscht. es kommt zugleich auf das tempo und das slärkeverhältnis zwischen den guten und schlechten taclteilen an. im reimvers ist die be- tonung nicht möglich, weil der vorlrag dafür zu getragen war. man kann

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das gleichgewicht slüren und der 2 liebung ein Übergewicht über die 1 verleihen, ich wage aber uun auch gellend zu machen,

es sich auf folgende weise iilar maciien. man «-preche eine dreisilbige Ver- bindung, etwa lalala (noch deutlicher wirds mit dideUhan) im daktylischen rhythmus (als x x 5<) öfter hintereinander, ich kann die reihe hinter ohne weiteres abbrechen, hinter lala ist das unmöglich, wenn ich die gruppe im selben tempo ausspreche, wie in der reihe; sie wird dann von selbst zu lalä. wol aber kann ich abbrechen, wenn ich lala unter einem exepirations- hub spreche (auch wenn ich das tempo für die ganze reihe entsprechend nehme), im av. ist diese ausspräche natürlich bei '-' x möglich und dann bei -X, wenn es untergeordnet unmittelbar hinter einem starken exspira- tionshub folgt, was man sich physiologisch ja leicht klar machon kann, nach einer Senkung lässt der av. im allgemeinen - ; ; in dieser Verwendung nicht zu, wenn es nicht überhaupt ohne rhythmischen accent (in der 'Senkung') Steht, den schweren rhythmischen character von - x werden wir im text verschiedentlich bemerken, auch Sievers ist er des öfteren aufgestofsen, und ich teile die ansieht, die er in bezug darauf § 194 entwickelt, nur dass ich den grund nicht in einer eigenheit der metrischen entwicklungsgeschichte, sondern einfach im charaktcr der spräche suche (vgl. Wilmanns D. gramm. i § 367); die sprachliche betonung der Wurzelsilbe von - x war zu nach- haltig, um die folgende silbe demselben exspirationshub zu unterweifen, für Heusler handelt es sich bei dieser erörterung um den ausgang der voll- zeile im Ijödahätt, für den er die 'regel' aufstellt: er ist entweder voll (x (x) X x) oder stumpf (x =- oder ^ x), nicht klingend (- x). mit rück- sicht darauf, dass - x nur als - x gebraucht gewesen sein könnte, der aus- gang also wol-— X, aber nicht -x lauten kann, scheint mir die regel aus dem metrum selbst nicht erklärlich zu sein, die erklärung müste also in der geschichte dieses melrums liegen, und da muss man sich doch unwill- kürlich erinnern, dass auch die NL-strophe nur auf - oder -L x ausgeht, nicht auf - x. das wird doch wol nur heifsen, sie muss auf x x x schliefsen, eine Senkung zwischen den beiden letzten hebungen haben, oben im text sehen wir, dass der zeilenschluss eine gewisse gedämpftheit liebt; dazu tritt beim strophenschluss das erfordernis einer gewissen gegliedertheit, also der ausschluss von -x vom ende der vollzeile im Ijudahatt wäre historisch zu erklären; in den speciellen eigentümlichkeiten (- x und dem überwiegen von -i X über -) spricht sich vielleicht von neuem das streben nach einer gegliederten gestalt aus. hübsch ist der hinweis auf entsprechende melo- dienschlüsse in nord. und engl. Volksliedern bei Sievers § 195; aber eine erklärung ist damit natürlich nicht gegeben, diese erwägungen sprechen nicht dafür, dass die frage, welche H. s. 67 ff dankenswerter weise aufwirft, ob nämlich das altgerm. metrum - x im versschlusse als einhebig ver- wenden konnte, zu bejahen sei; auch sonst scheint mir weder in der allit- terationspoesie noch in der altern reimpoesie etwas dafür zu sprechen, nur eine beobachtung, die wir unten s. 240 am schwellvers machen, konnte in bejahendem sinne angeführt werden, sie scheint mir jedoch keine genügende stütze für die hypothese. nichtsdestoweniger möchte ich H. recht geben.

234 RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVEHSES

was mir die liauptsache scheint, da lilr den 1 lad der ihylhmiis notwendig eine pause verlangt, würde -' (x). -i xx das gesaml- niafs des ursprünglichen verses überschreiten; ich glaube aber, dass das gesamtmafs grundsätzlich festgehalten wurde.

Die angenommene scansion gilt aber nur für die D-verse mit doppelallilleration; möglich ist sie auch (ür diejenigen, welche sprachlich so gebaut sind, dass sie doppelallilteralion haben könnten, was die menge der andern angeht, der arl, wie sie auch im 2 halbvers häufig sind, so bin ich ganz derselben an- sieht wie Hirt, dass sie nicht ebenso zu lesen sind, eine be- lonung wie im reimvers ist auch nicht statthaft: man versuche nur, solche verse wie landbnendum , vine Scyldincja, pdra ymbsit- tendra, searo hcehbendra im Zusammenhang der texte so zu lesen (also Idndbüendnm), man wird fühlen, wie man stolpert, für sie ergeben sich zwei möglichkeiten, die, wie ich glaube, in würk- lichkeit beide vorkamen, wol auch in denselben föUen. entweder schliefst sich nach einer etwas kürzeren pause die zweite silbe mit einem starken nebenton an, und die beiden andern silben folgen ohne besonderen accent, was unmittelbar hinter dem nebenton möglich erscheint (in bezeichnung etwa Vdnd-büendnm, sinu-dröhlinks', drohtines bildet dabei etwa einen dactylus mit leiser muskelspaunuug auf der letzten silbe. die gleiche beob- achtung liegt wol den von Hirt s. 60 IT angenommenen belonuugen zu gründe), oder der überstarken ersten hebung schliefst sich noch enger das folgende wort oder der folgende worlteil mit betouung der beiden ersten silben an, wobei durch den rhythmischen zwang die zweite dieser silben einen höhereu ton erhält (etwa länd- buendum)K dieselbe betonung ist möglich, wenn das zweite wort

wenn er in der spälern Verwendung von klingendem ->; nicht blofs frem- den einfluss, sondern aucli eine autociUlione entwicklung erkennen will, die aber dann m. e. auf einer änderung des Vortrags, vermutlich in Verbindung mit einer änderung in der spräche, beruhen muss.

' trotz Heuslers herzenserleichterung (Zur gesch. d. altd. versk. s. 82 ff) möchte ich für diesen ausgieich zwischen rhythmischer und wortbetonung den namen 'schwebende betonung' beibehalten, im einklang mit Seemüllers definition (Zs. f. d. öst. gymn. 40 [18S9] s. 781 f). der Vorgang, den Voss ja geradezu als kunstmittel empfiehlt, den Plalen mit Vorliebe für die caesur seiner pentameter verwendet (Deutschlands), kann doch nicht wol eine blofse erfindung moderner Schulweisheit sein, wie ich oben annehme, kommen wir im alld. verse gar nicht ohne ihn aus, und ich vermute sogar, dass die zahl-

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 235

ein composilum ist und nicht mit allitleriert , also feond män- cynnes. ferner schliefsen sich wol auch die seltenen fälle an, die Sievers Reitr. 10, 232 ff. 255 f hespricht und die auch für Sievers System Schwierigkeiten bereiten, wie oflost wisode', die 2 hebung fügt sich enger an die l als beim lypus -'(x).-ixx. Form 3. die am meisten gemäfse entwicklung der form (x)xxxxxxx ist ...i( 1^ X. infolge der dehnung des iclus am ende des 1 gliedes bleibt für das 2 nur xx möglich; x ^ 'x würde über das mafs hinausreichen, aber es ist eine zwiefache Verwendung denkbar: x x kann sich ohne pause an die allillerierende hebung anschliefsen, wobei die letzte silbe einen hohen ton erhält; mit andern worten, der zwischen den beiden tacten durch die wort- löne entstehnde gegenzug wird durch schwebende betonung aus- geglichen, und es erhellt die verwantschaft mit dem typus ü. oder aber es folgt hinter der allitteration eine pause und ^ ;: wird verschliffen, der typus dann also dem typus C^ ähnlich, ich ver- mute wider, dass beide arten der scansion vorgekommen sind, vielleicht je nach dem rhylhmizomenon mehr die eine oder die andere, bei der ersten art der bolonung könnte die letzte silbe vielleicht noch einen sprachlichen nebenton vertragen, die zweite, die hauptsächlich dann gelten wird, wenn die beiden letzten silben ein selbständiges wort sind, lässt ihn natürlich nicht zu. beim reimvers sind solche nicht selten, wie soitu immer herzenUche, daz geschiht von mannes minne, ob wir werben wellen, daz si deheinen wolde, in einer bürge riche. das ergäbe aber im av. den eingang ...-^x. man könnte nun glauben, dass zwischen die beiden hebungen von xx-.xx wenigstens eine silbe treten dürfe, die sich als auftact zum zweiten gliede fügt (x x-. x x x), entsprechend OllVidversen wie so uudz thir göt gibiete, die nicht selten sind (Wilmanns aao. s. 39), oder INL-versen, die so gelesen

reichen fälle des ahd. usw., mit denen Benecke (z. Iw. 1391) unser undank- bar vergleicht, auch in der sprachlichen entwicklung durch -Ax hindurch- gegangen sind, soll für das Sprachgefühl unserer vorfahren nur ein mdrc- grdvinne, nnscelige mit herzhaft versetztem ton, nicht auch ein inärcgrävinne (neben märcgrävc) usw. denkbar sein? eine ganz ähnliche 'Verschleierung' ist der ausgleich der betonungsverhältnisse beim enjambement; und dass der auch Germanen, die noch von keiner Schulweisheit angekränkelt waren, ge- läufig gewesen ist, beweist der av, aufs bündigste, die bedingung für schwe- bende betonung, dass die beiden silben, zwischen denen sie statt hat, sich im natürlichen ton nicht stark unterscheiden, ist in landhüendiim erfüllt.

236 RHYTHMIK DES ALLITTERATIONS VERSES

werden künnen: in welle got behueten, daz mlh die so seiden. tatsächlich ist aber die verschleifiiog von .!- x aut den fall be- schränkt, (lass es sich unmittelbar an einen starken ictus an- schliefst, sie scheint also in der tat von der starken nniskel- spannuug abhängig; ist dieselbe vorher gelöst, so ist auch ein minderbetontes - ,< nicht mehr leicht genug zum verschleifen. doch vgl. unten beim schwellvers. wenn im as. verse mit einer Senkung zwischen den beiden hebungen vorkommen (Sievers § 116,5), so setzen sie wol eine reduclion in der ausspräche voraus, die vielleicht das in der hauplhebung stehnde wort be- irilTt. vgl. dazu die recension.

Die letzte (4) form (x)xxxx x x>< ergibt im 1 glied (x)xxx; im zweiten bleibt nur räum für die stärkere hebung mit auftae», und es ist nicht anders zu erwarten, als dass der letztere der einsiibigkeit zustrebt, wird auch dieser rest noch synkopiert, so entsteht der typus C^, über den wir vorher schon gesprochen haben, für xx-^.-^ kommen dieselben erwägungen in betracht, wie bei der entsprechenden form von A, ebenso für xxvi'X«-, dessen erste starke hebung nicht dehnbar ist. es bleibt also nur xx-^.^x, die form, welche wir auch aus allgemeineren er- wägungen als die naturgemäfse zu erkennen glauben.

Die rhythmen des 2 halbverses kennzeichnen sich dadurch, dass sie die leichtern typen bevorzugen ; die schweren typen, dh. diejenigen, in welchen noch am ehesten die alten viertacter widerzuerkenuen sind, fehlen, das scheint auf eine reduction des 2 halbverses dem 1 gegenüber iiinzudeulen, wie sie ja auch im volkstümlichen reimvers weitverbreitet ist. ich will nicht be- haupten, dass die 2 halbzeile des av, auf einem dreimal ge- hobenen verse beruhe, es lässt sich ja ohne weiteres nicht ein- mal sagen, ob die reduction schon vor der allitteration eingetreten ist, oder sich erst im av. vollzogen habe, aus denselben gründen natürlich, aus denen sie sich auch sonst vollzog, im av. lag es vielleicht noch besonders nahe, den 2 halbvers dem 1 gegen- über etwas absinken zu lassen, in dem oder den Stollen wird die erwartung gespannt, mit dem hauptstab erhält sie ihre befrie- digung, und der halbvers dadurch naturgemäfs einen weniger ex- pansiven characler. der hauptstab wurde den Stollen gegenüber doch jedesfalls mit etwas gesenkter stimme gesprochen, wenigstens dürfte es ursprünglich so gewesen sein, da vermutlich in der regel

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 237

auch der salz mit dem 2 lialbvers zu ende gieng. setzt iui

2 halbvers ein neuer gedanke ein, so erhält sich dem sprach- lichen ton gegenüber diese eigenheit des verses wol nicht, in dem falle mag auch die reduction des verses beeintriiclitigt worden sein, aber das 'verse brechen' müssen wir wol ebenso als se- cundär ansehen, wie das 'reime brechen', es entwickelt sich, nachdem die versart zu längeren stichischen erzeugnissen benutzt wird, durch Verallgemeinerung eines zulüllig vorhandenen mo- mentes. die reduction IrilTt wol den rhythmus im ganzen, das Verhältnis seiner glieder, seine wucht und sein tempo. im av. ist sie dadurch unterstützt, dass der zweite gipfel nicht mit allit- leriert. auch die katalexe von versen darf man sich nicht so vor- stellen, als ob ein teil des verses weggeschnitten würde, etwa im

3 hebigen gegenüber dem 4 hebigen der letzte fufs. es wird viel- mehr der ganze rhythmus anders verteilt, und man könnte die entwicklung ebensowenig wie bei andern versentwicklungeu ein- fach graphisch darstellen, wenn wir neben gen der höchzit, ein älter bischöf 4 hebige formen stellen: gen der höchzite, gen der höchzit gemeit , ein alter bischof getan, so sind die gleichen teile durchaus nicht rhythmisch gleich, man beobachte nur seine hals- muskelo, und man wird sofort sehen, dass die stimme bei bischof im 4 hebigen verse weniger gehoben ist. es kann sogar fraglich sein, ob ursprünglich in solchen versen die pause stets ans vers- ende tiel, ob nicht auch der ganze rhythmische gang verlangsamt werden konnte, sodass nicht die letzte hebungsfähige silbe immer klappend auf die 3 hebung traf, von manchen selten nimmt man ja eine allmähliche entwicklung des versschlusses -^ x x über ■i-x und -i X zu -^ an (vgl. Müller aao. s. 116). man braucht an dem reducierten character der geraden allitterationsverse nicht irre zu werden über einem eiuwurf, wie ihn Sievers § 3, 4 macht, bei dem tempo, welches ich annehme, ist die pause gar nicht so grofs, und aufserdem verstofst es auch nicht gegen den charakter der spräche, Satzglieder stark von einander zu trennen, man kann bei redneru beobachten, dass sie ihre worte in feste rhythmische abschnitte gliedern und auch zwischen die einzelnen Satzteile recht grofse pausen legen, ohne einen schlechten eindruck zu wege zu bringen. § 197, 4 erklärt auch Sievers die pause zwischen vorder- und nachsatz für beliebt, für reduction spricht auch der typus tpyrd oft nered (Sievers Beitr. 10, 230). nach wyrd oft würde

238 UHYTH.MÜv DES ALLITTERATIONSVERSES

eio -^ X des gleichgewichts halber einen stärkeren nebenlon er- hallen, als im lypus hyraii scolde, und der vers in das mafs voq 4 hebungen hineinwachsen, im erslen halbvers ist das erlaubt, im zweiten denn -^ ^ . ^ wäre unrhylliniisch nur .i x als zweiler lad zulässig, von diesem (all abgesehen werden im zweiten halbvers die rhylhmen mit nebenlönen in den Senkungen gemieden, wegen des gleichgewichis iu den gliedein würden sie zu wuchtig lür die reduclion. ihre wuchl zeigen sie auch in der gewöhnlichen tloppelallilteration.

Die meisten typen des zweiten halbverses lielsen sich leicht aus den brachykataleklischen versen, wie sie zb. in MFr. und im NL. vorliegen, herleiten, nur die typen D und C machen Schwierig- keit, indem sie mit einer unbetonten silbe oder noch weiter {to gifremmäne) über die dritte hebung hinauswachsen ; auch fehlen directe Vorbilder im reimvers. sie vertreten wol eine allere art der reduclion, die in jenen reimstrophen aufgegeben ist. in ein- zelnen reslen wird sie vielleicht auch hier weitergeführt; ich denke an verse wie xcol singen, sich uz huoben, al rot giddin, natürlich halte der av. seine eigene entwicklung. typen, die ihm gemäfs waren, konnten sich über deren gebrauch im Vorbild hinaus verallgemeinern, die unbetonten silben konnten gemehrt wer- den usw. aber wenn wir den älteren westgerm. av. betrachten, so wäre die entwicklung dem angenommenen Ursprung gegenüber noch keine starke.

Die bisher immer noch rätselhaften sogenannten schwell verse linden bei dieser auffassung gleichfalls eine genügende erklärung. es ist wider von vornherein unwahrscheinlich, dass man iu der art und weise, wie diese verse im allitterationssystem erscheinen, manchmal ganz vereinzelt, manchmal in kleineren oder gröfseren gruppen, aber stets die eine versart in die andere übergehend, einen fremden vers eingemischt habe, also müste der schwellvers denselben grundvers in einer anderen entwicklung, die sich aus den vorliegenden latsachen begreifen liefse, darstellen, und das tut er in der tat; er ist, wie es gar nicht anders zu erwarten ist, derselbe vers in einer andern Vortragsweise, soweit die schwell- verse charakteristisch gebraucht erscheinen, ist man darin einig, etwas feierliches in ihnen zu finden, man stelle sich nun vor, dass sie eine getragene recitalion desselben verses vorstellen, aus dem der av. entstanden ist; teilweise vielleicht auch eine an sich

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 239

schon gelrageuere art dieses verses, in der etwa die 4 hebungeii iiocli mehr gleichwertig waren, die ailitteraliou hat nicht die- selbe wucht, wie im gewöhnlichen av., nnd darum können alle hehungen eher in ihrer gellung verharren, während die Verstärkung der icten doch schon weit genug geht, um den Senkungen und etwaigen sprachlichen nelientönen eine gröfsere l'reiheit zu ge- währen, einigermafsen auffallend ist es, dass der vers weniger empfindlich für sprachliche nehentöne in Wörtern der form -^ x x zu sein scheint, als der fortgeschrittenere av. vielleicht ist es kein Zufall, dass in den 80 schwellversen des Heliand, die in gröfseren gruppen zusammenstehn (Sievers s. 162), nur dreimal vocalische allitteration sich findet; die vocalische allilteralion bedarf des Stärksleu nachdrucks, um ins ehr zu fallen, die 3 fälle finden sich in einer und derselben gruppe, 3494. 3502, 3505. sonst begegnet dieselbe zb. in den 80 ersten versen des Hei. 9 mal, in den 80 folgenden 12 mal, in 80 irgendwo herausgegriffenen 7 mal. daraus, dass in den schwellversen 'durch prosalonfall, bedeutuugs- fülle und -gliederung in der überwiegenden mehrzahl der fälle eine dreifache gliederung scharf ausgeprägt ist', kann man nur schliefsen, dass sie inhaltlich vollwichtiger sind, so gebaute verse sind ja auch in sicher 4 hebigen versen nicht selten, und in in- haltlich entsprechenden stellen werden sie auch in entsprechender zahl auftreten. Sievers muss neben den dreitacligen doch auch noch viertactige annehmen; ich betrachte sie alle als (ursprüng- lich) viertactig. nach Sievers s. 143 ist der weitaus überwiegende typus fürs ags. in beiden halbversen der, den er AA nennt; daran schliefst sich RA, in weitem abstand folgen AR, A C, dann elwa noch AD, AE; was sonst in belrachl kommt, ist nicht nennens- wert, es herscht mithin durchaus der ausgang - x, gegen -. auch tritt der auftact, besonders im ersten halbvers, sehr zurück, die talsachen scheinen darauf hinzuweisen , dass vor allem der vers -x-x-x zu gründe liegt; er wird derjenige gewesen sein, der am meisten einem getragenen inhalt entsprach, wir müssen nun allerdings wol eine liesondere entwickking des verses oder seines Vortrags anerkennen, haben wir die verse rede and r^eade le'ge^ oder so harmo mid helon trahnin, so können wir sie in der allen weise lesen, dli. mit lege, trdhnin am schluss. in dem falle sind rede and reade und le'ge rhythmisch gleichwertige glieder, voraus- gesetzt, dass auch diese verse zur rhythmischen zweiteiligkeit

240 RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES

neigen, und lege erliäll dann einen schweren iclus aut der Wurzel- silbe, aber nicht immer wird dieser rhylhmus in der worlbe- tonung eine stütze finden, dann nämUch nicht, wenn das letzte ^vort einen logisch deutlicli untergeordneten ton hat. der rhythmus >vird dann wol die neigung haben, sich anders zu verteilen, näm- lich die beiden ersten Wörter als die rhythmisch höchsten werte einander entgegenzusetzen, dann ergibt sich zwischen den beiden eine pause, das dritte wort ordnet sich im tone dem zweiten unter, und seine letzte silbe wird überschüssig, also etwa rede- and I reäde lege; die allitlerierenden Wörter stehn jetzt auf der ersten und dritten hebung. diese gliederung kann gestützt werden durch schwerere wortglieder hinter der ersten hebung, zb. wisfiht I lolllan mines, oder so hdrmö mid. jetzt bilden also wh- fcest und willan mines die rhythmischen entsprechungen. ich verhehle mir nicht die Schwierigkeit, welche darin liegt, dass hier hinter -^,. eine Verwendung von i-x zugelassen wird, die wir beim gewöhnlichen av. nur hinter-^ finden (s. o. s.232 anm. 2)^. weiter niuss zugestanden werden, dass secundär das erste glied stärker gefüllt werden konnte, als wir es für den ursprünglichen vers annehmen, zb. frö min, ef /fr thi fragen githörsta. jene beiden betonungstypen müste man nebeneinander annehmen, oft war es wol freigestellt, nach dem einen oder andern zu lesen, auch wol in fällen, wie Hei. 599 giböran bald | endi sträng (eigentlich giböran bald \ endi sträng) oder giböran | bald endi sträng, steht in der Senkung hinter der dritten hebung eine be- tonte silbe, SO erhält naturgemäfs die Wurzelsilbe des folgenden Wortes einen stärkereu ictus, hinter dem eine nebensilbe nicht wol rhythmisch überschielsen kann; es kann dann mithin nur ^ oder >L X folgen, nicht ly; daher zh. mödige \ meärcland tredan; nonän that iro \ frithubarn gödes Hei. 5932 b. schliefst also eine solche reihe doch mit - >-, so ergibt sich, dass die schwere Senkung hinter der zweiten hebung steht; es wäre also zu scandieren blide sceal beäloleas | heörte; vgl. Sievers s. 141. übri- gens sind diese fälle selten, im aligemeinen herscht eine ziemlich einheitliche bauart, so zb. in den genannten 80 Heliandlang-

' die ganze rhythmische bewegung verschiebt sich im Verhältnis der beiden betonungen (man beobachte die Spannung der halsmusiteln) viel- leicht liegt in der zweiten art der rhythmisierung etwas, was dem beschleu- nigteren tempo des gewöhnlichen av. widerslrcilet.

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 241

Versen, abgeseheo von der freiheil der Senkungen und dem Wechsel zwischen den beiden oben entwickelten Schemata, nur an 1318b slöfst man sich sofort, hier isf.t aber auch lalsch abgeteilt; gi- nemnide gehurt, wegen des enjambements selbstverstiiudlich mit allitteralion, zum folgenden vers, gerade wie zu 1310 gifullit. so erhält 1319 auch die notwendige doppelallitteration, mit ein- facher würde es allein slehn; die überfülle der silben zwischen der 1 und 3 hebung ist kein hindernis, vgl. 1317. 1685. 3497. 5917 K da die 3 oder auch 4 hebungen im schwellvers unter- einander gleichwertiger sind, als im gewöhnlichen av., geniefst auch die stelle der allitteration gröfsere freiheit. doch steht sie ganz überwiegend im 1 halbvers auf der 1 und 2 (beim schema Zx-x|-x) oder auf der 1 und 3 (beim schema -i(x).|- x ^(x)), im 2 halbvers auf der 2 oder (beim schluss -^ x) auf der 3, in- dem der erste teil des 2 halbverses meistens untergeordnet scheint. wir hätten also im schwellvers gewissermafsen den rest einer älteren stufe der entwicklung. die allitteration hat sich dem ge- wöhnlichen verse gesellt, ihn auch schon etwas beeinflusst, aber nicht so stark wie später, es scheint mir eine natürliche ent- wicklung, wenn diesem Stadium ein anderes folgte, in dem der zufällige schmuck ein mehr selbständiges leben gewann und stark umgestaltend auf das organ würkte, dem er sich gesellt hatte, in dem neuen Stadium erhielt der vers etwas leidenschaftliches und gewaltsames; für gewisse Stimmungen bewahrte sich noch die ältere, getragenere art daneben, aber das gefühl für die gleich- artigkeit beider war noch nicht abgestorben; mau konnte aus der einen art zwanglos in die andere übergehn und diesen Über- gang, wenn man es für wünschenswert hielt, auch wol würklich unmerklich gestalten, so kann ich mir die erscheinung der Schwellverse erklären; als eine versart von ganz anderem Ur- sprung vermag ich das nicht.

Was den auftact betrifft, so müssen wir wol die in den absteigenden typen der 1 bebung vorangehnden versteile würk- lich als solchen ansehen und rhythmisch so behandeln, die tat- sachen weisen darauf hin, dass die zu gründe liegenden formen des älteren verses, auch wol von 'C, den auftact durchweg nicht

* mit einfacher allitteiation im 1 lialbveis führt Sievers s. 163 noch an 1308, wo aber der .Mon. keinen sciiwellvers liat, und 1553, an einer metrisch auch sonst auffälligen steile.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 16

242 RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES

lialteu. eher die Vorbilder der aufsleigeüden rhytlimeii, in denen aber durch die alhlleration der 1 fuls tür das rhythmische ge- l'ilhl \\o\ mit dem aiiflact verschmolz •. der zustand scheint auf die zeit zwischen der germ. accentverschiebung und der synkope der auslautenden vocale zu weisen (vgl. Sievers § 146,3). eine eingehndere Untersuchung, die auch die 1 und 2 halbverse genau zu vergleichen hätte, würde vielleicht noch bestimmtere ergebnisse liefern, darüber, dass der auftact seeundär im av. ein entwick- lungsfähiges Clement wurde, ist man ja allgemein einig.

Die schwierige frage der 'auflösung' wird sich nur durch eine zusammenfassende Untersuchung dieser erscheinung in den verschiedenen versarten mit einiger Sicherheit lösen lassen, zwei grundsätzliche gesichtspuncte dürften hervorzuheben sein, erstens darf man nicht davon ausgehn , auch für den reimvers nicht, dass w X und - X, wo sie sich zu entsprechen scheinen, grundsätzlich metrisch gleichwertig seien, wir können auch im reimvers mo- mente finden, die gegen diese auffassung sprechen; vgl. Sievers 13eiir. 13, 143 ff. zweitens ist zu berücksichtigen, dass es nicht grundsätzlich dasselbe zu sein braucht, ob ^ x für - und ^ x x für - X (oder drittens gar ^ x für - x) steht.

Was den av. insbesondere betrifft, so lässt sich immerhin einiges mit Wahrscheinlichkeit erkennen. Sievers hebt die un- verhältnismäfsige häufigkeit von ^ x für -^ auf der 1 hebung von C* hervor, im 2 halbvers überwiegt bei einsilbigem eingang die sprachlich zweisilbige hebung die einsilbige fast um das doppelte (76 x^x-x gegen 39 x x); in allen andern fällen von C beträgt das Verhältnis der ^x auch mindestens 40^/0. noch auf- fälliger liegt die sache im Hei. nach Hirt aao. s. 58: beim ein- gang X 82 mal zweisilbig gegen 10 mal einsilbig, und auch in den andern fällen übersteigt -L x wesentlich die form -^. sehen

' in C, C^ und B haben die teile lüs zum ersten stab gleichen Ur- sprung, (X)x xl X. bei ihren eingängen zeigt sich in bezug auf die silben- zahl im 1 halbvers kein wesentlicher unterscliicd ; wol aber treten im 2 bei C die 2- und 3-silbigen eingänge sehr beträchtlich zurück (Sievers Beitr. 10, 294; Hirt 59). vor der hebung, an die sich mit einem gewissen gegenzug die folgende eng anschliefst, wird in dem reducierten vers der eingang bedrängt; man vergleiche [ei- geht die strafxe entlang und] sieht herrn Kurt zu pferde und [er glaubt N zu erblicken und] sieht herrn hurt kommen, in raschem lempo gesprochen, bei C^ findet sich nichts ent- sprechendes.

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 243

wir zunächst von dem besonderen übergewicht bei einsilbigem eingang ab. Sievers macht bekanuthch die neigung zur 'auf- lüsung' von dem zusammentreten betonter versglieder abhängig, das ist nur eine äufserliche lormulierung, die sich aber auch als solche nicht in dieser allgemoiuheil halten lässt. das wesentliche scheint zunächst, dass eine minder betoute hebung ohne gröfsere pause tolgt. bei C erkennt auch Sievers diesen Charakter an (vgl. §9,3; wir beschränken ihn allerdings aufsein C'^"^-). einen ähnlichen Charakter wie C vermuten wir für den grösten teil von Sievers D-versen ; und in der tat zeigen sich hier ähnlich auf- lällende Verhältnisse, nach S.s Verzeichnis, ßeilr. 10, 261 f. 306 f, sind unter 253 versen 129 mit erstem tact -l, 110 mit .Lx, unter 49 versen der ersteren 33, der anderen 16; im 1 halbvers unter 246 versen 132 mit -^, 113 mit ^x '• also bei D die 'auflüsung' noch häufiger, wir gewinnen damit einen neuen anhält für die bereclitigung, C und D zu vergleichen, zu dem alsbald ein weiterer treten wird, das vorkommen von Ly^ ist aber wol noch enger zu umschreiben, das zeigt uns der sogenannte typus E. hier fällt sofort die erscheinung beträchtlich, wenigstens im Verhältnis zu D, obvvol wir doch auch eine gruppe i^-x haben, nach Sievers Verzeichnissen s. 311 und s. 267 f stehn aber 100 und 203 -^ nur 36 und 64 vix gegenüber, darnacii käme also als för- dernde bedingung weiter in betracht, dass hinter ±^ keine un- betonte silbe folge, aufserdem ist die stärke der hebung wesent- liche bedingung. Sievers selbst stellt fest, dass nebenhebungen nur ausnahmsweise aufgelöst werden, im ersten tact von E sind es nur 9 von den wenigstens 300 fällen, die für auflüsung der minderbetouteu hebung in .^ .l x aufgeführt werden können, neh- men wir nun D im 1 halbvers (Sievers -^-^^x), so erscheint die zweite hebung, trotzdem ja auch ihr eine hebung unmittelbar folgt, aufgelöst nur 3, höchstens 5 mal allein und 5 mal in Ver- bindung mit auflösung der 1 hebung! ganz ähnlich bei C in beiden halbversen. also ist die 2 hebung in D ebenso minder- betont, wie in C. stellen wir denjenigen typus D, welchen wir von dem bisher besprochenen abtrennen, gegenüber, nämlich

* Sievers angäbe Altgerm. nietiik s. 127: 'einige 2070 in beiden halb- versen in den typen D und E' niuss wenigstens für den 2 halbvers auf ver- sehen beruhen, für den 1 halbvers sind die fälle mit - x im ersten gliede mit in rechnung gezogen.

16*

244 lUlYTllMlIv DES ALLITTERATIO.NSVERSES

s.j.yx, SO wild das biUl gleich aüilers. zur völligen Sicherheit nehme ich nur fälle mit doppelallilteration; das ergibt auf 21 andere 9 ^ :< (dabei sind allerdings die verse des lypus J.itx, Sievers Beilr. 10, 300 nr 2, nicht berücksichtigt), in dem 'gestei- gerten' typus steigt der procenlsatz sogar wider besonders hoch, höher als im ersten tact von E, trotzdem wir in beiden fällen für den allitleratiousvers selbst die tacte als gleich ansehen, nämlich si-x. der unterschied hängt also vielleicht mit dem verschie- denen Ursprung zusammen, in E vertritt dieser tact zwei ursprüng- liche füfse, in D aber drei, wir kehren zur l hebuiig zurück, was wir bis jetzt gewonnen haben, konnten wir definieren: für -^ steht besonders gern -L x, wenn sich daran eng eine untergeordnete hebung anschliefst und auch auf die letztere keine Senkung folgt. nun haben wir aber unter den fällen von D auch diejenigen in- begriffen, die dem typus j..j.:lx (also nicht blofs dem /^Ax) angehören, es finden sich 17 beispiele des typus atol cegima und das ist den mit -^ im ersten glied gegenüber ein hoher procenl- satz; vgl. weiter auch S. Beitr. 10, 301 f. wir haben hier ja aber scharfe trennung zwischen den beiden haupthebungen ange- nommen, indessen ist die frage, ob wir diese fälle mit den anderen gleich beurteilen dürfen, bei den letzteren handelte es sich um die mögliche wähl nur zwischen ^ oder ^x, hier aber steht ja der 'gesteigerte' typus daneben, dh. aufser jenen beiden sprachlichen formen stehn auch -^ x und -^xx zur Verfügung, und wir haben also vielleicht die 1, x den ^ und -^x(x) gegenüber zu stellen, nichtsdestoweniger dürfte der procentsatz von Z,x auch über das unter dieser Voraussetzung nach mafsgabe der spräche zu erwartende hinausgehn. wir erinnern uns nun, dass hier die pause erst im av. sich eingestellt hat, dass in dem urvers, den wir annehmen, in der tat die beiden hebungen unmittelbar neben- einander standen, hier würde also auch wider die eigenlümlich- keit aus dem früheren vcrs stammen, dort wenigstens schon vor- gebildet gewesen sein müssen , und das urbild von D würde noch entschiedener einen Charakter bekommen, den wir im reimvers nicht widerfinden '.

' wenn sich aus dem geringen niaterial des Beovulf ein schluss ziehen lässt, so scheint allerdings auch bei dem lypus - . x - x (A), sobald ein auttact vor denselben tritt, sich die auflösung besonders leicht eingestellt zu haben'^(vgl. Sievers Beilr. 10,234 und 273 f), was ich im rahmen der oben entwickelten ansichten nicht zu erklären wüste.

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 245

Der tatbestand wäre deinuach Iblgeuder: wenn mehrere liebungen unmillelbar aufeinander folgen, so hat diejenige, welche am stärksten betont ist, die neigung, die gestall -L x anzunehmen, dh. statt -^ wird z, x gewählt, wahrend -^x nicht zulässig ist i.

* \Vilnianns aao. s. 26 verzeichnet als beispiele von versen der form

2 . 4 bei Otfrid mit fehlen der Senkung im 3 fufs so wit f/iaz ghvimez loas, tho erstarp ther künini^ Heröd , so höh ist gömaheit sin, thaz thu unsih Tili gidua wis; s. 27 nu scephe er imo Mar bro'l, ih scal thir sägen min kmd, es irquimit muat mVn , s. 28 thaz er ther düriwart ivds, so sin giwöna- heit ist, so ist giwönaheil s't'/i, s. 29 ther Hut se löbo bi thiu neben tiiar was er thö thio fiar näht (wo P die betonung wählt thar was er tho thio fiar naht), s. 33 t/iu unsih 7ii hek's wiht thes. in all diesen fällen, die im ganzen sehr selten sind, hat der 2 fufs die form ^l x (auch betontes ntt dürfen wir wo! als kurz fassen) mit ausnähme der einen stelle, wo P anders betont; aber auch da hat die betreffende hebung ein schwach betontes wort, in andern fällen mit entsprechender form des 3 fufses steht dem Charakter des ganzen typus gemäfs eine schwach betonte silbe auf der 2 hebung; vgl. Wilm. § 33. damit vergleiche man die s. 19 verzeichneten beispiele, wie theist drühtin krist giiater, die vor dem einsilbigen fufs x zulassen, wäh- rend es bei jenen sicher nicht zufällig fehlt, und warum? ich denke, weil hinler dem schweren - x die 3 hebung notwendig auch einen schwereren Ion erhalten hätte, der seinerseits wider veranlasst hätte, die 4 unmillelbar folgende mehr zu heben, und dies gegen den Charakter des Otfridschen verses verstofsen hätte, der einen ruhigen schluss liebt, die absteigenden typen sind durchaus die herschenden, und wenn Wörter mit - x oder ^x x den 3 fufs füllen, so mit Vorliebe schwächer betonte (Wilm. §§ 45. 82. 100). wir haben hier jedesfalls einen beweis dafür, dass die füfse-x und -Lx für Otfrids vers nicht ohne weiteres gleichwerlig sind, die angeführten verse haben ihre parallele an den von AVilni. § TS besprochenen, wie floug er sünnuJi päd, soweit dieselben würklich mit nur tMner hebung vor dem accen- tuierten wort zu lesen sind; ^x steht also - gleich, auffällig ist, dass als parallelen zu sünnün composita auf der 2 und der 3 hebung beinahe fehlen (Wilm. § 91). wäre auch das -heit von kuanheit noch zu schwer für die

3 hebung gewesen? auf eine etwaige nähere verwanlschaft mit dem typus C des av. will ich diese Otfridverse nicht befragen.

In den Kürenbergerstrophen begegnet nur ein einziges mal der fufs ^xx, während die füfse -^ x aufserordentlich häufig sind, die vierhebigen zeilen zeigen höchstens einmal den schluss - x - (10, 5 ougen gen [vgl. aber Heusler Z. gesch. d. altd. versk. s. 99]; ich bezeichne mit - oder ^ selbständige Wörter, oder silben mit stärkerer betonung im gegensatz zu x für Silben und Wörter mit keinem oder geringem worlton); im übrigen 43 mal - x, einmal x x (9, 17 lügenwre), 5 mal -L.xx, 4 mal w x . der bau des 1 teiles der verse ist in der regel (x)(x)-x-x (ich unter- scheide im allgemeinen nicht, welche der beiden hebungen den relativ höheren ton hat: oft ist es auch gar nicht zu entscheiden und stand wol auch im belieben des vortragenden); so mindestens 40 mal. synkope im

246 RHYTHMIK DES ALLlTTEHATIOiNSVERSES

wolk'U wir diese auskuuft aus der formel in eiue motivierte er- kläriing übersetzen, so scheint mir doch das bestreben zu er-

1 fufs (bei - als Hebung) kommt 5 mal vor, anfseidem 9,31 und 10,3, wenn wir die rliytlimisch bedenklichen zweisilbigen auflade zulassen; derselbe fufs ist zweimal als^x gebaut, synkope im 2 fufs koniml überhaupt nicht vor, von den bedenklichen versen 8, 7 und S, 15 (/d enwas ich nihl ein her wilde) abgesehen, derselbe fufs ist zweimal als <-> x gebaut hinter nicht vollem fufs (wij) vile 9, 21 und den site tvil ih 7, 5, wenn wir im letzleren verschleifung annehmen); sonst nur einmal 9, 17 daz machent lügenoere (und j'ö ernvas ich niht ein eher wilde"!). in den 3 hebigen versen fällt die häufigkeit von ^ x als 2 fufs auf. neben 17 - x - (oder - x -) nebst einem x x - {rümen diu laut 9, 32) slehn 11 -x, 3 -^ und 13 ■i' X - (oder Lx-). der erste fufs ist regelmäfsig voll gebaut ((x)-x); synkope nur in riimen diu laiit und aufserdem in 8, 7 vil wvl singen und 9, 10 alröt guldui, wenn nicht die erste silbe zu betonen ist. ein fufs ^ x begegnet hier nicht, wenn das material auch gering ist, so scheint es doch zu be- stätigen, dass der fufs -i- x ungefähr im selben Verhältnis eintritt, wie die synkope der Senkung (während ein fufs ^ x y. aber ganz anders zu beur- teilen ist), und aufserdem, dass ^ x benutzt wurde, um die gruppe - - be- weglicher zu gestalten. -- als 3 und 4 hebung kommt neben häufigem -^ X nur 3 mal vor, und darunter noch zwei verse mit vor und sam auf der

2 hebung. wenn es auch in der spräche begründet ist, dass -- als vers- schluss nicht häufig sein konnte, so scheint doch auch eine rhythmische abneigung dazu getreten' zu sein, die beiden genannten fälle von-'i^x-x vergleiche ich mit 7-umen diu länt, dh. auch da, wo ein fufs insofern re- duciert wird, als seine hebung aus weniger betonter silbe besteht, kann sich ^ X (also statt x) leicht eingang verschafTen.

Auch im Nl. sind die füfse ^ x x beträchtlich geringer an zahl, als die vL X. in den von Lachmann für echt gehaltenen 117 Strophen seines XI liedcs zähle ich in den 3 hebigen versen 27 ^1^ x x und 70 ^x, von den 43 -^ X für - auf der letzten hebung abgesehen, deren beurteilung für unsern Zusammenhang fraglich ist. 23 der ^ x slehn auf der 1 hebung, die sonst einige 30 mal synkopiert erscheint, die übrigen auf der 2 hebung, deren synkopierte gestalt in der form - x des Schlusses in diesem teile des liedes nicht vorkommt (drei paar^xx); die form des Schlusses - oder -^-i (-i in compositis hier zufällig nicht) 7 mal (1121, 3. 1162, 1. 11G6, 1. IISI, 2. 1207, 1. 1208, 1. 1204,1; bis auf einen fall wäre sprachlich auch ^^ x auf der 2 hebung möglich), in der häufigkeit dieser typen, die eiuen gedämpfleu schluss bedingen, sehe ich eine parallele zu dem bekannten bau der letzten halbzeilen in der gestalt (x)- x - x x -, und man wird wol auch nicht irre gehn, wenn man aus dem av. die typen C und D im Charakter vergleicht, in dem 3 hebigen verse waren möglich (x) - x - x, ein lypus, der im mhd. am zurückweichen ist, ferner (x) - x , der aus sprachlichen und wol auch aus rhythmischen gründen nicht häufig ist, weiter (x)- x ^ x - oder (x)-x ^x X, wie wir sehen sehr beliebt; dazu treten mit zweisilbiger letzter hebung (x) - x - v^ x und (x) - x «-' x ^ x. der letztere ist im M.

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 247

kenneu, einer unmittelbaren folge von hebungen eine gröfsere beweglichkeit zu verleihen, in dem besonderen überwiegen von ^x beim typus x^x-x kann man eine fortsetzung dieses be- strebens finden; der typus x --^- ist in der tat der am wenigsten bewegte, auch stimmt es weiter ein, wenn x^x-x besonders häufig im 2 halbvers begegnet, denn hier herscht überhaupt grül'sere beweglichkeit. wir können aber wol eine weitere per- spective eröffnen, und eigentlich sind wir auch rechenschaft schuldig, warum man denn zu dem genannten zwecke nicht -^ x gebraucht habe? offenbar weil -^ x ihylhmisch zu schwer ist (s. die anm. aufs. 233), weil gewisse teile des verses gedämpft gebalten wer- den sollten, wir können vermuten und finden es durch das in der anm. befragte material bestätigt, dass zwischen der sogenannten Synkope der Senkung und dem fufs w x ein innerer Zusammen- hang besteht, der einsilbige versfufs, wie alt er auch sein mag (Heusler aao. s. 128), ist doch jedesfalls bedingt durch die neigung der versfüfse, sich dipodisch zu gliedern (die sich nicht gleich auf den ganzen vers zu erstrecken braucht), eine neigung, welche durch den germ. accent mindestens gefördert werden muste. mit dem stark betonten versfufs -^ ist aber offenbar z. x gleichwertig, und ich sehe nichts, was uns veranlassen könnte, die letzlere form für jünger zu halten: die versfüfse-^ und ^x sind zu gleicher zeit eingetreten, da, wo der folgende versfufs sich unterordnen sollte, das schwere -tx würde viel mehr die gefahr nahe gelegt haben, in mouopodiscben rhylhmus zu verfallen, nun ist aber ein niit-^x gleichwertiges >Lx schwerlich zu erweisen und ist es

beliebter als der erstere (im xi liede der erstere gar nicht, der andere 2 mal, aucli zwischen 1083—1741 kein einziger sicherer fall des ersteren bei 16 Schlüssen auf -Lx^x; und auch in anderen teilen des liedes selten solche wie volle niun tage gegen häutigere wie Stunden habe gesehen oder nu was Hagen komeJi). weist das darauf, dass -^ x - statt -- schon geläufig war, ehe die letzte hebung sich auflösen konnte?

Die auflüsung dieser letzten hebung angehend will ich noch hervor- heben, dass ich zwischen str. 1083 und 1741 39 fälle angemerkt habe bei dem betonungsschema x-x^x, dagegen 77 bei -(x)— x^-'X. wenn nun auch die entscheidung über die eine oder andere art der betonung häufig sul'jectiv sein mag und vielleicht auch früher so war, so scheint doch der unterschied nicht zu übersehen. y. - y. -^ x ist vermutlich durch reduction aus demselben rhythmischen typus entstanden, wie der typus B des av., während das zweite Schema einen andern typus vorauszusetzen scheint (den von A?).

24S RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES

ganz uiulenkbar, dass der gebrauch von Wörtern mit kurzer Wurzel- silbe jemals im vers ausgeschlossen oder nur beschränkt gewesen sein sollte; also muss .1 x x, parallel zu -^ x bestanden haben, und wenn ^ synkopiert ist, so auch vLx. der naheliegende schluss, dass umgekehrt dxx neben -^x erst auf grund der gleichung .L - = z erwachsen sei (vgl. WiJnianns aao. s. 129), ist mithin nicht aufrecht zu erhalten, secundär wurde der fufs ^ x, zu be- stimmten rhythmischen zwecken verwant, verhältnismäfsig häufiger als w X X. auch im av. ist das letztere seltener als w x. weist aber das bestehn von wxx neben -x aul' eine zeit quanti- tierender nietrik?

Sollte n)an fragen, wieso denn gerade in C^ (xx->^x) die auflösuug der 1 hebung ausgeschlossen ist, während sie doch auch in dem typus D, der zwei ungefähr gleiche gipfel hat, häufig eintritt, so ist diese frage in den früheren ausführungen genügend beantwortet, man könnte noch folgendes sagen, obwol dem Ur- sprung nach die beiden gipfel in C^ (ursprünglich 2 und 4 hebung) nicht weiter von einander abstehu, als in andern typen (zb. in A), so wird in würklichkeit der abstand hier doch besonders grofs geworden sein, indem der eingang auftaciähnlich gesprochen wurde, umsoweniger brauchbar wurde aber ■L x auf der 1 hebung.

Manche erscheinuug des av. könnten wir vielleicht über- zeugender erklären, wenn wir es wahrscheinlich zu machen ver- möchten, dass der Vortrag dieser verse mit bestimmten körper- lichen bewegungeu verbunden gewesen sei. in der tat habe ich jahrelang in diesen rhythmeu etwas zu empfinden geglaubt, was über den durch spraclistoff ausgedrückten rliythnius hinaustühre. aus einer bestimmten anzabl von begleitenden schritten möchte man die beschränkung der zählenden silben erklären, und man könnte sich ja auch ganz wol vorstellen, dass der in einer allitte- rierenden zeile das orakel verkündende priester zwei schritte nach dem Volke hin und zwei widei' zurückgetreten sei. zumal beim lypus C^ reizt dieser versuch: auf den ersten schritt spricht der priester den eingangsteil, auf den zweiten die allitterierende hebung. entsprechend der wucht und Wichtigkeit dieser silbe tritt er schwer auf, der körper ruht einen augenblick vornüber auf dem einen fufse; jetzt macht er die zwei schritte rückwärts, und ganz natur- gemäl's ergeben sie eine bewegung das ganze freilich nicht gerade leierlich würdevoll der die ausspräche von wx enl-

RHYTHMIK DES ALLITTERATIONSVERSES 249

spricht, aber im gründe wäre das nichts anderes, als dieselbe physiologische erklärung, die wir bereits gegeben haben, nur auf andere muskeln ilbortragen, und in andern lallen wilste ich mit dieser bewegiingshypothese ohne willkürliche Voraussetzungen nicht auszukommen.

Es ist nicht so einlach, den av. nach der gewöhnlichen lermino- logie zu definieren, ziehen wir nur die haupthehungen in betrachl, so dürften wir consequenterweise in A^ nur eine hebung aner- kennen , denn der dieser vorausgehnde teil unterscheidet sich oft nicht von den in aufsteigenden typen der ersten hebung vorangehnden gliedern, allerdings bleibt der unterschied, dass im letztern fall diese teile zur hälfle des verses im selben Verhältnis stehn, wie bei A^ zum ganzen verse. wenn wir die 'neben- hebungen' mitzählen, kommen wir ebensowenig zu einer ein- heitlichen definition. Ileuslers bezeichnung des av. als zwei- tacter dürfte zu empfehlen sein, nur darf man dann die lact- grenzen nicht nach musikalischen principien verschieben, wir haben keinen grund, sie dem urvers gegenüber zu verlegen.

Dass ich über Otfrids vers anderer ansieht bin, als Wilmanns und Sievers, bedarf nach dem vorangehnden keiner besonderen erwähnung. die art und weise, wie n)an ihn aus dem av. hat enlstehn lassen , ist mir nie recht wahrscheinlich vorgekommen. Wilmanns ist wenigstens so folgerichtig gewesen, den av. lür eine eigene Schöpfung der germ. allitterationspoesie anzusehen, die neue Sievers-Saransche hypothese führt aber zu dem resultat, dass Otfrids vers auf den av. und dieser letztere auf einen frühern vers zurückgeführt wird, dem der Olfridvers jedesfalls viel näher steht, als das mitlelglicd , aus dem er erst entstanden sein soll, das natürliche ist doch, die beiden Stadien, die sich fast auls haar gleichen, unmittelbar nebeneinander zu stellen, ohne das ganz abweichende millelglied. ich bekenne mich zu denen, die den av., Otfrids vers und den volkstümlichen mhd. reimvers für im gründe identisch halten. S. bat diese auffassungsweise unhislo- risch genannt, er will damit wol sagen: historisch haben wir den aus dem idg. ererbten urvers vorauszusetzen; dann haben wir im altgerm. zuerst den av. belegt, daraut folgt historisch der reimvers. aber soll das einzige würklich oberdeutsche der allitte- rationspoesie angehörige gedieht, welches wir haben, das Muspilli, uns denn vorauszusetzen nötigen, dass eine längere zeit jede

250 RHYTHMIK DES ALLITTERATIO.NSVERSES

rhythmische heläligung uur in allilleralionsversen vor sich ge- gangen sei? die rhylhmen leben aufserdem nicht uur iu den nach ihnen geformten worlen, sondern auch iu melodieu , die von «orten uubcgleilet sind, sie leben im beweguugsgefühl und in der akustischen erinnerung. dem «anderer erklingen sie iu seinen schritten, dem manne bei der arbeit in der bewegung seiner bände und seiner Werkzeuge, die mutier summt sie, wenn sie ihr kind einschlälerf, und die kinder summen sie bald ihren eitern nach '. soll das alles ausgelöscht gewesen sein unter der herschalt einer dichluugsgattuug, von der wir gar nicht wissen, wie intensiv sie gepflegt wurde bei denjenigen stammen, die später die hd. mundarten redeten? ich halte uuseru reimvers für eine entwickelte fortsetzung derselben alten rhythmen, aus denen in einer andern richtung, und zwar durch den gebrauch des Stabreims, die eigenartigen typen des av. sich gestaltet haben, natürlich können wir nicht erwarten, alle eigenheiten der einen versart in der andern widerzufinden; jede Sonderentwicklung prägt sich in neuen eigenschaften aus.

Ein Zugeständnis müssen wir Sievers aufl'assung von der rhylhmik des av, (vgl.§6) zum Schlüsse doch noch machen, weniger fest und eng gebunden ist das metrum denn doch als in andern Versen, und es wird nicht zu bestreiten sein, dass dem recitator dem rhetorischen bedürfnisse zu liebe freiheiten gestattet waren in hinsieht des lempos und des Verhältnisses von stärke und dauer zwischen betonten und unbetonten silben , deren Spielraum einer- seits durch die kürzesten typen, etwa die einfachen A, B und C\ anderseits durch die schweliverse begrenzt wären, und die sie den rhythmen der prosa nähern, aber ohne tact haben sie darum ihre verse nicht vorgetragen.

' s. Heusler Z. gcsch. d. altd. vcrsl<. s. 39, dessen fernere ausfülirungen ich indessen nicht otine weiteres übernehme.

Bonu. JOHANNES FRANCK.

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE.

24 1. ie mere (P). 46 1. Merchet (V) st. Rüemet (P). 92 1. lobem. 9S \. brehende (V). 102 \. die. 104 1. r/em (V). 113 1. Diu. 114 1. Ei7iez ist des andern nein (V). 129 I. Zöuget. 147 1. dne schulde (V). 152 str. komma. 201 I. hbes dm di. so viel

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE 251

als dme ante, visierung (vgl. Mhd. wb. i 29). 203 Barisch list an, (loch i!^t mir das zweifelhaft. 208 Bartsch list s/c/j (V); allerdings verdient V celeris paribus den Vorzug *; hier aber scheint mir P mit sie das bessere zu bieten. 214 es ist nicht gut, mit Bartsch habent für das haben der hss. einzusetzen, da diese zeile ganz pa- rallel mit der vorhergehnden einen wünsch enthält. 216 ebenso ist nicht, wie Bartsch will, das Tuot in Tiiots zu erweitern, da unter m der vrnm verstanden ist und schi)i tnon auch mit dem accusativ construiert wird, eher möchte man in Tnon ändern, um im conjunctiv zu bleiben. 238 1. Wol in icart n)it den hss. 244 1. vil (V) st. wil. 262 I. geicarheü (conjectur Jelli-

ni'ks). 264 I. Dös er an der werUh schänden lemer wurde ge- meilet, Ah im daz zit erteilet, Dar inne er geboren was{\). 272 1. Swie (V) st. Und; davor punct st. komma. will man wie Scholl mit P lesen, so muss punct nach ringent. 289 1. Vor alr der toerlde nach den hss. 310 1. Wan danne der suniien strdm In diu zwineline gel Und ir zU dar inne stet: Artus heil von schul- den het (V). 336 und 37 sind umzustellen, nach 335 punct zu setzen, 338 mit Krüger des he't er alles Überkraft zu lesen. 386 I. der Waloise kraft. 451 1. Er was des dick e vröuden bar, er kränkte sich eher darüber, dass man ihn nicht aufsuchte, als dass er sich beklagt hätte, dass er zu viel gaste habe. 456 I. Daz er sie deine bewiget (V). 486 I. in daz laut V, denn es ist das eigene land des Artus in gegensatz gestellt zu den fremden län- dern; in diese sendet er die boten, in jenes (\\e garzüne; nur so gibt das anderthalben 483 sinn, auch würde es sich empfehlen, nach ende komma zu setzen, nach riefen punct und 487 und 488 umzustellen, wodurch man die zwei hof hinter einander vermiede. 500 Gewcefen oder Gonfen = Koiphen (worauf P führt) aus elfeubein ist unwahrscheinlich; dem sinn entspräche am besten Gereite. 507 ist lache, diu sehr auffallend, doch nach 536 und 521, wo V ebenfalls diu hat, wol beizubehalten. 522 komma vor 523, das von sande abhängig ist, vgl. 539. 552. 528 komma nach lac 547 komma vor 548, das von geworht abhängig ist. 574 I. in daz castel (V). 579 I. Ez wäre nach den hss., da die negation hier fehlen darf. 589 1. Uiid (V) st. Ouch (P), ebenso 597 st. Ouch der, 707 st. Ouch manec. 624 l. Irlander (nach Yllande V). 647 1. solde

* die fälle, in denen F nur aus diesem gründe vorzuziehen ist, habe ich natürlich im folgenden nicht vermerkt.

252 TEXTKRITISCHES ZLH KRONE

(V), als gespräclislliema wahrscheinlicher als das unbeslimmte golde. 682 mt, das Seh. in der annierkiing nicht versieht, ist das adverh, s. Lexer ii 107. 1395 1. .^it maniger bankenie

nach den hss. ; auf hankenie weisen die hss. hier wie 1171. 20363. 25876. 29163, ebenso hat die hs. iM. des Tristan 12, 12 (Mafsmaun) banegtde; wir sind also nicht berechtigt zu andern. 698 742 dieser abschnitt ist mit V hinter den folgenden zu stellen (denn sie müssen doch wol die wallen vor dem kämpf bekommen haben) und 780 mit V zu streichen, der dadurch entstehnde dreireim 777 79 matzouwen : blouwen : schomcen ist wol etwas auffallend, da blouwen für binwen 3 plur. praet. slehn muss, doch steht diese form auch in der Vorauer Genesis und im Servatius (Lexer i 310. NVeinhold Rair. gr. § 269). 708 1. an den rinc (V). 712 I. ir ietweders tücke (V), da gesagt werden soll, der saal sei so gebaut gewesen, dass man sowol die von der Stadt ins feld, als die vom fehle gegen die sladt reitenden sehen konnte. 729 streiche golde mit V. 731 1. chro pi er e V (Lexer I 1093). 732 1. Wdfenroc nnd Crinale nach den hss. 743 1. scharroten V (Lexer ii 668). 823 danach komma zu setzen, nach 824 punct, nach 826 der striclipunct zu streichen, nach 827 punct zu setzen. 847 1. Under diu. 874 1. Under dirre Stecher schar, da die form sticher, die V bietet, kaum dem dialecle H.s gemäfs ist (vgl. Lexer II 1154); s. u. 7882. 872 danach komma und nach 876 punct zu setzen. 901 es ist nicht mit Keller Von in Vor zu bessern; denn es sind eben die trauen, die ihm die bürde aufladen. 937 danach punct. 943 1. Daz ein ritter wcere Erbeizet vor dem sal{\); dreihebig stumpfe verse auch sonst (zb. 905). 948 es ist wol zu lesen der schein des libes Sterke kranc mit benutzung von P starck kräng, das unsinnige rauch in V wird sich erklären durch zusammenschreibung der worte, wobei dann ein k getilgt wurde; dann erweist sich auch das zwischen den Worten stehnde vnd als eingeschoben; vgl. auch Mantel 486 ff die entsprechende Schilderung: Er was schoene unde laue, Dd mitten dünne unde kranc, Anders gröz unde starc. 957 1. sin gesiun [gesiehen P antlietze V). 960 1. erwahsen nach den hss. wie 990, vgl. Gregorius 3424 (Paul = 3254 Lachmann) der arme was ze wäre erwahsen von dem hdre. 976 1. isenvar {S). 983 1. merphossen (V), dessen zweiten teil man wol als enlstcllung von phoca aullassen muss, da mer- vlozzen (Scholl nach P) keinen sinn noch reim gibt.

TEXTKRITISCHES ZUR KROiNE 253

1025 I. mcBie st. mer. 261V E (V) miiez ab mvier bete schal Mir bringen stoitez ende {Deswär der missewende Kau ich an bete wol enbern), Daz ich ihtes welle gern etc. 49 komma dar- nach, tia 1050 von verkeren abhängt. 84 1. vohoerdes. 931' I. liste: In vil langer vriste{\). 114 I. diu feiture. 121 1- habent. 132 i. So er valschez herze ougent in näherem anschluss an V, er ist nämlich der becher. 133 1. valsches. 136 I. Swer st. Swie er. 145 I. geschehe. 230 1. Sölher (V). 249 1. mit staten (P). 267 I. vdrn; auf länge weist auch das o in voren (P). 272 1. tibel rede st. iuwer rede. 284 1. Wan daz iuch ze gdhe habt verkert Nu an dem ende, im anschluss an V 'ihr habt den wein verschüttet durch eine zu schnelle bewpgung'. 1284 das kolon zu tilgen, nach 1285 und 1290 punct, nach 1291 aus- rulungszeicheu zu setzen. 303 danach punct. 311 1. herzen (V). 316 1. irs {ir P ez V). 317 I. schenken. 323 1. an valsche nach den hss. 336 I. vreit (di. vrieie) im anschluss an ver- reit V. 342 Krüger will mit nnheil oder niht mit heil einsetzen ; aber gerade die ironie liegt im character der reden Keis. 356 und 358 I. inr st. ir. 367 1. Unz sich daz claret vergöz (V); das neutrum , das die hs. bietet, ist wol gegen Lexer i 1607 festzuhalten, ebenso 1450. 482 1. wider erste, vgl. 1526. 2524. Mantel 721 (Warnatsch 99). 514 1. von nest (V), wer es vom neste her gewohnt ist. 536 komma nach sunder. 552 1. über- ddht (V), vgl. 509 und öfters, 559 1. goltvazze: Niwan {\) ir schöz nazzel; überschüssiges t im reim auch 1812. 6189. 17265. 19594. 21531. 695 1. Und ist daz (V). 699 I. Ein angel der ze vorn stach, Der nobete sich da bi; V hat der zevar, P da her für. 708 punct st. komma. 725 i. stöuwet (P), da V auch 1779 in gestiurt ändert. 737 1. korder; also entsprechend 1735, wo er aucii ein zwisch, ein doppelter ist, zugleich lock- speise und klobeo. 763 punct st. komma; A. wendet sich an den boten. 778 I. nnvröut (P); 'er kränkte sich wenig über den tadel; dieser brachte ihn vielmehr nur dazu ärger zu schimpfen'. 832 I. eime. 834 I. sprwche (spreche P); punct nach anderswd. 874 kolon st. punct. 878 1. Schemlich; die hss. haben Solch, ihre vorläge etwa Semlich (vgl. Zwierzina Zs. 37,384anm.). 909 1. Vriunde. 946 kolon st. komma; 1947 komma st. punct; 1. iu (V) st. ime; er ist dem sinne nach zu betonen; dieser vers wie 1929 im Widerspruch mit 1899, welche

254 TEXTKRITISCIIES ZUR KRONE

Zeile uol verderbt ist; soll sie nicht geändert, so niuss sie jedes- falls in parentliese gesetzt werden. 979 1. Daz icarl (V). 980fr 1. MVg^ mohte daz ehret sin. Sprach Keii , 'daz man so verzert? Alziir (dl. Aiixene, s. Schulz Hül. leben i' 297(1) iinde Kipperwert (di. die insel Cyperu), Swaz wines dd wirt inne, Und %Oivr der aller hinne, Er würde getrunken schiere.

2092 1. AI den tac. 129 punct darnach. 135 (T 1. Des mühtet ir niht enbern Eines siimberins ode eines stern. Möht ir lihter gnuoc ezzen! 'es schien euch zu viel wein in dem becher zu sein, es wäre euch ein scheiTelnials dazu nülig gewesen, möge es euch mit stillen des hungers leichter gehn als mit dem des durstes'. Sumberin (s. Lexer s. v. sumber ii 1295) schien mir dem sinnlosen lamberien noch am nächsteu zu liegen, ster ist italienisch staro aus sexlariiis und wie es scheint speciell öster- reichisch (Lexer n 1177); einen reim e:ö kennt Heinrich nicht. 149 1. vor (V) St. nach; vgl. 931. 177 1. Kilnt ir baz siechen laben, Des würdet ir wol inne (V). Erec hat den becher rasch hinunlergestiirzt, nun meint Kei, er hätte vorsichtig giel'sen müssen, wie man etwa kranken ein getränk einOöfst. 1S9 1. an den risen brach. 243 1. Do. 245 1. Den win; oder mit V daz in bevilt Der wil. 252 es ist bei sldfet P zu bleiben und nicht mit Seh. in der anmerkuug auf salwet V zu greifen, vgl. 2030. 255 ich mache hier aufmerksam auf das dupple, welches P für erz bietet, was eine Scheidemünze (= 2 lieller) bedeutet, dieselbe welche Lexer i 449 in der form dOpellin aus d. j. 1495 nachweist, da P vom j. 1479 ist, haben wir freilich keine berechtiguug, dem dichter die kenntnis dieser münze zu- zuschreiben; sollte ein älterer beleg sich finden, so würde sich allerdings die lesart empfehlen. 485 1. (Vj st. doch 531 I. zit (V) st. ziere. 599 1. (V). 732 1. Daz ez ein kämpf dahte {Daz er kämpf V Daz es ein köpf P), dh. dass ihre schände durch einen kämpf verdeckt würde. 745 1. mich danket des, danach komma. 746 1. engelte nach den hss. 755 1. dar nmbe (Vg)'. 758 1. dem der (Pg) St. der. 765 1. Man hdt ez doch vür arc (Vg). 772 Str. so (Pg). 776 1. nnder (Vg). 777 1. Swlden (Pg). 778 Str. Wan (Pg). 782 1. aller siner sacke (Pg). 783 1. zuo der (Pg). 789 1. schiede (g). 803 1. Waz touc beiten langer vrist

' g nenne ich ein kleines walirsclieinlich mit Scholls G zusammenge- höriges bruchstück, das Kolb Germania 31,116 mitteilt.

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE 255

(Vg). 806 I. Beide (g). S07 I. Diu rede vil zite henimt (Vg). 840 komma vor von, 2S41 streiche komma , 2842 1. mit rötel (= roetel), darnach komma. 854 tilge komma. 868 tilge komma; denn 2S69 ist nähere bestimmung zu stat. 896 I. Mit dem künige Brieine, Daz tet Bilis der kleine; P hat Brian: klein,

V Brian: klein man. dass Brian durch 2342 gestützt ist, tut niclits zur sache: formen auf -an und -ein können «ol neben einander beslehn. nach dieser stelle ist auch 2341 Bilis V zu lesen. 918 1. sätin (Bech, Germania 24, 144). 940 I. Die alle vinde in tuont vgl. 2975. die ganze stelle 2939 90, die in

V fehlt, scheint mir eingeschoben, der dichter dieses Stückes scheint ein bewohner des Nürnberger sandes, dh. ein Baier so wie Wolfram sich einen Baiern nennt, dasselbe für Heinrich an- zunehmen haben wir keinen grund. man hat dann mit V zu lesen: Niht nach der Österherren Wan sie also gebarten: Hwrt welker sil sie da vdrten.

3076 1. Die. 92 I. Des: 'er solle keinen schaden davon haben'. 158 f I. Brcvch den antheiz Diogeni Von der gelten {güet V P gull G), wa?r (G ward V was P) er dd bi. 112 streiche strichpuuct, setze punct am ende. 257 1. Da mite was ez ver- endet (G); diu rede ist in P aus 3255 genommen, in V fehlt die zeile. 271 die la. P Die wil für Sit gibt einen bessern sinn; freilich ist darauf nicht viel zu geben , da P dies auch sonst für Sit einsetzt. 402 1. ime P. 403 I. nie mere. 451 I. Dar. 472 I. machent. 474 1. Swer, 639 1. Gales sprach: '■ritet ir (di. Kei) Mitten uf die strdzel Anmagxoin ich abe Idze Bi dem vurte üf die {der hss.) sld: Der huote aber da. So rite ich zem alten wege. 773 I. grözer (V). 774 I. iu st. mich (P mir V). 778 komma nach he're, 3779 in klammern. 788 1. starker. 824 streiche So (V). 857 1. einen (P). 872 1. het (V). 877 danach komma. 913 danach punct, nach 3914 komma, ebenso nach 3919. 945 schliefse die klammer nach günne. 94611' 1. luch und iuwer (V) künne, Swaz ir des bekennet, Daz ir mir daz nennet.

4003 wende kann hier kaum, wie Lexer s. v. will, 'ort des Wendens' bedeuten, sondern zeigt wol die bedeutung 'schände' wie in der jJud., Kehr. (1595), Wernhers Maria (167, 3. 189,28) uö. 13 I. ald daz er schier ereite: 'der ritter solle entweder bald kommen, oder ihm heizen lassen'; das verbum des wünschens ist

250 TEXTKHITISCHES ZUR KROiNE

mit IVeiheil aus dem ez was im vil swccre zu ergäuzeu. 27 1. ziio singen, sonst nicht belegt, muss aber wol so viel heifseu als singende zuo rilen. 64 streiclie puoct, ebenso 4065 unil setze ihn statt komma 4066. 70 setze kolou statt komma, umi 4071 konmia oder ausrufungszeichen st. kolon und 1. Recke, edel nnde tiure (V). 217 1. mit den sporn (V). 254 i 1. Dd im also sicinde Velgarwe {vil garbe V felilt P) wcere 'wo ihm so grimmige lellgerbung (durch den Irosl) zu teil würde', das compositum ist wol vom dichter selbst gebildet, darum auch sonst unbelegt. 264 1. wceren. 280 1. ez (P) lur er (V). 330 1. losen. 342 1. Swes; dabei muss unwirden die bedeutung 'zornig werden' haben, die Lixer ii 1988 allerdings nur l'ür unwirdigen nachweist. 363 1. Waz [Was daz die hss.), 06 sie mich stüuwet'l 368 l. alzan (Haupt zu Erec4178). 535 l. iclis {\). 549 setze den punct nach mir und tilge ihn nach sage. 585 I. muoz. 588 1. werde {V). 633 punct danach und komma nach 4634. 646 1. hetet (die zeile fehlt V). 659 1. Wes {Waz P Wie V); komma St. i'ragezeicheii. 660 streiche iht (V). 702 komma st. strich- punct. 724 1. /cÄs. 734 1. (/er/m(/e/i (= glaubeu). 794—802 ist lede des Artus. 969 I. schendlkher {sendelicher P, sched- licher V). 978 1. er (V) st. ez (Pj.

5005 1. in (P) St. mir (V). 61 I. daz ze lasier wände. 141 (■ I. diu gelkh Sam sie wol (V) müede wieren : gebceren. 207 t' 1. Ziio dem nnnen (nach den hss.): mit dem sinen (V). 211 1. hdnt (V). 258 f 1. Wir sin gegangen ode {unde die hss.) ge- rilen, Wir waren ritter oder kneht, Von iu ist ez unreht , Daz wir iwer gespölte sin. 276 ende der rede Aumagwins. 296 l. vergebet. 299 l. irz. 300 1. iuch. 301 1. erzöugen (s. o. zu 129). 314 kouHiia st. stricbpuuct. 367 1. Noirespine. 401 I. varnt; I. enwage, ebenso 26346 (Lexer i 602). 415 I. hönzügen. '^i^ \. niene {meinen S nimer?). 462 1. s?^. 561 I. Ezn. 584 1. sich des zinses (nach den hss.). 587 I. Enfin, s. 9987. 9995. 10088. 680 I. slief {\\ sonst noch bei Mich. Behaim belegt (Lexer 11 1189). 791 näher gibt keinen rechten sinn, mau erwartet im gegeuteil verre oder danne. 930 das schwache verbum treiben ist bei Lexer 11 1502 nachzutragen; er kennt nur das compositum durchtreiben, das er aus Jeroschin be- legt. 963 1. müez. 992 1. Lohnis{\).

6057 1. Ez vertreit {P) nnde richet. 138 l. Eines her{V}

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE 257

sint leider zwen, vgl. Iwein 4328. 5350. 6636. 189 es ist wol zu lesen seilet '. ze dirre arbeite (V), vgl. 1812. 196 Iragezeiclien St. slrichpunct. 199 1. ab niht gesagen. 227 1. arebeite (V). 238 punct St. komma. 240 komtiia st. punct. 245 1. Swd. 305 Str. ein (V). 332 1. Daz (uach den hss.) ich tu niene (die hss. haben nimer; vgl. 5416) schol: was ich euch nicht schuldig bin. 346 I. Gameranz her keret, s. die lesart von V. 355 str. komma. 369 1. vollen. 380 1. Des gestet (P) mir (V) her Wolfram. 431 1. Umb slnen bruoder, vgl. die lesart von P. 513 1. hersnier st. herze. 553 1. herzelicher. 576 1. daz ecke, vgl. 15512. 630 I. gesioichen, vgl. 8584. 9311. 11946. 632 1. nöte St. V071 not, vgl. lesart V. 660 t' 1. wceren : beicceren. 684 1. striche. 735 1. gewart. 803 1. icil (V). 805 1. sprichet (V). 816 1. Weder die boume, vgl. 6789(1; von blumen war nicht die rede. 845 setze punct nach geschorn und 1. Wolle lüter, üzerkorn, Da hdte borkleinen wert, Wan sie hete gunert Vil harte sinen Hehlen schin. 889 f 1. als von sne Ein leise. 913 1. brwhte : verdcehte. 959 1. Ein stat (V). 994. str. hol (V).

7019 Str. er und den punct nach heln. 121 1. vil (V) st. ein. 12S \. in aller {\) sl. an allen. 234 1. emem. 274 komma sl. punct. 2^2 \. mittellkhe (mettelische Y mittelmaezege V). 343 \.vol{\). 471 1. 6e?7e (==zOgerung). ASil Daz. b21 \. scplden; komma st. slrichpunct, hingegen 528 slrichpunct st. komma. 535 punct st. komma, 537 komma st. punct. 556 1. Daz erzen so verlenge (VVackernagel hei Lexer ( 705). 564 1. verwertet (Lexer ni 287). 623 punct st. komma. 624 1. Dem (P Den V) gotes (V guots P) herte (herteji V beschert den P) Idtenl 'überlasst ihn golles erdel' gedanke der nächsten zeile. 652 1. gnolem. 695 1. niuwiu {niwen V niuwe 1*). 724 IT 1. Dar under was ein sarantel {ßlivar, mit golde erweben, Der vedern glich an eben [= an gleich- mäfsigkeit; an eneben P enneben\]) Läzen [icas lazen die hss.] under ein surcot. 882 es ist wol stiker hier nichts anderes als sonst = stechccre, turnierer (s. o. 874); vergleiche des minnespiels mit dem kample sind ja auch sonst häufig, so auch 8808 IT. 960 Daz sie sich da mit vriste (V). 963 1. wcer (V) st. wart (P). 976 I. Stein dd.

8004 1. Als ie gewizzen {Als die gewissen die hss.) künden 'wie immer kluge leute zu tun verstanden'. 83 und 85 1. ez V St. in P, denn es ist von dem vederspil die rede, hingegen ist Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 17

258 TEXTKRITISCHES ZLR KROiNE

er 8084 der vogel. 137 1. nach den hss. Voti bahem ein vil witez glas, denn nihd, steht oft voti, wo wir 'voll von' setzen müssen, vgl, ülr. vdTürl. ccviii 6 vil richer pfelle . . . von riehen herlen; ccLiv 24 von golde uyid silber manic vaz. 144 \. ein st. min. 172 komma st. strichpuncf. 195 1. büege (= achseln). 280 1. ceraunius (Schade Altd. wb. ii 1372''). 284 1. vor (aao.). 355 Str. piinct. 368 I. ringer {V) sL sneller. 416 1. vand st. nnd. 467 I. an den (V). 503 1. Daz in ir gerou (Daz er ir gerett P Daz er lac V; dieses lac wol aus klagt). 531 1. vol. 534

1. noch; denn nach = später ist nicht wahrscheinlich. 560 ist wol zu lesen Wan Gawein sol stceter ioesen. 605 streiche mir. 700 1. bdren. 755 und 763 1. Dd mit man. 765 Scholls anmerkuug ist falsch; gemeint ist 'wäre ein vvirtshaus in der nähe (wo er gegen geld speise und trank bekäme), er bliebe nicht länger in dem ungastlichen kreise'. 776 1. frinnde {frilde V vröude?); dadurch wird Sch.s erklärung hinfällig. 779 I. nach den hss. Des gesellen und des lierren, als apposition zu zweir dinge 8777. 893 1. die wert (s. Kehr. 15373) st. daz swert. 978 I. in in (V). 979 1. Swd.

9162 I. Dd was ez einem hunde Vorne an den zehen (P) ge- lich; Binden was ez heillich {illich V eislich P), Blöz sam eines nlannes lieh; denn es handelt sich nicht um ein vierfüfsiges lier, sondern um einen zweibeinigen Wassermann (s. 9257); auch gibt eislich, das Seh. nach P einsetzt, keinen sinn; man könnte an einlich denken, aber das ist auch der fufsballen eines huudes; heillich wäre = hoßllich, das allerdings nur in der bedeulung 'ver- borgen' bei Lexer i 1149 nachgewiesen ist, hier aber zu hmle 'glatt' gehören miisle; heil für hcele belegt Lexer ib. 1 148, Schmeller- Frommann i 1073 nur aus dem Ring, doch ist es in Wien (und wol in ganz Österreich) durchgängig gebraucht, freilich mir nur bekannt zur bezeichnung der glätte des erdbodeus wie im Ring; doch vgl. die von Lexer aao. angeführte stelle aus der Martina sine cldwen wdren hcele. es ist dann synonym zu dem folgenden blöz als gegensatz zu ruch. will man das nicht annehmen, so muss man irgend ein blöz bestimmendes adverb (die apokope ist bei Heinrich gut möglich) einsetzen, etwa endelich. 345 es ist wol niener zu lesen wie in der gleichen zeile 19686. 438 1. vluot wegen 9448. 598 mau sollte nicht, wie Seh. meint, conjuuctiv erwarten; vielmehr ist der satz in parenthese zu setzen, da er

TEXTKRITISCUES ZUR KRONE 259

erklären soll, wieso sich die geraubte wider bei ihrem bruder befindet: der rauher hat sie vorläufig zurückgestellt. QAO \. rite. 689 I. Ir kämphe {In kämph V In dem kämpf P), davor koinma zu setzen.

10105 1. widerseit. 199 I. Dd nach den hss. 202 I. Sin. 249 komma st. punct. 320 I. kämpfte {kante V bekempfen P). 461 geninge ist appellaliv, von in mit zu ändern würde ich nicht wagen. 511 ist vielleicht wdfenkleit einzusetzen, da von dem eigentlichen wappen erst 10542 ff die rede ist. 526 I. durch ein herze. 557 I. enwage (Lexer s. v.). 594 komma st. punct. 596 punct St. komma. 605 1. Daz sol P. 612 I. An (vgl. 10591 t). 641 komma st. punct. 642 I. Sit st. Die wile, s. 0. 3271 ; 1. disse (Lexer ni 1 180). 876 1. der triuioe. 879 1. Dd man {Das man? Dain\). 880 1. valschez. 920 vgl. 11591, wo eine person der leide gart 'der zum schmerze treibende Stachel' genannt wird.

11126 Daz gehört vielmehr zum vorhergehnden 'sie bat ihn, ohne dass er ihr antwort gegeben hätte', es ist also davor komma zu setzen, die parenthese 11130 zu streichen und nach dicke punct zu setzen, über daz = 'ohne dass' s. DWb. ii 816. 367 I. wizz. 539 Str. striclipuuct. 581 Adriachnes kaum = Ariadne (Scholl und Reifsenberger), vielmehr lUr Trachinies, di. Dejanira, dieselbe ist auch 1 1588 unter Deidamia gemeint, wie Martin Zur Gralsage 21 fast alle citate H.s aus dem classischen altertum (mit ausnähme von 1542) richtig finden kann, begreife ich nicht, 700 1. ir {in P im V). 703 1. rite : bite nach den hss. 734 gotes gndden ist vocativ pluralis, nicht daliv wie Seh. vermutet. 748 I. Her Gawein den walt für sich {G. d. w. her sieht P G. her d. w. sich V). 781 1. an. 789 1. Und. 848 punct st. konuna, 851 und 52 tilge die parenlhesen, 855 I. waz. 875 1. milde, auf freigebige weise, der reim -en : -e auch sonst. 881 1. kern (Lexer i 1555). 887 I. Het (V). 982 I. tonmes {chumbers V wans P), vgl. 6682. 9321. 12167.

12033 I. nach minem wdne (P). 46 tilge strichpunct vor Wa7i und setze danach kolon st. komma. 87 'dass es niemals als volle bezahlung zur erwerbung von lob angesehen werden würde' eine änderung, wie Seh. sie will, ist durchaus unnötig. 155 I. Karliün. 214 I. sus {svez V so P). (282 von hier an nur die 6ine hs. P erhalten !) 299 I. der selbe. 365 I. Ich het

17*

260 TEXTKRITISCHES ZUR KRONE

mich e zerizzeti Ldn an minem libe gar (nach der lis.) 'ich hätte mich eher so zerfetzt, ohne ärztliche hilCe, sein lassen'. 368 I. diu gelnbede nach der hs. 369 1. Die ir mir, fronwe, habet getdn nach der hs., vgl. 12360. 378 I. hielte : wielte nach der hs. 379 ]. vol. A\G ]. schnoben (\on schaben). 462 \. vol. 467 \. Als ez im gesaget hdt diu meit zöge ich Scholls Änderung vor. 513 I. Montpailliere (Martin Zur Gralsage 21), vgl. Monpillier in Sachsen- heims SIeiger (Altswert 238, 14. 244, 14) ; Munpalier Ammeuhausen 5865. 15400. es ist daher nicht nülig, mit Wackernagel aum. z. a. Heinr. 175 Mnnpasiliere auch hier einzusetzen. Munpaslier auch Rennewart Wiener hs. 2670 lol. 342^ 514 1. diele. 516 1. Diu sie twüngen noch entriben. 528 I. Daz iht ir nalure Distempierte da von (Lexer I 441). 548 Karidohrebaz hat keinen sinn: ich vermute Und mit im Karlins tohter (dohter) az di. Ginover, vgl. 11048; wahrscheinlich sind aber dann auch die reimworte zu vertauschen, hier saz und in der früheren zeile az zu lesen. 557 streiche niht nach der hs., denn er gesteht ja seine lüge ein 12569. 558 I. einen vrist nach der hs., s. Mhd. wb. iii 408^ 631 da- nach fehlt ein vers. 639 über wd nach verbcn des wahrnehmens = wie, was Seh. nicht kennt, s. iMhd. wb. m 517% Lexer in 621. 659 1. ndwe. 666 1. trüre. 724 1. küssent mich, vgl. 12730. 730 1. enwert. 733 in parenlhese. 843 1. Noch barken noch varn, vgl. 9142. 883 I. Den nam man mir ze Änsgiai, was gleich Ansginre 6909 sein muss. 990 1. dd mcBre {darnare die hs.). 13527 I. habent. 537 I. icurme : Nu du aber disem stürme So vür hast gekeret. 541 blouwec hier und das blüioec Rite- rolf 4151 sieht Lexer i 313 als die altern formen für blüc, bliuc an , was aber unmöglich ist wegen der allhd. und aisl. formen (GralT in 247. Cleasby-Vigfusson 09. 71). man muss daher au beiden stellen entweder ein besonderes wort annehmen oder ändern. 546 den ritter, wie die hs. hat, ist wol möglich durch attracliou an erslagen. 637 streiche komma und setze es nach fron Minne. 677 1. an den mül nach der hs. 686 die letzten Zeilen des abschuittes sind verderbt, etwa: Unz sie kamen über die brücken [Waz moht ez vür getragen, Soll ich mere dd von sagenl) Gein Karidol in drin tagen. 748 1. Swie; derartige fehler werden im verlaufe immer häutiger: ich stelle hier zusammen, was mir in dieser art aufgefallen ist: 14016 1. Swie, 15088 Swelher, 15129 swaz, 15258 swd, 15410 Swer, 15582 swaz, 15641 1. Wie und

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE 261

setze komnia nach wiz; 1(3248 1. swaz, 16319 Swelhez, 16326 stoelh, 16347 Stete, 16418 1. Swie und komnia st. ausiufuogs- zeichen, 16674. 16906 1. Swie st. Und tcie, 18075 I. Swie, 19082 Sioie, 19219 swaz, 19508 Swie, 19874. 19889 5m?«', 20057. 20282 Swie, 20577 5tce/Äer, 24058 stod, 24081 wes, 25240. 27669 SxDuz, 27682 5M)a, 28836 sjcas, 28888 swie, 29403 swrf. 815 Str. dirre. 865 1. varnder nacli der lis. 886 1. dem. 943 1. er st. ez. 971 absatz. der vers ist verderbt: vielleicht komen zu streichen und an das folgende anzuschliefsen.

14018 1. Wan st. Anders denn. 47 str. tccer; wunder ist adjecliv. 63 punct nach Tot, 65 str. strichpunct. 80 komma St. strichpunct, 81 punct st. komma. 729 slr. die paren- thesen, 731 punct st. komma, 733 komma st. kolou. 790 1. minner \ die vorläge von P hatte wol ninder, woraus P dann niergenl machte. 839 1. Wdnes. 914 1. Des tomces. 974 1. zuo dem eide, vgl. 9039; er lebt später noch 15001 IT. 983 I. Von der st. Dd von.

15100 1. wart im verzigen. 141 I. alblöz, s. 15128. 245 1. Dd in ver Scelde ir swesler loorht, s. 14997. 293 1. dd zou- bers vdrt. 304 1. dem st. einem. 318 slr. lange. 334 ab- satz, ebenso 15426. 16075. 16758. 19177. 20815. 22384. 24898. 28294. 406 1. er nach der hs., da Heinrich im Mantel diese lorm im reim hat. vielleicht ist dies auch v. 183 einzusetzen, wo man mit Rartsch zu lesen hat E (resp. Er) und sit in tugende Site; 1. imbiz. 407 1. solih sl. scelec, ebenso 21467 und sölker st. sceleger 21357. 21632. 412 str. also. 430 1. min st. ein. 435 komma st. strichpunct, 436 strichpunct st. komma. 464 1. tcele nach der hs. , 465 1. die rcete. 518 I. daz ir iegelich erbrdhte, jeder verfolgte das leben des andern und (nun 'verfolgen' in wörllicher bedeutung genommen) hätte es gern eingeholt, vor den richler gebracht. 526 Scholl beruft sich mit recht für seine besserung des btirchten der hs. in burten auf Ivveio 7080; es muss dann wol aber auch wie dort sancten sl. icancten gelesen werden. 529 1. Enwuocher und tilge den strichpunct davor. 538 1. dem andern touc. 542 1. Und in (di. unter ihuen) st. Und nie. 547 1. Der keiner st. Einer {Dirre einer die lis.). 572 1. teert. 583 komma st. kolon, 584 in parenthesen. 635 1. loike st. liste. 639 streiche die parenthesen, setze punct nach vür wdr, \. müez St. muoz. 658 1. riet st. geraten hdt. 674 1. mit berillen.

262 TEXTKRITISCHES ZUR KRONE

675 1. lecke (Lexer i 1850). 677 1. vil sl. tcol, hier und Öfters. 681 mdze versieh ich nicht; es muss ein wort sein, das gleich- bedeutend ist mit lecke (15675. 89) und ztle (15687. 91. 93); auch mdsen oder vasen würde sich nur gezwungen dieser hedeutung lügen ; icli denke an meise, das (mit tönendem s) Schmelier-From- mann i 1664 in der hedeutung 'schnitte' (buttermaisen, lionig- maiseu) gibt, das aber wol auch die i)edeutung 'kerbe, canellie- rung' (vgl. meiz bei Lexer i 2090) haben kann; es wäre eine ?Äd-ableitung zu maitan. im reime wäre dann crisopreise oder viel- leicht besser crisopeise zu lesen, di. crisopasioti (Schade Altd. wb. 11 1381). 688 1. von Assiren, s. den namen einer jaspisarl aa- ovQtog als Variante zu aozQiog bei Dioscorides (Schade aao. 1358). 697 1. türkis : rubh(l). 712 zu streichen. 721 cerdun st. Seravin (s. o. bemerkung zu 8281 und cerduns Parz. 791, 6). 741 1. gen ir liehtem schin; das an ist aus der folgenden zeile heraufgekommen. 815 1. gewizzen. 830 winster gibt hier gar keinen sinn, da der wind ja ebensowol günstig als ungünstig ist; es ist also entweder zu streichen (vorausgenommen aus 15844) oder dafür etwa swinder einzusetzen oder umzustellen von ir winster wdt ein wint. 902 1. Dineni. 952 1. und niht war im (?). 956 1. Watit. 992 1. überkraft.

16020 1. gehei, danach Daz sl. Diu; von dem gesdirei ist erst im nächsten abschnitt die rede. 211. wassen (Lexer in 707); ein waz = an. hwatr anzusetzen auf das zeugnis dieser hs. hin, die öfters s und z verwechselt, ist unzulässig. 22 1. noch st. nach, so wie 13307. 26340 und umgekehrt 25405. 289 der ausrui, den Scholl und auch Haupt Zs. 15, 263 hier erkennen, scheint mir keinen rechten sinn zu geben; es ist, glaube ich, die in der zu ändern, und al der werlt ein zage bedeutet dann einen allerweltsfeigling (vgl. DWb. i 229), ein verstärktes werltzage, diet- zage. von diesem satze ist durch eine merkwürdige construction 16284 abhängig: auch ein feigling hätte sie gerochen, um wie viel mehr der tapfere Gawein: wan daz ez ime verboten was. 316 komma st. strichpunct, 317 punct nach gewin. 324 1. singellch (gebildet wie singrüene, sinhol) durchaus gleich. 34G komma st. strichpunct. 347 f I. dd von : gedon. 362 I. mües. 372 punct st. komma, 373 komma st. punct. 538 1. Von diu st. Nu des (der fehler teilweise durch das vorhergehnde des veran- lasst); 1. sin ungevüer. 566 I. Aamanz an Zedoech , das voraus-

TEXTKRITISCHES ZUR KRO^E 263

gelinde an hat den fehler veranlasst. 678 die anmerkiing zu der stelle wie die Inhaltsangabe s, xxxii 'da bieten sich an seiner statt Gigamec und Zedoech Gawein als vasallen an' zeigt, dass Scholl die stelle durchaus nicht verstanden hat. es ist ganz ein- fach : Gawein hat Aamanz überwunden, der sich nun weigert, Sicher- heit zu geben, die beiden andern kommen und bitten, ihnen das gewisse recht auf die ergebung des andern, das G. durch seinen sieg erworben hat, zu übertragen, indem sie zum entgelt niann- schaft geloben. G. nimmt ihr erbieten an. 689 1. Waz. 780 I. in st. IM. 922 1. not, danach punct; 923 streiche strichpunct, 924 punct nach sage, 925 streiche strichpunct. 932 1. Inwelicher stimme, vgl. 17119. 933 i. dis nach der hs. 960 I. ein her (= exercitus).

17125 streiche und. 172 1. Daz den der tot niht enschert CLexerii710). 292 1. daz st. waz. 293 1. dem. 374 1. Hie iif was gedozzen; die nSchste zeile Het uf was geslozzen bietet uns eigentlich nur das r^eimwort, denn alles vorhergehnde ist offenbar aus der vorigen zeile heruntergekommen, sodass wir kaum herstellen können. 383 1. die st. bi. 430 str. strichpunct, setze punct nach 431, 1. 432 siez st. sie, 433 haven = 'kochtopf mit Scholl; 434 würde ich dann gegen Zs. 37, 245 anm. 2 seiten beibehalten. 462 1. Da ich e die rede liez, danach komma st. kolon, davor punct st. komma. 599 1. Sempite Briin. 638 davor fehlt eine zeile. 654 Beidiu kann nicht auf diese weise nachgestellt werden , es ist daher etwas zu ergänzen, etwa Beidiu anger unde trat, vgl. 22263. 860 streiche Und verheeren. 894 und 944 1. Flnrsensephin (di. fleur sans 6pine) wie 18609. 23970. 929 streiche sich. 949 1. Waz. 967 1. dhtcere. 991 1. Er st. £z; 1. die rede, dies hat wie bei Heinrich häufig die allgemeine bedeutung 'sache'.

18045 I. Poidas, vgl. 90. 49 I. Melde, vgl. 81. 292. 309. 69 I. hamit. 118 1. Dar umhe ich niht verlieze, Daz ich der namen niht enseit, denn die reime e : en kommen auch sonst bei Heinrich vor, dass er aber die bindung s: z nicht kennt, liat schon Pfeiffer Freie forschung s. 120 nachgewiesen. 130 davor müssen mehrere Zeilen fehlen, da im folgenden nicht mehr von den beiden 18127 genannten die rede ist, sondern von andern beiden; denn das einhorn führt 18307 Marmoret. 274 es handelt sich um einen mann aus des von Aram gefolge, vgl. 1S161. 18174. 18260,

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dadurch wird die erklärung Lexers in 416 hinPdllig: es sind die ^reit'enflUgel im wappen Fiers von Aramls. 438 I. Laamez, s. 18052. 18098. 453 1. Arabis ebenso wie 18236 wegen 18046. 18379. 461 1. Gert. 496 str. Und loelhen er ergreif und setze punct voriier nach tjostiure. 529 Die vlüge, di. die mannen Fiers, s. 0. 535 1. rdmten. 549 I. den. 628 I. ir st. sin. 635 1. A'dcA ezzen Widerrede geschach. 654 1. vol. 773 I. belibet. 808 des selben di. von samit. 971 I. manegen.

19053 i. vol (Substantiv = 'liilie'). 66 1. wip : minnec- Hchen lip. 73 Wände, das Scholl st. Die wile einsetzen will, gäbe entschieden schlechtem sinn. 188 die bedeulung 'loch', die Lexer i 743 und Reilsenberger hier dem worle gat geben, ist mir nicht wahrscheinlich; viel eher glaube ich, dass es apo- kopiert l'ür gate steht (was bei Heinrich erlaubt ist) und die zeile so viel heilst, wie daz ist mordes genöz 'das ist so viel wie ein mord'. 225 I. zerriben, vgl. 15126. 231 I. An in. 275 1. würden endöst, s. doBsen = zerstören Lexer i 455. 452 ohne besonderes gewicht darauf zu legen, will ich doch auf die Übereinstimmung dieses verses mit Parzival 525, 22 aufmerksam machen, da sie im verein mit andern gründen etwas beitragen könnte zur lösung der frage, ob Heinrich mehr als die 6 ersten bücher des Parzival gekannt hat. 616 1. Wanez oder Wdnes.

634 1. besouf, die beiden vorhergehnden Zeilen sind umzustellen.

635 gelest, das Scholl nirgend zu finden erklärt, hätte er in der Krone selbst 4660 linden können ; sonst freilich scheint es nirgend belegt. 643 1. ernouwet, verengt, ein wol ad hoc gebildetes wort. 662 1. Diu. 686 gelanc heifst die krümmung, biegung des haares, ebenso wie 9345; unter dl ist dann natürlich 'die ahle' zu verstehn. 725 1. Ein krümbe nach der hs. 761 haie, das Scholl und Lexer nicht verstehn, ist das ahd. harra , hara (Graffiv982. Schmeller-Frommann i 1145) = cilicium. 764 1. tinnutz. 822 I. zadel 827 I. wolves zant : gebrant (Lexer I 759). 852 1. angehuof, vgl. 'die hueffe (eines reitpferdes) sollen hoch und nicht hohl sein, auch nicht schmal wie an den eselu, sondern fein breit und rund' (DWb. iv 2, 1806). 920 verhel, das Scholl nicht versteht, ist natürlich conjunctiv.

20007 I. schantlichen slac. 13 1. meinlceten. 36 1. im. 46 1. die höchvart. 62 1. Daz er manic dinc liep hat, Daz er vor zeiner missetdt Hat, niwan durch nnrdl ; hier muss missetdt

TEXTKRJTISCHES ZUR KRONE 265

also die concrele bedeutUDg 'niisgeschüpt' haben. 320 I. an den. 451 1. do/f (?). 527 1. Mancipicelte. G47 1. immer. 732 1. mit in. 819 1. Nu enhele. 87 G I. iu. 881 1. doch arebeit. 932 1. De7i schilt vorne er nider lie. 967 1. Orchades. 985 1. Oitch moht es in vil wol gezemen, Desicdre moht es ouch wol sie; Wan ez kein schände undervie.

21087 1. hinz daz, es ist diese vorvviegeud mitteldeutsche construclion bei Heinrich nicht vereinzelt (vgl, Reifsenberger 27.29). 110 1. Got St. Helt oder schalte got 111 nach mis ein. 120 1. An und streiche den strichpuncl davor. 140 vielleicht So cldr ist ir unde S7ial, um eine beziehung für von ime zu gewinnen; das smal kann leicht durch das vorhergehnde wite veranlasst sein, freilich können aiich einfach verse fehlen. 154 ist der nach- satz zum vorhergehnden, daher die parenthesen zu tilgen; mcere heifst natürlich durchaus nicht 'heilsam', wie Seh. vermutet, son- dern 'angenehm, willkommen'. 348 1. Anders moht dar in niht sin Denn der (nach der hs.) schoenen bluomen schin. 364 1, müewe (NVGrimms conjectur In soihe ritowe bringen entfernt sich zu weit). 419 1. ahte : bedahte (Krüger), streiche den punct nach letzterem und setze ihn nach zorn. 431 unstveteclichen ist jedesfalls falsch, durch das folgende mit stcete veranlasst. 434 komma st. punct. 447 1. Ml harte tiure veilet. 456 schielen list Krüger; doch vgl. Haupt zu Erec 9117. 518 I. habent. 599 etwa Swer sin wolte wennen Mit minnen mich erkennen. 649 I. an den. 658 1. Unz ich dem kämpfe nah. hie bi Ist ez, daz wir beide hdn Gelobet, nf solhen todn, Daz ich iuch dd ze rehte beste. 700 1. der erne, vgl. 28799. 736 1. verdaht. 900 1. Allen disen st. Disen alten. 928 str. ein ir. 990 1. diu mere St. der mcere.

23064 der sinn, den Scholl nicht versteht, ist: 'früher ver- unstaltete, verderbte ihre slirne eine böser zustand, der in rauh- heil und faltigkeit bestand'. 301 1. und mit munde. 411 die folgenden abschnitte sind umzustellen und zwar 437 49 vor 411. 414 1. Daz St. Do. 669 1. Dan ander ieman an in. 806 1. im. 831 1. So wcBrez niht wol verborn. 849 1. /?(. 956 1. Dd dn guot verwizzen wart, freudiges lachen wurde da zu einem zeichen schlechten Verstandes.

23018 1. Waz ob. 20 1. Mit der. 156 1. er st. er, im gegensatz zu schände 23159. 312 1. Jach sie. 415 1. es in

266 TEXTKHITISCHES ZUR KHONE

st, ez. 464 1. Ez ist vil harte swinde, Sprecht ir, wal geroumet. 632 I. marhte. 711 I. er st. man, die vorläge hatte wol der man. 721 1. Dem doch niht was ze muote des. 921 1. Diser. 923 wider mich ist iinvvahrscheiDlicIi, denn Kei will ja eben sagen, dass sie gegen jedermann entgegenkommend sei; ich vermute da- her etwa widerwic. 936 I. verzagen.

34024 1. Diss. 26 bewarte ist hier wie 24005 praeleritum wol zu bewern, das bei Lexer fehlt, aber 'bekleiden' bedeutet und zu tcern resp. werren (Lexer in 785) = got. vasjan gehört. 28 1. er sie bare. 30 1. Swie, setze komma an stelle des vorhergehn- den strichpunctes und kolon st. komma nach wcßre. 32 1. daz hinder teil. 40 die richtige deutung des gephahtet gibt Lexer ii 223 doch etwas zu abstracl, es ist das obrigkeitliche aichen von mafsen etc. (s. ib. 234 phehten, Schmeller-Fr. i 418. 687. Schweiz, idiot. i 660. 726). 54 1. aht. 60 1. so wol gestinret. 71 1. Daz er wcer sin unwendic. 88 die deuiung, die Seemüller Anz. x 197 f gibt, indem er das an Lanzelet lasst als 'um Lanzelets willen', scheint mir nicht möglich, an Lan- zelet heifst sicher nichts anderes als an dem köpfe und an dem mandel 23505 und ist sonach Lanzelet als der tilel jenes irühern gedichtes anzusehen. 94 1. ander mcere (VVarnalsch); See- müller hat in seiner polemik gegen diese besserung übersehen, dass sie sich auf die hs., die an der mere bietet stützt. 95 die änderuug des Unde in Wa/ide (Warnatsch) scheint mir nicht nötig; der dichter fährt mit Unde fort, als ob er nicht durch ir amis geschrieben hätte, sondern wände ir amis was. 105 1. mit väre {mit waren die hs.). 108 es scheint mir aus dieser stelle durch- aus nicht zu folgen, wie Warnatsch meint, dass bei der manlel- probe im früheren gedieht, der Wahrheit entgegen , Janphie den sieg davon getragen habe, da es nicht wahrscheinlich ist, dass der dichter sich selbst so direct lügen strafe; vielmehr nur, dass er sie daselbst übergangen habe. 135 l. Ein ander unde (Substan- tiv). 161 1. der minnen brüel, vgl. 11726; vielleicht ist dann auch heide st. gejeide im folgenden zu lesen. 164 sich vurten, dh. ihre filfse verwandeln sich in eine vtirt durch die darüber gehnden ilnden 24140. 174 1. Obe aber er sin. 177 1. biuge: liuge, da es sich nicht um den buoc di. das hüftgelenk, sondern nur um die kniebeuge (DWb. v 1426), kniekehle handeln kann. 250 1. in st. in; 51 ist nicht herzustellen, da die von

TEXTKUITISCHES ZUR KHONE 267

Seh. angegebene lesart undeutlicli ist, doch heilst es jedesfalls so viel als 'sie versteht sich aul das minnespiel' und 52 f dann Ob si es genozzen hin get, Si grdzet dicke nnde kiel; für letzteres wort hat die hs. cleit, da aber die formen geit, steit unserm dichter nicht gemäfs sind, ist wol an klewen = klagen, winseln (Lexer i 1621) zu denken. 331 1. an. 409 \. gennoc. 418 1. So legt in an, des ist niht rät. 445 I. ins st. uns, 512 1. wunder. 597 danach sicher eine zeile zu ergänzen, etwa Des kniens mich verdruzze. 609 und 11 lies sider oder sUher »{.sicher, ebenso 29490. 29492. 616 f 1. Daz ist ein wunderlicher Site, Ob er wone dd iemen miete. 641 I. Den im vrouwen Lau- din man. 649 I. Umb daz. 653 1. Brnns Sempile. 673 I. lagen. 703 1. diu si entwalt, welche sie authieli. 741 1. grd St. gar. 874 I. Daz ir deste baz geloubet mir. 951 1. Ob ich in an in brauche.

250&5 I. Schuten st. Stiochen, vgl. 25691. 88 I. Sich wolte dar an. 150 I. Swd aber koeme. 162 1. Unde dirre masseni, Daz ich si miner rede vri. 169 1. al ze grözez heil. 119 will Krüger sie st. sich lesen, ebenso wie 25029; es scheint mir aber nicht durchaus notwendig. 287 1. Daz wwr als guot ver- miten. 411 1. Des. 438 1. Da ensi suontages vrist. 47ö 1. mere nach der hs. st. sere. 525 1. Dar. 549 dass diese ganze episode des ritters mit dem bocke wol Konrad vStolTeln bei der erßndung seines gedichtes vorgeschwebt hat, wo auch ein rilter abenteuerlicher gestalt auf einem bocke von einer fee an Artus hof geschickt wird, ist deutlich (s. Goedeke r 140). auch sonst finden sich ähnlichkeiten speciell in angeblichen Zu- sätzen der hs. D (vgl. Steiumeyer Anz. xii 263): so das ringlein, das im kämpfe mit einem drachen schützt, und die salamander- haut, die vor dem versinken im kämpf bewahrt, vgl. Gaweins abenteuer Krone 1444011'. 15131. 623 streiche manegen. 629 I. Der rede an ein ende körnen. 641 1. doch st. dö. 672 1. entbant mit der hs. 679 1. boere. 728 streiche punct. 733 1. swie St. so 735 1. Man müest. 853 I. liebes. 859 1. Und iuwern hof tuont alsam. 935 es ist nicht etwa zu ändern, da Gornomant in der Krone immer ortsname ist.

36022 I. zerbizent. 28 der accusativ erklärt sich durch ein anakolulli: es wird fortgefahren, als ob 26020 nicht stünde ouch riuwent mich sondern ouch klage ich. 32 I. Ach, wie

268 TEXTRKITISCIIES ZUR KRONE

manegen guolen segen Sie mir erwerbent von got , Daz mich sin schirm und sin gebot Immer her wider gesende Her heim von dem eilende Joch schiere xcider bringe! So ist ir vrOude geringe Und gebent guoten roillekomen. Solh er tcirt selten vernomen Von manne und von wibe. damit wird auch Reifsenbergers zweifei behoben, ob geringe, das die hs. P allerdings übermäfsig häufig hat, überhaupt unserm dichter zukomme. 60 1. ivol st. teil. 222 1. als st. allez, s. o. 25287. 281 etwa gelückes zu ergänzen : Wan des gelückes mnost ez loeseji: Si genäsen, solten si genesen. 317 1. Vil harte wol. 345 1. Also sliefen si dri tage und nachl, Daz si nie xcurden enwacht. 366 1. geliehen ebenschiiz (vgl. Lexer ii 837). 380 1. eiti stüde st. sin stet. 408 1. ge- reiz (Lexer i877). 417 1. /r ieglich ez. 463 1. Den bange nie gar [Die bancheny gar hs.) von dem strit. Da man von minnen tot gelit , einer, der sich so wenig auf küssen versieht, braucht sich nicht zu fürchten, dass er aus liebe sterbe. 554 1. gar und ganz. 859 1. Ob under disen kein genas. 909 1. schilt (Mbd. wb. ir 129, 31).

37058 I. Wan st. Swd. 280 streiche er. 386 rutsche kann hier dem zusammenhange nach nicht einfach fels, sondern muss befestigter, von einer bürg gekrönter fels heifsen. 395 ist mir unverständlich; vielleicht ist zu lesen Von ietweder silen und dann 93. 94 zu streichen. 432 sich erbunnen (Lexer i 620) ist jedesfalls schief, aufserdem muss man das praeteritum er- warten, ich schlage vor Unde doch eriounnen Sinch (?) nie an dem muote. den fehler sich, sicher für siech, siecher hat die hs. auch sonst. 448 1. im; in er icwre tot ist er Gawein, zu er- gänzen: ob er des niht enbern wolde. 570 1. gehabte. 596 1. Brdhten sie. 734 1. loanne st. wä. 739 1. daz st. waz; 40 punct st. komma; 41 1. Swie; 42 komma st. strichpunct. 746 komma st. punct, denn schade ist persönlich = Schädiger. 934 1. der man st. man, s. o. 23711. 930 1. der eren st. dar an (?). 940 streiche komma vor und nach riter.

38036 1. Als in der irre {Als ninder ire die hs.) vinde tuont ; die bedeulung 'zorn, streit' ist für das abslractum irre wol sonst nicht nachgewiesen, aber nach der entsprechenden bedeutuug des adjectivs irre ohne weiteres anzusetzen; an ein aus dem lateini- schen entlehntes ire ist wol nicht zu denken, obwol Heinrich auch sonst selbständig entlehnungen aus dem lateinischen macht.

TEXTKRITISCHES ZUR KRONE 269

84 1. missesagt {missagt ilie lis.). S5 l. vand st. wände. 98 I. zöugte nach der hs. 103 1. Obe du in küm erwigest. lllff I. Ja künde sie erweichen Einen stein od einen herlen stdL Daz si in erblichte ze einem mal, mnost erhaben nnde tragen (== so muste die empörte woge tragen). Ouch enmoht sich des niht entsagen. Von ir muost herten weichez bli. 181 1. Uf sich er in. nach 236 fehlt eine zeile. 306 I. luoden. 433 /. Kleider, schaene, geschiht, vgl. geschickede Mantel 342. 4S5. 454 I. in. 575 1. Ob dirre gnoten knehte lener gesiget ein, Daz iemer denne Kein Sin gevangen iccere; wegen der nameutorm s. 27996 (dort allerdings dativ) und Lachmann zu Iwein 74. 610 komma st. kolon, und kolon nach icec. 639 streiche si ir. 664 di. gesweich. 676 1. Und weliche nach helfe rief, vgl. 17119. 16932 (s. 0.). 771 streiche punct vor also und setze ihn danach. 777 kere muss winkel heifsen, vgl. DWb. v 401 'kriimmung, biegung der slrafse'. 799 1. Aller erne gennoc, s. o. 21700. 933 1. Ir hetet sin willen nnde muot Vunden; im Vordersatz ist wol ein niht zu ergänzen.

39084 1. rfn. 95 vgl. Biterolf 4568. 149 1. wizzet. 157 I. Ab dem hiise sach er schehen Desxcdr envelde ritter vil. 254 I. was st. loaiH. 264 1. Daz ir deheinn er verliez, 'ohne einen von ihnen zu übergehn' 326 1. Der durst dise zwen twanc Und tet in so harte we. Sioer ez in verboten e Het, daz sie niht trunken (Wand dd von s6 sunken In tiefen sldf sie beide). Von dem geschach vil leide Gäioeine. er daz ersach, Der xoirt zuo Gdweine sprach. 343 1. So vil daz bi der tur Der jungeste noch was, der erste servierte bereits bei tische, die andern, die hinter ihm giengen, standen in dichter reihe bis an die türe; vgl. Mantel 686 90. 355 streiche punct. 419 1. Warf (Warnatsch), 420 1. In den toblier. 442 j. in dem sal st, über al. 474 1. Daz du getorstest bestän. 536 1. wize. 607 1. mit St. und, s. o. 23020. 664 1. Ir herze. 805 1. da st. daz, 984 1. manegez vremdez. 999 1. Ir sült mir niht enbunnen.

Wie mir prof. Schröder mitteilt, hat Müllenhoff jähre lang sich und seine schüler mit der krilik der Krone beschäftigt und sein handexemplar der Schollschen ausgäbe als teilweise druckfer- tiges manuscript einer kritischen edition betrachtet, im anfang der siebziger jähre ist ihm das buch auf unau.fgeklärte weise abhan-

270 TEXTKRiTISCHES ZUR KRONE

den gekommen, die vorausgehmlen besseruugsvorscliläge stellen an sich selbst keinen so hohen aiisprucli, auch nicht einmal den, Vorläufer einer kritischen edition zu sein, dazu müssen vorerst die hss. neu verglichen «erden, auch die gewohnheilsmäfsigen abweichungen von P vom echten dort, wo man noch V zur con- trole hat, zusammengestellt und diese Zusammenstellungen für die kritik der zweiten gröfseren hallte nutzbar gemacht werden, beides habe ich nicht getan, was ici) biete, sind besserungsvorschläge, die mir bei widerholter lectüre des werkes eingefallen sind, besserungen einzelner stellen haben bisher geliefert Lachmann (einleitung zu Wolfram von Eschenbach und Über den eingang des Parzival), Haupt (einleitung zu den Liedern usw. von HvAue und Ährenlese Zs. 15, 250), Reifsenberger (Zur Krone Heinrichs vdTilrlin), Warnatsch (Der Mantel), Krüger (Zs. 32, 143 f), Bartsch (Germania 25, 96 f), Lexer an verschiedenen stellen seines Wörter- buches, nur die letztgenannten habe ich, da sie nicht an einem orte vereint zu finden sind, in meine ausführungeu aufgenommen. Ich schliefse hier einige bemerkungen über den titel des Werkes an. am Schlüsse nennt es der dichter selbst diu kröne, die hs. P überschreibt es der' aventüre crone, Rudolf von Ems in seinem Alexander aller aventiure kröne, die hs. V hingegen der werde künig Artus, diese letzte titelvariante ist vielleicht kein Zufall, ich denke an anderem orte meine ansieht zu begründen, dass Heinrich sein gedieht ursprünglich mit dem verse 13901 abschloss und den rest erst später als fortsetzung dazu dichtete, vielleicht enthielt die hs. V, die uns ja nur bis zum verse 12281 erhalten ist, überhaupt nur diesen ersten teil, und der führte ursprunglich jenen titel, der ihm, aber auch nur ihm, mit recht zukommt, auch die andern titelfassungen weichen in bemerkens- werter weise von einander ab: der zusatz aventiure ist jedesfalls durch Rudolf allbezeugt, und ich könnte mir wol denken, dass das haudexemplar Heinrichs selbst schon diese Überschrift ge- tragen hätte, wenn er auch im text 29890 den kürzeren aus- druck An der kröne wählt, so steht nun die frage zwischen dem aller Rudolfs und dem der der hs. P: man würde sich ohne weiteres für das erstere entscheiden, wenn nicht eben gerade jenes wort an dieser stelle zweifelhaft wäre, und hier erlaube man mir einen kleinen excurs über den Alexander des Rudolf von Ems anzufügen.

TEXTKRITISCIIES ZUR KRO^E 271

Docen hat (vdHagens Museum für altdeutsche lilleratur 2, 268) darauf hingewiesen, dass die 28 ersten Zeilen des Alexander 7 vier- zeilige Strophen hilden, deren beide reinipare wider unter einander durch grammalischen reim gebunden sind und deren anfangs- buchstaben das akroslichon Rnodolf ergeben, aber auch die meisten übrigen abschnitte des gedichtes werden durch zwei reim- pare geschlossen, die unter einander durch grammatischen reim vereinigt sind, auch dies ist bereits einem frühern leser des gedichtes aufgefallen, wie man aus bleistiftstrichen am rande der einzigen Müncheuer hs. ersieht, auch die anfangsbuchstaben dieser abschnitte ergeben akrosticha i und zwar solche, die mit dem inhalt des gedichtes im zusammenhange stelin. es folgen sich im ersten buche:

Nemdanabus I. N ektanabus, indem einmal Kan st. Mag zu lesen, das andere mal die orthographische änderung Det \x\ Tet vorzunehmen ist. Olimvias I. Olimpias, da Punde ich mi mine sinne st, Vvnde

usw. der hs. zu lesen ist. Ihidippe I. Philippe u. zw. Pi dirre tdveln nam war st.

In usw. und Liep liuget liebe niht st. Diep. Mozedonie I. Mazedonie u. zw. Ane st. One. ArisdtozhvidUes I. Aristotiles, indem einige male die gram- malischen reime als zufällig anzusehen sind und darum nichts gelten dürfen, aufserdem I. Twingen st. Zwingen. Suzefiz I. Buzefal u. zw. Bi namen sprach der knabe do st. Sy namen usw., An eime tage st. In usw., und Losd, merke disen schal st. Zosa. und so weiter das erste buch hindurch, das zweite beginnt dann mit 4, das dritte mitZ, das vierte m\l E, das fünfte mit X, das sechste mit A , da sonach sicher der name Alexander beabsichtigt war, sehen wir, dass das ganze werk auf 10 bücher augelegt wurde, der anfang des zweiten buches bringt nun die lilterarische stelle, es folgen nach jenem ersten abschnitt:

Kunst ist M«s allen wol erkant Obe ich nii prisen wolte Richer sin7ie ist vil geleit

auch das hat vielleicht derselbe leser erkannt, wenigstens finden sich da und dort buchslaben der akrosticha am rande; doch ist, soviel ich weifs, nichts darüber veröffentlicht.

272 TEXTKRITISCHES ZUR KRONE

Aller dvenliure crom Siis koment an daz mcere Daz iceiz ich wol ez muoz geschehen. da in der vorlelzteü antaugszeile sicher gelesen werden miiss Nu kometi an daz mcBre, da ferner in diesen akroslichis (s. o. Punde = Bunde) die mediae auch lilr die lenues gellen, so be- kommen wir Korant, während doch sicher Korint gemeint ist. man sieht also, wie ich oben sagen konnte, dass gerade das Aller sehr schlecht bezeugt sei. es ist damit nicht behauptet, dass es falsch sein müsse, es liegt sogar nahe, einfach durch Umstellung zu helfen Ir name treit ouch schöne Aller dventiure kröne; aber Sicher- heit ist natürlich in keiner weise vorhanden.

Bern, 7 jan. 1894. S. SIiNGER.

DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTER- SAGE.

EIN VERSUCH ZUR ERKLÄRUNG DES SCHWANS. 1.

Die jähre 1884 und 1888 brachten zwei abhandluugen, in denen der Schwanritter zwar nicht ziel der Untersuchung war, aber über das wesen desselben als glied in einer kette von ver- wanten erscheinungen neuer aufschluss zu geben versucht ward', beide Veröffentlichungen fassten den Schvvanritter auf als einen niederschlag des einstigen germauischeu himmelsgoltes Tius. in der erklärung des schwans aber waren die Verfasser in merkwür- digem gegensatz zu einander. WPleyte erklärte ihn für ein ur- altes Symbol des lichts neben dem lichtgolt in der arischen weit; JHoffory nannte den vogel eine den Germanen eigentümliche an- schauung der wölke; sodass bei Pleyte der schwan auf Tius als den gott des lichts, bei Hoffory auf Tius als den herscher der wölken hinwies.

Keine der beiden auffassungen hat sich als stichhaltig er- wiesen, weder die Pleyles, welche sich an die denkmäler von Housesteads anschloss, noch die Hofl'orys, die neben den dar- steliungen auf diesen steinen Sceaf und den Schwanritter zu einer

^ WPleyte Mars Thincsus, in Verslagen en mededeelingen d. k. ak. V. wet. afd. leiterkunde reeks in, deel 2, stuk 1 (1885) s. 109 ff. JHoffory Der germanische himmelsgoU, in GGN 1888 nr 16; vgl. GGA 1888 nr 5.

DER ZWEITE TEIL DER SCH^VA^RITTERSAGE 273

deulung des rätselhaften Höiii herangezogen hatte, denn seit- dem (1886) FMöller gezeigt hat i, dass auf den denkmälern von Housesleads und anderen der krieger mit dem vogel neben sich der römische Mars und der vogel eine gans und ein römi- sches attribul ist, fällt die hauptstütze für den schwan als attribut neben dem urgermanischen Tius.

In der erkennlnis von dem ursprünglichen wesen des beiden sind wir demnach um keinen schritt weiter als die forscher in den tagen JGrimms. dieser selbst sah in Sceaf und dem Schwan- ritter retlexe einer und derselben germanischen anschauung, wie verschieden die gewandung und Umgebung beider sein mochte: in beiden erkannte er göttliche wesen. aber auf die frage, 'was der schwan in der Ökonomie der sage bedeute', gibt Grimm keine antwori, macht auch übrigens nicht den leisesten versuch dazu, 'ähnlicher sage von dem schlafenden jüngling, den ein schwan im schiff dem bedrängten lande heraugeleitet, ist die uie- derrheinische, niederländische dichtung des mittelalters voll, und dieser Scbwaorilter wird aus dem paradiese, vor dem grabe her nahend, als Helias geschildert, dessen göttliche herkuuft aufser zweifei steht. Helias, Gerhart oder Loherangrin des 13jhs. sind einem Scöf oder Sconp des siebenten, achten identisch, so ab- weichend die übrige einkleidung mag gewesen sein"-.

Zwei Schwierigkeiten werden wol immer einer allseitig be- friedigenden deutung der Schwanrittersage als germanischer sage im wege stehu: 1) trotz dem reichtum der Überlieferung tritt die sage zu spät auf, und zwar nach einer zeit und an einer örtlichkeit, wo schon mehr als ein emporgekommenes geschlecht das bedürfnis empfunden haben mag, seine herschaft als von gott gesandt auge- sehen zu wissen. 2) trotz der versuchten anknüpfung an den Sceaf der altenglischen dichtung und den Höni der Färöer fehlt der sichere anschluss an die in der Wissenschaft gewonnenen anschau- ungen von den religiösen Vorstellungen der altgermanischen weit.

Man gestalte mir trotzdem einen versuch vorzulegen, durch welchen der germanisch-mythologische character des Scbwanritters etwas an wahrscheinlichkeil gewinnt, dieser versuch dürfte auch eine andeutung darüber erzielen, bei welchem stamme die sage, oder damals mythe, lebendig gewesen sein muss,

» Westd. zs. 5, 321—336. 2 Grimm Mylh.^ 343. über den

schwan als totenvogel WMüller Germania 1,418 ff.

Z, F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. IS

274 DER ZWEITE TEIL DER SCIIWANRITTERSAGE

2.

Die vergleichung der verschiedenen redaclionen der Scliwan- rittersage lehrt, dass folgende puncte als gemeinsame hauplzüge aufgel'asst werden dürfen ' :

1. Der ritter wird willenlos in einem boote von einem schwan an den richtigen ort gebracht, und ebenso willenlos niuss er folgen, sobald der schwan nach ablauf einer gewissen zeit wider erscheint, der schwan kennt ort und zeit.

2. Der held ist nur am Niederrhein und auf angrenzenden flUsseu erschienen -.

3. In der zeit zwischen dem bringen und liolen des ritters verlautet von dem schwan weiter nichts; der vogel hat sich nach dem bringen entfernt und ist nachher aufs unerwartetste wider da. das widererscheinen des vogels ist für den ritter unwider- stehlich.

4. Wo der ritler erscheint, heiratet er die jungfrauliche herrin des landes und wird so der erneuerer oder begründer der dynastie.

5. Aus den namen des ritters lässt sich sein wesen nicht erkennen 3.

Zu diesen hauptzügen gesellen sich noch einige züge, die nur in bestimmten fassungen vorkommen:

a) Der ritter hat einen kämpf zu bestehn mit dem bedränger der Jungfrau; er siegt, obgleich derausgang manchmal schwankend war; kein anderer ritler war diesem bedränger gewachsen.

I)) Nicht nur die tochler wird bedrängt, sondern auch die mutier; in diesem falle tritt die mutler ganz in den Vorder- grund und gibt dem ritler zum danke ihre tochler. so be-

* über die Schwanrittersage fehlt leider noch eine zusammenfassende behandlung, wie GParis sie für die 'Enfants-Cygnes' (Romania 19, 314 ff) gegeben, obgleich derselbe gelehrte schon 1890 eine solche in aussieht ge- stellt hat (ebend. 325 anm. 2). noch immer ist in der hauptsache zurück- zugehn auf die Zusammenstellungen Reiffenbergs (Le Chevalier au cygne et Godefroid de Bouillon, ßrux. 1846) und vdHagens ( L)ie Schwanensage, Berlin 1848).

2 wenn die Brogner chronik (ReifT. 147 149) 'ftlainz' als landesteile angibt, so steht ihr verf. wahrscheinlich unter dem eindruck des kaiserfestes daselbst im j. 1184.

^ über Helius und Loherangrin zuletzt WGollher Rom. forsch. 5, 27. über Helius als keltischen namen s. PGassel Der schwan in sage und leben s. 36 und anm. 155.

DER ZWEITE TEIL DER SCHVVANRITTERSAGE 275

sonders in der gangbarsten lesart, der 'Beatrix', wie sie GParis genannt hat '.

c) Er verbietet der gattin nach seiner herkunft zu forschen, auf die gefahr hin, dass er sie verlassen müsse, das übertreten des gebols ist Ursache, dass der schwan wider erscheint, nur (Jer gattin gilt das verbot; keinem anderen wird es gegeben.

Neben diesen haupt- und besonderen zügen muss der merk- würdige umstand hervorgehoben werden, dass mehrere häuser den Schwanritter ihren ahnherrn nennen, sie lagen am ISieder- rhein und weiter südwärts bis in die gegenden Nordfraukreichs, wo bis vor kurzem germanische spräche lebendig war, sodass es den anschein hat, dass Germanen vom Niederrhein die sage so- weit getragen haben, an der sprachscheide sind ßoulogne, Guines, Cambresi belegen; das centrum bildet ßrabant; vermutlich auch die gründer der dynastien von Geldern und Cleve, aus Antoign (Antonium) bei Doornik. ausgeschlossen waren die gräflichen ge- schlechter aus Flandern -. am Rhein und an der Maas nannten sich mehrere geschlechter nachkommen des Schwanrilters 3.

3.

Dürften wir in dem Schwanritter eine dem Sceaf, Beowulf, Frey ähnliche persönlichkeit sehen, so ergäbe sich aus den auf- gestellten Zügen folgender jahreszeilmylhus.

Der gott der wärme und Fruchtbarkeit hält im frühling seinen einzug. verlangend hat die erde nach ihm ausgeschaut, er befreit sie von der gewall des rauhen winters, gegen den niemand sonst den kämpf aufzunehmen vermochte, lange schwankt der aus- gang, aber endlich siegt der gott des sommerlichen gedeiliens. glück und schütz verleiht er dem volke, wohin er gekommen ist. endlich plötzliches scheiden im herbst. von ihm leitete das volk seinen Ursprung ab, wie nachher die einzelnen familien. so auf- gefasst wäre es niemand anders als der himmelsgott Tius.

Für das einzelne wie für das ganze Jässt sich manche parallele aus der germanischen vorstelluiigswelt beibringen, es begriffe sich sogar aus solchem mythus das vorkommen von einer mutter und einer tochter. setzen wir nämlich als zum mythologischen kern gehörig, dass der gott die persönlich gedachte erde befreit von

» Romania 19, 314 fr.

2 ReifTcnberg aao. app. 149. ^ vdHagen aao.

IS*

276 DER ZWEITE TEIL DER SCHVVANRITTERSAGE

dem starren winterband: so köunen beide frauen zwei verschie- dene seilen desselben wesens sein, denn einerseits wird die 'Nerlhus' als eine 'terra maier' vorgestellt ^ und in nordischen quellen die gallin des himmelsgolles als eine muller betrachtet; anderseits weist die sille der feier der MaikOnigin, die Werbung des Frey um die Gerd auf eine Jungfrau, mehr oder weniger schwankende Vorstellungen von der vielnamigen erdenmuller, bald als Jungfrau, bald als muller, bald als wilwe (so nach abzug des golles) mögen sich in unserer sage gehalten haben als Zweiteilung muller und tochter.

Allein: das alles beweist nichts.

Ich glaube auf drei umstände weisen zu können, die es nahe legen, in der Schwanrillersage den niederschlag eines germani- schen jahreszeitmylhus zu sehen: 1) auf den schwan als Wander- vogel, 2) auf die vögel der lichlgölter bei den Kelten, 3) auf die religiöse stufe der ersten germanischen ansiedier am Rhein.

4.

In frage kommen nur die wilden species des schwanes. und von diesen fallen noch weg die wilden verwanlen unserer Weiherschwäne, cygnus olor und c. immutabilis mit ihrem roten Schnabel und dem höcker auf der wurzel desselben, denn erst östlich von der Elbe fängt und fieng das eigentliche gebiet dieser schwane an, ihr wandern ist für die gebiete westlich der Elbe höchstens ein uniherstreichen -.

Bleiben also übrig die beiden anderen cygnusarten Europas, der c. musicus, der singschwan, und der c. minor, der kleine schwan, der zwergschwan, auch c. Rewickii geheifsen. es sind jene schwane, die durch den schlag ihrer Hügel und durch ihre stimme jene eigentümlichen töne hervorbringen , welche die Is- länder mit dem klang einer posaune vergleichen und welche die reisenden zuweilen entzücken, beide species stimmen darin überein, dass sie ihrer schwanennalur gemäfs gern sumpfigen

1 Tac. Germ. cap. 34.

* auch in Dänemark und Südschweden kommen brütende colonien dieser art vor. vgl. aus der reichhaltigen litteratur: Henry E. Dresser A history of the birds of Europe, vol. vi. London 1S71— 1S81, Gen. cygnus S.417— 448; Droste-HülshofT Vogelwelt der Nordseeinsel Borkum 1861, s. 258 ff und anliang; van Benimelen bei Herklots Bouwstoffen voor een fauna van Ncderland. bd ii. s. 218 usw.

DER ZWEITE TEIL DER SCHVVANRITTERSAGE 277

boden , unter wasser stehndes land beziehen, wo sie gründelo können, aber die bevorzugten anfenthaltsorle beider sind nicht gleich, und darum müssen wir die beiden arten für unsere be- trachtuug auseinanderhalten, 'die c. mus. n)eiden durchaus die flüsse und lassen sich nur in sehr seltenen fällen, wo sie die- selben kreuzen, auf kurze zeit daselbst nieder', 'derc. minor ist nie auf Aussen und am offenen meere gefunden; weit öfter im Innern des landes und stets auf stehenden flachen gewässern'; 'er liebt flache sümpfe' i.

In bezug auf wanderungszei t stimmen beide arten unge- fähr, im Wanderungsgebiet infolge der verschiedenen lebensbe- dingungen nur zum teil überein. der zwergschwan brütet in Nordrussland wol erst vom Archangelgebiet an weiter ostwärts, also ist er in Lappland und Island unbekannt 2. als Zugvogel besucht er weder Schweden und Norwegen, noch das grofse vogel- rendezvous Helgoland, aber in Übereinstimmung mit dem ort, woher er kommt, mit der richtung seines zuges, mit den be- dürfnissen seiner art, ist er für das südliche ufer der Ostsee, Däne- mark, Oldenburg, Westfalen, den südöstlichen teil Hollands und für Belgien ^ ein Zugvogel , der ende october oder etwas später erscheint, bleibt bis der frost ihn vertreibt nach Südwestfrankreich*, aber von februar an widerum der alten heimat zuzieht, wie er der zuletzt wegziehende Wandervogel ist, so ist er im frühling für diese gegenden auch der zuerst heimkehrende ^.

Zahlreiche beobacbtungen liegen über das wandern des sing- schwanes vor. er brütet in grofser menge im hohen norden Europas, nicht unter dem 60^, in den sümpfen Lapplands und Finnlands und weiter nach osten. nur dieser schwan findet sich auf Island, im norden wohnt er von ende april, wo das nest gebaut wird, bis tief in den September, kurz bevor die seen gefrieren, bricht er auf nach Süden, allerdings zum grösten teil

' EFvHomeyer Die Wanderungen der vögel (1881) s. 107. 91. 90.

Venema 'Zwanen' in Alb. d. naluur 1877 s. 50— 6Ü.

^ Dresser aao. s. 448.

' berichte liegen vor aus der nähe von Herzogenbusch, Scheide, Maas bei LüUich.

'' in manchen jähren äufserst zahlreich nach Ost- und Südengland und sehr zahlreich nach Irland, Dresser aao.

'•" vgl. neben Dresser, Droste-HülshofT, Homeyer aao. noch JAPalniei» Über die zugstrafsen der vögel, 1876.

278 DER ZWEITE TEIL DER SCHWAiNHITTERSAGE

der riclilung zum Schwarzen nieer, aber imiiierhin noch in massenhafter anzahl auch nach Südwesten, erscheint im october auf der Ostsee, im november auf der Nordsee, wird jedes jähr zahheich an den insehi derselben gesehen, ist in einigen jähren in bedeutenden trupps an der holländischen küste auf dem durch- zug beobachtet worden, weniger auf den binnengewässern , be- sucht England und Irland in ebenso grofser anzahl als der kleine Schwan, wird im november, december in Deutschland gesehen und dehnt seine zilge alljährlich bis nach Nordafrika aus, wo er die sümpfe Algeriens und Marokkos bevölkert, allein nur kurz ver- weilt er dort, in Holland und Norddeutschland werden im dec. und jan. nur wenige angetroffen, dann aber mehrt sich die zahl von februar an und erreicht den hübepuncl aulang märz; mitte april wird im Süden der Ostsee oder Nordsee oder in diesen meeren selbst wol kaum noch ein exemplar gefunden, es sei denn, dass ungünstige Witterung sie aufhielte, das frühe erscheinen des c. nius. ist im Spätherbst zeichen des nahenden frostes, wie er im frühling böte der ersten milden lüfte ist K die siugschwäne von Island wandern nicht 2.

So liegen jetzt die Verhältnisse bei dem wandern der schwane, wir aber haben es mit der urzeit zu tun.

Aus den obigen Zusammenstellungen geht freilich nicht her- vor, dass der Niederrhein und dessen delta mit Maas und Scheide ein bevorzugter aufenthall der cygnusarten ist oder war. die be- richte über die jetzigen Verhältnisse Hollands machen keinen andern eindruck, als dass der c. raus, und min. nur durchziehen auf ihrer Wanderung nach südeu und norden ^. wol begreiflich für die heutige zeit, schwäue meiden flüsse. man denke sich diesen Niederrhein mit dem delta aber zur zeit Christi und lange vor- und nachher, welche ausgedehnten flächen hier einmal über- flutet wurden, zeigt ein einziger blick auf eine geologische karte in dem breiten säum, den sie den fluss- und meeresablagerungen daselbst geben muss. man denke an den von KMüUenboff re- construierten bericht des Pytheas von Massilia'*, an die fluten, von

' Brelinis Tierleben, vögel. bd ni 441fr. Diesser aao. u. aa.

* Brehm aao. 444. Lenz Vögel» (1S91) s. 556.

3 Herklots BouwstofTen i 96. 214; 11 129. 218; ni 229; Tydschrifl der ned. dierk. vereeniging 1887 ua. besonders zahlreicli sind die Zeitungs- berichte über singschwäne aus dem frühjahr 1893.

' DA. I 489 ff.

DER ZWEITE TEIL DER SCHVVANRITTERSAGE 279

denen Ephorus berichtet', man vergegenwärtige sich das von den alten widerholt erwähnte sumpfige terrain dieser gegenden -. kurz, man mache sich klar, dass die exislenzbedingungen für die schwane, namentlich regelmäfsig 'untergelaufenes land' jetzt bei- nahe verschwunden sind, und dass da, wo diese tiere sich noch zeigen, der verfolgende mensch mit seinen weittragenden waffen sie ganz verscheucht.

Einst aber, als der vogel infolge seiner mythischen natur noch unbehelligt war, muss das halbversandete tlussbett des Rheins, besonders das weitüberschwemmte ufergebiet, eine ausgedehnte raststation der schwane gewesen sein, denn das terrain war dem im norden verlassenen ähnlich, soweit das meer hineindrang, viel- leicht eine raststation des cygn. mus. ; weiter den Niederrhein hinauf, besonders in den Wasserflächen daneben und sonst in den lachen weiter nördlich oder südlich, ein ruheort der zwerg- schwäue; jedesfalls schwanenreiche gebiete zu zwei bestimmten Zeiten des Jahres. die schwane waren die ersten boten, dass die mildereu tage widerkehrten, sogar wenn das eis noch auf den feldern lag; wie sie im herbste die letzten vügel sein sollten, die die rauhen wintertage unvermeidlich mit sich brachten, um dann die gegend vereinsamt liegen zu lassen 3.

Wir glauben die für die Schwanrittersage wichtige folgerung aussprechen zu dürfen:

Die sing- und zwergschwäne, die alljährlich vom februar an am Niederrhein und teilweise im ingväonischen gebiet als die ersten Wandervögel in grofser masse küste und binnengewässer bevölkerten , darauf verschwanden , bis sie im Spätherbst vom october an als die letzten Zugvögel auf demselben gebiet gleich- falls in ungeheuren scharen sich zeigten, um dann bei stärkerem frost im december und Januar zu verschwinden, bis auf ein zu- fälliges, vereinzeltes exemplar, konnten veranlassung geben, dass die mythenbiUlende pbantasie eines naturvolkes sie mit dem gott der wärmereu Jahreszeit und sommerlichen fruchtbarkeit und des widerkehrenden lichtes in Verbindung brachte und sie als boten des gotles betrachtete.

bei Strabo vii 2, 1.

2 Caesar BG. in 28; vi 5; Strabo iv 3,4; Tac. Ann. xiii 53.

^ vgl. das biki, welches pastor Bolsmann um 1830 von der Cronerheide im Münsterlande entwirft, wie der schwan der letzte vogel ist, bei Westhoff Zur avifauna des Münsterlandes im Journ. f. orn. 1889 s. 211/212.

•280 DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTERSAGE

Aiit dem weiten germanischen gebiete ist nur einmal von einem gott mit schwanen die rede: in einem Färingerliede sucht Hönir einen bauernknabeu zu retten gegen einen riesen und operiert dabei mit schwanen >. aus diesem einzigen factum auf einen urgerm. gott mit einem schwan zu schliefsen, ist bedenkheb. aber die am Rhein ansSssigen Germanen hatten KeUen zu ihren nächsten nachbarn, die sie teilweis aus ihrem gebiet vertrieben hatten, bevor wir also den weiteren schluss wagen und annehmen, dass die Rheingermanen in spontaner weise den schwan, für sie schon ein vogel vou mythischer bedeutung, mit ihrem lichtgott ver- banden auf grund der im neuen lande gemachten erfabrung, ist doch wol zuerst die möglichkeit zu erwägen, ob nicht die Kelten schon in den schwanen boten ihrer gülter saheu, sodass die neuen ansiedier nachher eine keltische anschauung, deren riclitigkeit sie in der natur um sich bestätigt fanden, auf ihren goll übertrugen.

5.

In der keltischen gollerlehre sind die unheilverkündeuden raben und krähen die boten, welche von den göltern der nacht, des todes und des gewiitersturmes ausgehn. aber auch die men- schenfreundlichen wesen des keltischen gütterdualismus, die götter des lichts, des lebens, der bildung haben ihre vügel. unsere quellen sagen uns leider nicht deutlich, welche vögeP.

Unter den lichtgöltern der Kelten steht obenan Lugus 3, der kunstreiche gott 4, der Mercur Caesars und der gallischen denk- sleine. sein fesltag war der 1 august, die mille zwischen dem 1 mai, dem tag der ankunft der guten götter, und dem 1 november, dem anfang des keltischen winters "^.

Als Lug so erzählt eine irische legende ^ deren älteste aufzeichuuug dem ende des 1 1 jhs. angehören soll den beiden Cüchulainn wollte geboren werden lassen, lockte er den könig Conchobar mit seiner Schwester Dechtere und ihr gefolge durch eine menge wunderschöner, wiewol geheimnisvoller vögel. diese Vögel sangen während ihres tluges; sie afsen gras und pflanzen und liefsen nichts auf dem bodeu, nicht einmal die wurzeln des

^ aus Njörds erguss in Gylfaginning 23 lässt sich nichts schliefsen. über Hönir s.u. s. 287f. ^ d'Arbois de Jubainvilie Le cycle niythologique irlandais et la mythoiogie celtique (Paris 1884) s. 195. ^ d'Arbois de

Jubainvilie aao. s. 293. '' ebenda s. 175 177; Caesar BG. vi 17.

ä ebenda s. 139. ISO. 304. « ebenda aao. s. 294 298.

DER ZWEITE TEIL DER SCIIWAISRITTERSAGE 281

grases, sodass die einwohner sich beklagten über die vernichtuug ihres besitztums. sie waren in neun gruppen geteilt, und in jeder gruppe zählte man 20 vögel. sie giengen zu zweien: die zwei Vögel an der spitze jeder gruppe trugen ein silbernes joch, das sie mit einander verband; die folgenden waren auch mit ein- ander verbunden, nicht durch ein joch, sondern durch eine silberne kette, da die Verfolgung der vOgel sich bis in die nacht verzog und indessen ein dichter schnee fiel, so befahl Cohchobar ein haus zu suchen, wo man schütz finden könne bis zum nächsten morgen, und nun zaubert eine unsichtbare macht eine prachtvolle Wohnung und ein ausgezeichnetes essen für den könig, dessen Schwester und das gefolge, als einige zeit nachher Dechlere mutler ward des beiden Ci'ichulainn, erschien ihr Lug im träume, ihr verkündigend, dass er der vater des kindes sei. 'denn Lug hatte die wunderbaren vögel gesandt, die jagd herausgefordert, den palast erstehn lassen, wo der könig Conchobar, seine Schwester Dechtere und ihre begleiter eine ebenso glänzende als unerwartete gastfreiheit gefunden hatten.'

Dass diese vögel , die Lugus geheimnisvoll vorausschickt, von hausaus nicht phantastische tiere sind, sondern schwane, folgt aus zweierlei: 1) aus der weise, wie sie sich gebärden, 2) aus verwanten sagen.

1) Die weise, wie die vügel sich gebärden, entspricht ganz der weise der singschwäne. auch diese singen während ihres fluges, nur sie reifsen die gräser und pflanzen mit den wurzeln aus und vernichten die äcker, wenn sie auf der ebene nieder- streichen; sodass der boden 'ganz kahl und wie von Schweinen zerwühlt aussieht, wodurch grofse nackte, von graswuchs völlig entblöfsle stellen enlstehn, die wenn ihnen nicht durch ansäen nachgeholfen wird, sich nicht sobald mit pflanzenwuchs bedecken' >; auch sie leben paarweise, treten aber zur herbstzeit in gröfseren trupps auf. die irische vogelfauna und die der länder des mittleren Westeuropas bietet zur zeit, da der schnee fällt, keine anderen Vögel, die den genannten eigenschaften genügen.

2) In andern kellischen sagen treten auch vögel zu zweien in gröfserer zahl auf und heifsen ausdrücklich schwane, als Oengus, der söhn des lichtgottes Dagde, die schöne Caer, tochler Ethal An- briais in Connauglit, sich zur frau wünschte, traf er sie zum ersten

' Naumann Naturgeschichte der vögel Deutschlands t. xi (1842) s. 490.

282 DER ZWEITE TEIL DER SCHWANUITTERSAGE

mal in menschlicher gestalt, umgeben von 150 anderen Jungfrauen, die paarweise giengen, jedes paar verbunden durch eine goldene kette, als er sie nachher zum zweiten mal erblickt, haben sie sich am 1 november dem anfang des keltischen winters in schwane verwandelt; jedes paar ist jetzt durch eine silberne kette verbunden. Oengus wurde gleichfalls in einen schwau verwandelt, tauchte dreimal mit seiner geliebten in die flut, war seitdem ihr gemahl und konnte nun auch in seiner schwanen- gestalt schöne lieder singen '.

In dem irischen Volksglauben lebte demnach einst die Vor- stellung, dass die schwane vögel seien, die in irgend welcher weise mit dem hauptgotte des lichts und des lebens in Verbindung standen, freilich nicht immer, als Lug nach Tara, der haupt- stadt Irlands, kommt und sich anbietet für ein amt-, da kündet ihn kein schwan an. ebensowenig in der scblacbt bei Mag- Tured3, oder wenn er seinem söhne Cüchulainn zu hilfe eilt, der ganz allein den beeren von vier der grofsen proviuzen Irlands gegenübersteht 4.

Welche bedeutung diesen schwanen in den keltisch-irischen anschauungen beigelegt werden muss, ist schwierig zu sagen, sollte hier die erinnerung fortleben an das indogermanische lichtsymbol, welches Pleyte hervorgehoben hat^? constatieren lässt sich wol nur, dass die keltischen Iren eine Vorliebe hatten schwane auf- zufassen als Verwandlungen gutgesinnter wesen, die irgendwie verwantschaft haben mit der götterweit des lichts 6.

Lug war der hauptgott der Kelten: wo zahlreiche schwane erschienen, da mögen sie für das irische volk äufserungen gewesen sein des lichtgottes oder des lichten princips überhaupt.

Aber: was für die irischen Kelten gilt, was bei diesen als Überlieferung lebte in den Jahrhunderten nach Christus, hat das in der tat auch zu gelten für die belgisch en Kelten, die einst am Niederrhein safsen zu der zeit, da die ersten germanischen an-

* d'Aibois de Jub. aao. s. 2S2— 289. vgl. weiter die sage von .Mider und Etain ebenda s. 321.

* d'Arbois de Jub. aao. 175—177. ^ aao. 187. * aao. 299 f. ^ Mars Thincsus aao.

" die kinder des königs Lir, vgl. d'OCurry Atlantis iv 113 157; die botinnen des lodes bei dem beiden Cüchulainn, vgl. d'Arbois de Jub. Cours celt. v 178.

DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTERSAGE 283

Siedler sich daselbst niederliefsen? dachlen die Relgae des Caesar sich ihre lichtgölter zeitweise begleitet von schwanen?

Es lüsst sich wahrscheinlich macheu.

Apollonius der Rhodier, aus der letzten hallte des 3jhs. v.Chr., spricht, während seine beschreibung an der Pomiindung verweilt, von einer keltischen sage \ nach welcher der bernslein nicht aus den thränen der Heliaden, sondern aus denen des Apollo der Hyperboreer entstanden war. nun ist dies m. w. die einzige stelle, wo von einem keltischen Apollo der Hyperboreer die rede ist. ist des Apollonius bemerkung richtig, so müssen wir annehmen, dass, da den Kelten wie den Griechen die lichte Jahreszeit des frühlings und des sommers eine olTenbarung und rückkehr des lichtgottes war, die bezeichnung 'Apollo der Hyper- boreer' als keltische anschauung und sage bei Apollonius daraul beruhe, dass der keltische lichigott wie der delisch -delphische von schwanen begleitet zurückkehrte , denn immer gehörten 'zu diesem (dh. dem griechischen Apollo der Hyperboreer) die schwane, die man auf dem Okeanos heimisch dachte, weil das land der Hyperboreer mit seinem Eridanosstrome an den Okeanos grenzte' 2. da der Eridanos eine unbestimmte Vorstellung war für den nörd- lichsten tluss im Westen, so bedeutet die nachricht, dass im nor- den des kellischen gebietes, wo der bernstein eingehandelt ward, die schwane das zeichen des widerkehrenden gottes abgaben 3.

Hat Apollonius seine nachricht geschöpft aus Massilia, was sehr wahrscheinlich, so ist au ihrer richligkeit nicht zu zweifeln, denn in Massilia mündeten die wege von und nach Gallien, der graecisierende einlluss Massilias auf die umgebenden Völker ist, was Gallien anbetrifft, kaum über Lyon hinausgegangen, und so werden auch keine religiösen Vorstellungen über Apollo von Mas- silia aus zu den Belgae gelangt sein, von denen sich übrigens mehrere stamme schroff gegen jeglichen cultureinfluss von aufsen abschlössen, gerade weil in Massilia der delphische Apoll mit seiner Schwester die höchste Verehrung hatte^, muste den händ- lern auffallen, dass sie bei den rohen keltischen Völkern des nordens

1 Apoll. Rh. 4, 611.

» Preller Gr. myth. i'' 190.

2 hier sei für das einhandeln des bernsteins aufmerksam gemacht auf die vermutliche landesteile der Phönicier auf Walcheren, vgl. Kauffmann Beitr. 16, 222 fr. * Strabo iv 1,4—6.

284 DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTERSAGE

vou finem lichtgotl vernahmen, der bei seiner rückkelir von schwanen begleitet war, gerade wie ihr Apollo.

Vier Jahrhunderte nach Apollonius leitete Lucian von Samo- sata, der selbst einige jähre in Gallien gelebt hatte, seine erneute rednertätigkeit ein mit einem vorlrag über den bernslein und die schwane des Eridanos K er erzählte, wie er an den Po ge- kommen sei und nun die schiffer nach den weinenden päppeln, einst den Schwestern des Phaethon, und nach den musikalischen schwanen gefragt habe, die sich zu beiden seilen des flusses in zwei choren aufstellen sollten, um ihn mit ihrem so berühmten gesange zu ergötzen, die schiffsleute verlachteiv den hager. diese anekdote bestätigt, was sich aus Apollonius ergibt: in der griechischen sage hängen bernstein und schwane mit dem wesen des lichtes im westen zusammen; die würklichkeit jedoch war diese: der bernstein ward anfangs da eingekauft, wo schwane die rückkehr des lichtgoltes ankündigten, in der sage am grenz- fluss Eridanos, in der rklichkeit da, wo der Rhein in den Ocean fliefst.

Dass Lugus einst am Niederrheiu eine hohe Verehrung ge- noss, darf zunächst gefolgert werden aus der zweifellosen einheit der druidischen gütterlehre in bezug auf die hauptgotter, und geht sodann unwiderleglich hervor aus dem Ortsnamen Lugdunum, dem nachherigen Lugdunum Ratavorum. die läge dieses ortes, mitten in dem für schwane günstigsten terrain, die nachrichten des Apollonius und Lucian, an welche sich jetzt die irische sage schliefst, weisen auf die bedeulung der schwane bei der epipha- nie des goltes. von keiner bedeulung ist, dass Apollonius von Apollo spricht, wir dafür Lugus, dh. Hermes, einsetzen, und nicht Grauuus, den keltischen Apoll, der lichtgotl Apoll kann nur dem licht gott Lugus entsprechen : der heilgott Apoll flndet seine ähnlichkeit in Grannus; abgesehen davon, dass im 3jh. v.Chr. der keltische Olymp in der antiken weit gewis unbekannter war, als heutzutage, obgleich auch jetzt noch nebel genug über ihm lagert.

Als die ersten Germanen sich am Rhein ansiedelten, ver- ehrten die Belgae den gott des lichts, den Lugus, der mit den mächten der finsternis den entscheidenden kämpf führt 2; die er-

Lucian ed. Jacobitz iii 132 f; Wielands Übersetzung (178S) bd iii 431 ff. - d'Arbois de Jub. aao. 381 f uö.

DER ZWEITE TEIL DER SCHVVANRITTERSAGE 285

scheiaung einer grofsen zahl von schwanen hatte für sie die beileu- lung, dass der golt des lichtes in irgend welcher weise herannahe.

Die combination der schwane als Wandervogel und als an- kündiger des keltischen lichtgottes erlaubt folgenden schhiss:

Durch die eigentümliche topographische beschafl'enheit des Niederrheins waren im frühling und im Spätherbst die schwane daselbst eine besondere Offenbarung des lichlgoUes oder der licht- gütler der Kelten, die sich alljährlich mit mathematischer genauig- keit widerliolte.

6.

Die guttheit, welche sich hinter dem Schwanritter verbirgt, kann aber keine keltische sein, die sage bricht gleichsam jah ab an der grenze, bis wohin germanische spräche lange ihr dasein fristete, und nur Germanen leiteten ihren Ursprung auf den gott des lichtes zurück.

Germanen, die sich zuerst am Rheine niederliefsen, inmitten des keltischen gebiets, müssen keltische anschauungen auf ihren himmelsgott übertragen haben, teils unter dem einfluss der zwei- mal im jähre sich widerholenden erscheinung der sing- und zwergschwäne, teils in nachahmung von dem, was sie von der ehemaligen bevölkerung sahen und erfuhren über deren lichtgott. diese Germanen können sein entweder die herminouischen Baiaver mit ihren verwanten, den Canninefates, oder die istväonischeu Stämme, die nachher unter dem gesamtnamen 'Franken' auftreten, von den Franken aber scheinen wir absehen zu müssen, und zwar aus zwiefachem gründe: 1) sie, die nacbherigeu Wodanverehrer, haben den himmelsgott Tius als bringer des lichts in anderer gestalt in ihrer sage festgehalten, als den weitgefeierten Siegfried, dessen heimat gleichfalls an den Niederrhein verlegt ward; 2) die sage tindet sich nur im Rheindelta und in Belgien, als die Franken seit dem 3 jh. dieses gebiet occupierten, war die zeit zur bildung eines mythus im anschluss an Tius, und zwar im sinne des Schwanrilters, schon längst vorüber.

Das festhalten des Niederrheins und seines deltas ist nur be- greiflich, wenn wir ausgehn von einem stamme, der durch jahr- hundertelange tradition mit diesem gebiete verwachsen war, und nun bei den folgenden Verschiebungen durch andere stamme die erinnerung an den rettenden gott festhielt; einem stamme, dessen religion aber zu der zeit, da er sich am Niederrhein niederliefs, zu

286 DER ZWEITE TEIL DER SCHWAiNRlTTERSAGE

einem bedeutenden teil naluranscliauung war, sodass die örtliche be- schaffenheit der neuen heiniat befruchtend auf ihn einwinken konnte.

Demnach entscheiden wir uns für die Bataver, ums jähr 100 V. Chr. lassen sie sich in dem wie es heifst infolge der ungeheuren Überflutungen von den Kelten verlassenen gebiete nieder, ihre religiösen anschauungen befinden sich in jenem Stadium, wo sich neues an altes ansetzt, der blick mehr als sonst gerichtet ist auf die zeichen des gottes inmitten der Unsicherheit der neuen Umgebung, als verwante der Chatten bringen sie die herminonische Verehrung des Tius mit sich, ist der himmelsgott für sie in erster linie der 'erhabene herscher', zu dem sie nur gebunden heranzutreten wagen, so milssen sie ihn sich doch aufserdem als den 'gekommenen' und den 'leuchtenden' gedacht haben, da andere hieratische verbände sich nach diesen haupt- zilgen benannten, er war für sie der himmelsgott, der herscher in physikalischem sinne, der die gesamtheit der wollätigen naturkräfte der wärme und des liehtes und der damit verbun- denen erneuten fruchtbarkeit mit sich führte, analog dem Frey des nordens.

Schwäne als Verhüllungen von verstorbenen, verzauberten und von göttlichen wesen oder als weissagende vögel sind ger- manische Vorstellung!, demnach batavische. bei den Belgae waren sie aufserdem boten des lichtgottes. und hier, in der religiösen scheu der beiden Völker vor dem geheimnisvollen vogel liegt der berührungspunct, wo keltische anschauung befruchtend in die batavische fliefsen konnte, überall wo der Bataver sich nieder- lässt, wo er neuen besitz ergreift, halten einst Kelten gesessen, safsen vielleicht zum teile noch da, nicht alle vertrieben von den ungeheuren fluten mit der daran sich schliefsenden not. noch mögen Kelten in dem Lugdunum oder sonstwo am Rhein am 1 aug. zusammengetreten sein zur gemeinschaftlichen feier des gottes Lugus, wie noch in augusteischer zeit in dem Lugdunum an der Rhone'-, wie richtig muste dem germ. ansiedier die kel- tische Vorstellung erscheinen, wenn er im rauhen frühjahr die rück- kehr dieser boten gewahrte, da die weithin überlaufene insel und Umgebung noch im eise starrte und nun nach ihrer ankunft mildes tauwetter eintrat: sie, ein untrügliches prophetisches zei-

' Grimm Myth.3 398; Mogk in Pauls Grdr. i 1026. '^ d'Arbois de Jub. aao. 139. 304.

DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTERSAGE 287

chen also des herannahenden gottes der wärme und des lichls. dann folgte der siegreiche kämpf des golles, und iodessen schwan- den die schwane, darauf sein mildes walten während mehrerer monate, his im Spätherbst die richtigkeit der keltischen heobachtung sich wider zeigte, der göttliche vogel wider erschien, jetzt aber als unzweifelhafter zeuge des scheidenden gottes, und mit diesem davonzog, die gegend den winterlichen mächten überlassend.

In 6inem puncte aber wich der Bataver bei seiner mythen- bilduug von den Kelten ab: dieser lieble die masse. aus der keltischen Vielheit, aus der menge der schwane in der natur, machte der Bataver, germanischer gewohnheit gemäfs, eine ein- fachere zahl, von den gebräuchlichen zahlen 7, 3, 2, 1 wählte er die einheit. ein schwan brachte und holte seinen gott.

7.

Man gestatte mir noch eine kurze bemerkung über Höni und seine schwane, ich möchte dem Vorwurf begegnen , als hätte ich aufser betracht gelassen, wie er durch Vermittlung von schwanen seine hilfe verleiht '.

Einer der zunamen des gottes ist 'anrkonnngr' . dies aur muss 'glänz' 2 bedeuten: es findet sich nämlich ein ags. edrendel, womit lat 'jubar' glossiert wird, und womit man an einer anderen stelle 'Christus' bezeichnet 3. welcher glänz gemeint wird, lehrt die stammverwantschafl mit gr. tytJg, lat. anrora, urindog. *a«sös= inor- genröte, welche im anschluss an die bedeutung des germ. *ans-t-rö. wie sie erschlossen wird aus ahd. östarmdnoth und ags. edster- mönath, für aurkomingr den sinn 'könig des frühlingsglanzes' gibt; dh. man bezeichnete mit demselben Höni als ein wesen, das den ersten Übergang vom winter zur sommerlichen Jahreszeit angab*, daher konnte man ihn sich denken zwar als einen schönen jungen mann, aber trotzdem unbedeutend, ohne begleitung anderer mächte zu nichts gutem im stände, auch wenn er den menschen hilfe verleihen soll, wenn es heifst, dass er bei dem friedensschluss zwischen Äsen und Wanen ausgewechselt wird, er und Mimi gegen Frey und Njörd, so dürfte nicht alles als ein

' das färöische Volkslied ist übersetzt von Simrock Hatidb. d. d. myth.^ 103 ff. 2 anders Müllenhoff DA. i 34. » Müllenhoff aao.

* Weinhold fand in Höni ein 'sonnenwesen' Zs. 7, 24 f. 50. Mogk fragt, ob er nicht gewissermafsen die mittelsperson zwischen nacht und tag sei? (Pauls Grdr. i 108(5). beide gehn von dem wort 'Höni' aus.

288 DER ZWEITE TEIL DER SCHWANRITTERSAGE

Symbol der Versöhnung zweier verschiedener güllersysteme zu ver- stehn sein, sondern diesem auslauscli die naturanschauung zu gründe liegen, dass an die stelle des glanzes die belebende wärme, an die stelle des unbelebten wassers die schilfahrt trat.

War im 9 jh., als die Normannen die Färüer besiedelten, Hüni für sie ein solches frühlingswesen, welches man an dem glänz erkannte, wenn die ersten lichten tage zurückzukehren be- gannen, und welches nachher durch die stärkeren licbtgotter ab- gelöst ward, so ist der Zusammenhang mit den schwanen nicht mehr auffallend, für die Färöer ist der cygnus musicus heut- zutage zwar ein Zugvogel, der im frühling und im herbst bis- weilen nur wenige tage bleibt, der aber früher auf diesen inseln gebrütet haben muss K die schwane, die sichtbaren beweise der nach und nach zurückkehrenden sommerlichen Jahreszeit, wurden mit dem wesen des ersten frühlingsglanzes auf den Färöern in Verbindung gebracht, sei es spontan, sei es als eine einwürkuiig der vielleicht bei Picten und Iren damals noch lebendigen tradition von dem lichtgott, der seine schwane vorausschickte, so anlge- fasst begreift es sich, warum Höni machtlos ist ohne schwane: der frUhlingsglanz am himmel war werllos, so lange die schwane nicht angekommen waren.

Für die spontane Verbindung, ohne eintluss von Kelten also, spricht einmal die späte zeit des entstehens inbezug auf die religiösen Verhältnisse der keltischen nachbarn im 9jh.; vor allem aber das locale der Färöer. denn da die Färinger nur auf das meer und das gebirge angewiesen sind, der winter mit den häutigen nieder- schlagen dunkel ist der längste tag dauert aufserdem über 2U stunden , so hat die rückkehr des frühlings für die bewohner der einsamen inseln besondere hedeutung: dann regen millioneu von vögeln zur jagd an. und so muss in früherer zeit die rück- kehr des singschwans, als des ersten Zugvogels, der aufserdem für die bewohner uralte mythologische bedeutung hatte, neben Höni mit freude begrüfst worden sein.

Auch diese Verbindung eines goites mit schwanen wäre dem- nach weder eine urgermauische noch eine uruordische, sondern eine auf den entlegenen inseln entstandene, wie ein Jahrtausend früher eine analoge Verbindung sich am Rheine vollzog, beide Verbin- dungen wurzeln in einer zeit, da die schall'ende phantasie noch frei ihre wurzeln ausschlägt, allerdings nicht willkürlich, sondern sie entfaltend aus dem ererbten stamm mythologischen denkens, unter der einwürkung localer Verhältnisse oder von auswärts kom- mender triebe, durch solche einwürkung erklärt es sich, warum die sage am Rheine sich an einen andern gott anschloss als auf den Färöern, und der Charakter beider sagen ein verschiedener ward, obgleich beide aus verwanlen anschauungen hervorsprossten.

' Dresser aao. 435. Tilburg i. Holland. J. F. D. RLÜETE.

289

EIN NEUES BRUCHSTÜCK DER NIBELUNGENHANDSCHRIFT K.

Dass ich das nachfolgende fragment als neu bezeichnen darf, ist wunderlich genug, mein verehrter freund und nachbar hr archivrat dr Könnecke hat es in der Berliner kgl. bibliolhek ent- deckt, deren hsskatalog es seit länger als einem menschenalter als Ms. germ. fol. 814. access. 6712 verzeichnet und somit jedem zu- gänglich hält, es ist auch schon einmal Öffentlich genannt icorden: freilich 7iur im kgl. preu/'s. Stautsanzeiger, dessen Jahrg. 1860 nr 176 in einem Jahresbericht der kgl. bibliolhek für 1859 unter den ge- schenken verzeichnet (s. 1438^): 'ein schönes doppelblatt einer wert- vollen hs. der Nibelungen in folio aus dem lAjh. von hm archivrat dr Beyer in Koblenz', eine notiz auf der innenseite des einbands rührt vom '1. 12. 1859' her, der eintrag im hsskatalog stammt erst aus d. j. 1860. so der director der handschriftenableilung hr geh. rat prof. dr VRose, dem ich für. diese und weitere auskunft meinen verbindlichsten daiik sage.

Der aufßnder des bruchstücks, dr Beyer, hatte 20 jähre früher ebenfalls im Koblenzer archiv Jenes andere doppelblatt des NL. ans licht gezogen , welches 1839 vdHagen in seiner Germania iii 1 19 als fu)id seines freundes EDronke publicierte und dan7i nach seiner art jahrelang zurückbehielt, bis im J. 1846 die kgl. bibliolhek end- lich in den besitz des ihr von Beyer bestimmten geschenkes gelangte, es führt die Signatur Ms. germ. fol. 587 wid ivird seit Lachmanns 2 ausgäbe mit der sigle K bezeichnet, seine Zugehörigkeit zu der mischgruppe Id ist alsbald erkannt worden; die laa. sind auch für die beurteilung des A-textes von entschiedenem werte.

Das neue doppelblatt {K ii) ist wie das frühere am aufsern und untern rande beschnitten worden; wie der fundort wird auch die herkunft die gleiche sein: Ki diente ah Umschlag von rech- nungen des Manderscheidschen archivs, die hs. mag also aus der alten bibliolhek von Blankenheim stammen, die durch die Berliner niederrheinische sammelhs. mit dem Tristan {Ms. germ. 4" 284, vgl. vdHagens Germ, vi 266 ff) am bekanntesten ist. geschrieben frei- lich ist unsere hs. sicher im westlichen Oberdeutschland, ähnlich wie die gleichfalls dreispaltige hs. von Türheims und Türlins Willehalm aus gleichem besitz, deren bruchslücke Lohmeyers diss. s. 9 unter nr 4 aufzählt.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXYl. 19

290 MBELUNGENHS. K

In K II ist am äufsern wie am untern rand weniger fortge- schnitten als in K i ; von der schrift fehlt unten nichts und am rande nur etica die hälfle der letzten columne. auf sp. d hUst sich das verlorene genauer berechnen, als auf sp. c, da zwar alle Zeilen in gleicher höhe beginnen, aber nicht gleichmäfsig schliefseti. aufserdem sind freilich fol. 1 sp. cd noch durch zwei oblonge quer- einschnitte, einen schmälern von 1 zeile und einen breitern von 4 Zeilen höhe, verstümmelt (vgl. unten str. 1382. 1392).

Die pergamenihs. K des NL., von der vdllagen einen spalten- ausschnitt fascimiiiert eine bessere abbildung xoird die neue aufläge von Könneckes Bilderatlas s. 35 bringen gehört zu den schönsten buchhss. des ma.s , die ich zu gesichte bekommen habe, das perga- ment ist hell und glatt, die schrift gleichmäfsig und sauber, die ganze erscheinung stattlich und vornehm, dr Könnecke setzt die hs. um 1300 an, eher früher als später K der beschriebene räum ist 30.5 cm. hoch und nach zuverlässiger berechnung 26.0 cm. breit, waren der äufsere und der untere rand gleich breit wie der innere und der obere (1.9 cm.), was minimalansatz sein würde, so ergäbe sich als höhe des ganzen 34.3 cm., als breite 28.5 ctn.

Die hs. ist ^ spaltig (wie 0 und d), die spalte zu 52 Zeilen, rahmen und Unten sitid vorgezogen , auf den schmalen Vorraum (vor sp. a, d) resp. Zwischenraum (vor sp. b, c, e, f) sind die ab- wechselnd roten und blauen stropheninitalen hinausgerückt, jede 6 bis 8 Strophe aber beginnt mit einem gröfseren buchstaben, der über zwei linien reicht und in die spalte selbst eingerückt ist. der beginn einer aventüre Überschriften fehlen loird dtirch eine rot und grüne initale angekündigt, die gleichfalls eingerückt und 4 Zeilen tief ist.

Die Strophen also sind abgesetzt, nicht die verse, deren schluss nur durch einen punct markiert icird. auf die slrophe kommen in der regel 5 Zeilen, hin und wider wird eine G zeile nötig, sodass auf das blatt bei 312 Zeilen rund 00 Strophen entfallen, den gleichen umfang konnte schon Dronke für das fragment i fest- stellen und daraus berechnen, dass es das dufserste blatt eines quinio (event. auch das 2 und 11 blatt eines senio) sein werde, frag- ment i[ mit seinen rund 120 zusammenhängenden Strophen ist das innerste blatt des 3 quinio, fragment i begann und schloss den

* Indessen kommen nach meinen erfalirungen dreispaltige /tss. erst um 1300 auf, viel älter wird die hss. also kaum sein.

NlBELUNGEiNHS. K 291

4 quinio. die letzte in fr. i erhaltene Strophe ist nach Bartschs ausgäbe des gemeinen textes 2376: in Id erhöht sich diese zahl nach abzug der defecte (ß. 7 12. 16. 17. 102. 103) ujiler Zurechnung der plusstrophen aus C (15 in Id, 5 in Ud) auf ca 2386. diese nicht ganz 2400 stroyhen verteilten sich auf 4 quinionen derart, dass das durchschiltsmafs von 600 Strophen auf quinio 1 und 2 {und vielleicht 3) 7iicht erreicht, auf quinio 4 aber etwas über- schritten wurde (608 V2 Strophen), die 3 letzten Strophen des NL. übernahm der Schreiber auf die folgende läge, die aufserdem die Klage enthielt, schrieb er auch diese in tinab gesetzten zeilen (ca 28 buchstaben), so reichte er mit einem 5 quinio gerade aus. ich habe diese berechnung angestellt, um die einreihung neuer brück- st ücke zu erleichtern, die in den Rheinlanden als umschlage Man- derscheidscher acten recht wol noch zu tage treten dürften.

Den abdruck des neuen fundes in der Zs. verdanken die Leser herrn dr Könnecke, die abschrift rührt von mir her, die cor- rectur haben wir gemeinsam gelesen, ich habe die verse abgesetzt und die caesuren markiert, um die 7ieuen lesarten bequemer zu- gänglich zu machen, die nebenstehnden zahlen sind die Lachmanns, durch Zurechnung von 60 erhält man jedesmal die Zählung von Bartsch, die lücken sind unter ungefährer berechnung des raumes und vorsichtiger berücksichligung des textes von Id durch puncte angedeutet. der abdruck des fragments i in der Germania ist zu- verlässig mit ausnähme der i-striche und der schrägen häkchen, die ich hier als circumßexe widergegeben habe: bei vdHagen sind die beiden, übrigens in der hs. recht inconsequent gebrauchten, zeichen durchgehends vermengt. E, S.

1354 gut.

daz ir ininea willen toügenlichen | lüt.

vn faget fwaz ich enbiete heim in | unfer lant.

ich mach iuch gutes riche | vn gib iv zierhch gewant.

1355 ün fwaz ir miner Iriunde immer muget | gel'ehn.

zewürmz bidem rine den I'uit | ir niht ueriehn. daz ir noch ie gesaehet | getrubet mineu müt. vn faget minen | dienft den beiden chüne vn göt.

1356 T)itet daz fi lelften daz inder chunic | enbot. -L'vn mich da mit fcheiden von | aller miner not. die hünen wellentj wcenen daz ich ane friunde fi. ob ich I ein ritter waere ich chöm in elwenne bi.

19*

292 MBELUNGEMIS. K

1357 Vii fagel gernote dem edelcn bruder min. I daz im inder werlde nlemen holder | muge fm. bit in daz er mit im bringe | inditze laut, die unfern heften friunde | daz uns ze eren fi gewant.

1358 So fagel Glich gifelhere ich gedenche vvol | daran, daz ich von finen fchulden leides | nie niht gewan. def faehn in uil gerne | hie diu oügen min. ich hct in hie uil | gerne durch die grozeu triwe flu.

1359 Saget euch miner müler die ere die | ich han. vn ob von Ironye hagene welle | dort befian. wer folt fi danne wifen [ durch diu vnchunden lanl. dem fint diewege von chunde her zeden hüne! wol bechant.

1360 Die boten niene weffen wa uon daz waf | getan, daz fi uon tronye hagenen da | niht folten lan. beliben bideni rine ez | wart in fider lelt. von im waf mani|gem dcgene da zedem lode wider feit.

1361 Brief vüi hotfchaft waf in nv gegeben. | fi vüren gutef riche vn mohten fchöne | leben, urloüp gab in ezele vn fin fchone ] wip. iu waf von guter wsele uil wol | gezierte der lip.

1362 ^ "^ 0 ezel | zv dem rine hete nu gefant. Ido I vlugen difiu msere vonlande ze | laut mit boten harte fnelle er | bat vfi gebot, zefiner höchzite def | holte maniger da den tot.

1363 Die boten dannen vuren vzer hilnen | lant.

geln den burgunden dar warn | fi gefant.

nach drin edelen chunigen | vii euch nach ir man.

fi folten chomen | ezelen def wart da gaben getan.

1364 Hinze bechelaren dar chomen fi geriten. ||

f.lb da diente man in gerne daz wart | do niht uermiten.

Rudeger finen | dienft enbot vil gotelint. bi in binze | rine vG ouch ir uil liebez chinl.

1365 Si liezenf ane gäbe von iu niht fcheiden | dau.

daz defter baz gcuvren def(chunigef ezeln man.

vten vii ir chinde | enbote Rudeger.

fine beten fo wsege | dehelncn margrauen mer.

1366 Si enbüten ouch brunhilde dienft ] gut.

ftseteliche triwe vn willigen mfit. |

do fi die rede ueruamen die boten wolden varn.

in wai

NlBELUNGEiNHS. K 293

do bat diu margrauinne j got von himel fi bewaro.

1367 T^ daz die boten chomen zebeyern | durch daz lant. ih warbel der rneile | den guten byfcbof vant.

waz der do|fineu magen hinze rine enbot.

daz I ift mir niht gewizen niwan (in golt | alfo rot.

1368 Gab er in zeminnen riten er fi lie.

do I fprach der byfchof piigerim folt ich fi | fehn hie.

mir wsere wol zemüte die | fwefter fune min.

wau ich macli leider | feiten zv in chomen anden rin.

1369 Weihe wege fi vüren zerine durch diu | lant.

del chan ich niht wizen ir filber | vii ir gewant. daz enuam in niemen | man vorht ir herren zorn. der herre | waf gewaltik der chunic alfo hoch gebor.

1370 Inner tagen zvvelfen fi chomen anden | rin.

zewurmz zvdem lande warbel | fwamelin.

do fagel man diu maere | den chunigen vIi ir man.

da chomen | boten vromde gunther do uragen be|gan.

1371 Do fprach der uöget von rine wer tut | unf daz bechant.

von wannen dife | vromeden chomen her inditze lant. daz I enweffe niemen vnze daz fi fach, hagen | von trony der hell zegunthere fprach.

1372 TTds choment niwe msere def wil j ich iv veriehn. U die ezeln uidelsere | die han ich hie gefehn.

fi hat iwer | fwefter gefant an den rin.

fi fuln mir | durch ir herren groz wille chonen fin,

1373 Si riten albereite vur den palaf dan. )

ezn gevüren herlicher nie vurften fpiljman. des chuuigef ingel'inde enphie fi | fa zehant. man gab in herberge vn hiez ] behalten ir gewant. f. 1«: 1374 Ir reife chleider waren rieh vfi wolge || tan.

ia mohten | gan.

der wolt | tragen.

ob ir ie | hiezen daz fag . .

1375 Inder felben m |

die ez uil ger | gefant.

do leit I bezer wAt.

als ) zelragene herl

1376 Do gie mit url j

daz ezelen ge I

294 MBELUNGEMIS. K

hagcne zuhlek |

vfi eupliie f i m | die knappeu il ..

1377 Durch diu cliün i gau.

wie fiel) I

do fprach der | nie baz.

noch I \va3rlichen da[z.

1378 Si giengen zv | der waf uol.

d I fo man von r

I iuandere chu

I rekeu da bi g

1379 "Tver chunic 1 begau.

D

fit I fpilman.

. I iuch her g< burgunde lau .

vn iv I iuch her gefa

1380 Si ni . . d

j liebe herre m .

I fwefter her i

I iv reken vf g

1381 Do fprach der | bin icli vro.

w i fler chunic d .

I fwefter vzer

1882 ist {nebst schhiss von 13SI und anfang von 1383) vollständig

herausgeschnitten. 1383 I len hat.

vn 0 I alfo fiat.

daz I chunic fi . . . .

I msere forgend

1384 Die zwene iüo | ovch uv chom . .

I alier erfi ue , . . .

f.l« fach.

gifelher der| neklichen fprach.

1385 f I wiliekomen fin. |

woldet anden rin. |

unde die ir gerne |

e zelande wenich j

1386 er eren fprach do |

.... ünde iv niht be | n min.

wie rehte 1 i enbolen hat.

MBELUNGENHS. K 295

vn I der dincli iüliöj

1387 nt iucli tief cliuiii |

e waf wgege iwer |

. u ze uorderifie liu |

. . . ir gerüchet rileu |

13S8 en uil vafte unl' |

nche vfi dunchet |

.... iucli iwer fweller | n.

lo wolt er doch | r iv hete getan.

1389 et fiuiv lant. |

ue waere nie bekant.

ienen daz ir inrü | . . .

z ergienge fo wser |

1390 guntlier über dile i

d . msere |

fult ir gaii.

in I It gute rüwe bau.

1391 vii mohte daz |

ne frowen moblen [

riehen 6 wir fchü |

ei' der edele do |

1392 ist durch ausschnitt bis auf 4 buchstaben fort ge/ allen. ^

1393

uzer liuueu laut. |

che durch ir tu |

u ir diu nisere | gut.

1394 we fo fprach fwa | . . . .

e mohte daz ge | . . .

f.le faehe ir fult ge||loüben daz.

föne wer ir inder werkle | mit deheiner cburzwile baz.

1395 Do fprach diu chunegiune def mach | leider niht gefin.

hvie gerne ich dike | faehe die lieben tohter min. fo ifi leider | mir zeuerre def chunic ezeleu wip. | nv fin immer faelik ir beider edeler | lip.

1396 Ir fult mich lazen wizen wenne irz | gerümel hie.

wenne ir wider wellet | ich gefach fo gerne nie. boten iulaugen | ziteu als ich iuch han gefehu.

danach scheint die 1 zeile mit ir, die 2 mit willen, die 3 mit gerne

geschlossen zu haben.

296 MBELÜNGENHS. K

die knap|pen ir do lobten daz fi daz liezen ge|fchehn. 1397 Ze den lierbergen vfiren die von liüneu | lanl.

do liet der cliuiiic riclie nach | friunden fin gefant.

gunlher der edel | uraget fine man.

wie in diu rede ge|uiele maniger da fprechen began. 139S Daz er wol rnohte rilen inezelen lant. |

daz rieten im die heften die er indert | da vant.

ane hagene eine dem waf | ez grimme lell.

er fprach ze dem chu|nige toügen ir habet iv feiben

wid^feit. 1399 \Tv ift doch gewizen iv waz wir ir | haben getan.

11 Wir

mugen immer | forge vf cbriembilde han. wan ich flüc | zetode ir man mit miuer hanl. wie I getorften wir geriten indaz ezelen lant.

1400 Do fprach der chiinic riebe min fvvefter | lie den zorn.

mit liüffe minoekliche fi | hat vf mich uerkorn. daz wir ir ie ge|taten. e daz fi hinnen reit, ez enfi et | danne hagene iv einen wider feit.

1401 Nv lal iuch nibt betriegen fprach hagen | fwes fi iebn.

die boten von den hüne | weit ir chriemhilieu fehn. ir muget | da wol uerliefen ere vn oüch den | lip. ez ift uil lanch räche def chunic | ezelen wip.

1402 Do fprach zvdem rate der küne gernol. |

fit daz ir uon fcbülden vürbtel da d®ü | tot.

in hüuilcbeu riehen füll wirz dar | umbe lan.

wir enfsehen unfer fwefter | daz wer uil vbel getan.

1403 [D]o fprach der uurfie gilelher zvdem | degenene. (!)

fit ir iuch fcbüldic wizet | friuut hagene.

fo folt ir hie beliben | vn wol bewarn.

fo lal die geturren ] zv miuer fwefter mit uns varn.

1404 Do begunde zürnen von tronye der|degen.

f. 1' ich wil niht daz ir ieman || vuret uf den wegen,

der geturre riten | mit iv zehöue baz. fit ir niht weit er|windeu ich fol iv wol erzeigen daz.

1405 "Tvo fprach der chuchen meifter rümolt | der degen. \j der uromden \n der | cbunden molit ich wol heizen

pblegen. | nach iwer felbes willen wan ir vollen | rat. ich wen niht her hagen daz ir | iuch noch uergifelt hat

NIBELÜNGENHS. K 297

14C6 Welt ir volgen hagene iv ratet rumolt. |

wan ich iv mit triwen bin dienfiliclien | holt.

daz ir fult hie beliben durch d^n | willen min.

vn lat den chunic ezelen | dort bi chriemhilde fin.

1407 Wie chunde iv immer fanfter inder | werkle wefen.

ir muget vor iwern | vinden harte wol genefen.

ir fult mit | guten chleidern zieren den lip.

vnde 1 trinket win den heften minnet | wa;tlichiu wip.

1408 Dar zv git man iv fpife die heften die | ie gewan.

inder werlt chunic deheiner | ob daz niht moht ergan. ir foldet doch | beliben durch iwer fchöne wip. 6 ir I fo chiutliche woldet wagen den lip.

1409 Def rat ich iv beliben rieh fint iwer laut. |

man mach iuch baz gelofen hie heime | iwer phaut. danne da zeden hünen | wer weiz wiez da geftat. ir fult hie bejiiben herre daz ift rümoltes rat.

1410 Wir wellen niht beliben fprach do gernot. |

fit daz unf min fwefter fo IViuntlich | enbot. ezel der riebe zwiu folden | wir daz lan. der niht uaren welle der | mach hie heime heftau.

1411 T\ef anlwiirte hagene lat iuch vnjbilden niht. -L/ mine rede dar vmbe | fwie halt iv gefchiht. ich rate iv getru|weliche weit ir iuch bewarn. fo fult ir I gewerliche zvden hünen hinnen varn.

1412 Sit ir niht weit erwinden fo befendet | iwer man.

die heften die ir uindet | eder indert muget han.

fo welen vz ( in allen lüfent riter gut.

föne mage iv | niht gewerren der argen chriemhilde | mül.

1413 Def wil ich gerne uolgen fprach der | chunic zehant.

do hiez er boten riten | witen infiniv laut, do braht man der | helde driu tufent oder mer. fine wan|den niht erwerben alfo grozlichiu fer.

1414 Si vören uroliche iuguntheref lant.

f.2ä man II hiez in geben allen rof vn gewant.

die I da uaren folden von burgunden dan. der I chunic mit gutem willen der uil manijgen gewan

1415 Do hiez der degen hagene dankwart | den hruder fin.

ir beider reken ahtzik | vüreu auden rin. die chomen ritterliche | harnafch gewant.

298 MBELUNGENHS. K

vörlen die iiil fuel len indaz gunllierel laut. 1116 Do chom der chilne volker ein edel fpile|man.

ZV der cliunige reife mit drizek | (iner man.

die lieten folicli gewaete ez | mohl ein cliunik tragen.

daz er zeden | liünen wolle daz liiez er guutheren iageu. 1417 Wer der uolker wsere daz wil ich iiicli | wizeii lau.

er waf ein edel herre im | waf oi'ich underlan.

uil der guten reken | inburgunden lant.

durch daz er uidelen | cliunde waf er der fpilman genant. 141S TJageue welle Infent die hei er <• bejchant.

11 vn waz inflüimen ftarchen ge|vrümt het ir haut.

vn fwaz fi ie hegienjgen def het er uil gefehn.

den chunde | auders niemen niwaii vrümkeile iehu. 1419 Die boten chriemhilte uil fere da uerdroz. |

wan ir uorhte ze ir herren diu waf har[le groz.

fi gerten urloilbef ttegelich von | dan.

def gunde in niht hagene daz waf | durch lifle getan. 142U Er fprach zefinen herren wir fuln daz | wol bewarn.

daz wir fi lazen riten e daz | wir felbe varen,

darnach infyben nahten | iuezelen laut.

Ireil uuf lernen argen | willen daz wirt uuf defte baz

bechant.

1421 Sone mach oüch fich frou chriemhilt be|reilen niht darzü.

daz unf durch ir | rate fchaden lernen tu.

hat auer fi den | willen ez mach ir leide ergan.

wir I vuren mit vnf hinnen fo manigen vz erjwelten man.

1422 Schilt vii fsetele vn ander ir gewant. |

daz fi vuren wollen inezelen lant.

daz I waf nv gar bereitet manigem künen | man.

die boten chriemhilde hiez mau | vur guntheren gan.

1423 "Tvo die boten chomen do fj)rach geruol. |

1/ der chunic der wil uolgen def im | ezele enbot.

wir wellen chomen gerne | zeder höchzile fiu.

gefehn unfer \ fwefier ich oüch die bruder min.

1424 Do fprach der chunic gunther chunnet | ir vns gefageu. f.2'' wenne fi diu höchzit || oder zewelhen tagen.

wir dar fuln chojmen do fprach fwameliu. zedifen füne|wenden fol fi wffirlichen fiu.

1425 Der chunic in erloübte def waf noch | nicht gefchehn.

MBELU^GE^HS. K 299

ob fi wollen gerne IVuun | brunhilde felin. tlaz fi vur fi feilen niil | finem willen gan. daz under fluni do | volker daz waf ir liebe getan.

1426 lane ifl min Irowe bruubill fo wol | nihl gemül.

daz ir fi mugel fcliowen | fprach der riller gul.

bilel vnze nior|geu fo lal man iuch fi fehn.

do li fi I Icliüwen wollen done cliundef aber uibl | gefchebu.

1427 Do biez der chunic riebe er waf den bojten holt.

durcb flu felbes lugende lra|gen dar fin goll. vf den breileu l'cbil|den def niobl er uile bau. oucli warl | in riebe gäbe uou finen friunden getan.

1428 Gifelber vn gernol göre orlwiu. |

daz li oucb mibe waren daz taten i'i wol | fcbiu.

aifo riebe gäbe böten l'i die bo|len au.

daz l'i fi von ir berren uibl ge|lürflen enpbau.

1429 T\o fpracb zv dem cbuuige der böte | warbelio. 1/ her cbuuic lal iwer gäbe | bie zelaude fio.

wir mugen ir doeb|nibt vüren min berre ez unf verbot. j daz wir ibl gäbe uameu oucb ifl ef | harte lutzel not.

1430 Do wart der uoget von rine da von | uil vngemiit.

daz fi uerlprecben woljden liu ricbef chunigef gut. doch 1 müfen fi enphaben fin goll vii liu ge|waut. daz fi mit in värten fit inezejlen laut.

1431 Si wollen lehn fröuu vleu c fi fchieden | dan.

gifelber der fuelle braht die fpilejman.

vur vten fine müler diu frowe | enbol do dan.

fwaz fi eren bete daz | wer ir liebe getan.

1432 Do biez diu chuueginue ir borten vn ir | goll.

geben durcb cbriemhilde wan der | waf fi holt, vfi durch den chunic ezeln | den leihen fpileman. fi mohtenz gerne | enpliaheu ez waf mit iriwen getan. H33 Vrloüp genomen beten die boten nv | vondan

von wibe vn von mannen | vrolich fi vüren dan. vnze hinze fwajben dar biez fi gernol. fine beide leiten | daz inz niemen miffe bot. f. 2c 1434 Do fich die von in fchieden die ir beten || gepblegen.

her I vi' den wegen.

I noch ir gewant.

I daz ezelen laut.

300 MBELUNGENHS. K

1435 nwa li der IV | fi cliünt.

Udaz {zer ftänt.

chom I hünen lant.

de I ouch daz mter

1436 Do fi vur bechel |

mao faget ez R | uermiten.

0 I margraueu \vi ,

I wart urolich ir . . .

1437 Gaben mit den | fpilman.

ezeln | gran.

dienft üb | uil eubot.

fagte I liebe wart er ... .

1438 Do diu chunegi | vant.

daz ir l)r | lant.

do waf ir | fpilman.

mit u I ere getan.

1439 Si fprach nv fag | lin.

weihe min | fin.

die beften | lant.

nv faget | diu maere re . . .

E'

I inhünen lant.

I hagenen gar

1441 Ez choment iw | alle dri.

inher | mite fi.

der m | nine chan.

ez I der chilne fpi . .

1442 Def enbser ich | chunigel wip.

I faehe den uolk

I ge der ist ein ... .

I fehn muzen d

1443 Do gie diu chu | fach.

wie rehte | hilt do fprach.

I msere uil lieb

.... I min wille ge | endet fin.

1444 Din wille deif | chunic do.

f.2J

mir chomen folten |

1440 T7r lach er ch | morgen frö.

. . . ] det er darzv.

NIBELUNGENHS. K 301

durch liebe diner | orge gar uerfwanl.

1415 lüle die hiezen uber|..

teil niäfhüz vri fal. |

eil die inda follen | . . . .

on indem chunige | inen.

1146 ie l'i gevflren | . .

.... üler rekeu die ge|

. . relite herliclie inde | t.

li helen fwaz fi | n gewant.

1447 er clileil fine mau. |

f ich vernomen han. |

hte gein der liöhzit. |

eil die bewelüten ez | . .

1448 eile zewurmz über | . . . .

von fpyre ein aller ] . . . .

uen vten unfere | u.

gein der böcbzite | a bewaru.

1419 en diu edel vte.

ir I de güle

mir ili ge| n angefilicher not.j

ele in difom lande |

1450 cheret fprach do |

er rebteu msere nilit |

ze eren volleklicbe | . .

herre zeliöue nach |

1451 nezelen laut.

do I hunigen guter hell. . . .

.... inuzen fchowen |

hagen geriet die | in fit.

1452 ten wan daz gernot.|

fpruchen im alfo |

n fit'rides chriemj

.... h da von wil ha| ue reife lan.

1453 hagene durch vorhl |

. . une ir gebietet hei |

ia rite ich mit iv |

fit wart von im | elm vn rant.

1454 da vvaf mauich |

beten die trüch |

302 MBELUNGENHS. K

f.2e uil vuiuuzich vor || abendef zit.

fi lulben lieh von hüfe | harte vrolichen l'il.

1455 Gezelt vn hutten fpie>i man andaz graf. |

anderhalp def rinef. do daz geschehn | waf. den chuuic bat noch 6/ten fin uil | fchöne wip. fi trflte noch def Dahlef| den finen «tcllichen lip

1456 Bufunen vloylieren liüb fich def morjgenf viü.

dar fi varen folden da griffen | fi nv zv,

fwer het, wip en arme der | triilte friiindef lip.

def fcbiet fit uil | mit leide def chunic ezeleu wip.

1457 T\iu chint der schonen vten beten | einen man. -L/künen vii getriwen do | fi wollen dan.

do feit er dem chunige | toügen finen müt.

er fprach def mvz | ich tiüren daz ir die höue reife tut.

1458 Er waf geheizen rumolt vn waf ein helt | zerhant.

er fprach wem weit ir lazen | beidiu lute vfi lant, daz niemen mach | erwenden iv reken iwern müt. diu I chriemhilden maere die geduhlen | mich nie gut.

1459 Daz lant fi iv beuolhen oüch min | chindeliu.

vfi dienet wol den frowen | daz ift der wille min.

fwen ir febt | weinen dem troftet sinen lip.

iane | getiit uuf nimmer leide def chunic ezeln wip.

1460 Div rof bereit waren den chunigen vii | ir man.

mit minneklichen chuffen | fcbiet uil maniger dan.

dem inhohem | mute lebte do der lip.

daz müle duh | beweinen uil manik wsellichez wip.

1461 Do man die fnellen reken fach zeden j roffeu gan.

do köf man uil der frowe | tiüriklicben flau, daz ir uil laugez | fcheiden feit indo ir nuil. vf grozen | fchaden zechomene daz herze nieman fanfte löt.

1462 T\ie fnellen burgundeu sich vz hüben. | Udo wart indem lande michel vben. | beideiithalp der berge weinte wip | man. fwie halt ir uolk getaete fi vüren | uroliche dan.

1463 Die nibelungef helde chomeu mit in | dan.

mit tüfent halfpergeu zehüfe fi | beten lan.

uil manige fcböue frowen | die gefahn fi nimmer me.

die fifrd^s | wunden taten chriembilde we.

1464 Do fcbikten fi ir reife gein dem mövne | dan.

NlBELLNGEiNHS. K 303

f.2' vf durch ofterfranken die gunl|liercr man.

dar wifte fi hagene dem | waf ez wol bechant. ir marfchalch waf | dankwart. von burgunden lant.

1465 Do fi von ofterfranken gein fwänuelde \ riten.

do mohle man li chiefen an herlijchen fiten.

di vurften vn ir mage die | herren lobefam

an dem zwelften tage | der chunic zv der lüuowe quam.

1466 Do reit von tronye hagene ze aller uod'^rjoft.

er waf den nybelungen ein helfeli'cher Iroft. do erbeizte der degen kClne | nider vf den fant. lin rof er iiarte balde j zeiuer linden afte baut.

1467 Daz wazer waf engozen diu fcliif uerjborgen.

ez er gie nie den nybelungen ze | grozern forgen. wie fi chomen über | der wak waf in zebreif. do erbeizte zvder | erde niauich ritter gemeit.

1468 T eide fprach do hagene mak dir wol | hie gefchehn. Jjvoget vondem rine nv | mahlu felbe fehn.

daz wazer ift fo en|gozen uil ftaik ift fin vlut.

ich wgene | wir hie uerllefen noch hiule manigen | hell göt.

1469 Waz wizet ir mir hagene fprach der chu|nic her.

durch iwer l'elbef lugende vnjtrofte unf ni mer.

den vört fult ir vnfj Tuchen hin über andaz lant.

daz wir | von hinnen bringen beidiu rof vnde | gewant.

1470 laue ift fprach hagene mir niht min | leben noch fo leit.

daz ich mich welle ( ertrenken indifen unden breit. 6 fol ( von minen banden erfterben manik | man. inezeln lande def ich guten wil|len hau.

1471 Belibet bi dem wazer ir ftolzen ritter | gut.

ich wii die uerien füchen felbe bi | der vlüt.

die unf reken bringen ingelpjfrades lant.

do nam der ftarke hagene | finen gütef fchildef rant

1472 Er waf uil wol gewaffent den fchilt er | dannen tröch.

finen heim vf gebunden | lieht waf er genüch. do Iruk er ob der | brunne ein wallen alfo breit, daz ze ( finen ecken harte vreiflichen fneit.

1473 r\o lüchter nach den ueryen wider | vn dan. Udo bort er wazer diezen | lofen er began.

ineinen fchOnen biünuen | daz taten wiliu wip. die wollen fich | da chiilcn baden ir lip.

1474 Hagene wart ir innen er fleich in toügen |

304 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

DER ALTDEUTSCHE REIMVERS UND SEIN VERHÄLTNIS ZUR ALLITTERATIONSPOESIE.

Vorwort. Die alldeutsche nielrik liat in den letzten jähren anlass und stoH' zu den verschiedensten Untersuchungen gegeben, jedem, der sich damit beschäftigt hat, wird sich auch die Kille der Probleme aufgedrängt haben, die hier noch zu behandein sind, als ich in meiner Studienzeit anüeng, mich mit der metrik der unregelmäfsigen verse des 11 und 12 jlis. zu beschäftigen, da glaubte ich, auf diesem gebiete nicht eher zu klarheit und Sicherheit kommen zu können, als bis eine genügende grund- lage für den ältesten germanischen vers, den allilleratiousvers, ge- schaffen wäre. Sievers epochemachende Untersuchungen lagen da- mals schon vor. bei ihrem Studium gelangte ich indessen zur ablehuung der Sievers eigentümlichen theorie und versuchte dann schritt vor schritt eine tactierende metrik des allilteratiousverses zu begründen, von der neuen grundlage aus bekam ich eine unge- zwungene entwicklung der altdeutschen reimverse von Otfrid bis zu den Nibelungen, die ich in aller kürze Germ. 36, 307 darge- legt habe.

Indessen iiaben die in meinen Untersuchungen zur westger- manischen verskunst i (Leipzig 1889) und ii (Germ. 36, 13911. 279 ff) dargelegten ansichten keine allgemeine Zustimmung ge- funden, es sind vielmehr seit ihrem erscheinen mehrere neue Iheorien veröffentlicht worden, von denen mich keine hat über- zeugen können, und ich halte noch heule an meinen damals ge- fundenen anschauungen fest.

Ehe ich daher das angegebene thema ausführen kann, muss ich die bisher aufgetretenen iheorien aufzählen und teilweise kriti- sieren, es sind im ganzen folgende:

1) die zweitacttheorie Müllers, die von AHeusler mit groi'ser wärme verfochten wird.

2) die Iheorie von Fuhr Metrik des westgerm. av. 1892.

3) ten Drinks ansieht: Pauls Grundr. ii 515.

4) die Saransche theorie bei Sievers Allgerm, metrik, vn ab- schnitt.

5) die alle Lachmannsche ansieht, aufgenommen von MKaluza Studien zum allgerm. av, i 1, Berlin 1894.

Für Kaluzas ansichten und auslührungen mangelt mir jegliches

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 305

Verständnis, ich kann ihn niclil einmal kritisieren, da unsere an- schauungen zu grundverschieden sind, ebensowenig kann ich noch einmal auf MöUer-lIeusler eingehn, da hier ein fundamen- taler gegensalz vorhanden ist, der sich vorerst nicht überbrücken lassen wird, dagegen bestehn zwischen den übrigen Iheorien und der meinigen verschiedene berührungspuncte.

Den kerupunct meiner ansieht kann ich wol dahin bestimmen, dass neben den 4 hebigen versen unter ziemlich festen bediugungen 3 hebige vorhanden sind, was in gleicher weise von Fuhr und ten Brink betont wird, nur sind hier die bedingungen anders formuliert, unter denen die 3 hebigen verse erscheinen.

Fuhr erklärt alle stumpfen verse für 3 hebig, also alle verse der Sieversschen typen A^, B, C\ E und D mit ausnähme von DS und weist auf die schon von mir ausgesprochene gleichheit mit den zweiten halbversen der Nibelungen- und Gudrunstrophe hin. er nimmt für diesen gesichlspunct die priorität in anspruch. in meiner dissertation findet sich die klare ausführung allerdings noch nicht, wol aber Germ. 36, 307, in einem aufsatz, der, im Sommer 1889 niedergeschrieben, im redactionspult lange auf den druck warten niuste.

Die lesungen Fuhrs gleichen den meinigen z. gr. t. völlig, seine auffassung der K. S.-verse (Nibelungenlangzeile) s. 40 kann ich mir bis auf wenige ausnahmen zu eigen machen, und mit der form S.S. (3hel)ig stumpfe verspare) stimme ich vollständig Uberein. Die abweichung von Fuhr besteht nur bei den versen klingen- den ausgangs A, C^'-^, D^ mit den letzten hat es eine besondere bewantnis. von allen seilen wirft man mir unnatürliche betonung vor, weil ich bürgsittendüm, scipfe'retidnm usw. lese; und doch ist diese betonung durch die Sprachgeschichte und grammatik wol begründet: man vgl. Kluge in Pauls Grdr. i 342, 4; Sievers Beitr. 4, 525; Wilmanns Zs. 16, 114. solange meine gegner nicht die Unrichtigkeit der von keiner metrischen theorie angekränkelten sprachlichen forschung erwiesen haben, habe ich keine Ursache, von meiner lesung der D'-verse abzugehn'.

Auch in der auffassung der A- und C*-verse kann ich meinen standpunct nicht aufgeben, da ich keine neuen gründe vorzu- bringen habe, so verweise ich noch einmal auf die alten, beson- ders Untersuch, i 77 f. 74. 75.

' vgl. jetzt auch Franck Zs. 38, 234. Z. F. D. A. XXXVlll. N. F. XXVI. 20

306 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

Dasselbe, was gegenüber F'uhr gilt, niuss ich auch gegen ten Brink einwenden, der mit Fuhr in den meisten fällen überein- slimml. nur erkennt er verse des lypus C * wie gewdden häfde als 3 hebig an. in den A-versen kürzester form legt er mit Möller zwei lade auf die erste hebung, ham gesöhte, und gibt damit zu, dass nur 3 hebungen verwürklicht sind, gegenüber Fuhr (und Lachmann -Kaluza) bedeutet diese auch schon von Amelung ausgesprochene auffassung allerdings einen fortscbrilt. über die annähme von pausen lässt sich natürlich discutieren, aber unzweifelhaft wird damit ein princip eingeführt, das sich in der ganzen älteren germanischen verskunst nirgends findet, und solange man mit der gewöhnlichen auffassung 'auskommen kann, halte ich an ihr unbedingt fest.

Abgesehen von diesen unterschieden haben die drei Iheorien von Fuhr, ten ßrink und mir wesentliche puncle mit einander ge- mein, und wenn drei unabhängig zu gleichen resultaten kommen, so hat das noch immer als eine gewähr für eine gewisse richtig- keit der vorgebrachten ansichlen gegolten.

Etwas anders stellen sich meine anschauungen zu der von Sievers angenommenen Saranschen iheorie, die folgenden weg einschlägt: wenn man durch Unterdrückung der zwei schwächeren hebungen beim lesen der ältesten capitel Otfrids leicht das fünf- typengerüst des av. herausschälen kann, so kann der av. selbst tatsächlich auch leicht in ähnlicher weise durch Unterdrückung der zwei ursprünglich schwächer betonten hebungen eines unge- fähr im sinne des Otfridschen Versbaues dipodisch abgestuften 4 hebigen metrums entstanden sein; die Unterdrückung aber sei eine folge des Übergangs vom tactmäfsigen gesang- zum sprech- vers gewesen. das ist eine ansieht, die sich völlig aufser- halb des bisher gewohnten stellt, die man aber darum noch nicht abzuweisen braucht, es fragt sich nur, ob sich jede der vielen Voraussetzungen, die diese theorie nötig hat, irgendwie beweisen lässt. gibt man zunächst alles zu , so bleibt das eine bestehn : der ursprüngliche av, ist 4 hebig gewesen, damit hätten dann alle etwas richtiges geahnt, die dies für die historische zeit an- genommen haben, aber auch der 4 hebige av. kann sehr ver- schieden aufgefasst werden , und hier liegt die grofse kluft zwi- schen den mir unannehmbaren anschauungen von Möller und denen von Sievers. Möller kennt für seinen vers nur das schema 12 3 4,

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 307

die regelrechte dipodie, wie man sagen könnte, während Saran dazu die Schemen 12 34, 1234, 1 2 3 4 und 123 4 stellt, alles, was dem ersten stabwort vorausgeht, sieht Möller als auflact an, während in Saraiis construclion die dem stabwort vorausgehuden Silben sehr wol eine hebung tragen können.

Genau die abstufung, die Saran für den vorhistorischen vers annimmt, habe ich für den historischen inductiv nachzuweisen versucht, das schema l23 4 Germ. 36, 166 ff unter Xh\ das Schema 12 34 aao. 164 1', den typus 12 34 aao. 177, während ich für 12 3 4 keinen uachweis liefern konnte, ich setze also meine 4 hebigen verse für die historische zeit genau so an, wie Saran- Sievers es für die vorhistorische tun, und darin liegt für mich eine erfreuliche bestätigung meiner ausichten.

Ich sehe aber nun weiter keine möglichkeit, wie man auf grund des nicht tactierenden sprechverses die genaue und regel- rechte Senkungsbildung des Helianddichters erklären kann, und ich sehe auch nicht ein, wie man damit die von Sievers selbst nachgewiesene tatsache erklären will, dass die zweiten halbverse entschieden kürzer sind als die ersten, ganz abgesehen von der frage, ob ein solcher nicht tactierender sprechvers jemals be- standen hat.

Eine eingehndere kritik von Sievers anschauungen will ich hier nicht versuchen, da ich ihn so kaum überzeugen werde, trotzdem halte ich aber meine früheren ausführungen in vollem umfange auf- recht, wenn ich mit Fuhr und len Brink das grundprincip teile, so glaube ich doch auch da, wo ich im einzelnen andrer ansieht bin, an allen puncten festhalten zu können, und ich holle, die tatsachen der ahd. und mhd. metrik, die sich im folgenden zu einer kette mit der altgermanischen verskunst verknüpfen, werden auch die giltigkeit meiner ansieht für die frühere zeit erweisen.

Nur möchte ich noch entschieden protestieren gegen die ein- reiliung meiner hypothese unter irgend eine frühere, nachdem ich von Fuhr zu einem anhänger Lachmanns gestempelt bin, lässt mich Sievers s. 6 ungefähr auf den slandpunct von Bartsch und Schubert zurückkehren, ich glaube aber, dass zwischen Schu- bert und mir ein ziemlich grofser unterschied besteht, und dass ich ebensowenig zu den anhängern der Lachmannschen theorie gerechnet werden kann.

20'

308 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

I. OTFRIDS VERS, hl ahcl. zeit finden wir zwei arten von reimversen:

1) den vers Odrids und seiner naclilolger, aus 8 hebuugen bestehend und durcli eine cäsur nach der 4 hebung in zwei hälfien gespalten, die beiden teile werden durch den endreim gebunden, und mehrere langverse werden gewöbnhcli zu einer Strophe vereinigt, der mehr oder minder sicher zu ersciiliefsende strophische bau der gedichle in 8 hebigen reimversen bildet m. e. zugleich ein characterislisches merkmal dieser gruppe.

2) die zweite art von reimversen findet sich in uichlstro- phischen gedichlen des 11 und 12 jhs. ihre form ist oft so unregelmäfsig, dass Wackernagel die verse als reimprosa bezeichnen konnte, neuerdings hat sich Alleusler bemüht, auch hier gröfsere gesetzmäfsigkeit nachzuweisen, indem er vor allem das vorkommen von drei hebigen versen unter vi er heb igen als wesentliches merkmal dieser gruppe bezeichnet hat. schon an einem andern orte habe ich mich dahin ausgesprochen (Lbl. 1'. germ. u. rom. phil. 13, 7), dass Heusler in diesen annahmen zum teil entschieden recht hat, und ich habe auch dort erwähnt, dass ich in dieser ganzen versform die unmittelbare fortsetzung des av. sehe.

Zunächst will ich hier das Verhältnis darlegen, das m. a. nach zwischen Otfrids vers und dem av. besteht, da mir die bis- her autgestellten hypolhesen die Sachlage nicht richtig zu stellen scheinen.

Über diesen gegenständ sind ungefähr gleichzeitig die arbeiten von Wilmauns Der altdeutsche reimvers (Bonn 1887) und Sievers Die entstehung des deutschen reimverses (Beitr. 13, 121 ff) er- schienen, und in der hauptsache, vvenu auch nicht ganz, scheinen diese beiden forscher zusammengetrolfeu zu sein, während sie doch unabhängig von einander und auf verschiedenen wegen au ihr ziel gelangten, welch bessere bestäligung der eigenen resul- tate kann es wol geben? aber trotz dieser Übereinstimmung muss ich doch auch heute noch an der richtigkeit ihrer ergebnisse zweifeln, auch heule muss ich auf demselben standpunct wie Unters, i 8, der unterdessen auch die billigung Heuslers gefunden hat, stehn bleiben, und die art und weise, wie Sievers und Wilmanns damals die entstehung des reimverses erklärten, ist mir heute so unannehmbar wie früher. Sievers ansieht ist jetzt allerdings eine ganz andere geworden.

RELMVERS UIND ALLITTERATIONSVERS 309

Etwas näher berühre ich mich mit den ansichten Heuslers. doch auch er geht von einer auftassung des av. aus, die ich, wie oben betont wurde, nicht annehmen kann.

Sievers und Wilmanns irren in ihrer ahleiluug hauptsächlich darum, weil sie von den einfachen typen ausgehn, die mit den Otfridschen versen nun einmal nicht in Zusammenhang gebracht werden können, und dann konnten ihre resultate schon deshalb nicht einwandsfrei werden, weil sie an stelle des allsächsichen den angel- sächsischen av. zu gründe legen, sicher hat der Heliandvers eine besondere entwicklung durchgemacht, die in gewissen beziehungen vom angelsächsischen abweicht, dass aber der deutsche av. dem altsächsischen näher gestanden hat als dem angelsächsischen, ist, solange nicht das gegenteil bewiesen wird, am wahrscheinlichsten.

Für das Verhältnis des Otfridschen zum av. stelle ich nun folgende thesen auf:

1) Der vers Otfrids ist in der liauptsache eine nachbildung des hy m nen verses. in ihm ist die gleichheit der halbverse und ihre länge zu 4 hebungen, sowie der reim gegeben.

2) Die h a u p t e i g e n t il m 1 i c h k e i t e n in der b e h a n d - hing des verses stammen aus dem av. , nämlich:

a) die dehnung einer silbe über einen ganzen fufs, (fälsch- lich Synkope der Senkung genannt), wie der av. kennt 0. dem- zufolge auch keinen würklich klingenden ausgang, nie steht ein - X einem - gleich.

b) bei der Setzung seiner beiden accente ist 0. durch den av. angeregt, sie sind bei ihm, abgesehen vielleicht von einigen fällen, rhythmische zeichen, die die haupthebungen hervorheben sollen, wenn wir nun accente mit den släben im av. vergleichen wollen , so können wir nur die würklich vierhebigen verse des av. heranziehen, da aber die Setzung der stäbe ebenfalls auf principien beruht, die auf die natur des rhythmus zurückgehn und die noch heute giltig sind, so müssen wir die Otfridschen accente ebenfalls aus den rhythmischen nalurgesetzen ableiten können, ich gebe hier diese principien, die ich schon früher Unters. 1 103 §42 entwickelt habe, noch einmal, wie ich sie durch widerholte beobachtung bestätigt gefunden habe.

Im allgemeinen gilt heute als rhythmische einheit der fufs. er ist aber ebensowenig die grundlage der rhylhmik, wie in der

310 REIMVERS UiND ALLITTERATIONSVERS

phonetik dereiozelne laut, vielmehr ist die gruncllage aller rhythmik die Zusammenfassung mehrerer füfse zum mindesten zweier unter eine höhere einheit, dh. die dipodie. würkliche monopodieu, wie sie Sievers angenommen hat, gibt es m. e. gar nicht, ein- fache pendelschläge, die wir immer, wenn sie physisch auch ganz gleich hervorgebracht werden, in einen stärker und schwächer betonten zerlegen, sind nicht rhythmisch gegliedert, erst sobald wir zwei dieser lade unter eine höhere einheit zusammenfassen, erhalten wir rhythmus. für die auffassung eines 4 hebigen verses gibt es nur 2 möglichkeiten:

1) Die 4 hebungen zerlegen sich in je 2 dipodien, uzw.

a) lallende: dann erhalten wir das schema i. x - x ix-x oder in andrer bezeichnungsweise -Lx^x^x-i.x.123 4.

b) steigende : i.x-ix-^x-tx.1234

c) steigend - fallend : i-x-tx-^x-^x.l23 4. in diesem falle muss sich aber nach den gesetzen des rhythmus die zweite dipodie der ersten unterordnen, und wir sind dann nicht mehr berechtigt, von dipodien zu sprechen, sondern wir müssen solche verse tetrapodisch nennen.

2) Telrapodien, dh. verse von 4 hebungen mit 6iner haupt- hebung. der natur der sache nach muss dann die hauplhebung auf der 2 oder 3 hebung ruhen, um den ganzen vers zusammen- zuhalten, wobei die einzelnen untergeordneten hebungen immer noch unter einander abgestuft sein können.

Ich will nun zu zeigen versuchen, wie die Setzung der 0. scheu accente ziemlich genau mit diesen principien und mit der Stellung der Stäbe im av, übereinstimmt.

A) Ich beginne mit dem schema 1 .3 (vgl. Germ. 36, 171) j. X ^ X ^ (x) ^. a) Heliand : aldati dt them alahe 464 , wal- dand mid ü iverodu 22A1, sokean an is seldon 643, fandon thmes fröhan 1U94. h) Olfrid. so icärun se unz an elli i 4, lü=^, hintarquam llio hdrto i 4, 23^ usw. überaus zahlreich.

Die ausfüllung des ersten fufses durch eine silbe, bei Olfrid überaus häufig, ist schon im av. gegeben, vgl. godspell that gnoda Hei. 25, tnancünnie niildie 2492, vgl. Germ. aao. 172. joh mennisgon alle 0. i 79^ (V) dnmti gdhaz i 5, 42* usw., vgl. Wilmanns aao. 16 f.

Bei Olfrid fehlt auch die Senkung des zweiten fufses zb. fingar [fingar V\ thinan i 2, 3=*, wizzod sinan [sinan P] i 4, 7*;

REIM VERS UND ALLITTERATIONSVERS 311

vgl. Wilmanns s. 102 § 79. dadurch wird es wider wahrscheiu- licher, dass auch im av. solche verse vorhanden waren, bezw. dass verse wie craft fan Crtste Hei. 12*, tuhin thurh treuwa Hei. 131^ 4 hebig gewesen sind, obgleich es sich, wie ich aus- einandergesetzt habe, in vielen fällen nicht sicher ermitteln lässt, wann solche verse vier- und wann sie dreihebig zu lesen sind.

Rei Otl'rid bekommen in der überwiegenden mehrzahl der fälle die erste und dritte hebung den accent. doch gibt es aus- nahmen, und hierin scheinen allitterations- und reimvers aus- einanderzugehn. im av. galt ursprünglich eine regel, die im ags. noch treu bewahrt ist, die im Heliand jedoch anfängt durch- brochen zu werden: wenn nur ein wort in versen dieser form allilteriert, niuss die allitteratiou auf der dritten hebung stehn. es sind dies die von Sievers sogenannten A^-verse, deren vierhebigkeit ich sicher nachgewiesen zu haben glaube, vgl. Untersuch, s. 98 ff, Germ. 36, 175 f.

Im Heliand können schon 4 hebige verse mit alleiniger allitteratiou auf der ersten hebung auftreten. Olfrid scheint auf dieser bahn weitergegangen zu sein, da ein Schema mit dem accent nur auf der dritten hebung, entsprechend den A^-versen des av,, nicht gebräuchlich zu sein scheint, vgl. Sievers Reitr. 13, 152, hingegen besonders im zweiten halbvers der accent auf der dritten hebuDg öfter absichtlich zu fehlen scheint, mir ist es fraglich, ob sich Olfrid hierin auf sein rhythmisches gefühl slüzte, oder ob er nicht vielmehr zu seinem vorgehen durch die rein äufser- liche tatsache veranlasst wurde, dass der av. im zweiten halbverse immer nur einen Stab aufwies, selbst da, wo sicher 4 hebige verse vorlagen.

R) Schema i 2 3 A ^ x ± x ^ x -l; Wilmanns s. 240". § 15 ff, Sievers a. a. o. 152 f. im av. ist dieses Schema mit Sicherheit nicht gerade häufig zu belegen: aus gründen, die ich verschiedent- lich auseinandergesetzt habe, der normale vers zeigt die allilte- ration auf der zweiten hebung, thö würdun sdn äfter thiu Hei. 4545; tho gengun im sdn dfter thiu 4970. der zweite reim steht auf der vierten hebung: endi 6k walddndes werk 3587; qtiad thnt im neriandds ginist 520, oder auch auf der ersten: afhöbnn thö heldgna sang 414.

Dieses Schema gewinnt bei Otfrid be<leutend an umfang, aber auch das ist sehr leicht erklärlich, vgl. Germ. aao. 167. not-

312 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

wendig isl der accent aul' der zweiten hebung, er fehlt in dem von Sievers behandelten material gewis zufalhg nur einmal über- einstimmend in V P I 1 , 65'* auf io. dagegen iHsst der dichter den accent aul' der vierten hebung häufiger aus, vgl. die angaben von Sievers aao.

Also auch in diesem falle finden wir wider vollständige über- einstinuiiung der beiden verse, wenn man die tatsacben recht be- trachtet. Olfrid folgte auch hier nicht sklavisch dem beispiele der allilterationspoesie, sondern modelt die Verhältnisse nach seinem dafürhalten um. zwei accenle auf zweiter und vierter hebung setzt er, gewis veranlasst durch die verse der ersten art. die Ver- mehrung dieser art isl durch die andersartige seukungsbildung verursacht, die wir bei Olfrid finden.

C) Schema l2 34. mit synkope der Senkung nach dem zweiten fufse. Sievers typus C: ± x -^ (x)-^(x)i- (Beitr. 13, 153 f) und typus (A*') A- X - X -(x)i::. von diesen typen bat nach Sievers nur der erste sein Vorbild im av., während er bei dem zweiten schwankt, ob er aus A oder C abgeleitet ist. jetzt setzt er ihn indessen gleichfalls für den Heliaud an.

Am häufigsten sind auch hier die verse mit synkope nach der zweiten hebung, zb. ward thiu qudn öcan 193 usw., vgl. Germ. 36, 164, und ohne synkope der Senkung np te ihem höhon himile Hei. 656, an ena starca s/rdfwn 2399; an m ge- hirgi nppan 2895, that he sia so helaglico 333, vgl. aao. 165, also bald mit einfacher, bald mit doppelallilteralion, oder nach O.s manier bald mit einem, bald mit zwei accenten, und zwar ist auch hier, genau wie bei Olfrid, der doppelte stab bei den nicht synkopierten versen entschieden häufiger, als bei den syn- kopierten, aber auch bei diesen begegnet die doppeisetzung der accenle, zb. ist sedal sinaz i 5, 47 ^ in uns iügund mänaga i 5, 53"*, thaz siu ZI hüge hdheta i 7, l**. ja, auch die acceutuierung der ersten und zweiten hebung kommt vor, thäz si uns heran scoUi I 3, 38*; thie er uns ist lihenti \ lü, 18^ entsprechend alliltera- lionsversen: than ivöpiat thar wanscefti Hei. 1352; giivardod so warlico Hei. 300 usw., vgl. verf. aao. 166.

D) Eine andre rhythniiscbe form, die bei Otfrid erscheint und die wir 1 . 2 nennen können, leitet Sievers aus seinem typus l) ab: -i(x)-^^x. auch in diesem falle kann nicht der einfache, Siiebige typus, sondern nur der erweiterte 4 hebige herangezogen

REIMVERS UND ALLITTERATiONSVERS 313

werden, dessen vierhebigkeit sich von selbst ergibt, sobald wir nur auf den klingenden ausgang zwei hebiingen legen, icii habe ferner daraul' aulnierksam gemacht, dass wir auch in diesem lalle die zweite hebung als die hauplhebung zu betrachten haben, und dass die allitteration auf der ersten, die häulig, aber nicht immer aultritt, nur als ein nebensächliches moment aufgefasst werden kann, durch Olfrids Setzung der accentc wird dies auf das beste bestätigt, denn 0. versieht meistens nur die zweite hebung mit einem accent. alle andern erklärungsversuche, wie die von Sie- vers, Kauffmann, Heusler, können mich nicht befriedigen, nehmen wir die abneiguug Otfrids, zwei nachbarhebungen zu accentuieren, dazu, so unterliegt sein vorgehn keinen Schwierigkeiten und keiner unverständlichkeit mehr, betrachten wir die von Sievers angeführten beispiele thie hohun dltfatera i 3, 25% kristes lob sungi i 1, 116'', so ist zunächst klar, dass alt und nicht fatera den accent bekommen muss, und ebenso lob gegenüber sungi, und aus Otfrids princip folgt, dass der accent auf hohun und kristes fortbleibt, doch linden sich immerhin einige fälle, in denen auch die erste hebung accentuiert ist, zb. thera sprdcha mörnmti i 4, 83*, thiu züht was wdhsenti i 9,40% thie ötmüatige i 7, 16''.

E) Schliefslich erscheint bei Otfrid noch eine form 1.4, die im av. keinen boden hatte und die wir als eine neuerung Otfrids anzusehen haben, zb. las ih iu in alawdr i 1, 87. diese form aus dem typus E abzuleiten, geht m. e. nicht an, sie wird viel- mehr durch die neue lechnik des reimes hervorgerufen sein; im übrigen ist die zahl solcher fälle noch gering, denn es finden sich nur 7 unter der grofsen zahl der von Sievers behandelten, dies ist also die einzige art der versbildung und daher ist sie immer beachtenswert , die im av. noch nicht vorgebildet war; wir haben hier würklich eine neuerung Otfrids vor uns.

Sievers führt noch einen typus A" an : -^ x x - x 1,, zb. was imo iz harto üngimah i 8, 2; gihügit thaz er her iz liaz i 10, 12, vgl. Beitr. 13, 156 f. «loch ist auch diese art im altsächsischen av. deutlich vorhanden: man vergleiche damit verse wie tnan an iro mödsebon llel. 1359; mildi öbar niiddilgard Hei. 629; gumon ümbi thana {/ödes sunu Ilel. 1282, vgl. Germ. 36, 177.

Doch der av. bestand ja nicht nur aus 4 hebigen versen, sondern zum grüfseren teil aus solchen von 3 hebungen. diese versart hat sich, wie ich nachher auszuführen gedenke, recht lange

314 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

erhalten; natürlich lagen die 3 hebigen verse auch Olfrid im ohre. am anfang wandelte er sie nur mühsam und rein mecha- nisch zu 4hebigeii um. daher hat denn Sievers ganz recht: Olfrid bildet am anfange schlechte reimverse, aber gute typen- verse, dh. 3 hebige, zb. in i 5: thö quam bölo fona göte 3; floüg er si'mnwi pädb; zi ediles froüün 7; so man zi fromm scäl 13''; fo7i thir sdligim 19 usw. vor allem machte der lypus R Schwierig- keiten, weil hier die Vorbilder des av. am schwächsten waren, dass sich Olfrid in seiner fortschreitenden dichterischen läligkeit entwickelte, dass er neue formen, gewanter und gefälliger, aus- prägte, ist nur natürlich und von meiner auffassung aus auf das beste erklärlich.

Fassen wir noch einmal die resultate zusamn)en, so ergibt sich folgendes: 1) Otfrid übernahm von der allilterationspoesie den metrischen bau der verse, vor allem das priucip, eine liebung über einen ganzen fufs auszudehnen und nur stumpfen ausgang zu gebrauchen; die freie Setzung des auftactes ist ebenfalls im altsächsischen av. schon vorhanden, dagegen führte er die eiu- silbigkeit der Senkung im anschluss an den hymnenvers durch; 2) ebenso ist der rhythmische bau seiner verse derselbe, wie in den 4 hebigen allillerationsversen; 3) zur selzung der accenle ist er gleichfalls durch das beispiel des av. veranlasst, ohne dass wir an eine sklavische nachbildung zu glauben haben, da sich die Stellung der accente aus allgemeinen gesetzen der rhythmik erklärt.

II. DIE KURZVERSE DER ÜBERGANGSZEIT.

Ich wende mich nunmehr zu meiner zweiten gallung von Versen, jener, die neuerdings AHeusler in seinem buche Zur ge- schichle der altdeutschen verskunsl, vor allem s. 58 11", ausführlich behandelt hat. Heusler sagt dort sehr treffend: 'die denkmäler unsers Zeilraums enthalten verse in grofser zahl, die iler auf- nähme von vier hebungen kaum gewachsen sind, sehr häutig muss jede Silbe des verses einen ictus tragen , sodass eine metrische gewichlsabstufung überhaupt nicht mehr vorhanden ist. sehr oft müssen einsilbige artikelformen, schwachlonige pronomina und Partikeln den ganzen lad füllen, dass dadurch fast unleidliche verse entstehn, wird von allen, die sich darüber geäul'sert haben, stark empfunden, aber noch mehr, es kommen verse vor, bei welchen die anbringung von vier icten schlechterdings unmöglich

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 315

ist. gewis hat man recht getan, wenn man sich hier nicht in emendalionen ergieng. der verdacht verderbter (Iberlieferung wäre an manchen stellen unberechtigt.

'Dass man hier überall a priori die vier hebungen forderte und sich infolge davon jenen hülzernen versmessungen , wenn auch ungern, unterwarf, die kürzesten verse aber als 'zu kurz', als 'nachlässigkeiten des dichters' registrierte dies war dadurch verschuldet, dass man den mafsstab der Otfridschen lechnik an- legte an verse, die nach anderm mafse gemessen sein wollen. Otfrids vers galt der älteren nietrik zu sehr als der deutsche vers schlechthin, nach rückwärts, nach der seile des stabreimverses ist man von diesem irrtum längst abgekommen, nach vorwärts aber, in der beurteilung des mhd. nationalverses blieb man durch das Vorbild des Otfridschen metrums gebunden'.

Heusler schlägt nun vor zu lesen Wiener Gen. (Fdgr. n) 13, 8 daz er darinne neme) {äl des in gezeme usw. er will aber am schluss noch eine pause annehmen, um die 4 hebungen auszufüllen, er hält demnach diese verse für bracliykatalektische viertacter. das ist nun allerdings möglich, aber ein beweis gegen die annähme, dass 3 taclige und 4 tactige reihen nicht gemischt vorkommen können, ist noch nirgends erbracht, ich ziehe vor, mich zunächst an die tatsachen zu hallen, wir haben in diesen versen drei- taclige reihen, stumpf, vor uns, und es ist die frage: können wir dieselben irgendwo anknüpfen, können wir erkennen, von wo sie ihren Ursprung genommen haben? m. e. gleichen diese verse, abgesehen von gewissen Veränderungen, die die entwicklung der spräche und die einführung des reimes mit sich gebracht haben, den 3 hebigen stumpfen versen des av. bei Otfrid fanden sie keine aufnähme, hier aber treten sie zum ersten male wider an das tageslicht. wenden wir auf diese verse rhythmische principien an, dh. teilen wir sie darnach ein, an welcher stelle das höchst- belonte wort steht, A, B, C, und das können wir ja nach den betonuugsgesetzen, die Rieger aus dem av. abgeleitet hat, mit völliger Sicherheit, so erhalten wir verse, die genau solchen des av. entsprechen. WGen. 13, 39 daz er slinchen muge würde nach Sievers sein x x -(>; ^ x , also typus B, zweisilbige eingangs- seukung, auflösung der letzten hebung; ebenso 14, 10 beidu mdz joch tranch; oder Gen. 14, 31 gelesüht noch fich = typus E; 21, 16 ellelkhen man, E dh. j: x - x -^. auch Paul sieht Grdr. ii 922 f.

316 REIMVEHS UIND ALLITTERATIONSVERS

in diesen versen lypenverse, aber nach der Sieverssclien auf- fassung der typen mit nur 2 Hebungen, 'sodass als durchgehen- des princip nur zweihebigkeit wie für die allitterierende iiurzzeile anerkannt werden kann', in diesem falle sieht man besonders deutlich das unzureichende der typen, denn es steht doch un- bedingt fest, dass die mehrzahl der verse 4 hebig gebaut sind, ohne diese annähme ist die technik dieser zeit nicht zu erklären, warum will man bei diesen kürzeren versen gleich zur zweihebigkeit iibergehn, da doch bei ihnen noch etwas mehr als 2 hebungen vorhanden ist? nur eine nebenhebung, wird man sagen, aber unterscheiden wir nicht auch bei Otfrid haupl- und neben- hebungen, ohne dass es darum jemandem einfällt, nui' von zwei hebungen zu reden? anderseits linden sich auch zahlreiche fälle einer andern technik mit nicht genauer regelung der quanlitäten. hier hat die technik der 4 hebigen verse eingewinkt, die ja auch schon im Heiland anders gebaut werden als die 3 liebigen.

Auf diesen punct, den mir Heusier völlig erledigt zu haben scheint, will ich jetzt nichtweitereingehu, sondern mich zu den offen- bar 2 hebigen versen mit klingendem ausgang wenden, bei denen Heusier in eigentümliche inconsequenzen und Schwierigkeiten gerät. Heusier sagt s. 64: 'diese verse mit nur drei gesprochenen hebun- gen, wie ich sie glaube annehmen zu müssen, sind sämtlich stumpf im sinne des altgermanischen verses, dh. die letzte hebung ruht auf einer sprachlich starktonigen silbe. sollten wir dreihebige verse in weiterra umlange ansetzen? sollte zb. eine messung jöch zwei oügen zulässig sein?' Heusier verneint diese frage, er entscheidet sich vielmehr dafür, dass derartige verse mit 4 hebungen zu lesen sind, weil sie vollständig aus dem rahmen des vierhebungsverses heraustreten würden, er gesteht zu, dass er sich eigentlich einer inconsequenz schuldig macht, einer inconsequenz, die ihn schliefs- lich zur dehnung einer silbe über zwei füfse, bezw. zur annähme von pausen in der mitte des verses führt und eine auffassung der Kürenberger- und Nibelungenverse zur gellung zu bringen sucht, in der ich ihm durchaus nicht folgen kann, aus der Wiener Genesis führt Heusier die verse an: 22, 21 wesen ne musen; 26, 26 Seth genanten; 28, 24 ninr erleskent; 29, 30 ver- nemen ne mahle; 30, 28 noch ne dorften sament zewerfen; 36, 16 bern ne wolta; 51, 34 dienotest; 55, 13 und 57, 43 st sprachen; 70, 5 nu tlet. im ganzen sind das 11 fälle gegen 45 mit stum-

REIM VERS UND ALLITTERATIONSVERS 317

pfem ausgang, die wir nacli tlon bisher geltenden regeln nicht anders als 3 hebig lesen können, von dem auswege, den lleusler s. 79 einschlägt, sehe ich vorläulig ab. als unmöglich lässt sich an dieser stelle die annähme von Überdehnungen bezw. pausen natürlich nicht erweisen, berücksichtigen wir weiter nicht, dass diese verse aus dem rahmen des vierhebungsverses herausfallen, so ergibt sich sofort, dass sie dem Sieversschen typus A im av. genau entsprechen, ich brauche ja nur verse anzuführen wie aus dem Heliand manega wdron V, forht ni wärt 115^ metod gimarcod 128% lik gidrnsinot 154'', erl afödit IQS"*, um jedem klar zu zeigen, dass die parallele vollständig ist.

Derartige verse sind nun aber in den angeführten gedichten nicht vereinzelt, sondern ziemlich zahlreich, da ja lleusler nur diejenigen verse zählt, die unbedingt 3 hebig gelesen werden müssen, oder besser nur 3 hebungsfähige silben haben, aber wenn man erst einmal das princip anerkannt hat, wird man hier, genau wie bei den stumpfen versen entschieden weiter gehn. ich lese also in der WGenesis den sehsten fürsten 11, 7; er nänt inllht- vdz 11, 13; hie in himile 11,21; nf dem himile 11,26; diu wdzzer gnöte 12, 19; nach uns gebiete 13, ü; si so pitter 13, 19; ein pilede mächet 13, 26; daz bilede mdchön 13, 32; den gebet ze scirme 13, 35; sin wib mdhilen 14, 14; swelchen pf äffen 14, 16 usw.

Natürlich ist eine absolut sichere gewähr, ob die verse so, nicht in einigen fällen doch 4 hebig aufzufassen sind, nicht vor- banden, das tut aber dem princip keinen abbruch. im allge- meinen glaube ich, gerade im gegensatz zu Heusler, dass das gesetz, das als eines der wichtigsten in der mhd. Verslehre gilt: ein einsilbig gebildeter tact muss stärkeren accent tragen als der nächstfolgende gute tactteii, auch von der früheren dichtung an- erkannt wird, denn dieses gesetz scheint mir wichtiger zu sein, als die durch nichts zu begründende annähme der neueren, dass 3- und 4 tactige reihen nicht vereinigt werden dürften.

III. DIE KÜRENBERGERSTliOPHE.

Genau dieselben beiden versarteu, 3 hebig stumpf und 2 hebig

klingend, trefl'eu wir weiter im slrophenbau der ältesten minne-

lieder, die unter dem nameo des Kürenbergers überliefert sind.

die Strophenform der mehrzahl dieser gedichte hat man mit der

318 HEIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

NibeluDgensliophe verglicheu. sicher zeigt sie eine grofse ähn- lichkeit mit ihr. aber ohne eine auzahl von conjecturen kommt man nicht aus. Heusler behandelt diese stücke in seinem 5 ca- pitel. er wirlt die frage auf: 'ist es denkbar, dass die entspre- chenden glieder verschiedener slroplien nicht durchweg gleiche hebungszahl hatten? dass also die form dieser Strophe nicht bis ins einzelne genau üxiert war?' s. 95. er bejaht die erste Irage: die Strophe besteht aus 4 langversen von je 4 hebungen, die aber nicht sämtlich verwürklicht sind; die stellen, an denen die pause in der reihe eintreten kann, sind nicht genau fixiert gewesen. ohne auf Heuslers ausfiihrungen im allgemeinen einzugehn, ohne seine auffassung der dipodien anzugreifen, die ich nicht teilen kann, wende ich mich vielmehr direct zu den zweiten halbversen, und stelle das tatsächliche material aus MFr. hierher.

Wir finden zunächst an dieser stelle 3 hebig stumpfe verse: wie 7, 24. 8, 14; ferner dicke we getan 8, 26; des ich Glicht niöhte hdn 8, 28; ddz ist schedelich 8, 30; mere ddnne ein jd'r 8, 34; ferner 8, 36; 9, 2. 18. 22. 24. 26. 32. 34 ; 10, 2. 4. 6. 10. 12. 14. 18. 20. 22; also 23 tadellose fälle, die auch Heusler nicht anficht, es bleiben als ausnahmen: als der rose an dem dorne ttwt 8, 22, wo in MFr. das dem gestrichen ist. ob mit recht, wage ich zu bezweifeln, jedesfalls wird aber der vers, auch wenn wir die hsl. la. beibehalten, nicht 4 hebig, sondern man hat ihn mit 2 silbigem auftact und mit 2 silbiger Senkung zu lesen.

Diesem Schema gegenüber treten nun als entsprechungen verse auf, die 2 hebig klingend gebildet sind; vil liep wünne 7, 20; gewan ich künde 7, 22 ; an einer zinne 8, 2 ; vil wol singen 8, 4 ; vor dinem helle 8, 10; niwet wecken 8, 12; in minem hemede 8, 18; ritter edele 8, 20; schöne vliegen 9, 6; sidine riemen 9, 8; alröt guldin 9, 10; daz ich geweine 9, 14; miiezen uns scheiden 9, 16.

Heusler sagt zu diesen versen (s. 99): 'haben wir es mit dipodien zu tun, so sind die klingend ausgehnden zweiten halb- verse natürlich vierhebig zu lesen : vil liep wünne, gewän ich künde usf. die messung gewän ich künde udgl. wäre mit dem ^/4 tact unverträglich, und er begründet dies mit folgendem satze: 'dass die leichten tactfüllungen, wie sie bei dieser scansion eulstehn, dem dichter nicht fremd sind, verbürgen uns die verse der tünkel Sterne, der birget sich, wip vil schäme, bei welchen die messung nicht zweifelhaft sein kann', abgesehen davon, dass mir die mes-

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 319

sung doch zweifelhaft zu sein scheint, dass aucli die lesiing der tünkel, der birget, zu erwägen ist, abgesehen davon ist diese frage nicht durch einen hinweis zu erledigen, dass derartige gehilde würklich vorkommen, sondern diese verse müssen zuerst und vor allen dingen im Zusammenhang mit den übrigen versen des Systems betrachtet werden, und da zeigt sich, dass daneben in der mehr- zahl ganz deutlich 4 hebige verse stehn, teils mit, teils ohne Syn- kope nach dem ersten fufse, und dass diese wenigen verse sich als extreme, die infolgedessen auch verdächtig sind, ausweisen, man vergleiche nur teil mächet sorge 7, 19; ddz mir den hem- men hdn 7, 23; des möhte mir min herze 7, 25; und demnach ist auch zu lesen eines hübschen rilters 7, 21 usw.

Im zweiten halbvers fehlt es dagegen gänzlich an einem verse, der sicher 4 hebig wäre, und den man mit denen des ersten halbverses auf eine linie stellen könnte, denn sidine riemen^ alröt guldin sind nicht beweiskräftig, der einzige, den die ältere auffassung hierher setzen könnte, wäre müezen mis scheiden, und hier wird wol die zweisilbige Senkung, die ich annehme, auch Heusler nicht unerträglich sein, hei solcher durchgreifenden Ver- schiedenheit müssen eben Ursachen gewürkt haben, und so lange diese nicht nachgewiesen sind, halte ich an der althergebrachten ansieht fest.

Ich glaube also, man kann mit Sicherheit behaupten, dass diese 2 hebig klingenden verse die entsprechungen der 3 hebig stumpfen sind, dass sie selbst 3hehig mit einer hebung auf der letzten silbe zu lesen sind, damit fällt natürlich auch die an- nähme von dipodien, denn die messung gewän ich k'i'inde ist nach Heuslers eigenem Zugeständnis mit dem ■^ji tact unverträglich, dass ich mit dieser annähme nicht etwas wolbegründetes verwerfe, sondern nur eine künstliche hypothese mehr zurückweise, darauf sei noch in kürze hingewiesen.

Dem dipodischen bau widerspricht sicher daz mächent lüge- mhre 9, 17; aller wibe w'unne 10, 9; vgl. allaro cuningo crafli- gostan Hei. 1599^ al überlässt dem folgenden Substantiv die allilte- ration; als tuo du, frouwe schoene 10,3 frouwe müste allitte- rieren ; eines hübschen rilters 7,21 schliefst sich diesen versen correct au, die den Olfridschen typus A' darstellen, vgl. Sievers Beilr. 13, 157 er mxioz mir diu länt rü'men 8, 7, typus C. demgegenüber vermag ich nicht auf die Wortstellung in 9, 12 die geliebe wellen gerne sin

320 REIMVEKS UND ALLITTERATIONSVEHS

solch bedeutendes gewiclil zu legen, da doch die lisl. Überliefe- rung in der einen hs. C keineswegs über allen zweitel erhaben ist.

Diese beiden versarten, 3 hebig slumpl' und 2 hebig klingend, gehn zunächst auf die versa in den oben erwähnten gedichten zurück, dann aber auf den av., in) besonderen auf die einfachen typen desselben, verse wie viel liep wünne, gewan ich künde, ritter edele, in minem hemede sind deutlich A- resp. C'-vcrse, wie CBtion muotin Hiid. 2.

Aber auch der typus B xx-x- kommt vor: vil dicke we getan 8,26; das ich ir holt si 9, 34; der hirget sich 10, 2; so du sehest mich lü, 4; an einen ändern man 10, 6, natürlich schon etwas modilicierl; die setzung der quantiläteu ist nicht mehr genau, wie denn ein vers so du sehest mich 10, 4 im av. unmöglich war. man müste an stelle des ^ x im vorletzten fufs eine länge er- warten, ferner erscheint typus D und E, die ja nur durch den Wechsel des hauptstabes, der bald au zweiter stelle ^ | -^ x - sieht (D), bald an letzter -^ a. x | - (E) , unterschieden sind, zu E rechne ich göt den dinen li'p 8, 14, hier also schon erweitert, was indessen bereits im Heliand vorkommt, als der rose an dem dorne tiiot 8, 22; min rös, min isengewdnt sind D-verse. ich denke, ich brauche die vergleichung nicht durchzuführen, und kann die schlussfolgeruug ziehen, diese behandelten verse haben an und für sich mit den typen nichts zu schaffen, sie nacii typen zu lesen, wäre zunächst absurd, da wir ja wissen, dass die verse 3 hebig sind, aber mit der dreihebigkeit, mit der metrischen messung haben die typen gar nichts zu tun. sie sind vielmehr beobachtungen , die sich auf den rhythmischen bau der verse, auf die abstufung der einzelnen hebungen beziehen, wie ich das Germ. 36,145 ausgeführt habe, die typen können neben der lactmessung sehr vvol besteh n, ja müssen da- neben bestehn bleiben, dass es aber mit den typen allein nicht getan ist, dafür geben uns gerade die Kürenbergerverse das beste beispiel. Heusler hatte die klingenden verse des ersten und zweiten halbverses identificiert , dh. beide 4hebig gemessen, mit unrecht, wie ich glaube, wollen wir sie aber nach typen messen, so finden wir absolut keinen unterschied, verse wie: er hnop sich uf vil höhe 9, 3 ; er fuorte an sinem fiioze 9, 7 ; nw hrinc mir her vil halde 9 , 29 w ürde Sievers genau so zu typus A rechnen, wie schöne fliegen 9,6; ritter edele 8, 20, und

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 321

trotzdem sind wir sicher, dass in uoserm falle ein unterschied vorhanden ist, und so war es auch im av.; die verse mit ein- lacher allitteration sind dort 3hel)ig, die 4hehigen müssen doppel- allitleralion haben, oder A^-verse sein.

Nach meiner auffassung des av. und dieser späteren vers- kunst ergibt sich uns nun ganz von selbst die brücke, die von einem zum andern hinüberführt, es ist ja ganz undenkbar, dass der av. in Deutschland sofort nach Otfrids auftreten sollte zum lode verurteilt gewesen sein, wenn uns aus späterer zeit nichts überliefert ist, so ist das ganz natürlich, da ja die niederschrift der litteratur in den bänden der geistlichkeit lag, und sie, die die heidnische poesie mit Olfrid verdammten, werden sich ge- hütet haben, uns davon etwas mitzuteilen, sind doch die reste der ahd. allilterationsdichtunj,' überhaupt nur durch zufall über- liefert, der altgermanische nationalvers muste also fortleben und lebte fort, freilich nicht in der strengen ausübung, nach den festen gesetzen der alten zeit, und der reim mag als neues kunst- princip die allitteration auch bei den volkssängern verdrängt haben, aber nicht so leicht war die alte, freiere art verse zu bauen vernichtet, sie erhielt sich und erblickt in den oben behandelten gedichten wider das licht der geschichte, um von regellosigkeit im anfang zu strengerer regelung durchgeführt zu werden, indem 3- und 4 hebige gebilde nicht mehr gleichmäfsig in beiden halb- versen stehn , sondern diese auf den ersten, jene auf den zweiten halbvers verwiesen werden, dies ist schon in den Kürenberger- liederu erreicht, ein weiteres ziel besteht darin , auch gewisse typen aus den einzelnen vershälfien zu eulfernen, so dass im 2 halbvers die stumpfen verse (typus R, D, E) im ersten die klin- genden (lypus A, C) immer mehr vorhersehen.

Doch selbst im Nibelungenliede begegnet der vers 2 hebig klingend noch im zweiten halbvers. Heusler hat auch hier seine eigentümliche anschauung durchzuführen versucht: verse wie ir muoter Voten: haz der giiolen str. 14, will er 4 hebig lesen, in- dem er in der mehrzahl der fälle aus dem auseinandergehn der hss. auf eine vollere 4 hebige la. schliefst; so will er in diesem falle lesen: sine kündes bescheiden bdz nihl der güoten. 'der dichter mafs diese klingenden halbzeilen vierhebig; die bearbeiter mafsen sie dreihebig', das ist die quinlessenz seiner anschauung.

Diese ganze Voraussetzung kann ich nach allem vorher be- Z, F. D. A. XXXVllI. N. F. XXVI. 21

322 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

merkten als so wenig berechtigt anerkennen, die durchführung scheint mir so wenig glücklich zu sein, dass ich auf eine kritik der auflassung des handschriflenverliältuisses hier verzichte, über den rhythmischen Charakter hat neuerdings RHildebrand Zs. 1. d. d. Unterricht 6, 104 gehandelt, und ich beßnde mich zu meiner freude in der hauptsache mit ihm im einvernehmen. Hildebrand belegt die fragliche erscheinung mit neueren beispielen, vgl. s. 109. wenn Heusler freilich sagt s, 113: 'die endsilbe -keii auf dem guten tactteil ist ein so auffallender misklang in dem sonst rein 4/4tactigen liedchen, dass ich an der richiigkeit der trausscrip- tion zweifei hege', so kann mit solchen zweifeln ja alles negiert werden, aber der zweifei beruht nur auf einer theorie, die durchaus nicht bewiesen ist. ich halte also an der altherge- brachten ansieht fest, die nun um so sicherer begründet ist, da sie an der allitterationspoesie ihre deutliche anknüpfung findet, wie denn auch Hildebrand s. 107^ auf die idenlität vouir nmo- ter Uoten und sin vüoz birenkit im Merseburger Zauberspruch hinweist.

Die vorgetragenen anschauungen haben in mancher bezie- hung nicht mehr den reiz der neuheit. vieles beabsichtigte ich weiter auszuführen, was Heusler und Hiklebrand nun vorwegge- nommen haben, trotzdem glaube ich, dass sich die tatsacheu im geschichtlichen Zusammenhang doch noch anders ausnehmen, als in einzelnen bemerkungen , und dass diese auslebten mein eigentum seit längerer zeit sind, kann man aus meinen früheren arbeiten ersehen, wo alles bereits angedeutet ist.

IV. DIE VIERHEBIGEN ZWEITEN HALßVERSE.

Nach meiner auffassung des av. begegnen in der zweiten halbzeile auch 4 hebige verse, das characleristische derselben aber ist, dass die haupthebung auf dem zweiten (oder dritten) fufse liegt, vgl. Germ. 36, 356.

Der erste fall kommt vor allem in betracht. das schema des Verses kann verschieden sein, je nachdem wir die acceut- siellung 2 . 4 oder 2 . 3 haben, jene ünden wir in fällen wie endi 6k walddndes werk Hei. 3 , 587 ; qudd that im nerian- dds ginist 520 , und diesen entsprechen genau die Otfridschen verse der form 2 . 4 er loas thiononti thar i 15,2. vgl. Wil- manns Der altdeutsche reimvers s. 24. in diesem lypus ist sehr

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 323

häufig die Senkung nach dem zweiten fufse, dli. nach der haupl- hebung synkopiert, das begegnet uns schon im av. und ist scharf bei Olirid ausgeprägt, dieses sind dann die verse, die man als crelici bezeichnet (das schenia ist ^ x-^x-) und die Bartsch im NL. nachgewiesen und kritisch verwertet hat. aber diese verse treffen wir auch schon in den Kürenbergerliedern, was bereits Becker in seinem Allheimischen miunesang bemerkt hat. Heusler weist diese ansieht ab, weil die vierhebigkeit der schluss- zeilen nicht durchgeführt ist, und weil sie 4 hebig aufgefasst keine dipodien bilden, er list also älder ich geniete mich sin, iemer darbende sin, 3 hebig usw. vgl. s. 100. bei dieser auf- fassung gerät er mit mehreren metrischen tatsachcn in Wider- spruch, zunächst ist älder ich geniete mich sin nicht gut, weil die 2silbige Senkung im vorletzten fufs ungebräuchlich ist, wenn anders die ausfuhrungen von Wilmanns aao. zu recht bestehn. dann sind eine reihe von versen falsch betont, ich kann frei- lich überhaupt nicht erkennen, nach welchen principien Heusler haupt- und nebenhebung verteilt, für mich gibt es nur ein kri- terium in der älteren zeit, und das ist die Satzbetonung, wie sie von Rieger aus dem av. erschlossen ist. darnach ist aber zu be- tonen vil mänegen trürigen müot , so stet wol höhe min miiot, denn nur trnrigen und höhe konnten allilterieren. und drittens muss Heusler 3 silbigen auflact annehmen: ez ist den Hüten gelich. klingen Heusler die verse nach seiner lesung schön, so klingen sie mir schlecht und falsch.

Ich halte also daran fest, dass wir hier würklich 4 hebige verse vor uns haben, und in der mehrzahl der fälle gehören sie rhythmisch dem schema 2. 4 an und sind metrisch cretici. so lese ich also nie vrö' toerden sit 7, 26. der vers ist allerdings nicht besonders schön, wegen der fehlenden Senkung im ersten fufs, aber auf nie liegt immerhin ein gewisser nachdruck; ein grund zur änderung ist nicht vorhanden, alder ich geniete mich si?i 8,8; vil mänegen trürigen miiot 8,24; es ist den Hüten gelich 8, 32; und (löug in änderiu Idnt 9, 4; vil wöl des wcer ich gemeit 9, 20; des engän ich dir niet 9, 28; iemer darbende sin 9, 36; wiez imder uns zwein ist getan 10, 8; mir wärt nie wi'p also liep 10, 16; so stet wol höhe min müot 10, 24.

Damit ist aber widerum die idenlilät dieser lechnik mit der des av. in einem wichtigen puncte entschieden, und dasselbe

21*

324 HEIMVERS UND ALLITTEKATIONSVERS

gilt auch vom NL. die crelici müssen auch hier an das Schema 2. 4 gebunden sein, was man ohne die tatsacheu zu befragen aus der theorie und aus den vorzügHchen heobachlungen von Wilmauns über den aildeulschen reimvers schhefsen kann, man vgl.: diu was ze Santen genant 20; diu vil wätlichen ivip 23; so rehte erlicheti vant 24; heidiu Hut unde lant 2G usw. aber auch wenn die Senkung nicht synkopiert ist, herscht das schema ziemlich weit zb. zuo in riten in daz lant 30; bot man eren dd genuoc 38 usw. daneben treten auch andere typen auf: die für- sten hetens in ir pflegen 4 (1. 4); starp vil maneger muoter kint 19 (1. 3); die frouwen leiten in daz golt 31 (1. 4).

Den besprochenen versen des Kürenbergers slehn nun zwei anders gebaute gegenüber, zunächst 9, 12 die geliebe wellen gerne sin. die gewöhnhche fassung dieser formel, die auch in MFr. in den text gesetzt ist, lautet die gerne geliebe wellen sin, und sie entspricht auch unserm schema auf das genauste, wenn diese Um- stellung unberechtigt ist, so stünde der vers immerhin isoliert, aber ihn irgendwie anzutasten, dazu liegt für mich kein grund vor, er wäre höchstens als ein beweis der neuen technik aufzu- fassen, die im NL. weiter ausgebildet ist.

Die andere stelle ist bcdenkUclier. es ist die 5 Strophe (8, 13ff): des gehazze Got den dinen lipl

j'o enwas ich nicht ein eber wilde, so sprach daz wip. wenn wir die cäsur nach eber \ annehmen , so dürfte der vers notdürftig normal sein; aber das herüberziehen von wilde bleibt unschön und zweifelhaft, wenngleich 9, 19 versnonde \ vil wol eine parallele zu bieten scheint, abgesehen davon fiele der vers in den gewöhnlichen rhythmus mit synkope nach der zweiten Senkung, aber der vorhergehnde vers bleibt unlesbar, wenn man nicht eine ergänzung vornehmen will, ich lese mit Schröder Zs. 33, 100 im hinblick auf Ivvein 2262: dez gehazze iemer Got den dinen lip.

Ohne irgend welche einschneidende emendationen gelangt man also dazu, den zweiten halbvers der Kürenbergerstrophen als 3 hebig, und in der letzten zeile als 4 hebig aufzufassen, die zweiten halbverse sind tatsächlich identisch mit den Psibelungenversen au gleicher stelle, ihrer ganzen bauarl nach entsprechen sie aber den typen, die im zweiten halbvers des av. sich finden.

Ich beabsichtige hier keine theorie der Kürenbergerstrophe

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 325

zu schreiben, will aber Heuslers wegen auch auf die ersten halbverse kurz eingehn. Heusler nimmt an, dass im ersten halbverse 3 hebige verse mit 4 hebigen wechseln, und bezieht sich zu diesem zweck auf nnd ich gedenke an dich 8, 19 und lieb unde leit 9,23. der erste vers erregt mir keinen anstofs: man kann entweder lesen Ü7id ich mit elision oder ^Cf/enAe an, der zweite ist 3 hebig. hat man hier nun zu emendieren? oder hat man Heuslers ansieht anzunehmen, der eine nicht genaue fixierung des Strophenbaues annimmt? an und für sich steh ich Heuslers gedanken nicht principiell ableh- nend gegenüber, ein 3 hebiger vers dieser art findet auch unter 4 hebigen seine stelle, er ist dann brachykatalektisch aufzufassen ; vgl. Westphal Theorie der neuhochdeutschen metrik 31 f. aber ob uns diese eine stelle das recht zu solcher auffassung gibt, lässt sich billig bezweifeln, man muss sie indessen im äuge behalten; vielleicht findet sich in anderm Zusammenhang der beweisende punct.

V. DIE ÜBERLANGEN VERSE. Wenn es mir im vorhergehnden gelungen sein sollte, den leser von dem fortleben der metrik des av. zu überzeugen und zugleich ihm die existenz von 2 hebig klingenden versen neben 3 hebig stumpfen, wie ich sie mit Heusler annehme, wahrschein- lich zu machen, so werden vielleicht auch die folgenden ausfüh- rungen auf beachtung rechnen dürfen, es handelt sich um die verse, die für das schema von 4 hebungen nach unsern bis- herigen annahmen zu laug sind, die man als 5, 6, 7, 8 hebig anzusehen sich gewöhnt hat. vgl. Heusler s. 58 und die dort in der anmerkung citierte litteratur. neuerdiiigs hat darüber eben Heusler gehandelt und seine ansieht ist, 'dass halbverse mit mehr als 4 hebungen nicht vorkommen; die verse, denen man 5, 6 und 7 hebungen gab, sind viertactig zu lesen' s. 58. 'die schein- bare überlänge mancher Zeilen ist vielmehr überfülle'. Heusler nimmt in seinen weiteren ausführungen an, dass das princip der 1 silbigen Senkung hier nicht gilt, vielmehr 2 und 3 silbige Senkung vorhanden ist, wie das für gewisse mitteldeutsche gedichte schon Amelung behauptet hat. in vielen fällen muss ich Heusler zustimmen, wenngleich ich im einzelnen anders lese: so zb. awi wi manic völcwtc er vdht, während Heusler awi wi mdnic betont und wie in die Senkung setzt, doch das ist eine frage, die für den zu erörternden punct nicht von Wichtigkeit

326 REIMVERS UiND ALLITTERATIONSVERS

ist, und wenn sie überhaupt zu entscheiden ist, eine besondere Untersuchung erfordert.

Indessen kann man Heuslers annähme nicht völlig durch- lühren, vgl. s. 76, und wenn überhaupt reste bleiben, so niuss doch die frage aufgeworfen werden , was mit ihnen anzufangen ist. können sie auf grund einer theorie nicht erklärt werden, so darf man an der richtigkeit einer solchen hypolhese zweifei hegen.

Es existieren nun tatsächlich verse von 8 hebungen, die sich durch eine caesur in 2 vierlacter zerlegen lassen, von denen nur der zweite reimt: 'das vorkommen von " doppelversen" dh. von 4tactigen waisen, 4tactigen (meist stumpfen) reimzeilen kann man nicht in abrede stellen' Heusler s. 75. sicher nicht! diese doppelverse setzen sich also aus zwei 4 hehigen versen zusammen, dh. aus der versart, die in derartigen gedichten am häufigsten vorkommt, wenn nun aber hier neben den 4tactern auch 3 hebige verse stumpf und klingend erscheinen, warum soll es nicht auch langverse geben, die aus diesen elementen bestehn, also 6 oder 7 hebungen haben, die sich aus 3 -j- 3, 4 -|- 3 oder 3 + 4 tacten zusammensetzen? im princip steht nämlich dem erscheinen län- gerer reihen unter kürzeren durchaus nichts im wege, da ja der reim mit dem rhythmus zunächst nichts zu tun hat und die rhythmik durch einschieben solcher längerer reihen durchaus nicht gestört wird.

Aus solchen langversen von 6, 7, auch 8 hebungen mit wechselnder caesur besteht nach meiner auffassung der av, als nun der reim eingeführt wurde, da gab es zwei möglichkeiten der entwicklung. einmal hielt man sich an die vershälfteu und verband diese durch den reim, wie dies durch Olfrid geschehen ist. dadurch wurden dann die halbverse selbständige rhythmische reihen, das bestreben muste dahin gehn, die beiden abteilungen gleich zu machen, und das hat Olfrid ohne zweifei getan.

Aber man konnte auch die langzeile als rhythmische einheit beibehalten, und diese dann durch reim mit der folgenden binden, die anfange dieser entwicklung sind uns verborgen, ans licht der Überlieferung tritt diese form erst mit der Kurenbergerslrophe und dem Nibelungenliede, das eine gebiet gehörte der geistlich- keit an, das andre den nichtgeisllichen kreisen, aber wenn uns die reine form der letzten art erst ziemlich spät vor äugen tritt,

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 327

so weist (loch gerade das verhallen der erzählenden geistlichen litteratur aul das bestehen auch der zweiten arl hin. denn diese bindet zwar im allgemeinen kurzzeile mit kurzzeile, aber sie mischt auch den dreitacter ein, der nur von der allitteralionspoesie her- stammen kann, wenn sie dieser also so weit entgegen kam, wie war es wunderbar, dass sie auch langverse einmischte und, im vermischen verschiedener formen weitergehend, auch diese mit kurzversen durch den reim band?

Ein sicheres beispiel des Vorkommens von epischen lang- zeilen neben regelmäfsigen verstacten gewährt der Arnsteiner Marienieich abgedruckt MSD nrxxxviii, Waag Kleinere deut- sche gedichte nr x. in diesem leich kommen neben sicher 4 he- bigen auch längere verse vor, die man als daktylen zu lesen versucht hat. zu diesem zwecke muss man eine reihe von text- änderungen vornehmen, ohne doch zu einem befriedigenden resultat kommen zu können, da die gröblichsten betonungsver- letzungen zu hilfe genommen werden müssen, ich erinnere nur an lesungen wie

8 Vdne der sünnen geit ddz dageliet, oder 10 nög bewöllen ward dfn megedlfcher iJf usw. das unzulängliche dieser herstellungs- und lesungsweise liegt klar am tage, nach meiner ansieht haben wir in diesen längeren Versen langzeilen von 6, 7, 8 hebungen mit einer caesur nach der dritten oder vierten hebung. hierbei ist zu beachten, dass neben dem ausgang 3 hebig stumpf auch der 2 hebig klingeud wie in der Kürenbergerslrophe und im NL. erscheint, ich setze den text mit bemerkuugen und mit accenlzeichen hierher.

vän der sünnen iz geit creticus 2. 4.

äne ser und an drbeit 1. 3.

daz kint daz himel und erden \ sölde erfröuwen d ^, 2 ^ 5 däz ze storene quam \ ünsen räwen 4, 2 ^

an dller sldkte ser | iz van dir qudm 3, 3.

dlsiz götes kinde \ alleineme gezdm 3 w, 3.

vän der . . . sünnen \ geit daz ddgeliet: 3 w?, 3.

sine wirdet iimbe ddz \ du dünkelere niet, 4, 3 10 nög bewöllen ward \ dln megedhcher iJf, 3, 3.

alleine gebere dn daz kint, \ heiligez wJf. 4. 3.

sint du daz kint gebere,

bit alle du were

328 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

hiter iinde reine 15 van mnnnes gemeine.

sxoenen so daz dnnket \ immügelJch, 3 ^, 3.

der merke daz glas \ daz dir is gelig: 3, 3.

daz simnenliet schfnet \ durg mittlen daz glas, 3 ^, 3.

iz is älinc imde hiter sint \ dlsiz e des was. 4, 3. 20 dürg daz dlinge glas \ geit iz in daz hüs, 3, 3.

daz vinesternisse \ verdrfvet iz dar uz. 2 w, 3.

Dil bis daz dlinge glas | da der dürg quam 4, 3.

daz liet daz vinesternisse \ der werlde bendm, 4 o, 3.

vdn dir schein daz gödes liet \ in alle die Idnt^ 4, 3. 25 do van dir gehören wdrth \ nnse heildnt. 4, 2 w.

iz helühte dich \ und alle cristenheit, 3, 3.

du in den iingelöuven | verre was verleit. 3 w, 3.

iz vänt dich, iz Üz dich \ bit alle lüter, 4, 2 ^.

dlse du sünne deit \ daz gldsevinster. 3, 2 ^. 30 Juden, die üg willen \ ze göde keren, 3 v>, 2 ^.

merket daz gldz: j daz mag üg leren. 3, 2 ^.

Dl der büoche lese wir,

daz Ysdias vdne dir

dlsus hdvet gesprochen: 35 {die Wort die sint heUchen) :

üz vdn Jesse \ sal wdhsen ein rüode, 3 v./, 3 w

üffe der rüoden \ sal icdhsen ein bh'iome, 3 ^, 3 ^

an der blüomen sdl geruon \ der heilige drehten, 4, 3

her sdl sie gesterken \ bit allen sJnen crefden. 3 ^, 3 v. 40 vdn ime sdl sie \ du gödes chrdft entfün, 3^,3

da mite sdl sie \ den vldnt erslUn. 3 ^, 3

meinet du rüode \ dig, heilig megedin, 3 w, 3

bedüdet du blüome \ din drülkindeün. 3 o, 3. vers 44 51 sind regelmäfsig 4 hebig. 52 Schein vdn deme büsche daz für

daz meinede daz vdne dir

göt hie in erden

erberwet sülde werden.

grüonede daz löuf \ iJi deme füre 3, 2 ^

blüode der dln mdgednöm \ in der gebürte: 4, 2 w.

der bnsch . . behielt \ du sine scönecheit 3? 3,

so dede dln heilig iff \ du sine reinicheit. 3, 3

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 329

60 Dines mdgedüomes hluome \ grnonet ie nög, 3 v^, 3. du heizes ünde bis \ innoder ie dög. 3, 3. däz IS daz wunder \ daz niene gescdg, 3 ^, 3 daz nie öre negehürde \ nog öuge negesäg. 3 ^, 3.

Die weiteren verse sind meistens zweifellos 4 hebig. eine derartige partie von langversen, wie sie hier erscheint, kehrt nicht wider, einzelne sind noch vorhanden, dahin rechne ich Waag 254 f, Denkm. 286 f:

ddz er sie hehüde \ näht ünde dach 3^,3 van aller slnhten übele \ daz in gewerren mäch 3^,3 und 277 (309)

daz er ze disen eren \ süuderltche erläs. 3 ^, 3. auch der vorhergehnde lässt sich mit einer conjeclur hierher stellen

des heiligen geistes | fiz ercörnez vdz. 3 ^, 3. die Denkm. streichen ercörnez. leichter ist wol der zusatz von üz. auch 322 f

gelJch dem{e) brünnen | der iemer ßüzet 3 ^', 2 ^ gellcli deme krude \ daz iemer grüonet d ^, 2 ^ scheinen hierherzugehören, wenngleich die lesart unsicher und absolute entscheidung daher nicht möglich ist.

Wenn man diese Vortragsweise mit der der Denkmäler ver- gleicht, so wird man ihr hoffentlich den vorzug geben, im ein- zelnen kann man wol manches anders lesen, aber jeder versuch, ganz regelmäfsige verse durchzuführen, muss m. e. scheitern, fehler der hs. liegen vielleicht an einigen stellen vor: 8 van der sunnen möchte ich durch irgend ein attribut ergänzen, absolut nötig ist das nicht, wol aber v. 58 der busch behielt, wo der dritte fufs herzustellen ist, und ebenso 276 (308). ich glaube den ausfall dreier worte dürfte man schon um metrischer theorien willen annehmen.

Nach meiner auffassung finden wir in diesem leith den deut- lichsten Wechsel von 3 hebig stumpfen und 2 hebig klingenden Versen, das erscheinen von langversen ist zum teil gewis ein characteristicum dieser dichtart, kehren sie doch in Wallhers leich deutlich wider, man vergleiche nur

Mdget und müoter, schöuwe der christenheite not du blüende gert Arönes üfgender mörgenrot usw. mit unsern versen.

330 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

Ferner finde ich derartige verse in der Mariensequeuz aus Muri MSD nr xui, VVaag xvii, und hier wird die beurtei- lung nocli viel sicherer gestellt, da uns die responsionen er- halten sind.

Die auf die einleitungsverse folgende Strophe wird durch einen langvers abgeschlossen, dem eine 4 hebige waise vorhergeht:

der dich und dl die weit gescnof 4.

sich wie reine ein vdz | du mdget wäre 3, 2 ^. und genau entsprechend in der nächstfolgenden

daz ich den vdter imd den sün 4

und den vil Heren geist | gelöuben mnoze 3, 2 w. in den folgenden zeilen entsprechen sich 16 u. 20. 16 fröuwe, du hast virsüonH \ daz Evä zirstürle 3 ^, 3 ^ 20 daz din göt vor allen icJben \ zi müotir gidahte, 3 ^, 3 ^. im folgenden finden wir die Verbindung 3 -+- 3 -> 25 dhi vil reiniu scäm \ irscrdch von deme märe 3, 3 v^

wie mägit ane man \ ienier chint gebäre 3, 3 v^ 30 der die helle brach | der Idc in dJme Übe 3, 3 ^

und würde iedöch \ dar nnder niet zi wibe 3, 3 ^. besonders interessant ist der absalz 50 57 , der in zwei corre- spondierende hälften zerfällt.

La mich giniezin, \ swenne ich dich nenne 3 v^, 3 v^

ddz ich, Maria fröuwe, \ däz gilöube unde ddz an dir irchcnne

3 w, 5 ^

ddz nieman güotir 3 w

mach des virlöugin 2 ^ | du ne sfest der irbdrmide müotir 6 ^

mich giniezin | des du ie begienge Z ^, 3 ^

in dirre werlte mit dlme süne \ s6 du in mit den hdndin ziio

dir vimge 4, 5 ^

so wol dich des kindesl 3 ^

hilf mir ümbe in: \ ich iceiz wol, fröuwe, daz du in senftin

vindest. 3, 6 ^ 58 Dfnir bete mach dich din lieber | sün niemer verzJhin 4 w, 4 w

bile in des daz er mir wäre \ rüwe müoze virlihin 4 ^-, 3 ^. Man kann über die auffassung der einzelnen aufgeführten verse in vielen fällen verschiedener nieinung sein, doch hoffe ich das 6ine wenigstens dargetan zu haben , dass wir es nicht mit daktylen, sondern mit langversen zu tun haben.

Man wird nun immerhin diese lansverse eher in diesen leichen

REIM VERS UND ALLITTERATIONSVERS 331

als in den erzählenden gedichten zugeben: mit dem einwände, dass jene gesungen, diese aber gesprochen oder recitiert wurden, durchschlagend ist dieser grund nicht, denn lactgemäfs müssen beide Vortragsweisen sein, auch die recitierende, wenngleich in dieser die tactfüllung wahrscheinlich gröfser sein kann, mit dem- selben und gröfserem recht könnte man der recitierenden Vor- tragsweise die Synkope der Senkung, oder besser gesagt, die deh- nung einer einzelnen silbe über den ganzen fufs absprechen, denn leicht und bequem lässt sich dies doch nur im gesang ausführen.

Nun lässt sich unsere auffassuug der langverse bei den er- zählenden gedichten nicht mit derselben Sicherheit wie an den leichen durchführen, und zwar einfach deshalb nicht, weil sie hier sehr unregelmäfsig erscheinen, und weil auch schon verse ohne caesur untermischt zu sein scheinen.

Schon längst ist man auf diese erscheiuung aufmerksam ge- worden. Heusler bespricht aao. 72 die erklärungsversuche, indem er sich zu allen ablehnend verhält, mir scheint die einwürkung der Sequenz, an die Schercr dachte, ebenfalls unmöglich; mehr nähere ich mich Vogts ansieht Beitr. 2, 260. aber ich glaube kaum, dass diese langzeilen ursprünglich nur an dem schluss von absätzen berechtigt waren , und ebensowenig, dass sie immer aus zwei hälften von je 4 hebungen bestanden, sondern dass die angeführten modificationen sämtlich in die erscheinung traten.

Ich wende mich nun zu den einzelnen denkmälern, zunächst zu Salman und Morolf. Vogt hat in der einleitung s. lxxxvi die überlangen verse besprochen, im ganzen sind es gegen 500 verse, dh. etwas mehr als der achte teil der gesamtheit, die das mafs von 4 hebungen überschreiten, diese zerfallen in zwei arten, die erste ohne wahrnehmbare gliederung, die zweite mit einer caesur nach der 4 hebung, der dann noch 3 hebungen folgen, wir finden also die epische langzeile, zb.

Eine dütsche hdrpfe dreit er an der hänt 110,6. 120, 1.

Morolf liez die graven und die froüwen für sich gan 200, 1

wir sin zu strite bereit über vierzehen tage 63, 2.

wider in fnrte sie den uzerwelten degen 274, 5 usw.

Auch der König Roth er bietet langverse zu 6, 7 oder 8 hebungen, meistens am schluss eines absatzes, aber nicht immer, ich führe an:

332 REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS

94 unde weit ouch wol we es nmhe daz wiph stat. 99 der werbit dir [aller] truwelichis ntnbe daz megetin. 115 helit, nn salt tuz durc dinis selbes frumicheit do"n. 133 daz wir ane lasier vor ein kuninc muyin tragen. 145 daz sie erme herren umbe die maget voren. 217 ich wil diner schiffe wol mit triuwen phlegen. 222 ire mantele waren gesteinit bi der erden

mit den besten jachanden die ge dorten geicerden. 280 do redite ein altvrouwe die heiz Herlint. 319 her wolde dine tohter zo einer knninginne han; 335 d^me bescohetis anderis nimmer mer den tac 414 Nu sagit man uns von skazze und von golde 527 kuninc, dune mohtis nimmer so gote sinne habe 561 so mohter sin ere aller bezzist bcware 825 sie gelobetin daz sie hietin Rochtere Thideric 900 wände die riesin gebartin also sie doveten. 949 Er sprach: der herre- nemach vor Rother niht genesen 961 Do reiten ime de herren, daz her ir also pflege 1146 Do zoch man vor Constantinis disch einin lewen vreissam und viele andre, gegen den schluss zu nehmen die langverse sichtlich ab und kommen nur noch vereinzelt vor.

Weiter liegen derartige verse zahlreich vor in der Kaiser- chronik, besonders deutlich in der von Rödiger Zs. 18, 157(1 be- sprochenen stelle^, in den langversen sieht Müllenhoff daktylen. ich lese 9378 wi der götes sün von himel an die erde chöm

vo)i ahier magede wart er uns ze tröste gebörn 9386 er sih nicht länger ne wölte töugen

er tiewölte sinen götelichen gewdlt oügen. 9392 duo twälte iwer salbe sdme in Israhel

und gesämenet sih hinnen vur niemer mer. 9398 swelhe an dem gelöuben denne völleslent die besizzent di wünne diu niemer zerget. Und noch in vielen andern gedichten Onden sich derartige verse. es übersteigt meine zeit, alles genau zu durchmustern und zu untersuchen, und ich unterlasse eine weitere ausführung auch deshalb, weil ich bei der leclüre den eindruck gewonnen habe, .dass es nicht möglich ist, zu sicheren resullateu zu kommen. ' vgl. dazu jetzt Vogt Zs. f. d. phil. 26, 555.

REIMVERS UND ALLITTERATIONSVERS 333

es existieren gewis auch laogverse ohne caesur, was mir nicht weiter wunderbar ist, da ein 6 oder 7 hebiger vers, und als solcher erschien er im bewustsein, schliefsiici) aucii ohne caesur gebaut werden kann, wie es so oft bei dem letzten halbvers der Gudrun- strophe der fall ist.

Nun noch eins, das auftreten verschiedener langer verse ist nur im gesangsvers auffallend, wo eine responsion gefordert wird, im gesprochenen verse können aber die mannigfaltigsten Perioden mit einander wechseln, wie es in der neuereu dichl- kunst durchaus der fall ist. die gerade tactzahl wird allerdings im gesangsvers gewöhnlich angewendet, nicht aber im sprech- vers. mir würde es unerträglich klingen, wollte man in Goethes 5 füfsigen Jamben mit einer pause den 6 fufs ausfüllen, das ver- bietet schon das häufige enjambemeut. diese frage kann sehr wol durch experimentelle beobachtung entschieden werden, und ich will getrost abwarten, was sich dann ergibt.

Leipzig. HERMAN IllRT.

ZUR ISLÄNDISCHEN HECTORSAGE.

Diese saga hat bisher wenig beachtung gefunden, vielleicht infolge des absprechenden urteils, das Arne Maguusson über sie fällte ('de Ilectore quodam, non genuino illo Graecis celebrato, sed altero, in Islandia, ni fallor, primitus efficto, ineptissimam fa- bulam', bei Nyerup Morskabsl. 39). die Vorbereitungen zu einer ausgäbe der saga, die mich zur zeit beschäftigen, geben mir gelegenheit, einen beitrag zu dem im Arkiv f, n. fil. 1, 62 ff von GCederschiöld herausgegebenen isländ. AUra kappa kvaedi zu lie- fern und eine reihe der in dem liede aufgezählten heldennamen, die der herausgeber ihrer herkunft nach noch nicht bestimmen konnte, der Heclorsage zuzuweisen, der Inhalt dieser selbst ist kurz folgender: aus dem königlichen geschlechte des Priamus, das nach dem falle Trojas sich über Asien verbreitet, entstammt der mächtige herscher Karnocius. seiner gemahlin erscheint wäh- rend ihrer kindesnöte im träume der trojanische Hector; er er- mächtigt sie, dem kinde, das sie gebären würde, seinen namen beizulegen, und prophezeit dem knaben glänzenden heldenruhm. der junge prinz wird sorgläliig erzogen; bei seiner schwertleite besiegt er sechs königssühne, die von da ab seine nächste Um- gebung bilden und mit ihm auf seinem prächtigen schlösse

334 ZUR ISLÄISDISCHEN HECTORSAGE

hausen, nach einiger zeit verahreden sich die jungen heiden, getrennt auf abenteuer auszuziehen und nach zwölf monaten auf demselben schlösse wider zusamnienzulrefl'en. ihre fahrten wer- den nun der reihe nach geschildert, der name des ersten und unbedeutendsten unter den geführten des Hector Gndet sich nicht im Akkv., dagegen erscheinen die übrigen fünf vereint in Strophe 6 des gedichtes (Florencius, Fenacius, Alanus, Trancival, Aprival). hiernach ist die Vermutung Cederschiölds, dass mit dem in Strophe 1 erwähnten Ektor der held unserer saga gemeint sei, wahrschein- lich genug, ein einziger nur von diesen sieben rittern kehrt am verabredeten tage nicht zum schlösse Heclors zurück, Aprival, der in die gefangenschaft des künigs Troilus geraten ist. dessen söhn Aeneas bietet mit seinen sechs heergesellen das gegenbild zu Hector und seiner Umgebung, zur befreiung Aprivals zieht Hector mit seinen freunden an der spitze eines gewaltigen heeres gegen Troilus und schliefst diesen iu seiner feste ein. es ent- brennt eine furchtbare schlacht, der könig muss mit den seinen in die Stadt zurückflüchten. Aprival vermittelt eine Versöhnung, Hector erhält die band Trobils, der schönen tochter des königs Troilus und reitet in freuden heim, einer der heiden des Aeneas, und zwar der gewaltigste, ist der im Akkv. 6, 7 er- wähnte ßelus.

Die aufzählung dieser namen im Akkv. ist ein beweis für die belieblheit, der sich die Saga frä Hektor oc koppum bans erfreute; dafür spricht denn auch die verhältnismäfsig grofse an- zahl der uns erhaltenen handschriften (JThorkelsson Om digln. Island i det 15 og 16 ärh. s. 301). ob die saga in Island selbst erfunden oder nach einer fremdländischen vorläge bearbeitet ist, möge vorläufig dahingestellt bleiben; bisher ist es mir noch nicht gelungen, eine französische quelle, an die man zunächst zu denken hätte, aufzufinden, indem ich mir vorbehalte, auf diese frage zurückzukommen, begnüge ich mich hier damit, auf einige romanische erweiterungen und fortsetzungen der Trojasage hin- zuweisen, mit denen die isländische Heclorsage am ersten ver- glichen werden kann. Hector wurde dadurch, dass sich die mittelalterliche tradition an Dares anschloss, weit über Achilles erhoben; an seine person knüpfte denn auch die neu schaffende Phantasie mit Vorliebe an, das allfranzösische lied von Hector und Hercules schildert ein ereignis, das vor dem grofsen krieg

ZUR ISLÄNDISCHEN HECTORSAGE 335

angesetzt wird : Hector besiegt im einzelkampfe den Hercules und rächt so den tod Laomedons (Bartoii 1 codici l'rancesi della biblioteca iMarciana di Venezia 16 IT; WMeyer Zs. f. rom. phil. 10, 363; im Troj. kriege des pseudo-Wolfram von Eschenbach, von dem Greif Die mittelalt. bearb. d. trojanersage 125 IT einen kurzen auszug gibt, kommt auch ein kämpf zwischen Hector und Hercules vor, der aber hier irrtümlich den kämpfen vor Troja eingereiht ist), breiter augelegt als dieses gedieht aus der Vor- geschichte des grofsen kampfes zwischen Trojanern und Griechen sind die fortsetzungen. dass man schon früh darauf bedacht war, das heldengeschlecht des Hector nicht aussterben zu lassen, zeigt eine stelle im Roman de Troie des ßenoit in recht bezeichnender weise: Andromache hat von Hector

deus biax enfanz,

li ainz nez n'avoit que V anz.

Landomata ot non li uns

li altre ot non, 90 dit l'escriz,

Astarnantes. (v. 15193 IT) Astarnantes (Astyanax) stirbt, aber Landomata, dessen name nach Laomedon gebildet wurde, ist offenbar eingeführt, um den fall Trojas zu überleben und dem geschlechte des Hector neuen, königlichen glänz zu geben, der roman , welcher auf diese weise die Trojasage kyklisch erweitert, ist in prosafassung erhalten, vgl. PParis Les mss. franp. de la bibliothöque du roi vi 348; über eine italienische bearbeitung s. Gorra Testi inediti di storia trojaoa 244. den rachezug der nachkommen des Priamus, die von beiden der tafeirunde unterstützt werden, schildert eine abenteuerliche prosaische erzählung, von der Gorra aao. 248 nachricht gibt (ebenso bildet die Vengeance d'Alexandre die fort- setzung der Alexandersage); in diesem italienischen romaue tritt, wie in der isländischen saga, ein Hector unter den nachkommen des trojanischen königshauses auf. diese beispiele mögen zur andeutung genügen, welcher gruppe der mittelalterlichen dich- tungen die nordische Hectorsage angehört, vielleicht geben meine Zeilen veranlassung zu weiteren mitteilungen: es scheint noch nicht ausgeschlossen, dass auch die Hectorsage wie andere lygisogur sich als bearbeitung eines fremden Originals erweist.

Götlingen, 22 april 1894. RÜD. iMEISSNER.

336 OTFRIDSTÜDIEN

OTFRIDSTUDIEN.

II

Zur vorläufigen versläudigung über die nachlese von quellen für Otfrids evangelienbuch, die ich im folgenden vorlege, bemerke ich, dass sie zunächst gewonnen ist aus der stärkeren ausnulzung der evangelien, sowie derjenigen Schriften, die hauptsächlich von Kelle, dann aber auch von Piper, Erdmann, Loeck (Die homilien- sammlung des Paulus Üiacouus die unmittelbare vorläge des Otfridischen evangelienbuches, Kiel 1890) und anderen nachge- wiesen worden sind, auch Übereinstimmung zwischen einzelnen Worten und Wendungen habe ich hervorgehoben, ferner sind von mir eine anzahl bisher unberücksichtigter Schriften herangezogen worden, worunter insbesondere der Matthäuscommenlar des Pascha- sius Hadbertus zu erwähnen ist, welcher der zeit nach sehr wol von Olfrid benutzt worden sein kann, ich bin keineswegs der ansieht, dass alle von mir beigebrachten stellen würklich von Olfrid gelesen und in seinem werke verwertet wurden; es ge- nügt mir in manchen fällen, einen gedanken Otfrids bei den Schriftstellern seiner zeit aufzuzeigen, und wenn da nicht, sogar überhaupt in der kirchlichen tradilion des mittelalters. ich eitlere noch Ilaymo von Halbersladt als aulor, obzwar mir bekannt ist, was von Ilauck und neuestens vornehmlich von Valentin Rose in seinem unübertrefflichen katalog der Berliner Meermannhand- schriften dawider eingewendet worden ist. auch ich glaube nicht mehr an Haymo, muss aber in ermangelung eines anderen sicheren namens einstweilen die bisher ihm zugeschriebenen werke unter dem seinen anfuhren, ebenso nenne ich noch Beda als Verfasser des vielgebrauchten Matlhäuscommentars und der ihm beigelegten redaction von Alcuins Johannescommentar. die fragen nach der Urheberschaft dieser und anderer noch ungedruckter alter evan- geliencommenlare, sowie nach ihrem gegenseitigen Verhältnis, be- handle ich in dem nächsten abschnitte meiner arbeit.

Bei meinen auführungen setze ich stets Erdmanus grofse Olfridausgabe voraus, habe jedoch allerorts, wo es mir nötig schien, auf die milleilungen von Kelle und Piper in ihren ausgaben zurückgegrilTen. die dcdicationen und das erste capitel von Olfrids werk bleiben hier fürs nächste unerörtert, weil sie zusammen für sich im vierten teile untersucht werden, eine knappe tabelle zur

OTFRIDSTUDIEN 337

Übersicht des bis jelzt vorgebrachten quellenmateriales zu Otfrid beschliefst diesen zweiten abschnitt. die lateinischen cltate, so- weit sie nicht aus der bibel stammen , beziehen sich auf Mignes Patrologia Latina in 221 bänden (217 + 4), Paris 1843—1887; in den wenigen fällen, wo andere ausgaben benutzt werden musten, ist das ausdrücklich aogegeben.

ERSTES BUCH. 2. Solche anrufungen gottes am beginne eines Werkes finden sich bei Schriftstellern aus der zeit Olfrids nicht selten, zb. bei Walafrid Slrabo, Angelonius usw. übrigens wurde der 69 Ps., der mit den Worten anhebt: Dens, in adjnlorium meum intende; Domine, ad adjuvajidum me festina, von den Beuediclinern täglich gebetet und legte also eine solche einleitung dem dichter nahe. 3 ff die Ps.-slelle 50, 17 ist auch von Beda im Marcuscommentar zu der erzählung von der heilung des blindgeborenen angezogen 92, 204 D. sie ist übrigens der regelmäfsige eingang des brevier- gebetes. 20 Ps. 50, 11 steht: dele omnes iniquitates meas, also braucht der plural des textes nicht vom Schreiber, er kann auch vom dichter herrühren, vielleicht sind die nächstfolgenden ge- danken durch Ps. 50, 12 angeregt: cor mntidum crea in me, Dens, et spiritni7i rectum innova in visceribus meis. der 50 Ps. gehört überhaupt zu den täglichen gebeten der Benedictiner. vielleicht lässt sich annehmen, dass manche der in diesem abschnitt aus- gesprochenen gedanken durch die Benedictinerregel selbst angeregt wurden, insbesondere durch den prolog, dessen salze ja den ordens- gliedern aufs innigste vertraut waren, so heifst es dort im ersten absatz (66, 216D): imprimis, nt quidquid agendnm inchoas bonum, ab eo perfici instaritissima oratione deposcas. zu v. 15 ff vgl. das citat Ps. 33, 14: prohibe linguam tuam a mala et labia tua, ne loquantur dolnm, das der prolog 217 B enthält, zu v. 17 f. 25 f vgl. prolog 218 A: qui timentes Dominum de bona observanlia sua non se reddunt elatos; sed ipsa in se bona non a se posse, sed a Domino fieri existimantes, operantem in se Dominum magnißcant, illud cum propheta dicentes: 'non nobis, Domine, non nobis, sed nomini tuo da gloriam' (Ps. 113, 1). zu 23 vgl. (aufser Sap. 1, 6: quoniam Dens cordis illitis scrutator est verus et linguae ejus audilor) Ben. B. cap. 7 (66, 371 D): demonslral nobis hoc propheta, cum in cogitationibus nostris ita Deum semper praesentem ostendit, Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXM. 22

338 OTFRIDSTUDIEN

dicens: 'scnilans corda et renes Dens' (Ps. 7, 10). et Herum: 'Do- minus novit cogitationes hominum, quoniam vanae sunt' (Ps. 93, 11) usw. zu 37 11". 43 46, clanu dem schluss des ab- schniltes überhaupt vgl. deu zweiten teil des prologes der Ben. R. 218 A D.

3. 1 ff die hervorhebung der nameu aus dem allen teslamente fällt in der sacbe mit der sonderung der weltaller zusammen, Otlrid bringt also hier dasselbe wie der Verfasser des Ileliaud im eingange seines Werkes, vgl. Sedulius Scotus Exposilio in argu- mentum evang. Matthaei, 103, 275 1". Abraham und David hebt schon Matthaeus selbst heraus v. 1 : fiUi David, (ilii Abraham, in derselben weise wie Otfrid beurteilt Christian von Stablo in seiner Exposilio in Malthaeum (die auch von VValafrid Slrabo bei seiner Glossa ordinaria, zb. eben zu der stelle 114, 65, stark benutzt wurde) die hervorgehobenen, 106, 1267 AB. 23 ff diese drei- teilung ist keineswegs, wie Erdniann zu vermuten scheint, Otfrids eigentum ; sie findet sich bei Beda im Matthäuscommentar (92, IIA): iste vero numerus quaterdenarius ter posilus triplicem Israelitici populi historice demonstrat distinctionem, quarum prima sub patri- archis et sacerdotibus et judicibus fuit ante reges; secnnda sub regibus et prophetis et sacerdotibus; tertia sub ducibus et pro- phetis et sacerdotibus post reges (= Rabanus Maurus Matlh.-comm. 107, 745 A. vgl. Walafr. Slrabo Glossa Ord. 114, 68 D und ganz ebenso die dem Rabanus Maurus zugeschriebene [s. darüber Kunst- mann s. 153 anm.] homilie über den Liber generationis Migne 110, 465 A). man sieht, dass Otfrid aus jeder dieser drei gruppen nur die zuerst genannten gewählt hat, vgl. Schade Altd. wb. 1307** unter zwdhta. 27 ff die angeführte isaiasstelle bringt Ambrosius im Lucascomm. bei 15, 1675A (vgl, Cassiodor Expos, in ps. 79, 70, 582). er sagt auch 1642 A: radix enim est familia Judaeorum, virga Maria, so nennt Gregor ebenfalls die patriarchen bäume, deren frucht Christus ist, Moral, xxm 1. 76, 251 A f . der grund, den Erdmann aus Beda anführt, weshalb hier Maria, nicht Joseph, genannt wird, steht schon im Matlh.-comm. des Hieronymus 26, 24 B. 29 ff wie alles vorangehndc auf Maria abzielte, zeigt Rabanus Maurus im Matth.-comm. 107, 732. 31 knüpft sich wol daran, dass 'Maria' syrisch 'domina' heilst, wie die comnienlatoren alle seit Hieronymus erwähnen, vgl. Beda zu Lucas 92, 316 D: syriace vero Domina vocatur, et merito, quia et totius mundi Dominum

OTFRIDSTUDIEN 339

et lucem saecidis meruü generare perennem. vgl. die von Rabanus Maurus dabei citierten verse 107, 744 C. 36 diese Umschrei- bungen von zahlen sind nicht zuerst von Olfrid gegeben, wie Erdmauns anm. zu meinen sclieint, sondern linden sich ebenso bei den kirchenvätern, ja in der altchristhchen lateinischen poesie überhaupt, es citieren übrigens Kelle, I'iper und Erdniann den commentar des Rabanus Maurus zu dieser stelle nicht weit genug, die angäbe von 11 X 7 steht auch bei ihm und zwar sehr be- stimmt 107, 747 A: denarins qnippe tan quam justitiae numerus in (lecem praeceptis legis ostenditur. porro peccalum est legis trans- gressio, et ubique transgressio denarii numeri congruenter wide- nario ßguratur. ac per hoc, quia Universum tempns (vgl. v.35) septenario dierum numero volvit , convenienter undenario septies multiplicato ad numerum septuagesimum et septimum cuncla pec- cata perveniunt. 41 f vgl. Beda im eingange seines Mallhäus- commentares 92, 9 A zum namen Jesu Christi: et rex omnium regum, in cujus nomine omne genu flectitur.

4. 1 vgl. I»etrus Chrysologus Sermo nr 89, Migne52, 451: tempus memorat regis nefandi. 3 f der acceut auf thanne scheint mir (anders als Erdmanns anm.) zu beweisen, dass Olfrid die hebräische silte im bewusten gegensatz zur gewünschten ehe- iosigkeit der priester seiner eigenen zeit anführte, er mochte dazu nicht blofs durch die historischen erörterungen Bedas im Lucas- commentar 92, 309 bestimmt sein , sondern hauptsächlich durch dessen salze, ebenda 314 A: hoc est quod dixi, quod vicis suae tempore pontifices, templi tantum officiis mancipati, non solum a complexu uxorum, sed ab ipso quoque domorum suarum abstine- rent ingressu. ubi nostri temporis sacerdotibns, quibus semper altari servire jubelur, ije7yetuo servandae castitatis exemplum datur. quia enim tunc sacerdotalis ex stirpe Aaron siiccessio quaerebatur, ne- cessario tempus substituendae soboli procurabatur. at quia nunc non carnalis successio, sed perfectio spirilalis inquiritur, conse- quenter sacerdotibus, ut semper altari queant assistere, semper ab uxoribus continendum, semper castitas observanda praecipitur. vgl. Walafr. Strabo Glossa ord. 114, 246 B. biscof übersetzt das von den commentaloren und kirchenschriftstellern zumeist für Zacharias angewendete pontifex. 1 1 fl" Beda ciliert in seiner homilie In vigiliis S. Joannis Baplistae 94, 205 D die stelle Levit. 16, 33 f: ''expiabit autem pontifex sanctuarimn et tubernaculum testimonii

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340 OTFRIDSTUDIEN

atque allare, sacerdotes quoque et Universum popuhim ; ehtque hoc vobis legitimum sempiternum , ut oretis pro fiUis Israel et pro cuHctis peccatis eorvm semel in antio'. 20 ist eigenllich kein zusalz, sondern aus dem hierher geschobenen hora incensi ent- nommen. — 43 f die Zweiteilung ist wahrscheinlich auf die au- regung von Bedas homilie 209 C zurückzuführen. 46 die stellen Isai. 40, 3. Matlh. 3, 3 sind auch im Lucascommentar des Ambro- sius angezogen 15, 1627 C. 47 f vgl. Bedas Lucascommentar 92, 313 C: ob altitudinem promissorum haesitans sigyium, quo cre- dere valeat, inquirit . 49 56 vgl. Ambrosius, Sermo nr 50 (17, 730 B): cum essent pater ejus Zacharias et mater ejus Elisa- beth aetatis senectute defessi et nulla fdiorum prole gauderent, pro- creandi etiam Ulis liberos tempus florentissimum praeteriisset , ila ut de suscipienda jam sobole ipsam etiam eos vota deßcerent. die beschreibung der zeichen des alters ist besonders eingehend in den sermonen des Petrus Chrysologus nr 86 92 De annun- liatione et conceptione D. Joannis Baptistae (52, 441 ffj. dort wird übrigens auch eine der Otfridischen verwante milde auf- fassung von Zacharias vorgetragen, bes. s. 441 f und 447. 71 ff vgl. den Fulgentius zugeschriebenen sermon De natali S. Joannis Baptistae (nr 56, 65, 927 A): intus angelus cum homine sacerdote sermonem coelesti tuba miscebat, non credentem condemnabat , et foris orans popxdus de iarditate sacerdotis nimium cogitabat. egres- sus est sacerdos mutus et incredulus, melius nova lingua fidei locuturus. populus exspectabat responsum, non intelligens sacra- mentnm. stupet grande miruculum. ille digilis annuebat, tantum- modo volens digitis et motibus indicare, quod non crediderat sensibus. kleine einzelzüge der darsteliung Olfrids lassen sich noch in Bedas Lucascommentar und seiner angeführten homilie nachweisen. 83 f vgl. Augustinus, Sermo 289, In natale Joannis Baptistae in. (38, 1308); Haymo v. Halberstadt, Homiliae de sanctis nr 2 (118, 757 D). 85 f von Ambrosius im Lucascommentar und in der erwähnten homilie geht diese in der späteren litteratur gewöhnliche erklärung von Elisabeths Verborgenheit aus.

5, 5 vielleicht ahmt die stelle den poetischen Stil der Laieiner nach, vgL zb. Paulinus von Nola De S.Joanne Bapt., 61, 442ff und 132 f (Gabriel nach der botschaft an Maria): dixerat, et visus pariter terrasque reliquit, assuetum sibi facili petet aethera nisu. 8 bi barne enthält einen hinweis auf die aufzählung in der ge-

OTFRIDSTÜDIEN 341

schlechtsliste bei Mallhäus. 19 forasagun, weil der satz bei Luc. 1, 31: ecce virgo concipiet et pariet filium et vocabitur nomen ejus Emmanuel (vgl. Matlh. 1, 23) auch bei Isai. 7, 14 sich findet. 21 gemiifs den von Ansein» Salzer Die Sinnbilder und beiworte Mariens (vollständig 1893) s. 222(1 gesammelten stellen bedeutet wiza hier ohne zweifei nicht die larbe, sondern fulgens, splen- dida. vgl. dazu Paulus Diaconus, Homil. n 45 (95, 1490 ff). 9 ff die ausmalung der tätigkeit Marias ist von Otfrid nach dem Evangelium Pseudo-Malthaei (nicht nach den Narrationes ed. Schade) ed. 2 durch vTischendorf (vgl. Schade Liber de infanlia Mariae et Jesu Christi Salvatoris s. 23) vorgenommen worden , besonders kommen folgende stellen in betracht: cap. 4 s. 61: Joachim et Anna afferentes hostias domino tradiderunt infantulam suam Ma- riam in contuhernium virginum, qnae die noctuque in Dei laudibus permanebant. cap. 6 s. 63: insistebat autem operi lanißcii, et omnia, quae mulieres antiquae non potuerunt facere, isla in tenera aetate posita explicabat. hanc autem regulam sibi statuerat, ut a mane usque ad horam tertiam oralionibus insisteret; a terlia autem usque ad nonam textrino opere se occuparet ; a nona vero hora iterum ab oratione non recedebat usque dum Uli angelus Domini appareret, de cujus manu escam acciperet, et melius atque melius m Dei laudibus perficiebat. denique cum senioribus virginibus in Dei laudibus ita docebatur, ut jam nulla ei in vigiliis prior in- veniretur, in sapientia legis Dei eruditior, in humilitale, in car- mirübus Davidicis elegantior. s. 64 : et erat sollicita circa socias suas, ne aliqua in visu exallaret sonum suum (vgl. v. 9 drü- renta). cap. 7 s. 65: Maria dixit Ulis (pontificibus): haec ego didici in templo Dei ab infantia mea, quod Deo cara esse possit virgo. ideo hoc statui in cor de meo, ut virum penitus non cog- noscam (== v. 39 f). cap. 8 s. 70: lunc Joseph accepit Mariam cum aliis quinque virginibus, quae essent cum ea in domo Joseph. quibus datum est a pontificibus sericum et iacinthum et byssus et coccus et Purpura et linum (= v. 11). miserunt autem sortes inier se, quid unaquaeque virgo faceret: conligit autem, ut Maria pur- puram acciperet ad velum templi Domini. cap. 9 s. 71: iterum tertia die cum operarelur purpuram digitis suis, ingressus est ad eam juvenis, cujus pulchritudo non potuit enarrari. quem videns Maria expavit et contremuit {vg\. 17 f). vgl. dazu noch Aldhelms gedieht auf einen Marienaltar (89, 291 ßC). wie fest die tradition

342 OTFRIDSTÜDIEN

der darslellung geworden ist, zeigen die von mir herausgegebenen Alld. pred. 3, 30 f. übrigens scheint auch der Lucascommentar des Anibrosius benutzt zu sein, aus dem das entsprechende stück in den Homiliarius des Paulus Diaconus, De Sanctis als nr 14 aul- genommen wurde, vgl. zb. zu v. 17 f Ambrosius (15, 1636B): et ideo cum vereamdia, cum pavebat enihescebat ergo Maria. V. 23 f Ambrosius 1636 C: hie autem quasi Dens magnus: 'magmis enim Dominus et laudabilis nimis, et magnitudinis ejus non est finis' (Ps. 144, 3). vgl. zu der stelle übrigens noch die schritt De nalivitate Mariae ed. vTischendorl, Evang. Apocr. s. 121, cap. 9.

25 f Ambrosius 1 637 A : Dominus autem Jesus idem est fmis atque principium. primus est Filius, et ideo coaeternus; habet enim Patrem, cum quo sit aeternus. 53 11 Ambrosius 1638 C: etenim si ascenderis in coelum, Jesus illic est; si descenderis in infernum, adest. abyssos opinione si penetres, illic quoque Jesum videbis operari. ubi ergo non est^ qui coelestia, inferna et ter- rena complevit? bene ergo magnus, cujus virtus mundum replevit, qui ubique est et erit semper, quia ^regni ejus non erit finis\ 61 f auch Ambrosius 1636 C citiert die hier übersetzte stelle Luc. 7, 28: 'major inter natos muliernm propheta Joanne Baptisla nemo ggl\ 67 ff Ambrosius 1639 C: vide humilitatem, vide devotio- nem! ancillam se dicit Domini, quae mater eligitur. der com- mentar des Ambrosius ist die quelle für Bedas Homil. i in festo annuntiationis B. Mariae = Paul. Diac. Homil. i 9 (94, 9 IT), aber nicht für Bedas Lucascommentar an dieser stelle, doch hat die homilie manches eigentümliche, das hier anzuführen ist, zb. zu V. 21 Beda HA: et ipsa quasi sidus eximium inter fluxus saeculi labentis gratia privilegii specialis refulsit. zu 23 ff vgl. Beda 12 A.

26 Beda HC: confiteie eumdem etiam Deum verum de Deo vero et aeterno Patri filium semper esse coaeternum. 27 32 Beda HD: sedem David regnum dicit Israeliticae plebis, quod suo tem- l)ore David, jubente pariter et juvante Domino, fideli devotione gubernavit. dedit ergo Dominus Redemptori nostro sedem David patris ejus, quando hunc de genere David incarnari disposuit, ut populum, quem David lemporali rexit imperio, ipse gratia spiri- tuali ad aeternum proveheret regnum. wie Otfrid dazu kam, V. 51 ff die stellen aus der Apokalypse mit seiner Schilderung der annuntiatio zu verknüpfen, sieht man aus dem sermon Leos des grofsen nr 22 (54, 197 A C), der auch bei Paul. Diac. 1, 24

OTFRIDSTUDIEN 343

steht, vgl. ferner Haymos commentar zur Apokalypse 20, 1 ff (117, 1181 ff).

6. 1 f ähnlich bietet des Ambrosius Lucascommentar 15,

1640 D, 1641 A (nicht wie Loeck s. 8 will, 1640 C): in mon- tana virgo cum fesli'natione , virgo officii memor, injnriae imme- mor, affectu vigente, non sexn, relicta petrexit domo. '2^ Ainhr.

1641 A: mansit apnd cognatam. zu 3^ ist vielleicht Bedas Homil. nr 2 (94, 16 A = Paul. Diac. Homil. 1, 9) zu vergleichen: illa {Elisabeth) salntantem (Mariam) qnae esset agnovit et %it matrem Domini sui debita cum benedictione venerata est. 11 f Ambr. 1641 C: Joannes prior gratiam sensit, iste Domini sensit ad- ventum.

7. Das Stück ist besonders gelreu nach dem evangelium ge- arbeitet, weil es worte Marias enthält, die als Canticum Magni- ficat einen abschnitt für sich bilden und im brevier Ad laudes matutinas recitiert werden. zu If vgl. Beda, Homil. 2 == Paul. Diac. Homil. 1,9. 94, 18 A): audita ergo responsione Elisabeth (Maria) non amplius tacere potnit dona, quae perceperat, sed qnae semper animo gerebal , nbi aptum tempus invenit , etiam devota oris professione patefecit. mox ipsa etiam thesaurnm coeli, quem in corde servabat, apeniit. cujus corporali conceptione gaude- hat. 3f der hier angedeutete unterschied zwischen geisl und seele wird auch in den Lucascommentaren von Ambrosius und Beda hervorgehoben, vgl, ferner Rabanus Maurus Comm. in Cau- tica 112, 1162B. De üniverso üb. 6 cap. 1: de homine et par- tibus ejus, 111, 139 ff. aus der späteren lilteratur nur beispiels- weise den tractat Hugos von St. Victor über das Magnificat. 12^ Erdmanns erklärung scheint mir nicht zutreffend, vielmehr glaube ich, dass timere = credere zu nehmen ist in anlehnung an Bedas erwähnte homilie 94, 19 A: vel certe omninm per orbem nationum, quas in Christo credituras esse praevidebat. 17^ der zusatz in ewon scheint aus Beda aao. 20B zu stammen: qui aeterno perfecte nunc esuriunt, satiabuntur. 19 hängt wol ab von Bedas erklärung 20 D : quo nomine omnis redemptorum hominum coetus designatur, propter quos, ut Deum videre valeant, ipse Dens apparuit. 20 vgl. Beda 21 B: nullus fidelium dubi- tat, qui ad dandam 7iobis benedictionem perpetuam de slirpe Abra- ham ad nos venire dignatus est. 25 f vgl. Beda 21 D: exempla beatae Dei genitricis Mariae semper animo retineamus, ut et in

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conspectn Bei humiles inventi et proximis quoque honore debito siibmisst mereamnr nna cutn ipsa perpetuo sublimari. nam et optimus ac saluberrimns in sancta ecdesia mos inolevit, ut hymnus ipsius [Mariae) quotidie cum psalmodia vesperttiiae laudis ab Om- nibus canatur. memoriam beatae Mariae congruis vener emur ofßciis adjuvante ipso ad facienda opera spiritualia qui dare voluit unigenitum suum. vgl. uoch den schluss des com- mentares des Rabanus Maurus zum Magnilicat 112, 1164A.

8. 2 vgl. das Evangelium Pseudo-Matlhaei cap. 10 (Tischen- dorf s. 71): reversusque (Joseph) in domum suam invenit Mariam praegnantem. et totus contremuit et positus in anguslia . De uativitate Mariae cap. 10 (Tischendorf s. 121): aestuare itaque animo et ßuctuare coepit: neque enim eam traducere voluit, quia justus erat; neqtie fornicationis suspicione involvere, quia pius. ita- que cogitabat dam dissolvere conjngium et occulte dimittere eam.

13f 21 aufser den von Loeck s. 8f angeführten stellen ge- hört aus der homilie des Origenes (bei Paul. Diac. 95, 1164) noch dazu C: sed ideo illam dimittere volebat, quoniam virtutem mysterii et sacramentum quoddam magnificum in eadem cognos- cebat, cui approximare sese indignum aestimabat. 17 f Origenes 1164 C: ergo humilians se ante tantam et tarn ineffabilem rem, qnaerebat se longe facere. dimittam eam, dicens, et a me longe faciam eam et a cognitione mea. nee meae congruit indigni- tati. 20 ff Origenes 1164 D: (angelus dicit): 'propterea ministra: serva, custodi, fer curam et huic, qui nascitur, et huic, quae generat.'

21 Origenes 1165 A: 'ne timueris, ne trepidaveris, ne conturberis^ sed securus et intrepidus accipe eam uxorem sicut Creatoris omnium proprium'. 27 Origenes 1165D: 'virgo generat, et tu tunc genitum vocabis Jesum, quod interpretatur salvalor'. zu 25 f vgl. Beda, Homil. lib. i nr 5 (94, 32 D): quando liaec non alia esse, quam quae propketae praedixerant, agnoscerent. Rabanus Maurus hat in seineu Matthaeuscommentar grofse stücke aus der angezogenen homilie des Origenes aufgenommen, zb. 107, 749 AB.

9, 4 vgl. Bedas Lucascommentar 92, 320 D: habet sanctorum editio laetitiam plurimorum, quia commune est bonum. 7 ff Beda Homil. 2, 14 (94, 2r2B = Paul. Diac. Homil. 2, 22): Zachariae no- mine — vocandum esse decernebant . unde bene Zacharias 'memor Domini' interpretatur, quia videlicet memoriam antiquae observationis,

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quae ubiqiie a Domino data est, figurate denuntiat. contendehant ergo de nomine nati prophetae hi, qui convenerant, et Zachariam hunc vo- cari satagebant. vgl. Haymo, Ilomil. de Sanclis nr2 (1 IS, 756 D): hi autem, qui convenerant, vicini et cognati vocabant eum nomine patris sui Zachariam, ut dignitas quae inpalre sene et mnto videbalur amissa, in filio recuperaretur. 15 Beda 212 C: quasi Elisabeth de nomine Joannis viva voce confirmat. 16* ist nachgebildet dem: hie est fdius dilectus meus. 15 ff vgl. Origenes, 9 homilie zu Lucas 26, 253 : congratulabantur matri ejus vicini et cognati et volebant m honorem patris puero nomen ponere, ut vocaretur Zacharias. porro Elisabeth, sancto Spiritu suggerente, aiebat: 'Joannes est nomen ejus\ deinde cum Uli causas justas quaererent, cur Joan- nes potissimum vocaretur, cum in genere ipsius nullus haberet hoc nomen . lingua laxata est . vinxerat enim eam incredulitas. 27 f vgl. Haymo 757 C: et mirati sunt universi de tali scilicet con- cordia, quod mater verbis et pater scriptis in nomen filii concor- darent. 33 f, 37 f vgl. Haymo 758 A: non solum admiratione, verum etiam timore corda eorum commota sunt.

10. Zu dem stück ist besouders des Origenes 10 Lucas- homilie zu vergleichen 26, 253 ff. 2 Origenes 253 C: duas prophetias generaliter nuntiat primam de Christo, alleram de Joanne. 5 Orig. 254 A: de Christo prophetavit dicens in quo cornul in Christo Jesu . non putemus nunc de corporalibus inimicis diel, sed de spiritalibus. venit enim Dominus Jesus fortis in praelio , destruere omnes inimicos nostros , ut nos de insidiis eorum liberaret. 11 ff Origenes 254 B: ego puto quod in ad- venlu Domini Salvatoris et Abraham et Isaac et Jacob fructi sint misericordia Dei. adventus illius etiam majoribus profuit. 14 Origenes 255 A: porro adventus Domini Jesu de manu inimi- corum absque timore nos eruit. also wird nach gdbi ein beistrich zu setzen sein, der übrigens auch schon durch den biblischen text gefordert wird. 27 Origenes, Homil. ur 11 (26, 257 B): aliud est ^crescebat', aliud ' confortabatur\ infirma est humana natura et, ut fieri possit fortior, divino auxilio indiget. ferner vgl. zu 9f Bedas Lucascommentar 92, 325 D: omnes autem, qui oderunt nos, vel homines pcrversos, vel immundos Spiritus signißcat. zu 21 ff Beda, Homil. 2, 14 (94, 214 A); invenil ergo nos se- dentes in tenebris et in umbra mortis, hoc est. longa peccatorum et ignorantiae caecitate depressos atqve hoslis antiqui fraude deceptos.

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28 ist (1er wald vielleicht nahe gelegt durch mel stlvestre, die speise Johannes des Täufers nach Matlh. 3, 4.

11. Schon früh (vgl. Erdmann anm. zu v. 3) ist die niacht- fillle des imperator Augustus an dieser stelle von der kirchlichen litteratur beschrieben worden, das zeigt zb. der Lucascommentar des Ambrosius (15, 1646 f), der Augustus mit Christus vergleicht und biblische Sätze (wie Ps. 23, 1: Domini est terra et plenittido ejus, orbis terrarum et nniversi qui habitant in eo) dabei heran- zieht. Olfrid scheint hauptsächlich durch Bedas Lucascommentar 92, 327 f angeregt worden zu sein, es bildete sich für diese be- schreibung eine feste tradition, vgl. aufser der von Erdmann ange- führten stelle in des Rabanus Maurus Matth.-comm. auch die späte Überlieferung des Honorius Augustodunensis im Spec. Eccl., Aligne 172, 817 B. 3 die censusboten stehn schon in der erwei- ternden darstellung des Ambrosius. vgl. auch die (bei Paul. Diac. Homil. 1, 19 aufgenommene) homilie, die Beda zugeschrieben wird: In galli cantu natalis Domini 94, 334 D. 7fr vielleicht ist bei diesen versen und 21 f schon an die Überlieferung gedacht, wonach die todesstrafe auf Verweigerung des census stand. 29 ff vgl. noch die dichtung in dem briefe eines namenlosen Schotten: Aldhelm Epist, 5 (Migne 89,97) in hexametern teil- weise mit allitteration. 30 ob einmäri nicht blofs primogenitus widergeben soll? vgl, die erklärung in der erwähnten homilie Bedas 336 C und Bedas Lucascommentar 92, 331 A. 37^ vgl. Maximus Taurinensis Homil, nr 11, (57, 246 A): Christus, nt verum •polens, virginibns nutritnr uberibus. sie steht auch bei Paul, Diac. Homil. 1, 25. 39 ff vgl, Alcuin Sermo de nalivitate perpetuae virginis Mariae 101, 1306 C: o dilectissimi, quas landes huic beatae virgini fragiläas nostra referre potesl ? si valemns, filioli, ten- temus, prout possumns , ei laudem proferre dicentes: o quam beata mater, quae Christum Dominum regem sanctum gloriae meruit generare! o quam beati pedes, qui Christum mernerunt suslinere! 0 quam felicia ubera, quae auctorem et redemptorem mundi lac- tamruntl o ineffabilis virgo ! portabatur a te, qui te fecit! contine- batur in gremio tuo, qui regebat Universum mundum ! sustinebatur a te gubernator orbis! vgl, das Fange lingua des Venantius For- tunalus, 5 Strophe: Yagit infans inter arcla conditns praesepia, membra pannis involuta virgo mater alligat et pedes manusque crura stricta cingit fascia. 41 fl'. eine ähnliche Zerlegung gibt.

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verbuDtlen mit deulungen, die erwähnte homilie Bedas 336 D. 61 f vgl. Maximus aao. : Christus nos suo praelio in regnitm pro- prium diaholica de captivilate revocavit. vgl. dazu Ambrosius Sermo 3, In die natalis Domini i (17, 629 D): volnit enim Christus pannis involvi, ut nos a laqueis mortis absolveret.

1*3. 2 vgl. Bedas Lucascommentar 92, 331 D: gregemque suam ab insidiis noctis custodiendo defendnnt. 11 ff Beda 332 C hebt ebenso hervor : omni fidelinm populo de cnnctis tribubns, gen- tibns et Unguis aeternum gaudinm evangelizatur et magnum. 15 die ausdrückliche aniiihruiig Bethlehems geschieht wol im an- schluss an Beda 332 AB, wo auf grund von prophetenstellen der ort der geburt Christi näher bezeichnet wird. 25 ff mit recht zieht Piper hier Beda heran. 27 f arges willen ist vielleicht veranlasst durch Beda 333 D: Optant (angeli) pacem hominihus

videlicet bonae vohintatis, non autem Herodi ^non est

enim pax impiis, dicit Dominus' (Isai. 4S, 22).

13. 5 f vgl. Bedas Lucascommentar 92, 334 B : videamus quod pro nobis factum est, quod fecit Dominus et ostendit nobis. die fügung von 5 ist vielleicht am besten zu verstehn, wenn man sich Joann. 1, 1, den Beda citiert, dazu denkt. 6 Beda aao.: qnod enim non videre poteramus, dum erat Verbum, videamus fac- tum, quia caro est. 7f Beda 334 C: festinant pastores , tota mentis intentione videre adventum desiderant. ideo pastores isti sine mora invenerunt . 15 f Beda 335 A: a pastoribus populus ad Dei reverentiam cogitur. 1711 Beda 335 D: quid vult hoc quod dicit 'conferens'? debuit dicere, considerabat in corde suo et conservabat in corde suo, sed quia sanctas scripturas legerat et sciebat prophetas, conferehat ea, quae secum sunt acta de Domino, cum his, quae noverat a prophetis scripta de Domino, darauf folgt die vergleichung des geschehenen mit den prophetenstellen, deren crgebnis v. 20 zusammenfasst: et in his singulis atque hujusmodi conferebat, quae legerat, et comparabat his, quae audiebat et vi- debat. 21 ff Beda 336 B: glorificant pastores et landant Deum in Omnibus, quae audierant ab angelis et viderant in Bethleem, sicut dictum est ad illos , id est, et in hoc glorificant, quod non alind venientes invenerant quam dictum est ad illos. die aus- malung der ganzen scene hat hier schon etwas von der volks- tümlichen auffassung in den weihnachtsspielen.

14. 2f vgl. Bedas Lucascommentar 92, 336 C: ritus (situ)

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et religio (wizöd) circumcisionis a beato Abraham patriarcha sump- sit exordium. 4(1" Becla 338 B: Jesus 'Salvatof inlerpretatur, cujus Hominis etiam fuleles et elecli participes exisiere gaudent, ut sicut a Christo Chrisliani, etiam a Salvatore salvati nuncupentur, quod Ulis a Deo vocabnlum non solum prinsquam in utero eccle- siae per fidem conciperentur , sed etiam ante tempora saecularia vocalum est. 9 IT die von Otlrid bearbeitete stelle ist Levit. 12,2 4, die von allen commentatoren liier beigebracht wird, ich kann nicht finden, dass die homilie des Rabanus Maurus hier dem texte Olfrids niiher stünde, als Bedas commentar 341 ß. 16 Beda 341 B: verum si legis ipsins verba diligentius inspexeris, profecto reperies, quia non solum Dominus incariiatus, quantum a peccati contagione, tantum a conditione legis fuerit liber, sed etiam ipsa Dei genitrix, sicut ab admistione viiili, sie et a legali jure Sit immunis. 1711" Beda 341 C: non ergo filius, qui cum homine Deus est, non mater, quae Spiritu sancto peperit, victimis hostiarum, quibus purgarelur , indigebat; sed ut nos a legis vin- culo solveremur, sicut Dominus Christus, ita et beata semper virgo Maria legi est sponte subjecta. 21 IT Beda 341 D: quod dicit 'omne masculinum adaperiens vulvam' et hominis et pecoris pri- mogenitum significat, quod utrunique sanctum Domini vocari atque ideo sacerdotis esse praeceptum est. 24 überall in Bedas com- mentar werden die tauben als masculina gefasst, vielleicht dient das dazu , Erdmanns aulfassung von gimachon zu bestätigen. ohne zweifei steht Bedas Lucascommentar diesem abschnitte Ot- frids näher als Bedas von Paul. Diac. Homil. 2, 9 aufgenommene homilie 1, 15 (94, 79 ff), beziehungsweise Babans davon abge- schriebene homilie.

15. 1 ff die auffassuDg Simeons als eines greises ist schon dadurch gegeben, dass er bei Lucas mit der 80jährigen Anna gleichgestellt wird, sie ist aber auch aus seinen eigenen Worten zu erschliefsen. das ist vor Olfrid vielfach geschehen: das Evan- gelium Pseudo-Matthaei zb. sagt von ihm, er sei annorum centum duodecim gewesen, aus Bedas Lucascommentar ist dazu nicht (wie bei Piper geschieht) die stelle 92, 345 B: ecce veteres posu- isti dies meos (= Ps. 38, 6), sondern 344 D anzuziehen, wo Si- meon ausdrüclvlich als sehr alt bezeichnet wird : ut grandaevi hominis gestetur totus in nlnis (hexanieter). accipit Simeon Christum, veteraniis infantem (hexameler?). und weiter 345 A. vgl. Paul.

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Diac. Hon). 2, 8 (95, 1462 A): Simeon ille senex diu vixerat, cujus aetas comparata est Atmae. B: mxdtum senex iste Si- meon fuit ad audiendum serus, sed ad videndnm maturns. 8 vgl. Bedas Lucascommentar 344 C; quod autem ait : 'et venit in Spiritu in templum' signißcat eum eadem Spiritus gratia, qua olim venlurum praecognoverat, eliam nunc venientem et jam j'amque a se videndum cognovisse Sahatorem. 16 vielleicht gehl auch der ausdrucli mit dagon joh ginuhtin auf die von Beda 345 B ange- lülirle psalnienstelle zurück: notum mihi fac, domine, finem meum et nnmerum diervm meorum quis est, ut sciam quid desit mihi, ecce veteres posuisti dies meos (vulgala: mensurabiles Ps. 3S, 5Q. 23 fassen Piper und Erdmauu wunderlicher weise als Otfrids Zusatz, es steht ja ausdrücklich (Erdmann führt den passus selbst unter dem text an) Luc. 2, 33: et erat pater ejus et mater mi- rantes snper his, quae dicebantur de illo. und die hemerkung Otfrids über Josephs Vaterschaft schliefst sich an die stelle bei Beda 345D: patrem Salvatoiis appellat Joseph, non quod vere juxta Plotinianos pater fuerit ejus, sed quod ad famam Mariae conservandam pater sit ab omnibus aestimatus. neque enim obli- tus evangelista, quod eam de Spiritu sancto concepisse et virginem peperisse narraverit, sed opinioneni vulgi exprimens , quae vera historiae lex est, patrem Joseph nuncupat Christi. 27 50 halten Kelle und Piper für die rede Simeons. das kann nicht richtig sein, denn Olfrid würde damit eine neue prophezeiung Simeons, also eine neue glaubenstatsache, geschaffen haben, besser sieht Erdmann 27 31, 45 50 als rede Simeons an, doch gehört wol auch 32 noch dazu, angesichts des commentares Bedas, der für die stelle 27 31 zu berücksichtigen ist, 346 A: bene in resur- rectionem, qnia lumen est, quia gloria plebis Israel, quia dicit: ego stim resurrectio et vita: qui credit in me, etiam si mortuus fuerit, vivet, et omnis qui vivit et credit in me, non morietur in aeternum' (Joann. 11,25). quomodo autem in ruinaml id est, ruinae his, qui offeiidunt verbum nee credunt. vielleicht ist 31^ zwischen zwei gedankenslriche zu stellen. 33 40 geben den 3 7 artikel des apostolischen glaubensbekenntnisses wider (daher auch der sprung von 33 auf 34) : 3 qui conceptus est de Spiritu sancto, natus ex Maria Yirgine. 4 passus sub Pontio Pilato, crucifixus, mortuus et sepultus est. 5 descendit ad inferos, tertia die reswrexit a morluis. 6 ascendit ad coelos, sedit ad dexteram

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Palris omnipolentis. 7 inde venturiis est judicare vivos et mor- tuos. der anlass, diese haupltalsachen des glaubens hier vorzu- zubringen, war einmal Sinieons prophezeiung (im anschluss au den commentar Bedas), dann aber auch die gelegenheil der cir- cumcisio an sich, die bei den Juden an stelle der taufe und des dabei abzulegenden glaubensbekennlnisses steht, wie die com- meutaloren und prediger zu Luc. 2 hervorheben. 40 ih sagen thir thaz nehme ich also als äufserung Otfrids zum leser. nach 41^ ist eher doppelpunct denn slrichpunct zu setzen. 49 f Beda aao. 346 D : incertum erat qnondam , qui Judaeorum gratiam Christi, quam venturam ntique iioverant, recipere, qni autem respuere mallent. ejus signo erecto hi quasi juste morli dati blasphemantes irrident, Uli quasi vitae auctorem mori acriter dolejit. vgl. zu der ganzen stelle die homilie des Origenes bei Paul. Diac. Homil, 1,42 (sie besteht eigentlich aus zweien, nr 16 und 17 zu Lucas, s. bei Hieronynius 26, 269 IT) 1184A: cogitationes erant malae in Jiominibus, quae propterea revelatae sunt, ut prolalae in medium perderentur et interfedae atque emortuae esse desine- rent et occideret eas ille, qid pro nobis mortuus est. quamdiu enim absconditae erant cogitationes, nee prolatae in medium, im- possibile erat easpenitus interßci. die homilie Bedas 1, 15 (94, 79 ff = Paul. Diac. Homil. 2, 9) stimmt im ganzen weniger genau zu Otfrid als der commentar, doch enthält sie am schluss einen aus- führlichen hinweis auf Christi kreuzestod und himmelfahrt. vgl. daraus noch folgende stelle 82 B : et nunc enim Domino appa- rente revelantur ex multis cordibus cogitationes, cum lecto vel prae- dicato verbo salutis alii audientium libenter auscultant, alii fastidientes quae audiunt non haec agetido patrare, sed his potius insultando nituntur contraire.

16, Die anregung, Annas lebensweise zu schildern, die übri- gens schon der evangelist gewährt, kann aus Bedas Lucascom- mentar entnommen sein (der widerum des Ambrosius Lucascom- mentar 15, 1656 f benutzt), wo es 92, 347 A heifst: juxta histo- riam devotae conversationis et venerandae pariter aetatis dignaque per omnia, quae Domino incarnato testimonium ferret, Anna fuisse docetur. 347 D : et ideo Anna et stipendiis viduitatis et moribus talis inducitur, ut digna plane fuisse credatur, quae Redemptorem venisse omnium nuntiaret. vgl. noch die ausführlichere dar- leguug bei Ambrosius Liber de viduis cap. 4 (16, 254) über

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Au na. möglicherweise kannte Olfrid die stelle des vielverbreileteu buches: docet enim Anna, quales deceat esse viduas, qnae, imma- turo mariti obitu destüula, maturae tarnen r emuner alionem laudis invenit, no7i minus religionis officio quam studio castitatis intenta. (es folgt Lucas 2, 36 3S) vides qualis vidua praedicetur , nnius viri uxor, aetatis quoque jam probata processu, vivida religione et effeta jam corpore; cui diversorium in templo, colloqnium in prece, vita in jejnnio; quae dieruni noctiumqne temporibus inde- fessae devolionis obsequio, cum corporis agnosceret senectutem, pie- tatis tarnen nesciret aetatem. sie institnilur a juventute vidua, sie praedicatur in seneclute veterana: quae viduitatem non occa- sione temporis, non imbecillitate corporis, sed virtutis maynanimi- tate servaverit. etenim cum dicit Septem annis eam fuisse cum viro a virginitate sua, ab adolescentiae utique studiis inchoata prae- dicat subsidia senectutis. 23 zu dem von Erdmann beii^ebracliten citat gehört noch der erste salz: ego flos campi et lilium conval- lium (Cant. 2, 1 f) wegen 23*. vgl. Haymo Homil. de temp. nr 12, Migne 118, 82.

17. 5^ da «M steht, wird sich der satz darauf beziehen, dass Olfrid die näheren umstände der gehurt Christi jetzt nicht mehr zu erzählen braucht, weil er sie schon früher berichtet hat. vgl. Rabanus Maurus Matlhäuscomm. 107,755. 7f nimmt wider auf 11, 59 IT. 9 ff dass die magier den geburtsort Christi nicht kennen, geht aus dem evangelium hervor; die Juden kennen ihn aus Prophezeiungen, das betont Gregor Ilom. in Evaug. 1, 10 = Paul. Diac. Hom. 1, 48 (76, 1111 B). 20 vgl. Rabanus Maurus aao. 756 D: unde et in nativitate Domini Salvatoris ipsi primtim ortum ejus intellexerunt. 21'' vgl. Paschasius Radbertus Expos, in Matthaeum 120, 126 C: unde et isti (magi) tali edocti praeco- nio, divina inspirante gratia, nativilatem summi ducis praedicunt qui nondum locum, in quo nasceretur, agnovissent. noverant igitur quod ex vaticinio magistri, quem sectabantur, perceperant, et igno- rabant penitus locum, quem ulibi per prophetam Spiritus sanctus declarabat. eine genaue beschreibung des Sternes und der sleru- kunsl der magier findet sich bei Joannes Chrysostomus Hom. in Mallh. nr 6 (Amsterdam 1687) s. 25f. 25 Rabanus Maurus aao. 759 A: haec Stella nunquam ante apparuit, quae peracto ob- sequio mox esse desiit. 3911" Rabanus Maurus 758C: Herodis mens et facta conveniunt, quia livorem, quem tenebat in corde,

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forinsecus oslendit in opere. dam vocat semolis scribis et sacer- dotibns mogos, quin intestinum dolorem occultabat intrinsecus. di- ligenter didicit ab eis tempus stellae, quia necem Salvatoris medi- tabatnr in mente. 43 giioon isl ganz richtig, der htera scheint ja nicht den ganzen tag, sondern nur die nacht liindurch. Herodes frage hezieht sich allerdings auf die zeit, da der stern zuerst erschien, das besagt auch Matth. 2, 9. 67 (T Hahanus Maurus 759 D: ecce (res magi simul in nno itinere adoraturi veniebant, quia in uno Christo Jesu, qui omnium credentium via est, inse- parata erat ab eis Trinitas adoranda. qnae non tarnen mnnera quam mysteria probantur. omnia haec sancta fides Christo vera- citer offerre non desinit, dum nnum eumdemqne verum Domimun, verum regem verumque hominem credit , ut vere pro nobis 7nor- tuum veraciter recognoscat. diese einstimmung mit 70 ff findet sicli nur hei Rahanus Maurus und bei Fulgentius Sermo 4 (Migne 65, 736 B).

18, 1 dazu vgl. noch Gregors salz in der hei nr 17 citierten Homil. in Evang. 1, 10 (76, 1113C): magnum vero nobis aliquid magi innuunt, quod in regionem suam per aliam viam revertuntur. 3ff zu der stelle vgl. Gregor Homil. in Evang. 2, 37 (76, 1275 B): quae autem lingua dicere vel quis intellectus capere sufficit illa supernae civitatis quanta sint gaudia, angelorum choris interesse, cum beatissimis spiritibus gloriae conditoris assistere, praesentem Bei vnltum cernere, inciixum scriptum lumen videret nullo mortis metu affici, incorruptionis perpetuae munere laetari. nach der einschaltung geht es in der andern horailie Gregors (Loeck s. 11) weiter. 31 ff vielleicht war dafür noch der schluss von Gregors homiiie 1,10, Migne 76, 11 13D bestimmend: unde necesse est, fratres charissimi, ut semper pavidi semperque suspecti ponamus ante oculos cordis hinc culpas operis . puniamus fktibus c»<//>as. voluptalum nos ergo fallacia mala decipiat, 7iulla vana laetitia seducat. per- timescamus erga praecepta Bei. peccata nostra praeterita in baptismatis perceptione lavata sunt, et tarnen post baptisma multa commisimus, sed lavari iterum baptismatis aqua non possumus. quia ergo et post baptisma inquinavimus vitam, baptizemus lacry- mis conscientiam , quatenus regionem nostiam per viam aliam (43) repetentes, qui ex ea bonis delectati discessimus, ad eam malis amaricati redeamus, praestante Bomino nostro.

19. 2 vgl. Haymo Homil. de temp. 12 (118, 76 A): Joseph,

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quia non solum sanctus, sed etiam pnidens erat (vgl. Olfr. 1, 22, 1 1). 7 das Evangelium Pseudo-Matthaei, das Olfrid auch soust be- nutzte, enthält cap. 17 die woite des engeis in folgender gestalt (Tischendorf s. 84): 'tolle Mariam et infantem et per viam eremi perge in Egyptum'. dazu bietet die hs. B den zusatz: tum Jo- seph tmposuit beatam virginem cum puero suo super jumentum et ipse super aliud ascendit et arripuit iter per montana et per de- sertum, ut in Egiptum securus perveniret; non enim per mariti- mam propter insidias pergere voluerunt. schwerlich wird daraus eine erklärung für das seltsame und rätselhafte untarmuari zu gewinnen sein, das an nhd. 'uuterwegen lassen' eine schlechte aualogie hat. 13. 16 die zeit des aufbruches wird im Evaug. infautiae arabicum cap. 9 (Tischendorfs übers, s. 184) so bestimmt: surrexit igitur sub galli cantum et profectus est. vgl. Haymo aao. 77 A : non enim noctis tenebras metuens , lucem exspectavit. 19 Osea 11,2. 23 IT die gewöhnliche annähme war (vgl. Christian von Stablo Expos, in Matth., 106, 1286 ff; Paschasius Radbertus Expos, in Matth., 120, 127 A), dass Jesus ein jähr alt nach Aegypten gebracht wurde und drei jähr alt zurückkehrte, vgl. Evang. Pseudo-Matthaei cap. 26 (Tischendorf s. 93): et factum est, quod post regressionem Jesu de Egypto, cum esset in Galilaea, jam inchoante quarto aetatis anno, aber die hs. D list an dieser stelle: inchoante Jam quinto anno aetatis illius, nimmt also einen aufenthalt von vier jähren in Ägypten an. dagegen sagt das Evan- gelium Thomae bei demselben puncte der erzählung cap. 1 (Tischen- dorf s. 164): et f actus est Jesus anni tertii (hs. D: annorum trium\ das gibt für Ägypten zwei jähre, und so auch das Evang. inf. arab. (Tischendorfs übers, s. 193) cap. 26: exacto vero triennio. man sieht also, dass Otfrid blofs zwei verschiedene fassungen apokrypher evangelien vorzuliegen brauchten, damit seine be- merkung gerechtfertigt erschien, so meint auch Haymo Homil. de temp. nr. 12 (118, 77 B): 'et erant ibi usque ad obitum Hero- dis'. quod nonnulli post quadriennii tempus, alii post biennii factum esse commemorant. 26 ähnlich drückt sich Paschasius Radbertus in seinem Matthäuscommentar bei erörterung der frage aus, wie grofs die zahl der von Herodes getöteten unschuldigen kinder gewesen sei (120, 142 B): quod nos non astruimus, quia quod in scripturis sanctis non legimus, melius ignorare quam te- mer e definire credimus.

Z. F. D. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 23

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30. If Rabanus Maurus Mallhiiiiscommentar 107, 762 D : qnia crudelüas animi per invidiam et furorem exardescens modum in miUo tenuit, sed malitia omnes superare contendü. vgl, die ho- milie 1, 38 bei Paulus Diaconus 95, 1174 f ('ex sancto Severiano', sie steht aber bei Petrus Chrysologus nr 152, Migne 52, 604 ff und die praefatio s. 13 f): zelus quo tendat Herodiana hodie patefecit immanitas. 3 f. 13. 17 1 Paul. Diac. 1174C: sumit arma . ad simis matrum militum cogit castra, inier nhera arcem pietatis op- pngnat. 5f Paul. Diac. 1175A: qnorum lingua tacuit, unde culpae sumpserunt mortem, qui vivere nescieruntl 9 IT Pascha- sius Radbertus Matthäusconrim. 120, 143 D: quando eorum omninm genitrices vultibns suffnsis lacerantes vertice crines trahebantur et nuda rumpebant pectora; quando lacrymosis genas rigabant imbri- bus et toluni infeliciter corpus sauciabant unguibus; quando non minus patres ac matres, quam omnis cognatio eorum suas tende- bant palmas et dabant lamenti voces in coelwn. 143 B: quia planctus lugentium per exaggerationem ad Deum usque in coelum pervetierit. vgl. den dem Augustinus zugeschriebenen sermo nr219 (39,2151): miscebatur lamentatio matrum et ad coelum transibat. eximitur machaera, mater crines capitis dissipabat. 18 Chryso- stomus Homil. in Mattb. nr 9 (Amsterdam 1687, vol. ii. 17D): cum passim parvuli ab ipsis matr\im raperentur uberibus. Pseudo- Augustinus nr 220 (39, 215211 = Paul. Diac. 1, 40): qnos Hero- dis impietas lactentes matrum uberibus abstraxit. 27 f Rabanus Maurus aao. 763 C (nach Hieronymus): quod antem dicitur 'in rama', non putemus loci nomen est, qui est juxta Gabaa, sed rama 'excelsum' interpretalnr, ut sit sensus: vox in excelso audita est, id est, longe lateque dispersa. 31 ff Paul. Diac. aao. 1175B: natus rex et rex coelestis, quare neglexit milites innocentiae suae? coaetaneum sibi quare contempsit exercituml fratres, Christus non despexit suos milites, sed provexit . praemisit ergo Christus siios milites, non amisit; recepit suas acies, non reliquit. dieselbe auffassung Christi als eines heerkönigs findet sich in der nächsten bomilie bei Paul. Diac. 1176 f (aus Chrysostomus). vgl. Petrus Chrysologus nr 153 (52, 608 A): sed quid dicemus, quod rex ipse, qui Stare debuit, fugit solus et fugit monente Patre ? fugere istud est aynoris intimi, non timoris ignavi. si stetisset Christus, haberet eos synagoga filios, hos ecclesia martyres non haberet. Haymo Homil. de lemp. nr 12 (118, 76 C): fugit auteni puer Jesus ante

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persecutionem Ilerodis, non quod mortem timeret, qui pro homini- bus mori venerat, sed iit tempore congruo , non quam persecntor inferre v olebat , sed quam ipse disposuerat, sustineret mortem, ordo enim rerum necessarius erat, ut prius miracula faciendo se Denm innotesceret et postmodum mortem pro nostra redemptiotie sustineret.

31. 2 'mit dem tode lullte er die tage', dh. er starb in laogem siechtum. das scheint mir einen bericht über das kläg- liche ende des Herodes vorauszusetzen, wie etwa Haymo Homil. de temp. nr 12 (118, 80 f) ihn bietet: immedicabilem passus est aegritndinem. insomnietatem talem sustinebat, ut dies noctesque pervigiles duceret. 81 C: talem igitur Herodes habuit finem, qui propter Salvatoris odium multum sanguinem fuderat innoxium. 13. 15 dass Kelle und Erdmann (dagegen Piper) in ziari und zioro beziehungen auf die deulung des Wortes Nazareth = flosy munditia linden, ist gewis richtig, aber nicht wegen Alcuins Johannescommentar, wie Kelle im glossar vermutet, sondern weil die commentatoren überhaupt seit Ilieronymus bei der Matthäus- steile hier mit rücksicht auf den passus 2, 23: ut adimpleretur, quod dictum est per prophetas: quoniam Nazareus vocabitur (zu- gleich schluss des evang. In natali Innoc. nach dem Comes des Hieron.) die entsprechenden deutungen vorbringen, vgl. ßeda 92, 15A; Christian von Stablo 106, 1289 C; Rabanus Maurus 107, 766C; Haymo, Homil. de temp. nr 12, 118,820; Pascha- sius Radbertus 120, 148 f usw.

33. 3 5 erklären sich aus Lucas 2, 41: et ibant parentes ejus per omnes annos in Jerusalem in die solemni Pascliae. 6 Beda, Lucascomm. 92, 34SC: eximdem illo singulis annis cum parentibus ducit , Haymo Homil. de temp. nr 17 (118, 121 C): sed Dominus non solum legem voluit observare, sed eliam tales elegit parentes, qui legis essent observalores. 7 Haymo 121 D: Dominum adoraturi et munera ei oblaturi. 1 1 11 bei Erdmana fehlt der von Kelle und Piper gegebene erste satz des Beda- citales: quaeret aliquis, quomodo Dei Filius, tanta parentum cura nutritus, his abeuntibus potuerit obliviscendo relinqui. ferner ist in dem citat Luc. 2, 44 nur durch puncte der notwendige zwi- schensalz angedeutet: quem se comilari non cernebant. vgl. dazu Haymo 122 C: pueri vero minoris aetatis licentiam habebant, cum quo vellent ire parentum, sive cum patre, sive cum matre. ex

23*

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hac ergo consnetudine accidü , nl, Ulis nescientibus, puer Jesus in Jerusalem remansisset , quoniam Maria putabat eum esse cum Joseph et Joseph aestimabat quod esset cum Maria. IS Ilaymo 122 C: quautum amoris affectum erga illum haberent, manifestatur.

23 (T. 30. 41fr den schmerz Marias hebt schon Origenes, Homil. in Luc. nr 19, Migne 26, 2S0BC nachdrücklich hervor, vgl. Haymo 124 B: quanto autem animus beatae Virginis Dei genitricis de amissione filii sauciatus esset, hoc loco declaratur. quem Virgo mater post tridnum anxio dolore qtiaesierat, post inventionem inter moerorem et gaudium posita, quasi qui talia facere praesumpsisset, pia correptione increpavit. 34 Beda aao. 348 C: (Lucas) eum- dem (Dominum) duodenum in templo doclorum choris inserit. 55 ff Beda 350 C: sed quid mirum, si ex humana susceptione mi- norem se Patre asserit in coelo, ex qua subdilus erat etiam pa- rentihis in terra, vgl. Haymo aao. 125 A: quia divinae naturae arcanum adhiic capere non poterant. et quia videbat eos non posse intelligere suam divinitatem , condescendit Ulis per humani- tatem. ut hoc exemplo intelligamiis , quia non solum subditi esse debemus parentibus j'uxta illud qtiod in divina lege prae- cipitur: 'honora patrem tuum et matrem tuam' (Exod. 20, 12). 61 f Beda 350 D: non quia hoc susceptor Dens eguit, praesertim cum supra plenus sapientiae puer fuisse describatur, sed quia hoc pro remedio nostrae salutis effectus piae susceptionis elegit , ut, dum caro et anima rationalis a Deo suscipitur, utraque pariter salvaretur.

33. 9 die auffassuug von sin als possessivum durch Piper scheint mir der Erdmanns = 'sein' inf. verb. subsl. vorzuziehen.

15 Beda Lucascomm. 92, 352 A (sämtliche für diesen ab- schnitt anzuziehende stellen sind durch Beda Gregors Homil. in evang. nr 20, Migne 76, 11 59 ff entnommen worden): cunctis le- gentibus liquet, quia Joannes baptismum poenitentiae non solum prae- dicavit, verum etiam quibnsdam dedit. 29 f Beda 352 D; quando enim verbum veritatis ab iracunda mente non recipitur, quasi as- peritas itineris gressum pergentis repellit. sed cum mens iracunda per acceplam mansnetudinis gratiam correptionis vel exhortationis verbum recipit , ibi planam viam praedicalor invenit , übt prius pro asperitate itineris pergere, id est praedicationis gressum ponere non valebat. vgl. Maximus Taurinensis, Homil. nr 65 (Migne 57, 386 AB). 31 Beda 352 D: quia omnis caro, accipitur omnis

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homo, salutare Dei , videlicet Christum, in hac vita omm's homo videre non potuit. 3S Beda 353 A: Ventura enim ira est animad- versio ullionis extremae. quam tunc fugere peccator non valet.

45 f Beda 353 C: sed Judaei de generis nobilitate gloriantes idcirco se agnoscere peccatores nolebant , quia de Ahrahae stirpe descenderant. 47 f ähnliche fülle des ausdrucks hat au der stelle auch Ambrosius im Lucascomm. 15, 16616: ecclesia, quae non rupeis saxis, sed vivis lapidibus exstructa est. 55f. 61 f Beda 354 A : quia unusquisque perversus paratam citius gehennae concremationem tnvenit , qui hie boni operis fructum facere con- temnit.

34. If Beda Lucascomm. 92, 354 B: percussae (turbae) enim terrore fuerant, quae consilium quaerebant. 9 Beda 354 C: quia in lege scriptum est: Uliliges proximum tuum tanquam te ip- sum'. (Mallli. 22, 39; dazu noch 40: 'w his duobus mandatis universa lex pendet et prophetae'.) 18 mit anlehnung an Malth. 19, 21 (Marc. 10, 17 IT Luc. 18, 16 ff): si vis perfectus esse, vade^ vende quae habes, et da pauperibus, et habebis thesaurum in coelo. voran ging das erwähnte: diliges proximum tuum sicnt te ipsum.

19 hiar obana bezieht sich aui" das citat bei 91". Gregor bietet in der 20 homilie ganz dasselbe.

35. Für die quelle dieses und des nächstfolgenden abschnittes wird von Kelle, Piper, Erdmann der Malthäuscommentar des Ra- banus Maurus gehalten, der seinerseits sehr stark aus Beda schöpft, allein die homilie Bedas lib. i nr 1 1 (bei Paulus Diac, Ilomil. 1, 51, s. Loeck s. 11), 94, 58 ff enthält nicht blofs wörtlich die- selben stellen wie Rabanus Maurus, sondern noch eine mehr, die mit Otfrid übereinstimmt und weder im commcntare Bedas noch in dem des Rabanus Maurus vorkommt. 3 Beda Homil. 5S D (vgl. comm. 92, 17 D): expavit illum venisse ad se ut baptizaretur aqua. 7f Beda Homil. 58 B: in Domino autem, qui cum sit Dominus, non solum ab homine servo baptizari dig- natus est. in servo autem, quia cum sciret praecursorem se ac baplistam Salvatoris sui esse destinatum, memor tamen propriae fragilitatis, injunctum sibi humiliter excusavit officium, dicens: 'ego a te debeo baptizari, et tu venis ad me?' 11 f Beda Ilom. 59 B C : sine modo, inquit, sine me modo, ut jussi, a te baptizari in aqua = Rabanus Maurus 107, 776 B. 13 f Beda Hom. 59 B; id est, tunc demum dimisit , tunc consensit , tunc passns est

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eiim a se baptizari, cum tali ordine cognovisset oinnem juslitiam debere compleri = Rabanus Maurus 776 B. vgl. Paschasius Rad- l)erlus Mallliiiiiscomm. 120, 169D: idcirco qnod prhts humilite)' formidabat, postea devotiis implere permisit et obedit ex divina in- stitutione securus. 15ff Beda Iloni. 61 A: quod vox palerna : 'hie est Filius mihi dilectus, in quo mihi bene complacui', ad com- paratioiiem terreni hominis dixit (Übergang zu 19(1), in quo pec- cante quodam modo sibi displicuisse Dens conditor i7isinuat . poenitere se dixit hominem fecisse in terra, quem a rectitudine suae facturae peccando degenerare conspexit. in Filio autem suo wiigenito sibi singulariter complacuit , quia hunc hominem, quem induerat, a peccato immunem servare cognovit (= Rabanus Mau- rus 778D). mit diesem gedanken ist dann erst der viel früher vorkommende (bei Beda 60A, Rabanus Maurus 777 A) verwoben, den die herausgeber zu 19 fT anmerken. 18(1 Pasch. Radb. 175D: ita tanquam diceretur: in te placitum meum constitui. hoc est, in te volui agere, quia in primo Adam mihi displicuit . in quo jure sibi complacuisse testatur, quem de sua substajitia unicum genuerat Filium. die zu 2511 von den herausgebern beige- brachten citate aus Rabanus Maurus 777 B stehn bei Beda Hom. 60 C. 62 B (vgl. seinen comm. 18B), dazu: omnisque amaritudo toUatur (27^) Ephes. 4,31. vgl. Pasch. Radb. 172B; apparuit autem in columba, ut per eam exponeret, quales futuri erant, qui ad gratiam ejnsdem Spirittis pervenirent. ex quo, quia columba fei non habet, patenter insinnat, qnod in feile amaritndinis non esse debet ; sed simplicitatem atque innocentiam repraesentare. siquidem et tantae benignitatis a natura fertur . est itaque mi- tissima in tantum, ut nee rostro neque unguibus cupiat aliquem lacerare. hinc et officiosissimum fuit, Spiritum sanctum appa- rere per eam, ex cujus jam olim specie Uta cognominabatur.

26. Die zu 1 r 5 8 von den herausgebern angeführte stelle des Rabanus Maurus 107, 776D findet sich auch in Bedas Homil. 94, 60 A. es gehört noch dazu: nobis ergo, fratres charissimi, nobis sujit haec celebrata mysteria. nobis quoque post acceptum bap- tismum coeli aditum patere et Spiritum sanctum dari monstravit. 5 ff Paschasius Radberlus 120, 177 A: quid igiiur ultra mens tali renata sacramento dubitationis potuit habere in fide, cum uno eodemque momento Palris nox ad nos delapsa Filium in aquis msibiliter apparenlem praedicat et Spiritus sanctus desuper in co-

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Inmha, quae sentienda siiit de eo, evidentius edoceti unde qui- cunqne rede secimdiwi catholicam fidem baplizati sunt, sane sunt renati et per haue fidem mater ecchsia eos in se suscepit. 178 D: m quo nimirum fönte qukunque baptizati sumus, de fide nihil retractare debemus, sed custodire omnibus modis quod credidimus. vgl. zu dem passus auch Bedas Matlliäuscomm. 92, 18C. 9—14 Bedas Honiil. 59D (= Rabanus. Maurus 776 C): et hoc ad im- pletionem omiiis justitiae pertinet, quod baptizato Domino aperti sunt coeli et Spiritus sanctus descendit super eum, ut hinc nimi- rum fides nostra confirmetur, per mysterium sacri baptismatis ape- riri nobis introitum patriae coelestis et sancti Spiritus gratia mi- nistrari. zu 9 vgl. noch Bedas comm. 17 D: et a quo ipse debuit ah originalis peccati contagione mundari.

37. UT vgl. Ilaymos Ilomil. de lemp. nr 7, 118, 41 (T über den Johannestexl, und zwar zunächst 41 D: et ideo, quia audie- rant Joannem per repromissionem angelicani de sene patre et sterili matre esse natum, audierant in ejus nativitate linguam pa- tris solutam videbantque juvenem deserta sectantem et inauditam prius poenitentiam in remissionem peccatorum vel doctrinam prae- dicantem, niiram abstinentiam conservantem, baptismum quoque non sohim docenlem, sed etiam dantem : aestimaverunt apnd semetipsos, quod ipse esset Christus, qui eis ftierat promissus. et ideo mise- runt . quod enim hac suspicione permoti ad eum interrogandum miserint, alius evangelista Lucas scilicet manifeste declarat dicens: 'Luc. 3, 15'. zu 51 vgl. vielleicht Matth. 11, 11: amen dico vobis, non surrexit major inter natos mulierum Joanne Baptista. 17 f Haymo 42 B: si quaeras, quid confessus est et quid non negavit : confessus est, quod non erat, non negavit, quod erat. 20 Haymo 42 B: elegit enim solide subsistere in se, ne humana opinione inaniter raperetur super se. magis enim voluil humilis inter membra Christi numerari, quam ejus nomen immeritus usur- pare . aliis enim magna de se aestimantibus, ipse de se minima sensit. 21 f Haymo 42 C: sed quod de secundo adventu Domini praedictum erat, Uli de primo dictum arbitrantes, conßtente Jo- anne, quod non esset Christus, interrogaverunl eum. 25 ff Haymo 43 B: Joannes vero requisitus a Judaeis, qui tantum litleram, non autem spiritum pensare noverant, dignum fuit, ut non de spiritu, sed de sua persona diceret : 'non sum Elias'. 33 f Haymo 43 C: ideo autem Joannes prophetam se esse negavit, quia plus quam

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p'ophetam se esse intelhxit. prophetae enim officium est Ventura praedicere, non autem demonstrare. 35 f, 431' Haymo 43 0: sed sacerdotes et levitae, qui ad Joannem missi fuerant , adhuc düigentius quis sit inquirunt. 44 C: sed quia sacerdotes et levitae maijis reprehendendi studio quam discendi voto Joannem interro- gabant, tacite evangelista manifestare curavit, cum adjunxit: 'et qui missi fuerant, erant ex Pharisaeis\ ac si diceret: Uli Joannem de suis actibus requirebant, qui magis solebant doctrinam invidere quam imitari. 45 ff Ilaymo 44 D: ac sidicerent: cujus auctori- tatis, ut novam doctrinam audeas docere et tnauditum prius homi- nibus baptismum dare, cum tu non sis Christus neque Elias neque propheta'l et quia, secundum apostoli Fetri sententiam (1 Petri 3, 15) parati semper esse debemus ad reddendam rationem omni poscenti de ea, quae in nobis est, fide, percontatus Joannes, cur bapti- zaret, respondit. die stellen zu 1 (teilweise 20) 21 f, 33f, 45 f sind Haymo eigentümlich, das übrige findet sich auch in Alcuins Johannescommentar, der widerum vollständig aus Gregors Homil. in evaug. nr 7 (76, 1099 ff = Paul. Diac. Homil. 1, 13) geschöpft hat. zu 35 f, 43 f vgl. noch Alcuin 100, 754 AB: quod quia [a Pharisaeis) non studio cognoscendae veritatis, sed malitia exer- cendae aemulationis dicitur, evangelista tacite innotuit . Uli Jo- annem de suis actibus requirunt, qui doctrinam nesciunt quaerere, sed invidere. sed sanctus quisque, etiam cum perversa mente re- quiritur, a bonitatis suae studio non mutatur.

38. Aufser der von Piper bereits mitgeteilten stelle aus Bedas Lucascommentar gehört hierher noch aus derselben quelle 92, 357 AB. Beda zieht die erkläruug des gleichnisses vom weizen und der spreu heran, die sich Matth. 13, 38 ff findet, und bemerkt dazu: paleae sunt Uli, qui ab solida perfectione vel operum levitate vel perfidiae vacuitate dissentiunt. zizania vero, qui et opere simul et professione secernuntur. solum autem triti- cum electorum coelestis vitae recondetur in horreum. ignem autem gehennae vocat . das ist wörtlich übergegangen in des Rabanus Maurus Matthüuscommentar 107, 774. zu 5 ff vgl. Origeues Homil. in Luc. nr 26 (26, 299 A): quod blando vento paleae huc illucque rapiantur, grave vero triticum in unum deferatur locum. existimo tentationes pro vento intelligi, quae confuso creden- tium acervo alios paleas, alios triticum esse demonstrat. Pascha- sius Radbertus Matthauscomm. 120, 166B: sicut per ventilabrum

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in area trilurae paleae secernuntur a tritko, ita per divinum ex- amen leves et vacui a frvctn honi operis et a consortio sanctorum segregantur. gratia ad horrewn paradisi, paleis rejectis in ignem, qnotidie collignntur. die bemerkung Pipers zu 12 erledigt sich dadurch, dass an unzähligen stellen der von Olfrid benutzten Schriften die guten werke als unentbehrlich zur erlangung des himmelreiches bezeichnet werden. [wird fortgesetzt.] Graz. ANTON E. SCHÖNBACH.

DAS KLOSTER DER MINNE.

Das Kloster der Minne, so ist treffend ein gedieht in Lass- bergs Liedersaal ii 206 264, benannt, von dem es eine zweite hs. (pap. s. XV ex.) in Heidelberg gibt: cod. pal. germ. 313, bl. 43^ 74^ (Meister Allswert s. vii, Bartsch Heidelberger hss. nr 148) i. der titel überrascht, weil er eine kühne Vermischung von geist- lichem und weltlichem ankündigt, schon darum lohnt wol eine nähere betrachtung, die weiter auf ein bescheidenes, aber viel- leicht nicht unwillkommenes ergebuis führen mag.

Der dichter erzählt seinen besuch im Kloster der Minne, er geht eines scheinen morgens im mai aus und begegnet einer einsam dahin reitenden dame, einer botiu des Minneklosters, von ihr unterrichtet, lenkt er seinen weg nach dem wunderorle, wo ritler und frauen ein fröhliches leben führen, unter den weih- lichen iusassen trilTt er eine bekannte aus seiner heimal, die sich seiner freundlich annimmt und ihm das kloster und seine her- lichkeit zeigt und preist, vor den äugen der beiden entfaltet sich ein reizvolles bild feiner höfischer geselligkeil, ein furnier findet statt zwischen den klosterherren und ritterlichen gasten, unterdessen wird das pärchen immer vertrauter, sie bittet ihn endlich, auch in den orden einzutreten, und er scheidet, uach-

* sie ist sehr wenig sorgfältig, und auch ihre vorläge enthielt schon verschiedene mit der Donaueschinger hs. gemeinsame fehler; immerhin ergeben sich aus ihr allerlei besserungen, wie nach lllS L. 4 notwendige plusvcrse. einige gröfsere partien aus dem gedichte sind auch in Kürschners National- litteratur xii tSOff in etwas normalisierter Schreibung gedruckt: der hsg. kennt die Pfälzer hs. nicht, ja er hat sogar die 'Verbesserungen' hinler Lass- bergs Vorwort übersehen und selbst so einfache correcturen unterlassen wie 230 spehten (hs. sprechen) : knelilen, vgl. v. 1031 ; so bemerkt hr prof. Schröder, dem ich für einige fördernde hinweise hier meinen dank ausspreche.

362 DAS KLOSTER DER MLNNE

dem sie beide Johannisminne getrunken haben, niil der absieht widerzukommen und seine tage an diesem freudevollen orte zu beschliefsen.

Ein farbiges phantastisch ausgeschmücktes gemälde wird von dorn Minnekloster entworfen, ein reicher meister hat es ge- baut, grofs und prachtvoll und wol ausgestaltet (v. 1460"). und als köuigin ist frau Minne eingezogen (v. 153, vgl. 109), nicht die allegorische personification , die sonst auftritt, sondern der geist liebeerfüllten Verkehrs, der die genossenschaft beseelt und die geschlechter vereinigt (v. 1521 ff), denn männer und frauen leben zusammen, paarweise gesellt (v. 163 ff usw.), fromm aber fröhlich; wer die regel hält, 'rfer möcht in fröden allen und doch da hy dienen got' (v. 1488f). bis mittag werden messen gelesen (v. 1781); aber sonst ist das dasein der mannigfachsten Unterhaltung ge- widmet, arge leute erhalten keine pfründe (s. bes. v. 1491 ff), und wer gegen die zucht verstülst und den frieden des ordens stürt, der fällt in schwere strafe (v. 887 ff), der Ordnung aber warten die vornehmsten pare, ein abt und eine äbtissin, ein prior und eine priorin (v. 876 ff), auch lesemeister und kustos gibt es, sowie kellner und pförtner (v. 581. 599 f. 1273).

Also ein kloster, das nicht der entsagung, sondern der hei- tersten welllichkeil dient, ein weltliches ritterstift mit klösterlichen formen.

Ein weltliches ritterstift mit klösterlichen formen war auch die anstalt, die Ludwig der Bayer im j. 1330 zu Ettal bei Ober- ammergau begründete neben einem richtigen kloster für 20 Be- uedictinermönchei.

Im j. 1332 erliefs der kaiser als Verfassungsurkunde für seine sonderbare Schöpfung eine ausführliche 'ordenung'2.

Danach war für 13 ritterliche ehepare unterhalt und die

nötige dienerschaft vorgesehen, abgeschieden von der aufsenwelt

sollten die mitglieder ihr leben verbringen, je mann und frau

, für sich in rechter ehe, aber alle genossenschaftlich vereint zu

^ s. Kiezler Gesch. Baierns ii 393 f.

^ das original ist facsimiliert in den kaiserurkundcn in abbildungen von Sybel und Sickel i.\ tafel 18, vgl. text320; ein abdruck in Monumenta Boica VII 235, Oberbayer, arcliiv 23, 160. wegen des nichteiniieitiicben datums ('ze dem Etal' august 17) sei verwiesen auf Schaus Zur diplomatik Ludwigs des Bayern (Berl. diss.) München 1894 s. 54.

DAS KLOSTER DER MINNE 363

gemeinsamem goltesdienst und gemeinsamer mahlzeit. zum ein- tritt bereiteten sich die der aufnähme würdig befundenen durch genuss des sacramenles vor und verpflichteten sich, die regel zu beobachten, eifrige andachtsiibung war vorgeschrieben, allein ehrbare Unterhaltung und jagd und waffenspiel für die männer nicht verboten, gleichwie auch die schlichle gleichförmige trachl des ritter- lichen schmuckes nicht ganz zu entbehren brauchte, fromm und züchtig sollte der wandel sein in strenger befolgung der kirchlichen geböte, in eintracht und willigem gehorsam, in mäfsigkeit und silte. für vergehen war eine Stufenleiter von strafen festgesetzt: verweis durch die oberen, zeitweise entziehung der pfründe, demütigende bufse in der kirche und beim essen, strenge hafi oder gar schimpf- liche ausstofsung aus dem stifte, ein paar stand an der spitze: der meister, der die gesamte anstalt leitete, und seine frau, oder, wenn sie nicht tauglich war, eine andere als meisterin. die beiden nahmen den ehrenplatz bei tisch ein und führten den Vorsitz in den regel- mäfsigen Versammlungen, denn auch die trauen vereinigten sich wie die männer jeden freitag zum capitel. allein das gewicht in rat und Verwaltung lag bei dem meister und dem convent der ritter. der meister war vorgesetzter und richter der anderen, ihm 'an uuserr frauen stal' wurde das einlritlsgelubde abgelegt, er hatte einen ansehnlichen hofstaat zu unterhalten, verfügte über die angestellten der stiftsländereien und besorgte wol die wirt- schaftliche leitung überhaupt; zu seinen besonderen aufgaben gehörte es auch, für die kranken und kinder zu sorgen, be- schränkt war der meister durch den convent der ritter bei der auswahl neuer mitglieder, bei verhängung der schweren strafen für sittliche vergehen und sonst, der landesherr entschied bei absetzung des meisters und einsetzung eines neuen, im übrigen schien der anstalt ein weitgehndes recht der Selbstbestimmung gelas- sen i. es war eine grofse Stiftung, bei Vollzähligkeit der pare und der dienerschaft wären es über 70 personen gewesen, dazu die 20 mönche in ihrer abtei, welche die seelsorge versahen, jedoch drängten sich die ehepare anscheinend nicht in das kloster. es ist schon in der Ordnung die rede von witwen. und wenn ein ritter das gelübde ablegen wollte, seine frau aber nicht, so war

' dies mag es vielleiciit mit erklären, warum die söhne Ludwigs, die die väterliciie Vorliebe des begründers nicht teilten, nachher so scharf gegen die rittercolonie vorgiengen: vgl. Riezler aao. ni 829 n.

364 DAS KLOSTER DER MINNE

gestaltet, dass sie trotzdem im stifte weilte, so lange ihr mann am leben blieb, dies opfer wurde dem grundsatz gebracht, dass eben ehepare die glieder des ordens bilden sollten, ein ritter, der seine frau verlor, mochte 'ein ander nemen'. die witwen waren etwas zurückgesetzt, sie hatten keine besonderen diene- rinnen. und endlich findet sich die bestimmung, kein paar dürfe seine kinder mit ins stift bringen, und die im stift geborenen sollten nur drei jähre lang verpflegt und dann entfernt werden.

An Ettal muss der poet gedacht haben, als er das Minne- kloster schrieb; es ist kaum anders möglich, als dass ihm die hier versuchte Verbindung und verquickung der sonst getrennten lebensformen zum vorbild gedient und seine phantasie ange- regt hat.

Realistische Schilderung lag freilich uicht in seiner absieht. Ettal bot ihm die idee des ritterlichen kloslers, er arbeilet sie grob heraus; statt meister und meisterin führt er abt und äblissiu, prior und priorin ein, er nennt die ritter mönche usw. i sonst aber malt er einseitig das freudenreiche leben, die verschiedenen arten der Unterhaltung, tanz und spiel und turnier, wovon in Ettal nur mafsvoll oder gar nicht die rede sein sollte, begreiflich, denn hierfür standen der kunst dieser epigonenepik die meisten färben zu geböte, und der dichter wollte unterhalten, patronin Ettals war die heilige Jungfrau; sie gehörte nicht in solche dichtung. hier herscht die königin Minne, die diesmal freilich nicht per- sonificiert, sondern anmutig genug als ideal des geselligen ordens dargestellt wird, als Zuflucht für einige mitglieder des armen adels war Ettal gedacht, und selbstverständlich als Zuflucht für ältere leute, denn nur bei dieser annähme verliert jene bestim- mung über die kinder etwas von ihrer anslöfsigkeit. im Miune- kloster aber finden sich könig und königin, herzöge, grafeu, freie (freiherren) und (edle) knechte mit ihren frauen, arm und reich, jung und alt in unbeschränkter zahl, das ist lässliche poetische Übertreibung, allein ganz ausschweifend und märchenhaft ist die beschreibung des klosters selbst, es hat runde gestalt, und sein gebiet ist so grofs, dass ein läufer es kaum in einem jähre um- kreisen könnte-, zwölf pforten führen zu ihm ein; jeder monat

' v. 1106 und 1201; vgl. weiter ausdrücke wie cofent v. 595. 1179. 1483. 1531; pfrünt v. 865. 873. 1035; zelle v. 852 ff. 1752. 1837. ^ V, 262; Vgl. die 'Verbesserungen'.

DAS KLOSTER DER MINNE 365

hat eine pforte, und jeder aussclinilt des ringes zeigt dem eiü- tretenden die uatur im zustande des betreffenden monats:

Wiltu icarm, wiltu kalt,

wiltu blumen, wiltu kle.

wiltu riffen oder sne,

welker zit din hertz begert,

wol bistu der do gewert. v. 334 ff.

Die kirche zu Eltal, zu der doch wol Ludwig selbst am 2S april 1330 den grundstein legte und die, 16 jähre nach seinem tode, am 7 mai 1363 eingeweiht wurde ', war ein zwölf- eckiger centralbau 2. leiclit kann die künde ihrer ungewühnlicheu bauart, die einer rotunde nahekam, die Vorstellung von dem wun- derbaren monatsgürtel erweckt haben, dessen sich beiläufig nicht der Grallempel noch der palast des priesters Johannes rühmte 3.

Es lohnt kaum, die weitern einzelheiten zu prüfen, von kleineren zügen der Übereinstimmung, die sich gleichfalls finden, sei nur erwähnt, dass auch im Minnekloster sich die kinder keiner besonderen beachtuug zu erfreuen haben; sie sind vorhanden, aber es wird ihrer nur eben gedacht (v. 169. 720). und wenn der kaiser bestimmte, man solle seinen rittern 'ob tische tütsch lesen, daz gütlich sei', so heifst es vom Minnekloster v. 197: Du siehst tusch lesen ze bett (= gebet, vgl. v. 106).

Hat der dichter die Ordnung gekannt? ist er in Ettal ge- wesen? man kann es nicht bestimmt sagen, aber die moglichkeit liegt vor. er lebte jedesfalls zur zeit Ludwigs des Rayern.

Im Liedersaal folgt auf das Kloster der Minne eine andere allegorie, die 'Klage um eine edle herzogin' ii 265 2S7. und die beiden stehn auch in so enger geistiger nachbarschaft, dass man sie unbedingt demselben autor zuschreiben muss. auf den ersten blick fallen verschiedene wörtliche anklänge auf. man ver- gleiche zb. mit V. 349 356 der Klage:

* die daten s. bei Oefele Script, rer. Boic. ii 341 und 343.

^ sie wurde im vorigen jh. nach einem brande widerhergestellt, so wie sie heule steht, doch sind die alten Umfassungsmauern samt den Strebe- pfeilern erhalten; vgl. GFSeidel Baugeschichte des domes und klosters Ettal [sa. aus der Zs. f. bauwesen], Berlin 1890, s. 3; vgl. noch Otte^ i 28. ii 314.

^ anzuführen ist vielleicht Apoc. 22, 2 : lignum vitae a/ferens fructus duodecim, per menses singulos reddens fructum suum; vgl. Ezech. 47, 12.

366 DAS KLOSTER DER MLNNE

'bij der eren gernder f nicht

sach man frödenrich genucht

mit züchten und (//nV) eren.

st kond wol frode meren

mit aller lay(e) wunne spil.

man hört da bück(en}, pf'ffefi vil,

schalmien und bisnneti

hört man da schallig runen' im Kloster v. 323—325:

'in wellem monat du wilt sin,

den findest da mit siner frucht

und mit aller der genucht,

als im sin got hat gestift' und V. 209—211:

schalmyen, pfiffen ist da (by) vil.

brisonne, bocken, alli spil

hört man da mit schalle '. dann entsprechen sich die gedichte in einer turnierschilderung, die beiden als glanzsiück eingefügt ist; sie steht kürzer gefasst in der Klage (v. 229 313), länger, weil durch andere bestandteile aufgeschvvellt, im iMinnekloster (v. 1074—1451)-.

Die 'edle herzogin', deren tod der poet beklagt, ist Beatrix, eine geborene gräfin von Savoyen, die dritte gemahlin des her- zogs Heinrich von Kärnten, grafen von Tirol; und sie starb am 19 december 1331 3.

Ein wandernder Sänger tritt uns entgegen (s. Klage v. 549 f), ritterlichen Standes; er lässt sich 'Junker' nennen (Klage v. 546, Kloster v. 911 und 939), 'gelehrt': er rühmt sich der kunst des lesens (Klage v. 138 f); von haus ein Schwabe: nach der spräche 'und besonders dem Wortschatz'* zu schliefsen; ein fahrender, der um guten lohn mit einer allegorie nach dem Zeitgeschmack

* die gleichen musikinstrumente werden mein fach genannt, in der Klage V. 239 ff. im Kloster v. 447. 753. 1101. 1133. 12S5 ff.

^ prof. Schröder findet besonders charakteristisch die erwähnung der 'walkeri' (ital. balcone), auf denen die danien sitzen: Klage v. 271, Kloster V. 759. 763. S34. 841. 1076. 1567; sie kommen sonst nirgends vor. vgl. auch noch die Vorliebe für sammet: Klage v. 132, Kloster v. 53, 1775.

^ an eine andere ist nicht zu denken, vgl. über sie AHuber Gesch. der Vereinigung Tirols mit Österreich (186J) s. 14.

* so prof. Schröder.

DAS KLOSTER DER MINNE 367

den Kärntner herzog zu trösten sucht, weil ihm seine dritte ge- mahlin hinweggestorben war, ohne den ersehnten erben zu hinter- lassen, und der ein andermal bei Ludwig dem Bayern seineu dank verdienen will durch eine phantastische verherlichung der kaiserlichen lieblingsschöpfung K am ende ist das Minnekloster gar ein poetisches gesuch an den herscher um eine pfründe im Stift?

Die freundliche gefährlin des dichters will vor 10 jähren als kind in den orden eingetreten sein (v. 713 ff), daraufbraucht man nichts zu geben, die vergnügliche poetische erzählung ist keine quelle für die Ettaler geschichte. vielmehr kann man mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die enlstehung des gedichtes früh, zeitlich nahe der Klage um eine edle herzogin, ansetzen, der dichter wird angeregt worden sein, als die leute sich zuerst über 'die neue unerhörte regel'^ des kaiserlichen Stiftes unterhielten und genug übertreibende gerüchte umlaufen mochten.

'Leere haltlose allegorie' war Goedeke das Kloster der Minne, nun ragt es poetisch gewis nicht über das mafs der allegorischen dichtung jener zeit empor, aber es ist auch nicht schlechter als vieles andere derart 3, eine gewisse natürlichkeit herscht in den gesprächen, und der schluss ist lebendig und lustig, vielleicht hat es jetzt auch ein wenig inhalt und grund gewonnen, als seltsame Urkunde des mittelalterlich höfischen gesellschaftsideals konnte es eigentlich immer schon einige aufmerksamkeit bean- spruchen.

Es ist hergebracht und keineswegs unrichtig, den gedanken der Ettaler gründung zurückzuführen auf die sage vom Gral, in dem ritterstift ein Klein-Muusalvsesche zu sehen und in der kirche zu Ellal ein abbild des Titureltempels^.

' über die person des dichters hat Lassberg Ls. n p. xix eine bestimmte Vermutung geäufsert: er will das werkchen, das er als 'das schönste ge- dieht dieses liedersales' bezeichnet, dem Heinzelein von Konstanz zuweisen, dessen Minnelehre ihm im Cod. pal. 313 unmittelbar vorausgeht, mir schien die Vermutung nicht so unbedingt abzuweisen, wie es FPfeiffer HvK. s. xiv tut, aber auch prof. Schröder findet den unterschied in stil und Wortschatz bemerkenswert und datiert mit Pf. die als echt bezeugten werke Heinzeleins um ein menschenalter früher.

' s. Böhmer Fontes rer. Germ, i 410.

3 [der Versbau ist für die zeit nicht übel im Kloster besser als in der Klage und der stil weist noch auf die lectüre guter Vorbilder. E. S.]

^ dagegen Seidel aao. 8 in Übereinstimmung mit Weber in Wetzer und

368 DAS KLOSTER DER MINNE

Romanlisch unklar handelte Ludwig, und er weihte sein werk baldigem Untergänge, indem er eine gutgemeinte woltütigkeits- anslalt nach dem model des phantastischen templeisenordens auf- richtete und zusammenzufügen sich vermafs, was unvereinbar ist, möncherei und eheleben, wie konnte die klösterUche Ordnung und das standesgemüfse nichtstun bestchn vor dem geschrei kleiner kiuder? der mihvell war die zwitterhaftigkeit des planes nicht verborgen, unbewust hat in seiner weise der weltliche poet das urteil darüber gefällt, indem er einen mönchisch vermummten liebeshof zeichnete; und ein zeitgenossischer kircheumaun, der abt Johann von Viktring, sprach aus, was wir noch heute denken ^ dass nur frommer eifer ohne einsieht ('sine scientia zelus dei'j Ludwig geleitet haben könne, er erinnerte sich dabei, was der heilige Martin einem ritter gesagt hatte, der seine frau mit ins kloster nehmen wollte: es ziemt sich nicht, dass der krieger mit seinem weibe in den kämpf ziehe.

Marburg i. H. E. SCHAÜS.

DAS MÜNCHENER BRUCHSTÜCK DER ÖSTERREICHISCHEN REIMCHRONIK.

Als ich im j. 1892 die einleitung zu meiner ausgäbe der Österreich, reimchronik schrieb, war mir ein Verzeichnis der cgm. 5249 vereinigten bruchstUcke entgangen, das FKeinz in seinem der 41 Versammlung deutscher philologen gewidmeten hefte 'Alt- deutsches' 1891 mitgeteilt hat. unter jenen fragmenten ist ein perg.-doppelblalt, 4", des 14 jhs., das ein stück der reimchronik Otlokars, uzvv. die vv. 47603 718 und 48536 710 der Ackers- episode enthält.

Es ist in der breite und in der höhe beschnitten, in dieser so, dass der schnitt knapp unter der letzten zeile der spalte läuft, der text der spalten selbst also noch ganz vorhanden ist. die erhaltene breite des einzelnen blattes schwankt zwischen 17.1 und 16.9 cm, die höhe zwischen 18.8 und 20 cm, was die spalten

Weites Kirchenlexikon iv 943, nach dem die Ordnung 'auf dem boden nüch- terner praktischer askese' beruht, für diese seile soll freilich der hinweis auf den dritten erden des Franz von Assisi hier nicht fehlen, doch der poetische hintergrund ist kaum zu bestreiten. ' Böhmer aao.

BRUCHSTÜCK DER ÖSTERREICH. REIMCHRONIK 369

belrirfl, so ist durchschnittlich die hreile des textes 6 cm, die höhe 18.5 cm. die seile ist zweispaltig besclirieben , die reim- zeilen abgesetzt, ihre anlange slehu in gerader linie unter ein- ander, initialen finden sich nur am aulang von abschnitten, am ende jeder zeile steht ein punct.

El. 1, sp. a enthält v. 47603—46, sp. b: 47647—90, sp. c: 47691—734, sp. d: 47735—78; bl. 2 sp. a: 48536—78, sp. b: 48579—622, sp. c: 48623—66, sp. d: 48667—710, also durch- weg 44 Zeilen (denn auch bl. 2 sp. a hat dieselbe zahl, da v. 48537 zweimal geschrieben wurde).

Ich nenne zunächst die Varianten des neuen Iragmenls das ich vorderhand mit M bezeichne , verglichen mit dem texte meiner ausgäbe (Rclir.); rein graphische und die meisten mund- artlichen unterschiede, bei denen die wortt'orm sonst identisch ist, sind dabei aufser acht gelassen: die auswahl ist nach den gleichen grundsätzen getroffen, wie sie für das lesartenverzeichnis der aus- gäbe mafsgabend waren:

Bl. 1 47605 den zuo slapheti Rchr.] denne ze stapfen M 13 Maurizen] Mauriciü 15 den herzogen] der herzog 19 erden] erd 28 scheffest] schaffest 37 der] Der 39 dienste] dint 45 geselUkeit] gellkhait 57 der\ Der 62 die] fehlt 64 dem soldan] dem allen foldan 65 hulf ariden] hulf an den 66 in] fehlt 68 aller] fehlt; und] und mein SO unde] oder 82 von sin schulden ist verdorben] von fchulden fint verdarben 83 oder muoter] vnd fein mueter 86 im] fehlt 90 Berbester] verbe/ter 91 oder] Oder; so] also 94 ez] Er 97 lebens] leibes 98 ge- va7igen] Geranget 47701 scheiden] geschaiden 07 dem] der dem; erden] erd 10 ouch ich] ich auch 11 er] JEr 22 bringen innen] inne pringen 28 well] toellen 29 sunde] funden 30 dö] Do 36 immer] nüer 45 ein] Ein; heizt] haiz 62 sin] feilten 68 solde] den fcholt 72 schwne] fchonen 73 ungeswachel] un- lesbar 74 was im zeren da gemachet] was im do ze ern gemachte.

Bl. 2 48537 er dem soldan] do er den foldan, durch- strichen, darauf in neuer zeile do er dem foldan 38 sin] feinen 42 den rat] der rat 43 die Idz ouch wir sin walten noch] Di walten auch fein noch 46 vor vehtens] für vns vechtens 51 ze] datz 53 weinen] Bewainen 56 das] Der 61 man] überge- schrieben 69 dd] fehlt 79 mer] weggeschnitten 81 dd si den heiden mit striten] Daz fi mit den Heiden ft . . . . (der resi Z. F. P. A. XXXVIII. N. F. XXVI. 24

370 BRUCHSTÜCK DER ÖSTERREICH. REIMCHRONIK

des Wortes weggeschnilten) 82 wellen] welle 84 ditze] Daz 85 und ander rede] Vnder einander red 91 suoc/iten] Svechten 97 ich sag in wie] wier fagen wie 48603 gel] lelilt dö\ fehlt 06 aller] auer 09 des] Des 10 noch\ nach 17 niht behag] unlesbar 18 trag] unlesbar 19 so in] in fo 21.22] die enden der Zeilen weggeschnitten 23. 24. 25. 26] die anlange der Zeilen weggeschnilten 27 wirt] ..er 31 haben] . aden (unsicher) 32 hat] fehlt 33 ze uns] . v vns hat 36 si hinnen sich des niht behüeten] Sich chnnnen /ich nicht des be- hnetten 39 gestdn] beftan 41 si] Si; dem] dem wol 42 do] daz 59 bis 66] die anfange der Zeilen weggeschnilten 76 dort] dar 80 sagte man uns] iach man 84 zem lest] zeleß 96 eise] als 48709 des] fehlt.

Zur classe *B gehörig wegen der bedeulung der siglen s. meine einleitung bes. s. xxxivff erweist sich das brst. durch die laa. 47615 der herzog, 47728 wellen und durch die ahsälze bei 47637, 47657 und 47745.

Innerhalb dieser classe entstammt es aber der vorläge *b', die sonst noch die quelle der hss 6. 7. 8 war. denn M steht mit 6. 7. 8 der hs. 4 (und von 48594 ab auch der hs. 3) gegen- über in folgenden classenlesarten:

4 (3) und text 6. 7. 8. M

47762 sin frnm (acc.) seinen fr.

48543 die Idz ouch wir sin wal- Dy auch sein walten noch 6; ten noch D. wältent syn ouch n. 7.8;

Li wallen auch fein n. Rl 48553 weinen Pewainen {Bew. M)

48680 sagte sagt (corr. , aus sach?) 6, jach

7. M, sprach 8. 6. 7. 8. M und text 3. 4.

48619 in gehist im g.

48704 wan {Und 8) Wand 3, wann 4.

48709 iht niht.

Die Stellung des fragments lässt sich noch näher bestimmen : dass es zur gruppe 7. 8 gehört, ergibt sich mit aller wünschens- werten Sicherheit aus den fehlem, die es mit 7. 8 teilt.

6 (und text) 7. 8. M

48546 vor vehtens für uns v M, vor %ms v. 7. 8

48680 sagte man uns uns fehlt.

BRUCHSTÜCK DER ÖSTERREICH. REIMCHROMK 371

Dazu kommen noch folgende laa., welche gruppenunterschietle zwischen 6 (text) und 7. 8 bedeuten: 47683 sin vater oder muoler] s. V. und {oder 7. 8) fein mneter M. 7. 8 47691 s6\ also 47710 ouch ich] ich auch 4111 [ im ze'ren dd] im do ze ern 48569 da] fehlt 48581 den heiden mit striten] mit den heiden St. 48605 dö] fehlt 48676 dort] dar 48709 iht des\ icht M 8 {jchtes 7).

Unser fragment kann jedoch nicht die vorläge von 7. 8 ge- wesen sein, da diese die fehler von M (wie 47664. 668. 736; 48542. 585. 603. 632 f. 636. 639. 642. 696 ua.) nicht teilen; M kann aber auch nicht die vorläge entweder von 7 oder 8 ge- wesen sein, oder entweder zu 7 oder zu 8 so gehören, dass es mit 7 oder 8 aus einer näheren gemeinsamen quelle stammte (so dass die hss. 7 und 8 erst durch eine weiter zurückliegende, allen dreien gemeinsame quelle verbunden würden), weil 7 und 8 gemeinsame fehler und gemeinsame absätze haben, die M nicht teilt (47605. 662. 697. 698 f. 699. 701. 729. 48590 usw.). M niuss daher zwar aus der quelle stammen, aus der (mittelbar) auch 7.8 flössen, aber von der gemeinsamen unmittelbaren vor- läge dieser beiden unabhängig sein.

Dadurch ergibt sich nunmehr eine reichere innere gliederung jenes zweiges der recension *b\ aus dem 7. 8 hergeleitet werden. Ein), s. XLi hatte ich für 6. 7. 8 das Schema

*b'

1 8

aufgestellt; durch das hinzutreten von M gestaltet es sich zu

ß'

M ß

7 8

Man wird daher das fragment M in der aufzählung der Ottükar-hss. füglich als 6* bezeichneu dürfen.

Dieses ergebnis ist kein völlig reines, denn es zeigen sich krenzungen: zwar dass 6' mit 6 die flexionsform snnden (statt sunde) 47729, mit 7 erd (für erden) 47619, schaffest (für scheffest) 47628, mit 8 seinen (für sin api.) 48538 teilt, ferner dass es mit 8 (statt ist) sint 47682 list, fällt in keiner weise au und für sich ins

24*

372 BnUCnSTÜCK DER ÖSTKHHEICII. IIEIMCHKONIK

gewicht, auch dass 6' und 7 47722 bringen: gewinnen reimen, dürfte Zufall sein, da 6' hier das reimwort innen umstollt, 7 aber es auslässt. schwerer wiegen jedoch die ühereinstimmungon von 6' mit 6. 8 untrev oder meintat gegen *B'. 7 (text) nntriu unde meintdt 47680, er (statt es) 47694; ferner von 6' mit 7, gegen *B', 6. 8, in der auslassung von die 47662, von sin 47682, von in 47666 (doch bemerke man, dass 6' auch 47686 ein not- wendiges im auslässt); ferner von 6' mit 8, gegen 3. *B'. 6. 7, in der lesung wier sagen wie (statt ich sag m wie) 48597. 6* teilt endlich den fehler nicht, den 6.7.8 durch auslassung des 48541 gemeinsam haben.

Ich fasse diese kreuzungserscheinungen unter denselben ge- sichtspuncten auf, wie die zahlreichen anderen , die gerade in der classe *b* auftreten, und verweise ihretwegen auf einl. xxxvn ff. sie vermögen nicht die gruppierung der hss. zu ver- ändern , aber sie deuten auf ein zusammentrelTen verschiedener wege der Überlieferung an ein und derselben handschrift.

Für die textgestaltung der Rchr. selbst ergibt das Münchener fragment nichts neues, für einzelne laa. lässt sich aber der weg der Verderbnis sicherer beurteilen, wenn wir in 6' und 6 den fehler und mein gedanch (statt und gedanc) 47668 finden, so schliefsen wir nunmehr, dass bereits die vorläge *b' ihn hatte, ß aber das pronomen zu widerholen unterHefs und so die lesart *B wieder herstellte; die absätze ferner, die wir 47711. 48591. 48609 übereinstimmend in 6 und 6\ 47730. 48641 in 6. 6* und 8 finden, werden wir auch der vorläge *b* zusprechen; wenn 6. 6' und 8 in 48641 dem wol gleich haben gegen text (3. 4. 7) dem gelicli, so erklären wir diese scheinbare kreuzung von 7 mit der ihr entfernter verwanten classe *B' so, dass 7 durch zu- fällige auslassung des wol einen fehler der vorläge *b* (und ß) beseitigt hat. ja auch für die entfernte quelle ermöglicht der fehler in 6' 48537 den soldan (der in das richtige dem s. gebessert wurde), welcher sich auch in 4 und 7 findet, den schluss, dass *B bereits ihn hatte und die hss. 6. 8 (wie 6') ihn selbständig besserten.

Unter den laa., die der hs. 6' allein angehören, fallen zu- uächsl zahlreiche flüchtigkeiten auf, wie 47639 dint f. dienst, 47645 gellichait i. gesellikeit , 47698 geranget f. gevangen, 48606 aner f. aller, 48696 als f. eise (vgl. noch 47605. 665. 736. 745; 48585. 616. 627. 631. 636. 639. 642), auslassungen

BHUCnSTÜCK DEli ÜSTERHEICII. HEIMCllUOiMK 373

eiozeluer Wörter (4766S. üS6; 48597. 603), umstelluugen (48619. 632 f. 636). dreimal corrigiert der Schreiber sich selbst, indem er in v. 47610 einen fehlerhaft begonnenen wort- anfang streicht, 4856 1 das ausgelassene man über der zeile nachträgt, und den fehlerhaft geschriebenen v. 48537 streicht und in neuer zeile richtig widerholt, an Zusätzen ist nur das verdeutlichende alten 47664 und ein anaphorisches dem 47707 zu verzeichnen, zu zwecken syntaktischer Verdeutlichung schreibt er 47707 der dem f. dem, 48556 der f. daz, 48581 daz f. dd. sonst sind nur mehr die farblosen änderungeu 47697 leibes f. Mens, 47701 geschaiden f. scheiden, 48551 datz f. ze und 48584 Daz f. ditze zu bemerken, die summe dieser laa. 35 bei einer gesamtzahl von 348 versen ist erheblich; sie verleihen dem Schreiber aber kein hervorstechendes persönliches gepräge. Alle übrigen individuellen abweichungen in 6' sind mund- artlicher natur. am dialect der hs. fallen zunächst die bairisch- österreichischen züge ins äuge:

a <io geicarhen, verdarben, margens, varchten, waricht. ie <C i mier, wier, ier. ue <1 ü fner : tuer.

die diphthongierungen ei <! i (durchweg; auch in suffixen :-leich, guidein), au <^ n (durchweg), en, ew, ev << in, iw (durch- weg), und die entsprechungen ai <^ ei (bis auf ein, einander), an, aw <C ou, ow (durchweg).

k ist ausnahmslos ch (denn von gundervait ist abzusehen), ck ist ch in diche, ebenso kw in ehem.

g ist an- und inlautend g, auslautend meist ch, aber auch g: so stehu neben einander chunich und chnnig; lanch, dinch und ding; manich und mechtig.

b ist im anlaut von Stammsilben durchweg p; das pracüx be hat meistens b, daneben steht ^e»üa^ wier, im anstaut b; Wechsel zwischen b und to in waldach, erberlen (=erwerten).

Schwankender wird das bild ohne aber unvereinbares zu bieten in der dentalreihe: t zwar findet sich auslautend in tausent, weigant, tat, stuntj inlautend verdoppelt in totten, behuellen, wnetlen; d aber steht im anlaut (auch im wortc deutsch), iulaut, und im auslaut in seid (= sit), siiid, tod, land (d. sg.), red, neld (d. sg.), vrid, chvnd, ward, er wold, daneben velt, er scholt.

Neben diesen ziemlich einheitlichen erscheinungen zeigen sich aber einige freilich seltene, aber doch stark ins gewicht fal- lende Schreibungen, die mir auf ein anderes dialectgebiet not-

374 BHÜCHSTÜCK DER ÖSTERIJEICII. HEIMCHRONIK

wendig zu weisen scheiueo. wenn ich von dem unsicheren haden 48631 absehe ( das als hdten verstanden werden milste ), so bleiben noch: im aniaut w f. v (= f) in wester f, vester 47658, ferner zweimal tael f. teil, einmal taet f. teil (= tagte), neben vail, tagt und sonstigem regelmäfsigen at <C ei. diese entsprechung ist ja bairisch freilich nicht unbelegt, aber doch ganz vereinzelt, und ihr dreimaliges vorkommen in unserem kurzen bruchstück jedesfalls sehr bemerkenswert.

Ist so der gedanke an eine ausbeugung aus den sonst ziem- lich deutlichen umrissen der mundart überhaupt nahegelegt, so werden wir auch andere erscheinungen, die vereinzelt uns nicht zwängen über das bairisch-österreichische gebiet hinauszu- schauen, in anderem lichte sehen: dass überwiegend iz, di, si geschrieben; dass mhd. cc ausnahmslos durch e widergegeben wird (nem, chem, teten, gever, nnmer, went); dass apokopierte formen neben vollen, dass sprühen neben solichev, zv neben dar zne, dint (f. dienest) neben gedient liehtem, mut füren prndern pruderschaft neben mneter fwuern vngueter trneg vbermnet tuet muezzen prneder wuetten, einmal endlich waz neben sonstigem was steht.

Ich suche in diesen einzelheiten mitteldeutsche einflüsse. ob man nun den gesamten lautstand des bruchslücks als einen organischen mundartlichen aufzufassen oder in jenen md. spuren einwürkung einer fremden Umgebung auf einen Baier oder einen Österreicher zu sehen habe, wird sich bei der kürze des frag- ments und bei der talsache, dass es abschrift einer verlorenen vorläge ist, schwerlich glatt entscheiden lassen.

Im südlichen Böhmen zeigen sich lautmischungen, wie 6' sie hat, bei vorwiegendem oberdeutschen character (vgl. das von Weiss Unterss. zur bestimmung des dialects des cod. Tepl. s. 51 f über die spräche der Hohenfurler Urkunden gesagte), anlautendes w f. ü (=f) liegt in den Schreibungen naclinolgen genallen des cod. Tepl. (Römerbrief) vor, deren u man nicht mit Weiss s. 22 als zeichen für v ansehen, sondern wie die Schreibungen worsmehent nachwolgen water in Johannes von Olmütz Leben des hl. Hiero- nyuuis (s. Benedicts einl. zur ausg. li) beurteilen wird, iden- tisch damit ist das icester der hs. 6' für vester. derselben er- scheinung begegnen wir in ausgedehntem mafse in i\en hss. des Prager stadirechts (Roesler Deutsche rechtsdenkm. aus Böhmen

BRUCHSTÜCK DER ÖSTERREICH. REIMCHROMK 375

und Mähreu i) , wo w und v im aulaul überhaupt wechseln: s. 17 (1322) tmir die wier henken (= für die vier), 84 toier, 83. 108 zum wtrdem mal, 85 icerfweigen , 112 gewangen, IIG walsch, 112 wrawen, 116 toreylich usw., anderseits vil {= xvil), vollen, velchen, vider, volde, villen, gevalt, gevint usw.

Auch das höchst auffallende ai <^ a m manhaift 47658 zu dessen erklärung Weinholds Verweisungen auf Ulman Stromer und Ayrer (BGr § 65) nicht benutzt werden kOnnen liisst sich auf dem eingeschlagenen wege antreffen: das Prager stadt- recht (Roesler i 83) bietet mittayll (= mitalle) ; dieses eine beispiel gewinnt an wert, wenn wir ebenda verwanten Schreibungen in fluit s. 149 neben flut und zwein (für zwene) s. 191 begegnen ^

Es erübrigen die drei ae <i ai. ich kann aus süd- oder mittelböhmischer gegend keine parallele für sie beibringen, sollten sie sich aber nicht aus einer Orthographie erklären lassen, welche für mhd. ce in der regel zwar e, daneben aber auch ae und zu- weilen ei gebraucht {seilic, vnfleitikeit), wie die Johanns von 01- mülz? trifft die erklärung zu, so würde durch sie die annähme wahrscheinlicher, dass der Schreiber von 6* nicht ein Südböhme sondern ein Österreicher war, der auf seine heimische mundart südböhmische laute und lautgebung hatte einwürken lassen.

Der bairisch-österreichische character des denkmals überwiegt weitaus, zu den oben erwähnten hauj)lmerkmalen sei noch das praet. hielen, das regelmäfsige fchullen, fcholde, fchol, das mascul. der ungemach, der gänzliche mangel an belegen für verbaucliung eines inlautenden ch (= h) vor consonanten gefügt: es heifst durchaus nicht, geschieht, höchsten usw.

Mit dem bruchstück 6' ist zu den resten der lange zeit ein- zigen pergamenths. der Rchr. das Überbleibsel einer zweiten membrane gekommen. 6' wird allerdings um mehrere Jahrzehnte jünger sein als 3 die gestalt deslexles und dessen lautform legen diesen schluss nahe aber sie bleibt immerhin die Zweitälteste.

Sie bestätigt meine Vermutung (einl. s. xlii), dass das grofs- quart der hss. 2 und 3, deren mafsen unser bruchstück ganz nahe steht, das formal der ältesten hss. des Werkes war; sie be- stätig ferner die annähme, dass das gesamtwerk in einzelne

' die inschrifl auf dem grabe Seifried Schweppermaiiiis in der kioster- kirclie Kasll Lei Aiuberg hatte waer für war (iiacii der absclirift im cgm. 5618 vom j. 1527).

376 BRUCHSTÜCK DKR ÜSTEHnElCH. HEIMCIIRONIK

bände aulgeleilt überliefert war: einer davon der den teil n, die Zerstörung Accons, euthiell wurde in C, wie in 6. 7. S, abgeschrieben, die bs. 6' bat von der Rcbr. gewis nicbts an- deres als diesen teil ii aulgenommeu : das lebrt die einreibung des fragments in die gruppe *b', deren übrige glieder nur die Ackersepisode überliefern, so dass wir scbliefsen müssen, dass auch G' wie *b' nur diese entbielt.

6' ergänzt aber auch in erwünschter weise unsere kenutnis von der aufnähme und der allmählichen Verbreitung des werkes. da 6' noch ins 14 jh. gehört, muss wol die quelle der gruppe der es angehört, *b\ zu der wir von 6' erst über das mittel- glied /?' gelangen, ziemlich früh angesetzt werden, ob /J' rein österreichisch noch war, wissen wir nicht; aber von ihm aus gehl die vorläge {ß) jener hss., die wir aufserhalb Österreichs, in Schwaben und Mitteldeutschland, geschrieben finden (7. 8). da uns 6* wahrscheinlich nach Böhmen führt, so ist der weg, den der ii teil der Rcbr. nahm, wol der gewesen, dass jenes land, das Österreich benachbart im 14 jh. durch Karl iv, seineu bof, seine kanzlei so vielseitiges geistiges leben entfaltete, die Vermittlung nach dem übrigen Deutschland hin übernahm.

Jene aus lautlichen anzeichen gewonnene meinung, dass der Ursprung der hs. 6* in Böhmen zu suchen sei, wird wesentlich unterstützt durch ein äufseres merkmal. das fragment diente einst als einbanddecke eines bandes in kl. 8^, und die aufscbrift, die es an der stelle des buchriickens trägt: (von älterer band) De rebus Bohemicis calendarium historkum , darunter (von etwas jüngerer) auctore procopio Lnpacio ist, wie mir Keinz in gewohnter gute mitteilt, auf das buch 'Rerum Bocmicarum Ephemeris sive Kalen- darium bistoricum: Ex reconditis . . . monumentis erutum. Authore M. Procopio Lupacio Hlawaczowaeo Pragensi. Pragae, anno molxxxiih. In officina Georgii Nigrini' zu beziehen.

6' ist daher schwerlich jenes exemplar gewesen, das das bücherverzeichnis der VVittenberger scblosscapelle von 1434 nennt (Einl. s. xxiv), ebensowenig das des Püterich von Reicberzbausen (aao.); es ist wol im lande geblieben, bis es zerschnitten wurde, während der andere ausläufer der gleichen quelle, /?, aufser landes gieng und seine spur in den hss. 7 und 8 hinterliefs.

Innsbruck. JOSEPH SEEMÜLLER.

Dnick von J. B. Hirsch feld in Leipzig.

ANZEIGER

PUR

DEUTSCHES ALTERTUM

UND

DEUTSCHE LrJTElUTÜR

HRRAUSOEGEBKN

EDWARD SCHROEDER UND GUSTAV ROETHE

ZWANZIGSTER BAND

BERLIN

WEIDMANNSCHE BUCHHANDLUNG

1894.

INHALT.

Seite

Ackermann, Franz von Kleist, von Köster 92

Ares Isländerbuch, s. Golther

Baunigart, Goethes Faust als einheitliche dichtung, von Köslor . . . IfiT

Herger, Bürgers gedichte, von Schiiddekopf tit»

Boer, Orvar-Odds saga, von Detter ST

Bohnenberger, Zur gesell, d. schwäb. niundarl im 15 Jh., von Heusler 2'.»

Bolte, Mucedorus übersetzt von Tieck, von Hünig 317

Bosasaga, s. Jiriczek

Brandstetter, Die Luzerner kanzleisprache 1250 IGOO, von Heusler .

, Die receplion der nhd. Schriftsprache in Luzern 1600 1830,

von Heusler 20

Breul, Schillers Teil, von Elster 91

Buchner, Herders Cid, von Köster 89

Bürger, Gedichte, s. Berger

Chronica niinora, s. Monimsen

Dziatzko, Briefe FHvdHagens an Heyne und Benecke, von Steinmeyer 198

Eckius dedolatus, s. Szamatolski

vEmbden, Heines familienleben, von Bedlich 75

Faulmann, Etymologisches Wörterbuch d. deutsch, spräche, von Franck 81

Forster, s. Leitzmann

Franck, Etym. woordenboek der nederlandsche taal , von Holthausen 231

Fränkel, Shakespeare und das tagelied, von Brandl 227

Gallee, Altsächsische grammatik, von Roediger 238

Gellerts dichtungen, s. Schullerus

Gering, Die Edda, von Heusler 162

Gislason, Udvalg af oldnordiske skjaldekvad, von Kahle 145

Gneisse, Untersuchungen zu Schillers aufsätzen, von Breul .... 89

Golther, Ares Isländerbuch, von KaufTmann 38

Goethe, Torquato Tasso, s. Kern

Götz, Gedichte, s. Schüddekopf

Harnack, Die classische ästhetik der Deutschen, von Walzel ... 70

Hauksbök i, von Jiriczek ICi

Heineniann, Goethes mutter, von Jacoby 275

Heinzel, Über Wolframs von Eschenbach Parzival, von Martin . . . 255 Herder, Der Cid, s. Buchner

Hirzel, Geschichte der gelehrtheit von Wieland, von SeufTert ... 52

Jellinek, Die sage von Hero u. Leander in der dichtung, von Honig. 35

Jellinghaus, Arminius und Siegfried, von Henning 80

Jiriczek, Die Bosasaga, von Larsson 245

Kahl, Mundart und Schriftsprache im Elsass, von Martin ..... 84 Kassewitz , Darlegung der dichterischen technik von Goethes 'Alexis

und Dora', von Köster 406

Kern, Torquato Tasso von Goethe, von Köster 365

Koldewey, Braunschweigische Schulordnungen ii, von Seemüller . . 201

Köster, Schiller als dramaturg, von Elster 174

Kuntze, Wizlaw in von Rügen, von Seelmann 343

Leitzmann, Forsters briefe und tagebücher, von RMMeyer .... 311

Lerp, Die alten Völker, gaue u. ansiedlungen in Gotha, von Kossinna 199 Lichlenberger, De verbis quae in vetustissima Germanorum lingua re-

duplicatum praelerituni e.xhibebant, von Holthausen S3

Lukas, Die grundbegrifle in d. kosniogonien d. alt. vöiker, von RMMeyer 113

Luthers Bibel, im auftrage der evangel. kircheiiconferenz, von Heyne 3ö()

Menges, Volksmiindart und Volksschule im Elsass, von Martin ... 84

Minor, Schiller i. ii, von Elster 383

Mommsen, Chronica niinora saec. iv vii, von Henning 78

IV FMIAI.T

Seite

Mouiek, Syntaxis slozcnycli vj-t v gotstinr-, von Heinzel 14U

Mucedorus, übers, von Tieck, s. Bolte

Kerrlich, Jean Paul, von IVIuncker 182

Keubaur, Die sage vom ewigen Juden-, von Singer 195

Ürvar-Odds saga, s. Boer

Pacbtler, Ratio sludioium soc. Jes. in, von Secniülier 401

Petri, Der Agnes-Bernauer-sloff im deutschen drania, von Walze! . . 205

Häuschen, Die legende Karls des grofsen, von Schröder 251

Heindell, Dr WLinck von Colditz, von Michels 266

Richter, Erasmusstudien, von IJerrmann 43

Rocdigcr, Paradigmata zur altsächs. grammatik^, von Jellinek . . . 398

Sander, La mythologie du nord, von KaufTmann 79

Scheel, Jaspar von Gennep u. die Schriftsprache in Köln, von Martin . 400 Schiller, Teil, s. Breul

Schlickinger, Der Helmbrechlshof, von Keinz 258

Schlüter, Untersuchungen zur gesch. d. altsächs. spräche i, von Jellinek 13

Schüddekopf, Briefe von und an Götz, von Waniek 271

, Gedichte von Götz 1745 1765, von Waniek 272

Schullerus, Gellerts dichtungen, von Köster 88

Schwering, Franz von Kleist, von Köster 92

Sievers, Altgermanische nietrik, von Franck 337

Strack, Goethes Leipziger liederbuch, von RMWerner 353

Strehlke, Paralipomena zu Goethes Faust, von ESchmidt 285

, Wörterbuch zu Goethes Faust, von ESchmidt .... 290

Streitberg, Zur germanischen Sprachgeschichte von Möller . . . . 116

Sudre, Les sources du roman de Renart, von Singer 248

Szamatolski, Eckius dedolatus, von Spengler 405

Tamm, Etymologisk svensk ordbog i, von Holthausen 399

Teutsch, Siebenbürgisch-sächsische Schulordnungen ii, von Seemüller 403

Ullsperger, Der schwarze ritter in Schillers Jungfrau von Orleans, von Elster 204

Umfrid, Goethe der deutsche prophet, von flarnack 88

Vodskov, Jessens Forsm?edelige Skandale, von Holthausen .... 200

vdWaals, Skeireins aivaggeljons pairh Johannen, von Jellinek . . . 148

Werner, Der Laufener Don Juan, von Szamatolski 47

Westphal, Allgemeine metrik, von Heusler 86

Wieland, Geschichte der gelehrtheit, s. Hirzel

Wolff, Blätter aus dem Wertherkreis, von Köster . 281

Wright, A grammar of the dialect of Windhill, von Napier .... 30

Wunderlich, Der deutsche satzbau, von Tomanetz 1

Zenker, Geschichte der Wiener Journalistik ii, von Walzel .... 192

Zimmer, Nennius Vindicatus, von Martin 225

Berichtigungen 408

liber Moriz von Craon, von Schröder 407

Entgegnung, von Marlin und Heusler HO

Entgegnung, von Richter und Herrmann 334

Ein brief Jacob Grimms, von Meifsner 406

Ein brief Jacob Grimms, von Steinmeyer 206

De Heinrico v. 7, von Priebsch 207

Zur Kaiserchronik, von Steinmeyer 207

Zur Klage eines ehemanns (Zs. 38, 153), von Keinz 336

Personalnotizen 112. 224. 408

Berichte über Wenkers Sprachatlas, von Wrede

VIII. heifs, zwei, scimee, bruder 95

IX. jnachen, ans, braune, hause, liäuser, leule, leiden . . . 207

X. 7'ote?i, darf, äffe, besser; fleisch, weh 320

Zu Tacitus Germania cap. 28, von WölfTlin 207

Zwei hricfe von Uhland, von Hirzel . . . 92

ANZEIGER

FÜR

DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUR

XX, l Januar 1894

Der deutsche satzbau, dargestellt von Hermann Wunderlich. Stuttgart, JGCotta, 1S92. XIV u. 252 ss. S". 4 m.

Wunderlich hat sich der dankbaren aufgäbe unterzogen, eine vollständige deutsche syntax zu schreiben, und um nicht n)itleu drin stecken zu bleiben, wie dies leider mit Erdmanns syntax der lall zu sein scheint, beschränkt er sich daraut, die grundlegenden gesichtspuncle stark zu betonen, während er details übergeht, er beschränkt sich ferner im wesentlichen auf das nhd., ohne aber ältere sprachperioden zu übersehen, wenn sie, wie so oft, die richischnur für die entwicklung der sprachlichen erscheinung an die band geben, er gibt meist nur 6in informierendes beispiel ; auf fülle der belege kommt es ihm ebensowenig an wie auf voll- sländigkeit in der aufzählung minder wichtiger syntaktischer lalle. ci" liefert nur die grundzüge für den grolsen bau unserer syntax, l'al mit kundiger band den riss entworfen und für die orga- nische ausgestaltung der einzelnen teile anweisung gegeben, da- mit ist schon viel für unsere disciplin gewonnen, so viel auch in letzter zeit an syntaktischer delailarbeit geleistet wurde, es fehlte der innere Zusammenhang, der die resultate der einzelbeobach- tung tauglich gemacht hätte, als wol zugerichtete bausteine dem grolsen bau ohne weiteres einverleibt zu werden; es fehlte ein regulativ, das die methode gewiesen hätte, so behandelte jeder forscher sein capitel nach bestem dafürhalten, aber w omöglich jeder nach andern gesichtspuncten, und die mitstrebenden wissen, welche unendliche mühe es kostet, so gewonnene resultate erst wider verarbeiten zu müssen, also schon hier sehe ich einen nicht zu unterschätzenden vorteil von W.s buche; aber sein eigentlicher wert liegt tiefer: er hat absichllich sein arbeitsfeld eingeengt, um, un- beirrt durch die fülle des stolTes und der belege, den erscheinungen bis zu ihrer wurzel nachzugehn und selbst die feinsten laden blofszulegen, aus denen sich der sprachgeisl sein kunstgewebe ge- fertigt hat. er arbeitet mit voller Sachkenntnis und unter engstem auschluss an die neue psychologische arl der betrachtung syntak- tischer erscheinungen, die Paul mit so grofsem erfolge zur geltuug gebracht hat. soviel er aber auch Paul, Erdmann und Behaghel zu danken hat, was er selbst gerne zugibt (s. ni f und x anm.), so wahrt er doch überall seine Selbständigkeit und sein freies ur- teil, so trägt er nur vor, was er beweisen zu können glaubt, und

A. F. lt. A. XX. 1

2 WODERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU

wenn manche seiner aufstellungen zweifelhaft bleiben, interessant sind sie immer, er bringt viel neues, ohne danach zu jagen, er wird manche Opposition hervorrufen; umsobesser; das kann nur dazu dienen, unsere erkenntnis zu fordern.

W. steht auf dem boden des iMiklosichsciien Systems; ich ge- stehe, dass mir dessen alieingiltigkeit durch W.s consequente an- wendung recht zweifelhaft geworden ist. zweierlei ist mir aufge- fallen: einmal nötigt das System, damit womöglich alles unter- {.'ebracht werde, syntaktische tatsachen an orten zu behandeln, wo man sie ihrem wesen nach nicht suchen würde, so beschäftigt sich das erste cap. mit dem verbum; daneben werden die inter- jectionen besprochen, die einzelnen wortclassen nach ihrer salz- bildenden kraft durchgenommen, die ellipse des Personalpronomens abgehandelt usw. anderseits bringt es das System mit sich, dass zusammengehöriges auseinander gerissen, an mehreren orten von verschiedenen gesichtspuncten behandelt wird, bezeichnend ist, was W, selbst s. 86 über die verbalnomina sagt: 'diese waren an den verschiedensten orten schon mit zur spräche gekom- men; nach ihrer absoluten Verwendung, nach ihrem grund, als ersatz des imper., in Verbindung mit hilfsverben; aufserdem werden sie uns noch bei der Wortstellung beschäftigen, bei der abgren- zung von subst. und adj., bei der part. daz, so dass wir ihnen hier keinen eigenen abschnitt zu widmen bra u che n'. hier ist doch wenigstens noch eine Zusammenfassung der membra disiecta geboten; das geschieht aber nur sehr selten, zumal nicht bei jenen erscheinungen, für die im System überhaupt kein platz ist; und dass dies wUrklich vorkommt, zähle ich als drittes ge- brechen, schon die Wortstellung ist nur durch eine hiutertüre hiueingeschlüpft ; salzstellung, congruenz, ellipse und anderes bleiben nahezu ausgeschlossen, das alles sind recht beschwerliche übel- stände, die nur zum teil durch einen index abgeschwächt werden können, dieser lässt aber hier geradezu alles zu wünschen übrig, statt für die mangelhafligkeit der systematischen darstellung auf- zukommen, gibt er ein paar Schlagwörter, und bei diesen alle zahlen, ohne dass augemerkt wäre, welche einzelheit gerade hier oder dort behandelt wird, suche ich eine tatsache aus dem ge- biet des Substantivs und sehe unter Substantiv nach, so finde ich dort etliche 20 Seitenangaben und habe nun das vergnügen, alle nachzuschlagen, um vielleicht erst zum Schlüsse das zu finden, was ich suchte, sucht man aber etwa das Schlagwort: Wortstel- lung oder congruenz oder satzstellung oder dgl., so ist alle mühe verloren ; diese Wörter enthält der index überhaupt nicht, während zb. ellipse dasteht, besonders schlecht ist man daran, wenn man nach einzelnen Wörtern fahndet; da lässt der index meist ganz im stich; aber auch hier zeigt sich die ungleichmäfsigkeit: denn derselbe, haben, sein und werden sind doch angeführt.

Sie zei"t sich übrigens auch im buche selbst, ist das ver-

WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU 3

Iiältnis zwischeu der bedeiitung des inlialles und dem umfang der darslellung im allgemeinen richtig gewahrt, so erscheint es recht oll doch auch geslürt. das gleiche gilt von den helegen ; so ünden wir zh. s. 71 oder 203 andeutungen ohne ausRlhrung und bei- spiel. das ist aber mehr ein ästhetischer mangel, es ist eben noch nicht alles ausgeglichen, und nian darf es einem autor, der oft neue wego geht, nicht zu ilhel nehmen, wenn er uns auch un- ehene pfade lührt. viel erschwerender aber ist ein andrer fehler, und aus ihm kann man W. mit recht einen Vorwurf machen. W.s (larslellung ist nicht nur häutig rein aphoristisch, formuliert nicht nur manche stellen so unklar, dass man sie widerholt lesen und erst zurecht richten muss, um ihnen beizukommen, und setzt nicht nur so reiche kenntnisse in syntaktischen dingen voraus, dass anfönger, die an dem buche syntax lernen wollen, vielen stellen ratlos gegenilbersiehn dürften, sondern obendrein ist gar an dem Stil manches auszusetzen; er zeigt nicht jene glätte und correcl- heit, die man grade von dem verf. einer deutschen syntax fordern kann. ich will meine bebauptung nicht ganz ohne nachweis lassen : so mache ich auf den condilional im bedingenden neben- satze aufmerksam s. 128: 'wenn der lehrer durchmustern würde', auf fügungen und Wendungen wie s. 111, 13 'das subjecl wird zwar auch hier durch das Substantiv gestellt' und das gleich- falls aus dem militärischen Jargon stammende 'antreten' s. 210, 5 ""von, dass deshalb auch bei allen passivformeu antritt'; ferner auf s. 83, 17 'auch das verhalten der directen zur indirecteu rede ist sehr verschieden'; zum mindesten muss es heifsen: 'das verhalten der autorcn zur . . .'; ganz unklar ist mir zb. der satz s. 206 oben: 'während bei an acht a u fsen fläche n eine ver- schiedene arl äufserlicher berUhrung kennzeichnen konnten'.

Es fehlt sichtlich die letzte feile; das zeigen auch die druck- fehler. W. selbst macht auf inconsequenzen in Schreibung und flexiou der termini technici aufmerksam und verbessert schon eine reibe von druckfehlern (s. 252); es ist aber noch manches nach- zutragen', und einige dieser druckverseben sind recht bös; was soll ich aber sagen zu 'pluralia lanta' s. 134? isls auch ein druckfehler? schwerlich; denn eine seile weiter erscheinen sin- gularia tanta!

Doch das tritt alles in den hintergruud gegenüber den unleug- baren Vorzügen des buches und lässt sich ja in der nächsten aul- lage, die sicher nicht lange auf sich warten lassen wird, leicht gut machen, ich verspreche mir von W.s 'Deutschem satzbau' trotz

' 45, 5 trenne 'gerade in'; 54, 1 v. u. I. Wortstellung sl. Vorstellung; 55, 7 fehlt der beistricli nacli 'singularis'; 102, 10 1. verb st. suhject; 120, 14 lehn die klammer vor 3), ist überflüssig hinter 'aclionis'; 141, 2 I. diu st. din; 200, 1 v. u. ist 'wird zu' nicht cursiv zu drucken (s. s. 252); die klam- mer zum schlösse des satzes fehlt; 212,17 I. verslrennung st. vertrennung; 220, 11 ist 'indem' zusammenzurücken; 225, 12 I. entsprechendes.

1*

4 \YUNItERLICll DER DEUTSCHE SATZBAÜ

allen aufserliclien mangeln den wolläligslen einiluss aul' die be- lebuny und lOrdening der syiilaktisclion sludien.

Ich habe schon belonl, dass ich nicht allen anschauungcn und ausführungen NV.s ohne bedenken gegenübersiehe, einige der- selben will ich zur spräche bringen, dabei aber auch auf besonders gelungenes hinzuweisen nicht unterlassen.

W. kommt natürlich auch auf die delinilion des salzes zu sprechen, stieilt die IVage beim verb und erledigt sie beim Sub- stantiv, diese hehandlung desselben gegenständes an zwei orten ist allerdings nicht glücklich, zumal da die abscliliefsende be- sprecliung erst nachfolgt, obwol beim verb fragen zu erledigen waren wie 1) ist das verbum zur salzbihiung unentbehrlich? (s. 2 (Tj, 2) inwieweit genügt das verbum zur satzbilduug? (s. Hfl"), die die genaue bestimmung des begrifl'es 'satz' voraussetzen, was aber W. vorbringt, ist vorzüglich, er muss sich vorerst mit Pauls defuiition des salzes auseinandersetzen, und in der krilik derselben liat er m.e. das lösende worl gesprochen, wenn er bemerkt, dass das kennzeichnende des salzes im abschluss einer vorstellungs- reihe liegt (s. 110), nicht in der blofsen aneinanderreibung der Vorstellungen, wie F'aul sagt, und dass diesen abschluss das prae- dicat bewürkt. jetzt erst ist klargestellt, warum 'der grüne bäum' kein satz ist, wol aber 'der bäum ist grün' oder 'grünl'^.

S. 4 11' weist W. nach, dass das verbum kein unentbehrlicher beslandteil des salzes ist. gewis, 'Pafa hut' (Paul) ist auch ein salz, aber wenn wir mit W. davon überzeugt sind, dass das ein- zige characterislicum des salzes die abscliliefsende Verbindung zweier Vorstellungen durch das praedicat ist, so ist eben in solchen fällen das praedicat aus der Situation zu ergänzen, ich erwähne dies darum, weil W.s definition vom salzes. 110 scheinbar im Wider- spruch zu den ausführungen über das verbum steht, die das buch eröffnen; dann darum, weil auch Kern, der von denselben psy- chologischen grundsälzen ausgehl, wie Paul und W., zugesteht, dass es sätze ohne verbum finilum gibt, die aber weitaus die geringere menge aller Sätze bilden, darum nenntersieausprak tischen rück- siebten'uneigentlichc sätze' und nimmt auf sie ausdrücklich keinen be- dacht, wenn er in die definition des salzes als wesentliches merkmal das verbum finilum einstellt, diese definition ist nun für die schule von eminent praktischem wert; ich gestehe, dass ich es als einen sehr grofsen fortschritt ansah, als unsere schulgrammatik von Willo- niilzer in die 5 aull. Kerns definition vom salze aufnahm, das

' übrigens hat schon Kern 1888 in meiner 'Deutschen Satzlehre' Pauls definition in demselben sinne bemängelt, wenn er sie s. 32 zu weit nennt, insofern unter den begriff 'satz' nach Paul auch eine vorstellungsverliindung wie rfc7' grüne bäum fällt, wenn er aber dann weiter sagt: 'Paul hätte das merkmal der mitleilung mit iiinein nehmen müssen', so ist das zum min- desten recht undeutlich ausgedrückt, weil ja Paul selbst hinzufügt, dass die Verbindung der, Vorstellungen seitens des sprechenden dieselbe Verbindung beim hörenden erwecken müsse.

WU>DEBIJCH DKn DEUTSCHE SATZBAU Ö

ist ein reclit drastisches beispiel dafür, wie weit oll die ergebnisse der Wissenschaft und das hedilrfnis der schule auseinandergehn.

W.s ansieht s. 14 a., dass aus oMiquem casus überhaupt kein subject im folgenden salze ergänzt wird, lässt sich nicht halten, ich verweise nur auf Andresen Sprachgel)r/ s. 75; ich habe einen beleg aus. Imniermanns Münchhausen beigebracht Anz. xiv 11; vgl. auch Grillparzer in einem brief (Grillp.-Jahrb. i 158): ^meine SchntzgöKinnen haben mir ein prächtiges Bett gemacht und schlief ganz gnf. dass dergleichen schon auflüllt, will ich nicht leugnen.

Wie richtig es ist, dass das verb zunächst Vorgänge bezeich- net, erst in zweiler reihe zustande (s. 18), ergibt sich sciion daraus, dass die im dialect so häutige Umschreibung des verbalbegrids mit tun alle verba trilTt; man sagt also auch: er tut sitzen, liegen, schlafen ; das volk sieht also selbst im zustande, in der ruhe bewegung, ein geschehen, einen Vorgang.

S. 18 werden die impersonalia bendirt, aber nur ganz kurz: 'unsere eigentlichen impersonalia lassen sich demnach als salze auffassen, in denen diese Spaltung (dli. in Substantiv und verb) nicht eingetreten ist', offenbar ist also W. der ansieht Pauls: die impersonalia sind subjectlos, aber zweigliederig. W. hätte sich schon deutlicher ausdrucken künnen; er liebt zu sehr solche beiläufig hingeworfenen bemerkungen. im index ist natürlich vom Impersonale keine spur zu finden.

S. 25 wird ua. hungern als ein intransitiv bezeichnet, das nicht durch ein praefix transitiv werden kann; s. aber aushungern. zu den transitiven mit er- ist ersitzen nachzutragen: ein recht er- sitzen. — s. 26 f eine kleine ungleichmäfsigkeit: ge- bekommt eine eigene Überschrift; warum er- nicht?

S. 35. W. will die praeterilalen passivformen mit worden gegen Erdmann aus der Verbindung des adjectivs mit ist erklären, ich bemerke aber, dass die ältesten mhd. beispiele worden nicht neben adjecliv, sondern neben particip zeigen, das spricht für Erdmanns ableitung. s. 39 behauptet W., Erdmann lasse es ohne erklärung, dass einfaches praesens ein futur ersetzen könne, es heifst aber doch bei Erdmann s. 96: 'besonders wenn durch ad- verbiale Zeitbestimmungen die beziehung auf die zukunft deutlich bezeichnet ist'.

S. 41 zieht W. gegen Erdmann Grund?, i 98 f und Bebaghel Deutsche spr. 209 die ableitung des inlinilivs bei futurbildendem werden aus einer abgescblifienen parlicipialform vor. die frage ist noch nicht entschieden. s. 42. W. citiert die beobachtung von Heis, dass der Mainzer dialect die Umschreibung mit werden nur Potential, also modal verwende, dasselbe bemerkt Binz für den baselslädtischen dialect s. 71. auch im bairisch-üsterreichi- schen tritt die potenliale geltung des fulurs stark hervor, wenn sie auch nicht ausschliefsticb gilt; zb.: das wird schon so sein = das dürfte schon so sein; oder als anlwort auf die frage: wie

6 WÜ.NDEnLICH DER DEUTSCHE SATZDAU

gehl es ihnen?: es icird schon gut sein müssen, ganz eigentüm- lich ist che Verwendung des liitiirs liir das praeleritum im nd. dialect. so sagt Christoph, ein nrheiter, in Spielhagens Die von Hohenstein s. 129: werd ich ihm antworten = ich antwortete ihm, oder ein kellner in Spielhagens Schoner Amerikanerin s. 167: ich also hin nach Tannenburg gemacht und werde dann gleich auf sein Zimmer gehen == und gieng. diese consiruction wird be- greiflich, wenn wir annehmen, dass die beziehung aul' die Ver- gangenheit, die im Infinitiv ausgedrückt werden sollte, unbe- zeichnet geblieben ist. es hiefse dann : 'ich werde auf sein zimmer gegangen sein', und das hat wider deutlich potentialen character: ich bin dann wol gleich auf sein zimmer gegangen. zu s. 46 Vgl. Behaghel D. spr. 209 mit Literaturbl. 8, 204. s. 48 f ver- weist W. auf Reis versuch (s. 12), die Verdrängung des erzählenden imperfects durch das perfect rein lautlich zu erklären, ich linde nun denselben versuch auch in Nagls Grammatischer analyse des niederösterr. dialectes im anschluss an den als probestück der Übersetzung abgedruckten 6 gesang des Hoanad (Wien 1886). s. 369 f spricht Nagl da von der Vertretung des iud. praet. durch den conj. und führt weiter aus, wie diese Stellvertretung der an- lass gewesen sein möge für die Verdrängung der imperfectformen. zunächst fielen bei den schwachen verbis ind. und conj. praet. formell zusammen, 'dem bauer, der bei seiner skeptischen anläge nur das gegenwärtige für reell achtet, was er eben greifen kann, das zukünftige und vergangene, auch wenn ers 'glaubt', für minder reell appercipiert, mag der gebrauch einer conj. form für den ind. praet. so gut entsprochen haben, dass sich bald auch beim starken verb der ind. mit dem conj. uniformierte', formen wie tet und het arbeiteten vor, in vielen starken verben hatte auch der conj. von vornherein keinen umlaut (dial.; i fünt, füntad, zün- täd), bei vielen war dieser überhaupt eine Unmöglichkeit (zb. /ee/s, hiefs, stieg), und das endende -e, welches den conj. praet. vom in(i. praet. der starken verba unterscheiden sollte, fiel schon sehr früh ab. 'war aber einmal bei allen verben die uuiformierung des iud. und conj. praet. durchgeführt (vgl. Schmeller Bair. gr. 938 f), dann mochten sich denn doch wider Zweideutigkeiten und Verlegenheiten zum öfteren eingestellt haben, und diese bewogen das landvolk, vielleicht erst seit der ersten hallte des 18 jhs., zur bezeichnung des ind. praet. das zweifellose und entschiedene perfeclum zu adoptieren '^

S. 52: 'allerdings sein und bleiben sind im deutschen nie

' ich benutze diese geiegeniieif, um alle mitforscher auf Nagls buch aufmerksam zu machen, es entspringt der intimsten Kenntnis des nö. dia- lectes; der verf., ein schüler Heinzeis, beherscht aber auch die resullate der Wissenschaft, und sein buch ist eine wahre fundgrube für jeden, der sich für phonetik, formenlehre und syntax des dialectes interessiert, es muss wenig bekannt sein, sonst hätten sich es Wunderlich, vor allem Binz und Reis zum vergleiche nicht enigehn lassen.

WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU 7

unter dem bilde einer Itiligkeit aufgefasst worden', lial)en also nie das perlect mit haben gebildet ; s. aber nd. : ich hdn, heve geweseji, und Flore 6322 schrieb der elsässiscbe Schreiber von B auch hau gewesen: Erdni. Grundz. i § 152 und Weinhold Mlid, gr. § 348. wichtiger als die Verweisung auf Wuslniann (s. 54 a.) wäre ein solclu' auf Binz Syntax der baselslädt. ma. s. 72, niimlich auf seine bemerkung, dass der dialect die hilfsverba beim periphra- slischen perlect nicht weglässl. ganz recht hat W., wenn er den conjuncliv vor dem indicativ darstellt und das s. 55 damit be- gründet, dass man an der darstellung bei Erdmann lernen könne, wie schwer sich über den ind. etwas sagen lasse, ohne immer wider auf den conj. zurückzukommen. s. 58. nicht erst ende des 18 jhs. kommt die deutsche spräche zur Verwendung der 3 pers. pl. in der anrede; vgl. ÜeneckeZs.l'.d. deutschen unterr. 6,326.

s. 62 11'. W. lührt wider den jussiv ein und unterscheidet nun jussiv und optativ einerseits, die in der willenssphäre ihre Wurzel haben, und potenlial anderseits, bei dem die willenstätig- ganz zurück und das irreale momenl in den Vordergrund tritt. Erd- mann ist mit optaliv und potential sehr gut ausgekommen. VV.s aul'leilungdes optativgebietes ist immerhin ganz gelungen und sauber durchgerührt; ein gewisser unterschied zwischen jussiv und op- lativ ist ja nicht zu verkennen, wenn er auch 'mehr graduell als principieir ist. dazu kommt der merkwürdige formale unterschied, der sich herausgebildet hat: jussiv praesens, optaliv-praeleritum.

S, IT spricht W. von modusverschiebung, halle aber wol besser tempusverschiebung gesagt, da es sich nicht darum handelt, ob in der oratio obliqua ind. oder conj., sondern nur ob conj. praes. oder praet, gebraucht wird. s. 85. bemerkungen zu \V,s behandlung des potentials in Sätzen mit realem inhalt will ich an anderm orte in einer umfassenderen darstellung dieses modus- gebrauches vorbringen.

VV, fasst s. 140 in dem salze 'es entspringt streit' streit als praedicat; ich glaube, mit unrecht, er selbst hält in einem salze wie: 'es entspann sich ein streit' das Substantiv für das subject. die müglichkeit, das es wegzulassen, ist beweisend: '•streit ent- sprang' kann ich sagen, nicht aber 'nacht wurde'; die von W. be- tonle analogie der beiden fügungen besieht also nicht.

s. 152. 'man ahmt einem ausgezeichneten menschen nach, während es mehr komische figuren sind, die man nach- ahmt', das widerspricht meinem Sprachgefühl, geht nicht eher der daliv auf die tolalität, der accusaliv auf einzelne züge, die au jemandem hervortreten, ohne darum komisch zu sein?' auf der- selben seile sieht W. in dem acc. bei kosten: es kostet ni ich eine ein- würkung des lateinischen constal m ih i; also rein lautliche analogie?

S. 204 spricht W. von der Unterstützung der praeposition durch adverbia, die durch composilion mit der praep. entstanden

* vgl. aucli .Matthias Sprachleben und sprachschäden s. 213.

8 WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU

sind und zur Verstärkung nachgeselzl werden, wie früher die prae- posihonen vor das subst. traten, um die im casussuffix schon be- zeichnete rauinanschauung noch einmal zum ausdruck zu bringen, l'ür diese erscheinung hel'ert nun VV. selbst 'durch sein ganzes bucii hindurch' ungezählte belege; diese Verstärkung der praep. ist ihm zur manier geworden, er hetzt sie zu lode. besonders beliebt ist 'aus heraus' K ein beispiel lür alle (s. 209): 'wir sehen also überall aus der rein sinnlichen Vereinigung den begriff des mittels herauswachsen, wie andererseits von derselben grundlage aus auch der begleitende umstand sich herausbildet, von ganz andrer seile her wächst durch in das instrumentalgebiet hinein', die deutlichkeit lässt freilich nichts zu wünschen übrig, aber schön ist diese ewige häufiing nicht, auch nicht nötig; so schwach sind unsere praepositionen noch nicht geworden, dass sie immer eine stütze brauchten, hier hört die analogie mit den in ganz anderm mafse verblasslen casussuftixen auf.

Zum Schlüsse erlaube ich mir noch in mehr zusammenhängen- der darstellung auf das cap. über die Wortstellung einzugehn. VV.s behandlung dieser frage erweckte mir besonderes Interesse, sie ist typisch für sein ganzes buch; er haftet niemals an der aufsen- seite, sucht stets nach gründen für die entwicklung und scheut sich gar nicht, altgewohnte anschauungen umzustofsen, wenn er genügende erwägungen für sich hat. freilich, wenn er die er- örterung der Wortstellung auf die Stellung des verbs zum subject beschränkt, bleibt er auf derselben stufe wie Erdmann in seinen Grundzügen. das ist ja gewis die hauptfrage, und mit ihrer lösung ist die schwierigste partie des capitels ins klare gebracht, daneben dürfen aber die vielerlei andern fragen nicht ganz über- gangen werden, ich habe das schon in meiner anzeige von Erdmanns Grundzügen Anz. xiv betont, die beschränkung auf die Stellung des verbums hat den vorteil, dass sich dann das capitel 'Wort- stellung' an die darstellung der syntaktischen funclionen des verbs angliedern lässt, obvvol es freilich keine formalion desselben re- praesentiert. W. tut sich aber sogar etwas zugute darauf, dass sein System ja von selbst darauf führe, die Wortstellung vorerst nur vom gesichtspuuct des verbums aus zu betrachten (s. 87). übrigens ist das 'vorerst' nicht zu übersehen; es werden würk- lich auch weiterhin noch minder wichtige tatsachen der Wort- stellung berührt, aber nur vorübergehend; nirgends eine Zusam- menfassung, nicht einmal im index, der sogar das Schlagwort 'Wortstellung' vermissen lässt.

Was nun W. über die Stellung des verbs und ihre bedeulung für die ausbildung des Satzgefüges vorbringt, ist höchst interessant; seine auffassung unterscheidet sich in wichtigen puncten von der üblichen. Erdmann gab für die Stellung des verbs im hauptsalze

' ähnlich wörken gege?iüber von zb. s. 190. 214. 225 oder s. 82 nach zu.

WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAÜ 9

4 haiipllypen: 1) der vater kam; 2) dann kam der vater; 3) den vater sah ich kommen; 4) kommt der vater? inilem er nur die Stellung des verhs im salze berücksichtigte, imiste er lypus 1 3 zusammenlassen, weil hier das verb an 2 stelle steht, während sich typus 4 mit seiner antangsslellung des verbs deutlich als ausnähme abhebt. W. bemerkt richtig^ dass die Stellung des praedicats zum subject das entscheidende ist; dann wird aber so- fort eine andere gruppierung der typen eintreten milssen; dann steht typus 1 mit seiner Stellung 'subject, praedicat' allein <la, wahrend in den typen 2 4 das subject hinter das verb triit. damit verliert übrigens die miltelstellung des verbs ihre geltung als norniallypus, natürlich nicht l'ür die entwickelte spräche, son- dern für die enlwicklung der worllolge. s. 102 wird darauf bin- gewiesen, dass ursprünglich das pronominale subject als flexion im verb steckte, also hinter dem verbalstamm, es ist auch eine sehr feine und richtige beobachtung W.s (s. 98), dass die spräche nicht als mittel ruhiger aussage ins leben trat, sondern im alTect geboren wurde, sodass begreiflicher weise das verb in der mehrzahl der fidle voransland-. wir können noch jetzt eine reihe von anfangssteilungen des verbs beobachten, die auf dieser afl'ectvüllen voranstellung beruhen. so im imperativsatze, beim Optativ (könnt ich doch), nicht mehr so lest beim jussiv (hol ihn der teufel; daneben aber auch es hol ihn der teufel unti der teufel hol ihn), im fragesalz und von hier aus im condilionalen vorder- salze, ferner in den beteurungssätzen mit ''doch' (habt ihr es doch , . .) ; W. s. 99—101.

In der einfachen aussage ist die anfaugsstellung des verbs heute nur durch es oder partikeln verdeckt. W. weist darauf hin, wie noch bei Luther in der erzähluug das subject oder prae- dicat vorangestellt werden, 'je nachdem das wechselnde subject oder die characteristische tätigkeit, mit der es eingelührt wird, in den Vordergrund treten'; also zb. spricht nu das samarilisch toeib; dann aber bei subjectswechsel: Jesus antwortet, dasselbe lässt sich in den Volksbüchern des 16 jhs. ungemein oft beobachten, noch aus andern gründen tritt das subject auch jetzt noch in der aflectlosen aussage hinter das praedicat (s. 102).

VV. geht aber noch weiter und rechnet auch die Stellung des verbs vor dem subject, aber hinter einer betonten be- stimmung zur anfaugsstellung. er meint aber, die iuversion war

' die darstcllung ist aber wider unklar, ja tadelnswert. W. sagt näm- lich s. 98 oben : 'schon dass der typns 4 als ausnähme angesehen wird, scheint bedenklich, noch bedenklicher aber, dass sein naher Zusammenhang mit dem typus 3 aufser acht gelassen wird, während er (gemeint ist aber lypus 3: also 'dieser') mit den beiden ersten typen nur ein äufserliches moment, die 2 stelle im sa Ize, gemein hal'. wer? der typus? dieser hat doch keine stelle im satze, natürlich nur das verb. \V. sollte also sagen: das verb an 2 stelle im satze.

* übrigens kann auch in leidenschaftsloser aussage der faden, der die rede weiterspinnt, vom verb ausgf hn, w ie eben auch vom subject oder andern bestimmungen, und dann tritt auch hier das verb vor das subject (s. u.).

10 WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZRAU

schon vorhanden, ehe noch die parlikel oder ein inh;dlswort an die spitze trat; dieses mnsle hierher, weil es an das vorhergehnde anknüpl'le; es hat aber nicht die inversion erzeugt, nur die ge- wohnheit, das verh hinter solchen anf'angsworten zu sehen, habe dann zu der autfassung geführt, erst diese Wörter halten die inver- sion herbeigeführt, das gilt allerdings jetzt in allen fallen (aufser nach lind, aber, auch, oder) als strenge grammalische regel.

Nimmt man so mit W. die Stellung 'praed. subj.' als normal- lypus, dann braucht man sich nicht erst damit zu plagen, die inversion nach einem vorhergehnden nebensatze zu erklären, die normalslelluug wird nämlich durch den vorhergehnden nebcnsatz ebensowenig beeinllusst als durch ein inhaltswort an ersterstelle. W. hat sich diese aus seiner Iheorie erwachsende erklärung sonder- barerweise enlgehn lassen; er sucht nach andern gründen (s. 104), spricht auch von einem parallelismus, der da gewürkt hätte, das ist nun nicht recht klar, offenbar doch parallelismus zum vor- hergehnden nebensalz? der hat aber in den meisten fällen end- stellung des verbs.

Warum trat aber in der ruhigen aussage meist das subject vor das verb? wir haben es hier mit einer erslarrung sprach- licher Verhältnisse zu tun, mit dem bestreben der spräche zu schematisieren, weil das hauptinteresse so oft auf der Substanz liegt, nicht auf dem von ihr ausgesagten, so trat sie in den Vorder- grund und das verb an zweite stelle, natürlich setzt das voraus, dass die erste stelle im salze dem worte erhöhte geltung verleiht, das muste ja auch angenommen werden bei der erklärung der anfangsstellung des verbs. man betrachte nur als schlagendes beispiel die entscheidungsfragen (W. s. 100) mit ihrer voran- setzung desjenigen Satzteiles, dessen iuhalt im Vordergründe des bewustseins steht, im gegensalze dazu ist wider nicht zu leugnen, dass an erster stelle so oft ganz unbetonte Wörter slehn; als lypus kann man es betrachten, darum sagt auch W., diese partikeln vor dem verb zählten gar nicht mit, sowenig wie der artikel vor dem Substantiv, in dem satze: der vater kam sieht kam doch an zweiler stelle, wenn ferner der optativ mit seiner umschrie- benen form das dünne verbum finitum stets an der spitze des Satzes behält, der jussiv dagegen (conj. praes.) seine kräftige ein- fache verbalform nicht, so spricht dies wider dafür, dass die erste stelle leichtere Wörter vorzieht, seit wann? früher war das doch nicht der fall. W. findet, dass sich diese tendenz seit Luther beobachten lässt. wie ist dies zu erklären? W. bleibt die ant- wort schuldig, und die frage ist doch so wichtig, einerseits hat die erste stelle solches gewicht, seit jeher, aber auch noch jetzt, und gleichzeitig verträgt sie seit neuerer zeit nur schwer ge- wichtigere formen, dass aber gerade diese beiden, einander ent- gegengesetzten tendenzen die gestaltung der nhd. Wortstellung entscheidend beeinflusst haben, scheint festzustehn. übrigens ist

WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU 11

die zahl der loiischwachen worter an erster stelle nicht so grofs; ganz ohne ton ist blofs es, alle andern Wörter der arl haben doch eine gewisse bedeiUuug, weil sie an das t'rilhere ankniipten, oder aber sie gehören wie etwa und weder dem einen noch dem andern salze an, sind blol's eine klammer, solche salzverbindenden Wörter sind natürlich mit der entwickliing der spräche immer häuliger geworden; früher stellte man die Sätze meist nebeneinander; die ausbildung der spräche bringt es mit sich, dass man sich immer mehr bestrebt, selbst die feinsten nUaucen des Verhältnisses, das zwischen zwei hintereinander ausgesprochenen gedanken besteht, auszudrücken. dazu braucht man neben anderm hauptsächlich die Partikeln, die zunähme ihrer Verwendung und ausbildung ist also eine folge der Verfeinerung der spräche; da sie aber not- wendig dort stehn müssen, wo die beiden salze aneinander stofsen, so gewöhnt sich die spräche daran, sie an der spilze des 2 satzes vor dem verb zu sehen, daraus entwickelt sich dann der typus, aber eben erst in einer periode vorgerückter ausbildung der spräche, so löst sich vielleicht auch der oben besprochene Wider- spruch: die erste stelle im salze bleibt unter allen umständen gewichtig, treten inhaltswörler an die erste stelle, wie in dem Satze: deii vater sah ich, so ist ja kein zweifei, dass das erste wort hervorgehoben werden soll; treten parlikeln voraus, so slehn diese ursprünglich nur in der lücke zwischen den beiden salzen, gehören hierhin und dorthin, also nirgendshin, wie das ja ein- mal auch mit den conjunctionen der fall gewesen sein muss, die ursprünglich dem hauptsalze gehörten, später wurden sie zum zweiten salz gezogen, zählen aber meist nicht mit, sie lehnen sich proklilisch, ohne jeglichen ton an das verb au, so dass aus es war ein könig sogar 's war einmal ein könig werden kann ; da sieht das verb doch sichtlich immer noch an erster stelle, oder aber, sie haben einen gewissen bedeutungsinhalt wie in dem salze: zuerst kam ein bannerträger, dann folgten die vereine, dann haben sie auch ihren ton. aber ich sage ich singe und ich singe; hier hat also die beionung keinen einfluss auf die Stellung, das er- klärt sich aus der erslarrung der spräche; die Stellung ist stereotyp geworden, man hat sich daran gewöhnt, auch an eine andere stelle im salze das gewichtige wort zu selzen, meist an die zweite; aber wenn man aufhorcht und nicht blofs mit den äugen list, wird man fast immer linden, dass das erste wort fast gar keinen ton mehr hat, also nicht mitzuzählen ist, wie der artikel. es ist dasselbe wie mit dem auflact vor der l hebung des allen verses; man muss da nur den dialect beobachten, der solche pronominalen subjecte fast ganz verschluckt, so dass nur reste übrig bleiben, die sich an das folgende verb anhängen, dass dann die analogie weiter greift, ist selbslversländliob. daher können auch neben- einander gesprochen werden der söhn singt und der söhn singt. auch der Zusammenhang der betonten Wörter mit folgenden oder

12 WUiNDERLiCIl DER DEUTSCHE SATZRAU

vorhergehnilen geJanken slellt sie dahin oder dorthin, und so wird der ersten steile olt ilire geitung entzogen, wie sehr sind lerner das verhnm sein iiä. verblasst. sie müssen aber dem typns zufolge am anfange stehn bleiben, alles das sind erscbeinungen, die die erstarrung der spräche und der umstand, dass sie immer mehr nach äufseren regeln geformt wird, mit sicli bringt, und durch die sich die ursprünglichen Verhältnisse verdunkelten.

Während also das verb im hauptsatze die seinem werte ent- sprechende Stellung zu beginn des salzes findet, tritt es im neben- satze ans ende, also auch an eine wichtige stelle; denn der erste und letzte platz concurrieren in ihrer geitung. dass das verb im nebensatz noch wichtiger ist als im hauptsatz, hat schon JWackernagelldg. forsch. 1, 426 betont. W. stützt diese bebauptung. während nämlich der bauptsalz beim sprechen aus seinen ele- menten aufgebaut wird, enthält der nebensatz schon abgeschlossene vorstellungsreihen (Steintbal), mit denen der hauptsatz als mit einer einheit operiert, dann ist aber im hauptsatz das verb ein glied des ganzen wie alle andern und wird nach seinem augen- blicklichen werte behandelt, im nebensatz ist es 'der träger des einheitsgedankens, die unterläge aller bestimmungen, die deshalb nach einem deutschen gesetz die reihe schliefst' (s. 92). W. bringt einige belege für dieses neue gesetz bei, sie müsten aber doch noch vermehrt werden.

Ich möchte darum noch auf andere erwägungen hinweisen, die zu demselben ziele führen, nebensätze werden in der mehr- zahl der fälle gebildet, um modale oder temporale Verhältnisse zu bezeichnen, die nur am verbum finitum zum ausdruck kommen, durch einfache nominale satzbestimmungen aber nicht angedeutet werden können, weil diese Verhältnisse eben nur durch das verb darzustellen sind, so spielt dieses tatsächlich im nebensalze eine sehr wichtige rolle und verdient einen hervorragenden platz.

Dass es nun an das ende des satzes muste, lässt sich auch erklären, blieb es, wie ursprünglich, wo der nebensatz formell noch hauptsalz war und nur als abhängig gedacht oder empfunden wurde, an erster stelle und trat dann die conjunction aus dem hauptsatze in den nebensatz über, so fehlte jedes unterscheidende merkmal zwischen baupt- und nebensatz. das gab den anstofs. die richtung wies ein anderer umstand, der nebensatz enthält naturgemäfs viel mehr pronominale elemente als der hauptsatz, da er selten ganz neues einführt, sondern auf schon gesagtes be- zug nimmt, ich glaube nun nachgewiesen zu haben (s. meine Relativsätze s. 95 f und die anzeige von Erdmanns Grdz. aao. s. 30), dass die pronominalen Wörter tonscbwach sind und eine exponierte Stellung nicht vertragen2. das trug mit dazu bei, das verb zurück-

' vgl. die von W. citierte beobachtung Wackernagels über die Stellung des reflexivpronomens.

^ s. auch W. s. 96 in anderem Zusammenhang.

WUNDERLICH DER DEUTSCHE SATZBAU 13

zudrängen. ganz ist dies ja nicht gelungen, und salze 'mit schleppe' sind besonders in der gesprochenen rede sehr h<«ufig. ich halte diese erscheinung für einen sehr starken beweis dalür, dass sich die endstellung des verbs erst allmählich entwickelt hat. wenn VV. s. 94 meint, dass, wo wir nach dem verb des uebensalzes noch bestimmungen trelTen, diese in uns den anschein eines ver- kürzten Satzes erwecken, so trillt das wol bei den beiden bei- S|)ielen zu, die er beibringt, zeigt sich aber als hinlällig, wenn man die belege überblickt, die Franke Zs. f. d. d. iinterr. 6, 351 fl" aus Fichles Heden an die deutsche natiou gesammelt hat (vgl, in ders. zs. Wasserzieher 5, 8131" und Behaghel 6, 265 i). W.s Wendung, es erwecke den anschein eines spälern uachtrages, lässt sich eher hören.

Anderseits hat diese bewegung gewis auch aui' den haupt- salz und dessen worlstellung zurückgewürkt und dort ähnliche ansalze gezeitigt, die aber, weil sie hier grundlos eintraten und daher mit der schon mehr erstarrten anfangsstellung den kämpf nicht bestehn konnten, wider abstarben, daher erkläre ich mir die hauptsätze mit endstellung des verbs. die ahd. Übersetzer haben diese Stellung auch ohne lat. vorbild. wenn W, s. 96 diese ausnähme an erster stelle durch den einfluss des reimes erklärt, so ist diesem äufserlichen eintluss zuviel gewicht beigelegt, be- sonders wenn man die Übersetzer im äuge behält, aber dass sich die poesie des mittels bemächtigte und noch bis jetzt bedient, hat gewis seinen grund darin, dass die Stellung technisch sehr gut verwendbar ist. auch \V. berührt die analogie der nebensatz- slellung als Ursache einer endstellung desveibs im hauptsätze, macht aber von ihr keinen weiteren jjebrauch, sondern verwentlet sie blols zur erklärung der endstellung im hauptsalze nach vergleichungs- sätzen mit je: je mehr jr wird, je mehr sie tcider mich sündigen (Luther).

Wien, Weihnachten 1S92. Tomanetz.

ünlersucliiingen zur geschiclite der allsäciisisclien spraciie von dr NVSchlüter. I teil, die sctiwache declination in der spraciie des Helibnd und der kleineren as. denkmäler. Göttingen, RPeppmüller, 1892, xv und 2Ü3 SS. gr. 8°. G m.

Trotz dem geringen umlange ihrer denkmäler ist der as. spräche bisher keine statistisch erschöpfende darslellung zu teil geworden, dieser mangel machte sich besonders bei sprachwissenschalllichen Untersuchungen fühlbar, bei denen n)an lorlwährend einen führer von der beschallenheit des LMeyerschen buches über die got. spräche oiler des Schulzischen glossars vermissle. auch die schrifi von Schlüter füllt die lücke noch nicht aus, aber sie gibt weit mehr, als der litel verspricht, die darslellung und besprechung

14 SCHLÜTER U>TERSUCHU>GE> ZLll ALTSÄCHS. SPRACHE 1

clor endiiiigeu <lor scliw. decl. biliicl nur die kloiuere hälfle der arbeit; den grölsern teil nehmen die acht excurse ein, die vom Wechsel von o und a in endsilben, von dem daliv sg. m. und ntr. und vom acc. sg. m. der st. adjeclivdeclination, dem dat. pl. der st. decl., dem gen. und dat. sg. der d- und/rf-declinalion, der declination von thiod und dem \vechsel von e und a in eudsilhen im Mon. haudchi. aufser- dem ist in anmerkungen und gelegentlich im texl eine fülle von material beigebracht, so dass so ziemlich die ganze lehre von der declination und ein nicht geringer teil der conjugation abgehandelt worden ist. die lehre von den auslautgesetzeu, liir die sich ja in den letzten jähren ein so reges Interesse kundgegeben hat, wird von nun an das as. mehr als blofs gelegentlich heranziehen müssen.

Die ausgangspuucte liir die besprechung einer arbeit, deren verf. selbst das hauptgewichl aul' Sammlung und Ordnung des materials gelegt hat, sind die Tragen: inwieweit ist das ideal der Vollständigkeit erreicht? und ist die anordnung bequem und zweck- entsprechend?

Vom recensenten kann natürlich nicht verlangt werden, dass er die ganze arbeit des verf. noch einmal lue, ich halte es für das richtige anzugeben, welche Stichproben ich gemacht habe, aus früherer zeit besafs ich eine Zusammenstellung aller in den ersten 300 vv. des Cott. vorkommenden eudsilben. aufserdem wurden durchgesehen: v. 300 700 auf die endungen der schw. m. u. ntr,, V, 1994 2537 auf die endungen der gesamten schw, decl., V. 300—1019, 3057—4024, 5038— schluss (Mon.) auf die endungen des genitivs der st. masc. u. neutra (subst. u. adj.), v. 300 1019, 1994 3056, 5038 schluss (Mon.) auf die endungen der 1 und 3 pers. sg. ind. der schw. pr., v. 1994 2610 (Mon.) auf die en- duDgeu des n. a. sg. der d- und /rf-stämme, v. 1020 1502 (Mon.) auf die endungen des n. a. pl. masc. der st, adjectivdecl., endlich der ganze text des Mon. auf die endungen des dat. sg, masc, u, ntr. auch die Sammlungen von Collilz BB 17, 3611", die sich auf V. 4810 4924 erstrecken, sind berücksichtigt worden.

Auf grund dieser und anderer gelegentlicher nachprüfuugen habe ich folgende zusätze und berichtigungen zu machen: s. 3. setdo 293 ist feminin, nicht masc. s. 23. unter den belogstellen für die formel te miaron fehlt 2130; s. 151 u. 158 ist nuaron (nnarun) fälschlich als altribut des folgenden nuordon {miordun) aufgefasst, s. 29 u. 31 fehlt unter den belegsteilen für lamon 2308. s. 45 fehlt gumon 669. s. 48 fehlt unter den belegen für den acc. pl. der schw. decl. lungron 2125, das s. 54 unter den da- tiven aufgeführt wird, nach den wbb. von Schmeller und Heyne regiert nnid nach verbeu des sagens stets den acc. dass auch construction mit dem dat. möglich war, ist gewis denkbar, vgl. stellen wie 4895 f. 5099 gegenüber 5120 f oder den Wechsel der construction v. 2930 f; aber au unserer stelle liegt kein grund vor.

SCHLLTEU LxNTERSüCHUXGEN ZUR ALTSÄCHS. SPKACHE I 15

gerade deo daliv anzunehmen; jedesfalls hätte Seh. seine ansieht rechtfertigen müssen. s. 51. in -gomono 619 C und Jndeono 628 C ist die endung -no von spHierer hand hinzugelügt, was erst s. 53 bemerkt ist. s. 54. 55 teiilt gumou (S\ gumun) 42]. S.71. /(er/a 2524 ist acc., nicht nom. ; unter den lielegi-n lilr den n.sg. utr. fehlen sconiosta 43S. 2017, die s. 58 ohne angäbe eines grundes unter den fem. aufgeführt wurden. s. 74. herlon Ps. C. 77 kann nicht nur dat. sg. sein, sondern ist es aller wahrscheinlielikeit nacli wegen des 'in corde' der lat, quelle (MSD^ ii 375). nach s. 77 soll seWon im n. a. pl. 15 mal in C vorkommen, nach s. 47 im nom. 1 1 mal, nach s. 4^ im acc. 2 mal, also in beiden casus zusammen nur 13 mal. s. 79 fehlt unter den belegen für die endung -on im n. pl. ntr. 2976. trotz der erwähnung auf s. 72. s. 112 wäre unter den beispielen für -a an stelle von zu er- wartendem -0 vielleicht auch antsibunta 146 MC, ahtoda b\d C, antahtoda 513 M aufzuführen; vgl. ahd. sibunzo, ahtozo. s. 152. leruH 4196 ist zwar z. 12 v. u. als dat. pl. erwähnt, aber nicht in das Verzeichnis der dative z. 9 v, o.lT aufgenommen; die ge- samtzahl der dative auf -un beträgt daher nicht, wie s. 163 an- gegeben ist, 33, sondern 34. s. 164 fehlen in dem Verzeichnis der gen. auf -a marüha 2165 und uunnea 2187, die heide s. 198 fälschlich unter den accnsativen aufgeführt werden. s. 172, z. 17 füge hinzu 165. 215. 2501. s. 194. bei den schw. praet. ist kein beispiel übersehen worden. s. 196 z. 2. v. u. die zahl 1277 ist falsch, ich kann jedoch nicht das richtige angeben ; ebenso das citat 491S. sehr fraglich ist, oh hlea 2410 würklich nom. eines feminins und nicht hlofs graphische Variante für hleo ist. sorga 2610 ist acc, nicht nom. auch uunnea 3495 ist höchst wahrscheinlich als acc. zu fassen, da gar kein grund vorliegt, gerade an dieser stelle intrans. bedeulung für forslitan anzu- nehmen, was Heyne allerdings tut. die belege für die endung -e sind in der Ordnung. s. 198. Seh. bemerkt, bei vielen acc. auf -a sei es zweifelhaft, ob eine Singular- oder pluralform vor- liege, man kann aber auch an manchen stellen einen gen. sg. annehmen, v, 85 kann ne saca ne sundea ebenso von uuiht ab- hängen wie derbeas und meues. gen. könnte auch in allen fällen vorliegen, in denen das subst.von a/a/o« abhängig ist, nicht nur 1009. 3245. 3251, sondern auch 884, trotz des sundea parallelen euua dadi; vgl. den Wechsel der construction in 16191". wahrschein- licher ist mir allerdings, dass sundea 884 acc. pl. ist. der ansatz eines fem. Uudsteninia 248 scheint mir höchst bedenklich. die beispiele für die endung -e stimmen. s. 203. unter den beleg- stellen für -a im n. pl. m. der st. adj. fehlt 1228 igeuarana). s. 204. unter den belegen für sie fehlen 1364. 4857. die im nachtrag s. 258 gebrachte bemerkung, s. 203 z. 1 sei der beleg 1174 einzufügen, ist unrichtig; tuene 1174 ist acc. und s. 206 ganz correcl unter den accusativen aufgezählt. s. 206. die an-

16 SCHLÜTER UMERSUCHÜNGEN ZUK ALTSÄCHS. SPRACHE I

gaben über -a sind richtig; unter den belegcMi lür -e ist 1224 statt 1214 gedruckt, es fehlt 1261 gode {C guoda); an den dat. von god kann Seh. nicht gedaclit haben, da die zahl auch im Verzeichnis der dalive auf -e s. 212 und im Verzeichnis der dat. auf -a des Cott. s. 217 nicht erscheint. s. 208 z. 7 1. 89 statt 68, es felilt 213. s. 240. die zahlen für -as sind in der Ordnung; unter den belegen für -es vermissle ich nach meiner nachprüf'ung 87. 92. 110. 137. 205. 518. 648.779.989.3395. 3914 ; 4019 muss zweimal stehn. von diesen stellen werden 779. 989 (nualdandes) s. 243 anm. angeführt, sie sind also Seh. nicht ent- gangen, sondern durch ein versehen nicht in die gesamtübersicht einbezogen worden, ich prüfte die andern in der anm. au- geführten zahlen und fand, dass auch 1026 und 2688 in der ge- samlliste fehlen, umgekehrt hätte das zweite 515 wegzufallen, da Seh. nun einmal, was ich freilich nicht billigen kann, die genilive naktes ausgeschlossen hat. oder ist 515 für 518 ver- druckt? — die bisher besprochenen resultate der nachprüfuug künnen im grofsen und ganzen als günstig bezeichnet werden.

Auffallend viel lücken fand ich in dem Verzeichnis der da- tive auf-e s. 212. ich merkte aber bald, dass der grüfsere teil nicht auf ein übersehen des autors zurückgeht, sondern auf irgend eine Unordnung in seinen zetteln, die meisten belege für dative, deren enduug -e ein guttural vorhergehl und die s. 214 vorgeführt werden, sind nicht in die gesamlliste ein- bezogen worden, derjenige, der die übersieht s. 212 1". richtig stellen will, hat alle belege, die s. 214 z. 6 18 aufgeführt werden, einzutragen mit ausnähme von folgenden: belöge 1993. 3134, diske 3342, ferhe 4165, folke 491. 561, cuninge 696. 1120 (s. 212 steht fälschlich 11211). 2344, imepe 24022. ferner sind übersehen worden: 258. 429. 700. 757. 769. 1300. 1844. 2197. 2510 (zweimal zu setzen!). 2824. 3247. 3502. 3627. 3718. 3791. 3867. 3934. 4108. 4462 {cruce, s. 192 der lesart von C zu liebe lälschlich als crnci gefasst; beachte aber asiagan M gegenüber gislagan C). 5129. 5153. 5250. endlich will ich gleich hier erwähnen, dass es meiner ansieht nach keinen zweck hat, die dative der i- und w-decl. auf -e und -a von der rech- nung auszuscbliefsen. gerade weil diese formen analogiebildungeu nach der a-declinalion sind , ist die qualität ihrer endvocale für die der echten dative von a-stämmen beweisend, ganz inconse- quent ist es, die form lüfte 391 auszuscheiden, die dative himgre, flode, dode usw. aber zu rechnen, wie die belege 983. 1156. 1185. 1671. 1823. 2260. 2382. 3091. 3167. 3203. 3212. 3405 usw.

' ebenso 2419 statt 2420.

^ man lasse sich niclit daduicli irre machen, dass mehrere der hier nicht angeführten, also naclizutrageiiden zahlen schon in dem Verzeichnis s. 212f slehn, es ist dann von 2 l)elegen, die der betrefTende vers bietet, nur der eine angemerkt, so 2972. 5067. 5257. 5969.

SCHLÜTER C>TERSLCbU>GE>' ZLU ALTSÄCUS. SPRACHE I 17

beweisen, es sind also alle s. 216 f gegebenen belege für dalive der t- und m- stamme einzurechnen, aufserdem giuualde 28S9, das Seh. selbst s. 192 für eine form der a-decliualiou erklärt hat. in die tabelle s. 213 sind demnach für die endung -e folgende zahlen einzusetzen :

I. II. in. IV. V. VI. summe

82 148 147 127 144 53 701 die zahlen für die dative auf-a sind, die selbstgewählte abson- derung von crafla, hugea und -skepea zugegeben, richtig, rechnet man auch die belege für die eben genannten formen ein , so lautet die tabelle s. 213:

I. II. in. IV. V. VI. summe lOG 43 15 4 7 5 180

s. 214 uuter den dativen mit guttural im stammauslaut fehlen folke 2197. 3791, gethuinge 2824. verdruckt ist 3533 {folke) statt 3523, 28S3 (cuninge) statt 2884, 1658 (thanke) statt 1659, 4215 {unihe) stall 4216.

Au der arl und weise, v\ie das gesammelte malerial vor- geführt wird, wäre mancherlei auszusetzen, es ist gewis nur zu loben, dass dem nachprüfenden durch die ausführliche angäbe der belegstellen die controle ermöglicht wird; leicht gemacht ist sie ihm durchaus nicht immer, es trägt daran zum teil die übergrofse geuauigkeit des autors schuld, mit der im ersten teil der arbeit auch ganz gleichgillige graphische Varianten angegeben werden, was interessiert es jemanden, der es mit der endung des nom. sg. der schw. decl. zu tun hat, ob s^o mit h oder ^ geschrieben isl? er wird aber im nachschlagen und ver- gleichen sehr behindert, wenn solchen kleinigkeiteu zu liebe die reiheufolge der verszahlen gestört wird, auch dass bei der auf- zählung der formen des Coli, immer auf die des Mon. rücksicht genommen wird, selbst wenn diesen dann ein besonderer ab- schnitt gewidmet ist, erschwert die übersieht, nicht immer sind die belege nach den gerade in betracht kommenden endungen augeordnet, öfters nur in alphabetischer reihenfolge, zb. s. 48 die acc. pl. m. der adj., s. 5S die nom. sg. fem., s. 61 die dat. sg. fem. s. 13lf hätten die belege für die enduug -ana im acc. sg. m. der adj. nach der quautilät der Wurzelsilbe geordnet werden Sollen, damit das s. 133 mitgeteilte resullat deutlicher hervortrete, ebeuso hälteu s. 154 IT und s. 163 in der tabelle die euduugen nach den genera getrennt werden müssen, da Seh. s. 159 mit recht behauptet, dass die meisten belege für -on im dat. pl. fe- mininen der ö-decl. zugehören, s. 172 durften die u- und w- stämme nicht zusammengeworfen werden, wie es tatsächlich ge- schehen ist.

Einmal ist Seh. durch ungenügende trenuuug zu einem falschen resultat gekommen, s. 223 f werden alle adverbia an- geführt, deren endung zwischen -a und -e schwankt. Seh. meint, A. F. D. A. XX. 2

18 SCHLÜTER U^TERSUCH^J^GE^ ZUR ALTSAtllS. SPRACHE l

tlass im ganzen -a überwiege, die dreisilbigen adverbia den aus- gang-e bevorzugen und das übergewicblvon -a ailniiiblicli abnebine. talsäcblicb ist aber die sacblage die, dass diejenigen adv., die im aiid. regulär aut -a ausgebn, aucb im Mou. überwiegend -a babeu, jene auf -e überwiegend -e. zur ersten gruppe gehören die adv. auf -ff/m [ferrana, forana, hmana, nidana, otana, ostana, nuestana), von denen 9 belege für -a, G für -e vorkommen, ferner ana, fora, huuanda, sama, unela. im ganzen kommen von diesen Wörtern 37 belege für -a, 13 für -e vor. in die zweite gruppe gehören alsamne, huanne, inne^ tesamne, uppe, nie, die 25 mal mit -e, 7 mal mit -a geschrieben erscheinen, die übrigen belege entfallen auf nidare, sana, simbla, denen aus dem ahd. nichts genau ent- sprechendes mit Sicherheit entgegengesetzt werden kann, der Colt, zeigt noch mehr übereinstinmiung mit der ahd. Orthographie: in der ersten gruppe 14 -a, 1 -e, in der zweiten 29 -e, 5 -ff.

Weiter habe ich auszustellen, dass in den tabellen nicht consequent sicheres und zweifelhaftes geschieden ist. von der klammer, wie sie zb. s. 41. 94. 130 angewant ist, hätte Seh. ausgibigern gebrauch machen sollen, von den unter einer be- stimmten rul)rik besprocheneu formen wird öfters gesagt, sie könnten auch anders gefasst werden, ohne dass aber diese Un- sicherheit in der tabelle ihren ausdruck findet, das führt zu in- consequenzen. s. 22 wird mikihiti 41S9 unter den schw. dativen aufgeführt, s. 25 erklärt Seh., dass er es für keine schw. form halte, aber in den tabellen s. 28 und 94 ist es mitgerechnet, warum ist die form nicht gleich s. 22 ebenso a limine aus- geschieden worden wie fernun 217? s. 64 wird es als zweil'el- haft bezeichnet, ob sundhm 1S73. 3869. 5593. sing, oder phir. ist, dasselbe bedenken wird s. 67 für sundiun 1701. 5151. 3477, sundion 5041 ausgesprochen; trotzdem werden in der ta- belle s, 94 die ersten drei belege als Singular-, die letzteren vier als plnralformen gefasst. wenn es übrigens s. 65 als fraglich bezeichnet wird, ob suanin 5472 sg. oder plur. ist, so gilt der- selbe zweifei natürlich auch für das im selben vers stehnde sundiun, das s, 64 anm. nicht unter den zweifelhaften fällen an- geführt worden war. ganz unerlaubt ist es selbstverständlich, dass die formen des Cott. endagon 1240, galgon 5572. 5685. 5730, lichamon 5672, loton 290, nach den s. 28. 57. 94 angegebenen zahlen zu schliefsen, sowol als tlative sg. als auch als dat. pl. gerechnet werden, bei den angaben über den Monacensis wurde gilobon 290 zweimal gezählt, dagegen endagon 1240 nur als dat. pl. gerechnet. ein paar mal sind Schreibfehler und conjectureu in die Zählung einbezogen worden, nämlich s. 79 u. 94 uuanamon 358 unter die beispiele für -on im a. pl. ntr. der schw. adj. decl., obwol die hs. uuanamo hat, ebenso s. 130 mikilun unter die -«n-formen des Mon., obwol die form auf conjectur beruht, s. 130 wird ferner als summe der pronominalen dative auf -n» 23 (24)

SCHLÜTEK U.\TERSUCHUiNGE> ZÜH ALTSÄCHS. bl'llACHE 1 19

angegehen. die pluszalil derparentliese bezieht sich wol auf enigun 263 (vgl. s. 118); also ist der sohreibrcliler minun 4419 als vollgiltiger beleg gerechnet, seltiem 2S43 C ist als beleg für seltoH gezählt worden, vgl. die labeilen s. 28. 94.

Aus den sanimkingen Sch.s ergeben sich sowol resullate für die auffassung der Heliandilberlielerung als für die gramma- tik , für die as. sowol wie für die gemeingermanische, freilich hat Seh. seinem eigenen Zugeständnisse zufolge sein hauptziel, die festslellung des heimatdialecis des Helianddichters, nicht er- reicht; aber die erkenntnis der textgeschichte hat er sicherlich gefördert, an vielen stellen ist darauf hingewiesen, wie sich die einzelnen teile des textes, vornehmlich des von M, von einander unterscheiden; vgl. s. 139. 152. 154. 158. 166. 167. 172. 173. 178. 196. 200. 249.

Die frage, ob der vorläge von M und weiterhin dem urtext die kürzern oder längern dativformen {-on oder -umu) zukamen, scheint mir durch Seh. jetzt endgiltig zu gunsten der kürzern formen entschieden zu sein, seiner argumentation s. 12311" stimme ich, soweit sie die schreibfeliler des Mon. betrifft, rückhallslos zu. nur möchte ich nicht zum beweis der unursprünglichkeit der längern formen in C das -e- von minemo 5614, thinemo 3376, odremo 4587 anführen (vgl. s. 123 anni.). das e von -emo beruht weder hier noch ahd. auf lautlicher Schwächung, sondern auf anlehnung an den artikel , die natürlich früh oder spät erfolgt sein kann, ferner ist es nicht notwendig, die kür- zern formen des dativs als instrumentale zu fassen; es kann apo- kope des dat. -u vorliegen, die in den -M»<-dialecten durch vom artikel ausgegangene analogiebildung beseitigt ist. anders van Helten Beilr. 17, 296. während ich allerdings glaube, dass die Verschiedenheit der dalivformen auf differenz des dialectes der vorläge und der mundart des Schreibers in irgend einem Stadium der Überlieferung beruht, möchte ich jetzt nicht mehr, wie ich das früher getan, das gleiche auch für thana thene, fori fan behaupten, der ziemlich schrofl'e Übergang von einer form zur andern lässt m. e. nur die erklärung zu, dass die teile, welche thana, resp. fon aufweisen, von einem andern Schreiber geschrieben sind als die, welche thene, resp. fan zeigen, dasselbe hat von thesaro thesaru zu gelten, wie Scb. s. 178 zeigt, tritt thesaru erst 2698 auf, herscht aber von da ab beinahe ausschliefslich. natürlich hat diese ganze annähme zur Voraussetzung, dass der letzte Schreiber, von dem M selbst herrührt, die eigeotümlicb- keiten seiner vorlagen ziemlich getreu bewahrt hat. diese Voraus- setzung hat aber durchaus nichts unwahrscheinliches, man er- innere sich an die Vorauer bs. und die bewahrung alter formen in glossenhss. aus später zeit, auch darin, dass durch die gleich- förmigkeil des Colt, eine gröfsere mannigfalligkeit hindurchblickt (s. 254), gebe ich Scb. vollständig recht.

2*

20 SCHLLTER Li.MERSLCHlUNGE.N ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE I

Was die sprachlichen rosiillate helrilTt, so enlhälL natürlich schon jede stalislische ilhersicht üher die wechselnden schreihungen einer und derselhen flexionsendung ein solches, auch wenn un- sere hisherigen kennlnisse nicht erweitert, sondern hlofs gefestigt und geklärt werden, man wird zh. nach den ergehnissen des 8 excurses nicht mehr sagen dürfen, dass as. a und e in end- silhen heliebig wechseln, es ist vielmehr festgestellt, dass im gen. und dat. die regulären endungen beider lleliandhss. -es -e sind und dass sie sich dadurch von der masse der übrigen as. donkmäler unterscheiden, es ist Seh. aber auch gelungen, bis- her unbekannte tatsachen aufzudecken, so zeigt er im 3 excurs (s. bes. s. 133 f), dass die endung -7ia (-ana) in der regel den Wörtern mit langem oder zweisilbigem stamm und kurzer ablei- tungssilbe zukommt, während kurze Stammsilbe mit kurzer ab- leitungssilbe und lange ableitungssilbe -an erfordert, unrichtig ist dagegen, dass -na auch den einsilbigen mit kurzer Stamm- silbe zustehe, unrichtig nicht nur, weil die regel blofs durch lefna 2096. 2308 gestützt werden kann, sondern vor allem weil quican 2355. 4129. 5347. 5849 widerspricht. Seh. hat das wort s. 137 zu den langsilbigen gestellt; allein überall, wo es im Heliand erscheint, wird es mit einem c oder k geschrieben, wenn Seh. vielleicht ahd. quec, quecch bedenken macht, so verweise ich ihn auf das queh der Monseer fragmente.

Ein anderes wichtiges ergehuis ist, dass die subst. der ö- decl. den gen. und dat. getrennt halten , während in den ent- sprechenden casus der pronominalen declination Vermischung eintritt, ähnliches zeigt sich auch ahd. im Tat. überwiegt nach Sievers einl. s. lxiv § 105 bei den Schreibern a, a, ß, y das zum dativ stimmende -ro die endung -ra des gen. der pron. declination, bei den Substantiven dagegen^ zeigt der genitiv in «8 a, 3 u, in a' 2 a, 1 m, in /'i 6 a, 3 m, in / 2 a, Im (correc- lur). im Otfrid ich nehme nur auf die stellen rücksicht, wo V und P übereinstimmen erscheint im dat. der subst. neben sehr häufigem -u nur 4 mal -a, und zwar mit 6iner ausnähme nur am versende; beim adj. erscheinen schon 7 -em neben 52 -eni, beim possessiv 23 -era neben 31 -en< beim demonstr. f/ter 34 //«era neben 62 ihtru\ bei iheser überwiegt sogar das a: 11 th^rtra gegen 1 thereru, s. Kelle, Otfrid ii 210 f. 274. 285. 339. 356. 362. Seh. hält das im gen. sg. f. der pron. decl. erschei- nende -0 nicht für die ursprüngliche dativendung, sondern um- gekehrt, das im dativ neben oder statt -m erscheinende -o soll aus dem genitiv stammen, für diese meinung scheint zu sprechen, dass der Mon. bei verschiedenen Wörtern im gen. -o hat, während im dat. überwiegend -u erscheint, so hat das pron. pers. im dat. nur 4 mal iro gegen 27 int, im gen. aber 30 iro gegen 21

' bei Sievers § 104 fehlen an a- formen in a uiiamba 4, 3, sibba 4, IS, a emia 128, 1, ß erda 71, 3, l euua 141, 17, sunta 197, 9.

SCHLÜTER UNTERSUCHÜNGE.N ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE I 21

ira und 3 /n/. von den 11 belegen für die genitivform ihesaro lallen 6 gerade in jene parlie, die im daliv beinahe ausschliefs- lich thesarn kennt, von den G fällen von -aro im gen. der posses- siva stammen 3 oder 4 aus jenem teil des textes, der im daliv fast nur -aru aufweist.

Interessant war mir, dass Seh. für das as. zwei längere dativformen auf -»i?< und -mo nachweist (s. 174 0"), wie ich dies in meinen Beiträgen zur erklärung der germ. flexion s. 62 IT für das alid. getan zu haben glaube, meine annähme scheint wenig anklang gefunden zu haben, wenn van liehen, der eine zeit lang an sie glaubte, jetzt Beitr. 17, 280 meint, -o könne ganz gut in dritter silbe aus -ii entstanden und im femininum -u durch den eiufluss des subst. widerhergestellt sein', so sei mir ge- stattet zu bemerken, dass ich mir bei ablässung meiner schritt diesen gewis nahe liegenden einwand selbst gemacht habe, ihn als vollwichtig anzuerkennen, davon hielt mich das bedenken zu- rück, einem so alten denkmal wie die Monseer fragm. sind, eine so gründliche Vermischung der ursprünglichen Verhältnisse zu- zumuten, dass auch keine spur des laulgesetzlichen -ero übrig- geblieben wäre, das schien mir für den postulierten lautwandel u^o in dritter silbe ein allzu hohes alter zu bedingen, doch ist das schliefslich subjective anschauung. zu gunsten meiner meinung möchte ich jetzt anführen, dass der Tatian den Über- gang M > 0 in dritter silbe gewis kennt; denn während im allgemeinen das -n ties instr. erhallen bleibt, heilst es überwiegend (höh mddaro, s. Sievers glossar s. v und einl. § 112. aber neben 9-0- erscheinen doch auch 7- »-formen, an beeinflussung der iso- lierten formel durch den instrumental einsilbiger Wörter ist nicht zu denken, wir müssen also das schwanken zwischen -o und -u darauf zurückführen, dass eben -o hier aus -u entstanden ist. für das -emo des dativs tindet sich aber im Tatian nie -emu ge- schrieben, also ist sein -o nicht aus -u entstanden, endlich sprechen für meine ansieht auch die as. Verhältnisse, hier müssen die anhänger der driltsilbeniheorie wider mit Behaghel annehmen, dass im dialecldes iMon.m erhaltend auf das folgende -u gewürkt hat.

Für die gemeingerm. grammatik scheint mir von bedeulung, dass nach den bemerkungen s. 172, denen man freilich mehr ausfühl lichkeil wünschen möchte, im Colt. -t< = germ. -u meist zu -0 wird, während -n = germ. gewöhnlich als -m erscheint, daraus würde Ibigen, dass die beiden laute urgermanisch noch nicht zusammengefallen sind, ferner ist interessant, dass im nom. sg. fem. und nom. acc. sg. nlr. der schw. decl. im Mon. -a, -e sich ungefähr die wage hallen, während der nom. u. acc. der ö-decli- nalion öfter -a als -e hat (s. 58. 71. 196 ff), um volles licht in die sache zu bringen, müste man freilich die sichern fälle von

' denselben gedanken hat übrigens vor van Hellen sehen Collilz aus- gesprochen, An?, xvn 277.

22 SCHLÜTER ÜNTERSL'CBL'.NGE.N ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE 1

(Jenen sondern, in welchen pluralformen vorliegen künnlen. Seh. hat dies leider unterlassen.

Seiner auffassung sprachlicher latsachen kann ich sehr oft nicht beipflichten, so muss ich gestehn, dass mir seine erklärung der schw. accusative der adj. auf -an als nachhildung (.\{:i' starken, die aber doch ihr Vorbild nicht erreichte, unklar geblieben ist (vgl. s. 41 ff. 139 f}. wenn es Seh, bedenken macht, dass nach be- stimmtem artikel beim adj. nie -en neben -an erscheint, widirend beim st. adj. -en und -an wechseln, so ist darauf zu bemerken, dass die endung -en beim st. adj. in C so gut wie gar nicht er- scheint, in M vorwiegend in den letzten dreilausend; nun slehn aber gerade alle beispiele für -an bei vorausgehndem best, ar- tikel in M mit drei ausnahmen in den ersten dreitausend versen. von dieser seite aus ist also gar kein grunil vorhanden, in -an etwas anderes zu sehen, als die endung des st. adject.. die er- klärung, die Seh. für die -eti der st. adjectivdecl. s. 140 gil)t, kann ich auch nicht billigen, sie würde voraussetzen, dass e hier der ur- sprüngliche laut sei. e statt a erklärt sich als folge der ein- würkung des artikels; vgl. das -en der Mons. gl. im acc. des adj. bei sonst erhaltenem -an (Beitr. 15, 416 a. 1). man beachte, dass -en statt -an beinahe nur in den textteilen vorkommt, die thene und nicht thana haben.

Den einfluss des r auf benachbarte laute überschätzt Seh. sehr, die s. 110 gegebenen beispiele sind stark zu reducieren. obar, midar, miatar haben doch von haus aus -a-, huargin statt huergin beruht aller Wahrscheinlichkeit nach auf fehlen des Um- lauts, das lehnwort, das lat. carcer lautet, halte wo! schon ge- meingerm. in der endsilbe a, vgl. got. karkara; a wird ja auch von der ahd. as. Umbildung karkari (nach analogie des uom. agentis) vorausgesetzt, far und for sind alle doppelformen. wieso der Übergang von -m zu -n im slaode gewesen sein soll, den vorhergehnden vocal zu trüben oder in seinem klang un- bestimmt zu machen (vgl. s. S2. 128. 163), vermag ich absolut nicht einzusehen, -an im dat. pl. der st. adjectivdeclination möchte ich geradezu gleich ahd. -en, got. -aim setzen; vgl. -o/« im pl. opt. s. 235 f. dass im kürzein dativ der st. adjectivdeclination und im dat. pl. -nn und -on wechseln, während das -nn des pl. praet. constant ist, erklärt sich einlach aus der verschiedenen herkunft beider laute, das n/o der dative ist = gerni. a, das durch folgenden labialen nasal verdumplt wurde, ohne dass der neu entstehnde dunkle laut ganz mit dem alten u zusammenüel. s. 248 schliefst sich Seh. der nieinung van Heltens an, dass e<C,ai in gedeckter silbe als a, im freien auslaut als e erscheine, dass diese erklärung durchaus das richtige IrilTt, muss ich bezweifeln ; ich glaube, vor s ist e lautgeselzlich. nicht nur, dass in der 2 sg. opt. etwas üfler -es als -as erscheint, in der 2 sg. ind. der schw. verba 3 conj. übeiwiegt -as nicht so unbedingt über -es,

SCHLÜTER UNTERSUCHU.\GE> ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE 1 23

wie -ad über -ed. es sleliii 15 -as 10 -es, 4S -ad aber blol's 5 -ed gegenüber.

Die ansicbl von Collitz, diiss ilas -a des nom. acc. j>l. der o-stämme in den spätem as. denUmalern die ursprünglicbe accu- sativeudung = got. -ans ist, scheint mir Seh. mit seinen l)e- merkiingcn s. 102 anm. nicht widerlegt zu haben, auch lür die endung -a im nom. acc. pl. m. der adj. muss ich bei CoHitz' meinung bleiben. Seh. meint, wie vor ihm sclion van liehen, dass -a aus dem fem. iiboilragen sei; ich liabe Anz. xix 3611' gezeigt', dass auch alul. ihe endung -a neben -e erscheint, und dass dort die annähme einer einwürkung des lemininums im liüchsten grade uowahrscheinUch ist. will man lür das ahd. durchaus eine erklärung durch analogiewürkung haben, so muss man mit Dietrich Hist. decl. theot. p. 22 und van Helten Beitr. 17, 274 anm. 1 -a aus der subslantivdecl. herleiten, dagegen erhebt sich zunächst der einwand, dass dann nicht abzusehen ist, \\arinii nicht auch der dativ der adj., dessen -e'n dem -nn der substantiva ebenso ähnlich war wie -e dem -a, die endung der subst. angenonmien hat. die Monseer glosseu zeigen aber im dativ durchaus -e«, die Vergilglossen überwiegend; ich zähle 51 belege von erster und 9 von zweiter band, in 9 resp. 10 lallen erscheint allerdings -«m: Gl. ii 628, 14. 631, 62. 638, 65.643, 22. 649, 23. 653, 35. 654, 52 (2. hd.), wahrscheinlich auch 668, 41. 670, 42. 68. man wird hier getrost schw. decl. an- nehmen können, da auch sonst oll glossierte adj. in schw. form erscheinen-, wegen der annähme, dass -nn = älterm -ön vgl. Gl. n 654, 67. 660, 37. 665, 36 usw. aufserdem wird die richtigkeit der gleichung ahd. -a = got. -ans durch ahd. taga = got. dagans bewiesen, die Mahlowsche erklärung von taga ist zwar häufig totgeschwiegen, nie aber widerlegt worden, ich habe Beitr. z. erkl. d. germ. flexion s. 13 hervorgehoben, dass durch sie die difFereuz in der quantilät der endvocale von taga und gebd verständlich gemacht wird, wenn die durch einen sinn- slörenden drucklehler entstellte bemerkung van Heltens Beitr. 17, 273 a. 1 besagen soll, dass das -a des masc. lautgesetzlich und das -d des lern, durch das bestreben hervorgeruleu oder erhalten sei, sg. und pl. zu trennen, so wird diese erklärung wol nicht viele Ireunde finden, alles zusammen genommen: billigt man die Mahlow-Collitzsche annähme, so finden durch sie die as, nom. acc. pl. der subst. sowie der adj. auf -a, die ahd. nom. acc. pl. masc. der adj. und die kürze der endung von taga eine durchaus befriedigende erklärung; acceptiert man sie nicht, so muss man

' es sei hier die berichligung gestaltet, dass s. 37 z. 26 zu lesen ist 2(1) -}- 1 •? statt 1(1) 4- 1 ? + r, denn 'gressus' ist Gl. n 637, 16 durch gen^n glossiert.

•^ vgl. Gl. n 631, 56. 634, 34. 35. 53. 637, 66. 648, 52. 6U. 649, 24. 653, 6. 660. 47. 662, 52. 663, 4(i. 664, 13. 069, 49. 670, 3.

24 SCHLÜTER UNTERSUCHU.NGEN ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE I

für jede der drei ersten kalegorien eine verschiedene entsteliung desselben lautes -a annehmen und begreift die quanlität derendung von taga nicht, ich glaube, (he entscheidung kann niciit schwer fallen, übrigens ergibt sich dann auch eine einfache Fassung für das auslautsgesetz: gedecktes idg. erscheint ahd. as. als a, gedecktes idg. als 0. doch kann ich das hier nicht des weitern ausführen. An einzelnen bemerkungen hätte ich folgendes vorzubringen. s. 13. von den angeführten beispielen für nuüleon kann 1962 von hiiot abhängiger objectsaccusativ sein, zu dem 1963 als epexegese tritt, oder, wenn man lieher will, lonot steht and xoivov zu mdlleon und so huat so hie her gnodes geduot: 'gott lohnt einem jeden menschen, seinen guten willen, das was er gutes tut'; vgl. das folgende thoh hie thuru minnea godes manno huilicon nnillandi forgete unatares drincan. s. 18. ahuualdan 251. 1510 soll nachlässige Schreibung für aloimaldmid sein; gibt es denn as. genilive auf -and'l s. 17. dass namon 5084 acc. ist, möchte ich bezweifeln. s. 18. ich kann nicht finden, dass fetherhamon 5798 zweifellos pluralform ist; was soll der hinweis auf 1669? dort ist vom gefieder der vögel die rede, hier von den flügeln eines engeis. Seh. meint, dass die decl. von namo auch ahd. unregelmäfsigkeiten zeige und beruft sich dafür ua. auf Otfrid wegen namon gen. ii 16, 28, namon dat. IV 4, 27 (soll heifsen 47). er meint, dass der vorhergehnde labial schuld sei, und stützt diese ansieht durch die augeblich Otfridschen formen lichamon gen. v 23, 68, dat. i 10, 14. dabei ist aber aufser acht gelassen, dass alle 4 beispiele nur in der Freisinger hs. stehn und aufserdem i 10, 14 und ii 16, 28 o in e corrigiert ist. dass der bair. Schreiber aber gen. und dat. auf -on statt -en bildet, ist weiter nicht auffällig, Kelle führt Otfrid II 241 f solche formen auch von {antdago), boto, brunno, entitago, gimazo, mennisgo, miillo an. in all diesen Wörtern lautet der stamm auf nichtlabialen laut aus. mit mehr recht hätte sich Seh. auf Tatian berufen können, der nicht nur das von ihm citierte naman bietet, sondern auch namon 134, 3. 142, 2 und iheismon 89, 4.; vgl. Sievers einl. lxv § 108 anm. s. 26. von den stellen, die st. declination nach best, artikel beweisen sollen, haben zu entfallen 808, wo, wie schon Schmeller Gloss. s. 170 andeutete, thar the so viel wie 'wo' heisst, und 4741; denn costondero ist gen. pl. des Substantivs costond 'teufel'. s. 61. 64. 66. mianga hält Seh. mit Schmeller, Heyne und Behaghel für ein fem. da das wort aber ahd. ntr. ist, so kann man an der richtigkeit des ansatzes zweifeln, aus v. 4880 lässt sich das gewis nicht entnehmen, ebensowenig aus 5114 und 5496, wenn man nnangun für denacc.pl. nimmt, es bleibt also nur 201 unangnn wiarun im vnlitiga (M -e). nun ist ja aber auch ins nir. die pluralcndung der masc. und fem. hin und wider eingedrungen, vgl. 2036 f Larea stuodnn thar stenfatn sehsi.

SCHLÜTER ÜMERSUCHÜKGEN ZUR ALTSACHS. SPRACHE I 25

s. 68. Seh. erinnert wegen der verkürzten endung -on im gen. pl. mit recht an die ähnlichen Ollridschen formen; man möchte auch an die an. endung -u der schw. adj. denken, vielleicht auch an die Notkersche endung -d», die freilich nicht auf die adj. he- schräukt ist. dass in all diesen fällen auslautendes -o weggefallen sei, scheint mir nebenhei hemeikt ganz unglaublich. s. 79 anm. Seh. meint, dass st. decl. nach dem art. sich auf das sikl-, mittel- und niederfränkische beschränkt habe, das ist nicht richtig, auch Notker zeigt einige beispiele (Wunderlich Beilr. zur synlax des Notkerschen Boethius s. 12), im Klosterneuburger gebet MSD 84 sieht demo giunstiemo taga und allerdings bei dazwischentretendem possessiv mit temo dinemo heiligemo bhiodie; vgl. auch die beispiele bei Weinhold Mhd. granniialik § 524 f, von denen man die oberdeutschen doch nicht alle auf frk. einfluss wird zurückführen wollen. s. 95 f werden eine reihe von adverbieu besprochen, in denen -o und -a wechseln. Seh. ist geneigt, -a aus -o lautlich entstanden sein zu lassen, in manchen fällen dürfte diese erklärung zulrelfen, aber nicht in allen, man darf nicht übersehen, dass auch ahd. doppelformen erscheinen, deren anwendung vom Sprachgebrauch der denk- mäler abhängt, das gilt für samo neben sama (Graff v[ 27), eftho neben eftha (Graff i 147), ana neben ano (Grad i 283). s. 135. Seh. hält eiian 13 für den acc. sg., bezieht es also auf euatigelium. dazu hat ihn vermullich die von Sievers unterm text angeführte stelle aus Beda bewogen: qui cum sint quattnor non tarn quattuor evangelia quam nnum quattnor librorum varie- tate pulcherrima cousouum edideruut. trotzdem müchte ich bei der aufVassung Schmellers, Heynes und Greius bleiben, nach der euan n. pl. und auf die evangelisteu zu beziehen ist, Mass sie allein das evaugelium aufschreiben sollten', denn die ganze stelle 9 17 variiert fortwährend den gedanken : nur 4 männer wurden zur aufzeichnung des evangeliums ausersehen, dass nach Sch.s auffassung der sinn der stelle für den unbefangenen leser, der Beda nicht kennt, unklar würde, darf man ihm freilich nicht entgegenhalten , derartiges ist dem Ilelianddichter wol zu- zutrauen. — s. 171. heri 1972 C ist keine analogiebildung nach der i- oder £-declination, vielmehr hat «las heriu von M als ana- logiebildung nach der d-decl. zu gelten; das wort ist ursprüng- liches i- abstraclum, s. Hollhauseu Beitr. 13, 375 a. 1. oder trennt Seh. diese stelle von 3526. 5470. 5476. 5876? darauf würde deuten, dass er die letztern in seinem Verzeichnis der dative auf -i nicht erwähnt. s. 1S9 meint Seh., es sei zu kühn, v. 2975, wo C Elilheodo qua im gumon tegegnes list, elt- theodo etwa mit berufung auf got. pai ßiudo für den gen. (pl.) zu erklären, die kübnheit ist nicht allzugrofs; von qxiä, das nach s. 1S8 möglicherweise Schreibfehler für quamun ist, mu^s man natürlich absehen, nur darf man nicht, wie Seh. anzudeuten

26 SCHLÜTER U.NTERSUCHUNGEN ZUR ALTSÄCHS. SPRACHE I

scheint, elitheodo von einem gedachten arlikel thia abhängen lassen sondern von gmnon. man vgl. Tat. 111, 3 iherer fvemidera thiota man 'hie alienigena', 128, 9 Andero (hioto sum 'Sam.ui- tanus quidam'. s. 192. mähte 2954 ist wahrscheinlich indi- caliv (Behaghel Modi s. &). s. 193. hete 2117 M ist wol nicht = hehl, sondern oplaliv (Behaghel aao).

Es liegt im wesen einer recension, dass sie mehr die puncle hervorhebt, in denen der recensenl anderer meinung ist als der antor. trotz der gemachten ausslellungen trage ich kein bedenken, Schlüters buch filr ein gutes und nützliches zu erklären. Wien, 12. märz 1893. M. H. Jelli.nek.

Die reception der neuhochdeutschen Schriftsprache in sladt und landschaft Luzern 1600 1830 von dr Renward Braxdstetter. Einsiedeln, Benziger .t Co., 1891. 90 ss. 8°.

Die Luzerner kanzleisprache 1250 1600. ein gedrängter abriss mit specieller hervorhebung des methodologischen momentes von dr Renward Brand- STETTER, mitglied des indischen Institutes im Haag. [ebd. 1892] 94 SS. 8°.

Zur geschichte der schwäbischen mundart im 15 jahri)undert. allgemeines und vocale der Stammsilben, von dr phil. Karl Bohnenberger. Tü- bingen, HLaupp, 1892. x u. 139 ss. gr. S'*. 4 m.

Brandstetters arbeilen gehören nach melhode und ergeb- nisseu zum besten der neuern sprachgeschichtlichen lilteratur. selten gewinnt eine Untersuchung, durch scharfe beleuchtung des typischen und durch vorbildlich klaren, sichern gedanken- gang, in dem mafse bcdeutung weil über ihr eigentliches sonder- gebiet hinaus, wie dies Br.s schritten über die idiome seines heimalcanlons nachzurühmen ist. die geschichle der mhd. wie der nhd. schrif'lsprache kann viel von Br. lernen, ich linde nirgends die lillerarhislorische Vorarbeit so gründlich angestellt wie hier, das malerial so besonnen und reichhaltig ausgewählt, die sprachlichen fragen mit dieser genauigkeil und umsieht be- handeil.

Die deutschen aufzeichnungen Luzerns beginnen um 1250. ihre sprachform setzt sich fort in einer entwickluug, die man wol organisch, ungebrochen nennen kann, bis 1620: der Zeit- raum der mhd. Schriftsprache, von da ab beginnt das eindringen der nhd. gemeiusprache: etwa zwei Jahrhunderte hindurch schreibt der Luzerner ein gemisch des altern und des Jüngern schrift- idiomes; die nhd. bestandleile nehmen stetig zu; erst seit dem anfang unsers Jahrhunderts isl ein relativ einheitlicher habilus in den lautzeichen und flexionsformen erreicht, isl die allere Schriftsprache überwunden, dass im wortgebrauche der anschluss bis heute nicht vollständig ist, zeigt Br.s eigner stil.

Was bis zum aufkommen des nhd. geschrieben wird, nennl Br. Luzerner kanzleisprache (K). es isl aber nicht nur

BRA>DSTETTER RECEPTIÜN DER SCHRIFTSPRACHE IN LUZER.N 27

die spräche der amilichen documente, sondern auch die der privatbriefe, lagebilcher, erzähhingen: ein gegensatz zwischen otli- cieil und privat scheint nicht zu heslehn, ein und derselbe aulor schreibt amtlich und nichtamllicli die nämliche spräche, wo! aber ist die kanzlei die eigentliche pllegerin dieser schrillsprache, insoiern die otficiellen kreise sie am geregellsten schreiben und von schule und einheimischem buchdrnck kein eintluss ausgehl. am ende des ersten Zeilraumes (um 1600) wird auch von un- gebildeten leuten geschrieben, und damit macht sich stärker als vorher ein unterschied geltend zwischen gebildet (K schlechthin) und ungebildet.

Diese gesamte K, im weitesten umfange, steht von der ge- sprochenen mundart sehr bedeutend ab. mundart ist überhaupt, bis aul' die bewuslen lillerarischen versuche der neuzeit, niemals zusammenhängend niedergeschrieben worden, dass Br. mit voller schärfe die drei factoren auseinanderhält: mundart, kanzlei- sprache, neuhochdeutsch dh. also die gesprochene spräche; die bis 1620 unbestritten geschriebene spräche; die seit 1620 ein- dringende geschriebene spräche , dies ist ein entschiedener forl- schritl über die frühern darstellungen. Br.s ergebnisse sind hier ohne weiteres zum mindesten für das ganze alemannische gebiet gillig. schon um 1250, als die deutschen Urkunden beginnen, schreibt man nicht mundart, sondern mhd. Schriftsprache.

iMan kann es füglich nicht mehr so formulieren, das mittel- hochdeutsche sei eine 'höfische dichlersprache' gewesen: es war Schriftsprache im eigentlichen sinne des wortes; es war die spräche, worin auch die prosa, die localen Urkunden aufgezeichnet wurden, diese spräche wurde von den kanzleien, als sie das deutsche adoptierten, schon fertig vorgefunden; concreter aus- gedrückt: die Schreiber der ältesten deutschen Urkunden hallen ein Schriftdeutsch gelernt, das in slrall'er tradilion schon durch ein paar menschenalter gelehrt worden war. nur dadurch erklärt sich die relative einheit und orthographische glätte dieser spräche, ihre weite veibreilung und vor allem ihr stark archaischer cha- racter gegenüber sämtlichen mnndarten der zeit, ja, das Vor- handensein einer 'alul. richlung' in diesen altern uikunden for- dert eine vom dialecl losgelöste Schulung der Schreiber, die ihre wurzeln mindestens im 11 jli. hat. wenn die classischen mhd. dichtungeu, deren hss. nicht der zeit und der heimat der Ver- fasser angehören, nur in ihren reimen sprachliche criterien zu gewähren schienen , so darf daraus sicherlich nicht geschlossen werden, blofs im reime seien 'gewisse mundartliche formen' 'ver- mieden' worden, übrigens fehlt es nicht an Schlüssen auch aus dem vers Innern; so zb. wenn ein lyriker, der die einsilbige tactfullung vermeidet, einen vers baut wie: ich hän gesworn, daz ich vor löser manne tncke mich 6 e/jrte/e (Barisch f.iederd. s. 130, 24), ob«ol seine mundart schon die praetixe ge-, be- syn-

28 BRANDSTETTER LUZER>ER KANZLEISPRACHE

kopiert hat. die forschungcn der letzten jähre haben gezeigt, wie stark die hd. maa. im 13 jh. allbereils (hfTerenziert waren: es scheint mir undenkbar, dass man beim vorlesen eines textes, der ungefJihr nihd. geschrieben war, die sprachCormen einer damaligen hd. mundart zu substituieren vermocht hätte: dafür war der abstand im 13 jh. schon zu grofs. ich glaube, dass noch Behaghel in Pauls Grdr. i 540 f die schulmäfsige, archaische kunslf'orm des ndid. schriitdeutsch nicht genugsam betont.

Ebensowenig aber kann man sagen, dass das mlul. im 14 jh. wider der unbestrittenen herschalt der mundarlen platz machte (v. Bahder Grundlagen des iihd. lautsyslems s. 1). jene Schriftsprache wurde weiterhin vererbt, wol nahm sie mehr und mehr mundartliche bestandteile in sich auf, sodass sie sich local diflVrenzierte und die einheit des grofsen gebietes in teil- gebiete zerfiel. aber da im 14 und 15 jh. die gesprochenen dialecle ihrerseits letzte grofse neuerungen erlebten, die die Schriftsprache nur zum geringen teil in sich aufnahm, so wurde der abstand zwischen mundart und Schriftdeutsch keineswegs verringert, und von einem bruch mit dem schulmafsigen mhd. kann nicht die rede sein: es blieb immer noch der grundstock des geschriebenen deutsch.

Das nhd. hatte also seinen kämpf nicht gegen die mund- art, sondern gegen die localen fortsetzungen der mhd. Schriftsprache zu bestehn. nach Br. (Receplion s. 62) winkte die ma. dem nhd. nicht einmal in der weise entgegen, dass sich etwa die zu der ma. stimmenden demente von K am längsten gehallen hätten.

Br. schildert nun das vordringen des nhd., indem er einzelne grammatische erscheinungen, und zwar solche, die sich im nhd. der letzten dreihundert jähre gleichgeblieben sind, in ihrer indivi- duellen Chronologie verfolgt, da er sich aufserdem auf geschrie- benen, durch Unterschrift und züge der band beglaubigten stolT beschränkt, also die frage consequent so stellt: wie haben geborene Luzerner geschrieben.^, so bekommt seine Untersuchung eine ge- schlossenheit und ein psychologisches Interesse, die wir bei ein- mengung der Luzerner drucke vermissen würden.

Br. ist soweit gedrungen , wie es die schranke seines ge- bietes zuliefs. was darüber hinaus liegt, also namentlich die fragen': woher hat Luzero die ältere, mhd. Schriftsprache bezogen? wieweit steht die Luzerner K während ihres ganzen bestandes in abhängigkeit von den gröfsern schweizerischen kanzleien? woher und durch welche canäie ist das nhd. nach Luzern geströmt? diese fragen durften unberührt bleiben, solange dem mhd. und nhd. der führenden alemannischen slädte bearbeitungen von ähn- licher genauigkeit fehlten.

Der Schilderung der K in der ersten periode (Luz. kanzleispr. s. 17) hätte ich eine ergänzung gewünscht: dass Br. nicht blofs die vom sonstigen mhd. abweichenden, dialectischen bestandteile

BRANDSTETTER LUZER>ER KANZLEISPRACHE 29

der K vorführte, sondern auch umgekehrt dieahweicbungen der K von der ma., soweit ihm gelungen ist diese zu eruieren, in Br.s früherer schrifl, den Prolegomena s. 30 f, finden wir einiges hierüber, aber, wie es scheint, nur ein paar besonders frappie- rende beweisslücke. und doch wäre es von grüstem werte, wenn wir gleich bei den anfangen der geschriebenen spräche ihren abstand von der gesprochenen so genau wie möglich kennen lernten.

Im einzelnen hat mich befremdet, dass (Luz. kanzleispr. s. 19) Schweiz, töiff 'lief und ähnl. als diphlhongierung von ü ge- fasst werden; vgl. Schild Brienzer munclart s. 75. ebd. § 125 wird das n in funst, künsch, sünfzen als fremder eintluss gedeutet^: es ist aber doch wol umgekehrte Schreibung oder 'falsche deu- tung' (vgl. § 63. 96) nach ma. müstr 'münster', häuf 'hanf , also intern entwickelt.

Br.s bisherige Schriften lassen von den weiterhin verheifsenen das beste erwarten und wecken den wünsch, dass die bitlern em[)iiudungen, die der verf. am Schlüsse des zweiten heftes laut werden liisst, nicht von dauer sein mögen.

B ohne n berg ers sorgfällige Untersuchung hätte aus dem, was von Br. schon vorlag, wol noch nutzen ziehen können ; die auseinanderselzungen s. 6 ff halten an praecision, an greifbarer deutlichkeit gewonnen, über die kaiserliche kanzlei äufsert sich B. s. 10, im gegensatz zu Kaulfmann, dahin, dass die einwürkung auf Schwaben vermutlich erst mit den Habsburgern (1440) an- hebe, der § 3 über den lautwandel enthält sehr verständige gedanken : der gesichlspunct, dass es gebiete spontan ent- wickelten und gebiete überkommenen laulwandels gebe, ist für das allgemeine Verständnis der Sprachentwicklung unentbehr- lich, mag er sich auch im einzelnen falle selten fruchtbar er- weisen, in dem Wohnungswechsel der stamme den auslofs für den Wandel der laule zu suchen, ist mislich, sobald man zugibt, dass nicht eine anatomische Veränderung der sprachorgane, sondern eine zunächst psychologisch bedingte Veränderung il)rer actio n den lautwandel erzeugt. treffendes bemerkt B. § 6 über die 'traditionelle weise zu reimen'.

Die behandlung der einzelnen vocale macht durchaus den eindruck des zuverlässigen und umsichtigen, mehrfach befür- wortet B. eine von Kaulfmann abweichende historische enlwick- lungsreihe, oft im anschluss an Hermann Fischer: so s. 27 über das Schicksal von ä, s. 86 von ce, s. 108 von ei; seine gründe sind einleuclitend. der alle diphlliong /a wird von dem umlauts -m unterschieden; aber aus dem unklaren § SS wird der nicht- schwäbische forscher schwerlich klug werden.

Berlin, 15 märz 1&93. Andreas Heusler.

30 WHIGHT Tut KULECT OK WlMiMII.L

A giaiiiiiiar of llie dialecl of Windliill in tlie west riding of Yorksliire. illu- stialed l.iy a series of dialcct spccimens, plioiictically reoderod, witli a glossarial index of the words used in the grammar and spccimens. by Joseph Wright, dcputy professor of comparative phiiology in Ihe univeisity of Oxford. London, English dialect society, 1S92. xii und 255 SS. 8«.

Als vor nunmehr siebzehn jähren Zupilza Anz. ii 1 IT die ersten puhlicalionen der English dialecl sociely besprach, äufserte er den wiinsch, 'dass die gesellschaft sich nicht auC das rein lexi- kalische bescliränken, sondern ihr augenmerk auch auf eine solche behandlung der hauptdialecte richten möchte, wie sie in vortrefT- lichsler weise dem schottischen durch JAllMurray zu teil geworden ist', mit der einzigen ausnähme von Ellworlhys werken über den dialect von VVesl Somerset haben die inzwischen erschienenen zahl- reichen publicationen der gesellschaft zu einer wiirklich wissen- schaftlichen kenntnis der neuenglischen mundarten leider sehr wenig beigetragen, die meisten sind sogar ganz wertlos; mit um so gröfserer freude wird nun endlich der l'achgonosse in Wrights vortrefflichem buche die erfüllung von Zupitzas wünsch begrüfsen. in diesem werke, welches in erster linie für den englischen phi- lologen bestimmt ist, hat es sich W. zur aufgäbe gemacht, eine streng wissenschaftliche darstellung der laut- und formenlehre seines heimatdialectes und zwar auf historischer grundlage zu liefern, wozu er als geborener 'Yorksbireman', ausgerüstet mit den gründlichsten philologischen und phonetischen kenntnissen, in, hervorragendem mafse berufen war. für die Zuverlässigkeit des mitgeteilten modernen sprachstolfs bürgt der umstand, dass W. in seiner Jugend ausscidiefslich den dialect gebraucht hat: '1 spoke the dialect pure and simple until 1 was practically grown up'.

Es ist nur zu loben, dass W. abweichend von manchen seiner Vorgänger sich auf ein ganz enges gebiet , auf die in einem dorfe und seiner unmittelbaren umgegend gesprochene mundart, beschränkt hat. wir bekommen infolge dessen das bild eines einheitlichen dialectes und nicht, wie es so häufig bei englischen dialectwerken der fall ist, einen mischmasch aus meh- reren mundarten. VVindhill ist ein im südlichen Yorksliire drei englische meilen nördlich von Bradford belegenes dorf, gehört somit zu Ellis Easteru North Midland group (district 24).

Im 1 cap. gibt VV. eine genaue beschreihung sämtlicher im dialect vorkommenden laute, wobei er seiner transscriplion das Bell-Sweetsche System zu gründe legt, das 2 cap. bietet eine übersieht der modernen vocale in betonter silbe nebst deren ae. entsprechungen, während im 3 das ae., speciell allanglische, vocalsystem den ausgangspuncl bildet, von dem aus die ent- wicklung der einzelnen ae. laute bis auf die neuzeit verfolgt wird.

WRIGHT THE DrALECT OF WLNDHILL 31

die me. periocie hat VV. dabei Ireiiich unbcrilcksithligt gelassen, wie er in der vorrede ausdrücklich bemerkt; doch glaube ich bei der uumüglichkeit , die nördlichen denkmäler der me. zeit auch nur annähernd genau zu localisieren, nicht, dass diese be- schriinkung dem buche zu besonderem uachteile gereicht.

Für den englischen philologen ist namentlich wichtig, dass im dialect von Windhill (=Wd.) alte unterschiede noch bewahrt werden, die sich in der Schriftsprache nicht erhalten haben: während zb. in der heutigen engl, ausspräche me. e aus ags. ä> (= germ. ü) und ags. e mit me. ^ aus ags. (= germ. ai)y ags. ea und ags. ^ in olVener siibe zusammengefallen ist, unterscheidet der Wd. sogar noch 3 laute, indem ags. e in offener silbe eine besondere entwickelung durchgemacht hat und sich von ags. Cv (== germ. ai) und ea deutlich sondert, gegenüber ne. meet (ags. melan), beat (ags. beatati), meat (ags. niete), die alle drei den gleichen vocal ij haben , bietet der Wd. mit 147), hidt 179) und meit 87). die entwicklung der o-laute ist ganz parallel, nur dass hier die Schriftsprache noch zwischen me. ö und ö unterscheidet: der Wd. bietet widerum drei verschiedene vocale: ui oder in aus me. ö 163 4), va aus me. ö (= ags. ä, § 122) und oi aus ags. o in olTener silbe 109). gegenüber ne. boat (ags. bat) und ihroat (ags. prUn) stehn im Wd. budt, proit. enlhält aber die Wurzelsilbe ein r, gleichviel ob dasselbe vor oder nach dem vocal steht, so wird dies veiliältnis vielfach gestört, indem ebenso wie in der Schriftsprache ein geschlossener vocal durch den einfluss eines benachbarten r ofl'en wird. durch diese würkung eines r lassen sich einige fälle, über die VV. nicht klar geworden ist, ganz einfach erklären: daher heisst es zb. brid[) (ags. bräp , ne. brealh) und jidr (ags. gear) statt *brlp, *jt7\ ebenso fällt me. o bei folgendem r mit me. ö (ags. a) zusammen, indem es, ebenso wie dieses, m ergibt: zb. ßndr (ags. ßor), mudr (ags. mor). unter denselben bedingungen entwickelte sich aus ags. U und ö in olTener silbe vielfach id bzw. ud, anstatt ei bzw. oi: bidr (ags. beran) usw. 75), ridp^ (ne. to reap), fridt (ags. fretan) 82) neben dem simplex eit aus ags. ^tan. ebenso dfudr (ags. onforan), smudr (ags. smorian) 104), rudz 105) gegenüber loiz (ags. losian) wiw . 109); hierher gebort auch dmr 113), das wol nicht auf ags. duru, sondern, ebenso wie das entsprechende ne. door'^, auf die flectierteu formen des ags. dör (gen. döres, pl. doru) zurückgeht.

Ebenso wie einfaches e und e werden im Wd. die di- phlhonge eu (aus ags. eow) und <^u (aus ags. eaw) noch unter-

' dieses riap ist, ebenso wie das ne. reap, auf die anglische form riopayi (mit kurzem vocal und o-umlaut; vgl. Sievers Ags. gr. § j82) zurückzufüiiren, indem ags. to, co in offener silbe ebenso wie e behandelt wird.

* über ne. door vgl. Zupitza DLZ 1885 (25 april) s. 610.

32 WRIGHT TIIK DIALECT OK WI.NDllII.L

schieilen, indem jenes als iu, dieses als eu erscheint: brin (ags. bit'owan) usw. 190) gegenüber feu (ags. feawe) usw. ISO), aluilicli Verhaltes sich hei den o?<-diphtliongen : lür ags. öw tritt im \Vd. Od ein, während ags. öw durch ou vertreten wird: 6/0^ (ags. bläwan) usw. 123) neben flou (ags. flöwan) usw. 166). in der schridsprache h iben beide denselben vocal {ou), der noch dazu mit dem sich aus me. ö ergebenden ou-laut zusammen- gefallen ist: blow, flow, toe (ags. /ö, im Wd. tud). throal (ags. pivtii, im VVd. proil).

Die ags. quanlilätsveihältnisse, die in der Schriftsprache durch consonautische einfliisse vielfach Störung erlitten haben, sind im VVd. besser bewahrt: alte länge hat sich zb. vor st er- halten in döst, rast, ags. düsl, rüst^ (ags. ü erscheint im VVd. stets als fl). auch vor den dentalen d, p, wo im ne. vielfach kilrzung eingetreten ist, zeigt sich noch im VVd. die alte länge: didd, didp usw. vor nd werden ags. t (Jj) und v nicht, wie ne. gelängt: daher find, pund usw.: die wenigen ausnahmen wie and (ags. hund), kaitid (ags. gecynde) sind wol durch den einfluss der Schriftsprache zu erklären, vor Id dagegen tritt die deh- nuug von ags. i (y) und e, ebenso wie im ne., ein: merkwürdig dabei ist, dass das so entstandene 7, das doch eigentlich mit dem ags. i zusammenfallen miiste, unverändert bleibt und nicht wie dieses zu ai diphthongiert wird: wild gegenüber laif (ags. tif).

Eigentümlich ist die enlwickelung des ags. ö, das im VVd. als ui erscheint aufser vor m, k und im auslaut, wo m dafür eintritt: blnid (ags. blöd), liuk (ags. löcian). dieses ui ist auf ein ganz kleines gebiet beschränkt und zwar auf das südlichste Yorkshire (disirict 24 bei Ellis); sonst wird ags. ö in den nordengl. grafschaften vor sämtlichen consonanten meist durch m, id vertreten, dessen me. Vorstufe bekanntlich u geschrieben wurde {bind, Ink) und mit romanischem ü reimte, in den angrenzen- den nordmiltelländischen grafschaften dagegen (Liucolnshire, ISottinghamshire, Derbyshire, Cheshire, South Lancashire) hat das ags. me. geschlossene 0 im wesentlichen dieselbe enlwickelung durchgemacht wie in der Schriftsprache, indem entweder ü oder ein erst in neuerer zeit daraus hervorgegangener nahe verwauter laut dafür eintritt (vgl. Ellis Early English pronuuciation v 292). was die Vorstufe des VVindhillschen ni anbelangt, so ist zu be- denken, dass es weder mit nie. ii, noch mit nie. eu zusammen- gefallen ist: guis (ags. gös), suip (ags. söp) unterscheiden sich im vocal von ins (subst.), itiz (verb) (nie. üs, üsen) und tritiß (me. treuthe).

Vor g,ng \iu{\ s ist a zu e geworden: eng (ne. to hang) , heg

* ags. rüst, wie bei Kluge Etyni. wb. s. v. rosl und in Pauls Grund- riss I 869, nicht rYist, wie bei Sievers Ags. gram. § 55. auf ursprüngliche länge des vocals weist aucii die me. Schreibung roust (daneben rusl mit bereits verkürztem vocal, woraus ne. rüst).

WRIGHT THE DIALECT OF \Mi>DHILL 33

(ne. bag), es, wes (ne. ashtree , (o wash). dei' Übergang vor s ist in der nördlichen liälile Englands zienilicli weil verhreitel, während der vor g, ng auf ein bedeutend kleineres gebiet beschriinkl ist. die me. Schreibungen aisschen (ne. ashes), icaisschen usw., die sich schon im 14 jh. hauüg belegen lassen, scheinen aul den anfang dieses Überganges hinzudeulen, der durch die palatale nalur des sh hervorgebracht wurde, über dieselbe erscheinung aul deutschen) und holländischem gebjet vgl. Franck Etym. woordenb. s. V. flesch und Anz. xvn 102, sowie Holthausen ßeitr. 10, 600. Ein paar eiuzelheilen mögen hier erwähnung finden: rami 'haviug a strong smell' 57) bringt W. in Verbindung mit ags. hramsa; sollte es nicht einfach zu ram 'widder' gehören? vgl. Chaucers prolog zur erzählung des Canon's yeoman z. 333 : For al ihe world thay stynken as a goot. Her savour is so rammysch and so hoot. zu kemp 73) liefse sich auch das in der Sachsenchronik z. j. 1056 belegte cenep anführen. das eigen- tümliche meits 'messen' 67} dürfte vielleicht eine contami- nation sein aus ^meü (ags. metan) und mats Ho malch'. von den beiden im § 75 angeführten scheinbaren ausnahmen gehört die erste, tädr 'leer' in den vorhergehnden § (ags. stamm teorw-), während die zweite sich regelmäfsig aus dem weil ver- breiteten me. mare entwickelt hat, das häufig neben mere vor- kommt (bei Chaucer lassen sich beide formen im reime belegen).

lein 'lehnen' 139) ist nicht auf ags. hlä'nan, sondern auf ags. hlSonian {hlinian) zurückzuführen und gehört somit zu § 87.

wedst (ne. waste, § 149) ist nicht fortsetzung von ags. toeste, sondern stammt aus dem romanischen (alz. wast).

Im 4 cap. wird der vocalismus der romanischen iehnworte besprochen, wobei W. von der ne. ausspräche ausgegangen ist. interessant sind die formen dons (ne. dance), ont (ne. aunt) usw. 200), wo anglouorm. au (a) vor nasal -f- cons. durch o vertreten wird, das 5 cap. behandelt die unbetonten vocale: es sei hier namentlich auf die besprechung der durch unbetonlheit entstan- denen satzdoubletlen hingewiesen.

Bei den cousonanlen (capitel 6) ündel man natürlich weil weniger abweichungen vom ne. als bei den vocaleu; selbst bei den gutturalen, ags. c, g, wo man bei dem nördlichen cbaracter des VVd. eine andere entwickelung erwarten könnte, stimmt der dialect im wesentlichen mit der Schriftsprache überein: wo diese den <A-laul' bietet, tritt in weitaus den meisten fällen auch im VVd. assibilalion ein; nur in wenigen Wörtern hat sich k er- halten : kaf (ne. chaff), kägdt (ne. churchgate), kist (ne. ehest), ßik (ne. flitch), tlik (ne. clutch), pak (ne. thnlch) , b^k (ne. birch),

' zu tsoul 312, 2), das ne. Joivl mit stimmliaft gewordenem anlaut entspriclit, hätte W. das ags. cea/l anführen können, die redensart IsTk an t'soul i»t übrigens keineswegs auf die diaiecte beschränkt: vgl. Shakspere, Mids. night's dreatn ni 2, 338 /'// go wilh thee, cheek by juwl.

A. F. D. A. XX. 3

34 WRIGHT THE DIAI.ECT OK WINDUILL

benk^ (ne. bench). anlautendes ags. g hat dieselbe gescliichle gehallt, wie in der scliriltsprache. inlautendes inlervocalisches g verschmilzt in der regel mit dem vorlicrgehnden vocal zu einem diphlhong oder langen vocal: zh. floun (ags. geflogen), fül (ags. fugol); nur nach 7/ hat sich meist ein verschlusslaul daraus ent- wickelt: Jtedg (ags. gnagan) usw. 315, e). entsprechend ne. dz aus ags. cg erscheint im \Vd. hald dz, bald g: edz (ne. edge) usw. gegenüber hrig, lig (ags. -brycg, licgan, § 315, e).

Bei einer kleinen anzahl von wortern wurde zu anfang des 16 jhs. in der schriltsprache ein d zu d, wenn die folgende siibe ein r enthielt: im Wd. ist dies consequent durchgeführt, und zwar erstreckt sich das gesetz auf romanische ebensowie auf germanische Wörter: lader (ne. ladder), päder (ne. powder), konsider (ne. comider) usw. 297). in andern benachbarten dialecten (zb. Holderness, im südüstl. YorkshireJ wird auch / vor folgendem r zu /: briße?' (ne. butter), und ich glaube den anlang zu diesem Übergang auch in VV.s ausspräche zu hören , indem er das t vor einem r in der folgenden silbe stets wie tp spricht.

Die capp. 7 1 1 behandeln endlich die formenlehre. beim Sub- stantiv (§ 339) begegnet man einer erscheinung, die sich in nörd- lichen denkm. der nie. zeit häufig belegen lässt: dass nämlich das genitivische s vielfach fortbleibt, indem der genitiv mit dem folgen- den Substantiv eine art composition eingeht: zb. tlad fadd buits (= the lad's father's boots). vgl, Cursor mundi (ca. 1300) z. 20177 mi sun messeger (= my son's messenger); St. Cuthbert (ca. 1450) z. 563 pe childe sanier (= the child's psalter). die bildung der Ordinalzahlen ist beachtenswert: im gegensatz zu der Schriftsprache, wo die endung th verallgemeinert wurde und in ßfth, sixth, eleventh, twelfth an stelle eines alten t getreten ist, hat sich im Wd. das t dieser vier formen nicht nur erhalten, sondern auch das th der anderen zahlen verdrängt: daher /bM3? (ne. fonrth) usw.

Was die starken verba anbelangt, so haben sich die formen des praes. und part. praet. im allgemeinen regelrecht aus den entsprechenden ags. formen entwickelt, beim praet. dagegen, das ebenso wie in der Schriftsprache nur 6ine form für sg. und pl. bietet, hat die regelmäfsige entwickelung vielfach durch ana- logiebildungen Störung erlitten, diese lassen sich zum teil schwer erklären: so haben die verba der ersten 2 classe im praet. den vocal ed, der sich weder aus dem ags. ü des sing., welches ud ergeben hätte, noch aus dem ags. ^ des plurals entwickeln konnte, sondern me. ä voraussetzt, für einen übertritt in die

* wenn dies nicht gleich ne. OaTik ist, das im Wd. ebenfalls Oeiik ergeben müste.

■■' W. hat die von Sievers in seiner Ags. gr. gegebene einteilung bei- behalten.

WRIGHT THE DIALECT ÜF WINDHILL 35

4 oder 5 cl., au deu man sonst denken könnte, lag kein grund vor: die verba der 1 cl. einerseits und die der 4 und 5 cl. anderseits haben keine formen mit gleichem vocal, die zu dem Übergang den anslofs hätten geben können, wie dies zb. bei der 2 cl. der lall war, deren particip im vocale (o) mit dem der 4 und 5 cl. übereinstimmt. W. weils dalüi' keine erklärung zu geben; indessen möchte ich auf eine möglichkeil hinweisen, dass wir es nämlich mit einer entlehnung aus einem noch nördlicheren dialect zu tun haben, in dem sich das ags. ä erhallen halte, ein solches ä müsle in der me. zeit mit dem aus ags. a durch debnung enisiandenen 7/ zusammenrallen und im Wd. ea ergehen: dredv, stredk (aus ags. r/r«/", stj'äc) würden dem ne. drave, strake (bibel, Shaksp. usw.) entsprechen, zu vergleichen ist ferner das ne. clave (lubel, Tenuyson usw.) von deave 'kleben, haften', falls es würklich Ibrtsetzung des ags. cläf ist: vgl. New engl, dict. s. v. deave.

Der eigentlichen grammalik folgen einige dialectproben in phonetischer Umschrift, darunter Ellis 'Comparalive Specimen' und 'Dialect Test', deu scbluss des ganzen bildet endlich ein sehr vollständiges und zuverlässiges Wortverzeichnis, welches die uülzlichkeit dieses Werkes bedeutend erhöhl, das man den fach- genossen als einen schönen und dankenswerten beilrag zur engl, sprachgeschichle getrost empfehlen kann.

Oxford, 21 märz 1893. A. Napiek.

Die sage von Hero und Leander in der diclilung von dr M.H.Jellinek. Beilin, Speyer & Peters, 1690, vi und 93 ss. 8". 3 m.

Beinhold Köhler war es nicht mehr vergönnt, seiner absiebt gemäjs diese schrill anzuzeigen, die sich seiner regen milhilfe noch erfreuen konnte. J. gibt uns eine eingehnde geschichle der motive dieser sage, wie sie von Ovid und Musaeus ausgehn, in die litlerarische iradition übernommen und da umgestaltet werden, die klaren und lehrreichen analysen werfen ihr licht auf die dichter selbst, den leidenschaftlichen Marlowe, den phantastischen Chapman, den grundgelehrten Barlb. uichl alle sind mit gleicher liebe behandelt: Barth zu ausführlich, HSachs zu spärlich, die bemerkungen zu dem gedichle des letzleren sind überdies durch CDrescher (Studien zu HSachs, neue folge s. 30 IT und anh. VII IT) überholt, der die quelle nachweist, mit recht erinnert J. bei Schiller an die gleichzeitige täligkeil als dramatischer dichter und verweist, wie schon Val. Schmidt (Balladen und romanzen s. 278) getan hat, auf ähnliche Situationen in der Braut von Messina. auch bei betrachlung des Grillparzersclien dramas werden die Übereinstimmungen mit Sappho und dem Gol- denen vliefs hervorgehoben, selbst bei Hood zieht J. zur er-

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36 JELLIiNEK SAGE V0> HERO UND LEANDER

kläruiig der einl'Uhrung eines neuen müli\> andere werke des- selben autors glilcklicli lierbei. um wie viel dankbarer wäre es gewesen, das Marlowe - Cbapmansche epos niclit ganz losgelöst von den diclitcrn und ibren werken zu bolraclilen; bei jenem könnte aucli aul" das leben, bei diesem zum mindesten aul die HomerUbersetzung verwiesen werden, die niilndlicbe Überliefe- rung wie die einwilrkung und durclikreuzung äbnlicber sagen hat J. aus seiner abbandlung ausgeschlossen, und mitunter (wie im mild, gedicble s. ü) kann er nur gezwungen von Ovid ein nioliv ableiten, das sich viel leichtei" aus heimischer sage erklärte, eine Zusammenstellung vorwauter sagen und erzählungen findet sich im anhang. die conjectur zum mhd. gedieht (anh. s. 83) und der nachweis der quelle des Schillerscben gechchles (der arlikel über H. und L. im 66 bd. der Encyclopädie von Krilnitz) werden Zustimmung linden.

J.s material ist leider nicht vollständig und mehrfach schon ergänzt worden', mir bleibt nur noch eine fünfte oder sechste nachlese. Val. Schmidt aao. s. 272 erwähnt eine anspielung Dantes.

aus der zweiten hallte des 14 jhs. stammt ein gedieht, das Tiraboschi Storia della letteratura italiana v 865 bespricht: *un poema in terza rima di un anonimo veneziauo . . inlitolato Leandreide ossia degli amori di Leandro e di Ero'. im klosler des h. Ambrosius zu Mailand, sagt er, befinde sich ein codex, in dem sich Boccaccio als autor zeichne, aus dem gedichte selbst aber gehe hervor, dass der autor ein Venezianer sei. s. 702 in der anm. fügt T. noch hinzu, dass der 8 gesang des 4 buches in provenzalischer spräche geschrieben sei, und darin 'introducitur Ernaldus de Provincia ad nominandum suos Provinciales Doctores'.

in der auf einer novelle des Boccaccio (Decam. iv 1) beruhen- den tragödie 'Tancred and Gismunda', die von 5 mitgliedern des Inner temple verfasst, 1568 vor Elisabeth gespielt und 1591 von einem der Verfasser, RWilmot, in druck gegeben wurde, findet sich in der 1 scene des 1 acles eine anspielung auf die ver- wante sage. Cupid rühmt sich seiner macht über götter und menschen:

Wlio forc'd Leander witli bis naked breast So many nifjliis to cut the frolliy waves, But Hero's love, llial lay inclos'd in Sesl? (Üodsley Collection of cid engl, plays ed. by Haziitt 1874. vii p. 29 und eine zweite stelle p. 74). es ist erwähnenswert, dass in Bürgers bearbeitung dieser erzählung: 'Lenardo und Blan- dine' der held zuerst Leander heifst (Strodlni. Br. von u. an B. i 296) und dass auch hier ein lämpchen den liebenden den weg weist, das freilich später zum Verräter wird. wenn das ver-

' DLZ 1891 nr 25 (Varnhagen). - Litbl. f. germ. u. loni. phil. 1891 nr 1 (CMüller). Engl. stud. 17, 124 ff (LFiänkel). Zs. f. vgl. big. n. f. 5, 125 f (WvBiedcrmann; anm. v. Kocli). Anz. xvi 334 f (ASauer).

JFLLI.NEK SAGE VO.N HERO L>D LEANDER 37

lorene slück von Lope de Vega nicht früher tallt, ist ein Uni- versily play 'Leander', 1598 zuerst in latein. spräche im King's College in Cambridge aufgeführt, die erste dramatische fassung dieser sage, ob der autor William Johnson war, ist zweifelhaft, ich teile nach Fleay A bio^r. chronicle of ihe engl, drania 1559 1642. II 362 II. 363 die hss. mit: 1) Bodleian MSS Rawl. misc. 341; 2) British mus. ms. Sloane 1762. 'Hero and Leander' a mock poeni wilh choices pieces of drollery. London 1651: 'Ihis hislory, in prose, is attached lo an edilion of Dorastiis and Fawnia 1735, by RGreene' (The bibliographer's man. of e. I. iv). JPCollier The history of engl. dram. poelry 1831, ii SOfanm., citiert einige verse, die aus Davenanl's maskenspiel: 'Britaunia triumphans' (1637) stammen und von dem anonymen autor der burleske: 'Hero and LeaiuliT 1653' gestohlen wurden, sie lauten:

Tills ilay (a day as fair as heart could wisli) This gianl slood on sliore of sea to fish. For angling rod he took a slunly oak, For llne a cable that in slorm ne'er broke: His liook was such as lieads ihe end of pole To pluck down house ere lire consumes it whole; His liook was b:iiled wilh a dragon's tail, And llien on rock he slood to beb for wliale. 'Hero and Leander, in burlesque' (by William W'ycherley), Lon- don 1669. 76 SS. ohne titel (Dict. of the anonym, and pseudon. lit. of Gr. Brilain by Halkell and Laing, Edinb. 1883, ii 1090). von deutschen dichtungen, die J. übersah, notiere ich ein epi- gramm von CGLenz 'Die fackel der Hero' im Güllinger musen- almanach 1790 s. 194. endlich verdanke ich dem hrn. geh. schulrat dr Pansch in Eutin die Höllysche romanze (vgl. VJL 3, 547) aus dem nachlasse von JHVoss, mit deren mitteilung ich diese nachtrage abschliefse: Schon ehinals sang der Leyermanii Er girrt ihr seine Liebe vor,

Miisaeus die Geschichte, Und klagt ihr seine Schmerzen.

Die ich euch jetzt, so gut ich kann Und sie? sie widmet ihm ihr Ohr,

Erzahle und berichte. Nebst einem Platz im Herzen.

Ein Jüngling, der Ltander liiefs, Nun fühlt der Jüngling sich, und

Kam einstens in ein Slädchen, brennt,

Das seinem Blick die Nero wies, Das Mädchen glüht nichl minder.

Das liebligste der Slädchen. Doch, ach, das iMeer der Helle trennt

Er machte emen Reverenz, ^ie liebetrunknen Kinder.

Der ihn zur Erde drückte, Er halle, leider, keinen Kahn,

Als er die Miss, im jungen Lenz, Drum scliwanini er durch die

Zum erstenmald erblickte. Flulhen,

Von nun an schwebt ihr Güllerbild, Was noch kein Aniadis gelhan,

Im labyrinlschen Tanze, Wenn W'ald und Fluren ruhten.

Um seinen Blick, das Haupt umhüllt Ein schattenvoller Myrlhenhayn

Mit einem Blumenkranze. Verhüllte ihre Küsse,

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JELLINEK SAGE VON IIERO L'.M) LEANDER

Liitl andre süfse Tändelcyn, In grüne Finsternisse.

Was sie sicii zärtliches gesagt,

Das wissen nur die Plätze, Wo sie manch Stündchen zuge- l)racht,

Am llüsternden Gescliwälze Des Bachs. Sie lülillen Cypris Sohn,

Indess die Gegend lauschte, Und ihrer Küsse Silherlon

Durcli grüne Dämmrung rauschte.

Kurz, sie heschlossen dieses Spiel,

Geschaffen zum Ergötzen, Das ihnen ziemlich wohl gefiel,

Hinführo fortzusetzen. Leander schwamm, die Schüiie safs

Am Ufer, voll Verlangen, Den Liehling, war er noch so nass.

Zu küssen, zu umfangen,

Sie wies ihm, mit erhohner Hand,

Ein Lichtlein in iler Ferne, Wenn Nacht sich um das Mondlicht wand. Und um den Glanz der Sterne. Er folgte dann dem Lichtstrahl nach

Berlin, 8 jan. 1893.

Doch Aeols Höhlen senden Einst Stürme, und die rissen, ach I Das Licht ihr aus den Händen,

Vergebens öffnet sie den Mund

Und schicket Siofsgehete Zur Königin von Amalhunt,

Und ruft die Morgenröthe. Madam Vulkaninn speil'ste just,

Am Tisch, wo Götter safsen, Und zeigte ehen keine Lust

Den Braten zu verlassen.

Das arme Kind ! Ihr Seufzen schallt

Umher, ein Thränenregen Fällt ihr vom Aug". Indessen wallt

Ein Leiclinahm ihr entgegen. Leander isls. Er schwimmt erblasst

Zum Ufer, hange Scene! Ein kaller Todesschauer fassl

Die Brust der jungen Schöne.

Denn nun entschleycrt Luna sich

Von Wolken, und entdecket Der Hero, ach, wie furcht ich mich!

Leandern, der gestrecket Am Ufer lag. Sie spricht kein Wort,

Und stürzt sich in die Wogen, Und ihre Seele flattert fort,

Dem schönen Leib entzogen.

B. HOENIG.

Ares Isländeibuch. herausgegeben von Wolfgang Golther. (Altnordische saga-bibliolhek herausgegeben von Gustaf Cederschiöld, Hugo Gering und Eugen Mogk i.) Halle a. S., MNiemeyer, 1892. xwni und 46 ss. gr. 8°. 1,60 m.

Diebeiden vuii Jon Erlendssuii a. 1G51 geschriebenen papier- liss. (cod. AM 113^ lol. und 113' iol.) sind buchstabengetreu Islend. süg. 1 362—383 (1843) publicierl. die 1869 erschieueue ausgäbe von TbMöbius wollte einen bandlicbeii tcxt im anschluss an die von Jon Sigurdsson stammende herstcllung Islend. sog. i 3 20 liefern. Jon halte unter berücksichtigung der sprach- lichen und orthographischen formen, die wir aus den ältesten uns noch erhaltenen isländischen membranen kennen (er ist dabei von cod. reg. 1812, cod. holm. 15, und Reykiaiiolts maldagi ausgegangen), an stelle der dem abscbreiber geläiiligen Schreibung gleichmäfsig die ältere durchzuführen sich bestrebt. Mobius verfuhr

GOLTHER ARES ISLÄKDERBUCH 39

noch consequenler, oline alle ciiizcliu'ii iiiconsequenzeu zu be- seilifien: er würde zb. in endsilben durchaus -e geschrieben haben, wenn das in den codd. weit überwiegende -i niclit zu einer regelnng der wähl zwischen -e und -i anlgeforderl halle, auch Finnur Jonsson suchte in seiner ausgäbe (Kbh. 1888) die Schreibart des Originals consequent wider/.ugeben. T. oll her schiielst sich an FJonsson an, wje sich Mübius an Jun SiguiJssou angeschlossen halte. G. beabsichtigt die Islendingabok in der lorm des allisländischen vor 1200 zu geben, behält das consonanten- system der hss. bei, gleicht die Schwankungen aus, bezeichnet im gegensatz zu Jonsson den ?-un)laut von o mit e und setzt in den endungen durchweg -e, -o ein. trotzdem lesen wir auch noch in G.s ausgäbe 22, \l hüpu, 18,(> Gautlandt , 22,, 25 Egell: 22, 7 Egils^ s. 4 1 Oläfr enn kyrri : Oldfr enn digre, Oleifr hialti : Oleifr enn hvite, und gar in der Einleitung und in der Zeillaiel s. 35t' ist das System vüllig preisgegeben, der /-umlaut von an wird mit fl</ Iransscribierl, und doch wird im Namenverzeichnis fast consequent ey geschrieben {aberlaysmgrs. n. Co/r s. 41). man möchte gern die sprachgeschichtlichen gründe kennen, die G. veranlasst haben, an ay (als umlaut von on) lestzuhalten und es nicht durch 9y zu ersetzen, gewis verdienten die überlieferten ay der alten membranen berücksichligung, aber es kann doch kein zweitel beslelin, dass ey, ey mafsgebend sind; \^\. ih. reykiahoUle: rav- kiahülte, rwkiuhoUe in Reykiaholts nialdagi: rekiahollt, reykiahoUe in cod. AM. 645, usw. G. schreibt saivapa 3, 3; ceve 3, 4; hava sova hever livanda usw., aber auch liafa, lässl auch in diesem punct an gleichmärsigkeil zu wünschen und setzt sich mit den ältesten aul'zeichnungen in Widerspruch (vgl. jetzt LLarsson Ord- l'örrädel i de älsla islänska handskrirterna, Luiul 1891). der Elucidarius (cod. AM. 674, 4*^) schreibt scriva i^ve hana hener (neben hafa hefer) soua lina (neben Ufa), man mag sich für -u- auf cod. AM. 237, fol. berufen, dessen lina soua Iiaua heuer usw. gegen eine majontät von -f- im Stockholmer Homilienbuch, cod. reg. 1812, Fhysiologus ua. nicht aufkommen (zu G.s pave ■papa' vgl. zb. Larsson s. v.). auch G. schreibt gerva 19, 8, yervar 18, 24, aber hnrfo 6, 12, hverfe 7, 9, hdlfa 5, 9 wie liofa yfer Isleife (6, 8. 4, 3) ua., obwol der Elucidarius huer- na (aber Reykiaholts maldagi hnerfa) zeigt. 8, 2 steht bei G. Pörölps, 6, 11 Ingölfs, 20, \0 Rnnölfs. Larsson belegt /'oro//>s MUS cod. reg. 1812, wie sich diese form auch bei G. s. 26 tindet; ich weifs nicht, warum er sie in den text gesetzt und au andern stellen doch -olfs beibehalten hat; er schreibt allerdings auch aptr : aftr cod. reg, 1812, scipt 9, 21, epler 10, 6, so aber auch iomn 10, 3, namn 11, 6 und mit derselben incouse- quenz nefnde 13, 18. durchweg wäre -f- zu schreiben gewesen, auch sonst sind einzelne unyleichniälsigkeilen slehn geblieben sonr 4, 11 u. ö. : son 15, 7; dttar tolo 3, 4: dtlartala 22, 1;

40 GOLTHER ARES ISLANDERBUCH

ämiple 5, 10: ä miph 8, 20. 9, 1; almannatale : alpypo Iah iiü. slOrciid sind die accenle auf Petrus (daneben gen. Pelars 17, 24?), Slephdnüs, 'Alexiüs; iindeuilicli isi 12, 22 mep. xii. {:= töJfta s. anni.), indem die dincii puncle lierv()if;eliül)enen Zahlzeichen sonst als carihnalia gebrauclil sind, ich würde auch eine oriho- graphie wie Cristz (slatl Crisz der idleren hss. oder Crisls), fretz, Teitz, kiotz, prestz vermeiden, namentlich wenn Cormen wie agcBztr, -lanz, gallzc, Harallz, Odz (= Odds) zujielassen (vgl. auch geilscor 6, 5) und anderseits auch mannz, allz, Hallz aulgenonimen sind, gegen die formen mit gedehntem l muss ich gleichfalls protesl erheben, die dehnung von /, n vor con- sonanz lässl die descriptive grammatik «tsI nach 1200 eingetreten sein, jedesfalls milsle auch land in lannd vercindert werden, wenn wir scylU, felld, helldr, millda, deilld, mcellt usw. dulden sollen (doch sieht auch alt 12, 7, fnltingsmenn 13, 8). warum byscop und nicht biscop geschrieben worden ist, sehe ich nicht ein, würde auch scyrt 5, 9 in scirt, half in half, Ingölfr in -olfr, Ulf- in Ulf-, nöraen in norrcen verbessern, fripr 14, 17 ist für /n/>7- verdruckt, vüeni 18, 17 für vüom; 4, 7 \. spa-, 12, 1 Sceg-, 14, 13 CO-, 14, 23 hvarer-\ für kannape 6, 6 wäre c- zu er- warten; mehr als druckfehler ist -firpcr (statt -firpscr) 7, 13. 8,2. 9,3. 11,4, das nicht in den text hätte gesetzt werden sollen (s. Larsson s. breipfirdscr). en pat vas .dccclxx. vetra epter hnrp Cristz 4, 1 2 ; .Ix. vetra epter drdp Eadmundar Comings, vetre epa tveim äpr ... 7, 10; .cxxx. vetra epter drdp Ead- mundar 15, 10 uö.: dagegen conslruiert G. 17, 10 vetre epter, 21, 12 .iV. vetrom sipar , 21, 15 .cxx. velrom epter faU Olafs, 21, 16 .dxvi. vetrom epter andiät und so auch .vi. nottom epter hötip. kurz die ausgäbe lässl an Sorgfalt zu wünschen übrig'. In dem prolog des cod. Wormianus zu den grammalischen traclaten (Sn. E. n 1 ff; ed. BiMOIsen s. 152 ff) heifst es: skal ydr syna hiiin fyrsta letrs hätt svä ritinn epter sextdn stafa stafröß i danskri tüngu, epter pvi sem pöroddr rünameistari ok Ari prestr hinn frödi hafa sett i möti latinnmanna stafröß, er meistari Pris- cianus hefer sett. in der einleilung, die G. iler ausgäbe voraus- geschickt hat, ist zu dieser Überlieferung s, xx allzu kurz Stellung genommen (vgl. Germ. 15, 298 ff. 30, 02 ff). Jon Sigurdsson

' s. vn iibcrtiimiiit Gelle noch a. 1026 eine tempelgenieinde. die äufserung s. ix über Alis geschiclitsweik steht mit der s. xiv im Widerspruch, was ist s. xxni § 22 mit den 'andern sugur' gemeint? der quijiling s. 13 (vgl. Sievers Altgerm. metrik s. 94 f) durfte herzhaft als vilcac gof) g'uyia grey pi/kkio/iik Freyia hergestellt werden ; in der note wäre auch zu sagen gewesen, dass malahatt vorliegt, zu Jtorgeslessonr 16, wäre auf Pauls Grundr. i 492, 2 zu ver- weisen gewesen ua. auch druckfehler sind noch da und dort stehn ge- blieben.

GOLTHER ARES ISLÄNDERBUCH 41

halle bekaunllich die ansieht aufgestellt, das vou Tliorodd runa- meistari und Ari hergestellte alphahet sei von diesem bei der niederschrift der Isleiuiingahok in anwendung gebracht worden, das alphahet sei im wesentlichen nach englischem muster angelegt gewesen, sei in dem uns erhaltenen schrifichen des Ari nicht zu erkennen, dieses siehe vielmehr in seiner orlhogra|)hie den anschauungen desjenigen nahe, der den ersten grammat. traclal verfasst habe(Sn. E. ii 6 f anm.). BiMOIsen hat (Hunerne i den oldislandske literatnr und später in der ausgäbe des 3 u. 4 grammat. traclats, Saml'und 12) nachdrücklich auf die englischen einOüsse in der frühzeit isliindischen schiilltums hingewiesen' und dabei vorzugsweise Ari genannt. G. rühmt ihn mit recht als den 'vater der isländischen litteratur', weil er zuerst sich daran gemacht habe, überhaupt bücher abzulassen (s. ix); wie er auf diese idee gekommen sei, erfahren wir nirgends, er bewundert Aris methodische darslellung, wie er eine Chronologie entwirft, wie er erkundigungen von den Zeitgenossen einzieht (s. xxi. xxn); auf welchem weg aber Ari dazu gelangt sein möchte, das jähr S70 nach künig Eadnuinds fall zu datieren, das hören wir nicht; zb, es Ivarr Bagnm^s sonr lopbrökar let drepa Eadmnnd enn helga EngJa coimng, en pat vas .dccdxx. velra epler burp Crislz, at pvi es rüet es i spgo kons 4,11; pat vas .Ix. velra epter drdp Eadmundar Comings 7, 10; pat vas .cxxx. vetra epter drdp Eadmundar 15, 10; .cd. {velrom) epter drdp Eadmundar Engla conungs en .dxvi. vetrom epter andldt Gregorius pdva pess es crislne com ä England 21, Hilf, zu 4, 13 gibt G. die dürftige note, mit der keinem benülzer der ausgäbe gedient ist: 'mit dieser 'saga' dh. geschichte des Eadmnnd ist gemeint die lat. Passio sancti Edmundi, welche Abbo Floriacensis um 980 schrieb; vgl. Maurer Alln. 531 532'. diese note stimmt wie mehrere andere in ihrer fassuug sehr nahe zu der, die Möbius in seiner ausgäbe s. 29 gegeben hat (vgl. G.s und Möbius anm. zu cap. 1 und 2; zu 4, 19; zu 7, 8; 10, 4; cap. 6, 7 ; 14, 14; 20, 5), aber Möbius hat wenig- stens s. 42 noch auf Lappenberg i 306 verwiesen. Müllenhoff hat Zs. 30, 227 gelegentlich bemerkt, dass die euhemeristisch- historisierende auffassung der göttersage vor Ari auf Island nicht nachweisbar sei , also vermutlich auf ihn als autor zurückgehn werde, dass hier derselbe englische einfluss vorliegt, bedarf keiner hervorhebung (vgl. Kemble The Saxons i 335; JGrimm Mythol. lu 377ff). vermutungsweise hatte schon JGrimm aao. s. 393 die Verbreitung der sächsischen genealogien nachScandinavien, speciell Island, vor das 13 jh. verlegt. Ari steht wie Saxo Granmiaticus auf den schultern der Engländer, und wie neuer- dings ein eminent wichtiger englischer culturstrom für das scan- dinavische missionszeitaller uns erschlossen worden ist, so wäre

' beachte namentlicli aucli, was Olsen anlässlicli der bezieliungeii zwisclieii Olaf {»oidarson und Aelfric l)emerkt (Samf. 12, xxxix. xi.iv).

42 GOLTHEB AKES ISLÄ>DEBBUCH

es eine der wiclitigsteu aufgaben eines moderneu herausgebers von Aris Libellus gewesen, in die Vorgeschichte desselben ein- zudringen.

Es liegt nahe, für Aris bestrebuugcn die anregung von der enghschen bagiographie ausgebn zu lassen, der Verfasser der neulich von FLiehermann iierausgegebenen Heiligen Englands (angelsächsisch und lateinisch, Hannover 1&89) teilt mit Ari das Interesse tUr die heimat und die heimatskunde, und das ist es ja gerade, was uns bei der ersllingstrucht isländischer wissen- scbal't überrascht, die genealogie bildet für beide den einschlag und die geographie und gründungsgtschichte den zeltel. die legende der kentischeu königsfamilien beginnt mit den auslän- dischen bischolen , welche die taufhandlungen vollzogen haben, un<l ähnliches vviderholt sich bei Ari. es wird keine schwierig- keilen machen, auch die Zeitrechnung Aris von England her- zuleiten (Germ. 15, 317). Taranger hat in seinem ausgezeich- neten buch: Den angelsaksiske kirkes indflydelse paa den norske (Kristiania 1890) die einführung der christlichen Zeitrechnung in Norwegen besprochen (s. 348 il)'. man wird die resullate dieser arbeit gründlicli ausnützen, die deutschen und keltischen «inwürkungen auf die isländische gestaltung des kirchenlebens (beachte bei Ari das kellische lehn wort bagall lür 'biscbofsstab') von den englischen absondern müssen (zb. bialla 'glocke' nach ags. bella); dann erst werden wir die frage nach der entstehung der isländischen schrifililteralur befriedigender beantworten können, als dies in der von G. der ausgäbe vorausgeschickten einleituog geschehen ist, die von Aris leben, Aris werken, Aris litterarischer bedeulung und den altern ausgaben der Islendiugabok im anschluss an KvMaurer und BilMOlsen handelt, s. 24 ff wird die textüber- lieferung besprochen, und als beilagen folgen der abschnitt über Ari aus dem prolog der Heimskringia, das vermutliche! fragmeot der altern Islendiugabok aus der Sturlunga, parallelen und er- gänzungen zu Islendingabok cap. ii aus der Melabok, Hauksbok, Eyrhyggja und Hiensajjoiissaga. s. 35 gibt G. eine Zeittafel, s. 37 eine liste der lögsOgumenn mit ihrer amlsdauer (bis 1138), den beschluss bildet das namenverzeichnis. sehr nützlich uud eine zierde der ausgäbe wäre es geworden, wenn G. die stellen, denen Ari von den spätem ciliert wird, möglichst vollständig gesammelt und der ausgäbe beigegeben hätte, was KvMaurer aniässlich der ausgäbe von Möbius gesagt hat, bleibt auch dieser editio secunda gegenüber in geltung: 'die zutaten des heraus- gebers verraten eine gewisse Unsicherheit der begrenzung' . . , 'dass zumal, wenn der herausgeber zu der beigäbe fortlaufender erläuternder anmcrkungen sich einmal nicht eniscbliefseu konnte,

' heaihte zb. Idaupär (schalljalir) bei Ari c. iv. G. hätte bemerken sollen, dass dies aus dem englischen sprachgebrauclt {hleap^eär) übernommen ist; so auch missert 'halbjahr' (= ags. missere)'!

GOLTHER ARES TSLÄNDERBUCH 43

besser aiuli die diirttigeren von ihm gebotenen weggelassen worden wären' (Germ. 15, 291). sie sind laut dem plan der Altnordischen sagabibliothek von den hsgg. gewünscht worden, man wird sich nicht verhehlt haben, dass zu der ausarbeiluny nützlicher anmerkiiiigen vielseitiges geschick erl'orderlich ist, das selten in einer krat'l sich vereinigt.

Die begriinduiig der Sagabibliothek erscheint sehr zeitgemals, wenn anders die liofTnungen nicht trügen, dass in weilen kreisen und im engeren l'achbetrieb das culturgeschichtliche interesse stark anwächst.

Halle a. S., n)ärz 1893. Friedrich Kauffmann.

Erasmus-studien. von Akthur Richter. Leipz. diss. Dresden, JPässlei, 1891 (Leipzig, GFock in comm.). (14 und xxiv s?. 8°. 2 m.

Die uotwendigkeit, die im 15 und 16jh. zu stilistischen zwecken gesammelten briete der grofsen humanisten zumal in chronologischer hinsieht kritisch zu bearbeiten, liegt für den gegenwärtigen wissen- schailsbetrieb eigentlich zu sehr auf der band, als dass der vf. der vorliegenden schritt sich erst, wie er es fast zu gewissenhaft tut, für die Erasmusphilologie auf die anregung von Horawiiz und andern forschem zu berufen brauchte, anzuerkennen ist der mut, ein buch übei' 'die Erasmischen briefsammlungen' zu verbeifseu, anzuerkennen ist auch der Heils, den H. auf den hier als specimen erudilionis verölfentlicbLen kleinen teil ties ganzen verwendet hat. die äufseren Vorgänge, die aus dem lebenslauf des Erasmus von seiner gehurt bis z. j. 1509 bekannt geworden sind, führt R. regesten förmig auf; seine hauptslülze sind die von ihm in diese zeit verlegten 190 nuuunern der Erasmischen correspondenz, unter denen sich auch fünf bisher kaum beachtete, von R. hier voll- ständig abgedruckte briete (vier au, einer von Erasmus) befinden. R. bat sorgsam gesammelt, sich eifrig in die zeillilleralur hinein- gelesen und endlich keinem einzigen document der Jugendjahre gegenüber sich verleiten lassen, die in den alten Sammlungen hinzugefügten Jahresangaben ungeprüft auf treu und glauben hin- nehmen; die niouatsangaben der drucke scheinen ihm dagegen offenbar über jeden zweifei erhaben zu sein, eine inconsequeuz in der skepsis, die mitunter bedenkliche folgen haben kann, aufser den chronologischen bemerkungen liefert er auch ein Verzeichnis der sachlichen abweichungeu, die die älteren drucke der zu gründe gelegten Leidener ausgäbe gegenüber aufweisen, eine systematische nachprülung der einzelheiten wird man bequemer vornelmieu, wenn das verheifsene buch vorliegt, das die zahlreichen bibliographischen audeulungen R.s gewis übersichtlicher zusammenstellen und vieles ausführen wird, was er jetzt noch zurückgehallen hat. einige Stichproben ergaben, dass R.s art zu arbeiten im ganzen wol zuverlässig genannt werden darf; ein paar bedenken, die zumal

44 RICHTER ERASMÜS-STUDIEN

auf die hie und da hervoiirelentle gar zu grofse zuversiclilliclikeit R.s in cliionologisclien ansetzungen gehn milslen, würden hier vorgetragen zu abgerissen erscheinen und dabei zu viel plalz bcan- spruclien. denn R.s oft pylhisch dunkele kürze des ansdrucks ersclieint uns nicht nachalimenswert.

Dagegen sei es gestattet, unter übergehung auch des kurzen schlussabschnitles über 'Erasmus sprachkenntnis', der nur den kaum von einem verständigen geteilten aberglauben von Erasmus völliger ignoranz auf dem gebiete der Volkssprachen beseitigen soll, auf den mittleren teil der schrift näher einzugehn, der auf 18 druckseiten die vielumstriltene frage nach dem geburtsjahr des Erasmus zu erledigen sucht, auch dabei ofTenbart sich R.s sammel- tleifs, aber zugleich zeigt sich eine recht papierne art der geschichts- schreibuug, und eine hier hervortretende freude an der ausführ- lichen beschreibung aller eigenen arbeils- und gedankenwege bildel einen seltsamen gegensatz zu dem oft zu knapp andeutenden ver- fahren, das wir in den regesten beobachten.

Zuerst stellt R. kurz zusammen, was ihm von aussagen der zeil- genossen des Erasmus über die frage bekannt geworden ist. im ganzen sind es 9 nrr; als ergebnis nimmt R. s. vn an: 'l) = 1468, 2) am wahrscheinlichsten 1466, höchstens 1465, 3) = am wahrschein- lichsten 1466, sonst 1465, 4) = 1465, 5) am wahrscheinlichsten 1466, 6)= 1464, 7) = 1466, 8) = 1466^, 9) = 1466. wir sehen: 1466 stellt sich bei den Zeitgenossen in überwiegender anzahl als das wahrscheinlichste geburtsjahr heraus', diese summe aber deckt sich nicht mit der rechnung. denn seine zwei seilen füllende auseinandersetzung über 1) (die anspielung des ürsiuus Velins) schneidet R. schliefslich selbst mit wenigen Zeilen scharf ab: Ursinus angäbe beruht auf einer berechnung, die sich auf eine Erasmische noliz gründet, und hat, da wir diese notiz selbst besitzen, gar keinen wert; und ganz ähnlich steht es mit den nrr 2) (rettungslos doppeldeutig, also nicht, wie es nachher heifst, 'am wahrscheinlichsten'), 3), 4), 5) und 7). es bleiben nur die nrr 6), 8) und 9): die beiden Zeugnisse des Paolo Giovio und des ThBeza, die keine persönlichen beziehungen zu Erasmus hatten, und die ganz bestimmte milteilung Amerbachs an Spalalin, Erasmus sei in seinem 72 jähre gestorben, dh. 1464 geboren, sonst sinil offenbar sogar die intimsten nicht unterrichtet, und der daraus zu ziehende schluss ist das einzige ergebnis dieses ersten teils der Untersuchung, erwähnung hätte neben den andern angaben immerhin eine stelle aus der 'Oratio funebris in obitum D. Erasmi Roterodami, Aulore Gulielmo Insulano Menapio Greuibroceusi, oratore luculenlissimo' (s. 1. 1536. 16") verdient, wo es fol. B 6^ heifst: '■Sepluaginta nanque annos compleuit adhibüa supputatiotie annornm, quam ipse facit in quadam epistola ad Jacobum Hornen- sem'. einen brief des Erasmus an Jacobus Horneusis (Löwen

' so ist statt R.s 1468 zu lesen.

RICHTER ERASMUS-STÜÜIE> 45

17. 4. 1519), wo dei" absender seiu aller angibt, kennt zwar auch R.: tr macht ilin später als nr 11 der eigenen angaben des Erasnuis uamhall; aber die stelle führt zweifellos auf 1466, und es bleibt uns daher nur die wähl, den trauerredner für einen schlechten rechner zu hallen oder einen andern brief an Jacobus Hornensis für verloren zu erklären, dessen worllaut auf 1465 führte, entscheiden wir uns für den zweiten fall, so wird dadurch R.s alsbald zu besprechende zweite liste um eine uummer ver- mehrt, ganz merkwürdig ist eine R. ebenfalls unbekannt ge- bliebene 'Oratio de Erasmo Rolerodamo recitata a iM. Bartolomaeo Calkreuler Crossensi, cum decerneretur gradus magisterii philoso- phici aliquot houestis et doctis uiris' (Wittenberg 1557. 16°); hier finden wir fol. A4* eine angäbe, die ihresgleichen an bestimmt- heil und geuauigkeil überhaupt nicht hat: ^Natus est autem anno millesimo quadringentesimo sexagesimo septimo, die vicesimo octavo oclobris, hora qxiarta ante solis orlum. was ist Calkreuters quelle? hervorzuheben ist jedesfalls, dass diese rede dem kreise der von Melanchlhon angeregten Wiiienberger declamationen angehört, dass Melanchlhon zur zeit der Verlesung noch lebte und dass es sich also chronologisch nicht verbietet, auch diese angäbe auf mit- leilungen zurückzuführen, die Erasmus seinen Zeitgenossen gemacht hat. aufzunehmen ist endlich auch die ansetzung des Baselers JHerolt, dessen bestimmte mitteiluug, Erasmus sei 1467 geboren, R. nicht hätte unter den strich fallen lassen sollen : die be- zeichnung 'iam septiiagenarius', die Herolt verwendet, enthält keinen Widerspruch, da sie ofTenbar nur mit den übrigen angaben über Erasmus tod vom epitaph abgeschrieben ist. auch hier liegt vielleicht eine unmittelbare mitleilung des Erasmus zu gründe.

Aber halle Erasmus denn solche mitteilungen zu machen? R. reihl Erasmus eigene angaben auf, 29 an der zahl, von ihnen schliefst er selbst einige als zu unbestimmt gehalten von der Verwertung aus; aber man muss in einer derartigen krilik ent- schieden noch weiter gehn als R. und alle die stellen unberück- sichtigt lassen, die ein vielfaches von zehn als die zahl der lebens- jahre bezeichnen: in keinem dieser fälle ist man sicher, dass es sich nicht um die bedeulung handelt: 'ich bin ein vierziger, fünfziger, sechziger', es bleiben dann nur die nummern ii 2. 3. 4. 5. 9. 11. 12. 13. 20. aber auch von diesei- liste sind noch zwei stücke zu entfernen: ii 12, das R. für besonders wichtig hält, und II 13, das zunächst gegen oder ohne R.s beistimmung besonders wertvoll erscheinen könnte, ii 12 stammt aus dem er- wähnten brief an JacobusHornensis, wo esheifsl: 'Daventiiam reliqtii qualuordecim natns annos' und kurz vorher '. . . quod exislimas me tibi Daventriae conspeclum vel hoc argumento facile deprehendes te vana hidi mentis imaginatione , quod cum ego Daveutria disce- derem, nondmn ßuvius, qni vrbem praeterfluit, ponte innctus erat'. \\. hält diese stelle und seine durch die ermitllunc der zeit des

46 RICHTER ERASMÜS-STÜDIEM

brilckenbaus usw. versuchte berechnung, dass danach 1466 das fjeburtsjahr sei, für besonders beachtenswert, weil hier 'eine ganz bestinin)te individuelle erinnerung' vorliege, allerdings eine erinne- rung: aber doch nur an den anblick des unüberbrücklen flusses und ähnliche vvahrnehmungsbilder, ganz gewis nicht an das lactum, dass er damals gerade 14 jähre alt gewesen, mindestens nicht von so genauer art, dass ^quatuordedm 7iatns amios' nicht auch zb. 13'/2 jähre bedeuten könnte, die Zahlenangabe dürfen wir also keineswegs derart verwerten, dass wir daraus den schluss ziehen: 1480 wüste Erasmus, dass er 1466 geboren sei; die ganze stelle kommt vielmehr nur für die berechnung des eintritts in die schule von Herzogenbusch in betracht, und den hat R. s. 9 auf grund unserer stelle gewis mit recht in die zeit um den 1 jan. 1481 verlegt, dagegen scheint ii 13, eine briefstelle, die R. nur ver- wertet, um zu folgern, 1519 habe Erasmus 1466 als sein geburts- jahr genannt, zunächst viel wichtiger werden zu können, und zwar gerade durch das auftreten einer erinnerung an eine frühere altersbestimmung. in dem berühmten grofsen brief an Justus Jonas ^ erzählt er, wie er in Oxford (also um 1499) seinen freund Jan Colet kennen gelernt habe: 'natus tum erat annos ferme trigtnta, me minor duohus mit tribus mensibus'. die erste angäbe des Satzes ist ganz uuverwertbar, die zweite dagegen zunächst um so wichtiger; hier liegt unbedingt die ganz bestimmte erinnerung des Erasmus vor: 'wir haben damals festgestellt, dass ich zwei bis drei monate älter war als mein freund', man braucht also nur noch das geburlsdalum Colels zu wissen , um festzustellen, welches jähr Erasmus nicht erst 1519, sondern schon 1499 für sein geburtsjahr gehallen habe. R. weifs uns das zu nennen: 'Colet war 1466 in London geboren (s. Knight Leben Colets p. 24)'. leider aber zeigt ein blick in Knights buch, dass sein verf. zu der angäbe nur aufgrund eben der citierten stelle des Erasmischen briefes gekommen ist, indem er 1466 für das geburtsjahr des Erasmus hielt, da wir nun auch seit Knights forscbuugen nicht weiter gelangt sind und da alle späteren angaben auf ihn zurück- gehn, so ist die ganze stelle u 13 für unsere zwecke unfruchtbar. die ergebnisse der noch übrig bleibenden numniern sind folgende:

rasnius

hielt

im jähre

für

sein geburtsjahr

n 2

. 1516 .

. 1467

11 4

1516 .

. 1467

11 3

. 1517 .

. 1466

11 5

. 1517 .

. 1466

II 9

. 1518 .

. 1466

Uli

. 1519 .

. 1466

1120

. 1528 .

. 1464.

' R. setzt ihn ohne weiteres mit der Leidener ausgäbe ins j. 1519, während er den) ersten drucke nach ins jähr 1521 (vgl. GKawerau in den Geschichtsquellen d. provinz Sachsen 17, 62), wahrscheinlicher aber mit Knighl- Arnold Das leben JColets s. 243 ins j. 1520 zu verlegen ist.

RICHTER ERASMÜS-STUDIE> 47

Wenn wir zu dieser tabelle stellen wie ii 3 nrid ii 14 nehmen, wo es einmal (1517) neben einer jaln'esan<;al»e lieiCsl '•nisi . . me fallit stippiitatio' und das andere mal (1519?) 'annum qninqnage- simum secundnm aul ad sunwium tertium ago\ so ergibt sich das eine niil beslin)mlheil: wenigstens seil 1516 war Erasnius selbst nicht mit sich über sein aller im klaren und schwankte nun gerade so, wie wir es heutzutage bei älteren leuten beobachten können, zwischen verschiedenen berechnungeu. auch von 1466 kam er wider zurück, denn zu ii 20, wo er auf 1464 rät, ist I 6, die angäbe des JAmerbacb zu stellen, und auch 1467 taucht in den oben beigebrachlen posthumen Zeugnissen wider auf. als ergebnis der ganzen Untersuchung bleibt statt der Sicherheit, mit der sich R. für 1466 entscheidet, nur die erkenntnis, dass wir mit hilfe des vorhandenen malerials das geburtsjahr des Erasnuis nicht bestimmen können.

Berlin, mai 1893. Max Herrmanin.

Der Laufener Don Juan, ein beitrag zur geschielile des volksschauspiels. herausgegeben von Richard !\1aria Werner. (Tlieatergeschichtliche forschungen. hsg. von Berthold Litzmann, ni.) Hamburg und Leipzig, Leopold Voss, 1891. vni und 152 ss. 3 m.

Vor mehreren jähren führte RMWerner selbst an dieser stelle klage darüber, dass die DonJuansage noch nicht der gegenständ einer eigenen Untersuchung geworden sei, wie etwa der Faust, und er würde die klage kaum unterdrückt haben, wenn er das eben damals zur hundertjahrsfeier der ersten anfführuug von Mozarts Don Juan erschienene buch von KEngel bereits gekannt hätte, das wie seine andern schrillen nur eine copiose, aber un- krilische compilation gibt: so beginnt W. tatsächlich in seiner arbeit, mit der er, auch zu einem Mozartjubiläum, dem hundert- jährigen todestage, Salzburg beschenkte, die auseinandersetzungen über den Don Juan mit einem blicke berechtigten ueides auf die Faustforschung, indem W. mit seiner widmung der Stadt Salz- burg zurückerstattete, was er ihr verdankte, ein interessantes acten- malerial und die bedeutende handschrift des volksschauspiels, gab er ihr zugleich eine festschrift, die in der Iheatergeschichtlichen forschung einen dauernden platz beanspruchen darf: sie ist eine muxieruntersuchung für das gebiet des volksschauspiels, auf dem sich gerade neuerdings wider der dilettantismus mit seinen funden breit niachi.

VV.s einleitung zerlallt in zwei grofse teile, die darstellung des Iheaters, von dem das drama stammt, und die geschichte des drainas, zurückleitend aul seine quellen in der weltlitteratur. unter entschlossenem verzieht auf alles schmierengeklätsch , mii dem sich jüngst ein lange verkündeter messias der puppeuspiel- forschung einführte (vgl. meine recension im Arch. f. n. spr.

48 WERNEK DER I.AUFK.NER DO.N JUA>

88, 87 f), baut W. den ersten teil durchaus aut urkundliches material. von dem seltsamen schiffervülkchen , das mit wunder- lich altgeheiligten gebrauchen sommers das salz der heimalberge die llüsse hinab brachte und winters das, auch nicht gerade altische, salz ihrer comüdien ins land trug, gibt W. wenngleich keine theatergeschichle, so doch eine darstellung ihres theaters in einer seiner wichtigsten epochen und gerade derjenigen, aus der die voiliegende Fassung des Don Juan herrührt, reformver- suche des schauspielwesens seitens der regieruog des erzstifts Salzburg zu ausgang des vorigen Jahrhunderts rieten zwar nur wenige praktische änderungen, aber ein interessantes actenmaterial iusi)esondere der localbehürden hervor, woraus der theaterhistoriker für die geschichte der fahrenden bühnen und der puppentheater, für den geschmack des publicums und für die grundsätze der censur im Zeitalter der despotischen humauität mancherlei holen kann, woraus aber vor allem die Stellung und der character der Volksschauspielgruppe von Laufen scharf hervortritt, gleichzeitige notizen über land und leute, spräche und witz von Laufen und über seine patriarchalischen bühncnleitungen rahmen die urkundlichen mitteilungeu ein, die über verschiedentliche fragmentarische ver- ülTentlichuugen stets unmittelbar auf die originale zurückgehu. mit einem hinweis auf den noch zu ende unsers Jahrhunderts durch den Laufener hanswurst bewahrten character des 17 jhs. geht W. dazu über, ua. an einem Nepomukdrama durch vergleich mit einem sicher alten stück desselben Inhalts festzustellen, dass das Laufener repertoir bis ins 17 jh. zurückreicht, hieran knüpft er eine übersieht des gesamten repertoirs, soweit er es aus nach- richten zweiter band nicht nur, sondern vor allem aus den be- ständen von Salzburg, aus seiner eigenen Sammlung und endlich aus den ebenfalls von ihm erworbenen rechnungsbücheru der gesellschaft Standl reconstruieren konnte: dank den reichlich beigegebenen commentationen lässt sich leicht übersehen , dass neben wenigen alten werken viele stücke des 18 jhs., vor allem Kotzebue, und auch viele stücke unsers Jahrhunderts auftreten, das repertoir der Laufeuer erklärt W. mit recht aus dem censurvor- gehn der regierung: allmählich musten auch sie sich zu den genehmigten stücken der 'patentierten' truppen bequemen und zu dem censurgeschmack, von dem W. eine Vorstellung durch den abdruck des gutachtens eines Salzburger Schulmeisters gewährt. zum Schlüsse dieses leiles gibt W. einen prolog und einen ab- schiedsdank, in denen die Laufener freuherzig von ihrer doppelten beschäftigung sprechen.

Nach kritischer feststellung älterer deutscher aufführungen durch Veiten und Prehauser und einem raschen überblick über die entwicklung des Stoffes seit Tirso de Molina wie endlich einer genauen beschreibung des manuscriptes unsers dramas das selbst 1811 niedergeschrieben, wol auf eine vorläge aus der zeit

WERKER DER LADFEKER DON JÜAN 49

der neuen censurbestimmungen, also etwa 1798, zurilckf;eht setzt die kritische iintersucluinf? der quellen des Laulener Don Juan ein: Tirso de Molinas drania von 1630 (T), die Conimedia dell ' arte von 1657 (C), Dorimoud (D) und Villiers (V) als Vertreter des verschollenen dramas Gilihertis (G) von 1652, die hallette von Gluck und Schröder und zuletzt den text da Pontes (P) hat VV. in knappen, manchmal zu knappen umrissen skizziert, um alsdann das Laulener volksschauspiel (L) und die Puppenspiele das Augsburger (A), die beiden Engelsclien (E, E^), das niederöster- reichische (N), das Strafsburger (St), das Ulmer (U) und das Wiener (W) mit diesen Vorgängern und unter einander zu vergleichen, das ergebnis seiner um- und vorsichtigen Unter- suchungen fasst VV. dahin zusammen, dass der Laulener text ein getreuerer Vertreter der haupt- und staatsaction vom Don Juan ist als die Puppenspiele, dass aber die hauptunterschiede zwischen L und einem teile der Puppenspiele nur durch die annähme von zwei verschiedenen alten stücken zu erklären sind, von denen sich das eine mehr an Tirso und die Commedia dell' arte, das andere mehr an Giliberli anlehnte; hauptsächlich vertrete E diese zweite fassung, aber in einer sehr viel jüngeren, auch sprachlich modernisierten, gestalt als L die erste lassung. von den anderen fassungen hielte sich A mehr zu L, St mehr zu E; N und W, wol auch E^ stünden in der mitte, U dagegen zeigte kaum noch eine spur vom eigentlichen Don Juan-drama. der kritiker wird gerade in so schwierigen filiationstragen sich hüten müssen, zweifelhafte Vermutungen um eben solche zu vermehren oder gar mit falscher sicherheil zu übertrumpfen, zumal wenn nicht nur eine menge von mitlelgliedern , wie hier sicherlich viele deutsche fassungen, sondern vor allem ein hauptglied selbst, Giliberti, fehlt; er wird aber nie darauf verzichten dürfen, in den sich bietenden lücken den kritischen hebel einzusetzen, mag dadurch auch eine schein- bare Sicherheit, die er selbst nicht ersetzen kann, zerstört werden. Zwei einwände sind gegen W.s schlussurteil zu erheben: in dem einen fall handelt es sich um die Wertung von E gegen St, im zweiten um die Stellung von L zu den Puppenspielen, bei der Schätzung von E scheint W. zu gunsten von Engels urteil auf eine principielle prüfuug verzichtet zu haben: aber Engel ist auch hier nur ein zwar höchst willkommener, aber unkritischer dilettant, der sein eigenes gut blind überschätzt, und VV, selbst tindet in seineu kritischen bemerkungen eine reihe von unter- schieden zwischen E und St, die ihn auf den vorzug von St vor E hätten führen können, bei einer durchgeführten collation der beiden Puppenspiele ergibt sich, dass E und St durchgehends, oft seitenlange, wörtliche Übereinstimmungen zeigen und ab- gesehen von den, auch durch VV. aufgewiesenen, später eingelegten lazzi sich hauptsächlich durch Verschiebungen der scenen- folge unterscheiden, da sie mitbiu im engsten verwantschaftlichen A. F. D. A. XX. 4

50 WERNER HER LAUFENER DON JUAN

Verhältnis stelin müssen, so ist die trage, wer von beiden die gröfsere familienahnlichkeit besitzt, leicht durch eine gegenüber- stellung ihres ahnen zu entscheiden, den W. mit recht in dem verschollenen Giliherti oder dessen repraesentanten D und V sucht, beide enthalten im ersten teil eine scene zwischen Don Juan, seiuem bedienten und Don Alvaros: in E ist Don Alvaros der vetter Don Juans, in St der vater, in E folgt die scene aut Don Juans nächt- lichen besuch bei Donna Amarillis, in St geht sie ihm voraus; nicht nur in den erwähnten und andern einzelheiten, vor allem in der scenenl'olge stimmt G, worauf als quelle VV. selbst hinwies, zu St gegen E. im zweiten teil des Stückes tritt in St Don Philipp, der bräutigam der Donna Amarillis, auf und wird von Don Juan, der ihn als eiusiedler vermummt teuscht, alsbald erstochen ; nachher kommt eine Schäferin und eine prinzessin, die Don Juan über- fällt, in E kommt erst eine Schäferin, dann Donna Amarillis selbst, auf das geschrei der überfalleneu mädchen eilt Don Philipp herbei, der zwar Don Juan trotz seiner Verkleidung erkennt, aber durch seine geheuchelte bufsfertigkeit geteuscht und dann er- stochen wird: in V hier weicht D völlig ab, so bleibt zb. Don Philipp am leben geschieht auch zuerst die ermordung und zwar genau unter den umständen von St, später erst ver- führt Don Juan eine schäferin, während ihre Schwester entflieht, natürlich hat auch St mancherlei geändert, so zb. im Schlüsse sich dem Faustspiel genähert: vgl. meine bemerkungen Anz. xvin 126, mit denen W. in seiner gleichzeitig entstandenen arbeit s. 148 zusammentriilt. bei der textlichen gleichwertigkeit der beiden stücke beweisen diese zwei beispiele von scenischer Übereinstim- mung zwischen St und G entschieden die Überlegenheit von St über E, soweit eine absolute wertung überhaupt möglich ist.

Diese Schätzung von St als echterem repraesentanten seiner galtung ist auch wichtig für die Stellung von L gegenüber den den Puppenspielen, zunächst freilich kommt es darauf an, L und St in ihrem Verhältnis zu den ausländischen quellen zu unter- suchen, stellen wir kurz zusammen, was W. für die abge- schlossene Zusammengehörigkeit von L und A und den einfluss von T und 0 anführt: erstens die audienzscene, zweitens die brief- scene, drittens das fehlen der Alvarossceneu. für die audienzscene hat W. selbst die möglichkeit anderer quellen aufser T und C zugegeben, für die briefscene ist besser auf C als auf T zu ver- weisen, weil die umstände der Überreichung, was aus W.s aus- zügen allerdings nicht zu ersehen ist, dort viel genauer stimmen ; hier mag auch, ohne weitere Schlussfolgerung, erwähnt werden, dass G ebenso wie L, St, E, E", während das ganze stück in prosa gehalten ist, zum schluss den der hölle verfallenen Don Juan seine emphudungen in versen ausdrücken lässt (vgl. Castil- Blaze, Moli^re Musicien i 2(J0f). das fehlen der Alvarossceneu, von vornherein als negatives ein sehr precäres scheidemittel gegen

WERNER DER LAÜFENEB DON JUAN 51

die übrigen stücke, stellt sich als falsches krilerium heraus durch einen späteren fuud VV.s, den er selbst zur Untersuchung nicht mehr ausnützen konnte: der s. 150f abgedruckte nachtrag bringt einen monolog des hanswursts, worin vor der ermordung Don Alfonsos der von Don Juan am eigenen vater verübte niord er- wähnt wird, dies weist nicht nur auf die in T und C nicht ent- haltenen Alvarossceuen, sondern sogar auf eiue l'assung derselben, wie sie sonst nur die jüngeren spiele N, W und U, abweichend von ihrer quelle Giliberti, i)ieten. man ist zu der annähme be- rechtigt, dass hier jene regierungscensur, die von den stücken an erster stelle 'moralität überhaupt oder einzelne socielle tugenden insbesondere zb. eiternliebe, kindesliebe' verlangt (vgl. s. 62t'), zerstörend eingegriffen hat. so bleibt für einen principiellen unterschied vou L und A und für den einfluss von C oder gar von T nur wenig übrig, unzweifelhaften und unmittelbaren ein- fluss von G auf L dagegen hat W. selbst für die einsiedlersceuen und die ermordung Don Philipps festgestellt, nicht besprochen hat er jedoch die stadtwachescene von L und daher nicht hervorgehoben, dass hier L eiue scene mit G bewahrt hat, die St und E, die doch zu G gehören, nicht besitzen: deutlicher als W.s auszug zeigt der lext selbst, dass V bereits hanswurst sich als polizei- obersten vor der wache gebärden lässt. in V, also in G wahr- scheinlich, hätte W. auch die sonst vermisste entsprechung zu den Worten des sterbenden Don Pietro (L 30Sff) finden können. L zeigt also einen so starken einfluss von G, dass die einwürkung von T und C sich nicht damit vergleichen lässt. ich möchte nach allem auf das urleil zurückgreifen, das W. selbst im an- schluss an seine darstellung von G ausgesprochen hat: im wesent- lichen erscheint L identisch mit G, es fehlt nur im ersten act die scene zwischen Don Juan und Don Alvaros (doch s. o.), der ganze vierte act (der oben besprochene übertäll der mädchen mag auch der censur zum opfer gefallen sein) und einige Zwi- schenhandlung des letzten actes (auch die Puppenspiele haben sie nicht); die exposition ist anders, die abweichung der exposition bleibt also der einzige grundunterschied, und er muss wol aus Überarbeitung des ursprünglichen Stückes nach C erklärt werden, die annähme einer doppelten urgestalt für die gruppen L und St, die hiernach nicht notwendig erscheint, hätte W. auch ohnehin noch besonders begründen müssen gegenüber der tatsache, dass die stücke beider gruppen schlagende Übereinstimmungen in den komischen sceneu zeigen, die er in den trefflichen concordanzen der annierkungen am Schlüsse behandelt, von der Untersuchung aber leider ausgeschlossen hat, aufser L, St, E und dem vou W. richtig untergebrachten A besitzen wir nur noch eine voll- ständige fassung: >". an diesem erst neuerdings aufgezeichneten, L landschaftlich am nächsten stehuden stück haben wir vielleicht eine dritte form der einen ursprünglichen fassung. W. hat N,

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52 WERNER np.R I.AUFE.NER DOy JUAN

ohne sich deutlicher auszusprechen, in die mitte zwischen beide fjiruppeu gestellt, wenn man nicht, dank W.s anfangs erwähnter besprechung (Anz, xiii 5411), bereits wüste, dass in den arg zer- spiellen stücken der Kralikschen Sammlung viel echtes altes gut steckt, so würde man durch die in L und iN fast identische gereimte slichomythie zwischen Don Juan und dem geist auf die Vermutung geführt werden, dass wir in dieser niederüsterreichischen fassung, die abgesehen von der exposition, die auf St und E hinweist, meist mit L stimmt, eine allerdings durch und durch zersetzte ableitung jener fassung haben, aus der auch L und St stammen.

Sowol durch diese betrachtung wie durch die oben begründete erhebung von St über E, die einen vergleich dieser gruppe mit L weit günstiger gestaltet, als er bei W. erscheint, sinkt L in seiner Stellung; aber auch wenn seine unbedingte superiorität über St nicht zu erweisen ist, bleibt es die älteste niederschrift des Volksschauspieles vom Don Juan, und W.s verdienst bleibt es, endlich die grundlage für seine erforschung gegeben zu haben, die kröne seiner arbeit ist natürlich die Veröffentlichung der dichtung selber, die, mit aller akribie hergestellt, in den fufsnoten neben conjecturen die uns Norddeutschen schwer entbehrlichen sprachlichen erläuterungen bringt, zum Schlüsse sei dem wünsche ausdruck gegeben, dass W. seine verheifsene fortsetzung solcher publicationen bald ausführen und es also in einer leichten Varia- tion des prologs, mit dem er diesmal von der einleitung zum drama übergieng, bald heifsen möge:

der Vorhang rolle auf, es soll das zweite spiel beginnen. Berlin, im märz 1893. Szamatölski.

Geschichte der gelehrtlieit von CM. Wieland seinen Schülern dictiert. heraus- gegeben von Ludwig Hirzel. [Bibliotheic älterer Schriftwerke der deutschen Schweiz, hsg. von JBächtold und FVetter. ii serie, 3 heft.] Frauenfeld, JHuber, 1891. xii und 81 ss. 8". 2 m.

Auf Wielands paedagogische tätigkeit hat Lllirzel durch den neudruck des ältesten lehrplanes im Arch. f. littgesch. 11, 377 ff die aufmerksamkeit wider gelenkt. Funcks verölTentlichungen in seinen Beiträgen zur Wieland-biograpliie 1882 zeigten, dass W.s paedagogische tlieorie über die privatkreise der Schweiz hinaus an- sehen genoss (vgl. Funck in der Festschrift der badischen gyninasien, gewidmet der Universität Heidelberg zur feier ihres 500 jährigen Jubiläums. Karlsruhe 1886. s. 121. 132). im anschluss an beide habe ich im Arch. f. littgesch. 12,59511" mich über W.s lehrab- sichten und den äufseren verlauf seiner Schweizer würksamkeit aus- gesprochen, dann VJL 2,57911' die rede veröffentlicht, die er seinen Züricher schülern zum abschiede gehalten hat. immerhin

eiRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON WIELAND 53

sind wir trotz der kenntnis seines lehrplanes und dieser rede über seine wiirkliclie leislung als lehrer noch schleclit nnterrichtet.

Man müste die ansichlen des zwanzigjährigen Studenten denn schon 1753 entwarf er den 1756 im nianuscript fertig ge- stellten und darnach ohne wesentliche änderungen 1758 gedruckten akademieplan zunächst an denen der Schweizer paedagogen messen, um zu erfahren, ob etwas eigenes sich darunter findet, ich denke besonders an JGSulzer, dessen anfänglicher lebenslauf (er war auch privatlehrer, vgl. Hirzel an Gleim über Sulzer den weltweisen i 51 11) W. wol überhaupt als ideal vorschwebte, für die äufsere einrichtung der akademie wäre eine genauere kenntnis des studienplanes in Kloslerbergen erwünscht, als die bisher ge- fundenen acten (vgl. HHolstein, Neue Jahrbücher f. phil. u. paed, bd. 132 s. 59711"; bd. 134 s. 167 11") uns gewähren, es wäre ver- dienstlich, wenn ein historiker der paedagogik sich einmal dieser Sache annähme, ohne sich von Lessings, zum teil ungerechter, kritik irre machen zu lassen, von der älteren zeit müsten die fäden bis zur erziehung der weimarischen prinzen fortgesponnen werden, denn wenn auch W.s gesichlskreis sich inzwischen be- deutend erweiterte, seine philosophie sich unter dem einflusse Zinunermanns und des VVarthäuser kreises veränderte, was gewis nicht ohne wurkung auf seine paedagogischen absiebten blieb, so steht doch sicher die jüngere lehrtätigkeit in Zusammenhang mit den älteren erfahrungen. dazwischen liegt die gleichfalls zu beachtende kathedrale und private würksamkeit an der Universität Erfurt, über die wir durch Boxberger auch nicht genügend aufgeklärt sind (Jahrbb. der Erfurter akad. 1870, n. f. h. 6., s. 88 ff); noch jähre nach seinem abgange von Erfurt soll W. auf Dalbergs geheifs einen grofseu bericht zur Sanierung jener Universität verfasst haben, dessen authenticität mir nicht dem inhalte, aber der überlieferungs- form der hs. nach bedenklich ist*.

Je weniger durchsichtig bisher diese für W.s person und auch für W.s dichtung denn er wollte fast immer ein lehrender poet sein wichtige seile seines wissens und trcibens ist, desto willkommener sind verötlenllichungen wie die vorliegende und die dabei vom hsg. weiter verheifsene. Hirzel hat die nachschriflen, welche W.s Züricher schüler Olt nach W.s dictat von der 'Ge- schichte der gelehriheit' und von der 'Grundlegung der christ- lichen religion' anfertigten, in bänden und die erstere aus d. j. 1757 stammende als Vorläufer der zweiten, ein jähr jüngeren nun dem drucke übergeben, es ist keine frage, dass dies jene hefte sind, die Konrad Ott schon 1795 publiciereu wollte, was W. ver- driefslich verhinderte (Arch. f. litlgesch. 12, 603). H. vermutet mit grund, dass es wol kein zufall sei, wenn gerade diese teile des Unterrichtes und keine andern dictale sich erhalten haben

' eine copie des nicht eigenhändigen umfangreichen nianuscriptes be- sitze ich; bei anderer gelegenheit soll das Schriftstück erleulert werden.

54 HIRZEL GESCHICHTE DER (lELEIIRTHEfT V0> WIEI.AM)

wtMiigsleiis wurden hislier keine andern gefunden ; es mögen W\ hierliir die vorliandenen lehrbüclier nicht genügt haben.

In dem ältesten W. sehen plane fiJr privatunterweisung (vom I2t'ebr. 1754) ist die geschichte der gelelirtlieit nicht als teil des Unterrichtes erwähnt; nur philosophische geschichte und zwar mehr Philosophie als geschichte wird hier verheÜsen. der akademieplan von 1758 l'ilhrt s. 34 ^Ih'storie der Gelehrten' als lehrgegenstand auf. ebenda heilst es: 'da wir, ungeachlel der grofsen Menge von Compendüs , doch wenig sehr gute und in ihrer Art vollkommne Compendia der historischen und philosophischen Wissenschaften haben ; so sollen die Lehrer gehalten seijn , selbst dergleichen auf- zusezen . . . diese Compendia sollen alsdenn gedrukt, und unter dem Namen der Academie herausgegeben xoerden' .

So hielt sich denn auch W. veranlasst, sich für einzelne disciplineu selbst hefte anzulegen, compendien der naturlehre und der mathematik erfragt er von Zininiermaun (Ausgew. briefe r226. 228); für die gelehrtengeschichte uud die religiouslehre schien ihm offenbar keines 'in seiner art vollkommen', es versteht sich von selbst, dass seine ausarbeitungen nicht völlig original sein können, beide themata sind nicht zu einer durchaus ursprüng- lichen behandlung im Unterricht von mittelschülern geeignet, und in W.s damaligem leben ist kein räum für so umfassende Studien, als zu einer selbständigen beherschung dieser Stoffe notwendig wäre, ihm lag gevvis mehr die paedagogische Zurichtung als die wissenschaftliche erforschung im sinne, er wollte die Vorschrift seines akademieplaues, auf dessen richtuug auch H.s einleitung hinweist, erfüllen : '■Jede Wissenschaft, sonderlich die historischen wid moralischen, sollen so praktisch als möglich gelehrt werden', er hatte nun eine nahezu dreijährige unterrichtseriahrung, uud nicht nur der sechste abschnitt seiner Geschichte der gelehrtheil: 'Vo7'- schlag, wie eine Bücher Sammlung von den auserlesensten zu errichten sey' ist praktisch, auch manche allgemeine ausführung im texte selbst verdient diese bezeichnung.

H. hat 'es grundsätzlich unterlassen, dem texte irgendwelche anmerkungeu beizufügen' (s. 81). auch über W.s Vorstudien sagt die einleitung (s. xii) nur die knappen Sätze: 'so sehr auch

VV von dem abhängig gewesen ist, was die litteratur seiner

zeit ihm bot, die spuren seines eigenen geistes sind .... wol zu erkennen', ich bedaure, dass H. bei seiner so gründlichen kenntnis W.s, bei seiner ungewöhnlichen bewandertheit in der litteratur der damaligen Schweiz die ausfuhrung dieser sätze zurückgehalten hat. uns andern fällt sie schwer, und doch ist sie unentbehrlich.

Die ersten hier einschlägigen, freilich einseitigen kenntnisse muss W. aus Jakob Brück er s Kurzen fragen aus der philoso- phischen historie (Ulm 1731 tl) und aus dessen Historia critica philosophiae (Lpz. 174211) gelernt haben, wovon 1747 ein auszug Instilutioues historiae philosophiae als haudbuch erschien. Brucker

HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON WIELAND 55

war als persönlicher bekanuter Sojthie Gutermaniis ihm hesonders nahe gerückt (Ausgew. hrielc i 49; Uaumers Ilisl. taschb. 10, 420 1). wenn nun W. auch seil juni 1752 mit Brucker persöuhch zer- fallen war (Briete an S. La Boche s. 6 z. 1 'Hr. B.') und darum wol der hieb gegen den neuesten Scribenten der philosophischen Historie im privatuulerweisungsplan gegen diesen geluhrl ist, so hat er doch in der Geschichte der gelehrtheit ilin genannt und benutzt, z. b. ni 1. aul'serdom war W. seit der klosterbcrgischeu zeit Bayles Dictionnaire bekannt und vertraut, das er in IranzOsischer ausgäbe, nicht in Gottscheds Übertragung in seiner bibhothek hinter- lassen hat (Verzeichnis der bibl., Weimar 1S14 s. 5; Hisl. taschb. 10, 381.384. 388; Ausgew. brief'e i 48 0- die Geschichte der gelehrt- heit verweist auf Bayle zb. in 71 nr. 10.

Aber Brucker und Bayle i)oten ihm nur einen teil dessen, was er zu seinem lehrvortrage bedurlte. im § 4 seiner Geschichte der gelehrtheit nennt er nach erwähnung des Laertius, Suidas und Photius Baco, an dessen anleitung sich 'der sehr gelehrte lierr Beimmann' zu anfang des Jahrhunderts mit seiner schönen einleitung in die Universalgeschichte der gelehrtheit gehalten habe. Jacob Friedrich Beimmanns Versuch einer einleitung in die historiam literariam sowol insgemein als auch in die historiam literariam der Teutschen insonderheit ist in 6 bänden 1708 13 erschienen, ich kann keine auflällige einwUrkung auf W. beobachten, ja selbst das, was er § 4 über seine aulehnung an Baco sagt, hat er aus Heumanus buch (s. u. s. 58) entnehmen können; nur den tadel der katechismusform setzt er bei, hat also das werk doch vielleicht selbst in der band gehabt.

Der Paragraph streift weiterhin Petrus Lambecius (Prodromus historiae lilterariae 1659) und erwähnt Morhofs Polyhistor, characte- ristischer weise in der ausgäbe des Johann Albert Fabricius, nicht in der neuesten des Goltschedianers Johann Joachim Schwabe, darnach wird Struvius genannt, ohne dass man erraten könnte, ob W. von ihm mehr als die titel seiner werke weifs. endlich mit übergehung 'vieler Compendia der gelehrten Historie', wobei mau zuvörderst an Golllieb Stolles Anleitung zur historie der gelahrtheit, denen zum besten, so den freyeu künsten und der Philosophie obliegen (1 auÜ. 1718, 3 verm. aufl. Jena 1727, citiert von Hagedorn in seinem ältesten Versuch von gedichteu, DLD 10, 37) und an das für W. neueste und umfassendste werk: Job. Andreae Fabricii Abriss einer allgemeinen historie der gelehr- samkeit (3 tle. Leipzig 1752 4) denkt, macht W. Ileumann als denjenigen namhaft, der durch seinen Conspectus reipublicae litte- rariae alle Vorgänger verdunkelt habe; auf ihn beruft er sich auch II 12 und III 24. die erwarlung, die sich au dies lob knüpfen muss, dass Heumann W.s hauptführer sei, trügt denn auch nicht^.

^ von allen diesen compendien wird keines in der von W. nachgelassenen bibliothek verzeichnet.

56 HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT V0> WIELAND

Per Göltinger gelehrte Christoph August H e u m a n n gab seineo 'Conspectus reipuhlicae lilerariae sive via ad historiam literariam iuventuti studiosae aperla' zuerst 1718 zu Hannover heraus; liis zum jähre 1763, in dem er starb, erschienen 7 aullagen. schon die 5 (1746) war als die letzte bezeichnet, und die vorrede zu dieser ist die letzte, die dem werke vorgedruckt wurde, so wird die aufläge, die W. vorlag, von der mir allein zugänglichen 7 nicht verschieden gewesen sein, der Conspectus ist von Brucker in seinem werke besonders gerühmt worden und war schon dadurch \V. eniplohlen. er ist studiosae juventuti bestimmt, also dem zwecke, den auch VV. verfolgte, das werk ist in einem mäfsigen bände von 500 ss. kl. 8*^ vollendet und war also viel bequemer zu excerpieren als alle die andern weitläufligeren bücher.

Die einteilung Heumanns und VV.s deckt sich gröstenteils. W.s I abschnitt 'Fom Nntzen der gelehrten Historie und von den vornehmsten Scriptoribus historiae Litterariae' begreift das i und II cap. Heumanns : 'De natura et partibus historiae literariae. De scriptoribus historiae literariae universalis'. W.s ii abschu. 'Fon der Kunst zu schreiben und von der Typographie' entspricht Heu- manns cap. ui ''De arte scribendi'. W.s in absthn. 'Fow Ursprung und Fortgang der Litteratur von Anfang bis auf unsre Zeit' (man beachte auch die Übereinstimmung der litelfassung 'Von . . . .' mit den lateinischen formein 'De . . .') umfasst das iv cap. Heumanns 'De ortu et progressu studiorum literariorum usque ad hanc nostram aetatem'. W.s iv abschn. : 'Einleitung in die Kenntniss der Bücher' ist gleich dem vi cap. Heumanns 'De notitia librornni'-, W.s v ab- schnill: 'Einleitung in die Kenntniss der Schriftsteller' gleich Heu- manns vii cap. 'De notitia auclorum'. nur (ler vi abschnitt W.s: 'Vorschlag, wie eine Büchersammlung von den auserlesensten zu er- richten sey' hat bei Heumann kein Vorbild, entspricht aber W.s praktischen absiebten ebenso wie den gepflogenheilen der 'mahler der Sitten', seiner Züricher meister. und nur das v cap. Heu- manns 'De fatis disciplinarum, sive de earum origine et incrementis' hat bei W. kein nachbild, er schied die geschichte der Wissen- schaften aus seinem lehrplane aus.

Und wie in der allgemeinen disposition der werke, so zeigt sich auch im einzelnen eine unleugbare verwantschaft, aber keine volle gleichheit.

W.s I abschnitt. Heumanns Synopsis des i cap. entspricht in ihren vier ersten §§ dem Inhalt der VV. sehen §§ 1 3: 'Hi- storiae literariae definitio, i. Eins vitia, ii. Eiusdem utilitas, iii. iv.' der text ist frei gestaltet; vgl.:

Heumann. Wieland.

1. Ilisloria literaria est lii- 1. Dcüniliou. Die gelehrte

sloriii lileraruui et lileralorum, sive 11 ist orie begreit'ldieGeschiehte

narr a tio de orlu et progressu aller Wiss o ns cliaf leu oder

HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON \VIELA.\D 57

stiidiorum lilcrarioruiii ad no- eine lehrhafte Erzählung von strani usque aelaleni. den Gelehrten und ihren Be-

niüiiungen zur Beförderung der Wissenschaften. W.s Wort 'iceüläufig' zu beginn seines § 2 erklärt sich aus der rücksiclit auf Heunianns anni. a) zu i 1, wo der umfang der ge- lehrlengescliiclile erörtert wird, den ^vornehmsten fehler' der ge- lehrten historie (W.s §2) nennt Ileumanu anm. b) zu i 2: ''alii\libri\, qui exstiterunt, periere'. die 'andere Quelle' von mangeln gibt Heu- mann nicht an, wol aber Stolle, der am beginn seiner vorrede zur 2 aull.' sagt: '■Man setzet an den meisten Lebensbeschreibungen gelehrter Leute aus, dass man darinnen die Historie ihrer Schifften zu vergessen pflege. Die Lhsache i^t wohl keine andre, als, dass die Auetores solleti sich angelegen seyn lassen, die Umstände ihres Lebens selbst umständlich aufzuzeichnen ; andre aber wie sie mehren- theils hiervon die behörige Nachricht nicht haben, also können sie auch selbige der Welt nicht mittheilen', sonst aber zeigt Stolle, dessen plan ein andrer ist als der W.s, viel weniger ähnliclikeit als etwa Fabricius, dessen überladene §§ i 1 und 4 (vgl. i 643. 645) sieb im sinne mit W.s 1 und 3 berühren; auch über die mängel der gelehrten historie handelt Fabricius an späterem orte i 648. übrigens ist natürlich auch Fabricius kein unabhängiger gelehrter und steht W. viel ferner als Heuniann.

Die reihenfolge der vorteile der gelehrten historie gibt W. nach Heumann: W. § 3 '■erstlich' = Heumann i 4: 'ex ea (1) notitiam haurimus bonorum malorumque librorum'. W. 'zweylens' = Heumaun i 4: "{2) methodum addiscimus, expeditiore brevioreque via perveniendi ad ernditionem. (3) quae in studiis sequenda vel fugienda, cognoscimus, et prudentiam addiscimus literatam'. W. 'drittens' = Heuniann i 4: '(4) vitas viro- rum ingenio doclrinaque illustrium oculis animoque Instrantes, non solum praeiudicium auctoritatis et antiquitatis sensim exuimus, verum etiam (5) cognoscentes, quanti viri ope literarum evaserint, ad aemulationem incitamur'. dieser schluss entspricht W.s 'fünftens'. W. 'secÄs^e«s' ^ Heumaun i4 'deniq^ie e literaria historia cognoscimus vias divinae [jrovidentiae, cultura literarum felicitatem generis h uma- ni, progressumque verae r eligionis adiuvantis'. die gesperrten Worte hat W. übersetzt, im ganzen lässt er sich seinen schülern gegenüber breiter aus und fügt einen vorteil ein: 'viertens' A\iviA\ die kennlnis des Sieges der Wahrheit über hindernisse lerne man au den sieg der Wahrheit glauben und die gegenwart richtiger beurteilen.

* Stolle hat die erste liebe zur historia und notitia iitteraria in Vor- lesungen des Clin. Grypliius in Breslau erhalten, seine aufzeiclinungen daraus aber bis auf einen bogen verloren; so habe sein eigner entwurf, den er, wie W. , für einen auditor privatissimus gemacht hat, nichts davon über- nehmen können.

58 llIRZEL GESCHICHTE DER CELEIItn HEIT V()> WIEJ.A.ND

Über den misbrauch der gelehrleu historie (Heumann i 5) sayl W. aus paedagogiscber rücksicbt nicbts, er will aneilern, nicbl bedenklich machen, auch mit der einteilung (deumann i6.7) verschont er seine schüh^r.

Die ersten Zeilen von W. 4 sind unabhängig von Heumaun. was er dann über Baco und Reimmann sagt, gibt Heumann u 13 und anmerkung n) zum teil, die äufserung ilber Lambeck stammt aus Heumann u 7. für Morhols characlerislik hat Heumann n 10 gedient: '\Morhofins] nni duntaxat historüie lüerariae parti prae- cipuam impendit cnram, non omnem eins ambitum . . .pari complexus industria. Scüicet constitnerat is . . viam lectoribus pan- dere . . . ad amplissimam erndit ionem et consilia dare, quae qui sequatur, Polyhistoris famam consequi ac tueri pos- sit. Hnnc in finem non solwn., quid in literarnm studio sequen- dum fugien d u m v e sit, edocet ; sed etiani singula st u d io r u m literario r%im genera persequ ens, lihros in quovis genere conscriptos diligenter recenset , suam de plerisque adiun- getis triixQioiv'. auch hier und im Colgenden sind die gesperrten phrasen von W. benutzt worden, darnach ist Struve im anschluss ao Heumann ii 11 behandelt, nur viel kürzer, wie denn W. das ganze 2 cap. Heumanus in den einen § 4 zusammengezogen, 17 Seiten der vorläge auf knapp eine, allerdings bedeutend enger ge- setzte Seite gekürzt hat. schon hier können wir beobachten, was sich im weiteren bestätigt, dass er seiue zuhörer mit gelehrtem bibliographischem beiwerk nicht beladen will.

W.s u abschnitt. §1-2 sind unabhängig von dieser vor- läge, nur wenig aulehnung für 2 gibt Heumanns in 2. desto enger ist der anschluss im folgenden.

Heumann. Wieland,

m 4 : Occasi onem in ven i- 3. Es ist nicht unwalirsche in-

endae arti scriptoriae de- lieh, dass die Kunst, zu zeichnen disse videtur pictura, quam und zu mal eu , zur Erfindung scribendi arlepropterea anliquiorem der Buchslaben Anlnss ge- iudico, quodfacilius homini- geben. Denn es ist wahrschein- bus inmentuni venil, repraesen- bcli, dass die Menschen viel eher tare imagines rerum oculis darauf gefallen, die sichtbaren subieclarum, qua m rerum a ii d i l u D i n g e in der Natur a b zuzeich - vel eliam solo intelleclu percepta- neu, als die Töne zu malen; rum. sie liomo se in liltore es brauclite weiter nichts dazu als videns , cum pla cid u m v e n tis dass ein Mensch das i5ild der staret mare, facde permolus est, So n ne, des Himmels, der Bäume ut natiiram imitans exprimere und sein eignes auf der Fläche conaretur imaginem solis, eines stillen Wassers abge- lunae, homin is , animanlium, ar- bildet sehen musste, um auf den boris,domus, etc. Einfall zu kommen, dassmansol-

cliergestalt die Figur ei ues Men- sch e n und alle r andrer sieht-

HIRZEL GESCHICHTE DE» GELEHRTHEIT VON WIELAKD

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barer Objccle auf einer jeden Fläche entwerfen könne. ni4anni. c): Sic ars typo- Die Vermulluing, dassdieZeich-

grapliica fuil invenla occa- nungskunst zu der Sclireibkunst

sione artis . . . caelaloriae et s c u I p 1 0 r i a c.

ni 5: Postea urgente ne- cessiiale mortales consli- tuisse videnlur certa signa numeroruni. Unde el illonim

Anlass gegeben babe, wird dadurcb nocb wabrscheinbcber, weil man ^Yeifs, d.iss die Erfindung der Buchdrucker kunsl durch die Kunst, in Steine zu graben und erhabne oder vertiefte Bil- der darein zu schneiden, veran- lasst worden.

Es sclieint, dass die Noth- wendigkei l die Mensch en zu- erst veranlasst habe, sichtbare Z e i c h e n der Z a b 1 e n zu e r f i n -

antiquissinia signa', quaeLa- den. Die lateinischen Zei-

lini relinueruut . . . sunt natu- ralia, el a digitorum forma desumia . . . Ac certae leges inveutae sunt, digi toruni vari- atopositu i nnuraeros expri- mendi numeros: quas leges singularibus opusculis pro- posuerant Nicolaus Sniyrnae

eben 1, V, x scheinen die aller- äl testen zu seyn. Man kan sie fiighch signa na turalia nennen, indem sie ein in die Augen fal- lendesVerhällniss mit den Fingern iiaben, deren man sich vorher zum Zählen bediente. Possintis gibt in seinem Spicilegio evange-

US e t Beda , illusirali a Possin 0 iieo § 75 gewisse Regeln, in Sp icilegio evangelico §75. wie man durch verschiedne

Positionen der Finger un- endlich viele Zahlen aus- drücken und würklich calcu- liren könne, eine Kunsl von der Nicolaus von Smyrna und Beda eigne Trac taten ge- scbrieben haben. Diese parallele nnag für alle engen anschlüsse als probe gelten, näher hält sich W. nirgends an die vorläge und oft nicht so nahe. dass er aber an solchen stellen Heuraann benutzte, ist deutlich und sicher, und darum ist auch für die teile, in denen er sich selbständiger zeigt, doch jede ähnlichkeit mit Heumann als anregung für VV.s worte zu erachten.

Für das, was bei Heumann nicht oder anders steht, muss ein anderer gewährsmann gesucht werden, sofern es sich um Sachen und nicht um allgemeinere urteile handelt, so sagt Heumann in der anm. a) zu ni 2 (wie Stolle s. 77), der gebrauch der schreib- kunst vor der sündflut sei nicht hinlänglich nachweisbar, VV. aber vermutet ii 2, dass sie schon zu jener zeit cultiviert worden sei. die Ziffern stehn in anm. e).

60 IllRZEL GESCHICUTE DEK GELEHRTHEIT VON WIELA.ND

liior kann er sich an Fabricius i 175 angeschlossen haben, oder war hier Bodmer Die Syndfliit 1753 s. 90 von einflnss?

W. 4. 5 sind Ireie auszilge aus Heum. in 6. W. 6 greift auf Heum. iii 2 und anni. aa) zurück und verbindet damit Heum. HI 7. der anschluss ist hier formal und sachhch enger als zb. au Fabricius i 187. W. 7 ist knappster auszog aus Heum. in 8. W. 8 setzt wie Heum. in 9 ein und folgt ihm auch weiterhin frei; aber Thevenot wird nur von W. genannt, der auch sonst manchmal auf einen autor sich berult, den Heumann, wenn ich in dem wusle der anmerkuugen nichts übersah, verschweigt, ia diesem falle hilft auch Fabricius nicht aus, und Stolle behandelt überhaupt die realia nicht, ebenso geben für VV. 9 11 sowol Heum. iii 10. 11 als Fabricius i 247. 185. 757. 275 nur die anregung, keine erschöpfende vorläge. VV. 12 ist excerpt aus Heum. in 12. 13. W. 13 entspricht Heum. in 15. 16; hier steht auch Fabricius i 740 f ziemlich nahe, von W. 14 an aber fällt das vergleichen mit Fabricius recht schwer, sehr viel schwerer als mit Heumann. W. 14 hält sich sehr frei an Heum. in 20: über den wert der schreibkunst und ihre würkuug auf die ent- wicklung des menschlichen geistes konnte sich W. eigene ge- dankeu machen. W. 15 nahm aus Heum. in 21 (vgl. v 13) den anstofs, ist aber recht unabhängig; über die gründe der zeitlichen priorität der versificierten rede vor der prosa dachte W. w ider selbständig nach , fügte auch den verweis auf Solon aus eignem wissen bei. Heumann legt mehr gewicht auf die erfindung der prosa, was >V. noch für seinen § 16 verwendet, in dem er gemäfs seiner privaten Vorliebe Xenophon als muster der prosa zusetzt. VV. 17 ist = Heum. in 22, VV. 18 entspricht Heum. in 23. VV. 19 stammt mit ausnähme des Schlusses (einer AV. sehen Vermutung über den Untergang der Vorgänger Homers) aus Heum. anni. a) zu in 22. VV. 20 entspricht Heum. in 24. 25, doch fehlt bei Heum. der verweis auf Indien und China. VV. 21 benutzt Heum. in 24 anm. n). über die fortenlwicklung der buchdruckerkunst fand VV. 22. 23 nichts bei Heum., konnte aber aus dessen ausführung vi 17 einige namen vorausgreifen.

W.s III a b s c h n i 1 1. die paedagogisch berechneten einleituugs- sätze über das bedürfnis des menschlichen geistes sich zu be- schäftigen, nahm VV. aus eigenem, erst in der zweiten hälfte des § 1 trifft er mit Heum. iv 1 zusammen, für die salze über die erfindung der Wissenschaften VV. 2. 3 gab Heumann weder im IV noch im v cap. die vorläge; die belrachtungen W.s sind so allgemein, dass sie seiner bildung durchaus zuzutrauen sind. VV. 4 bis in den anfang 7 berührt sich mit Heum. iv 4 ff. die bemerkung von den Humieres' § 6 VV. verwendet nicht selten fremdworte, was ja Lessing auch an seinen damaligen druck- schrillen tadelte , welche die Griechen in Aegypten suchten und wol nicht fanden, ist W.s zugäbe.

HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT V0.\ WIELAND 61

Von der heliandluno: Homers an im § 7 bewegt sich W. frei von Heumann: in allen litteraturgeschichtlichen auslührungen geht er über ihn fortan hinaus, ohne dass ich die quelle seiner kennt- nisse nennen könnte, vielleicht ist die geschicIUe der griechischen Philosophen aus Brucker entlohnt, doch entspricht der eingang W. 13 wider genau Heum. iv 9, W. 15 dem anfang von Heum. IV 10. W, 16 lehnt sich an Heum. 11. 12 an. die disposition ist also ungefähr von Heumann herilbergenommen, der inlialt da- gegen nicht. VV. 17 entspricht Heum. iv 13 ; die Vergilstelle fehlt bei Heumann, der dafür andere einschlägige citate bringt, welche W, übergeht wie so viele gelehrte Zusätze seiner vorläge.

Wie die griechische so ist auch die römische litleraturge- schichle, die vergleichung der Römer mit den Griechen, die ein- teilung der römischen lilteratur in drei zeilalter VV, 17. 18 nicht aus Heumann entnommen, das trockene Verzeichnis von römischen Schriftstellern, das dieser nach gattungen ordnend iv 14 gibt, ist etwas reichhaltiger als die historische gruppierung in W. 18, wo aber kein bei Heumann fehlender name zugesetzt ist. W.s be- handlung der römischen lilteratur ist dürftiger, weniger mit urteilen versetzt als die der griechischen.

Die anfange der christlichen lilteratur betrachtet Heumann IV 15 17, W. greift sie 19. 20 zusammen. Heumann iv 16 sagt: '. . . lüeratis ethnicis, Chrislianos doclis carere docloribus, impti- denter metüientibus ; darnach W. 20: '2>er Vorwurf . . . als ob sie [die Christen] lauter Idioteu wären, war . . . unverschämt' . W.s aufzählung der '•geistlichen Scribenten' 20 ist weniger reich- haltig als die Heumanns iv 17, auch etwas anders geordnet, doch sichtlich von Heum. abhängig, hier ist der Zusammenhang enger als in der darstellung der antiken lilteratur. W. 21 entspricht Heum. IV 18; nur fehlen bei diesem W.s ausfälle gegen die pa- pisten. die ablehnung des Augustinus, die auch in W.s briefwechsel (Ausgew. briefe i 283. 289. 291) bezeugt ist, findet sich schon bei Heum. den Laclantius zaust W. auf eigne rechnung. das beispiel zur kritik des Hieronymus entnimmt W. aus Heum. iv 19. den dritten absatz des § 21 fügt W. hinzu, eine allgemeine Verurteilung der kirchenväter nach inlialt und form ihrer Schriften; auch hier ist der von VV. früh und spät andern aufklärern nacligesprochene satz von der Verfälschung des Christentums geäufsert; die ganze ausführung ist aufklärerisch, wie gleich die berufung aut 'das einfältigste Mütterchen' zu beginn zeigt. die bibliographie Heu- manns IV 20 ist von W. übergangen, ebenso die einteilung der kirchenväter Heum. iv 22. VV. 22 excerpiert aus Heum. iv 21, W. 23 entspricht Heum. iv 23, VV. 24. 25 ungefähr Heum. iv 24. 25.

Die erste hälfte von Heum. iv 26 behandelt W. 26 breiter, Boethius und Cassiodor sind genauer belrachlet. aus Heumanns anm. b) und einem salze des textes macht VV. seinen § 27 zu- recht, den rest von Heum. iv 26, sowie iv 28 nimmt VV. in

62 lIinZEL GESCHICHTE DEK GELEHRTHEIT V0> WIELAND

seineu § 2S, der in iler griiiKlautTassung mit der vorläge stimmt, aber viel austührliclier und darum bemerkenswert ist, weil der einfluss der poliliscben tVeibeit auf die philosophie und die schönen künste hervorgehoben wird, wie W. schon gegen ende des § 25 die despotie als fessel der genies bezeichnet hatte, das lob der englischen litteratur fügt W. 29 als consequenter Miltonianer neu ein, könig Alfreds erwiihnung bei Heum. iv 30 gab nur eine schwache anreguug. VV. 30 lehnt sich an den schluss von Heum. IV 26 au, W. 31 an Heum. iv 27, W. 32 an Heum. iv 29, aber die behandlung der byzantinischen litteratur erweiternd, einiges nimmt VV. noch in seinen § 33 hinüber, dessen zweiter absatz Heum. IV 31 entspricht, die lilterarhistorischen porträts von papst Silvester ii, kaiser Constantin, der nonne Roswitha sind bei Heum. last nur durch die namenanführung angeregt, aus anm. h) zu Heum. IV 31 wird W. 34 erweitert. VV. 35 entspricht Heum. IV 32 erste hälfle. auch hier wider, bei der begründung der dürttigkeit der litteratur des 10 jhs., betont VV. den einfluss der politischen l'reiheit auf die blute der litteratur nach eigener Über- zeugung; demgemäfs schränkt er das lob ein oder tilgt es gar, das Heum. zb. iv 46. 52 den um die litteratur verdienten forsten spendet, hier mag die rücksicht auf die Schweizerrepublik mit- gewUrkt haben, aus der 2 hälfte von Heum. iv 32 wird VV. 36.

Heum. IV 33 36 lässl VV. zunächst bei seile, um in strengerer historischer folge gleich die geschichte der arabischen litteratur zu erledigen § 37 41, wofür ihm Heum. iv 37 nur eine ganz dürftige anregung gab. diesem war es nicht um die arabische litteratur zu tun, sondern nur um ihre Überlieferung des Aristo- teles, die für VV. nebensächlich wird. W. 42 über Schach Saadi ist gar nicht von Heum. nahe gelegt.

Mit § 43 greift VV. auf Heum. iv 33 zurück, entwirft aber wider selbständig ausgeführte bilder der niänner, die Heumann nur nennt, die erste hälfte von Heum. iv 33 entspricht VV. 43, die zweite VV. 44 48, also sehr erweitert, darnach zeigt sich wider engerer anschluss: W. 49 ist gleich Heum. iv 34, VV. 50 Heum. IV 35. im folgenden hält sich VV. abermals freier ; doch berührt sich VV. 51 mit Heum. iv 36.

VV. 52. 53, ein beitrag zur geschichte des Schulwesens, der zum teil den in VV.s akademieplan vorgetragenen ansichteu gleicht, sind ohne Heunianns Vorgang niedergeschrieben; nur der schluss und VV. 54 berühren sich flüchtig mit Heumann iv 39, ohne dass dieser wie VV. die graduierungen von gelehrten bespöttelt '. der

^ darüber hat W. später anders gedacht, denn gewis ist es nicht gegen seinen willen und ohne seine Zustimmung geschehen, dass Friedrich graf von Stadion und Thannhausen kraft der ihm von kaiser Franz i erteilten erlaubnis zur Verleihung der pfaizgrafetiwürde \V. zu Warthausen am 28 sept. 1765 'in die Ehre und Würde der Römisch Kaiserlichen Mayestät vnd des Heil. Reichs P/alz- und Hof-Grafe?i, so zu Latein Cojnites Palatini

HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT V0^ WIELAND 63

2 absalz von VV. 54 entspriclit Heum. iv 40, woraus auch W. 55 den gedankengang und einen teil der ausfülirung nimmt,

W. 56 setzt beim 13 jh. ein wie Heumann iv 41, der auch kaiser Friedrich ii rühmt, aber nicht wie W. die (hesem durch Bodmer nahe gerückten minnesinger erwähnt, und benutzt noch Heum. IV 42, aus dessen dürrer aufzählung von namen W. den Raimundus Lulhis heraushebt und in § 57 selbständig behandeh.

Pas 14 jh. erörtern Heumann iv 43 45, W. 58—61. die gründung der Universitäten Heum. iv 43 ül)ergeht W., er hatte für sie, wie bekannt ist, keine Zuneigung, aus Heum. iv 44 nimmt er ein paar namen statt der vielen und characterisieri ilire träger. Heum. IV 45 entspricht VV. 60, Heum. iv 46 regt W. 61. 62' an.

VV. 62. 63 entlialten eine sehr unabhängige schiUlerung und begründung des lilterarischen zustandes (h's 15 jhs. VV. 64 66 geben die rohe namenaui'zählung Heum. iv 47 in mir unverständ- licher auswahl und mit wenigen kennzeichnenden Zusätzen; VV. 67 ist ebenso aus Heum. iv 48 hervorgegangen; VV. 68 entspriclit annähernd Heum. iv 49, VV. 69 wählt aus Heum. iv 50 aus.

W. 70, 16 Jh., setzt mit Heum. iv 51 ein und gibt ein bruch- teilchen seiner namenliste iv 53. dabei sind übergangen die phi- lologi, antiquarii, mathematici, iurisconsulti. W. bespricht die träger der ausgehobeuen namen in seinem § 71 mit ausnähme des Palingeuius und unter beifügung des vorher übergangenen Bernardinus Telesius. vor der gruppe der hisioriker bricht das diclat ab, sie und die medici sind nicht mehr erörtert, schon von nr 9 an ist die behandluug sehr knapp geworden, vvol weil die zeit zum abschluss drängte, ich glaube nicht, wie Hirzel an- zunehmen scheint, dass die Vorlesung unvollständig erhalten ist; der cursus wird sein ende erreicht haben, der nächste cursus halte ein anderes pensum. übrigens war der schluss ja überhaupt nur eine 'Nachlese' 70) zu einem andern vortrage, schon iii 29 hat VV. gesagt, dies sei 'schon anderswo erzählt worden\ vermut- lich hat er also eine geschichte der englischen litteratur abge- sondert vorgetragen oder bei gelegenheit der politischen geschichts- darstellung Englands die litteratur berücksichtigt, in 66 sagt: 'von denen schon anderswo Nachricht gegeben ivorden', iii 70 : 'voti den

genennet werden, erhöhet, gewürdiget, und gesezeV . das 23 ss. fol. fül- lende diplom ist auf pergament geschrieben, in roten sammt gebunden, das sieget liängt in vergoldeter nietaiikapsel daran, die Urkunde ist auch wegen der darin enliialtenen genealogie W.s von Wichtigkeit; ich werde sie an anderem orte publicieren. allerdings hat \V. durch sie keinen akademischen grad erlangt, den er meines wissens auch als universilälsprofessor nicht erhielt, aber die Urkunde gab ihm doch eine ähnliche auszeichnung und auf grund derselben konnte er die misachteten grade verleihen, 'der Freyen Künsten Magislros, Baccalaureos' usw. creieren, von welcher gewalt er Oberreit gegenüber gebrauch machte.

' dieser § erwähnt den process De asini umbra, den W. seinen Ab- deriten eingefügt hat.

64 HinZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON WIELAND

vornehmsten derselben sei anderswo schon gehandelt worden' ; er liatle also von der liumanislen- und rerormalionslitteralur seinen schillern schon erzählt, dazu stimmt nun treilich die von Heu- maiin beeinflusste ankilndigung des inhalls des iii abschnittes 'bis auf nnsre Zeit' (s. 2) nicht, aber W. mochte jene inhalts- angabe vielleicht mehr als eine betrachtung dessen, was eine ge- schichle der gelehrtheit überiiaupl enthalten solle, als eine an- sage dessen, was er bieten w'ollte, vorausgeschickt haben, schon in der delinition i 1 lässt er die zeitgrenze weg, obwol Heumann sie da widerholt. Hirzels Vermutung (s. 81), dass die biographien von persouen des 16 und 17 jhs., die der Teulsche merkur 1776 brachte, 'ausarbeitungen' desjenigen seien, was W. einsl als fort- setzung seinen zuhorern gab, vermag ich nicht zu teilen, sie sind nur beilagen zu den kupfern, die den lesern im 4 quartal 1775 als lockspeise versprochen worden waren; sie stammen nicht alle von VVieland ; sie sind ganz modern geschrieben, so dass sie nicht wie eine erneuerung allen wissens aussehen, hauptquelle ist für sie Pautaleons Prosopographia und Adami. erst wenn die Untersuchung, die ich jetzt nicht anstellen kann, erweisen sollte, dass diese autoren auch für die Geschichte der gelehrtheit mafs- gebend waren, wurde ich H.s Vermutung für erwägenswert, aber immer noch nicht für gesichert halten, will man nach einer er- gänzung des W. sehen dictates suchen, so muss man das wenige zusammenlesen, was in briefen und in den gesprächen mit Ring (Funck im Arch. f. littgesch. 13, 485 ff, sept. 1753— märz 1755) überliefert ist. der bisher vollständig unbeachtete beitrag Wie- lands zu den Carlsiuher 'Nüzlichen samlungen oder abhand- lungen aus allen theilen der Wissenschaft' bd. 1 st. 31 f s. 252 256; St. 33 f s. 257— 262 (Carlsruhe, Macklot 1759) mit dem titel: Versuch eines Beweises, dass die Glückseligkeit in der Tugend liege, und aus derselben, als ihre natiirliche Folge, entspringe', auf den mich Carl Schüddekopf, wie immer selbstlos in der mitteilung seiner zahlreichen glücklichen funde, aufmerksam machte, wird kaum liierfür eine bereicherung bieten.

W. hat also nur die drei ersten abschnitte seines program- mes, und den dritten, litteraturgeschichtlichen nicht vollständig, behandelt, die bücherkunde und gelehrtengeschichte kam nicht mehr zur spräche, auch die beste bibliothek wurde nicht ver- zeichnet, aber das, was er gegeben hat und was uns überliefert ist, verdient unsere beachtung vollauf, es ist denn doch viel mehr als eine verdeutschende bearbeituug des Conspectus reipublicae litterariae, wie schon meine nicht auf erschöpfende erledigung angelegte vergleichung beweist, auch die Untersuchung auf andre ergänzende quellen wird der Wahrscheinlichkeit nach die gleiche freie anlehnung feststellen.

Im grofsen und ganzen also schliefst sich W. an Heumanns disposition des Stoffes und seine auffassung an, folgt ihr oft genau.

HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON \VIELAi\D 65

äudert sie aber auch gele^a'nllicli nacli seiner mehr hislorischen als saclilichen Ordnung, hiklel anmerkungen zu lexUeilen uni, äudert seilen etwas sachliches, kürzt stark, besonders in allem gelehrten beiwerk, setzt aligemeinere betrachtungen über den character von perioden oder über die gründe von erscheinungen zu, sowie lebensliildcr zu den nameulisten seines Vorgängers, seine abhängigkeit ist also keineswegs sklavisch, wenn ersieh auch öfters in wörtlicher Übereinstimmung mit seinem gewährsmann hält, in den beiden ersten abschnitten vertraut er sich ängstlicher seiner tührung, im dritten bewegt er sich viel freier neben ihm. die erklärung dafür suche ich nicht in dem wachsenden einleben in den stofi', vielmehr darin, dass der 3 abschnitt im unterschied von dem theoretischen und realen Inhalt der vorhergehnden zunieist von menschen handelt, auf das Studium des menschen war der Sokraliker schon damals erpicht, die historischen persoiien, die er vorführt, waren ihm, zum kleineren teile glaube ich, aus früherem lernen und lesen vertraute üguren, den grofseren teil konnte er leicht aus compendien, sei es Bruckers (auch in dessen 'Ehrentempel der deutschen gelehrsamkeit' 1747) oder Bayles oder vielleicht Iselins (Ilistor. lexikon 1730 ff) oder anderer sich bekannt machen; möglicherweise schlug W. auch die monographien nach, die er erwähnt, obgleich ich das nicht für sehr wahrscheinlich halte; tiefer aber ist seine quellenforschung gewis nicht eingedrungen, characteristisch ist, dass der Verehrer Piatons und Xenophons die griechische lilteratur reicher bedenkt als die römische, auffallend, dass er gegen frühere äulserungeu und gegen die Zeitgenossen bei Homer etwas verweilt, bei Vergil vorübereill. characteristisch ist für den reichsstädter, für den in der freien Schweiz lehrenden lehrer schweizerischer schüler die von damals modernen franzö- sischen autoren beeinfiussle Überzeugung, dass politische freiheit für lilterarische blüle eine notwendige Voraussetzung sei. cha- racteristisch ist endlich die protestantische und aufklärungstendenz, die wider seiner Überzeugung, wie dem orte und den hörern der lehre angepasst war; aber hiervon spricht er nur stärker als Ileu- mann, nicht grundsätzlich anders, die grösten Vorzüge des VV.schen diclales vor Heumanns buch und ein zeugnis paedagogischer Weisheit sehe ich darin, dass er die schüler mit viel weniger ge- lehrsamkeit, die VV. wie die Universitäten gering schätzte, be- lastet, freilich noch mit genug und zu viel, und dass er statt toter namenreihen vollere, wenn auch selten lebendige und oft einseitige bilder der personen, gelegentlich sogar in gruppen ge- ordnet bietet, zu innerlich ergründender entwicklung aber sind nur dürftige ansalze da, zumeist sind die erscheinungen lediglich chronologisch und als einzelereignisse oder einzelüguren an ein- ander gereiht, zur enlfallung genialer eigenarl war der weit- schichtige Stoff nicht angetan; ihn selbständig zu erforschen und zu erfassen, war der lehrer zu jung und zu sehr von der zeit A. F. D. A. XX. 5

66 HIRZEL GESCHICHTE DER GELEHRTHEIT VON WIELAM)

gedrängt, wol auch zu weuig eitahren iu so schwerer arheit. auch ohne (lies ist die W.sche Geschichte der gelehrlheit ein werk des tleifses und der üherlegung, keine leichtfertige compilalion oder gedankenlose Übersetzung oder bearbeitung.

So sind wir Hirzel für die publication zu dank verpllichtet, W. erscheint auch als lernender lehrer nicht uninteressant, und H. hat recht gesehen, dass sich die spuren seines geisles in dem dictate finden lassen.

Nach dieser probe wird das verlangen lebhafter, auch W.s religionslehre verüffenllichl zu sehen, die Hirzel uns verspricht, wahrscheinlich wird hier weiter ausgeführt sein, was er in der ge- lehrtengeschichte von fälschung des Urchristentums sprach, auch hier ist volle Originalität nicht zu erwarten, auch hier wird eine quellenuntersuchung zur seile gehn müssen.

Graz, im märz 1893. Bernhard Seuffert.

Bürgers gedichte. Iisg. von Arnold E. Behger. kritisch durchgesehene u. erläuterte ausgäbe. Leipzig u. Wien, ßihliogr. inslitut, o. j. (1891). LH und 520 SS. 8°. 2 m.

An Bürgerausgabeu ist nachgerade kein mangel: innerhalb acht Jahren sind Sauer, Grisebach und Berger hervorgetreten, und es drängt sich die frage auf, ob die drei Sammlungen, von denen keine da Bürgers nachlass seit Strodtmaun unzugänglich ist die abschliefsende gestalt bringt, neben einander berech- tigung finden. Sauers grofses verdienst ist es, mit der iradition der Göttinger ausgaben gebrochen zu haben und auf den text von 1789 zurückgegangen zu sein; daneben hat er für die Bürger- schen Umarbeitungen fremder, wie für die Chronologie seiner eigenen gedichte und die niederdeutschen elemente seiner spräche (was B. s. 51 verkennt) wichtige nachweise gegeben. Grisebachs Jubiläumsausgabe von 1889 bedeutet einen geringeren fortschrilt. sie bringt im ersten bände einen nicht fehlerfreien abdruck der ausgäbe von 1789, im zweiten eine Sammlung der zerstreuten gedichte, gestützt auf nachtrage Sauers und unter erstmaliger benutzung des ms. germ. 800 der kgl. bibl. zu Berlin, B. geht einen guten schritt weiter, indem er als erster eine chro- nologische Ordnung der gedichte auf grund der ältesten vollstän- digen fassung versucht, unter beifügung eines, mit wenigen aus- nahmen (so bei der Nachlfeier der Venus) vollständigen kritischen apparates; auch weiter zurückliegende einzelne laa. werden ver- zeichnet, aus der Berliner hs. und dem Göltinger musenalmanach trägt B. je vier gedichte nach, aus der ersleren ein anakreontisches Irinklied, eine parodie von Horaz 'Ne sit ancillae tibi amor pudori', mit der die Höllysche zu vergleichen ist, ein gespräch 'Advokaten- verdienst' (nr 140), welches in der hs. in zwei fassungen^ vor-

BERGEK ßURGEKS GEDICHTE

67

zuließen scheint, che nicht als ein ganzes hinler einander liällen abgedruckl werden sollen, und ein epigramm (auT Dorothea Forkel?). die BUrgerschen umarheitiingen fremder gedichte hat B. aus raum- mangel nicht aul'genommen; da hisher zu einer vergleichung der von Sauer (nr 261 297) ahgedruckten stücke die originale lehlten, so stelle ich hier für einen lall eine solche an. von dem gedichte JvDörings (nr 261) existiert nämlich ein früherer einzeldruck: An einen Sängliny. Wolfenhnltel , im Jenner 1778. (2 l»l.) 4o, unterzeichnet J. v. D. ich stelle die ursprüngliche fassung der BUrgerschen umarheitung (Gült. iMA. 1779,56) voran: Nocli weist du nichl,von wem du bisl, Nocliweifsldu niclit,wesKind du bist, Wer dir die Windeln Schenkel, Wer dir die Windeln selienkel.

Wer immer um dich wacht, wer ist Wer um dich wachl, und wer sie ist, Die, die dich wärmt und tränket. Die dich erwärmt und tränket.

Doch sinJs VerpHeger, sicherlich! Es wird nach wenig Jahren, Dann, lieber Säugling, denk an

mich I Auch dir sich ofl'enbarcn.

(Jeneufs indes mit frommem Sinn, Geneufs! Nach wenig Jahren Wird sich in deiner Pflegerin

Die Muller oflVnharen.

Wenn wir nicht glauben , gehls So hegt und pflegt uns alle hier,

uns so

Mit Gütern, Trank und Speise; Auf gleich verborgne Weise,

Doch brauchls der Fromme, dank- Ein Geber, Dank sei ihm dafür!

bar froh,

Audi auf geheime Weise, Mit Gütern, Trank und Speise.

Zwar fafsl ihn niclit mein dunkler

Sinn; Allein nach wenig Jahren Wird, wenn ich fromm und

gläubig bin, Er mir sieb ofi'enbaren.

Hier kann icli manches nicbtverstebn,

Spricht er, nach wenig Jaliren, Glaub' ich den Geber dort zu sehn,

Der wird rairs offenbaren.

B.s einleituug bringt neben einer hiographie des dichters, die zum erstenmal seine hriefe an Goeckingk verwertet, eine lesenswerte geschichte der volkstümlichen poesie des 18 jhs. auf den lexl folgen reichhaltige anmerkungen des herausgehers über enlstehung, Vorbilder und spräche der gedichte; nr22ü. 221 sind falsch gezählt, den schluss macht ein kritischer hericht über die grundsätze der ausgäbe und ihrer Vorgänger, sowie ein kritischer apparat, der sich bei Stichproben als zuverlässig erwies, in allem bedeutet also dieser band der preiswerten Meyerschen classiker-ausgaben eine willkommene erscheinung.

Auf ein hisher unbekanntes Bürgersches Jugendgedicht möchte ich zum Schlüsse hinweisen ; aus seinem ersten Gütlinger slu- denlenjahre stammend ist es versteckt in den 'Gotlingischeo gelehrten beyträgen zum nutzen und vergnügen bestehend aus

5*

68

BERGER BURGERS GEDICHTE

abliaiullimgen vou verscliiedeiieu malerien vom jähre 176S. Gül- tingen 1768'. 4^ stück 21, sonuabend den 27 august, s. 205 11, und lautet in v. 19 ist der druckfeliler ^nun' verbessert :

L a i s und D e m o s l h e n e s.

Eine Erzehlungf

Es blühte zu Corinlh, in dieser reichen Stadt, Wo Kunst und gohlne Pracht mit

stolzen Minen llironten, Wo Wollust, Freud und Scherz mit

ihrer Cypris wohnten. Ein Mägdchen = : = ach! so schön, dafs keine lose That 5 Mit einer holderen Je Zevs vollfüli- ret hat. (Zevs, der doch um gemeine Schönen Von seiner Juno sich wohl schwer- lich konnte sehnen.) Es war, wie Tempens Flora, schön Wenn sie mit ihrem Lenz die frohen Schäfer gehn 10 Und um den Rosenhuscii verlraulicli schleichen sehn. Nichts mangelte der himmlischen

Gestalt, Auch nicht die siegende Gewalt Die, wie der Circe mächiger Spruch, Den stärksten Mulli zu Boden schlug. 15 Sie zwang mit süssen Zauber-Minen Die stolzeFreyheit selbst zum Dienen. Denn ach ! das Lächeln, so ihr

schwarzes Aug uniflofs, Ist, glaub ich, kaum Cytheren mehr

gelungen. Als sie um den Adon, gestreckt in ihren Sclioos, 20 Durchglüht von Lust, den Schwa- nen Arm geschlungen. Wer konnte also widerslehn. Der Lais göttlich Bild gesehn?

Mich wunderls nicht, dafs sie halb Griechenland bezwungen. Nur Schade wars, die liebste Siegerin 25 War Griechenlands gemeinste Buh-

lerin.

Denn jeden hat ihr Mund gelacht, Der reicli geschmückt in Stutzer

Tracht, Ihr feiles Herz erobern konnte, Und iheuer gnug die kurze Gunst belohnte.

So war sie nun im artgen Grie- 3o chenland, VVieNmon einst in Gallien, bekannt. Wie viele waren sich durch sie

nicht anverwandt? Hall' ein gereifsler Herr für Lais

nicht gebrannt, So war er damals nicht galant. Man wünschte ihm Geschmack und 35 melir Verstand.

Drum ward Demosihenes, der Redner von Athen, Auch einst versucht die Buhlerin

zu sehn = = = Demosihenes? = = s halt ein! Es

ist geschehn. Ich will die Freybeil zwar, das

Gegenliieil zu glauben. Nach Orthodoxen Art, nicht gleich 40

mit Flüchen rauben. Indessen ündl zum Widerspruch Sich lauge nicht Beweifs genug. Denn alle Hof= und Städte=Kenner Versichern, dass auch grosse Männer, Sah man sie gleich voll hohen 45

Ernst sich brüsten Als ob sie nichts von leichter

Schalkheit wüsten, Oft Buhlerinnen hitzig küfslen. Wenn nun Demosihenes , ein an-

gesebner Mann, Auch nach der Lais schmachten kann;

t S. des A. Gellius N. A. im i Bujh das 8te Cap.

BERGER BÜRGERS GEIUCIiTE

Ö9

50 So sclieinls mir nicht zum Wundern zu gehören ; Sonst würde sicli die Zahl der Wunder sehr vermehren.

So heftig ihn der Rednersluhl gesehn, Als aus den Augen Feuer blitzte, Und sein beredter Mund Athen zum Kampf erhitzte; 55 So brünstig war jetzt sein Verlangen Das braune Mägdclien zu umfangen. Und = = = was verschweig ich es? mit ihr zu Bett zu gehn.

Die Zauber:Reitze zu geniessen BracliU ihn die Selnisucht bald zu seiner Schöne Füssen. 60 Dcmüthig bolii er zum Geschenk ihr an, Was olingefähr ein solcher Mann Ein Hedner und Poet den Mägd- chens bringen kann, Er bot sein zärthcli Herz ihr an, Und hätl' er Verse auch gemacht, 65 So hätl' er ihr gewifs ein artig Lied gebracht.

Hat sich die Buhlerin denn diesem

Mann ergeben? Göttingen.

Er wyr ja von Athen und wusle

wohl zu leben. 0 Nein ! ein zärtlich Herz half

unserm Redner nicht, Dies magere Geschenk halt' ein zu

leiciit Gewicht. Gold , Gold erlieiteri' ihr Gesicht, 70 Dem Golde widerstand sie nicht, Mit Golde ward sie allemal. Wie mancher gute General, Auf eine leichte Art besiegt.

Um also eine Nacht den Redner 75 zu ergötzen Begehrt sie dreust für die unedle

Müh, Hört, Freunde, hört! ist das nicht

zum Entsetzen? Zehn lausend Drachmen fodert sie.

Demostheneserschrack, trat rück- wärts, wurde blafs, Wobey er Lais Reilz und Kufs und 80

Nacht vergafs. Er Hob beschämt und schrie im

Laufen : Für Myriaden ich? der Reue Qualen kaufen ?

J. A. Bürger.

Trolz der unterschritt wird Gottfried August Bürger der Verfasser sein, er war zu ostern 1768 nach Göttingen gekommen; die Bey träge reichen vom 6 apr. bis 31 dec. 1768. «lass viele gelegenheitsgediciite Bürgers verloren sind, bezeugt Boie (Slrodt- mann iv 260); und schon 1767 und noch später in Güttingen wollte B. eine dekade von gedichten drucken lassen, wie er an Klotz schreibt. Rlotzischer einfluss spricht aus wähl und behaud- lung des Stoffes; die derb sinnliche Schilderung, der hinweis auf Zeus sprechen für Bürger, die freien iamben, die mehrreime kehren in einem andern jugendgedichtc ('Mein Amor', B. nr 3) wider; für last alle reime, selbst für Siegerin : Buhlei in , lassen sich beispiele in anderen gedichten linden (vf;!. ß. s. 384, 1. 2 Mikherin : Königin), wir werden also die erzählung als erstes gedrucktes gedieht Bürgers aufnehmen dürfen.

Rofsla a. H., im märz 1893. C. Schüddekopf.

70 IIAR.NACK CLASSISCUE ÄSTHETIK DEK DEUTSCHEN

Die classische ästhelik der Deutschen. Würdigung der iiunsltheoretischen arbeiten Schillers, Goethes und ihrer freunde, von Otto Harnack. mit dem facsimiie eines ungedruckten gedichts von Schiller. Leipzig, .ICHinrichs, 1892. vi u. 243 ss. gr. 8«. 5 m.

Harnacks darslellung der äslhelik Schillers und Goethes weist eine lulle neuer gesichtspuncle auf, die älteren darslellungen des gleichen ihemas fehlen. Goethe kommt weit mehr in hetracht, als in irgend einer der älteren erürleriingen. das war bei H. nicht anders zu erwarten; aber auch auf die nebenmänner Kürner, Humboldt, Heinrich Meyer fällt reiches licht, dankbar muss also U.s buch aufgenommen werden, haben wir ja doch keinen iiber- lUiss au zusammenfassenden arbeiten, die von einem hohen stand- puncle aus klar und übersichtlich die hauptthemen der deutschen geistesgeschichte behandeln, natürlich tritt mit Goethe die bil- dende kunst in den Vordergrund; die eingehnde analyse des ge- dankenkreises der Propyläen gibt dem buche seinen besondern wert, durch das interesse für Goethe haben auch die im Schiller- Goetheschen briefwechsel enthaltenen ästhetischen forschungen eindringliciiere berücksichligung erfahren; auch die besten seiner Vorgänger sagen über dieses wichtige capilel weniger als H.

Noch auf einem andern wege gewinnt H.s buch einen neuen, originellen anstrich, der es ganz besonders auszeichnet. H. list die ästhetischen formein Schillers und Goethes mit andern äugen, als die ästhetiker älterer richtung. wir haben in den letzten de- cennien realistische kunsltendenzen kennen gelernt und in taten umgesetzt gesehen', gegen diese realistischen tendenzen wurden immer wider von einer einseitigen idealistischen ästhetik die künstlerischen principien Schillers und Goethes aufgeboten. H. scheint sich gefragt zu haben, ob die ältere ästhetik die aussprüche Schillers und Goethes auch immer richtig interpretiere, wenn sie mit ihnen dem realismus auf den leib rückt, gewis verleiten ja einseitige kunsiprincipien zu einseitiger und unrichtiger Interpre- tation ästhetischer formein. die idealistische äslhelik hat Schiller ohne zweifei idealistischer gefühlt, als er sein wollte, ebenso wird eine realistische ästhetik, die ihn für ihre realistischen auschau- ungen verwerten will, Schiller viel realistischer linden, als ihm je zu sein einfiel, um so förderlicher konnte IL würkeu, der sichtlich einen objectiven standpunct zu wahren strebt, ich nenne einige der interessantesten beobachtungen, die H. auf seinem wege gefunden bat: Schillers absehen vor dem VVolffianismus und vor seinen teleologischen neigungen hätte ihn die rein empirische richtung der gegenwart mit freuden begrüfsen lassen (s. 58). Schiller ist realistischer als derjenige naturalismus, der von einer inferioren materialistischen philosophie ausgehend deren dogmen in dichtung umsetzen will; er ist also wie wir hinzufügen dürfen realistischer als mancher der neueren naturalisten (s. 62).

' ich spreche nicht blofs vom naturalismus.

HARNACK CLASSISCHE ÄSTHETIK DER DEUTSCHEN 71

hochwichtig ist H.s hinweis aul Scliillers brief an Goelhe vom 7 juli 1797, der das worl 'Schönheit' aus dem iimlauf bringen und an seine stelle 'die wahrheil in ihrem vollständigsten sinne' setzen will (s. 81). auch Goethe rückt in H.s äugen in ein realisti- scheres licht, gegenteilige anschaunngen jDoleinisch ablehnend be- tont H. Goethes l'orderung, der bildende künstler müsse sich an die natur halten (s. 162). er stellt überhaupt starke realistische elemenie in Goethes kunsllheorie lest (s. 170).

Die gewählten beispiele eibärten zur genüge, dass H. die ästhetischen principien des Weimarer Ireundeskreises nicht an den theorion der jüngsten zeit messen will, von voreiligen Werturteilen ist keine rede. H. vermeidet den erbfehler seiner ästhetisierenden vorlauter, die Schillers kunstprincipien immer vom standpuncle ihrer eignen anschauungen anerkannt oder verworfen haben. H. ist litterarbistorisch viel zu gut geschult, um auf solche abwege zu kommen, ich sehe in seiner betracbtungsweise nur eine sehr glückliche Verwertung der methode wechselseitiger erhellung. sie auf lillerarhistorische fragen anzuwenden, hat Scherer uns gelehrt; mir ist diese lehre eins seiner schönsten Vermächtnisse, eigne erfahrung zeigt mir immer von neuem, wie förderlich es ist, die litteratur der Vergangenheit mit äugen anzuschauen, die an der betrachtung der gegenwarl sich geschärft haben.

Trotzdem hätte ich an H.s stelle nicht nur die Übereinstim- mungen, auch die gegensätze schärfer betont. H. erweckt den anschein, als glaube er noch immer an die eine, alleinselig- machende Schönheit, er erblickt (s. 68) in Kants vieldeutiger (lefinition der 'schönen kunst' den grundgedanken jeder künftigen ästheiik, die nicht in naturalismus oder Idealismus befangen die Probleme ignoriert, statt sie zu lösen, ich meine Kants aus- sprucli : 'Schone Knust ist eine Kunst, sofern sie zugleich Natur zu sein scheint', wie verschiedene folgerungen lassen sich nicht aus Kants defiuilion ziehen, je nachdem man das wort Natur oder das wort scheint stärker betont, vergessen wir doch nicht, dass es zwei arten künstlerischer betätigung gibt, die beide gleichberechtigt sind. Schiller und die romantiker haben versucht, die verschiednen Spiegelungen dieser beiden ästhetischen grundformen in die be- grilTsanlilhesen naiv und sentimentaliscb, objectiv und interessant, plastisch und pittoresk, classisch und romantisch zu fassen, später sprach man von realismus und Idealismus, jetzt beifsts natura- lismus und Symbolismus, das uii vergängliche verdienst der Stu- dien Schillers und FrScblegels ist in meinen äugen die tatsache, dass niemand vor ihnen diese contrasle schärfer durchgefühlt, klarer ausgesprochen hat.

Schillers aprioristische äslhetik, die ohne bedenken die höchsten forderungeu formuliert, sie als aprioristische ästlietik formulieren muste, sie zögerte keinen augenblick, das höchste schöne, das ideal in die Vereinigung beider principien zu setzen, freilich

72 HAR^ACK CLASSISCHE ÄSTHETIK DER DEUTSCHEN

wuslt' er sein- gut und hat es mit erfolg von Fichte gelernt, dass, dieses ideal zu erreichen, unmöglich sei, dass nur eine annäherung ins unendliche sich denken liefse. eine modern gedachte äslhetik wird noch viel vorsichtiger formulieren müssen, sie weifs, dass unendlich viele Variationen auf diesem wege zu einem unerreich- haren ideal, zu einem einheitlichen höchsten schönen möglich sind, Variationen, mit denen allen sie rechnen muss. ich bin übeizeugt, Schiller dachte sich die annäherung an dieses höchste schöne leichter, als sie ist; er glaubte sich ihm näher, als er war. auch Goethe steht diesem ideale ferner, als Schiller in den Briefen über ästhetische erziehung' und in der abhandlung Über die Sentimentalischen dichter meint. Schiller war viel sentimen- talischer, als er selbst dachte, nur dieses verkennen seiner eignen sentimentalilät erklärt mir die von H. sehr richtig betonten Schwankungen zwischen einem rein geistigen und einem liarmo- nisch geistig -sinnlichen ideale. H. zeigt solche Schwankungen u. a. in dem gedichte 'Das ideal und das leben' auf (s. 52). man braucht nur die auslührungen Schillers über den realisten und den idealisteu zu lesen, um zu erkennen, dass seine Sympathien auf der seile lagen, die er sentimen talisch nennt, dass sein höchstes schönes weit mehr sentimental als naiv gedacht war '. und deshalb soll ihm kein vorwuif gemacht werden, denn ich kenne keinen dichter, an dem nicht einseitige züge aufzuzeigen wären, seihst Goethes gesamte leistung verwürklicht nur eine fülle einzelner Variationen, viele etappen auf dem wege zu einem einheitlichen höchsten schönen, seine gröfse liegt mir in dem unvergleichlichen reicbtum an solchen Variationen.

Eine gerechte krilik, ein stichhaltiges urteil scheint mir nur dann möglich, wenn die duplicität der künste zugegeben wird, sonst wird nach wie vor ein dichter dem andern zum Vorwurf gemacht werden, und der litterarbistoriker kann sich nicht anders über die kurzsichtige tageskritik erhoben, die entweder conser- vativ auf einem standpuncte beharrend eine aufkeimende neue dichtung ablehnt, oder allzurasch begeistert sofort die verderbt- heit des realismus ausposaunt, wenn sich in Paris die ersten regungen einer symbolisiischen romantik zeigen.

Dass bei allem streben nach objectivität H. auch praktisch die gleichberechtigung verschiedener kunstprincipien nicht aner- kennt, beweist mir sein nach Haym und Minor schier unbegreif- liches misurteil über die romantiker, ein misurteil, unbegreiflich

ich brauche nach den obigen bemerkungen wol nicht besonders zu betonen, dass mich H.s erklärung (s. 54 f) nicht befriedigt, er macht Schiller grade zum Vorwurf, dass er zwischen 'schön' und 'erhaben' unterschiede aufsleiil, grade jene dualistische auffassung, die ich für eine glückliche ahnung des tatsächlichen Verhältnisses halte. H. erklärt, von dieser anti- Ihese aus sei eine einheitliche und klare ästhetik nicht möglich, ich kann eine einheitlichkeit nicht schätzen, die soweit ich sehe zuletzt doch zu einer einzigen, alleinberechtigten Schönheit führt.

UARNACK CLASSISCHE ÄSTHETIK DEU DEUTSCHEN 73

vor allem neben den lichtblitzen, die er gelegentlich aui' den Byrouismus fallen lässt (s. 86, v^;!. auch s. 151). schon von an- derer seile ist über H.s Stellung zur roniantik gesagt worden, was zu sagen ist. ich mochte nicht eiQijiiha fivd^oloyeieiv. unsicher wird H. solbrt, wenn er aul' die romantiker zu sprechen kommt, er nennt (s. 18 f) WSchlegels 'Briefe über poesie, silben- mafs und spräche' das bedeutendste, was im 2 und 3 Jahrgang der Hören über ästhetik erschienen isti diesem misglückten versuche, Schillersche ästhetik auf fragen äufserer form anzu- wenden, stellt H. den aufsatz 'Etwas über William Shakespeare bei gelegenheit Wilhelm Meisters' als ästhetisch weniger reich gegenüber, und doch entwickelt gerade der Shakespeareaufsatz die idealistische theorie, die tragödie müsse in versform abgefasst sein, dieselbe theorie, die H. mehrfach (s. 79. 227) als ursprüng- lich Schillerisch bezeichnet, während Schiller nur auf WSchlegels forderung hin den 'Wallenstein' in versen schrieb.

rsoch eins: H. kommt widerholt auf die Horenaufsätze des ästhetikers Hirt zurück, er belegt schlagend, dass der gast in Goethes kunstgespräch 'Der sammler und die seinigen' niemand anders als Hirt sei (s. 178'). in Friedrich Schlegels 'tollen' Athe- näums-fiagmenten äufsert sich Wilhelm ausführlich über Hirt, er kämpft Schulter an schulter mit Goethe gegen Hirts forderung einer Wahrheit der characteristik. ja er ist in diesem falle streng- gläubiger als Schiller selbst, der über Hirts absiebten milder dachte, wie H. selbst nachweist (s. 216).

Vielleicht tritt die Ungerechtigkeit, mit der H. über die roman- tiker urteilt, nirgends schärfer zu tage, als bei seiner analyse der Humboldtschen schrift über 'Hermann und Dorothea'. H. übersiebt, dass die von ihm hochgepriesene schrift ganz von roman- tischen ideen durchsetzt ist, dass sie besser gesagt ganz unter dem einflusse von FrSchlegels abhandlung 'Über das Studium der griechischen poesie' steht, ich bemerke nur nebenbei, dass Hum- boldt die doppeltheit der kunst nicht nur mit Schiller durch die antithese 'naiv' und 'sentimentalisch' ausdrückt, sondern vor allem FrSchlegels gegenüberstellung einer objecliven und einer auf den effect ausgehnden , einer interessanten kunst verwertet (vgl. H. s. 151). wenn auch FrSchlegels lerminologie auf Kant zurück- gehl, sicherlich ist seine anschauungsweise so cbaracleristisch, dass jeder kenner seiner ideen sie bei Humboldt widerfindet. dann aber ist der gedanke, von dem die ganze Hundioldlsche abhandlung getragen ist, nur Verwertung einer FrSchlegelschen idee. H. selbst betont, dass Humboldt in 'Hermann und Dorothea' den gesetz- mäfsigen urlypus des epischen gedicbtes gesehen hal (s. 149).

Ich finde diesen ausdruck nicht ganz richtig, denn er bedeutet wol dort dasselbe wie Kants 'ästhetische normalidee' (Kritik der Ur- teilskraft § 17). diese ist allerdings für die ästhetik dasselbe, wie Goethes urpllanze für die botanik (vgl. H. s. 164). Sie ist, wie Kant

74 IIAR.NACK CLASSISCHE ÄSTHETIK DEU ÜELTSCHE.N

sagt, (las zwischen allen einzelnen, auf mancherlei Weise verschie- denen Atischannugen der Individuen schwebende Bild für die ganze Galtung, welches die Natur zum Urbilde ihrer Erzeugungen in der- selben Species unterlegte, aber in keinem Einzelnen vollständig er- reicht zu haben scheint, auf dem letzten salze ruhl der liaupt- acceiil. Kant erklärt ausdrücklich, die normalidee sei nur eine regel, wie Polyklets Doryphorus, und er bekennt unumwunden, die darstellung der normalidee gefalle nicht durch ihre Schönheit, sondern hlofs, weil sie keiner bedingung, unter der allein ein ding dieser gattung schön sein kann, widerspreche, die dar- stellung sei blofs schulgerech l. und Kant unterscheidet diese normalidee ausdrücklich von dem ideale des schönen.

Ich meine, Humboldt hatte dem Goelheschen gedichle ein recht mäfsiges compliment gemacht, wenn er es zum schulge- rechten durchschniitsmuster erhübe, die sache liegt ganz anders. Humboldt betrachtet 'Hermann und Dorothea' so, wie FrSchlegel die griechische poesie angesehen hat. für FrSchlegel ist diese maximum und kanon der natürlichen poesie, die vollständige anschauung eines echten hegrilTs. sie ist ihm eine ewige natur- geschichlc des geschmackes und der kunst. denn sie enthält nicht wie die normalidee lediglich die gemeinsamen merkmale der gat- tung, sondern sie bietet den ganzen kreislauf der organischen entwicklung der kunst.

Auch Humboldt sah in 'Hermann und Dorothea' nicht ein regelgerechtes durchschnittsmusler, sondern ein maximum. um die dichtung als maximum zu erweisen, erhärtet er ebenso ihre ob- jectivität, wie FrSchlegel die objectivität der griechischen poesie bistoriscli zu begründen strebt, und wie FrSchlegel die einzelnen erscheinungen der griechischen poesie zu kanonischen typen, zu idealen der poetik erhebt, ebenso leitet Humboldt aus 'Hermann und Dorothea' die geselze des epos ab. Schlegel sieht in der griechischen poesie, Humboldt nach ihm in Goethes dichtung jenes von KIMiMoritz geforderte, von Schiller abgelehnte vollendete runde ganze, dem auch nicht ein einziger strich zu seiner Vollendung fehle, heider auffassung ist unkaulisch.

Schliefslich hatten die romantiker selbst den gleichen weg ein- geschlagen wie Humboldt, auch für FrSchlegel wurde Goethes dichtung kanonisch, in diesem sinne erklärt er einmal, wer den 'Wilhelm Meister' gehörig characterisiere, hätte gesagt, was au der zeit sei. auch für FrSchlegel wurde Goethes dichtung das in leben umgesetzte ideal.

Meine beiläufigen bemerkungen sollen nur der romantik und ihrer besseren erkenntnis und Schätzung dienen, ich möchte nicht quellen nachweisen, die H. entgangen sind, denn H. will nur die von ihm behandelten ästhetischen theorien analysieren und zu einem System vereinen, nicht die werke aufdecken, aus denen Schiller und seine freunde ihre ansichten geschöpft haben.

HARNACK CLASSISCUE ÄSTHETIK DER DEUTSCHEN 10

über die quellen der Schillerschen äsllielik ist noch immer ein undurchdringliches dunkel gebreitet; ich meine, es sei nicht so schwer, dieses dunkel zu erhellen, freilich darf man niclit bei Kant und Fichte stehn bleiben. IlvStein und Braitmaier weisen in ihren darstelluugen der ästhetik des ISjhs. die wege, auf denen weiterzuschreiten wäre.

H. hat seinem schönen buche das facsimile eines bisher ungedrucklen gedichtes von Schiller beigefügt, es fand sich im Stammbuch des livländischen nialers Karl Grass und trägt das datum: 'Jena, den IS mär z 1790'. H. weist überzeugend nach, dass die von ihm verüü'enllichten verse den unterdrückten partien der 'Künstler' entnommen sind.

Wien, 24 nov. 1892. Oskar F. Walzel.

Heinrich Heines faniilienleben. von seinem nefl'en baron Ludwig v. Embdes. mit 122 bisher ungetiruciilen famiiienbriefen des dichters von den universitätsjahren bis zu seinem tode, und 4 bildern. Hamburg:, HofT- mann u. Campe, 1892. 344 ss. 8°. 3, 50 ni.

Den beitragen der nächsten verwanteu Heines zu der bio- graphie des dichters haben keine glücklichen sterne geleuchtet, seines bruders Maximilian 'Erinnerungen an Heinrich Heine und seine familie' (Berlin 1868) sind durch die unzuverlässigkeit ihrer angaben bekannt, die 'Erinnerungen an HHeine von seiner nichte Marie Embden- Heine, fürslin della Rocca' (Hamburg 1880) und eben derselben 'Skizzen über HHeine' (Wien 1882) sind grofsen- teils Sammlungen unbeglaubigter anekdoten aus der familientra- dition, denen kein wert für eine bessere erkeuntnis von Heines leben und entwicklung innewohnt, dasselbe urteil müssen wir zu unserm bedauern über die neue publicalion aus der feder des bruders der letztgenannten dame fällen, obgleich sie die grofse zahl bisher ungedruckter und also von den biographen H.s nicht zu nutzender familienbriefe an die Öffentlichkeit bringt, dass diese briefe von der empfäugerin eines grofsen teils derselben, der greisen frau Charlotte Embden (geb. 1800), als ein teures Ver- mächtnis gehütet sind, ist leicht zu verstehn ; sind es doch redende Zeugnisse von der herzlichen liebe, die sie von Jugend auf mit ihrem älteren bruder verband, aber die treue anhänglichkeit H.s an seine alte multer, an welche die meisten anderen briefe ge- richtet sind, und an sein Lotlchen ist doch wahrlich nichts neues für die biographen, denen die H. sehen gedichte an mehr als einer stelle von dieser anhänglichkeit zeuguis gegeben hatten, selbst der rührende zug, wie H. die schmerzen und leiden seiner langjährigen krankheit vor der multer geheim gehalten hat, um ihr sorgen und kummer seinetwegen zu ersparen, ist für den kundigen nicht erst aus diesen briefen zu lernen, sondern längst durch die correspondenz mit Campe aller weit unverborgen (vgl. XXI 118. 129 Str.). wir verslehn daher nicht, mit welcher be-

76 VA> EMBI)E> HEINRICH HEI."SES FAMILIE.>LEBEiN

rechligung der herausgeber seiuem buche den sutz vorausschickt, H.s laniilienleben sei 'verschiedentlich unrichtig geschildert und seine beziehungen zu seinen nächsten verwanten oft arg ent- stellt'; das vorliegende buch solle 'eine genauere characterisieruug des dichters ermöglichen', ähnlich heilst es am schluss: 'die verülTentlichung vorstehender lamilienbriet'e, verbunden mit einem kurzen rückblick seines lebens (so!), möge als abwehr für fernere irreleitende mitteilungen über den dichter, sowie dessen be- ziehungen zu seiner familie nützen'.

Prüfen wir, da wie gesagt die briefe nichts neues bieten, den 'kurzen rückblick', der fragmentarisch zwischen die briete als verbindender text eingeschaltet ist, von dem sich aber nirgend angegeben findet, ob wir darin ältere aufzeichnungen der mutter des herausgebers oder eine selbständige arbeit des barons Ludwig vEmbden vor uns haben, inwiefern er uns wertvolle neue auf- schlüsse über H.s leben gibt, wir lassen dabei die urteile E.s aus dem spiele und beschränken uns auf die von ihm beige- brachten historischen tatsachen.

S. 3 begegnet uns das sicherlich falsche geburtsdalum 13 dec. 1799. dass dieses datum kein recht hat, noch als historisch be- gründet angesehen zu werden , beweist H.s brief s. 256 zur ge- nüge. — s. 5 wird als datum der heirat von H.s ellern der 6 juni 1798 angegeben, sicherlich auch falsch; denn als hoch- zeitstag steht lange der 1 februar fest, und die von Hüffer edierten briefe von H.s mutter aus ihrer hrautzeit ergeben dazu mit gröster Wahrscheinlichkeit als jähr 1797, sodass der 13 dec. 1797 mit Elster als geburtstag H.s festzuhalten ist. ob Samson Heines geburtsjahr von Strodtmann richtig als 1764 angegeben ist, oder ob E.s angäbe 1765 hier würklich berichtigt, vermag ich nicht zu entscheiden. s. 6 wird von H.s eitern gesagt, sie hätten seinen wünschen nachgegeben und ihn studieren lassen, das ist ein irreführender nachklang aus Maximilians Erinnerungen, in denen die woihabeoheit der eitern fälschlich betont ist, während doch feststeht, dass die Verhältnisse der alten Heines immer beschränkt waren, und dass die mittel zum Studium Heinrichs ausschliefslich von onkel Salomon dargeboten wurden. s. 8 wäre wol zur erklärung der 'seltsamen schicksalslaune' die bemerkung am platze gewesen, dass Moritz Embden ein bruder der frau von onkel Henry war, was erst s. 27 erwähnt wird. das richtige datum der Embdenschen hochzeit, s. 11, die Strodtmann versehentlich ein jähr zu früh angesetzt hatte, gibt schon Elster. die s. 40 erteilte auskunft über das titelbild ist ungenügend, ist der Jugendfreund, von dem es herrühren soll, Joseph Neunzig, so ist das bild nicht in Güttingen, sondern schon in Bonn gemalt. auf wessen rech- nuug s. 45 Albert (sol) von Chamisso kommt, steht dahin. s. 65 sind die geburtsjahre von H.s brüdern unrichtig angegeben: Gustav ist 1805, Maximilian 1807 geboren. s. 85 wird die

VA.N EMBDEA' HELMlICll HEI.NES l'AMILIE>LEBEIS 77

veröffenllichiiüg der 'Lutetia' ins jähr 1842 gesetzt; sie erschien bekaunllich erst im herbst 1854. s. 86 ist von einem neuen humoristischeu epos 'dem Sommernachtstraum' die rede, der pas- sender unter seinem haupttitel 'Atta Troll' aulzurühren war. der machtspruch in der anm. s. 131, weder Therese noch Amalie Heine seien gegenstände einer unglücklichen Jugendliebe ihres Vetters gewesen, kann keinen eindruck machen nach den treff- lichen Untersuchungen Elsters und Seufferts über das Buch der lieder. da das Verhältnis zu beiden Schwestern in die zeit vor der gehurt E.s fällt, beweist sein Widerspruch nichts den brief- lichen und poetischen äufserungen des dichters selbst gegen- über. — s. 143 wird II. s Irrtum über das entstehungsjahr des Atta Troll aus der franzosischen vorrede widerholl: es muss 1842 statt 1841 lieifsen. dass die s. 166 ff überflUssigerweise abge- druckte 'Erklärung' nicht jedem bekannt sei, ist eine ganz un- gerechtfertigte annähme; Elster hat sie vi 524 f und Strodtmaun gar zweimal: x 150 und xxi 120. wer die s. 178 in der anm. erwähnte jüngste Embdensche lochter gewesen, hätte man gern gehört; ist es vielleicht die in Sirodtmanns supplementband s. 367 f u. 375 erwähnte mad. Honor6 de Voss? dass onkel Heinrich dieser uichte einen Pariser hut geschenkt, rückt sie ihm doch immerhin menschlich näher für ein buch, das sein familienleben behandeln will, als alle ihm ganz lernstehuden töchter von vettern, die mit ihren fremdländischen gatten fürstlicher oder herzoglicher her- kunft getreulich in andern anmerkungon verzeichnet werden. die anmerkung über Schiffs. 225 gibt, selbst wenn man versucht hat, die sinnlose interpunction und conslruction zu verbessern, falsche nachrichten. H.s groismutter, die ihren ersten mann, Ileymann Heine, um zwölf jähre überlebte, heiratete nach seinem tode den witwer ihrer Schwester, Bendix Schifl". dr Hermann Schill" war der enkel dieses Bendix Schill, seine angaben über H.s privat- und familienverhältnisse sind jedesfalls nicht ungenauer und unrichtiger, als die Embdenschen. s. 237 f steht widerholt Gerard de Narval statt Nerval.

Wir hören auf mit corrigieren, denn die im anhang s. 311 344 vereinigten Urkunden haben für die wissenschaftliche lorschung gar kein Interesse, was die beigegebenen bilder angehl, so ist von dem titelkupfer schon oben gesprochen ; die andern drei sind nachbildungen von daguerreotypen Mathilde Heines, Charlotte Embdens und von der Heinestatue auf Korfu von Hasselriis, welche, weit davon entfernt jeden zeugen menschlicher bedürfligkeit aus- gestofsen zu haben, sie alle mit der ganzen nacklheit des modernen Verismus dem schaudernden beschauer vors äuge stellt.

Wer aufser der grofsen Strodtmannschen briefsamndung noch actenstücke zu lesen wünscht, die interessante beitrage zur charac- tcristik H.s geben, tut besser, sich die briefe H.s an Detmold an- zusehen, die Hüffcr in der Deutschen rundschau 42, 426 ff ver-

78 VAN EMBDE^ HKI.NRICII HEINES FAMILIENLEBEN

üH'eutlicIit hat, oder dif kilizlicli von Eugen WolfT lierausgegebeneo l)iielt' an Laube zur lianil zu nehmen, zu der arbeit des ersten sei es erlaubt, hier beilSufig einen kleinen nachtrag zu geben. s. 446 1' wird widerholt ein 'Ernst' genannt, nacii dem Ilüfl'er sich vergeblich befragt hat. gemeint ist natürlich der s. z. be- rühmte geiger Heinrich Wilhelm Ernst, bis 1843 kgl. concert- meister in Hannover, den H. von seinen Pariser concerten her kannte (vgl. vi 263. 348. 451 Elster).

Hamburg, april 1S93. Redlich.

L I T T E R A T U R N O T I Z E >.

Monumenta Germaniae hislorica. Auciorum anliquissimorum tom. ix. Chronica minora saec. iv, v. vi. vii. edidit Theodorüs Mommsen. vol. i. accedunt tabulae duae. Berolini, apud Weidmaunos, 1892. 4^. xii und 756 ss. 27 m. wer mit den allen ausgaben der kleinen Chroniken von Roncalli, Migne ua. zu arbeiten genötigt war, wird die neue kritische ausgäbe mit lebhafter freude be- grüfsen. die wenigen zuverlässigen publicalionen waren bis da- hin zerstreut, und bei den übrigen kam man aus der Unsicher- heit nicht heraus, das fehlen eines genügenden hslichen appa- rates, das fehlen von Untersuchungen über die filiation der Über- lieferung, das confundiereu von interpolierten und ursprüng- lichen hss. , die kleineren und die gröfseren lesefehler stellten sich dem benutzer immer wider hindernd in den weg. dem ferner, vielleicht sogar dem näher slehnden wurde es überdies schwer, das alter und die provenienz der einzelnen stücke und ihrer fortsetzungen hinreichend zu unterscheiden, und von der- jenigen Übersichtlichkeit und Vollständigkeit der parallelen und sich ergänzenden berichte, welche die neue ausgäbe durchführt, waren bis dahin auch nur proben vorhanden, dass auf diesem schwierigen gebiete endlich neben der vollständigkeil auch Ord- nung und Sicherheit geschaffen, ist ein grofser gewinn.

Dabei war die arbeit für diesen ersten teil wol eine schwie- rigere und dem anscbein nach eine undankbarere als bei den zusammenhängenderen geschichlsquellen. es muste viel histo- rische spreu mitbewältigt werden, und zur leclüre ist fast keine dieser Chroniken mehr geeignet, hier bort jeder genuss auf. kaum tritt uns überhaupt noch eine Persönlichkeit entgegen, last alles ist nur chronologisches material, das durch die letzten Jahrhunderte der antiken weit von Italien und Byzanz nach Gal- lien , Spanien und England weiter getragen und immer w ider kümmerlich vermehrt wurde: alte, neu aufgemachte listen von consuln und imperatoren, magere fasten und dürftige relalionen

MOMMSEiN CHROMCA MKNORA SAEC. IV VII 79

der zeitgeschichle, vom ueuen cliristeuliun bis zu Adam und Eva zurUckrevidiert, aber über die beredsam keit des kalenderslils selten binausgehend.

Trotzdem sind diese kleinen quellen auch für uns von be- sonderem werte, denn wo alles schweigt, reden sie oft allein zu einer zeit, in der die Germanen an allen enden des erdteiis im Wettstreit mit den alten Völkern an den geschicken der weit beteiligt sind, durch sie wird ein regestenwerk unseres alter- tums erst möglich, und die Sammlung der allen eigennamen ist ohne sie auch nicht abzuschliefsen. die lesaiten bieten der sprach- lichen krilik erwünschte handhaben, überdies treten an die stelle der späteren lautgebungen nunmehr öfter die reineren formen, und gelegentlich sehen wir auch ein sprachliches Unge- tüm verschwinden wie den gotischen Atiquaca, der sich in einen regulären Alka verwandelt, da das qua in der hs. durch puucte getilgt und durch ein in derselben reibe angefügtes ca ersetzt ist (s. 10).

Es ist nicht die aufgäbe dieser anzeige, die kritische arbeit des herausgebers im einzelnen zu verfolgen, so sei denn nur noch erwähnt, dass der band mit der Origo Conslantini beginnt, die hier als der erste alle teil von den späteren parlien des Anonymus Valesianus getrennt wird, die erste hauptmasse bildet die neubearbeitung des Chronographen v. j. 453, ihr folgen in verschiedenen fassungen die byzantinischen und die zahlreicheren italischen consulatslisten, sodann Prosper Tiro und dessen l'ort- selzung, Polemius Silvius, die von M. so benannten gallischen Chroniken, endlich Victorius Aquilanus nebst den sich an- schliefsenden Zusätzen.

Strafsburg i. Eis., im mai 1893. H. IIenmng.

La mylliologie du uord , eclairöe par des inscriptions latines en Germanie, en Gaule et dans la Bretagne anncienne (sie!) des Premiers sic^cles de notre ere. 6tudes par Frederic Sander. Stockholm, PANorstedt & söner, 1892, 188 ss. gr. 8». 4 m. (las buch ist ganz so werllos, wie es nach der verballhornung des Harhardsliedes durch brn FSander zu erwarten war, haupt- tjuelle bildet die abenteuerliche Mylhologia septenirionalis von De Wal. eine anzahl von gotlheilen sind Kelten und Germanen gemeinsam: Vodan-Toutates, Donar-Taranis, Idun, Nanna, Mime, in den ersten christlichen Jahrhunderten lässl S. einen starken auswandererslroin von Thule nach dem Süden einmünden, denn es sei merkwürdig, dass namen auf inscbriften sich leichter aus dem isländischen denn aus dem althochdeutschen erklären lassen usw. alaisiagae = dl (Lokas. 62) -{- is (= aisl. wsi) -\- jaga: Celles qui poussent ä former des Mens (de la sociale ou des chaines de la vie sociale); Beda stellt er zu isl. bed (lit conjugal) und Fimmüena qui accorde vite, rapidement la vi^rge, l'amante (une femea, fiemme, femne) s. 16 f. Tius Ihingsus ist nebenbei he-

80 SANDEH LA MYTHOLOGIE DU ISOHI»

merkt Odin alles ebenso verblülYend wie die beliauptung, isl. Grägäs sei so viel als Gröa gäs\ s. 18 IT gibt S. di'j malronen- inscbiiften nacb ClHh. , niclit einmal iiacli Max llim , und so geht es weiter durch das buch, dass einem das gruseln komnii. ich verzeichne: s. 36 iMime, Dens Mars Belatucadrus a Muro, Sivilus Thiugsus (sie!); auch der obscure deus Mars Camulus sei Mime; s. 44 Idun erkennt er wider als dea Sul, Sulevia etc. Nanna als Diana Abnoba, Harimella usw.; s. 60 Baldr ist Apollo und Mithras; s. 90 Forseti ist Vosegus (di. Fo-segns, 'celui qui parle rarenient'); s. 105 IT werden einige der Nehalenniainschriften mitgeteilt, die auf ihnen genannte güttin ist die dritte norne (Skuld) = germ. nehan 'coudre' + Man, hlen in isl. Manna 'spoliare'; s. 109 Heimdal = Deus Jalonus, Mars Rigisamus; s. 110 ff handelt S. über 'Odin et Frigg' (die er zb. als Mercurius et Rosmerta entdeckt), s. 124 ff über 'Thor et Sif, Thjalfe et Röskva' und lässt sie als 'Hercules Magusanus et Ilaeva'', Sif als llludana, Hariasa, Tamlana ua. auftreten, noch werden Ty, Vidar et Vale, Gudniund dans les champs brillants (Mimingus sylvarum satyrus), Geanls et nains, Volund und zuletzt Le marteau de Thor (sub ascia dedicare) in das wilde spiel gezogen, das mit zwei schlusstableaus: Ossian und Kalevvala endigt 'ein wahres hexenelement', mochte man mit Mephistopheles sagen, Mass uns aus dem gedräng entweichen ; es ist zu toll' . . .

Halle a. S., im märz 1893. Friedrich Kauffmann.

Arminius und Siegfried, von H. Jellinghaus. Kiel und Leipzig, Lipsius und Tischer, 1891. 38 ss. 8''. Im. 'beweise gibt es so wenig in der vergleichung der beiden- und göttersagen wie etwa in der Sprachwissenschaft und ethnologie' heifst es im be- ginn der kleinen abhandlung. ob J. zu diesem erfahrungssatz durch das Studium unserer neusten sagenforschungen geführt ist, weifs ich nicht, jedesfalls entzieht er mit ihm der kritik ihre eigentliche berechtigung. ihm scheint hier in der tat alles nur meinungssache zu sein. wenn er sich hinsichtlich des Arminius-Siegfrid auf Vorgänger wie Mone, Vigfusson und be- sonders Schierenberg berufen kann, so erwächst ihm daraus eine arl gewähr für die berechtigung seiner bypothese. andere werden sich eher an das wort von Jacob Grimm über die Nibelungen = Gibeliuen erinnern lassen, dass 'in unserer lit- teratur bei hellem tage gespenster gehn, die gebannt werden und dennoch wider zu erscheinen versuchen, ehe sie endlich hinabsinken' (Kl. Schriften v 365).

Grade weil die sagenforschung es mit dilücilen Verhältnissen zu tun und ein längeres lernen und beobachten zur notwendigen Voraussetzung hat, erfordert sie erst recht eine wissenschaftliche

' nebenbei bemerkt verschrieben für Ilaerae nacli CIL v no. 820U. 812C. es lohnt sich also nicht, den spuren Jaekels in der elymologisierung dieser vermeintlichen göttin zu folgen.

JELLINGHAÜS ARMIMÜS U»>D SIEGFRID 81

scliulung. wollte J. melhodisch operieren, so durfte er nicht von dem axiom ausgehn, dass ein so gefeierter sagenlield wie Siegfrid nur eine liistorisclie pcrson und dann keine andere als Arminius sein könne, so durfte er nicht nacii schillernden Ver- gleichsmomenten in characterzilgen und einzelnen Vorgängen suchen, um mittels derselben schliefslich eine grofse historisch- poetische allegorie herauszustaffieren, was hilft es, wenn Armi- nius ein 'manu fortis' war und Siegfrid grofse kraft hesafs, wenn des Arminius frau auf -elde endigt ebenso wie Chriem- hild? was hilft es, wenn Siegfrid nach der einen version in Westfalen das schmieden lernte und den drachen tötete, nicht weit vielleicht von der gegend , wo Arminius einst den Varus schlug? muss Varus darum schon der draclie sein? und wie der umstand, dass Siegfrid den drachen 'mit andern untieren auf einem holzstofso verbrennt\ daran erinnern soll, 'dass Varus köpf von seinem halbverbrannten leichnam getrennt und durch Marbod den Römern zugeschickt wurde' (s. 22), entzieht sich meinem Verständnis, aber hinter dem drachen soll nun einmal die römische wellmacht stecken, welche die erde umschlingt (s. 20). schade nur, dass dabei so viele andere drachen ger- manischer und nicht germanischer mythologien ohne erklärung ausgehn. so ist es nur consequent, dass die Brunhild. welche Siegfrid in der waberlohe erweckt, nicht das göttliche weih, sondern eine allegorische figur ist: das schlummernde deutsche Volk, das Arminius aufrüttelt, \ind in ihrem späteren Schicksal noch einmal in anderer beleuchtung das in seiner freiheit von Arminius gekränkte vaterland (s. 34). so mag man auch in Ezzel nicht den hunnischen Attila, sondern den cheruskischen Italiens suchen (s. 36) uam.; aber in ernste erwägung lassen sich diese dinge unmöglich ziehen. J. muste, wenn er die fundamente der bisherigen sagenkritik umstürzen und durch andere ersetzen wollte, notwendig den Zusammenhang mit der gesamtgeschichte der deutschen heldendichtung aufnehmen, muste zunächst den geschlossenen stoffkreis der Siegfridssage ruhig für sich betrachten und erwägen, ob sich die alte mythische geschichte nicht aus sich selber heraus besser und zusammenhangsvoller erkläre, als irgend ein historischer Vorgang es vermag, damit wäre er frei- lich nicht zu seinen ergebnissen gelangt, sondern hätte den for- schungen Lachmanns und Müllenhoffs nachgearbeitet, sich aber vielleicht für künftige eigene Untersuchungen gefestigt, so kann der warme localpatriotische sinn, der das sohriftchen durch- zieht, uns die mangelnde kritik unmöglich ersetzen.

Strafsburg i. P:Is., mai 1893. R. He.nm.ng.

Etymologisches Wörterbuch der deutschen spräche, nach eigenen

neuen forschungen von Karl Faülmann, k. k. professor in Wien,

Halle a.S., EKarras, 1891—92. vniund421ss. lex. 8o. 12m.—

fin de si^cle sollte nicht vorübergehn, ohne uns ein würdiges

A. F. D. A. XX. 6

82 FAÜLMA.NN ETYMOLOGISCHES WÖRTERBUCH

etymologisches Wörterbuch unserer spräche zu bescheren, einem k. k. Professor haben wir es zu danken; aber der Verleger weifs uns Reichsdeutsche zu trösten: Halle ist die Vaterstadt des verf., und 'zur freude' derselben hat das werk 'im schofse' dieses glück- lichen orles 'seine Vervielfältigung durch den druck' erhalten, marktschreierisch, wie der Umschlag mit dem roten reichsadler, ist hrn Karras ankündigung, die 'eine grofsartige entdeckung auf dem gebiete der Sprachwissenschaft', 'neue sprachwissenschaftliche entdeckung des Ursprungs der deutschen spräche', den 'nachweis der natilrlichen entstehung sämtlicher Wörter der deutschen spräche' ausposaunt und überhaupt nicht genug zu unterstreichen weifs. dass sie dabei stark deutschtümelt, hat mich nicht befremdet.

Worin nun die neue entdeckung besteht, das lässt sich so einfach nicht sagen, zum teil beutet Faulmann nur in sinnloser weise ältere gedanken, berechtigte und unberechtigte, aus. auf grund eines bettelarmen wissens werden die wunderbarsten laut- gesetze aufgestellt, dh. der zum teil wenigstens zweckvoll gedachte eintritt eines lautes für einen andern, zb. stammen qningen, quimban, hinthan, (q)wergen, {q)welgeii, wringan, gilingan ua., oder schwingen, singen, schweigen, saugen usw. von derselben Wurzel oder eins aus dem andern, der ablaut, die kategorien von praesens und praeteritum, von activum und passivum, von singular und plural sind von Uranfang als zweckvolle factoren vorhanden, zu allem tritt als 'sehr sprachbildendes' moment noch 'der vier- fache sinn', der die bedeutungen '1. feindliches wollen, drehen; 2. wüten; 3. ruhig, friedlich sein, gedeihen; 4. vergeho' in den- selben Wörtern vereinigt, so wird dann von einem willkürlich construierten wahngebilde, welches als wurzel ausgegeben wird, begrifflich alles und lautlich ungefähr alles abgeleitet, und das ist die neue Weisheit, die weder Bopp noch Grimm, weder Kluge noch Brugmann gefunden haben, sondern hr Faulmann, während sonst leute, die sich nicht wie die gewöhnlichen menschen ihr denken durch dinge wie logik und tatsachen beschränken lassen, mitunter doch unterhaltend sind, zeichnet sich diese sprachweisheit noch dazu durch geist- und geschmacklosigkeit aus. bähen ist verwant mit wehen und wogen, 'das wort bähen dürfte seinen Ursprung in [so!] der mutterbrust gehabt haben, da diese während derzeit des Säugens mitunter hart wird und ilann durch warme umschlage wider in den flüssigen zustand gebracht werden muss [sol]; be- deutete somit 'bähen': gerinnen machen (wie auch bei geschwüren), so schliefst sich bat 'kot' an pdhta 'bähete' an , wie qudt 'kot' an wdjan 'wehen', mager 'stammt von der wurzel mah eines st. zw. *mehhan 'sich ausdehnen, lang hinziehen', welches von der 'vergangenheitmehrzahl' migon des st. vb. migan 'harnen' ent- stand; aus dem begriffe 'stark harnten' entstand der neue begriff der ausdehnuug (des wassers), welcher in *mehhan vorliegt und in mager einen weiteren ausdruck findet (s. mehr)', diese bei-

FALLMANN ETYMOLOGrSCHES WüRTERBrCH 83

Spiele mögen tür alles genügen, man wäre um eine auswalil (loch in Verlegenheit; denn ein artikel ist immer schöner als der andere, und höchstens Verhältnisse, wie etwa gnibe : graben oder allenfalls rauch : riechen, sind vor dem entdecker sicher. 7 der 10 liefernngen habe ich genauer untersucht, oh nicht hier und da wenigstens ein brauchbarer neuer einfall zu entdecken sei. aber abgesehen davon, dass das unter dem 2 artikel kauz gesagte zum teil vielleicht berechtigt ist und dass auch ich hinter knabe (und knecht) eher einen begrill' wie 'knirps' als die wurzel gen 'erzeugen' vermute, hätte ich nichts zu vermerken, zu gunsten F.s dürfen wir noch einräumen, dass er die bedeiitungen nicht übel zu definieren weifs und die grammatiken und Wörterbücher sehr viel besser benutzt, als man es von derartigen leuten ge- wohnt ist. er steht also doch nicht auf dem standpunct des modernen gesundheitsapostels, der sich unter dem beifall seiner leute rühmt, nie ein medicinisches buch gelesen zu haben, ob auch F. in unseren merkwürdigen tagen sein publicum finden wird? unsrerseits raten wir den lesern, sich nicht in den sumpf locken zu lassen, wenn auch der reichsadler darüber schwebt. Bonn, mai 1893. Fra.xck.

De verbis quae in vetustissima Germanorum lingua reduplicatum praeteritum cxhibebant Ihesim facultati litlerarum Parisiensi pro- ponebat H. Lichteisberger. Nancy, Berger-Levrault et Cie., 1891. vni und 106 ss. gr. 8*^. der verf., nach dem titel 'in facul- tate lilterarum iNanceiensi colloquiis praefectus', behandelt das in letzter zeit viel besprochene problem, die Verwandlung der ursprünglich reduplicierenden germ. perfecte in (scheinbar) ab- lautende, in vier capp. im ersten 'describuntur verba redupl. praet. exhibentia, qualia in singulis Germanorum dialectis appa- rent'; es ist eine ziemlich vollständige aulzählung der über- lieferten formen , wobei die verba nach dem wurzelvocal des praesensstammes innerhalb der einzelnen dialecte geordnet werden, ich vermisse hier das verbum ahd. erien, erren, das mit seinem perf. iar aufzuführen gewesen wäre; weitere nebenformen zu ahd. steroz gibt jetzt Kögel, Beitr. IG, 500 f. aufserdem möchte ich bemerken, dass neuisl. hjält kein<! analogiebildung ist, wie L. s. 6 meint, sondern eine lautgeselzliche form, vgl. Sievers, Beitr. 16, 242, sowie dass das afries. ptcp. e-fen s. 8 nicht auf *fenhma-, sondern auf *fanhina- zurückzuführen war, da der (einzelsprachliche) nmlaul natürlich jüngeren datums ist, als der (gemeingermanische) Übergang von anh in äft. auch war mhd. iesch als späte neubildung s. 9 nicht mit ahd. heizan usw. so ohne weiteres zusammenzustellen'! im 2 cap. 'enumerantur verba germanica red. praet. exhibentia, et vocabula a verbalibus slirpibus declinata'. hier werden, ebenfalls nach dem wurzel-

* 9. 36 ist denn auch der Sachverhalt richtig angegeben.

6*

84 LICUTENBERGER DE VERBIS REUL'PLICATIS

vocal goorduel, sämtliche veiba mil liüchsl überllüssiger breite uu(i Zt. mit zu viel killinheit etymologisch behandelt, ich habe das für die uutersuchuug völlig unnötige cap. nicht im einzelnen nachprüfen mögen. in cap. 3 endlich 'De radice verbornm praeteritum per iteralionem primae syllabae int'ormantium' setzt 1.. dieselbe arbeil insolern lört, als er zunächst über die wurzel- auslaulenden oder -erweiternden consonanten und sodann über die ablaulslormen der wurzelvocale auslUhrlich handelt, ich cor- rigiere hier nur die behauptung (s. 74J, dass fegen umlauts-e habe, während doch durch niederd. dialectl'ormen unzweideutig ein e als wurzelvocal erwiesen wird (vgl. meine Soester mundart § 58).

Erst im 4 cap., aul' s. 77, kommt der bereits ungeduldige leser zu dem eigentlich interessanten teile der arbeit: 'De re- duplicata syllaba'. neues bietet L. jedoch nicht, sondern schliefst sich den schon gegebenen erklärungen an, indem er zb. ae. hehl aus *hehait, reord aus *reröd usw. ableitet, nur hat er versäumt zu erwähnen, dass das eo von leolc nicht lautgesetzlich sein kann, in der erklärung von ahd. steroz, scnruni usw. folgt er Lach- mann, Grimm und Zarncke, die darin wie ich glaube, mit unrecht ein 'euphonisches' r erblicken, falsch ist sicher die erklärung des ae. ws. praet. weoxun (neben nordh. wöxnn) aus einem ursprgl. '^we-w{a)hsume, *ioe-nhsume (s. 83), da es ofl'enbar eine jüngere neubildung, ein übertritt aus der ö-classe in die aualogie der redupl. verba ist, wie diesen verschiedene dialecte in späterer zeit häufig zeigen, im übrigen folgt L. den ausfüh- rungen Hofforys und des referenten in Kuhns Zs. 27, oder deren modificalionen durch Kluge und Noreen-Ljungstedi in Pauls Grundr. i. es kam L. auch wol mehr darauf an, das bisher ge- leistete zusammenzustellen und aus den vorgebrachten erklärungen die ihm plausibelste auszusuchen, als neue versuche zur losung des schsvierigen problems zu machen, sein buch darf als ein ileifsig und klar gearbeitetes specimen erudilionis bezeichnet werden, das für seinen zweck, die erwerbung des doctorgrades bei der Sorbonne (vgl. das vidi des decans und das Imprimatur des rectors am Schlüsse), jedesfalls völlig ausreichend war. die arbeilen von Ljungstedt, Ottmann und Holz hat er wol nicht mehr berücksichtigen können.

Giefsen, märz 1893. Ferd. Holtuausen.

Mundart und Schriftsprache im Elsass. von WilheliM Kahl. Zabern, llFuchs, 1893. vui und 02 ss. 1,60 m. Volksmundart und Volks- schule im Elsass. von Heinrich Meisges. Gebweilcr, JBoltze, 1893. X und 120 SS. 2 m. die beiden schrillen berühren sich in ihrem gegenständ sehr nahe, haben aber eine jede ihre eigentüm- lichen ausgangspuncte und ziele, dr Kahl, welcher bereits durch germanistische arbeiten sein grammatisches Studium bewährt hat, fand als commissarischer kreisschulinspector veranlassung, zunächst

KAHL U>D MENGES MUNDART IM ELSASS 85

liir die elsässische lehrerschalt die wichtigkeil einer wisseiiscljalV liehen beschäftigung niil den einheimischen mundarten ausein- ander zu setzen, welche namentlich die gewühnlichen fehler der Schuljugend zu bekämpfen ermögliche, die einschlägige paeda- gogische ebenso wie die dialecllitleratur hat er in umfassender weise herangezogen und aus persönlicher erfahrung und Über- legung manchen wertvollen beitrag hinzugefügt, einige kleine ungenauigkeilen, wie s. 16 die bezeichnung des Colmarers Gläsler in Arnolds Pdngslmontag als Vertreter des Sundgaus, oder s. 30 die angäbe, das mhd. ich gib sei im vocal der 2 und 3 person an- geglichen worden uä., wird man gern übersehen, die frage s. 37, ob teil im elsässischen noch die alte temporäre bedeutung 'so lange als, während' beibehalten habe, lässt sich aus den Sammlungen des Wörterbuchs der eis. mundarten bejahen. K.s schrift, lebendig und klar geschrieben, wird ihrem zweck durchaus entsprechen.

Hr Menges, lehrer an der landwirtschaftsschule zu Hufach, hat den vorteil, im Elsass selbst geboren zu sein und durch eine ziemlich lange schultätigkeit seine meinung über die behandelte (rage auch praktisch vielfach erprobt zu haben, es sind beson- ders die anregungeu von Rudolf üildebrand, von denen er ausgeht und deren Übertragung auf die elsässische schule er sich angelegen sein lässt. eine fülle einzelner beobachtungcn und Sammlungen fasst er ansprechend zusammen, wie schon Schmeller für das bairische bemerkt hatte, dass die erste silbe von beide sich wie in zwei nach den geschlechtern unterscheide, stellt er s. 37 fest, dass das oberelsässische ebenso beedi Füess, boodi Hand, baidi Auge nebeneinander treten lasse, solche Vorzüge der mundart werden mit recht hervorgehoben, auch die Verwertung der Orts- namen für diese Untersuchungen wird in ein deutliches licht ge- setzt, mit gutem grund sind diese erläuterungen vielfach an das deutsche lesebuch der elsässischen schulen angeknüpft, welches jedem lehrer zur band ist. aber das eigentliche ziel dieser Stu- dien, ja die mittel dazu hat M. nicht ebenso deutlich und über- zeugend angegeben als K. wenn der erstere von der gelegent- lichen anführung mhd. und selbst ahd. wortformen spricht, so muss dies dem lehrer der Volksschule gegenüber als gewagt, in der anwendung auf die schüler aber als geradezu bedenklich er- scheinen, diese art von Sprachvergleichung, die über mundart und nhd. Schriftsprache hinausgeht, mag wol von einem einzelnen, der sich dazu vorbereitet hat und selbst das talent dafür besitzt, mit gutem erlbig geübt werden; verallgemeinert könnte sie nur Irrtümer verbreiten, selbst an den aufstellungen des verf.s ist hie und da etwas nicht ganz richtig, s. 28 heilst es, Iw sei infolge der 2 lautverschiebung in zw übergegangen, und als beispiele wer- den mhd. Iwarc und twingen angeführt, nach s. 29 soll zwischen Wasgau und Vogesen metathese bestehn. solche vereinzelte ver- sehen fallen gegenüber den aufserordentlich reichen, selbslange-

8t) KAHL L'>D ME>GES MUMjART IM ELÖASS

legleu sammluugeu des verf.s aut den vcrschiedensleu gebielen des spracldebeus uichl schwer ins gewicht, diese saiumlimgen werden dem Wörterbuch der eis. mundarlen selir zu gule kommen, wie dieses überbauiil in den kreisen der elsässischeu lelirerschali eine hervorragende unterslülzung gelunden hat. von dem geisle, der den deutschen Unterricht gerade in den elsässischeu Volksschulen durchdringt, geben die beiden besprochenen Schriften die ertreu- licbste künde.

Slralsburg i. Eis., imjulil&93. E. Makti.n.

Allgemeine melrik der indogermanischen und semitischen Völker auf gruudlage der vergleichenden Sprachwissenschaft von Rudolf Westphal. mit einem excurse 'Der griechische hexameter in der deutschen nachbilduug' von dr I^El^RICll Kruse. Bertin, SCalvary U.Co., 1892. xviu. 514ss. 8". 10m. was das buch an metrischem oder musiktheoretischem inhalt in sich fasst, hat zum grüslen teile schon in den bisherigen werken Westphals gedruckt voi- gelegen und ist hier in höchst nachlässiger conipositioii in verworrener reihenfolge, mit widerholungen, störenden einschieb- selu, in unverhältnismäfsiger breite einzelner specialuutersuchun- geu zusammengetragen, neu hinzugetreten ist ua. ein ab- schnitt über die französische verskunst, der auf 50 selten manches sprachliche detail aus Lubarsch abschreibt, aber an metrischer characteristik die man in einer 'allgemeinen metrik' doch er- warten sollte das dürftigste leistet, als bestandteile, die mit melrik nur in entferntestem zusammenhange stehn , seien die Plaudereien über Jean Paul und Reuter s. 2 fl, die Schraderschen abhaudlungen und Übersetzungen chaldäischer gedichte s. 9fl' her- vorgehoben, sehr entbehrlich ist auch der im tilel genannte excurs über die deutschen hexameter, umsomehr als er von W.s Stile, der eine gewisse Vornehmheit und gröfse nie verleug- net, merklich abstiebt, der abschnitt über den germanischen Versbau s. 56 190, 206 219 widerholt die allen vierhebigen messungen des slabreimverses, vermengt für den altdeutschen reim- vers excerpte aus Vilmar-Grein mit graecisiereuden betrachtuugen und fuhrt die modernen kunstverse in den bekannten uner- quicklichen kategorien vor ('katalektische iripodien', 'hypermetri- sche Perioden des irochäischeu mafses' usw.), wovon endlich ein- mal der neudeutschen Verslehre die befreiungsstunde schlagen möge!

Die correctur dieses teiles nach s. ix noch von W. selber besorgt ist derart ausgefallen, dass, von andern curiosa zu schweigen, die alldeutschen exempel von druckfehlern bis zur Unkenntlichkeit und unbraucbharkeil heimgesucht wurden, zwei vorgebliche ütfridverse wie: ni was er, thaz tirvht. Ha sagen this ain (s. 64), es so spös thiro fnrzö (s. 66) mögen den greuel der Verwüstung veranschaulichen.

Dass die rhytbmuslehre der moderneu kuoslmusik in den

WESTPHAL ALLGEMEINE METRIK 87

Aiistüxenischeu begrid'eu eiueu orgauisclieii yiuudplao vuu der nüli^en Spannweite tinde, kann icli uiclil zugeben, mau niuss die einlaclisten slücke von Bach scliou beschneiden, um sie nacli \V. scher weise in den griechischen rubriken unterzubringen, ohne dass damit in übersichllichkeil ein schrill über unsere nulen- schrifl hinaus getan würde', auch dem neudeulschen versbau gegenüber sind die antiken begrillsclassen unzulänglich, schon aus dem gründe, weil sie für den volkstümlichen, wahrhaft deut- schen vers einlach keinen räum haben und den nach-opilzischen vers von seinem Vorgänger in versländnislütender weise los- reifsen. es ist bezeichnend, wie das Goelhische gedieht 'Epi- phanias' bei W. s. 215 den antiken ralunen sprengt, und wie ergienge es erst mil den Goelhischen sj)rüchen, wenn man auch sie versuchte in das classische gehege hineinzuquäleu!

Das buch kann, alles in allem genommen, nur schmerzliches bedauern wecken , dass der grofse verslehrer mil dieser tat von dem Schauplätze ruhmvollen würkens abtreten musle.

Berlin, 4. September 1S93. Andreas Heusler.

Orvar-Odds saga heiausgegeben von R. C. Boer. (Allnordische saga- ' bibliolhek 2.) Halle a. S., »INiemeyer, 1892. xxn und 124 ss. &°. 3,60 m. die lexlbehandlung ist dieselbe wie in der grofsen Leidener ausgäbe, nur ist hier der anläge der sammluug ent- sprechend der vaiianlen-apparal weggeblieben und nur die haupths. S abgedruckt worden, sehr weilvoll lür den anlanger sind die lulsnolen, welche kurze syntaktische und Sacherklärungen geben und auf die einschlägige lilleralur verweisen.

In der einleilung verzeichnet B. kurz die ergebnisse seiner sagengeschichllichen Untersuchungen Ark. f. uord. lil. 8, 97 ir und 246 ff. ein bleibendes resullat ist wol der uachweis, dass die sage von Orvar-Odd von der russischen sage von Oleg, Ruriks uachfolger, beeiuflussl ist. bei Nestor heilst es von Oleg, dass er durch den biss einer schlänge umgekommen sei, welche lange nach dem lode seines plerdes aus dem schädel desselben kroch, dasselbe eizähll bekanntlich auch die saga von Orvar-Odd. russischer einÜuss ist auch sonst deutlich im namen Bjdlkaland 'pelzland'. dem an. hjdlka- entspricht russisch belka 'fichhörn- cheu'. dieses belka ist wider eine bildung von belu 'weifs', und die compositionen mil diesem wort bezeichnen entweder pelz- werk oder pelzliere. beachtenswert ist auch der versuch B.s einen historischen Orvar-Odd nachzuweisen. B. idenliücieri den Odd mil dem Ohtheie in Allieds Orosius, der im 9 jh., also als ein Zeitgenosse von Grim, dem vater Odds, von derselben

weshalb das D-dur-piacluiliuiu im zweiten teile des 'Wohlteinperierten ciaviers' immer und immer wider in W.s bücliern als einziger Vertreter der miscbung zwei- und dreiteiliger 'fül'se' lierlialten muss, ist niclit klar; bei Bach wie auch wider bei Sctiumann und Bralims finden sich derartige fälle zu dutzenden.

88 BOER ORVAR-ODDS SAGA

gegend, \on Mulogaland aus;, eine Bjarmalaudslahit unternimmt, die Zusammenstellung der namen Odd und Oluhere ist Ireilicli wenig bestechend, ß. meint, Ohthere sei aus Odd entstellt; da es keinen dem an. Odd entsprechenden ags. namen gab, habe man den ähnlichen Ohthere eingesetzt, da ist es doch wahrschein- licher, dass die sage den namen entstellt hat. ich gebe liier zu überlegen, ob nicht der Oddo pirata in einer beziehung zu Orvar- Odd steht. Saxo 192 heifst es von ihm: vir magicae dodiis ila nt absque carina allum pererrans. man denkt hier au die eigen- schall des Orvar-Odd, immer günstigen tahiwind zu haben, vgl. Beitr. 18, 73. die entlehnuugen von der Odysseus-sage hat B. richtig besprochen ; es fällt nur auf, dass er Nyrops abhaud- lung Sagnet om Odysseus og Polyphem (Nord, tidskr. f. fil. 5, 216 IT) nicht berücksichtigt, die ihm das meiste schon vorweg genommen hat. zur episode vom kämpfe auf Samsey verweise ich jetzt auf Beitr. 18, 109 ff.

Wir wünschen derSaga-bibliothek ein rasches gedeihen, wenn der woldurchdachte plan so durchgeführt wird, wie es die vor- liegende probe erwarten lässt, so wird das nicht ohne günstigen einfluss auf die nordischen Studien in Deutschland sein. Wien, im juli 1893. Ferd. Detter.

Gellerts dichtungen. herausgegeben von A.Sceilllerus. kritisch durch- gesehene und erläuterte ausgäbe. Leipzig und Wien, Biblio- graphisches inslitut, 0. j. [datum der vorrede: oct. 1891.] v(, 28 und 385 ss. 8*^. gbdn. 2 m. die hauplschwierigkeit bei der herausgäbe von Gelleits werken für ein grofses publicum ist die entscheidung, was von den Schriften dieses schnell veralteten heute noch interessieren kann. Seh. hat die auswahl geschickt getroffen, von briefen und Vorlesungen gibt er knappe proben, von den geistlichen odeu und liedern eine stattliche, von den moralischen gedichten eine beschränkte Sammlung; die 'Fabeln und erzählungen' druckt er vollständig ab. der text ist, wie hier und da erprobt wurde, zuverlässig, und da auch die einleitung über Gellerts leben und werke sehr erfreulich ist, sachkundig, unbefangen und anspruchslos, so gewinnt der leser ein voll- ständiges bild des menschen und Schriftstellers, nur eins haben wir vermisst: der dramatiker Geliert, der nicht mehr veraltet ist, als der moralist, kommt gar nicht zu wort. Seh. hätte statt des reizlosen dritten buches der Fabeln und erzählungen 'Die kranke frau' abdrucken sollen, auf die mancher leser der Hamburgischen dramaturgie neugierig ist, sollte er auch nach der lectüre ent- teuscht sein.

Marburg i. H., im december 1892. Albert Köster.

Goethe der deutsche prophet in der Faust- und Meisterdichtung mit einem anhang der benützten, teilweise erst neu aufgefundenen quellen in Goethes werken, correspondenzen etc. von Otto Ludwig Umfrid. Stuttgart, ABonz u. Co., 1893. xvi u. 178 ss. gr. 8». 3 m.

L.MFRID ÜOETHE 1>ER DEUTSCHE PROPHET 89

die seilsame schrill kaiiu keiner wisseuschallliclien krilik UQler- liegen. der verf., welclier übrigens eine ausgebreilete belesenlieil in Goelhes werken, besonders denen des späleren alters, besilzt, ist mit den grundbedingnngen methodischer t'orschung nicht ver- traut und folgt lediglich den kreuz- und querzügen seines sub- jectiven gedankenganges, dessen einzige objective Wegweiser von dogmatisch-theologischer art sind, die schrill ist im wesentlichen eine erläuterung des Faust, während der Wilhelm Meister nur aushilfsweise herangezogen wird, für einen leuilletonisten wäre es leicht und dankbar, seinen wilz an diesem neuen Fauslcom- mentar zu üben; in dieser zs. scheint es angemessener darauf hinzuweisen, dass U. zur erklärung zwei bisher noch nicht genug berücksichtigte abschnitte aus Goethes werken herbeizieht: erstens die am schluss des achten buchs von Dichtung und Wahrheit ge- gebene theo- und kosmogonie, welche sehr geeignet ist, das doppelverhältnis desMephistopheles als Verkörperung des bösen und milhelfer am guten zu verdeutlichen, und zweitens die im zweiten buch der Wanderjahre enthaltene ethisch-religiöse lehre von den drei 'ehrfurchten' (vor dem, das über uns, neben uns und unter uns ist), welche zum Verständnis von Fausts läuterung und er- lösung wesentliche beihilfe liefert.

Rom, sept. 1S93. Otto Harnack.

Der Cid. geschichte des Don Ruy Diaz, grafen von Bivar. nach spanischen romanzen von Joh. Goltfr. vHerder. Schulausgabe, be- sorgt von dr W. Büchner. Essen, Bädeker, 1892. xvii u. 130 ss. 8**. carl. 1 m. unter Zugrundelegung der bekannten abhand- lung über den Cid von Reinhold Köhler und der synoptischen ausgäbe von Voegelin hat Buchner hier eine Schulausgabe her- gestellt, die man empfehlen darf, hervorgehoben sind nur die romanzen, die Herder mittelbar oder unmittelbar aus dem spa- nischen übersetzt hat; dagegen treten die erweiterungeu Couchus aus der Bibliolheque universelle des romans durch kleineren druck in den hintergrund. wissenschaftliche bedeutung kommt der ausgäbe nicht zu. der text ist an manchen stellen mit rück- sicht auf Schüler leicht retouchiert.

Marburg i. H., im december 1892. Albert Küster.

Untersuchungen zu Schillers aufsätzen 'Über den grund des Ver- gnügens an tragischen gegenständen', 'Über die tragische kunsl' und 'Vom erhabenen' ('Über das pathetische'), ein beitrag zur kennlnis von Schillers Iheorie der tragödie. von dr Karl Gneisse. wissenschaftliche beilage zum programm des gymnasiums zu Weifsenburg i. Elsass. Weil'senburg, CBurckardts nachf., 1889. progr. nr 494. 4". in und 37 ss. es ist eine leider un- bestreitbare tatsache, dass in der beurleilung der trauerspiele unsers grösten deutschen dramatikers die ansichten der berufen- sten beurteiler einander nicht selten schroff gegenüberstehu. der grund fUr diese erscheinung hegt darin, dass einerseits allgemein

90 U.NKISSE SCHILLERS THEORIE DER TRAGÖDIE

aueikaunle gruudsälze lür die beurleilung der tragischen dicli- Uiiigeu iiiclil vorhaiuleii, anderseits Schillers eigene anschauungeu über die iheoiie der Iragüdie, nach welchen doch seine Irauer- spiele in erster linie gewürdigt werden uiüslen , manchmal selt- samen misdeutungen ausgesetzt gewesen sind. Gueisse, der bei einen) gründlichen versenken in die erklärung und beurleiluug der 'iMaria Stuart' sich bei durchmuslerung der einschlägigen lilleralur einem wirrsal widerstreitender aul'serungen gegenüber sah, hat es deshalb unternonnnen, in vorliegender arbeil einen heilrag zu einer alle wesentlichen aul'serungen des dichters zu- sammenlassenden darslellung der iheorie Schillei's von der ira- gödie zu liefern, die otlenbar zunächst zur klärung der eigenen anschauungeu unternommene arbeit wird, da die gleichen Voraus- setzungen häulig vviderkehren müssen, auch von vielen lach- genossen U)it nutzen durchgearbeitet werden.

Die soi'gsam durchgeführte arbeil zerfällt in eine auzahl von einzelunlersuchungen , in denen allen nach dem Wortlaut der hisl. krit. ausgäbe Schillers anschauungeu zusammengestellt und erörtert, sowie misverständliche auffassuugen geschätzter gelehrter (HolfmeJSter, Tomaschek, Überweg, Hemsen ua.) zurückgewiesen werden, in der lilleratur ist G. wol bewandert, seine beurieilung der Schillerschen sätze ist scharf und eindringend, der ton seiner polemik sachlich und malsvoll.

In einem der arbeil vorausgeschickten vorworl (ni vni) weist G. an der band verschiedene!' urleile über Maria Stuart die be- stehnde Unsicherheit der ästhetischen beurieilung der Schiller- schen tragüdie nach uud stellt sodann lest, dass des dichters eigne theorie von der tiagOdie entweder aus unbegründetem Vor- urteil noch nicht genügend benutzt oder doch in weseullichen punclen inisverslanden worden ist. hieraus ergibt sich die nol- wendigkeil, diese theorie einmal im zusanimeuhange darzustellen eine bisher noch ungelöste aufgäbe. G. legt seinem 'beitrag' mit recht die abhandlungen zu gründe, in denen Schiller sich die fesistellung der principieii der tragüdie zum ausschliefslichen ziele setzt, diese sind: (1) 'Liber den gruud des Vergnügens au tragischen gegenständen' (1792); (2) 'Über die tragische kunst' (1792), eine directe ergänzung des vorher genannten aufsatzes, sowie (3) 'Vom erhabenen' (1793). dieser letzte aufsalz wurde nur zum teil unter dem litel 'Über das pathetische' in die Samm- lung von Schillers werken aufgenommen, spätere äufserungen des dichters werden nur hier und da zur erlauterung heran- gezogen.

Dem vorworl folgen fünf kurze abhandlungen. in der ersten (1 8) wird die würkung der tragüdie, in der zweiten (8 17) die moralische zweckmälsigkeit in der tragüdie nach den beiden ersten aufsälzen Schillers erürlert. die drille Untersuchung (17 28) legt die gedanken des dritten, in seinem vollen um-

GiNEISSE SCHILLERS TUEURIE DICH TRAGÜDIE 91

lange nicht jedermauu leiclit ziigäu^licheu aulsatzes auslühr- licb dar und erürleil ihr verliälluis zu den beiden früheren. im vierlen cap. (28 31) Nvird Schillers theorie der torni der iragüdie nach dem zweiten aulsatze kurz besprochen, und dann im l'üulien (31 34) eine übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten gedanken Sch.s über die tragüdie nach den drei aul- sätzen gelielert. ein anhang (34 37) vergleicht Schillers an- siciiteu über die iragüdie mit der Aristotelischen theorie und bebt die puucle hervor, in denen das Verhältnis der beiden äslhetiker zu einander nach den aus G.s Untersuchungen gewonnenen er- gebnissen in einem veränderten liebte erscheint.

G. hat in der vorliegenden arbeit ohne frage einen dankens- werten beitrag zu Schillers theorie der tragüdie geliefert, leider hat er sich jedoch nur aul einen teil derselben beschränkt, näm- lich auf die erürterung der von Goethes einlluss und erneuter j)raktischer kunstübung noch unbeeinflussten theorie aus denj anfange der neunziger jähre, es wäre wol der mühe wert und eine erwünschte ergänzung obiger auslülii'ungeu gewesen, wenn G. an der band der briefwechsel und sonstiger äufseruugen des dichlers es unternommen hätte, in einem zweiten teile nachzu- weisen, in wie fern die in Schillers irühesten aufsälzen nieder- gelegten gedanken in seinen späteren iheorien verwertet oder umgestaltet wurden. G. wäie ganz der mann dazu, seinen 'bei- lrag' zu einer umfassenden darstellung der theorie Schillers von der tragüdie auf grund des gesamten materials zu erweitern. Cambridge, juli 1892. Karl Breul.

^^ilhelm Teil. Schauspiel von Friedrich Schiller, ediled with in- troduction, english notes, majis etc. by Karl Üreul, m. a., ph. d. Cambridge, University press, 1890. lxxvi u. 267 ss. So. 2 s. 6 d. hält man im äuge, welchem zweck diese ausgäbe dienen soll, so ist sie reichen lobes wert, sie ist für den hüheren Schul- unterricht oder für den niederen englischen universitätsuuter- richt bestimmt und zeichnet sich unter den zahlreichen derartigen werken vorteilhaft aus. sie enthält neben buchst elementaren Unterweisungen, die dem deutschen leser lästig fallen, auch solche darlegungen , die nicht jedem geläufig sind, die einleitung be- richtet angemessen über die entstehungsgeschichte und den Stoff und mündet in den 'General remarks' in brauchbare ästhetische bemerkungen aus, für die besonders Freytags Technik des dramas glücklich verwertet worden ist. irrig ist s. xxxxni die bemer- kung, dass Schiller beim blankvers des Carlos auch dem beispiel der Iphigenie gelbigt sei: diese erschien im selben jähre wie Schillers drama und beeinllusste das werk nicht, die metrischen bemerkungen sind z. t. ziemlich naiv, so zb. wenn es heilst (s. lix); 'The rimes e:ä are in mosl cases more objectionable lo Ihe eye than Ibey are to the ear'. reime fürs äuge sind wie färben fürs ohr; die Schreibung ist ja ganz gleichgiltig! die sehr

92 BREUL SCHILLERS WILHELM TELL

aiisrululicheu noles siutl sauber gearbeitet, verraten gute keniit- »isse und grofsen lleifs des verfs., sind aber gröslenleils nur lür Engländer von wert und nutzen.

Leipzig, 18 sept. 1893. Ernst Elster.

Franz von Kleist, eine litterarische ausgrabuug von dr Julius ScHWERiNG. Paderborn, Schüningh, 1892. 31 ss. 8^. 0,60 m. unter genau demselben titel ist wenige monate früher bei CFConrad in Berlin eine kleine publicalion von Paul Ackermann erschienen, die sich aber lediglich als eine leichtfertige compilation aus Goedeke, der Allg. deutschen biograpliie und Schwerings Untersuchungen über Grillparzers hellenische trauerspiele erweist, dabei hat Acker- mann sich und seinen beiden weit überschätzt, hat aber einen glücklichen und lustigen nachweis geführt: dass nämlich in Könneckes Bilderatlas 'Schillers familienbild aus dem jähre 1797' nicht Schiller, Lotte und ihre beiden sühne, sondern Franz von Kleist, Albertine geb. von Jung und ihre beiden tüchter darstellt, im übrigen ist die schrift von Ackermann wertlos, während Schweriug seinem stoff völlig gerecht wird, viel ist ja über Franz von Kleist nicht zu sagen ; er ist ein epigone von mäfsiger begabung und interessiert nur durch seine beziehungen zu Wieland, zu Schillers gedichten 'Die götter Griechenlands' und 'Der taucher', sowie zu Grillparzers 'Sappho'. diese be- ziehungen hat S. klar erörtert, seinem schlussurleil über den dichter wäre hinzuzufügen, dass sich den politischen öden Kleists am w ürdigsten die gedichte anreihen , die aus seinem innigen liebes- und eheleben geflossen sind.

Marburg i. H., dec. 1892. Albert Köster.

Zwei briefe vo^ ühland.

Am IG april 1825 schrieb Ludwig Uhland an den freiherrn Joseph von Lassberg: 'Im vorigen Spätjahr hatte ich mich viel mit Wolfram von Eschenbach beschäftigt, auch einiges nieder- geschrieben; aber statt der erwarteten altfranzösischen Hand- schriften von Bern, welche mir zu gründlicher Behandlung dieses Dichters nüthig schienen, kam die Antwort, dass solche nicht abgegeben werden. Dieses nöthigte mich , den ganzen Abschnitt zurückzulegen und ich habe mich jetzt zu der deutschen Helden- sage gewendet'. {Briefwechsel zwischen Joseph freiherrn von Lass- berg und Ludwig Uhland. herausgegeben von Franz Pfeiffer. Wien 1870. s. 52; vgl. Ludw. Uhlands leben, ans dessen nachlass und aus eigner erinnerung zusammengestellt von seiner witwe. Stuttg. 1874. s. 205.)

Zu diesen worten Uhlands an Lassberg geben die beiden hier folgenden bisher ungedrncklen briefe Uhlands eine nähere erklärung. es sind die schreiben, welche Uhland od. 1824, kurz nach seinem zweimaligen besuche in Bern im sommer desselben Jahres {Uhlands

IllKZEL ZWEI BRIEFE UHLA.NDS 93

leben, s. 203) an die aufsichtscomnu'ssion der Bernei' Stadibibliothek und an den prof. Johann Rudolf Wyss in Bern zum zwecke der erlangung eben jener handschriften gerichtet hat, von denen in dem briefe a)i Lassberg die rede ist. die beiden Schriftstücke aus Uhhtnds feder stanmien aus dem nachlass von JRWyss, über dessen lebens- umstände und lilterarische tütigkeit der Verfasser vorliegender Zeilen in dieser Zeitschrift früher berichtet hat : Jacob Grimm und Johann Rudolf Wyss, Anz. iii 204 /f. die briefe lauten:

1. Sliiltgarl, den 21 Oclober 1S24. Hochzuverelireude Bibliollielicommission !

Mit einer gescliichllichen Darstellung der älteren deutschen Poesie beschäftigt, ist es mir von grossem Interesse, die ver- wandten Denkmale der altlVanzüsischen Litteratur, wo dergleichen zugänglich sind, näher kennen zu lernen.

Die Bibliothek der Stadt Bern besitzt in dem Nachlass von Bongars mehrere altlranzüsische Ilandschrirten, hinsichtlich deren ich bei einem kurzen Aulenthalt in Bern mich überzeugen konnte, wie sehr eine genauere Einsicht derselben mir bei jener litlera- rischen Arbeit wichtig und forderlich seyn würde.

Im Vertrauen auf die wohlwollenden Gesinnungen der Auf- sichtsbehörde dieser Bibliothek, erlaube ich mir daher die ange- legene Bitte, dass mir die zwei Handschriften:

No 113 Li Romans de Loherens, de Parcheval le Galois etc. etc. No 296 Les faits de Guillaume d'Orengis etc. auf einige Monate hieher mitgelheilt werden möchten, indem mir meine Verhältnisse nicht gestatten würden, diese Handschriften an Ort und Stelle auf eine gründliche Weise zu benützen.

Sollte die gleichzeitige Mittheilung beider Handschriften Au- sland finden, so würde ich meine Bitte zunächst auf die erstbe- zeichnete No 113 beschränken.

Den verehrlichen Mitgliedern der Commission nicht persönlich bekannt, darf ich mich auf das Zeugniss des Herrn Staatsraths von Kaufmann, der sich in Aufträgen der würtembergischen Staats- regierung in die Schweiz begiebt, darüber berufen, dass mir die Handschriften ohne Besorgniss anvertraut werden kOnnen. Zu- gleich hofl'e ich, durch heiliegende Anweisung auf ein dortiges Haudlungshaus für die erforderliche Sicherheitsleistung gesorgt zu iiabeu.

F'ür den Fall, dass mein Ansuchen geneigte Aufnahme findet, schliesse ich die Bescheinigung hier an. Herr Professor Wyss würde den Em|>fang der Handschrilten und deren Versendung an mich freundschaftlich übernehmen.

Mit dem .Ausdruck der vorzüglichen Hochachtung unter- zeichne ich Hochzuverehrender Bibliolhekcommission

gehorsamster Dr. Ludwig Uhland, Rechtsconsulent.

94 HIKZEL ZWEt BRIEFE UHLANDS

2.

SUUtgarf, ihn 21 October 24. Verehrter Herr Professor!

Ihrem freundschaftlichen Hathe gemäss übersende ich hierbei ein Schreiben an (He dortige Bibliolhekcommission, worin ich die Mitlheilung der mich zunSchst interessirenden allfranzösischen Handschriften nachsuche. Ich bitte Sie, von diesem Schreiben Einsicht zu nehmen und empfehle solches Ihrer Verwendung. Sie ersehen aus demselben, dass ich Ihre Güte noch weiter in An- spruch nehme, indem ich Sie bitte, wenn meinem Wunsch ent- sprochen wird, die Handschriften in Empfang zu nehmen und auf meine Rechnung verpacken zu lassen und zu versenden.

Es fügt sich gerade, dass Herr Staatsraih von Kaufmann in die Schweiz reist, welcher für mich Zeugniss geben will. Er wird gegenwärtiges Schreiben an Sie bestellen und seine Empfehlung beilegen. Auch ist er erbötig, die Handschriften, wenn sie ver- abfolgt werden, von Zürich aus mitzunehmen.

Ausserdem habe ich mittelst einer Beilage zu der Eingabe an die Bibliolhekscommission für Bürgschaftsleistung durch ein dortiges Handelshaus gesorgt.

Kann ich beide Handschriften zugleich erhalten, so ist es mir freilich der Umständlichkeiten halber das angenehmste. Im andern Falle ist mir zunächst an 1 13 gelegen.

Ich stecke schon tief in Eschenbachs Dichtungen und bin daher auf den Erfolg meines Gesuchs überaus begierig.

Gern hält' ich in die Alpenrosen ein kleines Denkmal meiner Schweizerreise gestiftet. Aber meine Leier, die seit mehrern Jahren fast gänzlich verstummt ist, hat auch an den Alpen nicht ge- klungen.

Es hat mich sehr gefreut, durch Schwab, der Sie im schönen Interlaken getroffen, von Ihrem Wohlbefinden zu hören.

Mich zu freundlichem Andenken empfehlend, bin ich mit Gross und Hochachtung der Ihrige

L. Ubiand.

Dass Uhlands bitte um Übersendung der in seinem briefe an die bibliolhekcommission genannteti handschriften vergeblich war, ist ans den oben mitgeteilten worten an Lassberg ersichtlich.

Lassberg, der wie mit Uhland so auch mit JRWyss in leb- haftem hriefwechsel stand {einundzwanzig briefe von ihm an Wyss sind im besitz des unterzeichneten) , dnfserte wegen des abschlä- gigen bescheides, den Uhland erhalten, den lebhaftesten Unwillen gegen seinen Berner correspondenten. er schrieb am 30 april 1825 aus Eppishausen an Wyss: ,>Iein Freund Uhland in Stuttgart, dessen treflliche Abhandlung über Walther v. d. Vogelweide Sie gewiss mit Vergnügen gelesen haben, hatte nun den Wolfram von Eschilbach in Arbeit genommen; hierzu waren im ein Par Handschriften wälscher Minnesinger aus der Berner Bibliothek

HIRZKL ZWEI RRIEFE UHLAM»S 95

nöli^, allein ik-ren Milleiliing wiiidt; nicht gestaltet! Prof. Beneke z. Göttingen, der Herausgeber des Bonerins und Wigalois, dem ich eine Handschrili des Ersteren auC der Basier Bibliothek ent- deckt hatte, wünschte dieselbe zu conferiren; ich wendete mich deshalb an zwei Professoren der dortigen Universität, hatte aber nicht das Glück einer Antwort gewürdiget zu werden. Möchten doch die Schweizer hierin das Beispiel teutscher Universitäten nachamen, die den Gelerten ire Handschriften mit der grösten Liberalität mitteilen !'

Und am 29 sept. gleichen Jahres schrieb Lassberg an Wyss, er sprach von den verschiedenen Veröffentlichungen der ahbildmi- gen aller bürgen: 'Ich meines Ortes wünschte, dass ein tüch- tiger Mann die Sängerbiirgen herausgäbe und einen wackern biographischen Text dazu machte; letzteres könnte Niemand besser als unser Uhland. Wie kam es doch auch, dass man einem solchen Manne die Mitteilung eines altfranzösischen Lieder-Codex abschlug? Wollen es denn die Berner den schweizerischen Mön- chen nachmachen , die wie alle Lindwürmer über jren literari- schen Schätzen liegen?'

Aber Lassber'g hatte im gründe doch unrecht, über Uhlands miserfolg in Bern so zu schelten, war ihm doch selbst die mit- teilung der Weingartner handschrift für die fortsetzung seines 'Liedersales' in Stuttgart verweigert, ja diese nicht einmal Uhland ins haus gegeben worden, für Lassberg abschriften zu nehmen (Briefw. zw. Lassberg u. Uhland, s. 57). es war damals eben nicht der brauch, tcertvolle handschriften auszuleihen, wenigstens nicht aufser landes. und dieser brauch hat bekanntlich an vielen orten bis in die neueste zeit gedauert.

Nicht ganz vier jähre später, im jnli 1S29, safs Uhland ver- gnügt im schlösse seines freundes des 'meister Sepp' zu Eppishausen. die Berner xcaren liberal genug gewesen und hatten die handschrift, deren Uhland jetzt wider bedurfte, in den Thurgau abgeht lassen. Bern, 9 juli 1893. LunwrG Hirzel.

Berichte über GWenkers Sprachatlas des deutschen Reichs.

vni. 25. heifs (satz 6). In satz 6 steht das wort nur in den älteren formularen, wie sie zuerst für Nord- und Mitteldeutschland ausgefüllt wurden, hin- gegen in den jüngeren für Süddeutschland bestimmten wurde es durch stark ersetzt (vgl. den satzabdruck Anz. xviii 305), aber doch als einzelne vocabel am Schlüsse der Übersetzung besonders auf- geführt; es ist daher zu beachten, dass die folgenden formen von heifs in Süddeutschland (Baiern, W'ürttemberg, Hohenzollern, Baden, Elsass- Lothringen) aufserhalb eines Satzzusammenhanges stehn.

96 BERICHTE ÜBER WECKERS SPRACHATLAS Mll

wenn liier also im nordweslliclieu Lothringen um Diedenhol'en, IJodemacliern, Sieri< statt heifs das synonymon warm ül)orliefert wird, so scheint jenes dem dortigen dialect ilherhaiipt fremd zu sein, nürdhcher hat sonst in salz 6 warm (seltener glülig, stark) das heifs verdrängt, hesonders in den Moselgegenden zwischen Ilocliwald, Idarwald und Schnee-Eifel. in der östlichen hallte der hochdeutschen enclave östlich der unteren Weichsel üherwiegl brüh, das sonst nur noch vereinzelt um Fürstenherg a. d. Oder und Guhen auftaucht.

Zum anlaut /;- auf früher slavischem hoden vgl. Anz. xix 106.

Die lautverschiebungslinie tjfs stimmt zu der von ^oasser (Anz. XIX 282) bis Ermslehen, wenigstens was die dort aufge- zählten Ortschaften anlangt, weiter zu der von salz (ih. 99) bis Frankfurt, der rest zieht über Göritz, Cüstrin, Sonnmhurg, Lands- berg (alle hart an der grenze) und endlich wie ikjich. dieser linie sind widerum östlich der Elbe auf nd. seite etliche verschiebende orte als ausnahmen vorgelagert, namentlich märkische siädte (auch Berlin mit Umgebung), für die auf Anz. xviii 410. xix 97. 99. 103. 282. 347. 358 zu verweisen ist. aber eine besonderheit findet sich an der mittleren Eder: hier gibt es längs der verschiebuugs- grenze auf nd. seite von Fürstenberg bis Sachsenhausen ein kleines, im atlas 18 orte umfassendes gebiet mit der form heiz, sodass hier von w. nach o. sich heit (Medebach und Corbach), heiz (Fürstenberg und Sachsenhausen), heifs (Waldeck und Naum- burg) ablösen.

Nehmen wir bei betrachtung des nd. vocalismus als beson- derheiten vorweg die form hitt nördlich des bogens Bremerhafen- Elsfleth-Botenburg (a. d. Wümme) -Buxtehude-Travemünde (etliche hett, namentlich nordöstlich der Elbemündung, weisen auf offenes i), hitt (ohne e-schreihungen) in einem länglichen streiten, der im w. bis Witlingen, im o. bis Salzvvedel, im s. nicht ganz bis Öbis- felde, im n. nicht ganz bis Lüneburg reicht, dasselbe hitt in einem kleinen gebiet am Frischen Haft' südwärts von Frauenburg und Braunsberg, ferner hett (hätt) linksrheinisch von Geldern-Rheinherg abwärts, endlich eine kleine /««eY- enclave um Remscheid herum, dann unterscheidet sich alles übrij^e nd. land nach monophthon- gischen (e-) und dij)hlhongischen (ei-) formen, deren Verteilung im grofsen und ganzen sich vergleichen lässt mit der von ö- und ew- formen bei milde (Anz. xix 353). heit, häit herscht an der unteren Hase und Ems von P'ürstenau, Quakenbrück, Vechta über Haselünne, Kloppenburg, Friesoythe bis Papenburg und Emden; manche het sprechen hier noch für die Jugend der diphthon- gierung, und anderseits führen versprengte heit südlicher im übrigen Emsgebiet zu dem gleich zu erwähnenden grofsen westfälischen diphthonggebiet hinüber, dasselbe heit siegte forner am Rhein von Recs und Emmerich bis Isselburg und Anholt, sowie von Mors und Duisburg über Angermund und Velbert bis Gerresheim,

BERICHTE ÜBER WEMiERS SPRACHATLAS VIII 97

Grälralli, Ilühscheid. dann aber erslreckl sich die diplilliongie- ruiig von der ungelähreii linic Gelseiikirclieii-Oi|)e uordoslwärls iu breitem streiten, der gegen so. duicli die lautverschiebiings- linie bis zur Elbe begrenzt wird (nur ein gebiet zu beiden Seiten der Dieniel mit Borgentreicb und Trendelburg, Liebenau uud Hofgeismar, Grebenstein und Immenhausen hat het bewahrt), gegen nw. durch (he sehr unsicliere linie Gelsenkirclieu- Lüne- burg, gegen no. (hirch den /«//;- bezirk bei Salzwedel und die deutliche scheide (ej-orte cursiv) Calvörde, Wolmirstädt, Magde- burg, Schönebeck; in diesem diphthouggebiet liegen zwei bezirke mit heut um Soest, IVeheim, IJeleke, Uiithen, Mirschberg, Warslein, Ever&berg und um SalzulTelu, Lemgo, Lage, üetmold, Blomberg, Hern, Steinlieim, Schwalenburg; sonst überwiegt hau namentlich im w., während ösllich der Weser ziemlich reines heil überliefert wird, von dem nordoslziptel dieses grofsen diphthonggebietes leiten dann vereinzeltere heil hinüber zur mecklenburgischen diphthon- gieruug (immer heil geschrieben, doch durchsetzt mit etlichen het) ; ihre grenze zieht von Travemünde südwestlich etwa aul Berge- dori zu, von Bergedorf' nach Lauenburg und folgt dann weiter ziemlich genau der mecklenburgischen landesgrenze, geradeso wie mein' Anz. xix 353; wie dies setzt sich heil dann auch östlicher fort, folgt dessen grenze bis Dramburg, zieht abei' dann weiter über Tempelburg, Bärwalde, lialzebuh; Jastrow, Landeck, Ilam- merstein , Baldenbury, Rummelsburg, Berenl, Schöneck, INeusladt (auch hiei' gewöhnlich heit, vereinzelt hau geschrieben), heil end- lich noch au der russischen grenze um Gollub, Strasburg, Gurzno. alles andre land nördlich der Verschiebungslinie hat e, an dessen stelle östlich vom 36 grade zahlreiche 6 treten (auch in der hd. enclave hefs und höfs).

Auf hd. boden ist zunächst ein ostdeutsches gebiet, für das im allgemeinen die form he/s gilt, durch folgende bogenlinie ab- zutrennen (orte innerhalb dieses gebietes ciü^siv): Gasten, Ascliers- ieben, Alslebeu, Gönnern, Gerbstädt, iVlansfeld, Eisleben, Allstädt, Querfnrt, Wiehe, lleldrungen , Weifseusee, Sömmerda, Erfurt, Weimar, Ohrdruf, Plane, llnienau, Zella, Wasungeu, Meiningen, Ostheim , Mellrichsladt, Bischofsheim , Neustadt, Brückenau, Orb, Rieneck, Lohr, Stadtprozellen , Dertingen, Grünsfeld, Aub, Creg- lingen, Vffenheim, Sclieinfeld, Ip/iofen, Aschbach, Prichsenstadt , Gerolzhofen, Eltmann, Zeil, Hassfurt, Königsberg, Ebern, Sesslach, Licbtenfels, Coburg, Cronach, Sonnebery, Teuschnitz, Ludwigstadt, Probstzellu, Lobenstein, Lichtenberg, und weiter unsicher ostwärts aufs Erzgebirge zu. dem so abgeteilten ostdeutschen bezirke sind ^-formen eigen, nur Schlesien weist kleine ausnahmegebietchen auf {heiß, haifs um Naumburg, W^artenberg, Freisladt, Neustädtel, um Trebnitz, Juliusburg, Oels, haifs an der obersten Glatzer Neifse um Miitelwalde, haifs, hafs au der Oppa und um Katscher); ä-schieibungen überwiegen um Eisleben, in dem ganzen vom

A. F. I». A. XX. 7

98 BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS VIII

Tliili'ingoi'wakl südwesllichen teile, im Voiytlande uiul üsllicher da- von bis zum 31 grade, an der Oder zwischen den angegeltenen e/-dislriclen, im Glalzer kreise niirdlich jener /ia?/s-aiisnal)me und üsllicher längs der reichsgrenze; etliche d an der oberen Um um Biankenhurg und Stadl-Um.

üer von der weslgrenze dieses gehietes und der verschiel)ungs- linie gebildete hessisch-thüringische keil wird von heiß ausgefüllt, das im w. bis zur grenze fej-orle cnrsiv) Schlüchtern, Laulerbach (beide hart an der sclieide), Schlilz, Grehenau, Hersfeld, Ilolen- burg, WaJdkapipel, Spangenberg, Lichtenau, Weisungen, Felsberg, Gntlensberg, Fritzlar, Zusehen, Wildungen, Frankenau sich erstreckt, im gebiet der unteieu Werra viellache et, äi, längs der grenze von Rhön bis Thüriugerwald vorwiegende ai, um Biscliofsheim herum oa als vocalnilancen aufweist, das westlichere Hessen bat bis zur etwaigen linie Uilchenbach-Giefsen hefs und h'sfs, jenes mehr in der nordüstliclien , dieses mehr in der südwestlichen bälfte; im s. zeigt die gegend des Vogelsberges unsichere buul- beil von h'üfs (um Grüuberg, Ilerbstein), haifs (Nidda), hoafs (öst- lich davon), fügen wir noch das Siegerlau(l mit heifs, haifs hinzu, dann legt sich von dessen südpunct Hachenburg an um das ganze bisher beschriebene bd. land ein breiler gürtel mit häfs herum, dessen äufsere grenze verläuft über (S-orle cursiv) Hachenburg, Westerburg, Montabaur, Ems, Holzappel, Braubach, den Rhein von St. Goar bis Riidesheim, Kreuznach, Alsenz, Kirch- heimbolanden, Grüustadl, Pfeddersheim, Frankenthal, den Rhein bis Germersbeim, Wiesloch, Waibsla(U,iVecA'ars/emac/i, Eberbach, Erbach, Michelstadt, Amorbacb, Wörth, Ivlingenberg, Freudenberg, Milten- berg, Külsheim, Walldürn, Boxberg, Osterburken, Ballenberg, Möck- mühl, Widdern, Neudenau, Wimpfen, INeckarsulm , Heilbronn, Laufl'en, Beilstein, Löwenstein, Murrliardt, Gaildorf, Vellberg, Ell- wangen, Crailsheim, Dinkelsbühl, Feuchtwangen, Wasseilrüdingeu, Gunzenhausen, Spalt, Roth, Allersberg, Altdorf, Hersbrnck, Velden, Auerbach, Grafenwöhr, Kemnat (die letzten sechs unmittelbare grenzorte), Wunsiedel.

Das noch übrige land im w., südwärts etwa bis zu der ganz unsichern linie Busendorf- StWendel- Rastatt- Germersheim, liat hefs und h'üfs, sodass etwa der nordwestlichen ripuarischen bälfte e- und der südöstlichen bälfte ä-fäibung eigen ist; doch kommen, abgesehen von den schon oben erwähnten häufigen synonymen ausdrücken, noch kleine ausnahmebezirke in betracht, so um Köln mit ei, um Ahrweiler, Remagen, Unkel, Linz und nordöstlicher ei, zwischen Blankenheim und Adenau ei, um Coblenz, Ems, Bop- pard und südlicher ai, westlich davon au der Mosel bis Cochem ä. teilen wir ferner dem von obiger ä-grenze östlich des Odeuwaldes gebildeten zipfel bis zum Neckar von Eberbach bis Gundelsbeim (also mit Klingenberg, Miltenberg, Amorbach, Walldürn, Buchen, Eberbach, Osterburken, Adelsheim, Mosbach, Möckmühl, Neudenau)

BERICHTE ÜBER WE.NKERS SPRACHATLAS VIII 99

die form hufs zu , dann bleibt jetzt nucli der iiii wesentlichen alemannische und bairische Süden zu behandeln übrig.

Folgende grenze trennt von ihm ein westliches gebiet von ei- und «t-iormen ab (orte mit solchen cursiv): Lauff'en, Besig- heim, Bietighei»t, Sacitseuheim , Obenixingen, Heiinsimm, Weil, Calw, Zavelstein (sämtlich hart an der grenze), ßulacli, Berneck, Altensleig, Dornstellen, Freudenstadt, Oppenau, Wolfacli, Schil- tach, Hornherg, Triberg, Vöhrenback, Villingen, Bräunungen, Neu- stadt, Lorfingen , Stühlingen; das Elsass schreibt etwa zwischen ßreusch und iModer häutig ei und di, nördlich von Slralsburg sogar eine enclave ä, ebenso das gegenüberliegende rechtsrhei- nische land um Renchen, Achern, Bühl ei und äi; das gebiet der Blies nördlicher überlieiert last reines ei; sonst ist in dein ganzen bezirk ai das characterislische, und das rechte Lauteruier südlich von VVeifsenburg hat sogar noch einen ä-bezirk. es schliefst sich das westschwäbische Äocr/s-gebiet an bis zu folgender ostgreuze (oa-orte cursiv): Gr. Bottwar, Marbach, Ludwigsburg, Stuttgart (alle dicht an der grenze), Grötzingen, Tübingen, Rottenhurg^ Reuilingen, Pfullingen, Hechingen, Trochtelüngeu, Ganimertingen, Ehingen, Veringen, Sigmaringen, Friedingen, Messkirch, FfuUen- dorf, Waldsee, Ravensburg, Tettnang, Wangen, Linda%i; in der nähe der reichsgrenze und des Bodensees zahlreiche ö-schreibuugen. hiernach oslschwäbisches hoi/'s und hoefs (beide Schreibungen ziem- lich gleich häufig) bis (oj-orle cursiv) Dinkelsbühl, Ottingen, Ndrd- lingen, Mouheim, Donautoörth, dem Lech folgend bis Landsberg, Mindelheim, Memmingen, Kempten, fsny, Immensladt, in beiden schwäbischen gebieten wird häufig nasalierung des vocals ange- geben, von dem südlichen teil der letzten grenze bis in die nähe des Lechs (sodass Schongau, Füssen und Umgebungen ausge- schlossen bleiben) herscht haifs. der jetzt noch übrige bairische Südosten schreibt consequent hoafs, ausgenommen eine hoifs- enclave mit Heideck, Beilngries, Eichstädl.

Es bleibt noch übrig einige endungslormen zu erwähnen: hete erscheint an der Ruhr um Steele und Essen und nördlich und südlich davon, daran schliefst sich heiten in und um Mülheim; heite gilt für ein der lautverschiebungslinie von Worbis bis Sachsa vorgelagertes gebiet, das auch Dudersladt noch umschlielst; end- lich herscht hete in einem langen streifen zwischen Elbe und Oder, zu dem von gröfseren Ortschaften Jerichow, Genthin, Ziesar, Flaue, Prilzerbe, Rathenow, Friesack, Nauen, Kelzin, Spandau, Oranienburg, Biesenlhal, Bernau, Eberswalde, Joachimsthal, Oder- berg gehören.

Die dänischen Übersetzungen schreiben hed, her, he oder be- vorzugen die Synonyma stark und icarm. die Nordfriesen haben auf Sylt warm, auf den übrigen inseln hiat , hiät, hiet, an der kUste hlt.

Die eigenartige vocalverteilung bei heifs veranlasste mich,

100 BERICHTE ÜBER UE>KEUS SPRACHATLAS VIll

diesen beiichl müglitlisl mechanisch zu geslallen, was demjenigen, der sich die beschriebene karte liiernach leproducieren will, nur zu gute kommen wird, auf die geschiclite des worles, namenllich in bezug auf formen wie hilt und solche niil endung, eiuzugelin ist hier nicht der ort.

26. zwei (salz 33).

Das zugehörige substanlivum ist ein neulrum, sodass das einheilhclie karlenbild durch die vielfach noch lebendigen mascu- linen und femininen l'ormen nicht geslort wird.

Für die lautliche entwicklung des worles kommt seine rolle als Zahlwort in belracht, wofür auf sechs Anz. xvui 112 zu ver- weisen ist. der verlauf der anlautenden laulverscbiebung twjzw stimmt für die westliche hälfte zu dem der inlautenden ttjz in sitzen (Anz. xix 357), nur dass für Geilenkirchen und Gerresheim, als unmittelbare greuzorte, schon zw bezeugt wird, jedoch vom Oberharz an schlägt die Verschiebung einen weg ein, iler mit dem der s/r»-grenze von sechs im allgemeinen sich vergleichen lässt: ßenneckenstein , llasselfelde. Stiege, Bhmkenhurg , Derenburg, Ilalberstadt , Wegeleben, Groningen, Schwanebeck, Oschersleben, Seehausen, Helmstedt, Nenhaldensleben, Calvörde, Taugermünde, Jerichow, Rathenow, [{hinow, Friesack, Ruppin, Rheinsberg, Fürslenberg, Lychen, Templin, Greiffenberg, Angermünde, Schwedt, Zehden, Schönfliefs, der rest im wesentlichen wie bei sechs, das hd. gebiet östlich der unteren Weichsel hat auch für diese s-ver- schiebung seine herkömmliche ausdehuung (vgl. ekjech). dazu kommt dann aber noch, widerum wie bei sechs (aao., vgl, auch ib. 406), der äufserste osten des reichs mit der h(l. Verschiebung, deren grenze hier östlich von Labiau an der südostecke des kuri- schen Haffes einsetzt und über Wehlau, Alienburg, Gerdauen, Nordenbnrg, Drengfurth, Rastenburg, Rössel, Sensburg gen s. zieht, die durch verkehr und geschäftsieben bedingte lautliche emancipation des Zahlwortes zeigt sich selbst im sonst so conser- vativen westen, wenn durch ganz Hannover und Westfalen ver- sprengte zw- in Übersetzungen erscheinen, die bei andern Wörtern sich solche ausnahmen niemals erlauben, doch verläuft die ver- schiebungslinie an sich hier im westlichen stammlaude wider nor- mal und fest, während sie in jener östlichen hälfte zackig und schwankend ist und nicht nur nördlich manche zw, sondern auch südlich bis zur ikjich-VimQ zahlreiche alte tw vor sich hat (eine ganze /lo-enclave zb. noch zwischen Treuenbrietzen, Luckenwalde, Jüterbogk). bei dem unsicheren und nie übereinstimmenden ver- lauf aller der verschiedenen lid./nd. grenzen zwischen Elbe und Oder werden solche am weitesten nach n. ausweichenden linien, wie hei sechs und zwei, ungefähr das bild abgeben, wie sich hier höchst wahrscheinlich im laufe der zeit die allgemeine hd./nd, scheide vorwärtsschieben wird. längs der französischen grenze in Lothringen wird öfter sw- geschrieben.

ÜEKICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS VIII 101

Der vocalismus des wortes stimnil aul nd. bodeii im wesenl- liclien zu dem von hei/'s (o. s, 951), nur dass zunächst die dort im eingang erwähnten sonderl'ormen hüt, hell, hält hier alle durch gleichmäl'siges Iwl' ersetzt werden, sonst stimmt hei beiden Wör- tern die Verteilung der i- und eZ-lormeu im grofsen und ganzen; (loch entspricht dem heil hei Emmerich und Isseihiirg Iw', und die dort hei Mürs und Duisburg lieginnende diphthongierung setzt hier erst südlicher ein (s. u.); im gebiet der Leine südlich von Hannover dort reines heü, hier mancherlei ucüi^ Iwii, Iwü; zwi- schen der nordostgrenze des westfälischen diphlhonggebietes (der Lünehurger Heide) und der südweslgrenze des mecklenburgischen (der Elbe von oberhalb Hamburg bis Dümilz) vermitteln bereits zahlreiche eingesprengte Ucei, Iwäi; die ö östlich vom 3G grade sind hier viel vereinzelter, statt dessen namentlich in der hd. enciave zahlreiche zioä und im östlichsten verschiebungsgel)iet nicht seilen z-icei^ das um Gumbinnen, Slallupönen, Pillkallen, Schirwindt sogar bei weitem vorherseht; durch alle nd. lice-^e- biete tauchen vereinzelte Iwei auf; eine besonderheil bildet end- lich am wesllichsten ende der vcrschiebungslinie ein twie-gehici mit Gangell, Waldl'euchl, Heinsberg, Erkelenz, Gladbach, Viersen, Diilken, Süchleln, Kaldenkirchen, Kempen, Straelen; Mülheim a. d. lUihr und umgegend hat Iwia.

Aul' hd. buden ist namentlich die Verteilung der md. e- und ei-l'ormen bei zwei eine wesentlich andre als bei heifs. das dem mittleren teil der verschiebungslinie vorgelagerte ei- gebiet ist hier viel kleiner (e?'-orte Ci/rs?'y): Seehausen, Wanzleben, Schönebeck, Gommern , Barby, Calbe, Slassfmi, Güslen, Aschers- leben, Alsleben, Gönnern, Gerbsiädl, Hellslädl, Mansfeld, Eisleben, AUsiadl, Qiierl'urt, NViehe, Ueldrunyen, Cölleda, Weifsensee, Söm- merda, Erfurl, Gotha, Walletshausen, Salzungen, Eisenach, Berka, Vacha, Hersleld, Holenburg, Spangenberg, Weisungen, Fcisberg, Gudensberg, Frilzlar, Wildungen, Fiankenau; die Schreibung ist vorwiegend zwei, an der NVerra ölter zwäi, zwei, alles östlich und südlich von diesem bezirk sich anschliel'sende land hat bis zu dem unter heifs beschriebenen breiten ö-gürlel zwü und zwä, zwischen denen wider der Thüringerwald schlechthin als scheide dienen kann; überall sind schon einzelne zwei eingedrungen, gegen o. mehr, gegen w. weniger. Schlesien hat durchgängig zw?, zwai nur in einem kleinen grenzgebielchen an der Oppa, viele zwä an der unteren Glatzer ^eilse, dann an der Oder von Brieg bis Breslau vorwiegend zwei und endlich weiter stromabwärts bis zum 52 grade ein gröfseres gebiet mit zw'i, zwie, zwiä, zwia, das sich nach w. und sw. bis gegen Naumburg, Sagan, Sprottau, Primkenau, Eüben, Liegnilz ausdehnt, aber auch noch genug zwe, zwä, zwei aufweist; sonst wider zwä um Eisleben und längs der südgreuze des königreichs Sachsen; einige zwü an der oberen Hm.

102 BERICHTE ÜBER WEWKERS SPRACHATLAS VIII

Die uoriigrenze des sich um dieses ganze v- und ^7 -gebiet herumziehenden a-gürlels stimmt im wesentlichen bei heifs und bei zwei überein, nur dass sie bei diesem von ilirer nordspilze aus in einem Östlichen ausläufer noch Biedenkopf und Kirclibain einschliefst und ebenso südlicher die gegend des Vogelsberges (östlich von Schotten und Wenings wider zicoa). die siidgrenze entspricht der für Jiä/'s beschriebenen nacli den dort aufgczühllen Ortschaften bis Mückmühl, von wo südwärts unsicheres schwanken zwischen zicä und zwai iierscht, und wider von Vellberg bis Velden (nur für Dinkelsbühl wird schon zivä geschrieben), der rest ver- läuft über Auerbach, Pegtiitz, Eschenbach, Neustadt, Kemnat, Wnmiedel.

Das noch übrige land im w. hat dem dortigen hüfs cnlspre- chendes zxcä consequent nur in der Pfalz und im untern ISahe- gebiet (von Kirn abwärts); dasselbe zxoü ferner zwischen der Mosel einerseits und Hoch- und Idarwald anderseits, sowie südwestlicher um Sierk, nodemachern, Diedenholen; eine kleine zjoS-enclave noch zwischen Adenau -Mayen und Sinzig- Andernach; endlich zwe im gebiet <Ier Schnee-Eifei längs der reichsgrenze um SlVith bis Prüm und Bitburg, sonst schreibt namentlich das ganze ripua- rische dialectgebiet reines zwei, dessen vocal zu beiden seilen des Rheins die lautverschiebungsgrenze sogar nördlich noch über- schreitet, sodass hier bis einschliefslich Dahlen, Rheydt, Kaisers- werlh, Angermund, Velbert, Barmen, Remscheid twei gilt (zu dem für sich stehnden Met um Remscheid fehlt also bei zwei die parallele), das Siegerland schreibt zwai^ auch zxoaij. das ai zieht sich dann von hier südwärts an der westgrenze des ä-gebietes entlang und ist weiterhin für das Moselfränkische, soweit es nicht «-formen hatte, characteristisch. lothringische et leiten endlich hinüber in den elsässischen e?-district.

Für den alem. und bair. Süden kann im grofsen und ganzen auf die beschreibuiig des vocalismus von heiß verwiesen werden mit folgenden einschränkungen. es fehlt die «-enclave nördlich von Slrafsburg; das ^7-gebiet am Odenwald ist gegen s. kleiner, indem zwai den Neckar hier schon überschreitet und über Mosbach hinaus bis gegen Adelshcim hin herscht; zu Dinkelsbühl s. 0.

Die Dänen schreiben to, einige nördlichste orte und die insel Romö tan, Alsen und etliche orte südlich von Hoyer und Toudern tu; die Nordfriesen meist tau, die südöstliche hälfie von Föhr taw, die Halligen taue, verschiedene orte des gegenüberliegenden fest- landcs ton, tön, low, to, tu, das Saterland two.

27. Schnee (satz 25). Der iür den nw. des reiches characteristische anlaut su- er- scheint, in verschiedenem grade mit sehn- wechselnd, etwa jen- seits einer linie, die vom Rhein bis zum Harz der ikjich-Mme entspricht, nördlich am Harz entlang zieht und ganz ungefähr von

BERICHTE ÜBER WECKERS SPRACHATLAS VIII 103

Magdeburg aus nach Swinemüiule läuft; liiiksrlieiuiscli nur noch wenige sn- von Geldern nordwürts; im o. häutigere sn- nur in W'estpreufsen zwischen der oheron Bndie und Laudeck-Baldenburg. bei dem Wechsel mit scim- wird man die Schrittsprache oll in belrachl ziehen müssen, zumal die leute dort auch heim bocb- deulscbsprechen ihr dialectisches sh- zu articulieren ptlegen; um- gekehrt schreiben die Verfasser der dänisclieu Übersetzungen ganz reines sn-, wie sie es allein aus der dänischen Orthographie kennen, aber auch wenn man somit einen bestimmten teil der sehn- hier im nw. aus Schriftsprache und schreibgewohnheit erklärt, bleibt dennoch der procentsatz der schwankenden sehn- und sn- in den einzelnen gegenden sehr verschieden: für Schleswig, Holstein, Mecklenburg, das land zwischen Elbe und Weser und die Nord- seeküste wird ganz überwiegend sn- überliefert, dagegen ist zwi- schen Weser um\ Rhein sn- verhältnismäl'sig viel seltner als sehn-, obwül es nirgends ganz fehlt, hierin spiegelt sich nicht eine verschiedengradige annäherung des sn- an das nhd. sehn-, son- dern der verschiedene lautwert jedes dortigen s überhaupt wider: Östlich der Weser, vor allem zwischen Weser und Aller, ist in der ausspräche das alte s rein erhalten mit spitzer articulation, in Westfalen dagegen wird nicht mehr ein spitzes s, sondern ein mitlellaut zwischen s und s gesprochen, der etwa dem polnischen s gleichkommt und für die mundarten zwischen Weser und Rhein und am Niederrhein characterisliscb ist. man darf also sagen, dass bis zu der oben angedeuteten grenze in Nordwestdeutschland sn- und nicht sehn- gesprochen wird und dass die unterschiede zwischen den verschiedenen sn- auf den unterschieden der dor- tigen s- articulation überhaupt beruhen. wenn an der untern Weser, dann zwischen dieser und der untern Elbe, namentlich aber in Mecklenburg häutig zn- neben sn- geschrieben wird, so werden hier umgekehrte Schreibungen vorliegen: man spricht dort schriltdeutsches z im anlaut häutig nicht als ts, sondern als s (analog dem f- für scbriftdeulsches pf-), und man benutzte diese umgekehrte Schreibung in den genannten gegenden, um das tonlose s in sn- gegenüber dem häufigeren tönenden s des anlauts (vor vocal) zu kennzeichnen; andre nd. gegenden haben im anlaut nur tonloses s.

Der vocal zeigt in Niederdeutschland die ähnliche entwicklung wie der des vorigen Wortes, also: in Schleswig, Holstein und an der Nordseeküste e mit vereinzelten ei, ei; als besonderheilen hier ein kleines ei-gebiet an der untern Osle und Elbemündung von Stade abwärts und ein kleines »e-gebiet im östlichen Wagrieu von Lütjeuburg-Eulin ostwärts ans meer; ei, äi vom Dollart und der untern Ems an deren rechtem ufer aufwärts, hier schon weiter südlich gehend (Osnabrück und umgegend hat nur noch ei) und in der gegend des Wiehengebirges und südwestlich da- von in das gebiet der westfälischen diphthongierung mündend;

104 BERICHTE ÜBER WENKERS SI'RACIIATLAS VIII

ilie {grenze der (liphtliongisclicn Ibniien am linken Elbiifer von Hamhurg bit^ Lenzen isl wider ganz unsiclier, und es isl daher zu erwarten, dass hier die links- und rechlselhische (mecklen- burgische) diphthongierung einmal zu einem grül'sen gebiete zu- sammenttiefsen werden (bei müde sind beide auf der karte bereits zusanHiicngefassl, vgl. Aiiz. xix 353); ebenso südlicher zwischen Salzwedel, Witlingen, Gardelegen bunter Wechsel von c, ei\ äi; der t'-districl an der verscbiebun^slinie niirdlich von Cassol er- streckt sich bei schnee noch westlicher, sodass er noch Zierenberg, Wollhagen, Landau, Arolsen, Corbach, Fürstenberg umschliefsi; voü den eu-bezirken westlich der Ueser isl hier das westlichere viel kleiner und schliefst von grüfseren orten nur Soest und Ne- beim ein; ein drittes gebietchen mit eu um Hildeslieim; sonst hier im grofsen diphtbonggebiel im \v, wider vorwiegend äi\ am Hothaargebirge und nördlicher ai, im (ihrigen ei bis auf eine grOfsere enclave östlich von Hannover mit Hurgdorf, Celle, Gil- horn, Hraunschweig, ScbO|)pensledt , für die ie id)erliefert wird, das versprengt dann noch südwestlicher bis in die gegend von Bockenem und Goslar auftritt, hier bunt mit ei, äi, ai wechselnd; östlich der Weichsel e am untern Pregel und um Bischolstein), jedoch ie (so die Schreibung) häutiger zwischen Saalfeld, Mohrungen, Liebemühl und dann das ganze gebiet beherscbend, das östlich und südöstlich des bogens Bischolsburg-Rössel-Bartenslein-Tapiau- Insterburg-Goldap liegt, und versprengt noch darüber hinaus; für sich steht noch eine gröfsere sc/oje/- enclave mit der grenze {ei- orte aii'siv) Barby a. d. Elbe, Loburg, Görtzke, Ziesar, Branden- burg, Saarmnnd, Potsdam, Teltow, Cö\)en\c\i, AU-Landsberfi, Bicsen- thal, Freienwalde, Oderberg, Zeh'den, Schwedt, Scliöntliefs, BänoaJde, Neudiuiim, Fürslenfelde, südlich davon aul' die Odei' und ihr bis Lebus folgend, Frankfurt, Müllrose, Beeskow, Storkow, Bucbholz, Golssen, Luckau, Sonnemoalde, Finsterwalde, Kirchhayu, Schlieben, Herzberg, Annal)urg, Schiveinilz, Jessen, Seyda, Zalina, Coswig, Boslau, Zerbst (die letzten neun hart an der grenze); vom nieder- rheinischen seien hier nur die kleinen bezirke mit ej um Goch, Calcar, Cleve, Crauenburg und mit ia um Mülheim a. d. Ruhr, Velbert, Barmen erwähnt, sonst hierüber gleich im zusammenbang mit dem ripuarischen.

Für die hd. mundarteii hört der vergleich der vocalismen von sch7tee und zwei natürlich aul. dagegen lässt sich hier, wenigstens im grofsen und ganzen, und in Süddeutscbland deut- licher als in Milleldeulscbland, eine enlwicklungsverwanlscliall zwischen dem e in schnee und dem ö in groß {Am. xix 3481) cou- statieren. demdoil beschriebenen grvfs-^elnei im w. entspricht schnie', seine grenze gleicht der grüfs {ivemv im allgemeinen bis Lauterbach (zwei isolierte kleine sc/?«?e-enclaven noch an der Nahe obeiiialb Bingen und oberhalb Kreuznach), zieht dann aber öst- licher über Alsfeld, Kirtorf, Neustadt, Rauschenberg, Gemiinden,

PERICHTE ÜBEU WE.NKERS SPISACHATLAS VIII 105

Fiwikeuau, Waklock, folgt der ?A7/c/<-linic wostwiirls bis Elberfeld und stimmt in ihrem nürdliclieii rcst wider zu jener ?7-linie; aus diesem gebiete heben sich zwei gröfsere enclaven als besonder- heilen für schnee heraus, die eine mit und der grenze {et-orle cursiv) Gängelt, Geilenkircheu, Heinsberg, Erkelenz, Bälden, Glad- bach, Diilkeii, Viersen, Neufs. Diisseldoi f, Gerresheim , Metlmann, Merscbeid, IlOhscheid, Lekldingen, Opladen, lUirscheid, Gladbacli, Mülheim, Dentz, IJriibl, Lechenich, Kuskirchen, Zülpich, Corneli- nuinsler, Slolöerg, Aachen, und die andere mit mehr e?, ej in der westlichen, mehr dt in der östlichen hallte und der grenze Uaiger, l-aasplie, Biedenkopf, Weller, Marburg, Rauschenberg, Kirchhain, Kirtorf, UombergajO, Grünberg, Laubach, Lieh, Grilningen, Uulzbach (die lelzlen vier unmillelbare grenzorte), Weilburg, Ilunkel, Ha- damar, Weslerburg, Driedorf; ferner sind an der ik/ich-hme zwei kleine ausnabniegebielcben mit c von llilcbenbach über Siegen südwärts und mit ee um lickenhagen (als südliche lortselzung des iid. e- Streifens) zu erwähnen (vgl. dort groafs groe/'s); sonsl ist ie die gewöhnhche Schreibung (ob als 7 oder le zu lesen, ist selten zu entscheiden), auch dem zweiten grofsen ?7-gebiet des Ostens entspricht schnie, nur ist es gegen w. eingeschränkter, wo seine grenze übvr {ie-oiie cursiv) Sondershausen, Grofsenchrich, Greufsen, Tennsledt, Gebesee, Gotha, Ohrdrnf, Ilmenau, Eisfeld, Coburg, Sesslach , Ebern, Hambei<: und weiter die Regnitz hinauf nach Erlangen zieht; zwischen diesem ?e- gebiet und den) nördlichen uiederdeutschen vermillell schnee längs der ik/ich-]\n'\e in derselben ausdehnung wie dort gröfs zwischen grüß und gröt; auch sonst ist schnee schon überall verstreut zu finden, und dreimal bildet es deutliche enclaven: nördlich vom Erzgebirge innerhalb des rahmens Schüneck - Auerbach - Greiz - Crimmitschau - Waldenburg- Frankenberg-Zschopau-Marienberg, an der oberen Glalzer Neifse südlich von Habelschwerdl-Landeck, zwischen Oppa und Oder bis Pseustadt- ObGlogau im n.; Schlesien hat sonst schnie wie grnfs und im ^rflj(/s-gebiet schnei, schnai, an seinem rande schnee; ü- liezeichnungen besonders liäutig nördlich und nordwestlich von Dresden und westlich vom 29 grade (mit ia durchsetzt); endlich ein sc/j/u'fl-bczirk am oberen Main und an der Rodach bis zum Frankenwald bin mit den grenzorten Schesslitz, Weismain, Burg- kuiidstadt, Steinacli und Sesslach, Coburg (schreibt selbst -ee), iSeustadt, Sonneberg, der grenzstreifen mit schnee nönllich an der ik^ich-Wnlc setzt sich westwärts über Nordbauseii, Bleicherode bis lleiligenstadt als schnä fort (neben grüfs), ein schmaler uler- streifen rechts der Werra von Wanfried bis NVilzenhausen hat wider schnee (wehen grfifs). west- und südwärts jedoch schliefst sich ein sc/<«e/-gei)iet an (anders als bei grofs): es geht nördlich von Cassel in den nd. diphlhongbezirk über, wird im w. und o. von den beschriebenen snee- und schnie-^^veuiow , im s. von der linie (cj- orte cursiv) Alsfeld, Grebenau, Schlitz. Hünfeld, Geisa, Vaclia,

106 BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS VIII

Berka, Eiseuoch, Wahershausen , Olirdrul umzogen, reicht gegen 110. bis zur llainleile (vgl, yroiifs) und zeigt in der gegend von Gudensberg, Felsberg, iMelsungen viellach eingestreute -ee, zwi- schen Alleodorf und Eschwege -ü, um Spangenberg und Roten- burg -ej, zwischen llersfehl, llilnfeUl, Vacha -ui und -eu, rechts der Werra -e?', -äi uä. in Silddeutschland gilt für Baiern dem gronfs entsprechendes schnäi (auch -ai, -ei, -öi uä.) nur in der nürdhchen häli'ie bis Üonau und Regen ((he westgrenze wie die bei gronfs, nur Windsl)ach schreibt schon schuäi), die sildhche überhefert reines schnee (wie auch schon vielfache groß), dem westhcheren groa/s-streifen paralleles scJniea reicht im n. bis zum Thüringerwald (gegen nvv. bis zur linie Bischofsheim-Fladungen- Wasungen-Schmalkalden), sonst stimmt im allgemeinen die grenze des ersteren (nur IN'eu-illm schreibt noch sdinai); in bezug auf Schreibungen überwiegt strichweise (von n. nach s. betrachtet) ea, e«, ee bis Münnerstadt, Königshofen, ia bis Hammelburg, Schwein- furt (von dem gegenüberliegenden scÄ/im-dislrict am oberen Main scheidet ein schmaler sc/(«ee-streifen, der nördlicher noch bis Hild- burghansen-Eisfeld reicht und südlicher das linke Regnilzufer bis Höchstadl und Herzogenaurach begleitet), ea, äa bis Würzburg, Steigerwald, a bis Mergentheim, Windsheini, Heilsbronu, äa bis zur Donau, ea südlich von ihr; versprengte schnee besonders rechts vom Lech, und au beiden ufern der Hier von Memmingeu bis Immenstadt eine scÄuö-enclave. die grenze des schwäb. schnai schnae stimmt im wesentlichen zur graufs-grenze in bezug auf die dort hergezählten Ortschaften, nur gebe man unter ihnen Buchau, Riedlingen, Spaichingen, Wildbad, Pforzheim, Bietigheim, Murr- hardt die entgegengesetzte grenzrolle, schnäi am Odenwald wie gronfs, nur im s. liegen die bei letzterem genannten orte von Widdern bis Schwetzingen schon aufserhalb des gebieles, das hier vielmehr vom Neckar etwa abgeschlossen wird; ein kleiner scÄwe/- bezirk aufserdem noch nordöstlicher um Lohr, Gemünden, Rieneck. für die ^ro»/s- enclave am Haardigebirge fehlt die parallele bei schnee. der rest hat schnee, das im westlichen Lothringen jenseits Nied und unterer Saar bunt mit schnei um] schnie wechselt, zwischen Rhein und dem schwäb. gebiet seltener, am Kocher, sowie an den west- und nordabhängen der Rhön und besonders in dem Zipfel an der Werra überwiegend durch schna ersetzt wird.

Die Dänen überliefern snee, für Alsen snie. Sylt, Amrum, Föhr schreiben sne, snü, die Halligen snie, das gegenüberliegende feslland snäi und sni.

28. brnder (satz 33).

Das worl ist nach stammvocal und inlautender consonanz zu

vergleichen mit müde (Anz. xix 351 ff), die entwicklung des vocals

zunächst ist bei beiden paradigmen durchaus parallel, sodass ich

mich hier auf folgende abweichungen und einzelheiten beschrän-

BERICHTE ÜBER \VE^KERS SPRACHATLAS VIH 107

ken kann, von den bei müde anfgefillirten orten, die in der nähe der nordgrenze des obd. und nid. vocalisnius liegen, sind folgende bei hruder anC die entgegengesetzte seite der greuzlinie zu setzen: SaWnünsler und Soden, Burg, Ziesar, Plane, Pritzerbe, Cremmen , Zeliden, Soldin. der bair, nordgau bat hroud- (mit bruad- durchsetzt), gegen s. aber nur bis zur ungefähren linie Rütz-Eichstädt. auch sonst entspricht den e?, Öi , ili bei müde OH bei brndei\ dem (i und e hier ö. von den hauptorlen der grenze zwischen obd. diplitbong und md. monophlliong liegen Pfalzburg, Sleinbacb, Ej)pingen, Schweigern, Forchtenberg, Biscliofs- heim, Ipholen, Ansbach hier auf der andern seite der linie, aber alle in ihrer nächsten nähe. Wasungen und umgegend hat bndd-, das thüringische gebiet von Rrfurt nordwärts (jedoch im w. nicht bis Waltersliausen reichend) hrned- (seltener bruad- briiod-). Ost- lich der Elbe im )7-gebiet, soweit es nürdlich der ikjich-Wü'ie liegt, zahlreiche ne , na, no, doch auch noch eingestreute nd. ö. im obd. dipbthonggcbiet schreibt das Elsass vorhersehend üa (da- neben viele iie, «d, üö, nordlich von Slrafsburg auch öa, öe, öüf, dazwischen noch überall na, ue)\ ein zweites ?<rt-gebiet umgibt den Bodensee bis zu der grenze (?<a-orte cursiv) Schoplheim, Säckingen, Zell, Schonau, Todtnau, Neustadt, Löfßngen, Bräun- ungen, Donaueschingen, Vübrenbach, Villiugeu, Spakhingen, Rott- weil, Schümberg, Ehingen, Veringen, Sigmaringen, Scheer, Buchau, Waldsee, Ravensburg, Teltnang, Wangen, Lindau (mit den häu- tigen Schreibungen üe, ü, ia, ii', ?'); sonst ist ua am verbreitetsten, woneben westlich vom Lech vielfach ue, uo aullreten; zwischen Rhein und Schwarzwald überwiegen ue, uä; im schwäb. wideruni nasalierung des vocals. im hd. monoj)hthonggebiet überall ü, nur noch eine Ihüring. o-enclave südlich von Erfurt bis zur oberen Um mit Plane und Gehren (bei müde nur in letzlerem und we- nigen nachbarorten e); zwischen der oberen Eder und der nd. grenze um Berleburg, Hallenberg, Frankenberg u; westlich von Meifsen etliche ui, desgl. am Bober um Lowenberg und Lahn; nordöstlich von Glogau um Fraustadt herum zahlreiche in.

Auch westlich und nürdlich dieser obd. und md. lande stimmt die Verteilung von mono- und diphthongischen formen im wesent- lichen zu der bei müde, daher ou südlich der Mosel, noch bunt durchsetzt mit 5 und ?7, und in der beschriebenen hessischen ecke, hier namentlich in ihrer westlichen hälfie noch mit ö unter- mischt; doch fehlt die enclave um Kaldenkirchen; au, ou ist an der unteren Ems beschränkter, es gilt hier nur für das Bour- langer moor und nördlich der Hase um Kloppenburg und Frie- soythe; dagegen hat die unterste Ems und überhaupt Ostlries- land jenseits der linie Papenburg-Wilhelmshaven ö; dasselbe ö noch südlicher in zwei kleinen districlen längs der reichsgrenze, an der Vechte um Nordhorn und Neuenhaus, an der Berkel um Stadilohn und Vreden. von dem ««-gebiet nordlich der Hase

lOS ÜEniCllTK ÜÜER AVE.NKEUS SIT.ACIIATI.AS Vlll

iüliren versprengte (liplitliongformen dann wider liinilber zu dorn grofsen dii)lillionggilrlcl, der von Westfalen bis an die Ostsee reicht; seine lür müde heschrieliene grenze' gilt auch im grol'seu ganzen lür brnder, wenn man von den dort genannten orten Salzwedel, Bärwalde, Friedheim, Nakel, Neustadt aul die ent- gegengesetzte Seite der grenzlinic bringt und diese im w. ein- engend nicht über Dortmund und die untere Lcnne biuausgehn lässt, obwol versprengte ou noch westlicher bis an die nieder- fränk. grenze binüberreichen. innerhalb dieses grofsen complexes ist an die allgemeine Schreibung; on besonders längs des nord- ^vestrandes und an der Elbe, hier noch häufig mit 5 wechselnd; äu am Rotbaargebirge und nördlicher im lUihrj^ebiet von Neuen- rade-Camen ostwärts über Soest bis Gesecke und Salzkotlen und dann zwischen Teuloburger Wald, Solling und Süntel , hier mit CM, eo, eip, eiDW wechselnd; viele an von hier noch östlicher in breitem gürlei südlich um Hannover herum, bis sie westlich von IJraunschweig zwischen Fuse und Oker in ä und ai auslaufen; endlich noch zahlreiche ein (mit mannigfachen Varianten) im o. zwischen Küddow und Brahe. die monophthongischen gebiete haben ö, das südlich der Eifel mit ?7 und mit an im kämpfe liegt, eine Sonderstellung ninmit der iMederrhein ein, dem bis Geldern- Hheinberg-Wesel-Isselburg it, südlicher und östlicher bis Straelen- Kempen- Werden-Borken n eigen ist, n auch in einem isolierten bezirk um Aachen und Eschweiler; und um Velbert, Balingen, Mettmann, Wülfrath, Remscheid wider eine enclave mit ne (na, no).

Der vergleich der vocalentwicklungen von hrnder, müde, ferner yrofs, tot, hrot (Anz. xix 347 IT), endlich heifs, zwei und schnee (o. s. 95 fT) liilirt, von allen cinzelheilen abgesehen, zu folgen- dem allgemeinen resultal: e < germ. ai (schnee) bat mit ö <;^ germ. an {grofs usw.) nur in den hd. mundarten »■ine parallele geschiclite, dagegen ist in den nd. mundarten e <:^ germ. ai [schnee, heifs, ztcei) nicht dem 8 <[ germ. an (grofs), sondern dem ö <C germ. ö (brnder, mit de) analog entwickelt.

Einige kleine beziike mit verkürztem monopbllioug in brnder sind dieselben, für welche Verdoppelung des folgenden consouanteo gleich zu erwähnen sein wird.

Die cntwicklung des inlautenden dentals ist natürlich eben- falls verwant mit der in müde; aber das sehr verschiedene Vor- handensein und fehlen der endung bei beiden paradigmen hat auch die Wandlungen des d sehr verschieden gestaltet, und da auch im einzelnen die abweichungen der analogen grenzlinien sehr beträchtlich sind, so verfahre ich am kürzesten, wenn ich die von brnder selbständig beschreibe, die ungefähre linie, in

' Anz. XIX 353 zeile 24 iis 'von Remscheid' stall 'vom Rhein' und zcile 10 V. 11. schiebe hinter 'Dorsten -Mülheim (a. d. Ruhr)' noch 'Mülheim- Barmen' ein.

BEhlCIlTE LbEil WE.MiERS SPRACHATLAS VIII U)9

deren s. und o, das d im allgemeinen eihalten ist, verläult liier ((/-orte cursiv): Schieiden, Gemünd, Monijoie, Cornelimilnsler, Stolberg, Düren, Eschweiier, AUlonhoven, Jülich, Linnicli, Berg- heini, Gievenbroicli, ^'eiils, Düsseldorf, Kaisersicerth, Autjermund, Ürdingen, Duisburg, Kellwig, Werden, Velbert, Langenbeig, Bar- men, Schwelm, Lilllringliausen, Remscheid, llückeswagen, Wipper- lürlli, Gummersbach, Waldbröl, Blaukenberg, Altenkirchen, Linz, Engers, Monlabaur, Ems, Lahnstein, die Mosel aulwUrls bis Bern- castel, in unruhigem Zickzack siidwärls bis Saargemünd, Bitsch, Pirmasens, Bergzabern, lUieinzabern, Landau, Edenkoben, Deides- heim, Lambsheim, Frankenthal, den iN'eckar aulwärls bis Mosbach, Buchen, Antorbach, Neustadt, Wörth, Aschan'cnburg, Gelnhausen, Wuchtersbach, Büdingen, Wenings, Schollen, Ilerbstein, Lauterbach, Schlitz, Grebenau, llersleld, Vacha, Berka, Rotenburg, Spau^eiihero^ Lichtenau, Cassel, (wider gen w.) Niedenstein, Gudensberg, Zusehen, Fritzlar, Wildungen, Fiankenau, Krankenberg, liallenberg, Hallen- berg, Berleburg, Schniallenberg, Winlerberg, dann wie bei müde bis zum Harz und westlich um seine hd. colonien herum, Goslar, Wernigerode, Halberstadt, Schwanebeck, Oschersleben , Seehausen, Helmstedt, Königslutter (alle in der nähe der grenze), Oebisfelde, Clölze, Gardelegen, Tangermünde, Jerichow, Arneburg, Sandau, Rhinow, INeusladl, Fehrbellin, Buppin, Lindow, Zehdenick, Templin, Lychen, Joachimsthal, GreilTenberg, Angermünde, Schwedt, Schön- ßiefs, Soldin, Berlinchen, Woldenberg, Arnswalde, Reetz, etwa die Ihna abwärts bis unterhalb Stargard, Gollnow, der resl im wesentlichen wie bei müde\

iSürdlich dieser linie kommen im Uhein- und iNahegebiet einerseits und östlich der Weser anderseits noch viele einge- streute (/ vor (um Frankfurt, Hannover, Braunschweig ganze f/-enclaven) ; sie überwiegen sogar nördlich des winkeis Ritze- bültel-IIamburg-Travemünde und werden jenseits Husum-Schles- wig bis zur dänischen sprachscheide das ausschliefsliche. das ä ist zu r geworden in dem ganzen sUd- und mitteldeutschen zipl'el, der von dem oben abgegrenzten gebiete durch die linie Alten- kirchen-Freudenberg und das Bothaargebirge abgeteilt wird, lerner im ganzen o. des gebietes bis zur curve Travemünde-llamburg- llitzacker (a. d. Elbej-Wiltingen-Oebislelde. für den resl ist gänzlicher Schwund des inlautenden consonanten characteristisci). dazu elliche einzeiheilen: j, g in zwei östlichen gebielen, östlich der Ilavelmündung um Kyrilz, Neustadt, Wusterhausen, liuppin und östlich der unleren Oder von Schwedt-Greill'enhagen bis zur ^/-grenze; in Schleswig- Holstein zahlreiche / (wechselnd mit dem überwiegenden d, einigen r und seltenem auslall), besonders zwischen 54 grad und Husum -Schleswig; / erscheint auch als übergaugslaul vom d zum r, so in einer gruppe von neun grenz- dörlern am Weslerwald südlich von Altenkirchen, häufiger am

' Anz. XIX 354 zeile 20 v. u. lis 'wenig nöidliclier'.

110 UERICHTE ÜBER HENKERS SPHACUATLAS VIII

unteren Neckar von Manulieim bis Eherliacli; endlich lolgende kleine bezirke mit consonan(cnver(loi)))lung: mit dd zwischen Hoten- bnrg a. d. Fulda und Sonira, im nngelähren viereck Eisenacli- Salzungen-Vacha-Berka, südlich von Erlurl zu beiden seilen der lim über Tannroda und Sladl-Ilm, Königsee und ßlankenburg, vereinzelter in der Eitel westlich von Mayen , endlich im west- lichsten Lothringen von Diedenholen bis Busendorl', mit tr liings der rf r-grenze vom Vogelsbergc nordwärts ein schmaler streifen mit Kirlorf, Alsfeld, Grebenau, Schwarzenhorn, Hersfeld.

innerhalb jenes grofsen complexes, der das d bewahrt, fallen «lie gleichen seltsamen ausnahmen mit s (vereinzelt engl, th) und l zwischen unterer Saale und Mulde auf wie bei müde; sie werden uns jetzt durch die gleiche consonanz auf schleswigischem und friesischem boden versländlich und somit für die Urgeschichte jener jetzt gröstenteils anhaltischen lande besonders wertvoll, sonst bleibt hier nur noch ein isoliertes kleines gebiet zwischen Rhön und Vogelsberg um Schlüchtern herum zu erwähnen, das r, an seinen grenzen auch Schwund des dentals überliefert.

Zum auslaut -er vgl. winler und wasser (Anz. xix 110. 283); in dem gebiet des d-ausfalls wird -er bei nunmehr vorhergehndem vocal vielfach zu -r und zwar sehr häutig bei mono-, seltener bei diphthongischem character des letzteren.

Das dänische hat 6?öer, auf Alsen (mit ausnähme des Sonder- hurger Hügels) brne{r) brna{r); das friesische hat auf Sylt ftröVWer, auf Amrun) bruthar (mit engl, th), auf Führ bndler, auf den Halligen brder, auf der gegenüberliegenden küsle im nördlichsten abschnitt brauder brmither, südlicher wechselnd bröner, bröer, bröer.

(fortsetzung folgt.) Marburg i. H. Ferd. Wrede.

ENTGEGNUNG.

Die Anz. xix 269 f abgedruckte recensiou einer dissertation von Adolf Sütterlin kann der unterzeichnete deshalb nicht ohne ant- wort lassen, weil er auf einen im voraus gegen das Wörterbuch der elsässischen mundarten gerichteten Vorwurf näher eingehn möchte, er kann allerdings auch die sonstigen ausstellungen des reo. an dem gegenstände der dissertation und seiner behandlung nicht für zutreffend ansehen , beschränkt sich jedoch hier auf die bemängelung des Kräuterschen Systems der laulbezeichnung.

Kräuters andenken hoch zu halten, haben wir persönlich alle Ursache: s. den biographischen abriss im Jahrbuch desVogesen- clubs 5, 141 (1889). aber auch rein wissenschaftlich betrachtet, ist sein System vvol noch immer das consequenteste, einfachste, klarste, indem er für die länge den acut, für die offne ausspräche den gravis verwendet, bietet er für den reich entwickelten voca- lismus der elsässischen mundarten eine fülle von leicht verstand-

MAKTI> E^TGEG^U^G 111

licheu, auch lypograpliiscli bequenieii bezeichnuugen. wenn der rec. meint, es sei unmöglich, den sinn von a'^ oder d>y oder wi im gedächtnis zu behalten, so kann iili ihm versichern, dass unsere mitarbeiter am würlerbuch, darunter dorl'schullehrer, selbst ein fabrikaufseher mit einfacher Volksschulbildung, sich das sysleni Kräuters ohne grofse mühe und Zeitverlust sicher angeeignet haben.

Einen zweiten grund zur bemängeln ng gibt die cousonanten- bezeichnung Kräuters. 'die Schreibung k(p für die stimmlosen lenes beruht doch, wie man jetzt allgemein zugeben wird, auf einem nichtverstehn jener articulationen'. durchaus nicht. Kräuter unterscheidet die stimmlosen explosivlaute von den stimmhaften: dazu berechtigte ihn die begründung seines Systems auf die laul- verhältnisse der meist in frage kommenden sprachen, insbeson- dere der niederdeutschen mundarten, des englischen und des fran- zösischen, namentlich von dem letzleren aus erscheinen die elsässi- scheu laute, welche für b und rf, zt. auch für g gesprochen werden, als harte laute, das beweisen zahlreiche anecdoten, und ganz ausdrücklich sagen es die Iranzüsischen grammalikei'. so JD(authen- ville), Le Fraucais Alsacien, Strasbourg 1852, welcher angibt, dass die Elsässer anstatt Gardez-vous, bercer aussprechen Cartez-fous, percer. allerdings bemerkt er, dass sie umgekehrt auch sagen: brenez, gneur, d'or anstatt prenez, cueur, tort. allein dies zeigt nur, dass der elsässische laut ein anderer ist, als die beiden fran- zösischen, und wollte man consequent sein, so müste man eine dritte ganz neue bezeichnung eintreten lassen, was doch nicht angeht, nun können andere oberdeutsche diaiecte, wie zb* die schweizerischen , die Unterscheidung der stärker und schwächer ausgesprochenen laute auf die tenues und niediae übertragen, das elsässische kann es nicht, es kennt bei b und p, d und t, und in vielen Stellungen auch für g und k nur ein und dieselbe schwache ausspräche, da nun die stimmlosigkeit unzweifelhaft diese laute den sonst allgemein als tenues bezeichneten beigesellt, so ist der einheitliche laut mit deren buchstaben zu verseben, nun wollen allerdings die Schweizer durchaus auch bei den Elsässern denselben unterschied heraushören, wie in ihren mund- arten. sie werden aber widerlegt durch elsässische volksscherze, die auf der völligen gleichsetzung der lenes und fortes beruhen. UVis ih li^tdr als d Fetdrl fragt man. der befragte glaubt zu hören: was ist leichter als eine feder? aber die aufiösung lautet: d Mdudrdr 'ein magerer', natürlich im gegensatz zu 'ein letter'. oder ein kind sagt zum andern '■Typihfi', und wenn dies ver- steht 'du bist ein vieh', so erklärt das erstere ganz harmlos: ich habe nur gesagt 'die taube ist ein vieh (lier)'. also d und t in Feder und Fetter, Du und Taube werden ganz gleich ausgespro- chen, und das gilt auch für die andern in frage stehnden laute.

Unsere angaben sind öfters bezweifelt worden auf grund ganz oberflächlicher Untersuchungen, die man etwa an Elsässern im

112 MARTI.N ü.NU HEÜSLEU E>iTGEG>ü>G

aiislatid angeslelll hat : vciliüie, hei denen man gewühnhch heraus- bekommt, was man zu hiiren wünscht, sollen wir dagegen unsere auf müghchsl zahlreichen heoltaclilungen der unhelangenen volks- rede beruhenden ergehnisse preisgeben? in der Revue critique xxxin (1S92) s. 213 wird in einer recension von Lienhails arbeil über die mundarl des Zornlhals (he form mörm für 'morgen' an- gefochten, dr Lienharl schreibt mir: 'nicht nur im ganzen mitt- leren Zornlhal sagt man morm, sondern, wie mir dr med. K. gestern versicherte, im ganzen kanton Ilochfelden bis gegen Uuchsweiler hin (hier nicht mehr), und nach den Liebichschen fragebogen (von 1S73) auf dem ganzen Kochersberg und siidlicli davon noch in Düllenheim und Ernolsheim'.

Stralsburg, 6 oct. 1893. E. iMarti.n.

Wenn die unbequemlicldieiten der Kräuterschen vocalzeichen nicht so grofs sind, wie ich sie bisher taxierte, so kann mich das nur freuen, umsomehr als es mir ferne lag, gegen das NVb. der eis. maa. 'im voraus einen Vorwurf zu richten', immerhin ist zu bedenken , dass die transcriplion nicht blofs auf ilie mit- arbeiler des würteibuchs berechnet sein sollte. dass Kräuter den gegensatz von fortis und lenis misverstanden hat, beweisen seine einwände gegen Winteler. gibt man die stimmlosen verschkiss- lenes mit b d g wider, so braucht es nur eine kurze notiz in der granmiatischeu einleilung 'die mundart kennt nur stimmlose verschlusslaute', und jedem misversländnis ist vorgebeugt, schreibt man aber p t k, so hat das verschiedenartige nachfeile: 1. jedem Norddeutschen , Engländer usf. wird immer wider seine fortis (tenuis) vorschweben, wenn er ein vvort wie tiep vor sich sieht; 2. wenn zum zwecke sprachgeschichtlicher vergleichung eine ober- alemannische form mit fortis herangezogen wird, ist man zu lästigen und incorrecten Iranscriplionen genötigt: was Winteler ^ö/ schreibt, müste als ttött widergegeben werden! 3. historisch falsche her- leilungen werden nahe gelegt, ieh habe schon in diesem Anz. xvMi 195 bemerkt, dass wir bei Lienhart die angäbe finden: ndul. d ist zu / geworden {dach > tax), '"^d. t ist als solches erhalten (zJt = tsä). dieser dopj)elte irrtum wäre ausgeschlossen, wenn man die heutige lenis mit d schriebe; dann sähe man sofort, dass dach sein d beiialten, zlt sein t geschwächt hat. wenn aber dies dem elsässischen diahclforscher begegnen kann, was ist von dem fernerstehndeu leser zu erwarten?

Berlin, 31 oclober 1893. .\.ndreas Heusler.

.\m 3 nov. starb zu Freiburg i. Br. der ehemal. ordentl. pro!, der deutschen philologie in Kiel, dr Frieüricii Pfeiffer, GG jähre alt.

In Königsberg hat sich für deutsche philologie dr Wilhelm Uhl habilitiert, in Innsbruck mit einem lehrauftrag für englische philo- logie dr flüDOLF Fischer, bisher privatdoc. in Slrafsburg. privat- doc. dr Ei'GE.N MoGK in Leipzig wurde zum aufserord. prol. ernannt.

ANZEIGER

I Li;

DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITIERATÜR

XX, 2 April 1894

Die grundbegriffe in den kosmogonien der alten vöiiier. von Franz Lukas. Leipzig, WFriedrich, 1893. vi und 277 ss. 8". 6 m.

lu melhodisch musterhafter weise sucht Lukas die kosmo- gouieu dervorcliristlichen culturvülker, mit ausschiuss derChiucseu, zu analysiereu. dass er ohne jedes vorgel'asste urteil ans werk geht uud ebensowenig mit philosophischen als mit mythologischen lieblingsvorstellungeu operiert, das kann in dieser zeit der doctri- näreu enllehnungsfanaliker, folkloristen und syslemmacher nicht lobend genug hervorgehoben werden, dass das buch ein wenig trocken und farblos ausgefallen ist, nimmt man dafür gerne hin.

L. geht so vor, dass er zunächst eine kurze quelleniibersicht vorausschickt, wobei er allerdings in der quiillenkritik von andern forschem abhängig bleibt, sobald es sich aber um die interpre- tation handelt, steht er resolut auf eigenen füfsen. er untersucht die bedeutung der hauptbegriffe, ihr gegenseitiges Verhältnis, ihre spätere enlwicklung; in scharfer weise wird dabei zwischen volks- tümlicher beobachluug der würklichkeit und philosophischer spe- culalion unterschieden. es folgt hierauf ein urteil über den wert der kosmogonie, dh. über die stufe, die sie in der reihe derartiger vülkerversuche einnimmt, und zum schluss eine erürle- rung über Selbständigkeit und beziehung zu andern kosmogonien.

Mit sicherer technik weifs L. überall die struclur der kosmo- gonischen Systeme herauszuheben, und auch auf einzelnes fällt dadurch oft unerwartetes licht, das geheimnis aller volkstüm- lichen kosmogonien hat Zeller in seiner glänzenden besprechung der Ilesiodeischen (Lukas s. 158) aufgedeckt, sie gehn nicht, wie philosophische speculalionen, von einem positiven grundgedanken aus, sondern sie werden durch negative deduclion aus dem vor- handenen stufenweise gewonnen, das 'nichts' ist dem naiven menschen ein 'noch nicht'. JGrimm hat mit einer fülle von be- legen den volkstümlichen horror vacui illustriert: statt 'gar nichts' sagt das volk 'keinen faden', 'kein blältle', 'nicht ein stecknadel- küpfchen'. auf ganz demselben moment beruht es, wenn der mhd. dichtung der winter die zeit ohne vogelsaug und ohne rosen- blüte ist. in derselben weise also wird der unausdenkbare begriff des uranfänglichen nichts überall durch abstreichen einer schiebt nach der andern gewonnen, characteristisch ist aber die folge der beseitigten und damit zugleich auch der schliefslich übrig

A. F. r». A. XX. 8

114 LUKAS KOSMOGOMEN DER ALTEN VÖLKER

bleibenden begriffe, hier enthüllt sich die innere form der natio- nalen kosmogonien. die naive Ursprungslehre der Babylonier und Ägypter setzt mit einer negation des vorhandenen ein: im anfang war weder himmel noch erde; die grübelnde der Inder dagegen verneint das denkbare: damals war weder das seiende noch das nichtseiende. hier wie dort eine antithetische totalitats- l'ormel, aber das einemal um die brennpuncle 'unten und oben', das andermal um 'sein oder nichtsein' kreisend, nicht immer liegen die verscliiedenheilen so klar zu tage, aber eigenheilen zeigen sich dem prüfenden äuge zuletzt überall; so meiden die Eranier die personification (s. 108), die Griechen gehn nicht über das letzte plastisch greifbare heraus (s. 156), die Germanen bleiben vollends an dem localcharacter ihres eigenen klimas haften (s. 228). An dieser stelle berührt uns nur zweierlei aus L.s werk: die allgemeine frage nach dem einheitlichen oder autochlhonen Ursprung der kosmogonien und die specielle nach der beur- teilung der eddischen entstehungsmylhen. L.s allgemeiner stand- punct ist schon durch das eben mitgeteilte gekennzeichnet: er glaubt, dass die grundlagen der kosmogonischen legenden aus psychologischen gründen überall dieselben sind, dass sie aber durch den individuellen geist der Völker überall anders fortgeführt werden, diese anschauung, zu der auch rec. sich entschieden bekennen muss, durchdringt das ganze buch und wird in der schlussver- gleichung (s. "238f) noch knapp aber schlagend dargelegt, in ganz vortrefflicher weise erläutert L. (s. 255 f), wie leicht der irrige schein weilgehnder gleichheil entsteht, 'es ist nämlich natürlich, dass beim ersten vergleiche zweier kosmogonien ahnliche Vorstel- lungen, die ja tatsächlich in allen kosmogonien vorkommen, so- fort, unterschiede aber erst nach genauerer prüfung bemerkt werden; denn ähnliche Vorstellungen reproducieren sich ja über- haupt leichter und rascher als verschiedene' (s. 256). selbst in dem verführerischsten einzelfall, bei der vergleichung der bibli- schen kosmogonie mit der babylonischen (s, 36 f), kommt er zu dem resullat: 'sowol die entlehnten als die eigenen gedanken hat der Verfasser der grundschrift dem standpuncte und dem gottesbegriffe der mosaischen religion so vollständig und consequent angepasst, dass man sich unwillkürlich fragt, was wol einfacher ist, eine fremde kosmogonie mit einem schon vorhandenen religiösen stand- puncte und einem feststehndcn unabänderlichen gottesbegriffe in so vollkommenen einklaug zu bringen, wie es im falle einer ent- lehnung tatsächlich hätte geschehen müssen, oder eine ganz selb- ständige, aus dem eigenen standpunct entspringende und daher mit demselben naturgemäfs übereinstimmende kosmogonie zu er- denken' (s.42), Worte, die genau auch auf die eddischen schöpfungs- mythen passen. EHMeyers herleitung aller kosmogonien aus der einen babylonischen quelle würde also schon an der quelle ab- gegraben sein, wozu dann noch das abschneiden der stärksten

LCKA« K0S]IOGO5IE> OEB ALTES TÖLKEB 115

nebcDströme kommt: zb. griechische und babylonische kosmo- gonie sollten schon durch die 'ähniichkeit im namen' zn^ischen Tiamut und Tethys als vemaDt sich verraten, eine ähnlichkeit, die nach L.s berechtigter erwiderung sich nur auf den anlaut bezieht und ernsthafierweise gar nicht erwähnt werden sollte (s. 154 anm.).

Diesen allgemeinen standpunct illustriert L. noch kurz durch einen blick auf die schöpfungssagen der naturvölker (s. 260) und zeigt, wie zb. eine lettische kosraogouie elemente enthält, die mit teilen völlig unverwanter mylhen sich decken (s. 263).

L.s urleil ober die germanischen kosmogonien entspricht diesen im verlauf seiner arbeit entstehndeu und sich festigenden anschauungen. lür das Wessobrunner gebet lehnt er (s. 214 0 ebensowol die gleicbselzung mit dem biblischen schüpfungsbericht wie die mit der Völuspa ab. ausführlicher untersucht er natür- lich die eddischen kosmogonien. Ymi wird (s. 2 IS. 230) erklärt als der 'wellbildungsstoff'. und die weiten der Edda werden (s. 225) in scharfsinniger weise als kosmologische abbilder der irdischen Zonen, wie sie sich in germanischer auffassuog darstellen, er- klärt die ganze legende von Ymi fuhrt auch L. auf den ge- danken des mikrokosmos zurück (s. 231). die theorien der Edda und der Genesis erklärt er (s. 232 f) als grundverschieden sowol in bezug auf den allgemeinen standpunct (s. 234j als in bezug auf den bau der weit (s. 235j und auf die form (s. 236). 'wir finden für die annähme einer directen entlehnung alttestament- licher Vorstellungen seitens der eddischen kosmogonie auch nicht einen aobaltspunct, es mOsten denn die alttestamentlichen be- staodteile der kosmogonie von den ahn. anschauungen so voll- kommen assimiliert worden sein, dass von diesen nichts mehr zu erkennen ist' (s. 236). es folgt eine ausgezeichnete darlegung der eddischen entstehungslehre nach ihren eigenheiten: 'wie die eddische kosmogonie im ganzen, so trägt auch der speculalive gebalt derselben durchaus nordischen character an sich', die ver- gleichende methode zeigt sich auch hier als jener wunderspeer, der die wunden heilt, die er schlug: wie eine an der Oberfläche haftende zusammenschQltung von ähnUchkeiten aus aller weit enden das Verständnis der einzelnen mylhologien gefährdet hat, so wird eine gründhche und individuelle Zusammenstellung den allgemein menschlichen kern und die nationalen Verschiedenheiten ans licht fordern.

Zu bedauern ist die massenhaitigkeit der druckfehler, die durch die liste s. 276 f keineswegs erschöpft wird, um aber von einem vortrefflichen buche mit einem lob abschied nehmen zu kön- nen, verweise ich zum schluss auf die allgemeine gruppierung der Schöpfungssagen (s. 265 f.). hier ist ein würklicher schritt zur Völker- psychologie grofsen stils getan ; möge er nicht ohne nachfolge bleiben I Berlin, juli 1S93. Ricbard M. Meteb.

116 STREITBERG ZUR GERMANISCHE^ SPRACHGESCHICHTE

Zur germanisclien sprachgescliictile von Wilhelm Streitberg. Strafsburg, KJTrübner, 1892. vm und 116 ss. gr. S«. 2,50 m.

Die Schrift ist eine neubearbeilung und erweilerung der im Freiburger Index lectionum für das sommersemester 1890 ge- druckten abhandlung 'Die germanischeu comparative auf -dz-'. da diese nicht im huchhandel erschienene abhandlung mir nicht zu gesiebt gekommen ist, wird auf den inbalt dieser und das Verhältnis der neuen schrift zu ihr im folgenden keine rilcksicht genommen.

Das thenia des buches ist, wie Streilberg s. 6 zu ende der einleitung sagt, 'die frage nach der lautgesetzlichen entwicklung der urgermanischen langdiphthonge'.

Das 1 cap. 'Monophthongier u ng urgermanischer langdiphthonge' (s. 7 37) ist mit seinen beiden Unterab- teilungen in einer auf den ersten blick irreführenden weise wie lucus a non lucendo von dem benannt, was als nicht vorhanden nachgewiesen wird.

I. 'Urgermanisch ö aus ui vor consonanz' und im auslaut (gemeint ist ö aus älterem germ. di), wie es Mahlow lebrte, hat nicht bestanden. Mahlows belege für ö aus ö^■ werden s. Slfder reihe nach geprüft: keinem der ö liegt ein älteres öi zu gründe, das praesens got. sa?6ö-^ (s. 12 fl") ist nicht aus {*öict<^*üjid<C) •U-je-ti entstanden, sondern es ist wie lat. amat ein -ä-ti, das, 'von haus aus der albematischeu flexion zugehörig', neben jenem ye-praesens aus der grundsprache ererbt ist. die verbalabstracta auf -dni- (s. 15 ff) sind, wie alle verbalabstracta, auch die infiui- live, nicht vom praesensstamme, sondern vom verbalstamme, dem 'zweiten' oder 'inünitivstamm' der slavischen grammalik, gebildet^, der \üL salbön (s. 17 f) hat nie das suffix -jo- besessen, sowenig wie slav. dela-ti, lat. amü-re. der inf. auf -öjati (as. -ota7i ae. -tan afr. -iä) ist eiue neubildung nach dem -/e-praesens, germ. -öyö.* die germ. comparative auf -öz-, die das ö der starken casus verallgemeinerten, haben ein vorhergehudes y analogisch eingebüfst (s. 23 28). wie S. selbst sich die sache denkt, ist sie ziendich complicierl; dazu ist sie, obwol mit hinreichend vielen Worten, doch nicht mit der nötigen klaiheit dargelegt: der leser wird, schneller denkend als die worte S.s es ibm gestatten, sich von selbst den Vorgang so vorstellen, wie Ehrismann (Literatur- blatt 14,234) und van Hellen (Beitr. 17, 550 ff) ihn sich ge- schehen denken.

' das T der verbalabstracta auf -tut-, die den verben auf -/an zur seile stehn, entspriclit nach S. (s. 17) dem t im iniinitiTStamm slavischer verben auf -i-ti, litauischer auf -y-ti und des lat. audl-rc.

^ da aucii bei starken verben neben einem praesens auf -jö der inf. ursprünglich des / entbeiirt, sieht S. (s. 18) in got. sitan neben ahd. sitzu etwas ursprüngliches (vgl. Kluge Pauls Grdr. i 378 f unter 10): neubildung ist einerseits das praesens got. sita, anderseits der inf. ahd. sizzen.

STREITBEßG ZUR GERMANISCHEM SPRACHGESCHICHTE 117

II. 'Urgerni. ö aus vu vor coüsonanz' (s. 29 37). dass in fällen wie got. snürju, ahci. snuor (neben avest. snävare skr. snUvan-), as. alul. chuo (vgl. skr. ^äjJ) 'einmal ein Übergang von öu zu ü stattgefunden habe, lässl sich in der tat nicht bestreiten; wol aber, dass dieser Übergang in die germanische urzeit falle. das kann nicht richtig sein, da durch diese datierung die im germ. für öm auftretenden ö von den auf ü?t zurückgehuden ö der übrigen idg. sprachen getrennt werden würden [skr. gdm; griech. /rAwTog, ßwv; lat. Rüma nach Osthoff und Ceci aus *sröumä 'stromstadl', ds nach JSchmidt aus *rms usw.J. diese und jene stehn aber einander völlig gleich: wir können ihre existenz nicht leugnen, ohne dass wir jedoch im stände wären, sie auf die würksamkeit einzelsprachlicher lautgesetze zu- rückzuführen', als aus der grundsprache ererbt, sind die ö aus öu den von JSchmidt KZ. 27. 305. 369 ff (nicht, wie bei^S. s. 32 oben zu lesen, 217 11) nachgewiesenen indogerm. e aus ei, ö aus oi parallel und stehn mit den von WSchulze ebd. 420 29 und RMeringer KZ. 28 (nicht wie bei S. aao. zu lesen xvni), 217 ff, Zs. f. östr. gymn. 39, 132 ff nachgewieseneu grundsprach- lichen langen vocalen aus langdiphthougen auf einer stufe.

Das ergebnis des 1 cap. ist (s. 37) das negative, dass im urgerm. ein gesetz, das öi oder öu zu ö werden liefs, nicht bestanden hat.

Mit diesem resultat hat S. zweifellos recht, jedoch wirft er im 2 abschnitt den grundsprachlichen Schwund des u nach ö vor cons. mit einem jungen gotisch-nordischen schwund des u nach ö vor selbstlauter zusammen, indem er gol. stöjan, töjis, au. teja mit heranzieht und deren ö für öu aus der grundsprache stammen lässt.

Aus an. teja: got. taujan ergibt sich für S. (s. 34) als alte flexion ein got. *töja, prael. tavida^. zu diesem praet. ward ein

S. schreibt mit Braune tawida, wie gegenwärtig die meislen. ich kann es nicht über mich gewinnen, das zeichen des griech. v, dessen die got. Schrift sich bedient, durch tv zu transcribieren, 1) weil das griech. zei- chen, wie bekannt, nicht allein als zeichen eines consonanten, des zweiten elenicnts der diphlhonge av, av, sondern auch als zeichen eines selbsliauters (des griech. v und oi) vom got. herübergenommen ist und ich wol sviiagöge, martvre, Lvstrvs yliaroois usw., aber nicht Liostrws, Swnhokein, Swi-iais Kwreinaiau usw. zu schreiben vermng; wol dagegen könnte ich mich in eine Schreibung laxdda und, mit anderem wert des Zeichens, marlure, LuslrUs finden, woneben icr, tauicni gesciirieben werden müste; 2) weil man, wenn man die schrif? einer spräche transcribiert, so weit wie möglich auf die Schreibweise der spräche selbst rücksicht nehmen sollte, zwischen dem griech. v und unserm zeichen v besteht eine beziehung, die zwischen dem griech. v und unserm w eine weit entferntere ist. das zeichen tv ist umsoweniger und das zeichen v umsomehr geeignet, wenn der gotische laut bereits etwas spirantisches an sich hatte; vgl. Jellinek Zs. 36, 270, van Hellen Zs. 37,121fr. aus diesem zweiten gründe haben wir eigentlich auch kein recht, den dem D-laut parallelen got. y-laut j zu schreiben, da der got. laut eben nicht durch das zeichen des griech. oder lat.«, sondern, ebenso

118 !?TREITBER(; ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

got. praes. tmija neugescliaffen. dein praet. tavida entspricht (s. 35) alul. zomdtun 'exeiccbant', stonuila; der hildung nach gleicli got. tanjan ist ahd. stouuen. regt'lrechte ursprüngliche praesensformen des verlis got. stöja)i sind ahd. 2. 3 sing, stuouuis, -7f = slav. slavi-U, -tu.

Ich halte das von S. 8.3411 dargelegte, das von van Helten Beitr. 17, 5631' bestritten wird, für richtig, soweit es hier ange- führt ist. es war aber nicht hergeliörig. S. sieht in got. stnjan = ahd. stnomien = slav. stavi-li ein verbum der schwachen 7-classe (lat. audl-re): als urparadigma setzt er an stäjü, stäi/^si, stUiuti usw. aus der 2. 3 sing, sollen ahd. stuouuis, -it und die slav. formen, aus der 1 sing, das got. sfö/a hervorgegangen sein, während diesem gegenüber das abulg. stavlja 'in dringendem verdacht' steht, sein v von den übrigen personen empfangen zu haben, dies ist unrichtig, richtig erklärt van Hellen, dass in den grund- formen von stdjan und slav. staviti nicht langdiphthong vor cons., sondern langer vocal + v vor vocal gestanden hat: das slav. verb sei 'offenbar ein causalivum, also eine form mit altem -ejo-; got. stöjan als denominativ lässt van Helten dagegen ein -ej'ö- sein, welchen formellen unterschied ich nicht acceptieren kann, zu gründe liegt dem slav. und germ. verb ein stäuejö. von einem Schwund des u vor cons. nach grundsprachlichem gesetz kann also keine rede sein : in got. stöjan ist vielmehr nach jungem ostgerm. gesetz m nach ö vor vocal geschwunden (nicht vor cons. j, wie Mahlow und Brugmann annehmen), ebenso in an. teja, wen n es = got. tmijan ist. slav. ist also kein u geschwunden und ebensowenig ahd.: nicht allein die 2. 3 sing., sondern das ganze praes. ahd. stuouum ist regelrecht, im praes. got. stöjan ist das got. ö durch den Übergang des ej O ij) in cons. j vor dem lautgeselzlichen Übergang in au vor selbstlauter bewahrt geblieben, das verbum war durch den schwund des u kurzsilbig geworden, daher 2. 3 sing., 2 pl. stöjis, -ji[), nicht *staueis, -eip. ebenso gen. töjis nach der analogie der kurzsilbigen zu "^löi (aus *tduijo-)^ woraus taui.

Gegen S.s erklärung des praet. tavida wendet van Helten das bedenkliche der annähme eines germ. ablauts in der schwachen couj. ein. selbstverständlich zieht dies eine verb, wenn S.s erklä- rung richtig ist, alle ähnlichen nach sich, also entweder alle causativa mit ö von 'e-wurzeln', oder wahrscheinlicher überhaupt alle causativa auf -ejö, wodurch sich viele doppelformen erklären würden, auf einen accentwechsel innerhalb des paradigmas, der ursprünglich mit ablaut verbunden gewesen sein muss, deuten mit absoluter Sicherheit hin fälle wie got. nasjan^ hausjan mit s statt des erwarteten s. diese formen weisen auf betonte stamm-

wie der entsprechende laut im ae., durch das zeichen des lat. §• bezeichnet wird: wir sollten daher eigentlich, dem ae. entsprechend, got. :^L'r, tau^an schreiben.

STREITBERG ZUR GERMAMSCHEN SPRACHGESCHICHTE 119

Silbe liio, die nicht wol im praesens aul -ejö, nur im piaet. oder particip gesucht werden kann, der von S. erschlossene ablaut des praet. setzt endbelonung voraus, wie sie in den Ibrmen, wo der vocal der endiing ein e war, mit Sicherheit bestanden hat; es ist aber wahrscheinlich, dass neben diesen die lornieu mit ö in der endung die erste silbe betont haben, also germ. 2. 3 sing. nazidcs, -c\ aber 1 sing, ndsüiü". es würde dann geheifsen haben 3 sing. germ. stamdc (ahd. slomiita), aber 1 sing, stäuidö" Oahd. stnota, gol. Stauida, das gegen S. nicht neubiidung nach dem praesens, sondern regelrechl), ebenso 3 tauide (gol. tavida ahd. zouuila), 1 touidv" (> an. toda, wenn hergehOrig)'. dieser ablaut innerhalb des schw. praet., wenn richtig ersclilossen, ist derselbe, wie er ursprünglich im pari. pass. der causativa bestanden haben wird, von welchem aus das germ. schwache praet. gebildet ist: vurgerm. stüidlo- stauile- usw.- wenn nicht aus dem praet., dann muss das s neben s in nasjan und dann kann die doppellieit Stauida: tavida aus dem pari, stammen.

Aus taujan statt *tüjan neben stöjan, staiiida schliefst van Helten, dass das got. au vor selbstlauter ein au{v) aus öv und entsprechend das ai in saiati ein ai{j) aus cj gewesen sein müsse, aber nach keiner analogie konnte sich aus einem alteren praet. *tauida ein praes. laujan ergeben, wenn neben slöjan, '''■löjan laulgeselzlich ein praet. 1 stauida, *tauida, 3 tavida, '*stavida be- standen hat, dann ist taujan zu tavida einlacii analogiebildung nach straujan, stravida'^. got. au in stauida ist, wie auch S. an- nimmt, aus ö, nicht unmittelbar aus öü, und ebenso ist gol. ai vor selbstlauter aus e eutstamicn, saia aus se-ö (für se-mi), vaiip aus ve-idi {ve-eii lür ve-ti), s. Bremer, Beitr. 1 1 , 73. die got. ai, au lür e, ö sind entweder, wie Hollzmaun annahm, kürzuug vor vocal, ein aul' verschiedenen Sprachgebieten geläufiger Vor- gang, oder es ist in den ai, au, wie Bremer annimmt, die ältere qualität vor vocal gewahrt geblieben'*.

* wenn die '6 sing, des praet. urspiüngiicii die schvvundsluie hatlc, a neben <7, u neben on (woiier zünden neben got. landjan) usw., dann ist ein o, germ. a, von 'e-wurzein' (1 /iör/^o» >• ahd. f'uorta, 3 f'ariüe> got. t'arida, woher f'arjan neben jörjan) an dieser stelle jüngere Übertragung (statt 'fiiriü^e), ebenso wie im pari. pass. I'arans.

^ wie as. f'unda ae./'unde, an. t'rJä^ra ö/t^-aorisle (germ. *fenf)o'^ fnn- it's, *freuso" fruzl's, -c) vom praesensstamme {pento- jinte-, preuso- pi-use-), vgl. Engl, sind, 6, 161 f, Kluge i'auls Grundr. i 375, so ist das germ. schwache praet. ein eben solcher «i/c-aorist von diesem /o-slamnie.

3 van Hehen lässt umgekehrt tavida neben laujan nach stravida ge- bildet sein.

* eine dritte denkbare annähme, dass die ai, au diphtliongierung vor vocal seien, ein ebenfalls geläufiger Vorgang, aul" den eine secundäre monophthongierung gefolgt sein könnte, ist, weil diese erklärung im vor- liegenden falle am meisten compliciert wäre, von vornherein am wenigsten wahrscheinlich und wird ausgeschlossen durch den umstand, dass noch griech. co vor vocal im got. von dieser Wandlung zu att betroffen wird.

12<1 STItEITDERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

Das 2 cap. 'Die indof,'erm. langdiplithonge' sucht die frage zu beantworten (s. 38): 'hat das urgermanisclie ilberhaupt langdiphlhonge besessen? mit andern Worten: bat es langdipb- thonge aus voreinzelsprachlicher zeit ererbt?'

Der 'compositions-theorie' Per Perssons gegenüber, die, wenn sie das mitlaulende elemenl der langdipbthonge für ein ursprüng- liches 'wurzekleterminaliv' das richtige wäre: lür den ursprüng- lichen anlaut eines solchen ansieht, n). e. sicher recht hat, nur nicht recht hat, wenn sie in den tatsächlich vorliegenden formen mit langem vocal ohne jenes mitlautende ?, n (wie in re- neben rei-', die-, gö- neben dtPii-, gön-; snü- in ahd. siinor neben snöu-) Überali ältere, einfachere, des wurzeldeterminativs entbeh- rende formen sieht, dieser theorie gegenüber zeigt S. in einem 1 Unterabschnitt (s. 39ff), dass die accusative indogerm. gidm (skr. gdm gr. ßwv), diem (skr. djdm gr. Zfjv) mit dem circumflex nicht durch diese theorie erklärt werden können.

Was ich hier 'circumflex' nenne, nennt S. 'schleifenden accent'. er operiert das ganze buch hindurch sehr viel mit einem grund- sprachlichen 'gestofsenen' accent und einem 'schleifenden' accent; ich sehe mich darum hier zu einer bemerkung genötigt, dass in deutscher rede und schritt deutsche ausdrücke an sich vor fremdwörtern den vorzug verdienen, wird niemand bestreiten, aber 1) während allen iesern sprachwissenschaftlicher Schriften die ausdrücke 'acut', 'gravis' und 'circumflex^ geläufig sind und darum auch die mit einem dieser ausdrücke bezeichnete saclie bekannt ist, wenngleich die Vorstellung schwerlich immer eine genaue oder richtige sein wird, sind nur einem teile dieser leser die ausdrücke 'gestofsener' und 'schleifender' accent für das litauische völlig geläufig, und unter diesen ist widerum our einem geringen teile die mit diesen ausdrücken im litauischen bezeichnete sache bekannt, unter den Iesern, die sich die aus- drücke für die litauische spräche gefallen lassen, ist nun aber ein sehr grofser teil, der diese ausdrücke, wenn sie auf die grund- sprache oder eine andre spräche als das litauische übertragen werden, gar nicht versteht. 2) wenn die der lit. grammatik ent- nommenen ausdrücke auf die grundsprache übertragen werden, sind dieselben im besten falle völlig inhaltslos, nämlich für die grofse mehrzahl, die sich bei den ausdrücken gar nichts denkt; im andern falle aber, wenn man sich bei den ausdrücken etwas den nameu und etwas der im lit. vorliegenden sache entspre- chendes denkt, sind die ausdrücke völlig verkehrt, denn die lit. 'schleifende belonung' in endsilben entspricht allerdings h is to- risch dem griech. und dem auch für andre sprachen nachweis- baren circumflex, aber der sache nach ist die lit. 'schleifende' belonung durchaus nicht gleich diesem circumflex. vielmehr ist gerade umgekehrt die lit. 'gestofseue' belonung in der sache an- nähernd gleich diesem circumflex, der griechischen n£Qi07tio-

STREITBERG ZLR GERMANISCHEN SPRACHGESCBICHTE 121

f^ivrj (7rgog(pöia), dagegen ist die lit. 'schleifende' belonung sach- lich gleich der griechischen avTaraxlaLoitevr^ langer vocale und diphlhonge, die durch den acut hezeichnet wird (s. Beitr. 7, 495). weil ein älterer circunitlex in endsilben lit. zur 'schleifenden be- tonung' geworden ist, und weil lange vocale in endsilben, die ursprünglich den acut oder gravis hallen (dies zb. in der 1 sing, praes. auf-ö), wenn sie im lit. den hauplaccent tragen und lang geblieben sind-, lit. 'gestofscn' betont sind: darum jenen cir- cunidex 'schleifenden accenl' und den grundsprachlichen acut 'gestofsenen nccenl' zu nennen, ist genau so verkehrt, als wenn man etwa die grundsprachliche palatale tenuis um des litauischen willen den grundsprachlicben 'ss-laut' nennen wollte.

Dass der griech. circumflex, wie ihn die grammatiker be- schrieben haben, in den betr. endsilben älter ist, als die ihm historisch entsprechende lit. 'schleifende betonung', und dass der circumflex die älteste betonung der in frage stehnden silben ist, seit es Überhaupt einheitliche silben mit nicht-einheitlichem accent sind, geht aus seiner entstehung hervor, von dem in frage stehn- den vorgriech. und vorgerm. 'circumflex' hat vor Bezzenberger (in seinen Beitr. 7, 66f), Haussen (KZ. 27,61211), Kretschmer (KZ. 31, 357) und Hirt (IF. 1,10") der ref. Beitr. 7, 507 f (1880) gesprochen, der circumflex entsteht:

1) wie von mir aao. bei gelegentlicher besprechung eines falles gezeigt (ausführlicher bei Hirt s. 10 IT), durch contraction zweier silben, von denen, ursprünglich oder durch jüngere Über- tragung, die erste den acut, die folgende den gravis (oder 'sva- rita') hatte, so im gen, sing, -ds aus -ä-ös'K

* im letzteren falle durch innerhalb der grundsprache oder später ge- schehene überlragung des acuts in die frühere gravissilbe.

2 di. fürs lit., wo in mehrsilbigem Worte die länge durch ein antre- tendes enklitisches element gewahrt ist, wie in der 1 sing, reflex. -?i'-.v, sonst -M.

' dieser gen. sing, der ^-stamme ist der einzige in jeder beziehung ursprüngliche fall des durch contraction später entstandenen circuinflexes, von dem darum aao. einzig die rede sein konnte, nur in der decl. der A- stämnie ist der zusammenstofs der vocale ursprünglich, nachdem der für diese stamme characteristische consonant, der einmal zwischen den vocalen stand, in einer älteren periode der grundsprache geschwunden war. im nom. pl. dieser decl. -öes (und mit Verallgemeinerung der vocalqualilät der obliquen casus -des) stand ursprünglich der gravis auf dem ö: nur wo nach der ana- logie der obliquen casus der acut auf diese silbe gerückt war, konnte hier durch die spätere contraction der circumflex enlstehn. der gen. plur. ist in der urspr. form -d-öm, woraus dm hätte werden müssen, nirgends deutlich vorliegend: das a ist, z. t. nach der analogie des masc, durch die vocal- qualität der starken casus verdrängt, der loc. sing, -dt ist neubildung nach den einsilbigen cons. stammen, bei denen das -i die verallgemeinerte ur- sprüngliche untonform des locativs ist. in der gesamten o-decl. ist der zu- sammenstofs der beiden vocale unursprünglich und erst dadurch erfolgt, dass die ursprünglichen endungen der o-stämme von denen der cons. stamme, zu denen die ^-stamme gehörten, verdrängt worden sind: nom. pl. (mit dem •e* der cons. stamme) -o-es, bei Verallgemeinerung des accents der obl. casus

122 STREITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

Haussen und Hirt heben melirfäcli hervor, ilass ein gegeu- satz zwischen 'geslofsenem' und 'schleifendem accenl' nicht allein in dem lalle besiehe, dass die helr, silben den hanplaccent tragen, sondern auch wo die silben nicht haupltonig sind, wer solche dinge vorbringt, sollte um des lesers willen nicht unterlassen dar- zulegen, wie er sich die sache, sei es mit Wahrscheinlichkeit oder auch nur als möglichkeit, denkt, wenn jene 'accente' musika- lische accente waren, dieser hauptton dagegen ein exspiralious- ictus, dann wäre die sache ja denkbar, aber sie liegt in würk- lichkeit ganz anders, man hat in diesem falle 'accent' genannt, was gar kein accent ist, weder ein musikalischer noch ein exspi- ratorischer. der sog. 'schleifende accent' solcher langen silben, die durch contraction entstanden sind, ist innerhalb der grund- sprache nichts andres gewesen als zweisilbigkeit und wäre unter dem richtigen uamen 'zweisilbigkeil' jedem leser verständ- lich gewesen; und sein gegenstück, der 'geslofsene accent' (als ob eine silbe, die nicht 'geschleift' ward, notwendig 'gestofsen' sein miisle), ist ebenso nichts andres gewesen als altererbte ein- silbigkeit^. dass man solcher weise mit ausdrücken operieren konnte, ohne auch nur den versuch zu macheu, dem nach klar- heit dürstenden leser und wo es nötig auch sich selbst klarheit über den würklichen inhalt der dinge zu verschallen, hat nicht zum wenigsten dazu beigetragen, den lesern, die einer mit inhaltslosen oder verkehrten namen operierenden darstellung nicht folgen können (und das sind viele), weil sie sich nicht selbst die klarheit schaffen können, die ihnen der Verfasser nicht gibt, allen geschmack an der neuesten Sprachwissenschaft zu verleiden.

-6-es, contraliiert, -6s; ^cn. pl. (mit dem -am der cons. stamme, das sich zum uispr. *-c-vio der o-stämme verhielt, wie im gen. sing, -os zu -e-sö) c-dm, contrahieit -ein (got. -e), und mit dem o der starken casus -6-öm, contr. -6ni\ loc. sing, -e-i und -ö-i. dass die endung des ioc. sing, mit dem circumflex -öi von der endung des nom. pl. der pronom. deci. -oi^ ab- weicht (vgl. Hirt s. 32), rührt daher, dass wir hier eine alte form (toi aus urspr. tä-ja, mit gravis und folgendem unton), dort aber eine junge ana- logiebildung vor uns haben (-e-i anstatt der urspr. endung des loe. der o-decl. *-e-jd aus -ä-jä mit acut und folgendem gravis).

* sog. 'schleifende betonung' und doch unbetontheit liegt daher vor überall, wo starke casus ihren ursprünglichen accent auf der ersten silbe behalten haben, nom. pi. m. '-oes (später conlrahiert '-os), fem. '-öes (und -äes), oder wo oblique casus den accent der starken übernommen haben, so loc. gr. o'ixoi. was den acut in gr. loc. oi'xot, opt. s'inoi hervorgerufen hat, ist nicht die 'schleifende betonung' oder der 'circumflex' der endung, son- dern die zu der zeit, wo die griech. accentregeln sich geslailelen und im griech. der accent im verb seine stelle einnahm, in der endung noch vor- handene zweisilbigkeit (loc. der o-decl. -o-i, betont -u-i > %r. -ol\ 3 sing, opt. -o-it, analogisch na( li dem plur. für -o-h'l). tlirl drückt sich sehr verkehrt aus, wenn er s. Vi sagt: 'wo immer wir eine idg. zweisilbige endung als ursprünglich anzunehmen haben, finden wir schleifenden ton', vor dem komnia hätte der zwiscluiisatz 'und der acut auf die erste der beiden später vereinigten silben gefallen ist' hinzugefügt sein sollen.

SXnEITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE 123

2) ist, wie Hin aao. s. 11. 26 gezeigt hat, der circuoillex entstarulen, wo (in letzter periode der grundspraclie; nicht, wie Hirt annimmt, durch das weit ältere gesetz, das die Schwund- stufe hervorriei) eine endsilhe nach der tonsilhc verloren ge- gangen ist. dass der accent einer schwindenden endsilhe nicht verloren geht, zeigen uns zahlreiche heutige formen vor unsern augeu. der gravis der schwindenden endsilhe verliindet sich mit dem acut der vorhergehndeii silhe, wenn diese dazu befähigt ist, die Vereinigung der beiden accenle, den circumflex, zu tragen; vermutlich konnte die den gravis tragende silhe in der grund- sprache nur unter dieser bedinguug schwinden, so wird der gen. sing, der hochtonigen i- und M-stiimme, urspr. -ews, -euöSy wofür mit dem o der starken casus -öids, -öuös, wenn das ö ver- loren gieng, zu -öis, -öus. der so entstandene circumflex ist wahrscheinlich älter als der durch contraction entstandene.

3) Kretschmer lehrt (IvZ. 31, 358), dass 'der schvvund von t, M, r, n, 7)1 nach langen vocalen circumflectierung der letzteren im gefolge gehabt zu haben' scheine (als 'Michels gesetz' bei Sireitberg s. 431), so in -6 aus oder neben -on. in sämtlichen hierher gehörigen fällen ist ein acut an die stelle eines ursprüng- lichen gravis getreten; es sind starke casus des sing, ursprüng- licher einsilbiger tieftonwörter, oder solche nominative des sing, mehrsilbiger Wörter, die ursprünglich den acut auf der Stamm- silbe und auf der endung den tiefton oder gravis hatten, wenn der acut den letzten langen vocal des wortes einnahm, muste sein schatten, der gravis, also wol auf das folgende sonore dement lallen; also der vocal hatte den acut, die silhe acut -j- gravis, gieng nun aber dieses dement verloren, so muste der gravis sich mit dem vorhergehnden acut zum circumflex verbinden.

4) im vocativ ist der circumflex in (skr. -a, lett. -o), -öi {^rjrol, lit. nakte), -öü und analogisch -eü (gr. iTtnav, lit. sfüiaü) wol dadurch zu stände gekommen, dass die accentuation der ursprünglichen form des vocativs mit doppeltem acut deii/e (skr. dcva, lit. deve und deve die vocativendung -e kann ihre vocalqualität nur vom acut haben) übertragen worden ist aul die ursprüngliche form desselben casus mit acut auf der ersten silhe und gravis auf der endung (-d, -öi, -öu, skr. dgiie, sünö): diese form deiiw ward dadurch zu deiuö, skr. *devü: Pänini lehrt, dass der vocativ am satzende gedehnten ausgang und doppelten acut habe bei der erwiderung eines grufses und beim ruf aus der ferne, vgl. Bezzenberger Beitr. 15, 296fl, Kretschmer KZ. 31, 35b IV, rel. Zs. f. d. ph. 25, 376. 378.

In einem ii Unterabschnitt (s. 47 fl) bekämpft S. die 'indo- germ. sandhilheorie', di. die ansiebt UMeringers (Zs. f. östr. gymn. 39, 132 fl', Bezz. Beitr. 16, 221 fl), die langdiphthonge seien schou in der grundsprache überall, wenn ein consonant auf sie folgte, ZU monophthougen geworden, uud dazu die behauplung FBechtels

124 sraKiTDEnr. zur germaiNISchen spracucjeschichte

(Hauptprobleme s. 273), ilass griech,, gerni., lat. und lit,, also, wie zu scliliefseu, 'sämtliche weslindogerm, spraclieu' 'statt eines etymologisch zu erwartenden <m im inlaule und im gedeckten auslaute ü aufweisen', wäre dies richtig, sagt S. s. 38, 'so ist es um die existenz einzelsprachlicher, aus der urzeit ererbter langdiphlhonge im wortinnern geschehen'. S. sucht dem gegen- über zu zeigen, dass in manchen einzelnen fällen unter den von Meringer und Bechtel angegebenen bedingungen das mitlautende element des langdiphthongen nicht geschwunden ist. sein resullat, das auf Vollständigkeit keinen anspruch macht, da er nur einzelne fälle sammelt, ist ziemlich compliciert und findet sich nicht im buche zusammengestellt, sondern ist gleich regeln, unterregeln und ausnahmen Päninis aus verschiedenen stellen zusammen zu lesen ; zusammengefasst findet es sich erst in S.s selbstanzeige Idg. forsch. Anz. 2, 195. S. lehrt s. 48 mit Hirt, dass 'schlei- fende' langdiphlhonge überhaupt idg. nicht monophthongiert werden; s. 51, dass e -\- n 'sehr wol anders behandelt werden kann als etwa ö-\-u: irgend ein stichhaltiger grund, dass eu vor s sein w verloren habe', sei 'von keiner seite heigebracht', anders eu vor m^; s. 62 du bleibt im indogerm. vor s, nicht aber vor m, lautgesetzlich erhalten, wenn das ö dehnung ist (io g^u-s 'rind'), während in du das u vor s verloren geht, wenn das ö ursprüngliche länge ist (in ös aus öus 'mund'). dass der Schwund des u in einem falle nicht nach der dehnung ö statt- findet, wäre sehr begreiflich, wenn er nirgend nach der deh- nung stattfände: dann wäre einfach zu conslalieren, dass der Schwund des u älter sei als die dehnung. wünscht der leser, was sehr nahe liegt, das für du gewonnene sehr unvollständige resultat mit dem im 1 cap. über ein germ. ö aus öu gelernten zu verbinden und mittels des dort gewonnenen zu erweitern; wünscht er zu wissen, vor welchen consonanten er dort ein ö aus öu entstanden sah und in welchen der dortigen fälle etwa das ö dehnung, in welchen alte länge war, so muss er die arbeit selbst machen: der verf. hilft ihm nicht dazu.

S. tritt also (s. 62) der 'Meringer- Becblelschen theorie von der ausnahmslosen monophlhongierung der idg. langdiphlhonge vor consonanz' nicht bei, ist vielmehr der ansieht, 'dass eine ganze anzahl idg. langdiphlhonge sich in einzelsprachliche zeit auf lautgesetzlichem weg hinübergerellet hat'.

Ich vermag ein so compliciertes resullat wie das S.s durch- aus nicht als richtig anzuerkennen , gebe vielmehr entschiedeu Meringer und Bechtel recht, die formen , die S.s beweismillel bilden, die nominative des sing, der Wörter skr. gäus^ djüus, näus, sind meiner ansieht nach ganz anders zu erklären.

* in der anzeige sagt S., es komme 'darauf an , a) dass die beiden diphliiongalcomponenten einander natie steilen zb. ö und u im gegensatz zu t' und u und b) welche consonanten darauf folgen'.

STREITBERG ZUR GERMAMSCHE> SPRACUGESCUICHTE 125

In meiner anzeige von Bechlels buch (Zs. f. d. pli. 25) habe ich s. 375 ff zu zeigen gesucht, tlass die idg. dehuung, gleich der nhd., durch den gravis in offener silbe bewiirkt worden ist. es hiefs darum mit dieser dehnung im acc. sing, pöch/i, im plur. nom. pödes, acc. pddms, aber im num. sing, grundsprach- lich nicht, wie man gewöhnlich ansetzt mit gedehntem vocal, sondern mit dem altern kurzen vocal, pod-s. ist dies richtig, so biefs es in der grundsprache im nom. sing, also gar nicht *güu-s, sondern vielmehr ^ou-s, dagegen im nom. \A. göttes (skr. gävas); der acc. lautete mit dem circumflex im sing, göm (skr. gdm gr. (iiüv as. ahd. chuo), pl. gös (skr. gas gr. ßiög)K der nom. gous ist gr. ßoig, auch hinsichtlich des accents, wie ich glaube, regelrecht; ich halte, soweit die griech. accentgesetze ihn ge- stalten, den griech. circumflex für den regelrechten Vertreter des ursprünglichen selbständigen gravis, der nom. sing. skr. gäu-s ist eine einfache, leicht versländliche analogiebildung wie in nhd. höf nach höf es: der lange vocal der übrigen starken casus ist in den nom. sing, gedrungen. quod licet bovi, licet lovi: es hiefs genau entsprechend nom. sing, djeu-s, acc. diem (gr. Zfjv). die lat. nominalive bös, dies sind nach den accusaliveu neu ge- bildet, der nom. skr. djän-s verhält sich wie gäus: die länge kann im nom. erst eingetreten sein, als das lautgesetz, nach wechem eu, öu vor cons. zu e, ö wurden, nicht mehr galt, sollte der acut in Zsvg aus djeus daher rühren, dass es ein ursprüng- liches hochtonwort mit e war? wenn der accent in Zevg für das tieftonwort regelrecht ist, so müste der circumflex des nom. ßocg aus dem acc. übertragen sein-.

Habe ich recht, so wird hinfällig, sowol was S. aus Zevg, djUus schliefst, dass eu vor s sein u nicht verloren habe, als auch was er aus ßovg, gäns schliefst, dass öu vor s idg. er- hallen bleibe, wenn ö dehnung ist.

* die circumflectierlen formen sind zunäciist aus *^öujn, *göums eut- slaiiden; der na»al des plur. ist vor dem in gleiclier silbe stehnden s laut- gesetzlich geschwunden, s. JSchmidt KZ. 26, 337, Streilberg s. 71. als der ursprüngliche gravis des langen ö durch den acut ersetzt ward, muste in *göum, *göwns, wenn diese formen als die älteren zu gründe liegen, der gravis auf das silbige fallen: verlor aber dieses seine silbigkeit, so muste nach Hirts regel *oö«w zu *göüm werden, sonst müssen die accusative *göum, *gDums analogiebildungen (nach dem muster von pödtn, pödnis neben nom. pods, pödes) für älteres ''goum, *goums sein: wenn in jenen formen der acut das lange ö einnahm, muste der gravis auf das mitlautende M fallen, der lautgesetzliche Schwund des u gab nach Kretschmers und Michels regel dem ö den circumflex.

^ hiefs es grundsprachlich pod^, gous, dieus, so muss es entsprechend im nom. sing. m. f. von n- und r-slämmen ursprünglich -ons, -ors (-ers) geheifsen haben neben acc. sg. -önm, -unn, nom. pl. -önes, -öres: aus -ons ist -ön nach noch unbekanntem gesetz hervorgegangen ebenso wie im acc. pl. der o-stämme -on (skr. -an slav. -y an. -a) aus -ons. vielleicht ist zu- nächst das o durch das ö des acc. sg., nom. pl. ersetzt worden, wie im nom. sg. m. f. -ös der «-stamme, und dann nach jenem gesetz -ans, -örs zu -ön, -iir geworden.

126 STKKIXnERG ZÜH GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

Ebenso ist seine erklärung des m in näus, vaig (s. 48 ff) unhaltbar. Ilirts re^el, dass 'schleifende' langdiphthonge über- haupt idg. nicht monophthongiert worden, ist zwar nicht in (heser, doch in einer andern, genaueren Fassung riclitig, s.u. zur er- klärung des n in vavg aber nillzt die regel uns nichts, wenn S. dem Worte 'schleifenden Ion' beilegt, so verwendet er diesen ausdruck hier nicht im sinne Hirts, sondern in der bedeutung meines 'selbständigen gravis' (Beitr. 7, 495) oder 'hochtieftons'. der langdiphthong könnte woi 'schleifend' genannt werden insofern, als nach einem acut oder S.s 'gestofsenem ton' auf dem ä das mitlautende n den gravis gehabt haben muss: aber, worauf es hier ankommt, "der lauge vocal ä vor dem u kann nicht den 'circumllex' in dem oben angegebenen sinnt;^ gehabt haben, entweder ist der lange vocal in acc. näum (skr. nävam, gr. vrjßa, lat. ncivem), pl. näues , wie ich Zs. f. d. phil. 25,381 annahm, dehnung gewesen; dann muss der nom. sing. *naus geheifsen haben, das in gr. vavg vorliegen könnte, doch wird, was nicht für die grundsprache anzunehmen ist, als das lange 7/ der übrigen starken casus das kurze a der obliquen verdrängte, dieses a auch in den nom. eingedrungen sein, so in skr. nätis und unabhängig davon in gr.vavg, wie widerholt in v/jt;g nach dem 'kürzungsgesetz'. oder das ä ist, wie S. annimmt, 'ursprüng- liche länge', die Hirt mit recht von den contractioneu, die den circumflex empfangen, streng unterscheidet % dann könnte das u nicht nach Hirts regel erhallen sein: dann hätte *nau-s gemein- idg. *nd-s werden müssen, jene annähme finde ich wahrschein- licher; *nd-s (dor. vag) wird ebenso wie *gö-s, *(iie-s als gruud- sprachlich abzulehnen sein, recht hat S., wenn er gegen JSchmidt erklärt, dass an. nör der Sn. E. (Skaldsk.) nicht idg. *nä-s sein kann, welches vielmehr ti&r hätte werden müssen: nör ist (S. s. 50) nach GMorgensterns wahrscheinlicher annähme erst in junger zeit aus dem dat. -nöi und dem gen. pl. nöa (in Nöa-tün) er- schlossen, nöa wäre got. *naue: das ii nach ö ist gemein-ost- germ. geschwunden.

Ich glaube demnach gegen S., dass Meringer und Bechtel völlig recht haben, wenn sie die langdiphthonge in der grund- sprache unter allen umständen vor cons. ihr /, u lautgesetzlich verlieren lassen, die einzige ausnähme, nämlich die nach Bez- zenbergers Vorgang von Hirt Idg. forsch. 1, 223, aber in un- richtiger fassung coustatierte, ist gar keine ausnähme, sondern etwas selbstverständliches, wenn man der Hirtschen regel nur die richtige fassung gibt, das /, u konnte nämlich natürlich nicht

^ die von einigen forschem, so Bremer, Beitr. 11,262 fl', Bechtel Haupt- probl. 237, angenommene entstehung der ursprünglichen längen durch con- traction < *ea usw.) würde, wenn diese erklärung richtig sein sollte, was ich entschieden bestreite (s. Zs, f. d. phil. 25, 383 1), natürlich mit der weit späteren entstehung langer vocale durch contraction, in deren gefolge der circumflex sicii einstellen konnte, durchaus nichts zu tun haben.

STREITBERG ZUR GERMA^ISCHE^ SPRACHGESCHICHTE 127

ausfallen, wo vor ihm zu der zeit, wo der ausfall sonstiger i, u in langdiphthongen staltfand, noch gar kein langer vocal als erstes element eines langdiphthongen vorhanden war, sondern ein kurzer vocal, wo nämlich an stelle des von uns angenommeneu langen vocals noch zwei vocale in zwei silben bestanden, aus denen der unsern äugen vorliegende lange vocal erst später durch contraction erwachsen ist (vgl. Brugmaun Grundr. i 138; auch Hirt erwägt Idg. forsch. 1, 221 seihst diese möglichkeil), die enduug des dat. sing, der 4- stamme war in der grundsprache gar nicht -ä», sondern mit dem in dieser classe niclit ursprüng- lichen, sondern analogisch herilbergenommenen -ai vielmehr -d-di (woraus später durch contraclion -oV, lil. -ö?, gr. a)', ebenso die des dat. sing, der o-stämme nicht -öi, sondern -c-di ^ und mit dem 0 der starken casus -ö-di (woraus später -d/, gr. (o); ebenso die des instr. pl. der o-stämme -6-dis (woraus später -ö/s, skr. -äi\ lit. -ais^ gr. -oig). in diesen formen konnte das i selbst- verständlich nicht ausfallen, und darum ist es in den Jüngern contractionen vorhanden, dass die contractionen 'gewis nicht aus der grundsprache' stammen, habe ich bereits Beilr. 7, 507 anm. ausgesprochen.

In einem iii Unterabschnitt des 2 cap. s. 63 ff zeigt S., vor- nehmlich mit hilfe des griech., dass ein gemeineuropäisches gesetz, wie es von Oslhoff und Bremer gelehrt war, vermöge dessen lange vocale vor /, w, r, /, «, m -\- cons. gekürzt wurden, nicht bestanden hat. die kürzung ist vielmehr zu verschiedenen Zeilen und in verschiedener ausdehuung in den einzelsprachen eingetreten, für den eintritt des kürzungsgesetzes im griech. wird s. 65 ein 'unzweifelhafter' lerminus a quo und ein termi- nus ad quem gewonnen, den letzteren halte ich für unsicher: aus aißiüv wird geschlossen, dass die kürzung vor dem Schwund des / zwischen vocalen erfolgt sein müsse, aber es ist einfacher anzunehmen, dass das kurze a aus den obliquen casus stammt, worauf schon der verallgemeinerte accent der obliquen casus hindeutet, als dass in ö?w- das i nach den obliquen casus resti- tuiert sei. von den puncten, die S. den lerminus a quo geben, sind dagegen, wenn nicht alle, doch jcdesfalls die meisten sicher, und das genügt hier.

Im 3 cap. 'Die germanischen langd iphthonge' (s. 70ff) konmit S. endlich zu seinem eigentlichen ihema. das zu ende des vorigen cap. als gemeineurop. abgewiesene kürzungsgesetz soll in diesem cap. fürs germ. als gemeingermanisch erwiesen werden, unter 'diphihong' im weitem sinne versteht S. von nun an (s. 70) 'auch die Verbindung von vocalen mit liquiden oder nasalen'.

* die eigentliche endung des dat. sing, der o-stämme, die sich zu -ai als der urspr. untonform der cons. stamme verhält, wie -cs6 des gen., *-ej'o des ioc. sing, zu s, -i, war wo! -äjö = eA), skr. -äja.

128 STREITBERG ZÜK GEaMAMSCUE.> SPRACHGESCHICHTE

I. Die gern), e-ili phllio nge (s. 70— 91). A. in liaupt- toniger (vvuizel-)silbe wird e zu e gekürzt.

1) er vor cous. wird i;erm. er, so in ahd. /'ersana, herza (vgl. zu diesenfi Zs. 1. d. pliil. 25, 381). lür ~el > el hat S. kein beispiel. er bemerkt, es sei zu vermuten, dass kurzes e im praet. der redupl. verba, wie in an, feit, hell, 'auf ursprüngliche Uinge zurückgehe, dass diese kategorie also hierher gehöre, jedeslalls aber haben wir es dabei nicht mit einem dem urgerm. üb gleichen laute zu tun, sondern mit einem neuen', weshalb er darauf ver- zichtet, näher auf sie einzugehn. historisch kann die kürzuug eines e der redupl. verben ja doch sicher nichts zu tun haben mit der kürzung, die das therna der schrift ist: S. halte jenes e hier also gar nicht heranziehen sollen.

2) hl, em vor cous. wird germ. en, em. so in wind aus uento-s, gut. mhnz aus niemso-.

S. fügt noch als 3. 4 ei und eu hinzu, aber diese lang- diphthonge können, gegen S., vor cons. in Wurzelsilben gar- nicht aus der grundsprache ereibt sein: sie könnten nur secundär entstanden oder neubildung sein, 'ein sicheres beispiel für die kürzung von ei zu ei' ist S. 'nicht bekannt', ein beispiel für CM aus eu findet er in an. Tyr ahd. Zio, das aus *dieus mit regulärem Schwund des / und kürzung des e entstanden sein soll. S. hat dies beispiel von Bremer ßeiti'. 1 1 , f , der es aber mit recht als 'reclit unsicher' bezeichnet. *dieu-s hat, wie oben gezeigt, gar nicht grundsprachlich bestanden, das lange 7 in ae. Tiwes- lässt S. (ebenso Idg. forsch. 1, 514) aus i -\- e enl- stehn. davon kann keine rede sein, der germ. name des himmels- gottes könnte aus dem diu- der obliquen casus oder aus dem urspr. nom. dieu-s erwachsen sein (das ae. iw wäre dasselbe wie in niwe): wahrscheinlicher aber ist das wort das urspr. deino-s. der himmelsgott war der ^deiiios' v.ax £§oxr,v. As. griotan, ae. :^reotan neben got. gretan ae. p'tutan an. grata haben sicher nicht eu aus eu, s. u.

B. Nichthaupt ton i ge (flexions-)silbe, l)iminlaut. wir erhalten an dieser stelle (s. 73 83) einen langen excurs über die flexion der 'schwachen verba dritter classe' (got. haban). S. sieht in dieser eine alte e- classe. ebenso wie in der ä- classe (germ. ö- classe) nach S. s. 1211 ein 'von haus aus der athema- tischen tlexion zugehöriges' -ümi (woher got. -ös, öß, -öm, lat. -äs, -a?, -ämus, lit. 1 pl. -öme) und eine schwache '^'ebilduug' des praes., -ä-jö (lit. 1 pl. -tjame gr. -äo(.iEv as. -oiad ae. -iad) im germ. zusammengefallen sind, so zeigen verwante sprachen uns entsprechend ein -cini und ein -ejo neben einander (s. 83). S., der die Üexion von haban 'einheitlich' zu erklären sucht, will nun aber sämtliche formen des paradigmas von der flexion -emi herleiten, von der flexion -ejö ist nur in wenigen andeutungen zum Schlüsse die rede, davon dass die e-classe, soweit eine solche

STREITBERG ZUR GERMAMSCIIEN SPRACUGESCHICUTE 129

in der 3 scliw. conj. enllialteii ist, mil einer urspr. o-elasse (oder e/o-classe, s. u.) im germ. zusanimengelallen ist, sagt der ganze abschniü kein wort, da ich, wie früher, so noch jetzt glaube, dass die formen der verba der 3 schw. conj. vornehmlich dieser o-classe entstammen, kann ich S. kaum in einem puncle recht geben.

Für die Itehandlung des nichlhaupttonigen e in laugdiph- lliongeu im in laut wird s. 70 ein gesetz angenommen, nach welchem diese sowol von der behandlung des e in liaupttoniger Silbe wie von der Jüngern hehandlung des e in auslautenden langdiphthongen abweiclit. 'in nichlhaupltoniger (flexions-)silbe', sagt S., 'ändert sich die qualität des e, es wird gemeingerm. zu a'. nach diesem gesetz soll in der flexion der alhemalischeu verben auf -e-mi im optativ (s. 73) -ei- zu -ai- und in der 3 plur, und im part. -ont- zu -and- geworden sein, nur ver- möge dieser beiden annahmen gehOrl der excurs über die 3 schw. conj. überhaupt hierher, das got. -a der 1 sing, haha wird mit Hirt, Idg. forsch. 1, 204, als aus -em mit secundärer endung ent- standen erklärt, nach dem muster der 1 sing, -a und 3 i)lur. -ajid soll *em der 1 plur. zu -am; nach dem muster des pari. -ands der inf. *en zu -ati umgestaltet sein.

Dafür, dass das pari. got. habands älter ist als ahd. habenti, woran wol niemand zweifelt, meint S. s. 74, 'dürfte eine isolierte form, das substantivisch gewordene part. got. fijands ahd. fiaiit as. fiand usw., sprechen'. S. meint also, in as, fiaiid ahd. fiant sei das gemeingerm. -and- aus -(-nt- bewahrt, ich vermag das auf so sehr wenige fälle, vornehmlich die flexion dieser 3 classe, deren erklärung nichts weniger als sicher ist, gestützte gesetz, dass e in langdiphthongen nichtbaupttonig im inlaut anders be- handelt werde als in liaupttoniger Stellung, nicht anzuerkennen, ich glaube, dass zu der zeit, wo vcnto-s die kürzung erfuhr, die wir in xcind = lal. ventus sehen, auch in einem part. *ptjent- oder *j)ljent- das e gleichzeitig zu e gekürzt worden wäre, dass also diese form ein got. *fijinds ergeben hätte, und dass auch in der 3 pl. einer aihematischen ?-classe lautgeselzlich -ind ent- standen wäre, das vorliegende as. fiand ahd. fiant ist vielmehr das ursprüngliche particip des primären verbs auf -ont-, dieses particip ist älter als die llexion des verbs fijan nach der 3 schw. classe. fijan ist nicht das einzige urspr. starke verb auf -ö, das um des gleichen infinitivs auf -an willen (s. u.) in die 3 schw. conj. übergetreten ist.

Das ai der 2. 3 sing, -ais, -aip, 2 pl. -aip will S. nach dem vorgange von KFJohansson, der sijais = lal. sics setzt, und von Hirt aus e herleiten, urspr. -e-si {-(i, -te). S. stellt für den be- haupteten laulwandel s. 77 die regel auf: 'geschlossenes got. e wird in nichthaupttoniger silbe vor stimmlosen dentalen Spiranten zu ollenem (geschrieben ai), falls seine accentqualitäl die ge-

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130 STREITBEKG ZUR GERMAMSCHEN SPRACUGESCHICHTE

slofseue ist', so, meint er s. 79 f, 'erklären sich die rälsel- lialien ai- formen des got. paradigmas ohne Schwierigkeit, so- wol habais wie habaip erlüllen alle bediugungen. was ihr -s und -p anlangt, so kommt es nicht daraul an, ob die laute in urgerm. zeit stimmhaft oder stimmlos gewesen sind: fürs goti- sche steht ihre slimmlosigkeit fest', von dem widersprechenden -es der 2 sing, nasides wird s, 78 f behauptet, dass das e 'schlei- fenden accent' gehabt habe, 'der umstand, dass sich der end- silbenvocal unverkürzt erhalten hat', ist in S.s äugen 'ein hin- reichender beweis dafür, dass er nur schleifend betont sein kann'. S. sieht 'einen ganz ähnlichen unterschied in den endungsvocaleua der entsprechenden ags. formen, hier lautet die 2 pers. sing, praes. hafas{t), die 2 pers. sing, praet. dagegen hcBfdes{t) und doch kann das -as der ersten und das -es der zweiten form nichts anders als altes -es darstellen'.

Also im gotischen soll bis in die späte zeit, wo germ. z und d im auslaut zu -s und -p wurden, und im ae. bis in die zeit, wo in germ. -es der lange vocal der eodsiibe verkürzt wurde, der unterschied zwischen 'gestofsenem' und 'schleifendem' accent entweder noch bestanden oder nachgewürkt haben, wer solches behauptet, sollte doch auseinandersetzen, wie er sich die sache denkt: ob im germanischen, nachdem sich der hauptton auf die erste silbe zurückgezogen hatte, und im gotischen noch endsilben 'gestofseu' oder 'geschleift' worden sind (nach den von ihm ge- brauchten ausdrücken scheint S. dieses würklich anzunehmen), oder ob etwa im gemeingerm. oder erst im nachgotischen germ. 'gestofsenen' längen gegenüber, die normale längen waren, 'schlei- fende' längen zu üb erlangen geworden sind, und im ae. über- langes e, wenn gekürzt, e bleibt, normales e gekürzt zu a wird, dass durch contraction entstandene 'schleifende' längen nicht etwa germ. noch zweisilbig gewesen sind, liegt ja auf der band: in diesem falle hätten gerade 'schleifende' längen got. durch laut- gesetzlichen Verlust ihres zweiten bestandleils gekürzt werden müssen, aber Haussens lehre, dass 'vocalische längen in den endsilben mehrsilbiger worte' got. (und ahd.) nur lang bleiben, 'wenn sie den circumflex fordern', dagegen, auch vor erhaltenem auslautenden cons., gekürzt werden, 'wenn sie den acut fordern', ist meiner Überzeugung nach unrichtig: der lange vocal in vor- germ. -es, -ös, -äs bleibt, auch wenn er 'den acut fordert', got. und ahd. lang, wie in nasides, ahd. -des (Is.) und (nach der 1 sg. -ö") neritös', ebenso im -7s der 2 sing. opt. praet. von 'schlei- fendem accent', wie S. will, dli. von würklichem circumüex im oben angegebenen sinne, kann bei der endung -es der 2 sing, praet. durchaus keine rede sein; denn das E ist weder durch

* ebenso ist -Us iiiclit lautgesetzlich zu got. -m« geworden in qairnus, vielmehr hat *qairmi aus germ. knermi das -s angenommen nach der analogie von sunus, liandus.

STREITBEKG ZUR GERMAMSCBEN SPRACHGESCHICHTK 131

conlraclion entstanden, noch ist in jüngerer periode der grund- sprache eine lolgende silbe ausgefallen, wenn die silbe -es bei eintritt von Verners gesetz den circumflex, also acut -f- gravis, gehabt hätte, dann hiilte nach dem Beilr. 7, 507 bemerkten das s gemeingerni., also auch westgerm., zu z werden müssen, wie im gen. sing, -öis, -öüs (germ. -aiz, -auz); im nom. sing, -is (lil. -ys, gel. hairdeü), wenn aus -//«-s (nach S. und Hirt, Idg. l'orsch. 1, 13); im gen. sing. lem. -ds; im nom. plur. fem. -ös neben '-äs aus -des; im nom. plur. masc. -6s neben '-ös aus •oes (got. -öS, an. -ar, während as. -os, ae. -as aus -öses ent- standen ist; s. Beitr. 7, 505). dass das got. -a der 1. 3 sing, praet. 'unter allen umständen' keine 'schleifende länge' gewesen sein kann, betont S. selbst s. 79. was das ae. betriflt, so kann germ. -es in diesem dialect durch kürzung nur zu {-CBs) -es werden, wie in hcefdes{t): das ae. -as in hafasQ) kann durchaus nicht aus -es entstanden sein. S. bemerkt s. 81, dass 'der o-uin- laul von wurzelhaftem i, der in der 2 und 3 pers. sing, auftritt (Uofad), schlecht zu allem ai stimmen' würde: er könne 'deshalb in dem a der genannten formen nichts anders sehen als urger- manisches e\ aber stimmt der o-umlaut denn zu urgerm. e?

Ich vermag demnach S.s gesetz über die behandlung des germ. e im gotischen und ebenso seine erklärung des praesens der 3 schw. conj. durchaus nicht anzuerkennen.

Für das praesens von habati und der wichtigsten andern hierhergehürigen verba halte ich die von Bremer, Beitr. 11, 47, angesetzten gemeingerni. grundformen 1 sing, -ip, 2 -aizi, 3 aidi, 3 pI. -landi, opt. -iaj-, imp. 2 sing, -ai, 2 pl. -aidi für richtig, das a der ai-formen ist ein urspr. o: nach meiner (Beitr. 7, 474) und Sievers annähme (ebd. 8, 90 ff) ist das ai aus -oje- O oji ^ oi) hervorgegangen (2 sing, -o-je-si usw.). auch der imperativ, den S. s. SO als neubildung erklären muss, ist völlig regelmäfsig. aber die i- formen haben gewis nicht, wie ich aao. annahm, ein o vor dem z verloren: in dem -ojö O -oio) der griech. schwachen o-conj. wird das o der 2. 3 sing. entstammen. Beitr. 7, 532 unten, 547 habe ich die Vermutung ausgesprochen, dass die schwache e-conj. und die schwache o-conj., also einerseits lat. laceo, sileo, video, anderseits got. paha, sila, vita usw., aus einer älteren gemeinsamen conjugation erwachsen seien, die formen der germ. schwachen o-conj. werden, statt auf dem umwege durch ein ursprüngliches -ojd , unmittelbar aus der bewahrten ungeschiedenen e/o-conj. hervoigegangen sein, deren 1 sing, anders, als aao. 547 geschehen, anzusetzen ist: sing, -ejo, -oisi, -oiti, pl. -ejome, -oüe, -ejonti. germ. -aizi usw. könnte unmittelbar dem urspr. -oisi entstammen, wahrscheinlicher aber wird dies -oisi schon vorgerm. und vorgriech. analogisch zu -oje-si geworden sein.

Der Infinitiv unsrer germ. schwachen o-conj. aber hatte nicht,

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132 STREITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

wie Bremer auselzt, -ja-, sonderu eülbehrle, entsprechend dem von S. s. 17f dargelegten, des Clements -je- {-jo-): er hatte dem- nach das aussehen eines infinitivs der starken verben. ebenso wie von S. für das praesens got. sita statt "^sitja gezeigt, ist got. nach dem ^-losen infmitiv das j der ursprünglichen /-formen auf- gegeben, sodass die nicht- ai-formen den formen des starken verbs entsprechen, 1 sing, -a, 1 pl. -am, 3 pl. -and (aus -ö, -ome, -onti), ebenso im ganzen opt. und im part. -ands. ganz ebenso ist nord., wo -ai regelrecht zu e (?) wurde (2. 3 sing, -er, 2 pl. -ed, imp. -e, -ed), nach den j-losen infinitiven Ufa, vaka usw. das J des praes. verloren gegangen, aufser der 1 sing, hef des verbs hafa, während in segja, pegja umgekehrt das j in den inf. gedrungen ist. da die 1 sing, praes. bei allen andern verben sich von der 2. 3 sing, durch das minus des -r unterscheidet, so ist anstatt der allen hef, seg nach der 2. 3 sing, auf -er {-ir) die 1 sing, auf -e {-(), vake, neugebiUlet worden, die also nicht, wie Hirt lehrt, aus 'gestofsenem' -em hervorgegangen ist. im imp. sind die einsilbigen formen haf, lif, seg analogiebildungen nach der starken und 1 schw. conj. neben den alten formen auf -e aus -ai, vake. westgerm. entspricht der 1 sing. got. haha seiner entslehung nach genau ae. hafu, ahd. Tat. hahu, sagu, Notker habo, sago, und auch eine form wie ahd. 3 plur. habant kann entsprechend entstanden sein und braucht nicht a für e zu haben, ebenso kann in ahd. hapan mit dem gerund, -anne der ursprüngliche inf. ohne j erhalten sein, gegenüber welchem in huggen das j in den inf. gedrungen ist.

S. sagt s. 80 zur empfehlung seiner erklärung, dass sie, so- weit er sehe, die einzige sei, 'die uns in den stand setzt, das got. paradigma einheitlich zu erklären', ich finde meine erklärung, die ich, was den Schwund des/ l)etrifft, S. s. 17 f verdanke, in noch weit höherem grade einheitlich, vom nordischen sagt S. s. 82: 'die 3 pers. plur. heilst hafa, stimmt also genau zu falla, skj'öta. . . . bedenkt man, was über got. haband . . . gesagt ist, so wird man nicht abgeneigt sein, auch für die nord. formen urtypen mit e anzunehmen, -enti usw. daun würde sich auch erklären, wie hafa zur 1 pers. plur. hgfom gekommen ist. sie wäre gerade so zu beurteilen wie got. habarn'. allerdings ist hofom gerade so zu beurteilen wie habam, aber die erklärung ist weit einfacher als S. annimmt.

Die den got. -ais, -aip, -ai, an. -er, -e, ahd. -es, -et, -e ent- sprechenden lautgesetzlichen formen der cndung waren im ae. -es, -ed, imp. -e^. die formen der 2. 3 sing, auf -as, -ad, imp. -a lialte ich mit Cosijn für bildungen nach der analogie der 5-classe, da das a, soweit ich sehe, nichts anderes sein kann als 5. aus

* lifes, -e^f; dazu eigentlich *.ia:;es usw.; es finden sich aber nur sw:;es, -e^, hcefes, -e<f, imp. scB:^e: belege für diese formen aus Lind, und Rushw. s. Sievers Ags. gr.^ § 416.

STBEITBERG ZUR GERMANISCHEM SPRACHGESCHICHTE 133

dem umstaDcl, dass in hafas{t), -ad, dem einzigen verbum, das einen «-umlaiit des a zu ea zu zeigen fähig wäre, dieses ea nicht erscheint, vermag ich nicht mit Sievers, Beilr. 16,261, zu schlielen, dass das a der endung, das doch in liofad den umlaut würkt, etwas anderes gewesen sei als ä. so wenig als man in an. hefer, seger aus der gestall der Stammsilbe auf die frühere gestalt der endung schliefsen könnte.

Nachdem S. das paradigma von haban 'einheitlich' aus der flexion -Pmi erklärt hat, heifst es zum Schlüsse s. 82, dass 'selbst- verständlich' nicht behauptet werden solle, 'dass das e einzelner zur ?-classe gehörigen verba nicht auch auf ai zurückgehn könne': diese herkunft sei nur für 'die eigentlichen repraeseutanten der e-classe' zu leugnen, was S. mit den e meint, die auf ai zurück- gehn sollen, wird auf der folgenden s. 83 nur in wenigen vvorteu angedeutet, wo er (in ziemlich unklarer weise) von den verben auf -ejö spricht, er meint also vermutlich, dass das got. -ais, -aip, -ai, ahd. -es, -et, -e, an. -er, -ed, -e aufser der von ihm im vorhei- gehnden gegebenen erklärung auch aus -e-j'e-si {-ti, -te), imp. e-je {-te) entstanden sein könne, indem eji > e? > ai geworden wäre (vgl. S. s. 16). ein solches secundäres ci aus eJi wäre mit dem von S. für den optativ habai- angenommenen ursprünglichen ei, für das ich den Übergang zu ai abwies, nicht zeitlich zusammenge- fallen: ob aber eji zu germ. ai werden konnte und ob überhaupt schwache verben auf -e-jo fürs germ. als zu gründe liegend an- zunehmen sind, ist mir nicht sicher.

Bei S.s herleitung des got. paradigmas aus einer flexion -emi bleiben s. 80 'zwei formen' übrig, 'die sich nur als neubildungen erklären lassen': die eine ist der imperativ, der nach meiner er- klärung lautgeselzlich ist, die andre das praeteritum. S. erkennt an, dass 'die germ. e-verba ihr praeteritum von haus aus ohne mittelvocal bildeten', die verben aber, von denen dieses galt, waren gewis nicht die eigentlichen e-verben (wie zb. arman), sondern diejenigen, in deren ind. praes. ursprünglich 7-formen mit ai-formen wechselten, also die verben der germ. schwachen e/ö-classe. würkliche e-verben, '['so wol schwache verben mit dem praesens auf -ejö, als auch S.s 'eigentliche repraeseutanten der e-classe', müssen im praet. und part. pass. 7', got. *-eda, *-e/js, und im inf., wie S. ansetzt, -en gehabt haben, aber auch alte schwache e/o- verben können neben dem germ. praet. ohne mittelvocal ein solches auf -eda mit der alten dehnung des e gebildet haben; vgl. lat. tace-bam zu taceo. wie die verbalabstracta auf -Ini-, got. -eins, ein dehnuugs-7 haben, so müssen die verbalabstracta der e/o-vorben, wie got. libains, früher mit dehnungs-e ein -eni- ge- habt haben ; vgl. got. fahcds aus vorgerm. -e-ti-. das got. praet. -aida, part. -aips und das verbalabstractum -ains (s. 16) kann natürlich niemand in andrer weise erklären als S. nach der analojjie von salbö-s ist aus habai-s usw. ein verbalstamm auf-ai-

134 STREITBERG ZUR GERMAMSCHEN SPRACHGESCHICHTE

erschlosseil. im alid. ist ohne zweifei bei allen e/o-verben, genau entsprechend, zur 2. 3 sing. 2 pl. ind. und zum imp. (während die übrigen formen des praesens von verben wie haban und huggen zunächst die alte gestalt, mit oder ohne y, ohne das e gewahrt haben werden) zunächst ein praet. -e'ta, part. -et geschaflen. in dem vocal des ahd. praet. -eta und -ata {-dlaf) und des part. kann allerdings auch, der annähme S.s geraäfs, (neben analogi- schem ai) ein altes e erhalten sein, und ebenso kann ahd. -en der ursprüngliche inf. der e-classe sein. S. sagt s. 81: 'nimmt man ai als grundlage des ahd. e an, so werden dadurch so selt- same formen wie *habainies, *habaind, *habam, *habaindi ge- schaffen, formen, denen es an jedem anhält fehlt', wenn das germanische die ursprüngliche llexion der schwachen e/o-verben, -ej'ö, -oisi, -oiti, 2 pl. -oite (nicht -oje-si usw.) gewahrt haben sollte, so wäre es gar nicht so seltsam, wenn in einem dialect frühe anstatt der e;'o-formen oi-formen, 1 sing, -oimi, pl. 1 -oime, 3 -ointi geschaffen wären, aber niemand ist genötigt, das ehe- malige Vorhandensein dieser formen mit oi oder späterem ai an- zunehmen: das wahrscheinlichste ist, dass die durchführung des e im praesens ahd. erst verhältnismäfsig spät erfolgt ist nach dem muster des 6 der ö-classe und, wenn solche im ahd. bestanden haben, des e der S. sehen verben auf -emi, von denen die 1 sing, ahd. -em direct herrühren würde.

2) Im auslaut (s. 83 91) ist, ebenso wie vorgerm. -e west- germ. und nord. zu -e, gol. zu -a, so nach S. -er, -Pi, -eu ge- kürzt worden westgerm. und nord. zu -er (ahd. fater), -ei > ? (loc. ahd. ensti), -eu > iu (loc. ahd. suniu), got. zu -ar (fadar), -ai(anstai), -au{sunau). dies lässt sich hören: ich halte es zwar nicht für zweifellos sicher, aber für sehr wol möglich, der dativ ae. suna wird s. 90 unten erklärt als angleichung an den genitiv, da 'überall, wo der gen. sing, nicht auf -s ausgeht, . . . gen., dat. und instr. zusammengefallen sind'.

11. Die germ. ö-diphthonge (s.91). S. meint: 'ein unter- schied zwischen idg. d und idg. ü ist nicht mehr sichtbar, man darf daher wol von einem einheitlichen urgerm. ö ausgehn. dieses ist in diphthongischer Verbindung überall gekürzt und infolgedessen mit dem urgerm. ö überall zusammengefallen', dies ist sicher nicht richtig; vgl. KZ. 24, 508, Beitr. 7, 483, Kluge in Pauls Grundr. i 357. da die eben gesehene kürzung des auslautenden -ei älter sein muss als die entstehung des germ. 1 aus ei, und die kürzung des e in haupttoniger silbe noch älter gewesen ist, kann nicht angenommen werden, dass die kürzung des ö in diphthongischer Verbindung erst nach dem Übergang des ä der keltischen lehnwörter bräca, Ddnuvius in germ. ö stattgefunden habe, sicher darf man also nicht von einem 'einheitlichen ur- germ. ö' ausgehn, vielmehr ist urspr. ö in langdiphthongen vor cons. zu 0, dagegen urspr. ä in gleicher Stellung zu « gekürzt

STREITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE 135

worden, und die kiirzungeu ö und ä sind dann, gleich den gruud- sprachlichen ö und ä, in haupltouiger und in den meisten fällen auch in nichl-haupttoniger silbe secuudär zusammengelallen.

A. H a u p 1 1 0 n i g e ö - d i p h l h o n g e. 1) im i n 1 a u t (8. 91—98).

I. Primiire (^-diphthonge. 1) ör, öl und 2) ö/i, öm (s.91 93). S. meint, dass diejenigen germ. ar, al= griech. oq, oX als kiirzungeu von ör, öl hierher gehören, die nebeu germ. rw, Zö, gr. ()w. Km 'Vertreter der sogen, laugen sonantischeu liquiden' sein sollen, und dass 'unzweifelhaft' ebenso die fälle hierher ge- hören, wo für germ. aw, am 'lange nasalis sonans' als grundlage anzunehmen ist. da der kurze vocal gr. o germ. a vor dem r usw. nur dann erscheine, wenn ein cons. nach diesem stehe, so könne man sich der folgerung nicht entziehen, dass gr. oq germ. ar usw. aus ör usw. gekürzt seien '. mir ist es völlig sicher, dass weder die gr. oq, oA, germ. ö7', ö/, an, am, noch die rö, /ö, nö^ aus 'langer liquiila oder nasalis sonans' hervorgegangen sind, und dass eine grundsprachliche 'lange liquida und nasalis sonans' über- haupt gar nicht bestanden hat (s. Zs. f. d. phil. 25, 389): trotz- dem kann S., was die von ihm angenommene kürzung betiifft, recht haben, die gr. oq, oA, gern), a;', a/ usw., un) die es sich handelt, sind gruudsprachliche orJ, olA usw. gewesen, die übrigens selten waren (s. Zs. f. d. phil. 25, 388 note 2) : wie sich regelrecht die 0- stufe zur hochtonigeu e- stufe und zui' Schwundstufe ver- hält, so verhalten sich diese lautgruppen zur hochtouslufe gr. eQa, «Aa, tva, Sf-ia = skr. dri, äni, dmi (aus erA usw.) und zur Schwundstufe gr. aQa, aXct, ava, afxa = skr. 7r, «r, an (aus drA usw., = der vermeintlichen 'langen liquida und nasalis so- nans'). wenn wir in gr. xol- in zol-i-ia das a vermissen, das wir in der hochtonstufe rsla- und in der Schwundstufe raXa- hahen, so ist es sehr wahrscheinlich, dass das A nicht einfach ausgefallen, sondern dass tolA- zunächst zu tül-'- und dieses dann durch kürzung vor cons. zu roX- geworden ist. ebenso kann dann im germ. got. arm-s aus ärmos aus orAmo-s entstanden sein, neben der untonstufe skr. irmd- aus srAme-; lat. armus entspricht entweder diesem oder jenem ^.

* vgl. Brugniann Grundr. i 463, der arÖQvifii aus *ai(OQ-vv^i ent- stelin lässt usw.

■■' ebenso wie li(. erA, elA, eriA, eniA vor cons. mit deiinung und ge- stofsener betonung zu er, el, f-n, em geworden (s. Bezzeiiherger in seinen Beilr. 17,'22tfl), zb. vem-(ti) = skr. vdm«-(</), und iiid. in der untonstufe fr, ür, (in (woraus rt), am (woraus an) aus iri^ uri, ani, ami liervorge- gangen ist.

^ gern), wird, wenn das gesagte für die o-stufe richtig sein sollte, die- selbe ersatzdehnung und spätere kürzung auch in der e-stufe (vgl. das lit.) und in der Schwundstufe (vgl. das ind.) slaltgelunden haben, diejenigen germ. ur, ul, un, um, die = skr. Jr, ür, ä, an sind, würden also aus ür, ül, ün, Um gekürzt sein, so in fjtlU aus */ulne- oder *pülne- = skr. pürnd- (< parAui'-), -kunds = skr. gatä- (aus den obliquen casus von genAto-

130 STREITBERG 2LR GERMAMSCHEN SPRACHGESCHICHTE

Zweilellialt sind die unter 3. und 4. von S. angerulirlen fälle einer kürzung von germ. öi, du aus ät, ün zu ai, au (s. 93 f). S. meint , das ai in gr. aiFiöv lat. aevom got. aivs müsse aiil' idg. fti zurilckgefülirl werden: 'da die länge des ä im indischen {f/jn-, (IJÜS-) bestehn l)leibt, auch wenn die endung (U?n ton trägt, haben wir kein recht, lür die würze! eine schwundstufenrorm *<n' . . anzusetzen', ich meine, wir haben noch weil weniger ein recht, darum, weil im sanskrit in diesem worte eine stammab- stufung nicht vorhanden ist, zu behaupten, dass dieselbe nie vor- handen gewesen und dass in diesem worte in dem äi das jf vor coDs. gewahrt geblieben sei, als andre / und u in gleicher Stel- lung in der grundsprache austielen, und das kurze a in got. ajnk-{düps) 'durch Übertragung' zu erklären, ebenso meint S., dass das wort idg. näu- 'schifT' keine stammabstufung gehabt habe, weil wir dieselbe in keinem der uns vorliegenden dialecte vor äugen sehen, darum müsse das au in an. naiist aus germ. öu entstanden sein, wir haben aber das ä aufser in diesem worte auch noch in an. nokkve ae. naca as. nako ahd. nahho, wenn, wie wahrscheinlich, das q, k dieses worles aus vorgerm. ^w das- selbe ist wie in ae. tdcor ahd. zeihhor und in ae. cwicu ahd. cheh = got. qius. für mich sind die angeführten ai, an ursprüngliche ai, au. ferner meint S., ein germ. au aus öw sei 'mit Sicher- heit im ganzen sing, des starken praet. aller consonantisch scbliefsen- den wurzeln vorhanden, die einer der drei schweren ablautsreihen angehören': diese hätten 'in den starken perfectformen ursprach- liches öu gehabt, dessen u der systemzwang bewahrte', so sei das au des praet. ahd. slöz usw. aus du entstandeo, da lat. clävis

ganAte-), kavrji = skr. girnä-. ebenso in der e-stufe kind aus *gento-m (aus geriAto-), ahd. dinstar aus *f)emstro- oder *tcmsro- aus ieniAsro- (vgl. skr. lämisrU), germ. berkü (oder -jö) 'birke' aus bhe/'A:;ö. wie lang- diphtlionge mit ;•, /, 7i, m, so können auch langdiphthonge mit i, u als zweitem giiede auf diese weise secundär entstanden sein, ebenso wie im iit. au aus urspr. eu, ou zum ersatz für ausgefallenes .4 := skr. / zu du geworden ist mit dehnung und geslofsenem ton (s. Bezzenberger aao. 224). so würde got. stiur, wenn = skr. sthdvira-, zunächst aus *steuro-s hervor- gegangen sein. germ. * bUu-mi , pl. bä-me, wenn hierhergehörig als aus bIwuA-mi, bhuA-Jiie entstanden (vgl. Beitr. 7, 547), und genossen haben durch den Übergang des -mi in das Ou vor der kürzung vor cons. bewahrt, germ. böuö (°ot. baua) neben iSö (ahd. as. ae. ^?ian, zw. büa). oder sollten solche secundären langdiphthonge noch vertust des mitlautenden i, ?/ im germ. er- fahren haben (*bu-7ni > böö > baua)'! Iit. leidmi 'lasse', jünger leidzu, = li'id-7/n aus leidA-mi (würzet lei d neben dem synonymen lei-q mit einem andern -'wurzeldeterminativ'), ^ got. /ete? wie neben 7-eudd ^we\ne\ 2 sing. rudesi (ahd. i'iozari lat. inido und rtido) ein roudA-mi oder reudA-mi (skr. rüdi-mi) > Iit. rdudmi 'weine', so kann neben dem synonymen *ghreudö (as. griotan ae. :^veotan) ein *ghreudAmi > *ghreud-?ni bestanden haben, > ^oi. greta7i, -an. grata, ae. :;rteta7i, vgl. S. s. 72 f; sonst muss von den drei von S. angedeuteten möglichen erklärungen die letzte, die ihm selbst 'am wahrscheinlichsten' scheint, richtig sein: das praesens mit cu müste aus der Schwundstufe grut- einer würzet ghred : gkrd erwachsen sein, während das redupl. verb ein älteres *gfired-77ii mit dehnung wäre.

STREITBEKG ZUR GERMAISISCHEN SPRACHGESCHICHTE 137

(Jor. AkaFig ein « zeigen; als 3 sing. perl", sei tleninacli germ. *s{k)löuti (ans *sklDude) anzusetzen, dass ein uumiltelbar aus der Wurzel des lat. clUvis ohne das d des lat. clando gebildetes per- lect in den starken formen nacii ursprünglicher regel öu hätte haben müssen (3 sing, -öi/e) und es auch in wilrklichkeit hätte haben können, ist richtig; aber meistens ist ja, auch vor ein- fachem cons., das ö des perf. vom ü des praes. verdrängt, dass aber von einer secundären 'wurzel' mit «m oder eu -\- cons. noch ein perfecl mit du gebildet werden konnte oder, wenn es ge- bildet wäre, sich erhalten haben sollte, ist schwer glaublich, das perf'ect solcher secundären bildungen pHegt einfach den vocal des praes. zu zeigen, das germ. mi des perfecls slöz ist der herübergenommene diphlhong des dem lat. clando entsprechenden praesens, wenn dieses praesens einmal im germanischen vor dem Übergang des « in ö in den starken formen ein äu gehabt (*slüntmi oder *släuto) und dieses nach S.s regel zu au geworden sein sollte, so würde das beispiel mit recht hierher gehören, aber das au kann auch einfach das verallgemeinerte au der schwachen formen (1 pl. *slautme oder 2 sing, slantesi) sein, das vcrbum, das eigentlich hätte reduplicierend sein sollen, hat, gleich manchen andern ähnlichen, zu dem perfect ohne reduplication, nachdem a und ö im germ. zusammengefallen waren, ein praesens nach der analogie der ablautenden verben neu gescharten. so gut wie ahd. sliozan ist das praes. nd. sliiten afr. sb'ita, nach wUrklichen alten ü- formen, besonders dem synonymen lükan, eine neubildung.

fi. Seen n dar e ^^-diphth onge (s. 94 98). aus 'ur- sprünglichem' (dh. älterem germ.) -öß- hervorgegangenes secun- däres geim. öi, woraus ai, findet S. in den comparaliven got. maiza an. meire usw. und an. fkire. in dem letzteren comp, sieht S. die o-stufe der wurzel, ■plö-. da wir lat. ein 'plüs^ plürimi, älter plous, ploirume haben, kann man die sache nicht unmög- lich nennen; aber einfacher scheint es mir, mit Osthofl', Beitr, 13, 444 f, in ßeire und dem sup. /^esfr die Schwundstufe pla- zu sehen, di. die verallgemeinerte form der schwachen casus des urspr. comp. plc-jTjs pla-jesos, sup. pleisto-s plaisteso (vgl. Beitr. 7, 506), die sicher einmal bestanden hat, wenn auch, wie S. sagt, (aufserhalb des nord.) 'ein schwundslufiger comp, der würze! *ple- nicht belegt' ist. dem comp, maiza soll mit lat. maior ir. mdo ein mä- zu gründe liegen, das die gedehnte Schwundstufe einer Wurzel me- (der wurzel des got. me-rs) sein soll, sollte die wurzel in dieser gestalt von S. richtig gefunden sein, was mir aber höchst zweifelhalt ist, so würde ich i)ei der ungedehnten Schwund- stufe *wa- bleiben. ein anderes beispiel eines ai aus secun- därem m vermutet S. in den formen deis(l), deit der 2. 3 sing, des verbs 'tun', sehr zweifelhaft.

2) Im auslaut. i. Primäre ö-d iph th onge (s. 9811"):

138 STREITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE

an. tvau noni. pl. d. aus urspr. duön nom. du. masc. 'woher kommt es', fragt S., 'dass die idg. masculinform im riordischeo zum neulrum gevvoiden ist?' er gibt eiue mechanische erklUrung. eiue andere, nicht allein für diesen einen fall, sondern für alle fälle des germ. plur. neulr. aus urspriinj^lichem dual masc. gel- tend, ist dem vom ref. Beilr. 7, 486 oben und von Meringer KZ. 28, 238 f ausgesprochenen zu entnehmen. dass auch das alul. feminin zwo jenem urspr. masc. des duals entstamme, wie S. s. 100 annimmt, vermag ich nicht zu glauben'.

II. Secundäre ö-diph t bonge (s. 100 IT). S. bespricht hier die alle 1. 3 sing. perf. der vocalisch auslautenden wurzeln mit dem ablaul öu : n (3 sg. perf. urspr. -ötie), wie ae. snöwan an. snm. da germ. öu vor vocal nicht unter das tbenia S.s fallt, erst durch den abfall des auslautenden vocals ein 'secundärer ö- diphlhong' entstehn konnte, war dieser abschnitt eigentlich nicht hergehörig, germ. -öue ist an. geworden, aber nicht auf dem von S. angegebenen wege, durch schwund des u im auslaut, son- dern durch Schwund des u bei lebzeiten des folgenden vocals: germ. döue 'starb' > ostgerm. döe > an. dö. im got.-nord. ist also der 'secundäre ö-diphthong' überhaupt nicht entslandei).

B. Nichthauptto nige ö- diph thonge. 1) im in laut.

I. Pri märe ö-diph thonge (s. 103 7). in der athema- tischen ö-conj. hätte nach S. durch lautgesetzliche kürzuug des ö, richtiger des älteren «, im opt. ein got. {salb)-ais, -ai und in der 3 plur. iud. ein (salb}-atid, im part. ein {salb)-ands ent- stehn müssen, aber da alle alten -ü-mi nach ursprünglicher regel in den formen, wo die silbe von haus aus unbetont war, an stelle des ä ein a haben niusteu, so können die von S. er- schlossenen formen auch alt gewesen sein: so gut wie die nach S.s geselz durch kürzung aus -miti hervorgegangene kann es die aus -anti entstandene form der 3 plur., germ. -andi, jünger -and, gewesen sein, die nach dem muster des siugulars zu got. -önd ahd. -dnt umgestaltet ward (entsprechend im part. und opt.). nord., wo im plur. die enduugen der schwachen ö-conj. denen des starken verhs entsprechen, können die 1. 3 plur. aus dem urspr. -ame, -anti entstanden sein neben der 1. 3 plur. des starken verhs aus -ome, -onti, ebenso wie die endungen des opt., 2. 3 sing. -er usw., die S. dem von ihm erschlossenen got. *salbais, -ai gleich- setzt, aus altem -ais, -ait hervorgegangen sein können neben dem -er des starken verbs aus -ois, -oit.

Das praesens der verben auf got. -nan, praet. -ndda, = an.

' dass die form tau 'zwei' des dialects der vier inseln Amrum-Föiir, Sylt- Helgoland (für alle 3 geseilt.) dem an. tvazi unmittelbar gleicli sei, also einem ati dieses dialects ein aii jenes dialects entspreche, wie S. s. 100 anzunclimen scheint, der sagt, dass dieses tau mit an. tvau idg. *duOn 'oflenbar' identisch sei, ist sicher unrichtig: die Vermittlung ist vielmehr ziemlich compliciert.

STREITBERG ZUR GERMANISCHEN SPRACHGESCHICHTE 139

-na ae. -nian will S. durch die von ihm gelehrte lautgeselzliclio kürzung des ö zu a erklären, aufser dem opt., der 3 pliir. iud. -nand und dem pari, -nmids hält er die 1 sing, -na für laut- gesetzlich, er nimmt also an, dass das got. -a bei 'gestolsener' betonung aus -(>m mit secundärer endung entstanden sei, was ich nicht acceptieren kann; ferner meint er, dass dieselben ana- logiebildungen, die nach ihm in der (F-classe eingetreten sind, auch hier eintreten musteu, 1 plur. -am, inf. -an, so dass nur die 2. 3 sing, und 2 plur. nach der analogie der starken verben gebildet wären, aus einem einheitlichen paradigma hätten sich also zwei getrennte entwickelt, indem in der ö-conj. die ö-form durchgeführt wurde, bei den verben auf -nan die a-form den sieg davontrug, 'die ön-verba und die inclioativa', meint S. s. 107, 'konnten die im paradign)a durch würkung des kürzungsgesetzes entstandene Verschiedenheit zur Unterscheidung benutzen', dies ist wol zum grofsen teil richtig, aber S. beachtet auch hier, wie mehrfach sonst, gar nicht die ursprüngliche Stammabstufung, da Holger Pedersens al)handlung über 'das praesensinfix n' in ßrugmauns und S.s Zs. erschienen ist (Idg. forsch. 2, 285 ff), wird S. vielleicht bereits selbst, nach dem in dieser s. 303f über die verben auf -«a/t bemerkten, seine ansieht modificiert haben, die ursprüngliche flexion war sing, -nü-mi (-s?, -tt), plur. na-me {-te, -nti), also ist das got. -nam, -nand des plurals gerade alt, nicht kürzung. nach diesen beiden formen und dem opt. haben sich got. die übrigen des praesens gebildet, nord. kann, wie oben gesehen, die 1. 3 plur, und der opt. den got. formen entsprechen, während der sing, im gegensatz zum got. sicher alt ist, 2. 3 -nar aus -nü-si {-ti).

II. Secundäre ö-diph thonge. die endung der 1 du. -öues, skr. -ävas ist got. -ös geworden, 'das endungs-e', meint S., 'muste nach got. laulgesetz synkopiert werden, wodurch ein secun- därer ö-d'iphlhong entstand', der, 'im wortinnern vor consonanz stehend', den mitlaulenden bestandteil verlor', vielmehr ist das u nach ö ostgerm. bereits bei lehzeilen des folgenden vocals ge- schwunden, wie in *töi, *stöida (s. o. s. 117 f); der vocal ist aber geschwunden, bevor got. ö wie in taut, statiida vor vocal zu OM ward.

2) Im auslaut(s. 108 f). -ör im noni. sing, von verwaut- schaflswürtern muste kürzung des vocals erfahren, wenn solche in germ. fadür stattgefunden hat. -öi, zu germ. -ai gekürzt, 'kann man in an. dage, »M. tage usw. vermuten'; S. erkennt in- dessen, dass dem nord.-westgerm. daliv auf -e auch ein loc. auf -öi zu gründe liegen kann, vorn worte dagr aber lautet der dat. bekanntlich dege, entweder ein aller loc. auf -ei, wenn -ei mit dem circumflex anders behandelt wird als sonstiges -ei, -t, oder das e vor g ist palatalumlaut. urspr. -«?>• germ. -ai findet

' dieser [juiict ist eigentlich auch nicht hergehörig.

140 STREITBERG ZUR GERMAMSCHEN SPRACHGESCHICHTE

S. in got. gibai. aber auch diese form kann, was S. nicht an- führt, ein loc. -di sein. -du, zu germ. -an gekürzt, sehen wir in got. ahtau an. dtta ahd. ahto usw. '

Frederiksberg (Kopenhagen), sept. 1893. Hermann Müller.

Syntaxis slozenych vel v gotsline. sepsal dr VEMourek. [Kozpravy ceske akademie cisaie Frantiska Josefa pro vedy, slovesnost a unicni v Praze. rocnik II. liida iii. lislol.] v Praze, näkladem Ceske akademie cisaie Frantiska Josefa pro vüdy, slovesnost a umT^ni, 1893. Syntax des zusammengesetzten satzes im gotischen von dr VEiMourek. [Abhand- lungen der böhmischen kaiser-Franz-Joseph-akademie für Wissenschaft, iitteratur und kunst in Prag. Jahrg. ii. abteii. iii. nr 1.] Prag, im Verlage der böhmischen kaiser-Franz-.Ioseph-akademie für Wissenschaft, Iitteratur und kunst, 1893. ix und 334 ss. gr. 8°.

Der Verfasser, dessen syntax der gotischen praeposilionen in diesem Anz. xvii 91 besprochen wurde, hat nun die goti- scheo conjunctionen zum gegenständ seiner Untersuchungen gemacht und diese zu einer kritischen darsteliung der gotischen Periode erweitert, er beginnt mit der parataxe, s, 1 96, und bespricht deren syntax nach dem logischen Verhältnis, welches die verbundenen selbständigen Sätze zeigen, insofern dieses Ver- hältnis durch sprachliche mittel ausgedrückt ist: 1) copulatives Verhältnis: jah, -nh {parvh, pannh), nih, ni patainei, ak jah; 2) disjunctives: pau, aippau, jajtpe -jappe; 3) adversatives: ip, appan, ak, akei, swepauh; 4) deduciives: in pis, inuh pis, in pizei, diipe, duppe, eipan, mi, pannu; 5) causales: auk, allis, raihtis, unte, worauf 6) noch ein abschnitt folgt, der die genannten con- junctionen in einer andern Verwendung zeigt, nämlich nur den fortschritt entweder der erzählung oder der erörterung zu be- zeichnen, entsprechend den schwachen de, /.ihv-öi, xai, ovv, iöov in der erzählung, den schwachen yag, ovv, öe in den er- orterungen des griechischen textes: pariih andhafjands qap, 6 öh aTTO/.Qt&e'ig shcev ; Jabai auk Xristus in iztcis, ei dh Xgcavog evifilv] hidja nu izwis, vcccQaxa'/M oivvf.iäg. daran schliefst sich ein cap. über die modi in den parataklisch verbundenen hauptsätzen. hier s. 86ff bekämpll Mourek Erdnianns allerdings nachmals von ihm selbst eingeschränkte lehre, dass auch im gotischen wie im nordischen und hochdeutschen der zweite von zwei beigeordneten Sätzen im conjunctiv stehn könne, durch den nur die parataxe, keineswegs eine Verschiedenheit in der art der aussage bezeichnet werde, dem gegenüber weist M. s. 92 auf die geringe anzahl von fällen hin, in denen sich ein solcher über-

' s. 74 z. 4 ä I. (i; s. 95 z. 1 v. u. war 1. ward; s. 96 z. 6 v. u. da 1. das; aufserdem s. o. s. 117 die zahlen von s. 32 oben, dazu sind die von S. selbst Idg. forsch. Anz. ii 197 verzeichneten besserungcn zu berück- sichtigen.

MOUREK SYMAX DES GOT. ZUSAMMENGESETZTEN SATZES 141

gang vom intl. in den conj. zeigt, und, was wichtiger ist, auf die nicht so seltenen stellen, bei denen der conj. vorangeht, der ind. nachfolgt, s. 94 versucht er, alle diese conjunctive vor oder nach parallelem indicativ als polenlial, adhortaliv, euctiv, als aus- druck eines subjectiven anicils des redenden zu erweisen: Iwa ist pata patei qipipl pata Iwa sy'ai patei qtpi/>, iL lori tolto 0 /.eysL . . . TovTO ri loxiv o Myei; voran geht diesem ab- schnitt eine einleilung, in wdcher die auslassung einer cunjuiit- tion im gegeusatz zum griechischen original besprochen wird.

Der zweite teil des werkes handelt von der hypotaxe, deren nebensätze M. in noniinalsälze und advorbialsälze einteilt, zu den ersteren gehören die subject-, object- und attributsätze, die wider nach ihrer form in relativ-, conjunclional- und fragesätze zer- fallen; zu letzteren die local-, temporal-, modaisälze, zu welchen die comparaliv-, proportional- und consecutivsätze gerechnet werden, die causal-, final-, conditional- und concessivsätze, mit Unterab- teilungen, welche wider durch die form gegeben sind, durch die verwendete conjunclion und bei den conditional- und coucessiv- sälzen durch den Wechsel der bedeutung, ob real oder irreal, und durch den modus, sonst wird die Setzung des modus auch seines tempus in einem besondern abschnitt nach den ein- zelnen Satzarten besprochen, so wie die einleitung zu denselben eine erörterung ihrer 'verkürzten' form bildet, bei der ein par- ticipium, ein adjectiv, der Infinitiv den nebensatz vertritt; zb. s. 104 bei den subjecisätzen: nrrann sa saiands du saian, s^rjX&ev ( OTtsiQwv Tov onelQai.

Diese abschnitte über die modi in den nebensätzen ver- folgen vornehmlich den zweck, die Unrichtigkeit einer ansieht Erdmanns zu zeigen, dass nämlich das gotische mit dem hoch- deutschen auch darin übereinstimme, dass der nebensalz den conjunctiv erhalte, wenn der hauptsatz fragend, befehlend, ver- neinend, bedingend sei oder selbst im conjunctiv stehe: s. 146. 153. 167. 184. 197. 205. 246. 251. 252. 258 anm. 275 anm. über die frage hat M. sich auch in einer besondern deutsch ge- schriebenen abhandlung im Anz. 1892 der k. böhmischen gesell- schaft der Wissenschaften, philosophisch -historische abteilung, s. 263 ff ausgesprochen.

S. 255 wendet sich M. gegen die meinung Bernhardts, dass ähnlich, wie es Erdmann für die parataxe angenommen, auch von zwei beigeordneten hypothetischen nebensätzen der zweite den conjunctiv bevorzuge.

Bei den nominalsätzen sind besondere paragraphe der con- gruenz ge\vidmet, s. 140, so managei paiei ni kumiun wüop, 6 o^Xog ovTog 6 ^<j} yivojoxojv v6f.iov; der attraclion, hoa nu wileip ei tmij'au pammei qipip piudan Judaie, zi ^eXsTS Tvoir^oio ov keyere ßaoi'/.ea rtov ' lovdaitov', <ler prolepsis, s. 143, witnp gard Staifanaus, patei si7ul aiiastodeins Akaije,

142 MOUREK SYMAX DES GOT. ZUSAMMENGESETZTEN SATZES

o^iöare tijv oixiav J^ztcfavd, oti loriv a7caQxt] rlg ^ y^ixcuag der Irajeclio, s. 144, in pizaiei mitap mitip, mitada izwis^ ev 0) (.üxQdj f.ieTQeiT€, (.lETQijO^i'^oerai vi.ilv.

Unter den temporalsätzen sind die ahsuluten parlicipia als verkürzte sätze behandelt, s. 171, zb. [)nk tauj'andan armaion ni witi hJeidumei peina, aov Ttoiovvrog k}.ei]f.ioovvriV /lh) yvioro) rj ctQiOTBQa oov, bei den conseculivsätzen die iiiliiiiiive bei swe, swaswe, sioaei; wegs mikils icarp in marein, swaswe pata skip gahuh'p wairpan fram wegim, 0€ioi.idg jtieyag iyivexo iv rfj S^a'/.äooij, luore t6 rclolov •/.a).vjcrtoi}aL vtio rtuv -/.vf-iciTCov.

Seiir eingehend und auslührlicli werden bei den einzelnen Salzkategorien die concurrenzen der bedeiitungen erörtert, so s. 113 bei den subjectsätzen, gop ist im, Jabai siyid swe ik, xaXov avrolg EOTtv, eav i-ieivioaiv tag kyiö, wo die bedeutung des snbjecls in die der condition übergeht, s. 128 bei den objectsätzen , s. 196 bei den consecutivsätzen, s. 201. 204 anm. 1 bei den causalsätzeu, s. 222 bei den finalsätzon, s. 268 ff bei den conditionalsätzen. hierher geboren auch die letzten paragraphen des capitels, welches über die conditionalsätze s. 282 spricht, sie behandeln jene Peri- oden in denen ein hauptsatz im iniper., conj., indic. mit einem finalen nebensatz verbunden ist, der auch als nachsatz zu einem conditionalen nebensatz aufgefasst werden kann, dessen inbalt io jenen perioden dmch den hauptsalz ausjiedrückt wird: hauhei peinana swm, ei snnus peius haiihjai /mk. dö^aoov oov xov vibv %va yiol 0 vlog aov öo^äoi] oe, gleich: wenn du deinen söhn erhöhst, wird dein söhn diel) erhöhen, ebenso versäumt es M. nicht anzumerken, wann parataktische und hypotaktische con- struction in einander übergehn oder die eine wie die andre anzu- nehmen gestattet ist; s. zb. 58. 235. 237.

S. 285 334 folgt ein deutscher auszug ohne beispiele, aber mit reichlichen Verweisungen.

Ähnlich wie in seiner schrill über die gotischen praepositi- ooen sucht M. auch hier seinen Stoff zu erschöpfen durch voll- ständige Sammlung und aufführung aller fälle, wobei natürlich oli dieselbe stelle unter verschiedenen gesichtspunclen angezogen werden muste. dieses reiche material gibt ihm in seinen cou- troversen mit Erdmann und Bernhardt einen grofseu vorteil, und ich glaube, man wird seiner auffassung der gotischen Verhältnisse in den fraglichen puncten zustimmen müssen, auch eine menge einzelheiten werden beifall finden. so s. 1 seine Verteidigung der gotischen asyndeta wie gaggaip ganimip 7ioQevd-evTEg ftd- d-ETB, die von den herausgebern z. t. zerstört worden sind; s. 12 die bemerkuugen über relativsätze, welche die hauptsache enthalten: Gal. 6, 14 ip mis ni sijai livopan in ni vaihlai niha in gaigin franjins unsaris lesiiis Xtistaus, pairh panei mis fairh- vus ushramips ist Jak ik fairlwau, if.ioi ök /iii] yivoiro xavxdoO-ac ei /.Uj iv rut oxavQ([) xov xvQiov r^/.udv Irioov Xqlotov dt

MOUREK SYISTAX DES GOT. ZUSAMMENGESETZTEN SATZES 143

ov t(.iol y.6of.iog eoravQwrai, /.at fyio rf/7 -/.ooiiUi); s. nihil. Harl- manns Iwein 7939 sich nnderwant vrou Limete der reise die si gerne tele; Berüiokls Craiie 2932 eim rosse was der döt bekanty daz der vurste ligen vant; Passional ed. Halin 278, 74 Philippus der herre gut, der mit rehter demut ein heilich zwelßole was usw.; 282, 34 ßarlholomeus der gute, der mit reinem mute sich tet durch Jesum Christum übe der werlt und wereltlicher habe usw. die zwei lelzleu beispiele haben gar keinen hauplsatz; über Sätze mit aippau in der lunclion hypothelisclier uebensätze s. 42 (s. Paul Mittelhochdeutsche granimatik § 349); über ak, das, wie unser 'sondern' böhm. nybrz, nach negativen Sätzen steht, aber zuweilen auch nach condiliunalen periodeu, deren gedanke eine Verneinung in sich schlielst, s. 51: jabai qipani ns himina, qipip : appan duhve ni galanhidedup imma? ak qipam us niannam., uhtedun po managein, sav tL7Ciof.iev i^ ovqavov, tgei, diari ovv oiv. kfcioxeioaTE avzu); (<ias sagen wir aber nicht): aÜ! shcio- u(v e^ avd^Qiö/ciov, tcpofJovvTO rov Xaöv- ähnlich über ip^ sonst 'abrr', als einleitung des conditionalen irrealen nebensatzes s. 244. 261, weil der inhalt eines solchen nebensatzes im gegen- satz zu der würklichkeit steht; über den imperativ im neben- satz s. 157 let, ei saihvam, acpere Xöto^iev, vgl. mhd. ich sage dir wie du tuo; über pau als disjunctive conjunctiou s. 38; über dupe, swepauh als adverbium, nicht conjuuction, wenn es mit zweifelloser coujunction wie ei, Jabai verbunden ist, s. 54. 55; über unte, das hauptsätze verbindet, wenn es bei dem zweiten satz steht, einen nebensatz einleitet, wenn es vor den ersten ge- setzt ist, s. 68; über paruh, panuh nicht blol» in conclusiver function, sondern auch nur forttührend, s. 75; über die Schei- dung von dnpe, dnppe und du pe, von eipan und ei pan s. 581'; über den stilistischen Wechsel der coustruction zb. s. 277; über Ulülas inconcinnitäten und anakolulhe s. iv 3. auf parallelen mit dem böhmischen ist leider nur gelegentlich verwiesen, s. s. iv; hollentlich ist diese interessante vergleichung für eine besondre Studie aufgespart worden.

Ansprechend ist die s. 63 geäulserte Vermutung, dass auk, yÜQ, nicht zu aukan 'augere' gehöre, sondern von einem worte abstamme, das wie griech. av ye gebildet war; s. mik aus if.is ye. die ursprüngliche bedeutung hätte sich dann im gotischen zu 'denn' verstärkt, in den andern germ. sprachen, aber auch nur zum teil, zu 'auch' verflüchtigt.

Überall vermag ich dem Verfasser allerdings nicht beizustimmen, so scheint mir eine scharfe Scheidung zwischen adverbium und conjunclion des hauptsalzes nicht überall durchführbar (s. 54), ebensowenig die von auctiver und gradativer bedeutung (s. 35f). die 'Satzverkürzung' gehört meiner ansieht nach nicht in eine lehre vom zusammengesetzten satz, oder nur in einen schluss- paragraphen zu den einzelnen Satzarten , in welchem die frage

144 MOUUEK SYMAX DES GOT. ZUSAMMENGESETZTEN SATZES

beantwortet wird, aul welche andere weise die spraclie noch das logische Verhältnis des nebensatzes zum iiauptsatz ausdrücken könne, jedesfalls wären ausdrücke zu meiden, welche den neben- salz als eine spätere entwicklung des verkürzten satzes, di. ge- wisser infinitive, parlicipia, adjectiva hinzustellen scheinen (s. 104. 169). die als perfecta praesentiae gefassten fälle s. 161. 215 sind recht unsicher, da sie fast alle wörtlich dem griechischen entsprechen, das hängt mit einer das ganze buch durchziehenden Überschätzung Ulfilas zusammen, weil Ulülas oft dem griechi- schen lext selbständig gegenüber steht, müsse seine Übersetzung, auch wo sie mit dem griechischen lext übereinstimmt, immer gutes gotisch sein, so consequent ist der menschliche geist bei einer länger andauernden arbeit nicht, festen boden haben wir nur bei den abweichungen vom griechischen: von diesen wäre überall auszugehn gewesen; s. besonders s. 39 über ^aw griech. rj nach positiv, obwol andre germ. sprachen diese form der verglei- chung auch haben ; s. 70. 124 über nnte zur einleitung der directen rede; s. 94 f über den Wechsel von indic. und conj. in parallelen Sätzen; s. 142 über attraction; s. 172 über den genil. absol.; s. 194 über swe, swasioe, swaei mit dem inf. ; s. 280 über ei und «i; Peüatns sildnhikaida ei is jupan gaswalt, TliXäzoq id^av-

Nicht annehmbar scheint mir auch M.s ansieht, dass sich die vom griechischen abweichende attraction in den relativsälzen aus der gewöhnlichen form 'entwickelt' habe, dass etwas 'ausge- lassen' sei, s. 119. 141. 167. die vergleichung mit dem altnordi- schen und anderm weist vielmehr daraufhin, dass der relativcasus des relativsatzes ursprünglich als demonstralivum zum Iiauptsatz gehörte und der relativsatz ohne pronomeu folgte: ei galauhjaip fiammei insandida Jains, Yva 7tiaT€vai]T€ eig ov anioreihev Ixslvog. in poei isl ms Landeikaion ei Jus nssiggwaid , rrjv Iy. ^aoör/Jiov h'a y.ai ifitlg avayvwTt konnte übrigens /»o ei 'eam quae' gelesen werden.

Zum schluss können wir den wünsch nicht unterdrücken, dass M. seine neigung und begabung zu syntaktischen Unter- suchungen auch andern germanischen sprachen zuwenden möge, von deren lilteralur nicht ausschliefslich Übersetzungen erhal- ten sind '.

Atlersee, august 1893. R. Heinzel.

* an druckfehlern felilt es nicht: s. 12 1. ^Irjaov Xoiarot; 24 1. wi- duwo\ 26 1. gastoiltandans; 29. 281 1. lijßiwe; 34 I. TaTCEivoavvrj; 39 1. Sivaad-e; 40 I. fralailot; 51 1. a)l^ statt aXX^ iav; 57 1. iiidicaba7itur; 64 1. bi fjainma; 65 1. zweimal vficZv siMrjiicüv; 74 I. qejninuli; 88.96 1. aiiTOv statt avrov; 119 i. AaoSixeoiv, ?.tyeiv; 124 1. ßis beistis Farei- saie; 177 1. armaion; 186 1. qif>ano\ 206 I. ])u iür jnis; 1. jmte; 244 1. conjunclion, eigentlich.

GISLASON LDVALG AF OLD>'ORDISKE SKJALDEKVAD 145

Udvalg af oldnordiske skjaldekvad med aninterkiiinger. ved Kusrad Gis- LASON. udgivet af kommissionen for det arnaniagnceanske legat. Kobenhavn, Gyldendalske bogli., 1892. xxvii u. 247 ss. gr. 8°.

Es war Gislason niclu melir vergonot, das geplante werk, eine auswahl von skaldengecliclilen in einem nach niüglichkeit gerei- nigten, ursprünglichen text selbst zu vollenden, der tod raffle ihn, den besten kenner der skaldenpoesie, zu früh, am 4 jan. 1891, dahin, die arnaiuagnajanische commission sali es als eine ehren- pflicht an, das, was G. hinterlassen, so hald als uiöglich heraus- zugeben, und legte die arbeit in die bewährten häude von Finnur Jonsson. man kann es getrost aussprechen, das buch wäre nicht so übersichtlich geworden, wenn G. selbst es vollendet hätte, wer die eigenart des verstorbenen kennt, aus dem hundertsten ins tausendste zu kommen, und wer sich einmal selbst durch seine abhandlungen, besonders durch Njala ii, hindurch gearbeitet hat, wird mir zustimmen, freilich ganz verwischen lässt sich der ursprüngliche characler nicht, und so irelfen wir denn auch in den anmerkuugen genug spuren von G.s art; aber Jonsson hat sich augenscheinlich redlich und mit erfolg bemüht, klarheil in die Sache zu bringen.

Das werk besteht aus einleitung, text, der verse von 81 skaldeu, von Brage bis auf Sighvat JDorJjarson bringt, anmerkungen, einer zugäbe von« hsg., von G. ausgelassene verse enthaltend, sowie einigen iudices, die aufklärung geben über in den anmerkungen vorkommende grammatische und syntaktische bemerkungen, über die Schreibweise einzelner hss., über Wörter, die lexikalisch oder etymologisch erklärt sind, über besonders behandelte Umschrei- bungen, versarten und reime, über beitrage zur erklärung anderer nicht im text vorkommender skaldenverse; schliefslich folgen noch die alphabetisch geordneten skalden, deren dichtungen dargestellt und erklärt sind, diese indices bieten ein wertvolles hilfsmittel zur benutzung des buches.

der einleitung gibt Jonsson zunächst eine kurze übersieht über die beschäfligung G.s mit der skaldendichtung. seine erste abhandluug aus diesem gebiet erschien 1866. seit dieser zeit hat er unablässig an der aufhellung dieser oft so dunkeln eigen- tümlichen dichlungsart gearbeitet, veranlasst zu dem vorliegenden werke wurde er durch das erscheinen von Wisens Carmiua nor- roena, deren text ihn in mancher beziehung nicht befriedigte und dem er ein werk an die seite stellen wollte, das, direct auf die quellen zurückgehend, auch lausavisur und kürzere gedichte enthalten sollte, die Wisen ganz ausgeschlossen halte, um dieses werk ausfuhren zu können, kam G. im sommer 1884 um enl- hebung von seiner docentenlätigkeit ein , indem er seinen plan, wie er auch von seinem hsg. inne gehalten ist, klar legte, dann nahm er 1886 seinen abschied, um sich ungestört seiner arbeit widmen zu können, er nahm alles auf, was er richtig erklären

A. F. D. A. XX. 10

146 GISLASON ÜDVALO AF OLDNOBDISKE SKJALDEKVAD

ZU können meinte, schloss alles aus, was irgendwie 'mit kriti- schen zweifeln behaftet war', dies verfahren hat natürlich übel- stände im gefolge; kommt es doch oft vor, dass ein gedieht nur unvollständig widergegeben wird oder dass zb. von einer visa nur eine hliWie im text erscheint, dem hat der hsg. abzuhelfen gesucht, indem er das fehlende im anhang hinzufügte.

Für die einleitung standen Jonsson nur wenige bemerkungen G.s zu geböte, er gibt aulklärungen über die Schreibweise, die G. bei herstellung der texte befolgte, so schreibt er (s. vi) immer e, o, nicht nur in unbetonten endungen, sondern auch in ableitungsendungen, wie -eil, -enn, -oll, -orr, -otigr, -engr usw. dass es bedenklich ist, diese formen ohne weiteres einzu- setzen, erweist uns Jonsson an einer grofsen zahl von beispielen bei dichtem vom beginn des 11 bis ins 13 jh., deren reime für i und u sprechen, dass aber daneben auch formen mit e ge- braucht werden, zeigt ein reim Sighvats Jjorjjarsons, auf den ich (Skaldenspr. 55) hingewiesen habe: Erlengr: lengi Hkr. (ed. Unger) 445,4. der Bemerkung G.s (s. ix) 'o wird beibehalten, wo nicht besondere umstände a fordern' entspricht auch mein standpunct (vgl. aao. s. 39 f). mit der Schreibung singva, lingva, ingvi usw. stimme ich gleichfalls überein (vgl. aao. s. 48). nicht gerecht- fertigt erscheint mir dagegen die durchgehnde einführung von ay statt der sonst üblichen, auch hslich häufiger vorkommenden ey (s. xiv). zum mindesten hätte den isl. flichtern ey verbleihen sollen, die aufnähme der uncontrahierten formen in der zeit vor 1100 (s. xivf) wird sicherlich allgemeinen beifall finden, zu der frage über den wandel des p nach / (s. xvi) verweise ich auf meine bemerkungen aao. s. 70 ff, wonach jedesfalls soviel fest- zuslehn scheint, dass er um 1200 bereits erfolgt ist. die von Sievers (Beitr. 15, 405 anm. 1) zuerst aufgestellte, von mir aao. s. 187 gestützte behauptung, dass die reime framni und nicht fram erfordern, findet beslätigung durch die zahlreichen beispiele, die Jonsson s. xvii anführt, daneben kommt zuweilen fram vor, was Jonsson auf dialectische entwicklung zurückführt, während ich eher an verschiedene behandlung je nach der lonstärke denken möchte. G. selbst schreibt im allgemeinen fram. wie mit framm verhidt es sich übrigens auch mit enn; doch stehn mir für en keine beweisenden reime zu geböte, die, wie IIolTory wol mit recht vermutet hat, nur dialectischen formen wie ofst, efst usw. überall einzuführen (s. xvin), ist kaum gerechtfertigt, bei der zu- sammeuschreibung von es, ek, at mit einem vorhergehnden wort scheint, wie Jonsson ausführt, G. kein bestimmtes piincip ver- folgt zu haben, er scheint es nur getan zu haben, wo es direcl durch metrische erwägungen oder durch den reim gefordert wurde. Jonsson führt eine anzahl verse an, in denen der reim eine solche zusammenschreibung verlangt, und ich glaube, er bat sicherlich recht, wenn er (s. xx) den satz ausspricht, dass die zu-

GISLASON ÜDVALG AF OLD>OBDISKE SKJALDEKVAl» 147

sammenziebung überall da das ricblige ist, wo nicbl metriscbe gründe sie verbieten, zu den von Jonsson angeCillirten beispielen kann ich noch einige binzuriigen : päs: Asa pjo)). h. livinv. (Wisen Carm. uorr. 10, 9, 3); fäk : vika llauk Vald. (VVis. 79. 1,4); frdk-.räkut Eldjarn (llkr. 652, 12a); p(is:Frisa Ein. Skal. (VVis. 28, 19, 5; vgl. ^jal. n 216); svds : rwsir Ein. Skal. (Hkr. 744, 31)). die frage, ob pöt bei den skalilen stall des gewübulicb geschrie- benen ^d/f einzusetzen sei (s. xx), bedarf wol noch einer genaueren Untersuchung.

In den anmerkungen zeigt sich G.s ganze tiefe gelehrsam- keit und seine wol von keinem andern erreichte genaue kenntnis der skalden sowie sein geniales Verständnis derselben, wie weil's er die feinheiten der reitnlechnik und des stils aufzuspüren ! so wenn er (s. 48) auf den gebrauch der samliendingar in den lausa- visur aufmerksam macht, die aber zuweilen auch im strengen drottkvsett anwendung finden, oder wenn er (s. 50) aus dem ab- wechselnden gebrauch von männlichen und weiblichen endreimen im runhent seine Schlüsse über das alter des betreffenden slücks zieht, wichtig ist auch die bemerkung über das fehlen von binnenreimen in einer grofsen zahl der älteren lausavisur (s. 54). von grofsem interesse sind ferner die ansführungen über will- kürliche Veränderung, welche Schreiber aus Unkenntnis der ge- selze des reimes vornahmen (s. 207 ff), es unterliegt keinem Zweifel, dass ein reim vatnivüre eine vollgiltige skolhending dar- stellt. G. führt (s. 210 IT) eine grofse anzabi von beispielen au, in denen bei consonantengruppen nur die ersten consonanten miteinander reimen (man vgl. meine tabellen in Skaldenspr. s, 14 f). ein solcher reim erschien den Schreibern vielfach nicht als rein, ebensowenig wie der reim von kurzen zu langen consonanten; sie verlangten, dass die consonanten beider reimenden gruppen identisch seien, und grifl'en, um dies zu erlangen, zu gewaltsamen änderungen, von denen G. ein paar beispiele gibt, so wird ein kurzer consonant einfach verlängert wie in blakkir : hnakka Fms. VI 376, oder auch ein langer wird verkürzt wie bei demselben reim hlakir : hnaka Fiat, in 426. eine andere arl ist die ver- tauscbung eines consonanten mit einem anderen qualitativ ver- schiedenen , wie in dem reim svpr : mypi Fsk. 63. anstatt supr in sunnr zu ändern, hat der Schreiber, um den reim zu erhalten, es vorgezogen, die unmüglicbe form mypi aus mynni zu schafl'en. ergötzlich ist auch das beispiel omiors : liorsi aus Geisli 3, 4 Fiat. I 7. hier 'hat der schreiber nämlich die tiefsinnige entdeckung gemacht, dass das nominativsultix -r im gen. nicht fehlen durfle, woraus folgte, dass lios zu liors geändert werden muste!'

In den anmerkungen ist auch, wie das bei G. zu erwarten stand, ein reicher schätz grammatischer und lexikalischer bemer- kungen niedergelegt. nur auf weniges will ich aufmerksam machen, auf s. 51 f findet sich der interessante nachweis, dass

10*

148 GISLASON UDVALG AF OLDNORDISKE SKJALDEKVAD

die lormeu der 2 sg. mon (mun) uud skal für mont (munt) uod skalt nicht, wie Noreen Aisl. gr.- § 459, 4 will, seilen, sondern iu älterer zeit ziemlich häufig vorkommen, und dass, wenn auch liüufig iV (= nn) und II geschrieben wird, doch wahrscheinlich -n und -/ zu sprechen ist. nach den auf s. 133 angeführten beispielen scheint es jetzt über allen zweifei erhaben zu sein, dass s zuweilen die geltung von s hat, nämlich in den Verbin- dungen zt und zk. dies zeigen reime wie bezt : fleshim Bp. ii 12 und skozkir : alproskins Wis. s. 87; man vgl, zu dieser frage auch meine bemerkungen Skaldenspr. s. 79 und 276 anm. 1. vielleicht ist die entwicklung so zu denken, dass ist und tsk zu sst resp. ssk wurden, was dann zu st und sk weitergieng. dass man in dem verse des l)orJ) Kolbeinsson ([Ikr. 156, 4a) in hött ('altum') das älteste beispiel des umlaules ä zu d zu sehen bat, wie G. (s. 147 f) will, halte ich nicht für richlig, sondern schliefse mich der auf- fassung Noreens Aisl. gr.^ §§ 58 und 72 anm. 1 an, der es für fraglich erklärt, ob hör to-umlaut hat, und, im wesentlichen Läfflers darstellung im Ark. f. nord. hl. i 266 ff folgend, urspr. nom. hör, acc. hdfan annimmt, und zwar ö entstanden durch contraciion aus au vor h.

Zu der bedeutung von hefj'a 6r heipnom dorne im sinne von 'taufen' ist noch aus NgL i 339 hafneng zu stellen, das die 'taufe' bedeutet; vgl. Kahle Acta germ. i 366.

Man wird aus dem angeführten ersehen können, welche reiche belehrung jeder, der sich mit altnordischer spräche beschäftigt, aus dem hiuterlassenen werke G.s schöpfen kann, und es ist aufs tiefste zu beklagen, dass es dem verstorbenen nicht vergönnt war, das werk seines lebens zu vollenden und uns ein vollständiges Corpus scaldicum zu schenken.

Heidelberg, april 1893. B. Kahle.

Skeireiiis aivaggeljons l)airh Johannen, vertaling met eenige opnierkingen omtrent tekst en tekstcritiek. door H. G. van der Waals, leeraar bij het M. 0. te Amsterdam. Leiden, EJBrill, 1892. 56 ss. kl, 8°. 0,90 fl.

Der commentar zum Johannesevangelium ist wol das interes- santeste der auf uns gekommenen got. Sprachdenkmäler, nicht allein weil er höchst wahrscheinlich originalwerk ist, sondern auch weil er eines der wenigen beispiele für die frühe Verwen- dung einer 'barbarischen' spräche zu wissenschaftlichen zwecken bietet, aber gerade die eigenschaften, die dieses denkmal so wertvoll machen, erschweren sein Verständnis, die treu dem originalwerk folgende bibelübersetzung gibt keinen absolut zuver- lässigen mafsstab dafür, was dem got. Sprachgebrauch angemessen war, und der iuhall der sogen. Skeireins wird nur von dem ge- nauen kenner der patristik, welcher der germanist doch immer

VAN DER WA ALS SKEIREINS 149

nur als laie gegenüberstellt, voll gewürdigt werden können, es wäre sehr zu wünsclieu, dass die theologeu dem werk mehr, als bisher geschehen ist, ihr iuteresse zuwendeten, da es ihnen doch leichter fallen wird gotisch zu lernen, als dem germanisten sich in das ungeheure gebiet der exegese, dogmen- und kirchenge- schichte einzuarbeiten, zu alledem kommt noch, dass die Skei- reins schlecht überliefert ist und ihr Verfasser offenbar im sprach- lichen ausdruck höchst unbeholfen war.

Dass durch die vorliegende holländische Übersetzung das Verständnis wesentlich gefördert werde, kann ich nicht flnden, wenn ich auch anerkennen muss, dass einige stellen von vdW. richtiger aufgefasst worden sind als von seinen Vorgängern, von diesen scheint er übrigens nur mangelhafte kenntnis zu haben, ich schliefse das vor allem aus der einleitung, in der aufs breiteste die ansieht, dass in der Sk. die parlicipia die stelle von verbis finitis vertreten, wie etwas ganz neues entwickelt ist. und doch haben sich sowol Lobe Beiträge zur textberichtigung und erklä- rung der Skeireins s. 28. 47 als auch Gering Zs. f. d. phil. 5, 407 zu derselben meinung bekannt, auch ich möchte sie für richtig halten, da es doch ein ganz merkwürdiger zufall wäre, wenn die vielen participialconstructionen, die doch nun einmal in dem übcr- lieferlen, nicht sehr umfangreichen text vorliegen, alle durch die Unachtsamkeit des Schreibers entstanden wären, dass hier das verbum subst. nach dem part. praes. wegblieb, ist übrigens um nichts auffälliger, als die gleiche ellipse nach dem part. praet. und auch sonst im nhd. die erscheinung geht weit über die zeit der schlesischen dichter (Grimm Gramm, iv 174) zurück; s. Wun- derlich Der deutsche satzbau s. 54. allerdings ist hier die ellipse auf nebensätze beschränkt i. beachtung verdient W.s hinweis auf spuren derselben erscheinuug in der got. bibel 2. seine weitem argumente hätte er aber besser unterdrückt, es würkt beinahe komisch, wenn er zb. bemerkt, das got. ik qimands gahailja ina Mt. 8, 7 werde holl., deutsch, engl., schwed. und französisch durch zwei verba Anita widergegeben, und das zum beweis für seine meinung heranzieht, 'dat ön in de skeireins ön in de evangelien het participium dikwijls door eeu persoonsvorm behoort te wor- den weergegeven, hoewel het in boofdzinnen Staat', das ist doch was die Engländer ein truism nennen, soweit ich aus der etwas

* ähnliche ellipsen kommen bekanntlich auch in andern sprachen vor. im spätem sanskrit wird das perf. ganz gewöhnlich durch participia auf-fa- und -lavanl- ausgedrückt: sa galah 'er ist gegangen', vgl. auch das sog. periphrastische futur {data 'er wird geben').

2 wenn aber W. gegen Bernhardt zu Mt. 27, 53 bemerkt, dass das praet. \on inn atgaggan nicht inn atgaggidedun laute, so übersieht er Bernh.s hinweis auf Luc. 19, 12, wo gaggida steht; dass die gewöhnliche form des praet. iddja ist, hat Beruh, sicher gewust. warum übrigens \V. als belegstelle für das oft vorkommende ?rfrf/erf«n gerade Joh. 11, 31 anführt, ist mir unklar geblieben. vgl. auch Bernhardt zu Mc. 10,27 und zu Eph. 2, 17, ferner Rom. 7, 9; Phil. 1, 23.

150 VA>' DER WAALS SKEIREINS

verwirrten darslellung klug geworden bin, erklärt er den ge- brauch der participia statt selbständiger verba auf folgende weise, infolge des einflusses des griech. urtextes habe Ulfdas häufig dort ein parlicip gesetzt, wo nach germ. Sprachgebrauch ein verb. fin. hiittt^ stehn müssen, dadurch habe das part. in der got. Schriftsprache die fähigkeit erhalten, überhaupt das verb. fin. zu vertreten selbst dort, wo auch ein Grieche dieses gesetzt haben würde, dass diese ansieht sich viele freunde erwerben wird, bezweifle ich sehr.

Aufser der Übersetzung druckt W. auch den got. texl ab, was nur zu billigen ist. dagegen muss ich tadeln, dass er nie angibt, wo die bs. von seiner textrecension abweicht, so ist man fortwährend gcnOtigl, auf Uppstrüm zurückzugreifen, auch halten die columuen der blätter bezeichnet werden sollen, ich wende mich zur besprechung einzelner stellen.

samana la 4 wird durch 'gezamenlijk' di. 'sämtlich' über- setzt; es heilst aber 'zugleich'; Massmann, Luhe, Vollmer, Bern- hardt haben richtig 'simul'. anamahtai ib 12 ist durch 'macht' nicht gut widergegeben. Bernh. erklärt es lichtiger als 'übermütige gewaltherschafl'. es ist theologische ansieht gewesen , dass der teufel eigentlich auf unrechtmäfsige art sich des menschen be- mächtigt habe; s. Baur Die christliche lehre von der Versöh- nung s. 27 IT, der satz ak naupai usw. i b 2U f ist mit Vollmer richtig als abhängig von hinnands z. 13 betrachtet worden, es liegt gar kein gruud vor, mit Bernh. einen neuen, selbständigen satz beginnen zu lassen. die construction der periode ih 22ff scheint mir von keinem erklärer der Sk. richtig verstanden zu sein, die stelle lautet: Jabai auk diahulan fram anastodeinai. nih nmi/jjandin ak nslutondin mamian: Jak pai'rh Imgn galvat- jandin nfargaggan anabusn patuh icesi xoipra pata gadob : ei frauja. qimands mahtai giidiskai: jah loaldufnja pana galausidedi : jah naupai du gagudein gaioandidedi : ne aiik puhtedi pan m garaih- teins gaag{g)weiu nfargaggan: po fauraju ns anaslodeinai garaidon garehsn. W. meint, jabai sei vor dem dat. abs. ganz unpassend, Bernh. ändert, Vollmer folgend, jabai in sunjaba, was höchst be- denklich ist, da man zwar flickwörter wie 'wahrlich', wo sie über- liefert sind, nicht tilgen, aber auch nicht gegen die Überlieferung in den text bringen soll. Lobe s. 18 f nimmt ein auakoluth an. der Vordersatz dir hypothetischen periode sei vorhanden, nämlich jabai . . . patnh wesi; den nachsatz habe der autor zu setzen vergessen, leider hat Lobe unterlassen auch nur anzu- deuten, was wol in dem nachsatz slehn sollte, ich kann mir nicht die geringste Vorstellung davon machen, die lal. Übersetzung Lobes s. 54 stimmt garnicht zu seinen ausführungen. unbefrie- digend, was den sinn anbelangt, ist auch die Übersetzung Fvraffts (Kirchengeschichte der germ. Völker i 359), der wie Lobe patnh wesi als subj. und praed. des durch jabai eingeleiteten bedingungs-

VAN DER WAALS SKEIREINS 151

Salzes fasst und iie ank puhtedi für den nachsalz lialt'. uud duch isl die Sache gauz einlacli. gewis liegt ein anakolulli voj-, aber von gauz anderer beschaflenheil als Lübe dachte, der verf. wollte schreiben : jabai ank diabulau . . nih nanpjandin . . mannan . . nfar- gaggan anabusn frauja . . mahtai . .pana galausidedi, patuh wesi wipra pata gadob. 'wenn der herr den menschen mit genall erlöst hätte, während doch der teul'el ihn nicht gezwungen bat das gebot zu übertreten, so wäre das nicht passend gewesen', da aber der dat. abs. so umfangreich ausüel, übersah er, dass er den vorder- salz durch Jabai eingeleitet halte, und liefs nun der participial- consiruclion zunächst den nachsalz folgen, um dann erst den vordersalz durch ei eingeleitet anzufügen, es isl nicht richtig, was Lübe behauptet, dass patuh sich nur auf etwas früher ge- nanntes beziehen kOnne: in der stelle Job. 17, 3 soh pan ist so aiweino libains, ei kunneina puk ainana sunjana gup usw. weist soh entschieden auf den folgenden salz hin, wie in unserer stelle auf ei . . galausidedi. den hinweis auf libain aiweinon in V. 2 besorgt das vor aiweino libains stehnde so. unrichtig ist auch, dass ei nicht 'si' bedeuten könne (Löbeaao.); vgl. Schulze Gol. gl. s. 78; insbesondere ist die stelle Mc. 9, 42 der unsrigen gauz ähnlich, übrigens ist es für den sinn des passus ganz gleichgillig. ob man ei mit Svenn' oder mit 'dass' übersetzt.

tie attk puhtedi ic 11 ist unrichtig von W. durch 'zou hij dan ook niet den schijn oj) zieh laden', von Beruh, durch 'nonne enim viderelur' widergegeben, die richtige Übersetzung 'nonne enim visus esset' gibt Lübe s. 54 und Vollmer s. 9. ganz merk- würdig und künstlich ist W.s aulfassung von in garaihteins gaagg- wein. er übersetzt es 'door de beperking der gerechtigheid', meint aber, es heifse eigentlich 'door de beperking van den ge- rechlelijken eisch' {diy.aito/Lia}, und zwar sei Golt derjenige, der die klage erhebt, aber die processparteien sind der meinung der Skeireins zufolge Gott und der leufel, s. Beitr. 15, 438. die Übersetzung W.s trifft das richtige; deutsch hiefse es 'mit hiut- anselzung der gerecbtigkeil"-; Bernh.s Übersetzung 'in iustitia ex- torquenda' und seine erklärung 'in der einschränkung auf die gerecbtigkeil dh. in der erzwingung der gerecbtigkeil' läuft dem sinn der stelle schnurstracks zuwider. pizos du gpa garaih- teins id 11 ff übersetzt W. 'der gerechtigheid, die tot God is', Beruh, 'iusiitiae quae ad deum est', beides sind wörtliche wider- gaben der gol. Worte, durch die das Verständnis nicht gefördert wird, ist der sinn 'der gerecbtigkeil, die zu Golt führt'3 oder hat

' 'denn wenn da der leufei usw. dies wider das rechte wäre, nämlicii , dass der herr, kommend mit göttlicher macht und gewalt, den menschen erlöst und durch zwang zur frönimigkeil geleitet hätte, hätte es dann wol niclit geschienen' usw.

^ nicht wieKrafft aao. übersetzt 'bei der einschränkung der rechtfertigung'.

^ so fasst JLundgren in seiner Übersetzung (üpsala 1860) s. 3 die stelle auf: 'den rättfärdighet (soni) tili Gud (leder)'.

152 VA.N DER WAALS S-KEIBEINS

der veil'., der ja griech. commeiilare beuulzle, ein griech. Trjg /cQog Tov d-iov öi/.aiooivt]g falsch übersetzt? der griech. aus- druck würde entweder 'der gerechtigkeil, die bei golt ist' oder 'der gerechtigkeil, die golt gemäl's ist' bedeuteu. du gahikon seinai frodein id 19fi" heifsl nach W. 'om zijn wijsheid gehjk te blijven', nach Bernh. 'ul similes faceret suae sapientiae', nach Lobe 'ut imitarentur suam sapienliam'. ich halle alle drei aulTassungen lür möglich, in dem satzteil Jak spiHa wairpan aiwaggeljons nsmete lassen VV. und Lobe usmete von aiwaggeljons abhängen: 'das evangelium vom leben seil, in Gott' ist ein etwas geschraubter ausdruck. das richtige hat sicher Bernh.: 'et nuntius fieri evan- gelicae vivendi rationis'.

na 19 lässl W. nach in piudangardj'ai das wert gps aus und übersetzt 'hei koniukrijk (Gods)'. er scheint also geglaubt zu haben, dass gps nicht überliel'erl sei. den salz na 25 tf übersetzt er 'van boven dan noemde hij de heilige en hemelsche wedergeboorte, (die men verkrijgl) door den doop te undergaan'. er scheint nspulan als atlribut zu gabanrp zu betrachten und dem inf. die bedeutuug eines pari, necessilatis zuzuschreiben, das ist doch unmöglich, wenn keine textverderbnis vorliegt, kann man nur mit Lobe gabanrp als obj. zu uspulan ansehen. hiuhti II b 20 erklärt W, als 'gewohnheit Jesu bildlich zu sprechen'^, dazu stimmt auch Vollmers ergänzung fraußns b. diese aul- fassung ist sicherlich der Bernh. s vorzuziehen, welcher nicht fran- Jins sondern anparaizos gabaurpais ergänzen will, was soll aber das heifsen 'die gewohnheil der zweiten geburl'? dorn nc 9 übersetzt W. 'opinie', Bernh. 'deslinalionem', Luhe und Vollmer 'iudicium'. es bedeutet aber hier gewis dasselbe, wie vic4, wo VV, abweichend von seinen Vorgängern, aber ganz correct 'glorie' sagt. auch die construction des satzes iic 22 ff ist bisher nicht richtig erkannt worden. W. nimmt Vollmers conj. du garehsnai danpeinais wato Jah ahman andniman auf, Bernh. list du garehsn daupeinais ganiman, tcato Jah ahman andniman. diese ändern ugen sind unnötig, es liegt auch hier ein anakolulh vor. der verf. wollte sagen: 'es war notwendig und naturgemäl's für den em- pfang der taufe, da ja der mensch aus zwei Substanzen besteht, auch zwei Substanzen zu bezeichnen', auch hier hat es die länge des absoluten participialausdruckes verschuldet, dass der verf. das vergals (oder nicht beachtele), was er vorher gesagt hatte, und so fortfuhr, als ob dem dat. abs. nichts vorausgegangen wäre, der dal. abs. bat causale bedeulung; die folge ist einerseits bruch- stückweise in den worteu naudipaurfts andniman, anderseits vollständig durch dnppe usw. ausgedrückt. missaleikom ii d 3.4 verändert VV. in missaleikaim, während er Judaiwiskom ni b 9 bei- behält, diese incousequenz ist nicht zu rechtfertigen, entweder niuss man mit Vollmer und Bernh. auch judaitciskaim schreiben

* ähnlich Lundgren: '(Jesu) undeivisningssätt'.

VAN DER WAALS SKEIREINS 153

oder beiden l'älleu die hsliche lesart beibehalten, ich halle das letzlere für das richlige, da nicht einzusehen ist, weshalb der Schreiber zweimal denselben fehler gemacht haben soll, wir haben hier eben eine eigentilmlicbkeit des Sprachgebrauchs der Sk. anzuerkennen'. in dem ^a\i Jah twos ganamnida icaihts: swesa bajopum du danpeinais garehsnai[s] lasst Lobe s. 20 swesa als acc. sg. fem. (erg. waiht) und übersetzt 'etiam duas nomi- navit res suam ulrique ad baptismi consilium accipienduni'. ich halte es nicht für unmöglich, mit Grimm Gramm, iv 282 swesa als acc. pl. ntr. zu nehmen, da ja doch waihts got. zwischen fem. und ntr. schwankt, wenn Mc. 7, 15 inngaggando auf (nt) waihts bezogen wird, warum nicht hier swesa auf ticos waihtst derselben meinung scheint auch W. gewesen zu sein, da er 'twee dingen, passend voor beide (elementen)' übersetzt. pana anda- pahtan ahmaii iid22fl" gibt W. ganz richtig durch 'den ab- straclen geest', Beruh, sehr unpassend durch 'praeditum ratione spiritum'. ich kann mir ß.s Übersetzung gar nicht anders er- klären als so, dass er an die bemerkung des Cyrill zu Joh. 3, 5 gedacht hat, wo von einer ipvxrj voeqü die rede ist. dort handelt es sich aber um die menschliche seele, an unserer stelle dagegen um den heiligen geist, für den das altribut 'ratione prae- ditus' doch gar nicht passt. abgesehen davon erfordert schon der gegensatz von pata anasinnjo wato, ilass andapahts hier die bedeutung 'denkbar, (blofs) zu denken' hat.

ijimaidips iiib 5 heifst hier wol nicht 'verändert' ('verändert' W., 'mutatus' Beruh.), sondern 'abgeschafft'. 7ii panaseips über- setzt W. richtig durch 'niet meer'; was Beruh, durch sein 'ne postea' statt 'ne iam' oder 'ne amplius' ausdrücken wollte, weifs ich nicht.

Die schwierigste stelle der Sk. ist wol in b 23 c 12, vor allem b 23 c 1 : Unte witop pize unfaurweisatie missadede ainai- zos witop raidida. zunächst erregt pize mifaurweisane vor mis- sadede anstofs. da missadede fem. ist, kann pize unfaurweisane nicht altribut sein, man muss also übersetzen 'der süuden der unvorsätzlichen' oder 'der unfreiwilligen', schon Massmann sah sich veranlasst, ausdrücklich hervorzuheben, dass in der hs. nicht Pizo unfaurweisono stehe, was Vollmer geradezu in den text setzt, das darf man freilich nicht tun; nicht der Schreiber hat die Schwierigkeit verschuldet, sondern der autor. dass dieser gerade an dieser stelle griech. commentare zu rate gezogen hat, ist zweifellos, es scheint mir nicht zu kühn anzunehmen, dass er

* man kann bezweifeln, dass missaleikom und judaiwiskoin formen der schw. decl. sind, vielleicht liegt einfluss der Substantiv- auf die adjectiv- deiiination vor. eine schw. form anstatt einer starken liegt nach Bernh.s text auch in ahmeino (Vuifila s. 628 z. 8) vor. allein in der hs. steht nach Massmann und Uppströni das reguläre ahmein. vgl. übrigens Rom. 9, 2. 2 Cor. 4, 4. 7, 4.

154 VAN DER \YAALS SKEIRELNS

ein ilini vorliegendes twv uy-ovoiiov cci.iaQri]i.iäxiov^ niisversland, indem er riuv azovoicov nicht als aUril)ul zu ajuaQTrj/nctTwv zog, sondern als einen von ilini abhängigen gen. anITasste. wenn wir pize nnfaurweisane missadede ins griecli. üherselzlen, würde ja kaum ein andrer ausdruck als twv axovoliov a/iiaQrr^fxocTwv möglich sein, und widerum, wenn wir diesen in einem griecli. texte fänden, so würden wir ihn sicher nicht mit 'der vergehungen der unfreiwilligen' sondern 'der unfreiwilligen vergehungen' über- setzen, stall des zweiten tcitop list W. raudaizos. aus seinen erürterungen s. 27 geht aber hervor, dass er sich über die Über- lieferung nicht klar ist. er behauptet nämlich, dass an der stelle das ms. beinahe unlesbar sei, und scheint Bernh.s conjectur hrainein statt loilop für eine abweichende lesnug zu halten, das ist alles ganz unrichtig, weder Massmann noch üppström sagen etwas von einer unleserlichen stelle, Uppslrüm bemerkt vielmehr zu col. ni 'sat. fac. leg.' raudaizos setzt VV. wegen Wum. 19, 2. dass diese stelle hier indirect benutzt wurde, ist zweifellos, aber nicht erst von W. entdeckt, schon Massniann wusle das, und seinen uachfolgeru ist diese kennlnis nicht abhanden gekommen, doch kann ich nicht finden, dass an unserer stelle gerade die rote färbe der kuh erwähnt sein niusle; die conjectur 7au- daizos scheint mir überflüssig und obendrein unzutreffend, nach dem text W.s muss man nämlich die genetive pize nnfaurweisane missadede von dem ersten wilop abhängen lassen; W. übersetzt auch: 'de wet op der onopzeltelijken zonden'. nun wird aber in d 1 ff die taufe des Johannes der reinigung des gesetzes gegen- übergestellt, folglich muss auch an unserer stelle witop so viel wie 'mosaisches gesetz' schlechthin sein, ein genitiv kann davon nicht abhängen, es muss demnach der genitiv von einem andern subst. regiert werden, und das kann nur das zweite witop sein oder das wort, welches durch witop verdrängt wurde, das über- lieferte gibt nämlich kaum einen befriedigenden sinn: 'das gesetz bestimmte ein gesetz für eine der unfreiwilligen vergehungen', die erwähnte gegenüberstellung der Johannestaufe und der gesetz- lichen reinigung macht es vielmehr durchaus wahrscheinlich, dass ßernh. mit seinem hrainein dem sinne nach das richtige getroffen hat. dem Wortlaut nach aber schwerlich, es lässt sich eine befriedigendere conjectur vorschlagen, bei der auch noch ein anderer anslofs weggeräumt wird, ainaizos lässt sich nämlich kaum rechtfertigen. W. bezieht ainaizos auf kalbons. da aber seine couj. raudaizos statt witop nicht zu hallen ist, verbietet die Wortstellung diese beziehung (trotz Luhe s. 31); ainaizos muss zu missadede gehören, da ergäbe sich der sinn, dass die eine unfreiwillige vergehung, deren reinigung beschrieben wird, nämlich

" es ist nalüiiich ganz gleichgillig, welche giicch. wöiter man für nnfaurweis und 7nissadeds einsetzt, die obigen sind gewähll, weil sie in der Ijekannlen benierkung des Amnionius zu .loii, 3, 24—26 vorkommen.

VAN DER WAALS SKEIREINS 155

die berüliriiDg eines cadavers, von den übrigen unfreiwilligen Ver- unreinigungen ausgesondert werden sollte, das ist nicht wahr- scheinlich, vielmehr scheint an unserer stelle eine erinnerung an Lev. 14, wo von der reinigung der aussätzigen geredet wird, mitgespielt zu haben, die Sk. berichtet nämlich, dass die ver- unreinigten mit ysop und roter wolle besprengt wurden; Num. 19 weifs nur etwas von einem besprengen mit ysop (v. 18) und einem verbrennen von ysop und roter wolle (v. 6); Lev. 14, 6 ist aber tatsächlich von einem besprengen auch mit wolle die rede, doch dem sei wie ihm wolle, jedesfalls ist ainaizos hier unpassend, denn es sollen offenbar die unfreiwilligen vergehungen schlechthin, nicht gerade eine von ihnen, den freiwilligen, für welche reue nötig ist, entgegengestellt werden, alle Schwierigkeiten lösen sich leicht, wenn man statt ainaizos ainaizo und swiknein statt witop list. da das got. in continuo geschrieben wurde, begreift es sich leicht, dass der Schreiber aus dem ihm vorliegenden complex ainaizoswiknein fälschlich amc/zos statt amaezo abtrennte i, damit die zeile und zugleich die seite beschloss und sich nun anschickte, das übrigbleibende wiknein zu copieren. dabei kam ihm witop in die feder, das mit wiknein die ersten zwei buchstaben gemein hat und das er kurz vorher geschrieben hatte, ich schlage also vor zu lesen: nute icitop pize unfaurweisane missadede ainaizo swiknein raidida 'denn das gesetz bestimmte blofs für die unfrei- willigen Vergebungen eine reinigung'.

Übereinstimmend mit den meisten seiner Vorgänger ändert W. mnnandane in d 12 in mnnandans und übersetzt die ganze stelle 'en besprenkelden met hysop en roode wol, zooals het be- taamde, degeiien, die voornemens waren (hun zonden) te veigeten'. ich kann diese ziemlich allgemein acceptierie auffassung nicht sinngemäfs finden, vom vergessen der Sünden ist Num. 19 nirgends die rede. Bernh, meint, das vergessen der Sünden stehe im gegensatz zur reue und umkehr, die Johannes verlangte, doch sehe ich nicht ein, was unfreiwillige vergehungen über- haupt mit erinnerung oder vergessen zu tun haben, es muss der text unvollständig überliefert und auch hier das Schwer- gewicht auf das unvorsätzliche der vergehungen gelegt gewesen sein, statt nfarmiton möchte ich nfar milon schreiben, miton wäre der acc. von mitons. dieses wort kommt bei ülfilas in der bedeutung 'gedauke, Überlegung' vor. von da ist nicht weit zur bedeutung 'absieht'; nfar' miton liiefsc also 'gegen ihre absieht'.

IV a 8. 9 schreibt VV. sokjandam statt sokjandans und übersetzt die stelle 'toen zijne jongeren, die over de reiuheid 2 met de

* nicht unmöglich ist übrigens, dass der Schreiber ursprünglich den richtigen sinn erfasste und ainaizo s \ wiknein schreiben wolile. irgend weiche regeln der worlabteilung scheint er nicht zu kennen, vgl. f \ raqi- J)anam vnid 12. 13.

* besser wäre 'reinieing'.

156 VAIS DER WAALS SKEIREINS

Joden getwist liadden, tot lieni zeidcn'. ich glaube, dass damit die vom verf. der SU. ursprilnglicli beabsiciuigle constructioQ widergegeben ist. der aulor iibersali, dass Itaim sokjandam attribut zu siponjam ist, uod coordinierte deu ausdruck durch Setzung von jah zu dem praed. part. qipandam. damit erledigt sich das be- denken Bernh.s gegen die annähme eines dat. abs. iv b 9 be- hält W. das überlieferte \md bei, sicher mit unrecht, man muss n)it Lobe ua. nnd lesen, die falsche Schreibung erklärt sich leicht durch das nnd z. 12. möglich, dass auch z. 11 in der vorläge und stand, and harjano gibt keinen sinn. Vollmer, dem Beruh, und W. folgen, schiebt nach and stap ein. man bleibt der Überlieferung näher, wenn man nnd andi harjanoh (zu ergänzen midjungardis) list. man könnte übrigens mit berufung auf Rom. 10, 18 and alla airpa galaip drunj'us ize jah and andins mid- jungardis wanrda ize auch and andi schreiben , wobei dann die tatsächliche Überlieferung von z. 11 noch erklärlicher würde. dass innh pis jah skeirs wisandei iv b 15 ff zum vorhergehnden satze gehört, war mir nicht recht wahrscheinlich; W. übersetzt 'en zal . . . dus ook duidelijk blijven' und meint (s. 8), es werde hier die lehre Jesu der des Johannes gegenübergestellt, von welcher im selben fragment gesagt worden war, dass sie nur von kurzer dauer war. diese erklärung scheint mir viel für sich zu haben. us waurdahai wistai rodjands iv c 14. 15 übersetzte Lobe 'ex verhall natura loquens' und erklärte 'nämlich im gegensatze zu Christus, der sich nicht blois durch worte, sondern auch durch taten als den messias beurkundet', diese erklärung ist sicher falsch, denn an der stelle des evangeliums, die hier commeutiert wird (Job. 3, 31 ff), ist gar nicht von Jesu taten, sondern von seinen worten die rede, die als göttlich (v. 34) den irdischen (v. 31) des Johannes gegenübergestellt werden. W. meint, die stelle besage, Johannes konnte nur lehren, was er durch worte, gehörte oder gelesene, erfuhr, während Jesus das sagte, was er im himmel gesehen oder gehört hatte, mich überzeugt diese er- klärung nicht, am wahrscheinlichsten ist mir noch Bernh.s mei- nung, dass loanrdahai falsche Übersetzung eines griech. wortes sei. ni pe haldis iv d 4 übersetzt VV, 'volstrekt niet'. das ist falsch, die richtige Übersetzung 'non eo magis' gab schon Lobe, und Uppström verglich isl. eigi at heldr, s. jetzt auch Zs. 37, 20 ff. das fragment schliefst mit den worten ifi anpar sa weiha. in der Übersetzung das wort 'geist' zu ergänzen, wie VV. ua. tun, halte ich für höchst überflüssig, zum mindesten müste doch eine andeutung gemacht werden, was vom hl. geist ausgesagt sei. es isl doch ganz gut möglich, dass sa weiha sich auf Johannes be- ziehe, etwa 'aber etwas anders sagte der heilige', über Ver- mutungen kommt mau nicht hinaus, und deshalb ist es das beste, gar nichts zu ergänzen.

V a 17 11 heifst es ei galaisjaina sik hi pamma twa andwairpja

VAIS DER WAALS SKEIREIfiS 157

attins Jak sunaus andhaiian: jah ni mipqipaina. mit werk wür- diger iibereinslimnuiug haben alle, die sich bisher mil der Sk. beschältigt habeu, in mipqipaina den begrilV 'streiten' gesucht, nun ist mipqipan sonst nicht belegt, und die angenommene be- deutung lässt sich nicht rechlt'ertigeu. Beruh, meint, es liefse sich dafür mipsokjan Mc. 8, 11 anführen, aber dieser hinweis hilft nicht, denn da schon das einfache sokjan 'Lrjrelv, streiten' heifsl, so versteht sich von selbst, dass mipsokjan imma für ovv- trjxelv avrip gebraucht werden kann, wie aber daraus folgen soll, dass die vorsetzung von mip im stände sein soll, einem wort, das 'sagen' lieifst, die bedeutung 'streiten' zu verleihen, ist nicht einzusehen, ich constaliere also, dass die Übersetzung 'streiten' bestenfalls aus dem Zusammenhang erschlossen sein kann. Beruh, setzt Vollmers conjeclur missaqipaina in den text. missaqiss über- setzt griech. oxiofia und bedeutet überall, wo es vorkommt, 'meinungsverscliiedenheit innerhalb einer näher bezeichneten gruppe'. demgemäfs müste missaqipaina auf einen streit der ketzer untereinander gehn. oi) Beruh, diese bedeutung ge- meint hat, kanu ich aus seiner Übersetzung 'ueve rixarenlur' nicht entnehmen. Lobe, der s. 57 ebenso schreibt, hat sie gewollt, wie mir aus seiner Übersetzung 'und dass sie sich nicht stritten' s. 39 hervorzugehn scheint. W., der übrigens mipqipaina beibe- hält, übersetzt geradezu 'en niet onderling le twisten', nun haben wir gewis keinen grund, den verf. der Sk. für einen grofsen geist zu halten; aber einen solchen unsinn darf man ihm doch nicht zumuten, vornehmlich nicht an einer stelle, deren be- deutung nur aus dem Zusammenhang erschlossen werden kann, ab- gesehen davon, dass es dem got. conimentator ganz gleichgiltig sein konnte, was die ketzer untereinander trieben, muss man doch annehmen, dass der negative satz zu dem positiven, an den er durch jah angeknüpft ist, noch in einer andern beziehung steht, als in der des blofseu contradictorischen gegensatzes. was in aller well hat denn das nichtuntereiuanderslreiten mit der aner- kennung zweier göttlicher personen zu tun? nein, wenn der negative satz überhaupt den begrilT 'streiten' enthält, so kann nur ein streiten gegen die wahre lehre gemeint sein, ich würde dann vorschlagen, nach analogie von ahd. nuidarquedan 'conlradicere' wipraqipaina zu lesen, aber niuss der zweite salz denn würklich den begriir des Streitens in sich enthalten? ich glaube nicht, die stelle bedeutet, so weit sie klar ist; 'damit sie daraus lernen, zwei personen, des vaters und des sohnes, anzuerkennen und nicht' was sollten sie nicht tun? doch offenbar das gegen- teil. das gegeoteil der anerkennung zweier gültlicher personen und daher der Vorwurf, der gegen die Sabellianer erhoben wurde, ist die Vermischung dieser zwei personen. für dieses 'ver- mischen' wird von den Griechen der ausdruck avyyJsLv ge- braucht; vgl. Harnack Realencykl. d. prot. Iheol. x 200; Dogmen-

158 \AN DER WÄALS SKEIREINS

gescliichtc'^ s. 652 a. 1. 677*. im lat. symboluii), das dem Atha- nasius zugeschrieben wurde, heifsi es ^neque confundentes personas', und dieses '■confundentes' wird von den griech. Übersetzern (s. Walch Bibliolheca symbolica vetus s. 159; Migne Cursus patrolo- giae, Graeci, xxviii 15S0) widerum (bircb avyxeovreg gegeben, im glaubensbeUenulnis der Ualb. I)ischöf'e des Vaiidalenreichs vom j. 484 heifst es (bei Habn Bibliothek <ler symboIe'^ s. 142): de- testanles SabelUanam haeresim, quae ita Trinilatcm confudit, ut eundem dicat esse Patrem, quem Filmm, etmdemque credat esse Spiritum sanctnm .... ich schlage vor an unserer stelle entspre- chend dem griech. ovyyjeiv, lat. confundere mipgiutaina zu lesen. Vor gahaüands vb 12 ergänzt VV. mit ßernh., der sich im wesentlichen an einen Vorschlag Lobes anschliefst, silba gaqiiij'an danpans und list z. 16 mit Vollmer und Bernh. ^aso/r? statt gasok. ich halte diese änderungen nicht liir richtig, gegen die ergän- zung spricht, dass es Job. 5, 21 Uoonoul heifst, nicht tcoo- Ttoirjasi, gegen die annähme, dass gasok{i) von ei abhängig sei, der umstand, dass man nicht einsieht, welche ketzerei und auf welche weise sie durch die bibelstelle widerlegt werden soll, nach meiner meinung liegt irgendwo eine lücke vor, und gasok bezieht sich auf das folgende, wo ja tatsächlich der verf. die keizerei der Sabellianer ad absurdum führen will. VV.s Über- setzung von waurstwis nstaikneins v c 7.8 'de vermeldiüg van het weik' ist richtiger als die Bernh.s 'operis argumentum'. a7id- nimands bi attin po sweripa v c 14. 15 übersetzt W. 'hij neemt de eer van den vader aan'. dass diese Übersetzung allein sinn- gemäfs ist, halte ich für zweifellos; weder 'secundum patrem' (Bernh.) noch 'per patrem' (Lobe, Uppstr.) gibt einen befriedi- genden sinn, es fragt sich nur, ob man bi beibehalten darf oder ob die änderung in at, die schon Lobe s. 15 vorschlug und Vollmer in den text setzte, notwendig ist. bekanntlich wird im got. bei den verben, die 'nehmen, lernen, erfahren' bedeuten, unser 'von' in der regel durch at ausgedrückt, das beweist aber nicht, dass at auch die bedeutung 'von' hat, sondern dass die zu gründe liegende anschauung eine andre isl. das nehmen wird nicht als eine bewegung aufgefasst, deren ausgangspunct die person oder der ort ist, von wo etwas genommen wird, sondern als eine handlung, die an einer person oder einem orte sich vollzieht, andre germ. dialecle gebrauchen bei diesen und ähn- lichen verben neben at auch an: vgl. Hei. 5883. 5924 (beide stellen nur in C überliefert), einigemale setzt C dem at von M. ein an gegenüber (1224 f. 4486)- '«" ags. wechseln at und on ab. Cosijn Aanteekeningen op den B6ovvulf s. 3 verweist zu v, 122

^ Chrysostomus bemerkt zu Joh. 5, 22 f (Hom. in Joaii. 39, 1): Ovxovv xai Ilarsoa alzbv n^oaeQOVfiev, cprjaiv; 'Anaye. Jiä yÜQ tovxo eine, Tov Tidv, 'iva fiavovra Tiov rificüftev ais tov JJaxtQa. O Se UaTS^a avibv Xfywv oix b'zi. xbv Tibv ft!s tlaieQn irifiT/asr, dkla xo nnv avvs'xEev-

VAN DER WAALS SKEIREINS. 159

(ow rcBste genam 'er nahm vom lager') auf ähnliche redewendungen im mnl. auch im mhd. findet sich hierhergehöriges, an eitlem ervarn entsj)richt ganz dem got. fmpaii at '. da nun im got. bi auch locale bedeulung hat (s. Schulze Got. gl. s. 47), so glaube ich, dass es an unserer stelle belassen und ebenso, als wenn at dastilnde, durch 'von' übersetzt werden kann. vd 1.2 list W. ainabaur snnu. diese änderung, die man schon bei Schulze Got. gl. s. 40 findet, ist gewis die einfachste, ainabaura mag der Schreiber gesetzt haben, weil er meinte, dass der zweite satz dem ersten (v c 23) parallel sein werde, und deshalb ent- sprechend gpa einen dativ erwartete, möglich auch, dass schon die vorläge snnau = suyiu hatte und der Schreiber diese form falschlich für einen dativ hielt. Beruh, übersetzt, als ob er Scbulzes lesung acceptierle 'et unigenitum filium dei deum agnos- cere'; in den texl hat er aber die Vollmerschen conjecluren {wi- sandin galmnnan)'- aufgenommen, deren sinn der urheber durch die Übersetzung 'et unigenito filio dei deo existenli nos subicere' klarlegte, zu dieser Vollmerschen Übersetzung, nicht aber zu seiner eigenen, stimmt auch Beruh. s bemerkung über gakunnan im commentar. ei pan v d 3.4 schreibt W. getrennt und über- setzt 'opdat'. Bernb., der gleichfalls den von eipati eingeleiteten satz für einen nebensalz hält, trennt nicht, das gebt nicht an. es liegt übrigens kein grund vor, hier eipan eine andere bedeu- tung beizulegen, als die sonst übliche 'ergo', der durch eipan eingeleitete satz ist ein hauptsatz. v d 6 hätte W. wol Lobes conj. haparammeh aufnehmen sollen. Uppstrüms meinung, dass jnfüapar = ahd. eohwedar sei, ist natürlich unhaltbar, dagegen hatte VV. vollkommen recht, Vollmers und Beruh. s ergänzung^an vor bi vd nicht zu berücksichtigen, im got. wird ebenso wie in andern altgerm. dialecten die Unterordnung durch asyndetische parataxe ausgedrückt; vgl. Gabelentz-Löbe Ulfilas ii 2 s. 254 § 258 a. 6; Bebagbel Germ. 24, 167; Gering Zs. f. d. phil. 5,400. die dort beigebrachten beispiele liefsen sich leicht vermehren.

Das sechste fragment beginnt mit dem wortteil nands. was für einen zweck es hat, hier mit W. usfnllnands zu schreiben, sehe ich nicht ein, da auch so der satz unvollständig bleibt, hat VV. vielleicht an Uppstrüms ergänzuug gedacht? wenn Bernh. meint, der sinn des vorhergehnden möge gewesen sein: in pizei frauja taiknins managos gatawida mahtai himinaknndai gaswinp- nands, so lässt sich das mit einiger Sicherheit als falsch er- weisen, die ergänzuug passt nämlich nur zu dem unmittelbar folgenden citat aus Job. 3, 30, nicht aber zu dem gedankengang des ganzen abschnitts. Juh. 5, 31 fl' beruft sich Jesus gegenüber

' auch in niclitgerm spractien iiomnien coristructionen vor, denen die gleiflie anschauiing zn gründe liegt; vgl. franz. pvandre dans une caisse 'aus einer tasse netimen'.

2 angedeutet sind sie sclion bei Gabelentz-Löbe Ulfilas u 1 , p. xv a, 57.

160 VAN DEH WAALS SKErREINS

den Juden, die ao seioer gölllichkeit zweitelo, ersteos auf das Zeugnis des täufers, zweitens auf seine werke, der commentator sucht nun zu erklären, wieso Jesus dazu kam, die Juden an den läufer zu erinnern, er sagt, sie hätten seiner vergessen, sein Zeugnis sei unhekannt {nnswikunpozei) geworden, er kann aber nicht gesagt haben, Johannes sei durch Jesu taten in den hiuter- grund gedrängt worden, denn wenn Jesus durch seine eigene würksamkeit die des täufers vergessen liefs, so hatte er doch gar keinen grund, sich auf das zeugnis dieses durch ihn verdunkelten mannes zu i)erufen. die stelle Joh. 3, 30 führte der commentator nur wegen ihres zweiten teils an ; es begreift sich aber leicht, dass er trotzdem den vers vollständig citierte. in dem verlorenen stück mag der verf. gesagt haben, dass der tod des täufers seine würksamkeit in Vergessenheit geraten liefs. der satz via 7 14 {in jnzei atgebiin) gehört wol sicher zum folgenden', nicht wie W. ua. annehmen, zum vorhergehuden. vor Johanne via 10 schiebt Bernh. du ein, ohne die abweichung von der hs. hervor- zuheben, sie lässt sich schwerlich rechtfertigen, erstens ist es gar nicht ausgemacht, dass die Übersetzung 'credere in Johannem' zu lauten hat, zweitens kommt auch galaubjan c. dat. in der be- deutung 'an jemanden glauben' voi-, s. Schulze s. 208. W. ist bei der Überlieferung stehn geblieben; dass er aber mit Upp- slröm galaubjan als finalen inf. auffasst, kann ich ebensowenig billigen als Vollmers änderung kausj'andans statt hausjan. auch hier haben wir ein beispiel für asyndetische parataxe statt bypo- laxe, galaubjan Johanne hausjan heifst 'gläubig auf Johannes hören', Johanne steht arco y.oLvov. vib 11 sciireibt W. nach einem verschlag Lobes, dem auch Vollmer und Bernh. folgen, puhlu statt puhta. weder aus seiner Übersetzung noch aus denen Vollmers und Bernh. s kann ich mit Sicherheit auf die auffassung der stelle schliefsen, da sowol nl. geweten als lat. conscientia sowol 'gewissen' als 'bewuslsein' bedeutet. Lobe, der s. 58 ebenso wie Bernh. 'perturbare conscientiam' schreibt, will s. 45 tweifljan puhtu durch 'das gewissen verwirren' übersetzen, diese Über- setzung gibt natürlich an unserer stelle auch nicht den gering- sten sinn, die meinung der got. worte ist offenbar: 'wenn Jo- hannes auch (objecliv) wahrhaft war, so konnten seine äufse- rungen doch von denen, die dies nicht wüsten, bezweifelt werden', einen positiven Vorschlag zur textbesserung wage ich nicht zu machen. vi c 22. 23 ändert VV. das überlieferte innuman höchst unnötig in innumam und übersetzt: 'want ieder woord kan in het binnenste der menschen tot iets anders worden', eine auf- fassung, gegen die sich mehr als 6in bedenken geltend machen liefse. die Überlieferung gibt einen trefflichen sinn, nur darf man nicht mit Bernh. 'verhum apud homines acceptum' über- tragen, vorher war gesagt worden: das zeugnis, das mein vater * diese auffassung findet sich aucii bei Lundgren.

VAN DER WAALS SKEIHEI-NS 161

durch meine weike ablegt, kann euch eine uuwideilegbare kenntnis verschaffen, weit mehr als die aussage der meuschheit des Jo- hannes dh. des menschen Johannes, nun folgt die begründung: denn jedes wort, das von menschen hergenommen ist, von men- schen herstammt, kann verdreht werden usw. vi c 12. 13 bleibt W. mit recht bei dem überlieferten missaleiks. schon Luhe hat s. 25 darauf hingewiesen, dass das vor dem subj. stehnde praedic. part. öfters mit dem subj. nicht im genus übereinstimmt; vgl. auch Beruh, zu Gal. 2, 16. Eph. 3, 10 und Mt. 9, 33. dass an der nur sehr entfernt ähnlichen stelle Ilebr. 1, 1 im griech. text adverbia stehn, kann doch hier nicht in betracht kommen. stibna us himinam vi c 19.20 übersetzt W. 'een stem uit den hemel', es ist aber sicher die himmlische stimme Mt. 3, 17 ge- meint; der commentator führt die Zeugnisse für Jesum in chrono- logischer reihenfolge auf prophetenworte, himmlische stimme bei der taufe, Wundertaten Jesu , obwol die ausgelegte schrift- stelle Job. 5, 37 f die Iblge 'himmlische stimme, Wundertaten, pro- phetenworte' nahe legte.

Nach Status vii a 6 ergänzt W. mit Uppstr. und Bernh. ains, was allerdings zunächst durch das folgende ak j'ah erfordert zu werden scheint, aber auch so erweckt die stelle bedenken. Bernh. bemerkt mit recht, dass die ervvähnung des Petrus an diesem ort auffallend ist. man konnte mutmafsen, sie sei durch die bezeichnung des Andreas als 6 aöehpog ^ifitovog Ilezoov veranlasst worden, aber unter allen umständen ist die annähme sehr bedenklich, dass der name des berühmten apostelfürsten hier ins got. übersetzt sein sollte, bedenklich besonders für die- jenigen, die glauben, dass der commentator die ulfilanische bibel- übersetzung benutzt hat. dass stains gleich Petrus ist, konnte nur aus einer stelle gefolgert werden, wo von keinem andern als Petrus die rede sein kann, nicht aus einer, an welcher die erwähnung des Petrus a\iffallend ist. ich schlage vor, statt ^stains' is ains zu lesen: 'und nicht er allein, sondern auch Andreas, der sagte . . . wird ebenso wie Philippus getadelt'. unter is ist Philippus zu verstehn. um der Überlieferung noch näher zu bleiben, könnte man nih ist ains schreiben: 'und er (Philippus) ist nicht der einzige, sondern . . .'

swa VII b 21 zieht W., abweichend von seinen Vorgängern, nicht zu inanayai, sondern zu ganohjands 'en zoo verzadigde hij lien met veel goed voedsel'. worauf soll aber das 'zoo' hinweisen? vn c 16 21 schreibt W.: swa filn auk swe gamanwida, ins wairpan (sioaei ainharjamineh swa filu swe wilda andniman is) ta~ wida; seine Übersetzung 'want zooveel als hij (er) bereidde (alzoo voor ieder zooveel, als hij er van nemen wilde) hij deed ze ont- staan' ist mir wenigstens ebenso unverständlich, wie das original. VV. scheint dies gefühlt zu haben; er bemerkt in einer anm., er habe buchstäblich herübergenommen, was die hs. biete, das ist A. F. D. A. XX. 11

162 VA> DER WAALS SKEIREINS

übrigens nicht ganz richtig; denn in iler hs. steht vor tawida ist, niclit is. is ist nur eine allerdings recht naheliegende con- jectur. schon Massmann, Luhe und Vollmer haben so geschrie- i)en, doch haben sie mit is den nom. sg. ni. des pronomens ge- rneint. VV.s auflassung des is als gen. ulr. verdient den vorzug; mit Beruh, ize zu schreiben, halte ich nicht für notwendig, da- gegen hat Beruh, sicher recht, wenn er sice z. IG streicht, seine textesherstellung verdient vor allen übrigen den vorzug, da sie der Überlieferung am nächsten bleibt,

alamannam viii b 16. 17 verbindet W. nicht mit dem vorher- gfhnden in allaim, sondern zieht es zu fanrawisan: 'dal klaar- blijkelijk de leer des Heeren in alles hooj^er stond dan de geheele menschenwereld'. ich halle diese auffassung zwar nicht geradezu für unmöglich, aber doch für sehr unwahrscheinlich. wie W. dazu kam, sa reike viii d 7 11 als relativsatz zu übersetzen, ist mir nicht klar, ains reike 10. 11 ist wol nicht Fareisaius und ragineis parallel, sondern zum folgenden zu ziehen.

Wien, im april 1893. M. H. Jellinek.

Die Edda, die lieder der sogenannten älteren Edda, nebst einem anhang: die mythischen und heroischen erzähiungen der Snorra Edda, über- setzt und erläutert von Hugo Gering. Leipzig und Wien, biblio- graphisches Institut (iMeyers classiker-ausgaben in 150 bänden). 17 u. 402 SS. 8°. 2 m.

Da die vorliegende Übersetzung den sinn des Originals am geireuesten widergibt, und die begleitenden anmerkungen auf der höhe der heutigen forschung stehn, hat Gerings Edda vor der Simrockischen und der Jordanischen nicht wenig voraus, die Über- tragung ist stabreimend, sie lehnt sich an die von Simrock an. aber sie uutersclieidet sich von ihr nicht blofs durch zahlreiche inhaltliche berichtigungen, sondern auch durch grundsätze der poetischen technik. dem von Simrock vernachlässigten geböte, die reimstäbe den stärkst betonten salzteilen zu verleihen es ist die lebensbedingung der allitteralion , sucht G. nach kräften nachzukommen, er steht darin auf dem von Jordan praktisch und theoretisch eingenommenen boden. beiden gelingt die be- «ältigung der Schwierigkeiten nicht vollkommen ; man vgl. bei G. Vsp. 57, 1: die sonne wird schwarz, es smAt die erde ins meer; Baldrs dr. 14, 1: des ruhmes froh reite du heimwärts, weit sirenger als Simrock und Jordan hält G. an den allen slellungs- regeln der släbe fest, zwar die formen a b | a b und b a | a b, die ja gerade in der Edda keine rolle spielen , werden zuge- lassen, aber gegenüber den formen a a | b b und den geraden kurzversen aa und xa verhält sich G. ebenso ablehnend wie die alte dicbtung. ich stimme hier Jordan bei, dass diese Va- rianten unbedenklich gebraucht werden mögen, die regel vom haupistab bat für unser modernes gefühl keinerlei innere not-

GERING DIE EDDA 163

wendigkeit; es ist für jede stelle schade, wo dieser für uns rein conventioneilen Vorschrift ein besserer ausdruck geopfert wird, besonders macht sich folgendes geltend: nach der Satzbetonung der altgermauischeu dialecte waren wortgruppen mit 'absteigen- dem' accent ungleich häufiger als in unserm deutsch; deshalb bot sich die stabordnung a x ungezwungen dar; dem deutschen Übersetzer legt die spräche die form x a viel niiher. wenn man mit G. diese form dem zweiten kurzvers versagt, so gerät man in die üble läge, wortgruppen 'aufsteigenden' tones mit dem ersten, schwächern gliede allitterieren zu lassen. G. bietet dafür unzählige beispiele. als fälle, wo die Vorschrift auch anderwei- tigen schaden angerichtet hat, führe ich auf: Vsp. 52, 3: die steinberge stürzen, es straucheln die riesinnen (statt: [die] riesinnen straucheln); I'ikv. 4 {ich gab' es dir gern, wenn von gold es auch wäre) oder leuchtendem silber, ich lieh es dir doch: man vgl. hier den wolgefüglen paralielisnius des Originals, der bei Jordan gut herauskonimi: ich gilb es dir gern, und war's auch von golde, ich versagt' es dir nicht, und war' es von silber. wenn ich in Jordans Verdeutschung im allgemeinen mehr frische, mehr atmendes leben zu erkennen glaube, so mag dies zum guten teile daher rühren, dass sich Jordan die Schwierigkeiten der stabreimenden widergabi- nicht durch die regeln der stabordnung vergröfsert hat. doch ist es umsomehr als G. s. xv bittet, nur mit Simrock ver- glichen zu werden nur billig beizufügen, dass den stellen, wo Jordan poetischer und stilgemäfser übersetzt, nicht wenige ent- gegenstehn, wo das umgekehrte der fall ist; man sehe etwa die von G. sehr schön verdeutschte str. 27 der Voluspa.

Noch auf einen allgemeinem punct möchte ich hinweisen, eine hauplschwierigkeit für den Eddaübersetzer liegt darin, die Wendungen des Originals, die sich aus unbildlichen und alltäg- lichen Worten zusammensetzen, nicht ins reiche, prächtige zu steigern und doch gleichzeitig ihre specifisch poetische prägung nicht in prosa aufzulösen, nehmen wir zwei stellen der Prymskvida als beispiele. str. 53 (nach Bugge) unz fyr ütan kohi äsa garda ok fyr innan kom jotna heima: der deutlich unprosaische cha- racter dieser stelle liegt im paralielisnius und in der Wortstellung; der Wortschatz ist so enthaltsam wie möglich, alle die drei ge- nannten Übersetzer, unter dem drucke des Stabreims, bereichern die stelle {hinter sich liefs er ... . und erreichte bald . .) und zer- stören zugleich (las formelhafte, wenn die öfter vviderkehrende Wendung ok hann pat orda allz fyrsl um kvad von Jordan ver- deutscht wird: das war der ausruf, mit welchem er anhub, so wird eine theatralische Färbung hineingetragen; G. vermeidet diesen fehler, indem er schreibt: das erste wort, das er aussprach, war dies aber das ist trockenste prosa und ninmit sich im Zusam- menhang störend aus; das original ist nicht prosaisch: in einer saga würde es etwa lauten ok hanji kvad petta ord allz fyrst.

11 *

164 GERING DIE EDDA

Dass man den stil der Eddalieder in einer stalireimeiiden Übertragung festhalten könne, bleibt mir auch nach diesem neuesten versuche zweilelhaft. eine Verdeutschung in sog. Nibelungenversen, mit endreim der laugzeileu und mit freierem Wechsel der cadenzen, möchte doch wol mehr aussieht auf erfolg haben, die opfer, die dem Stabreim fallen, sind allzu blutig.

Die Malahattverse glaubte G. nicht anders kennzeichnen zu können, als indem er ihnen eine liei)ung mehr gab (vgl. s. xii): IS'khl wenigen ist es bekannt, wie weiland zum Rate zusammen kühne Manner kamen, doch keinem war's zum Nutzen. die so entstehende mischuug von Alexandrinern, hexametern, Uzi- schen Frühlingsversen und Nibelungenzeilen würkt ungemein stil- los, und wenn nun in der Allakvida und den Hamdismal diese Zeilen neben den zweihebigen hergehn , so ist das ein 'ge- mischtes metrum', wovon sich freilich die alten autoren nichts träumen lielsen.

Das hohe ziel, einen des isländischen unkundigen für die Eddalieder zu begeistern, wird nach meinem gefühle durch G.s buch nicht erreicht, aber wo es sich um Vermittlung des in- haltes handelt, oder wo sich der ungeübte den weg durch den Urtext ebnen will, würde ich keine andre Verdeutschung be- dingungsloser empfehlen.

Berlin, 13 sept. 1893. Andreas Heusleb.

Hauksbök udgiven efter de Arnamagnscanske tiändskrifter nr371, 544 og 675, 4" samt forskellige papirsliätidskrifter af det kongelige nordiske Old- skriftselskab. 1 liiefte. Kebenhavn, Lehmann &Stage, 1892. 272 ss. 4".

Das erscheinen einer neuen ausgäbe der grofsen sammel- handschrift des 14jhs., die nach ihrem besitzer und zugleich teilweise ihrem Schreiber, dem lögmann Hauk Erlendsson (f 1334), die 'Hauksbök' genannt wird, hat nicht die bedeutuug einer er- schliefsung neuen, bisher ungedrucklen materials; der gröste teil der verschiedeneu stücke, die in der Hauksbök enthalten sind, ist bereits veröffentlicht oder doch benutzt worden, das haupt- gewicht dieser publication liegt auf der formellen seile, der mit- teilung der hs. in diplomatischem abdruck. es muss freudig hegrüfst werden, dass eine so wichtige quelle für die kenutnis der Orthographie und der hieran sich knüpfenden fragen der laut- lehre des isländischen im 14 jh., wie es die eigenhändigen ab- schriflen eines so hochstehnden und gebildeten mannes wie Hauk Erlendssons sind, uns bequem zugänglich geworden ist; nicht minder wichtig sind jene partien der Hauksbök, die nachweislich von Norwegern geschrieben sind, da das niaterial für die kenntnis speciell norwegischer Sprachentwicklung so gering ist, dass auch der kleinste beilrag willkommen sein muss. die 'vorläufige vor-

JONSSON HAUKSBOK 165

rede' der lierausgeber verspricht auch, in der einleitung nebst einer genauen beschreibung und geschichle der hs. ihre spräche und Orthographie, namentlich die der norwegischen parlien, ein- gehend darzustellen, ein ausruhriiciies register und iiandschrifi- proben sollen die ausgäbe beschliefsen, die nach ausstatlung und umfang der text allein soll 35 bogen betragen ein monu- mentahverk zu werden verspricht, vorläufig liegt erst bogen 1 17 vor mit lolgeudem inhalt: Landnamabok s, ,3 125; Kristnisaga s. 126 149; Heimlysing ok helgitroßdi s. 150 177; Heimspeki ok helgil'rffidi s. 178—187; Völuspa s. 188—192; Trojumanna- saga s. 193—226; Natturusleinar s. 227—228; Cisio janus s. 229 —230; Breta sögur s. 231—272 (cap. 2S).

Die beidf^n herausgeber, Eirikur Jonsson und Finnur Jonsson, versprechen rechenschaft über die principien ihres vorgehns bei der arbeit in der künftig erscheinenden einleitung; auch ohne diese darlegung ISsst sich sofort erkennen, dass wir ein werk von peinlicher Sorgfalt und gröster genauigkeit der diplomati- schen widergabe vor uns haben; der umstand, dass zwei heraus- geber sich bei der lesung bestündig gegenseitig controliert haben, verbürgt die vollständige Sicherheit der lesungen, soweit diese nicht durch die Zerstörungen der zeit für immer hypothetisch bleiben werden, und die bekannte tüchtigkeil Finnur Jonssons als herausgeber diplomatischer abdrücke, von der er erst un- längst in einem musterwerke philologisch-palaeographischer akribie, der von ihm und LFAWimmer besorgten Eddaausgabe, Zeugnis gegeben, ist dem ref. und gewis auch allen fachgenossen bürg- schaft genug dafür, dass die widergabe absolutes vertrauen ver- diene; Stichproben an der hs. vorzunehmen, war mir hier natür- lich vollkommen unmöglich, ich bin persönlich durchaus überzeugt, dass keine anders als bestätigend ausfallen könnte.

Die arbeit der beiden herausgeber war keine leichte; stellen- weise ist die llauksbok recht schwer zu lesen und stellt an die äugen und die geduld des eutzifferers harte anforderungen; manche stellen werden einfach für immer unlesbar bleiben, vieles andere hängt von dem glücklichen momente der beleuchtung und indi- viduellen disposition des eutzifferers ab; jedem, der isländische hss. gelesen, ist bekannt, dass die Zufälligkeiten bei der ent- zifferung ausgebleichter stellen eine grofse rolle spielen und es oft darauf ankommt , den richtigen augenblick zu erfassen, ich kann zb. aus eigener erfahrung hervorheben, dass bei der be- feuchtung erloschener stellen keineswegs der erste moment der glücklichste ist , vielmehr erst nach ein paar secunden die er- loschenen schriftzüge auf die dauer einiger momente hervortreten und dann mit zunehmender aufsaugung des wassers durch das pergament wider erlöschen, wenn daher im folgenden an ein paar Stichproben gezeigt werden soll, inwieweit es den heraus- gebern gelungen ist, in der entzifferung schwieriger stellen über

^Qß JONSSON HAUKSBOK

die resultate ihrer Vorgänger hinauszukommen, so schliefst dies nach dem oben bemerkten nicht im mindesten einen vorwurl' der ungeuiiuigkeit oder flüchtigkeil gegen die letzteren in sich, über den die namen Jon Porkelsson (reclor), Jon Sigurdsson usw. wol eriial>en sind, ich wähle zur probe einige der corrumpiertesten biälter der llauksbok, zunächst AM 544, bl. r (= s. 150 und Nokkur blöd vir Hauksbök gelin i'il at J6ni l'orkelssyni, Reyk- javik 1865, s. 1). die ganze seile ist verblichen und stellenweise unlesbar; die Schwierigkeit der enlzilTerung wird erhüht durch spätere aulTrischungen einzelner silben und Wörter, die nicht immer das richtige getroireu haben; eine abschrilt von der band Arne Magnussons (cod. AM 765, 4**), die an sich i^ute dienste leistet und zur ausl'üllung der unlesbaren stellen dienen muss. trägt doch auch dazu bei, durch unwillkürliche subjeclive Vorein- genommenheit die lesung noch schwerer zu machen, da Arne Magnusson keineswegs immer richtig gelesen hat. ich eitlere nach den Zeilen der neuen ausgäbe und sehe von den kleinsten dilTe- reuzeu, wie solchen zwischen majuskeln und minuskeln, spatien zwischen composilionsgliedern uä. ab, ebenso von der anführung, ob und wieweit die neuen herausgeber ein oder mehrere worler noch in der hs. lesen zu kOnnen glauben, die ^orkelsson nur nach Arne Magnussoos abschritt in den text gesetzt hat, und be- gnüge mich mit der anführung der würklichen lesungsdilferenzen:

S. 150 z. 2 En 'AM Iseser £ät; ordet kan naeppe Iseses sä'; ein P, z. 5 Spante ; spania ^. z. 6 Cog 'säledes l«ser AM; sikkert stär der ikke Tog' ; Tog \\ z. 9 Rin heüir d . a Sax- lande (die stelle ist aufgefrischt und dadurch stark unleserlich); Jim heitir a fraclande t*. z. 1 1 i sq; t se oc (als abbrevialur) I^. /,. 12 Nepr (aufgefrischt zu Hepur); Nepur \*; doch in der amn. Nepi^ als das ursprüngliche vermutet. z. 13 Knma (aufge- frischt zu Kinna); Kinna P, «loch in der anm. Kuma vermutet. z. 14 Tifr (aufgefrischt zu Tifur); Tifur \\ doch in der anm. als unursprünglich bezeichnet. z. 14 morgu motz (aufgefrischt zu mote); morgo mote P. z. 14 15 sum ero suort en sum ero skir; sum ero skir' enn sum ero nskir P (doch ist skir für suort in der hs. aufgefrischt).

S. 151 z. 5 enger (AM list engir); engir \\ z. 6 farü yfer; yfer farü I*. z. 6 ßuiat; pvi at 1*. z. 8 pegar slocnar; pegar er slcecknar P. z. 9 af; fehlt 1*. z. 1 1 peir; par P. z. 13 sa; kann P. z. 15 bnfe; fe P. z. 17. 18 frio ....

vfrio vfrio po at adr se frio ; free ofrce ....

ofroe er adr ero free P.

AM 544, 40. bl. 14' = s. 175 f, bei P. s. 40 ff: s. 176 z. 2 exaltacio; exallncione P. z. 2 Sia\ Sa, 'rilad' sua i skinnb. I*. z. 6 borii (P ebenso); hierzu benachrichtigt mich FJonsson, dass er bei nochmaliger lesung deutlich porp zu erkennen glaube; wenn man sich die palaeographischen züge der buchstaben ver-

JOISSSON HAUKSBOK 167

gegenwärligt, so wird sofort klar, wie durch erlöschen der unter die linie reichenden langstriche aus lior-p born werden kann, das bis jetzt eine crux der interprelalion gebildet hat. z. 8. 9 Andree apostoli; bei I* lUcke. z. 9 peiri er heitir Palras; feiilt K z. 10 yfir; ijfer \\ z. 10 i peira hueriu; lehll 1\ z. 11 peir; per l\ z. 12 mysleri; niyslere \\ z. 12 par sem; liicke \\ z. 14 cros; cross \\ z. 15 cardenales; car- dinales ^. z. 17 allteri; allen' \\ z. 21 immcur; munc .... 1^. z. 21. 22 Scolastka systir (durch auffrischung zu systur ge- worden) Jians par (aut'gelrischt zu pui); Scholastica syslur hans pni t*. z. 31 bolnn; botn V.

Diese Stichproben werden genügen, um einen begriff von dem zustande der schlecht erhaltenen seilen der hs. und der müh- samen arbeit der editoren zu geben, möchten wir bald die fort- setzuug und den schluss des stattlichen Werkes vor uns sehen.

Zum schluss eine kleine bemerkung; am linken rande sind die Seitenzahlen der bisherigen ausgaben angefühlt; obwol man sich aus Möbius' Verzeichnis leicht über die gemeinte ausgäbe orientieren kann, hätte es sich doch empfohlen, wenigstens am anfange jedes abschnitles auch den litel der ausgäbe zu drucken, nicht blüfs die zahlen, über deren bedeutung man besonders jetzt, wo die einleilung noch fehlt, auf den ersten aublick nicht klar wird.

Breslau, 11. 8. 1893. 0. L. Jiriczek.

Goethes Faust als einheitliche dichlung erläutert von dr Hermann Baijmgart, 0. ö. prof. an der Universität Königsberg i. Pr. erster band. Königs- berg i. Pr., Koch, 1893. 420 ss. 8". 4 m.

Die frage, ob Goethes Faust eine einheitliche dichtung sei oder nicht, ist so oft aufgeworfen, so oft nach der einen wie nach der andern richtung hin beantwortet worden, dass eine volle Verständigung unter den forschem vorläufig unmöglich scheint. Baumgart gehört zu den Verfechtern der einheit, und zwar zu den extremsten, denn auch hier gibt es abstufungen. weist uns ein Philosoph, ein aestheliker nach, dass Goethe trotz allen Unter- brechungen seiner arbeit dennoch im Faust ein werk geschaffen habe, durch dessen locker an einander gereihte scenen sich ein grol'ser grundgedanke ziehe und dessen frühere und spätere partien sich mehr oder minder leicht diesem gedauken fügen, zeigt er, wie der künstler gerungen bat, das, was seiner ent- stehung nach nicht einheitlich sein konnte, nach kräflen doch unter eine einheit zu bringen, dann sind wir für solche nach- weise dankbar; denn sie erhöhen in uns die bewunderung vor Goethes meisterschaft. will aber jemand uns an der band der enlslehuDgsgeschichte darlegen, dass jene künstlich geschaffene

16S BAUMÜART GOETHES FAUST I

spfjte oinlieit von anbeginii im plan der dichlung gelegen habe, dann proteslieren wir, geslillzt auf historische beweise, in dieser läge belinden wir uns B. gegenüber.

Er beginnt seine erlänterung mit umlänglichen geschichtlichen eiuleitungeu, die von anf'ang an Goethes dichlung als ziel ins augc fassen und deshalb streng zur sache gehören, zu dem ersten abschnitt haben wir nur zu sagen, dass B. s. 23 die ab- hängigkeit der Faustspiele dos 17jlis. von Marlowes tragOdie zu bedingungslos annimmt, mehr bedenken haben wir schon gegen das zweite cap., das von Lessings Faust handelt, hier scheint B. in der ausdeutung der absiebten des dichters zu weit zu gehn. die parallelisierung dieses Faust mit Shakespeares Macbeth ist, so wenig wir auch von Lessings stück wissen, sicher falsch, denn neuere analysen (Werder Vorlesungen über Shakespeares Macbeth; Küster Schiller als dramaturg) haben gezeigt, dass bei dem schotti- schen than der Übergang vom guten zum bösen durchaus nicht mit der geschwiudigkeit des siebenten teufeis vor sich gebt, ein weiterer einwand erhebt sich gegen die beurteilung des phantoms hei Lessing, ich kann hierin nicht 'höchste dramatische kühn- heit' sehen, sondern erkenne im gegenteil einerseits einen not- behelf, der Lessing selbst auf die tlauer nicht behagte, anderseits ein dramatisch -technisches experiment, das ihn wol reizte, das aber er mit seiner verstandesklarheit am wenigsten durchzuführen berufen war. warum spricht überhaupt B. bei Lessings Faust nicht rechtzeitig das Non liquet? er behandelt dies werk so sehr als ein ausgeführtes drama, dass er s. 49 sogar von der würkung dieses nicht vorhandenen Stückes, von der tiefen erschütterung der Zuschauer redet, wer vermag denn zu entscheiden, ob dieser Faust nicht vielleicht ein höchst frostiges Schauspiel ge- worden wäre?

Genau dieselbe übereilte deutung vereinzelter Zeugnisse, be- lege, stellen der dichtung selbst setzt nun B. bei der betrachtung von Goethes Faust fort, ausgangspunct ist ihm die bekannte stelle aus Goethes lelztem briefe an Humboldt: '£s sind über 60 Jahre, dass die Conception des Faust bei mir jugendlich, von vornherein klar, die ganze Reihenfolge hin weniger ausführlich vorlag', aus dieser stelle, auf die er immer wider zurückkommt, folgert B., dass der erste teil incl. wette (s. 86), spaziergangscene (s. 89), pact, hexenküche (s. 83), Valentinsceue (s. 101) und Walpurgis- nacht (?s. 100?) gleich im ersten entwurf so disponiert und vorge- sehen war. freilich ist B. nicht überall so siegesgewis wie an den citierten stellen, auf s. 66 meint er, Goethe habe mit jener brieflichen äufserung doch nur auf den 'grofsen gang' des Stückes, nicht also auf alle einzelnen scenen hinweisen wollen, das ist schlechterdings unmöglich, denn dass der 'grofse gang' des Stückes Goethe von anfaug an vor äugen stand, dass er also nicht ins blaue hinein dichtete, ohne zu wissen, wo es hinaus sollte.

BAUMGART GOETHES FACST I 169

«las ist SO selbsiverständlicil, dass Goethe nicht erst füüf tage vor seinem tode nötig hatte, es zu l)elonen. die oft cilierte brief- stelle muss eine andre bedeulnng haben, die man am besten er- kennt, wenn man den gegensatz, der in ihr liegt, durch 'zwar aber' hervorbebt: die couception war dem jungen dichter zwar von vornherein (dh. nach einer anregung von Fresenius und Erich Schmidt, Xenien 1796 zu nr 829, nicht temporal = von der ersten niinule an, sondern locai = in ihren eingangspartien) klar, da- gegen lag sie die ganze reibenfolge bin (dh. in ihren späteren parlien, Fausls weltfahrt usw.) weniger ausführlich vor. Goethe ist hier also weit davon entfernt, von der durchgängigen einheit seines werkes zu reden, die er vielmehr am G dec. 1797 durch das wort Mragelaph' und öfter ausdrücklich geläugnet bat.

ISichts destoweniger verteidigt B. sie hartnäckig, vor allem im 5 cap., wo er sich mit Kuno Fischer auseinandersetzt, wen die Fischerscheu ausführungen über die alte und neue dichtung, zu deren hauplresullaten ich mich bekenne, nicht überzeugen, dem ist durch diese besprechung schwerlich zu helfen, man müste einen guten teil des Fischerschen buches wideiholen, um B. zu widerlegen, ja, die sache wird noch erbeblich verwirrter, weil B. unter die unzweifelhaft stichhaltigen beweise Fischers auch übereilte argumenlationen desselben Verfassers gemischt hat, die hier nicht in schütz genommen werden sollen, zb. die behaup- tung, bei den worten Fausts vor dem bilde in der hexenküche oder bei seiner bitte um ein halstuch Gretchens habe Mepbisto- pheles eigentlich schon die wette gewonnen, nichts irriger als das. Faust würde wünsch auf wünsch an die erfüUung weiter angeknüpft haben.

Das bauplargumeut Fischers, dass der vom erdgeist gesante, nur dessen willen ausführende dämon der älteren dichtung un- vereinbar sei mit dem selbständig handelnden teufel Mephistopheles der späteren scenen, muss B. natürlich vor allem unbequem sein, ihm gilt hauptsächlich seine Widerlegung!, und sein resultal ist: Mephistopheles sei eine doppelnatur (s. llSlVj, einerseits der teufel, dh. die Verkörperung alles dessen, was den menschen in Ver- suchung führt; anderseits (dh. nur in der Vorstellung Fausts, der nicht an den teufel glaube) ein abgesanter des erdgeistes. die begründung dieser ansieht können wir hier nicht reproducieren; 'klar, leicht fasslich' (s. 128) ist sie nicht, es hätte sonst auch wol kaum ein volles Jahrhundert bis zu ihrer entdeckuug ge- dauert, wir müssen vielmehr feststellen, dass B. ganz absonder- liche mittel anwendet, seine meiuung zu stützen, von offenbaren Widersprüchen will ich hier nicht reden, auch will ich nur im vorbeig<4in eine Verrenkung wie die folgende erwähnen: die Worte 'Werd' ich zum Augenblicke sagen: Verweile doch, du bist so schön', also die höchste der bedingungen, die Faust stellt, sollen (s. 129) nichts als ein 'euphemismus' sein und in die spräche

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des Mephislopheles übcrselzt bedeuten: 'werde ich mein behagen daran haben, staub zu fressen, dann' usw.

Verwahrung dagegen möchte ich einlegen gegen die ge- linde gesagt unvorsichtige forinulieruug einiger sätze. um den 'leulel' schon im Urlausl zu entdecken, heilst es s. 119: 'dass schon der Url'aust ihn in Auerbachs keller mit dem fegeleuer auf sehr vertrautem fufse stehen lässl'. der salz schwebt im gehänge wie der compass und ist von allen seiten so wahr wie falsch, es ist gefährlich, mit solchen aussprüchen zu operieren. noch ärger aber sieht es s. 100 aus. Faust ruft in der scene 'trüber tag. feld': 'Wandle ihn du iinendlicher Geist wandle den Wurm wieder in die Hundsgestalt in der er sich nächtlicher Weile ofjft ge- fiel vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füfse zu kollern und dem Umstürzenden sich auf die Schullern zu hängen'. aus diesen worlen hat B., um das Vorhandensein der spaziergang- sceue im allerersten entwurf zu beweisen, schon nach 6 Zeilen folgendes gemacht: 'ferner ist deutlich angezeigt, dass dieser leufel dem Faust sich in 'hundsgestalt' genaht bat und zwar auf dem Spaziergange 'dem harmlosen wandi'er' sich zugesellte', hier ist mit grofser gescbicklichkeit jedem wort eine kleine Wen- dung gegeben, bis schliefslich die ganze gruppe eine andre ricli- tung bekommen bat. wir wollen uns solche Verdrehung des dichterworts aber doch nicht gefallen lassen, es hat übrigens die sanze sache neben dem ernst auch ihre komische seite. offenbar hält nämlich B. Faust selbst für den 'harmlosen wandrer , so dass also Mephislopheles nachts in den strafsen oder sonstwo Faust gelegentlich umgeworfen und sich ihm auf den rücken gesetzt habe, ein kösllicbes bild ! es ist nalürlich an einen abgeschmackten spafs zu denken, den sich Mephistopheles mit andern harmlosen Wanderern gijmacht hat. hoffenllich wäre Faust doch nicht nächt- licher weile 'oft' auf diesen scherz hereingefallen, sondern hätte sich schon das zweite mal in acht genommen.

Vom beginn des 6 cap. an ist nun die einheit nicht mehr ziel der beweisführung, sondern bereits Voraussetzung geworden, und B. bemüht sich zu zeigen, dass 'alles in schönster Ordnung' (s. 167) sei, während der dichter selbst bekanntlich noch 1797 von einer barbarischen composilion sprach, was B. im 6 und auch schon in früheren capp. zur erklärung einzelner scenen und dialogstellen vorträgt, ist oftmals vortrefflich, der nachweis, wie Goethes Faust die quintessenz der heslrebungen des 18 jhs. widergibt, wie sich der Übergang von der speculation zur prakti- schen läligkeit hier spiegelt, wie Goethes spinozislische an- regungen hier gestalt gewinnen, wie in Lessings drama der erkenntnisdrang, in Goethes dichtung der lebensdrang das trei- bende ist, das wird lichtvoll nachgewiesen, dagegen ist alles, was mit der entstehungsgeschicbte des grofsen gedichts zusammen- liängl, hier völlig ungoethisch aufgefasst. so wie es B. sich vor-

BAÜMGART GOETHES FAUST I 171

stellt, hat Goethe nie coiicipiert, nie gedichtet, da müssen wir von dcQ durchaus bildhaft geschaulen scenen des ersten teils uns die eine blols als träum, die andre als phantasmagorie vor- stellen ; da soll die erste Unterredung zwischen Kaust und Mephi- stopheles geradezu 'Fausls speculation über das wesen des bösen princips' sein, usw. man ist ratlos gegenüber solcher sinnhuberei. dass man einer weltweiten schöplung, wie dem Faust, noch iuinderl andre deutungen unterlegen kann, ist keine neuigkeit. wns wir brauchen, ist eine auslegung im sinne des dichters.

Aul s. 168 setzt nun die betrachtung der einzelnen scenen ein, die B. nicht nur inhaltlich, sondern auch zeitlich der jugend- lichen ersten conceplion möglichst nahe rücken möchte und die er daher zum grofsen teil viel zu früh datiert, gleich die 'Zu- eignung' soll nicht, wie man allgemein annimmt, »mi das jähr 1797, sondern 'mindestens' in der zeit von 1788 1790, möglicher- weise also noch früher gedichtet sein, beweis soll die angäbe Riemers vom 22 juni 1808 sein: diese Strophen seien 'sehr alt', was von Riemers behauptungen zu halten sei man vergleiche seine datierung der scene 'trüber tag. feld' ist hinlänglich bekannt; mit einer so allgemeinen aussage ist völlig nichts an- zufangen, aber auch die inneren gründe B.s entbehren der festen umrisse, ein würklicher grund für spätere datierung ist dagegen der: unter den wenigen, denen Goethe seine Faustscenen iu den siebziger Jahren vorgelesen halte und die bei abfassung der Zu- eignung bereits gestorben waren, ist in erster linie an Cornelie und Merck zu denken. Merck aber war 1790 noch am leben.

Im folgenden trägt B. wider ansichten vor, über die ich mich beim besten willen nicht in discussiou einlassen kann, ich sehe daher kein andres mittel, um B.s melhode zu characterisiereo, als dass ich an eine stelle seines lextes ein paar bemcikuugen knüpfe , die auch für hundert andere stellen giltigkeit haben. B. schreibt s. 191 : 'weiter und tiefer fasst Goethe den Mephisto- pheles als die verkörperte Verneinung überhaupt (1), die sich dem im Faust repraesentierten heftigsten erkenntnis- und lebeusdrang(2) entgegenstellt, als die summe alles dessen also, das sich beider lebensprobe ihm von innen und von aufsen her hindernd, ge- fährdend, verderbend in den weg stellen wird, die grolse be- wegung seiner zeit, in deren miltelpuoct Goethe selbst stand, und die traurige art, wie er sie bei so manchen halte ausgehen sehen (3), gaben ihm den anlass; damit (4) war die idee der wette gegeben, das üiobsmoliv drängt sich beinahe von selbst (5) auf.

ad 1) Goethe hat über sein dichten selbst gesagt (B. citierl die stelle auf s. 186): ^ Es war im Ganzen nicht meine Art, ah Poet nach Verkörperung von etwas Abstraktem zu streben . trotz- dem operiert B. auf jeder zehnten Seite mit solchen Verkörperungen, genau so wie ihm ganz concrete gespräche bisweilen nichts andres sind als reflexe von inneren Vorgängen in der brüst eines einzelnen

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meoschen. ich däclile, dazu hätte Goethe das kunstmiltel des monologs fjehaht und oll fronug angewendet. ad 2) Fausis erkenntnisdiang! aul' s. 102 hiefs es docli : 'Faust wirft sich der niagie in die arme; aher nicht, um (Uircli sie zu neuer, tieferer erkenntnis zu gelangen, eine solche hat sich ilitn schon aufgetan; sie genügt ihm nicht', solche Widersprüche finden sich in B.s buch öfter, und doch haut er gerade auf dem fehlen des er- kennt nisdranges den gegensatz von Goethes Faust gegenüber dem von Lessing auf. ad 3) im mittelpunct der grol'sen bewegung seiner zeit stand Goethe doch erst in reifen jähren; und diese bewegung bei so manchen auf traurige art 'ausgehen sehen' konnte er gleichfalls erst in späterem lebensaller, und doch soll diese erfahrung zur contrastierung von Faust und Mephistopheles den 'anlass' gegeben haben, dies ist unvereinbar mit B.s an- geblichem beweis, dass nicht nur der anlass, sondern sogar der ganze grofse einheitliche entwurf der Jugendzeit angehört. ad 4) 'damit!* womit? ich sehe nicht den geringsten logi- schen Zusammenhang zwischen der eben erwähnten lebenserfahrung Goelhes und dem Hiobsmotiv, der wette, auch diese logik ist bei B. nicht vereinzelt. ad 5) durch das ganze buch von B. gehl das bestreben, die composition des Faust als etwas selbstverständ- liches hinzustellen, dalier die häufigen redewendungen: 'daraus ergibt sich mit notvvendigkeil', 'hiermit ist dies oder das ge- geben*, 'dies muss so, jenes muss so sein* usw. mau tut dem dichter einen üblen dienst, wenn man die lösung der aufgäbe als gar so einfach hinstellt; und lieber wollen wir aus seinen eigenen bekenntnissen lernen, dass die motive wenigstens der späteren Faustdichtung, die forlsetzung und Vollendung des früh begonnenen Werkes sich ihm durchaus nicht 'von selbst aufge- drängt' haben, sondern das resultat intensivster künstlerischer bemühung sind.

Da es unmöglich ist, die Widerlegung in gleicher ausfuhr- lichkeit fortzusetzen, so beschränke ich mich im folgenden auf wenige abgerissene ben)erkungen. ausgezeichnet ist die heran- ziehung von Spinozas theologisch -politischem traclat für die er- klärung des Zeichens des makrokosmus. freilich wird dadurch, was B. übergeht, die abfassung dieses teils des ersten monologes in weit spätere zeit, als man bisher annahm, gerückt, mir per- sönlich ist diese datierung interessant, weil ich in Fauslvorlesungen des vorigen winters zu dem resultat gekommen war, dass von dem text des Urfaust kaum etwas vor dem jähre 1774 zu papier gebracht sein könne, doch ist dieser nachweis noch nicht zur Veröffentlichung reif. um gleich bei der datierung einzelner scenen zu bleiben, so ist hier B. äufserst sorglos, ohne auch nur die spur eines beweises rückt er, was ihm bequem ist, be- liebig weit in Goethes frühzeit zurück, die sceue 'vor dem ihor (s. 223) weist durchaus keine 'anzeichen frühester entstehung*

BAUMGART GOETHES FAUST I 173

auf, sie trägt gar nicht den 'Stempel von Goethes kraftvollster Jugendzeit', sie ist vielmehr in den ersten teilen ihrer jetzigen fassung (abgesehen vom schäferlied) erst im sommer 1797 con- cipiert. den beweis für diese beliauplung wird Erich Schmidt demnächst in der 3 aufläge des 'Urfausl' führen. noch will- kürlicher ist es, wenn B. s. 403 das paralipomenon 1 für den 'mit pietät bewahrten ersten entwurf zum Faust ball. OHarnack hat VJL 4, 169 ff. mit guten gründen die ansieht verteidigt, dass sich Goethe in Italien mit dieser übersieht den inlialt der bereits fertigen scenen zu vergegenwärtigen suchte, die Stellung B.s gegenüber der grofsen menge der paralipomeua ist mir übrigens vollständig unklar, vom ersten bis zum letzten buchstaben seines buches sucht er zu beweisen, dass Goethe zeitlebens nur einen einzigen Faustplan gehabt und immer an ihm festgehalten habe, und doch heifsl es s. 392: die paralipomena 'waren ältere plane, die wolweislich aufgegeben wurden', was bleibt nun bestehn? ein Faustplan? oder mehrere Faustpläne?

Höchst sinnvoll sind in den späteren partien von B.s buche widerum manche einzelheiten. so sind bei der betrachtung der scene 'vor dem thor' die mannigfachen wörtlichen anklänge an Goethes Jugenddichtungen sehr richtig gedeutet, feinfühlig ist die episode der bibelübersetzung in den Zusammenhang einge- ordnet, s. 310 list man vortrefllicbe Worte über die darstellung des verjüngten Faust; bei der beurteilung der Gretcbentragödie finden sich beifallswürdige ausführungen, nur hat (s. 318) der Schlaftrunk nichts mit dem tode von Gretcbens mutter zu tun.

Aber diesen ausgezeichneten stellen stehn unerträgliche partien gegenüber, es sind das, um es mit einem wort zu sagen, die 'deulungen' der symbolischen scenen. der ganze alte 'leidbecher' ■wird uns hier wider kredenzt. Goethe selbst hat gegen solches auslegen protestiert. Friedrieb Vischer hat geharnischte worte ge- rufen, es hat nichts gefruchtet. 70 seilen, ein sechstel des ganzen buches wendet B. daran, die Walpurgisnacht zu deuten ; und vor allem 'Oberons und Titanias goldene hochzeit', die sonst jedem als die verdriefslichste partie der ganzen dichtung erscheint, be- geistert B. zu überschwäuglicbem entzücken, jedes dieser epi- gramme gilt ihm als ein herliches und notwendiges, organisches glied des grofsen ganzen, zu widerlegen ist diese ansieht nicht, aber wenn B. s. 285 selbst fordert, dass eine solche deulung, um sich als richtig zu erweisen 'der pliantasie leicht und zwanglos, dem verstände einleuchtend, dem empßudungsurteil unmittelbar überzeugend und vielseitig es bewegend sich darstelle', so ge- stehe ich unumwunden, dass ich von solchen würkungen nichts verspürt habe, vor allem ist meine phantasie zu kurz gekommen. Goethes kräftige bilder haben sich alle zu abstracten begriffen verflüchtigt; das tat mir besonders leid bei der hexenkücbe. aber auch bei der deutung der ersten Unterredung zwischen Faust und

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Mephistoplieles ist aller humor verloren gegangen. Cerner kann ich nicht einsehen, dass die schülerscene den zweck habe, 'Fausts lossagung von der abslracten Wissenschaft zu erklären'; besonders in der ersten lassung, die doch ebenso gut wie die spätere zu dem von anl'ang an einheitlichen plane gehorte, war davon wenig zu spüren.

Es wäre vieles noch zu sagen, was in dem rahmen dieser besprechung nicht platz hat, besonders über die pactscene. aber es sei genug, nur ein wort zum schluss. an vielen stellen seines buches schmäht B. in gereiztem ton seine wissenschaftlichen gegner, deren 'blinde wut' (s. 277) gegen den Faust ihm bisweilen als eine blolse 'mode' (s. 249) erscheint, ist es denn eine Ver- unglimpfung (s. 177), wenn man ein kunstwerk bewundert, ohvvol man ihm die einheillichkeit abspricht? entehrt es Mozart, dass er an seine herliche klavierphantasie eine sonate angeklebt hat, die des ersten satzes nicht würdig ist? entehrt es Tizian, dass er an seine 'Darstellung der kleineu Maria im tempel' später ein stück leinwand ansetzen liefs und auf die kahle stelle ein hoker- weil) malte, das nun natürlich abseits von der grofsen gruppe sitzt? es ist doch schon psychologisch undenkbar, dass ein werk, an dem ein künstler 60 jähre, als Jüngling, mann und greis ge- arbeitet hat, aus einem gusse sein sollte, aber sei es drum, streiten lässt sich auch hierüber, uur sei der Ion des meisters würdig, in der bewunderung des 'Faust' sind wir ja alle einig. Marburg, november 1893. Albert KOster.

Schiller als dramaturg. beitrage zur deutschen litteraturgeschichte des acht- zehnten Jahrhunderts, von Albert Küster. Berlin, WHertz, 1891. vui und 343 ss. 8°. 6 m.

Die vorliegende schrift, mit welcher sich Albert Küster vor- teilhaft unter die zahl der deutschen litterarhistoriker eingeführt hat, ist als ein gewinn für die Schillerforschung dankbar zu be- grüfsen. der zunächst befremdende titel wird im vorwort genauer erklärt: das werk will von den dramaturgischen arbeiten Schillers sprechen, welche in der glänzenden epoche entstanden, als er im verein mit Goethe der Weimarer bühne seine kraft widmete, zur erschopfung dieses themas werden vier ausführliche abhaod- lungen geboten, in denen K. Schillers bühnenbearbeitung des 'Macbeth', des 'Nathan', der 'Turandot' und der 'Phaedra' erörtert, die einleiluug weist darauf hin, dass seit dem gastspiele Itllands im frühjahre 1796 beide dichter auf eine erweiterung des reper- toirs bedacht waren, als erste aufgäbe in dieser richtung stellte sich Schiller die bearbeitung des 'Egmont', dessen titelrolle eben damals von dem berühmten Mannheimer künstler vorgeführt werden sollte, eine knappe Würdigung dieser bearbeitung lässt

KÜSTER SCHILLEU ALS DIIAMATURG 175

Vorzüge und schwächen deutlich erkennen : sie ist alles in allem hoher beachtnng wert und erwarb sich auch bei den theater- ieuten bald beifall und anerkennung. ob K. mit jedem hinweis auf die unterschiede der beiden Fassungen recht hat, mag dahin- gestellt sein, so zb. ist es mir zweitelhall, ob aus der änderung des würtchens mag in kann in der wendung 'ich soll leben, wie ich nicht leben mag' würklich so viel zu folgern ist, als K. an- nimmt: er meint, Schiller setze eine durch anläge bedingte natur- nolwendigkeit ein, wo Goethe nur von laune spreche, aber das wort mag wird auch von Goethe noch des Ol'tern in der alten bedeulung von 'können' gebraucht, und an diese darf recht wol auch im vorliegenden lalle gedacht werden, da doch Egmonls gebaren als der ausfluss eines inneren Zwanges, einer ausge- prägten, notwendig sich gerade so betätigenden individualität an- zusehen ist.

Seit Ifflands gastspiel gieng Goethes bestreben darauf hinaus, das weimarische repertoir mannigfaltiger zu gestalten, und er belebte auch Schillers Interesse in dieser richlung. noch wich- tiger aber war, dass seit dieser zeit der anteil beider dichter für die declamation lebhaft geweckt wurde, die beschäftigung mit Egmont blieb nicht ohne einfluss auf die ausgestaltung des Wallenstein, in dem ganze Situationen nachgebildet sind, die hohe bedeutung, welche die VVallensteinaufführung für das wei- marische theater besafs, verkennt K. nicht; im Widerspruche zu Goethes bekannter äufserung hebt er jedoch hervor, dass dieses bedeutende ereignis nicht sowol die dritte epoche des weimari- schen theaters eröffne, als vielmehr die zweite abschliefse. von gröfserer Wichtigkeit sei jener ausführliche bericht WvHumboldts über die französische tragische bühne gewesen, der sept. 1799 nach Weimar gelangte, die leistungen Talmas, das vorhersehen des wüllautes und schöner plastik auf der französischen bühne hatten Humboldts bewunderung erregt, und diese eindrücke ver- fehlten auch auf die weimarischen dioskuren ihre würkung nicht, seitdem streben sie danach, durch woltönende spräche und plastisch gestaltete bühneubilder den reiz ihrer darstellungen zu heben, von den tendenzen dieser dritten dramaturgischen epoche zeigen sich die vier bühneubearbeitungen Schillers, von denen K. handelt, durchdrungen und beeintlusst.

Weitaus am tiefsten dringt die erste abhandlung, die dem Macbeth gewidmet ist. da über dieses werk die ansichten der er- klärer mannigfach auseinander gehn, sah sich K. genötigt, seine eigene anschauung über dessen grundzüge genauer zu entwickeln, während beim 'Hamlet' öfters darauf hingewiesen worden ist, dass die frische tatkraft des holden durch allzu häufige einkehr in die tiefen des gemüts, durch allzu starke reflexionen gelähmt wird, ist nach K. eben diese eigentümlichkeit bei Macbeth nie stark genug betont worden, die trefTlichc analyse des dramas,

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in der K. erweist, dass Macbeth unter dem zwange seiner eigenen Phantasieeingebungen Ijandelt und leidet, gehört zu den besten partien des l)uches und verdient allgemeine beaclUung.

Die auslührliche Würdigung der deutschen Übersetzungen und bearbeitungen des 'Macbeth', die K. der besprechuug des Schiller- schen Werkes voranscbickt, gewährt erst den richtigen einblick in das verdienst des deutschen dichters. eine abwägung der Vor- züge von Wielands und Eschenburgs Übersetzung widerholt in praeciser form das bereits früher festgestellte urteil über diese beiden leistungen. ohne gröfseres interesse sind die dürftigen und armseligen buhnenbearbeitungen von Stephanie und FJFischer, durch die die Shakespearesche dichlung für das deutsche theater zuerst gewonnen werden sollte, beachtenswert sind erst Schröders bemühungen um das stück, aber auch er nahm sich grofse frei- heiten in der führung der handluug und modelte den dialog in seinem sinne um, und es war daher zu bedauern, dass Bürger, als er seine bedeutende kraft für eine bearbeitung des Macbeth einsetzte, sich so eng an diese vorläge anlehnte, auch über ihn handelt K. mit gesundem historischen urteil und setzt insbesondere, lob und tadel angemessen verteilend, die gestaltung der hexen- scenen in das richtige licht.

Der 4 abschnitt der abhandlung kann sich endlich mit Schiller selbst beschäftigen, die Stellung des jungen dichters zu Shakespeare wird beleuchtet, auf entlehnungen aus ihm in seinen jugendwerken flüchtig hingewiesen, insbesondere werden früh- zeitige anklänge der jugendgedichte an Macbeth erwähnt, eine vergleichung mit dem 'Wallenstein' ergibt, dass Schiller hier in einzelnen puncten durch den 'Macbeth' beeiuflusst sein mag. indessen bei dem grofsen unterschiede beider werke sollten die beziehungen, die man herausfinden kann, m. e. nicht allzu stark betont werden, der erfolg solcher betrachlung ist doch häufig nur der, dass die selbständige tätigkeit der dichterischen phantasie nicht genügend gewürdigt wird, im episodischen sind freilich einige starke anklänge nicht zu verkennen. K. übersieht natür- lich nicht, dass die grundzUge von Schillers dramatischer schaffens- art und seine ganze darstellung vollständig von der Shakespeares abweichen.

Nach gründlicher erörterung der eingreifenden stilistischen änderungen, die Schiller an dem von ihm zu gründe gelegten Wieland -Escheuburgschen texte vornahm, beschäftigt sich K. ausführlich mit der von dem englischen original wesentlich ab- weichenden metrik des deutschen dichters (s. 93 f). er stellt im einzelnen dar, wie diese im 'Macbeth' dem Inhalt entsprechend vielgestaltig gemodelt ist, wie insbesondere unregelmäfsigkeifen des rhythmus auf künstlerischer absieht beruhen, beachtenswert ist zumal die darlegung, inwiefern Schiller durch ANVSchlegel in der behaudlung des fünffüfsigen iambus fortschritte gemacht habe.

KÜSTER SCHILLER ALS DRAMATURG 177

sovvol im persünlicheu verkehr als durch die 'Briefe über poesie, silbenmafs und spräche' in Schillers 'Hören' und durch den aufsatz 'Etwas über William Shakespeare, bei gelegeuheit Wilhelm Meislers' würkle Schlegel auf Schillers anschauungen ein, und ein vergleich der Versbehandlung im 'Don Karlos' und den späteren werken unseres dichters lässt diesen einfluss deutlich erkennen (s. 100 ff), anderseits wurden die puncte nicht übersehen, in welchen die beiden dichter nicht übereinstimmten (s. 102). bei erörterung der durch Schiller vorgenommenen Veränderungen des scenen- verlaufs und der characterzeichnung ist das über den beiden ge- sagte weitaus das wichtigste, hier kommt K. seine gute analyse des englischen werkes zu statten, der hexengrufs beleuchtet nicht das bereits in Macbeths seele schlummernde böse wollen, sondern erregt dieses erst in ihm; ein Widerspruch, der durch diese veränderte darstellung entstanden ist, wird von K. treffend hervorgehoben (s. 107). Schillers lady ist härter und abstofsender als die Shakespeares; insbesondere aber ist die Umgestaltung der hexen von K. richtig gewürdigt: nicht nur aus antikisierender neigung, wie ein kritiker unsern verf. misverstanden hat, son- dern um sie als wesen von tieferer ethischer bedeutung vor- zuführen , hat Schiller sie den aeschyleischen Eumeniden ähnlich gestaltet, die antike Vorstellung von dem neide der gölter ist auf sie übertragen, durch Schillers bearbeitung ist ein ent- scheidender schritt zur darstellung des wahren 'Macbeth' getan, und wer, von der vergleichung absehend, sein werk unmittelbar auf sich würken lässt, der empfängt den eindruck , dass hier eine dichtung aus einem gusse vorliegt.

K. gibt sodann einen bericht über die aufführung, die noch zu manchen besserungen anlass gab, und verzeichnet die urteile älterer und neuerer kritiker, die vielfach ablehnend , manchmal aber auch zustimmend lauten, die abhandlung ist als eine ab- schliefsende darstellung der Schillerschen Macbelhbearbeitung zu bezeichnen.

Der begrenzung des Stoffes entsprechend konnte der 2 ab- schnitt, der dem 'Nathan' gewidmet ist, keinen anlass zu weit- reichenden beobachtungen darbieten, die bearbeitung Schillers, die an der tendenz des dramas nichts , an der handluug und den characteren wenig geändert hat, war im wesentlichen eine kürzung. hierauf wie auf einige andere Umgestaltungen weist K. in nicht gerade fesselnder, aber angemessener darstellung hin.

Zu weitausgreifender historischer betrachtung erhebt sich dagegen sein buch widerum in dem 3 abschnitt, der der bühnen- bearbeitung von Schillers 'Turandot' gewidmet ist. die drei motive der zuerst in der Sammlung 'Tausend und ein tag' ver- öffentlichten erzäblung arbeitet K. deutlich heraus und schliefst daran eine genaue iuhaltsskizze des märchens. Carlo Gozzi wählte es zuerst zum gegenständ einer seiner 'fiabe'. diese gatlung hat A. F. D. A. XX. 12

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clor Ilalicner, ohwol er von den märchensloffen gering daclile, (leshalb gewählt, weil sie die phantasie des volkes schon oft er- götzt halten und von den alltäglichen Vorgängen, die man auf der italienischen hühne zu sehen gewohnt war, bedeutsam ab- stachen, gegenüber dem herschenden französischen geschniack der italienischen hühne suchte er Volkstümlichkeit durch ein- filhrung der masken der commedia dell' arte zu erzielen, machte aber seinen standesgenossen das Zugeständnis, der beliebten Sen- timentalität breiten Spielraum zu gewähren, wofür K. einzelne belege anführt (s. 159 f). gegen die schwächen seines taleutes erhob sich bald eine starke Opposition, und schon bei leb- zeiten gehörte Gozzi in Italien zu den vergessenen, jedoch im auslande, insbesondere in Deutschland, blühte ihm ein längerer nachruhm.

Friedrich August Klemens Werlhes erwarb sich das verdienst, durch eine geschickte Übertragung die werke des Italieners in Deutschland einzubürgern; allerdings mit ungenügendem form- gefühl in prosa statt in versen. für die bühnenaufführung be- durfte diese Übersetzung einer tactvoll eingreifenden Überarbeitung, in der von K. genauer characterisierten 'Hermannide' von Johann Friedrich Schmidt konnte man eine solche freilich keineswegs erblicken, und ebenso war eine andere bearbeitung von dem Berliner professor Friedrich Rambach ohne jeden wert.

Selbstverständlich liefs Schiller diese männer weit hinter sich zurück, er erwähnt, dass er einen alten Vorsatz ausführe, und K. versucht, diese äufserung genauer zu erklären, er meint nämlich, dass der Stoff der 'Rosamund' mit dem der 'Turandol' in enger Verbindung stehe (s. 315). 'das bild dieses eitlen lieb- losen mädchens vereinigt sich bei Schiller mit dem bild der Turaudot, dh. nicht einer Turandot, deren handeln aus edlem herzen entspringt und deren geschick sich darum heiter löst, sondern einer Turandot, deren beweggründe unedel sind und die darum von der strafe ereilt wird. Schillers Turandot wird bestimmt durch weiblichen stolz, Rosamund durch eitelkeit, aus der dann andre unedle regungen entspringen, neid gegen alle Schönheit aufser ihr, härte usw. sieht man von dieser verschie- denen motivierung und ihren folgen ab, so wird man in den äufseren Vorgängen manche parallelen entdecken, welche zeigen, dass Schiller in der tat bei der ausarheitung des entwurfes das Gozzische stück im sinne hatte', diese construction K.s ist ge- wagt und nur auf schwache beweise gestützt; Schiller sagt: 'ich habe . . . einen alten vorsatz auszuführen angefangen, nämlich die neubearbeitung eines Gozzischen märchens, Turandot, für das theater'. der plan der 'Rosamund' könnte dagegen unmöglich als neubearbeitung eines Gozzischen märchens bezeichnet werden; der 'alte vorsatz', Gozzi für die deutsche bühne zu gewinnen, darf nicht durch jenen problematischen einfluss der Turandot auf

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den plan der Rosamund erklärt werden, vielmehr erscheint es mir richtiger, Schillers äufserung wörtlich zu fassen und eiiizu- gestehn, dass wir nichts genaueres darüher wissen, hei «ieni am 27 dec. 1801 abgeschlossenen werke wante Schiller sein haupt- augenmerk auf die form und wählte natürlich den fünli'üfsigen iamhus, wobei er sich oft an den schon iamhisch gefärbten dialog von Werthes, seine vorläge, anschliefsen konnte, wenn K. die ausführung des edicts (v. 1080 ff) in alexandrinern ebenfalls durch den Wortlaut dieser vorläge erklärt, so dünkt uns dies widerum zu weit gegangen, wie Schiller in der 'Jungfrau' in der Mont- gomery-scene nicht lange vorher den alexandriner zu besonderer würkung verwertet hatte, so tat er es auch hier, nur freilich in ganz anderer absieht, die ja auch K. (s. 177) mit durchblicken lässt. kleine zum teil geschickte änderungen in der führung der handlung hebt K. deutlich hervor; vor allem aber war es die Vertiefung der charactere, durch die der deutsche dichter den italienischen mit unverkennbarem erfolg überbot, bei Gozzi ent- springt Turandots ganzes handeln aus laune, bei Schiller lehnt sich ihr feingefühl gegen die niedrige Stellung des weibes in ihrem lande auf, und sie erfüllt durch ihre stolze hallung gleich- sam eine mission für ihr ganzes geschlecht, geschickt bessernd hat der dichter den dialog behandelt, stimmunggebende züge be- tont, die übertriebene Sentimentalität des Originals gemildert, tri- viale Wendungen getilgt, angedeutete würkungen weiter ausge- führt usw. auch in Zusätzen war er glücklich; so suchte er insbesondere das chinesische localcolorit zu verstärken, mit dem roman 'Haoh Kjüh Tschwen' nebst den anmerkungen von Du Halde vertraut, vermochte er manche characteristischen züge einzufügen; hierbei ist es jedoch auffallend, dass K. (s. 199) zweifelt, ob Schiller das werk von Du Halde selbst gekannt habe, da doch nicht nur die nachgedichteten rätsei, sondern auch andere stellen von solchen ausführungen Du Haldes beeinflusst sind, die nicht in den anmerkungen des erwähnten romans widerholl waren.

In dem gesamlurteil hebt K. hervor, dass Schillers meinung, Gozzis werk sei mit dem gröslen verstände componiert, nur halb wahr sei; grofse mängel des aufbaues können nicht weggeleugnet werden, der deutsche dichter hat in dieser hinsieht dem stücke wenig nachgeholfen.

Endlich gibt K. einen lehrreichen bericht über die aut- nabme des Werkes bei der aufführuog in Weimar und anderen Städten, sowie bei dem lesenden publicum, irrig ist nur, was er auf s. 214 über ETAHolTmanns Stellung zu Schillers slück be- richtet, und das versehen ist um so aulfälliger, als er auf s. 222 das richtige widergibt, an erster stelle schreibt er: 'im allge- meinen haben diejenigen, welche das stück nur gelesen haben, günstiger geurteilt als diejenigen, welche es auf der bühne ge- sehen haben, am begeistertsten klang wol der panegyricus,

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welchen ETAHoffmann dem besitzen des mariouetlenlheaters in den Leiden eines theaterdirectors in den mund legt', es ist hier bei K. ausdrücklich von Schillers bearbeilung, nicht von dem originahverk die rede; die stelle bei IIolTmann lautet jedoch (Aus- gewählte Schriften, bd 10. Berlin 1828. s. 74): 'Der Schauspieler (der rolle des kaisers Altouni) hatte die tiefe Ironie dieser vor- trefflichen rolle herlich aufgcfasst. er, Turandot und Adelma, die der vortrefflichsten Schauspielerin, wie es je eine gegeben, zugefallen, hielten mich schadlos für die erbärmlichkeit des übrigen, welches vorzüglich der schlechten bearbeitung zu- zuschreiben war. auch hier beweiset der misgriff eines grofseu dichters meinen satz, dass es mit dem bearbeiten überhaupt eine misliche sache ist. mit dem original verglichen begreift man nicht, wie es dem deutschen bearbeiter möglich war, die herlichsien züge zu verwischen, vorzüglich aber die charactervollen masken so fade und bleich hinzustellen'. und das soll ein panegyricus auf Schiller sein 1

Wie K. überall das dankenswerte bestreben zeigt, die tat- sachen, von denen er berichtet, in weiten historischen Zusammen- hang zu rücken, so ist er auch, nachdem er die Schillersche bearbeitung der 'Turandot' gewürdigt hat, noch nicht mit seiner aufgäbe zu ende gelangt, er will vielmehr noch zeigen, welche geschichtliche Stellung Schiller unter den bearbeitern der Gozzi- schen *fiabe' anzuweisen ist, und verfolgt zu diesem zwecke den anteil, den deutsche dichter an Gozzis werke genommen haben, von Lessing bis zu Paul Heyse herab, die hauptklippe für die nachahmer des Italieners waren stets die masken; insbesondere aber bot auch das wunderbare der märchenstoffe einer frucht- baren bearbeitung unüberwindlichen widerstand, kein zufall, dass Schiller und Heyse gerade diejenigen werke Gozzis auswählten, deren handlung ohne wunder, Verwandlung und dergleichen vor sich geht. so zeigt auch diese abhandlung trotz einzelnen an- fechtbaren stellen den umsichtigen ferublick und das natürliche urteil des historisch geschulten forschers.

Es mag mit dem character der besonderen aufgäbe zu- sammenhängen, dass die vierte und letzte abhandlung, die der Phaedra- bearbeitung gewidmet ist, weniger ansprechend würkt, als die erste und dritte. K. hat auch hier nicht unterlassen, alle facloren sorgfältig zu berücksichtigen; aber diese sind in der hauptsache von geringerem Interesse als zuvor, eine gelungene characteristik der haute trag6die der Franzosen leitet die betrach- lung ein, und aus ihr ergibt sich ohne weiteres, dass es vor- wiegend äufserliche rücksichten sein musten, durch die deutsche dichter sich veranlasst sahen, die französischen werke für die deutsche bühne zu gewinnen, bei der Übertragung ins deutsche erkannte man zu ende des 18 jhs. die notwendigkeit, den reim- losen füuffüfsler au stelle des französischen alexandriners ein-

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zuführen, hierdurch erwuchsen den Übersetzern Schwierigkeiten, die in verschiedener weise überwunden werden konnten, wie K. an dem verfahren Gotters in der Merope und Goethes im Mahomet und Tancred ausführhch erörtert. Götter, über dessen bemühungen wir inzwischen genauer unterrichtet sind, hat nur etwa ein drittel des Originals würklich übersetzt; er hat viele redewendungen ver- einfacht, die Umschreibungen und widerholungen, die allzu häu- figen namensnennungen, die vielen interjectionen und die anrufung der gütter eingeschränkt; anderseits kommen auch erweiterungen und freie Zusätze bei ihm vor. Goethe, der sich nach langem widerstand gegen die vorliebe des weimarischen hofes für die fran- zösische tragödie in den letzten jähren des Jahrhunderts, wol unter dem einfluss von Humboldts erwähntem briefe, veranlasst sah, die beiden trauerspiele Voltaires zu übertragen, lehnte sich enger als Gotter an die vorläge an ; aber als wortgetreue widergabe kann nur etwa die hälfte jedes seiner stücke angesehen werden, den bemühungen des freundes stand Schiller zunächst kühl gegen- über, und dennoch hielt er es nach wenigen jähren für gut, seinen spuren zu folgen.

Über die Stellung Schillers zu dem französischen drama be- richten die nächsten partien des buches. die bekannte tatsache, dass Schiller während des Mannheimer aufenthalles sich mit einer anzahl französischer tragödien beschäftigt hat, wird entsprechend gewürdigt, die einÖüsse auf den Don Karlos werden angedeutet; Hellers Vermutung, dass Campistrons 'Andronicus' die handiung des 'Don Karlos' beeinflusst habe, wird als tatsache behandelt, und nur zum teil einleuchtende anklänge an Racines 'Phaedra' und 'Mithridates' werden neu hervorgehoben: am meisten Wahrschein- lichkeit hat die darlegung für sich, dass die scene der 'Phaedra', in welcher die königin dem Stiefsohne ihre leidenschaft gesteht, an die Eboli-scene erinnere, mehr und mehr nahm Schiller eine freundliche Stellung gegenüber der classischen tragödie ein, doch selbst Humboldts brief veranlasste ihn noch nicht zu eigenen Übertragungen; erst 1803 entschloss er sich hierzu, die be- schäftigung mit den beiden lustspielen Picards hätte wol mit blofser erwähnung abgetan werden können, nach vergeblichem ringen mit Racines 'Britannicus' verdeutschte Schiller in der kurzen zeit vom 27 dec. 1804 bis 14 jan. 1805 (für welche 19tägige frist K. merkwürdigerweise 26 tage ausrechnet) die schon früher sorg- fältig studierte 'Phaedra' von Racine, eine collation umfänglicher bruchstücke der hs. hat K. in stand gesetzt, über die all- mähliche ausgestaltung des Werkes genaueres mitzuteilen (s. 327); Schillers ringen mit dem ausdruck lässt sich erst jetzt deutlich über- schauen, und mancher äufserliche verstofs wird als beabsichtigt erkannt, handiung und charactere sind fast gar nicht verändert, nur die ftihigkeit zu reflectieren ist den personen ein wenig ver- kürzt worden, das verfahren des Übersetzers gleicht in den

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liauptpuncten der art Goethes; es siiul, da die detailliertere auf- zäliluiifj ermüden würde, vou K. die genaueren belege in die annierkungen verwiesen worden, im ganzen fiel es Schiller, der über reiches rhetorisches palhos vertügte, leichler als Goethe, den pomphaften ton der haute tragedie widerzugeben. alles in allem sind die ergebnisse dieser vierten fleil'sig ausgeführten abhandlung K.s von geringer bedeutung, und wir meinen, dass sie auch kürzer hätte gefasst sein können, die bemühungen Gotters und Goethes wären für den vorliegenden zweck besser nur in ihren wesentlichen resultaten dargestellt worden.

Schillers Übersetzungen können als kein genügender ersatz der originahverke angesehen werden; des dichters streben gieng vielmehr dahin, durch die uachdichlung das original ganz ver- gessen zu machen; er wollte möglichst deutsche werke schaffen. in den bühnenbearbeitungen verfuhr er ohne pieläl. seine drama- turgischen arbeilen waren für sein eigenes schaffen von bedeu- lung: sie befestigten seine dramatische technik und gaben ihm für die eigenen werke, insbesondere für die ausgestaltung der frauencharactere, manches brauchbare moliv an die band, für den weimarischen bühncnstil aber wurde die kunstvolle Verbin- dung von Wahrheit und Schönheit auch durch diese arbeiten Schillers wesentlich gefördert, so ist uns durch K.s arbeit ein beachtenswerter abschnitt von Schillers dramaturgischer tätigkeit in historisch weitschauender weise geschmackvoll, klar und an- sprechend vorgeführt worden, nur wundert es uns, dass er, der doch gerne alle factoreu berücksichtigt, nicht auch, wenn auch nur einleitungsweise, die bühnenbearbeitungen von Schillers jugend- werken in seine betrachtung mit eingezogen hat. eine erörterung der ihealerversionen der 'Räuber', des 'Fiesko' und vor allem des 'Don Karlos' würde für die von K. gegebene darstellung einen würksamen hintergrund abgegeben haben, während wir jetzt nur 6ine wichtige epoche von Schillers dramaturgischer tätigkeit über- blicken, würden wir alsdann die ganze enlwickhing vor äugen haben, indessen es fehlt nicht an arbeiten, die dem forscher einen bequemen ersatz für diesen in K.s IrefTlichem buche fehlen- den abschnitt bieten. Leipzig, im raai 1893. Ernst Elster.

Jean Paul, sein leben und seine werke, von Paul Nebrlich. Berlin, Weid- mannsche buchhandlung, 1889. xii und 655 ss. 8°. m.

Der vf. dieses buches, dessen besprechung leider durch äufserliche umstände verzögert worden ist, hat bereits durch mehrere frühere arbeiten seine gründliche kenntnis des lebens und der Schriften Jean Pauls bewiesen, mehr als irgend ein anderer unter den lebenden hat er aus dem briefwechsel und

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den noch iingedruckien werken Jean Pauls veröffenllicht, sorg- fältig und liebevoll wie keiner sich in das leben, denken und schafTen des eigenartigen, den modernen hetrachter oll zuerst abstofseuflen huniorislen hineingearbeitet; die kurze biographie, mit der er vor etwa sechs jähren eine gute auswahl aus Jean Pauls werken in Kürschners Deutscher nationallitleratur einlei- tete, übertraf, wenn sie auch vielleicht hie und da im einzelnen zum Widerspruch herauslordern mochte, doch im ganzen an tüch- tiger Sachkenntnis und wissenschaftlich richtigem urteil alle dar- stellungeu, die freunde und Verehrer während der vorausgehnden sechs Jahrzehnte dem mafslos gepriesenen dichter gewidmet hatten, so schien Nerrlich vor jedem andern befidiigt und berufen, uns die grofse monographie über Jean Paul zu schenken, die wir bisher in der geschichte unserer litteratur schwer vermissten. das buch aber, das er uns nun geboten hat, befriedigt die in der tat hoch- gespannten erwartungen leider nur zum teil.

Wider zeigt N., dass er seinen stoü in allen einzelheiten vortrefflich kennt. Jean Pauls gedruckte und ungedruckte Schriften, seine briefe und handschriftlichen aufzeichnungen, berichte der Zeitgenossen über ihn und litterargeschichtliche versuche der spä- teren, all das und mehr hat er gründlich mit hingebender liebe studiert; die orte, in denen der dichter seine Jugend zubrachte oder im späteren leben auf kürzere oder längere zeit eine neue heimat fand, hat er selbst durchwandert und ihre landschaftliche läge, ihre geschichte und ihre gesellschafilichen Verhältnisse sich zu unmittelbarer anschauung gebracht, so sind ihm die einzelnen Stationen im leben Jean Pauls, seine beziehungen zu freunden und freimdinnen von jähr zu jähr, die verschiedenen sich durch- kreuzenden gedanken, absiebten, einfalle, anspielungen in seinen mannigfaltigen Schriften deutlich und vertraut geworden, und er beherscht auch dieses weitschichtige material insofern, als er nicht an den einzelheilen haftet, sondern in jedem augenblick alles gegenwärtig hat; ein klares gesamtbild von Jean Pauls menschlichem wesen, von seiner ganzen schriftstellerei steht ihm stets vor der seele. wo er eine Vermutung wagt, ist er äufsersl vorsichtig und besonnen; was er neu behauptet, ist durchaus zu- verlässig, auch ist seine gediegene kenutnis des menschen und des autors frei geblieben von jener persönlichen Voreingenommen- heit, die so oft die folge eines innig eindringenden Studiums ist. er überschätzt den dichter Jean Paul im allgemeinen kaum, höchstens einmal gelegentlich in nebensachen; über den menschen mit seinen tugenden und fehlem urteilt er immer gerecht, er tadelt mit allem nachdruck die rücksichtslose Selbstsucht, die sich in Richters benehmen gegen seine mutter, gegen seine freun- dinnen (besonders seine braut Caroline v. Feuchterslehen), schliefs- lich gegen seine gatlin bekundet, den wankelmut und den mangel an wahrer liebe, der uns in seinem leben oft abstofsend ent-

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gpgentritt, ebenso seine mannigfachen eigenlieilen und üblen gevvolinheiten harmloserer art. überdies schreibt N. ein ein- faches, natürliches, klares deutsch, gegen dessen correctheit sich kaum etwas einwenden lässt, dessen Sauberkeit und gewantheit vielmehr selbst bei der darstellung schwieriger abstracler ge- danken uneingeschränktes lob verdient.

Und dennoch werden wir bei der lectüre seines buches nie recht warm, dennoch kommen wir dabei in kein unmittelbar persönliches Verhältnis zu Jean Paul; ja trotz allem, was wir über ihn hören, sehen wir schliefslich doch nicht klar genug: wir leser erhalten kein gesamlbild, obwol dem vf. ein solches vorschwebte; wir lernen aus seinem buche viel, sehr oft aber gerade das nicht, worauf es vor allem ankam, und so unparteiisch N. auch seinem beiden selbst gegenübersteht, so einseitige Vor- urteile bestimmen doch überall sonst seine anschauung und die art seiner forschung. durch sein ganzes buch zieht sich die hef- tigste polemik gegen alles, was mit theologie oder philologie zu- sammenhängt, mit gehässiger leidenschaft kämpft er an verschie- denen stellen seines werkes gegen das Christentum an, dessen begriff er freilich höchst einseitig auffasst, indem er andere, mildere anschauungen vom wesen der christlichen religion hoch- mütig und wolfeil zugleich mit ein paar nicht weiter begründeten Schimpfworten auf unsere 'confusen und feigen' (s. 24) oder 'denk- faulen liberalen theologen' (s.55) abtut, ihm gilt nur die extremste Orthodoxie und hierarchie des katholicismus als wahres Christen- tum, und selbst dieser will er noch gewisse grundsätze aufdrängen, gegen die sich auch der buchstaben- und formelngläubigsle, geistig und dogmalisch befangenste mönch verwahren dürfte, so weifs, um nur 6in beispiel, vielleicht das stärkste, herauszugreifen, nach N. das Christentum überhaupt nichts von einer Unsterblichkeit schlechtweg, sondern kennt nur die auferstehung des leibes am jüngsten tage (s. 210). hat N. denn seinen dritten glaubens- artikel ganz und gar vergessen, oder klammern sich an den auch nur die confusen und denkfaulen liberalen theologen feige an? statt des Christentums predigt N. die 'neue religion' der modernen Weltanschauung, man wird fragen, welche von den doch einiger- mafsen verschiedenen modernen Weltanschauungen gemeint sei. N. kennt nur eine: 'die moderne Philosophie', sagt er s. 28, 'das heifst Hegel', was damit nicht stimmt, wie die lehre Schopen- hauers oder die materialistische richtung in der neueren philo- sophie, wird ignoriert oder ohne näheren beweis gescholten; Unterwerfung unter Hegels aulorität wird gefordert und alles heil nur von Hegel und den männern abgeleitet, die sich zu seiner lehre neigten. Ludwig Feuerbach in seiner ersten periode, Arnold Rüge, Frd. Th. Vischer und Kuno Fischer werden so ziemlich un- bedingt anerkannt; Trendelenburg aber und 'die auf Hegel für die Berliner philosophische facultät folgende zeit bis auf die gegen-

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wart herab' wird mit wenigen verächtlichen worten abgefertigt, glücklicherweise iJisst N. bei letzlerer doch 'einige wenige aus- nahmen ' gelten (s. 385). aufserordeutlich hoch stellt er auch Börne und Heine, jener ist ihm 'der legitime nachfolger Goethes und der Vorgänger Bismarcks' (s. 22); dieser aber hat unter anderm die religionsphilosophische forschung, die einst Lessing begann, vornehmlich getürdert, er hat eine 't'undamenlale kritik des Christentums, das heifst eine prüfung desselben vor dem forum des modernen geistes' zuerst angebahnt (s. 102)!! somit sieht N. auch in dem besten, was Jean Paul geleistet liat, nicht ungern eine Vorahnung dieser modernen geisler, eine 'prophezeiung auf die zeit, welche dereinst nach Hegel benannt werden wird' (s. 115). Richters mängel aber führt er zum grofsen teil auf 'seinen im Christentum zurückgebliebenen Spiritualismus' zurück, selbst die humoristischen verirrungen seines Stils, seine 'kaum glaublichen gescbmacklosigkeiten, seine halbwahnsinnigeu Phantastereien, sein schwulst' werden dem christenlum zur last gelegt (s. 64). N. findet es nämlich nur folgerichtig, dass der im christlichen Spiri- tualismus noch befangene Jean Paul, wie er der bildenden kunst, der naturforschung und der geschichte weder interesse noch Ver- ständnis entgegenbrachte, so auch in der dichtung die form gering schätzte und nicht nach dem schönen trachtete, ja überhaupt gegen die kunst und äslhelische cultur auftrat und endlich seiner laune völlig die zügel schiefsen liefs. so erscheint ihm Jean Paul gerade wegen seiner schlimmsten künstlerischen mängel und stil- losigkeiten als 'ein grofsartiger, für die damalige zeit typischer Vertreter' des Christentums.

Einen verkündiger der neuen zeit erblickt N. hingegen in Jean Paul meistens da, wo er von der philologie spricht, sie bekämpft er fast noch heftiger als die theologie, und zwar wider nicht nur ihre auswüchse, sondern ihr wesen selbst und mit ihr diejenige litteratur, an der sie zuerst geübt worden ist, die antike griechisch-römische, in diesem kämpfe macht ihn sogar das be- wuslsein, dass er hier seinen sonst unbedingt verehrten meister Hegel nebst Vischer und andern Hegelianern zu gegnern hat, nicht wankend, das dogma vom sogenannten classischen alter- lum N. vergisst den zusalz 'sogenannt' oder die anführungs- zeichen bei 'classisch' niemals, wenn er von der antike spricht ist ihm ein drückender alp, den die menschhcit von einem Jahr- hundert ins andere hinüberschleppt, und sehnsuchtsvoll ruft er nach dem retter, der sie von diesem verderblichen irrtum endlich befreien wird, er selbst wirft zunächst leicht und wolgemut das römische allertum ganz und gar über bord. den Griechen ge- steht er zu, in der plastik eine unvergleichliche höhe erreicht zu haben; das ist aber auch alles, ihre Weltanschauung, ihre leistungen in der philosophie und in der Wissenschaft überhaupt scheinen ihm überaus beschränkt; vom reinmenschlichen kann

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bei ilinpn, da sie unter dem jocli einer mylliologie seufzen, nicht die rede sein; von wahrer Sittlichkeit haben sie keine ahnuug, wie ihr 'Götzendienst', ihr sklavenwesen, ihre aufTassung des aus- läuders als feiud beweist; die herschaft der sinnUchkeit bei ihnen ist noch tausendmal schlimmer als die von N. sonst so heftig verdammte unsinnlichkeit der Christen; ihre dichtung endlich steht auch nicht eben auf hoher stufe: der einzige name Shakespeare genügt, um alles antike im reich des geistes aus dem felde zu schlagen, und selbst die lobsprüche, mit denen Lessing die homerischen beiden überhäuft, muten jeden vom geislc der neu- zeit durchdrungenen seltsam au (s. 29). nach JN.s meiuung war es Lessings fehler und Verhängnis, dass er in der antike das heil erblickte, Goethes urteile über römische litteratur und noch mehr über griechische cultur und kunst waren 'völlig befangen und Unheil stiftend' (s. 46), und Schillers klagen, dass die grie- chischen götter alles schöne und hohe mit forlgenommen haben, sein wünsch, dass das holde blülenaller der natur widerkehre, zeugen von seltsamer Verblendung (s. 53). in Herder aber sieht N. einen directen bekämpfer der antike und der philologen. er beruft sich ja meistens bei diesen behauptungen auf unmittelbare aussprüche der genannten autoren, verallgemeinert dabei jedoch bald ein ganz speciell gemeintes urteil, bald übertreibt er mafslos einen nur unter gewissen Voraussetzungen und einschränkungen richtigen und auch nur so von jenen autoren aufgestellten satz und vergissl zb. völlig, dass Herder selbst zahlreiche antike ge- dichte übersetzte, dass er in der Jugend wie im aller Homer und die griechischen tragiker ungemein hoch schätzte, dass er überhaupt nur gegen pedantische einseiligkeiten der philologen und gegen die sklavische nachahmung, gegen die mafslos-unbe- dingte verherlichung des altertums ankämpfte, für N. sind die Worte 'philologe' und 'pedant' gleichbedeutend, s. 97 sagt er von einem an talent und kenntnissen nicht eben reichen schul- mann , der in der tat als ein schlechter philologe sich nur au äufserliches und unbedeutendes hielt, geradezu: er 'verweilte, in- dem er die Schriftsteller erklärte, als echter philolog pedantisch und geistlos bei kleinigkeiten'. der Schutzpatron der philologen ist und bleibt daher nach N.s ansieht der famulus Wagner in Goethes Faust (s. 52), die philologie selbst aber ist 'ebenso ge- wis nichts weiter als die magd und handlangerin der geschichte, wie diese in der philosophie ihre gebieterin anzuerkennen hat' (s. 23).

Nach diesen grundsätzen, die ja ein gran Wahrheit, aber auch nicht mehr enthalten, bestimmt sich die methode N.s. er hat sie selbst in einer umfangreichen einleitung dargelegt und verteidigt, es ist natürlich die 'philosophische entwicklungsmethode' Hegels in schroffster einseitigkeit. die art, wie N. im einzelnen sie be- folgt hat, dürfte ihr wenig neue anhänger gewinnen; vollends

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schaden aber muss es ihr, dass er auf den ersten 23 seilen seines buches nicht sowol sie mit tüchtigen , schwer umzuslofsenden gründen gestützt als vielmehr ihre gegner sehr von oben herab, dafür aber auch keineswegs überzeugend, abgekanzelt hat. am schonendsten verfährt er noch mit Leopold v. Rauke; ja er gibt hier sogar zu, dass weder Hegel allein noch Ranke allein das vollkommne sind, sondern erst beide in ihrer Vereinigung, aber in welchem tone spricht er von Otlokar Lorenz, dem 'würdigen nachfolger des edlen rilters von La Mancha', den er darum sehr witzig auch 'Don Lorenzo' nennt, und von seinen 'urkomischen' theorien! und um kein haar feiner und gerechter ist die törichte polemik gegen Wilhelm Scherer. es wirft von vornherein ein sehr eigentümliches licht auf die gründlichkeit und Unparteilich- keit N.s, dass er sich fast nur an Scherers Poetik hält, an ein werk, das Scherer nicht selbst zum druck befördert und auch nicht für eine in allem und jedem abgeschlossene arbeit erachtet hat. mag ihm N. hier auch den einen oder andern irrtum nach- weisen, was beweist das für Scherers wissenschaftliche gesamt- bedeutung ? was würde es beweisen, selbst wenn N. dabei weniger malice und ironie aufgewandt hätte, als er in würklich- keil getan? schliefslich verliert er auch ein paar worte über Scherers litteraturgeschichte, die aber unbegreiflich äufserlich und verkehrt sind ; so vermag nur ein mensch zu urteilen, der nicht sehen kann oder nicht verstehn will oder bei dem durch einen unglücklichen zufall beides sich vereinigt, dass ganz am ende dieser polemik doch ein kleinwinziges verdienstchen dem philo- logen Scherer noch gelassen wird, bedeutet gar nichts, es möge mir hier eine kurze persönliche bemerkuog gestattet sein, ich kann mich nicht eigentlich zu Scherers schülern zählen ; ich habe nur einmal während einer reise, die mich länger in Berlin fest- hielt, einige wochen Scherers Vorlesungen und seminar besucht, nachdem ich mich bereits in München als privatdocent habilitiert hatte; ich habe auch nachher nur wenige briel'e mit Scherer ge- wechselt und ihn nur einmal wider, im jähre vor seinem tode, gesprochen, damals freilich ziemlich lange über allerlei und rück- haltlos, erinnere ich mich auch noch mit dankbarer freude seiner bezaubernden liebenswürdigkeit in diesen stunden, so habe ich doch die vorteile, welche die Zugehörigkeit zu seiner schule im engeren sinne mit sich bringen mochte, nie genossen, mich treibt also auch sicherlich keine parteirücksicht, wenn ich mich gegen N.s ladel des toten forschers erkläre, aber ich meine, wer selbst auf den namen eines wissenschaftlichen arbeiters würklich auspruch erheben will, der sollte wenigstens mit der gebühren- den achtung von einem manne sprechen, der für die erkenntnis der geistigen enlwicklung unsers Volkes in mehr als einer hin- sieht aufserordentliches geleistet hat. statt dieser Forderung irgend zu genügen, stichelt N. lieber auf alles, was in beziehung zu

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Scilcrer gebracht werden kann, auf Erich Schmidt und andre Schüler Scherers, auf forscher, die dieser gelegentlich citierl oder rühmt; ja zuletzt (s, 461) wirft er gar Scherer und seinen 'nach- tretern' vor, dass sie 'die Schreibweise in kurzen, abgehackten, asthmatischen salzen' neuerdings 'wider aufgewärmt' hätten, als ob nicht schon lange vor Scherer auch der eine oder andere wissenschaftliche Schriftsteller, zb. Ludwig Feuerbach, sich gern kurzer, pointierter Sätze bedient hätte, und als ob an der jüngsten 'wideraufwärmung' dieser Schreibweise feuilletonisten, novellisten und dramatiker des in- und auslands, zb. Ibsen unter vielen andern, nicht weit mehr schuld hätten, als ein paar litterarhisto- riker, die hauptsächlich doch nur in gelehrten kreisen gelesen werden 1 übrigens was hat denn N. gegen diese Schreibweise in kurzen Sätzen ? so lange sie nicht zur einförmigen manier wird, ist sie jedesfalls klarer und schöner, ja vielleicht auch schwerer als die bildung solcher unübersichtlichen riesenperioden, wie sie uns bei Jean Paul gar nicht selten begegnen, aber schliefslich hat ja diese ganze polemik N.s überhaupt mit Jean Paul nichts zu schaffen, genug, dass sie den schein erweckt aber auch nur den schein ! , als helfe sie die Hegeische entwicklungs- methode stützen.

Die nächste folge der in dieser einseitigkeit jedesfalls ver- kehrten methode ist eine gelegentliche verquickuug von philo- sophie und litteraturgeschichte, bei der beide Wissenschaften nichts gewinnen, und ein höchst gefährlicher subjectivismus der dar- stellung. N. erkennt an Jean Paul eben gerade das lobend an, was seiner eignen weit- und kunstanschauung entspricht oder was zur lehre Hegels und Vischers stimmt, und verwirft, was diesen auschauungen zuwider ist. und ebenso verfährt er den übrigen erscheinungen der litteratur gegenüber, sein urteil be- ruht stets nur auf ästhetischen oder ethischen meinungen und fast nie auf den geschichtlichen Verhältnissen, unter denen die einzelne persönlichkeit und ihre werke werden und wachsen, das ästhetische urteil aber ist, zumal wenn man sich nicht auch auf das technische eines kunstwerks genauer einlässt, nur allzu sehr vom persönlichen geschmack und von der jeweiligen Stimmung des urteilenden abhängig und viel schwerer zu objecliver giltig- keit zu erheben, als eine historisch begründete ansieht, so hat denn auch N. bei zahlreichen seiner behauptungen entschiedenen Widerspruch zu gewärtigen, wer wird ihm sein überschwängliches lob des Millerschen Siegwart (s. 41) glauben? wer es ihm zu- geben , dass die form des Werlher und der Räuber geradezu mangelhaft (s. 52), dass die romantik gleichbedeutend mit dem ruckschritt ist (s. 388)? auch die widerholte behauptung, Jean Paul sei der classische dichter der freundschaft, wird nicht jeder unterschreiben, und über gewisse motive und scenen in seinen romanen, die N. als besonders glücklich preist (zb. die unsäglich

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breit gedehnte erbschaftsgeschichte im an fang der Flegeljahre), dürfte mancher anders denken. N. begnügt sich gar zu otl mit subjectiv oberflächlichen urteilen, was für eine Uberzeugungskrall kann ein satz wie der folgende besitzen (s. 119): 'Popes zopfige Dunciade ist mit ihren allegorieu und ihrer polemik, die jeglichen allgemeinen Interesses haar ist, für uns ebenso ungeniefsbar als der Lockenraub"? oder, um bei werken von Jean Paul selbst zu bleiben, wo eine sachliche begründung des Urteils noch mehr geboten wäre, s. 159 'wie trefflich ist nicht die ahhandlung über die tugend', oder s. 161 'noch schlimmer steht es mit der ebenso langweiligen als langatmigen Kreuzerkomoedie; das wert- volle steht hier in gar keinem Verhältnis zu dem über bord zu werfenden'? kein wort wird über den Inhalt, keines zur be- stimmteren characteristik des ganzen werkes gesagt; nur der titel eines teils desselben ist noch genannt. N. ist ja sonst eher zu viel als zu wenig auf das einzelne eingegangen; warum gerade da nicht, wo seine wissenschaflliche aufgäbe es zumeist er- forderte?

Besonders vom künstlerischen standpunct aus hätte sein buch bedeutend gewonnen, wenn er sich mehr zu einer zusammen- fassenden darstellung hätte entschliefsen können, er bespricht jähr für jähr, hegebenheit für begebenheit in Jean Pauls leben, eine seiner Schriften nach der andern, aber jede einzeln für sich, ohne gruppen zu bilden, aus denen das bedeutende sich dann besonders hervorheben würde, und ohne nach einer würklicheu gesamtcharacteristik des menschen und des Schriftstellers zu streben, er hätte dadurch nicht nur manche widerholung vermieden, son- dern namentlich auch ein weit lebensvolleres bild von Richters Wesen und würkeu entworfen , jedesfalls aber seine darstellung frischer und würksamer gestaltet, nun ermüdet uns die Zer- splitterung des Stoffes, die katalogmäfsige aufzählung des einzelnen, namentlich die Umständlichkeit, mit der N. die verschiedenen Ver- ehrer und Verehrerinnen Jean Pauls verzeichnet und über ihre Schicksale, ihre annäherung an Richter und dessen verhalten ihnen gegenüber gewissenhaft berichtet, dazu kommt noch der misstand, dass er manchmal bei der Schilderung des lebens oder der freunde auch schon auf einzelheiten in Schriften Jean Pauls anspielt, die er selbst noch kaum erwähnt, geschweige kritisch besprochen hat.

Doch vielleicht noch schlimmer als diese nicht immer ge- schickte anordnung des stolfes und diese gleichmäfsige behaud- lung des wichtigsten und des nebensächlichen ist die absicht- lichkeit, mit der IN. jeder historisch-philologischen Untersuchung ausweicht, auf Jean Pauls quellen und Vorbilder einzugehn, lehnt er geradezu ab, auch da, wo er sie kennt oder zu kenneu glaubt, mit der banalen motivierung, dass damit nicht allzu viel gewonnen sei und er dies getrost den philologen, denen es ja so viel freude

190 NERRLICH JEAN PAUL

bereite, überlassen könne (s. 408). wir erfabren daher von ihm nichts über Jean Pauls lillerariscbes verhällnis zu den englischen bumoristen und ihren deutschen schülern, zu Hamann, Hippel, Lichtenberg; ja bei besprecbung der Unsichtbaren löge wird Wielands Agalhon auch nicht mit einer silbe erwähnt, dagegen wird hier und sonst immer wider auf Goethe und etwa auch auf Schiller hingewiesen und namentlich widerholt eine verglei- cbung Jean Pauls mit Goethe versucht, warum denn gerade mit Goethe und nur mit ihm? warum nicht lieber mit andern kleineren geistern, die in ihrem character und schallen verwanter mit Jean Paul waren und bedeutender auf ihn einvvürklen? wenn man uns die allergrösten erscheinungen der litleralurgeschichte darstellen will, erwarten wir allenfalls, dass sie an Goethes grüfse gemessen werden: der biograph Schillers zb. wird ohne eine solche ver- gleichung, zu der ihn überdies das persönliche Verhältnis der beiden dichter nötigt, nicht auskommen; der biograph Jean Pauls aber hätte sie sich in den meisten fällen ersparen können, die Wissenschaft hätte trotz seiner Versicherung des gegenteils zweifellos mehr gewonnen , wenn er etwas genauer den Vorläufern seines autors nachgegangen wäre; bequemer war allerdings der weg, den er eingeschlagen hat. denn hätte er seine aufgäbe mit mehr philologisch -historischem sinn erfasst, so hätte er auch über eine gröfsere detailkeuntnis der lilteratur vor Jean Paul ver- fügen müssen, diese scheint ihm zu fehlen, während er sich in der Philosophie jener zeit einigermafsen umgesehen hat. dadurch wird sein gesichtskreis schliefslich doch beschränkt: er erblickt nur die höchsten gipfel des deutschen geisteslebens, die Jean Paul un)geben; die niedrigeren hügel nimmt er nicht wahr, und doch führt gerade über sie der sicherste weg zu jenem ziele, manches schiefe, manches lückenhafte urteil ist die folge dieser mangel- haften litteraturkennlnis. so wenn N. öfters betont, Jean Paul sei als nachfolger Lessings in die lücke eingetreten, die Schiller und Goethe, indem sie vor dem komischeu halt machten, iu unserer dichtung lielsen. abgesehen davon, dass weder Schiller noch besonders Goethe würklich sich der komischen poesie so sehr enthalten haben, wie man nach N.s worten schliefsen sollte, wie viele miltelglieder liegen zwischen Lessings lustspielen und Richters romanen! nicht minder schief ist es, wenn es s. 67 heifst: 'Jean Pauls polemik findet nur in Lessing ihren Vorgänger, seine satire nur in Erasmus oder Swift', stolze worte, die aber nur ganz unkundige bestechen dürften, genau so wie die behaup- tung auf s. 120, Lessiug habe gerade den unbedeutendsten geg- nern seine glänzendsten triumphe verdankt, waren würklich Gott- sched, Corneille und Voltaire oder Goeze so unbedeutende geg- ner? auch davon kann schwerlich so unbedingt die rede sein, dass Jean Paul 'bahnbrechend der ästhetischen cultur überhaupt' entgegengetreten sei (s. 91), und ganz unrichtig ist es, v\enn W.

NERRLICH JEAN PAUL 191

sagt (p. 457), in der behandlung der romantischen poesie (in der Vorschule der ästhetik) sei Jean Paul 'wider vollständig er selbst' und 'fast ohne einschränkuug bahnbrechend', gerade hier ist er vielmehr recht sehr abhängig von den Iheorien der romantiker selbst; die bahn brachen hier längst vor ihm die beiden Schlegel und die ihnen belreundeten philosophen und dichter, in mancher hinsieht sogar schon Herder und der Ireilich von Hichter im einzelnen bekänipfte Schiller, ebenso bedilrllen N.s aussprilche über die würkungen Jean Pauls öl'ters der berichligung oder wenigstens der eiuschräukung. das gilt zb. von der widerholten bezeichnung Heines als eines nachlolgers Richters und noch mehr von dem satze (s. 535), der letztere modernisiere (in den humoristischen Ver- handlungen mit den planeten, dem nionde und den antiken güttern) diese gülter vollständig, lasse sie wie seine eigenen zeilgenossen reden und sei demnach als Vorgänger OITenbachs anzusehen, wie viele dichter der verschiedensten Völker seit Aristophanes und Lukian verdienten da nicht mit dem gleichen rechte wie Jean Paul diesen namen! die eigentlichen Vorgänger Oireubachs in der deutschen lilteratur wären doch wol eher unter den verlassern komischer erzählungon und burlesker balladen, phantastischer possen und mythologischer Singspiele zu suchen.

Im allgemeinen macht sich der mangel an litterargeschicht- licher detailkenntnis uaturgemäfs mehr bei der belrachtung der früheren werke Jean Pauls gellend, weil hier der angehende Schriftsteller noch unselbständiger an die vorliegende lilteratur anknüpfte, je eigenartiger und unabhängiger Richter von jähr zu jähr wird, desto eher mag man sich mit N.s verzieht auf den nachweis seiner lilterarischen quellen zufrieden geben, zumal da der vf. dankenswerter weise es nicht ebenso trotzig verschmäht hat, die biographischen anregungen für Jean Pauls werke aufzudecken, in einigen fällen hat er sogar seinen absehen vor der philologischen läligkeit überwunden und fleifsig die verschiednen ausgaben einer Schrift Jean Pauls verglichen, um dann, doch ja nur in bausch und bogen , sein urteil über die textesveränderungen abzugeben, aber das sind ausnahmen, und vollends, weun es sich nicht um Jean Paul selbst handelt, kümmert sich N. um solche handlanger- arbeiten der geschichtsforschung nicht, da redet er über Herders wUrkeu für die deutsche Wissenschaft und kunst, als ob dieser ungemein bewegliche geist während fast vierzig jähren nie eine Wandlung durchgemacht hätte, oder über Goethes Verhältnis zum Christentum, als ob dies nicht in verschiednen perioden seines lebens ein ganz verschiednes gewesen wäre, und stellt s. 259 alle Chronologie auf den köpf, indem er zuerst von dem eindruck des Oberon auf Goethe berichtet und dann fortfährt: 'es folgten hierauf Götter, beiden und VVieland'ü als gegner aller philo- logischen sitte hat IN. sein buch auch mit keiner angäbe seiner quellen und hilfsmitlel und der doch immerhin stattlichen vor-

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arbeiten älterer forscher, ja nicht einmal mit einem regisler be- lastet und dadurch den praktischen gebrauch des werkes ganz aufserordenllich erschwert,

N.s nionographie ist die l'rucht langjähriger arbeit, deren red- lichen ernst und eiler kein verständiger leugnen wird, aus der wir alle auch manches lernen können, aber im wesentlichen konnten wir dasselbe schon aus seiner einleitung zu Jean Paul in Kürschners Deutscher nationallitteratur lernen; nur war hier alles kürzer gefasst, aber auch lebensvoller dargestellt, die ein- seiligkeiten und lücken seiner anschauung traten weniger hervor, dass sein gröfseres werk jene kurze einleitung an wert und würkung nicht nur nicht übertrifft, sondern sogar weit hinter ihr zurückbleibt, daran ist einzig N.s lust an überflüssiger polemik und seine verfehlte methode mit ihrer geflissentlichen liintan- setzung der erforderlichen philologischen Studien schuld. München, im mai 1893. Franz Müncker.

Geschichte der Wiener Journalistik, ein beitrag zur deutschen culturge- schichte, von E.V. Zenker. 2 bd. : das jähr 1848 (a.u. d. t: Geschichte der Wiener Journalistik während des jalires 1848). Wien und Leipzig, WBraumüUer, 1893. xi u. 159 ss. 8" 4 m.

Zenker hat dem ersten bände seiner Geschichte der Wiener Journalistik sehr rasch einen zweiten folgen lassen, ungefähr denselben räum , den er der zeitschriftstellerei Wiens von ihren anfangen bis zum jähre 1848 widmete, nimmt jetzt tlie Journalistik des revolutionsjahres allein in anspruch. natürlich kommt diese starke Veränderung der oekonomie des buches der sache selbst zu gute, im ersten bände vermisste ich schmerzlich eine indi- vidualisierende characteristik der einzelnen Zeitschriften und zeit- schriftengruppen; jetzt treten Journalisten und Journale klarer und schärfer umrissen aus dem gesamtbilde hervor, nicht nur die rolle, die dieser oder jener redacteur spielte, auch die eut- wicklung, die einzelne blätter genommen haben, wird in raschen und sicheren strichen gekennzeichnet, die composition der ganzen darstellung ist mit unleugbarem schriftstellerischen geschick an- gelegt, bietet ja doch der slolf an sich schon einen aufbau von fast dramatischer bewegung, aufsteigend bis zu einem höhepuncte und in tragischem abstiege zur katastrophe hineilend. Z. legt auch auf die haltepuncte dieser Wandlungen starke accente und bietet die besten mittel seines talentes auf, dem dramatisch ge- ordneten Stoffe dramatische würkungen zu entlocken und einen stilistisch kräftigen abschluss zu gewinnen, als einheitlich durch- componierle schriftstellerische leistung steht der zweite band ohne zweifei hoch über dem ersten.

Allerdings war die Vorarbeit dieses mal weit leichter, das malerial lag bereit, und Z. konnte seine ganze kraft der stilisti-

ZE.NKEK GESCHICUTE DER WIENER JOURNALISTIK 193

sehen ausgestallung zuwenden, er erliebt selbst nicht eleu au- spiuch, stolTlich neues vorzulegen, und meint, das in haron llelferls buche (Die Wiener Journalistik im jähre 1848. Wien 1877) geholene material könne nicht wesenllich vermehrt werden, talsächlich hantiert Z. nur mit denj Werkzeuge, das er von Ilelferl übernommen hat; insbesondere ist das der darslellung am Schlüsse angefügte Verzeichnis der Wiener Zeitungen des revolutionsjahres nur eine in andre reihenfolge gebrachte widergabe der Ilellerl- schen bibliographic, die ihrerseits in Wincklers Periodischer presse Österreichs (in 17 IT) einen wegebahnenden Vorläufer halle, ob die von Z. gewählte anorduung brauchbarer und übersichllicher ist als llelferls disposition, inüchte ich nicht entscheiden, jedes- falls nmss der forscher auch in Zukunft sich an llelferls genauere und delaillierlere angaben hallen, ich belrachte es deshalb auch als zwecklos, an dieser stelle nachtrage zu Z.s Verzeichnis zu geben; denn solche nachtrage mUslen bei Ilelferl einsetzen. Z. macht ja ohnedies gar keine ansprüche bibliographischer arl. und um nicht von vornherein ungerecht zu werden , muss der kriliker sich doch auf den standpunct des aulors stellen, wenn freilich schon von dieser seile das büchlein dem liUerarhistoriker keine anknüpfung gewährt, so verbietet der gesichlspunct, von dem aus der darslellende teil gearbeitet ist, vollends mir jedes wort der kritik. 'eine geschichte der revolutionären Journalistik fällt fast mit einer geschichte der revolution selbst zusammen', meint Z. (s. 6). von dieser these ausgehend schreibt er eine reltung der revolution vom jähre 1848 und ihrer publicistischen Vertreter, mir dünkt es ein anerkennenswertes Zeugnis für Z.s journalistische begabung, dass es ihm gelungen ist, mit dem von Ilelferl zurechtgelegten materiale ein buch zu schreiben, das puncl für punct gegen Helferls darslellung polemisiert, die do- cumenle und die talsachen , die Helfen zusammentrug, finden durch Z. eine kaum nennenswerte bereicherung '; und doch ge- stalten sich dieselben documente und talsachen unter Z.s band zu einer apologie, die, ohne Helferls namen zu nennen, gegen den conservaliven geschichlschreiber der revolution scharf pole- misiert; scharf, und nicht immer in gewählter form, einzelne Avendungen, wie 'geschichtschreibender hofralsohn' (s. 24) drücken den slil eines ernstgedachten buches auf das niveau von pam- phleten herab.

Wer recht hat, ob Z. oder Ilelferl, das kann nur der histo- riker entscheiden. Z. spielt seine ganze arbeit ins historische hinüber, und er ficht nicht so sehr für die Journalisten der revo-

* was Z. hinzutui, lag meist sehr nahe, dh. in den landläufigen dar- Stellungen des revoiutionsjahres, zur hand. die arbeiterfrage der zeit, die Z. schon in der Wiener iJeutscIien zeitung 1892, nr 72S4 beliandelte, zieht er (s. 44 u. ö.) in die darslellung hinein, aber wie viel material ist seit 1877 zugewachsen!

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liiliou, wie viclmelir für die ri'volulion der journalisleii. icli luuss mich auf das subjeclive urleil beschränken, dass neben Helferts kühler und zurückhaltender darstellung Z.s temperament- voller, aber zuweilen allzu eifriger reltungsversuch den ton einer anlikritischen streilschrifl annimmt. Ilelfert, der von vornherein den revolutionsjournalisleu nicht wol gesinnt ist, weifs doch besser beiden teilen gerecht zu werden als Z. die unablässigen angrilTe, die Z. gegen OFBerg, Sebastian Brunner, Quirin Endlich richtet, zeigen weit mehr den einseitigen parteimann als den historisch denkenden und historisch urteilenden forscher, wenn Z. vollends gegen antirevolutionäre blätter, wie gegen die 'Geifsel' (s. 911) ein ganzes lexikon von journalistischen koseworten (ca- tilinarische berühmtheit, galligstes nadererlum, ignorante bierbank- raisonneure usw.) loslässt, so lerne ich aus Helferts wolwollender referierender darlegung viel mehr und fühle mich zugleich einem tiefer eindringenden historischen Verständnis gegenüber.

Überhaupt bleibt Z. nicht aller sophistik fern; seine apologie kommt über die aussclireitungen der letzten phase revolutionärer Journalistik, über die Zeitungen der octoberrevolution nicht hin- weg, und obwol er (s. 771) in sehr glücklichen und sehr tref- fenden Worten diese letzte phase erklärt, kann dem schärfer zu- sehenden äuge nicht verborgen bleiben, dass er tatsächlich eine auseinandersetzung über diese letzte phase escamotiert, um den gesamteindruck günstiger zu machen, über historische tatsacheu lässt sich nicht mit einer wendung weggleilen, mag sie auch so selbstbewust lauten wie Z.s ausspruch: 'die haltung der Wiener presse vom mai bis october hat für den , der nicht das haupt- gewichl in ihre sogenannten 'bedauerlichen ausschreitungen' legt, das lebhafte iuteresse verloren'.

Ich glaube nicht zu viel zu sagen, wenn ich behaupte: aus der ganzen geschickten apologie Z.s wird der fachmann wenig lernen; denn seine stark subjectiv gefärbte widergabe bekannten materiales kann interessieren, kann den gleichgesinnten fesseln, den gegner zu Widerspruch reizen, aber würklich neues schaflt sie nicht, sie bewegt sich nur in negationen , sie liefert keine neuen ideen.

Nur an zwei beispielen soll noch gezeigt werden , dass Z. über negation nicht hinauskommt, er will Leopold Hafner retten, den heiausgeber der 'Constitution', und er will die presse von dem vorwürfe rein waschen, den mord des kriegsministers Latour veranlasst zu haben, beide nachweise (s. 25 ff und s. 10811) spitzen sich schliefslich auf eine methodisch nicht berechtigte negation zu. Hafner soll am 18 mai bei seinem angeblichen Putschversuche das programm eines radicalen ministeriums ver- teilt haben ; so melden zeitgenössische Schriftsteller, dieselbe quelle weils zu berichten, dass ein flugblatt den entscheidenden anstofs zum morde Latours gab. Z. bemerkt (s. 118 n.2): 'obwol ich

ZENKEK GESCHICHTE DEU \\IEi>En JOUR>ALISTIK 195

tausende von lliigscliriften, placaten usw. aus dem jähr 1848 Stück für stück (iurcliblätterl habe, konnte ich weder dieses bhitt noch jene vorher erwähnte candidatenhsle Hälners finden', hat diese beweisführung etwas zwingendes? weil Z. zwei llugschrilten nicht finden kann, soll alles ganz anders sicii verhalten, als man bisher geglaubt? ich niuss geradezu heraussagen, dass ich auch hier nur einen irreführenden stilistischen knilT Z.s sehe, warum sollen überhaupt die problematischen flugschriften eine so be- deutende rolle spielen? seine darstellung Hafners geht nicht einen schritt über bekannte tatsachcn hinaus; denn die 'authenti- schen belege' lür Hafners biographie, die sich (nach s. 25 nr 1) in Z.s bänden befinden sollen, hat er nicht benutzt, was er erzählt, steht mit andern Worten, aber wesentlich gleichen inhaltes auch bei Helfert. ich sehe auch nach seiner darstellung nicht, warum Hälners Putschversuch kein Putschversuch gewesen sein soll, und in der LatouraiTaire berührt Z.s apologie der presse sehr sonderbar, hält man folgenden satz neben sie: 'fest steht, dass die Wiener Journale gegen Latour tatsachen vorbrachten, welche allerdings geeignet waren, ihn in der ölfentlichen mei- nung arg zu compromittieren, ja sogar den hass der bevölkerung gegen ihn wachzurufen' (s. 117). heilst das nicht mit eigner band die ganze apologie über den häufen werfen?

Ich muste ausführlich sein; denn ich wollte zeigen, dass Z.s ganzes stilistisches gebäude näherer prüfung nicht stand hält, ich gestehe ihm gern grofses geschick journalistischer dialektik zu; aber seine stilistischen kunststückchen reichen doch nicht aus. fatal, sehr fatal ists auch, dass ein buch, dessen hauptwert stilistischer art ist, durch stilistische Undinge entstellt ist, wie: 'ein Vorfall, wo ein bürger war verhaftet worden' (s. 90); das wort 'purblank' (s. 85) scheint lieblingswendung Z.s zu sein ^. Wien, august 1893. Oskar F. Walzel.

Die sage vom ewigen Juden, untersucht von dr L. Neubaur. zweite durch neue mitteilungen vermehrte ausgäbe. Leipzig, JCHinrichs, 1893. vi, 132 und 24 ss. 3 m.

Diese neue ausgäbe ist in ihrem hauptteile nur eine titelauflage der ersten aus d. j. 1884, vermehrt durch einen besonders pagi- nierten und niit besonderem titelblatt versehenen anhang, der auch selbständig als 'Neue mitteilungen über die sage vom ewigen Juden von dr LNeubaur. Leipzig 1893' erschienen ist. es hat dies für die besitzer der ersten aufläge natürlich grofsen vorteil, für alle andern aber den nachteil, dass sie sich das in der zwi-

^ an druckfehlern bemerke ich: s. 18 z. 11: '1872' für '1842'; s. 42 z. 8 V. u. uö. 'Eudlich' für 'Endlich'; s. 107 z. 13 'wähiereien' für 'Wüh- lereien'; s. 121 nr 1 z. 2 heifst Peliicos buch: '1 mei prisoni'!

13*

196 NEÜBAL'R SAGE VOM EWIGEN JUDEN

schenzeit oiclit unbelrächUich angewachsene material durch hin- iiud herhiättern in den gröfsern Zusammenhang mühsam einreihen müssen.

Der hauplwert der abhandlung besteht in der umsiclitigen Sammlung des weitschichtigen und teilweise schwer zu heschaileD- den malerials', weniger in den helrachtungcn über die entstehung der sage, in denen sich N. ganz an GParis anschliefst, obwol mir dessen resultate nicht über allen Zweifel erhaben scheinen wollen, vor allem ist mir die deutung des namens Cartaphilus als v.äqxa (fl).og (der sehr liebe di. der lieblingsjünger Johannes) unwahrscheinlich wegen der Seltenheit des nagra, das dem ge- wöhnlichen sprachgebrauche späterer zeit wol ganz fremd war; näher schiene mir die deutung aus xagri]? u"^' (pUog zu liegen: der papierliebhaber di. der schriftgelehrte, pharisäer. dass er im dienste des Pilatus gedacht wird, verschlägt nicht, und wir müssen ihn uns darum nicht mit Bertheau (in Herzogs Realencyclopädie) als beiden denken: in diese Stellung kommt er einfach als feind Christi, wie anderwärts auch Judas (d'Ancona La leggenda di Giuda p. 67. 88) als Pilati diener auftritt, endlich aber ist es mir unwahrscheinlich, dass die gestalt jenes Joseph Cartaphilus aus der des Johannes und des Malchus verquickt sein soll, eine Vermischung zweier so entgegengesetzter gestalten, des besten freundes und des todfeindes, wird an und für sich schwer an- zunehmen sein, etwas ganz anderes ist die später eintretende Vermischung des ewigen Juden mit Malchus: wenn diese figur einmal geschaffen war, so stand ihr natürlich keine näher als die jenes andern, der der sage nach deü herrn ins gesiebt ge- schlagen haben sollte 2. aufserdem sind die sagen von Malchus spät bezeugt, und seine ursprüngliche strafe unterscheidet sich in einem wesentlichen stücke von der des Cartaphilus: sie ist nämlich eine wirkliche marter, ähnlich der der verdammten im Tartarus, während die des Cartaphilus ganz ohne eine besondere peinigung in sich zu schliefsen , blofs im ewigen leben besteht, wir werden hier unwillkürlich zu der frage gedrängt, welches Volkes anschauungen sie denn entspricht, diese strafe mit ewigem leben, das sich sehnt in die Vernichtung einzugehn. wenn wir jenem ältesten berichte, wonach Joseph nach je 100 jähren in eine krankheit verfällt, die ihn dem tode nahe bringt, das um- gehängte mäntelchen etwa zurückzuschlagen versuchen und ihn nicht nur dem tode nahe sein, sondern würklich sterben lassen, aber in der weise, dass er aus diesem tode immer wider zu er- neuter existenz erwacht , weil ihm zur strafe für eine schwere Sünde das eingehn in die nichtexistenz versagt ist, so stehn

' als eigänzuiig ist die im Gentralbl. f. bibliolhekswesen 10, 249 267. 297 316 erschienene sehr reichhaltige 'Bibliographie der sage vom ewigen Juden' vom selben verf. zu betracliten.

* s. jetzt auch Creizenach Gesch. des neueren dramas i 192.

NEIJBAUR SAGE VOM EWIGE.N JUDEN 197

wir mitten im Buddhismus drin, dass sich die gegoer des Buddha zb. Devadalta an dem erlöser tiillich vergreifen und dann dafür gestraft werden, ist ein häutig widerkehrender zug. gewöhnhch werden sie gleich der rotte Korahs von der erde verschlungen: eine strafe gleich der des ewigen Juden zu belegen, ist mir nicht gelungen 1; doch liegt der gegenständ meinem sonstigen arbeits- kreis zu fern, als dass ich darum an der wahrscheiuliclikeit, dass es andern gelingen werde, verzweifeln sollte, dass derartige einÖüsse Indiens auf die vorderasiatische sagenweit anzunehmen sind, daran kann seit der autdeckuug der quelle filr den Barlaam nicht mehr gezweifelt werden.

Die Ahasverusfassung scheint mir GParis richtig auf Matthaeus Parisiensis zurückgeführt zu haben; hingegen ist vvol kein ge- nügender grund vorhanden, mit N, einfluss der erzählung von Jan Aerts anzunehmen, der name Ahasverus wird sich schwer als der des biblischen königs erklären lassen; eher haben wir an irgend einen legendenwülerich des namens zu denken wie etwa an den vater der h. Juliana, der seine tochler um ihres Christentums willen mit fufsstöfsen tractiert. erwähnen will ich nur, dass der Ahasverus des buches Esther auf Christus selbst gedeutet wird (zb. Germanist. Studien i 289 z. 1947 f), ohne na- türlich zu meinen, dass daraus irgend ein schluss gezogen wer- den könnte.

Unter den verschiedenen noch gangbaren volksüberlieferuugen vom ewigen Juden sind vor allem die der Schweiz interessant. N. fuhrt s. 14 des anhangs die von der entstehung des Gelmersees auf der Grimsel nach dem Schweiz, idiot. i 609 an, bezieht aber lälschlich (las citat 'VValliser sagen, Sitten 1872, s. 95' darauf, diese sage tindet sich vielmehr meines wissens zuerst in den Alpenrosen 1827 s. 357: der see führt immer warmes wasser und ist entstanden aus den thränen Ahasvers, die er darüber weinte, dass er zum dritten mal widerkehrend, die alp im jetzigen zustande getrolfen hat; denn einstmals war hier blühendes land, und auch als er das zweite mal durchkam, war noch ein statt- licher wald da gestanden, und wenn er zum vierten mal wider- kehrt, wird alles vom Brienzer see bis ins Wallis 6in gletscher sein, diese form der sage ist hübsch behandelt von dem hol- ländischen dichter Nieveldt (Ahasverus. Nieuwe phantasien door CvanNieveldt. Leiden, SCDoesburgh, 1884). die citierte Walliser sage gibt vielmehr nur eine ausführlichere form der aus den deutschen sagen der brüder Grimm bekannten erzählung (nr344). sie hat mit der ersten den zug gemein, dass der Jude dreimal widerkehrt und jedesmal das Bild der landschafl zum schlech-

* docli vgl. Jätaka Mala 19, wo sicti der Buddha als Brahmine an dem dieb seiner mahlzeit in einer von dem betroffenen als schwere strafe em- pfundenen weise rächt, indem er ihm 'all worldly enjoyments' wünscht (Journal of the royal asiatic society 1893, p. 318. 328).

198 NEÜBAUR SAGE VOM EWIGEN JUDEN

leren verändert findet, dasselbe in den beiden aus Vernaleken an- geführten sagen und aufserdem in zwei andern fassungen: Wailiser sagen 198; CPfyffer Der kanlon Luzern i 242. die ahnliclikeil dieser Schweizer sagen mit dem Rückerischen gedieht von Chidher ist schon Gölzinger (Deutsche dicliter ii, nachtr. s. 96) aufgelallen. wenn er aber meint, dass Rückert 'natürlich' eine orientalische quelle gehabt habe, so spricht er wol nur eine nahe liegende Vermutung aus, da er sonst eine genauere angäbe gemacht hätte: trotzdem ich in verschiedenen korancommeutaren (zur 18 sure), in Herbelots Biblioth^que Orientale, bei Elbe Alexanders zug zum lebensquell (Sitzungsber. d. k. bayr. akad. 1871) nachsuchte und aufserdem die hilfe befreundeter Orientalisten in anspruch nahm, ist es mir nicht gelungen, die quelle aufzufinden, es wäre der mühe wert dem näher nachzugehn.

Bern, 22 april 1893. S. Singer.

Litter ATDRNOTiZEN.

Festgrufs an herrn geh. regierungsrat professor dr Karl Weinhold zum 70slen geburlstage am 26 october 1893. briefe FHvdHageos an ChrGHeyue(1805-18l2) und an GFBenecke (1810-1820) heraus- gegeben von Karl Dziatzko. Leipzig, MSpirgatis in comm., 1893. (iv u.) 36 SS. gr. S^. 2 m. 'dieser mann kommt mir vor wie ein taschenspieler, der alle seine stücke mit sonderbarer geschwin- digkeit zu machen vveifs' urteilte der freiherr von Lassberg über Friedrich Heinrich vdHagen (Briefwechsel mit Uhland s. 63). auch der vorliegende, für die geschichte der deutschen philologie interes- sante, aus den acten der Güttinger bibliothek geschöpfte und in 150 exemplaren abgezogene Festgrufs spiegelt aller orten die yzokv7iQay/.ioovvi] und die schuellfertigkeit des manues wider, er zeigt ihn aber noch von einer andern nicht minder unvorteil- haften Seite, eine reihe der seltensten bücher sind Hagen auf sein ansuchen durch die gefälligkeit des damaligen oberbiblio- thekars Heyne nach und nach übersandt worden : ihren empfang bestätigt er erst verspätet, die rücklieferungstermine hält er nicht ein, niahubriefe beantwortet er mit leeren ausreden, das ihm dargeliehene exemplar von Björners Nordiska kämpa dater war durch den Wassertransport von Berlin nach Breslau so verdorben worden, dass er es nicht zurückzugeben wagt; zwar verspricht er es durch ein anderes ersetzen zu wollen, das denn auch nach verlauf von mehr als zwei jähren würklich in den besitz der bibliothek gelangte, cbaracteristisch ist aber die nonchalance, mit der er sein verschulden beschönigt: 'dergleichen ist ja wol eher geschehen, ohne dass ein grofs aufsehens davon gemacht worden', den alten druck des Heldenbuches von c. 1477 (für seine pro- venienz bringt übrigens Dziatzko s. 16 a. 5 eine neue notiz bei)

DZIATZKO BRIKFE VON DER HAGENS AN HEYNE 199

behält er von 1807 bis 1820, und die ihm anvertraute Syvsche aus- gäbe der Dauske viser von 1095 bat er überhaupt uicht zurück- gestellt, sodass sie noch jetzt in Gottiogen vermisst wird, solchen rücksichtslosigkeiten gegenüber niiiss man wahrlich die nachsieht und geduld der bibliotheksbeamten bewundern. im einzelnen merke ich folgende kleinigkeiten an. das von Heynes band auf den briefen m und vii vermerkte fi/9 und /?/5 (s. 12 a. 2) bedeutet klärlicli Respondi (am neunten resp. fünften desselben monats). s. 16 a. 4 kann 'vermutlich' fortfallen: es ist unzwellelbaft der aesthetiker VVHVVackeuroder gemeint, s. Kochs Compendium 2, in. was unter Rassmanns arbeit s. 28 mitte zu verslehn sei, lehren vdHagens MS iv 897''. der grufs an die brüder Grinun und der dank für ihre briefe s. 35 bezieht sich wahrscheinlich auf das von mir Anz. xi 96 verüffentlichle schreiben Jacobs, auf der gleichen seite hätte 'Otnit' nicht in 'Ortuit' geändert werden sollen: denn der ersteren form bediente sich Hagen damals noch im einklang mit dem gemeinen texte des gedichtes. St.

Die alten vülker, gaue und ansiedlungen im heutigen lande Gotha, ein Thüringbuch von Karl Lerp. mit zwei anhängen: Die gräber- funde im gothaischen und Die gefälschten Reinhardsbrunner Ur- kunden. Gotha, Windaus, 1892. (iv) u. 158 ss. 4^. mit einer karte. 3 m. ein wunderliches buch, eingegeben von verehrungs- würdiger liebe zur heimat, ihren bewohuern und ihrer geschichle, aber durchaus ungeeignet, wissenschaftlicher kritik unterbreitet zu werden, in der heute längst überwundenen weise früherer localhistorie ist aus wenigen einst mehr oder minder berühmten, jetzt aber veralteten werken und einigen verfehlten abhaudluugen der localen Specialforschung ein neues bUchleiu entstanden, durch- zogen von humoristischen plaudereien und excursen aus des Ver- fassers eigenen erlebnissen. der löwenanteil lallt den 'alten Völkern' zu, während 'gaue' und namentlich 'ansiedeluugen' kurz abgemacht werden. Kelten, Hermunduren, Thüringe, Franken, Slawen sind die Stichworte der ethnographisch zusammengefassten capitel, die sich mehr mit den urgeschichtlichen zuständen als den ereig- nissen Thüringens befassen, es ist unmöglich, auf eine ernste kritik dieser abschnitte oder gar der einzelheiten näher einzugehn; denn leider fehlt es L. durchaus an geschichtlichem sinn, also auch an Urteilsfähigkeit, wo es sich um die ergebnisse früherer forschung handelt, noch mehr aber an jenen allernötigstcn kennl- nissen, ohne die seine aufgäbe nicht erfüllt werden kann, nament- lich die beiden capp. über die keltische und die Hermundurenzeit strotzen von Irrtümern und Unklarheiten, so dass auch nur ein durchlliegen des inhalls eine geduldprobe ist, die wenige fach- männische leser bestehn dürften, es genügt, wenn ich mitteile, dass L., der auf sprachlicliem gebiete wegen mangels jeglicher Vorkenntnisse allen dilettantischen ausgeburten zum opfer lallt, im keltischen auf Radlof, Cuno, Mehlis, vor allem aber auf Mone

200 I.ERP VÜLKER GAUE Ü.ND ANSIEDLUNGEN IN GOTHA

schwört, um eine beliebig berausgegriffene probe von der art des buches zu geben , setze ich die stelle her, wo die erkliirung des namens 'Hermunduren' gegeben wird. L. führt zunächst aus, dass sich 'Düren merkwürdigerweise in allen Kellenländern' gefunden hätten, wie Octoduren im lande der Veragren : so auch in vorgermanischer zeit keltische 'Düren' im Thüringorland. 'die Deutschen kamen, siegten und nannten sich nach dem unter- worfenen, nun ihrem neuen heimatlande', 'und dem deutschen obre muste Düren wie ihr altnordisches thoran klingen (nach Zeuss). da mochten sie sofort denken: nennt ihr Kelten euch Düren di. 'kühne' (thoran), gut, so nennen wir, eure besieger, uns erst recht die kühnen: die ermm dnren, die gar kühnen'. L. meint dann weiter, dass von den Hermunduren teile nach Süd- westdeutschland gelangt wären, die Tulingi Caesars, ebenso andere nach Nordvvestdeutschland, die Tungri. letztere 'waren so be- scheiden gewesen und rücksichtsvoll, den gastfreundlichen Beigen gegenüber, dass sie alsbald und ohne weiteres ihr hermun [im namen Hermunduren] fahren liefsen', 'womit zu prahlen ihrem character ohnehin fern lag', 'das in hermun liegende vae victis konnte naturgemäfs nur da sinn und geltung haben, wo es be- siegle gab'. G. KossiNNA. Dr EJessens 'Forsmaedelige Skandale', et lidet indiseg for den nye retskrivning. af H. S. Vodskov. Kjebenhavn, Lehmann & Stage, 1890. 101 SS. S'^. V. verteidigt die neue, vom dänischen cultusministerium vorgeschriebene Orthographie gegen die eben so mafslosen wie törichten angriffe, welche die regeln ini j. 1889 von Bille und Jessen erfahren haben, in fesselnder, lichtvoller darstellung zeigt er, wie die bestimmuugen allen anforderungen entsprechen, die vernünftigerweise an eine weder zu einseitig phonetische, noch zu conservativ historische schrift gestellt werden können, mit reichlichen beispielen, besonders aus Holbergs werken, wird der allmälige fortschritt der Orthographie nachgewiesen und in einem paragraph für paragraph besprechenden commentar zu den ministeriellen Verordnungen im einzelnen das unberechtigte jener Verunglimpfungen an den tag gelegt, von allgemeinetem interesse sind die ausführungen s. 21 ff über die vier hauptfor- derungen, die V. an eine gute Schreibung stellt, nämlich 1. dass sie deutlich sei und das wortbild möglichst bewahre, daher güd gödt, nicht got oi\ev gaat, folge fnlgte, n'ichl fulte; 2. dass sie sich schnell und leicht lesen und schreiben lasse, daher stumme und überflüssige buchstaben zu tilgen (tak für tack), soweit sich das mit regel 1 vereinigen lässt; 3. dass die lautzeichen constant seien, dh. dass ohne beeinträchtigung des etymologischen Zusammen- hanges möglichst derselbe laut auch dasselbe zeichen habe, daher zl). aar aarsag, nicht orsag wie früher; 4. dass sie Verwechs- lungen ausschliefse, daher beibebaltung des slunnueu d in vmd gegenüber vJn.

VODSKOV JESSE^S FORSUAEDELIGE SKANDALE 201

Ob aber docb nicht in Zukunft die orthographischen regeln für (He verschiedenen sprachen noch viel mehr gewicht auf mög- lichst phonetische Schreibung legen sollten, als bisher und als V. es für gut findet? und zwar wäre dies im interesse der schule m. e. dringend zu wünschen, besonders da man heute mit recht immer mehr auf enllastung der lernenden Jugend von blofsem gedächtniskram bedacht ist. wol ist die neue dänische Orthographie in ihrer art viel consequenter, als unsere von V. übrigens lobend erwähnte vRaumer-Puttkamersche, aber sie behält ebenso überllüssig zb. das h in hjort neben jord, hvad neben vade bei, obwol der anlaut ganz gleich ist, wie unsre deutsche uns vater neben fahrie, wir neben ihi^ und hier treulich weiter zu führen gebietet, holfenllich wird aber die neue Verordnung dem bestehnden orthographischen Wirrwarr in Dänemark nun ein ende bereiten, einem unleidlichen zustande, der sich besonders bei der benutzung des Wörterbuches dem ausländer fühlbar machte, man konnte ja zb. nicht mehr wissen, ob man ein wort unter ke-, koß-, ko- oder unter kje-, kj'ce-, kjo- (und ebenso bei g-) nach- schlagen sollte, und das aufsuchen war um so mühsamer und zeitraubender, als die zeichen CB, o in den skand. sprachen ja am ende des alphabels stehn. derselbe übelstand bestand bei dem fortwährenden schwanken der drucker zwischen CB und e. das genannte j ist nun ja glücklich getilgt, und für den Wechsel von tc und e sind wenigstens auch regeln aufgestellt worden.

Nur in drei puncten kann sich V. der reform nicht an- schliefsen : er verwirft die aus phonetischen gründen neuerdings gemachte Scheidung von ö und o, die das ministerium zwar nicht vorschreibt, aber in den Schulbüchern durchführen lässt; ferner spricht er sich gegen die worltreunung nach ableitungs- und flexionsendungeu statt silben aus, weil einmal in vielen fällen eine entscheidung wegen gleichberechtigter doppelformen (sA*oy-e« neben sko-ven usw.) überhaupt nicht möglicli ist, und dann weil sie dem natürlichen gefUhl für trennung nach spracbsilben zuwider läuft und ein beständiges nachdenken erfordert; endlich äufsert er, trotz vdRecke, starke zweifei an der uolwendigkeit, die grofsen anfangs- buchstaben für substantiva beizubehalten.

Ich empfehle das nicht blofs n)it gelehrsamkeit und methode, sondern auch mit witz und laune geschriebene büchlein der auf- merksamkeit der dänisch lesenden fachgenossen.

Giefsen, juni 1893. Ferd. Holthausen.

Braunschweigische Schulordnungen von den ältesten Zeilen bis zum j. 182S mit einleitung, anmerkuugen, glossar und register, heraus- gegeben von prof. d. dr Fbiedricii Koi.dewey. zweiler band: Schul- ordnungen des herzogtums Braunscbweig (mit ausschluss der haupt- stadt des landes). [Monumenta Gern)aniae paedagogica, herausgeg. von KarlKeurbacu. bdvni.] Berlin, AHoth)ann u.Comp., 1890. [xn] cxcv und 810 SS. gr. 8''. 24 m. Koldewey beschliefst mit diesem

2l>2 KOLDEWFA BRAUNSCBWEIGISCUE SCHÜLORDNÜiNGEIS II

bände die hraunscliweigischen Schulordnungen, deren erster teil die Sammlung der Mon. Germ. paed, eröffnet halle und in diesem Anz. xui 121 besprochen worden ist. die Verteilung der docu- nienle geschah so, dass der 1 bd die der Stadt Braunschweig an- gehörigen denkmäler, der 2 bd die übrigen des herzoglums um- fassl. die einieilung des letzteren konnte daher mit rückheziohung auf das früher milgeleille ein zusammenhiingendes und in den bauptzügen vollständiges bild der enlwicklung des Schulwesens geben, ihr erster die zeit bis zu beginn der reformation behan- delnder abschnitt bat von kloster-, pfarr- und Stadtschulen zu sprechen. ül)er die beiden ersten kategorien war aus alterer zeit wenig talsachliches beizubringen, das meiste aus capilularien und concilsbeschlüssen zu ermitteln, die dramen der Hrotsviih finden ihrer paedagogischen absiebten wegen den ihnen gebührenden platz; einen nachklang ihres würkens beobachte man in der Klosterordnung des herzogs August 1655, s. 174, 24 ff. im cap. 'Stadtschulen' sind die Vorgänge bei gründung der ältesten brauo- schweigischen Stadtschule in Helmstedt 1248 bemerkenswert, aus dem zweiten vom beginn der reformation bis zum aussterben des mittleren hauses Braunschweig-WoU'enbültel 1634 reichenden ab- schnitt mache ich auf die Kirchenorduung des herzogs Julius 1569 aufmerksam, welche insofern für die geschichle der Schriftsprache wichtig ist, als sie ganze stücke wörtlich aus der würtembergischen kirchenorduung des herzogs Christoph 1559 herübernimmt, jedoch unter anpassung an norddeutschen Sprachgebrauch und mit er- setzuug speciell süddeutscher Wörter (vgl. xlvi). auch die abgren- zung der folgenden vier abschnitte ist den regierungszeiten der berscher entnommen, ohne dass jedesmal mit einer bestimmten Persönlichkeit sich so entscheidende neugeslaltuugen des Schul- wesens verbunden hätten, wie etwa bei herzog Julius durch seine kirchen- und Schulordnung, das letzte cap. reicht von der west- fälischen zeit bis 1828, bis zu den ersten reifeprüfungsordnungen. weitbin sichtbare marksteine der entvvicklung sind unter den mit- geteilten deukmälern die bereits genannte Verordnung des herzogs Julius, in der die reformatorischen tendenzen voll zum aus- druck kommen, die Schulordnung des herzogs August 1651, die sich ausdrücklich als eine reaction gegen den im laufe des dreifsig- jährigen kriegs eingetretenen geistigen niedergang kundgibt (ich hebe die culturhistorisch interessanten ausführungen über die sociale Stellung des lehrstandes s. 148 f hervor), und das grofse der aufklärungszeit entsprungene in der Landschulordnung von 1753 vorliegende orgauisationswerk. in seiner richtuug bewegt sich noch die Ordnung des philologisch -paedagogischen instiluts zu Helmstedt, die einen interessanten Seitenblick auf die geniezeit enthält, wenn sie (s. 469) sagt: 'Z>?e hildung des herzcns wird auf die aufklärung des Verstandes, auf religion . . . gegründet, diese hilfsmittel und triebfedern geben allein eine wahre, dauerhafte, des

KOLDEWEY BRAUNSCHWEIGISCHE SCHÜLORDiSUNGEN II 203

vernünftigen menschen loürdige moraUtät, dahingegen die jetzt ein- reifsende überspannnng der empfindsmnkeit ebenso leicht die ent- gegengesetzte wiirkuug haben kann , . .'

Deutsclier Unterricht, soweit er im lesen- unil schreibenlernen steckte, ist zuerst nur an den elemenlarschulen zu finden; die Schulordnung von 1651 nimmt ausdrücklich auf den gegensatz zwi- schen dem deutsch der lehre und der ^nidersdchsischen oder brnn- swygischen spräche' rilcksicht (s. 151). in den mittleren schulen ist das deutsche dement längere zeit nur durch Luthers Cate- chismus und einige gotlesdienstliche gesänge und lesungen ver- treten (s. 128 f, 364 1' merke man die anfange deutscher kirchen- lieder und vgl. die anmm. K.s dazu), sodass hier der reformierte gottesdienst allein träger des deutschen ist. der erste lehrplan, in welchem dem deutschen fachmäfsige aufmerksan)keit geschenkt wird, ist der Lectionsplan der klosterschule zu Marienthal 1742, s. 290: (zweimal wöchentlich von 1 2 nachmittags) '•werden die besten teutschen Schriften in gebwidener und ungebundener Schreibart vorgelesen und mit anmerkungen begleitet] dabey auch die von den Zuhörern verfertigten reden und gedichte beurtheilet'; es folgt die Schulordnung der Stadt Holzminden 1756, s. 428: ^Da es auch nötig ist, dafs in dieser [der mittelsten lateinischen] clafse auf die deutsche spräche ernstlich gesehen werde, so soll dabey Gottscheds Sprachkunst zum gründe geleget .. werden', s. 435: 'Die reinigkeit der deutschen spräche wird in dieser [der obersten] clafse mit allem ernste getrieben und die schaler xoerden, nachdem das, was in der vorigen clafse von den briefen bereits gefafset ist, wieder- holet worden, zur ausarbeitnng allerley aufsäzze, insonderheit klei- nerer und längerer deutschen reden angewiesen', im paedagogischen Institut zu Helmstedt kündigt der director im Wintersemester 1779/80 (zweistündig) an: 'facultatem in Latino pariter atque patrio ser- mo7ie bene scribendi dicendique exercet et auctorum optimorum notitiam subministrat'. das lehrziel dieses Unterrichts bestimmt näher die Nachricht usw. 1780, s. 473: *Und auch im deutschen wird von zeit zu zeit grammaticalischer Unterricht nach hm. Hey- natz Sprachlehre gegeben. Für die grundsätze der wohlredenheit, beredtsamkeit und dichtkunst, die lektüre, Zergliederung und nach- ahmung vorzüglich glücklicher stellen deutscher clafsischer Schriften, wie auch zur Übung in verfertigting deutscher, lateinischer, fran- zösischer und englischer aufsätze , und im declamiren sind loöchent- lich vier bis sechs stunden bestimmt', in die von 1824 ab er- lassenen reifeprüfungsordnungen ist überall ein deutscher aufsalz als teil der schriftlichen prüfung aufgenommen.

Von den 85 in diesem bände enthaltenen stücken sind 27 ungedruckt gewesen, eines uar bisher zum teil ungedruckt, eines ist aus dem einzigen erhaltenen alten drucke mitgeteilt, die fest- slellung des lexles darf im ganzen als eine solche bezeichnet werden, die auch für sprachliche Untersuchungen genügend sichere

204 KOLDEWEY BRAÜISSCHWEIGISCHE SCHULORDNUNGEN II

grundlage bietet, freilich nicht in jeder beziehung: so hat K. in sehr zahlreichen fällen nach der starren nhd. schriftregel für den schwachen dat. sg. m. oder n. des adjeclivs willkürlich die starke form eingesetzt (13,29. 68,4. 138,18. 147,22. 150,24. 152,20. 165,2. 167,13. 171,2. 171,13 usw.), und während er bei manchen anderen ebenfalls nicht zu billigenden abweichungen von seiner vorläge (wie 319, 7 kinder. 347, 27. 347, 29 prediger statt kindern, predigern; 479, 36.37 französische statt franzöfsische) in den 'textkritischen und bibliographischen erläuleruugen' die lesarten der vorläge einzeln verzeichnet, begnügt er sich bei jenen formänderungeu mehrmals mit summarischer anmerkung, wie zu nr 24: 'bei dem abdruck werden . . . zahlreiche druck- fehler berichtigt, die fast alle auf der Verwechslung von m und n in den endsilben beruhen', ähnlich zu nr 35. 50. 60. die in der einleitung angedeutete Vermutung, dass die kirchen- und Schulordnung des herzogs Julius (nr 7) von verschiedenen Ver- fassern herrühre, hätte sprachlich durch hervorhebuug deutlich auseinandergehnder Stilmerkmale gestützt werden können. von den deutschen stücken ist nur nr2(1499) und 4 (1543) nieder- deutsch, schon nr 5 und dfe folgenden sind hochdeutsch, wäh- rend in den früheren hochdeutschen stücken zb. nr 5 (1566), 6(1568), 7(1569) hochdeutsch seh, sehn, schl usw. geschrieben wird, findet sich in den documenten aus der zeit des herzogs August nr 15 (1647), 16 (1655), 17(1655) öfters sk, skr, sl, sn, sw. Die anmerkungen, deren hauptinhalt reiche und vielseitige Sacherläuterungen bilden, enthalten auch einige syntaktische noten ( das coordinierende und in z^wor und ehe 33, 14 durfte aber nicht mit dem subordinierenden in nach dein und sie aber 31, 35 auf eine stufe gestellt werden ) und Worterklärungen {pfetzen, allmatidt, gef ehrlichen, ungef ehrlich , gemutzt, gaerwurst, lehr- wase ua.), die besser und übersichtlicher in dem kleinen glossar unterzubringen waren, das, so wie es jetzt ist, für germanistische zwecke keinen ertrag bringt, den schluss bildet ein vortrefflich gearbeitetes namen- und Sachregister.

Innsbruck. J. Seemüller.

Der schwarze rilter in Schillers 'Jungfrau von Orleans', von Franz Ullsperger. Separatabdruck aus dem 9 Jahresberichte des k. k. staats-obergymnasiumsinPrag. Prag, 1890. 31ss. gr.80. 0,50 m. die frage nach dem wesen und der bedeutung des schwarzen ritters in Schillers Jungfrau ist nicht so schwierig, als die ziemlich um- fangreiche litteratur hierüber vermuten lässt. ü. tritt mit schwer- fälliger Umständlichkeit in den kreis der commentatoren ein. seine ergebnisse sind gering, 'sollte ich mich entscheiden', schreibt er, 'dann würde ich eher glauben, dass der schwarze ritter nicht der geist Talbots sei'. ... 'die berührung durch den hüllengeist bewürkt nach meiner ansieht weiter garnichts als das, was der dichter selbst angibt, die körperliche machllosigkeit Johannas'.

ULLSPERGER DER SCHWARZE RITTER IIS SCHILLERS JUNGFRAU 205

mit solcher darleguog ist der kern der frage nicht herilhrt, und die Zusammenfassung über die 'hedeutung der scene' (s. 29 f) lässl das wichtigste vermissen, man vgl. dagegen die einsichtsvolle er- örterung von Bellermann Schillers drameu ii 261 IT.

Leipzig, 18 sept. 1893. Ermst Elster.

Der Agnes- Bernauer -sloff im deutscheu drama; uuter besonderer berücksichligung von Otto Ludwigs bandschrilllichein uacblass. von Julius Petri. Rosiocker diss. Berlin, Ullstein, s. a. (1892). 8**. 47 SS. der litel umschreibt den Inhalt der abhandlung nicht ganz genau, allerdings stellt ein einleitendes capitel die deutschen drainen zusammen, die von Agnes Beruauer haudeln. nach einem raschen hinweis auf zwei Volkslieder und auf Ilol'maunswaldaus Herolden, in denen Agnes Bernin und herzog Ungenand als pen- dants zu herzog Tugenaud (Ferdinand von Tyrol) und der Zucht- heimine (Philippine Welser) auftreten, bespricht P. die Bernauer- dramen vou Törring (1780) bis Melchior Mayr (1862) und charac- lerisiert in knappen worlen die dichtungeu von Carl Theodor Traiteur(l781), Lipowsky(1801), JAÜestouches(1804), TFrEhrim- feldt (1808), Julius Körner (1821), von Heines veiter Schilf, der den Stoff zu einer dialogisierten uovelle verarbeitete (1831), von AEwald (1833), Adolf Bottger (1845), FCHoncamp (1847) und Hebbel (1855). dann aber verfolgt P. weit ausführlicher mit tief eindringender Verwertung des handschriftlichen uachlasses Otto Ludwigs die verschiedenen gestaltuugen, die der Stoff während der jähre 1840 1860 unter der feder Otto Ludwigs angenom- men hat oder besser gesagt annehmen sollte, nach dem lislichen maleriale setzt er folgende phasen fest: 1) die erste be- arbeitung von 1840, 2) eine bearbeitung von 1842/43 (proben in den nachlassschrifteu i 164 ff) und 3) eine von 1846. diese drei fassungen 'wirtschaften' wie P. sich ausdrückt 'noch mit romantisch -romanhaften moliven', dennoch löse sich Ludwig in ihnen allmählich von der romantik los. es folgt das fragment von 1854 (4, z. t. abgedruckt in den nachlassschriiten i 259 ff), an- geregt durch Mayr und Hebbel, dann (5) ein weiteres fragment von 1856/57 (zuerst gedruckt in den Ges. werken, jetzt in der neuen ausgäbe widerholt), endlich ein fragment von 1858 60(6). das schlussergebuis der Untersuchung lautet: 'Otto Ludwig hat alle müglichkeiten der behandlung des Bernauerstofles durch- laufen , mit ausnähme der einen , die Hebbel versuchte, vor diesem fehltritte schützte ihn die anläge seiner dichterischen natur . . . eine abstracte gestalt, wie Hebbels herzog Ernst, hätte Ludwig nie hervorbringen können; und so war ihm die auffas- sung Hebbels von vornherein verschlossen, aber er hat versucht, den slolf als inlriguenstück," als ehe- oder liebestragödie, histo- risch und lialbhistorisch zu behandeln, und jede der aulTassungen durchläuft unzählige Schattierungen; und immer wider bricht doch das bewustseio durch: so gehl es nicht, erst nach langem, langem

206 PETRI DER AG>ES-BER.>'ADER-STOFF

ringen findet er den reichen boden, auf dem eine solche hand- lung erwachsen kann, findet er den abschluss, der allein eine peinlich l'urchtbare endstinmiung verhindern kann: den tod Al- brechts, aber seine dichterische kraft war gebrochen' (s. 46). genauer liefsen die resullate, die P. gewonnen hat, sich nicht leicht bestimmen, denn so mühevoll und so dankenswert die Untersuchungen des Ludwigschen nachlasses sind, so hat P. doch durch die disposition sich um den besten erfolg gebracht, er reiht eine fassung an die andre, er streut feinsinnige bemerkungen ein, erläutert, was zu erläutern ist, weist anklänge und einflüsse nach, kritisiert, ja kritisiert vielleicht ein bischen zu viel und ein bischen zu scharf, aber übersichtlich oder leicht lesbar ist die abhandlung nicht, die verschiedenen bearbeitungen verschwimmen in einander, weil P. nicht mit starken und energischen strichen die entwicklung der einzelnen motive und den character der ein- zelnen lässungen herausarbeitet, auch P. hätte sich zu herzen nehmen sollen, was Minor einmal über die darstellung von stofl- geschichten gesagt hat (Hallische neudrucke 79^80, xxrv f). ich ver- kenne trotzdem nicht den fleifs und die genauigkeit, mit der P. die mühsam zu ergründenden handschriftlichen schätze durchge- arbeitet hat, auch nicht den Scharfsinn, mit dem er änderungen und Verbesserungen nachgegangen ist. für deu poetiker wertvoll sind die hübscheu beobachtungen über Ludwigs planhefte (s. 21 fl"). Wien, 6 august 1893. Oskar F. Walzel.

Kleine mitteiluisgen. Ein nniEF Jacob Grimms, der seit jähren in meinem besitz toar, möge hier mitgeteilt werden, damit er nicht verloren gehe: denn ich schenkte ihn kürzlich einem antographensammler. er nimmt die erste seite eines quartdoppelblattes ein und ist laut der adresse auf s. 4 gerichtet an Herrn Carl Reimer, Inhaber | der Weidmän- nischen Buchhandlung { VVolgeboren | Leipzig. St.

Hochgeschätzter Herr und Freund, Ich säume nicht auf Ihren eben empfangnen Brief zu antworten. Meine Abreise ist durch VMIhelms Anwesenheit verzögert worden, (las Pfingstfest über kommt seine Frau mit den Kindern ihn ab- zuholen, und diese Tage habe ich auch noch mitzufeiern. Dann reise ich nach Kissingen, und wahrscheinlich mit Dahlmanns, die etwa bis zur Mitte Juni dort verweilen werden, nach Thüringen und Sachsen. Also erst in der zweiten Hälfte des folgenden Mo- nats werde ich nach Leipzig kommen. Sie bieten mir wieder- holt auf das freundschaftlichste Ihre Wohnung an, wenn es Sie dann nicht belästigt, so werde ich es auf einige Tage annehmen. Für die gütige Besorgung der Geldangelegenheiten danken wir verbindlich. GrUfsen Sie Haupt, mit herzlicher Hochachtung

der Ihrige Cassel 31 mai 1838 Jac. Grimm.

KLEI>E MITTEILÜ^GEIS 207

Zu Tacitcs Germ. cap. 28 (Zs. 38, 22 tl). zu der sinmeiclipn con- jcclur von Hermann Müller, die corriipte stelle Tac. Germ. 28 durch einsetzung von cüeriora zu heilen, lässt sich nachtragen, dass der ausi'all des Wortes viel leichter sich erklärt, wenn Tacilus geschrieben halte: Igitur inter Hercyniam silvani Rhennmque et Moenum amnes Hetvetii (cüeriora), nlteriora Boii . . . tenuere. das eingesetzle wort, als ntert'ora gelesen, konnte leicht als doubletle von uheriora erscheinen und wurde daher weggelassen.

München, 2 lehr. 1894. Ed. VVölfflin.

De Heinrico v. 7. Steinmeyers scharfsinnige Vermutung über die hand- schriftliche lesung in v, 7 des genannten liedes (MSD^ n 106) hat sich bei erneuter einsieht des Cambridger ms. Gg. 5,35 hl. 437** auf überraschende weise bestätigt, darnach lautet dieser v. (z. 10. 11 der hs.): hk adest Heinrich bringt \ her hera knnigJich. eingehndere behandlung der ganzen stelle, sowie ergänzende beschreibung des die Cambridgelieder enthaltenden teiles der vielbesprochenen hs. werde ich in meinem (in Vorbereitung befindlichen) cataloge der deutschen und niederländischen hss. in England bringen. Cambridge. R. Priebsch.

Zur KaiserchroiMK. aus tafel 23 der zweiten ausgäbe von DEBariogs Ciavis diplomatica (Hanoverae 1754) teilte jüngst ABeets in der Tijdschrift voor nederlandsche taal- en letterkunde 13, 77 bruch- stücke eines jetzt verschollenen lateinisch -mitteluiederlSndischen alphabetischen vocabulars saec. xiv mit. dieselbe tafel enthält aber auch ein Fragmentntn Poetee Germania sec. xn. Hanoverae ex nrnseo meo, nämlich je neun verse zweier spalten (1032 42. 1064 72 Mafsmanu) eines kleinfolioblattes der jüngsten ledaction der Kaiser- chronik (Schröders C) in facsimiledruck. schon seinem schrift- characler nach kann freilich dies bruchstück, das ich bisher nir- gends erwähnt finde, nicht dem 12, sondern nur dem ausgehnden 13 jh. angehört haben. St.

Berichte über GWenkers Sprachatlas des deutschen Reichs.

IX.

29. machen (satz 17). Die lautverschiebungsgreuze kjch stimmt zu der von sitzen (Anz. XIX 357 f) bis zur Oder, östlicher zu der von heifs (o. s, 96); nur Neufs und Düsseldorf bleiben noch nd., Schönewalde ander- seits im kreise Schweinitz hat bereits c/j; in der nördlichen nähe der grenze zwischen Elbe und Oder zumeist wider ch in den Städten, statt nd. k deuten in Schleswig-Holstein, Mecklenburg und der Lüneburger beide ganz vereinzelte g eine erweichung an (vgl, winder Anz. xix 108). das hd. ch wechselt mit g (bei gedehntem stammvocal) westlich einer ungefähren linie, die von der Verschiebungsgrenze bei Freudenberg südwärts abbiegt, auf Driedorf am VVesterwald und von hier westlich auf Linz zieht.

208 BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS IX

dem Rhein aiil'wärts und dann südwestlich etwa dem IliinsrUck, Idarwald und Ilochwahl folgt, ja am südlichsten ende dieses gebietes um Diedenhof'eu, Ilodemachern, Sierk und östlicher bis zur Nied und Saar wird häufig gänzlicher schwund des con- souanten bezeugt; letzteres auch in der iMalzer gegend zwischen Kusel und VVolfstein und vereinzelt an der untern Schwelm.

Der nd. vocalismus stimmt zu wasser (Anz. xix 2S2); die irübung ä hat im wesentlichen dieselbe Verbreitung (doch bei Cleve hier nur für 6inen ort bezeugt), sodass ganz reines a nur dem Niederrheiu, Westfalen und einem breiten mittelstreifen von Verden-Hannover bis Lübeck-Greifswald eigen ist, während die trUbung am weitesten getrieben scheint (ö) zwischen der ver- schiebungsgrenze von Hedemünden bis Sachsa, Sachsa- Höxter und der Weser, dgl, au den Weichselufern, längs der westlicheren kUste und in der ganzen nachbarschaft der östlicheren hd. enclaye; ati im Netzegebiet ist gen w. allgemein nur etwa bis Filehne-Ualze- buhr-Baldenburg, erscheint jedoch im Wechsel mit ä ebenso weil, wie durchgeführter bei loasser.

Im hd. hat Schlesien gegenüber wosser reines mach-; nur die gegend nördlich vom Erzgebirge hat wider moch-, doch ziehe man die bei wasser gegebene grenze von Naumburg a. S. unge- fähr nach Dresden und von Dresden südwärts zur reichsgrenze. sonst kann ganz auf wasser verwiesen werden, die a- Schrei- bungen im Mittelmaingebiet setzen sich gegen uo. vereinzelter bis Thüringer- und Frankeuwald hin fort; im bair. werden sie bei machen häufiger erst von der ungefähren linie Ingolstadt- Wasserberg au und nehmen dann nach o, hin zu; im Elsass und südlichen Baden sind sie nicht ganz so vereinzelt wie bei wasser. gedehntes ö deckt sich mit dem oben begrenzten Wechsel von ch und g, geht also viel weiter als bei wasser; auch im Elsass zwischen Zorn und Breusch wider mäch- {mäch-).

Die endung -en (inf.) stimmt auf weite strecken überein mit der in süzen (3 pl. ind. praes., Anz. xix 358 fi). so zunächst im ganzen nordostdeutschen lande östlich des 31 längengrades und in Norddeutschland westlicher bis zur dortigen -ef-grenze und zur höhe des Harzes, das gesamte dortige e<-gebiet hat hier -en, -n, sodass diese endung für ganz Niederdeutschland vom Bhein bis zu der bei sitzen beschriebenen grenze östlich der Oder characteristisch ist. die äufseren grenzen ihres grofsen ge- bietes, das zl. noch weit in hd. lande hineinragt, sind die fol- genden: im w. ungefähr der Rhein aufwärts bis zur Moselmün- dung, der von -en-formen bald etwas überschritten, bald nicht ganz erreicht wird; im s. von der Moselmündung bis zur Fulda zwischen Hersfeld und Rotenburg die bei sitzen milgeteilte -enj-e- grenze (nur Berleburg hat unter den dort aufgezählten Ortschaften -e), weiter über (-en-orle cursiv) Sontra, Waldkappel, Eschwege, Allen- dorf, Witzenhausen, lleiligensladl, die jl/ic/f-linie bis Bennecken-

BERICHTE ÜBER WEKKERS SPRACHATLAS IX 209

Stein, Stolberg, Harzgerode, Saiigerhauseii , Eislehen, Quert'urt, Schraplau, Schafstädt, Lauchslädt, Müclieln, Merseburg, Markran- städt, Lülzeu, Pegau, Rötha, Liicka, Frohbnrg, AUenburg, Penig, Waidenburg, Criinmitschan, Sclitnülln, Berga, Gera, Weyda, Aunia, ZiegenrUck, Sdileiz, Saalburg, Lobenstein, Teuschnilz, Cronach, Lichtenfels, SlalTelslein, Schesslitz, Bamberg, Eltmann, Gerolzhot'eu, Prichsenstaclt, Aschbach, Scheinfeld, Ipholeu, Marktbreit, üfTenheim, bis Wassertrüdingen wie -aj-n bei sitzen; endlich nordöstlich über VVeifsenburg, Ellingen, Spalt, Ileideck, Hilpollstein, Roth, Allersberg, Freystadt, INeumarkt , Altdorf, Amberg, Sulzbach, Hirschau, Vilseck, Grafenwöhr, Weiden, Pleystein, Bärnau. -en- und -n-lormen verteilen sich in analoger weise wie bei sitzen, letztere fehlen also vollständig in allem lande südwestlich der Aller, überwiegen dagegen in dem abgeschnitteneu gebiete des künigreichs Baiern, hier mit iiäufigem -ng, einem au den guttu- ralen inlaut assimilierten -n, wechselnd, aufserdem kommt -en (nie -n) nur wider einem ganz westlichen gebiete des reiches zu, dessen ostscheide etwa von Saarburg nordwärts auf Berncastel, nördlich an Daun vorbei und nordwestlich auf Malmedy zieht, sonst hat das linke Rheinufer unterhalb des Elsass -e mit etlichen eingesprengten -en (nie -n), die von Koln-Heinsberg bis Ürdingen- Geldern besonders häufig werden, im Elsass und im gegenüber- liegenden Rheinland bis zum Schwarzwald Übereinstimmung mit sitzen, daran schliefst sich dann der ganze schwäb. und bair. Osten mit -a, dessen nordgrenze vom Rhein bis an die Tauber ebenso unsicher ist wie bei sitzen und östlicher durch das gleich zu beschreibende endungslose gebiet und die gegebene nordbair. -n-linie gebildet wird; westlich vom Lech ist das -a nasaliert und wechselt in der nähe der reichsgrenze im s. noch mit vielen -e, -e. der rest hat -e (längs der -e/t-grenze von Werra bis Elster noch mit mauchen -en gemischt) bis auf ein grofses sich scharf abhebendes gebiet zwischen Vogelsberg, Spessart, Steigerwald, Frankenwald, Thüriugerwald und über letztere hinaus, welches die endung völlig abgeworfen hat (mach) und von folgender grenze umschlossen wird (orte im inuern des gebietes cursio): Roten- burg (a.d. Fulda), Schwarzenborn, Neukirchen, Hersfeld, Grebenau, Schlitz, Lauterbach, Herbstein, Fulda, Schlüchtern, Steinau, Sal- münster, Orb, Rieneck, Lohr, Stadtprozelten, Dertingen, Külsheim, Tauberbischofsheim, Grünsfeld, Lauda, Königshofen, Mergentheim, Weilersheim, Röttingen, Creglingen, Aub, Uffenheim, Marktbreit, die beschriebene nordbair. -«-grenze bis Saalburg, dann Ziegen- rück, Leutenberg, Probstzella, Lehesten, Ludwigstadt, Gräfenthal, Gehren, Ilmenau, Plane, Ohrdruf, Arnstadt, Gotha, Erfurt, Gebesee, Tennstedt, Langensalza, Thamsbrück, Grofsenehrich, Schlotheim, Mühlhausen, TrelTurt, Creuzburg, Sontra.

Die Dänen schreiben gör, göer, gjör, die Friesen im Sater- land mäkje, auf Sylt make, sonst mage.

A. F. D. A. XX. 14

210 BEPICHTE ÜBER «ENKEBS SPRACHATLAS IX

30. aus (salz 16).

Zu beachleu ist ilie starke betoiumg des uorles liier als verbalpraelix {auszutrviken), und es bleibt abzuwarten, wie weil in weniger betonten Stellungen namentlich die entwicklung des vocals mit der folgenden übereinstimmt, eine folge der betonung ist hier das verstärkte raus (= heraus), das im oberen und mitt- leren Maingebiel zwischen Fichtelgebirge, Frankenwald und Rhüu, Spessart aufserordentlich häufig ist.

Ich nehme die geschichle des cousonanten vorweg, seine lautverschiebungsgrenze stimmt bis an die Elbe zu der von sitzen (Anz. XIX 357 f) nur Neufs hat noch üt , östlicher zu der von gro/s (ib. 347). Verdopplung des consonanten häutig in den gleich zu erwähnenden gegenden mit vocalverkürzung. von einzelheiten seien noch erwähnt nicht seltenes üd in Schleswig- Holstein nördlich vom 54 grade, ux in denselben acht orten zwi- schen Waldeck und Wildungen, die schon ix = eis hatten (Anz. XVIII 411), ügs und ögs in vier orten nordöstlich von Treysa (bei eis nur in zwei orten egs) und häufiger abfall des -s am mitt- leren Main zwischen Spessart und Lohr-Wiirzburg (au, rau)y der sich vielleicht aus der dortigen articulation des nachfolgenden z {auszutrinken) erklärt.

Für die diphthongierungsgrenzen kann hier ganz auf eis (Anz. xviii 409f) verwiesen werden', nur im w. bis zur Sieg ist ans noch nicht ganz so weit vorgedrungen, und seine grenze bleibt der von eis um einen schmalen streifen und in meist sehr unsicherem und zackigem verlauf hier wird mit doppel- formen je nach dem belonungsgrade zu rechnen sein südlich vorgelagert (von den bei eis angeführten orten haben hier Adenau und Altenkirchen noch ns). längs der ganzen östlicheren strecke bringe man nur Medebach {iut, weshalb auch sein eis richtiger zur nördlicheren westfäl. diphthongierung als zur md. zu rechnen ist). Artern, Herzberg und in Ostpreufsen Bischofsburg (unsichere grenzstadt) auf die entgegengesetzte seile der grenzlinie, ohne dass damit im übrigen eine Übereinstimmung dorf für dorf be- hauptet sein soll, ein vergleich der diphthongierungslinie mit der obigen lautverschiebungslinie östlich der Elbe lehrt, dass beide sich keineswegs durchgängig decken, dass vielmehr, von verein- zelten orten und Ortsgruppen abgesehen, beide linien einerseits ein gebiet mit üs zwischen Herzberg- Sounenwalde- Buchholz- Herzberg und anderseits ein gebiet mit ant zwischen Müllrose- Reppen-Sonnenburg-Müllrose umschliefsen, dass also hier, in den gegenden des stetigen md. Vordringens, nicht aus gegen iit,

^ sie sind freilich aao. teilweise noch sehr ungefähr angegeben, so- bald diese berichterstatlung erst so weit vorgerückt ist, dass sie mit der seniesterlichen Fertigstellung neuer karten schritt halten kann (was bis zum nächsten bände zu erhoffen ist), dann wird auch räum vorhanden sein, um solche grenzstrecken, wo derartige cardinalgrenzen sich bei verschiedenen paradigmen tatsächlich ort für ort decken, auch ort für ort zu beschreiben.

BERICHTE ÜBER \VE>KERS SPRACHATLAS IX 211

sonderü die einzelneu md. laute (ilr sich gegen die entsprechen- den nd. vorrücken.

Das resultat der weslfäl. diphlhongierung ist hier int, das wider im westlichen tliigel ihres gebietes am reinsten erscheint, während uürdlich der Lippe an der oberen Ems von Ahlen bis Bielefeld out und im übrigen bunter Wechsel von nt, etil, out, aut , üut , nt, tut uä. herscht; gleiche formen vereinzelt noch zwischen Wittingen und Salzwedel und widerum im o. nürdlich der Netze, von denen um Pollnow, Bublilz, Baldenburg aut, süd- östlicher bis Brahe und Netze iut iil)eiwiegt. sonst bleibt auf nd. boden nur noch niederrheinisches üt hervorzuheben bis Geldern, Rheiuberg, Orsoy, Ruhrort und gegen o. nicht ganz bis Dorsten, Bocholt, wofür die kürze durch ült ausdrucklich be- zeugt wird nur in drei orten nordlich von Cleve und sechs orten am Südrande; dasselbe üt (einmal ütt) in dem kleinen von der Verschiebungslinie südlich von Olpe gebildeten zipfel; endlich üt (ohne jedes tt, also wol üt) in ca. zwanzig dOrfern in Braun- schweigs nördlicher iiachbarschaft im gebiet der Oker und be- sonders auf ihrem rechten uler: Wenkers beobachtung, dass ein grofser teil der namen dieser döifer auf bültel ausgeht (Abbes- büttel, Wedesbüttel, Alleubütlel, Wasbüttel, Rotgesbültel, Loges- büllel, Eltenbüttel usw.), wie es sich sonst besonders zahlreich in Dithmarschen und überhaupt längs der Nordseeküste im alten Friesengebiete vorfindet, und dass die nordfriesischen dialecte Zt. denselben lautwandel ü > H aufweisen (s. u.), gibt für die Ur- geschichte jener braunschweigischen nachbarorte einen interes- santen tingerzeig, wie er sonst weder von der ortsnamenbildung für sich noch von jenem laulwandel für sich gewährt werden könnte, und war deshalb hier als ein weiterer schlagender beleg für die treue und Zuverlässigkeit des allasmaterials nicht zurückzuhalten.

Von den hd. gebieten mit altem monophthong weist das ri- puarische in der nähe der Eifel etliche üs, das Siegerland vocal- veikürzung auf (hss); das hessisch-thüringische üs an der Schwalm und Fulda besonders um Felsberg, Melsungen, Homberg, Roten- burg, an der Werra um Wanfricd, Tretfurt und versprengt noch südlicher bis gegen Ilersfeld und Salzungen, sowie uis von Geisa über Hünfeld bis Fulda und östlich davon; das süddeutsche in dem lothringischen ziplel uss (etwa bis ausschlielslich Pfalzburg, ßucken- heim, Lützelstein, Ingweiler, Reichshofen), im Elsass üss (doch noch mit vielen uss durchsetzt), das zwischen Kinzig und Elz ilen Rhein sogar vereinzelt überschreitet, sonst ms, das nur nördlich der Kinzig und östlich des ßodensees mit einzelnen uss wechselt.

Dem schles. es = eis entspricht hier ös (mit vielen oas uä. Schreibungen und noch genug aus), in dem grofsen gebiet zu beiden selten der Oder mit gleicher ausdehnung, nämlich im n. etwa bis zum 52 grade, im w. bis zum Bober, im s. bis Löwen- berg-Haynau-Breslau-Bernstadt; der südlicheren 5s-gruppe von

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212 BERICHTE ÜBER \VE>KERS SPRACHATLAS IX

Brieg bis Falkeuberg enlspieclien hier uur ganz vereinzelte ös; dagegen sind jenem grofseu ös- gebiet zahlreiche äs nordwärts vorgelagert, denen bei eis viele ais parallel gelin. ferner finden sich ÜB wider zwischen Saale und Elster, sind aber im bair. nicht nur der Bühmerwaldgegend, sondern dem ganzen Nordgau eigentümlich, also etwa allem land zwischen Donau, unterer Ak- mühl. Fränkischem Jura und Fichtelgebirge, sonst herscht überall mis, das nur im Moselgebiete besonders häufig mit ous wechselt und an zwei stellen längs der hessischen diphthongierungsgrenze zu aus wurde: einmal bis ausschliefslich Frankenau, Gemündeo, Treysa, Ziegenhain und einschliefslich ISeukirchen und sodann um Fladungen und Bischofsheim.

haus auf früher wendischem boden wie heis (.\nz. xviii41 1).

Die Dänen schreiben nd, vielfach wechselnd mit nr und u, wenn sie es nicht durch af, av, au, a ersetzen oder ganz aus- lassen, die Nordfriesen vorwiegend üt, seltener öt (besonders auf dem festlande), wol mit kurzem vocal, wie etliche ntt und ütj schliefsen lassen.

31. braune (satz 39).

Das kartenbild ist zu beschreiben im vergleich mit dem vorigen {aus) einerseits, in bezug auf seine Verbindung von alter länge und nasal mit wein (Anz. xix 279 fi') anderseits, wobei freilich die in braune vorhandene flexionsendung auf mancherlei abwei- chungen vorbereitet, aus diesem gründe empfiehlt es sich diesmal die entwickjung der endung vorwegzunehmen, sie deckt sich vielfach nicht mit der der übrigen auslautenden -e (vgl. gänse Anz. xviii 408, balde xix 284, fehle 286, müde 355, belle ib.), wenn auch hierüber nicht eher sicher entschieden werden kann, als bis festgestellt ist (durch die späteren artikelkarten), wie weit zb. der accusativ für den nominativ eingetreten ist. so wechselt am Mederrhein -en mit -e stromaufwärts etwa bis Gangelt-Cre- feld-Elberfeld, ohne für sich abgrenzbar zu sein; ebenso etliche -en an der Vechte von IVordhorn abwärts und vereinzelt bei Jever; endlich ein geschlossenes -e>i-gebiet im Mosel- und Eifelgebiet bis zur grenze (-en-orte cursiv): Busendorf, Merzig ^ Wadern, Birkenfeld, Berncastel, Willlich, Daun, Adenau, Blankenheim, Mont- joie. der untere lauf der Mosel ist dann der beginn der unge- fähren grenze, die ein grofses im wesentlichen endungsloses gebiet des Südens abtrennt; sie setzt sich nordöstlich auf den VVesterwald zu fort, folgt dann im grofsen und ganzen der linie der übrigen auslautenden e (s. o.) bis über den Thüringerwald, endlich dem Frankenwald und endigt östlich etwa in den anfangen des Erzgebirges, aber diese begrenzung ist nur ganz ungefähr, und dieses ganze im allgemeinen endungslose gebiet weist überall noch eingesprengte endungsformen auf, am seltensten in Schwaben und im Elsass (nur sein südlichster teil, etwa jenseits des 48 grades, hat überwiegend -e und -a), schon häufiger in Baiern südlich

BERICHTE i'BER UEKKERS SPRACHATLAS IX 213

der Donau (-e, -ö, -?), zunehmend im Lair. Nordgau (-e, -a, nörd- lich der Donau zwischen 28 und 29 grad etliche -er), im oberen und mittleren Maingebiet (-a) und im übrigen Main- und Rhein- land (-e); immerhin bleibt hier überall das fehlen jeder endung das characteristische. das grofse nördlich sich anschliefsende mittel- und norddeutsche -e- gebiet reicht bis zu einer grenze, die sich viel deutlicher abhebt, von Schleswig südwärts auf Glück- sladt zieht, etwa der Elbe bis Blecke<Ie folgt, weiter zwischen (e-orte cnrsiv) Ülzeu, W'ttlingeti, Clötze, Öbisfehle, Calvörde, Garde- legen, Jerichow, Stendal, llavelberg, llhinoxo (vgl. für die letzte strecke gätise) , Witistock , Bheinsberg, Fürstenberg, Lychen, Templin, Joachimsthal, Greiffenberg, Angermünde, Schwedt, Fid- dicliow, SchÖnfUefs, Soldin, Lipi)ehne, Berlinchen, Bernslein, Wol- denberg, Driesen, Zirke hindurchgeht und wie ikjich schliefst; innerhalb dieses grofsen complexes fehlt eine endung häufiger nur im sw,, besonders in der nachbarschaft jenes ripuarischen -en-bezirkes und rechtsrheinisch zwischen Sieg und NVupper, ferner zwischen Dollarl und Jadebusen, endlich im mittleren Schlesien und an den abhängen des Iser- und Riesengebirges; sonst überall -e, nur am Miederrhein mit -en wechselnd (s. o.) und in der nachbarschaft des Frankenwaldes und Erzgebirges mit -a. der nordosldeutsche rest ist endungslos bis auf zwei ausnahmedistricte: der eine zu beiden seilen des Weichseidellas liegt ungefähr zwischen der curve Leba-Graudenz-Gurzno und der Passarge (-e), der andere ostwärts von Rischofsburg-Bischof- slein-Rastenburg und dem 39 längengrade bis zur reichsgrenze (-e, vereinzelt -er und in der südwestlichen ecke -a).

Eine analoge enlwicklung des -n in hraun{e) und in icein (s. 0.) ist nur insoweit zu erwarten, als die eben beschriebene endungsentwicklung in braune nicht dagegen spricht, die grenze des Süd- und milleldeutschen gebietes, das das ~n aulgegeben hat, läuft für braune von Säckingen und Schopfheim an über die weslabhänge des Schwarzwaldes dem Rhein etwa parallel, stimmt dann aber ganz zu wein, soweit das gebiet nicht durch jene endungslinie eingeengt wird, dh. sie stimmt für die bei wein aufgezählten orte von Rastatt bis Haiger und von Alsfeld bis Ilmenau (nur dass der Rhein nicht bei Braubach, sondern schon bei SlGoar nordwärts verlassen wird); überall hier erinnert nasa- lierter slammvocal an das ehemalige -n. das -n-lose gebiet östlich der unteren Oder ist viel beschränkter als bei wein und mami (Anz. XIX 201) und entspricht hier nur ungefähr dem kreise Filehne-Mörenberg-Polzin-Janowiiz-Goshn-Filehne.

Der ripuarische Übergang des -n in den gutturalen nasal -ng stimmt zu icein, nur dass ihn bei braune auch der streifen Eupen- Aachen längs der belgischen grenze hat und seine Scheidelinie daher zwischen Aachen und Ilünshoven an der reichsgrenze zu beginnen ist; zwischen Burg und Ilückeswagen schneidet er gen

214 BEBICaiE ÜBER WECKERS SI'BACHATLAS IX

11. noch eine kleine lialbinsel um Remscheid lieriim aus, die also bnmg neben wln liat. die gegenden mit weng und icing zwi- schen Fulda und Schwalm hab^n hier in bunler verschrJinkung hrünge (um Rolenburg), brumme westlicher bis liorkeu-Schwar- zenborn und westlich davor der reihe nach von n. nach s. win- zige gebietchen mit biäume (südlich und südwestlich vor Borken acht orte), hröngme (zwischen Schwarzenborn und Genninden siebenzehn orte), braume (zwischen Neukirchen und ISeusladl zwölf orte), brumme (zwischen Schwarzenborn und Grebenau zehn orte), aulserdem brong, wider wechselnd mit seltneren biom, bromm im westlichsten lothringischen zipfel jenseits des 24 grades. eine j>arallele zu wing von Rastatt bis Bühl fehlt bei braune, dagegen stimmen brung nördlich vom Bodensee und im Allgau.

Die nördliche diphthougierungsgrenze deckt sich im w. wie bei wein mit obiger gutturalisierungsgrenze und stimmt im übrigen zu aus (o. s. 210), nur dass hier Wildungen, Cölleda , Ariern bereits diphthongieren; die süddeutsche stimmt wider zu loe?«, nur dass Mühlheim, Friedlingen, Ravensburg noch den mono- phthong bewahren, die westfäl. diphlhongierung wie bei aus, nur längs des ganzen süd- und oslrandes ihres gebieles hier über- wiegend on. jener passus u. aus gilt auch sonst für braune, nur dass niederrhein. brünn- auf ein grenzgebiel etwa bis zur hübe Goch- Cleve- Emmerich beschränkt bleibt (das übrige land dort mit iU(t) hat brunn-, das aufserdem noch zwei enclaven nord- wärts von Erkelenz und um Merscheid, Höhscheid zukommt), und dass die ii he\ Olpe hier völlig fehlen, jenen hessischen gebieten mit bri'inge und brumme legt sich nordwärts briinne vor (um Felsberg und Melsungen) und dann brunne (um Zusehen, \Valdeck, Naumburg, Nicdenstein, Cassel, Lichtenau); östlicher wider ü um Eschwege, Wanfried, Treffurt und um Vacha, das ui aber ausgedehnter als bei aus noch bis Salzungen, Lengsfeld, Tann, im ripuar. gulturalisierungsgebiet verteilen sich brung- und brong- im ganzen analog dem wing und weng; im südlichsten zi|tfel längs der grenze bei Bitburg etliche brang-. bei Ravens- burg brung und brong im Wechsel; sonst im süddeutschen mo- nophthonggebiel im wesentlichen j)arallele vocalentwickhing mit aus. das -n-lose gebiet östlich der untern Oder hat in der südlichen liälfle bruo, in der nördlichen brua, wobei etwa der 53 grad die scheide bildet, und letzteres setzt sich westwärts noch etwas ?\ibruan fort: vgl. entsprechende wia, wio Anz. xix 281 f. .die vocalenlwick- lung endlich in den gebieten mit nhd. diphthong entspricht der bei aus, soweit sie nicht schon modificiert wurde, nur dass nordbair. brü wider (wie 5s Anz.xvni 411) beschränkt ist auf einen schmalen streifen längs der reichsgrenze vom oberen Regen bis zur Schwarzach.

Die Dänen haben brün (häufig bruen); die Friesen haben brünn- (seltener brönn-, vereinzelt brunn-) , auf Sylt, Amrum, Führ keine endung, sonst -e.

BERICHTE ÜBER ^VE^KERS SPRACHATLAS IX 215

32. honse (satz 26).

Nur salz ist berücksichtigt, nicht auch satz 15, wo nach hause so hautig durch heim ersetzt ist, dass eine zusammen- liängende darslelhing l'ür hause nicht möglich ^var.

Zum anlaut //- in früher slavischen gegeuden vgl. Auz. xix 106.

Die grenzen der nhd. diphtliongierung stimmen zu eis (Anz. xvni 409), nur Medebach (s. o. u. aus s. 210), Wildungen (stall dessen hier WaUleck, Zusehen, Fritzlar, Borken), Culleda, Schweiuitz, Herzherg, Cüstrin, sowie Bischot'sburg im no. und Ravensburg im s. sind aul die entgegengesetzte seile der grenzlinie zu setzen, die üi)rige vocalgeschichle des Wortes deckt sich im wesentlichen mit der von aus bis auf Iblgende abweichungen: östlich von Ham- burg bis Ralzeburg und VViltenburg ist hüs mit ellichen hues, hurs durchsetzt; uiederrhein. hüss reicht gen o. nicht bis Huhr- ort und Dinslaken, sondern nui- bis Orsoy und Wesel; vocal- kurzes huss- nicht nur im Siegerland, sondern auch ostlicher an der diphthongierungsgrenze in schmalem streifen von Fürslen- berg über Sachsenhausen, Freienhagen, Wolfhagen bis Zierenberg, sowie in dem von haus-, hfis-, huis- umschlossenen teile Hessens an der Fulda; bei Olpe kein ü, sondern nur ü, ebensowenig an der Eifel; nordbair. ä nur in der beschräukuug wie bei braune (o. s. 214); ou noch vorwiegend in dem oben skizzierten winkel an der Eder nördlich von Wildungen; um Fladungen und Bi- schofsheim kein an.

An der Ruhr um Mülheim und an der Wupper um Solingen, Ronsdorf, Remscheid, Dorp, Hühscheid wird bei langem stamm- vocal und vorhandener endung stimmloses -fs- überliefert, hausch gilt zwischen Mittclmain und Neckar etwa für denselben bezirk wie gänsch (Auz. xvui 407, vgl. noch u. eis ib. 411, sechs 412, nichts XIX 208).

In bezug auf die flexionsenduug kann zumeist wider an die übrigen, analog entwickelten auslautenden -e angeknüpft werden (s. die citale o. s. 212); nur ist hier und da, namentlich im gebiet der Mitlelelbe und in der Mark Brandenburg, zu beachten, dass dort in unserm salze der acc. für den dat. eingetreten ist. die grenze des endungsgebietes ist hier bei hause meist so deutlich, dass ihre nähere beschreibung am platze ist; der vergleich mit gänse (Anz. xviii 408) zeigt dann, wo die verwantschaft der ver- schiedenen e- grenzen eine sehr nahe, wo sie nur eine unge- fähre ist. sie beginnt (orte auf dem endungsgebiete cursiv) im nw. bei Friesoythe, stimmt ost- und südostwärts ziemlich genau zu gänse bis Öbisfelde eine strecke, wo alle jene -e-grenzen im wesentlichen identisch verlaufen , folgt dann derselben acc- linie wie bei fehle (Anz. xix 285) h\s Landsberg a. W. und schliefst ungefähr wie ikjich; nördlich dieser grenze fehll die endung, nur das mündungsgebiet der Weser schwankt , aufserdem aber erinnern an das ehemalige -e zahlreiche apostrophe und zwar

216 BEFICHTE ÜBER ZENKERS SPRACHATLAS IX

sowol hils als sehr cliaracteristisch auch hü's, zu denen obige hues l)ei Hamburg als weitere stufe werden gestellt werden können, von Friesoythe läuft die linie lilngs der holländischen grenze über Papenburg, Meppen, Haselihine , Lingeti, Neuenhaus, Schültorf, Rheine, dann unsicher südwärts bis zur Ruhr hier im westlichen Westfalen gehen alle jene -e-grenzen am weitesten auseinander . von Hattingen a. R. bis Gummersbach Übereinstimmung mit gänse, dann aber nördlicher übers Roihaargebirge wie ikich bis Wi7iter- herg und weiter über Hallenberg, Hattenberg, Frankenberg, Rosen- thal, Gemünden, Borken, Homherg, Rotenburg, Sontra, Creuzburg, Treffnrt, Langensalza, Gotha, Arnstadt, Plane, Ilmenau, Gehren, Gräfenthal, Probstzella, Ranis, Ziegenrück, Anma, der rest wie gänse, von dem schon die letzten abweichungen vom Thüringer- wald an ebenso geringe waren wie von den übrigen -e-para- digmen; diese eben beschriebene grenzstrecke von der Ruhr an ist für hause sehr scharf, nur die oben beschriebene enclave an der Wupper hat hüfse, und Ostlich der oberen Saale finden sich noch etliche -e im endungslosen gebiet; sonst schwankt nur Schlesien in der nähe des Iser- und Riesengebirges und in dem ostlich und nordöstlich von Sprottau und unterem Bober ge- legenen teil des abgeteilten endungsgebietes zwischen formen mit und ohne endung. eine besonderheit stellt Mülheim a. Ruhr und Umgebung mit schwachem hü/'sen dar.

Die östliche hälfte der hd. enclave in Ostpreufsen ersetzt haus überwiegend durch gehäude.

Die Dänen haben hüs (mit einigen hues), die Nordfriesen hüs und hös, worüber unter aus zu vgl.

33. hau s er (salz 33).

Zu h-, den nhd. diphthongierungsgrenzen, s"^ seh und ost- preufs. gebäude genügt ein hinweis auf den eben behandelten Singular des wortes, wenn mau auch hier, innerhalb der flexion ein uud desselben paradigmas, vorurteilsfrei nicht auf absolute Übereinstimmung ort für ort rechnet; so sind die ostpreul's. ge- bäude hier im plural viel seltener als dort im singular, und zwi- schen Main und Neckar combiniert manches grenzdorf hausch und häuser; ja jenen ÄJZ/sen bei Mülheim und hnfse bei Solingen mit stimmlosem fs stehn hier lediglich hüser mit tönendem s gegenüber, die diphthongierungsgrenze divergiert bei sing, und plur. nur am Thüringerwald, indem der immer monophthongische zipfel an der oberen Um um Gehren hier im plur. umfangreicher ist und von den gröfseren orten noch Flaue, lim, Kranichfeld einschliefst; der grund ist der, dass der plur. hier verkürzten stammvocal hat {hisser, s.u.), dass daher die Verkürzung schon eingetreten sein wird, als die diphthongierung begann.

Die eben erwähnte gegend mit hisser bildet den südostlichsten zipfel eines grofsen hessisch-thüringischen gebietes zu beiden selten der VVerra, dem diese vocalverkürzung eigen ist; seine west- und

BERICHTE ÜBER AVE.NKERS SPRACHATLAS IX 217

ostgrenze bildet die diplilhongieriingslioie, dort von P'ritzlar bis Lauterbach, liier von Ilmenau bis Harzgerode; seine nordgrenze folgt von Fritzlar iler Eder abwärts, zieht von deren mündung an die Werra bei Hedemiinden und folgt von hier der ik jich-Wwe, bis diese sich mit der diphthonglinie zwischen Harzgerode undHettstädl schneidet; die südgrenze endlich zieht von Lauterbach gen o., südlich an Hünfeld und Geisa vorbei, überschreitet die Werra westlich von Schmalkalden, geht dann gen n. auf den Rennstieg, um diesem nach so. zu folgen und hier südlich von Plaue wider die di- phlhonggrenze zu treffen; der vocal in diesem kürzegebiet ist zu i entrundet, nur längs des Rennstieges und am rande südlich von Salzungen, Lengsfeld ü. aufserdem gilt vocaikürze (hüsser) wie bei hause {husse 0. s. 215) nur noch für den schmalen nd. streifen längs der hd.-nd. sprachscheide von Fürstenberg bis Zierenberg und westlicher über Medebach bis Winlerberg.

Der Umlaut fehlt einigen bezirken an der westgrenze des reiches: der ostfriesischen ecke etwa bis Langeoog-Friesoylhe und Friesoythe-Papenburg, einigen orten im Vechtegebiet von Schuttorf abwärts (hus-) und einem grofsen teil der Rheinprovinz,- hier be- ginnen die hus- jenseits einer etwaigen linie Kaldenkircheu-Köln, zunächst vereinzelt, dann immer häufiger, bis sie jenseits der linie Heinsberg -Bonn bei weitem überwiegen; sie herschen l>is zur diphthonglinie und werden südlich dieser durch ebenfalls umlautsloses haus-, hous- fortgesetzt bis zu einer linie, die an Adenau, Dann, Bitburg nordwestlich vorüberzieht; auch rechts- rheinisch treten noch viele hüs- auf zwischen Sieg und Wupper bis gegen Freudenberg, Neustadt, Wipperfürth hin.

Zur westfäl. diphlhongierung s. Anz. xviii 410; auch hier ist ihr resultal huis- (wie His<^ls), aber schon durchgängiger und vollendeter, obwol die verschiedensten nüancen bis zum alten u zurück auch hier noch vorhanden sind; nördlich der Lippe und an der mittleren und unteren Diemel überwiegt höüs-; auch im no. wider östlich der Persante etliche huis- und südlicher zur Brahe hin einzelne hius-.

Auf monophthongischen gebieten bleibt sonst nur noch die Verteilung von n und 1 zu besprechen, ersteres ist das allgemeine bis auf folgende 7-ausnahmen: an beiden ufern der Wesermündung von Bremen bis Brake; in den interessanten dörfern nördlich von Braunschweig, die ä für n haben (o. s. 211); im südlichsten teil des kreises Siegen; an der Eder und Fulda in dem zwischen dem Ä?'ss-bezirk und der ik ! ich-\'\nie liegenden zipfel mit Naum- burg, Gudensberg, Cassel; zwischen der ?7f/?W*- linie und dem Harz und weiterhin einen schmalen südrand des nd. mono- phlhonggebietes bis an die Netze bildend und somit vom nördlichen hUs- zum südlichen heis- (s. u.) überleitend ; ferner östlich der Weichsel (natürlich aufser der hd. enclave, die heiser hat,) und westlich von ihr bis etwa zur Brahe und Wipper hin, hier bunt

218 BERICHTE ÜBER >VE>KEnS SPRACHATLAS IX

mit ii wccliseliul; endlich im silddeulsclieu moiiüplilliongbezirk mit ausualime des siidliclisleu Baden etwa jenseits Freiburg-RadoU- zell, doch so, dass das linke Rheinuler reines i, das rechte Wechsel zwischen 7 und n aulweist (vgl. u. müde Anz. xix 352f).

Im diphthongierungsbereich lierscht äu ohne enlrundung (wie namentlich Öii, oi uä. Schreibungen dartun) zwischen Eilel und unterer Mosel, sodann in einem grofsen üsllicheren gebiete, dessen ungefähre grenze vom Siebengebirge bis zur Lahnquelie der diphthonglinie, dann etwa der Lahn bis Marburg lolgl, süd- östlich auf Ilerbstein zieht, wider der diphthonglinie nacligehl bis zum sildende des Thüringerwaldes, über den Fraukenwald läull und endlich gegen s. etwa folgender curve entspricht: Münchberg, Baireuth, Erlangen, Rothenburg a. T., Osterburken, Miltenberg, AschalTenburg, Wiesbaden, Limburg, Westeiburg. Allenkirchen, äu ist endlich Schlesien eigen und seine herschafl reicht hier gen n. etwa bis Posen-Meseritz-Crossen, gen w. bis zum wendischen Spreeland und dieses südlich umfassend schliefst es noch eine enclave des Sachsenlandes mit ein, deren raud im u. mit dessen politischer grenze, im w. mit der Mulde, im s. mit der curve Chemuitz-Dresden-Schandau bezeichnet sein mag. überall sonst überwiegt ei im Wechsel mit aw, aber in verschieden- gradigem Verhältnis; so hat besonders das schwäbische noch so zahlreiche äu und e«, dass die Schriftsprache zur erklärung nicht ausreicht, vielmehr hier erst ein geringerer grad der enlrundung erreicht zu sein scheint als in den andern gegenden (vgl. wider unter müde aao.). endlich bleibt noch zu erwähnen, dass junge monophthongierung des nhd. diphthougs, wie sie bisher für alle paradigmen mit diesem zu constatieren war, in häser (vgl. Üs Anz. xvui 411, ÖS, öS 0. s. 211 f usw.) nur widerkehrt zwischen Saale und Elster, sowie am Böhmer und Bairischen Wald, dass sie hingegen in Schlesien, wo sie sonst ein grofses festes gebiet ausmachte, nur in wenigen vereinzelten Ortschaften bezeugt wird und hier daher der sing, hos und der pl. häuser (auch mit oi, oui uä.) lautet.

Für den auslaul -er kann wider (wie bei bruder o. s. HO, was- ser Anz. xix 283) auf winter Anz. xix 110 verwiesen werden, jedoch unter folgenden einschränkungen. nimmt man die oben skizzierte oslfriesische ecke (mit umlautslosem hUs-) vorweg, die die endung -en hat (vgl. giansen Anz. xvin 40ü. 4081), dann sei vom nord- westlichen niederdeutsch ein bezirk etwa durch eine curve ab- geteilt, die von Geldern über Xanten nach Isselburg, ostwärts über Bocholt und Borken nach Haltern a. d. Lippe zieht, dieser bis Hamm folgt, ganz unsicher längs Werse und Ems gen u., von Haselünne wider östlich nach Vechta, von Vechta nördlich gegen Oldenburg läuft und dann ungefähr durch den 53 breitengrad bis zum schnitt mit dem 28 längengrad, endlich durch diesen bis an die Ostsee gebildet wird: dieses ganze nordwestliche grenz- gebiel hat einmal die endung -e gehabt, die heute nach mafsgabe

BERICHTE ÜBER WECKERS SPRACHATLAS IX 219

aller übrigen i)liiral-e gesclnvuiulen oder erhallen ist (vgl. unter y«ws« Anz. xvni 40S), clli. sie lelilt am Mederrhein , ist im schwinden J)egrifl'en an der oberen Vechle, besteht noch an der Ems und fehlt wider nördlich vom 53 grade, wenn auch namenthch im mündungsgebiet der Weser noch viele erhaltene -e die Jugend des sonstigen Schwundes bezeugen. I'reilich ist jenes ganze gebiet mehr oder weniger mit -er -Formen durchsetzt, sonst liommen auf *hüse zuriickgehnde formen mit abtall des -e nur zerstreut noch auf nd. bodeu zwischen Oder und Weichsel vor. die endung -ere zu beiden seilen der mittleren Weser entspricht der von Winter (Anz. xix 110); ebenso im o. von Forst bis IMüllrose, von wo sie sich bei häuser dann aber viel weiter nach w. erstreckt und noch einem districl zwischen Müllrose, Konigswusterhausen, Treuenbrielzen, Ilerzberg, Finslerwolde, Buchhoiz, Friedland zu- kommt, ebenfalls zweisilbige -ere an der oberen Saar innerhalb des bogens Saaralben, Lülzelstein, Pfalzburg, Saarburg werden auf *-eren zurückzuführen sein.

Die platldänische Ibrm lautet hüs, die auf *hüse zurückgeht, wie häufiges hues beweist (häufiger als im sing., vgl, sonst o. s.215 f). die Nordfriesen haben hüssiuge und hössinge (daneben -inger, -ing, -eng, auch -ang auf Amrum).

31. lente (satz 3S).

Die nhd. diphthongieruug herschi nördlich der Mosel nur so weil, als nicht durch die gulturalisierung des folgenden dentals vocalkürze eingetreten war (s. u.); erst zwischen Blankenberg a. d. Sieg und Allenkirchen fällt ihre grenze mit der allgemeinen diphthongierungslinie zusammen und stimmt im einzelnen zu der von hanse (o. s, 215), nur dass lür Schweinitz a, d, schwarzen Elster, einen schwankenden greozort, hier wider alle länge be- zeugt wird; die süddeutsche diphlhonglinie variiert nördlich vom Bodensee ein wenig, indem Stockach und einige nachbarorte hier schon diphthongieren.

Sonst ist der vocalismus in lente im wesentlichen gleich dem eben behandelten in hänser (nur gewöhnlich die Schreibung en stall des dortigen d«), bis auf folgende eigenarten. natürlich fehlen die lormen ohne umlaut. Mecklenburg und Pommern deuten mit etlichen üe auf die verlorene endung (s. o. s. 215f), während bei hänser, wo diese bedingung fehlte, reines ?7 herschte. das dortige hess. -thüriug. gebiet mit vocalkürze (hisser) hal hier lediglich alle länge (7 und i mit gleicher Verteilung wie dort i und »); nur ein nördlicher zipfel an der oberen Leine, der von Hedemünden bis Worbis durch die iklich-Yiaie, von Hedemünden bis Allendorf durch die Wcrra und gegen so. durch einen Wan- fried und Dingelsledl nicht mehr umschliel'senden bogen begrenzt wird, hat kurzen vocal, wie die consouantengeminalion dartut (im westlichen drittel lüdde, sonst lidde). aufscrdem hal lente kurzen vocal im ripuarischen gulturalisierungsgebiet (s. u.) und in

220 BERICHTE ÜBER WE.NKERS SI'RACHATI.AS IX

einigeil daraiistofseiiden enclaven, so nördlich davon im uesent- liclien reclitsrlieiniscli Ins Ürdingen-Werden-Laugenberg-Barnieu- Remsclieid (lült) und südlich davon zwischen 50 l>reilengrade und Sauer (lett, Jätt, auch vereinzeil in der gegend von Diedenholen); endlich im siiddeulschen monophthonggehiet {Uli, lütt, mit Verteilung von i und n wie bei hanser und mit zahlreichen einfachen /-Schrei- bungen), schlesisches läte ichh vollkommen, sodass die dortigen vereinzelten Iiäser nur analogiebildungen zum monophthongischen sing, sein werden; vielmehr deuten versprengte ö, oa, ou, au darauf liin, dass der weg der monophthongierung hier ein andrer sein wird (o?>ö). für sich steht ö an der Vechte und Ems um ISeuenhaus, Lingen, Nordhorn, Schilttorf und zerstreut weiter süd- westlich längs der reichsgrenze bis zum Niederrhein hin, eu in einigen orten nördlich davon und westlich von Meppen , en in schmalem streifen zwischen WilsnacU und Ruppin. zum ripuari- sclien vocalisnius s. u. beim consonantismus.

Das gebiet der weslfäl. diphtliongierung ist hier bei leiite von allen bisherigen paradigmen am grösten und abgerundetsten; es sei daiier genauer beschrieben als Anz. xviii 410. es lagert sich der /fr/?cA-linie nordwärts vor vom Rothaargebirge bis zum Oberharz, nur von Fürstenberg bis Hedemündeu herscht in ihrer nächsten nähe, etwa bis einschliefslich Corbach, Landau, Liebenau, Trendelburg, noch ausschliefslich alter monophlhong, der auch sonst überall im übrigen gebiet (am wenigsten in seinem west- lichen flUgel) nocli geschrieben wird, desgl. am östlichen ende von Worbis bis ausschliefslich Duderstadt und einschliefslich Osterode, gegen w. bleiben Olpe, Attendorn, Plettenberg, Neuenrade, Höh. Limburg, Schwerte, Lünen, Werne, Ahlen, Warendorf, Versmold, Molle, Lübbecke, Minden noch gerade von dem lautlichen process ausgeschlossen, von der Werremündung bis Rinteln ist die Weser grenze, die dann östlicher Süntel- und Deistergebirge ein- und Obernkirchen, Stadihagen, Sachsenhageu, Wünstorf ausschliefst, die Leine wird oberhalb Hannover gekreuzt und weiter gen o. Burgdorf aus-, Peine ein-, Braunschweig ausgesclilosseu, endlich gehts gen s. auf den Oberharz zu über Wolfenbültel, Homburg, Osterwieck, Gos/crr, wobei die beiden cursiv gedruckten orte im innern des gebietes bleiben, restierende i? sind am rande des gebietes am häutigsten; an einigen stellen dieses randes über- wiegen aber die Öü und verwante Schreibungen, so an der Lenne zwischen Altena und Iserlohn, wider nördlich der Lippe an der obersten Ems bis zum Teutoburger Wald, ferner am südrande von Rhoden-Warburg über Peckelsheim-Borgentreich bis Borgholz und Beverungen; im Leinegebiet oberhalb Göltingeu herscht eu vor. sonst ist ui das allgemeine, besonders zwischen Teuto- burger wald und Weser öfter durch il ersetzt.

Vom consonantismus, soweit er nicht schon berücksichtigt wurde, bespreche ich zunächst den bezirk der ripuarischen gut-

BERICHTE ÜBEU \VE>KERS SPRACHATLAS IX 221

luralisieriiiig, der mit tlea betr. augabeü unter pfund usw. (Xin. xix 104 (T), auch unter luft (ib. 277 t), icein (2S0) zu vergleichen ist und folgende begrenzung hat (-cfr-orfe curstv) : Montj'oie, Eupen, Cornelimünster, Stolberg, Eschwoilei', Düren, Aldenhoven, Jülicii, Bergheini, Grevenbroich, Oilenkirchen , Gladbach, Neufs, Düssel- dorf, Leichlingen, llOhscheid, Dorp, Burg, Remscheid, HilcUes- wagen, NVipperfUrlb, Gummersbach, Waldbröl, Blankenberg, Alteu- kircheu, Linz, Sitizig, Breisig, Adenau, Virneburg, Kelberg, Dann, Gerolstein, Schönecken, Killburg, Bilburg , Neuerburg, dem an das südende angrenzenden lelt, lält (s.o., vgl. dutt Anz. xix 350, das aber noch Östlicher in hier schon diphthongierendes land greift) entsprechen im südlichsten teile jenes bezirkes leckt und leck bis zur Schnee-Eifel (vgl. dukt und f/j<cfr aao.) ; noidlich dieser kommt lockt einem westlichen grenzstreifen zu bis in die hohe von Malmedy; sonst herscht lock, das durch lück ersetzt wird im nördlichsten teil etwa innerhalb des winkeis Gladbach-Kölu-Gummersbach,

Beim schnitt der ostgrenze dieses cA"-gebietes mit der Sieg ist sodann eine linie einzusetzen, die von hier zu der entspre- chenden scheide bei müde (Anz. xix 354) im grofsen und ganzen stimmt und gegen s. diejenigen formen abschneidet, die den dental als d oder t bewahrt haben', nördlich dieser linie hat sich das (/ nur innerhalb des winkeis erhalten, der etwa in ülzen seinen Scheitel hat und den einen Schenkel nach Travemiinde, den andern nach Winsen und die Elbe abwärts sendet, obwol der Schwund des dentals auch hier schon oft genug bezeugt wird, namentlich im östlichen teil des bezirkes; sonst noch d an der oberen Vechte von Gronau-Dülmen bis Rheine-Münster (wechselnd mit seltenerem ausfall oder r) und / an der unteren Ruhr von Kettwig abwärts {Ifit als nördliche fortsetzung des erwähnten lütt um Düsseldorf und Elberfeld); Übergang in r wie bei müde; der Mederrhein hat liij bis einschliefslich Straelen, Geldern, Dins- laken und ausschliefslich Dorsten, Isselburg.

Innerhalb jenes grofsen complexes, der sonst den dental bewahrt, hat der westliche waldeckisch-hessische zipfel vorwiegend rf, das auch östlich der Fulda etwa bis Rotenburg-Worbis vor- kommt (über dd s. o.), sonst t, das Ostlicher an die ?Ä7/c/i-linie reicht bis Ermsleben, das aber selbst schon t hat, und dann meistens mit dem nhd. diphlhong in seiner ausdehnung zusammen- fällt; doch haben zb. jenseits der Elbe wider Schweinitz und SchOuewalde mit nachbarschaft Ute und die gegend zwischen Frank- furt, Lebus, Goritz, Sonnenburg, Drossen, Reppen leide (vgl. o. u. aus s. 210); sonst d im f-gebiet häufiger im kgr. Sachsen (bei vor-

' dieser verweis aufm/VWe setzt voraus, dass man sich jene karte auf dem papier reproduciert hat ; wer sich die linie für leute nur nacli dem text von müde zeichnen will, wird das etwas umständlich finden; vielleicht gostattet später die zu erhoffende gröfsere raurafreiheit in solchen fällen eine kurze, für den bcnutzer bequemere widerholung. Anz. xix 354 z. 28 lis nördlicher st. südlietier.

222 BERICHTE ÜBER WE.NRERS SPRACHATLAS IX

haiiilener endiiiig). au der unteren Glalzer iNeilse zwischen Brieg und Kaikenberg ül'ter leulle. östlich der unteren Oder lüg, läj wie mög, mdj bei müde, vereinzelte leur, leir noch in der Pfalz um Kusel und Baumliolder und im hessischen längs der grenze zwischen dentalschwund und -erhaltung.

Das plural-e hat im allgemeinen die gleiche ausdehnung wie bei ganse (Anz. xviii 40S) , nur dass alle süddeutschen eudungs- reste, die dort auf -en zuriickgehn, hier völlig fehlen, im sw. des grofsen norddeutschen e-gebietes überwiegen flexionslose formen schon viel weiter nach Westfalen hinein, etwa bis zur ungefähren curve Stadtlohn-Münster-IIamm-Altena ; von hier gen s. und so. ist ihre grenze sehr deutlich und sei (zum vergleich m\\. gänse und mit Äa«se o. s. 216) hier beschrieben (endungsorte cursiv): Lüdenscheid, Plettenberg, Meiiierlshagen, Attendorn, Ürols- hagen, Olpe, Hilchenbach, Laasphe, Biedenkopf, Marburg, Amöne- burg, Kirchhain, >'eustadt, Rauschenberg, Gemünden, Treysa, Borken, Homberg , Schwarzenborn, Rotenburg, Hersfeld, Berka, Sontra, Creuzburg, Treffiirt, Mühlhausen, Thamsbrück, Schlotheim, Tenn- stedt, Gebesee, Sömmerda, Erfurt, Gotha, Arnstadt, Ohrdruf, Plane, Ilmenau, der rest wie bei gänse. zu etlichen -er, -r im munduugsgebiet der Weser s. u. müde Anz. xix 355.

Die Dänen haben folk; dgl. ein teil der Friesen; Sylt über- liefert lidden, Amrum und Führ lidj, das Saterland Ij'ude. 35. leuten (satz 40).

Einige abweichungen im consonantismus gegenüber dem eben behandelten nomin. erklären sich aus der Verschiedenheit der endungen, deren entwicklung daher hier vorweggenommen wird, ich beschreibe zuerst ein grofses nd. und md. gebiet mit bewahrtem -en und der nordgrenze (-en-orte cursiv) Düsseldorf, Gerresheim, Merscheid, Gräfrath, W'ülfrath, Elberfeld, Westhofen, Iserlohn, Unna, Werl, Beckum, Soest, Lippstadt, Gütersloh, Waren- dorf, Versmold, Osnabrück, Melle, Lübbecke, Rhaden, Diepholz, Syke, Hoya, Relheni , Nienburg, Hudemühlen, Celle, Wittingen, Gifhorn, Obisfelde, Braunschweig, [lelmstedt, Schöningen, Schwaue- beck, Halberstadt, Kroppenstedt, Quedlinburg, Ermsleben, Aschers- leben, Bernburg, von hier ostwärts die unter fehle (Anz. xix 285, vgl. hause o. s. 215) skizzierte acc.-grenze bis Landsberg a. W'arthe, der rest etwa wie ikjich; die sUdgrenze geht von Köln (links- rheinisch wird zwischen Düsseldorf und Köln nur noch ein kleiner etwa bis zur Erft reichender -ew-district mitgenommen) bis Linz um wenige orte dem Rhein parallel, dann nordöstlich zum Rothaar- gebirge, über dieses bis Schmallenberg, Berleburg, dann entspre- chend der -en-grenze von sitzen (Anz. xix 359) bis zum Thüringer- wald, endlich über den Frankenwald und östlich von Hof auf die reichsgrenze; dieses gesamte gebiet bewahrt -en, das nur öfter zwischen Teutoburger wähl, Wiehen- und Sünlelgebirge, ferner im kgr. Sachsen, seltener in Schlesien und sonst zu -n

BERICHTE ÜBER WECKERS SPRACHATLAS IX 223

synkopiert wird ; die schles. gebirgsgegeiideu haben -a wie bei sitzen (Aiiz. xix 360) und machen (o. s. 208).

Alles laud, das nördlich dieses complexes zwischen Rhein und Oder liegt, ersetzt den dat. im vorliegenden salze durch den acc, der dem oben behandelten nom. gleicht, dasselbe gilt für das noch übrige linksrheinische laud nördlich vom 51 breileugrade. östlich der unteren Oder und nördlich der -e;t- grenze hersclit der acc. noch bis etwa Misdroy-Stargard i. P.-Driesen, l'erner im ganzen no. jenseits einer ungefähren linie, die vom Gardeschen see an der Ostsee nach Pr. Stargard, weiter siUilich nach Culm, östlich nach Bischol'swerder, südöstlich nach Lautenburg zieht, wo nur im mitt- leren teil, etwa zwischen Passarge, unterem Pregel und 39 grad, zahlreiche -e (<C -en) ein schwanken zwischen dal. und acc. be- zeugen, das dazwischen liegende gebiet in Pommern uud Posen hat den dativ, dh. -e, -«, -a, -o wie bei sitzen und machen.

Alle noch übrigen gegenden südlich jenes grofsen -e/t-bezirkes haben gleichfalls in weiten strecken den dat. bereits aul'gegebeu, in anderen liegen dat. und acc. im unentschiedenen kample, und nur selten lässtsich ein ausschliefsliches dat.-gebiet noch abgrenzen, letzteres ist einmal im w. an der luxemburgischen grenze der fall, wo reines -en (nie -n) soweit reicht wie bei machen (o. s. 209), nur im s. eingeschränkter bis Bolchen und Saarlouis einschliefslich; ferner im nordbair., wo etwa zwischen Donau, Rednitz und Rani- berg-Hof -n (fast nie -en) durchaus überwiegt, freilich längs der Donau schon viele endungslose accusative eindringen, die dann zwischen Donau und Lech die -u-dalive immer mehr, wenn auch nie vollstäntlig, verdrängen, sonst finden sich unzusammenhängende und voraussichtlich immer mehr zusammenschrumpfende dativreste im ripuarischen und südlicher längs des randes jenes moselfränk. -eu-gebietes (meist -e, selten -en), ferner im hessischen längs des grofsen nördlichen -en-complexes ungefähr bis Treysa-Fulda- Fladungen-Zella (-e); in beiden fällen spricht die nähe der noch deutlich tixierbaren -e/i-grenze dafür, dass die dative auf -e {<C -en) dem acc.-angrilT leichter zugänglich sind als die auf volles -en; zu scheiden hiervon ist ein westlicheres -e-gebiet an der oberen Lahn und Eder, dessen -e die alte acc.-endung ist, wie genaue Über- einstimmung mit der linie beim vorigen paradigma beweist, im alem. hält sich der dat. neben dem acc. noch im Elsass zwischen Breusch und Biber (-e, seltener -a) , in dem etwa durch Lahr- Radolfzell abgeschnittenen Rheindreieck (dgl.), an den Oberläufen von [Neckar und Donau und längs des Bodensees und der südöst- lichen reichsgrenze (-a), endlich an der bair.- fränk. grenze im no. um Nördlingen, Öltingen, VVasserlrüdingen (-a).

Ein besonderes wort verlangen endlich noch pleonaslische endungsformen , die vereinzelt schon im beschriebenen nordbair. bezirk erscheinen {-neu, -nan), dann aber besonders seinem westlichen vorlande characterislisch sind ungefähr bis Altmühl,

224 BERICHTE LBER WENKERS SPRACHATLAS IX

Sleigerwaltl uiul Hassliirt-Zella (vornehmlich -na, um Zella -ene) und alle aut -e«en zurückgehn (vgl. uhd. denen), die spätere zugeliürige artikelkarte wird solche endungen gleichfalls aufweisen, und ein vergleich von den und leuten wird dann zeigen, dass das schwanken zwischen altem dat. und eindringendem acc. sich hier in allen möglichen comhinalionen ausspricht, nämlich (in sonst nhd. form) mit den leuten, mit denen leuten, mit den leutenen, mit denen leutenen, mit den leute, mit denen leute, mit die leuten, mit die leute (nur mit die leutenen scheint nicht vorzukommen), überhaupt ist für die frage nach dat. oder acc. der vorangehnde artikel nicht immer mafsgebend, und es fragt sich häutig, ob der acc. leute nur formal oder auch syntaktisch verwendet wird, dh. ob man decliniert dat. den leute, acc. die leute oder die leute, die leute. Aus dieser geschichte der flexionsendung erklären sich die abweichungen bei leute und leuten im dental, zunächst wird dort, wo der nom. endungslos ist und daher im auslaut lenuis geschrieben wird, bei bewahrter dativendung natürlich häufig media geschrieben, so im ripuarischen gg für ck, ckd liir ckt, dd für tt {lüggen am Rhein zwischen KOhi und Düsseldorf, logge südlicher, löckden, leckden, leggen, ledden au der Eifel), entspre- chend d für t im moselfränk. -en-gebiet {leiden überwiegend), dd und tt wechselnd in den endungsformen der alem. mono- phlhonggegenden {lidde und litte, lildde und lütte), d und t wech- selnd in den schwäb. und bair. dativresten {leida und leita, leidn und leitn). im uordbair, -n-bezirk ist der verschlusslaut vielfach ganz geschwunden, resp. dem folgenden n assimiliert {lein, leina usw.). die dem moseliränk. -eu-complex ostwärts vorgelagerten endungsformen haben häufig r statt d {leire), das vereinzelt schon beim nom. auftrat {leir) und für die Jugend der apokope zeugen konnte; dgl. sind die hess. ?" hier im dat. zahlreicher {leire, llre zwischen Ziegenhain und Hersfeld), das im wesentlichen rechts- rheinische gebiet von Düsseldorf bis Ürdingeu, das den nom. lütt halte, hat in seiner kleineren östlichen hälfte (etwa von Mer- scheid- Velbert bis Remscheid-Langenberg) noch den selbständigen dativ luden (westlicher den acc), und ein zipfel um Grevenbroich zu beiden selten der Eiit unterscheidet den acc. lock, lück und den dat. Inen, lue. (fortselzung folgt.)

Marburg i. H. . Feud. NVrede.

Am 19 Januar starb zu Wien im 37 lebensjahre der k. und k. gymnasialprofessor dr Karl Toma>etz, der dem Auz. auf dem gebiete der deutschen syntax ein treuer mitarbeiter war.

Doc. dr Gustav Cederschiöld in Lund ist als professor der nord. sprachen nach Gotenburg berufen; privaldoc. dr Andreas Heusler in Barlin wurde zum aufserordentl. professor befördert. für deutsche Philologie habilitierte sich in Wien dr Karl Kraus, für neuere deutsche lilleratur in Wien dr Oskar F. Walzel, in München dr Karl Boriisski.

ANZEIGER

FÜR

DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LIHERATUR

XX, 3 Juli 1894

Ncnnius Vindicatus. über entslehung, gesciiiclite und quellen der Historia Brittonum. von Heinrich Zimmer. Berlin, Weidmannsche buclihand- lung, 1893. VIII und 342 ss. 12 m.

Nicht nur äufserlich erinuert dies buch an MüIlenholTs Aller- lumskunde: auch die methode der forschung, welche MüllenhofT auf germanischem gebiete so erfolgreich ausgebildet hat, erscheint hier auf die keltische philologie übertragen; auch die darslellungsweise, welche die Untersuchung selbst vorlegt und, indem diese keiner Schwierigkeit aus dem wege geht, die aufmerksamkeit des lesers ge- waltig in anspruch nimmt, kehrt bei Z. wider, ref. ist aufser stände, die Sprachdenkmäler in irischer und walisischer spräche, welche dabei in frage kommen, selbständig nachzuprüfen ; schon deshalb muss er sich begnügen, mehr einen bericht über die überaus reichen ergebnisse Z.s abzustatten, als dass er sie zu beurteilen unternähme, für einen solchen bericht ist durch Z. selbst die grundlage gelegt worden in der Zusammenfassung auf s. 275 ff. doch wird es sich verlohnen, in diese übersieht noch manche andre puncle aufzunehmen, insbesondere solche, die für die deutsche philologie eine besondere bedeutung anzusprechen haben, es han- delt sich um die von jeher mit einander in Verbindung gesetzten schrillen des Gildas und Nennius. Gildas der weise (s. 255 ff), gegen 500 geboren, war in seiner Jugend in Irland gewesen, halte aber seine hildung durch Iltut in Glamorgau erhalten; er verfasste vor 547 seine klagschrill 'De excidio Britanoiae' an die herscher in Südwestbrilannien, blieb nach einer Romfahrt 555 in der Bretagne und starb 570 in dem von ihm in der nähe von Vannes gestifteten kloster, nachdem er noch einmal Irland besucht hatte, ihm, nicht dem in der hs. genannten Lathacan, gehört auch die in reimenden elfsilblern verfasste 'Lorica' an, welche die abwendung einer seuche, vermutlich der von 547 erfleht; wie auch die 'Hisperica famina' und ein alphabetischer hymnus io der gleichen zeit und Umgebung geschrieben sind, unter dem eiu- iluss des Martianus Capeila und des Juvencus, in einem latein, welches mit griechischen und hebräischen worlen gespickt ist (s. besonders den anhang s. 291 ff, den die latinislen nicht aufser acht lassen werden). Gildas nun schrieben die walisischen Schrift- steller des 12 jhs. auch die 'Historia Brittonum' zu (s. 308 anm.). diese gehört aber vielmehr dem Nennius an, dessen existenz ganz A. F. D. A. XX. 15

226 ZIMMER NENNIL'S VINDICATüS

mit unrecht auch von neuereu augezweifelt wird: Nennius schrieb sie 796 in der gegend des heutigen Buillh am Wye, westlich von Hereford. er benutzte dabei allerdings Gildas klagschrift, welcher er auch einige phrasen entlehnte, obschon er ihrem schwulste gegenüber sonst recht uni)eholfen schreibt, er flocht reichlich chronologische und genealogische notizeu ein, von denen er die ersteren teils aus Euseb-Ilieronymus und Prosper ent- lehnte, teils aus einer irischen schrill 'De sex aetalibus mundi' mit mancherlei rechentehlern anpasste. in diese 628 640 ver- fasste Schrift war auch die fränkische Vülkertafel und zwar in der fassung der Reicheuauer hs. aufgenommen (s. 253), obschon die andere, verbreitetere fassung auch in Irland bekannt war; ver- mutlich waren es bretonische mönche, welche vielleicht nicht nur vermittelten, sondern auch an der herstellung der Völkertafel an- teil haben, noch andere irische quellen flössen Nennius zu: ein 'Lebor Gabala', der wol schon dem tractat 'De sex aetatibus' an- gehängt war und die sagen von den verschiedenen besitzergrei- fuugen auf Irland zusammenfasste; ein 'Liber Sancli Germani' und eine 'Vita Patricii'. an Gildas klagschrift schloss sich schon früher eine reihe von notizen über die geschichte der anglischen und kymrischen reiche in Nord- und Mittelbritaunien, bis 679 fortge- führt, später noch mit Zusätzen versehen, diese notizen sind das einzige stück in Nennius, welches selbständigen historischen wert hat, und zwar nur wegen des Verlustes seiner vorläge, ein- geflochten sind hier die anglischen königsreihen bis auf Woden zurück; auch die kentische findet, wenn auch verstümmelt, ihren platz in Nennius. am Schlüsse vermehrte Nennius die Mirabilia, insbesondere um solche seiner heimal. er nennt sich einen Schüler des bischofs Elbodug von Bangor, und zu dessen absieht, die früher selbständige kirche von \Vales Rom zu unterwerfen, stimmt nicht nur die aufnähme der Patriciuslegende, sondern auch die einführung eines Lucius als des ersten christlichen köuigs von Britannien (s. 145 0"). eben diese richtung teilte auch Beulan, welchem eine interpolierende, auf Beda rücksicht nehmende be- arbeitung zugeeignet ist: der schUler Beolans nennt sich, viel- leicht nur Pseudonym, Samuel, und schrieb 810 auf der insel Anglesey. aus dieser nordwalisischen bearbeitung floss eine irische Übersetzung von Gilla Coemgin um 1070, welche, wenn sie auch die ausdrucksweise kürzt, doch den Inhalt des Nennius am ge- treusten widergibt, aus einer anderen, auch durch blattumstellung verderbten vorläge giengen die lateinischen handschriften, insbe- sondere die harlejanische hervor, deren fassung in Südwales schon 831 vorhanden war und die zt. später wider zusätze aus der nordwalisischen form erhalten haben, noch weiter entstellt, ins- besondere durch weglassung der in Beda besser und ausführlicher erhaltenen partien über die geschichte der Angelsachsen , auch stilistisch überarbeitet liegt der text vor in einer Valicanischen

ziMMEn ^EN^■Iüs vl^DICATL's 227

hs., die ihrer kürze wegen von den bisherigen gelehrten als die ursprünglichste texlrecension bezeichnet worden war. diese re- cension ist die englische und etwa 046 verfasst.

Von besonderer Wichtigkeit ist IS'eunius für die Arlhursage, die durch ihn für Wales schon im 8 jh. bezeugt ist, deren Vor- handensein aber durch aus ihr geschöpfte namen selbst für das 7 jh. aufser zweifei gesetzt wird, überzeugend weist Z. den ein- wand ab, welchen man aus dem schweigen des Gildas geschüptl liat: Gildas nennt überhaupt keine namen in seiner Vorgeschichte, die von Gildas angeführte schlacht am Mons Badonis setzt Z. gegen 500 an; er nimmt an (s. 286), dass Arthur die stelle des römischen dux Brittanniamm auch noch in dieser zeit bekleidet habe und eine erinnerung daran in § 56 des Nennius noch er- halten sei: Tunc Arthur pugnabat contra illos in Ulis diebus cum regibus Brittonmn, sed ipse dux erat bellorum. Arthur wäre also ein geschichtlicher held, mit einem vermutlich römischen namen. wenn ich mir erlaube daran zu zweifeln, obschon auch Müllen- hoff an der geschichtlichkeit Arthurs stets festgehalten hat, so be- wegt mich dazu der durchaus sagenhafte, auf einen heros hin- deutende character dessen, was sonst von Arthur berichtet wird: so bei Nennius selbst in omnibus bellis victor extitit; zwölf schlachten sind es, die er ausficht; in der zwölften tötet er allein 960 mann, dazu kommen die in § 73 erzählten geschichten von Arthurs jagd auf den eher Troynt und von dem denkmal, das er seinem hund Cabal setzte, sowie von dem grab des Amir, des Sohnes von Arthur, den dieser selbst erschlagen und begraben haben soll, das sind doch alles züge mythischer art, die zu dem, was später durch Gottfried von Monmouth aufgebracht worden ist, sehr gut stimmen, sind aber diese mythischen züge auf einen historischen beiden übertragen worden, so müssen sie doch schon vorher vorhanden gewesen sein, und so legen sie m. e. zeugnis ab von einem heros oder gott der britannischen mythologie. Strafsburg, sept. 1893. E. Martin.

Shakespeare und das tagelied. ein beitrag zur vergleichenden iilteralur- geschichte der germanischen Völker, von dr Ludwig Fbankel, docenten an der kgl. technischen hochschule zu Stuttgart. Hannover, Helwing- sche Verlagsbuchhandlung, 1893. 132 ss. 3 m.

Romeo, nach der brautnacht durch einen vogelruf aufge- schreckt, schickt sich zum weggehn an; Julia hält ihn aber fest, denn nicht die lerche habe gerufen, sondern die nachtigall: diese scene in Shaksperes trauerspiel (ni 5) fasst F. als die drama- tisierung eines tageliedes, welches Shakspere aus Deutschland empfangen habe, die ganze abhandlung soll 'der erste ansatz zu einer auf rein concretem wege vorschreilenden Verknüpfung des

15*

228 FRÄNKEL SHAKESPEARE UND DAS TAGELIED

grOsteo euglischen diclUers mit dem alleren germanischen schrift- luni des festlandes' sein und uns 'den germanischen geist in Shakespeare zum bewuslsein bringen', mit dieser vielversprechen- den ankilndigung will aber die vorliegende anfangsleislung nicht recht stimmen. F. ist nicht im stände, ein bestimmtes deutsches tagelied mit der Shakspereschen scene in durchgehnder parallele zu erweisen, so sehr er sich auch mühe gibt, einzelne Wen- dungen bei verschiedenen mhd. dichtem widerzufinden , zb. teilt thou he gone in Wallhers war gäbest also balde, oder severing douds in NVollVams (<ler tag) glestet durch die icolken, oder yon gray in Konrads von NVürzburg der tac vil heiter wide grd (s. 49 58). ebensowenig vermag erden weg anzudeuten, auf welchem Shak- spere, dessen kennlnis der Iranzüsischen und italienischen spräche schon mit mühe aufrecht zu erhalten ist, zu einer längst in den Hintergrund gedrängten gattung unserer liltcratur wol gekommen wäre; Übersetzungen deutscher tagelieder sind nicht nachzuweisen; deutsche einflüsse auf England, in der reformationszeit sehr stark, schwanden überhaupt in den letzten jähren der Elisabeth auf ein minimum, und wenn F. in der verlegenlieit auf holländische ver- miltelung rät, stützt er eine schwache hypothese mit einer noch schwächern. endlich ist nicht abzusehen, wie die aufnähme der tageliedform , die doch auf romanischem boden erstand und am meisten blühte, gerade ein beweis für Shaksperes germanische art sein soll.

Warum so in die ferne schweifen? ein liebespaar, umgeben von gefahren und am morgen durch ein vöglein geweckt, um sich mit schmerzen zu trennen , war bereits in der englischen poesie vorhanden, bei dem gröslen dichter mittelenglischer zeit, der für mehr als ein drama von Shakspere unmittelbare haupt- queile war. Chaucer halte in der 'Klage des Mars' den kriegs- gott und die iiebesgötlin, die sich ein zärtliches abenteuer ge- statten, beim aufgang der sonne in dieser art aufscheuchen lassen: ye lovers, Ihat lye in eny drede,

fleelh, lest wicked longes yow espye!

loo, yond llie sunne, the candel of jalousye! wilh teres blew and with a vvounded lierle

takelh your leve and wilh seynl Jolin to l)oro\ve

apeseth sumwliat of your paines smerle:

lirae comelh efl, ihat cesen sliall your sorovve.

'ihe glade night is worlh an hevy morowe':

Seynl Valeutyne, a foule thus lierde 1 singe

upon thy day, er sunne gan up sprynge.

(Aldine ed. vi 260). mit dieser stelle hat Shakspere sogar manches worl gemein, für welches F. die abgelegensten parallelen sucht: {morow) grey, candle, torch ; obwol ich auf solch äufserliche Übereinstimmungen am wenigsten gewicht legen möchte, auch der trostungsversuch

FRÄNKEL SHAKESPEARE UND DAS TAGELIED 229

widerholt sich bei Shakspere, und die ähnlichkeit der situalioa ist jedesfalls so grofs, dass man die Shaksperesche scene nicht als unerhörte neuerung auf englischem boden bezeichnen dart. überdies waren diese Chaucerschen verse zweimal von Lydgate nachgeahmt worden, im eingang zur 'Klage des sciiwarzen rillers', und namentlich im arifang des 'Buchs der hölischkeit', wo der vogel bereits als lerche näher bezeichnet ist. F.s behauptung, dass tageliedähnliche dichlungen in der englischen litleratur voll- ständig fehlten, beruht also nur auf unrichtigem suchen, er durchblätterte die 'Relics' von Percy, der doch hauptsächlich aus flugblättern und einer hs. des 17 jhs. schöpfte (vgl. die einlei- tung von Schröers neudruck und das capitel 'Englische volks- poesie' in Pauls Grundriss), also von vornherein für das 16 jh. keine zeugenschaft versprach; wenn F. das höfisch-gelehrte lied- chen 'Over the mountains', dessen kern von Percy iii 236 als 'ancienl' bezeichnet wird, gleich ins mittelenglische versetzt, zeigt er sich vorschnell im urteil und in der älteren lyrik wenig be- lesen, er durchstöberte ferner einige bände bänkelsängerballaden, die eigentlichen volksballaden Childs, die zu neun zehnteilen erst seit dem letzten jh. aufgezeichnet wurden, und die spärlichen proben mittelenglischen sanges, welche Ritson vor bald hundert Jahren herausgab, als wäre seitdem auf diesem gebiete nichts mehr veröffentlicht worden, im übrigen verliefs er sich auf die aus- kunft eines fachgenossen, der die frage vvol nur auf den bereich seiner eigenen verdienstvollen abdrucke bezog, von der unmenge kunstmäfsiger lyrik , welche den weg von Chaucer bis Shakspere umwucherte und von vornehmen dilettanten modemäfsig gepflegt wurde, scheint F. wenig zu ahnen, sonst würde er das wort des hohlkopfs Slender in 'Merry wives of Windsor' i 1 über 'my book of songs and sonnets' offenbar sein abschreibebuch nicht schlankweg auf den einen Surrey deuten (s. 7). diese eigen- tümliche Vorbereitung zu eutdeckungen in der vor-Shakspere- schen periode durfte hier umsoweniger vertuscht werden, als sich F. im Vorwort 'eine fülle positiver Schlüsse' zuschreibt, 'die weitere errungenschaften auf diesem bislang fast brachen felde erhoffen lässl'. dass Chaucer nicht etwa in der germanischen tradition des tageliedes steht, sondern lauter romanische lehrmeister hatte, braucht kaum ausdrücklich bemerkt zu werden.

Nachdem Shakspere zum herold des tages in seiner haupt- quelle Brooke(1562) ist es Lucifer, wie in der Secloge des Vergil ein vöglein gemacht halte, wurde ihm die frage des Brookeschen Romeo, ob es würklich schon tag oder noch nacht sei, auf sehr einfache weise zur frage nach lerche oder nachligall. die lerche gehörte nämlich in der englischen liebes- und naturdichtung da- mals bereits zu der lieblingsstaffage einer morgenschilderiing (vgl. Lydgates Blume der höfischkeit, Spensers Epilhalamium und das Shaksperelexicon), und die nachligall nahm, abgesehen von ihrer

230 FRÄiNKEL SHAKESPEARE Ü>D DAS TAGELIED

bedeulung als vogel des Irühliugs und elegischer liebe, eine fast ständige rolle in den Schilderungen des abends oder der nacht ein; vgl. drei einschlägige belege bei F. s. 78 80; ferner Gas- coignes Philomene, Sidneys Song of lamentalion in Grosarts ausg. ni 51 , Shaksperes sonstigen gebrauch und besonders Barnlields 'Philomele, night -musique's king'. es ent<vickelte sich eben jene specifisch englische naturbeschreibung nach den tageszeiten, welche dann in Miltons Allegro und Penseroso voll ausgeprägt wurde, mit der lerche als Sängerin des morgens und der nachtigall als Sängerin des abends, während bei dem alexandriuischen Theokrit noch beide vögel zusammen mit der cicade in den heifsen stun- den des tages aulgetreten waren, statt diese Verhältnisse in Shak- speres zeit und heimat klarzulegen , führt aber F. eine masse alter und moderner, deutscher, romanischer, slavischer und orientali- scher liebesgedichte vor, in denen eine nachtigall, oft sogar irgend ein anderer vogel, irgend eine rolle spielt, seine drei würklich hierher gehörigen belege bringt er verstreut und als etwas neben- sächliches, ohne die funclion der nachlsängerin , auf die es bei Shakspere im gegensatz zur lerche ankommt, zu erkennen, denn sein hauptbestreben ist es, die lerche und nachtigall als erbstücke des lageliedes ganz im allgemeinen zu erweisen, zu diesem zwecke schüttet er eine chaotische gelehrsamkeit aus, mit hille zahlloser anmerkungen, die manchen satz dreimal unterbrechen und sich dem leser wie ebensoviel prügel in den weg legen, eine verwirrende citierwut beherschl das buch; ein characteristi- sches beispiel dafür ist es, dass der satz 'Shakespeare, der ge- feierte vater der modernen realistik, steht mit beiden füfsen auf dem boden seiner zeit' durch den hinweis auf einen aufsatz in den Baireuther blättern von 1885 erhärtet wird (s. 69). wenn das geheimnis der 'vergleichenden litteraturgeschichte', mit wel- cher auf dem tilel und im vorwort viel aufhebeus gemacht wird, in solch plan- und zweckarmer stolfanhäufung beslehn soll, kann man ihr nicht ernstlich genug entgegentreten, ich habe immer nur eine vergleichende litteraturgeschichte gekannt, aber nicht blindlings, sondern genetisch vergleichend, zuerst nach den un- mittelbaren beziehungen forschend und dann erst, wenn diese in der hauptsache dargelegt sind , nach tendenzen allgemeinster art ausblickend, was für das folklorestudium auf seiner gegen- wärtigen stufe ausreichen mag, taugt noch lange nicht als muster- methode für die behandlung fesler dichterpersönlichkeilen.

Im einzelnen habe ich mich widerholt über den mangel an kritik gewundert. F. hält den Passionale pilgrim schlechtweg für Shak- sperisch, obwol wir wissen, dass Shakspere über den misbrauch seines namens auf dem tilelblatt ärgerlich war und dass ihn der drucker daher in einer spätem aufläge wegliefs. er erklärt eines der darin enthaltenen sonette für eine Vorübung zur Romeoscene, obwol der Passionate pilgrim um jähre später erschien als das

FRÄ>KEL SHAKESPEARE UMD DAS TAGELIED 231

drama und jenes sonelt aut den unbefangenen gewis eher den eindruck einer groben uachahmung macht, er glaubt die skaudal- anekdote Davenanls von Shaksperes Vaterschaft, obwol sie höchst unsicher Uberhelert und längst auf einen gewöhnlichen kalauer Shakspere war Davenanls godlatiier zurückgeführt ist. er gibt einen 'kritischen lext' der hauptsachlich besprocheneu dramen- steile, der sich bei näherem zusehen als ein blofser abdruck der zweiten quarto entpuppt, ohne dass auch nur die sinnwidrigsten Unterscheidungszeichen geordnet wären, er scheint mir endlich ein nicht glaubwürdiger kritiker seiner selbst, wenn er sich im Schlusssatze seines buches rühmt, 'einen ungemein bedeutsamen gewinn' damit erzielt zu haben.

Slrafsburg i. E. A. BRA^DL.

Etymologisch woordenboek der nederlandsclie taal. door dr Johannes Franok. 's-Giavenhage, Martiiius NijliofT, 1S92. xxiv u. 619 ss. lex. 8'^. 15 m.

Nach mehr als siebenjähriger arbeit hat uns der wolbekannte verf. ein werk geschenkt, das für die nl. spräche dasselbe leistet, was Kluges Etym. Wörterbuch, nach dessen muster es entstanden ist, für die deutsche, wenn F. von seinem vorbild auch vieles einfach übernehmen konnte so zb. die selten xvi 11" der ein- leitung so hat er sich doch stets volle Selbständigkeit des Ur- teils bewahrt, manches neue material beigebracht und in einem grolsen teile seines buches, nämlich bei den nicht wenigen im nlid. gar nicht vorkommenden Wörtern, durchaus eigne arlikel geliefert, die Übersetzung des dem niederländischen Sprachforscher De Vries gewidmeten werkes ist durch Cosijn, Beets, JVVMuUer unil Uhlenbeck besorgt, von denen besonders der erstere neben Verdam an dem Zustandekommen des Wörterbuches stets tätigen und hilfreichen anteil genounnen hat.

In der vorrede sagt F., unter hinweis auf diesen Anz. xi 1 fl, er habe sich mit Kluges principien der Wortforschung im allge- meinen einverstanden erklären können und sich deshalb seiner leitung gern anvertraut, wegen des mangelnden raumes habe er bei manchen artikeln auf weitere ausführungen verzichten müssen, besonders auf einen zuweilen vermuteten tiefern Zusam- menhang zwischen wortgru[)pen von gleicher oder ähnlicher wurzel oft nur ganz kurz hingedeutet, da auf diesem gebiete des niederen Sprachlebens bis jetzt zu wenig systematisch vorgearbeitet sei. im vorbeigehn verwahrt er sich noch gegen eine unverantwort- liche kritik seines buches durch Beckering Vinckers (Taalstudie 5,26711") 1 und bespricht dabei die frage, inwiefern in einem werke

' während F. auf diese kritik damals Cosijn hat antworten lassen, nimmt er jetzt selbst veranlassung, sich gegen eine anzeige Jan te Winkels im Lit. centralbl. 1893, sp. 51(1 durch eine besondere broschüre: 'Notge-

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von der art eines etymologischen Wörterbuches zwischen liypo- thesen und sicheren ergebnissen überliaupt geschieden werden könne, beruht diese Unterscheidung doch so oft nur auf sub- jectivem gefilhl 1

Die einleitung (s. xni xvi) legt darauf die allgemeinen grund- sätze für die etymologische forschung und deren bedeutung für die culturgeschichte dar, spricht kurz über Wortschöpfung, wurzel- verwantschaft, onomatopoeie uä., um dann an der band von Kluge eine Übersicht der idg. und germ. Sprachgeschichte bis in die mnl. zeit zu geben, wo die letzte grofse schiebt von lehnwortern (aus dem franz.) eindringt, die eine eingehndere bebandlung als blofse Quellenangabe erheischt.

Wie nach F.s früheren arbeiten nicht anders zu erwarten stand, darf das werk als ein gediegener, gründlicher und in allen wesentlichen puncten durchaus zuverlässiger führer in der nl. etymologie bezeichnet werden. F. hat sichtlich keine mühe ge- scheut, um ein den heuligen anforderungeu entsprechendes buch zu Stande zu bringen, die modernen lehnwörter sind ebenso ge- wissenhaft behandelt worden wie altes erbgut, und der freund der niederdeutschen spräche wird es gewis gerade so gern in die band nehmen, wie der germanist und der anglist, denn auch die nachbardialecte sind überall eingehend berücksichtigt wurden, manchem mag vielleicht F.s skepticismus gegenüber herschenden meiuungen hin und wider zu weit getrieben erscheinen; doch ist gerade auf einem so schlüpfrigen gebiete, wo die kühnsten specu- lationen mit Vorliebe ihr tummelfeld gefunden haben und noch linden, zweifei und kritische besonuenheit gewis nicht zu tadeln.

Seit der zeit, wo die ersten lieferungen des VVb. erschienen, hat sein Vorbild Kluge fünf auflagen erlebt, und besonders die beiden letzten zeigen den ersten gegenüber einen grofsen fortschritt, was nicht zum geringsten auf der zahlreichen beteiligung freiwilliger mitarbeiter beruht, inzwischen ist auch ein etymol. Wörterbuch der schwed. spräche von Tamm, ein kürzeres der dän. von Jessen erschienen, und die beiden grofsen nl. wörleibücher, so- wie Murrays grofses New English diclionary rücken stetig fort, was in diesen und in den vielen etymologischen einzelforschungen der letzten jähre an sichern neuen erklärungen gewonnen ist, brauche ich nicht anzuführen: es wird gewis einer zu bolTenden neuen aufläge des F. sehen werkes zu gute kommen, hier möchte ich nur in aller bescheidenheit einige randbemerkungen zusammen- stellen, die ich mir beim durchlesen des buches gemacht habe, da sie nicht von einem kenner und meister, sondern nur von einem freunde der stammverwanten nachbarsprache kommen, darf

drungene beitrage zur etymologie. eine abrechnung mit prof. Jan te Winkel', Bonn 1893, zu verteidigen, wer die anzeige und die antwort darauf unbe- fangen list, wird nicht lange im Zweifel darüber bleiben, auf wessen seitf das recht ist.

FRA>CK ETYMOL. WOORDENBOEK DER NEDERLANDSCHE TAAL 233

ich sie umsomehr der wolwolleoden beachtuDg des verf.s empfehlen

vielleicht ündet er etwas brauchbares darin, auf jeden fall aber doch den beweis meines Interesses au seinem schönen buche, dem ich eine recht weite Verbreitung wünsche!

aak 'eiche' wird als dialectische nebenlorm von eik bezeichnet, es ist doch wol friesisch; vgl. aterlmg. germ. *dla- 'aal' kann nicht aus *anghla- entstanden sein. mnl. aelmisse 'almosen* scheint mir, gleich ae. a'bnesse, volksetymologisch an misse 'messe' angelehnt zu sein, beiden ist ja der begrilT des opfers ge- meinsam! — zu acht 'bann' vgl. ae. öht 'Verfolgung'. ogger: die Zusammenstellung von engl, eager, eagre 'flut im llusse' mit ae. egor- 'meer-' ist ebenso unhahbar, wie der vergleich mit lat. aeqtwr; vgl. die uebenform eagor-l s. darüber jetzt Murray s.v.

zu aker 'eimer' gehört auch e. ewer 'wasserkrug'.

Zu baard: die Langobarden sind doch wol eher nach ihrer watfe, der harte, als nach ihren härten benannt! vgl. Erdmann Über die heimat und den uanien der Angeln s. 77 IT; Kögel Anz. XIX 7. baas 'meister, aufseher' ist als boss auch ins amerika- nische englisch aufgenommen, könnte es nicht aus e. master, mit Übergang von m in b bei unbetonter silbe (vgl. hezaan = sp. mesana) verkürzt sein? vgl. e. miss aus mistress und das massa der engl, amerik. negersprache ! in unbetonter Stellung erschien das wort natürlich als litel vor eigenuamen, und da ge- nügt es auf formen wie rfow, dan, sir, moiisieitr, mhd. ver uä. zu verweisen. zu bastaard vgl. Woeste Wb. der westfäl. mund- art s. 120a: he es van de kdr fallen == er ist unehelich geboren.

betten 'anfeuchten' ist schwerlich = nhd. beizen, dem ein *beiten entsprechen würde; hält man diese bedeutuugsentwick- lung für möglich, so würde ich eher *he-etten = 'beätzen' als elymon vorziehen, da es aber im älteren nl. 'stoven, met en warm kompres bedekken' bedeutet, könnte man vielleicht auch ein *be-hetten 'be-heizen' (cf. heite neben hitte 'hilze', und wegen der Synkope onguur aus ongehure) in betracht ziehen. zu beursch 'morsch' vgl. mnd. brosch 'mürbe'; beide zu ae. breotan 'brechen'? hoon 'bobne' gehört wol zur wurzel bhu 'wachsen'.

unter hoord{1) I. 'on. brydda' statt hryddan. 6re/rfe/ 'zügel, gebiss' = ahd. ae. bridel (aus *brigdil) geht entweder auf ein altes *bregdal zurück oder zeigt anlehnung an das verbum 6m- den, breien = bregdan. dass das -d- des letzteren blofses prae- sensbildendes sufüxwar, lehrt deutlich an. brd; Brugmann Grundr. II 1052 vergleicht aksl. brtzü. brein wird mit ßQS'/l^^S ^'^r- glichen, das aus *cpQ€x^iog entstanden sein soll, statt dessen ist wol */iiQexii6g zu lesen. brng 'brücke' bedeutet wol ursprüng- lich 'Steinpflaster', vgl. Kluge Et. wb.^. dazu stellt sich auch weslf. briigge 'butterbrot' (VVoesle), eigentlich 'belag'. entsprechende bil- dung pars pro toto ist Soester budtr n. = biidtrbreöt. zu bruien = mnd. brüden vgl. Lübben-VVallher Mnd. handwb. s. v.

234 FRA^CK ETYMÜL. WOORDENBOEK DER NEDERLAKDSCHE TAAL

deining, Iries. dining gehört vielleicht zu dijen; das suffix wäre zu heurteilen wie zh. die euduog von schwed. tidning 'zei- lung'. uuter doch wird e. thoiigh zu ae. peak gestellt, ob- gleich es doch nur urnord. *paiih (= an. pö) entsprechen kann.

zu doemen und gram: vocaherkürzung vor m ist auch im schwed. regel. zu doopen: das altnord. wort für 'taufe' ist skirn, eigentlich 'reinigung'. zu dragen: *dQax)o/.iai (ögäa- Go^icii) kann kaum für *Ü^QäxJoi.iai stehu ! zu dravik vgl. noch mnd, drespe 'trespe'. dreutel statt dretel ist vielleicht durch lautliche aulehnung au das synon. keutel zu erklären? zu droog: Soester dröSp setzt ein *draugi- voraus, vgl. an. draugr.

eest: ahd. essa hat umlauls-e, wie lebende dialecle und das finnische ahjo beweisen. eiloof: wegen ne. wy (aivi) ist ae. ifig zu schreiben. zu elft: vgl. auch ae. ylfetu. eslrik, lat. astricus, bedeutet ursprünglich vielleicht 'sternförmig', wegen der- artiger figuren im ptlasler?

Sollte feeks 'dirne' vielleicht eine entstellung aus keefs, keves 'kebse' sein? vgl. essig == ace'tum us. gleiches möchte ich für das Studentenwort fidibus annehmen, das aus bifidus (vgl. e. spül) verdreht sein könnte, sie waren ursprünglich woi lauge holz- späne, wie mau sie gelegentlich noch jetzt findet. fijt == älterem fik ist wol aus einer mittelform *fikt mit angehängtem -t (wie bei borst, inkt uam.) entstanden.

gagel hat im westf. (Soest) langes a: xö:^l, deshalb wol auch in den verwanten dialeclen, gedwee: mnd. getwede (zu twiden) kann wegen des anlauts nicht verglichen werden. geesel stellt dr Wadstein zu eisen, und hat dies soeben in einem arlikel über das praef. ga- (Idg. forsch. 5, 10 ff) ausgeführt. gewei erklärt neuerdings EHellquisl Elymol. bemerkungen (Gefle 1893) s. 1 als 'das zweigige' zur idg. wurzel vi (in lat. viginti, skr. vaya usw.). da ae. gerefa, geröefa festes ge- hat, kann es nicht aus *gramfio, der angenommenen gruudform von as. grdvio, entstanden sein. sollte groot 'grofs' nicht zu grie/s, griitze, nl. gruit usw. gehören, die alle etwas grobes bezeichnen? vgl. mit demselben diphlhongen noch anord. grautr 'grülze'. gust, nii. güste 'nicht milchend, brach' könnte ursprünglich 'erschöpft' bedeutet haben und als * ge-usti zu got. ansan, nl. hoozeii ge- stellt werden.

haalbier: zu hl. calor stellt sich noch lit. szllü und sziltas.

haar (am ende): aus frz. haire stammt e. hair, vgl. Luick Anglia 14, 456. haas: das neben an. heri aufgeführte heri ist die neuisl. form {hj'eri), vgl. Sievers Beilr. 16, 241 f. zu hak 'ferse' vgl. noch air. coss f. 'fufs'. heden 'heute', limburg. hiden, scheint denselben eutwicklungsgang genommen zu haben, wie sedert, dh. e ist aus I entstanden, das in unbetonter satz- stellung zu i verkürzt war. wenn wir das schliefsende -n als ein späteres anhängsei (vielleicht nach analogie von morgen und

FRANCK ETYMOL. \VOORDE>BOEK DER NEDERLANDSCHE TAAL 235

gisteren) betrachteo, kommen wir auf ein *hi-de zurück, das den- selben vocal im pronomeu zeigl, wie ahd. hi-naht, mhd. hinet, nhd. heint 'heut nacht', hi ist ein aller inslrumenlalis oder lo- calis wie an. Jwi, pvi, ^. pei, vgl. Brugmann Grdr. ii 7S3 u. 786.

hei 'rammblock' stelle ich zu lat. cae-do. hekel 'bechel': vgl. as. ihekilod im Werdener heberegister. hij 'er' gehört zu lit. szis.

klacht 'klage': vgl. ß?,t]xfirj'^ klits 'hündin' ist auch in Soest (als klils») bekannt. unter kneden \. an. knoßa st. ktio- pan. knikker: in Soest knippel. koste?': in Soest köster = as. costardri. hij kris en kras zweren: steckt in kras viel- leicht der heil. Pancratius (frz. Pancrace, e. Pancras), einer der sogen, 'gestrengen herren'? kroon: ae. dafür einmal coreii-beg, Anglia 11, 172 1'. krnin: zur bedeutungsentwicklung 'scliädel' vgl. nhd. 'in die kröne steigen'. kween: ae. quean beruht auf ae. cwene, g. qino, nicht auf cwen, cioöen, g. qejis.

latirier: Imncer 'laurus' lindel sich auch im schwed. als lager. leunen statt letien erkläre ich durch den einfluss des gleichbedeutenden steunen. loos: e. hose stammt aus an. lauss.

lorretje 'papagei' ist gewis 'Lorchen', demiu. von Lora, Laura; vgl. vogelnamen wie e. magpie (Margarete), piepmalz (Mathias oder Matthäus). luis: das insect ist vielleicht im gegensatz zum floh seiner langsamen bewegung halber so genannt, und das wort gehört zu lui 'lau, schlaff, träge' usw.

maankop 'mohn' hat in der ^-form kurzes a, wie Hand- schuchsheimer mäksümd beweist, vgl. PhLenz Der Handschuchs- heimer dialecl i (Konstanz 18S7) s. v. ob neben ahd. mago, mhd. mage ein mähen bestanden, ist aus der contrahierten form »naw, mohn allein gewis nicht zu folgern, denn diese erklärt sich ebensogut aus mähen, vgl. slahen sldn, stahel stdl. das- selbe gilt von den umlautsformen man, niön aus *mehen, *mahin. es wäre überhaupt an der zeit, einmal die alten quantitätsansätze aufgrund der lebenden mundarlen zu revidieren! ahd. ma^o und altschwed. vahnnghi, schwed. vallmo, dän. vahnue zeigen übrigens die beiden entsprechungen des idg. a, vgl. Sievers Beitr. 16, 235 ff. sollte zu der sonderbaren Umbildung von lat. papaver zu ae. popig, ue. poppy vielleicht ein einheimisches *moga die Überlei- tung gebildet haben? maf 'müde, matt': vielleicht eine misch- bilduug aus af oder laf und mat'l wäre 'gerücht': lat. merus hat kurzes e! melken: isl. mjalta^ dürfte wol eine -f-ablei- lung (für ^mjalhta) sein 2. mes: sax ist noch im schwed. in der bedeutuug 'schere' erhalten. tnik 'feines mehl, brol': *micca kann sehr wol die vulgärlat. form für class. mica sein, vgl. succus tür sncus usw. und Stolz Lat. gramm.* in IMüllers Handbuch n 279. mikken: 1. lat. micdre st. micare. mis

1 Fritzner'^ verzeichnet blofs das subst. mjaltii- und das adj. mjallr.

2 vgl. Noreen Altnord, gramm. i^ § 245, 6.

236 FRA.NCK ETYMOL. WOORDE.NBOEK DER NEÜERLANDSCHE TAAL

'messe': miat. missa niuss dieselbe bedeulung wie missio gehabt und als subst. adj. das messopl'er bezeichnet haben, dass die messe von den früher vor dem beginn der eigenllichen feier an die kalechiimeuen gerichteten, jetzt an den schluss verlegten Worten: 'ile, missa est\' den namen haben sollte, ist ebenso un- wahrsciieinlicli, wie die ergänzung concio. jenes bedeutele einfach: 'geht, jetzt ist das (mess-)opfer', woran sie noch nicht teil nehmen duiften. moed: I. an. mödr st. mödr. moei 'muhme': westf. (Soest) möSnd, wahrscheinlicli umgebildet nach öenid 'oheim'.

monnik 'mönch': die Umbildung von vulgärlat. monacus zu monicus geschah wol unter dem einfluss der zahlreichen adjectiva auf -icus. monster{\) 'musler' hat im weslfäl. die interessante form mulster mit dissimilierung von n (lat. monstrum) zu /. tmits 'mutze': westf. mäske.

Sub naaf 1. me. Jiauger st. naiiger, und unter naald: und. ndtel St. Hdtal. nanw 'genau': vgl. westf. nögge. noemen 'nennen': nach nnd. westf. naimen ist mnd. noemen anzusetzen.

sub noord 1. an. nordr st. nordr.

oefenen: nach westf. aiveji I, mnd. öeven. oest 'astknorren': ae. cestel ist lat. ashda. onbesuisd, nvi. otibetj'uist scheint nach klang und bedeutung ('vormeloos, onbehouwen, ruw, wild, los- bandig') auf in. juste zu beruhen. ows/ch/Z/'ä: 'unsichtbar': vgl. auch ne. seen = ae. gesyne. sub oonen 1. eng. yean st. gean.

ooryee^f 'ohrfeige': vgl. aufser den von Kluge Etym. wb.^ s. v. beigebrachten synonymen noch nhd. hackpfeife, sowie hess. hntzel in der Giefser redewendung 'einem eine h. stechen'.

Wie paltrok eine entstellung aus frz. palletoc, palletot ist, wird gelegentlich auch im deutschen havelrock statt haveloc ge- braucht. — plaat 'platte': westf. plötd weist auf mnd. pldte. popel 'pappel': vgl. westf. pöppel. priesler scheint mir jetzt eine mischung von rom. prevost = lat. praepositus und presbyter zu sein, indem lat. -evo- im ahd, e\ ie ergeben hat, wie auch nhd. ßiete == ahd. fliedema, flietuma (cf. Franck sub vlijm) aus flevotomtim, phlebolomum lehrt, in ae. preost dagegen wäre -evo- als eo erhalten, von presbyter stammt die endung, vielleicht trugen magister und minister noch dazu bei, dieselbe zu festigen.

rad: mnl. rat erscheint als lehn wort im englischen bei Caxton und Dunbar. rnst und rast zeigen wol auch die verschiedenen enlsprechungen von idg. d wie das oben genannte maan-.

scharrebißer, schalbijler 'käfer', vi. schaleboote findet seine entsprechung in &ch\^'et\. skalbagge, wörtlich: 'schalenwidder'. schoef 'mantelkragen' scheint, wie auch die ältere uebenform schoepe lehrt, mit mhd. schdp{p)e, schuhe, schüwe, jop{p)e, jnppe, gippe = in. jupe, it. giubba, mh\.jnpa 'jacke', 'langes und weites Überkleid' identisch zu sein. schoorsteen: vgl. wesli. schortsten mit aulfälligem -t-. schorremorrie : hierzu gehört wol auch nhd. Schorlemorle 'selterswasser mit wein'. schouder 'schulter'

FRANCK ETYMOL. WOOBDENBOEK DER NEDERLA>DSCHE TAAL 237

heifst im nud. nicht schouiler, soodern schulder, schuller \ smoel: Soester smdS9 (nicht *swa^a!) weist mit ae. smede, smoede auf *smanpi-, nicht auf *smd/n-. zu smoken: in Soest heifst in der scliüler ('pennäler'-) spräche eine ühersetzung (eselshrücke, hess. 'spicker') ein schmOk statt des sonst in der hedeutung 'altes, angerauchtes bucli' bekannten schmÖker. wahrscheiuhch ist dies nicht einfach = ni. smook 'rauch', sondern eine neubildung uacli dem pl. schmöke, einer entstellung von schmÖker. snaar 'schnür, Schwiegertochter', mnl. mnd. snare hat doch wol U = mnd. p aus ö in olTener silbe. die annähme volksetymologischer anleh- uung an das adj. snar scheint mir unnötig. staket hat westf. einen nasal eingesciiohen: stänket, vielleicht mit dem gedanken an Stange'! stamet , stamijn: stramien ist vielleicht durch an- lehnung an stram entstanden?

taart : auf frz. tarte beruht auch westf. tUtd. teljoor 'teuer': däu. tallerken, schwed. talrik (beide aus dem nd. dem.) zeigen noch das ursprüngliche a des vvortes. treffen: auch im schwed. träffa.

veinzen 'heucheln': dass dies z aus rom. g (lat. ^w^o usw.) entstanden sein solle, will mir nicht einleuchten; die berulung auf spons = e. sponge und mnl. Oranze = Orange nützt nichts, denn hier haben wir g als dB resp. z- zu sprechen ! wahrschein- lich hat man dem roman. stamm das germ. suffix -sen angehäugt.

verf 'färbe': gehört vielleicht germ. farwa- zu iat. pardre, wie color zu colerel vier beruht auf vorgerm. *peqiiör. vledermuis hat im westf. den merkwürdigen anlaut/>: plermüs. bei vorsch 'frosch' wird als an. enlsprechung fraukr angegeben, während Frilzner- nur frauki aus fraudki, daneben fraudr = altschwed. pl. frödhir, dän. fro, Aasen dial. schwed. fiaud, uor- weg. fran[g) bietet, darnach ist das s von frosk ebenso zu be- urteilen, wie das von rasch und waschen: es ist in demselben ein dental (hier d oder p) aufgegangen, vielleicht zeigt ae. frogga, frocca anlehnung an ein gleichbedeutendes *pogga, das im nd. als pogge erhalten ist. wir haben aber jedesfalls eine vorgerm. Wurzel *prut oder *prudh anzunehmen, die wider an nl. pnü 'frosch' erinnert! das schwed. hat noch ein eignes wort für den frosch: groda (mit geschlossenem langen o), das an mnd, Arode 'kröte' anklingt.

Zu waard 'enterich' (eigenll. = 'wirt' oder 'wart'?) vgl. schwed. ank-bonde. mekleub. weddik erklärt Kluge^ aus lit. vedikas 'führer'.

zu wißen vgl. ne. twü = ae. cet-witan.

Unter zidd 1. an. sudr st. südr. zullen 'sollen': sal st,

schal findet sich auch im nordengl. (Yorksh., schott.) seit der

mittleren zeit. zuster: e. sister ist nicht einheimisch, sondern aus an. syster entlehnt.

Göteborg, 2 jan. 1894. F. Holthaüsen.

238 GALLEE ALTSÄCIISISCHE GUAMMATIK

Altsächsisclie giammalik von 0. Behaghel und J. H. Gallee. erste hälfle. laut- und flexionslehre, bearbeitet von J. H. Gallee [sie !]. [Samniluiig kurzer grammatiken germanisciier dialecte. herausgegeben von W. Bhaune.] Halle, MNiemeyer; Leiden, EJBrill, 1891. xu. 116ss. S». 2m.

Es scheint mir zvveckmäfsig, meinem urteil über Gallöes Alts, grammalik alles das vorauszuschicken , was ich im einzelnen an dem buch auszusetzen habe.

§ 3 anm. 1 wird die entstehung des Heilands an die grenze zwischen Ost- und Westsachsen gelegt, ohne dass bei der ein- teilung der dialecte gesagt worden wäre, wo wir diese zu suchen haben. G. ist aber (s. vi, vgl. 115) an dieser freilich nur als 'nicht unmöglich' hingestellten localisierung wider irre geworden, und es dürfte sich allerdings aus den mannigfaltigen versuchen, mittelst der spräche unsrer hss. die heimat des dichlers zu be- stimmen, allmählich ergeben haben, dass dieser weg nicht zum ziele führt, auch wenn man nicht, wie G. glaubt, dass 'die hss. wahrscheinlich vielfach umgeschrieben sind' 3 anm. 1). denn viele hss. wird es vom Heliand ebensowenig wie vom Otfrid ge- geben haben, historische erwägungen, wie sie Kauffmaun Germ. 37, 368 ff angestellt hat, scheinen mir ein weit sichreres resultat zu ergeben. Kaufl'mann schreibt sich übrigens mit ff. anm. 2 muste über das alter und den publicationsort der kleinereu denk- mäler genauere auskunft gegeben und die abkürzuugen vermerkt werden, die G. anwendet. Hartmanns diss., Grammatik der ältesten mundart Merseburgs, i der vocalismus (Norden 1890), ist ihm ent- gangen, dass er nicht wenigstens die von Allhof (nicht ff, s. vi) untersuchten eigennamen verwertet hat, bedaure ich.

§ 5. auch tonzeichen sind die acute im Prudeulius nicht. §20anm. 1. Übergang von a in o auch in o-bnlht, ags. a-bylgp, § 185 angeführt, doch ist das o wol lang und aufzufassen wie Hei. 4091. 4636. 5013 öldt M, während C, aufser an der letzten stelle, dldt hat. über dieses hochtonige d, ö neben unbetontem a (d?) aus ar-, or- finde ich bei G. nichts. § 21 fehlen an fdthie, an fdthion, die umsoweniger wegbleiben durften, als auch in § 35 nichts über diese d zu finden ist. ebenso muste d aus am in hdf sdftor hier platz (inden. § 24 oder § 22 konnte das einmal belegte fallid ohne umlaut M 4282 (C fellit) erwähnt werden. § 25. auch fardio !\l 3645 entbehrt des umlauts und aunardian in M durchweg. § 33 war für u vor liquiden und resonanten auf § 69 zu verweisen. der absatz vor den bei- spielen leidet an Unklarheit, man vgl. auch JSchmidt Plural- bilduug s. 208. stutn mit seinem doppelten resonanten gehört in die letzte gruppe der beispiele. § 35 hat G. gar nicht erwogen, ob denn e im opt. ehtin nicht auf umlaut beruhen könne, auch in § 36 hat er die belege für e aus wgerm. ce nicht so geordnet, dass mau die umlautfähigen formen bei ein- ander hätte, er lehnt die möglichkeit des umlauts zu schnell ab,

GALLEE ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK 239

obwol er Behaghels beobaclituugeu im Gruudr. i 563 kennt; vgl* auch MSD." ii 200. § 37 z. 6 lis hwe tlie, z. 13 e und ie. § 39 erwähnt G. die inf. doan doen und schreibt so auch ij 322. ich glaube, dass vielmehr doan döen zu schreiben, dh. also eine form wie nhd. tueti anzunehmen ist, mit verdeullichler infinitiv- endung. doan kommt übrigens nicht nur einmal in M vor, son- dern 4909 und 5029. § 41 anm. 1 lehrt, e könne in t ilber- gehn. dies t ist selbstverständlich lang, was G. auch angenommen hätte, wenn ihm hier das § 38 erwähnte hir für her eingefallen wäre. anm. 2 lis ga'stas. vergessen hat G. das aus ver- schärftem j entstandene ei in eiiero {eiero) leia lueio nnegos (vgl. Kögel Beitr. 9, 542 f). § 48 anm. 3. in bnitan 'aufsen' liegt nicht der diphthong tu als ergebnis einer Verschmelzung von i-\-n, sondern i-\-n, mit betontem ?< vor. §79 lehrt das rich- tige. — § 49 anm. 1. will man dem gen. Utes für liotes in C 4986 (nicht 88) eine lautliche bedeutung beimessen, so muss man das i lang ansetzen und als Vertreter von e betrachten. § 52. gotischem iggio entspricht nicht eio, sondern eww. § 55 ist nicht eben glücklich geordnet. § 56 und 91 setzt G. sneu e'u e'o an, während nach § 41 (50) diese e kurz sind, die ausspräche hat wol tatsächlich da, wo formen mit ew neben solchen mit eu, eo standen, geschwankt. § 65 muss Verwirrung vorliegen, denn § 304 anm. wird die kürze des o in der 2 schw. conjug. als wahrscheinlich hingestellt, und o in der comparation setzt G. § 220 ff ebenfalls kurz an. z. 6 lis e'nödt. § 68 lis hcerald zu werold'. dass im as. die ableitung -Hc bereits kurzes i hatte, wie G. überall ansetzt, wird sich kaum beweisen lassen, selbst wenn in den Mersebg. gll. 36 unforthianadlucca stehu sollte 226 schreibt G. -Inca), möchte ich dem u lautliche bedeutung nicht beimessen, würde es vielmehr nur als Schreibfehler be- trachten, aber Bezzenberger las -liica, was gerade für länge des i zeugen würde. Sleinnieyer hat diesen punct schon Vorjahren im Anz. VI 134 in der kritik von G.s Laut- und flexionslehre er- örtert, auch in hrenknrni gegenüber hrencorn handelt es sich nicht um eine spontane 'Veränderung' des minder betonten vocals im zweiten teil, sondern um das bekannte Verhältnis von unge- brochenem zu gebrochenem vocal. § 84 hat G. das beispiel in den Verbesserungen getilgt. § 72 (s. 26 z. 1 v. u.) lis Thiodan. 1 b) wird 6 im gen. pl. auf -öno angenommen, ebenso in den schw. Verben auf -6 und im superl. auf -öst. aber die beispiele zeigen mit recht kürze, hier liegt wol nur ungenauer ausdruck vor: 'alle miltelvocale, welche lang sind oder waren', vgl. oben zu § 65. nr 2) sind einige quantitälen verfehlt, mau lese Ess. gll. gime'ritha, Prud. gll. skipilina, Fr. h. eueninas. § 75. on für a7i kommt auch in C vor. aus § 20 anm. 1 war fan-fon hier zu widerholen, hitan hat i, ebenso lis § 78 arisan. bei ar war dbulht dldt-öldt (oben zu § 20 anm. 1) zu erwähnen. § 84.

240 GALLEE ALTSXCBSISCHE GRAMMATIK

bei succan halte G. aut § 9S verweisen sollen. § 84. weslialb fehlt hei der verdumpluiig von -ald gerade die gewöhnlichste lär- bung zu -ohn

Das i in hiwtui hiwiski lässl G. auflälligerweise kurz (vgl, § 88. 90. 131b. 165). nur § 197 steht richtig hiwa, § 199 sin- hiwnn, drei Zeilen darnach jeiioch sinhiun. § 89 fehlt icredian. es konnte hier auf wh statt Im § 13U schluss verwiesen werden.

§ 91. für abfall des auslautenden n aus ic gibt Godesthi bei Allhof § 26 ein interessantes beispiel, das sich G. entgehn lassen muste, weil er die namen nicht heranzieht. § 92 fehlt hau- wan. h in treu-haft kann man nicht wol 'inlautend' nennen, aber s. 46 z. 2 geschieht es auch. § 93. 'tow ist nach a und vor folgendem consonaut[en] durch w zu u geworden und wurde mit vorhergehndem a erst zu au, dann ö: ströjan usw., oder zu a, welches vor i zu e umgelautet wurde: slreunga (strejimga)' . buchst unglücklich ausgedrückt! §94 lehrt, dass sich in ni- gean {= niwian) und nigemo (stamm niwja-) ein g 'entwickelt' habe, da es für j steht, so war es von anfang an darin und vielmehr zu bemerken, dass w davor geschwunden ist. bei der 'auslassuug' des r in § 96 vermisse ich den einzigen fest ge- wordenen fall: linon iür lirnon. z. 6 lis 'im an- und inlaul'. § 97 anm. fehlt ein verweis auf § 130, und wenn hier von r aus hr gesprochen wird, warum dann §98 nicht von l aus hl'l zu succan vgl. § 84. § 99 fehlt bei fif und sdftor -wr (Hei. 3301, nicht -er) hdf aus *hamf, das wir schon § 21 vermissten.

§ 100 konnte n für hn erwähnt werden, nach dem muster von § 97 anm.; s. darüber § 130. § 102 in sdft ist, wie be- merkt, nicht n, sondern m ausgefallen, gntfanan 'signa' aus den Oxf. Vergilgll. (Gll. n 718, 4) möchte ich den beispielen nach- tragen. — § 112 hat G. ferkoft in ferkö/'t geändert, dagegen den gleichen Irrtum in § 104 übersehen. § 105 lis dump-hedi. § 108 schluss lis 39 statt 37. § 111 schluss lis vehüs. § 112 klingt so, als wäre u,t für/" zwischen vocalen etwas ge- legentlich vorkommendes, während es doch als regel gilt. § 114. C 259 steht nach Sievers lief, nicht das sonderbare Heu.

s. 41 z. 4 lis galileesk, anm, 2 gegen ende bikie. § 116 lis hikiert kierta. § 120 am schluss lis sg sgk. § 121. die aus- spräche von g wird auch aus allitterierendem g:j klar. § 122. i für gi zeigen in den Oxf. Vergilgll. noch isiiese 'socii' und igriin- dian (Gll. ii 717, 1. 11). angäbe der bedeutung bei so seltenen vocabeln wie imidhi 'oslia', itwisan 'gemini' wäre dem lernenden erwünscht und nützlich. §123. dass sich in nigun' neun' ein g 'eingedrängt' habe, kann ich, wie man auch die erscheinung erklären will, nicht als passenden ausdruck ansehen, niemals drängen sich laute ein, sondern sie haben immer einen guten grund für ihr auftreten. § 129. gieftid steht Hei. 5053. anm. beim prothetischen h vermisse ich 'semina venenorum'

GALLEE ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK 241

sämtm hettarwurtio Strafsb. gll. 96, vgl. Prud.-gll. 'virus' ettar (Gll. II 586, 49), 'purulenta' ettdrdga (ebda 78). das e halle ich aber im gegensalz zu Steinmeyer Anz. vi 134 mit G. für kurz: vgl. mnd. mnl. nnl. schwed. etter, däii. eilder. wenigstens inüchle ich nicht leugnen, dass das tt schon IVilh eine Verkürzung des allen e veranlasst haben kann, wie anderseits im alid. die bewahrung des ei mit kürzung des It band in band gieng. das ags. besitzt dtor und attor. § 131 a). gipiid (gi/lihid) hat langes i: vgl. nnl. vleijen bei Franck Elymol. wb. 1094. weiter unten lis gi- mdlon gtmdlda und vgl. § 35. semithai, furie hätten eine be- deulungsangabe verdient. § 165 ist für das erste (= abd. se- midahi) 'carectum' angegeben und das zweite glossiert 'picea', übrigens steht in den Oxf. gll. uurie mit u, nicht f (aao. 718, 11), und semühai finde ich gar nicht darin. b) z. 5 lis gisduue. § 132 b) z. 1 lis 3738 und vgl. § 153. 4^ 136 haben msetlion und ensedlion falsche quantitäten 147 das richtige). § 137 wird unverständlich, weil hinter 'mehr in C ein puucl und hinter 'C bestoii ein Semikolon fehlt. § 139 anm. 1 vorletzte z. lis giwdti. s. 48 z. 3 v. u. lis 'des d an b und d\ s. 50 ist unter b) und c) sdlda uud sdlda statt salda und salda zu lesen. § 147 mochte ich hinzufügen, dass der kurze vocal vor ih rfaus nlh nd verlängert wird. § 153. zu ss aus hs vgl. § 132 b). § 161. eiero und hönero sind der Freckenhorster heber. ent- nommen, was in analogie zu andern stellen anzuführen war. § 163. allari carcari solari konnten eine besondere gruppe bil- den. — § 164. mütspelli hat ü. nebeu hindbiri ist winberi Hei. 1742 vergessen, gewü und firiwit bedeuten keineswegs nur 'geisl'. § 166 ist das verkürzte se nicht erwähnt, vgl. § 91. § 168 aum. 4. wo steht in den Oxf. gll. ficbäne 'lupine'? es hat übrigens i. § 169 anm. 1 fehlt wahta, das doch wol nach ausweis des abd. und mhd. als starkes fem. anzusehen sein wird. G. setzt es § 198 zu den schwachen, die sich mit den d-slämmen berühren, und ebenso simdta, das § 170 paradigma der/d-slämme ist. was soll der lernende davon denken? § 171. heri sehe ich seiner form nach liebei- als masc. au. in den Prudentiusgll. wird auch uthia schwach decliniert: fan so hvvilkaiu vlhiun GH. ü 589, 71. zu § 172 anm. vgl. § 198. § 174 vermisse ich *brdwa {brdwon brdhon Hei. 1704), von dem auch § 197 nichts steht; vgl. § 90. zu thrdwerk s. § 91. § 175. den uom. acc. sg. huldi dürfen wir so gut mit i ansetzen, wie die übrigen auf i endenden casus. § 176 b) lis enstridi wie 175 anni. 4. § 178. aus wrisilic ist der «-stamm wrisi zu erscbliefseu. § 182. die formen von craft stünden besser in § 184. § 183. rnk 'odor' hat kurzes m, vgl. mhd. nich. § 185. hhist heilst zunächst 'das zuhören, das gehör', dann erst 'ohr'. § 189 mangelt der bedeutsame gen. sg. suno C 5788. § 192. feho M 1847 ist wol instrum. das substantivierte indecliuable adj. filu A. F. D. A. XX. 16

242 GALLEE ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK

215) hätte ich hier erwähnt. § 194 anm. hier muss durch- weg frdho fröho usw. mit langem wurzelvocal geschrieben wer- den, in C 5007 steht fruohen, nicht frdhon, das vielmehr M angehört, fraoii findet sich auch M 177. § 197. muggia ist kein -om-, sondern ein -?dn-stamm, steht also richtiger § 198. weshalb G. die ydn-stämme (nicht blofs § 198) joH-stämme nennt, weifs ich nicht. § 198. zu lungandinn vgl. § 172 anm. anm. 1 ist § 170 zu streichen. § 199 fehlt wanga. § 201. fhind hat i.

Son alowaldand, icdpanberand erscheint ein nom. acc. sg. alo- waldan, wdpanberaii (meist am ende der zeile)' lehrt G. hiermit hat es eine eigene bewanlnis. wdpanherand steht als acc. sg. nur Hei. 2779, wo C unapanheran, M nnepanbercmd hat, als acc. pl. 4810, wo in beiden hss. nuapanherand. alowaldan als nom. linde ich C 998, wo M -nd bietet, kommt es sonst noch vor? aber der nom. unaldan god steht C 2790, uualdan Crist C 2827. 29'/ 3. 3170, der acc. uualdan Crist C 979. 1017. 1231. M hat überall -nd. darnach scheint mir der ausgang -n im nom. eine nachlässigkeit der schrift oder ausspräche zu sein, der acc. auf -n dasselbe oder acc. des substantivierten schw. adj. waldo. alo- waldo ist ja reichlich belegt, auch wdpanbero 'aimifer' wäre möglich, von helmberand kommt nur der gen. pl. 765 vor. § 207. für den starken dat. sg. masc. ntr. auf -an wären belege erwünscht, im paradigma geht beim acc. sg. die klammer der masculinen fälschlich über die neutralen formen hinweg, § 209. die ableituug -in in siludrin guldin usw. kurz anzusetzen, sehe ich keinen grund. §214, 2). faho, fag (wo?) 'wenig' hat kurzes a. § 227. widost muss nach G.s eigener lehre § 72 b) rnit kurzem o gesprochen werden. § 230. das fem. zu en lautet nicht ena im nom., sondern en. wo kommt das ntr. twd vor? wo das ntr. thrtal so seltene formen bedurften eines beleges. einige formen mangeln, vgl. meine As. parad.- s. 14.

§ 235. wo steht niganda in C? tegatho Freckenh. lieber. 239 fehlt. § 239. wenn man me we schreibt, muss man natürlich auch ge aufstellen, § 243. für den masculinen instr, von the hätte ich gern einen nachweis, anm, 6 steht zweimal thia (eigentlich thia Ihia) statt thia thiu, wie es scheint, die Zählungen kann ich nicht nachprüfen. § 244 anm. 3 lis thius statt thiu.

§ 246 steht se ('der, welcher'), § 243 anm. 1 se. § 247 anm. 1 vermisse ich den acc. gehwane M 1451.

§ 256. die 1 sg. ind. praes. der 2 schw. conj. hat nicht mehr m, sondern n. das muste hier gesagt werden, in § 310 steht auch nichts darüber. § 263 tilge das Semikolon hinter genitiv und lis ßcannes. § 264 lis iceronthia (Gll. n 589, 52) und füge aus denselben Prud.-gll. ludonthion 585, 30, wesanthion 586, 47 und brevianthia 590, 29 hinzu. § 273 anm. 2 wird der gram- matische Wechsel sehr kurz abgetan, und §269 gewährt keine ergänzung. die formen von kiosan sind angegeben, farliosan geht

GALLEK ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK 243

ebenso, von driosan fehlt das praet., wir haben aber drör 'herab- fallender tau, bliil' und drörag 'blutig', fliohan behielt wahr- scheinlich h bei, wie im ahd.; von tiohan ist einmal im Hei. hihin belegt, zweimal (im Ilel. und den Prud.-gll.) das part. gi- togan. hiotan diotan behalten das t bei. § 277. über fre- gnan und seine ursprüngliche Zugehörigkeit zu classe v wäre eiu wort zu sagen gewesen, auch gafregin ih aus dem Wcssobr. geb. 1 hätte ich angeführt. § 278. die Zugehörigkeit von stekan zu dieser classe bleibt unsicher, da es Prud.-gll. 5S7, 70 im part. thurslechan hat. die verba auf k schwanken eben zwischen cl. iv und V, wovon G. schweigt. anm. 3 ist undeutlich, es handelt sich um den inl. 142 ist ein falsches cilat. 1703 steht bespre- kean, 2307 sprekean. § 279 anm. 1. wo findet man den oder die belege für das pari, gidrepanl in den angezogenen Prud.-gll. steht nur 578, 9 das praes. ofardripid. anm. 3 lis 'das i von gitu'. § 282. in der angäbe '■skeppian (inf. praes. nicht be- legt)' steckt selbstverständlich ein fehler, es kann aber weder 'inf.' noch 'ind. praes.' noch 'inf. und praes.' noch 'ind. praet.' heifsen sollen, da, soviel ich weifs, nur der inf. Hei. 2044 be- legt ist.* für steppian wüste man auch gern die belegslellen, ebenso § 286 anm. 1 für spannan. he\ gangan konnte aul § 323 verwiesen weiden. § 287 anm. 1. 3. *grät(m und säian habe ich in der 2 aufl. meiner As. parad. nicht zu brddan sldpan usw. gestellt, sondern in ihnen überbleibsei zweier sonst unterge- gangener conjugationen vermutet (s. 5, iv 2 a.b). Hei. 4071 bietet C gn'ot, M giiat. zu diesem praet. haben wir C 4724 die 2 pl. ind. praes. griotand und die part. praes. grealandi 2996 M, greo- tandi ebenda C, griotandi C 5741. 5914. Schmeller setzte im Glossarium hiernach ein verbum griotan greotan grealan au und erklärte das praet. griot griat aus einem Übergang in die classe hröpan wöpan. da dieser kaum begreiflich, findet man in den glossaren der jüngeren Heliandherausgeber neben griotan ein grdtan, ebenso bei Heyne in der Kl. as. und anfrk. gramm. s. 38. 44. aber wie von sldpan das praet. sle'p, so müste es von grdtan gre't griet lauten, woneben griat und griot buchst auf- fällig wären, nun glaube ich freilich auch, dass zwischen grio- tan = ags. greotan und grdtan = ags. grwtan zu sondern ist, aber in griot erblicke ich einen rest der sonst geschwundenen classe got. letan lailöt. wie neben got. tvöpan Ivaihop as. wö- pan weop wiop, so steht neben got. gretan gaigröt as. grdtan greot griot. ia für io ist dem Monac. nicht fremd: vgl. in unserer grammatik § 49 und Gall6e Beitr. 15, 342 fl' (wo griotand fehlt), entsprechend ist das praet. otarseu C 2545 gebildet, neben got. saisö muss as. seo seu stehn , nicht sen mit e, wie auch Braune in seinem .\briss der ahd. gramm. § 85 anm. 3 ansetzt, sdivan, woraus man ein seu ableiten konnte, besitzt das as. nicht, auch [* wof ^skeppian (inf., praes. nicht belegt)"? Sch]

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244 GALLEE ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK

gehl in der dasse sldpau die wurzel stets auf einfache muta, nie auf Spirans aus. und zum beweise, dass as. sdian in die ver- schollene gruppe des gol. saian gehöre, überwiegt neben dem starken seu das dem ahd. analoge schwache sdida. mnl. sieu braucht nicht auf seu mit e zuriickzugehn , vgl. Franck Mnl. gi-amm. § 154, 1 gegen van Ileltcn Beitr. 15, 472. als ich im nov. 1890 Edw. Schröder diese meine ansieht mitteilte, trug er in seiner antwort folgende Vermutung über das nebeneinander von griolan und grulan vor. 'das germanische besafs für 'weinen' zwei alte Wörter: riutan gre'tan, von denen das erstere (vgl. n)hd. riezen., ahd. rözag) mehr das fliefseulassen der Irähuen, letzteres den klagelaut ausgedrückt zu haben scheint, sie finden sich auch noch beide im ae.: reötan gra'tan, daneben aber eine compromissform beider: greötan. diese compromissform ist gemeinsächsisch, aber die beiden dialccte sind verschieden ver- fahren, das ae. liefs greötan in die gruppe reötan übertreten und schloss das isolierte gr&tan an slwpan usw. au, also greötan greät grwtan gret; das as. aber brachte die Verwirrung her- vor, die Sie jetzt glücklich aufgedeckt haben'. § 2S9. zu hau- wan vgl. § 92. der plur. heuwnn Ilildebrandsl. 66. sowol § 293 als in den paradignien § 303 fehlt die endung -des -das in der 2 sg. ind. praet., § 303 im inf. -en, im part. praes. -endi. es ist ja allerdings § 252 ff von diesen dingen die rede gewesen, aber verbreitete formen fände man doch gern in den paradigmen \vider. § 310 fehlt ein part. praes. auf -oiandi, zb. wacoiandi 384 CM. §311. über hahda hadda Behaghel Germ. 27, 415. § 315 fehlt der opt. praet. farwistis Prud.-gll. 589, 65. die inf. der praeterilopraes. in § 316—320 sind meines wissens uiibelegt. § 317. nur gi-onsta ist nachweisbar. weshalb kun- nan mit A', wenn alle andern formen mit c? durran kommt nur in der Zusammensetzung mit gi- vor. es soll wol heifsen 'dar {darr C 212 Ij'. § 318. wo steht der sonderbare plur. scidan zu lesen? farinunidis gehört schwerlich zu farman. Heyne setzt mit recht Kl. and. denkm. s, 157 farmunian an. § 321 fehlt das part. praes. wesantliion Prud.-gll. 586, 47. § 322. über den inf. von döni oben zu § 39. duan steht auch Prud.-gll. 589, 59. 3 sg. ind. praes. gedöd mit d 1699 M. die 1 sg. ind. praet. gideda ist Beichte 1 belegt, die 2 dddi Hei. 322 (vgl. Behaghel Modi im Ilel. s. 54 oben), ob im opt. dedi dedin e hat, dünkt mich zweifelhaft, im imp. lis duat {M 1713). part. praet. gidnan auch Prud.-gll. 584, 70 und 586, 13. § 323 war auf § 286 zu verweisen, in in te gände wird nicht nur hier, sondern auch § 264 gätide als part. praes. mit der bedeutung des gerundiums bezeichnet! § 325 sind die angaben über den plur. williad williat wellat ungenau, wie ein vergleich mit Schuiellers glossar lehrt, es fehlt der inf. tvellian, den C 3096, willien, den M ebenda belegt.

GALLEE ALTSÄCHSISCHE GRAMMATIK 245

Den bescliliiss des buches bilden zwei seilen Zusätze und Verbesserungen, die erslercn nicbl zaldreich. die Verbesserungen bedürfen seihst wider der Verbesserung, ich erwähne nur: statt 's. 15 V. u. abayid lis aVatuV muss es lieilsen 's. 15 z. 14 v. u. dband lis dlJand' ; 's. 26 e. z.' bedeutet 'erste zeile'; vor fereuelhed fehlt 'z. 8'; für 's. 89' lis 89'; stall 's. 38 z. 8 v. u.' lis 'von oben'; ebenso sind bei s. 39 § 111, s. 45 z. 14 und s. 69 z. 3 oben und unlen verwechselt, und slatl 's. 66 z. 3 v. u.' muss es 'z. 2 V. 0.' lieifsen.

Meine angaben erschöpfen die zahl der fehler und unge- nauigkeiten nicht im entferntesten: man vergleiche nur die le- censionen von KaulTmann und namentlich von Schlüter, es fehlt G.s grammalik au dem ersten erfordernis jedes buches und eines lehrbuches im besondern: an der Zuverlässigkeit, es fehlt ihr auch vielfach an der nicht minder notwendigen klarheil und dem slälen gedanken daran , dass jede gelegenheil benutzt werden muss, um ähnliche erscheinuugen zu verknüpfen und verwanles zusammen zu fassen, der verf. hat sich nicht immer als lehrer ge- fühlt, der seinen schülern das lernen leicht machen möchte, die andern grammatiken der Braunischen Sammlung holen ihm für diese lugenden Vorbilder, es ist zu beklagen, dass die hofl'nung, endlich ein gutes und ergibiges hilfsmittel für die erlernung des as. zu erhalten, nicht so erfüllt worden isl, wie man nach dem reichen material und den vorarbeiten G.s, sowie nach seinem eifer erwarten durfte, ihm und uns wäre nichts besseres zu wünschen, als dass sich ihm bald gelegenheil böte, sein buch in verbesserter, von allen mangeln befreiter bearbeitung vorzulegen. Berlin, jan. 1894. Max Roedjger.

Die Bösa-saga in zwei fassungcn nebst proben aus den Bosa-iimur. heraus- gegeben von Otto Luiti'old Jiriczek. Strafsburg, KJTrübner, 1893. Lxxx und 1 64 ss. S°. 7 ni.

Durch die hier zu besprechende ausgäbe lernen wir die Bosa- saga nicht nur, wie bisher der fall war, als eine isolierte litle- rarische latsache kennen, sondern die ganze lilterargeschiclitliche eutwicklung der saga wird uns vor äugen geführt, liev heraus- geber hal sich nicht darauf beschränkt, den aus Fornaldar sögur nordrlanda bekannten lexl abzudrucken, er hal auch eine jüngere, bisher übersehene geslall der saga aufgestöbert und hier zum erstenmal mitgeteilt, die Bosa-rimur kommen nicht zum abthuck, aber Jiriczek hebt ein i)aa.r stellen aus, die über das Verhältnis der rimur zu den beiden redaclionen des prosaischen lextes aufklä- rung gewähren, und verspricht eine vollständige ausgäbe der Bosa- rimur für die zukunfi.

246 JIRICZEK DIE BOSASAGA

J. lial sich vorgeiiominen, deü bisher gebräiichlicheü namen ^Sagan af Herraudi ok Bösa' durch 'Bösa-saga' zu ersetzen, das scheint mir aber nicht unbcdenkhch. in der älteren wie in der jüngeren redaction ist ja Bosi keineswegs allein die hauptperson. vielmehr handelt die ganze saga, vom anfang bis zum ende, von den taten und erlebnissen des heldenpares Herraud und Bosi. dazu kommt weiter, dass die jüngere sagenform im titel würk- lich die namen der beiden hauptpersonen fuhrt, der altherge- brachte name scheint mir also vollkommen berechtigt und zu- treffend, will man aber trotz alledem aus den Schlussworten der älteren saga einen neuen namen herausnehmen, so sollte man die saga doch lieber ^Sagan af Bögn-Bösa ' oder 'Bögu-Bösa saga' nennen.

In der ausführlichen einleitung werden erstens die hss. der älteren saga und ihr gegenseitiges Verhältnis besprochen, allere ausgaben erwähnt und die bei der herstellung der vorliegenden ausgäbe befolgten principien dargelegt (s. i xxxvii). dann spricht J. (s. xxxvni vul) über die hss. der jüngeren saga und die methode, nach welcher er diese jüngere sagenform abgedruckt hat. den dritten und umfangreichsten teil seiner einleitung (vil Lxxvni) hat er der geschichte der saga gewidmet, er behauptet, und zwar mit recht, dass die characteristik, die PEMüller in seiner Saga- liibliothek von der Bosa-saga gegeben, für die jüngere, aber nicht füi' die ältere sagenform zutreffe, und geht dann zu einer Untersuchung des Ursprungs der altern saga über, in dieser Untersuchung spricht er der saga jede historisch-heroische grund- lage ab, weist aber nach, dass sie verschiedene märchenmotive zum teil mit andern sagen, zum teil mit alten 'folkvisor' gemein bat. ich bin nicht im stände, hierbei die angaben J.s zu con- trolieren, und betrachte mich nicht als berufen, seine beliaup- tungen und Schlüsse zu beurteilen, erlaube mir aber in aller l)escheidenheit zu sagen, dass mir seine darstelluug richtig vor- kommt, aus dem ganzen tone der crzählung glaubt er erschliefsen zu können, dass der Verfasser der Bosa-saga diese motive keines- wegs von verschiedenen seiten einzeln zusammengeschleppt und durch eigene erfindung verknüpft, sondern dass er vielmehr eine zusammenhängende tradilion frei bearbeitet habe, auf die frage, die sich uns hier aufdrängt: 'wie ist nun diese zusammenhängende tradilion entstanden?', gibt J. freilich keine antwort.

In der fortsetzung zeigt er (s. lii lv), dass die vorliegende gestalt der älteren Bosasaga, deren enlstehung er in die zweite hälfte des 14 jhs, verlegt, nicht die ursprüngliche sein kann, sondern dass sie sich durch ganz unverkennbare spuren als Um- arbeitung einer älteren fassung verrät, dieser umstand kommt bei der besprechung der Jüngern saga und ihres Verhältnisses zur altern in betracht (s. lvi lxxvhi). die jüngere saga, während der ersten hälfle des 17 jhs. entstanden, hat an einigen stellen

JIRICZEK DIE BOSASAGA 247

das ursprüngliche bewahrt, wo die äUere, wie sie uns jetzt vor- liegt, erweitert sein niuss, und geht somit auf eine ursprüng- lichere Fassung der altern zurück, die Bosa-rimur sind 'zu ende des 15 oder anfang des 16 jhs.' nach der altern saga gedichtet, der sage von Viktor und Blaus haben sie eine berserkerepisode entlehnt, und später übten sie auf die jüngere Bosasaga einen von J. nachgewiesenen einfluss aus, als diese noch ein mündliches (lasein führte.

Es folgen dann die texte der altern (s. 1 63) und der Jüngern saga (s. 65 138), von palaeographischen anmerkungen und Varianten hegleitet, beide sind normalisiert, dieser nach der neuisländischen Orthographie und jener nach 'regeln', die sich aus der hs. selbst gewinnen liefsen. ich will mit J. nicht rechten, weder über den wert und die zeitgemäfsheit normali- sierter texte überhaupt, noch über die von ihm befolgten regeln. nur muss ich sagen, wer über die sprachformen der hs. auf- schlüsse wünscht, der hat von den hier gedruckten texten gar keinen nutzen, für seine zwecke sind nur die in der vorrede mitgeteilten notizen von Interesse, einzelnes findet er auch in den palaeographischen anmerkungen, welche die texte begleiten.

Von der Zuverlässigkeit des haupttextes habe ich mir keine meinung bilden können, dagegen habe ich den text mit der arna- magnaeischen hs. 510 4^ (von J. als C bezeichnet) verglichen und bin dadurch zu der Überzeugung gelangt, dass J. alle nen- nenswerten Verschiedenheiten zwischen dieser hs. und seiner haupths. gewissenhaft verzeichnet hat. die einzigen abweichungeu, die ich in den varianlenangaben vermisse, sind atsetu statt at- setum 5, 12; vilingr til leiks statt til leiks 10, 7; bceta statt bceta um 12, 1 ; beiddizt statt beidizt 15,3 (ist beidizt nicht ein druckfehler?); hrnmmizl statt hrumizt 17, 11; hvat par se statt hverr par vceri 23, 10. s. 7, 1 hätte gesagt werden sollen, dass med auch in C fehlt; s. 21, 4 hat C Vöiii [leir pa leystir föst- biiüdr. anderseits hat es sich mir aber herausgestellt, dass J. diese hs. C nicht überall richtig gelesen hat. s. 6, 13 hat die bs. vollkommen richtig modur, nicht modir, wie der hsg. behauptet, ebenso steht s. 10,2 ganz richtig avngvan leid-\\angur, nicht Öngvar leidangur; sA^,4 stdmrdingar, n\chl suinardhiga)'; s.\i,20 pigge, nicht ptgi; s. 16, 5 6^n, nicht barn; s. 39,4 smäglingrur, nicht smdghngur, ganz wie in A; s. 52, 1 ül, nicht ür. auch anderes wird unrichtig angegeben oder aufgefasst. s. 16, 5 hat C bratt mun hon sungen verda {hon über der zeile hinzugefügt); s. 17, 12 steht am rande nicht ein en, sondern hromezt, welches den zweck hat, das in der gegenüberstehndeii zeile wegen eines risses im pergament geteilt geschriebene hrvm mezt zu verdeutlichen, die abkürzung, die J. s. 40, 2 als eigi auflöst, ist ganz dieselbe, welche er s. 21,1 richtig mit edr widergibt. s. 51, 12 hl sponz sinn gar nicht auf zwei Zeilen geteilt, sondern steht mitten in

248 JIRICZKK DIE IlOSASAGA

der zeile, die mit hleyptir 51, 18 auföngt und mit aptr 52, 2 endet, zu s. 40, 3 biinerkt J. volllvonimen richtig, dass C pvi likanii hat statt pviliknm, aber er hätte auch weiter bemerken sollen, dass das lolgende hrunnhüsum in C in irgend einer weise corrigiert isl, was unzweilelhaft mit der richtigen lorm des vor- hergehnden fürworls in Zusammenhang steht, die angäbe über hnifar 45, 16 isl vollends aus der luft gegrifl'en, denn C hat hnifar ohne die geringste spur von änderung.

Diese erfahrungen haben mein vertrauen zu der befähigung J.s, isl. hss. zu lesen, stark gerüttelt, aber er hat nicht allein gestanden. Rälund und Finnur Jonsson sind seine helfer ge- wesen, und wer das sprichwürlliche Siele koche verderben den brei' nicht als ausnahmslose regel betrachtet, kann darum hoffen, dass J.s haupttext tadellos ist. die ausgäbe im grofseu und ganzen scheint mir so verdienstlich, dass wir darüber ihre kleinen milngel vergessen sollten, die typographische ausstaltung des buchcs über- irifl't bei weitem alles, was die herausgeber altnordischer texte sich im allgemeinen leisten können, nur würkt es störend, dass der buchstabe / in den meisten fällen den köpf verloren hat. Växjö, 23 oct. 1893. Ludvig Larsson.

Les sources du Roman de Renart par Leopold Sudre, professeur au College Stanislas. Paris, EBouillon, 1893. vui und 357 ss. gr. 8".

Sudre nimmt mit Krohn einen doppelten Ursprung unserer fabeln und liermärcheu an: einen nordeuropäischen die beiden dieser gruppe sind bär und fuchs und einen orientalischen die beiden sind ursprünglich löwe, hyäne und schakal. in der frage nach der priorität von märclien und fabel entscheidet er sich für die erstem, wie Bedier in dem 3 cap. seines jüngst erschienenen Werkes (Les fabliaux. Paris 1893) verhält er sich gegen den grie- chischen Ursprung der indischen ebenso wie gegen den indischen Ursprung der griechischen fabeln ablehnend, was das Verhältnis des Reinhart Fuchs zum Roman de Renart betrifft, so steht er auf dem standpuncte von Vorelzsch i (Zs. f. rom. phil. 15, 12üir, 344 ff. 16, llf), das deutsche gedieht gehe auf eine französische vorläge zurück, die noch nicht einheitlich gewesen sei, sondern ebenfalls eine Sammlung von brauchen, welche allerdings im wesentlichen gegenüber den erhaltenen französischen den ur- sprünglichen näher standen, mit der Verwerfung der Grimmscheu tiersagenhypothese, die man in jüngster zeit wider auf anderem Wege einzuschmuggeln versucht hat (HBaumgart Poetik s. 157 ff; Fischer Lessings fabelabhandlungeu s. 37), wird man wol einver- standen sein, hingegen fallen die germanischen namen für die

' bei der abfassung meiner anzeige von Büttner 'Der Beinhart Fuchs und seine französische quelle' (Anz. xvni 244) waren durch ungünstige um- stände diese vorzüglichen aufsätze mir leider unbekannt sehlieben.

SUDRE LES SOURCES DU ROMA.N DE RE.NART 249

herkuüfl der in letzter linie zugrunde liegenden tiermärchen,

die ja für S. selbst in höherem inafse als die antiken, gelehrt überlieferten fabeln quellen der einzelnen teile des tierepos sind, doch mehr ins gewicht als er zugeben müchte fs. WFOrsters anzeige, Litt, cenlralbl. 1S93 sp. 1393 11), und ich kann in dieser annähme nicht wie er nur eine patriotische phanlasie JGrinims sehen.

Der besondere teil behandelt nun 1) Fuchs und löwi«: die beiden erzälilungen vom 'Jugement du lion' und von 'Henart m6- decin' bildeten ursprünglich eine einheitliche brauche*, die erste hat sich schon früh abgetrennt, ihre älteste gestall zeigt der ita- lienische riainardo (bei Martin als xxvii brauche abgedruckt), auch der Reinaert geht nicht direct au( brauche i, sondern auf eine selbständige verwante fassung zurück (vgl. Anz. xvin 247). im 2 teil behauptet S., wie mir scheint mit recht, gegen Voretzsch, dass die geringere zahl der opfer des fuchscs im Renart ursjjrüng- licher sei als die grofsere im Reinhart, da anfangs nur der wolf allein seine räche empfand, über die Ursache der krankheil des löwen im Reinhart s. Anz. aao. die antike fabel von der socielas leonina tindel S. im Roman de Reuart in zwei reflexen, die sich zu einander verhalten sollen wie etwa in den französisch so häu- tigen doublellen das laulgeschichtlich entwickelte zum mol savant. ob aber das schinkenabenleuer \\ürklich hierher zu ziehen ist, scheint mir fraglich '. vgl. auch Lafontaines fabel 'La huitre et les plaideurs', deren älteste fassung unter den indischen Jätakas nachgewiesen ist (Warreu De Gids 1893, 114) und in grüfserer entferuuug die schwanke von der teilung des hühnchens, beson- ders die, wo der teilende sich selbst nur das gerippe zuspricht (s. RKöhler zu Gonzenbach Sicilianische märchen nr 1). 2) Fuchs und bär. im auschluss an KKrohn (Bär [wolf] und fuchs. Journal de la sociel6 Finno- Ougrienne. Helsingissä 1889) wird gezeigt, \\ie in den beiden abenteuern von der Schändung und dem lisch- fang wölßu und wolf nur an stelle der ursprünglicheren bärin und bär getreten sind, im einzelnen bemerke ich, dass s. 145 in Reinh. v. 433 ''so wärest du nur doch ze swacK letzteres wort unrichtig mit faible übersetzt ist, da es niedrig, unebenbürtig bedeutet, und dass in den annuu. s. 145 und 147 Voretzsch wol misverstanden ist. auch die folgenden beiden geschichten vom hären im baumstamm eingeklemmt und vom baren des bauern ochsen holend sind im anschlusse an Krohn- behandelt, über die erstere ist zu bemerken, dass hier wie auch sonst an die

[* eine parallelversion zum letzteren s. jetzt Zs. d. Vereins f. Volkskunde 4, 70 f: negemiärctien v. d. goldküste.]

1 wenn man die fassung des Heinhart für die ältere ansieht, die des Ysengrimus und des dadurch beeinflusslen Renart für eine etwa unter dem einfluss der fabel erweiterte hält, so entfällt die eigentliche ähnlichkeit.

2 vgl. die citierte abtiandlung und 'Mann und i^uchs. drei vergleichende märchenstudien ' (Helsingfors ISÜl). [s. jetzt auch Zs. d. Vereins f. Volks- kunde 4, 63 ff.]

250 SÜDRE LES SOURCES DU ROMAN DE RENABT

Stelle von tieren (s. Cosquin Cooles pop. de la Lorraine nr 3) die waldnuleterli und fanken treten (s. Jecklin Volkstilmliclies aus Graubilnden ii 127; Vonlnin Beilr, z. d. mylli. 58). dass der Reinliart aus scliamhafiigkeit die Verstümmelung des caplans unter- drückt, ist mir für den Verfasser von v. 590 wenig walirscliein- licli; viel eher wird, wie Vorelzsch meint, auf seite des Reuart der Zusatz anzunehmen sein, von der hranche ix lieifst es nicht ganz richtig, dass 'nulle part il n'est fait allusion aux ev^nements qu'elle relatc' (p. 190); denn viii 147 fr steht doch jedesfalls da- mit in freilich unklarem Zusammenhang (s. Grimm RFuchs cxxvni; Martin Observ. sur le Roman de Renarl 51). 3) Fuchs und wolf. für die episode von der wallfahrt muss ich mich Voretzsch anschliefsen, insofern als die wenigen erhaltenen verse, die uns die begegnung Baldewins mit Reinhart erzählen, gewis nicht hin- reichen , um irgend eine identification des abenteuers vorzu- nehmen, auf den namen Baldewin ist allerdings nicht viel zu geben: gerade weil er häufiger als nanie des esels erscheint, mag er dem Glichezare sonst woher bekannt gewesen und von ihm an die stelle des seltenern Beruart gesetzt worden sein, zu der geschichte vom fuchs, der in den brunnen schauend sein gesicht für das seiner eignen frau hält, ist das märchen der Kamtschadalen zu vergleichen, deren gotte Kutka das gesicht gleich dem einer frau von der maus angemalt wird, sodass er ins wasser sehend sich in sich selbst verliebt (Tylor Die anfange der cultur, übers, von Spengler und Poske i 404). bei der besprechung der epi- sode vom vollgefressenen wolf wäre jedesfalls die ansieht von Krohn ' zu beachten gewesen, die zweite hochzeit der füchsin ist doch wol mehr als satirische ausführung des trouveurs wegen Grimm KIIM nr 38 (s. Grimm RFuchs p. ccxvi). 4) Fuchs und Vögel, zu dem p. 285 citierlen finnischen märchen findet sich eine parallele Krohn Bär und fuchs s. 122. das abenteuer vom fuchs und dem raben zwischen schakal und krähe spielend in Jälaka 294 (VVarren De Gids 1893, p. 117). erwähnen will ich bei dieser gelegenlieit eine neugefundene afrikanische parallele von der fabel, wie fuchs und storch einander gegenseitig zu gaste laden (Reinisch Die Bedauyesprache s. 67. VVSB 1893). 5) Der wolf. die p. 336 augeführte geschichte von der sau, deren junge erst getauft werden müssen, ehe sie der wolf fressen darf, findet sich auch bei ESchreck Finnische märchen 233 und zwar in Verbindung mit der von der stute, die dem wolfe den huf zeigt. In einem schlusswort fasst S. die resultate seines buches zu- sammen: die quelle des Rom. de Ren. sei keine einheitliche, die quellen der einzelnen erzählungen seien mündliche iraditioneo,

* Bär und fuchs s. 44 'im gegcnteil kann man gescliiclillicli nach- weisen, dass eine aesopische fabel vom üljermäfsig fressenden fuchse in dem tierepos und der fabellitteratnr des niittelalters, sowie im Volksmärchen der gegenwart zu einer erzählung geworden ist, in welcher der fuchs den wolf verleitet, übermäfsig zu fressen oder zu saufen'.

SUDRE LES SOÜRCES DU ROMA.N DE RENART 251

die nur teilweise auf antike oder orientalische quellen zurückgehn. S.s buch basiert auf den Untersuchungen von Krohn , Marlin, Voretzsch, nimmt aber durch vernilnflige, ruhige kritik und sach- liche, klare Zusammenfassung einen ehrenvollen platz neben und über diesen vorarbeiten ein.

Bern, 18 nov. 1893. S. Singer.

Itie legende Karls des Grofsen im 11 und 12 jli, herausgegeben von Ger- hard Häuschen, mit einem anliang über Urkunden Karls des Grofsen und Friedrichs i für Aachen von Hugo Loersch. (Publicationen der ge- sellschaft für rheinische gescliichlskunde vii.) Leipzig, Duncker und Humblot, 1890. viii und 223 ss. gr. 8^. 4,80 m.

Die legendarische 'Vita Karoii Magni' des 12 jhs., die uns hier (s. 1 93) in kritischer bearbeitung und mit wertvollen beigaben und excursen vorgelegt wird, ist kein ineditum, aber doch bisher recht unbekannt geblieben. SSinger hat für seine kenntnisreichen erürlerungen in der einleiluug zu den Deutschen Volksbüchern der Züricher hs. C 28 (Stuttg. litt. ver. bd 185) ein Einsiedler ms. benutzt (s. xxn f), ohne zu ahnen, dass das darin enthaltene Karlsleben bereits 1874 vonKaenIzeler Ireilich schlecht genug nach 2 Aachener hss. herausgegeben war. mir selbst ist es vor Jahren passiert, dass ich das werk zeillich falsch ange- setzt habe: denn hauptsächlich an diese legende dachte ich, als ich Zs. 27, 78 aus gewissen dementen im phrasenschatze des Konrad von Regensburg die 'kenutuis einiger ausläufer der karo- lingischen geschichlschreibung' folgerte.

Die entslehungszeil der Vita ist durch die aussagen des pro- logs über jeden zweifei erhaben : sie ist abgefasst worden kurz nach der feierlichen erhebung und canonisatiou Karls, die am 29 dec. 1165 stattfand; abgefasst auf direcle auregung Friedrichs i und in der ausgesprochenen absieht, die heiligsprechung zu be- gründen und die freude darüber ins reich hinauszutragen, der Verfasser, zweiieilos ein Aachener cleriker, gehürl zu den unbe- dingten anhängern und bewunderern des Slaufers, in dem nach seiner ansieht (18, 23 ß") der well ein zweiler Karl d. Gr. erschienen ist, und er wird gewis auch die liefern absiebten verstanden haben, welche sein hoher günner mit dem bedeutungsvollen act verband, so ist das werk, ähnlich wie die canonisatiou selbst, durch die es veranlasst ward, von entschiedenem Interesse für die geschichte des deutschen kaisergedankens: wie dessen belebung und kräfligung in den wirren des Schismas und gegenüber den weitaussehenden planen des byzantinischen kaisers Manuel be- sonders geboten scheinen musle, das hat Rauschen in seinem 1 excurs über die heiligsprechung Karls (s. 129 137) einleuchtend ausgeführt.

252 RAUSCHEN LEGENDE KARLS DES GROSSEN

Recht gering dagegen ist der (juellenwert: ich meine ualüi- lich lilr den sagenforscher, denn der hisloriker wird hier ohneliin für sich nichts erwarten, in der hauplsache ist das dreiteihge werk geschöpft aus uns wolhekannten und zugänghchen gewährs- niännern: Einhards Vita und die Annales Laurissenses, Kegino, Thegan sind die wichtigsten für geschichlhche augahen; von sagen- mäfsigen quellen liegt dem ganzen ii huclie, dorn hericht von Karls fahrt nach Jerusalem und Konslantinopel, die von H. im anhang neu edierte 'Descriptio' dieses fahulosen zuges zu gründe; die kleinere erste hälfte des ni huclies (c. i vji) schreihl einfach pseudo- Turpin c. i vin (ed. Reuber) ah. auch c. m ist salz für satz widergahe des gleichen capitels hei Turj)in, die anmerkung 64 R.s (s. 67) muss also ein versehen enthalten, nur weniges geht auf die berichte frommer Zeitgenossen des autors zurück, so vor allem c. xvn xix des ni i)uches, wunder am grabe des kaiser- lichen heiligen vor und nach der canonisation que iiostris temporibiis mirifice contigisse gloriamnr, wie das vorwort des III buches ankündigt.

Der compilaloi- lehnt es von vornherein und widerholt ab, eine geschichte der taten Karls d. Gr. zu schreiben, ja er schliefst die 'historialia ipsiiis gesta' (67, 20 ff) sogar ausdrücklich von seiner darstellung aus. für die sei m cathalogo virorum fortium et in cronicis (18, 1) hinlänglich gesorgt, und auch er selber habe darüber bereits einen 'micrologns' verfasst (18, 2). er will seinen lesern und den andächtigen des Karlslages den grofsen kaiser vor allem als gottesmann vorführen: als treuen Verehrer und als reichbegnadeten Schützling Gottes und der heiligen, als freund der kirche und vielfältigen kirchenstiftor, als den kaiser, der in seinem segensreichen walten auf staatlichem und kirchlichem gebiete durch keine übergriffe des papstes gehemmt wurde, ^vere duo gladii hicV in diesem ausrufe (34, 17) scheint die tendenz der verher- lichung Karls zu gipfeln, das kirchenpolilische ideal der stauü- schen partei kommt hier ähnlich zur repraesentation, wie um dieselbe zeit das der gegenpartei in der beliebten Vorführung Constantins und des heiligen Silvester (Gerhoch von Reichersberg, Kaiserchronik).

Von den quellen sind die sagenhaften auf grofse strecken liin einfach ab- und ausgeschrieben, die historischen mit mehr mühe als geschick excerpiert und durcheinandergevvürfelt. wo der autor selbst das worl nimmt: in den prologen (des ganzen und der ein- zelneu bücher), am eingang und schluss vieler capitel, in buch in c. XVII XIX, merkt mau es alsbald an der blumenreichen und salbungsvollen spräche, die sich bis zu aul'dringlichcm schwulst steigert, in der phraseologie dieser abschnitte machen sich ein paar lieblingswendungen bemerklich, die er gelegentlich auch ein- mal dem texl einer ausgeschriebenen quelle (so 69, 19 dem Turpin) einmischt: ich meine die bezeichuung Karls als dei (Christi) athleta.

BAUSCHEIS LEGEiNDE KARLS DES GROSSEN 253

dei {Christi) miles (26,4. 44,28. 74,6. 92,8; 69,20). es sind die der deutschen poesie seit dem beginn des 12 jlis. öfters vorkommenden ehrentitel gotes wiganl , goles dienestman, die ja auch der pfalVe Kourad seinem allertlirislhchsten heldenkaiser bei- legt, hier einen direclen Zusammenhang zu linden (wenn auch anderer art als ich es Zs. 27, 7S andeutete), lehne ich jetzt aus- drücklich ab. noch weniger beweist etwa die ähnhchkeit von Rol. 22, 21, wo es von Karl heifst: jd Inhlen stniu ougen sam der moryensteryie (vgl. noch weiter 23, 1 f) mit Vita 49, 27 oculi fulgebant tanquam sidera: denn einmal stammt die stelle der Vita aus der Descriptio des 11 jhs., und dann ist die tradition von Karls leuchtenden äugen viel zu verbreitet, als dass eine solche berührung im ausdruck auflallen dili l'le. es ist ganz amüsant zu sehen, wie die vorslrllung davon wächst. Einharl c. 22 oailis praegrandibns ac vegelis; Poeta Saxo v 339 (den Einhart aus- schreibend) lale fulgenles oculi; Monachus SGallensis i 3 flam- mante intuitu, i 19 fuhninans acies^; Descriptio 107, 3 (= Vita 49, 27) oculi fulgebant tanquam sidera und schliefslich mit einem gesuchten doppelvergleich, der aber grofsen anklang ge- funden hat, Turpin c. xii: oculi leonini scintilluntes ut carhunculi.

\\. hat von dieser legendarischen Viia 14 liss. aufgetrieben und im apparat mehr oder weniger eingehend verwertet; der text selbst fufst beinahe ausschliefslich auf den Pariser hss. P'~'^, von denen die treffliche P^ noch dem 12jh. entstammt und uns zu- gleich den besten text des Turpin bewahrt hat. es ist von in- teresse, die herkunft der manuscriple zu mustern und damit die Verbreitung der Karlslegende zu ermessen. Frankreich hat aucii dieser glorificalion seines Charlemagne die aufnähme nicht ver- sagt: in Paris allein liegen 6 hss., nur teilweise deutschen Ur- sprungs, auf deutschem hoden weisen die mss., soweit ihre her- kunft sich bestimmen lässt, vor allem auf die orte hin, für die der cultus des kaisers und des heiligen Karl besonders bezeugt ist und die auch sonst in der lilterarischcn pflege der Karlssage voranstehn: vor allem die Rheinlande mit Aachen und Köln (vgl. Karlmeinet), dann Regensburg (vgl. Kehr., Rol. und im 14 jh. Karl und die schotteumönche) und Zürich (vgl. die prosa des Züricher codex C 2S). nach SEmmerain gehört M di. clm 14279 (== Em. D 4), auf eine Züricher vorläge weist E zurück, die Ein- siedler hs., wenn sie auch selbst nicht das 'werk eines Züricher sliftsgeistlichen' (Hauschen), sondern des Job. Birk von Kempten ist, vgl. iMBüdinger Von den anfangen des schulzwanges s. 29 39.

R.s recension des textes ist wol ziemlich einwandfrei und der druck ungewöhnlich correct: ich habe mir nur die fehler 41, 8 vestutate und 86, 1 Juvanum st. Juvav{i)um notiert der

* den ausdruck oculis asirorian more radianlibus braucht der mönch n 11 von Ludwig dem frommen.

254 RAÜSCHE.N LEGENDE KARLS DES GROSSEN

letztere scheint überdies in einem weitverbreiteten schreib- oder lesefehler begründet zu sein.

Zu den anmerkungen, die hauptsächlich die sorgfältigen quellennachvveise enthalten (darunter s. 44 nr 38 eine note zum Karlmeinet), verzeichne ich nur, dass es anm. 59 (s. 50) statt 'Emman.' heifsen muss '7h ilomino' und dass für nr 38 (s. 36) dem herausgeber die wertvolle einleitung von Gl'aris zu der von diesem und ABos lierausgegebenen Vie de SGilles p. Guillaume de Berne- ville (Paris 1881) entgangen ist.

Als zweiten text beschert uns B.s buch sodann (s. 95 125) die schon vielfach so von GParis, LGautier, Koschwilz, JHansen besprochene 'Descriptio qualiter Karolus Magnus cl a v u m et c o r o n a m d o m i n i a C o n s t a n t i n o p o 1 i A q u i s - grani detulerit qualiterque Karolus Calvus hec ad Sanctum Dyonisium retulerit', welche etwas gekürzt dem II buche der Vita zu gründe liegt. R. hat für den text aufser einer Pariser nur eine vielfach, besonders auch sprachlich abwei- chende Wiener hs. benutzen können ; auf das kritisch wertvolle 'ms. de Montpellier 280' hat inzwischen GParis Romania 21, 295 aufmerksam gemacht, der hsg. bestätigt GParis datierung('ca 1070'), indem er die schrift zwischen 1060 und dem ersten kreuzzug an- setzt, weist aber gegen GParis nach, dass die beiden teile, in die sie jener zerlegte, von demselben autor und zwar von einem Franzosen verfasst sind.

Die sage von Karls pilgerfahrt (vgl. excurs iv s. 141 147), die um dieselbe zeit in dem von der Descriptio unabhängigen französischen spielmannsgedicht ein wahrer tummelplalz der gaiel6 gauloise geworden ist, hat in Deutschland wenig anklang gefun- den, unter den quellen und zeugen für ihre Verbreitung, die man in den Archives de l'orient laiin i 15 f n. 25 verzeichnet findet, figuriert freilich auch Ekkehard von Aura, allein gerade der coni- menlator des Hierosolymita, Hagenmeyer, dessen ausgäbe dort an- geführt wird, hat bereits dagegen protestiert, dass man die stelle XI 2 auf jene sage ausdeute, während fast alle französischen historiker von Hugo von Fleury bis auf Vincenz von Beauvais und weiter hinab bei ihr verweilen, hat sie in Deutschland erst bei Martin von Troppau und bald darauf bei dem compilator des Karlmeinet aufnähme gefunden, mit der quelle des letztern be- schäftigt sich R. s. 146 anm. 73. das erste auftauchen der wundersamen mär bei Benedictus de SAndrea (ca 968) beurteilt R. widersprechend, wenn er s. 142 sagt: 'schwerlich hat er die sage selbst ersonnen', s. 147 aber eben diesen möuch vom Soracte als den 'erfinder' der sage bezeichnet und ihm persönlich einen bestimmten zweck unterschiebt, es liegt hier wol nur ein schiefer ausdruck vor, denn R. selbst hat s. 146 f über das aufkommen der mylhe sehr verständig gehandelt und Aachen und besonders SDenis als die orte characterisiert, wo die jährliche Vorzeigung

BAUSCHEiN LEGEISDE KARLS DES GROSSEM 255

bestimmter reliquien am ehesten die Vorstellung von einer per- sönlichen anweseuheit des grofsen Karl im heiligen lande wecken mochte.

Die excurse ii, iii, v berühren schwerlich das inleresse unserer leser und entziehen sich jedesfalls meiner krilik. noch mehr ist dies der fall mit der beigäbe von prol'. HLoersch (s. 149 215), welche der titel ankündigt. L. tritt den beweis an, dass das nur als transsumpl in einer Urkunde Friedrichs ii vom aug. 1244 erhaltene privileg Friedrichs i für Aachen vom 8 Jan. 1166 echt sei, und verwertet hierfür sehr ansprechend die neue kritische ausgäbe der Viia, die eben durch ihn angeregt ist. die Unter- suchung hat den beifall der sachkundigen gefunden und ist von HGrauerl im llist. jahrh. 12, 173 IT durch den nachweis erweitert worden, dass das von Loersch als gefälscht erkannte diplom Karls d. Gr., welches Urkunde und Vita aufnehmen, um die mitte des 1 1 jhs. hergestellt ist.

Ich will von der säubern und in jeder beziehung gut aus- gestatteten publicalion nicht scheiden, ohne den wünsch auszu- sprechen, dass nun endlich auch für das einzige deutsche denk- mal der Karlssage, das wir bisher nur unvollständig kennen, für die Chronik von Weihenstephan, sich ein herausgeber finden mOge. Marburg. Edward Schröder.

Über Wolframs von Eschenbach Parzival, von Richard Heiszel. Wien, FTempsky, 1893 [Sitzungsberichte der k. acadeniie der Wissenschaften in Wien, philosophisch-historische classe, bd cxxx]. 113 ss. 2,30 m.

Heiuzel behandelt die vielumstrittene frage nach der quelle Wolframs und bewährt auch hier seine ausgezeichnete gründlich- keit und belesenheit, auch er entscheidet sich dafür, dass Wolf- rams angäbe, er folge dem französischen gedichte eines provenzalen Kiot, vertrauen verdient, er scheidet aus dem gedichte Wolframs zunächst das aus, was unzweifelhaft dem deutschen dichter eigen ist, und vergleicht den übrig bleibenden Inhalt, den er Kiot zu- schreibt, mit Chrestiens werk, er kommt zu dem ergebnis, dass weder Chreslien Kiot, noch dieser jenen benutzt habe, dass also die ihnen gemeinsamen züge der sage in einer gemeinsamen quelle vorhanden gewesen seien, und zwar in dem buche, welches Chrestien von dem grafen Philipp von Elsass, Flandern und Artois erhielt (s. 40). diesen schluss halte ich nur dann für zwingend, wenn würklich Wolfram seine erzählung, abgesehen von seinen eigenen erfindungen, ausschliefslich aus Kiot schöpfte, allein er benutzte auch andere quellen, wie ich in QF. 42 gezeigt zu haben glaube; und wenigstens die directe enllehnung von nameu aus Solins Polyhistor ist wol allgemein zugestanden, ebenso, dass neben französischen gedichten über den Gral prosaerzählungen umliefen,

256 HEirSZEL WOLFRAMS VON ESCHENBACH PARZIVAL

woraus Wolfram scliüpleii konnte, aber auch sonst halte ich Wolframs Selbständigkeit für weit gröfser als II.: ich glaube, dass die psychologische Vertiefung der einzelheiten wie ihre Verbin- dung durch eine gemeinsame grundidee sein verdienst ist: diese grundidee steht mit dem, was er über seine eigenen Verhältnisse angibt, in vollster Übereinstimmung, und die seelenvolle aulfas- sung der bei allen andern dichtem der zeit entweder leichtfertig oder asketisch- kirchlich behandelten sloffe der ritterlichen erzäh- luug kann nur einem dichter ersten ranges zugewiesen werden, den wir nicht aufserhalb Deutschlands zu suchen brauchen, auch deutet die ganze reihe der abweichungen von Chrestieu nicht auf ein einheitliches werk, welches Wolfram nur, mit wenigen aus- schmückungen, übersetzt hätte, es sind aufserordeutlich verschie- dene bestaudteile, welche nur durch eine sehr kunstvolle Ver- bindung zu einem übersichtlichen ganzen haben vereinigt werden können, wesentlich für den schluss des ganzen, den ihm ja Chrestien nicht darbot, beruft sich Wolfram auf Kiot. diesen haben wir uns als einen (ortsetzer Chrestiens zu denken, der auch schon in dessen werk ebenso interpolationen ein- und eine Vorgeschichte zugefügt haben mag, wie sie tatsächlich, wenn auch nicht eben mit Wolframs quelle näher stimmend, in dem von Potvin abgedruckten manuscript vorhanden sind. II. selbst be- gründet sinnreich die annähme, dass Kiots name nur auf einem misverständnis beruhen möge, wie es in Potvins text vi 212 heifse '■Si com la malere descoevre Gerbers qiii a reprise l'oevre, Quant chasciins trovere la laisse\ so möge in Wolframs (juelle der dichter von sich sprechend gesagt haben Ki ot reprise l'oevre oder reprinse l'estoire; Wolfram hätte dann reprise misverstehu und als tadel auffassen können; er hätte vielleicht auch den von ihm erst durch ein misverständnis geschaffenen Kiot mit Guiot de Provins zu einer persou gemacht, die möglichkeit dieser ver- vermutungen kann gewis nicht geleugnet werden.

Über die der zusammenhängenden erzähluug Chrestiens und Wolframs (denn so möchte ich doch anstatt Kiots den Vertreter der deutschen sagenform bezeichnen) zu gründe liegenden mär- chen spricht H. mit einer fülle von bemerkuugen und Verwei- sungen, die man dankbar annehmen wird, er bemerkt auch ganz überzeugend, dass es wunderbar ist, wie sehr die menge der namen und geschichten in Übereinstimmung und zusannnen- hang gebracht worden ist, wie wenige kleine Verschiedenheiten übrig bleiben, zu s. 44 möchte ich bezweifeln, ob der umstand, dass der Gralkönig im gegensatz zu den Gralrittern heiraten darf, auf ein erbreich hinweist, in merkwürdiger weise stinunt dazu die einrichtung der englischen Colleges an den Universitäten, in denen der headmaster heiraten darf, die fellows aber nicht, aber man kann sich auch ganz gut denken, dass an einem ritterlichen hof die fürstiu nicht entbehrt werden kann, während ihr nur

HELNZEL WOLFRAMS VON ESCHEKBACH PARZIVAL 257

edelfräulein, ihrem gemalil nur uuverlieiralete riller zur seile slehu. s. 45 iiimnil H. an den eben auslofs, welche nach deu rillerromanen jüuglinge mil weil älteren trauen schliefsen; aber auebin wilrkliclikeil war das damals nichts seltenes: Heinrichs vi gemablin war 11 jähre älter als er, und ähnlich stand es mit Friedrich ii, dann mil Ottokar von Böhmen, allerdings waren das eben aus politischen gründen, während die ritterromane von liebe sprechen, für die seltsamen Verhältnisse auf dem wunder- scbloss nimmt H. die von mir gegebene erklärung an, dass es sich hier ursprünglich um ein lotenreich bandelte.

Allein so feinsinnig er eine reihe von weniger passenden Verhältnissen, die sich aus der zusammenl'ügung ursprünglich für sich bestehnder märchen ergeben, erklärt und rechtl'erligl, so meint er doch, Wolfram würklicbe und zum teil schwere Wider- sprüche nachweisen zu können, ich glaube mil unrecht, wenn ich auch im folgenden nur einzelne fälle behandeln kann. s. 103 bemerkt H.: 'xv 777, 25 wird bei Artus zu mittag gegessen, dann kommt Kundrie mit der freudigen botschafl an Parzival, 784, 23 nu wasez ouch zit daz uian da gaz'. das letzte vvorl bedeutet nicht, wie II. andeutet, 'essen sollte', sondern 'ge- gessen hatte, mit essen fertig wurde', ebenso wie zb. Iwein 1224. das ergibt sich aus dem folgenden: Parzival, der neben seinem bruder safs (oder sagen wir: gesessen hatte), bittet diesen um gesellekeä, db. nicht um seine nachbarschaft beim mahl, sondern um seine begleitung beim ritt auf die Gralburg, ebenso ist 780, 17 wart bekennet schiere nicht zu übersetzen 'ward da erst bekannt', sondern elwa: man überzeugte sich, dass es würklich Kundrie war. 'ni 151, 28 Kunneware wird mil einem stock ge- schlagen, nach VI 304, 18 ist es mit einer rute geschehen', au der zweiten stelle heifst es aber: die blou der seneschalt . . daz von ir reis der walt. hier ist walt wie in waltswende von Stäben zu verstehn; Parzival sagt, allerdings mil einer begreiflichen Über- treibung, Keie habe auf Kunneware stocke zerschlagen, 'v 251, 28 erkennt Siguue Parzival an der stimme, bei seinem drillen be- such IX 440, 24 erst, als er den heim abgebunden bat', diese schon von andern bemerkte incongruenz lässl sich doch wol sach- lich rechtfertigen, bei seinem langen barmvolleu umherirren konnte die helle stimme des Jünglings doch sich verändert haben, und Sigune, mehr und mehr der aufsenwelt abgestorben, mochte ihn nach so vielen jähren erst beim sehen wider erkennen, und so lassen sich auch sonst die von II. angeführten Schwierigkeiten durch eine etwas liberale interpreiation beseitigen : diese ist dem dichter gegenüber, der alles klar vor äugen hat, aber eben wegen einer gewissen überfülle des gefübls und der Vorstellungen sich nicht immer deutlich ausdrückt, durchaus erforderlich, irrig über- setzt übrigens II. s. 10 Parz. 454, op die (enget) ir unschnlt wider zöch 'da die erde doch keine würdige stalle für ihre rein-

A. F. D. Ä. XX. 17

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lieit war', nnschult ist mlul. uiclit, wie l)ei uus, ein positiver he- grifl", soucloin stets negativ, 'scliiiUllosigkeil': s. die wbb. die stelle drückt undeutlich das aus, was spälei- (471) näher ausein- ander gesetzt wird: 'wenn sich ihre sciiuldlosigkeil lierausstelJie und sie deshalb zurückgerul'en wurden'. zum Schlüsse bespricht H. noch einige andere darstellungen der Parzival- und Gralsage, und hier hat ref. diesen ausKlhrungen, welche zl. milteilungen aus handschrilten bieten, nui' einlach beizuslin)men.

Strafsburg, Hjan. 1S94. E. Martin.

Per Helnibrechtsliof und seine Umgebung, eine lilterarhistorisclie Untersuchung, von Max Schltckinger. (Separatabdruck aus dem 51 Jahresberichte des museum Francisco-Carolinum in Linz.) Leipzig, GFock, 1893. 31 ss. 8°. 1,20 m.

Als ich vor fast 30 jähren die aufgäbe übernahm, den Schau- platz des Helmbrecht-gedichtes festzustellen, hatte ich das glitck, als helfer bei dieser arbeit einen mann zu finden , wie ich ihn geeigneter nicht wünschen konnte, herr pfarrer Jos. Saxeneder, damals in L'herackern, jetzt in Neukirchen an der Enknach, hat nicht blofs in diesem gebiete seine heimat, sondern hat auch mit geringen Unterbrechungen sein ganzes leben darin zugebracht, er hat daher nicht blofs die genaueste kenntuis der gegend in allen einzeliieiten, sondern er ist auch, da er immer im engsten verkehr mit dem volke stand, auf das vollkommenste vertraut mit seinen eigenheiten und gebrauchen, seinen silten und sagen und mit allem dem, was die Volksseele beschäftigt und wie sie sich äufsert. zu einem solchen manne konnte man daher das unbe- dingteste vertrauen haben , dass seine feststellungen das höciiste mafs von verlässigkeit besitzen.

Jetzt hat ein jüngerer mann, hr lehrer Schlickinger in Mauer- kirchen, es unternommen , einen andern, wenn auch nur wenig geänderten Schauplatz aufzustellen, wenn er sich damit begnügt hätte, nur zu behaupten , der Ilelmbrechtshof ist nicht der bis jetzt so bezeichnete, sondern der hof daneben, der Hohenstein ist nicht die bis jetzt so bezeichnete höhe, sondern die höhe daneben usw., so könnte man bei dem für die Wissenschaft ge- ringen werte dieser verscliiedenheiten den gegenständ auf sich beruhen und jedem leser selbst die wähl überlassen, welche von beiden nachweisungen er für verlässiger hält, er ist aber weiter gegangen und hat sich als den wahren entdccker des richtigen Schauplatzes und die bisherigen aufstellungen als falsch bezeichnet, dies zwingt mich leider, seine aufstellungen auf ihren wert zu untersuchen, ich habe mich auch hierbei wider, was das örtliche betrifft, der ausgezeichneten Sachkenntnis und uner-

SCHLICKhNGER DER HELMBRECHTSHOF 259

müdliclien freuudliclikeil Saxeneders zu erfreuen gehabt und lege hiermit den freunden der dichtung diese neue Untersuchung vor, indem ich dabei dem gange der darlegung Schlickingcrs folge.

Der erürlerung möchte ich noch eine kleine bemerkung über die frUlierc und ji'tzige Hehiibrechtforschung vorausschicken, als vor 30 Jahren die forschung unternommen wurde, hatten die da- maligen ergebnisse den wert der unmittelbaren und ungetrübten Schöpfung aus den erinnerungen des volkes. jetzt ist das anders, mit dem bekanntwerden des allen gedichtes hat sofort eine neue sagenbildung begonnen, man will jetzt neue anknilpfungspuncle finden, alte leute wollen sich erinnern, dass sie noch dieses und jenes gehört hätten, es sind daher alle neuen zusätze mit gröster vorsieht aufzunehmen.

1. D e r II elmbrech tshof. in Sch.s einleitungsworten (s. 7) verdient der absatz: 'ihr litterarhistorischer wert war bis jetzt unbekannt' einigen tadel. hr pfarrer Saxeneder hat mir schon vor Jahren mitgeteilt, er glaube, dass {statt des Nazigutes, das dann dem freimann zuzuweisen wäre) das Ilärtlgut zum Helmbrechls- hofe gehört habe, und ich habe davon in der 2 aufl. meiner aus- gäbe nui aus dem gründe keinen gebrauch gemacht, weil ich dazu die nötigen belege noch nicht beibringen konnte, am ganzen aber auch dadurch nichts geändert wurde. Saxeneder hat aber auch mit Seh. diesen gegenständ schon vor jähren besprochen: also ist obige angäbe mindestens ungenau.

Nun zur sache selbst, ein blick auf Sch.s karte zeigt, dass die beiden stellen, welche als statte von Helmbrechts heimat in anspruch genommen werden , unmittelbar neben einander liegen, sodass, wenn für beide gründe angeführt werden, die entschei- dung schwer fallen dürfte, während es für die Wissenschaft von geringem belang ist, ob der eine oder der andere der ur- sprüngliche ist. bei solcher nähe können aber auch scheinbar triftige gründe für ein entscheidendes urteil ungenügend sein, einmal ist die ausdehnung des engen gebietes insofern veränder- lich, als einzelne teile, die jetzt dem anbau des bauers dienen, erst im verlauf der zeit dem angrenzenden walde abgerungen sein können, anderseits aber auch gewaltsame ereignisse Veränderungen veranlasst haben mögen. Seh. selbst führt aus den allerletzten durchaus friedlichen jähren an, dass auf dem Ilartlhof im j. 1879 ein brand wütete, und dass der Lenzhof im j. 1892 ein raub der flammen wurde, wie erst in jenen unruhigen Zeiten, die zwischen der ersten erwähnung des hofos um d. j. 1230 und der spätem nun von Seh. beigebrachten angäbe aus d. j. 1581 liegen, da konnten triftige gründe mafsgebend sein, um bei einem solchen Unglücke die widererrichtung des hauses an einer andern stelle des besitzlums, zb. in gröfserer oder geringerer nähe der strafse oder des waldes rätlich erscheinen zu lassen. Seh. selbst verrät eine ahnung von der möglichkeit solcher änderungen, wenn er

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260 SCHLICKINGEn DER IIELMBRECHTSIIOF

s. IC, ZU anderni zwecke, sagt: 'es küiiueu im verlaufe der jalir- hunderle sich familiäre Verhältnisse herausgebildet haben, die die Übertragung der hegemonie vollkommen rechtfertigen, doch diese werden für immer unbekannt bleiben'.

Für die Identität der Helmbertisstal s. 9 und des Helmbrechts- hofes s. 1 1 fehlt bei der gewaltigen Verschiedenheit ihrer reich- nisse jeder beweis, die erklärung des wertes ^stat' als gleich- bedeutend mit 'grofser hof ist unhaltbar und besonders in der gleichstellung mit der Zusammensetzung 'hofstatt' entschieden falsch, der vergleich mit Haselriute s. 10 ist eine gänzliche ver- kennung der historischen entwickluug. als dort die haselstauden ausgereutcl wurden, war es eine unscheinbare besitzung, daraus ist aber im verlauf von sechs Jahrhunderten eine ansehnliche Ort- schaft geworden, wie zb. auch platze, die einst nur ein mühldorf oder eine Schneidemühle bargen, später zu Städten sich ausge- wachsen haben.

Der einzige wichtige und neue gegenständ in Sch.s abhand- lung ist der nachweis des namens Ilelmbrechtshofer, als ein weiterer beweis zu den von mir vorgebrachten , dass der Helmbrecht-name in der gegend fortlebte, aber nicht zugleich als nachweis, dass sein besitzer auf dem ursprünglichen Helmbrechtshofe gesessen sein müsse, wenn wir den namen an sich ins äuge fassen , so ergibt er sich sofort als Weiterbildung eines ursprünglichen, es wird seiner zeit, dh. im 13 jh., keinem menschen eingefallen sein, den alten Helmbrecht den Helmbrechtshofer zu heifsen (was allerdings Seh. s. 16 annimmt), ebenso keinen seiner nachfolger, welche den namen Helmbrecht fortführten, der name konnte erst eintreten, wenn eine familie andern namens in seinen besitz eintrat, oder wenn der besitzer, der diesen namen schon führte, aus irgend einem gründe das haus an andrer stelle wider auf- baute, dass der name auf dem von Seh. gewollten hofe gar nicht fest safs, beweist das von ihm (s. 12) ausgezogene urbar von 1581 selbst, indem der Schreiber, bei dessen lebenszeit das gut an den Hans Härtl Ubergieng, der beschreibung desselben zum namen 'Helmbrechtshofe' sofort die randbemerkung beifügte, ^das ist das Härtlgut' bei der Zähigkeit >, mit der das landvolk Jahrhun- derte lang die hausnamen festhält, eine höchst auffallende er- scheinung, umsomehr, da er in der Überschrift auch den namen H.-hof ansetzt, vielleicht nur als rückbildung aus dem familien- namen; denn in gebrauch ist nur der name Härtlgut geblieben.

So viel über den namen. zur sache kann sehr vvol zu- gegeben werden, dass das Härtlgut, wie auch (vgl. s. 259) Saxeneder schon selbst vor jähren vermutet hatte, einst einen teil des Helmbrechtshofes bildete, wenn man, wie leicht anzunehmen ist, voraussetzt, dass seit dem 13 jh. noch mancher waldleil

* vgl. hierzu meine abhandlung über die flurnamen der Monumente Boica in den Sitzungsberichten d. k. b. acad. d. vyiss. phil.-hist. cl. 1887, ii 99 f.

SCHLICKl.NGER DER HELMBRECHTSHOF 261

abgeschwendet und iu ackerland verwandelt wurde, wie schoQ der Ortsname Ueith anzeigt, so ist das gebiet der beiden guter Lenzengut und Ilärllgut noch nicht zu grofs l'iir einen mittel- alterlichen meierhof, es wäre dann etwa anzunehmen, dass in den unruhigen Zeiten des 14 oder 15 jhs. ein hesitzer, der von dem gute den namen llelmhrechtshofer angenommen halle, aus irgend einem gründe sich au der stelle des spätem Ilärtlgutes sein neues heim errichtete.

Für mich war niafsgcbend, dass auf dem Lenzengule die alle tradition haltete, hierzu erwähnt mir Saxeneder jetzt auch, dass der alte hesitzer dos Lenzengules erzählt habe, er sei im kreise der jugendgenossen bei neckereien oft als helmerldieb, helmel- rauber verspottet worden, sein vater hätte ihn darüber auf seine klage mit dem tröste beruhigt: 'lass's gehn die buhen; ist mir auch nicht besser gegangen; ist schon auf dem haus', das wenige, was Seh. in dieser beziehung s. 17 beibringt, besteht in zwei äufserungen. die äufserung der bäuerin, einer altersgenossin des pfarrers Saxeneder, die also in keine klosterschule mehr gegangen sein kann, über das lesen aller Schriftstücke in den schulen ist eine widerholung dessen, was ich (Münch. sitzungsber. 1865 i 319) aus der erzählung des allen Liedl mitteilte, nur dass diese lesungen nicht, wie Seh. will, als slilübungen, sondern als übuug im schriften- lesen vorgenommen sein könnten, was sie vom Ilelmbrechtshofe erwähnt, könnte in der oben (s. 259) gemachten bemerkung gründen, eben dahin kann die äufserung des besilzers des Ilärtl- gutes gehören, wenigstens erwähnt Seh. mit keinem worle, dass der hof im volke noch den namen habe.

Was Seh. s. 18 von 'raubgesindel' auf dem bauerhofe vorbringt, ist für den beabsichtigten zweck ganz werllos. bezüglich der familie des Helmbrecht ist Seh. das Opfer eines sonderbaren mis- verständnisses geworden, v. 364 sagt der junge II. zum vater: JVm heiz ander dine süne usw. (in Fuldas Übersetzung; befiehl du deinen andern söhnen usw.). daraus zieht Seh. den sichern schluss, dass keine andern söhne da waren, diese anderen söhne aber werden den lehren des alten treu geblieben sein; daher durfte der junge Helmbrecht nicht wagen, sie mit seinen lächerlichen raub- geschenken zu behelligen, während Seh. damit das nichlvorhan- densein von brüdern beweist, es ist also auch das aussterben des geschlechtes erst später wann, wissen wir nicht ein- getreten.

2. Hohe ns lein, diesen berg zeigte mir bei meiner ersten anwesenheit hr pfarrer Saxeneder, und ich sah ihn da vom Gilgen- berg aus, also in der enlfernuug von etwa einer stunde, als ganz anständigen kegel, nicht im hochwalde versteckt, was mir auch jetzt Saxeneder als ganz richtige beobachtung bestätigt. in der 1 auD. meines Helmbrecht habe ich auch eine Urkunde über ein geschlecht von Hohenstein beigebracht, habe sie aber in

262 SCHLICKLNGER DER IltLMBRECHTSHOF

der zweiten weggelassen, weil eine Verbindung nicht herzustellen war. Seh. verwendet sie wider, um auf dem Ilohenstein, der nicht die geringste spur von mauerwerk zeigt, eine bürg, wenn auch von niafsiger bedeutung, hervorzuzaubern, die dann sotort zur räuberheiniat Helmbrechts gemacht wird,

3. Haldenberg, die bekannte etymologische Schwierigkeit ist genügend erörtert. Seh. benutzt sie, um die bisherige ansieht zu verwerfen und dafür einen andern namen, den des Hol- oder Halberges zu setzen, der aber nicht nur etymologisch kaum besser passt, sondern auch nur eine ganz unbedeutende erhöhung und seiner weit aufsen befindlichen läge nach für Wernhers zweck ganz unbrauchbar ist. für die erklärung des namens Halden- berg möchte ich eine neuere Vermutung Saxeneders wenigstens nicht unerwähnt lassen: der ausgedehnte bergstock ist nämlich an seinen abhängen reich an weidegründen, für die in Ober- österreich die benennung 'halde' gebräuchlich ist, und daraus konnte der dichter selbst seinen zweckentsprechenden namen ge- bildet haben.

4. Der Lob. um diesen zu verwerfen, gebraucht Seh. den kunstgriff, ihn als ganz entfernt, schon in der nähe Raushofens, anzusetzen, der Loh war aber ehemals viel ausgedehnter; es gab einen unteren, mittleren und oberen Loh, und jener Loh (Lacher forst), den Seh. allein gelten lässt, ist auf der österreichischen generalstabskarte ausdrücklich als der untere Lach bezeichnet.

5. Die Kienleite, ihre benennung bezeichnet Saxeneder nach wie vor als bekannt, und auch Seh. lässt sie als 'vielleicht hie und da' vorkommend gelten, leitet sie aber von einem be- sitzer 'Kern' ab. solche objecte werden aber höchst selten nach besitzern benannt und am allerwenigsten, wenn sie nur teilweise, wie er selbst angibt, einem solchen gehören; wenn aber würk- lich in der geringen Verschiedenheit der ausspräche (Seh. stellt sie fälschlich gröfser hin, als sie ist) eine anknüpfung gegeben wäre, so müste sie als nachträglich durch den jetzigen teil- besitz veranlasst angesehen werden, ganz falsch ist seine Zuflucht zur praep. 'an', wie genügend mit beispielen belegt werden könnte. in einem besonderen anhange sind einige Worterklärungen gegeben, von denen indes nur zwei hervorzuheben sind, glet wird mit dem jetzigen sogenannten Wettermantel verglichen, was anspruch auf richtigkeit haben mag; der Wortlaut des v. 1847 er- laubt an einen besondern abgeschlossenen räum zu denken, die beschreibung des ofens ist dankenswert, wenn sie auch OvZingerle Anz. XIX 299 nach Tiroler Verhältnissen etwas anders gibt.

iMünchen, im nov. 1893.

Die im vorslehnden besprochene abhandlung Schlickingers hat jüngst auch in einer oberösterreichischen Zeitung, Linzer volksblatt

SCHLICKIiSOER DER HELMBRECHTSHOF 263

vom 10 Jan. 1894, envahnung gefunden, der den germanislen durch seine heimatlichen Studien schon vorteilliall bekannte dortige foi- scher, bezirksrichter JStrnadt in Kremsmünster, macht auf die arbeit aufmerksam, benutzt aber die gelegenheit hauptsächhth, um für die Berliner hs. und die von ihr gegebenen namen ein- zutreten, da er hierbei von meiner über dieselbe gegebenen nach- richt ausgeht, auch selbst den wünsch ausspricht, dass ich mich nunmehr des weiteren über sie äufsern möge, so darf ich nicht versäumen, auf seine erürterung näher einzugehn.

Bei beschreibung von hss. ist es häuhg von nutzen, nicht blofs den inhaltlichen text zu behandeln , sondern auch äufser- liche kleinigkeiten zu beachten, so habe ich bei beschreibung der vdHagenschen Neidhart-hs., jetzt Mss. Germ. fol. 779 in Berlin, mittelst solcher nebendinge einen beitrag zur geschichte dieser hs. (Münch. sitzungsber., phil. u. bist. cl. 1888 ii 312 f) liefern können, ähnlich ist es jetzt mit der Berliner llelmbrecht-hs. er- gangen, von welcher ich im nachtrag zur 2 aufl. meines Helm- brecht erwähnte, dass auf ihrem vorsetzblalte eine anzahl namen eingetragen sei , die ich grostenteils auch anführte, auf ansuchen Strnadts hat die k. bibliolhok zu Berlin diese angaben bestätigt und durch hinzufUgung zweier weiteren namen und der beisalz- worte ergänzt mit folgendem Wortlaut, bei welchem ich den namen eine Zählung beisetze:

'Mss. Germ. fol. 470 (vorblatt mit allerlei gekrilzel). oberste zeile (erste eintragung): 1) Jo Ho Havczendörffer dem unvergessen die weil ich leb an end. darunter: Nicht Havczendörffer Ich 2) lien- hart mewrll vnv'gessen die weil ich leb an end. dann folgen ver- schiedene eintragungen, worunter: Galt mein Hoffnung 3) Marycz Nevndlinge; darunter: Dein ewig vnd nijmer mer liebers 4) U'. von Kelbashardt. rechts darunter: 5) H Hinstbry, endlich neben ein- ander die untersten beiden : Trutz und wer mirs 6) Motessla Gassnerin und rechts davon: Dein alain Wol au ff mit frewd'n Dem erbern 7) Hanns Mist (. . . . abgebröckelt) las vmb hynn wapln (. . . . abgebröckelt)'.

Dazu kann ich nach meiner abschrift ergänzend bemerken, a) dass ich auf dieser seite auch noch einen weiteren namen ge- funden habe, der allerdings undeutlich geschrieben ist, aber viel- leicht Felhczenstein oder Pellizenslein zu lesen ist, während ich den namen H Hinslbry nicht geseheii habe; b) dass auf der rückseite des blattes die jahrzahl so eingetragen ist: ^Anno dni M°CCCC LVII' mit noch zwei Worten, welche eine moderne band umgeschrieben hat in consumatum libellum; letzteres wort kann gemeint sein, ersteres nicht, da nur in der zeile ein i und etwas darüber tu steht; c) dass auf der rückseite des letzten vorsetz- blattes und auf dem aufgeklebten deckelschutzblatte je einmal in rohester Zeichnung ein wappen aus drei-fels aufwachsende gemse, bei dem einen auch die gemse als helmzierde ange-

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bracht ist; ob dies in beziehung steht zu dem beisatz bei obiger nr 7: las vmb hynn wapln\ ist nicht ersichthcii.

Von diesen namen nun weist Strnadt, indem er sie alle für die von einstigen besilzern der hs. erklärt, die nummern 2, 3, 4, 6 (und 7?) als der dortigen gegend (um den Trauiisee) angehürig nach und zwar Leonh. Meurl als seit seines vaters lode, 1400, im besitze von Leonbach, MNeundlinger als einen verwanlen des- selben, VVvKelberhart als einen angehörigen des in dem gleich- namigen orte bei Scheibbs sitzenden und darnach benannten nieder- österreichischen dienstmannsgeschlechtes, die Gassner oder besser Kastner als in Ottsdorf bei Leonbach sitzend und mit den Meurl verschwägert; in nr 7 vermutet er einen Schreibfehler für Mirl = Meurl.

Diesen nachweisungen gegenüber kann bei dem ersten namen nicht an das gleichnamige geschlecht in der weit entfernten Ober- pfalz gedacht werden, welches ich erwähnt hatte, sondern muss auch dieser name in der nähe gesucht werden, er findet sich auch in Niederösterreich (ürkundenbuch von N.-Österr. i 64 und Urkundenb. des herzogtums Steiermark i 463); localforscher werden darüber wol näheres beibringen können, dadurch nun, dass diese namen alle, von denen nicht gerade jeder einen besitzer der hs. vertreten muss, sich auf kleinem räume beisammen finden, ist der schluss vollberechtigt, dass auch die hs. aus demselben hervor- gegangen ist. da ferner der nach Strnadt hervorragendste unter ihnen Leonbach besafs, ist ein weiterer fingerzeig gegeben, als sicher ist wol anzunehmen, dass dort die hs. geschrieben wurde; weniger sicher ist dagegen, dass die in ihr gegebenen namen die echten, ursprünglichen sind, der besitzer von Leonbach hatte genügenden grund, den Schauplatz des beliebten gedichtes in seine gegeud verlegen zu lassen, wenn nun, wie schon früher ge- schehen ist, für die echtheit dieser namen eingetreten wird, so müssen vor allem noch weitere beweise aus dem sonstigen In- halte des gedichtes, aus der volkstradition, vielleicht auch aus der mundart usf. beigebracht werden, dann kann eine neue Unter- suchung über die gröfsere glaubwürdigkeit der einen hs. geführt werden, vorläufig aber hat es damit noch gute wege. einen solchen beweis sucht Strnadt vorzubringen , indem er aus dortiger gegend einen Heimelhof ohne Zeitangabe, also aus der gegen- wart (er soll aber unter dem gleichen namen älter sein) an- führt, das gibt noch wenig sicherheil; denn helmel kann sowol das Verkleinerungswort von halm oder heim sein, als auch, wie St. selbst angibt, eine koseform nicht blofs von Helmbrecht, sondern auch von Helmhart oder andern mit heim zusammen- gesetzten namen. da ist es doch etwas anders, wenn, wie für die Wienerhs. , aus der zeit des gedichtes selbst der ' Helm- brechtshof aus einer amilichen Urkunde nachgewiesen ist.

Für die zeit der abschriften nimmt St. einen viel zu

SCHLICKINGER DER UELMBRECHTSHOF 205

grofsen uolerschietl an, um ihn lilr den höhern wert der Berliner hs. auszunützen, er setzt nämlich W. in das 16 und möchte B. in das 14 jh. hinaulVilcken. nun ist aber W., wie wir genau wissen, zu anfang des 16 jhs. geschrieben und B. gibt sich die jahrzahl 1457, wozu auch ihre schrill stimmt, selbst wenn mau auf grund der noch nicht ganz klar liegenden zeit der in B. be- nannten Personen etwas weniges zugeben wollte, so ist damit noch kein Jahrhundert erreicht; bei den vorlagen der beiden Schreiber kann aber das Verhältnis ein ganz anderes gewesen sein, und darüber wissen wir gar nichts.

Die mundart, deren beachlung St. ebenfalls empliehlr, kann schwerlich viel zur entscheidung beibringen, die vorlagen sind kaum weit von einander entstanden und die abschriften können nur für ihre Schreiber zeugen, bei B habe ich nur eine her- vorstehnde besonderheit bemerkt, sie bietet v. 343 chlaugt für klagt und 1143 ausz für az. dieses au ist bekanntlich für d seit Jahrhunderten und jetzt noch eine eigenheit der schwäbischen mundart, bei NVeinhold Bayr. gramm. § 71 ist es aber auch für die Oberpfalz (mit Nürnberg, Tepl, Oberplau) angegeben, und für a überhaupt nennt er aufserdem auch das Rollhai, Steiermark und Tirol, die letzteren beiden mit beschräukuug auf nachfolgendes n. wichtige Schlüsse sind also hieraus kaum zu ziehen.

In einer bemerkung findet sich St. zu der behauptung be- rechtigt, dass das wort '■chlamirre sich keineswegs unter der bezeichnung 'klanmier' erhalten habe, wie Keinz behauptet', das klingt sehr entschieden, ist aber eben nichts als eine wolfeile behauptung. ich habe genügend deutlich erklärt, dass ich alles, was ich über dortige dinge beibringe, der genauen kenntnis von land und leuten, welche hrn pfarrer Saxenedei" auszeichnet, zu ver- danken habe, also gevvis auch auskünfte dieser art. ferner ist aus- drücklich gesagt, dass dieses wort nur noch von alten leuten ge- braucht werde und von den Jüngern nicht, und die vor 30 jähren jung waren, sind jetzt auch schon alt und kenneu es also nicht mehr, schon der alte Iloraz, der kein Sprachforscher war, hat bekanntlich gesagt: MuUa . . . . cadentque Qnae nunc sunt in ho- nore vocabula, si volet usus, das war nicht nur in früheren Jahrhunderten so; es gilt auch, vielleicht noch mehr, für das unsrige, dessen langlebige spröfslinge zb. in ihrer Jugend noch mit leuerstein und zuuder hantierten und jetzt die elektrische be- leuchtung allläglich vor sich sehen, bei diesem andrang von neuen ideen und der begleitenden flut von neuen Worten ent- schwinden wol noch mehr alte worte dem gedächlnisse des volkes, als wir selbst jetzt beurteilen können.

Sehr verspätet dürfte St.s bemerkung über das ^datz Oster- rkhe' (445) sein, welches er für zu wenig beachtet erklärt; denn bekanntlich ist schon Pfeilfer gegenüber daraufhingewiesen worden, dass 'rfrf ze' nie den standpunct des sprechenden bezeichne, das

266 SCHUCKI.NGER DER HELMBBECHTSHOF

auch hier wider zu sehr betoute, ob üsterreichiscli oder bayrisch, dürfte sich im vergleichswege dahin erledigeu lassen, dass nach jetziger politischer geographie die Österreicher ja das gedieht nach beiden handschriften beanspruchen können, wahrend umgekehrt der abstanimung nach auch die bewohner des Traun- und Ens- thales Bayern sind.

iMünchen, 8 febr. 1894. F. Kei.nz.

Doctor Wenzeslaus Liiuk von Colditz 14S3 1547. nach ungedruckten und gedruckten quellen dargestellt von Wilhelm Reixdell. i teil: bis zur reformatorisclien tätigkeit in Altenburg, mit bildnis und einem an- hang enthaltend die zugehörigen Documenta Linckiana 14S5 1522. Marburg, OEhrhardt, 1S92. xiv und 290 ss. 8°. 4,50 m.

Der verf. der vorliegenden schrift hat umfangreiche vor- arbeiten angestellt und mit emsigem fleifs das material zu einer biographie WLincks zusammengebracht, es war nicht seine schuld, dass wenigstens für dies erste bändchen wol manches dankenswerte, aber nichts gerade hervorragend wichtiges zu tage gekommen ist. das hat er selbst empfunden; vgl. s. 240 f. unter den im zweiten anhang publicierten 'Documenta Linckiana' finden wir einen von Linck und Luther verfassten kaufvertrag des Augustinerklosters und der Stiftskirche zu Wittenberg v. j. 1512, verschiedene briefe Lincks, darunter einen an Pirckheimer, ver- schiedene briefe an Linck, zb. von Pirckheimer, einen brief Spa- latins an Staupilz und manches andere, eine reihe schon ge- druckter documente werden hier leichter zugänglich, wie überhaupt eine bequeme übersieht aller auf Linck bezüglicher documente bis 1522 gegeben ist.

Meues licht auf Lincks persönlichkeit zu werfen, war das neue material nicht im stände; aber R. scheint ich kann mich des eindrucks nicht erwehren nun einmal von vorn- herein mit dem ehrgeiz an seine aufgäbe gegangen zu sein, uns ein ganz anderes bild von Linck zu zeichnen als seine Vorgänger, unter denen er übrigens den ihm in der auffassung noch am nächsten stehnden Brecher (ADB) nicht erwähnt, den titel eines panegyrikers weist er in seiner etwas vorredseligen weise zurück, den eines apologeten wird er sich wol selbst gern gefallen lassen, gegenüber Kolde (Die deutsche Augustinercongregation, passim) und Bendixen (Zs. f. kirchl. wiss. 1887), die uns Linck als einen mann schilderten, der Luthers kühnen neuerungen nur sehr allmählich folgt und während seines vicariats direct andern zielen zustrebt, sucht R. zu beweisen, Lincks würksamkeit sei schon in der kutte 'eine reformatorische im eigentlichen sinne des wortes' gewesen (s. 192 Schlussworte), ich kann nicht finden, dass ihm der beweis irgendwie geglückt ist, und bekenne, dass mir Kohles

REIKDELL DOCTOR L[i>CK VO.N COLDITZ 267

darstelluDg, die freilich etwas abzutönen wäre, im grofsen und ganzen weit besser begründet scheint, dem fleifsigen forscher fehlen leider zwei eigenschaften, die man so oft in den arbeiten theologischer historiker schmerzlich vermissl: die unbefangene ruhige Vertiefung in die psyche eines menschen mit ihren licht- und Schaltenseiten und die allseitige erwSgung historischer Zeugnisse.

Durch das wirtschaften mit schlagworten wie 'wahrhaft refor- matorische würksamkeit', ein 'wahrhaft evangelischer mann' kommt stets etwas schiefes in die beurteilung der persönlichkeiten ; es wäre zeit, endlich einmal diese wenigsagenden redensarten bei Seite zu lassen zu gunsten einer würklichen energischen charac- teristik. von einer solchen ist R. weit entfernt. R. kennt nur ein kahles entweder oder und steckt die leule teils in den himmel der wahrhaft evangelischen teils in die liölle der papisten. sein ganzes bestreben geht lediglich darauf aus, Linck zum reformator und beschützcr Luthers zu stempeln, die tatsachen fügen sich dem recht schlecht.

Als i. j. 1520 Linck das geueralvicariat der Augustinercon- gregation aus Staupilz müden bänden übernahm, hat er nicht ge- ahnt, dass er zwei jähre später den orden verlassen würde: das können wir bei dem mangel aller directen zt-ugnisse ruhig mit derjenigen Sicherheit behaupten, mit der wir überhaupt mensch- liche handlungsweisen interpretieren können, wir schaffen nicht ohne grund Widersprüche, für die wir erst künstliche erklärungen suchen müssen, es war gewis keine uninteressante psychologische aufgäbe, die entwicklung dieser zwei jähre zu schildern, zunächst war der hebel leicht genug anzusetzen. Linck besafs das geht aus einer reihe von äufserungen hervor einen weitgehnden kirchlichen liberalismus, gerade wie Staupitz, vielleicht in höherem mafse; und wie Staupitz war er Luther seit allen Zeiten per- sönlich zugetan, wir dürfen annehmen, da sein Vorgänger die Situation heikel gefunden hatte, dass Linck mutiger war als Stau- pitz und sich auch wol mehr diplomatisches geschick zutraute. R. geht in seinen psychologischen hypothesen viel weiter, 'be- wust gieng er den gang', heifst es s. 131 von L.; 'angesichts einer endlosen kette von Verwicklungen , sich von allen selten türmender gefahren, deren mehr als eine ihm, der congregation, seinem Schützling (Luther!) tod und Untergang zu bringen nur zu leicht im stände war, übernahm er die leitung des ordens . ..' die declamalion ist geeignet, falsche Vorstellungen zu wecken, sie setzt voraus, was wir zum mindesten nicht wissen, dass Linck im Stande war, die endlosen Verwicklungen zu überschauen: nur in diesem falle hätte die annähme des ordensvicariats den hohen moralischen wert, den ihr R. beilegen will, das aber ist buchst unwahrscheinlich, auch war die laj^e der Augustinercongregation und ihres vicars i. j. 1520 bei weitem nicht so verzweifelt, wie uns R. glauben machen will, so schnell brannten denn doch auch

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i. j. 1520 die scheiterhauleu niclit. Luther war der einzig ge- fährdete, seine Zugehörigkeit zum orden aber, wie R. selber aus- führt, sehr zweifelhaft. Staupitz freilich trug die moralische Ver- antwortlichkeit; aber was konnte der neue vicar für das räudig gewordene schaf?

Das proton pseudos zieht andere nach sich, auf seilen der mönche bedeutet die wähl Lincks ohne zweifei, wie auch R. s. 134 hervorhebt, dass die majorität den liberalen anschauungen zu- neigte, die Linck oft genug vertreten hatte; aber R. schiefst wider über das ziel hinaus, wenn er darin 'unbedingt ein votum für den VVittenberger mönch' erblickt. Linck war doch der mann, mit dem der päpstliche bevollmächtigte vMillilz zunächst unter- handelte, dessen er sich als Vermittlers bediente; er war trotz allen bedenken, welche die entschiedeneu anhänger der päpstlichen partei gegen ihn haben konnten, immerhin ein regierungsfähiger manu, wenn dagegen die väter, nach Luthers eignem bericht an Spalalin, jede gemeinschaft mit Luther von der band wiesen, so ist das durchaus nicht wunderbar oder unglaubhaft. R. macht eine ganz unnötige und unwahrscheinliche hypothese, wenn er bemerkt, wir hätten darin 'lediglich einen schachzug derselben zu erkennen, sich des KvMiltitz zu entledigen', auch hier ist wider vorausgesetzt, dass sich i. j. 1520 jedermann über die grofsen, tiefen, unüberbrückbaren gegensätze geradeso klar gewesen sei, wie ein historiker von heutzutage, statt sich zu sagen, dass es eine aus allgemein menschlichen gründen naheliegende annähme Kohles sei, der neue vicar habe sich zunächst berufen geglaubt, die über- brückung vorzunehmen, an der allen Vertretern der obrigkeit gelegen sein nniste, werden die tatsächlichen Verhandlungen mit 5liltitz mit der leicht hingeworfenen behauptung aus dem wege geräumt: 'den Miltitz nahm man kaum noch ernst' (s. 137).

iMan sieht schon , w ie genau der zweite fehler, den ich R. zum Vorwurf machen muste, dass er die historischen Zeugnisse nicht scharf und unbefangen ins äuge fasst, mit dem ersten zu- sammenhängt, man muss ihm zugeben, dass Kolde einmal aus einer briefstelle Luthers vom 1 sept. 1520 eine entfremduug zwi- schen Linck und Luther herausgelesen hat, die sich streng ge- nommen daraus nicht direct erweisen lässt. Luther teilt Spalalin Personalveränderungen im orden mit, die der neue vicar vorge- nommen hat: ^adeo turbala sunt onmia ad noviim regnum novi Vicarii'. aber, wenn sich auch der tadel Luthers hier lediglich auf die personalia bezieht, so konnte doch nur ein gänzlich vor- eingenommener historiker übersehen, dass bei Luther die freude über den erwerb eines angeblichen 'beschützers' unmöglich sehr grofs gewesen sein kann: das widerholte novns klingt spöttisch genug. weiter: Staupitz und Wenzel bitten Luther, an den papst einen privatbrief zu schreiben mit der erklärung, er habe nichts gegen des papstes persou vorgenommen. Kolde und andere

RELNDELL DOCTOR LIiNCK V0> COLIUTZ 269

interpretieren ganz ungezwungen, tlass die beiden vicare naiver weise glaubten, dadurch den j)apst günstiger zu slinimen. Luther berichtet selbst darüber, und der spolt über diese Vermittler ist unverkennbar, wenn er am scliluss des brielVs au Spalalin schreibt: 'A'o» fuenint sex Doctores apud me, sed duo ta)ttHm Vi- carii Stanpitz et Wenceslaus cum aliquot fratn'bus', so darl man nicht tun, als stünde statt der ironischen gegenübersteliung dei' 6 doctoren und 2 vicare einlach da 'unsere beiden lieben freunde', wenn Luther dann fortfährt : Quibus oinnibus causa mea non dis- plicet, displket autem Romanensibus, so vermag ich aus dem nega- tiven ausdruck non displket auch nicht gerade herauszulesen, dass die beiden vicare sich in heller fVeude mit Luther solidarisch erklärt hatten, so sieht aber die angelegenheil bei l\. aus: 'Luther kennt seinen freund zu genau, als dass er an seiner haltung zweifeln könnte, ja er durfte sogar aus dem munde sämt- licher ordensdefinitoren (= cum aliquot fratribus) ein gleich gün- stiges urteil vernehmen, und erfreut berichtet er Spalatin über dieselben: diesen allen misfällt meine sache nicht; aber sie mis- fällt den Hümlingen' (s. 137).

Die annähme einer beschUlzerrolle, die Linck Lutliern gegen- über gespielt habe, blendet H.s blick weiterhin auf schrill und tritt. Luther schreibt an Linck am 14 jan. 1521 (so Enders nr 3S9; bei De Wette i 546 ist der brief falsch datiert): De eo quod scrip- sisti , nt libello edito tester me nihil contra principatum profannm scripsisse miratus sum valde, cum in contrarium nniversa mea scripta vergant : sed quis omniuin obstrnat ora etc. aus dem brief, wenn mau ihn unbefangen betrachtet, gehl für Lincks verhallen folgendes hervor: 1) dass er auch nach der im sommer 1520 bekannt gewordenen bannbulle den alten freund nicht fallen liefs; 2) dass er es für wünschenswert hielt, Luther möge durch eine eigne schrift zu erkennen geben, dass er wenigstens kein bürger- licher revolutionär sei. wer die beiden puncto combiniert, wird etwa zu folgender erwägung gelangen, es wird für das Ober- haupt eines der kirchlichen orden nicht leicht gewesen sein, einem manne gegenüber Stellung zu behalten, der nun definitiv von der höchsten kirchlichen auloritäl verdammt war. es wäre interessant zu wissen, wie lange l^inck gebraucht hat, um seinen entschluss zu fassen, im sepl. 1521 war er in ordensgeschäflen in Witten- berg, hat er damals Luther aufgesucht? R. nimmt es s. 139 (dine weiteres an: 'er traf einen mann, der keine spur von furcht oder ehrfurchl vor päpstlichen erlassen mehr zeigte' usw.; aus der trockenen notiz in dem Lutherischen briefe, den er zur stelle citiert ^Vicarius ad Sternbergen ivit, sequitur eum F.Johannes con- vers^is' ' (Enders nr 367), geht das jedcsfalls nicht mit sicherheil hervor, wenn er Luther auffordert, in einer eigenen schrift zu

' über die persöniiclikcil des begleitenden laienbruders ist, soviel icfi sehe, nichts bekannt.

270 REODELL DOCTOK Ll.NCK VO.N COLDITZ

erklären, dass er niclils gegeu den wellliclien principal unler- noninien habe, so haben wir die ptlicht, diesen wünsch psycho- logisch zu erklären , und das halte ich lür nicht eben schwer. ich bestreite aber R. die berechligung, die wichtige brielstelle in folgender weise zu umschreiben: 'wir sehen (!), der generalvicar selbst dachte keinen augenblick daran, solchen reden (über Luther als revolutionär) irgend welchen glauben beizumessen {qiiis omnium ohstruat ora, sagt Luther 1); vielmehr zeigt ersieh sosehr als Schützling (soll heifsen beschillzer) des Wittenbergers, dass er auch den geringsten verdacht von demselben fern zu hallen be- mtiht war'.

Dauernd steht also bei R. der generalvicar in der gleichen starren reformatorenpose. jeder gedanke an eine entwicklung fehlt, ja R. geht so weit, zur characteristik des Linck vom j. 1521 Vorgänge einer viel spätem zeit zu verwerten, ohne den harm- losen leser über dies verfahren in gebührender weise aufzuklären. s. 171 list man inmitten der Schilderung von ereignissen des Jahres 1521 : 'man klagte ihn beim kaiser an und verketzerte ihn in den reihen der mönche und römischen heuchler (dazu ein citat aus den noch ungedruckten Docum. Linckiana, datiert vom 24 juni 1539!). aber das beirrte den grofsen sittenreinen refor- mator nicht, sein gewissen fühlte sich frei und irdische martern halten für den in Christo seligen ihre schrecken verloren, wenn wir ihn die nachricht von Heinrich vZütphens märlyrertod (15241) mit den an Spalatin gerichteten worten annehmen hören . . . ., so können wir ermessen, was kerker und Scheiterhaufen für diesen mann bedeuteten'. wenn der vicar eine rege predigtlätigkeit entfaltet, so setzt R. ohne jeden schatten eines beweises hinzu: 'und würksamkeit im dienste des wortes von der freiheil der kinder gottes', während aus den ordenserlasseu aufs unzweideu- tigste hervorgeht, dass ihm damals, wo sich jeder so viel freiheit nahm, als ihm beliebte, gerade die freiheit weit weniger am herzen lag, als der wünsch mit R. selber zu reden 'den unge- stümen die liebe, den dienern des bauches das gewissen ' zu pre- digen (s. 178). die austritte aus dem orden musten dem vicar schwere sorge machen. R. hat dafür kein Verständnis. R. accen- tuiert viel zu stark den ersten der Witteuberger Ordensbeschlüsse 'aufs erste lassen wir einen jeden wie sein gewissen sich fühlt, dass er möge bleiben oder nicht bleiben im kloster' und rückt die Grimmenser anweisung an die prioren nicht in das rechte licht 'zu beschuldigen, zu schelten und mit allen apostolischen milteln solcher seuche (dem austritt aus dem orden) dadurch zu begegnen, dass sie beweisen, es handle sich um einen wandel des lebens, des herzens und der silte, nicht des orts, der zeit, der kleidung oder ähnlicher äufserlichkeiten': das erste mal höien wir den kirchlich liberalen, das zweite mal den generalvicar. wenn man bedenkt, dass so der mann spricht, der selbst ein halb jähr

RELNDELL DOCTÖR LINCK V0> COLDITZ 271

später den orden verlässt, so kann von einer zielsichern refor- malorischen lätigkcit nicht die rede sein: er laviert bis zum letzten inomenl , stellt in der Ihcorie auf dem Loden Luthers, schreckt aber, in verantwortlicher slelhing, vor den praktischen conse- quenzen vor der band nocli zurück ; dann wirft er plötzlich ent- schlossen den gesamten allen ballast über bord und geht mit raschem schrill weiter als Luther selbst, indem er dem austritt aus dem orden auch gleich die heirat folgen lässl.

Götlingen, 1 od. 1893. Victor Michels.

1. Briefe von und an Johann Nicolaus Götz, nach den originalen herausge-

geben von dr Carl Schlpdekopf. NVolfenbütlel, JZwissler, 1893. xvi und 130 SS. gr. 8°. 2 m.

2. Gedidite von Johann Nicolaus Götz, aus den jähren 1745—1765. in ur-

sprünglicher gestalt herausgeg. von drCARLScHÜDDEKOPF. [DLD nr 42] Stuttgart, GJGöschen, 1893. xxxiii u. 99 ss. kl. 8°. 2,40 m.

Trotzdem wenig aussieht vorhanden ist, zu einer abschliefsen- den Würdigung Götzeus, des formgewanteslen unter den Halleschen dichtem zu gelangen , bevor sein sorgsam gehüteter reicher nach- lass nicht der forschung allgemein zugänglich gemacht wird, hat Schüddekopf mit Unterstützung des Gleimarchivs in Halberstadt in den beiden vorliegenden publicationen doch den ersten dankens- werten schritt zur lösung einer, wenn nicht dankbaren, so doch schwierigen aufgäbe der neueren deutschen lilteraturgeschichte unternommen, von den 34 briefen der ersten Sammlung sind 23 von Götz an Gleim, Uz, Ramler, Schwan und Knebel, 5 von Gleim an Götz gerichtet, die 6 im anhange befindlichen gehören der correspondenz seines sohnes mit Raniler und Gleim an. treffen wir auch auf viel für die lilteralurgeschichte belangloses und war auch manches von Kurte und den spätem benutzern des Gleim- archives schon auszugsweise mitgeteilt worden, so wird doch durch die vollständige widergabe dieser briefe unst-re bisher lückenhafte kennlnis von den gegenseitigen beziehungeu der Anakreontiker in mehreren einzelheiten nicht unerheblich erweitert; namentlich aber tritt uns jetzt die Persönlichkeit Götzens, für deren kennlnis wir bisher, abgesehen von seinen gedichten, wesentlich auf die vor der Ramlerschen ausgäbe der Vermischten gedichte (17S5) mitgeteilten eigenhändigen aufzeichnungen des dichters sowie auf die nachrichten Vossens in seinen briefen über Götz und Ramler (1S09) und Friedrich Götzens in den Geliebten schalten (1858) angewiesen waren, farbenreicher und lebensvoller entgegen, wäh- rend der characler seines sohnes aus den briefen des anhanges keine eben günstige beleuchtung erfahrt, bemerkenswert ist vor allem der nachweis des frühzeitigen einflusses Hallers auf die in Halle dichtenden freunde, schon am 1 aug. 1741, also zu der

272 SCHÜDDEKOPF SCHRIFTEN ÜBER GÖTZ

zeit, als man in Leipzig gegen den Verfasser der Schweizerischen gedichle slurm zu laufen begann, schreibt Götz ins Stammbuch Gleims eine sentenz aus Hallers gedieht Über die ehre, schwört bei dessen 'heldengedichl' und selzl ihn Pope an die seite. weniger überraschend sind die beweise der Verehrung für Hage- dorn seitens der Anakreontiker sowie ihr innerer Zusammenhang mit den älteren Hallensern Lange und Pyra. einige litterarische nachweise in den anmerkungen und das register erhöhen die brauchbarkeit der schrift.

Die zweite Sammlung beansprucht nur das verdienst einer Vorarbeit und hat sich leider allzu eng in den grenzen dieser auf- gäbe gehalten, die 99 stücke sind teils aus älteren seltneren drucken teils aus handschriften abgedruckt; den anfang macheu die 7 stücke aus dem 'Versuch eines Wormsers in gedichlen' (1745); an diese schliefst sich chronologisch der schon von Sauer (DLD 22 xvi) erwähnte einzeldruck der ode von 1747: 'Über den lod seines bruders Cornelius Georg Götzens', worauf dann 85 gedichle Dach hss. folgen, denen 2 stücke aus dem 'Anakreon' von 1760 (nr 18. 19) und 4 von den bereits in den Geliebten schatten facsi- milierten chronologisch eingeordnet sind, gegen die anordnung lässt sich auf grund unsrer heutigen kenntnisse nichts einwenden, dagegen muss die berechtigung des herausgebers, die Fassung der vorliegenden gedichte als die 'ursprüngliche' zu bezeichnen, so- lange bestritten werden, als uns nicht der vollständige kritische apparat zur Verfügung steht, zunächst ist, abgesehen davon, dass die letzten 8 stücke so gut wie gar keine handhabe für eine chronologische beslimmung bieten, von dem uns bekannten zeil- puncle der Übersendung der manuscripte an Gleim umsoweniger ein sicherer schluss auf die zeit der entstehung der einzelneu ge- dichte gestaltet, als gerade diese dichter ihre poeme oft jahrelang feilten; nun war überdies der leicht arbeilende Götz selbst fremden einflössen sehr zugänglich, in dem postscriptum vom 25 märz 1764, mit welchem er eine pariie seiner gedichte an Gleim sendet, schreibt er obendrein selbst: '■Diesen Augenblick seh ich, dass ich Ihnen von einigen Gedichten z. Ex. von diesem vorstehenden ein unrechtes Exemplar in der Eile copiert habe' (Briefe s. 78). es folgen nun die Varianten, welche denn auch Seh. in den text des belrelTenden gedichtes (nr 21 der Sammlung) aufgenommen hat. aber Götz spricht hier von 'einigen gedichlen'; wer bürgt dem- nach dafür, dass nicht gerade die vorher an Ramler gesanlen manuscripte einen ursprünglicheren text enthielten? 'Es war also überhaupt besser', fährt der dichter fort, ^wenti Sie eine Copie durch HE. Rammler halten, damit ihr Exemplar mit dem Seinen pünklich Hbereinslimmte , und Sie also wegen der Verbesserungen sich recht gegen ihn erklären könnten, ohne ihm allemal ein jedes Gedicht wieder zuzuschicken', die Ode auf den burgunderwein, welche bereits im Anakreon v. j. 1746 (s. 72 IT) erschienen war,

SCHÜDDEKOPF SCHRIFTEN ÜBER GÖTZ 273

wiirile vom dichter zuerst verworfen (Briefe s. 17. 25) und dann 1755 mit der ausdrücklichen i)emerkuug: ^ nach ihrer itzigen Ge- stalt' au Gleim gesandt (Briefe s. 45), sodass also der text iu nr 15 der Sammlung zweifellos eine Umarbeitung widergibt, welche ander- seits wider zu belanglose abweichungen enthäll, um als ein neues dichterisches product gelten zu können.

Auf grund des bisher bekannten materials können wir dem- nach von den texten der vorliegenden Sammlung nur behaupten, dass sie in dieser fassung von Götz aus der band gegeben wurden, daher echt, aber durchaus nicht, dass sie in ihrer 'ursprünglichen' gestall abgedruckt sind, wie wichtig dieser unterschied für die enlwicklungsgeschichte des dichters ist, würde gerade eine ana- lyse der angezogenen ode auf den burgunderwein ergeben, wenn wir den vorliegenden text mit dem altern, allerdings höchst unzuverlässigen im Anakreon von 1746 oder in Schmids Antho- logie ti 222 vergleichen und hierbei linden, wie der dichter nach gröfserer sprachreinigkeit, nach klarerem Zusammenhang (vgl. z. 14) und nach concreterer anschauung rang (z. 8 statt 'Werkzeug' das concrelere 'Spate').

In der redaction des texies vermag ich Seh. nicht überall beizustimmen, auf der einen seite begegnet uns ein conservati- vismus, der an sclaverei grenzt und umsoweniger berechtigt ist, als eine partie der zu gründe liegenden hss. nicht von Götz selbst, sondern von seinen kindern geschrieben ist (Briefe s. 69), ander- seits sind einige nicht zu billigende willkürlichkeiten unterlaufen, die interpunclion wurde in sinnwidrigen fällen berichtigt, daneben blieben aber Unebenheiten stehn, welche wol zum grösteu teil auf die Unachtsamkeit der Schreiber zurückgehn: 8,176.178. 12,2. 17, 3. 5. 18, 45. s. 46, 8. 47, 5. 48, 17. 20. 29 usw. aber auch die interpunction in der einleitung ist nicht frei von versehen, ebenso halle die eigenartige Orthographie G.s, wo sie von irgend welchem belaug ist, besser iu den aumerkungen eine berück- sichligung linden können, da sie, wie Scb. selbst sagt, einem launenhaften Wechsel unterliegt, dass jedoch gerade der fehlende umlaut durchgehends ergänzt wurde, wird umsoweniger zu recht- fertigen sein, als sich bei G. auch sonst dialectische formen und Wendungen vorfinden und anderseits ungewöhnliche umlaute, wie Arme, prosaisch, beibehalten wurden, auffallend ist 16, 10: Satif- muth für Sanftmufh. mit der sonst conservaliven behandlung des textes steht es nicht im einklauge, dass einige lesarten aufge- nommen wurden, für welche die hss. keiue stütze bieten, so hat nr 49, 10 in der bs. 'ausgemacht', wofür 'ausgelacht' gesetzt wurde. 'jemanden ausmachen' heifst aber iu der vulgärsprache, die G. ab und zu auch sonst in die feder geflossen ist, 'ausschelten', was gut in den sinn passt. noch weniger berechtigung hat es, wenn es nach der hs. 78, 8 heifst: 'Und sank froh m deine Schoos' und der hsg. hierfür 'deinen Schoos' setzt, ohne zu beachten, A. F. D. A. XX. 18

274 SCHÜDDEKOPF SCHRIFTEN ÜBER GÖTZ

class (las substantivum noch heute iu mehreren gegenden Deutsch- lands wie nihd. diu schöze fem. ist.

Die cinleiturig bringt zutreffende nachrichten über die Schick- sale der gedichte, über Götzens Verhältnis zu Gleim und Ramler usw. die Vermutung, dass die 'Versuche eines Wormsers' auf einzel- drucke zurUckgehn (s. xvi), sind die angezogenen briefstellen nicht zu stützen im stände, am 14 mai 1747 verwahrt sich G. gegen die texlieruug seiner gedichte im Anakreon von 1746 und will dies 'mit eitiem altern Abdruck derselben erweisen' (Briefe s. 16); am 12 juni 1747 sendet er als beweis mit dem manuscript des Anakreons zugleich die 'Versuche', seine schon vor drei jähren gedruckten gedichte. in dem beisatze 'Es sind lauter solche Ge- dichte, die sich auf Personen in Worms beziehen, iceswegen sie auch besonders herausgegeben', bedeutet '6eso/u/ers' nicht soviel als 'einzeln', sondern bildet nur den gegensalz zu dem begriffe 'gröfsere Sammlung' oder 'gesamtausgabe', und G. will damit moti- vieren, warum er den druck ohne vorwissen seines freundes und beraters veranstaltet hat. allerdings war es damals noch mode, in einzeldrucken höher gestellte personen anzusingen; allein da sich von den sieben stücken kaum eines (nr 2 'an herrn EGWeise') für derartige zwecke eignet, werden wir wol von der Vermutung, als wären die gedichte abdrücke verloren gegangener einzeldrucke, solange abstand nehmen müssen, bis einmal die auffindung der originale den beweis erbringt.

Schliefslich überrascht es, dass sich Seh. trotz seiner gründ- lichen kenntnis des einschlägigen Stoffes von der hergebrachten einseitigen beurteilung der Ramlerschen würksamkeit als corrector nicht frei gemacht hat. gewis wird man Vossens standpunct nicht ganz teilen, aber er ist doch ein kenner, der gehört zu werden verdient, wie denn auch die formfragen bei allen urteilen über poesie mit in anschlag gebracht werden müssen, nun reicht Ramlers phantasiearmes formlalent zwar lauge nicht an die dichterische begabung G.s heran; er hat manches nutzlos benagt, vieles verwässert, einiges geradezu verdorben, hierfür bringen die vor- liegenden texte von neuem beweise, allein sie bieten auch zu der beobachlung gelegenheit, dass die von Uz gerühmte 'angenehme nachlässigkeit' des dichters öfter ihre kehrseite hatte, und dass der verrufene corrector nicht nur sprachliche und metrische Uneben- heiten tilgte, sondern manches schärfer und nachdrücklicher fasste, ja stellenweise sogar eine poetische gesamtwürkung erzielte, vvo G. nur einen gedanken an den andern gereimt hatte, man vgl. zb. nr89 der Sammlung mit Ramlers Umarbeitung i 50. eine kritische ausgäbe der gedichte G.s, welche Seh. in aussieht stellt, wird dieses Ver- hältnis in weiterem zusammenhange klar stellen müssen, die vor- liegenden publicationen lassen auch in dieser beziehung von dem herausgeber gutes und zuverlässiges hoffen.

Bielitz, im august 1893. Gustav Waniek,

HEIiNEJIANN GOETHES MÜTTER 275

Goellies niulter. ein lebensbild nach den ([iiellen von dr Karl Hei.nemann. drille veibesserle aufläge, mit vielen abbiidungen in und aulser dem text und vier heliograviiren. Leipzig, ASeemann, 1892. vuiu. 388ss. 6, 50 m.

Das buch von lleineni;iiiu über Goethes imiUer hat ein iii Deulschland sehenes glück gehabt: die erste aufläge erschien 1891, ein jähr darauf schon die dritte 'verbesserte' und iS93, mit dem Vorwort vom 10 nov. 1S92, die 4 aufläge, wenige schrirteu über Goethe können sich eines ähnlichen erlolges rühmen; hat doch selbst das trolz vielen mangeln durch lieieres Verständnis lilr Goethes eigenart hervorragende werk von IIGrimni, der aus ganzem holze zu schneiden wüste, in IG jähren es nur bis zur 4 aufläge gebracht, gewis hat H. mit grofser sorgtalt alles gesammelt, was Goethes multer betriftl, aber seine darstellung hat nicht so grolse Vorzüge, dass sie den erfolg seines buches erklärte: sie zeigt nicht die volle beher- schung des stolfes, die helle klai heit, die künstlerische abrundung, die beschränkung auf das notwendige und wesentliche, die den Zu- gang zu dem unbefangenen leser sonst erleichtern, der reiche, ge- schickt ausgewählte bilderschmuck freilich, der mit jeder neuen aufläge vermehrt worden ist, zieht jeden an, und diese schOue zierde des buches erfreut auch den nähern kenner Goethes und der seinen, aber die beste lürderin war odenbar Goethes multer selbst, die, wo es irgend möglich war, mit recht das wort erhielt, die meisten leser machten durch das werk H.s wol die erste genauere bekanntschaft mit ihr, und dem zauber ihres gottseligen und welt- frohen Wesens konnte sich keiner entziehen, zwar hatte schon RKeil 1871 in seiner schrift 'Frau Rath' eine beträchtliche anzahl ihrer briefe bekannt gemacht, und um von andern zerstreuten verülTentlichungen zu schweigen i. j. 1 885 beschenkte die Goelhe- gesellschaft ihre milglieder mit den Briefen von Goethes mutter an die berzogin Anna Amalia (1889 von H. neu herausgegeben und erläutert), 4 jähre später mit den Briefen an ihren söhn, an Chri- stiane und August: aber die weiten, aufserhalb der Goethegemeinde stehnden kreise hatten von all dem kaum kenntnis genommen, nun war es für jeden leser und jede leserin ein genuss, in H.s buch die herliche frau in freud und leid selbst reden zu hören, denn ihre briefe würken wie gesprochene worte. mit ihr konnten sie ganz anders, als es bei den rührseligen und überschwänglichen trauen des vorigen Jahrhunderts sonst möglich ist, mitfühlen und mitdenken, die eingehnde erzählung ihres lebens bewürkte, dass die briefe nur leichter und bequemer gewürdigt wurden.

Widerholt spricht II. seine absieht aus, dass die beziehuugen der mutter zum söhne im mittelpunct des ganzen werkes stehn sollen, verfolgen wir in kürze den gang der darstellung, um eine übersieht über den inhalt zu gewinnen: unsere bedenken wollen wir, wo es nötig erscheint, nicht zurückhalten, das buch hat 3 ab- schnitte, der kürzeste erste, 'Katharina Elisabeth Textor' über-

18*

27G IIEIXEMANN GOETHES MUTTEH

schrieben, reicht bis zur Vermählung der siebzehnjiilirigen. wir er- hallen über (Ins geschlechl Textor bericht, das bis ins IGjh. ver- iülgl werden kann; ein holzschnilt stellt uns den ururgrofsvater Goethes vor aiigcn, der 1G90 als syndicus nach Frankfurt berulen, das gcschlecht dahin verpllanzle. von Elisabeths valer bringt jeizl die 4 aull. ein bildnis; vor dem ihrer niulter Anna Marj^areie geb. Lind- heimer wird jeder gern sinnend verweilen: der enkel bat eine ent- scliiedene ähnlichkeit mit dieser aus grofsen klugen äugen blicken- den frau. auch von der Goelheschen familie erfahren wir nach den durch neuere forscher ermittelten latsachen so manches, was der dichter selbst in Dichtung uud Wahrheit unberührt gelassen hatte. Für den zweiten abschnitt 'Frau Aja' die erklärung des namens s. 21 und s. 104 hätte zusammengefasst werden sollen flössen die quellen spärlich, wie II. selbst sagt, diesen maugel suchte er durch die scliilderung der Umgebung zu ersetzen, brachte freilich auch manches überflüssige hinein, der gatte der frau Hai wird characterisierl, ohne scharfen blick auf sie; dann werden Wolf- gangs erste lebensjahrc erzählt, der umbau des hauses nach l*all- mann: abbildungen und grundrisse machen die Schilderung an- schaulich. Goethes Zeichnung seines zimmers, nach dem original pholographiert, erfreut uns; ebenso das wol anfang der sechziger jähre gemalte bild von Seekatz: Die Goelhesche familie, mit der beschreibung von Achim v. Arnim aus d. j. 1808; das original des bildes besitzt Ilerman Grimm, zu lange, in aubetracht seiner eigent- lichen aufgäbe, verweilt H. bei der erziehung und dem verkehr des Sohnes: hier hätte er, das wesentliche zusammenfassend, die mutter iu den Vordergrund stellen sollen. Wolfgangs Leipziger Studienzeil gibt gelegenheil, mit bcnutzung der im 7 bd. des Goethe- jahrbuchs bekannt gemachten briefe Goethes das wesen der ver- einsamten Cornelie zu beleuchten, die im gegensalz zu der frohge- muten und glaubensstarken mutier mit der weit nicht einig werden Doch den glauben der mutier teilen konnte, aus der darstellung des veriiältnisses von mutler und söhn zu fräulein v. Klettenberg, die sich kurz vor ihrem lodc einen christlichen freigeist nannte (GJ. 10,140), gellt hervor, dass Irau Ual sich in dem glauben an ein persönliches einwürken goltes mit den Herrnhulern eins fühlte, wahrend das schwärmerisch-mysteriöse element ihr fern lag, s. 57 und 74 widerholl sich 11. wider unnötig, zu sehr verlieren wir frau Hat aus den äugen , wenn uns im folgenden cap. der junge Goethe als advocat vorgestellt, wenn sein leben mit den freunden und freundinnen in Frankfurt, Homburg und Darmstadl erzählt wird, erst die einführung Mercks, den Goethe 1771 in Frankfurt kennen lernte und der auch der freund der mutier wurde, führt wider zur sache. der schilderuug, wie seil Corneliens Verheiratung mutier und söhn sich noch herzlicher aneinander schliefsen, folgt der bericht über die berühmlen gaste Klopslock, Lavaler, Boie, Knebel, mit dem frau Rat recht vertraut wurde, wie ihr erst 1891

HEI^EMAN^• GOETHES MUTTER 277

bekannt gewordener brief an Zimmermann bezeugt (s. 73 und 358) ; s. 91 führt II. den briet' wider an: die seite darauf spricht er von ihm, auch in der 4 aufl., als ob er ihn zum ersten male erwähnte, ausführlicher als nolwenthg erziddt II. die beziehungen zu der familie la Roche; eine kurze characteristik der sentimentalen roman- schreiberin, die auf dem papiere schwärmte und im leben ihre töchter um jeden preis reiche und ungeliebte männer zu heiraten zwang, hätte genügt, um das gegenbild zu Goethes nuittor aufzu- stellen, erst nachdem Wolfgangs lossagung von Lili erzählt ist, folgt das cap. 'Sturm- und drangzeil' s. 93 f. allein der verzieht auf Lili wird doch erklärlicher, wenn wir zuerst den revolutio- nären dichter kennen gelernt haben: dieser mangel an geschickter anordnung zwingt denn auch zu widerholungen, da II. bei ein- führung der graten Stolberg wider von der reise nach der Schweiz reden muss. mit FLWagner brach frau Rat auch nach der Ver- öffentlichung seiner bekannten flugschrift nicht, die den söhn so in hämisch brachte: Froitzheims Verdächtigung der Wahrheitsliebe Goethes wird mit recht nicht berücksichtigt, dass Klinger erst 1774 mit Goethe bekannt wurde, betont II. gewis richtig: der inhalt von Kliugers brief an Lenz (GJ. 9, 10) wird durch den brief der frau Rat an den söhn vom 18 jan. 1802 beglaubigt, von Klinger ein bild nach Goethes Zeichnung aus d. j. 1775, von seiner Schwester Agnes ein von Goethe lierrührender scliattenriss s. 98 und 99.

Der letzte und grusle abschnitt hat die überschritt 'Die mutter des grofsen dichters' (1 autl. s. 109 335, 3 u. 4 aull. s. 113 346). für die ersten jähre des Weimarer lebeus hat IL die bis nov. 1777 reichenden briefe Goethes an Johanna Fahimer, die der mutter an ihre freunde, die Keil verütfenllicht hat, benutzt; ihre briefe an Anna Amalia beginnen erst 1778, und die uns erhaltenen an den söhn erst 1780. die stelle des brieles an die mutter, in der Goethe von dem unverhältnis des engen bürgerlichen kreises in Frankfurt zu der weite seines wesens redet, hätte IL geschickter benutzen sollen als durch Verzettelung aufs. 107. 113. 170. mit recht aber verwirft er, was jüngst erst angenommen wurde, dass Lenz von Weimar aus berufen sein soll; Goethe konnte diesen äffen seines wesens, wie Karl August Lenzens gebaren bezeichnete, gewis nicht herbeiwünschen, die Schicksale von Lenz und Klinger hätte IL nicht so ausführlich berichten sollen; er schweift da wider vom eigentlichen thema weil ab. zur sache führt ihn erst wider die erzäblung, wie die berichte aus Weimar für frau Rat und ihre 'Samslagsmädels' zu jeder zeit ein 'grofs gaudium' waren. Weimar wurde ihr ein und alles. Philipp Seidel, den Goethe von Frank- furt mitgenommen, schreibt ihr von den reisen, den erlebnissen, den wünschen des sohnes. in dem cap. 'Weimarer freunde' ist von besonderer bedeutung der besuch Wielands und des musikers Kranz in Frankfurt; über ihr glückliches leben in der 'casa santa' gaben sie in Weimar bericht, und so schloss Anna Amalia bald

278 HELNEMANN GOETHES MUTTER

brietlicli niil frau Aja eine verlrauliclie Ireundscliafl. ein bisher nochunbekannles bildderlierzogin (s. 137) ausspäleren Icbensjahreii blimml mil der erst vor kurzem bekauiil gewordenen Schilderung der griitin Henriette v. EglolTslein (ibercin, die 1787 in Weimar war (GJ. 12,140); es ist sehr characterislisch, wenn auch nicl)l so angenehm wie das in Weimar bewahrte ülhild oder das von Angelika gemalle. Anna Amalia erfreute 1778 Iran Hat durch ihren besuch, dem aul'enthalt des lierzogs und Goethes ende 1779 und anfang 1780 auf der rückkehr aus der Schweiz folgte die durch krankheil des gatten getrübte zeit, in der ihr das erscheinen von Wielands Oberon trost und freude brachte, im august war Knebel in Frankfurt, dann die schöne frau v. Branconi (ihr bild s. 155); im oct. 1780 sah sie die herzogin wider: im dec. kam Kraus, 1781 im sepl. auch Nicolai mil Merck, damals schrieb sie dem söhne Nicolais verse Lessings ins Stammbuch (GJ. 1, 370). während der leidensjalire des vaters erheiterten sie des sohncs schriften. die Krausesche aquarellzeichnung zu dem 1780 entstandenen gedieht 'Das neueste aus FMundersweilern' finden wir s. 168 mit dem das entzücken Mercks beschreibenden briefe der mutier, die deulung des bildes gibt II. in den anmm. s. 366 368 , im wesentlichen Düntzer folgend: der an den stelzen Merkurs sägende mann ist natürlich Nicolai, der mit Wieland in streit geraten war; unrichtig die anm. in der Hempelschen Goetheausg. viii 212. vielleicht ist hier die beobachlung von Interesse, dass frau Rat ein wort aus dem ihr so erfreulichen gedichte sich ganz besonders gern an- geeignet bat. bei Goethe heifst es vom theater: die bilde, die man dorten schaut, ist schoti von alters aufgebaut, worein gar mancher, wie sichs gebührt, nach seiner art sich prostituirt ^. schon 1781 schreibt sie 4 febr. an Grossmaon über Fi'iedricbs schrift 'De la litterature allemande': aber sonderbohr ists doch, dass so gar unsere fhilister sagen Ihre Königlichkeiten hätten Sich damit doch etwas froslituirt. und 1784, 13 nov. au Anna Amalia über Ilflands spiel: der Jubel und das gelochter war so grofs, dass die Schauspieler mit angesteckt wurden, und alle mühe von der weit hatten im gleifse zu bleiben und sich nicht zu prostituiren. nicht lange darauf schreibt sie, Unzelmann solle nicht von seinen schuldleuten prostituirt werden (II. s. 186). noch 1805, 26 aug., sagt sie August über die zogerung der leute, sich in sein slammbuch einzuschreiben: sie wollen sich nicht prostituiren und auch was prächtiges sagen.

Für die nächsten jähre nach des gatten lod (25 mai 1782) fehlten dem biographen die briefe an den söhn, nur der am 17 nov. 1786 nach Uom gerichtete ist bekannllich erhalten, dann folgt

der junge Goethe liebte das vvort und wendete es, seiner art gemäfs, öfter an. so der hauptmann im Pater Brey (wol 1772): aber ich liab ihn pro- slituicrt; Herkules in 'Götler, Helden und \Vieland' (1773 oder anfang 1774): und tounder meinst, tvie du ei?ie>i kerl prostituiert hütlest, wvim usw.; Goethe im gespräch mit Johanna Fahimer 1774: Jf ieland geivinnl . . ich bin eben prostituiert (GJ. 2, 382). [vgl. DWb vn 2174. Seh.]

HEINEMANN GOETHES MUTTER 279

erst wider ein brief vom 4 dec. 1792. die lUcke suchte H. durcii das cap. 'Frau Rat als theaterfreundin' auszurtilien, das für die theater- und cullurgeschichle manches interessante enthält, aber nicht übersichtlich gegliedert und für die vorliegende aufgäbe wider zu breit ist. im niittelpunct steht einerseits ihr Verhältnis zu dem Schauspieler Grossmanu: ihre briefe an ihn bezeugen ihre schöne begeisterung für Shakespeares Hamlet; anderseits das Verhältnis zu Unzelmann, der 1784 bei Grossmann in Frankfurt, ein jähr darauf bei der Taborschen gesellschaft war, bis er trotz ihren Warnungen nach Berlin gieng. sehr eingehend ist wider das capitel 'Häus- liches leben, alte und neue freumle'; besonders verweilt H. bei dem aufenlhalt der prinzessiunen Luise und Friederike von Mecklen- burg, die bei der krünung Leopolds gaste der frau Hat waren, als Luise 1803, damals schon künigin, in der nähe Frankfurts weilte, war auch frau Rat bei ihr; der herzog von Weimar kam hinzu; der brief vom 24juni an den söhn ist besonders darum so reizvoll, weil sie Karl Augusts worte über Goethe mitteilt: schon 30 jahr'e gehen wir miteinander und tragen miteinander, niclit au richtiger stelle folgt jetzt erst das cap. 'Frau v. Stein und iiir söhn Fritz' s. 212 f. der in Goethes hause weilende knabe schrieb seit 1784 an die mutter des dichters, ein jähr darauf weilte er bei ihr und lernte, nach Goethes ausdruck, die philosophie des lustigen lebens bei ihr. als Goethe mit frau v. Stein zerfiel, hörte 1790 der briefwechsel zwischen der mutter Goethes und Fritz auf, allein 1794 war er doch auf einer reise nach England noch bei ihr in Frankfurt, in demselben cap. hören wir von Goethes Über- siedlung in das haus am Frauenplau: so geht die darstellung wider in eine frühere zeit zurück und hat nichts mehr mit frau v. Stein zu tun. der schöne brief des dichters an die mutter vom dec. 1783, der die innige harmonie beider bezeugt, hätte an anderm orte verwendet werden müssen, das folgende cap. 'VVolfgaugs italienische reise' schliefst sich an die voraufgehnde darstellung nicht organisch an. der abschnitt 'Kriegsleiden und bedrängnis' (s. 225 f) erzählt von dem guten und grofsen wie von der not der zeit: die dar- stellung des öffentlichen lebens bildet den hintergrund für die erlebnisse der frau Rat. ihre briefe stellen Frankfurts leiden und ängste lebendig dar: Iran Rat spottet 1793 der menmien, die alles glauben, was jede gaus, jeder strohkopf vorbrachte, des sohnes bitte, nach Weimar zu kommen, erfüllte sie nicht; dem rad des Schicksals, schreibt sie widerholt, könne man nicht in die Speichen fallen, ihr brief vom 22 juli 1796, den Schiller von Goethe er- hielt und rühmte, ist eine treffliche erläuterung zu Goethes be- merkuugen in den Annalen. an allen Schicksalen der Vaterstadt nahm sie innigen anteil als treue tochter Frankfurts, als gute Deutsche, freilich mussH. in der betrachlung 'Frau Rat alspatriotin' eine unpatriotische äufserung (s. 242) anführen, aber so urteilten die meisten Zeitgenossen, ihr volkstümlicher, deutscher sinn zeigt

280 HELNEMAiNN GOETHES MÜTTER

sich in zahlreichen äufserungen. auch in ihrem irrlum ist sie verehrungswerl, zb. in ihrem hass gegen die vermeiuUich IVenicIen lateinischen letlern: sie sind wie ein bistgarten der arislokraten gehört ... unsere deutsche buchslaben sind wie der Prater i)i Wien xco der kniser Joseph drüber schreiben lie/'s Vor alle menschen (hrief vom 12 märz 1798). zu breit erzählt das folgende cap. den 'Ver- kauf des hauses'; 46 jähre hatte sie dort gewohnt: sommer 1795 zog sie als niieterin auf den rossmarkt, darauf lolgl 'Frau Rat als grofsmutter'; die erzähiung vom besuche der Lotte Kestner 1803 und 1804 und Fritz Jacohis 1805 gehört nicht in dieses cap. auch das folgende 'Berühmte gaste' besuche des ministers Harden- berg, Crabb Robinsons, der frau v, Stael, der herzogin Luise, Alexander Humboldts ist nicht glücklich vor die darstellung 'Wolfgangs familie' gestellt, störend ist es ferner, wenn H. in jenem cap. wider vom brieflichen verkehr mit Anna Anialia, mit Luise V. Göchhausen redet, ebenso von ihrer Verbindung mit Wieland und Herder: das halte in eine zusammenfassende Würdigung ihres Ver- hältnisses zu den dichtem in Weimar gehört, den mangel an klarer gliederung zeigt leider auch das vorletzte cap. 'Die werke des Sohnes' (s. 300 f), in dem ihre Vertrautheit mit seinen schrillen gerühmt wird, und wie sie besonders von Hermann und Dorothea entzückt war. denn wie sie sich einst in der Elisabeth im Götz erkannte, so jetzt in Hermanns mutter. warum unterbricht H. hier den Üuss seiner darstellung durch den versuch einer charac- teristik? ihre Vorliebe für den dialecl, für citate aus der bibel, ihr Widerwillen gegen alles kleinliche, die lebendige kraft ihrer briefe, an sich wichtige und bedeutende züge ihres wesens, haben gerade hier ihre rechte stelle uichl. bald redet H. doch wider von ihrer Vorliebe für das theater, drama und oper, von ihrer be- geisterung für Mozart, zeigt ihre freude an den aufführungen der dramen ihres sohues usw. so bringt sich H. öfter um den vollen dank für seine fleissigen forschungeu bei dem aufmerksamen und strengeren leser, der eine abgerundete, alle zeugen mühsamer Zettelsammlungen ausschliefsende darstellung verlangen muss. hat dieser das letzte cap. 'Bettine' (324 f) gelesen, so vermifst er schmerz- lich ein anschauliches gesamtbild, aus dem mit zwingender uot- weudigkeit hervorleuchtete, welche züge ihres feurigen, dichterisch gearteten wesens sich in dem grofsen söhne widerfinden, wie selten weifs H. scharf das wesentliche in seiner darstellung her- vorzuheben und das beiwerk seiner eigentlichen aufgäbe unter- zuordnen! er hat der frau Aja nicht das geheimnis ihrer grofsen eiiolge abgelauscht; im j. 1807 schreibt die 76jährige an ihre lieben in Weimar: hirbey kommt auch die wunder geschichle des Fortunatus ich habe mir die geschichle zusammen gezogen , alles über flüssige weggeschnitten und ein gantz artiges mährgen draus geformirt.

Die 3 aufläge ist im text nicht wesentlicli verbessert, aber durch eine grofse zahl neuer Illustrationen vermehrt worden, die

HEINEMAMN GOETHES MUTTER 281

4 nur (Iiircli 2 bilder. ein teil der druckfehler der 3 ist verbessert worden, aber nicht alle, zb. s, 69 miiss es heifsen: am 23 jnni 1774 statt 1773; s. 81, zeile 11 ihm st. ihn; s. 91, zeile 15 v. u. wen st. wem; s. 101 1755 st. 1775; s. 243 sang im st. am Faust, vgl, Briele an den söhn s. 287; s. 323, ahsatz 2 ihrem st. ihren; s. 333 steht noch: sie begieng Selbstmord an sich; s. 3134, zeile 12 schildert sie st. er; s. 365 trau sl. treu; s. 375 anm. : vier kaiser- krünungen, im texte s. 243 steht fünf; s. 379 Caspers st. Caspars. Berlin, ende mai 1893. Damel Jacoby.

Blätter aus dem Werlhei-kreis. lieiausgcgeben von Eugen Wolff. [Uikiinden zur geschichte der neueren deutschen lilteratur ii.] Breslau, Scliott- laender, 1894. 80 ss. 8" 1,50 m.

Auf die nicht sonderlich belangreichen briefe von Heinrich Heine lässt VV. im zweiten heft der 'Urkunden' eine reihe von briefen und lagebuchnolizen folgen, die er mit geringen ausnahmen aus dem nachlass Job. Christian Kestners gewonnen hat. schon Herbst (Goethe in Wetzlar) bat die papiere durchmusteri, dabei jedoch aufschlussreiche briefe übersehen, einiges auch durch falsche datierung oder durch allzustarke Verkürzung entstellt, wir freuen uns daher der ergänzung, die wir empfangen, müssen aber hei- vorhebeu, dass W. einerseits des guten etwas zu viel abgedruckt, anderseits den wert mancher urkundlichen notiz Überschätzt hat. einiges ist sehr hübsch: der amtniann und besonders seine treu- liche frau treten uns klarer als bisher entgegen, ebenso Lotte in ihrer häuslichen lätigkeit. besonders Kestners berichte aus d. j. 1771 über die familie und sein verliibnis (s. 281!) muss man lesen, ergänzend fügt sich ein ergötzlicher brief des |)rimaners Hans Buff (s. 41) au, in dem die ganze kiuderschar gemustert wird, es ist das zweifellos derselbe brief, den Goethe in abschrift erhielt und der ihn so erfreute, dass er am 15 märz 1773 eine corre- spondenz mit dem herrn Hans begann, in die weiteren Wetzlarer kreise führen uns eine redoutenschilderung (s. 1511"), sodann eine notiz über die frau Hert, zu der Jerusalem eine so unglückliche neigung gefasst hatte, und (s. 39) Kestners angaben über den folgenreichen ball in Volpertshausen, auf dem sich unter den 12 chapeaux Kestuer, dr Goede und Jerusalem befanden, neben diesen interessanten mitteilungen findet sich aber auch viel wert- loses, vor allem ist der verbindende text W.s nicht immer frei von phraseu und flacbheiten. man hätte lieber die wertvollsten documente für sich selbst reden lassen und sie vor allem nicht mit so mancherlei ganz nichtigen 'Urkunden' untermischen sollen, was bedeuten auf s. 47— 50 Kestners weiterberichte aus d. j. 1772? dass in Goethes roman Loltens heitnut anfangs in ununterbrochenem Sonnenschein daliegt, während gegen ende stets nasskalte Witterung herscht, fällt wol jedem auf. und jeder wird sich auch sagen,

282 WOLFF DLÄTTER AUS DEM WERTHERKREIS

dass hierfür kilnsllerisclie gründe mafsgebend waren, ganz gleich- gillig, wann es i. j. 1772 heifs oder kalt war. die vermuUingen, die W. an das gewiller vom 31 aug. 72 knüpft, sind reine Phan- tasterei. — alles was in dem buche auf seile 63 folgt, liSlle ange- druckt bleiben können, Urkunden sowol, wie begleitworle. was sollen solche combinationen , ob Jerusalem wol Lolle Buff und ob Goethe wol frau Ilerl hätte lieben können? was sollen die prübchen aus Lottes späteren briefen, was Kestners 'litlerarische iiolizen', aus denen W. mit grofser Überschätzung die 'nicht ge- ringe Urteilsfähigkeit' des mannes ableitet? es war doch würklich nichts grofses, bei 'Hermann und Dorothea' an Voss und Homer zu denken und im '\>ilhelm Meister' gröfsere tiefe der charac- loristik zu finden, als in Lafontaines 'Clara du Plessis'.

Es sei noch einmal hervorgehoben, dass aufser den oben namhaft gemachten Zeugnissen nur die gröfseren Keslnerschen be- richte, die in der mille von W.s publication stelin, unsre kenntnis bereichern, auf sie müssen wir noch etwas näher eingehn, weil W. an sie die frage knüpft, wie weit die drei hauptpersonen des romans den Welzlarer modeilen gleichen.

Zuzugeben ist sofort das eine : Goethe ist nicht völlig Werlher. wol aber hätte er es werden können, hätte er nicht die kraft besessen, ein mann zu sein und sich den unseligen jünglings- wirren mit raschem eutschluss zu entziehen, der anläge nach sind Goethe und Werlher nahe verwaut.

Zuzugeben ist ferner: die Lolle des lebens ist nicht völlig die Lolle des romans, ganz abgesehen von den schwarzen augeu. im ersten teil ist sie's in allen wesentlichen zügen. mit ihrem 'leichtfertigen lächeln', ihren 'munteren wangen', ihrer naiven lust am tanz, und auch mit ihrer sanften Schwärmerei, aber im zweiten teil konnte sie schon deshalb nicht völlig die Welzlarer Lotte bleiben, weil Goethe diese nach ihrer Vermählung nicht wider ge- sehen hatte und sie doch als frau schildern musle. hier hat der dichter das bild durch einige frei erfundene züge und einiges de- tail, das er der häuslichkeil der Maxe Brentano entnahm, ergänzt.

Am schwierigsten ist die enlscheidung, wie weit Albert züge von Kestner trägt, und gerade diese frage will und kann W. an der band seines malerials besser als bisher geschehen ist beant- worten, er sieht in dem Albert des romans nur einen 'verletzend- nüchternen Verstandesmenschen', und da er an Kestner beweise für ein gefühlvolles herz entdeckt, so schliefst er: Kestner ist nicht Albert, er ist kein 'antipode des Werther-kreises'. im gegen- teil und nun setzt W. geradezu mit einer retlung ein er ordnet sich 'sehr wol der gruppe ein, die sich teils persönlich, teils ideal um die faline des jungen Goethe scharte', das ist nun zwar noch etwas vieldeutig, der ausdruck ist auch an andern stellen recht aligemein gehalten; aber aus der summe der verschiedenen belege ergibt sich doch, dass W. gern Kestner zu 'dem genialischen

NVOLFF BLATTKR AIS DEM WERTHERKREIS 283

teil (1er Jugend' rechnen niöclile. dass er in der Jugend romane fleifsig gelesen hat, dass er selbst verse macht, dass er mit dichtem verkehrt, dass er wir haben es oben gesehen 'nicht geringe urleilsfähigUeil' in sachen der kunst an den lag logt und manches andre mehr, muss zum heweise dienen; ja, selbst ein kaltes fluls- bad, dass er nimmt, rückt ihn den jungen genies nahe, und so wird er in W.s phantasie in manchen punclcn geradezu zum geistes- verwanten Goetlies und hat eher mit Werther als mit Albert be- rührungspuncte.

Wir wollen nicht verkennen, dass W. aus ehrlicher und ver- zeihlicher ilberschälzung zu solchen resuUalen gekommen ist; wer so emsig den nachlass eines maniies aul lilterarisch wichtige Ur- kunden hin durchstöbert, legt leicht dem einzelnen zu grofsen wert bei. unsrc meinung ist genau die entgegengesetzte: wenn es hisher noch zweifelhall sein konnte, so ist es durch diese neue publication erwiesen, dass Kestner durchaus das modeil lilr den Albert abgegeben hat; IVeilich ist Albert und darauf liegt dei' ganze nachdruck Kestner, gesehen durch das temperamenl \Verthers. das ist ja gerade das aufserordentliche des romans, dass wir alle personen, vor allem aber Albert, nur mit den äugen >Yerlhers sehen, von unzweideutig wahrer characterschilderuug kann da nicht die rede sein. Werther verzerrt das hild des neheu- buhlers hier und da, sieht es mindestens nur von einer seite; und wenn es Goethe in der ersten fassung, die uns hier allein angeht, noch nicht völlig gelang, so war es doch in der zweiten hearheitung ausdrücklich seine 'Intention, Alberlen so zu stellen, dass ihn wol der leidenschaftliche Jüngling aber doch der leser nicht verkennt', in den siebziger jähren war er sicher über die Ungerechtigkeit noch nicht ganz hinaus, mit der er selbst in Wetz- lar den uebenbuhler beurteilt halte.

Dies trübende und verzerrende glas, durch das wir Loltens hegüustigten liehhaher und galten zu sehen bekommen, müssen wir beseitigen, wenn wir entscheiden wollen, welches urbild Goethe bei der Schilderung vor äugen gehabt hat. wir dürfen nicht jedes vvort, das Werther io der erregung äufserl, für bare münze nehmen, wir dürfen vor allem nicht damit argumentieren, dass Kestner sich selbst in der romanügur nicht wider erkannte, wir müssen auch absehen von den ungünstigen urteilen, die Werther aus ge- reiztem gemüt an jeden characlerzug Alberts anknüpft, tun wir aber das, so bleibt ein bild Kestners beslehn, so treu, wie es nur seine eigenen berichte spiegeln.

W. liebt es gleich andern. Albert einen 'kühlen Verstandes- menschen' zu nennen, das ist er durchaus nicht, im selben salz, wo Werther von Alberts gelassener aufsenseite spricht (DjG. ni 278), muss er ihm doch auch viel gefühl zugestehn. wir belauschen ihn ja selbst (300) in einer sentimentalen stunde und sehen seine überströmende empfindung. und wenn würklich einmal aus

284 WOLFF BLÄTTEn AIS DEM WERTHERKREIS

Werllicrs Schilderung lieraus (339) die gelassenlieit Alberts den leser verlelzt, so müssen wir, um den wahren characler zu er- kennen, fragen: war er in der tat so kühl? wir künnen dann nur antworten : für Werther war er es. aber welcher grad von exallation halle auch dazu gehört, um der leidenschal't Werlhers genüge zu tuni so erscheint in diesem und iilinlichen lallen Albert als ein mann, der wol für den stillen bilrgerliclien lagesverkehr genug herzenswärme besitzt, der siedehilze eines jungen geuies gegenüber aber kühl erscheinen muss. und das ist genau das bild, das uns Kestner in ;dl seinen berichten, besonders den neu publicierten, bietet.

Selbst wenn man die Umgangsformen des 18jhs. und einer kleinen sladt in rechnung zieht, so muss man doch sagen: um- ständlicher, pedantischer, leidenschaftsloser kann doch niemand bei der mutler um die tochter werben, als es Keslner gelan hat. und er selbst gesteht, dass er 'bei allen seinen handlungen' so verfahre, in der tat, der erste brief an Lotte ist von derselben wolgeordneten feierlichkeit, wie der an die mutier, dieselben eigenschaflen, die Goelhe-VVerlher so fatal waren, finden sich in Kesluers briefen: die Versöhnlichkeit, wo eine ernste auseinander- setzung viel heilsamer wäre, und ein vorsichtiges abwägen von gedanken und worlen, nach arl der käsefrau in den 'Geschwistern'.

Und dieser mann, der immer noch ängstlich besorgt ist, dass seine mafsvollen empfindungen 'romanenhafV erscheinen möchten, soll ein gesiunungsgenosse der jungen genies gewesen sein? was hätte er denn auch nur von dem äufserlichsten mit Werther ge- mein? wo fände sich in allem, was Kestner niedergeschrieben hat, ein ruf genialischer leidenschaft, ein worl der Sympathie für kinder und geringe leute, ein einziger laut jener Ganymed-slimmung, jener Sehnsucht, Gott in der nalur zu umfassen? wir künnen an der publicalion W.s den unterschied mit bänden greifen, wie Werlher, so geht auch Kestner bisweilen hinaus nach Garbenheim, um dort seine chocolade zu trinken und ruhe für seine leclüre zu finden, aber es ist nicht der alte wiegengesang des Homer, den er lür sein herz braucht, sondern Mosers abhandlungen aus dem kirchen- rechl und ähnliches.

So liefse sich noch manches anführen, was die meinung W.s, als gehöre Kestner zu denen, die sich 'um die fahne des jungen Goethe scharten', zunichte macht, dagegen kann man puuci für puncl an den älteren und den neu publicierten Urkunden weiter verfolgen, wie jeder characterzug Alberts sich in Kestners auf- zeichuungen belegen lässt. es kann danach kein zweifei mehr sein, dass Goethe ihn, und ihn allein, bei der (wenn auch einseiligen) Schilderung im äuge gehabt hat. besonders interessant war mir folgende beobachtung: W. teilt s. 58 f ein blalt Kestners mit, das aus der zeit des gespannten Verhältnisses mit Goethe stammt, der Schreiber monologisiert über die eifersucht, die er nur verteidigen

WOLFF BLÄTTEIl Als DKM WF.hTHFRKREIS 285

\\\\\, wenn sie aus reinster Zärtlichkeit liervorgegangeu ist und sicli als furcht, ein gehebles herz zu verhereu, äulserl. wenn was wol als sicher anzunehmen ist ähnliche Tragen zwischen Goethe und Kestner verhandelt worden sind, so würde sich dar- aus die auffällige tatsache vielleicht erklären, dass Goethe im zweiten teil seines romans, in der Schilderung des conOicts zwischen Werlher und Albert, das anstöfsige wort durchaus vermeidet.

Als resultat unsrer besprechung fassen wir zusammen, dass wir etwa ein drittel der W. sehen publication, nämlich die ehr- würdigen, umfänglichen berichte Kestners willkommen heifsen. uns al)er den übrigen milteilungen und den eignen ausführungen des herausgebers gegenüber ablehnend verlialten müssen. Marburg i. H., dec. 1S93. Albert Küster.

Paralipomena zu Goethes Faust, entwürfe, skizzcn, vorarbeiten und frag- niente, geordnet und erläutert von Fr. Strehlke Stullgart, Leipzig, Berlin. Wien. Deutsche verlagsanslall, 1891. xvu. lölss. 8". 3 m.

Wörterbuch zu Goethes Faust, von Fr. Strehlke. ebenda 1891. viii und 157 SS. S". 3 m.

1. Man braucht nur die sechs bände der SeufTerlscheu Viertel- jahrschrift durchzublättern, um zu sehen, wie unablässig unsere ibrschung durch den druck des Urfaust und des gesamten hand- schriftlichen malerials, das im archiv, von Riemer nur flüchtig und j)lanlos geprüft, ruhte, angeregt und in atem gehalten wird, kein grofses werk unserer litleratur sehen wir so von den ersten con- ceptionen durch verschiedene entwürfe hindurch bis zu den letzten einzeländerungen sich vor uns aufbauen, wie den 2 teil des Faust, die masse der skizzen und paralipomena ist von mir aus allen ecken und enden des archivs zusammengelesen und im 14 und 15 bände der Weimarischen ausgäbe dem plan des ganzen gemäfs ohne sachliche erklärungen, soweit nicht ein excerpt aus der quelle zu erläutern war übersichtlich dargebracht worden, in diesen dingen gibt es kein monopol, und wir können uns nur darüber freuen, wenn andere mit dem pfunde wuchern, daher nahm ich Strehlkes neudruck überrascht zwar, aber reicher ausbeute ge- wärtig in die band; denn ich sagte mir, dass ein so kundiger und loyaler gelehrter eine solche reproduction nur auf grund be- deutender Verbesserungen des lexles und ergibiger beitrage zum Verständnis all der bläller und abschnitzel unternommen haben werde, sonst hätte ihm ja wol der räum einer Zeitschrift genügt, auch sind Schemata und brnchslückcben kein fulter für die menge, sondern nur den forschem mundgerecht, die sich widerum (kr grofsen ausgäbe niemals entschlagen können.

ISähere prüfung konnte mich von der notwendigkeit und dem nutzen dieses neudrucks nicht überzeugen, für den text hat S. zahlreiche Stichproben in der hssmasse vorgenommen und danach

286 STREHLKE PARALIPOMENA ZU GOETHES FAUST

der Zuverlässigkeit seiner vorlaj^e ein gutes Zeugnis ausstellen künneu, auch mit geringen ausnahmen einlach meine tragezeichen und ergiinzungen, meine verweise und quellenangahen, ohne in der vorrede oder sonst irgendwo den urheher zu nennen , nach- gedruckt, die hauplarheit war die Sammlung und siclitung ge- wesen: schon der platz, an den ein paralipomenon gerückt ist, erläutert es stumm, viele hläller und zettel gehören zum schwie- rigsten , ja verzweifeltsten, was Goethes nachlass iiherhaupt der enlzifferung hietet. so hahen uns die vier verschen zur Manto Sieh hier die Tiefe dieses Ganges stunden gekostet, wenn jemand gar für die nur in antangsbuchstahen eilig angedeuteten worte, für die verwischten bleistifikritzeleien auf grauen löschhlätlern und blauem packpapier facsimiledruck verlangen wollte, gehurt zu einer solchen forderung würklich ein comparativ von dunce. Düntzer hat besonders zu den skizzen des 2 actes fördernde be- merkungen gemacht, aber nur ein einziges paralipomenon (nr 156, S. richtig s. 149) als verlesenen grundtext (zu v. 7209 ff) klarge- stellt, vieles mehr benürgelt als beleuchtet und an manchen stellen ins blaue hinein conjiciert: so kann ich nach neuer prüfung der hs. beschworen, dass das dunkle wort Paral. 84, 13 (S. s. 99) mit 0 anfängt, sicher nicht Orcus heifst und die Vermutung auf Elysium ganz unmöglich ist. slatt weiterer discussion möchte ich den kenntnisreichen, erkennlnisarmen krittler nur um seine meinung über das Fauslsprüchlein gegen Voss bitten: Hinweg von unserm frohen Tanz, Du alter neid'scher Igel ... ist es nicht typisch?

S. kennt weder diesen geist des Widerspruchs noch ein leicht- fertiges conjicieren. hinzugefügt hat er s. 49 ff einen bericht Falks über des zweiten feiles urplan, den Goethe 1816 dictierte und 1824 wider vornahm, das kannte Falk offenbar; abweichungen, wie die naheliegende nennung Frankfurts als kaiserstadt, werden auf seine rechnuug kommen, immerhin ist die eiureihung er- wünscht, wie s. 43 der allerdings ganz unklare, nirgend anzu- knüpfende satz Matthissons. dagegen erscheint ein abdruck aus dem iMaskenzug von 1818 ganz überflüssig, und zwei kleine von Luden aufgefangene Improvisationen (hier s. 5) sind gleich dem etymologischen spiel Ars Ares Arsch selbständige Sprüche, aber keine paralipomena des grofsen gedichts. den VVeimarischeu text emendiert S. : Par. 10, 12 So seh ich nicht dass man was übel nimmt; 27, 15 Tauft der (pielle nach wahrscheinlicher als Kauft; 50, 58 mir es; 84, 16 betrogen möglich; 123, 133 ent- schiedenen St. verschiedenen; zu 7564 Wir st. des verdruckten Wie; 135, 2 erstürmt st. gestürmt (158, 10 ist bei mir und S. du aus- gefallen); 173^ 4 durch st. von. in mehreren fällen setzt er frage- zeichen zu sichern lesungen, in anderen hat er sich versehen oder nicht scharf genug ausgedrückt oder Satzfehler durchschlüpfen lassen: S. 3,2 lis Geists; 10,44 hinunter sl. herunter; 13, 5 rfas

STREHLKK PARALIPOMEXA ZL' GOETHES FAUST '2S7

St. der; 18, 4 oeder st. oder (in der ühevschril't Doppel-Scene); 30, 4 gehts; vor 31, 14 iMHs[aget] und ebda ist Papi[e]nier allzu exact gesetzt, da ir und /er in rascher hs. Goi-ilies ott genug nicht zu unterscheiden sind; 33,9 allerkürzten , 16 Bestünde; 34,20 geschrieben st. gesprochen (in dem abgebrochenen wort ist das seh zweifellos); 36 laufen sceuarische benierkungen des dichlers und des herausgebers ununterscheidbar durcheinander; 39 f dreimal X st. F in dem aristophanisciien gespräch über das satanshomagium; 41, 17 warum nicht G[esangl]; 51,9 lustige aufregende; 55'-, 10 nimmt (der Vorschlag [m?Y?] wird durch 57, 12. 58,9 widerlegl); 58, 2 f ist falsch umgestellt; 61, 29 H' gehurt wol teils dem marsclialk teils dem Mephisto und hat darum bei mir die iloppelte Über- schrift; 62, 13 ohngefahr; 03, 45 Brot; 63, 48 der [das'1]; 67", 1 [Müsset] unverstandlich, während bei mir als ältere unrichtige la. steht [Müfset Loeper]; 71 u beyder usw.; 72 nr 18, 3 streiche dort; 75, 41 (vgl. s. 150) steht wandern ohne not st. wandeln 82, 3 Luftwandler; 79, 182 [ÄaftejvoJlkommeD entbehrlich; 82, 10 Weiden- geflüster durch WA xv''' 48 gesichert; 83 u schon in WA richtig eingereiht; 5 Led[lh]a zumal bei dem sonstigen verfahren als thüringischer Schreibfehler Johns so überexact wie unverne[h]ni- lich entraf[f]t tumultu[a]risch von derselben band; 88,3 einstmal; 91', 2 steht bei mir Und be[leuchte] in Schwabacher lypen zum zeichen der tilgung statt S.s Und be[ J; 4 Diese [aus Die] statt S.s Diese[l], 5 spatium nach Wellen; 104,3 ]sl Entstehung deutlich und auf Helenas gehurt zu beziehen , 5 Halbchor sicher, 7 machen druclifehler für MJflcÄen, 9 Merkur; 105,7 uach Vorsl[ellung\ fehlt ... Siegerchor (nicht Kriegerchor, wie nach iler durch unsere stelle zu erläuternden bemerkung 120, 19 zu erwarten); 105", 1 niuss das unverständliche 5. erklärt werden: [fehlt foliozitl'er des saty- roma H^^J; 107^ 4 lassen die puncte auf unleserliches schliefseu statt auf ein spatium (wie 140, 2 ein gedankenstrich zwei ausge- wischte Worte andeuten soll); 108^*, 4 5cä[?] kann doch nur Schrein oder Schatz mit folgendem verbum wie verwahrt meinen; 6 lis zuzueignen (ich habe hier und sonst die hs. wider eingesehen); 109 fehlen alle Varianten und andern wichtigen bemerkungen über nachträgliches oder gestrichenes, ii 3 lis daiin; 110, 5 ist um- sichtig durch die erste lässung umschauend gestützt und kein fragezeichen nütig, wie 12 unvereinbar durch 109, 11 gesichert wird; 110, 2 lis träumest; 114, 5 die Vermutung gelangst ist nach der hs. unmöglich; 119,2 lis allem; l\9^,A der sie sicher, b be- thören wenigstens die ersten vier buchstaben unzweideutig; 122 von S.s ergänzungen mehrerer abgekürzter worte abgesehen lis 22 Ausfoderung; 125, 7 nach wiederholt folgen fünf verse und vor Posaunen steht g' furchtbarer; 127, 1 sind die klammern und das fragezeichen unnötig; nach 10 u folgt noch Nur frisch ans Werck; 133 steht in der hs. alle vier male nur Mephist; 134 durfte der einlrag auf dem blalt oben g' NB Taubheit nicht weggelassen

288 STREHLKE rAHALIPOMF.NA ZU GOETHES FAUST

werden; 136,3 Meph, 4 )tah nicht nach und darauf spalium; 5 welcken sicher, vgl. 133,7 (dies hilfsmillel der enlzillerunj,' würdigt S. ilherhaupl nicht); 140 u 4 lis mir stall nur; 141,4 Büßerinen, 5 ist (kirch liomoioteleulon nach zu drey ausgefallen Maria Egypliaca \ zu drey.

In eckige klammern werden ergänzungen und Vermutungen, aber auch die von uns mit Scinvahacher typen bezeichneten, dh, von Goellic gestrichenen worte geschlossen, eigenhändiges und schreiherhände nirgends auseinandergehalten, üherschriflen Goethes und des lierausgehers (s. 17f, 31. 36) durch gleichen druck ver- niengl, keine winke über sammeIhliUter und alterskrilerien gegeben, spatia und seitenanlänge und Varianten und nachtrage gar nicht oder planlos angemerkt, die inlerpunction aber 'im interesse des lesers' geändert, das hat mobnnals dem versländnis büs geschadet: S. druckt 3,4 Vorzug dem formlosen Gehall . Yor der leeren Form sl. Gehall vor und 10 Thaten . Gennss wo es sicii um ein compositum handelt; 83,22 Rede der Manlo . Abschlufs. die drey Richler st. Ab- schlnss die, dh. den abschluss macheu die drei richler; 104, 8 ist durch punctum und spatia ganz zerrissen; 122,34 fürchlerliche Posannenzinken. Töne von diesseits, wo im original ein sätzchen mit grofsem, nach Goethes art getrennt geschriebenem compositum steht; 136, 2 Seele enl flieht. Später [?] Satane . . ., aber Später ge- hört zu entßiehl, bedarf aucli keines fragezeichens, vgl. 133', 4 Weil die Seele später als sonst enlßieht, und 4 soll es nicht heifsen Engel nach Wort Streit, sondern Engel nach und Wort Streit sind zu trennen; 141,5 Seelige Knaben fortsetzung ohne punctum, denu 2 war ein erster chor der knaben vermerkt.

Die anordnung geht sceue für sceue, aci für acl und ent- schlägt sich dabei leider, ohne ein wort zu verlieren, jeder Chrono- logie, so dass die ältesten reimpare des zweiten teils unter bruchstücken der zwanziger jähre stehu oder gelegentlich in den endgiltigen lexl hinein conjicierl werden, die saianscenen in Verwir- rung geraten und grofse berichte, besonders der über den urplan, in stücke, deren Zusammengehörigkeit nirgends ausgesprochen ist, zerlegt werden, da S. sich nicht darum kümmert, welcher hs. ein j)aralipomenon angehöil, kann erlür Euphorioninanspruch nehmen, was in entwürfen zum 1 acl steht und unmöglich für eine aus- fübrung zum urplan gelten kann (Par. 115; noch sicherer Wörterb. s. 41), und anderes, was immerhin durch den fundoit ungefähr, wenn auch unsicher, seine stelle im apparal angewiesen bekam, einer rubrik ganz unbestimmbarer brucbstücke zuweisen, worin man mit erstaunen manches paralipomenon klarster und in der NVeimarischen ausgäbe deshalb schon richtig bestimmter Zuge- hörigkeit findet, der litel 'älterer entwurf tritt vag auf und scheitert zb. s. 54 daran, dass diese skizze zu i einer späten hs. an- gehört, was s. 127 ein gespräch zwischen Haltel'est und dem hundertjährigen Faust mitten unter skizzen des 4 actes soll, ver-

STREHLKE PABALIPOHE>'A ZU GOETHES FAUST 2S9

steh ich nicht, mehrmals fasst S. meine angäbe des fundorts als eine einreihung meinerseits, während er mit ganz geringen aus- nahmen die laa. der paralipomena weglässt, bringt er ohne rechtes princip zahlreiche variantencomplexe, die i)ei mir in den laa. stehu, unter den paralipomenis. Abscliied uud Abkilndigung ge- hören, wie noch die späte reinschrill zeigt, au den schluss des ganzen werkes, nicht des ersten teiles. im vers Das Meuschenleben ist ein ähnliches Gedicht niiiss ähnliches nicht mit lUlnlzer als hör- und Schreibfehler i'Ur episches gelasst werden, wie in einer isolierten allgemeinen spruchmäfsigen Fassung der zeileu steht, sondern der sinn geht darauf, das menschliche leben habe zwar wie der Faust anfang, mittel und ende, sei aber wie dies disparate, uneinheit- liche gedieht kein harmouisches ganzes.

Die beobachtung einer seltsamen prüderie den satanscenen gegenüber, in denen nach meinem abdruck jede silbesuppliert werden kann, lehrt uns, dass S. an ein grölseres publicum dachte, dem- gemäfs hat er seine sachlichen erläuterungen recht elementar gehalten , alles mythologische zb. aus dem wissensborn der all- gemeinen bildung geschupft und, obwol man manches verständige wort gerne hOrt, die tiefer strebende forschung kaum gefördert. s. 4 ein interessanter Wellingscher beleg für Chaos als aufentlialt Lucifers; s. 30 ein hinweis auf Francisci (s. auch VVentzel Geneth- liacon Gottingense 1888) für die Walpurgisuacht. s. 32 über Jung- Stillings 'weifse frau'. kann man für einen wissenschaftlichen Faustcommentar, der sich besonders im 2 teil nie an 'jedermann aus dem volke' wenden dürfte, hier nur kargen gewinn einstrei- chen, so fordert manche seile zweifei und Widerspruch heraus. s. 14, 10 (Paral. 20) vgl. Burdach VJS 1, 283; 16 (Paral. 22) vgl. Pniower ebenda 5, 414, wo weiteres gute, hier und da wol in überscharfem Widerspruch gegen OHarnack, zu den paralipomenis zu finden ist und das von S. (s. 145) wie von mir (zu Paral. 20) blindlings verkannte lyrische bruchstUckchon In goldnen frühlings- sonnenstunden als elegischer rückblick des Faustdichters auf sein jugendvverk, im sinne der Zueignung, gedeutet wird. s. 26 steht bei mir dasselbe und, wie auch sonst noch, mehr zur erklärung. s. 33 desgleichen, und nachzutragen wäre aus Goethes Unter- haltungen mit dem kanzler Müller 14 xn 1808: Für seine Angriffe in der Becensioti über des Knaben Wnnderhorn will ich ihn einst noch auf den Blocksberg citiren (vgl. auch Herbst, JHVoss n 2,314). s. 35: wer möchte denn vermuten, die satanscenen hätten die Walpurgisnacht ersetzen sollen, uud wer auch sie für älter halten, da das Schema beginnt Nach dem Intermezzi s. 43 (Par. 46) kann unmöglich auf das naive mägdlein, das die sauereien nicht ver- steht, zielen, sondern muss mit Par. 45 auf demselben blatte zu- sammenhängen — so rächt sich immer die gleichgiltigkeit gegen die hss. s. 62 (Par. 68): wenn Semiramis hergebrachter weise als Katharina ii aufgefasst wird , warum nicht der gröfste König als

A. F. D. A. XX. 19

290 STREHLKE PARALIPOME.NA ZU GOETHES FAUST

Fiiodrich der Grofse? s. 82 warum nicht wenigstens ein liinweis aiit die ja von S. selbst interpretierte Achilleis i 242 tl liir den Protesilaus usw. ? s. 86 die verse Reden mag man noch so griechisch hahe ich keineswegs Wagner 'zugewiesen', sondern mit einem tragezeichen auf ihn bezogen, s. 93 wäre es so leicht und dankbar gewesen, die Situation : Faust von Manlo vor deniGorgonen- haupt geschützt aus der weltlilteratur zu illustrieren, ich habe, 'Xenien 1796' 1893 s. 187 zu Schillers Schlussepigramm die Odyssee XI 634 angeführt und dann kurz gesagt 'Aeneis, Divina commedia, Faust'. Vergils und Dantes eintluss auf den Faust wäre über- haupt endlich methodisch zu untersuchen, hier handelt es sich um .4eneis vi, der das Inferno ix folgt; aber das ganze motiv des abstiegs mit der Sibylle stammt von dem Römer, s. 98 ist durch einen lapsus Klingers Faustroman unter die dramen geraten. s. 100 und sonst, aber nicht immer, war Egypterin ah Egyptienne {Bohemienne, vgl. Goethes noliz über mulieres Boheniae), Gipay^ als Zigeunerin zu deuten; da der trimeter 8810 unter dem sthenia steht, muss es spätestens in die letzten neunziger jähre fallen, ich habe die rubrik 'Älteste phase' für den Helenaact bis 1800 er- streckt und bedurfte keiner Düntzerschen lection über das auf- treten griechischer masse. s. 102 nicht sowol Herodot, aisEuripides ist der gewährsmann für Helena in Ägypten, s. 102 u hätte S. für seine weiteren kreise meine ihnen unverständliche quellen- angabe zu einem lateinischen citat '[vgl. Dig. 42, 8]' wenigstens auf- lösen sollen: 'Digesta'. s. 106: ich habe Dodwell für die Schilderung Arkadiens herangezogen; S. ignoriert das. s. 115 (Par. 176) beifsen die satirischen verse über Mysterien Mystificationen Indisches Ägyptisches 'ziemlich unklar', weil S., obwol dann ausdrücklich der neueren Symbolik treuer Schüler aufgerufen wird, nicht an Creuzer denkt,

2. Von dem Grimmschen Wörterbuch, auch von den teilen, die Hildebrand mit so gelehrter wie feinsinniger, aber das ganze gefährdender ausführlichkeit bearbeitet hat, kann niemand verlangen, dass jedes Goelhische wort, gar jeder ausdruck und jede form seiner privatpapiere, darin platz finde, wir müssen uns mit Heynes ausmafs begnügen, wenn es gleich verdriefst, Lexer s. v. Persön- lichkeit an dem grofsartigslen , unbedingt erforderlichen belege, dem Divanspruch Höchstes Glück der Erdenkinder Sei doch die Persönlichkeit vorbeieilen zu sehen, weil er zufällig in seinem Zettelkasten fehlte, aber der wünsch, dass Deutschland nicht blofs ein Shakspere-, sondern auch ein Goelhewöiterbuch ans licht bringen und darin den ganzen, von JGrimm im vorwort so beredt gepriesenen Sprachschatz des königlich schaltenden übersichtlich ausbreiten möge, hat sich schon oft geregt und 1885 bei der Stiftung der Goethegesellschaft ein verehrtes, kundiges milglied, VMlertz in Berlin, den redactoren die baldige Veranstaltung eines

STREHLKE WüRTERBLCH ZU GOETHES FAUST 291

solchen werkes, hantl in lianil mit der neuen, das niaterial er- schüpl'enden ausgäbe empfehlen lassen, wir halten damals genug auf den schultern und vertagten diese anregung ins unbestinnnte. vielleicht wäre es doch besser gewesen, gleich nach geeigneten arbeitskräfteu umzuschauen, wenn nun ein einzelner ein einzelnes Goethisches werk vornimmt, um es sprachlich auszubeuten, wie S. das grüste, den Faust, so braucht er zwar nicht unmittelbar an eine tüchtige beisteuer zu jenem ersehnten corpus zu denken, aber seine arbeit muss voll und rein genug fliefsen, um einmal in den gesamlslrom geleitet zu werden, ein Fauslwörterbuch soll die fülle und die besonderheiten dieses auf jahrzehntelangen bahnen zur eigensten Vermischung verschiedener stile ausgewachsenen gedichles gänzlich umfassen und ergründen, soll in den einzelnen artikeln genetisch vorgehn und mit historisch- philologisch ge- schultem Verständnis, gleich vertraut mit den Überlieferungen des iSjhs. wie mit Goethes Idiotismen, mit dem mundartlichen wie mit graecisierender stilkunst, die abschallungen der begrifle und die neuhildungen, das volksmäfsige, das griechisch-deutsche, das verschnörkelte darstellen, wenn der lexikograph seine besondre aufmerksamkeit dem schenkt, wobei der durchschnittsleser anhält oder stutzt, macht er den landläufigen commentaren eine unnötige concurreuz und übersieht leicht das feinste und intimste seiner aufgäbe, im zweiten teile werden ihm die zahllosen lesarten am herzen liegen, die so reiche Zeugnisse für Goethes abwägen des Wortes nach klang und sinn liefern.

S. bietet in seinem buche mehr als man gemeiniglich von einem Wörterbuch fordert, da zahlreiche zusammenfassende arlikel so etwas wie eine Faustgrammatik ergeben sollen, er bietet weniger, weil er kein erschöpfendes inventar aufgenommen und die Faustischen schätze nicht mit genügend schaifem äuge be- trachtet hat. ich habe den Urfaust, die Flelena, die paralipomena durchverglicheu, sonst nur notiert, was mir gerade einfiel, und will eine auswahl von nachtragen und erklärungen vorlegen, um endlich jene gröl'seren artikel zu streifen. S. ful'sl natürlich auf der von ihm sorgsam nachgeprüften VVeimarischen ausgäbe, auch da, wo er eine Sehnsucht nach Riemers 'Verbesserungen' nicht unterdrücken kann und die 'vorzüge der früheren lesarl' rühmt, zu bedauern ist die geringe rücksicht auf Goethes Schreibweise und in den buchstaben C und K ein schulmäfsiges leidiges nor- mieren, wenn ich nicht irre: nach 'Puttkamer'.

.46: neige dein Antlitz ab zu U 1280. Abdanku ng fehlt und wäre wie Ahkündigung als terminus der bühne zu erklären, Par. 11. Abglanz wird durch das WMeister-citat nicht recht verständlich, da doch die stelle des sinnschweren monologs mit dem schlufschor Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnifs über- einstimmt, absolut: warum Hegel und Schelling, aber Fliehte nicht? abstrus: auch Par. 63, 22 abstruse Speculationen. Affe:

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292 STREHLKE \\ ORTERBUCH ZU GOETHES FAUST

mir Meerkaler, niclil Kindern und Affen U1&9. .i gypterin: s, o, Ziijeunerin. Ägyptisches: s. o. Grenzer, ahnen lehlt mit der neheii- lorm ahnden^ ahndevoUX] 1328 (Schwager Krouos usw.), ahndungs- voU l) 11S6, ahndetVar. 175, 02. Ahnen: hoher Ahnen von Euplio- rion-Byrou 9916. Ahnherrn grofsvater U553; Ahnherrntage 9640. Akademie universiliU UolO. Alff: Slrelilke widtMliolt seine erläuleniugen der paralipomena viel zu ausKlInlicIi und l»e- zeicliuet auch nicht, was hlofses (juellenexcerpt ist. all: die vielen Zt. dauu weggeschaflten all in U waren zu erwalinen, das All U 100 usw. nicht zu vergessen, All-Alle aus gr. ncciiiTtavTeg zu erklären; zu alle mein Begehr wird schief gesagt: 'unflecliert'. Allee fehlt, LI s. 40. ^^pen fehlt, Par. 142. i///na^er ist für Alten gesetzt, weil dies ein adelsnanie ist. neben altverwahrt, wobei S. wunderlich um die corruptel allverwahrt trauert, durfte altbewegt I*ar. 174,4 nicht fehlen. Amt: messe U s. 75. Ana- chronismen Par. 164,3. Andachtsbild ü s. 73. Ange- den keii U 789. angehn: der Wein geht an (vgl. DWb. i 343 von faulendem fleisch, Adelung von verdorbenem obst), wird kahmig; Tiresias . . gehe buhlend an 8817; Proserpina wird angegangen, ge- beten Par. 99, 25. anhalten: hall' ich mich an, an mich 9744; mit angehaltnem stillen Wüthen, gespanntem 9446. anregen be- rühren, aufrühren 8983. anständig in höherer bedeutung war reicher zu belegen: anständig würdig 8946, anständig bewegt 9154, dazu erhabnen Anstand 9184. Anlecedenzien tjoelhes bezeicli- nung für die Voraussetzungen desllelenaactes zb. xv2, 212 undkanz- leihaft feierlich Par. 157, 8 Ehre den AA Antlitz als edles synonym fehlt: erdgeist U 135, die verklärten U 1364. Antonius: Goethe dachte gewis an den tierpatron und sein schwein. anzünden sinnlich entflammen U 462. Äone: warum femininum? in Äonen; Aon im niaskenzug 1818 ist nicht von Goethe 'eingeführt', sondern mit Aonis eine Ilonlersche gestalt. Apollo: der pseudohomerische liymnus war hiei" zu citieren. Appetit U 505, Par. 44. arm fehlt : das arme Kind, ein armes junges Blut, mein arm Gespräch, ein arm unwissend Kind, das arme Würmchen, mein armer Kopf, mein armer Sinn, mein armes Herz, ein armes junges Mädchen alles rührend bescheiden von Gretchen gesprochen, ärschlings eines der frappanten beispiele, wie ein wort, in der Jugend ge- braucht (Brey, von S. ciliert), endlich im höchsten alter noch ein- mal auftaucht (s. bekleihen). Lessing Lachm. xi 654 macht eine gesunde bemerkung zu Adelung, ärfsling auch bei Holtzwart, Lustgart 13 ^ Aschenhäufchen U 188. Äther fehlt ganz: 9660. 9953. 10010. 10065. Auditorium Par. 12, dagegen Hör- saal U 601. auffordern herausfordern 8564 vgl. WMeister N iv 278. au f keimen STb2. aufpolstern9U)6. an fregen: gierig aufgeregt bSAS; etwas aufrühren 8897. sich aufreifsen heftig aulspringen, nicht blofs von der IMiorkyas, sondern auch von Gretchen im kerker gesagt U s. 85. au ft härmen nicht nur

STREHLKE WÜRTERHÜCH ZU GOETHES FAUST 293

reflexiv: 9001. äugeln wird aus andern werken Goethes lielegt, aber wie vieles {answirthschaff'ten, ausziehen usw.) nicht erürlert. augenblicks Par. r23,7S. Augenhlitz nicht vom glänz, son- dern von der schärfe des gesichls. Augenyrnnd augenliühle 6613 lesart. angenstrahl 9230. ansdruckeii (vgl. rucken) Par. 11. ausgestattet Par. 9. 63, 103. Avaritia inuste gleich andern allegorien aus den Florentiner Trionli erklärt werden, mit deren anregender bedeulung S. durch JHayer hekanut geworden ist, ohne der frage weilei' nachzugehn; ich hesilze die seltene Sammlung.

Babylonisches Par. 158,5 ist aus der Sprachverwirrung zu verslehn, baden metaphorisch fehlt: U 44. 92. l*ar. 209. Barbar ey l*ar. 89 als gegensatz zur hellenischen schönheitswelt. Baulichkeit 9027. Baum der goldne: schief erklärt ; im nächsten artikelchen und sonst finde ich die liigung: 'in Zahme Xenien' mit meister Wusimann abscheulich. Baumwolle U Keller 3. beblümt 9342. bedeutend wird durch ein |)aar blofse Ziffern und den beisatz bedeutungsvoll als ein Goelhisches lieblingswort zu kurz abgetan (s. auch in bedeutender Gruppe 8929, Mantos rede muss bedeutend seyn Par. 123, 261; bedeutungsvoll 9033); ähn- lich steht es um wichtig, gleich gewichtig icuchtig, um merkwürdig 8274 oder Par. 123^ 12. Bedrüngniss neutrum l*ar. 178, 14. Beeren füll hörn 1 0023. bedrohlich .. . zu hemmen d rohend Par. 123, 177. begegnen abwehren schlagen 9206. Bauer- ttgen l*M\ 2\. beben fehlt (samt aufbeben freudebeben), ein wort, das im zusammenhange mit Klopstocks neuer, reicher, für den gefilhlsausdruck des jungen Goethe so wichtiger terminologie der allecle zu betrachten wäre, beglückt: weggelassen ist der aparte beleg sei ewig jedem Stamm beglückt 9515. wo ist begreifen {Geist den du begreifst) und Begriff {wo Begriffe fehlen; aber ein grofser Kahn ist im Begriffe ... 11145)? wo sich begrünen (vgl, noch sich berasen Nat. tochter A vi 309 sich beblühen Pandora B XI 336)? unter beharren wird die so oft misverslandene stelle Wie ich beharre wider falsch erklärt: ob ich statt sobald ich. beide fehlt, aber man vereleiche etwa nur 8778 Entnervend beide, Kriegers und auch Bürgers Kraft mit der 1 fassung, um zu sehen, wie Goethe auch hier graecisiert. Beisein ist nicht Zusammensein, sondern beiwohnung. bekleiben wird aus U, Salyros und nach langer ])ause aus dem Neuen AIcinous belegt und steht auch in den Zwo bibl. fragm. DJG ii 232; Lessing hat es zb. xx68l; es 'mis- fällt' Ileinenalsrevisor desTuliläntchens und wird darauf von Innuer- mann beseitigt (Elster vii 267). Beleih ung auch Par. 48; beleihen Par. 50, 110. 178, 40. Benedictiner Par. 123, 89 wegen der grofsen historischen Sammelwerke des ordens. Bergeshöhle U 41. berufen: nicht b. . . . rufen nach 9358. bescheiden c. dat. ge- bieten über Par. 85,2. beschränkt von eingeengt durch U 49. Besenstiel dürrer mensch UKeller 188. sich bestätigen ruhig

294 STREULKE WÖRTERBUCH ZU GOETUES FAUST

festsetzen , von gebirgen gesagt Par. 123, 194. leslreilen ü 52. bestellen voll stellen U 53, anstellen 9200. 11289; Bestellung des reiches 8858, zu kurliirsteu l*ai'. 184,8 beschweren jemand belästigen U 435. Besndelnng 8942. beihauen mit tnilinen U 1300. betteln c. acc. 9274. bettelarm 9270. bewegen den ziig, sich im 9154. nach Bildner fi-lilt Bildnerei 9033. Billard U 282, wo ebenso anachronistisch Kaffee steht. Bim- Banm-Bimmel: die stelle 11263 schwebt wol Ileinen vor, wenn er im Atta Troll cap. 20 von Avahin sagt Niemals dringt dorthin das blöde Dumpf langweil'ge Glockenliiuten , Jene trüben Bumm- Bauni-Klänge, Die den Feen so verhasst. Biograph l\n\ 41. Bivonak Par. 124,2, im text Wachfeuer 7025. bitten loshilten 8934. bUifslich (blafslich) WA xv^ 120. blinken: rhetorik L' 201, walTen Par. 129, 22. Blocksberg erwähnt üKeller 17; Blocksbergsgenossen Par. 123^ 8. Blum': jede liebe übertragen aui liehesgenuss U481. Blntbann 3715 diirlie weder auC die Carolina noch auf den Schwabenspiegel zu bezieben sein, da ja ein gegen- satz zu Polizei aufgestellt wird, sondern auf den religiösen volks- aberglauben. Blutquell Par. 50, 161. Boden ist nicht dem reim zuliebe in Bodem zu verwandeln , sondern eher Odem in Oden. Bovist: statt des lateinischen namens wäre eine sinnliche beschreibung des platzenden staubpilzes besser. Brandschande Malgeburt fasst S. als chiastiscbe bendiadys, Kögel besser als grolses compositum; doch ist möglich zu erklären: die malgeburl, das schimpflich gezeichnete kind wird dir einen schandstempel aufbrennen, brausen vom wasser ü 1416, vom ritt U s. 83. brav l] 1004 und in Valentins schlussvers durfte ein kenner der geschichte des wortes nicht weglassen. Bravo 'als hauptworl' einmal belegt; Ach bravo U 880, bravo bravo UReller 128. Brei, sei nicht wie: nicht 'schwerfällig, starr', sondern ' klebrig' (Paler Brey). breiten ausbreiten U 557. Brennesseln als gemiise U 314. Bronn: warum nicht auch Brunn Us. 73, in Goethes Jugendpoesie und brieten so häufig. Bruch arithmetisch-bildlich Par. 20. Brüderschaft: mir scheint weder hier ein bestimmter niönchsorden, noch vorher die inquisition vorzuschweben, wo ist Brust'! Brust an Brust U 1196; in Geist und Brust L900; euch Brüste wo U 103. Bube: fehlt U 1266 als bezeichnung der unverheirateten, buchstabiren 9419 vom liebesstudium. Bursch fehlt: ihr Bursche UKeller 210, die platten Bursche 2150; die drei Bursche (die drei gewaltigen) Par. 178,34. 180,4; Iland- werkspursch U 758. Bucht, Buchtgestad 9419. Buhle das verb buhlen 11588 wird nur zillermäfsig belegt, ohne ein wort über das sinken und steigen des wortes, dessen gebrauch im Güttinger und im Goethischen kreis jüngst Kraeger .IMMiller 1893 s. 79 verfolgt bat. dass die bunten Vögel 11217 lust- dirnen bezeichnen sollen, ist zu weit hergeholt, die erklärung: matrosen wahrscheinlicher. Burgemeister {Bürgermeister zb.

STREHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUST 295

S IV 271) Wäre aus Goethes späterer zeit (DnVV xxviii 324 usw., Annalen) uud aus der Jugend (Gottfried DjG ii 89) reicher zu belegen, das schwierige wort Bürgernahrungsgrans wird nicht erklärt, neben sich bnschen fehlt buschig 9539. Busen hat nur zwei belege; nichts über den geistigen gebrauch in Fausts, aber auch in Wagners mund, den erotischen, endlich den kühnen bildlichen des Herdes Busen in der 1 Helenafassung 122 (später Schoos); Busen des nebeis 9143.

Christenthum christglaube U 1160. Colonne scenarisch nach 9445 . . . aber das müste nach der neuen Orthographie unter K stehn.

dann für denn fehlt: U 659; was ist dann U 1106; frisch dann zu U 1408; muss ich dann gehn U 1058, alles corrigiert; auch fehlt denn nach dem coinparaliv 889S, was Goethe erst spät als gewählter für als einsetzte. Dasein, geuuss der sinn- lichen existenz 9418 Dasein ist pßicht. däuchten wird als infinitiv angesetzt, wozu keine Fauststelle aulforderl (anders DWh. u 834). dauerhaft 9940; dauern, absolut 9953. dehnsam und vorher beugsam hsl. xv'^ 123 zu 9652. Demuth U 956 eines der innigsten beispiele. derb fehlt, und doch ist über dies wort bei Goethe viel zu sagen, was auch DWb. ii 1013 nicht zu rechte kommt, ein derberer tritt Mephistos befremdet uns nicht, wogegen die derbe Kleine, eine gelenke chorelide, ein elementargeist, 9794 aulfällt und besonders die derbe Liebeslust 1114 als weiteres Faustisches beispiel erhärtet, dass Goethe das beivvort anders als wir anwendet, nimmt man hinzu, dass er den tod Christianens Zeltern als einem derben geprüften erdensohn anzeigt ii 278, im Divan vi 260 sagt Ein derbes Wort kann Huri nicht verdriefsen, Wir fühlen loas vom Herzen spricht, dass er der zarten Naivetät des neuen testaments die derbe Natürlichkeit des alten entgegenstellt (xxviii 102), dass im tragödienbruchstück XI 339, 18 für die feierliche weiherede des bischofs Heitere An- erkennung der Tochter, derbe Anerkennung des Sohns als motiv hingestellt wird, so ergibt sich für derb, aulser unserm gebrauch, der sinn des gesunden, tüchtigen, kräftigen in einem nicht tadeln- den gegensalz zum weichen, zarten, vergeistigten. DuW xxviii 291 gedenkt er der tüchtigen, derben, von Naturfülle glänzenden Bilder Düsseldorfs, er spricht von der Redlichkeit und Derbheit der Winckelmannschen briel'e (xlvi 13, 2), ihrem derben losgebundenen Charakter {lA, 22), der Wahrheit, Geradheit, Derbheit und Redlich- keit seines ganzen weseiis (58, 4), seiner Derbheit und Tüchtigkeit (395), seiner derben, aber auch seiner herrlichen Sinnlichkeit (395 f). danach schafft es der Herder-hypotliese keine Schwierig- keit, wenn das urbild des Satyros tüchtiger und derber als der zaj'te und weiche Leuchsenring genannt wird (xxviii 186). Diebs- gelüst ü 1407. dienstbar 8600. Dies irae zweiter teil des requiem. diese füllsel 9597. Diluvien Par. 123 zu 187.

296 STREHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUsT

Ding niäilchen : ein gar nnsclmldig Ding U476, so ein lieb Ding \] &02, das arme Ding U 1253. Doppelblasen: welches werk lies Praeiorius ist hier und sonst (s. 59) gemeint? und warum wird der Salyros nicht citierl? Doppeltsein bezieht sich auf Mephisto iu Fausts gestalt. Drachenschlösser Par. 102, 10. Drey Teufel flucht Siebel UKeller 1.21. Doppel-Scene j2;e- teilte bilhue Par. 25. Dummheit spafs U 450. düster 9122. 9253. dumpf: der 'lieblingsausdruck ' wird sehr obertlächiicli erklärt; dumpfes Mauerloch U 46; dumpfig U 605. dü7ikeln vgl. Di van vi 95 etich mOg' es nicht bedünkeln. mich dünkt UKeller 131. Dunkelheit der Sinnen Par. 10. neben durch- erwarmen fehlt das nachbarliche dur ch erschüttern, durchgrübeln 9417. durchiceben U 540.

Ebenholz U732. e 6 enma/ s 2^' gleichermafsen Par. 123,275. Edel fr au U 644. Edelgestein 8567. edel-stumm vgl. Ur- faust'^ s. XXIV. eh eher weit ch U 968. Ehr' und Herrlichkeit ü 22. ehrbietig U nach 442. 752. Ehrenbesitz 8517. Ehren- punkt ehrensache 10125. Eichenkraft 7822. eigenster Gesang ursprünglichster, individuellster 9922. der arlikel sich eignen war zu zerlegeu (DWb. ii 104). Einfalt ü 953 einer der schönsten belege überhaupt. Eingew eid' innerstes 9063, allerdings siunlicher als in dem Mignonvers (vgl. Günther Mein Eingeweyde brennt, der Schmerz zerfrisst das Mark Gedichte 1764 s. 607). eingewurzelt 8757. einpassen Par. 123, 32. ein- rufen 9877. einsacken Par. 123, 109. einzähnig 8884. Einstimmung über Bejahung Var. 165,7. einstudirenV^'dO. einsuckeln UKeller 95; Kogel: mundartliches iterativ zu saugen; Malss zum Bürgercapitän Volkstheatei- 1850 s. 91 'suggeln: saugen'. einweihen 9959. ekel leiche 8822. elastisch 9653 (9604 wie elastisch unter gegenwirkend gestrichen). Element: 9982 Gehurt den Elementen an, vor der grofsen opernsceue der sich auflösenden elementar -choreliden, dürfte nicht fehlen, schwebt hier und vorher im Divan (vi 257 Huri Wir sind aus den Ele- menten geschaffen. Aus Wasser, Feuer, Erd' U7id Luft) Fouques auch von Goethe belobte Uudine vor? Jahreszeiten 1811 s. 85 Wir, und unsres Gleichen in den andern Elementen, wir verstieben und vergeht mit Geist und Leib, dafs keine Spur von uns rück- bleibt; und warn Ihr andern dermaleinst in einem reinem Leben erwacht, sind wir geblieben, ico Sand und Funk' und Wind und Welle blieb. Darum haben wir auch keine Seelen; das Element bewegt uns, gehorcht uns oft, so lange wir leben, zerstäubt uns immer, so bald wir sterben, und wir sind lustig, ohne uns irgend zu grämen, wie es die Nachtigallen und Goldfischlein und andre hübsche Kinder der Natur ja gleichfalls sind, elterlich 9698. empfinden fehlt, nicht einmal das absolute wenn ich empfinde U 911 ist verzeichnetl sich empfehlen verabschieden U nach 422, aber steif was sich sonst dem Blick empfohlen gefällig dargeboieu

STREHLKE WÖRTERBUCH ZV GOETHES FAUST 297

11336. emporschwanken 9091. am /in f/e schliefslich U 529. 7003. 9776. endlich vorgeschritten 10067 'rasch, schnell Dach älterem gebrauch'; <las ist richtig aber spärlich, ich möchte um so mehr auf Luthers bibeldeulsch weisen, als Sprenger, der nachgerade mit seinen unreifen lesel'rUchleu und wurtei buchexcerp- ten unerträglich wird, neuerdings auch zu diesem vers zwei mis- cellen geliefert hat, um erst Hanssachsischen Ursprung zu be- haupten Zs. f. d. unl. 4, 88, dann Zs. I. d. phil. 23, 456 Luther und Günther zu eitleren, dh. das DWb. naiv auszuschreiben, wo er den stolT zu weiteren artikekhen linden kann, eine Samm- lung Lulherscher beispiele hatte schon der hauptpastor Goeze angelegt. Freywill, beyträge 3 dec. 1777 s. 401, doch fehlt dem DWb. nur einer seiner belege, der mit Phil. 1, 20 zusammen- stimmt: ajtOYMQado-Aia Rüm. 8, 19 gibt Luther bis 1541 mit endlichem, dann schief mit ängstlichem Harren wider, eng: es es wird einem eng IJ 303. 1351 und im rattenlied, also in allen graden des gefiihls und des slils. Engel geliebte U 1011. 1202. engelslieb U 1221. entgegenen: die form ist aus Goethes seiir interessantem streben nach neuen anapästen im Irimeter zu erklären ; er ändert nicht blols mnslere, erschüttere, sondern wagt auch, wie die lesarten ausweisen, 8644 ErschiUterendes, 8670 loan- delenden, 9490 hinderen (blieb), 10032 sogar Ziegen/ ü/sleren. sich entzücken Par. 123, 52. Epilog: aus den lesarteu konnte S. klar ersehen, dass die stanzen nicht den ersten teil beschliel'sen sollten und die abweichungen des ersten druckes der zunächst allein gefundenen altern hs. entstammen, der beleg im letzten Helenascenar: für den act war ein grol'ser scenischer prolog und, wenn die bemerkung ernst gemeint ist, ein mephistophelisch com- mentierender epilog bedacht, wie Goethe den anl'ang des nächsten aufzuges einen paralog nennt, erathmen: Lachmaun hat nie unglücklicher conjiciert als wohler athmend für tcohl erathmend in den versen auf Nicolai, erhangen 6668 nicht 'bange wer- den' sondern 'zitlein'. erbarmen einen stein UKeller 57. er- bärmlich U 137 Tr. lag 1. Erdeleben Par. 157, 4. Erden- breite 9201. Erdenglück 9915 (Erdemceh U 112). Erdensohn sterblicher 609, aber Antäus 9611. Erdeschranken Par. 123, 4. erflehen U 123. erfnnden 11691 wird unnötiger weise als praet. aufgefasst. erfüllen von V 1143. Ergebenheit U 250. ergreifen ineinandergreifen umfassen 9561. das Erhaben- Schöne Par. 123,60. erregen das haar, bewegen 9758. er- quicklich Wort Sb'S^. Erscheinendem. Erstarr en 621 [ wird als 'die höchste würkung, welche das schaudern bei Faust hervorbringen könnte' ganz schief erklärt, ersticken tians. absolut UKeller 124. ertragen zum erdgeist L 133. Erwei- terung des geistes U 208. Erzeigen freundliches 9387. das erst sc. mal ü 895. erst soeben 8489. Erz/ürsl Par. 158, 2. Erzkanzler Par. 185, 3. erziehen aufziehen U 984. es: es

298 STRtHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUST

singt inwendig U s. 83. ewig lelilt; verdoppelt U 918; der Ewige ^ott ü Tr. tag 26. Exequien totenamt U s. 75. Explosion nach 9441 und in den sUizzen.

Fähre UKeller 78. fassen U 102. 338. 405, fatal uu- augenehu) üKeller 77. Fechterstreich Viiv. 63,84. fehlen einen fehltritt tun U 1269. fein volksinüfsig vom niägdleiu, ge- sellen U 280. 869. Feld freie ebene, offen Feld, Feld und Auen usw., aber geistige disciplin C 400. Feldersaat 8780. Felsge- dränge vielmehr Felsengedränge 9811. F eisenwände 9999. feuchten\y)OTd. Feuerschlund Sijiil. feuerumleuchtet 8718. Fideler im Intermezzo wird von S. gegen Loeper, dem die controverse ein wahres herzeleid schuf, nicht als fiedler, sondern als lustiger, angeheiterter betrachtet; ich glaube, mit recht, nur sollte er hervorheben, dass das von Loeper für Goethes Sprachschatz geläugnete hybrid-burschikose wort in UKeller 81 steht Lafst sie nur erst fidel werden, es hat seine Verbreitung wol durcli das Cranibambulilied gewonnen: Tonjours fidele et sans souci. finden etwas an einem ü 1065; sich f. zurechlfinden 9234; das findet SJCÄ11325. FinnamentVldlS. F/äcAe Thessaliens Par. 123, 112. fliessen: die webfäden U 337. Flanimenglnth 8708. Flam- menqualen U 1340, dem vers flammis acribus addictus ent- sprecliend. Flaum 9647. fledermausartig Par. 123, 139. flink U 1262. Flugwerk Par. 123, 110. wills fördernd U 879. französch vulgär ÜKeller 159 wie DjG. n 41. 206 und noch in späten hss. (Winckelmann xlvi 395). Frau gen. sg. Frauen 9599; UKeller 142 beweist die hemerkung vor deiner Frauen, dass die lustigen gesellen nicht durchweg Studenten sind; Fraii herrin, gebieterin 8784. Frauenzimmer 7750 Mephisto zu den Lamien. Fraungeleit 9431. Fräulein ironisch, ohne slandesbezeichnung U835; Fräuleins pl. Par. 63, 42. fremd und fremder 634 wird adjectivisch gefasst, aber der contrast zwischen Geist und Stoff springt bei adverbialer anwendung viel klarer heraus, fressen U 312, frifst mir ins Herz ü 1191. freudumgeben 8638. Gut Freund U 1056; Fre?(w<i geliebter 4461. freventlich 9209. Friedenstag 9S35. frühge- liebt Par. 123, 265 und 12073. Frühlingssonnenstunden Par. 20. ivohl in Fugen 9024, vgl. Vossens wohleinfugend. führen behandeln, meistern U 417. Par. 26. Fülle ü 167. für St. vor Par, 48 für Hitze, füfseln wäre als mundartlich zu bezeichnen, österr. fufseln.

GaffenU S18. 1049. Galanterie ritterliche Par. 170, 8. Galerie der bürg 9149. Gang des hauses U 1257, ii 2 act (vor 6020), des Orcns Par. 160, des gartens U 1052; sein edler Gang \j 1086, mit ernstem Gang 9967, ein ganzer Himmel l]Kerker46. Gast empfang aus Empfang 9151, geschenkter Gaul U 682. Gaumen bildlich ü 190, Gebein auch U 1289; Klopstockisch. geben: wie's mehr noch geben ü 1175 wird falsch 'als particip'

STREHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUST 299

gefasst, stall als 3 ps. pl. Urf'aiisl^ s. lxxvi und Arcli. I. d. sind. d. n. sp. 15, 82; das gab' sich fände sicli U 307. die lisl. lorm Gebü7g \\»v erwähnen. Gebirgesmasse J0U95. Gebirgsreihen ni. Par. 123, 175. Gebirgsschlucht Par. 123, 193. sa/s er gegen mir 8537, vgl. Pandora C xl 401 steht er gegen mir. gegen- wirkend elaslisch 9604. Geheimnisse geheimnissvoll lelill, und gar Gefühll für diesen arlikel und den ganz ungenügenden Geist wiinschle man unserm worü'orscher gelülil und geislRllilde- hrands. Gegenwart erscheinung 9184. gehn gelingen U 879. gehörntes Rind 9535. geilen U 283 wird uiil berulung aut Luc. 11,8, einen der massenliallen Belege des DWb., als 'zu- dringlich belteln' erklärt (vgl. Lessiug xi 618 abgeilen), näher liegt: sind üppig. Geister spuk Par. 123, 154. Geisterwelt \] ^{) nicht geistige weit, sondern weit der geister, himmcl s. Urlausl' s. XXXIX ; 11935. Geisteszwang 9963. geistlich für geistig U 370 ist nicht so lakonisch ahzulun, sondern hat gleich geistreich seine bedeutende geschichle. Geklatsch Gegenklatsch I*ar. 105,21. Geklimper war auch aus dem 2 teil zu belegen 9964. 11685. Ge/c/jrr 11539. Gefros U 1251, Gefrose 9600. in ein Gelächter ausschlagen UKeller 108. Gelegenheit spüren 1)493 machen 3341. Gemse 9819. Gemüs U 313. Genie ü 1252. genung: aulzählung ohne rilcksichl auf den reim; gnug fehlt, genug- thun büfseu U Tr. lag 25. gerade fehlt: grade genießen, han- deln ohne Weilers, mir nichts dir nichts U 499. 574. 1022; sagt grad offen, ohne urnschvveif U 1001. geschäftig U 158. Ge- schlecht feldt, wäre als sexus und geniis zu belegen. Ge- schmuck ist collectivum. Gesell Keller; U 869 volksmäfsig; Mephisto 1646. Gesichter machen saueriOptisch dreinsehen U 446. ins Gespräch 'gerede' kommen ü 1050. Getändel 9600. Getön 8767. Gewoge 8490. Gewühl der affecte U 912. Gipfelhaupt Pat. \2d,l^S. Gliederchen S9Q0. Glocken- schlag U 388. gold gehörnt 8939. goldgelockt 9045. goldlockig 9396. Gothisches Zimmer 1 überschrill (und ii 2). Gott wird mit einer zeile abges|)eisll Gottähnlichkeit U 444. gottbe- glückl 8801. gottverhafst U 1422. Gölterausspruch U 1034. Götter- gunst 8844. Grab tod U 1070 Kerker 74. Grad 2581: was da die grade der freimaurerei sollen, wüste ich nicht; von den akademischen ist ausgegangen, gränzunbewu fst 9363 prae- ciser: was keine grenzen kennt, liat. grau gegensalz der lebens- farbe: theorie U 432, schulwissenschalten U 602. graugeboren 8732. Graus 7802 wird richtig als steiugerüll gefasst; anders natürlich Sprenger in einer seiner leidigen unnützen miscelleu Zs. 1. d. phil. 26, 141. iMaskcnzug 1818, 800 Graus und Wüste; Epime- nides 731 Schutt und Graus; Divan vi 157 Aus Erde, Grus, Ge- rill, Geschieben, greifen ergreifen 8512. 9997. greulich vor'm Gesicht U 291. grofs' und kleine Welt: die andere be- deutung 2052 ist übersehen, gro/'s tliun U 1274. 7765. grofs-

300 STREHLKE WÜRTERnUCH ZU GOETHES FAUST

thut'sch Par. 106,3. Grube grab Friedrichs ii Par. 67, 8. grübeln an 9420. Gütigkeit U 928.

Haar der Tauneii war durch lat. 'coinae' zu eiklären; kein Haar ü 1253. haben vom liehesgenuss U 519; icie hast das mit hallst Ü1106; das prael. hält' muste besprochen werden wie thät\ s. die Schreibung U s. 21. Halbchor Par. 11 und Hebnia. Halbioirklichkeit phanlom Par, 63, 86. halten: sich halten, festhalten im sinnlichen dasein behaupten 8906; ehr- furchtsvoll gehaltner Schritt 9190. hält 'behält' nach Goethes aller Vorliebe für das simplex, s. greifen, decken Par. 67, 16. Händedeutung zigeunerische Chiromantie Par. 84, 15. hänf- nen Gewa7id imOQ erst Leinen Par. 92. Häscher UKeller 205. häufeln die gehackte erde um den weinslock 10015. Hang /y««^e des gebirgs 8497. 9551. har7nlos V Tv. tag 17. Haus- frau 8797, Königin und Hausfrau 8804, i)atriarchalisch wie Hans- bewahrer 8858; Hausgenossen gesinde b800; Hausrecht der ge- bielerin 8785. heben praet. hub ü Kerker 9. sich heerden xv2, 117. hehr 8933 (Güttiuger erneuerung). heim geben 8578 aber anheim geben 9269; heimgestellt 8583. heimführende götler 8620. heimsuchen leindlich 9007. Heldenherr warum nicht Helden frau Par. 123,37? Heldenjugend Par. 1732,3. herbannen 8835. herbstlich ü 204. hereintreten zeitlich von festen auch Par. 123, 97. sehr dürftig ist das arlikelchen Herr: es fehlt die höfliche anwendung durch Marlhe und Gretchen, die ironi- sche durch Mephisto, die parodistische auf den Satan Par. 50, der Üuch Herr und Satan UlieWev 184. Herr lichkeit dev weit U22. Herrscherwort SbGS.SQlS. herschiffen^hlA. her- stellende rettende, glücklich zur allen stelle geleitende gülter 8620. unglaublich möchte es erscheinen, dass dem wort, ja der weit Herz ein einziger grammatischer, noch dazu nicht auf- geklärter — beleg gegönnt wird! also kein von Herzen U 207. 910. Helena 9378. 9685; liebesausdruck U 771. herzhaft UKeller 82. herzig \} %A^. Hexenritt 7809. heutzutage ü 172. hie im reim, hielt im Lynceusvers 9325 wird falsch erklärt: hielt für, glaubte, da es doch ganz sinnlich als festhalieu im gegensatze zum hingeben des losen gemeint ist. Himmel ein beleg! Himmelsangesicht ü 1030 kosewort. Himmelsfreud' U 1411. Himmelsgluth U 1150. Himmelsraum WS-iAmo. Him- melsverwandte woi himmlische diener. Himmelsiceite 922b. hin- auflodern UKeller 180. den hintern Theil Par. 50, 96. sich hinüberschlafen U 1323. sich hinwälzen 1} s.S-i. hoch- begünstigt 8845. hochgethürml 8549. zu Hochgewölb ge- hört (las hohe Gewölb U 51 und aus der 1 iilierschrifi hochge- wülht (auch II 2). höchlich adj. 9499. Höhlenräume db9S. Hoffnungslicht 8902. hohl graecisierend im hohlen Schiffe 8535, des (Jichs hohle i\acht 8762, hohlem Schattenreich 8876. hold U 1030. 1123. Honneurs macht Erichtho Par. 99, 11.

STREHLKE WORTERBLCH ZU GOETHES FAUST 301

Hopfenkeim gemiise U 313. horoskopisch Par. 123,243. Hosen Par. 50, 14. Höi'nerblasen 91bl. Hügelkreis 920 o. Hügehand 9S31. Hügehüge lOUOG. Humus l\n\ 123, 157. Ueiii Hund U 23. Hur' 3730. 4412; s. ii. Xioülerkind.

Jdgerhans bei Fraiikliiil 809. Jammerwort 8923. idyllisch 9587. /^e/: S. Uanii 'niclit al)sel)t'ir, \variim Voss so genaniil werde, da er weder unreinlich noch verächtlich ge- wesen sei; auf das borstige, stachlige kommt es an, wie Hebbels meisler Anton sagt ich bin auch nicht als ein borstiger Igel auf die Welt gekommen, imponiren Par. 68, 9. Indisches s.u. Creuzer. incommodiren Par. 125, 14. Incubus: wenn schon weiter ausgeholt wird, muste die grundbcdcutung 'münnlicher bublleurel' erscheinen. Instrumente physikalische U 54. osler- nacht 668. Interlocutio n l*ar. 126. Jud U 696.

Aber ich kann so nicht lortlahren und will aus den ilrei nach verglichenen partien nur noch einzelnes herausgreilen. Kamm der welle Par. 188, 1. Kauen Par. 12 ironisch, vgl. 1777, der i'reitisch gibt eben auch harte Speise, zähes fleisch. Kind mäd- chen, nicht blofs in Fausts reden zu Gretchen, sondern auch Phorkyas zu den choretiden 9585. Kinderspiel U 1316 kleinig- keil U 710. Kindeslieder 9695. Klassisch: wo ist classisch- romantisch'l Klauen des Satans Par. 50, 90, der teuf'el 11672. der launen 10034. klemmen U 58. Par. 121, 4. KOnigs- bande kaum = 'pflichten' sondern verbände. Kopf: den besten Köpfen xv' 344, guten Par. 123, 11; verächtlich U 245; Köpfchen ironisch U 1434. Tr. tag 31 vgl. Keller 139. das Körperliche nach 9902. 9944. Körperlichkeiten gebeinresle Par. 123, 165. Commission U 529 ist richtig, aber nicht scharf genug erklärt, ein so kundiger Fiankt'urter wie FStoltze sagt darüber briellich: 'die stelle enlhält einen allfrankfurtischen ausdruck, der in der 2 hallte des vorigen Jahrhunderts in unserer sladt noch sehr ge- bräuchlich war, für sich eine Untersuchung, eine gerichtliche ab- ordnung zuziehen, unter curatel kommen, man sagte auch: der lädt sich doch noch e commission ullen hals', kräuseln vgl. Wahlverwandtschalien A xiii 145. Kraft fehlt! neben Kränzel fehlt Kränzgen U Kerker 95 und Krön' liiautkrone ebd. 21. Krieger schritt marschchor Par. 179, 18. kriegerzeugt 8776. Kummer fahrt 9392. kurios Pai-. 50, 66.

lahm Schwert st. band 9351, aber 3710. an Leben wären viel mehr composila anzureihen : Lebensfluthen U 149, Lebens- glück U 79, Lebensgluth U 628, Lebensreguny U 60, Lebenstage 8977, Lebenstiefen ü 145. letzt letzthin, jüngst U 1016. licht schweif komet nach 9900. lieb fehlt mit vielen sippen. lieber superlativisch L'6I5. schöne Liebhaberei) als ruf des raritätenkastenmannes, auch auf fliegenden blättern des 18 jhs. UKeller98. Lied fehlt; Liedger U Kerker 28. Loch des Satans Par. 50, 103, der hexe 4138. 4143.

302 STREHLKE WÖItTEl'.UUCII ZU GOKTUES FAUST

Mägdlein fehlt, sich machen in gellen U Keller 185; es macht warm 'il fait cliaud' [J 606. M aul populär U 681 im zank 8823. sich melden zeigen 9202. Menelas ist sicher keine dem Französischen entlehnte lorm, da Goethe sie braucht, wo er am stärksten graecisiert. das so wichtige wori j)/ensc/(/ie jf hat nur einen beleg, als collectivum ; s. u. nicht sowol Menschlein als chemisch M. ist 'überselzung von Ilomunculus', s. auch Par. 123, 77. 95. 106. 120; analog chemisch Weiblein Par. 123, 104. 160. messen: imp. mefs UKeller 1061' DjG. ii 242. noch ein Moment U Keller 178.

Nachkömmling Par. 70. Name fehlt, man stelle aber gegenüber ü 1 149 Nähme Schall und Rauch und 99S1 Wer keinen Namen sich erwarb, vgl. 9984 Person (vgl. auch Euphrosyne). Narr erscheint nur für holnarr ohne jedes beispiel aus dem 1 teil, nachtnächtlich UKeller 56 wie tagtäglich. Natur fehlt! die würckende N. U 88 natura naturans. auch Nerv, für die geniesprache so wichtig, ist weggelassen. Netzwand des Vogelstellers Par. 102,3. nieder bleichen durch glänz aus- stechen 9312. noch ziemlich wohlgebaut ü 413 wäre zu er- klären, das noch steht wohl pleonastisch neben z. nützen und nutzen braucht Goethe promiscue.

ohngefähr ist nicht von mir, sondern in C mit ungefähr vertauscht worden. Silenns Öhr ig Thier vgl. Deutscher Paruass 172 Silens abscheulich Thier. ordnen anordnen, befehlen 8580; nach der Ordnung formelhaft 8541.8555.8569.

Bei Pappelstrom wird wider einmal eine lanze für Riemer gebrochen, weil seine willkürliche änderung eines kühnen aus- drucks 'einfacher' sei. Perlenschnüren 3073 soll nach S. Irähnen bedeuten und das rote schnürclien 4204 ebenso, petzen: Klinger schreibt pfetzen, s. DWb. und Theater iv 254. Pfeilschnelle Par. 123, 110; pfeilschnell ebd. 142. pipsen, vielmehr piepsen. P/raf Par. 163, 5; Piratenschweifen ?ar. ibi, 1. Plastronl\db die ganze schwierige stelle bleibt, wenn man sieh alle worte zu- sammengesucht hat, unerklärt; eine altislin, die in Weimar diese Sphinxsätze singen niuste, gab mir zu, dafs sie keine silbe ver- stehe. Plural 10175. Par. 123, 141. Posituren Par. 194,5. Präsentationen \or sdil&n Par. 48. P/o/'essor heifst Wagner Par. 123, 75. P/rop/" penis 4142. Pra/'s: man will doch nicht blofs eifahren , was das wort 'eigentlich', sondern was es hier bedeute, nändich eine wüste masse. Protektorschaft Par. 165,2. Psyche geflügelt, nicht nach antiker, sondern nach Pisaner und anderer christlicher kunst. Pult: am PjJ^en Urfausi^ s. lxxiv. aus Einem Punkte U 420, wo Loeper allzu sittiglich erklärt: 'auf dem weg zum herzen', statt tiefer zu zielen (Soller DjG. i 183 Schlägts nicht am Herzen an, so sieht das Frauenzimmer Gern, dafs man sonst kurirt).

^ Quast m.' warum? 9619 Quasten schwanken.

STREHLKE VVÜRTERBUCH ZU GOETHES FAUST 303

Rächer U Tr. tag 44 vgl. Lessings F'aiist Rache des Rächers. Ränzlein bauch U Keller 28. schöne Rarität U Keller 98 wie Liebhaberei/, rauchwarm vom pelz, dem raucluverk; zur l'orm s. auch DjG. n 355 rauchen Uävptern uud Circe xn 420. reyelhaf t 9022. Reh bildlich von mädclieu 8850. 9768. ans dem, ansm Reich den reichslanden, reicbssUidlen U Keller 80. 135. rein- lich in höherem als dem landläufigen gebrauch, daher Vischer sehr mit unrecht die reinlichen Cellen bewitzelt; ü s. 35, vgl. 538.557. reinmelodisch: die erkläruug stimmt nicht, vgl. XV 239. Reuse Par. 102, 4. Richte ist nicht der weg über die schwelle, sondern die gerade kante. Ruhebett grab U 782. Kerker 7G. rufen c. dat. auch U Kerker 33 1. Rummel 'nach Sanders bezeichnung eines gegenständes mit allem im besondern zu ihm gehörigen', womit denn freilich die burschikose Wendung im Keller schönstens erklärt ist. Rnnda 'rundgesang'; s. die lit- teraturangaben bei Schnorr 9, 96.

sagen sie dicitur 9102. Samen ü 31 alle Würckungskrafi und Samen, ein ausdruck der akhemie; so wusle Goethe von Kirchers I*ansptrmia rerum schon durch die anonyme (von FJVVSchröder zusammengestöppelte) INeue alchymistische biblio- thek, die er besafs. den ersten band kenne ich nicht, der zweite (1774) bietet nichts näheres zum Faust, aber Samen zb. i s. 68 und n^ 54 ft" 5a»je«sATfl//. Sandwirbel Pav. 125,19. fünfhun- dert Sau en ü Keller 180, vgl. sa«ico/i/ Urfausl^ s. xlv. Satyroma hsl. bezeichnung der Helenadicbtung, sonst nirgend belegt; warum? weil sie nicht rein classisch-hcroisch ist? wegen dt^s bacchanali- schen Schlusses? 5cAa/n cunnus Par. 50, 168. s c ha ff en heihei- schalTen U 471. 666. Kerker 56. Schattenreich Ürcus 8876. die Schau aoblick 9293. Schalk: Dieben und Schälken 9963. Schatz: alle stellen über den königlichen haussebalz im lleleuaact fehlen und die composita wie Schatzgemach 8686. schaudern, Schauer ist allzu dürftig belegt, scheifsen I*ar. 50, 117, Scheifs- haus U 302 fehlt wider aus leidiger priideiie. Scherzgeschrei 9601 neben Lustgejauchze. Schil fgeflüster 1'149. 9b\S. Par. 125, 11, vgl. Weidenge ßiisler l*ar. 124, 11. Schleicher auch intrigant, ränkeschmied 9488. Schlufs 8934 lebensen<Ie ohne weiteren beisatz wie U 778. Schmeichelton 9687. Schmuck der wiese, die prangende wiese 8545. Schnellkraft 9609, hier eigentlich von dem elastisch emporschnellenden boden gesagt. schnurren vom vogelflug Par. 123, 142. Schönheitsfreund name des Apoll 8695; Schönheitliebend 8748. Schopf: es fafst mich kalt beim Schöpfe 4567. Schoos cunnus Par. 50, 25; Wun- derschoos der nacht 8666, Seh. der alten Nacht 8649, der bürg, inneres 9336. schrecken lehlt mit der alleren nebenform schocken. Schreckenshand 8648. Schreckbild ShiO. Schreckgestalt hhdb. Schul er arbeit Par. 18. schülerhaft Par. 158, 6. schwadro- nieren wird ohne erklärung verzeichnet; neben der bedeulung

304 STREHLKE WÖRTERBUCH ZU tiOETUES FAUST

'ins gelag hinein reflen' kennt Goellie auch die sinnhche des vagicrens: Crnganlino schwadronirt im Lande herum DjG iii 547. Schwanz penis Par. 50, 43. 47. schwänzen ums geld prellen, Giefsener studenlenwort Urfausl^ s. xlii. Schwärmerian nach analogie von dunimrian, lildrian. schwarzborstig, l'aun 9397. schioenken, die krüge Us. 73; im tanz 10032. Schwimm- füfseV-M: 123,142. schtoürig Pat. lOi, i\. Sclavenschritt Par. 8. SeckelülSS. Seedurchstreicher \V\ri\l hSbG. Seele wird mit unklaren worten ilher die zwei Seelen 1112 abgetan und eine fülle von compositis wie Seelenkraft Seelenlieh' Seelen- flehn ignoriert, viel könnte zu sein gesagt uud ergänzt werden; L 894 da wärt ihr's uun . . . Selbstbehagen Par. 123, 188. selbstverirrt 8833. Seltsamkeiteyi Par. 63,110. Servi- bilis 4215 Böttiger? Siebensachen 2031 ist dort in Mephistos diaholisch-cynischer anleitung zurmedicin keine 'bescheidene' Um- schreibung der weiblichen reize, simpel Par. 61. Sinn müste wie Geist einen grofsen artikel ergehen statt der jjaar register- haften Zeilen, das höchste Sinnen ideal 9927. Sippschaft familie, verächtlich 8815. so: so Paris wie Helenen Par. 118. Societät II Keller 56 (Wallensteins lager). solch fehlt, sehr mit unrecht: solches dies 8724, solchen Knecht diesen 9194, solche Göttin 9237. Sohn: die (Loepersche) bemerkung, der reim floh : Sohn sei rein, weil man in Frankfurt Soh spreche, wird von S. zweimal ge- bracht, ist aber nicht ganz richtig, da es sich um einen nasal- laut handelt. Sonnenblick Par. 108. Sonnenlag Par. 178,4. sorgenlo s Sb\0- Spaiiien U Keller 88, spanische Stiefel U dAA. was heilst es ist gespielt 9347? verspielt? spinnen: sich zum Mährchen spatin 8515; icelche M. spinnst du ab 9595. Sprech- art 9372. Spring fluth Par. 123, 187. Stammbuch H 4'd9. Stich: es gibt einen ü 11(36, nicht halten, nicht aulkonmieu können Par. 122. S tief Stiefbruder: die Verdoppelung hat natürlich nichts mit Helenas 'zahlreichen jiebesverhältnissen' zu tun, son- dern soll die weitläufige ferne verwautschall zwischen dem alten und dem neuen Euphorion bezeichnen, vgl. Ururenkelin. es stinkt es ist faul U 1240. Storcher wird Faust im Keller genannt, wie man ihn später Besenstiel schimpft, wegen seiner Schlankheit, nicht wegen des 'Wandertriebes des Storches', auf den doch auch das verh herumstorchen nicht zielt, streichen fehlt, ü 426. Stutz- bart U Keller 19. 5?«/*/ beichtstuhl U 475. sü/'s für die liebes- sprache des 1 teils nicht belegt: das süfse junge Blut, süfs Lieb- chen, süfse Liebespein usw.

Tact der musik 4294.9697. Tag: das häufige mein Tage fehlt hier, steht unter mein, wo es niemand sucht; die Tage der Welt U 466; unter dem himmlischen Tage licht U 1155; Tag und Heil leben, licht 8958. tappen tastend greifen L' 425, trunken laumein 10036. Taschenspiegel Vdr.Qd, AS. t a u b e Schmerzen U12S2. Teppich tischluch U 557; 8943. 9169. 9343. den Teufel

STREHLKE WÜRTERDüCH Zu GOETHES FAUST 305

haben U Keller 171. Thalgebirg 8994 {GebirgsthalS^99). Thier schimpfworl U 105G. Thierheü 9ii03. thOrig U GIO. Par. 179.2. 9601. Thrünenlnst 9690. Thürbank U 1257. Thurn- wärter zu 9219. Tisch mittagstisch U 306. 311. tönen Irans. 9101. top zu sclieiden: anklingen der becher, welle. Trage- butte 10026. Tragaltar tragbarer 8939. Triumph siegesjubel 333. T. des Plutus irionlo, autzug Par. 102, 8. triumphiren Par. 68, 18. traut fehlt und isl doch ersl in der geniezeit wider poelisch aufgelebt, U 1384; ironisch von Empusa 7737. trippeln 9115. wie die dämonische TrOdelhexe 4096 die 'Sammelwut' verspotten soll, ist unbegreiflich. 'Tropfenei u., 9310, metapher für den smaragd', der doch nicht ans Meeres- grund kommt und auch keine eiform hat; natürlich: perle (vgl. übrigens zu der ganzen stelle Divan vi 55. 157). Tumult 10037. tumultuarisch Par. 100, 10. 123,63. Tutti Par. 11.

überflüssig 12048 wird zu kurz abgetan, wo es für Goethes aller zu beobachten gilt, wie abgenutzte worte wider in ihrer Sinn- lichkeit aufquellen. Überhang der felsen 9621. sich des Vor- zugs überheben Par. 79. mich Überlauf t' s U 1036 (woraut Faust sagt 0 schaudre nicht; vgl. Mir läuft ein Schauer am ganzen Leib 609) fehlt; von Pniower Goelhe-jahrbuch 13, 184 für eine combination mit dem Hohenlied herangezogen , während Goethe doch umgekehrt einen ausdruck seiner dichlersprache in die Über- setzung frei eingetragen hat. überlebendig dämonisch un- bändig 9739. Übermuth 'ohne tadelnde nebeubedeulung', so auch übermüthig 9410; vgl. Dichten ist ein Übermuth Divan vi 24. üb er schnappen U Tr. tag 31. überspähen 9201. Umhang baldachin 9170. umnebeln fehlt U Tr. tag 63. umsichtig ersalzworl für hsl. umschauend Par. l73^ 5. umthürmt 8S6b. umwerben 8S53. umwimmeln 9429. und fehlt: polysyndeton, asyndelon; oft lässig iu Ü uud dann beseitigt; als aufang; im Helenaacl gern durch lüie, auch vertreten, zb. 8573 wo ursprüng- lich und stand; 8956 Entschlossenheit ist nöthig und die behendeste: und zwar, unerfreulich ist nie stärker verwandt als 9119. unerschöpft inexhaustus unerschöpflich 8869 lateinisch, Klop- stockisch vgl. Par. 135 unerstiegne Bahnen, U 58 unerklärter Schmerz. Urbeginn 8650. Ursibylle \v- 190. Urväter- hausrath vgl. Urvater- Schreibzeug Wanderjahre C xxi 157. ur- väterlich 9635.

Vasall des Satans Par. 50, 109. Välersaal U 625 (Slolberg). Vaterkraft 9555. Verein feierlich 9710. 9736 {Kingverein 11927). V er glommen '^^Ih. verirren: lange verirrt \}'\i'.U^1\ sie ver- irrt delirat UKerker 24. verrückt noch sinnlich U 1074 Kerker 63, wie man früher sagte 'im köpf verruckt' vgl. U 663 Hat sich dir was im Kopf vei schoben; schon verrückt sicli's 10052. verschaffen absolut Par. 50, 26. verwandt s. o. Himmels- verwandte; 9826 Erde- wie seeverwandt, in beiden gleich zu hause. A. F. D. A. XX. - 2u

306 STREHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUST

vielbeliebt Par. 40. vielgestaltet 8650. vielverworren 9964. Vogelfang apparat 8929. Vogelsdnge 10001. Volkeswogen des heers 9426. Satan lehret die Völker, parodisliscli-bildisch Par. 50, 15. vor st. für liäiifig U. vorgebildet pliantasiuagorisch dargestellt Par. 123, 277. im artikel vorfühlen wird wie nur zu oft ein ganz anderer beleg als 'etwas verschieden, aber doch verwaut' beigebraclit, Vortrag stilvoller bericht 8971 ; recitalions- kunst U 1931". Vorwelt die frühereu geschlechler ü 547.

wachsen aufwachsen 8500 Par. 173, 1 (die 2 fassung ändert gewachsen in erwachsen), wacker fehlt, 828 ö 532. Wähle- rinnen wählerisch neben Kennerinnen 9394. wässern 10007. wahrlich: U warrlich nach hsl. lang fortdauerndem jugeud- braucli, s. von der Hellen, Physiognomik s. 35. Waldesnacht Par. 32. Waldgebüsch 9812. W ahner scheimmg phantom Par. 99, 2. wandeln c. dat. anwandeln U 1021. im vers 2184 Was hinkt der Kerl auf einem Fufs? wird gegen die ganze Goethische Überlieferung ein fragezeichen nach Was mit Loeper als 'für den sinn sehr zweckmäfsig' eingefügt; warum nicht auch Par. 161, 1 icas hüllst ... was drängst? Wasser ström 11911. Wassersturz ü 1416. weben sehr dürftig; übrigens scheint nach der Seuffert-Freseniusscheu entdeckung über die bedeutung des Wiener druckes B' 503 Webe beizubehalten, wechselnd wechsels- weise 9622. lFec/jse//"aÄri abenteuerhche Irrfahrt 8791. xoeg- geschmolzen überwältigt von liebesglut U 580. wehren absolut Margr. wehrend ü s. 84, abwehrend s. 85. weiden-, sich satt w. U 523, sich weiden an UTr. tag 39, unter Rosen weidet 3337. weid- lich auch U 298. der Weise 442 Swedenborg, Urfausl^ s. xxxviii; Priester, Weise theologen und philosopheu Ü 1120. weislich adj. Par. 161. weitumsichtig 8964. welch für den unbe- stimmten artikel 8676 wo früher ein stand. Wellenspiegel 10010. Welt, 6in beleg! auch die composita sind spärlich ver- treten; zh. fehlt Weltenräume 9594, Weltkalender Par. 123, 82. Wickel 9648. sich widmen sich zu eigen geben Par. 165, 121. 84, 20 (mit der älteren Schreibung iviedmet); die treue Widmung 9359. wesen 'auch sonst von Goethe gebraucht', eine beliebte vage Wendung S. s (weseten DuW xxix 135, 3). Wesen fehlt, sie hat ein Wesen . . LI 765; am guten Wesen rechten zustand, wege U 276. Wetter und Tod fluch U Keller 15. springe wieder- holt und nach belieben so oft und wie du willst 9607. loiderlich s. ürfaust^ s. xxxix (Teichmann s.248f); ekelhaft 10029. wider- wärtig nicht blofs 'widerstrebend'; 10780. loie sobald 1710, als 11531. wirken{iDürcken) h\\\i\ Wirksanikeiten9ö92. wohl- denkendPar. 123,238. Wolfesgrimm 8SS9. Wolkenkranz vom wallenden throiihimmel 9193. Wolkenzug 4395 pl. Par. 165,4. wollen fehlt; hilfsverb U Keller 37. S79; der grofsartige beleg Allein ich will 1785; erlauben 6791. Wonnegraus Ü561. wonne- üo// 9568. Wort abschätzig zb. U32 und in der schUlersceue; vgl.

STREHLKE WÜRTERBL'CH ZU GOETHES FAUST 307

Voltaire Les deiix siecles (1771 gedruckt; das gleiclizeitige ge- dieht Lessystemes wüste Goethe noch 1830 auswendig, s. Eckermanu 30 Jan.; Bernays) Si votis ne peusez pas, creez de nouveaux mots. wühlen von» all'ect fehlt! das Wunder Fhorkyas Sü87, inhd. Hel- deubuch Das meerwuiider, Satyrosl51 des Wunders Braut. Wunder- gestah S716. wnndernswürdiy 9183. wundervoll wunder-zauher- kuudig Par. 63,39. würdigen U Tr. tag. 37 daigner, geruhen. Wurm erbärmlicher mensch ü 196; Schimpfwort U Tr. tag 15; kiud U Kerker 82 Würmchen U983. Würzen: was ist das eigent- lich für ein localw itz mit der fähre bei Würzen ? ein unsauberes reimspiel beim holüber-rufen?

zappeln auch U Kerker 82. 8929. Zauberfluss der rede ü 1091. Zaubergränze zauberkreis Par. 63, 10<I (Linie 63,90) 63,85. Zeche ist einfach rechnung. zehenjährig 8850. Ze\ig verächtlich U 246. Zier volksmälsig U 1388. Zinken: Trompeten und Z. nach 9441; Posannenzinkentöne Par. 178, 33. Zo// Par. 150.9684. Zufallswörtchen U 1395. Ziig des Vor- trags 8971. yaften die Choretiden 8956. swrasse^n ü s. 89. zurückblinken Irans. 9117. zusammenschmeißen vgl. Gott- fried DjG II 1 19 xcir wollen sie z. s. schlagt ihn zusammen U Keller 188. zusammenstürzen U 161. zwingen die herzen U 184. Zwinger lehlt. Zwischenspiel (Helena) fehlt, den schluss hält S. recht züchtig (züchtig fehlt übrigens, U 844), indem er zu Zwitterkind bemerkt 'ursprünglich war ein noch mehr drastischer ausdruck gewählt': dieser 'noch mehr drastische' oder drastischere ist Hurenkind.

Zwischen den kleinen einzelbelegen stehn zahlreiche zu- sammenfassende artikel wie 'auslassung des artikels, pronomens, hilfsverbs' 'genitiv' 'dativ' 'adverb' 'gallicismen' 'hendiadys' 'doppe- lung' 'Superlativ' 'reflexiva' 'particip' 'Wortstellung' 'Zusammen- setzungen' 'abstracta' 'Stabreim' 'geflügelte worle' usw.. teils reich an brauchbaren listen und von verständigen worten begleitet, teils auf zufällige und dürftige beobachtungen beschränkt, un- historisch , verworren, was über die metrik vorgebracht wird, ist ganz äufserlich, da kein wort über den unterschied zwischen den knittelversen des 1 und den dimetern des 2 teiles lallt, die entwicklung des Helena -trimeters nicht einmal berührt, die in den hss. so interessant aultretenden trochäischen halbverse eben- sowenig erwähnt werden, bei den compositis darf doch nicht blofs hauptwort und Zeitwort, zwei- und dreiteilige Zusammen- setzung ins äuge gelasst werden, sondern, abgesehen von der empfindlichen uuvollständigkeit, müste die antikisierende weise im 2, namentlich aber im 3 acte durchobserviert werden, immer auf dem grund der hss., die dafür so ergebnisreich sind, auch das cap. 'Wortstellung' kann ohne den gesichtspunct des antiki- sierenden periodenbaus und sorgsame Scheidungen zwischen jugend- und altersstil nur äufserlich und unzulänglich geraten, dass unter

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308 STREHLKE wORTERBLCH ZU GOETHES FAUST

alleine adjecliv- uml adverbialfoinien durcheiaandergeworfen wer- deu, sei als ein zeichen ungenügender grammatisclier l)eliandhing l'ür viele erwähnt, arlikel wie 'mundartliches' 'vulgäres' fehlen: auch da waren die beiden teile scharf zu scheiden, der Ijestand U insgesamt zu mustern, die frage, wie weit sich .Mephistos Sprach- schatz von dem des Faust auch in bezug auf fremdwürter unterscheide, aufzuwerfen, im Helenaact widerum die antike herbei- zurufen, zb. die mischung des erhabensten mit einer dosis des niedrigen bei Aischylos. ich meine worte wie baumeln, zappeln, Verbindungen wie fledermansgleich zu piepsen ... interjectionen, so wichtig und characteristisch, werden weder einzeln aufgeführt noch summarisch: ach, ah, eh, he, pah . . .

In besonnener weise hat S. s. v. Erdgeist, Homunculus usw. eingehend und ausführlich ältere auffassungeu gemustert, eigenes beigesteuert, wenn es auch unmöglich ist, so ein magisch-chemi- sches product wie den Homunculus auf eine forme! zu bringen, gar zu äufserlich ist zb. der artikel Chor, worin nicht einmal Panthalis (der name noch nicht ISOO) und die choretiden ihrem wesen nach gelrennt werden und sich wider die geringe berUck- sichtigung der Varianten empdndlich rächt, alle uamen wariun fehlt der in einer ersten lesart (5137) so kühn anachronistisch oerühmie Humboldt'! erhalten besondere erläuterungen; leider ohne dass im mythisch-heroischen bereich wo möglich auf Goethes eigene quellen, seien es dichlwerke, seien es moderne hilfs- mitlel und forschungen zurückgegangen würde, aber da die lösung dieser aufgäbe noch in den anfangen steckt, wäre es unbillig, bliesen Vorwurf anders als wunschweis auszusprechen und über manche solide, gute bemerkung des in antiker litteratur wolbe- schlagenen forschers hochmütig hinwegzusehen. S. nennt seine gewährsmänner und Vorgänger zwar nicht, hat aber fast überall mit eigenem äuge nachgesehen und nicht, wie oft geschieht, aus zwei commentaren einen dritten gebraut.

Im ganzen darf doch ohne unbilligkeit behauptet werden, dass dies Wörterbuch weder die fülle überblicken noch im ein- zelnen die formen und wechselreichen bedeulungen durchdringen lässt, dass die Sprachschätze des 'apfiarates' noch ungehoben liegen, dass die stilwellen Goethes durcheinanderwogen und das Verhält- nis zu den Vordermännern im 18 Jh., zu den romantischen Zeit- genossen, zu den als classisch verehrten Griechen und die Stellung des Faust innerhalb der ganzen Goethischen poesie nicht zu läge tritt, dass gerade die wichtigsten begriffe des jugendlichen geuie- wesens kaum gestreift werden, ich habe den eindruck, das würk- lich fördernde unsers buches hätte in einem gröfseren aufsatz, etwa einer anzeige der Weimarischen ausgäbe, räum finden und der vf., dem wir von alters her dank schulden, diesen dank da- mit nur erhöhen können.

STREHLKE AVÖKTERBUCH ZU GOETHES FAL'ST 309

Man gestalte einen kleinen, diesen Tragen nicht Iremden epilog. Kugel hat die l'ornien alle edle Qualitäten, den scliwaclien acc. dat. sing, eine finstre J ammereckeyi (sowie der Menschheit Kronen), einer angesteckten Leichen, und den niitteldentsclien jtlnral Jungens kurz als Zeugnisse jugendlichen Ursprungs der hetrellVnden par- tien, also des dialogs nach der 'grofsen lilcke' und der letzten Valenlinrede, angesprochen, aber der starke plural des ad- jeclivs nach dem hestimnilen artikel, dem possessiv- oder demonstrativ- oder interrogativpronomen, nach alle usw. zieht sich trotz älteren sprachmeistern, die ihn schon verpünen, und ohwol zb. Schlegel (Bücking x 406) die schwere Pfunde als fehler anstreicht, bei Goethe durch viele Jahrzehnte fort, in den drucken allmählich, doch nicht ganz, schwindend, in seinen handschriften geläufig, ich will eine stattliche schaar aus den ausgaben mit den \Veimarischen siglen vorliihren, wobei nominativ und accu- sativ keinen unterschied machen. S: Tiiumj)!! der Empfindsam- keil IV 146 ihr sterbliche Mädchen, 156 die rauhe Wohnungen, 158 unsre Elysische Bäume, 193 meine schöne Kinder, deine leinene Gedärme, Vögel iv 243 meine lieblichen, allerliebsten . . . umkränzende Sängerinnen; Egmont v 19 diese schreckliche Begeben- heiten, 22 jede andere Mittel, 24 die hergelaufne, ungewisse, sich selbst leidersprechende Neuerungen; Claudine v 315 alle bange Qua- len; Tasso VI 73 diese stumme Zeugen; Lila vi 2S9 alle diese lange Stunden (die starke llexion nach all diese verschwindet in A); viii 170 durch die älteste, klügste seiner Faunen, die massen- haften heispiele aus briefen lasse ich bei seile. N: Gross- kophta I 7. 37 seine vierzehntägige Fasten, SO alle fremde, alle leichtfertige Gedanken, 177 loelche entsetzliche Vermuthungen, 215. 217 meiyie Gefangene, 230 meine Verwandte; WMeisters Lehr- jahre in 151 alle kleine Umstände, 214 alle ei'duldete Schmerzen, 294 alle muntere Farben, 349 alle verwandte Empfindungen (aber VI 91 alle immer wiederkehrenden, unentbehrlichen Bedürfnisse und Venez. Epigr. vii 343 alle vernünftgen Discurse), iv 338 unsre pedantische Raisonnements (ebd. einiger berühmten Leute), \ 238 alle diese mehr ah gewöhnliche Höflichkeiten, 269 alle solche vor- hergehende Meynungen, 349 seine gerechte Thränen. A (die abnalmie ist zb. in den Wahlverwandtschaften sehr deutlich): Biirgergeneral ix 269 alle grofse Männer; Carneval xii 128 keine abgesonderte und für sich selbst bestehende zierliche Tanzschritte; IJnlerh. xii 159 alle ausgezeichnete Personen, 326 alle gegenwärtige Personen; \Vahlverwanlschalten xni 306 vereinzelt alle sogenannte Sommergewächse. B: Pandora xi 332 über alle frische Fluren; Dichtung und Wahrheil xvii 342 alle . . . verwickelte (104 alle gehässigen Neigungen), xix 21 alle hypochondrische abergläubische Satiren, 43 alle auffallende Mängel, 61 alle versteinte Muscheln, 117 alle junge Dichter, 222 alle hypochondrische Fratzen, (42 alle öffentlichen Religionen, 311 alle früheren Warnungen; 131 vieler

310 STREIILKE «ÜRTERBIC» ZU GOETHES FAUST

verderblichen iMissbi-äuche); Diderot, Propyläen xx 23H diese . . . ent- wickelte Naturen, 249 keine aufgedunsene Blasen und keine ausge- stopften Wollsucke, 277 alle grofse Künstler, 292 alle theatralische Darstellungen, 3S4 diese bezaubernde Hieroglyphen. €': Waiider- jahre xxi 104 alle zerstreuten Angehörigen, 187 alle jungen Männer, 217 alle hochgebildeten Länder usw., aber 135 alle Bergquellen, Felsufer, eingezwängte, freigelassene Flüsse, und im alten sprucli hleibt alle schöne Sünderinnen, in neuen steht keine Faule oder keine verfallene Schlösser, das genüge, ohne vveilre umschau unter Goethes Zeitgenossen, der gebrauch schwankt auch bei neuereu Schriftstellern: Heine als revisor liisst Iinmermanns alle glühnde Excellenzen unangefochten (Elster vii 276), Hebbel bietet noch dei- gleichen, GPfizer schreibt 1841 in seiner Bulwerüberselzungxviii 5S alle junge Frauenzimmer, 131 alle gute Damen.

Zw Jammerecken (^fronen halte ich für einen druckfehler, wie B xviii 309 Ursprung der Sprachen): abgesehen von dem genitiv und dativ sing. Fragten, den Goethe bis in die Wander- jahre und den Helenaacl braucht, bietet sich zb. m der Mitten, in unserer Mitten (B vni 474), So ist denn Tieck aus unsrer Mitten, Nepomuck auf der Brücken, Hoheslied (Loeper s. 139) aus der Wüsten, Legende In der Wüsten ein heiliger Mann und Legende 1797, 6 auf der Strafseti (16 was für war, 52 Gaurn, 63 acht't), wie denn das gedieht Celebrität im altersstil einsetzt, aber in jugendsprache übergeht, um beinah gleich der invec- tive gegen Nicolai auszuklingen, und wie der greise dichter be- kanntlich viele Sprüche derb mundartlich gefasst und im kuittel- vers viele verschollene töne neu geweckt, veraltete formen widerum gebraucht iiat (Drohende zeichen 14 Sie thät schon seit acht Tag nicht zanken; Kein vergleich 9 Kein Christenmensche hört ihm zw, Ist denn der Kerl bei Sinnen?), man vergleiche nur die spräche in Walleusteins lager mit dem iambenslil der zehn acte!

Zu Jungens, was Mephisto spüttisch-lässig sagt: allerdings gewährt Der junge Goethe die reichsten belege ii 72 Bräutigams, 73 trutz ein vierzig Landfriedens, 128 arme Jungens und brave Kerls, 386 Blättgens, 387 Püppgens, ni 275 (i 343) Bubens aber auch Das neueste aus Plundersweilern bietet 221 Die kleinen Jungens in der Pfützen, und 1804 in dem kräftigen spruch vom Johannisfeuer (C^ xxxi 179) heUsl es Besen werden immer stumpf gekehrt Und Jungens immer geboren. wie weit zieht sich überhaupt vieles dialectische und archaistische bei Goethe : würken noch in N iv 102 und v 348 und handschriftlich gleich Gebürg, Retiter bis ans ende, wie er rucken drucken bis zu C im texte stehn lässt oder verdriefslich erst in B, doch nicht völlig (xix 20), über verdrüfslich siegt oder verguldet sich auch in C* XXX 136 erhält, noch in N iir 103 und ß xvni 85 slöfst man, immer von den hss. abgesehen, auf das veraltete vor denen Liebhabern und zu denen mir bekannten, geschähe und sähe

STREHLKE WÖRTERBUCH ZU GOETHES FAUST 311

in den Bekenntnissen einer scliüneo seele (N v 308. 354) wird kaum aus einer Klettenbergischen vorläge stammen, da sähe auch VI 249 steht, stickt Palaeophron A ix 412. auch ein übermafs synkopierter und apokopierter formen darf niclit ohne weiters der Jugend zugeteilt werden, denn ein und derselbe Ipliigenien- vers (S ni 112) bietet ßnd't g'nng Gnad' . . .

Für dieselbe filllung der Mücke' bat Pniower die worte Mensch- heit und quellen als jugendlich ausgespielt; sehr mit unrecht, denn in den Lehrjaliren N iv 40 heilst es das Herz quoll auf, in der Eugenie A vi 278 Freude die, reich aus LebensfiUle, dir ent- quillt und 361 aus dem Herzen quillt, im gedieht Feindseliger blick 15 von Aug' zu Äuge quillet usw., und das wort Mensch- heit sowol im sinne des menschseins, der humanitas, als im collectiven sinne des genus humanuni ist, von Herder, Schiller und anderen abgesehen, Goethen allzeit mundgerecht (vgl. auch RHildebrand Aufsätze s. 146). er lässt es nicht, wie er ja zu Volk ein analoges Volkheit bildet und im Helenaacl das conlrast- wort Tliierheit 9603. ein paar belege: Egmont S v 164 loo wir die Menschheit ganz nnd menschliche Begier in allen Adern fühlen; Lehrjahre N' in 71 mit allen Banden der Menschheit an sie ge- knüpft; III 263 gute edle der Menschheit loürdige Gefühle', iv 133 alle Vorgefühle die ich jemals über Menschheit und ihre Schicksale gehabt; vi 410 wer alles und jedes in seiner ganzen Menschheil thun und geniefsen will; Dichtung und Wahrheit B xvni 278 dafs die Menschheit zusammen erst der icahre Mensch ist; xix 28 der denkende Kenner der Menschheit; xix 2601 Idee . . die er [LavaterJ von der Menschheit und den Menschen hegte .... der Begriff von der Menschheit, der sich in ihm und an seiner Menschheit heran- gebildet hatte, wo beide bedeutungen zusammentreffen; 265 fühlt er in sich einen herrlichen Begriff von der Menschheit; Annalen C XXXI 4 inzwischen geschehen kühnere Griffe in die liefere Mensch- heit (Faust wird genannt); VVanderjahre C xxi 121 xcohin die Menschheit gelangen kann; xxii 15 das Verhältnifs zu Seinesgleichen und also zur ganzeii Menschheit; xxii 15 ein Letztes xcozu die Menschheit gelangen konnte; xxii 149 wir müssen . . zugleich die ganze Menschheil mitnehmen; xxn 240 wird 'g^nie de l'humanit^' ilbersetzl mit Genie der Menschheit.

Berlin, märz 1894. Erich Schmidt.

Briefe und tagebücher Georg Forsters von seiner reise am Niederrhein, in England und Frankreich im frühjahr 1790, herausgegeben von Albert Leitzmann. Halle a.S., MXiemeyer, 1893. xi u. 309 ss. gr.S". 6 m,

Mit einem nur allzu grofsen eifer veröffentlicht Leitzmann seit längerer zeit reliquien Forsters. man fühlt sich an die tage der Ludmilla Assing erinnert, wenn man wichtige und unwich- tige briefe in unerschöpflicher fülle ohne jeden versuch kritischer

312 LEITZMANN FORSTERS BRIEFE L'ND TAGEBÜCHER

Sichtung, wissenschaftlicher bearbeilung, eindringender erläute- ruug verstaubten kisien entquellen sieht, die vorliegende Samm- lung ist schlimmer als ihre Vorgänger in Ilerrigs Archiv, dort war wenigstens alles neu. hier erhalten wir alles noch einmal, was in Forsters berühmtestem werke steht, und müssen uns nicht nur das wichtigere, sondern auch das neue mühsam heraussuchen, für den litterarhistoriker hätte es vollauf genügt, wenn L. das gegeben hätte, was in den 'Ansichten vom Niederrhein' fehlt, für den philologen mochte auch die entstehung eines in seiner art classischen werkes Interesse genug haben, um den abdruck des ganzen materials zu rechtfertigen ; dann aber durfte man von dem herausgeber verlangen, dass er über das Verhältnis dieser materialien zu dem buch uns auch unterrichte, mit der beque- men Wendung, das liege aufserhalb des rahmens seiner veröllent- lichung, lehnt L. das ab. so wenig wie Geiger (Nation 10, S04) kann ich diese antwort gelten lassen; wer hiefs denn den her- ausgeber seinen rahmen so eng schneiden , dass köpf und füfse des bildes heraushängen? er kann Forster bei der entstehung eines buches, das zu dem dauernden schätze deutscher prosa ge- hört, schritt für schritt begleiten und er zieht es vor, nur copist und corrector zu sein, nicht jedermann wird diese an- spruchslosigkeit zu rühmen wissen, dazu eine einleitung, die in ein paar trockenen angaben und einem halben dutzend adjectivis Forster zu characterisieren versucht, ohne auf seine litterarische Stellung nur mit einem wort einzugehn, ohne zu seinem bild 6inen neuen zug zu liefern, und endlich unter der Überschrift 'erläuterungen' alphabetisch geordnete personalnotizen aus dem conversationslexicon dies ist die art, mit der L. die schuld, die wir Deutsche allerdings an Forster zu sühnen haben, gut zu machen sucht! mir ist selten eine verönentiichung begegnet, die einen so völligen mangel an schriftstellerischem und wissen- schaftlichem ehrgeiz und eine so rücksichtslose Vernachlässigung der Interessen des lesenden publicums bezeugte, und dies ge- rade bei einem autor, dessen Sorgfalt für die form und dessen bemühung um belehruug weiter kreise auch aus diesen Urkunden wider so sprechend hervortritt!

Forster hatte von vornherein die absieht, seine briete und notizen für eine reisebeschreibuug zu verwerten: er erwähnt einen 'erbärmlichen obrtstlieutenant', der dort glänzen soll (s. 31) und bedauert, dass briefe verloren scheinen: V/enn so nmvichtig sie für dich sein können, enthalten sie doch allerlei, icas ich bei der künftigen redaction meines tagebnchs benutzen kann' (s. 56). die reisebeschreibungen jagten einander um diese zeit, wie CJWeber (Deutschland i s. m) bemerkt; Forster aber hatte wol ein bestimmtes buch vor äugen, dem er die anregung und vielleicht auch (durch den Gegensatz niimlich) die grundrichtung seines Werkes verdankt: der la Roche 'Tagebuch einer reise durch Holland und England'

LEITZMANN FORSTERS BRIEFE UND TAGEBÜCHER 313

von 1787. auf ihren alVeclierlen slil spielt er einmal an: 'rfer eine sehr artige savimbmg von gemahlen hatte, würde inadame de la Roche sagen' (s. 59). auch die Schweizerhriele des Förster und Lichlenherg hesonders antipalhischeii vielschreihers Meiners (1788) mochten ein anreiz zu dem versuch eines ganz neuen Stils der reiseheschreibung sein. Forster brauchte es also nicht erst im rat seiner Mainzer freunde beschliefsen zu lassen, dass seine 'kleinen leisegeschichlen' gedruckt werden sollten (Brief- wechsel, Schriften viu 116). dem manne, den eine entdeckungs- reise zuerst in die weit eingeführt halte, der seit lange für reise- beschreibungen der berufene recensent war (ebd. 124), musle die aufgäbe lockend erscheinen , methode und slil der wissen- schaftlichen forschungsreisen auf eine reise durch höchst bekannte länder zu übertragen, hierin eben besieht die eigcutümlichkeit seines Werkes, es trägt daher von vorn herein einen doppelten ehrgeiz in sich, einmal will Förster zeigen, wie viel neues für geübte beobachler auf dem besuchlesten hoden noch zu holen ist; und dann will er zeigen, dass zu betrachtungen im grofsen Stil sich hier so gut gelegenheit findet wie bei den romantischen inseln des stillen oceans. im anfang sieht es zwar aus, als wolle er nur als forscher reisen: 'zur erdbeschreibung hoffe ich manches einzusammeln, was in meinen kram dient, znr nalur- geschichte, des menschen und äffen insbesondere, wird sich ebenfalls in den cabinetten von Holland und London mancher fund auf- treiben lassen . . über die moderne kunst in England wird sich auch noch einiges aufzeichnen lassest' (aao. 107). aber sein Schwieger- vater Heyne kannte ihn gut, als er erwartete, Forsler werde bei seinem bericht der empfindung, der phantasie und dem hang über religion zu sprechen, kaum steuern können (ebd. 130). denn er hat viel gesehen und seine seele den zahlreichen fremden eindrücken offen gehalten (ebd. 118), und seine briele sollen im gegensatz zu trockenen referalen raisonnement über das empfundene sein, und die phantasie soll darin eine hauptrolle spielen (aao. 130). Dem doppelten ziel entspricht eine doppelte reihe von docu- menteu. die tagebücher sorgen für die tatsachen; ihre notizen sollen es bewürken, dass der reisebericht, um einen Herderischen ausdruck zu gebrauchen, 'sacheuvoll' ('plein de faits', sagen die Goncourts) wird, die briele an Therese aber und wenige an vertraute freunde, die er zur ergänzung benutzt sollen durch beständige vergegenwärtigung seiner angebeteten lebensgefährtin für Schwung, hohe auffassung, philosophischen sinn sorgen, denn darauf legte er jetzt hohen wert, Lichtenberg durfte gerade da- mals die fortschrilte seines geistes rühmen und was für ein hauch von Philosophie seit einigen jähren seine Sammlung von kennt- uissen durcliwehte (Lichtenbergs briele i 213). und weil er hier- auf den höchsten wert legte, fügte sich den briefen bei der re- daclion mehr verwantes bei als den lagebüchern : 'den Stoff habe

314 LEITZMA» FORSTERS BRIEFE UM) TAGEBÜCHER

ich leih im köpf, leih in den hriefen^ die ich an Therese schrieb ; aber nu}i geht einem so viel nebenher durch den sinn, das man nicht zur erde mag fallen lassen' (Briotvveclisel s. 134).

Die verhällnisse spiegeln sicli genau wider in der art, wie Förster sein werk auffasst. die briefe an Therese bilden den grundstock, und die tagcbilcher werden anfangs nur aushilfsweise l)enutzt. dagegen ergreift Forster jede gelegenheit, um in län- geren excursen seine anschauungen über weit, kunst, Wissen- schaft neu einzufügen, ahschweifungen, für die er gleich im ersten briefe des gedruckten bucbs (Werke in 8) nachsieht er- bittet, so gibt das gefängnis Ehrenbreitstein den anlass zu be- trachtungen über das wesen der strafe (ebd. 10), Neuwied bringt ihn auf den pietismus (aao. 12), Köln regt eine sehr ausführliche darlegung ilber gotische und griechische kunst an (aao. 27) und muss zweitens noch einer energischen schutzrede für die auf- klärung (aao. 33) räum bieten; über die verfassungszusliinde von Aachen wird (s. 9lf) statt weniger bemerkuugen eine ganze abbandlung gegeben, der eine ähnliche über die Brabanler zu- stände (s. 118 f) folgt, neu ist auch die belrachtung kaiser Josefs (s. 154f), die characteristischen äufserungen über legen- denbilder (s. 160 f), die schönen worte über den völkerverkehr (s. 257 f), die noch heute zutreffenden niahnungeu zu besserer technik der maierei (s. 281), die wichtigen auseiuandersetzungen über kunst und uachahmung der uatur (s. 274 f), endlich die strafrede gegen den clericalismus (s, 293f) und die bemerkuu- gen über den verfall des holländischen handeis (s. 302). auch die Schilderung des stapellaufs (s. 319) ist durch allerlei ein- zelheiten neu belebt. durchgängig neu sind die citate aus Goethe (s. 41. 175), aus Lessing (s. 184. 277), aus lateinischen dichtem (s. 47. 129. 333); ein Goethe-citat bei gelegenheit eines über die redaction der reisebriefe handelnden briefes an Jacobi (Briefwechsel aao. 134) erweckt fast den gedanken, dass auch diese Zierate mit bewusler absieht angebracht worden sind.

Nur ausnahmsweise werden die briefe im druck verkürzt, wo es sich nicht um persönliche angelegenheiten handelt, die stelle über die contraste in der menschenseele (Leitzmann s. 10) blieb fort, weil sie durch eine bemerkung über Jacobi hervorge- rufen war. characterisfisch für die Verschärfung des tons ist aber, dass die wolwollenden worte über den irischen mönch (s. 39) gestrichen wurden.

In Forsters schriftstellerische eigenart führen ein paar ände- rungen ein. ist es nicht bezeichnend, dass der druck sagt: ^Es war einmal Verhängnis', wo es im briefe hiefs: ^Es war einm,al im rath der götter beschlossen''! ganz ähnliche unterschiede des ausdrucks characterisieren in Goethes briel'en an frau vStein Peri- oden seiner inneren entwicklung. ein schleppender satz über den bettelvogt zu St. Goar wird nicht eben glücklich gebessert,

LEITZMAKN FÖRSTERS BRIEFE UND TAGEBÜCHER 315

indem nach moderner weise ein substantivierter infinitiv {'für den fall des missteigens') eingeschoben wird, aber kleine besse- rungen heilen glücklich dem fliefsendeu rhythmus der Forsler- schen rede nach: 'so blieb uns manche stunde zur arbeit übrig' (s, 2) wird geändert in : 'zur beschäfligung übrig' (^ -^ w -' ^ wird K^^s^-i^: die beiden hochtüne von 'arbeit' und 'übrig' aus- geglichen), 'eine schöne barke' (s. 14S) wird 'eine sehr bequeme harke' (s. 159), wobei man last etwas klangmalerei fühlt, selbst kleinigkeilen entgehn dem scharfen äuge des vortrefflichen pro- saisten nicht: 'denn da der zauber' (s. 2) mit den hässlichen drei anlauten wandelt sich in 'denn weil der zauber'. ebenso werden ganze partien umgestellt (zb. s. 12 des drucks = briel 5, die erwäh- nung de Lucs im druck s. 15, die absätze über Wouverman und Teniers Briefe s. 60, druck s. 282; vgl. ferner Tagebücher 148 f mit druck 159 ua.).

Neben solchen formellen änderungen, die lur eine kunstlehre der deutschen prosa interessante belege liefern, fehlt es nicht an inhaltlichen neuerungen von lillerarhistorischem Interesse, der briefschreiber hatte (s. 95) als musler der geschichtschreibung Hume, Robertson und Gibbon genannt; im druck erscheint (s, 344) neben Gibbon Schiller, und wo er dort den classikern Ariost und Wieland als schlechten scribenten einen Deutschen, Benko- witz gegenüberstellt hatte, nennt er nun vorsichtiger den Fran- zosen Gr^court und ersetzt, Goethe zu ehren, den Ariost durch Tasso. form und Inhalt würken zu einer characteristischen ände- ruDg zusammen: 'der reichste mann bringt seine nachmittage über einer flasche von Löioenschem bier zu' (s. 184). hiefs es im brief; das publicum las (s. 293): 'der reichste mann bringt seine nach- mittage, von manchen und pfaffen umgehen, bei einer flasche Löwenschem biere zu und bleibt jedem andern zuge der geselligkeit verschlossen', der meister des deutschen prosanumerus reicht dem pfaffenleind die band, der sogar die schöne beschreibung des brotbaums mit der carricalur des 'gutmütigen wanstes von einem priester' ausstattete.

Es ist also aus der mitteilung der originalpapiere für die entslehung des werks allerlei zu lernen ; dass der herausgeber mit typographischer treue in den tagebüchern'^7i6ef^'(s. \b()),'hässl.,v.' (s. 164) schreibt, scheint uns allerdings überflüssige Sorgfalt, dass aber auch eine verölfentlichung nur der von Forster bei der redac- tion zurückgeworfenen stellen gelohnt hätte, ist bei einen) raschen überblick ersichtlich, was L. alles aus den stellen über AvUum- boldt (s. ix) herauslist, kann ich dort allerdings nicht finden; aber die scherze über seinen grauen überrock (s. 2) bringen ihn uns gemütlich näher, und die äufserungen über himmelfahrtsbilder (s. 88) zeigen schon in dem Jüngling die spottlust des mannes. interessant sind Jacobis äufserungen über Tasso und Kotzebue (s. 9), wie Forsters Schilderung von Pempelfort (s. 10), von der

316 LEITZMANN FÖRSTERS RRIEFE L.M> TAGEBÜCHER

lamilie des ;illen Clernionl (s. 10), aiicli Ifflaiuls lurclil vor den kliigon lüclilein des liauses (s. 0). kleine cliaraclerhildtT und anek- dülen (s. 72. 75. 101. 170) versetzen uns in die almospliäre, in der Forster lebte; cliaracterislisclie inilleilungen iilier die halinen- tedern in Lille (s. 44), idjer den Itisclior von Lillticli, die ijreufsi- sclien execulionslruppen, das reicliskanimergericht (s. 143), üher die an allen orten einbrechende reaclion (s. 192) in die Stim- mung der zeit, die Unterredung mit dem blinden herzog von Arenberg (s. 164) wird die besonders interessieren, die ihn aus Bellinas packender Schilderung kennen, der scharfe spott gegen de Luc (s. 7. 127), im druck aus rücksicht auf freund Lichten- berg gemildert, lührt uns in die wissenschaftlichen gegensätze ein. bisher unveröffentlichten brieten verdanken wir Forsters krilik über Brandes und Bamdohr (s. 118f) und das amüsante portraits Girtanners (s. 120), der uns germanislen als einer der ersten feinde des grofsen anfangsbuchstaben bekannt ist (Grimms Gramm. 1 s. xvui anm.). sehr selten sind, wie schon erwähnt, züge forl- gelassen, die dem allgemeinen schildernden character der reise- beschreibung entsprechen, wie die pantollel-episode (s. 188) und tlie bestralung der betrüglichen assecuranten (s. 190). was von den tagebüchern aus England neu gedruckt wird, ist dem schon bei erscheinen des werkes gebotenen gleichartig K

Den reichsten gewinn trägt natürlich das characlerbild des liebenswürdigen deutschen Bousseau selbst davon, die liebes- briefe (s. 25. 54) an das 'engelweibchen' (s. 18), 'die göttliche' (s. 89), die freundesbriefe an Sömmering und Heyne (s. 107. 111) zeigen ihn von der freundlichsten seile und wahrhaft rührend die nachfragen nach dem verlauf der 'einimpfung' seines Böschens (s. 57); eins seiner kinder starb ja würklich an den Iblgeu des impfens (Briefwechsel s. 162 f). nicht seilen schildert Forster sich selbst : '■zwischen tänschnng wul icürklkhkeit finde ich tausend puncte, in denen ich mich als mensch fühle, geniefse und leide' (s. 53); über seine empfänglichkeit (s. 73), seine Sentimentalität (s. 105), sein bedürfnis nach freude (s. 79) gibt er aufrichtige geständnisse. auch wie er über Ifflaud urteilt (s. 40) oder über die leute, die nichts als gut sind (s. 57), das wirft helle Streif- lichter auf sein eigenes wesen. als bezeichnend hebe ich end- lich noch ein kleines notabene heraus: 'm der lüteralnrgeschichte nach berühmten Niederländern nachzusehen, ich glaube es gibt bitter wenig' (s. 177). dies ist sein erster gedanke, wenn keine physi- ügnomie in Gent ihm geist zu verkündigen scheint: so ausschliefs- lich litlerarisch verstand man damals noch das wort 'geist'.

Lichtenberg hat die 'Ansichten' vortrelflich characlerisiert: wie in einem feenmärchen reise dem beiden ein schätz nach, wohin er auch gehe, und selbst, wo sein slab den boden nicht

ist die Schreibung Hagiey Briefe s. 258 f richtig oder Haylcy wie im druck s. 40Gf?

LEITZMA^^ FORSTERS BRIEFE L>D TAGEBÜCHER 317

anschlägt, um deu schätz zu üfYneu, folge er ihm unsichtbar (Werke vii 217). L.s veriifTentlichunjj zeigt uns den wandern- den schätz an manchen stellen, wo heim druck der slah nicht angeschlagen hatte, ein warmes mitgetiihl, das an Trau und l'reun- deo sicli die gemeinschal't der edlen seelen vergegenwärtigt, ein helles äuge, das auch in dem alltäglichen und widerwärtigen grofse Züge findet, eine seltene kunst des reinen prosastils mach- ten aus seiner reisebeschreibung ein classisches werk, dessen entstehung aus idealem und materiellem hedürlnis (Brietwechsel s. 129). dessen plötzlicher abbruch und fragmentarische erschei- nung die Schicksale seines unglücklichen autors nur allzu treulich vergegenwärtigen. L. aber reiht sich Forsters freunden an, die bei allen liehesbeteuerungen immer zu wenig für ihn getan haben. Berlin, 15 nov. 93. Richard M. Meyer.

Mucedorus, ein englisclies draina aus Sliaksperes zeit, übersetzt von Ludwig Tieck. herausgegeben von Johannes Bolte. Berlin, WGronau, IS93. XXXIX und 67 ss. S". Im.

Bolte fand in dem handschrifllichen, von der kgl. bibliothek zu Berlin bewahrten nachlasse Tiecks drei Übersetzungen englischer dramen, die bisher unbekannt geblieben sind, und die er nach und nach zu veröllentlichen gedenkt. Mucedorus macht den an- fang. eine einleitung geht voran, in deren erstem abschnitte B. von dem englischen originale spricht und mit besseren gründen als seine Vorgänger, die sich auf beobachluiigen der reime und allitterationen stützten, nämlich mit der von ihm nachgewiesenen abhängigkeit dieses Stückes von der Arcadia des Sidney, der ver- meinten Urheberschaft Shaksperes entgegentritt, denn 1590, da jener romau erschien, zählte Shakspere 26 jähre; und dieses, wie Tieck selbst sagt, kindische und wunderliche stück ihm zuzu- schreiben ist fürderhin unmöglich, auch wenn die älteste uns er- haltene fassung des Mucedorus v. j. 159S nicht die erste ist. der Zusammenhang mit einer episode des romans ergibt sich aus der uamensgleichheit der beiden, die hier wie dort in schaler ver- kleidete prinzen sind und deren erstes abenleuer eine künigstochter aus den talzeu eines hären befreit, der dramaliker verlässt hier seine vorläge und versteht in geschickter weise durch die Ver- wandlung des furchtsamen pflegevaters der prinzessin in ihren bräutigam, der wie jener beim anblicke des hären die llucht er- greift, einen lebhaften dramatischen conflict in die handlung zu bringen, der für die folge die führung gewinnt, denn nun intri- guiert der beschämte liebhaber aus neid und eifersucht das gegen- spiel. da es ihm nicht gelingt, den verhassten nebenbuhler aus dem wege zu räumen, bewürkt er wenigstens seine Verbannung. B. hätte darauf hinweisen können, dass diese entscheidende wendung selbst wider unter dem einflusse einer andern episode dieses aus

318 UOLTE MLCEDOBUS ÜBERSETZT VO.N TIECK

lose an eioander gereihten stücken bestehncien romaoes sich voll- zog, uänilich nach der geschichle von Argalus und Parthenia, deren liebe der verschmähte Demagoras stört, dieser ist der reiche hochmütige und stolze krieger, der Argalus bei seite schallen will, wie Segast in unserem stücke; Segast aber behielt die leigheit, die in der Musidorusepisode des romanes Dametas, der pfleger der Prinzessin, besals. Segast wird durch diese Verschmelzung beider figuren zum siegreichen l'eldherrn und bleibt dabei feige, so erklärt sich der Widerspruch in seinem characler. auch die späteren dramatisieiungen derselben und ähnlicher episodeu aus Sidneys Arcadia hätte B. zum mindesten andeuten sollen, die geschichte des eben erwähnten liebespares Argalus und Parthenia wurde unter diesem titel von Henry Glapthorne, einem fast ganz vergessenen dramatiker der nachelisabethanischen zeit, der ein Schul- freund Miltons gewesen und in den beginnenden bürgerkriegen untergegangen zu sein scheint, i. j. 1638 auf die bühne gebracht, die abenteuer des Musidorus und der Pamela selbst, also die quelle unsers Stückes, wurden in den ersten 30 jähren des 17 jhs. von James Shirley aus Sidneys roman geschickt zu seinem pastorale Arcadia zusammengezogen (gedr. 1640). erst durch die vergleichung mit solchen stücken wird Mucedorus in das rechte licht gestellt, es ist kein schäferstück; diese frucht der renaissance gedieh vor- erst nur auf Universitäten und bei hofe und gelangte erst spät, mit komischen elenienten überladen, auf die Volksbühne, im Mucedorus werden die allegorischen gestalten als würkliche menschen aufgefasst und mit volksmäfsigen Zügen versehen, die handlung geht nicht in Arkadien vor sich, in diesem von einem hochge- bildeten geiste erträumten Zukunftstaate, weit eher, wie B. treffend bemerkt, im märchenlande, wo dem volke wolbekannte gestalten leben. B. erinnert mit recht bei dem keulenschwingenden klausner an den bruder Tuck, von dem die Robin-IIood-balladen berichten, und n)an künnte hinzufügen, dass die ganze art, wie Mucedorus auszieht, um den wert der königstochter zu erproben, wie er ungekannt bleibt und erst, nachdem er sie bereit gefunden, alle gefahren und mühseligkeiten seines lebens, selbst die Verbannung an seiner seite willig zu ertragen, sich zu erkennen gibt, dem Zuschauer die allbekannte bailade The nut-browu maid vvol ins gedächtnis rief, zwischen Volksbühne und balladensang herscht ein beständiger verkehr von motiven und tiguren. B. orientiert uns rasch und sicher über die zahlreichen ausgaben des Mucedorus, über die Zusätze des druckes v. j. 1609, und verfolgt die be- ziehungen zu andern litteraturen. die 'offenbare' anlehnung der holländischen 'Granida' an den engl. Mucedorus ist aus B.s in- haltsangabe so deutlich nicht zu erkennen, seine Vermutung hin- gegen von der aufführung des Stückes in Deutschland durch englische komüdianten ist sehr einleuchtend.

In dem 2 abschnitte seiner einleituug führt uns B. in au-

BOLTE MUCEDüRUS ÜBERSETZT VÜ.N TIECK 319

schaulicher übersieht den gang der Shaksperestudien Tiecks vor, gibt eine geschichte der Übersetzungen, wie des stets sich ver- schiebenden planes zu dem grolsen werke über Sbakspere und verteidigt Tiecks intuitive kritik gegen einseitige angrill'e. auch eine freie Übersetzung von Sheridans Nebenbuhlern (indet sich in dem nachlasse, die entstehungszeit der Mucedorus-übersetzung lässt B. dahingestellt, vielleiclit könnte eine briefstelle vom 24 jan. 1828 (Briefe an Tieck ni99), wo von den jugendscherzen Shaksperes die rede ist, die Tieck mit noch zwei andern olTenbar als novi- täten interesse erregenden stücken ^ an jenem tage vortrug, auch für unsere Übersetzung einen anhaltspunct bringen, die grund- sätze B.s beim abdrucke der hs. sind durchaus zu billigen; er legt Tiecks eigenhändige correctur zu gründe (mscr. germ. Ibl. 834) und ändert den text nur an sehr wenig stellen (ich zähle im ganzen 3), an denen neuere kritiker eine iinzweirelhafle besserung des originales eingeführt haben, über die änderungeu, die die im ganzen treue Übersetzung gegenüber der vorläge aufzuweisen hat, geben die anmerkungen am Schlüsse des bücbleins sorgfältige rechenschaft: sie haben ihren grund in misverständnissen und falschen lesarten, anderseits in auslassungen grobkörniger wiiz- worte und unübersetzbarer Wortspiele.

Eine sehr erwünschte zugäbe bietet uns die im 3 abschnitt der einleilung gegebene Zusammenstellung der seit dem beginne des 18 jhs. erschienenen Verdeutschungen älterer englischer dramen, denen gleichfalls das jähr 1700 zur grenze gesetzt ist. man kann daraus ersehen, dass die frivolen komödien der restaurationszeit beinahe ein halbes Jahrhundert nach ihrem entstehn durch Über- setzungen, die zumeist dem praktischen zwecke der aufführung dienten, den Deutschen bekanntwurden, während erst die Shak- sperekritiker und -enthusiasten an der wende unsers Jahrhunderts die zumeist anonymen stücke der elisabethanischen epoche in Deutschland zugänglich machten. ich vermisse bei no. 75 The Orphan; or the Unhappy Marriage, von Th Otway den hinweis auf die Verdeutschung HChBoies, die allerdings nie erschien, deren existenz uns aber mehrfach bezeugt ist. Weinhold berichtet dar- über in seinem buche über Boie s. 12 u. anm.; vgl. vKnebels Litter. nachl. u. briefw. ii 78. 83. 89. schon als Student in Jena (1764 67) beschäftigte sich Boie mit dieser Übersetzung; er nannte sie nach der heldin Monimia. obzwar von Lessing auf- gemuntert (1767), fand er den mul nicht, sich damit auf die bühne zu wagen, er verzweifelte daran, die 'irregularitäten' und 'absurdiläten' des Originals getreu widerzugeben, am 8 jan. 1771 schreibt er an Knebel: 'Weisse nahm mir den ersten gedanken, die Waise auf unser theat er zu verpflanzen, und glücklicher xo eise l

'Edward the 3d' und 'Lord Th. Cromweil'; beide erst 1836 in den 'Vier scliauspielen Shaksperes' veröffentlicht und mit Baudissin, der seit 1827 in Dresden lebte, gemeinsam übersetzt.

320 BOLTE MÜCEDORUS ÜBERSETZT VU.\ TIECK

Schmid hat sie Jetzt von neuem für sein theater übersetzt, gewiss weil er wusste, dass ich es willens tcar'. in dem Ilypocliondristen l,Gl 05 (1771) ist eine stelle aus dem 3 acte der Waise über- setzt, als probe eines neuen trauerspiels. Weinliold (aao.) glaubt nicht, dass Boies arbeit hier benutzt ward; vgl. dagegen vWeilens einl. zu den Schleswig, litteraturbr. (DLD 30, s. xxvif anm.)i.

Durch seine publication und die inhaltreiche einleitung hat sich B. um die englische wie um die deutsche litleraturgeschichte verdient gemacht; erhalten wir von seinem nie rastenden eiter auch die beiden andern versprochenen stücke: 'Das schone mäd- chen von Bristol' und 'Niemand und jemand'*, so danken wir ihm einen dritten teil der Tieckscheu Vorschule Shaksperes. Wellen iu Böhmen, august 1893. B. Hoenig.

Berichte übeu GWekkers Sprachatlas des deutschen Reichs.

X.

Brenners auCsatz 'Zum Sprachatlas des deutschen reichs' in Bayerns raaa. n 269 IT bringt zunächst ein willkommenes zeuguis für die zweckmäfsigkeit dieser berichte, sein weiterer wünsch, diese mochten den Süden, zumal den Südosten ausführlicher als bisher berücksichtigen, entspringt wol den sonderinteressen von 'Bayerns maa.', soll jedoch in Zukunft nach moglichkeit berücksichtigt werden; freilich wenn ich dialectische grenzorte in Bayern weniger zahlreich gab als zwischen Rhein und Elbe, so hat das zumeist darin seinen äufsereu gruud, dass gerade in Bayern die zahl grofserer Ortschaften viel geringer ist als im norden, die aufzäh- lung unbekannter dorfnamen aber mir zu dem gesamtcharacler dieser berichte wenig zu stimmen scheint. Brenners weitere notiz, die Fragebogen seien wol zum grösten teil von lehrern ausge- füllt, berichtigt sich nach Anz. xviii 303. dass sie aber oft 'mit Widerwillen und ohne grofse Sorgfalt, ja auch wol nach willkür- lichen einfallen des augeublicks ausgefüllt worden', gilt nur für verschwindende und deshalb jedesmal leicht controlierbare aus- nahmen; vielmehr bestätigt sich Wenkers glänzendes urteil über den arbeitsauteil der volksschullehrer immer von neuem (Sprachati. von Nord- u. Mitteldeutsch!., einl. ii f). zu dem hauptinhalt von Brenners aufsatz s. voriäutig u. s. 322 anm. 36. roten (satz 26).

Der vocalismus der Stammsilbe stimmt im allgemeinen zu dem von tot (Anz. xix 350) ^ bis auf wenige auffallendere ab-

' eine ergänzung zu nr 103 Venice Preserved; or a Plot Discovered gibt Sauer im ersten hefte seiner zeilschr. : Euphorion (bibliogr. s. 229).

* ['Niemand und jemand' ist von Boite inzwischen, gleichfalls mit reich- halliger einleitung, im Shakespearejahrbuch 29 veröffentlicht worden. R.]

^ nachgetragen sei hier oa für die gegend an der Vechte von Neuen- haus abwärts.

BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X 321

weichungen, die sicli vielleicht aus der secundären hialusstellung des vocals im vorliegenden wort erklären (über den ausfali des dentals s. u.): zwischen Bremervörde und Zeven hat ein complex von zwanzig dörfern ?7, dem bei tot (und grofs und brot) conse- quentes ö gegenübersteht; und im nordwestlichen teil des westfäl. diphthonggebietes hat nicht nur die gegend von Lingen und Freren U, sondern auch das ganze land etwa nordöstlich der Ems und nordwestlich von Warendorf-Versmold-Halle-Melle-Lubbecke, das bei jenen andern drei paradigmen nur au kannte: wenigstens an der Ems fällt hier die grenze zwischen t/ und au mit der des d-ausfails zusammen; letzleres trifft möglicherweise auch für die Verteilung von ?7 und ue im ripuarischen zu: bei grofs, tot, brot überwiegt linksrheinisch nördlich von Schnee- Eifel und Alir ne bis auf den (hier ergänzend beigefügten) aus- schnitt Unkel-Cornelimünster- Düsseldorf mit n, aber bei roteti ist dies ne nur soweit sicher, als das d erhallen ist (s. u.), wäh- rend für die rue westlich von Monljoie-Cornelimünster es vorläufig unentschieden bleibt, ob sie als stamm rue mit synkopierter enduug oder als stamm 7~U- + enduug aufzufassen sind.

Das t in roten kann mit dem s. 221. 224 behandelten in leute, hüten nicht verglichen werden, weil es dort gar zu oft durch Schwund der endung in den auslaut getreten war, hier hingegen bei (wenigstens überwiegend) bewahrter endung inlautend bleibt, vielmehr ist seine geschichle teils mit der des d in bruder (o. s. 108(1) in parallele zu stellen, teils, wo es sich nur um den Wechsel von d und t handelt, mit der des anlautenden t in tot (Anz. XIX 350). die ungefähre linie, in deren s. und o. d oder t im allgemeinen erhalten sind, läuft im äufsersten w. wider selb- ständig (dh. anders als für müde Anz. xix 354 und für bruder Anz. XX 109), nämlich über Montjoie, Eupen, Cornelimünster, Slolberg, Düren, Eschweiler, Aldenhoven, Jülich, Linnich, Greven- broich, Odenkirchen, Gladbach. Nenfs, Crefeld, Kempen, Mors, Ürdingen, Duisburg, Mülheim, Oberhausen, Essen, Werden; von hier ab stimmt sie im grofsen und ganzen zu bruder bis zum Harz (nur Rheinzabern und Fritzlar haben hier schon d als un- mittelbare grenzorte); für den rest ist wider selbständige be- schreibung das kürzeste verfahren: Sachsa, Benneckenstein, Hassel- felde, Elbingerode, Blankenburg, Gernrode, (Quedlinburg, lioym, Cochslädl, Slassfurt, Egeln, Schönebeck, NVanzleben, Sudenburg, Neustadt, Wolmirstädt , Neuhaldensleben , Burg, Ziesar, Görtzke, Flaue, Pritzerbe, Brandenburg, Ketzin, Nauen, Fehrbellin, Cremmen, Rheinsberg, Wesenberg, All-, Neustrelitz, Stargard, Woldegk, Fried- land, gegenüber Usedom ans Half und dessen südrand entlang, Gollnow , MassoiD , Freienwalde, Labes, Falkenburg, Polzin, Bär- walde, Buhlitz, Pollnow, Rummelsburg und von hier nordwärts an Stolp vorbei ans meer (von Massow ab gilt diese grenze im allgemeinen auch für müde und bruder). nördlich dieser linie

A. F. D. A. XX. 21

322 BERICHTE ÜBER \VE>KERS SPRACHATLAS X

ist das d erhalten im vvinkel Ritzebültel-Lauenburg- Kiel (docli oll wechselud mit r,j und ausfall; vgl. die andre hegrenzung bei müde und bruder), ferner auf Fehmaru (mit t wechselnd), in Ostfriesland und innerhalb des ungefähren westfälischen bogens Bocholt-Haltern-Lüdinghauseu-Telgte-lbbenbüren-Schüllorf, sowie vereinzelt sonst in der nähe dieser ausnahmebezirke, das d ist zu /' geworden in dem sild- und mitteldeutschen zipfel wie bei bruder und im o. des gebietes bis zur curve TravemUnde-Lauen- burg-Schnackenburg-Strelitz, doch innerhalb dieser r-bezirke noch überall versprengte d und aufserhalb in ihrer nähe ebensolche r. röj- gilt für den Niederrhein bis einschliefslich Straelen, Geldern, Rheinberg, Ruhrorf, Dinslaken, Wesel, Isselburg und (bunt wech- selnd mit rög- und röi-) von Wolmirstädl-Bismark-Schnackenburg ostwärts über die Elbe hinaus bis zu den angegebeneu r- und d-grenzen (vgl. wider die abweichungen von müde und bruder). endlich i- formen am Westerwald und am unteren Neckar wie bei bruder.

Sonst handelt es sich um den Wechsel von d und t (nur noch 7'ög-, röj- wider östlich der unteren Oder wie bei leute, bruder, müde), seine nd.-md. grenze stimmt von VVerra bis Elbe zu ikjich (bis auf Ermsleben, vgl. u. leute o. s. 221), dgl. östlich von Landsberg a. W. , auch für die oslpreufsische enclave; das mittlere, immer schwankende stück läuft über Roslau, Coswig, Zakna, Seyda , Schönewalde, Schlieben, Kirchhayn, Sonnenwalde (alle hart an der grenze), Luckau, Lübbenau, Lübben, Golssen, Buchholz, Teupitz, Storkow, Beeskow, Müllrose, Reppen, Drosseu, Zielenzig, Königswalde, die d- und f-verteilung in den hd. gegenden entspricht im grofsen und ganzen der beim aulaut von tot (Anz. XIX 350), doch scheint das t bei roten noch etwas häufiger zu sein als bei tot; nähere Statistik erspare ich mir hier, bebalte mir vielmehr vor, später, sobald eine gröfsere zahl von para- digmen mit nhd. t vorliegt, ausführlicher und an der band ein- gehnder einzelstatistik auf diese interessante frage zurückzu- kommen '. zu erwähnen bleiben noch die sonderformen rudd-,

^ dass aus der sielen ^Schreibung im hochfränkisciien noch nicht auf einen lautlichen unterschied zwischen d und t geschlossen werden darf, ist jetzt nach Brenners äufserst dankenswerten erhebungen (Baj-. maa. ii 270 ff) sicher, damit ist nun aber noch nicht erklärt, weshalb die tausende hoch- fränkischer Übersetzer so consequent t (und ebenso d in do?'f, s. u.) schreiben, die bairischen, alemannischen, rheinfränkischen hingegen t und d promiscue. die schwierige frage ist erst zu erledigen, wenn nhd. t in allen Stellungen im Worte {l?'- im anlaut, geminiert, postconsonantisch usw.) verarbeitet sein wird, für jetzt nur folgendes, die hochfr. Übersetzer scheiden t und d trotz ihrer lautlichen Identität nach dem schriftbilde, ebenso wie sie feuer immer mit f, vogel immer mit v widergebeu. das auffallende liegt daher gar nicht bei ihnen, sondern bei den bair., al., rheinfr. formularen, die ebenfalls feuer und vogel, hingegen bald tot bald dot bieten, der grund ist, wie ihn Brenner für einige teile der grenzlinie im princip jedesfalls richtig andeutet, der, dass hier nhd. t je nach seiner verschiedenen Stellung im wort verschie- den articuliert wird (wie manche abweichungen in tot und roten schon ahnen

BERICHTE LBEll WE.NKEBS SPRACHATLAS X 323

rukd-, rugg-, in gleicher ausdehnuug wie die entsprechungeu u. tot aao.

Die tlexionsenduDg (dat. pl.) gestallet wenigsteos teilweise einen vergleich mit der des o. s. 222 IT hehandelten dativs leuten. das grofse ud. und md. gehiet mit l)ewahrlem -en stimmt im allge- meinen bei beiden beispieleu; doch ist hier besonders die nord- und nordosfgrenze sehr unsicher und von den u. leuten aulge- l'ührlen greozorten sind zb. Elberfeld, Versmold, Diepholz, Syke, Rethem, iludemühleu, Wiltin^en, Öbist'eldc, Helmstedt, Schwane- beck, Kroppenstedt , Ascherslebeu, Uernburg bei ro^e/t auf die entgegengesetzte seile der scheide zu bringen; aufserdem sind zerstreute -en aufserhalb des gebietes hier viel häufiger, zb. im ganzen Elbgebiel und zu beiden seilen der unteren Oder; in Schlesien etliche eingesprengte -e; im w. wird der Rhein hei Köln nur von vereinzelten -en überschritten, die linie des zu- sammenhängenden -en- gebietes erreicht ihn vielmehr gar nicht, sondern läuft gleich von Merscheid an südwärts ihm paiallel bis Linz, die süddeutschen pleonasmeu auf *-ene7i fehlen bei roten, ihr dortiger bezirk hat hier meist noch -n, sodass hier das md. -en und das nordbair. -n-gebiet zwischen Thüringerwald und Donau ungefähr sich im w. erstrecken bis (-M-orte cursiv) Schleusingen, Hildburghausen, Rodach, Heldburg, Sesslach, Ebern, Staffelstein, Weismain, Pottenstein, Erlangen, Scheinfeld, Wiudsheim (von Ebern bis Wiudsheim aber sehr schwankend), Ansbach, Feucht- wangen, Gunzenhansen, Wassertrüdingen, Weifsenburg, Monheim, Neuburg, endlich stimmt der moselfränk. -en- bezirk ungefähr für beide würter.

Wenn aber, abgesehen von diesen -en- und -n-gebieten, für alles übrige land die endung -e überwiegt, so ist doch damit für die geschichte unseres wortes noch wenig gesagt; denn dies -e kann sowol auf älteres -en zurückgehn als auch alte accusativ- enduüg sein, indem alles -e bekanntlich in der starken adjecliv- flexiou (Zt. auch in der schwachen, vgl. ftraune o. s. 212 f) sich in ganz andern grenzen erhalten hat als sonst, eine entschei- dung bleibt vielmehr abzuwarten , bis eine starke accusativform zu vergleichen ist. ich beschränke mich deshalb hier auf die bemerkung, dass der norddeutsche ersatz des dativs durch den accusativ (bis östlich der unteren Oder) bei leuten und roten ganz im allgemeinen zu stimmen scheint, und führe hier nur die ab- weichungen von der im übrigen durchgängigen endung -e an,

lassen): daher die Unsicherheit in seiner Iransscription. meine hochfränkische deiitalgrenze (Zs. 36, 137. 37, 290. 303) bleibt deshalb jedoch an sich für die dialectgeographie fest bestehn, wenn auch ihre lorniulierung dort auf Irrtum beruht (freilich auf einem nach ausweis der belr. kartenblälter recht begreif- lichen), diese forniulierung wird vermutlich vielmehr so lauten müssen: unter den oberd. mundarlen ist für das hochfr. characleristisch, dass t und d n allen Stellungen im worte (eben im gegensatz zu manchen fällen in den nachbardialectenj zu demselben gemeinsamen laute zusammengefallen sind.

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324 BERICBTE ÜnER WENKERS SPRACHATLAS X

ohne (lass diese ahweiclmugen irgendwo consequeut und zu be- grenzen wären, im no. , jenseits der acc.-grenze, die gleichen erscheinungen wie itei sitzen (Anz. xix 360) und machen (o.s. 208); nur in Oslpreufsen um Mehlsack, Heilsberg etliche endungslose formen, also wol sicher accusalive. in dem westlicheren grofsen acc.-complex findet sich derselbe gänzliche schwund der enduug sehr häufig im ripuarischen , in der nach Holland hineinsprin- genden ecke an der Vechte, an der Nordseeküste bis Norden, Aurich, Varel, linkselbisch zwischen Ülzen- Hitzacker und Obis- felde-Genthin, rechtselbisch östlich von Eckernforde-Hamburg und nördlich vom 53 breitengrade mit ausnähme von Rügen und seinem westlichen vorlande, im übrigen fehlt öfter eine endung allein in dem lothringischen teile des moselfränkischen -e«-ge- bietes. anderseits erweisen sich im Elsass und seltener im südlichen Baden manche -e als sichere dativreste, wenn das ursprüngliche n als anlaut des folgewortes wider aultaucht (in sonst hd. Schreibung: mit rote nüpf eichen, viel seltener mit roten äpfelchen), im übrigen wider -er und -r zu beiden Seiten der Wesermündung, zumal im \\ümme- und oberen Ostegebiet, vgl. u. müde Anz. xix 355 und leute o. s. 222; ähnlich viele -er, -r, -a, im ostlichen Mecklenburg; dgl. an der unteren Mosel, am Millelmain, besonders südlich von Aschaffenburg-Würzburg und bis Buchen -Schillingsfürst, viele -?', doch schon im Wechsel mit -a, das nordöstlicher zwischen Spessart-Rhön und der öst- lichen -n- grenze überwiegt, im gebiet von Jagst, Kocher, mitt- lerem und unterem Neckar und südwärts bis Karlsruhe-Stuttgart -q. im nördlichen Elsass auch -q und -i. im südlichen Elsass, in Baden, Hobenzoliern, am Bodensee, zwischen Hier und Lech viele -a und -q. östlich vom Lech neben dem -e in bunter manniglaltigkeit -i, -ö, -n, von denen das letzte gen n. immer mehr zunimmt, bis es jenseit Altmühl und Regen fast die allein- herschaft erringt.

Das plattdänische hat (wechselnd mit röe, röä, röi, letzteres besonders auf Alsen und der gegenüberliegenden halbinsel), das friesische auf Sylt, Amrum, Föhr rnad^ auf Langeuess, Gröde, Hooge rnade, auf Olaud und der südlichen hälfte des friesischen festlandstreifens rüde, auf dessen nördlicher hälfte erst rüdje, dann 7uit (vgl. unter tot, brot Anz. xix 351). 37. dorfi^alz 37).

Der anlaut wird durchgängig als d- geschrieben.

Ich schicke die übrige entwicklung des consonautismus der des vocalismus voraus, zunächst die auslautende lautverschiebung p I f. ihre grenze verläuft zuerst in vielfach zackiger linie über (ver- schiebende orte cursiv) StVith, Cronenhurg, Blankenheim, Münster- eitel, Altenahr, Ahrweiler, Unkel , Köuigswinler, Blankenberg, Altenkirchen , Waldbröl , Frendenberg (vgl. die grenze der uhd. dipbihongierung); weiterhin stimmt sie zur ik/ich-WniQ nach den

BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X 325

für diese aufgeführten orten bis Wörlilz, nur dass Ascliersleben schon dorf hat, zieht dann über Coswig, Zahna, Seyda (alle drei hart an der scheide), Schweinüz, Schönewalde, Schlieben, Kirch- hayn, ferner wie iklich bis Sterubery, eiuilich über Zielenzig, Königswalde, Sonnenburjr, Landsberg, Schwerin und schliefst wider wie ik I ich. verschiebende ausnahmen nördlich dieser linie linden sich für die übliche enclave um Berlin, überhaupt östlich der Elbe bis gegen den 53 breilen^rad hin, zumal in den Städten, treten aber selbst im w. viel häutiger auf, als dass sie lediglich auf schreibernachlässigkeit zurückzuführen wären, der hd. bezirk östlich der Weichsel hat seine herkömmliche begrenzung {dorf westlich, derf, darf östlich der Passarge).

Statt des -r- erscheint zwischen Weser und Elbe von Bremen und Hamburg abwärts einigemal -l- (dOlp). es ist ganz ausge- fallen oder vocalisiert worden hier und da im weslfäl. duorp- gebiel (s. u., duop, dnap), ganz überwiegend im östlichen teil des nd. rfö'rp-gebietes (s. u.) jenseits Ihua und Drage (döp, döap, döep), vereinzelt im ganzen mittleren und unteren Maingebiet {doaf), liäuhg in Lothringen um Falkenberg und StAvold {doaf), an der Wertach um Kaufbeuern und Mindelheim {doaf), vor allem aber im ßaierlande südlich von Fraukenwald und Fichtelgebirge, öst- lich von oberem Main, Regnilz und Rednitz, nördlich der Donau, im Donautal von Nenburg abwärts und in Südbaiern etwa öst- lich vom 30 längeugrade (doaf, daneben überall noch die üher- gangsschreibung doarf; an der Salzach zwischen Tittmoning und Salach einige orte mit duif).

Die in Ortsnamen wie Caslrop, Ohrdruf bewahrte metalhese (ich bitte diesen terminus hier nur rein äufserlich zu verstehn) ist für das simplex in keinem reichsdialect erhalten, dagegen ist svarabhakti einigen gegenden eigen, ohne dass sie consequent bezeichnet würde oder ein festes gebiet für sie abgrenzbar wäre: dem ripuarischen (also zwischen obiger verschiebungs- und der i/f/jcA- linie) linksrheinisch {dörep) und seltener rechtsrheinisch südlich der Wupper {dorep) ; südlich der Verschiebungsgrenze dem Moselfränkischen (also bis zur wat-Unie Anz. xix 97) und zwar sehr häutig zwischen unlerer Mosel und Boppard-Bacharach, sel- tener links der Mosel, vereinzelt im ?., sowie rechtsrheinisch etwa bis Freudenberg -Limburg und unterer Lahn {doref); selten in Pfalz und Elsass zwischen (Jueich und Biber {doref); dann aber sind zweisilbige formen in ilem grofsen bezirke zahlreich, der ganz ungefähr umrahmt sei durch Speyer-Stadtprozelten a. Main- Hilpoltslein am fränkischen Jura - Donauwörth - Urach - Freuden- stadt-Speyer (überwiegend doraf, auch darauf).

Im lande mit unverschobenem auslaul ist der stammsilben- vocal zumeist umgelautet {dörp, derp, s. u.) bis auf folgende aus- nahmen, am westlichsten ende der Verschiebungslinie hat der ungefähre ausschnitt ßlankenheim-Schleiden-Stolberg-Eupen dorp;

326 BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X

(Igl. an der holländischen grenze der teil zwischen Roer und Slraelen ostwärts bis Kempen, Dillken, Dahlen (dorp, dorep). die umfangreichste ausnähme bildet der im wesentlichen westfälische bezirk, der begrenzt wird im w. durch den Hhein, im s. durch die Verschiebungslinie, im n. und o. ungefähr durch die Vechte bis Schüttorf, die ungefähre curve SchUltorf-Diepholz-IUiaden-Pelers- hagen a. W,-Lage-Höxter und die Weser; sein westlicher teil, etwa l)is Freudenberg-Hattingen a. R.-Gronau liat o (nördlich der Lippe öfter a), das auch sonst im Innern des gebietes und besonders an seinen rändern vorkommt (so an der Weser oder südlich der Diemel; westlich vom Dümmersee bis zur Ilaase a); im (ihrigen aber ist no sein characteristicum (auch na, seltener oa, ou ua.)- lerner herscht umlautfreies o (wenn auch nicht ausschliefslich) zu beiden Seiten der unteren W^eser etwa bis Wilhelmshaven- Oldenburg-Sulingen -Verden -Ilitzebüttel, ferner an der unteren Leine von Neustadt abwärts, zwischen Gifhorn und Wolfenbüttel, Peine und Schöppenstedl mit dem mittelpunct Braunschweig (da- neben viele a, doch auch noch Ö). darp kommt einem der ver- schiebungslinie vom Oberharz bis zur Bode vorgelagerten streifen zu bis an die nordgrenze (a-orte cursiv) Wernigerode, Derenburg, Halberstadt, Wegelehen, Groningen, Cochslädt. endlich begleitet ein schmaler ofor/j-sireifen die Verschiebungsgrenze von der Bode bis Reppen und Drossen jenseits der Oder und bildet so den Übergang vom hd. dorf zum nd. dörp. etliche rfarp noch zwischen Danzig und Pr. Stargard.

Sonst ist nd. dörp das allgemeine, dafür erscheint im links- rheinischen niederfränkisch (also nördlich der ?Ä7?c/?-linie) oft därp, derp; ebenso nördlich jenes westfälischen bezirkes au der Haase, sowie nördlich der Elbemündung; es herscht sodann um Hildesheim und Sarstedt und kommt versprengt von hier nord- wärts bis zur Lüneburger Heide, westwärts bis zur Weser, süd- wärts bis zur Verschiebungslinie, südostwärls bis zum Harz vor; dgl. dörp, därp, derp links der Oder zwischen Berlin und Oder- berg-Cüstrin und rechts längs dem untern Warlhe- und Netzelauf Lis zur Drage. endlich sind derp, därp dem ganzen osten jen- seits von 35 längengrad, Brahe und Weichsel eigentümlich, wobei der Übergang zum westlicheren dörp natürlich nur ganz allmäh- lich und ort für ort nicht fixierbar ist.

Hingegen sind im hd. umlautlose formen allgemein, nur an der Eifel ragt das ripuarische ö in schmalem streifen ins ver- schiebende land herüber (dörf); im hessischen an der oberen Lahn, im Schwalmgebiet, am Vogelsberge tauchen einige zer- rissene und schwer zu begrenzende zipfel mit derf, darf auf; und zu beiden Seiten der Werra von Hedemüuden bis Vacha hebt sich deutlich ein der/'-districl heraus (auch darf und dörf), der gen w. Cassel, Grofsalmerode, Lichtenau, Spangenberg, Rotenburg, Hers- feld, gen 0. Worbis, Dingelstedt, Mühlhausen, Langensalza, Gotha,

BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X. 327

Ohrdruf nicht mehr einschliefst; endlich derf, darf noch an der luxemburgischen grenze zwischen Sierk, Merzig, Saarburg.

Sonst ist durf schlesisch und zwar im w. bis (w-orle cursiv) Schwerin, Biesen, Meserüz, Scliermeifsel, Lübeiian, Slernberg, Fürstenberg, Crossen, Bobersberg, Guben, Pfürten, Sommerfeld, Triebel, Muskau, Weifseuberg, Rekhenbach, Lübau, Bernstadt, Ostritz, Seidenberg, im s. östlich vom Kiesengebirge bis Char- lottenbrunn, INeurode, Silberberg, Beichenbach, Nimptsch, Franken- stein, Milnsterberg, Strehlen, Grottkau, Falkenberg, Neilse, Zülz; dieser zuletzt abgeschnittene südliche reichszipfel an der Glatzer Neifse hat darf, in seiner westlichen hälfte auch vielfach darf; sonst ist das w in Schlesien ganz rein, wechselt nur längs dem Riesengebirge mit o. dieser n- und o-wechsel setzt sich dann westwärts fort und gilt besonders für das kgr. Sachsen nördlich vom 51 breitengrade und darüber hinaus für die gegend zwischen mittlerer und unterer Elster und Saale, sodann ist durf einem gebiete zwischen Spessart und Thüringerwald eigen, das gegen w. sich erstreckt bis («-orte cursiv) Karlstadl, GemUnden, Rieneck, Steinau, Schlüchtern, Herbstein, Fulda, Lauterbacb, Schlitz, Hün- feld, Hersfeld, gegen n. bis zum oben beschriebenen derf- gehiel, gegen no. bis zum Rennstieg, gegen so. etwa bis zur linie Ilme- nau-Karlstadt; letzterer linie sind aber noch eine ganze menge vereinzelter u im sonstigen o- gebiet vorgelagert bis an die o. skizzierte grenze der nordbair. formen mit r-ausfall, endlich u noch vereinzelt südlich der Schnee-Eifel, im westlichsten Lothringen jenseits der Mosel, an der Altmühl und Rezat um Gunzenhau- sen, Spalt.

Im übrigen ist der hd. slammvocal überall o, der als ganz offen characterisiert wird durch Wechsel mit a in hessischen strichen (dem erwähnten e, ä beuachbarl, so zwischen Gemünden und Sachsenberg oder Treysa und Borken), zwischen mittlerer Saale und F. Mulde (wo a, o, u durch einander gehn), zwischen Thüringerwald und P'rankenwald und südwestlicher (dgl.), west- lich von Trier- Saarburg, im gebiet der Glan und unteren Nahe, seltener im oberen Saargebiet und zwischen Biber und Lauter, am südende des fränkischen Jura zwischen Weifsenburg und Frey- stadt, vor allem aber im bair. südlich der Donau und östlich des Lech, soweit kein r-schwund eingetreten ist (s. o.). anders hingegen wie solches a, nämlich aus der arliculation des folgen- den r wird sich zumeist oa erklären, zumal es in den r- losen gegenden besonders häufig ist (dorf ^ doarf^ doaf); abgrenzbar ist es an der Lahn und Nidda, wenn auch noch genug o geschrie- ben werden (und im n. a), und zwar durch (oa-orte cursiv) Mar- burg, Schweinsberg, Kirtorf, Alsfeld, Grünberg, Laubach, Schotten, Herbstein, Wenings, Ortenberg, VVächtersbach, Hanau, Windecken, Frankfurt, Homburg, Nauheim, Usingen, Butzbach, Weilburg, Braunfels, Herborn (besonders im südlichen teil doaf); weiter

328 BERICHTE ÜBER WEiNKERS SPRACHATLAS X

Vgl. 0. beim /'-auslall ; oa ohne lelzteren (doarf) im schwäbischen streiten von Lülfingen-Thengeu bis Ilaigerlocli-Trochleltingeü und im Allgäu. von sonstigen einzelerscheinungeu, vereinzelten (lehnungen uü. wird hier abgesehen.

Von synonymen sind zu erwähnen loog in Oslfriesland (s. Mnd. wb. u. loch) und ort in der Taunusgegend, sowie linksrheinisch zwischen Mainz -Worms und unterer IVahe, ferner versprengt in dem ganzen fränkisch-alemannischen complex, der zwischen Schwarz- wald, Miltelrhein, unterem und mittlerem Main (bis Ochsenfurt), der politischen grenze des kgr.s Hayern von Aub südwärts, dem Lech und dem Allgäu liegt, hier häuGger von Tauberbischofs- heim-Ochsenfurt südwärts bis zum Kocher, in der Rauhen Alb und rechts der Donau bis Ulm; in Schwaben dazwischen etliche ßecken.

Die Dänen schreiben by, vereinzelt stai; die Friesen auf Sylt und im Saterlaud terp, auf Führ und Amrum tarp, auf den Halligen und dem festlande ("aufser den drei südlichsten dOrfern mit terp) torp.

38. äffe (satz 11).

Die lautverschiebung des inlautenden pjff hat hier eine feste grenze nur bis zur Weser, aber auch in diesem westlichen teil einen ganz eigenartigen verlauf: sie zieht zwischen (verschiebende orte cursiv) Geilenkirchen, Herzogenrath, Aldenhoven, Eschweiler, Aachen, Stolberg, Cornelimünster, Nideggen (im w. haben Eupen und ein nachbarort noch p), Gemünd, Münstereifel , Ahrweiler, Remagen, Sinzig, Linz, Unkel, Rönigswinter, Blankenberg, Sieg- burg, Waldbröl, Gummersbach und folgt dann der //r/jcA-Ünie, nur dass Fürstenberg, Vühl, Zierenberg, Immenhausen auf ihrer hd. seile verbleiben, im o. der Weser ist sie bereits in weite sonst nd. landschaften vorgedrungen und zahlreiche ihr noch nord- wärts vorgelagerte verschobene formen sprechen für weiteres vor- dringen; es genügt daher die ungefähre skizzierung, dass die ver- schiebungsgrenze heute etwa von Hedemüuden nach Gardelegen, von Gardelegen nach Luckenwalde zu ziehen ist, dass sie von hier ab Berlin und seine weitere Umgebung als hd. halbinsel herausschneidet, dass sie dann etwa von Alt -Landsberg nach Cüstrin läuft, der Warthe und Netze aufwärts bis Filehue nach- geht und endlich wie ikjich schliefst, ebenso hat der hd. bezirk üstiich der unteren Weichsel seine sonst so feste und cousequeute grenze hier und da etwas erweitert, und ganz im o., etwa zwi- schen 54 und 55 breitengrad und jenseits des 39 läugengrades, sind die hd. formen mindestens ebenso häufig als die nd. (vgl. 0. u. zwei s. 100 und die dortigen citate).

Für den stammsilbenvocalismus genügt verweis auf wasser (Anz. XIX 282 f); doch fehlen die a bei Cleve, ferner sind bair. 0 ganz vereinzelt, dagegen ä häufiger iniElsass, wo abervocaldehnung zwischen Zorn und Breusch nur für zwei orte bezeugt wird; zu

BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X 329

beachten ist, dass das ripuarische ujössf r-gebiet hier äp hat (s.o.); alle die verschiebenden eindringlinge nürdiicli der ikjich - linie haben natürlich auch hd. vocal {afj'e, trotz der sonstigen oape uä.); vgl. noch machen o. s. 208.

Das auslautende -e ist im wesentlichen ebenso weit ei halten wie bei gäiise usw. für die nordgrenze des e-gebietes genügt es wider auf dies paradigma (Anz. xvui 408) zu verweisen, die west- und südgrenze ist sehr scharf zu fixieren und milden ver- wanteu linien, zuletzt u. leute (o. s. 222) und hause (o. s. 210), zu vergleichen (endungsorle ciirsiv): Isselhurg, Bocholt, Wesel, Dor- sten, Ruhrort, Mülheim, Kettwig, Wej'den (um Mülheim und Werden -en), Velbert, Langenberg, Gräfralh, Merscheid, Leichlingen, Opiaden, Burscheid, Gladbach, Gummersbach, Waldbröl. Freudenberg, Siegen, Haiger, Dillenburg, Biedenkopf, Marburg, Wetter, Hauschenberg, Gemünden, weiter wie bei leute (nur Tennstedt, Gebesee).

Es bleiben einige einzelheiten zu erwähnen; hoffe in der Niederlausilz (vgl. u. eis Anz. xvui 411, aus o. s. 212); näp an der westlichen reichsgrenze um Gangell und VValdfeucht, sowie südwestlich von Dülken; ämpe au der Wupper um Leichlingen und Burscheid; äft östlich der Schnee -Eii'el um Prüm, äfft westlich von ihr um SlV^ilh und nördlicher, vereinzelt bis gegen Aachen.

Das dänische hat äf, daneben oft das compositum afkat {affe- kat uä.). die friesische form ist auf den Halligen und dem mitt- leren teil der küsle awe und stimmt sonst zur benachbarten plalt- deutschen.

39. besser (satz 2 und 18).

Die lautverschiebuug tjss stimmt zu wasser (Anz. xix 282) nur linksrheinisch und dann zwischen Rothaargebirge und Harz (von Gummersbach bis Sachsa); dazwischen zieht sie aber über Kaiserswerth, Ürdingen, Angermund, Kettwig, Werden, Velbert, Hattingen, Langenberg. Barmen, Schwelm, Breckerfeld, Rade v. Wald, Hückesioagen, Wipperfürth; vom Harz ab widerum grofses vordringen gen n.: Sachsa, Andreasberg, Osterode, Clausthal, Grund, Seesen, Bockenem, unsicher nordostwärts auf Öbisfelde, Garde- legen, Bujg, Ziesar, Brandenburg, Ketziu, Potsdam, Spandau, Ora- nienburg, Ruppin, Rheinsberg, Fürstenberg, Lychen , Templin, Strasburg, Pasewalk, Stettin, Arnswalde, Schloppe, Driesen, der resl wie ikjich; südlich dieser grenze bis zur ?Ä:/VcA-grenze noch versprengte i-resle; die hd. enclave östlich der unteren Weichsel stimmt zu ikjich, dagegen kommt an der russischen grenze wider ein district mit bei weitem überwiegender lautverschiebung hinzu, der im n. etwa bis zum 55 breiteugrade, im w, und sw, etwa bis Ragnit-Insterburg-Darkehmen-Olelzko reicht (vgl. zuletzt o. u. äffe s. 328).

Das nd. t wird d, r oder schwindet (vereinzelt) wie bei wasser aao. im ripuarischen (linksrheinisch durchgängig, rechts-

330 BERICHTE ÜBER WENKERS SPRACHATLAS X

rlieinisch meist uur in nächster nähe des flusses) wechselt ss oder ß (hei vocalläuge, s. u.) mit st.

Der nd. vocal ist im allgemeinen ä; e gilt nur (iir das mün- dungsgebiet der Ems (um Leer und Emden) und für die unterste Ruhr; e«, ue südlich von Straelen-Crefeld; (auch u, iär uvä.) ist westfälisch und reicht im s. bis an die verscliiebungslinie von Medebach bis Schwelm , im w. etwa bis Schwelm-Dorsten-Coes- feld-Gronau, im n. von Gronau bis zum Dümmersee, im o. etwa bis Dümmersee - Lübbecke-Herford - Bielefeld-Nieheim - Carlshafen- Vollimarsen-Medebach; ei östlich der unteren Oder, der verschie- bungsgrenze von Slargard i. V. an vorgelagert und gegen n. und 110. noch geltend für Dramburg, Tempelburg, Jaslrow, Wirsitz, Schubin, Barlschin, Powidz. vocalkürze im nd. (bätter, better) umrahmt fast das ganze westfäl. /«-gebiet, so in schmalem streifen von Barmen über Essen, Dorsten, Coesfeld, Ahaus, Gronau und nördlicher um Schüttorf, Nordhorn, Neuenhaus, Lingen, Freren, Fürstenau, östlich vom Teutoburger Wald (gewöhnlich dd) bis über Salzuffelu, Lemgo, Blomberg hinaus, im s. zwischen Carlshafen- Medebach (s. o.), lautverschiebung und Weser, endlich über die Weser ostwärts hinaus im n. nicht ganz bis Pyrmont-Hildesheim, im s. und o. bis zur Verschiebungslinie (reines better); ebenso ferner östlicher an Elbe und Havel in dem von der lautverschie- bung gebildeten bogen von Gardelegen bis Rheinsberg; vereinzelt zwischen Oder und Weichsel.

Der hd. vocal ist e bis auf folgende nüancen (vgl. bett Anz. XIX 355). ä ist sehr häufig im gebiet der oberen Sieg, zwischen Westerwald, Rhein und unterer Lahn, zwischen Vogelsberg und Röhn (an der obersten Fulda einige a, aä, ae) und nördlich und nordöstlich davon bis zum Thüriugerwald, seilner im Moselgebiet, im übrigen hessischen, im thüringischen und obersächsischen, vereinzelt im elsässischen und schlesischen (hier neben ebenso vereinzelten a); ö vereinzelt am Frankenvvald, sonst im südlichen Baiern wie bei bett aao. vocaldehnung wird oft für das ripu- arische bezeugt (teils durch 5, teils durch fs) und wechselt be- sonders südlich Jülich-Brühl mit diphthongierung {ei, namentlich beister, s. o.); sonst noch ei in einem kleineu bezirk nördlich von Würzburg mit Arnstein als mitlelpunct.

Zum -er vgl. u. ivinter Anz, xix 110 [xoasser 283. bruder o. s. HO, Muser o. s. 218), doch ändere man dort die ungenaue an- gäbe z. 17 f über -e, rechts der unteren Oder dahin, dass diese allem nd. lande von Stettin -Laudsberg bis zur hd. enclave an der unteren Weichsel zukommen; eingehndere behandluug bleibt vorbehalten bis nach Vollendung aller oder der meisten -er-pa- radigmen. bei besser wechselt das ripuarische -e mit gänzlichem Schwund der endung (6as, beis), aufser in den erwähnten sf-formen (nie beist).

IMe Dänen haben haer, bär, nur im nördlichsten zipfel öst-

BERICHTE ÜBER AVENKERS SPRACHATLAS X 331

lieh von Ripen heier, 6d?er, auf Alsen und der gegenüberliegenden kilste öfter b'u; die Friesen bc{e)r (selten baer) auf den Halligen und dem nördlichsten nnd südlichsten festlandsteil, bcter auf Sylt, bedar auf Amrum, beder- auf Föhr und der mittleren kilstc (vier orte der letzteren bedere, hedre).

40. fleisch (satz 19).

Der nd. und md. vocalismus stimmt im grofsen und ganzen zu heijs (o. s. 96 ff), von den dortigen hitt- und Äe//- bezirken haben der au der untern Elbe und der am Frischen Half hier e, der zwischen Wittingen und Salzwedel schwanken zwiscben e und et, der niederrheinische ei (sodass dies ei mit den unter heifs angeführten diphthongdistricten bei Isselburg und zwischen Ruhr und Wupper 6in ej-gebiet ausmacht, das recbtsrheinisch bis über Dinslaken und Wesel noch hinausgreift); an der unleren Vechte von Neuenhaus abwärts hier ei, äi (dort het); zwischen Cassel und der ikjich-Wme von Zierenberg bis Witzenhausen noch ein schmaler hd. eu-slreifen (dort heifs); an der russischen grenze um Stras- burg hier nur vereinzelte ei neben regelmäfsigem e (dort con- sequentes heit). ergänzt sei hier, dass die auch bei fleisch wider- kehrenden zal)lreicben oslpreufsischen o wol ohne lautliche be- deutung und aus sogen, umgekehrter Schreibung zu erklären sein diJrften, weil sonstiges ö dort zu e entrundet ist (vgl. zb. unter miide Anz. xix 353 f), doch werden sie geschlossenes (" anzeigen sollen (vgl. hingegen unter zwei o. s. 101 , wo aber z. 15 zwa St. zwü zu lesen ist), die bei heifs noch sehr schwankende gegend des Vogelsberges hat bei fleisch schon consequenteres ä (ost- wärts von Schotten -Wenings oa); zwischen Andernach, Mayen, Adenau eine /?oscÄ-enclave (dort nur höfs); in Lothringen hier viel durcbgeführteres 5, das bis zur elsässiscbeu grenze vorherseht, wenn es auch mit vielen diphthongformen noch durchsetzt ist (das ai von Coblenz, Ems an hier viel weiter südwestlich noch in der ganzen Hunsrückgegend und südlicher bis Birkenfeld und Obersteiu, ja vereinzelt bis Saarbrücken; et besonders um Bolchen und StAvold).

Hingegen sind im obd. Süden die vocalischen abweiehungen zwischen beiden paradigmen viel erheblicher, so ist die süd- grenze des grofsen ö- gürteis hier bedeutend eingeschränkter; nachdem sie bereits in der Pfalz (bei Kirchheimbolanden und Pfeddersheim) eine kleine einbufse erlitten, nimmt sie namentlich von der politischen grenze Baierns zwischen Crailsheim und Din- kelsbühl an ihren eignen, freilich sehr schwankenden verlauf über Rothenburg, Wiyidsheim, Neustadt, ganz unsicher weiter bis Hollfeld, Weismain, Steinach, Cronach, Lichtenberg, Tanna, Öls- niYs, Schöneck ; freilich erscheinen versprengte ä noch südlicher bis zu der für heifs gegebenen grenze, ebenso ist der west- schwäbische oa- bezirk hier viel beschränkter: seine westgrenze ist vom westlichen ai (das auch um Renchen, Achern, Bühl gegen-

332 BERICHTE ÜBER WE.NRERS SPRACHATLAS X

über duiiigem he'ifs, häifs herscht) stark zurückgeilräogf, und wenn auch vereinzelte oa bis zu der für heifs beschriebenen linie noch sich finden , so liegen doch von den dort aulgezählten orten Dornstelten, Freudensladt, Schiltach, Villingen, ßraunliugen, Löf- fingen nicht mehr innerhalb des für fleisch abgrenzbaren oa-%&- bietes; von den orten seiner ostgrenze liegen hier Grützingen aufserhalb und Ravensburg innerhalb derselben; die ö am Boden- see fehlen für fleisch völlig, die ostliche scheide des ostschwä- bischen oi, oe schneidet hier die Donau schon oberhalb Donau- wörth und zieht dann unsicher gen sw. auf iMindelheim zu, wenn auch versprengte oi noch bis zum Lech hin sich finden, die wesentlichste abweicbung aber besteht in dem ganz Baiern öst- lich von diesem floisch- und dem oben begrenzten /?äscA- gebiet beherschenden, consequenten fleisch (gegenüber Aoa/s, Äo?/s, /jö/s); die e/-schreibuug ist hier ebenso rein wie beim ei <^ mbd. 7, und wie bei diesem fehlen hier selbst die cZ-formen am Böbmer- walde nicht (vgl. Anz. xviii 411).

Die auslautende consonanz erscheint als -s, -fs in der gegend, die zwischen dem westlichen teile der ikjich -Waie, der oberen und mittleren Ruhr und der ungefähren linie Dortmund- Gronau hegt, sowie nördlicher längs der holländischen grenze, besonders im Vechiegebiet, und wider an der untersten Ems und am Dollart von Piipenburg bis über Emden hinaus; aufserdem vereinzelter zwischen unterster Weser und unterster Elbe etwa bis zur Wümme; endlich zwischen Hamburg, Lauenburg, Lübeck, vorwiegend sk (selten schk) wird geschrieben in allem lande, das zwischen jenem westfälischen s-streifen einerseits, dem 27 längengrade und der unteren Weser (von der Allermündung abwärts) anderseits ge- legen ist; verstreut erscheint es aufserdem von der Lüueburger Heide nordostwärts über die Elbe bis nach Mecklenburg hinein, einzelne -s und -sk noch an der hinterpommerschen küste. vgl. die andre Verteilung der s-schreibungen bei schnee o. s. 91.

Im thüringischen , obersächsischen , schlesischen zahlreiche dativendungen -e, allerdings meist mit vorangehndem artikel.

Die Dänen haben kjOr, kjöd, kjö, deren unterschied bei der rudimentären ausspräche des dän. r und d im auslaut nur gra- phisch sein wird, von den Friesen steht Sylt für sich mit m^^; sonst gilt für Amrum, Föhr und die Halligen ßüsk, für Oland ßösk, für die küste sowie für das Saterland fläsk (statt -sk oft -seh geschrieben).

41. weh (satz 8).

Das synonyme ser bildet längs der holländischen grenze von Wilhelmshaven bis Gronau ein scharf abgegrenztes gebiet (daneben i>esouders in seinen nördlichen und südlichen gegenden sär): seine ostscheide folgt vom Jadebusen an ungefähr der oldenbur- gischen grenze bis zum schnitt mit der Haase, schliefst südlicher Fürstenau und Freren ein, trifft die Ems unterhalb Rheine, die

BERICHTE ÜBER WE.VKERS SPRACHATLAS X 333

Vechte oberhalb Scbüttorf iinil läuft sildlich an Gronau vorbei auf die reicbsgrenze. das übrige Oldenburg und die gegend um Syke, Hoya, Bremen, Oslerholz gebrauclien statt tun mir weh ge- wöholicb killt (kellt) mi.

Das sonst überall voriiandene xceh stimmt mit seinem voca- lismus in Niederdeutscbland im allgemeinen zu schnee (o. s. 102), nur etliche der dortigen besonderheiteu treffen hier nicht zu und werden sich daher wenigstens teilweise aus aulehnung an schneien erklären: es fehlt für weh das ei an der unteren Oste und das ie im östlichen Wagrieu; um Osnabrück nur erste anfange der diphthongierung; e an der Verschiebungslinie nördlich von Cassel nur in der ausdehnung wie bei heifs (o. s. 98); ebenso nur die beiden nd. ew-bezirke wie bei letzterem; es fehlt die ?e-enclave östlich von Hannover (hier nur wei); östlich der Weichsel nur 6iu deutlich begrenzbares toj'e-gebiet innerhalb der hd. enclave mit Elbing, Pr. Holland, Liebstadt, Mohrungen, Christbnrg, Saal- feld, LiebemiihI; der e?-bezirk in der mark Brandenburg ist hier besonders gegen so. eingeschränkter und reicht nur bis Fürsten- felde, Cüstrin, Seelow, Müncheberg, Fürstenwalde, Beeskow, Stor- kow, Buchholz, Golssen, Luckau, Dahme, Jüterbogk, Seyda usw. (wie bei schnee aao.).

Auch auf hd. boden ist im grofsen und ganzen die voca- lische entwicklungsverwantschaft von schnee und weh unverkennbar, ich beschränke mich auf folgende abweicliungen, die freihch einen karleuenlwurf von schnee nach meinem bericht voraussetzen; ein- gehndere combination bleibt vorbehalten, bis alle hierher gehörigen paradigmen verarbeitet vorliegen, die grenze des grofsen xoie- gebiets im w. stimmt zu schnie (und grüß) bis Lauterbach, zieht dann aber zwischen Alsfeld, Grebenau, Schwarzenhorn, Hersfeld, Rotenburg, Sonlra, Waldkappel, (nach w. biegend) Melsungeu, Felsberg, Ilomberg, Gemünden, Frankenau, Battenberg, Hallenberg, Berleburg, Schmallenberg, Hilchenbach, Siegen, Ilaiger, Freuden- berg, Waldbröhl, Eckenhagen, Gummersbach (südwestlich von beiden wider tvee), \Vi|)perfürth, Hückeswagen, Remscheid, Lüttringhauseu, Gräfralh, Wülfrath, Kt'thvig, Mülheim (um Mülheim, Keltwjg, Vt'iberl, Elberfeld, Barmen wider ivia), Duislturg, Angermund, Kaiserswerlh, Düsseldorf, Neufs, Crefeld, Kempen, Geldern, Slraelen; innerhalb dieses complexes fehlen die für schnee gezeichneten ei- euclaven für weh (nur einzelne xcei, wej nördlich di-r untersten Lahn und südlich von Biedenkopf); in den hessischen teilen über- all versprengte we; überwiegende ie im w. nördlich der Sclinee- Eifel längs der reicbsgrenze etwa bis Blankenlieim-Jülich-Crefeld, ferner um Bemscheid und nordöstlicher, sowie an der Sieg etwa innerhalb Waldbröl-Allenkirchen- Haiger. die westgrenze des öst- lichen Mj/e-gebietes zieht über den Beunstieg und weiter über Eisenach und Creuzburg, um dann ganz unsicher gen no. zu laufen; von den für schnee bezeichneten drei ^-enclaven inner-

334 UERICHTE ÜBER WE>KERS SPRACHATLAS X

halb dieses gebietes ist die im ii. des Erzgebirges lür weh viel eingeschränkter und reicht nördlich nur bis Werdau, üsllich nur bis Harleustein-ObWiesenlhal, die beiden schlesischeu lehlen ganz, dem grofsen sc/i«e?-bezirk zu beiden seilen der Fulda entspricht, soweit die wie-iovmen nicht schon in seine gegenden hineinreichen, grüstenleils we, nur an der Hainleite wider etliche wei und an der Werra zwischen Berka und Witzenhausen viele eingestreute wie. die ia zwischen Münnerstadt-Köuigshofen und Hammelburg- Schweinfurt fehlen bei weh, dafür (wie südlicher bis Würzburg) wea, wda. von den greuzorten des Schwab, ai, ae bringe man auf der karlenskizze von weh Riedlingen, Spaichiugen, Tullingen, Beilsteiu auf die andre seite der linie wie bei schtiee.

Als besonderheiten treten auf dem rechten Regnitzufer etwa bis Forchheim-Pottenstein-HoUfeld-Bamberg neben weh und selt- nerem wie die formen weg, wech, wig, xoich, wieg, wiech auf.

Formen mit endung -e häufig in Westfalen {weue, weie), ver- einzelt auch in den östlicheren teilen jenes grofsen diphlhou- gierungsgebietes, häufig dann wider in der gegend von Magde- burg und in nordöstlichem bogen bis gegen Berlin hin (wehe).

Die nördliche hälfte des plattdänischen reichsgebietes hat undt (selten ondt), die südliche we, Alsen schreibt wie; die Nord- friesen gebrauchen sier, auf Amrum und Föhr siar, in den süd- lichsten küstenorten wie, wier. (fortselzung folgt.) Marburg i. H. Ferd. Wrede.

ErSTGEGNÜNG.

Die im Anz. xx 42 fl" abgedruckte besprecliuug meiner 'Erasmus- sludien' durch lim Max lierrraann wird mir die erwünschte veran- lassung geben , die frage nach dem geburtsjahr des Erasmus einer nochmaligen Untersuchung zu unterziehen, an dieser stelle gestatte ich mir, auf folgende puncte aufmerksam zu machen:

1) S. 46 bemerkt H., dass Kniglil zu der annähme, Colel sei 1466 geboren, nur auf gruud der von mir citierleii stelle des Erasmischen Lriefes gekon)men sei, indem Knight 1466 für das geburtsjahr des Erasmus hielt, ich ersuclie H., den beweis für diese behauplung an- zutreten. Knight selbst gibt in seinem Leben Colets keine angäbe, wann Erasmus geboren, in seiner Erasmus-biograpliie nimmt er als Erasmus geburtsjahr 1467 (!) an (vgl. s. i meiner Erasmusstudien). an der Kiiighisclien angäbe, dass Qolet 1466 geboren, halle und habe ich umsoweniger anlass zu zweifeln, als die von Knight mitgeteilte, sicher kurz nach Colets lode gesetzte grabinschrifl unzweifelhaft 1466 ergiht.

2) S. 45 behauptet H. gegen s. vi meiner arbeit, die angaben des Baselers JHeroll entiiiellen keinen Widerspruch. Herolt gibt an (Erasmi opp. vHi 635 E). Erasmus sei 28 oct. 1467 geboren und 12 juli 1536 'mm septuagenarius' geslorben. sepluagenarius kann bedeuten: 1) im 70 jähre stehend, 2) 70 jähre alt, 3) allgemein: ein siebziger, im 1 falle

ENTGEGiNUiNG 335

würde als geburlsjalir 1466, im 2 1465, im 3 1465. 1464, 1463 usw. anzunehmen sein, auf alle fälle aber ist 1467 ausgeschlossen, die angaben llerolts enihallen also einen nicht zu beseiligenden Wider- spruch und sind daher nicht verwertbar.

3) Am schluss spricht H. von der 'Sicherheit, mit der sich H. für 1406 entscheidet', im Schlusswort (s. xvui) betoneich: '. . . gelm auch die äufserungen des Erasmus ... nicht auf ein einziges jähr zurück, so erweist sich doch 1466 als das jähr, das . . . die grösle . . . wahr- sciieinlichkei t für sich hat, als das geburtsjahr zu gelten'.

4) Ferner behauptet H. : 'die monalsangaben der drucke scheinen ihm dagegen (gegenüber den Jahreszahlen) offenbar über jeden zweifei erhaben zu sein , eine inconsequenz in der skepsis, die mitunter be- denkliche folgen haben kann'. H. scheint nicht zu beachten, wekhe Verschiedenheit in der Überlieferung der jahreszaideu gegenüiier den monalsangaben besteht, s. 5 meiner arbeit habe ich die notwendigkeit betont, auf die jeweilige edilio princeps der einzelnen briefe zurück- zugehn, da die spätem ausgaben vielfach abweichungen und, was hier besonders in betracht kommt, willkürliche zusälze (vor allem bei den Jahreszahlen) aufweisen, für den wert der ed. princ. spricht der uu)- stand, dass daselbst die briefe auf grund der hslicheu vorläge (concept oder original) abgedruckt sind, während bei den späteren drucken nur in wenig fällen eine vergleichung mit der hslichen vorläge und eine Verbesserung darnach nachzuweisen ist, wie icli au anderer stelle aus- führlich darzulegen gelegenheit haben werde, dadurch, dass die monals- angaben — im gegensalz zu den meist erst später hinzugesetzten Jahres- zahlen — in der ed. princ. bezeugt sind, ist für il)re richligkeit eine wichtige stütze gewonnen, die noch wesentlich durch die erwägung gestärkt wird, dass bei den meist nach dem römischen caleuder oder durch festbezeichnungen ausgedrückten monalsangaben weniger leicht lese- und druckfehler vorkommen können, als bei den Jahreszahlen.

Dresden, april 1894. Arthur Richter.

Zu meiner freude sieht hr dr Richter offenbar die nuhaltbarkeit seiner melhode ein: gegenüber der Sicherheit, mit der er seine frage gelöst zu haben meinte, hält er nun doch eine nochmalige Unter- suchung für nötig, für die er uns hoffentlich mit reichem neuem malerial beschenken wird, bevor er sie beendet, wird er hoffentlich weiter einsehen, dass er seinen behauptungen den anschein der Sicher- heit verleiht, wenn er sie mit salzen abschliefsl, wie sie jetzt bei ihm s. XVIII f zu lesen sind : '. . . so dürfen auch wir kein bedenken mehr tragen, dieses jähr fernerhin als das geburtsjahr des Erasmus anzu- sehen' und '. . . so muss 1466 sein geburtsjahr sein', ich empfehle ihm ferner das Studium des causalsatzes, in dem icii meine beurteilung des Heroltschen Zeugnisses begründet habe: bisher hat er diu offenbar übersehen, ziemlich ebenso überflüssig, wie infolge dessen seine aus- führungen unter nr 2 , ist die belehrung, die er mir unter nr 4 zu

336 ENTGEGNUNG

erleilen raeinl: sie wäre am plalze, wenn ich die extreme tlieorie ver- treten hätte, die nionatsdateu wären el)enso unzuverlässig wie die Jahresangaben ; statt dessen bemängelte ich nur seine nach der ent- gegengesetzten Seite hin mindestens ebenso extreme praxis, die monats- dalen ohne jeden zweifel zu übernehmen.

Dass R. sich meine anschauungen über den- wert seines malerials zu eigen gemacht, beweist auch punci 1 seiner 'Entgegnung'. R. hätte den brief des Erasmus an Jusius Jonas gewis nicht so an die spitze seiner einwände gestellt, wenn er nicht im gegensatz zu seiner früheren Leweisfuhrung, welche die stelle nur zur bestätigung der sattsam be- kannten lalsache iieranzog, dass Erasmus 1519 das jähr 1466 für sein geburtsjahr hielt, jetzt mit mir einsäiie, dass dieser brief für die weil wichtigere feslstellung über die ansiebt zu verwerten ist, die Erasmus 1499 ül)er sein geburtsjahr hegte, sobald wir das geburtsjahr des JColet mit Sicherheit zu fixieren wissen, unsere anschauungen gehn jetzt nur nocii in der frage auseinander, ob diese bedingung erfüllt ist. R. bleibt bei seinem ja, ich bleibe bei meinem nein, freilich habe ich wol etwas zu rasch Knigbls ansetzung (1466) auf den genannten brief des Erasmus zurückgeführt, weil Knigbt keine quelle angibt und jenen brief als hau))tslütze seiner ganzen darstellung l)enutzl hat. aber noch weniger glücklich ist R., wenn er Colets grabslein zur grundlage seiner (and Knights?) berechnung wählt, 'unzweifelhaft' ergibt dieser grab- stein als Colets geburtsjahr 1466? dann würde als Erasmus geburts- jahr 'unzweifelhaft' 1465 sich ergeben, denn Colet ist und hier kann ich das worl unzweifelhaft wol ohne gänsefüfschen verwenden im Januar geboren: 'zwei bis drei monate später' als Erasmus, dessen geburtstag auf den 28 oct. fällt. Colet jan. 1466 dh. Erasmus oct. 1465. und damit hätte R. seine eigene Iheorie beseitigt, tatsächlich aber ergibt Colets grabslein überhaupt nichts 'unzweifelhaftes'. Colet starb sept. 1519, und seine grabschrift sagt: 'vixil 53 annos\ das kann natürlich geradesogut heifsen : er starb im 53 lebensjahre wie: er hat das 53 lebensjahr überschritten; also: er ist jan. 1466 oder 1467 geboren, daraus folgt weiter: Erasmus hielt 1499 entweder 1465 oder 1466 für sein eigenes geburtsjahr. und so muss ich diese antwort widerum mit den worten schliefsen: 'als ergebnis der ganzen Untersuchung bleibt nur die erkenntnis, dass wir mit hilfe des vor- handenen materials das geburtsjahr des Erasmus nicht bestimmen können'. Berlin, 9 mai 1894. Max Herrmann.

ZUR KLAGE EINES EHEMANNES (Zs. 38, 153). Die bemerkung Roethes zu v. 5 dieser klage gibt den sinn des ausdrnckes sandrüter dh. san dritter als selbdritter richtig an. Schmeller n- 2S5 belegt und erklärt ilin als samt -dritter, wobei samt wol für ein älteres sam eingetreten sei. Keinz.

ANZEIGER

FÜR

DEUTSCHES ALTERTUM UND DEUTSCHE LITTERATUR

XX, 4 October 1894

Altgernianisclie meliik. von Eduard Sievers. (Sammlung kurzer granimatiken germanischer dialecte. herausgeg. von WBraune. ergänzungsreihe ii.) Halle, MNiemeyer, 1893. xvi und 252 ss. 8°. 5 m.

Dieses buch ist der etwas erweiterte und umgeslallete ur- sprüugliclie entwurf der kürzeren darstelluug, welche Sievers von demselben stolTe im ii bände von Pauls Grundriss gegeben hat. das werk scheidet sich in eine objecliv statistische darlegung der metrischen tatsachen und einen subjectiven teil, als wel- chen S. seihst alles 'entwicklungsficschichtliche, namentlich den versuch einer vollständigen rliylhmisierung' bezeichnet, beide teile sind mit absieht gänzlich getrennt von einander gehalten worden.

In einer einleitung gibt S. eine kurze übersieht über die verschiedenen Iheorien, welche vom metrum des allitterations- verses aufgestellt worden sind, und setzt sich mit seinen gegnern auseinander, indem er dann den stichischen character der west- germ. allitlerationsdichtung erörtert, knüpft er daran den satz, dnss man im gegensalz zum strophischen character der nordischen allitterationspoesic auch 'das germanische epos, soweit es für den einzelvortrag bestimmt war, für stichisch, höchstens tiradenartig gegliedert werde erklären dürfen', eine Vermutung, die mindestens ebenso wahrscheinlich ist, wie die gegenteilige, soweit dadurch nicht zugleich ein praejudiz über die dichtungsarl gegeben sein soll, welcher der in der allitterationspoesie ver- wendete vers entstammt, im anschluss daran verteidigt S. seine ansieht, dass für diese allitterationspoesie der Sprechvortrag oder der recitatorische Vortrag ('Sprechvortrag mit freier Intonation') anzunehmen sei, und da neuestens auch Ileusler das gleiche als seine und Möllers ansieht hinstellt, so dürfte dieser teil der frage nun wol einer weiteren discussion enlraten können, dann folgen die bekannten 5 lypen S.s, welche die Schemata der alhtterations- verse nach ihrer silbenzahl, der Stellung und Quantität i)etonler und unbetonter silben umschreiben, den früheren aufstellungen gegenüber mit geringen modiücationen , unter denen die wich- tigste ist, dass der früher als erweitertes E bezeichnete typus jetzt als ein erweitertes A augesehen wird (s. 32, nr 3c). darauf werden A. F. D. A. XX. 22

33S SIEVERS ALTGERMANISCHE METRIK

nllitteration (und reim), das Verhältnis von versbau und satzaccent, sowie von vers- und satzgliederung erörtert, bekanntlich macht sich im allitterationsvers eine besonders enge beziehung zwischen der versbetonung und einer rhetorisch gesteigerten prosabetonnng, eine aufserordenthche empfindhchkeil des verses gegen jede eigen- heit des natürhchen accentes geltend ', wie sie mir nur bei einem sprechvers verständlich ist. ich wundere mich, dass in diesem Zusammenhang § 30, 2b nicht auf den beweis eingegangen ist, den das enjambemenl liefert, die zusammengehörigen Satzteile, welche durch dasselbe von einander getrennt werden, werden durch eine eigenartige betonung wider zusammengeschlossen, dieser eigentümlichkeit muss die verstechnik folgen und solche Wörter, wenn sie auch sonst wenig betont sind, an die stabstelle setzen, zb. Hei. 5401 was thdr öc hi sinon \ sundion giheftid, oder in <lem häufigen werthan oder wesan an thesaro weroldi, mit icertlian, wesan als hilfszeitwörtern, zb. 998. in den vier folgenden ab- schnitten reiht sich dann eine eingehnde erörterung der an., ags., alts. und ahd. metrik an.

Was bis hierhin vorgetragen ist, stellt S. auch heute noch als das objeclive tatsachenmaterial hin, welches zunächst unserer beobachtung untersteht, mit dem aber 'eine darstellung der posi- tiven regeln der altgermanischen verskunst nicht in vollem um- fange gelöst ist' (s. vn), eine 'statistische Classification der vor- kommenden natürlichen betonungsformen' (s. 8), als 'einfachen ausdruck einer reihe statistisch gefundener positiver einzelregeln der verstechnik' (s. 8), 'die durch directe vergleichung der denk- mäler erreichbaren resultate' (s, 9). obwol S. die verse Vorjahren schon so gelesen hat, wie er sie jetzt rhythmisiert (s. x, vgl. auch s. VIII unten), obwol er vom anfang seiner metrischen Studien an 'natürlich von einer bestimmten gesamtauffassung geleitet (s. viii),

' diesen allgemein anerkannten satz darf man indessen nicht misver- stehn. es stellt sicher nicht so, dass jede betonung im allitterationsvers mit der betonung desselben satzes in prosa übereinstimmt, die durchgehnde bevorzugung des nomens vor dem verbum widerstreitet zb. der sonstigen erfahrung, dass 'im isolierten satze das psychologische praedicat als das bedeutsamere, das neu hinzutretende, stets das stärker betonte element ist. dies dürfen wir wol als ein durch alle Völker und zeiten durchgehndes ge- setz betrachten' (Paul Principien* 101). wie andere momente, so werden in der poesie auch betonungstypen leicht verallgemeinert, und das dürfte besonders zutreffen in einer poesie, die so viel manier verrät, wie die allit- terierendc. solche Verallgemeinerungen gehn wol zunächst aus dem vers- bedürfnis hervor, werden aber dann zur eigenheit des poetischen, sich vom prosaischen gern unterscheidenden slils und zugleich zum hilfsmittel für das gedächtnis, welches die Überlieferung der poesie allein zu tragen hat. auch gewisse andere willkürlichkeiten wird diese poesie sich ebensowenig versagt haben, wie sonstige versificationen. die gleichen Satzglieder stehn im typus A^ und in den typen B und G mit rhythmisch verschiedenem werte, man wird auch zuweilen einen ton willkürlich etwas gehoben oder herabgedrückt, haben, so dass die grenzen zwischen den verschiedenen typen nicht überall fest bleiben.

SIEVERS ALTGERMANISCÜE METRIK 339

von einer bestimmten auffassung der betreffenden rhythmischen formen ausgegangen war' (s. ix), so halte er bis hierhin doch 'auf den versuch einer vollständigen rhylhmisieruiig der verse vor- läufig verzichtet' und 'sich ferner mit vollem bewustsein der auf- stellung einer entstehungshypothese euthallen' (s. 9). auch jetzt gibt er die möglichkeit zu, dass man sich zwar nach seiner dar- stellung über die empirischen gesetze der versbildung orientieren, aber doch an den theoretischen ausführungen des 7 abschnitts anstofs nehmen könne (s. xi). ich meine, dass man den S. sehen statistisch gefundeneu positiven einzelregeln der verstechuik, diesen geradezu befreiend würkendeu ergebnisseu seiner im hauptsäch- lichen anschluss an Rieger unternommenen früheren arbeiten nicht auf allen seiten gerecht geworden ist, dass man über dem gefühl einer nicht vollkommenen inneren befriedigung und dem wünsche oder auch der hoffoung, über diese ergebnisse hinaus gelangen zu können, zu sehr vergessen hat, dass diese ebenso entsagungs- volle wie scharfsinnige und gelehrte Untersuchung eines spröden materials uns doch wenigstens endlich die sicherlich nicht zu unterschätzende gewisheit gegeben hat, welche geslalt ein allitte- rationsvers haben kann und welche nicht, und so erst die grund- lage geliefert hat auch für diejenigen, die über S. hiuausgelangi sind, ich kann es darum verstehn, wenn S. den auch in der öffentlichkeit nicht immer billig urteilenden gegnern gegenüber unmutig geworden ist, und nun auf beiden seiten worte fallen und urteile ergehn , die im interesse der sache besser unterblieben wären. S. hätte sich vielleicht sagen dürfen, dass gerade die unan- tastbarkeit seiner ergebnisse den lebhaften wünsch rege machen muste, das wesen der nunmehr feststehnden und deutlich ge- schauten tafsachen zu ergründen, ist es nicht ein sprechender erfolg, wenn eine Untersuchung eine so umfangreiche litteratur anregt, wie es die S.sche getan hat? es ist offenbar andern ähnlich wie mir ergangen, nämlich wie einem, der die einzelnen Züge eines bekannten gesichts deutlich vor sich sieht und sich verlangend abmüht, das ganze gesiebt zu schauen. S. seihst gibt zu, dass seine typen nur die äufserliche formulierung der stati- stischen tatsachen waren (vgl. s. 9f). er muste darum gewärtigen, dass seine Classification leicht modificiert werden könne, und das ist von verschiedenen seiten nicht lange nach ihrer Veröffent- lichung, und zwar m. e. mit den besten gründen geschehen, dabei denke ich hauptsächlich an die nachweise, dass die typen nicht immer so zusammengehören, wie S. sie geordnet hat, viel weniger an neue formulierungen derselben, die vielleicht zweck- mäfsiger, darum aber doch kaum weniger äufserlich waren, trotz- dem erscheinen, ich muss gestehn einigermafsen zu meiner Ver- wunderung, die alten typen in der früheren anordnung wider, wenn nun aber gar in dem neuen teil des buches, dem 7 abschnitt, den S. selbst als den subjectiven teil bezeichnet, der die entwick-

22*

^40 SIEVERS ALTGERMAMSCHE METRIE

lungsgeschichtiichen untersuchuugen und den versuch einer voll- ständigen rhythmisierung bringt, die ursprünglichen typen ihre historische rechtlertigung erhalten, so kann das von vornherein iür die ohjectivitat dieses suhjectiven teiles nicht gerade einnehmen.

S,s entwicklungsgeschichte geht aus von einem urvers, den er dem vers der altind. gäyatri gleichsetzt xxx><:x>^x:J:. schon vor der germ. zeit halten sich die teile und damit die icten je nach der syntaktischen gliederung verschieden gruppiert, zb. xxx|xxxxx; xx>^'k\xxxA usw., bis zu 5schematen. durch den germ. accent wurden in diesen gruppen deutlicher haupthebungen von nebenhebungen abgesondert, indem sich mit demvvortaccent auch die syntaktischen betonungsverhältnisse stärker der berücksichligung auldrängten (den obigen schematen entspre- chend, nun xxxUxxxx und x x x x | x x x x)^. die weiter- würkenden factoren waren erstens, wie im anschluss an Möller angenommen wird, die sprachlichen synkopen, die zb. aus wtsa- fdstaz I wördamtz ein ags. wisfiest \ wördüm gestalteten, und zwei- tens, wie S. auf grund einer anregung des dr Saran annimmt, die Unterdrückung der nebenhebungen (schwächsten hebungen), welche eine notwendige folge des Übergangs vom tactmäfsigen gesang zum Sprechvortrag war (s. 173. 186). so entstanden aus jenen 5 sche- maten die 5 typen, sie unterscheiden sich von jenen 1. durch die gröstenteils durchgeführte Unterdrückung der schwächeren hebungen, 2. durch die einschränkung der auftacte, 3. durch die besonders im an. und ags. häufige Verminderung der silben- zahl derverse, 4. durch die regelung der als auflüsuug bezeich- neten erscheinung. der schwellvers muss durch dieselben ent- wicklungszüge aus einem andern grundvers entstanden sein, es liegt nahe zu vermuten, dass auch er noch über die germ. zeit hinausgehe und geschichtlich etwa mit einem der längeren ind. versmafse, wie dem elfsilbigen trishtubh oder der zwöllsilbigen (und sprachlich vorwiegend dreiteiligen) jagati zu verbinden sei (s. 213).

Man kann zugeslehn, dass diese grundgedankeu mit unge- wöhnlichem geschick durchgeführt sind, und man muss anerkennen, dass auch dieser teil des buches eine fülle trefflicher gedanken und anregender beobachtungen enthält; aber die theorie muss ich ablehnen, weil ich die grundgedanken, auf denen sie aufge-

' also nicht in dem sinne, dass regelmäfsige dipodien entstanden, etwa 2| tacle statt 4| (Möller Zur alid. allitterationspoesie s. Itl), sondern in dem sinne, wie er noch für Otfrids vers gilt, solche verse sind grundsätzlich zunächst nicht Aon denen mit 4 gleichen icten verschieden und können mit ihnen wechseln, eine grundsätzliche Scheidung ist weder durch den allitte- rationsvers, noch durch Otfrids vers, noch durch den mhd. volkstümlichen vers erwiesen, denn es ist etwas wesentlich davon verschiedenes, wenn im allitterationsvers, lediglich unter dem einfluss der allitteration, die zwei teile des Verses, die ihrem Ursprung nach ungleich sein können, sich im gewicht untereinander ausgleichen.

SIEVERS ALTGERMANISCHE METRIK 341

baut ist, die würksamkeit der vorausgesetzten entwicklungsfactoren uicht anzuerkennen vermag, wir wollen die mügliclikeit nicht bestreiten, dass auch einmal ein aller sang in seinem allen text über eine durchgreifende, die silbenzahl der würter anlastende Sprachveränderung hinaus bewahrt worden sei , indem der text in der neuen geslalt das metrum zu concessionen gezwungen habe, die eine würkliche Veränderung des rhylhmus in seinen unterteilen oder gar in seinen hauptgliedern bedeuten, mit andern Worten, dass ein altes lied nunmehr in einem mafse erklungen sei, welches neben dem allen mafse als ein wilrklich anderes hätte erscheinen müssen, aber wo hat man die historischen be- weise dafür? wenn an der allmählichen ausfüllung der Senkungen in unserer verskunst auch die Sprachveränderung ihren anteil hat, so ist das doch eine Veränderung in der sprachlichen beton ung, die fortschreitende würkung der wurzelaccenle. aufserdem sind die verse, wie sie Konrad v. Würzburg und noch spätere bauen, dieselben soweit es hier darauf ankommt , die auch Otfrid neben solchen wie -^^^x und gleichwertig mit diesen baute, die regel ist jedesfalls, dass der rhylhmus das bleibende ist, und dass die texte, wenn Sprachveränderungen das nötig macheu, sich umgestalten, bis sie dem rhylhmus, dh. dem bestimmten be- wegungsgefühl oder der akustischen erinnerung genügen, es ist dasselbe, wie wenn jemandem einzelne worle eines texles ent- fallen; er gruppiert dann entweder die unterteile des rhylhmus etwas anders, oder er setzt andere worle ein; der vers bleibt jedesfalls derselbe, auch in dem beschränkten mafse, wie es s. 158 f fürs as. angenommen wird, ist mir die beeinflussung des metrums durch die sprachliche entwicklung noch fraglich, selbst wenn es sich nur darum handelte, dass zweisilbige Senkung zu- lässig würde, wo sie es früher würklich nicht gewesen sein sollte, würde ich immer noch an die möglichkeil einer änderung der spräche, das Verhältnis der betonten zu den unbetonten silben beireffend, oder an eine Veränderung des poetischen Vortrags denken, die von S. § 116, 5 besprochenen sogenannten C% wie that hie sia so helaglico, sind allerdings schwer zu beurteilen, wenn die formel ...11.x richtig den ganzen umfang des typus C bezeichnet, so muss ein solcher vers entweder so gesprochen worden sein, dass er in irgend einer weise dem typus genügte (und die ungewöhnliche ausspräche könnte wol nur eine reduction der hochbetonten silbe he- bedeuten), oder aber er folgt einem anderen geläufigen typus. dass eine neue form entstehe, die würklich um eine silbe länger sei, als frühere formen, kann ich nicht glauben. Hei. 4785 lisl Mon. mines fader gefrummien; das ist A mit zweisilbigem auftact und doppelallitleration. Coli, list aber ivines fader frummien. hier ist gewis die allilleration nicht übersehen worden, dann können wir aber auch diesen vers nur als A auffassen, also mit einer ungewöhnlichen form dieses typus.

342 SIEVERS ALTGERMAMSCHE METRIK

ohne (ii'n zwang der allitteration würde der veis ein regelrechtes C sein, die willkür in der betonung muss aber ebenso gut niög- Hch sein, wenn es statt frummien heilst wirkean. also den vers mines fader wirkean konnte man nach C und nach A lesen, die betonung war je nachdem etwas verschieden, und die glieder ordneten sich anders; aber sie blieben innerhalb desselben metri- schen rahmens. wir finden es hier zugleich bestätigt, dass die einzelnen typen in einander übergehn; die formen, von denen wir sie ableiten, sind ja auch nur Variationen desselben grundschemas. ein sprachlicher Vorgang, von dem man gewis vermuten könnte, dass er die metren umgestaltet habe, wenn man bedenkt, dass er notwendig beim verse berücksichtigung verlangte und dadurch die metrische Verwendbarkeit der Wörter beträchtlich eingeschränkt wurde, ist die Verschiebung des gerni. accentes. trotzdem wüste ich, von dem oben s. 340 hervorgehobenen moment abgesehen, eine bestimmte rhythmusumgestaltende würkung desselben nicht wahrscheinlich zu machen, freilich müslen wir dafür auch wol genauer wissen, wie denn vorher ein vers gebaut war.

Mit rücksicht auf Sarans hypothese hätten wir die frage auf- zuwerfen, wie verhielt sich überhaupt die 'melodie' eines vor- germ, liedes zur rhetorischen declamation desselben? doch sicher nicht so, wie beide sich in unseren tagen verhalten, die melodie hat sich in jener zeit doch wol eng an den declamatorischen Vortrag angeschlossen, und wenn die beiden sich mit der zeit weiter voneinander entfernt haben, so ist das allmählich geschehen, aufserdem haben wir für den fall, dass ein gröfserer abstand an- zunehmen ist, zu fragen, wie weit war der verf. eines liedes bei der rhythmischen gestaitung von der melodie, wie weit von einem blofsen Sprechvortrag geleitet? wenn ein rhythmus, der eng mit einer melodie verknüpft ist, diese aufgibt, so mag sich wol leicht das tenipo verändern, aber in wie weit die übrigen Verhältnisse des rhythmus dabei angetastet werden, ist eine frage, die noch gar nicht untersucht ist. ich zweifle, ob die Veränderungen der macht des bewegungsgefühls oder der akustischen erinncrung gegenüber sehr wesentlich sind, jedesfalls aber ist ein factor vorhanden, welcher die dem Übergang zum Sprechvortrag beige- legten würkungen in viel höherem grade ausüben muste und den wir nicht hypothetisch zu suchen haben: das ist die allitteration ^ vom ausgangspuncte, dem 4 hebigen idg. vers abgesehen, vermag ich also den Voraussetzungen der S.schen entwicklungshypothese nicht zuzustimmen, bei dieser Sachlage halte ich, unter Verwei- sung auf lleuslers neue schrift und meine in diesem bände der Zs.s. 225 ff abgedruckten Beiträge, eine polemik im einzelnen nicht mehr für geboten, trotz den grundsätzlichen Verschiedenheiten bleiben S.s gesichtspuncle für die entwicklung und die rhythnii- sierung des melrums im einzelnen sehr zu berücksichtigen.

' vgl. auch Luick, Anz. f. idg. sprach- u. altertumskunde 3, 153.

SIEVERS ALTGERMAMSCHE METRIK 343

Zum Schlüsse des buches folgt noch eine hesondere bespre- chuDg der specifisch nordischen metra im sinne der über das objectiv statistische hinausführenden betrachlungsweise. in bezug auf den Ijodahatt hat S. bereits, mit ausdrückUchem widerruf seiuer darstellung in Pauls Grundriss, Möller-Heusler einige Zu- geständnisse gemacht (s. 232 anm.); in bezug auf anderes ent- gegnet Heusler in seinem neuen buche.

Ich muss es bedauern, dass sowol S. wie Heusler ausdrücklich erklären, an eine einigung sei bei den grundsätzlich verschiedenen slandpuncten vorläufig nicht zu denken, ein solches im eifer gesprochene wort ist allerdings durch seine würkung auf kleinere geister geeignet, eine Verständigung zu erschweren, mir scheint die müglichkeit derselben nicht so weit abzuliegen, man sieht sie sogar oft genug aus dem kern der anschauungen durch die theo- retische hülle hindurchschimmern, im gründe lesen wir wol alle, die wir uns nicht bestreben, aufser den haupthebungen noch eine bestimmte anzahl anderer im allilterationsvers verwürklicht zusehen, die rhythmen ungefähr in gleicherweise, auch S. be- tont das starke übergewicht der hebungen, nimmt pausen an und lässt einen ausgleich zwischen 'ungleichen' füfsen eintreten, die interessanten mitteilungen, welche S. im vorwort s. x macht, beweisen ja doch auch , dass das wesen dieser rhythmen auf ge- setzen beruht, die wir noch lebendig in uns tragen, wieweit freilich die theorie von dieser instinctiven erkenntnis abzuirren vermag, das zeigt uns § 163, wo S. sagt, dass man zb, bei leof landfruma alle 4 wortglieder, sogar die Senkung markieren müsse, man beachte dem gegenüber durch vergleichung der beiden sätze die Camperdown ist völlig verloren und die Camperdown ist mit mann und maus verloren, wie selbst in der schlichten prosa das instinclive gefühl die einzelnen Satzglieder rhythmisch unterein- ander auszugleichen sucht 1 und hier im allitterierenden verse soll die würkung der allitteralion durch eine betonung leöf Idnd- frümd (wie soll man sich das markieren anders vorstellen?) ver- nichtet werden *.

Bonn, niärz 1894. Franck.

Wizlaw III der letzte fürst von Rügen, von Franz Kuntze. Halle a. S., MNiemeyer, 1893. 52 ss. 8°. 1,20 m.

Die ausgäbe Etlmüllers v. j. 1852, die Übersetzung Pyls, die 1872 erschien, und zwei in den Baltischen Studien 1883 und 1884 gedruckte abhandlungen von Knoop stellen, von beiläufigen be- merkungen abgesehen, die ganze dem dichter Wizlaw seit 1850

1 in dem sorgfältig corrigierten buche sind mir kaum nennenswerte druckfeliler aufgefallen, s. 5, fuC&note 3, letzte zeile ist 123 statt 113 zu lesen; s. 232 zeile 7 gehört das ictuszeichen doch wol auf die schiussnote. etwas anderer art ist das versehen s. 216, z. 18, wo CA statt BC zu schreiben ist.

344 KÜNTZE WIZLAW lir VO.N RÜGEN

voD den philologen gewidmete liUeratur dar. auch die histori- schen arbeiten, die sich mit der geschichte des kleinen rügischeu lilrslen eingehnder beschäftigen, sind nicht zahlreich, eigentlich sind mir die abhandlungen zu nennen, welche Fabricius seinen Urkunden zur geschichte des fürstentunis Rügen beigegeben hat, und Focks Rügensch- pommersche geschichten bd in. die neue Wizlaw von einem Uindsmanne gewidmete schrill will die forschung nicht eigentlich weilerführen, sondern was von philologen und historikern über das leben und dichten des fürstlichen niinne- sängers bis jetzt ermittelt ist, für weitere kreise zu einem ein- heitlichen bilde vereinigen, es geschieht das in der art eines Vortrages, nur dass die äufsere ausdehnung das übliche mafs eines solchen überschreitet.

Schon der titel der arbeit wird von nutzen sein, als selb- ständig erschienene schritt hat sie aussieht auf mannigfache Ver- zeichnung, so wird sie würksamer als frühere hinweise dazu helfen, dass aus der deutschen litteraturgeschichte die durch Elt- müllers ausgäbe eingebürgerte falsche bezeichnung VVizlaws als vierten seines namens endlich allgemein weicht.

Wizlaws leben steht in seinen chronologischen hauptdalen fest, von seiner erziehuug, seinem character, seinem privatleben weifs man aber so gut wie nichts, zum ersetz schildert K. die politische geschichte seiner regierung, die kriege und fehdeu, in die er verwickelt wurde, sie erlauben kaum Schlüsse auf seine begabung oder seineu character. zu gering an macht, um selb- ständig auch nur mit seiner sladt Stralsund den kämpf aufnehmen zu können, ist er stets in seinen enlschlüssen von der polilik mächtigerer nachbarn abhängig, schliefslich sehen wir ihn nach fehlgeschlagenen kriegszügen bemüht, durch liebenswürdigkeil gegen einflussreiche bürger die selbstbewuste Stadt für seine wünsche zu gewinnen, auffällig ist, dass weder K. noch andere für die biographie Wizlaws die nachricht verwertet haben, dass er lahm gewesen sei. sie findet sich in der Lübecker Delmar-chronik (Chroniken der deutschen städte vom 14 bis ins 16 jh. 19,385) und lautet: sin (Wizlaws ii) so7ie Wenzslawe (falsche namensl'orrn für Wizlaw, ebenso wie Vinzleff in der Schwedischen reimchronik v. 1894 IT) de land besät, de hadde dar wesen vore an pelegri- matze to der Righe, dar men plach hi den lüden varen nmme aflat ; dar stak ene en copman in der kerken, deine he qnatliken antworde, do he ene manede nmme sine rechten schult to gheldene; van deme steke hlef lam de vorste al sine daghe. by den tyden was sin broder Jermarns biscop to Kamyn. da Wizlaws bruder Jaromar 1294 nach 4 6 jährigem episcopat gestorben ist, Wizlaw aber 1207 oder 1268 geboren war, so muss dieser zwi- schen dem 20 27 lebensjahre lahm geworden sein, dass Wizlaw gerade nach Riga sich begeben hat, mag sich daraus erklären, dass der Rigaer dom auf Rügen verschiedene guter besafs, die

KL'.MZE WIZLAW IIl VON RLGE.N 345

ihm von Wizlaws vorfahren verliehen waren, auch von Wizlaw n wissen wir, ilass er, i. j. 12S2, in Riga gewesen ist. Fabricius (ürkiuulen iii 26 und Al»hautlluiigeu zu bd la s. 24) niOchte sogar die von ihm allerdings nicht richtig exceipierle Detmarstclle auf diesen autenthalt Wizlaws n deuten, der Wortlaut liisst jedoch nur den bezug auf seinen söhn Wizlaw ni zu.

Wodurch Wizlaw zu dichterischem schaffen angeregt ist, wissen wir nicht, die latsache, dass seine dem norwegischen könige Hakon vermählte Schwester Euphemia nachweislich die Übersetzung mehrerer epischer dichtungen (s. ESchrüder GG.\ 1SS2, i261D veranlasst hat, scheint nur die Vermutung zu recht- fertigen, dass die bruder und Schwester gemeinsame liebe zur dichlknnst auf den eiuiluss der mutler, einer im stifte zu (Juedlin- l)urg gebildeten brauuschweigischen prinzessin, zurückzuführen sei, um so eher, als im gegensatz zu den pommerschen hüfen gerade am brauuschweigischen hole die pflege heimischer dicht- kunst mannigfach sich betätigt hat. die unfreiwillige mufse, welche dem fürstlichen Jüngling sein krankenlager, die Zurückhaltung von ritterlichen Übungen, welche ihm sein körperliches leiden auf- erlegte, mögen ihn veranlasst haben, nach dem vorbilde seines älteren Zeitgenossen Ottos iv mit dem pfeile und anderer fürsten selbst zum hütischen dichter zu werden, als seinen lehrer, der ihn in die poetische technik einführte, wird mau nach allgemeiner annähme wol jenen magister llnghelarde anzusehen haben, dem er eine ^seilende icise' nachdichtet, und der urkundlich als Stral- sunder bürger von Pyl nachgewiesen ist. aus seiner ansässigkeil in Stralsund, wo er nach Knoops ansprechender Vermutung eine schule geleitet haben mag, darf mau freilich nicht schliefsen, dass er hier geboren sei und niederdeutsch gedichtet habe, sein name '■de Uughelarde' wird das a der vorletzten silbe nicht in Stralsund erhalten haben, der dortigen mundart war ^de Unghe- lerde' gerecht, die urkundliche form scheint verniederdeutscht aus einem mhd. oder md. V/er Unghelarte'. übersehen ist übri- gens von Knoop und Kuntze, dass aller Wahrscheinlichkeit nach derselbe dichter 'der Unghelarte' nicht blols durch Wizlaws er- wähnung, sondern auch sonst bekannt ist: vgl. Meisterlieder der Kolmarer hs., hsg. von Bartsch s. IGGf; Goedeke Grundriss r 308.

Bei der besprechung der einzelnen gedichte bringt K. zu den von Etlmüller und Pyl gegebenen deutungen nichts wesent- liches hinzu; von ihren irrigen angaben berichtigt er einzelne, andere trägt er von neuem vor. die dem 9 spruch ' gewidmete ausführung s. 2S f hatte nur zweck, wenn auch jetzt noch kein mitglied des holsteinschen grafengeschlechtes mit dem namen 'Erich' als Zeitgenosse Wizlaws nachweisbar wäre, das Meklen- burgische urkundenbuch xi 318 nr 33 verzeichnet aber einen grafen Erich von Ilolstein-Schauenburg, der 1328 als Hamburger ' ähnliche verzeichnet Roethe Reinmar von Zweier s. 228. 252.

346 KUMZE WIZLAW III VON RÜGEN

propst urkundet, also recht wol in liilheren jaliren mit dem 1325 gestorbenen Wizlaw in Verbindung gestanden haben kann, ferner soll für den 4 spruch, welcher die heldentat des römischen ritlers Marcus Curtius zum gegenstände hat, in der gesamten poesie des miltelalters so wird Knoop (Balt. Studien 33, 28U) nachgeredet keine vorläge nachzuweisen sein; aufserdem soll dieser spruch im einzelnen unklar sein. Mafsmann hat aber in seinen anmerkungen zur Kaiserchronik in 62111 und Österley zum 43 cap. der Gesta Romanorum eine ganze reihe mittelalterlicher bebandlungen desselben Stoffes verzeichnet, deren vergleichung alle stellen des Spruches aufhellt, so zwar dass v. 1 1 huot keine leib- wache, sondern den hut des Curtius, v. 12 hern 'in sein haus' bedeutet.

Zum schluss behandelt K. die Streitfrage, ob Wizlaw seine ge- dichte in hochdeutscher oder in niederdeutscher mundart abgefasst habe, die hochdeutsche abfassung ist von einigen, in jüngster zeit am entschiedensten von dem berichterstalter, zwar behauptet worden, aber ohne dass für diese annähme ein beweis erbracht oder auch nur versucht ist. für die niederdeutsche abfassung sind dagegen mit grofser bestimmtheil alle die eingetreten, welche nach dem erscheinen von vdHagens Minnesingern Wizlaws ge- dichte zum gegenstände besonderer arbeiten gemacht haben, Jacob Grimm, Etlmüller, Pyl, Knoop. ihnen schliefst sich jetzt Kuntze an.

Diese einslimmigkeit könnte den glauben erwecken, dass ent- weder Wizlaw in der tat nd. gedichtet hat, oder dass der nach- weis der hd. abfassung seiner gedichte nur mit zum mindesten sehr fraglichen gründen sich führen lüsst. und doch ist, ganz im gegenteil, die latsache hd., die Unmöglichkeit nd. abfassung verhältnismäfsig leicht und sicher festzustellen, bei Grimm und Ettmüller erklärt sich die irrtümliche annähme mnd. abfassung aus der unzureichenden kenntnis, die man damals von mnd. und md. sprachformen hatte, bei Knoop und Kuntze einesteils daraus, dass sie viele von Ettmüller als nd. in den text gesetzte formen nicht als falsche, in mnd. spräche unmögliche bildungen er- kannt haben, andernteils aber aus einem methodischen fehler, beide weisen zur stütze ihrer ansieht auf eine anzahl reimbin- dungen bei Wizlaw hin, welche in hd. formen umgesetzt keine reime ergeben würden, die von ihnen als hd. bezeichneten formen sind aber ausnahmslos oberdeutsche formen, jene reime beweisen also nur, dass Wizlaw in einer andern spräche als etwa Hartmann von Aue oder Walther von der Vogelweide seine verse geschrieben hat. niemals nehmen sie rücksicht auf die ab- weichungen, welche das md. bietet, gerade in mitteldeutscher mundart hat aber, ebenso wie Eilhard von Oberge, Brun von Schönebeck und andere hd. dichtende niederdeutsche, auch Wizlaw seine Sprüche und lieder niedergeschrieben, wie wir sehen werden.

Dass schon eine reihe allgemeiner gründe für hd. abfassung

KUNTZE WIZLAW III VON RÜGEN 347

sprechen, hat auch K. nicht verkannt und trelTend ausgeführt, 'selbst die spruchdichter nd. herkunfl', sagt er s. 41 1", 'gaben der spräche Ober- oder wenigstens Mitleldeuischlands den vorzug, wenn sie auch durch leichtere oder stärkere anklänge an die mundart ihre heimat verraten, mit Frauenlob und Goldener hat Wizlaw verkehrt, an obd. mustern hat er sich gebildet, ihrer kunstweise ist er durchweg gefolgt, was scheint da natürlicher zu sein, als dass er auch in der spräche seiner Vorbilder ge- dichtet habe? und wahr ist es auch, Wizlaws gedichle lesen sich in der nd. Umschrift wie Übersetzungen: es sind gedanken, bilder, redewendungen, ausdrücke in menge vorhanden, die dem nd. fremd sind, und wer würklich nd. zu denken und zu em- ptiuden gelernt hat, merkt sofort, dass er es hier mit einem ge- bilde zu tun hat, das eigentlich nicht auf nd. boden entstanden ist. ganz anders, wenn man die gedichle in der ausgäbe vdHagens list. hier scheint den gedanken der ausdruck in viel höherem mafse zu entsprechen, und selbst die zahlreichen nd. Wörter oder wortformen stören das colorit nicht wesentlich, dazu kommt, dass Wizlaws gedichle eine nicht geringe anzahl von ausdrücken und wortformen zeigen, die nur den obd. mundarleu eigen sind', diese latsachen waren für K. nicht entscheidend, er macht die lösung der frage von dem umstände abhängig, dass eine anzahl von reimen bei hd. lautgebung unrein sei, während sie rein werde, wenn man sie ins nd. umschreibe, wir werden die beweiskrafl der von ihm s. 44 beigebrachten reime zu prüfen haben.

'Wenn einmal [I. 12, 13 Et Im.] im texte rnte mit bnte ge- bunden wird, so ist bnte weder obd. noch nd., das obd. böte aber würde einen unreinen reim ergeben', obd. würden die Worte freilich nicht reimen, md. würde dagegen, zb. bei Brun von Schönebeck (s. AFischer Das hohe lied des Brun s. 25. 83 f), der reim röte 'rute' : böte 'böte' ohne anstofs sein. 'ein ander- mal [I. 5, 10] steht in der hs. : da wart weynen so gruoz : ich tno dich sorgen buoz, wo infolge offenbarer Unwissenheit das hd. gröz dem ebenfalls hd. buoz gleichgesetzt ist. auch hier bieten die entsprechenden nd. formen gröt und bot vollkommen reine reime', hiergegen ist zu bemerken, dass mnd. pröf (d <C germ. aiCi'.böt {6<i g. ö) kein 'vollkommen reiner', sondern ein unreiner mnd. reim ist, vgl. Nd. Jahrbuch 18, 141 ff. wol aber ist der reim gröz : 602 md. statthaft, vgl. bei Brun tot 'mors' : tot 'facit', not : vlöt ua. (s. Fischer aao.}. 'Ldz diner minnen deben tzuo steter vroyde leben bietet [1. 7, 35] die Überlieferung', auch dieser reim ist md. möglich, s. Fischer s. 24 und 33, VVeinhold Mhd. gramm. § 98. 'ebenso würde das hsl. [1. 8, 6] die boyme sint gecleydet : vil manigen tzwich se breydet auf hd. lautform ge- bracht eine unerträgliche bindung ergeben {gekleidet : breitent), die sich jedoch in einen reinen gleichklang verwandelt, wenn

348 KU.NTZE WIZLAW IM VON RÜGEN

man die nd. lormen kledet : bredet einsetzt, und den Unten passt erst zu Imeteiit, wenn man das nd. lüden : hnden herbeizieht', letzteres ist falsch, die beiden worte geben, wie weiter unten ge- zeigt werden wird, gerade einen md., aber keinen nd. reim, was die binduug kleidet : hreidet belrüft, so ist freilich für breidet wegen der endung -et zuzugeben, dass hier der reim eine nd. form erweist, dies ist somit der einzige reim, den K. mit recht heranziehen durfte, zu bemerken ist jedoch, dass breidet oder breitet in einem 4 fachen reime (gekleydet : bereydet : breydet : veydet) steht, der dichter also durch Verlegenheit um einen reim zur henulzung eiuer nd. endung veranlasst sein kann, ebenso wie er in dem folgenden verse veydet wenn er überhaupt so ge- schrieben hat statt feitet missingsch gebildet zu haben scheint, denn dass das wort in dem satze {de boyme) en rnchet wer sie feydet 'schmückt', nicht 'befehdet' zu übersetzen ist, lehrt der dann folgende vers ditz git ('gibt') m der tneye rieh.

Andere reime als die eben besprochenen zieht K. nicht zum beweise an, er hätte vielleicht noch auf spr. 5, 6 ert : wert hin- weisen können; freilich ist ert 'erbse' (md. erfte, arfte) keine pommersche form, sondern nur aus dem ndl. oder ndl. nachbar- schaft (Ostfriesland, Cleve usw.) zu belegen, ferner auf l. 12, 6 wit 'weifs': lit 'liegt'; dieser reim ist jedoch missingsch, denn lit ist md. form und wit weder md. noch, da mnd. wit kurzes i hat, richtiges mnd. schlielslich käme noch das spr. 3, 2 von Ettmüller angesetzte wort hinafldt (mhd. abeldzistat) in betracht, wenn die stelle nicht verderbt ist.

Man kann gern annehmen, dass bei Wizlaw sich einige mit nd. wortformen i;el)ildete reime finden, da bei andern Nieder- deutschen, die HU ma. oder sogar noch im 16 und 17 jh. hd. gedichte verfast haben, hin und wider zwischen sonst gut hd. bindungen nd. oder missingsche reime unterlaufen, so ist es nicht zu verwundern, wenn derartiges auch bei Wizlaw vorkommt, sollen trotz dieser ganz gewöhnhchen tatsache, die allgemein und auch von K. zugestanden wird, jene paar nd. reime bei Wizlaw nehmen wir einmal an, K. hätte in der tat sichere nd. reime nachgewiesen genügender beweis sein, dass Wizlaw in nd. spräche gedichtet habe? dieser annähme kann sicher nur dann der schein der berechtigung zugestanden werden, wenn sich aus den übrigen reimen Wizlaws gar keine oder doch nur sehr wenige stützen für die Voraussetzung md. abfassung ergeben, das ist nicht der fall, es sind im gegenteil die reime, welche md. wort- furmen erweisen, gar nicht selten.

Spr. 2, 10 daz du bere 'gebahrst' : sioeVe 'schwere' reimt md., aber nicht mnd., wo es lauten müste dat du gebarst oder geber- dest: swere. Ettmüller setzt zwar dat du bere: swere in seinen text, aber bere ist weder eine mögliche mnd. form für mhd. beere, noch wäre sie überhaupt nd. lesern verständlich gewesen.

KÜNTZE WIZLAW IFI VON RÜGEN 349

spr. 2, 16 nente 'nannte': lente 'vollendete': rente 'rente, ertrag'. Ettmüller ändert in nejide : lende: rende. wollte man auch an nente, wofür nind. nomede tJt?^agt wurde, keinen anstols nehmen, so ist doch rende ein unding. das wort lautet auch im mnd. rente, würde also mit mnd. nende: lende nicht reimen. spr. 11, IS meit 'jungtrau' : 6ere?"f 'hereit'. mnd. würden die worte maget: bereit lauten, eine mnd. lorm meit in dieser hedeulung gibt es nicht. 1. 4, 11. 7,27 hertze : kertze : smertze reimen wol mhd. und nid., aber nicht mnd., da die mnd. Umsetzung herte : kertse : smerte ergeben würde. Ettmüller setzt zwar kerte in den text, aber diese theoretisch (vgl. nord. kerti) mögliche form lasst sich für das mnd. weder belegen noch erweisen, vielmehr lautete das sehr häufig begegnende wort kerze oder karze (schreibungeil kerse, kertse, kertze, kerce usw.). dass kerte keine mnd. form gewesen ist, muss man aus zwei gründen folgern, erstens weil die heu- tigen mundarten nirgends kert{e) oder kart, sondern nur kais, kartze uä. kennen, zweitens weil das wort in mnd. gedichlen nie im reime erscheint, deshalb nicht, weil im mnd. gebräuch- liche mit kertze reimende Wörter nicht zur verlUgung standen. an reimwörtern zu kerte wäre dagegen kein mangel gewesen, im grofsen Mnd. wörterbuche fehlt die form kerte mit recht, in das handvvörterbuch ist sie freilich von Lübben aufgenommen, aber nur auf grund zweier stellen des Hildesheimer urkunden- buches I nr 727 to den kerten, nr 863 ene wessene keimten, diese lesungen beweisen aber gegen die gründe, aus denen die existenz des mnd. kerte geläugnet werden muss, deshalb nichts, weil an diesen stellen mit gleichem palaeographischen rechte kercen und kertcen gelesen werden könnte. 1. 5, 8 wechter : echter 'widerum' erweist die md. form wehter, mnd. heilst es wachter. 1. 6, 4 gdt 'gehl' : /df 'lässt' ist md., mnd. heifst es gdt oder geit'.let. 1. 7, 18 gerötet 'Aintblötet : geglötet reimen md., nicht aber mnd., da es mnd. nicht geglödet, wie Ettmüller ansetzt, sondern geglöget heifst. I. 9, 3 Inten 'hominibus' : hüten 'cavere'^ reimt md., aber nicht in der mnd. Umsetzung lüden : hödeii oder hüden, vgl. Nd. Jahrb. 18, 149. Ettmüller schreibt zwar löden, indem er ein mnd. löd (mhd. liiot) 'rotte, schar' annimmt, aber weder die mnd. noch und. glossare haben diese annähme durch irgend einen beleg bestätigt, auch spricht dagegen, dass md. oder mhd. lüt, luot, stets einen erläuternden genitiv bei sich und in der höfi- schen dichtung (s. Lexer s. v.) stets einen verächtlichen beisinn bat. Einige andere durch den reim gesicherte md. wortibrmeu seien nur kurz verzeichnet: L. 4, 19 gefellet 'gefällt', mnd. gevallet; 4, 10 di^eit 'trägt', mnd. draget oder drecht; 8,35 ndt 'nahet', mnd. naket oder nalet; 6, 10 untfdhen, mnd. untvdn oder mh^- vangen; 10, 11 lit 'liegt', mnd. ligget oder licht; 10, 12 git 'gibt',

* richtiger ist es wol, hier hiiten nicht mnd. höden, hüden (ags. Mdan) 'cavere', sondern mnd. hüden (ags. hydan) 'abscondere' gleichzusetzen.

350 KU.NTZE WIZLAW III VON RÜGEN

mnd. (jifl; 14, 1 nödr.röch, mnd. rök usw. schlielslich ist es befremdend, oder wäre es vielmehr, wenn VVizlaw nd. gedichtet halte, dass er die diminutiva stets auf -Un, nie auf -ken bildet, und dass sich zu ist 'est' nur reime auf -ist, nie auf -is linden, trotzdem das mnd. is schon zu Wizlaws zeit das ältere ist über- wunden hatte.

Den 3 oder 4 reimen, durch welche sich ebensoviele mnd. wortformen bei VVizlaw erweisen lassen, steht also eine unver- hältnismäfsig gröfsere anzahl bindungen gegenüber, welche nur bei anwendung md. spräche reime ergaben, auch zugegeben, dass unter dem einfluss hd. Vorbilder ein nd. dichter gelegent- lich ein oder das andere mal ober- oder md. worlformen zu seinen reimen heranziehen konnte, so wäre es doch unbegreiflich, dass ein aus Niederdeutschland gebürtiger dichter, der in der spräche seiner heimat dichten wollte, bei weitem mehr nachweis- hch md. als nachweislich nd. reime gebunden haben sollte, es ergibt sich also aus den reimen derselbe schluss, auf den auch nach Kuntzes Zugeständnis alle gründe allgemeiner art fuhren, nämlich dass Wizlaw nicht in nd., sondern in md. spräche seine gedichte verfasst hat. vereinzelte nd. formen, die sich in ihnen finden, können bei einem dichter nicht befremden, der sein ganzes leben in Niederdeutschland verlebte und der das md. ledig- lich als erlernte spräche beherschte, die er nur zeitweilig münd- lich zu üben gelegenheit fand.

Berlin. VV. Seelmann.

Die bibcl oder die ganze heilige schrift des allen und neuen testaments, nach der deutschen Übersetzung dr Martin Luthers, im auftrage der deutschen evangelischen kirchenconferenz durchgesehene ausgäbe. 1 abdruck. Halle a/S., vCansteinsche bibelanstalt, 1892. xviu, 926, 316 und 24 ss. 8<».

Diese bibel ist das ergebnis langer und mühsamer Vorbe- reitungen, über die das vorwort berichtet: getreu der gepflogen- heit unserer zeit, mit einem Ungeheuern apparat möglichst wenig zu leisten, gegenüber früherer sitte, nach der 6in rechter mann mehr zu stände brachte, als jetzt alle coUectivarbeit. die arbeit eines solchen einzelnen hatte gesiebt und character; das bezeich- nende einer coUectivarbeit ist verwaschenheit und inconsequenz. und das zeigt sich auch hier, nach dem Vorworte ist die bis- herige gewöhnliche bibelausgabe noch eine Lutherbibel und doch auch längst keine Lutherbibel mehr; diese ausgäbe soll nun eine echte 'jetzige' Lutherbibel sein, sie macht anspruch darauf, das alte sprachgut zu hüten und doch auch seiner fortbildung zu neuem sprachgut rechnung zu tragen, ein schullesebuch, ein volks- lesebuch und auch ein behältnis unsers gegenwärtigen sprach-

DIE CANSTEINSCHE LUTHERBIBEL 351

gutes ZU sein, auch riicksicht zu nehmen nicht nur auf die viel- fach erstarrte schulgrammatik, sondern ehensosehr auf die flüssige grammatik der lebendigen Volkssprache, dass die ausgäbe leiste, was das vorwort verspricht, leugne ich entschieden; nicht ein- mal eine consequente Stellung in ihrer revisionsarbeit nimmt sie ein; viele küche haben auch hier den brei verdorben, das kann man so zu sagen aus jedem capitel der arbeit nachweisen, und ich miiste ein buch schreiben, wollte ich an jedem einzelnen beispiel dartun, was verfehlt ist. sprachlich natürlich; denn Iheo- logisch geht mich die sache nichts an. es ist nicht wahr, dass diese bibel rücksicht nimmt auf die Sprachgestaltung der gegen- wart: die spräche in ihr ist ein leiche. die kinder in der schule verstelm sie nicht, und das volk, soweit sie sie versteht, wird sie bespötteln, und war denn diese spräche beizubehalten not- wendig? haben die herren von der kanzel sich nicht auf grund der bibelsprache eine spräche gebildet, die lebendig, würdig ist, dabei doch des altertümlichen reizes nicht entbehrt, und hoü'ent- lich die kraft der erbauung voll ausübt? man mache doch ein- mal den versuch und predige in der spräche dieser bibel; man wird ja die würkung sehen, soll dem bibelleser das wort gottes lebendig entgegen quellen, so muss es auch in der lebendigen spräche geboten werden, nicht in einem gefäfs, das vor dreihun- dert Jahren sehr schön war, nun aber weithin vermodert ist und seinen platz in einer altertumssammlung einnimmt, nicht aber für den gebrauch mehr taugt, wo es nur das wasser trübt und unschmackhaft macht, wie läppisch würkt schon die gehäufte anwendung der volleren oder breiteren verbalformen : er stehet, bescheret, lobet, du hörest, er reisete, gelernet usw.; und man weifs nicht, warum auf der andern seile zb. Matth. 17, 1 führte, Matth.

5, 2 lehrte (bei Luther füret, leret), Luc. 1, 40. 41 grüszte, hörte, hüpfte (Luther grüszet, höret, hüpfet) usw. gesetzt worden ist. Matth. 17, 3 hat Luther redten, die revidierte bibel redeten, Joh.

6, 68 Luther antwortet, die probebibel antwortete, ja, wenn die herren rücksicht nahmen 'auf die flüssige grammatik der leben- digen Volkssprache', warum dann nicht das Luthersche redten be- halten, und die form antwortet in antworte umgesetzt, wie Luthers füret in führte'! das volk spricht ja doch so. und was soll die beibehaltung des relativen und correlativen so, das längst der komischen rede anheim gefallen ist? und diese beibehaltung er- streckt sich bis auf das inhaltsverzeichnis: bücher, so man apo- kryphen nennet; eia, wie erbaulich klinget dasl nach welchen grund- sätzen die herren einmal veraltete Wörter bewahren, das andere mal ersetzen, ist mir immer unerfindlich. Sir. 13, 18; du lebest in groszer fahr; wer im volke versteht das noch? warum nicht gefahr. wie für fährlich gefährlich! umgekehrt: Sir. 7, 15 sei nicht schwätzig bei den alten, bei Luther sei nicht icesschaftig, andere bibeln haben waschhaftig. warum ist dieses wort durcli

352 DIE CA>STEL>SCUE LUTHEHDIBEL

schwätzig und nicht durch xoaschhaft gegeben? da doch Sir. 10,25 der jdJie. tcäscher heibehaUen und nicht durch unbedachter schwälzer ersetzt worden ist. waschhaft ^vi^d ja verstanden und ist noch unserer classischen spräche gemiiCs [die Weisheit wäre also eine waschhafte mäklerin Schiller ii 351 Gödeke). so köonle mau sei- tenlang in aulzählung von inconsequenzen fortfahren; das kommt von der coUectivarbeit. auch an iibermäfsig feinem Sprachgefühl leidet die arbeit nicht, nur ein paar beispiele, denn es verdriefst, auf schritt und tritt die Schnitzer der herren aufzustechen. Sir. 9, 4 bei Luther: geicene dich nicht zu der singerin. in der revi- dierten bibel zu der Sängerin, nun ist heutiges tages Sängerin eine technische bezeichnung und sogar ein tilel geworden, und in rücksicht darauf ist die änderung ganz schlimm. Ps. 3, 7 bei Luther: ich furchte mich nicht für viel hundert tausenten. in der revidierten bibel vor viel lausenden, der Luthersche text ist Über- setzung von ccTtb f.ivQiäötüv kaov Septuag.; lebte Luther heute, so würde er gesagt haben: ich fürchte mich nicht vor millionen. aber damals war million noch nicht verbreitet, und man brauchte statt dessen in rechnerischem sinne hundert mal hunderttausend. daran hat Luther bei seiner Übersetzung gedacht, man konnte sie, da auch heute million nicht biblisch sein kann, ruhig lassen, aber mau verwässert den text durch die vielen tausende, was sind uns heute tausende, wo wir täglich tausend dank und tausend grüfse bringen ! Luc. 1 , 39 bei Luther Maria . . gieng auf das gebirge endelich. das letzte wort muste durch ein anderes er- setzt werden, da es schon seit dem 17 jh. nicht mehr verstanden wird, die revidierte bibel nimmt eilends; so übel wie möglich; denn eilends ist bei uns noch ein wort von frisch sinnlicher be- deutuug, man sieht gleichsam die füfse des eilenden sich bewegen, und diese bedeutung wohnt dem schon zu Luthers zeit verblassten endelich nicht inne; es durfte dafür nur alsbald genommen werden, auch dass man Sir. 11, 31 Luthers lockvogel auf dem kloben durch einen solchen im korbe ersetzt hat, ist traurig, wenn man auch hierfür den text der Septuag. anführen wollte; denn hier ist ein schönes, von Luther mit absieht gewähltes bild zerstört worden. Indes ich will abbrechen, wie viel ich auch noch anführen könnte, aber soviel: eine freude hat mir diese revidierte bibel auf keiner seite gemacht, mir ists ja gleich: ich habe meine Lutherbibel, die ich lesen kann, aber das volk? und der segen des bibellesens, der immer so emphatisch betont wird? segen bei dieser spräche? möchte doch endlich einmal einer erstehn, der diese bibelrevision würklich frucht- und segenbringend vornimmt I

Göttiugen, am pfingsttage 1894. M. Hey>e.

STRACK GOETBES LEIPZIGER LIEDERBUCH 353

Goethes Leipziger liederbucli von dr Adolf Strack, privatdocenten an der Universität Giefsen. Gicfsen, JRicIter, 1893. 2 bil. iv -|- xii u. 175 ss. gr. 8°. 3,60 m.

Die ersten lyrischen regungen eines geniiis wie Goelhe ver- dienen, ja erheischen eiuiUingende diirchrorschung, und an der hat es hisher nicht gefehlt, es niuste locken, das Verhältnis des dichters zur zeitgenössischen lilteratur feslzustollen. das ist durch Minor für die erste lyrik geschehen, dahei wurde die frage nur gestreift, wieweit der schüler der anakreontik doch schon selh- ständigkeit verrate und von seinen mustern abweiciie. gerade sie wird nun von Strack hehandelt. aher ich glaube, seihst der hegeistertste Goetheverehrer, der üherzeugtesle Goelhephilologe wird über den umfang des buches erschrocken sein, fast zwei- hundert engbedruckte seilen über zwanzig kleine gediciite das ist des guten etwas viel und muss die Goethephilologie woU'eilem spott aussetzen, es ist nicht zu leugnen, St. fasst manclies rich- tiger als seine Vorgänger, aber im ganzen und grofsen läuft sein buch doch auf kleine berichligungen, vorsichtige einschränkungen und unbedeutende erweiterungen unserer kenntnisse hinaus; icli finde bei St. keine neue auffassung, keine neue formulierung der aufgäbe, nur ein stärkeres ausnutzen der deutschen Vorgänger Goethes, wodurch manches einzelne klarer und bezeichnender erscheint, aber jedes vündelin ist die gäbe des zufalls; was fehlt, das hat St. geahnt, aber nicht zu schaffen gewagt: die feste gruudlage der ganzen forschung. im anschlusse an vWaldbergs arbeiten über die renaissance- und über die galante lyrik war die geschichte der lyrik zu behandeln, neben der deutschen die fremde, besonders die franzosische, zu berücksichtigen, die St. stärker als bisher, aber auch nur ganz nebenbei heranzieht; nur so hätten wir ein werk erhalten, das einen bleibenden wert beanspruchen durfte. St. hat über den einzelheiten das ganze aus den äugen verloren, man wird dankbar anerkennen dürfen, dass er uns manches interessante, manches förderliche beibringt, aber die ge- samtauffassung ist klein und unbedeutend, die Schilderung der lyrik zu beginn des iSjhs. (s. v f) sogar einseitig und darum falsch; es mangelt die historische entwicklung. für keine der vielen einzelheiten seines buches ist Vollständigkeit erreicht, so- dass er uns s. ni selbst ein neues buch ankündigt und andere noch weitere bücher gleich dem vorliegenden schreiben können, ohne dass wir zu ende kämen, weil alles nur vorarbeiten wären, denen der eigentliche abschluss, die Zusammenfassung, fehlt. Uoethe hat mit diesem vorwürfe (JBL n 1891. ii s. 34) ins schwarze ge- troffen. Witkowski ist auf gutem wege für das von St. heraus- gegrilfene thema vorangegangen, hier hätte eine habilitationsschrift mit erfolg einsetzen können.

Statt dessen hat St. die form des commentars gewählt und führt uns von gedieht zu gedieht, von vers zu vers, um alles an-

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zubringen, was er gerade zu sagen hat. nicht dass es immer besonders passle: so wird bei der 4 str. des Neujahrsliedes mit vielen proben die lieblingsligur des betrogenen ehenianns behandelt, wahrend Goethe doch nur den rat erteilt, nicht zu treu, nicht zu genau in enger Ehe zu leben, also beiderseitige Zugeständnisse für das richtige hält, wie etwa Hagedorn (Hamburg 1771, ni 47) in flem gedichte Der ordentliche hausstaud und die Anakreontiker in satirischer absieht noch öfter '. auch hat St. versäumt, durch Seitenüberschriften den überblick irgendwie zu erleichtern; ein register, das recht sorgfältig gearbeitet ist, bietet nur einiger- mafsen ersalz dafür, der lext des Liederbuches ist erst im anhang altgedruckt, aber ohne den kritischen apparat, auf den St. so oft rücksicht nimmt, besonders da er mitunter die Unzulänglichkeit der kritischen noten im 1 bände der weimarischen ausgäbe hervor- hebt, hätte er durch seine ausgäbe die lücken ausfüllen und nicht blofs auf die bekannten ausgaben hinweisen sollen, sein buch hätte dadurch viel an brauchbarkeit gewonnen.

Was nun seinen commentar auszeichnet, das sind die sprach- lichen erläuterungen, die mit feinem sinn auf manche bedeutungs- modification aufmerksam machen und gewisse unterschiede zwischen der spräche Goethes und jener der Anakreontiker herauszufinden suchen, ob er dabei immer die nötige vorsieht bat walten lassen, das ist freilich eine andere frage, vor allem hat St. jener Wörter nicht gedacht, die bis zum ekel von der Aoakreontik widerholt, von Goethe jedoch gemieden werden, ich denke zb. an die bil- dungen mit be-: beblümet, behüscht, beschilft, beblecht usw., deren eigeutümlichkeit uns zum grösten teil verloren gegangen ist. Adelung führt im Wörterbuche (1774 i 6S6) eine ganze reihe dieser Zeitwörter, gebildet von hauptwörtern und von adjectiven, an; sie finden sich gerne in decompositen, zb. (bhitbetrieft), neu- begrünt usw., sind freilich schon dem 17 jh. eigen, werden aber von Goethe im Leipziger Ib. nicht gebraucht, ich denke weiter an das häufige dahlen, das zwar nach Adelung nur in der ver- traulichen Sprechart der Obersachsen üblich ist und tändeln, kindische Dinge vornehmen, sich albern bezeigen heilst, aber bei den Ana- kreontikern ebenso häufig begegnet, wie schmählen, das nach Ade- lung gleichfalls der vertraulichen sprechart eigen, aber auch den Anakreontikern trotz der bemerkung St.s (s. 82) sehr geläufig ist 2.

' vgl. Hagedorn ni 74 fFeib, Pfarrei- und ErOen, nicht zu genau! {■.Frau); Weifse Der doifbalbier (Kom. opern, Lpz. 1777) 11 251: Jäckel, liebe deine Frau! Nimm Tiicht alles zu genati! Wenn sich Mann und Frau verstehn. So pflegt alles gut zu gehn . ... In dem Ehstand geht es so ; Selten, Jäckel, wird man froh. Willst du in de7n Hause Ruh, Jäckel, drück ein Auge zu!

^ vgl. zb. Weifse (Wien 1793) i 32 Darum schviählt sie sich fast iodt; 1 54 Mein Mädchen, schmähte nicht mit mir; i 55 auf die jungen Schönen scliviählen ; I 85 weil meine Mutter schmähtet . , schmählt sie demi auf dich, , . . lafs meine Mutter auf mich schmählen; Hagedorn in 71 von der muUer: nun ich solches thu, schmählt sie noch dazu usw.

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dies hat Goethe verwendet, dagegen nicht das beUebte Jahnen^ nicht die so beheble Verbindung von frey mit scherz usw. St. war eben nicht auf Vollständigkeit aus, glücklich benutzt er Gottscheds Beobachtungen über den gebrauch und misbrauch vieler deutscher wOrter und redensarten (175S), ferner Schünaichs Streitschriften und das Wörterbuch von Adelung, nur geht er in den folgerungen zu weit, weil er diesen gewährsmännern zu viel vertraut und dann auf eigene prüfung verzichtet, sein streben war darauf aus, zwischen den eigentümlichkeiten der Anakreontik und den Verhältnissen in Goethes gedichten zu scheiden, aber er überschätzt die Originalität der Goethischen spräche, um behaup- tungen Minors auf das richtige mafs zurückzuführen, scheut er die mühe nicht, die belege zu zählen, zieht zb. beim geltrauche von süfs nicht nur das 17 jh., sondern auch das 19 zum ver- gleiche herbei und erweist daraus, dass dieses adjectivum in der Anakreontik seltener ist, als vorher und nachher, nur freilich setzt man in die Zuverlässigkeit seiner angaben bald einigen zvveifel.

Am wichtigsten wäre die von St. zum erstenmal aufgedeckte tatsache, dass Goethe den Sprachgebrauch der Anakreontik durch w Orter des gewöhnlichen lebens bereichert habe, die bis dahin nicht litterarisch gewesen seien, man bedauert, dass diese gewi? interessanten ausführungen nicht im zusammenhange, sondern gelegentlich bei den einzelnen versen vorgetragen werden, frei- lich hätte dann St. das thema behandeln müssen, an dem KBur- dach seit so langen jähren arbeitet: die spräche des jungen Goethe, man erfreut sich an St.s beobachtungen, man hört mit Interesse, dass Goethe manche solche besonderheit durch sein ganzes leben beibehalten habe, zb. die Vorliebe für das adjectivum still:, aber geht man nun daran, um nicht alles auf guten glauben hinzu- nehmen, durch stiebproben einzelnes nachzuprüfen, so wird man bald bedenklich.

Auf einzelnes wichtige sei hingewiesen, s. 5 sagt St. mit voller Sicherheit, eine für Goethe characteristische stileigenlüm- hchkeit, die Verbindung adjectivischer adverbien mit adjectiven oder adverbien, die schon das Leipziger Ib. in 6 fällen aufweise, linde sich in der leichten zeillyrik nur vereinzelt, so bei Weifse und bei Gleim je einmal, dagegen bei Cronegk, 'der sich über- haupt durch eine gewisse Originalität, auch der spräche, auszeichne' achtmal, mir steht leider von Gleims Schriften nur der Heutt- linger nachdruck (1779) zur Verfügung, das dürfte jedoch kaum viel schaden. ich finde darin i 35 fall . . . holder Schlaf, leichtwallend sanft hernieder l; i 28 ein niedlich muntres Weib; rv 42 [Petrarchische gedichte] wehmüthig hange; v 55 [Versuch in scherzhaften liedern] iiiit dem glänzend schwarzen Schnabel; V 90 m trenfelnd schwarzen Wolken; vi 52 [Lieder nach Ana- kreon] mit bitter süfsem Schmerz; man sieht, St.s sichere behaup- tung ist, was Gleim betrifft, sehr zweifelhaft; auch bei Weifse

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finde ich neben der von St. erwähnten stelle noch i 47 reizend schön, obwol ich nicht alles durchgenommen habe, um .aber einen begrill' davon zu bekommen, ob würklich nur die origi- ginelleren dichter, wie Goethe und Cronegk, grüfsere Vorliebe für diese stileigentilmlichkeiten haben, grilT ich zur nachprüfung einen jener kleinen poeten heraus, von denen St. s. 147 mit vollem rechte sagt, dass bei ihnen als den unbedeutenden nachtreleru die für die gattung characteristischen ziige am deutlichsten hervor- treten, weil sie die eigene armut dazu zwiuge, sich am scla- vischsten der Überlieferung zu unterwerfen. Johann August Beyer, dessen anonyme Vermischte poesien (Frankfurt und Leipzig 1756) St. widerhoU citiert (vgl. s. 169), bot mir fast 20 stellen". in einer anonymen anakreontischeu Sammlung, die St. nicht ci- tiert, 'Neue beyträge zur deutschen maculatur. erster und letzter band, Frankfurt am Mayn, bey Johann Gottlieh Garbe 1766' findet sich s. 101 solch einen lächelnd holden Mund; in SGLangens Horalzischen öden (Halle 1747) steht zb. s. 50 acht- lofs zierlich; s. 96 glücklich kühn; s. 97 mit gelblich braunem Antlitz, ist der unterschied so grofs zwischen der Goethischen Wendung mit mystisch heiVgem Schimmer und der bei Uz (Sauer s. 84) stehenden stygischdicken Finsterniss? ; ebd. s. 94 ein gepachtet karges Feld; s. 103 glücklich kühn (hs. glücklichkühn); s. 126 rauhbebuschter Thäler Nacht; s. 132 mit schalkhaftnmnterm Witz (1804 schalkhaft munterm) usw. ich verzeichne nur ein paar fälle, die mir bei flüchtigem vergleichen von kaum 60 seilen auf- stiefsen. bei Hagedorn fand ich zb. in 66 die kindisch blöde Zunge; 71 in jährlich neuen Schätzen; bei Blaufufs Versuche in der dichtkunst (Jena 1755) s. 77 mit glücklich kühnem Flug; bei Kästner Vermischte Schriften (Altenburg 1755) s. 132 zärtlich heifse Triebe, nach einer solchen fülle von belegen , die schon ein ganz kurzer orientierungsgang in St.s revier als nachtrag und berichtigung ergab, ist das zutrauen zu seinen behauptuugen stark erschüttert; leider muss ich sagen, dass in den meisten fällen die nachprüfung ähnliches lehrte, so hebt St, s, 8 hervor, heiter sei characteristisch für Goethe, während es bei Gleim gar nicht vorkomme; in den Neuen liedern (iv 66) steht das gedieht 'Ein

' s. 7 5o lieblich kühl war einst der Schatten; s, 8 So schalkhaft munter ist ihr Schritt; s. 11 auf röthlich goldncji IFogen; s. 19 in den Klang der göttlich süfsen Leyer .... Die rauschend glatten IVellen; s. 44 ein lockigt schwarzes Haar ; s. 45 rührnlich schlau ; s. 84 (elisäisch schön); s. 97 ein zärtlich blödes Ach; s. 100 dein edel stolzer Sinn; s. 111 mit christlich sanften A7imerkungen; s. 121 des fVestwinds lieblich kühles Zischen; s. 122 .so lächelnd 7-oth; s. 125 ein bräunlich schönes Roth; s, 142 vergänglich klein; s. 143 wie lieblich still; s. 159 ?nit bräunlich schönem Haar, wobei ich von Wendungen wie s. 77 schlankgetvachse7ie Najade; s. 91 die braunbemooften Steine; s. 107 die schönbebüschte Höhe (zweimal) . . . auf weit entlegne Thürme; 8.126 schwarzlockigt; s. 144 sanflwallend; s. 145 schötilockigt ganz absehe, ebenso von s. 40 in bunt- geschliffenen Pokalen und allen Verbindungen mit halb.

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mädchen' mit folgender Strophe: Ihr Auge? Solche Heiterkeit In weiblichem Gesicht Fand' ich auf Erden weit und breit. Fand' idi im Himmel nicht, das scheint doch ein zeichen, dass Gleim auch die übertragene bedeutung von heiter kannte; die nicht über- tragene begegnet iv 47 in dem gedieht 'An Doris': Dich, den Engel meines Lebens, Ohne welchen ganz vergebens Mir der Him- mel heiter ist. Lieb ich ewig. Adelung (ii lüS9) kennt die Ver- wendung von dem Zustande des Gemiithes, mit keinem Kummer, von keinen unangenehmen Empfindungen beladen, utid in diesem Zustande des Gemiithes gegründet: Ein heiteres Gemüth. Ein hei- teres Gesicht. Seine Seele ist immer heiter, so wie seine Miene. Eine Tugend, welche ehedessen meine Tage heiter, wie die Tage des Frühlings machte, auch bei Weifse scheint das vvort keines- wegs so selten, als St. annimmt, vgl. ii 5 heiter wie zmn Tanz, in 251 ein ruhiges Gemüthe, Ein immer heiterer Geist und ein gesund Geblüte . . . Ein lieber heitrer Gast, in der oper Lott- chen am hofe, die Goethe jedesfalls genau kannte, rühmt Astolph (Kom. opern i 13) von Lottchen: Eine liebenswürdige Einfalt, eine edle Freymüthigkeit , U7id eine muthwillige Heiterkeit geben ihr einen Reiz, den man bey allen unsern Hofdamen vergebens suchet; und I 14 sagt er zu ihr: Ist's möglich, mein schönes Kind, dass man in dieser Dtinkelheit so heiter, so zufrieden seyn kann? auch die kleineu leute kennen diese bedeutung, wie zb. Beyer beweist s. 97 Wie heiter flofs uns sonst ein Tag dahin; s. 133 manch heitres Jahr; s. 148 wenn der [morgen] heiterer erwacht, oder Maculalur s. 101 das Auge heiter, wider scheint St. mehr be- hauptet zu haben, als den tatsachen entspricht.

S. 7 erfahren wir, ein bifschen gehöre der spräche des gemeinen lebens an, wie heute noch, schon Adelung führt stellen aus Geliert und VYeifse zum beleg dafür an, dass es auch in der litteratur vor- kam; bei Gleim findet sich v 11 Lass sie noch ein bisgen quälen; V 110 sprach ein bifsgen zornig, ferner im schäferspiele Der blöde Schäfer: iv 22 die Antwort ist ein bisgen schwer; s. 34 ein bisgen lieb; in einer sammhing 'Fabeln, erzäblungen und scherlze zur ergetzung des Verstandes und des herzens (zweyter tbeil 1763)' steht s. 11 ein anakreontisches gespräch und darin: Ich aber werde doch dich noch ein bifsgen rühren"! auch Klopstock kennt das wort im drama Herrmanu und die fürsten (vgl. WUrfl Ein beitrag zur kenntnis des Sprachgebrauchs Klopstocks, Brunn I883fl" s. 11). unmittelbar an die bemerkung über 'ein bifschen' schliefst St. die andere, auch licht für 'hell' sei nur im gemeinen leben üblich ; es begegnet bei Lange Horatzische öden s. 46 vom seligen Pyra gesagt: Er singt in lichten Chören hohe Lieder, bei Weifse I 17 der lichte Himmel schwärzet sich.

S. 27 polemisiert St. gegen mich (vgl. Anz. vin 252) und be- hauptet, entflammen sei im 18 jh. so ungewühulich, dass es in Adelungs wörterbuche vollständig fehle, dies ist allerdings richtig,

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aber (las wort war durchaus nicht ungehräuchhch: bei Kästner Vormischte schrilteu (Ältenburfi 1755) steht s. 202 weil dich noch zum Spielen Selbst der Richter Lob entßammt, vgl. s. 83 von rcilder Glut der Jugend ange/lammt ; Klupstock (WürQ s. 18); hei Grimm (iii sp. 519) wirti eine stelle aus JASchlegel citiert; in der Sammlung Maculatur steht s. 50 Sylvander greift nach Chloens Bilde, Die er im dunklen Lustgefilde An sein entflammtes Herz ge- drückt und s. 88 Amor, sprach ich ganz entflammet; bei Blaufüfs s. 51 Seines Herzens Meisterinn Entflammet ihn mit neuer Liehe, s. 62 Sie . . sind entflammt von Deiner Huld, s. 85 mein von Euch entflammt Gemüthe.

Am meisten wird man durch die auslührung s. 32 f, s. 60f überrascht, die den werten empfinden und Empfindung, fühlen und Gefühl gewidmet ist. St. sagt ausdrücklich : 'der anakreontik und der scherzhaften poesie überhaupt, so weit sie ihren character rein zeigt, fehlen die worte empfinden und Empfindung fast voll- ständig', und s. 60 f heilst es, fühlen scheine zu jeuer zeit weniger beliebt als sein synonymon empfinden, das wort gebore jedoch so wenig zum Sprachschätze der Anakreontik wie empfinden, mau traut würklich seineu äugen nicht, wenn man wider mit dieser sicheren angäbe die auakreontischen gedichte vergleicht und mit der leichtesten mühe die stellen häufen kann, an denen beide Wörter gebraucht werden, ich sammle in der anm.i namentlich aus Beyer das einschlägige material, ohne jedoch irgendwie Voll- ständigkeit anzustreben '. das vorgeführte wird wol zur wider-

s. 3 wird der fürst angesprochen: Dil fühlst . . . die Ba?ide (vgl. 158 vordem liab' ich die Fesseln recht gefühlt); 4 sonder Neid zu fühlen . . . so fühlen wir die reinste Freude-, 5 Es fühle deine Nacht, o ff'nld, die Melodien] 10 steht ein gedieht mit dem titel: Gefühl im Fimhling: Hier ivill ich mein Leben fühlen . . . ff^o die Zephirs alle fühlen {■.Kühlen -.spieleti)- 14 ff^o ich, dich [freude] zu fühlen ioache\ 19 Najaden fühlten den Gesang] 21 ^:tlles fühlt des Winters Gegenwart] 27 Nur damals fühlt ich Sctnnerz darunter, Als Amors ci-sler Pfeil midi traf] ein Herz, das mehr die FreundscJiaft fühlte] 49 wo schon mein Geist den Frühling fühlt] Ü4 fühlt das Lied der Nachtigall] 65 Hier fühl ich recht, o Ln- schiild, deine Freuden] 66 ff^as fühl ich hier"* 67 Der Buchwald fühlt die Klagen jneiner Lieder, Ach wenn sie Cloe fühlete! ; 79 fühlt die Reben, Ach! nun fühl ich erst viein Leben] 81 Nun fühl ichs] 83 Dann liefst und fühlt indess Belinde Zufriedenheit in Fontenai] 92 Was fühlt m.ein Herz!] 93 wo mein Saitenspiel kein Kummer hört und fühlet] 98 kein freundlich Abendroth ist ungefühlt verschwunden] 99 vom leid: das die Seele fühlt und das die Seele kränket] So fühlest du getoiss, .... wie wünschenswerth] [1Ü8 Ich fühl es nun, dass . . . tins muntre Freude wecken ka7ini\ II'* •'c/« fühlV . . . der Freundschaft schü?iste Triebe] 126 Die Kemier fühlen doch alle dein Lied] 127 von Friedrich n Der . . . Alziren fühlt] 131 Entzückt fühl ich den Namen D***, Mehr als mein Blut, auch Eh?- furcht fühl ich brennen] 132 So fühlt' . . einst Pij- 1-amus der Liebe ersten Zug] 133 Du fühlest nichts, tvetm Philomele singt] 143 Ich fühl' es . . itzt bin ich menschlicher] 149 ioe7in ich grau und fühllos bin] 151 fühllos für edleres f'erg7iügen. seltener ist bei Beyer empfinden, es findet sich 7 Als mich ... Belisens erster Kuss belohnt . . , empfand die ganze Haide Mehr, als wann Flora sie beblümt] 10 Anger-

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k'gung St.s genügen; denn meine sauimluug ist nichts anderes als eine Stichprobe, und ich gebe nur eine auswahl.

S. 73 lesen wir, dass himmlisch durchaus nicht anakreontiscb sei, sondern von Klopstock und dem jungen Wieland stamme, bei Gleim in den Petrarchischen gedichleu iv 39 tcelch himmli- sches Gesicht .... mit himmlischer Gewalt entzückt. Beyer sagt s. 72 in einem echt anakreontisclien duett zwischen dem triuker und dem verhebten : Zwar ist mein Kind so himmlisch icie Cythere und in dem gleichfalls anakreonlischeu Dosenstück s. 145 alles was nur Augen himmlisch macht, war in des Engels [mädchens] schwarzen Augen angebracht. s. TS wird zu rein bemerkt, dieses echt Goethische beiwort sei in der Ijrik jener zeit und besonders in der anakreontisclien, aufserst selten, nur Uz brauche es einmal: Denn reine Freude quillt aus reinen Herzen, auch Klopstock sei es nicht eigentümlich (vgl. aber NVürfl s. 61). St. ciliert s. 29 selbst ein gedieht Ebelings, worin steht: der Engel reinste Tugend; Hagedorn iii S2 der reine Mond; Beyer 4 So fühlen wir die reinste Freude; 114 Er denkt wie Sokrates, doch lebt 67' auch so rein?; s. 135 reine Wonne; Maculatur s. 55 der Liebe reinste Lust (zweimal); Blaufufs s. 64 die reine Schönheit Deiner Ju- gend; s. S2 der reinsten Regung fähig; Gleim i 33 ein reines Gewissen ; VI 63 dein Herz muss reiner ersdieinen, als von Edelgesleinen . . . es ist so hell iind auch so reine; iv 55 Mein Trank quillt hier aus reiner Erde; 63 diese Quellen So rein; Weifse i 23 engelrein; Kora. opern 1 103 der Unschuld reine Lust; i 109 sind unsre Herzen r?in.

S. 93 nimmt St. das adjectiv still für Klopstock und die unter seinem einflusse stehnden dichter zb. Cronegk in an- spruch und weist Goethes Vorliebe für dieses epitheton nach, wider muss ich an St.s behauptung zweifeln, man schlage die Anakreontiker auf, wo man will, man wird das adjectivum still entdecken'. ebensowenig glaube ich ihm, dass heilig nicht

blumen , die empfinden, Bulen mit den Aljendwinden\ 19 Ali Orpheus zärtlich . . . sang . . . Der Bach empfand und hielt im Lauf Die rau- schend glatten ff^'ellen auf] 39 Freund, lass uns die ISatur empfinden!; 64 Empfindungen am Jbend\ 66 Empfindung nur ist meines Herzens Sache, Ind zarter Kummer mein Bemühn; 93 empfindungsvoll', 127 Em- pfindungen, die Graun hervorgebracht, in der .Maculatur s. 53 Arrete'. deren weiser Geist Die Würde seines Daseyns fühlet; s. 100 So fühlt man leise Schauer . , . Das alles fühlC ich gestern; s. 5 ich fühle den Kummer, von Gleim erwähoe ich nur Alexis und Elise: zwey Herzen voll Gefühl (VI 105), ferner v 120 ff'as sein [Catiitzeiis] blutend Herz empfun- den. Das empfindet itzt mein Herz und 122: wenn ich noch im Grabe Kräfte zu empfinden habe, bei ChrFWeifse l 14: Als ich zum erstenmal ihn sah, Da fühlt' ich so was fühlt' ich nie! 15 ff'as fühlC ich! welch ein süfser Schmerz!; 139 Du würdest nicht . , klagen. Ich wäre hart und fühlte nie; 141 Das wenigste hab' ich gefühlet (von seinen lie- dern); 9 ff'enn Chloris unempfindlich bleibt; 14 ff^er sagt mir, was ich da empfand?; 130 ff^ann wird einmal dein Herz empfinden?

* Hagedorn in 32 der stillen Einsamkeit ergeben ; 5S in stillem Dichten ; [6Sf Du Stille voller Freuden . . . hier im Stillen;] 74 stille Küsse

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anakrt'ontiscli sei (s. 131); bei Gleini kommt in einem gediclite (Der bann» i 40) vor: des heiligen Herzens verschwiegenes Ge- sträuch und voll zärtlicher heiliger Furcht, endlicii den heiligen Baum; iv 54 Aus Gottes heiligstem Gebiet; bei Beyer s. 91 (Der lannenwald) heiige Furcht und heilig Fest, s. 141 ein heiiger Lürm, dabei lasse ich ein paar stellen aufser acht, an denen heilig Itc- lochtigter erscheint, zb. W'eifse i 67 Dass jeder Priester heilig lebt. auch schwimmen kommt keineswegs so selten vor, als man nach St. s. 134 glauben sollte, ich erwähne Weifse Lolichen am hole i 77: Ich habe ihre schönen Augen in Thränen schwimmen sehen, vgl. Die liebe auf dem lande i 171: Noch schwimmt mein Herz in Thränen. au I fallend ist Gleim vi 31 Das Haar, das nieder Auf ihre Schultern schwimmt! Gerollt in schöne Locken Durch- schwimm es, heitre Luft! wenn St. s. 102 sagt: 'ausdrücke wie Die liebe Noth, Den macht nichts heifs hat Goethe nicht bei seinen anakreontischen Vorbildern gefunden', so vergafs er, dass ich für die zweite Wendung schon Anz. viii 25S^ eine parallele aus Weifse beigebracht habe; derselbe Weifse braucht in der opt-r Die jagd (in 40) den ausdruck : /.sf das nicht liebe Noth, Ein armes Thier zu jagen. s. 140 hebt St. die metonymie Deines leisen Fufses Lauf als latinismus hervor und bringt eine parallele ans Uz bei {mit leisen Flügeln); auch Beyer sagt mit stillem Flügel, während zb. Gleim i 110 mit leisen Tritten, Weifse i 119 mit leisem Schritt, Opern i 63 mit leisen Flügeln hat.

Wahrscheinlich wird man mir nach diesen proben nicht Un- gerechtigkeit vorwerfen, wenn ich auch zu der richligkeil jener

Gleim iv 9 er ist so fromvi, so stille', 17 ei?i stiller Gram', 42 stirb ge- lassen, willig, still; v7 Hier sind wir einsam, fromm und stille; 36 sie [die slerne] brannten still mid sicher; 46 du besijvj^st . . das f olk im stillen Schatten; 75 den kleinen stillen ff'ald; 92 mit slilleni Lobe. Weifse i 30 seine stillen Klagen (vgl. I 99); i 136 Das stille Sehnen; li 7 Du träumtest still mit mir im Haine; 28 wir leben still, wir leben frey; 35 in jenen stillen Gründen; ni 253 stille Freuden; in Lottchen am liofe zb. I 63: So stille, wie die f^eilch' im Thal, Blüht auch die Ruh in unsern Herzen; 95 meine stille Hütte; Die liebe auf dem lande i 103 Eine stille Tugend lacht ... im Schatten stiller Li7ide7i; Der ärnlekianz in 138 etc. sehr zahlreich sind die stellen in Beyers gedichten zb. s. 6 und 141 stille Nacht; 13 stiller Jüngling; 15 sein Auge sprach von stillefi Leiden; 21 die kalte stille Flur; 58 das stille Thal (vgl. 60); 75 bey stillem Monden- schein; (85 dunkle Stille;) 87 d'C stillen Tage; 91 mit stillem Flügel; 93 mit stillem Schwarz; 98 ein stiller Gram; (99 kühler Nächte Stille;) 108 de7i stillen Horizo?it; 125 stiller seys in UJiscm Herzen; 139 irti stillen Hayne; 143 ff ie lieblich still ist alles um mich her.'; 156 ifi einer slille7i Gege7id. iMaculatur s. 88 die merkwürdige Windung, die nur zu ver- stthn ist, wenn «i<7/ ein liehlingswort war: So besuchte i7iich Cupido, ff'el- che/i meine .<itille7i Saiten Oft i/i 7/iei7ie Laube locke7i, Weil sie stets von ilu/i e/'thöne7i. Fabeln etc. i 40 m unser7i stille7i Trifte7i; (ii 22 brich iimner an 7/iit deiner Stille, Geliebte Nacht.';) ii 32 Die stille Ltist u/id A7i- 7nulh; n 55 im stillen Lebe7i. wenn ich noch aus Uz s. 85 hinter stillem Laube; s. 92 stille Mitte/macht; s. 120 jene7i stillen Lorbeer- ff^ald und Lange s. 44 in stillen Thäler7i anführe, so wird man mir wol wider das recht nicht bestreiten, St.s Zuverlässigkeit in zweifei zu ziehen.

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behauptungen kein zutrauen habe, die ich St, nicht nachzuprüfen vermochte, es kann vom rec. nicht verlangt werden, dass er in kurzer zeit den Untersuchungen nachgehe, zu denen der verf. vor mehr als 11 jähren den grund geh-gt liat (vgl. Anz. viii 253 und Stracks vorwort s. iii). die Sicherheit, mit der St. so vieles vorträgt, erscheint mir durchaus nicht berechtigt; ich sehe auch nicht, dass er 'die inzwischen erschienene lilteratur' vollständig berücksichtigt habe, so scheint ihm, um jetzt nur eines zu nennen, die grofse darstellung Minors Goethes Jugendentwicklung nach neuen quellen (Cottasche Zeitschrift für allgemeine geschichte 3 , 603 IT. 653 ff) ebenso unbekannt geblieben zu sein, wie mein aufsatz Arch. f. litt.-gesch. 15, 278 fl". auch in sachlicher hinsieht kann ich mich mit St.s darstellung nicht überall befreunden; besonders sein urleil über die Überlieferung des textes erscheint mir unklar, schon weil auch hier bei jedem gedichte die Verhältnisse getrennt unter- sucht werden, trotzdem hat hier St. gewis manches richtig erfasst. Was St. über die entstehungszeit der einzelnen lieder er- forscht, verdient beachtung und erwägung, freilich auch Wider- spruch ; St. macht mitunter wunderliche Sprünge, so zb. bei dem ge- dichte 'Der wahre genuss'. ich habe Arch. 15, 2S0f nachzuweisen gesucht, es sei zwischen dem 3 nov. und 4 dec. 1767 entstanden. St. erläutert kurz die Verhältnisse des Dessauer hofs, die veran- lassung zu dem gedichte gaben, glaubt aber, in jener zeit könne Goethe wegen des traurigen zustandes in seinen eignen berzens- wirren unmöglich die zweite hälfle mit der Schilderung seines glücklichen liebesbundes gedichtet haben, er vermutet daher, diese zweite hälfte sei nur eine Überarbeitung jenes gedichtes 'Zes amans\ von dem Goethe seiner Schwester mai 1767 schreibt. St. selbst fühlt, dass die frage zu beantworten bleibt, wie Goethe in jener zeit der eifersuchl und des liebesjammers dazu komme, das alte ge- dieht wider aufzunehmen, und meint, die tage der eifersucht und quälerei seien auch wider durch selige augeublicke der Versöh- nung unterbrochen worden, in denen das alte glück von neuem aufzuleben schien; nach einer solchen stunde möge das gedieht concipiert worden sein, weshalb man aber dann zu einer so abenteuerlichen ansieht von der conlamination zweier gedichte zu einem neuen seine zulhicht nehmen müsse, darauf bleibt St. die antwort schuldig. Goethes Stimmung während des nov. 1767 war jedesfalls sehr wechselnd, am 4 dec. schreibt er Behrisch: Ich hinn nun in einer übebi, sehr Übeln Laune. Jeden andern Tag würde ich vielleicht anders geschrieben haben, da wäre er also nicht so übler laune gewesen, und warum sollte er nicht während der woche das gedieht verfasst haben, von der er am 27 nov. schreibt, dass sie Wuhig war: '•Wir haben wiirJdich diese Woche in einem dummen Frieden gelebt', wir wissen nach Englerls hin- weis, dass Goethe einem gedichte von Rochon de Chabannes folgte, wo doch auch eine gegenüberstellung von scheinbarem und

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echtem glücke vorkommt, es steht ^ai" nichts im wege, im nov. 1767 eine gegenüherstellung von käuflicher und wahrer liebe lür Goethe möglich zu halten, von Goethes 'Les amans' wissen wir gar nichts weiter, Behrisch kannte aber das gedieht, und darum hätte er wol in seiner kritik oder Goethe in seiner zuschrift auf das Verhält- nis des Wahren genusses zu diesem älteren gedichte rücksichl nehmen müssen.

Meine ansieht (Anz.viii 2.541), 'Der scimietlerling' gehöre nach Frankfurt, ist durch die briefe an Behrisch widerlegt, St. nimmt es mit recht für Leipzig in anspruch. weniger sicher ist seine datieruug des gedichtes 'Das glück': sommer 1768. es fehlt ein sicherer anhaltspunct; der rückblick auf die vergangene zeit des glückes kann sowol in der zeit, von der Goethe am 26 apr. 1768 an Behrisch schreibt, als später gedichtet sein, wenig überzeu- gend ist auch die Vermutung (s. 86ff), das 'Hochzeitlied', das Goethe am 7 oder 9 oct. 1767 Behrisch schickte, sei eiu scherz für diesen freund und beziehe sich auf jene Auguste, die wol damals Behrisch habe heiraten wollen, ich vermag dies weder zu wider- legen noch zu bestätigen ; wir wissen von jener Auguste viel zu wenig. 'Kinderversland' führt St. auf eine anregung in Holhergs Bramarbas zurück, dessen kenntuis in Goethes kreis er wahr- scheinlich macht, freilich bleibt die frage offen, ob nicht irgend eine der damaligen Operetten Goethe die anregung zu dem ge- dichte bot. man denke nur, wie Lieschen in Weifses Liehe auf dem lande ihrem Hännschen an erfahrung überlegen ist; ich erinnere an den 6 auftritt des 1 aufzugs, ferner an eine stelle wie die im 12 auflr. des 2 aufzugs, wo Lieschen geschwind, ge- schwind erfahren will, wie maus macht, um sich zu verheiraten, so dass Schösser geradezu sagt: Ey, ey, eyl das Mädchen ist noch hitziger, als er!; endlich an die Unterredung Hännschens mit der Jägerstochter Grelhel, die ihm aufschlüsse über das hei- raten gibt (ii 3). wir würden durch solche ähnlichkeiten in den mai 1766 verwiesen (vgl. vBiedermann Arch. 15, 82 ff und MHerr- mann GJ. 11, 186), wodurch St.s annähme gestützt würde.

Bei dem gedichte 'Die freuden' läfst St. entstehung im herbst 1767 oder i. j. 1768 zu, aber wol noch in Leipzig, er weist auf eine stelle im briefe vom 2 nov. 1767 hin, die vom berbei- und hinwegphilosophieren der empfindung spricht und sich da- durch mit unsern versen vergleichen lässt. ich möchte noch den grofsen brief vom 10 nov. 1767 erwähnen, wo es heifst (i 140): Ha ! alles Vergnügen liegt in iins. Wir sind nnsre eigne Teufel, wir vertreiben uns ans nnserm Paradiese, indem von dem verschiedenen eindruck die rede ist, den auf ihn zwei aullührungen der Sara gemacht haben: Es waren ebendieselben Scenen, eben die Acteurs, und ich konnte sie heute nicht ausstehn (wegen seiner eifersuchts- qualen). deshalb glaube ich eher an eine entstehung im nov. oder dec. 1767, wenngleich, was St. s. 106 vielleicht zu stark

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betODt, Goethe aulser dem Hoclizeillietle, den odeo au Beiirisch und dem Wahren genuss zwischen dem 13 oct. und 14 dec. 1767 nichts anderes gedichtet haben will (Briefe i 152). oh diese be- hauptung ganz würlUch zu nehmen ist? interessant ist der nach- weis eines französischen gedichtes 'Le plaisir et le papillou', ilas manches motiv für unser gedieht abgegeben hat. dass ich übrigens das Goethisclie gedieht misverstanden hätte (Anz. viii 258), kann ich nicht finden.

Zu 'Amors grab' sei der brief vom 26 april 1768 (i 159) erwähnt: Wir haben mit der Liebe angefangen und hören mit der Freundschaft auf. Doch nicht ich. Ich liebe sie noch, so sehr, 0 Gott, sosehr (vgl. Schüll, Briefe und aufsätze s. 23f). darnacli setzte ich das gedieht wie St. ins frühjahr 1768. das motiv des rasch erweckten Amors kennt auch Beyer s. 156 f Die strafe: Amor schläft und gleicht der geliebten Belinde: Ich seufzt' U7id schnell erwachf der Liebesgott , Wie leicht ists nicht, dass der er- wecket wird, er rächt sich dafür, dass ihn der liebende auf- geweckt hat, und schiefst ihm den schwersten pfeil iüs herz.

Auch das couplet 'Liebe und tugeud' verweist St. in den 'büseu Sommer' 1768 und hält den pessimismus für erlebt, was mir etwas zuweitgehend erscheint, da dieses motiv ein altüber- liefertes ist. man konnte vielleicht an die beobachtung denken, die Goethe seinem freunde Behrisch am 20 nov. 1767 (i 1451) 4lher Annette mitteilt, schon Minor hat tradition und erlebnis dargestellt, wir werden uns etwa auch an den winter 1767/8 halten müssen, wie verbreitet die coupletartige contraslierung war, möge das gedieht Der ehemann von Beyer (s. 24) beweisen:

Wenn ich, dort an der Sonnenblume Doch, wenn ich Eifersucht zu slillen,

Dorinden, meine schlaue Muhme, Und um des Schwiegervaters willen.

Mit holdem Zwang, von Herzen Mein Weib, mit billern Kaltsinn,

küsse, küsse,

So schmeckt der Kufs mir mehr So schmeckt der Kufs mir gar nicht

als süfse, siifse;

Er schmeckt, = = = o fällt mir denn Er schmeckt, = = = wie leicht fällt

nichts ein I mir das ein !

Er schmeckt wie reiner Sechster Er schmecki wie Wasser unter

Wein. Wein.

Für die datieruug des kleinen epigramms 'Der misauthrop' glaube ich (Arch. 15, 279 f) weitergekommen zu sein, als jetzt St. ich schlüss aus dem briefe (i 50), das gedieht sei zwischen dem 11 mai und 27 sept, 1766 verlässt, während St. zwischen dem frühjahre 1766 und dem herbst 1767 schwankt. St. denkt bei den buchstaben A und B, durch welche die beiden ersten spre- chenden bezeichnet werden, an Annette und Behrisch, wozu er sich nicht hätte versucht fühlen sollen, da er das C des antwor- tenden ungedeutet lassen muss. oder am ende Corneiie?!

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'Die reliqiiie' verlejjt St. in die erste zeit des Frankfurter anf- enthaltes 176S und bringt eine parallele ans dem Idris hei, die f'reilicli nicht weiter geht, als die von mir im Anz. vin 2G1 an- gelilhrte aus Weifse. 'Die liebe wider willen' scheint St. auch am besten in dieselbe Frankfurter zeit zu passen; ich liefs (aao.) die entscheidung, ob Leipzig oder Frankfurt, dahingestellt, nun sei auf die stelle im briefe vom 20 nov. 1767 (i 147) aufmerksam gemacht, wo Goethe die Unterredung mit der Breitkopfen dem freunde mitteilt; sie sagt: Ich habe bemerckt, dass Sie immer schlimm und niemals gut von Frauenzimmern geredel haben . . . Das hat mich auf die Gedancken gebracht dass Sie gar kein gutes Mädgen kennten; allein ich binn überzeugt dass Sie welche kennen, dies wie die erwähnung der kartenkönige lässt sich vielleicht für Leipzig anführen, obwol das gedieht nach Frankfurt auch passen könnte, die datierung der weiteren gedichte dürfte kaum einem zweifei unterliegen.

Die parallelen, die St. beibringt, sind meist recht bezeich- nend, und es ist durchaus zu billigen, dass er auf manche feine Veränderung hindeutet, die Goethe mit dem überlieferten gute vornahm, das ist wol die wichtigste seite von St.s buch, ich will mich nicht damit aufhalten, weitere parallelen, wie sie jeder in sein handexemplar des jungen Goethe eintragen dürfte, hier zu erwähnen, möchte jedoch die ausführungen St.s über die Goe- ihische mondpoesie im Leipziger Ib. nicht unbeantwortet lassen. St. sucht das unrichtige meiner behauptung zu erweisen, dass Goethe mit seiner mondpoesie den durchschnitt damaliger dicht- weise hoch überrage, aber in den stellen, die er s. 46 ff anführt, spielt das eigentümliche der späteren mondnachtstimmung gar keine rolle, ja in den meisten dieser nachtschilderuugen kommt der mond überhaupt nicht vor. wenn Löwen vom kalten mond spricht, so fehlt ihm eben noch das gefühl für den zauber der mondnacht, wie er für Goethe characteristisch ist. dass der abend und die nacht 'beliebte Stoffe' schon in der Anakreontik sind, habe ich nicht geleugnet (vgl. s. 242). aber falsch ist St.s behauptung, dass 'der mond bei den typischen zügen nicht zu fehlen pflegt' (s. 48); er pflegt im gegenteile sehr selten zu stehn. das kann im gegensatze zu der häufigen Verwendung in der späteren dichtung unmöglich ein zul'all sein, köstlich sagt St., nachdem er zwei gedichte von üz citiert hat, es fehle in ihnen allerdings der mond, es sei aber klar, weshalb? die der liebe günstige dun- kelheit der nacht solle hervorgehoben werden, ja wie kommt er dann dazu, sie gegen mich auszuspielen, nachdem er abgesehen von ein paar ganz uncharacteristischeu stellen aus Beyer und einer aus der Ünzerin nur noch zwei bereits von mir erwähnte citate aus Weifse beigebracht hat? seine Sammlungen sind übrigens wider gar nicht zuverlässig; aus Beyer hätten sich die Seiten 7. 8. 37. 61. 75. 85. 122. 134. 141 aufzählen lassen, wo

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der mond würldicli vorkommt. St. liat nur zu den vorgäiigeru Goethes, die ich nannte, Cronegk und Gessner hinzugefügt; diesen hatte ich als prosaiker mit unrecht ausgeschlossen, meine reichen Sammlungen üher die deutsche mondpoesie holl'e ich einmal im Zusammenhang zu verwerten und will darum nicht mit einzel- heiten kommen, ich nehme auch jetzt n)eint! darstelluiig nicht zurück, obwol manches erweitert und eingeschränkt werden muss*. Ich breche mit den einwendungen ab, weil ich sonst seite für Seite besprechen müste, um einzelne zweilel zu begründen, froh wäre ich, wenn durch meine hemerkungen nicht der schein von ladelsucht hervorgerufen würde, doch muss ich gestehn, dass ich mit der günstigsten Voreingenommenheit an das buch herantrat und zuerst, besonders von den sprachlichen ausfühiuugen, sehr angenehm berührt war, bis ich nachzuprülou begann, und bei widerholtem, genauem Studium immer mehr bedenken in mir aufstiegen, wenn schliefslich mehr Widerspruch als Zustimmung übrig blieb, ists nicht meine schuld, das buch bringt freilich so viel, dass nicht alles in gleicher weise ausgearbeitet sein kanu ; es bleibt daher noch genug übrig, was ihm einen gewissen wert sichert.

Lemberg, 12 dec. 1893. R. M. Werner.

Torquato Tasso. ein Schauspiel von Goethe, mit einleitung und anmer- kungen herausgegeben von Franz Kern. Berlin, Nicolai (RStricker), 1893. IV und 394 ss. 8°. 10 m.

Mit Goethes Tasso hat sich die forschung in den letzten Jahren sehr lebhaft beschäftigt, besonders iiaben zwei gelehrte das Wort ergriffen, einander ergänzend und befehdend: Kuno Fischer und Franz Kern, als der letztere schon mehrere beitrage zur erklärung des dramas hatte erscheinen lassen, veröffentlichte Fischer 1890 sein geistvolles buch über Goethes Tasso, dem 1892 eine polemische schritt Kerns (Goethes Tasso und Kuno Fischer) und jetzt die commentierte ausgäbe von demselben Ver- fasser gefolgt sind.

Welche Verschiedenheit zwischen beiden forschern 1 wo KFischer kühn hypothese auf hypothese baut, begnügt sich Kern lieber mit einem vorsichtigen non liquet. während F. oft entlegene Zeug- nisse durch glänzende combinationen verbindet, legt K. innerhalb der einzelnen briefstelle jedes wort auf die wagschale, und wie verschieden beurteilen sie ihren dichter I wenn F. oft nur die frage aufwirft: was war dem dichtergeuius Goethes mOglich? und bei der beantwortung gelegentlich seiner eigenen produc-

* das auffallende gern im 1 verse des gedichtes 'Die nacht' deutete ich als 'willig', während St. mit Loeper darin den anreiz der hinauslockenden kühle, also so viel wie 'mit vergnügen' sieht, sollte nicht vielleicht die bedeutung 'oft, haulig' gerade im gegensatz zum Schlüsse sich empfehlen? sie ist heute mehr volkstümlich, aber Adelung kennt gern in der bedeutung 'gewöhnlich, gemeiniglich', so dass sie damals nichts auffallendes hatte.

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tivcn plinntasie l'olgt, siiclit K. zu ergründen: was ist beglaubigt und durcb Zeugnisse gesicbert? und docb tritt, seltsam genug, F. mit praclitvoUer siegesgewisheit auf, wahrend K. bei seinen zaghaften Schlüssen noch zweifelt, wer von ihnen die erkenntnis Goethes mehr fördert, ist schwer zu sagen; ein sorgsames auf- speichern gesiclierten wissens ist gut wie alles tüchtige, aber fröhlicher ist der niut des irrtums.

Die K.sche ausgäbe ist ein resultat jahrelanger Vorbereitung, der text stimmt bis auf unwesentliclie kleinigkeiten mit dem der Weimarer ausgäbe überein. unbegreiflich ist es daher, warum K. in der verszählung abgewichen ist. freuen wir uns doch, dass wir endlich eine einheitliche norm des citierens haben, die sich durch ihre einfachheit empfiehlt, wie umständlich verfährt da- gegen K.I mit jeder scene, im ganzen also 24 mal, beginnt er eine neue Zählung, sodass nun für jeden vers ein dreifaches citat (act, scene, verszeile) nötig wird, die folge ist, dass wir in dieser besprechung beide Zählungen neben einander verzeichnen müssen. nicht zu loben ist ferner die anordnuug des ganzen Stoffes, in der mitte des buches steht der Goethische text mit zahlreichen anmerkungen. zu diesen gibt es aber später noch einen anhang von ca. 45 Seiten, ohne dass im einzelnen falle zu ersehen ist, warum die eine anmerkung unter den text, die andere in den anhang gestellt ist. ebenso hinken den einleitenden ab- schnitten über die handlung des dramas und die charactere (s. 7 65) noch eine reihe von Zusätzen (s. 297 309) nach, und ganz am schluss des buches erst finden sich die capitel über den geschichtlichen Tasso und die entstehung der dichtung. so ist man genötigt, unausgesetzt hin und herzublättern, sehr viele der anmerkungen sind überdies nur zufällige lesefrüchte und dürften gern fehlen oder könnten beliebig vermehrt werden, man erhält den eindruck, als ob K. jähre laug bei all seiner lectüre stets nebenher an den Tasso gedacht und sich parallelen notiert habe, die an sich manchmal ganz hübsch sind, aber zur erklärung von Goethes dichtung gar nichts beitragen, einzelne seiner anmerkungen wollen wir zum schluss unserer besprechung ins äuge fassen.

Eine der wichtigsten controversen zwischen Kuno Fischerund Kern dreht sich um die entstehungsgeschichte des Goethischeu dramas. der dichter hat in den jähren 17S0 und 1781 nur zwei acte in prosa niedergeschrieben; dann hat er in Italien den plan seiner dichtung völlig verändert und nun nach dem neuen plane das werk 1789 in jamben ausgeführt, an diesen tatsachen ist gar nicht zu rütteln, natürlich reizt es nun jeden forscher zu er- kennen, wie sich beide plane unterschieden; und da hat F. phantasievoll, aber ohne genügende gründe die hypothese aufge- stellt: der erste act enthielt 1780 die jetzigen scenen i 1 i 3^;

* dass KFisclier mit seiner Vermutung, es sei von anfang an die be- kränzung Tassos das thenia des ersten actes gewesen, recht hat, dafür lässt

KER^ GOETHES TORQUATO TASSO 307

der zweite die sceuen ii 1. 2 und die lieiaust'orderung und liaft Tassos in anderer form, als wir sie jetzt lesen, und sein letzter schluss ist: in der älteren Tasso-dichtung kam noch kein Antonio vor. F. rührt hierfür folgende gründe an:

1) der erste act ist 1780 so schnell entstanden, dass Goeliie in dieser kurzen zeit nicht vier so ausführliche scenen dichten konnte, es fehlte die vierte, dem entgegnet K. mit recht: wir brauchen uns ja diese 4 scenen noch nicht so ausführlich zu denken; und soll schon eine von ihnen fehlen, so kann es eher die entbehrhche erste, als die höchst dramatische vierte sein.

2) F. argumentiert weiter: nicht eine beliebige scene des ersten actes, sondern ganz sicher die vierte fehlte in der alten dichtung. denn als Goethe seinen Tasso in letzter fassung bei- nahe vollendet hatte und am fünften acte schon arbeitete, schreibt er am 6 apr. 1789 seinem herzog, ihm fehle noch die scene i 4, er zweifle, ob er sie bis ostern 'fertigen' könne, die entgegnung, die K. auf diese begründung hat, kann ich nicht für ausreichend halten, für ihn bedeutet 'fertigen' nur 'etwas angefangenes fertig machen', in diesem falle hauptsächlich 'aus prosa in verse um- giefsen'. und als beweis dafür, dass die scene mindestens in prosa damals schon ausgeführt gewesen sei, macht er geltend, dass Tasso sich in der längst fertigen scene n 1 auf die 'worte' des Antonio in i 4 beziehe, das scheint mir nicht zwingend; denn jene bezugnehmenden stellen (es handelt sich um 2 reden Tassos) können später interpoliert sein, und dass es sich bei dem 'fertigen' um mehr als blofses versificieren handelte, ergibt sich mir zunächst aus folgender erwägung: ostern fiel 1789 auf den 12 apr.; Goethe hatte also bis dahin für seinen zweck noch 6 ganze tage, hätte es sich nur um eine formale ausarbeituug der scene gehandelt, so hätte Goethe, der bekanntlich bei solcher arbeit, besonders wenn sie drängte, viel durch Willenskraft zu erreichen vermochte, nicht solches mistrauen in =sich selbst ge-

sich ein erweis bringen, auf den meines wissens nocli nicht aufmerksam ge- macht worden ist. ja, es lässl sich sogar mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit eine stelle angeben, an der die iamben des jetzigen dramas annähernd den Wortlaut der ursprünglichen prosafassung bewahrt haben, in demselben frühjahr nämlich, in dem Goethe an den 'Tasso' gieng, 1780, erschien das einzige, noch heute populäre deutsche epos, das sich in form zugleich und Inhalt an die italienischen grofsen epen anschliefst: Wielands 'Oberon', der ebenso wie Tassos 'Jerusalem' den kämpf mit Ariost aufnehmen will. Goethe war entzückt von dem gedieht, und genau eine woche vor dem 'erfinden- den tage' (30 märz), an dem der Tasso gestall gewann, sandte er W'ieland einen lorbeerkranz und einen brief, der mit den worten schliefst (23 märz 1 7S0) : 'drurn schick ich dir hier statt alles, ein Zeichen das ich dich bitte in Seinern primitiven Sinne zu tiehrnen, da es viel bedeutend ist. Empfange aus den Händen der Freundschaff't was dir Mitwelt und Nachwelt gern bestätigen wird\ es sind fast die worte der prinzessin: 'dort (auf dem capitol, wo das symbol der unslerblichkeit verliehen wird) werden lautre Stimmen dich begrüßen ; Mit leiser Lippe lohnt die Freundschaß hier' (vgl. auch I -1, 133 fi = 702 (f).

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setzt, nein, es handelte sich hier sicher um eine neuscliüpfung; meine liypolliese in dieser richlung trage ich weiter unten vor. dort werde ich auch illier die Schwierigkeit der ausführung ge- rade dieser scene ein paar worle sagen, aher darin stimme ich mit K. gegen F. überein an stelle der neu zu dichtenden sceoe stand sicher schon längst eine ältere, die sich zwischen den- selben personen abspielte, wäre Carl August nicht über eine solche scene unterrichtet gewesen, so hätte sich Goethe in seinem briefe nicht mit einer so kurzen andeutung begnügen dürfen, wie er es tut. Nehmen wir F.s behauptung, dass in der älteren Tassodich- tung kein Antonio vorgekommen sei, rein äufserlich, so hat F. natürlich recht; denn der apparat der Weimarer ausgäbe zeigt uns, dass noch 1789 bis kurz vor Vollendung der dichtung eine person dieses namens fehlte und an ihrer stelle Battisla Pigna stand, aber so hat F. selbstverständlich die sache nicht gemeint; er leugnet überhaupt jede Persönlichkeit von Antonios character und handlungen in der altern dichtung. und darin geht er fehl, trotz seiner wichtigsten begründung, die wir noch nicht ins äuge gefasst haben, er hat nämlich für den Antonio zwischen den beiden ersten und den drei letzten acten der dichtung eine auffällige anlinomie entdeckt, im letzten teil sollen Antonio und Tasso alte gegner sein (was allerdings richtig ist), im ersten soll sie der dichter schildern als zwei männer, die sich zum ersten mal sehen, schon K. hat diese ansieht mit guten gründen wider- legt, kleine incougruenzen gibt es ja im gefüge dieses dramas: über die dauer des aufenlhalts der gräfin in Ferrara, über den termin ihrer ahreise boren wir widersprechende angaben; ebenso ist es unvereinbar, dass Tasso nie von Ferrara sich hat entfernen wollen und doch (iv 4) durch einsetzung eines kritischen areo- pags in Rom seine reise dahin von langer band vorhereitet hat. dergleichen kleine uneheuheiten kommen vor. aber die grofse antinomie im Verhältnis Tassos zu Antonio hat erst F. hinein- interpretiert, zu K.s Widerlegungen möchte ich besonders die stelle 941 (ii 1,192) alszeugnis aller bekanntschaft hinzufügen, und dann folgende erwägung: eine solche antinomie, wie sie F. ent- deckt hat, ist doch nur möglich, wenn die arbeit des dichters an den beiden ersten acten zeitlich von der an den drei letzten getrennt war. das ist ja aber durchaus nicht der fall, als Goethe die beiden gegner im dritten und vierten act als alte bekannte dargestellt hatte, dichtete er erst im apr. 1789 die scene i 4 (nach F. bekanntlich eine vöUig neue scene), dh. die erste begegnung der beiden männer, um dann nach wenigen tagen im 5 act in der Vorstellung alter feindschaft fortzufahren, ein solches vorgehn ist schlechterdings unmöglich, von dieser 'antinomie' wird ein aufmerksamer leser im Tasso nichts erkennen, damit fällt aber auch das wichtigste argument für eine ältere Tassodichtung ohne Antonio oder seinen Stellvertreter, Pigna oder wie er hiefs, fort.

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wie wäre denn auch die duellscene, die F. selbst zum alteu be- stand der dichtung reebnet, niögbcb obne einen gegner Tussos?

Bis hierher stimme ich mit K. überein. die Verschiedenheit zwischen der Tassodicblung von 17SI und der von 17S9 lag nicht im fehlen des Antonio, müssen wir nun aber, wenn wir der kühnen hypothese F.s nicht folgen, nun gleich so zurück- haltend sein wie K.? ist keine mOglichkeit, die 'alte dunkelheit' zu durchdringen? K. wagt es nicht, er ist (s. 372) der meinung, dass zwischen der älteren und der neueren dichtung gar keine inhaltlichen, sondern nur formale Verschiedenheiten bestanden haben, dies urteil teile ich durchaus nicht, dem widersprechen die briefe aus Italien. Goethe hätte sicher nicht so geklagt über die Schwierigkeit seiner aufgäbe, wenn diese die gleiche wie bei der Iphigenie gewesen wäre, ich glaube fest an eine radicale Umarbeitung des ganzen planes, und ich meine, dass man der reconstruction des ersten entwurles auf zweierlei weise näher kommen kann, einerseits kann man an Goethes quellen und an die angaben über seine arbeit in den jähren 1780 und 1781 hypothesen anknüpfen; anderseits kann man von der späteren fassung alles das abziehen, was nachweislich erst aus anregungen der italienischen reise hervorgegangen ist. zu beiden versuchen will ich hier einige ansalze machen.

Alles, was wir aus Goethes briefen an trau von Stein wissen, ist, dass die ältere Tassodichtung sich fast ausschliefslich um die liebe des dichters zur prinzessin drehte, und da nun die be- kenntnisse dieser liebe so geartet waren, dass sie ebenso gut als von Goethe an frau von Stein, wie von Tasso an Leonore von Este gerichtet gelten konnten, so ist der schluss berechtigt, dass Goethe auf stark individuelle färbung dieser gestäodnisse und überhaupt auf deutliches localcolorit in seiner dichtung wenig bedacht war. wir dürlen annehmen, dass die persouen ursprüng- lich ihre empündungen und Stimmungen nur allgemein in schwel- genden lyrischen ergüssen zum ausdruck gebracht halten, etwa wie im 2 acte der Stella, die überall und nirgends spielen kann, durch das fehlen jedes zeitlichen und örtlichen colorits bekamen die personen und ihre reden das, was Goethe später als das nebelhafte bezeichnet hat. das hat ihnen der dichter in der Um- arbeitung, wie wir von ihm selbst wissen, zu nehmen sich be- müht, und doch merkl man den ersten beiden acten des Tasso noch heute den ursprünglich lyrischeren gesprächslon an; es dringt uns aus ihnen eine grüfsere wärme entgegen, als aus den drei letzten.

In dem fehlen des local- und zeitcolorits ähnelt nun dem Goethischeu urenlwurf unter der ganzen Tassolitteratur nur eine einzige abhandlung, eine quelle, die von neueren forschem (F.s. 176; K. s. 374) gar zu gern völlig ignoriert wird: die Irisaulsälze von JJWHeinse. gewis, sie sind als historische quellen betrachtet A. F. D. A. XX. 24

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wertlos, aber darauf kam es auch gar uicht an. haben doch bisweilen aus den elendesten quellen grofse dichtungeu ihren Ur- sprung genommen, zb. last gleichzeitig mit dem Tasso Schillers Don Carlos, auch will ich nicht leugnen, dass Goethe noch manche andre und bessere quelle schon 1780 gekannt und be- nutzt hat. worauf es mir ankommt, ist, zu zeigen, dass Heinse der einzige ist, der das beherschende Ihema der ersten Tasso- dichtung, die liebe des dichters zu der hochgestellten trau, in derselben beleuchtung zeigt, wie es Goethe sah, als er sich mit Tasso, Leonore mit Irau von Stein in parallele setzte, wie muste es in ihm widerklingen, wenn er bei Heinse las: 'Jeder Bewun- derer des Tasso mnss die Asche dieser Prinzessin segnen', denn sie ist die Schöpferin alles des Guten, was wir von ihm haben. Ihr allein, oder, ivelches einerlei/ ist, seiner Leidenschaft gegen sie haben wir die schönsten Stellen im Aminta, und die gröfsten Reize seiner Armida zu vej'danken. Sie war der Haiiptgegenstand in seinem Leben, den Geist und Herz in ihm in eine Masse von Feuer zer- ronnen in dem höchsten Grad empfunden haben, in dem ein Wesen empfinden kann ; und nur dergleichen starke Gefühle sind die Qtiellen, woraus das Genie den Durstigen Erquickung darzureichen vermag". hier bei Heinse, der natürlich F. besonders unbequem sein muss, finden sich neben vielem andern schon zwei wichtige motive: der [noch anonyme] feind Tassos bei hofe und das doppelspiel mit dem uamen Leonore. und so glaube ich mit bestimmtheit, dass uns Heinse helfen kann, den ursprünglichen plan zum Tasso annähernd zu reconstruiereo. dieser versuch würde natürlich hier zu weit führen, auch verhehle ich mir nicht, dass man Heinse durch wichtige andre quellen , besonders Muratori , er- gänzen muss, und dass Goethe in bedeutsamen einzelheiten auch sicher weit von Heinse abgewichen ist. solcher Veränderungen möchte ich hypothetisch vor allen zwei anführen : erstens hat Goethe vvol von aufang an den herzog nicht als launischen sultan dar- gestellt, und zweitens mag es ihm, da er das Verhältnis Tassos zur Prinzessin fast völlig mit dem seinen zu frau von Stein iden- tificierte, widerstrebt haben, dieses liebesverhältnis tragisch enden zu lassen, und er mag, wie einst für die Stella, für das enthu- siastische stück einen enthusiastischen schluss geplant haben, ich weifs, dass dies nur Vermutungen sind, aber ich spreche sie getrost aus; denn, sei es, dass man sie erhärte oder widerlege, sie können vielleicht licht verbreiten über die viel umstrittene stelle aus dem brief vom 2 febr. 1788 in der 'Ital. reise'.

Ich habe vorhin noch ein zweites mittel angedeutet, die unter- schiede der ersten und zweiten Tassodichtung zu erkennen: näm- lich die ausscheidung alles dessen aus dem vollendeten drama, was Goethe erst nach 1786 concipiert haben kann, wir dürfen mit sicherheil annehmen, dass es sich in der älteren dichtung lediglich um das private leben, um die innersten herzensangelegeo-

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heilen der wenigen Persönlichkeiten gehandelt hat. wie l'ilr Werther nur das eine haus, wo Lotte wohnt, existiert, so mag wol in der ersten Tassodichtung P'errara dem itahenischen dichterjüngling die weit bedeutet haben, eine kleine in sich begrenzte well, in der die wenigen menschen ihr genüge linden, nun aber bat Goethe zwei jähre in Italien zugebracht; und hinler der ursprüng- lich leidenschaftlichen enge seiner Tassodichtung tut sich ihm jetzt der weile horizont der italienischen renaissauce auf. sie ist ihm nicht mehr eine Vorstellung, die er nur aus büchern hat; nein, er hat sie leibhaft gesehen, sie hat sich in seiner phanlasie widerbelebt und mit menschen bevölkert, kein wunder, dass es ihn zur ausgestaltung drängt und dass, als ihm die Tassobiographie von Serassi eine fülle von moliven bietet, er diese für seine dich- lung nutzbar machen will, aber er wird als künstler sich auch gesagt haben: es genügt nicht, die renaissance nur von lern als hintergrund zu zeigen; es muss aus jener grofsen weit ein mensch in den kleinen idyllischen kreis von Belriguardo treten, das gibt einen dramatischen conflict. und hier mögen wir auch wol die lösung der Antoniofrage finden, ein bofmann, ein berechnender oder absichlloser Störenfried der liebe Tassos zur prinzessin muss in der dichlung von anläug an gewesen sein , mochte er nun Pigna oder Antonio oder sonst wie geheifsen haben, aber diesen mann aus jener glänzenden, geräuschvollen well da draufsen in den dichterfrieden Tassos und der fürstin hineinirelen zu lassen, dies motiv kann Goethe erst in Italien aufgegangen sein, und nun begreifen wir auch, warum ihm die Schilderung gerade des ersten auf- Irelens dieses mannes so schwer ward, dass er die scene i 4 erst ganz spät, kurz vor der Vollendung seines Werkes ausgestaltete: für keine person des Stückes nämlich brauchte Goethe so viel (wenn man will) realistisches detail, für keine so viele einzelheilen aus der geschichte und culturgeschichte, wie für den ganz umgestal- teten fUrsthchen abgesanten, der jetzt Antonio iMontecatino heifst. Somit bin ich weil davon entfernt, mit K. zu glauben, es sei inhaltlich die ältere Tassodichtung von der jüngeren nicht sehr verschieden gewesen, anderseits kann ich F. einen ent- wurf ohne Antonio oder einen Stellvertreter nicht zugeben, viel- mehr bin ich der ansieht, dass die Verschiedenheit beider plane gerade in der völligen Umgestaltung dieses mannes Hegt, mit dieser meinuug lassen sich aber sehr gut einige feinsinnige aus- führungen F.s vereinigen, die K. (s. 370) sehr mit unrecht be- zeichnet als 'geistreiche combinationen, die aber doch nur den wert von einbildungen haben', ich bin mit F. der ansieht, dass es Goethe erst in Italien, als er seiner dichlung den grofsen hintergrund gab, in den sinn kommen konnte, durch gegenüber- stellung von Antonio und Tasso den gegensalz von Staatsmann und dichter zu verkörpern, auch glaube ich, dass F. mit der Unter- scheidung 'pathologisch künstlerisch' für die ältere und jün-

2-1*

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gere diclitiing recht hat; denu die culturhistorische weite der spä- teren haudluug konnte nicht mehr aus persönhchen erlebuissen gestaltet werden, wie dies bei den intimen herzensangelegen- heitcn in dem ursprünghchen werke möglich war.

Wenden wir uns nach diesem überblick über die entstehungs- geschichte nun dem vollendeten werke zu. der dichter selbst hat es als 'Schauspiel' bezeichnet; olt genug aber hat man auch von der tragischen handlung des Tasso gesprochen, neigt sich in dem drama das Schicksal Tassos zum besseren oder schlimmeren? diese frage ist oft aufgeworfen worden und hat sehr viel kopf- zerbrechen gemacht, in ihrer beantwortung streiten nicht nur die Wortführer unter einander; nein, auch die einzelnen kritiker geraten mit sich selbst in Widerspruch. F. sagt s. 180: 'es ist der weg vom gipfel zum abgrund, den Goethes Tasso vor unseren äugen durchläuft!' und s. 191 widerspricht er sich schnurstracks, indem er ausführt: 'in den leiden eines solchen dichters liegt die kraft der erhebuug, die schöpferische kraft, die zur heilung ge- reicht. Goethes Tasso verkümmert nicht in der zelle des armen- hospitals, sondern erhebt sich über sein Schicksal', uud nun folgt das bekannte citat 3426ff (v 5, 141 ff), in ähnlichem Wider- spruch sehen wir K. auf s. 9 lesen wir: 'die handlung uusres dramas bewegt sich um Tassos heilung von krankhaften Vorstel- lungen und ungehörigen ausprüchen, die durch sein leben am hofe entstanden sind und immer mehr genährt werden', und da- gegen s. 26: 'das wesentliche der handlung selber ist der bruch Tassos mit dem herzoglichen hause', das gewaltsame zertrümmern menschlicher Verbindungen, also der verlust des liebsten, was Tasso besafs, oder aber der gewinn der heilung, das sinken in den abgrund oder die erhebuug, eines von beiden kann doch nur das ziel der handlung sein, es scheinen sich die Widersprüche am leichtesten dadurch zu erklären, dass das Schicksal des menschen Tasso so oft verwechselt wird mit dem des dichters Tasso. und doch sollte mau hier genau so streng scheiden, wie es Goethe, zb. 3078 (v 2, 90), selbst in seinem werk getan hat. um es vor- aus zu sagen: ich bin der ansieht, dass der inhalt des dramas das tragische geschick des menschen Tasso ist, und dass der ausblick auf die künftige laufbahn des dichters am schluss des dramas mit dem kunslwerk im ganzen wenig zu tun hat. eine kurze erläutern ng soll dies klarer machen.

K. sagt s. 13: 'wir sehen Tasso am schluss des Stückes von seinen krankhaften ansprüchen (sc. auf die liebe der prinzessin usw.) geheilt', das ist völlig unrichtig, wenn im täglichen leben an einem menschen soeben eine schwierige Operation vollzogen worden ist, über deren erfolg man noch nichts sicheres voraussagen kann, so wird man diesen menschen doch nicht als einen geheilten bezeichnen dürfen, und selbst nicht einmal in diesem relativ gün- stigen fall befindet sich Tasso. wir sehen ihn im anfange des

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dramas selig im höchsten glücke, unil am ende wie später erhärtet werden soll völlig zerschmettert, sein Schicksal ist dem des Tantalus zu vergleichen, ihn haben die erdengötter zu ihrem mahl an goldenen tischen erhohen, da ist ihm sein glück zu köpfe gestiegen, er frevelte gegen die, von deren gnade er lebte, und sie, die mächtigen, stürzten ihn deshalb in nächtliche tiefen, kann man das eine heilung nennen? ich nenne es strafe für vermessenheit, und wer will denn sagen, was das fernere Schicksal von Goethes Tasso ist, ob es nicht dem des historischen Tasso gleicht, ob der verbannte nicht immer, hungernd und dür- stend wie Tantalus, sich nach dem verscherzten glück zurück- sehnen wird, wenn K. behauptet, die ganze handlung von Goethes drama ziele auf die heilung Tassos, so kann mau mit demselben rechte sagen: die handlung von Miltons Verlorenem paradies ziele auf die erlösung des menschengeschlechts. beides ist falsch. Goethes Tasso endet mit dem stürz des dichters, und erst jen- seits des dramas ahnen wir etwas von einstiger errettung; Mil- tons epos behandelt den fall des menschen, und erst in weiter ferne kündet sich jenseits des gedichts die erlösung an.

Dass würklich am ende des Stückes Tasso völlig vernichtet ist, deutet Goethe klar genug mit dem bilde an, mit dem er das Schauspiel schliefst, man denke doch dieses bild nur zu ende, als völlig schiffbrüchiger schildert sich Tasso, sein fahrzeug ist zertrünmiert, steuerlos, ohne rettung werfen ihn die wellen her und hin. nur an den felsen klammert er sich noch an; das nackte leben ist also gerettet, aber hab und gut, wohnstälte und verkehr mit menschen ist dahin, und utn ihn brandet nach wie vor das meer. ungewisser kann ja sein Schicksal gar nicht sein, was soll ihm denn der nackte felsen bieten? vor kälte, nässe, hunger und jeder unbill kann er ihn doch nicht schützen. nun male man sich weiter aus, was dieses bild am ende der ganzen dichtung bedeuten soll: als alles ihm geraubt ist, da klammert sich Tasso in letzter Verzweiflung an Antonio mit dem rufe: rette mich! und Antonio, das ist nicht zu leugnen, nimmt sich des hilflosen an. aber da wird nun stets von commenta- toren die freundschaft dieses kühlbesonnenen Staatsmannes weit überschätzt, ohne dass je die frage aufgeworfen würde: was kann denn Antonio für Tasso tun? er kann fürsorge treffen, dass der dichter auf seiner reise nicht mangel leide, er kann ihm empfeh- lungen geben und ihm auswärts gute aufnähme sichern, er kann ihm später auch gelegentlich brieflich seinen rat geben, das aber ist auch alles, an dauernde eiuwürkung Aötonios, vielleicht gar an ein zusammenleben beider männer, ist nicht zu denken, so sicher Tasso binnen kurzem das herzogtum Ferrara auf immer verlassen wird, so sicher wird Antonio am hof der Este bleiben und nicht, wie K. s. 349 meint, dem unglücklichen 'treu und ge- duldig zur seile stehn'. bis zur aufgäbe seines staalssecretariats,

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SO weit geht Antonios freundschaft nicht; und deshalb muss Tasso ohne diesen mentor seinem ungewissen loos entgegen gehn. so endet die handluug des slückes; was daiül)er hinausdeutet, ge- hört nicht mehr zum eigentlichen inhalt des dramas. es wider- stand Goethe jederzeit, den hürer in völliger trostlosigkeit zu entlassen ; und anstatt wie Schiller mit erbarmungsloser härte den Zusammenbruch eines meuscheuschicksals darzustellen, lieble es seine milde, selbst einer tragischen handluug am ende die möglicbkeit einer späten glücklichen wendung beizumischen, wol- verstandeu, die möglicbkeit und keineswegs die sichere gewähr, solchem bestreben Goethes verdanken die verse 3426 ff (v 5, 141ff) ihr dasein, mit den worten ^alles ist dahin' ist Tasso bei dem gefühl gänzlicher Vernichtung angelangt, bevor aber der dichter in den schlussversen des dramas den vollen eindruck dieser Stim- mung durch das breit ausgeführte bild von dem Schiffbruch er- zielt, gibt er vorübergehend der höffnung nahrung. wenn Goethe selbst sich das l'ernere leben seines Tasso ausmalte, so hat er sich ohne frage von bildern der Verzweiflung und des Wahnsinns abgewant und sich gerne vorgestellt, wie der verstofsene in der kunst eine sanfte trösterin findet, wie er durch darstellung seiner leiden sich von der quäl befreit; gewis durfte Goethe auch aus solchen Vorstellungen heraus den Tasso mit Ampere einen ge- steigerten Werther, einen Werther mit erhöhter manues- und künstlerkraft nennen ; auch durfte er in der 'Trilogie der leideu- schaft' jedem, der den todesschmerz des scheidens durchmachen muss, die heiluug wünschen, die er seinem Tasso gönnte, aber alle diese anschauuilgen und wünsche liegen aufserhalb des dra- mas. in dem stücke selbst zeigt uns der dichter Tasso schliefs- lich im tiefsten abgrund der Verzweiflung, und erst in weiter ferne, vielleicht spät, vielleicht nie erreichbar, einen schimmernden Stern: die hoffuung auf genesung durch die kunst. dass aber diese genesung die 'lösung' der Verwicklungen des dramas sei, dass sich die handlung auf dies ziel von vornherein hinbewege, dass sie, wie F. s. 191 sagt, der grundgedanke sei, aus dem die dichtung entstand, davon ist keine rede.

Aber die handlung von Goethes Tasso ist nicht nur tat- sächlich tragisch (sagt doch selbst K. s. 18, dass Goethe an dem tragischen seiner dichtung nicht einen augenblick gezweifelt habe), sie muss vielmehr mit naturnotwendigkeit wegen der ganzen anläge des hauptcharacters einen tragischen verlauf nehmen, das hat nun freilich K. in der characteristik der hauptpersou nicht nachgewiesen, wie ctenn dieser zusammenfassende abschnitt lange nicht so gut gelungen ist wie die einzelinterpretation. K. zählt freilich alle einzelnen züge mit reichlichen belegstellen auf, aber ihre summe gibt kein überzeugendes characterbild. da K. stets die 'heiluug' Tassos und als heilmittel die entfernung vom hofe im äuge hat, so muss er den auienthalt in Ferrara als ein

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üliel lUr Tasso darstellou. darin jjelit er aus Voreingenommenheit viel zu weit, das leben des Goethischen Tasso, ehe er nach Ferrara kam, war reich an entbehruugeu; gehetzt, ruhelos irrte er umher, seine dichterische hegahung besals er Ireilich von anfang an. aber dass sie sich in der Ungunst der Verhältnisse nicht entwickelte, sagt er ja selbst, 'traurige lieder' hat er ge- sungen, er brauchte dringend ein asyl, wo er sinnen und dichten konnte, sonst wäre er zu gründe gegangen, nun kam er nach Ferrara, und was ihm dieser ort geworden ist, sagt er klar genug 405 ff (i 3, 26 ff), hier erst fand er sorglose mufse zu dem grofsen werke, zu einem mutigen gesange, wie er nur diesen einen gedichtet hat. und dieses leben in Ferrara, das so schüne fruchte gezeitigt hat, nennt K. schlechthin 'nicht zuträglich' für den dichter, dies einseitige urteil erklärt sich nur aus dem be- ständigen ausblick nach der heilung und dem heilniiltel. K. hätte lieber vorerst nach der krankheit forschen sollen ; aber eben über diese werden wir nicht richtig belehrt, aus der erkenntnis der krankheit Tassos ergibt sich aber sogleich der tragische cha- racter der dich tu ng; denn für das übel, wie wir es erkennen, gibt es weder heilmittel noch heilung.

Goethe hat seinen Tasso mit einer begabuug ausgestattet, die segeu und fluch in sich birgt und die dem dichter vor allen anderen eigen sein muss, der gäbe, menschen und zustände sich bis zu greifbarster nähe zu vergegenwärtigen. Tassos phaulasie, die im zustande der harmonie dichterischen gestalten ihr dasein gibt, wird ihm zum unheil, wenn sie in falsche bahnen gedrängt wird, dann schafft sie auch gestalten, aber feindselige, deren ansturm der dichter nicht bannen kann, Schreckgestalten, deren macht sein argwöhn immer noch vergröfsert. die misleitete, ge- stalten schaffende phantasie ist Ursache von Tassos krankheit, sie ist der feindliche dämon im eigenen husen, dem er rettungslos verfallen ist. vor diesem feinde, den man stündlich mit dem eigenen herzblut nährt, ist kein entrinnen möglich, gibt es ein Schicksal, so ist es dieser freund oder feind, des menschen tief- innerste Veranlagung, und keinen tragischeren kämpf kann man ersinnen, als das leidenschaftliche vergebliche ringen des menschen gegen den eigenen argwöhn , keine tragischere webrlosigkeit als gegenüber diesem feinde. Othello sehen wir in solchem streit erliegen, und mit recht hat WWetz (Shakespeare vom stand- puncte der vergleichenden litteraturgeschichte i 380 11".) unmittel- bar dem Othello an die seite den Torquato Tasso gestellt.

So verhängnisvoll von natur begabt hat Goethe seinen Tasso gesehen und dargestellt, so lange dieser dichter von jeder be- rührung mit der rauhen aufsenwelt entfernt ist, so lange man liebend für ihn sorgt, ohne dass er es merkt, so lange er gleich- gesinnte, kunstfreudige, genussfähige menschen zum Umgang hat und im übrigen mit den gestalten seiner einbilduugskraft, mit

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seinen geislern lebt, so lange dieses ganze Iraumleben dauert, so lange uürkt auch seine phanlasie uoltiitig; und das unsleil)- liclie gedieht entsteht, aber nun erfindet Goethe eine haudluiig, die diesen traunnvandler weckt, eine ganze reihe von ereiguisseii, die Tassos leurige phantasie aul's höchste erregen, die bekränzung, die rilckkehr Antonios, die Schilderung des päpstlichen hofes, das vermeintliche geständnis der prinzessin, der zusammenstofs mit Antonio, die verhaltung, sie alle würken zusammen, Tasso völlig aus dem gleichgewicht zu bringen, und wie wir ihn kennen, ist bei solcher erschiitterung das tragische ende unausbleiblich: in mafsloser leidenschalt vernichtet Tasso sich selbst, wären es nur äufsere feinde, die ihn bedrohten, unzuträgliche Umgebung am hole und ähnliche dinge, die mehr oder minder zul'ällig sind, dann hätte Iv. recht: dann wäre nach beseitigung solcher übel Tasso gerettet; dann könnte binnen wenigen minuten am schluss des Stückes Antonios freundschaft alles gut machen, das aber ist unmöglich, denn Tassos übel liegt tiefer, unentrinnbar schleppt er den feind mit sich herum, ob er, wie der herzog ursprüng- lich wollte, nur auf einige zeit oder auf ewig sich von Ferrara entfernt, die erfüllung dieses tragischen menschenschicksals ist zu verzögern, aber nicht zu hindern.

Aus dieser ursprünglichen anläge kann man alle übrigen eigeuschaften und äufserungen ableiten, die bei K. ziemlich un- vermittelt neben einander stelin. wir erkennen, wie Tasso durch die beständige einsamkeit und die beschäftigung mit den freund- lichen und feindlichen geburten seiner phantasie völlig das mafs seiner selbst und das mafs der mitmenschen und menschlichen Verhältnisse eingebülst hat. nur so sind neben einander zu deuten einerseits der mangel an vertrauen zu sich selbst, der sich in der beständigen sorge um die herzogliche gnade äufsert, ander- seits die grenzenlose Selbstüberhebung, die sich bis zur Werbung um den besitz der prinzessin steigert, und ebenso finden alle Zwischenstufen des Zutrauens und mistrauens gegen sich und andre ihre erklärung.

Genau wie an Tasso hat K. auch au der |)rinzessin viele einzelheiteu des characters richtig beobachtet, hat aber wider nicht zu zeigen vermocht, wie diese züge sich gegenseitig be- dingen und erklären, in manchen aufstellungen hat R. gegen Fischer recht: dass die leiden den willen der prinzessin gefestigt haben (F. s. 232), dass eine intellectuelle verwantschaft zwischen Eleonore und Alphons zu erkennen sei (F. s. 225), dass die fürstin eine schnelle und richtige auffassung der dinge und persouen be- sitze (F. s. 228), dass ihr luiuptinteresse sich auf die dichtung con- ceutriere (F. s. 245), das alles hat K. schon früher widerlegt, und es ist auch nicht zu halten, der grundzug des ganzen wesens der prinzessin ist in der tat das, was Fischer einmal sehr richtig quietismus, K. phlegmatisches temperament genannt hat. man

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darf sie deshalb aber noch nicht, wie K. s. 70 tut, als schwer- mütig bezeichnen, das ist nicht in Goethes sinne, er hat uns so oft den milden Zauber des niundlichls j^'eschildert und gern die erinnerung an die geliebte mit der wilrknng vergliciieu, die der klare glänz des bleichen gestirns ausübt (Jägers abendlied u.s. w.). solcher friede gehl auch von der prinzessin aus; ihr ganzes tun ist milde, nichts heftiges, nichts plötzlich überraschendes ver- nehmen wir von ihr; alles ist vorbereitet und tönt anmutig aus. das lachen ist zum sinnigen lächeln gemäfsigt, der blendende witz zum freundlichen scherz, das epigramm ist aufgelöst in geistvoll erweiterte rede, es liegt zwar der prinzessin der ernst näher als der scherz, aber von Schwermut darf man deshalb noch nicht reden ; denn alles trübe ist ihr fern, selbst ihre resignation ist heiter, soviel zur ergänzung von K.s einzelbemerkungen; seine beweise für die geringe menschenkenntnis der fUrstin und für das vorhersehen gelehrter neigungen vor den dichterischen sind überzeugend, es fehlt nur leider wider das, was bei der analyse eines characters die hauptsache ist, nämlich der nachweis, dass aus all den eigen- schaften würklich ein character geworden ist; es* wäre doch auch denkbar, dass die beobachteten züge nicht mit einander harmo- nierten, dass tun sie nun freilich ausgezeichnet, zweimal hat Goethe im Tasso die scene geschildert, wie Leonore von Este nach kaum überstandener krankheit beim ersten schritt in das neue leben Tasso erblickt, nicht nur deshalb findet diese wider- holung statt, damit der eindruck dieses ersten begegnens von beiden seilen ausgesprochen werde, sondern auch damit der hörer die prinzessin eindringlich als eine frau erkenne, die früh an leiden gewöhnt wurde, denn ihr ganzes wesen ist daraus ab- zuleiten, wer häutige krankheit mit geduld ertragen hat, der klammert sich an die Zeiten des gesundseins mit dem ängstlichen wünsche an, dass alles bleiben möge wie es ist, dass keine rauhe band den frieden lieblos störe, doppelt besorgt wird eine frau in solcher läge sein, das ist der fall bei der prinzessin. sie, die leidensgewohnte, ündet in Belriguardo, wo ein tag dem ^andern gleicht, ihr glück, in dieser ruhe möchte sie immer weiter leben, drum sind auch alle Vermutungen, dass sie sich je ver- mählen werde, hinfällig. K. spricht mit recht s. 138 von ihrer 'entschiedenen ablehnung jedes heiratsgedankeos'; und das ''fast', mit dem sie 1059 (ii 1, 310) diesen entschluss mildert, erklärt sich daraus, dass um der 'sitte' willen die prinzessin Tasso gegen- über nicht weitere geständnisse machen konnte, nur um tiefen frieden um sich her zu haben, wünscht sie auch die Versöhnung zwischen Tasso und Antonio, nicht aus menschenkenntnis. im gegenteil, sie sieht nur zu bald ein, dass ihr wünsch verfrüht war, und geht nun in abermaliger verkennung der tatsachen zu weit, indem sie eine freundschaft zwischen den beiden männern ewig für unmöglich hält, auch für diese geringe lebenskenntnis

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der fUrsliu ist dcM- grund in ihrer langen und häufigen krankheit zu suchen, ihr unigang waren stets nur wenige menschen, die ihr, der leidenden, woltateu. nie ist ihr ein äulserer couflict nahe getreten, stets konnte sie passiv bleiben, so ist sie ganz seele geworden, eine schöne seele, die alle irdischen ansprüche auf- gegeben hat. zugleich ist sie so fein geartet, dass sie nur mit Wesensverwanten menschen verkehren mag und kann, widerum ohne zu ahnen, wie selten solche zarte naturen sind, in Tasso glaubt sie einen freund nach ihrem sinne gefunden zu haben, aber in ihrer Unkenntnis menschlicher characlere hat ihn die jung- fräuliche fürstin ganz falsch beurteilt; sie hat mit seiner Sinnlich- keit und leidenschaft nicht gerechnet, und wie diese mächte bei ihm durchbrechen in einer stunde der erregung, da ist ein wei- teres zusammenleben auf ewig unmöglich, nicht lediglich wegen dieser einen Verletzung der sitte, sondern weil die zartfühlige frau mit Tasso nun in ewiger furcht vor gefährdung ihres friedens leben müsle. ihre Sinnlichkeit ist durch die krankheit nicht völlig ertötet, aber sie ist schlafen gegangen, und erwacht sie ja ein- mal, so lullt die fürstin sie mit sanfter beschwichtigung wider ein. Das gegenbild zur prinzessin ist die gräfin: gesund, ein wenig sinnlich, nicht allzu sensitiv und von der glücklichsten be- gabuug, mit allen menschen leben zu können. F. hat diese frau von weit ausgezeichnet geschildert, und ohne ein 'rasch urteilender leser' zu sein (K. s, 54), schliefse ich mich ihm im wesentlichen an. Leonore Sanvitale völlig zu retten, geht nicht an; selbst K. kommt s. 61 nur zu dem resultat: 'in ihrem moralischen character ist viel mehr licht, als schatten', auch er vermag ihre unermüd- liche liebenswürdigkeit, ihre aufrichtigkeit, ihr wolwollen immer nur in einigen scenen zu entdecken, man kann von den zwei frauen das gleiche urteil aussprechen, das Goethe über Tasso und Antonio fällt: es ist schade, dass die natur nicht aus beiden eine hau gemacht hat. rät ein weises wort den menschenkindern, klug zu sein wie die schlangen und ohne falsch wie die tauben, so hat die gräfin leider fast nur die Schlangenklugheit mit auf den weg bekommen und die prinzessin nur die wehrlose lauter- keit der tauben, dass die prinzessin der freundin volles vertrauen schenkt, hängt mit ihrer weltunkenntnis zusammen, die beiden frauen ergänzen sich; aber nur so lange sind sie freundinnen und verstehn einander, als sie die puncte nicht berühren, wo Ireundschaft und gegenseitiges Verständnis aufhören müste. würde jemals die fürstin von den erwäguugen und intriguen der gräfin im 3 und 4 act erfahren, so würde sie auch von ihr sich ent- teuscht abwenden und nicht mehr mit ihr leben können, ein solches urteil aber stempelt Leonore Sanvitale durchaus noch nicht, wie K. meint, zur 'blofsen intrigantin und herzlosen coquette'. keine person des Stückes hat Goethe so wahr nach dem leben geschildert wie die gräfin. sie gehört zu jenen frauen der grofsen

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weit, denen man kleine Sünden verzeihen niuss, «eil sie mit aniniil sündigen, zu jenen l'rauen, deren gesinnungen und handUingen weder ganz verzeihlicii nocli ganz unverzeihlich sind, die gräün ist ihrem galten treu, aher das hindert sie nicht, einen jungen freund, den sie zu huldigungen ermuntert, an sich zu fesseln, die Worte, mit denen sie ihm 2244 ff (iv2, 4ff) naht, sind nicht gerade eine unwahre Schmeichelei, aber sie sind tacllos; denn es verrät mangel an feinfühligkeit, einen menschen, der eben eine Übereilung begangen hat, gleich darauf wegen seiner son- stigen besonnenheit zu lohen, widerholl sehen wir sie gutes würken, aber stets nebenher ihr eigenes Interesse verfolgen, vgl. 2174 (ui 4, 208), wo freilich K. andrer ansieht ist. so ist ihr ganzes fürsorgliches bemühen um Tasso aufzufassen, das aller- dings dem dichter nützen, ihr selbst aber auf bequeme art die Unsterblichkeit verschaffen soll, am klarsten jedoch erkennt man den angedeuteten character der gräfin in ihrem verhalten gegen die Prinzessin, sie ist die freundin der fürstin und möchte ihr viel liebes erweisen; aber das hindert sie durchaus nicht, einen Vertrauensbruch gegen jene vor ihrem gewissen zu verteidigen. K. möchte nun freilich die gräfin von diesem Vorwurf möglichst entlasten, er behauptet in der anmerkung zu 1953 (in 3, 40), Leonore habe das in der vorhergehnden scene der prinzessiu entschlüpfte geständnis garnicht verstanden, unmöglich! so sollte Goethe eine frau verzeichnet hal)en? die gräün hat, wie jede frau, für herzensgeheimnisse der freundin ein äufserst feines ohr; sie weifs sehr wol, was in der prinzessin vorgeht, wenn sie sich auch in ihrem leichten sinn diesen kämpf nicht so schwer vor- stellt, wie er ist. die schuld der grätio Sanvitale ist nicht zu leugnen; es fragt sich nur, mit welchem mafs man sie messen soll, ich glaube, mehr als leichtsinn ist es nicht, es fehlt der gräfin an tiefe, sie hat für zartinnerliche menschliche beziehiingen kein Verständnis; von verrat an der freundschaft darf also nicht die rede sein, aber eine kleine Unehrlichkeit liegt vor; die eitelkeil siegt über die freundschaff.

Zur characteristik Antonios und des herzogs ist nichts hin- zuzufügen, nur ist im ganzen von dem 2 cap. zu sagen, dass es äufserst schwach ist, K. beschreibt die charactere, wie llaller die blumen beschreibt, und darüber hat Lessing ja schon im Laokoon das nötige gesagt.

Das beste an K.s ausgäbe ist die einzelinterpretation. sind auch viele dieser aumerkuugen entbehrlich, so ist doch ein grofser teil würklich fördernd, um manche vielumstritlene stelle hat sich K. mit erfolg bemüht; nachahmenswert für commeutare zu antlern dichtungen ist sein vor- und rückcitieren innerhalb des dramas selbst, oft nämlich erhält ein dunkler ausdruck nur da- durch rechtes licht, dass mau ihn mit Wendungen früherer oder späterer gespräche derselben oder andrer personen in Verbindung

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ljrinf;t. das tut K. in ausgibigstem mafse. ein commentar zu Goethes Tasso ist gewis nicht üherflUssig, und es hätte der laugen Verteidigung K.s in der einleitung gar nicht bedurft, denn im Tasso finden sich deshalb so viele schwierige stellen, weil mit den beiden ausnahmen, die zu zweimaliger bestrafung Tassos lühren, die leidenschal't stets durch die sitte eingedämmt ist. alle personen hallen ihr gelühl im zügel, verleugnen es wol gar; nur verschleiert wagt sich die empfindung hervor, daher die mannig- lachen, blofs leisen andeutungen, daher die Umschreibungen und Verallgemeinerungen ganz concrcter gefühle, daher die mancherlei misverständnisse, mit denen die handlung arbeitet, beiläufig ge- sagt: daher auch die weit auseinander gehnden urteile über das stück, denn nicht jedem ist es gegeben, in solcher beengung durch menschliche Satzung sich noch frei zu bewegen; nicht jedem erscheint daher so rücksichtsvolles empfinden noch völlig natür- lich. AWSchlegel zb. vermochte mit keiner der auftretenden per- sonen recht zu sympathisieren.

Im grofsen ganzen stimme ich den deutungsversuchen K.s zu, wenn ich auch vielleicht hie und da eine kleine andre nüan- cierung vornehmen möchte, der räum erlaubt nur, etwa ein dutzend der wichtigsten stellen herauszuheben, teils um durch Zustimmung die R.sche deutung zu erhärten, teils um gegen K. eine andre erklärung vorzuschlagen.

In der interpretatiou der vv. 1840—1848 (m 2, 184—192; vgl. auch K. s. 326 zu 184) stimme ich mit K. gegen Düntzer, bei den Worten der prinzessin 3265 f (v 4, 152f; vgl. K. s. 345 zu 152) gegen HGrimm überein. auch die verse 1910 3 (ni 2, 254 7) möchte ich wie K. durch zweimaliges einfügen von 'ent- weder — oder' deuten, aber 'kennett' = 'empfangen, finden' (s. 329) setzen, geht nicht an. ^kennen' ist hier = 'von der existenz einer sache wissen'. dass die erste scene des Stückes am frühen morgen spielt, wird ja hinlänglich durch das 'heute früh' 1675 (in 2, 19) bewiesen.

In folgenden fällen versuche ich eine andere erklärung und bediene mich dabei meist desselben mittels wie K., nämlich der weitläufigen Umschreibung der dunklen verse: 440 (i 3, 61). 'Geniefse nun des Werks, das uns erfreut' möchte ich so deuten: 'uns ist das werk, so wie es jetzt abgeschlossen vorliegt, ausreichend, uns erfreut es so, darum höre du nun auf, immer noch daran zu arbeiten, und geniefse es mit uns', man kann darin den neben- gedanken finden: 'in der letzten zeit gehörtest du ganz deinem werk; jetzt geniefse das gedieht mit uns, gehöre also wider uns an'. 1189 (ii 2, 65): Schwelle Brust l 0 Witterung des Glücks! die metrische freiheit, das fehlen des auftacts ist im anhaug von K. nicht richtig gewürdigt. Goethe hätte ja leicht durch ein vor- gesetztes Nun, So oder dgl. die 'unregelniäfsigkeil' ändern können, ob also dieser oder jener ausdruck oder sonst was vorangeht, das

KERN GOETHES TORQUATO TASSO 381

erklärt hier deu rhythmus uicht; aber der Überschwang des ge- fühls erklärt ihn, das nun schon durch den ganzen monolog hin brandet, um schhefshch in diesem einen mächtigen accent den gipi'el zu erreichen. 1552 54 (ii4,145 7): Auf einmal winkt mich eine Klarheit an, Doch augenblicklich schliefst sich's wieder zu. Ich höre nur mein Urtheil, beuge mich, was hat hier die Prinzessin und ihre vermeinthche Hebe zu tun? (he verse be- deuten nur: 'einmal glaube ich einen augenblick das urteil des herzogs zu begreifen, dann ist es plötzlich mir wider unbegreif- lich, und dann bleibt mir weiter nichts übrig, als mich zu beugen'. 1857 60 (in 2, 201 4): Die Son7ie hebt von meinen Augen- liedern Nicht mehr sein schön verklärtes Traumbild auf; Die Hoff- nung ihn zu sehen füllt nicht mehr Den kaum erwachten Geist mit froher Sehnsucht, die stelle will sagen : wenn wir in liebem ver- kehr mit einem freunde unsre tage verbringen, dann erscheint uns das bild dieses freundes schön verklärt auch im träume; freilich sobald die sonne den schlaf von unsern äugen nimmt, hebt sie auch das traumbild auf, und andres tritt an die stelle, die Sehnsucht nach dem teuren, so war es bisher für die prin- zessin, so wird es aber in zukunit nicht bleiben, traumlos wird ihr schlaf sein, oder ihre träume zeigen doch nicht mehr die alten lieben bilder. 2742 f (iv 5, If): Ja, gehe nur, und gehe sicher loeg, Dass du mich überredest ivas du willst, die verse be- deuten: geh nur, und bilde dir ein, meine abreise, die du trotz aller Verstellung ja so selir wünschest vgl. 2750 (iv 5, 9) sei die folge deiner Überredung. 3133 36 (v 4, 20 3): Ich fühV, ich fühl' es wohl, die große Kunst, Die jeden nährt, die den gesunden Geist Stärkt und erquickt, wird mich zu Grunde richten. Vertreiben \oird sie mich. Ich eile fort! über diese verse hat K. schon in seiner polemischen schrill gegen F. s. 79 f sich irrig geäufsert. er meint, F. verstehe unter der 'grofsen kunsl' nur die poesie; genau drückt sich F. s. 187 nicht darüber aus. K. aber fasst sie als die ars magna des Raymundus Lullus, als disputierkunst, kritik zu eng, die stelle besagt: in Rom (vgl. die vorhergehnde beschreibung Tassos) blühen alle künste aufs liöchste, und auf scliriit und tritt redet zu uns diese kunst, die man im grofsen betreibt, diese grofse kunst. aus ihr saugt jeder gesunde mensch (nicht nur, wie K. deutet, jeder dichter) nahrung. nur mich, den kranken, wird diese übergewaltige kunst erdrücken, und deshalb gehe ich ihr lieber aus dem wege. bei K.s deu- tung von 3374 (v 5, 89) müste ja Goethe einen einfachen ge- danken durch grillenhafte Umstellung der worle absichtlich un- klar gemacht haben, ich glaube, K.s gedanken hätte der dichter ausgedrückt: Wird leiser Schmerzenslaut zur (oder nu7') Lästerung. da er aber geschrieben hat: Wird Lästrung nur ein leiser Schmer- zenslaut, so fasse ich die stelle folgendermafsen: Antonio hat Tasso nach seinen rasenden lästerungen zur besinnung gerufen.

382 KER> GOETHES TORQUATO TASSO

und Tasse erwidtMt min darauf: lass mich, ich will nicht besonnen sein, ich will mich vergessen, ich will wüten und lästern, denn diese Sinnlosigkeit ist jetzt ein dumpfes glück für mich, kein schrei, keine raserei kommt meinen namenlosen schmerzen gleich ; misst man die heftigkeit meiner anklagen an der tiefe meiner quäl, dann klingt seihst die lästerung nur wie ein leises wimmern. 3435 (v 5, 15Ü): Ich scheine nur die sturmbewegte Welle, das 'nur' will sagen: ich bin anscheinend etwas viel geringeres, schwäch- licheres, haltloseres, nämlich nichts weiter als die sturmbewegte welle.

Diese stellen mOgen genügen, nach eifriger Vertiefung in das K.sche buch urteilen wir, dass keiner den commentar ohne vielfache belehrung aus der band legen wird, freilich geht die erläuterung nur nach einer seite; K. will im wesentlichen die dichtung aus sich selbst erklären , und das ist gut. nur sollte er nicht am Schlüsse seines buches spöttische bemerkungen über diejenigen machen, deren erkeuntnis noch etwas weiter vordringen will, die, wenn sie glauben, die dichtung begriffen zu haben, nun auch den dichter inniger verstehn möchten und deshalb Goethes eignen rat 'das was bedenke, mehr bedenke wie' befolgen, was führt uns tiefer in die psychologie eines grofsen menschen ein, als wenn wir das langsame entstehn seiner hervorragendsten Schöpfungen aufdecken? dazu aber ist nötig, alles zu vereinen, was vor- und mitweit ihm an anregungen, Vorbildern, quellen, modeilen usw. bot; denn leider ist dies 'alles' für unser wissen noch immer sehr, sehr wenig, es ist nicht zu leugnen , dass solche Studien oft äufserlich und geistlos angestellt werden, aber so töricht, wie K. s. 388 meint, ist, glaube ich, noch kein for- scher auf diesem gebiet gewesen ; es hat doch noch keiner durch hinweis auf bestimmte Urbilder einzelne scenen oder verse 'in helleres licht' setzen wollen, solche Untersuchungen, wie sie eben präcisiert worden sind, sollen nicht die dichtung selbst, son- dern ihre entstehung erläutern, und K. wird doch nicht läugnen, dass es reichlich so wertvoll ist, das werden eines Organismus, als das gewordeoe zu begreifen, wenn auf der einen seite mir F. zeigt, wie Goethe die reiche lebenserfahrung, die er im ver- kehr mit frau von Stein oder mit der gräön Werthern erwarb, für die Tassodichtung nutzbar machte, so ist mir das reichlich so belehrend, als wenn auf der andern seite K. mir in seinen anmerkungen nachweist, dass Archilochos und Euripides, Laroche- foucauld und Jean de la Breie, Rückert und SchelTel, Paul Heyse und Rudolf von Gottschall und hundert andre gelegentlich etwas ähnhches oder das entgegengesetzte gesagt haben wie Goethe.

iMarburg, juli 1893. Albert Köster.

MI.NOR SCHILLER I. II 383

Schiller. Sein leben und seine werke, dargestellt von Jakob Minor, bd i undii. Berlin, Weidmann, 1890. i:591ss. ii : 629ss.— 8 und lOm.

Seit laDger zeit ist kein buch über Schiller erschieoen, das unsere kenntnis des dicblers so vieilallif,' fördert wie d;is vor- liegende werk, es ist mit höchst iimlassendcr sachkenulnis ge- schrieben, es ist ein niu.sier deutschen fleil'ses und deutscher gründlichkeit, und je genauer wir es kennen lernen, um so mehr muss sich unsere achtung vor den hohen und dauernden Ver- diensten des verlassers steigern und befestigen, besonders nach zwei richtungen feiert die bedeutende gelehrsamkeit M.s grofse triumphe: in der erschöpfend-sorgfältigen ausgestaltung des bio- graphischen details und in der reichen entwickelungsgeschichte der poetischen motive; die belesenheil des Verfassers gelangt hier zu einem gipfel der erkenntnis, den man kaum noch ilbersclireilen kann. nicht so günstig wird man die Verarbeitung und er- gründung beurteilen können, die M. den dichtungen Schillers an sich hat zu teil werden lassen; die kritische schärfe und tiefe der darstellung ist M.s ausgebreitetem wissen nicht gleich- wertig, und doch ist auch sie in vielen richtungen sehr be- friedigend, die ethischen grundzüge von Schillers innerem leben sind auf schritt und tritt sorgfältig aufgedeckt; der stets den quellen genau folgende verf. wurde dabei durch deren ausgibig- keit aufs beste unterstützt, auch ist die eigenart der starken affecte Schillers oft gut betont, so zb. in dem cap. über die entstehungsgeschichte von Kabale und liebe oder bei besprecbung des liedes An die freude und der grofsen scene zwischen Philipp und Posa. aber weniger geschickt, wol weil hier die anleituug der quellen fehlt, ist die betrachtung der eigenartigen Vorstellungs- verbindungen, insbesondere derphantasiebetätigung unsersdichters. hier waren sehr wichtige dinge zu erschliefsen , aber M. besitzt den Schlüssel nicht, der diese verborgenen fächer öffne, so lässt der hochverdiente verf. schon in der ergründung des psycholo- gischen tatbestandes manches zu ergänzen übrig: mehr jedoch als darin versagt sein kritisches urteil, freilich mit dank und freude wird man den gesunden menschenverstand anerkennen, die klare und natürliche auffassung und eine gewisse summe ästhetischer erfahrung, die man bei M. findet; aber nicht ganz selten vermisst mau ein frisches, energisches und originelles urteil sowol in ethischer wie ästhetischer hinsieht, und au mancher stelle, wo wir ein kräftig wort der kritik erwarten, begegnen wir nur einer gewissen grauen gelehrsamkeit des kühlen vielbelesenen forschers. am wenigsten endlich befriedigt die composition des M.schen Werkes, die hiographischen capitel sind allerdings grofsenteils an- sprechend und lesbar geschrieben, und nur die breite kann hier und da die geduld des lesers auf die probe stellen, aber in den grofsen capp. über die einzelnen drameu ist die auordnung der gedanken oft unerfreulich, ja verwirrend, das weseu der höchst

384 MI.NOR SCHILLER 1. I[

verwickelten äslhelischen gcbilde kann unserem verstände nur da- durch nahe gebracht werden, dass wir eine seile nach der andern iu abstracto loslösen und betrachten; bei M. jedoch wird die innere entstehungsgeschichte in ihren manniglaltigen Verzwei- gungen, die kritische betrachtungilberideengehalt, auf bau, character- schilderung usw. in bunter mischung durcheinander behandelt, und somit wird für keine seite dieser erscheinungen eine rein- liche Zusammenfassung gewonnen.

Es gilt diese andeutungen im einzelnen auszuführen. Gut, wenn auch breit, ist Schillers Jugendgeschichte von M. erzählt, die gestalten des vaters, der mutter, des al)enteuernden Vetters, die orte Marbach , Lorch, Ludwigsburg, die j3erson Karl Eugens und seiner vorfahren, die Streitigkeiten mit den landständen, das Unwesen der favorilen, der wüste luxus des hofs das alles ist mit grofser Sachkenntnis und gesundem urteil geschildert, allerdings begegnen wir über die mutter einer seltsamen stelle, 'ein anderer', so heifst es (i 17), '. . . wollte ihr das lob eines sanften, zarten, gefühlvollen und pflichtgetreuen weibes nicht ver- sagen, aber ausgezeichnete gaben, noch weniger ausbildung, könnten ihr auf keine weise beigelegt werden, als ob eine mutter, und selbst die mutter Schillers, dergleichen nötig hätte! so die rechte, die wahre mutter besitzt nichts für sich selbst: ihre 'gaben*, das sind die fruchte ihres leibes; ihre 'ausbildung', das ist was sie au ihren kindern bildet,' diese Überschätzung der leibesfrUchte werden wenige billigen, und wenn wir auch eine mutter rühmen, die ihr bestes für die heranbildung ihrer kinder einsetzt, so sind doch eben hierbei ihre eigenen gemüts- und geislesgabeo von höchster bedeutung. sehr gründlich behandelt M. das leben auf der militäracademie; sein urteil über wert und unwert der dortigen einrichtungen trifft den uagel auf den köpf; der eingehende vergleich mit den w ürttembergischen klosterschulen ist lehrreich und aufklärend, und die alte legende von geist- tötender bedrückung iu jener anstalt weicht einer richtigeren er- kenutnis, die wir vor allem M.s klarer auffassung verdanken, in den späteren capp., die selbstverständlich viel längst bekanntes widerholen müssen, ist M.s hinweis auf eine neigung Schillers zu Wilhelmine Andrea (i 384 ff. 458 f. 576) zwar nicht ganz neu, aber doch wider neu hervorgehoben: ohne jede Überschätzung seiner widerentdeckung setzt 31. diese liebe in das beste licht und macht deren einfluss auf Schillers lyrik deutlich, wo sich die Miuna-Iieder von den Laura-oden aufs schärfste abheben, auch das cap. 'Bauerbach' ist sehr gelungen. Schillers schwankende Stimmung, seine neigung zu trüber Weitbetrachtung und hypochondrie, die characteristik der VVolzogenschen damen alles dies ist ansprechend geschildert, nur würde Charlottens bild deutlicher hervortreten, wenn sich M. hätte entschliefsen können, den zeitlichen verlauf durchbrechend, das kritische urteil sogleich hinzuzufügen, das er

MINOH SCaiLLEK I. II 385

nuu erst viel spiiler (ii lOOlT) ausspiichL alinlich slelil es spüler bei tier charack'iistik der Maij,Mrolt; Schwan : iiacli der treHlicIieu Schilderung von Schillers verliällnis zu ihr hiitle M. ganz unbe- denklich sogleich über des dichlers späleren anlrag reden sollen; wozu die ängslliche Chronologie, «la es sich doch nur um einen nachlrag zur Mannheimer zeil haiidell! aber wie dem immer sei, die vorsichtige und woliibeiiegle beurleiluiig der widersprechenden Zeugnisse über den erlolg von Schillers werbuug (ii 37^11) weckt wider unsre unbedingte Zustimmung, nächsidem wird vitden die ausgezeichnete characleristik der ('harlotte von Kalb (ii 333 350) eio besonderer genuss sein, namentlich ist auch die kritische Schätzung und Verwertung ihrer memoiren zu rühmen, doch wo blieb M.s guter genius, als er uns s(» manclien langweiligen ge- sellen der Leipziger und vor allem der Dresdener zeit so um- ständlich beschrieb? lür diese breite entschädigt uns die scharl'e beleuchlung der hauptpersonen, Körneis und seines kreises, deren Vorzüge und schwächen wir genau durchschauen lernen. Schillers und der Ireunde schwärmerisch-zerlahrene Untätigkeit in Dresden und der katzeujammer nach den iiüheren Orgien der begeisterung wird dabei dem leser besonders deutlich gemacht, aber wie konnte M. nur die anachronistische geschmacklosigkeit unterlaiilen, uns die Gühliser freunde 'am skaltisch' zu zeigen (ii 385), ila doch dies spiel erst eine errungeuschalt des 10 jhs. ist! auch war Oeser nicht leiter der 'universitätsacademie' (ii 372), sondern der zeichen- oder kunstacademie, die mit der Universität nichts zu tun hat.

Bei erorterung der inneren entwicklung Schillers hat M. dessen philosophische anschauungen inniier mit gebührendem nachdruck in den Vordergrund gerückt, der Heils, der aul diese abschnitte verwendet worden, muss einem jeden solort aullalli'n; auch sind einige haupt[)uncte vorlrelVIich herausgearbeitet worden; aber au manchen stellen vermisst man geiade in diesen dingen die kritische schärle und die sichere herscbatt über den stotV, und es zeigt sich des Oi'tern eine ängstliche breite, die bei einem gründlich geschulten philosophen undenkbar wäre. Schillers jugend- philosophie leidet an eklektischer Unklarheit, und überdies ist seine ilarstelluug infolge des starken eingreil'ens associativer vor- stelluugsverbindungen oft so schwankend, dass es nicht leicht fällt, die verwickelten begrille in ihre bestandteile aufzulösen und das berechtigte und zweifelhafte in ihnen zu scheiden. M. gibt über die verschiedenen aufsälze usw. ausführliche referate, und er versäumt es nicht, die quellen der einzelnen anschauungen aufzudecken; er weist mit recht auf Leibniz einerseits und auf die Engländer und Schotten anderseits als die letzten urheber dieser anschauungen hin. aber er lässt nicht selten die kritische be- leuchtung vermissen, durch die uns die oll widersprechenden gedanken in voller deutlichkeit erscheinen, so zb. war Leibniz, ebenso wie Spinoza, ethischer intelleclualist, dh. er leitete das

A. F. D. A. XX. 25

3S6 MIMOB SCUILLKK I. II

lugenilliarie liaiidelii von richtiger verslandeserkenolnis ab; unter ilcn Engläntlerii stand auch Locke noch auf diesem standpuncle. dagegen l)eruht die epochemachende bedeutung Shatlesburys be- sonders darin, dass er die emotionale elhik begründete, dh, dass er als die molive des sittlichen handelns nicht die verstandes- eiusicbt, sondern die gefiihle und aftecte hinstellte, diese höchst wichtige Unterscheidung drängt sich dem leser bei Schillers phi- losophischen versuchen des üttern auf; der kritiker muste sie im äuge behalten und zur geltung bringen, ebenso bedarf der von M. als Schlagwort immer und immer wider gebrauchte ausdruck 'glUckseligkeilsphilosophie' einer kritischen Wertschätzung, durch die weite perspectiven erölfnet werden konnten, über Abel be- richtet M. (i 203), dass er, nach manchen wandelungeu , in der Psychologie allem metaphysischen aus dem wege gegangen sei, aber gegenüber den französischen materialisten die einfachheit und Unsterblichkeit der seele eifrig verteidigt habe, das ist ein Widerspruch: die lehre von der unsterblichkeil der seele ist eminent metaphysisch und in der empirischen psychologie schlechthin uu- erweisbar. aber am ärgerlichsten ist der widerholt vorgebrachte Irrtum M.s, dass Shaftesbury ein Schotte gewesen sei (i 207. 211), während er doch einem der bekanntesten englischen geschlechter angehört hat. noch ein beispiel sei herausgegriffen, das uns M. als blofsen referenten über die Schillerschen philosopheme zeigt, in dem 'Brief eines reisenden Dänen' M. verdanken wir den hin- weis auf Rahbek sind auch philosophische betrachtungen ent- halten, die der verf. (ii 274 76) genau widerholt. Schiller geht von dem gedanken aus, dass der mensch nichts denken könne, was er nicht auch fähig sei zu werdeo. da nun der mensch in der griechischen kunst gröfser sei als die uatur, so folge, dass es ihm bestimmt sei, ein höheres weseii zu werden, wer götter schallen konnte, muss selbst die bestimmung eines gotlgleichen Wesens in sich tragen, so wird die persönliche Unsterblichkeit von Schiller 'erwiesen', hier hätte M. zunächst halt machen und auf das trügerische von Schillers praemisse hinweisen sollen, nach einem Zwischenglied, das wir hier übergehn können, be- richtet M. , an den schluss von Schillers arbeit anknüpfend, für diesen bestehe die gewähr der Unsterblichkeit jetzt darin , dass man etwas getan habe, was nicht untergehe: wenn auch alles rings herum sich aufreibe, so bleibe doch ein meisterwerk der liunst oder eine gute tat ohne zeugen unsterblich bestehn. hierbei hätte M. auf den unterschied von Unsterblichkeit im ersten und zweiten falle hinweisen sollen: zuerst ist auf ein fortleben des einzelnen im jenseits, zuletzt auf ein solches in dieser weit hin- gedeutet, mit Schillers philosophischen Studien stehn seine medi- cinischen in engem Zusammenhang, und es ist ein verdienst M.s, deren einlluss auf des dichters inneres leben richtig gewürdigt zu haben, aber gerade in diesem abschnitt wird seine breite

Mh-NOH SCIIH.I.ER I. II 387

recht slöreiul, und iii:iti ist Iroli, wi-iin man die 'IMiilosopliie der pliysiolu^'ie' und den 'Versuch üher den zusaiiiinenliang usw. glückhch üherwunden lial.

Bei erorleruu«; der dichtiingen Schilh-rs isl M. iinniei da am glückhchsleu, wo er sein reiches historisches wissen enltallen kann, der üherblick über die schwäbische dithtung zur zeit von Schillers aullreteu (i llSd), die einllüsse (h-r geniezeil (i 13") II), Shakespeares (HUT) auf ihn sind vortrell'lich niiwickell. die eleinente seiner ersten prodiiclionni werdi-n aus Ilallrr, Klopstock, Wieland, Ijürger, Schuhail usw. mit bewundernswerter Gründlich- keit hergeleitet, die abhandlung über die Anthologie ist die erste erschüplende darslelluug über dies wichtige cap. der Schillerschen jugenddichtuug. überall werden die ethischen grundgedanken Schillers genau verfolgt, und das ganze erhalt hierdurch einen einheitlichen zug, der uns nicht inmier bei M. begegnet, besonders sorgfältig ist auch die autorschaltsliage erürlert (i 57'.) (1). aber auch in diesem cap. wünschte man ein stärkeres liervoitiftm der ästhetischen kritik. als beispiel sei es mir vergönnt, M.s be- sprochung von 'Ilektors abschied' hervorzuheben, wir alle haben einmal von der Schilderung im 6 buche der llias einen be- sonders lielen eindruck erfahren und, wenn wir uns diesen ein- druck klar machten und zergliederten, so muslen wir ihn auf bestimmte Situationen und motive zurückführen, die Seh. in be- dauerlicher weise gerade hat fallen lassen: Andromache klagt duri, dass ihr der vater und sieben brilder durch A( hilleus, die niulter durch Artemis pfeif getütet worden seien ; Hektor sei jetzt der inbegritr alles glückes, das die erde noch für sie berge:

ExTOQ, aräf) ov ixoL kaai 7taTi]Q xat 7i6ivia f-nijttiQ Tjde ■Aaoi'yvi]Tog, ov de f.iot ^aXegoc; TcaQay.oiirji; . . . und darauf Ileklors antwort: all das liihle auch er, ja noch mehr: er sehe im geisle voraus, dass die heilige Ilios hinsinken werde y.al lloia/itog y.cu Xaog lü/iif.n:)Jio Uqlqixolo. aber das sei noch gering gegenüber dem gedanken, ilass einer der Achaeer die klagende zu seiner sklavin machen werde. dann folgt die ebenso anschauliche wie rührende scene mit dem knaben, für dessen heil er zu Zeus und allen göltern betend die bände erhebt, alle diese herzergreifenden motive hat der moderne nachdichter zu seinem schaden fallen lassen, und daraufhätte der ästhetische kritiker hinweisen sollen; statt dessen macht IM. (i 466. 583) nur auf die CJssianischen Situationen aulmerksam, die Seh. nachahmt, und versäumt über der emsigen motivjagd die feinere Würdigung der uimiitlelbar gegebenen dichtung.

Unter den kleineren prosaischen arbeiten Schillers ist das Avertissemeut der Ilheinischen Thalia gar zu breit besprochen: der Originaltext bei Goedeke umfasst 6, M.s bericht darüber 4 72^eite, ohne dass etwas wesentlich neues hinzugefügt wäre, über den preis der Zeitschrift macht er eine falsche angäbe

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388 Mh>Ol» SCIllLLtU I. II

(ri 259): si« kostele nicht jülirlich '/2 l'''-i sondern pro hell (Goedeke iii 533; auch die liellweise verlangte bezahluuy iässt er- kennen, was gemeint ist: ni 534; vgl. noch dazu ni 59G). be- sonders beachtenswert ist noch M.s besprechung des 'Merk- würdigen beispiels einer weiblichen räche' (n 27011'). über Diderots 'Jacques le tataliste', woraus die erzähking genommen, und ebenso über dessen anlehnung an den 'Tristram Shandy' hat er gut berichtet, desgleichen Schillers stilistische änderungen mit recht gerühmt; aber das auH'ällige, dass Schiller diese als stoir rur einen Sardou ('Fernande') wol geeignete erzahlung über- setzte, hat er keineswegs gebührend hervorgehoben, wir schauen in einen abgrund sittlicher gemeinheit liiuein , eine person ist noch erbärmlicher als die andere und diese erzahlung bietet der sonst sittlich so hochstehende Schiller, ohne in dem nachwort daran anstofs zu nehmen; er tut es zu der zeit, als er die Irei- geisterei der leidenscbaft erlebt und dichtet, zu der zeit, aul' die er später nur mit Unbehagen zurückblickte, wir müssen von diesem schwanken noliz nehmen, wir müssen die kühuheit beachten, die darin liegt, im ersten stück der neuen zeitschrilt dem braven deutschen publicum eine solche erzahlung zu bieten, aber M, geht mit gelehrtem gleichmut schweigsam daran vorüber, übrigens verdient sein urteil über den höchst packenden und geschickten Vortrag der erzahlung Diderots vollste Zustimmung, nur eine kleinigkeit bedarf noch der berichtigung; M. behauptet (u 271), Schiller ersetze alle namen des Iranzos. Originals durch anl'angs- buchstaben : dies trifit nicht zu für die wichtige gestalt der Aisnon, die sowol unter diesem als unter ihrem eigentlichen namen Duqucnoi (zb. Goedeke in 542. 560 uö.) erscheint, bei der Wen- dung 'Es denkt mir noch' (Goedeke iii 551, 21 , erwähnt bei M. II 610) wäre noch Lerma, Don Carlos iv 4 anzuführen: 'So lang mir denkt, dass ich dem König diene'.

Dei erürterung der dramen sind die erwähnten motivnach- weise am reichlichsten geboten: M.s souveränes wissen zeigt sich hier in vollem glänze, aber mau wird über die art und weise, wie diese betrachtungeu angestellt werden, verschiedener meinung sein können, die hauptsache wäre doch, dass der innere werde- process jedes dramas zunächst in seinen grundzügen verfolgt würde, und dass man sorgfältig schiede, was der dichter aus seinen (juellen entnommeu, was er aus eigener erfinduug hinzu- getaii hatte, wobei dann wider zu beachten wäre, in wie weit seine eründung von lilterarischen Vorbildern usw. beeinllusst worden war. nur auf diese weise kann die eigenart und das individuelle verdienst des dichters deutlich zum Vorschein kommen, das Wesen seiner phantasiebegabung erkannt werden, erst liier- auf empfiehlt es sich, die nebensächlicheren züge auf ihre ge- schichtliche abkuuft hin zu jjrüfen. nach solcher psychologisch- historischen analyse strebt M. ollen bar nicht: er behandelt ein

MINOR SCHILLER 1. 11 389

moliv nacli diMii .indcrn, (tliiif des diclitcis voi(li(Misl aul scliritl und tritt abzuwägen, oline seine geistige Organisation im zusam- menhange zu windigen, ohne die haupt- und (he nehenpuncte sorgCältig zu trennen, obendrein verbindet er die zurikkliailende ästhetisclie Würdigung unmittelbar mit der inneren entsteliungs- geschichte. aber (he filhe i\e^ gebotenen ist so grofs, dass man doch aus jedem dieser cai)|). reiche behdirung schö|)tt. bei be- sprechung der R an bei" liat M., andern l'olgend, den grundzng des (hamas mit der geschichle vom verlorenen söhn in parallele gesetzt. Karl Moor gehe in der irre und erhebe sich erst am Schlüsse zu der erhabensten einsieht in den laut der <iinge. im gegensatz zum Götz sei er ein tragischer lield. 'Karl Moor ist nicht blofs mit der gesellschalt, er ist auch mit sich selbst zer- fallen, er verzweilelt an seinem eigenen tnn, er emplindet die ganze quäl des nagenden schuldbe^ustseins, er ist mit einem Worte nicht blol's ein elegischer, sondern ein tragischer lield.' an der erklärung des w (irklichen Sachverhaltes, dass Karl Moor vom eigenen Schuldgefühl niedergebeugt erscheint, ist natürlich nicht zu rütteln; aber die rühmende hervorhebung des tragischen in seinem verhalten ist von zweilelhartem wert, die begriffe des elegischen und tragischen haben unmittelbar überhaupt nichts mit einander zu tun. das elegische ist zunächst ein rein subjeclives gefühl, das in der seele einer person daduich entsteht, dass sie ihren gegenwärtigen schmerzvollen zustand mit früher genossenem oder erholftem glück oder aber mit einem als verloren betrach- teten ideal vergleicht, dagegen ist das tragische au sich ob- jectiver arl und entsteht für den betrachter menschlicher Ver- hältnisse allemal da, wo er eine starke geistige potenz im kämpfe mit entgegensiehenden gewalten machtvoll zu gründe gehn sieht; das tragische lebt nicht als solches in der seele des beiden, und wenn es diesem gleichwol gelegentlich durch rellexion zum be- wustsein kommt, so ist das eine zutat von secundärer bedeutung. M. (i 325) fasst dagegen oflenbar diese besondere ins subjective gewendete spielart des tragischen als das eigentlich tragisclie auf und gründet hierauf seinen zu Ungunsten des Götz ausfallenden vergleich, aber in Wahrheit ist die tragik im Götz ebenso rein und ergreifend wie in den Räubern: wir sehen in beiden fällen eine mächtige sittliche potenz scheitern und zu gründe gehn, und wenn der held des einen Stückes bei seinem Untergang gleich- zeitig von dem gefühl seiner sittlichen verirrung bewegt wird, so berührt das niclit den tragischen kern seines Schicksals. fernerhin kann man nicht zugeben, dass der Wertherisch empiind- same zug Rarl Moors mit diesem bruch seines sittlichen bewuslseiiis notwendig zusammenhänge (i32Glj: jener hätte sich beibehalten, dieser ohne schaden entfernen lassen, ja, sicherlich ohne schaden 1 denn wenn wir einmal, aller ästhetischen terminologie den rücken kehrend, Karl Moors schliefsliche reue rein menschlich ins äuge

390 MiNon scnii.LF.R i. ii

lassen, so ist klar, dass diirdi sit^ die nrspnlngliclie bedonliinfi; seiner revolutionären Unternehmung tief lierab gedrückt wird, das stück, dessen grundanlage uns wie eine dicliterisciie Vor- ahnung der französischen revolulion erscheint, wie ein aulschrei gegenüber jahrhundertelang bestehendem Unwesen, es endet mit dem reumütigen katzenjammer eines phantastcn. der bruch in Karl Moors seele ist ein brucii in der inneren Organisation des ganzen werkes, und die tragik , die M. rühmt, verrät uns in Wahrheit den grüsten fehler des genialen dramas. wenn es weiter- hin bei M. heifst ([328): 'in Karl bäumt sich die physische und moralische, in Franz die intellectuelle kraft gegen das bestehende auf, so muss man gegen diese schillernd-vieldeutigen begriffe 'phy- sisch, moralisch, intellectuell' nocii viel mehr einspruch erheben, da flocli bei beiden briidern nur die etiiischen, freilich höchst verschiedenarligen antriebe von belang sind, im übrigen hal M. gerade über die Räuber viele nicht nur sehr gelehrte, sondern auch feinsinnig die sache ergründende bemerkungen vorgebracht.

Das cap. über den Fiesco ist, abgesehen von der compo- sition, vortrefflich, der kern des Stückes und die hauptschwäche der anläge ist auf das schärfste erkannt (ii 45 f): das schwanken Fiescos zwischen republicauischer fügend und dem verlangen nach der kröne ist kein fehler, sondern ein vorzug des Stückes; aber dass der dichter selbst über den ausgang dieses Schwankens im zweifei blieb, das macht sich oft arg fühlbar, dies ist von M. sehr geschickt im einzelnen ausgeführt, und dabei ist auf die widersprechenden einflüsse des Rousseauschen berichtes bei Sturz einerseits und der historiker anderseits treflend hingewiesen worden, dass dieser aus Darmstadt gebürtige Helferich Peter Sturz auch von Minor als 'nordischer prosaiker' bezeichnet wird, ist nicht zu billigen, da doch Sturz nur 10 jähre in Kopenhagen lebte, wenn M. späterhin, statt auf ihn, des Öfteren schlechthin auf Rousseau verweist (zb. : 'tyranuen, las er bei Rousseau einige Zeilen weiter unten', n 35), so könnte das, trotz der ersten rich- tigen angäbe, leicht irre führen; M. selbst betont ja widerholt (vgl. auch I 561), dass Schiller Rousseaus werke damals noch niclit gelesen haben dürfte.

Das cap. über Kabale und liebe gehört, auch in seiner composition, zu den besten des werkes. der hinweis auf die mut- mafslich in Rauerbacb vorgenommenen änderungeu fördert das liefere Verständnis (n 116(T); irrig aber ist die behauptung (ii 117), dass Schiller dieser zeit die namen Kalb und Ostheim verdanke, da er ja nach M.s eigener äufserung (n 128) diese namen bereits aus Stuttgart kannte, aus dem vollen geschöpft ist die (Erstellung der innern cntslehungsgeschichte des werkes; dabei hat M. das moiiv der misheirat und das motiv, dass der held zwischen zwei frauen gestellt ist, unter anlehnung an frühere forschungen sorg- fältig verfolgt, die abslammung Kalbs von Marinelli ist gesucht,

MINOR scniLLF.n 1. II 391

riclitigpr «lagogon Hio \Viirm>. niicli im kritisclion nrtoil ist liier viel gutes gelioten, so in der cliaracteristik der liehe des lielden- paros gegenüber älinliclien Schilderungen der vorgjinger. trefllich ist auch der abstand des Schillerschen Stückes von dem grauen moderantisnnis des 'Deutschen hausvalers' hervorgehoben, aber öfters fehlt doch wider die schärfere kritische wertschiitziing. so hätte Luisens zuversichlliches verhalten gegenilber der Lady (bei ihrem damaligen inneren zustande), Kerdinamls feiges benehmen gegenüber dem praesidenten (i 7) und sein lüriclites eingehn auf dessen heuchelei (iv 5) gebiihieiid beleuchtet werden müssen, mit recht getadelt wird dagegen Millers freude au Ferdinands golde als ein rückfall in den realismus der Vorgänger, und auch über die Führung der handlung und deren tiefen einschnitt nach dem 2 acte ist aufs beste berichtet worden.

Viel weniger gelungen ist die ausffdirliche abhandhing über den Don Carlos, in der M. trotz aller gelehrsamkeit keine iier- schaft über den höchst verwickelten Stoff gewonnen hat. freilich bat er auch in diesem cap. das Verständnis von eiuzelheiten wesentlich gefördert, aber den kern der sache, die viel erörterte frage über die allmählichen Verschiebungen von Schillers plan hat er nicht verstanden, ich rede hier pro domo; gegen mich dürften M.s worte gerichtet sein (iir)42f): 'es ist ein friichlloses beginnen, hier grenzen abstecken und den zeitpunct fixieren zu wollen, an welchem Schiller diese wendung vorgenommen hat'. M., der so viel übeiHüssiges vorbringt, unterlässt es für diese be- hauptung einen beweis, den man als solchen gelten lassen könnte, anzutreten; dagegen hat GKettner seine in ähnlicher richtung sich bewegenden bedenken ausführlich und mit grofser lebhafligkeit zu erhärten versucht (Zs. f, d. ph. 23, 481 4SG besonders 8.485): es sei mir daher gestattet, hier gleichzeitig den haiiptpiinct seiner darstellung flüchtig zu berühren, der kern der frage ist dieser: wann und airs welchen gründen hat sich Schiller veranlasst ge- sehen, die figur des Posa, die ursprünglich zurückstand, in den Vordergrund zu rücken, und welches sind die sonstigen Verände- rungen, die mit dieser wichtigen Umgestaltung des planes un- mittelbar zusammenhängen? ich habe behauptet und behaupte, dass dieser einschnilt zwischen dem 2 und 3 acte der Thalia- fassung liege, und dass er zeillich in das Irühjahr 1786 falle. Schiller selbst schreibt in den Briefen über Don Carlos (Goedeke VI 35): ^Was mich zu Anfang vorzüglich in demselben (in dem werke) gefesselt halte, that diese Wirkung in der Folge schon schwächer, und am Ende mir kaum noch. Neue Ideen, die indess bey mir aufkamen , verdrängten die frühem ; Karlos selbst war in meiner Gunst gefallen, vielleicht aus keinem andern Grunde, als weil ich ihm in Jahren zu weit voi'ans gesprungen war, und aus der entgegengesetzten Ursache hatte Marquis Posa seitien Platz ein- genommen. So kam es denn, dass ich zu dem vierten ' und fünften

392 MINOn SCHIM.EK I. II

Akte ein ganz anders Herz mitbrachte', die einsieht, dass die liier gegebene erklärung den talsaclien nicht entspreche, bildete den ansgangspunct meiner bereits vor 12 jähren begonnenen nnd ansgelilhrloii Studien über den Don Carlos; und über einen baupt- punct bin ich mit Ketlner einig: wenn nämlich, was kaum zu bczweireln, unter den 'neuen ideen', die in Schillers seele wäh- rend der arbeit au Hauchten, der wichtigste gehalt des dranias, die Ireiheitsideen , zu verstehn sind, so ist es erwiesen, dass diese bereits im 1 act der Thaliafassung in gleichem sinne wie später zum ausdruck kommen (vgl. s. 42 meiner 'Entstehungsgeschichte des Don Carlos'), die änderungen bestehn vielmehr in etwas anderm und betreuen auch nicht nur den 4 und 5 act. es han- delt sich um die Stellung, die Carlos und Posa gegenüber den Ireiheitsideen einnehmen, und die macht, die sie zu deren durch- tührung besitzen, sowie ferner um die bedeutung, die diese ideen für das gefüge des ganzen dramas haben: in dieser hinsieht zeigt sich zwischen den beiden ersten acten einerseits und den drei letzten anderseits ein entschiedener, deutlicher Widerspruch, in dem früheren abschnitt der arbeit ist Carlos der einzige, der die neuen, heilbringenden gedankeu verwürklichen kann; sein geist sowol als insbesondere seine machtstellung ist hierfür mafsgebend. er ist der 'große Mensch vielleicht der einzge, den die Geister- seiiche seiner Zeit verschonte, der hei Europas allgemeinem Taumel noch aiifrecht stand', der 'zu Madrid für Kezer hat', der im gebiet der Christen die gedankenfreiheit verfocht und hochhielt; wenn er verzagt, so muss das freie Flandern untergehu, für welches nur in Carlos ein 'erretter' erstehn kann (Thalia v. 381 99). diese Stellung des prinzeu verrät auch die vorrede zur Thalia- fassung, wo es heifst, dass sich in den gemälden Philipps und seines söhn es zwei höchst verschiedene Jahrhunderte anstofsen; und er, nicht Posa, fordert sein Jahrhundert in die schranken, wenn auch gestützt durch das beseligende gefühl der- freundschaft. Posa teilt diese gedanken durchaus; er hat schon frühzeitig gegen- über dem 'monarchenknaben' republicanischen stolz gezeigt, er hat ihm spröde geantwortet: 'Nimm du mit deinem Tron vorlieb', als Carlos freundschaft erbat (467 f), er ruft ihm noch jetzt die gefahren des absoluten königtums mahnend ins gewissen (125111); und vor allem empliehlt er als abgeordneter der flandrischen Provinzen deren Schicksal der hülfreichen macht seines grofsen fürstlichen freundes, aber nicht die geringste andeutung ist da- für gegeben, dass Posa in der freiheitsbewegung wie später eine selbständige und hervorragende rolle spielen könnte, dieser Sache kann er jetzt nur als diener und freund des prinzen nütz- lich werden, es geht die bedeutung des zunächst weder durch rang noch durch heldeutaten ausgezeichneten 'kamnierjunkers' Posa darin auf, dem fürstlichen Vertreter epochemachender ideen ein hülfreicher und liebevoller gelahrte zu sein, der seinen genius 'bei

MINOR SCEIII.LKR I. II 393

seinem grofsen namen riill'. dies rreiiiulscliartsverliiiilnis des marquis zum i)riiizen lilingt mit seiner |>olilisclu'ii slelliing auls engste zusammen; ich hielt es (hdier lilr geholcii, es auT schrill und tritt zu verfolgen und auch in dieser hinsieht die einschneidende änderung der letzten arheilssciiicht aulzudecUen. Keltuer ist in seini'r hlinden Oppositionslust so hefangen, dass er auch diese lalsachen misversleht und die geradezu unhegreilliclie frage aulwirll: 'was heilst denn Ireundschaft als solche? . . . was hrauchen wir üher- haupt aus solchen allgemeinen Sätzen Schlüsse zu ziehen?' ich verweise auf s. 3. 42 und 64 meiner schrilt und vor allem auf s. 46. 52. 55. 57. 59 der Briefe ilher Don Carlos, die darin gijjfeln, dass Carlos im letzten Stadium der arbeit für den Malleser nur ^als das einzige nnenth ehrliche Werkzemj zu jenem feurig und standhaft verfolgten Zwecke betrachtet' wurde. 'Der Freundschaft arme Flamme füllt eines Posa Herz nicht aus', und dein ent- sprechend handelt er im zweiten teile des Stückes gegenüber dem priuzen keineswegs immer freundschaftlich, ganz anders in den früheren acten! hier ist von einer Unterordnung der freundschall unter die höhere leidenschaft für die l'reiheit noch nicht die rede, aus dem einfachen gründe weil Posa zunächst nur in seiner eigenschaft als freund der guten sache dienen kann, keineswegs aber selbständig und über Carlos köpf hinweg. Schiller hat im 2 und 9 auftritt des ersten Thaliaaufzugs 'die freundschaft als solche' geschildert und damit eine darstellung gegeben, die, wie jeder kenner weifs, aus seinem innersten gefühl hervorquoll; er hat noch nicht in dieser freundschalt ein mittel zu höheren zwecken gesehen, man braucht nur die genannten auflritte im zusammenhange mit den über Posas frühere Stellung ermittelten lalsachen zu würdigen, um die evidenz dieser erklärung zu er- kennen, vor allem aber ist Posas persönliche Stellung und be- deutung in dem früheren abschnitt ganz anders gescliildert als später, wir hören von ihm eine jämmerliche Jugendgeschichte, die ihn jetzt noch schamrot macht (Thalia 445 470), er ist noch nicht grande, sondern nur kammeijunker des prinzen, er soll, wenn der prinz in Flandern für die freiheit licht, in Madrid zurückbleiben, um zwischen ihm und der königin eine geheime Verbindung aufrecht zu erhalten; er ist noch nicht Mal- teser, und nicht die geringste heldentat wird von ihm erzählt; er kennt die königin noch nicht, vom könig ganz zu geschweigen; im 2 acte tritt er gar nicht auf; er ist derart eine person zweiten ranges, dass Schiller, sich als Carlos fühlend, den fünf jähr jüngeren, unmündigen und zeriährenen Huber mit ihm vergleichen mag (Goedeke, Schiller-KörnerM 39; IJrahin ii 1 , 64 und 3()9). dagegen ist er im letzten abschnitt der arbeil gewaltig gehoben; er, der erbe einer million, ist erst jetzt zum granden von Spanien und Malteserritter gemacht, der sich durch grofse heldenlalen ausgezeichnet hat; er hat sich als der einzige bei der erslürmung

394 MINOR SCHILLER I. II

von SiEImo durcli aufsorpowöhnliclie lapferkeit errettet; er hat den knnip: von Frankreich dreimal im tnrnier besiegt, nnd die dame, zu deren ehren er fociit, war Elisabeth, die er also jetzt seil langer zeit bereits kennt; ja sie hat durrh ihn zuerst den rnlim emplinden lernen, kOnigin der Spanier zu sein, sie nennt ihn einen philosophen , einen grüfseren fiirsten in seinen stillen mauern als könig Philipp auf seinem thron, aber auch Philipp selbst hat ihn einst zu besonders grofsen zwecken be- stimmt; zweifach hat er seinen namen in dem buche angestrichen, durch das er die Verdienste tüchtiger männer seinem gedächtnis gegenwärtig ballen will; er wendet sich jetzt an ihn als den heller in der schlimmsten not seines lebens. Posa bat grofse reisen gemacht, den halben norden besucht, besonders lange in London verweilt, wo er der kelzer königin Elisabeth auf ihrem thron ge- sehen hat; er hat durch seine geschicklichkeit die berüchtigte. Verschwörung in Catalonien entdeckt und der kröne Spaniens diese wichtigste provinz gerettet; dagegen hat er auf seinen nor- dischen reisen, im Widerspruch zu solch patriotischem bemühen, alle mächte für der Flamänder freiheil zu bewaflnen versucht, und ferner hat er einen bund mit der Türkei geschlossen, um durch eine flotte Spanien im mittelländischen mcere angreifen zu lassen, derart hat sich der marquis verändert, er, der nach der früheren fassung während des flandrischen freiheitskampfes in Madrid als liebesbote des prinzen zurückbleiben sollte, um eine geheime Verbindung mit der konigin aufrecht zu erhalten.

Durch die scene im Karthäuserkloster wird erwiesen, dass der einschnitt zwischen der früheren und späteren partie der arbeit zwischen den 2 und 3 act der Thaliafassung fällt, wir haben gesehen, welch bescheidene politische rolle Posa in den ersten beiden aufzügen spielt; jetzt mit einem male dictiert er den weitern verlauf der dinge: er plant, dass Carlos sich heimlich entfernen und dass er gewaltsam für die rechte Flanderns eintreten soll (Thalia v. 3528 42); sein opferlod zu gunsten des nur so für die politische sache zu errettenden prinzen steht fest (Thalia V. 3552 55). damit ist erwiesen, dass der dichter jetzt den plan für den weitern verlauf des Stückes deutlich vor äugen hatte, zur unbestreitbaren gewisheit wird diese auffassung durch den umstand, dass Schiller die Karthäuserscene gleichzeitig mit den- jenigen scenen in der Thalia veröffentlichte, in denen Posas audienz bei Philipp vorbereitet wird: einen sachlichen Wider- spruch zwischen so nahestehenden partien des werkes hätte er keinesfalls durchgehn lassen, während in act i und ii uns der alte Posa begegnet, erblicken wir sogleich zu anfang des 3 actes den neuen, noch das schlusswort des 2 actes sagt, diese auf- fassung durchaus bestätigend: 'Dom Carlos ist ein FamiUeiUjemälde aus einem königlichen Hanse', diese änfserung passl schlechter- dings nicht zu einem politischen teiidenzstück. wenn Minor

MINOR SCIIH.LF.R I. II 395

schreibt (ii 544), dio vorausgeliendon scenen gicngen Ix'ioits weit über (las familiäre hinaus, so ist das irrig; liier handelt es sich um persünliciic intriguen, nicht um einen polilischen principien- kampl: Domingo und Aliia sind auf den prinzen eilcisiiclilig, (he Eboli auf (he künigin; ihr handehi passt durchaus zu einem intriguenstück aus einem kihiighchen hause, nimmermehr dagegen hätte Scliiller diese worte sclireihen kiinnen, wenn bereits damals das hauptinleresse seines Stückes in der polilischen handluug gelegen hätte, wenn es schon damals in erster linie eine politische principien- tragodie sein sollte, so ist denn Kettners versuch, die einmal er- wiesenen talsachen wider aus der weit zu schallen, als gescheitert zu betrachten, während M. durch niclilbcachtiing der nein-ni for- schung den kern der Carlos-I'rage in neliel und dunkel geliilllt lässl. Noch ein kleiner nachtiag zu der entstehungsgeschicht»' der grofsen scene zwischen Carlos und der Kboli sei hier hinzugel'ilgt. M. bemerkt mit recht, der Eboli eingreifen in die handlung sei durch StReal gegeben, ihr character aber sei Schillers eigentum. aber auch die besondere art, wie die verhängnisvolle begegnung mit der schönen einflussreichen hoTdame berbeigefübri wird , ist in der quelle nicht angedeutet, und so glaubte ich denn, diese Züge 'zu den glücklichsten erlindungen' rechnen zu dürfen, 'durch welche Schiller die angaben seiner vorläge erweiteri' habe (Ent- stehungsgeschichte s. 46). inzwischen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass auch hier ein litterarisches vorbild die eilindung des dichters beeinflusst und geleitel haben dürfte, die Situation, dass ein liebender durch ein grausames misverständnis statt zu der erwählten zu einer andern schönen geführt wird, die sein herz durch bulilerische reizungen gefangen nehmen will diese Situation findet ihr vorbild im 11 gesange des 'Oberon', mit welchem werke Schiller genau vertraut war. insbesondere ist die herbeilührung dieser Situation in beiden fällen sehr ähn- lich, der Inhalt der Oberonpartie ist folgender. Hüon weilt am hofe des sullans in nächster nähe der geliebten Rezia- Amanda, der er aber vergeblich sich zu nahern hofft; zu ihm ist Alman- saris in leidenschaftlicher liebe enlbrannt; seine läge ist also ähnlich der des Carlos zur könij^in und zur prinzessin von Eboli. die dem manne unerwünscble begegnung mit der ungeliebten frau hängt in beiden fällen von einer Sendung ab, die falsch bo fördert oder falsch gedeutet wird, im Oberon bestimmt Hüon, der gärtner Hassan, einen vielsagenden 'malineb' für die gelieble Amanda, doch gelangt die Sendung durch unglückliche fügung in die bände der Almansaris, die hierdurch erlreul ohne abming des misversländnisses den schönen fremden für die mitternacbt zu sich bestellt, ein solcher mahneb war am hofe I*bilip|)s ii nicht zu gebrauchen. Schiller formte ihn in einen einfachen brief um, den er von der Eboli ausgehn lässt. die wichtigste ähnlicbkeit ist aber die, dass in beiden fällen falsch gedeutete anfangshuch-

396 MINOR SCRILLEU I. H

slal)(Mi )ür (las niisversländnis von ausschlag gebender hedentung sind: aiil einem lorlieerhlalt des durcli Falmes kunsl hergestelllen nialini'li werden noch die verscliränklen l)ncl)stal)en A nnd II zierlich eingekritzelt, um so der emplängerin die namen Amanda nnd Ilüon zu verraten; doch Almansaris deutet sie heglückt auf ihren namen und den des Hassan, ähnlich legt Carlos das E unter dem ihm ilherhrachten hriefe fälschlich als Elisabeth aus, während es die Eholi bezeichnen sollte, da die ganze Situation, die nun im Oberon herheigelilhrt wird, in ihrer grnndlage del- jenigen in unserm drama sehr ähnlicli, da insbesondere die Ver- wirrung des enlteuschten anl<ommlings beidemale entsprechend geschildert ist, so dürlten diese Übereinstimmungen kaum zu- lällig sein, aber freilich der sittliche geist, von dem die scenen beider werke erfüllt sind, ist durchaus verschieden: gegenüber der üppigen sinnlichkeil Wielands befleifsigt sich Schiller eines durchaus zurückhaltenden tones. inhaltlich ist nur dieses noch übereinstimmend, dass in beiden fällen die buhlerische schöne den geliebten durch ihr lautenspiel zu betören sucht, durch diese erklärung rückt vielleicht auch eine stelle in Schillers brief an Kürner vom 12 februar 1788 in eine neue beleuchtung; er schreibt über ein gespräch mit VVieland und bemerkt dabei: 'Nenlkh hält' ich ihn fast auf den Kopf gestellt; ich war just in einer meiner wider- sprechenden Launen und da erklärte ich ihm, als das Gespräch auf französischen Geschmack ronlierte, dass ich mich anheischig machte, jede einzelne Szene ans jedem französischen Tragiker wahrer und also besser zu machen. Du katmst ungefähr wissen, wie ich das meinen mnsste, aber ihm hatte ich in die Seele ge- griffen. Er führte mir meinen Carlos zur Widerlegung an; %oo ich nämlich gerade die Fehler hätte, die ich an den Franzosen tadle. Ich sagte ihm, dass ans den dreissig Bogen des Carlos ge- toiss sieben herauszubringen seien, %oorin reine Natur sei . . . Er solle mir . . . eine dreizehn Blätter starke Szene zwischen Carlos und der Eboli in französischem Geschmacke schreiben lassen und sehen, wer sie aushält', es ist nicht unmöglich, dass Schiller hier dem Verfasser der frivolen Oberon -scene einen trefl'enden hieb versetzen, dass er durch hervorhebung seiner Schilderung einer höchst ähnlichen Situation ihm 'in die seele greifen' wollte, jedesfalls hat er sein vorbild wesentlich verfeinert, wie Posa in der Karlhäuserscene die tugeud der königin und der Eboli mit spitzfindiger Zergliederung gegenüberstellt, so sab unser dichter noch später in den beiden frauengestalten des Oberon, in Amanda und Almansaris, einen typischen gegensatz. indem er bei dem namen der letzteren an die ihm verhasste Caroline Schlegel denkt, schreibt er (Goed. xi 133) das bekannte disticbon:

' Warum verzeiht mir Amanda den Scherz und Almansaris tobet ?

Jene ist tugendhaft, Freund, diese beweiset, sie sei's'.

Doch zurück zu M., wenn auch nur, um uns mil einem

MI.NOK SCllll.I.KIl I. II '-VM

scillusswort vou ihm zu verabschieden, ilherhlicken wir «lie composition des j,'anzen Werkes, so ist hesoiuhMs ein zujj rüliniend hervor/iiliebeii. die Wandlungen einiger liauplpuncte von Schillers denken und liililen hat M. mit grol'ser deiillichkeil erwiesen; su den Übergang von Klopslockscher serapbik zu NVieland-BilrgerscIier Sinnlichkeit, die betVeundung mit dem tranzusischcn gesclimack, sowie die spätere bevorzugung der geschichtlichen Studien an stelle der philosophisch-psychologischen, dabei bat er das all- mähliche dieser Wandlungen gut herausgekehrl, zb. bei bespnahung der einleiluug zum 'Verbrecher aus infamie' (ii 471 77); und endlich ist der Zusammenhang der wissenschat'llicheu und künst- lerischen iuteressen Schillers bestens berilcksichligt. der wider- holte hinweis auf solche grundzüge ist ein Vorzug der ganzen anläge des Werkes, im übrigen aber weist die composition manche mängel auf, den biographischen capp. schadet die ängst- liche Chronologie; die abtreunuug eines besonderen abschnittes 'Tharandt' zur erorlerung der liebe Schillers zu Ilcnrielle von Arnim ist nicht gerechtfertigt : der dortige aufenthalt ilauerle nur einen monal: unbedenklich durften diese ereignisse in tiem Dresdener cap. mit abgehandelt werden, aber, wie schon er- wähnt, am wenigsten gelungen ist die gliederung in den grofsen abhaudlungen üljer die werke, man kann jedem pedantischen Schematismus abhold sein und wird doch diese ungeregelte be- sprechung bald dieser, bald jener seile eines kunstwerkes recht unliebsam emphnden. dabei ist die erorterung der buhnenbear- beitungen, aufführungen und äulsern Schicksale der dramen immer ganz abgetrennt und für sich geboten, sodass das interesse unkünstlerisch zersplittert wird, aber am schlimmsten ist die breite der gesamtanlage. wird für die darstellung von Schillers leben der räum von vier dicken Wälzern erfordert, so würde wol für Goethe das doppelte verlangt werden, die bewältigung solcher massen ist selbst für den fachmann eine Zumutung, wenn es für den historiker entlegner zeiteu vor allem darauf ankommt, aus dem spärlichen material viel herauszulesen, so zeigt sich die stärke des modernen geschichtschreibers darin , dass er aus der fülle des gegebeneu das wichtige kritisch aussondert, diese forderung hat M. nicht erfüllt: er unterschlägt uns selten auch nur eine kleinigkeit, und wo er es tut, wie zb. in der allzu knappen widergabe der erzählung StReals, da kann man sein verfahren nicht immer loben, weil er dinge verschweigt, durch deren erzählung die nachschalTende phantasie des lesers erst recht in bewegung gesetzt werden könnte, so hat sein werk den cha- racter einer Sammlung tredlicher monographien, deren inhalt durch höchst ausgibige anmerkungeu erhärtet wird , aber den anforderungen der biographischen kunst genügt es nicht, wie sehr überragt unsern verf. in dieser hinsieht Brahiu, der freilich an gelehrsamkeit keinen wettkampf mit ihm aufnehmen kann.

398 Mli>OI« SCUILI.EK I. u

Per slil M.s ist ansprecheud und natürlich; er ist frei von juurnidistischen pointen und enls|Miclit der würde eines so liocli- j,'elelirt(;n Werkes, aber im einzelnen konniien unsaulierkeilen vor, die bei einer sorglälligen redaction hätten ausgemerzt werden müssen, so lesen wir i 9: 'so viel die bei der einäscherung der Stadt Marbach zu gründe gegangenen kirchenbücher er- kennen lassen'; i 61: 'Die Ilovon stammten wie die Schiller von einem alten niederländischen adelsgeschlechte ab' (M. weil's am beslen, dass die Schillersche lamilie nicht aus den Niederlanden stannule); i 301: 'er gibt seinem hell'ershelter endlich den aullrag ihn zu töten, welchen aber, gerührt durch den anblick des greises, die kralt verlässt, ihn zu vollziehen'; i 340 und II 35 begegnen uns die pleonasmen 'eiternde zelolen' und 'attenlatsversuch', ii 450 und 462 treffen wir die nicht schrift- deutsche llexion 'niemand anderer' an; ii 92 heilst es: 'wir leiden nicht mit und für das fremde geschüpf, i 90: ' briele von und an die eitern' u. dgl. m.

Aber trotz allen mangeln bleibt M.s werk vermöge seines aufserordentlich reichen gehaltes eine zierde unserer Wissenschaft, ein niuster deutscher gründlichkeit, ein ehrendeukmal für des verf. rastlosen und vielseitigen lleifs, und ohne frage die beste zusammenfassende darstellung, die wir über Schillers leben und dichten besitzen.

Leipzig, sept. 1893. Erwst Elster.

LiTTERATÜR NOTIZEN.

Paradigmata zur altsächsischen grammatik. zweite neu bearbeitete aufläge im anschluss an die sechste aufläge von Müllenhoffs Para- digmata, zusammengestellt von Max Uoediger. Berlin, Weidmann, 1893. 15 SS. 8". 0,30 m, nach der Vorbemerkung sind die formen möglichst nach der zahl der belege geordnet und der Mon. hat den vorzug erhalten, ich kann dieses system der an- ordnung, nach welchem eine graphische Variante des Mon. den Vorrang vor einer im Cott. herschenden Schreibweise hat (vgl. die enduugen des gen. und dat. sg. der schw. masc, die in der reihenfolge oh, an, eii erscheinen), nicht für geeignet halten, dem anfäuger oder sonst jemandem einen überblick über die gestaltung der as. tlexionseudungen zu verschaffen, nach meiner ansieht müssen mindestens überall dort, wo Colt, und Mon. von einander abweichen, gesonderte paradigmen gegeben werden, auch könnten häufigere und seltnere nebenformen durch den druck unter- schieden werden, übrigens ist R. seinem princip nicht treu geblieben, in dem paradigma des schw. v. 1 conj. ist die endung -da vor -de gestellt, bei dem schw. v. 2 conj. -de gar nicht erwähnt, im schen)a der t-decl. gebührt bei den kurzsilbigen slänuueu den dativen aid -i der erste platz, -o, -e ist im Mon. nur ausnähme, fehti erscheint im Mon. nur in der form feho,

ROEDIGER ALTSÄCHSISCIIK I' AI; AI)I(;.MATA 399

der gen. nur in iler lorm fehas, der insti-. nur in der (orni feho. im paradigma des demonslralivs wären die dalivforinou des m. und n, in der folge ihemu, them^ themo aur/ulilliren, die formen des acc. m. in iler folge ihene, thana, lliena. im gen. sg. f. ist thera im Mon. öfter belegt als lliero, jenem gehillirl also die erste stelle, ganz unrichtig ist die reihenlolge -eru, -ero, -era im dat. sg. f. der st. adjectivdeclination; -eru ist gerade eine der seltensten formen, die richtige anordnung wäre -am, -ero, -aro, -oro, -era, -eru, -ont, -uru. -a-, die häutigste sclneihung des miltelvocals im dat., ist im paradigma gar nicht aufgerührt, im gen. pl. ist -aro, -oro vor -ero zu stellen, im gen. pl. der schw, adjectivdeclination ist beim fem. -ono überhaupt nicht be- legt, im masc. nur bei den substantivierten würtern aldiro, yraiiio, inngro, he'ligo; torohteon 4 182 war trotz seiner Vereinzelung nicht zu übersehen.

Abgesehen von diesen inconsequenzen zeigen sich noch andere mängel. s. 4 wird bemerkt, dass der vocal 1 für das praes. ind. sg, und den imp. sg. gelte; den formen des Mon. leoh 32();{, help 1612, (jef 1(507, seh 476(3 ist keine rechnuug getragen, da \\. themo anführte, hätte er auch imo erwähnen müssen, dass nnca nach blind geht, ist nicht richtig; der dat. sg. f. lautet an allen drei belegstellen in beiden hss. mit synkope des miltelvocals nncro. wenn U. unter den formen des instr. von hwat auch hweu anführt, so hätte er mit mehr recht auch hwö erwähnen können, unter den pronomina indefinita vermisse ich o9ar hice^ar 'alteruter'. im Schema der lautverschiebung ist falsch, dass einem idg. t ahd. innner rf entspreche ; vielleicht ist das zweiter/ druckfehler für t. falsch ist ferner, dass as. aus idg. dh auch d werde, als ent- sprechung von k'^ hat man keine berechtigung schon für das germ. h anzusetzen, jedeslälls würde die consequenz erfordern, dann auch q statt kw zu schreiben, kaum richtig ist der ansatz von germ. g neben ^ als entsprechung von g^h. dass R. nur entspre- chungen der 1 und 3 gutturalreihe angibt, wird manchem be- nutzer der paradigmcn befremden erregen, in der übersieht über den vocalismus ist aufser dem paar n-o auch o-u für das germ. angesetzt, sollte K. daran festhalten, dass a sich in e und o gespalten hat oder, was auf das gleiche hinauskonunt, meinen, dass germ. o, u indog. o eutspricht? wenn er dagegen u elwa für den ursprünglich aus liquida und nasalis sonans entwickeilen vocal hall, so hätte das doch angedeutet werden müssen, und so liefse sich noch einiges anführen, nach meiner ansieht bedürfen die paradigmen auch in ihrer jetzigen gestalt noch sehr der Umarbeitung. Baden N. Oe., 27 jiini 1893. M. H. Jki.li.nek.

Etymologisk svensk ordbog. av Freur. Tamm. FiMsta haftet: A-bärga. Stockholm, HGeber [1890]. SO ss. gr. 8". 1 kr. 25 ü. nach der anküudigung auf s. 4 des Umschlags ist dies neue etymolo- gische Wörterbuch der schwedischen spräche, das erste seil Ihres

400 TAMM ETYMULUGISK SVKMi'i; OHUIIDÜ

tagen, im allgemeineü nach dem rausler von Kluges arbeil ange- legt, jedoch unterscheidet es sich dadurch vou diesem, dass es (he sprachwisseiischallliche hlteralur KU' neue etymologien ver- zeiclmet und mit grül'serer consecjueuz die enlsprechungen aus andern genn. sprachen, soweit diese als repraesentauten gellen können, neben den schwedischen formen angibt, natürlich wurde dabei das hauptgewicht auf die skand. dialecte gelegt; verwante Wörter aus den übrigen idg. sprachen hat T. nur dann heran- gezogen, wenn sie die etymologie und grundbedeutung oder die Zugehörigkeit zu irgend einer wurzel klar legten, bei den lehn- wörtern galt es in erster linie zu bestimmen, aus welcher spräche das wort aufgenommen wurde, sodann, zu welcher zeit dies ge- schah, wir erfahren schliefslich noch, dass das werk mit Unter- stützung der schwed. academie in ungefähr 10 heften von je 5 zweispaltig gedruckten bogen erscheinen soll, der name des Verfassers bürgt dafür, dass wir etwas tüchtiges zu erwarten haben, und ein blick in das vorliegende hell teuscht denn auch unsere erwartungen keineswegs, wir haben es unzweifelhaft mit einer gediegenen wissenschaftlichen leistung zu tun, der wir nur den besten fortgang wünschen können, auf einzelheiten einzu- gehn, möchte ich mir versparen, bis das werk vollendet vorliegt, holfentlich erfolgt das erscheinen der einzelnen hefte in nicht allzu langen Zwischenräumen. F. Holtüause.n.

Jaspar von Geunep und die enlwicklung der neuhochdeutschen Schrift- sprache in Köln von Willy Scheel. [Westdeutsche Zeitschrift für geschichte uudkunsl, ergänzungsheftvni, hsg. von dr Josei'II Hansen. Trier, Linlz, 1893. s. 1 75. 5 m.] die enlwicklung des 'ge- meinen deutsch' in den Jahrhunderten vor und nach der refor- mation ist eine bereits vielfach behandelte frage, zu deren eud- gilliger lösung jedoch die einzeluntersuchung noch viel zu tun hat. der anteil der kanzleien an der bildung einer solchen gemeinsprache und an deren sieg über die mundarlen ist neuer- dings insbesondere durch llBrandstelter für Luzern erläutert worden, wie dies die vorliegende arbeit in den anmerkuugen zu s. 17 und 35 hervorhebt, sie behandelt ein besonders umfang- reiches und wichtiges gebiet, die stadl und das erzbislum Köln, zunächst verdient die umfangreiche belesenheit S.s, welcher uu- gedruckles material in fülle herangezogen hat, aber auch für die druckertätigkeit Kölns im 10 jh. manches neue bietet, volle aner- kennung; nicht weniger die besonnenheit in der auswahl der beweisslücke und der beweissteilen, drei verschiedene arten vou ([uellen werden durchgenommen: die Schriften der erzbischöflichen kauzlei, sodann die der städtischen behörden , endlich die kölni- schen druckwerke, unter denen die bei dem bekannten Jaspar von Geunep erschienenen, zum teil von ihm selbst verfasslen, insbesondere die verschiedenen fassungen seines Homulus auf das genauste durchtienommeu werden, die Untersuchung richtet sich

SCHEEL JASPAK VON (iENNEI' 401

wesentlich auf laut- iiiul l'oniUMiIrliic, da nur lür diese die kaiizlei- sclirifleii liiiireiclieiides inalerial dailiuleii. es zeigt sich, dass in der aiilnalitne der neuen, der i^'enieinspiachlichtMi eh-nicMite die kanzleien voianyelin und unter ihnen widtr ihe erzhiseliOlliche. uameulhch die rerurnialionsversnche des eizhiscliols Ilerniann von Wied 1543 15 lürdern zugleich den anschluss an die nhd. schriflsprache, indem sogar seine geyner auf diese weise ihre ansichten nach auisen hin zu vertreten und zu verhreilen anlass nehmen, die drucUsprache folgt nach, schliefst sich aher immerhin so eng an, dass der um 1520 etwa hegonnene procfss um 1575 so gut wie völlig ahgeschlosscn ist. dass die kanzlei auf die spräche des Verkehrs cingewiirkl hahe, wird noch zuweilen ge- leugnet; hier liegt doch wol der heweis vor. eine reihe einzelner beobachtungen verdient noch besonders hervorgehoben zu werden : dass die neuen consonanten früher durchgedrungen sind, als die neuen vocale; dass die kleinen form Wörter besondere neigung zeigen, dem dialect treu zu bleiben, wozu von andrer seile das gegenteil behauptet worden war (s. 28 anni.). auf s. 48 in der anmerkung wäre wol Krauler zu nennen gewesen, der zuerst (in dieser zs. 21, 25811) beobachtet hat, dass die stamme, welche auf alles J, ü, ü ausgehn, diese längen früher und aligemeiner in ei, an, äu gewandelt haben als diejenigen, in denen die längen im inlaul stehu. E. Martin.

Ratio sludiorum et iuslitutiones societatis Jesu per Germaniatn olim vigeutes colleclae concinnatae dilucidatae a (i. >1. Paciiti.eh S. J. vol. in. |Monumenla Germaniae paedagogica, herausgeg. von Karl Kehrbach, bd ix.] Berlin, Allofmann u. comp., 181M). xvin u. 48(5 ss. 4^'. 15 m. dieser drille band der in den schulen des Jesuiten- ordens geltenden Ordnungen enthält in einer ersten ableilung die für das Schulwesen der gesellscbaft überhaupt erlassenen beslim- mungeu der ordensgeneräle von 1600 1772, in einer zweiten die auf das Studium generale, besonders die academischen Studien in einzelnen provinzen, an einzelnen urten sich beziehenden docu- mente desselben Zeitraums, in beiden ableilungen sind die Schrift- stücke chronologisch geordnet, die vom orden geleiteten schulen sind lange zeit hindurch die vornehmsten stalten des speciell katholischen mittleren und höheren unten ichls; was sie von den gleichzeitigen evangelischen anstallen zunächst auflallend unter- scheidet — man vgl. zb. die in den MGI* bereits veröllentlichlen braunschweigischen oder siebenbürgisch-sächsischen Ordnungen , ist die einheillichkeil der lehre und der melhode, damit alleniings verbunden ein hartnäckiger conservatismus. beides zeigt sich in den durch die documente der ersten ableilung ununterbrochen sich hinziehenden eiuschärfungen, dass die einheillichkeil der lehre in allen schulen durch genauen anschluss an den hl. Thonias und an Aristoteles gewahrt werden müsse, die erlasse gehn bis ins einzelne: eine reihe derselben zählt auf und delinierl die feslzu- A. F. D. A. XX. 26

402 PACHT!. ER UATIU STUDIURUM SOC. JESU UI

liallt'udt'u lelirsätze und verzeichnet eine reihe verholener. die {^escliichle der lehrhegrifre scholastischer iheologie und philosophie limiel liier reiches inaterial. ab und zu hefrenidel die aulnahnie einzelner nrr in eine der geschichte des seh ulwesens gewidmete Sammlung; allerdings ist P. dadurch entschuldigt, dass bei keinem andern orden die allgemeineren zwecke mit den lehramtlichen so enge verknüpft sind, wie hei dem Jesuitenorden; man vgl. die ungeheure Schätzung des lehrheruf's, die in der characleristischen äufserung des generals Carafla s. 05 sich kundgibt, für die innere Organisation des Unterrichts war in diesem Zeitraum die Ratio studiorum gerade so mafsgehend, wie anfangs; die documente des zweiten teils beschäftigen sich daher vorwiegend mit der äufsern Organisation der anslallen, genauer Stundeneinteilung, scharfer Umgrenzung der vollmachten und pflichten der einzelnen unler- richtspersonen und academischen Würdenträger, mit abstufung und Verleihung der academischen grade, Ordnung der dabei zu beob- achtenden äufserlichkeiten. man gewinnt daraus ein vollkonmiues bild der äufsern erscheinung jener characteristischen Vorbilder humanistisch-scholastischer lehranstalten, gymnasien wie Universi- täten, es war von vornherein zu erwarten, dass das aus diesen denkmälern für die geschichte des Unterrichts im deutschen zu- fliefsende unmittelbare material gering sein werde: in nr 66 (1602) Memoriale für das Mainzer colleg lesen wir s. 145: exercitium linguae germanicae commendatum sit; ein oberdeutscher lectionsplan (1769) setzt in den drei untern classcn auch deutsche Orthographie an (s. 247); von deutscher Orthographie reden auch die Würzburger Statuten von 1749 s. 434 (vgl. auch s. 427); ungleich höherer nutzen darf aber von der ebenda s. 434 er- hobenen forderung des übersetzens aus dem latein. ins deutsche und umgekehrt erwartet werden, die ausdrücklich mit der ab- sieht utque simnl in Imgua vernacula necessarhis progressns fiat gestellt wird (vgl. auch s. 437, a. 1755). und man wird auch an mittelbare fürderung der multersprache durch die aufs weiteste getriebeneu mündlichen lateinischen redeübungen und disputa- lionen denken müssen, die deutsche litteraturgeschichte nehme auch notiz von dem unter nr 109 (um 1772) abgedruckten Vor- schlag zur herausgäbe einer wissenschaftlichen Zeitschrift, deren dritter den schünen künsten gewidmeter teil ein gegengewicht gegen die moderne deutsche litteratur, die wegen sittlicher be- denken getadelt wird, bilden und poetisches in deutscher spräche enthalten sollte (s. 451.452). der lext der aufgenommenen stücke ist, soweit das gebotene material zu urteilen erlaubt, mit aller Sorgfalt behandelt; die arbeit des herausgebers war hier keine geringe, und sein verdienst wird durch die bei der correclur über- sehenen diuckfehler nicht nennenswert geschniälerl. die dem 2 bände in uuverbesserter Ibrm schon beigegebene karte der Unter- richts- und erziehuniisanslallen der deutschen assislenz S. J. ist hier

PACHTLER RATrO STUDIORÜM SOG. JESU III 103

in neuem sliche unil verbessert widerliolt. ein nachlrag bringt drei neue stücke zum 1 bde nacb ; eine cbronologie der Stillung von collegieu S. J. inneriialb des alten deutseben reiches und Belgiens ist dem vorwort angelügt, J. Seemüller.

Die siebenbürgiscb-siicbsiscben Schulordnungen mit einleilung, an- merkungen und regisler, herausgeg. von dr Frikdricii Tkütscii, 2 bd. 1782 1883. [Moniimcnta Germaniae paedagogica, herausgeg. von Karl Keurbacii, bd xui.J Berlin, AHolniann u. comp., 1892. Lxxxviii u. 623ss. 40. 20 m. Teutsch vollendet hier seine sehr sorgfältige ausgäbe der siebenbilrgiscb-sächsischen Schulordnungen, das Jahrhundert, über das sich die mitgeteilten documente er- strecken, umfasst die blute und die gewaltsame Zerstörung der nationalen Selbständigkeit des deutscheu Schulwesens in Sieben- bürgen, besonders hervor treten zunächst die nrr 78. 79, die in den zusammenbang der an paedagogischen und lilterarischen resul- taten reichen kämpfe gehören, welche die sächsische nation mit erfolg gegen die unter Joseph n erlassenen uniformierenden schul- bestimmungen führte, nr 78 (1782, s. 27) stellt gesichtspuncte für das Studium der philologie auf, welche sprachen- und litteratur- kenntnis in weiterem umfang ins äuge fassen, neben den antiken classischen sprachen auch deutsch und französisch und womöglich italienisch und englisch: ne quod in niultis reprehendünr, anti- quitatis amatores in nostra tempora simns et injnrii et ingrati; den neueren verdanke man die iheorie der schönen künste quam aestheticam hodie dicimus: sie habe ein anderes aussehen als zu Zeiten des Aristoteles und Horaz; aus ihr gewinne, wer sie kennt, nicht blofs ein abstractes wissen, sondern auch eine Steigerung seiner empfindung für das schöne und seines urteils darüber, durch das ganze 19 jh. läuft dann ununterbrochene organisierungs- und reformarbeit, von bebördeu wie von privaten geleistet: so ist historisch und organisatorisch wichtig der Entwurf einer neuen einrichtung der Kronstädter evangelischen knabenschulen (1812) und die (erst später) dazu erlassenen Instructionen, welche in methodische einzelheiten eingehn. im ersten Jahrzehnt des Jahr- hunderts arbeiten die vier lehrer des Schässburger gymnasiums aus eigener initiative, welche vornehmlich von Zay und Binder aus- geht, eine neue Organisation ihrer anstalt aus, dit; sie tatsächlich mit bestem erfolg verwürklichen und die vorbildlich für andere anstalten wird: die Zay-Bindersche Neuordnung in Schässburg 1813. vom j. 1817 ab läuft längere zeit eine in beraluugen und entwürfen sich kundgebende bewegung, die auf eine für die Sachsen all- gemein geltende Schulordnung zielt: in Zusammenhang mit ihr steht der volksschulplan Neugeborens 1821, wichtig wegen der Streiflichter, die von ihm aus auf den bis dahin herschenden äufsereo zustand der Volksschule fallen, wegen der durch ihn deutlich be- stimmten neuen einrichtung derselben, wegen <ler methodischen anweisungen, die er enthält; ferner der schulplan für gymnasien

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4Ü4 TKUrSCIl SIEüENUÜUG.SÄCUSljCHE SCUULOnD^U^^;^:^ II

1S23/31, der als zweck der anslalt scharl' bereits die lormale aiisbiltlimg betont (so wie nun der zweck der (jymnasien in der formalen ausbildung aller einzelnen geistigen anlagen und krüfte des menschen und in der ansstattnng desselben mit einein solchen maa/se allgemeiner kenntnisse, als ihm znr erreichung seiner künf- tigen wissenschaftlichen oder auch bürgerlichen bestimmung tuid ztir führung seines lebens überhaupt notwendig ist, besteht), zu welclieiii die ergauzuugeo Uüd verljesserunyeu eiitbalteude nr 98 zu zielien ist. wicbtig ist leroer das Gutachten über errichtung einer juridischen lacultäl im school'se der sächsischen natiou 1S39: es beleuchtet auls bedeutendste das Verhältnis der einzelnen sächsi- schen kreise untereinander, das Verhältnis der Sachsen zu den Magyaren, den zustand des juridischen Studiums in Siebenbürgen überhaupt, fruchtbar erscheint der gedanke der 'lustrierungen': lehrer eines gymnasiums werden von amtswegen zu den prülungen geschickt, die au einer andern anstalt abgehalten werden, und liaben dienstlich über die beobachtungen zu berichten , welche sie über einhallung des lehrplans usw. machen, nrr 105 107. 113. 114(1844 1848). den grad der nationalen bedeutung der schule in Siebenbürgen und des allgemeinen interesses, das ihr entgegengebracht wird , beleuchten die beiden vom Siebeubürger Jugendbund 1848 an das consistoriuui gerichteten gesuche um relorm des Schulwesens, besonders des volksschulwesens. den letzten noch innerhalb der althergebrachten Selbständigkeit der sächsischen schulen geschehenden schritt bezeichnen die docu- mente, welche die einführung des Thuuschen Ürganisationsent- wurfes an den sächsischen gymnasien begleiten, es folgt nun von nr 124 ab (1879 ff) eine reihe von actenstücken, die den früheren, gröstenteils Schulorganisationen enthaltenden nicht mehr gleich- artig sind: es sind die in ihrer mafsvoUen Sachlichkeit doppelt beredten Vorstellungen, pelitionen, bitten, denkschriftcn, welche das evang. landesconsistorium an den ungarischen minister, das abgeordnetenhaus, den thron richtet, unermüdlich, beharrlicii, um die magyarisierung von den sächsischen schulen fernzuhalten die traucrreden auf den Untergang der nationalen Selbständigkeit, wert zu einer zeit gelesen zu werden, in welcher die erinnerung an jene erfolglos gebliebenen versuche aufserhalb Siebenbürgens zu schwinden beginnt, der herausgeber hat in der vorrede mit recht gesagt: Sielleicht geht es manchem leser dieser Sammlung wie mir: er findet, dass der einblick in dieselbe nicht nur lehr- reich, sondern oft auch tief ergreifend ist'.

Die mehrzahl der in diesem 2 bände vorgelegten 55 nummern ist zum erstenmale gedruckt; meist konnten die originalaclen dem drucke zu gründe gelegt werden, conjecturalkrilik war nur in ganz seltenen fällen nötig. T. hat nicht alles in die Sammlung aufgenommen, was ihm die archive boten; auf mehrcres der- gleichen weisen die eiuleitungeu zu den einzelnen deukmälern hin,

TEUTSCH SlEBEMiÜRG. -SÄCHSISCHE SCIlLH.OnDNUKGEN II 405

wichtigeres daraus ist tlori milgeleilt und verarlieitol. ab und zu drängt sich der wünsch aul', dass ein und das andere dieser slilckc seinen platz in der saninihing gelunden hiüte und so hequeuier zugänghch geworden wäre, mögen aucli zh. I)ei Josephs ii Norma regia 1781 die s. vll" gegebenen auszilge geniigen, so vermissl man doch etwa die Schulordnungen für den volksschulunterricht von 1870. 1871, die bestimmungen über die städtischen elementar- und bürgerschulen von 1877 und lande besonders gerne den lehrplan für die evaug. gymuasien A. 15., IVstgestellt auf grund des g. a. XXX : 1883 vom landesconsistorium der ev. kirche A. B. in Sieben- bürgen vom 4 sept. 1883, als den abschluss der in den nrr 121 IV dargestellten kämpl'e der sächsischen kirche um ihr Schulwesen (über die drucke jener schulschrilten s. lxxxivI).

Die anläge der arbeit hat, wie T. selbst in dem vorwort be- dauert, eine zusammenhängende einleitende darstellung der ent- wicklung des sächsischen scluilweseiis ausgeschlossen ; die mate- rialien dazu sind aber in den einleitungen zu den einzelnen stücken enthalten, welche überall auf das sorgfältigste die lilleratur ver- zeichnen und bei den wichtigeren denkmälern auslühiliche Zeich- nungen ihrer historischen bedeulung sind, die notwendigen ein- zelheiten über Sachen, personen, bUcher bieten die anmerkungen. ein anhaug zählt die bis 1850 in Siebenbürgen gedruckten und in den sächsischen schulen gebrauchten Schulbücher auf. zu sprachlichen uoten war in diesem bände wenig anlass zum deutschen der nr 83 etwa wären bemerkungen erwünscht gewesen. Ossiach, im sept. 1893. J. Seemüller.

Eckius Dedolatus, herausgegeben von Siegfried Szamatölski. mit einer photographischen nachbildung. (Lateinische litteraturdenkmäler des 15 u. 16 jhs., hsg. von Max Herrman^ und Siegfried Szamatölski 2.) Berlin, Speyer und Peters, 1891. xv und 52 ss. 8". 1 m. eine ausgäbe dieses bedeutenden Werkes durfte in einer Sammlung lateinischer litteraturdenkmäler des 16 jhs. nicht fehlen, umso- weniger, als die neudrucke bei Biederer und Böcking, wie Sz. nachzuweisen sucht, kritischen ansj)rüchen nicht völlig gerecht werden, auch der neudruck der 'Oratio', die mit Sicherheit Pirk- heimer zugeschrieben werden darl, ist zu billigen, die einleilung beschäftigt sich mit der verfasserfrage, wer die lateinische und deutsche litleratur der ersten zwei Jahrzehnte durchmustert, weifs, auf wie grofse Schwierigkeiten die Ibrschung hier überall stufst, da ja so vieles nur handschriftlich cursierte, was später nie in druck kam, sodass manches verloren scheint, was aufklärung zu schaffen und Widersprüche zu lösen im stände wäre. Sz. ist ge- neigt, den neueren liypolhesen, welche die autorschaft Pirk- heimers ablehnen, sich anzuscbliefsen; solange aber nicht deut- lichere spuren von Pirkheimer abführen, scheint es mir immer noch richtiger, lieber das ingenium Bilibaldi in dem würklich bedeutenden werke erkennen zu wollen.

406 szamat6i,sk[ kckius deholatüs

Vitii (iuer samniluug der slelleu beoutzler autoien ist Sz. abgegangen, obwol geraile hier reiche und l'ür die beurleikiug der dicbtung bedeutsame ausbeute zu erwarten war. denn der Verfasser des dialogs erscheint trotz seiner umfangreichen kennlnis antiker autoren, die weil über Tereuz und Plautus oder Ovid hinausgeht, nicht, wieviele andre, als compilalor, der seine phrasen armselig zusammenbettelt, sondern die enllehnungen nehmen hier zumeist den character des citales an, das in einen neucD Zu- sammenhang eingerückt, gerade durch den coutrast mit dem ori- ginale die satirischen absiebten des dichlers wesentlich unterstützt, in dieser hinsieht sind die zahlreichen anlehnungen an Senecas Hercules furens und Hercules Oetaeus von trefflicher parodistischer w ürkung.

Holsteins (Die reformation im spiegelbilde der dramat. litt, des 16 jhs., Halle 18S6, s. 179 ff) Zergliederung des dialogs möge dem mit der reformalionsgeschiclite nicht völlig vertrauten leser das Verständnis der zahlreichen anspielungen auf reformations- geschichtliche ereignisse erleichtern, der text scheint völlig c orrect ; zu bessern wäre p. 42, 8 theolongia in theologia und p. 46, 13 vocacer in vocarer. F. Spencler.

Darlegung der dichterischen technik und litterarhislorischen Stellung von Goethes Elegie 'Alexis und Dora' von dr Joseph Kassewitz. Leipzig, GFock, 1893. 27 ss. 8^. 1 m. über diese abhand- lung ist eigentlich nichts zu sagen, etwas ungeschickteres, als diese verbauten sätze, die falsch angewandten fremdwörter, die verderbten citate, die unmöglichen bilder usw., lässt sich kaum denken, der erste teil weist mit vielen Worten nach, dass die menschen in der idylle patriarchalischen characters und doch nicht patriarchalischen characters sind, und dass alles in dem gedieht 'mit unscheinbaren mittein' gemacht wird, alles 'einfach, geschickt, naturgemäfs' ist, sowol das Selbstgespräch des Alexis, wie die 'gevvogeuheit von Seiten der Dora'. soviel über die dichterische technik. in dem abschnitt über die litterarhistorische Stellung finden sich zwei bemerkungen, die nicht neu, aber richtig sind : ein hinweis auf Tibull und einer auf Voss, der zweck der ganzen abhandlung ist der nachweis, dass alle, die das gedieht bewun- dert haben, hierzu berechtigt waren. Albert Köster.

KLEINE MITTEILUNGEN.

Ein BRIEF Jacob Grimms, der folgende brief wurde mir von seinem besitzer, hm rechtscandidaten Liihrs in Götlingen, zur publication übergeben.

Wohlgeborner, hochzuehrender herr Amtsassessor, für die mir zu meinen rechtsalterlhümern gefällig milgetheilten bemerkungen erstalte ich den aufrichtigsten dank. Es freut mich zu sehen, dasz meine arbeil, bei der ich mehr an geschichts- forscher und deutsche philologen als an eigentliche germanisten

KLEINE MITTEir.LNGE.N 407

(lachte, aucli von goscliiiflsm.'innern nicht vcrschmiiht wird. Hier- durch kann anlmerksanikcit auf die im land forllcltcndcn unge- schriebnen rechlsgewolmheiten erregt werden, und icli l>in tll)er- zeugt, dasz man olt nur zu suclien lirauclit um zu linden.

Ihre scharfsinnige erklärung des handsrimhs aus dem hand- schlag scheint mir doch gegen sich zu haben, dasz auf das auszielien immer ein besonderes gewicht gehegt wird. Durch liandschlag wird ein geschäft festgemacht, durcli den handschuh ein bestehendes band aufgelöst. Es kommt vor, dass man einen hnksgemachten handschuh übersendet. Ein sehr wichtiger beitrag zu diesem Symbol ist neulich im Hliein. museum für jurispr. drilt. jalirg. 2 lief! 1829 p.281 283 mitgetheilt worden, wo mit sieben iiandscbulicn übergeben werden musz.

Ohne zweifei sammeln Sie gelegentlich noch viele berich- tigungen zu meinem buche und sind wohl so freundlich von zi-it zu zeit mir wieder einiges davon zu schicken?

Mit aufrichtigster hochachluug

Ew. wohlgeb. ergebenster diener Gott., 15apr. 1830. Joe. Grimm.

Die adresse lautet:

Sr VVohlgeboren des Herrn Amtsassessor W. Heim

zu Hannover.

Im zweiten absatz des briefes bezieht sich JGriinm auf die erste Veröffentlichung der Schwabenehe durch Mafsmau)i. in der adresse ist der name Heim verschrieben für Heine. EW Heine, ein hannoverscher Jurist, gest. 1882 als amtsrichter a. d., machte sich durch eine 1850 herausgegebene beschreibung der grofsartigen stein- gräber auf dem Giersfelde {in der Westerholter marli im kirchspiel Ankum) verdient, bei der beklagenswerten Verwüstung, welcher diese denkmäler mehr und mehr anheimfielen, haben die Ileineschen mitteilungen ihren icert behalten, das werkchen , welches sie ent- hält, im übrigen der verworrensten Weisheit voll ist, führt den selt- samen titel 'Über den Germanismus' (2 ausgäbe Hannover 1860). noch absonderlicher ist eine andere schrift Heines 'Die germani- schen, aegyptischen und griechischen mysterien' [Hannover 1878). Götlingen, 14 apr. 1894. H- MKiss>Kn.

Über Moriz ii von Crao>-, den held des mhd. gedicbles, und seine familie habe icii in der einleitung zu meinen Zwei altdeutschen ritlermären s. xvin xxiv allerlei notizen aus z. t. recht abge- legenen quellen mühsam zusammengetragen , während wenige monate vorher eine breit angelegte und vornehm ausgestatlele urkundliche geschichle des hauses Craon erschienen war. berrn dr FLiebermann verdanke ich jetzt auch die bekanntschafl mit Bertrand de Broussillon La maison de Craon 1050 1480, etude historique accompagn^e du cartulaire de Craon etc., 2 voll. Paris 1893. der verf. schliefst die Lincolnshire-Iinie (Craon-Burton)

408 Kr.RINK MITTHII-UNOEN

ganz von seiner publicatiou aus, beliandell alxT die französischen ("raons so ausliilulicli, dass auf Moriz n allein 50 selten entfallen (I 71 120). die Itlcken unsres wissens werden hier ausgerüllt, meine eigene darslellung in wesentlichen puncten ergünzl und herichtigt. Moriz ii succedierte, noch minorenn, seinem hruder Gnerin um das jähr 1150 und wurde bald nach übernähme der herschaft Craon zum riller geschlagen, gestorben ist er am rijuli 119G. zur zeit, als unser gedieht entstand, war er also sicher nicht mehr am leben, die daten aus dem beginn des 13 jhs., welche ich s. xxii aufführe, kommen bereits seinem söhne Moriz HI (1196 1207) zu, dessen existenz ich dem Diel, de la nobl. gegenüber in zweifei zog. Moriz u erscheint zum ersten male in der ültentlichkeil und zugleich im gefolge könig Heinrichs ii von England, als dieser im herbst 1158 die Stadt Thouars be- lagert. 1168 oder 1169 unternahm er eine fahrt ins heil, laud und kehrte von hier 1170 mit reliquien reich beladen heim: noch haben sich 10 certificate geistlicher und weltlicher her- schaften darüber erhallen, sein minnesang und seine liebesabenteuer werden vor diese zeit gehören, seine Verheiratung mit der reichen wittwe Geoffroys iv von Mayenne, Isabelle de Meulan, fällt bald nachher, im jähre 1191 folgte er dem kreuzheer könig Richards abermals ins heil. land. er machte vorher sein testament (das seine familienverhältnisse am besten beleuchtet) und gab reiche spenden für die kirchen und klöster seiner heimat aus. gestorben ist er sicher in Frankreich; seine begräbnisstätle kennt man nicht, das herz wurde in die abteikirche von Savigny übergeführt.

Bei Broussillon i 85 n. 3 hat sich auch Gasion Raynaud über die mit dem namen eines Craon überlieferten minnelieder ge- äufsert, in genau dem sinne wie ich s. xxv: auch er lässt Moriz n nur als Verfasser des liedes A l'entranl du dous termine gelten und spricht Fitie amonr claime en moi par eritage einem seiner söhne zu, wobei er sich für Amaury entscheidet. E. Sch.

Berichtigungen: Zs. 38 s. 232 z. 7 v. o. lis - x | - x x x x ; s. 234 z. 2t V. 0. lis sünu; s. 235 z. 7 v. u. lis 'nicht auch ein märcgravinne; s. 255 z. 15 V. 0. lis ff^on st. Wan\ s. 2(11) z. 4 v. o. lis m sl. in.

Zu Anz. XX s. 395 f: ich bin nachträglich darauf aufmerksam geworden, dass schon Boxberger die Eboliscene mit Wielands Oberen in Verbindung gebracht hat. R.

Am 14 augusl starb zu Neu-VVitielsbach bei München, im 29 lebensjahre, dr Siegfried Szamatölski, dessen finderglück und kritische energie namentlich der litleratur des 16 jhs. zu gute gekommen ist.

Der privatdocenl dr Adolf Socin in Basel wurde zum exlra- ordinarius befördert; der privatdocenl dr Theodor Sieds in Greifs- wald erhielt den titel professor; der privatdocenl dr Alukrt Lf.itzma>n in Jena gibt seine lehrtaiigkeit auf, um eine Stellung an dem Goethe- und Schillerarchiv in Weimar anzunehmen.

REGISTER

Die zahlen, vor Jenen ein A steht, bezielien sich auf die seiten des Anzeigers,

die übrigen auf die Zeitschrift. -a, in as. endsiiben A 16 (f. 21 f. 'l'.i.

25; mit«' wechselnd A 1711'. 2011";

für -0 A 15

a>e engl, vor i// A 33; dial.>ä,o

A 208 /^-declination A 121. 127 aak nl. A 233

ablaut der schw. conjugation A 118 f absteigende betonung 232 Abu-Zakaria als Zacharisini'Ortiiit' 7811 acccnt, schleifend u. gestolsen A 12011 accusativ dialectisch für nom. A 212 f,

für dativ A 223 ;Hl.jectiva,nacli bestimmtem artikel hei

Goethe stark flectiert A 309; in der

anakreontik mit adjectivischen ad-

verbien verbunden A 355 f adverbia auf -a, -o, -e as. A 17 f. 25 aelmisse mnl. A 233 äffe, dialect. formen A 328 agger nl. A 233

Ahasverus, named. ewigen Juden A 197 -ai, germ. endung des dat. der 6-

decl. A 139 f a<< öji A 137 ; aijei, dial. grenze A 99 ai, au germ. •<,6i, du A 136; got.<:;

V, 6 vor vocalen A 118 f -ais, -at'p, endungen der verba 3 schw.

conj. A 129f aios, a/ukdü/js gol. A 136 Alaisiagae A 79 all in Goethes Faust A 292 allitteration, einwürkung auf d. vers

228 ff

allilterationspoesie, formelwesen und Variation 228

allitterationsvers: betonung d. allitt. Silben 225 f ; im Verhältnis zur prosa- betonung A338; tempo225f; tact 227. 250 ; dipodien 247. A 340 ; en- jambement 237. A 338; Ursprung

229 ff. A 340 f ; hält d, gesamtmafs d. frühern verses fest 233 f. 235 ; 2 halbvers reduciert 236 If. 242; rhythmische Veränderungen A341f;

typusA3231; C^ 228 f. 236. 248; G und D 232 ff. 243. 246; typus

- X X -i X 231 ; haupteigentüm- lichkeiten (typen) bei Olfrid wider- kehrend 309 ff. 314, noch deut- licher im 11. 12 jh. 321

Allra kappa kva-di 333

als, also mhd. vor adjecliven 142

Alte vom berge im 'Wolfdietrich' 94

altsächsisch, grammatik A 238 245; llexion A 13—26. 398 f

'Amis', alter druck 112

Amlöii 130

an bei verbis des nehmens A 158r

-flH,as. endung des acc.sg.adj.A 20.22

anakoluthe got. A 151 f

anakreontik, cinfluss ;uif Goellie A 35411; sprachgebraiuh A 35 Hf

-and, germ. got. participialeiidung der 3 schw. conj. A 129

andaf)(i'/it.f gol. A 153

anlaulsregeln, germanische 29 ff; an- laut, bevorzugter und genjiedener im nihd. 37 ff; anlautsgruppen im griech. 52, im latein. 53

Apollo d. Hyperboreer, keltischer 283

'Apollonius von Tyrus', einlluss auf 'Orlnit' 09 f, auf 'NVolfdielrich'? 87; verwanlsch.m. 'Oreiidel' 116, beruht auf gleicher märchenwurzel 116(1

Ares Isländerbuch A38ff; beziehungen zu England A 41

Arminius = Siegfried? A 80 f

Arnstein, s. Marienieich

ärschlingx A 292

Arlhursage bei Nennius A 227

-as, as. endung des gen. A 20

Asinarius 132

äslhelik, classische A 70 ff; roman- tische A 73; Kants A 71. 73 f

at got. bei verben des nehmens A 158 f

attraclion in relalivsätzen A 144

a/z/ji dialect. grenze A 210 f. 214. 215

äu I et, dialectgrenze A 218

auflösung 242 ff

augensegen aus London 17

auk got. A 143

aurkonungr 287 f

Aurvandil 113. 120

aus, dialect. formen A 21011

baas nl. A 233

bauan got. A 136

Beatrix von Savoyen, herzogin von

Kärnten 366 beide, in elsäss. flexion A 85 bekleiben bei (ioethe A 293 Helian im 'Wolfdietrich' 94 Bernauerin, Agnes, im dramn A 205 f besser, dialect. formen A 329 ff betonung im allitterationsvers 225 f.

A338; schwebende 234; s. accent

410

RRCrSTER

bellen nl. A 233

beurscli iil. A 233

hi {,'ot. Iiei verbon d. nclmiens A löSf

liibel. einleiliing in capitel und verse

217; Luthers A 350 fr hildi' bei WvdVogelweide 67, 32: 10 f ein bisscheJi A 357 BiUTolf V. 837 : 200 Blankenhcimer bibliothek 289 Bödmen, Syndflut, von einfluss auf

VVieland? A 60 bahne etyni. A 233 .IChBoie, Übersetzung von Otways

Waise A 319f Bojer, grenze nach Tac. Germ. c.28:22ff Bosasaga A 245 fr botenrolie aus Gotha 222 fr tiovq A 125 fr

braune, dialect. formen A 212 fr brechen der verse 237. A 338 breidel nl. A 233 Bride 134 f

JBrucker,von\Vieland benutzt A54f.6I bruder, dialect. formen A 106 fl brug nl. A 233 brüh adj. A 96 Brutussage 130 f

Bufi; Charlotte, u. ihr haus A 281 fT GABürger, 'Lais und Demosthenes'

A 68 f; 'Lenardo u. Blandine' A 36;

arbeitete fremde gedichte um A67;

ausgaben seiner gedichte A 66 -bültel in Ortsnamen A 211

Cartaphilus A 196

ch nhd. intervocalisch >• g oder ge- schwunden A 207 f Chaucer, Klage des Mars A 228 Chrestien von Troyes u. Kiot A255f Chroniken des 4 7.jhs. A 78 f circumflex A 120 ff. 123; behandlung circumllectierter endsilben A 130 f JGolet, geburtsjahr A 334. 336 commissio7i A 301 conjugation, 2 schwache A138f; 3 schwache A 13111; got. auf -yian A 138 f conjunctionen, got, ihre syntax A 140 flf conjuncliv, got., im paratakt. satz

A 140 f; im nebensatz A 141 consonantischer anlaut, germ. 33 AT 'MvCraon', geschlecht A 407 f; Über- lieferung 95 f; Verfasserschaft 105; einzelne stellen 97 AT Cüchulainn, sage v. s. geburt 280 f Curtiussage im ma. A 346

djt dialectgrenze A 221 f; d zwischen

vocalen A 108 f ; engl.> 9 vor r A 34

rfund t hochfränkisch u. oberd.A322f

dahlen, anakreontisch A 354

dativ, as. auf -e oder -a A 17: durch acc. ersetzt A 223. 323 f

De Heinrico v. 7 : A 207

''De profundi.i hie wil ich', fragm. aus Oxford 21

dege an. A 139

dehnung, idg., in offner silbe A 125

deining nl. A 234

denen, dat. d. art., bei Goethe A 310

mir denkt A 388

derb bei Goethe A 295

'Descriptio qualiter Karolus Magnus' usw. A 254

^Die lerch ist laides wol ergelzeV, minnelied 155 f

Diersburg, s. Tiersberg

diphthongierung, ?<>aMA 210 f. 214f ; ii>eu A219f; westfälische A 211. 220. 326. 330

dipodien 247. A 340

^Diu selc gerV usw., fragm. aus Ox- ford 21

djaus skr. A 124 ff. 128.

doms got. A 152

Don Juan im drama A 47 ff; Laufener A 49 ff; Puppenspiele A 49 f. 51 f

door engl, aus ags. dor A 31

doppelconsonanz im germ. anlaut 42 ff; im griech. anlaut 52; im latein. 53

doppelspirans, urgerm. gemieden 53 f

doppelverse, s. überlange verse

dorf, dialect. formen A 324 ff

IvDöring, An einen Säugling A 67

dreihebige verse bei Otfrid 314; im 11. 12 jh. 308; in der Wiener Gene- sis 314 ff; beim Kürnberger 317 ff

dreutel nl. A 234

droog nl. A 234

duan und seine formen , as. A 244

-c, endung des an. wgcrm. dat. A 139 ; im auslaut urnord. dative 170; as. endung A 17. 21 f; endung in neuern dialecten A 212 f. 215 f. 219 f. 222; apokopiert A 329; vor- klingend A 216. 219; endung des St. praet. bei Goethe A 310 f

e>ie westfäl. A 330

e got. >• öl vor vocalen A 119; as. durch umlaut entstanden A 238 f; e<iai as. im auslaut >e, sonst >a A 22 f; e auslautend, dial. A 104 ff. 333 f

Eckius dedolalus A 405

Edda, Übersetzung A 162 ff; ihre kos- mogonie A 115

efen afries. A 83

Egypterin im Faust A 290

REG IST RR

411

'Ehemanns klagp' 153. A 330

ei dial. A 9611. 101 I. 331

ei, germ. niihlhanpttonig > ai A 129

'Eisenhans', mäiclien 115 fl, Varianten

121fr -vjd, -emi, schwache conjug. A 128 f Clement, bei Goethe A 290 -emu, as. im dat. sg. adj. A 19 empfinden, analtreonlisch A 359 f RvEms, akrostichon im 'Alexander' 270 ff; Altenbuiger brnchstück des 'Wilhelm von Oiiens' 219fr -en dial., im dat. plur. A 222 f. 323,

im inf. A 208 f •e7i, -nn, ahd. endung des dat. pl. der

adj. A 23 endelich, efidlich A 297. 352 endsilben, vocaiisch lange, ihre be-

handlung A 130 f endung, unbetonte als reimträger 15G f -enen, subst. dalivendung A 224 enjambement imallitterationsvers237.

A 338 enkiise.bei den Skalden A 14G f entflammen A 357 entrundung A 217 f -er, dial. endung des plur. ntr. A 218 f -era, -ero, as. ahd. endung A 20 Erasmus von Rotterdam A 43 ff; sein

geburtsjahr A 44 fT. 334 (T -es, as. genetivendung A 20 -es, endung der 2 sing, des schw.

praet. A 130 f WvEschenbach, Parzival A 255 fT franz. quelle A 255 ff; 304, 18 A 257; 440, 24: A 257; 454, 26 A 257 f; 780. 12: A 257; 784, 23 A 257; Willehalm 62, 11 fl': 138 If 307, 1 ff: 141 ff; 458, 11 ff: 143 estrich A 234

Ettal, Stift 362 fr, kirche 365; Vor- bild 367 ettar as. A 241 fc'M/Ä dial. grenze A 219 explosivlaute, elsässische A 111 f

JAFabricius, quelle Wielands A 55.

57. 60 faden als rechtssymbol 1 ff färbe, germ. farwa etym. A 237 feeks nl. A 234

feinde, Londoner segen gegen, 18 fideler im Faust A 298 fidibus etym. A 234 fiebersegen aus London 16 fijands got., fiand as. ahd. A 129 fijKfik nl. A 234 fleire, flestr an. A 137 fleisch, dial. formen A 331 fon, fan as. A 19

Fonnaas, rnnenspange von, ISöll (jForster, brielc iimi lai^tliücher A 31 III Füuque, Undiiic, im Fansl benutzt?

A 296 (ramm an. A 146

Frauenlob, zwei ungedr. gediclite 55 11 l'rosvh und virwunte ausdrücke A 237 fuchs, in der tiersage A 249 FFüelrer, Ruch der abenteuer 205 f fühlen, anakreonlisch A 358 Fuhr, melrischf theorie 305 If 'fünf typen', bei Olfried widerkehrend 310 fr; mit tactmessung verträglich 320; vgl. allitterationsvers für mhd. = nhd. 'als' 141 If futur in potentialem sinne A 5 f

Carmayigabis, dea 189 ff

gaus skr. A 124 ff

Geliert A 88

genealogien , engl, und kent. \ 226

Genesis, Wiener, kurzverse 315 (f

genetiv ohne «, engl. A 34

gerefa ags. A 234

Germaii-, (lerrnen- 191 ü

'germaz, 'germanaz 194 f

Gesta Romanorum, erzählung daraus gereimt 145

Gildas der weise A 225

Giliberli, Don-Juan-drama A 49 ff

HGlapthorne, Argalus uml Parlhenia A 318

glet mhd. A 262

Goethe, beziehungenzurmutlerA275ff; einfluss der anakreontik A 35411"; der FlorenlinerTriniili A 293; Über- setzer franz. tragüdieii A 181 ; seine ästhetik A 70 ff; mondpoesie A 364 f ; dialectisches und archaisches A 31 Of; flexion A 309 ff; 'Alexis und Dora' A 400; 'Amors grab' A 303; 'Das glück' A 362; 'Der misanthrop' A 363; 'Der sammler und die sei- nigen' A 73; 'Die freuden' A 362 f; 'Die liebe wider willen' A 364; 'Die nacht' v.l : A305 ; 'Fa usl' A 89; wöitcrbuch A 291—307 ; seine ein- heillichkeit A 107 If; dalierung ein- zelner scenen A172f; einflussVergils und Dantes A 290; character des Mephistopheles A 169 f; Paralipo- mena A 285 ff; Faust 'Zueignung' A 171: v. 1995: A 307; 'Abkün- diguns' v. 6: A2S9; Par. 1: A 173; I'ar. 20: A289; Par. 68: A289; 'Hermann und Dorothea' .\ 73 f; 'Hochzeitslied' A 362; 'Kinderver- sland' A 362; 'Leipziger liederbucii" A 353 fl; 'Liebe und lugend" A 363; 'T a 8 s o' A 365-382 ; 'Werther' A28 1 11"

412

REOISTER

Goethe, fian rnt A 275 fl

FWGolter, Mcrope A 181

JNGötz, Itiiefe A 271; gedichte in ur- s{)iüi)gliclier Fassung A 272(1'; 'Auf den Hurgunderwein' A 273; 'Ver- suche eines Woimseis' A 274

Gralreich erblich? A 25t)

^riilaii, (friotan as. A 128. 136. 243

}(r<'de mhd. 196 f

prt'la7i got. A 128. 136

.IGrimm, brief an EWHeine A 406 f; an CReimer A 2ü6

gro/'s, lirool A 234

gust ni. A 234

gutluralisierung, ripuar. A 22Ü f. 224

/», as. prothese A 24U f

haben, hilfsverb bei sein A 6 f

LHäfner, Wiener Journalist A 194 f

FHvdHagen A 198 f

hak nl. A 234

Haldenberg im 'Helmbrecht' A 262

AvHaller, einfluss aul JNGötz A 271 f

Hamletsage 127 (T

handschriften aus Admont218; Alten- burg N.-Ö. 219; Berlin 289. A 263. 317; Blankenheim 289; Cambridge A 207 ; Gotha 222; Hannover A 207; Heidelberg 361 ; Kopenhagen A 38 f. 166 f. 247; London 14; München 55. 145—159. 206. 368; Oxford 21; Strafsburg 58; Wien 205

handschuli als rechtssymboi A 4U7

'Harnisch des tuten ritters' 145 ff

Harpalyke, sage beeinflusst den 'Wolf- dietrich' 92

Hauksbok A 164 fT

hause, häuser dialect. formen A 215 fl'

Haeva A 80

Haymo von Halberstadt 336

Hectorsage, isländische 333 fT; an- klänge in der rom. litteratur 335

hedeii nl. A 234

hei nl. A 235

heiden mhd. 'nichtchrist' 143

heilig, anakreontisch A 359 f

Ilcinicsage 126

EWHeine, amtsassessor A 407

HHeine, biograph. milteilungen seiner familie A 75 f; geburtsjahr A 76f; 'Atta Troll' cap. 20: A 294

Heinrich derGlichezare, Reinhart, Ver- hältnis zu seinen franz. quellen A 248 fT; V. 433 : A 249

De Heinrico v. 7 : A 207

J.IWHeinse, quelle zu Goethes 'Tasso' A 369 f

hri/'x, dialect. formen A 95 fl'

heiler, anakreontisch A 356 f

Heliand, heimat A 238; bildet den dat, sg. adj. auf -o?i A 19; v. 13 : A 25 201 : A24; 884 : A 15; 1902 : A 24 2125 :A 14; 2975 : A 25 f; 3495 A 15; 4785 :A 341; 5798 : A 24

Helmbrecht, s. Wernher

Helmbrechtshof A 259 ff. 264

Helvetier, grenze nach Tacilus 22 II

'Hercynia silva' Germ. cap. 28 : 24

Hermtmduri A 200

Hero und Leander in der dichtung A 35ff

hete mhd. praet. 98

CAHeumann, Conspectus reipublicae litterariae, hauptquelle für Wielands geschichte der gelehrtheit A 56—65

AHeusler, metrische anschauungen 225. 305. 308. 314 ff. 321

hij 'er' nl. A 235

himmlisch, anakreontisch A 359

Hippodameia, sage beeinflusst den 'Wolfdielrich' 90

Hohenstein im 'Helmbrecht' A 261 f

LCliHöIty, 'Hero und Leander' A 37

Hceni 287 f

hör, hält an. A 148

WvHumboldt über 'Hermann und Doro- thea' A 73 f

'Huon de Bordeaux' und 'Ortnit' 68

hymnenvers vorbild für Otfrid 309

i im germ. wortanlaut 30 ff; as. <^gi A 240

iget, bildlich A 301

imperativ, as. A 399; im nebens. A 143

imperfect, durchs perf. verdrängt A 6

Impersonalia A 5

'/rt Goles nameii faren wir' paro- diert 155

infinitivendung, dial, A 208 f

inlautregel, urgerm. 53 fT

Inschriften, s. Garmangalis, Tune

Inversion A 9 f

isländische litteratur unter engl, ein- flüssen A 42

j in got. Orthographie A 1 17 f Jean Paul A 18211' Jesuitenschulen, ihre Schulordnungen

A 401 fr Journalistik, Wiener A 192 f jowl ne. A 33 Jude, ewiger A 195 IT; buddhistische

elemente A 197 jungens bei Goethe A 310 jussiv A 7

A/cA, lautverschiebungsgrenze A 207

'Kaiserchronik', handschrift A 207;

überlange verse (9378 f usw.) 332

REUiSTER

413

Kaluza, melrisLlie tlieoiie ;;iil JKant, definition der 'scliötitn kuiisf

A 71 ; ästhetische norinalidec A ~'A f Karl der giofse, legende A 251 d';

leuchtende äugen A 253; Pilger- fahrt A 254 f kerte, kcrze nind. A 349 .ICKesttier und Goethe A 281 (l Ketovvein, angebl. dichter 15S Kienieite im 'Helinbrechl' A 202 Kiol, Wüllranis quelle A 25t) klacht nl. A 235

'Klage eines ehemannes' 153. A 33(i •Klage um eine edle tierzogin' 3(j5 1 FvKleist A 92 'Kloster der Minne' 361 ff Kolmarer hs. 55

Kölner druck- und Schriftsprache A4(lOf Konrad, pfafle, sein 'Rolandslicd' und

die Vita Caroli M. A 251. 253; Hol.

22, 2l:A 253 Körewein, angebl. dichter 15S kosmogonien, ihre entslehung A 113;

verwantschaft A 114 f; germ. A115 koste mild, für kust, käste 199 f kras nl. A 235

Kräuter, phonet. System A 11 Off 'Krone', s. HvdTürlin Kudrun, caesurreime 199; einzelne

stellen: 8, 2 : 198; 12, 1 : 195 1;

26, 1:196 f; 39,2:197; 72,4:197;

96, 4: 198; 110. 1 : 198; 135, 4.

225, 2. 329, 3. 867,4. 1033, I : 200;

1216,4: 199 künde adj. und in künde mhd. 200 f Kürenbergstrophe 317 11'; vieriiebigkeit

im 2 halbverse 322 IT kiirzung langer vocale vor vocalen

A 127; in den endsilben mehrsil- biger werte A 130 f kurzverse des 11. 12 jhs. 314 ff kmt stm. mhd. 199 f

Lafontaine, 'La huitre et les plaideurs'

A 249 langdiphthonge, idg. vor consonanten

A 123 ff; germ. vor consonanten

A 116 fl', gekürzt A 127 ff; haupl-

tonig A 128. 13511; nichthaupKonig

A 128 ff. 138 fr Langobarden, name A 233 langverse in epischen ged. d. 12 jhs.

331 fT; ihr verschiedener imifang

unanstöl'sig 333 JvLassberg A 92 ff ''Lauda Syon salvatorcm deutsch 157 Laufener schifTerbühne A 48 lautverschiebung A 207 f. 210. 221.

324 f. 328 f

leise metonymihcli A 360 liTclie, herold des tages, engl. A 229 f Lessiiig. 'Kaust' A 168 Irtan got. A 136 leunt-n nl. A 235

leide, Leuten, dialecl. formen A 219 11 -Ite as. A 239 licht, im 1)S Jh. A 357 lichtgötter der Kelten 280 i\ liehe nut A 300

liebc5.erklärung, scherzhafte 155 WLinck von Coldilz A 2ti(i (1 litauische bctotiiing .\ 120 f localiv A 121 f Loh im 'lielmbrechl' A 262 loug, dial. st. 'dorf A 328 lorrelje nl. A 235 Ludwig d. Bayer 362 fr (ILudwig, '.\;,Mies Hernauer' A 205 f LuK, Lugns, kell, lichtgolt 280 (f luis nl. A 235

.MLuther, Verhältnis zu Liiick A 267 If; bibel, Cansteinsche neiib. A 350 ir Luzerner kanzieisprache A 26 11 Lydgate, benutzt Chaucer A 229

m^ I) in unbclonter silbe .\ 233

viaankop nl. A 235

machen, dialect. formen A 207

maf nl. A 235

maiza got., meire an. A 137

Malclius in der sage .\ I '.••'»

.Malek-al-Adel als .Machorel im 'Ort-

nit' 67 f '■Maniger went liebe han', liebes-

reime 154 'Marien rosenkranz', auszug 157 Marienieich, .Arnsteiner, melrik 327 II Marienseijuenz aus Muri, strophen-

und Versbau 33(i Marpaly im 'Wolfdielrich' 91 meislcrlöiie, sclierzli. aufzählung I.ö9f menschheit, bei Goeihe A 311 messe, nl. mis A 235 f metrik, allgemeine A 86 f metrum als hilfsm. f. gedächlnis 227 mik 'brot' nl. A 235 Miklosichs syntakl. system A 2 minnelied aus Windherg 155 missaqiss got. A 157 mijjgiutan, mif/ijiftan got. A 157 f -mo, -viii ii>. dativendung A 21 moei 'miihme' A 236 mohn etyui. A 235 H.Möller, metrische Iheorie 305 mond in der anukrcontik A 364 f. .Moriz von Craoti, s. Craon motl Schweiz, elsäss. 187 'Mucedorus', engl, drama A 317 f

414

HvMiuichen, bruclistück s. Wcllchro-

iiik 218 f imiiul;iit, elsäss. A 84 f. Ulf; von

l.iizein A 26 ü'; ripuar. A 220 f;

Schwab. A 29; von Windhill A 3()f;

Wizlaws V. Hügen A 347 fl'; vgl.

altsächsiscli, Sprachallas .Muri, s. !\Iaiiensc(iuenz Muskatbliit, 'iMühleniied' v. 1 : 158 jiiuspiUi, etymologie 186 fl" 'Muspilii', coilation, v. 71. 79:188 mulliUfe schvfeiz. elsäss. 187 mulich 187 mythologie A 79 f

n, prothetisch vor a A 329; vor con-

sonantengruppen A 29 -nj-ng, dial. grenze A 213 f na, -an, as. endung des acc. sg. masc.

adj. A 20 nachahmen mit dat. oder acc. A 7 nachtigall, sängeriti der nacht, engl.

A 230 « nahho ahd., nako as. A 136 namo as. ahd., flexion A 24 -nan, got. verba A 138 f naus skr., vavc, gr. A 124 ff nausl an. A 136 Nennius, Historia Britonum A 225 ff;

bedeutung für die Arthursage A 227 Nibelungenlied, brachst, d. hs. K 289 ff Nibelungenvers 321 niederländische etymologien A 231 ff niman bi got. A 158 f niuwe bei WvdVogelwelde 59, 17 : 5 ff noemen nl. A 236 nöi' an. A 126 -ns, pluralendung des subst. A 310 f

-o, as. adverbialendung A 25

o, dial. differenzen A 325 ff; westfäl.

diphlhongierung A 326 -0 an. <,-öue germ. A 138 o germ. < oi, 6u vor cons. A 116 f;

got. > au vor vocalen A 1 1 8 f ; ags.

> Mt in engl. dial. A 32; as. <:o;'

A 238; indisch. dialectenA108.320f oje, ablaut im schw. praet, A 119 o-decl. idg. germ. A 121 f. 127 o-diphtiionge A 134 ff '0 ich armer pi'eutigaji' 153 Oddo pirata A 88 ohrfeige, nl. ooroeeg A 236 dl, 6ti>aiy au germ. A 136 -6m, endung des st. adj. A 152 f ■on, as. endung des gen. plur. A 25,

des dat. sg. adj. A 19; ahd. des gen.

dat. schw. masc. A 24 -071-, -o/'-stämme, flexion A 125 onbcsuisd nl. A 236

Orcndel etymologie 123 'drendel', niürchenzüge 113 ff SOrcndulus in Schwaben 133 Ori/igouwe 133 ort f. 'dorf A 328 'Ortnit' beeinflusst durch '.\poilonius von Tyrus' 68 ff; entlehnungen aus der geschichte des kreuzzugs v. j. 1217 : 67 f ; aus der sonstigen Zeit- geschichte 1190—1231 : 70 ff Orvar-Üdds saga A 87 f -6s got. endung der 1 pers. du. A 139 Osantrich, etymologie 123; sage 124 f Otfrid und die liturgischen perikopen 209 ff; quellen und parallelen 336 f, zu buch 1 : 337—361; O.s vers 269. 308 ff Otteber, name eines mal. darstellers 222 Ottokar, Münchener bruchst. s. Reim- chroiiik 368 ff, coli. 369 ff, Stellung 370ff, spräche 373 ff, iierkunft 376 6u>6 idg. vor cons. A 124 Ougel 133

plt grenze A 324 f; jjj /jT A 328 Palermo, seidenfabricate 84 ff parataxe, asyndet. f. hypotaxe A 159 f participia got. für verba finita A 149 f Paschasius Radbertus, Mattliäuscom-

mentar 336 perfectum verdrängt das impf. A 6 perikopen der Karolingerzeit, ihre

hauptquellen 209 ff '■De pervinca', zauber aus London 18 phelle, arabische fabricate 81 ff plural des starken adj. nach bestimm- tem artikel bei Goethe A 309 praeposition d. adverbia verstärkt A 8 praeteritum, schw. urnord. 171 ff predigtlitteratur, s. Speculum priester A 236 prosa- und versbetonung im allitlera-

tionsvers A 338 prostituiren, sich A 278 prothese des h as. A 240 f; des n A 329 Puppenspiele von DonJuan A 49 ff

qiiellen, bei Goethe A311

;■> / dial. A 325; ausgefallen A 325

-;•«, -ro ahd. as. endung A 20 f

Ramler als corrector A 274

Ratio studiorum soc. les. A 401 f

rechtsschreibung, dän. A 200 f

rechtssymbolik, s. faden, handschuh

reduplicierte verba A 83 f

Bv Regensburg u 270 ergänzt: 157

reinichronik, österr., s. Ottokar

JFReimmann A 55

reimvers und allitterationsvers 304 ff

HEGISTER

115

rem, anakrcontiscli A 359

lelativsätze mit dem hauptinlialt des Satzes A 142 f

Renait, roman de, entstehuiig A 24S (l

ihythmus 226 f; halten des rli. 227. 231. 23Ü; pllysiolo{5^ bediiiguiigen 229; reduction des ih. 237

SlaRoche A 3r2f

futen, dialect. formen A 320 11

'Rüther', langverse 331 f

FRückert, 'Chidher' A 19S

rüst ags. A 32

s, dialect. lautwert A 103; iiilervoca- lisch > seh A 215 f

sah, got.aufd. folgendeweisend A 151

'Salman und iMorolf, langverse 331

sameti bei Goethe A 303

Saran, metrische theorie 306 f

satz, dcfinition A 4 f

sck, s/i, diai. in fleisch A 332

schalhijter nl. A 236

WScherer A 187 f

Schiller A 383 11'; seine ästiielik A 70 ff; theorie der tragödie A 89 ff; jujrend- philosophie A 385; metrik A 176 f; seine theaterbearbeilungen A 174 (f. 182; 'Don Carlos' A 391 If, 40S; 'Egmont'Al74f;'Fiesco'A390;'Hck- tors abschied' A387; 'Jungfrau von Orleans' A 204 f ; 'Kabale und liebe' A 390; 'Macbeth' A 175 f; 'Merk- würdiges beispiel weiblicher räche' A 388 ; 'Phaedra', A 180 ff; 'Räuber' A 389; 'Rheinische Thalia' A 387; 'Rosamund' A 178; slammbuclivers A 75; 'Turandot' A 177 ff; 'Über naive u. sentiment. dichlung' A 72; 'Wilhelm Teil' A 91 f

AWSchlegel, ästhet. Schriften A 73

FrSchlegel, ästhetik A 73 f

schmähten, anakreontisch A 354

schmok, Schmöker A 237

schnei', dial. formen A 102 ff

schoef nl. A 236

Schriftsprache, mhd. A 27 ; nhd. A 202 ; in Köln A 400 f; in Luzern A 26 ff

Schulordnungen in Braunschweig A 202 f; der Jesuiten A 401 ; sieben- bürg.-sächs. A 403

schwache conjugation, ablaut. A 119; dritter classe A128f; decliiialion as. A 13 ff

Schwan, Wandervogel am Niederrhein 276 ff; vogel der kelt. lichtgötler 280 ff; in germ. Vorstellung 286

Schwanrittersage 272 ff : heiniat und hauptzüge 274 f; nicderschlag eines germ. jalirzeitmylhus 276 ff, unter einfluss der Kelten 280 ff, bei den

Germanen desMederriieins 285, den IJatavern (Tius) 2S6

schwebende betonung 234

Schwellverse 238 ff

schwimmen, anakreontisch A 36((

segen aus Londoner hss. 14

Seidenstoffe, arabische, im 'Ortnit' Si ff

sei; synonym f. weh A 332 f

scu 'säte' as. A 243 f

Shakespeare, einfluss des deutschen tagelieds auf 'Romeo und Julie' iii5?A22S; verwantschaft mithin (■- nantA 231; 'Macbeth' A 168. 175 1; 'Passionale pilgrim' A 230 f

JShirley, 'Arcadia' A 318

sicilianische veriiältnisse um 1200 im 'Ortnit' 80 ff

Sidney, 'Arcadia' A 317 f

Siegfrid = Arminius? A 80 f

Sievers, metrische theorie 225 ff. 304 11

singschwan 277 f

skalden, spräche A 1 46 f, reime A 1 47 f

'Skeireins', sprachliches A 148 ff; ein- zelne stellen A 150—162

sluz, sliHen A 136 f

smoel nl. A 237

smoken nl. A 237

sn I sehn, anlaiilgrenze A 102 f

snaar 'schnür' nl. A 237

'Speculuni ecciesiae' deutsch, Mönche- ner fragmente 206 ff

spielmannsdichlung, ihre ([uclleii, s. 'Ortnit', 'VVolfdietrich'

Spinnvers 154

Sprachatlas A 95 ff. 207 ff. 320 ff

stains got. =: Petrus? A 161

'PvSlaufenberg' Überlieferung und ein- zelne stellen 105 ff

still, anakreontisch A 359

stöjan got., staunen ahd. A 118 ff

GStolle, quelle Wieiands A 55 ff

subject, aus obliquem casus erRänzl A 5; vor dem verb im satzi- A l(i f

subslantivllexion, schwache, bei (joe- the A 310

Superbia 136

Süfskind, s. Trimberg

syritax, d. got. conjunctionen A Moll ; des fjot. zusammengesetzten salzes A 140 11; Miklosichs System A 2

t, dial. zwischen vocalen A 221. Ü24. 321 f; wechselt mit d \ 322 f; </.v*, lautverschiebungsgrenzr .\ 96. 21(t. 329; t> ck ripuar. A 220 f. 224

Tacitus, Germania cap. 2S : 22. A 2(»7

tagelied, cinwürkung auf Shake- speare? A 227 ff

tnu fries. A 138

taujan got., Lrja an. A 117 II

416

HEGISTEit

teil liriiik, iiietrisclie llii-orie 305 Tii'tk, Slialuspearcsluilioii A 319;

iilinselzurif? (I. 'Miicedorus' A 317 fr licrmiiichen und -sage A 248 f BvTiersbeij;, günner des KvWüiz-

burg 27 ir liräz von Palermo 84 fl' tragisch, begrid" A 389 SvTrinibrr!;, localtradilion 201 IT l'niie, inschriften des steins Itil IT Li\ Türlieini, Hennewart: Strafsburger

Iprutlistücke 58 11 lIvdTnrlin, 'Krone': litei 270; IVlüllen-

hofls liandexeniplar 2(ifl f; einzelne

stellen 250—269 UvdTürlin, 'Wiliehalni', bearbeitet bei

HvMünchen 219 h'au an. A 138 tw j zw, dial. grenze A 100 typen desOtfridverses SlOfT; typen u.

tactmessg. 320; vgl. allilterationsv. Tijr an. A 128

u im gerni. wortanlaul 30 11'; > o

as. in dritter silbe A 21 üfau dial. grenze A 210.214.215 M / /, entrundnngsgrenze A 21611' überlange verse 325 fr; vgl. langverse,

schweilverse '■Vbermuut diu alte M^i überschüssige silbe in versfüfsen 232.

236. 240 I.Uhland, briefe A92fr Ulfilas, syntakl. Selbständigkeit A 144 nnilaiit, engl, vor sh A 33; as. von

wgorni. m > e k 238 f; von ü

unterbleibt A 217 -im, endung des dat. pl. der st. adj.,

as. A 22, ahd. A 23 Ungelehrle, der A 345 ilt, ütt 'aus' A 211

V, w in got. Orthographie A 1 17

Variation in d. allilterationspoesie 228

Varnnm, rnnenstein 184 ff

vcinzen nl. A 237

verbalabstracta auf -am/, -cini A 133 f

verbum, fehltimsatz A4 ; Stellung zum subj. A 8 f , im salze A 10 fl'

Veronica, s. Zerstörung Jerusalems

rhif^er mlid. 139 f

Vila Garoli .Magni A 251

vocalischer anlaut im germ. 30 ff

vocativaccent A 123

WvdVogelweide u. die höfische ge- sellschafl 8 ff; alte u. neue zeit 5 ff einzelueslellen : 32, Iff : 8 ; 43, 9 ff : 1 59, 17:5; 67, 12 ff: 10 ; 67, 32 ff: 10 91, Iff: 9; 185.186:9

vöikertafci, fränk. A 226

Voltaire, 'Les deux siecles", einfluss auf Goethe A 307

10 in der got. Orthographie A 117

Wackenroder A 199

waldan as. nom. acc. sg. A 242

Walthersage 124 fr

wanga as. ntr. A 24

wdpanbrran, -and as. A 242

warm f. 'heüs' A 96

waxchhaß A 351 f

Wechsel, grammat. as. A 242 f

tüvh, dial. formen A 332

'Weifsnicht', mänhenlypus 131

wvoxun ags. A 84

werden potential A 5 f

Wernher der gartemtre, 'Meier llelm- brech f A258 ff; heimat A 258 fl. 26 If ; Berliner hs. A 263 ff; v. 364 :A 261

Wessobrunner gebet A 115

wi^ c. acc, as. A 14

CMWieland, seine paedagog. täligkeit A 52 ff; akademiepiäne A 53 f. 62; pfalzgrafendiplom A62 f; 'Abderiten' A 63; 'Geschichte der gelehrtheil' A 53—66; 'Oberon* A 395. 408; 'Teutscher Alerkur' A64; 'Versuch eines beweises' usw. A 64.

'Wigalois', jüdisch - deutsche bear- beitung 111; travestierende prosa v.J. 1786: Ulf

wil, elsass. 'während' A 85

loitadahalaihan run. 165 ff

.IWitzenhausen 111

Wizlaw III von Rügen A 343 ff; spräche A 346 ff

'Wolfdietrich' enthält antike sagen- elementc 88 ff, in romanischer Ver- mittlung 91 f. 94

worden in nhd. passivfornien A 5

Wortstellung A 8 If

wundsegen aus London 14

wurmsegen aus London 15

KvWürzburg, Otte:entstehungsz. 27 fr

Ymi-legende A 115

z an. = Ä A 148

zahnweh, segen gegen z. ausLondon 16

Zauber, s. segen

zehv mhd. 138 ff

Zerstörung Jerusalems, bruchsl. eines

mhd. dramas 222 Zsvq A 125 ff. 128 zwei, dial. formen A 100 ff zweihebige verse der Wiener Genesis

316 f; beim Kürnberger 318 f; im

Nibelungenlied 321 zwo ahd. A 138

Druck von J. B. Hirschfeld iii Leipzig.

oL-1 Zeltschrift für deutsches

3003 Z5

Bd. 38

Altertum und dcrütsci.e Literatur

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