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ZEITSCHRIFT

FÜR

DEUTSCHE PHILOLOGIE

BEGRÜNDET von JULIUS ZACHER

HERAUSGEGEBEN

VON

HUGO GERING

ZWEIUNDZWANZIGSTER BAND

HALLE A. S.

VERLAG DER BUCHHANDLIJNO DES WAISENHAUSES.

18 90.

•S).

Inhalt.

Seite Die bedeutuugen und der syntaktische gebrauch der vorba hönnen und mögen

im altdeutschen. Ein beitrag zur deutschen lexikograi>hio von W. Kalil . . 1

Über Ziglers Asiatische Banise. Von G. Müller- Frauen stein . . . . 00. 1G8

Eine quelle des Siinplicissimus. Von R. v. Payer 9!^

Zum Tellenschuss. Von H. v. Wlislocki 99

Untersuchungen zur Snorra Edda. I. Der sogenante zweite grammatische trak-

tat. Von E. Mogk 129

Die alaisiagen Bede und Fimmilone. Von H. Jaekel 257

Zu Notkers Rhetorik. Von P. Piper 277

Über den bildungsgang der gral- und Parzivaldichtung in Frankreich und Deutsch- land. Von San Marte 287. 427

Ein quodlibet. Von K. Euling 312

Eine lügendichtung. Von demselben 317

Zum Passional.

1. Dresdner bruchstücke aus Pass. K. Von A. Neumann 321

2. Clevisches bi-uchstück. Von F. Schroeder 324

Ein unbekantes oberdeutsches glossar zu Luthers bibelübersetzung. Von P. P i e t s c h 325 Um Städte werben und verwantes in der deutschen dichtung des 16. und 17. jhs,

nebst parallelen aus dem 18. und 19. I. Von L. Fränkel 330

Zwei vereversetzungen im Beowulf. Von E. Joseph 385

Liederhandschriften des 16. und 17. jhs. Das liederbuch der herzogin Amalia

von Cleve. Von J. Bolte 397

Vermischtes.

Gudbraudur Vigfusson. Nekrolog von K. Maurer 213

Zu der frage nach der entstehungszeit des Lutherliedes. Von G. Ellin ger . 252

Abweihen. Von H. Morsch 253

Des mädchens klage. Von G. Ellin ger 255

Eine lausavisa des Hromundj- halti. Von H. Gering 383

Zu ztschr. XXn, 93. Von demselben 384

Bericht über die Verhandlungen der deutsch - romanischen section der XXXX.

versamlung deutscher philologen und Schulmänner in GörUtz. Von Th. Siebs 455

Berichtigung zu ztschr. XXII, 243. 244. Von A. Leitzmann 501

Zu ztschr. XXII, 255. Von G. Ellin ger 502

Nachrichten . . 128. 250. 384. 502.

Neue erscheinungen 503

An die mitarbeiter und leser der Zeitschrift. Von H. Gering 504

rv INHALT

Seite Litteratur.

Altdeutsche predigten, herausg. von A. Schönbacli 11 ; angez. von F. Bech . . 115 Karoliugische diohtungeu. untoi-sucht von L. Traube; angez. von H. Althof . 121 Diedrich von dem Werder von 0. AVitkowski; angez. von F. B obertag . . 125

Die Edda, deutsch von "\V. Jordan; angez. von IT. rrcring 128

Toetik von AV. Scherer ; Die einbildungskraft des dichters von W. Dilthey ; Hand- buch der poetik von II. Baunigaii:; Poetik, rhetorik und Stilistik von AV.AVacker- nagel; Poesie und prosa, ilire aiien und formen von .1. Methner; angez. von

G. Ellinger 129

Joh. El. Schlegel von E. AVolff; angez. von AV. Creizenach 230

Gesdiichte des Physiologus von F. Lauclieii; angez. von E. Voigt .... 23G König Tirol, Winsbeke und Winsbekin, herausg. von A. Leitzmann; angez. von

K. Kinzel 242

La littemture fran^-aise au moyen age par G. Paris; angez. von H. Suchier . 244 Die sage von Tristan und Isolde von "W. Golther; angez. von P. Kerckhoff . 245 Die natur. ihre auffassung und poetische Verwendung in der altgerm. und mlid.

epik von 0. Lüning; angez. von K. Weinhold 246

"Wahrheit und dichtung in Ulrich von Lichtensteins frauendienst von R.Becker;

angez. von demselben 247

Das erste Stadium des i-umlauts im germanischen von E. v. Borries; angez.

von 0. Bremer 248

Edda Snorra Sturlusonai'. Tom. III. Sumptibus legati Arnamagn.; angez. von

E. Mogk 304

Die oster- imd passionsspiele bis zum IC. jahrh. von L. Wirth; angez. von

H. Holstein 378

Fr. Nicolais Kleyner feiner aluiauach 1777 und 1778, herausg. von G. Ellinger;

angez. von J. Bolte 381

Grundriss der germanischen philologie, herausgegeben von II. Paul; angez. von

E. Martin 4G2

Orendel, herausg. von A. E. Berger; angez. von F. Vogt 4G8

Untersuchungen über den satzbau Luthers von H. Wunderlich; angez. von

0. Erdmann 491

Goethe und die griechischen bühnendichter von H. Morsch; angez. von G. Kett-

ner 493

Indogermanische präsensbildung im gemianischen von G. Burghauser; angez. von

0. Bremer 494

Fr. Gottl. Klopstocks öden, herausg. von F. Mimcker und J. Pawel; angez. von

0. Erdmann 497

Die bestrebungen der sprachgeselschaften des 17. jhs füi' reinigimg der deut- schen Sprache von H. Schultz; angez. von G. Witkowski . 499

Register von E. Matthias 504

DIE BEDEUTUNGEN UND DER SYNTAKTISCHE GEBRAUCH DER VERBA KÖNNEN ^^ UND MÖGEN '^

IM ALTDEUTSCHEN.

EIN BEITR^IG ZUR DEUTSCHEN LEXICOGRAPHIE.

Die voi'liegeiu\e arbeit bezweckt eine eingehende, auf benutzung eines ausreichenden stellenmaterials gestüzte nntersuchnng über die bedeutungen und den syntaktischen gebrauch von können und mögen, wie diese sich im ablauf der spracligeschichtlichen entwicklung von Ul- filas bis zum ausgang der mlid. periode liin, etwa bis 1350, darstellen.

Mögen und können werden uns anfangs als Zeitwörter mit scharf ausgeprägter, sinlich fassbarer bedeutung entgegentreten, als sogenante begrifsverba, jedes mit gesonderter beschränkung auf ein bedeutungs- gebiet: kihnien bei Ulfilas = hcioia}.icci ^ mögen = loyko, öivuLiai u. dgl. Alnüihlich beginnen die grenzlinien zwischen können nnd mögen zu yerschwimmen und in einander überzulaufen; mögen gibt iKjch früher als können seine prägnante bedeutung auf; bald dienen beide verba dem ausdruck blosser „möglichkeit." Mit dieser A^erblas- sung der bedeutung geht die Verwitterung der verbalen kraft von kön- nen und mögen band in band. Algemach sinken können und mögen zur geltung von hülfsverben herab, die nach Jollys Avorten (Gesch. des infinitivs im idg. s. 175) nur noch als fulcrum des damit verbundenen infinitivs erscheinen; „das hülfsverbum dient dem intinitiv so zu sagen als exponent, indem es tempus und genus bezeichnet, der infinitiv dagegen, der nur als Verbalsubstantiv in unbcstimter casueller bedeu- tung gefühlt wird, den reinen verbalbegriff ausdrückt."

Diesen process almählicher entwicklung des begrifsverbums zum hülfsverbum zu beobachten, soll unsere aufgäbe sein.

Im gegensatz zu den vorarbeiten, die wir weiter unten verzeicli- nen werden, denen Avii- reiche belehrung und manchen brauchbaren gesichtspunkt verdanken, haben wir unser liauptaugenmerk daraufgerich- tet, die semasiologischen und syntaktischen tatsachen nicht nur einfach zu verzeichnen, sondern auch den gründen nachzugehen, welchen jene

ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 1

KAHL

tatsaclien ihre entsteliuiiir \n\(\ ihre innere berechtigung verdanken: wir werden dieselben zum teil auf dem wege spraehpsyeliologischer betrach- tuuir auffinden können.

Zudem Avaren wir bestrebt, nach möglichkeit Beneckes forderuug zu erfüllen: „Die aufzählung aller fälle ist es, aus der sich gesetze sowohl als ausnahmen ergeben" (vorrede zum Iweinwb.); nicht in dem sinne zwar, dass wir das ganze überreiche Stellenmaterial auch mitteil- ten: sondern so, dass wir unsere resultate allerdings aus einer durch- foi-schuug und prüfung niöglichst aller falle hervorgehen liessen, in den belegstelleu uns aber mit einer auswahl des wichtigsten und bezeich- nendsten begnügten.

So haben wir die got, altsächs. und ahd. denkmäler vol ständig für die zwecke unserer arbeit, verwertet; von den mhd. dcnkmälern sind folgende von uns durchgearbeitet und für unsere Untersuchungen berücksichtigt worden. Aus dem XL Jahrhundert:

Müllenhoff-Scherer Denkmäler usw.^ 1867, z. t; mit Seh er er

betrachte ich das jähr 1050 als grenze zwischen ahd. und mhd.

(vgl. Scherer Q.-F. XII, 1 10, Lttgsch. s. 780, Wackernagel

Littgsch. 12, s. 38). Willirams Paraphrase des hohen liedes ed. Seemüller, Q.-F.

xxvm.

Genesis und Exodus, citiert nach selten und zeilen der ausgäbe

von Diemer 1862. Annolied ed. Bezzenberger 1848.

Aus dem XII. Jahrhundert: Willirams Hohes lied erklärt von Rilindis und Herr ad ed.

J. Haupt 1864 (Hpts. HL). König Roth er ed. v. Bahder 1885. Heinrich v. Melk (H. v. M. Pr. = priesterleben; Er. = erinnerung)

ed. Heinzel 1867. Des Minnesangs Frühling (MF.) edd. Lachmann -Haupt ^ 1882. Heinr. v. Yeldeckes Eneide (En.) ed. 0. Behaghel 1882. (Seine

lieder s. MF.).

Aus dem XIII. Jahrhundert:

Hartmann v. Aues epen: wegen der citate (A. H. = armer Heinrich ; Greg. = Gregorius; Er = Erec; Iw. = Iwein) verweise ich auf die noch zu nennende arbeit von v. Monsterberg Ztschr. f. d. ph. XVIII.

Wolfram v. Eschenbach ed. K. Laclnnann'^ 1872 (1. = lieder; Parz. = Parzival; Tit. = Titurel; AVilh. = Willehalm).

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 3

Gotfried v. Strassburg Tristan und Isolde (G. Trist), ed. Mass-

manu 1843. Lobgesang (= Globg.) cd. Haupt Z. f. d. a. IV, 513;

zu G. Trist, die fortsetzung von TJlrieli v. Türheini (ülr. Trist.) in

Massnianns ausg. Der Nibeliinge Not (Nib) und Klage (Kl) ed. Lachmann ^ 1878

(mit besonderer beriicksichtigung der hs. Varianten). Gudrun (Ciudr.) ed. Martin 1872. Walther v. d. Yogelweide (AYalth.) ed. Lachmann '^ 1853, mit liin-

zuziehung der ausgäbe von Wilma uns 1882. Fridanks Bescheidenheit (Frid) ed. Bezzenberger 1872. Sachsenspiegel (Sachssp.) ed. Homeyer 1861. Berthold v.Kegensburg (Berth.j: als probe die bei Wackernagcl

Altd. Isb. s. 878 abgedruckte predigt über Mtth. 5, 1. Konrad v. Würzburg Alexius (AI.) ed. Haupt Z. f. d. a. III, 534.

Klage der kunst (Kl.) ed. Joseph QF. LIV. Engelhard (Eng.) ed. Haupt 1844.

Goldene schmiede (Gold, schm.) ed. W. Grimm 1840.

Der AVeinschwelg (WeinscliAv.) ed. Yernaleken. Germ. III, 210.

Aus dem XIY. Jahrhundert:

Boners Edelstein (Bon.) ed. Pfeiffer 1844. Nico laus V. Jeroschin (Jer.) ed. Pfeiffer 1854.

Ulfilas eitlere ich nach der ausgäbe von Bernhardt 1875; He- iland nach C bei Sievers 1878; die übrigen alts. denkmäler nach Heyne Kl. altnd. denkmäler 1867; die Sanct-Galler Benedictiner- regel (B-K.) nach Hattemer I, 28 fg.; Isidors Hispal. de nativ. dom. (Is.) ed. Holtzmann 1836. Murbacher hymnen (Murb. h.) ed. Sievers 1874.

Tatian ed. Sievers 1872; Otfrid ed. Kelle 1856; Notker ed. Pi- per 1882/3 [Boeth. = Boethius; Mcp. = Mart. Capella; cat. = categorien; de interpr. = de interpretatione ; ps. = psalmen (unter zuhiüfename von K. Heinz el und W. Seh er er Notkers psalmen nach der Wiener hs. 1876)]. Die ahd. glossen (Ahd. gl.) ed. Steinmeyer -Sievers 1879/82.

Es erübrigt noch die benuzte litteratur zu verzeichnen:

Benecke Wörterbuch zu Hartmanns Iwein 1833.

Grimm Gesch. d. d. spr.^ 625. 627; Gramm.IY, 92; 138; 171.

Mittelhochdeutsches Wörterbuch I, 805b; II, 9b.

Deutsches Wörterbuch Y (Hildebrand), YI (Heyne).

K. Lucae Bedeutuns: nnd gebrauch der verba auxiliaria im mhd. 1868.

1*

KAHL

Horak Über die verba praeterito-praesentia im mhd. 1876 (eine

höchst uDgeiüig-ende arbeit). V. Moiisterberg-Müiickenau Der infinitiv nach wellen und den

verba praeterito-praesentia in den epen Hartnianns v. Aue: Z. f.

d. ph. XVIII, 1 ^^.\ als erg'änzung zu desselben Verfassers: „Der

infinitiv in den epen Hartmanns v. Aue" (in Weinholds German.

abh. V): eine arbeit, die volles lob verdient und von mir ausgie-

bis: benuzt worden ist. A. Köhler Der synt gebrauch des inf. im got. : Germ. XII. Steig Über den gebrauch des inf. im altnd. Z. f. d. ph. XYI. Pratje Syntax des Heliand: Jahrb. d. Vereins f. niederd. sprachfor- sch mig XI, 1885. M. Denecke Der gebrauch des inf. bei den ahd. Übersetzern des

Till, uud IX. jahrh. 1886. 0. Erdmann Untersuchungen über die syntax der spräche Otfrids

187-4/6. M. Erbe Über die conditioualsätze bei Wolfram: Paul-Braune Y,

1 50. L. Bock Über einige fälle des conjunctivs im mhd. QF. XXYIL Rötteken Der zusammengesezte satz bei Berthold v. Regensburg.

QF. LIIL Jelly Geschichte des inf. im idg. 1873. 0. Erdmann Grundzüge der deutschen sjTitax I, 1886.

§ 1. Kihineu im gotiselieii.

Zwei wege stehen uns offen, wenn wir uns der bedeutung des got. hunnan vergewissern wollen. Der eine benüzt den glücklichen umstand, dass die gotischen Sprachdenkmäler der Übersetzung eines griechischen Originals angehören; der andere sucht hunnan im kreise der urverwanten sprachen auf und stelt mit deren hülfe die bedeutung des got. kann fest.

Durch den vergleich des griechischen bibeltextes mit der gotischen Übertragung können wir sonder mühe ermitteln, in welchem vorstel- lung.skreise das got. kunnan heimisch gewesen ist: wir finden, dass Ulfilas kunnan durchweg griech. yu'toa/.eiv, yvtoQiLeiv, eld/'rca, l7Ciaia- o^ui entsprechen lässt (belege vgl. unten); dies führt uns unmittelbar in die Sphäre intellectueller tätigkeit, und wir sind berechtigt für kann die bedeutung „ich erkenne, ich verstehe, weiss u. dgl." in ansprucli zu nehmen. Yon einem hinüber.spielen nach mayan kann für das got. noch dui'chaus keine rede sein, mayan dient dem ausdrucke des

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD.

physischen Vermögens und der objectiven niöglichkeit, während für kimnan das bedeutiingsgebiet des geistigen befiihigtseins vorbehalten bleibt.

Nur ein einziges mal wird i/töct durch mag widergegeben: T. Ti- moth. 3, 5: jahai Jvas scinanima garda fcufragaggan ni tu (ig, }vaiva üikldesjo)i gifl>>> gaharol) = ei de tlq tov lölov oI/aov TVQOOrfji'ccL od/, olöer. Doch gerade hier, so glaube ich, ist )ii(ig vonUlfilas mit beson- derem bedacht gewählt worden: nach altgermanischer anschauung rei- chen kentnis und wissen nicht aus, einem hauswesen vorzustellen: der pater familias muss die kraft, muss die macht haben, selbst mit dem Schwerte in der hand, sein haus zu schützen und zu verteidigen. Die- ser einzige fall, avo mag oiöa entspricht, darf also nicht als negative Instanz gegen das, Avas wir oben ermittelten, geltend gemacht werden.

Das ziel, dem uns diese betrachtung entgegengeführt hat, können wir auch noch auf einem andern wege erreichen. Die Sprachverglei- chung lehrt uns das got. kunnan als glied einer familie urverwanter Wörter kennen, denen die beziehung auf wissen, verstehen u. dgl. gemeinsam ist (vgl. die belege bei Curtius Grundzüge der griech. etym.^ 178, dortselbst auch die verweise auf Benfey, Pott usw.). Zu got. kann gehört u. a.: skrt. (piä, gänäni = kennen, griech. y/rw, lat. g)to-sco, no-tus; ahd. knäan = cognosco usw. Die Sprachver- gleichung bestätigt also durchaus das resultat, das wir oben durch den direkten schluss von der gotischen Übersetzung auf das griechische ori- ginal fanden.

AVir dürfen somit an die spitze der weiteren Untersuchung den satz stellen, dass in dem ältesten der uns bekanten dialekte der ger- manischen spräche, im got., dem verbum können die bedeutung des erkennens, des wissens, des geistigen Vermögens zusteht.

Wenn wir die reihe der syntaktischen fügungen überblicken, in denen got. kann auftritt, so muss uns das fehlen jeglichen Infinitivs nach kann, der uns vom mhd. her so geläufig ist, auffallen. Schon Grimm (Gr. lY, 92) ist auf diese eigentümliche tatsache aufmerksam gewesen; er hat sie mit der bemerkung verzeichnet, dass einem inf. nach kamt nichts im wege stehe, da das ahd., alts., ags. und nord. diese construction kennen; Grimm hätte noch hinzufügen können, dass der inf. nach den synonymen icait, lais, man belegt ist (Köhler Germ. XII, -129).

Wir sind nun in der läge den grund anzugeben, der aller Wahr- scheinlichkeit nach das ausbleiben der infinitivconstruction nach kann verschuldet hat. Es ist eine eigen tümlichkeit der neutestam entlichen

6 KAHL

graecitiit, mu'li dvn verbeii des crkennons und wissens den inf. oder acc. c. inf. zu vermeiden, dagegen die ankniipfimg eines iiebensatzes mit lin und I'K zu bevorzugen. Nur einmal wird im Neuen testament von ynojiT/.eti' ein intinitiv abliängig gemacht: Hebr. 10, 34: leider fehlt liier das got.; nach yriooiSeii' und (/cioiai^iai steht nie ein inf. (vgl. AVahl Clav. nov. test. phil. p. 87a, 195b; Grimm Lex. graeco-lat. in libros nnvi tost.- s. 81b, U)9a.) eiöi-rca e. aee. c. inf. findet sich zweimal: 1. Tetr. 5, 9, avo das got. fehlt; Luc. 4, 41, wo das got. über- sezt: insscdtai i<flbaN Xri.'<f/( i)ta ffi;<an = ydeioav luv Xq. avibv elvai.

Der inf. nach oi(ic( tritt uns in 7 stellen entgegen, nur 3 gestat- ten den vergleich mit dem got: riiil. 4, 12 wird oida durch lais c.

inf. übei*sezt; LTlies. 4, 4 ist eidh'ca y.Täodat = cl iciti (ja-

staldan : I. Timotli. 3, 5 oida = mof/ wurde bereits oben besprochen. Sonst Avird im N. t. stets nach den verbis cognoscendi der inhalt der erkentnis und des Avissens in einem nachsatz gegeben, der durch ihg oder on mit dem liauptsatze verknüpft ist. Nach dem vorliegenden tiitbestande haben Avir also kein recht dazu, das fehlen des intinitivs nach kinutati auf rechnung einer principiellen abneigungder got. spräche gegen diese syntaktische ausdrucksform zu setzen: nicht das got., son- dern das griech. original trägt die schuld daran, dass innerhalb der got. Sprachreste der intinitiv nach kann nicht nachweisbar ist.

Wir können uns nunmehr der aufzählung der verschiedenen syn- taktischen constructionen zuwenden, in denen kann auftritt.

L kann absolut gebraucht.

L Kor. 13, 9 sinnan kunnuni jah siiman praufetjcun. Matth. 27, 65 suasice kunnup (=- vj^g ol'Jcrrt) ; IL Timoth. 1, 18, von Schulze (Got. Avb. 1847 s. 185) hierher gestelt, gehört unter 11I^

IL kann mit einem objektsaccusativ.

Matth. 7, 23 patci ni Ivanliun knnjja (lyvor) izicis; Marc. 4, 11 kunnan riina l)ludan(jar(Jjoi^ (ynorai to fiuGi/joiov)] Marc. 4, 13 pos fjajfikons kanneip {läg ycaofxßolag yrojaeod-e)] Job. 13, 38 unte pii inik afaikis kunnan Jyrim sinjjani {nug ou dicaQvrjarj (,ie TQtg^ vgl. hierzu Loebe zu I. Cor. 9, 25); Skeir. Ya s. 637: insok kunnaiids pirx ana- irairjjane airxein. Ephes. 3, 19; Marc. 1, 24 usw.

Doppelter accusativ findet sich: Joh. 17, 3 ei kiinneina (yLvojozov- OLv) puk ainana sunjana yujj; Marc. 6, 20 kunnands ina tvair garaih- tana jah iveihana.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 7

III. kamt mit einem abliängigen iiebeusatze.

a) Indirekter fra<^esatz.

Phil. 1, 22 jah h:ii]utr iniljuu , in kdun (ov yvio()iU'))\ Lue. 10, 22 Ja/f II i Jrashini La im, /ins ist siüiits; Mai'e. 1, 24 hruin [ndi, has Jin is = olöa ae i/g ti. Marc. 11, 68 iii iruil nl kann, Iva Jnt qijiis {od/, oiöa ord' Lcioiai^iai il ob Xtyeig).

b) Mit cl oder palci eingeleiteter naehsatz.

Klinghardt hat Zs. f. d. ph. VIII, 173. 176 die regel anfgestelt, dass ,,der gebraueh von ci Avesentlich an optativische, der von Jiafci an indicativische nebensätze geknüpft ist, weil pafri gegen ei eine stärkere bindung enthält.'' IL Cor. 13, 5 Jjau niu kunitup Ixtris, palcl I. Xr. in ixivis ist; Joh. 15, 18 lunneip (yivcooy.eie)^ ei 7nik fniman ixivis fijaida; Marc. 13, 28 kiuinup, patei 7ielva ist asans: IL Tim. 3, 1 kiinneis, ei ... alyagijand; Joh. 17, 23 kunnei so inanascjjs, patel pu mik insancUdcs usf.

Passive formen von kunnan finden sich im got. nicht; wie gewöhn- lich nimt Ultilas seine Zuflucht zur Umschreibung: so Phil. 4, 5; Eph. 3, 5; auch im griechischen original ist das passiv von yivvjoy.vj sehr selten.

Die behauptung, welche wir an den anfang dieses abschnits stei- fen, und welche, wie wir hoä'en, durch die beigebrachten stellen bestä- tigt worden ist: dass nämlich dem got. ka7in die logisch kräftige bedeu- tung: ich erkenne, ich weiss u. dgl. zukomt, erhält noch eine stütze durch den umstand, dass die got. spräche die fähigkeit besass, von kunnan composita zu bilden. Denn auch darin zeigt es sich, dass das got. kann noch nicht zum hülfszeitwort abgeschwächt ist, sondern dass es seine volle kraft als begrifsverbum in ursprünglicher stärke bewahrt hat.

Ein schwaches verbum kunnan ist bei Ulfilas nicht mehr beleg- bar; denn L Cor. 1, 21 haben Gabelentz-Loebe ohne grund das hand- schriftliche ufkunnaida^ (= tyvvj) durch kunnaida ersezt. Die compo- sita von kunnan erscheinen bald in der starken, bald in der schwa- chen form.

anakunnan = draytvcüozeiv, z. b. IL Cor. 1, 13; frakimnan = dO^ersir, '/.caaffQorelr, vgl. Grimm Gr. lY, 689; af kunnan = ycaotxeiv Col. 4, 1; (jakunnan stark = vTtoidööEöd^ca I. Cor. 15, 28; schwach = yirojozeiv] ufkunnan (praet. iifkunjm) =^ hciyivdja/.eLv.

Auf diese composita, Avelche uns die bedeutung des einfachen kunnan in gewissen nüancen zeigen, näher einzugehen, liegt für uns

8 KAHL

keine veranlassuiig- vor; wegen des stellenniatcrials sei auf Schulze, Got. Avb. s. 186 fü:. verwiesen.

Aus den betracbtungen, die Avir bisher gepflogen haben , dürfte sich ergeben haben, dass das got. hcum jene durchsichtige, bcgriflich genau fassbare bedeutung noch durcliaus bewalirt hat, auf av eiche uns der vergleicli des gotischen mit dem griechischen original sowie das ver- liältnis zu den verwanten Wörtern der übi'igen idg. sprachen hinwies: erst lange nach der zeit, in welcher die got. Sprachdenkmäler entstan- den, hat können einbusse an seiner verbalen kraft erlitten, bis es, je weiter wir uns vom got. entfernen, melir und mehr zu einem liiilfs- zeitwort herabgesunken ist, das gleichsam zu seiner Unterstützung eines nachgesezten Infinitivs bedarf, dem es eine eigentümliche modale fär- bung verleiht, ohne selbst eine merkliche bedeutung zu besitzen; vor dem Xn. Jahrhundert jedoch liat dieser verwitterungsprozess nicht be- gonnen.

§ 2. Köinieii im altsäclisiselieii.

Der gebrauch des Infinitivs im altnd. hat durch Steig (Zs. f. d. pli. XVI) eine sorgföltige behandluug erfahren, welche sich auch auf die Syntax von can im Heliand erstreckt; die übrigen altnd. denkmäler bieten kein beispiel von can. Steig bemerkt ]. 1. s. 330: „Xur ungern fülire ich unter den auxiliarien das verbum can auf, da es, wenigstens im Heliand, als solches nicht betrachtet werden darf. Es erscheint nämlich überwiegend als transitives verb (= novi) mit objektsaccu- sativ oder mit dem Infinitiv. In allen fällen ist die bedeutung von can eine viel kräftigere, als man sie bei einem blossen auxiliar erwar- tet und noch weit entfernt von der flachheit des nhd. können."

Für die bedeutung von can ist besonders charakteristisch die stellOj^Hel. 724 nu ik is aldar Irui, tiuct is imintro gilaht, wo kau in direkter parallele zu uact steht; auf dieselbe bedeutung führen uns durchweg die anwendungen von ca)t im Heliand.

L Der absolute gebrauch von can ist aus dem Heliand nicht zu belegen.

IL can mit dem objektsaccusativ (vgl. Pratje Der accusativ im Heliand s. 39) findet sich an folgenden stellen: 208 thie so filo Con- sta uutsaro uuordo; 1032 Me consta is muodselon; 2514 ilc can the- saro Uudio hufji; ferner 3101 M. 3544. 4151.

III. Für can mit einem Infinitiv bietet der Heliand 4 bei- spiele: 225 consta filo mahUan; 1669 ni cunnun eni(j filat iminnan; 2650 spei fjodes seggian cunsti; 2530 ni can te (jithenkeanne the- gan an is muode.

KÖNiNEN UND MÖGEN IM ALTD. 9

Bei 225 und 2650 le^t uns der Inhalt des von can abhiingig- gemachten Infinitivs (inalikaii und ^c(/ijian) die Übersetzung „ich weiss", „ich verstehe" unmittelbar nahe, die auch für 1669 passt: „sie verste- hen nicht zu gewinnen."

2530 endlich bietet uns das erste beispiel einer construktion, die uns im weiteren verlaufe dieser Untersuchungen noch öfters begegnen wird: ein Substantiv, hier ein substantivierter infinitiv, wird durch eine praeposition [fc) mit can verknüpft. Die erklärer wollen in unserem falle meist eine ellipse annehmen (vgl. Grimm, Gr. IV, 11). Ich folge jedoch Steig, der 1. 1. s. 490 dieses can sehr glücklich mit (jimiald hcbbian te vergleicht; er sagt: „Schon oben liabe ich ausgeführt, welche Schwierigkeiten das verbum can demjenigen bereitet, welcher es unter die auxiliarien einrechnen will; auch unser beispiel zeigt eine leben- dige, kräftige, nicht auxiliare bedeutung und steht einem ausdrucke wie gmiiald hehbian te ziemlich nahe" (vgl. Hei. 2162. 2327. 4518).

Das alts. besizt noch eine composition von cunnan : hiciuinan; es steht jedesmal mit dem objectsaccusativ und entfernt sich in der bedeutung vom einfachen cunnan nicht. Es tritt uns entgegen: 1901. 4961. 5320. 5816; 3101 hat C: hicanst nienniscan sidon, M canst.

Somit rät uns alles dazu, für das alts. so gut wie für das got die anfange jener bedeutungsabschwächung abzulehnen, welche im laufe der zeit können zum verbum auxiliare, zum kraftlosen hülfszeitwort hat herabsinken lassen.

§ 3. Können im altlioeiideutsehen.

Bevor wir zur darstell ung der bedeutung und der syntax von kan im ahd. übergehen, müssen wir des umstandes gedenken, dass kan in den früh -ahd. denkmälern in geradezu auffallender weise zurücktritt. Otfrid liat nur 5 beispiele für kan; bei Tatian und Isidor, in den fragm. theot, der B.-R., den Murb. hymnen wird man vergebens nach einer form von können suchen {chunnemes: Isid. XVIIIb, 10 und chunnct: fragm. theot. XVII, 12 gehören zu dem schwachen verbum kunnea: vgl. Ahd. gl. I, 128, 13; Xotker, Mcp. 795^'; Graff IV, 411; Mhd. wb. I, 810''; Bezzenb erger zu Frid. 109, 2). Es ist uns möglich, mehrere stellen in Tatians evangelienharmonie mit den entsprechenden werten der got. bibel zu vergleichen und hierbei ergibt sich, dass da, wo das got. formen von kiinnan hat, Tatian mdxrMu^ fnrstantan und ähnliches sezt: z. b. Mtth. 7, 23 patei ni hanhiui kunpa ixuis = Tat. 42, 3 bitliiu inianta ih nio in altere iuidh iiuesta; Mtth. 26, 72 kaiin = Tat. 188, 3 uueiz; Mtth. 27, 65 kimimp = Tat. 215, 4 iiwizut;

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Job. 6, 15 ktniHONds = Tat 80,8 ii(h'a)ita; Joh. 15, 18 liontcij) = Tat. 169,2 UHiwit; Job. 17, 23 Jah kunuci = Tat. 179, 2 iiifi forstautc usw.

Ijeider lässt sieli das gleicbe vortabroii auf Isidor und diu ande- ren oben i^enanton deukniiiler uiclit anwenden. Tu Tatin ns Avortscbatz sebeint aber /.«// irefeblt zu baben. ßei Notker iinden wir kan biiuiiii- gebrauelit. Auf ibu müssen Avir uns bei dem versnobe, aus der abd. übei-setzuniTslitteratur die bedeutuui;- von kau zu crmittebi, besebränken; bierbei dürfen wir aber nicbt vergessen, dass Notker es liebt, in freier weise clie abd. spracbe dem lat. original gegenüber zu gestalten und dass er desbalb niebt immer jene treue Übersetzung bietet, welcbe es uns obne weiteres ermögliobt, den sinn eines abd. wortes durch den vercfleicb mit dem lat. oriiiinal festzustellen.

Auob die glossen gewähren uns nur geringe ausbeute; Wörter wie scio, coQuosco u. dgl. sind in den meisten fällen so verständlich, .dass sie einer glossierung nicht bedürfen. Es stehen uns nur 3 glossen zu geböte, mit deren hülfe wir die bedeutung des abd. kau ermitteln kön- nen; die freie paraphrase nua\ clnnmot i?? = quod est opus vestrum (Monseer gl. bei Pez I, 320) muss vorläufig ausser acht bleiben.

Die glossare der keronisch-brabanischen sippe wie Steinmeyer sie nent haben (Abd. gl. I, 217'^) norat = kan, khan; eine glosse bei Pez I, 371 lautet: kan buoh = assecidus est Uiteras; eine glosse zu Greg, bomil. in evang. I, 6 (Migne LXXYI s. 1098 A) = Abd. gl. II, 276 ^' sezt zu dem lat. admonere non sufficio : niuimiach l (vel) nichan; so die bandscbriften b und c; -nichan l Kiiernmch ef; es handelt sicli um eine geistige tätigkeit (admonere) ; deshalb konte zu uinnach sehr avoI die Variante cltan hinzugefügt werden {nbarnia- (jan nur noch Otfr. IV, 31, 33). Auf die bedeutung kan = scio las- sen uns auch folgende glossen schliessen: I, 793 ^'^ scientes = kuii- stiyo; I, 748 ^^^ jwtens in scripturis = chunstiyer; 11, 185'^^ rüdes = unchunstüj; 193 "^^ ebenso; 286'^ scientia = chunst.

Vax den angeführten glossen tritt ein vers des MSD 61 mitgeteil- ten Carmen ad Deum (verfasst 870): prece iwsco protä nosco = p)e- tono pittja soso ih chan. Die gleiche bedeutung „wissen", „verstehen" begegnet uns auch noch durchweg bei Notker. Einige der wichtigsten stellen seien hier herausgehoben: Mcp. 791 1'*: ehernst = scis; dgl. 791 -^ fjhan = ncnit; 717 ^o mispuotiy sin nedionde == impiger sciat esse usw. Mcp. 798 ^^ entsprechen sich dannan sie ehunnin bechennen sih selben und qui vahiere noscere semet. Mit demselben sinn für das richtige, mit dem Notker Boetb. 345 ^^ vis ratiocinandi durch eine wendmig mit ckunnen widergab, mit eben dem feineu

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 11

spraeligefülil liat er an uiisorcT stelle dem lat. valncrc keine form von )iKuj(ui g-eg-eniibergestelt, sondern, da noscerc = bechctuiot folgt, durch- aus richtig cltiinniK dafür gesezt.

J^'ür das ahd. l)l('il)t also avIo für das g(»t. und alts. bestehen, dass huHiicui der spliäre des inteliektueUen geschehens angehört, dass es „"wissen'^ „verstehen" u. dgl. bedeutet. Eine durchniusterung der syn- taktischen fügungen, in denen uns /iunna/i begegnet, wird dieses resul- tat noch weiter bestätigen.

T. Der absolute gebrauch von hau

ist im ahd. nicht mehr zu belegen;' da, wo hu/ schehdjar selbständig steht, ist ein intinitiv aus den umgebenden Satzgliedern zu ergänzen: so M8D 61, 8 pctöno ptttjit soso ih chaii (seil. pUten)^ M8D 4, 2, 5 iliu biijnolcn Uiiodan so he uuola co)ida (seil, biijalan; die formet sös er uHola ro/fda findet sich auch Otfr. I, 27, rjl; vgl. MSD s. 276). Mitunter weist ein iz auf den zu entlehnenden intinitiv hin: OtCr. 1, 2, 42: iu thin tha.^. iJi i.i kunni (seil. thiono}i).

IL l:an mit objectsaccusativ

liegt vor bei Otfr. III, 16. 7: iiido er thio buah koiistl (=- Joh. 7, 15 yQaut^icua oiöev, s;ot Jüaliva sa bokos Imnn)^ vgl. die glossc Pez. I, 371: hart biioh = asseciitiis est Utteras. Der accusativ nach kau findet sich weiter in der glosse Pez I^ 320: uua.'c clnuinot ir = qiiod est opus vestnun? Notker Catcg. 434': er man sie (artes) chondl : 434'"'*^ tia (fujiiras geo}netricales) ntomcui nechan; Mcp. 717 1^: anlma ne- chondi nieht; 791 1: uiianda ouh tu philolofiia musicam rhaiist; Boeth. 111 1^: edle die astronomiarn chunnen. Die bedeutung „wis- sen", „verstehen" tritt in den angeführten beispielen besonders deut- lich hervor.

III kaii mit Infinitiv.

Nichts führt in den relativ zahlreichen stellen, die wir- hierfür beibringen können, über die ursprüngliche bedeutung von kiin- nen hinaus. Es zeigt sich dies darin, dass die Infinitive, welche zu kcui gesezt av erden, demselben vorstellungskreise entstammen, dem kön- nen selbst angehört: sie beziehen sich durchweg auf eine handlung, w^elche entweder selbst eine denktätigkeit bezeichnet oder eine solche zur notwendigen Voraussetzung hat; so ist der Infinitiv durch ein ideel- les band, durch verwantschaft des Inhalts, aufs engste mit hau verknüpft. Können v\'ird ahd. stets von personen ausgesagt, auch darin zeigt es sich, dass die ursprüngliche bedeutung „wissen", „verstehen" noch nicht aufgegeben ist. Die personificationen , Avelche sich namentlich bei

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Xotker lindeii (z. b. Mep. 791^) können hiergegen nicht geltend ge- macht werden. Niemals findet sich ahd. kan mit dem unpersönlichen Subjekte ex, i\ verbunden.

Es tblw die aufziildun^- einiirer infinitivconstructionen. Sehr hiiufiir begegnet uns die Verbindung cJian bccheuiien, uuizxeii, fernemen: z. b. Xotker Mcp. 798 ^^ cJuoiiihi bcchenucn sih selben; 809 -; C98-i gcsinnen chumie: Categ. 715-^ cluui ufu'vxcn; Ps. 118, 127 necliun- dcn .... ireheune)i: (cod. St. Gall. liat nechoncleii irchiesen); Ps. 91, 0 Nechufüfen beehouien; vgl. weiter Boeth. 335 ^i; 347 -i; Otfr. I, 1, 120; MSD 83, 69 iticlnoimi . . bidenclmn usf. Nicht aus- schliesslich auf intellektuelle tätigkeit bezogen sind folgende infinitive: bimklan Otfr. IV, 5, 10; da), reih uurclien MSD 86 B 1, 24; cjiriio- gen MSD 91, 231; Notker Boeth. 15 ^"^ geantuurfen; 47 -^ gesagen; 65^- 20; 13922. .g gotc .. feinden; Ps. 34, 11; 49, 19; Mcp. 791 1«; Categ. 434--' usw. In allen diesen beispielen darf aber die Übersetzung: „ich weiss", ., ich verstehe " , „zu tuu'^ mit vollem fug aufrecht erhalten werden: nichts nötigt uns, die verblassung von kiunian schon für das ahd. anzunehmen.

Überblicken wir noch einmal die in diesem abschnitt geführte Untersuchung, so ergibt sich, dass ahd. kan in bedeutung und syntak- tischer anwendung vom got. und alts. kiimiun sich höchstens dadurch untei*scheidet, dass die infinitivconstructionen nach kein in grösserem umfange auftreten als im alts. oder gar im got, für welches diese syn- taktische ausdrucksform nicht nachweisbar war. Da wir aber zeigen konten. dass das ausbleiben des Infinitivs nach got. keinn auf einem Zufall beruht, dass es dem griechischen original weit eher zur last zu legen ist als der gotischen Übersetzung, so dürfen Avir in dem umstände, dass das ahd. den adverbialen Infinitiv bei kein in relativ grosser aus- dehnung kent, noch keine abschwächung von können zum verbum auxiliare erblicken, zumal jene infinitive so gewählt sind, dass sie mit dem Inhalte von können sich wo nicht ganz decken [bechennen, uiiix- xen usw.) so doch aufs engste berühren (gesagen, geeintiairten u. dgl.). Auch im ahd. ist also von einer abnähme der altererbten intellektuellen kraft des begrifsverbums können nichts zu spüren: die ersten vorboten jener Verwitterung tauchen in den frühesten denkmälern des mhd. auf.

§ 4. Können im niittellioclidcutsclien.

Bevor wir zur darstellung der syntaktischen Verhältnisse von kön- nen im sprachgebrauche des mhd. übergehen, empfiehlt es sich, folgende betrachtung algemeinerer art vorauszuschicken.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 13

Nach der jezt vorhersehenden ansieht haben wir in dem infinitiv den erstarten casus eines Verbalsubstantivs zu erblicken und zwar einen dativ, der das ziel oder die richtung- einer bewegung ausdrückt (etwa = ad. c. ger.; die näheren belege s. bei v. Monsterberg, der infinitiv in den epen Hartmanns von Aue s. 59).

Der infinitiv, der zu können hinzugefügt wird, hat die aufgäbe, dem Avissen oder verstehen, welches durch können nur algemein bezeich- net ist, die richtung auf ein bestimtes ziel anzuweisen, chanst da 7/N'r (jcsagen (Notker Boeth. 47'-^) heisst nicht: kennst du das sagen, yiyvcoGy.£Lg Ityeiv, sondern bist du wissend, intellektuell befähigt in bezug auf das sagen, etwa = sciens ad dicendum. Mit dieser anschau- ung verflicht sich das bewusstsein, dass der, welcher so spricht, eben durch sein wissen und seine kentnisse die mittel besizt, deren er zur erreichung jenes Zieles bedarf, das in dem Infinitive gcsagcn ausgedrückt ist. Diese mittel sind bei dem ursprünglichen verbum können intel- lektueller natur.

Es hat, so lange die alte bedeutung von können noch bestellt, nur dann einen sinn mit können einen infinitiv zu verbinden, wenn erstens der, von dem das können ausgesagt wird, eine person oder eine als person gefühlte sache ist: denn es Aväre gegen den geist der spräche, die sich noch des ungeschmälerten besitzes des begrifs verbums können erfreut, wenn man einer sache ein" Avissen, ein verstehen zuschreiben Avolte. Der infinitiv kann zu jenem kan, welches „ich weiss", „ich verstehe" bedeutet, zweitens nur dann hinzutreten, wenn das ziel, auf welches das können sich richtet, auch wirklich auf intellektuellem wege erreichbar ist: denn nur in diesem falle befähigt das wissen zur errei- chung des Zieles. Für das alts. und ahd. treffen diese beiden Voraus- setzungen noch stets ein; einerseits wird hau nur persönlich gebraucht, anderseits gehen die Infinitive, welche zu licin hinzutreten, aus dem bereiche solcher handlungen, Avelche durch Veranstaltungen geistiger art verwirklicht werden, nicht heraus.

Im mhd. werden diese bedingungen jedoch nicht immer und über- all erfült. Wir finden können mit sachlichem Subjekte oder auch ganz unpersönlich gebraucht; der infinitiv, der dem können den weg weisen soll, erstreckt sich oft auf handlungen, über welche das wissen und ver- stehen kein anrocht mehr hat, deren Zustandekommen oft geradezu von körperlichen mittein abhängt. Die berufung auf die ursprüngliche bedeutung von können genügt in diesem falle nicht mehr. Das intel- lektuelle moment, das dem alten kan so charakteristisch zueignet, wird bei diesen gebrauchsweisen kaum mehr gefühlt. Es bleibt nur noch

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der ausdruek der befiihiguiig zu einer tätigkeit, ohne dass die geistige Voraussetzung jenes fjlliigseins noeli hervortritt; mit andoion werten: die spezielle bedeutung „durch wissen befähigt sein" wird durcli die algeraeinere ^überhaupt befähigt sein" verdrängt. Yoni Standpunkte der nhd. spräche aus nehmen wir keinen anstoss daran, können im sinne des algemeinen mögliclunacliens zu gebrauchen. AVir sagen: „ich kann lesen, „lateinisch sprechen" usw.; al)er aucli: „icli kann noch ge- sund werden", d. li. es besteht für mich die mögliclikeit zu gesunden, oder gar: „ich kann dies oder jenes gewicht haben", wo an eine ver- mitlung geistiger art zwischen dem Subjekte und dem objekte gar nicht mehr gfedacht werden darf.

Man versrass also im laufe der zeiten, dass können auf dem besitze geistiger kräfte ruht, die das könnende Subjekt zur erreiclumg irgend welchen Zweckes in bewegung sezt; man behielt nur die algemeine Vorstellung davon, dass der könnende überhaupt die fähigkeit hat, auf die faktoren, welche eine handlung in ihrer entstehung bedingen, so einzuwirken, dass die überleituns: aus der blossen möfflichkeit in die Wirklichkeit gewährleistet erscheint. So kam es, dass man können in beziehung zu verben sezte, welche der Sphäre geistigen geschehens, der können ursprünglich ausschliesslich augehörte, fremd gegenüberstehen. Der begriff der mögliclikeit, nicht mehr das band intellektueller fähig- keit, verknüpft jezt lan mit seinem Infinitive. Es war nur eine etappe auf diesem wege, wenn man sich schliesslich nicht mehr scheute, durch den zu hau gesezten Infinitiv auch solche handlungen andeuten zu las- sen, welche von der ausübung körperlicher tätigkeiten abhängen oder durch die eonstellation äusserer umstände bedingt sind, über welche uns die macht entzogen ist.

Aus dieser betrachtung ergeben sich die kriterien, aus denen wir erkennen, ob wir es mit einem reinen, ursprünglichen, oder mit einem abgeblassten können zu tun haben. Wir sagten eben, dass die Ver- witterung der verbalen kraft von können solche Infinitive in die nähe von können führte, welche mit intellektueller tätigkeit nur an sehr wenigen punkten sich berühren. Wir schliessen nun rückwärts: wenn der infinitiv nach hau eine handlung bezeichnet, die zu ihrer Verwirk- lichung geistiger beihülfe nicht bedarf, wenn das band der inlialtsver- wantschaft zwischen han und seinem infinitive gelöst ist, so ist uns dies ein anzeichen dafür, dass hau nicht heisst: ich verstehe mich auf etwas, ich bin geistig befäliigt in der und der richtung tätig zu sein, sondern ganz algemein: für midi bestellt die mögliclikeit, dass diese oder jene faktoren so zusammenwirken, dass ihnen die geplante band-

KONNEX UND MÖGEN IM ALTD. 15

lung entspringen kann. Anf der anderen seite können wir folgende betrachtung anstellen: dem alten können konit natiirgenüiss nnr ein persönliches Subjekt zu; es widerstrebt dem Sprachgefühle von einem dinge ein können im siune des Wissens auszusagen. So finden wir auch im got., ahd. und alts. können nur persönlich gebraucht. Seit dem XII. Jahrhundert begint sich liier ein wandel zu volziehen. Die spräche trägt kein bedenken mehr, auch nicht-menschliche Subjekte zu trägem eines könnens zu erheben. Wir werden weiter unten einige Zwischenstufen aufzeigen, welche von dem persönlichen gebrauche zu dem sächlichen hinüberführen. Zulezt hat man die alte kraft von kön- nen so sehr vergessen, dass man sogar ein e%, das inhaltloseste und schwächste aller grammatischen Subjekte, für stark genug hielt, einem können als stütze zu dienen.

Das sind die kriterien, die uns bei der aufführung der belege für jenes abgeschwächte können zu leiten haben werden: einmal der ver- änderte Charakter der infiuitive, die zu kan in abhängigkeit treten; sodann die Verknüpfung von han mit sächlichen und unpersönlichen Subjekten.

Bei den bisherigen Untersuchungen sind wir von der feststellung der bedeutung ausgegangen, um auf diesem wege eine sichere grund- lage für das Verständnis der syntaktischen construktionen zu gewinnen. Für das mhd. wird diese Voruntersuchung kaum nötig sein, da ]:an im ahd. noch die rein intellektuelle bedeutung „wissen", „verstehen" durch- weg bcAvahrt hat. AVir dürfen getrost annehmen, dass diese bedeutung zunächst auch in das mhd. übergegangen ist. Der volständigkeit hal- ber soll hier nur auf einige glossen verwiesen werden, die zur bestä- tigung dieser annähme dienen können. Die ausbeute, welche uns die mhd. glossare gewähren, ist freilich sehr gering. Man wird die mei- sten der erhaltenen mhd. glossare und vocabulare (Mone, Quellen I, 273. 300; Mone, Anz. f. k. d. d. vorz. III, 47. lY, 81. 93. 231. 489. Y, 84. 229. YI, 210. 337. 435. YII, 194. 297. YIII, 93. 247. 489. H. Hoffmann, Sumerlaten. Mhd. glossen 1834, W. Wackernagel, Yocab. optimus. 1847, zusammen mit mehreren nur handschriftlich erhaltenen vocabiüarien und ersten drucken benuzt von Diefenbach, Gloss. lat.-germ. med. et inf. lat: Suppl. zu Ducange) vergebens nach einer form von können durchsuchen. Der vocabular des Niger Abbas (ed. M. Flohr, Strassb. stud. III, 1) bietet n. 4372/73 s. 74: sciencia JiUnst; scientificus hünstiger; aus Mainzer Yoc. bringt Diefenbach s. 518 sciens kunsticli, scientificus hinsticiser'^: wir dürfen daraus rück- schliessend kunnen = scire festsetzen; auf die gleiche bedeutung führt

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uns die bezeichnende stelle: Gudr. 286, 1 nir lionfof^ niht heschei- den noch irissoix nihi xc sagen.

Im mhd. hat also die alte bedoiitung hunnen = scire noch be- standen: dass dieselbe aber niannigfoche abselnvächiingen erlitten hat, wird die folgende Untersuchung zeigen.

"Wir wenden uns nunmehr der erörterun"* des syntaktischen ce- brauchs von können im mhd. zu.

I. Absoluter gebrauch des mhd. luui.

Im ^Ihd. wb. I, 805 b ist mit recht bemerkt, dass ein absolutes han aus dem mhd. nicht belegbar ist, dass an allen den stellen, an denen han scheinbar selbständig steht, ein Substantiv oder ein Infinitiv zu ergänzen ist. Dortselbst ist eine anzahl solcher scheinbar absoluter han besprochen, die durch die annähme einer ellipse sich olme mühe erklären lassen: Iw. 7684: Wig. 34; Gotfr. Trist. 90 2-?; pf. Konr. 117-^ usw. Es wäre ein leichtes, das hier gebotene Stellenmaterial noch beliebig zu vermehren, da fast jeder mhd. Schriftsteller von der auslassung des inf oder subst. nach künuen gebrauch gemacht hat. Doch verzichte ich darauf, noch näher auf diese leicht verständliche art der ellipse einzugehen und weitere belege, die mir reichlich zu geböte stellen, herbeizuschaffen. Xur auf eine gattung dieser ellipse möchte ich hier noch kurz aufmerksam maclien. Bei mögen tritt die auslas- sung des infinitivs öfters dann ein, wenn der unterdrückte Infinitiv eine bewegung bezeichnet: es genügt hier die blosse angäbe der richtung, welche die bewegung nehmen soll, durch ein ortsadverb oder dgl., z. b. Nib. 576, 2 icess ich, war ich mehte; Gudr. 734, 4 duK si nindert inugot xao den strdxen. Bei hunnen dagegen findet sich diese ellipse weit seltener; sie liegt vor z. b. in Gudr. 1124, 2 .so si aller beste dan )nit ir schrffen handen; G. Trist. 465 '•'• ine han weder dar noch dan.

II. hart mit substantivischem objecte.

a) im accusativ.

Der aufzählung der beispielc, welche diesmal in grösserer volstän- digkeit als sonst frfolof.n soll, will ich die Ix^merkung vorausschicken,

1) AVas mit der iid. glosse noscere hfhynnen (Mone Quellen ], 307) auzu- fangeo i.st, weiss ich nicht; Schiller-Lübben AJnd. wb. I, 209 belegen nur helen- nen; zudem wäre honnen, nicht htjnnen nd.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. l7

dass der gebrauch des objektsaccusativs nach ]^ (innen gegen das ende der mhd. zeit in deutlich Avahrnehmbarer abnähme begriffen ist: es liängt dies damit zusammen, dass kunnen überhaupt im mhd. eine ste- tig zunehmende abschwächung erfiilu-t. Bei den hütischen dichtem des XIIl. Jahrhunderts findet sich jener gebrauch noch in ziemhcher aus- dehnung: bei Gotfried habe ich z. b. 40 hierher gehörige fälle gezählt; im volksepos tritt die construction zurück. Gudrun hat sie 10 mal, Nib. gar nur 1 mal (254, 1); Konrad v. W. bietet in mehreren seiner werke keinen beleg, so im Alex, und in der Gold, schm., im Engelh. nur 3; Xicol. v. Jeroschin und Boner verwenden han in der erwähn- ten weise auch nur je Imal. Über die spärlichen restc des accusativs nach können im nhd. handelt Hildebrand im D. wb. Y, 1725. An folgenden stellen ist mir objektsacc. nach mhd. han begegnet:

MSD 30, 75 sie Icunnen alle liste; 31, 6 ivant st diu hiioch chiin- clen; 37, 2, 5 sich suer dir icht ehreschin kan; 96, 19 chcui er des heiligen gloubeii niht

Will. 58, 16 sacramenta scripturaruni; 118, 5 discretionem odoris

et foetoris. Gen. 102 10 list. Roth. 1029 rede.

Hpts. Hl. 5, 7 vil ist des wir kunnin. Heinr. v. M. Pr. 66 gemäinez biwort; 453 ez (sc. gotes u'ort)\

544 vil der buoche.

M. F. 22^0 der (witxe ivnde sinn) niht enkan; 33'^^ der besten mäxe ntet; 10123 ^j^^^^. 13225 ^^-a;^ . 13334 vil; Ibi^^^aldax; 180 32.

192-'- dax; 194^5 rat; 207 ^ des ich niene kan,

Eneit. 1518 rät; 1803 ivech; 2281 iconders vele; 4559 wech; 6394 et; 6568 dat; 8790 et; 9408 list; 9746 rede; 10229. 10232 et; 11241 liste; 11392 geiconne.

Hartmann Iw. 5318 riterschaft; 6201 dax; 7301 silexes; Er. 5188 xoubers kraft; 7368 dinges aide; 8748 list; Greg. 954 rede; 1407 buoche; 1409 mere.

Wolfram. Parz. 55, 19 franxogs; 85, 18 ivälltisch spräche; 96, 30 stich; 104, 26 dax; 115, 27 buochstap; 147, 28 vil; 193, 9 des niht; 439,21 icidersax; 490,30 ivax wiinders ; 641, 28 xiiht; 796, 16 künste. Wilh. 90, 3 tröst; 94, 26 7iiht bexxers rätes; 110, 4 spil; 192, 12 spräche; 233, 6 liste; 237, 6 franxeys; 278, 18 dienest; 295, 27 ivenic; 408, 14 krte. 1. 7, 13 ninuex singen.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 2

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Gotfr. Trist. 27 ^ xoubcrlist: 55 ^ hovcsjyfl: 57^1 schdchxahdspü; 58^ //^7; 6811 guoics: G9-- iralhthir: 79^^^ dcix; 90 i^ ihtcs iht; 90-1 ti^i.jjicr hamlc: 93 i' scitspil: 93 2^ es; 94^ seifspil; 941« rremcdcr \umjc)i iht: 94^*^ //.s-^c; 95 ^ «//e^ ; 95 12 .s^^//; 99^^ kfüisf: 108 1^ i7/0(/e; 120 ^'^ amhet; 121 ^o ^oe/^e; 122 ^::^,; 1231^ r/«v,- 175 3' list: 190 3" iriDidcr; 191 '^ höfscheit und vuogc; 194--' //>^ ?//^^e kirnst: 194^'^ vrcmdcr spräche vü; 197 1^ c?e.9 /v7; 1992 scitspil: 201 n ^/r?;,- 201 1' t'?/or/c,- 201 ^^^ spmche; 202* r^/o^r; 2151^ spräche: 219--^ tantsprdchc: 249 i" .s;^//; 272-^ ?m;?^ iru?iders; 273 ^^ lantsprdclic; 326^' inuidcr; 404 ''^ Z/s^. lobg. 31, 1 /^es/e ^flx.

Ulr. Trist. 511 1^ /r/r/f/^/c,- 553i* Z/s^.

"\Yigal. 235 scitspil; 334 spräche; 561 c.v; 1060 sträxe.

Nib. 254, 1 crxenie.

Gudr. 4, 2 a/Zes des gemioc; 51, 2 ^a.v; 342, 2 >uJ(^/; 358, 3 e;^; 359, 3 sicanke; 374, 4 icise; 383, 4 stimme; 714, 1 ^fc; 1056, 2 CA.

AValth. 18^1 guotes; 43 1^ 7näxe; 46-^ ^^fse; 48 ^^ «^^a.^/ 51 1'^ /.ou- her; 56^ //s/; 58 ^'^^ wunder; 73^6 m/?/ mere; 73 ^^ flüeche; 103 3^ guotes; 115^6 uunder rede; 116 n fuoge; 116^9 ^/i^

Frid. 8, 2 gelouhen; 44, 6 untriuive; 57, 13 sivax; 65, 19 Z/s^; 66, 22 ^0/65 ^ror/e; 70, 20 f/c.s- glouben niht; 75, /^s/; 78, 16 kiinst; 79, 11 Z/5^; 80, 7 ;-e<^/e,- 115, 7 kunst.

Konr. Engelli. 89 dix alles; 756 schdchxabel imde seitenspil; 4073 177 ivunders.

"Weinschw. 67 dax.

Berthold v. K. 38, 34 (Pf. I) schal (vgl. Rötteken 1. 1. s. 118).

Leyser pred. 12, 29 dinch; 67, 24 scrift; 76, 40 huoch.

Boner 20, 4 kluogheit.

Xic. Y. Jer. 1, 304 dätschis.

Rülmann 139, 13 sträxe.

Das :Mlid. Avb. I, 805b und Lexer, Mhd. hwb. I, 1778 bieten noch einige weitere beispiele aus Lanz; MS; Kenner; Wgast usw., die nochmals auszuschreiben es sich nicht der mühe verlohnt, da in ihnen dieselben substantiva widerkehren, die wir schon beobachtet haben (z. b. sträxe, icege, puoche, rät u. dgl.).

Zum schluss sei noch darauf hingewiesen, dass der accusativ bei kau uns können noch als volkräftiges begrifsverbum zeigt.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 19

b) Sabstantivisclio Objekte durch eine praepusitioii mit hin

verknüpft.

Bisher luiben sich, so viel ich sehen kann, nur zwei forscher auf dem gebiete der mlid. syntax über den gebraucli der praepositionen nach mhd. hDincn ausgesprochen: J. Grimm und Lucae. J. Grimm erkliirt Gr. lY, 138 die anwendung der pracp. an, xe^ mit (andere sind niclit nachweisbar) bei lunuoi in folgender weise: „Man darf einen infinitiv supplieren, der ungefalir das, was unser nhd. „umgehen", aus- sagt; da es aber mhd. hiess: mit triuicen varn (Parz. 167, 29; 322, 21; mit Worten varn Iw. 7685; mit ir varn Iw. 3960; mit saclden varn Wig. 8634), so kann ganz gut die übliche ellipse von „Miren" bei- behalten w^erden." Diese erklarung scheint algemeine billigung gefun- den zu liaben (vgl. Martin zu Gudr. 285, 4); sie ist auch vom mhd. wb. adoptiert worden. Widerspruch gegen sie erhob Lucae (Über bedeutung und gebrauch der mhd. verba auxiliaria s. 15), der die annähme einer verbalellipse ablehnt, weil die bedeutung von kiinnen „bescheid wissen, bekant sein mit" die Verwendung der praep. nach Ji'inincn volkommen genügend erkläre; ich hart mit riter schaft sei zu übersetzen: ich weiss bescheid mit ritterlichem tun. Einen eigent- lichen beweis hat Lucae für seine ansieht nicht erbracht; icli möchte ihn im folgenden antreten. Zunächst verweise ich nochmals auf das oben besprochene beispiel Heliand 2531 can te gitlioikeanne, Avelches wir mit Steig durch die Umschreibung: „ich habe intellektuelle kraft, gewalt zu" erklärten. Sodann sei folgender umstand hervorgehoben: viele der substantiva, welche mit an, xe oder mit an kan angeschlos- sen werden, lassen sich auch in der form des objektsaccusativs bei kan nachweisen; das nötigt uns, einen Zusammenhang zwischen beiden con- struktionen, dem objektsaccusativ und der praepositionellen anknüpfung, anzunehmen. Ferner finden wir mehrere dieser substantiva mit jeder der nach kunnen üblichen praepositionen verbunden. Wolfen wir also mit Grimm eine verbalellipse annehmen, so müste das zu ergänzende verbum so gewählt sein, dass es zu an, ze, mit passt: für varn trift das nicht zu; welches analogen liesse sich beibringen zu varn an riter- schaft? Auch sonst wdrd sich kaum ein verbum finden, welches dem erwähnten anspruche voll genügt.

Es wird von der annähme einer verbalellipse bei kan mit praep. abzusehen sein; wir haben vielmehr in dem gebraucli der praepositio- nen nach kunnen ein anzeichen für eine besonders kräftige bedeutung von kunnen zu erblicken: mhd. kan c. praep. berührt sich aufs engste mit alts. can te githenkeanne. Zu vergleichen ist weiterhin der gebrauch

2*

^ KAHL

der praep. nach in'\.\cfi (Mhd. wb. III, 786"), z. b. AValth. 41 3*' irlsic ich niht und) uuijcmaclt: Wolfr. Parz. 532, 16 m)ih solhen Jcfinibcr ich nihf iccix: vgl. 720, 5; 805, 11; gv. Rud. C^ 23 ivixxcn lunmc arbeit; auch mii findet sich so, jedoch nur an 2 stellen: Cr. Trist. 21 ^^ jedoch eniresier nihf hie mite: Flore 6211 Claris leiste niht da mite (vgl. Sommer z. st); ebenso ro)i: Parz. 3, 29 diu ave/itiure tat iiich tcixxen beide von liebe iifid con leide; Albr. 39, 90 die niuait von arbeit leisten.

Ich teile nunmehr die beispiele von Imn mit praep. mit, und zwar in solcher anordnuug, dass sie zugleich unsere obigen ausführungen untei-stützen,

rede a) im objektsacc: Roth. 1029; Frid. 80, 7; Eneit 9746; Greg. 954. b) verknüpft durch mit: Flore 6634. c) verknüpft durch xe: Ej-one 11854. Vit er Schaft a) acc. Iw. 5318; Ulr. v. Licht. 13 2. b) wz7 Wolfr. Parz. 66, 10. 152, 12 (ritters fuore) : Wig. 8456. c) xe Hartm. Greg. 1365; Ottok. 152^ fastn. 424, 20. d) an Eneit 9069. xuht a) acc. Wolfr. Parz. 641, 28; Gudr. 342, 2; G. Trist. 1918 (höfscheit) . b) mity^oMv. Parz. 493, 18. c) x e Wgast 1274 (höfscheit). strit a) acc. fehlt, b) mit: Wolfr. Parz. 210,, 22. 348, 24. 704, 6 (tjost): 738, 23 (fjost) : Wilh. 78, 5. mit gejegede G. Trist. 361 2. c) xe Loh. 1163 xe tjoste; Bit. 647; Ottok. 93*" xe urliiige. guot a) acc. G. Trist. 68^; Walth. 18^1. 103^^; Wgast 4796. b) onit

fehlt, c) xe Wgast 3555. 4508. triuive a) acc. Frid. 44, 6 (untriuive) ; b) mit M. F. 128 ^8. c) ze

Wgast 1588 xe staete. mit juncfroiuen U. Trist. 504 1-*; xu vrouicenliebe Heinr. Trist.

3720. list c. acc. Walth. 56^ u. ö.; mit vaUchen listen g. Gerh. 815. Die übrigen beispiele, bei denen ähnliche vergleiche wie bei den bisher angefühi-ten nicht möglich sind, sind, nach den praepositionen geordnet:

mit: Wolfr. Parz. 2, 13 mit sclianxen; 62, 24 mit armüete; 114, 13 mit sänge; 317, 25 mit schalleii; Tit. 90, 3 7nit truopheit; G. Trist. 72- dandte; 78-^ hie mite; 385 ^^ mit ihte; Benecke Bei tr. 184 = Ulr. V. Winterstetten ed. Minor Y, 178: mit den Hüten; Lamp. Alex. 4223 da mite; Konr. Troj 6271 mit geschüixe.

xe: Gudr. 285, 4 xe arbeit (vgl. Martins anm.) 997,1 darxuo; Heinr.

Trist. 2206 xuo schimpfe; Warn. 1568 xe freuden. an: Eneit 9069 an riderskap.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 21

Die an Wendungen des mhd. hinnen, die wir bisher besprochen haben, zeigen uns können noch durchweg als begri tsverb um transitiven Charakters, zu welchem substantiva in ein abliängigkeitsverhältnis tre- ten. Die abschwächung xow huiincn zum hülfsverbum tritt in einer anderen gebrauclissphäre ein: (hi, wo der infinitiv dem können ein bestimtes ziel in einer handlung anweist, zu der der könnende befä- higt erscheint. Die verminderte rücksichtnahme auf den ursprünglich rein geistigen cliarakter dieser befähigung hat, wie wir oben darlegten, dazu gefühlt, dass können seinen eigentümliclicn Inhalt iimner mehr verlor und den bescheidenen rest seiner verbalen kraft luii- nocli als verbum auxiliare zur geltung brachte.

IIL kau mit dem infinitiv.

Wir haben bereits oben die kriterien besprochen, die uns bei der Unterscheidung des reinen können vom abgeblassten zu leiten haben: wir müssen auf der einen seite das Verhältnis berücksichtigen, welches zwischen können und dem begriflichen Inhalte des adverbial zu ihm gesezten infinitives besteht, und müssen auf der anderen seite darauf achten, ob hunnen von einem persönlichen oder unpersönlichen, säch- lichen Subjekte ausgesagt wird.

Überblicken wir nun die überreiche fülle der beispiele für hm c. inf. , so lässt sich durch mehrere Zwischenstufen hindurch ein almäli- licher Übergang von der bedeutung „wissen, verstehen", zum ausdruck der objectiven möglichkeit verfolgen. Am reinsten tritt uns können da entgegen, wo der infinitiv bei ]iCüi derselben begrifssphäre entnom- men ist, der kunnen ursprünglich selbst angehört. Eine gelinde abschwächung der bedeutung begegnet uns da, wo der infinitiv nicht mehr ausschliesslich dem gebiete geistiger tätigkeit entstamt, wo die handlung, welche durch den infinitiv bezeichnet wird, zu ihrem Zu- standekommen der intellektuellen beihülfe des könnenden zwar nicht ent- raten kann, daneben aber doch noch auch anderer faktoren bedarf, welclie von dem geistigen vermögen des könnenden Subjektes nur indirekt abhängen. Je weiter nun diese faktoren sich aus dem bereiche dessen

o

entfernen, dem das können einer handlung zugesprochen wird, um so mehr nähern wir uns jenem abgeschwächten können, welches dem aus- drucke objektiver möglichkeit dient.

Zur erläuterung des gesagten wollen wir hier das Schema mittei- len, nach dem wir weiter unten die beispiele für hinnen c. inf. anzu- ordnen gedenken; hieraus wird sich sogleich ergeben, was unter jenen

22 KAHL

faktoren zu Yei*stehen ist, welche im laufe der zeit mehr und mehr aus dem begrifsverbum können das intellektuelle monient verdrängt haben. L Können bewahrt wenigstens zum grösseren teile noch die ursprüng- liche bedeutung: „wissen", „vei*stelien". Der Infinitiv, der von können abhängig gemacht wird, bezeichnet:

1) eine denktätigkeit selbst (erkennen, vcrstCui, ivix:Kcn).

2) eine handlung, Avelche eine denktätigkeit zur uutAvendigen Voraussetzung hat. Diese handlung besteht:

a) in der veräusserlichung und versinlichung innerer, gei- stiger Vorgänge (ycsaijcn, riltcn, sprechen).

b) sie beruht auf dem einfluss der intellektuellen kräftc auf die übrigen triebkräfte des Seelenlebens: zum zwecke einer einwirkung auf gefühl und gemüt, oder zur dauern- den gewöhnung an eine bestirnte art des moralischen Verhaltens (frö (jemachen, trösten, gehären, staete sin).

c) sie entsteht durch das zusammenwirken der geistigen und körperlichen fäliigkeiten des menschen, so zwar, dass das physische vermögen von der intellektuellen ein- sieht geleitet wii*d (vehten, gestrlten usw.).

d) sie sezt eine beziehung des Verstandes auf die Objekte der äusseren natur voraus, welche durch das wissen in den bereich menschlicher tätigkeit hineingezogen werden (gesmkle shnt usw.).

IL Können verblasst zu der algemeinen bedeutung des „möglich- machens"; es wird hülfsverbum ; dies zeigt sich darin, dass

a) der Infinitiv jezt dem können ein ziel sezt, welches durch gei.stige Veranstaltungen nicht erreicht werden kann.

b) dass hunnen

a) von säclüichen,

ß) von unpersönlichen (ez) Subjekten ausgesagt wdrd. in. Können verliert jede eigene bedeutung und tritt zu dem Infinitiv hinzu, ohne denselben merklich zu beeinfiussen. Wir können niuimehr zur mitteilung der zu I. gehörenden bei- spiele schreiten; auf vol ständigkeit in der aufzählung der belege glaub- ten wir hier verzichten zu dürfen, um den umfang der arbeit nicht zu sehr anzuschwellen; aus jedem der von uns durchgearbeiteten schrift- steiler sind einige belege ausgewählt; es wird ein leichtes sein, auch aus andern Schriftstellern diese beispielsamlung beliebig zu vermehren. Wegen der beispiele aus Hartmann verweise ich auf v. Monsterbergs vortrefliche arbeit: Zs. f. d. ph. XVIII, 144.

KÖNNEN UNT) MÖGEN IM ALTD. 23

Rother 259 versin nen.

Heinr. v. M. Er. 94S gcdoichot ; Pr. 1 P)S crchennoi; 141 bedcnchcn. M. R 441^ (jcdoikoi; 89'^^ rersuuten; 120^^ ro/ hcdotken. Eneit 1805 bedenken; 2571 erkennen; 13150 erdeiiken. Hartmaiin a. H. Sil verstdn; Iw. 841 erdenken; 2859 erkennen. G. Trist. 1-^ erkennen; 192^ ici\xen; 349^^ gemeinen. Ulr. Trist. 499-^' m>'/r/;^.

Wo 1fr. Parz. 369, 3 rersinnen; Willi. 178, 2 versten; 25(3, 3 eraJffen. Nib. 152,3 irixxenknnde CD (/;^o///^ AB); ()02,3 m-^/ry^D {///r/c ABC); 1316,2 wixxen; 1678,3 cersfdn; 1904,3 understdn mit sinnen Q¥. Klag. 77 gemerchen; 318 icizzen; 1682 versinnen. Gudr. 1142, 4 gemerken; 1677, 1 eraMen. AValtli. 42^ verstdn; 59-^ erdenken; 96 ^^ versten. Frid. 62, 13 merken; 102, 8 erkennen; 141, 21 verstdn. Konr. Eng. 269 erkoinen. Alex. 1142 hedejiken. Berth. p. 881, 1 (W.) ertrahten. Boner 43, 44 erkemie}i. Nie. Jer. 43, 101 vcAciclitin; 52, 156 volahten.

I2a.

Will. 18, 6 ivistuom iiure hringon; 48, 27 gesagen; 51, 11 hesehir- men niit spiritucdibus annis; 118, 3 discernere.

Gen. 1, 3 reden.

Ann. 84 predigin.

Roth. 394 gesagen; 1023 gecinticorten; 4360 geraden.

Hpt. Hl. 91, 4 gesagen.

Heinr. v. M. Er. 476 vergexxen; 613 singen; Pr. 184 geantwiirten.

M. F. 11 1'^ sehen; 25 ^^ gezeigen; 42 ^^ vertrtben mit geda)iken; 44^^ Uren; 115 ^^ versteigen; 125'-^ fliegen mit gedanke)i usw.

Eneit 36 genoemen; 442 gevrdgoi; 915 geseggen.

Hart mann a. H. 871 zeigen; Iw. 2096 gesagen; 2264 gesprechen.

Wolfr. Parz. 127, 22 /cre^^; 337, 25 /-^V/ie sprechen; 454, 10 beschei- den; 457, 28 wdrheit sagen; 645, 20 y<?Ä;i; 792, 5 ?/??7 //ö/cm rer- siiochen; Tit. 49, 4 volschriben; Will. 58, 22 ?'ft^ ^eZ/c/L

G. Trist. 59'-*^ w/^ sinnen hin bringen; 114 ''^ bescheiden; 174 3' ??2zY //ö/e;i schermen; 183^^ gescheiden. lobg. 67, 5 ??22Y re^e volenden.

Ulr. Trist. 569-^2 ^-^^y^,^^. 5574 /^^.g,^.

^^ib. 10, 4 genennen; 293, 3 gelouben (Blh); 959, 3 verdagen; 1118, 2 verjehen; 1152,1 gesagen (C); 1386,2 betiuten; 1878,2 idzzen län.

24 KAHL

Kl. 424 hcschcidcN : 1719 rdfcN.

Giidr. 812, 3 fcitw iralfof : 418, 4 vrdifoi; 542, 4 mit listen heilen; 607, 1 brierc ijeksen; 1570, 1 beseheiden.

Walth. 8 1^ rat f/egcbe?i ; 110-' .\e danke sin[/en; 120-'' verheJen.

Fr id. 5, 21 ijeheten ; 81, 2 uisheit ijepfleyen ; 115, 17 gedcuilx vdlien.

Konr. Eng. 27 rdt vindoi; lOSij bed inten; Gold.schm. 3 (jetihte snicLxcn.

Sachsp. 1, 23, 1 bereden.

Bertli. s. 879, 17 cjesagen.

Bon er 12, 47 nort geben.

Nie. Jer. 8, 8 voltihtin; 30,8 geloubin; 34,283 niiseliin )nit wunder- lich i)i listen.

I2b.

Will. 141, 19 eoinpciti; 137, 13 parcere.

Hpts Hi. 117, 7 gexerten.

M. F. 12^ bcivarn: 64 '^^ trnric sin: 83 i* behagen; 100-^' s/r/t'/c sf?i;

111- vertriben seneliche suriere ; IIb '^^ klagen; 117^ gebaren; 148^''

/<vY verkeren; 170 ^^ s/c/? schöne tragen; 175 1' unsaelde erwenden;

182^'^ staHe sin; 183^ vrö gemachen; 193' tugentlich leben; 197^

hühgemüete geben.

Eneit 11302 67c7^ /^ezr^r^^.

Hartmaun a. H. 304 gebaren; Iw. 2423 geliebelt; 3560 ?^rt€/^ r?^(?r- lichen siten gebaren; 6809 s/r/e/e werden.

Wolfr. Parz. 59, 18 e;-<??i ?/?^^e trüäen; 93, 3 manheit tragen; 140, 2 7'iuiven; 154, 16 minnen; 170, 30 7;??"^ schäme ringen; 547, 30 t^er- sereii; 606, 4 xornes icalden; 649, 14 manltch dienst iuon; Wilh. 90, 3 /rÖ5-^ geben; 92, 28 xürnen; 168, 4 troesten; 345, 28 triuwe hdn: 415, 24 ;i//Ä/e ivalten.

G. Trist. 193 3''^ gelieben; 290 ^'^ /rösten; 462^2 //Z/^^/^(/e ?mt/ ifrÖ5/f

Ulr. Trist. 587--^ w?Y ^/z^o/e fe^<??i.

Nib. 11, 4 ere?i pflegen; 635, 4 herlichen leben; 714, 3 7Aihte pflegen;

960,4 verklagen; 967,1 troesten; 1137,3 tagende pflegen; 1174,2

friuntliche liebe begän; 1753, 3 ^rc?i pjhlegen; 2269, 4 verklagen. Klage 57 fröiide pflegen; 71 re/i/er triuiven pMegen ; 385 s/c/^ gefreun;

812 :ie sorgen bringen; 1228 w2<o/ gehen; 1323 ???zY ivilnne leben. Gudr. 218, 4 ??a67i ere?^ gedienen; 284, 4 getroesten; 975, 9 dienen. Walth. 6" ;72/?^-e geben; 24^^ />'ö gebären; 44^ 26'(?5ey^ /y'ö; 91 ^^

gedienen; 124-'^ sorgen. Frid. 114, 9 schone geleben; 118, 19 sanfte geleben.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 25

Konr. Eng. 375 crfrönicoi; 595 (jctritiirc sin; 4965 sich la^tcrs schä- men. Weinscliw. 85 fröudc (jcbcn.

Boner 25, 21 (/cmaxcn.

I 2 c. Will. 5], 4 achtiuf. M. F. 83^' rlicn unde jagen. Encit 521G hehne houiren; 5930. 7852 vechtrn. Hartmann Iw. 6993 striten xe rosse und .\c vuo\e; 7000 den man

reUen. G. Trist. 69 -"^ pAc/-/ gehaben; 83^- yecolyen; 165- xe haniphe sincm

Jthe mite gän; 331^^ roüen; 433 ^^ Jonfcn. Ulr. Trist. 527" nten. Wolfr. Parz. 263, 15 iceren; 538,9 ringen wd mit dem sivanhe tu-in-

gen; 597, 18 tjosle mexxen: "Willi. 411, 16 mit dem sirerte irern. Nib. 129, 3 gevolgen; 194, 2 geleiten; 1825, 3 riten; 2220, 4 ///

dem starn?e bexxers 77iht getuon; 2280, 4 gein rinden stän. Klage 695 rideJn; 928 Schildes rant xe scherine tragen. Gudr. 92, 3 rersniden; 363,4 schirmen; 514, 4 helme Uieben; 517, 3

r eilten; 1058, 2 gewaschen.

"Walth. 351'^ rillten.

Fr id. 154, 9 beschirmen.

I2d.

(Die beispiele berühren sich hier t»t't mit I 2 c.)

Roth. 794 gesmide sh'in.

Heinr. v. M. Er. 722 fiwer erleschen.

G. Trist. 118 •^'^ golt von sirachen sachcn machen.

U. Trist. 573'* slüxxele machen.

Wolfr. Wilh. 370, 18 S2:)er machen.

Frid. 25, 20 glas machen; 126, 6 von baste scharlachcn machen.

Die Infinitive, welche wir bislier aufgezählt und je nach dem crrade ihrer enireren oder weiteren beziehung zu dem intellektuellen vermögen systematisch gruppiert haben, hatten die gemeinsame eigen- schaft, dass die handlang, auf welche durch sie hingewiesen wurde, geistiger beihülfe zu ihrer Vollendung bedurfte: der könnende lieh gleichsam seine geistigen kräfte, sein wissen und verstehen, einer ande- ren fähigkeit seines geistes oder körpers. In den angefüln-ten beispie- len komt man mit der Übersetzung: „ich weiss, ich verstehe zu tun" noch durchwes: aus. Auf der anderen seite konten wir aber beobach- ten, dass das Verhältnis zwischen können und seinem Infinitive immer

26 K.UIL

mehr sich lockerte. Namen tlicli da, wo das können zu den bewegun- gen des menschlichen körpers oder gar zu Objekten der äusseren natur in bezieluing tritt, schwindet das bewusstsein für die geistigkeit der mittel, welche das ursprüngliche können an die band gibt, mehr und mehr. (Jehen wir auf diesem wege weiter, so bleibt zulezt nur noch der begriff des möglichmachens, der fäliigkeit, eine Wirkung herbeizu- führen, ohne dass man sich bewusst bleibt, dass das können anfänglich stets eine geistige belahigung, ein möglichmachen auf geistigem wege, involviert.

AVir werden unbedenklich für können die beziehung auf die gei- stigkeit der mittel dann fallen lassen, wenn der von Icui abhängige intinitiv ein passiver ist. Denn sobald der Infinitiv ein erleiden aus- drückt, wird dadurch angedeutet, dass nicht melir der könnende es ist, dessen wissen die Verwirklichung einer handlung verdankt wird, son- dern dass entweder andere menschen oder auch andere dinge, auch gewisse umstände, ohne unser zutun jene tat herbeiführen, welche für uns ein leiden, ein „überunsergehcnlasson" ist. Von diesem gesichts- punkte aus ist das häufig vorkommende kein genesen u. dgi. zu erklären.

Nicht so unbedingt wird man in manchen anderen fällen für hinnen nur die blosse bedeutung des „möglichmachens" als zulässig erachten. Es hält mitunter recht schwer, bei kan c. inf. das Vorhan- densein jeglichen intellektuellen moments zu leugnen. Der zusatz von können bezeichnet gleichsam ein hineinleben, ein hineinversenken in die äusseren Vorgänge und verrät so eine weit gemütvollere anteilnahme an der geschilderten handlung, als sie das blasse mögen jemals auszu- drücken im Stande ist. Wir hoffen aber, dass wir die unten mitgeteilten beispiele so gewählt haben, dass sie uns in der tat kumien in jener abgeschwächten bedeutung zeigen, die sich miigen nähert. Da, wo sich in den handschriftlichen Varianten kunnen und viugen austauschen, wird dies stets besonders hervorgehoben werden.

IIa

Gen. 15, 3 xesamene siz hedumgen so si beste chunden.

Ann. 238 iz (ebir) haviti iserne ddivin daz necondi nieman gevdn.

Eoth. 13-44 daz sie mit sicerte nieman nekunde gewinnen.

M. F. 18 ^ er kan mir niemer werden leit; 78 ^^ gnade ist entsläfen

deich ir leider nilit erivecken enkan; 79 ^ daz min leider niemer

kan werden rät; 120 ^^ da kan von jären nieman eralten (vgl.

Carm. Bur. 102a nieman kan nu werden alt); 164 ■'^•^ ichn künde

niemer sin genesen.

KONNEX UND MÖGEN IM ALTD. 27

Eneit 211 ivcuid st sich vor den oudcn Jicrilticn niet eulcondoi; 11023 nclicifies sldpes er oipJach er enmohte }tocJi enkonde.

Hartmann a. H. 430 ich knude .\e Salernc keinen meister vindvn; 1\\. bS\h-i ichn, l{ftndr des nie ilhrrkninr//.

G. Trist. 35'-* sone Lidtdv er nienier sin genesen; 02-^^ ir (dhr dvlni- iier knnde noedi enmohte dehei)ie stnnde uf sinen vile^en (jestun; 73-''. 138-^ usw.; 195^' iccdcr rat noch helfe kan ijviccsen, nrind er kan nien/er r/enesen.

Uli". Trist. 510--' ein vruni nmn an trianr nietner werden kan.

Wo 1fr. Parz. 149, 1 im künde nie inen vient sin, 155, 21 er kande in ah ije\iehcn niltt; 155, 24 mit sinen blanken hcutden /irr kamt crs iiiht nf gestrieketi; Willi. 273, 30 er kan wol friunt und cient sin.

Nib. 129, 3 des enkunde im gevolgen nieman: so mihel icas sin kraft; 416, 6 der tinwel iix der Inlle, ni kund er davor genesen; 498, 2 der kan si uvl gewer/jcn mit ellenltafter kraft; 746, 3 dax eigen- holde niltt r icher knttde ivcsen; 928, 1 ern nioltte (C B chujide) niJtt gcsten; 982, 2 dax ivir niht mohten (xiC; chunden Dllif, B fehlt) dne so gröxes schaden sin; 1010, 2 sine künde {mohte CDIh) niht gegdn: 1079, 4 döne huule im Kriemltilt nimmer vinder geivesen; 1291, 3 daX: vrou Ilelche ttiht schoener künde (mohte ÜHig) gesin; 1458,3. 1862,3 ir kunnet niht genesen; 1981,4 eitkunde Gisel- here ttimmer xorner gestn; 2047, 4. 2098, 2. 2156, 1 sine künde t/iht gewegen; 2223, 4 wie künde er (moltt er Ih) grimmeger sin gewesen.

Klage 239 dax den Giselheres tot nieman künde [moltt H) erwendcn; 259 der eitkunde eitler niht genesen; 608 tiurr hclde kuttttett iresen ninder i1f der erde; 637 etikiindex langer niht gestdtt; 1050 i/i kutide der hell niht der für von tinkreften hrittgen.

Gudr. 719, 3 da si genesen kuttden; 875, 4 wie kiutdens iceseti küe- ner; 1163, 4 ntl kan ir ende nieman erivettden; 1265, 1 67* vnoren so si künden bekliste dem; 1330, 4 dax fix der ketncndte . . nic- tttan hoereti künde (863, 3 ntohte).

Waltli. 27'^ des enkan ich niht gesliexen in den arkeit; 612'' ^^./^ kuttde sich dcheittiit danne min erivern.

Fricl. 135, 13 mit tcolven niettian kan genesen; 154, 8 xe Botne vert matte ttisettt matt, die der habest niht schernie/t katt.

Konr. Engelb. 1124 ich arme cttkait niht leider des dittges über wer- den; 1570 Sit ich dantte dich tiiht überiviitden kan.

28 KAHL

Weinsclnv. 105 ich han jagen undc rdhoi; 403 ich kern wol icafen

ftfich. Bon. 32, 6 xc vliüäc icani bereit ir hein, si hoNelcn cd (jcvliehen wol.

II b «.

(Mlul. können mit sächlicheiu snbjckte.)

Zunächst müssen Avir diejenigen fülle aussclieiden, in denen wir es mit einer förmlichen Personifikation zu tun haben; so wenn z. b. der frau Minne eiu können zugeschrieben wird: Walth. 109 i' Minne, tnnnlcr hau <Jin (/Hefe liebe inachen; M. F. 1^- (vgl. Carm. ßur. 126, 6) Touijoi niiiuie Lan ijeben höhen muoi. Dieselbe und ähnliche Per- sonifikationen liegen in folgenden beispielen vor: U. Trist. 587^ din minne hau wol leren vröude. "Wo 1fr. Parz. 757, 24 liöch minne hau icol zieren; Tit. 71, 1 oive,

hiind diu minne ander helfe erzeigen. Waith. 109-^ nfinne dd hanst verheren. Fr id. 99, 6 tninne lan sich sedjc an eide icern. Konr. Eng. 89 sit Triuice cliz cdlex kein; 899 daz si (Mirme) geiraltes Idinne jitl^fj^^t^; 904 da han diu Minne enzünden herze. Weinschw. 126 du win kanst die durstigen laben.

Die liebevolle Versenkung in die naturschönheiten , welche auch den toten Objekten unserer Umgebung menschliches fühlen und empfin- den leiht, schuf ausdrucks weisen wie:

31. F. 83^*^ diu beide noch der vögele seine Imn an ir tröst mir

niht vröude bringen. M. F. 108 1'^' der ivinter kan niht anders sin ivan sivaere nnd eine rndze leine.

Auf dem übergange vom persönlichen zum unpersönlichen ge- brauch von kiinnen begegnen uns weiterhin mehrere fälle, bei denen den geistigen und auch körperlichen eigenschaften einer persönlichkeit das können einer handlung zugewiesen wird, ob wol strenggenommen das persönliche STibjekt selbst es ist, welches mit hülfe jener geistigen oder körperlichen ki-äfto die handlung ausführt. Wenn es z. b. bei Konr. Gold. schm. 806 heisst: der siechen sele ivunelen verheilen kan diu süezer li.st, so dürfen wir dafür setzen: „du verstehst mit hülfe deiner klugheit (listj zu heilen" ; vgl. Gudr. 542, 3 die mit deheinen listen heilen ieman ku?ule.

Analog sind folgende fälle zu beurteilen: M. F. 54 ^''- min herze künde ir niemer konien z^e nci. 214 ^''' der vil gerne tuot daz beste daz sin lierze kan.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 29

Gr. Trist. 2971*^ ir (jeJlmeten sinne dioi künden niender hin geice- gen. 411 -^ slt dax^ sin herxe /lienier kein ge}nach gcJnibn lan.

Wolfr. 1. 10, 19 ir nunncdicliev laclicn kan )nir irol gemaclicn höhen jnuot. Parz. 114, 1 siufxen nndc lachen künde ir inunt vil wol genmclien; vgl. 672, 19. 404, S diu ougen kunnen spelin. 638, 19 ir hlic wol knnde tagn. Willi. 378, 28.

Nib. 812, 2 jcuie kan (AC; }nach EIC) m nütt gehelfen diu gröxe Sterke sin.

Walth. 69 1^ so enkaits ein herxe alleine niht enthallen.

Er id. 51, 4 den kan deheines mannes list schuldic machen.

Konr. Gold. schm. 204 di)i miuit kan diu sele spisen.

Bon. 17, 37 boese xunge scheiden kan.

Ähnlich ist kern bei folgenden substantivierten Infinitiven zu er- klaren :

M. F. 157-1 g^f mich min sprechen nu niht kan gehelfen. Gotfr. Lobg. 77, 1 (u. ö.) von dir sagen kan in die herzen minnc tragen.

Seit dem XII. Jahrhundert finden wir auch tieren ein können zu- geschrieben :

Eneit 8674 ros kan hat flien danne jagen.

Wolfr. Parz. 36, 12 ors, dax heidiu künde hurtUchen dringen iinde

springen. Nib. 890, 3 dax tier enkund im niht entrinnen; 891, 1 kraxen

noch gebixen kund ex> niht den man; 1211, 3 ex enkunden [inoh-

ten 111) hundert miule dannen niht getragen. Gudr. 97, 3 vögele künden vliegende niht entrinnen; 541, 3 kun-

denx so olbende niht getragen. Konr. Gold. schm. 528 strüx. kan sine eier schöne hriieten.

In den folgenden beispielen haben wir volkräftige belege dafür zu erblicken, dass können die beziehung auf wissen und verstehen abgestreift hat und sich nmgen nähert, mit dem es sich in die aufgäbe teilt, auszudrücken, dass für irgend eine tatsache die objective mög- lichkeit ihres eintretens besteht

M. P. 188^ not nien künde groexer sin.

Wolfr. Parz. 1, 18 dix bispel kan vor in ivenken; 2, 1 triuive kan versicinden; 311, 21 staete, diu den xivivel dan kari schaben; 434, 17 sin wäge kan seigen; 490, 30 wax. wunders dix gelilppe kani; 572,28 dix bette Jean so umbe varn; Tit. 80, 4 ob dirre schilt lauule niesen; Wilh. 390, 30 dane künde niht geharren sin vane.

30 KAin.

G. Trist. 167^^ soue hmide ir aller viere schhi choüichlcr nicmer geshi: 195'" urdcr ruf Noch helfe hcui gcwesoi; 203-^ nötelfn diu niemcr rronder hfutdeN sin.

Ulr. Trist. 531- disiff weit lau xe gäheii ende gehen.

Nib. 17, 3 nie liehe mit leide ^e jungest löne)i kau; 231, 1 groe- .xisfen not, die immer künde sin geschehe?! : 237, 4 viaerc kuu- dcn ni))nner lieher gesin; 530, 4 hexxer phertgcreite huide niuf- mer qesin: 1115, 2 kioulen disiu maere niht verholen sin; 1412,4 sone mag [chaii Clh) in uihf gewerrcu der Kr. muot; 1849, 1 strit niht anders künde si7i erhahn; 1763, 3 von Ardhischen sidoi, die heste )uohtcn (AB chwidcn C) sin.

Klage 779 dax enkunde niht erwenden diu helfe aller diuer nuin; 942 ua)i diu Büdegeres haut künde wunschliehen gehen.

Giidr. 1500, 2 xwene kiele künden niht getragen.

Walth. 46-^ wax wünne kau (BC; mac A E) sich dd genöxen zuo.

Konr. Engelh. 250 sin muot künde nach ivirde ringen; 2071 dax (dinc) mir doch nimmer werden kan; Gold, scliiii. 572 dln gilete kan iif wallen; 1519 ex. (hröt) kan sich doch heheften mit kreften.

Ein schritt weiter auf dem wege der bedeutungsverwitterung ist es, wenn kern mit dem imbestimten Subjekte ex verbunden wird: ebenso unbestimt und inhaltsleer als ex pflegt in solchen fällen auch der abhängige Infinitiv zu sein; wir sehen mit verliebe geschehen, iverden, ivesen, sin zu dem unpersönlichen kan gesezt.

Bei der aufzählung der beispiele beschränke ich mich auf die angäbe des infinitivs; die ersten belege für ex kan, ex künde u. dgl. finden sich in M. F.

M. F. 72' geschehen; 105 2. 1641-1 206 2^ verwän; 120"' gehelfen. Hartm. I\v. 2063 gevilegen; 2638 geschaden; 6345 geschehen; a. H.

1176 geu'irren. Wolfr. Parz. 658, 8 gexemn; AVilh. 406, 4 genuogen. G. Trist. 126 22. 15736 iverden; 184 22 geivesen; 214 ^ geschehen;

lobg. 71, 3 iverden. U. Trist. 499 •^•♦. 576 21. 577 i\ 578"^^ geschehen; 525-^* iverden ver-

suigen. Nib. 13,4 sin geschehen; 11.^4 missegän; 133^4: iverden; 284,1 ivie kwule dax ergän (ABC; mcjhte Ihj; 348, 6 äne dine helfe kundex

KÖXNEX Vyi) MÖGEN IM ALTD. 31

(mokt ex 111) nilä geshi; 279, 3 oh laindc (ABC; molde Ih) daX' geschehen; 348, 10 sivax dar cui kau (niac D) ijesin; 444, 1 des 7)ia1c niht ergd)i (Alh; etu)iavh B; mac iiocli D; encha)i noch C); 669, 1 oh dax mohte (AB chändc) geschehe)/; 694, 4 dax künde (moht Ih) nnielich geschehji; 696, 2 ohe dax mehtc sin (chundeC] mac Ih).

Ähnliches schwanken der handschriften zwischen han und nnic noch: 759, 1 /t-^^;^^/e AB (//^o/z/c Clh; sohlJ)); Hbd^4: künde A {ntoh/e BC; mohtlh)', 943,2/t7^/2f/cABCD ()noJUl\\)\ l^ll,4.enkunde KBO {ennnjht Ih); 1085, 1 mohte AB {chwide C); 2039, 4 A-a?2 C {mac AB); 2063, 2 chiüideBCJ) (mölite Ih); 2310, 1 künde ABC (??2o/^^ Ih). Ih liat, wie man sieht, besondere Vorliebe für die formen von mugen. gescliehcn bei imperson. hcui findet sich noch Mb. 884, 3. 1751, 2. 2034, 1; gesin oder sin: 905, 2. 1077, 4. 1895, 4. 2026, 4. 2039,4. 2215,4; ?6-e5^;?; 889, 3. 2063, 2. 2180, 2; ^/•/7<:m.- 759, 4. 1163, 3; geiceni: 1630, 1.

Klage 10 des?i kundex niht helihen; 66 geschehen; 120 Jes enkunde (Ih enmoht) niht gesin.

Gudr. 214, 1. 770, 3. 940, 1 geschehen; 963, 2 57/^; 1255, 3 ge- lingen.

Walth. 98^^ geschehen.

Wie nahe sich dies impers. kunnen mit mugen berührt, zeigen besonders die Varianten der handschriften, die wir aus diesem gründe, wo es immer angieng, möglichst volständig mitgeteilt haben.

III.

Es erübrigt uns noch, das mhd. kan auf eine stufe zu begleiten, auf der es seine eigene bedeutung gänzlich aufgegeben zu haben scheint und als eigentliches hülfsverbum im vereine mit dem Infinitive nur eine Umschreibung des einfachen verbum finitum bildet, jedes selbstän- digen Vorstellungsinhaltes baar.

Soviel ich sehen kann, war Benecke der erste, der auf das bedeu- tungslose kan hinwies, welches zu einem Infinitive hinzutritt, ohne den- selben irgendwie zu beeinflussen; Benecke bemerkt zu Iwein 7457: „was kan betrift, so haben wir vielleicht noch zu lernen, dass dieses wörtchen wie das altenglische gan, ohne selbst eine merkliche bedeu- tung zu haben, eine schmeidigende paraphrase bildet: vgl. Parz. 29, 19. 514, 8. 536, 22. 548, 13. MS I, 16a." Haupt widersprach dieser auffassung (zu Erec 23, s. 329), ohne jedoch gegengründe geltend zu

32 KAÖL

macheu: es mair ihn die einsieht ^-eUntet. haben, dass oftmals in sol- chen fällen, in denen uns ka?i als durchaus überflüssig erscheint, der mhd. schriftsteiler eine beziehung mitunter leise Ironie! aus- gedrückt wissen weite, die wir nicht mehr nachzufühlen im stände sind. Es liegt eine Schwierigkeit eigener art darin, aus einem infinitiv nach kern jede intellektuelle oder gar potentielle beziehung auszustossen und Lrm noch unter die geltung als mattes, inhaltarmes hülfsverbum hinabzu- drücken. Wir müssen uns aber daran erinnern, dass von einem got. kann paua mannan zu einem mhd. ex. kan niht geschehen eine stetig wirkende Zersetzung der ursprünglichen bedeutung hinabführt: die vol- stiindige abstreifung der individuellen bedeutung, die sich auf der lez- ten entwicklungsstufe volzieht, darf uns darnach nicht mehr befremdlich erscheinen.

Die Vertretung des conjunctivs durch kan c. inf., die bei mag sich so häufig findet, ist bei ka)i ziemlich selten: sie sezt voraus, dass der ausgleich zwischen kunnen und miigen sich bereits volzogen hat.

Einen wunschmodus ersezt kan c. inf. in folgenden fällen: M. F. 120^ künde ex gehelfen I G. Trist. 157=^^ künde ex iemer tcerden so! (vgl. auch Holtheuer, Zs. f. d. ph. erg. 1874 s. 153 fg.).

Ich teile nunmehr beispiele für denjenigen gebrauch von ku7inen mit, bei denen kan c. inf. an begriflicher stärke das einfache verbum finitum nicht übersteigt.

M. S. I, Iß"" du kanst ein teil xe lange sin.

Wolfr. Parz. 29, 16 ich kan xe lange sitxen; 117, 18 si künde ivol getriiäen ir sun; 167, 23 sus kund er sich ht frowen scheynn; 332, 4 künde got mit kreften lehn; 380, 26 der ouch diu sper niht künde sparn; 390, 4 die knappen künden danken, sie bäten in beliben vil; 466, 20 diu gotheit kan lüter sin; 535, 10 der (riter) schilt noch sper niht künde sparn; 536, 22; 548, 13 diu sunne kan so nider sten; 572, 28 diz bette kern so umbe varn; 589, 27 deliein sül stuont dar unde diu sich geliehen künde der gi'oxen sül; 609, 9 kund si tohter unde sivester sin; 650, 15. 769, 22 da er den lip niht künde sparn. Willi. 59, 14 sivaz er siveixes uf dem orse vant, den kund er drabe ivol strichen.

Hartm. Iw. 7458 der ich niht sere engelien kan.

U. Trist. 527 2''' ^/^^^ lichten schin, der also l fiter kan gesin.

Nib. 1082, 3 vergexxen künde niht AB {mit klage nie ver- gax. C). 1318,2 dax in niht en.schadete A B I h (schaden künde C; moJit gcscliadcn D).

KON-N'EN UND MÖGEN IM ALTl). 3^

Gudr. 461, 1 die er knnde hrimjeu tnit im dau (vgl. Martin z. st. und zu 429, 1); 962, 2 Liidcicic hunde iinsanße scJioeuer frotcen pflegen (vgl. Martin zu 1528, 3). Frid. 49, 25 der loser schadet nuDiegciii mau, dem er itiht icol <jc-

frnfjteu laut. Konr. Eng. 602; Gold, sclim. 1823 der schulde kau xe ringe icegen. Silv. 3748 devi nieiischeu ist geboren an, dax er dem tode icah- se)i hau.

Wir schliessen damit unsere darstellung der syntax des altdeut- schen können; einige einzellieiten werden noch am Schlüsse dieser arbeit besprochen werden.

Ein rückblick auf das von uns durchmessene gebiet gibt uns zu folgenden bemerkungen anlass.

Können ist ursprünglich in der Sphäre geistiger tätigkeit aus- schliesslich heimisch; darauf weist uns das Verhältnis zu den urverwan- ten sprachen und der gebrauch von können im got, alts. und alid. Erst im laufe des XL und XIL Jahrhunderts zweigt sich von dem alten, reinen können, das während der ganzen mhd. zeit sich lebendig erhal- ten hat, ein schwächeres können ab, welches sich mit luugeii nahe berührt und vielfach austauscht. AYir können noch die faktoren beob- achten, die in jenem processe der Verwitterung des alten können gewirkt haben: sie haben im laufe der zeit aus dem kräftigen begrifsverbum, d^s sich aus dem urgermanischen ungeschwächt bis ins ahd. fortgeerbt hat, ein mattes, haltloses hülisverb gemacht, das nur noch in der Um- gebung eines infinitivs auftritt, weil ihm die kraft, als selbständiges verbum zu fungieren, völlig abhanden gekommen ist.

Uns ist fast nur noch jenes können geläufig, welches die objek- tive möglichkeit ausdrückt; wir haben beinahe ganz vergessen, dass können ursprünglich auf intellektuelle tätigkeit beschränkt war: nur in spärlichen resten schimmert noch jene alte bedeutung durch, die einst die allein herschende war.

§ 5. Mögen im gotischen.

Die durchforschung der bedeutungen und des syntaktischen ge- brauches des altdeutschen mögen bietet nicht immer das Interesse, das uns die geschichte des altdeutschen können abnötigte.

Wir müssen annehmen, dass auch mögen im urgermanischen ein begrifsverbum gewesen ist: das gotische weist uns in deutlichen spuren darauf hin. Aber schon im got. sind die bedingungen für die bedeu- tungsabschwächung gegeben, welche imigan frühzeitig zum hülfszeitwort

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 3

34 KAIIL

hat herabsinken lassen. Bereits im ahd. tritt die elementare kraft von magan = Jir/ieir, vnlerc nicht alzubäulig zu tage; in der überwiegen- den melirzahl der falle veransehaulieht maijnn einen begrift', der einen sehr weiten und darum individuell sehr wenig bestirnten Inhalt bat: die objektive möglichkeit. Wiihrend die intellektuelle bedcutung des alten ku)ino)i nur eine begrenzte anzahl von verben zu kinnian in adverbiale bezieh ungen treten liess, legte magan solche schranken nicht auf, und so finden wir schon im alul, teilweise schon im got. und alts., inlinitive des disparatesten Inhalts zu magan hinzugesezt; die möglichkeit kann eben auf die vei*schiedenste weise bedingt sein: durch das Subjekt mit seinen körperlichen oder geistigen eigenschaften , durch äussere umstände und Verhältnisse usw.

Wie bei können, so gehen wir auch bei mögen in der darstel- lung der syntax von der ermittelung der bedeutung aus. Zwei wege führen uns zu dem resultate, dass das urgerman. mag dem ausdrucke körperlicher kraft und tüchtigkeit diente.

Die Sprachvergleichung stelt folgende sippe urverwanter Wörter auf: skt. mahas glänz, macht; mahan grosse; griech. ufjyog, j^iff/ßQ, fitj/ciiij, ueyag\ lat. mag -uns, maior, mag-is; got. mag, malus, mi- hils; kirchensl. mogq possum usw.; altiran. do-for-magar = augetur (vgl Curtius, Grundzüge 5 s. 329. 333; dortselbst die übrige litteratur).

Auf der andern seite können wir beobachten, dass das got. mag dem griech. loyvvj und di-rauca entspricht (die belege vgl. unten). Hal- ten Avir hier einen augenblick inne! Die entsprechung hj/vco = mag stimt zu den eben dargelegten etymologischen Verhältnissen. Etwas anders ist es mit dvrauai: zwar lässt auch övrauai die übersetzans:: ^ich habe macht" zu, aber daneben besteht schon für die klassische graecität eine andere, blassere und algemeinere bedeutung: die der fähigkeit überhaupt, der möglichkeit; stellen wie Soph. Ant. 686 olV av divaiui]v Liijr iTtLOzulur^v Ityeiv; Phil. 1393 el ot / iv loyoiq 7cu- oiLv dvrr^GoueoO^a usw. scliliessen, weil Infinitive geistiger natur hin- zugesezt sind, die beziehung auf kraft und macht aus: es handelt sich hier um ein ganz algemeines „können", ohne rücksicht auf die mit- tel, welche dem könnenden zur Verfügung gestelt werden müssen.

Während also die griechischen entsprechungen des got. kan durch- weg einer und derselben begrifssphäre entstammen (yivioo/M, olda, ItcL- orauai usw.), gleichsam nur verschieden gewendete veräusserlichun- gen desselben vorstellungsinhaltes sind, so birgt das got. mag in sich schon zwei verschiedene begriffe, den der kraft und den der mög- lichkeit.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 35

Zwar ist es ein leichtes, diese beiden begriffe auf einen zurück- zuführen: das physische können Hesse sich als eine besondere art der möglichkeit auffassen, derjenigen, welcho durdi das körperliche vermögen des Subjektes bedingt ist. So erschiene die fähigkeit im algemeinsten sinne als diejenige Vorstellung, welche vn/f/an ursprünglicli zu gründe liegt. Die etymologischen Verhältnisse widersprechen aber dieser annähme auts entschiedenste: die urverwanton Wörter zeigen sämtlich eine deut- lich w'ahrnehmbare beziehung auf w^achstum und stärke, während sie einem so abstrakten begriffe, wie der der objektiven m(»glichkeit ist, ursprünglich fremd gegenüberstehen.

Wir müssen daher annehmen, dass man sich nicht immer des Charakters der mittel bewusst geblieben ist, welche durch macjan an die band gegeben werden, dass man vergessen hat, dass der „mögende" eigentlich nur auf physischem wege zu seinem ziele komt. Den ana- logen process haben wir oben für Inutnan beobachtet; nur ist hier noch einmal zu betonen, dass können seine genuine bedeutung lange zeit hindurch bewahrt hat, während für mögen die ersten anfange der bedeutungsdifferenzierung und -verblassung schon bis ins gotische hinab- reichen.

Das got. mag = iGy/co, valco lässt sich in dreifacher construk- tion nachweisen:

I. Absolut, doch ist dieser gebrauch ziemlich selten; meist ist da, wo mag allein steht, eine ellipse zu statuieren: Eom. 8, 7 ivitoda gu]}s nl vfhaiiscij), ip ni mag (ovö^ yccQ öiwazai)-^ Marc. 9, 18 jah qap sipo)/jani pcinaim ei iisdribei)ia ina jah ni mahiedun {/ml od/, ur/i- üccv); Marc. 9, 22; Marc. 10, 39 ip eis qepun du iinma: magu {ßvva- j-ieda)] Luc. 19, 3 jah ni 7nahia (sc. gasailvait) faiira managein.

IL mag ist befähigt, einen objektsaccusativ zu sich zu neh- men, doch bezeichnet dieser nie ein concretes objekt, sondern enthält algemeine bestimmungen wie all, Iva u. dgl.: IL Cor. 13, 8 ni aiih magum ha ivipra sunja ah faur siinja; Phil. 4, 13 all mag (jcuvva lir/vco).

III. Meist wird das objekt, auf welches die hr/^g oder övrauig gerichtet ist, in einem Infinitive angegeben: Mtth. 8, 28 sleidjai filu, sivasive ni mahta marma nsleipan pairk pa)ia uig jaiiiaua {wate jlitj iGyvew TtaQeld-ELv); Luc. 6, 48 jah ni mahta gaicagjan Ha (ovv. l'oxuoe Gcclevoca aunji'); Luc. 8,43. 14, 29. 20, 26. Luc. 16, 3 graban ni mag, hidjan skama mik. Eph. 3, 18 ei mageip) gafahan = h'a l^iGyv- arjve VMTaXaßtGdai.

Der begriff der kraft und stärke, der in den bisher mitgeteilten beispielen festgehalten wurde, tritt in den folgenden belegen nicht her-

3*

36 KAHL

vor: es handelt sich hier in dem oben besprochenen sinne um den aiis- druck einer objektiven möglichkeit, eines övraoO^cxi, posse: Marc. 2, 4 jah )n' ma(iandans itcha qh)fa)i [iit] dnciueroi frQo^eyyiaai): Luc. 8, 19 Jah f/i malitcdioi aN(JqiJ)an: Marc. G, 19. Skeir. 39, 10 ni n/ag (ja- saikan: Marc. 9, 23 inageis (jalauhjcui : Luc. 6, 42 }}i(i(jt qijnin {dvra- oca h'yeir). In den beiden folgenden beispielen bewegt sich der abhängige inlinitiv durchaus auf dem gebiete geistiger tätigkeit ; ^um so weniger sind wir berechtigt, hier ufag ^ layvco zu fassen und an kör- perliche kraft auf Seiten des mögenden zu denken. Joh. 14, 5 Jvalica niagmn Jtcnia icig hu)nia)i (övvdued^a dSlrai); Eph. 3, 4 dujijtc ei sigg- wafidans )nagiip fra])jaii frodcin inchiai in runai Xristaus = 7C(jd^ o dnaa&£ dyayn'cjay,orreg vofjoai t))v ovrioiv /.. t. X. Weitere belege zu I, II und III bietet Schulz es Got. Avb. s. 216; Köhler, Synt. ge- brauch des inlinitiv im got: Germ. XII, 425.

§ 0. 3Iögeii iiu altsäelisiseheii.

I. Der absolute gebrauch von magcui ist im alts. nicht mehr belegbar, es sei denn, dass man Hei. 2846 huat mag that thoh the- saro motigi nicht wie Steig (Zs. f. d. pli. XYI, 327) getan, durch die einfache ellipse von uaesan erklären Avill. Ellipsen leichterer art Lie- gen vor: Hei. 659 sia frumida tliie malita (sc. frummien)^ 2727 hah- dun ina for laidrsagon so sia uuela mahtun (sc. liebbian).

n. Für mag c. objektsaccusativ bietet das alts. kein beispiel.

111. mag c. infin.

a) mag c. inf. = valeo begegnet uns an folgenden stellen: Hei. 891 hie mag aUero manno gihiiena mtngithaldo sundeono sicoron; 1008 that hie alätan mah liudco gihuuilikon saca endi sumlea; 2107 ic gilohiu that thu giuuald hahis that thu ina hinana mäht helan giuuirkean; 5321 hie ni mahta is Utes gifresoJi.

b) Zahlreicher sind die beispiele für magan = öuraG^ai, j^osse; ich muss mich hier auf eine auswahl beschränken. 725 nu ic giiiuin- nan mag; 773 nu mahtu an fridu ledean that kiml; 1360 al so ic lu nu giuuisean mag; 4041 seggian mag; 5087 mugun is antkennian uuiht usw.

Das alts. kent auch bereits unpersönliches mag: Hei. 141 huiio mag that giuuerdan so'^ 158 hui it so giuucrthan mugi; 271. An zwei stellen ist man geneigt mag zu übersetzen durch „ich habe ui-sache, veranlassung": 1709 tha/tn mahthu aftcr thiu suäses man- nes giseon sithor gibuotean; 1711 so mag that an is hugi mera an ihesaro middilgard manno gihuuilicon uuesaii.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 37

Einmal eiullicli in der altnd. psalnienübersetzung Ps. 54, 13 seilen wir ein plusquaniperf. coni. durch ))iohtl c. inf. widergegeben : abdcondiasc/n nie foraltmi ah co = ic burije ml, so Diolitl (jibergan fan imo. Wir werden weiter unten gelegenheit liabf^n, ausführlicher auf die nahen beziehungen zwischen niiajcn und dem conjunctiv zu achten.

Das alts. zeigt uns somit bereits eine grössere mannigfaltigkeit syntaktischer anwendungen von tnay als sie nns das got. bot; wir wer- den das ahd. auf diesem wege immer weiter fortschreiten sehen: jemehr aber die gebrauchssphäre von mögen an ausdehnung gewint, um so ärmer wird der logische iuhalt von intigcit.

§ 7. 3Iögeii im althoclideutsdieii.

Die ahd. glossen bezeugen, dass auch im ahd. neben jenem mugen, welches lat. ralcre glossiert, ein anderes einhergeht, lat. possum oder qiieo entsprechend; die Übersetzungen bieten zahlreiche belege für diese tatsache; sie verraten ausserdem noch einige andere bedeutungsnüancen von }fitf(jcff , = licet, convenit usw.; sie lehren uns ferner, dass der conjunktiv und das hülfsA^erbum mugeii in begriüicher verwantschaft stehen; sie nötigen uns endlich eine ganz erhebliche abschwächung der ursprünglichen bedeutung da anzunehmen, wo wir inaij c. inf. einem ein- fachen verbum Unit, des lateinischen gegenüberstehen sehen. Von den ahd. glossen kommen hier folgende in betracht: 1, 26^*^ iiivaUdia unmahtil-; 152 ^^ valerei mahda; 235 ^^ qucatii meld; 236 ^^ queverunt mahton, malitun; 2'^Q>^^ potuerunt maldon; 365^ potest confici mac uuerdan liataii; 586^^ valelnt nuujet; 754^^ possunt niegin; II, 21-^ nc ptossit thar^ ni nuaji; 21^'^ quis queat uuer nu ninyk; l-kQ-'^ neqidverit neniegi; ^2S)^^' possiniiis meyiii; 666 ^^ potes niaJitöst; Emmer. glosse (Pez I, 402) passi- hileni = martra dolen rnagan.

Aus der ahd. übersetzungslitteratur bringe ich nur einige beispiele, da ich unten dem deutschen texte jedesmal, wo es angeht, das latei- nische original hinzufügen werde. Eragm. theot. IV, 17 potestis magut; XI, 3 licet mac; III, 1 perderent farleomn mahtin; Isid. VI, a. 6 sit mac uuesan; Tat. 108, 2 valeo mag; 231, 1 nianducetur exxan niegi; Notk. Boeth. 40^ lihint mngin; 41 ^^ fas fuisset maJiti; 89 -^ habere licet haben mugen; 122 ^^ videas ma.ht sehen; 153^^ valet mag; 173 ^^ licet mag; 200 "-'■' habent volcndi iiolcndique natiiram mugen iiuelleii unde neuuellen; Mcp. 696 ^ conveniret accipere nemen inahti; MSD 54, 12

38 KAHL

quomodo sc dicit uueo mag sin; 10, 14 undc hahes itudr mcdü thu nemmi: vgl. auch Denecke Gebrauch des inf. bei den ahd. Über- setzern des Till, und IX. Jahrhunderts s. 9.

Der nunmehr folgenden darstellung der syntax des ahd. mögen legen wir folgendes schema zu gründe. Wir behandeln I. den absolu- ten gebrauch; II. die transitiven anwendungen, die sich in der casuel- len oder präpositioneilen anknüpfung eines objekts an niafi kundgeben; IIL die iniinitivconstruktion bei mag. Unter IIL stellen wir zunächst a) die fälle zusammen, in denen })iag valcre entspricht; dann b) die- jenigen, in denen es die blosse fahigkeit und möglichkeit zum aus- druck bringt, = possc; c) im anschluss hieran finden die beispiele erwähnung und erklärung, die uns mag als Übersetzung eines lat. licet, fas est u. dgl. zeigen; d) in einem folgenden abschnitte weisen wir nach, dass mugoi im ahd. nicht auf persönliche Subjekte beschränkt ist; von persönlich gedachten subjecten gelangen wir bis hinunter zu ex, als dem träger eines magan; der mangel an coucreter bestimtheit, der sich in einem ex. mac ausspricht, leitet über zu den fällen e), in denen mac c. inf nur eine Umschreibung des einfachen verbum fini- timi ist; gesondert hiervon ist endlich der gebrauch desjenigen tnac c. inf zu behandeln, das zum ersatze eines conjunktivs f) und des futurums g) dient.

I. Der absolute gebrauch des ahd. "mag

ist sehr selten: mir sind nur folgende beispiele bekant: MSD 60, 15 in des uniUioi er sih gatrüeta magan {cuius voluntate credidit se 2)0sse); Ben.-K. 39,2 ferist megi = praevcdet. gimitgen steht absolut: Xotk. Ps. 140, 7 imanda dei gemähten. In den meisten fällen handelt es sich bei alleinstehendem mag um eine ellipse, so Xotker Boeth. 46^4: so sie gedrungenost maliton; Ps. 118, 13 edle nemahta ih (sc. Urnen): Ps. 8, 3. 37, 7.

Der infinitiv fehlt besonders dann, wenn es sich um ein verbum der bewegung handelt: hier genügt die angäbe der richtung: MSD 13, 20 ne megih in nohhein lant; Otfr. Y, 10, 6 nnanta furdir ihn ni mäht; Notk. Ps. 119, 2 ferrer a denne du 7negist

IL mag mit einem objekte (iinaz, daz, all u. dgl.)

1) c. acc. MSD 60, 2 mac dix; 17 daz mac; 20; 22 da.z neo- man mac in Paulo, daz mac xa nudre in trühtin = quocl nemo j)otest in Pauh, hoc potent in domino: vgl got. IL Cor. 13, 18; Phil. 4, 13. 3ISD 82, 11. 19 negimahta nieht; 91,106 so siez verröst gimugin; 109 übe ih ez gimac. Murb. H. 20,6 iiuaz diu maJc höhira;

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 39

Tat. 92, 4 oba ihn laiax mugis; Otfr. lY, 31. 33 cdJa-, itharmag. Notker kent nur das compositum (jimuijoi c. acc: Boeth. 53 ^^ rhe- torica ganag micheliti duig; 80^2 mvr; 107' dax; 174^. 185^. 1982. 2W al; 233^; Mcp. 781 1'^ fih grwng: Ps. 118, 93. Nur einmal: Ps. 14, 4 haben die AViener und AVessobrunner hs. nieht ne- viühta; der cod. St. Gall. nicht negemahia.

2) c. gen. Xotk. Boeth. 23Q ^'-^ sih fernntgoi s/ncs la)igcs; 248 1'' fermahta er sih rufgoiucs.

3) c. dat. Tat. 80, 3 gimugen in (siifficiH)tt eis); Notk. Ps. 7, 3. 60, 4 er gemag mir (liat gewalt über mich); 88, 23 nicht ncmag imo der fient (vgl. Lachmann zu Nib. 785, 1).

4) c. praep. Tat. 24, 3 .\i niouuihtci nimag ix elihor; 90, 3 )ii gimugun iiuidar int (non prcievalebiDit adversus eani).

III. mag c. infin.

a) miigen = v alere.

Ich beschränke mich auf eine auswahl von stellen:

MSD 3, 57 (Musp.) dar nimac mäc hclfan vora deme muspille. 3, 83 imo ntaii hipdgan ni mak; 9, 2 giuualt duz er mac ginc- rian; 86 C 1, 11 der so Iduucdtic uuas duz er stnan pichordre firsenehi)i mähte.

Tat. 38, 3 mag xtiogionhhön (= got. Mtth. 6, 17 viag anaaukan) ; 108, 2 ih ni mag grahan (fodcre non valco) ; 189, 3 qnedentan mngan xiuucrfan got es tempal; 205, 3 sih sclbon ni mac er heil tiion: 236, 4 ni mohtun xiohan = non vcdetmnt trahere.

Otfr. I, 23, 47 got mag thcse kisila irqidgken; A^, 7, 35 ni meg ih tliax irkohoron vgl. Y, 23, 1.

Notk. Boeth. 141 ^ ncmugcn siu aber gcleistcn = valent efficere; 153 ^'^ 7nag chuningo geivcdt mahtigc gctdon = valoit efficere potentem; 162^' nemugtn dara follcleiten (perducere valeant) ; Mcp. 753 -" linde den adamas nioman ferbrechen ncmag; Ps. 35, 13 an demo fuoxe nemahton si gesten; 40, 4 so er föne unchrefte ur firsten ncmag; 146, 9 er niieix die starchen dia daz keime magcn. Ebenso MSD 9, 5. 55, 3. 4. 65 II, 5. 67, 30. Isid. lY, b. 8. Tat. 30, 4. 44, 19. 46, 2. 88, 10. Otfr. II, 22, 23. Notk. Boeth. 7H l^K

b) miigen = posse.

Es wäre ein zweckloses unternehmen, alle die stellen anführen zu wollen, in denen mag c. inf. posse entspricht; d. h. die objective möglichkeit bezeichnet. AYir dürfen, ohne uns der gefahr der über-

40 KAHL

treibuiig auszusetzen, behaupten, dass schon im ahd. der Infinitiv eines jeden verbums, welches auch sein eigentümlicher begrifsinhalt sein möge, zu diesem moii adverbial hinzutreten kann. Icli begnüge micli, aus MSD eini2:e der hierlier irehöri2:en Infinitive aufzuzählen und zu rubricieren. Der infinitiv bezieht sich

1) auf eine geistige tätigkeit: ^[SD 3, 94 arliiHian; 13, 5 in gcdancliun f/ifmaHchnff; 54, 8 farstüKtot : 61, 28 qiiidcni; 72, 40 Iw- uemnjan; 82, 7, 3 uuiwoi; 82, 12, 2 iji^clmn; 83, 7 })U)nt(ui; 86 C, 7 irchcnni)!.

2) auf körperliche Verrichtungen u. dgl.: 82, 3, 2 f/croh/rN; 83, 18 (fc/f; 83, 53 gcrilitcti; 85, 17 iscadoi; 86 B 3, 34 hei mir clionicn.

3) passive infinitive liegen A^or in: 4, 3, 7 ;ia scediii uuerdcut; 56, 101 heil nucsa)i; ^'o^ 13 vundaii iiucrthcm; 79, 220 kcJmIten uucrdcn; 82, 3. 9 (jeseidn UKcrdiu; 86 B 1, 5 Irfidlit nucrdcn; 86 A 4, 10 firbrcfitfct uucrdcn.

Es wird ein leichtes sein, diese belege aus der ahd. litteratur

beliebig zu vermehren. Ich möchte noch darauf hinweisen, dass einige

mal lat. adj. auf -hilis durch mugot c. inf. umschrieben werden. Em-

mer. gl. (Pez. I, 402) passibilcm = martra dolen marjcn; MSD 80, 13

huic exorahilis = icr ma(j horsko gehetön; !N'otk, Boeth. 397 ^^ su-

sceptibilis est = inphahen mag; 397 ^. Ps. 118, 54 cantahilis ==

dax ich sie singen mahia. Die AYindsberger psalmen (s. 564 Gr.)

bilden an dieser stelle sanclich; vgl. auch Notk. Boeth. 174 -^ perspi-

cua est = mag sehen.

c) mag = licet u. dgl.

Schon oben wiesen wir bei gelegenheit zweier stellen des Hei. darauf hin, dass im ahd. mag neben jenen bedeutungen, welche wir oben besprochen haben, noch einige andere Liegen, die sich durch eine stärkere bezugnahme auf das Subjekt auszeichnen, als sie sonst dem algemeinen begriffe der möglichkeit zueignet, mag kann im ahd. auch heissen :

1) es steht mir frei; ich kann, Avenn ich will;

2) ich habe Ursache, veranlassung.

"Wie haben Avir uns diese bedeutungsnüancen zu erklären? Die mög- Uchkeit einer handlung kann in umständen wurzeln, die den persön- lichen eigenschaften des Subjekts oder den Verhältnissen der äusseren Wirklichkeit entstammen; für den ausdruck dieser arten der möglich- keit ist mugen bestimt.

"Wenn nun angegeben werden soll, dass zwar die äusseren und inneren faktoren vorhanden sind, Avelche durch ihr zusammemvirken

KÖNNEN LND MÖtiEN IM ALTD. 41

die befall igung des Subjekts und damit die niögliehkeit der liandluug constituieren, dass aber gleicliwui das subjekt die unumschränkte frei- heit seiner entschliessung sich bewahrt, dass es in keiner weise einem niJtigenden eintlusse jener umstände unterliegt, so entwickelt sich daraus der betriff: ,, ich bin zwar bctaJiig-t zu einrr tätigkeit, aber es steht in meiner band, ob ich die tätigkeit aus der mit^licldvcit in die Avirkliclikeit will übergehen lassen." Wir haben es hier also mit einer besonderen art der möglichkeit zu tun: derjenigen, welclic dem subjectc keinen zwang auflegt, ihm die freiheit der selbstentscheidung belässt

Auf der anderen seite kann nun der fall eintreten, dass die fak- toren der mr)gliehkeit mehr tun als die nirtglichkeit bedingen. AV^'un wir Otfr. I, 18, 11 lesen: tha\ mufjun inn'r io ria\an, so ist damit nicht ausgedrückt, dass uns die fähigkeit zu klagen innewohnt; Otfried Avill Yielmehr sagen, dass der verliist des paradieses, unseres heimat- landes, von dem an jener stelle die rede ist, uns gewissermassen auf- fordert zu klagen, der anlass unserer trauer ist Auch liier tritt also nur eine seite des algemeinen begriffes der mr)glichkeit, jedoch schär- fer und bestirnter, hervor. Nicht g'cnug, dass die möglichkeit überhaupt vorhanden ist: die umstände, denen sie ihre existenz verdankt, sind zugleich so eigentümlicher natur, dass sie an uns das ansuchen stellen, die möglichkeit zur Wirklichkeit zu gestalten.

1) Beispiele für mag = licet, es steht mir frei.

MSD2, 55 (loh i/iaht da nu aodliclio Iniisti (jeiminnan; Fragm. tlieot. XI, 3 odo ni mac daz ich uuillu tiiocn = mit non licet mihi qiiod i'olo facere?

Otfr. I, 23, 18 so thu thir thar lesan mahl; ebenso II, 3, 11; 3, 29; III, 14, 51; IV, 5, 60; 6, 2; 15, 59; 33, 21. II, 9, 90 ms mäht fhih cd hithoihDt; L. 44 sclbo inaht ix. Icsan thar; II, 24, 2; V, 13, 3; H. 38.

Notk. Boeth. 40 "^ uuax si getüen mmjin (libiiit) ; 41 ^^ i\ nemahti nioman anderro gitnon (fas fidsset) ; 89-^ den manige liaben nemu- gen (licet); 173 ^^ samolih mag ih sagen (^ similiter licet rafio- ciuari) ; 195 ^'^ mag ih paldo festenön (licet conclndere) ; 200 -"• lin nafürlicho mugen iiueUen unde ne imellai ((jaae hahent aliqnam volciidi liolendique naturam) ; Mop. 696" uuelicJia er ncman mahti (quam conveniret accipere).

2) mag = ich habe Ursache.

MSD 3, 6 sorge) i mac diu scla; 3, 23 so mac huckan xa diu, sorgen drdto; 91, 239 dax ich innigliclio hiiceinon miige.

42 KAHL

Otfr. I, 18. 4 ich nicc] i\ hho)i harto (vgl. lüerzu Erdmann Unter- suchungen usw. I. 18 gegen Grimm Gr. lY, 80); I, 18, 11 ihaz mugiDi Huir io ria\an: 11,4, 77 /// niaci i\ uuoJa nikJa)) ; IV, 12, 58 ih m€(i i\ haJdo sprcchau: Y, 9, 20 ihax nnigtDi uidr iamcr nueinon.

Notk. Boeth. 102^ iar mcuj mau mm Urnen udc()ritat€m; 184 ^ tiu ff er uiiort nuujoi uuir dinfcn; Categ. 868 ^- sie mag man hede hci\in honio undc aninial.

d) 7nag mit unpersönlichem Subjekte.

Es Avar interessant zu beobachten, wie langsam der unpersönliche frebrauch von können im altdeutschen sich bahn brach. Yor dem XII. Jahrhundert war die Übertragung von hnnucn auf ein sächliches Sub- jekt oder gar auf c\ nicht nachweisbar; wir konten noch mehrere Zwi- schenglieder aufzeigen, av eiche die vermitlung zwischen dem persön- lichen und unpersönlichen können gebildet haben. Anders ist dies bei mag! Die objektive möglichkeit kann für eine sache ebenso gut ein- treten wie für eine person: von einer befähigung darf man hierbei freilich kaum sprechen; es handelt sich darum auszudrücken, dass gewisse umstände der Verwirklichung einer handlung günstig sind oder nicht, und somit für dieselbe ein mngen oder nemngen herbeifüh- ren. Die ersten beispiele für mugen mit sächlichem subjekt und ez lassen sich im ahd. bei Tatian nachweisen.

1) nuigen mit sächlichem Subjekt.

Tat. 25, 1 ni mag bürg uiierdan giborgan; 184, 8 inti ni mac daz

giscrib xilosit iinerdan; 164, 3 Uküi iliisiu uiieralt intfdhan nimac;

167, 3 da^ inii)doub )ii mac beran iinahsmon fona imo sclbemo;

240, 2. MSD 79A 119 irmcxxen undc bcgrifen neniag in nehein sin; 81, 26

taz ist libhafte (animal) daz sich riierin mag. Notk. Boeth. 10 ^•'^. 30^*^ imprudentia nemog mih bringen ze demo scnl-

digen; 49 ^^ stcrnen nemngen skinen; 65 ^- sprächö unde ding

ncmugen dne sfrif nicht u'crdcnt; 81^ so mugen anchorae gestäten

daz skef; Sl ^\ 92 1^ 102 '■. 147 ^l 154 '^i usw.

2) ez 7nac c. in f.

Tat 17, 3 fon Xazareth mag sih uuaz guotes iiuesan; 119, 5 vaio mrignn thisn (haec) nnesan; 181, 1 ob iz unesan Tnohti.

Otfr. I, 25, 5 mdo mag sin? vgl. I, 27, 58. II, 3, 7. II, 7, 46. lY, 11, 26. Y, 7, 21 mag mih gelüsten uueinonnes; Y, 18, 13 iz mag ans tiuesan dräti; Y, 19. 36 queman mag uns thaz in muat.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 43

Notk. Boeth. 61'-'' (la\ imo scunolih hrshchoi niahti ; 95-^ im ncmaij aber des nieJit sin; DD- (ln\ imo lichcsta Diugc sin: 103 -- iniaz niai) (hnnic liehen; 121-^ )na(j keskchen; 136 1-* nuio meiy sin; vgl. 211^. 114^. 149 1^ 160 2«. 180 1».

e) nniij c. in f. = v erb um finituni.

Der impersonelle gebrauch von mnijeii lässt uns darauf schliessen, dass schon im ahd. die logisclie kraft des verbums mmjen bedeutend abgenommen hat: frühzeitig ist das ahd. nunj zum hülfsverbum lierab- gesunken.

Schon aus dem anfang des IX. jalirhunderts können Avir fälle nachweisen, in denen nunj c. inf. nur die geltung des einfachen ver- bnm hnitum hat, wie uns die lat. übersetz ungs vorlagen zeigen kön- nen. Xun kann zwar nicht geleugnet werden, dass in manchen der beispiele, die wir unten anführen werden, mcnj wol nicht ohne absieht vom deutschen Übersetzer hinzugefügt worden ist und deshalb bei der erklärung nicht ohne weiteres auf die seite geschoben werden darf. Allein man wird doch zugeben müssen, dass dies mcnj , wenn man ihm noch eine individuelle bedeutung zugestehen will, jedenfals recht schwach und inhaltsarm ist und von dem alten mcujeni = layveiv durch eine tiefe kluft getrent ist.

MSD 10,14 laietr niaht thn (jiiot )nan neman qneepriDnmn = tinrlc ergo hahes aqnam vivemi? ; 10, 27 des Dmldlin siehure sin, = hoc vere dixisfl; 10, 28 deix thil mäht foraseigo sin = qina propheta es tu; 54, 12 nueo meig er christäni sin quornodo se ehristia- mnn dicit; 80, 5 so meui einen stupf ketuo)i mag.

Tat. 45, 4 ihiu hihcihen mohtun einerö giuuelih xuei mex odo thriu (ccipientes singulae metretas hineis vel ternas) ; 240, 2 nudniu the- san mittilgart bifdhan rnrigan ^- arhitror mundu?n capere eos.

Otfr. lY, 14, 15 thiu mugun urhundon sin.

Notk. Boeth. 124 '^' ^luaz mag stcircheren sin eul persueidendinn dcinne daz lob ist; 135 -"^ tax nenieihti nicht snieihe sin = neque cnim vile qiiiddeim est; Ps. 24, 19 ih iro destc uuirscren trost haben mag.

f) mag c. inf. ersezt den conjunctiv.

Dem conjunctiv, mag er nun im besonderen als optativ, jussiv (adhortativ), potential oder wie auch sonst immer aufti'cten, ist es eigen, einen „mangel an objektiver tatsächlichkeit" zum ausdruck zu bringen. Ebenso schlicsst aber jede möglichkeit einen mangel an Wirklichkeit in sich ; es haben daher „die kategorien der möglichkeit und fähigkeit eine

44 KAHL

verwantsehaft zu der diuch den eonjunctiv bezeiehneten der verringer- ten realität oder negativität" (Bock QF. XXYII, 15). Von diesem gesichtspnnkte ans haben wir es zu beurteilen, wenn im alid. nicht selten ntac c. inf. da steht, wo wir eine conjunctivform des verb. fin. erwarten oder gar, wo das lat. original sie bietet. Mitunter wechseln innerhalb desselben Satzgefüges der eonjunctiv und ein indicativ von iliugcu mit Infinitiv, z. b. Otfr. V, 23, 37 thoh inio ahuucrtax st ni- tffog ouh üiii ihcn ONf/o)i \i (faiinuncrtix scoukoh: vgl. IV, 19, 25/6. Als beispiele für den ersatz des conj. durch mac c. inf fülirt Erdmann (Untersuchungen usw. s. 36) an:

^ISD 10, 1^8 hrrro in ihir aunjic sein, da\ ihü mäht fomsago sin; Otfr. n, 14, 55 ffiifi niuat dtiai viih iris, tliax flut forasago sis (vgl. MSD s. 294). Wir haben die stelle MSD 10, 28 schon oben unter den fällen aufgezählt, in denen }nac c. inf = verb fin. steht. Otfr. Y. 23. 1 steht im nachsatze viag einem conj. praet. des con- ditionalen Vordersatzes gegenüber: imoU ih hiar nu redi)W)i, ni mag i\ thoh irhohoron.

Die verti'etung des conj. in optativem sinne durch Diag kann ich aus dem ahd. nicht belegen; doch möchte ich hierher stellen: Notk. Mcp. 760 - tia mahtist til gcnio seilen glixenta ((piam et eonspicere nitentem velles).

Der jussiv liegt vor in: Otfr. I, 26, 6 Inar ntag er lernen = hiar lerne er (Erdmann s. 36); lY, 26, 24 ia mag ix got erljarmcn. AYeit häufiger wird der potentialis durch mac ersezt. Das wesen des potentialis hat Erdraann (1. c. s. 16) zutreffend folgender- massen beschrieben: „In einer beschränkten anzahl selbständiger con- junctivsätze ist die subjectiv- begehrende erregung des sprechenden ab- geschwächt, da kein Interesse desselben am satziuhalte hervorgehoben wird. Was dieser eonjunctiv mit dem wünschenden und auffordernden gemeinsam hat, ist die Vorstellung des redenden, dass das eintreten nicht jezt wirklich statfindet, sondern algemein, d. h. nicht zu einer bestirnt ins äuge gefassten zeit, sondern überhaupt zu irgend einer zeit statfinden könne, d. h. möglich sei." Man ersieht daraus, dass das hülfsverb, dem die function zukomt, die möglichkeit auszudrücken, nämlich mugen, in ganz besonderem masse geeignet erscheint, den conc. potentialis zu vertreten. Bisweilen wird bei diesen Vertretungen mugen selbst in den eonjunctiv gesezt. Hierüber hat sich Holt heu er (Zs. f. d. ph. erg. 166) so ausgesprochen; „Ohne das hülfsverb würde der coniunctiv stehen, mit dem hülfsverb steht der satz im indicativ: es umschreibt also den modus. Die spräche geht aber noch einen

KÖNNEN UND MÖGEN IM AiTD. 45

schritt weiter. Sie sezt auch das hiiltsverb in den modus, den es eigentlich umschreiben soll, und es enthält der satz so die modale beziehung in der tat doppelt ausgedrückt." Beispiele für inac c. int". = conj. potent, sind:

MSD13, 12 uuie nidlitih dir iulruuiaii (et quo a farle tuet fu(jiam); 54, 13 odo um mac der furi audra dcrd calaupd putyco a//t (cd quoinodo j)ro alio fidci spousor vxistat).

Otfr. I, 4, 55 uulo uu(j ih auiwan tJuinnc; Y, 25, uurs inaj ih fergo)( uwra.

Notk. Boeth. 9G ^'' iolö sin<)C)i vudfli.st (ccuitarcs)-^ i'll ^"' h) inalit ena sehen = itaque Ulatn videas; 108^ uues nuuj ih mi diycu (quid i)nprcccr) ; 224 ^^ uuer maij uuinneshcfte scaffunga (jetuan = quis legem det cuuaiäibus; 102 ^^ nua:. uiag ilt rachöit (quid disseraiu) ; 113^ aide laiax mag Itaben (aut quid habeat).

Im gefüge des zusammengesezten satzes begegnen uns folgende Vertretungen des conj. durch mugen:

1) Relativer nebensatz.

Eragm. theot. III, 1 liuueo sie inan forleosan mahtin (quomodo

perderent). Tat. 231, 1 iha\ man exxan uiegi (quod uianduceiur ; Par. fragm.

Zs. f. d. a. XYII, 74 manducetis). Notk. Boeth. 10 -'^ after dien man stigen maliti (quibus esset ascen-

sus) ; 46 1^ thar muot sulit insliefen mag (per quod irrcpjserit

morbus). 105^^ tie dien uuirsisten mugen haften = quae sc

patiantiir j^f^ssimis haerere.

2) Indirecter fragesatz.

Isid. TL a 6 uuala nu, auh uues mac dhesiu stimna iiuesan = age nu7ic, cuius est haec vox.

3) Absichtssatz.

Otfr. I, 2, 55 thax ih iamer mit themo dröste megi sl7i; IV, 19, 25 thax si mohiin biredinön; lY, 19, 64 tliax si nun mohtin gianabrechon; Y, 12, 17 tha^ uuir megin irkennen; Y, 17, 38 thax, baz sie mohtin scouon; vgl. II, 22, 3.

4) Concessivsatz.

Otfr. I, 18, 5 thoh mir megi lidolih sprehhan (Kelle übersezt die ganze etwas schwer verständliche stelle: „und wenn auch jedes glied des leibs der spräche gäbe mir besäss, so könte doch mit Worten nie mit diesem lob ein ende sein); I, 27, 57 thax mih ni thunkit, megi sin: vgl. 11, 12, 37; II, 14, 91; Erdmann s. 37.

46 KAHL

5) In bedinguiig:ssatzen habe ich niNf/cn -= conj. im ahd. nicht gefunden; für das mhd. vgl. weiter unten und Holtheucr 1.1. s. 165 fg.

g) ?nac c. in f. = futurum.

Das jfiiturum, das eine handlung aus der gegenwart in die Zu- kunft, aus der Avirkliclikeit in die möglichkeit, liinausschiebt, schliesst ebenso wie der conj. einen mangel an realitUt in sich und tritt dadurch zu mugen in nahe beziehungen. In folgenden füllen entspricht miigen c. inf. einem einfachen futurum:

Tat. 3, 6 nuo macj ihax sin = quomodo ftct istiid.

Otfr. III, 6, 17 iiiiar wngioi uiiir nu higinuaji mit loufii brot f/cifiiinnati = Joh. 6, 5 Ttod-ev d'/oqaaoLiev , iindc cmcmus; III, 25, 7 nuax wiigu)i iiuir thcsses ducni = Joh. 11, 47 quid facie- mus: Tgl. Tat. 135. 1 miax duomcs; lY, 9, 5 uuara jniigcn uuir nnsili iiuentcn.

Xotk. Boeth. 91^*^ tir ncmag tiu fortuna dax nicht hegeben (nnm- quam faciet)] 104 1" mäht teü ieht üxerdreuiien = niun quic- qiiam impcrabis.

Zur Umschreibung des den germanischen sprachen fehlenden futu- rums durch andere hilfsverben, wie seal, uuillu , muax, vgl. Grimm Gr. IV, 179; Erdmann 1. c. s. 5 fg.; meist hat das praesens die fank- tionen des futurums übernommen (vgl. u. a. Tat. 135, 1 uuax. duomes = quid faciemns).

Wir haben damit die syntax des ahd. mvgen, zum wenigsten in ihren haupterscheinungen erschöpft, und können nunmehr zu miigen im mhd. übergehen.

§ 8. Mögen im inittellioeli(leutsclieii.

Für den, dem zum zwecke der ermitlung der bedeutung des mhd. hinmen der einfache hin weis auf das ahd. niclit genügt, schreiben "wir hier aus den oben (s. 15) angeführten vocabularien folgende glossen aus:

passe = mögen ^ moegen, mugen (Diefenbach s. 449); valere = mu- gen (ebd. s. 605); valex = miigen, miigenheit , gesuntheit ; vgl. aucli Diefenbach Nov. gloss. 1867 s. 376 s. v. vcdcre. Yoc. d. Nig. Ab- bas ed. M. Flohr s. 68 n. 3911: possibilis = mogelicher; possihili- tas = mogelicheit; 3919/20 potens = mehtiger; jjotentia = mäht, geualt.

Auch im mhd. treten uns also für miigen die beiden grundbedeu- tungen posse und valere entgegen.

KÖNNEN UND MÖGRN IM ALTD. 47

Für den unterschied zwischen hiDuien und mugcn verweisen wir noch besonders auf Weinschw. 1(3-4 idi kan icol triHloi loide mac, ich han hin/ st iindc kraft.

Nicht selten erscheinen kt innen und iniKjoi verbunden: die niüg- lichkeit wird alsdann gleichsam von zwxi selten beleuchtet: intellektuell - subjektiv (kuniicn) und physisch -objektiv (tniff/of). Heinrich v. Yol- decke liebt diese Verbindung ganz besonders: vgl. ^\. F. 64^'''; Eneit 572. 1600. 2298. 3394. 4986. 5335. 8673. 10374. 10559. 11414; vgl. ausserdem: Will. 141, 14; Wolfr. Willi. 263, 2; G. Trist. 62 •'^=^. Klage 123. 259 CD; Leyser pred. 29, 33. 65, 41. 83, 39. 90, 12.

Bei der nun folgenden darstell ung der syntax des mhd. mugcn behalten wir das schcma bei, nach dem wir oben das ahd. vniym behandelt haben und sprechen daher vom:

I. Absol. gebrauch des mhd. mugen.

Der absol. gebrauch von mugen ist im mhd. nur an wenigen stellen nachzuweisen: MSD 46, 76 u-and ivir an dich nine mugen; Gen. 55, 9 sl sprachen da^. er wol mohte (nach Diemer = dass es ihm wohl gehe); 130, 18 ivolde uaren ze sincn geslachte eridnden wie ex. mohte; M. F. 197 ^^ oive leider ich enmac; Walth. 35^ er mac, er hat, er tuot; weitere belege s. Mhd. w^b. II, 4b (myst. 131, 2 ist dort falsch citiert!) und Mhd. hwb. I, 2219.

Meist liegt da, wo mugen allein steht, eine ellipse vor: so z. b. MSD 33 F. 20; Hpts Hl. 17, 17; Heinr. v. M. Pr. 301; Roth. 121. 1775. 4865; M. F. 16 24. 48^0. 172^7; Eneit 4986. 5335. 10559. 11414. 13045; Wolfr. Parz. 193, 28; Wilh. 17, 7. 96, 11. G. Trist. 1115. 25116. xjlr. Trist. 569^7; Nib. 1766, 4. 2081, 1; Klage 121 da lie siz (siz gen BCDIh) als ez mohte. Gudr. 846, 1. 1347, 3. 1563, 1; Walth. 58 1«. 91 1«; Frid. 3, 25; Nie. Jer. 1, 172.

Der Infinitiv eines verbums der bewegung ist zu ergänzen: G. Trist 24 22. 54417. ^ib. 576, 2; Gudr. 734, 4. 1463, 2; (vgl. oben s. 16).

n. mag mit einem objekte.

Die meisten hierher gehörigen beispiele beziehen sich auf eine ausdrucksweise, die unserem: „was kann ich dazu, dafür*' u. dgl. ent- spricht (vgl. Lachmann zu Nib. 785, 1; Kl. sehr. I, 191; Zarncke Mhd. wb. II, 4b u. fg.).

M. F. 72^3 desn mac ich niet; 171 2s waz mac si des.

Wolfr. Parz. 271, 3 ivaz mohte si, sivaz ir geschach.

46 KAHL

5) In bediugan^ssätzen habe ich nff((/cN = conj. im ahd. nicht *

befanden; für das mhd. vgl. weiter unten und Holtheuer 1.1. s. 165 fg. ^

g) mac c. in f. = futurum.

Das ifuturum, das eine handlung aus der gegenwart in die Zu- kunft, aus der Wirklichkeit in die möglichkeit, hinausschiebt, schliesst ebenso wie der conj. einen mangel an rcalität in sich und tritt dadurch zu fffHf/cif in nahe beziehungen. In folgenden fällen entspricht mugen c. inf. einem einfachen futurum:

Tat 3, 6 nun mar/ ihax, shi = quomoflo fid isiud. I

Otfr. IIT. 6, 17 }(uar winjuii uiür nn bi()innan mit lw(fa hrot

f/cinuNna?! = Joh. 6, 5 Ttod-ev dyoQuaoLiEv, widc emcrnus; III, 25, 7 % \iiM

ituox mugiDi }iuir thcsscs ducni = Joh. 11, 47 ([idd facie- mus; vgl. Tat. 135, 1 nuax duonics; IV, 9, 5 itnam mugen uuir nn^ili tmenteii. Xotk. Boeth. 91 ^^ iir ncmag tiii fortuna dax nicht hcgchen (num- quam facict)\ 104 1" mala teu iclit iixcrdrcuuen = num qiäc- quam imperahis.

Zur Umschreibung des den germanischen sprachen fehlenden futu- rums durch andere hilfsverben, wie scal, iiuillu, muax, vgl. Grimm Gr. lY, 179: Erdmann 1. c. s. 5 fg.; meist hat das praesens die funk- tionen des futurums übernommen (vgl. u. a. Tat. 135, 1 uuax duomes = quid faciemus).

Wir haben damit die syntax des ahd. mvgen, zum wenigsten in ihren haupterscheinungen erschöpft, und können nunmehr zu 7niige7i im mhd. übergehen.

§ 8. Mögen im mittelhoclKleutsclien.

Für den, dem zum zwecke der ermitlung der bedeutung des mhd. hunnen der einfache hinweis auf das ahd. nicht genügt, schreiben wir hier aus den oben (s. 15) angeführten vocabularien folgende glossen aus:

posse = 7nogen^ moegen, mugen (Diefenbach s. 449); vcdere = mu- gen (ebd. s. 605); valex = mugen, mugenheit, gesuntheit; vgl. auch Diefenbach Nov. gloss. 1867 s. 376 s. v. valcre. Yoc. d. Nig. Ab- bas ed. M. Flohr s. 68 n. 3911: pjossitjilis = mogelicher; possibiU' tas = mogeUdmt; 3919/20 potens = mehliger; potentia = mäht, geualt.

Auch im mhd. treten uns also für mngen die beiden grundbedeu- tungen posse und valere entgegen.

bcL

ii

KÖXXEN UND MÖGRN IM ALTD. 47

Für den unterschied zwischen hi)nien und mugen verweisen wir noch besonders auf AVeinschw. 16-i ich kau icol triuhn. iduIc mac, ich hdn kunst loidc kraft.

Nicht selten ersclieinen ktDinoi und ))nf(/en verbunden: die mög- lichkeit wird alsdann gleichsam von zwei Seiten beleuchtet: intellektuell - subjektiv (ku)incn) und physisch- objektiv ()/iff(/c?/). Heinrich v. Vel- decke liebt diese Verbindung ganz besonders: vgl. M. F. 64*^'^; Eneit 572. 1600. 2298. 3394. 4986. 5335. 8673. 10374. 10559. 11414; vgl. ausserdem: Will. 141, 14; Wolfr. Willi. 263, 2; G. Trist. 62 -^-^ Klage 123. 259 CD; Leyser pred. 29, 33. 65, 41. 83, 39. 90, 12.

Bei der nun folgenden darstcllung der syntax des mhd. mugen behalten wir das Schema bei, nach dem wir oben das ahd. mugen behandelt haben und sprechen daher vom:

I. Absol. gebrauch des mhd. mugen.

Der absol. gebrauch von mugen ist im mhd. nur an Avenigen stellen nachzuweisen: MSD 46, 76 wand tuir an dich nine mugen; Gen. 55, 9 si sprachen dax. er icol mohte (nach Diemer = dass es ihm wohl gehe); 130, 18 wolde uaren xe sinen geslachte eriiinden wie ez mohte; M. F. 197 ^^ owc leider ich enmac; AYalth. 35^ er mac, er hat, er tuot; weitere belege s. Mhd. wb. II, 4b [fugst. 131, 2 ist dort falsch citiert!) und Mhd. liwb. I, 2219.

Meist liegt da, wo mugen allein steht, eine ellipse vor: so z. b. MSD 33 F. 20; Hpts Hl. 17, 17; Heinr. v. M. Pr. 301; Koth. 121. 1775. 4865; M. F. 16 ^i. 4820. 172^7; Eneit 4986. 5335. 10559. 11414. 13045; Wolfr. Parz. 193, 28; Willi. 17, 7. 96, 11. G. Trist 1115. 25116. xjlr. Trist. 569 2"; Nib. 1766, 4. 2081, 1; Klage 121 da lie siz (.s/^ gen BCDIh) als e% mohte. Gudr. 846, 1. 1347, 3. 1563, 1; Walth. 58 i«. 91 16; Prid. 3, 25; Nie. Jer. 1, 172.

Der Infinitiv eines verbums der bewegung ist zu ergänzen: G. Trist. 24-^2. 54417. ^ib. 576, 2; Gudr. 734, 4. 1463, 2; (vgl. oben s. 16).

IL mag mit einem objekte.

Die meisten hierher gehörigen beispiele beziehen sich auf eine ausdrucksweise, die unserem: „was kann ich dazu, dafür" u. dgl. ent- spricht (vgl. Lachmann zu Nib. 785, 1; Kl. sehr. I, 191; Zarncke Mhd. wb. II, 4b u. fg.).

M. F. 72 3^ desn mac ich niet; 171 ^^ wax mac si des. Wolfr. Parz. 271, 3 wax mohte si, swax ir geschach.

48 K-MIL

G. Trist. 250 1^ der. f\^f ir art: wer niac des iht? 446-^ wer mag im dirre hliatheU iht? Ulr. Trist. 543 ^^ ica\ duuj ich; 557 ^^ icax inoJite ich.

AValtli. 62--. 89 ^"^ der, icJi es niene nute (vgl. Wilmanns aiim.).

Küiir. Gold, sclim. 1094 irer mae im defuie, oh er c/eleit tvirt

Bon. 37, 45 wer //icu/ i})i des?

Anderer art ist der accusativ in: M. F. 180 ^^ dem ist nie also, da\ ich hü\ niene niac; Hartni. a. H. 125G icider den nioncrn iiieht cnmac: Er. 2679; Greg. 3499. Hugo v. Langenstein Mart. 266*=, 61 och ist fri(/er muot f/ec/eben, der, er (j not nnd nhil niac. Gudr. 1190, 1 wir tnon swa\ wir geniüijoi (diese stelle für (jeniihjcn [vgl. got. Gal. 5, 6 uailtt (janunj = hr/ko] fehlt Mhd. "wb. II, 8'' und Lexer I, 848. Bei Hartm. Greg. 2906 und Er. 8319 scheinen mir formen von ma- chen, nicht mngen vorzuliegen).

AVie man sieht, ist die hinzufügiing eines objekts zu miajen im mhd. ziemlich selten; sie ist auf bestimte formelhafte ausdrücke beschränkt.

III. niugoi mit abhängigem infinitive.

a) miigen = v alere.

Den gebrauch von niiigen = valere, d. h, kräftig, körperlich fähig sein zu etwas, den das nhd. kaum mehr kent, können Avir aus zahl- reichen beispielen des mhd. noch belegen; wir verwenden in diesem sinne das compositum „vermögen", das seit dem ende des mittelalters die funktionen von miigen = valere übernommen hat.

Bei der aufzählung einiger beispiele begnüge ich mich mit der angäbe der infinitive, die von diesem mugen abhängig gemacht werden. Will. 58, 18 adversarias potestates nider triben; 142, 9 besldrinen; Annol. 681 widirsten; Hpts Hl. 116, 31 sich gerehken; Heinr. v. M. Er. 111 erheben; Roth. 2571 icidirstdn; M. R 72 ^'J ir kreftea . . gestemen; 30 ^i. 47-'^. 127 3^\ 137 1^ 170 ^l

Eneit 708 gewinnen met gewalt; 1258 op stän; 1852 enteren; 2388 gestdn noh gegän; 2672 gevehten; 4022. 6454. 8846. 9164. 9805.

Hartm. Er. 817 mit kreften gelegen; 3118 gestriten; Iw. 6678 ervehien.

AYolfr. Parz. 66, 16 getuon rlterschaft; 124, 4 ab gexicicken.

G. Trist. 48^^ mit teer gecristen; G2^'-' äf sinen vüexen gestän.

U. Trist. 558^ gespringen.

Xib. 58, 1 mit geicalte erwerben; 1010, 2 gegän CDIh; 1977, 3 er wand in mugen twingen A; (das ist das einzige beispiel für den Infinitiv des mhd. mag: vgl. Lachmann zu 1977,3; die anderen handschriften

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 49

haben: er wände in sohle iirin(/en C; er mölite in iwimfen B; er

rnolit ertninijen Ih). 433, 3 niil Irefte des schales niJtt ijestdn. Gwdr. 94^ 4: solif er Ire ff e gewalten; r)l4,2 sfrrlr nrdfen; 852,4. 1463,1. Frid. 2, 25. 19, 23. 53, 1. <)?, 5. 175, 13. 09, 14 ericern; 132, 20

iibencafen. Konr. Alex. 9(30 (jrhrecJicn üx der hende sin; 974 mit kraff drnX'

gewinnen. Nie. Jer. 6, 149 gesidn ///' de)i räexen.

Vax Berthold v. R. vgl. Kötteken 1. 1. s. 117.

b) niugen = posse.

Ich leiste von vornherein verzieht darauf, für dieses im nihd. ungemein verbreitete miwjen beispiele beizubringen; wie wir sehen für das alid. bemerkten, hat jenes mmjen fast jeden Infinitiv, er mag indi- viduell Avie auch immer geartet sein, in den bereich seiner abhängig- keit gezogen: die objektive mögliehkeit ist unbeschränkt auf alle gebiete geistigen und körperlichen geschehens ausgedehnt; joder mhd. schrift- steiler bietet hierfür eine fülle von belegen.

Monsterberg hat in seiner verdienstvollen arbeit die mühe nicht gescheut, die beispiele für dieses mmjen bei Hartmann nach der beson- deren art der umstände, welche jeweilig die mögliehkeit bedingen, sorg- fältig zu ordnen und zu klassificieren ; es gebricht mir an räum und zeit, dies lehrreiche verfahren auch auf meine beispielsamlung anzu- wenden.

Wir gehen sogleich zu einem weiteren gebrauche von miujen über.

c) mag = es steht mir frei, ich habe Ursache u. dgl. AVir haben oben auf die bedeutungsnüancen hingewiesen, welche sich aus dem ahd. mugen entwickelt haben; wir suchten zu zeigen, dass die scheinbar geänderten begriffe, welche diesen neuen arten von mugeji zu gründe Liegen, nur verschiedene selten des einen hauptbegriftes der mögliehkeit sind. Das gleiche gilt für das mhd.; zu den beiden bedeu- tungen, die wir im ahd. beobachten konten: 1) ieli habe Ursache, 2) es steht mir fi-ei, tritt hier noch eine dritte hinzu, die auch dem ahd. nicht ganz fi'emd war: „ich habe recht, es ist mir erlaubt." Auch auf diese bedeutungsvariante kann die erklärung anwendung finden, die wir- oben für die analogen erscheinungen im ahd. gegeben haben. Da, wo mag heisst: „ich habe ein recht darauf, so oder so zu handeln", sind die umstände, in denen die mögliclikeit der handlung wurzelt, so beschaffen, dass sie mir nicht nur freistellen, ob ich die mögliehkeit

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. 4

50 KAHL

in ^vil•klichkeit umsetzen will oder nicht, sondern dass sie mir auch die b erecht ig-ung meines tuns ausdrücklich verbürgen.

Bei der fülle der beispiele, die mir für c) zu geböte steht, muss ich mich mit einer auswahl begnügen.

1) mac = ich habe Ursache.

Dies niugen ist leicht daran kentlich, dass mit verliebe adverbiale bestimnuingen wie gerne, icol, vil, von schulden, Iflite usw. zu inac c. inf. hinzutreten.

MSD 32, 1, IT da\ mag ))ian iciinteran. Gen. 2, 6 dax mugit ir gerne hören; 13, 25. Annol. 575 den man müge wir nu ci hispili havin. Hpts Hl. 20, 13 e\ mugin Seh nvl alle sprelin. 24, 31. Heinr. v. M, Er. 16 er mac icol sprechen; 318. 410. 6G9. 776 du malit ex ger)i tuon; Pr. 527 des mag er sich immer schämen.

Roth. 125 die du wol miigis senden; 1775 daz siez immer miujen

Idagen. 1438. 2372. 4128. 4364. M. F. 14 -^ so mac er vil icol tr inten; 21 ^ er mac wol froelichen

leben; 127^^ so mac ich von schulden sprechen tvol; 16'. 60'.

6120. 66 26, 70 9, 913. 9321, 9734 10932, 1139, 11313, 19(3 22,

2099.

Eneit 1588 ir moget hen wale met eren friiinÜike ane sien; 1546. 2258. 2476. 2041 et mach mich bakle ruoicen; 3694 des mahtu wale frö sin; 5036. 5944. 6199. 6771. 7469. 9984. 11774 wir 7nogen ons hosUke skameii.

Wolfr. 1. 5, 16 ein wip wol mac erlouhen mir; 7, 42 daz ich wol mac mit wärheit jehen; Parz. 318, 18 die man gerne m'öhte schou- we7i; 827, 3 daz mac wol zürnen Kyot; Wilh. 58, 28 ez möhte etliches mag beklagen; Parz. 136, 14. 561, 11; Wilh. 463, 16; Tit. 118, 4.

Hartm. Iw. 26 daz man gerne lioeren mac; 3993 ich m,ac ivol clagen; Er. 6032. 7508 des mac ich icol erlachen; weitere belege bei V. Monsterberg 1. L

G. Trist 235 ^^ wir mugen ez dne sorge län; 349 ^- ich mac icol weinen; 106 1. 119 i^. 173^1. 367 2. 466^1. 486^.

U. Trist. 502 ^s wir megen von herzen alle icesen fro; 526 ^5. 5641.

Nib. 48, 3 er mohte icol verdienen; 249, 1 ir muget in gerne dan- ken; 935, 1 ir muget iuch lihte rüemen; 1156, 3 ir miiget mich

KÖNNEN NUD MÖGEN IM ALTD. 51

gerne grüexen; 1184, 4 du imütt dich vreuiroi balde; 1663, 1 si mac vil lange iceinen; 2181, 3 ich mag icol haldr llagcN u. öfters.

Klage 1021 erschrahtc, als er von schulden niahte; 1213 dax man inuner mcre da vo)i maere sagen mac.

Gudr. 73,1 des mac man verjchoi; 154, 4 dicli niügen lohen balde; 127, 2. 192, 2. 269, 4. 299, 2. 361,4 des mohtc er sinen schcrm- hnabcn gcdcuihen; 382, 2. 516, 3. 671, 2. 715, 3 dax man ims danken niohfe von schidden ivol nach eren; 1473, 2 si moJite balde hlagcn usw.

AValtli. 16 1^ der treise kkigen mac; 38 ^^ icir mühten balde klagen von schulden; 100-"^ der mac wol sorgen; 121 ^^ möhtens ivol ge- dagen usf.

Frid. 8, 24 von donre mac man wunder sagen; 49, 4. 56, 13.

Konr. Gold. schm. 539 und mac dich ivol hediuten; 909.

"Weinschw. 40 ich mac in ivol erliden.

Berth. 881, 10 (Wackern. leseb.) die inöhtet ir gerne an sehen.

Bon. 2, 37 her an mac gedenken wol.

Kic. Jer. 15, 19 des man mochte lachin.

3) mac = es steht frei, licet.

ynugen in dieser bedeutung berührt sich nicht selten mit dem futurum.

Heinr. v. M. Er. 117 der mac tuon swax er icil.

Eoth. 364 mugider hören mere; 5095 mugit ir hören w^

er sprach. M. F. 175 1*^ mugent ir michel ivunder an mir sehen. Eneit 3385 alse du gesien onaht; 9390 da moget ir hören tvonder;

12966 da mochte man skouiven. Wo 1fr. Parz. 58, 14 hie miigt ir gröz ivunder lösen; 123, 1 du

mäht hie vier ritter seh^i. G. Trist. 146 1^ ivax mac ich mere sagen; 175^^. 199 -^^ 344 3^.

260 ^^ ich mac wol disen geivalt an mtnem vmcle üebeii. U. Trist. 511 * swer vrouwen walte schouicen, der mohte da vil

schoene sehen. Nib. 1, 4 mnget ir nu wunder hoeren sagen: oft widerkehrende

epische formel: 1062, 1. 1644, 2. 1661, 2. 1873, 1 usw. Gudr.

1010, 1. Klage 527 du mäht noch manegen rinden. Gudr. 652, 4 so muget ir mich wol vrägen; 721, 2 ma7i mohte

dax wol hoeren.

4*

52 KAHL

Waltli. 18-'*^ (hf nnfc/cnf ir aUc sci/otiirof fcol ein iniudcr hi. Konr. Gold. s(.'lini. 415 da\ man crhennoi nmc da hi. Nie. Jer. 6, 130 al^ nnin da mac schouwin; 52, 14.

3) t)iac = ich habe reeht, es ist mir erlaubt.

Wolfr. Parz. 48, 3 sl niohfex icol mit cren tuon.

Nib. 63, 3 gcwanl da\ aho stohe recken mit cren miigen tragen;

102, 9 dav )nu(jt ir tcol Diit rrn iunn : 673, 4 .9/ ))}ar mit eren

min neu des S. Up; usw. Frid. 52, 17 der mac mit eren werden alt. Berth. 902, 1 (Wackern. leseb.) sicer da spricliet, ex müge dehein

etnan In siner hiUfroicen geligen dne houbetsimde usw. (vgl. Röt-

teken s. 117).

d) mac mit nicht-persönlichem Subjekte.

Über den nicht -persönlichen gebrauch von mugen ist oben zum ahd. bereits das nötige bemerkt worden. Ich führe aus meiner bei- spielsamlung nur belege aus früh-mhd. denkmälern an, um zu zeigen, dass man schon frühzeitig im mhd. kein bedenken getragen hat, sub- stantiva der mannigfachsten art, concreta und abstracta, endlich auch ex zu Subjekten von mugen zu machen.

Will. 27, 3 die dorna; 43, 12 tüha; 55, 9 saeciilaris actio; 107, 11.

Annol. 605 predigi.

Hpts Hl. 27, 5 unsir samet tvesin; 116, 31 diu sele.

Heinr. v. M. Er. 87 ?-dt; 830 olbende; 973 ouge; Pr. 15 künde; 155 tivel.

Roth. 654 ros; 1859 mantele; 4908 voxe.

M. F. 72^ herxe; 42 25 staete; 43 2^ huote; 53 1 icän; 81 ^ staete; 8331 icinter; 87 ^ tot; 113 ^ tier; ll'd^-' glas; 138 1^ saelde; 1661» wunder; 188-^^ hluomen schin.

Eneit 1963. 2110. 4296 rät; 7018 torn; 11222 brief; 12097 ros. Über das impersonelle ex. mac c. iaf. ist wenig zu bemerken: es ist seit Williram in einer grossen anzahl von stellen zu belegen. Wie im ahd. zeichnen sich auch im mhd. die Infinitive, die adverbial zu ex mac hinzutreten, durch eine gewisse algemeinhcit und darum auch unbestimtheit ihres Inhaltes aus; solche Infinitive sind tverdenj sin, gescheiten, gän, irgän usw. Von einer aufzählung von beispie- len für diese ungemein häufig vorkommende ausdrucksweise glaube ich fügUch abstehen zu dürfen; sie bietet nur das eine Interesse, dass sie uns mugen auf einer sehr niedrigen stufe seiner verbalen functions- fähigkeit zeigt.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 53

e) mac c. inf. = vcrbiim finitum. Wie im ahcL, so lassen sich auch im mhd. eine reihe von fällen beobachten, in denen miiyen^ eigener bedeutiing fast ganz baar, pleo- nastisch und das einfaciio verbuni umschreibend, zum infinitiv hin- zugefügt wird: dieser gebrauch lässt miificn vollends als hülfsverbum ei*scheinen. Oft dient inuijeii hier dem ausdrucke der gemilderten behauptung; die zuversichtlichkeit, welche in den indicativformen sich ausspricht, wird dadurch gemildert, dass man die handhmg aus der direkten Wirklichkeit in die mögiichkeit hinausschiebt: dies geschieht dadurch, dass man das einfache verbum durch mac c. inf. umschreibt. Es ist klar, dass j/ntr/en in dieser an Wendung jenem nnigen sehr nahe komt, welches im verein mit dem abhängigen infinitiv den potentialis ersezt; es hält oft schwer zu entscheiden, ob ein solches mac c. inf. nur die geltung des einfachen verb. fin. hat ober ob es den potential vertritt. Heinr. v. M. Er. 216 der in der icerlt niht einen esel mohte Imheii; 480 uon dem gemäinen lebene mag ex einen hesunderen namen U'ol hahoi. Koth. 2217 der din gcnox mohte sin; 2482 her mach ivole imse

vatir sin; 2588. 2628 do mohter vunfxic diisint haven. M. F. 8-^ des ich niht mohte hdn noch nie7ner mac gewinnen; 53 ^^

icax mac dax sin, dax diu iverlt heixxet minne. Wolfr. Parz. 53, 30 de)i xins von sinen landen, sicax der gelten moht ein jdr; 86, 15 von dem sol er Icdic sin, mac min her Br. ledic sin von diner haut (nach Erbe P.-Br.V, 36 =fut.); 123, 11 ir mugt ivol sin voti ritters art; 123, 21. 326, 17 usw.; Wilh. 98, 8 si mohtenx iingerne tuon. Gr. Trist. 18^ schoeniic vroinve, der ieglichiii mohte sin vo7i schoene

ein richiu Minegin.

TJ. Trist. 573^*^ du mäht icol hohe vröude haben.

Xib. 109, 3 ich icil an in ertwingen, sivax ir mnget hdn; 118, 2

er mohte Hag enen sivestersun vil icol sin; 393,2. 995,1. 1427,3.

83, 2 sin im die herren künde AB (mag er sie hekeyinen CD);

961, 2 so vernemet selbe A. (so muget ir selbe hoere7iB] ir müget

irol selbe hoeren C); 2212, 3 dax moht man kiesen (erchox manxC).

Gudr. 401, 2 7nac er haben kröne oder hat er eigen land (vgl.

Martins anm.); 429, 1 die sie mohten hdn. Frid. 127, 2 sivd nuxxe scheint diu kindelin, da mac des lones lihie sin; 143,1; 95, 4 für durst mac niht bexxers si?i dan nasser. Konr. Eng. 294 sirenn ich des goldes niht mac hdn; 543 die teile dax ich mac geleben.

54 KAHL

Saclisp. I, 17, 1 alle de sik gelihe nd to der sibhe gestuppen mögen.

Bon. 3, 44 die rede moht ex vil küme hdn.

Nie. Jer. lö, 1-4 der besiin die er molite hdn; 20, 123.

f) niae c. inf. ersezt den conjunctiv. Auf die beziehuugen, welche zwischen t)iuge}i und dem conjunc- tiv obwalten, habe ich schon oben bei gelegenheit des ahd. hingewiesen. Im einlachen satz vertritt mac c. inf. meist den potentialis oder

den Optativ.

1) mac c. inf. = potentialis.

Tgl. hierzu: Holtheuer Zs. f. d. ph. erg. s. 153. Roth. 743 die mach icoJe iresen herre; 840 von icannen mac dix

Volk sin? M. F. 85 3^ mac si hoeren, icax ich meine; 104 1. 119^-. Hartm. Er. 3816 icax mac ich sprechen me; 7970 icax mac ich iu

mere sagen. (Weitere beispiele bei v. Monsterberg 1. 1. s. 49). Wolfr. Parz. 475, 20 wax, rätes möhi ich dir nu tuon? Tit. 54, 1. G-. Trist. 68'-^ dix tniigen icol guote Hute sin. Nib. 82, 2 rieh unde kilene moht er vil tvol sin; 1690, 4 er mac

liol sin ein recke guot. Gudr. 988, 4 er mac sich ir tcol geliehen; 1207, 4. 1271, 3. Walth. 72'-^ der mac icol heizen friundes gebe. Frid. 137, 17 dax mac icol sin ein heilic xit. Berth. I, 44, 20 iver mac reht haben? (vgl. Kötteken s. 117).

2) mac c. inf. = optativus.

Holtheuer 1. 1. s. 148; dortselbst beispiele aus Hartm. Iw.; Röt-

teken s. 27. M. F. 127^7 jnac si sich doch miner rede versinnen; 5^^. 19 ^ 160^^ Wolfr. 1. 7, 37 mala du troesten min gemilete; Tit. 2, 1 möht ich

getragen icäperi. Gr. Trist. 2652 ^nöht ich der rede geiuis sin! U. Trist. 512-^ möhtestü mir ze tröste komen. Gudr. 227, 1 mühte dax gesin; 1432, 4 möht ich mit den vinden

ge^triten. Walth. 39^ mühte ich versläfen des winters zit. Barth. I, 137, 12 7iu mac dir got vil tcol vergelten.

3) mag c. inf. = adhortativ. "Walth. 51^2 muget ir schouwen; 52 ^^ u. ö.

KÖNNEN UND MÖGEN IM ALTD. 55

4) inac c. iiif. in cunditionalsätzen

dient dazu, entweder „den Inhalt d(s fragesatzes noch mehr in das gebiet des Ungewissen, bedingten liineinzuziehen" (vgl. Iloltheiier s. IGT) oder die unwahrsclieinlichkeit und irrealität des bedingungs- satzes noch scharfer auszudrücken, als das durch den einfachen con- junctiv möglich ist. Beispiele hierfür sind:

M. F. 63'' möht ich eriverhen mit fröiden ir hulde. Wolfr. Parz. 46, 10 mÖht ex mit sinen hulden sin; 420, 13 ich viöht mit cren empfdhcn min laut; vgl. Erbe Über die conditionalsätze bei Wolfram v. E.: R-Br. Y, 1 fg. Gr. Trist. 200^-^ und mohte sie daz tvizxen; 333 ^^ 35822. Nib. 112, 2 ez enmüge von deinen eilen din laut den fride hdn,

ich teils edles wcdten; 467, 2. Klage 65 ob si möhte sin ein man. Walth. 95 3^ möht ez mit liebes hidden sin; 125-^ mÖht ich die lie-

be7i reise gevaroi über se. Fr id. 17, 9 ob alle seien möhten sin in einer hant, sön Idinde ir schin nieman grifen noch gesehen; 73, 20 möht ich ivol minen icillen hdn, ich wolte dem keiser 'z riche län.

5) mugen im indirekten fragesatze.

M. F. 123 3^ rätent liebe froiven, tvaz ich singen milge.

U. Trist. 558 1^ wer er wesen möhte.

Nib. 393, 2 wer die unkunden reken milgen sin.

Es wird sich empfehlen, die Vertretung des conj. durch mugen noch einmal mit systematischer volständigkeit und mit benutzung des gesamten stellemnaterials zu behandeln; bis jezt liegen in den arbeiten von Holtheuer und Erbe nur bescheidene ansätze hierzu vor.

g) mac c. in f. = futurum.

Über den grund, der mac c. inf. und das futurum zusammen- führte, wurde bereits oben gesprochen. Es folgen einige beispiele.

G. Trist. 21425 ^^. fjiuget noch wol geleben den tac.

Nib. 113, 2 siceder unser einer am andern mac gesigen; 234, 3 daz ez Lindgere mag immer wesen leit; 639, 3. 1407, 3 ir mu- get harte 2Col gewiesen; 1865, 1.

Gudr. 268, 1 iver mac uns daz gelouben.

Walth. 49, 29 ivaz mach ich nu sagen me: so lesen Wacker- nag el und Bartsch; Lachmann liest an der angegebenen stehe mit einigen handschriften sol; hiermit vergleicht Wilmanns

56 KAHL

Ulr. V. Liecht. 201- ira^ sol ich in sagen me. Die vertausch img von sol mit dem fiituraleu mac lasst sich auch sonst in den harid- schriften beobachten: vgl. u. a. Hartm. Iw. 135 do moliicr oh Ad [da soldcstn auch a; do ))iohtc ouch ir BD). Frid. 120, 1 uil er in allen anijesiyen, er mac ivol ein halp inider-

ligen. Berth. 877, 21 (Wackern. leseb.) diu e icart oder iemer mer cht wer- den mac; 890, 38 da\ du nie würde noch niemer uerden 7naht. Wir beenden hiermit unsere darstellung der syntax des mhd. mugen: ^vir konten uns in derselben durchweg kürzer fassen als in den übrigen teilen unserer arbeit, da wir die principiellen fragen für die behandlung des mhd. niugen schon bei gelegenheit des ahd. erör- tert hatten; es galt nur unter die dort aufgestelten kategorien, welche wir mit geringen änderungen beibehalten durften, die beispiele aus dem mhd. einzuordnen. Auf volständigkeit in der herbeischaffung der belege musten wir, um dem vorwürfe alzu grosser ausführlichkeit zu entgehen, verzichten; jedoch werden die beispiele, die wir beigebracht haben, in genügender weise zum Verständnisse der von uns besproche- nen syntaktischen erscheinungen beigetragen haben.

Wir schliessen diesen abschnitt unserer Untersuchungen mit einem kurzen rückblicke auf die geschichte des altdeutschen mögen.

Schon an dem got. magan traten uns zwei begriffe entgegen: der der körperlichen kraft und der der möglichkeit; während der ganzen altdeutschen zeit gehen diese beiden bedeutimgen von mögen neben einander her, so zwar, dass mugen = j^^sse die überhand gewint, mugen = valere in den hintergrund tritt. Die nhd. spräche kent mögen in der bedeutaing „körperlich kräftig sein" kaum mehr; können und das kompositum „vermögen" teilen sich in die functionen des alten mugen = valere. Mugen = posse begint bereits im ahd. auf der einen seite seinen logischen, begriflichen Inhalt mehr und mehr aufzugeben und in der breiten gebrauchssphäre eines verbum auxüiare sich zu verlieren, auf der anderen seite einige bedeutungsnüancen aus- zubilden, welche uns den grundbegriff der möglichkeit in verschiedenem lichte zeigen. Daneben endlich erlangt mugen die fähigkeit modale beziehungen auszudrücken, den conj. und das fut. zu umschreiben.

Der verwitterungsprocess, der sich im ahd. an der bedeutung von mugen vollzogen und der mugen zur geltung eines hülfsverbimis her- abgedrückt hat, dauert auch im mlid. stetig fort. Zwar bewahrt sich mugen noch nach einigen richtungen hin seine verbale kraft, die sich vor allem auch in einer begriflich genau fassbaren bedeutung kundgibt.

KÖ.VNEN UND MÖGEN IM ALTD. 57

Im algemeinen aber ist niuijen seines sinlichen vorstellungsinhaltes beraubt und kann nur dann im Satzgefüge wirksam auftreten, wenn es von einem Infinitive unterstüzt wird.

Das nlid. (vgl. DAVb. VI, 2449) kann uns zeigen, welcher man- nigfaltigkeit von anwendungen und bedeutungen mögen gerecht zu wer- den im stände ist. Die vielgestaltigkeit des nhd. mögen ist aber zum überwiegenden teile durch den umstand erkauft, dass dem Zutritte des intinitivs zu mögen keine grenzen gesezt sind: Infinitive der verschie- densten art werden von mögen abhängig gemaclit imd prägen dem inhaltlosen mögen bald diese bald jene bedeutung auf; nur an Avenigen und schon stark verwischten spuren wird offenbar, dass auch das hülfs- verbum mögen einst eine selbständige, sinlich kräftige bedeutung gehabt hat, wie sie uns das got. macjan = loy/eiv noch zeigt.

§ 9. Einzellieiten aus der syntax von können und mögen im

altdeutschen. Nachträge.

In diesem sclüussparagraphen sollen noch einige punkte bespro- chen w^ erden, die bisher entweder übersehen w^orden sind oder deshalb mit absieht übergangen wurden, weil sie können und mögen betrafen und darum in der von uns gewählten anordnung nur schlecht platz finden konten.

1) Können und mögen in nachsätzen nach positiven comparativen und Superlativen.

Bock hat (Q. F. 27, 15) über die tatsache berichtet, dass können und mögen im mlid. besonders gern in nachsätzen nach positiven com- parativen und Superlativen da gesezt werden, wo uns das einfache verbum in indicativ- oder konjunctivformen zu genügen scheint: z. b. Nib. 128, 2 mere danne ich iu kau gesagen; Hpts EQ. 30, 25 höheste viinne die man gehabin macli. Bock hat richtig gesehen, dass hier eine Steigerung des gedankens vorliegt: die Verneinung der Wirklichkeit, welche in jenen nachsätzen zum ausdrucke komt, wird durch den Zu- satz von können oder mögen gleichsam für alle zeiten ausgesprochen. „Was niemals gewesen ist und was niemals sein Avird, wird in der Vor- stellung leicht zu einem, was nicht sein kann und nicht wird sein können, was nirgends ist, zu einem, was nicht sein kann, d. h. zu einem unmöglichen.'' Beispiele findet man in genügender zahl bei Bock s. 16; aus den mhd. epen sind uns formein wie Roth. 1836 aller beste die man iergin mochte haven durchaus geläufig.

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58 KAllL

2) Der inf. praet. nach können und mögen.

Die deutsche spräche hat nicht die fähigkeit besessen, einen Infi- nitiv der Vergangenheit zu bilden; sie muste daher, wenn sie nicht etwa dem praesentischen infinitive die vortretung des praeteritalon über- lassen wolte wie dies im alid. noch durchweg geschieht, vgl. Grimm Gr. IV, 170 zur Umschreibung ihre Zuflucht nehmen. Diese nun wird so volzogen, dass der infinitiv „haben" zu dem part. praes. des verbums hinzugefügt wird, dessen inf. praet. gebildet werden soll; z. b. Nib. 792, 3 du niöhtcst gedaget hdn.

Solche inf. praet. finden sich a) nach kiinnen: M. F. IGO i^. 175 3^; G. Trist. 35 '^ AVolfr. Parz. 404, 30; Nib. 2098, 2; 2223, 4 künde ABC {ffwht Ih); Gudr. 1439, 2; 1453, 2.

b) nach wugeu: Hpts Hl. 22, 24; Heinr. v. M. Er. 687; Koth. 1583; 1632; M. F. 452'-^; 140^; 177^«; Eneit 4667; 5560; 7626; 11226: Wolfr. Parz. 286, 30; 464, 6; 484, 22; 565, 28; Gotfr. Trist. 89 3^'; 388 5; 428 ^ lobg. 62, 12; Nib. 401, 4B; 792, 2; 1496, 1; Klage 557; 628; Gudr. 127, 3; AYalth. 17i»; 106'; Konr. Eng. 1480; vgl. auch Grimm Gr. lY, 171.

3) Die prothese der partikel ge- vor den Infinitiven nach

können und mögen.

Die forscher, die sich in neuerer zeit mit dem vielumstrittenen ge- beschäftigt haben (vgl. die litteratur bei Reifferscheid Zs. f. d. ph. erg. 319 fg., v. Monsterberg Zs. f. d. ph. XVIII, 301), sind darin einig, dass der verschlag von ge- mit besonderer Vorliebe bei den Infinitiven eintritt, die von kunneu und niiigen abhängig sind. In betreff der erklärung dieses ge- gehen die ansichten der forscher weit auseinander; die bisherigen auffassungen hat Reifferscheid 1. c. eingehend bespro- chen und der reihe nach mit stichhaltigen gründen, wie mir scheint, als irrig abgewiesen. Seinen eigenen erklärungsversuch hat Reiffer- scheid noch nicht veröffentlicht; er gedenkt ihn, wie er die gute hatte mir brieflich mitzuteilen , in seiner demnächst erscheinenden Tristan- ausgabe vorzulegen. Die neueste Untersuchung über ge- war mir bis jezt noch nicht zugänglich: Dörfeid Über die function des praefixes ge- in der composition mit verben. I. ge- bei Ulfilas und Tatian.

V. Monsterberg erklärt ^e- in folgenderweise (1.1. s. 314): Überall scheint mir das syntaktische ge- dem zwecke eines durch das Interesse oder die persönliche beteiligung des Subjektes an der handlung hervor- gerufenen nachdrucks zu stehen, die kraft des verbums meist mit pla- stischer sinlichkeit zusammenfassend." Nach einer sorgfältigen Statistik

KÖNNEN UND MÖGEN DI ALTD. 59

aller einschlägigen stellen aus Hartmann, aus der sich ergibt, dass ge- rn der überwiegenden niehrzahl der fälle nach kau und mac sich findet, sagt V. Monsterberg: „Wie man also auch die numerischen tatsachen zu einander in bcziehung setzen mag, immer treten mac und hm als diejenigen hervor, welche für das (je- am intinitiv am günstigsten sind. Der grund kann nur in der bedeutung* beider verba liegen und deren verwantschaft mit dem sonst hervortretenden Charakter von //c-."

Ich kann nicht entscheiden, ob diese annähme, Avelche v. Monster- berg für seinen schriftsteiler. Hartmann, walirscheinlich zu machen ge- sucht hat, auch sonst geltung beanspruchen darf Herumstand, dass die handsehriften mhd. schrifteller oft an denselben stellen den Infinitiv mit und ohne ge- bieten: z. b. Nib. 129, 3 kiinde gevoUjen AB (chunde voIge7i CD)] 259, 2 seJie?i möhte A. {gesehen W^] 759, 1 gesin AB (sin C) usw.; fälle Avie Bertli. leseb. 893, 34 er kein an der Mute sünde gar höhe linde gröx. luide sivaere machen und kein sin selbes sünde gar schoene luid liht gemachen, denen ich aus meiner beispielsamlung noch manche andere zur seite stellen könte, deuten meines erachtens darauf hin, dass man in das ge- bisher zu viel „hineingeheimnist" hat, dass man nach den gründen innerer berechtigung da geforscht hat, wo vielfach nur äussere Verhältnisse (z. b. verszwang) gewirkt haben. Hoch wage ich es noch nicht, diesem urteile über ge- eine bestimte, alge- meine formulierung zu geben.

4) Die composita von kiinnen und mugen im altdeutschen.

Über die composition von kimnan im got. und alts. haben wir bereits oben gesprochen.

kunnan hat im ahd. 2 composita:

incunnan = acciisare \

farhunnan = desperare] ^«''^ge bei Graff IV, 410. 411.

Yen dem schwachen verbum kiinnen werden gebildet: gakunnen desperare; arkunnen experiri.

Has mhd. kent zu den schAvachen verben erkunnen und ver- kunnen nur im particip die starken nebenformen erkunnen und ver- kunnen: vgl. Mhd. wb. I, 807a; Lachmann zu Nib. 2241, 4. Im nhd. ist „verkönnen'^ = „sehr können" nur im schwäbischen nach- weisbar: Schmid Schwab, wb. s. 323.

Has got. kent von mcigan nur das comp, gamagan: Gal. 5, 6; im alts. ist kein comp, von miigan zu belegen.

60 MÜLLER -FRAUENSTEEN

Das ahd. hat ijcDnaijan, iDiDicKfcoi , iibatDiagan, fcuDiagcui (nur mit sih) und furimayan (Graff II, 609); daneben besteht eine schAvache bildung })iagen = ralcre, mit dem comp. f/af??a(jen.

AIhd. (jcmiUioi findet sich n. a. Gudr. 1190, 1; iiharmac und vermac sind im mhd. ziemlich selten; erst im nhd. hat der gebrauch von „vermögen'' grössere ausdehnung angenommen. Die schwachen verba )}iciiincn und (/offfcginof belegt das Mhd. wb. II, 8 a/b nur aus der Genesis.

Mit dieser nachlese schliessen wir unsere Untersuchungen über die bedeutungen und den syntaktischen gebrauch von können und mögen im altdeutschen.

Es war imser bestreben, auf grund eines ausgiebigen stellenmate- rials die semasiologischen und syntaktischen eigentümlichkeiten von h()iffe?i und mugen einer wissenschaftlichen durchforschung zu unter- ziehen. Wir glaubten, bei der einfachen constatierung und aufzählung der tatsachen nicht stehen bleiben zu dürfen. Darum gingen wir einer- seits den momenten nach, die uns auf eine geschichtliche entwicklung innerhalb des uns vorliegenden syntaktischen tatbestandes schliessen lassen und suchten wir anderseits die algemeingültigen logischen und psychologischen gesetze auf, denen wir einen einfluss auf die gestal- tung s\Titaktischer ausdrucksformen zuschrieben.

Unter diesen gesichtspunkten , historisch berichtend und logisch - psychologisch begründend, versuchten wir die geschichte der bedeutungen und der syntax von köimen und mögen im altdeutschen zu schreiben; vielleicht ist es uns wenigstens in den hauptpunkten geglückt, das ziel zu erreichen, das wir uns sezten.

DIEDENHOFEX I/LOTHR. WILHELM KAHL.

ÜBEE ZIGLEES ASIATISCHE BAOTSE.

Um falschen erwartungen vorzubeugen und von vorn herein zwi- schen mir und meinen lesem envünschte klarheit zu verbreiten, erkläre ich zunächst, da.ss meine absieht auf den folgenden selten keineswegs darauf gerichtet ist, die bibliographischen notizen über Ziglers einst vielgerühmten und später so vielgeschmähten roman um einige neuig- keiten zu vermehren. Weder bibliographische, noch auch biographische anliegen 1 möchte ich vorbringen, sondern allein ästhetische.

1) Die ersteren , auch über Ziglers andere werke , befriedigen bis jezt zumeist L. Cholevius, die bedeutendsten deutsehen romane des 17. Jahrhunderts (Leipzig 186Gj

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 61

Mir hat es als einsamem leser der Asiatisclicn baiiise vor mehr als drei lustren nicht reclit gelingen ^vollen, meine damaligen studen- tischen freunde von dem eigenartigen gcnusse, den sie mir schon da bot, zu überzeugen, und ich legte scliliesslicli selbst das buch mit einer gewissen zweideutigen befriedigung aus der hantl. Jezt liat mir eine nochmalige gründlichere und, wie ich hoü'e, mit etwas geklärtereni geschmack vorgenommene lektüre und eine längere beschäftigung mit der betreuenden litteraturperiode den wünsch geweckt, lücht nur vielleicht einen oder den andern der eben erwähnten Zweifler von 1809, sondern auch andere mistrauische gemüter davon zu überzeugen, dass selbst diese blume unseres litterarischen irgartens, die in einer besonders wüsten ecke steht, ihren duft hat und trotz ihres grellen farbentones das anse- hen verlohnt. Ich halte es aber für nötig, nicht etwa zum zwecke einer entschuldigung, sondern um der Wahrheit willen, darauf hinzu- weisen, dass diese zweite lektüre und die von mir daran geknüpften und hier widergegebenen bemerkungen nicht etwa durch Cholevius und Bobertag angeregt oder nur beeinflusst sind. Beider bücher über den roman kante ich zwar längst, hatte aber in betreff der Banise mir aus ihnen nie eine zeile notiert, ja selbst gerade diese partie vor jähren bei beiden kaum mehr als überflogen. Die nach dem abschluss meiner arbeit, und mit absieht erst da, vorgenommene vergleich ung meiner und ihrer urteile hat mir den grösten genuss gewährt, mich aber nicht

s. 153, und F. Bobertag, Geschichte des romans und der ihui verwanten dichtungs- gattungen in Deutscliland, 1. abteilung, 2. band, 1. hälfte (Breslau 1879) s. 150 und 233, und am volständigsten des leztgenanten einleituug YI— YIII zu seiner 18S3 erschienenen ausgäbe der Banise, in Kürschners Deutscher national -litteratur bd. 21. Andere aufzählungen finden sich z. b. l>ei Gödeke, Grundriss zur geschichte der deut- schen dichtung, und Jördens, Lexikon deutscher dichter. Biographisch ist für alle die genanten und für die später zu nennenden Schriften, die sich mit Zigler und seiner Banise beschäftigen, eine hauptquelle, die aber nicht reichhch fliesst, unver- kenbar. Die haupti)unkte sind folgende: Heimich Anshehn von Zigler und Klip- hausen ist geboren den 6. Januar 1663 (Cholevius und Bobertag fälschhch 1653) zu Radmeritz südlich von Görlitz in der Oberlausitz, besuchte drei Jahre lang das gymnasium zu Görlitz, dann 1680 84 die Universität Frankfurt an der Oder, wo er sich neben seinem fachstudimn, der Jurisprudenz, besonders mit der dichtkunst beschäfügte. Nach dem tode des vaters 1684 hat er sich zumeist in der nähe von Leipzig aufgehalten. Er widmete sich der Verwaltung des ihm zugefallenen rittcr- gutes Probsthaiu und lebte als reicher unabhängiger edelmann ganz seinen neigungen, die, weit ernster als die der kavahere seiner zeit, sich auf Wissenschaft und littera- tm- richteten. Ausser Probsthain, das er später verkaufte, hat er noch die guter Podelwitz, Altkötig und Liebert wölk witz besessen, daneben war er stiftsrat von Wür- zen. Er starb früh, schon am 8. September 1697.

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zu einer änderunii' des von mir niodergcschriebeiieu bewogen. In die- ser methode der arbeit liegt der grund und deshalb erwähne ich den umstand , dass ich die auseinandersetzungen in die anmerkun- gen verweise und dass ich, ausgenommen natürlich, was A. Schlossar und den von ilmi veröifentlichten scenenentwurf der hauptaktion der Siegenden Unschuld in der Persohn der Asiatischen Baiiise^ betrift, auf die ursprünglichkeit des im text gegebenen gewicht lege.

Die europäische berlüimtheit imseres buches, „Asiatische Banise oder blutiges doch muthiges Pegu", seine beliebtheit in unserem vater- lande, dessen lesendes publikum sich mehr als siebzig jähre lang an ihm weidete und von 1688 bis 1766 nicht weniger als zelm neudrucke veranlasste-, müssen schon an und für sich des litterar- und im alge- meinen des kulturhistorikers aufmerksamkeit erwecken. AVirft doch ein solches werk licht auf den geistigen zustand nicht nur des Ver- fassers, sondern auch der leseweit der zeit, und muss doch bei einem so seltenen romanerfolge die frage nicht etw^a so gestelt -werden: Was wagte der Verfasser seinem publikum zu bieten, sondern was verlangte es selbst, worin liegen im einzelnen die gründe, dass gerade diese dichtergabe so ausserordentlichen jubel erregte? Das ende des 17. und der anfang des 18. Jahrhunderts haben ein so unzweifelhaft klares urteil abgegeben, dass ich Zeugnisse dafür im besonderen nicht anzuführen brauche; Gottsched konte noch 1733 in seinen „Beyträgen zur Criti- schen Historie der Deutschen Sprache" usw. 6. stück s. 274 sagen: Seit dem erscheinen der Banise habe sich kein einziger mensch daran gemacht und die fehler nachgewiesen (vgl. auch: Nöth. Yorrath usw. 284, 286, 291, 293).

1) österreichische kultur- und litterat Urbilder niit besonderer berücksichtigung der Steiermark (Wien 1879) s. 65 fg.

2) Es gibt femer eine foi-tsetziing von dem Schlesier J. G. Hamann, welche mindestens schon 1721 existierte, eine opornbearbeitung von Joachim Beccau 1710, ein trauerspiel von Grimm (Choleviiis 153 und Bobeiiag, Gesch. d. r. 233 und noch in der einleitung zur ausgäbe d. B. YI nennen Friedrich Wilhelm Grimm und die zahl 1733, Schlossar dagegen s. 69 und Seuffert in seinem „Maler Mül- ler" s. 233 den erst 1807 verstorbenen gothaischen minister Fr, Melchior v. Grimm und die Jahreszahl 1743; daneben khngt es auffällig, wenn E. Schmidt Schnorrs Archiv f. 1, IX, 1880 sagt: Grimms Banise kenne jeder, sie sei eine Jugendsünde), mehrere nachahmungen : Deutsche Banise 1752, Engelliindische Banise, prinzessin von Sussex 1754, Ägj-ptische Banise 1759, und eine Umarbeitung in eine altpersische noveUe: Der hohe ausspruch oder Chares und Fatime von dem maier Müller, welche zuerst 1825 in den Rheinblüthen " erschien und die ausführung eines von demselben in semer Jugend begonnenen Operntextes in Alexandrinern darstelt.

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Die asiatische Baüise repräsentiert den eharaktcristisclien r<tman- stil jener tage neben Daniel von Lohen st eins Arminius und Thus- nelda am besten; diesem lezteren werke allein wurde es nachgesezt, aber es gefiel wol algemeiner wie es uns noch heute mehr gefält, als dieser riesenroman wurde tatsächlich öfter gelesen, infolge seiner ver- hältnismässigen kürze und wegen des zurücktretens der aufdringlichen belehrenden partien , die sicherlich schon vor 190 jähren die lektüre des Lohensteinischen buches erschwerten, wenn der Verfasser auch die beste absieht dabei verfolgte, nämlich „diejenigen auch wider ihren Vorsatz gelehrt, klug und tugendhaft zu machen, welche in dem ge- dichte nichts als verliebte eitelkeiten suchen Avürden.''

Ein rückschlag erfolgte, wie überhaupt gegen die zweite schle- sische schule, so auch gegen Ziglers hauptroman durch Gottsched und daneben durch die Schweizer. Sie stellen den schwulst, die unnatur der lyrik, epik und dramatik der HofPmannswaldauischen anhänger zuerst an den pranger, und dabei ist es, um es kurz zu sagen, im ganzen auch bis heute gebheben. Aber es hat doch lang gewährt, ehe sich das lesende Deutschland von der Banise abwendete. BekantHch lässt noch Goethe in dem 6. kapitel des 1. buches von „Wilhelm Meisters lehrjahren" bei der so reizend geschriebenen erzählung Wil- helms von seinen ersten theatralischen versuchen auch Chaumigrem, eine hauptfigur in unserem roman, mit nennen: „Da muste nun könig Saul in seinem schwarzen samtkleide den Chaumigrem, Cato und Da- rius spielen." Als zum text verwendete bücher nent er „die Deutsche Schaubühne und verschiedene italienisch - deutsche opern." Man Avird also nicht wol schliessen dürfen, dass der junge Goethe, der ja bekantlich in diesen partien des Wilhelm Meister seine eigenen jugend- erinnerungen erzählt, den operntext von J. Beccau oder den roman selbst, sondern dass er irgend eine dramatische bearbeitung, sei es die von Grimm oder eine mehr volkstümliche zu seinem Puppenspiele benuzt hat. Das fiele also in die zeit um 1755 und stimmte durch- aus mit den in den oben citierten nachahmungen von 1752 1759 liegenden beweisen für das Interesse, welches in weitesten kreisen, speziell am anfang der zweiten hälfte des vorigen Jahrhunderts unse- rer Banise entgegengebracht wurde. Wissen wir doch auch, dass 1753 noch zwei und 17(3-1 66 noch eine neue aufläge des buches nötig waren, und ferner, dass ausser der von A. Schlossar besproche- nen aufführung der hauptaktion, welche 1722 durch die Bruniussche theatergeselschaft in Graz in Steiermark vor sich gieng, noch zwischen

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1740 und 1750 die bekai)te Schuchsche schauspielertruppe „die Banize" aufführte ^

Doch für die litteraturgeschichte war seit Gottsched das urteil gesprochen-. AVol haben einzehie richtuugen und einzelne Vorkämpfer im vorigen und in diesem Jahrhundert auf die starke belebung der Phantasie und zugleich des Patriotismus, auf die einführung neuer Stoffe und kräftigerer plastischer ausdrücke in unsere litteratur, also auf eine gewisse förderuug derselben in algemein ästhetischer, inhaltlicher und formeller liinsicht hingewiesen, welche von der sogenanten zweiten schlesischen schule ausgieng. Die tendenzen der Schweizer wie der romantiker zeigen deutliche berührungspunkte , aber wie wenig fält dies im grossen und ganzen ins gewicht! An eine regelrechte „rettung" hat bis jezt niemand gedaclit und wird wol auch nicht so leicht jemand denken, scliiefer anschauungen sind aber ziemlich viele zu bekämpfen.

Für meinen zweck reicht es aus, bevor ich meine eindrücke und die darauf gegründeten urteile widergebe, nur einige wenige kritiken in den gangbarsten litteraturgeschichten über die Banise einander gegen- überzustellen; gar manche, fürchte ich, sind geschrieben, ohne genaue kentnis des buches, nur nach einem kurzen überfliegen oder selbst auf die autorität anderer litterarhistoriker hin"^. Da spricht z. b. Otto Ro- quette (I, 390) von der gelehrten spräche, in der Zigler Lohenstein nachahme. Kurz (U, 434) nent das werk den unkünstlerischesten und geschmacklosesten roman der zeit." Scherr behauptet wenigstens (II, 187), es repräsentiere volständig den wunderlichen romanstil jener zeit, Vilmar (369) findet, Arminius und Thusnelda habe einen weit besseren Stil als die Banise. Sehr hart urteilt von den früheren Wachler (II, 78). Im Sinnenkitzel, sagt er, Avisse Zigler seiner meister kostbarkeit und Schlüpf- rigkeit zu erreichen, durch unnatürliche Übertreibungen und erfinderische grausamkeit sie zu übertreffen. Obendrein habe er noch die undeut- sche Verkehrtheit des vornehmen geselschaftstones mit lüderlicher sprach- raengerei bekundet*. Die Banise sei das erzeugnis zügellos wilder, im erklügeln schwülstiger gefülile oder Vorstellungen und ausdrücke dafür bis ziu" erschöpfung angestrengter einbildungskraft; im erstreben des

1) Theatr. Journal f. Deutschland 1777, I, 64.

2) Eine frühere, aber weniger ^^•ichtige kritik über die ganze romangattuug findet sich in Bodmers , Discoursen der Mahler " teil lU, s. 100.

3) Menzels litteraturgeschichte stelt Cholevius in seiner von'ede an den pranger.

4) Das Lst -svol die ungerechteste aller beschuldigungen. Der vergleich Ziglers mit seinen quellen, besondei-s mit Francisci, beweist augenfälhg, wie er deren fremd- worte dui'ch deutsche ersezt.

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neuen, ungeheuren, was staunen und grausen erregen soll, verspotte sie die gesetze der natiir und sitsamkeit und sinke oft matt zur gemein- heit herunter. Ganz andei's klingen Scherers, des neuesten gewichtigen kritikers, werte (379); er stelt die Banise über Arniinius in betreff der effektvollen fortschreitenden handlung, erklilrt den stoif für geschickt verändert und abgerundet und i'ühnit, hier tinde sich keine gelehrsani- keit, keine verborgene Weisheit, dafür aber die richtigen romanfigureu.

Man sieht schon aus dieser blumeniese, die beliebig vergrössert werden könte, dass es nötig ist, unbeeinfhisst von früheren äusserun- gen, sich eine eigene meinung zu bilden. Die neueste handliche aus- gäbe der Banise (siehe oben) ladet dazu ein, nach dieser eitlere ich als nach dem besten bisherigen drucke, obgleich der herausgeber die- sen nicht nach einer der ersten autlagen (1688 und 1690), sondern nach einer von den ZAvei aus dem jähre 1707 stammenden hat herstel- len müssen.

Ich gebe zunächst eine gedrängte inhaltsangabe des werkes^. Ba- lacin ist der zweite söhn des königs Dacosem von Ava in Hinterindien, Banise die tochter Xemindos, des kaisers von Pegu, des neffen jenes Dacosem. Die beiden hauptpersonen stehen also im Verhältnis von onkel und nichte, doch wird gerade diese verwantschaftliche Stellung gar nicht berührt, vielmehr nur die tatsaclie, dass Dacosem seinen neffen als kaiser nicht anerkent, ihm den lehnseid weigert und somit die beiden höfe in erbitterter feindschaft einander gegenüberstehen, zumal Dacosem das land von Banisens vater gerade für seinen zweiten söhn Balacin erobern will. Ein Überläufer von Pegu, der sich in Ava aufhält, ist Chaumigrem aus Brama, der an dem hofe Dacosems sehr bald einen ganz ausserordentlichen einfluss erhält, besonders dadurch, dass Xemin- dos einfall in xlva, bei dem Balacins älterer bruder getötet wird, durch Chaumigrem s bruder Xenimbrun zum stilstand gebracht wird. Auch dieser fält nämlich von Xemindo ab und bedroht Pegu, so dass der bis dahin siegreiche kaiser sich gegen ihn wenden muss. Lezterer besiegt und tötet jenen zwar, doch hat dies nur die folge, dass nun der viel gefährlichere Chaumigrem an des bruders stelle herr von Brama wird und sein ehrgeiz eine weit gewaltigere kriegsflamme, die ganz Hinterindien erfasst, entzündet. Er erobert zuerst Martaban, dessen könig ein Schwiegersohn Xemindos ist, vertilgt unter den grösten grau-

1) Andere inhaltsangaben bei Cholevius s. 154 162, Bobertag s. 160 176 und am küi'zesteii, aber recht geschickt bei Schlossar s. 84 87. Ich gebe oben zunächst niu- die haupthandlung und füge auf den folgenden Seiten minder wichtige und doch wissenswerte partien an.

ZEIISCHELFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. ö

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samkeiteu das ganze dortige fürstenhaus und bedroht endlich Pegu selbst Gegen ihn erfleht jezt Xemindo seines onkels Dacosem von Ava hilfe nnd zwar durch dessen söhn Balacin, welcher vor Chaumigrems eintluss früher hat aus Ava weichen müssen, in tiefstem incognito nach Pegu gegangen ist und durch alle möglichen heldentaten Xemindos und vor allem seiner tochter Banise, einer gefeierten Schönheit, liebe gewon- nen hat. Balacin wird also mit günstigen anerbietungen von Pegu zu seinem vater geschickt, riclitet aber nichts aus, sondern muss zwei monate lang bei seinem vater unter strenger bewachung aushalten, wälirend welcher zeit Chaumigrem Pegu einnimt, den kaiser Xemindo in unwürdlirer weise tötet und auch Banise zu ermorden befiehlt. Darauf eilt Balacin, der jezt freigelassen wird, nach Pegu, gelangt nach den mannigftiltigsten abenteuern in Talemons, des kaiserlichen Schatz- meisters, eines früher gewonnenen freundes, schloss und hört hier, als er verwundet an das krankenlager gefesselt ist, sowol dass Banise durch das mitleid des oberhauptmanns von Chaumigrems leibwache Abaxar gerettet ist und versteckt gehalten wird, als dass sein vater plötzlich gestorben und ihm damit Ava und zugleich durch den tod des dor- tigen königs Aracan zugefallen ist. Er hat also nun die macht, mit Chaumigrem offen in die schranken zu treten, unternirat aber, durch die Verschlimmerung von Banisens läge dazu gedrängt, einen versuch sie ans Pegu zu entführen. Der tyrann hat nämlich, nachdem er sich auch des landes Prom bemächtigt und die dortige königin getötet, von Abaxars eigenmächtigem handeln kentnis erhalten, Banise vor sich führen lassen und, von ihrer Schönheit hingerissen, ihr eine bedenkzeit von sechs tagen gegeben, nach deren ablauf sie entweder sich mit ihm verbinden oder den tod erleiden soll. Durch Talemons söhn Ponnedro, den „oberhofmeister des kaiserlichen frauenzimmers", wird Balacin, der sich als portugiesischer händler verkleidet, eine Zusammenkunft mit Banise ermöglicht, bei der er sie beredet, Chaumigrem einen Schlaf- trunk einzugeben. Dieser tut seine Schuldigkeit, die liebenden entflie- hen glücklich aus der Stadt, verirren sich aber, und Banise wird mit des prinzen diener Scandor eingeholt und zurückgebracht. Zu ihrem glücke folgt der noch immer verliebte Chaumigrem dem rate des ober- sten priesters, desRolim, Avelcher bei der gefesselten prinzessin anblick ebenfals von leidenschaft zu ihr erfasst worden ist und sie für sich gewinnen will, und bewilligt ihr eine sechsmonatliche trauerzeit in des Eolim gewahrsam; Scandor, den er frei lässt, gibt dem fast verzweifel- ten Balacin davon künde. Dieser rüstet in Aracan zum kriege und tritt Ava seiner Schwester Higvanama ab, während Chaumigrem Siam

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und dessen liaiiptstcult Odia erobert. Bei diesem zuge Avii'd Abaxar, der in Chaumigrems vertrauen geblieben ist, von den Sianiesen gefan- gen, lernt dabei die sianiesisclie prinzessin Fvlane kennen und lieben, bestellt für sie einen Zweikampf und wird nach der einnähme der Stadt ihr imd ihres verwundeten, heldenmütigen bruders Nherandi retter und gefangen Wärter. Auf dem rückmarsehe von Odia trift Chaumigrems beer in einer furchtbaren schlacht am passe Abdiara mit Balacin zusam- men und Avird bis auf klägliche trümmer, die sich nacli Pegu retten, vernichtet. Um diese stadt zieht sich nun der krieg zusanunen; ausser Balacin belagert auch prinz Zarang von Tangu dieselbe, ein unglück- licher liebhaber Banisens, der gelegenheit gehabt hat, leztere in des Rolim gewahrsam widerzusehen, aber ebenso Avie der zudringliche Rolim selbst von ihr abgewiesen worden ist. Auch der siamesische prinz Nherandi, der seine freiheit wider gewonnen und sein heimatsland von den zurückgelassenen truppen Chaumigrems befreit hat, komt Balacin zu hilfe, endlich noch des lezteren Schwester und Nherandis verlobte, Higvanama von Ava. Diese jedoch fält unterwegs in die bände eines Chaumigrem zuziehenden heeres, wird aber glücklicherweise kurz darauf von ihrem bräutigam wider befreit. Trotz alledem scheint der gefan- genen Banise Schicksal besiegelt. Chaumigrem hat mehr und mehr seine leidenschaft für sie überwunden, und als Banise den Rolim, wel- cher ihr gewalt antun Avill, niedersticht, befiehlt er, sie nach 21 tagen dem kriegsgotte Carcovita zu opfern. Die nachricht davon bringt der wider einmal gefangene und ausgewechselte Scandor seinem herrn, und, während die stadt aufs heftigste belagert wird, schmiedet dieser nun mit dem immer noch als Chaumigrems leibwächter in dessen unmit- telbarer nähe weilenden Abaxar und einem von dem tyrannen belei- digten general Martong den entscheidenden plan. Yorher ist auch sein nebenbuhler Zarang durch die von ihm früher verschmähte priuzes- sin von Savaady, die in der Verkleidung der Banise zu ihm komt und plötzlich sein herz gewint, zum abzuge vermocht und das feld zwischen den hauptpersonen völlig frei geworden. Balacin und sein getreuer Scandor machen sich unkentlich, gelangen in die stadt Pegu und erfahren von Abaxar die einzelheiten des rettungsplanes. Lezterer bewii'kt bei dem neuen Rolim die aufnähme Balacins unter die opfer- priester, und diesem gerade als dem jüngsten Avird der auftrag, Banise zu töten. Die unglückliche prinzessin ist ohne jede ahnung von diesen massnahmen, sie komponiert eine trauerarie, die bei der ceremonie gesungen Avird, und hält in dem tempel des kriegsgottes vor dem ver- sammelten hofe Chaumigrems und der iniesterschaft eine grosse ti^auer-

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und abscliiedsrede. AVährend sie aber mit geschlossenen äugen vor dem cütare kniet, nuiclit sich der vor ilu- stehende opferpriester phUz- lich als Balacin keutlioh, ersticht den auf ihn losstürmenden Chaumi- grem, und ein von Abaxar und Martong geleiteter aufstand wirft des- sen anhänger im tempel nieder; Nherandi erstürmt inzwischen die stadt. Aliremeiue fi-eude herscht ob der ciücklichen wendunq-, sie wird noch dadurch erhöht, dass Abaxar sich als prinz Palekin von Proni ausweist imd Talemon die von ihm verborgenen scliätze von Banisens vater dem neuen hersclier ausliefert. Die hochzeiten, nämlich die von Balacin, Nherandi und Palakin mit den zu ihnen gehörigen prinzessinnen , bie- ten zu Schaustellungen jeder art anlass, von denen ein poetischer wet- streit zwischen Yenus und Mars und das Schauspiel: Die handlung der listigen räche oder der tapfere Heraclius die glänzendsten sind , und unter den zärtlichsten freundschaftsbeteuerungen nehmen Balacin, der kaiser von Pegu und Aracan, Nherandi, der könig von Slam, und Palekin, der könig von Prom und dem ihm geschenkten Ava, mit ihren ehehälften abschied von einander.

Dies der inhalt. Die Verteilung des Stoffes in die drei, nicht weiter in kapitel oder sonstige unterteile zerlegten bücher geschieht in folgender weise: Das erste buch ist fast ganz mit erzählungen am kran- kenlager des verkleideten prinzen Balacin auf Talemons schloss erfült. Ziemlich alles, was vor desselben zweitem erscheinen vor Pegu, also vor seinem aufenthalte bei Talemon, und vor dem unglücklichen flucht- versuch, geschehen ist, wird hier von seinem dien er Scandor (s. 38 86 und 95 171) vor den obren des alten Talemon, seines zu besuch anwesenden sohnes Ponnedro und Abaxars, der lezteren begleitet, berich- tet. Der prinz muss seine und seiner Schwester Higvanama lebens- und leidens- und seine und Banisens liebesgeschichte geduldig mit anhören, auch Talemon, selbst Ponnedro haben, wenigstens von dem zweiten teile, längst genaue kentnis, nur Abaxar scheint lauter neuig- keiten zu erfahren. Der bericht ist ausserdem insofern recht unglaub- würdig, als der diener nicht nur seines herrn werte und handlungen mit gröster epischer breite angibt, sondern auch seine und anderer gedanken, ganz wie es der dichter direkt tun würde, erzählt. Am auffälligsten aber sind die darein geflochtenen bricfe und gedieh te, die einerseits zum teil dem Scandor kaum bekant, anderseits seinem gedächtnis in dem getreuen Wortlaut unmöglich so eingeprägt sein können. Ein einziger vers nämlich s. 45 stamt aus seinem eigenen gehirn, dann folgt s. 48 eine liebesarie der prinzessin Higvanama, ein vers Chaumigi"ems (s. 52), ein brief des lezteren an jene (55), ein brief

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und gedieht Nherandis an dieselbe (63— 65), ein gefälschtes schreiben, und gedieht desselben an die gleiche person (72. 73), drei schreiben Chaumigrems an Balacin und dessen vater (81 S3). In der zweiten hälfte von Scandors erzähhmg findet sich der wichtige orakelvers (100), welclier Balacin zuerst nach Pegu weist und ihm sein ganzes Schicksal voraussagt, welchen man also nicht wol anfechten kann, aber auch ein unsagbar geschmackloses lied der prinzessin von Savaady (116. 117), die lange erzählung des fluch tlings aus Martaban, der dem versannnel- ten hofo in Pegu Chaumigrems greueltaten daselbst, und zwar auch in erster person berichtet (138 1-46), ein längeres liebesgedicht Balacins in Alexandrinern (162. 163) und eine ebensolche antwort Banisens (164). Die vom dichter direkt gegebene handlung im ersten buche besteht nur in Balacins ankunft vor Pegu, seiner Verwundung durch Bramaner, seiner glücklichen aufnähme in Talemons schloss, dem allein er sein incognito enthült, und seinem achttägigen, durch den lieilungs- process veranlassten aufenthalte daselbst. Er wird liier durch die trotz seines incognitos in ihn verliebte tochter des Talemon, Lorangy, und deren Stiefmutter Hassana in fatale läge gebracht, aber durch die ankunft seines dieners Scandor erfreut, welcher ihm zwei briete, die auch Avürtlich abgedruckt sind, überreicht und darin die künde von seines vaters in Ava tod und von seiner wähl zum künig von Aracan bringt. Sonst ist im ersten buclie noch der umstand wichtig, dass Abaxar mit Balacin. bekant wird und abneigung gegen seinen herrn, Chaumigrem, verrät; er deutet jedoch noch mit keinem werte an, dass er die für tot gehaltene Banise gerettet hat.

Ist nun die composition des ganzen ersten buches überhaupt schon sehr schwerfällig, der kunstgriff, dass die Vorgeschichte breit erzählt wird, besonders deshalb ungeschickt, weil es vor zumeist längst in die- selbe eingeweihten geschieht, so muss man sich noch mehr über die naivetät wundern, mit der der dichter in person Scandors ab ovo anfängt, während doch der unglückliche prinz nach einem erlösenden worte über Banisens Schicksal schmachtet. Einige stellen könten darauf hinweisen, dass Zigler die Unwahrheit, die in den langen erzählungen gerade vor diesen personen liegt, selbst fühlt. Der prinz verrät öfters seine teil- nähme in höherem grade, als Abaxar verstehen kann; so heisst es, als sein erster abschied von seiner verlobten berichtet Avird, s. 169: „Hier wendete sich der Printz um, und hätte sich in sothaner schmertzlicher erinnerung fast verrathen, indem er seinen äugen nicht mehr zu gebie- ten vermochte, dannenhero Scandor seine erzehlung möglichst verkürtzte und sie durch folgende worte endigte." llan vergegenwärtige sich nur

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die Situation: die einzige persöDlicbkeit auf gottes weiter erde, die den prinzen beruhigen könte, sizt an seinem lager, nämlich Abaxar, aber dieser wird von keiner seite gefragt, ob er den befehl Chaumigrems, von dem alle wissen, Banise zu töten, ausgefiilut habe.

Dies geschieht ei'st am anfange des zweiten buches. Darin wird zunächst die dürftige, selbständige nebenhandlung des ersten zu ende geführt, Loraugy bekomt einen mann, aber nicht den prinzen, der in der ffrösten verlecrenheit zu einem nächtlichen besuche von Seiten sei- uer Verehrerin seine Zustimmung gegeben hat, sondern den untergescho- beneu Scandor, der weder von Lorangy noch von deren mutter im dunkel der nacht erkant und sogar schleunigst mit ersterer feierlich verheiratet wird, ehe das tageslicht den irtum aufholt. Dies ist eine der ergötzlichsten partieen des buches, sie eiiult einen künstlerischen zweck, nämlich mitten in die tragische Spannung ein ablenkendes moment einzufügen, ähnlich, um kleines mit grossem zu vergleichen, wie die seenen zwischen Francisca, Just und Werner in Minna von Barnhelm den abschluss der haupthandlung zwar verzögern und doch woltuend wirken. Eingeschoben ist gerade der traurige schluss der Vorgeschichte, die Talemon (s. ISl 205) übernimt, da er natürlich am besten von dem „Tod und Untergang des unglückseligen Käysers Xe- mindo samt dessen Printzen und gantzem Reich" bericht erstatten kann. Er erzählt in durchaus motivierter weise die einzelheiten, die Balacin und Scandor unbekant sein müssen, im ganzen einfach und natürlich; nur ein einziges mal flicht er einen brief der königin von Prom an Chaiimigrem (199, 200) ein.

Damit ist die exposition zu ende geführt; wir stehen aber auch so ziemüch in der mitte des ganzen romans. Gerade als Abaxar Bala- cins incognito durchschaut, als er andeutet, dass er Banise gerettet habe, und als er jenem seinen beistand schw^ört, wii'd er verhaftet, um Chaumigrem über die Schonung der prinzessin rede zu stehen, und nun wird der natürliche gang der erzählung nicht mehr unterbrochen. Ton der composition dieser zwx'iten hälfte ist nicht viel mehr zu sagen. Schon das zweite buch, das die läge der heldin sonst nur schlimmer werden lässt, gibt den anfang der peripetie in der sechsmonatlichen frist, welche Banise gestelt wird, und in Balacins rüstungen zu ihrer befreiung; als untergeordnetes moment kommen die grossen Verluste hinzu, welche Chaumigrem vor Odia erleidet.

Das dritte buch steigert die gefahr aufs höchste und gibt ein schier unglaublich gutes ende.

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Yon anfang an balanciert also das Schicksal Banisens auf der schärfe des Schwertes; sie ist, wie alle glauben, auf Chaumigrems befehl getötet, nur der urplrttzliche eindruck ihrer scliönheit auf den zum morder bestirnten Abaxar hat sie gerettet. Nachdem dies am selben tage sowol ihrem verlobten als Chaumigrem b(*kant geworden, gerät sie wenigstens insofern in immer grössere gefahr, als nicht nur ihr leben, sondern auch ihre tugend fortwährend bedroht wird. Die angriffe darauf abzuwehren gelingt ihr allein, ihr leben wird gerettet, als sie es um ihrer keuscheit und treue willen in die sclwnze geschlagen hat, von ihrem verlobten, w^obei mau sich nur wuiulern muss, dass ihr widerstand ihr nicht vorher den tod oder schände zugezogen hat.

Ein wort muss an dieser stelle noch den Übergängen und Sprün- gen der erzähl ung in der zweiten hälfte des romans gewidmet werden. Sie sind meist nicht gewaltsamer als in vielen neueren büchern der- selben poetisclien gattung; die phrasen jedoch, die dabei verwendet wer- den, sind komisch genug, um angedeutet zu werden. Einfach klingt noch eine der ersten: „Wir wenden unsere äugen von zu" (218). Dann aber (280) „verlassen wir auf kurtze zeit das waffen-bemühete Aracan und schicken die feder nach Pegu." Natürlicher wider klingt der satz (294): „Hier Avollen wir die bedrängten Siammer in blut und dampff verlassen und nach Pegu eilen, um die einsame princeßin in ihrem tempel zu besuchen." Nach den von ihr abgeschlagenen „heff- tigen zwey liebes -stürmen wollen wir sie wider ruhen lasseh und mit unserer feder einen rück-ilug nach dem lager vor Odia nehmen" (SOG). Yon da „lauff'en wir wider zurücke nach Siam" selbst (311) und „las- sen dann unsere feder abermahls zum überläufi'er werden, welcher sich aus der Stadt in das feindeslager begiebt" (324). Ferner heisst es: „"Wir wollen diese zwey Löwen (Balacin und Zarang) den Tyger (Chau- migrem) bestreiten lassen und uns nach dem Printzen Nherandi um- sehen, wo dieser in solcher unruhe geblieben sey (350)?" „Wir wollen Higvanama auff dem Avege verlassen und sie bald in ketten und ban- den finden: nachdem wir zuvor die Peguanischen mauern übersprungen und den verliebten zustand des Chaimiigrems und Rolims betrachtet haben'' (352) und über dieselben Mauern „thun wir wider einen flug zurück" (364). Noch lebhafter sind die Übergänge: „Doch, grossmüthige Higvanama, lasse nur die gediüt das geistespflaster werden, und wisse, dass du in kurtzem das verhängniß loben und rühmen wirst" (366) oder „Und will ich hier der feder ein stillschweigen aufferlegen, weil sie, alle Vergnügungen, freimdschaffts- küsse und hertzüche werte vor- zustellen, nur ihre imvermögenheit verrathen würde" (373). Oder

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endlich: „Wir lassen hier den vergnügten Zarang den Savaadischen gürtel lösen, und verfügen uns wider in das Aracanische lager vor Pegu, woselbst wir statt lieblicher küsse donnernde carthauen spielen, und statt der myrthen die mauern von Pegu mit blutigen cypressen umgeben schauen'' (382).. Neben derartigen Übergangsphrasen treten die fälle, wo einfach von etwas neuem „kurtzer bericht abgestattet" oder mit einem „inzwischen" und dergleichen abgeleitet wird, völlig zurück.

Wir können den abschnitt, der die composition des werkes behan- delt, nicht schliessen, ohne auf noch einige andere augenfällige unwahr- scheinlichkeiten der handlung ausser den schon erwähnten hingewiesen zu haben. Die geschraubte Situation, die auf der ununterbrochen fort- dauernden lebensgefaln- der heldin beruht, ist uns am empfindlichsten, sie ist aber gerade ein hauptmittel des autors, die Spannung zu erhöhen und könte noch heute gerade wie damals das glück des Schriftstellers machen. Er ist unerschöpflicli im aufspüren neuer gründe, um Ver- zögerungen für den eintritt der katasti'ophe herbeizuführen, ganz wie Sue oder Dumas. Oft werden tage oder wochen oder monate im vor- aus bestimt, wo irgend etwas eintreten soll, in der Zwischenzeit sucht er es dann so zu arrangieren, dass alles, was er zur abwendung des Unheils eintreten lassen will, nicht zu unwahrscheinlich erscheint. Trotzdem glaube ich nicht, dass gerade die als glanzpunkt gedachte lösung im tempel des kriegsgottes mit der rede Banisens und dem tode Chaumigi-ems von den Zeitgenossen so gar anders gefunden worden ist als von heutigen lesern. Die rede mag ihrem geschmack entsprochen haben!, ^vährend sie uns unbeschreiblich geschmacklos dünkt in ihrer schulmässigen rhetorik, mit ihrer kühlen Überlegung und Phrasendre- scherei. Aber dass die ihr folgende befreiung nicht so geschickt und spannend wie andere partien, zu tumultuös erfolgt, wird wol auch einem oder dem andern der ersten Verehrer des buches aufgefallen sein -.

Ein einziges mal kann es scheinen, als ob Zigier etwaigen ein- wendungen gegen die fabel entgegentreten wolte. S. 318 sagt er: „Zu

1) Chole\-ius s. 169 zergliedert sie ganz coiTekt, findet sie ebenfals „pedan- tisch und unnatürlich, ti-otzdem sie sicher unzählige heisse thränen heivorgelockt h abe. -

3j Bobertag s. 220 sagt ganz richtig, „es mangele die fähigkeit, die bedeutsam- sten Situationen klar zu erkennen und von weniger wichtigem zu unterscheiden, auch die kunst, dann eine -wirkungsvollere und mehr als sonst spannende dai-stellung anzu- wenden."

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verwundern ist es, wie sich ein väterliches hertze durch fremdes fleisch sein eigenes geblüte könne hissen verhasst machen: Allein liier muste die Verwunderung den finger auft" den miind legen, weil öffters, ob zwar ein ehrlicher, doch unordentHcher begierdens rauch die flamme natürlicher liebe ersticket." Ich muss aber betonen, dass es z. b. den charakterzügen, die der dicliter den personen verleiht und die später besprochen werden sollen, nicht recht entspricht, wenn der mordgie- rige, von Banise in jeder weise zurückgestossene oder überlistete Chau- migrem dieser so oft bedenkzeit gibt, auch, nachdem seine leidenschaft schon erkaltet ist, die räche verschiebt (s. besonders s. 352, 354, 363), ferner Avenn der jugendlich leidenschaftliche und ritterliche Bahicin die zweite herausforderiiiig durch den priiizen Zarang, als sie zusammen Pegu belagern, nicht annimt, oder wenn der leztere so schnell der ilni überlistenden prinzessin von Savaady die tauschung verzeiht und sie sogar heiratet, oder wenn Scandor, eigentlich nur um seinem lierrn das geschehene melden zu können, von Chaumigrem nach dem flucht- versuche ohne strafe entlassen, oder endlich wenn Abaxar von diesem nach dem flagrantesten ungehorsam in seiner hohen würde gelassen Avird. Das sind schwächen, die sicher auch nach dem ersten erscheinen des Werkes empfunden worden sind.

Anders stellt es mit einigen andern punkten. Der unglückliche vater Banisens, der kaiser Xemindo, lässt sich auf dem richtplatze (s. 195) mit einem Portugiesen in ein gespräch ein, und unter andern werten diese fallen: „Ich muss gestehen, wenn es gott gefiele, möchte ich itzo noch eine stunde leben, um zu bekennen die vortrefligkeit des glaubens, welchem ihr andern zugetan seyd." Diese löbliche gesinnung erscheint uns selbst bei dem etwas schwachmütigen kaiser von Pegu so völlig unvermittelt, dass wir an ihrer echtheit zweifeln müssen; auf die leser vor 200 jähren, die mehr als wir von den erfolgen der jesuitischen mission gerade in Ostasien hörten, mag sie wol besonders erbaulich gewirkt haben. Auch der uns wunderlich vorkommende schluss der hochzeitsfeierlichkeiten , das Zwiegespräch zwischen ]\[ars und Yenus und das von Portugiesen aufgeführte tlieaterstück , wird in jener zeit einen entgegengesezten eindruck gemacht haben. Uns will der von Zigler „aus dem italiänischen übersezte" und getrent von der Banise schon einmal, em jähr vor deren erscheinen gedruckte „tapffere Heraclius'', auch wenn Portugiesen ihn vor dem jungen kaiserpaare in Pegu aufführen, gar nicht nach Hinterindien gehören. Die gelehrten anspielungen darin auf alte mythologie und geschichte fallen uns als vor diesen Zuschauern in so hohem masse unmotiviert auf, dass wir

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bei dieser gelegeuheit erst recht deutlich empfinden, wie rein der eigent- liche roman sonst von allem solchen krimskrams ist.

Man würde jedoch, meine ich, sehr unrecht tun, wenn man die- ses angehängte theaterstück, obgleich es dem Inhalte nach eine gewisse älmliclikeit mit dem roman nicht verleugnet, als organisch mit dem ganzen verbunden beurteilen wolte. Das titelblatt sagt es ganz offen: „Diesem füget sich bey eine theatralische handlung." Der dichter hatte die absieht, das stück, auf das er jedenfals nicht wenig stolz war und das nicht besser und niclit schlechter ist als die durchschnitswaare der zweiten schlesischen schule, noch bekanter zu machen, indem er es dem gefolge der asiatischen Banise einverleibte; der kunstgriff war ein- fach genug und hat jedesfals seine Wirkung getan. Eine entschul- digung kann aber auch vom künstlerischen Standpunkte insofern gefun- den werden, als, wie schon angedeutet, ein parallelismus zwischen dem roman und dem stücke existiert. Phocas entspricht in manchem Chau- migrem, Heraclius hat die züge Balacins, Theodosia die Banisens, Mauritius gleicht dem unglücklichen Xemindo, das zweite liebespaar Honoria und Siron könte mit Higvanama und Nherandi zusammen- gestelt werden. Der kern der fabel ist allerdings insofern ein anderer, als der tyrann sich ausser in die zwei genanten prinzessinnen vor allem in den als weib verkleideten Heraclius verliebt; der leztere aber hat doch ebenso Avie Balacin die ihm entrissene braut zu befreien und einen gestürzten k aiser zu rächen. Die mittel sind die gleichen: Ver- kleidung und plötzlicher Überfall des im augenblick wehrlosen gewalt- liabere, Unterstützung des kühnen angreifers durch von aussen eindrin- gende freunde, welche die leibwache unschädlich machen i. Es haben also äussere gründe in erster, nicht unbedeutende innere in zweiter linie den dichter zu dieser nochmaligen benutzung eines früheren werkes verführt; der hauptfehler dabei liegt in der Verwendung vor einem publikum (in Pegu), das wohl für die sache, nicht aber für die namen Interesse haben konte. Es ist dies jedoch ein fehler, den Zigler in weit geringerem umfange begeht als alle romanschriftsteller, die mit ihm zugleich arbeiteten.

Vi'ii kommen nun zu der hauptfrage in betreff der dichterkraft Ziglers: "Wie viel von dem roman ist seiner eigenen phantasie ent- spnmgen, wie viel hat er benuzt oder abgeschrieben? Der einzige kritiker, welcher bisher Ziglers angaben über seine quellen (in der vor-

1) Ich nehme also an, dass Zigler in betreff der composition seines romans in etwas von diesem seinem dramatischen werke, das er als aus dem italiänischen ühersezt ein jähr frülier veröffentlichte, abhängig war.

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rede) geprüft hat, ist Bobertag s. 176 179. Mich befriedigten dessen resultate nicht volständig, ich gebe deshalb hier die meinigen. Sic beruhen auf der genauen lektüre und vei-g!eichung der beiden von Zigler genanten Averke: Gasparo Balbi, viaggio delT ludia orientali, Venedig 1590, und Erasmus Francisci, Ost- und Westindischer, wie auch Sinesischer Lust- und Stats- Garten, Nürnberg, 1GG8, zwei wie in der grosse, so in plan und ziel völlig verschiedene bücher, von denen jedoch das zweite das erste benuzt. Balbi war venetianischer Juwelier und reiste seines geschäftes wegen 1579 88 im Orient umlier, in Syrien, Mesopotamien, Vorder- und Hinterindien. Da sein buch in der hauptsache vom kaufmännischen Standpunkte geschrieben ist und alles, w^as für den handel seiner Vaterstadt von vorteil und Interesse sein kann, in erster linie zusammenträgt, so bringt es nur wenige eth- nographische oder geographische specialitäten. Über geschichtliche stofte ' ist es ausführlicher in den kapiteln 35 und 37; hier teilt es mit, was gerade damals in Hinterindien politisch wichtiges geschah. AVas Balbi selbst davon sah oder von Portugiesen daselbst hörte, bringt er als neue zeitung aus Pegu nach Venedig.

Von seinem werke gab es eine lateinische und eine deutsche Über- setzung, die erste 1606, die zweite 1605 in Frankfurt erschienen; es ist mir aber wahrscheinlicher, dass Zigler das original selbst benuzt hat, da er meist den italienischen text wörtlich überträgt. Dies geschieht an folgenden stellen:

Balbi blatt 100 = Zigler seite 347, die beschreibung von Pegu; B. 101 und 102^^ = 7.. 347, die krokodile und die bürg ebenda; B. 110'' = Z. 281, über den könig des weissen elefanten; B. 111 und 112 = Z. 281 und 282 über die bew^afnung und ausrüstung des heeres, die fehlende artillerie usw.; B. 118* = Z. 132 und 133 über das schöne schiff des königs von Pegu; B. 118*' und HO"" = Z. 133, der aufzug ebendesselben; B. 122 = Z. 135, das schifsfest Sapan Donou. Aus dem 17. kapitel sind ferner w^ol noch die festlichkeiten bei dem tode eines königs von Pegu und die stelle über die gebrauche der priester benuzt, endlich ist ganz wörtlich das 36. kapitel, die elefantenjagd, = Zigler 282 fg.

Das alles sind züge, die unser dichter nur zur ausschmückung der fabel entlehnt; diese selbst aber hat er bis auf einen nebenpunkt nicht nach Balbi entworfen. Derselbe erlebte nämlich den krieg zwi- schen Ava und Pegu, welcher bei Zigler ganz im anfange von Scan- dor erzählt wird. Hier heissen die fürsten Dacosem und Xemindo, Balbi nent keine namen, berichtet überhaupt den hergang ganz trocken

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und hängt die geschiclite eines zweiten, aber verunglückten feldzuges gegen Silon (nach Francisci 1509 = Sion = Siam = Odia) an, wel- chen Zigler nicht benuzt. Mit wie freier phantasie der leztere gerade diese für uns wichtigste stelle verwendet, ergibt folgende Zusammen- stellung. Bei Balbi wie bei Zigler huldigt der könig von Ava dem von Pegu, seinem neffen, nicht, gibt ihm keine geschenke und hindert den handelsverkehr zwischen beiden ländern; den umstand benuzt Zig- ler nicht, dass der von Pegu deshalb abgeschickte gesante von jenem ermordet Avird. Vor dem feldzuge richtet der könig von Pegu aus furcht vor verrat 4000 personen hin, die vornehmsten seiner unter- thanen mit ihren familien bis herab auf die Säuglinge; Zigler lässt dagegen Xemindo von ehrgeizigen unterthanen, Xeminbrun und Cliau- migrem, wirklich verraten werden. Auch die erkrank img des königs an den blättern benuzt er nicht. In der entscheidungsschlacht kämpfen ferner bei Balbi beide könige selbst mit einander; der Peguaner tötet den von Ava, bei Zigler nur dessen ältesten söhn, so dass nun dem jüngeren, Balacin, die thronfolge zufält. Yon einzellieiten sind bei dieser scene mehrere bezeichnende mit herübergenommen, z. b. das Schwert des Peguaners, welches ihm von dem portugiesischen vicekönig Luigi di Taida verehrt worden ist, ferner die Verletzung und wut sei- nes elefanten. Man sieht, das sind alles einzelne, wenige züge von bestimtem Charakter, gewisse härten werden gemildert; der ausgang aber ist ein völlig verschiedener. Während bei Balbi die feindliche armee sich ergibt, Ava geschleift und seine einwohnerschaft in die wild- nis hinausgejagt wü-d, lässt Zigler hier Xeminbruns abfall eintreten und Pegu, ohne Ava selbst anzugreifen, sich gegen diesen wenden. Xur den umstand, dass der grosse schätz von Ava nicht aufgefunden wird, beutet er später in Pegu, gegen Chaumigrem, aus, und wörtlich nimt er die rührende stelle herüber, wo der elefant des gefallenen königs (oder kronprinzen) von Ava bei dem siegeseinzuge in Pegu weint und 14 tage lang keine nahrung zu sich nimt. Aus dem nun folgenden feldzuge gegen Siam oder Odia könte unseren dichter höchstens die notiz angeregt liaben, dass der vater des königs von Pegu früher mit 800000 mann die stadt eroberte; er lässt, wenn auch nicht durch Xemindo, so doch durch Chaumigrem dasselbe ziel erreichen.

Also nur für eine nebenhandlung, den krieg Xemindos gegen Dacosem, hat Zigler hie und da züge aus Balbi benuzt, etwas mehr zur künstlerischen ausschmückung der Verhältnisse von stadt und hof in Pegu. Der kern der fabel, die Schicksale Banisens, Balacins, Chau- migrems, ist bei Balbi mit keiner silbe gestreift.

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Solte Francisci dafiir die quelle gewesen sein? Jedesfuls, das merken wir bald, ist dessen dickleibi;j^es buch aus ungemein vielen älteren kompiliert und eine bequeme fundgrube für kuriose nachrich- ten aus Ost- und Westindien nicht nur, sondern aus allen ländern und Zeiten. Es erzählt nidit nur zwei, sondern eine ganze menge kriege in Hiuterindien, es führt auch mehrere personen deutlich vor, aber von der hauptfabel Ziglers ist auch hier nur wenig zu entdecken. Von Seite 1530 an, im dritten teile, wird es für uns wichtig, lu dem Vorgespräch zwischen Eloris Angelott und Sinnebald erinnert dagegen nur der gedankenaustausch über liebe und frauen in etwas an entspre- chende partien bei Zigler, ist aber nicht wörtlich benuzt. Aus dem ersten buche ferner ist das kraut dutroa, mit dem Banise Chaumigrem einschläfert, sonst aber, gerade wie aus dem zweiten, nur weniges zur naturgeschichtlichen Schilderung des landes entlehnt. Balbi endlich, nicht Francisci 1518 29, liegt den entsprechenden Ziglerschen Seiten über Pegu zu gründe, wie schon angegeben. Auch die geographische beschreibung Slams oder Odias (Fr. 1509, Z. 290) ist nicht wörtlich, der anlass zum kriege zwischen Slam und Pegu sachlich wol gleich, in der form anders erzählt, die zustände in Siam erscheinen in einem anderen lichte, der ganze feldzug ist bei Francisci 1510 sehr kurz, nach Cäsar Fridericus, behandelt. Wir ersehen daraus als faktische ergänzuug zu Balbi, dass im jähre 1567 ein könig von Pegu 29 monate laug Odia mit 1400000 mann, zu denen noch 500000 mann zuzug gekommen seien, belagert und endlich durch verrat genommen haben soll; der überwundene könig, so heisst es kurz, habe gift genommen. Bei Zigler ist aus diesen wenigen sätzen der grossartige kainpf lun Odia geworden, den Chaumigrem schliesslich trotz Nherandis verzwei- felter Verteidigung siegreich beendet, während der könig Higvero mit seiner gattin sich vergiftet (s. 284 294, 306 330). Balbi dagegen verweilt, Avie oben gesagt, länger bei dem zu seiner zeit, also etwa 15 jähre später, erfolgten verunglückten angriff des sohnes jenes königs von Peo:u auf Odia.

Fast wörtlich gleich lautet zuerst die algemeine Schilderung des festes des kriegsgottes (Z. 364, Fr. 1523), Avelche nach Yincent le Blanc entworfen ist, ebenso die ki'önung in Pegu (Z. 404 fg. = Fr. 1525 fg.), nur dass Zigler viel kürzt und anderseits die schöne rede des Rolim Korangerim durchaus selbständig dazusezt. Wie cUe nach Balbi gefer- tigte erzählung des peguanisch-avanischen krieges bei Zigler durch den erzähler Scandor eine völlig andere färbung erhielt, so flicht hier unser dichter geschickt seine eigenen politischen ansichten ein, überträgt

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ausserdem gewisse handliingeu auf ganz andere personen. In den Vordergrund für den gang der kriegsereignisse in unserem romane tritt Francisei erst s. 1530 fg., von wo an er den Portugiesen Fernand Mendez Pinto und Boterus benuzt, um die kriege eines königs von Brama mit den andern hinterindischen fürsten zu Pintos lebzeiten zu erzählen. Der könig ist nicht genant, sein oberfeldherr nur heisst Xemiubruu; bei Zigler bilden lezterer und Chaumigrem ein würdiges brüderpaar, von dem der erstgenante bald verschwindet, und alles, Avas nach Francisci der köuig selbst ausführte, komt hier auf Chaumigrems rechuung selbst. Bei Fr. zieht der könig zuerst gegen Martaban, des- sen könig Cambainha von beiden Schriftstellern den gleichen namen. erhält, bei Fr. aber kapituliert, bei Z. ritterlich kämpft. Eine genauere vergleiehung der betreffenden Seiten, Fr. 1530 1535, Z. 138 146, ergibt die völlige Selbständigkeit unseres dichters. Francisci erzählt aus- führlich von Unterhandlungen, Zigler lässt durch einen entronnenen Mar- tabaner lebendig und anschaulich die belagerung und erstürmung berichten. Die folgende massenhinrichtung dagegen ist zwar nicht ganz , aber in vie- len ausdi'ücken wörtlich und der sache nach bei beiden gleich (Fr. 1533 1538, Z. 1-11 1-16). Bei Francisci rückt der Brama nun sofort vor Prom, und dessen belagerung und erstüi'mung hat Zigler, wenn auch in anderem zusammenhange, beinahe gleichlautend mit jenem, beson- ders bezieht sich dies auf den brief der königin (Z. 199 205, Fr. 1538 1541). Allerdings fehlen bei dem älteren autor alle beziehungen auf Abaxar, welche persönlichkeit durchaus Ziglers ei-finduug ist; gescliickte abkürzungen, ersetzung von fremdworten durch deutsche und nicht recht nach Asien passender diu'ch geschicktere fallen ferner dabei auf. Ganz selbständig ist in unserem buche die ausmalung eines grossen ausfalles, welche mir, noch ehe ich mit Francisci vergleichen konte, wegen ihres plastischen ausdrucks besonders gelungen erschien. Der leztere lässt an dieser stelle den könig von Brama verwundet und Xe- nimbrun getötet, Zigler ähnlich Chaumigrem von einer lanze verlezt und dessen obersten feldherm niedergehauen w^erden.

Alle bei Francisci 1541 62 folgenden ereignisse hat Zigler nicht benuzt, der name des milchbruders des bramanischen fürsten, nämlich Chaumigrem, komt aber hier, s. 1561, zum ersten male vor. Sodaim ist für den wirklich historischen liintergrund daraus die anmerkung s. 1557 von Wichtigkeit, in der es heisst: Pinto sei bei der belagerung von Prom ohngefähr im jähre 1540 zugegen gewesen, schon vorher aber habe derselbe könig von Brama Pegu bezwungen. Dann wendet sich Francisci s. 1562 zu dem zweiten, aber unglücklichen angriff auf

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Slam, Avelcheii die eine seiner quellen, Boterus, ins jähr 1570 sezt, während er in die zeit von Balbis autenthalt fiilt. Ähnlich ist hier nur bei Zigier s. 2$4 fg. die figur der künigin, die sich durch ver- brecherische taten hervortut, dagegen fehlen bei Fr. Xlierandi, Fylane, natürlich aucli Abaxar und die schreckensscenen und zwistigkeiten in Odia, gerade wie bei der ersten belagerung. Die einzelheiten führt unser roman ganz selbständig aus, die lebendigsten kampfscenen haben bei Er. kein analogen. Die maunigfaltigkeit derselben ist aber in der Banise geradezu bewundernswert: eine schhicht vor der einschliessung, grossartige arbeiten, den fluss abzudämmen, ausfälle bei tag und bei nacht, stürme in sehr verschiedener art uud weise. Den abzug vor Slam veranlasst nun bei Francisci s. 1564 der abfall des Xemindo in Pegu von dem könige von Brama, welch lezterem diese Stadt Untertan ist. Dieser Xemindo wird, wie bei Zigier, dargestelt: gutherzig, mild und höÜich, er wird bei beiden in einer schlacht geschlagen, Pegu ergibt sich (Fr. 1565). Trozdem fält auch Martaban ab und ausserdem der Xemin von Satan (1566); ja lezterer überrascht den Brama und bringt ihn um. Der milchbruder des getöteten jedoch, Chaumigrem, rettet sich mit dem grossen schätze (1567) nach seiner geburtsstadt Tangu, wälu-end Xemin von Satan als könig in Pegu gekrönt wii-d. Gleich seinem Vorgänger verfährt er aber tyrannisch gegen die Unter- tanen, wird von dem widerauftauchenden Xemindo, der sich aus jener imglücklichen schlacht gerettet hat, belagert und fält bei einem gefecht vor seiner residenz. Xemindo ist nun Sy, jähre lang ein friedlicher und gerechter herscher in dem viel umstrittenen Pegu, dann wird er in einer bei Francisci ausführlich beschriebenen, bei Zigier nur erwähn- ten schlacht von Chaumigrem überwunden. Der leztere will nach Fran- cisci (1576) die stadt schonen, erscheint hierbei in gutem lichte, da er sogar deswegen einem aufruhr entgegentritt, und zieht in Pegu ein (1577). Erst von hier an benuzt Zigier die vorläge wider mehr (187 198), und dies ist überhaupt die wichtigste entlehnung, die sich bei ihm findet. Sie betrift Chaumigrems einmarsch und sein Strafgericht über den gefangenen Xemindo. Durch den erzähler Talemon wird aber in der Banise die prinzessin selbst mehr in den Vordergrund geschoben und Chaumigrems Charakter verschlechtert. Klagen über die Vergäng- lichkeit des glucks treten dazu, eine hässliche scene, in der Xemindo von einem Portugiesen verhöhnt wird, fält weg. Dagegen sind die partien, in denen er von Chaumigrem verspottet, dann zum richtplatz geschlept, von seiner tochter mit wasser erquickt, von dem henker geschlagen und endlich getötet wii'd, ganz gleich. Zigier entlehnte

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dieser selioii bei Fraiicisei hoclidrauiatisclien sceno z. b. auch die werte, in denen Xemindo den wünsch ausspricht, christ zu werden, und sezt da nur die strafe hinzu, av eiche der henker von einem unbekanten ertahrt. "Wörtlicli benuzt sind von unserem dicliter mehrere sätze auf s. 187 und 188, die Seiten 189 und 190 und endlich 193—198. Auf s. 191 ist nur die scene zwischen dem könig-e und seiner tochter wört- lich gleichlautend bis auf den schluss. Dieser aber ist für unsere fabel gerade durchaus die hauptsache, Francisci s. 1578 nent keinen namen für die tochter; sie ist die verlobte des prinzen von Nautir, eines prin- zen von Ava, und wird (s. 1579) „auf dem Rucken ihres Yatters, den sie umhälsete, erwürgt." Da ist also nur der umstand, dass ein söhn des königs von Ava als bräutigam der tochter des Xeinindo genant wird, von Zigler beibehalten. Alles andere, was er von diesen beiden pei*souen zu erzählen weiss, und das ist doch der Inhalt seines buches, ist produkt seiner frei waltenden dichterkraft. Vergleichen wir weiter, so ergibt sich folgendes: Die beiden anderen liebespaare existieren in den quellen gar nicht, Scandor und Talemon ebensowenig. Der vater Banisens wird aus einem von vielen Usurpatoren zu einem grossen kaiser umgewandelt, dem der grösste teil Hinteriudiens von rechts- wegen gehört. Chaumigrem dagegen wird aus dem bruder des grossen königs von Brama, der diesem nachfolgt, zu einem emporkömling, auf den fast alle kriege und die Verwirrung in Ava, Martaban, Prom, Siani und Pegu zurückzuführen sind. Er wächst dadurch, dass ihm seines bruders taten mit übertragen werden , zu einem Napoleon Hinterindiens empor, zu einer grossartigen, wenn auch für unseren geschmack zu grell gezeichneten persönlichkeit. Eine kunstvolle Steigerung seiner erfolge ist bewirkt, indem feldzüge aus dem jähre 1540 bis 1585, von Pin tos bis Balbis anwesenheit in Asien, ihm beigelegt sind, und mit dem gi-össten siege, der eroberung Slams, der höhepunkt erreicht wird. Wenn wir Francisci und Balbi verbinden, so sehen wir: Es tritt erst unter einem seiner nachfolger, welcher zwar Ava bestraft, aber vor dem abgefallenen Slam abziehen muss, in Wirklichkeit eine art rück- schlag ein, bei Zigler erreicht ihn selbst eine furchtbare nemesis. So ist in wirklich kühner weise aus den verschiedensten bausteinen ein gewaltiges, einheitliches gebäude aufgeführt, vor dem man nicht daran erinnert wird, aus welchen Steinbrüchen das material herbeigeholt ist. Und was die hauptsache, eine einzige wichtigere scene hat Zigler nicht selbst entworfen, diese hat er aber mit recht wörtlich benuzt, sonst betreffen alle entlehnungen nur nobenhandlungen oder sind zur rheto- rischen ausschmückung und der lokalfärbung wegen herübergenommen.

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Dieses resiiltat meiner verg-loiclmni^ der beiden hauptquellen mit dem romane selbst enthebt mich, so hoffe ich, derselben arbeit in betreff der noch ausserdem von Zigler selbst genanten bücher: „Saa- rens und Schultzens Eeisebeschreibungon, Rogeri Heydenthum, Rossens Religionen." Auf sie fiilire ich die meisten l)ilder religiösen inlialts, die processionen und einzüge, die tempel- und stiidtebeschreil)ungen zurück; für die fabel selbst kann ich nach den bei Balbi und Francisci gefundenen ergebnissen nichts dergleichen annehmen. In betreff der Personennamen kann ich nur zwei untergeordnete tatsachen noch anfüh- ren: An Balacin erinnert der bei Balbi O-i" angeführte ort Bah\tin in der nähe von Pegu, und Nherandi glaube ich als historische person annehmen zu müssen, da das Handbuch der geograpliie und Statistik von Stein -Hörschelmann H, 3 s. 452 als „befreier Slams von Pegu und mehrer des reichs" einen P'hra Nera' von 1564 1593 nent. Das stinit der sache nach ganz zu der von Balbi und Francisci erwähnten, imglücklichen, zweiten belagerung Odias durch die Bramaner und Pe- guaner.

Man erlaube mir nur noch einige wenige bemerkungen über den eindi'uck, welchen die von Zigler benuzten, nach den eben gepflogenen Untersuchungen allein ins gewicht fallenden entlehnungen zur lokal- färbung usw. auf den leser machen. Wer unbefangen vergleicht, wird gestehen, Zigler versezt tatsächlich mehr als irgend einer seiner zeit- genössischen zuiiftgenossen in die zeit und an den ort, w^ohin er die fabel nun einmal verlegt hat. Schlossar geht mir zwar zu weit, wenn er sagt (s. 69): Zigler schildere an der band ethnographischer und naturhistorischer w^erke das leben und treiben, die üppige Vegetation, die orientalische pracht an den königshöfen dieser länder, er zeige die kriegführung, die sitten und gebrauche der Asiaten. Ich werde im folgenden zeigen, in wie weit das berechtigt ist, in Avie weit nicht, doch in gewisser hinsieht bleibt allerdings, das ist auch meine ansieht, von anfang bis zu ende das Hinterindien vor unseren äugen, welches in der zweiten hälfte des 16. Jahrhunderts durch gewaltige erschütte- rungen bewegt wurdet Die Portugiesen sind geschickt verwertet, sie

1) Auch Cholevius s. 152 sagt, die Bauise verdiene allein einigermassen den namen eines ethnographischen romans. Zwar seien die fürsten und Prinzessinnen wie die europäischen, Hinterindien sei nicht geographisch oder malerisch beschrieben (vgl. 166), doch es seien darin revolutionen und kriege benuzt, welche wirkhch am ende des 16. Jahrhunderts dort sich ereignet hätten. Bobertag s. 227 229 nent die Banise specieU nicht, nimt sie also auch nicht aus, was er einigermassen hätte tun müssen, wenn er von allen diesen historisch - galanten (wie Cholevius) oder lieroisch-

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 0

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handeln in den yerschiedeusten städten mit europäischen waaren^ lavie- ren zwischen den parteien hin und her, lehren die bessere benutzung der geschütze und geben durch ihren anschluss an das gute princip, durch die Unterstützung Balacins, zwar nicht den ansschlag in der fabel, spielen aber wenigstens eine auch uns Europäer befriedigende angemessene rolle.

Ich finde in den geographischen und naturhistorischen excursen, in den beschreibungen von tempeln und religiösen ceremonien, von einzügen und Schaustellungen, so wie sie die Banise bringt, nichts unser gefiihl in höherem masse störendes, als wenn Ebers in seinen ägyptischen romanen die antiquarischen kentnisse benuzt, die ihm gerade über das Pharaonenland zu geböte stehen. Zigler beutet dabei seine quelle sorfältig aus, er zieht aber die gelegenheit nicht sozusagen bei den haaren herbei. Er ist wol breit und verweilt mit verliebe bei dem grässlichen und seltsamen, aber dafür kann ihn ebenso der ge- schmack seines publikums entschuldigen, wie es der heutige tut, wenn in den berühmten novellen Heyses und anderer ungewöhnliche, krank- hafte, ja selbst den unbeteiligten Zuschauer nervös erregende und pei- nigende seelenzustände im Vordergründe stehen. Ich kann darum unmöglich in so pharisäischer weise den epischen dichter tadeln, wie es wol sonst geschehen ist, wenn er seine haupterzählung in langsame- res tempo fallen lässt, sobald Balacin zu dem tempel von Pandior komt (s. 96 fg.), oder sobald er das schiffest Sapan Donon mit begeht (131 fg.), oder an der tafel des kaisers von Pegu teiinimt (137). Man glaube sodann nicht, dass Balacin hierbei nur einen müssigen Zuschauer spiele; es ist vielmehr bewegung und handlung genug in diesen episo- den, und die charakterzeichnung gewint dabei neben der lokalfärbung.

Nicht viel anders steht es um Chaumigrems einzug in das besiegte Pegu (187 fg.), die hinrichtung Xemindos (193 fg.), Higvanamas krö- nuug in Ava (275), die ihres bruders in Pegu (404 fg.) u. a. Uns muss es natürlich ermüden, wenn die paradestücke sich mehren; der „curiöse" sinn der leser vor 200 jähren aber schöpfte, wie ja algemein anerkant ist, mit vergnügen die belehrung, wie sie ihm weiter in dem bilde von der beerdigung der prinzessin Salagramma (312 fg.) und ihres

galanten (wie er selbst sie nent) romanen sagt: Die darstellung von zuständen ver- gangener zelten bei bestirnten völkem, deren treue und anschaulichkoit ein haupt- erfordemis des historischen roinans sei, fehle ganz und gar, sie seien eminent unhi- storisch, zerbilder. Auf die Verwendung der Portugiesen weist auch Cholevius s. 161 hin. Zigler selbst sagt in seiner vorrede (s. 8): „Der innlialt gleichet sich mehr ein^r Histoiischcn Beschreibung, als Helden -Gedichte."

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Vaters, des königs Higvero von Siam (313 fg.), von der bestattiing des alten und der wähl des neuen Rolim (355 fg.) geboten Avurde. Wenn bei allen genanten geniälden in erster linie die entfaltete pracht die phantasie der leser erregen soll, so ist es mehr auf die thränendrüsen abgesehen bei der Schilderung der feuorprobe in Siam (318) und der menschenopfer in Pegu (363 fg.), Schilderungen, bei denen von Ziglers Seite nicht viel erfunden ist; mich haben sie neben den genanten quel- len öfter an Olearius moskowitische reise erinnert. Diese partieen, besonders die lezte, gerade wie die geographischen und naturliisto- rischen, sind es allein, welche er wörtlich aus den quellen entlehnt hat. Die beschrcibung von Odia (= Ajuthia von 1350 1700 haupt- stadt von Siam) s. 290 und die von Pegu (3-17) könte von einem Ho- niann aus Xürnberg geschrieben und seinem atlas in derselben weise einverleibt sein, wie dies bei Isfahan und Täbris oder Kars und Erze- rum geschieht; so sachlich und einfach sind sie. Denselben eindruck macht die elefantenjagd (282 284) und der krokodilfang (373); die wahren quellen habe ich ja oben genant.

Man sieht, unendlich viel bei werk hält Zigler für nötig, um geist und gemüt der leser zu befriedigen; das zuviel stumpft unseren, der heutigen generation genuss ab. Die angewanten mittel an und für sich sind aber nicht falsch. Wie anders muss uns dagegen in Lohen- steins Arminius die verhülte erzählung der ganzen habsburgischen geschichte, die bezugnahme auf Ludwig XIV., auf Gustav Adolf usw. ersclieinen! Zigler fält es doch nicht ein, wie seinem gefeierten vor- bilde, aus allen zelten und den verschiedensten örtlichkeiten, besonders in den gesprächen, die beispiele, vor allem anekdotenhafte, zu entleh- nen. Er bleibt im ganzen doch im 16. Jahrhundert, und da ihm die frühere hinterindische geschichte natürlich unbekant ist, so kann er auch nicht altertum und mittelalter immer in die neue zeit mengen, wie es Lohenstein umgekehrt tut. Dazu komt, dass, wenn Zigler in die Banise auch vieles hineinbringt, was nicht unbedingt zur haupt- handlung gehört, dieses sich doch weit natürlicher mit derselben ver- bindet als im Arminius^.

1) Bobertag s. 218 fg. sagt: Ziglem könne eine weit leichtere bürde von gelehr- samkeit wol ebenso vor Überladung mit gelehrtem kram bewahrt haben wie richtiger takt, obwol, ganz objektiv genommen, der Banise dieser mangel als ein nicht ganz unbedeutender vorteil anzurechnen sei. Das „obwol" scheint mir nicht gerecht. Zig- ler whd überall als ein ausserordentlicher Vielleser genant, auch Bobertag einleitungVl sagt, er habe durch viele stubenarbeit seiner gesundheit geschadet, da ist doch die „weit leichtere bürde an gelehrsamkeit " mindestens unerwartet. Wenn es dann s. 219 anmerkung weiter heisst: „Zu beachten dürfte sein, dass Zigler in seinen spä-

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In den entsprechenden Zeitverhältnissen bleiben wir bei Zigler im ganzen immer; in betreif der örtlichkeit nimt er nun freilich gar manches aus seinem vaterlande mit an die ufer der Irawaddi und des Menam. Das bezieht sich vor allem auf die formen, unter denen die menschen mit einander verkehrend Das ganze gebiet des geselligen und auch des politischen Verkehrs kann Ziegler nur nach den deut- scheu oder den europäischen regeln seiner zeit darstellen; er will die- selben, wie es scheint, geradezu seinen lesern in reinster form vor äugen führen. In dieser bezielumg schiesst Schlossars oben angege- benes urteil über das ziel hinaus.

Dass die liebenden in dem tone Lohen steins mit einander reden, ist etwas, woran man sich bei der menge solcher gespräche noch am ersten zu gewöhnen im stände ist; dass die Schönheiten sich alle durch ungemein weisse haut auszeichnen, so dass man die einzelnen äderchen blau durchschimmern sieht, ist schon verdächtiger; der feierliche curial- stil aber, der hie und da zu tage tritt, macht einen fast noch komi- scheren eindruck. Kein tite] wird uns geschenkt bei den adressen der briefe und bei den anreden; an anderen stellen möchte man sich in deutsche ständeversamlungen oder synoden versezt wähnen. Ich eitlere nur die am'ede Korangerims an Balacin, als diesem in Aracan gehul- digt worden ist (278): „Grossmächtigster König von Aracan, Tipara, Chacomas, Jangoma und Bengalen, Herr von Pegu! Wir in tieffster unteithänigkeit treuergebenste stände und unterthanen dieses Reiches, statten gegen Ew. Königl. Majest. demüthigst- gehorsamen danck ab, nicht sowol vor die bereits gnädigst -erwiesene Reichs -Yäterliche ver- sorge in erhalt- und Verbesserung unserer grund-gesetze und daher- sprossenden heiligen gerechtigkeit: sondern auch vor itztermeldte höchst- rühmliche Sorgfalt" usw.

Sind aUe diese äusserlichkeiten aufs strengste nach occidentalem

teren -werken die kuriosität seiner Zeitgenossen reichlich entschädigt hat", so kann ich das nicht als einen makel auffassen. Gerade dass er den grossen, ersten roman frei hält von dem ballast. ist und l^leibt ein beweis für seinen künstlerischen ver- stand; andere, ausser vielleich Phih'pp von Zesen, haben ihn nicht. Wem fält es ein , aus der späteren verballhornisierung von Tassos hauptwerk , obgleich er sie selbst vornahm, einen algemeineren ungünstigen schluss zu zieheu? Und die Verschlech- terung eines treflichen Werkes ist doch noch viel schlimmer.

1) Darauf beziehen sich die algemeinen tadelsäusserungen unserer kritiker am meisten. Die richtige erklärung gibt Cholevius s. 169: „Man war gewohnt aus den romanen die feineren umgangssitten , geselschafthche rede weise und sogar den aus- drack der empfindungen zu entnehmen,'*

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miistor ausgeführt, so mischt Zigler Europäisches und Asiatisches mehr, sobald er kriegsereignisse berichtete

Über die militärisclien gemälde, die er gibt, wäre ein besonderer excurs nicht uninteressant; sie nelimen einen sehr grossen teil des romanes ein, und ich halte einige davon für die am besten gelungenen abschnitte, gerade wie die gespräche über liebe und ehe, die sich an verschiedenen stellen finden. Hier beschränke ich mich auf nur wenige bemerkungen. Lebendig und übersichtlich, das muss jeder zugeben, sind die Schlachtschilderungen sämtlich. Kürzer, und darin selio ich keinen nachteil, sprechen Scandor und Talemon über die kriege; wo der dichter selbst redet, geht er in alle möglichen details ein.

Die zahlen mögen wol zumeist aus Balbis buche genommen sein, sie klingen am meisten orientalisch. Ich verweise der kürze wegen auf die selten 139 fg., 182 fg., 193, 199 fg., 281, 289, 291, 308, 336, 345 fg., und eitlere nur die truppenzahl von Chaumigrems armeen: vor Martaban führt er 400000, vor Pegu 900000, vor Prom 700000 und vor Slams hauptstadt, Odia, 1200000 mann (Balbi hat da IY2 millionen).

Diese beispiele, denke ich, beweisen genug. Der dreissigj ährige krieg mit seinen vergleichsweise kleinen beeren schwebt da nicht als muster vor: hatte doch Gustav Adolf bei Lützen nur 14000 und Wallenstein vor Pappenheims eintreffen 12000 mann. Xerxes, Dschingiskhan und Tamerlan bringen in ihren ungeheuren reichen nicht mehr boAvafnete zusammen als diese hinterindischen fürsten, in Europa haben das 16. und 17. Jahrhundert nur in den türkisch -tatarischen kriegen annähernde zahlen. Noch mehr glaube ich in den einzelheiten der kämpfe anklänge an die Türken-, weniger an die französischen eroberungskriege unter Ludwig XIY. finden zu müssen, die elefanten spielen mehr eine halb komische rolle. Beides sieht man vor allem in der grossen schlacht am passe Abdiara (337 343), die neben den kämpfen um Prom (202 205) und um Odia (287 330) den glanzpunkt in militärischer hin- sieht bildet. Balacin hat sich durch Verräter in seiner Umgebung abhal- ten lassen, Pegu in seines feindes abwesenheit anzugreifen und muss diesen trotz dessen doppelter Übermacht aus einer günstigen Stellung herausschlagen. Vorher führt Scandor ein kühnes reiterstückchen aus,

1) Scklossar s. 69 behauptet auch hier etwas zu viel, wenn er sagt: Zigler zeige die kriegsführung der Asiaten. Cholevius s. 162 erinnert mir zu einseitig an die „leser, welchen die schrecken des dreissigjährigen kiieges in erinnerung gewesen seien." Ich wüi'de lieber sagen: der Türken- und daneben der raubkriege.

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indem er 250 mit pulver und 50 mit gold beladene wagen aufhebt, vielleicht eine erinneiung an eine tat aus Ziglers zeit. Der haupt- schlag trift das feindliche heer infolge des auffliegens einer ungeheuren mine, die an die riesigen türkischen arbeiten ähnlicher art vor Wien 1683 erinnert. 600 sclnitt lang, 150 breit, 3 eilen tief wird sie ange- legt und mit den 250 Wagenladungen pulver gefült. Entfernungsmar- ken, eventuell brustwehren sind ausserdem für die von Portugiesen bediente artillerie angebracht. Die feinde rücken in form eines riesigen halbkreises heran, dessen mitte von auserlesenen, um Chaumigrem gescliaarten Bramanen gebildet ist, während die vorgeschobenen flügel, aus der reiterei und den elefanten (diesen auf der rechten seite) beste- hend, das aracanische heer zu umzingeln streben. Balacin muss des- halb schleunigst seine flügel ausdehnen, die mitte bildet einen nach vom zugespizten kegel. Während aber in einer ähnlichen Stellung die Römer bei Cannä Hannibal erlagen, vernichtet hier die artillerie und die grosse mine den ganzen feindlichen hnken flügel. Schon die kano- nenkugeln tun den elefanten grossen schaden, denn, „wenn so eine hauptpiUe ein solches tier schnellete, so Hess es sich nicht mehr regie- ren, sondern kehrte mit gröster ungestüm zurücke, und begab sich ins freye feld, da es niederfiel und starb." Als aber „mit einem entsetz- lichen knallen und donnerschlag" das pulver explodiert, da „sähe man mit erschrecklicher Verwunderung die ungeheuren elefanten in der lufft fliegen, welche nebst denen steinen und anderer rüstung nicht wider an ihren ort, sondern auff ihr eigen volck zurücke fielen, und deren sehr viel erschlugen." Dieses ereignis „schlug dem Chaumigrem den bereits in bänden habenden sieg aus der faust." Die art, wie Chau- migrem seine leute immer und immer wider gegen die mauern von Prom oder Odia wirft, mahnt an Solimans oder Kara Mustafas verfah- ren in den festungskämpfen an der Donau. Unser dichter benuzte dabei mit nicht unglücklichem griffe umstände, welche zu dem gesamt- bilde passen, mit entschieden glücklicherem, als wenn Lohenstein erin- nerungen aus dem 17. Jahrhundert in die zeit von Christi geburt trägt. In den einzelheiten sind verhältnismässig nur noch wenige ganz unpassende europäische reminiscenzen zu tadeln. Dabei denke ich z. b. an das wunderliche grundgesetz in Aracan (s. 277), dass der könig stets seine Schwester ehelichen muss: „Ursache, weil Adams söhn auch seine Schwester zum weibe genommen habe." Das ist wol von demselben Standpunkte zu beurteilen wie die oben berührte Sehnsucht desXemindo, in der todesstunde zum christentume überzutreten. Noch mehr verrät sich der Europäer, wenn er Scandor erzählen lässt (s. 108),

ZIÜLKKS ASIATISCHE BAXISE 87

sie hätten sieh „nach morgenländiselier art aiiff kostbare teppichte" zur tafel niedergesezt, oder wenn ebenderselbe von wunderbaren bcäumen erzählt, die „ein gelehrter Europäer" beschreibe (52). Zu den wonigen gelehrten anspielungen gehört z. b., wenn Hassana einmal die toclitor warnt: „der flüchtige Mercur ist öfPters denen männern ins hertze geprägt" (87), wenn die sirenen, Yenus, Diana genant werden (67, 295) und Avenn Banise, als die Verfolger sie bald eingeholt haben, wünscht „in einen lorbeerbaum, gleich der Daphne", verwandelt zu wer- den (263).

Sonst muss der unbefangene beurteiler zugeben, dass z. h. in betreff der pflanzen- und tiorwelt, der kleidung nnd der materiellen Seite des lebens, aber auch in betreff der religion der dichter sein mög- lichstes tut, um eine lokalfärbung über das ganze zu verbreiten. Selbst mexikanische bäume versezt Zigler in die königlichen lustgärten von Ava, und zwar mit genügender motivierung, sie üben dort auf Chaumigrem, der sie und ihre eigentümlichkeiten nicht kent, eine belu- stigende Wirkung aus. Bei der ceremonie der nächtlichen Vermählung Scandors und Lorangvs wird holz von einem bäume rawasitton, wie stets beim abschlusse von eben, verwendet (213), auch das kraut dutroa, aus dem Banise den Schlaftrunk bereitet, wird (in einer gelehr- ten anmerkung) genau beschrieben (259). Die eigentümlichkeiten cha- rakteristischer tiere, der krokodile und elefanten, sind nicht ohne geschick benuzt (138, 183, 282 fg., 374). Sowol Balacin als Banise beobachten wir, wenn sie sich ankleiden; das kostbare kaiserschiff Xemindos, erinnernd an die prachtwerke der Ptolemäerzeit, wird von Scandor ausführlich behandelt (132).

Auf die rituellen und ceremoniellen kunstausdrücke mit den dazu gehörigen erklärungen kann ich hier nur hinweisen, sie sind sehr zahl- reich, werden im grossen und ganzen aber mit mässigung ausgebeutet. Yon den tempelbeschreibungen sind die des tempels Apalitä (97) und Carcovitä (387) hervorzuheben. Wenn auch Scandor hie und da ein- mal vom teufel spricht (z. b. 97), kann doch von einem stärkeren her- einragen europäischer religiöser Vorstellungen nicht die rede sein. Die grosse „trauer- und absclüedsrede der sterbenden Banise" ist die wich- tigste ausnähme; in ihr ist vom schoss der gnaden, vom ewigen leben neben der „Xiba" die rede, und manche sätze klingen, als hätten sie ganz in die christlichen grabreden vor 200 jähren gepasst, wie etwa der folgende: „Du himmlische Gottheit aber lass dir meinen geist zu zu geheiligter band befohlen seyn, und lasse ihn statt jetziger gallo die süsse himmelskost schmecken." Diese rede ist aber, anders darf man

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sie nicilt auffiissen, ein paradestück, gerade so wie die dialoge über ehe und liebe, nur dass die lezteren, weil algemein menschliche Ver- hältnisse behandelnd und viel besser motiviert als jene, geist und gemüt weit mehr ansprechen.

' An solchen stellen tritt Zigler wie die anderen epischen und dramatischen dichter seiner zeit ganz aus dem von ihm entworfenen künstlerischen rahmen heraus und wendet sich nur als Zeitgenosse durch den mund der von ihm erfundenen personen an seine leser. Was diese lezteren als feinen geschmack und beweis grosser belesenheit anzu- sehen pflegen, das allein ist ihm dann die richtschnur. Tun das aber nicht auch viele unserer dichter? Lassen sie nicht auch der eine seine lieblingshelden sämtlich rein pessimistisch, der andere rein dar- winistisch, der dritte fast nur mystisch sprechen? Geben sie vor allem nicht oft genug allen ihren figuren eine ganz gleich tiefe bildung, so dass die funkensprühenden citate und geistreichen Sentenzen in ihrem munde sich förmlich jagen? ^ Hört man nicht z. b. in dem sonst so interessanten romane W. Jordans „Die Sebalds" auch recht oft mehr den dichter als seine geschöpfe reden? Tritt da die absieht, zu beleh- ren, der wünsch, die eigenen ideen vom schönen und wahren anderen einzuimpfen, nicht eben so deutlich hervor? Wir lernen nur bei Jor- dan wii'klich. wir, die leser des zum ende sich neigenden 19. Jahrhun- derts, während uns Ziglers einstmals ganz ebensolchen einfluss übende gedanken in dieser weise nicht mehr berüln^en können. Dass diese art von romanen noch heute das beste publikum findet, kann niemand leugnen: man muss es wol noch unterscheiden von demjenigen, das sich an den zahllosen famiüenzeitschriften eine gute tut. Aber es ist doch ein gewaltiger fortschritt gemacht insofern, als auch für die rei- neren ästhetischen ansprüche gesorgt wird.

Der kreis der feinsclunecker ist stets ein kleiner: Kotzebue und Iffland behei-schten die bühne, als Goethes und Schillers meisterwerke das licht der weit schon erblickt hatten. Auf unser thema ange- wendet, heisst das: Auch der Banise popularität beruhte ihrer zeit auf dem entgegenkommen gegen die wünsche des publikums, doch zeigt sie noch immer ein grösseres geschick in betreff der composition

1) Cholevius s. 168 spricht von einem „wahren feuerwerke im affekte" bei Zigler und von dem streben geistreich zu sein (167). Auch Erich Schmidt a. a. o. nent ihn, allerdings nur in bezug auf die figuren und Verwickelungen, einen „vir- tuosen, freihch einen couhssenreisser." Gottsched drückt sich, wunderlich genug, so aus: Zigler sei selbst ganz asiatisch geworden, nämUch im hochtrabenden und gekünstelten ausdruck.

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uud der lokalfärb ung, eine selbständigere pliantasic wie die anderen romane ihrer zeit^ Noch heute können wir uns an ihr über gewisse finessen in dieser beziehung freuen, die nicht zufällig, nicht aus den quellen entnommen, sondern vom diclitcr eifundcii und wol überlegt sind-. So ersclieint mir z. 1). das meiste, was mit Bahicins incoguito zusammenhängt, reiflich erwogen. Wie der alte Talemon zuerst ilui durchschaut und gerade dieser umstand beide zu freunden macht, den falschen Pantoja von Tenasserim und den reichsschatzmeister von Pegu, wie dann der andere in fremder maske auftretende prinz, Pseudo- Abaxar, mit ihm in Verbindung gebracht wird, Avie der erste in seiner leidenschaftlichkeit mehrmals in gefahr komt sich zu verraten, und wie er endlich (s. 206) auch Abaxar gegenüber seinen angenommenen namen aufgibt: das ist alles gut begründet und mit wahrscheinlichen umständen umkleidet. Balacin wird uns auf der ersten seite sofort in seiner wahren natar vorgestelt, sein gegenbild ist in dieser beziehung Abaxar, dessen wirklicher Charakter erst ganz zum schluss enthült Avird. Und es ist gar nicht uninteressant, die kunstgriffe zu verfolgen, mit denen der dichter auf diesem zweiten wege operiert, auf welchem er nicht nur mit Balacin und den anderen personen, sondern auch mit dem bis in die lezten selten hinein im unklaren gelassenen leser ver- stecken spielt. Die anspielungen, die auf Abaxars anderen stand deu-

1) Cholovius YOi-trefliches buch benuzt in seiner lesenswerten einleituiig über die Amadisbüeher, die uachbildung des griechischen romanes und über den neueren historischen roman die Banise weniger als alle die anderen von ihm besprochenen werke (von Zesen, Bucholtz, A. Ulrich v. Braunschweig und Lohenstein), um aus ihr algemeine bemerkungen abzuleiten. Damit wil ich keinen Vorwurf aussprechen, ich finde vielmehr eine indirekte bestätigung darin, dass ihm wirklieh in den übrigen mehr algemeine charakteristische kenzeichen auffielen: jedesfals ist absolut keine absieht darin zu vermuten. Die Banise ist im Stoffe selbst, wie ja auch Cholevius andeutet, und in gewissen selten der ausführung, der „mache", ein originelleres werk, hat tatsächhch nicht so viel gemeinsam mit den anderen als diese unter ein- ander. In der einzelbesprechung verwendet Cholevius auf die afrikanische Sofonisbe 24 (ohne die proben aus dem roman), auf IbraJiim und Isabella 15, die adriatische Rosemund 5, Assenat 17, Simson 17, Hercules und Valisca 15, Herculiscus und Herculadisla 8, Aramena 39, Octavia 66, Arminius und Thusnelda 81 selten, auf die Banise nur 16. Dadurch wird die leztere unter die noch am meisten zumcktre- tenden romane in Cholevius werk eingereiht. Ich finde in dieser eigentümlichkeit des lezteren eine hinreichende eutschuldigung, um mich noch einmal ausführlich mit der Banise zu beschäftigen, zmnal auch Cholevius monographien über die einzelnen romane verlaugt.

2) Ich lese aus Scherers werten (s. 379) eine ähnliche Stimmung heraus und freue mich der Übereinstimmimg mit dessen von mir an anderem orie gebührend gewürdigtem werke.

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ten (z. b. s. 27, 28, 36, 37, 206), kommen natürlich und uiigesuclit heraus. Entschieden dramatisch belebt und spannend ist die scene (206), Avo Talemon seine erzählung vom Untergänge Proms beendet hat und Abaxar von ihm angeredet wird. Wir nnd alle anwesenden wis- sen nicht, in welch nahem Verhältnisse der leztere zu diesem Staate und dessen ermordeten Oberhäuptern steht. Ein unheimliches Streiflicht tiilt nur auf die Situation durch seine unerwarteten worte: „ich erkenne die sonder- und wunderbaren gerichte der strengen gottheit satsam im Untergang des königreichs Prom. Ich beseuffze der königin tod, und beweine des printzen fall: die götter werden es künfftig zu schicken wissen, dass dieses uhr-alte stamm -reich wider durch einen recht- mässigen thron -besitzer dermahleinst beherrschet werde." Dass er selbst dieser rächer ist, das enthült er nicht, komt auch nicht dazu, von seiner für die fabel wichtigsten handlung, der rettung Banisens, genaue- res zu berichten. Balacin aber verrät sich, als in diesem augenblicke Chaumigrems Schergen gemeldet werden, und so Aveiss Abaxar seiner . familie schrecklichen tod und dazu die nähe des rächers, seines natür- lichen bundesgenossen, ehe er in ketten vor Chaumigrem gebracht wird. So stehen für die wissenden in wirklich packender gegenüb erstell ung zwei an Charakter und lebensgang so ähnliche und doch wider so ver- schiedene personen vor uns, die von nun an ein und dasselbe ziel band in band erstreben werden. Aber auch schon die art, wie Abaxar eingeführt und durch Scandors und Talemons erzählungen mehr und mehr auf Balacin s seite gezogen wird, ist geschickt. In der deutlich ausgesprochenen, wenn auch am Schlüsse des romans erst klar moti- vierten absieht des verkleideten prinzen von Prom nämlich, zu dem prinzen von Ava überzugehen, wenn er „eine oder die andere ange- nehme nachricht" von dem leben desselben vernehme, liegt die künst- lerische begründung der langen berichte an Balacins krankenlager; ein wichtiges werkzeug wird durch sie für die gute sache endgiltig gewon- nen. Dies entschuldigt den schon oben verurteilten unkünstlerischen bau des ersten buches doch in etwas.

Ehe wir nun definitiv von der äusseren architektur des romans zu seiner inneren ausschmückung übergehen, ist es wol am platze, den andeutungen und ausblicken des autors auf das, was später kommen soll, einige worte zu widmen. Sie zeigen die mache am deutlichsten, die kunst, den leser zu spannen, manchmal selbst auf die folter zu spannen. So wissen wir im gründe noch gar nichts, nur dass ein verkleideter prinz Balacin auf seines alten freundes Talemon schloss eine Zuflucht gefunden hat, und schon wird uns (s. 20) ein

ZIGLERS ASIATISCHE B ANISE Ol

traiim des ersteren aufgetischt, ^\onn er seine Banise von elefanten iimi^eben sieht, mit ilir ans deren mitte in die hift gehoben, da oben dnrch eine flamme von ihr getrent und schliesslicli durch einen von krokodilen Avimmehiden breiten fhiss vcillig abgeschnitten wird. Aus Scandors erziildung gehört sodann hieher das traumbild, welches dem prinzen vor dem tempel Apalitii zum ersten male die schöne Banise vor äugen führt (99) und der vielsagende orakelspruch (100):

Zeug hin, betrübter Printz, dir winket Pegu zu. Errette deinen feind aus seines feindes hiinden: Es wird ein fremdes bild so aug als liebe blenden: Doch endlich findet man die eingebildte ruh. Schau! dein Yergnügen liegt in schrecken, furcht und ketten: Drev cronen müssen erst die vierdte crone retten. Das opffer crönet dich als einen Talipu. Die höhepunkte der ganzen fabel sind in diesen sieben Alexandrinern angedeutet, im zweiten Xemindos rettung aus meuchlerhaud , im drit- ten die erste Verlobung mit der prinzessin von Savaady, im vierten die zweite, nämlich mit Banise, im fünften deren gefahr, im sechsten die belagerung von Pegu und im siebenten die opferscene. Zweimal ist späterhin die erinnerung an diese rätselhaften werte von ausschlag- gebender bedeutung; das erste mal aber denkt Scandor (240) mehr an die von dem priester des Orakels mitgegebenen schachteln voll verstel- lender salbe und rät zu dem unglücklichen entführungsversuch, das zweite mal (384), als alle zeilen bis auf die lezte sich bewahi-heitet haben, ermutigt diese erwägung den prinzen zu dem gewagten schritte, sich unter die opferpriester in Pegu aufnehmen zu lassen. So schwebt über dem ganzen verlauf der dinge ein höherer wille, vor dem die irrenden menschen sämtlich sich beugen müssen, der die von Balacins vater gewünschte herschaft des sohnes über Pegu auf ganz anderem wege herbeiführt, als Dacosem geplant hat, und der dem guten prin- cipe zum siege verhilft i. Weniger hervortretend, doch deutlich genug sind drei andere omina (161 und 150). Als nämlich Banise und Bala- cin von Xemindo verlobt werden und erstere des vaters band küsst,

1) Schon Cholevius und Bobertag betonen, dass die ganze gattung der heroiscli- galanten romane darin die Amadis-romane übertreffe, dass sie doch wenigstens ver- suchen, ein sithches Interesse im romane zur geltung zu bringen. In der Banise, das geht wol aus meiner darstellung hervor, siegen Unterordnung unter die geböte der götter und strenge sithchkeit. Das ist allerdings nicht in derselben weise eine teudeuz, wie sie der maier Müller in seiner novelle verfolgt: kämpf für die men- schenrechte, gegen das conveutionclle (Seuffert s. 238), sondern es ist mehr.

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„schiessen ihr unvereehens drey blutstropffcn ans der nasen anf des Kävsers rock". Gewiss ein nnheiniliches Vorzeichen, das nicht nur damals „sothane augenehme zusammenkunlYt zu des Printzen hohem niissvergnügen desto eher geendigt", sondern auch manchen leser mit den schhmsten almungen erfült liaben mag, zumal wenn man sich des „entsetzlichen comet-sterns" erinnert, der an heiterem himmel plötz- lich über Pegu erscheint, und des umstandes, dass des kaisers pferd auf ebener erde beim schritreiten vor Pegus toren stürzt.

In den kontouren des ganzen litterarischen gebäudes und in sei- ner äusserlichen ausschmückung ist, wie aus vorstehendem wol erhalt, sorgtliltige Überlegung, ja raffinement nicht zu verkennen. Die ange- wendeten mittel werden zwar übertrieben, sind zumeist aber nicht falsch 1. Besondere hervorhebuug verdient die mühe, die der lokalfär- bung gewidmet ist; auch die Verzahnung der verschiedenen ineinander greifenden handluugen kann als nicht ungeschickt bezeichnet werden. Xur über die anläge des ersten buches, über einige gewaltsame Über- gänge in den späteren teilen, über die anfügung des „tapferen Hera- klius" und über die töne, welche im geselligen verkehr angeschlagen sind, können wir uns nicht hinwegsetzen.

1) Bobei-tag, Gesch. d. romans I, 2, 1 gibt s. 203 263 eine besprcchung der litteratui'gruppe , zu der die Banise gehört, mit einer ganzen reihe treffender bemerkungen , zu denen ich mich hier nicht genötigt sehe weitere zusätze zu machen. Ton s. 215 an bespricht er die künstlerische behandlung, plan oder disposition dieser werke, nämlich die aufeinanderfolge der einzelnen teile der erzählung, die art der nicht eigentlich erzählenden elemente und das grössenverhältnis der einzelnen teile. Die Banise, sagt er 216 fg., vcifähii nach der auch von Haupt ausdrücklich auf- gestelten regel, wonach der roman denselben gesetzen wie das heldengedicht zu gehorchen hat. So hätten Ziglers und Zesens romane nicht nur einen massigen umfang, sondern auch fester^ innere gliederung und grössere einheitliche geschlos- senheit als die anderen; sie verführen nach den längst aus Homer und Virgil gezo- g'enen regeln : der anfang müsse mitten in die bewegung hinein , einzelne teile würden, weil nachzuholen, den auftretenden personen in den mund gelegt, die hauptpersonen träten nicht zu spät auf und nicht zu zeitig ab. Die anderen grösseren romane ver- führen mehr nach den werken der historiker. Unepischer noch sei die Verwendung der nebensachen ; die beschi^eibung, die mittoilung gelehrter kcntnisse kennen kein mass, keine beschränkende mcksicht. In betreff des grössenverhältnisses der teile sei anzuerkennen, dass die bedeutendsten werke anfang, mitte und ende gleichmässig ausführten-, sie enthielten weniger phantastisches und wunderbares wie die früheren erzählenden unterhaltungsschriften , aber bewiesen Verschwendung mit ereignissen. S. 230 wider sagt er freilich nmd heraus: Kein künstlerischer bau, das menschliche leben und die Charaktere seien nicht wahr.

(Foiisetzung folgt.)

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EINE QUELLE DES SIMPLICISSIMUS.

Dass der „AbcnteuerlicliL' Siniplicissimus" von Joh. Jacob Chri- stoffel von Grimmeishausen im al^emeinen in der diircli Diego Hui'tado de Mendoza begründeten, durch Mateo Aleman, Yicente Espinel u. a. weiter ausgebildeten litterarischen traditiijii des „picarischen romanes" steht, ist eine bekante tatsache. Auf ein bestirntes werk dieser ge- schmaksrichtung jedoch als muster hinzuweisen, ist noch nicht versuclit worden.

Durch prof. Jakob Minor angeregt unternahm ich es, das Verhält- nis des Simplicissimus " zu einem seinerzeit algemein gelesenen und bewunderten romane von Mateo Aleman, dem „Guzman von Alfaraclie" \ wie wir ihn der kürze halber bezeichnen wollen, zu untersuchen. Dabei ergab sich folgendes:

Im Jahre 1616 erschien zu München von dem durch seine Über- setzungen der Schriften Guevaras, des hofpredigers Karl Y., bekanten Jesuiten Aegidius Albertinus^ eine bearbeitung des „Guzman von Alfa- rache'', die der gepflogenheit jener zeit gemäss den langatmigen titel führt: „Der Landstörtzer Gusman von Alfarache oder Picaro genannt, dessen wunderbarliches, abenthewrlichs und possirlichs Leben, was ge- stallt er schier alle Ort der AVeit durchloffen, allerhand Stand, Dienst und Aembter versucht, viel Guts und Böses begangen und außgestan- den, jetzt Eeich, bald Arm, und widerumb Reich und gar Elendig worden, doch letztlichen sich bekehrt hat, hierin beschrieben wird Durch Aegidium Albertinum, Fürstl. Durchl. in Bayrn Secretarium, theils aus dem Spanischen verteutscht, theils gemehrt und gebessert. Erst- lich Gedruckt zu München, durch Nicolaum Henricum. Anno MDCXVI." 8 jähre später gab ein sonst unbekanter autor, der sich auf dem titel den poetischen namen Martinus Erewdenhold beilegt, zu Frankfurt am Mayn eine fortsetzung zu diesem werke heraus, die sich als eine ziemlich unbeholfene nachahmung darstelt und als „dritter teil" gel- ten will 3.

1) Ticla y heclios dcl Picaro Guzmau de Alfaracbe. Atalaya de la vida liii- mana por Mateo Aleman.

2) Nicht „Albertini", wie ihn Titman in der einl. zu seiner ausg. des Simpl. nent.

3) „Der Landstöi-tzer Gusman von Alfarache , oder Picaro, genant Dritter Theil, Darinnen seine Reyß nach Jerusalem in die Türekey, vnd Morgenländer, auch wie Er von den Tüi'cken gefangen, wideramb erledigt, die Indianischen Landtschafften besuchet, \Tid in Teutschlandt selbst alle Stätte durchwandert, auch allerhand vndcr- schiedliche Dienste, vnd llandwerck versuchet, vnd bald zu grossem Reichthumb auff-

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Die bearbeitung des Albertinus sowol, wie die fortsctzung zeich- nen sich nicht gerade zu ihrem vorteil durch eine grosse zahl von excui*sen oder, "wie der Verfasser mit dem Spanier sagt, „discur- sen'' aus, die zusammengenommen nahezu die hälfte des ganzen Wer- kes ausmachen und zur eigentlichen handluug nur in einer sehr locke- ren, nicht selten aber auch in gar keiner beziehung stehen. Und diese gerade sind es, die den ausgangspunkt unserer betrachtung bilden müs- sen. II, 356 komt der hold des romanes, Guzmann, in den dienst eines Junkers und „discuriert" auf dem wege mit diesem drei lange kapitel hindui'ch über adel und edelleute (s. 357): „Was den Adel und Edelleut belanget, Gepietender Juncker, welche jederzeit und billich bey allen Yölckern in grossen Ehren gehalten worden, befinden wir, daß der- selbige auch von vielen wird mißbrauchet, Indem auch viel gemeine, und geringes Standspersohnen gefunden werden, welche, wann sie so viel zusammen geraspelt und geschachert, daß sie drey Hel- ler im Beutel und ein Seyden Kleid, beneben einem fcderbusch auff dem Hut tragen können, mitgewählt Rittermässige Herren wol- len seyn, kauften Adels Brieff^ und stutzen so Adelich in [358] den Städten umbher, daß man genug von ihnen hat zu sagen, und mit fin- gern nachdeutet, welchs jhnen doch nicht zu Ehren, sondern zu mehrer Schmach und Schande gereichet, dann da weiß man nichts mehr zu erzehlen, als daß jhr Großvatter, auch wohl jhr Yatter, Tag- l»Shner und Lastträger, ihre Yätter Beerstecher, jhre Brüder Bfittel, jhre Schwestern Huren, jhre Mutter Hurenwürthin gewesen, In summa, jhr gantzes Geschlecht dermassen besu- delt und befleckt, und sie selbst so Schwartz, als wann sie jetzo auß der raucherischen Werckstatt des lahmen Yulcani dem Bronti und Stetopi als jhren rechten Bnidern eutlauffen weren."

gestiegen, bald widenimb in höchste Armuth gerahten, außfühiiichen beschrieben wird. Bcneben anmüthiger vnd eygentlicher Beschreibung der Morgenländer, deß H. Lands vnd der Indianischen Insulen, auch vieler artigen herrlichen Discursen, vnd Erinnerungen. Auß dem Spanischen Original erstmals an jetzo veiieutscht durch Mar- tinum Frewdenhold. Getruckt zu Franckfurt am Mavn, Im Jahr MDCXXVI.'^ 8. In der folge soll die bezeichnung I für die bearbeitung der Albertinus , II für die fort- sctzung des Frewdenhold gelten.

1) Vgl. Moscherosch, "NVeltwesen: -. . . . hat kaum so viel im Säckel ge- habt, daß er den Adelbrieff bezahlen und einen Stall mit Gunst zu melden kauffen können: sich doch ungeachtet aller ehrbarkeit nicht mehr Metzger, nicht mehr Wag- ner etc. ... sondern Herren von Metzegem, Henen von Wagenera etc. ... will titu- lirct etc. . . . haben, damit er undor die Altgebonie vom Adel, under die alte Ritter- schaft nicht nur gerechnet sondern auch denselbigeu gar möchte vorgezogen werden."

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Diese stelle greift Griiniiielsliausen lieraus und stelt sie wirkungs- voll an den anfang seines Werkes, dorthin, wo der erziihler von seiner eigenen abstammung berichtet:

„Es eröffnet sich zu diosoi- unserer Zeit (von welcher num glau- bet, daß es die letzte sey) unter geringen Leuten eine Sucht, in deren die Patienten, wan sie daran kranck ligen, und soviel zusammen geraspelt und erschacliert haben, daß sie neben ein paar Hel- lern im Beutel, ein närrisches Kleid aulf die neue Mode, mit tausenderley seidenen Bändern, antragen können, oder sonst etwan durch Glücksfall mannhafft und bekant worden, gleich Ritter massige Herren, und Adeliche Personen von ulu-altem Geschlecht, soyn w^ ol- len; da sich doch ofFt befindet, daß ihre Vor-Eltern Taglöhner, Karchelzieher und Lastträger: ihre Vettern Eseltreiber: ihre Brü- der Büttel und Schergen: ihre Schwestern Huren: ihre Mütter Kupplerinnen, oder gar Hexen: und in Summa, ihr gantzes Ge- schlecht von allen 32. Anichen her, also besudelt und befleckt gewesen, als deß Zuckerbasteis Zuntft zu Prag^ immer seyn mögen; ja sie, diese neue Nobilisten, seynd offt selbst so schwartz, als wan sie in Guinea geboren und erzogen wären Avorden."

Im weiteren verlaufe fülirt Simplicissimus einen ironisch gehal- tenen, mit einer gewissen behagiichkeit in alle details sich ergehenden Vergleich zwischen dem bauernhofe seines „Knän'* und einem fürst- lichen palaste durch und fährt I, 7 fort: „Anstat der Pagen, La- qiieyen und Stallknechte hatte er Schaf, Böcke und Sau, jedes fein ordentlich in seine natürliche Liberey gekleidet, welche mir auch offt aufi' der "Waid aufgewartet, biß ich sie heimgetrieben; die Rüst- oder Harnisch -Kammer war mit Pflügen^ Karsten, Aexten, Hauen, Schaufeln, Mist- und Heugabeln genugsam versehen, mit welchen Waffen er sich täglich übete; dan hacken und reuthen war seine disciplina militaris, wie bey den alten Römern zu Friedens -Zeiten, Ochsen anspannen, war sein Hauptmannschafftliches Commando, Mistaußführen, sein Fortification-wesen, und Ackern sein Feldzug, Stall-außmisten aber, seine Adeliche Kurtzweile, und Turnierspiel; Hiermit bestritte er die gantze Weltkugel, soweit er reichen konnte, und jagte ihr damit alle Emden eine reiche Beute ab "2.

1) Diefigurdes „Zuckerbastel", des Oberhauptes der Prager gauDerzunft, ist nach Reiuh. Köhler (Gosches archiv I, 295 fg.) der Ulenhartschen bearbeitung einer novello des Cervantes „Rinconete und Cortadillo" entnommen und nichts als eine Übertragung des Seiior Monipodio, des obersten der Sevillaer gaunerzunft. in deutsches kostüm.

2) Vgl. auch Moscherosch, AVeltwesen „. . . und doch muß der beste Adel leiden, und hören, daß sein aller erster Urahuherr ein Ertzbauer, ein rechter Schaff-

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Daf]:egen halte man, was Giizman II, 359 weiter in seinem „dis- curse^ vorbringt: ,, . . . und müssen leyden, das man jlnien an allen Enden anch wol ins Angesicht darf! sagen, daß eine Bawren Hütte sey jhr Pallast gewesen, darinn sie geboren und erzogen, die Stätte, da sie gewohnet, oder von denen sie sich schreiben, also beschaffen, daß wann man über die Mawren springet, die Zeune krachen, jhre Gfitter otftermals ein gemein Fehlt, darauft' sie sich kümmerlich erhal- ten, jhre behengte Kammern und Gemach, ein stinckcndes und berauch- tes Loch, da man weder Sonn noch Mond recht gesehen: jhre Die- ner und Lackeyen, Schafe, Bocke oder Säwe, deren sie gehüttet, der Pflug jhre Ritterliche Wehren, darin sie sich geübet, daß Kühe melcken, ist jhre kurtzweil, Gräben außwerffen, jhre disciplina militaris, Esel treiben oder Mist auff Beren tragen, oder am Karch ziehen, jhre Hauptmansch äfft gewesen, und was deß dings mehr ist, dessen sie sich zum höchsten müssen schämen, wann es jhnen zu hindertreibung jhres Übermuths vorgewoi-ffen wird."

Dieser discurs vom adel scheint Grimmeishausen so sehr gefallen zu haben, dass er ihn auch noch an einer anderen stelle, im 17. kap. des I. buches zweimal ausnüzt:

Simpl. I. 57. Joannes de Platea will außtrücklich, daß man in Bestallung der Aemter dem Adel den Vorzug lassen, und die Edel- leute den Plebejis schlecht soll vorziehen ; ja solches ist in allen Rechten bräuch- lich, und wird in heiliger Schlifft beste- tiget, dan Beata ten-a, cujus Eex nobilis est, saget Syrach cap. 10 welches ein herrlich Zeugnüß ist des Vorzugs, so dem Adel gebühret.

Simplicissimus I. 57. Seneca saget: Habet hoc proprium ge- nerosus animus. quod concitatur ad ho- nesta, & neminem excelsi Ingonii Vii-um humilia delectant k sordida. "Welches auch Faustus Poeta in diesem Dysticho exprimiret hat:

Si te rusticitas ^^lem genuisset agrestis, Nobilitas animi non foret ista tui.

Guzman IT, 368 fg. Und wil Johannes de Platea außdrück- lich , daß mann in bestellung der Empter,- dem Adel allezeit den Vorzug lassen und sie den plebeis schlecht sol vorziehen, wie solches auch in allen Rechten bräuchlich: auch in heiliger Schlifft bestettiget wiii . . . . (s. 359). Also lieset man auch in dem Büchlein Syrach cap. 10 Beata terra, cu- ius Rex nobilis est: wol demLandt, des- sen König Edel ist: welches auch ein Zeugnuß ist des Vorzugs, so dem Adel in dem weltlichen Regiment gebühret.

Guzman II, 370.

Daher dann dieser Spruch Senecae wol zu bedencken, da er sagt : Habet hoc proprium generosus animus, quod concitatur ad ho- nesta, & neminem excelsi Ingenii virum

humilia delectant & sordida. Das ist: ,

welches auch Faustus Poeta in nachfolgen dem disticho gar wol exprimirt hat

Si te rusticitas vilem genuisset agrestis Nobilitas animi non foret ista tui.

und Kühhirt, und der sich dazu so wohl gehalten hat, daß er auB Statt und Land

ist venviesen worden, nemlich Adam."

ZUM SDJPLICISSIMUS 97

I, 116 macht Simplicius dieselbe Avahrnehnuing wie Giizman I, 52:

Simpl. Guzman.

Seithcro hab ich der Saclie vielmals Damals sähe und erkentc ich, daß

nachgedaclit, und V)in der Mej-nuug wor- die A^nrcinigkeiten , welche in dergleichen den, daß solche Excrementa, die einem accidentiis und Zuständen gefeilt und aus- aus Angst imd Schrecken entgehen, viel geworfen werden, viel übler schmeckten, Ubiern Geruch von sich geben als wan weder andere ordinariae, die Philosophi einer eine starke Purgation eingenommen. und Sophisten aber, werden die eygeut-

liche Yrsachen dessen wol wissen zu inquiriren und zu erforschen.

II, 410 will sich Guzman einer geselschaft von gauklern und tänzern anschliessen. Diese gelegenheit, die nur zu diesem zwecke herbeigeführt zu sein scheint, benuzt der Verfasser sogleich, seine gelehrsamkeit auszukramen. Er gibt uns eine mit zahllosen stellen aus antiken autoren und kirchenvätern belegte geschichte des tanzes und ergeht sich schliesslich in eine endlose polemik gegen die unsitlichkei- ten, wie sie bei den tanzunterhaltungon vorkamen, ein thema, das deutsche prediger vom 15. bis tief ins 18. Jahrhundert hinein unzählige male behandelt haben. Auch an einer anderen stelle eifert er: „Ja da verleurt man manchs [3-14] par, welche sich in einem heimlichen Winckel verkriechen, allda sie gewißlich kein Pater noster betten, es komme sie dann eine sonderliche Andacht an."

Simplicissimus ist auch kein freund des tanzes, wie er III, 342 versichert: „Anstat des Tantzens, dem ich nie bin hold worden, wiese ich die Gerade meines Leibes, wan ich mit meinem Kürschner fechte", aber an stelle der langen abstrakten predigt erzält er uns, als w^äre er dabei gewesen, mit derbem realismus die ergötzliche geschichte „Wie sich ein Gänser und eine Gänsin gepaaret" [buch II kap. 1] und knüpft nur am Schlüsse gewissermassen in parenthese 119 die bemerkung daran: „Günstiger Leser, ich erzehle diese Geschichte nicht darum, damit er viel darüber lachen solle, sondern damit meine Histori gantz sey, und der Leser zu Gemüt führe, was vor ehrbahre flüchte von dem Tantzen zugewarten seyn [120]. Diß halte ich einmal vor gewiß, daß bey den Täntzen mancher Kauff gemacht wird, dessen sich hernach eine ganze Freundschafft zu schämen hat." Dieser lezte satz, der in der tat auch mit dem unmittelbar vorhergehenden in keiner sti- listischen Verbindung steht, ist wider wörtlich aus „Guzman" II, 413 entlehnt. Es heisst dort: „. . und wann gleich imd gleich zusammen kommen, wird mancher unehrlicher Kauff gemacht, dessen sich hernach eine gantze Freundtschaft schämen muß."

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOEOÜIE. BD. XXII.

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In cap. XTV dos ei*sten, von Albertinus herrührenden teiles wird Guzman, fremd in den Strassen Genuas umlierirrend, von einem ehr- würdig aussehenden manne, der seinen vater gekaut zu haben behaup- tet, gastlich aufgenommen. Während er des nachts in einem weichen und reinlichen bette, wie er es seiner tage nicht gehabt, behaglich die müden glieder streckt, stürzen vier als teufel vermumte männer ins zimmer, reissen ilui aus den federn, legen ihn, der vergebens alle hei- ligen anruft, auf einen „kotzen" und prellen ihn derartig, dass er die besinnung zugleich mit der „vis retinendi'' verliert ^ Zu sich gekom- men sucht er die Verunreinigung, die er angerichtet, tunlichst zu ver- bergen und schleicht im morgengrauen aus dem hause, in dem man ihm so übel mitgespielt.

Simplicius wird IT, 134 in derselben weise mishandelt. Aber während im „Guzman'' die geschichte ohne Zusammenhang mit dem vorhergehenden und ohne bezug auf das folgende, bloss um ihrer selbst willen dasteht, hat sie hier in der absieht des Schriftstellers eine ganz bestimte aufgäbe zu erfüllen: Simplicius soll dadurch seines Verstandes beraubt und in seinem bewusstsein in ein kalb verwandelt werden, ein streich, von dem sich der Veranstalter manchen spass verspricht. Sim- plicius, schon vorher von dem pfarrer gewarnt, macht gute miene zum bösen spiel, und im selben äugen blicke, wie er als „kalb" in die runde tritt, die sich um den tisch des obersten versammelt hat, ist auch die absieht des Verfassers klar: der narr betrachtet nun die geselschaft mit den äugen eines tieres, als solchem können ihm daher albernheiten und unnatürlich keiten auffallen, in denen menschen gar nichts besonderes erblicken können, weil sie dieselben eben dadurch, dass sie menschen sind, gewissermassen mit der muttermilch eingesogen haben. So dient lüer der streich nur dazu, der satire einen besonderen nachdruck zu verleihen.

Fernere anlehnungen, die, an sich von geringerer bedeutung, nur im gefolge der früher erwähnten ins gewicht fallen, sind folgende:

Simpl. IV, 455 erzählt Olivier, wie er des nachts die Strassen durchstreifte um vorübergehenden die mäntel zu entreissen, und wie er, dabei ertapt, nur mit not dem galgen entrint. Wegen desselben Verbrechens wird Guzman I, 372 zimi galgen verurteilt

1) Dieser spass scheint sich in Spanien einer besonderen beliebtheit zu erfreuen: Don Quixote. I. teil cap. 17 -vs-ird in der schenke mit Sancho Pansa derselbe unfug getrieben. Die vier teufelslai-ven , die den ahnungslosen überfallen und erschrecken, erscheinen auch im -Marcos Obregon" von Vicente Espinel, übersezt von Ludwig Tieck (Breslau 1827) I. bd. s. 155.

ZUM SIMPLICISSIMüS 99

und in anbetracht seiner Jugend zur galeere begnadigt. Diese art des raubes ist nur bei den weiten wallondi'U gewändern der Süd- länder denkbar: sclion aus dem alten Athen haben wir kundo, dass es leute gab, die im dunkel der nacht zwischen den langen mauern dasselbe gewerbe übten. Die Griechen nanten es Xioicoövidv, und es muss eines der verachtetsten verbrechen gewesen sein, denn es wurde mit seelenverkaufcrei und tenipelraub auf eine stufe gestelt und mit dem tode bestraft ^

Der priiceptor, der sich mit den ihm anvertrauten Zöglingen des nachts in den Strassen herumtreibt bis der eine bei einer balgerei erstochen und die übrige geselschaft von der polizei eingezogen Avird, ist gleichfals aus Guzman I cap. XXIX entlehnt.

Nachdem Guzman seine dreijährige galeerenstrafe überstanden hat, begibt er sich so begint die fortsetzung des Frewdenhold auf eine pilgerfahrt nach dem heiligen lande. Er wird dabei nach Alexan- drien verschlagen und fährt den Nil hinauf nach Cairo. Dort fält ihm auf, dass man hühnereier in Öfen künstlich ausbrütet. Auf einem aus- flug nach der totenstadt gerät er in die gefangen schaft der Türken: lauter züge, die sich im VI. buche des Simplicissimus" wider finden.

Alle die erwähnten stellen zusammengenommen lassen meines erachtens kaum einen zweifei aufkommen, dass jene bearbeitung des „Guzman" von Aegidius Albertinus mit der fortsetzung des Martinus Frewdenhold Grimmeishausen bei der abfassung des „Simplicissmius" vorgelegen hat.

WIEX, IM OKTOBER 1888. RUDOLF VON PAYER.

ZUM TELLENSCHUSS.

E. L. Kochholz hat in seinem treflichcn w^rke: „Teil und Gess- 1er in sage und geschichte" nachgewiesen, dass lange vorher, ehe eine Schweiz war, die sage, welche das schiessen eines apfels vom haupte einer geliebten person als charakteristikon grösster schützenkunst hin- stelt, schon unter Völkern verbreitet gewesen ist, die sich heute räum- lich ungemein ferne stehen. Die Übereinstimmung mythischer sagen

1) Xenophon, Com.I, 2, 46. Über das stehlen des mantels bemerkt Tieck zu Marcos Obregon, I. bd., cap. 3: -Das stehlen des mantels war damals etwas sehr gewöhnliches in Madrid. Eine gewisse aii; der diebo legte sich vorzüglich auf diese räuberei, zu welcher Schnelligkeit und geschicklichkeit erforderlich war."

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bei den yerscliiedensten Völkern mag oft überraschen, aber sie erklärt sich gar einfach. ,,Je weiter man in der zeit znrückgeht, um so mehr nimt die Verschiedenheit der Völker und stamme ab, um so grösser muss auch die Übereinstimmung aller in dem punkte der sagen gewe- sen sein." Als kleinen beitrag hiefür will ich aus Siebenbürgen einige unedierte sagen und märchen mitteilen, die die weitverbreitete mythe vom apfelschuss bis auf den heutigen tag bewahrt haben.

Ein unediertes märchen der transsüvanischen Rumänen lautet in genauer Übersetzung also:

Seliarfauff. Scliiiellauf, Trefweit.

Es lebte einmal eine arme alte frau, die hatte drei grosse söhne, von denen ein jeder eine trefliche eigenschaft besass. Den ältesten nante man Scharfaug, weil er ein so scharfes äuge hatte, dass er (bei meilen weit alles deutlich sehen konte; den mitleren nante man Schnellauf, weil er so schnell laufen konte, dass, ehe man sagte: „bleib gesund'', er schon drei meilen zurückgelegt hatte und wider andere drei meilen, ehe man ein „lebewol" sprach^; und den jüngsten, den nante man Trefweit, weil sein schuss auf drei meilen weit sicher traf. Als ihre mutter starb, machten sich die drei brüder auf den weg, um m der grossen weit ihr glück zu versuchen. Einmal sassen sie am rande eines waldes, als Scharfaug in weiter ferne einen hinken- den wolf erblickte. Er rief: „Seht, dort am rande jenes waldes komt ein wolf hinkend einher!" Doch kaum hatte er diese werte gesprochen, so kam schon schneilauf mit dem wolfe zurück. Die brüder verban- den den wehen fuss des wolfes, der ihnen von nun an wie ein hund überalhin nachfolgte. So kamen sie denn einmal in eine stadt, wo ein mächtiger könig wohnte, der eine wunderschöne tochter besass, die aber nur den heiraten wolte, der sie im wetlauf besiege. Sie war eine ausserordentlich schnelle läuferin und hatte schon viele bewerber im wetlauf besiegt und hinrichten lassen. Als nun die drei brüder hievon künde erhielten, unternahm es sofort Schnellauf mit der königs- tochter um die wette zu laufen. Doch ehe sie den lauf begannen, sprach die königstochter also zu Schnellauf; „Drei meilen weit werden wir laufen und wenn du vor mir das ziel erreichst, so will ich deine frau werden! Doch ehe wir den lauf noch beginnen, schenke ich dir schon den trauring!" Und sie gab ihm einen ring mit einem pracht- vollen stein, den Schnellauf zu seinem unglück sofort an den finger

1) Zu dieser wendiing vgl. meinen aufsatz: „Zu neugriechischon Volksliedern" (in der Zeitschrift f. vergl. litteraturgesch. u. renaissance-httcratur N. F. bd. I s. 353).

ZUM TELLEXSCIIUSS 101

zog; denn der stein im ring liatte die kraft jeden, der ihn am fiiiger trug, nach kurzer zeit einzuschläfern. Und so gescliah es auch Schnel- lauf. Kaum hatte der wetlauf begonnen und Schnellauf bereits zwei meilen zurückgelegt, da fiel er, in tiefen schlaf gesunken, wie tot zu boden. Dies bemerkte aber noch rechtzeitig Scharfaug und sagte zu seinem bruder Trefweit: „0 wehe! unser bruder ist bezaubert worden und liegt nun zwei meilen weit von hier in tiefem schlaf, auf den boden gestreckt. Der ring, den ihm die königstochter geschenkt hat, muss ein zauberring sein!" „Das werden wir gleich sehen!" ver- sezte Trefweit, „zeig mir nur die richtung, in welcher unser bruder liegt." Und als ihm Scharfaug die richtung anwies, schoss er seine flinte ab und von der kugel geti'offen fiel der zauberring zersplittert vom fiuger Schnellaufs. Dieser erwachte sofort und legte wie der blitz die lezte meile zurück. Lange nachher kam die schnelfüssige königs- tochter am ziele an. Sie forschte sogleich nach dem ringe und Schnel- lauf erzählte ihr nun, dass wahrscheinlich sein bruder Scharfaug ihn schlafend bemerkt habe, worauf dann sein jüngster bruder ihm den ring vom finger geschossen habe. Da rief erzürnt die königstochter: „Gut, ich will dein weib werden, aber weil ihr mich betrogen habt, so muss dein bruder Trefweit mir noch einmal seine kunst zeigen; gelingt ihm die aufgäbe nicht, so lass ich ihn und deinen bruder Scharfaug hinrichten!" Und sie befestigte einen ring oben auf dem haupte Scharfaugs, stelle ihn dann vor Schnellauf, auf dessen haupt sie eine kartoffel legte und hiess nun Trefweit von hundert schritt weite durch den ring die kartoffel vom haupte seines bruders zu schiessen. Da begann der wolf zu heulen und Avolte auf die königstochter los- springen, aber Trefweit besänftigte ihn und sprach: „Warte, bis dass mir der schuss mislungen ist!" Und er nahm die flinte zur band und schoss. Durch den ring hindurch drang die kugel in die kartoffel und riss sie mit sich fort. Xun muste die königstochter Schnellauf heiraten und die drei bruder lebten glücklich bis an ihr seliges ende. Sie machten das reich des königs gross und mächtig, denn jedermann fürchtete sich vor ihnen und als sie starben, weinten alle leute im lande und glaubten lange zeit nicht an den tod der bruder, sondern dachten bei sich, dass sie sich vielleicht gekränkt aus dem lande ent- fernt hätten und einmal noch zurückkehren würden. So gerne hatten

die leute diese drei bruder

Dies das märchen der Eumänen, das sich im grossen und gan- zen mit der italienischen NoveUa eleu Fortunato, Avelche 1869 zu Li- vorno von Giov. Papanti nach einem drucke aus dem fünfzehnten jähr-

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hundert herausgoceben Avorden ist, deckt Audi im niärclien bei Grimm, K.-M. nr. 71; Ey, Harzmärohenbuch s. 116, und im märcheu ,, Belle - Belle Oll Je Clfevalier Foriunc" von der gräfin d'Aulnoy, „komt ein wetlauf mit einer königstochter vor, wobei der läufer einschläft, aber durch einen schuss oder wurf noch zeitig genug erweckt wird, um vor der prinzessiu das ziel zu erreichen" (s. Roch holz a. a. o. s. 44 und vd. R. Köhlers schätzbare mitteiluniren 1872 in Brockhaus Kritischen anzeigen). Was den von obigen märchen abweichenden zug vom ein- schläfernden zauberring betrift, so ist das rumänische märchen am nächsten verwant mit Basiles Pentamerone III, 8. avo „der läufer Fur- golo (blitz) durch einen ring mit einem zauberstein festgemacht wird, bis der armbrustschütze Cecadiritto (Trifgut) ihm den magischen stein vom fingerring schiesst." Zum schuss durch einen ring nach der kar- toffel (also einem ,.erdapfel", s. Rochholz a. a. o. s. 41) ist zu verglei- chen der schuss des mythischen Serbenhelden Milosch, der um die lateinerbraut in der veste Ledjan werbend, dieselbe dadurch gewint, dass sein pfeilschuss durch einen ring tiift und den apfel dahinter von der lanzenspitze herabschiesst (Gerhard, Serbische volksl. I, s. 148).

In den meisten der hierhergehörigen sagen hält der schütze noch einen pfeil bereit, den er im falle eines mislingens demjenigen zuzu- senden gedenkt, der ihn zu dem verhängnisvollen schusse zwang. Ob- wol im rumänischen märchen das bereithalten eines zweiten pfeiles (kugel) nicht erwähnt wird, so ist doch nicht undeutlich darauf ange- spielt, indem Trefweit zum wolfe spricht: „AVarte. bis dass mir der schuss raislungen ist!" ATas nun den wolf anbelangt, der in diesem märchen wenigstens in der vorliegenden gestalt sozusagen gar keine rolle spielt so erlaube ich mir an die holsteinische sage von Henning AVulf zu erinnern (Rochholz, a. a. o. s. 38; MüllenhofF, Schles- wig-Holstein, sagen nr. 66 und Jahrbücher von Schleswig-Holstein 1860 in, 3 s. 444). Dass nach den werten des märchens die drei brüder im glauben der leute noch fortleben, ist ebenfals ein alter zug, den wir in der sage von den drei Teilen am Rütli, den drei zauberschlä- fern im Axenberge u. m. a. widerfinden (s. Rochholz a. a. o. s. 125 fgg.)

AVichtiger noch, sowol für die vergleichende sagenkunde als auch für die fortbildung und Verbreitung der Tellengeschichte, ist eine sagen- hafte erzählung der Bulgaren, die als gärtner und feldbauern im Süd- westen Siebenbürgens wohnen. „Wenn Eutych Kopp, Gesch. -blätter 2, 362 die auffallende ähnlichkeit erkant hat, welche zwischen Saxos Toko- geschichte und der Tellengeschichte der Schweizerchronisten in anläge und darstellung der erzälten begebenheit besteht; und wenn wir da

ZUM TELLENSfllUSS 103

auf beiden seilen dieselbe sasre mit denselben haupt- und Wendepunk- ten haben", so gilt dies auch niutatis inutandis mehr oder weni- ger von der bulgarischen erzähhuig, wenn wir dioselbe mit dc^r däni- schen Toko2:eschichte und der Schweizer Telleno-eschichte vercfleichen. „Den waghalsigen apfelschuss nach des kindes haupte; den aufgestelten stecken; die Zuversicht und geschicklichkeit des vaters; das bereithal- ten mehrerer geschosse von seite des schützen und dessen freies wort an den dränger; das fallen des drängers durch des schützen band", alle diese haupt- und Wendepunkte der erwähnten beiden geschichten lassen sich auch in der bulgarischen erzähl ung genau nachweisen. Wenn ihr auch der historisch -gefärbte schluss (empörung der Dänen, herzog Parricida) abgeht, so dreht sie sich doch auch um eine geschichtlich nachweisbare person. Digenis, der bulgarische trefschütze ist meiner ansieht nach derselbe, der auch in den neugriechischen Volksliedern vorkomt. Schon seit langer zeit besass man neugiiechische Volkslieder, in denen von einem wunderbaren beiden, namens Digenis, die rede ist (vgl. z. b. Passow, Popularia carmina Graeciae recentioris nr. 430. 491. 516; Sakellarios, Cyprische volksl. nr. 4. 17; Legrand, Eecueil de Chansons populaires grecques III, nr. 87 90), ohne dass man mit diesem Digenis viel anzufangen wüste, bis endlich zu anfang des vori- gen decenniums in Trapezunt ein daselbst vor eimiahme der Stadt durch die Türken (1462), vielleicht schon im 10. Jahrhundert verfasstes hel- dengedicht von mehr als dreitausend politischen versen entdeckt wurde, das von einem gewissen Basilios Digenis Akritas handelt, dem söhne eines Emirs von Edessa, namens Ali, und einer tochter des griechi sehen stratarchen Andronikos Dukas. Er hiess Digenis (diyevy-g, von zweifacher abstammung) Avegen seiner arabisch -griechischen eitern und Akritas als grenzwächter gegen die muselmänner am Euphrat (als eine art grenzwächter tritt er auch in der bulgarischen erzählung auf); er hiess auch Porphyrios, bei den Persern Farfurius; sein eigentlicher name scheint aber Panthirios oder Panthir, und er derselbe feldherr gewesen zu sein, Avelcher nach dem Zeugnisse Nestors im jähre 941 die flotte des russischen füi'sten Igor vernichtete. Er war mit dem griechischen kaiser Romanos Lekapenos verwant und Oberbefehlshaber der asiatischen provinzen. Das erwähnte gedieht nun ist seitdem von Konstantin Sathas und Legrand herausgegeben worden (Les Exploits de Digenis Akritas, epopee byzantine du X. siecle publice pour la premiere fois d'apres le manuscrit unique de Trebizonde. Pa- ris 1875). Der Sagenkreis des Digenis ist übrigens auch nach Russ- land vorgedrungen, woselbst in einer handschrift des 14. 15. jahrh.

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ein heldengedicht über Dcugeiiius Akritas vorlianden ist (s. A. Wesse- lofsky in der Ku^isischeu revue, Petersburg 1875. IV. jalirg. s. 379fgg.): „Bruchstücke des byzantinischen epos in russischer fassung^' und Alfred Eambaud, La Eussie epique, Paris 18 76, s. 421 fgg. „L'Epop6e neo- grecque Digenis Akritas"; vgl. auch Felix Lieb recht, Zur Volks- kunde s. 202).

Die genaue deutsclie Übersetzung dieser bulgarischen sage so -wie ich dieselbe 1887 im Originaltext aufgezeichnet habe lautet also:

Der sclniss des edlen Digenis.

Einst lebte am klaren wasser der Donau ein gewaltiger held, der mit seiner frau, einer guten Stia^ einen söhn zeugte, dem er den nameu Digenis gab und zu dessen paten er sich den grossen könig von Buda erbat. Als Digenis sein zwanzigstes jähr erreicht hatte schickte ihn sein vater hinauf in die bürg von Buda, damit er seinem paten zeige, was er gelernt habe. Und über Digenis künste hatte der könig und seine leute guten grund zu staunen; denn Digenis konte schwimmen wie ein fisch, er konte besser laufen als das beste reit- pferd des königs, springen konte er wie das reh der gebirge und steine von einem berge auf den andern schleudern, die sechs pferde von der stelle zu rühren nicht im stände waren. Aber erst schiessen! das ver- stand er wie kein mensch auf erden. Auf eine halbe meile weit schoss er den allerkleinsten apfel, auf einen stock gesteckt, auf den ersten schuss herab. Über diese seine künste wunderte sich gar sehr der könig von Buda und sprach zum edlen Digenis also: „Du bist noch jung an jähren, aber du kanst doch mehr, als zehntausend hundert- jährige greise! du bist noch zu jung, um heiraten zu können; darum sende ich dich hinaus in meine bürg im gebirge; dort solst du als kapitän (capitano) den Türken schrecken einjagen; nach fünf jähren aber will ich dir meine einzige tochter zur frau geben!'' Gar traurig zog der edle Digenis hinauf in das gebirge, in die bürg, um dort die Tür- ken abzuwehren; gar traurig war er, denn er hatte eine Jungfrau lieb, die er demnächst auch heiraten wolte; nun aber solte er nach fünf Jahren des königs von Buda tochter zur frau nehmen! Was tat nun der edle Digenis? Mitten auf dem wege kehrte er um und ritt zu

1) Stia, auch Juda genant, sind waldnyrnphen in jugendlicher frauengestalt. Es gibt böse und gute Stia; die bösen leben an Aussen und seen; sie haben ein langes haar, das sie den sich zu ihnen verin-cnden menschen über das haupt wer- fen, um dann die darin verstiickteu im wasser zu ersäufen; die guten hingegen erzeugen mit irdischen männem kinder, aus denen gewöhnlich grosse beiden werden.

ZUM TELLENSCIIUSS 105

seiner geliebten, die er heiratete. Nun zo^ er mit seiner jungen frau in die ferne bürg im gebirge. Durch seine künste wurde er gar bald der schrecken der Türken. Als fünf jähre um waren schickte der künig von Buda dem edlen Digenis einen grossen l)riof mit einem grossen Siegel, damit er nach Buda komme und seine einzige tochter heirate- Der edle Digenis bestieg also sein ross, sezte sein vierjähriges sölmlein vor sich hinauf und ritt zum könig von Buda. Als er dort ankam, sprach er also: „Herr könig, euere tochter kann icli nicht heiraten, denn ich habe mir schon vor fünf jähren ein weib genommen! Hier ist mein vierjähriges söhnlein!" Da ergrimte der könig von Buda und sprach: „Du hast wie ein weib gehandelt und verdienst vun den i)fer- den zertreten zu werden M Doch ich wdll dein leben schonen, weil ich ja dein pate bin, aber du musst einen goldenen apfel vom haupte dei- nes kindes auf den ersten schuss herabschiessen ! Verfehlst du das ziel, so musst du sterben!" Und sie führten den edlen Digenis samt sei- nem söhne hinaus in das freie feld und legten dem knäblein einen gol- denen apfel aufs haupt. Dreihundei't schritte vom söhne entfernt stand der edle Digenis und lud beide laufe seiner langröhrigen flinte. Er sezte an und schoss. Der goldene apfel flog weithin auf die erde. Das söhnlein stand unversehrt da. Grimmig sprach hierauf der könig von Buda: „Du bist ein treflicher schütze, Digenis! Sage mir aber avozu hast du beide laufe deiner flinte geladen? Du durftest ja hätte der erste schuss gefehlt zum zweiten mal nicht schiessen?" Da hob Digenis seinen knaben auf den arm und sprach: „Hätte die kugel des einen laufes nicht den goldenen apfel, sondern mein kind geti'offen, dann hätte die kugel des zweiten laufes dein hundeherz gewiss nicht verfehlt!" Und wie der Sturmwind flog er über die haide hinauf in das gebirge, wo er in einer höhle rast hielt. Müde schlief er ein und als ihn sein weinendes söhnchen aufweckte, da sah er, dass draussen vor der höhle der könig mit hundert seiner leute stand. Der edle Digenis besann sich nicht lange, sondern schoss seine beiden laufe ab. Der könig von Buda und sein ältester söhn fielen tot zu boden. Da begann ein kämpf, wie ihn nicht sobald ein mann gesehen hat. Als die sonne den himmelsrand küsste, da lag der könig von Buda, dessen söhn und die hundert männer tot auf dem boden; der edle Digenis aber zog mit seinem söhnchen heim zu seiner frau und dann ver-

liessen die drei für immer das land und wurden nimmer gesehen

Dies die bulgarische sage, deren held wol geschichtlich ist; der apfelschuss aber ist mythiseh und dem vertrag des ereignisses bloss

1) Vgl. Liebrecht, Zur Volkskunde (s. 296: Eine alte todesstrafe).

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angowacliscn aus älterer Überlieferung-, die bislang unbekant ist (vgl. Grimm, ^ryth. 354). Lezteres (freilich ohne geschichtlichen hiutergrund) gilt auch von der sagenhaften erzähliing der Szekler, die ich im jähre 1879 im Haromsz6ker komitate (Südosten Siebenbürgens) im ungarischen oriizin altexte auf2:ezeichnet habe und zwar in drei Varianten, von denen ich hier die volständigste und bedeutungsvolste in genauer verdeut- schuniT mitzuteilen mir erlaube.

Tsehalo Piselita. ^

Es war einmal dort, wo er nicht war, dort, wo man die läase und flöhe mit goldenen hufeisen versieht, dort war also einmal ein mann, dem hinterliess seine fi'au, als sie starb, ein zehnjähriges söhn- chen. Der mann war so arm wie eine kirchenmaus und konte sich kaum das tägliche brot verschaffen. Da dachte bei sich der arme mann : du 2:ehst mit deinem söhnchen in die weite weit! vielleicht kaust du anderswo dein brot dir leichter verdienen! ITnd der arme mann buk sich aus seinem lezten mehle einen aschenkuchen, steckte densel- ben in seinen mantelsack und zog nun mit seinem söhnchen, das man Tschalo Pischta nante, in die weite weit hinaus. Sie erreichten gar bald einen grossen wald und legten sich ermüdet unter einem grossen eichbaum nieder. Der vater schlief gar bald ein, während Tschalo Pischta dem gesange der vögel und dem gesumme der käfer zuhörte. Da lief ein manschen heran und sprach also zu Pischta: „Lieber knabe, ich habe zuhause acht kinder zu ernähren und habe beute noch kein krümchen esbares gefunden. Du hast in deinem mantelsack einen gan- zen aschenkuchen; gib mir ein wenig davon, damit ich es zu meinen kindern trage und ich will es dir belohnen!" Tschalo Pischta brach ein Stückchen vom aschenkuchen ab und warf es dem mäuschen zu, das nun also zu ihm sprach: „Keiss mir ein barthärchen aus und be- wahre es gut; wenn du in not bist, so speie es an und ich werde dir zu hilfe eilen, dann stich mir in das linke pfötchen und sauge einen tropfen blut daraus, du wirst dadurch so stark werden, dass du zent- nerschwere steine von einem berge auf den andern wirst werfen kön- nen!'' Als Tschalo Pischta das härchen herausgezogen und einen tropfen blut ausgesogen hatte, lief das mäuschen davon. Als sein vater erwachte, erzählte ihm Tschalo Pischta nichts, sondern behielt das geheimnis für sich. Xun zogen sie wider weiter in die weit, von einem

1) Pischta = deminutiv von Istvän (Stefan). Im Ungarischen wird der tauf- name dem famüiennamen nachgesezt.

ZUM TELLENSCUUSS 107

ort zum andern, bald arbeitend, bald bettelnd, so wie es eben gieng. Nun kamen sie einmal auf einen liuhen berg und der vater legte sicli nieder und schlief. Tschalo Pischta konte aber nicht schla- fen, sondern stieg den hohen berg hinan und wolte sich in der umge- gend ein wenig umsehen. Da kam er an eine höhle, deren eingang mit einer goldenen türe verschlossen war. Der junge versuchte die tüi-e zu öfnen, da es ihm aber niclit gelang, so nahm er einen zent- nerschweren stein und warf ihn solcher wucht an die türe, dass die- selbe klirrend aufsprang. Himmel und erde erzitterten und aus der höhle sprang eine nachtschwarze hexe hervor und rief: „Nun sollst du dein leben lassen, junger bursche, wenn du nicht so weit deine steine schleuderst, als ich schiessen kann!^' Und sie nahm eine flinte hervor und schoss vom nächsten berge einen raben herab; Tschalo Pischta aber nahm einen zentnerschweren stein und warf ihn auf den nächsten berg, und erschlug damit einen wolf, der grade über den berg laufen wolte. Da nahm er einen zweiten stein und ehe sich die hexe versah, erschlug er sie. Die flinte steckte er in seinen mantelsack und kehrte zu seinem vater zurück, dem er von seinem abenteuer gar nichts erzählte.

Vater und söhn zogen nun weiter in die weit und kamen end- lich in eine wüste, die kein ende nehmen wolte. Tagelang wanderten sie herum, ohne das ende der wüste erreichen zu können und waren nun nahe daran, vor hunger zu sterben. Da untersuchte der vater einmal den mantelsack seines sohnes und fand darin die zauberflinte. „Woher hast du diese flinte?" fragte er seinen Pischta. Dieser ver- sezte darauf: „Von einer hexe! Aber was nüzt sie uns jezt, wenn wir nichts zu schiessen haben! Möchte die flinte uns doch zu einem bra- ten verhelfen!" Kaum hatte er diese Avorte ausgesprochen, da flog die flinte durch die luft weit weg und kehrte in kurzer zeit mit einem erschossenen rehe zurück. Nun hatten sie zu essen und lebten ohne sorge und kummer, denn sobald sie fleisch brauchten, schickten sie die flinte auf die jagd, die dann stets mit einem erschossenen wilde zurück- kehrte. — Nach dreissig tagen erreichten sie endlich das ende der weitste, wo ein siebenköpfiger drache den ausgang bewachte und ihnen den weg versperte. Da schleuderte Tschalo Pischta sieben mächtige felsblöcke auf den drachen und erschlug ihn. Sie zogen nun ungehin- dert weiter und erreichten gar bald eine grosse Stadt, wo ein sehr grausamer könig wohnte. Die leute empfiengen die beiden wanderer mit grossen ehrenbezeugungen , gaben ihnen die besten speisen und getränke und führten sie in ein schönes haus, wo sie von nun an woh-

lOS VON WLISLOCKI

nen solten. Sie fi'agton erstaunt die leute, was alle diese ehrenbezeu- guDgen zu bedeuten haben? Da erzählten ihnen die leute, dass ihr grausamer könig den drachen am ausgang der wüste gehalten und jeden tag ihm einen menschen zu fressen gegeben liabe. I^un seien sie durcli Tschalo Pisclita von diesem rtncfeheuer befreit worden und wolten von nun an für alle bedürfnisse des vaters und des sohnes sor- gen. — Doch niclit lang dauerte ihr vergnügtes leben, denn als der könig erfuhr, dass Tschalo Pichta seinen siebenköpfigen drachen erschla- gen habe, da Hess er vater und söhn zu sich führen und sprach also zum knaben: „Du bist an jähren nocli ein kind. an stärke und kraft aber ein riese! Xun, wenn du mit felsblöcken spielen kanst, so wirst auch ein guter scliütze sein! '\^^eil du meinen drachen erschlagen hast, so will ich dich und deinen vater an einen ort setzen, wo ilir Aveder sonne noch mond zu sehen bekomt, wenn du vom haupte deines vaters nicht einen goldenen apfel auf tausend schritte weit, herab- schiesst." Und er legte dem vater einen goldenen apfel aufs haupt und hiess nun den jungen zu schiessen. Auf tausend schritte entfernung schoss Tschalo Pischta und der apfel fiel vom haupte des vaters. Da sprach der könig also zum knaben: ..Du hast den apfel getroffen und ich will euere strafe auch Imdern! Ihr solt die sonne und den mond sehen können, aber ich will euch in einem netze für euer ganzes leben gefangen halten I- Er rief seine diener herbei und Hess die beiden in ein starkes stricknetz werfen, das am tore des königshauses befestigt wurde. Tiele tage und nachte sassen schon die beiden im netze gefan- gen, ohne von den leuten befreit zu werden, die sich vor dem zorn und der grausamkeit ihres königs fürchteten. Da erinnerte sich eines tages Tschalo Pischta des barthärchens, das er einst dem manschen herausgerissen hatte. Schnell nahm er es hervor und spie es an. Da liefen im nu viele tausend mause heran und frassen das ganze netz auf, worauf sie ins haus des königs drangen und denselben samt liaut und haaren verzehrten , worauf sie wider verschwanden i. Die leute machten nun den Tschalo Pischta zu ihrem könig, der in glück und

Zufriedenheit bis an sein seliges ende lebte

Dies ungarische märchen gehört in den kreis derjenigen erzählun- gen, in welchen von trefschüssen berichtet wird, die nicht allein durch des schützen kunst, sondern mehr durch das magische vermögen seiner Zauberflinte gelingen (s. Rochholz a. a. o. s. 44 fgg.). Der zug von der

1) Durch diesen zug gehört obiges märchen auch znr niärchenreihe vom -Mäuseturm.'^ S. meinen aufsatz: ^Die mäuseturmsage in Siebenbürgen" (Germania N. reihe XX s. 432 fgg.j wo ich dies märchen nicht angezogen habe.

ZUM TELLENSCHUSS 109

selbstjagenden flinte findet sich auch in der Kalewala (15, 371 nach Schief- ners übei*setzung) , ^vo des finnischen AVainiimr»inens bogen von selbst zu walde aufs weidwerk geht; nach dem altfranzösischen i'oman des Huon von Bordeaux „bedient sich der jagende elbenkönig Oberon eines pfeiles, an dem augenbhcklicli, wann es der eigner will, jegliches wild steckt." (Vgl. auch die sage von <)rvaroddr; Weinhold, Altnord, leben 205; Rochholz a. a. o. s. 45.) Ein älnil icher zug findet sich auch in einem unedierten rumänischen nülrchen meiner samlung vor, in wel- chem drei Waisenkinder eine flinte besitzen, die ihnen das wild aus dem walde holt. Am nächsten verwant ist das vorstehende ungarische märchen mit den betreffenden finnisch -lappischen erzählungen (s. Roch- holz a. a. 0. s. 88 fgg.), in denen das hauptmotiv ebenfals in die Wir- kung des Zaubers verlegt wird; ebenso ein gemeinschaftlicher zug der finnisch -lappischen erzählungen und des ungarischen märchens ist die „Verwechslung vom objekt ins Subjekt", indem auch hier der söhn den apfel vom haupte des vaters schiesst. Zu den steinwürfen wäre noch zu vergleichen die TöUussage der Inselschweden (Rochholz a. a. 0. s. 83 fgg.)-

Schliesslich will ich mir mit bezug auf das mitgeteilte ungarische märchen eine bemerkung erlauben. Rochholz sagt (s. 92) in seinen schäzbaren bemerkungen mit bezug auf die betreffenden finnisch -lap- pischen erzählungen: „Einwirkungen durch die schwedisch -dänische sage haben dabei unleugbar statgehabt." Ich erlaube mir dagegen zu bemerken, dass grade die züge, welche den finnisch -lappischen erzäh- lungen und dem ungarischen märchen gemeinsam sind, sich in den schwedischen und dänischen relationen nicht vorfinden (schuss des Soh- nes, Zauberflinte).

Der nächste und lezte schritt führt uns zu den blinden trefschützen. Es lassen sich in diesem sagen- und erzählungskreise überhaupt drei abteilungen aufstellen und zwar 1. trefschützen mit gewöhnlicher waffe, 2. trefschützen mit zauberwaffen, und 3. blinde trefschützen. Eine Ver- einigung der beiden lezten abteilungen (zauberwafFe im besitze eines blinden schützen) findet sich im märchen der Bukovinaer Annenier vor, das ich aus der handschriftlichen samlung meines freundes, des Mechitaristenpriesters dr. AVerthanesz Jakudjian hier in deutscher Über- setzung mitteilen will.

Der blinde königssoliii.

Yor vielen tausend jähren lebte im osten ein mächtiger, reicher könig, der sein ganzes leben hindurch von glück und erfolg in allen

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seinen taten begleitet "war. Da kam einmal ein weiser mann zu ihm und bettelte um speise und trank. Da sprach der könig zu ihm: „Du bist ein weiser mann, dessen ruf sicli in sieben reichen verbreitet liat, und dennoch kaust du von dir nicht sagen, dass du glücklich bist! Ich dagegen habe nicht den tausendsten teil deines Verstandes und bin doch der glücklichste mann der erde!" Lächelnd versezte hierauf der weise: ,,Erinnere dich, o könig, deiner worte, wenn du einmal im Unglück bist!'' Und ohne eine gäbe anzunehmen, entfernte sich der weise mann. Die zeit vergieng und es drehte sich das rad des Schicksals und der reiche, mächtige könig ward elend und unglücklicli. Ein anderer könig brach in sein land ein, besiegte ihn und iiess ihn in den kerker werfen; seinen einzigen söhn aber Hess er blenden und jagte ihn aus dem lande. Da rief der unglückliche vater und könig: „0 weiser mann, wie schmerzvoll erinnere ich mich meiner worte, die ich einst zu dir gesprochen!" Da erschien wie aus der erde hervor- gewachsen der weise mann und sprach zum könig: „Hast du mut gehabt, dich einst für den glücklichsten mann der erde zu halten, so habe auch mut jezt dein unglück zu ertragen." Hierauf verschwand der weise. Der blinde königssohn wanderte in begleitung eines hun- des, der ihn führte, von dorf zu dorf, von Stadt zu stadt und bettelte um müde gaben. Da kam er einmal in eine wüste, wo ihm der weise mann erschien und also zu ihm sprach: „Du erti'ägst dein unglück still und geduldig und hast dein gottvertrauen nicht verloren. Wahr- lich, deines bauens und Vertrauens grund ist gott allein und darum vrill ich dir helfen. Hier gebe ich dir einen lebendigen goldpfeil, der dahin fliegt, wohin du ihn eben hinwünschst imd da alles tötet, so du es haben willst. Morgen wird der könig ein festschiessen veranstalten, an dem auch du teil nehmen solst; alles andere wird sich schon zum besten wenden. Ich bin der heilige Joseph, der dich und deinen vater beschützen und schirmen will vor unglück und leid! Darum gebe ich dir hier auch eine salbe, mit der du deine äugen übermorgen einreiben solst, damit du wider sehend werdest! Morgen solst du noch blind am festschiessen teil nehmen!" Mit diesen worten gab der heilige Joseph dem blinden königssohn den goldpfeil und die salbe und verschwand.

Gottveiii-auen und frohe Zuversicht im herzen machte sich der königssohn auf den weg in die stadt seines feindes. Unerkant nahm er zum gelächter der leute teil an dem festschiessen. Doch als sein goldpfeil als erster durch einen goldenen ring, der als ziel auf einer Stange aufgestelt war, flog da lachten die leute nimmer. Dreiund- dreissigmal schoss der blinde königssohn und dreiunddreissigmal flog

ZUM TELLENSCHUSS 111

sein pfeil durch den fi^oldenen rini^ und kehrte stets ungesehen zu ilnn zurück. Da rief der heidnische künig seinen leuteu zu: „Bringt mir den gefangenen könig hervor! Der blinde soll ihm vom haupte einige äpfel herabschiessen ! Wenigstens liat er dabei eine grosse angst aus- zustehen!" Und sie brachten aus dem kerker den gefangenen könig hervor, stehen auf sein haupt einen apfel und hiessen den blinden schiessen. Der königssohn schoss und der apfel fiel zur erde. Drei- unddreissig äpfel schoss er nach einander vom liaupte seines vaters. Da flog aber der lebendige goldpfeil auf den heidnischen könig und dessen leute und tötete sie alle. Da befreiten die leute den könig, der nun mit seinem wider sehend gewordenen söhne in steter gottergebung lebte und bis an sein ende weise regierte

Dies die armenische erzählung, die gleich den meisten armenischen Volksüberlieferungen einen legendenhaften anfing hat. Trotzdem lässt es sich nicht verkennen, dass auch sie die hauptzüge der Teilsage (schuss nach dem haupte eines geliebten wesens, stange, apfel) aufzu- weisen hat. Durch den schuss des söhn es (also auch hier Verwechs- lung vom Objekt ins Subjekt) und die gefangenschaft lehnt sie sich auch an die mitgeteilte ungarische erzählung; den zug vom lebendigen gold- pfeil finden wir auch in den tatarischen lieldensagen, wo Katai-Chan einen goldpfeil besizt, der lebend ist, über sieben länder fliegt und da alles tötet und schliesslich zum schützen zurückkehrte Abgesehen vom eingang, der sich an die sage von Crösus anlehnt, lässt sieh bei die- ser erzählung trotz ihres christlich-legendenhaften anfluges der orientalische Ursprung nicht ableugnen. Diese armenische gestaltung der sage vom apfelschusse scheint auch Th. Benfeys ansieht (in den Göttinger anzeigen 1861, s. 677) zu bestätigen, derzufolge schwerlich daran zu denken sei, dass die ursprüngliche sage der Orient vom occi- dent empfangen habe, sondern wahrscheinlicher das umgekehrte anzu- nehmen sei. Hiefür spricht auch mit schlagenden gründen das mär- chen der transsilvanischen zeltzigeuner, das ich im jähre 1883 während einer mehrmonatlichen Wanderung mit einer zigeunertruppe aufgezeich- net habe.

Der Originaltext dieses unedierten märchens lautet also:

Trin godylarere ih:yM'AJ

Teki'dr dvnds trin p(^rälä, ke kdmena dndre Urne tlie jidl te leskre hd^t the drdkel. Dures yon dndre Urne jidnend te nikai yon

1) Castren, Die Altai -Völker (1857) s. 215.

2) "Was die Orthographie anbelangt, so entsj^richt c dem deutchen tsch, p =

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(ü'dkefHi hcict. Ahor jidncud yekvär pal bare pdni te aldnd yek vdsh leske yek ruh heshdvelds ie yo/i penend, the odoy pdpdlc dven pdl yek hersli. Te yon jidneiid upro pro leskro droDi.

0 legterneder trin pcrdJcnyre huter dvelds dudro hdro thdgdr, käske frin leyshukdreder raklyiyd, dvnds, kc cdk triu pgrdhu kdme- nd, ke may bdre the kerdiids'^. Atunci gindekis legterneder: 0 bersh cdces mayd luuilyds te me sikdrdyom the gdrdvel; m're pgrdla tdldn so sikdrend. Tdldii dmende drnd trin rdkhjiyd thdgdreskro! Kdde ghidinelds o legterneder te jidnelds kiyd pdhi leskre p^rdlen the drdkel. Te yon dvend biso te penend, so dndre Urne the sikdr- dye?ids-. 0 Icgpgureder sikdrdyehds the ndsel te sdr hdrvdl ndse- Ms: 0 duyto yek genddlos kerelcts, kdy sdkofeles yon dikhend te o trito sikdrelds the gdrdvel te legdureder gdrdvelds sdr yek ciriklo the urdl jdnelds. Akor triu prrdld penend hoy yon trin rdkhjiyen tlidgd- reskro kdmend te jidnend kiyd thdgdreske te kiyd leske penend: „Bdro rdyeyd! Amen kdmen tire rdklyiyen! Pen mende, so dinen the keren?" Te o thdgdr peneläs: „Ldces! Ko vrre legpQureder rdklyd romni lel, ddd sikeder the ndsel sdr yoy!" Akor penelds o legpgure- der: ,,Me kdmdv the ndsel!" Te yov ndselds Ugpr^ureder rdklydhd thdgdreskro dndre trin stdcie te dvelds hdmdrdb andre dopds. Akor penelds o thdgdr: „Ldces I ni're legpgureder rdklyi hin tute; uvd cdk dtunci hin Id tute, kdnd fre pQrdM m're dvre rdklyiyen Tierdye^, dnddkode m're rdklyi yd kdmen cdk trin pgrdlen! Nosd, m're cluyte rdklyi kdde gdrddyol, hoy iiiko Id dikhel! Ko kdmel Id tlie drdkel?" Akor penelds o duyto trin pjr-rdlengre: ,,Me drdkdv Id!" Te dvrijid- Ids te leskre genddlos dvrilelds. Akor dikhelds rdklyd thdgdreskro d7i- dro per yekd bdre guruvndkri. Yov penelds thdgdi'eske te ddd pene- lds: „Ldces! m're duyte rdklyi hin tute; uvd cdk dtunci hin Id tute, kdnd fro legterneder pr;rdl m're legterneder rdklyd Tierdyds, dndakode m'i'c rdklyi yd kdmen cdk trin pp'dlen! Kosd, upro pro shero m're legterneder rdklydkri hin yek somndkuno bdl; tumdro legterneder pgrdl the telegdrel les; te tdldlel dver bdl, akor turnen meren!" Akor o leg- terneder leskre piishkd Idvelds te dndre triji stdcie sommdkuno bdl shereskro legterneder rdklydkri telegdrelds. Atunci sdkonethdneste voyd te voyipen dvnds te e trin godyidvere pjf;rdld dtunci jidend dndre bdre hdr:t leskre shukdre romniyensd

ch, j = dsch, ii = JiJ, sh = seh, y =^ j (s. meine „Sprache der transsilvanischen ageTiner" s. 3).

1) 3. pl. impf. conj. 2) 3. pl. plusq. conj.

3) 3. pl. perf. ind.

ZUM TELLENSCHUSS 113

In genauer venleutschung- luiitet dies inärchen der Siebenbürger

zeltzigeuner also:

Bio drei khmon brüdor. ^

Es waren einmal drei briider, die beschlossen in die weit zu gehen und ihr glück zu suchen. Lang«^ zeit zogen sie in der weit herum und fanden nirgends ilu- glück. Da kamen sie einmal an einen grossen see und da pflanzte jeder von ihnen füi- sich einen bäum und sie versprachen einander, dass sie sich nach einem jähre hi<'r wider treffen wolten. Und nun zog jeder seines weges.

Der jüngste der drei brüder kam nach langer zeit zu einem könige, der drei wunderschöne töchter hatte, die aber nur drei brüder heiraten wolten, die etwas aussergewöhnliches leisten künten. Da dachte bei sich der jüngste: das jähr ist bald um und ich habe schiessen gelernt, meine brüder werden ja auch etwas gelernt haben! Vielleicht können wir uns die drei königstöchter erwerben! So dachte der jüngste und gieng an den see, um seine brüder zu treffen. Und sie kamen denn auch und erzählten einander, was sie in der weit gelernt hätten. Der älteste hatte laufen gelernt und konte laufen wie der wind; der zweite hatte einen Spiegel machen gelernt, in dem man alles sehen konte und der dritte, der hatte schiessen gelernt und konte so weit schiessen, als ein vogel zu fliegen im stände war. Da beschlossen die drei brüder um die drei königstöchter zu werben und giengen hin zum könig und sprachen also zu ihm: „Grosser herr! wir wollen deine töch- ter heiraten! Sag uns was wir tun sollen?" Und der könig sprach: „Gut! Wer von euch meine älteste tochter zur frau haben will, der muss schneller als sie laufen können!" Da versczte der älteste: „Ich will laufen!" Und er lief mit der ältesten königstöchter drei moilen weit und kam um die hälfte der zeit früher an. Da sprach der könig: „Gut! du hast meine älteste tochter gewonnen, aber nur dann bekomst du sie zur frau, wenn auch deine brüder meine beiden andern töchter gewinnen, denn meine töchter wollen nur drei brüder zu männern haben! Nun also, meine zweite tochter kann sich so verbergen, dass sie niemand sieht! Wer will sie suchen?" Da sagte der zweite der drei brüder: „Ich suche sie!" Und er gieng hinaus und nahm seinen Spiegel hervor. Da sah er die königstöchter im bauche einer grossen kuh. Er sagte es dem könige und dieser sprach: „Gut! du hast meine

1) Vgl. auch das märchen der zigeuner: .,Die vier bösen brüder" in meinem aufsatz: „Märchen des Siddhi-Kür in Siebenbürgen" (in der Zeitschr. d. deutsch, morgeuländischen geselschaft" bd. XLT s. 448 fgg.). Hier fehlt jedoch der treff- schuss.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. RD. XXII. ö

114 VON* WLI«5L0CKI, 7.rM TF.LLF.XSCHÜSS

zweite tochter gewonnen, aber nur dann bekomst du sie zur frau, wenn auch dein jüngster bnider meine jüngste tochter geweint, denn meine tüchter wollen nur drei brüder zu niännern haben! Nun also, meine tochter hat auf dem liaupte ein goldenes haar; euer jüngster bruder soll es herabschiessen : trift er aber ein anderes haar, so müsst ihr alle drei sterben." Da nalnn doi- jüngste seine flinte hervor und schoss auf drei meilen weit das goldene haar vom haupte der jüngsten königs- tochter. Nun war überall freude und jubel und die drei klugen brüder lebten von nun an mit ihren schönen trauen in grossem glück

Dies das märchen der transsilvanischen zeltzigeunei-, das in bezug auf die künste der brüder einige ähnlichkeit mit der fünften erzähhuig des sanscrit-romans Yetala-pantscha-Yintschati hat, wo ebenfals drei Brahmanen durch ihre künste die tochter des ministers Haridasa erwer- ben. Der bedeutendste zug dieses märchens aber ist: das verkrie- chen in den bauch einer kuh und das goldene haar auf dem haupte. Dieser zug enthalt zweifelsohne eine reminiscenz an den alt- indischen sonnenraythus und ich erlaube mir hiebei nur folgendes anzuführen: „Die begleiter der beiden indischen äthergottheiten Indra und Rudra sind die Ribhus. deren name im indischen selbst als son- nensti'ahlen übersezt ist und die zugleich trefliche bogenschützen sind. Aus ihrer schaar ragen drei brüder durch ihre taten besonders hervor: Ribhus. Yibhva und Yayas (Rochholz a. a. o. s. 140). Sie entsprechen aber, wie Adalb. Kuhn in seiner zeitschr. (lY, 95 fg. 110 fg.) nachge- Aviesen hat, genau jenen drei von der germanischen mythe gefeierten brüdem: Yolundr, dem kunstschmied; Slagfifr, dem beflügelten pfeil, und Egill, der scharfdurchdringenden pfeilspitze. Dem kunstschmied Yolundr entspricht im zigeunerischen märchen der bruder mit dem Spie- gel, dem Slagfijjr der schnellaufende bruder und dem Egill der jüngste, der das goldene haar herabschiesst. lind somit liefert auch dies mär- chen den beweis, dass der goldhort einer ursprünglichen mythe oft in tausend blätter und blätchen verarbeitet und weit und breit hin ver- sti'eut wird, und wir können daher unsere ansieht entschieden dahin neigen, da.ss die sage vom Tellenschuss zum mindesten in ihren anfäng- lichen keimen als gemeingut des arischen Stammes zu betrachten ist.

iMTHLBACH (siEBENTiLRGEN). nEIXTJTCH Y. WIJSLOCKJ.

11 rj LITTEKATÜTJ.

Altdeutsche predigton. irorausgegobeii von Aiiloii Scliönhacli. Zweiter l»aiid: texte. Graz. Verlagsbuchhandlung StA'ria. ISSK. XI und 328 s. (I ni.

Der zweite band der in dieser zeitschr. XIX, 480 fgg. besj)roc]ienen predigten bringt zum ersten male volständig die aus < >br'ralta<li stammende predigtsamlung, welche bereits K. Roth in den „Predigten des 12. und 13. Jahrhunderts'* zur ver- gleichung seiner Regensburger bruchstücke stellenweise herangezogen, und über die in neuester zeit A. Linsenmayer in seiner ,, Geschichte der predigt in Deutschland'' gehandelt hat. Die leser werden es dem herausgeber sicher dank wissen, dass er mit diesem bände von seinem urspi-ünglichen plane abgewirhen ist, da.ss er, ehe er an die Untersuchung über die entstehung und den Zusammenhang der iiltem ])redigt- samlungen geht, sogar erst noch einen dritten band erscheinen lassen wird, in wel- chem er die ehenfals noch vor Beii-hold fallenden predigten des priesters Konrad mitzuteilen gedenkt.

Schünbach hat sich aber auch in anderer hoziehung von seinem ursprünglichen plane abgewant. Ei" hat es nämlich für seine obei"ste ])tlicht erachtet, in den beige- gebenen erklärungen genauer und ausführlicher als es bisher geschehen die unmittel- baren f[uellen der vei'schiedencn predigten zu ei-mitteln und festzustellen. Dadurcli scheint allerdings für einen grossen teil des textes die einem glossar sonst zufallende aufgäbe der erklänmg dieses und jenes Wortes überäüssig geworden zu sein, voi"aus- gesezt dass der leser des deutschen textes die mühe nicht scheut, die lateinische fpielle überall zugleich mit zu studieren. Indessen lässt sich nicht in abrede stellen, dass die lektüre durch das fortw.älirende suchen in den lateinischen quellenangaben mindestens sehr aufgehalten wird. Auch finden sich nicht wenig stellen, in denen der suchende durch das. was ihm die lateinischen auszüge bieten, nicht befriedigt wird; und grade da ist es raeist für den leser von interesse zu wissen, welches die auffassung des herausgebers gewesen sei. Aus diesen gründen wird man das erklä- rende Wörterverzeichnis in dem vorliegenden bände ungern vermissen.

Was die behandlung des textes betiift, der trotz der von alter band schon gebrachten koiTcktui'en noch eine menge Schreibfehler und ändemngen enthält und seinen sprachformen nach wol kaum noch dem 13. Jahrhundert angehört, so ist hier in gleicher weise wie in dem ersten bände bei den Leipziger predigten ^die Überlie- ferung der handschrift möglichst getreu widergegeben und von ihr nur abgewichen, so fern offenbare fehler vorlagen." Dabei sind die Überbleibsel zweier anderer noch dem 12. Jahrhundert angehörender handschriften benuzt imd, um dem leser ihrever- gleichung zu ermöglichen, in den Varianten wider abgedruckt worden: njünlich die alten von K.Roth herausgegebenen Regensburger bnichstücke, über welche K. Lach- mann seiner zeit ein so absprechendes m-teil fällen zu müssen glaubte (vgl. seine anmerkung zum Iwein 4194) und das von Hoffmann in seine fundgiiil>en I, 68 70 eingereihte fragmcnt. Beide waren für die hier veröffentlichte samlung schon darum von hohem werte, weil aus ihnen unwiderleglich hervorgeht, dass dieselbe noch im 12. Jahrhundert entstanden ist.

AVie bei der besprechung des ersten bandes, so werde ich nun auch hier auf einige stellen des textes näher eingehen, in denen ich von der auffassung des her- ausgebers abweichen zu müssen glaube.

5, 4 heisst es im text nach der hs. : dii( liilig xnoi'ersicht diu den menschpn Jn'ntx himel füert mide minnaeret irdischen dinch hier gibt minmteret =

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minuert keinen sinn; \vahr8cheinlich i.st nn))iacrvt oder hn loutHirret (= ihm gleich- gültig, verächtlich ei-scheinen lässt, verleidet) zu Icseu, vgl, v. d. Hagens Gerinauia 8, 295, 148 du hetcstin (iis) da\ rahchc leben f/elridrf und gesnaeret, so nacr ex in geunmaerct.

8, 10 ist Überliefelt diu bcx-cifJienf i.uaicr laeuf; sicher hat der Schreiber nach :\irni'er ein Avort übersehen; Schönbach ergänzt hande; eher scheint mir lei[e] ausgefallen zu sein, wegen der älinlichkeit der darauf folgenden silbe.

19, 8 der s7)ien JiiUgen sun Jiin äv erd hat gesant; xe ist zusatz des heraus- gebei-s; statt hin xc erd, was ich in mhd. Schriften des 12. 13. Jahrhunderts sonst niolit gefunden habe, war wol besser lier in erd (h^ in erd) zu setzen; so heisst es 54, 40 dax er ron hiniel her in erd chom: Fundgr. I. 90, 9 an disem tage sant er shien ei)ihorn sun her in erde; St. Trudberter H. lied 80, 11 got 9ras vone hiniile ehotnente her in erde; Deutsche gedd. ed. Diemer 349, 25 der des tages clioni her nerde: Anegenge 8. 72 von den drin gesant wart hern erde ein vart; K. v. Hei- mesfuit in M. Himmelfahii: 848 do du durch un^ in erde haeme. Ausser diesen beispielen finde ich nur xuo der erde im Iwein 3942; xer erden bei AValther 8, 33; in H. V. Yeldekes Eneide 7722 ist xu erden körnen nach den Varianten = ans land kommen. Nur bei Williram ed. Seem. 19, 3: hcra xeerdon.

19. 24 fgg. heisst es: Unser herre sant Stephan der ist von reht geeret

da xe himel , uan der ander mcins trehtins ritter, die uider des tiufels schar rächten und taegelich rechtoit, an der heiligen schar tvax er vaner, tvan der nach tinsers herxen marter der erst martraer wa%; hier wird vor inins trech- tins ritter das woit schar vom Schreiber ausgelassen sein; in der vorläge hiess es wahrscheinlich: uand er an der schar mtns trehtins ritter; auch gegen ende ist wol wand er für uan der zu schreiben.

28. 10 wie aber dax> chomen möcht dax^ si des chindes missen mochten dax> si ?nit rlixe xugen ; der herausgeber fügt noch niht e vor missen hinzu, was durch den Zusammenhang durchaus nicht notwendig gefordert wird; die deutschen Worte sind ohne diesen zusatz volkommen entsprechend der lateinischen quelle (s. 203) forte moret aliquem, quomodo Jesus tanta diligentia a 2>(^'>'c^ntibns mdritus Ulis nescientihus in Jerusalon j)ossit remanere.

30, 18 dax si chunden an dein stirn gesehen ist überliefert, Schönbach schreibt dafür gestirn sehen; die Überlieferung lässt sich möglicher weise halten, wenn man ins äuge fasst Sumerl. 2, 39 astrum, stirne; Graffs Sprachsch. VI , 723 sibunstirni; Suchenwirt IT. 327 sibenstirn (:schrirn); vgl. auch Haupt zu Erec 19G9.

42, 11 nu selten wir ivie getan bexx,erimge wir Christen da von nemen ii'tul sehen, dax wir christenlichen namen an christenliclieu werch iht haben; in der handschrift steht aber wir ettelichen namen; darnach könte man wol mit näherem anschluss an die Überlieferung eitel ichen namen dafür vermuten =z leeren, blossen namen; vgl. s. 77, 4 und 20, wo itteler neben eiteler überliefert ist.

37, 8 Paulus der was ein aechter der Christenheit e denne er von der juden- scheft becJiert tmirde; so lautet der text nach der Überlieferung; man begreift nicht, waram der Schreiber sich hier geirt haben soll, und warum der herausgeber heiden- scheft für judenscheft setzen zu müssen geglaubt hat; etwas anderes ist es doch wenn es 41, 25 heisst: diser hayden bexeichent alle die die von der haidenscheft bechert sint.

45, 37 do diu sat u'oehsen begting, do chos man dax, unchraut usw.; so lau- tet der text nach der handschrift; dt-i- herausgebci- hat bcgum/ in bcgttnd/' geändert.

ÜBER SCHÖNBACH, ALTD. rUKDIGTEN. II 117

es also für ciiicu Schreibfehler angeselien. Eiu sol(;hcr braucht aber hier nicht vor- zuliegen; man kann das wort mit gutem rechte auch für eine dialektische form des Schreibers oder seiner vorläge ansehen; gerade b&junfj findet sich noch an einigen andern stellen, nicht blos bei nul. Schriftstellern, sondern auch bei oberdeutschen, und zwar in ziemlich früher zeit, so zweimal in drn Augsburger bruchstücken von Wernhers Marienlcbea in der Germania 7, 323, 320 diu rorhtr Imjumjc si ane gen und 322 do sie beffitmjc trartcn; dazu die beispiele aus Otacker bei Weinhold Bair. gramm. §171; vgl. dessen Alem. gramm. § 180.

51, 10 sicer der ist der nach richtnum wirret y des liert\ Itat inaniije stund erdenchet tag und naht wie er iht gewinne mit reht; auffiillig ist hier zuvörderst manige stund neben tag und naht, noch auffälliger aber das participium erdcnehet statt crddht^ ja für das 12. und 13. Jahrhundert gradezu undenkbar. Vergleicht man aber die in den lateinischen aumerkungen vom herausgeber angezogene stelle aus Haymo (s. 219): diuitiae Spinae sunt, quia sieut spinne suis punctionibus cor- pus laniant et cruentant und ferner quanto magis acquisitae fuerint, tanto nuigis in acquisitionem animuni possessoris accemlunt: dann ist das rechte unschwer gefunden. Es muss offenbar heissen: des herxe hat manige stnng[e], erdenchet tag und naht usw. Fast ebenso drückt sich der prediger auf s. 140, 8 und 11 aus: die dorn und die hagendorn die bexaicJtent die stunge und diu angele; dein vleisch, dein Icip, der gebirt dir stunge und angel der süntcn. Über die Verwechslung von stungen mit stunden seitens des Schreibers vgl. Haupts aninerkung zu Neidhart (32, 22; ebenso das Gneistli in Lassbergs LS. III, 48, 855 ob er mit stunt des willen kunt, diu sei wirt ilf den tot verwunt, wo nach meinem dafürhalten stu?ic oder stung gelesen werden muss. Das wort findet sich auch noch mehrere male im J. Titurel, so 3777, 4 daX' kund vil hohe vreude von int swenden und starke jänier stunge leider xuo dem herzen nähen senden; 5091, 2 da müexen jdmers stunge (: sprunge) triben dar; 5202, 3 in ungeheilter uunden smerxen stunge (: ordenwige); 5360, 4 bix daz in jdmer stungen (=Jdniers stunge in Pfeiffers Üb. 117, 41) begreif; 4274,1 hie wellent niht beliben die jdmer gebenden stungen (: den jungen). Die zulezt angeführte stelle ist zugleich die einzige, welche ein schwaches femininum stunge gewährt, wie es bei Lexer 11, 1269 angesezt ist; das beispiel aus J. Tit. 1727 ist dort aus versehen zum belege des schwachen pluralis herangezogen, es enthält viel- mehr den substantivierten Infinitiv : so tvil ich dem reinen siiexen jungen

tiiht harte wixen, dax der rnimie stungen im kunimer gap. Die sonst auftretenden plurale stunge könten wol auf einen singular stunc, m. zurückgehen.

52, 14 dax^ er uns in disem leib bis staetig xe sineni dienst; gemeint ist bistaetige oder best aet ige.

54, 24 er ruoft iemer und mer, lies ie mer und mer.

51, 37 ich han eu die götlichen tougen geoffent, ich han eii den sin ufge- tan, dax, ir die hiligen schrift terstet, dax, der menig und aiuler nieman verlax- xen ist; hiervon kann man der lezten zeile schwerlich einen passenden sinn abgewin- nen; was gesagt werden solte, errät man aber aus dem zusammenhange; vermutlich hiess es in der vorläge: dax, der menig noch ander ienmn verldxen ist. Verluxen hier = anheimgeben, gestatten wie im Roland 260, 20; 269, 18; Hartm. v. Aue 1. büchl. 47.

55, 16 fg. der gelaub der mit rechten icerchen gexirt ist, diu erliichtent den mensche?!, diu behaltent in xe dem eivigen leib; die Verwirrung, welche hier der Schreiber geschaffen hat, rührt, wie man aus dem darunter abgedruckten Hoffmann-

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scheu biU'.'listück ersieht, daher, da.ss er das in seiner voilage stehende <lin (jrloHbc in der yelaub änderte, gleichwol aher in seiner gedankenlosigkeit die darauf bezüg- lichen relativa diu diu im folgenden stehen Hess, sie vielmehr auf wcrchc bezog und demgemäss crlüchtcnt hchaltcnt schrieb statt crlüldet behaltet. Auf glei- cher gedankenlosigkeit beruhen die Verwirrungen, welche an andern stellen dem leser das vei"stiindnis des textes erschweren. So s. 50, 2 4: ir ist ril die den hiligen f/clauben enpfaugcn Itabeiit, die sint geladet; die si arcr bchaltcnt mit den iver- c/icn, der ist leider ril uenieh: auch hier hatte der Schreiber in seiner vorläge die geJoube, wie das aus Unachtsamkeit von ihm stehen gelassene si (vor aver) statt //* beweist. Dei^selbe fall ist 152, 30 dax, ist diu heidcnschaft die den heili- gen gelaubeu euphangen habent und si mit guten uerehen erfullent; auch hier hat dieselbe haud si stehen gelassen ohne zu bedenken, dass sie kurz vorher den gelau- beu für die geloube geschrieben hatte. Endlich 137, 20 lautet nach der handsehrift: dennoch was ir gclaube nicht so durneiechtig also si seit wart, an welcher stelle der herausgeber das ihm auffiillige 5/ in er geändert hat, in der Voraussetzung, dass dem Schreiber das veraltete diu geloube nicht mehr geläufig war. Diese beob- achtung verhilft schliesslich noch zur A-erbesserung emer andern stelle. Ich meine s. 63, 37 fg. da (in der erzählung von der heilung der besessenen Matth. 15, 21 fg.) \aigt uns unser traechtin. da\ ivir unser freunt und ander guter laeut geniexxen, dax wir selb des niht wirdich sein, das er uns erhör, dannc dax wir der rehten geniexxen. Offenbar stand in dem vom Schreiber benuzten exemplar noch geloube oder gelouben nach der rehten; ohne ein solches wort hätte der text keinen rechten sinn. Auch leitet darauf das gleich folgende: nu schule icir die genad unser s herren an rifffen, dax. er uns rechten gelauben ruch ze geben. Im 13. jahrhundeii; war, wie die beispiele in den mhd. Wörterbüchern zeigen, diu geloube bereits veral- tet und nicht mehi* in gebrauch; vgl. noch Diemer Deutsch, gedd. 12, 20 und die anm. dazu; Trudberter H. lied 18, 11; 27. 26; Diut. I. 282»»; HI, 494; am längsten hat es sich wol erhalten in der foiinel xe gclaube, vgl. Jänicke zu Biterolf 1614.

65, 24 swenn sich der von den genaden und von der barmung des alni. gotes enchert und dax^ bedencht, dax er alles gutes entsetxet ist; zu enchert ist unten in den vaiianten vermerkt: .^enchert aus enchent gebessert.'^ Solte der cor- rektor sich nicht vei-schen, vielmehr crchent gemeint haben? Denn darauf führt die ijuelle, welche hier der prediger übersezte, Pseudo-Beda, den der herausgeber s. 229 citiert: qui cum se instinctu et misericordia Bei cognoscit omni bono destitutwn. Überdies ist encheren eine rein mitteldeutsche form, die mau dem Schreiber der handsehrift nicht zumuten darf; für das im !Mhd. wörterb. I, 798^', 14 dem Wigalois beigelegte enkarte (4386 ed. Beneke) hat schon Pfeiffer in seiner amnerkung zu 115, 2 die richtige lesart engarte gesezt.

73, 1 dar xuo erweiter im ein gevelliges wixe, da unser veint, dax, vlaisch,

und die fünf sinne dar an gechrutxet uurden; hier konte das sinstörende da

entsprechend dem Regensbui'ger biTichstück in dax geändert werden, wie es der Zusammenhang verlangt.

80, 2 iedoch wolt er dax wir die gehugede der selben liercn niarteraer tae- gelich emtxigen; das offenbar von dem gedankenlosen Schreiber herrührende mar- teraer muste hier sowie in z. 4 in nuirter oder in martgr (so in dem Kcgensburger bruchstückj gebessert werden; vgl. 151, 20.

81, 12 do aber erfüll wart diu xit dax, von got gearnet wax xe der urlo- sung des menschen. Für gearnet hat Schönbach getermet in den text gesezt. Aber

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es ist doch nuch IVaglidi. nb iiirlit (jcanirt al> dialektischü form l'üi' t/aßruet, yconit = fjcordcnt zu iichmeu ist, wie sie iu ganz gleichem sinne auf s. 173, 21 wider eJscheint: der sdigoi sei die da ycornt sinf xe dem civifjen leben, wo der heraus- gebcr wie mir scheint ohne not yeordent hat drucken hissen. Allerdings licisst es 81, 18 die xiio dem eiciyen leibe (jeordcnt niid: dorli vgl. die beispich) von ijeornt bei Lexer II, IGO. Überdies wird es zu aufang statt diu xit heissen müssen da^i xit. 83, 13 merch irir den nif und bccher irir uns, au ain icir saelich ; ccnin- ruclten wirx, so sein wir unsaelich. Übcrliefei-t ist aber rerunruc/iclen statt rer- unruclien: und das brauchte nach meinem dafürhalten nicht aus dem texte entfernt zu worden. Auch auf s. 126, 37 hat die handschrift: so sc/tuln wir unser sunt nicht cerunrucheln, wo der herausgeber ebenfals verunruchen gesezt hat. Man vgl. Crraff Interlin. 5, s. 463, z. 5 von unten: dax cit wir verruochelen (ncyliyitnus) riu- wines (poenitemli); aus den Glossae Herrodianae ('?) citieiie Graft" Sprachsch.il, 381 virruochelon wir die; ferner Margaretha Ebner ed. Strauch 83, 2 ich kom aines tages in ijro.KX,es lait niines täglichen unruochels = unruochelennes ; vgl. Zarnckes Literar. centralbl. 1882, sp. 184.

103,8 so er {= unser 7miot) wider chcren beginnet eontüertlichcn dingen, enhab tcir nicht denn da.\ wir für in legen der geistlichen füre; mir scheint hier denn = danne an einen falschen platz gerückt, es geholt vielmehr vor niht; andererseits fragt sichs, ob der herausgeber das richtige getroffen habe, wenn er fuore hier ein- sezt für das in der handschrift überlieferte; da steht brunnc, und über b ist i^ gesezt. Frunne aber könte die dem Schreiber nmndrechtere , dialektische form für fruonde. ahd. fruonda, mhd. pfrüende sein. Zur Übersetzung des in der lat. (quelle s. 258 vorkommenden coelestis alimoiiia wäre das wort wol ebenso geeignet als fuore. Aus md. gegenden stammen die bei Diefenb. s. v. prebenda 450^ verzeichneten formen pron, prune, prin; Lexer II, 264 bringt aus einem weistum der Wetterau pfrun; in dem Urkimdenb. von Arnstadt ed. Bui'khardt s. 415 trift man phrunc und pffrune dafür (a. 1493); sonst ist der Übergang von nd in nn auch, auf oberdeutschem Sprach- gebiete zu finden bei AVeinhold Bair. gr. s. 177 und Alem. gr. s. 147, wo aus Seb. Brants Narrensch. 30 , 1. 22 citiert wird der reim pfrün : tibi.

104 , 20 also da^^ brot an der Wirtschaft übertriff et alle amler spise, also übertriffet diu hilig niinne alle ander tugent; die werte alle ander sjJtse sind vom herausgeber ergänzt, um sinn in den satz zu bringen. Man kann ihrer aber entbeh- ren, wenn man ander wirtschaff schreibt für an der w.; hier wie öfter bedeutet Wirtschaft das was bei der be^öi'tung dai'geboten wird, das gericht, vgl. 121, 20 ir deheiner miner Wirtschaft enbixet = gustabit coenatn mcam; Erec 8361; 8646; Parz. 1947; v. d. Hagens Germania 8, 301, 289.

119, 23 dax si deheinen wix, möhten dar cho//te)i; die handschrift hat hier aber getvix, für tvix; ich kann das nicht für einen Schreibfehler halten in anbetracht der stellen, die M. Haupt zum Erec 2169 über gewis gesammelt hat; füge hinzu Wolfr. AViUeh. 123, 28 K.; Ges. Abenteuer HI, 369, 480; AViener Stadtrechtsb. ed. Schuster art. 93 munich geiceis; art. 113 mortes geweis; Schmeller- Frommann n, 1024.

12, 30 die hiligen patriarchen die miner lacut pflagen; für mitier laeut erwartet man nach dem zusammenhange mines herren (oder ?nines trehtins) laut wie z. 39 und s. 13, 3.

119, 33 da er sach welich genad er verworcJit het, uelhiu ivitx^ (d. i. ivlxe, supplicia) er gearweit het; gearweit im sinne von erarbeitet, erworben, verschuldet

120 BEt'H. ÜBEK SCHÖNBACll. ALTD. rKEUlGTEN. 11

ist mir im mhd. nicht vorgolcommon: Mahrschcinlich liatte die vorläge (jcarnct oder (jcarnot.

121, 4 da Jiah nir an trie itfisrr hrrrr sinen juugcrii ein gcliclniilsse sagt usw.; liier wird der Schreiber gelesen uach hah nir au aiisgehissen haben, \vie es schon in der vorhergehenden zeile steht; vgl, 124, U.

126, 13 die naelnrefiten die er pifef sicJf fraeuoi ist ohne not wie mir scheint in pitet da\ si sieh fraeneit verändei't. Bifen mit dem infmitiv nach Grimm Gr. IV, 09 und 118; Diemei-s Wörterb. zu Genesis und Exodus s. 03.

131. 16 do die ungelauhigen juden sie/t selben des gofes rieh verteilten; der herausgeber hat hier riehes drucken lassen für rieh; an einer andern stelle, s. 139, 39. hat er die Überlieferung unangetastet gelassen: die sint des gotes ricke vil ge/ris: vgl. dagegen über den aV>fall des genetivischen -s die beispiele bei Weinhold JUhd. gramm.-, §448 und 454; Eocthes anmerkungen zu Reinmar v. Zw. 118, 8; 187, 6; 225, 4;\^31. 2.

135, 22 i\ nas groxe menig mit iinserm hcrren = „magna turba''; der herausgeber hat noch ein vor groxe gesezt. Ich glaube, dass dieses überflüssig w'ar nach dem sonstigen Sprachgebrauch zu urteilen, vgl. Diemer, Genes, u. Exod. 160, 4; Nib. 1804, 1; öfter findet sich so gröx volc, grox iverlt und ähnliche ausdrücke, in denen ein gespart ist. Dagegen meine ich war ein kaum zu entbehren s. 122, 15: er het ein trip genomen^ wo die handschrift ein ausgelassen hat.

145. 7 unser herre in dax. teniplutn gie tuul die unreincheit dar xiltet; ich vei'stehe hier xiiotuon nicht; es muss hier wol ilxtet heissen.

145, 9 die tauben niul tiseh mit dem schätz die die valschar imie heten, die stiexer unth; gemeint ist Matth. 21, 12 fg. et metisas nm?udariortmt et cathedras vendentiwn colun/bas evertit, worauf in den anmerkungen hätte verwiesen werden sollen. Der vorhergehende satz unseres textes schliesst nun aber mit den Worten: und slug da mit aus sinem haus alle die die da chauften nnd verchauften; man hat also auch, die worte die tauben zu dem vorhergehenden satze zu ziehen, den punkt davor zu tilgen; es kann nicht heissen die tauben stiex, er wnbe.

147, 17 ern fünd sines datz im nicht, lies des sines wie z. 19, 26 u. 34.

151, 16 dax si gelaubich icurden und gotes dieten wurden; für gotes dieten steht in der handschrift zu lesen got dieten; das kann auch aus got dienende oder diente verderbt sein.

156, 3 ist überliefert: so er xe dem jungisten tag urteil chumct; im text ist tag getilgt; es heisst aber z. b. in den Fundgruben I, 80, 15 so si an dem junge- sten tage chomen uns xerteilen und 111, 10 so er an dem jungisten tage chumet uns xerteilen: eben darnach liesse sich auch hier verbessern oder vielleicht bloss urteilen (infinitiv) für urteil schreiben.

162, 39 dax er seins Hutes in sin genad geiciset het; der genetiv hier nötigt geiciset hat mit risitavit zu übersetzen; dann muss es aber heissen in siner gefidde.

167, 15 nieman ist der von shier chraft und von sinen geiverften antlox, siner sünde ericerben müg; die handschrift bietet jedoch von sinen gevaerchten, „ac ist radiert"; der Überlieferung entsprechender ist daher wohl geicurchten; über die- ses dem 12. Jahrhundert durchaus nicht ungeläufige wort = ojms , factum, meritum vgl. Graff I, 975; Lexer III, 998 99.

172, 15 und minnten den almaehtigen got und Hexen die unmaeriseken girischeit; das wort unnmerisch ist so viel ich weiss dem 12. bis 14. Jahrhundert unbekant; ich vermute, dass hier ein Verderbnis vorliegt, und lese deshalb: die

ALTHOF, ÜBKR TRAUBE, KAROL. ÜILHTUxNGEN 121

uiwiaercn (oder mireinen) i<chatx<firisihcit oder Vjesser schätz f/in'c/ict't = j)/iilar(/i/- ri'ae malitni wie es in der lateinischen f|uello s. 309 hcisst; vgl. schaxijir und schax- (jiric bei Lexer IL (370; Sehönbach Predd. 1, 121, 20; Grait'IV, 229 scaxgirida und scaxyiridi.

ZEITZ. NÜVEM15KR 1888. FKDOR BECH.

Karolingischo dichtungen untersucht von Linhviir Traube. Berlin. AV'eid- jnann. 1888. gr. 8. VIII und 162 s. 5 m.

Die vorliegende arbeit bildet das 1. hcft der „Schriften zur germanischen plii- lülogie", herausgegeben von Max Roediger, welche in zwanglosen heften erscheinen sollen und Untersuchungen aus dem gesamtgebiete der germanischen philologie, ein- schliesslich also der englischen und nordischen, auch solche über neuere litteratur, ferner texte und zusammenfassende darstellungcn enthalten werden.

Es könte auf den ersten blick erscheinen, als ob kritische Untersuchungen über lateinische dichtuugi^n ausserhalb des kreises der vom herausgeber gejdanten Veröf- fentlichungen lägen, allein die poetische litteratur der Karolingerzeit ist znm grösten teile erwachsen auf dem boden des fränkischen reiches, gepflegt und genährt von dem grossen Germanenfürsten, der als .,Europas erhabener leuchtturm'- von den Sän- gern seiner zeit gepriesen wird, nud sie zählt unter ihren Vertretern zahlreiche dichter germanischer abstammung; daher verdienen die karolingischen dichtungen trotz ihres fremden gewandes in der geschichte der deutscheu litteratur berücksichtigt zu wer- den. Diese poetischen erzeugnisse, welche fi-üher nur in mangelhaften einzelausgaben abgedruckt waren, sind durch E. Dümmlcrs mustergiltige ausgäbe, fortgesezt von L. Traube, der Avissenschaft erst recht zugänglich geworden. Doch bieten diese «albentes campi'' der weiteren foi'schung noch ein grosses gebiet, und wir begrüsscn daher die arbeit Traubcs mit besonderer freude, zumal der Verfasser sich durch eine gründliche litteraturkentnis , grosse Sorgfalt der forschung und scharfsinnige beweis- fühining auszeichnet.

Es sei uns im folgenden gestattet, ohne hier auf einzelheiten einzugehen, die wichtigsten ergebnisse der Untersuchungen in kürze darzulegen.

Nachdem der Verfasser in einem verwerte das Verhältnis der philologie zur geschichtswissenschaft beiilhrt hat, beschäftigt er sich im ersten teile seines Werkes mit dem Angelsachsen Aedelwulf, einem weniger mit darstellendem talent als mit poetischem gefühle begabten dichter, von dem wir ein gedieht über die äbte eines gewissen angelsächsischen klosters besitzen, zulezt herausgegeben von E. Dümmler im ersten bände der Poetae CaroHni (P. C.) s. 582 fgg.

Über den namen und die genauere läge des besungenen, unter könig Osred (705 716) von dem fürsten Eanmund gestifteten klosters ist uns nichts bekant, doch beweist Ti'aube an der band des gedichtes. dass es in der nähe des bemhmteu Lindisfarne auf einer insel gelegen haben müsse. Nachdem Aedelwulf in seiner dich- tung, die er einem bischof Ecgberht widmete, die geschichte des klosters bis zum tode des 6. abtes Wulfsig besungen hat. geht er zur erzählung seiner eigenen crleb- nisse über, ohne des zur zeit der abfassung seines gedichtes regierenden abtes in irgend einer weise lobend zu gedenken, aus dem einfachen gninde, weil Aedelwulf, der unter Wulfsig in das kloster einti-at und nur in einer einzigen handschrift des 13. Jahrhunderts als Lindisfarnensis inonachus bezeichnet wird, selbst dieser abt war, aber nicht der 7., sondern der 8. in der reihe der äbte. Sein Vorgänger muss eben jener bischof Ecgberht gewesen sein, für den eine dichterische verherlichung seines

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Stiftes, an «las ihn vorwantschaftliolie und livundscliaftliclio bände knupltcn, eine sehr ^vilkommeDe gäbe sein mustc. Die nahe bezieliuug, in der Ecgberht zu dem kloster Aedelwiüfs stand, wird auch durch die richtig gedeutete übersclirift imd den eingang von kap. I bezeugt. Dass dieser Ecgberht mit dem Hschof Ecgbcrlit von Lindisiarne identisch ist. der von 803 821 regierte, ist wol unzweifelhaft, und wahrscheinlich ist unser gedieht bald nach dem 11. juni 803, dem tage der weihe Ecgberhts, von dem neuen abte Aedelwulf als ein abschiedsgruss an den scheidenden freund und voi-gänger gedichtet. Dies würde auch zur genüge erklären, warimi der dichter uns weder den uameu des klosters nent noch dessen äussere Verhältnisse schildert, die ja dem emidanger der schrift bekant waren.

Die annähme, dass Aedelwulf ausser dieser dichtuug früher in einem gedichte seineu lehrer, den presbyter und Icctor llyglac und andere fromme Angelsachsen besungen habe, wie man bisher annahm (vgl. P. C. I, 582), weist Traube als ein misvei-ständnis nach, denn, wie er s. 13 18 zeigt, bezieht sich die angäbe des dichtei-s kap. XVI , v. 3 fgg. :

„de quo iani dudum perstrinxi pauca relatu, Anglorum de gente pios dum carmine quosdam jam cecini .... nur auf eine vorhergehende stelle des nämlichen gedichtes kap. XV, 27 fgg.

Wie alle seine Zeitgenossen benuzte auch Aedelwulf tlcissig die werke anderer dichter. So führt Traube besonders stellen an, welche aus Aldhelm henibcrgenom- men sind (s. 19 21); ebenso ist ßedas gedieht auf Cudberht und Cyprians carmen de heptateucho benuzt. Alcuins umfangreichste dichtung „de sanctis Euboricensis ecclesiae- aber, welche dem gedichte Aedel wulfs zeitlich und inhaltlich am nächsten stand, ist lezterem mehr vorbild bei der komposition gewesen als im einzelnen von ihm nachgeahmt worden.

Die drei handschriften des gedichtes, die Londoner (L), die Oxforder (0) und die jüngste Cambridger (C), haben einzelne versehen und zahlreiche falsche lesarten mit einander gemein, für welche Traube s. 27 30 Verbesserungen in verschlag bringt. Alle drei gehen schliesslich auf eine in angelsächsischer schrift geschriebene, lücken- hafte, nicht sehr getreue abschiift x zurück, und zwar muss diese L unmittelbar vorgelegen haben und getreu copieii; sein, wähi'end Sonderlesarten in 0 und C deren abstammung von einer abschritt von x dartun. Auf grund der handschriftenverglei- chung gibt Traube dann s. 32 36 zahlreiche, meist annehmbare berichtigungen des textes und schliesslich einige verbesserte Interpunktionen.

Im anhange zu Aedelwulf s. 38 45 findet man die nachrichten über den ge- nanten bischof Ecgberht von Lindisfarne und die zeit der ersten Zerstörung des klo- sters zusammengestelt, sowie den nachweis, dass der oben erwähnte lector (vorsänger) llyglac nicht ein schriftsteiler war, zu dem man ihn hat stempeln wollen. In einem dritten kapitel zeigt Traube, dass Aldhelm kap. VlII und IX niciit etwa, wie Ebert in seiner litteraturgeschichte behauptet, ein ganzes bilden und sich auf die einweihung einer von der angelsächsischen königstochter Bugge erbauten kirche und die in der- selben befindlichen altäre beziehen, sondern aus vier verschiedenen gedichtcn beste- hen, IX 1. MII, IX 2 13 und IX 14, die noch dazu nicht einmal für dieselbe kii'che bestimt gewesen sind.

Der zweite teil der Untersuchungen behandelt die Interpolation und recension in Alchuines (so schrieb er sich selbst) imd Angilberts gedichten. Da die beiden handschiilten der , versus de sanctis Euboricensis ecclesiae'' augenscheinlich verloren

ÜBER TRAUBE, KAROL. DICHirNGEX 123

sind, haben wir uii> iiKiglichst an die cditio prinn'ps vom jalivo IGDl zu halten und domgemäss in einigen fällen (s. 47) statt der änderungen Dümmlers die lesarten Th. Galcs widerheiz ustellen. In vorsehicdenen anderen gedichten Alkuins haben die metrischen und grammatischen Verstösse des Verfassers häufig anlass zu absichtlichen änderungen gegeben, die wol kaum auf eine spätere redaktion des dichters zurück- zuführen sein dürften. Besonders stark interpoliert ist die Alen«;oner handschrift der vita AVillibrordi.

Eine eigentümliche lalschung aber hat sich der cod. regln. 2078 s. IX/X zu schulden kommen lassen: er hat Angilbert, dem karolingischen Homer, einen beträcht- lichen teil seines geistigen gutes gestohlen, welchen Traubes Untersuchung seinem rechtmässigen eigentümer wider zurückgegeben hat. Die genante samlung karolin- gischer dichtuugen enthält u. a. 32 nummern, welche P.C.l, 413 Igg. als ßernowini episcopi carmina abgedruckt sind. Von diesen bilden die nummern VI XXVI samt dem von Dümmler unter Angilbert V, i abgedruckten , von Traubi.' als Bernowin VI a bezeichneten gedichto eine besondere gruppe , bestehend aus titeln , orationen und einem epitaph, welche teils als akro-, meso- und telosticha den namen des dichters Angilbert bewahrt haben, teils durch fortlassung der eigennamen oder ersatz dersel- ben durch ein „ilt." zu blossen formein geworden sind oder endlich an stelle des ui'sprünglichen verfassernamens den eines Bernowinus haben. Diesen Bernowin, der von Angilbert nirgends erwähnt wird, hielt Dümmler für einen uns nicht näher bekanten freund des dichters, der freilich ein seltener freund gewesen wäre, da er nicht müde wui'de. in kunstvoll geformten poetischen Spielereien den beistand des himmels für seinen lieben Angilbert zu ei-fleheu statt für sein eigenes heil zu beten. Jene gedichto, deren wertvolstes das nach dem muster Alkuins (CXXIIl) gedichtete epitaph ist, sind aber, wie Traube unzweifelhaft klar stelt, dichtungen Angilbe rts, dessen eigener name sowol wie der des Schutzpatrons seines klosters Centula, des heiligen Eicharius, auch überall für den des Bernowinus, bezw. für „itt.- eingefügt werden kann, während es Bernowin nicht immer geling-t, „seineu ruhmestitel ins metrum zu zw^ängen.'*

Auch von den i) versen der ur. XXVIII, in der handschrift als „versus Ber- nowini episcopi ad crucem" bezeichnet, weist Traube 7 dem Angilbert zu, während er die zwei übrig bleibenden dem „dichter" Bernowin lässt. Dieser ist höchstwahr- scheinlich der erzbischof Bcrnoin oder Barnoin vonVienne (y 16. Januar 899), erbauer eines armenspitals daselbst, für den man die inschriftcu von St. Riquier und Angil- berts orationen, so wenig sie auch passten, umzuarbeiten vorsuchte.

Die dichtungen Alkuins sind, wie gesagt, ebenfals ^-ielfach wilkürlich umge- staltet worden. Einen grossen teil derselben, 272 nummern, veröffentlichte Querce- tanus im jähre 1617 nach einer leider nicht mehr vorhandenen reichhaltigen, doch mcht fehlerfreien handschrift aus St. Bertin. Ausserdem haben wir zum teil noch fehlerhaftere sonderüberlicferimgen. Leztere gehen auf die einzelexemplare des dich- ters zurück, während die koiTektere samlung bereits in den gedichten des Hrabanus Maui-us vielfach benuzt ist. Traube entwirft uns ein bild von den Verhältnissen der Überlieferung an dem beispiele des gcdichtes „de clade Lindisfarnensis monasterii'^, gibt s. 62 67 eine genaue Charakteristik des nur durch Icsefehler eines ungebildeten Schreibers eutstelten codex H (arleianus) ms. 3685 s. XV, welcher die einzelüberlie- ferung der dichtuug darstelt, um sodann s. 69 108 die Überlieferung von H dem texte der samlung des Quercetanus und den Zeugnissen Hrabans in tabellarischer Übersicht einander gegenüberzustellen. Das ergebnis der Untersuchung ist, dass H

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sowol wie die baudschrift, welche dem samler und rcceusor der Alkuinscheu «^edichte vorlag, auf ein imd dieselbe absehrift der ei-bteii fassung der genanten dithtuug zui-ückgehcn ; dass diese aus der ei-sten hälfte des 9. jahrliunderts stammende recen- sion, deren abschritt die verlorene handschrift aus St. Bertin bot, von Hraban beim eitieren benuzt sein muss, zugleich aber von ihm nach einer anderen absehrift der diehtung der text der recensiou corrigiert wurde, während andere abweicliungen in den citaten auf Hraban selbst zurückzuführen sind.

Unter den frühesten rhythmischen gedichten der Karoliugerzeit haben die „lau- des Mediolanensis civitatis" (P. C. I, 24) und die .,laudes Yeronensis civitatis'' (P. C. I. 118) nach form und inhalt viele älmhchkeit mit einander. Beide gehören zu den trochäischen fünfzehnsilbern mit silbenvoi-schlag und haben in darstell ungs weise und einzelnen Wendungen manches gemeinsam; beide enthalten eine topographische be- sehreibung der genanten Städte, berichten von den hervoiTagendsteu bauten dersel- ben, sowie den reliquien der heiligen und enthalten einige geschichtliche nachrichten. Da der ei-ste der beiden rhythmen bald nach 738 verfasst ist, der zweite jedoch erst o. 810, wie Traube s. 114—115 zeigt, können die berühiien ähnlichkeiten nicht durch die gemeinsamkeit des Verfassers erklärt werden, während Dümmlcrs u. a. vennutung, dass der Veroneser rhythmus eine nachahmuug des Mailänder sei, mög- licherweise das richtige trift. Doch gibt uns Traube s. 115 fgg. noch eine andere erklänmg. Er hält den Veroneser rhythmus für eine begleitende erläuterung des alten Stadtplanes, der sich, unmittelbar mit dem gedichte verbunden, in der jezt verlorenen handschrift des klostei-s Lobbes befand (vgl. P. C. I, 118), und ebenso das zweite topogi-aphische gedieht für die beschreibung eines Mailänder Stadtplanes. Das gemeinsame Vorbild beider j.läne und beider rhythmen sucht er in einem Karo- lingischen Stadtplane Roms und einer mit demselben verbunden geweseneu rhyth- mischen erklärung. S. 119 129 folgt dann ein sorgfältig verbesserter abdmck beider gedichte mit anmerkuugen.

Im anhange zu diesen topogi'aphischen rhythmen handelt Traube von den bei Jaffe, Bibl. III, s. 38 fgg. abgedruckten angelsächsischen rhythmen, deren erster von einem unbekanton Verfasser au Aldhelm gerichtet ist, auf dessen namen das woii; ^casses" in v. 1 anspielt (Aldhelm = cassis priscus "). Nr. II bei Jaffe ist das in dem briefe Aedel walds an Aldhelm fep. 5, s. 37) als anläge erwähnte und für Wyn- fried bestirnte gedieht „de transmarini itineris peregrinatione", dessen verlust Jaffe in seiner anmerkung s. 37 beklagt. Da uns von beziehungen des heil. Bonifatius zu Ald- helm sonst nichts bekant ist, dürfte gedachter Wynfried mit ersterem schwerlich iden- tisch sein; vielleicht ist aber auch Wj-nfried verlesen aus AVihtfried , dem namen eines Schülers von Aldhelm. Über nr. HL lässt sich nichts bestimtes sagen; IV ist ein gedieht Aedelwalds an Aldhelm, V die antwoit darauf. Dieser Aedelwald ist nach TraulK? sicher ein laie. %äelleicht der von 716 757 regierende könig, jedenfals aber verschieden von dem geistlichen Verfasser der nr. I. S. 133 135 stelt Traube einige vom horausgeber geänderte Schreibungen in den 5 rhythmen \s-ider her und fügt daran eine Verbesserung von sti*. 24 und 25 der „versus de Aquilegia numquam restauranda '' (P. G. II, s. 150 fgg.).

Der vierte und lezte teil der untei-suchungen ist den rhythmischen fünfsilbern mit trochäischem Schlüsse gewidmet, den „versus perextensi" des grammatikers Ver- gilius, deren erklänmg so grosse Schwierigkeit bot. Sehr frühe rhythmen dieser art liegen in dem kürzlich durch E. Bondurand in Paris volständig veröffentlichten, im jähre 843 vollendeten fürstenspiegel der Dhuoda vor. Die drei s. 141 149 abge-

ÜBKR TRAUBE, KAROL, DICHTUNGEN 125

druckten gedichte sind verschieden gebaut und bestehen aus Strophen zu 4 bezw. 7 und 6 Zeilen _ w w _ ^ oder ^ _ v^ _ w; silbenzusohlag ist, dem Charakter volks- niässiger dichtung entsprechend, zugelassen, au<li der schluss bisweilen unrein gebil- det (siebensilber) , der 5. vers der Strophen in nr. III ist stets viei-silbig. Es finden sich in allen drei gedichten spuren von reim, der hiatus ist gestattet, von elisiou ist in ihnen nirgends, von synizesis dagegen wie in vielen rhythmon oft gebraur-li gemacht.

Im anschluss au diese füni'silber untersucht der Verfasser das zuerst von Dümmler (P. C. 11, s. 118) veröffentlichte ,, Carmen ad Agobardum archiepiscopum missum'-, ein nicht unbedeutendes gedieht über das Jüngste gericht, dessen Strophen der sapphischen nachgebildet scheinen. Doch hält Traube diese na(-hahmung für keine unmittelbare, vielmehr weist die zweite hälfte der drei ersten verszeilen, die stets w w w _ v-y gebaut ist und die widerholung der ersten fünfsilbigen hälfte mit silben- vorschlag darstelt, auf einen Zusammenhang mit den rhythmischen fünfsilbern.

Die anfangsbuchstaben der strophen 1 11 des gedichtes bilden die wortc AGOBARDO FAX, die der ersten 14 strophen nach Traubes Verbesserung A. P. SIT. Nach Dümmlers ansieht war dieser Agobard, erzbischof von Lyon von 816 840, der empfänger des gedichtes, während uns Angilbeiis beispiel zeigt, dass die akro- sticha den namen des dichters zu überliefern pflegen. Str. 12 und 1.3 stelt Traube die lesaii der einzigen Pariser liandschiift wider her und gewint so ohne zwang licli- tige verse mit einer lückc am ende von str. 12, 2. In dieser lückc muss der name des empfäugers gestanden haben, den mau wie in den besprochenen gedichten Angil- berts föiiliess, um dem gedichte seine persönlichen beziehungen zu nehmen und das- selbe als formel benutzen zu können. Derjenige aber, dem Agobard seine dichtung übersante, den er in seinem leiden um rat fragte, war höchst wahrscheinlich erz- bischof Leidi'ad von Lyon, des dichters Vorgänger im amte, so dass der s. 152 fgg. abgedruckte rhythmus vor dem 28. docember 816 verfasst sein muss.

Dies der hauptinhalt der ergebnisreichen und anregenden Untersuchungen Traubes, die aufs neue beweisen, wie sehr der Verfasser geeignet ist. das werk des meisters, die herausgäbe der karolingischen dichtungen, zu ende zu führen.

Im anhange findet mau eine Zusammenstellung der besprochenen dichterstel- len, sowie ein bei der fülle des gebotenen Stoffes wilkommenes Sachverzeichnis.

Die darstelluugsweise Traubes ist etwas manierieit und entbehrt bisweilen der wünschensweiien durch sichtigkeit, ein umstand, zu dem auch die aufnähme zalil- reicher. nicht immer durch besondere schrift oder anführungszeichen hervorgehobener citate in den text, sowie die spärliche anwendung der interpunktionszeichen beigetra- gen hat.

Die ausstattung des heftes ist eine sehr gute. Die mode, die grossen bu(;h- staben beim beginn der einzelnen Sätze mit kleinen zu vertauschen und so den punkt, das wichtigste, aber unscheinbarste schiiftzeichen seines merksteines zu berauben, können vrii nicht zur nachahmung empfohlen,

HANN. MÜNDEN, IM OKTOBER 1888. HERMANN ALTHOF.

Diedrich von dem Werder. Ein beitrag zur deutschen litteraturge- schichte des siebzehnten Jahrhunderts. Von dr. G. Witkowski. Leipzig, Veit und comp. 1887. 144 s. 8. 4 m.

Der deutsche dichter, welcher, dreizehn jähre älter als Opitz, ähnliche bahnen

wie dieser verfolgte, der es nicht oline ertolg unternahm, Tasso und Ariost zu über-

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setzen, der eine hervorragende, ja. man kann sagen, die erste rolle in der Frueht- briugeuden geselschalt während der ersten jahrzehute ilires bestehen« spielte, hätte schon eher die beachtung verdient, welche ihm jezt erst durch den Verfasser der vorliegenden schrift zuteil geworden ist.

Nach der einleitnng und einer daukenswei-ten ahhandlung über Tobias Hüeb- ner, welcher "SVerdei-s Vorgänger in molirfacher beziehung genant werden muss, folgt die biographie , darauf die bibliographie, ferner „Werder und die Fnichtbringende geselschaft". „AVerder und Opitz**, „Werders Übersetzungen'*, „Werders eigene werke", der schluss fasst ui-teile über den dichter zusammen und gibt dessen wüi'digung nach des verfassei-s eigener ansieht.

Nach dem eben gesagten muss die wähl des themas gelobt werden, obgleich die Schwierigkeit der aufgäbe es mit sich gebracht zu halben scheint, dass sie nicht in allen teilen der ai'beit gleiehmässig gelöst worden ist. Im ganzen wii-d ein unpar- teiischer beurteiler dem buche seine anerkennung auszusprechen haben, weil es unsere kentuis der litteratur des XVII. Jahrhunderts in vielen einzelheiten durch meist vol- kommen erwiesene ergebnisse bereichei-t und aufkläi-t sowie zum ersten male ein ge.samtbild einer immerhin bedeutenden und interessanten schriftstellerischen persön- lichkeit liefert. Das verdienst der biographischen und bibliogra])hischen angaben Wit- kowskis springt bei einer vergleichung mit dem, was bereits vorliegt,, zu deutlich in die äugen, als dass darüber noch etwas zu sagen wäre. Vielleicht wird hie und da gelegentlich noch etwas, das nachzutragen ist, zu tage kommen, die hauptsachen sind sicher erschöpft.

Was Witkowskis gesamtauffassung des litterarischen lebens jener zeit anlangt, so ist zuzugeben, dass hiebei die subjektiA'ität des betrachters eine grosse imd keines- wegs ganz unberechtigte rolle spielt. Hiernach werde ich nicht misverstauden wer- den, wenn ich gestehe, in der vorliegenden arbeit öfter die schärfe der beleuchtung zu vennissen. welche denn doch zum Verständnis des litterarischen fortschrittes einer nation ebenso nötig ist wie die ol^jektive und billige beurteilung der erscheinungen aus ihrer zeit heraus. Xamentlich in der Würdigung der Fruchtliringenden geselschaft geht mir Witkowski. wie mich dünkt, durch Baithold und Krause beeinflusst, nicht schai'f genug vor nota bene für einen litterarliistoiiker, der durchaus den Zusam- menhang der epochen im äuge behalten und den fortschritt des geschmackes in den kleineren und grösseren gi'uppen poetischer erzougnisse, die er betrachtet, stets prii- fen soll. Das auf seite 46 gesagte kann uns schwerlich überzeugen, dass die gesel- schaft tatsächlich etwas anderes war als ein litteraturverein. Es war eben die kiu'z- sichtigkeit und konfusion der hochgeborenen mitglieder schuld, wenn sie meinten. dass sie die sache anders angreifen könten, denn ihre bestrebungen konten sie ein- zig und allein in der litteratur. d. h. in schriftstellerischen oder poetischen erzeug- nissen. die gedruckt wui'den, geltend machen, und sie haben es auch wirklich nur auf diese weise getan. Seite 51 liefert Witkowski selber ein beispiel, wie wenig man sich in der geschäftlichen korrespondenz der Sprachreinheit befliss. In der höfischen konversation wird es dochwol nicht besser gewesen sein, fals man überhaupt deutsch sprach; die gelehrten korrespondierten lateinisch, von befördemng deutscher sitte, vom Studium d'^'utscher geschichte ist keine rede, geschweige denn von einer deutsch- nationalen politik. Wenn man bei der aufnähme in dio geselschaft nicht auf littera- rische Verdienste sah, so war das eben lächerlich, am allerwenigsten war es ein ^princip'*. das als milderungsgrund für die Opitz aus gemeinem neide jahrelang ver- weigerte anerkennung geltend gemacht werden könte.

l'T^F.R WITKOWRKT. DT^DFR. V. T). WFRDFR 127

Man wird ja zugeben, dass die orgobnislosiejkpit dieses treibens uielit dem mora- lischen Charakter der eiuzehien zur last tiilt, sondern den traurigen Verhältnissen, aber andererseits gab es doch männer wie Moselierosch und Grimmeishausen, welche die Sachen so klar und richtig ansahen und ihre meinung so deutlich ausdrückten, dass im vergleicli mit ilmen die deutsche gesinnung und die nationalen bcstrebungen der männer vom palmenorden uns sehr wenig imponieren köniK^i.

Doch genug von diesen dingen, ül)er die eben, um in der spräche des XVIT. Jahrhunderts zu reden, „unterschiedene opiniones fallen'' können, und kommen wir zu objektiven bemerkungen. Da kann nun zunächst die niclit unterdi-iickt werden, dass der sonst wol unterriditrte Verfasser für den sozusagen i)hilologisch(»n teil seiner aufgäbe kaum genügend vorbereitet erscheint. Sonst würden etliche misverständnisse nicht vorgekommen sein, welche in seiner arbeit auf i'echt störende weise auffa^en. Balten " (vgl. s. 75) bedeutet nie und also aucli nicht in Werders Tasso XI, .30, 0 „beissen", sondern „warten, verharren." Was hatten denn die leute auch auf der mauer zu beissen? Werder sellist oder seinem freunde muss das schon halb veraltete wort bedenklich geworden sein, denn er ändert die stelle in B. „Sie entweich" ist nichts weniger als eine entstellung von „entweicht" aus reimnot, sondei-n ehrliches, damals noch ziemlich gebräuchliches präterituin für „entwich", was übrigens aucli der Zusammenhang fordert (s. 77, im Tasso VI, 59, 1). Xoch manches möcliten wir anders -wünschen; es fehlen gesichtspunkte , die ein philologe sehr vermisst, wie z. b. die frage nacli etwaigen dialoktisclien eigentümlichkeiten in wortwalil und formen. Schon die Schreibung seines vornamens beweist, dass AVerder an dialcktforraen festhielt, und eine darauf gelichtete Untersuchung würde niclit ohne ergcbnisse geblieben sein. ^Uugewöhnliclie worto" (s. 75) ist keine rechte kategoiie, es müssen doch wenig- stens damals und jezt ungewöhnliche geschieden werden. „Schmuntzeln" würde zu keiner von beiden klassen gehören. Dass der dichter „kart" für „kehrte", „drung" für „drang", «scheusst" für „schiesst" u. dgl. mehr (s. 77) sagt, „um seiner spräche grössere fülle zu verleihen", ist eine annähme, welche im lichte der histoiischen gram- matik geradezu komisch erscheint. Hat denn der Verfasser diese formen sonst nie in älteren büchern gelesen?

Wir hoffen, dass das angeführte genügen wird, um Witkowski zu überzeugen, dass man auch zur beurteilung der spräche des XYII. Jahrhunderts die germanische Philologie herbeiziehen muss, um nicht auf bedenkliche abwege zu geraten. Unmit- telbar nach den ausfühvuugen, die uns nicht gefallen wollen, gibt er noch s. 78 eine anerkennenswerte probe seines scharfsins, und ich freue mich, die richtigkeit seiner Vermutung bestätigen zu können. Die ausgäbe des Tasso Lyon 1581 in IG", welche Witkowski als vorläge Werders vermutet, aber nicht erreichen konte, liegt mir vor, und hier steht XYI, 20, 4

Ai miuistri d'Amor ministro eletto. Das buch gehört der hiesigen stadtbibliothek , welche überhaupt an dergleichen Sel- tenheiten sehr reich ist, und hat die sig-natur X 1919. Ich habe die übrigen bei die- ser gelegenheit von Witkowski (s. 78 fgg.) angemerkten stellen verglichen, das ergeb- nis ist folgendes: die ausgäbe enthält gegen AVitkowskis Vermutung die Strophen XI, 8 und 9. XV, 15, 1 steht Rafia IX. 90, 3 Corcutte I, 54, 5 Ruggier di Bal- nauilla XYII, 74, 1 Enrico e Berengario Y, 48, 1 Cilicia YTTI, 09. 4 steht nichts von Tile, das citat muss unrichtig sein XYII, 5, 6 Siene XYII. 09. 7 Aquilea 70, 5 Altino III, 61, 3 vermiglia la sopravesta XII, 09, 2 viele lY. 75. 1 guance IX. 92,8 gran Madre XII. 4. 1 me' XI. 28, 5 (30, 5) lautet:

128 NACHRICHTEN

Cosi dioean; ma für le voei iiitese. Xin. 4S, 7 muss falsch citioi-t sein, vielleicht ist v. 5 derselben strophe gemeint:

Pur vi passai: che ne Tincendio m arse. Durch das el>en beigebrachte wird AVitkowskis vtu-inutung nach meiner ansieht nichts weniger als entkräftet. Die auslassung von XI, 8 und 9 erkläii sich leicht. AVit- kowski meint, Werder würde diese Strophen schon wegen ihres religiösen inhalts übei-sezt haben, er hat sie aber grade deswegen weggelassen, denn er war Protestant. Aus demselben gründe halte ich es, beiläufig gesagt, für unmöglich, dass AVerder den tag Leo des Grossen als den ,,tag der allergrössesten '^ bezeichnet habe (s. 62,

aum. 3).

Dass Opitz „noch weit weniger" als Lohenstein imstande gewesen sei, dichterisch gi'osses zu leisten, bestreite wenigstens ich, wenn sonst niemand, wie AVitkowski meint. Lohenstein ist so wenig wie Opitz poetisch begabt, eher noch weniger, ausserdem aber hat er viel weniger geschmack und takt, den man Opitz durchaus nicht absprechen kann (s. 59).

Die Schlussredaktion des buches scheint etwas flüchtig bewerkstelligt zu sein. S. 27 ist der satz -Landgraf Moritz hatte usw.'^ unklar. Es soll wol statt „Evange- lischen- heissen „Lutherischen", wenigstens ist dies das geschichtlich richtige. S. 52 heisst es „AVerder entschied in vielen fragen mit scharfsinniger begründung'', das folgende beispiel l)eweist das gegenteil. Es hätte das s. 54 angeführte an diese stelle gehört.

BRESLAU, JULI 1888. FELIX BOBERTAG,

Die Edda. Deutsch von AVilhelm Jordan. Frankfurt a. M. AA'. Jordans Selbst- verlag. 1889. 8. IV, 534 s. 5 m.

Da die ^gelehrten" anmerkungen, die der Übersetzer seinem buche beigegeben hat, bei dem uneingeweihten die meinung ei-wecken könnten, als ergreife hier ein genauer kenner des altnordischen das wort, so sei kurz bemerkt, dass wir es mit der arbeit eines dilettanten zu tun haben, für den die wissenschaftliche forschung der lezten dreissig jähre jnicht vorhanden ist. A'on der technik der alten allitera- tionspoesie hat Jordan keine ahnung; geradezu belustigend wirken die verse, die er (s. 407) aus der einleitenden prosa zu Gu{)r. I zurcchtgeschnitten hat. A\"as treue und gewissenhaftigkeit anbetrift, steht diese Eddaübersetzung hinter der Simrockschen ganz erlieblich zurück, die Jordan übrigens nur in einer älteren aufläge gekaut hat, daher es ihm begegnet, dass er fehler seines Vorgängers bekämpft, die dieser selber schon berichtigt hatte. Eine höheren anforderungen genügende Verdeutschung der Edda bleibt also immer noch ein frommer wünsch, bis ein meister sich findet, dei- mit genauester sprach- und sachkentnis dichterischen geist und ein ausgebildetes formtalent verbindet. H. G.

NACHRICHTEN.

Am 31. Januar 1889 starb zu Oxford nach längerer krankheit der bekante lexikograph und herausgeber altnordischer litteraturwerke, dr. Gudbrand Vigfüs- son, 08 jähre alt.

Halle a. S., BucMrnckerei des Waisenhauses.

UNTERSUCIIUXGEN ZUE SNOl^PiA-EDDA.

I. Der sogciiante zweite gramiiiatisehe traktat der Siiorra-Etlda.

"Während wir bei keinem anderen germanischen stamme eine grammatische behandlnng der heimischen spräche im mitteh^lter nach- weisen können denn die „grammatica patrii sermonis", die auf ver- anlassung Karls des Grossen in angritf genommen wurde (Einhardi vita Karoli c.29), ist höchst wahrscheinlich gar nicht zustande gekommen , finden wir in dem fernen Island, dessen bewolmer auf geistigem gebiete in mancher beziehung den Zeitgenossen vorausgeeilt sind, mehrere abhandlungcn über die heimische spräche. Dieselben waren bis in die jüngste zeit meist verkant oder wenig benuzt ^; erst unser grannna- tisches geschlecht hat sie hervorgezogen und ist bemüht gewesen, sie in das rechte licht zu setzen.

Die erste gründliche arbeit über die grammatische tätigkeit der alten Isländer waren Björn Magnussen Olsens trefliche Untersuchungen über die runen in der altisländischen litteratur-. Die wichtigsten ergeb- nisse nahm dann der Verfasser in die einleitung zu seiner ausgäbe der 3. und 4. abhandlung auf*^, imd die herausgeber der beiden ersten, Y. Dahlerup und Finnur Jönsson, bauten auf semen resultaten im gan- zen weiter^. Während aber Y. Dahlerup die älteste grammatische arbeit nochmals scharf ins äuge fasst und ihre bedeutung namentlich für die isländische schrift etwas anders und zweifelsohne richtiger darlegt, geht Finnur Jönsson gerade über die hauptfragen zu schnell lünweg und prüft weder die abhandlung auf ihren bau hin, noch untersucht er den Zusammenhang ihrer Überlieferung; er hält sich zu sehr an

1) Am meisten hat sie zweifelsohne A. Holtzmann zu würdigen gewust, der in seiner altdeutschen gramniatik die erste abhandlung volständig und die zweite wenigstens teilweise übersezt (I. s. 55 6Gj.

2) Eunerne i den oldislandske Literatur ved B. M. 0. Kbh. 1883.

3) Den tredje og fjaerde grammatiske afhandling i SnoiTes Edda. Kbh. 1884. 4} Den forste og anden grammatiske afhandling i SuoiTes Edda. Kbh. 18SG.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOI.OGIE. BD. XXII. «^

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Björn Olsen, der den kleinen entwurf nur gelegentlich berührte, ihn aber nicht in den bereich seiner eigentlichen forschungen liineinzog. Daher komt es, dass trotz der neuen ausgäbe auch heute noch die rechte Avürdigung dieses sogenanten „zweiten traktates'' fehlt. ^ Man stelt denselben durclnveg im liinblick auf seine jüngere und verderbte Überlieferung neben den wahrhaft bedeutenden orthographischen neuc- rungsversuch aus der ei-sten hiilfte des 12. jalu'hunderts und neben die mehr laut- und sprachgeschichtliche abhandlung des (3laf pordarson: im vergleich mit diesen muss allerdiugs seine wagschale bedeutend steigen. Aber ich meine, es ist ein grosser unterschied, ob man eine orthographische oder sprachliche abhandlung vor sich hat, die auf die Zeitgenossen bestimmend einwirken soll, oder bemerkungen über die bestehenden buchstaben oder laute, die nur zu einem bestimten zwecke, im hinblick auf ein bestimtes werk geschrieben sind. Jene kann mau mit gutem rechte „grammatische traktate" nennen, diese nimmermehr. Es lässt sich auch auf keinen fall an diese derselbe massstab legen wie an jene. Man hat dies aber bisher durchweg getan und dadurch die bemerkungen zu dem islandischen alphabcte aus dem anfange des 13. Jahrhunderts volstiindig verkant. Sie verdie- nen in ihrer ursprünglichen fassung überhaupt nicht den namen eines grammatischen ti-aktates, sondern sie sind mit dem namen zu bezeich- nen, der ihnen von haus aus nach dem willen ihres Verfassers gehört, nämlich als die sprachliche einleituug zum Hattatal. Dass sie in die geselschaft der grammatischen abhandlungen gelangt sind, verdanken wir demselben unfähigen bearbeiter des Snorrischen werkes, der auch die übrigen teile der Edda auseinander riss luid nach eignem gutdün- ken wider zusammenleimte. Um daher die bemerkungen zu verstehen, müssen wir sie vor allem aus dem zusammenhange herausreissen , in welchem man sie zu betrachten pflegt. Es ist aus diesem gründe geboten, nochmals auf die Überlieferung einzugehen und die folgen, die daraus erwachsen, ins äuge zu fassen, wenngleich Finnur Jonsson in der überlieferuDgsfrage schon im ganzen das richtige getroffen hat.^

1) Der lösuDg einer der wichtigsten fragen über die «ibhandlung, nämlich über ihre bedeutiing, ist 0. Brenner in einem kleinen aiifsatzc meines erachtens sehr nahe gekomm.en (Zs. f. d. ph. XXI, 272 fgg.).

2) Es ist merkwürdig, mit welcher bcharhchkcit selbst F. J. noch an der alten auffassung des handschiiftenverhältnisses hängt. Nachdem er schritt für schritt zu erweisen gesucht hat, dass die kürzere fassung die ursprüngliche ist (einl. s. XVI fgg.), lässt er nicht, wie man doch envarten durfte, den ursprünglichen text zuerst drucken , sondern fügt ihn nur als „Tillfeg" bei (s. .56 fgg.). Auf die folgen der neuen auffassung der handschiiften geht F. J. gar nicht ein und stelt so beliauptiuigcn auf,

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 131

Alles, Avas die Isländer über ilire sclirift und spraelio gesclirieben liaben, ist in der alten Eddaliandsehrift cod. A^I. 242 foL, dem codex AVormiauus, der aus der mitte des 14. jalirliunderts stamt, aufbewahrt.^ Der Schreiber oder viehnelir bearbeitcr dieser handschrift benutzte bei seiner arbeit mehrere werke, deren bedeutendstes die wol von (')hü' |)nrd- arson lierrührende fassung der Edda war, und vereinigte diese zu einem ganzen, das er dui'ch eigene arbeiten erweiterte, mit vorrede ver- sah und in seinen einzelnen teilen nicht selten verwässerte. Nacli Sveinbjörn Egilssons Vermutung- soll Berg Sokkasou, der freund des bischof Laurentius und abt des Benediktinerklostcrs zu A[unkal)vera diesen codex zusammengestelt haben, eine annähme, die anklang gefun- den hat. ^ Ich sehe nicht recht ein, dass dieselbe irgend welclie feste stützen habe. Die saga des bischofs Laurentius gibt uns ein ziemlich genaues bild von dem Charakter und der tätigkeit des Berg; wir erfah- ren, dass derselbe mit eiserner festigkeit auf die beobachtung der klo- sterregeln sah (Bisk. s. I, 840. 850), wir hören, dass er ein vorzüg- licher Sänger und tüchtiger redner und prediger gewesen sei, wir lesen auch, dass er die geschicliten der heiligen männer vortreflich ins islän- dische übcrsezt habe (Bisk. s. I, 832. 891) ^, aber nirgends erfahren wir etwas darüber, dass er sich auch eingeliender mit heimischer litteratur beschäftigt liabe oder dass er ein dichter gewesen sei, wiihrend doch

die wol für den überarbeiteten text, nicht aber für den ursprünglichen geltung haben.

1) Das kleine stück, das Björn Olsen als anhang in seiner ausgal)e der 3. und 4. abhandlung (s. 156 fgg.) nach cod. AM. 921. hat abdrucken lassen, ist eine ein- fache interlinearversion der lateinischen conjugation. Zur zeit ungedruckto reime über die isländischen buchstaben enthält der cod. AM. 415. 4" (vgl. G. Stonn, Islandskc Ann- alcr indtil 1578 s. YH).

2) Sn.E. AM. II s. 190 aum. 1.

3) Vgl. K. Müllenlioff DAK. V, 208. 230. Ich selbst habe lange zeit die ansieht geteilt, bin aber nach gründliclieni durchlesen der Laurentiussaga, unserer hauptquellc über Berg Sokkason, ganz davon abgekommen, da sich aus der saga ein bild von der tätigkeit aller männer aus Laurentius zeit entwerfen lüsst, die der Ver- fasser in seiner erzählung charakterisiert.

4) In gleichem sinne d. h, im hinbhck auf die missionstätigkeit ihres beiden übei-sezte Berg auch die Olafssaga Tiyggvasonar des mönchs Odd von Lingcyrir. Ob die ausfülirhche fassung im cod. Holm. 1 fol. (Arwidsson, Föiieckning öfver kgl. bibliothekets i Stockholm isl. hss. s. 3), die uns Bergs Übersetzung der Olafssaga bezeugt (Olafssaga Tryggvasonar, er Bergr aboti snaraäi)^ die ursprüngliche arbeit des abtes ist, oder ob diese vorliegende nicht vielmehr auf eine kürzere fassung Bergs zui-ückgeht, wage ich nicht zu entscheiden, zumal wir noch keinen abdruck des cod. Ilohn. fol. 1 besitzen.

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die Kaurentiussaga vuu mehreren anderen männern, vor allem vom Laii- rentius selbst ganz ausdrücklich hervorhebt, dass sie vorzügliche „ver- silicatores'' gewesen seien (Bisk. s. I, 794. 800 u. ö.). Beides muss aber bei dem Verfasser der vierten abhandlung, der mit dem Schreiber der ganzen handschrift zusammenfiilt, vorausgesezt ^Y erden. Da sicli nun diese Voraussetzungen auf Berg nicht anwenden lassen, halte ich Egilssons annähme mindestens für wenig wahrscheinlich. Dagegen finden sie sich bei einem andern manne derselben zeit, und diesen möchte ich mit ziemlicher bestimtheit als den urheber des cod. AM. 2-42 anneh- men: es ist bruder Ärni, der natürliche söhn des bischofs Lauren- tius. Zunächst ist die handschrift in bezug auf die schrift eine der vorzüglichsten aller liandschriften , die war besitzen, vielleicht die beste aus dem 14. Jahrhunderte (vgl. das facs. iir. II in Sn. E. III). Fer- ner weist die geschichte des codex und seiner abschritt AM. 756. 4^ darauf hin, dass derselbe im nördlichen Island geschrieben ist, wie auch G. Vigfüsson ihn nach dem kloster I)ingeyrir verlegte Weiter: alles, was wir beim Schreiber des codex voraussetzen müssen, was Avir aber nicht bei Berg fanden, haben wir bei Arni.

Bruder Arni, wie ihn die annalen und die Laurentiussaga stets nennen, war der uneheliche söhn des Laurentius mit der purid Ärna- duttir (Bisk. s. I, 807). Für ihn sorgte der vater nach kräften. Auf Laurentius' betreiben hin wurde er nach dem Lögmannsannäll, dem ich hierin folge (Storm, Isl. annal. s. 266) 1317 vom abte Gudmund als Benediktinermönch des klosters pingeyrir aufgenommen (Bs. I, 832). Als Laurentius 1324 zum bischof von Hölar geweiht war, ruft er auch den Ärni nach dem bischofsitze, wo er neben Olaf Hjaltason, dem lehrer in der grammatik, und Yalljjof, dem leiter des geistlichen gesanges, an der vom neuen bischof begründeten schule als lehrer tätig war (Bs. I, 846). Von hier aus begleitete er seinen vater widerholt auf visitationsreisen (Bs. I, 851). Damals sante ihn auch Laurentius nach Skälaholt zum bischof Jon, der ihn zum priester weihte (Bs. I, 850). Anfangs gehörte er zu den treflichsten klerikern (Bs. I, 832. 850), später gab er sich jedoch zuweilen der genusssucht hin, die ihn einst nach einem zu fröhlich verbrachten julfeste auf das krankenlager warf. Dadurch berei- tete er seinem vater Laurentius ärgemis, der ihn nun unter ernsten

1) Corp. poet. bor. I s. XLV, doch irt Yigfiisson, wenn er sagt, dass sich im cod. T\'. verse des braders Arai citieii fänden. Nui- das der handschrift beigefügte gleichaltrige fragment Wb. enthält eine visa Ai'nis (Sn. E. II, 500) und scheint noch mehr enthalten zu haben (vgl. Laufassedda in Sn. E. 11, G32j. Dies scheint von einem schüler des Ami zu sein, sicher nicht von ihm selbst.

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 133

ermahn nn,i;*on nacli (lein Iclostor J)in2;oyrir ziirüclvsanto, damit er hier sparsam sei, imterriclitc und schreibe (Bs. I, 873. 91 o). Von Ärnis begabung sclieint sein vater nicht viel j^ehalten zu haben, da er seine band von jeder bef<>rderung des sohnes fern hält, und da er ihm stets, mag er ihn als lehrer oder zu einer Sendung verwenden, tüchtige män- nor zur seite stelt. Dieser Ärni, berichtet nun die Laiirentiussaga, sei ein vorzüglicher Schreiber und dichter gewesen ^ Dies stimt aber vor- züglich zum Schreiber des Worm. Als lehrer bedurfte ferner Arni einer grammatica und ars poetica, da er hierin seine schüler zu unter- richten hatte. So mag unsere handschrift zu bestimteni pädagogischen zwecke entstanden sein: sie war ein Averk für heimische spräche und poesie. Denn die muttersprache {nmturtunf/a) hielt Laurentius für die alleinige vermitlerin zwischen geistlichkeit und volk (Bs. I, 8G1 fg.); daher wird er auch den Unterricht in dieser gefördert haben. Uns wird jezt auch die belesenheit des Schreibers in den lateinischen gram- matikern verständlich: er verdankte hierin seine kentnisse seinem col- legen Olaf Hjaltason, *den Laurentius eingesezt hatte „nt kenria gram- maticcun" d. i. lateinische grammatik (Bs. I, 846). Zu diesen äusseren gründen, die für Arnis Verfasserschaft sprechen, treten aber auch innere. Der Schreiber muss natürlich das Hattatal gekaut haben. Aber er scheint dasselbe auch gründlich studiert und sich zum vorbild genommen zu haben: in der vierten abhandlung sind nicht nur Strophen aus Hattatal citiert, sondern auch widerholt die künstlichsten formen nachgeahmt. Nun sind aber unter bruder Ärnis namen eine visa und zweimal je zwei halbverse erhalten: beide zeigen offenbar kentnis von Snorris musterha?ttir im Hattatal. Sn.E. H, 500 finden wir in allen vier unge- raden halbversen den ersten studill (auf hochtonjger silbe) unmittelbar vor dem zweiten, den das lezte wort und die erste silbe des dritten fusses des halbverses enthält, gerade so, wie es Snorri beim refhvarfa- brodir (Hattat. v. 23; Möbius H, s. 12) offenbar angestrebt hat; die bei- den andern halbverspaare (Sn.E. H, 632) dagegen sind nach dem ganz seltenen grossen stuf (Hattat. v. 51) gedichtet, der in der alten poesie sonst einzig dasteht. So laufen alle fäden, die uns der cod. A]\L 242 betrefs seines Verfassers gewährt, in Ärni zusammen; der samler- und schreiberfleiss seines vaters Laurentius und dessen oheim pörarin kaggi (Bs. I, 790) können diese annähme nur stützen, da sie den weg zu zeigen scheinen, wie Arni in den besitz seiner vorlagen kam. AYelches

1) Bs. I, 832: varä kann hinn framasti JderJcr ok skrifari haräla scsmi- ligr ok versificator; ebd. I, 850: Var hruäir Ami hinn bexti klcrkr ok versificator ok kenndi mqrgutn klerkum.

134 MOGK

diese gewesen sind, das dürfen Avir nach den neuesten forschungen als feststehend ansehen.

Die eigentUohe Edchi konit für uns hier nicht in betracht; uns berühren nur die granimatisclien arbeiten, die in ihrer gesamtheit im zweiten bände der arnaniagmvanischen Snorra Edda (s. 1 249) und kritischer von dem Samfund usav. 1884 86 herausgegeben sind. Von diesen abliandhmgen ist das älteste stück ein auszug aus dem runen- alphabete des J)örodd Gamlason und Ari (c. 1100), den (3laf purdarson im ei*sten teile seiner abhandlung aufgenommen hat. Auf diese folgt der zeit nach der traktat eines unbekanten Verfassers, der um 1140 entstanden ist (I): sein Verfasser verändert das lateinische aiphabet sei- ner heimat, indem er unnütze buchstaben ausmerzt und neue einführt; er befreit die isländische schrift vom joche der imgenügenden latei- nischen und Schaft so eine mehr nationale schrift. Sein Averk ist in jeder Aveise hervorragend luid beherscht die ganze folgende zeit, die zeit, aus der die ältesten isländischen handschriften stammen. Hierauf folgen die aus ihrem zusammenhange losgerissenen einleitenden bemer- kungen über die spräche zum Hättatal in einer kaum Avider zu erken- nenden gestalt (II). Zeitlich schUessen sich dann die arbeiten Olaf pörct- arsons über die buchstaben und die rhetorischen figuren an (III). Die lezteren erAv eitert nun der Schreiber der handschrift durch eigene for- schimg, indem er zugleich die meisten figuren durch eigene dichtung belegt (IT); allen diesen arbeiten fügt er schliesslich ein gemeinsames Vorwort hinzu.

"Während man sich mit dem, Avas die forschung unserer tage betrefs der L, III. und lY. abhandlung gefunden hat, bescheiden kann, Avissen Avir über die sogen. II. abhandlung nicht viel mehr, als was AA'ir schon früher Avusten; etAvas tiefer in das Avesen und den zAveck derselben einzudringen beabsichtigen die vorliegenden unter- suchun£(en \

1. Die überarbeitete gestalt und die ursprünglichere fassung.

Die sogenante zweite grammatische abhandlung der Snorra -Edda, Avie sie noch die jüngste ausgäbe bezeichnet, oder die einleitung zum Hättatal, Avie ich der Untersuchung vorgreifend dieselbe nennen möchte, ist uns in zAvei gestalten überliefert: einer ursprünglicheren und einer überarbeiteten, die jene benuzt hat. Wie man im norden die spätere

1) Dass Finnur Joussons bemerkungcn (ein!, s. XXVIII fgg.) auch andere nicht befriedigen konten, beweist Brenners schon erwähnter aufsatz.

UXTERSUCIIUNGKN ZUK SX. KUDA I 135

fassung als die ursprüngliche ansah, zeigen die verschiedenen ausgaben der Snorra-Edda, G. YigMssons verächtlic;he anssprüclie über die ältere, reinere gestalte zur genüge, und dass man auch in Deutschland dieser ansieht folgte, beweisen Holtznianns bemerk ungen in seiner althd. grani- matik (I, 65 fg.) oder Mübius' werte zum llattutal (1, 18). Das war die lierscliende ansieht, als ich Beitr. VI, 536- das gegenteil behauptete und andeutete, dass die jüngere gestalt überarbeitet sei und dnss sich die quellen des Überarbeiters nachweisen lassen. Zu ähnlichem resul- tate kam bald darauf Müllenhoff (DAK. s. 107 anni.) und später F. Jons- son (ausg. der IL abli. s. XVI fgg.).

Die älteste und relativ reinste gestalt unserer abhandlung ist erhalten im

cod. Upsal. coli. IMciganl. uo. 11.

Es ist derselbe codex, welcher die ganze Edda und was mit diesem hausbuche Snorris in engstem zusammenhange steht, in seiner rehitiv ursprünglichsten gestalt enthält. Hier findet sich die abhandlung auf den ss. 88 91, fült also gerade 2 bll. Vor ihr befinden sich die Skäld- skaparmal, nach ihr ein entwurf des Hattatals, welcher die anfange und die namen der 36 (ausschliesslich der 35.) ersten visur des gedichtes enthält. Dieser fült gerade s. 92 und 93 der handschrift, und an ihn schliesst sich unmittelbar das commentierte Hattatal. Einen buchsta- bengetreuen abdruck dieser fassung der abhandlung haben wir im zwei- ten bände der arnamagnäanischen Edda (AM. II, 364—69) und in der ausgäbe von Finnur Jönsson (F. J. s. 56 61). Zwei figuren sind der abhandlung beigegeben; diese sollen die werte der abhandlung veran- schaulichen. — Ob wir in dieser fassung die ursprünglichste gestalt haben, wird sich weiter unten zeigen. Auf alle fälle ist ihre vorläge, von der unsere handschrift eine flüchtige abschrift ist, in der zweiten lassung unmittelbar oder mittelbar benuzt, nämlich im cod. Wormianus,

dem cod. AM. fol. 242.

Hier befindet sich die abhandlung bl. 40'' fgg., wo sie auf der 6. zeile begint. Sie steht zwischen dem 1. und 3. grammatischen traktate. Dass

1) Nachdem G. Yigfusson schon Sturl. I, LXXXI die alte fassung an ahrichj- ment of the second Skalda Trcatisc genant hat, äussert er sich im Cpb. I, XLYll: a feie bits of the Anonytnous Granwiarian's irork, wüJi iniperfect broken text, but irifh the Tab l es referrcd to in „W'% biit not copicd there, bcing probably missim) in Itis orüjinal. Von Yigfusson freihch war nicht zu hoffen, dass er in den fragen über die Überlieferung der Edda jemals den klarsten nachweisen beistimmen würde; ihm war der Wormianus das a und cj, dem alles zum opfer fallen mustc.

2) Daselbst ist z. 5 AM. II, 44 (st. 74) zu lesen.

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sie nach dem willen des aufzeichnei*s nicht unmittelbar an den 1. anschliessen soll, beweist der umstand, dass sicli vor ihr ein freier räum von sechs zeilen befindet Dagegen hat sie der Schreiber als irrammatische arbeit aufij^etasst und auch iinsserlich den inneren zusam- menhanir zwischen der 1. abhandhuiir und ihr aniredeutet: während er bei zwei abschnitten der handschrift, die iiüialtlicli von einander ver- schieden sind, den zweiten mit einer grossen, 3 zeilen umfassenden initiale beginnen liisst, ist hier beim beginn der abhandlang nur räum für eine kleine, ZAveizeilige gelassen. An unsere abhandlung schliesst sich dann unmittelbar der traktat des Olaf Jiordarson an.

Diese fassung der abhandlnng ist nun auf der einen seite angefült teils mit ganz unangebrachter theologischer gelehrsamkeit, teils mit stel- len aus dem ersten grammatischen traktate, teils mit stellen, welche scheinbar ganz in der luft hängen, alles dies hat die fassung im cod. Ups. nicht. Auf der andern seite aber entbehrt der cod. Worm. der figuren der Upsalaer handschrift, auf welche er sich selbst zu wider- liolten malen beruft.

Das alte ist zerrissen und neu zusammengeflickt, und zwar, wde schon eine einfache lektüre beider fassungen lehrt, von einem geist- lichen, der kein besonders grosses talent besessen haben kann, wde es sich ja beim bruder Ärni zeigte. AYolton und müsten wir von dieser fassung ausgehen, wir würden nie unsere abhandlung verstehen kön- nen; sie ist verwirt und verwirrend. Ganz anders steht es bei der älte- ren fassung. Hier ist alles vom anfang bis zum ende rein sachlich, logisch durchdacht und scharf gegliedert, wenn wir von dem abschnitte absehen, der später besonders ins äuge zu fassen ist.

In der auch den andern teilen der Edda eignen katechetischen weise begint der Verfasser mit den drei arten des tones, nämlich:

1) des tones lebloser gegenstände und zwar a. solcher, die von selbst tönen (luft, wasser),

und b. solcher, die durch die menschen zum tönen gebracht werden (stein, waffen); es folgen:

2) die laute der tiere (a. der vögel, b. der landtiere, c. der ^vas- sertiere),

3) die laute des menschen.

Die entwicklung ist volständig klar und durchsichtig. Der dritte punkt und dies führt zugleich von der einleitung zum eigentlichen thema gibt veranlassung, die organe, mit denen die menschliche spräche her- vorgebracht wird, anzuführen und das bild zu gebrauchen, wie mund und zunge einem Spielplatz gleichen, auf dem die einzelnen buch-

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 137

stabon^ mit einander spielen. An diese benierknng reilit der verftisser unmittelbar einen zweiten verG:leic]i: die spräche ^deicht der auf der sim- pliunie hervorgebrachten musik; wie diese durch das zusammenwirken von taste imd saite hervorgebracht wird, so erzeugt das verbinden von consonant und vocal die menschliclic spräche. Beide vergleiche Averden dann durch figuren veranschaulicht, welchen eine eingehendere erklärung folgt. Wie nun das häkchen der taste und die saite zusam- mengreifen (Itoidd) müssen, um den ton hervorzubringen, so müssen sich auch consonant und vokal verbinden, \\w\ den einfachsten klang der spräche und poesie zu erzeugen, und diese Verbindung ist die hending. Mit dieser sind Avir unwilkürlich zu dem grundpffMler der skaldenmetrik geführt und Avir verstehen, weshalb unsere abliandlung sich unmittelbar vor dem Hattatal, diesem sammelgedichte altislän- discher versarten, befindet: sie ist die naturgemässe cinleitung zu dem- selben.

Anders liegt die sache in der zweiten fassung der abband lung. Hier ist dieselbe aus ihrem zusammenhange losgerissen und bildet ein in sich abgeschlossenes ganze, das sich nur durch die cähnlichkeit des inhalts mit dem vorhergehenden und folgenden ganz oberflächlicli berührt. Indem dies aber vom Hattatal losgetrent Avurde, bedurfte es einer volstcändigen Umarbeitung. Dies sah selbst ein so wenig begabter bearbeiter wie Ärni ein. Allein wohin wir auch blicken mögen, überall sezt diese neue arbeit die alte voraus, jene selbst ist ein ziemlich kläg- liches werk, nur zu oft ohne einsieht und Überlegung niedergeschrie- ben. Man vergleiche gleich den eigentlichen eingang, den anfang von cap. 2 (AM. n, 46. FJ. 50 ^^ fgg.): ]su liafa pesser lutcr^ hlioct, sii- mcr rqdd ok snmer mal, sem sagt var. Die lezten werte (scm sarjt rar) sind volständig unverständlich, da vorher kein wort von dem gesagt ist, Avas hier angedeutet Avird. Nun hiess es aber in der ursprünglichen fassung (AM. H, 364, 4 fgg. FJ. 56 ^^ fgg.):

En J'Hpja Miofts grein er sii, sem menninir hava; pat heiter hlioä oh rodd ok mal.

1) Ich gebrauche dies wort im anschluss an das staßr des textes.

2) Die norwegischen eigentümlichkcitcn, die wir mehrfach im cod. W finden, erklären sich cbenfals aus der annähme, dass Ami der Schreiber sei. Arni stamte aus dem Avestlichen Norwegen, avo Laurentius seine mutter I*urid kennen gelernt hatte. In der altertümlichen kirche A'on Borgund, die noch heute den wanderer zum besudle ladet (Du Chaillu, Im lande der mitternachtssonne I, 417), ist er getauft; in den anmutigen gefilden dieser gegend hat er seine erste Jugend verlebt (Bs. I, 807. 820).

13S MOGK

A'orlier sind hier die geräiische der demente, die stimmen der tlere erwähnt. Sacligemäss geht der Verfasser nun zur spräche der men- schen über. Diese ganze entwicklung hatte der Überarbeiter vor äugen, als er jene werte schrieb, und da er niclit weiter darüber nach- ilaclite, dass bei ihm erst folgen solte, was er in seiner vorläge gelesen hatte, so fügte er jenes an und für sich ganz sinlose sem sagt var iiinzu.

Ferner lieisst es (AM. II, 4Si<^fgg.; FJ. 51 i'^): I fyrsta hrhig

cru ftorcr stafcr Es ist also von den spiclplatzringen die rede,

von denen vorher gesagt ist: ok V hrimjar erit um l)a stafi slegncr ccta sctfcr f ?}faals luetti. Die ganze stelle ist uns widerum volständig dun- kel; wenn wir die figur im cod. U nicht hätten, wüsten wir gar nichts mit ihr anzufangen. Sie sezt diese voraus und weist demnach schla- gend auf den vorrang von U hin. Ja am Schlüsse dieses absclmittes können wir noch deutlich sehen, dass der Überarbeiter jenen ring vor sich gehabt hat, sonst könte er nicht sagen (xlM. 52, 6. FJ. 52^8): Titlar cm her sva ritattar scm i qärum ritxluettl, da doch weder vor- her noch nachher der iitJar erwähnung getan wird. Auch das ganze fünfte kapitel (AM. II, 56 fgg. FJ. 53 -- fgg.) sezt die zweite figur des cod. U (AM. s. 368. JF. 57) voraus und wird erst durch sie über- haupt verständlich.

Zum glück hat der Überarbeiter so ungeschickt gearbeitet, dass es uns nicht schwer fallen kann, selbst ohne hülfe der kürzeren fas- sung den echten alten kern herauszuschälen.

Ich finde in der arbeit eine dreifache quelle des Schreibers und zwar:

1) den kern, welcher, von einigen misverständnissen abgesehen, ziemlich mit der kürzeren fassung übereinstimt.

2) interpolationen, die aus dem 1. traktate abgeschrieben sind.

3) bemerkungen des Überarbeiters namentlich am eingangc und Schlüsse, welche durchweg mönchsweisheit enthalten und zu den sprachlichen bemerkungen passen wie die faust aufs äuge.

Am klarsten zeigt punkt 2, dass in der ausführlichen fassung unserer abhandlung eine überarbeitende band tätig gewesen ist. Dass der 1. traktat viel früher als die junge gestalt des sogenanten zweiten entstanden ist, steht unumstösslich fest. Beide stimmen in verschie- denen stücken wörtlich überein; diese Übereinstimmung ist so gross, dass sie sich nur als abschrift des einen aus dem andern erklären lässt.

3Ian vergleiche:

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 139

(AM. n, 52, 5. FJ. 52-"'): dazu aus dem 1. trakt. (AM. II,

lief er titiiU elhi ein La)' ciJll iil 38 2. VD. 13''):

stafs, hcJhJr er Inuin tll shijriit(jar TitiiU hvfcr enn ckki eäU iil shifs^ ritx. etui licuin er J)o Iil slnjuditHjdr

ritx (natüiiich ist dies die einzig

richtige lesai-t).

Yeranlassiiiig-, jene bemerkung einzufügen, gab das lilUir ero sra rilajjir her scm i oprum rilrJuetti (AM. II, 3G7, ,,. FJ. 59 -'i). Mit diesen werten schloss regelrecht die erkliirung der figur; ein weiteres eingehen auf die titlcir war nicht bezweckt, ja wäre überhaupt unan- gebracht gewesen. Allein der schreibselige Überarbeiter ist nocli nicht mit jener bemerkung zufrieden^ dass die tilkir eigentlich gar keine buchstaben sind, er muss uns auch nocli die etymologie des wertes iiUill geben, natürlich auch nur aus dem 1. traktate.

(AM. II, 38 11. YD. 13 i«.) (AM. II, 52, 4. FJ. 52 ^o);

Tilcin heitir sol, eii J)aä(i)i af er Sol heiter Titan, heiter padfni af

niitihat pat uafn, er titidus er a titiilns i latimi, er ver hol tum

latinu; titull hveäum ver pat er titiil, pat er sein lilil sol, pviat

seni litil sol se, pviat sra sem sol sva sein sol lysir heim allein , sva

hjsir pars aar rar niyrld , pa hjsir lysir titull ont reit ritin. sva titull bok, ef fyr er ritinn.

K'ach diesem isidorischen erklärungsversuche, welcher sich in der ersten abhandlung mitten in der erklärung der einzelnen buchstaben befindet, fährt der Verfasser von I mit der darstellung der einzelnen buchstaben fort. Das veranlasste auch den Überarbeiter der zweiten abhandlung nochmals zu den buchstaben zurückzukehren. Er übersah dabei ganz, dass er etwas zu pergament brachte, was er schon (AM. II, 48. FJ. 51) im grossen und ganzen gesagt hatte. Bei dieser gele- genheit fügt er noch eine bemerkung über x und x- (AM. II, 54 ■'. FJ. 53 ^) hinzu und zwar Aviderum aus der 1. abhandlung (AM. II, 34 o FJ. 12 rj), ohne auch nur daran zu denken, dass sich diese nicht recht in einklang mit seinen früheren werten bringen lässt.

Es folgt ein neuer abschnitt, der abermals wörtlicli aus der 1. abhandlung genommen ist.

(AM. n, 30 !•'. YD. 10 12.) (AM. II, 54 k^. FJ. 53 •'.)

Enn fyr pjvi nu, cd sinnir sam- Enn fyrer pvi nii^ at sumer sam-

hlioctendr hafa sin likneski ok nafn hliodendr hafa sitt likneski ok nafn

ok iartein, en sumir hafa hofnä- okiartein, enn sumer hafa hofud-

stafs likneski ok nafn ok iartein, stafs likneski ok skipat stqfum,

140 MOGK

cn sfonf'r hnfa liofuäsfnfx Iili)cshi nnf s?n}frr i )mf)U oh aulit at- olc i^ki'pat sfoffn)i samra i nafni hrffdi bccdi iiafus ok iartcijtar, oh auhlt athrrcdi hrciH nafns oh cnn sumcr Itnllda lihjfr.^hl sf}iu oh tarfcifiar, cfi sm/fir IntUda lihficshi er Jto nn}nihaf aihrccdl unfns sinn, oh er J)o nihuihaf athvccdi pcira oh iartcin s?( , er Jtcir shida ?iaffis peira, oh iarfrifi sn , er J)cir bcra i malinu pcirl lih er i nafn- shuh liafa i nidlinii, shal peiri iiui rerctr; pa shal nu stjua leita lih er i nafnifiN rerda, Jm shal bccdi lihjieshi J)cira oh sva iiqfji }U( sf/na leita bccdi Iih)ieshi peira fyrer ofan ritud, at yfrr pri})i oh sva tiofn fffr ofan ritin, at Diecji nu allt sanian Uta er aaär ijfir ])at meyi nu allt satna// Uta, rar su}ulr lausliya um rcctt. er adr rar sundr JausJega um rcctt.

Hierauf folgt in beiden abliandlungen das grosse und kleine alphabet, in II. ^vie der herausgober in AM. ganz richtig hervorhebt „non sine confusione."

Der vergleich der oben angeführten stellen bedarf avoI keines kommentars, um die herübemahme des Überarbeiters aus der ersten abhandlung als tatsache hinzustellen. Schauen wir jezt auf die beiden andern teile des überarbeiteten textes, auf den eigentlichen kern und die theologischen bemerkungen des Verfassers. Auf den ersten blick tritt uns hier ein auffallender gegensatz vor die äugen. Auf den kla- ren, logisch strengen gedankengang der ursprünglichen fassung in U machte ich schon aufmerksam; diese gedanken hat der Überarbeiter im ganzen beibehalten. Wo sich U mit W deckt, ist alles rein sachlich, die spräche ist edel, aber ohne jeden rhetorischen schmuck. Von einem hinweis auf gott finden wir keine spur. Ganz anders der eingang und der schluss der Überarbeitung. Bemerkungen ohne allen Inhalt, Unklar- heit, tautologien und rhetorische Wendungen, in denen der dichter sich nicht verleugnet (man vgl. die bindungen shrfjddr oh prfjddr, neyti oh vjoti, limir oh lidir)^ eine breite, oft widerliche spräche, die öftere Ver- bindung coordinierter sätze durch eda statt oh, dabei stete seufzer zu gott und zum Schlüsse das grosse halleluja auf den dreieinigen gott^ das ist das machwerk unsers Überarbeiters, durch welches er sich uns zur genüge als einen wol gläubigen aber ziemlich beschränkten kleriker vorstelt Seine eigenen worte mögen zeigen, wes geistes kind er war: (AM. II, 44. FJ. 50.)

Xu fijrer Jni, at madrinn se shynsamlcgum. anda shryddr oh pryddr, pd shilr liann oh greiner allra luii giqrr oh glqggra, en onnur hyhvendi. pa neyti oh nioti pess laus med giidi. hiarta mannz. hen- ner all^ oh vid hiartat liggr bccdi barhi oh velendi oh andblasnar

UNTERSUCIIUNGEN ZUR SX. EDDA I 141

oiäar renna J>ar upp oh rcctax hceiti Jicer cc3.ar, er hcra vind eita hlastr, hIo(t ccla Uo(t, ok a cuuian vcg liorfa pccr sva, at jKcr madax, viä tinnju ra-tr }ticd Jn-i hrcrr er Jnwf; rcfi/t ok rodd iipp l])rcr licerlu oräi. Juirf ok )ne(t ordi hverin priar pessar g reiner: niinni ok rlt ok skilniny; inlnnl at niaiia orda atkvcedl, vit at luajsa hcat liann vill mcekij skilnuKj til pess, livat l byr ordiounn.

Und weiter lieisst es am Schlüsse: (AM. II, 58. FJ. 5-iio).

Osamia, seger Jioii (tiiii(ja)i) , pat pydix a raura tiuiyn sra: yrced Jm oss. P^fifi J)at er a ehreskit mcelt, ok stakk ha)ia )iattarau til pess fyrer pvi at hon rar fyrst ok yekk pa ifin allein heim, Jjanyatiil er ynd skipti pei))i. Xn seyir par til, at henni pwtti heuin vera styri- madrinn, er hann. skapadi hana ok af kristx nafni er kristnin koll- ud. Ver^ er kr istner eruvi, kolUini hami hofud vädrt, enn ver hans linier ok lidir, ok hans sonr er sa, er hann sendi hinyat i heim, ok sa er vädrr fader, en ver licins born. Var ok faderinn vcenliyr til at stiorna sinum bornum sva sem bext yeyndi; var pi ordit or messunni til tekit, at liann vissi hverr lofsonyr honum potti mestr framm fl/ittr pessa heims vid sik sialfan, er par ok vaeir hialp oll i folgin, er um hans pisl er rcett ok seiar, er liann poldi a krossinum helya er or rann bcedi blöd ok vat)i, ok i pi erum ver skirdir, er reit truum a almattk- an giid. Ok pat hans holld ok blöd, er i messunni er framm fhät, er vart farnest, pa er ver forum af pessum heimi. Nu skal fjat vaan vaar at vcetta fjess at sva fremi farix oss vel, er sva verdr sem hann hefer fyrer sied, at bcedi se at hann er i fqr med oss ok ver med honum, pa er ver forum heim til fodurleifdar vaarar; ok pa er hann hefer skipt sinn lidi sier til hcegri handar epter clomsdag, pa skulum ver hefja npjp eiUehda fyrer pvi at pat er eigi iardneska sqngr; syngia P>etta pa aller saman tili fylki guds engla ok manna, pa er almattigr gud ferr medr sina ferd heim i himinrikis dyrd ok skulum pa una i sifellu sva at alldri skal epter verda med gudi almatkum par sem heinn er ok ce med fedr ok syni ok helgum anda, sa er Ufer ok riker einn gud of ciliar allder verallda. amen.

Die aDgefügteii stellen glaube ich genügen, um mein urteil über den Überarbeiter zu rechtfertigen. Hervorgehoben sei nur noch, dass die bemerkungen über das Ösanna und das Alleliija aus Isidor (Orig. YI, k. 19) geschöpft sind, alles andere ist z^yeifelsohne machwerk des Überarbeiters selbst. Yon all dieser theologischen Aveisheit hat die kür- zere fassung in U kein wort. AYenn wir nun auf der einen seite die als tatsache erwiesene herübernahme aus der ersten abhandlung im

142 iiOQVi

au^-Q behalten, dazu die volstiiiulii;o verscliiedonlicit aucli der anderen stücke, auf der anderen seite aber hervorheben müssen, dass von allen diesen die fassung im cod. Ups. nichts hat, so glaube ich, liegt es auf der band, avo der ursprüngliche text unserer abhandlung zu suchen ist. Auf diesen werden wir aber auch geführt, wenn wir endlich noch ilen kern in der ausführlichen fassung mit der kürzeren vergleichen.

Bereits die oben betonte tatsache, dass die fassung in W die in U voraussezt, niuss uns für leztere handschrift einnehmen; weitere oft ganz widei*sinnige auffassungen und anderungen nötigen uns für immer mit der ausführlichen fassung zu brechen.^

AM. II, 48 '. PJ. 51 1- heisst es in W:

Mui1ri/nf rr IrikroJIr onfamuf, rn tiDtcjau stijrüt.

U hat nur:

Miijn'iun ok iH))fja)i rr h'ihvolJr orjxtiuia.

Lezteres ist das allein richtige. Der Überarbeiter von W ist ganz aus dem bilde gefallen, indem er auf den Spielplatz auf einmal das schifs- steuer bringt, denn nur dieses bedeutet sfpri. Doch selbst angenom- men, sfi/ri sei an unserer stelle das holz, mit dem man den spielball zu schlagen pflegte, das luatttre oder die knaüyiklra, wie es einmal in der Grettissaga (s. 27 2^) heisst, so zeigt doch der ganze Zusammen- hang, dass dies hier unangebracht wäre: Auf der zunge spielen die feststehenden „buchstaben" gerade so wie auf den lippen, und der gaumen ist nicht weniger tätig als diese beiden teile unserer sprach- werkzeuge.

Xach der ersten figur (AM. s. 367. FJ. 57), welche sich ja nur in U befindet, auf die sich aber der text beider fassungen beruft, heisst CS in ^\ (AM. 48^^. FJ. 51 1-^):

I fijrsta liruig eru fiorer stafer, er heita hofnästafir, pa ma tu cinslis (uinars nyta, cnn vera iipphaf oh ftjrer octriwi stofuni J). v (so heisst es natürlich für das handschriftliche y). h. q.

In U dagegen haben wir (AM. 366 1. FJ. 58 i): / fyrsta bring ero IUI stafir; pa ma til enslds annars mjta en vcra fyrer ojn'um stop im

Aus versehen liatte nun der ursprüngliche aufzeichner oder der Schreiber der vorla^-e von U die an dieser stelle notwendigen buch-

en

1) Ich kann mich hier etwas kürzer fassen, indem ich auf die gründliche ncbeneinanderstellung von F. Jonsson s. XVI fgg. verweise. Es sind hier hauptsäch- lich die .stellen herausgogiiffen , die F. J. nicht berühil oder die ich anders aufzufas- sen gezwungen bin.

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 143

stabon />. r. h. q wog'gelassen und sie unter dem runenzeiclien p' an den rand geschrieben. In dem uns erhaltenen cod. U sind sie aber falsch eingetrag-en und eine zeile zu tief gekommen (ein recht charak- teristisches beispiel für den flüchtigen und gedankenlosen Schreiber von U!). Dabei hat der Schreiber \\)\\ U nicht unterlassen, in seiner fahr- lässigen weise auch das ^ mit in den text aufzunohmon. Auf sfoftnn. muss also folgen: /;. v. //. 7. Dies gibt allein sinn und recht guten sinn. Die note zu AM. II, 30(5: „/), It , q ad primum, p' ad secun- dum, // ad tertium circulum pertinet'^ ist ohne sinn. Dass die rune hier nicht am platze und einfach durch jenes schreiberversehen in den text gekommen ist, liegt auf der band. Wie aber dieses zeichen gebraucht wurde, um versäumtes nachzuliolen, zeigt z. b. die Konungsbuk der Grägäs (GriUjds III, Styll-cr, soni fnidcs /AM. 351 fg. usw. s. 483). Und dass man y so hat die handschrift nicht als bilabiale tönende Spirans auffasste, ist nicht recht verständlich, da ja diese Schreibweise für V in den isländischen handschriften ziemlich oft vorkomt (vgl. z. b. Gislason, Um frumparta s. 61 fgg.)- ^ Prüfen wir nun aber die stelle auf ihren inhalt hin. Nach AV sollen sich h, v, p, q nur im anlaut und vor andv'ren buchstaben finden. Das ist unrichtig, denn in allen handschriften können Avir r und q /> bleibe zunächst noch bei seite auch im inlaute finden. (Gislason a.a.O. s. 61fgg. 82fgg). Es kann allein nach U heissen: p, h, v, q finden sich nur vor anderen buchstaben, d. h. sie konnnen nie im auslaut vor.^ Dass aber der Überarbeiter von W gerade auf das vera iippltaf einzig und allein den ton gelegt hat, beweist das folgende, denn er bringt durch diese auffassung einen zwei- ten unsinn in seine arbeit, der sich auch in den folgenden teilen sei- ner Überarbeitung widerfindet. Da nämlich unser kleriker von der annähme ausgieng, dass jene laute nur im anlaute vorkommen, bezeichnet er sie als liqfiKhiafir {er heita Itofnästafir AM. II, 48 ^^. FJ. 51 1^). Und als er nach einer stelle aus dem 1. traktate (AM. II, 52 1. FJ. 53^) von sich selbst abschreibt, widerholt er diese auffassung, die er höchst wahrscheinlich aus der 1. abhandlung erschloss, ohne dabei zu mer- ken, dass hqfiiästafr in dieser eine ganz andere bedeutung hat. Hier hat nämlich das wort durchweg die bedeutung „majuskel." Der Über- arbeiter wirft also den buchstaben, der nicht im auslaut stehen darf, mit dem zusammen, der nur im anlaut vorkomt, er vermischt weiter

1) Ygi. dazu Fiiinur Jonsson (s. 91 fg.), der sich ähnlich aiisspriclit.

2) Brenner betont ebenfals (a. a. 0. s. 275) , dass unsere stelle auf mcMs ande- res hindeute, als auf die unfäliigkeit dieser vier buchstaben „im woii- (und silbcn-) auslaute" zu stehen.

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konsonant im aiilaut und inajuskel gonug Zeugnis, dass er selbst für die einfochsten dinge wenig vei-stiindnis hatte. ^

AM. II, 50 ^'\ FJ. 52^ lieisst es: a i o //. pcsscr giora cinar sawan taot'il ^''<^' ^'^'^ shanii mal giqra J)cir siaJfir. Die vier vokale a, i, 0, 1/ fehlen in U, mit vollem rechte, denn:

1) alle vokale Jwsscr geht auf die laute im dritten ringe der figur können ein wort ausmachen, nicht nur jene vier;

2) AV komt mit sich selbst in Widerspruch, da es später wie U auch ij, (c, cy (ci) unter den beispielen anführt.

Das widersinnige af luicigingum (AM. II, 52 ^. FJ. 52 ^") in W ist schon von Rask nach U verbessert.

Dass AM. II, 52^1 FJ. 52 ^^ überall die einfache majuskol für die verdoplung steht, ist auch niclit richtig, wie Avidcrum die figur und jede handschrift aus dem 13. Jahrhundert zur genüge zeigen. U hat die verdoplungen richtig.

So zeigt sich fast an allen stellen, wo die frage an uns heran- tritt: welche fassung enthält das richtige? dass U nicht nur die ricli- tige, sondern überhaupt die einzig mögliche lesart bietet. So lange man aber dies nicht erkant hat, wird man weder dem Verfasser auf die spur kommen, noch die bedeutung der abhandlung begreifen. Wir müssen dieselbe volständig aus der gemeinschaft der grammatischen abhandlungen, in die sie nur der niönch von J)ingeyrir gebracht hat, los- trennen imd sie mit IJ als teil des werkes betrachten, dem sie allein angehört, der eigentlichen Edda.

1) Finnur Jonsson nimt die lesart vön ^" in den tcxt auf (s. G3-^), jcdosfals ini hinljlick auf die imcUrstafir (65^), d. i. die konsonanten, die uicht im anlaute stehen düifen. H'^fuästafir komt in der nordischen spräche in zwiefacher bedeutuug vor: im ersten grammatischen traktate als majuskel und in Suorris llattatal als hauptstab des halbverspaares, der in der skaldendichtung den zweiten halbvers begint und den Stabreim der beiden vershälften beherscht; nach ihm richten sich die studlar Olöbius, Hattat. 11, 1 fgg.). Im einen wie andern falle haben wir sprach- lich richtige Zusammensetzungen, denn hqfud- als ei-ster teil der composita bezeich- net sowol die räumliche grosse als auch die hervorragende Stellung, die der zweite teil der Zusammensetzung in seiner gattung einuimt. Anders stände es mit der erklä- rung des hf^fudstafr in der vorliegenden abhandlung, selbst wenn wir das wort übersetzen könten „buchstabe, der nur im anlaute vorkomt.'' Dann könte einer der vier buchstaben doch nur hqfudstafr der buchstaben des wertes sein, an dessen spitze er steht. Fast jedes andere wort hätte einen andern hqfudstafr und wie viel buchstaben berechtigt sind, an der spitze eines wertes zu stehen, so viel wären auch berechtigt, hrifuästafir genant zu werden.

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 145

Der Verfasser der abhandlunji' und ihre bedeutung.

Das sicherste zeugnis, dass das ganze curpus eddicuni von Snorri 8turluson oder wenigstens unter dessen loitung veifasst ist, ist unzwei- felhaft die älteste Überlieferung selbst; es sind die schon oft citierten Worte, welche an der spitze der Upsalaer handschrift stehen und vom Schreiber jdes codex oder wol eher von dem seiner vorläge heiTühren:

Bök pessi lieitir Juhla. Ha/ui hcfir .s(unans(tta Snorri Sfurlusoit epiir Jteiin luftti, sem her rr skipaf: er fyrsf frn dsum ol: Ytni, Jxniupst Sh(/(Islapaf )/fäI oh lieiti manfru Iduta, slitdst Ihiftdfal, er Snorri J/rfir ort inn Iläkott lonniu) ok Sküla Itertaija.

Dies unzweideutige zeugnis konte man nur über die achsel ansehen, so lange man annahm, dass die interpolierte gestalt der Edda die ursprüngliche sei. In Deutschland dürfte wol jezt die Irrigkeit dieser annähme bei allen feststehen, die sich eingehender mit Eddakritik beschäftigt haben. Für Skäldskaparnu'd hat es Müllenhoft' (DAK. Y, s. 177 fgg.) zur genüge gezeigt, nachdem ich bei Gylfaginning (Pß. Beitr. VI, 499 fgg.) und Hättatal zu gleichem resuitate gelangt war (Zs. f. d. phil. XIII, 238 fgg.). Was sich für diese drei hauptteile der Edda ergab, zeigte aber auch die eben durchgeführte Untersuchung für den abschnitt, den man als granmiatischen traktat aufzufassen pflegt. Nun weiss aber der cod. IT nur von jenen drei hauptteilen der Edda, dass sie Snorri zum Verfasser haben; von den sprachlichen erörterun- gen erwähnt er nichts. Dass diese aber nicht besonders hervorgehoben sind, hat bei näherer betrachtung seinen guten grund.

Abgesehen davon, dass der Schreiber der Überschrift, wer er auch gewesen sein mag, jene wenigen seiten leicht als nebensächlich über- gehen konte, scheint er dieselben gar nicht als abgeschlossenes ganze aufgefasst zu haben, sondern als teil desHättatals, der zu diesem ebenso gehöre, wie der formäli zur Gylfaginning, oder die erzähl ung von dem göttergelage bei^Egir zu den Skäldskaparmäl. In diesem falle brauchte er aber jener sprachlichen erörterungen ebensowenig erwälmung zu tun, wie dieser einleitenden bemerkungen oder erzählungen. Dass aber der kern dieser kapitel denselben mann zum Verfasser hat wie die übrige Edda, legen verschiedene erwägungen mindestens sehr nahe.

Alle teile der Edda, welche mit ziemlicher bestimtheit Snorri zu- gesclmeben werden, beginnen in katechetischer form; dass dieselbe nicht bis zum Schlüsse durchgeführt ist, beweist wie so vieles andere, dass Snon-i sein hauptwerk in unfertigem zustande hinterliess. Dem entsprechend beginnen auch unsere kapitel mit dpr frage: hrat er

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. -LO

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hljöäsgrein? die antwoit uiul die weitereu tragen und antworten ent- sprechen ganz dem oingang dos Hattntalsi.

Ferner zeigen die wenigen Seiten, soweit wir sie mit ziemlicher bestimthoit dem Snorri zuscln-eiben können, dieselbe klarheit im aus- driick und dieselbe behersehung der muttersprach o. Ellipsen, die uns in den übrigen teilen der Edda so oft entgegentreten, wie svd ok, seni her u. dirl.. finden wir auch hier. Ein weiterer umstand komt hinzu. Man hat es auftiillig gefunden, dass unsere bemerkungen so weit ausholen und mit dem einfachen naturlaute beginnen. Aber gerade das ist, was ganz entschieden für Snorris Verfasserschaft spricht. Alle seine werke begin- nen ab ovo: die Heimskringla, wie schon der nanie sagt, mit dem erdkreise und führt dann mit den aus Asien eingewanderten äsen hin- über zur geschichte des skandinavischen nordens; die Gylfaginning mit der Schöpfung von himmel und erde; auch hier führen die wanderungs- sagen hinüber zu der götterlehre der alten nordländor; die Skaldskapar- mal beginnen mit einem gelage, das der meerriese ^Egir gemeinsam mit den göttern hält, und hierbei ist es der späte dichtergott Bragi selbst, der jenen in die geheimnisse dichterischer Umschreibungen und ausdrücke einführt. Auf ähnliche weise beginnen die vorliegenden bemerkungen mit dem einfachsten tone der elemente, gehen dann zum laute der tiere über und von diesem auf den laut der menschen, der der einfachste bestandteil seiner spräche und dadurch auch seiner dicht- kmist ist.

Nicht ohne bedeutung ist auch die benutzung der abhandlung und die art dei*selben durch Olaf pördarson, dem lieblingsneö'en des grossen forschers, der in Snorris sinne die wissenschaftlichen plane des oheims fortsezte. Dieser hat ausser anderem auch unsere abhandlung benuzt. Es heisst doch den Sachverhalt geradezu auf den köpf stellen, wenn man ohne triftigen grund die zweite abhandlung gleichsam ein echo der dritten nent.

1) Müllenhoff (a. a. o, s. 167 anm.) sagt: ^diirch die frage hva erä hlioäsgrein? mit der antwoit prenn hrer scheint allerdings der aufang in u der katechetisclien fonn der Edda angepasst zu sein." Diese auffassung ist mir nicht recht verständlich. Nach Prenn gehört natürlich ein punkt und nach hver ein fragezeiclien , sodass wir hi'^^'r denselben eingang wie im Hattatal liaben: Hvat er setniny Juitta? trenn. Hver? tala ok grein. Wenn die katechetische fonn nicht foiigeführt wird, so kann dies doch nicht die unursprünglichkeit erweisen, denn auch in 8km. und dem commentar zum Hattat. ist sie nicht bis zum ende durchgeführt. Ja die katechetische form weiter zu führen, wäre nicht einmal angebiacht gewesen, da die ausfühi-ung über die drei arten des lautes eben die antwort auf die zweite frage ist.

UNTERSUrHUNGF.X ZUR SN. EDDA I 147

Es steht zunächst fest, dass TT uiid TTT" (d. i. der ^grammatische teil von TII) auffallende iibereinstimmuivi;(Mi halben, die nur aus gegen- seitiger oder gemeinsamer entlehnung sich erklaren lassen. Ich komme kurz auf diese zu spreclien, da sie auch fiir Snorris bemerkungen (II) nicht ohne interesse sind.

Wie II mit der frage begint: Was gibt es für arten des lautes? so gellt auch Olaf vom laute, hljöä, aus [AlU rr Jf/J6(f, pat er tun kn'Lrcndis cfjnf wd sk/'IJa Björn Olsen s. 3)^-), und die überscliiift in der ursprünglichen fassung, in der handschrift AM. 748. 4^, lautet: at (jrcina hljöif. Als laut fasst Olaf demnach alles, was man mit den obren wahrnehmen kann. Ganz dasselbe versteht ja auch der veifasser von TT imter Jiljöft. Dann geht Olaf auf den verschiedenen Ursprung des tones ein und zwar zunächst auf den ton lebloser gegenstände. Er unterscheidet dabei bewegliche und unbewegliche dinge, die töne erzeugen; zu ersteren rechnet er wind und wasser, zu lezteren steine, metalle und saiten, die durch berührung mit anderen gegenständen einen ton hervorbringen (s. 34). Dazu vergleiche man die werte in IT: pat er ein (frcin Jiljöäs, er pytr vectr rcta vciUi nta srcr rcta l'jqnj ctta jqrä ecta grjöt hrynr. Dann wird auch hier weiter erzählt von (Umu tone, er malniarnir gera und endlich: pat gera hqrpfirnar. AVir sehen also dort wie hier ganz dieselbe gliederung.

Die zweite art des tones bringen die lebenden wesen hervor. In beiden abhandlungen folgt dies auf jenes.

IL (AM. II, 36410. FJ. 62 n). ITT. (AM. IT, 64. B. 0. 35^1).

Onnur hijöcts grein er sü, sem Af lifandi lihitu)H Jjeint, er sLgjt

fuglarnir gera ecta dyrin ok se hafa, verär an)iai hljoä, Juit er

kijqvincli; pat heitir rodd. rqdd heitir.

Während darauf aber II in der darlegung der stimmen der tiere fortfährt, knüpft der Verfasser von Iir' nach einigen bemerkungen über die Sprachorgane, die ebenfals II entnommen sind, die erklärung der „vox" nach Priscianus an (35 ^^ fgg.). Hierdurch ist auf einmal Olaf zu der spräche und durch diese zur schrift geführt; er gibt erklärun- gen beider nach seiner lateinischen quelle; wie er so plötzlicli zu die- sen gekonnnen ist, geht aus dem inneren zusammenhange nicht her- vor; sie erklären sich nur aus dem Avechsel der quellen. Mit Priscianus ist er auch zu dem stafr gekommen, dem buchstaben, als dem klein- sten gliede der spräche und dem grundpfeiler aller dichtungi. Ganz

1) Dass Olaf wie Snorri den gesproclieuen laut und das gpschiiebeue zeichen zusammenwirft, darf U7is nicht wiuider nehmen.

10*

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anders in II. Auf den laut der tiere, der hljoit und rockl zugleich ist, folgt die spräche der menschen, die in sich l/ijöd oh' rojkl ok mal ver- einigt: die uuzertrenlichen begleiter dieser sind gedächtnis und ver- stand.

Wir sehen also, dass nicht nur II und III gleichen ausgangspunkt haben, sondern dass sie auch ein bedeutendes stück neben einander mai-schieren, und zwar so lauge dem (')laf seine lateinischen quellen keinen stoff gewähren. Schon hierin liegt, dass II auf keinen fall III benuzt haben kann: dort geht die klare entwicklung ununterbrochen fort bis zum ende: der einmal entworfene gedanke wird durchgeführt. Hier dagegen wird er abgerissen und ein neuer angeknüpft. Aber die beiden arbeiten II und 111 haben wol auch nicht eine gemeinsame quelle gehabt. Ware dies der fall, so müste sich diese mit II im liin- blick auf dessen logische entwicklung decken. Ich kann aber beim besten willen niciits linden, was diese annähme stützen könte. Kein wort spricht dafür, dass in II ein alter lateinischer grammatiker benuzt sei. Björn Olsen hat dies wol behauptet (Om Runerne s. 70), aber mit keinem worte zu beweisen gesucht. Auch für eine gemeinsame islän- dische quelle lässt sich nichts vorbringen. Dass hljöäsgreiv im ein- gange von UI\ also in den teilen, die im ganzen mit II übereinstim- men, in derselben bedeutung vorkomt wie in 11, während es in den späteren abschnitten das Priscianische towr widergibt, dass Olaf hljöit- stafr ebenfals im eingange einmal als heimischen ausdruck für vokal gebraucht, während wir sonst bei ihm als Übersetzung des lateinischen „vocalis" raddarsiafr und der „consonans" samhijöäandl finden, bew^eist doch wahrlich nicht, dass die Übereinstimmung aus gemeinsamer vor- läge stammen muss^. Warum soll sie der Verfasser von III nicht auch aus II haben nehmen können? In II sind die einmal gewählten gram- matischen ausdrücke bis zum ende gleich, sodass auch von dieser seite die abhandlung ihren einheitlichen Charakter bewahrt. Dagegen spricht alles dafür, dass II von Olaf in IIP benuzt worden ist: im anfange folgt die einleitung von IIP II treulichst, sobald aber mit der erklärung der spräche die lateinische quelle da ist, springt der Verfas- ser von II ab und folgt dieser fast ausschliesslich, abgesehen von den

1) Umhiyr, das Björn Olsen ebenfals für seine ansieht anführt, beweist eben- sowenig. In ITT findet sich stets Uiiiinffr oder das grieeh. diphthongos der vorläge. Nur einmal (s. 47^^) heisst es: Girlir Lalla Jtnnn staf dlplithomion, pat er tfi- hljoär ä norrcpna tunf/ii. Diese stalle ist aber eine einfaclie Übersetzung von Pii- scians (I c. .öO): Diphthougi autem dicuntnr. quod binos phthongos, hoc est voces, comprehendunt.

UNTKIJSUCHUNGEN ZUK SN. KDDA I 149

abschnitten über die runen, avu lt andere (quellen aussehreibt. Die zweite abhandlung ist in ihrer ursprünglichen gestalt ein einheitliches werk vuni anfang bis zum ende, Olafs ein zusammengetragenes; jenes entspricht seinem charakter nach ganz der Edda in ihrer ursprünglichen gestalt, dieses ganz dem überarbeiteten texte, jenes hat nationalen, dieses humanistischen anstrich. Ich trage daher kein bedenken in II die quelle des ersten teiles der Olafschen abhandlung zu finden und hierauf einige weitere Schlüsse zu bauen.

Fragen wir uns, wie hat Olaf seine aufgäbe im ersten teile seiner sprachlichen abhandlung gefasst und was muss infolge dessen seine ansieht über II gewesen sein? Hierüber kann nach seinen eigenen Worten, wie sie im 5. kapitel (BO. s. 51) vorliegen, kein zweifei her- schen : durch die Verbindung gleicher consonanten mit gleichen oder ver- schiedenen vokalen in je zwei Wörtern entsteht die lianduuf^ d. i. der reim (binnenreim); ihm ist also die ganze abhandlung über die buch- staben der Wegweiser zum Verständnis der dichtkunst, über die er im zweiten teile seiner abhandlung (IH'') Untersuchungen anstelt. Das metrische berührt er dabei nur ganz obertlächlich , Aveil es schon im Hättatal und dem commentar dazu genügend erörtert war^; ihm kam es mehr auf die dichterische spräche, die poetischen hguren u. dgl. an, die einzige seite der dichtkunst, die Snorri in seiner Edda nicht behan- delt hatte, und so solle seine abhandlung diese gewissermassen ver- volständigen. Da nun Olaf sprachliche und grammatische darlegungen als vorstirfe der metrischen für nötig erachtete, da er weiter sich fast überall bei seinen arbeiten Snorri zum vorbild nahm, da ferner von ihm II oft'enbar benuzt ist, so liegt der schluss nahe, dass er auch hierin sei- neui vorbilde folgte. Er fasste die dem Hättatal vorangehenden kapitel als einleitung zu diesem, und nach alle dem, was wir über das Ver- hältnis von Snorri und Olaf wissen, sind wir zur annähme berechtigt, dass er diese auffassung Snorris eigner person verdankte.

Zu all diesen inneren gründen, die dafür sprechen, dass Snorri der Verfasser jener einleitenden kapitel ist, tritt ein äusserer, der uns zugleich aufklärt, wie dieselben entstanden sein mögen.

Die kapitel haben in der alten Upsalaer handschrift die Über- schrift: her segir af setnlugo hatta hjcldlsins (Sn. E. II, 364). Finnur Jönsson verwirft dieselbe. Overshifteu kattu Ikke vcere rigtiy (s. 87)

1) Vgl. Sn. E. II, 148. B. 0. s. 96: petta hoUiiin vir adalhendinfjar i skdld- skap olc taka af Pessi figüru upphaf peir hcettir, er med hendimjwn eru samcm settir, ok breytix pat d marga ver/a, sein fintia\ man i pii hdttatali , er Snorri Jiefir ort.

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und dann folgt, eine erkläriing-, die meines erachtens ganz lialtlos ist. Ton seinem Standpunkte aus kann sie allerdings niclit richtig sein, aber schon der umstand, dass doch sonst in U die Überschriften richtig sind, hätten die frage nahe legen sollen, ob der folgende Inhalt mit der Überschrift sich doch nicht zusammenbringen liisst. Gewiss findet sich in den kapiteln kein wort über die lupüir, aber unmittelbar nach ihnen, ohne irgend eine Überschrift oder ein zeichen, dass hier ein neuer abschnitt anhebt, folgen die anfange der ersten 36 visur des Hattatals mit den namen der einzelnen hccttir (abgedruckt Sn. E. II, 369 fgg.)? ein umstand, der nicht übersehen werden darf.

Wir wissen, dass das gedieht Hattatal zunächst als ein „von sei- nem commentare unabhängiges und durchaus selbständiges werk" (Mö- bius, Hättat. I, 19) um das jähr 1222 entstanden ist. Der commentar ist zweifelsohne später und nur zum geringen teile von Snorri selbst verfasst Wenn wir nun hier die stophenanfänge noch ohne commentar und nur mit aufzeichnung der namen der einzelnen hcettir haben, so muss diese niederschrift vor die entstehungszeit des commentars fallen, ja ich glaube, dass sie der erste entwiirf zu diesem ist. AVir wissen, dass Snorri abschnitte der Edda nicht selbst aufgezeichnet, sondern unter seiner leitung hat niederschreiben lassen^. Das scheint auch hier der fall gewesen zu sein. Snorri hatte einem seiner schüler den plan über die erklärung des Hattatals entworfen und den eingang, einige bemerkungen über laute und die spräche als den grundpfeiler aller dich- tung, selbst ausgeführt. Dies solte der schüler weiter spinnen und dann zimi commentar des gedichtes übergehen. Lezteren wusste aber der bearbeiter nicht recht anzufassen und so begnügte er sich anfangs mit aufzeichnung der Strophenanfänge und der namen der hcettir, bis ihm der meister den weg weiter wies. Und wie die ganze Upsalaer hand- schrift eigentlich mehr ein Sammelwerk bald mehr bald weniger aus- geführter entwürfe ist als ein zusammenhängendes ganze, so fand auch dieser erste entwurf aufnähme, der jedenfals eine ganz andere gestalt erhalten hätte, wenn Snorri die lezte band an das grosse werk seines lebens gelegt hätte.

Haben wir so in grossen umrissen die entsteh ungsgeschichte der einleitenden kapitel des commentars zum Hattatal zu entwerfen ver- sucht, so tritt als weitere frage an uns heran: Lässt sich in unserer fassung eine doppelte arbeitsweise erweisen? Ich glaube, diese frage bejahen zu müssen.

1) Vgl. u. a. auch die Überschrift in AM. 748 (Sn. E. II, 428): pvi sein fyrir fundid var i kvceäum lu^futskallda ok üiiorri hccfir sißaa sauianfccra latit.

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 151

Die erklarung der viereckigen figiir (nr. IT) zerfält offenbar in zwei teile, deren zweiter von den werten Her stcutda (AM. II, 369 •' fgg., FJ. 65, 27 fgg.) bis zum ende geht. Finnur Jonsson hat den ganzen abschnitt eingckhunmort und ihn als späteren zusatz und als eine wider- gabe des ersten teiles bezeichnet (s. 9()). Dagegen hebt auch Brenner (a. a. 0. s. 280) mit vollem rechte hervor, dass man das vielmehr vom ersten teile anzunehmen berechtigt sei, da der zweite ein ungleich kla- reres bild als der erste gebe. Wenn w'ir beide teile ganz vorurteilsfrei lesen, so werden wir sofort erkennen, dass beide dasselbe sagen, dass beide eine erklarung der figur geben; in beiden teilen werden die con- sonanten mit tasten, die vokale mit densaiten der simphonie verglichen, in beiden ist von einem reissen und stossen der saite durch die tasten die rede. Xur ist der zweite sofort volständig klar, während der erste an verschiedenen stellen rechtes kopfzerbrechen macht. Das erste wort des zweiten teiles ist her. Dies weist auf einen ganz bestimteu punkt hin, und dieser kann nur die buchstabentabelle sein. Dieser muss sich ferner unmittelbar vorher befinden, und selbst die offenbar gesuch- ten flickworte am Schlüsse des ersten teiles (sem er ritat aar l stafa seUdnginni) ändern an diesem logischen zwange nichts. Dem- nach gehört der zweite teil von haus aus unmittelbar nach der figur: mit seiner hülfe wird uns erst der erste verständlich. Dieselben män- gel, die der erste teil der erklarung der viereckigen figur hat, zeigt aber auch die erklarung der ersten figur. Diese beiden abschnitte sind es, die allein in der ganzen abhandlung Schwierigkeiten bereiten, und die prüfung wird zeigen, dass ihr Verfasser weder ein klares bild von seinem spiele gab noch von der simphonie hatte. Nun schliesst der teil, der von den lauten und der spräche im algemeinen handelt, mit den Worten: Mnärhin oh huigan er leilivqUr oräanna. Aj)ei)n velli era reistir stafir peir, er mal allt gera, ok hendir tndlit ymsa svd til at jafna sem hqrpiistrengir ecta erii lestir Igldar i simphonie. Hier ist wol der mund mit dem spielplatze der werte verglichen, aber ein ver- gleich des Spieles der buchstaben untereinander, sodass daraus die Avorte oder silben entstehen, ist nicht angedeutet, sondern ausschliess- lich der vergleich der spräche mit der musik der simphonie. Knüpfen wir nun an diesen schluss unmittelbar die quadratische figur und daran die zweite erklarung derselben, so haben wir einen zwar kurzen aber klaren abriss über den laut, die stimme und die spräche, deren kleinster teil der „buchstabe" und die hending, d. i. die Vereinigung von min- destens einem vokale und einem consonanten ist. Geschrieben aber ist dei-selbe im hinblick auf die hending, wie ihn auch Olaf pordarson

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aufgcfasst l\at. uiul ist somit berechtigt, als die einleitiing zum cnni- mcntar dos Ilättatals bezeichnet zu werden, der in seinem eingange diese darlegung voraussezt^ Und diesen entwurf dem Snorri abzu- spreclien, liegt nicht der geringste grund vor.

In dieser gestalt mag Snorri seinem schüler den eingang zum commentar des Hattaüils übergeben haben, vielleicht mit der bestim- mung denselben zu erweitern, wo er es nötig erachte. Schon die bemer- kung über die fahigkeiten der vögel mag auf dieses rechnung zu schrei- ben sein. XoY allem aber fühlte er sich durch den leikroUr ontauna veranlasst, zu dem schon von Snorri niedergeschriebenen vergleiche einen zweiten zu entwerfen und mit ziemlicher Unklarheit auf kreis- rundem spielplatze eine form, zu der wol der mund veranlassung gab die ,, buchstaben " untereinander ball spielen zu lassen. Etwas absei t;s vom wege ist es um des Vergleichs willen geboten, einen blick auf die altnordischen balspiele zu werfen, die heute längst vergessen sind, aber im mittelalter eine bedeutende rolle gespielt haben ähnlich wie die ritterturniere auf deutschem und romanischem boden.

Fast in allen bezirken Islands, vielleicht auch in Norwegen, be- fand sicli ein leikvqllr, ein Spielplatz, auf dem die balspiele statzufinden pflegten-. Diese Messen nach dem balle, der aller Wahrscheinlichkeit nach aus holz war, knattleikar. In der regcl fanden dieselben zur zeit des herbstes oder winters statt -^ Der leikvqllr Avar meist das eis des meerbusens der gegend oder eines binnensees^. Die tage des Spieles waren algemeine festtage; aus der ganzen gegend strömten die leute herbei ^ von den bügeln am strande schaute das weibliche geschlecht zu und verfolgte mit regem Interesse das spiel *^.

Begannen nach den nötigen Vorbereitungen die spiele, so teilten sich zunächst die spielenden in zwei parteien; gewöhnlich war dabei

1) fliittat. (Möb.j II, 1'^: Stafasetnhuj <jcrir tndl allt, en hljödsrjrcin er pat, at hafa satnstf^fiir usw. scheint unmittelbar an die schlusswortc des cinganges anzu- schliessen. Vgl. auch Möbius' bemcrkuugen zu II, 41. Ohne hier näher darauf einzugehen, sei nur augedeutet, dass ich auch den ersten entwurf des commentars für Snoixis arbeit halte.

2) Fas. II. s. 407'".

3j Fs. 60'=^: d cinu Imustljiiuji; ebd. 86 -^ Eyrb. s. 77»". Eg. s. (Rkv. 1850) 77'': d f^ndverdani cetri.

4) Gull|). s. 45'*^: d pomkjafjardar isi; Grett. s. 27'": d Midfjardarvatni; Gisl. s. 2ö'^: « tjoni peirl, er Seftj'irn heitir; Vigl. s. 67»^: d Esjutjorn.

5) Fs. 00'^. Laxd. s. (1826) 196'^ Eg. s. 77 " u. oft.

6) Fs. 86'-^: sdtu homir titi oh Itorfdn d leihinn. VaUjcrdr sat upj> > hrrhk- vna frd. Vigl. s. 67-'*: peir fjciifju [janyat d breldciuia, aeiit konurnar adlu

UNTEKSUCUU.NULN ZUR 8.\. EDDA I 153

die heimat der bctreileiideii ausschlug ;^ebond, indem die bewuhner der einzelnen ^e-ienden zusammen standen ^ Aisdami wurde einer gewählt, der die spiele zu leiten und wo! auch den einzelnen parteien und Spielern ihren platz anzuweisen hatte; es war der ftfrinnaär, der obmann-. Die spieler der einzelnen parteien standen abtoilungsweise oder allein hinter einander''. Beim spiele selbst kam es hauptsächlich auf stärke (afl) und gewantheit an*, wie auch diese eigenschaften der fijrirniaitr in vollem massc besitzen musste. Spielzeug wiiren der ball (k)iattr oder bqllr Eg. s. 78^) und das balscheit^ das beide parteien gemeinsam besassen".

Weniger klar lässt sich der hergang des spieles selbst aus den quellen erkennen. Fest steht zunächst, dass unmittelbar beim spiele von jeder partei nur einer tätig war, und diese beiden hatten den ihnen vom ftjr'ninadr bestirnten platz ^ Die beiden partner standen in gewisser entfernung voneinander; der eine schlug mit dem baischeite den ball'^, der andere hatte die aufgäbe, ihn aufzufangen. In jener tätigkeit zeigte sich die stärke, in dieser die gewantheit. AVar der ball vom gegner aufgefangen, so schlug er ihn zurück, nachdem der erste Spieler ihm wol das balscheit gegeben hatte. Bei dem schlage kam es aber auch darauf an, den ball gerade an den ort zu werfen, avo der gegner stand {er ftjr'ir vcrdr Sturl. 1, 352^'^). War dagegen der ball über den Zielpunkt hinweggeflogen, so bemühten sich beide parteien in ihrer gesamthcit den ball zu erlangen; es entstand ein rennen und streiten um seinen besitz, denn derjenige, der den ball erlangt hatte,

1) Grett. s. 27^MW Yigl. s. (iT^Mgg. Hardars. (Isl. s. llj TU". Fms. 111, 18G. (Ick trage kein bedenkcu, auch die mythi«chcn sagas mit heranzuziehen, da die hier eingetlochtenen spiele doch uur in der Wirklichkeit ihre wurzel haben.)

2) GullJ). s. 45^^: ])pir fyrir sunnan pors/cafjf^rä genta pari at fijrinniiiini fyrir (^rleihs sakir ol: allrar aUjjqrii; oi vestanvie/in cilda pat ckki . . . Laxd. s. 196^^ Hallr beittsk fyrir.

3j Fms. III, 18G'-^ pdr (purstelnn uk FulUterkr) snqruda at Frosta; pciat kapparnir stöäii frenistir rid livorntceyyja bckkinn.

4) Fs. 60*\ Laxd. s. 196-^ Fas. III, 529'^^ u. oft.

5) Der gewöhnliche name i^t knafftrc (Gisl. s. 32,.. Eg. s. 77-'^ Fas. 11, 407 ^ Fas.ni, 264^ ii. oft). Grett. s. 27--' findet sich dafür knatfyädra.

6) Eg. s. 78^: Grintr liafdi kent bqllinn ok rak iindaii, en adrir sveinarnir söttu cptir. Sturl. I, 352^'. Fas. III, 262 fgg., wo sich das paarweise spielen, das vom besitz des balles und balscheitcs abhängig ist, recht klar zeigt.

7) Eg. s. 77*^^: Egil gegen Grirar; Grett. s. 27^': Grettir gegen Audun; GisL s. 26": Gisli gegen I^orgrim u. oft.

8) Der ausdruck dafür ist sld knottinn z. b. Vigl. s. 68 *^ u. ö. ; ald knqttinn üt fyrir ehm. = den baU über jemand hinausschlagen.

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kani jezt ans spieP. Hierbei koiitc aucli derjenige, der den ball nicht aufgefangen liatte, seinen fehler wider gut machen; erwarb er den ball nicht, so galt er für besiegt. Xur so erklärt sich der zorn, den der an den tag legt, über den der ball hinweg geflogen ist'-. Hieraus erklären sich auch die raufereien, die beim baispiel vorkamen und die nicht selten mit Verwundungen, ja mit dem tode endeten 3, AVaren die gegner sich gewachsen, so spielten sie wol so lange, bis der fyrir- ma(tr ein anderes paar bestirnte. So überliefern uns die altnordischen quellen das balspieH. Wenn mit diesem die spräche verglichen wird, so sind es zwei punkte, die als vergleichungspunkte augesehen werden müssen :

1) die gruppierung in zwei parteien, von welchen jedoch stets nur je einer spielte;

2) die kraftprobe beim schlagen und die gewantheit beim treffen des Zieles und beim auffangen des balles.

Beides glaubte der aufzeichner des Vergleiches in der spräche widerzulinden. So entwarf er den kreisrunden hil-voUr, auf den er die buchstaben gruppenweise eintrug, indem er sie in fünf parteien schied nämlich:

1) die consonanten, die nur vor vokalen stehen dürfen;

2) die consonanten, die sowol vor als nach vokalen stehen;

3) die vokale;

4) die doppelconsonanten;

1) G(?ngu Hrolfss. (Tas. IH) s. 264'': fcer Hrolfr nät knettinioit : kann gripr knatttreit af Krali ... Ebd.: Hrafnhljop cptir knettimnr) ; Eg. s. 78^: Grimr hafdi pd hejif hqllinn ok rak undan, en adrir sveinarnir söffu eptir. Gisl. s. 26 ^": hrfir Poryrimr ekki rid: feldi Gisli hann ok har üt knqttinn. pd rill Gisli iaka kuqttinn , €71 Porgrunr heldr honum ok l(xtr kann ckki ßvi nd.

2) Vigl. s. 68^'": pat var eitin thna, cd Vvjlundr slö knqttinn ilt fijrir Jqkli. Jqkidl reiddix ßd ok tok knqttinn, er kann nddi, ok seüi framan i andlit d Vig- lundi srd at ofan hljop hrünin. f*orsteinss. (Fas. II) 407^: ßat har til, at porir setfi niär knqttin?i srd hart, at hann stqkk yfir Olaf ok kom fjarri nidr; Olafr reiddix ßd ok ßötti porir gera leik til sin; sotti hann ßd knqttinn, en er hann kom aptr .... slo ßd med knatttrenu til pdris .... Ebenso Grett. s. 27. Eg. s. 77.

3) Das beste beispiel gibt die GQngu - Hrolfss. (Fas. HI) 262: lirnndu ßeir mQnniun ok feldu hardliga, en slogu suma; at kreldi rdrii ßrir handbrotnir, en margir lamdir eäa meiddir.

4) Von allen spielen auf germaniscliem gebiete scheint das kugehverfen in den marschländern . das ebenfals auf dem eise der graben und morä.ste statfindct, mit dem nordischen balspiele die grösste äbnlichkoit zu haben. (Vgl. Fischer, Beschrei- bung der vorzüghchsten Volksfeste II, s. 47 fgg. AVien 1709.)

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA 1 155

5) die consonanten, die nur nacli vokalen stehen dürfen, denen sich die abkürziin^i,aMi anschlössen, Aveil auch die sich nie im anfang eines wertes finden.

Jeder ,,buchstabe" solte einen zum spiele bereclitigten darstellen: die spielpaare geben die kleinste lautverbindung in der spräche. Wie Avir nun beim baispiele nie mehr als zwei parteien nachweisen können, so fallen im gründe genommen auch diese fünf parteien in zwei zu- sammen, nämlich in vokale und konsonanten. Von lezteren sind aber nicht alle zum spiel volberechtigt; vier sind nur zum wurf (Ii, q, v, p), vier andere nur zum fange da (ä, x, c, x). Lezteren mögen sich wol auch die consonantenverdoplungen angeschlossen haben. Dass es solche halbberechtigte aucli beim spiele gegeben habe, lässt sich aus keiner einzigen stelle unserer quellen schliessen. Der Vorgang beim spiele der spräche selbst ist klar: spielt a mit h^ so entsteht in der spräche, wenn a wirft und b fängt die lautverbindung ah, wirft dage- gegen h und fängt «, so haben wir ha. Aus solchen lautverbindun- gen besteht die ganze spräche.

Im grossen und ganzen ist also der vergleich nicht als verfehlt anzusehen, im einzelnen dagegen ist manches nicht zutreffend. Lezte- res ist nun zum nicht geringen teil dadurch veranlasst, dass in der figur sowol wie in der beschreibung derselben der buchstabe mit dem laute zusammengeworfen ist, d. h. dass der Verfasser des Vergleiches fast nur über scliriftzeichen handelte und diese vor äugen hatte, während er dem zwecke der arbeit entsprechend, sich über laute äussern solte. Und hierin unterscheidet sich dieser vergleich vor allem von dem zwei- ten, wo die spräche mit der musik der simphonie verglichen Avird, und den ich für den älteren, allein von Snorri herrührenden halte. Hier ist alles nur laut, und auf den laut komt es nur bei der hotding an.

Brenner hat auch den vergleich der spräche mit dem spiele als rein lautlichen (sprachlichen) erklären wollen und alles, was sich auf die Schrift bezieht, als randbemerkung u. dgl. bezeichnet (a. a. o. s. 275 fgg.). Das ist ihm offenbar nicht gelungen, denn fast aus jeder zeile spricht es, dass der Verfasser des Vergleiches wirklich auch schreiber- regeln hat geben wollen. Man vergleiche: bei den vokalen: oh slml svd rita; bei den limingar: ok slml svä rita; bei denselben: her eru tvclr hljöässtafir saumnllmälr; bei den lausaklofar: skal svä rita, stafir svd ritaäiv, ebd.: e)i fijvir ritshdttar sakir er pessa siafi öhcrgt sa7nan at hinda; bei den langen vokalen: en ef skyrt skal rita, J)d skal draga gfir pann stafinn u. oft. Im hinblick hierauf liegt auch kein grund vor, die werte: Lofat er pat i ritshcetti at rita aflimingiim

156 MOüK

oder die bemcrkiing über die titlar am Schlüsse des Vergleichs wie in der ligur als späteres machwerk zu erklären. Wir haben in unserem vergleiche Avirkhch eine unklare Vermischung von lautlichen bemer- kungen und graphischen voi-schriften. Eine solche ist aber von einem manne wie Snorri nicht anzunehmen. Ergab sich nun aus inneren wie äusseren gründen der ursprüngliche vergleich der spräche mit der sim- phonie gegenüber dem vergleiche mit dem spiele als der frühere und reine, so sind wir zu dem Schlüsse berechtigt, dass er in dem jüngeren vergleiche benuzt ist: jener diente dem interpolator zum vorbilde, nur war er von diesem nicht richtig verstanden, und so entstand dies unklare gemisch von bemerkungen über die spräche und von graphi- schen Vorschriften.

Was sich uns aber hier für den ersten vergleich ergibt, zeigt sich auch beim späteren, in der handschrift zuerst aufgezeichneten teile des zweiten Vergleiches. Snorri vergleicht die spräche mit den tönen der simphonie. Zum besseren Verständnis gehört ein klares bild über dies instrument. Leider besitzen wir gerade aus der zeit, in welcher der vergleich entstanden ist, keine einzige darstellung desselben. (Rühl- mann. Die geschichte der bogeninstrumente s. 70.) Die simphonie oder das organistrum, die noch in der radleier des Savoyardenknaben fortlebt, war im mittelalter ein weitverbreitetes und beliebtes instru- ment. Über einen kastenartigen unterbau , der von haus aus wol länglich viereckig!, später geschweift Avar, ist die saite gespant, die durch ein rad, das eine kurbel bewegt, in Schwingungen versezt wird. Auf dem oberen teile des kastens sind ferner tasten (claves) angebracht-, und auf diesen grif hölzern finden sich schon in alter zeit buchstaben zur bezeichnung der einzelnen töne-^ Diese tasten Avurden an die saite angedrückt. Indem nun zu gleicher zeit das rad in bewegung gesezt wurde, entstanden die verschiedenen töne. In der regel spielten zwei pei'sonen das instrument: die eine drehte das rad, die andere drückte die tasten (Schultz, Höf. leb. I, 431 und 452). Nun kennen wir aber eine simphonie, wenn auch aus etwas späterer zeit, die tasten besass, die

1) Vgl. die miLsikalische abhandlung bei Odo von Clugny nach dem cod. Par. 7211 (bei Geibert, Sciipt. eccl. de miLS. I, 252j: Liynutn quadratum in inudum capsae et intus concavum in inodwn citharae, super quod posita ciwrda sonat.

2) Es entsteht ein volständig unerklärliches bild, wenn man, wie algemein, hjidar mit Schlüssel widergibt, hjidar ist das lat. claces, und dies können bei der simphonie nur tasten sein.

3) Ygl. Odo von Clugnys bemerkungen in der kleinen abhandlung: Quomodo orfjanistriun construatur nach dem cod. Vind. bei Gerbeil L 302. S. auch die abbil- dung in Rühlmanns atlas taf. 5 fig. 1.

UNTERSUCHUNGEN' ZUK SN. KDDA I 157

sich nach innen scliiebon, fnlolieh aucli nacli ansson ziiriick bewegen lassen. In „dem inncin zugespizten teile" der taste befand sich ein häkchen, welches an die saite andrückte, oder, wenn man die taste znrückzog, sie riss. Bei dieser simphonie spielen bereits ober- und Untertasten mit halben tr»nen eine j-olle. (Rüldmaiin a. a. o. s. 83.) Der Spieler sass vor dem instrumente; um die gewünschten tihie zu haben, musste er entweder die taste nacli innen schieben oder sie zurück- ziehen.

Ein solches instrument muss Snorri im gedäclitnis gehal)t liaben, als er mit seinen tönen die spräche verglich. Wenn sich anf Island auch dasselbe nicht nachweisen lässt, so kann es Snorri docli sehr wol am norwegischen königshofe kennen gelernt haben, denn hici- kante man es offenbar (vgl. FMS. YII, 97 i^. Strengl. 1.^ u. oft). Der vergleich ist ebenso klar wie einfach. Die eine klangsaite, die das organistrum von haus aus besizt, hatte sich Snorri in seiner Idealfigur vervielfacht gedacht, und nach allen solten sich die tasten hin- und zurückbewegen lassen. Sizt der spieler nun vor den tasten, so ent- steht, wenn er die i-taste au die r^-saite andrückt, der klang ha, zieht er dagegen die />- taste zurück, so entsteht der klang ab, weil durch jene tätigkeit die consonantentaste nach dem vokale hin, durch diese von ihm weg bew^egt wird. Somit ist das bild im hinblick auf die ersten zwölf consonanten ziemlich einfach. Ob wir nun auch instru- mente gehabt haben, wo das tastenhäkchen die saite nur durch scliie- ben oder durch zurückziehen traf, vermag ich nicht zu sagen; gefunden habe ich darüber nirgends etwas, wenn nicht vielleicht die ober- und untertöne die band zu dem vergleiche geboten haben.

Dieser vergleich ist demjenigen, der sich über Snorris manuscript gemacht hat, ofTenbar nicht ganz klar, jedenfals weil er nie ein solches instrument gesehen hatte. Denn sonst konte er nicht die ziemlicli unkla- ren eingangsworte bringen (Stafasetning sjä, seni her er ritut, er svä seif iil wdls, sem hjldar tll hljöits i miisihi) und behaupten, dass sich zu beiden seifen der vokalsaite tasten befanden. Nur soweit sich die- ser aufzeichner streng an den zweiten teil hält, ist er klar; sonst weiss er nicht viel vernünftiges zu sagen. Der erste teil des zw^eiten Ver- gleichs stelt sich also in jeder weise zu dem ersten vergleiche und kann nur aus einer feder geflossen sein.

Nach diesen erörterungen ergibt sich: 1) Der plan des feiles der SE., den man bisher algemein als eine grammatische abhandlung aufgefasst hat, lührt von Snorii her. Dieser hatte ihn als einleitung für seinen commenfar zum Hat-

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total bestirnt. Er solte benicrkungen über den ton und den laut, namentlich den der menschen, enthalten. Leztere führten zur menschlichen spräche, deren kleinster bestandteii „der gespro- chene st<afr" ist. Durch die Vereinigung zweier stafir, und zwar eines vokales und eines consonanten, entsteht aber das kleinste ganze in der spräche, und dies ist die stafasetning, von der es im Hattatal heisst: SfafasctNhir/ f/rrir mal allt. (Ht. 1 1^.) Die stafasetning ist aber auch die grundlage aller dichtung^.

2) Von SnoiTi rührte her:

a) Die algemeinen bemerkungen (meine ausg. s. 159^ 160") mit

ausnähme einer randbemerkung (lüO^-^^^). ß) Figur 11. ;') Der zweite teil der erkliirung dieser figar (s. 164"^^^-).

3) Zu dieser einleitung fügte ein späterer bearbeiter, vielleicht ein Schüler Snorris:

a) Figur I.

ß) Die erkliirung dieser figur (s. 160^ 162 1'^). y) Den ersten teil der erkliirung der zweiten figur (s. 162 1* 16-43).

Bei seinen erklürungen der figuren legte er die erkliirung Snor- ris von II zu gründe, brachte aber ausserdem allerlei schreiberregeln an, die gar nicht hiueingehören, die weder die spräche oder schrift umändern w^ollen noch können, da sie Aveiter nichts sind als eine trü- bung der klaren gedanken Snorris. Ich vermag deshalb auch das nicht in ihnen zu finden, was Brenner aus ihnen herausliest (a. a. o. s. 275); ebensowenig wie zu grammatischen zwecken, ebensowenig sind sie auch zu metrischen zwecken geschaffen. Es sind unfähige bemer- kungen desselben mannes, der auch einen grossen teil des commentars vom Hattatal auf seinem gewissen hat und der von Mübius (Hätt. II, s. 35 fgg.) so richtig gezeichnet ist.

1) Die einzige ansieht, die bisher über den Verfasser gemacht worden ist, stelt CS Über allen zweifel, dass derselbe ein geistlicher sei (Bjöi'u Olsen a, a. o. s. XXXII und im anschluss au ihn Finnur Jousson a. a. o. s. XXX). Auch nicht ein wort spiicht in der ursprünglichen gestalt für den geistlichen. Hier Jiat ^videl• einmal der Schreiber des AVonnianus sein wesen getrieben, und das einfache durchlesen des tex- tes wird die ansieht zur genüge widerlegen.

UNTKRSUCHU.Vr.KN ZUR SN. EDDA I 159

Der tcxt.

Hvat er hljodsgrein? [»renn.

Hver? pat er ein grein hljoits, er |»ytr veitr eda vatn etla s^r eda bjorg- etla jont ecta grjut lirvnr; petta liljud lieitir gnyr ok piymr ok dunur ok dynr. Sva [nit hljud, er malniarnir gera eda nianna Jjyssinn; pat heitir ok gnyr ok glymr ok lilj(')nir. Sva pat 5 ok, er vidir brotna eda vapnin m(ßtaz, petta heita bi-ak eda brestir eda enn, sem adr er ritat. Allt erii Jtetta vitlaust liljnd. Vax hOv um framm er [)at liljod, er stafina eina skortir til malsins; {)at gera liorpurnar ok enn helldr liin nieiri songfrerin, en [»at lieitir songr.

Onnnr liljodsgrein er sü, sein fuglarnir gera eda dyrin ok S(J- kyqvindin. pat heitir rodd. En [j^r raddir heita a marga lund: fuglarnir syngja ok gjalla ok klaka, ok enn med ymsum liiittum, ok nothum. [KHiumstum eru greind ymsa vcya (Ujm nqfnhi, oh kunnit meint sJq/n, hvat li/qi-huJiN pyHjaz henda med mqrgiim SINK}}/ hUu}}i.] S(Jkyqvindin blasa eda gella. Allar pessar raddir 15 eru miok skvnlausar at viti flesti'a manna.

En I)ridja hljodsgrein er sü, sem menninir liafa: pat heitir hljöd ok ri^dd ok mal. 'M(\\\t geriz af bltjstrinum ok tungubragdinu vid tenn ok goma ok skipan varranna. En hverju ordinu fylgir minnit ok vitit; minnit Jjarf til pess at muna atkvedi ordanna, en 20 vitit ok skilningina til pess, at liann muui at m^la pau ordin, er hann vill. Ef madr fer snilld malsins, pa Jjaif par til vitit ok ord- froedi ok fyrir^tlan, ok Jjat mjok, at hregt so tungubragdit. tennr- nar eru skorpottar, ok missir tungan par, pat lytir malit. Svä ok ef tungan er ofmikil, er malit blest; er hon oflitil, pii er 25 holgömr. |)at kann ok spilla mälinu, ef varrarnar eru eigi heilar.

Die ortliographie schliesst sich im ganzen an das auf der buchstabontafel ent- worfene alphabet an. Nm* oe habe ich noch zu den schon vorhandenen buchstaben genommen, da ich den Übergang er >• cp aus dem anfang des 13. Jahrhunderts nicht nachweisen kann. SuoitI reimt stets o? ; o? (Hattat. 13''. 31^. 64-. 81) und (p : cp (17 '^. 28^. öO*'); nur 68'* reimt marS, fjnlsncerda. Seite demnach schon schwanken begonnen haben'? 2. Pat. Es liegt kein gmnd vor, von der handschrift abzu- weichen und Su zu sclu'eiben, da die attraktion des pronomens an das prädikat. nomen durchaus nicht nötig ist. Vgl. Comment. z. Huttat.: pat er kenninfj 3-", ßat er scrnnhouiimi 4^- --, pat er studnijKj 4-^, petta er dröttkrfectr hättr 3^, Pat eru tolf stafir 1-^ u. oft. G. brot)ia eäa gnesta W. 13 fgg. hat wol

urspi-ünglich am raude gestanden. Das zeichen, welches andeutet, wohin es gehöre, las der abschreiber für ?rr:oAv, das sich in der \\Zin{\^Q\init\ov kimmiskwi befindet. 24. tungan par die einzig mögliche lesaii; tamigaränr W und nach ilim F.I. lässt sich weder sprachlich noch inhaltlich erklären.

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Mudrinn nk tuno:an er leikvollr ontanna. Ä I)eim velli eru reistir statir l>oir, er mal allt gera, ok hendir iiialit ymsa sva til at jatna sein liorpustreDgir eda eru Itjstir lyklar i siDiplioiüe.

Figur I.

/ fiirslfi hrh}(f eru fjorir siafir; Jxt md til enski^ mmars nyla, m rera fyr Oitnint stof,nn: p. v. h. f/. I <ßrinn hrivg eru 5 siaftr XII, Jteir sem he Ha jndJsfafir; hverr peira 7nd vera hf(t/ fyn'r ol: eptir i mnlinii, en engl peira cjerir mdl af HJdlfnm ser:

G. XII so W; U XI, was zufällig auch mit der figur stimt. da liier im zwei- ten kreise /.• fehlt. Ich s^he keinen gnind ein, diesen huehstaben mit F. J. auszu- merzen, da er nicht allein im folgenden in beiden handschiiften überliefeii ist, son- dern da auch die zweite figur ihn in dem dem zweiten ringe entsprechenden oberen teile der tafel hat.

ÜNTERSUCHU>'GEN ZUR SN. EDDA I 161

/;. (1. f. (j. /.'. /. }n. }(. [). r. s. f. Ell )i(ifn prira cru her f<cit rptir hijüiti J)eira. V ]))'t(tja hn/n/ mi lulf s/aflr, er hJjüiJstafir lieiia. pe.ssi grci)i er pcira stafii: fyrst lielta slaftr o/r shdl srd riUt: a. e. i. 0. V. y. 0/f/fffr r/re/N er sü, er lieita Innimjcir, ol' slal srd rita: CT', ao. Cd): pessir eni prir: her eru. treir h/Jods/d/ir saitKudundir, 5 Jyri at pessi stafri)ui hef'ir hrer// hh(t af hJjndl hlnita, er Ihudi er af (jerr. lui pridjn (/rein er paf, er Jieita 1aiisfü,lof(ir, ok shf/l srd rifa: ey. ei. pessir eru tveir sfafir svd ritadir, dl rilii hdda .s/r/// uhrcytta oh yerr einn af, l)ri at Jtaiui tehr hijöd liiiina beyyja, en. fyr ritshdtfar sahir er J)essa stafi ohoeyt scunan at tnnda. Nu er 10 enn iölfti stafr, er shptif/yr lieitir; pat er i. pat er rettr hljud- stafr, ef ntdhfafr er fyrir honuin ok eptir honum, i sanistofauni; en ef hljödstafr er nest eptir itonmn, pd shipti:\ hann i mdlstaf oh yera\ pd 'af honutn niqry fall orä, svd sa/i er jd cda Jqrit eita j6r: ol: enn svd, ef mdlstafr stendr fyrir honinn, en hljöästafr nest 15 eptir, svd sem her er: hjqrn ecta hjör eCla IjJQry. Onniir shipting hans er Jmt, at hann se lansahlofi, svd sem J^eir, er dar ern ritaäir. pe.'^sir stafir einir saman yera mojy fattorct, en shcunt mdl gerct peir sjdlftr. Ef a gerir heilt orä, Jjd i)ie,\- svd, sem nefnir: yfir, eni pat sem: fyrir innan, enoedav pau skipta um orännum, svd 20 sem er: satt ecta vsatt Menn kalla einn vict y, en m pat er vein- tin, en ey heitir fmi lancl, sein sjör ecta vatn fcllr umhverfis, pat er hallat ok ey eäa m, er atdri prytr. Jlljödstafir hafa ok tvenna grein, at J)eir se styttir ecta clregnir; en ef skyrt skal rita, pd skal draga yfir pann stafinn, er seint skal leiäa, sem her: „d pvi dri, 25 sem- Ari var foedclr'' ok „pat er i mtnu oninni." Optliga skipta onta. leictingar qtln n?dti, hvdi^t enn sami liljöctstafr er leiddr seint eda skjött. Lofcit er fmt i ritshetti^ at rita af limijigum helldr a-tykkju,

f). Jinr: U liest tvcir; der sckreiber hat wol die folgende y schon im äuge gehabt. AV hat ebeufals: po.sscr prir stafer. 8. in der hs. ist nach trcir {]]) ein locli; dann folgt: svd rita at rita; im liinhlick hierauf bin ich W gefolgt stafer eru ritacter. Vielleicht ist besser mit F. J. zu schreiben: ok skal svd rita, at rita; ich habe die lesart im hinblick auf das parallele ffcrr nicht aufgenommen, zumal auch das unbestimte man sehr selten und meist nur bei diclitern durcli den plural widergegeben wird (vgl. Lund, Oldn. Ordföjul. § 10 4"^ anm. 4. § 203, IG anm.)

15. ok enn srd tjjnrg gehört zweifelsohne nach jor; hierher passt es allein,

nach ritaäir (z. 17), wo es in der hs. steht, gibt es keinen sinn: es war eine rand- bcmerkuug und wui'do vom abschreiber an falscher stelle eingefügt. enn in der hs. zerfressen. 18. pessir stafir stelt alle vokale in gegensatz zu den consonan- tcn. 2.8. ok f. ü; so nach W. F.J.: ok kallat. 20. Nach ok fügt W noch ein er ertuä Jfann. 28. U: en af Ifjckio . . dem Schreiber hat das folgende en fallt vorgeschwebt. Dieselbe ündening hat auch F. J.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. ED. XXH. 11

162 MOGK

eu fuUi a, oJ: er pa svd g, Q- I fjonta hrinfi cm 161 f sfafir svd

rifadir: tl, .,\>. ff 6. RilC).!'! W K -5-X ^''•''''' '^"/^' ^^'''' '^'^''

aiuiat. cfi n/cfui rilja J/afa Jni fyrir ritslidttar salir, oh er settr hverr peira ein ff ff/rf'r frd iffdhfaf , Jwi at sitffi orä eäa nqfn 5 ctida\ i svd fast athredi , at etxji fffdJstafr fer einn bofit, svd sein er: Jiqtl eda fjaJI eda kross eda hross, frafffiif, hrafffiff. Nüparf afifiathvdrt at rita tfjsvar eiffii mdhtaf, eda lata ser Jlha panifig at rita. 1 flfffta hrififi er ff riiadirpeir pr'tr staffr, er l'aJIadir erii widir- staffr: d. \. x; pcssfifff stqfnnf md vld eugan staf loma, nema pat 10 sc eptir hljödstaf i Jfvcrri sdmstofft. Efiif fjördi stafr er c, ok liafa sfiffff'r fffcffff Jmffff ritshdtt , at setja Ifaiffi fifrir /.-,• efi hitt eina er rett haffs liljod at rera scffi adrir ffifdirstafir i enda sanfstqfu. Titlar enc svd ritadir her, scm i qdrum ritshetti.

Stafasetffffffi sjd, sein her er ritut, er svd seit til wdls, sem 15 hjldar til hijuds i iffusihd, oh rexffir ffßgja hljodstqfffm svd, sem peir Jfjhlar iffdUiqfffiff. Mdlstaffr eru ritadir med hverri regfi J)(:di ffjrir oh eptir, oh gera P)eir mal af heifdiffgnm peim , seju peir hafa vid hJjödstafffia fyrir oh eptir. Kqlliim ver pat lyhla, sem peir eru i fasiir, oh erfi her svd settir i spaciönne, sem lyhlar i simphonte, 20 oh shal peifif hippa eda hrinda, oh dfrjxi svd regustirMgina, oh tchr pd pat hijöd, scm pm rillt haft hafa. pes.^ar hcndingar eru

~). nqffi: Br. saws/*?/"« wol das riclitige, 0. / nach. W ergiinzt, fehlt in U. 10. stqfiim verbessert nach F. J. U: staf. 12. nach at ein loch in der hs. sctja habe ich geschrieben nach einer Stockholmer papierhandschrift, deren Schreiber die hs. noch in besserem zustande vor sich hatte; liafa F. J. fyrir h schreibe ich; die hs. kg d. i. hofumg , wie auch die herausgobor haben. Allein das gibt keinen sinn; der flüchtige abschreiber konte sehr leicht hierauf kommen. Oder hat viel- leicht ursprünglich h ecta g (k. p. g) dagestanden? Die folgende figur ist wie die ringfigur in der handschrift ziemlich flüchtig; beide musstcn in Übereinstimmung mit dem text gebracht werden. 15 fgg. gehört nach fig. 2. IG. / fehlt in ü; es muss unbedingt hier stehen; vgl auch F. J. s. 95. rega ist dasselbe wie riga FMS XI, 441 n. 6. Das wort ist sonst nirgends im nordischen belegt; es ist ahd. riga. nd. rige, rege = linie, reihe (Schade, Altd. wb.-713) und bezeichnet liier wol die instrumentsaiten (rcgustrengir), denen der Verfasser nach den von mir stark gezeichneten linien den namen gab. Peir lyklar mdlstqfum. U und F. J. nur jypJr hjklum; mir ist die stelle so dunkel. Der Schreiber sprang nach / von lyklar auf die endung von mdlstqfum über. 18. Peitn so verändert mit F. J. hs.: Jjpiri. 18. hafa: in der hs. nur -a noch zu lesen. 20. hs. ok eru peir her sra settir her sem i spaeione sem .... 22. Nach hafa will Brenner (a. a. o.

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I

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164 MOGK

eiqi mciri oi Jkpv, srw ff/rr cnt rifaitar, ol: hinar mnr.fH peira, sew stafat sv fil, J>r/ at her er / lioiding chtn hijodsfafr ok rinn tndhiaf)\ ok gcrir svd maryar lioitUiiijar, scm er rifctf aar i siafasein imjin n /.

Her standa um pvert blad XI lilJQdstafir, en um eudilangt 5 hlad XX millstafir; eru I)cir sva settir, sem lyklar i simpliönle, en liljodstafir sem strengir. Malstafir eru XII l)eir sem btjdi hafa liljud, hvart sem kipt er eda hrundit lykliuum, en VIII peir, er sldarr eru ritadir, hafa halft hljud vid hina: sumir taka liljod, er J)u kippir at per, sumir, er {n'i hrindir fra per. 10

pessir hliodstafir standa um pvert: a. e. /. o. i). ii. c. q. ai\ ei. cy. pessir eru XII malstafir: h. d. /" //. /•. /. m. n. ii. r. s. t. pessir eru malstixfir ok hafa halft hljud vid hina: d. J). 7.. v. c. h. x. q.

s. 270) den satz ok gen'r . . i stafasetningiimi. (1G4^); ich sehe den grund nicht i-ccht ein, weshalb er von der Überlieferung al)weichen will.

1. eigi mciri, U nur: mciri, F. J. minni. Der Schreiber hat nur aus ver- sehen das abgekürzte cigi weggelassen. Die stelle will sagen: obgleich in der zwei- ten figiir vielmehr buchstaben stehen als in der ersten, so sind doch die hendingar nicht zahlreicher. .5. Rtr bis zum Schlüsse spätere interpolation. F. J.

Übersetzung.

Wie viel verschiedene arten des tones gibt es? Drei. Welche? Das ist die eine art des tones, wenn der wind pfeift oder das wasser oder das meer rauscht, oder die berge oder das erdreich oder gestein drühnt; solche töne heissen getöse, geräusch, gedonner, lärm. Hierher gehören auch die töne, die die metalle von sich geben oder die entste- hen im kämpfe der mann er: diese heissen ebenfals getöse und klang und lärm. So auch, wenn bäume brechen, oder waffen aneinander sclila- gen; das heisst gekrach oder gerassei, oder auch wie es früher bezeich- net ist. Alle diese töne entstehen, olme dass dabei irgend welcher verstand im spiele ist. Hierher gehört nun weiter auch der ton, wel- chem der buchstabe allein zur rede mangelt; diesen erzeugen die har- fen und noch mehr die grösseren musikinstrumente: dieses heisst musik.

Eine andere art des tones ist der der vögel und der tiere auf dem lande und im wasser. Dieser heisst stimme. Diese stimmen wer- den aber auf verschiednerlei weise bezeichnet: die vögel singen, kräch- zen und krei.schen und geben noch andere töne von sich, die anders bezeichnet werden. [Xach ilirem vennögen sind die namen der tiere so mannichfach entstanden, denn die menschen wissen bescheid, was die lebenden wesen mit ihren vielen gewohnheiten anzudeuten schei-

U.NTEKSUCIIUNGKN ZUR S.V. EDDA I 165

nen.] Die ticro im inetTc blasen uder seliiiaube]i. Alle diese stimmen entspringen geringer Vernunft im vergleiche zum verstände der meisten menschen.

Die dritte art des tones ist der der menschen: liier vereinen sich laut, stimme und spräche. Die spräche entsteht tlurch das herausbla- sen der luft, durch die bewegung der zunge an zahne und gaumen und durch das öthen und schliessen der lippen. Aber jedes Avort steht mit dem gedächtnisse und verstände in engstem zusammenhange; das gedächtnis ist nötig, damit die ausspräche der Avörter immer gegen- Avärtig ist, verstand und Urteilskraft, damit man jederzeit weiss die werte hervorzubringen, welche man haben will. Ist einer beredt, so bedarf er ausser dem verstände auch gewantheit im ausdrucke, schlag- fertigkeit und vor allem leichtigkeit der zunge. Wenn die zahne abge- brochen sind, und die zunge infolgedessen ihr ziel verfehlt, so klingt die spräche hässlich. So auch, Avenn die zunge zu gross ist; dann lis- pelt der sprechende; ist sie dagegen zu klein, so murmelt er. Auch Avenn die lippen in nicht ganz normalem zustande sind, kann der spräche abbruch geschehen.'

Der mund und die zunge sind der Spielplatz der Avorte. Auf diesem plane sind die buchstaben aufgerichtet, die die ganze spräche ausmachen, und es greift die spräche bald diesen bald jenen buchstaben heraus (um sie zusammenAvirken zu lassen), gerade so als Avären es Saiten oder die befestigten tasten in der simphonie.

(Figur I.

Im ersten ringe haben AAdr vier buchstaben; diese darf man nur vor andern buchstaben gebrauchen: />. r. h. q. Im zAveiten ringe befinden sich zAvölf buchstaben; diese heissen consonanten. Jeder von ihnen kann soavoI am anftmg als am ende eines wortes stehen, aber keiner macht ein Avort für sich aus: b. d. f. (j. L: L lu. ii. p. r. s. t. Ihre namen sind hier gesezt nach ihrem lautlichen zeichen. Im dritten ringe sind ZAvölf buchstaben, die vokale heissen. Unter diesen ist folgender unterschied: Die ersten heissen vokale (? stafir) schlechthin und sie sind so zu schreiben: a. e. i. o. v. ?/. Die zweite art heisst verschmol- zene buchstaben und diese soll man so schreiben: ce. co. aj. Dies sind drei; hier sind je zwei vokale verschmolzen, sodass diese buch- staben einen teil von den lauten haben, aus denen sie gebildet sind. Die dritte art sind die diphthonge und diese soll man so schreiben: ey. ei. Diese beiden buchstaben sind so geschrieben, dass man ihre beiden teile unverändert niederschreibt und daraus einen macht, der

16(5 MOGK

den laut beider anniiiit; die gestalt der buchstabeii ist die iirsaclie, dass man sie sehwierig: zusannnenknüpfeu kann. Als der zwölfte komt end- lich noch das / hinzu, das eine zwittererscheinung genant werden kann^. Er ist ein reiner vokal, wenn ein consonant vor und nach ihm in einer silbe sich befindet; aber wenn ein vokal unmittelbar nach ihm folgt, so nimt er consonantische natur an; aucli wird durch ihn manches wort ei'st zum vollen werte; hierher gehören oder jqrä oder jör. Dasselbe ist auch der fall (dass / consonant ist), wenn ein consonant vorher, ein vokal aber unmittelbar darauf folgt, wie in hjqm oder hjör oder hjojn. Ein weiteres auftreten ist es, wenn er als teil eines diphthongen ei*scheint, wie diese früher beschrieben worden sind. Diese buch- staben allein machen manches Avort voll und sind selbst kurze Wörter. AYenn ä ein wurt volstiindig macht, so hat es denselben wert wie yfir, i denselben wie fifrir hnmn^ ö- oder il- verändern die Avorte ins gcgen- teil, wie seift und üsätt. y nont man einen bäum (eibe), ce einen klagelaut, cij (insel) heisst das land, das nieer oder wasser rings umgibt; was nie endigt heisst eij oder ce (immer).

Die vokale sind noch Aveiter untereinander verschieden, sie kön- nen nämlich entweder kurz oder lang sein. Wenn man nun genau schreiben muss, so muss man über den buchstaben, der langsam dahin- gleiten soll, einen strich machen, Avie z. b. d Jwi äri sein Ari rar faddr (in dem jähre, in dem Ari geboren Avar) und pat er i miiiu miiud (das ist in meiner erinnerung). Oft verändert es den ganzen sinn der Avorte, Avenn derselbe vokal kurz oder lang gebraucht Avird.

Beim schreiben ist es erlaubt, verschmolzene buchstaben anzu- Avenden, mehr aber gebraucht man nur den a- bogen, als dass man das ganze a schreibt, und so haben Avir e. q.

Im vierten ringe sind die zAvölf buchstaben folgendermassen ge- schrieben: bO. dd. ff. G. K. IL 21. H. jip. II. S. T. Diese buchstaben bedeuten nichts anderes, als dass man sich ihrer beim schreiben bedie- nen Avill. Es steht jeder für zAvei consonantcn, Aveil manche Avörter oder namon (silben?) am ende so markiert ausgesprochen Averden, dass ein consonant nicht hinreicht, Avie bei holl oder fjall oder kross, hross, frciiiiiii, liramm. Infolgedessen ist es nötig entweder einen consonant ZAveimal zu schreiben oder sich zu bequemen, ihn so zu schreiben.

In den fünften ring sind die buchstaben eingetragen, Avelche undirstafir lieissen (d. h. buchstaben, die nicht im anlaiit stehen dür-

1) So glaube ich die wortc des ui'textes er skiptliKjr helflr am treusten wider- zugeben. Egilsson übersezt (Sn. E. ü. 51): Duodccima läcra est variabiU^. Brca- ner übersezt: „Avechsler."

UNTERSUCHUNGEN ZUR SN. EDDA I 167

fen): ä. z. x. Diese buclistabeii können juir mit einem andern in Ver- bindung gebraeht werden, wenn in einer silbe ihnen ein vulval unmit- telbar vorangellt. Der vierte buchstabe ist c, den manche leute als graphisches zeichen für k gebrauchen; aber das allein ist sein wahrer wert, dass er wie die andern maUratalir (nur) am ende der silbe ste- hen darf.

Die abkürzungen sind hier geschrieben wie man sie auch sonst zu schreiben pflegt.)

Figur IL

(Die buchstabentabelle, die hier aufgezeichnet ist, ist so mit der spräche in Verbindung gebracht, wie die tasten mit dem musikalischen tone; und wie die linien (d. i. saiten) den vokalen, so gleichen die tasten den consonanten. Consonanten stehen soavoI vor als hinter jeder (vokal-) linie, und sie erzeugen die spräche durch ihr zusammentreffen mit die- sen, je nachdem sie vor oder nach dem vokale stehen. Wir nennen das tasten, worin sie stehen (d. i. die kleinen viereckigen kästchen der tafel), und sie sind hier auf dem fehle gerade so gesezt, wie die tasten in der siraphonie, und man muss sie reissen oder stossen, und dadurch die liniensaiten schwingen lassen, imd man bekomt so den ton, welchen man gehabt Jiaben will. Dieser Vereinigungen (d. i. von vokal und consonant) sind hier nicht mehr als die, von denen oben geschrieben ist, und die kleinsten von denen, die sich zu einer silbe verbinden lassen, denn hier ist in der Vereinigung nur ein vokal und ein consonant. Es gibt so viel Vereinigungen, wie viel oben auf der buchstabentabelle verzeichnet sind.)

Hier stehen auf dem blatte oben von links nach rechts elf vokale, aber von oben nach unten zwanzig consonanten. Leztere sind so gesezt, wie die tasten in der simphonie, aber die vokale wie die saiten. Zwölf consonanten geben ton, mag man die tasten (häkchen) reissen oder stossen, während die andern acht, die zulczt geschrieben sind, nur einen halben ton im vergleich zu jenen haben: die einen nämlich tönen, wenn du sie zu dir ziehst, die andern, wenn du sie von dir stösst. Folgende vokale stehen oben von links nach rechts: a. e. i. o. u. y. c. q. av. ei. ey. Dies sind die zwölf consonanten: /;. d. f. <). k. l. in. n. p. r. s. f. Halben ton im vergleiche zu diesen liaben folgende conso- nanten: d. p. X. V. c. h. X. q.

LEIPZIG. E. MOGK.

1 öS MÜLLEK - yKAUENSTEIN

ÜEEK ZIGLEES ASIATISCHE BANISE.

(Fortsetzung imd scliluss.)

"Wenden Avir uns nun dem inneren ausbau zu. Einige alge- meine bemerkungen mögen da vorausgehen. In betreff der kunstmittcl, ■welche dem erzähler als solchem zu geböte stehen, ist Zigler durch- aus nicht zaghaft. Xicht ernstlich zu bezweileln ist, dass er von der lateinisch -griechischen schulgelehrsamkeit seiner zeit ganz bedeutenden gebrauch gemacht hat; dagegen ist mir zweifelhaft, ob er die poetiken und rhetoriken der französischen Jesuiten seines Jahrhunderts studiert hat^. An und für sich ist dies zwar, da er ja so viel gelesen hat, nicht unwahrscheinlich; meine bemühungen, mehr positives, als Bober- tag in dieser beziehung gefunden hat, beizubringen, sind aber erfolg- los gewesen. Yon zwei gerade in dieser zeit erschienenen rhetoriken kann ich allerdings ganz deutlich beweisen, dass sie ohne einfluss auf Zigler gewesen sind. Bernard Lamys rhetorik widerspricht mit ihren regeln über die anwendung der tropen und tiguren und über den stil seiner methode schnurstracks; es weht ein vöUig anderer geist in bei- den büchern. Auch die Sentiments sur les lettres et sur l'histoire avec des scrupules sur le stile (Paris 1683), ein geistreich und gewant geschriebenes werkchen, entspricht in seinen anweisungen unserem geschmacke weit mehr als dem der zweiten schlesischen schule. Schärfe und kürze des ausdrucks, Vermeidung von Sprichwörtern, charakte- ristische w^ahl der worte je nach der sprechenden person, mass in lob und tadel wird da gefordert. Den alten schwerfälligen romanen stelt es die novellen gegenüber und begründet die abneigung gegen erstere mit ihrer länge, ihrer mischung von vielen verschiedenartigen geschich- ten, ihrer masse handelnder personen, der altertümlichkeit ihrer Stoffe, der Schwerfälligkeit ihres baues, ihrer un Wahrscheinlichkeit und ihrem über mass. 3Ian sieht, das sind alles aussetzungcn , die auch die Banise treffen.

Xoch ein anderer umstand hat mich von dem glauben abgeführt, dass Zigler sich auf framiösische regeln direkt stütze. Nahe lag der verdacht, den freilich vor mir niemand ausgesprochen hat, dass die zahlreichen, zur rhetorischen ausschmückung eingeflochtenen briefe nach französischen mustern entworfen seien. Ich habe mich deshalb die mühe nicht verdriessen lassen, alle damaligen französischen briefsteiler, die mir erreichbar waren, genau zu vergleichen: Pielat, Le secretaire in-

1) Vgl. E. Schmidt in Schnorrs Archiv II, 1880,

ZIGLEKS ASIATISCHE BANISE 1(59

connu (Lyon 1672 und 1683), desselben Secretciirc nouveaii (Amster- dam 1679), ferner Kiche-Source, La bousole du parfait secretaire (Paris 1680), auch (Quinet), Nonveau recueil de lettres et billets galandes (Paris 1680). Aus ihnen allen hat Zigler keinen buchstaben entnom- men. Es wäre hiichstens nicht unmöglich, dass er einige winke der Bousole befolgt hätte. Wir suchen deshalb direkt aus der Banise selbst die rhetorischen grundsätze Ziglers herauszulesen.

Sie sind gar nicht so unbedeutend. Er geht sofort in medias res, sezt an einem passenden punkte ein, baut, wenn auch in groben for- men, doch nach einem einheitlichen plane, gibt episoden und digres- sionen, lässt parallele handlungen und in gewissem sinne auch parallele Charaktere vor uns erscheinen, stelt rührendes und komisches in manch- mal nicht ungeschickter, zumeist freilich uns wenig anmutender weise neben einander, versucht direkt und indirekt zu charakterisieren, wenn uns die dafür aufgewanten mittel auch nicht selten recht Avunderlich vorkommen mögen, und hält die Charaktere im grossen und ganzen entschieden fest. Er erhöht die Spannung durch algemeine andeutun- gen, die im voraus beruhigen oder erschrecken, und zwar thut er dies sparsam, nicht im Übermasse, wie es seine zunftgenossen sonst wol zu tun pflegen, er verwickelt und entwirt, wenn auch hie und da etwas gewaltsam, doch im algemeinen nicht durch geradezu unglaubliche ei-findungen, strebt einen bestimten lokalton wenigstens an, wenn er auch oft genug aus dem lande, in dem die handiung spielt, wider her- ausfält, und versteht den f ortschritt der ereignisse zu steigern, wenn auch gerade die höhepunkte uns die mängel seiner dichtung, die gren- zen seiner kraft am deutlichsten zeigen. Yor allem aber hat er doch tiguren geschahen, denen das interesse gewahrt bleibt, dankbare gestal- ten für den roman seiner und überhaupt jeder zeit, und zwar nicht in so grosser anzahl und nicht so bunt durch einander laufend, dass sie auf einander drücken oder sonst einander schädigen i.

1) Scherers lu-teil kann ich darin wol allein mit zu hilfe rufen. In betreff der Charaktere kann E. Schmidt beim besten willen keine individualisierung in Banise, Balacin, Chaumigrem, Eolim finden'^, die figuren und Verwicklungen seien vielmelir im wesentlichen typisch. Cholevius s. 164 meint, alle figuren glichen einander, die guten hier, die schlechten dort, nur in den Schicksalen seien einige hervoitretend. Bobeiiag, der überhau^it nicht gar viel von Charakteristik wissen will, sagt s. 223, Zigler leiste etwas mehr darin als Bucholtz und Lohenstein, tadelt aber auch, dass die tugendhelden wie die bösewichter „abstrakt folgerichtig'^, „genau nach der instrak- tion" seien. Ich finde das doch nicht so absolut: Chaumigrem macht versuche, bes- ser zu erscheinen (219, 230, 330, 361), Balacin lernt erst regieren und scheint mit dem amte zu wachsen, Scandor hebt sich doch auch etwas. Eine entwicklung der

170 MÜLLER - yRAÜEXSTEIN

Die engelsoböne und engelreine Banise und ilir tapferer und getreuer Balaein sind das liebespaar par excellence, neben welches zwei andere von ähnlicher treue, wenn auch in abgeschwächten lichttönen treten: Balacins Schwester Higvanama und Nherandi von Siam, des lezteren Schwester Fylane und Palakin von Proni. Ihrer aller glück- liche Vereinigung nach Überwindung der gr(3ssten hindernisse ist das ziel, dem der dichter zustrebt. Zwei andere liebespaare von geringerer bedeutung bilden eine art zweiter gruppe, die das gemeinsame hat, dass die weiblichen glieder derselben die männlichen erobern, so wenig die lezteren zuei*st dieses Schicksal für begehrenswert halten, imd dass dadurch die beiden hauptpersonen, denen hier Lorangy, dort Zarang nachstellen, luft erhalten. Ein tiefgreifender unterschied liegt aber darin, dass Scandor, Balacins Paladin, im gründe doch die seinem herrn naclilaufende Lorangy übertrumpft und so zu einer seinem Charakter diu'chaus entsprechenden höchst komischen lösung anlass gibt. Der prinz Zarang von Tangu dagegen, welcher um Banisens willen die grössten anstrengungen macht und deshalb sich einmal zu feigen und hinterhstigen streichen hergibt, dann Avider in frauenkleidung in den tempel der prinzessin dringt, endlich neben Balaein, aber nicht als freund, sondern nebenbuhler, Pegu belagert, um Banise zu befreien, dieser Zarang dagegen, sage ich, wird von der ihm ewig getreuen Prinzessin von Savaady ganz regekecht überrumpelt und nimt einen völligen neigungs- und damit Charakterwechsel vor, um sich ihrer gelungenen list doch endlich zu freuen.

Auf der siegenden, nach unerhörten gefahren endlich triumphie- renden Seite stehen sodann noch in zweiter linie der alte Talemon und Hassana, Lorangys eitern, deren bruder Ponnedro, der „oberhoffmeister über das frauenzimmer des käysers Chaumigrem", ferner die feldherren Padukko, Mangostan, der Überläufer Martong und endlich der weise Korangerim, Avelcher als neuer Kolim d. i. als Oberhaupt der hierarchie schliesslich die krönung des liebespaares ausführt.

Gegenüber diesen personen steht nun in allererster linie der Wüterich Chaumigrem, der zuerst Higvanama, sodann Banise verfolgt, dann der alte Rolim von Pegu, welcher neben seinem herrn Banisens

chai'aktore hat Zigler freüicK kaimi erstrebt. Richtig ist zweifellos Bobeiiags satz 224: „Der hauptfehler sei, dass diese heroisch - galanten Schriftsteller Charaktere schil- derten, die sie im leben nicht trafen", wenigstens in dem sinne, als sie übertreiben. Ebenso imtersclireibe ich sein uiieil: Grimmeishausen stehe in betreff der menschen- darstellung weit höher. Trotzdem kann ich das wegwerfende wort von dem „poe- tischen unwert- dieser lezten auf die Banise wenigstens nicht mit beziehen,

ZIGLEKS ASIATISCHE BANISE 171

besitz erstrebt; von iluien erleidet der erste durcli Balacin, der zweite diireh die lieldin selbst den tod. Neben iluien wären als einzii^e, nuch etwas charakterisierte nebenpersonen des ersteren briider Xeminbrun und der feldlierr Soudras zu nennen.

Eine ganz eigentümlich grosse zahl schlechter väter und mütter bewegt sich sodann mehr im liiutergrunde der tabel, für die Verwicke- lungen sind sie jedoch gerade von höchster bedeutung. So in Ava Balacins luul Higvanamas vater Dacosem, der die schlänge Chaumigrem grosszieht inul seinetwegen die eigenen kinder von sich stösst, ebenso in Odia der vater Nherandis und Fylanes, Higvero, welcher seiner zweiten trau, jener beiden Stiefmutter, seine liebe zu den kindern erster ehe opfert, ferner in Prom Palekins vater und Stiefmutter, die genau ebenso handeln, so dass der söhn unter dem nanien Abaxar sein glück in der fremde sucht, endlich Scandors vater, der den söhn einer sieb- zehnjährigen Stiefmutter wegen davon jagt. Die einzigen guten eitern sind im gründe nur diejenigen Banisens, deren vater Xemindo in dem besten lichte erscheint, und Lorangys, deren ptlegemutter Hassana doch immer, wenn auch auf einem ungewöhnlichen w^ege, das glück dersel- ben erstrebt, während Talemon als vater gleichgiltiger erscheint. Von den älteren franen in unserem roman ist im ganzen also nicht viel gutes zu berichten, die Stiefmütter erscheinen besonders von ihrer abschreckendsten seite, wie sie nur immer die Volksmärchen darstellen können. Ein paar werte müssen aber im besonderen noch der oben erwähnten Hassana und einer anderen duenna, Banisens hofdame Es- Avara gewidmet werden. Sie repräsentieren die intriguensucht der frauen mitleren alters, sind zu liebesaffairen trotz ihrer Verheiratung auch selbst noch geneigt, beide aber werden vom dichter mit überlegenem humor behandelt. Eswara, des oberelephantenwärters von Pegu abstos- sende gattin, stelt dem edlen Scandor selbst nach, Hassana aber erhält ihn sehr wider ihren willen zum Schwiegersöhne, da er sich für seinen herrn opfert und unter dessen namen sich zu einer ehe nötigen lässt, die ihm bei lichte besehen gar nicht so uneben dünkt.

Die beiden hauptpersonen nun sind für unseren geschmack zu rosenrot gekleidet. Was ich an mangeln, die der dichter beabsich- tigt haben kann, entdeckt habe, beläuft sich bei Balacin darauf, dass dieser einmal sich durch bestochene ratgeber abhalten lässt, in seines feindes ab Wesenheit gleich nach Pegu zu ziehen und Banise zu befreien, sodann dass er nach der ersten befreiung der Banise mit ihr sich ver- irt, obgleich er für die flucht alles vorher genau bestimt hat und w^ahr- haftig zeit genug und vor allem grund genug zum erkunden des weges

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gehabt liätte, und dass er dabei schliesslich vorausreitet und seine braut in feindeshaud fallen lässt, ohne einen versuch zu ihrer rettung zu machen. Es sieht aber nicht aus, als ob das in des dichters äugen flecken auf des prinzen charakterbilde sein selten, obgleich doch beide male die gefahren und seeleu quälen seiner verlobten dadurch verlängert und gesteigert werden. Zigler gibt ihm zwar eine art jugendlicher Unbesonnenheit, lässt ihn schnell verzweifeln, Selbstmordversuche machen, aber er meint zweifelsohne das ideal eines jungen fürsten in Balacin gezeichnet zu haben. Uns könte wol noch mancher andere punkt an ihm aiüiallen, im handeln und im sprechen, doch sie erklären sich leicht aus dem anderen geschmack, der anderen zeitrichtung , sind auch unbedeutend. Banise ist vom dichter entschieden noch vorteilhafter entworfen, engelrein an geist und körper, von heroischer Willensstärke; aber an dem bilde der trau fallen uns doch gewisse züge noch mehr auf, die selbst vor 200 jähren nicht algemein unangefochten vor der schönen leserinnen äugen durchpassiert sein mögen. So wenn Banise in schimpfreden, wie sie heute nur das gröbste hökerweib brauchen würde, allerdings in fürchterlichen Situationen, ausbricht, so wenn sie den Kolim, den hohenpriester, um ihre ehre zu retten, mit dem deiche ersticht.

Die frauen, das ist meine empfindung, hat Zigler überhaupt mit mehr energie im reden und handeln, um es mild auszudrücken, aus- gestattet, als uns angenehm sein kann. Ich will da nicht seine eigen- schaft als Junggeselle mit zur erklärung benutzen, wenn schon die ver- liebe, mit der in den gesp rächen über liebe und ehe abschreckende beobachtungen angebracht sind, dazu verfülu'cn könte. Ich will auch nicht bei den älteren frauen, die in die handlung eingreifen luid die ich schon erwähnt habe, länger verweilen; von deren untreue, eventuell ihren zotenhaften reden, soll später gesprochen werden; Eswara und Hassana sind dafür typisch. Jedesfals kent der dichter aber seine zeit. Die fleckenlose fügend Banisens und ihrer späteren Schwägerin Higva- nama hält er jedoch als die edelste eigenschaft derselben fest, durch ihr und der dritten prinzessin, Fylane, verhalten werden im gründe die pessimistischen anscliauungen , welche Scandor speciell zur schau trägt, lügen gestraft. Doch sanfte, liebliche figuron sind diese damen ganz und gar nicht, sie gleichen viel mehr amazonen, sind eine art mannweiber nach dem mustor der Dido und Semiramis. Schwache nennen suchen wir vergebens, im hass und in der liebe beweisen die frauen sich als starke naturen.

Sind wir nun berechtigt, diese eigentümlichkeit nur aus der rück- sicht auf den geschmack der deutschen leseweit vor 200 jähren zu

ZIGLERS ASIATISCHE BAMSE 173

erklären, oder küimen wir aucli darin eine liühere hiinstlerische Über- legung suchen? Uns erscheinen diese trauen sicher weit mehr als Asiatinnen denn Europäerinnen; aber die briete der pfälzischen tugend- wächterin am hofe Ludwigs XIV., der herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans, welche durchaus in die zeit der Banise fallen, geben uns allein schon den massstab, wie die damaligen deutsehen Prinzes- sinnen sich auszudrücken wüsten. Zwischen jenen tagen und der gegenwart liegt das jahrlumdert der Sentimentalität, über die wogen der Pamela- und Werther -Schwärmerei müssen wir hinüberblicken zu dem öden strande deutscher Verrohung, den der dreissigjährige krieg hinterlassen hatte. Das berücksichtige man für das folgende.

Als Banise zum ersten male vor Chaunngrem geführt wird (231), tritt sie noch ziemlich zahm auf, sie sucht sich durch „hefftigste zorn- blicke" ihm verhasst zu machen und durch „viele scheltworte" ihn zur volziehung des todesurteils zu bewegen. „Blutbegieriger tyrann", „Ver- räter meines Vaterlandes", „henker meiner freunde, mörder meiner lan- des-leute, bluthuud" sind die titel, welche sie ihm zuruft. Stärker schon sind die ausdrücke, die sie nach dem verunglückten fluchtver- such vor ihrem peiniger gebraucht (266). Am höchsten steigt aber wie natürlich ihr zorn, als der Rolim ihr gewalt antun will; die Wen- dungen, in denen sie ihrem gepressten herzen da luft macht, sind die krassesten, welche ihrem schönen munde entströmen, sie würden heute nur in den dichtungen Zolas und seiner schule denkbar sein (353). „Schäme dich ins hertz, du alter stinckender geilheits-bock! Sollen die götter durch deine unzüchtige scheinheiligkeit dermassen beleidiget w^erden? 0 so schlage doch der blitz deinen grauen schedel entzwey!" Und als sie von den reichsräten an des Rolim leiche gefunden wird, bewegt sie sich in ganz ähnlichen ausdrücken (354).

Dieselben lippen aber, die sich durch solche zügellose reden ent- weihen, können auch wider, wenn ein listiger anschlag durchgesezt werden soll, kokette und verführerische werte genug finden. So bei den Vorbereitungen zu dem verunglückenden fluchtversuch. Banise ist eben erst vom Selbstmord abgehalten worden; in dem augenblick, wo sie den dolch in ihre entblöste brüst stossen will, tritt Ponnedro ins zimmer und entreisst ihr die waffe (233). Er sagt ihr: „Wo erd und hölle nicht vermag, kann bloss die list eines frauenzimmers auch selbst die unmögligkeit überwinden." Sie solle sich gegen Chaumigrem der- massen anstellen, dass er mehr Ursache zur liebe als zur grausamkeit haben möge." Und als nun der tyrann zu ihr tritt, während Balacin

1 74 Mt^LFP - FRArEN'STErN'

hinter einer tapete versteckt ist, riclitet sie an jenen die verfänglichen Avorte: „AVo in dieser weit (245) noch etwas zu finden Aväre, womit ein gefesseltes frauenz immer einen solchen ]\Ionarclien, Avelchem die Vergnügung selbst zu fusse fallt, vergnügen könne, so wüste ich doch nicht, worinnen solche erfüUung heruhen solte?" Tm weiteren verlauf des gespräches weiss sie so do})peldeutig zu sprechen, dass es ihren bräutigam hinter der tapete bald heiss bald kalt überläuft; sie geht so weit zu gestehen: ,, Ein verborgener trieb entzündet mich, und ein innerlicher zug heisset mich lieben, das kan ich nicht läugnen." Sie weiss ihn. natürlich nur um zeit zu gewinnen, zu einer standesgemäs- sen Verheiratung zu bereden, dann solte „dem kayser die ersten rosen ihrer liebe zu samein mit freuden erlaubet sevn." Und als der ver- liebte tyrann eilfertig darauf eingeht, verlängert sie die Unterredung „mit verstelten liebesgeberden", nent ihn „mein schätz, mein augen- trost" und beichtet ihm, dass ilir „entflammtes hertze ganz entzückt den Weyrauch beliebter gegen -liebe auf den altar seiner seelen streue und sich diese glut in ihr nicht länger verbergen lasse." „Sie schla- get zu mund und äugen heraus, weil mein geist von lust und liebe gleichsam überschwemmet wird." „Eben diese flammen quälen mein hertze, und ich bin nicht weniger begierig unsere liebe vollkommen zu machen." Drei tage frist bis zur Vermählung sind das resultat die- ses gespräches, und als der abend gekommen, an dem „das Tali" vor sich gehen soll, lässt sie sogar Chaumigrem wissen, dass ihm noch vor der engeren Verbindung ihr zimmer offen stehe. Damit ist die gelegenheit zur flucht ermöglicht; kaum ist der verliebte bei ihr ein- getreten, so weiss sie ihren wundertrank anzubringen und entflieht. Alle diese scenen sind aber, das muss zu Ziglers ehre gesagt werden, nicht weiter sinlich ausgemalt, Chaumigrem bringt es in summa bis zu einem einzigen handkusse, und auch seine worte halten sich hier in gebührenden schranken.

Banisens benehmen gegen den Holim und gegen Chaumigrem können wir nach den gegebenen beispielen kaum anders als extrava- gant nennen; darauf beziehen sich meine worte, wenn ich sie amazo- nenhaft finde. Die schreckliche läge, in die sie durch jene gebracht ist, entschuldigte sie vielleicht vor 200 jähren, heute urteilen wir stren- ger. Gegen ihren etwas weichherzigen vater und gegen ihren bräu- tigam, überhaupt gegen alle anderen personcn, mit denen sie zusam- mentrift, selbst gegen den zudringlichen prinzen von Tangu, ist und bleibt sie die edle und feingebildete dame der vornehmen weit, auch

ZIOLERS ASlATISnH^ BANISR 175

nacli unseren begriffen. Ihre briefe und gediclite' zeiclmen sich vor- teilhaft durcli kürze und niclit gar zu übertriebenen schwulst aus. Ich nenne als probe das antwortslied auf Balacins erstes liebesgedicht nach der Verlobung; mir Avill es von allen das annehmbarste scheinen (164). Auch in den scenen vorher, als l^alacin seine liebe erklärt, spielt sie ^ne natürliche und wirklich liebenswürdige rolle, ihre klarheit sticht nach unserem geschmacke woltuend ab gegen die schwülstigen, unsiig- lich breiten sätze, die Zigler dem prinzen in den mund legt und mit denen er sicher einen glanzpunkt seines werkes geschaffen zu haben glaubt.

Ist demnach bei dem ersten und Avichtigsten liebespaare unseres buches der männliche Vertreter neben seiner partnerin etwas scliwächer gehalten, so ist bei dem zweiten das Verhältnis umgekehrt. Der prinz Nherandi hat dieselben höfischen fugenden wie Balacin, seine persön- liche tapferkeit tritt in den schlachten aber mehr hervor als bei jenem. Jähzornig ist er auch, so wenn er dem bramanischen gesanten den köpf abschlägt (287), aber im ganzen erscheint er schon gereifter als sein Schwager. Dessen Schwester dagegen, seine braut, hat insofern eine gewisse familienähnlichkeit mit dem bruder, als sie zu unbeson- nenen streichen neigt. So schon gegen Chauniigrem und vor allem bei ihrem anmarsch vor Pegu. Eine tagereise davon überlegt sie „mit tausend freuden, wie sie durcli eine Verstellung das Aracanische lager erschrecken und sich hernach mit beliebter anmut zu erkennen geben wolte." Sie macht also halt, um am andern tag den bruder zu über- raschen, und lässt sich von Soudras überfallen und gefangen neh- men. Gegen ihren bruder und ihren bräutigam verrät sie jedoch ganz dieselben treflichen gesinnungen wie Banise; sie gleicht ihr aber auch im verhalten gegen Chaumigrem, der ihr von dem bösen vater Daco- sem aufgezwungen werden soll. Sie durchschaut seine lügen, weiss sich vor ihm zu verstellen und listig seinen anschlagen zu begegnen, standhaft weist sie alle Versuchungen zurück. Auch ilire reden lassen schliesslich an deutlichkeit dem zudringlichen heuchler gegenüber nichts zu wünschen übrig, nur dass sie weniger robuste ausdi-ücke als Banise Avählt. „Hochmütige einfalt", sagt sie (s. 78), „ich als eine freygebohrne Königliche Princeßin soll mich zwingen lassen, einen sclaven der laster zu lieben? Unverschämter graff, schämet euch in euer hertze" usw. Am meisten lässt sie sich einmal gegen Scandor gehen (53), als dieser, ohne den Zusammenhang zu ahnen, sich zum Überbringer eines briefes

1) Selbst Wachler räumt ein, dass unter den eingeschalteten gedichten meh- rere lyrischen geist und tiefes gefühl ven-aten.

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von ChaumigTom hergegebeu hat. Sie speit das sclireibeu an, wirft es zur erde, tiitt es mit füssen und redet den unglücklichen boten mit den freundlichen Avorten an: „Und du, vertluchter hund, darffst dich untei-tangen , mir von einer ewigverbanten person solche Sachen einzu- händigen, welche würdig wären, mit dem hencker beantwortet zu wer- den. Hiervon solte gewiß an dir der anfang gemacht werden, wenn ich nicht des Printzen (Balacin) vei-schonte. Inmittelst lasse dich nicht gelüsten, vor meinem angesicht mc^hr zu erscheinen, sonsten soll dein kopff auff dem rumpffe wackeln.'^ Auch sie hat eimnal Selbstmord- gedanken, doch bewegt sich ihr Schicksal glücklicherweise in weniger extremen bahnen als das ihrer Schwägerin, Avenn ihr auch bei ihrer gefangennähme gelegenheit geboten wird (s. 368), „sich aller w^eiblichen natur zuwider als eine ungemeine heldin zu beweisen" und tapfer in (lie feinde einzuhalten. Das gedieht, das ihr in den muiid gelegt wird, ist gezierter als das Banisens (s. 48), doch nicht so schlimm wie man- ches andere, die scene des widersehens mit Xherandi (370) recht leben- dig und anmutend ausgeführt. Diese leztere partie und der bericht von der briefsendung ihres geliebten, Avelche ihr bruder mit einem kostbaren goldenen Schmuckkästchen (s. 62 66) überbringt, sind die- jenigen stellen, in welchen Higvanamas Schönheit und amnut am mei- sten zur geltung kommen. Sie gibt da Banisen kaum etwas nach.

Das dritte liebespaar endlich, Abaxar oder Palekin von Prom und Fylane, Mierandis Schwester, unterscheidet sich schärfer von den beiden ei*sten als diese unter einander. Abaxar ist von den priuzen im gi'unde der festeste Charakter. Durch harte schicksalsschläge gestählt, voll Zuversicht auf seine, voll mistrauen gegen fremde kraft, vermag er zu schweigen wie das grab, von langer band her anschlage zu schmieden und mit unverdrossener geduld sie durchzuführen. Wie eine art schwarzen rachegeistes steht er neben Chaumigrem, an Teja erin- nernd neben dem Achilleus- Totila ähnlichen Balacin. Ein mal auf dem rechten arme, das wie ein schwert gestaltet ist, hat gleich bei seiner geburt „gantz Asien" auf ihn aufmerksam gemacht. Eine böse Stief- mutter aber, die ihrem eigenen söhne die herschaft zuwenden will, hat ihn dem herzen des vaters entfremdet und durch Vergiftungsver- suche zur flucht getrieben. Fünf jähre weilt er dann in Martaban incognito als graf; Chaumigrem, gegen den er zuerst tapfer gekämpft hat, wird auf ihn aufmerksam und hebt ihn, den gefangenen, nach und nach immer höher, so dass er ausschlaggebend in Banisens Schick- sal eingi-eifen kann. Er, Talemon und daneben Scandor sind die über- legten ratgeber, die Balacin bei der unmöglich scheinenden befreiung

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 177

der Prinzessin zur liand g-elien, er gibt die entscheidenden naeliriehten, zügelt das leidenschaftliche ungestüm und weiss alles zum besten zu wenden. Mit Fylane hat ihn boi dor belagerung von Odia eine merk- würdige vei'kettung von umstünden zusammengeführt. Bei einem stürme ist er der erste auf der mauer, ptlanzt selbst eine Peguanische fahnc auf, wird aber al)geschnii;i"'i und gefangen genommen. Nun stirbt die jüngste Prinzessin von Slam, ilire Stiefschwester Fylane wird von der bösen Stiefmutter beschuldigt, sie vergiftet zu haben, ein verschmähter liebhaber schürt das feuer, und Fylane muss die flammenprobe erlei- den. Von schmerz und seelencpral überwältigt, gesteht sie, was man von ihr verlangt, und wird zur Verbrennung verurteilt. Der Stiefmut- ter ruft sie die entrüsteten werte zu: „Ha, blut-gierige bestie! du l)ist zwar eine henckerin meines leibes, aber doch noch viel zu wenig, meinen willen zu zwingen oder mein gemüthe zu beherrschen. Die erschreckliche schlänge des höllischen rauch-hauses wird deine dräuung an dir erfüllen und dich statt meines vaters mit schwartzen gei- stern vermählen." Dem vater gegenüber bleibt sie eine gute toch- ter, sie sagt zu ihm: „Ob ich zwar von aller weit verlassen bin, und mir derjenige, welcher mir das leben gegeben, statt dessen den tod gewähret: so will ich doch auch sterbende die väterliche band küssen, und die kindliche liebe nicht im geringsten beleidigen. Ihm, werthe- ster Herr Yater, wünsche ich, dass die götter diese that vergessen, und die räche von dessen haupt abwenden wollen. Ich sterbe als ein unschuldig gehorsames kind." Von dem abwesenden bruder endlich nimt sie mit den w^orten abschied: „Dir, allerliebster bruder Nherandi, der du noch meinen tod erst mit innigstem Jammer erfahren solst, sage ich die letzte gute nacht, und schicke dir durch die lufft den letzten abschieds-kuß" {320 fgg.).

Wie anders und wdr fügen hinzu, wde viel schöner stelt Zigler hier eine ähnliche scene des abschieds von der weit dar als spä- terhin bei Banisens Opferung! Ich muss auch hier wider auf die man- nigfaltigkeit der mittel hinweisen, die ihm bei der Zeichnung älmliclier Situationen wie ähnlicher Charaktere zu geböte stehen; ein dichter nie- derer gattung findet sicher nicht so leicht die kraft zu solch gefähr- lichen experimenten.

Doch kehren wir zu dem ti-auerspiele in Odia zurück. Dem vater presst der rührende anblick schliesslich tränen aus, sein schmerz macht sich luft in den w^orten: „Ach! weiten die Götter, es unterstände sich jemand deine Unschuld zu behaupten, so w^olte ich leicht zum beyfall zu bewegen seyn." Und Abaxar, der in ketten und banden in

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 1-^

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der nälie steht, hört diesen seiifzer, er ist von der schihiheit FyUuies betrotieii, von ilu-em sclürksal erschüttert, und erbietet sich, nur mit Schild und stab bewatuet, gegen jeden, er sei bewafnet, wie er wolle, für sie zu kämpfen. Trotz aller hinterlist der königin, die ihm einen möglichst dünnen schild hat reichen lassen, besiegt er den gegen ihn anstürmenden günstling derselben und errettet die Schwester Nherandis vom tode. Der leztere aber erscheint gerade nocli zur rechten zeit auf dem platze, um weiteres unheil abzuwehren, Abaxar und Fylane unter seinen schütz zu nehmen und vater und Stiefmutter mit der gebühren- den sti'afrede zu brandmarken. Dass die zeit des gemeinsamen gewahr- sams von Abaxar wol angewendet wird, um Fylanens herz zu gewin- nen, verstellt sich von selbst, der dicliter ist aber auch so klug, was Lohenstein kaum getan haben würde, sich darüber kurz zu fassen und seine kürze vor dem geneigten leser durch die schalkhafte bemerkung zu begründen: '„Er werde wol selbst wissen, was er vor worte in der- gleichen begebenheit gebrauchen wolte." Die weitere ent Wickelung der dinge ist in der inhaltsübersicht erzählt.

Ich glaube kaum fehl zu gehen, wenn ich am Schlüsse der neben- einanderstellung der drei fürstlichen liebespaare es offen ausspreche, dass die geschwister Nherandi und Fylane, dazu Abaxar noch heute recht dankbare romanfiguren darstellen würden , dass aber Balacin, seine Schwester Higvanama und seine braut Banise weit mehr fremdartige, uns nicht voll befriedigende züge tragen. Fylane ist weiblicher, Nhe- randi und Abaxar sind männlicher nach den modernen begriffen als die anderen drei personen. Da sie nicht in allererster Knie stehen, hat der dichter an ihnen nicht so viel zu potenzieren für nötig gehal- ten als bei den gliedera des Avanischen und Peguanischen hofes, die lezteren leiden unter der wucht sowol der ihnen beigelegten heroisch - galanten eigenschaften als der ihnen zudiktierten erlebnisse. Für die figuren ersten ranges haben wir heute einen andern massstab. Die klarheit der seelischen Vorgänge ist bei Zigler zwar nicht verwischt, diese selbst sind aber unangenehm übertrieben. In anderer weise die hauptpersonen interessanter zu machen war der dichter unfähig. Er kann wol die ähnlichen gestalten ziemlich lebhaft von einander unter- scheiden, in parallelen handlungen eine unterscheidende gruppierung und ausdrucksweise anwenden, aber anders als durch Übertreibung das zu heben, was zu allermeist hervortreten muss, dazu reicht seine kraft nicht aus. Er kann in eine persönlichkeit, die er geschaffen, nicht tie- fer eindringen, sondern vennag nur die färben dicker aufzutragen; uns ist die grössere psychologische feinheit in der Zeichnung der massstab

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für das grössere oder geringere Interesse, das die personon uns abge- winnen. Dazu kam noch ein anderer, wiclitiger grund. In die scliick- sale Nherandis, Fylanens, auch Abaxars sind wir im gründe docii genauer, wenn auch auf viel geringerem räume, eingeweiht als in die der drei partner. An den seelencjualcn und körperlichen leiden der lezteren gehen wir mit fast geringerer teihiahme vorüber; wir fragen uns eher: AVarum komt der dichter dazu, inuner mehr und mehr Jam- mer aufzuhäufen auf die vortretlichsten aller menschen? Der begriff der tragischen schuld fehlt gänzlich. Man sieht aber auch den grund der Vorliebe des alten Dacosem für den grundhässlichen feigling Chau- migrem, unter der Balacin und Higvanama, schliesslich auch Banise leiden, viel weniger ein, als warum der alte könig von 8iam oder der von Prom, die sonst auch wie zwei mit respekt zu sagen alte esel erscheinen, ihre kinder so schlecht behandeln. Da spielt wenig- stens eine sicher recht hübsche zweite frau die rolle, welche hier einer wahren misgeburt zufiilt.

Doch wir gehen über zu den nebenpersonen. Da ist nun zunächst die figur Scandors mit unleugbarem geschick entworfen und ausge- führte Er behält stets seine frische leichtlebige manier bei, ist dabei mit scharfem blicke begabt, gibt mehrmals den einzig guten rat und führt entscheidende Wendungen herbei; er opfert sich als treuer diener nicht nur ein-, sondern mehrmal, in den schlimsten momenten steht ihm seine menschenkentnis und ein gewisser, halb höfischer, halb bäu- rischer humor bei. So windet er sich aalglatt durch alle verwicklun-

1) Scherer neut ihn einen „humoristischen diener" neben dem tapferen heb- haber, der edlen, duldenden prinzessin und dorn schrecklichen tyrannen, Scherr „eine art von hanswurst zur vorsichtigen ab wehr alzugrosscr schmerzen." Cholevius s. 164 sagt: „es verdiene der versuch, in Scandor eine besondere Individualität aufzu- stellen, bcachtung. Sein stand erlaubte ihm ein munteres, witziges wesen. Der ideal gestimte herr bewege sich meist in tragischen Situationen, neben ihm stehe der anspruchslose, lebenslustige, leichtblütige, treue diener. Bisweilen seien seine schorz- rcden etwas ungelenk, sein witz gehe nicht über die gewöhnlichsten spässe hin- aus (?!)." Als beispiele führt er an das gespräch, woiin Balacin Scandor zuredet eine frau zu nehmen, dann die scene, in welcher lezterer als verkleideter portugiesischer händler die hofdamen in Pegu an der nase herumführt, und drittens die autwoiien, welche er nach seiner ersten gefangennähme Chaumigrem gibt. Von diesen scheint mir das erste gar nicht zu passen, die beidon anderen eher. Bobertag s. 254 macht gegen Gottscheds tadel, Scandor sei zu sehr hanswurst, geltend, dass, wo alles sehr grell gemalt wird, auch die derbheit des humors nicht alzusehr absticht. Sonst hält er dessen ausstelluno-en geaen die Charaktere fest: diese wichen von der wahren beschaffenheit der zeit, in welcher sie sich befinden, ab. Er lobt es auch, dass Gott- sched seinen tadel nicht ausdehne auf die consequenz der Charaktere an sich selber.

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IgO MVLLER-FRArENSTEIN

o-en hiiuluroh, an den sklavon in der alten koniödie, an die kaninier- kätzcben des älteren französischen lustspieles erinnernd, erntet dabei die band und das vernu)gen eines vornehmen jungen mädchens, das von einer halb ^vabn^vitzig•en liebesraserei zu seinem berrn erfiült ist, und steht am scbluss als festeste säule des neugegründeten hinterindi- scben reiches neben dem throne der unvergleichlichen Banise und ihres Balacin, in alles, was diese beiden bauptpersoncn betriff, wie niemand sonst eingeweiht und ihres Vertrauens in jeder hinsieht wert. Er stamt übrigens aus einem alten adeligen geschlechte von Ava. Licht und schatten, idealitilt und realität sind bei diesem charakterbilde in glei- cher weise zur geltung gekommen. Ein liebenswürdiger Schwerenöter, über dem der himmel öfter einzustürzen droht, dem aber schliesslich alles gut ausfallen muss, steht da vor uns, wie Avir ihn uns gern in die zeit denken, wo höfische gewantheit und selbstlose Unterwürfigkeit unter eines fürsten gebot und Interessen das höchste äussere glück ver- anlassten. Der alte Talemon ist zu dem jugendlich -kecken Scandor ein in etwas matteren, aber ebenfals anziehenden färben ausgeführtes gegenbild; er ist von derselben treue im grauen haar wie Scandor im braunen, aber seine frische ist nicht nur infolge der schicksalsschläge und des altei*s, sondern auch der erfahrungen, die er in der ehe ge- macht, unmöglich geworden. Er, der im verlaufe des romans zum Schwiegervater Scandoi-s wird, hat durch seine frau, für die der autor nur sehr grelle und unangenehme färben auf der palette im vorrat hält, von einer und zwar der schönsten seite des lebens, von den freuden der familie, ofi'enbar nur sehr schwache Vorstellungen bekommen. Scan- dor bringt ganz eben solche schon vor seiner ehe mit, er spricht witzige und weltkluge ideen über die frauen und die liebe aus, und nach der art, wie er mit seiner zukünftigen Schwiegermutter und frau im ei-sten und zweiten buche umspringt, wird man hoffen können, er werde das alte Sprichwort: „Die ersten jähre der ehe sind die lezten der erziehung" wie an sich selbst so vor allem an seiner Lorangy wahrmachen, an der Schwiegermutter Hassana scheint allerdings hopfen und malz verloren.

Scandors abenteuer sind zahllos, seine reden geradezu gespickt mit den fruchten von Ziglers lesewut, aber ich kann nicht sagen, dass die contouren der persönlichkeit dadurch verwischt wären. Alles hat vielmehr ein bestimtes gepräge, was mit Scandor zusammenhängt; seine unvens^üstliche spotlust, die aber nur selten verletzend Avirkt, geht band in band mit einem gesunden menschenverstand. Wie für seine lose zunge diese beiden grundzüge massgebend sind, so ist für seine

ZIGLKIJS ASIATISCHE BANISf: ISl

Imiidhiiigsweise der v urteil seines herrii allein bestimmend. Er spielt den Don Juan nur in dessen Interesse, um seinetwillen verheiratet er sich mit Lorangy, um seinetwillen hat er vorher der alten Eswara den hof gemacht und ist dabei, da er von deren gatten in ihrem zimmer überrascht wird, in eine ziemlich fatale Situation geraten. Diese bei- den nuvellenartigen episoden sind ganz in der art des Decameron oder der Canterbury Tales gehalten, nur dass sie weit reinlicher verlauten und weit mehr die lach- als die sinnenlust erregen. Seinen humor verliert Scandor weder, als er unter der „Oberdecke'' noch als er unter dem „teppich" versteckt liegt, weder als die intriguantin Hassana noch als des oberelephantenwärters hündchen ihn anbelt. Das eine mal muss die überkluge mutter erkennen, dass sie den diener statt des herrn zum Schwiegersohne gepresst hat, das andere mal bleibt der unnötig eifersüchtige gatte in dem teppich zu einem ballen eingeschnürt auf dem Schlachtfelde liegen. Amüsant ist Scandor doch auch als verklei- deter portugiesischer hiindler in Pegu bei des tyrannen Chaumigrem „frauenzmimer" (253 fgg.). Er preist „point d'Espagne an (wie Bober- tag meint, wol eine art spitze), das von Pariß aus Sachsen kömmt und dermassen wohl genäht, daß man flöhe darin no fangen könte", ferner „treffliche saphire, w^omit man sich ein gehiißiges gemüthe verbinden kan", endlich ein „köstliches schmincköhl'', dessen beschreib ung er in einem buche von seiner grossmutter- Schwester- sohnestochter gelesen habe. Zweimal tritt er als gefangener vor Chaumigrems äugen. Das erste mal mit einem wahren galgenhumor; da berichtet er dem Wüte- rich, sein herr sei heute „auff der post vorbey gegangen" und habe ihn mit dem felleisen (der wider eingefangenen Banise) zurückgelassen. Auch das zweite mal sieht Chaumigren ihn sehr unkluger weise wegen seiner lustigen einfalle nur als einen narren an. Von seiner militä- rischen lauf bahn ist schon kurz berichtet; ganz zu dem charakterbilde passt nun die leichte art, mit der er über seine tapferen taten hinweg- geht. Er rettet z. b. in der ersten schlacht Balacin das leben (39 fg.), wird dabei verwundet, aber dann in die algemeine flucht mit ver- wackelt und berichtet das mit den worten: „Jeder fragte seine füsse um rat und eilte, dass er nicht wusste, ob feind oder freund hinter ihm war." Er erwartet deshalb „mit einem schimpfflichen lufftarreste beleget", d. h. gehenkt zu werden und beschliesst „auch im tode eine dermassen hohe mine blicken zu lassen, daß ilm jedweder fremder vor einen Unter -Feld -Herrn angesehen und respectiren miiste." Und von seiner Stimmung vor diesem seinem ersten treffen legten die naiven werte ein geständnis ab: „Hier verließ mich die Courage auff einmahl,

182 MÜLLER - FKAUENSTEIN

daß ich auf der stelle umkehrte uud niich zur bagage begeben wolte." Zur rede gesezt, stösst er diu in der eile ersonnene entschuldigung her- vor: „er -svolle nur den muster- Schreiber sein testament aufsetzen las- sen, weil er doch wol einsehe, es müsse gestorben sein." Und als der befehl, sich auf tausend schritte zurückzuziehen, komt, freut er sich herzlich, „in meynung, es würde so bis in Ava hinein Avähren, da ich denn gewiß nicht der letzte zum thure wolte gewesen seyn." Ganz charakteristisch ist da wider der zusatz: „und freute ich mich schon, wie mich meine liebe mutter aus dem gefiihrlichen kriege so sehnlich emptaugen würde." Diese liebe nnitter ist die junge dame von sieb- zehn jähren, die den alten vater beherscht und den Stiefsohn verfolgt hat. Ganz bezeichnend ist dann seine weitere erziihlung: Bei dem „entsetzlichen Wort: Setzt euch, schließt die glieder, macht daß gewehr fertig! fragte ich meinen Printzen gantz ängstlich: Gutädiger Herr, sol- len wir auch feuergeben?" wälirend seine abteilung doch nichts als spiesse und Säbel hatte. So treibt er es am anfange seiner militärischen lauf- bahn, so bleibt er bis ans ende, der spassmacher par excellence, der dem tode unzählige male lachend ins äuge schaut.

Gerade die nach Gottscheds ausdruck „übel angebrachte" person des Scandor fesselt, zumal sie nie aus der rolle fält, uns dergestalt, dass selbst die langatmigen erzählungen des ersten buches, die ihm in den mund gelegt werden, durch die art des Vortrages eiuigermassen erträglich werden.

Über die anderen nebenpersonen ist es kaum nötig, uns des wei- teren zu verbreiten, zumal schon von allen die hauptzüge angegeben sind. Dagegen verlangen Chaumigrem und der Rolim, welche das böse princip darstellen, noch eine kurze betrachtung. Bei ihnen trift da.sselbe zu wie bei Banise und Balacin; wie diese zu rosenrot, so schauen jene zu kohlschwarz aus. Der fluch der lächerlichkeit haftet trotz aller grausamkeit an dem „Ertztyrannen"; persönliche feigheit, ungeschickte manieren, grobe redewendungen kommen zu einem uner- sätlichen blutdurst und unbezähmbaren ehrgeize hinzu, um den mann möglichst verächtlich zu machen. Überall holt er sich deshalb auch körbe. In Martaban hat er von nicht weniger als drei vornehmen fräu- lein, die er später henken lässt, abschlägigen bescheid erhalten (145), in Ava will die prinzessin Higvanama, in Pegu Banise nichts von ihm wissen. Die gedichte und briefe, die er verfasst, sind die allerkomi- schesten (z. b. 55, 72, 13}^: es ist kaum anzunehmen, dass Zigler dabei

1) In dem ersten, an Higvamana gerichteten briefe spricht er vom henker- holen'^ und gestattet sich den geschmackvollen satz: ^Es reissct mich hefftig im

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 183

ohne absieht verfahren liätte, und ieh sehe deshalb im besonderen die gedichte mit etwas giinstiiceren äugen an als die meisten sonstigen kriti- ker; sie sind dem dichter ein kunstmittel zur Charakterisierung und zwar ein mittel von durcluxus ungewrihnlicher art. Am meisten tritt dies her- vor, ausser bei dem von Chaumigrem verfertigten und unter Nherandis maske abgeschickten sterbelied, bei Scandors „naclit-liedgen'' (209) mit dem anfang: „Hier kömt Scandor, der (Jötter aih'ns])iel''; dasselbe ent- spricht durchaus der inanier seiner ungebundenen reden. In der ersten sclilacht spielt der spätere kaiser geradezu den Horribilicribrifax. Er hat den Oberbefehl geführt, Dacosems, des ältesten prinzen von Ava tod verschuldet und als erster flüchtigen fusses die schützenden mauern aufgesucht. Während aber Scandor sich zu den versen aufschwingt:

Ihr Götter! soll ich unverhofft

Mein leben schliessen in der lufft;

So soll mich dieser tod nicht kräncken,

Lasst Chaumigrem nur bey mir hencken, gibt der leztere eine darstellung seiner heldentaten (s. 77), wie sie Gry- phius seinen beiden Bramarbas auch hätte in den mund legen können. Auch die folgenden schlachten finden den miles gloriosus stets ebenso auf dem gesichertsten posten, nur vor Prom wird er bei einem nächt- lichen Überfall verwundet. Von dem Rolim endlich ist kaum mehr zu sagen, als dass er überall der lüsterne, herschsüchtige bleibt bis zum tode.

Solchergestalt sind die Charaktere, welche der dichter entworfen hat. Mit welchen mittein nun führt er sie uns vor äugen?

Wenn ich von meinen eindrücken auf die anderer schliessen darf, so gelangen wir zu dem scheinbar seltsamen resultat, dass alle die per- sonen, von denen er ausser lieh und innerlich ein beschreibendes bild entwirft, vor unserem geistigen äuge es absolut nicht zu einem ganz klaren konterfei bringen können. So Banise selbst, Balacin, Hig- vanama, am ersten noch Chaumigrem oder etwa Lorangy. Dagegen nehmen figuren wie Scandor, Talemon, die er nur indirekt, in ihren reden und handlungen charakterisiert, ganz bestirnte gesichtszüge auch vor meiner phantasie an. Ich meine, man erkent daraus, wie in sol- chen romanhelden gleich den leztgenanten nicht nur das algemeine, sondern auch das besondere von dem dichter wirklich gut getroffen worden ist, mag ich mir nun Scandor oder Talemon in der kleidung

linckeu schenckel, wobev sich auch ciu durchfall licfindet: allfin ihre huld kaun mich heilen, und allen schmei-tzen veiireiben " ; er unterzeichnet: „dero hebenswür- diger Ch."^

184 MÜLLER -FRAUEXSTKIN

und mit dem bart- und luiarschuitt des 17. jahrluindcrts oder unserer zeit voi-stellen. Auch iu dieser beziehuug scheint mir Zigier etwas höher als seine zeitgenössischen rivalen zu stehen. AVährend er äussere zustände, ich meine in der natur und gesclschaft, gern beschreibt, ist er damit spai*samer bei personen; das tut er vielleicht doch mit absieht- Denn es sind, wie die nachfolgende aufzählung ergibt, doch nicht wenige, die nicht direkt geschildert Averden, deren äusseres und inne- res bild wir viehnehr selbst construieren aus ihren eigenen reden und handlungen oder aus den urteilen anderer über sie. Wie sicli Zigier eine besonders schöne und eine besonders hässliche frau, wie er sich den „Feuerbrand Hinterindiens" äusserlich vorstelt, kann er allerdings sich nicht versagen auszumalen; auch für eine mittel massige Schönheit, wie es doch neben Banise und Higvanama die prinzessin von Savaady oder Lorangy sein sollen, gibt er eine beschreibung, sonst ist nur Ba- lacins portrait noch schärfer gezeichnet; damit sind wir in betreö' der direkten Schilderungen seiner romanfiguren am ende.

Vergleichen wir jezt die einzelheiten. Des haupthelden bild wird sehr bald entworfen (22), Lorangys blinde Verliebtheit soll dadurch ver- ständlich werden. Dazu erhalten Avir bei gelegenheit des schifsfestes Sapan Donon in Pegu eine darstellung seiner paradekleiduug (131). Für seine heroisch -galanten inneren eigenschaften geben zeugnis seine tapferen taten und seine liebesreden vor Banisen. Die lezteren sind am meisten charakteristisch für den dichter des 17. Jahrhunderts; als probe benutze ich die kostbare liebeserklärung, durch welche die prinzessin gewonnen und Balacins incognito aufgegeben wdrd (159): „So breche demnach die kette meiner schwachen zunge, und bekenne aus inner- stem gründe seines hertzens, dass Balacin, Printz von Ava, bereits mit dem einen fusse das grab berühre, wo ihn nicht die überirdische leut- seligkeit der himmlischen Banisen vom tode errettet. Denn wie die Sonne auch abwesende würcket, und man den unsichtbaren Göttern die meisten opfier gewähret; also schwere ich, daß mich dero Schönheit auch in der ferne venvundet, und die strahlen ihrer tugend entzündet haben. Die begierden haben durch dero hohes lob auch von weiten als ein zunder glut gefangen, welche aber nunmohro durcli den blitz gegenwärtiger krafft vollkommene flammen zeigen. Hemmet sie nun nicht, unvergleichliche Banise, diese brunst, und lasset die brennende Sonne sich nicht in ein güldenes licht süsser gegenhuld verwandeln, so muß Balacin zu asche wxrden. Ich erkühne mich nunmehro unge- scheut zu sagen: Ich bin verliebt. Banise ist die Sonne, ich ihre wende: sie ist mein nord-stem, ich ihr magnet. Schönste Vollkommenheit!

ZIGLKRS ASIATISCHE liAMSE 185

mein gliiendes liertz zündet ilir dun weyraucli leinester liebe an, und ich schwere auch mein getreues leben aufzuoptlern. Weil nun der Götter tempcl dem uffen stehet, welcher sie zu verehren suchet: so eröffne sie demnach ihr himmlisches heiliirthum der seelen, und ver- schmähe nicht das flammende opffer ihres ewig gewiedmeten Balacins." Neben dieses nonplusultra vun geschmacklusigkeit in unserem sinne und von feiner redeweise nach der anschauung unserer voreitern vur 200 Jahren muss man die kernigen worte halten, mit denen derselbe mann seine feldherren vor der schlacht von Abdiara anfeuert; sie klin- gen an Livianische reden an (s. 340).

Banise tritt in den verschiedensten seelenzuständen auf, einmal schamhaft errötend bei der Verlobung ihres paladins, ein andres mal leichenblass zu dem gefesselten vater hinschreitend, um ihm vor dem tode ein glas wasser zur labe zu bringen, dann wider mit geschwun- genem deiche an des Rolim leiche oder mit wankenden knien vor dem opferaltare. Ihre äussere erscheinung Avird von Scandor ausführlich beschrieben (s. 126). Schwarze äugen, hochblondes lockenhaar, ein etwas aufgeworfener niund sind nach Ziglers phantasie die wichtigsten attri- bute dieses Ideals weiblicher Schönheit. Können wir es dem edlen Balacin verdenken, wenn sein ganzes wesen sich umwandelt, sobald diese Schönheit sich ihm zugeneigt hat? Scandor malt gar nicht übel, wenn auch vielleicht etwas spöttisch, seinen zustand aus (s. 161 i'j^.). Bei der abschiedsscene (s. 166) sehen wir Banise auff einem stule in solcher erbärmlichen gestalt vor uns sitzen, daß die unbarmherzigkeit selbst zu einigem mitleiden hätte müssen beweget werden. Die schö- nen haare Avaren zu fehle geschlagen, ein dunkel-gelber atlaß verhüllte den schönen leib, und gab zugleich die innerste traurigkeit ihres her- tzens zu erkennen. Die häufhgen thränen schienen einen theil der vorigen anmuth weggeschwemmet zu haben, und das englische haupt war von der üncken band als einer marmor-seule unterstützet." Die rührenden trennungsklagen schliessen die „beweglichen worte" Bani- sens: „So fahret wohl, mein Printz, mein Engel, mein Leben, fahret wohl! und bedenket, dass ihr etwas hinter euch gelassen, welches sich durch langes abseyn selbst verzehren würde. Fahre wohl, liebster Schatz, den mich che liebe du zu nennen zwinget! Fahre wohl, weil es doch muß geschieden seyn. Die Götter führen und begleiten dich! Es müsse lauter Sicherheit auf allen wegen wachsen, wo du nur dei- nen matten fuß hinsetzen Avirst! Wo du dein Haupt hinlegest, da umschatte dich der Götter Schutz! Ja es müssen alle deine tritte zu rosen werden! Fahre wohl!" Eine sinhcher gehaltene beschreibung

186 MÜLLER -FRAUENSTEIX

von Banisens körpcrrcizcn, die aus des Rolim munde komt, hebe ich für eine spätere gelegenheit auf und erinnere hier nur noch an die stelle, die uns Banise vor dem opferaltare zeigt (s. 388).

Yon dem prinzen Xherandi erinnere ich mich nicht, ^vie schon oben angedeutet, eine direkte Schilderung durch den dichter gelesen zu haben. Der eindruck, den er auf die holdselige Higvanama gemacht hat, und seine tapferen taten sprechen lebendig für ihn. Dagegen erhal- ten wir von seiner braut durcli Scandor ein bild, das ein anderes Schönheitsideal als das der Banise darstelt (s. 49). „Sie war einer anständigen länge, sehr wohl gewachsen, ihr haupt war mit kohl- schwartzen natürlichen locken bedecket usw." Später finden wir sie im garten, wo sie von ihrem bruder mit Nherandis brief aufgesucht wird (s. 62). Sie bewilkumnet ihn „mit einem dermassen anmutigen küsse", dass Scandor noch bei dem berichte „durch blosses gedencken der mund voll Wasser läufft." Bei Fylane und Abaxar verhelfen uns nur der eindruck, den sie auf einander und auf andere machen, und ihr ver- halten in den schicksalsschlägen , die sie treffen, zu einem deutlichen bilde, dii'ekte beschreibungeu von ihnen gibt Zigler nicht. Das gleiche gilt von Scandor und Talemon; der leztere lässt einmal eine bemerkung fallen, die sein vorleben beleuchtet. Er sagt nämlich (s. 88): „Die Göt- ter haben die sünden meiner Jugend durch meine itzige ehe gerochen." Yon seiner frau Hassana hören wir ebenfals nur auf indirektem wege, alles ist aber auch darnach angetan, des ehegatten urteil zu bestätigen. Sie liebt den tnmk, ist neugierig und herschsüchtig, plump, ja roh im reden und handeln. „Einfältiger mensch, der gewiß sehr jung aus der liebes -schule entlauffen ist", so redet sie dem verkleideten prinzen ins gewissen, als dieser ihre deutlichen anspielungen nicht verstehen will (s. 29); „fremde lumpen-hunde" ist ein anderer ehrentitel für die unge- betenen gaste (s. 86); sie denkt sogar daran (s. 87), „nach hofe zu lauf- fen und ihren alten zu verrathen, daß er verdächtige fremdlinge aus Ava beherberget", und fügt die herzlosen werte hinzu: „Hierdurch räche ich meine schmach, und kan mit gelegenheit auch meines alten loß werden." Das stimt nun ganz zu dem, Avas wir aus ihrem und ihrer Pflegetochter munde von ihrer Vergangenheit hören. Erstere erinnert sie: „Sie weiß ja selbst, wie starck das süsse gift der liebe sey, und hat deren würckung so wohl gegen den bewußten Hof- Juncker als auch den Portugisischen cammer-diener sattsam empfunden." Diese anspielung bringt die mutter zu dem geständnis, dass sie sich „durch das süße andencken voriger liebe gantz verjüngt befinde", aber sie fügt den stossseufzer hinzu: „Ich bin zum höchsten leidwesen mehr als

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 187

sechsmahl dergestalt augelauiVcii, daß man mit mir wie mit einem ver- salzenen brey umgegangen, welchen jeder, ^^•enn er ein paar löticl davon genossen, stehen lassen" (s. 8(S). Die pflegetochter Lorangy steht entschieden trotz der komischen rolle, welche sie spielt, etwas höher. Als die mutter ihr ,,eine notlnvendige regul" (nämlich spröde zu tun) für „uns frauenzimmer, welches profeßion von der liebe zu machen suchet", geben will, antwortet sie: „Ich begehre keine profeßion von der liebe zu machen, w^elches sonst gar eine verdächtige art zu reden ist", aber sie fügt hinzu: „Dieser junge fremdling, er sey, wer er sey, hat mich dermassen verwundet, daß ich fürchte, wo nieht das pflaster ehlicher liebe darauf!' geleget wird, es dörft'te auf eine verbotene cur naus lauffen." Und auch sie bricht, als der prinz sich immer einfäl- tiger stelt, in die werte aus: „Alberes geschöpffe, wie hat sich doch Schönheit mit einfalt so unrecht vermählen können? Ich liebe euch, und begehre, wiederum von euch geliebet zu werden" (s. 22). Ihr äusseres malt der dichter folgendermassen : „Sie war sonst von gemei- ner Schönheit, mehr lang und starck, als wohl gewachsen, blasser färbe, verliebter äugen, etwa 24. jähr alt, und endlich einer Standes -gleichen liebe noch wohl würdig: Ausser, daß man einigen mangel, des sonst dem frauenzimmer anständigen Verstandes, an ihr verspührte: indem sie die flammen ihrer begierde durchaus nicht verbergen, noch sich in all-zu helftiger liebes-bezeugung mäßigen kunte"; sie selbst zählt ihre reize ähnlich auf (s. 91 u. 92). Man merkt die doppelte absieht Ziglers, einmal Balacin als unwiderstehlich und vor allem als treu darzustellen, sodann gegen die tugendheldinnen Banise, Higvanama, Fylane einen kontrast zu schaffen.

Ebenso übertrieben, wie dies leztere hier geschieht, fält aus dem- selben gründe die beschreibung Eswaras durch Scandor aus (s. 122. 128). Die holde dame ist später ungeschickt genug, Banisens Verhält- nis zu Balacin, das sie zuerst unterstüzt hat, dadurch entgegen zu arbeiten, dass sie den prinzen von Tangu verkleidet in den tempel, w^orin die prinzessin verborgen gehalten wird, herein lässt; sie wird durch den Rolim entlarvt, und, indem sie durch fremden tritt die hei- ligkeit des tempels entv/eihet, jämmerlich gesäbelt" (s. 306). Dieser prinz Zarang von Tangu nun und die energische prinzessin von Savaady werden im ganzen ebenfals mehr indirekt charakterisiert; von lezterer erhalten wir jedoch aus Balacins, von ersterem aus Banisens munde ein leidliches äusseres bild.

Als dem prinzen von Ava zuerst die prinzessin von Savaady ver- lobt worden ist, klagt er: „Ist dieses die vorgestellte Schönheit, die ihr.

1 88 MÜLLER - FKAüENSTEIN

betrügüclio Götter, nur im trauni zu zeigen, nicht aber im leben dar- zustellen vermöget? Ist dieses die schöne tochter des Königs Xemindo, von dero überirdischen Schönheit das gerüchte fast gantz Asien begierig cremacht hat, sie zu sehen? 0 so darff sich meine Schwester vor beglückt achten, daß sie dieser gar gerne den lorbeer aus der band reisset." Scandor wirft dazwischen: er müsse doch gestehen, dass die Prinzessin ,, seiner Einfalt nach noch recht liebenswürdig sey." Der prinz aber antwortet, „Sie ist nur ein schatten gegen jenem träume. Denn wie jener alabasterne stirne durch die lichten locken um ein grosses erhaben ward: also mißfallen mir an dieser nicht wenig die röthlich sclieinenden haare, Avelche niclit selten einen bösen sinn ver- rathen. Und wie jenes angesichte durch eine runde gestalt seine anmu- thige Vollkommenheit darstellete: also überschreitet dieses durch einige länge die gräntzen der Schönheit. Ihre äugen sind zwar mehr schwartz als blau, jedoch sind sie nur wie ausgelöschte kohlen, bei denen sich kein schwefel der liebe entzünden kan. Ihre lippen sind zwar coral- len, doch ohne magnet, und ihre wangen ein mit rosen allzuhäufig überstreutes feld. In summa, es mißfällt mir etwas an ihr, welches ich selber nicht verstehe, noch sagen kan." Trotz der geschmacklosen spräche, in der Balacin sich ausdrückt, müssen wir doch die deutlich- keit anerkennen, mit der der unterschied ZAvischen den beiden weib- lichen Schönheiten angegeben ist. Der prinz von Tangu dagegen, dem die Savaadysche königstochter unverbrüchlich treu bleibt, wird von Zigler im gründe mit viel weniger günstigen färben ausgemalt; er ist auch ein wesentlich zum bösen geneigter Charakter, launisch, ohne selbstbeherschung, nur seinen neigungen nachlebend, ohne die wiidheit und bösartigkeit Chaumigrems, aber in sinneslust, tölpischer geborde und derben reden ihm nachstrebend. So kann man es der tugend- reichen Banise nicht vordenken, wenn sie dem vater erklärt: „Ich bitte mich eher zu einem opffer als zu einer braut des Zorangs zu bestel- len, ich will eher seinen sebel als seine lippen küssen, weil mich der tod mehr als sein purpur ergötzen soll. Erwegen E. M. doch, ob die- ser zu lieben sey, welcher sich gleich denen bestien fast stündlich in ärgsten Lastern besudelt, und seine brunst täglich durch frischen Wech- sel zu kühlen trachtet. Seine hochrauth verwandelt sich öfters in grobheit und kan hierdurch auch der gemeinsten Seelen einen eckel erwecken." Doch hat der dichter ein einsehen und lässt das ziemlich unähnliche paar zum Schlüsse „lange jähre in größter Zufriedenheit und Vergnügung beysammen leben und unterschiedene tapffere zeugen ihrer liebe erzielen.''

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE ISO

AVic Banisc vom diditcr dazu ausorselien ist, von diesem lieb- haber im gespriiehe ein bild zu entwerfen, so anch von dem zudi-ini^- lichsten aller ihrer verelirer, dem Kolim. Sie antwortet ihm einmal auf seine verliebten reden: „PJs sey nun, alter Vater, eure liebe ernst oder seiiertz, verboten oder erlaubet, so werdet ihr euch doch wohl zu bescheiden wissen, daß derjenige, weleher sein beschueytes liau})t noch mit Venus- mvrthen zu bekriintzen suchet, mir feucr in den schnee und im winter rosen suchet. Und wie sich ein bleyerner liebespfeil der alten gar nicht nach dem güldenen ziel grünender Jugend i'ichten lässt; also Aveiß ich nicht ob ich zu viel rede wenn ich sage: es ver- diene meine Jugend ein grösseres mitleiden, als daß man sie mit einem nach dem grabe schmeckenden küsse qviilen wolte" (s. 299). Es bleibt uns nur noch übrig, die kunstgriffe des dichters zu verzeichnen, durch die er Chaumigrems persönlichkeit lebendig vor unser äuge zu bringen sucht. Scandor lässt seiner laune in der Schilderung (s. 50) freien lauf, er schliesst mit den worten: „In summa, es war ein recht crocodil der liebe und eine mißgeburt der affection."

Von seinen eigenschaften als oberfeldherr erhalten wir den besten begriff beim lezten stürm auf Odia: da hält er eine kräftige kurze rede, wie sie etwa Attila auf den katalaunischen gefilden gehalten haben könte, und sezt bei dem stürm alles daran, den sieg zu erringen (8.32(3). In seinen lezten äugen blicken, als Balacin ihn mit dem für Banise bestirnten strick zu boden gerissen und mit dem scharfen opfersteine einen tötlichen stoss in die linke brüst versezt hat, bietet er einen grässlichen anblick; brüllend wälzt er sich in seinem blute, und muss „mit ach und weh seinen schAvartzen geist der flammenden Hölle zu- schicken" (s. 396).

Auch diesen abschnitt können wir mit dem facit schliessen, dass es die Übertreibung in erster linie ist, welche uns diese bilder so fremd- artig erscheinen lässt, dass die art aber, wie der dichter alles arran- giert, Avie er den von ihm ersonnenen figuren leben einzuhauchen, fleisch und blut beizulegen sich bemühet, ganz und gar nicht ungeschickt ist, vielmehr bedeutendes kunstverständnis verrät. Unser lezter teil wird die geschmacksänderung, welche seit 200 jähren in Deutschland vorgegangen ist, noch deutlicher nachweisen, er befasst sich mit der spräche und der gefühlswelt im algemeinen, soweit sie sich in unserem roman luft macht. Der schwulst der sogenanten zweiten schlesischen schule erhält hier also in höherem masse als bisher seine beleuchtung, wenn schon die ungeheuerlichen zahlen, die unnatur in den gefühlen der verwanten, die Übertreibungen in den äusserungen

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des hasses wie der liebe, die häiifun^: schlechter und ,c,uter taten durch die träo:er des schlechten und guten princips dem nicht fern stehen, was uns noch zu behandeln bleibte

Wie die Vertreterinnen des schwachen geschlechts sich in unserem romane durch starke nerven auszeichnen, so sezt dies der dichter auch bei seinen schönen leserinnen voraus. Es kann sich eine Situation schon recht grässlich anlassen, er muss noch neue momente dazu tra- gen, welche die neigung für das wunderbare, das phantastische, das unerwartete noch mehr befriedigen wir würden heute sagen, welche diese neigung geradezu ad absurdum führen. Gleich der anfang bie- tet dafür ein klassisches beispiel. Balacin komt infolge eines briefes von Talemon ganz allein in die umgegend von Pegu, ohne hilfe für Banise mitzubringen, die er ausserdem für verloren halten muss. Da wird er von drei Bramanern überfallen und in die linke Schulter verwundet, doch tötet er zwei der angreifer, den dritten verjagt er. Er fält in Ohnmacht, kommt wider zu sich und kriecht auf allen vie- ren das ufer des flusses hinunter, wo er unter baumwurzeln eine aus- gewaschene höhle entdeckt. Die leichen der zwei getöteten werden über um liinAveg auf den sand geworfen, die nähe der feinde und eigene ermattung nötigen ihn versteckt zu bleiben. Er schläft bis zum späten abend, der mond beleuchtet „mit vollem glänze das silber des rauschenden flusses." Der schmerz der wunde und der nagende hun- ger (er hat seit zwei tagen nichts gegessen) wecken den prinzen, er sieht im nächtlichen Zwielicht die zwei leichen, ausserdem aber noch eine ganze anzahl anderer angeschwemter körper, welche Chaumigrem zwei Wochen vorher in den fluss hat werfen lassen. Wenn er um sich gi-eift, erfasst er bald eine eiskalte band, bald einen köpf voll haare und andere bereits vermoderte menschliche glieder; darum kriecht er

1) Bobertag betont mit recht s. 210 fg., dass im stile grosse fortschiitte bis dahin seit Luther gemacht worden seien, grössere als je in Deutschland. Von Opitz bis Lohensteiu .sei die graramatik immer regelrechter und konsequenter, die spracli- niengerei immer geringer geworden, dem stil habe man durch den satzbau und figu- ren eine ruhige würde verheben. Am weitesten sei man (212) darin gekommen, dem gedanken einen klaren und präcisen ausdruck zu geben. Unklarheiten seien sehr wenige vorhanden, neuere novellisten könten sich daran ein muster nehmen. Der schwulst sei freihch zuzugeben, aber es gäbe heute doch aucli recht viel. Er defi- niert ihn (213) als ,, jedes den guten geschmack verletzende zuviel des sprachlichen ausdmcks im Verhältnis zu dem, was ausgedrückt werden soU.'^ Die bewunderung für curiöse gelehrsamkeit und der mangel einer reinen Umgangssprache seien vor allem daran schuld. Ich setze hinzu, unsere heutige salonsprache hat noch liäss- hchere mängel.

ZIGLERS ASIATISCHE HAXISE 191

lieber aus der hohle heraus, wird nun aber von einem herabspringeu- den tiger erschreckt, der die leichen gewittert hat. Diesem schlägt er die rechte tatze ab, und nun erst sind die nächsten gefahren glücklich überwunden. Talemons stimme, die er jedoch nicht erkent, klingt plötzlich an sein ohr, und in dessen schloss findet er pflege und schütz. Aber er nent zuerst aus vorsieht seinen nanien nicht, weiss auch nicht, wo er sich befindet, und wird in ein finsteres gemach geführt, das „gantz schwartz zu sein schiene." Er (Uiiet das fenster und sieht einen steilen felsen hinunter, „dessen thal voller bäume und sträucher stund, darinnen einige wölft'e entsetzlich beuleten, welche unangenehme music etliche eulen mit ihrem sterbegeschrey vermehreten, daß unserem Pi-in- tzen die haare zu berge stunden, und nicht anders vermeynte, er wäre aus einer mördergrube ins grab gerathen." Wahrhaftig ein nacht- gemälde ä la Höllen -Breughel, so dass wir erleichtert aufatmen, als man sich nach zAvei stunden wider um ihn kümmert, ein alter mann mit einer laterne in das zinimer tritt und Balacin und Talemon sich in die arme sinken (s. 10 18).

Ein anderes meisterstück Ziglerscher nervenerprobung ist der bericht von Martabans Zerstörung (s. 141 146). Nach einem furcht- baren „wüten, würgen und niederhauen" wird die Stadt dem erdboden gleich gemacht und über die wenigen gefangenen gericht gehalten ^ 3000 mann mit spiessen und musketen führen „140 kern-schöne wei- bes-bilder", jedesmal vier und vier zusammengebunden, mitten drin die königin zwischen ihren vier kindern, herbei. „Ihre gesiebter waren alle dermassen schöne, daß sie unter den abscheulichen haufPen ihrer führer und henckers- knechte wie die sonnen -strahlen unter den schwar- tzen wolcken hervorleuchteten. Man erblickte an ihnen das zarteste wesen, und spielten die vor angst erblasseten rosen ihrer wangen noch mit solcher anmuth, daß auch die steine hierdurch hätten sollen erwei- chet werden, angesehen alle zwischen funffzehen und fünft" und zwantzig Jahren ihrer Jugend mit einer schmertzlichen todes-art verwechseln musten. Dieser vor äugen stehende schmähliche tod und erbärmliche unbilligkeit pressete einen seufftzer und zetter -geschrey nach dem andern heraus, worbey diese schwache doch holdseelige creaturen fast jedesmal in eine ohnmacht fielen. Ob nun zwar viel andere weiber, welche ihnen das geleite gaben, ihnen allerhand stärckungen und confect rei- cheten, so kunten und weiten sie docli nichts kosten, sintemahl die bitterkeit des todes alle Süßigkeit in wermuth verwandelte." Dann

1) Abaxar, der sicli doch auch darunter befindet, wii'd dabei nicht erwähnt.

192 * MÜLLER- FR AUENSTEIN

folgen sechzig trauerlitaneien singende priester und vierhundert kleine kinder, „-welche in einer langen reyhe daher Heften: Diese waren iinter- werts des leibes gantz bloß, hatten stricke um ihre hälßgen und weisse brennende wachskertzen in ihren händen/' Dann komt die Bramanische wache, ein trupp von hundert elephanten und noch so viel anderes Volk, dass Zigler zweitausend reiter, zehntausend mann fussvolk und zweihundert elephanten zählt. An zwanzig galgen Averden je sieben von den trauen und zwar an den füssen aufgehängt, „weswegen sie denn unter schmertzlichem seuiftzen erst in einer stunde in ihrem blute erstickt waren." Ein rührender abschied von der königin ist vorher- gegangen, ein noch traurigerer der lezteren von ihren kindern folgt, dann bricht ihr das herz, sie sinkt tot nieder, wird aber schleunigst noch an dem einundzwanzigsten galgen mit ihren vier kindern und vier hofdamen aufgeknüpft. Dem gefangenen könige aber wird in der folgenden nacht ein schwerer stein an den hals gehängt und er wird mit sechzig vornehmen herren ins tiefe meer geworfen.

Ähnlich raffiniert ist die beschreibung von Xemindos hinrichtung (s. 189— 198), von Proms und Odias Zerstörung (s. 202 205, 325 330) u. a. Mit einer wahren henkerslust ist z. b. die ungerechte bestra- fung aller der Vergiftung der prinzessin von Odia angeklagten aus- gefülni; (s. 315. 316).

Wie das grässliche, so ist auch das komische in mehreren bil- dern bis zur Verletzung aller heute geltenden künstlerischen grenzen übertrieben, am wunderlichsten ist die mischung von komischem und gefühlvollem, die an einigen stellen hervortritt. Dies gilt z. b. für die scene, wo der kaiser Xemindo seine tochter in einem zimmer allein lässt und ihr befiehlt; den tapeten desselben, die sie zu zeugen ihrer liebe angerufen hat, gütige antwort zu erteilen. Hinter den tapeten aber steht Balacin, was Banise nicht weiss (s. 156 fg.). Chaumigrem führt in seiner Verliebtheit die wunderlichsten streiche aus (s. 48 fg.). Er hört Higvanama im garten eine schmachtende liebesarie singen, springt plötzlich hervor und schreit aus vollem halse: Chaumigrem stelt sich ein, „lachte auch hierauff mit vollem Halse dermassen, als ob er die artigste saclie vorgebracht hätte." Er blizt natürlich gründlich ab, ist aber so fest von dem eindruc^k überzeugt, den er gemacht hat, dass er die verschiedensten bäume nach einander umarmt, im glauben, den gegenständ seiner liebe in den armen zu halten; der eine dieser bäume sticht, der andere stösst ihn auf die empfindlichste weise. Später nähert er sich ihr mit solcher ehrerbietung, dass es scheint, „als ob er mit der nase an die erde gewachsen wäre, weil jedweder schritt mit einer

ZIGLERS ASIATISCHE HANISK 193

tiefen neigang be^i^-loitot wurde." Die übrigen keniiselien i)artien, Seau- dor bei Eswara (s. 181) und bei lA)rangy (s. 210 fg.), die enthüilung des Hassana und Lorangy gespielten betrags (s. 215), das widersolion Nhe- randis und Higvanainas (s. 370 fg.) und endlicli das Zarangs und der prinsessin von Savaady sind weniger übertrieben und cntspreclieu mehr unseren begriffen von dem, was spassliaft wirkt.

Ich füge hier nun noch mehrere beispiele dafür an, wie die vei- schiedenen gefülüe nach des dichters darstellung sich äussern und in welchen sich geschmacklosigkeit und kraft oft in wunderlichster weise verbinden. Die oft citiertcn ersten drei/.ehn zeilen des erstr'n l)uches, in denen Balacin blitz, donner und hagel auf Chaumigrems residenz herab wünscht, kann ich als bekant voraussetzen. Während sich in ihnen nur der sehnüche wünsch nach räche ausspricht, ist die äusse- rung seines Schmerzes über Banisens wahrscheinlichen tod in der regel mit einem Selbstmordversuch verbunden, der von den umstehenden ver- hindert wird. Das entzücken über den träum, in welchem er sie zuerst gesehen, macht sich in den werten luft (s. 99. 100): „Ach hinimel, was vor eine überirdische Schönheit hat sich denen gemüths- äugen im schlafPe vorgestellet : Ihr blosses anschauen hat mich entgeistert, und das andencken setzet meine seele in empfindlichste flammen. Ich schwere, dieses bild soll mir nimmermehr aus meinem hertzen geris- sen werden. Ich will alle ecken der weit durchreisen, und die Schön- heit suchen. Bin ich hierinnen unglücklich, so will ich sie doch im himmel antreffen." Als sie dann durch ihn von dem verfolgenden panther gerettet Avorden ist und zum ersten male „ihre rosenlippen" geöfnet hat, werfen ihn „ihre zucker- werte zu der erden, dass er mit den verliebtesten geberden den säum ihres rockes küste" (s. 120). Bei der künde von Chaumigrems greueltaten in Martaban rät er „statt übriger thränen das schwartze blut der feinde zu vergiessen und nicht eher zu ruhen, biß des mörders köpf in einem mörsel zerstoßen und die verhassten anstiffter dieser mordthat denen entseelten ein blutiges rach-opffer seyn mögen." Und als der schmerzerfülte kaiser Xemindo ihm antwortet: „Hierdurch muß auch ein ambos, geschweige ein menschliches hertze, gekrümmet und weich gemacht werden, wo der Unglücks -hammer so gar harte hinschlägt", entgegnet er: „Die glut der räche kan alles wieder gerade machen, und diese wunden können nicht anders denn mit dem blute des tyrannen geheilet Averden. Ich schwere es bey der evrigen Gottheit, daß, wo mir nicht durch einen fall das leben verkürtzet wird, ich dermahleinst noch mit eigner band die grau- samste räche von diesem ft-auen-mörder nehmen will" (s. 147). Seine

ZEITSCHRin F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. lo

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freude über einen brief von Banisens band zeigt er, indem er die auf- scbrift inbrünstig küsst und sagt: Acb angenelnnste Zeilen, deren schrifft nicht irrdische äugen, sondern sonnen zu lesen würdig sind. Woblau, es sey gewagt, icb erbreche den brieft', um bey diesem zucker der galle nicht zu entwöhnen." Und als er nun gelesen, dass sie bin- nen vier tagen sterben soll, ruft er aus: „Wehe mir, die zeit ist zu kurtz, und ich bin verlohren. Ach! so ist denn kein beständiger Son- nenschein mehr zu huti'en, untl muß ein jeder stern zum cometen wer- den? Zwar derjenige solte sich wohl vor keinem ungewitter mehr fürchten, welchen der ungütige himmel schon öffters durch harte blitze verhehret und betrübet hat. Allein wo er zugleich mit den keulen seines zorns spielet, da muß auch der festeste grund erzittern" (s. 237). Sehen wir auf der anderen seite, wie Banisens gefühle (ausser den oben besprochenen extremen fällen) sich äussern. Als sie in einem Selbstgespräche zum ersten male ihre neigung verraten hat, und Bala- cin, der alles gehört, zu ihr tiitt, tut sie einen lauten schrei imd läuft nach dem fenster. „Als nun schrecken und schäm die schöne purpur- farbe ihrer wangen um ein grosses vermehrte, und ein anmuthiges zeugniß ihrer züchtigen schamhafftigkeit gegeben, oder vielmehr ange- deutet hatten, daß der Printz noch dermaleins ihre Vollkommenheit und keusches herlze als die edelsten schätze der triumphirenden natur für lieb- und leibeigen besitzen würde, also war mein Printz (so erzählt Scandor) eine gute weile mit seinen äugen an den ihrigen gehefFtet verblieben, deren magnet als zwey hellfunkelnde nord-stei'ue ihn gantz an sich gezogen hatten" (s. 157). Die freude über Balacins ersten ret- tungsplan entlockt ihr die worte: „Nun schmeltzet mein hertze, und die seele krieget flügel, ja ich vergöttere mich gantz, daß ich meinen Printzen, meinen Schutz -Engel, so nahe wissen soll" (s. 236). „Ich folge, wo man mich hinführet. Ich will mit ihm die verbrannten meh- ren besuchen, ja auch die kalten nord-länder, wo sich die weissen baren auffhalten, nicht ausschlagen, denn solte mich gleich der himmel zu ihrer kost versehen haben, so Avürde ich doch viel sanffter in sei- nem schoß sterben, als hier in verhaßtem purpur leben" (s. 257). Ihren zom gegen den prinzen Zarang, als dieser sie im tempel mit den schnö- desten antragen verfolgt, drückt sie einmal in dem energischen satzc aus: „Wenn ich Göttin wäre, so wolte ich blitz und bley auff eure Verwegenheit regnen lassen, und das unzüchtige hertze in tausend stücke zerreissen" (s. 306). Die freude über ihre rettung endlich lässt sie vor dem opferaltar zu des prinzen füssen niedersinken und mit „schwacher und beweglichster stimme" ihren dank sagen (s. 379 fg.).

2IGLKRS ASIATISCHE BANtSE 195

Auch in Higvaiiamas aiitlitz sehen wir übrigens einmal wegen eines briefes von Nheraiuli eine „solche bestiirtzimg und freude" sich verbreiten, „daß die färbe der waiigen sieh naeli der stirn zugen, und also dem gantzen gesiebte eine angenelnne ritthe verursachte" (s. 63). Ihr schöner mund drückt unzählige küsse auf (bis „glückselige blat." Der erste abschied ihres bruders zieht ihr eine oimmacht zu, und sie bricht dann in die klage aus: „UnglückliclK.* Iligvanama, so solst (hi nun die andere helffte meines hei'tzens vollend verlieren, nachdem du das eine theil (Nherandi) fast zwey jähre entbehren müssen. Soll ich den, welcher nicht mein bruder, sondern mehr als mein vater gewesen, von mir scheiden lassen? Worzu nützet mir demi mein leben? Grau- samer vater, sind deiui alle Avolcken leer, und heget ihre finsterniß keinen blitz mehr in sich, solche greuelthat zu rächen?" (s. 85). Sie beschliesst durch einen dolchstich ihrer bedrängten seele luft zu machen, „daß sie ungescheut um ihren liebsten Nherandi und w^erthesten Bala- cin sclnveben möge", was der leztere natürlich hindert. In der gefan- genschaft des Soudras sehen wir „die armselige Königin gebunden, welche vor wenig tagen ein grosses reich beheri-schte, und noch vor etlichen stunden hunderttausend köpfte zu ihrem winck stehen hatte. Ja die sich nicht sattsam an der süssen hoff'nung vergnügen kunte, wenn sie ihren liebsten bruder mit einem schwesterlichen liertz -getreuen küsse umfassen würde, die muß sich jetzt als sclavin in die arme ihres feindes werfFen, und die prächtige last, w^ill sagen, silberne fessel, küs- sen" (s. 366).

Nach ihrer befrei ung durch den verlobten endlich heisst es: „Die Zeit erlaubte ihnen sattsam, eine verliebte ei'innerung des vergangenen leid- und fi-eudenwechsels gegen einander anzustellen, und sich nach verzogenem ungewitter an der liebes-sonne, wie keusch-entflammte pflegen, wiederum zu w^ärmen und zu ergötzen" (s. 372).

Als gegenbild hierzu führen wir Lorangy an. Sie begibt sich z. b. einmal mit ihrer mutter so „eylends" aus dem zimmer Balacins und „schmeißt" die tür mit solchem ungestüm hinter sich zu, dass Zigier w^inscht, „es hätten damahls aller bösen weiber köpfFe darz wi- schen gestecket" (s. 30). Ihre haupteigenschaft bleibt aber die Verliebt- heit, die bezeichnendste stelle dafür findet sich s. 91 94. Da bricht manchmal eine glut der spräche hervor, die an das hohe lied Salomo- nis oder an Yenus und Adonis, den Shakespeare zugeschriebenen sonet- tenkranz, erinnern könte.

Des prinzen Zarang liebesseufzer klingen bei weitem unschöner, seine mildesten ausdrücke vor Baniseu sind folgende: „Unempfindlichste

13*

1 MÜLLER - FR AÜEXSTEIN*

Princeßin! so können denn auch die zoiten und da> nnglück, welche sonsten ertzt und niannor bezwingen, ihr liertze nicht entsteinern? Ist deim meine liebe so gar verhaßt, daß sie nur jederzeit mit verstopff- teni ohr imd stählernem gemüthe soll angenommen werden?" (s. 804). Zu seiner siiilichen natur aber passt es schliesslich, dass er der prin- zessin von Savaady sich zuneigt, als er sie „in beweglicher gestalt vor sich knien sähe, die Alabaster-haut der eröffneten brüst betrachtete und einer sonderbahren annuith in dem gewiß liebenswürdigen wangenfelde gewahr wurde" (s. 381). Das stimt zu des Rolim reden, der, ehe er Banise gesehen, Chaumigrem Avarnt: „Durch das anschauen beherrschen die schwachen weibsbilder die stärcksten männer, ihr flehen und bitten sind geböte, ihre thräuen wilde wasser, welche den dämm des besten voi*satzes durchdringen, und ihre seuffzer sind stürm Avinde, denen auch der unbeweglichste Colossus nicht widerstehen kan" (s. 228). Aber bald verspricht der alte süuder dem kaiser, Banise „die liebes-pillen erwünscht einzubringen. Angesehen sie nur noch ein kind ist, das noch in schalen stecket, und ein bäum, auf welchem der kützel noch nie s:eblühet hat. Ich will ihr aber schon durch süsse lehren die knos- pen aufthun" (s. 267). Er begint dies mit den worten: ,,Ich komme hier als eine biene, av eiche klee suchet, und vor ihren Käyser sorget, dessen mund so sehr nach ihr lechset. Der blitz ihrer äugen hat ihn entzündet, und ich sehe selbst, wie anmuthig der Scharlach iliren mund und der purpur ihre wangen decket. Hier brennet lebendiger schnee, imd dort quillt zinober. Und diese Schönheit ist Avürdig, einen Käyser zu vergnügen" (s. 268). Er meldet das resultat seinem henii mit dem trost: „Holtz, das bald feuer fängt, hält nicht lange kolilen. Der hundsstern, welcher fast die halbe Avelt durch liitze ver- zehret, hat nicht lange frist zu brennen." Aber der trostlose seufzet: „Die seiffe der Verachtung ist zu Avenig, ihr bildniß aus meinem her- zen zu tilgen" (s. 271). Und der ungetreue böte seufzt bald selbst: „Princessm, ich liebe sie, und avo die rose ihres Avohlstandes blühen soll, so wisse sie, daß solche aufi' den grund meiner liebe müsse gepflantzet werden. Ich lodere, ich brenne, ich sterbe: avo niclit die unvergleichliche Schönheit denjenigen in ihre arme nimmt, Avelche ihn magnetischer Aveise an sich zeucht" (s. 296).

Die unmenge rhetorischer figuren und Avendungen, Avelche schon die vorgeführten beispiele aufweisen, Avird avo möglich noch gesteigert in Chaumigrems munde. So Avenn er dem könig Dacosem klagt: „Hig- vanama ach! Higvanama ist die feindin meiner ruhe, in iliren äugen ruhet mein tod und leben. Großmächtigster König und Herr, ich

ZIGLKU.S ASIATISCHE BANISK 397

geniesse umvürdii^st dero üborflüliige gnade; allein ohne der Princeßili gunst ist mir dieser Zucker nur galle, und dero versagte luild wird mich bald aus I. ^1. äugen rücken" (s. ()1). Zu Banisc sagt er einmal: „Wie so betrübt, meine Schöne, wenn werden uns die benetzten Avan- gen trockene rosen und dio ti'aurigcn äugen frühliclie sonnen gewäh- ren?" Und weiter: „Mit einem werte, Chaumigrem brennet und erkie- set Banisens liebe zur kühlung seiner flammen." ,Jn meiner seele herrschet brunst und ilainme, welcher allen haß nunmehro verzehret hat." Als aber Banise ausAveichend ihre eigenen reize herabgesezt hat in dem satze: „Einem solchen Herrn müssen gestirnte kertzen und nicht schlechte irr- lichter zu bette leuchten", schwingt er sich zu dem vergleiche auf: „Ich erkenne mehr als zu wohl, Avie der fruchtreiche herbst ihre brüst und der anmuthige frühling ihre lippen beseelet. Weil sich auch der sommer in völliger pracht auf der rosen -Avangen zeiget: AA'ie kan doch der verdrießliche Avinter im hertzen Avohnen" (s. 244 46). Nach dem verunglückten fluch tversuch strömt seine leidenschaft noch immer in den sätzen hervor: „Ach, grausame Banise! Avelche ein Ari- maspischer Avolft' mit gift't und blute muß gesäuget haben. Ihr kaltes hertze muß auch das eyß aus Zembla (NoAvaja-Semlja) übertreffen, Aveil mein heisses bitten weder vormahls, noch mein flammendes begehren jetzund zu schmeltzen vermochte" (s. 267). Besser stehen dem Avüte- rich alle die färben zu gesiebte, mit denen sein blutdurst und seine Avütenden zornesäusserungen ausgemalt Averden. So, Avenn er sagt: „Wir meyneu, daß, avu unsere Avolfarthslilien am besten blühen sollen, man nothAvendig che fehler mit des feiudes blute düngen, und avo Avir unser Reich befestigen Avollen, man die stufFen zum throne durch feind- liche leichen bauen müsse" (s. 219). Ponnedro Avider drückt seine ansieht über die A^erbindung von Chaumigrems liebesraserei mit seiner sonstigen natur in dem geschmackvollen satze aus: „Die durchdrin- gende Schönheit der Princeßiii hat auch dieses tygerhertz bezwungen, dannenhero ei* von dem gifft eingesogener liebe fast zu börsten ver- meynet" (s. 238). Im zorn schreit Chaumigrem: „AVo ist die bestie, wo ist der ertz-verräther?" und lässt „seinen grimm durch folgende Avorte und grausamen befehl ausdünsten: Daß nicht alsobald tausend hencker erscheinen und dir verfluchten hund den A'erdammten lohn durch pech und schAvefel ertheilen. Darffst du vermaledeyter erdAvurm dich dessen unterstehen, dem strengen befehl unserer geheiligten Maje- stät boßhafftig zu Avidersti-eben ? " (226. 227). Oder als Banise entAvichen ist: „Blitz, brand, schwefel, bley und hundert hencker sollen diese

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Schmach riichcn, und ihr alle solt es mit euren hülsen bezahlen, daß ihr dieses hellen -kind entreissen lassen'' (s. 261).

Doch führen Avir schliesslich noch etwas weniger Scharfrichter- massige Wendungen an! Scandor und Talcmon sollen uns unter die leidlich civilisierten menschen zurückführen. Der alte reichsschatzmei- ster des kaisers von Pegu bricht bei dem bericht von dessen gang zum liinrichtungsqlatz in die klage aus: „0 Avunderliches verhängniß! o ver- änderliches glück! 0 spiegelglattes eiß der herrschaft! da sich die crone in einen cypressen-krantz und das scepter in einen blutigen mörder-stahl verwandelt. Hier sehen wir, wie vergebens wir arme menschen bemühet sind, wenn wir uns unterstehen, den Schluß zu mei- den, welchen das verhängniß in das hinimels-buch mit solchen zieffern, welche niu' die Götter verstehen, eingeschrieben hat'' (s. 195). Scandor auf der anderen seite wird nie so sentimental. Selbst als er mit Bani- sen von den verfolgenden Bramanern eingeholt wird, lässt er einfach sein pferd laufen, sezt sich neben die prinzessin, deren ross gestürzt ist, auf die bauniAvurzeln und sagt ihr: ,Jch kan mir nicht weiter helf- fen. Hier wollen wir sitzen bleiben, und uns vor zwey hasen aus- geben: weü es nun im gehege ist, so werden sie uns wohl ungebrühet lassen" (s. 263). Seine Verwunderung, als er in Talemons schlösse plützlich seinen verwundeten herrn findet, macht sich in dem drasti- schen ausrufe luft: „0 ihr Götter, errettet mich von diesem zaubcr- orte. Talemon, ihr alter hexen -meister, ihr verblendet meine äugen." Er will „zur thür hinaus reissen", wird aber von dem schlossherrn zurückgehalten und komt schliesslich „mit zitterndem fusse" an das bett des prinzen (s. 30). Den höchsten grad seiner ergebenheit gegen diesen spricht er in den worten aus: „Wo einige treue gegen einen so grossen Herrn durch eine geringe heyrath kan bewiesen werden, so wolte ich mich wol unterfangen, das älteste, heßlichste, boßhafftigste und ärmste weib in gantz Asien aufFzusuchen , und mich dadurch den Göttern so weit angenehm zu machen, daß sie nach diesem leben mei- ner gewiß verschonen würden, weil ich die hölle sattsam auff erden gehabt hätte" (s. 179). Das ist doch bald so hoch geschworen, wie es Banise mit dem gelübde ihren Balacin zu den mohren wie zu den eskiraos zu begleiten tut.

Ich habe auf den lezten selten eine ganze auswahl von Empfin- dungs- und wunschäusserungen nach Ziglers manier zusammengestelt, imd zwar mit möglichster Vermeidung der für die einzelnen Individuen charakteristischen stellen. Sie geben den typus ab, wie sich freude und entzücken, kummer und schmerz, zorn und rachedurst, ergeben-

ZIGLEBS ASIATISCHE BANISE 199

heit und liebe nach unseres Schriftstellers meinung luft machen sollen. Wir verlangen heute mehr einfachheit und klarheit des ausdrucks, eine grössere mässigii ng des gei'iihls, weim wir einen einigermassen wol- tuenden eindruck geniessen wollen. Nicht luir iiusserungcn der men- schen werden aber in solchen rhetorisch aufgepuzten sätzen widergege- ben, es ist vielmehr so ziemlich alles in diesem tone gehalten. Die berüchtigte „lieblichkeit'' des ausdrucks verbietet es, natürlich und ein- fach zu sprechen; blumige Umschreibungen begegnen uns auf schritt und tritt. Bei einem Sonnenaufgang z. b. benuzt der dichter die Wen- dung: „Das angenehme weit- äuge machte artige Vorstellungen in dem springenden wasser eines in den Garten stehenden kunst-brunnens" (s. 19), oder „Nunmehro brach das beti'übte licht an'' (s. 165), oder „das grosse weltauge hatte kaum das blutige feld bestrahlet" (s. 372); bei einem untergange heisst es: „Die Sonne begunte bereits einen theil ihrer strahlen in die see zu verbergen, als die Glut der Lorangy erst rechte flammen fieng" (s. 207). Yon den unzähligen tropen, die für kriegsereignisse verwendet werden, eitlere ich nur die eine stelle: „Sie verleibten ihren rühm mit rothen buchstaben denen mauern ein. Das geschütze muste tag und nacht blitzen, die unbeweglichen mauern zu bewegen, daß sie doch einen freyen eintrij;t erlauben weiten" (s. 382). In der friedensproklamation am Schlüsse komt der satz vor: „Heute sollen sich alle sebel in pflugschaaren , die spiese in eggen imd die lantzen in weinpfähle verkehren" (s. 399). Das klingt gar nicht übel, ich hoffe überhaupt, dass schon in dem bis jezt gegebenen manch schö- nes bild, manch gut gewählter ausdruck neben den übertriebenen und verfehlten aufgefallen sein wird. Am empfindlichsten berühren uns immer die rohen freuden- oder zornesausbrüche. So wenn z. b. von dem „angenehmen und herrlichen anblick" geredet wird, den Xemin- bruns auf eine lanze gestecktes liaupt bietet (s. 183), oder Avenn Xemindo auf dem schaffet einige freudentränen vergiesst, weil der ihn misshan- delnde lienker von einem der umstehenden mit einem wiirfspiess „durch und durch gerannt wird" (s. 196).

So unangenehm ferner das kapitel, so kann ich doch der vol- ständigkeit wegen nicht ganz an den zotenhaften stellen vorbei- gehen, wenn sie ims auch entschieden seltener als bei anderen Schrift- stellern der zeit begegnen und von dem damaligen publikmn wol kaum als zoten empfunden w^orden sind. Ich rechne hierher schon einige in anderem Zusammenhang gegebenen reden über und von Hassana (s. 87. 88) und alle anderen stellen, in denen frivole werte über ehe- bruch laut w^erden. Mit wenigen ausnahmen finden sie sich in Scandors

200 MÜLLKK - FKAUENSTEIX

munde, z. b. s. 45. ITo. Als Eswara den losen Paladin in ihrer woh- nunjj vei'steckt hat, stürmt ihr „iiuter Mann" mit ähnlichen werten zur türe herein (s. 130). Am unzüchtigsten redet Zaraui;- und zwar direkt Bauisen ins gesicht, als sie ihm erklärt, sie sei bereits so gut als ver- mählt (s. 305). Der Rolim braucht wenige minuten vorher etwas weni- ger schlimme bilder bei seinen Zudringlichkeiten (s. 299), dagegen muss uns seine aufzählung von Banisens reizen, durch die er ihr seine völ- lige Unfähigkeit, ihnen zu widerstehen, erklären will, geradezu anwidern (s. 295). Den schluss dieser wenig anmutenden auf'ziUiIung bilde die lose redensart, welche Scandor nach seiner rettung durch Talemon braucht: „Ich begunte schon wie die hechte auf dem rücken zu schwim- men: welches dann meinen glauben bestärckte, daß ich kein frauen- zimmer sey, als welches von der schamhafftigen natur bey dergleichen nassen fällen dazu versehen, daß sie jederzeit dem wasser den förder- theil des leibes gönnen, imd auf dem gesiebte schwimmen müssen" (s. 31).

Es ist dies aber tatsächlich, so weit ich es habe kontrollieren können, alles, was in betreff' dieses punktcs in der Banise vorkomt; die „erstlinge der blumen", „die blumen der Schönheit" werden aller- dings noch hie und da als wünschenswert citiert, aber eben nur citiert. Am Schlüsse begleiten wir die drei jungen ehepaare in ihre ruhezelte: „Worinnen die mit so vielen dornen bißher verwahrten rosen mit grös- ter Vergnügung gebrochen, und alles ungemach mit einem süssen ach- geschrey der leidenden Princeßinnen erwünscht geendiget wurde" (s. 407. 408). Dieser ausdruck und des Rolims beschreibung von Banise schmecken w^ol am meisten nach lüsternheit; uns sind derartige stellen unerträglich, sie können ein buch ungeniessbar machen. Bedenken wir aber, wie zahm alles dies, mit anderen soavoI epischen als lyrischen Schilderungen anderer schriftsteiler jener zeit verglichen, erscheint, erin- nern wir uns, dass die Wielandsche rause weit sinlichere ergüsse her- vorgebracht, dass selbst das publikum unseres Jahrhunderts Clauren verschlungen hat und heutzutage Zolas bücher in den vornehmsten boudoirs liegen, dann wird unser tadel verstummen.

Doch verlassen wir dieses gebiet und wenden wir uns den inte- ressantesten und algemeinsten redewendungen zu, den sprichwört- lichen Sätzen, deren ich eine ganz ausserordentliche zahl in der Banise annehmen zu müssen glaube. Es ist mir unmöglich, sie hier aufzu- zählen, einige sind schon früher mit untergelaufen, ihre benutzung vor allen dingen durch Scandor liefert mir aber einen w^eiteren beweis für die nicht unglückliche Charakterzeichnung, die ihm durch den dichter

ZIULERS ASUTISCHE BANISü 201

ZU teil gewordeil ist. Leute seines schlaues werden stets und iibendl eine verliebe für die kurzen, scheinbar jede weitere einwendung aus- schliessenden Sentenzen verraten. Von den anderen personen, welche dergleichen ausdrücke l)raiichen, nenne ich nur die folgenden: J)anisens ganze lebensanschauung kiinte man in ihren werten sehen: „Sturm, Unglück und liertzeleid ist die beste lust thjr tugend, angst ist ihre mutter, und elend ihre ammo" (s. 2(39). Higvanama steht ihr zur seite mit dem satze: „Wo einmahl reine liebe durcli den tod betrübet wird, da ist die keuschlieit der beste Schatz in der AVeit, und alle liebe ist alsdann nur ein Irrwisch, dessen glantz von unreinen seelen entsprin- get'' (s. 45). Und in demselben gespräche braucht sie noch die weis- heitsregeln: „AVohl dem, welcher seine klughcit in dem sarge suchet, und das Gold seines Verstandes auft' den probierstein der Sterblichkeit streichet.'' „Wo hertz und lufft trübe ist, da Avird sonne und brunst dunckel." Chaumigrem dagegen redet ihr zu: „Lasse sie die todten ihre todten begral)en." üer alte Talemon flicht einmal die bemerk ung ein: „Gcdult ist die lincke band der tapfferkeit"; und später: „Alle Verachtung bringt Sicherheit, Sicherheit getahr und diese den tod" (s. 203). Sein söhn Ponnedro hilft sich im gespräch mit Chaumigrem und später Banise ebenfals öfter mit dergleichen Wendungen: „Wenn sich grosse herren rauften, müssen die unterthanen ihre haare darzu hergeben, und wenn gecrönte häupter nüsse aufbeissen, so muß es mit den Zähnen der unterthanen geschehen" (s. 222); ferner: „AVo die gefahr zu pferde sitzet, da muß guter ratli freylich nicht auf steltzen gehen" (s. 235). „Das glücke ist rund", und „wir würden nur pfeiler in die see bauen, und bey der natter gunst suchen" (s. 238, 239). ,,Alle frever, narren und trunckene sind reich" meint Balacin mit deutlicher anspielung einmal zu Scandor (s. 32). Der satz: „Eine Krone ohne Banise ist mir eine gesaltzene speise ohne tranck" (s. 35) belegt seine unverbrüchliche treue gegen die braut wie der' andere: „Wo das garn der liebe nicht aus reiner unschuldsseide gesponnen wird, da fressen sich unfehlbar die motten des Unglücks ein" (s. 91). Die bei weitem meisten in imserem buche angebrachten Sprichwörter beschäftigen sich mit der liebe. Scandor und zuerst auch der Kolim sind in dieser beziehung unerschöpflich in Unglücks Weissagungen. AVie ein priamel klingt des lezteren mahnung: „Die liebe ist eine fantasie und ein unge- wisser zweck. Sie ist blind und dennoch sieht sie schärffer als ein luchs. Sie bauet ihren thron in dem hertzen, und ist doch ein unbe- greiffliches wesen. Ein vogel siebet den leim und die mücke das licht, dennoch lässt sich jener kirren und diese verbrennet sich selber, das

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schnelle rehe scheuet das garn, und der schifter keimet die fahrt der ancker-losen see: doch kan jenes das sehen nicht klug, noch diesen die gefahr verzagt machen" (s. 265). Scandors erstes Sprichwort hat algemeinen inhaU: „Wer geld liat, kan leicht schätze suchen, und wer viel hunde liat, kann leicht hasen fangen'' (s. 36). Dann aber heisst es: „Wo die liebe raset, da strauchelt der verstand, ja der klügste mann wird zum narren" (s. 75), und der anfang des zweiten buches mit seinem acht selten langen gespräch zwischen dem prinzen und sei- nem diener liefert hierliergeliürige beispiele in hülle und füllet

Aus anderen gesprächen über das wiesen der liebe, z. b. zwischen Balacin und seiner Schwester (s. i}Q fg.) oder zwischen Banise und dem Rolim (s. 295 fg.), füge ich noch an: „das frauenzimmer und die liebe ist ein zartes wesen", ,,die liebe ist eine Schwachheit des gemüthes", „bei den rosen sind dornen", „die einfältige Wahrheit ist die beste." „Schön und fromm sevn stehet selten bev einander."

An heutige Wendungen klingen endlich auch die beiden redens- arten (s. 11-4) an: „Unter der rose", w^ofür wir gew^öhnlich den latei- nischen ausdruck brauchen, und „er hat sich unsterblich verliebt", an stelle unseres „sterblich verliebt."

Ich schliesse diesen abschnitt mit den unzweideutigen Seiten- blicken und anspielungen auf Europa und dessen Verhältnisse vor zweihundert jähren; aus allen spricht ein etwas verbittertes gemüt oder wenigstens die melancholische Stimmung des pessimistischen einsiedlers. Schon die werte Higvanamas sind w^ol mehr auf Europa als Asien zu beziehen: (s. 67) „Freylich ist es zu beklagen, ja mit blutigen thränen zu beweinen, daß unser Asiatisches frauenzimmer fast mehr cometen als Sterne blicken lasset; da eine bereits durch das band der liebe gebundene Yenus den Wechsel dermassen liebet, dass öftters die sämtliclien planeten nicht genugsam sind, sie durch ihren einftuß zu stillen. Und brennet ja noch wo ein reines licht, welches sich keine lasterwolcke will schwärtzen lassen, so heissen dessen stralen einfältig" usw. Auch über die geschwisterliebe der zeit hören wir klagen, und zwar aus Scandors munde: „Als welche itziger zeit der- ma.ssen erfroren, daß fremde personen ihre liebe viel liitziger als brüder und Schwestern erzeigen, ja wo heutiges tages drey geschwister sind, so bemühet sich das dritte, wie es die anderen zwey in eman-

1) Bobertag erinnert mit vollem rechte daran, dass hier eine sehr ausführliche Variation vorliege eines seit dem mittelalter in der faceticn- und populär - moralischen litteratur in Deutschland besonders seit der Verdeutschung der schrift Petrarcas vom glücklichen und unglücklichen leben beliebten gedankens.

ZIÜLEKS ASIATISCHE BANISE 203

der hetzen möge'' (s. 84). Ein liübsches pendant zu dem oben gege- benen ausdruck Banisens, dass die liebe sie zwinge Balaein „Du'' zu heissen, linden wir m IScandors werten: „Eine Jungfer, oder fräuleiii, wie sie heutiges tages wollen g(4auff't sein'' (s. 37()). Eine „grund- regul der heutigen weit", die er zwei selten später gibt, klingt ganz, als ob sie auf unsere heutigen Junggesellen gemünzt wäre: „Ein pfund gold muß im heyrathen einen centner tngend überwiegen." Zahlreich sind auch die sätze, in denen ein licht auf die politischen anschau- ungen Ziglers fält. Er lässt Scandor sagen, dass er sich vor der „gemeinen Hof-pest nngemessener einbildung" gehütet habe (s. 46) und Talemon einmal klagen, über „den w\inckenden pöbel, wie wenig sich auf dero beständige treue zu verlassen sey" (s. 188); der Rolim sagt auf der anderen seite Chaumigrem ins gesiebt: „Alle herrschafften, darinnen man allzu viel schäifte brauchet, bestehen nicht lange. Wo recht ist, da muß auch gnade seyn: diese beyden zieren einen monar- chen, wie sonne und mond den blauen himmel, und hierdurch kann er nur den (TÖttern am nechsten kommen. Ein Regente ist auch an die gesetze gebunden, daß er nicht allenthalben frey zu verfahren hat. Ratio Status aber ist hingegen die verdammte rathgeberin, daß man weder vater noch mutter, weder kinder noch geschwister, weder treu noch glauben, wieder göttliches noch weltliches gesetze verschont, son- dern durch list, falschheit, und tyranney alle rechte unterdrucket, die imterthanen ins elend stürtzet, sich aber selbst erschreckliches ende auf den halß zeucht" (s. 224 fg.). Kurz vorher hat er dem kaiser klug geraten, „weder eine durchgehende dienstbarkeit, viel weniger eine völlicre frevheit einzuführen." Das alles ist aber so w^enig nach dessem herzen, dass dieser losbricht: „Vermaledeyet sey das gesetze, welches die macht eines freyen Königs einzuschrencken sich bemühet. Ratio Status ist die eintzige richtsclmur grosser Herren, und hat die gerech- tigkeit zur stieff- Schwester." In erfreulichem gegensatze dazu stehen die grundsätze, mit denen Balacin die regierung antritt. Seine herolde proklamieren sie in den noch von blut rauchenden Strassen Pegus, fast als ständen sie nach dem dreissigj ährigen kriege in Deutschland (s. 399). Dazu hält der ehrwürdige neue Rolim Korangerim, der sich schon frü- her durch kluge ratschlage hervorgetan hat, bei der kaiserkrönung eine ganz vortrefliche rede an den dem namen nach „gewählten" fürsten (s. 404 6), wert, dass sie ganz hier abgedruckt würde. Er warnt ihn vor begünstigungen, vor zorn (denn „der Zorn ist eine motte, Avelche den purpur verderbet"), vor neid, vor unbesonnenen reden (denn „der Fürsten werte sollen, weil sie von jedem erwogen werden, zuförderst

204 MÜLLER - FILVUENSTELV

Avuhl auf der ^vage- schale der bedaclitsamkeit abi^ewogeii seyn)." Der beschränkte raiini verbietet leider eine austührlichere analvse dieses oratorischen meisterstücks.

Diese hier ausgesprochenen staatsniiinnischen Aveisheitsregeln, die sicli zweifelsohne über die praxis der politik des liindcrschachers erhe- ben, wie sie das Europa T^udwig XIV. trieb und wie sie unser buch im verschenken und vertauschen der einzelnen lünterindischen gebiete auch zeigt, erhalten nun dadurch einen besonderen beigeschniack, dass Zigler sein werk dem kronprinzen Johann Georg von Sachsen gewid- met hat, dem söhne Johann Georg ill., des bekanten „sächsischen Mars'', demselben, der später als der vierte seines namens zur regie- rung kam, leider aber durch einen plötzlichen tod alle auf ihn gesezten hofnungen zu nichte machte und August dem starken, dem gegner Karls XII. von Schweden, den thron hinterliess. Diesem Johann Georg ist das dedicationsgedicht gewidmet, welches dem Averke vorangeht. Darauf weiter einzugehen hiesse die geduld des lesers ermüden. Cha- rakteristisches findet sich absolut nicht darin. Nur möchte ich darauf hinweisen, dass in ihm wie in der vorrede an den ,,nach Standes- Ge- bühr Geehrten Leser'' Zigler sich nicht Avie in der Banise selbst vor fremdwörtern und gelehrten anspielungen hütet, sondern vielmehr seine feine bildung darin auch von dieser seite möglichst zeigt ^. Er citiert, wenn ich recht gezählt habe, in den 132 zeilen des gedichts jedoch noch nicht 20 namen, ist auch darin also nicht so uumässig wie andere Zeitgenossen: die übertriebene devotion und sklavenhafte unterAvürfg- keit ist uns unangenehmer. Von dem anfange der vorrede: „Endlich erkühnet sich meine Asiatische Banise, als eine unzeitige frucht seich- ter lippen, unter der presse hervorzuAvagen, und sich auf den Schau- platz der seh rifft- eckein Avelt vorzustellen" urteilt schon Gottsched genau so wie Avir. Von algemeinerem Interesse ist dagegen die polemik Zig- lers gegen die „vielen nicht günstigen, Avelche nicht ermangeln Averden, diese blätter durch alle Praedicamenta durchzuziehen", „gegen die Catonianische meynung, ob Avären die Komainen schlechter dings unnütze schrift'ten"-. ,.Denen ungegründeten hassorn der HeldenschrifFten, und andern übel -gesinnten" rät er dienstfreundlich „dieses Geringfügige Averkgen, Avelches sich nur als eine unAvürdigo aufwärterin der heutig- vortreft'lichen Romainen aufgeführet, bey seite zu legen, und ein nütz-

1) Auch CholeviiLS s. 169 meint: ^in der voriedo drücke er sich Avie die kava- liere der zeit aus, brauche französisch und lateinisch.''

2) Bohertag s. 240 fg. gibt eine ergötzliche probe solchen energischen tadeis gegen die gattung der heldenromane aus jener zeit in extenso.

ZlGLERf5 ARIATISrHE RANTSR 205

licher buoli nach soinor Caprioo zu orfTroIffon, aus wolrboni er beweisen könne: Dicatur in eo, quod nun dictum sit prius." „Denen übel deu- tenden Momis und Zoilis" sezt er scbliesslieh „wolbedäcbtig'' den wabl- spi-ucli des bosenbandordens entgegen: Honni seit, qui mal y pense.

Die ait also, wie er mit diesen gegnern umspringt, beweist deut- liob, dass er sieb seines publikums durcbaus sieber fiiblt; er lebt der angenebmen bofnung, dass sieb „viele bonette Gemütber finden wei*- den, die dieses sein woblmeynendes unterfangen mebr loben als scbel- ten" ; er »steigt nirgends A'on einer souveränen vei-acbtung der gegnei- berunter. Docb liisst er seine „Indianiscbe Princeßin ganz gerne beken- nen, daß sie keinen locum in denen Actis Eruditorum meritire, ange- sehen sie sieb nur in einem scblecbten deutseben kleide, nicbt aber im barniscb, Avodurcb sie einige begierde zu fecbten andeuten möcbte, vorstellet." Er versichert ferner, er babe sieb „mfiglicbst beflissen, alle unartige und ärgerliebe redens- arten äusserst zu meyden, aucb niemanden mit fleiß zu toucbiren, es sey denn, daß sich jemand getrof- fen fände, da er versichere, es sey von ungefebr geschehen." Über seine spräche endlich urteilt er in dem ersten teile sicher mit recht, in dem zweiten zu unserer grossen Verwunderung , er hoffe „des Styli und eingestreueten Barbarismi wegen pardonniret" zu werden, wenn er sage, er habe den eigentlichen endzweck der romane, die deutsche spräche zu heben, nicht so genau beobachtet; der Inhalt gleiche mehr einer historischen beschreibung als einem heldengedicbte. Das, meine ich, können wir im gründe, wenn wir andere werke der zeit zur vergleichung herbeiziehen, zugeben. Dagegen klingt es heute geradezu komisch, Avenn er vorgibt, er habe nicht „durch vergebene bemühung die armutli seiner zunge verrathen, sondern sich durch- gehends einer leichten und gewöhnlichen redensart bedienen wollen." Arminius und Thusnelda von Lohenstein werde in betreff der volkom- menheit der spräche den leser mebr befriedigen.

Als eine art probe von manchen im vorstehenden, besonders im ersten teile gefälten urteilen kann uns ein vergleich dienen, den wir zwischen unserem roman und dem von Schlossar mitgeteilten scenen- entwurf einer dem roman nachgebildeten dramatischen bearbeitung zum Schlüsse ziehen wollen. Dieser anliang scheint mir berechtigt, da von mehreren kritikern betont wird\ Zigler babe vom drama gelernt, da ferner die verschiedenen Umarbeitungen zur oper und zum Schauspiel

1) Wörtlich so E. Schmidt a. a. o. Cholevius und Bobertag berühren sich in ihren urteilen darüber insofern, als sie die affektvollen stellen für besonders gelungen und die Umarbeitung des Stoffes für lobens^veit und effektvoll erklären.

20G MULLER - FRAUENSTETN*

diesen schluss sehr nahe legen nnd schon wenige Jahrzehnte nacli dem ei*scheinen der roman dramatisiert worden ist. Das älteste zengnis dafür hat nun Scldossar mitgeteilt (a. a. o.); er liat ein blatt in die hand bekonnnen, wie es die ptalzisohe hofkomiUliaiitengeselschaft des Joseph Heinrich Briinius in IJraz 1722 an die angesehenen besu- cher ihrer Toretellungen verteilte nnd auf dem der inhalt des Stückes scenisch skizziert ist. Genauer gesagt, umfasst das ganze vier blätter, voran geht ein dedikationsgediidit. Die „unterre(lend(Mi Persohnen" sind: Banise, kaiserliche prinzessin von Pegu, Balacin, prinz von Ava, Ximindo, kaiser von Pegu, Ximin, dessen prinz, Savadi, eine vertrie- bene Prinzessin, Zorang, prinz von Tangu, Talemon, reiehsschatzmeister von Pegu, Chaumigrem, tyrann, hernach kaiser von Pegu, Abaxar, ^lortang, dessen generale, Rolim, obei-priester, Hans Wnrst, Balacins lustiger diener, ein Courier von Marteban, ein hauptmann des prinzen Zorang.

Das stück zei-fiilt in fünf actus, der erste und zweite zu je 8, der dritte nnd vierte zu je 11, der fünfte zu 4 scenen. Schlossar begnügt sich nun s. 95 an seine interessante mitteilung nur wenige algemeine folgerungen anzuknüpfen. Die art der anordiumg und der einreihung in den dramatischen rahmen sei sehr geschickt aus dem roman herausgenommen. Nur die hauptpersonen würden hervorgeho- ben, jedoch selbst einige nebenepisoden berücksichtigt, z. b. das Ver- hältnis von Zorang und der prinzessin von Savaady. Talemons Ver- hältnis zu Balacin sei zu wenig ausgeführt. Die scenenordnuug findet er sehr sachgemilss, zum schluss sehr spannend, den abschluss rasch und gewant herbeigeführt. Alzu grilssliche scenen gäbe es bis zum Schlüsse nicht, die vielen blutigen ereignisse, von denen der roman überfült sei, würden in der darstellung nicht berührt.

Der wert des Schlossarschen aufsatzes beruht in dem wörtlichen abdruck des scenenentwuifes, den ich hier als zu umfangreich nicht nochmals hersetzen kann. Von der spräche des eigentlichen Stückes erhalten wir dabei freilich nur einen geringen begriff, man wird aber wol nicht fehl gehen, wenn man annimt, dass Balacin und Banise wenigstens die schöne spräche wie im romane gesprochen haben mögen und dass auch Scandor, der hier zum Hanswurst degradiert ist, sich vielfach angelehnt haben mag an seine reden in dem Ziglerschen werk; wie er sich schon darin manche scherzrede erlauben darf, ohne Balacin zu beleidigen, so wird er auch hier seine possen so ungeniert wie mög- lich getrieben haben. Der titel lautet: „Einer Hochlöblichen | In Ost. Regierung | und Hoff-Cammer | Wird j Zur Alloiuntoitliänigsten Pflicht

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 207

und Schuld Bczcigung- | eine Sehens -würdige und vortrefliche Haupt- Action I Betitult: | Die Siegende | Unschuld | Tu der Persohn der Asiatischen | Banise | von Johann lleiin-ich Brunius, Churfürstlich- | Pfaltzischen Hof-Coinnioedianten-l'rincipalen | Mit bey sich habender Hoch- Ten tscher Conipagnie | Unterthiinigste-Geliorsaiubst ufferirt. und dedicirt. | Grätz, gedruckt bez den AVidmannstiitterischen Ei'ben. 1722." Auf diese „vortreffliche Haubt-Action folget ein Ballett und Kxti-a- Liistio-e Nach- Co niö die."

Ein vergleich mit dem roman ergibt Jiun lulgendes: Als devise, gewisseraiassen als richtschnur auch für die liörer, wonach sie ihre erwartungen zu bestimmen haben, stehen am anfange der orakelspi-uch und der träum Balacins, die in nuce die ganze folgende handlung ent- halten. Dann folgen seine ersten heldentaten in Pegu, durch die er aller äugen auf sich lenkt. Der zweite akt bringt die belohnung dafür, die Verlobung mit Banise, aber auch das herannahen der Verwicklung in Chaumigrems sieg über Martaban. Der dritte führt diese selbst her- bei in dem Untergang des kaisertums von Pegu und in der gnaden- frist, welche Chaumigrem der wider seinen willen geretteten, ihn sodann aber zur heftigsten liebe entflammenden Banise stelt. Die grosse der gefahr wird auch dadurch bewiesen, dass beide liebende, Balacin in der 8., Banise in der 11. scene Selbstmordversuche machen. Der vierte steigert die Verwicklung durch den unglücklichen fluchtversuch beider, Chaumigrems bestimt ausgesprochene absieht, die prinzessin hinrichten zu lassen, wenn sie ihn nicht erhöre, und ihre Überlieferung in die band des Kolim. Der fünfte akt begint mit des lezteren ermordung durch Banise, führt die Spannung in der tempelscene zur höchsten höhe, indem der als Rolim verkleidete Balacin Banise töten soll, und enthält in der lezten scene die schnelle peripetie in Chaumigrems tod durch Balacins band und in dem „hellen freudengeschrei , welches den Heldenmüthigen Printzen Balacin mit seiner unvergleichlichen Banise vor wahre Beherrscher deß Kayserthums Pegu erkläret, wobey die Liebe diese zwey gequälte Hertzen mit Ehelicher Liebe zu deß gantzen Rei- ches Vergnügung entzückt verknüpfet." Balacins rivalität mit dem prinzen Zorang (im roman Zarang) wird mit als Spannung erwecken- des momeut benuzt, sie wird in der 5. scene des ersten aktes begrün- det, führt zu des lezteren vergeblicher Werbung in der 8. und zu des- sen duell mit Balacin in der 5. scene des zweiten aktes. Sie erfährt aber, wenigstens in dem vorliegenden scenenentwurf, keinen versöhnen- den abschluss durch die endliche Verbindung Zorangs mit der prinzessin Savadi (so hier statt Savaady). Vielmehr sind diese zwei leztgenanten

208 MtXLF.R - FRAUKNSTEIN

personell ZAYar genau so wie in der ersten hälfte des romans neben einander gestelt, der prinz liebt Banise, die prinzessin verzehrt sich in Sehnsucht nach ihm, der gegensatz wird aber im stücke nocli verschärft, da hier der priuz Zorang durch J^aUicin in einem duell regeh'ccht über- wunden wird (2. akt 5. und G. scene), während (bis im roman nur einem von ihm geschickten stelvertreter passiert, und dann docli avoI, wie in der 5. scene angedeutet, zu Chaumigrem übergeht, ohne wider erwiüint zu werden. Von der gemeinsamen belagerung Pegus durch Bahicin und den prinzen Zorang, von dessen täuscluing durch die ihn liebende prinzessin und schliesslicher Versöhnung und Vermählung mit ilir ist keine rede. So wie hier beider nebenfiguren Schicksal nicht zu einem wenn auch nur notdürftig motivierten abschlusse komt, so wenig ist der prinzessin von Savaady Verhältnis zu Balacin zu verste- hen. Von ihrer durch den kaiser von Pegu zu allererst proklamierten Verlobung ist keine andeutung gegeben, doch besizt Balacin ein bildnis von ihr wie im roman und gerät deshalb mit dem verschmäheten lieb- haber derselben, Banisens bruder Ximin, in einen Zweikampf, den die prinzessin von Savaady wie bei Zigier durch ihr dazwischentreten und die wegnähme des „Contrefait" endigt (I, 7). Später wird sie nur noch einmal erwähnt, da Banise ihr in der 3. scene des 4. aktes „ihre sorge wiegen der treue ihres prinzen" entdeckt.

Die verwin'ung also, welche der liebesgott durch die ungleich verteilten neigungen im roman anrichtet und die mich an Shakespeares sommernachtsti'aum erinnert i, scheint, wenigstens nach der erhaltenen inhaltsangabe des dramas, in diesem nicht so gut benuzt; zwei pcr- sonen fallen sozusagen ohne rettung ins wasser.

Dagegen kann ich nicht finden, dass, wie Sclilossar sagt, Talc- mons Stellung zu Balacin im drama „weniger ausgeführt sei." Es sind vielmehr alle hauptmomente ganz deutlich benuzt: Talemon will von dem Hanswurst (= Scandor) Balacins herkunft eifahren, erhält auskunft von lezterem selbst uud schwört ihm dann ewige treue (I, 6). Er ladet ihn dann zur kaiserlichen tafel und nimt an dieser wol selbst auch teil (11, 3 5). Er wird von Chaumigrem gefangen genommen (III. 1), verrät diesem „etliche schätze" (wie im roman), wird dadurch frei, kann aber Balacin über Banisens Schicksal nicht beruhigen (III, 5. 6), gerade so wie bei Zigier. Dann liält er den prinzen vom Selbst- mord zurück (III, 8) und ebenso die inzwischen in sein gewahrsam gebrachte Banise (III, 11). Hier ist in ganz geschickter w^eise Tale-

1) Bobeitag vergleicht sie rait der liebesverwiiiung iu ^üiaua" von Harsdöiffer.

^KjLkrs asiatische banise 209

mons söhn Ponnedru durch den vator ersezt, und dieser wächst dadurcli nur an bedeutung. Su ist es auch im vierten akte, wo Talemon (nicht Ponnedro) Banisens briefe dem auch im drama offenbar in Talemons schlösse sich versteckt aufhaltenden Balacin überbringt, lezteren ermu- tigt, indem er die werte des Orakelspruches als zumeist in erfüll ung gegangen erklärt, ßanisen den fluchtplan mitteilt und Balacin die Zu- sammenkunft vor der tlucht ermöglicht. Wemi er dann in der 7. scene erscheint, „begierig, ob der anschlag gelungen'', von dem erwachenden Chaumigrem erfährt, dass Banise ihn überlistet hat, und nun bemerkt ist, „ertheilet Befelil, selbe geschwinde zur Strafte aufzusuchen", so ist es einmal bei der grammatikalischen Unsicherheit des scenenentwurfs noch nicht ausgemacht, ob wirklich Talemon, nicht Chaumigrem damit gemeint ist, jedenfals aber darf kein böswilliger und verräterischer anschlag Talemons darin gesehen werden. Das beweisen die gleich folgenden ersten scenen des fünften aktes, wo Talemon an des ermor- deten Rolim stelle gesezt wird (offenbar nur, um nicht noch eine neue nebenfigur einführen zu müssen) und mit Abaxar den ganzen rettungs- plan entwirft. Talemon beredet Chaumigrem dem „verstelten" Balacin bei der Opferung Banisens die würde des Rolim zu übertragen, er ist also auch im drama durchaus der hebel in der peripetie.

Mein eindruck ist also: Talemon spielt auf der bühne eine noch bessere figur als im roman, seine schwäche gegen frau und tochter fält weg, da diese selbst nicht benuzt werden und er wird auch durch die Verschmelzung mit seinem söhne Ponnedro bedeutender; alle handlun- gen mcht nur, die im romane ihm beigelegt werden, sondern noch einige dazu werden im drama auf sein konto geschrieben. Eher könte Abaxar etwas zurückgesezt werden. Fallen doch seine ganze liebes- geschichte, seine taten in Odia und seine eigenschaft als verkleideter prinz weg! Er ist und bleibt nur der lebensretter Banisens, wird von Chaumigrem deshalb vorgefordert, spielt aber mit Talemon bei der opferscene wider neben Balacin die entscheidende rolle. Scandor ist w^eit in den hintergrund gerückt, was die hauptfäden der Verwickelung betritt; gewonnen hat nicht seine Stellung als treuer, aufopferungs- fähiger Vasall, sondern nur seine Wirkung auf die lachmuskeln der hörer. Er heisst „Hannß -Wurst" oder Hans Wui'st, ist Balacins die- ner und narr und greift in den gang der handlung eigentlich nur ein, indem er Balacins sieg über den prinzen Zorang meldet (11, 6), seinem herrn die zwei briefe überbringt, in welchen der tod von dessen vater und die wähl zum herscher in Aracan gemeldet wird (lY, 2), Banise auf ihrer unglücklichen flucht, die er geraten, begleitet und mit ihr

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 14:

210 miLLER - FRAÜENSTKIN

gefjuigen genommen wird (IV, 9. 10) und endlich, als offizier verklei- det, den lezten briet' trägt, welcher den rettungsplan mitteilt. Das ist doch recht wenig, wenn wir daneben halten, was der Ziglersche Scan- dor leistet; die mitgeteilten handlungen stimmen aber bisher mit dem roman übei*eiu. Sonst parodiert er die grossen ereignisse, die sich abspielen, ahmt wie ein clown speciell seines herrn heldentaten in komischer weise nach und bekämpft mit seinen narrenspossen die ernste Stimmung, welche die Zuschauer beschleichen könte. Er erzählt z. b. am anfange des Stückes nach seinem herrn auch seinen träum, „sal- vieret sich" bei dem kämpf der zweiten scenc auf einen bäum, wäh- rend Scandor im roman an dieser stelle seinen herrn aus dem gedränge herausliaut, und hat in der vierten „seine Lustbarkeit" mit dem toten löwen (im roman panther), vor dem Banise durch Balacin gerettet worden ist. Im ersten auftritt des zweiten aufzuges ist offenbar das von uns oben besprochene gespräch über die liebe benuzt, da es heisst: „Balacin und Hannß -Wurst haben eine curieuse Unterredung über die Liebe, worüber beyde entschlaffen", im dritten akt eilt er seinen herrn zu retten, nachdem Talemon das eben schon getan, und in der aller- lezten scene macht sein „arthiger Hochzeit -Wunsch der Action ein lustiges Ende."

Von kleineren Avirksamen oder doch auffallenden zügen des romans, die im drama Verwendung finden, ist zuerst zu erwähnen, dass Bani- sens vater Ximindo vor seiner strangulierung sich plötzlich zum chri- stentume bekent. Sodann wird auch der rührende umstand verwendet, dass Banise den gefesselten vater mit einem trunk wasser zu laben komt. Eine spannende scene muss wol ferner die 6. des vierten aktes gewesen sein, wo Banise „unter sclnneichelnden Liebkosungen dem verliebten Tyrannen den vergifften Schlaf- Trunck überreichet und nach dem er entschlaffen, ihre Kleyder mit den seinigen wechselt", und in ähnlicher weise die 1. des fünften aktes, „wo der in die Banise ent- brannte Rolim bey selber mit Gewalt die Kühlung seiner Flammen suchet, die er aber von der höchst -beleydigten Printzessin mit einem tödlichen Stich erhaltet." Yor allem aber natürlich die lezte scene, wo .,die Schlachtung der Banise" volzogen werden soll und diese „mit erbärmlichen Worten der Welt Adieu saget", und wo Chaumigrem selbst band an sie legen will, von Balacin jedoch „mit einem Strick erwürget" wird.

Das dramaturgische geschick des bearbeiters können wir ausser in diesen zügen am meisten erkennen in den weglassungen und sce- nischen Veränderungen. Das stück fühj't, wenn Avir nach dem Inhalt

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 211

auf den ort der handlungen scliliessen wollen, iiacli art der englischen stücke nach einander an eine ganze anzahl verschiedener örtlichkeiten; es ist weit entfernt von einer einheit des orts, ebenso wie der zeit. Dagegen ist die einheit der handhing, wie schon die orakel- nnd trauni- scene des anfanges beweist , im ganzen wirklich mit geschick bewahrt.

Wir stehen zuerst vor dem tempel bei Pandior an der grenze von Ava nnd Pegu, werden in der 2. scene in einen wähl bei Pegii versezt, die 3. 5. sind zu denken in oniem garten des hofes, die 6.-8. können wol auch darin gespielt werden. Der zweite akt begint vielleicht an derselben örtlichkeit, avo der schluss des vorhergehenden vor sich gieng, die 4. 8. scene ist jedoch in die kaiserlichen gemacher verlegt. Im dritten, vierten nnd fünften akte sind jedesmal wenigstens drei verschiedene Schauplätze anzunehmen. Die zeit der handlung ist allermindestens nach vielen monaten zu berechnen. Ist doch von einer Vorgeschichte kaum eine rede, sondern das stück begint einige zeit, ehe die beiden hauptpersonen sich das erste mal gesehen haben, und verfolgt durchaus gemessen seinen gang, indem diese sich kennen und lieben lernen, verlobt, dann getrent und endlich nach langer not wider vereint werden. Ein dunkler punkt in betreff der haupthandlung bleibt z. b., wo Balacin bei Chaumigrems sieg über Pegu steckt; kein wort in der scenenübersicht gibt dafür eine erkUirung, doch bot der roman natürlich dafür flngerzeige genug. Völlig unbenuzt sind die Verhält- nisse des hofes von Ava, Higvanama und Nherandi von Odia, ebenso auch Balacins kriegerische heldentaten. Die einzige schlachtscene über- haupt, welche das stück bieten konte, ist am beginn des dritten aktes, wo Chaumigrem die Peguaner überwindet; die 3. des fünften aktes spielt wenigstens deutlich in dem lager Balacins vor Pegu, hat aber den Hanswurst allein als akteur. Den seelischen kämpfen wird, gewiss nicht zum nachteil des Stückes, ein weit grösseres feld eingeräumt.

Der bau des Stückes ist zweifellos wirksam, wenn auch die expo- sition ziemlich dürftig gewesen sein mag. Der erste akt gibt das Ver- ständnis der personen, und zwar nicht in langen monologen oder gewaltsam orientierenden gesprächen, wozu der roman recht wol hätte verführen künnen, sondern in flott sich ablösenden handlungen. Frei- lich komt es darauf an, wie viel von den nebenhandlungen des romans nicht doch noch angedeutet worden ist, ohne dass der scenenentwurf darauf rücksicht nimt, der leztere gibt aber keinen anlass dergleichen zu vermuten. Der zweite akt wirft auf das junge glück der liebenden den ersten schatten, lässt aber in der jedenfals möglichst grausigen botenerzählung, die „mit jedermanns Bestürtzung berichtet, wie Chau-

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212 MÜLLER - FRAUEXSTEIN

migreins Tyranney den Königlichen Stamm von Martabana außgerottet'', die grosse der gefahr schon ahnen. Die ersten zwei akte, wir können auch sagen, die exposition ist also klar und anregend, die Verwicklung und lösung aber in noch besserer Steigerung, als sie der romau durch- führt mit seinen dazwischen geschobenen kriegs wechselfällen und neben- abenteuern. Niemand wird im drama den Avegfall der liebespaare Higvanama-Xherandi und Fylane-Abaxar, auch Lorangy-Scandor be- dauern, niemand die schlachten von Prom, Odia, am passe Abdiara und schliesslich von Pegu, die prunkscenen und Schaustellungen der sieges- einzüge, der prinzlichen und königlichen beerdigungen, der bestattung des alten und der wähl des neuen Rolim vermissen. Zu dergleichen fehlten Avohl auch die scenischen mittel. Die einzigen mit grösserem pomp ausgeschmückten und an spektakel reicheren auftritte in dem stücke können ausser den siegen Balacins über die meuchelmörder und den löwen in der 2. und 4. scene des ersten aktes nur sein im zweiten akte die königliche tafel (4. scene), im dritten Chaumigrems sieg und des kaisers Xemindo hinrichtung (1. und 10. scene) und im fünften natürlich die krönung des gebäudes, die grosse sclilussscene. Auf der bühne selbst sterben ausser jenen meuchlern und dem löwen nur Xemindo, der Eolim und Chauniigrem, ein zwei- und ein „säbel- kampf' (I. 7 und 11, 5) und zwei Selbstmordversuche kommen sonst noch vor; das ist in anbetracht der Verhältnisse, im vergleich mit den dramen der schlesischen schule, so schhmm es schon aussehen mag, für eine hauptaktioii doch nicht zu arg. Man vergleiche nur die zahl der nervenerschütternden auftritte im romane damit und berück- sichtige den umstand, dass schon der albekante name Chaumigrem den Zuschauer auf grässliche scenen, grausamkeit und mord vorbereiten muste.

Weniger berauschende kunstmittel, die dem durch Lohenstein und genossen verwöhnten fi-eieren publikum der zeit kaum so sehr impo- niert haben werden, möchten etwa sein: der träum Balacins in der 1., der der Banise in der 3. scene (sie träumt „ihres vaters unglück") und die zweimalige Verkleidung Balacins, einmal beim Stelldichein vor der flucht als portugiesischer kaufmann (lY, 5) und dann als Rohm (Y, 4). Auch fehlt es nicht an zarteren partien, so wenn der prinz Zorang „bey Banise um Liebe anhält'', Balacin und Hanswurst sich einen gan- zen auftritt über die liebe unterhalten, Banise dem schlafenden Balacin das bild seiner Schwester von der brüst nimt, ebendieselbe von ihrer Verlobung mit Balacin „verblümbter Weise verständiget, und artig, doch (!) vergnügt'* mit ihm verbunden wird, oder wenn sie sich wegen

ZIGLERS ASIATISCHE BANISE 213

der treue des beiden bei der prinzessiii von Savaady rats erbolt und endlicb zu ibrem „bücbstcn Vergnügen" von ibm besucbt wird.

leb meine, die sonst in der Utteratur völlig unbekante figur des Verfassers dieser bauptaktion, vielleicbt J. H. Brunius selbst, spielt gar keine so ungünstige rolle und die bocbdeutscbe bofscbauspieler- geselscbaft wird mit dem stücke in Graz im jabre 1722 volle bäuser erzielt baben. Der scbluss aber, der nun wol aucb zu zieben erlaubt ist, kann nicbt andere lauten, als dass die „Asiatiscbe Banise" durcb diese dramatiscbe bearbeitung indirekt in unserer wertscbätzung nur geboben wird. Mit ausnabme einiger streicbe des Hanswurstes und der verscbmelzung Ponnedros und seines vaters in eine person bat der dramatiker nicbts zu verändern oder binzuzufügen gebraucbt.

Und so nebme icb abscbied von dem beliebtesten romane jener zeit, mit dem w^unscbe, dass Ziglers bofnung sieb aucb an diesem ibm gewidmeten aufsatze erfüllen möge, dass sieb nämlicb „bonette gemüter finden werden, die dieses mein woblmeynendes unterfangen mehr loben als scbelten, und aus dem Avillen erkennen werden: was icb mir wünscbte, in der Tbat würcklicb zu leisten."

HANNOVER. G. MÜLLER- FRAUENSTEIN.

OUDBRAXDUß YIGFUSSOX.

Am 31. Januar I. j. starb in Oxford nach langem krankenlager dr. Giid- brandiir Vigfüss on, einer der tätigsten arbeiter auf dem gebiete der altnordischen Philologie. Als der älteste seiner deutschen freunde wage ich es, in dieser Zeitschrift ihm einen nachruf zu widmen, da ein wissenschaftlich berufenerer, Theodor Möbius, leider durch krankheit verhindeii ist dieses seinerseits zu tun.

Guclbrandur war am 13. märz 1827 geboren; es ist demnach ein irtum, wenn ein englisches biographisches Wörterbuch (Men of the time; 1887) das jalir 1830, oder wenn ein dänisches blatt umgekehrt das jähr 1821 als sein geburtsjahr angibt. Als sein geburtsort wird von glaubhafter seite her der Hof Frakkanes auf der Skards- strönd genant; eine zeit lang wohnte sein vater aber auch im Galtardale auf der Fell.sströnd, dann im Fagridale und anderwärts in der landschaft Saurba)r, und gerade darum ist die angäbe des geburtsortes nicht völlig sicher, wenn auch feststeht, dass derselbe der Dalasysla in Westisland angehörte. Das geschlecht Gudbrands war ein sehr angesehenes. Er stamte im geraden manusstamme von f'orkell Hallgrimsson ab, einem bruder des priesters l^orlaki-, des vaters des vielgefeierten bischofs Gud- brandur von Holar (yl627) und führte andererseits auch dui'ch seine ururgrossmutter Helga seinen stambaum auf denselben bischof zuiiick, indem deren vater, Magnus Björnsson, des bischofs ui'enkel war. Ich erwähne dieses umstandes teüs darum, weil durch B. Gudbrand Porlaksson der name in das geschlccht gekommen war, welchen der verstorbene nach dem bruder seines gi'ossvaters , dem apotheker Gud-

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brandur Vigfiisson zu Nes bei Reykjavik (f 1822) trug, teils aber, und hauittsäcli- lich, weil der verstorbene nach isländischem brauche auf seine abstammung grossen wert legte. Auch auf seine abkuuft aus dorn Westlande tat sich dieser viel zu gute, und fülirte mit verliebe den alten spruch au , nach welchem die Nordländer edelleute (hofmeun), die Ostläuder baueru (biimenn), die Südländer krämer (mangarar), die Westländer gelehrte (visindamenn) sein sollen.

Nicht bei seinen^ vater, Vigfüs (rislason, welcher neben seiner land Wirtschaft auch noch die kunst eines silbcrschmiedes ausübte, in welcher sich später ein ande- rer söhn desselben, der archaeologe iSigurdur in Kcykjavik, auszeichnete, sondern bei einer Schwester seines grossvaters, Katrin Vigfüssdottir, genoss Gudbrandur seine erste erziehung. Zu Kleifar im Gilsfjördur aufgewachsen, erhielt derselbe seinen oi^sten untemcht durch sera Halldürr Jonsson, den S])ätcren pfarrer in Tröllatünga (t 1888). und später durch sera I^rkell Eyjülfsson, den jetzigen pfarrer zu Stada- stadur, dessen vater ein bruder der mutter Gudbrands, Halldora Gisladottir, war. Damals war sera I'orkell hauslehrer bei dem landcsphysikus Jon Thorsteiusson in Reykjavik, und zwei jähre lang unterrichtete er Gudbrand, der ihm sowol als sera Halldorr zeitlebens dankbar und anliänglich blieb; dem söhne des ersteren, dr. Jon I'orkelsson in Kopenhagen, dem Verfasser der troflichon schrift „Gm digtningen Island i det l.o. og 16. arhundrede" (1888), verdanke ich einen guten teil der für diesen nacliruf benüzten angaben. Am 15. juli 1844 wurde Gudbrandur in die gelehrte schule zu Bessastadii- aufgenommen, mit welcher er im jähre 1846 nach Reykjavik umzog, und welche er im juli 1849 mit der ersten note absolvierte. Rec- tor Sveinbjöru Egilsson und dr. Hallgrimur Sche\iug waren hier seine lehrer gewesen, und auch ihnen bewahrte er stets ein dankbares andenken. Noch in demselben jähre bezog er die Universität in Kopenhagen, wo er sich, nachdem er die gewöhnlichen pnifungen (das examen artium, philologicum et philosophicum) mit bestem erfolge bestanden hatte, sofort ausschliesslich auf das Studium der altnordischen spräche und litteratur verlegte, und wo er im august des jahres 1856 zum zweiten Stipendiaten der arnamagnseischen Stiftung ernaut wurde, von welcher funktion er erst am 1. Januar 1866 enthoben wurde, nachdem er bereits seit dem december 1864 nach England gegangen war, während den Stipendiaten stiftungsmässig die veii^flichtung zum ständigen aufeuthalt in Kopenhagen obliegt.

In die erste zeit seines stipendiatentums fält der beginn meiner bekautschaft mit Gudbrand. !Mit Studien über isländische rechtsgeschichte beschäftigt, hatte ich mich entschlossen die insel selbst zu besuchen, um mich mit deren topographic und wirtschaftlichen zu.ständen näher bekant zu machen; ein längerer besuch in Kopen- hagen solte mir aber als Vorbereitung für die reise dienen, und mir zumal eine vor- läufige orientiorung über die Verhältnisse Islands und die nötige fertigkeit in der islän- dischen Sprache verschaffen. So kam ich im herbste des jahres 1857 nach Kopenhagen. Durch Jon Sigurdsson, mit welchem ich schon früher in brieflichem verkehre gestanden hatte, wurde mir Gudbrandur als lehrer empfohlen, und teils in folge die- ses umstandes, teils aber auch dadurch, dass ich vermöge meiner wissenschaftlichen zwecke mich überhaupt vorwiegend auf den verkehr mit Isländern angewiesen sah, traten wir uns bald näher. Als ich sodann im frühjahre 1858 über Kopenhagen nach Island reiste, traf ich nicht nur dort vor meiner einschiffung wider mit ihm zusam- men, sondern wir konten auch, da er gleichfals seine heimat zu besuchen gedachte, ein steldichein in dieser verabreden. Wirklich trafen wir uns am 14. august zu Holt in der landschaft Saurb^f^r, und durchstreiften nun 14 tage lang teils zu pford, teils

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mit boten die östlicheu gestade und iiiscln des wuiiderschüuoii Breidifjördiir, Am 28. august trenten wir mis in Hjardarholt im Laxardalc; aber schon am 1. Oktober trafen wir mis wider in Reykjavik, von wo aus wir reichlich zwei wochcn später über Bessastadir und Gardar nacli dem Hafuafjördur ritten, um von hier aus am 17. d. m. unsere rückreise über die Fiuröer und Schottland nach Koitcnhagen anzu- treten. Das längere enge zusanmionleben auf der reise und der vielfache gedanken- austausch, zu welchem dasselbe gelegenheit bot, befestigte selbstvi;i*ständlich unsere beziehungen zu einander sehr erhebhch; ein reger briellicher verkehr wurde in den nächstfolgenden jähren unter uns aufrecht erhalten, durch gemeinsame wissenschaft- liche bestrebuugen vielfach befördert, und zweimal erhielt ich während dieser zeit längere besuche Gudbrands hier in München (1859 imd 1863).

Während der zeit seines Kopenhagener aufenthaltes entfaltete Gudbrandur eine sohl' lebhafte litterarische tätigkeit. Dieselbe begann, soviel mir bekant ist, mit zwei ziemlich gleichzeitig erschienenen arbeiten, nämlich dem bericlite über eine reise nach Norwegen, welche er im jähre 1854 auf veranlassung professor C. R. Ungers unternommen hatte (Ny felagsrit, bd. XV, s. 1 83; 1855), und einer eingehenden abhandlimg über die Chronologie der isländischen sagenzeit (im zweiten hefte des Safn til sögu Islands og islenzkra bokmenta, bd. I, s. 185 502; 1855); lezteres eine arbeit von grundlegender bedeutung, in welcher deren Verfasser volauf gelegenheit fand, sowol seine volkommene herschaft über die gesamte isländische sagenlitteratur, als auch seinen ungewöhnlichen Scharfsinn in der deutung und combinierung ihrer angaben zu zeigen. Bald folgte eine reihe anderer aufsätze in den Ny felagsrit, als deren mitredakteur Gudbrandur auch in den jähren 1858 64 wirkte ; so eine abhand- lung über die isländische laut- und flexionslehre (bd. XVII, s. 117 66; 1857), eine reihe von sehr beachtenswerten bemerkungen über einzelne Islendingasögur und deren neuere ausgaben (bd. XVm, s. 154—68, 1858; XIX, s. 128—36, 1850; XXI, s. 118—27 und 128 36, 1861); sowie über Ungers ausgäbe der Stjorn (bd. XXIII, s. 132 51, 1863) , ferner eine beschreibung der ersten reise Gudbrands nach Deutschland (bd. XX, s. 23 143 , 1860) , und ein aufsatz über die wirtschaftlichen zustände Islands in der Vorzeit, welcher durch eine schrift des norwegischen botanikers Schübeier veranlasst war (bd. XXIII, s. 109 26; 1863). An diese kleineren arbeiten reihte sich sodann zunächst eine anzahl sehi' verdienstlicher ausgaben von quellen werken an. Daliin zählt der erste band der Biskupasögui- (1856 58), sowie das erste heft ihres zwei- ten bandes (1862), welche Gudbrandur, zum teil gemeinsam mit Jon Sigurdsson, besorgte; die ausgäbe der Bärdar saga Sna^fellsäss , Viglimdar saga, IVirdar saga hredu, der Draumavitranir und des Yölsa J)ättr, welche die Nordiske Oldskrifter, heft XXM^I brachten, und die Fornsögur, Yatnsda4a, HalLfredar saga, Floamanna saga, welche Gudbrandur mit Th. Möbius zusammen herausgab (beide 1860), sowie die Eyrbyggja saga (1864); endhch wurde jezt von ihm, im vereine mit professor Unger, die gewal- tige ausgäbe der Flatej'jarbok begonnen, welche freilich erst in etwas späterer zeit zum abschluss gelangte (1860 68). Gleichzeitig beteiligte sich Gudbrandm- aber auch hülfreich an fremden arbeiten. Als es galt, Sveinbjörn Egilssons Lexicon poe- ticum antiquae linguae septentrionalis herauszugeben, besorgte er mit dem rector Jon I^orkelsson in Reykjavik die revision des manuscriptes. An der herausgäbe von JonAi-nasons Islenzkar fjjodsögui- og sefintyri (1862 64) war er neben mir beteiligt, und üeferie füi* dieses werk neben manchen anderen wertvollen beitragen zumal auch die überaus lehrreiche vorrede. Bei der herausgäbe seiner Übersetzung der Njäla (1861) erfreute sich G. W. Dasent seiner Unterstützung; mir aber lieferte er zui'

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bcarl>eitung des nrtikels Grägäs in der Algemeinen encyklopaedie der Wissenschaften lind künste (1S64) die wertvolsten mitteilungen. Eine Zeitlang (1861 62) redigierte er überdies die Zeitschrift Skirnir, und korrespondierte zugleich für isländische blät- ter. zumal den I^jödolfiu*. Eine wenduug aber ergab sich in bezug auf seine littera- rische tätigkeit durch seine Übersiedelung nach England, deren oben bereits gelegent- lich gedacht wurde.

Es war ein eigentümlicher anlass, welcher Gudbraud nach England führte. Ein sehr vennöglicher junger Engländer, Richard Cleasby, welcher geschmack an philologischen Studien gefunden und hier in München unter Andreas Schindlers lei- tung sich tüchtig in die germanische Sprachforschung eingearbeitet hatte, war später nach Kopenhagen gegangen und hatte dort die ausarbeitung eines altnordischen w^ör- terbuches in die band genommen. Schon im winter 1839 40 war der plan hierzu entworfen und im folgenden frühling mit der ausführung begonnen worden. Da für die dichtersprache SveinbjÖru Egilsson bereits ein Wörterbuch nahezu fertig gestelt hatte, für dessen herausgäbe es nur an raitteln zu fehlen schien, beschloss Cleasby hiezu einen beitrag zu leisten, seine eigene arbeit dagegen auf die prosasprache zu beschränken. Mehrere junge Isländer, darunter zumal Konrad Gislason und Biyn- jolfr Petui-sson, wurden zu dieser herangezogen; aber am 6. Oktober 1847 starb Cleasby in Kopenhagen, ohne dass sein Wörterbuch, von welchem bereits einige bogen probeweise gesezt worden w^aren, vollendet worden wäre. Mit anerkennens- werter pietät und opferwilhgkeit suchten seine angehöligen das werk in Kopenhagen nach dem ursprünghehen plane vollenden zu lassen; als die arbeit aber immer nicht vorangehen wolte und noch im jähre 1854 statt eines fertigen manuscriptes nur neue geldforderungen einhefen, verloren sie endlich die geduld: das material wurde von ihnen, so wie es lag, nach England abgefordert und nunmehr einem englischen fachmann, G. AV. Dasent, zur weiteren behandlung übergeben. In der meinung, es mit einem nahezu druckfertigen manuscript zu tun zu haben, sezte sich dieser behufs der veröffenthchung sofort mit den delegierten der Clarendon Press in Oxford in Ver- bindung. Widenim wui'de eine probe gesezt, aber bald wurde man sich über den vöUig ungenügenden zustand der vorarbeiten klar, und es blieb die sache ein volles Jahrzehnt liegen, bis Dasent endlich im jähre 1864 neuerdings mit den delegierten in Unterhandlungen trat, in folge deren diese sich zu einer verwilligung verstanden, um die hülfe eines isländischen philologen zur fertigstellung des Wörterbuches zu gewinnen. Gudbrandur wurde sofort als helfer gewälilt, und siedelte noch im laufe desselben Jahres nach England über. Da Dasent durch anderweitige aufgaben völlig in amspruch genommen war, fiel ihm die arbeit so zu sagen allein zu, und als das Wörterbuch in den jähren 1860 74 erschien (An Icelandic-English Dictionary, based on the Ms. CoUections of the late Richard Cleasby, enlarged and completed by Gud- brand Yigfusson M. A.), konte Dasent am Schlüsse eines ihm vorgesezten lebensabris- ses Cleasbys mit fug und recht aussprechen: „The Dictionary as it now Stands is far more the work of Vigfusson than of Cleasby." Es ist diese arbeit, welche Gud- brands namen vielleicht am bekantesten gemacht hat. Das früher nahezu einzige hülfsmittel, das von Rask herausgegebene isländische Wörterbuch Björn Halldorssons (1814), war durch sie mit einem male antiquiert, und auch über die ziemlich gleich- zeitig erschienenen Wörterbücher und glossarien von Eirikur Jonsson (1863), Th. Mö- bius (1866) und J. Fritzner 0862 67) war weit hinausgegangen, wenn sich auch nicht verkennen lässt, dass gegen den schluss des Werkes hin einige ermüdung des Verfassers sich bemerkbar macht; er.st die im erscheinen begriffene zweite ausgäbe

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des Fritznerschon Wörterbuches wird der arbeit Gut11)rands mit erfolg den rang strei- tig machen können.

In England blieb Gudbiandur foi-tan wolinhaft. Von London, wo er anfangs seinen aufenthalt genommen hatte, siedelte er im jähre 1866 nach Oxford über. Tin jähre 1871 ernante ihn die dortige Universität lionoris causa zum master of arts, und übertrug ihm später auch eiue professur, welche er bis an sein ende bekleidete. Gelegentlich des Jubiläums der Universität Upsala wurde er honoris causa zum doc- tor der philosophie promoviert (1877), aus vvelchem anlasse aucli in der festschrift der Universität eine kurze lebensbeschreibung desselben eingerückt wurde (Ujisahi universitets fyrahundraars Jubelfest, s. 868 69; Stockholm, 1879). Seit dem jähre 1873 gehörte er unserer akademie der Wissenschaften als correspondierendes mitglied an, und im jähre 1885 wurde ihm der Danebrogsordon von der dänischen regierung verliehen, üucrmüdlicli arbeitete er inzwischen in seinem berufe weiter. Noch wäh- rend seiner beschäftiguug mit dem wörterbuche entstanden einige kleinere abhand- lungen: „On the word runhenda or rimheuda'', dann „Some rcmarks upon the use of the reflexive pronoun in Icelandic", welche die Transactions of the philol. society, 1865. n, s. 200 207, und 1866. I, s. 80— 123 brachten. Nach der erledigung jener umfangreichen arbeit erschien sodann eine sehr verdienstliche ausgäbe der Sturlünga (1878), welcher noch eine reihe weiterer quellenschriften , sowie eine ausführliche und vielfach belehrende litterargeschiclitliche einleitung beigegeben sind. Mit Fr. York Powell zusammen gab forner Gudbrandur einen „Icelandic prose reader" heraus (1879), welcher nicht nur wegen der zugäbe einer kurzen gTammatik und eines glos- sars beachtenswert ist, sondern auch darum, weil einzelne der mitgeteilten quellen- stücke auf grund wertvoller handschiiften selbstständig bearbeitet erscheinen. Eben- fals im verein mit Fr. York Powell veröffentlichte Gudbrandur sodann das Corpus poeticum boreale (1883), welches in zwei bänden nicht nur die alten dichtungen des nordens in text und Übersetzung, dann mit erläuternden bemerkungen versehen bringt, sondern auch in einer litterargeschichtlichen einleitung und einer reihe von excursen nicht wenige materien einer selbständigen l:)ehandlung unterzieht. Mit demselben freunde gab er auch gelegentlich der centenarfeier für J. Grimm eine festschrift her- aus unter dem titel: „Grimm ceuteuary. Sigfred- Arminius and other Papers " (1886). Als ein bestandteil der officiellen samluug der „Kerum Britannicarum medü aevi scriptores ^ erschienen endlich seine Icelandic sagas and other historical documents relating to the Settlements and descents of the Northmen on the British Isles" (1887), deren zwei bände neben einer reihe von auszügen aus verschiedenen quellenschriften volständige ausgaben der Orkneyinga saga und der Magnüss saga Eyjajarls, der Häk- onar saga gamla und, soweit sie reicht, der Magnüss saga lagaboetis, sowie die bis- her noch unedierte Dunstanus saga bringen. Neben diesen eigenen arbeiten förderte Gudbrandur nach wie vor fremde imternehmungen. Dasent z. b. unterstüzte er bei seiner Übersetzung der GIsla saga Sürssonar (1866), und Sir Edmund Head bei seiner Übertragung der Yigaglüma (1866); zur zweiten ausgäbe der Analecta Norroena von Th. Möbius lieferte er, nachdem er schon für die erste (1859) die I^orsteins saga Sidu- hallssonar und den Draumr J'orsteins Siduhallssonar , sowie stücke der Hallfredar saga vandrsedaskalds beigesteuert hatte, zwei stücke aus der Hauksbok und ein kleines stück „UmBeda prest" (1877); mir selber endlich teilte er nicht nur mehrfache sehr erhebliche notizen zur Verwertung in meiner abhandlung „Über die ausdrücke alt- nordische, altnorwegische und isländische spräche" mit (1867), sondern ihm ver- danke ich auch die abschrift der Skida-rima, nach welcher ich dieses eigentümhche

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gedieht im jalire 1869 herausgab. Auch au verschiedeueü zeitschrifteu arbeitete Gud- braudur noch mit, wie er deuu z. b. uoch mehrere jahi'e lang regelmässiger corre- spondent des ^J^jodolfr" blieb, und auch gelegeutlich iu die Times '^ schrieb, correspondenzen, die ihn gelegeutlich in recht widerwärtige Streitigkeiten verwickelten, wie z. b. die controvei-se über die neue isländische bibelübersetzung, dann über die hülfsbedürftigkeit Islands während des notjahres 1882 83. Ton wissenschaftlicher bedeutung sind zumal seine beitrage für die „Academy'^ und für die „English histo- rieal reNiew*^; in der ersteren erschien auch die lezte arbeit, welche er, soviel mir bekant, veröffentlichte, nämlich ein nekrolog für Jon Arnasou. Ein grösseres Averk, an welchem er, widerum mit Fr. York Powell zusammen, arbeitete, und welches die älteren isländischen sagen samt der Islendingabok , Landnama, Kristni saga, den älteren Biskupa sögur und den auf Amerika bezüglichen quellen umfassen soll, ist im dmcke bereits weit vorgeschiitten und dessen baldige Vollendung gesichert.

T\'ährend der ei"sten zeit seines aufeuthaltes in England seztc Gudbrandur den brieflichen verkehr mit mii* noch sehr eifrig fort, und zumal gab die arbeit an sei- nem wöiterbuche zu einem regen gedankenaustausche anlass, da er zumal über juristische terminologie gern mit mir rücksprache zu nehmen pflegte. Im jähre 1874 war er auch noch einmal läagore zeit bei mir zu besuch; almählich aber wurde die correspondenz eine lässigere, teils wol weil der gang unserer Studien immer weiter auseinander führte, und weil für mich mit Gudbrands entfernung von Kopenhagen die möglichkeit wegfiel, seine hülfe bezüglich der dort aufbewahrten handschiiften in anspnich zu nehmen, teils aber auch weil das zunehmende alter uns beide träger im schreiben machte. Doch wechselten wir uoch aljährlich einige briefe, am 18. Januar 1. j. aber Hess er mir dui'ch heim Fr. York Powell mitteilen, dass er schwer krank liege, imd ein brief, welchen ich daraufhin abgehen liess, gehörte zu dem leztcn, was er lesen konte. Ein langwieriges, aber zum glück wenig schmerzhaftes krebs- leiden, welches, vom magen ausgehend, auch die leber ergiiff, machte seinem leben ein ende. Englische freunde, vorab der trefUche Fr. York Powell, haben ihn treu- lich gepflegt bis an sein ende, imd ihn auch in würdigster weise zum grabe geleitet, in welchem er nun von einem leben voller mühe und arbeit in fremdem lande ausruht.

SoU zum Schlüsse noch etwas über Gudbrands wissenschaftliche bedeutung gesagt werden, so hält es schwer. Hellt und schatten richtig zu verteilen. Gud- brandur war ein ganz ungewöhnlich begabter mann, von raschester fassungsgabe und unermüdlichem fleisse. Seine fertigkeit im lesen und in der beuiteilung von hand- schriften war eine ganz ausserordentliche-, die veiioschenste schiift vermochte er noch zu entziffern, und wochenlang konte er von morgens bis abends abschreiben ohne dass seine äugen ermüdeten. Rasch wusste er sich auch in den fiüationsverhältnis- sen der handschriften zurechtzufinden, und von hier aus für seine queUenausgaben stets den richtigen text zu wählen und die nötigen Varianten auszulesen. Seine aus- gebreitete bekantschaft mit der gesamten, gedruckten und ungedruckten litteratui" seiner heimat Hess ihn überdies im vereine mit seinem bewunderungswürdigen gedächt- nisse stets alle beziehungen gegenwärtig haben, die ihm für die erledigung irgend einer aufgäbe von nutzen sein konten, und eine seltene kombinationsgabe gestattete ihm aus dem reichen materiale die überraschendsten Schlüsse zu ziehen. Aber aller- dings standen diesen glänzenden eigenschaften auch wider schwache Seiten gegenüber, welche die ungetrübte entfaltung jener ereteren mehrfach behinderten. Die flüchtige band, mit welcher Gudbrandur seine handschriften copierte, war manchmal eine zu flüchtige, sodass nicht immer die lesart der handschrift in seinen ausgaben ganz ver-

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lässig wiclcrgegeljen ist. Sein voiircfliches gedächtnis verleitete ihn zuweilen zu alzugrossem vertrauen auf dasselbe; er citiei-te vielfach aus dem köpfe, uud konte dann hin und widor auch wol ein ungenaues, oder selbst ein geradezu falsches citat mit unterlaufen. Seine rasche combinationsgabe verführte ihn manchmal auch wol zu recht seltsamen ergcbnisseu, die zufolge seiner ungewöhnlich schnellen art zu arbeiten keiner hinreichend bedächtigen nachprüfung unterzogen zu werden pfleg- ten. Ein an sich sehr anerkennenswertes streben nach Originalität liess ihn über- dies fremde arbeiten oft nicht beachten, oder selbst ganz ungerechtfei'tigtfn' weise misachten, zumal wenn sie irgendwie störend in seine eigenen hoblingsansirhten ein- griffen. Alle diese Schattenseiten seiner art zu arbeiten machen sich aber in Gud- brands späteren Schriften weit melir fühl1)ar als in seinen früheren. Seine Übersie- delung nach England riss ihn los von dem natürlichen boden seiner tätigkeit. Fortan fehlte ihm der tagtägliche zutritt zu den handschriften der Arnamagna?ana und der grossen königlichen bibliothek, uud damit die möglichkeit der benützung dieser hand- schriften beim lesen von korrekturen, durch welche alle flüchtigkeiten von abschrif- ten verbessert werden konten; es fehlte ferner der leichte Zugang zu den reichen bücherschätzen, welcher vordem die richtigstellung von citaten jeden augenblick emiöglicht hatte. Nicht minder bedenklich wirkte aber auch die trennung von einem kreise gleichstrebender landsleute, und zumal das wegfallen des zügelnden einflusses des treflichen Jon Sigurdsson, dessen eminente Verständigkeit verbunden mit dem unbegrenzten ansehen, dessen er sich bei allen seinen landsleuten erfreute, gar man- cherlei extravaganzen zurückzudrängen wüste, zu denen gerade die begabtesten sei- ner jüngeren Schutzbefohlenen sich hinreissen zu lassen geneigt sein mochten. Es konte nicht ausbleiben, dass Gudbrands absprechendes auftreten und die zuweilen recht wilkürliche behaudlung der quellen in seinen späteren Schriften manche scharfe Zurückweisung zu erfahren hatte, mochte solche nun in feinerer form wie von Ed. Sievers (Paul uud Braime X, s. 209 u. fg.) uud Magnus- Stepheuson (Timarit hins islenzka bokmentafelags, Y, s. 145 80), oder in derberer, wie von Theod. Wisen (Arkiv f. nord. fil. III, s.202, anm. 2) und Jul. Hoffory (Göttinger gelehrte anzeigen, 1888, s. 153 u. fg. ; jezt auch in dessen Eddastudieu I, s. 87 142) erfolgen; aber gegenüber solchen auswüchsen seiner unendlich originellen, wenn auch alzu wenig methodisch geschulten natur wird man nie vergessen dürfen, wie unsäglich viel wir dem unermüd- lichen fleisse und dem seltenen Scharfsinn des mannes verdanken, der überdies in seinem persönlichen auftreten von der liebenswürdigsten anspruchslosigkeit und einer nahezu kindlichen naivität war. Ich persönlich und mancher andere mit mir werden nie des dankes vergessen, den ich ihm für gar manche wissenschaftliche fördenmg und für nicht wenige vergnügte stunden des zusammensems schulde; möchte dieser rasch hingeworfene nachruf ein sprechender ausdruck der Wertschätzung sein, welche ich dem teueren geschiedenen zolle!

MröCHEN, 13. MÄRZ 1889. K. MAURER.

MISCELLEN UND LITTEKATUE.

Poetik. Von Wilhelm Seherer. Berlin, AYeidmannsche Buchhandlung. 1888.

Xn und 303 s. 8. Die einbildungskraft des dichters. Bausteine für eine poetik. Von

Wilhelm Dilthey. (Philosophische aufsätze, Eduard Zeller zum fünfzigjährigen

doctor-jubüäum gewidmet, Leipzig 1887, s. 302 482.)

220 ELLINGER

Handbuch der poetik. Eine kritisch-historisch» darstellung der theo- rie der dichtkunst von Ilermaini "Bauniufart. Stuttgart, Cottasche buch- handhuig. 1887. XII und 734 s. 8. Poetik, rhetorik uud Stilistik. Akademische Vorlesungen von AVilhelm "Wackernagel. Herausgegeben von Ludwig Sieber. 2. aiifl. Halle a. S., Verlag der buchhandlung ncs Waisenhauses. 1888. XII und 597 s. 8. Poesie und prosa, ihre arten und formen, von J. Methiier. Halle a. S., Verlag der buchhandlung des Waisenhauses. 1889. XII imd 330 s. 8.

Man darf es als eine ungemein erfreuliche tatsaehe betrachten, dass jczt von so vei'schiedenen selten versuche gemacht werden, umfassende lehrsysteme der poetik aufzustellen. Niemand hat dringendere veranlassung, die förderung dieser Studien zu wünschen, als der littorarhistoriker. Denn bei jeder littorarhistorischen arbeit, sofern sie sich nicht auf diejenigen gebiete bezog, auf denen die philologio den begriff philologio im engeren sinne des wertes genommen feste normen geschaf- fen hatte, empfand man, ^\'ie wenig aus der bisherigen spekulativen ästhetik sowol für den dichter als für den forscher zu gewinnen ist. Immer mehr und mehr muste sich emem jeden, der sehen wolte, die Überzeugung aufdrängen, dass es verfehlt ist, auf metaphysischer grundlago ein systeni der poetik aufbauen zu wollen, dass es vielmehr versucht werden muss, ein System der poetik aufzustellen, in welchem die gesamte litterarische produktion untersucht und klassificiert würde und in welchem man auf giTUid dieser umfassenden durch forschung und klassifikation innerhalb gewis- ser gi'enzen zu bestirnten normen und gesetzen gelangen könte.

Eine solche aufgäbe zu lösen, war sicher niemand geeigneter als Scherer. Und mit tiefer trauer muss es uns erfüllen, dass es ihm nicht vergönt war, diese auf- gäbe volständig durchzufühi'en. Scherer fühlte schon lange das unmittelbare bedüi'f- nis nach einer vergleichenden, empinschen poetik, und nach dem abschluss seiner litteraturgeschichte fing er an einen entwurf aufzustellen, den er einer Vorlesung zu gründe legte. Wäre es ihm möglich gewesen, die Vorlesung mehrere male zu halten, so hätte er beim mehrmaligen durcharbeiten des gleichen Stoffes gewiss noch einschneidende Veränderungen vorgenommen; das gleiche wäre sicher von der aus- arbeitung der für die Veröffentlichung bestimten form der fall gewesen. Was uns jezt vorliegt, ist ein erster entwurf und ist als solcher zu beurteilen. Mit tiefer wehmut habe ich diese blätter durchgelesen, denn bei jeder seite stieg die herliche persönlichkeit des unvergesslichen , teuren mannes vor meinem äuge empor und jede zeile rief mir aufs neue mit schmerzlicher gewalt ins gedächtnis, was wir besessen haben und was uns nun unwiderbringlich verloren ist. Ich muste mich erst nach mehrmaligem lesen gewaltsam von diesem persönlichen eindrucke, den das buch auf mich machte, befreien und glaube jezt wol im stände zu sein, unparteiisch über die mängel und Vorzüge des entwurfes rechenschaft ablegen zu können.

AVelche Schwierigkeiten sich der lösung der aufgaben, die hier zu erledigen sind, entgegenstellen, ergibt sich gleich bei dem versuche Scherers, den umfang des gebietes, welches zu durchforschen ist, festzustellen. Scherer stelt folgende beiden Sätze auf: 1. nicht alle poesie ist kunstmässige anwendung der spräche. 2. nicht alle kunstmässige anwendung der spräche ist poesie. Dem zweiten dieser sätze ist zweifellos auch dann zuzustimmen, wenn man, wie Scherer, alle prosaischen reime- reien des .sechzehnten und siebzehnten Jahrhunderts zur poesie rechnet; denn manche anwendungen der kunstmässigen rede, wie z. b. die predigt, die rede u. ä. wird man gewiss nicht für die poesie in anspruch nehmen, obschon es selbstverständlich nicht

ÜBER SCHRIFTEN' ZUR BEüTSCHEX POETIK 221

ausgeschlossen ist, dass beispielsweise die predigt pootisclieu Charakter aimiint, ja gera- dezu sich der poetischen form l)edient, wie in der Bamberger jiredigt. Eine andre frage ist dagegen, ob der zweite satz, so wie ihn Scherer formuhert, als richtig anzuerkeu- ist. Scherer sucht ihn damit zu beweisen, dass er das ausdeuken eines baliets, also einer zusammenliängendeu dramatischen handlang, bei wrlcher nicht gesprochen wird, füi- einen akt poetischer ei-findiing erklärt. Das kunstwerk entsteht erst, wenn agiert wird, und das geschieht ohne s])rache. AW'nn vollends einer eine selbstcrfim- dene pautomime aufführt, nach seinen eigenen gedanken, nach seiner eigenen erfin- dung, so braucht er die spräche überhaupt nicht; und dennoch kann dies ein dichterisches kuustwerk sein. Es gibt also aktiou, tanz, gcbilrdenspiel ohne spräche, wobei gleichwol ein poetisches kunstwerk entsteht."' Ich glaube nicht, dass diese folgerungeu, so wie sie hier gezogen werden, überall richtig sind. Das ausdenken eines baliets kann man doch kaum einen akt poetischer ertindung nennen. Es ist nur ein akt kuustmiissigcr eründung, nichts anderes, als wenn der maier ein grösse- res bild entwirft und die einzelnen gestalten im geist gruppieit. Zu einem poeti- schen kuustwerk wird ein solches ballet erst, wenn das wort zu hilfe genommen wird, um den einzelnen personeu ihre stellimgen oder ihre funktionen anzuweisen; so wii'd man gewiss nicht anstehen, Heines tanzpoem vom doktor Faust als eine art von poetischem kunstwerk anzuerkeuneu. Aber diesen fall schUesst Scherer aus- drücklich aus. Auch Schcrers beziehung auf die oper ist nicht völlig zutreffend, sondern es wird durch dieselbe weiter nichts bewiesen, als dieses, dass wir es hier nicht mit einem rein poetischen, sondern mit einem gemischten, poetisch - musika- lischen kunstwerk zu tun haben; und dass die oper erst dann vollendetes kunstwerk wird, wenn die musik zum werte hinzutritt, trägt zum beweise jenes satzes nichts bei. Der satz kann daher, so wie er hier formuliert wird, nicht anerkant werden und nur wemi man die Verhältnisse, die hier augedeutet sind, rein historisch erfasst, kann man zu einer richtigen präcisierung desselben gelangen, die etwa folgender- masseu lauten w^ürde: In den ältesten zeiten erscheint die poesie niemals allein als kunstmässige anw'endung der spräche, sondern sie ist immer verbunden mit tanz und musik, ja es kann zuweilen vorkommen, dass, wie beim taubstummen die Zeichen- sprache die wirkliche spräche ersezt, die pantomime geradezu als mittel des poetisch - dramatischen ausdrucks dienen muss, weil die spräche selbst dazu noch nicht im Stande ist. Erst almählich lösen sich die einzelnen künste, poesie, musik und tanz aus ihrer Verbindung los.

Einen ähnlichen satz stelt Scherer später auch auf (s. 16), indem er die ein- zelnen ablösungsakte genauer präcisiert. Er führt die ältesten foraien der poesie auf, wie wir sie heute noch bei den naturvölkern finden: chorlied: Sprichwort, mährchen. Das chorlied erscheint in den ältesten zeiten und auch heute noch bei den naturvöl- kern, zum teil auch noch bei uns, wie wir es bei den bauern und den kindern beobachten können, mit dem tanz verbunden. Zunächst hat dann die ablösung vom tanz statgefunden ; indem dann das chorhed zum einzelHed wird, erfolgt langsam auch die ablösung von der musik. Rechnet Scherer nun alle gebundene rede zum forschungsgebiete der poetik, so erhebt sich die frage, was von der ungebundenen rede hinzuzui'echnen ist. Von den für- die älteste zeit anzunehmenden formen der poesie erscheint seit sehr fniher zeit das mäkrchen in ungebundener rede, für die anderen gattungen aber überwiegt die poetische form, so dass dieselbe in der älteren litteratur aller vÖlker auch für den wissenschaftlichen vertrag, die Inschrift, wol auch für die politische rede verwendet wird. Almählich aber vortreüiche beispiele

222 ELLIXC.F.R

bietet für diesen vorgaug die deutsche litteratur des fuufzolmteu und sechzehnten Jahrhunderts wird für einzelne gattungen die gebundene rede von der ungebun- denen abgelöst.

Für alle formen ungebundener kunstniässiger rede, soweit sie nicht von vorn- herein ihre beziehung auf die poesie ausschliessen, wäre auch die gebundene form müglieh, z. b. für roraan, novelle, mährchen, fabel; ja sie ist häufig auch dafür ver- wendet worden. So stehen diese formen in der unmittelbarsten verwantschaft zu den formen der gebundenen rede, z. b. der roman zum epos, die novelle zur poetischen erzählung. Demnach kann mau der abgrenzung des gebiets der poetik, wie Scherer sie s. 32 gibt, wol zustimmen: die poetik ist vorzugsweise die lehre von der gebun- denen rede; ausserdem aber von einigen an Wendungen der ungebundenen, welche mit den anweodungen der gebundenen in naher verwantschaft stehen.

Mit vollem recht stelt Scherer an den anfang seiner untersucliungeu die frage nach der entstehimg der poesie. Um den dichterischen prozess volständig beschrei- ben, um die allen dichtem gemeinsamen züge sammeln zu können und dergestalt zu einem richtigen gesamtbilde vorzudringen, dürfen wir nicht bei den dichterischen erzeugnissen hochentwickelter kulturepochen stehen bleiben \ wie etwa bei der litte- ratur der Griechen seit den homerischen gesängen, sondern wii- müssen versuchen, uns auf grund der poetischen gebilde der naturvölker, die zu einem solchen zwecke freilich erst einer umfassenden klassifikation unterworfen werden müste, die ei-sten Stadien der entwicklung der poesie überhaupt zu vergegenwärtigen. Erst wenn wir so zu den „urzellen, den primären, einfachen lebensformen der poesie" aufgestiegen sind, ist es möglich, eine volkommen ausreichende beschreibung der dichterischen Organisation zu geben. Die herlichen hinweise, die Herder in dieser beziehung gege- ben hat, sind ein Jahrhundert lang fast unbeachtet geblieben oder wenigstens doch nicht in ihrer ganzen fmchtbarkeit erkant worden. Also die frage nach der entste- hung der poesie ist eine kardinalfrage der poetik und mit recht verlangt Scherer, dass sie zunächst gestelt und beantwortet werde. Ob diese frage in dem vorliegen- den entwurf nun auch schon gelöst ist? Ich glaube nicht. Es ist notwendig, hier die bemerkungen folgen zu lassen, in denen Scherer die resultate seiner Untersuchun- gen über die entstehung der poesie zusammenfasst. „Die poesie", sagt er, «entspringt aus dem ausdrucke des Vergnügens dui-ch springen, jubeln, lachen. Der ui'spi-üng- liche gegenständ ist vermutlich erotischer natur, doch sind ^delerlei gegenstände möglich. Der poetische erfinder schlägt ein fest vor, wobei eine angenehme, ver- gnügliche Vorstellung geweckt wird durch symbolische haudlungen. mit denen sie durch Worte ausdrücklich assocüert wird, und wo eine weitere Verbindung mit den alten ausdi-ücken des Vergnügens, mit springen und singen statfindet. Springen und singen sind von alters her mit vergnügen assocüert und dadurch geeignet, Vorstel- lungen des Vergnügens hervorzurufen." Durch die analyse der momente, die wir bei einem von Scherer herbeigezogenen, mit tanz verbundenen australischen chorlied

li Sehr richti? äussert Dilthey über diesen punkt, a. a. o. s. a39: ,,das wesen und die funktion der kunät können nicht mit der idealistischen ästhetik an dem höchsten ideal derselben, das wir heute za fassen im stände sind, erkant -werden. Die meisten theorieen der geistigen weit aus der zeit der deutschen Spekulation zeigen diesen fehler, Wa-s sich unter den günstigsten bedingungen entwickelt hat, darf nicht als antrieb in die ganze reihe von erscheinungen verlegt -werden , in denen dieser lebenskreis sich entfaltete. Die kunst ist überall, -wo etwas, sei es in tönen ofler einem festeren material, hin- gestelt wird, das -weder der erkentnis des wirklichen dienen noch selbst in Wirklichkeit übergeführt wer- den soll, sondern für sich das Interesse des anschauenden befiiedigt."

ÜBER SCHEIFTKN ZUR DEUTSCHEX .POETIK 223

beobachten können, versucht Scherer zu beweisen, dass es sich „immer um ein vergnügen handelt, um die weckuug angenehmer tätigkeiten und Vorstellungen auf eine angenehme weise. Für die angenehme weise tritt schon als charakteristisch hervor: das vergnügen der vergleiehung zwischen einem dargestelten gegenständ und dessen darstellung. Die darstellung ist auswählend, andeutend, symbolisch; keine volst.ändige naehbildung.""

Ich habe an diesen darlegungon zweierlei auszusetzen. Einmal sind die alge- nieinen rellexionen, auf denen Scherer zu diesen resultaten gelangt, nicht völlig ein- leuchtend und zwingend und zum andern gründet sich dies ergebnis auf ein zu geringes historisches material. Dem einen australischen liedchen, an dem Scherer seine theorie dartut, Hessen sich viele erzeugnisse der natui'poesie entgegenstellen, zu denen die tlieorie eben nicht passt. Gewiss ist das vergnügen für die entstehung der poesie ein wichtiges moment, aber es ist keineswegs das einzige: der schauer vor der gottheit, die furcht, die trauer sind ganz in dem gleichen masse herbeizu- ziehen. Fals ich auf grund meiner geringen kentnis der uaturpoesie eine Vermutung über die entstehung der poesie geben solte, so müste sie folgendermassen lauten: die poesie entsteht überall da, wo ein erlebnis aus dem kreise gewisser seelenstim- niungen sie sind soeben angegeben: schauer vor der gottheit (kultushandlung), furcht (vor bösen göttern; Waitz führt ähnliche lieder auf), trauer (um den toten bei- den) \ weiter wiire auch hass und zorn hinzuzurechnen (kämpf gegen die feinde) eine dafür besonders empfängliche seele in lebhafte erregung versezt. Die erregung ist die quelle aller poesie, wie wir das heute noch an kindern und eingebildeten leuten sehen kömicn, die in furcht und aufregung dinge hören und sehen, die nicht vorhanden sind oder die in dieser Stimmung das, was sie wirklich gesehen haben, bis ins ungeheure vergrössern. Es ist dieselbe kraft, die im dichter wirk- sam ist, wenn ein erlebnis, an dem ein anderer mensch gar nichts aussergewöhn- liches finden würde, so in seine seele fält, dass er fühlt: hier sind die grundlinien zu einem kunstwerk gegeben. Der dichterische prozess wird also in den frühsten Zeiten kaum anders gewesen sein, als in unserer zeit. Nur sind zweifellos die kreise viel enger gewesen, aus denen ein erlebnis die dichterische Stimmung zu wecken im stände war. Und ich halte es für möglich, diese kreise bis zu einer gewissen genauig- keit auf grund der natiu'poesie zu bestimmen; denn dass sie mit den oben gegebenen andeutungen nicht erschöpft sind, liegt auf der hand.

Daiin, dass Scherer den Ursprung der poesie allein im vergnügen sieht, liegt der grund für die tatsache, dass ihm die ableitung des Vergnügens an tragischen

1) Auf diesen punkt weist Scherer allerdings hin , aber er betont niu* einen teil der fragen , die dabei in betracht kommen. S. 97: „Eine gewiss alte gattung der poesie sind die klagelieder um einen gefallenen häuptling, beiden, geliebten, anii-ehörigen. Solche lieder fallen zum teil unter abschnitt 1, [wo davon die rede ist, dass aussprechen, mitteilen der trauer von der empfindung des sclimerzes abzieht und dass in dem aussprechen des traurigen und schmerzlichen erfahningsmässig ein trost liegt, vgl. auch unten s. 224, wo auch auf das tröstende hingewiesen wird , das in der teilnähme anderer an dem eigenen schmerze liegt]. Aber ausserdem ist der fest- und trauei-pomp, ja der trauerschmaus ein vergnügungs- moment. Ferner fand schon Aristoteles in den klagegesängen als ein eleinent des Vergnügens : die erin- nerung an den toten und die vergegenwärtigung dessen , was er getin und wie ers getan ; also alles prei- sen des toten erweckt eine angenehme vorsteUung. Analogos können wir noch heut erfahren. MüUenhoff schrieb mir: ,,der tod ist der treueste freund des menschen, weil er erst das volkommene bild der per- sönlichkeit gibt.'" Endlich sind die trauergesänge vielfach verbunden mit dem kultus der abgeschiedenen Seelen, mit manen - kultus ; dieses beniht darauf, dass die seele fortlebt, und das lied soll den toten geneigt machen , seine kraft oder seinen willen zu schaden einzuschränken ; es dient also zur besänftigung des gespenstes."

224 . tlLLIKGIiR

o-eo^enständen so grosse scliNvierigkeiteu bereitet. Wenu die poesie zunächst bloss ein ausdruok des Vergnügens ist. dann ist es allerdings unbegreitlich , wie der mensch dazu gekommen sein soll, am unaDgeuehmcn oder an der daistellung desselben freude zu linden. Sehen wir aber von der Voraussetzung Scherers ab, so bietet das interesse des menschen (auf niedriger kulturstufe) au unangenehmen gegenständen kein alzu- schwieritres problem. Dilthey hat mit recht auf das bedürfnis der menschlichen natur nach mächtigen, wenn auch mit starker imlust verbundenen erregungen, wel- ches nicht auf die erzeugung eines maximums von lust zurückgeführt werden kann, hiuo-ewiesen. Die frage, wodurch dasselbe entsteht und wie diese eigenschaft des Organismus zu erklären ist, hat meines erachtcns der physiolog und psycho physiker zu lösen, die rein empirischen gründe, die Scherer anführt, reichen entschieden nicht aus, obgleich einzelne dei-selben für die weitere ausbildung des Vergnügens an tra- gischen gegenständen sicherlich in betracht gezogen werden müssen, so z. b. die erleicht^i'rung. die der mensch diu'ch das aussprechen des Schmerzes, der ihn drückt,

empfindet.

Ich habe damit die punkte bezeichnet, bei denen ich glaube, dass sich die grundanschauungen, von denen Scherer ausgegangen ist, nicht halten lassen. Trotz- dem sind aber auch in diesen abschnitten des buches auf schritt und tiitt die fein- sten beobachtungen zu finden, an welche diejenigen, die die Wissenschaft der poe- tik weiter ausbauen wollen, beständig anzuknüpfen haben werden (man vergleiche namentlich die ausführungen in dem abschnitte über die entstehung der poesie über die vorbereitungsstufen füi- tanz und chorlied sowie über die associationsvorgänge und das sj-mbohsche in der älteren dichtung). Muste ich aber m den angeführten abschnitten gegen die grundanschauungen und die hauptresultate Scherers polemisie- ren, so kann ich um so freudiger anerkennen, dass in allen übrigen partieen des buches Scherer bei den fragen, die er behandelt, zu einer befriedigenden lösung gelangt oder einer solchen mindestens doch sehr- nahe gekommen ist. Alle diese abschnitte bieten die reichste belehi'ung und eine fülle der anregung, namentlich für den litterarhistoriker. Es ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass auch die in den späteren partieen niedergelegten anschauungen nicht noch mancher bench- tigung und ergänzung bedürfen; das ist bei einem ersten entwurf, wie war ihn vor uns haben, unvermeidlich. Aber der belebenden kraft dieser gedanken wii'd sich so leicht kein einsichtiger entziehen können. Über den wert der poesie stelt Scherer vortrefliche beobachtungen zusammen. Er behandelt zunächst den tauschwert der poesie, wobei er diejenigen mächte, welche für die jeweilige fixierung dieses wertes in frage kommen, sowie die bedingungen, unter denen diese faktoren segensreich oder unheilvoll wirken, volkommen richtig und scharf bezeichnet; er führt den unterschied zwischen kunst- und Volksdichtung im wesentUchen auf den unterschied zwischen geschriebener und imgeschriebener poesie zurück und er betrachtet dann durchaus als unparteiischer beobachter und mit gerechter abwägung den idealen wert der poesie und die fi-age nach der sitlichen Wirkung derselben. Hieran schliesst sich eine in ihrer knapheit glänzende darstellung und Vertiefung von Lachmanns theorieen. doch wird nicht bloss die beteiligung mehrerer dichter au einem werk in betracht gezogen, sondern auch auf stil unterschiede hingewiesen, die sich bei werken geltend machen, welche von einem dichter heri-ühren und zwar in dem fall, dass die arbeit, mehrfach unterbrochen, sich auf verschiedene epochen seines lebens verteilt. Bei dem ersten punkte ist sehr richtig auf das Volkslied des sech- zehnten Jahrhunderts hingewiesen; eine eindringendere Untersuchung der Volkslieder

ÜBER SCHRIFTEN' ZUR DEUTSCHEN POETIK 225

nach ihror zusammonzotzuna". nach der frage dos hinointragons von stcllon dos einen Volksliedes in ein anderes, das etwa im stoff oder in der Situation analoge Vorgänge bietet, würde noch wichtig« beitrüge zu diesem kapitel liefern. "NVcitor wird eine uutei-suehung über die schaffenden seelenkräfto l)egonnen ; dio iihantasie fühii Scherer im wcsentlicben auf reproduktion zurück; die aufgäbe, welche bei dor künstleiischen arbeit dem verstände, der dio phantasie zu beherschen hat. ohne dass er sieh an ibre stelle drängen darf, wird gekenzeichnot schön sagt Schercr s. 160: „Ein samen fält : und es entspriosst sofort ein ganzes blumcnbeot, aus dem der dichter die wähl hat, zu pflücken was ibm belit^bt. Das blumcnbeet liefei-t die phantasie; bei der auswahl des pflückens muss der verstand helfen'^ und die verschiedenen methoden, deren sich die phantasie bei der Umwandlung der in der erinuerung aufbowahi-ton tatsachen bedient, kurz charakterisiei-t. Die verwantschaft der künstlerischen anlagen mit den dispositionon zu abnormen geistigen zuständen behandelt ein besonderer abschnitt. In den ausführungen über die einteilungen der dichter werden die bis- herigen klassifikationsversuche kritisiert, insbesondere Schillers einteilung in naive und sentimentalische dichter, welche im wesentlichen zurückgewiesen wird. «Es sind, sagt Scherer s. 183 fgg., sehr mannigfaltige einteilungen der dichter möglich die abstufungen sind einerseits so mannigfaltig wie die Charaktere der Individuen überhaui)t, andererseits gibt die ganze poetik in allen ihren teilen motive imd gesichts- punkte an die band für Verschiedenheiten , weil da ganz verschiedene methoden mög- lich sind. Die Charakteristik eines dichters zu entwerfen, ist daher ausserordentlich schwer. Aus all solchen eigentümlichkeiten , sofern sie in den werken der dich- ter sich ausiu'ägen, sezt sich der persönliche stil zusammen. Eins aber gehört hierher, in den Zusammenhang dieses kapitels, ein unterschied in der Produk- tionsweise der dichter, ob ohne nicksicht auf publikum oder mit rücksicht auf publikiun."

Damit hat Scherer einem gedanken ausdruck gegeben, der meines wissens in der bisherigen poetik und ästhetik noch niemals aufgetaucht und der doch von ganz ausserordentlicher fnichtbarkeit ist. Dass er uns so selbstverständlich erscheint, beweist nur, dass er durchaus zutreffend ist, aber nicht etwa, dass seine aufstellung unnötig wäre. In welcher weise der hörer- oder leserkreis, mit einem worto das publikum, auf den dichter wirkt, ihn beeiuflusst, ihn zu Zugeständnissen nötigt, ist eine frage, die erwogen worden muss und die bei der betrachtung fast jedes littera- turwerkes von höchster Wichtigkeit ist. Die vortreflichsten belege bietet dafür wider die geschichtc unsrer eignen dichtung, bei deren betrachtung der historiker auf schritt und tritt auf die wechselnde Zusammensetzung des publikums rücksicht zu nehmen hat; man sehe sich nur das zwölfte und dreizehnte, das fünfzehnte und sech- zehnte, das siebzehnte und achtzehnte Jahrhundert nach dieser richtung hin an. Wir erfassen die litterarischen gegensätze der Zeitalter viel besser, wenn wii' etwa das ritterliche publikum um die wende des zwölften und dreizehnten jahrhundci-ts, das den liedern Reinmars und Walthers lauschte und für das Heiniich von Veldeke und Wolfram dichteten, vergleichen mit dem bürgerlichen publikum des sechzehnten Jahr- hunderts, das sich an den wüsten zoten Michael Lindeners und Jakob Freys ergözte, aber doch noch innerliche kraft genug besass, die Schriften Luthers und seiner mit- streiter voll und ganz auf sich wirken zu lassen. Ähnlich wie die gesetze, die sich für die funktioneu der schaffenden Seelenkräfte aufstellen lassen, sucht Schercr nun auch die gesetze für die geniessenden seelenkräfte zu ermitteln, d. h. die bedin- gungen, unter denen ein dichterisches werk auf den leser oder hörer einen bestimten

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 1^

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gegenständen so grosse Schwierigkeiten bereitet. AVenu die poesie zunächst bloss ein ausdruck des Vergnügens ist, dann ist es allerdings unbegreülich , wie der mensch dazu gekommen sein soll, am unangenehmen oder an der darstellung desselben freude zu finden. Sehen wii- aber von der Voraussetzung Scherers ab, so bietet das interesse ^

des menschen (auf niedriger kulturstufe) an unangenehmen gegenständen kein alzu- IH '

schwieriges problem. Dilthey hat mit recht auf das bedürfnis der menschlichen "

natur nach mächtigen, wenn auch mit starker unlust verbundenen erregungen, wel- ches nicht auf die erzeugung eines maximums von lust zurückgeführt werden kann, hingewiesen. Die frage, wodurch dasselbe entsteht und wie diese eigenschaft des Organismus zu erklären ist, hat meines erachtcns der physiolog und psychophysiker zu lösen, die rein empirischen gründe, die Scherer anführt, reichen entschieden nicht aus, obgleich einzelne dei*selben für die weitere ausbildung des Vergnügens an tra- gischen gegenständen sicherlich in betracht gezogen werden müssen, so z. b. die erleichterung, die der mensch dm'ch das aussprechen des Schmerzes, der ihn drückt, empfindet.

Ich habe damit die punkte bezeichnet, bei denen ich glaube, dass sich die gnindanschauungen , von denen Scherer ausgegangen ist, nicht halten lassen. Trotz- dem sind aber anch in diesen abschnitten des buches auf schritt und tritt die fein- sten beobachtungen zu finden, an welche diejenigen, die die Wissenschaft der poe- tik weiter ausbauen wollen, beständig anzuknüpfen haben werden (man vergleiche namenthch die ausführungen in dem abschnitte über die entstehung der poesie über die vorl>ereitungsstufen füi* tanz und chorlied sowie über die associationsvorgänge und das symbolische in der älteren dichtung). Muste ich aber in den angeführten abschnitten gegen die gnindanschauungen und die hauptresultate Scherers polemisie- ren, so kann ich um so freudiger anerkennen, dass in allen übrigen partieen des buches Scherer bei den fragen, die er behandelt, zu einer befriedigenden lösung gelangt oder einer solchen mindestens doch sehr nahe gekommen ist. Alle diese abschnitte bieten die reichste belehi-ung und eine fülle der anregung, namentlich für den Htterarhistoriker. Es ist damit selbstverständlich nicht ausgeschlossen, dass auch die in den späteren partieen niedergelegten anschauungen nicht noch mancher berich- tigung und ergänzung bedürfen; das ist bei einem ersten entwurf, wie wir ihn vor uns haben, unvermeidlich. Aber der belebenden kraft dieser gedanken wii'd sich so leicht kein einsichtiger entziehen können. Über den wert der poesie stelt Scherer vortrefliche beobachtungen zusammen. Er behandelt zunächst den tauschwert der poesie, wobei er diejenigen mächte, welche für die jeweilige fixierung dieses wertes in frage kommen, sowie die bedingungen, unter denen diese faktoren segensreich oder unheilvoll wirken, volkommen richtig und scharf bezeichnet; er führt den unterschied zwischen kunst- und Volksdichtung im wesentlichen auf den unterschied zwischen geschriebener und ungeschriebener poesie zurück und er betrachtet dann durchaus als unparteiischer beobachter und mit gerechter abwägung den idealen wert der poesie und die frage nach der sitlichen Wirkung derselben. Hieran schliesst sich eine in ihrer knapheit glänzende darstellung und Vertiefung von Lachmanns theorieen. doch wird nicht bloss die beteiiigung mehrerer dichter an einem werk in betracht gezogen, sondern auch auf stil unterschiede hingewiesen, die sich bei werken geltend machen, welche von einem dichter heri-ühren und zwar in dem fall, dass die arbeit, mehrfach unterbrochen, sich auf verschiedene epochen seines lebens verteilt. Bei dem ersten punkte ist sehr richtig auf das Volkslied des sech- zehnten Jahrhunderts hingewiesen; eine eindringendere Untersuchung der Volkslieder

ÜBER SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 225

nach ihrer zusamnionzotzung. nach dor IVa^fo des hinointragons von stoUon dos einen volksliodcs in ein anderes, das etwa im stoff oder in der Situation analoü;e Vorgänge bietet, würde noch wichtige beitrage zu diesem kapitel Hofern. "WcitcM- wird eine untei-suchung über die schaffenden seehnikräftc liegouuen ; die i)liantasie fühit Scherer im w'csentliclien auf reproduktion zurück; die aufgäbe, welclie bei der künstlerischen arbeit dem vorstände, der die phantasie zu beherschen hat. ohne (bass er sicli an ihre stelle drängen darf, wird gekenzeichnet schön sagt Scherer s. IGG: ,,Ein samen fält : und es entspriesst sofort ein ganzes blumenbeet, aus dem der dichter die walil hat, zu pllücktni was ihm belit^bt. Das blumenbeet liefert die phantasie; ])ei der auswalil des ptlückens muss der verstand helfen" und die verschiedenen methoden, deren sich die phantasie bei der Umwandlung der in der erinnerung aufbewahrien tatsachen bedient, kurz charakterisiert. Die verwantschaft der künstlerischen anlagen mit den dispositionen zu abnormen geistigen zuständen behandelt ein besonderer abschnitt. In den aiisfühningen über die einteilungen der dichter werden die bis- herigen klassifikationsvei'suche kritisiert, insbesondere Schillers einteilung in naive und Sentimentalische dichter, welche im wesentlichen zurückgewiesen wird. „Es sind, sagt Scherer s. 183 fgg. , sehr maimigfaltige einteilungen der dichter möglich die abstufungen sind einerseits so mannigfaltig wie die Charaktere der individuen überhaupt, andererseits gibt die ganze poetik in allen ihren teilen motive mid gesichts- ]ninkte an die band für Verschiedenheiten , weil da ganz verschiedene methoden mög- lich sind. Die Charakteristik eines dichters zu entwerfen, ist daher ausserordentlich schwer. Aus all solchen eigentümliclikoitcn , sofern sie in den werken der dich- ter sich ausprägen, sozt sich der persönliche stil zusammen. Eins aber gehört hierher, in den Zusammenhang dieses kapitels, ein unterschied in der Produk- tionsweise der dichter, ob ohne rücksicht auf publikum oder mit rücksicht auf publikimi."

Damit hat Scherer einem gedanken ausdruck gegeben, der meines wissens in der bislierigen poetik und ästhetik noch niemals aufgetauclit und der doch von ganz ausserordentKcher fruchtl)arkeit ist. Dass er uns so selbstverständlich erscheint, beweist nur, dass er durchaus zutreffend ist, aber nicht etwa, dass seine aufstellung unnötig wäre. In welcher -sveise der hörer- oder leserkreis, nüt einem werte das publikum, auf den dichter wirkt, ihn beeinflusst, ihn zu Zugeständnissen nötigt, ist eine frage, die envogen werden muss und die bei der botrachtung fast jedes littera- turwerkes von höchster Wichtigkeit ist. Die vortreflichsten belege bietet dafür wider die geschichte unsrer eignen dichtung, bei deren botrachtung der historiker auf schritt und tritt auf die wechselnde Zusammensetzung des publikums rücksicht zu nehmen hat; man sehe sich nur das zwölfte und dreizehnte, das fünfzehnte und sech- zehnte, das siebzehnte uud achtzehnte Jahrhundert nach dieser richtung hin an. Wir erfassen die litterarischen gegensätze der Zeitalter viel besser, wenn wii" etwa das ritterliche publikum um die wende des zwölften und dreizehnten jahriiundcrts, das den liedern Eeinmars und Walthers lauschte und für das Heinrich von Ycldeke und Wolfram dichteten, vergleichen mit dem bürgerlichen publikum des sechzehnten Jahr- hunderts, das sich an den wüsten zoten Michael Lindeners und Jakob Freys ergözte, aber doch noch innerliche kraft genug besass, die Schriften Luthers und seiner mit- streiter voll und ganz auf sicli wirken zu lassen. Ähnlich wie die gesetze, die sich für die funktionen der schaffenden seelenkräfte aufstellen lassen, sucht Scherer nun auch die gesetze für die geniessenden seelenkräfte zu ermitteln, d. h. die bedin- guugen, unter denen ein dichterisches werk auf den leser oder hörer einen bestimten

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 1^

226 ELLIXÖER

beabsichtigton oindruok auszuüben im stände ist. Zum teil schliosst er sich dabei den aufstelhnigen von Fechnor an.

Aus den beiden lezten abschnitten, welche die stofTc, die innere und die äussere form behandeln, kann liier nur das wichtigste herausgegriffen werden. Sche- rer ver.sucht die motive^ zu klassifizieren, welche dem dichter zu geböte stehen; was er bietet, sind selbstverständlich nur die grundziige einer algenieincn motivenlehre, welche noch im einzelnen ausgebaut werden müste. Wie in der bctrachtung über den wert der poesie, verhält sich Scherer auch in der darstellung der Wirkungen, welche die stofTe hervorbringen, grundsätzlich als unparteiischer bcobachtcr. Er begnügt sich damit zu beschreiben, will al)cr keine gesetzo aufstellen. Dennoch gelangt er zu einer bestimten weii-unterscheidung der klassen der Wirkungen, welche im wesenthchen darauf liinausläuft, dass derjenigen poesie, welche edle gefülilo anregt, ein höherer wert zuzuschreiben ist, als eine poesie, welche sich damit begnügt, auf die niederen triebe zu wirken. ,,Ich sage nicht, liemerkt Scherer s. 220, die poesie soll liobe gefühle anregen, sondern ich sage dem dicliter: wilst du die auerkennung der edlen, so zeige dich edel. Genügt es dir z. 1). die niedere tierische siulielikeit der menschen anzuregen, so tue es. Aber sei darauf gofasst, dass die menschen dich betrachten als ein Werkzeug niedriger lüste und dich nicht hoher achten als eine käufliche schöne. Dies gesetz bei'uht auf unserem anteil: wir dehnen die Wirkung des Stoffes auf den autor aus. "Wir denken uns in die Situation selbst hinein; führt uns der dichter durch kloakcn, so stinkts eben und wir fühlen uns beschmuzt, wenn wir auch für die tcchnik bewundcrung haben. Er sagt: „Ich will nur wahr sein.*^ Nun denn, das ist ein ehernes gesetz: wenn etwas angeregt wird, was wir selbst verachten, dann dehnt sich dies gefüLl aus auf den, von dem jene anregung ausgeht. Da hilft all sein reden nicht, wenn er uns hässliches vorfühif. Der dichter hat danach die wähl. Der weise dichter wird mindestens die gegen- stände in kontrast bringen und so unsern blick auf die totalität lenken." Der abschnitt: Innere form untei"scheidet bei der behandlung der stoffe zwischen objek- tiver behandlung (die Unterabteilungen sind aus Scherers litteratui'geschiciite bekant: naturalismus, idcalismus, typischer realismus) und subjektiver darstellung (die gat- tuugen derselben sind: liumoristisch; satirisch; elegisch; idyllisch). In dem abschnitt: Äussere form liegt der haui)tuac]idruck auf den betrachtungen über die grundformcn der darstellung, wälirend die bemerkungcn über komposition, spräche und metrik etwas obenliin behandelt werden mustcn. Von den Unterabteilungen des abschnittes über die grundformen der darstellung sei namentlicli das stück: die arten der rede hervorgehoben; die dort gegebenen einteilungen werden sich namentlich,

1) Sehr richti? sai^ Scherer s. 212: ,,Das liaaptmotiv wird zuweilen idee j^enant. Mit diesem wort ist ein farchtharer nnfug getrieben worden. Ich möchte vorschlagen , den ausdruck fallen zu lassen ; wir sagen dafür stoff, thema, Vorwurf, haujitmotiv. "Wir Lehalten den ausdruck höchstens bei für eine l>estimte cruppe von werken: für die Uusserlirhe einheit eines godichts, die durch ein Fabula dncet ent- steht, wie Goethe von der idee des Faust spriclit. Da indessen deutsche dichter dos 19. Jahrhunderts unter dem einflass einer ästhetik standen , welche überall von ideen sprach und darunter gern algemeine Sätze verstand, die sich in den dargcstelten fallen verwirklichen, so muss man für die beurteilnng sol- cher werke auch mit der ästhetik ihrer autoren, d. h. mit den ästhetischen ansichten dieser schriftsteiler und ihrcT ästhetischen terminologio rechnen. "Wenn ich freilirh einen volständisren roman um soirh einer ,,idee" willen lesen soll, dann sage ich mir: üint de bniit pour une omeletle ! Die Schilderung des lebens wird da zu einer fabel degradiert. "Wo man an die grossen weltdichter herantritt: Homer, Shake- speare , Goethe , da handelt es sich um mehr als eine solche idee. Stoffe , motive bietet das Verhältnis des Achiileus zu Agamemnon, aber nicht einen einzelnen moralsatz."

ÜBER SCHRIFTEN ZUR DRUTSCHF.N POETIK 227

wie Schcrcr bereits mehrfaoli liervoi'f^iehobon liat, fiir eine l)Cssorc klassifikation der lyrik vortro flieh verwerten lassen.

Soll ich nun den gesaniteindruck formulieren, den das buch bei kühler abwä- gung auf mich hervorbringt, so meine ich: es ist unbestreitbar, dass Bcherer das unvergleichliche verdienst gebührt, zum ersten male die grundsätze einer verglei- chenden empirischen poetik fest formuliert zu haben. Keine legislative, sondern eine desci'iptive poetik! Beschreibung der vorhandenen und inöglicbcn formen der Produktion. Keine subjektiven ui-tcile über wertunterschied(% uiteilc, die bloss die persönlichen anschauungen des ästhetikers widerspiegeln sondern nur bestim- iiumgen, wie sie sich mit der beschroibung des vorhandenen als unmittelbare resul- tate ergeben. Eine poesie, die auf die edelsten menschen aller zeiten gewirkt hat, wird gewiss einen höheren wert für sich in anspruch nehmen dürfen als irgend eine andere: das ist ein wertuiieil, wie es unmittelbar aus der betrachtung der vorhan- denen arten und formen der Produktion und ihrer Wirkungen hervorgeht; vor weiter- gehenden bestimmuugen hat sich die poetik zu hüten.

Das auf dieser grundlage aufgebaute gebäude ist gewiss nicht flecken- und fehlei'los. Das liegt nicht allein an der ungleichen Verteilung des stofTes, welche durch die Zufälligkeit der entstehung bedingt ist, sondern es ist vor allem darin begründet, dass die schwierigen probleme, die hier aufgestelt worden sind, sich nicht auf den ersten w'urf lösen lassen. f]s ist Scherer meines erachtens nicht gelun- gen, die quelle der schöpferischen kraft zu bestimmen, weil er eine der mächte, welche diese quelle zum fliessen bringen, verwechselte mit der quelle selbst. Auf dieser unrichtigen Voraussetzung ist noch eine reihe von Schlüssen aufgebaut, die mit der Voraussetzung hmfällig werden. Ferner ist es nicht zu bestreiten, dass aus einem zu geringen oder zu beschränkten materiale oft zu weit gehende Schlüsse gezogen und veralgemeinei-ungen von einzelfällen vorgenommen werden, die nicht zu billigen sind. Alle diese mängel aber verschwinden vor den grossen Vorzügen des entwuifs, vor der anregenden und belebenden kraft, die von ihm ausgeht. Für die geschichte dieser Wissenschaft wird Scherers poetik ein markstein sein; für Scherers freunde ist das buch ein neues abbild der herlichen persönlichkeit, die es geschaffen.

Eine vortreflichc ergänzung hat Scherers poetik in der abhandlung Diltheys gefunden, die als ein überaus wertvoller beitrag zu einer vergleichenden i)Ootik zu bezeichnen ist. Mit Scherer ist Dilthey davon überzeugt, dass die bisherige speku- lative üsthetik die fühlung sowol mit der dichterischen produktiou als mit der litte- i'aturgcschichte verloren hat, mit Scherer teilt er den Widerwillen gegen eine ledig- lich legislative poetik. Von der dichterischen individualitiit geht Dilthey aus und durch die beschroibung der Organisation des dichters sucht er algemeine normen für das dichterische schaffen zu gewinnen. Er will nicht, wie die idealistische üsthetik, dem dichter wilkürliche schranken setzen und nicht den törichten versuch machen, die poetische Schöpferkraft einzudämmen, sondern er sucht durch eine betrachtung der vorhandenen erscheinungsformen der poesie und durch eine beschroibung der natur des dichters zu gesetzen zu gelangen, die im stände sind, dem dichter eine leitung, dem htterarhistoriker feste ausgangspunkte für die l)eurteilung zu gewähren. «Das leben, sagt er s. 415, verlangt gebieterisch eine leitung durch den gedankeu; kann eine solche auf metaphysiscbem wege nicht hergestelt werden, so sucht es einen andern festen punkt. Dürfen wir diesen nicht mit der veralteten poetischen technik in den meisterbildern einer klassischen epoche suchen, dann bleibt nur übrig, in der

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tiefe der monsehlichon nntur solbor uiul in dem zusaininenhanc, des geschichtlichen Kobens solche geschiehtliclien nachforschungen {inznstelleu."

Von diesem Standpunkt aus liat Dilthey zunächst die elementare fanktion des dielitei-s darzustellen und deren grundlage zu ermitteln gesucht. Er findet, dass diese funktion bedingt ist durch die gri»ssere cnergie gewisser seelischer Vorgänge: dor dichter unterscheidet sich von anderen menschcMi zunächst durch die intcjisität und genauigkeit der wahrnehmungsbilder, die mannich faltigkeit derselben und das interesse, das sie begleitet. Er unterscheidet sich alsdann durch die klarlieit der Zeichnung, die stärke der emi)findung und die energie der projektion, welche seinen erinnerungsbildern und den gebilden aus ihnen eigen sind. Mehr noch unterscheidet er sich durch die kraft, mit welcher seelische zustände, selbst- erfundeue, an anderen aufgefasste, folgerecht ganze begebonheiten und cliaraktere, wie sie in der Verknüpfung solcher zustände bestehen, von ilim nachgebildet w^erden, der dichter untei-scheidet sich auch durch die energische beseelung der bilder und die so entstehende befriedigung in einer von gefühlen gesättigten anschauung. Aus alle dem ergibt sich, dass die grossen dichter von einem unwiderstelilichen dränge vorangetrieben werden, erlcbnis irgend einer mächtigen art, das ihrer natur gemäss ist, zu erfahren, zu widerholen und in sich zu sammeln. Der dichter unter- scheidet sich endlich dadurch, dass sich in ilim die bilder und deren Verbindungen frei über die grenzen des wirklichen hinaus entfalten. Er schaft Situationen, gestalten und scliicksale. welche diese Wirklichkeit ülierschreiten. (S. 341 349.)

Um zu bestirnten normen für das dichterische schaffen zu gelangen, versucht nun Dilthey eine psychologische erkläi-ung des dichterischen Schaffens zu geben. Soll ich über diesen umfangreichen teil der arbeit meine meinung sagen so weit ich als laie bei der beui-teilung rein psychologischer fragen dazu im stände bin so muss ich auch hier anerkennen, dass die Untersuchung im ganzen mir ungemein fördernd für eine erkentnis des wesens der poesie erscheint ^ Dilthey sucht zu zei- gen, aufweiche weise die bilder in der seele des dichters entstehen und festgehalten werden, wie das kunstwerk sich aus Wahrnehmungen zusammensezt und diese ein- drücke durch ausschaltung von bestandteilen, durch steigemug und minderung sowie durch ergänzung verändert und umgebildet werden. So sehr ich im prinzip mit dem Verfasser einverstanden bin, so kann ich in mehreren einzelnen fragen dieser Unter- suchung jedoch nicht mit ihm übereinstimmen der mir für diese besprechung zu geböte stehende räum verbietet es mir leider, mich im einzelnen mit dem Verfasser auseinanderzusetzen. Auch vermag ich bei mehreren punkten den faden nicht auf- zufinden, der von hier aus zu dem Iczten teile der abhandlung hinüberführt.

Dieser teil, in welchem der Verfasser eine theorie der poetischen technik, wie sie auf der entwickelten psychologischen grundlegung aufgebaut werden kann, zu skizzieren versucht, verdient ganz besonderes lob und sei allen litterarliistorikern zu eindiinglichem Studium empfohlen. Es ist an dieser stelle uimiöglich auf alle die einzelnen feinen bemerkungen und fruchtbaren godanken einzugehen. Wie Scherer da.s publikum und dessen bedeutung für die entwickluug der poesie als eine wichtige lehre df^r poetik bezeichnet und dnr lehre vom ])ublikum demzufolge eine ausführliclie dai-stellung gewidmet hat, so analysifrt Dilthey den eindnick, den das dichteiische kunstwerk auf die seele des lesers odei' hörers hervorruft und bezeichnet mit recht

1) Namentlich sei dabei auf die schöne untersuchuni? über die gefühlskreise und die aus ihnen sich ergeh»enden ästhetischen elementargesetze verwiesen ; vgl. besonders s. 366 fg. und s. 371 ig.

ÜBEK SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK 229

diesen Vorgang als einen mit deni dichtorisclien sclui(T<'n vurwaiiten [irozess. Ricli- tiger als Scherer sieht er meines erachteus in der frage nach der entstehung der poesie *. Dagegen stimt er mit Scherer übereiii in der abweisung des unl'ugs, den man mit dem wort: idee getrieben und in dei- bezeichnuiig der bctraclitungsweiso, die an die stelle der soeben genanten zu treten hat. „Jedes lebendige werk grösse- ren umfaiigs hat seinen stofl' in einem eiiobten, tatsachlichen und drückt in leztcr instanz nur erlebtes, gofühlsniässig umgestaltet und vcralgemcinert, aus. Daher tlarf in der dichtung keine idee gesucht werden. "* S. ±37. „An dem stoll' drr wii'klichkeit wird durch den (.lichterischen Vorgang ein lebensverhältuis in seiner bedeutsamkeit aufgefasst; was so entsteht, ist eine triebkraft, durch welche transformation in das [»oetisch bewegende erwirkt wird. Das lebensverhältuis, so orfasst, gefühlt, vuralge- meinert und dadurch Wirkungskraft dieser art geworden, wird motiv genant. In einer grösseren dichtung wirkt eine anzahl von motivcn zusammen. Unter ihnen muss ein herschendes die triebkraft haben, die einheit der ganzen diclitung hei'zustollen. Die zahl möglicher motive ist begrenzt, und es ist eine aufgäbe der vergleichenden lit- teraturgeschichte , die entwicklung der einzelnen motive darzustellen.'^

Ich muste bei den beiden arbeiten länger verweilen, weil sie von ganz neuen gesichtspunkteu aus eine betrachtungsweise in der poetik austrel)en, deren ungemeine fruchtbarkeit sich schon jezt erkennen lässt, von tag zu tag aber immer mehr her- vortreten wird, zumal wenn noch mehr arbeiter ihie kräfte dem ausl)au der Wissen- schaft widmen werden. Die ausgangspunkte der lieiden forscher sind nicht miteinan- der identisch, ebensowenig ist es ihre methode; dennoch kann man beide betrach- tungsweisen leicht mit einander vereinigen, wie sich schon daraus ergibt, dass Sche- rer und Dilthey vielfach zu den gleichen resultaten gekommen sind.

Begründeten diese heiden Schriften eine ganz neue auffassung der i)oetik, so wandeln die drei anderen bücher, die uns hier beschäftigen, im wesentlichen in den balmen der traditionellen ästhetik. Die Vorzüge wie die mängel des lehrbuches von Wackernagel, das jezt in zweiter aufläge vorliegi, sind algemein bekant. Die lezte- ren ergeben sich aus der wilkürlichen konstruktion und der damit zusammenhängen- den, sehr häufig sich geltend machenden, einseitigkcit der ästhetischen betrachtung. Die Vorzüge dagegen beruhen auf der glänzenden beherschung des litterarhistorischen materials sowie darauf, dass das werk namentlich in den abschnitten über rhetorik und Stilistik unstreitig ungleich geistreicher und anregender ist als ii'gend ein anderes Den vielen freunden, die das l)uch sich bereits gewonnen, wird daher auch die vor- liegende, sorgfältig revidierte ausgäbe eine wilkommene gal)0 sein.

Weit schwieriger ist es, dem anderen werke gerecht zu werden, der umfang- reichen poetik von Baum gart. Mit anzuerkennendem grossen tieisse hat der Verfas- ser den versuch gemacht, eüi umfangreiches lehrsystem der poetik aufzustellen, und

1) S. 434: Das erlobnis ist grundlage der poesie, und so zeigt die nioilrigsto civilisation überall die dichtung mit primären mächtigen formen dos erlcbnii^sos verbimdon; solche sind kidtushandlung, festesfreude , t<anz , übergehend in pantomime , gedächtnis der stammesahneu ; hier sind schon lied , ©pos und draina in der wurzel getrent. Da mächtige crregujigen der scele , sofern sie nicht zu willenshaiul- huigen führen , sicli in laut luid geberde , in der Verbindung von sang und dichtung äussern , so linden wir bei den naturvülkern die dichtung an kultushandlungen luid festfreude, an tanz und spiel gebunden. Der Zusammenhang der poesie mit dem mythos und religiösen kultus, mit dem glänz der feste und des Spiels, mit schöner, heiterer geselligkeit ist daher psychologisch begründet, in den ersten anfangen der civilisation sichtbar und er ireht dann durch die ganze litteraturgeschichte.

230 ELLIN-GER, TBER SCHRIFTEN ZUR DEUTSCHEN POETIK

in ausführlichen abschnitten hat er die einzelnen dichtungsgattungen beliandelt. Ist es im wesentlichen die metaphysische grundlage, auf welcher Baumgaii sein buch aufbaut, so kann man ihm doch andrei'seits das zcugnis nicht versagen, dass er sich eine gründliche kcntnis der litteratur angeeignet hat, obgleich er bei der Verwertung des litterarhistorischen materials im ui-teil zuweilen mit grosser wilkürlichkoit vor- geht (man vgl. z. b. s. 55 fg. die ganz ungerechte beurteilung von Bürgers Lenoro). Auch finden sich im einzelnen rocht interessante Untersuchungen, die manches anre- gende bieten. Aber trotz aller dieser anzuerkennenden Vorzüge des Iniches muss ich betonen, dass meiner mcinung nach die grundlegung des Verfassers sich nicht lialten liisst. Den vei'such , tlie aristotelische kathai'sis , deren auslegung durch Jakob Bernays überaus ausführlich, aber doch nicht überzeugend, bekämpft wird, auch auf andere gattungen der poesie zu übertragen, kann ich nicht für glücklich halten, wie es denn überhaupt etwas sehr mislichcs ist, heutzutage noch den aufbau einer poetik auf wesentlich aristotelischer grundlage zu versuchen. Dazu komt des Verfassers neigung zum schematisieren, die ihn auch da nicht verlilsst. wo nur eine rein liistorische betrachtung am platze wäre ; so werden z. b. für den unterschied zwischen romanze und balladc ästhetische gründe ins feld gefülirt. Alles in allem: Baumgarts poetik wird niemand das zcugnis versagen, dass sie ein mit liebe zur sache gearbeitetes fleissiges buch ist, aber im Verhältnis zu dem umfang des buches sind die neuen aufschlüsse, die man erhält, nicht eben zahlreich.

Da.s buch von Methner zeichnet sich durch seine klare und anschauliche dar- stellung aus. Es beiiiht seiner gesamtauffassuug nach auf den anschauungen der tra- ditionellen ästhetik, wie denn der vei'such, einen unterschied zwischen ballade und romanze durch aufzeigung ihres inhaltlich verschiedenen wesens darzutun, auch hier widerkehii. (S. 74.) Aber der Verfasser hat der gcsclüchtc unsrer diclitung eingehende Studien zugcwant und wenn auch einzelne ausicliten, die er vorträgt, irrig oder ver- altet sind (man vgl. z. b. s. 202, wo volksschauspiel und haupt- und Staatsaktionen für zwei verschiedene dinge gehalten werden), andre von einseitigen gesichtspunkteu ausgehen (man vgl. z. b. s. 112, wo Rabencr den Satirikern des Hj. Jahrhunderts gegenüber sehr ungerecht beurteilt wird), so entwirft er doch meist richtige und ansprechende bildcr von der entwicklung unsrer poesie. Die tlicoric der gattungen der rede, die der Verfasser auf dieser grundlage aufbaut, legt zuweilen allerdings recht wilkürlichc massstäbe an die dinge, aber vor dem verlieren in alzu entlegene gebiete der Spekulation schüzt ihn die klare, übersichtliche einteilung, deren wert überhaupt nicht zu gering anzuschlagen ist. Man mag an den einteilungen s. 117 fg. (vgl. auch s. 88 fg.) im einzelnen manches auszusetzen haben, im ganzen werden solche aufstellungen immer fördernd und klärend wirken. Auch sonst findet sicli manches anregende und da der verfa,sser auch die metrik mitbehandelt, so wird das empfehlen swerthe buch namentlich Schulmännern von besonderem nutzen sein.

BERLIN, IM DEZEMBER 1888. GEORG ELLINGER.

Johann Elias Schlegel von Eug'en ^VollT. Berlin, vorlag von Robert 0])pen- heim. 1889. 8. 4 m.

Ehe wir uns zur besprechung des iuhalts wenden, mü.ssen wir in bezug auf form und anläge der schrift einige bedenken äus.sern.

Es scheint, als ob der Verfasser sich auch an weitere kreise wenden wolte. Die darstcllung bewegt sich, wie bei einem vorirag, durch die 188 Seiten ohne

CREIZENACH, ÜBER WOLFF, JOH. EL. SCHLEGEL 231

ruliepuiikt uutl ohne deutliche glioderun^-, der text ist durch zalilcu uuterbrocheu, die auf die aninoi-kungou am schluss des buchos hinweisen. Wer die Schrift studie- ren und nachprüfen will, dem ist dadurch seine aufgäbe sehr erschwert. Auf der andern seite ist das thema doch auch nicht von der art, dass eine so ausführliche darstellung auf das Interesse eines grösseren publikums rechnen könte.

In einer mehr poiniliiren darstellung hätte z. b. auf die anschauliche scliilderung von Schulpforto, Leipzig und Kopenhagen mehr Sorgfalt vorwendet werden müssen. Und vor allen dingen wäre die vergleichung mit Schlegels Vorgängern zur richtigen Würdigung seiner Verdienste unbedingt nötig gewesen. "Wer mit dem gegenständ bereits vertraut ist, wird andrerseits finden, dass bei besprechung der Wirksamkeit J. E. Schlegels auf dem theoretischen gebiet bekantc dinge zu ausführlich widerholt werden.

Indess hat der Verfasser doch auch manches neue und beachtenswerte vorge- braclit, namentlich da, wo er die poetischen werke J. E. Schlegels bespricht. Bei Orest und Pyladcs weist er mit recht darauf hin, dass einzelne änderungen, die Schlegel in modern -humanem sinne mit dem überlieferton stoffe vornahm , eine gewisse verwantschaft mit Goetlies Umgestaltung der Iphigeniensage zeigen. Dass jedoch Schlegels ti-agödie direkt die aufmerksamkeit Goethes auf diesen stoif hingelenkt haben soll „ähnlich wie Schlegels Hermann den ausgangspunkt bildet, von welchem Goethe zum Goetz geführt wiQ'de" , ist gewiss nicht anzunehmen.

Für die beurteilung der Dido hat Wolff nicht den richtigen gosichtspunkt gefunden. Er leitet das drama direkt von dem Yorgilschen epos her, während Schle- gel offenliar auch die tragödie Didon von Lcfranc de Pompignan (1784) benuzt hat. Freilich liat, so viel ich weiss, Aveder Schlegel selbst noch irgend einer der späteren biographen auf diesen Zusammenhang aufmerksam gemacht. Aus der französischen tragödie hat Schlegel einen zug entlehnt, den WollT als eine glückliche neuerung riihmt, dass nämlich der dichter den Aeneas auf der flucht noch den angriff des lliarbas zurückschlagen Hess und so die kriegerische ehre des holden zugleich mit seiner eigenen dichterischen ehre gerettet habe. Auch ist es auf die französische tragödie zurückzuführen, wenn könig Hiarbas als gesantcr vor Dido erscheint, und sich dann erst im lauf des gesprächs zu erkennen gibt. Ebenso bietet, wie ich meine, der vergleich init Lefranc de Pompignan die beste erklärung für eine stelle, die "SVolff als eine entlehnung aus Shakespeare auffassen möchte. Dido glaubt den schat- ten ihres gemahls Sichaeus zu erblicken (aktIV sc. 5); sie ruft ihi-er Schwester zu:

Ach Schwester! ich erschrecke

0 anblick! siehst du nichts dort in des zimmers ecke!

Anna. AVas siehst du? fasse dich. Trau nicht auf dein gesiebt, Denn deine furcht allein ])ctriegt der äugen licht.

Dido. Nein, nein! Ich sehe selbst den mir bekanten scTiatten! Ich sehe die gestalt des sonst geliebten gatten! Ich sehe seinen mund, und sein so schönes haar! Ich sehe seine stirn, und dieses augenpaar! usw.

Diese stelle vergleicht "Wolff mit Hamlet aktlll sc. 4, wo im schlafgcmach der köuigin der geist des alten Hamlet bloss dem söhne, nicht aber der gomahlin sicht- bar erscheint. Aber bei Schlegel handelt es sich gar nicht, wie bei Shakespeare um

232 CREIZENACH

eine wirkliche geistererscheiuuug; das trugliild, das der kraukhal't gesteigerten pliau- tasie Didos vorsclnvebt, ist nichts als ein rlieturisches etlektniittol im sinne der tra- gödie des klassischen stils und es wiire nicht schwer, anderwärts ähnliche stellen nachzuweisen. Die Schlegelschen werte enthalten eine schwache nachahniung des anfangs des fünften aktes bei Lefranc de Ponipignan. Die scene spielt hier zur nachtzeit; Dido stürzt auf die bühne; sie glaubt sich vom geiste des Sichaeus ver- folgt und ruft uju hülfe: ihre Schwester erscheint und beruhigt die königin, die noch immer im lieberwahn das gesi)enst zu sehen glaubt.

iSclilegel hat, wie sein bruder Johann Heinrich berichtet, die Dido noch in Scliulpfoi"te im jähre 1739 geschrieben. AVir müsten demnach annehmen, dass die novität des französischen theaters ziemlich rasch bis in die sächsische klosterschule vorgedrungeu sei. Die Dido erschien indess erst 1744 im fünften teil der Deutschen schaubüline. Damals wurde das trauerspiel gröstenteils in seiner urs[»rünglicheu gestalt dem dnicke übergeben, der lezto aufzug ausgenommen." Von diesem lezten aufzug teilt Johann Heinrich in der ausgäbe der werke seines ))ruders bd. 1 s. 71 fgg. den ursprünglichen plan mit und rühmt die teilnähme des Aeneas am kämpf gegen Hiarbas als eine besonders glückliche neuerung. Nun könte man auf den gedanken kommen, dass Schlegel ei"st nach seinen Schuljahren die französische tragödie kennen lernte und daraus manches bei der mnarbeitung seines entwurfs verwertete. Indess stimmen auch wichtige scenen in den frühern akten, so namentlich die scene zwi- schen Dido und JarVias und die geisterscenc mit Lefranc de Tompignan überein und wenn diese scenen gleichfals erst in der Umarbeitung liinzugekommen wären, dann hätte Johann Heiiuich gewiss nicht die oben angeführten werte gebraucht.

Noch ein umstand darf nicht unerwähnt bleiben. Die französischen littcrar- historiker haben bereits bemei'kt, dass die erscheinung des Jarbas unter der maske eines gesanten von Lefranc de Pompignan der Didone abbanden ata dss Metastasio (1724j entlehnt wm'de. Indess findet sich bei Metastasio ausserdem auch der kämpf zwischen Aeneas und Jarbas. Die scene, in welcher Dido ihren ersten gemalil zu erblicken glaubt, konte der französische tragiker noch nicht in der italienischen oper finden. YöUige Sicherheit über das Verhältnis der drei Didodramcn zu einander würde freilich nui' dui^ch eine bis ins einzelne gehende Untersuchung zu erreichen sein.

Schlegels Trojanerinnen sind merkwürdig als charakteristisches beispiel für eine im vorigen jahihmidert sich volziehende bewegung des deutschen geistes. AVir sehen den dichter hier über die französische renaissaucepoesie hinweg auf die niuster des griechischen altertums zuiückgreifen. Es wäre noch zu untersuchen, ob er dazu nicht vielleicht durch Bi*umoys einflussreiches werk über das griechische theater (Theatre des Grecs, 1730) veranlasst war.

Für die beui'teilung des Arminius ist in den oft citieiien woiien Goethes der massgebende gesichtspunkt enthalten. In seinem bericht über die bühnenschicksale des Arminius komt AVolif auch auf die französische bearbeitung zu spi'cchen. „I3au- ■sin ül>crsezte das stück 1709 frei ins französische unter dem titel „Arminius", 1773 französierte er es noch mehr, und so wurde die tragödie als „Les Cherusques" in Paris nicht nur gedruckt, sondern auch aufgeführt." Als seine quelle für diese nach- richten citiert er Schmid, Chronologie des deutschen theaters. Er hätte sich nach einem bessern gewährsmanne umsehen sollen. Freilich weiss auch Süi)flc über die Schicksale des Arminius auf dem französischen theater nicht viel zu sagen, obwol er in seiner geschichte des deutschen kultui-einflussos auf Fi-ankreich 1x1. I s. 170 Bauvins Verhältnis zu Schlegel und die verschiedenen ausgaben seiner Übersetzung

TBER WOLFF, JOH. EL. SCHLEGEL 233

bespricht. Hinsichtlich der bühnoiularstelhing beschränkt er sich auf die worte ^nach angäbe von Jördens soll Anninius im jahro 1773 in Paris zur auffülirung gekommen sein.'' Und doch besitzen wir über diese Pariser aulführung einen höchst jnerkAÜr- digen, eingehenden boricht von dem alten Oottschedianer (iriinm, der wol eine wider- gabe an dieser stelle verdient. Grimm schreibt aus Paris unter dem 1. okt. 1772 (Cor- respondance littcraire od. Tourneux bd. X s. 07 fg.): ^ Le theiitrc anglais n'est pas le seul üii nos poetes cherchent aujourdhui lours sujets; ils viennent de faire lo meme honneur au theatre allemand, et Ton a donnt-, lo 20 du mois dcrnier sur le theatre de la Comedie Francaise, la premierc rejircsentation des Cherusques, tragedie nou- velle, imitee du tliciitre allemand. Cest le sujot d'Arminius, traitö cn Allemagne par feu M. Schlegel; c'est la drfuite deVarus: c'est par consc<j[uent un sujet national en Allenuigne. La i>ieco de M. Schlegel est imi>rimee depuis environ trentc ans. Je crois l'avoir lue dans ma jeuuesse, mais je ne mc la rappello plus en aucuno maniero; je n'eu pourrai donc parier quo d'aprös l'esquisse franraise. Un vieux bonhomme de soixante ans, appcle Bauvin, pauvre comme un rat d'egliso ou comme un poete, ce <|ui est synonyme, s'est avise un peu tard de prendre le metier de faiseur de tragedies. II a choisi celle de M. Schlegel, et l'a ajustee tant bieu (|ue mal au Theatre - Franrais. II en a fait la lecture aux Coniediens, <iui l'ont rerue; mais tardant longtcmps ii la jouer, le pauvre auteur, presse par la faim. l'a fait imprimer. Elle parut en 17ÖÜ, et ne fit aucune Sen- sation. Alors les Comcdiens resolurent, je crois, de ne la point jouer du tout, et Ton prctend qu'ils ne se sont departis de cette resolution que itarce que l'au- teur a eu le bonheur d'interesser M'ne la dauphine en sa faveui". Cette charmante et auguste laincesse a exige que la picce fut jouee, et Ton a obei. Mais les acteurs etaieut si persuadcs qu'elle n'irait pas jusqu'ä la ün (juils uo s'ctaient pas donne la peine de Taitprendre. Je n'ai jamais vu piece aussi mal jouee. M'i« Dumesnil, qui est presque toujours mauvaise, quand eile n'est pas sublime, et qui commence ä etre rai'ement sublime, fut detestable cc jour-lä. Elle jouait le role d'Adeüude, princesse cherusque, mere de Thusnelde et de Sigismond. Thusnelde etait representee par ]\Xme Vestris. Brizard etait charge du role de Segismar, prince cherusque, pere d'Arminius, joue par Mole. Les autres röles etaient rem}ihs par des acteurs si mau- vais, (ßie jamais la patience du public ne fut mise a plus forte ejjreuve. La piece pensa en etre la victime; mais enfin, apres avoir couru les plus grands risques, eile eut le bonlieur de resister a tous les dangers et de reussir. L'auteur fut ai>pele ä grands cris. 11 ne put ou ne voulut pas paraitre le premier jour: le pauvre homme n'avait pas i)eut-etro d'habit pour se montrer; mais a la seconde reprcsentation , il fut appele de nouveau, et vint faire sa revcrence au public. On conte que les etats d'Artois (l'auteur est de ce pays-lä) lui ont promis de lui faire une pension, sup- posc que sa piece ait trois roprcsentations. Si cela est, la pension est deja gagnee. Mais quel bizarre et ridicule caprice de la part d'un corps aussi respectable que les etats d'uue province d'attacher im bienfait, apparemment jugc nccessairc et bien place, au succes d'une piece de theatre! Qu'a de commun le besoin d'un vieillard de soixante ans avec une bonne ou mauvaise tragedie V Quoiqu'il en seit de la verite ou de la faussete de ce conte, 11 etait si bien ctabli dans le public qu'il faut conve- nir qu'il influa sensiblement sur le succes de la tragedie. Mais apres l'avoir ai)plau- die au theatre, on en a dit beaucou}) de mal dans le monde. Ou l'a trouvee froide et ennuyeuse; mais on n'a pas assez considcre combien le mauvais jeu des acteurs a fait tort. On commence a en parier aujoui-d'hm avec im peu plus d'estime ou

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moins de denigroment; co qui ine fait pivsumcr ([WO les comedieus, qui iie s'atten- daient pas a ec succes. la joueiit avec im peii plus de sein.

Comme la pieeo de M. Bauviu est imprimee depuis trois ans, je nie suis dis- ponse d'eu faire iei uuo analyso en forme. Les ehangemcuts qu il y a faits i)om' la renicttre au tlieatre nc sont pas bien considerables, et se trouverout en tout cas bientöt dans mio nouvello editiou qu'il ne manquera pas d'eu faire apres l'espece de sueces, quelle vieut d'avoir au theatre/

AVir erfaliren also auch aus diesem boriclit, dass Marie Antoinette es war, die die auffülining der deutsclieu tragödie in Paris durehsezte.

Mit der tragÖdie Canut hat Schlegel nach seiner Übersiedelung nacli Dänemark einen glücklichen giiff in die gescliichte seines adoptivvaterlandes getan. Mit recht hat AVollT diesem drama eine besonders ausfülirliche beliandlung zu teil werden las- sen. Er weist auf eine bearbeitung hin, die 1780, vierunddrcissig jähre nach dem erscheinen des Schlegelschen dramas gedruckt wurde, also zu einer zeit, da schon der Alexandriner auf der bühue duix'li die prosa verdrängt war. AVolfE will dartun, wie in dieser prosaauflüsung eine fülle von dramatischem leiten entfesselt wurde, das in der engbegrcnzteu form des Alexandriners vcrljorgeu geblieben war. Es wäre sehr wünschenswert gewesen, wenn er diese interessante beobaclitung durch reichlichere beispiele belegt hätte. Unter den urteilen der Zeitgenossen registiiert AVolff auch eine stelle aus Lessings dramaturgischer correspondenz mit Nicolai. Indess hat Lessing sein eindringendes Studium des Schlegelschen meiste nverkes auch anderwärts bewiesen. In dem entwurf: .,Der Schauspieler. Ein werk worinnen die gi-undsätze der ganzen körperUchen beredsamkeit entwickelt werden." Hempel bd. XI- s. 856 fgg. hat er einige stellen in den rollen des Canut und des Ulfo im hinblick auf die l)egleitenden gesten ausführlich betrachtet. Und ausserdem hegte er ursprüng- lich die absieht, in der dramaturgie den Canut eingehend zu behandeln. Im Schema zur fortsetzung (Hempel bd. XX s. 649) notiert er ,91. Canut, Schlegels Hang, dome- stica facta zu wählen. Hurd p. 211 N. 286. Mittwochs den 23. September." Wol keine andere notiz des wenig beachteten Schemas abgesehen vielleicht von nr. 63, wo Lessing eine Untersuchung über den chor in der tragödie in aussieht stelt lässt uns das jähe abbrechen der dramaturgie mehr ])edauern. Gewiss würde Les- sing hier gedanken entwickelt haben, die ein neues licht auf Minna von Barnhelm fallen Hessen und die sich wol auch mit den gedankenreihen berührt hätten, durch welche Goethe von Hermann dem Cherusker auf Götz von Berlichingen hinübergelei- tet wurde.

Canut war, ebenso wie Hermann bereits 1748 auf dem repertoire der Schö- nemannschen truppe in Fiankfurt am Main.

Einen fruchtbaren gesichtspunkt hat sich AVolff entgehen lassen. Er hätte zei- gen sollen, wie Schlegels tragische diktion, die bekantlirh von frau rat Goethe als mu.ster des steifen, veralteten stils angefülirt wird, sich ausnimt, wenn man sie mit den mach werken Gottscheds und seiner anliänger, der Pitschel, Grimm, Quistorp usw. vergleicht. Durch eine solche gegenüberstellung wird die bedeutung Schlegels als des hervoiTagendsten deutschen tragikers der classicistischen richtung wol am besten dargetan.

Bei besprechung der lustspiele betritt der Verfasser ein gebiet, dem er bereits früher ein eindringendes Studium gewidmet hat. Manches von dem, was er hier zur Verteidigung Schlegels gegen alzu strenge kritiker sowie zum lobe des Schlegelschen conversationstons vorbringt, ist gewiss berechtigt. Den von Lessing so schroff

ÜBER WOLFF, JOH. EL. SCHLEGEL 235

getadelten „geschäftigen müssiggängor " rühmt Wfdff als das erste deutsche sitten- lustspiel, doch könte man diese meiniing erst dann zur diskussion stellen, wenn auch die sonstigen ansätze zum sittonlustspiol in joner zeit gonauer ins augo gofasst würden. Zu anm. 128 ist zu bemerken, dass älmliche stehende rodensarten derljoip- zigerimien auch in M»>nantes satirischem roman (Deutsche nationallitteratur bd. 37 s. 480) angeführt werden. Eben.so wie den geschäftigen müssiggänger, iiimt AVolff auch das totengespräch Demokrit gegen Lessing in schütz. Lessing hat bckant- licli (Dramaturgie st. XYII) nicht undeutlieh durchl)licken lassen, dass er es für pedantiM'ci hält, wenn Schlingel von Kegnards Verstössen gegen die historische Wahr- scheinlichkeit so viel aufhebens macht. Im wesentlichen wird doch vvol Lessing rocht behalten. Allerdings ist es dankenswert, dass WoKT auf den Zusammenhang hinweist, der zwischen dem totengespräch und dem Schlegelschen lustspielfragment „die drei ijhilosophen" besteht. liier hat der dichter sich bemüht, Plato, Diogenes und Aristii)[) mit treuerer festhaltung des historischen kolorits in eine lustsi)ielintri- gue zu verweben. Eine massgel)endc bedeutung in der geschichtc des historischen lustspiels darf Schlegel deshalb aber doch nicht beanspruchen; unter seinen Vorgän- gern auf diesem gebiet muste vor allen dingen auch noch Boursault berücksich- tigt werden. AVenn s. IGO Lessings Jugendfreund Mylius (t 1754) mit dem heraus- geber des komischeu theatcrs der Deutschen (1783) verwechselt wird, so ist das frei- lich ein starkes stück.

Zu der ansprechenden Charakteristik der anakreontischen lieder und erzählun- gen Schlegels wäre zu liemerken, dass kaffoe als ein getränk, das zur poesie begei- stern kann, schon von Neukirch in den Anfangsgründen der reinen teutschen poesio erwähnt wird (vgl. Hildebrand im deutschen Wörterbuch IV, 21). Nachdem die tabakspoesie in Hoffmann von Fallorsleben einen geschichtschreiber gefunden hat, wird vielleicht auch einmal der kaflce in der deutschen dichtung im Zusammenhang betrachtet werden.

Das hauptgewicht legt AYolfT mit recht auf Schlegels Wirksamkeit als theore- tiker und kritiker. Sein respektvoll diplomatisches Verhältnis zu Gottsched ist durch- aus treffend charakterisiert. Dass Schlegel kein gewöhnlicher Gottschedianer sei, erkanten die gegner sehr bald: Pyra im Erweis dass die Gottschedianische secte den geschmack verderbe s. 104, behandelt ihn sehr höflich, auch die Neuberin suchte ihn zu sich herüberzuziehen. Danzels ansieht von Gottsched als dem Schöpfer der idee einer deutschen nationallitteratur hat Wolff zu sehr auf treu untl glauben angenommen. Für Schlegels anfange war auch noch der aufsatz von Peter über die pflege der poesie an den fürstenschulen (Mitteilungen des Vereins f. d. gesch. d. stadt Meissen bd. I heft 3) zu berücksichtigen.

Den ergebnissen Antoniewiczs über die französischen quellen Schlegels stimt Wolff im wesentlichen bei. Gewis mit recht, denn was inzwischen ßraitmeier in seiner Geschichte der poetischen theorie usw. (t. I. Frauenfeld 1888) gegen diese französische einwirkung vorbringt, ist wenig überzeugend. Dass Schlegel sich schon frühzeitig in der französischen litteratur umsah, beweist seine ])ekantschaft mit Lefranc de Pompignan. Schlegels ansichten über das material der nachahmung in der poesie sind mit Vatrys theorie so nahe verwant, dass man wol den gedanken einer entleh- nung von Seiten Schlegels festhalten darf. Anders steht es freilich mit Schlegels behauptung, derjenige, welcher nachahmt, müsse „sich nach den Vorstellungen derer richten, die das bild vergnügen soll.„ „Wir haben in unseren zeiten einen neuen Achill, einen neuen Hippolyt, kurz ganz neue beiden gemacht, welche vieles von

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dem weseu der grossen luiseror zeit hahea und nur in alte nameu gekleidet sind." In diesem falle ist es entschieden zu ^Yeit hergeholt, wenn Antoniewicz einen Zusam- menhang mit Fraguiei's Eetlexions sur les dicux d'Homere annimt. Braitmeier hat gewiss das richtige getroflfen, wenn er auf die verwantschaft mit der Brcitingerschen theorie hinweist. Auch sonst sind in Braitmeiers darstcUung einige wichtige punkte besser hervorgehoben, so namentlich die Übereinstimmung Schlegels mit Lessing in der beurtcilung des Philoctet (vgl. Braitmeier s. 252). Zu dem „schreiben von erricli- tung eines theaters in Kopenhagen" wäre noch zu bemerken, dass bereits Gottsched in der deutschen schaul>ühne t. 11 s. 22 auf die notwendigkeit einer tantieme für die dramatischen Schriftsteller hingewiesen hatte.

Der Verfasser war in der läge, ungedrucktes brietliches material für seine arbeit zu benützen. Ausserdem hat er zum ersten male eine handschriftliche sam- lung von gedichten des vaters Schlegel herangezogen und dadurch mancherlei hübsche züge für die Schilderung des elterlichen hauses und der ersten jugendeindrücke gewonnen.

XKAKAÜ, m FEBR. 18S9. WILHELM GREIZENAGH.

Friedrich Lauchert, Geschichte des physiologus. Mit zw^ei textbeilagen. Strassburg, Karl J. Trübner. 1889. 8. XllI und 313 Seiten. 7 m.

Nachdem uns J. V. Carus in seiner Geschichte der Zoologie 1872 aus der feder des dr. Hügel eine geschichte des physiologus in aussieht gestelt hatte, empfangen wir nun durch Friedrich Lauchert das erwartete buch, welches bei der Wichtigkeit des phy- siologus füi- die geschichte der Zoologie, der fabel und des tierschwanks, des Sprich- worts und des epimythions, der tierbildlichen typen in litteratui- und kunst, wie des Stifts- und klosterschulwesens von vorn herein auf algemeines interesse anspruch erheben darf. AVir werden zu prüfen haben, Avie weit die gespanten erwartungen, mit denen wir das werk in die band nehmen, in ihm erfült werden.

1. Der erste teil (s. 1 100) bietet 1. eine Vorgeschichte, 2. Inhaltsübersicht und qufllennachweis der ursprünglichen 49 stücke sowie einiger späterer anhängsei,

3. entstehung, 4. Überlieferung des griechischen textes, 5. patiistische Zeugnisse der älteren zeit, 6. besprechung der alten Übersetzungen, nämlich des acthiopischen , des araienischen, der syrischen, des arabischen textes, 7. und 8. der lateinischen Ver- sionen, 9. und 10. des physiologus in mittelgriechischen tierbüchern und in der natur- geschichto des mittelalte rs , 11. eine vergleichende Übersicht der verschiedenen anord- Duugen.

IL Der zweite teil (s. 110 228) erörtert 1. die Übersetzungen und bearbei- tungen des physiologus in der germanischen und ronianischen litteratur, 2. und 3. die Verbreitung der physiologus -typen in dichtung und kunst des niittelaltcrs, sowie

4. die lezten nach Wirkungen des physiologus bis in die neue und neueste zeit.

IIL Im anhang wird der text des griechischen wie des Jüngern deutschen physiologus (s. 220 299) nebst nachtragen und register geboten.

Man sieht, das buch bringt vielerlei. Je mehr man sich aber hineinliest, desto deutlicher erkent man, dass man es hier nicht mit einer eigentlichen forschung zu tun hat, die, unbefriedigt von dem vorgefundenen stände der erkontnis, selbstän- dig und kühn nach allen richtungen hin den gegenständ zu ergründen und aus umfa.ssender samlung unbenuzten quellenmatcrials und eindringender durchdenkung desselben neue aufschlüsse zu gewinnen strebt, sondern mit einer kritischen Zusam- menstellung der an den verschiedensten, oft schwer zugänglichen orten zerstreuten

ÜBER LAL'CHERT, PHYSIOLOGUS 237

bisherigen crgobnisso <lor physiologus-forschung, dio, woil im ganzen mit saehkcnt- nis und bosonnonom urteil duivligofiiln-t, für den lernerstellenden ebenso lohireich und wilkommen ist wie sie die erwartungen des keiniers in der hauptsacho unbefrie- digt lassen wird. Der wert der einzelnen abschnitte ist somit, je nach dem grade wie vorarbeiten vorliegen und dem Verfasser bekant bez. zugänglich waren, ein sehr vei-schiedener: recht interessant ist I, 2 f) und IT, 2. wenig gehaltvoll ist IT, 8, die ül)rigen stücke halten eine gewisse mitte inne.

Gehen wir nnn die (»inzelnen kapitel durch, um auf lücken und mängel auf- merksam zu machen.

S. 77 fgg. vermisst man die wichtige stelle Augustins über die fulica (in Psalm. CHI, 17): IntelUijhnus petrain esse idoneotn fidicac dmmivi, nusquam fort ins rf ftrwfiis habitat qnatu in potra. In quali petra? Tn muri eonstituta. Etsi tnn- ditur flnrfibns, framfit tarnen finetus, non framjitnr: Itoc habet magnnm potra in mari eonstitnfa .... Er(/o fnlicae domiis et fortis est et Jinmilis. Nnn habet domum fnlica in excclsis; niliil iUa domo firmius et iiihil huniilius. In eedris qni- deni nidiftcant passeres, ^;ro/>^r;- praesenteni neccssitateni : sed jietram iUam habent duceni , qnae flnefibits tnnditur et non frangitnr. Zu s. 68 79 konte die fleis- sige monographie von Feiner „Vom Phoenix in den schiifton der väter" (München, Progr. des Ludwigs - gymn. 1840/50) beuuzt werden. S. 8G. Das programm von K. Ahrens (Ploeu 1885) konte der Verfasser nicht zu gesiebt bekommen, obwol ein schreiben an die gymnasial -direktion vermutlich hingereicht hätte, ein exemplar des- selben zu seinem eigentum zu machen. Es ist eine sehr lesenswerte studio, die nicht bloss überzeugend nachweist, dass das syrische tierbuch des Brit. museums aus der herrn Tiauchert unbekaut gebliebenen haudschrift Ind. office Ms. Syr. n. 9 abstamt, sondern auch überhaupt eine eingehendere Untersuchung über die quellen des ]>hy- siologus enthidt.

S. 88 94 werden nach dem einleuchtenden beweise , dass die erste lateinische Übersetzung des physiologus bereits vor 431 verfasst sein muss, die beiden bekanten hauptübertragungon augegeben, nämlich die durch die hs. 10074 von Brüssel und 233 von Bern repräsentierte klasse AB und die durch die Berner hs. 318 vertretene klasse C, somit die geschichte des lateinischen prosatextes mit dem 10. Jahrhundert abgeschlossen. Da es nun die lateinischen fassungen waren, welche diese tierbilder dem abeudlande übermittelten, da der hauptcinfluss des physiologus auf die abend- ländische litteratur und kunst in die zeit vom 10. 14. Jahrhundert fält, da endlich gerade derartige littcrarische produkte den mannigfachsten erwciterungen (auch Vin- cenz von Beauvais Spec. natur. XX, 172 de testudine benuzt einen erweiterten phy- siologus) und Verkürzungen, sowie sonstigen änderungen in reihcnfolge, verlauf der handlung und ausdoutung ausgesezt sind, so wäre es die pllicht des Verfassers gewe- sen, etwa in der weise, wie es Oesterley für die Gesta Romanorum getan, die geschichte des textes durch das ganze mittelalter zu verfolgen, also womöglich die sämtlichen erhaltenen handschriften aufzuspüren, sie auf ihre spezifischen eigentüm- lichkeiten hin zu untersuchen oder durch die allezeit bewährte liebenswürdigkeit der bibliothekare untersuchen zu lassen und so die handschriftliche Überlieferung des lateinischen physiologus während des mittelalters auf bestirnte grundtypen zurückzu- führen. Niu- so hätten wir über die Schicksale der ph.- texte von Jahrhundert zu Jahrhundert volles licht erhalten, nur so hätte sich auch jedesmal die lateinische quelle der volkssprachlichen bearbeitungen nachweisen lassen, für deren ab weich un- gen von AB und C der Verfasser wol eine in diesen punkten bereits modificierte

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lateinische vorläge vormutet (s. 12G anm. 1. 131 aiiin. 1, 133 aum. 1 , 138 z. 9 12, 140 z. 17 fg.), aber oben leider nicht anzugeben vermag. Er weist wol auf die von M. F. Mann (Anglia VIT, 445 fg.) genanten handschriften hin, hat aber noch nicht einmal die ihm so bequem erreichbaren Münchener verglichen, geschweige denn dass er die gerade in dieser hinsieht so zuverlässigen handschriftenkatalogc darauChin durchgesehen hätte. Ich habe mir von physiologus - handschriften seiner zeit notiert: Angei-s 294 Avranches 28 Brüssel 8340 Douai 073 Ei)inal 48 und 58 Gent IG Kopenhagen 1G34 (Kl. lat. denkm. s. G) Middlehill 4725 (Jaliii und See- bode Neue jahrb. suppl. YKI, 1842 s. 448) Oxford cod. Bodl. misc. lat. 247 (wozu der katalog auf den druck bei Hugo de S. Victore Venedig 1588 II, 189 hinweist) Paris Bibl. Nat. 3G3Sa, 4931c, 85G4 (?), 10448, 11207 Pommersfclden 2913 und 2917. und aus der ältesten zeit Bern 611 (fol. 1 IG '' 138'') s. VIII/IX, Oxford cod. Bodl. misc. lat. 129 s. IX und AVolA^nbüttel cod. Gud. 148 s. X, welch lezterer, wie aus einer mir von "\V. Scherer gütigst überlassenen alischiilt zweifellos hervorgeht, zur klasse C gehöi-t, ebenso wie das Toletaner fragmcnt bei Isidor od. Arevali IV, 521. Auf diesem wegc hätten wir auch, was wir in dem vorliegenden buche recht vermissen, einen stambaum der gesamten physiologus-receusionen erhalten.

S. 95. Bei der liohcn Wichtigkeit Gregors des Grossen für die litteratur des mittelalters ül>erhaupt wie für die Verbreitung der physiologischen allegorik insbeson- dei*e war es wünschenswert, die bei ihm vorüudlichen physiologus - spuren sorgfältig und erschöpfend zusammenzustellen. Hier mag nur zu dem dritten zuge der schlänge (Ph. 11'*) auf Hom. in Euang. II, 32, 2 hingewiesen werden: Xihü maligni spiritus in hoc mundo proprium possident. Nudi ergo cum nudis luctari dchemiis. Nam si n^stitus quisqua7n cum nudo luctatur, citius ad terram deicitur, quia habet inule teneatur. Quid enim sunt terroia omnia nisi quaedam corporis indumenta? Qui ergo contra diaholum ad, certamen p)roperat, uestimenta ahiciat, ne succum- lat. S. 97 anm. 3. Zu dem verse Ph. Theob. 14G Dicitur a Physio-, cum docet inde, -Ingo bemerkt der Verfasser: „Solche abgeschmackte Worttrennungen kommen bekantlich in der lateinischen poe.sie des mittelalters niclit selten vor; ich erinnere au den schönen vers beiRabelaisPautag.il, 41: Deficiente 2)ecu- deficit omne -nia.'^ Verfasser besizt eine viel zu düi-ftige kentnis der mlat. dichtung, als dass ihm ein recht zu einem solchen urteil zustünde. Von vei-einzelten Spielereien abgesehen, wie sie allen epigonenlitteraturen eigen sind, finden sich derartige Worttrennungen in ihr nur in ganz seltenen fällen zwingender prosodischer uotlage. Je mehr sicli lierr Lauohert mit diesem zweige der litteratiu* beschäftigt, desto mehr wird er sein „bekantlich'^ und sein „nicht selten" einzuschränken lernen. S. 98. Der zug, dass die hii*sche haim durchschwimmen eines flusses eine linie bilden und zwar so, dass immer der hintermann seinen koi>f auf den nicken des Vordermanns legt, geht nicht auf Gregor zurück, sondem findet sich schon bei I'linius VIII, 50 und dann wider- holt >»ei Augustin, vgl. inP.salm. XU, 4, CXXIX, 4, De diuersis quae.st. LXXI, 1 . S. 98. Der abschnitt von der spinne in Theobalds physiologus beruht auf den (aus. stellen wie JobVIII, 14, IsaiasLIX, 5 fg. von ihm und seinen vorgängcra entwickel- ten) ausfühi-ungen Gregors Mor. VIII, 44: Boie htjpocritarum flducia aranearum telis similis dicitur, quia omne, quod ad ohtinendam gloriam exsiulant, iientus uitae mortalis dissipat . . . Aranearum tela studiose fexitur, sed sid)ito flatu dissi- patur. S. 99. Das hier citierte tierbuch der Leipziger Universitätsbibliothek ist identisch mit der bereits aus dem XII. Jahrhundert stammenden versification von Isidor, die den titel führt: Xature animalium extracte de Ysidoro (ine. Xaturis

ÜBER LAÜCHERT, PHYSIOLOGUS 239

uariis anhiialia sunt rcdi^nita, Tiiqur iuos mores Itiis rcdimlrc studc) und auch im cod. Bcni. 4G2 s. XII/XIII f. 1 38'' sowie in der stiftsbiMiothok St. Florian zu Linz im cod. IGß f. 272* 307'' erhalten ist. Weshalb der Verfasser betrefs des anderen Thierfelderschon hiu^\•ei^;es auf den Breslauer physiologiis nicht eine anfrage an die doitigc Universitätsbibliothek oder an Rudolf r('i[)er, die sicher auf das lie- benswüi'dig.ste beantwortet worden wäre, zu richten für gut l)ofandcn hat, ist uns bei dem autor einer „Geschichte des physiologus" ebenso wenig erklürlidi wii^ so luanohe andere Unterlassungssünde des buches.

S. 124. Die lehre von den sieben eigenschaften der taube braucht nicht aus Alex. Neckam De nat. rer. s. lOG entnommen zu sein, findet sich vielmehr in der patristik sehr häufig (Beda bei Migno XCIV, 02, Ilrab. Maur. zu Matth. Ill, 16, Haymo ITom. de temp. IG, Guariicus Abbas Sermo YI de purificatione und sonst) und war um die mitte des XIII. jahrhundei*ts gewiss längst ein gemeingut der gebildeten geworden. S. 134. Bei der symbolischen ausdeutung des hahiis fält es auf, dass der Verfasser nicht das im mittelalter so sehr beliebte gedieht Miilti sunt presbifcri, qui irjnorant qncirc (gedruckt z. b. Serap. I, 107 fgg.) zur verglei- chung heranzieht. Auch Marbods Lapidarius kent er s. 13G nicht. S. 139 unten. Der hier hervorgehobene neue zug in der fabel von der erweckung des jungen löwen geht gewiss auf Euang. Job. XI, 43 zurück. S. 140. Die auslegung der viper- eigenschaft auf den neid ist ganz im sinne des im mittelalter vielbezeugten Sprich- worts, dass neid zuerst den eignen hcrrn fresse, durchgeführt, vgl. meine nachweise zu Fecunda Ratis I, 795. S. 142. Yon den beiden neuen zügen des raben beruht der zweite auf dem sprichwoii Cornix cornici ocidos non effodit (vgl. auch Georges s. u. cornix)\ der erste ist von Isidor (auch Sent. III, 43, 5) aus Gregor übernom- men: Mor. XXX, 9, 33 Est adhuc aliud, quod de coruo moraliter possü intclliyf. Editis namque indtis, tit fcrtur, escam ^j^erze praebeix dissimidat, 2))-insquan/ plumescendn nigrescant , eosque inedia affici patitur, quoadusqiic in Ulis j)er j)^^- narnni nigredinem sua similitudo uideatur. Qui huc illueque uagantur in nido et ciborum expetunt nperto ore suhsidiiim. At cum nigrescerc coeperint, tanto eis praehcnda alimcnta ardentius requirit, quanto illos alere diutius distulit. S. 143 anm. G. Der hier aus Isidor bezeugte aberglaube wird sclion von Tlinius VIII, 22, 34 und Servius zu Yerg. Eolog. IX, 54 sowie iu w^ortgenauor Übereinstimmung von Ambrosius Hexaem. YI, 4 überliefert: Liqnis si prior homineni uiderit, iiocem eripit, et despieit eum tanquam uictor uocis ahlatae. Ideni si se praeuisiini sen- scrit, deponet ferociam , non jwtest currere. S. 148 z. 2 fg. Dieses gleichnis erinnert an einen lieblingsgodanken des Petrus Chrysologus: Sol tangit stercora, non tainen stercoribus inquinatur (Sermo 35 und 94),

S. 158. Bei der hier angezogenen stelle des ags. Crist darf man schwerlich an den Phoenix denken, sondern an den vogel überhaupt (nach Sap. Y, 10) und wenn an einen bestirnten, dann an den adler (nach Prouerb. XXX, 18, woher auch die fünfte eigeuschaft der schlänge bei Hugo von Langenstein , die s. 174 angegeben wird, zu stammen scheint). Die sprichwörtlichkeit deivartiger stellen erhellt aus Fecunda Eatis I, 320, 524. Auch die stelle aus der predigt Aelfrics ist schwerlich direkt aus dem phys. entnommen: dieser gegensatz der geselligfrohen tauben und der ein- samen, beschaulichen turteltaube wird überaus häufig, zumal zu Lucas 11, 24, von den kirchenvätern hervorgehoben, vgl. meine nachweise zu Fecunda Ratis I, 951, wie über den s. IGO, z. 7 9 angeführten zug zu I, 230. Ebenso zweifelhaft ist es mir, ob die auf Greg. Mor. XX, 22, 48 zuiückgehende Symbolik der rechten und

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linken altarsoito (>:. IGO obon) mit der Charadrius - faliol ziiRammonhÜngt. S. 1G7. Durch eine anniorkung der spaniselion Übersetzung von Tickuors litteraturgescliichte wird der Verfasser auf die Madrider liandsehrift des Libro de los Enxemplos, in der stücke vom Antholops, ITydrus und Einhorn vorkämen, aufmerksam gemacht; im iiachtrag s. 300 fgg. wird aus dem in jener handschrift entlialteneu katzenbuche „das bisher noch gar nicht als solches erkante bruchstück einer sjianischon physiologus- bearbeitung'^. liesteheud aus Antholops, ITydi'us und Yulpes (die einhornfabel des katzenbuchs ist nämlich nicht physiologisch, sondern aus dem Barlaam des Joannes Damascemis entnommen, vgl. Zs. f. d. a. XXIII, 298) mitgeteilt. Jeder sachkundige leser schüttelt den köpf, denn es handelt sich um nichts weniger als um etwas neues, nur um die spanische Übersetzung des Odo de Ciiingtonia, die bereits 1865 von H. Knust in Lemckes Jahrbuch für roman. und engl. litt. VI, 1 42, 119 141 publiciert ist, deren lateinisches original, von teilabdrücken abgesehen, 18G8 von H. Oesterley bei Lemcke IX, 121 154 sowie 1884 von Her^^eux, Les Fabulistes latins II, 587 71.3 herausgegeben ist, dessen quellen, auch den physiologischen anteil, ich in der Zs. f. d. a. XXIII, 283 307 aufzuzeigen versucht habe; vgl. ferner meine nachweise in den Kl. lat. denkm. s. 36 51, Zs. f. d. a. XXII, 387 fg., Oesterley bei I^emcke XII, 129 154 und Gesta Rom. s. 239 und 252, Hervieux I, 644 689. "Wenn man verwundert nach dem gründe fragt, wie es kam, dass ein in den jüngst vei'flossenen Jahrzehnten so vielfach behandelter thiersymboliker dem Verfasser unbekant bleiben konte, so ist die antwoii: alles was nicht ausdrücklich die finna . Physiologiis " trägt, lässt er bei seite; dass der physiologus nur ein glied in der ausgedehnten reihe der mittelalterlichen tierdichtungen ist und dass eine geschichte dieses gliedes nur in dem masse gelingen kann, als man die übrigen glieder keut und vergleichend im äuge behält, das hat er sich, wie wir unten noch deutlicher sehen werden, nicht genügend klar gemacht. S. 174. Des igels bosheit ist nicht sowol aus dem physiologus, als vielmehr aus der sprichwörtlicli gewordenen (vgl. zu Fee. Ratisl. 1502 und Gloss. Jun. 400) stelle Gregors Mor. XXXIII, 29 zu erklären.

Zu n, 3, der Symbolik des physiologus in der christlichen kunst, wird jeder leser sich leicht ergänzungen machen können, z. b A. de Rochambeau. Prieurc de Courtoze et ses peintures murales du XU'' siccle, Paris 1874, Hammann, Bi'iques Suisses ornees de bas-reliefs du XIIP siecle, Genf 1869, Aus'm AVeei-th, Kunst- denkmäler des christlichen mittolalters aus den Rheinlanden, meine nachweise zu Ecbasis s. 57 nro 4. Die dürftigkeit seiner mitteilungen in diesem abschnitt entschul- digt der Verfasser s. YI damit, dass kunstgeschichtc nicht seine sache sei. Das sieht man allerdings, iind niemand wird von ihm eine geschichte der tierbildnerei im mit- telalter verlangen. AVas man aber von ihm verlangen muss, ist die fordorung, dass, wenn er einmal eine geschichte des physiologus schreiben will, sich ebenso wie er in theologischen fragen die überaus wertvollen informationen des herrn professor Frie- drich eingeholt hat, sich auch auf dem archäologischen gebiete einen sachkundigen ratgeber sacht und nach dessen Weisungen die kunstgeschichtliche litteratur für sei- nen besonderen zweck gründlich ausbeutet. In dem augenblick wo wir uns eine wis- senschaftliche aufgäbe wählen, sind wir frei; haben wir sie aber gewählt, so sind wir ihr sklave geworden.

So ■siel zu den kapitclu, die das buch enthält. Aber wir vermissen doch auch andererseits manches kapitel. So z. b. eine klarlegung der wege, auf denen die tier- geschichtlichen züge des physiologus aus den engeren kreisen der geistlichen und gelehrten in die weiteren schichten der gebildeten und in das volk überhaupt ein-

ÜBER LAUCHERT, PHYSIOLOGUS 241

gednmgen sind. Hier war auf si^iolleuto und dichter, steinmotzo und liolzschnitzer, auf die predigt und nann'utlicli auf den schuluiiteiTicht hinzuweisen. Specht, geschichte des unterrichtswesens in Deutschland s. 148 fg., sezt auseinander, dass in der geo- metrie - Station des (piadriviums vorzugsweise geographie vorgetragen sei, und manche anzeiclieu wiesen darauf liin, dass sich damit ein naturgeschichtlicher uuteiTiclit auf gmnd von Isidor, Ilraban und dem physiologus verbunden habe. Man darf hinzu- fügen, dass zumal seit der abfassung von ThcoVtalds physiologus und je melir dieses büchlein sich verbreitete, der physiologische Unterricht in die trivialstufc hinal)stieg und dass man dasselbe schon in den untersten klassen neben Cato, Aviaji u. a. um so lieber las, als man daran bequem die einführung in die motiik anschliesseu kontc. Sowol Eberhard von Bethunc (Laborintus HI, 87 fg.) wie Hugo von Trimberg (Registrum 088, 74G 749) bezeugen den physiologus als Schulbuch, und lezterer nent ausdrücklich Theobalds dichtung unter jenen elementarbüchern , qui in studio currunt piterorutu (690); in dem Wossobrunncr katalog vom jähre 1227 (Sorap. II, 258) wird der physiologus unter den lihrl scolasticl aufgeführt, und in dem von abt Frowin (1131 78) abgefassten Verzeichnis der Engelberger büchersamlung ersclieint als selbständige grujjpe eine mit dem pliysiologus beginnende schriftenreilie (Liher de natura hcstiarum Auianus (bis) Auianus nouus Fahulc jmetarum Nouus Cato Expositio fahularuni Cato), die, wie E.G.Vogel (Serap. X, 121) richtig mutmasst, eine besondere, von den übrigen handschriften des stiftes abge- zweigte Schulbibliothek bildeten. Wer überhaupt einige bekantschaft mit den hand- schriftenkatalogen besizt, der weiss, wie ungemein oft sich miscellanoenbände finden, in denen Cato, Theodul und der physiologus vereinigt sind, dermassen, dass man, wenn das Verzeichnis der einzelnen schiiften des sammelbandes mit Cato begint, mit einiger Sicherheit annehmen darf, nun werde auch der physiologus folgen. Diese pädagogische seite des physiologus verdiente es wol in einem besonderen abschnitte beleuchtet zu werden.

Ebenso muste auch die einwirkung des physiologus auf die fabelbücher des mittelalters, namentlich auf die Phaedrus-Romulusfamilie, zu der auch Johannes de Schepeya gehört, sow'ie auf Cyrillus von riuidone und ganz besonders auf die sich um Reinhart und Isengrim gruppierenden tierschwänke dargetan werden, die der vei-- fasser s. 201, 205 mit einer gelegentliehen notiz abfertigt. Denn gerade hier zeigt sich die schöpferische Verwertung der vom physiologus empfangenen anregungen durch die mittelalterliche poesie. "Wie merkwüi'dige fortbildungen der physiologus - geschichten bietet Cyrillus! Wie meisterhaft gestaltet Nivard von Gent das motiv vom Scheintod des fuchses in seinem ersten schwanke! Wie deutlich spiegelt die Ecbasis in ihrer darstellung von igel und fulica und vollends von parder (panther) und einhorn den einfluss des physiologus auf die fabulatiou des frülien mittelalters wider! Aber freilich, von allen diesen dichtungen hat der Verfasser keine kentnis, trotzdem er (s. VI) germanist ist und trotzdem gerade die germanistische litteratur der lezten Jahrzehnte aus diesem kreise so manche publikatiou, so manche Unter- suchung zu tage gefördert hat, aus der er sowol übcrliaupt wie für diesen beson- deren zweck etwas hätte lernen können. Wenn die fortgesezte bildung neuer special- fächer dem Verfasser einer geschichte des physiologus das recht gibt, die ganze fabel- und tierschwank - bewegung der lezten zwanzig jähre zu ignorieren, dann frei- lich hört aller Zusammenhang der Wissenschaft auf.

Wir brechen hier unsere besprechung des buches ab und verzichten auf eine nachprüfung der textbeilageu. In summa: Wir wollen genügsamen seelen den genuss

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 16

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des Werkes uieht verkümmern. Es reicht im algemeinen zur Orientierung für den ■\veitei"en kreis der litteraturfreunde hin, denn es gil)t noch gar viele, die vom phy- siologus kaum mehr als eine leere gedächtnisnotiz im köpfe hahen; für diese ist das werk vnlstiindig ausreichend, und wir wären die lezten, die darüber murren würden, wenn durch dasselbe ein wichtiges glied des mittelalterlichen geisteslebens algemeiner bekant und gewürdigt würde. In diesem sinne wünschen wir ihm alles glück. Aber neben dieser ausseugemeinde gibt es noch eine kleine, anspruchsvollere innengemeinde, und in deren geiste glauben wir das urteil fällen zu müssen: das buch hat einige interessante und lehrreiche kapitel; im algemeinen indessen fehlt es dem Verfasser zu einer befriedigenden lüsung seiner aufgalie an dem ernste eindringender forschung wie an umfassender gelehrsamkeit. Eine wirkliche geschichte ilcs physiologus soll noch geschrieben werden.

Die ausstattung ist gut; druekfchler begegnen nur ganz vereinzelt: lies s. 25, z. 27 rhetorisch, s. 83, z. 28 inarinus; die citate hätten sich durch kursivdruck vom texte abheben sollen.

BERLIN. DEN" 10. ]SIAKZ 18S9. ERNST VOIGT.

König Tirol, W'iusbeke und AVinsbekin herausgegeben von Albert Leitz- maiin. [A. u. d. t. Altd. textbibliothek horausg. von H. Paul nr. 9.] Halle, Xiemever 1888. 60 s. 8. 0,80 m.

Der hauptwert des büchleins besteht in der neuen textrevision des Winsbeken und der "NVinsbekin. welchen gediehteu Leitzmann eingehende Untersuchungen in Paul -Braune Beitr. 13, 248 277 gewidmet hat. Er gibt doii zuerst eine collation und untei-suehung der Kolmarer handschrift (k), welche Haupt nicht benuzt hat, behandelt die frage nach dem dichter, dem Verhältnis der handschriftcn, über das sich Haupt nur ganz kurz ausgesprochen hatte, der echtheit der Strophen in beiden gedichten und endlich die beziehung zum AVigalois, welche er in abrede stelt. Die resultate sind in der einleitung zur ausgäbe mitgeteilt. Das verfahren, welches der Verfasser hier wie doit in der äusseren einrichtung eingeschlagen, können wir nicht billigen. Der text erscheint ohne kritische anmerkungen; es mag das in der einrich- tung der samlung liegen, ist aber immer aufs neue zu bedauern. Denn das Varian- ten-Verzeichnis in der einleitung s. 13 16 bietet dafür keinen ersatz. Ich wüste es nicht anders zu benutzen, als dass ich es mir in den text übertrüge, halte aber schon seine anläge für falsch. Ebenso nämlich Avie Leitzmann in seiner abhaudlung die Varianten der Kolmarer handschrift zu Haupts texte gab, statt zui- handschrift J HBerliner Nibelungenhandschiift, gedruckt in v. d. Hagens Germania. Abdruck von Leitzmann als genau befunden), so teilte er auch in der einleitung die ab weichungen von Haupts texte mit und Haupts lesarten hinter dem gleichheitszeichen. Er belehii uns nicht einmal über die Zuverlässigkeit dieser lesarien oder darüber, ob Haupts angaben ausreichend sind, kuiz er fördert uns nach dieser richtung in keiner weise. Wii- müssen fortan Haupts ausgäbe neben seiner benutzen und uns die Varianten der handschrift k bei Haupt eintragen. Wem ist damit gedient? Gelehrten und studie- renden wenig, bleiben die „weiteren kreise'^, denen nach dem vorwort der verfas.ser „durch diese neuausgabe eins der vorzüglicheren gedichte des mittelalters zugängHch zu machen'^ hoft.

ÜBER TIROL UND WINSBEKE ED. LEITZMAXN 243

Die resultate der eiiileitung sind kurz folgende. AVubrond Haupt B (Weiu- gartner liederhandsclirit't) zu gründe legti', weil die andern ^iin ganzen die Über- lieferung, der jene folgt, wilkürlicli verändern (Haupt s. VII), gründet Leitzmanu seinen text auf .1 , wcleho liandsclirift mit B und C (Pariser hs.) derselben älteren grupiK' angebörtMid den verliältnisniässig reinsten und besten text bietet. Die stro]iben- zäliluug ist glücklicher weise dieselbe geblieben wie bei Jlaupt, da er hierbei echtheit und unechtheit der Strophen nicht berücksichtigt. Im AVinsU.'ken werden drei Ver- fasser angenommen: str. 1 öü (wie Haupt), 57 04, 05 80. Der erste teil wird dem ritter von AVinsbaeh zugeschrieben, der urkundliche uachweis seines geschlechts um einige angaben vermehrt, dagegen der von Haupt vermutete Hermannus de Wiu- desbach (cauonieus und später archidiaconus 1228 1203) als Verfasser abgewiesen. Die gründe hierfür sind zwar bestechend, aber doch nicht zureichend. Denn für dio „gewöhnliche datierung des gedichts, nach der es, gewiss mit recht, ungefähr in die erste hälfte des zweiten decenuiums des 13. Jahrhunderts gesczt wird", biüngt der Verfasser nichts bei.

Noch unangenehmer macht sich das verfahren Leitzmanns in der auf wünsch Pauls dem büchlein beigefügten ausgäbe der didaktischen teile des König Tirol fülil- bar. Er gibt an , dass er bei herstellung des textes aus der einzigen (Pariser heder-) haudschrift möglichst konservativ verfahren sei und es vorgezogen habe, an manchen stellen kleinere austösse stehen zu lassen statt wenig plausible konjekturen aufzuneh- men. "Wenn er doch diese stellen wenigstens bezeichnet oder die lesarten in der einleitung volständig gegeben hätte! Aber es ist kein grundsatz zu erkennen, nach welchem er verfahren. Wir sind der ansieht, dass in einem so kleinen werke, das man auf vier blätter drucken kann, entweder alle oder keine Varianten zu geben sind. Und wozu das gedieht in hochdeutsche formen umschreiben, wenn die mittel- deutsche herkunft durch die Überlieferung genügend bezeugt istV Sieht denn cni- phacht : hackt etwa besser aus als enpfecht : Hecht? Ich meine, darüber solten wir doch nachgrade hinaus sein. Also einige beispiele für die Unsicherheit des Verfah- rens: alse tvirdecUcJie für als wirdeklick 5, 6 ist verzeichnet; houhet für hmiht 5, 7, leien für leigen 0, 4 fehlt. Ebenso fehlt ün Verzeichnis u. a. 13, 4 rojmsch ro(jt. 13, 5 swas. 13, 6 die. 13, 7 dis. 13, 3 ist das in der haudschrift fehlende alhie nicht als solches bezeichnet, usw. usw. Kurz, wer wissen will, wie das gedieht überliefert ist, der muss doch wider Müllenhoffs sprachproben aufschlagen. Warum steht denn im text 20, 2 xicü und sibenxie sprach die uerlt hat, in der haud- schrift diu; 35, 3 die hahent sich (jegcn dir gestcrld für gen; 30, 0 oh duz niht underrihtcst für dus?

Über die strophe verweist uns der Verfasser alzu kurz auf Scherer D. stud. I, 00 anm., wo niclit viel besondres zu holen ist. Ist wirklich die waise in dem rätselgedicht einige male weililich, wälirend die meisten stum[if ausgehen, auch die waise 5, 0, wo Leitzmanu uirdccliche für das handschriftlicJie wirdeclich und 20, 0 wo er herre für her schrieb? Von 24 Strophen haben 20 männliche waise, jede mit 4 hebungen, bleiben nur

1, 0 dar^ man si in den landen 18 von sicerten über die schilte 21 daxs ungelouhen drahten 24 mit kröne gein in neiget.

Im lehrgedicht ist die sache ganz anders. Auch alle übrigen verse haben stumpfen reim, und doch hat der Verfasser in str. 18, 5. 7 suungen : drungen für

16*

244 SUCHIKR

Jdungen : sinon/cu der liandsclinft in den reim gosezt. Über all diese fragen ist kein woii verloren. Sie sind dem leser zu beantworten überlassen. Zum König Tirol bemerken wir ausserdem noch folgendes:

29, 6 fehlt xe. furnieren dar. ist rittetUch:

so hcprt xuo xe st rite dringen.

ich vei-stehe: waffenübung ist einem ritter nötig, aber er muss sie auch im ernstfall bewähren.

36, 7 lies: da\ dich beider schade gexeme, für: da\ sich beider schade ge- \eme. Leitzmann fügt nach sieh ein ir. Der sinn ist: tragen deine leute einander hass und sind sie nicht zu versöhnen, so stelle dem bei, der im recht ist, sonst, wenn du die sache nicht einrichtest, wider in Ordnung bringst, glauben sie, dass dir l>eider schade recht sei.

38, 5 hat die handschrift:

sicanne dir der gernde hinüber klaget, icirt im diu helfe danne versaget, 5 ein trahtii von sinem herxen gdf, du klebt an der stirne din, suenne got an sime gerillte stdt.

Leitzmann liest trahen und stelt ohne not vers 6 um: der klebet ati diner stirne. Gemeint ist vermutlich ein traht, seufzer, der vom herzen geht; denn tränen gehen von den äugen. In vers 6 ist nach diu vermutlich schult ausgefallen; vgl. 40, 6 sin schulde an difier stirne klebet.

41 . 2. 3 handschiift luge, lies lüge. Leitzmann liegen. 9, 5 jappestift, das aus 43, 4 entlehnt ist:

diu strafe ist vipernätern gift 2tnd smdet als dax jappestift.

setzen das Mhd. wb. und Lexer als „fussangel" (?) an. Den grund hierfür sehe ich nicht. Stift heisst dorn, wozu 9, 5 er tritet in jappestift gut passt. jappe weiss ich allerdings nicht zu erklären. Steckt ein pflanzenname darin?

FEIEDENAU, DECBR. 1888. KARL KINZEL.

Gaston Paris, La litterature fran9aise au moyen age. Paris, librairie Hachette et c-, 1888. YIL 292 s. kl. 8. 2,50 fr.

Von allen, die sich mit dem mittelalter beschäftigen, ist das fehlen einer über- sichtlichen darstelluDg der altfranzösischen litteratur seit lauge schmerzlich empfun- den worden, und so wird das vorliegende werk alseitig mit freuden begrüsst werden, des.sen Verfasser durch abhandlungen von tief einschneidender bedeutung seine com- petenz auf diesem gebiete widerholt dargelegt hat und mit recht für einen der ersten kenncr desselben gilt.

Zwar ist dieses werk nicht eigentlich eine litteraturgeschichte, die auf chrono- logischer gruridlage das almähliche heranwachsen und grosswerden der litteratur in den vei*schiedenen landschaften zeigt. Eine solche wii'd erst möglich sein, wenn die wichtigsten texte in kiitischen ausgaben vorliegen, wovon wir zur zeit noch weit entfernt sind, und wenn der boden weiterhin durch Spezialuntersuchungen für den weg des litterarhistorikers urbai- gemacht worden ist. Einstweilen Hess sich nur eine

tJBKR Cr. I'AinS, LITT. l'RANr. AU MOYKN AGE 245

Skizze geben, die alles wichtige kurz verzeichnet und ihm seinen phitz anweist, aber nur solche werke eingehender bcliandcU, din für die weitere entwicklung der abend- ländischen littoraturcn bcstinnnond gewesen sind.

Nur wer die niittclalterlic^hen littcraturen so buliersclit wie Gaston Paris, war im stände auf so kleinem räum in gedrängtester darstellung so reiche belehruug zu geben. Ist das buch auch mehr für das grosse i)ublikum der lernenden als für den kleinen kreis der fachgelchrten bestirnt, so werden doch auch die lezteren au keinem abschnitt vorübergehen, ohne über neue tatsachen aufklärung zu erhalten oder neue ausitlicke zu gewinnen, wobei auch die, welche der litteratur im engern sinne ferner stehen, wie der historiker , der Jurist, der thcologe, nicht leer ausgehen. Insbeson- dere wird der germanist, der so viele spuren des deutschen ' altcrtums in das fran- zösische hinein verfolgen muss, das buch als ein wichtiges handbuch bei seinen Stu- dien stets gegenwärtig haben müssen.

Von grossem nutzen sind die am schluss gegebeneu litteraturnach weise, die nach einem eigentümlichen prinzipe ausgewählt sind. In der regel wird nur das werk citiert, in welchem über die betreffende frage zulezt gehandelt wurde, und welches entweder die einschlägige litteratur verzeichnet, oder doch weitere nachweise gibt, welche zur Orientierung ülier diese füliren.

Abweichende ansichten über einzelne punkte auseinander zu setzen ist hier nicht der ort. Nur eine frage von algemeiner bedeutung möchte ich hier aufwerfen, nicht um dem Verfasser einen Vorwurf zu machen, sondern um sie für die zukunft seiner erwägung zu emi)fehlen. Die fi'anzösischen gelehrten haben sich daran gewöhnt das provenzalische als ein von dem französischen ganz unabhängiges, selbständiges gebiet zu betrachten. Gehört nicht das provenzalische ebenso zu dem nordfranzö- sischen wie das niederdeutsche zum hochdeutschen, wie das galloitalische zum ita- liänischeuV AVir alle wissen Gaspary dafür dank, dass er in seinem klassischen werke die galloitalische litteratur des 13. Jahrhunderts mitbeiiandelt hat, und so solte auch die provenzalische litteratur nur als ein dialektisch abweichender zweig der alt- französischen aufgefasst w^erden.

Doch es wäre undankbar, von dem Verfasser etwas anderes zu verlangen als er hat geben wollen, und so sei das schöne werk, dessen reicher gehalt zu dem geringen mnfang in keinem Verhältnis steht, allen forschern auf dem gebiete des mittelalters aufs wärmste empfohlen.

HALLE. HERMANN SUCHIEK.

AVolftraiig' Ooltlier, Die sage von Tristan und Isolde. Studie über ihre entstehung und entwicklung im mittelalter. München; Kaiser. 1887. YIII, 124 s. 8. 3,20 m.

Man unterscheidet seit langem zwei hauptversionen der Tristansage, die des Berol und die des Thomas. Die frage nach der Thomasversion ist durch, die arbei- ten Kölbings, A'etters imd Röttigers in allen hauptpunkten als erledigt zu betrachten. Die Berolversion bat der Verfasser in diesem büchlein einer eingehenden Würdigung unterzogen und zu diesem behufe das bisher ungeordnet daliegende material zu sich- ten unternommen. Daliei muste natürlich die frage nach der entstehung der sage erörterung finden. Verfasser handelt in drei abschnitten über den stoff und den inhalt der Tristansage, über die spielmannsversion und über die höfische version,

246 KEKCKIIOFF, ÜBER GOLTIIEK, TRISTAN U. ISOLDE

das ThomnsgodicLt. An vcrscbicdcuen orten waren scliou über den stoff der sage viele treffende bemerkungen gemacht und viele ci)isoden als dem mittelalterlichen novellen- und märeheusehatz entnommen nachgewiesen worden. All das stelt nun der Verfasser im ersten teil geordnet zusammen. Aus sciueu ausfühiHingen ergilit sirh, dass sich weder aus den keltischen uamcn der sage, noch aus den wenigen halbgeschichtlichen angaben, noch aus der kj-mrischeu oder brctonischen sagenübcr- lieferung eine keltische Tristansage als urform crschliesscu lässt. Vielmehr lassen sich fast alle episoden und die Tristansago sezt sich aus lauter lose verbundenen cpisoden zusammen als solche nachweisen, die dem mittelalterlichen, seinem ui"S|)niDge nach in den Orient zurückreichenden novellen- und märclicnschatz ent- nommen sind.

Der zweite teil der arbeit, der kern derselben, beschäftigt sich mit der Berol- vei^sion. Verfasser weist nach, dass die sogenanten Berolfragmente Überreste von Spielmannsdichtungen, nicht aber teile eines grösseren gedichtcs seien, dass man also nicht von einer vemon des dichters Bcrol, sondern nur von einer spielmannsversiou i"edeu dürfe.

Der lezte abschnitt führt im anschluss au Kölbing aus, dass in den franzö- sischen fragmenten des Thomasgedichtes, in der englischen und nordischen fassuug und l:>ei Gottfried von Strassbiu'g verschiedene redaktionen einer und derselben höfi- schen Version vorliegen. Anhangsweise folgt noch ein überblick über die nordischeu bearbeituugen der Tristausage in Norwegen, Island, Dänemark und auf den Facröern.

Man wird dem Verfasser für seine interessanten Zusammenstellungen nui' dank- bar sein können. Störend wirkt in dem vortrage die vielfache widerholung desselben gedankens, eine gewisse breite des ausdrucks (Ursprung und entsteh uug der sage s. IV. älteste urform s. 12), die häufige anwenduug völlig entbehrlicher frejndwörter (wie taugieren, transferieren), die ungleichmässige handhabung der Orthographie (cym- risch s. 7, kymrisch s. VI; cyclen s. 33, cyklisch s. 36 u. a.) und endlich die sitte, genaue büchercitate in den Zusammenhang einzufügen, statt sie in die anmerkung zu vei'A^eisen.

BERLIN. OKTOBER 1888. P. KERCKIIOFF.

Otto Liiiiiu;?, Die natur, ihre auffassung und poetische Verwendung in der altgermanischen und mittelhochdeutschen epik l)is zum ab- schluss der blütezeit. Zürich, Friedrich Schulthess. 1889. III u. 313 s. 8. 4 m.

AVer die reste der altgermanischeu poesie aufmerksam lie^t, mit sinn für das leben und mit gefühl für die Schönheit, wird sich durch den frischen hauch ange- mutet fühlen, der gleich dem geruch neu gebrochenen bodens aus den werten und versen zuströmt. Ganz besonders zeichnen sich die angelsächsischen dichtungen dadurch aus. Dankbar gedenke ich noch immer des ersten lesens von J. Grimms einleitung zu Andreas und Elene, und der freude, die ich an den dichtungen des Exeterbuches hatte, als ich sie zuerst studierte. Spricht sich auch daiin eine reiche begabung der einzelnen dichter aus, so zeigt doch schon die formelhaftigkeit der büder und wendimgen, und der schmückenden beiwörter, dieser niederschlage poeti- schen Schaffens, dass eine poetische reiche ausstattung des ganzen volkes dadurch bezeugt wird. Die beschäftigung mit der poetischen spräche unsers altertums, die ja, wie die heldensage, in den epischen dichtungen des dreizehnten Jahrhunderts nach-

K. WEINIIOLD, ÜBKR LÜNING , DIE NATUR USW. 247

l<lingt, gewährt den grüstou loliii sclioii tladuicli, dass man die einsieht in die weise gewint, wie die walirnehinungi'n und eifaiirungcn diireh die reihen der jahihundcrte von der germanischen Volksseele verarbeitet worden sind.

Im vorliegenden hueho hat sich herr 0. Lüning die aulgahe gestelt, auf diMn angedeuteten woge „die auffassuug und Verwendung'^ der natur in der epik bis 12'MJ etwa darzulegen. Der „index'' (!) zerlegt den stofT in drei sehr ungleiche teile: I. Übersichtsbild der gesamten natur in germanischer poesie. A. Die unorganische natur: 1. liclit. U. die demente. D. Die organische natur: 1. itlhmzenreich. 13. tier- reich. C. Verbindung der organischen und unorganischen natur: die; landschalt, das lokal (!). 11. Ästhetische betrachtung. A. Das verhalten des menschen zur natur, ihre einwirkung auf sein gemüt. B. Die einwirkung des mens(.-hen auf die; natur. ni. Besondere eigenschaften der germanischen naturanschauung.

Diese einteilung ist gemacht, nachdem das buch fertig war. Sie ist sc-Jiweifiil- lig gleich dem ganzen titel des buchcs und in manchen [tunkten unverständlich (so bei 11. B. und bei 111. im ganzen). Aber juaii muss niciit nach ihr das buch selbst beui'teileu. Abgesehen von den erforderlichen sprachkentnissen hat der Verfasser poetischen sinn und gefüge empfindbarkeit genug, um den alten diehtungen nachzu- fühlen und sicli in iliren lebenskreis zu versetzen. Er versteht die Stimmungen, er begreift die daraus entspi'iugeuden gedanken, und legt an der grossen samlung dich- terischer stellen der Skandiiuivier, Angelsachsen, Nieder- und Hochdeutschen dar, was die Germanen in der natur salien und was aus der natur in sie hineinwirkte. Bei manchen A^erschiedenheiten im einzelnen erhelt doch der einheitliche grundzug der germanischeu völker auch in dieser hinsieht. Sie schauten aus dem innein her- aus auf das äussere und beseelten sell>st das unljelebte ding, so wie die natur im grossen, nach dem bilde und wesen des einzelnen menschen.

Indem der herr Verfasser den angelsächsischen und nordischen stellen üJ)er- setzuugcn beigegeben hat, wird auch ein weiterer leserkreis aus dem buche genuss und belehruug schöpfen können.

BRESLAU. K. WEIKHOLD.

Keiiiliold Becker, T\''ahrheit und dichtung in Ulrich von Lichtensteins Frauendienst. Halle, Max Niemeyer. 1888. 116 s. 8. 2 m.

Herr R. Becker, der Verfasser des buches „Der altheimische minnesang", legt unter obigem titel eine arbeit über Ulrichs von Lichtenstein frauendienst vor. Er geht von dem satze aus, die kultur unsers mittelalters sei keine internationale oder genauer keine romanisierende gewesen. Man könne wol von einer romanisieren- den übermalung des ritterliehen lebens durch die dichter sprechen, in Wahrheit aber sei es eigentümlich deutsch gewesen. Die turniere waren durchaus nicht nachbildun- gen der französischen. Das minuelied war kein absenker des provenzalischen. Der frauendienst sei durchaus nicht nach den höfischen epen und den lebensbeschreibun- gen der troubadours zu denken, sondern war eine mit sinlichkeit gepaarte tiefgefühlte bewunderung des geistigen adels der gebildeten frau (s. 7 zu lesen). Auf verheiratete frauen, wie behauptet werde, sei der dienst dia'chaus nicht beschriinkt gewesen, am wenigsten wui'den frauen den mädchen vorgezogen. Nach dieser einleitung geht der herr Verfasser an die prüfung des gedichts Ulrichs, weil dasselbe der einzige authentische bericht vom deutschen minneleben jener zeit ist, und meint dui-ch die zusaiimienhangende kritik desselben jene ansichten stützen zu können. In sechs

248 "^ErCHOLD, ÜBEK BECKER, rLRICII V. LICHTEN'STEIN

abschnitten untersucht lierr Becker nun den Inhalt des gedichts auf Wahrheit und dichtung und schhesst mit einem kapitel „Rückblick und folgeruugen.'^ Er nent die erzählung Ulrichs im grossen und ganzen ein milrchen, „das nur wegen der ermü- denden breite imd oft sjtürbareu nachlässigkeit der darstellung " noch von keinem vor ihm nachgeprüft und deshalb so lange für glaubwürdig gehalten worden sei", ein aussprach, für den sich einige herren bedanken mögen. Er selbst lässt sich recht breit und ermüdend und mit wunderlichen bemerkungen, welche die von kei- nem menschen geläugnete Verschiedenheit der menschen im mittelalter betreffen (s. 104 fgg.) dariiber aus, dass herr von Lichten stein , ein grand seigneur, die gegen- wart hochgemut geniessen und sich und andre belustigen und zerstreuen wolto , indem er von dem ritterlichen leben, wie er es kante (also doch kein märchcn?) ein roman- tisch und humoristisch gesteigei-tes bild entwarf. Ich kann nicht sagen, dass herr Becker mich durch die foiiii seines voi-trags hochgemut gostimt und durch den iuhalt irgend belehrt hätte. Das wahre in seinen ansichten bezweifelt kein verständiger mensch, und ich fürchte, dass auch seine verheisscne schrift über den frauendicnst, mit dem er sich von den deutschen Studien verabschieden will, etwas bringen werde, das neu und richtig zugleich sei. Über Ulrichs von lichtenstein fraueudieust hat heiT Schöubach längst gesagt, was nach den hauptpunkten sich sagen lässt, und wol weislich darauf verzichtet, in einer dichterischen lebensschilderung des 13. Jahr- hunderts wahi'hcit und dichtung im emzelnen scheiden zu wollen.

BRESLAU. K. WEINHOLD.

Borries, Emil von, Das erste Stadium des /-unilauts im germanischen. Strassburger dissertation. Strassburg, Heitz 18S7. 82 s. 8. 1,50 m.

Nach einer langatmigen einleitung (s. 3 14) über „die neuen theorieen über den idg. vocahsmus, speziell soweit sie gennaiiisches e betreffen", behandelt der Ver- fasser I. „AVeitcrentwickelung von germanischem e zu i nach Leffler; prüfung der von ihm gewonnenen ergebrüsse*^ (s. 15 72), 11. „Erklärung des Vorgangs" (s. 73 77), IJI. „Zeitbestimmung" (s. 78 81). Der Schwerpunkt der arbeit liegt in dem ersten abschnitt. Es wäie in der tat ganz nützlich einmal in zusammenfassender weise den tatbestand darzulegen, der für die entscheidung der frage in betracht komt, unter welchen bedingungen im ui'germ. ein e, unter welchen ein i gesprochen wui'de, und vor allem wäre es nützlich die Chronologie des lautwandels c !> i für die einzelnen hierbei in frage stehenden punkte zu bestimmen. Natürlich müste auch die geschichte des idg. i mit behandelt und eine erklärung des noch unerklärten wechseis von e und t, besonders im ahd., versucht werden. Auch die bcantwortung der frage, imter welchen bedingungen im urgerm. ein ?«, unter welchen ein o gespro- chen wurde, wäre bei einer derartigen untersuch img nicht zu umgehen. Man müste auf zwei vei-schiedenen wegen vorgehen: einmal wären die einzehien genn. sprachen auf das material hin zu untersuchen, welches sie bieten, zum andern die ältesten eigennamen. Die arbeit von v. Bornes erfült in keiner weise die anfordorungen, welche man berechtigterweise an dieselbe stellen muss. v. Boriies hat sich darauf beschränkt zu untersuchen, „ob und wie weit der vokalismus des althochdeutschen die theorie, die Ix'ffler hauptsächlich für das gebiet des altnoidischen erwiesen hat, stüzt oder nicht", und wie er statt aller geim. sprachen nur das ahd. heibeigezogen hat, so hat er statt aller für den lautwandel e r> i in betracht kommenden fälle nui' den fall untei-sucht, dass in der folgenden sübe ein als vokal oder als konsonant fungie-

BRJ-^MER, ÜBEU VON BORRIES^ /-UMLAUT 249

rendes i stand. Die aLliaiidlung von v. Borrios ist also ilironi Inhalt nach nur ein kleiner teil dessen, was ilir titcl verspiiclit.

Aber auch dieser kleine teil ist ungenügend. v. liorries teilt seinen stoff ein nach solchen fiüh'ii, in (Irncii e vor / oder j der folgenden silhe zu i gewan- delt ist, und nach solehen, in denen c goblielieii ist. Ohne auf einzelhciten wei- ter einzugehen, verzeichne ich das ergehnis, an dem wol niemand bis her gezwei- felt hat, dass * eingetreten ist „vor den endungen -is, -ist und -i( der 2. 3. sg. präs. ind. ablautender verba 1. und 2. klasse", in den nominalliihlungcn der sub- stantiva der /-dekhnation", in den iiauptwörtcrn ^mit den suffixen -ja, -il, -ing, -ida^^ in den eigenschaftswörtern mit den suffixen -ja, -iy , -in, -/sc, -il, in den Zeitwörtern auf -Jan und, fügen wir den von v. Borries mir als walirscheinlich hin- gestelten fall hinzu, in den steigerungsfonnen der cigenschaftswörter auf -ir und -is/. Der ileiss, welcher auf die ausführliche samlung von beispielen (s. 17 5Üj verwant worden ist, ist anerkennensweit. -• Das i von ahd. ist und tnit (s. 50) erklüit sich wie das von ih und iitih aus der unbetontheit im satze; das in betonter silbc laut- gesetzliche e zeigt an. ags. 7?icc^.

Sehr schwach ist die Untersuchung der fälle, in welchen c vor l oder y der folgenden silbe geblieben sein soll. Es gibt nur einen derartigen fall, für welclien urgerm. erhaltung des e trotz eines scheinbar folgenden i zuzugeben ist, nämlich wenn die nächste silbe im idg. auf wortschliessendes -e auslautete, liier nehme ich mit Sievers, Paul u. Braunes Beitr. Y, 120 fgg. und 155 und Ags. gramm. -, § 131 an, dass -c in urgerm. zeit abgefallen ist, ohne seinen einfluss auf die voraufgehende silbc zu äussern, d. h. bevor der lautwandel e >> i eingetreten war. Beispiele: an. ags. /ncc <; idg. *me-f/e, as. ahd. nah (andernfals wäre *nuhi zu erwarten) <: idg. nu-qe, ags. peak (andernfals wäre *pich zu erwarten, vgl. ymb <; idg. mbhi {('(fj.ifi)) <; idg. *tm-qe oder '^töic-qe, der vokativ sing, der maskulinen a- stamme, die 3. sg. perf., die 2. sing, imperativ! der starken Zeitwörter (urgerm. *bcr, *fcox usw.). Ich hoffe ü))er dies gesetz an anderer stelle ausfülirlicher zu handeln. Diese fälle sind von V. Borries nicht in betracht gezogen worden. AVol aber behandelt derselbe einen ähnlichen fall, nämheli die erhaltung des e, wenn in der folgenden silbe ein c steht, für das erst später i erscheint; z. b. in den oblirjuen kasus der schwachen deklination iFii ahd. Man kann v. Borries von seinem Standpunkt aus keinen Vorwurf daraus machen, wenn er auf die erklänmg dieses merkwürdigen c sich nicht eiidässt, sich vielmehr einfach damit begnügt zu sagen, dieser fall komme gar nicht in betracht, da hier kein altes * vorliege; /, nicht c, bewirke den germ. /-umlaut von idg. c zu i. Aber Braime sagt mit recht in seinen und Pauls Beitr. IV, 55Ü, unursprünglichkeit des -in gebe noch keine ausreichende erklärung für den mangel des umlauts. Dazu komt, dass wir ja umgelautete formen wie ahd. henin haben. Durch ein Wirkung von 2:)ero , iJevKn wird man das e von peren, per in nicht erklären wollen. Es bleibt also

1) ludess ist es glaulilich , dass das c von irerin. *ck dem von *mclc ciiieu urspriuij,' verdankt, dass iiigcrm. *ck, * ik nach *inck, * mik neu trebiMet ist. Es ist dies der einzige ausweg, uui auf den ältesten runeninscliriften die fonn ck, ik neben den maskulinen akkusativen und den neutris auf -a zu erklären. Mit dem ausdruck proklise (Burg, Die älteren nordischen runeninschriften , s. 20) ist tatsäch- lich nichts irewonncn. Auch wäre nach Jihd. aba u. dyl. westirerm. *cka zu erwarten gewesen, mit erhal- tenem a nach kmzer sübe, analog der behandlung von -i und -u; denn für dies wort bestand, von *m€k <C idg. * Die -(je abgesehen auslautendes idg. e schwand urgerm. unter allen umständen , gewiss keine Verführung nach anderem vorbüdo sein a aufzugeben. [Das postulierte *eka hat noch nach der treruuuig der german. sprachen bestanden, wie ahd. iMm, nori. jak und das enklitische 'ka der runen- insclu-iften beweisen. S. Norecn, Ai-k. f. uonl. fil. I, 175 fgg. Ked.]

250 BREMER

dabei: es lagen im ahd. neben einander zwei gleiehlierechtigte endungen, oberd. -in und fränk. -en, von denen nur die erstero uinlautwirkende kraft hatte. Ich bin geneigt auzuuehmen, dass hier vielleicht der alte idg. acceut noch eine spur seiner Wirksamkeit hinterlassen hat, dass nämlicli idg. e nur in idg. unbetonter silbe zu germ. / geworden ist, dagegen in idg. betonter silbe germ. als c erhalten Idieb, gleiehviel ob die silbe nach germanischer betouungsweisc betont oder unbetont war. Danach würde ein idg. genitiv anf -cnos^ einen ahd. gen. auf -/yj ergeben, ein idg. genitiv auf -äws einen ahd. auf -cn. Von diesen l»eiden ursprünglich neben einander liegenden formen, hätte dann je eiue im (»[»erdeutsclien und im fränkischen die hei-schaft erworben. Ujiter derselben üV)ersciirift „Das i der enduug ist jung" behandelt v. Borries mit unrecht beisi)iele wie nuehsil neben miehsal, Icfjir neVicu Ipiior. Hier ist das / natürlich eben so alt wie das a, weil der alte idg. ablaut -cl-ol-l-, -cr-or-r- vorUegt. Die suflixe -il, -ir wirkten an und für sich umlaut, wie unser iccdcl <C ahd. uucdU (neben uuadal) zeigt. Dass zufällig unter den wenigen ahd. belegen für altes c in der stamsilbe sich keiner findet, der stamhaftes i auf- wiese, verschlägt nichts; hier liegt analogiebildung nach den formen auf -al, -ar vor, also legir für lautgesetzliches "'h'nir nach dem vorbild von lajar.

Der wichtigste abschnitt des buches, weil dieser allein etwas neues bringt, ist das kapitel über „konsonantische hindernisse des wandeis von e zu *" (s. 66 12). Hier sucht v. Bornes nachzuweisen, dass bestirnte gi-uppen von konsonantcn, und zwar ,r- Verbindungen'^ und hh nicht mit Leffler auch / -\- kons. , den z- um- laut von c zu / gehindert hätten-. Er operiert widerum ausschliesslich mit ahd. material. Da ich. den ausführungen von v. Borries nicht beizutreten vermag, bin ich. es der arbeit schuldig, auf die einzelnen beispiele einzugehen: Urherzi, uuidarperki und die meisten beispiele Lefflers beweisen nach v. Borries selbst nichts. Skermeo (Gl. I, 57, 34) kann neben dem skirmeo der andern handschriften nichts beweisen. Miltherxi und armherxicli haben wie urherxi ihr e von herxa bekommen; das laut- gesetzliche / zeigt iirliirxi. Erdin, untcrerdisc können mit ihrem c gegenüber irdin, irdisk nur durch anlehnung an erda erklärt werden. Ferrisk hat sich an fer ange- lehnt, äuuerßg an äuuerf, mittiferhjan an mittiferhen mütiferhon, blechin an lieh. Damit sind in der tat alle beispiele erschöpft, auf welche v. Borries sein laut- gesetz gründet, dass „die r- und wahrscheinhch die A- Verbindungen" den waudel von e zu i im ahd. gehindert hätten. Und dai'auf hin führt v. Borries dies angebliche lautgesetz im verein mit der got. brecliung ohiio weiteres auf ein urgerm. gesetz von umlauthindemder kraft des r und h zurück!

Völlig ungenügend ist zum schluss die Zeitbestimmung des lautwaudcls e >> ^ behandelt, v. Bornes kent kein anderes beweismittel als einerseits die namen Segesfes, Segimtmdus , Segimerus, andrerseits die tatsache, dass der lautwandel vor das voka- lische auslautsgesetz zu stellen ist; als terminus ad quem gewint v. Borries so Sche- rers gotische Periode (150 450) und er verlegt den lautwandel e > im das 2. oder 3, Jahrhundert. Wir haben tatsächlich ein grösseres material. Das erste i in dem

1; -ciujs neben -cnos könte als spätidjj. O urgenn.) angleichung aus uiidg. -onos , -cnos {(Jai- fiorog, Tioiuh'o;,) angesehen werden.

2) Übrigens wäre , die berechtigung des e zugegeben , es noch die frage , ob dieses e nicht erst sekundär wideruin aus i entstanden wäre. Die sache läge dann ebenso wie beim got. ai vor h und r, von welchem man auch nicht mit v. Borries, s. 70 ohne weiteres sagen darf, es sei in ilim das alte idg. e erhalten; die algemeine wahrschcinliclikeit spricht vielmehr dafür, dass ai erst auf gotischem boden lür germ. i (< idg. e) eingetreten i<\.

VBKR VON BOKRIKS, /-UMLAUT 251

stamme si<jix> beweist, dass c zu / früher in imlictoiiter silbc gewandelt als iu beton- ter umgelautet worden ist. l)azu stimmen namen wie i<('<)iinitndi(s. Die ältesten eigen- namen erhellen aber noch deutlicher die gesehiehto des c >■ /: 1) Duieh die bank wird * geschrieben vor gutturalem nasal (von Caesars Tul'uKji ahgesehn) Äcniinjia Plin.IV, 9G LujacroHcs oder Intjracunca l'lin. IV, l.i(). 00, Tae. (leim. '_', IinjuionicrKS Tae. Arm. I, GO, 7>V//^//V/;// Tae. Genn. 40, J/rr/w/y«/ Tae. CJerm. i:}, 2:«,h().i'yyoi. Ptol. 11, 11, 11, 2.1 b'yytu Vtol n, 11. 18. 10, Alanorn-yoiVtulU, 11, 2J. 21, Lacrhiijct; Jiiil Ch\k '22, ^hcxQcyyoi Dio Cass. LXXI, 12, LXXVllJ, 27, Hojiyyin L)io Cass. LXXl, 12. Der name Tcncteri ist keltisch. Die älteste stufe des lautwandels c > * ist also die von en(j ^ //('//. Da/.u stimt der gemeiiigerm. übeitritt von Zeitwörtern w'm pci/trn/ , firri- han aus der e- in die /-reihe, der den Schwund des )uj vor h und den diesem vnraus- gegangcneu lautwandel tv/y >> huj zur Voraussetzung hat; inj vor U ist sclion im 1. Jahr- hundert u. Chr. geschwunden, wie xictunicrus (vgl. ags. Ohihcrc) zeigt'. 2j Dio zweite stufe war der lautwcchsel e > i in unbetonter silbe, der im 1. jahrh. n. Chr. ein- trat. Beispiele für r: 7>;7/e^cr/ sehr oft, Baste niac oii, GuhcrniVYm. i\\\i)ij, Owjcrni Tae. Hist. IV, 2Ü. Ann. A\ IG. 18, Ansicraria Plin. IV, 97, Canncnrf alles IMin. IV, 101 neiien Caninefatcs Voll. Fat. 11, 105, Canninefates Tae. Ann. IV, 7."}. XI, 18. Hist. IV, 15. IG. 10, Gandcstrius Tae. Ann. 11, 88, Segestes Voll. Fat. 11, 118, Tae. Ann. 1, 55. 57. 50. 71, ^.'eytanß- Strabon Vll, 201. 202, Vcncdl oder Vcncdae Flin. IV, 07, Vencti Tae. Germ. 4G. Ovtvt^iu Ftol. IH, 5, 10. 20. 21. Die beispiele für i sind zahlreicher: iSegin/ents Tae. Ann. I, 71, Sigiinerus Voll. l*at. II, 118, 2:tyi\injoo^' Strabon Vll, 202, 2:iiyi\u6i)os Dio Cass. LVI, 10, Segimuiidus Tae. Ann.

I, 57, Ztyit.iovvio; Strabon VII, 202; Vandill Plin.IV, 00, VandUii Tae. Germ. 2, Vibilius Tae. Ann. 11, G3, Visfila Plin. IV, 81. 07. 100; Manimi Tae. Germ. 41:5; Henninones Pomp. Mola III, 32, Plin.IV, 00, Tae. Germ. 2, Xiu^Hvoi Ptol. II, 11, 35, Charini Fun. IV, 00, Eelimum Plin. IV, 101, Canninefates Tae. Ann. IV, 73. XI, 18, 2:,\Uvoi Strabon VU, 200, :^h$ivoi Ptol. U, 11, 14, 2iovdivoi Ptol. IL

II, 25, Varinl Tae. Germ. 40; Aliso Voll. Fat. II, 120, 'Eh'oooi' Dio Cass. UV, 33, Amisis Pomp. Mela III, 30, Plin. IV, 100, Amisia Tae. Ann. I, GO. G3 II, 8. 23, l4i.iioiog, \ii.uG(a Ptol. II, 11, 5. 11. VllI, G, 3, Hdisil Tae. Germ. 43, Idisiaviso Tae. Ann. II, 16; Xaristi Tae. Germ. 42, Ovaoioroi Ptol. II, 11, 23, NaotöTai Dio Cass. LXXl, 21, Varistae Jul. Cap. 22; Gambrivil Tae. Germ. 2, rauaßn{ovi.oc Strabon VII, 291. 3) Erst naehdem e in unbetonter silbe zu / geworden war, konte dieses i ein e der voraufgehenden silbe zu i umlauten. Die einzigen sichern beispiele für i sind Hillcviones Phu. IV, 06 und Sifjhnerus Voll. Fat. II, 118 und wahrscheinlich Zi\hi'Oi Strabon VII, 290"; Vibilius Tae. Ann. II, 63 und zaiyytu Ptol. II, 11, 18. 10 mit idg. e oder ^? Vgl. auch in unbetonter silbe Canninefates, Vandilii, Vibilius, Helinium, Amisia, Helisii, (Jambrivii. Sonst steht immer e vor i{€) der folgenden silbe: Helinium Plin. IV, 101, Helisii Tae. Germ. 43, Her- rn inones Pomp. Mela III, 32, Plin.IV, 00, Tae. Germ. 2, Segestes Vell. Fat. II, 118, Tae. Ann. 1,55. 57. 50. 71, Jt6;'60T;/s^ Strabon VII, 201. 202, >%m^m^',• Tae. Ann. I, 71,

1) AVäre il;unals noch nasalvokal gesprochen worilon , so würden die Römer, die in ihrem me,sa den nasalvokal durch en widergaben , *Änctumcrus geschrieben haben.

2) Ich vermute, dass -S'//?n'ot vmA ^Hiroyreg. bei Strabon dasselbe volk bezeichnen, indem beide namensformen sich vereinigen unter einem stamabstufcndcn gcrm. *-S'e>«i7t-, * Scnm- , daraus später *Simin-, Sinm- > *Sibn-; vgl. DuUjubini Tae. Germ. 34 neben JovXyovf.irioi Ptol. II, 11, 17. 2ißi- voL ist wie Dulgiibini eine (germ. oder römische?) kontaminationsbildung aus lautgesetzlichen -min- und -bn-. Die dritte ablautsstufe -an zeigt /; ^ijuaia i?.)j Ptol. U, 11, 7.

252 BREMER, ÜBER VON BORRIES, Z"- TMLAUT

—*/'''." '/(?os Shabon VII, 292, Ztiynifoog Dio Cass. LVI, 19, Scg wnoirlifs Trg. Anu. I, 57, :Lfyiuovi'Tog Straboii VII, 201, ^'enfOayy.og Strabou VII, 292, Vetiedi oder Vcucdac Firn AV, 07, T'iw^/ Tac. Germ. 40, Orfr6'(ffa Ptol. III, 5, 19. 20. 21.— 4:) Gcgeu ausgaug des 1. jahrluindcrts n. Chr. ist endlich der lautwocliscl von e zu. i vor ;/ -j- kons, auziisetzeu. Zur zeit der feldzügo des Driisus und (»crnianicus haben die Körner jedeufals kennen gelernt die nanien: Fciuii Tac. Germ. 46 (bestätigt dunli Jordanis Fc/mac)^ Scninoncs mon. Anc. 2G, Vell. Pat. II, 106, Tac. Germ. 39, Ann. II, 45, -iYwiwrfi- Strabon VII. 200, -TH/j^orcs-rtol. II, 11, 15. 18, Dio Cass. LXVI, 5. LXXI. 20. M(fllorcndi(s Tac. Ann. II , 25. Baduhc/uia Tac. Ann. IV, 73 Avird kel- tisch sein (vgl. Ardmnua , Xchnlc/nu'a usw.). Das neue / finde ich in drei nameu späteren Ursprungs: Bn'ntio Tac. Ilist. IV, 15, 'Jiroi't'Qyoi Ptol. IT. 11, 9 und in «/>;'rio/ Ptol. III, 5. 20. I)er Jiame Cimbri ist keltisch. NatürUcli ist der in frage stehende lautwandel nicht zu gleicher zeit auf dem ganzen gei'in. Sprachgebiet durch- gedrungen, sondern hat, von einem punkte ausgehend, erst almählich fuss gefasst. "Wir dürfen vermuten, dass dieser ausgangspunkt dio deutsche uordseeküste gewesen ist, weil im anglo - friesischen der lautwaudel c > i am weitesten gegangen ist, hier auch vor einfachem nasal erscheinend.

Eine physiologische erklärung des Vorganges (v. Borries, s. 73 77) wird man mit Sicherheit ei^st dann wagen können, wenn man festgestelt hat, ob das Verhältnis des germ. o zum u ein dem von c zu i homogenes ist oder nicht. Im bejahungs- falle war das treibende moment eine Vorwärtsbewegung der hinterzungc, im vernei- nuugsfiiUe eine Verbreiterung derselben, offenbar der indiffercnzlage entsprechend, weil auch die unbetonten silben davon betroffen wurden. Da der zeit nach die ein- zelnen,, zu untei"scheidenden stufen nicht weit von einander liegen, wird man kaum vei'schiedene physiologische triel)kräfte annehmen dürfen für den lautwandel in unbe- tonter silbe, vor nasal und vor i der folgenden silbe.

STRALSUND, 23. MÄRZ 1889. OTTO BREMER.

ZU DER FRAGE XACH DER ENTSTEHÜNGSZEIT DES

LUTHERLIEDES.

In der Zeitschiift für kirchliche Wissenschaft und kirchliches leben, bd. I s. 39 fgg. hat Knaacke die von Schneider frülier aufgestelte ansieht, dass M. Luther sein lied: Ein feste bürg ist unser gott im jähr 1527 beim herannahen der pest gedich- tet habe, zu erweisen gesucht. Der nachweis durch das von ihm aufgefundene gesangbuch scheint mir keineswegs geglückt. Knaacke hat denselben noch dadurch zu stützen gesucht, dass er die stellen in Luthers gleichzeitigen briefen anführte, auf die schon Schneider aufmerksam gemacht hat und aus denen eine merkwürdige Übereinstimmung mit dem gedankeninhalt und dem Wortlaut des liedes hervoi'gehen soll. „Nachdem Luther'*, sagt Schneider \ „in diesem briefe (an Amsdorff 1. nov. 1527) dem freunde seine läge geschildert, geschiieben hat, wie er fürchten muss für sein weib, das in dieser bösen zeit ihrer entbindung entgegensehe, für sein kind, das seit 3 tagen krank darniederliege, scbliesst er mit den werten: so gibt es draussen kämpf und drinnen schrecken, aber Chiistus suchet uns heim. Unser einiger trost,

1) Martin Luthers geLstlichc lieder, s. XXXVIU.

KLLIN'GKR, ENTSTEHUNG SZF.IT DES LUTHERLIEDES 253

den wir der wut des teufols entgt'genstcllcii, ist der, dass wir das wort gottes haben, weklies die seelen errettet, wenn er auch «Ifii leil) verschlingt. Betet für uns, dass wii- ilio liand gottes wacker (Miragen, und die macht und list des teu- feis überwinden, sei es durch tod oder leben. Amen, Zu \Vittenb(!rg, am tage aller heiligen, am zehnten jabi'estagc des sieges über den ablasskram, dessen aiige- denken wir zu dieser stunde wol getröstet durch einen trunk feiern." Vgl. dazu noch Küstlin, 2. aull. bd. II s. 000.

Ich will dazu nur bemerken, dass alb^ diese scheinbaren Übereinstimmungen für die abfassungszeit des liedes gar nichts beweisen. Denn seit Luther /.n der Überzeugung gekommen war, dass er den kämpf gegen das iiapsttum aufnehmen müsse, bewegten ihn die gedankcm, die deni liede zu gründe liegen und er gab den- selben in brieten und Schriften ausdruck, mehr oder weniger dem Wortlaut des liedes sich nähernd. Und grade der stärkste anklang an den Wortlaut des liedes findet sich in einer sehr frülicn selirift; da die Übereinstimmung, soviel ich weiss, noch nicht bemerkt wordi^i ist, so sei hier kurz darauf hingewiesen. Es handelt sich um die derbe abführung, die Luther dem bischof von Stolpe wegen seines mehr „tolpischeu als stoli»ischen " zetteis angedeihen liess. (Doctor Martinus Luthers antwort auff die tzedel so unter des Officials tzu Stolpeu sigel ist aussgaugen. Lezte seite): Nimpstu mir den leip und die eher, du wirst mir Christum bleiben lassen. Li diesen werten tritt die Übereinstimmung mit der lezten str(ii)he des Lutherliedes so auffällig hervor wie in keiner anderen stelle. Dennoch aber wäre es sehr töric-ht, wenn man daraus folgern wolte, das lied sei iui jähre 1519 gedichtet worden.

BERLIN. Gr. ELLINGER.

AB WEIHEN.

Es ist die frage, ob man in Goethes „Götter, holden und Wieland" lesen soll:

„hast mit deinem verzehrenden schwert abgeweidet ihre haare? " oder: abge-

wei(/et ihre haare?"

Die ausgaben und ausleger schwanken in der bedenklichsten weise. AVährend von Bernays djGII, 398 und von Strehlkc in den 8. band der Hempolschen ausgäbe „abgeweidet'' aufgenommen ist, auch K. J. Schröer (Deutsche nationallitt. 87. Goethe VI, 393) so schreibt und „abgeweihet'' für unverständlich erklärt, hat Gödeke „abge- weihet" in den text gesezt, was auch v. Löper in einer anmerkung zu „Dichtung und ^^'ahrheit", z. 4. teil buch 16 verteidigt. Grimm hat dem in der ganzen littera- tur vereinzelt dastehenden werte keinen platz in seinem Wörterbuch gegönt, während Sanders in dem seinigen sich für „abgeweihet" entschieden hat. Nicht anders steht es mit den ältesten dracken und ausgaben der farce, die noch zu Goethes lebzeiten gemacht sind.

Die ältesten drucke und nachdrucke , darunter auch ein solcher auf der königl. bibliothek zu Berlin von 1774, haben „abgewei^/et", die ausgäbe lezter band jedoch zeigt, sowol die in sedez 33, 283 als auch die in oktav, „abgeweidet."

AVas tun? Zimächst muss man bedenken, dass weder jene ältesten drucke noch die lezte zu des dichters lebzeiten gemachte ausgäbe in kritischer hinsieht hier irgend welches gewicht haben können. Es ist ja bekant, wie ohne Goethes eigent- lichen willen die farce von Lenz in Strassburg, jedenfals ohne jede korrektur von Seiten des dichters, zum drucke plötzlich gegeben wmrde. Aber ebenso liess ja Goe- the fast widerstrebend die aufnähme des Stückes in seine werke durch Eckermann

254 MORSCH, ABWEIHEN

geschehcü, das ^ abgeweihet '^ ist also hier entschiedeu uic-ht auf des dichters eigen- sten ^villon zurückzuführen. Beweisen diese beiden losailen also gar iiiclits, so beweist ein anderer umst<\nd desto mehr. Wir liaben die lezten spuren einer liand- sehiift der farce bekantlich bei AVagner, Briefe an und von Merck (Darmstadt 1838) aufweiche die herausgeber natürlich schon aufmerksam geworden sind; die bedeutung dieses hier verborgenen indirekten Zeugnisses scheinen sie jedoch noch nicht genug gewürdigt zu haben. S. 42 daselbst lesen wii-: 2) Götter, holden und Wieland, sehr rein von Goethe selbst geschrieben. Nun folgt eine anzahl von Varianten dieser dem herausgeber der biiefe vorliegenden, offenbar aus Mercks nachlass stammenden liandschrift Goethes, welche gewonnen sind durch eine vergleichung der handschrift mit der ausgäbe lezter band 16". bd. 33. Wülirend min eine anzabl von abweichungen beider angemerkt sind, liat der herausgeber, der, wie die beigefügten seitenzalileu der ausgäbe lezter band beweisen, sorgfältig und richtig verglichen, l)ei der fraglichen stelle nichts angemerkt, obgleich die ausgäbe lezter band „abgeweihef^ bietet. Folg- lich las er in der handschrift Goethes ebenfals „abge weihet."

Ist durch diesen allerdings indirekten schluss „abwei/^en" handschriftlich ziem- lich sicher gestelt, so sprechen sprachliche und sachliche gründe nocli mehr dafür. Die Goetlüsche spräche der damaligen zeit ist sehr kühn, durch homerische Wendun- gen und pindarischen schwung beeinflusst. Jene ganze stelle in „G. II. u. W.", in welcher der inhalt mancher scenen aus des Euripides Alkestis widergegeben wird, ist im tone der Goetliischen öden, „Schwager Kronos" u. a. gehalten. Kurz vor unserer stelle findet sich „ein gleichen", ein wort, das zwar nicht so kühn, aber ebenfals ohne beispiel in der litteratur ist.^ Aber auch in den Briefen an frau v. Stein I-, 176 vom juli 1779 lesen wir ja: „geweiht und abgeschnittne haare" (vgl. Werke Walirh. u. Dicht. IV, 16 s. 535 (Goedeke), wo Sanders Ergänzungswörterbuch d. d. spräche 1885 s. 621 „abgeweht" für einen druckfehler statt „abgeweiht" mit recht ansieht), und in der Iphigenie C. und D. s. 35, v. 606 bei Bächtold: „wenn die prie- sterin schon unsre locken weihend abzuschneiden die band erhebt. " Gleich „abweihen" steht ebenso vereinzelt „wegweihen", Werther I, 6. juli. Wenn sich nun gerade „abweihen" nicht mehr belegen lässt, so geht doch aus den angeführten stellen liervor, dass dem dichter jener Vorgang, um den es sich hier handelt, bekant war. Ehe die opfertiere geschlachtet wurden, wurde ihnen ein büschel haare von der stira abgeschnitten und diese haare ins feuer gewoi'fen, womit sie dem tode ver- fallen waren. Vgl. Schömann gr. staatsalt. II, s. 240. In der vorbildlichen stelle bei Euripides Alk. v. 74: ciroi' töö" tyyog y.nuTÖg äyvCötj rni'ya wii'd der todesgott mit einem ojtferer verglichen, der mit seinem Schwerte erst demjenigen einige haare vom haupte schneidet, der ihm verfallen ist; die eigentliche opferungsceremonie wird in der Iphigenie mit den citieiien woi-ten bezeichnet, wähi-end in dem briefe an frau V. Stein das wort gleich deni folgenden „absclineidon" mit der Wirkung des wertlos - und nichtigmachens gebraucht ist; im gewöhnlichen sinne von geweihten, d. li. lioi- ligen haaren i)asst es gar nicht in den zusammenliang. Diesen Vorgang konte der dichter aus der Ilias oder Odyssee oder sonst woher gelernt haben.

Die lesaii „abgeweihet " scheint demnach nun handschriftlich , sprachlich und sachlich genügend befestigt und erklärt zu sein; „abweihen" bekomt hoffentlich ein- mal seinen dauernden platz in dem Sprachschätze der deutschen Wörterbücher.

BERLIN. H. MORSCH.

1> Vgl. darüber Sanders Erg. -wtb. 1885 s. 230.

KLLINGER, DES MÄDCHENS KLAGE 255

DES MÄDCHENS KLAGE.

Soviel ich weiss, bat juau iioeh nicht beobachtet, dass Scliillers licd Des iiiäJ- cheus klage ersiclitlich unter dem eiullusse eines Stückes aus Herders Volksliedern steht und aller wahrscheinliclikcit nacli von deniselbeu angeregt woiden ist. Volks- lieder, bd. U s. 18 (»Suphan- Redlich, bd. XXV s. 343): Das niiidchen am uler. Englisch.

Jin säuselnden winde, am murmelnden baeh Sass Lila auf bhimen und weinet' und si»raeh : „AVas blüht ilir, ihr blumen? was säuselst du westV Was nuirmelst du ström, der mich murmelnd verlässt?

Mein lieber, er blühte am herzcu mir hier, War frisch wie die w^elle, war lieblicher mir Als zephyr; o zephyr, wo flohest du hin? 0 blume der liebe , du mustest verblühn ! "

Vom buseu, vom herzen riss ab sie den strauss, Und seufzet und weinet die seele sich aus. Was weinst in die welle? Was seufzest in wind? 0 niädchen, w-ind, welle und leben zerriut.

Der ström komt nicht wider, der westwind verweht, Die blume verwelket, die Jugend vergeht. Gib mädchen, die blume dem ströme, dem west; Es ist ja nicht liebe, wenn liebe verlässt.

Noch ein anderes lied aus Herders Volksliedern (Suphan-Iiedlic-li, bd. XXV, s. 1G9) darf herbeigezogen werden:

Die see war wild im heulen

Der Sturm, er stöhnt mit müh, Da sass das mädchen weinend,

Am harten fels sass sie, AVeit über meeres brüllen

AVarf Seufzer sie und blick; Nicht konts ihr seufzer stillen,

Der matt ihr kam zurück.

Hier beweint das mädchen ihren geliebten, der zur see gegangen und den sie tag um tag vergeblich erwartet; da spülen die wellen seinen leichnam heran und entseelt sinkt das mädchen über ihn hin.

Bei beiden gedichten, namentlich aber bei dem ersten, erkennen wir genau, wie Schiller sich an dieselben anlehnte. Nicht allein in der ganzen anläge des gedich- tes zeigt sich eine auffallende ähnlichkeit, auch im einzelnen können wir die abhäugig- keit Schillers von den englischen liedern beobachten.

BERLIN. G. ELLINGER.

256 NACHRICHTEN

NACHRICHTEN.

Dr. Otto Bremer in Halle beabsichtigt eiue „samluug von gramma- tiken deutscher m und arten" herauszugeben, deren verlag die firma Breitkopf und Hiirtel in Ix^pzig übernommen liat. Das unternehmen wird eiue von dem lier- ausgeber verfasste, für die bedürfuisse der dialektforschung berechnete, kurze „deut- sche phonetik" eröfnen; als erster band der samluug ist eine darstellung der muud- aii von Mühlheim an der Ruhr von dr. ^1 au r mann angekündigt.

Ein wichtiges hilfsmittel für das Studium der fa?röischen spräche und litteratur ist kürzlich in der haudschrift vollendet und soll demnächst der grossen königl. bibliothek in Kopenhagen übergeben werden, nämlich die von Svend Grundt- vig begonnene (vgl. Aarböger 1882, s. 357 fgg.) und von dem archivsecretär Jörgen Bloch fortgeführte samluug f;cröischer lieder nebst dazu gehörigem (auf grund der samlungen von Svabo und Mohr ausgearbeiteten) wöi-terbuch. Die erstere umfasst 16 quai-tbände, das leztere 3 folianten. Die arbeit ist auf kosten der gräflich Hjelm- stjerne-Rosenkronschen Stiftung ausgeführt worden; sie wird wegen des grossen umfau- ges und des beschränkten iuteressentenkreises durch den drack leider nicht veröf- fentlicht werden.

Die enthüllung des Walther-denkmals in Bozen wird am 15. septbr. d. j. statfinden. Der obmann des comites, herr gutsbesitzer Andr. Kirch ebner, ladet alle Verehrer des dichters zur teilnähme an der feierlichkeit ein.

Die DLZ (1889, ur. 15) meldet, dass von dr. Kourad Zwierzina in einer dem 15. jahrhimdert angehörigen haudschrift des Konstanzer Stadtarchivs Wetz eis Margaretha und der volständige Gregorius Hartmanns in einer bisher unbekanteu recension aufgefunden sind. Das erstgenante gedieht, in welchem der Verfasser sich nent, ist mit dem fragmentarisch überliefei-ten werke, das Bartsch (Germanist. Stu- dien I, 1 fg.j als ^ Wetzeis heilige Margarethe" veröffentlichte, nicht identisch. Eine ausgäbe beider dichtungen steht bevor.

Der ordentliche professor, geh. rat dr. Karl Weinhold in Breslau wui'de an die univei-sität Berlin berufen, der ausserordentliche professor dr. Edw. Schröder in Berlin zum ordentlichen piofessor an der Universität Marburg ernant.

An der Universität Ix-ipzig habilitierte sich dr. Eugen Mogk für nordische Philologie, an der Universität Heidelberg dr, Herm. Wunderlich für deutsche Sprache und litteratui-. An dieselbe hochschule ist di'. Max freiherr von Wald- berg (bisher ausserord. prof. in Czernowitz) als docent übergesiedelt.

Halle a. S. , Buchiirnckerei des Waisenhauses.

DIE ALAISIAGEN BEDE UND FIMMILENE.

Seit E. Hübuer iu der Westdeutschen Zeitschrift für geschichte und kirnst 3, 120 fgg. über zwei zu Housesteads (Borcovicium) am Hadrianswall im november 1883 gefundene sandsteinaltäre berichtet hatte, welche unter kaiser Severus Alexander in römischen diensten stehende Germanen aus der landschaft Twente „Marti Thingso et duabus alaesiagis Bede et Fimmilene" gesezt haben, durfte man auf eine äusserung der germanisten über diese bisher unbekanten deutschen gerichtsgottheiten gespant sein. Das erste wort sprach W. Scherer. Schon am 24. mai 1884 las er vor der Berliner aka- demie über „Mars Tlnngsus" und, als ihn inzwischen R Heinzel auf das friesische Bod- und Fimelthing aufmerksam gemacht hatte, am 29. mai desselben Jahres über die alaisiagennamen Bede und Fimmi- lene i. Seine erklärung des wertes „alaisiagis" bezeichnete er freilich nur als notbehelf. Jezt hat auch Karl Weinhold in dieser Zeit- schrift 21, 1 fgg. über „Tius Things'^ gehandelt und dabei auch die alaisiagen besprochen. Thingsus und Bede deutet er wie Scherer, Fimmilene und die alaisiagen abweichend. Aber auch er gibt seine erklärung des wertes „alaisiagis" ausdrücklich nur für einen fraglichen versuch aus.

Mr scheinen durch die bis jezt vorliegenden erklärungsversuche nicht nur die alaisiagen, sondern auch die namen Bede und Fim- milene noch niclit sicher gedeutet und daher auch das wesen dieser gottheiten noch nicht genügend erkant zu seüi; und da ich durch eine Untersuchung, die einen anderen ausgang als die bisherigen nahm, zu ergebnissen gelangte, die mir sicher zu sein schienen, so wage ich, nach zwei so gewichtigen stimmen auch mich über jene gerichtsg<jtt- heiten vernehmen zu lassen. Ich glaubte mich nämlich, weil spräche, recht imd religion der Deutschen zu kaiser Alexanders zeit bei allen

1) Der erste voiirag erschien in den Sitzungsberichten der Berl. akad., jahrg. 1884, s. 571 fgg. Über den zweiten Vortrag vgl. Scherers brief an Hübuer in der Westdeutsch, ztschr. f. gesch. ii. kunst 3, 292.

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gemeinsamkeiten ihr wirklielies leben doeli mir im recht, der spräche imd religioii der ciiizehieu stamme hatten, bei einem versuche, die namen „alaesiagis", „Bede^*, „Fimmilene" zu deuten, zunächst an die spräche und den vorstellungskreis nur eines Stammes wenden zu dür- fen. Es konte dann aber, da jene altäre laut ihrer inschriften xon anfrehöriüen des friesisclien cuneus errichtet worden sind und da die beiden alaesiagennamen unverkenbar auf die friesische unterschei- dimg zwischen B<h1- und Fimelthing hinweisen, nui' der friesische stamm in frage kommen. Dali er unternehme ich es hier, die namen Jener gottlieiten aus der denkweise und spräche der Friesen zu erklären.

Ein starkes bewustsein von der heiligkeit des rechtes hat von jeher in dem charakter des friesisch -chaukischeu Stammes den grimdzug gebildet. Von seinem lebhaften interesse für recht und gericht zeugt es, dass die gesamte friesische litteratur des mittelalters lediglich aus rechtsaufz eich nun gen besteht, und dass die sage bei diesen stam- men nur da erscheint, wo es den Ursprung rechtlicher einrichtungen zu erklären gilt, oder wo sie gestalten, die iu das rechtsleben des Volkes eins:eo:riffen haben, umranken kann. Nach aussen bekundet sich derselbe sinn in einer fi'üh beobachteten abneigung gegen angrifskriege und in einer rücksichtslosen entschlossenheit und zähen ausdauer, so- bald es sich um abwehr von rechtsverletzungen handelt.

Schon Tacitus hat von diesem friedfertigen, gesetzlichen sinne der friesisch -chaukischen Völker künde gehabt. Er schildert Germ. 85 die Chauken als einen „populus inter Germanos nobilissimus quique magni- tudinem suam malit iustitia tueri. sine cupiditate, sine impotentia, quieti secretique nulla provocant bella, nullis raptibus aut lati'oci- niis populantur. id praecipuum virtutis ac virium argumentum est, quod ut superiores agant non per iniurias assequuntur. prompta tamen omnibus arma ac, si res poscat, exercitus." Die geschichte hat gezeigt, dass diese Charakteristik richtig ist. Die erhebung der Friesen gegen die Römerherschaft im jähre 28 nach Chr., welche zuerst (Tacit. ann. 4, 74) den friesischen namen unter den Germanen berühmt gemacht hat, war lediglich ein kämpf für das verlezte positive recht. Sie hatten sich 12 vor Chr. mit einer für einen deutschen stamm auffallenden bereitwilligkeit zum anschluss an Drusus und zu einer geringfügigen abgäbe an die Römer verstanden. Als aber der römische präfekt die abgäbe wilkürlich erhöhte, erhob sich das volk für das gekränkte recht und warf die fremdhei'schaft siegreich ab. Demselben eintreten für das gekränkte recht entsprang im mittelalter der 500jährige

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kämpf um die friesische freiheit^ Derselbe geist weht im niederläii- dischen freiheitskampfe wie in den ostfriesischen Ständekämpfen, und er lebt noch heute im anwohner der nordsee, der mit Zähigkeit am hergebracliten rechte hängt.

Woher der friesisch -chaukisclie stamm diesen sinn hat, ist klai-: die natur seiner Wohnsitze hat ihn geweckt und dauei-nd fiisch erhalten. Auf dem tiefliegenden, flachen und schmalen küstenstreif, dessen dünenwall lange vor dem beginn unserer Zeitrechnung zerbröckelt war, konte der Ingävone nur auf warften, wie noch heute der bewoh- ner der deichlosen nord friesischen hallig, und später unter dem schütze der deiche seine hütte bauen. AYarften- und deichbau sezt aber com- munale Vereinigungen voraus und ruft eine fülle rechtlicher Verhält- nisse ins leben, ohne deren sorgsame conservierung solche Wasserbauten nicht dauern können. Nur wer sich vergegenwärtigt, dass dem Friesen und Chauken die miiglichkeit der existenz überhaupt von jeher an seinen deichen und waiften hieng, wird den ingävonischen geist fried- fertiger rechtliehkeit ganz begreifen. Um den grund seiner wogenum- spülten armseligen hütte (Plinius N. H. XVI, 1) vor beschädigung zu hüten und fest zu erhalten, muste er mit den nachbarvölkern und innerhalb der gemeinde auf dem friedlichen wege des rechtes und der billigkeit auszukommen suchen. So hat dem Ingävonen die natur selbst, von der er sich ganz besonders abhängig fühlte, die tiefe ehr- furcht vor recht und gesetz anerzogen.

Im zusammenhange mit diesen erwägungen ist es mir von jeher bedeutsam erechienen, dass die Chauken als ihren hauptgott, dessen angesehenstes heiligtum sich auf Helgoland befand, den dem gericht Vorsitzenden, streit schlichtenden Forsite verehrten, den die spätere nordische mythologie zum söhne des licht- und gerichtsgottes Balder machte-. Es lag die annähme nahe, dass auch der hauptgott der Friesen ein gerichtsgott gewesen sein müsse. Da ich nun aus Ortsnamen imd gebrauchen , sowie daraus , dass gerade die ältesten kirchen der Friesen dem Schwertträger Michael geweiht sind, schliessen muste,

1) Diese meine ansieht von den freihcitskämpfen der Friesen weicht von dem resultate der forsclmngen Karls von Eichthofen ab , wie er es in den ersten drei bän- den seiner Untersuchungen über friesische rechtsgcschicbte (Berlin, 1880 82), bei deren drack ich ihm zur seite stehen dui-fte, dargelegt hat. Die ausführliche begrün- dung meiner meinung wird meine demnächst erscheinende Geschichte der friesischen freiheit bringen.

2) "Weinhold a. a. o. s. 14 fg., Scherer a. a. o. s. 576, v. Eichthofen Unters. U, 399 f gg. 434 fgg. , Grimm Myth. 190 fgg.

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dass der liaupti^ott dieses Stammes Tius gewesen, so blieb nur die Vermutung übrig, dass diese alte arisch -germanische himmelsgottheit auf friesischem boden die züge des gericlitsgottes angenommen habe.

Diese vermutumr wurde mir durch die inschriften der beiden votivaltiire von Borcovicium zui- gewissheit. Die eine lautot: Deo Marti Thingso et duabus alaesiagis Bede et Fimmilene et n(umini) Aug(usti) Germ(ani) cives Tuihanti v(otum) s(olve- runt) l(ibentes) m(erito); die andere: Deo Marti et duabus alai- siagis et n(umini) Aug(usti) Ger(mani) cives Tuihanti cunei Frisiorum Yer... Ser... Alexandriani votum solverunt liben- t[es] m(erito). Schliesslich begegnet der name „Tingsus" noch auf einem dritten steine, der in Cumberland gefunden wurde und die Inschrift trügt: Deo Belatucadro a muro sivi Tus Tingso ex cuneum [Fr]is[iorum Ger]manorum^

Die landschaft Twente, aus der diejenigen angehörigen des cu- neus Frisiorum, welche die beiden altäre errichtet haben, stamten, muss ebenso wie die Drente, nach ausweis der ältesten Ortsnamen und nach andeutungen der friesischen sage, einst von Friesen besezt gewesen sein, die dann von osten her vielfach von den Sachsen eingeschränkt und endlich von süden her durch chamavische Franken verdrängt und überflutet wurden. Die Lex Francorum Chamavorum zeigt, wie eng sich dort das leben der drei stamme berührte. Zu kaiser Alexanders zeit war der fi'iesische stamm offenbar noch im alleinbesitz jener striche, und so erklärt es sich, dass die von den Römern ausgehobenen „cives Tuihanti^ in den cuneus Frisiorum eingestelt wurden. Die damalige spräche der Twenter war also friesisch.

Die deutsche fomi des namens Thingsus, welche friesisch ..Things" lauten würde, wird von Scherer und Weinliold von dem adjectivstamm ihingsa- hergeleitet, der mittelst des secundärsufiixes -a-, welches adjectiva und appellativa bildet, die in irgend einer bezie- hung zum gnmdworte stehen (Zimmer, QF. 13, 214 fg.), aus dem neu- tralstamme thinfjsa- abgeleitet ist. Dieser neutralstamm liegt im lango- bardischen thinx (Edictus Rothari 171 fgg.) vor, welches rechtsgeschäft, gerichtliche handlung bedeutet. Ist diese ableitung richtig, so kann Things nicht mit Scherer (s. 574) als volksversamlungsgott, son- dern nur als gott der rechtshandlimgen , also nur mit Weinhold (s. 4) als gerichtsgott gedeutet werden.

1) Ich gebe die Hübnersche lesung aus der Westd. ztschr. 3, 120. Die 3. inschrift ist Ephemeris epigr. III, nr. 85 aus Bi-uco Laj^idarium scptentrionale nr. 807 mitgeteilt. Eine genaue beschreibung der altäre gibt auch Weinhold a. a. o. s. 2 fgg.

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Diese giammatisehe erkliiniii^' do^ namens „Things'' wäre olnie weiteres anziineliineu, wenn Jene altäie von einem ostg-ermanischen stamme erriehtet Avordcn wären. Da sie al)»'r von iuiesen gesezt wnr- den, so ist dorli zu bedenken, dass dt'r imese, dessen gerielitssprache wir sein- genau kennen, nielits von einem neutralstannne thinij:sa- weiss, und dass er das, was der Langobaide dureli Uiinj: bezeiehnete, flumjdth (v. Eielith. , Fries, wb. 1073) naiitc AVolte man nun aber den namen des iriesisehen Things von dem adjeetivstamm tlihifja- herleiten, der sich mittelst des secimdärsuttixcs -a- aus doni genieingerm. neutral- stamm fhitiga- „volksversamlung'' gebildet habe, so würdo man ein- wenden können, dass im Friesischen wie in allen westgerm. spiachen das consonantische auslautgesetz das auslautsende -.s sehr früh entfernt habe. Es fragt sich aber noch, ob diese entfernung des auslautenden -!s im Friesischen bereits im anfange des 3. jalu'lumderts durchgeführt war. Zur zeit des Tacitus war dies, wie der von ihm (Ann. 13, 54) überlieferte friesische königsname „Malorix'' zeigt, noch nicht der fall; nnd wenn in der angeführten 3. Inschrift „Tus Tingso" als dativ von „Tus Tingsus" betrachtet werden solP, so ist ja durch den nominativ Tus (für „Tius'') das auslautende -6- für die zeit unserer inschriften nachgewiesen. So lange also nicht für das 3. Jahrhundert der Wegfall des auslautenden -.s nachgewiesen ist, könte man immer- hin „Things'' vom stamme tliuiga- leiten. Aus dem friesischen nomi- nativ „Things" hätte sich dann der römische Steinmetz sein „Thingsus" zurechtgemacht nnd weiter deklinierend den dativ „Thingso'' gebildet. Das richtige ist, dass tliuig ursprünglich thiiigis thiiigs lautete, von dem „Things" durch das a-suffix gebildet wurde. Der friesische name „Things'' bedeutet also volksversamlungsgott.

Mit recht haben Scherer und AYeinhold das wort „Thingso" auf unseren inschriften als adjectivisches attribut zu Mars, nicht als Sub- stantiv gefasst; und da Mars die interpretatio romana des Tius ist, so müssen die Friesen den gott jener altäre als Tius Things bezeichnet haben, wobei aber mnner vorausgesezt ist, dass das auslautende -5 im 3. Jahrhundert noch vorhanden war.

Über das wesen dieses gottes haben Scherer und Weinhold ein- gehend gehandelt. Wir werden nach der besprechung der alaisiagen noch einiges über die beinamen beibringen, die Tius bei Friesen und Chauken führte.

Das inschriftliche „alaisiagis" oder „alaesiagis" zerlegte Sche- rer (s. 579) in „al-aisia-gis" und meinte, es könte zur not erklärt Aver-

1) Vgl. dazu Sclierer a. a. o. s. 575.

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den als die „algeehrten'\ wenn man aus dem einen ahd. ereöm in den Gl. Ker. 109, 36 auf ein germ. aiy'd- „die ehre^' schliessen dürfe. Diese deutung befriedigt nieht. In sprachlicher hinsieht ist es doch bedenklicli, aus dem nur einmal vorkommenden ereöm erst das wort zu erschliessen, von dem alaisiagis " abgeleitet sein soll. Nach der sachlichen seite aber ist mit der bedeutung „den algeehrten'' nichts gewonnen, denn dieser farblosen bezeichnung fehlt jede beziehung zu reclit und gericht; und doch ist es ganz unwaln-scheinlich, dass, wäh- rend die beziehung des hauptgottes zum gericht in einem besonderen beinamen klar zum ausdruck gebracht ist, die bezeichnung der beiden ihn als gerichtsgott begleitenden, tiefer stehenden weson mit keiner silbe auf eine gerichtliche function hindeuten solte.

So ereezte Weinhold die Scherei*sche deutung dui'ch eine ungleich ansprechendere. Er nahm die zweite silbe für ai (ae) „gesetz" und gewann damit die beziehung zum recht. Dann schlug er vor, „siagis" in „sagiis" zu ändern, und übersezte das so erhaltene „alaisagiis" oder „alaesagiis" durch ,,den grossen gesetzsprecherinnen." Bekantlich wird der friesische gesetzsprecher (dscga) nach der friesischen sage (v. Richt- hofen, Unters. II, 459 fgg.) durch unmittelbare belehrung eines gottes (es), in dem AVeiiihold richtig den Tius Things erkante, in die kentnis des rechts eingeweiht, sodass er als diener und priester des Tius aufgefasst werden kann, zumal der Zusammenhang zwischen dem gesetzsprecher- amt und dem priestertum in mehreren älteren deutschen benennungen für richterliche beamte klar angedeutet ist. So erklärt denn Weinhold (s. 12) die „alaisiagae" oder, wie er ändert, „alaisagiae" für solche gesetzsprecherinnen , '^cdsagjcms, „die des grossen gerichtsgottes Tius Tiggs gehilfinnen sind, gleich wie der '^aismjja neben dem richtor stand, um den urteilenden männern der gerichtsgemeinde das göttliche recht zu lehren"; kurz, die beiden alaisiagen sind ihm die göttlichen Vorbilder der asegen.

Gegen diese ungemein ansprechende auffassiuig der alaisiagen als Vorbilder der asegen lässt sich sachlich nichts einwenden. Was die sprachliche seite betrift, so Avird zugegeben werden müssen, dass in der zweiten silbe das wort ai (ae) „gesetz" vorliegt, aber „siagis" in „sagiis" zu ändern scheint mir nicht möglich, da beide inschriften, die, wie die form „akesiagis" neben „alamagis" zeigt, in ihrer ortho- igsraphie nicht von einander abhängen, „siagis" haben. Ich lege daher füi' meine deutung das inschriftliche „alaisiagis" zu gründe, das ich versuchen wil^ aus dem vorstell ungskreise und der spräche der Friesen zu erklären.

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Auch der Friese brachte seinen gesetzspreclier, den asega, in die engste beziehung zum priester. Die 3. unter den siebzehn algemeinen küren vedangt vom asega, der alles recht zu wissen hat (tenetur scire umnia iura), dass er gerecht und unparteiisch urteile, „quia asega significat sacerdotem, et ipsi sunt oculi ecclesiae et debent iuvare et viam ostendere, qui se ipsos nun possunt iuvare" (v. Riclit- hofen, Unters. I, 34, Fries, rechtsqu. 4 fgg.)- In diesen werten ist die Vorstellung, die sich der Friese von seinem asega machte, klar ausge- sprochen: asega und priester, ursprünglich identisch, sind die äugen der Christenheit; alle übrigen sind blind und können daher den rech- ten weg nicht finden. Darum müssen sie von den sehenden, dem asega und dem priester, unterstüzt und zurechtgewiesen wTrden. Den schärfsten ausdruck hat dieser friesischen auffassung der sehr alte Küstringer text der küre gegeben. Wenn der asega, heisst es hier, sich bestechen lässt und dessen überführt wird, „sa ne hach hi nenne doni mar to delande, thruch tliet tlii asega thi biteknath thene prestere; h wände hia send siande, and liia skilun wesa agon there heliga kerstenede; hia skilun helpa alle thani ther hiam selvon nauwet helpa ne mugun" (v. Kichthofen , Fries, rechtsqu. 7, 19). Der Friese legt, wie man sieht, alles gewicht auf das sehen des rechtes; und das konte nicht andei"s sein, da der friesische asega nur gefragt und besonders aufgefordert das recht w4es, nicht, wie der isländische iQgsogumadr, regelmässig vortrage über das gesetz, die iQgsaga, hielt. Der gesetzes- vortrag, die *aisaga, trat dem Friesen in der vorstellimg vom asega volständig hinter das schauen, d. i. wissen des rechtes, die *ama^, zurück. Wenn also in den beiden alaesiagen die göttlichen Vorbilder der asegen zu erblicken sind, so müssen unter ihnen nach friesischer auffassimg göttimien gedacht werden, denen die "^cd-sla in volkoni- menem grade und dauernd eignet, also lüclit „gesetzsprecherinnen", sondern „gesetzseherinnen." Daher kann das wort meines erachtens nur aus cd, dem zur Verstärkung des wortbegriffs vorgesezten adjec- tivum, und "^aisiag- zusamiuengesezt und lezteres von '^aisia „gesetz- sehen", „ gesetzeskiQide " durch das adjectivsuffix -ga (ICuge, Stam- bildungslehre §§ 202 u. 207) gebildet sein, sodass also '^cdsiag- „mit dem recht-sehen, der gesetzeskunde behaftet'' und alcdsiagis „den erhabenen rechts eh er in neu'' bedeutet. Die alaisiagen sind also die gehilfinnen des friesischen hauptgottes Tius Thmgs, welche das

1) Vgl. Y. Eichthofeu, Altfrics. wörtcrb. s. 1010 unter sia und die dem Sub- stantiv *5i« analoge bildung hera (gehör, hören) s. SlO.

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gesetz schauen und daher stets und volkommen wissen, die erha- benen ffesetzseherinnen, und damit das echte vorbild der friesischen

b

asegen.

Was bedeuten nun die namen der beiden gesetzseherinnen?

Die Bede fasste Scherer als „die personiticierte bitte, d. h. auch gebot, befehl''; ,,zum bodthing habe bei den Friesen eine ladung (beda „bitte'', später bod „gebot'') statgefunden " (Mars Thingsus s. 579, "Westd. ztschr. 3, 292). AVeinhold sezt Bede = Beda und identificiert diese Beda mit ahd. ßiota (fränk. Bio da, Förstemann, Altd. namenb. I, 265). So erhält er die bedeutung „die gebietende, zum ding for- dernde." Dieser deutung, die auf der annähme, dass Beda = Beda sei, ruht, steht ein schweres sachliches bedenken entgegen. Yom laden zum Thing spricht nämlich keine friesische rechtsquclle, wenn sie die teile des friesischen ihlmja (placitare) aufzählt. Deren gibt es lediglich zwei: die Verhandlung (duorum allegationes, twira tale) und das urteil des äsega (asega-iudicium, asega-dom, Kichtli., Unterss. I, 39, Fries, rechtsqu. 26 fg.). Solte also eine göttin des gerichts von etwas den namen haben, was gar nicht zum gerichte gehörte und, fals es vorkam, für den begriff des gerichtes unwesentlich war? Zum laden hätte es überdies keiner besonderen gesetzeskunde bedurft, sodass es mir nicht denkbar scheint, dass die erhabene rechtseherin davon ihren namen erhalten haben solte.

Was Scherer und Weinhold zu ihren erklärungen veranlasst hat, war die unzweifelhaft richtige bemerkung Heinzeis, dass die namen Bede und Fimmilene auf die friesische Unterscheidung zwischen bod- und fimelthing hinweisen. Nun bezeichnet aber „bodthing", welches gebotenes Thing " bedeuten soll , öfters gerade das ungebotene " ge- richt (Grimm, RA. 827). Man Avird also zugeben müssen, dass das wort „bodthing" entweder überhaupt nicht oder wenigsens nicht ursprüng- lich „gebotenes Thing" bedeutet haben kann. Yon diesem werte kann man nicht bei der deutung des alaisiagennamens Bede ausgehen; aber sachlich stehen „Bede" und „bodthing" im engsten zusammen- hange, und aus der sache werden sich weiter unten beide werte erklären.

Mehr Schwierigkeiten als Bede machte den beiden gelehrten der name Fimmilene. Scherer (s. 579) erklärte mm für eine unorganische Verdoppelung, sezte dann got. "^Fimilö an und wolte das wort an das altn. fiinr „gewant", „geschickt" anknüpfen. „Dem befehl", sagt er, „stünde dergestalt die geschickte ausführung gegenüber, und die beiden algeehr- ten oder ehre besitzenden und daher ehre verleihenden wären zwar

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üicht walküi-en, aber göttinnen oder genien der discipliu. welche den Tius Things sehr passend begleiten würden: ehre wird durch den zweckmässigen befehl und dessen geschickte ausführung erworben** (s. 580). In dem vortiage vom 29. mai wies er dann noch besonders auf das fimelthing als das bewegliche gericht der Friesen hin (Westd. ztschr. 3. 293). Dafür, dass mm eine unorganische Verdoppelung ist, spräche allerdings, dass das wort fimelthing im friesischen schulzen- recht mit einfachem m geschrieben ist: doch ist der text desselben so mangelhaft überliefert, dass darauf nicht viel zu geben ist. AVichtiger scheint mir. dass die mit jenem alaisiagennamen zusammengesezten Ortsnamen, über die unten zu handeln ist, auch nur ein m haben, und deshalb halte ich ebenfals juin für eine unorganische Verdoppelung. Aber die deutuug Scherers halte ich trotzdem für luu-ichtig. Denn der blassen bedeutung „die geschickte" fehlt ja die beziehung zum gericht, und wie gewunden ist der weg. auf dem Scherer dieselbe mit dem algemeinen begriff ..die algeehrten" iu verbinduni:' bringt!

Weinhold, der diese erklärung mit recht verwirft, leitet aus Fim- milene einen nominativ Fimmila ab. Er fasst das inschriftliche ,.Fim- milene " ebenso wie ..Bede*' als lat. dativ. Es ist aber schwer glaub- lich, dass eine römische Inschrift aus dem anfange des 3. Jahrhunderts, die sonst die korrekten endungen hat, gerade bei diesen zwei Wörtern statt der endung ae ein e gesezt haben solte. Es scheint vielmehr bei diesen beiden namen die lateinische tlexinn unterblieben zu sein, sodass dieselben im nominativ ..Bede" und ..Fimmilene" gelautet haben werden. Dem würde nun freilich die von AVeinhold nach Wackernagel augeführte regel wider.sprechen. dass ..im ersten halbjahrtauseud des mittelaltei*s" bei der deklination deutscher namen, welche schwache feminina (nom. -d) sind, die casus obliqui nicht selten durch verbin- dimg eines ableitenden an mit den endungen der lateinischen deklina- tion hergestelt werden \ sodass also der nominativ von Fimmilene "^ , welches für ..Fimmilane** stehe, ..Fimmila" sei. Xun hat aber ATacker- nagel jene regel aus beispielen des 5. bis 8. Jahrhunderts abgezogen, sie kann cüso streng genommen erst seit dem 5. Jahrhundert zu gelten begonnen haben. Dass sie zu kaiser Alexandei*s zeit nicht galt, lehrt überdies die neben ..Fimmilene" stehende form ..Bede.** Warum hieb

1) ^\'aekernagel , Sprache imd spraelidenkmäler der Bui-giinden s. 43; bestäti- gimg fand er bei d'Ai'bois de Jubaiavüle Etüde öur la dechnaisou des noms propres dans la langue fi'anque a l'epoque merovingieime s. 44 fgg. und Fr. Blulinie Gens Lan- gobai-doiimi heft 2. s. 29.

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denn der Steinmetz nicht auch „Bedene" ? Aus keinem anderen gründe, als Aveil seine friesischen auftraggeber die eine alaisiage eben Bede, die andere Fimmilene nanten.

AVeiDhold hält nun (s. 13 fg.) „Fimmila" für eine doppelt hypo- koristische namenform, die von Frithumod „die friedebegehrende'' oder von Frithumund „die friedeschützerin" ebenso gebildet sei, wie die friesischen namen Temmel, Gammel, wie die kosenamen Kemmulo, Cuffolo, Oppila, Hibbelo und andere. „Der name Frithumund sei für eine rechtsgöttin , welche durch ihre belehrung Streitsachen zum end- lichen austrag bringt, wol geeignet.'' Bedenklich ist hierbei, dass weder Frithumod noch Frithumund den Friesen geläufige frauennaraen waren, dass das femin. „Fimme", von dem ,,Fimmila'' abgeleitet sein soll, sich nicht belegen lässt und dass die drei durchgangsformen Feddma, Ferdma, Fred Dia auch nur erschlossen sind, dass sich also nirgends ein fester anhält bietet. Von den angeführten analoga sind die Salzburger namen des 9. Jahrhunderts Kemmulo und Cuffolo nach Stark (Kosenamen der Germanen 14:3) vielleicht keltisch, Hibbele begegnet erst im 14., Temmel und Gummel erst im 17. Jahrhundert. Auch das masc. „Fimme", „Femme'' ist erst seit dem 17. Jahrhundert nachweisbar. Solte sich also ein name „Frithumund" auf friesischem boden zum kosenamen umgebildet haben, so hätte er im 17. Jahr- hundert erst bis zu „Femma" gelangt sein können, aus dem sich dann erst „Fimma" und „Fimmila" hätte bilden müssen. Der alai- siagenname „Fimmila" ist aber schon im anfang des 3. Jahrhunderts fertig. Dazu scheint mir die bedeutung friedeschützerin " noch zu algemein zu sein, da sie keinen hin weis auf eine specielle gericht- liche tätigkeit enthält, wodurch doch erst das Verhältnis der Bede zur Fimmilene klar Avürde. „Friedeschützend" konte jede gerichtsgottheit genant werden, Things und Bede ebenso gut wie Fimmilene. Schliess- lich ist es doch sehr unwahrscheinlich, dass die Friesen eine göttin, zumal eine gerichtsgöttin , mit einem doppelt hypokoristischen namen angeredet haben selten.

Es bleibt somit von den bisherigen versuchen, die beiden alai- siagennamen zu deuten, als ganz sicher nur Heinz eis bemerkung bestehen, dass sie auf das friesische bod- und fimelthing hinweisen. Das gegenseitige Verhältnis dieser beiden thingarten muss also zu- nächst ins äuge gefasst werden. Vom bod- und fimelthing spricht unter den zahlreichen friesischen rechtsaufzeichnungen nur eine, das sogenante westerlauwersche schulzenrecht, welches in Mittelfriesland, dem ältesten sitze des Stammes, im 11. Jahrhundert abgefasst worden

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ist^. Hier heisst es in § 25, dass die Sachen, welche im bodthing niclit zu ende gebraclit werden konten, im fimelthing zu ende zu bringen seien, und in § 29, dass diejenigen, welche bod- und fi- melthing gehalten haben, nachher in demselben jähre nicht noch des königs bann zahlen düifen (v. Richthofen, Fries, rechtsqu. 391). Es han- delt sich hier um das vom königlichen grafen alle vier jähre unter königsbann gehaltene bod- und fimelthing. Das aber düit'cn wir wol auch t'iii- die vorfränkische heidnische zeit, in der einheimische könige über den Friesenstamm herschten, aus dem schulzenrecht ent- nehmen, dass das fimelthing nach dem bodthing statfand, und dass die im bodthing nicht zu ende geführten Sachen im fimelthing zum austrag gebracht wurden. I^'ach § 25 liegt nur die gewöhnliche nacht- frist zwischen beiden thingarten, sodass sich wol in Wirklichkeit manch- mal bod- und fimelthing zu einer einzigen gerichts verhandlang gestal- teten, von welcher die ersten etmele etmel (v. Richthofen, Altfries, wb. 722, 918) hiess den Friesen der für das gerichthalten bestimte natür- liche tag, die frist von sonnenauf- bis Sonnenuntergang das bod- thing, das lezte oder die lezten etmele das fimelthing bildeten. Yon den zwei stücken, die der Friese bei jedem gerichtlichen verfah- ren untei'schied , der verhandhing der beiden streitenden parteien (duo- rum allegationes, twira tale) und dem die bussen festsetzenden urteile des asega (asega-iudicium, äsega-dom) fiel also dem bodthing das erste, der „rechtsstreit", dem fimelthing die fortsetzung desselben und das urteil oder nur das urteil zu. Yerhandelt konte sonach in beiden thingarten werden, aber das ursprüngliche und daher für die vorchristliche zeit die regel wird wol gewesen sein, dass im fimel- thing das urteil gefält, im bodthing der streit geführt warde. Daher muss man von vorn herein erwarten, dass in dem namen der alaisiage „Bede" als der patronin des bodthings, eine hindeutung auf den gerichtsstreit, in dem namen der alaesiage Fimmilene, als der patronin des fimelthings, eine hindeutimg auf das die bussen aus- sprechende urteil sich findet.

„Bede" bedeutet nun aber nicht kämpf, es fragt sich daher, ob der name vielleicht früher anders gelautet hat. Dies ist in der tat der fall. Eine stelle in dem berichte des Tacitus (Ann. 4, 73) von der friesischen erhebung des Jahres 28 schliesst über die ältere form des namens der alaesiage Bede jeden zweifei aus. Er erzählt hier, dass

1) Es kent noch nicht die im 11. Jahrhundert in Friesland sich verbreitende markrechniing ! Vgl. meine abhandhiug über das fries. pfund und die fries. mark in der Berliner ztschr. für numism. XII, 144 fgg.

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der römische feldherr, als er nach einer verlustvollen schhicht das frie- sische land zu räumen beiiauu, von ühi'rliiutern erfuhr, dass die Frie- sen 900 Komer „apud lucum quem Baduhennae vocant/' vernichtet hätten. Der uame dieser friesischen ,i;üttin gehört, Avie sein zweiter bestandteil -henna zeiirt, der form nach zu den namen der auf römisch -ü-ermanischen inschriften aus dem Eheinhmde so liäufii^: gonan- ten matronen, wie Albia-henae (Brambach C. I. Rhen. 551 554), Alhia-henae (a. a. o. 1722 add.), Nersi-henae (621)), Vesunia-he- nae (542, 580 584), Gesa-heua (330, Ü17), Ettera-henae (577, 617) oder Etra-ienae (616), Cesa-ienae (613, 616), Aumena- ienae (343), und zu namen wie Nelial-ennia (24, 27 30, 32 44), und zu dem auf unserem votivaltar genanten Fimmil-ene. Diese inschriftlich erhaltenen namenfurmen beweisen, 1) dass das h und die Verdoppelung des it im namen Baduhenna unorganisch, nur vom römischen munde eingeschoben ist, und 2) dass, wie schon Mül- lenhoff (Ztschr. f. d. a. 9. 241) gezeigt liat, der name nicht com- poniert ist, das -henna also gar nichts bedeutet. Er muss zu des Tacitus zeit „Badu-ene'' oder fliesisch geschrieben „BadAvene" gelau- tet haben. Da nach einem friesischen lautwandlungsgesetze a zu e wurde, und da das wie das englische iv gesprochene tu hinter d leicht ausfallen konte, wandelte sich „Badwene" zu „Bedene", das sich dann zu Bede verküi'zte, wie „Fimilene" zu „Fimile." Da nun -ene nur das germ. femin. suffix int (aus -injo-) sein kann (Kluge, Stam- bildungslehre § 41), so hiess die alaisiage vor Tacitus zeit „Baduine" oder ..Badwine" und die andere alaisiage „Fimiline.^' „Badwine'' ist nun das femin. zu altfr. */ja(hca = ags. badva (pugilj = ahd. ^la/o; und dieses ist von badii gebildet, welches auch im friesischen eigen- namen Badu-nat vorliegt (Crecelius, Collectae ad äugend, nominum propr. Saxonicorum et Frisiorum scientiam I, 19, 21, 22, 24, 25); und das altfr. badu = got. *badu = ahd. j^a^?.^ (neben ^x^/«) -= ags. bcado = altn. boß bedeutet streit (pugna)i. Die alaisiage Badwine oder Bede ist also die kämpferin (pugnatrix). Als dienerin des ge- richtsgottes ist sie daher die über dem gerichtsstreite w^altende imd darum die patronin desjenigen things, dessen gegenständ der gerichts- streit ist. Und da der äsega vermöge seiner kentnis des gericht- lichen Streitverfahrens und der belehrung, die er darüber gibt, der geistige lenker des Streites im bodthing ist, so ist sein göttliches Vor- bild, die alaisiage Bede, die göttliche Personifikation der rechtskunde,

1) Vgl. J. Grimm, D. G. U% 423, 460, 537.

BKDE UND ILMMILRNE 269

die das beweisvovfalircii im sti-citdin^i;-, also den streit übeiiiaupt, leitet. Diese wortbedeutiiu^- stimt somit fj^enau zu der tätigkeit, die wir von vorn lierein d(^]' Bede als dtM" idcnlcn Ifitcrin <]o'> bodtlnn^^'S beilegen mnsten.

Jezt düifte sieb das rätsei, welcbes der name ,, bodtbin^;" auf- gibt, hisen. J. Grimm (R. A. 827) eikliiite die aulTallende ersebeinung, dass an einigen orten gerade das ungebotne geriebt bodtbing genant wird, dureb die annabme, dass entweder biei' hof (b\s ein fiii- allemal angesagte geriebt bedeute, oder dass aueb (Um algemeinen volksgerieb- ten bin und wider eine Verkündigung vorausgieng, ebne welebe sie ausgesezt und unbesucbt geblieben wären, Avie namentlieb in Fri(^sland. Diese erldärung können wir im anscbluss an das oben ausgefübrte durcb eine einfacbere ersetzen. Wie dem alaisiagennamen Fimiline das fimeltbing antwortet, so muss dem alaisiagennamen Badwine oder Bede ein badutbing oder bedtbing entsprocben baben. Das wort heiJthhi(j muss nun der Friese, als das wort hadu (kämpf) seiner spraebe verloren gegangen und die alaisiagen mit «leni beidentum ver- scliAvunden waren, niebt mebr im stände gewesen sein richtig zu deu- ten; er konto es nur als „gebotenes tbing" fassen, was bcdthing ja auch bedeuten konte. In Mittelfriesland wurde übrigens in späterer zeit aus dem Avorte hedtlwig oder hedding nach einem rein laut- mechanischen gesetze hodding oder hodthing. Aber dieses im AVe- sterlauwerschen scbulzenrechte neben dem fimeltbing genante bodtbing hat mit dem „gebotenen" gerichte ursprünglich nichts zu tun, sondern es war eigentlich ein hedtliing, d. i. ein hadu-thing „streitgericht." Wahrscheinlich sind auch gar manche bodthinge anderer deutscher gegenden alte baduthinge.

Den namenformen Bede, Bedene, BadAvine entsprechen die formen Fimile, Fimilene, Fimiline. Es muss nun Fimiline das mit dem suffix ini gebildete femin. zu dem mascul. *fimil sein. In diesem "^fimil aber muss, wie wir sahen, eine hindeutung auf das die bussen festsetzende urteil liegen. Daher kann das Avort fhnil oder, Avie es später heisst, fmiel nur von der Avurzel, die in altfr. *fime, später ferne (v. Richthofen, Altfr. Avörterb. 732) = got. "^finm = mhd. veme (Verurteilung, busse, 7toLvt), poena) vorliegt i, diu'cb das suffix -ila gebildet sein, welches intensive nom.-agent. bildet und nament- lich in den bezeichnungen gerichtlicher beamten erscheint (Kluge,

1) An einen Zusammenhang zwischen fimolthing und feme dachte schon J.Grimm, E. A. 838. Wegen feme A'gl. Grimm, J). AV. III, 151ß und Schmeller, B. W. I, 718.

270 JAEKEL

Stambiltlungslelire § 18), wie in ags. pe/n/el = an. ])ef/(/eU, ags. fen- gel, strengeL ags. hydcJ , ahd. l)Htil , alid. ircihil, (l?refi(/il usw. Das masc. ^fimil bedeutet also „der strafende'' (ultor) und Fimiline „die strafende", „die rächeriu" (ultrix). Sie ist das göttliche Vorbild des asega in demjenigen gericlite, in Avelchom er die bussen tindet, also als „fimil" fnngiert, die göttliche personitikatictn der gesetzeskunde, vermöge deren der asega ein gerechtes bussurteil zu weisen vermag.

"Wie mit dem walton der Bad w ine das gericht der Friesen anhob, so erreichte es mit dem walten der Fimiline sein ende. Denn mit dem „rechtsstreit" begann, mit der „bussauflegung'' schloss das gericht- liche verfahren der Friesen. Beide teile desselben stehen nach dem glauben des volkes unter dem walten besonderer gottheiten, der erha- benen gesetzseherinnen.

Der ausreführten stelle des Tacitus verdanken wir die künde, dass der alaisiage Badwine im Friesenlande ein hain (lucus, altfr. 16) geheiligt war. Dies allein würde uns schon bereclitigen, von der ande- ren alaisiage dasselbe anzunehmen; und erinnert man sich an Tac. Germ. 9 ,,lucos ac nemora consecrant deorumque nominibus appellant secretum illud quod sola reverentia vident", so wird man es für wahr- scheinlich halten, dass auch die fiiesischen Tius-heiligtümer ursprüng- lich in hainen bestanden haben, Avas durch mehrere friesische Ortsnamen bestätigt wird.

"Wo das hauptheiligtum des friesischen Thius Things lag, ist zwar nicht überliefert; doch kann meines erachtens kein zweifei darüber obwalten, dass es sich am Flistrome in Alm um oder Alme- num befunden hat, einem dorfe, das 1580 in den stadtwall der an der Zuidersee gelegenen Stadt Harlingen eingeschlossen wurde. Seine dem Schwertträger Michael geweihte kirche war eine der ältesten, vielleicht die älteste im friesischen stamlande (v. Richthofen, Unterss. II, 236 fg.). Sie stand in naher beziehung zu der ebenfals dem Schwertträger Michael geweihten, schon im 8. Jahrhundert vorhandenen Friesen- kirche zu Rom, wie aus der friesischen Magnussage hervorgeht. Nach dieser wurden die Friesen zu Rom von Karl dem Grossen und Leo III. mit Vorrechten und freiheiten begabt und die ihnen darüber ausgestelte Urkunde, welche das gesamte friesische recht enthielt, von dem fahnenträger der Friesen Magnus nach Almenum gebracht und in der dortigen Michaeliskirche niedergelegt i. Die rechte

1) Au.sführlicheres über die sage gibt v. Riclithofen Unters. II, 235 fgg. , der aber ihren sinn nicht erkaut hat.

BEDE UND FIMMILENE 271

und gesetze des Stammes Avurdeu also unter <lie o])liut des Schwert- trägers Michael zu Almen um gestelt, woraus mit Sicherheit zu schliessen ist, dass in hoidnisclior zeit d(M* das reclit und die gesetze des friesischen Stammes hütende Schwertträger Tius Tliings seinen hauptsitz zu Almen um hatte.

Dass diese deutung der Magnussage i-ichtig ist, beweist auch der name Almen um. „Almenum^', seit dem 13. Jahrhundert zu „Almum" zusammengezogen (v. Richthofenil, 235 anm. 2), ist aus „Almeginum" und dieses aus ,, Al-magin-liem'' entstanden. Der Ortsname bedeutet also ,,Heim des AI mächtigen." Dadurch ist erwiesen, dass Tius der Al-magin Es, d. i. der hauptgott, der Friesen gewesen ist. Dadurch ist ferner erwiesen, dass niemand anders als der in Almen um thronende „Al-magin" selbst der friesische fahnenträger „Magnus" ist, der nach der friesischen sage die gesetze der Friesen nach Almenum bringt. Dann aber ist klar, dass, wie der Magnus der sage fahnenträger und gesetzeshüter in einer person ist, so auch der friesische liau])tgott Tius als heerführer und gesetzeshort zu fassen ist, mit anderen Wor- ten, dass den Friesen ihr hauptgott gott des krieg es und gott des rechtes zugleich war. Yermöge dieser doppelnatur ist er Schützer und leiter sowol des heeres als der volksversamlung.

AVo der von Tacitus erwähnte lucus Baduhennae lag, ist eben- falls nicht überliefert, doch muss er östlich vom Flistrom gesucht werden. Denn der aufstand von 28 n. Chr. brach in der nähe des römischen kastels Flevuni aus (Ann. IV, 72), welches am Flistrom lag, und der römische feldherr erfuhr, als er von hier nach einer unglücklichen schlacht den abzug begann, dass 900 Kijmer bei jenem hain erschlagen worden seien. Die art, wie Tacitus seiiie angäbe über den ort des gemetzeis macht, deutet darauf hin, dass dieser Badwine- hain ganz besonders bekant war. Da er ferner schon zu Tacitus zeit eine ortsbezeiclmung abgab, liegt der gedanke nahe, dass er in einem orte zu suchen ist, dessen heutiger name aus „Badwine" und „10" gebildet sein könte. Daher möchte ich glauben, dass er an der uralten, heiligen gerichtsstätte Bafflo, dem mittelpunkt des friesischen landes zwischen Laubach und Ems gelegen war. Sie hiess noch im 11. und 12. Jahrhundert Bathlon undBaflon (Crecelius 12, 15, 16, 19, 31), zwei formen, die sich nur aus "Badwlon" oder „BadulOn" erklären lassen.

Es gibt im westerlauwerschen Friesland keinen Ortsnamen, der von dem alaisiagennamen Fimiline gebildet wäre, wol aber vermag ich zwei derartige Ortsnamen aus dem ostlauwerschen Friesland aufzu- weisen.

272 J AEKEL

Im Moormerlande, also auf altchaukischom bodcn, etwas östlich von Leer, verzeiclinen ältere karten ein r»rteheu Fimel, das bereits in dem ältesten, im 10. und 11. jahrliundert zusammengeschriebenen güter- vei-zeichnis der abtei Werden begegnet, die in Ostfriesland „in Fimi- lon'' ein kleines ackei-stück besass (Crecelius 23). Der name lässt sich nur aus „Fimile" und „hV deuten.

Ein anderes Fimel liegt bei Termunten im Fivclgauer Oldampt hart am Dctllart. Es Avird in einem zeugenverhör von 1565 genant, wo ausgesagt ist, „dat anno 1525 de nye summerdyck van Fimel na der Swaghe (Schwage, jezt vom Dollart überflutet, v. Richthofen II, 875) gemaeckt is" (Dri essen, Mon. Groning. s. 446).

Es ist eine bisher unl)ekante tatsache, dass die heidnischen Frie- sen nicht nur nach den beiden alaisiagen Badwine und Fimilino, son- dern auch nach ihrem hauptgotte selbst eine thingart benant haben, und zwar die höchste gerichtsversamlung, das gericht, welches die volksversamlung bildete, also das liud-thing. Die namen einiger friesischer gerichtsstätten bew^eisen dies und lehren uns noch einige beinamen des Tius kennen.

Im osttriesischen Overledingerlando nent das älteste Wordener register widerholt einen ort „Badunathashem", der in dem nächst- ältesten register „Badanasthorp" heisst (Crecelius 19, 21, 22, 24, 25). :N'ur in diesem Ortsnamen ist der sonst nirgends begegnende name Badunat kampfgenoss ^' erhalten, neben dem namen „Baduhenna" der einzige beweis, dass die friesische spräche einst das wort badu für streit, kämpf kante. Der ortsname ist in keinem der heutigen zu erkennen; doch ist die läge des ortes gesichert, da er in dem register zwischen Drie- ver und Geidun. d. i. Ihrhove, ein anderes mal mit Frithunathasthorp bei Ilirhove genant wird. Er lag also, wie das ebenfals verschwundene Frithunathasthoi-]), bei Ihrhove, und zwar an der stelle des heutigen Tjüchen. In diesem Badunathashem hiess noch im 10. und 11. Jahr- hundert eine lokalität Tiuding und hiernach ein stück der feldmark Tiuding tiochi (Crecelius 25). Da „Tiuding" -kein fi-iesisches patrony- mikon sein kann denn „Tiud" ist weder ein friesischer name noch der teil eines solchen , kann das wort nur als Tiu-ding „Tiu-ge- richt'^ erklärt werden. Dieser friesische flurname besagt also dasselbe wie der dänische ortsname Tyrsting und der jütische gauname Tys- thing oder Tyrsting. Schon Finn Magnussen hat (Lex. mythol. 759) dieses Tyrsting richtig als „Tyris forunr' erklärt.

Wurde aber in Badunathashem ein Tiu-thing gehalten, befand sich al.so daselbst auch ein heiligtum des Tius, so war Badunathas-hem

BEDE UND FIMMILENE 273

das heim des Tius selbst, d. i. Badunat „der kampfi>enoss " ist Tius selbst. In ,,Badunat'' wird man tlemnaeli den namen zu sehen haben, den Tius als kriegsgott der Cliauken und Friesen führte. Kr erin- nert an den Saxnot schwertgenoss '^ der Sachsen, den Saxneat der Angelsachsen. Da „Badunat'' name eines heidnischen gottes war, wird es erklärlich, dass der so oft genante, sehr ansehnliche oi-t Baduuathas- Ihmu nicht mehr zu finden ist. Die christlichen priester werden ihn umgetauft haben. „Badunäf bezeichnete die kriegerische seite des Tius, wie „Things" die gerichtliche. Offenbar erschöpfen die gericht- lichen funktionen nicht die friedliche tätigkeit Tius; es kann also „Things" nicht als der volle gegensatz von Badunat angesehen weiden. Dem „Badunat" entspricht genau genommen nur ein „Frithunat." Nun lag neben Badunathashem ein ort Frithunathasthorp; es wohn- ten hier also wirklich Badunat und Frithunat neben einander. Drängt sich da nicht die Vermutung auf, dass Tius hier zwei heiligtümer neben einander hatte und er in dem einen als kriegsgott „Badnnat", in dem andern als friedensgott „Frithunat" verehrt wurde? Frithu- nathasthorp lässt sich heute ebensowenig finden wie Badunathashem; es mag in christlicher zeit ebenfals umgetauft worden sein, weil Fri- thunat der name eines heidnischen gottes war.

Das Tiu-thing in Badunathashem steht nicht vereinzelt. Nach dem nächstältesten Werdener register besass das kloster einkünfte in einem friesischen orte Tiudingi „am Tiu-gericht" (Crecelius 12 und 16). Diese ansiedelung am Tiugericht liegt im Hunsegau, und zwar im heu- tigen orte Leens in der Marne; sie besteht aus zwei wierden, die noch in diesem Jahrhundert „Tiunster wierden" und „Tiiinster-warve" genant wurden, jezt aber als Leensterwierde " zusammengefasst wer- dend Sie gehören zu Leens, dem alten „forum Lidense", der alten haupt- und gerichtsstätte der Marne (v. Richthofen II , 844), wo das Uud- thing dieser landschaft gehalten wurde. Jenes register nent wol Tiu- dingi, nicht aber Lidenge, weil eben Tiudingi und Lidenge einen und denselben ort bezeichnen. Hier liegt also die Identität von liud- thing und Tiu-thing zu tage.

Da Tius den Friesen hauptgott, der almagin es oder es zar' t^oyrjv war, bezeichneten sie das Tiu-thing auch als Es-thing. Die- sen namen trug z. b. die gerichtsstätte des Middogsterlandes , welche noch im 14. Jahrhundert „Esdingum" und „Esding", heute Ee singe

1) Ygl. vau der Aa, Aardrijkskvmdig Woordenboek der Nederlande unter Leensterwierde."

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 18

274 JAEKEL

(v. Riehthofen II, 796) heisst, sodass als ursprüngliche friesische iiamenform Es-thingi „am Esthing" anzusetzen ist. Ein Estliing wurde aucli beim dorfe Eisinghusen im Emsigerlande gehalten. Der ort heisst noch im 15. Jahrhundert ,,Esing-husum'' (v. Riehthofen II, 1164). Dass dies aus ,,Esthing-husum" „bei den luiusern des Esthing'' entstanden ist folgt auch daraus, dass der ort im ältesten Werdener i-egister noch den namen Tius-hem (Crecelius 12) fiilirt, doi't also ein Tiusheiligtum stand, an dem ein Tiu- oder Esthing gehalten wurde. In christlicher zeit wurde der name „Tiushem" diu'ch den weniger heidnisch klingen- den ^Estlung-husum'* verdrängt.

Bei der alten heiligen gerichtsstätte BafFlo liegt ein Örtchen Saxum, ein zweites Saxum liegt bei dem Es-thing des Middogsterlandes und ein drittes Saxum betand sich neben der jezt vom Dollart überfluteten reiderländischen gerichtsstätte Bedding-hem (v. Riehthofen II, 1191). Im westerlauwei-schen und ostemsischen Friesland gibt es keinen der- artigen Ortsnamen. Jener name „Saxum" heisst in der ältesten form Saxinghem (Crecelius 12, 14, 18; Dronke, Tradd. Fuld. s. 48). Dadurch ist es ausgeselilossen, bei dem Ortsnamen an den volksnamen der Sach- sen zu denken. Mir scheint nun auch dieser Saxing, der sein heim an friesischen gerichtsstätten hat, Tius zu sein, und ich halte den friesischen Saxing somit für einen und denselben gott wie den säch- sischen Saxnöt, den angelsächsischen Saxneat. Tius als steiiischwert- oder Steinbeil träger war ja dem heidnischen Friesen eine geläufige Vorstel- lung, wie die schöne sage vom ursprimge des friesischen rechtes be- weist. Ihre älteste fassung, die westerlauwersche , lässt den Tius als Es mit goldenem beil (fries. axe = got. aquizi) auf der scbulter auftreten (v. Riehthofen II, 462). Er hiess daher den Mittelfriesen Axing und seine wolmstätte Axenc-hove, Axing-hove oder Axingi, heute Aaxens im Westergau südlich von Bolsward (v. Riehthofen II, 430).

Auffallender weise finden sich im östlichsten Friesland keine gerichtsstätten, deren namen mit ,,Fimile", „Bede" oder „Tius" zusam- mengesezt wären. Hier trugen die gerichtsstätten ganz andere bezeich- nungen. LeluTcich sind hierfür die namen dreier neben einander lie- genden gerichtsstätten des Brokmerlandes: Barsted e, Bangstede und Öchtelbuhr, oder, wie sie im 15. Jahrhundert heissen (v. Riehthofen II, 1170, 1207, 1208), Berstcde, Bangkstede und Öchtleburen. Ber- stede ist aus here „klage, Vorgericht", Bankstede aus bank, henk „bank" und siede „statte" componiert. Dass diese „bankstätte" und „klage- stätte" gerichtsstätten waren, folgt aus § 178 des Brokmer briefes: thisse benethe (moidklage) sJiel ma dua ujyer bere and uper benke

BEDE UND fim:milene 275

(v. Eiclithofen, Fries, rechtsqu. 176, 27). Baiigstede hat hicmacli seinen namen otfenbar von der gericlitsbank. Das wort here, bare „klage", von dem Berstede seinen namen führt, hängt nicht, wie von Rioht- hofen (Altfries, würterb. 618) ghmbte, mit ahd. bar, 2mr()n zusammen, sondern gehört zum altn. bcrja, ags. berjan ,,sehh^geii, kämpfen" (Fick, Yergleicli. wb. der indogerm. sprachen I-"^, 695), und dadui'ch ist erwie- sen, dass das fiiesisclie bere, bare ursprünglich den rechtsstreit, „Bere" oder „Berstede" die Streitgerichts- oder bedthings- statte bezeichnete, wäln-end wir dann in Bangstede die entsprechende fimelthingstätte zu sehen haben.

Der ort Öclitle-buren lag, wie sein namc besagt, an einem Ocht-liain. Da ein ostfriesisches Öcht des 15. Jahrhunderts auf ein älteres Acht zurückweist, und da die gerichtsversamluug des ganzen Brokmerlandes, also das Brokmer liud-thing onene acht heisst, ist dieser Ächt-hain neben der bed- und fimelth in "-statte der Brokmer zu beachten. Dass wir es hier nicht uimiittelbar mit acht „gerichts- versamlung", sondern mit einem eigennamen Acht, Öcht zu tun haben, lehrt der name des dorfes Öchtersum^ (bei Esens im Harlinger- lande). Der ort heisst noch 1426 Öchtsem (v. Kichthofen II, 1214), d. i. üchtes-hem „Heim des Acht" (Öcht). Derselbe Acht begegnet in Mittelfriesland: in der nähe von Almenum liegt Ächlum, in älterer namensform Achtel um (v. Richthofen II, 590), aus welchem das bekante weistum von 1559 stamt (v. Richthofen , Fries, rechtsqu. 506). Ein zwei- tes Ächtelum, heute Echtelen oder Echten (v. Richthofen II, 725), liegt im mittelfriesischen Lemsterland.

Wer ist nun dieser Acht oder Ächte, dem die Friesen bei den gerichtsstätten haine heiligten? Der name ist von aht „Verfolgung" gebildet und gehört mit dem ags. Öht-here und dem bekanten Ac- tum er us (Tac. ann. 11, 16) = ahd. Ahtumer „durch die Verfolgung des feindes berühmt" zusammen (vgl. Kluge, Etym. wörterb. unter acht und Paul und Braune, Beiträge 11 s. 2). Achte bedeutet also „der Verfolger." Ich glaube nun, dass Ächte ein beiuame des Tius war, der ihn als Verfolger im kriege und im gericht bezeichnen solte, und dass sich diese Identität von Ächte und Tius genau bewei- sen lässt. Wenn nämlich Ächte ein beiname des Tius war, wie Saxing, Axing, Badunät, Frithunät, Things, Forsite, so hätten die Chauken ihre vornehmste insel Forsetisland, wie Helgoland im 7.

1) Ochtersnin " entstand aus Ocktesum " diircli die ostfriesiscke epenthese des r, durch, welche in derselben gegend „Ditsum" zu „Dirtsum", „Oldesum" zu „Oldersum", „Grimesum" zu „Grimersum", „Loppesum" zu „Loppe^-sum" wurde.

18*

276 JAEKEL, BEDE UND EHLMILENE

und 8. jalirliundert noch heisst, auch nach dem Ächte, also Ächt- land'^, „Ächtinsel" nennen können. Da insel alttr. avia heisst, hätte eine „Ächtinsel" friesisch als „Ächtavia" bezeichnet Averden müssen; und so hat die insel Avirklich zu Plinius zeit noch geheissen. Denn er nennt (IV, 27) als „insulae nobilissimae " ah der chaukischen küste von west nach ost „Burcana" (Borkum), „Austeravia" (Astereinde, V. Richthofen II, 1230) und „Actavia." ,,Actavia" ist aber, wie schon MüUenhoff (Ztschr. f. d. a. 9, 224) gezeigt hat, die römische Schrei- bung für germanisches „Achtavia." Somit ist das Actavia des Plinius das spätere Forsetisland, das heutige Helgoland.

Dadurch ist nun erwiesen, dass in Forsite " ein jüngerer bei- name des Tius vorliegt als in „Ächte." Dazu stimt, dass sich „Ächte" als epitheton ebenso gut für den kriegsgott wie für den gerichtsgott eignet, während „Foi'site" und ,, Things" nur für den gerichtsgott passt. Man wird sich also wol die beinamen, welche Tius bei Friesen und Chauken fühi*te, in folgender reihenfolge entstanden zu denken haben: Als gott des krieges und des öffentlichen lebens, wie es sich in den Volks- und gerichtsversamlungen abspielte, erhielt Tius den beinamen Ächte (persecutor). Sein sinbild war das steinschwert (sax) oder das bell (axe), und darum heisst er von alters her der Schwertträger (Saxing) oder beilträg-er (Axing). Indem er sich dann zum kriegs- imd friedensgott differenzierte, entstanden die beinamen Badunät „kampfgenoss" und Frithunät „friedensgenoss." Aus den functionen des Frithunät hob dami erst das friesische Things, das chaukische For- site die wichtigste, schütz und leitung der gerichtsversamlung, beson- ders hervor. Dass aber Ächtavia in „Forsetisland" umgetauft wurde, beweist ebenso wie das „Things" jener votivaltäre von Borcovicium, dass den Ingävonen ihr hauptgott Tius schon in sehr früher zeit in erster linie gerichtsgott war.

Für die rechtsaltertümer ist durch unsere Untersuchung festgestelt, dass es zur heidnischen zeit bei Friesen und Chauken drei thing- arten gegeben hat, von denen jede unter dem walten einer besonderen gottheit („velut deo imperante" Tac. Germ. 7) und, wie ich an anderer stelle zeigen werde, an ihrer besonderen statte abgehalten wurde, und zwar:

1) das liud-thing oder die mene acht unter dem schütz und der leitung des Tius selbst, daher auch Tiu-thing oder Es-thing genant; es war identisch mit dem liudwarf (conventus populi), der volksversamlung. An der liudthingstätte befand sich das dem Tius geweihte hauptheiligtum des liud.

PIPER, ZU NOTKERS RHETORIK 277

2) das badiitliing (bodthing) „streitgcricht", gehalten auf der bei'stede streitstätte '' am heiligtiini der alaisiage Bad w ine oder Bede „der kämpferin (pugnatrix)", die über dieser thingart waltet.

3) das f im elthing, beschüzt und geleitet von der alaisiage Fimiline „der riicherin (iiltrix)", deren heiligtum sich auf der gerichts- stätte befindet.

Der dreizahl der gerichtsgottheiten entspricht die dreizahl der gerichte und die dreizahl der gerichtsstiitten.

BRESLAU, DEN 20. FEBR. 1889. HUGO JAEKEL.

ZU NOTKEES EHETOEIK.

Auf die iiachricht Trauhes von dem vorhandeiisein einer fort- setxung der rhctorik (Ztschr. f. d. altert. XXXII, s. 388) tvante ich mich an die königliclie bihliothek %u Brüssel und erhielt ausser der unten folgenden, diplomatisch genauen abschrift des in hetracht kom- menden Stückes (nur die compoulien sind aufgelöst, die mangelliafte interpunktion aber beibehalten) folgende naelirichten über die hand- schrift, tuelche die angaben Traubes a. a. o. ergänzen. Ich veriveise dazu auf die beschreibung der handschrift im ersten bände meiner Xotkerausgabe s. XII fgg.

Der binio, blatt 74 76, dessen leztes blatt tc eggeschnitten ist, entJiült auf blatt 75 ein bruchstück eines briefes des grainmatikers Paidinus von Aquileja und einen (volstätuligen?) brief ebendesselben. Blatt 76 ist Uniiert und zum schreiben hergerichtet , aber völlig unbe- schrieben. Auf blatt 77 und den folgenden stehen dann brief e des Sidonius Apollinavis. Xur auf blatt 74 befindet sieh der schluss von Xotkers rhetorik, und zicar knüpft derselbe an das von s. 65^ b auf s. LXXXIX meiner ausgäbe abgedruckte an. Der lezte satz lau- tet daselbst (unter aufnähme von Traubes beiichtigungen) wie folgt:

Patronomicum est quod a propriis nominibus patrum tantum- modo deriuatur (sed unterstrichen) Secundum grecam formam id est grecani termiuationem ut eacides quod significat Qaci filius vel nepos Apparet ex hac diffinitione omnia patronomica ad aliquid

Hier sext das unten folgerule stück ein. Die schrift des blattes 74 ist sehr klein. Besonders ist der untere teil der koliimne 74"^, a durch betasten sehr verdorben. Die schrift ist auch sonst oft schwer les- bar, daher ko?ite trotz aller mühe an einigen stellen der zusamynen- hang nicht mit Sicherheit festgestelt tverden.

278 PIPER

[Ci ri'", o] dici. Namqiic sicut fiJius patris est filiiis. et nepos est aui nepos. ita eatides (sie) quod utrumque siG:iiificat necessario ad utrumqno refeitur Oportet autem opposituni ei iiomeii quod coniinimiter patrem et aiium signiticat genus esse sicut et omne patronomicuin [cod.: pat'nomicum) communem intellectum habens Ulli et nepotis genus est.

POSSESS Possessiua. diuersas babent terminationesque uumerand^ sunt Sunt enini plus quam XX^ in acus ut cipriacus [cod. cidd. I) ager . i . ciprioruni ager In icus ut ecclesiasticus seruus . i . ^cclesi^ seruus In icus ut libycus [cod. ly.bvcus) ager . i . ager eorum qui in libia sunt Has ter- minationes a g:recis suscepimus in us puram desinunt possessiua tarn greca quam latina In eus breui .e. ut eesarcus miles. miles cesaris In eus producta .e. [cod. e) ut achilleus armiger, armiger, achillis in ins .i. [cod. ide) correpta ut marcius ensis ensis martis In ins . i . producta ut chius ager. uel chium uinum . i . ager uel lünum eorum qui in chio sunt insiila In ous o producta ut eous nuncius. iiuntius eois [cod. eo^, v(jl. uinimi eorum auf voriger xeile) et fit simile diriuatiuum primitiuo In eus ut biläus comes comes hile^ In oeus ut eubeus babitus babitus eorum qui incolunt euboeam insulam In iuus ut furtiuus equus furis equus In rius ut pretorius exercitus exercitus pretoris Proprio latino- riim sunt In anus ut bumanus ritus ritus bominum In enus ut alie- nus mos aliorum mos In inus [cod. ins) .i. longa in femininus [cod. I femino) cultus cultus feminarum In ins i. breui ut piistinus qui est priorum uel priscorum uel qui est prioris temporis Li unus ut tribu- nus qui magister tribus est In Inus ut popuhius non de arbore sed. qui populi est In rnus ut paternus qui patris In is ut bostilis qui hostium [cod. hostilium) est In er ut equester qui equitum est Ergo possessiue significationis [cod. significatiois) nomin a ad aliquid dici prius [cod. pritis) dictum est. [cod. ?) quae autem sola forma possessiua dicuntur in diuersis simt significatioiübus Sunt enim quedam gentilia ut romanus ciuis [cod. eui9) de quibus dictum est supi'a alia sunt [hier ist getilgt: propria ut iulianus quintilianus de bis quoque dictum) pa- tronomicorum loco posita. ut emilianus scipio uel ocdauianus cesar ut dictum est supra alia sunt propria ut iulianus quintilianus de bis quo- que dictum est Alia sunt agnomina ut affricanus. persicus getulicus creticus et hec propria sunt Alia sunt materiam significantia ut ferreus a ferro factus. similiter aureus [das ei'ste u ühej-geschr.) argenteus factus mamioreus. ligneus. querneus. oleaginus. faginus Ei'go quia feiTCus et mamioreus. inde fit non quis. uel qualis sit demonstrant ideo substan- tie qualitati et quantitati buius modi sunt dissimilia Uidentur autem

zu NOTKEKS RHETORIK 279

aliqiiicl esse et relatiuej dici ad ablatiuus primitiiiorum sicut et posses- siua ad f^enitiuos primitiiiorum. Inuicem enim se construunt [oder constitiumt?) atque toUiint Si est de ferro, est feiTeus et si est ferreus. est de ferro Et forte melius est ad septimum casum ea referri ut sicut sensu seusatum est ita ferro iiel mai-mure tit ferreum (r/rt,s' zweite e 7mt; hüh-lfcn übcrijcscln'.) uel marmoreum Et differunt quia ferro iiel de ferro materiam ferreus autem uel ferrea ferreum materialem rem si^mificat Si qiiis autem hiiius modi relatioiiem quasi ab aristotile non iiiuentam recusat suseipere meminerit ipsum diftiniendo dicere relatiua esse, quo modo übet predicantur ad aliud Uel si neu aquieuerit meliorem ratio- nem reddat ut sequamur eum A disciplinis uero dicta ut socraticus platonius. c. socratis sectator uel platouis. uel a professionibus ut mecha- nicus. medicus gTammaticus .i. liarum arciiim studiusi qualitatciu plane et scientiam si^niticant Similiter ab officiis dicta ut mercenarius tabellarius .i. qui tabulas patrum imagiiiibus depictas. nobilibus rom^ antetulit Item cerarius. hostiarius. argentarius erarius uel a di^nitati- bus ut questorius. prefectorius. i. di^j^nus questura. prefectura. pretura. qualitatis sunt. Alia dicta ab bis in (in fehlt) quibus sunt ut planta- rium quod est in planta. mensorium quod est in mensa. motorium quod est in motu, palmarium quod est in palma diuersorum gen- ervm species sunt Nam plantarium calciamentum est uelud simpli- citer dicam aliquod genus indumenti dialectico autem dicere aliqua species indumenti mensorium species est uelamenti (von mensorium ab i/u't '.' am rande nacJijjei ragen, j)b von anderer hand?) Menso- rium species est instrumenti ut est illud quo teiTentiu* aues in uineis Palmarium quod est in palma hoc est in laude Ut uictoria (cod. metoria) Corporale namque palmarium quod in palma est ut bacu- lus et sceptrum species gestaminum est Incorporale autem palmarium (cod. palmarum) quod in laude est qualitatem significat quia palmarium (cod. palmarum) quasi laudabile esse intelligitur et eiusdem cathegori^ est Nam ut liuius scribit in libro ab urbe condita (Liv. X, 47) quando tiiumpliatum est a sabinis Lustrum rom^ conditum est a lucio cornelio aruina consule et eodem anno ob res bene gestas uic- tores coronati spectabant ludos sibi editos. et tum (cod. tu) primum ti'anslato egregio more palm^ dat^ sunt in manibus eorum Inde ortum est ut a gestamine palm^ ipsa manus gerens siue uictoria (darnach tu .e. durch punkte getilgt) palma dicatur et quod triumphale est. uel quod in laude est palmarium (cod. palmarum) dicatur Alia significant de quibus sunt ut framentaria lex de frumento. agraria de agris num- maria de nummis Lex ergo secundum ciceronem species iustiti^ est

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eins itcriim species sunt plautina Cornelia et ccter^ de auctoribus eorum nocitat(j (cod. iuoitat(^) quarnni partes sunt frumentaria agraria uummaria et qualitates sunt Alia dicta ex bis qu^ continent ut uinaria cella que liabet uiuum. armariuni in quo sunt arma posita Sic mola- rium. [cod. mälariü) auiarium uiridarium (cod. uiridiarum) rosarium Ergo cella uel officina substanti^ sunt et species edilicii Cella item liabet species armariuni et uinarium (cod. uinariä) Officina uero species babet molendinum. pistrinum (cod. pristinum) refectorium et talia Sep- tum namque ea pars terr^ dicta est que sepe circumdata est unde et dicitur. ut sunt borti (b mit hühchen vor orti vorgeschriebe) i) et uinee propterea partes sunt terr^ borti quibus nomen est molarium auiarium uiridiarium rosarium ubi berbq. et flores et aues nutriuntur et substan- tiam signiticant Alia sunt a temporibus ut diurnus nocturnus. besternus. bibernus Alia sunt a locis ut externus internus Igitur de temporalibus et localibus diligeuter uidendum [G 74''', h] est cui predicamento (ver- nischf) asscribenda sint Et sciendum quod sicut (sicut? ilhergeschr.) unius cathegorie sunt magnus et magnitudo sapiens et sapientia .i. quanta et quantitas. qualia et qualitates ita unius catbegori^ a presciano nomi- nantur esse ipse locus et ipsuni tempus atque ea qu^ ab bis dicuntur localia et temporalia ut a loco internus externus a tempore (cod. tempe) bodiernus besternus matutinus uespertinus Hoc apparet in prioribus ubi ille de loco exemplum dare non potuit et localia posuit ut longin- quus propinquus sicut et bini et terni numerum simpliciter non signi- ficant sed numeralia sunt. i. substantie numerat^ ut bini bomines gemini (cod. gemni) fratres terni lapides Discretio tamen est in bis qu^ localia ille confuse vocat. Nam aduerbia sursvm deorsum supra iiifra. intra extra (extra am rande mit : nachgetragen; von anderer Jmnd?) ubi significant sed et locum ipsvm uidentur significare unde supernus et infernus internus et externus qu^ inde tracta (das erste t undeut- lich) sunt forsitan duarum sunt catbegoriarum quantitatis et ubi. Yrba- niis autem et oppidanus et rusticanus et palatinus et capitolinus et querlinus (cod. q^lin9; = esquilinus?) que similiter a locis dicta ipse docuit non quantitatis sunt sed ubi significant (cod. significam9) Nam in opido (sie) ubi tantvm significat Oppidanus autem. id est qui in oppido babitat ubi et personam (cod. persona) scilicet in loco et locatum in loco significat Et si boc ratione constabit (cod. gtabit) quia nibil fernere fir- mandum est nomina ad sex catbegorias extenduntur Et si besternus. bodiernus et similia temporum. nomina aliquis forte plus poterit ad quando trabere quam ad quantitatem. Yir*=™ sunt catbegori^ in qui- bus nomina inueniuntur Sed de bis dubitare non est utile ut aristoti-

zu NOTKERS RHETORIK 281

les ait Alia a dignitatibus sine officiis ut tribunus antesig-naniis Antea quoque de hac significationc dictum est. a prisriano sed nou in liac terminatione Roinulus exercitviu suuin in tres partes diuisit et quos eis prefecit a tribus partibus tribunos uocitauit Postea quoque tribimi in ciuitate usqiie ad noucnariuin numerum crcuerunt et crcati sunt non solum militum sed et plebis tribuni et grece chiliarchi (das zweite h ühenjcschr.) dicuntur co quod mille presunt (cod. psit) Ergo dignitatis que sunt (cod. fra()exeichcn) ad aliquid plcraque sunt dicta ut rex rcgni sui rex est. et regnum regis est regnum üux quoque comitum dux est et coniitcs ducis sunt comites et qu^stor qucstu qu^stor est quqstus uero questoris qu^stus est (cod. "-^ et prepositus subpositis prepositus est. et subpositi prepositis subpositi sunt, et prefectus suffectis prefectus est. suffecti autem prefecto suffecti sunt quamuis in usu habenius suf- fectos successores dicere Si autem uolumus prefecto oppositum dare prefecturam suam. ut prefectura prefecti sit prefectura et prefectus pre- fecture su^ prefectus sit oportet intelligere quia suffecti prefecto ipsi sunt eins prefectura Eodeni modo consul dictator pretor presidens (cod. psens) presul tribunus. ad consulatum dictaturam preturam presidatum presulatvm tribunatum rclatiuQ atque reciprocQ dicuntur Antesignanus est qui uexillum portat ante exercitum et qui sequmitur (cod. sequn- tur) eum signisequi sunt et inuicem conuertuntur Alia a generibus ut masculinus fcmininus Si quid simile (cod. sime) masciüe et femin^ mas- culinum et femininum dicimus possessiue dicimus siue de" extcrioribus ut masculinus et femininus amictus siue de interioribus ut masculinus et femininus color uel masculinum genus (genus übergesehr., von ande- rer hand?) et femininum Si cui uidetur de solis exterioribus possessio- nem dici sciat ad similitudinem exteriorum interiora predicari et sicut femininum dicitur opus opus femin^ ita quoque femininum genus genus femin^ uel feminarum dicitur et ut supra dictum est. ad aliquid dicitur Si quis autem interrogat qualem animum habet ille et respondetur femininum femin^ similem intelligimus et qualitatis est. Sic semper ex significatione predicamentum intellegitur Alia sunt ex mutis anima- libus ut passerinus anserinus coruinus ceruinus An ista possessive non dicuntur quia nesciunt possidere muta animalia? Non utique minus de Ulis quam de rationabilibus possessiua fit predicatio quid est enim coruina uox uox. corui Si uero dicitur ceruina pellis manente (lies manet in?) ceruo (dazu mit veriveisungszeiehen am unteren rande der Seite, von anderer hand? steht: congruQ uidetur intellegi (cod. intelgi) pellis cerui quod non manet in (cod. non manenit mante, das lezte wort durch strich darunter getilgt) ceruo) de exuuiis hoc dicitur secundum

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prioris teiiipoi-is consaetudincm hoc dicitar Alia sunt a persona (? die ahsclirift liest femina) ut libertinus cg-enus posscssiiic dicitiu* libertinus. i. lilhis libcrti egeuiis qualitatem signilicat ut qualis est? egeuus est. Alia a materia ex qua constant iit liumauus terrenus de luinio et de terra factus H^c ad substantitmi et quantitatem et ad alias cathegorias nullam habent similitudinem nisi ad qualitatem et ad aliquid Si enim interrogauero (cod. interragauero) qualis est forte non est incongruuni dicere humanus est quod aliquando intellegitur misericors est Si materiam requiro nun- quam dico qualis est scd potius unde factus est aduerbialiter interrogo et respoudetur de luuno de terra (piia nou est inuentum nomen inter- rogatiuum materi^ cui reddatur marmoreus lapidevs propterea nee qua- litatis sunt ista quantum conici datur Sunt ergo rclatiue et ad aliquid dicta ut ostendinius supra Comparatiua supcrlatiua diniinutiua planis- sime ad aliquid prcdicantur et sunt species eins Nam potentibus poten- tior est et potentium potentissimus est ita ad positiuum uterque respondet gradus comparatiuus et snperlatiuus quia quamuis potentibus minus tamen potentibus potentior dicitiu'. eodem modo regulus ad regem paruus rex ad magnuni regem comparatiue dicitur Denominatiua uero et uerbiüia et omnia similiter nomina omnesquc dictiones quantum ad

generalissima genera decem tantum significationes habere (dictum

est?) Quantum autem ad genera eorum subalterna et species et indiuidua et partes generum et partes specierum et indiuiduorum innumerabiles et incomparabiles esse quis dubitet? Intellegitur enim quando dicitur

Caput esse geneiis [O 74 ^, a] quia animal genus et totum

qiüddam est et quando dicitur caput hominis intellegitur pars totius indiuidui quod non solum intellegitur sicut genus et species sed occu- lis cernitur Ergo denominatiuorum et uerbalium narias significationes prescianus in diuersis terminationibus ostendere conatus est primo per uocales deinde per consonantes In ia quedam desinunt ut duritia iusti- tia sapientia que quia qualitates sunt quäl es faciunt durum iustvm sapientem Sed durus naturalem potentiam iustus. et sapiens habitum designant In a consonante antecedente. ut a cantu cantilena Dicimus tamen cantum ipsum inuentum Carmen quod scientia tenetur et a docente discitur cantacio et cantilena ipsius est cantus depromptio et cantatio cantorem facit. cantilena tali deficit nomine Sic et lux et lumen dum idem significent a luce fit lucidus a lumine non est inuentum quäle nomen Nam et uirtus manifeste est qualitas et ex ea quäle nomen est dissimili uoce studiosus Contra autem inuenti sunt quales sine qualitatis nomine ut palesti^icator qui dicitur non exercicio (cod. exercicicio) sed corporis habitu. Xec in cathegoriis ipse docct aristo-

zu NOTKERS EIIETORIK 283

tiles In e ut cubo cubile sedeo sedile Cubilc cdificii (cod. edificics, es unterpiinldlcrf, i übcrgcschr) species est aliqiiando autem pars domiis est Sedile autem domesticQ {cod. doniestlicc^) supellectüis species et ideo siibstantiam signüicaut Cubile editicium et sedile domesticam suppel- lectilem quam substantialia habent In i ut fi'u<;i niliili id est abstiuens et uilis quQ adiectiua sunt Si autem a fnix numinatiuo {cod. uomina natiuo) datiuus est fru«;i quis dubitat substantiam esse, fruges et spe- ciem gcrminis? Et uicbili a nominatiuo {cod. noiao) nicbilum qui com- positus est a non et liilum negatiuum esse illius simplicis nominis. hilum. quod olim in usu erat aliquantulum signiticans substantic^ Om- nia autem negatiua quantitatis sunt et partes oratiouis ut nemo niillus nusquam num([uam necjuaquam et similia In u ut tono {cod. ono) tonitru Quid est tonitru? nisi terribilis sonitus discurrentis uenti in nubibus et conantis erumpere Ergo (r übery.) tonitru nomen est de sono uocis factum sicut et eins primitiuum {cod. primitiü) uerbum tono Et sie uox est aer ictus tuuitrii similiter est aer ictus. aer namque sub- stantia est vox quoque et tonitru quid sunt aliud? partes enim sunt ipsius elementi. In al ut a ceruice ceruical a tribuno tribunal Cer- uical torus capitale culcita fulcimenta sunt, fulcimentum autem sicut uestimentum et indumentum et operimentum substantiam significant quamuis et ad aliquid dicuntur {am rande von derselben Imnd: pro- batio) Cuius est enim opperimentum uestimentum indumcntujn nisi opert^ uestit^ indutQ rei? Item quo indutus opertus uestitus nisi indu- mento operimento uestimento dicitur? tribunal uero et solium et cathe- drani et subsellium et tripodas communi nomine sedem dicimus Sedes autem et mens^ et lecti et candelabra {cod. candelebra) et eiusmodi quibus utimur in domo utensilia communiter dicuntur De Ins quoque suppellectilem dicimus quia nemo dubitat substantias esse In il ut uigilo uigil. pugilus pugil Yigil est cui inest naturalis {cod. nat'alis) seu exer- citata uigilantia.' aliter vnde ad duas quaütatis species pertinere uide- tur habitum et naturalem potentiam similiter et pugil.' unde et hec natu- ralis potenti^ qualitas dicitur Pugil ucro aliquando exercitio aliquando quoque naturali {cod. nat'rali) potentia dicitur et ideo ad duas species qualitatis suscipitur In ul ut exulo exul presulo presul Exul extra solum est et ubi significat Presul dignitatis nomen est. significat enim magi- ster uel episcopus que quia ad aliquid sunt dicta presul (ad fehlt) ali- quid dicitur ut superius commemoratimi est In am ut nequis nequani Hoc adiectiuum est In um ut oliua oliuetum rosa rosetum. tendo ten- torium sto stabulum. presideo presidium Orti simt rosetum et oliuetum. i. partes (te übergescli)'.) terre in quibus multitudo rosarum et oliuarum

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inueninntur. Tcntoriiini nero tcgimontum est sicut et tii£::nrinm! Vesti- menta {darüber sfcJ/f d als xcichcn für eine randbenierlnug, diese steht unien fnif demselben reichen: (Domus quoque et cetera habitaciila nonne sunt tegiimenta? von anderer hand?) quoque et (in durch strich darunter (jetiJgt) operimenta et indumenta quid sunt nisi tegumenta? Tegumenta uero defensacula sunt Defensacula uero siue sint opificialia ut murus et propugnaculum siue naturalia ut montes et silu^ corpora- lia sint Non minus tarnen et ad aliquid sunt dicta tegumenta. et defensacula sicut operimenta et indumenta. Stabulum editicium est dictum est prius presidium munitus locus, uel exercitus derelictus in prouincia ut presidendo et armis eam muniendo tutam eam ab hosti- bus faciat ut romana prcsidia per totum pene orbom disposita quon- dam fuerant ad comprimendos statim primos motus prouinciarum. ne crescendo maiora damna rci p. [d. i. publicae) inferrent Si tamen est presidium est et subsidium (ad auferenda durch strich darunter getilgt) et ad aliquid sunt Differunt autem quia presidium est ad ca- uenda mala subsidium ad auferenda uel leuanda mala Item presidium contra futura mala auxilium et subsidium contra presentia mala ita ut auxilium sit ab alienis uel extraneis subsidium uero quod postea superuenit In ar ut lacus lacunar. calx calcar cedo cesar Si lacunar locus (lacus?) et receptaculum aquarum dicitur de terra utique hoc dicitur. ipsa enim locus est et receptaculum aquarum Ergo lacunar est pars terre pars totius indiuidui elementi Quando autem lucernam aut laquear significat similiter corpus est Calcar uero instrumentum est equestre ut et lupar et strigiles Illigatur namque calcaneo ad stimu- landos equos Instrumenta autem siue domestica siue rustica siue naua- lia siue equestria siue bellica corporalia sunt Cesar aliquando proprium aliquando appellatiuum semper substantiam significat In er ut eques equester macies macer Equester est possessiuum macer adiectiuum In or ut senatus Senator amo amator Senator nomen est dignitatis et quäle significat Qu^ uero dignitatem simul et officium significant (cant undeutlich) ut dictator magis ad aliquid sunt Amator plane affectionem que est prima species qualitatis et passionem que est tertia species significat In ur ut sano uel saturo satur murmuro murmur Satur qua- lis est murmur qualitas est secundum quam quales dicimur. id est murmuratores (tores über uiit erpunktiertem tiones iibergeschr.) In us (lies as) ut primus primas optimus optimas. ciuis ciuitas probus probitas arpinum ai-pinas primas et optimas [G 74'", b] nomina dignitatimi sunt idem honorabilis et electus de quibus quales dicimur, ciuitas substan- tia est ut oppida et urbes. et municipia. et omnes structur^ probitas

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qiialitatis est arpinas patriuin {cod. patriii) est. es correptä pes pedes eqiius eqiies teges. pedites et eqiiites et sagittaiü et uelites (cod. ueli- tres) noinina sunt militum noii propria sed specialia et ab acta quales dicuntiir Es producta pauper paiipeiies acer acies sepio sepes struo striies sterno strages pauperios qiialitas est ([iialein facit pauperem Acies aciit(j rei acies dicitur non minus tarnen et qualeni facit acutum Sepes septQ rei sepes est relatiu^ enim picdicatur Eodem m()(l(3 strucs et strages. structe et strate rei dicuntui- et eiusdem sunt prcdicamenti In is qdes edilis rex regalis. amo amabilis penetro penetrabilis athene atheniensis sicilia siciliensis Edilis nomcn officii et dignitatis est Rome nauKjue edium curam (pii gerebat edilis dictus est Edilitate uero edilis est edilitas autem edilis est Et quia edilitas qualem quoque facit edi- lem duplex fit edilis. predicatio qualitatiua atque reciproca Regalis pos- sessiuum est amabilis naturalem potentiam ostendit quia amabilis ille est qui alios potenter traliit ad amorem sui penetrabilis naturalem im- potentiam ostendit quia facile penetratur. Atheniensis patrium est sicilien- sis gentile De his dictum est Os ut (cod. et) lepidus [cod. lepus) lepos custodio custos lepos est eloquentia et qualitas facit enim lepidum Gustos qualis est et ad aliquid facit enim custodia custodem utraque tamen custos et custodia custodit^ rei reciproce dicuntur Ys diuersis conso- nantibus ante positis saxvm saxosus spuma spumosus uito uitabundus Et a participiis uersus saltus quando quarte sunt declinationis Et ab aduerbiis supra uel super superus ab infra inferus extra externus liodie hodiernus Saxosus et spumosus id est plenus saxis et plenus spuma qualia sunt sicut et formosus vitabundus quod intellegitur similis uitanti comparatiue dicitur et ut similis simili similis est ita et uita- bundus uitabundo est Supervs et inferus externus hodiernus localia et tempuralia ante sunt dicta In x für furax capio capax audeo audax uerto uertex furax capax audax qualia sunt Uertex uero partem cor- poris significat In duas consonantes picenum picens quod gentile est tiburtum tiburs. quod patrium est prius dictum est His addidi que in questionem uenerunt Montes quid sunt nisi eminentes terre? Et ual- les nisi humiles terr^? et campi nisi plane terr^? et specus et putei et fosse et similia. nisi cauate terr^? Et ill^ terr^ partes terr^ sunt Fora- men autem quia ad plura uadit forate (vor forate ist i durch jpunkt darunter getilgt) rei est. Longitudo latitudo et altitudo et magnitudo et amplitudo et sublimitas et profundum et similia quantitates sunt, faciunt enim longum latum altum magnum amplum sublimem profun- dum Et he quantitates infinite sunt et comparatiue dicuntur Et sicut longus ad breuem dicitur. ita et longitudo ad breuitatem comparatiue

286 rrPER, zu notkers eiietorik

dieitiir et in cetoris eodem modo {cod. mo) Spaeium quoque et inter- stioium et interuallum. et intoivapedo et rima et hiatus et similia ad aliqiüd sunt et pene uniun sunt Quid est spaeium uel nnde dictum est? A patendo (t über luäcrpiuiliicrtcm n) enim dictum est et omnis res panda uel patula spacio patet/ nihil est spaeium nisi quod est in medio pande et patule rei Ynde etiam quod in medio temporum est per similitudinem spaeium dicitur Ergo spaeium protractio loci uel temporis id est medietas locorum uel tempoi'um iufinita Sic et interuallum quod est inter uallos Quomodo enim antiquitus castra (cod. Castro) ficbant fossa circum ducta est cuius egesta humus interius missa aggerem (vorher aggrege unierstriclien) fecit super quem agerem (sie) ualli id est sudes fingebantur per circuitum ut essent quasi murus intrinsecus positus et non timerent hostium incursionem et que intra illos uallos distantia uidebatur interuallum dictimi est Talis est rima et hiatus Rima uero quasi a ramo dicta est unde et uerbum dicitur. dirimo quasi duos ramos facio Quando enim que coniuncta erant. aut conti- nua dirimunt se rima est et hiatus Ergo rima et hiatus medietas diri- mentium se. Intersticium spaeium interstans intercapedo (das zweite e über iDiterpunldiertem i) locus capiens medietatem duorum corporum Nam in bis omnibus nihil nisi medietatem inuenio aut locorum aut temporum et ideo ad aliquid sunt Spaeium ut dictum est pande rei uel patule rei spaeium est et ipsa res panda uel patula id est qua patet spacio patet Rima diremtorum est et dirempta rima. dirempta sunt Hiatus hiantium est et hiantia hiatu hiant Intersticium circum- stantium et circumstantia intersticium circumstant Intercapedo inter- ceptorum est et intereepta intercapedine intercepta sunt Quid autem est distantia? separatio alterius ab altero et ad aliquid est Sicut enim separatio est separate rei sie et distantia distantis rei et distans res distantia distat Item quid est uia? forte uia est quantitas. quia uidetur esse linea que ducit de loco ad locum Nam et latitudo que uidetur in uia circa illam lineam est et ipsa non habet latitudinem sed longi- tudinem sine latitudine Inuisibilis etiam est uia enim que uidetur non est ipsa linea sed contricio et supeiüciei demolicio ex uestigiorum im- pressione facta Item quid est facies? Species et forma in corpore et ideo qualitas Quid est uultus? instabilitas et commutatio que cernitur in (cod. ut) facie Ergo facies ad formam uultus ad effectionem pertinet que species sunt qualitatis.; Hec cum scripta uides scriptorem qui pote rides. Sic quod non potui rusticus ut nolui. Ac tu comple re. sed me decet utique flere.

ALTOXA. p. PH'ER.

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ÜBER DEN BlLDUNGSGANa DEK (JEAL- UND PAEZI- YAL- DICHTUNG IN FE ANKEEICH UND DEUTSCHLAND.

So lange die schätze der iVanzösischen bibliothekeii in betreff der hier einschhigenden litteratiir in Deutschland noch unbekant oder nur dem nanien nach und nach nnzulänirliclien notizen bekant waren, mocli- ten die versuche zulässig und berechtigt erscheinen, auf grund der mysteriösen angaben Wolframs von Eschenbach über die quellen seines gedichts: über Flegetanis, der in den sternen vom gral las, über das arabische manuscript von Toledo und die chronik von Anjou, welcher sein vordichter, Guiot von Provenze gefolgt sei, nacli dem urquell der tiefsinnigen sage vom gral in Spanien zu suchen und nach Gürres bei- spiel in Hindostan und Indien, oder in der Kaaba zu Mekka die erste Wurzel dieser sage zu entdecken. Seitdem aber der Inhalt der hierher- gehörigen litteraturwerke nns deutlicher teils in mehr oder minder ausfüln'lichen auszügen, teils in volständigem abdruck vorliegt, ist die aufgäbe: sich nicht mehr in kühne probleme, phantastische hypo- thesen und gewagte, wenn auch geistreiche kombinationen zu verlie- ren, sondern lediglich die betreffenden Schriftwerke nach ihrem inhalt als zeugen zu vernehmen und so den gang und fortschritt der sage stufenweise zu verfolgen. Auf diesem wege sind daher Zarncke (Paul u. Braune, Beiträge usw. III, Halle 1876, s. 304) und Bircli- Hirsch- feld (Die sage vom gral, Leipzig, Vogel, 1877) zu dem resultat gelangt, dass eigentlich von einer sage, d. h. einer im volksmund und Volks- glauben fortlebenden und je nach den zeiten etwa gewandelten tradi- tion niclit die rede sein könne, sondern nur von einer dichtung, welche aber zugleich das algemeinste Interesse erregte, imd die ver- schiedensten dichter anspornte, deren inhalt weiter zu führen und ihn im geschmacke der zeit auszubauen. Und als diesen ersten dichter müssen wir Robert de Boron erkennen, der selbst versichert, dass noch kein sterblicher vor ihm über den gral geschrieben habe, was auch durch die bisher aufgedeckte litteratur des abendlandes bestätigt wird. Und da auch in der Überdichtung der Historia regum Britan- niae des Gotfried von Monmouth durch Wace, der unmöglich nach seiner art der behandlung dieses werks den gral hätte übergehen kön- nen, wenn er spuren davon darin oder anderswoher entdeckt hätte, nichts vom gral zu finden ist, so ist als feststehend anzunehmen, dass etwa bis zum jähre 1150 oder 1160, da er schrieb, Borons werk: „le petit Graal'' der dichterische stamm und anfangspunkt der gralgeschich-

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ten ist, aus dorn vorzugsweise Crestiens ,, Coute du Graal", und in überrasolieuder maunigfaltigkeit und in kurzen fristen dessen fortsetzun- gen und die weiteren gralromane emporschössen.

"Wesentliche beitrüge zur deutlicheren überschau der tätigkeit der französischen dichter liefert das unten bezeichnete verdienstvolle werk Schorbachs^. Die umfangreiche fortsetzung, welche im 14. Jahrhun- dert die elsässischen dichter Claus Wisse und Philipp Colin dem mei- sterwerk Wolframs von Eschenbach einfügten , wird hier zum ersten male veröffentlicht. „Gehört auch das ergänzungswerk (bemerkt der heraus- geber) in die verfalzeit der ritterlichen poesie, so beansprucht es doch als ein nicht unwesentliches glied in der kette der dichtungen von Artus tafeirunde und dem grale und als wertvolle quelle für die geschichte des elsässischen dialekts im mittelalter ein besonderes inter- esse.^ Über diesen lezteren punkt hat sich der herausgeber s. XLII einen besonderen ausführlichen aufsatz, der sich auch auf die dichte- rische tiitigkeit und befiihiguug von Wisse und Colin erstrecken wird, zur mitteilung in den ., Strassburger Studien" vorbehalten, der daher abzuwarten ist, und die philologische betrachtung des werkes in dieser anzeige ausschliesst. Dagegen trägt die wörtliche Übersetzung der fran- zösischen dichtung so manches "licht in jenes noch immer nicht vol- ständig aufgeklärte litteraturgebiet, dass es sich lohnt, dieser „heite- rung", wie Colin sagen würde, sofort gründlicher nachzugehen, und vielleicht zu weiteren speziellen forschungen neue wege zu bahnen, oder wenigstens anregung dazu zu geben. Als ein besonderer glücks- fall ist es anzusehen, dass wir in dem prächtigen Donaueschinger co- dex, den der herausgeber ausführlich beschreibt, und dem schon Yictor V. Scheffel, als er der Donaueschinger bibliothek vorstand, eine beach- tungswerte Schilderung (Hdschr. altdeutscher dichtungen der fürstlichen Fürstenbergschen hof bibliothek zu Donaueschingen. Stuttgart, 1859. 8. S. 15 18) widmete, die von Barak in seinem Verzeichnis der hand- schriften dieser bibliothek (Tübingen, 1865, 8. S. 88 93) weiter ver- wertet ward, die Originalhandschrift der dichterischen Übersetzer der französischen fortsetzungen von Crestiens Conte du Graal besitzen, wie sie aus dem scriptorio derselben hervorgieng. Die darin hinzuge- fügten persönlichen bemerkungen geben ein deutliches bild von der ent-

1) Parcifal von Claus Wisse und Philipp Colin (1331 1336). Ergän- zung der dichtung "Wolframs v. Eschenbach. Zum ersten male herausgegeben von Karl Schorbach, Strassburg, Trübner; London, Triibner & Cp. 1888. (Zugleich fünfter band der Elsässischen litteraturdenkmäler usw. von E. Maitiu und E. Schmidt.)

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stehung derartiger werke, das als spezielles beispiel auch für andere ähnliche fälle wird gelten dürfen.

Ulrich von Eappoltstein, aus dem mächtigen und zahlreichen oberelsassischen adelsgeschlecht der Kappoltsteiner, beauftragte einen in seinem gewerbe zurückgekommenen goldschmied Pliilipp Colin, und einen gleichfals einer goldschmiedsfamilie angehörigen Claus Wisse, mit der poetischen Übersetzung der fortsetzungen des romans Conte du Graal des Crestien de Troies aus dem französischen ins deutsche, und stelte ihnen dazu zwei Schreiber, namens Henselin und von Onheim zur disposition, welche ihre arbeit auch beide in ihrer erkenbar ver- schiedenen handschrift zu stände brachten. Da damals im Elsass die deutsche spräche noch die herschende war, und sie französisch nicht verstanden, wurde ihnen als dolmetscher ein Jude, Samson Pine zur hülfe gegeben,

Sp. 854, 28: fZer het sine zit ouch ivol beivant, cm dirre oventure. er tet unz die stüre: wax> wir xito rimen haut bereit, do het er imz daz tücJisch geseit von de?i oventuren edlen gar. ich wünsche j daz, er wol gevar ah ein Jude noch sinre e. er enhegerte anders nilt nie.

Er scheint also hausoffiziant des herrn Ulrich (etwa sein finanzier) gewesen zu sein, und deshalb ohne besonderen lohn geholfen zu haben. Dies bestärkt die auch vom herausgeber geteilte Vermutung, dass die dichtung auch an dessen wohnsitz, auf dem Gross -Kappoltsteiner schloss gefertigt w^orden, jezt S. Ulrichsburg, „dessen mächtige ruinen noch heute auf das freundliche Städtchen Kappoltsweiler herabblicken, und ein Wahrzeichen sind für das an naturschönheiten so reiche elsässische land." Fünf jähre, von 1331 bis 1336, ist daran gearbeitet, wie aus beischriften der Schreiber ersichtlich, und Colin berechnet die kosten in seinem Schlussbriefe an den herrn Ulrich auf 200 pfund, die er jedoch nicht zu hoch achtet, da ein ritterlicher minner eine solche summe wol in kurzer stunde an eime orse verstichet.

Sp. 854, 44: nu hin ich sicher iinde wer

unser kost si angeleit haz. an alle frowen ziehe ich daz

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 19

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und an reifte minnere,

die ro)i disen hiJdere

icerdent rehter /ninnc ermant; und wenn auch das iu der dichtiin"- gepriesene minnelebeii unserer zeit nicht melir entspricht und zur nachahmung verlockt, so wirkt jener kostenaufwand doch, dass wir itach mehr denn fünf jalu'hunderten uusern chuik und preis für das geschaffene werk dem edlen musenhol- den Rappoltsteiner naclu'ufen können, dessen gemahlin, die tochter des grafen Götze v. Fürstenberg, im hinblick auf Wolframs gedieht den namen Herzelaude (französiert Loveline) führte, und deren 1359 ge- bornes töchterchen ebenfals Herzelaude getauft ward. „Eine merkwür- dige urkundlich nicht verfolgbare fügung ist es, dass diese kostbare Parcifalhandschrift wider in den besitz des erlauchten hauses Fürsten- berg, dem Herzelaude angeliörte, kam und uns erhalten blieb, und den beweis liefert, wie in beiden häusern Fürstenberg und Rappoltstein die liebe zur deutschen litteratur, und besonders zu "Wolframs tiefsinnigem epos heimisch war."

Die sonstigen notizen über die bei dem werke beteiligten perso- nen und familien sind mühsam und mit grösstem fleiss gesammelt, und dürften vorläufig als erschöpft gelten. Nach den von beiden dich- tem abgelegten proben eigener selbständiger dichtung erscheint Colin der gewantere in seinem Schlussbriefe, dem Wisse in dem sogenanten anevang oder prologus nachsteht. Im algemeinen fliessen die deutschen verse einfach und ungezwungen dahin (mitunter allerdings in koUision mit dem versmass und gestört durch zu häufige flickreime: tvüssent das ieso die riht %e]iandenan)\ sie scheinen sehr treu dem französischen text zu folgen. Eine begleitung derselben durch eigne bemerkungen und innere teilnähme der Übersetzer an den erzähl- ten begebenheiten, was Wolframs erzählungsweise so reizend macht und sie mit frischem leben durchdringt, ist nicht zu spüren und tritt ihre persönlichkeit nirgend hervor; daher ist auch nicht anzunehmen, dass sie selbst noch dichterische zusätze gemacht haben. Wo der ton sich höher hebt, ist das gewiss auch im französischen text der fall. In der Schreibung der orts- und personennamen sind die Schreiber nachlässig und ungenau. Bis jezt ist nur ermittelt, dass von den bekanten französischen Parzival- und gralgedichten keins dem Colin als vorläge gedient hat, dass daher dessen original noch zu entdecken bleibt. An stelle von Crestiens gedieht, an welches dessen fortsetzer sich anschlössen, nahmen die Übersetzer, offenbar auf befehl des grafen Ulrich, Wolframs dichtung, rausten sie jedoch durch mannigfache

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abstriche, Zusätze und änderungen gewissermassen neu redigieren, um die ab weichungen und Widersprüche nach möglichkeit zu beseitigen, die sich aus den fortsetzungen ergaben, was ilinen jedoch niclit vol- ständig gelang. Dass diese redaktion gleich wol mit grosser aufmerk- samkeit auch bis ins kleine des textes gieng, zeigt die Verbesserung des fehlreimes Wolframs V. 4G, 1, 2. lla\aUg wip durch einschie- bung zweier zeilen:

(ja)ä har, nihi herre Raxalig, trettent an der seiden st ig. ir sUllent küssen min ivip die mir liep ist als der lip.

Sämtliche zusätze und änderungen an AYolframs texte hat der heraus- geber sorgfältig s. XLVI bis LVI verzeichnet. Aus der vergleich ung mit Lachmanns kritischer ausgäbe des Parzival ist ersichtlich, dass ihnen eine gute handschrift zu geböte stand, die sie sehr sauber kopier- ten. Der französische codex scheint auch die im 13. Jahrhundert dem werke Crestiens vorgesezte, auch im Pariser druck von 1530 widerholte und nur im Monsser manuscript handschriftlich erhaltene „Elucidation usw.'' enthalten zu haben, deren erste 474 zeilen (Potvin, II, s. 1 17) dem Wisse das material zu seinem 504 verse langen Frodromus oder Anefang gaben mit der Überschrift:

„So hebet hie an der prologus von Parcifal, der us ivelschem %uo tilseheni ist gemäht, unde vohet hie sine ld7itheit an",

der hinter imserm P. 112, 11, 12 eingeschoben ward, nachdem nach P. 112, 10 die rote Überschrift gemacht wurde:

„Hie ist künig Gamicretes huoeh us, der Parcifales vatter ivas"

Da Colin bemerkt, dass Wisse schon ein jähr vor ihm an der hand- schrift gearbeitet, und dieser am schluss des vierten buches unsers Parzival (L. 223, 30) in 18 versen eine bitte um lohn seiner arbeit an diesem buche einschiebt, so scheint AYisse zu dieser zeit ausgeschie- den zu sein und Collin das werk allein fortgeführt zu haben. Da Col- lin am schluss seines briefes an Ulrich auch die bitte um lohn aus- spricht, so ist nicht anzunehmen, dass auch die erstere von ihm sei.

Ein zweites exemplar der Übersetzung von Wisse und Colin bil- det die von H. v. d. Hagen (Briefe in die heimat, II, 304) in der Casauatischen bibliothek zu Kom i. j. 1816 entdeckte handschrift, aus welcher A. v. Keller in seiner Komvart (Mannheim, 1844) anfang und ende und die kapitelüberschriften mitteilte, und die auch Schorbach

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teilweise verglichen, und als eine absclirift der Donau eschinger hand- schrift erkant hat, worin aber durch die abschrciber der oberelsasser dialekt sehr verwischt ist. You besonderem wert war es jedoch, dass aus ihr die durch das fehlen zweier bliitter in lezterer handschrift ent- standene lücke ergänzt werden konte. Am schluss des vierzehnten buches unsers Parzival folgt in der Originalhandschrift eine von Hen- selins genossen rot geschriebene prosanotiz, welche den Übergang des Wolframschen textes zur fortsetzung durch unsere übei'setzer vermit- teln soll (s. XIII), deren lezter teil lautet: „Xu geswigen ivir kibiig Ärtuses hie und sagcnt von hern Gawane, ivie der %uom ersten mole xiwtne grole htm, und ist oiich dax von welsche xuo tüxsche Ijraht, des sin nie ist danne der tüxsche ParxefaJ, der nu lange gctihtct ist, und alles da\ liie nach gcschrihcn stat , das ist ouch Parxcfal toid ist vo?i welsche xuo tüxsche hraht und voUetihtet und xuo ende braht. Dis geschach do me)i xalte von gocx gehürte drixehiindert jor und drisxig jor in deme sehsten jore^'; wodurch das alter der hand- schrift unzweifelhaft festgestelt wird. Nach von Kellers bemerkung ist diese beischrift als Überschrift und titel des casanatischen co- dex rot geschrieben, wörtlich widerholt, und da der text begint: „hie im xorn von dannen schiet Gawan^', so ist zu entnehmen, dass in diesem codex Wisses Prodromus nicht mitenthalten war. Das vom herausgeber angefügte namenregister ist ein höchst wilkommener und dankbar anzuerkennender leitfaden durch die irgänge dieser aventüren- wildnis. Der text ist in zwei spalten von einigen vierzig versen auf jeder oktavseite gedruckt, daher nach spaltenzahl zu eitleren ist.

So viel über das deutsche manuscript. Bevor ich aber auf dem oben bezeichneten Avege weiter gehe zur betrachtung des zum gründe liegenden französischen codex, befinde ich mich in derselben notlage, wie Scholl bei seiner ausgäbe von Heinrichs von dem Türlin Krone (Stuttgart, Htt. verein, 1852, s. XV), wie Rochat bei seiner littera- rischen abhandlung über das Berner ms. des Parzival (Zürich, Kies- ling, 1855, s. XI) und wie Birch-Hirschfeld in seiner gralsage: zuvor eine Übersicht des Inhalts des französischen gedichts geben zu müssen, da ohne dessen nähere kentnis seine litterarhistorische bedeu- tung nicht gewürdigt, und die daraus zu ziehenden folgerungen nicht verständlich werden können. Zugleich wird es gewiss auch vielen wil- kommen sein, wenn ihnen dadurch die volständige eigene lesung der 36984 verse der umdichtung wenigstens teilweise erspart w^erden kann, zumal daran der poetische genuss nicht durchgängig befriedigung finden möchte.

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Gedrängte iiilialtsaimabe.

L. 730, 23: Gaurhi unt die (/escilen shi ndnicn iirloiq).

Spalte 1. Gawan scheidet im zorne von Juflanze, um den blu- tenden Speer zu suchen, doch wüst er nilt, an wclcJfcr stctte (1, 16). Er gelangt zu einer schönen bürg auf hohem felsen, wo er ehrenvoll und gastlich von dem kranken auf prächtigem bette gelagerten wirte empfangen wird. Er sezt sich zu ihm, die tafeln werden aufgeschlagen für eine zahlreiche ritterschaft, und eine bahre wird vorgetragen, auf der unter reichen decken ein leichnam liegt, und obenauf ein zerbroche- nes Schwert, das dem wirte von siner megin einer durch liebe und frünüich art gesant war (6, 42). Dann Avurde eine goldne patenc, der blutende speer und von einer heftig weinenden Jungfrau der gral im saale herumgetragen, und nach deren abgang Gawan das schwort mit dem ersuchen vorgelegt, die stücke zusammen zu setzen. Es gelingt ihm jedoch nicht, und auf seine eifrige nachfrage, was dies alles bedeute, erklärt ihm der Avirt, er sei noch nicht reif, die geheimnisse dieser dinge zu erfahren.

her Gaivan nam der rede war

und horchete so vil an sine wort,

daz er uf der tovelen ort

entslief, daz sage ich snnder lug (7, 44 fg.).

So durchschlief er die ganze nacht, und fand sich am morgen unter einer eiche liegend, ross und wafPen neben sich, aber die bürg ent- sclnvunden. Mit leide grimmig icas sin xorn (8, 20). Er wafnet sich und reitet weiter.

Sp. 8. Hie stritet her Gaican mit Bgnasdanres.

Gawan begegnet einer dame mit einem ritter, der, als Gawan sich nent, ihn des mordes seines vaters bezüchtigt. Nacli hartem unent- schiedenem kämpfe verabreden sie dessen fortsetzung am hofe des königs von Kavalun. Dort angekommen, fordert ihn der mächtige kämpe Gynganbertil auf, den ihm früher zugesagten streit sofort mit ihm auszufechten.

Sp. 13. Hie sprechent zivene Gaivan kampfex an xiio Kavalun.

Der könig von Kavalun beruft einen rat der barone, welcher ent- scheidet, dass Gawan mit beiden kämpfern zugleich fechten soll. Ein Junker benachrichtigt Artus von dem ungerechten spruch, dieser eilt herbei und stiftet Versöhnung, indem er dem einen seine nichte Tanate und dem andern deren muhme Ciarate zur ehe gibt. Der könig von

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Kavalun und andre füi-sten geben ihm ilir land zu lehn; nur ein ritter Brun von Mieland Aveigert sieh und scheidet vom hofe.

Sp. 21. Hie iril himig Artus Brun von Mcilan hclkjen.

Artus zieht deshalb mit vielen namentlich genanten fürsten und rittern und grosser heeresmacht gegen die feste bürg und stadt Mie- lant, die hart belagert, doch tapfer verteidigt wird. Bei einem glück- lichen ausfall zur verproviantierung Avird Gawan so schwer verwundet, dass er erst nach 14 wochen wider sein liebes ross Gringalet besteigen kann. Er trent sich vom beere, um andern abenteuern nachzugehn.

Sp. 33. Hie kumet her Gawan xuo Brandalins sivester und u'ürf mit Brandalin vchtrnde.

In schöner Waldgegend, unter lieblichem vogelgesang hinreitend findet Gawan am dritten tage unter einer eiche ein prächtiges zeit auf- geschlagen, in welchem auf einem ruhebett ein schönes mädchen schläft. Auf seinen gruss, und da er sich als Gawan zu erkennen gibt, bietet sie ihm ihre minne an, und unter freude und lachen ertvarp er gexö- gcnliche der minnen spit (37, 26).

Sp. 37, 29: ir megede nam verlor sam;

juncfrowe und liep heisset nu ir nam.

Nachdem er versprochen, sie einzuholen, reitet er weiter. Bald kam ihr vater zu ihr in das zeit, dem sie das ereignis bekent, und der nun wütend Gawan nacheilt, aber im kämpfe von Gawan tötlich ver- wundet wird. Ebenso komt der bruder der entehrten, Bran von Lis, nachgerant, findet den vater tot und ficht mit Gawan, bis beide sich ohnmächtig fühlen und die fortsetzung des kampfes vertagen. Ganz erschöpft kehrt Gawan zu Artus nach Miclant zurück, und heilt zwei monate an seinen wunden. Brandalins Schwester Aclervis (sa seror ait der vis, ihr wirklicher name ist nach sp. 255, 12 Gylorette) aber genas eines söhnchens. Die stadt Mielant ergab sich endlich: Artus nahm sie in besitz und verteilte das land an seine vasallen. Auch Brun erhielt sein teil.

Sp. 45. Hie vohet Karados biioch an.

Als Artus im ersten jähre vor Miclant lag, gab er seine niftel Iseve von Karoes dem könig Karode von Nantes zur ehe. Ein zauber- kundiger ritter Elyafres schiebt jedoch dem Karode eine falsche Iseve unter und schläft selber bei der echten, die von ihm ein kind empfieng, das Karadot genant und als Karades söhn an Artus hofe erzogen ward. Bei seiner festlichen schwertleite kam ein ritter und fordert, man solle ihm den köpf abschlagen: er werde übers jähr wider kommen und den gleichen schlag an dem schlagenden erwidern.

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 295

Sp. 51. Ilic ö(jrt Elijnfrcs stne xouveric.

Als alle aiidein zögern liaut Canidot dem Elyafres den köpf ab, den dieser sich doch sogleich wider aiüsezt und mit dem versprechen abgeht, übers jähr an Caradot das gleiche zu tun.

Sp. 54. Hie bcvindct Karados, da\ Klt/afrcs sin vattcr iras, imd wo)id er doch kunig Karade siui sifi.

Nach einem jähre, zu pfingsten kam Elyafres wider zum entsetzen des hofes zu Artus, schlug aber nicht dem Karados den köpf ab, son- dern vertraute ihm allein das geheimnis seiner geburt, worüber Kara- dos empört die ehre seiner mutter rächen will. Jener entflieht eilig, und Karados eilt zu seinen eitern nach Nantes und erzählt, was ge- schehen. Der könig Karodo spert erzürnt seine gemahlin in einen festen türm, wo sie jedoch der Zauberer heimlich oft zu besuchen weiss, und sie herlich und in freuden leben. Karadot geht nun nach Karlowe zum pfingstfest an Artus hof auf ritterschaft. Dazu erscheint auch Kadors von Kornw^ale mit seiner schönen Schwester Gyngcniers. Unterwegs begegnet ihnen jedoch Alardins vom see, der um die schw^e- ster schon lange vergeblich w-arb, und sie jezt fordert. Im kämpf des- halb unterliegt Kadors, doch während Alardins die Schwester mit gewalt fortführen will, komt Karados ihr zu hülfe, Alardin muss sich erge- ben, und sie führen den verwundeten Kadors mit sich fort.

Sp. 67. Hie Ixuwt Karados %uo Alardins ge.\clt, das zauberisch geschmückt auf einer schönen Aviese prangt, und worin Junker und niägde fröhlich tanzen und musizieren. Sie werden von Alardins schw^ester, die von dem pavelune ward genant, aufs beste empfangen. Die drei ritter, Kadors, Alardin und Karados schwören sich freund- schaft und wollen zu einem feste an Artus hof nach Karliun sich auf- machen.

Sp. 73. Hie kumment Karados und Alardin and Kadors \uo einem turnet %u Idlnig Artus hof, mit im sivestern beiden.

Sie rüsten sich prächtig zum tumier, in welchem die könige Eis von Gales und Kadvalan von Irland um die schöne Gyngenor kämpfen wollen, die aber beide verschmäht. Alardin erbietet sich zu ihrem kämpen, und sie gibt ihm einen ärmel ihres kleides, den er als klei- nod an seine lanze befestigt. Sie ist Artus niftel, Schwester Gawans, tochter des Gramoflan und der Ytonia. Ein harter langer kämpf begint, in dem auch Kador die aufmerksamkeit der schönen Yden, Gaw'ans niftel, erregt. Alardin schickt ihn mit einem ersiegten rosse zu Gyngenor, die Ydens neigung zu Kador unterstüzt. Sie gab an Kador eine lanze, und dieser sante ihr auch ein erbeutetes ross. Der

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kämpf wird immer algem einer: Twein, Sagremors, Parzival, Keye, Ywon beteiligen sich. Endlich sind Eis und Kadvalan über^vunden, Parzival gibt seine besiegten an die Jungfrau von Pavelune. Endlich tritt ruhe ein und Karados macht sich dem Gawan, zu dessen freude, als den söhn Yseweus bekant Artus gibt seine niftel Gyngenor dem Alardin, die schöne Yden dem Kador, und die von Pavelune einem hochgebornen ritter zur ehe, des uawc sol vcrborcjoi sin. Alle ziehen heim, ich muo\ nu ander uiere sac/en.

Sp. 109. Hie het der tnrnei ein ende, und teil von Karados muoter sagen.

Die gefangene Ysewe sezte die buhlschaft mit Elyavres fort, der sie mit Zauberkünsten, musik und tanz unterhielt. Dem dichter tut es leid, dergleichen über ein weib berichten zu müssen. Endlich gelingt es Karados, den Zauberer in dem türme, der BüfFoy (dax heiztet hoch- farf) noch im lande genant wird, einzufangen, den könig Karode wü- tend will schinden lassen, und zum schimpfe mit einer jagdhündin, einer lenne (scortaw) und einer futschen (ungezäbmtes fohlen?) zusam- menspert. Auf Karados bitten, und nachdem jener geschworen, nie widerzukehren, wird er jedoch entlassen; als er aber der königin gesagt, wie er gemishandelt worden, fordert sie, räche an Karados zu nehmen; Elyavres weigert sich jedoch, da der ja sein söhn sei. Sie beschliessen, ihm zwar nicht den tod zu geben, aber ein anderes leid zu bereiten.

Sp. 115. Hie machet Elyavres und Karados muoter, duz Kara- dos mit eime sJangen ward behümbert.

Elyavres sezt eine schlänge in ein kästchen, das Karados öfnen soll, wenn er zu seiner mutter komt. Bei seiner öfnung aber windet die schlänge sich so fest um seinen arm, dass keine menschliche kunst sie zu entfernen vermag. Nach langer vergeblicher kur sucht er heim- lich entfliehend bei einem einsiedler in dessen kapeile Zuflucht. Artus, so wie Kador von Koniaval mit Gyngenier eilen nach Nantes auf die nachricht seines verschwindens, während Karados, geistig ganz nieder- gebeugt, ein einsiedlergewand angelegt hat, um unerkant zu bleiben. Kador lässt ganz Europa nach ihm durchsuchen, doch lange vergebens. Karados besuchte öfters noch eine andere kapelle zum gottesdienst bei deren mönchen, und hier entdeckt den verlornen endlich Kador zu seiner grossen freude.

Sp. 142. Hie het Kador Karadosseii funden.

Sp. 150. Hie erlöset Gtjn genier ir liep Karados von dem slan- gen, der sich U7nbe sineii arm geivunden het.

BILDUNGSGANG DER GRALDiniTUNO 297

Unter beschwörimg und sogen der klosterleute wird die sclilange getötet, beisst aber vorher der über sie gebeugten Gyngenier eine brust- warze ab. Die schlänge hat einen teil des armes verzehrt, deswegen hiess Karadot hinfort Briebras (Idcinarm). Arm und brüst werden bald geheilt, und alle lande freuen sich der widerkehr Karadots und seiner geliebten. Der ungetreuen königin wird verziehen und Artus bereitet die Vermählung Karadots mit Gyngenier. Bald stirbt der könig Kador und Artus verleiht dem Karadot dessen reich. Er ward

ein hin ig her, biderbe, milte, kurteis; (jotte 'xe dienende er sieh fleis.

Sp. 160. Hie hmiet hilniij Karados xu Alan! in in sine bunj.

Auf einem jagdzugo, der durch ungCAvitter gestört wird, komt das junge ehepaar zu einer herlich gelegenen bürg und wird von Alar- din höchst gastlich empfangen. Am andern morgen schenkt dieser ein von seinem schild gebrochenes goldnes plätchen dem Karadot, das an die stelle der von der schlänge abgebissnen brustAvarze gelegt, diese ersezt. Freudig ziehen sie heim; die goldne w^irze verwächst mit dem Heische, doch verbietet Karadot der Gyngenier, sie irgend wem sehen zu lassen, sondern stets mit einem tuch zu verhüllen. Da entbietet Artus die beglückten zu einem feste nach Karliun.

Sp. 165. Bix ist die aventiire vomme hörne, so man nasser drin schütte, der wart xuo guten ivine.

Bei dem feste schenkt ein stolzer ritter dem könig Artus ein prächtiges trinkhorn mit gold und elfenbein, doch mit dem bemerken:

iver dar ux trinket siinder ivon, het im sin liep untrüive geton oder sin elich wip, der win begüsset sinen lip. Die königin warnt lebhaft Artus ihren gemahl, den versuch zu machen; doch er wagt es und vergiesst richtig das getränk. Gawan, Ywein, Keie, allen rittern des hofes geschieht das gleiche. Algemeines geläch- ter! Nur Karadot gelingt es, und deshalb fasst die königin grossen hass gegen Gyngenier: das hom wird bonet genant. Nach drei tagen endet das fest. Karadot bleibt am hofe; seine gemahlin sendet er nach hause.

Sp. 169. Hie hat Karados buoch ein ende, und wil sagen von kilnig Artus, wie er hern Gyflet erlöse)i teil, der gevangen lange nf kastei Orgelus lag.

Auf einem pfingstfest zu Karnant bemerkt Artus mit zorn und Unmut, dass Gyflet, ein tapferer tafelrunder, fehle, der beim feldzuge,

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den die ritter auf eig:no liand ohne seine fülining getan, gefangen und von ihnen im stich gehissen sei. ^ht fünfzehn auserwälilten bricht er auf, denselben zu befreien. Auf einer Aviese rastend, wird Keie auf nahrung ausgeschickt, der zu einer bürg gewiesen wird, wo er in der küche einen zwerg, einen pfau bratend, findet, den er verlangt, jener docli verweigert und deshalb geschlagen wird. Da tritt ein statlicher ritter hinzu.

Sp. 182. Hie uart Kein geslagoi ntit cime gchrotoicn j^foivcn.

Erzürnt schlägt der ritter mit dem bratspiess samt pfau auf Kein los, und andre knechte jagen ihn zur bürg hinaus. Auf diesen bericht au Artus begibt sich Gawan in die bürg, und der herr derselben nimt alle gastlich in herberge. Es ist Ydiers der schöne. Artus lehnt des- sen angebotene begleitung ab. Weiter gelangen sie zu einem hause und kirchhofe, wo an 100 klausner sassen und speisten; dabei ist ein wun- derschöner garten, dessen geheimnis der dichter hier noch verschweigen will. Nach zwei tagen reiten sie weiter und kommen zu einer stadt und bürg, die herlich geschmückt war. Im saale des Schlosses finden sie voll gedeckte tafeln, aber niemand empfängt sie. Gleichwol neh- men sie platz daran.

Sp. 191. Hie kam lauiig Artus %uo Lis von imgeschiht , kern BrandeUjis bürg.

Plötzlich springt Gawan auf, wapnet sich und sezt sich wider, indem er durch eine tür in einer kammer den schild des Bran de Lis bemerkt und erkent, wo er sich befindet. Er erzählt das abenteuer sp. 33, und als endlich Bran de Lis selbst erscheint, bereiten sie sich, den damals verabredeten kämpf auszufechten.

Sp. 211. Hie veht mit einander her Gatvan imde her Bran von Lis.

Beide kämpfen mit äusserster wut. Da wirft sich Brans Schwe- ster mit ihrem und Gawans fünfjährigen söhnchen zwischen die auf den tod erschöpften, und Artus bringt die Verzeihung und Versöhnung zu stände.

Sp. 222. Hie Immet Idlnig Artus für kastei Orgalus.

Bran zieht mit Artus gen Orgalus und lagert sich vor der bürg. Es wird in einzelkämpfen gestritten. Der burgherr (er heisst der reiche soldenier) wird endlich von Gawan besiegt und gibt den gefangenen G}ilet (sp. 169) frei.

Sp. 250. Hie vert künig Artus wider hein von kastei Orgaluz, und het sinen uillen volleiulet gar.

Heimgekehrt finden sie in der bürg Lis grossen jammer, da der kleine söhn Gawans, als er vor der stadt spielte, war gestohlen wor-

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITUNG 299

den. Bei dem Idostcr Oiniias selilap^en sie ein lager auf, und gehen in verschiedenen hänfen nach dem knaben auf die suclie. Gawans lieb Gyrolette, die miitter des kinih's, und sein gefolge Avill vier woclien dort ilirer riickkeln- haiTen. Da reitet ohne gruss ein ritter vorbei, den sie will kennen lernen. Gawan gelingt es, den sich weigernden in gute zu ihr zu führen, nachdem ihn Keye hatte dazu zwingen wollen, doch abgestochen wurde.

Sp. 259. Ilie tvürt ein ritter erschossen i)i Gaicans (jclcitc.

Bevor sie zum lager gelangen, tötet ein gabelot den ritter, der sterbend Gawanen bittet, seine rüstung anzulegen, und auf seinem rosse fortzureiten: das wisse den weg dahin, wohin er die künde des geschehenen bringen soll. Demnach reitet Gawan so gerüstet in der nacht bei grausigem unwetter durch den wald, und als er in einer kapelle ruhe und schütz sucht, fahrt durch ein fenster hinter dem altare eine schreckliche schwarze band, löscht die brennenden kerzen aus und eine grauenvoll klagende stimme lässt sich hören.

es iua.\. dex^ groles heimlicJikeit. im geschiht ive unde leit dem, der do von sagen ivil, un% es sin sol iif daz xil.

Gawan eilt erschreckt weiter und überlässt die zügel dem rosse.

Sp. 264. Hie Jmmet her Gmvan %uo dem grol xno dem ande- ren mole.

Das ross ti'ägt Gawanen in einen herlichen baumgarten und zu gebäuden, deren bewohner ihn als ihren gebieter, den erschossnen rit- ter, begrüssen, da er dessen ross und rüstung führt. Als bei seiner umkleidung sie ihren irtum erkennen, ziehen sich alle zurück. Stutzig darüber geht Gawan in den grossen saal. Da steht eine bahre mit der prächtig geschmückten leiche eines ritters, von brennenden kerzen umgeben. Auf der leiche lag ein zerbrochenes schwort. Ein pfafte komt mit einem silbernen kreuze, und eine grosse schaar domherren, die sich um die bahre aufstellen und vigilie singen. Nach ihrem abgange blieb noch viel volks zurück im saale. Darauf ward eine tafel gedeckt und ein statlicher mann mit scepter und kröne ti'at ein, und nahm mit Gawan an derselben platz. Das gleiche tat die ritterschaft. Der gral ßiQf^ snelleclich har und dar

für die tische alle gar

und versah alle reichlich mit speise und trank. Als die tafel aufgeho- ben war und sich alle entfernt hatten, bemerkt Gawan am ende der

300 SAN ALVRTE

tafel einen in silbernem gefass aufgestelten speer, von dessen spitze blut in das gefass floss, aus dem es einen weiteren abfluss in ein gold- nes gefass hatte. Da kam der herr wider mit dem zerbrochnen Schwerte und forderte ihn auf, es zusammen zu setzen, was ilmi jedoch niclit gelang. Es gehörte dem vorher erschossnen ritter. Da sagt der herr: er sei der rechte nicht, der dazu berufen, und solle wider kommen, wenn er beweisen könne, dass er der tapferste ritter der weit sei. Auf Gawans frage nach dem allen, was er gesehen und was geschehen, erklärt ihm der herr: mit dem Speere habe Longinus Christi seite durchstochen, doch als er die geschichte des Schwertes begint, schläft Gawan fest ein. Wie beim ersten besuch findet er sich am morgen auf dem anger unter einer eiche, die bürg verschwunden, ross und Waf- fen neben sich, und mit dem vorsatz, ferner durch rittertaten sich des grals würdig zu machen, reitet er weiter. Der dichter sagt: er müsse die materie kurz fassen, und daher dürfe er nicht erzählen, wer den söhn Gawans stahl, ihn erzog und zum ritter machte; es geschah

von der meyede icunncsam die in xiio gesinde nam. Sp. 276. Ilic seit er von hcrn Gawans sun und ivie in sin vat- ter vani y her Gaican.

Diese Jungfrau reitet eines tages fem zu einem an einer fürt belegenen schön eingerichteten zeit, auf dem Avege dahin sticht der junge, starke, doch in der wafFenführung noch unerfahrne kämpe nach einander zwei ritter nieder. Da er noch keinen toten gesehen, und die toten ihm nicht rede stehn, sagt er: so schlaft denn! und lässt sie liegen. Als Gawan darauf die fürt durchreitet, ficht er auch diesen an, der indess seine kraft wie sein Ungeschick erkent und nach dem namen fragt. Freudig erkennen sie sich, und Gawan stelt sich der Jungfrau zur Verfügung. Der französische Verfasser scheint diese weiter erzählte episode von anders woher hier eingefügt zu haben, denn die Übersetzer sagen sp. 284, 15:

nu hau ich ilch geton bekant

icie her Gaican sinen snn vant

und ouch die juncfroive sin, und weiter wird sp. 287, 3 widerholt:

hie het dax mer ein ende gar

von kern Gaivans sun bitz har nachdem noch erzählt worden, wie Gawan jene beide nach Brittannien führi, wo Artus zwei monate zu Karlaun still gelegen, und sie mit freuden empfangen werden. Im freudengewimmel stiehlt ein fremder

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITÜNG 301

ritter Gawans ross und wuffeu. Dem Ywon wird Gawans söhn in fer- nere zueilt gegeben.

Sp. 287. Ilie vahct die oventilr an vommc Siran, der den toten ritter fjrohte äffen dem nier in eime schiffe xno Gtoinorgan.

In schwüler gewitternacht nach regen, blitz und donner geht Ar- tus in eine laube am meere; da zieht an silberner kette ein schwan ein hell erleuchtetes schift' heran, Avorin ein schöner prächtig geschmück- ter ritter liegt, dessen bi-ust jedoch von einer lanze durchbohrt ist. P]r lässt den leichnam in die laube bringen und tindet in der tasclie des ritters einen brief, worin er las: „dieser tote war auch ein künig, der vor seinem ende könig Artus bat, dass er seinen leichnam in seinem palaste ausstelle, bis ein ritter ihm den speerschaft aus der brüst ziehe, der aber mit demselben eisen seinen mörder erstechen müsse. Geschieht dies nicht innerhalb Jahresfrist, so möge man ihn begraben. Bis dahin werde er nicht verwesen. Geschiehts, so w^erde man am hofe erfah- ren, wer er war, und wie er ungerecht getötet worden." Unter gros- sem geschrei und flügelschlag schwamm der schwan mit dem schiflein davon. Wegen der unbestimtheit des briefes kann sich kein ritter ent- schliessen, den stahl aus der brüst zu ziehen, und so blieb der tote im saal aufgestelt stehen,

Sp. 294. Hie seit er, ivie Galieries geschendet wart in dem garten.

Gaheries war ausgeritten, seinen bruder Gawan zu suchen, und gelangt zu einer prächtigen bürg. Da sich niemand blicken lässt, rei- tet er in den saal und weiter in eine kammer mit drei herlichen bet- ten. Hier bindet er sein pferd an, legt die waö'en ab und geht weiter in eine zweite kammer mit zwei betten und in eine dritte mit einem bette, alle in pracht hergerichtet. Zulezt blickt er in einen park, in welchem zwei zelte stehen. Da keine tür dahin führt, springt er durch ein grosses fenster hinein und findet in dem einen zeit eine Jungfrau, die einen wunden ritter pflegt, der in dem bette in den armen eines Junkers ruht. Zornig befiehlt der wunde ritter, den dreisten eindring- ling wegzuschaffen. Ein bewafneter zwergritter greift ihn an; Gaheries legt die ihm nachgetragenen waffen an, doch wird er arg niedergeschla- gen und muss unter harten beschimpfungen und bittersten spotreden die bürg verlassen. An Artus hof gekommen klagt er sein leid, zieht den sperschaft aus der brüst des toten ritters, befestigt das eisen an seiner starken lanze, und wolbewafnet kehrt er zu der bürg zurück, um die ihm angetane schmach zu rächen; ihn empfängt ein bewafneter

302 SAN MARTE

zwerg, iu der grosse, als ob ein äffe auf einem Jagdhund ritte, den er

aber tötet.

Sp. 308. Hie n'chet Gahen'cs sifi lasier.

Im zorn über den getöteten zwerg wafuet sich der wunde ritter, wird aber im kämpfe niedergestoclien. Da komt die Jungfrau erfreut, di^s der durch den scliwau zu Artus gebrachte tote ritter durch das- selbe eisen geräclit sei, das ihrem geliebten den tod gab. Beide hissen die toten liegen und reiten hinweg, bis sie am abend in einer schön im meere auf einer insel gelegenen bürg gastliche aufnähme finden. Gaheries wird schlafend in das schiff des schwans gebracht und die Jungfrau tahrt damit nach Glamorgan, wo Gaheries mit grosser freude begrüsst wird. Die Jungfrau erbittet nun von Artus die leiche des jezt gerächten königs Brangemor, um ihn seiner mutter Brangebart wider zuzuführen. Sein vater Gingamors jagte ein schwein, das aber eine fee war, die nach ihrer Verwandlung er zur ehe nahm, und die ihm den söhn Brangemor gebar. Artus lasst sie mit seinem sogen ziehn.

Sp. 314. Hie nimet die oventilr ein ende vomnie sivmi, der den toten ritter hrohte uffe dem mer in eime schiffe xuo Glo)nor(jan, und icil nu sagen von Parxifcde und Icumet %uo der bürge xuo dem hörne, und ist die erste oventilr, die er hegie in dem welschen buoche, dax xe tusche broht ist. [Bern er ms. ed. Rochat, Perceval li Galois. Zürich, Kiessling. 1855. § 1 u. 2.]

7iu seit uns dis niere kürxlich^

dax des selben tages fuegete sich,

uf eine mitteicuche ex geriet,

dax Parxifal sich da schiet

von hiinig Artuse xuo Joflanx,

do er gestreit mit Gaivan und Oramolanx.

ouch sag ich iich, dax er xehant

reit durch manig fr'ömede laut.

dar xuo vant er ouch xivor,

dax sollent ir tvüssen fünvor,

manig oventilr siver,

die nüt sint geschriben her. Viele tage ritt er durch fremdes land, bis er zu einer festen bürg gelangte, an deren tore ein elfenbeinernes hörn hing. Da sich nie- mand sehen lässt, so bläst er das hörn dreimal so gewaltig, dass die bürg erdröhnt. Endlich komt der burgherr, könig von Nurasch und Irland, reich gewapnet mit gefolge und volk heraus, rent Parzival scharf an, wird aber geworfen und ergibt sich, als er Parzivals namen

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITUNG 303

hört, der für den besten ritter der weit ^ilt. Und dieser schickt ihn zu Artus. Parzival hört von einer Avunderbaien säule auf „dem lei- digen berge (mo7{s chhrosiis)^ an welcher nur der beste ritter sein pferd anbinden kann, und wendet sich dahin. Als Artus vernimt, dass Parzival nicht eher zuriickkehren werde, als bis er die blutende lanze gefunden habe, bricht er mit dem hof(3 auf, ihn zu suchen.

Sp. 322. Ilie kionct Pardfal xuo der jiDKifrowoi, die da\ scJfof- xovelgesteui hcttCj dax von im selber spüle. [Bern. ms. § 3.]

Parzival gelangt zu der stelle, wo er einst den reichen fischer am see fischend fand, und gedenkt, wie er von dort zur gralburg gekommen. Weiter sieht er eine herliche bürg jenseit eines breiten Wassers, und eine schöne magd ist bereit, in einem kleinen schiffe ihn überzusetzen. Doch arbeitendes volk jenseit warnt ihn, da sie ihn ertränken wolle, und bringt ihn selbst sicher an das andre ufer. Er geht in die bürg, bindet sein pferd im hofe an, legt schild und lanze ab, und betritt einen prächtigen saal, worin ein reich geschmücktes bette aufgeschlagen steht Da öfnet sich die tür einer schönen gewölb- ten kemenate; darin auf einem tisch ein wundervolles Schachbrett:

[Bern. ms. § 4. R. Boron, nach Birch-Hirschfelds auszuge: „die sage vom gral", Leipzig, Yogel 1877 s. 173.] er tut einen zug, es wird unsichtbar dagegengespielt, Parzival verliert stets die partien, und zornig darüber will er das Schachbrett in den teich unter dem fenster werfen: da warnt ihn aussen ein schönes mäd- chen, zu dem, als sie in den saal konit, Parzival in niinne entbrent; doch wehrt sie ihn ab mit dem versprechen, ihm minnelohn zu gewäh- ren, Avenn er den weissen hirsch jage und ihr dessen köpf bringe; ihren kleinen bracken wolle sie ihm dazu mitgeben. Nachdem er den hirsch erlegt und ihm den köpf abgeschnitten, komt eine Jungfrau geritten, die den kleinen bracken einfängt und ihn nicht eher heraus- geben will, als bis er mit dem ritter im grabgewölbe werde gefochten haben.

Sp. 330. [Bern. ms. § 5. R. Boron s. 173.] Hie vihtet Par- zifal mit dem rittere, der imme geivelhe heslossen ivas.

Das gewölbe war eine massive klause, und seit fünf jähren hat der ritter seiner geliebten gelobt, dasselbe nicht eher zu verlassen, als bis der kämpe gekommen, der ihn besiege. Seine geliebte ernährt und besucht ihn darin. Auf Parzivals aufforderung komt er auf einem rosse schwarz gerüstet heraus, doch während des kampfes beider komt ein fremder ritter vorbei, der bracken und hii'schkopf stiehlt und damit davon reitet. Der schwarze ritter fühlt sich besiegt und flüchtet in

304 SAN MARTE

das gewölbe, wohin ihm Parzival nicht folgen kann, und dieser eilt nun dem riiuber nach, indem er sich von der Jungfrau trent, die ihm den namen sowol des schwarzen ritters als des brackendiebes zu nen- nen verweigert.

Sp. 338. llic hiimet Pnr\ifnl i)i eine hurg , do er einen löiven sluog, und ralft mit dem herren. [Bern. ms. § 6.]

Parzival komt zu dem schloss Brunemuns, ohne jedoch seine bewohner zu erblicken. Er gelit durch den saal in den garten, wo am brunnen unter schönen bäumen ein zeit steht, worin eine Jungfrau am bette des rittei*s Abrioris von Brunemuns sizt. Vor dem zeit fält ihn ein löwe an, den er tötet. Zornig springt der ritter auf, wapnet sich, muss sich nach scharfem kämpf ergeben und sich mit der Jung- frau zu Artus begeben, der ihn erfreut zum tafelrundritter ernent.

Sp. 350. Hie rindet Parxifal einen toten ritter, der icar^ ersla- gen. [Bern. ms. § 7. K Boron s. 172.]

Der ritter heisst Odinas [im Berner ms. Odinians]. Parzival trö- stet seine klagende geliebte und reitet weiter.

Sp. 351. Hie himet Parxifal zuo eime risen, und würt mit im vehtcndc. [Bern. ms. § 8.]

In einem schönen festen schlösse betritt Parzival den saal, doch keine seele lässt sich sehn. Eine wolbesezte tafel steht da, und wäh- rend er sich daran stärkt, tritt eine bleiche, abgehärmte Jungfrau in ärmlicher kleidung herein, die der riese schon zwei und ein halbes jähr gefangen hält, da sie seinem willen sich nicht ergeben will. Sie fleht ihn zu fliehen, denn, komme der riese, so sei er des todes. In der tat erscheint er, schlägt mit der keule Parzivals ross tot, wird aber von Parzival getötet. Nach guter nacht rüstet sich dieser neu, nimt ein schönes schwarzes streitross, das der riese vor zwei monaten einem ritter abgenommen und im keller geborgen hatte, und reitet seines weges, indem er die Jungfrau als herrin der bürg zurücklässt.

Sp. 359. Hie tvirt Parcifal vehtende mit eime ritter , der huote eines icassers, dax nieman drinne trahte. [Bern. ms. § 9. Vgl. auch R. Boron, B.-Hirschf. s. 174 mit einigen abweichungen.]

Parzival komt an eine fürt und sieht jenseit des wassers ein schönes zeit aufgeschlagen, bei welchem ein silberner schild, eine weisse lanze und ein weisses pferd steht. Als er sein ross in der fürt getränkt, rüstet sich beim zeit der „weisse ritter" zum kämpf, wird aber besiegt und muss sich Artus gefangen geben. Während gastlicher Übernach- tung erzählt ihm der weisse ritter, er sei der hüter der minnefurt (gue amoureux). Zehn mädchen von zwanzig jähren wohnten hier

bildungsga>:g der giuldichtung 3Ö5

unter den bäumen; da kam mancher held und wohnte wol 6 monat bei den mädchen, und wenn andre ritter kamen, die in der fürt ihre rosse getränkt liatten, Avurden sie erschlagen, die siegenden aber wur- den brüderlich aufgenommen. Als die mägde scheiden solten, schrie- ben sie mit goldnen buchstaben in den marmoi-stein beim zeit: wenn ein ritter sieben jähre die fürt hüte, so werde er den höchsten preis bejagen. Dies habe er unternonmien , doch folge er nun seinem befehle. Auch er wird von Artus freudig in die tafeirunde aufge- nommen.

Sp. 364. Hie irürt Parxifal vehtende mit kern Gawans snii, den er hette von kern Bra7idelins sivester, der hies der schöne uner- kante. [Bern. ms. § 10.]

Zwei Wochen reitet Parzival durch dichten, von wild aller art reich belebten wald, vergebens herberge suchend. Endlich trift er eine einsam auf einem marmorblock sitzende jungfi*au im walde, die so schön wie eine göttin ihn fast gereizt hätte, sie um ihre minne zu bit- ten. Da komt ein ritter, der ihm verbietet, bei der Jungfrau zu ver- w^eilen.

[Bern. ms. § 11.] Nach scharfem anrennen nent Parzival seinen namen; da gibt der ritter sich als „den schönen unbekanten", Gawans söhn, zu erkennen, und höchst erfreut reiten alle drei zu einem wol- angesessenen fischer, der sie aufnimt und festlich bewirtet. Er hiess Elvadus, sein vater Elvdus: der war herr des Landes. Seine frau ward vor zwei jähren begraben. Am andern morgen reiten sie weiter, das paar zu Artus nach Lunders und Kantorb ille, Parzival auf eignem wege.

Sp. 371. Hie hunt Parxifal zuo dem andern tnole zuo sinern ivihe Knndeiviramurs 7X Belrepere. [Bern. ms. § 12. Das ms. hat die fi-anzösischen namen Augingeren, Clamadieu und Blancheflors.]

Parzival komt in eine schöngebaute, stark bevölkerte und befestigte Stadt mit zwanzig klöstern und vielen kirchen und türmen; er reitet in das schloss und wird von einer Jungfrau mit prächtigem gefolge empfangen. Sie findet, dass der gast die gröste ähnlichkeit mit dem besieger des Kingrun und Klamide habe. Er gibt sich zu erkennen. Grosse freude überall. Das volk drängt auf die Vermählung beider. Sie besucht Parzival heimlich in der nacht (nachahmung vom besuch bei Chrestiens), sie wechseln tausend küsse, doch das beilager wird nicht volzogen. Vergebens ist alles bitten, dass Parzival länger als zwei tage verweile. Tüchtig und schön ausgerüstet, auf rotem Schilde einen silbernen löwen führend, reitet er unter dem versprechen baldiger

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. ^0

306 SAN MARTE

widerkehr und mit dem schwur, nirgend in einer herberge länger als eine nacht zu weilen, wider ins weite, bis er den hirschkopf uud bracken widergefunden und die geheimnisso des grals erforscht habe.

Sp. 386. Hie irürf vektende Parxifal mit ei7)ie rittere, der hies der schöne Böse. [Bern. ms. § 13. R. Boron s. 174. Er hiess li Beaus Mavais.]

In dichtem walde begegnet ihm auf schönem zeiter in seidnen kleidern nach kornwälscher tracht ein wunderhässliches weib (ähnlich der Kimdrie beschrieben), welchem ein statlicher ritter folgt. Parzival muss über den anblick lachen, worauf der ritter ihn anrent, aber besiegt, sich ergeben und an Artus hof gehen muss. Er wii'd der schöne Böse genant, söhn des grafen von Galphage (fix al conte de Glavoie)\ sie heisst Rosete.

Sp. 386, 33: Sil was glich einre tüvelin.

Zu Kavelun werden beide mit ehren empfangen, nachdem Kaye

für seinen spott hinter den sattel geworfen ward. Später wurde die

frau immer mehr schön und Aveidlich, dass sie algemeine bewunderung

erregte ;

Sp. 394, 7: inenweis oh von feinen kam.

Sp. 394. Hie kumet Pm^zifal %uo siner muoter tüonu7tge und hevindet, daz er eine sivester het. [Bern. ms. § 14. R. Boron s. 173.]

Parzival muss im walde ohne herberge übernachten; dann sieht er den bäum, unter welchem ihm einst ein ritter beschied, dass Artus ihn zum ritter machen könne. Er erkent seine heimat, das mütterliche haus imd wird auch von einem alten knechte wider erkant. Eine jung&'au, seine Schwester, teilt ilun mit, wie seine mutter im schmerz über seine ausfahrt gestorben. Rührend ist die widererkennung der geschwister geschildert. Parzival will den hier in der nähe wohnenden einsiedler sehn, um ihm zu beichten.

Sp. 399. Hie uiirt Parzefal vehtende mit eime ritter, der im sine stveste?' wolte nemen. [Bern. ms. §15. R. Boron s. 173. 174.]

Parzival, treflich gerüstet, reitet mit der Schwester ab. Bald begegnet ihnen ein ritter, der seine Schwester rauben will, doch wird er im kämpf niedergestochen und Parzival führt dessen ross mit sich.

Sp. 400, 29: iewederre hette eins lötven m.uot

und worent kec sam zwei toilde swin.

Der eremit, der Parzival nicht wider erkent, führt die geschwister in die kapeile zum grabe ihrer mutter. Parzival erzählt tief bewegt

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 307

seine abonteuer. Der eiiisicdler tadelt, dass er den ritter getötet, des- sen ross er mit sicli führt. Sie werden in der klause gnt geherbergt lind verpflegt. Ein engel bringt ihnen die speisen. Parzival bittet dringend nm aufklürung über den gral und bhitenden speer. Nach langer erbaulicher predigt reiten die geschwister nach liause. Am andern morgen bricht Parzival unter wehklagen der Schwester wider auf, den gral zu suchen.

Sp. 409. Hie IkhI Par\ifal xuo der megede biirq. [Bern. ms.

§ 16.]

Drei tage durch wüsten wald, ohne herberge zu finden, irrend, komt er endlich zu einer herlichen bürg, deren tor, als er eingeritten, sich schliesst. Kein mensch lässt sich sehen. Yor dem saale steht auf vier vergoldeten säulen eine tafel mit angekettetem hammer. Dreimal schlägt er darauf, dass die bürg erdröhnt. Da zeigt sich ein mädchen, das ihm jedoch auf seine bitte um herberge nicht rede steht. Widerum schlägt er an die tafel, dass man es zwei meilen weit hören kann, und angstvoll komt nun ein andres mädchen, das ihn der herrin zu mel- den verspricht: denn würde er zum dritten male auf die tafel schlagen, so müste die bürg in trümmer stürzen. Im glänzenden saale, von hundert schönen Jungfrauen umgeben, empfängt ihn die herrin; da schwand ihm sein zorn und sein hunger, mid er fühlte sich wie im paradiese. Burg und schloss werden nur von Jungfrauen edler geschlech- ter bewohnt, und sind von ihnen ohne die hülfe von maurern und Steinmetzen erbaut. Fahrende ritter werden zur herberge aufgenom- men; wer das haus menschenleer findet, sich ängstigt, dass sich das tor hinter ihm geschlossen und nicht auf die tafel schlägt, der findet morgens das tor offen und kann fortreiten. Wer aber mutig dreimal auf die tafel gesclilagen, der wird köstlich bewirtet und erhält eine prächtige schlafstätte. So gieng Parzival, nachdem er seine aben teuer den damen erzählt hat, zur ruhe. Doch am andern morgen bei schon hochstehender sonne erwachend, findet er sich unter einer eiche, wap- nung und ross neben sich, die bürg verschwunden, nirgend menschen- spur; verwundert spricht er:

Sp. 422, 24 Ich tvene uf mine jungeste vart Dax. gefenet sint alle gar.

Sp. 422. Hie kunt Parxifal, da er sin Jdrxhouhet wider vindet und daz breckelin, dax er lange gesiwchet hette, und würt mit eime ritter drumbe velitende, der kies Gai'salas. [Bern. ms. § 17. R. Boron s. 176.J

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308 SAN MAETE

Xach langem waldritt kernt Parzival zu einem schönen grossen plan, auf dem ein mächtiger bäum steht, unter dessen schatten wol tausend ritter platz hätten, und daneben ein grosses prächtiges zeit, nebst zwei kleinen. In einem derselben steht ein herlich geschmück- tes bette und eine Jungfrau begrüsst ihn mit der Verkündigung seines nahen Verderbens. Am bäume hängt der köpf des erlegten zwölfenders, doch fehlt das bräcklein. Da wird unter hörnerschall ein todmüder hii'sch von dem hündchen heraugetiieben, und ein folgender ritter tötet den hirsch. Parzival fordert von ihm hii-schkopf und bracken, und da er beides weigert, kämpfen sie; jener wird besiegt und verpflichtet, sich mit seiner dame an Artus hofe zu gestellen. Der ritter heisst Gai-salas, söhn des herzogs von Genelogen land, sein lieb Trischans die ehre. Parzival will von ihm das nähere über die bürg und die Jung- frau, die ihm den bracken gegeben, erfahren; jener weiss das nicht; dann fragt er nach dem schwarzen ritter im grabgewölbe. Der ritter erzählt ihm dessen geschieh te (so gleichfals in Bern. ms. § 17 mit dem Zusatz: „hier endet seine geschichte, die ich euch wort für wort ti'eu erzählt habe.'') Parzival übernachtet gut bewirtet und reitet ver- gnügt mit hii-schkopf und bracken beladen morgens ab. Garsalas und seine geliebte werden von Ailus zu Karleun mit ehren empfangen.

Sp. 439. Hie kunt Parcifal %uo der juncfroiven, die im im imd Jech, der in fuorte über die glesiiie hriigge, und solte in wisen xiu) dem grole, und der selben naht sacli er in in dem ivalde von ungeschihte und dax ers nüt enivilste. [Bern. ms. § 18.]

Parzival betet inbrünstig zu gott, dass er das schloss mit dem Schachbrett und die dame, die ihm das bräckelin übergeben, wider finde. Xach einiger zeit komt ihm em schön mit reitzeug geschmück- tes, blendend weisses maultier entgegen gelaufen, dem eine schöne festlich geputzte dame folgt. Diese besteigt es, und obwol sie es abwehren wiU, reiten beide bis in die nacht hinein mitsammen weiter. Da eilt sie voraus und Parzival ruft sie vergebens zurück. Plötzlich erhelt sich die nacht durch kerzen mit hellem schein, bald aber folgt ein ungewitter mit strömendem regen. Der held muss im walde über- nachten, doch andern tages um mittag findet er die dame, die ihn ver- lassen, unter einem bäume rastend und sie erklärt ihm, dass sie ihrem geUebten Bruns (im Bern. ms. heisst er Bruns sans piiie) gelobt, bis zu seiner widerkehr in keiner geselschaft eines mannes zu sein. Die nächtliche erhellung des waldes habe der gral hervorgebracht, während der hier nahe Avohnende fischerkönig sich der nacht im ft-eien erfreute. Er will mehr vom gral und dem blutenden speer wissen, doch erwidert

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 309

sie, dass darüber nur ein bewährter priester sprechen könne. Weiter reitend kommen beide in ein tal, wo eine Jungfrau sie im zeit unter bäumen gastfreundlich bewirtet; er erzählt ihr seine fahrt um den hirschkopf und bracken, und auf sein begehr, zum gralkönig zu gehm- gen, gibt sie ilim ihr weisses maultier nebst einem ring, durch den er es werde richtig lenken kCtnnen, und das ihn auf der gläsernen brücke sicher über ein grosses wasser führen werde; d(^ch soll er ihr maultier und ring widerbringen. So reitet er auf dem maultier mit seinem ross, hirschkopf und bracken ab, übernachtet im walde und gelangt glücklich über die gläserne brücke.

Sp. 456. Hie kunt Parxifal xuo eirne rittere, der Ines Drios, der in u'isete über die hohe brücke, do nieman' möhte über Jcomen, und gieiig nuwcmt halber i)is weisser, miete seite im ouch von dem (ji'ossen turneig, der sich sammente vor der bürge Orgelus. [Bern. ms. § 19.]

Er begegnet dem edlen ritter Brios von dem gebogenen walde, auch „von den inseln'' genant, im schönen jagdkleide mit einem hörn von elfenbein und habicht. Auf wechselseitigen frommen morgengruss ersucht ihn Brios, zunächst bei ihm sich zu erfrischen, führt ihn ins schloss zu frau und tochter, welche leztere einen grossen eindruck auf Parzival macht, doch von minne noch nichts wissen will. Nach erzäh- lung seines hirsclikopf-abenteuers nimt er den Vorschlag an, an dem furnier teilzunehmen, das Artus jenseits des flusses beim schlösse Orge- lus ausgeschrieben hat. Doch muss er dabei eine zauberbiiicke passie- ren, die nur bis in die hälfte des wassers reicht, und über die ihm eine lange geschichte erzählt ^vird. Andern tags machen beide ritter sich auf, Parzival unter zurücklassung des hirschkopfs und brackens, und in vortreflicher rüstung. Brios bleibt zurück, als Parzival die brücke betritt, doch sobald er an deren ende in der mitte des breiten brau- senden Stromes angelangt ist, löst sie sich behend vom lande los und schwingt sich über die andre hälfte des wassers zum jenseitigen ufer, das Parzival sicher betritt. Damit ist erwiesen, dass Parzival der beste ritter der weit ist. Artus mit allen tafelrundern ist bereits bei der bürg Orgelus versammelt und ordnet die parteien. Als gegenpart steht könig Auguses mit den Irländern, und diesen schloss sich Parzival an, da er gegen die tafekunder unerkant kämpfen wolte. Der vorschnell eifrige Keie wiixl zuerst abgestochen und muss den höhn des hofes erfahren. K^ach vielen siegreichen kämpfen kehrt Parzival über die brücke in gleicher weise, wie er gekommen, zu Brios zurück, der ihn erwartet und beide übernachten in der behausung des neffen Brios, eines einsiedlers. Am andern tage widerholt sich der gleiche waffen-

310 SAN MAETE

tanz, und Artus misvergnügt scbickt Gawan aus, zu erkunden, wer der stets sieghafte ritter sei. Umsonst. Abends zieht sich der held wider zurück, übernachtet bei Brios und zieht mit hirschkopf, bracken und weissem maultier seines weges weiter.

Sp. 485. Hie lannmet Farxifal zuo eime sarke, do ein ritter inne lag, und der ritter hetroug in darin mit sinre bosheit. [Bern, ms. § 20.]

Bald fand er im walde unter einem bäume ein kreuz, darunter einen marmorsarg. Eine stimme rief unter dem stein um hülfe. Als Parzival den stein aufhob, sprang ein statlicher ritter heraus, der den beiden in den sarg und über diesen den stein warf.

Sp. 486. Hie iviirt Parxefal erlöset uz dem sarke. [Bern. ms. § 20.]

Der tückische ritter versucht, auf dem ross und auf dem maul- tier davon zu reiten, doch beide sind nicht von der stelle zu bringen. Er vermutet Zauberei, lässt Parzival aus dem sarge und springt selbst wider hinein imd ruft nur noch: am ende des Jahres werde Parzival erfahren, wer er sei. Dieser reitet ab und findet bald im walde eine schön gezierte jungtrau, die den ring und das maultier als das ihrige ihm abfordert, und fragt, ob er beim gral gewesen und seine wunder gesehn habe? was er verneint, dagegen seine abenteuer erzählt. Er gibt ihr ring und maultier, womit sie wegreitet, er übernachtet im walde und betet recht inbrünstig zu gott, dass er ihn doch endlich zum fischerkönig oder zur mägdeburg führe. Da antwortet ihm hoch aus dem bäume eine stimme: das bräcklein werde ihn führen! Bellend läuft es voran, er eilt freudig ilim nach.

Sp. 492. Hie kunt Farxifal wider 7mo der jungfroiven, do er das riche schofxovel- gesteine U7id hret vant und die im lech im bracken. [Bern. ms. § 21.]

Das bräckelein führt den beiden in eine ansehnliche bürg; im saale steht ein prächtiges bett, auf dem das Schachbrett liegt. Eine schönge- schmückte Jungfrau, der das hündchen freudig entgegenspringt, begrüsst ihn fi'eundlich: er übeiTeicht ihr den hirschkopf, erzählt seine abenteuer, bittet nun aber um erfüllung ihres gelübdes, das sie ihm bei der aus- fahrt gegeben: gewährung der minne. Mit vielen küssen fält sie ihm um den hals und erklärt ihm ihre hingebung. Sie setzen sich auf das bette neben das Schachbrett, über welches sie auf seine bitte ihm aus- kimft gibt: einst war hier eine wunderschöne zauberkundige magd; diese fand die fee Morgane auf einer wiese mit einem ritter schach spielend; als sie näher trat, bot ihr Morgane ihr schachbret an zum

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITUNG 311

geschenk; es war zu Lunders uf der Tarmise gemacht. Als gegen- gescheok gab sie Morgane dieses Schachbrett, das von selbst spielte, wenn ein ehrbarer mann oder solches weib oder jungtrau das gegen- spiel übernahm. Als sie an köuig Brandigans hüte war, kam auch Morgane dahin, nahm sie auf zwölf jähre mit sich, und schenkte ihr das schaclibrett zurück, wonächst sie vor acht jähren sich diese schöne bürg erbaut habe. Kitter und damen versammeln sich zu festlicher abendtafel, dann wird Parzival schön im saal gebettet und nachts kam die burgherrin zu ihm und löste ihr gelöbnis. Andern tags reitet Par- zival wider auf die gralsuche mit dem versprechen, wider zu kommen. Sie begleitet ihn bis an ein wasser, wo ein schiff an einer eiche unter schloss lag. Sie schliesst es auf, und das schiflein bringt ross und reiter hinüber und kehrt dann von selbst zurück. Er verfolgt die ihm gewiesene Strasse zum fischerkönig.

Sp. 506. Hie vindet Fm^7dfal einen ritter, der an den faexzen Meng an einem boume, den er erloste, der Bayumades hies. [Bern, ms. § 22.]

'Keie hatte ihu so grausam behandelt und mit drei rittern angefal- len, als sie vom leidigen berge kamen, wo sie vergeblich versucht hat- ten, ihre rosse an die marmorsäule zu binden, was nur dem besten ritter der weit gelingen kann. Bagumades, nun befreit, reitet zu Artus, um Keie ziu- rechenschaft zu fordern, Parzival zur säule auf dem mo7is doloiireux, um zu versuchen, ob er der beste ritter sei.

Sp. 513. Hie klimmet Bagimiades xuo künig Artus und würt vehtende mit Keygin.

Artus und die königin schlichten den kämpf, in dem Keye zu unterliegen droht, in gute, und da Bagumades den gruss von Parzival gebracht, machen alle tafelrunder sich auf, ihn zu suchen, Gawan, Twon, Lanselot usw. Der dichter will jedoch nur von Gawan erzcäh- len. Hier bricht das Berner ms. ab und schliesst sich erst sp. 582 wider an. Gawan übernachtet bei einem einsiedler im walde, dann komt er bald zu einer bürg, vor der an einem bäume bei einem brun- nen ein silberner schild hing, dessen wappen ein schwarzer klimmen- der löwe ist.

(ScMuss folgt.)

312

EEST QUODLIBET.

Die hamhchrift c(J)h 270 der lajl. liof- luid staaUhiljUoihek in München ans dem 15. jli. (cafaloi/ns V 1, s. 31), in welcher auch die 17 (jedichfe Heinrich Kaufrintjers aufbewahrt si)id, enthält bl. 73'' bis 76" nachfolgendes qnodlibef („ditz liaist ain geplerr'', v. 161), das sich durch eine fülle eingestreuter Sprichwörter u?id sprichwörtlicher redens- arten auszeichnet. Die anmerkungoi geben die lesarten aus cgni 379; in dieser hs. steht das gedieht bl. 36'' bis 5Ö^

bl. 73* Ain ander guot spriich.

Wer on guot wil witzig sein

Vnd on schiff fert über rein

Der möcht ertrincken wol

Durch des reiches stet on zol 5 Niemant thar gefarrn

Was die Chargen mügend ersparen

Das wirt den muten zuo tau bl. TS*" Auß past macht man sail

Oder guote raffen reff 10 Gipt ainer seinem chneht ain treff

Vmb schneid er sol nit zürnen

Für die feind sol man turnen

Die zun die da geachtert sind

Mit ruoten sol man slahen chind 15 Die vmb wöllent zäunen

In müllen fint man wannen

In dem wein hauß die maüß

Ze chirchen vnd zuo straß

Sicht man schöne frawen 20 In weiden muoß man hawen

Holtz das man da prennen wil

Wer wolfail hin gipt vnd lange zil

Der verkauft wol was er haut

Er mag sein aber verderben drat 25 Von spils uegen der gemn ist ciain

Überschrt'ft fehlt iii cgm 370. 1 an .so stets. 5 niema. gefaren. 6 karge.

7 ze 50 stets. 9 gütu haffenref. 10 sin. 12 viend. ]4 rautten. slaschen.

15 vmb red weUen. 17 maß. 18 kirche vgl. xu 6. 19 Sich sich. 22 hin ge tzil. 23 hat.

EULINÜ, QUODLIBET 313

Zwen glich hert stain

Malend scltton slechtes inol

Wer haut ain guot bocktel

Der ist zwair stiffel gewiß 30 Wer rieh ist man spricht er ist gewis

Nieniant waiß ob das ist

Auff die acker fürt man mist

Der si gern getunget haut

Der pader ainen siechen laut 35 Zum linggen arm zuo dem miltz

Wer haut zwen schuoch mit filtz

Die sint den winter warm

Die frawen spinent garn bl. 74'' Aine pessers dann die ander 40 Tücli fürt man auß ilandern

Wer das chaüfPet der muoß phenning han

Wer übel vnd guot chan uerstan

Tuet er vnrecht man sol jn strauß'en

Wer schreit on not waüffen 45 Der pringt die leüt zuo samen

Wenne man sieht schöne samen

So chumpt gern ain guot jar

Ich waiß wol wer nit hat har

Der ist sicher chal 50 Wer chorn hab der mal

Die weil die päch sind groß

Weren meiniu pfant loß

So wölt ich frölich sein

Ich waiß wol das der wein 55 Macht vngeraten leüt

Zuo fasnacht sieht man prüt

Mer dann durch das jar lanck

Von üeb schaiden ist ain swerer ganck

Also gat das jar da hin 60 Wer vast zert on gewin

Dem wii't die täsche 1er

Ich waiß wol es ist swerr

26 gleych. 30 spiich. 34 bader. 35 langen, auff dem m. 40 füret, gen flander. 41 koft. 43 solt. 48 hat hat. 53 wolt. frolich. 55 Kit. 59 get.

314 EULING

Das niemaut erheben mag noch chan

Wer des winters one ban 65 Vber weld muoß reitten

Der sol des tags erbaitten

Leüg ich so wil ich swigen bl. 74*' AVer beginnet seigen

Dem ist ettwas prosten 70 Wer badet one ehesten

Der schempt sich uil

Wer vor dem pern uischen wil

Der mag sein arbait verliessen

Wer pöß gelt nit chan chiessen 75 Der verdrnißet seiner zeit

Wer ^y ainer trawen leit

Vnd jr nicht gelieben mag

Der wölt gern es war tag

Liegens sol sich niemant gewenen 80 Siechtag tuet wee den zen

Auch ich die leut hör sagen

Wer vnrechts vil muß haben

Ich wen es tue jm wee

Czuo sumer pluomen vnd kle 85 Sicht man auff den haiden

Wem sein lieb wirt laiden

Des liebung ist gar enzwai

Laichnuß ist manger lay

Dar \Tnb ist mir geschechen laid 90 Wer zuo dem augsten w^euig schneit

Der tarff dest minder traschen

Frawen mussent waschen

Das lauß wir aber sleiffen

Chül morgen pringent reiffen 95 Sehne choment nach ehalten winden

Der baupst mag enpinden

63 noch chan fehlt. 66 erhiten. 67 Lieg. 68 sigcn. 70 fehlt ganx. 75 verdrwßet. 76 bey. 77 geminnen; in cgm270 steht geliehen von jüngerer hand in rasur, vgl. über dieses in cgm 270 geübte verfahren Heinrich Kaufringer hg. von Euling. s. IL 79 Liegents. wennen. 81 Als ich. her. 82 muß ver-

tragen. 83 tu. 86 Der sem. 88 menger. 89 mir fehlt. 90 ögsten.

93 slyffen. 95 komjjt.

QUODLIBET 315

Den siindcrn wil er liabeii r\v bl. 75" Wann der mon ist new

So mag sich das weiter iierstossen 100 Chuglen vnd possen

Macht vngeraiiten leüt

Wer hacket oder reut

Dem wirt sein prot saür

Ain wolff vnd ain pawr 105 Werdent ain ander selten hold

Das da gleist ist nit alles gold

Wenn es ist auch mess

Ain schmid in seiner ess

Sol haben guten chol 110 New pesm cheren wol

Paß dann si Averdent alt

Altu wip sind ehalt

Dar zu pringet si jr alter

Ich wen wenn ain malter 115 Mer dann ain pfünt gelten sol

Es sev armen leüten nit wol

Pöß offen werdent riechen

Gern lapt man die siechen

Wie gern sung ain man 120 Ir wissend wol wer Kitzel chan

Der haut gesungen schier

Ich waiß wol dry vnd vier

Ist siben hewr als fert

Wer Pfenning hat der ist wert 125 Disser weit lauff nieman

Ains mals gesagen chan bl. 75*' Vnd wie ieder sei gemuot

Der pfaff aischt nicht das guot

Die weil das öppffer mag wern 130 Ich waiß wol er wölt gern

Das es lange wert

Er mag fallen hiur als fert

Wer hoch wil steigen

98 man. nuw. 100 Kichlen. 101 Mach. 105 an ainander. 106 als. 107 och. 109 guten fehlt. 110 pesen. 112 weip. 116 nit fehlt. 119 AVy gernen so mag ain man. 122 oder vier. 123 vart. 130 weit. 131 wart.

316 EULING

Hern sol man naigen

135 So si piettend jrn gnioß

Thören essent gern muoß

Ymb alle sach ist mir nit chiind

Doch waiß ich wol den alten hund

Ist pöß leren die pand 140 On pfening vnd on pfand

Niemant zuo dem wein sol gan

Der sich chiimers wöl erlaiin

Am süntag söl wir feirren

Pfaffen vnd geyrren 145 Sind der leüt schaden fro

Gern print das stro

So es nahent leit pv dem fewr

Jr wissent wol das hewr

Die mäntel gand für die rock 150 Gaiß vnd auch pöck

Tragent lützel guotter wollen

Wem der sack nit wil foUen

Der sol jn halb vei-pinden

Garn sol man winden 155 Oder es wird sicher verworren

So die schwin begimien kerren bl. 76* Dar zuo tribt si des hungers not

Wer hewr stirbt der ist tod

Ynd ist sin piß jar vbrig worden 160 Es ist ain herter orden

Ditz haist ain geplerr

Ynd chompt der uogel jn das flerr

Er wirt uilleicht geuangen

Wer zuo jungst chompt gegangen 165 Der haut versaümpt den ersten trunk

Alt leüt sint nicht Jungk

Doch haut ain gans ainen langen kragen

Ich möcht zu vil sagen

Da uon sprich ich ain wort 170 Churtz red war ist ain hört

134 geneigen. 142 erlan. 143 vyren gjTen. 147 bey dem

fürr. 149 gend. 155 sicher fehlt. 156 swein. 162 lerr. 1G7 ain.

LÜGENDICHTUNG 317

Wer paUl lauft' dem ist gaüeh

Her aiift' da ti-iiiik ain prediger uaeh.

171 löff. 172 Hör.

EINE LÜGENDTCIITUNG.

Dem Verzeichnis mhd. läge/ist ücle bei MüUrr-Fraurciith, die deut- schen Uiyendichtiuigen s. 12. 13 füge ich Idnxu „Spruch das alles in der Pelt gut gehet" vom Sch7iepperer aus der Its. des germaiiischen museums %u Nimiberg )ir. 5339^, vgl. Afixeiger f. kimde d. d. vorz. 1859, 9 12. Bei Goedeke I, 329 fehlt das stück, trotxdem es vo7i Wendeler in seinen Studien über Hans Rosenplüt erwähnt war. Die angeführte Überschrift rührt von jüngerer liand, her.

bl. 410^ Ich sollt von hübscher abenteür

Sagen darzu dorft ich wol steür

Ob ich zusamen ein gedieht

Kiint bringen aus gar hofelicher geschieht 5 Ein schweiczer spiß ein helnparten

Die tanczten jn einem hopö'engarten

Eins Storchs pein vnd eins hasenfuß

Die pfiö'en auf zum tancz gar suß

Die würffei fürten den reven eins: 10 Dapei was heinczlein meyers pflüg

Der sas in einer alten taschen

Ynd schmidet ser an einer flaschen

"Was grosser kunst er daraus dreit

Die flasch was drei messig weit 15 Er schopfft gancz vnd gar darein

Das mer die tunaw vnd den rein

In aller weit wassers zuran

Ein muck verschlant ein starcken man

Ein feüi- in wasser nie erlasch 20 Der pfarrer seinen meßner trasch

Der paursman sictzt wol vnd eben bl. 41 1'* Der darft kein güllt noch zehent geben

Ich sach den dittrich von Bern den recken

Rennen scharpf auf einen heüschrecken 25 Ich wil euch neue mer hie sagen

318 eulinCt

Die schweiczer liatt er all erschlao:en Der edel füi-st von Österreich Siezt in dem schweiczer land gleich Ynd hat gewunnen mit dem schwert 30 Als er vor lang hat begert

Ich sas: euch das fursten ynd lierren Der Juden schecz nit mer begern Sie haben gemacht gut frid vnd gleit A^nd haben vertriben weit vnd preit 35 Die rauber gancz aus jrem land Das vnrecht thut den fürsten and Es sein alle sti'aß gar fridlich worden Ynd yderman hellt recht sein orden Eeprecher vnd meinayd schweren 40 Das vindt man auch nu nymermer Die wellt ist worden schlecht Richter vnd schopffen die sprechen recht bl. 411'' Tnd vrteilt yderman nach seinem synn So ist gerechtikeit erschinn 45 In allen landen weit vnd preit Hat man die vnrecht aufgegeit Die prister halten sich wirdigkleich Sie schlagen gancz aus alle reich Es wil einer nit mer haben dann ein pfründt 50 Sie haben sich alle mit got versunt Hoffart vnkeüsch geitikeit ser Das sieht man nvmant treiben mer Man most sich aller svmonei Alle Wasser vnd weld sein worden frei 55 Wann tosten vnd heiTen thun als wol Ynd nemen nit steür noch zol Der pfenning ist worden vnwert Das nymant mer vnrechts begert Die weit die fleißt sich aller tugent 60 Ynd guter ding jn aller Jugent Die Jungen die haben die alten lip Darumb ich in gros lob hie gib

26fgg. über die satire in der lilgendichtuncj vgl. Müller - Fraureuth s.22fgg. 39. 40 schwerer Die? 49 vgl. Gerynania 33 (1888) s. 164.

LÜGENDICHTUNG 319

Die kiiidt vollen vater vnd miitor schon 1)1. 412" Nymandt dem andern arges gon 65 Nymant tregt mer neid vnd lias

Geen dem andern icli sag euch das

Die Juden wollen sich gancz bekern

Ynd iiynunt keiner kein wacher mer

Sie sein all getauft zu der cristenheit 70 Jr sund ist in worden leit

Des habens alle ein guten willen

Ein muck ving mit einem grillen

Starcker wolff drei on wer

Ein schwarczer storch pädt sich ser 75 In einem sperckennest gros

Ein plinter zu dem zil schos

Ein zwifalter aus clugen wiczen

Sang mit einem stigliczen

Vmb hundert elen egerigs tuchß 80 Ein henn die laß mit einem fucliß

Hie vor das sag ich euch für war

Ich was gar nahent hundert Jar

Ein gewaltiger pabst in schottenlant

Ich gabs mit willen auf zuhaift bl.412'' 85 Do hett ich alles das ich wollt

An dem weg do lag das silber vnd das golt

Gleich sam die grossen quaderstein

Das was mir alles gar gemein

Do stund ein prunn der was guldin 90 Daraus flos der aller peßt wein

Ein reiche kuch stund auch dapei

Ynd die was yderman frei

Da gieng ich auch ein als ich solt

Ynd asß vnd tranck do was ich wolt 95 Ich schlug es aus vnd wolts nit han

Da sprach zu mir frau vnd man

Ich wer nicht weis das ichs ausschlug

Solch herren leben gar gefug

Ich sag ein grossen mülstein 100 Da fligen in lüften gemein

85 fgg. vgl. Müller - Fraureuth s. 14 fgg.

320 EtJLING, LÜCtEXDICHTTJNG

Ich sag einen paunien der ti*iig

Die allerpesten seniel gut vnd elug

Der do in einem weyer hing

Der lauter da mit milich ging 105 Darein viln die semel herab bl. 413* Ein loffel man vderman 2:ab

Zu essen genug semel vnd milch

Ein weber macht guten zwilich

Aus einer alten decken schon 110 Ich sas: den turn zu babilon

In eines kramei*s korb verspert

Ein äff mach hübsch gefert

Auf einer lauten hofenleich

Vor Römischen keisern reich 115 Da kund er aUe seitenspill

Ein toter Jud der gerbet vil

Schweiner feil zu einem pelcz

Ich sag aus einer mucken schmelcz

Das peßt schmalcz wol drey zentner 120 Des molers pensei ti^ug gar schwer

An einem schneckenkorb gros

Ein frosch zu einem storchnest schos

Es vellt neür \^nb zwu ackerleng

Er hetts sust troffen sein weit sein eng 125 Mit eiuem alten videlbogen

Ob ymant Sprech ich hett gelogen bl. 413^ Ich hab nit brif noch sigel dapei

Wie es das ewangelio sei

Damit ich die kunst bewer 130 Das ist nit Avar vnd ist kein mer

Sagt vns der schnepperer.

126 fgg. rgl Fsp. US8. raLDESHEIM. K. Etn.ING.

321

ZUM PASSIONAL.

1. Dresdner briuhstücke aus dein passiiMial K.

Ausser den beiden von 0. Meltzer (Germ. 18, 355 f^^) und E. Wör- ner (Ztschr. f. d. ph. 8, 68 f^.) veröffentlichten bruchstücken des Pas- sionals besizt die kgl. bibliothek zu Dresden noch zwei andere, die wie das Wörn ersehe bruchstück dem dritten von Köpke (Quedlinburg und Leipzig 1852) herausgegebenen buclie des Passionais (Passional K.) ange- hören. Über diese beiden noch nicht veröffentlicliten bruchstücke, auf welche mich mein freund kustos dr. H. A. Lier aufmerksam machte, soll im folgenden berichtet werden.

1) Zwei pergamentstreifen, Avelche zusammen ein wagerecht durch- schnittenes doppclblatt darstellen, das ehemals den inneren teil eines quaternio gebildet hat und dessen selten 207 mill. hoch und 178 mill. breit sind. Dr. H. A. Lier fand diese pergamentstreifen im inneren rücken eines aus der Ölser privatbibliothek des verstorbenen herzogs von Braunschweig stammenden und von da in den besitz der Dresdner kgl. bibliothek übergegangenen buches (Helius Eobanus Hessus, He- roidum Christian arum epistolae. Lipizk per Melchiorem Lotter. 1514. 4^^). Die 232 verszeilen, welche das bruchstück enthält und welche bei Köpke den versen 139, 29 141, 68 entsprechen, sind so verteilt, dass sich auf jeder der 4 selten 2 spalten zu je 29 versen befinden. Das erste blatt ist am seitenrande verschnitten, sodass von bl. V sp. 2 die versausgänge und von bl. l'' sp. 1 die versanfänge fehlen. Es fehlen sonach die ausgänge der verse Köpke 139, 58 86 und die anfange der verse Köpke 139, 87 140, 19. Die schriftzüge sind zAvar nicht gerade schön und regelmässig, zeichnen sich aber durch deutlichkeit aus. Andere als die bekanten abkürzungen sind nicht verwendet. Die abschnitte sind durch grosse bunte initialen bezeichnet; so begint 139,47 mit einem blauen N, 140, 33 mit einem roten P und 140, 89 mit einem blauen D. An einzelnen stellen hat die schrift durch kleine löcher, noch mehr durch falzung des pergaments und aufgestrichenen leim gelitten.

Li dem folgenden Variantenverzeichnis, bei welchem ich auf die rein orthographischen unterschiede keine rücksicht genommen habe, bezeichnen die werte vor dem strich die lesarten des Köpkeschen tex- tes, die hinter dem strich die unseres bruchstücks.

139, 29. an im ungemutec ge7iue \ er was vninvtic gnvh 31. im \ ein 33. korhe \ hiehte 34. ein hrot \ daz hrot 36. geweft ein ftein

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 21

322 NETJMANN

fo fcharf \ garcfen ein ficin scJfarf 37. gcfcn \ gcfchcn 38 gcfchcn\ gefchclni 41. hie \ da öl. fidn \ fvllcti 55. fit \ fint Ol. alda \ da 62. im I do 69. xu \ vor 72. dir foJdc alle \ da folte er alle 78. die

an I die fie an 79. hufen \ iv 80. ufen \ hvfe 96. hetcN gerne \

. . . r}ie heten

140, 2. kleine?t \ arnteii 9. in die feinde \ die fehal 10. %7i talc I xe fal 11. felhe fehale \ . . .e läge 12. felhen male \ . . .e wage 18. giiilieh \ liehen 26. oueh verfmneftu daz \ ovh oh dv v'formeft dax 27. icirdeft \ wurde ff 51. firax er molite haben \ fwaz er het a?i de firnde 52. fi}if ich han entfahen \ fit ich han eni}hvnde 64. hegin \ geirin 71. feliifhraehe \ fehifhrvehik 74. uf dem \ vffem 83. armen \ arme 84. erharmen \ erharme 86. hefte \ heftex . truc \ an trvl- 87. hereit \ gereit 88. in harmeherxikeit \ in die barmh^zi- keit 95. da \ hi7i da

141. 5. man \ menfche 10. dax in fime gehete \ daz kleit in fine gebete 18. leides \ leidic 10. fit veriach \ fint iach 23. tube \ krvce 28. XU im alfns \ alfiis zv im. 29. Petre \ peter 30. du haft gewei- net j rn haft geiceint 31. um \ vmbe 37. was mir | mir was 38. kalde ir leit \ kelte ir not 40. gut \ girier 43. pruveter | pri^fte er 48. fine \ fin 49. an fulche \ vf folche 51. vor den handen \ den hende 53. rieher der mac \ richer mac 55. treit \ i'>Hreit. 32. diz \ daz 67. gefterhen \ erfterhen.

2) Ein pergamentdoppelblatt, jezt mit einem papiereinbande ver- sehen. Es trägt die bezeichnnng Msc. Dresd. M 177 und die acquis.- nr. 1789* 1243. Dem handschriftenkatalog zufolge ist es ein geschenk von fräulein Louise von Olivier in Dresden. Die blätter sind 238 mill. hoch und 179 mill. breit. Die Seiten bieten den text in je 2 spalten mit je 42 verszeilen. Eine ausnähme macht die zweite spalte von bl. 1'', welche nur 41 verszeilen hat, da ihre lezte zeile unbeschrieben ist Das ganze fragment enthält somit 235 verszeilen, und diese ent- sprechen bei Köpke den versen 581, 58 583, 36 und 586, 81 588, 52. Es fehlen dazwischen 336 verszeilen, d. h. ein doppelblatt mit 8 spal- ten zu je 42 Zeilen. Das hier fehlende doppelblatt war demnach das oberste einer läge, deren zweites unser bruchstück darstelt. Die schrift hat mit der des bruchstücks 1 nicht wenig ähnlichkeit, doch ist die- selbe ein wenig kleiner, gedrängter und zum teil eher noch etwas ungleichmässiger als dort. Bunte tinte ist reichlich verwendet. Kote initialen finden sich bei v. 1 des bei Köpke (s. 582) mit 69 Hie .spri- chet daz buch von allen seien überschriebonen kapitels (G) und bei 587, 45 (Z), blaue initialen bei 582, 69, 47 (D) und 588, 9 (U). Die ini-

ZUM PASSIONAL 323

tialen stehen also (wie dies auch bei bruchst. 1 der fall ist) an densel- ben stellen, wo die dem Kr)pkeschen text zu p-unde liegende hand- schrift solche hat. Ausserdem sind vor einzelne verse, aber ohne regel- mässige Zwischenräume, abwechselnd rote und bhiue zierzeichen ( ) gemalt und am ende kürzerer verse hin und wider horizontale rote haarstriche. Die haiidschrift, welcher unser bruchstück entstamt, hatte ferner unter dem oberen rande der selten die kapitelüberschriften in roter färbe. Davon sind in unserem bruchstück folgende worte erhal- ten: auf bl. 1* licyligcri tac ; bl. V von aller ; bl. 2" Selen - tac—\ bl. 2*^ —von— —aller—. Auf bl. l'' unten stehen von einer band des 17. Jahrhunderts quer, zum teil über den text worte geschrieben, von denen mir nur folgendes leserlich war: Anno 48 Walpurgis 1648 Walpnrgis 48.

Lesarten :

581, 59. obe tifchen die ivol axen \ ob den tifchen vnd axen 61. da I do 62. genuc \ vil gejivc 65. xun \ ze 67. enheten \ heten 60. mochte \ niohten 82. vrunde \ VTevde 84. von in geivant \ an in erivant 85. wand fi getruive vrunt liaheyi \ wan fie gnvc vr. h. 88. hie \ da 93. wollent \ wellen

582, 4. feie \ feien 9. zu geyiaden \ xegenade 10. ire \ ir 16. man do \ man vns 19. und doch niht uf \ vndc idoch vf 24. alt- vetere \ alten vceter 25. zwelfbotoi , merterere \ xivelf polen martercere

582 , 69, 6. ful luir \ fvlt ir 12. Odilio \ odilo 13. ivit \ wite 15. feltzene \ feltfenex 16. lit \ ligt fchone \ fchoner 22. Odilio \ odilo 26. fchrient \ fchriren 32. ift ir \ ir ift 35. behalden \ hal- den 50. kalt \ kelde 52. ieglich \ iglich 55. fchone \ fchonez 58. herzen \ ende

583 , 1. nicht hie \ hie niht 3. anic \ cenic 4. undertanic \ vn- dertcenic 17. iyn \ in 19. geborget \ verborget 25. fchiere \ fchire 27. vor I V071 30. tvirt fchiere \ fchire wirt 31 lange \ alle 36. im, ivol, fwem I iiyi fiveni

586, 89. biirnende \ Irrennende 92. bifux \ bift dv 93. binz \ bi?i ez 94. gelobete kumen \ gelobte zekvmen 97. 98. \ 98. 97.

587, 12. bunte tverc \ bvnticerc 14. teil ouch alzu fere \ teil al zefere 15. an valfcke \ anvalfch. 20. als des der \ als der 31. geivi- chen I geici feilen 33. fnellekeite \ fnellicheit 36. an allen \ allen 45. Zum dritten machet \ Zein drittem male machet 49. unferme \ vnfern 58. rufet \ rufen 64. behielt \ bef ehielt 67. traf unz vur den tot I trat vntx vffen tot 75. gruben in die \ gruben in in die

21*

324 F. SCHROEDER, ZUM PASSIONAL

80. dock I do 86. fprechet \ fprichet 87. fcUmeffe \ felenmeffe 97. mines j mins

588, 5. 6. \ 6. 5 9. fo \ fus 10. \ icol 15. in \ fie 18. in brachte \ hrahte in 20. \u ftaten \ wol xeftaten 30. felben \ felbc 32. icglich \ iglich 33. wand \ vrid 36. wand, \ vnd 48. feie \ feien.

Noch will ich bemerken, dass keines der beiden briiclistücke, welche den schriftzügen nach in das ende des 13. oder den anfang des 14. jahrhnnderts zu setzen sind, so viel ich aus den beschreib ungen der herausgeber habe ersehen können, einer der bis jezt durcli bruch- stücke bekaut gewordenen handschriften angehört.

DRESDEN. ALFRED NEUMANN.

3. Cleviselies bruclistück.

Zu der aufzählung der handschriften des Alten passionales bei K. Gödeke: Deutsche dichtung im mittelalter s. 209 ^ ist hinzuzu- fügen, dass sich ein, waln^scheinlich dem 15. Jahrhundert angehöriges, bruchstück aus dem zweiten teile des Passionales in dem archiv der pfarkirche zu Cleve befindet. R. Schölten: „Die stadt Cleve" s. 449 erwähnt dasselbe kurz als „Fragment eines liedes von sente Jacob. ^' Es ist ein halber pergamentbogen in 4^ gefalten, mit doppelcolumnen jede zu 35 Zeilen, im ganzen 280 verse, welche einen teil der legende des apostels Jacobus des älteren behandeln (= K. A. Hahn, Altes passional s. 220 V. 73 223 v. 66). Am köpfe der einzelnen selten steht mit roten buchstaben „Von Sente Jacob aplo", ebenfals rot oder blau gemalt sind die einfachen initialen. Im jähre 1574 hat der bogen, der länge nach gefalten, als Umschlag zu einer rechnung über verausgabte ahno- sen gedient, da sich am rande der vermerk findet: „ratio expensae eleemosinae de anno LXXIIII" und darunter von zweiter band „usque 1575. H." Ausserdem bezeichnen löcher die stelle, wo die rechnung eingeheftet war. Im text stimt das bruchstück mit dem texte Hahns, die geringen abweichungen betreffen nur die Schreibung, in welcher ja Hahn nach seinen eigenen worten (vgl. seine vorrede) nicht immer con- sequent gewesen ist. Wände und vnde ist regelmässig wät und vn; s. 220 V. 73 Liest man truch; s. 221 v. 1 und 10 kumcgine; 14 alle betalle; 45 ejigil; 46 hengil; 48 geivaldes; 56 und 222, 14 vnmazen;

Ij Dass für grosse partien des ])assionales die legenda aurea des Jacobus de Voragine die quelle i.st, erwähnt Gödeke nicht. Und doch ist die Übereinstimmung stellenweise, z. b. in der legende von St. Jacob, eine fast wörtliche.

PIETSCH, OBERD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL 325

222, 19 starc; 33 glel; 41 heis; 45 ungeuiichcr; 50 viatik'hvehUche; 60 berch; 85 (jetet vf in nach („vf" ist durchgestrichen); 223, 34 ploech; 35 yelach; 49 erkor n; 51 5^/7^ //i em r/es do wart („do" steht über der zeile); 61 sicJf do an in versach: 62 truchen; 63 vuciien; 64 starke tränke.

Es wäre interessant zu erfahren, oh unser fragment ursprünglich vielleicht zu einer noch existierenden handschrift gehört habe.

CLEVE, 14. JUNI 1888. F. SCHROEDER.

EIN UNBEKxVNTES OBEEDEUTSCHES GLOSSAE ZU LUTHEES BIBELÜBEESETZUNG.

Während das kleine glossar, welches zuerst Adam Petri seinen beiden im märz 1523 erschienenen nachdrucken von Luthers Neuem testament (der eine in 2^, der andere in 8^) beigab, längst die aufmerk- samkeit auf sich gezogen hat, indem es bereits 1859 von R. v. Räumer in Frommanns Deutschen mundarten (VI, 39 fg.) algemein zugänglich gemacht und in neuerer zeit mehrfach ausführlich besprochen worden ist (H. Rückert, Gesch. d. nhd. Schriftsprache II, 92 108; Kluge, von Luther bis Lessing, 83 91; Socin, Schriftsprache und dialekte im deutschen, 236 45), ist ein anderes ähnliches, aber viel weniger umfiingliches glossar bisher fast völlig unbeachtet geblieben. Allerdings erw^ähnt Panzer, Entwurf einer gesch. der bibelübersetzung M. Luthers (1783), s. 177, dass der nachdruck, welchen Thoman AVolf in Basel 1523 von dem 1. teile des Alten testaments veranstaltete „die erklärung einiger (für die Schweizer) schweren Wörter" enthalte und Mezger, Gesch. d. deutschen bibelübersetzungen in der schweizerisch -reformir- ten kirche (1876), s. 48 sagt bei besprechung desselben nachdruckes, dem texte folge die erklärung von Wörtern, die dem Schweizerleser unvei-ständhch waren. Socin ist diese leztere bemerkung nicht entgan- gen, er findet sich aber mit ihr durch die frage ab (s. 245, anm.), ob damit vielleicht die randglossen zur erläuterung wichtiger stellen gemeint seien, über welche er s. 246, anm. aus einem Petrischen drucke mitteilungen macht. Es düifte daher nicht unwilkommen sein, wenn ich aus dem einzigen exemplar des betreffenden druckes, das mir bei meinen bibliographischen vorarbeiten für die herausgäbe von Luthers bibelübersetzung zu gesicht gekommen ist (in Stuttgart), das glossar hier wörtlich zum abdruck bringe. Dasselbe ist mit einigen

326 PEETSCH

aus Peti'is glossar (bez. aus der widerholung desselben in dem Strass- burger naohdi-uck von 152J:) stammenden Zusätzen ferner enthalten in dem am antang und ende unvolständigen exemplar eines nachdruekes des ei-sten teiles des Alten testaments, das sich in AVolfenbüttcl befindet (höchst wahi-scheinlich die von Panzer a. a. o. s. 180 beschriebene aus- gäbe. Colmar, Amandus Farkal 1524). Die zusätze bez. abweichungen der lezteren ausgäbe sind unten durch kursivschrift kentlich gemacht. Die Wörter, welche sich auch bei Petri finden in Wolfs glossar sind es nur 5 habe ich mit " bezeichnet und etwaige kleine abweichungen von Petri angemerkt. Auch auf die von Kluge, Yon Luther bis Les- sing, s. 78 fg. gegebene konkordanz der bibelübersetzungen des 16. Jahr- hunderts habe ich verwiesen, wo sie sich mit unserem glossar berührt imd einige weitere beraerkungen hinzugefügt, wo mir solche wünschens- wert schienen oder mir möglich waren. Unsere kentnis der in Ale- mannien nicht verständlichen worte Luthers erhält durch Wolfs glossar einige nicht unwesentliche bereicherungen , ebenso natürlich auch die liste der diu'ch Luther gemeindeutsch gewordenen Wörter, die zulezt Francke, Grundzüge der Schriftsprache Luthers (1888), s. 112 aufge- stelt hat.

Das glossar steht sowol in der Wolfschen ausgäbe wie auch in der wahi*scheinlich Farkalschen unmittelbar hinter dem bibeltexte.

Dem Läser.

Nach dem mal nit im teutschen als im Latin alle dinge mit eyn-

nerley wortten genennet werden/ haben wyr etliche nach vylerley

sprach hie angezeyget/ auff das nitt yemandt im läsen vast behindert

werde der solche wortt in seiner sprach nit erkündet hette/ geheb

dich wol.

A.

Alle / oder all / lär / öd / verzeret / schwach.

Arm forderst vierteyl.

AufFraffen von der erden auffsamlen.

* Ä7ifu7't der schiff anlendung.

B.

5 Bevthüns wartens zur zeit irer krankhevt.

Bersten zerspringen.

Brü.sten brüst vnd stercke gewynnen.

Byenen immen / byen fbyenen].

Blachen sunder hügel / eben velt.

10 * Bange engstig / angst.

OBERD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL

327

Caninchen

Denckblaseu

Eckein

Ciinykel.

C.

D.

blasen zur gedechtnuß. E.

wider willen haben / verschmehen. [verschme- hen fehlt.]

Eckel

walgung / wider will.

1 5 * Eyff'er

1

ernst. \

F. '

Feyg

verzagt / erschrocken.

Früelinge

der ersten zeyt. i

Frey bock

denn man frev ließ lauften. \

*Fäl

niangel / bresten.

20 Fittichen

örtter an kleydern / flügel.

* Getreyde

VJ.

Korn 1 fritcht.

* Gefeß

geschirr. ,

Gered

allerley geschirre vnd haußradt. 1

Geschosset

ehern gewunnen.

25 Gemang

gemist / zweyerley. i

Grütz

grieß muß.

Gedeyen golt

geleüttert / klar / fyn [fein] golt.

Genieyn

nützbar / lesen vnd zubereyten. i

* Grentze

ende / dar ein lant keret. [statt dessen : gegne /

vinbkreiß].

H.

30 "" Hügel

gipffei 1 hühel.

Havn

V

ein vynster walt.

Halliar

Jubel iar.

Hockericht

der ein hoger hat.

Hundgelt

das man gebenn sollt / die erste gebürt. \

eins hunß ziüosen.

K.

35 Kebsweyb

keyn eeweib. '

Kolcke

cystern.

Knotten

bellen.

Kelter

trott / weinpreß. '

T\iesichtig

steynig / ruch von steynen.

40 Kryget

' ergreyfft / vahet.

328

PIETSCH

* Lippen

* Lencken

Mevlich

*Zige Zehenden

Züchter

lefftzen. vmbkeren.

gemach.

M.

P.

Paiickeu

trummen.

45 Pf eben

Pobel [Piibcl]

erdäpffel.

klein geaeht volck.

Quyd

Q.

on / abkomen.

R.

Keget

braucht euch / webt / vnd werbt, [werbe) d]

Rand

end / ortter vmbher.

50 Scluilter

S. achsel.

Stuffen Schilß'

Staffel / steyg. Wasser rhür.

Schicht Schneützen 55 * Schwelger

seyte.

abbrech /bützer.

Schlemmer / füller.

Toben Turstiglich =*= Topffen Tappen

T.

grymmig / zornig sein, mit frevem müt / vnuerzagt. hauen jhaffen.] füeß wie hende.

V.

60 Vßgerottet Yerleumbder

ühgcsündert. Verdachter.

Yngeheure

vngeschickt.

W.

W'ancketen

waren wanckelmütig.

\V ase

base.

65 Wansynnig

engstig / nit wissen wo auß.

z.

geyß.

ein mäßlin als ob mir [icir] sprechen j vyr-

tzel [viertxel]. der auß gelübd ein strengs leben füret.

OBERD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL 329

Darauf folgt: Anzeygung avo clise nach folgende Ebrcischc vn auch ettliche andere wörtter verteutscht vud aiißgelegt werden / nach Ordnung des Alphab eths.

d. h. ein register über die in den glossen hesproelicnen tvorte, meist mir das xu erldärende frort und die Seitenzahl dabei ; lextere fehlt jedoch xuweiten, %. b. bei Bethlehem und es ist dafilr die erldärnrnj selbst gegeben: eynn hauß des brots / alls ob man spreche brot- hausen.

Anmerkungen.

1. Gemeint ist die bekante, wie es scheint, vor Luther in der litteratur nicht nachweisbare prädikative Verwendung von alle in der bedcutung y^%tc ende gebracht.^ Hier ist offenbar besonders an 4. Mose 14, 33 gedacht: bis das eivre leibe alle iver- den in der icüsten, denn an einer andern stelle des pentateuchs, wo die späteren ausgaben von Luthers Übersetzung auch diesen ausdruck aufweisen (L Mose 15, 16), haben die älteren drucke: die missetat der Ammoniter ist noch nicht gar hie.

2. Es ist natürhch nur die besondere bedeutung gemeint, in welcher Luther das wert arm 5. Mose 18, 3 gebraucht: den arm vnd beide backen vnd den ivanst [der ochsen und schafe],

3. 4. Mose 19, 9. Soweit raffen vor Luther überhaupt im oberd. vorkomt, scheint die bedeutung rupfen imd die umgelautete form reffen vorzuherschen. A^er- breiteter ist oberd. das von derselben wurzel stammende, mit raffen gleichbedeutende raspon -en /"aus *rafsj)dn).

4. 1. Mose 49, 13; 5. Mose 1,7== landungsstelle, hafen. Auch im Neuen testament mehrfach. Vor Luther nicht nachgewiesen. Die belege, die Gr. wtb. 1, 335 fg. für das spätere vorkommen des wertes gegeben werden, zeigen dasselbe nur bei Schriftstellern md. und nd. herkimft, mit einziger ausnähme einer stelle in Seb. Fi'ancks weltbuch. L^nmittelbar von Luther hat wol Erasmus Alberus das wort; er führt es (Nov. dictionaiii genus zii*") neben schifflend als deutsche entsprechung von portus, navale, statio auf. Lezterer beleg fehlt in Gr. wtb.

5. 3. Mose 15, 25. 26: %ur zeit yhrs beythuns, wofür später: x. %. jrer absonderung. Die im glossar gegebene erklärung bezieht sich auf den Zusammen- hang der stelle, an der vom blutfluss der frauen die rede ist. Das verbum beitun belegt Gr. wtb. noch zweimal aus Luthers Schriften, es bedeutet: bei seite tun, abschaffen, e7itfei'nen. Vgl. beilegen, das in der bedeutung y,bei seite legen, besei- tigen"' ebenfals zuerst bei Luther begegnet. Lexer belegt bUiwti bilegen nur =: hin- zutun, -legen. Vgl. noch 3. Mose 15, 19: die sol sieben tag bei seit gethan icerden (seyn) , und auch 15, 20 haben die älteren ausgaben: so lange sie beyseit gethan ist, wofür zulezt: so lange sie yhre zeit hat.

6. VgL Kluge, s. 78: Luthers bersten : brechen Eck u. Zürich, bibel. Man sieht, dass bresten, die oberd. form des Lutherschen iers^en, in der bedeutung /?*an^/ auch oberd. nicht mebr üblich war. Es würde wol sonst hier, wie nachher 64 , auch nm' die md. lautform dui'ch die oberd. ersezt worden sein. Stalder belegt bresten nur in der bedeutung .„gebrechen'^ und „in kummer leben.""

7. 4. Mose 23, 24 haben die älteren drucke: Sihe das volck icird aufstehen icie ein junger leive vnd wird sich brüsten wie ein lewe . . ., wofüi" später . . . uird

330 PIETSCH

sich erheben ic. c. h gesezt ist. Die belege, welche Lexer und Gr. wtb. für brüsten geben, scheinen zu zeigen, das dass das wort auch in der Schweiz nicht unbekant war. Stalder belegt es in der bedeutung „sich niit aller leibeskraft stemmen."

S. Es war bei dem pliu-. bijenen (5. Mose 1, 44) wol nui' die form, welche anstössig erschien, dem Verfasser des glossars war neben imme nur bie, plui". bien oder alleufals bin(e), pl. binefn) geläufig. Die von Luther gebrauchte und in die Schriftsprache übergegangene form biene ist im hinblick auf die, so\iel ich sehe bei Luther diu'chstehende Schreibung mit ie wol nicht wie Weigand und Kluge anneh- men, = mhd. bine zu setzen, sondern verhält sich zu bie wie nom. "^birue : bire^. Der hergang war wol der, dass bie pl. bien, bire pl. bir(e)n in die analogie von krdn€ \A.h'6n t krönen; stirne pl. st im f. stirnen; dirne pl. dicrn f. diernen usw. eintraten und so die sing, biene birne erhielten, zu denen die plur. bien bim oder (mit der bevorzugimg, welche seit dem 15/16. jahrhundei-t den durch lautliche Wand- lung nicht getrübten flexionsformen in der schiift zu teil wird) bienen birnen lauteten.

9. Tgl. Kluge, s. 78: Lutliei-s Blachfeld: Flachfeld, flaches, ebenes fehl in den anderen Übersetzungen. Blachen in bezug auf 5. Mose 4, 49; 11, 30, wo die älteren ausgaben ynn {auf) dein blachen fehl haben (später: dem blachfeld). Aus- schliesslich md. (nd.) ist übrigens die form blach nicht. ^

10. Vgl. Petri: ba?ig : engstig, xivang , gedreng ; Strassb. nachdi-. (1524): angst xicang gedreng. Kluge, s. 78: Luthers bang : t rang angst betrübt bekiiinmert in den anderen übei"setzimgen.

11. Luthers md. (ud.) form mit a ist die oberd. allein geltende mit {ü) u gegenübergestelt. Vgl. Hildebrand in Gr. wtb. 5, 161. 1705.

12 bezieht sich auf S.Mose 23. 24, wo die ersten dracke haben: solt yhr die heyligen feyr des denckblasens haben. Später hat Luther dafür- : des blasens xum gedechfnis gesezt, also ganz entsprechend der in unserm glossar gegebenen erklärung sich ausgedrückt.

13. 14. Vgl. Kluge, s. 78: Luthers Ecket: greuel, grane7i, absehen, niilust, nmvillen, verdruss in den anderen Übersetzungen. Diese füUe von ersatzwörtern, die durch unser glossar noch um einige vermehrt wird, zeigt die völHge fremdheit des Lutherschen wertes im oberdeutschen jener zeit. Walgung ist das wort, das Lexer als walgnnge (ualgerunge u-ulgerunge) = nausea aus Diefb. gl. u. nov. gl. belegt.

1) Im grossen und ganzen scheint Luther in seiner Orthographie das geschichtliche Verhältnis von ie. und i trotz mancher Verschiebungen im einzelnen bewahrt zu haben , wenngleich ihm te sicher nur den laut des i darstelte. "Wenigstens ist wol nii-gends bei Luther ie fest in einem worte, welchem geschichtlich i gebührt. So^•iel darf man doch wol aus den Zusammenstellungen schliessen, welche G. Michaelis in seinen Beiträgen z. gesch. d. deutschen rechtschreibung (1880) , s. 112 118 gegeben hat, während aus den dürftigen angaben , welche Karl Francke in seinen Grundzügen der Schriftsprache Luthers (1888) , § 16 , 1 und § 31 macht , ein auch nur ungefähres bild sich nicht gewinnen lässt. Dass Luthers öiene (der nom. sg. ist belegt Sir. 11, .3, sonst nur plur. biemn) nicht —- binc, bestätigt wol auch die Zusammensetzung bknschwarm (z. b. Rieht. 14, 8), wo bien doch gewiss als gen. plur. von zu fassen ist, der sich in dieser Verbindung erhalten hat, während das selbständige subst. sich zu feiene ; bkmn entwickelte. Lexer gibt I, 278 an, die form biene finde sich in den predigtmärlein Germ. 3, 414, 16. Eine singularform ist dort aber nicht belect , vielmehr nur pluralformen und zwar: binen 3; bienen 7. 12. 16. 17. 27 , daneben binenkorbe 3 , bienekorb 8. 11. 16. Hier scheint eine mischung der pluralformen bien und binen zu bienen statgefunden zu haben, es würden also diese elsässischen formen von dem Lutherschen biene : bienen zu trennen sein. Auch Urne : Urnen scheint md. Ursprungs , Lexer belegt die form i: stirne) aus dem Wilhelm v. Österreich des Johann v. "Würzburg , also eines dichters md. herkunft. Aus Luthers Schriften belegt Dietz nur den plur. Ujrn und das kompos. hirnbaum.

[2j Über blach und flach vgl. jezt S. Bugge , Paul -Braune 12, 411 fg. Red.]

OBERD. GLOSSAK ZU LUTUERS BIBEL 331

15 ebenso in Petris glossar.

16. Das wort feig war oberd. wenigstens in der bedeutung y^furchfsavi"- nnbe- kant, in welcher Lutlier es gebrauchte. Höchstens kaute man es so in Baiern (vgl. Lexer uuter veigc und übcrveigen; Schmeller l-, 695/6). Im alem. hat sich, soweit das wort überhaupt erhalten bUeb (es fehlt bei Frisius u. Maaler), aus der ursprüng- lichen bedeutung ^don tode verfallen'' vielmelir die entgegengeseztc bedeutung J:eck, tmverscliä??it^ entwickelt. Diese ist bei Dasypodius verzeichnet, und auch die übrigen belege für dieselbe, welche Grimms wtb. bietet, sind wesentlich alcm., besonders elsässisch. Das Schweiz, idiotikon I, 685 gibt sie auch; das flgheit mit der nhd. bedeutung, das ebenda angemerkt wird, ist doch klürlich aus der Schriftsprache ent- nommen und in der lautform falsch alemannisiert. Dass aus der bedeutung ^deni tode verfallen"- sich einerseits die bedeutung ^furchtsam"- ^ andrerseits ^keck, unver- schämt'^ entwickeln koute, wird klar, wenn man die verschiedene Wirkung erwägt, welche das bewustsein der bestimmung zum tode auf den einzelnen menschen her- vorbringen kann: es kann ihn entweder niederdrücken oder ihn jede rücksicht abwer- fen lassen.

17 bezieht sich auf 1. Mose 30, 41. 42: ivenn aber der laufft der früelinge herde tcar legte er diese stehe in die rinnen für die äugen der her de, das sie vbcr den sieben empßengen. Aber in der spetlinger laufft leget er sie nicht hinein. Also wurden die spetlinge des Labans, aber die früelinge des Jacobs. Es sind die früh im jähre gebornen lämmer im gegensatz zu den später gebornen gememt, die in unserem glossar gegebene erklärung also ziemlich ungenügend. Das woit ist wol von Luther gebildet, er hat es sonst noch einmal als synonym von „erstling", (s. Dietz u. d. w.) ; in der bedeutung frühzeit des Jahres " findet es sich nur in der HauspostiUe, für deren spräche Luther ja nur sehr bedingungsweise verantwortlich ist (Köstlin 11 -, 301). Sonst sagt Luther lenx.

18. 3. Mose 16, 8. 10. 26 in den älteren ausgaben, später: der ledige bock, d. i. der bock, den am versöhnungstage die Juden frei in die wüste laufen Hessen.

19. Petri gibt feil: nachlesigkeit, versümnifs; fale: missetaf, sünde; fal: mangels gebresten. Hier liegt wol ein versehen vor. Luther scheint im gebrauch der form feil durchaus fest gewesen zu sein, wie komt Petri dazu fäle (das nicht wie Sociu s. 239 meint, form des plur. zu sein braucht, s. Lexer u. d. wt.) als Luthersclie form daneben aufzuführen? Es ist mir nicht unwahrscheinlich, dass fale mit als erklärung füi' feil stehen solte, dass es aber in folge seines anlautenden f unter die zu erklärenden Wörter geriet. Demnach würden die folgenden missetat, sünde ebcn- fals als Synonyma von feil zu nehmen sein. Diese passen jedoch nicht wol als solche zu feil, sehr gut aber zu dem folgenden fal, wenn die erkläning im hinblick auf Rom. 11, 11. 12 gegeben wurde, wo fal = naoimroiua (Vulg. : delictmn) steht. Für die annähme, dass fale als interpretamentum nicht als lemma aufzufassen ist, spricht auch der umstand, dass vaele vael, wie die belege bei Lexer u. Gr. wtb. 3, 1419 zeigen, in Oberdeutschland wol bekant war, auch Maaler kent es. Dem- nach wäre so herzustellen:

feil: nachlesigkeit versümniss fale mangel gebresten

fal: missetat sünde. Der verfertiger unseres glossars wolte nun offenbar das im pentateuch mehrfach begeg- nende feil erklären, er fand in dem ihm sicher vorliegenden Petrischen Verzeichnis bei feil eine für die beti-e Senden stellen (einen feil haben; an dem (k)ein feil ist) gar nicht passende bedeutung, dagegen eine solche bei fal, diese nahm er auf und

332 PIKTSCH

sezte vielleicht aus blossem versehen statt feil das ihm geläufige fal als lemma dazu.

20. Die erste der beiden erklärungen geht auf 4. Mose 15, 38; 5. Mose 22, 12; die zweite, die gewöhnliche bedeutung enthaltend, geht auf stellen wie I.Mose?, 14. Für das oberd. war die lautform durch das md. i der stamsilbe fi-emdai-tig.

21. 22 ebenso in Petris gloss. Zu 22 vgl. noch Kluge, s. 79, der die ersetzung von gefäss dui'ch geschirr aus allen verglichenen Übersetzungen nachweist.

23. In der bedeutung. die hier im hinblick auf 2. Mose 27, 3; 35, 13 usw. gegeben ^vi^d, ist das überhaupt md. beliebte wort nur aus md. denkm. zu belegen. Die md. lautform Hess es in Basel noch fremdartiger erscheinen.

24 meint 2. Mose 9, 31: denn die gersten hatte geschosset. Das verbum schoxxcn = schösse treiben, keimen usw. scheint md. (und bair. SchmeUerU^, 479).

25. Gemeint ist zweifeUos 3. Mose 19, 19, wo die älteren drucke mit gemang körn bieten für das spätere „w?Y mancherley samen.'^ Gemangkorn ist eine Zusam- mensetzung, die Hildebrand in Gr. wtb. IV. 1, 2, 3164 als thüringisch (besonders aus Erfurt) nachweist. So kann das vorkommen dieses ausdruckes bei Luther, wel- ches Hildebrand entgangen, nicht befremden. Der verfertiger unseres glossars nahm gemang füi* ein adj., während es das a. a. o. von Hildebrand ebenfals mit reichlichen belegen nachgewiesene md. subst. gemang = gemenge , mischung ist. Vgl. die gloich- fals thüiing. Zusammensetzungen gemang futter , gemangfische.

26. 3. Mose 23, 14, wo die älteren ausgaben: kein brot noch kuchen noch grütx haben statt des späteren: kein neiv brot noch sangen noch körn.

27. 4. Mose 8, 4, wo die erste ausgäbe gedeyen gold hat, von der zweiten an: tichte g. Ebenso ist auch 4. Mose 10, 1 das anfängliche vo7i gedeyem silber in der zweiten ausgäbe durch von fichtem s. ersezt. Das adj. gedeihe, welches hier vorliegt (Gr. wtb. 4. 1. 1. 1984. 2021) war öi-tlich und Social (bergmannswort und wol daher Luther geläufig) so beschränkt, dass die unverständlichkeit desselben in Basel nur natürlich ist. Auch die anwendung des seit dem ahd. in adjektivischem gebrauch befindlichen prtc. gedigen auf die erze dürfte damals oberd. nicht vorhan- den gewesen sein.

28. Die an sich nicht wol verständliche erklärung ist offenbar mit beziehung auf 5. Mose 20, 6 gegeben: Welcher einen weinberg gepflantzet hat vnd hat jn noch nicht gemein gemacht, der gehe hin vnd bleibe da lieiine, das er nicht im kriege sterbe vnd ein ander mache jn gemeine.

29. Die erklänmg. die das Wolfsche glossar von gre^itxe gibt, ist selbstän- dig, dagegen hat der Colmarer (?) dnick die in Petris glossar und den widerholungen desselben befindlichen erklärungsworte. Kluge, s. 79 weist als ersatzworte für^rew^e aus den andern Übersetzungen .^gegend'^ und .^landmark^ nach.

30. Dieselbe erklärung gibt Petri und seine nachfolger. Kluge, s. 79: bühel und hübet.

31. hagen war wol nicht bloss in der md. fonn hain in Oberdeutschland unbekant, sondern hier überhaupt aus der lebendigen spräche geschwunden. Es galt dafür hag.

32. Die bekante jedenfals von Luther herrührende bezeichnung des israeliti- schen Jubeljahrs, das durch den hall der posaunen verkündet wurde. Hauptstelle 3. Mose 25. 10. 11.

33. 3. Mose 21 , 20.

34. 5. Mose 23, 18.

OBERD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIBEL 333

35. Kebse ist dem alom. wol nicht eigentlich fremd, wenigstens lässt es sich amhd. aus alem. dkm. (z. b. aus Notker) belegen. Die verdoutlichende zusamnieu- setzung kebsweib ist schon vor Lutlior vorhanden, scheint aber nach den bolcgiMi bei Lexor mehr md. Diese war es also vielleicbt, die anstoss gab; möglich auch, dass hebse sich überhaupt aus dem gebraucli oder wenigstens aus dem gebrauch der gebildeteren verloren hatte.

36. 3. Mose 11, 26. Ein echt nd. (md.) woi-t s. Gr. wtb. 5, 1613.

37. 2. Mose 9, 31. Auch hier gab wol einerseits die lautform (oberd. ist hiodc, vgl. knödcl) anstoss, andrerseits und besonders aber die Verwendung des Wor- tes zur bezcichnung der Samenkapseln des ilachses.

38. Vgl. Kluge, s. 79: Luthers Ä-cZ/er .• trott, torckel in den andern Übersetzun- gen ausser bei Eck, der kelter beibehält. Vgl. auch Kluge, wtb. u. d. w.

39. Ygl. 5. Mose 21, 4: in einen kies i cht en grund. Dem zusammcnstoller des glossars ist hier sonderbarer weise die alem. form dos adj. in die feder gekom- men, vgl. Gr. wtb. 5, 698, c). Nahm er es nur auf wegen des ie f. *V

40. Oberd. war nur kriegen schw. bekant und nur die bedeutungcn ^sich anstrengen, streiten'^, nicht aber „erlangen, ergreifen.'^ Das eigentliche alem. kent leztere bedeutung auch heute noch nicht. Gr. wtb. 5, 2235. Seiler, Basler mda. sagi, dass kriege == erhalten in Baselstadt neben beko gebraucht werde, in Baselland dage- gen fast gar nicht. Es ist also deutlich ein nur durch die schriftspraclie teilweise eingebüi'gertes wert.

41. Ebenso in Petris glossar; vgl. noch Kluge, s. 80: Luthers lippe : lefxe in den andern Übersetzungen.

42. Petris glossar gibt als zweites ersatzwort vmbicenden.

43. 1. Mose 33, 14: ich ivil meilich hinnach treiben. Luther scheint das wort ausser an dieser stelle, wo es in allen ausgaben sich findet, nur noch 2. Mose 23, 30 gebraucht zu haben, wo es in den späteren ausgaben durch y^ einzeln mich einander"- ersezt ist. Heyne fühii Gr. wtb. 6, 1456 noch zwei belege aus Luther an, wo aber ')nehlich steht. Das wort w^ar also Luther wol nicht eigentlich geläufig, ahnehlig scheint bei Luther gar nicht vorzukommen. Luther gebraucht andere ausdrücke füi" diesen begriff, z. b. mit der weile "Weish. 12, 8. Sicher aber war meylich melich md. sprachgut.

44. Die belege für j-Jlr/te pcmke aus älterer zeit weisen allerdings wol mehr auf Mitteldeutschland und Baiern als auf das Verbreitungsgebiet dieses in seinem Ursprung dunklen wertes hin.

45. 4. Mose 11, 5. j^febefnj ist weniger md. als vielmehr wesentHch bair., jedenfals von beschränktem Verbreitungsgebiet.

46. Das lehnwort war in seiner alten form gewiss auch in Alemannien üblich, wie die mhd. belege zeigen, anstoss gab also wol die form mit 6, vielleicht auch die herabgedrückte bedeutung. Auch Petris glossar hat Pubelvolck: heylos vnniitx, rolck und Kluge, s. 80 weist nach, dass Eck dafür Pöfel oder gemeines volck, die anderen den lezteren ausdruck gebrauchen.

47. 1. Mose 24, 8. 41 : des eydes quit.

48. regen scheint zwar md. häufiger als oberd., doch ist es dem lezteren keineswegs fremd. Also handelt es sich hier wol widerum nur um die besondere Verwendung dieses verbums in Luthers Übersetzung. I.Mose 8, 17; 9, 7 steht: reget euch auff erden, dies erschien dem Alemannen zu blass, zu wenig ausdrückend.

834 PIETSCH

Das ^brauehf euch^ ist natürlicli = mhd. hrouchct iiich d. i. biegt eiicli, niclit = mhd. hrüchet iuch.

49. ra?id findet sich in den älteren drucken der 5 büclier Mose, so viel ich sehe, an folgenden stellen: am rande des wassers 2. Mose 2, 5; an eines jglichen teppichs rand 2. Mose 26, 11; an jgUehcu teppich am rand 2. Mose 36, 17; vnd hefftcu sie au die xiro ander ecken des sclii/flins an seinen rand 2. Mose 39, 19. An allen diesen stellen, ausser an der ersten hat Luther später ort für 7'and gesezt. In der erklärung unseres glossars ist örfcr natürlich in der bedeutung „endpuukte" zu nehmen , nicht als loci. Dass rand in seiner uhd. bedeutung damals in Basel nnverständhch war, ist begreiflich, dieselbe ist jedenfals md. Ursprungs.

50. Unbekantschaft mit dem worte schidter ist kaum anzunehmen. "Wüste man genau, welche besondere stelle des pentateuchs der Verfasser des glossai-s im äuge hatte, so Hesse sich vielleicht bestimmen, woran derselbe anstoss nahm. Das wort ist sehr oft gebraucht zur bezeichnung des vorderbugs der opfci-tiere (2. Mose 9, 22; 3. Mose 7, 32 u. ö. ; auch in der Zusammensetzung hebeschidder 2. Mose 9, 27; 3. Mose 10, 14 u. ö.), ausserdem, so viel ich sehe, von der menschlichen schulter nur 2. Mose 28, 12: auf seinen beiden schuldern tragen; 5. Mose 33, 12: vnd wird xwischen seinen schuldern uohnen. AVie weit Luther selbst schulder und achsel unterscheidet oder synonym gebraucht, vermag ich nicht festzustellen. Dietz (u. ach- sel) behauptet, dass Luther beide im algemeinen als gleichbedeutend verwende. Das scheint z. b. 2. Mose 28, 7. 12. 23 zu bestätigen, wo in den späteren ausgaben achtel und Schulter gleichbedeutend gebraucht scheinen. Dass aber Luther doch einen unterschied kante, wenn er ihm auch, wie uns heutigen, nicht immer zweifellos klar vorschwebte, zeigt die auch von Dietz beigebrachte stelle Hieb 31, 22: so falle meine schulder voti der achseln.

51. 2. Mose 20, 26: auff stuffen. Vgl. E^uge, s. 87, der füi- Luthers stufe: Staffel (stapfei) in den anderen Übersetzungen nachweist. Das fem. stufe dürfte wol md. sein. Ein fem. stuofa wii'd für das ahd. angesezt (Weigand, Schade, Kluge); auf gi'und von slegon stuofa : gradus scalarum in Notkers Boethius (Piper I, 10, 31), wo aber stuofa ebensowol aLs n. plui". von stuof m. genommen werden kann (plur. erfordert der Zusammenhang). Ferner führt Graff 6, 658 an steora uel osterstuopha als bezeichnung einer ostfränkischen abgäbe. Auch hier ist plur. von stuof wol denk- bar, andemfals hat man hier einen md. beleg für das fem. Für mhd. stuoje gibt Lexer 3 belege, davon ist einer md. (Frauenlob). die beiden andern in der Kolmarer liederhandschrift sind nicht beweisend: die mich ane ruofen \ in riuwe stuof en \ die teil ich Bartsch 6, 327; iix der siinden stuof (: geschuof) 7, 15.

52 mehrfach in den 5 büchern Mose. Vgl. auch schilfmer. Das wort scheint allerdings oberd. nicht grade häufig zu sein, wenn auch nicht ganz zu fehlen.

53. Schicht komt, so viel ich sehe, nur 3. Mose 24, 6 vor: vnd solt sie legen je sechs auff eine schicht auff den feinen tisch für dem Herrn, vgl. ausser- dem 1. Mose 6. 16: T)as vnterteyl soltu xweischichtig vnd dreyschichtig machen in den älteren drucken, wofür später: Viid sol drey boden haben, einen unten, den andern in der mitte, den dritten in der hohe. Vgl. Kluge, s. 80: in schichten: in rotten Eck (geht auf Mc. 6, 40; Lc. 9, 14). Das merkwürdige wort, das Luther wol aus der bergmannssprache geläufig war, ist vor ihm, wie die belege bei Lexer lehren, wesentlich nur im md. verbreitet.

.54. 4. Mose 4, 9: den leuehter des liechts viul seine lampen mit seinen schneutxen rnd nepffen. Abbrech(e) = lichtschere ist auch sonst in glossarcn

OBERD. GLOSSAR ZU LUTHERS BIREL 335

nachweisbar (s. Lexer) und noch heute in der Schweiz gehraucht; bütxer = putzer. putzen scheint wesentlich obcrd.

55. Vgl. bei Petii: seh weigere i : überfluss in essen rnd tn'ncken. Diese sonst auch oberd. vorkommenden bihlungen waren also in Basel unbekaut.

56. Da toben in Alemannien gewiss nicht unbekant war, kann sich diese bemerkung nur auf eine besondere Verwendung des wertes beziehen. Es wird wol 2. Mose 15, 14 gemeint sein. Da das die rolker horeten, tobeten sie, angst kam die Philister an lautet dieser vers in den ältesten ausgalion, später hat Luther für tobeten: erbebeten gesezt. Die erklärung grijuiniig ^ xornig sein ist wol nach der vulgata gemacht, wo der vers lautet: Ascendernnt populi et irati sunt; dolores obtinuerunt habitatores Philisthiim.

57. 1. Mose 34, 25. luvst nebst seinen ableitungen scheint hauptsächlicli bair. und md. verbreitet gewesen zu sein, wogegen gcturst usw. auch alem. vorkom- men, geturstecltche z. b. bei Nie. v. Basel und Closener.

58. Petri hat tapferen : erden geschir; Kluge, s. 81 erwähnt die Vertretung des Lutherschen topf, töpfer durch hafen, hafner in den anderen Übersetzungen.

59. 3. Mose 11, 27: alles tcas auf tappen gehet {quae incedunt quadrupedia Yiüg.). Das seltene woii; von Lexer nur als täpe belegt.

60. Peti'i hat ausgerottet : von der rott abgesündert, außgerüt, die Strassbur- ger und Nürnberger ausgaben lassen das leztere wert fehlen, der Kolmarer glossen- verfeitiger Hess auch von der rott weg und so kam die etwas wunderliche widergabe des ^ausgerottet"" dui'ch abgesündert zu stände. Die Petrische etymologie zeigt, dass das md. rotten als nebenform von rüten nicht empfunden wurde.

61. verleumden -er ist in der tat md. Das subst. verdachter scheint sonst nicht belegt.

62. 3. Mose 21, 18: er scy blind, lahm, mit einer scheußlichen nasen, jnit vngelieicrem gelid (später: ni. e. seltxanien nasen, m. nngewonlichem g.)\ 3. Mose 22, 23: ein ochsen oder schaf, das vngehetvre gelid oder kei^i schwantx, hat (spä- ter: d. ungeu'onlich g. oder icandelbar gelid hat). Fremd ei"schien dem Verfasser des glossars vielleicht nicht sowol das woii selbst als die Verwendung in der blassen bedeutung deformis.

63. 2. Mose 20, 18 heisst es in den älteren drucken: mid alles volck sähe den donner und blix . . . viul furcht sich vnd ivancketen, wofür später: vnd alles volck . . . Da sie aber solches sahen flohen sie. Der Verfasser des glossars hielt das ihm gewiss bekante wort wanken wol nur nicht für passend an dieser stelle, (der einzigen, an der es sich findet), \-ielleicht im hinblick auf das pavore concussi der Yulgata.

64. 3. Mose 18, 14. Luther hat die md. form ivase in allen ausgaben fest- gehalten.

65. Während das subst. ivansin 5. Mose 28, 28 in allen ausgaben steht, ist uansinnig 5. Mose 28, 34 später von Luther durch vnsinnig ersezt worden. Vor Luther ist wansinn -ig nicht nachweisbar', Weigand gibt als ältesten ort des Vor- kommens sogar das Nov. dict. genus des Erasm. Alberus an.

66. Vgl. bei Petii %iegenfell: geyßfell, kitxeiifel; Kluge, s. 82 Luthers Zie- genbock: geißbock bei Eck und in der Züricherbibel.

67. Es scheint in den 5 büchern Mose allerdings nur diese form xehenden (a. sg. ; n. a. pl.) vorzukommen, daher hier angesezt. Die erklärung soU nicht den

336 FRÜXKEL

begriff vou \ehcnte geben, sondern denselben durch eine ähnliclie bildung der hei- mischen spräche ntohe bringen. Pass dies nötig erschien, ist allerdings auffällig.

68. Mit xuchtcr hat Luther in den älteren ausgaben den naxir widergegeben 4. Mose 6, 13. 18. 10. 20. 21. später hat er dafür rerlobtcr eingesezt. An diesen stellen haben die älteren ausgaben auch xucht statt des späteren gelübd.

Zu hrothauscu vgl. die von Dietz I, 349* angeführte Übersetzung Luthers: hrothairs; hier ist dies sehr hübsch in einen deutschen Ortsnamen umgewandelt.

Bemerkenswert ist, dass in den erklärungen dieses glossars (ebenso wie auch in dem des Petrischen) der vokalismus der gemeinsprache herscht, ausgenommen fyu 27.

GREIFSWALD. P. PIETSCH.

UM STÄDTE AVEKBEN ITN'D YEE^^A^TES IN DEE

DEUTSCHEN DICHTl^^TG DES IG. UND 17. JAHEiroN-

DEETS, NEBST PAE^VLLELEN AUS DEM 18. UND 19.

I. .

Reinhold Köliler, der um die samlimg und vergleichung von ver- wanten zügen in sage und dichtung hochverdiente gelehrte, hat wol zuerst eine grössere anzahl von stellen, welche die eigentümliche betrachtung einer Stadt als braut des sie begehrenden zum ausdruck bringen, zu- sammengetragen und nach gewissen unterscheidenden gesichtspunkten rubrizierte Er hat auch diese eigentümliche gattung halbdramatischer gelegenheitspoesie in ihrer verschiedenartigen bedcutung soweit geken- zeichnet, dass für einige nachti^äge auf seine ausführungen verwiesen sein mag.

Zunächst berichtige und ergänze ich seine mitteilung über ein gedieht, das ihm nicht selbst zugänglich Avar. Es führt folgenden genau kopierten titel-: „Bulschafft der sich representierenden Eidtgenössischen Dam, welche ein. Hochloblichen Eidtgenoschaft ihre Herzensgedanken in treuen eröffnet, mit Vormelden, dass sie Ihr verlobte tragende Jung- . frauschaft gegen allen ihren aussländischen Buhlen rein behalten, sich

1) Archivar htteraturgeschichte I (1870), s. 228 251. Vor ihm gaben hinweise Soltau, ICK) deutsche histor. volksUeder (1836) s. .509 und Hildebrand in seiner daran angeschlossenen 2. samlung von 100 liedem (1856) s. 93 und 372; einen weiteren beleg veröffentlichte J. M. Wagner, Ai'chiv f. d. geschichte deutscher spräche und dichtung I (1873) s. 160. im anschlusse an Köhler.

2) Derselbe beruht ebenso wie die sonstigen angaben auf dem (1886) im antiqua- rischen katalog nr. LX von H. Georg in Basel unter nr. 336 verzeichneten exemplai-, von welchem ich seinerzeit einsieht nehmen liess; über den gegenwärtigen verbleib desselben ist mir nichts bekant. Köhler a. a. o. s. 240 stüzt sich auf "VVeller, Anua- len I, 189 nr. 1020.

UM STA DTK WKRBKK 337

iu Ehesümd nit einlassen, sondern l)y ilirem bis daliin tragenden Kranz ihr Leib, Ehr, Gut und Blut aufsetzen, darbey leben und sterben wolle. Kan nebet diesen aussgesetzteu Melodeyen, nach gesungen wer- den in folgenden. Es ist das Heil uns kommen her. . . . Auch in der Melodey d. Buhlschaft zu Brysach, zu 4 Stimmen aussgesetzt. Wie gut es gemeint mit dem Vatterland. ... Alles nach dieser Landen Redens- art. In Verlegung Caspar Wurmanns, von Wisendangen, Ln Jar 1676." In duodezformat enthält das gedieht 7 blätter mit der zueignungsschrift, 1 leeres blatt und 56 selten text. Li lezteren sind noten in vierstim- migem satz eingedruckt. Ich gebe hier den anfang der anrede:

Ich bin die Dam der Eidtgnoschaft,

Ich muss mich präsentiren,

Ich trag noch rein mein Jungfrauschaft,

Das thut mein Kranz schön zieren.

Eidtgnoss halt steiff zu meinen Kranz,

Der blühet schön und ist noch ganz,

Kein blum lass ich drauss zehren. Zu bemerken ist noch, dass die in dem titel angezogene „Brey sacher buhlschaft" das landläufigste dieser imi die mitte des 17. Jahrhunderts zahlreichen lieder gewesen zu sein scheint, wie aus der längeren reihe von fassungen, die Köhler s. 237 fgg. bespricht, und obigem hinweis entnommen werden darf.

Zwei Personifikationen der Schweiz, welche auf einem älmlichen allegorischen gedanken beruhen, bieten die dichtungen zweier nach lebenszeit, anschauungsweise und künstlerischem vermögen grundver- schiedenen schriftsteiler. Während nun aber Pamphilus Gengenbach in seinem nach Goedeke^ schon um 1514 geschriebenen dramolet „Der alt Eydgnoss" das sinbildlich durch einen alten Schweizer vorgestelte land von selten verschiedener auswärtiger mächte umwerben lässt, hat Johann Caspar Weissenbach in seinem 1673 zu Zug gedruckten volks- schauspiel in versen Eydgenossisches Contrafeth Auff- vnnd Abneni- mender Jungfrawen Helvetiae, von gesammter BurgerschafFt löbl. Stadt Zug durch öffentliche Exhibition den 14. vnd 15. Sept. Anno 1672 vorgestellt. Der Ander Tlieil, Das ist Abnemmende Helvetia"- wirk-

1) Pamphilus Gengenbach, herausgegeben von Karl Goedeke (Tlannover 1856) s. 543 fgg. Abdruck des gedichts ebenda s. 12 fgg. Vielleicht hat sich gerade auf Schweizer boden die eigentliche idee der eigenartigen anschauung in dem von Roch- holtz , Alemannisches kinderhed und kinderspiel aus der Schweiz (Leipz. 1857) s. 410 fg. besprochenen fangspiel ^Das thürmleiu" erhalten, wie ich lezteres ausdeuten möchte.

2) „Zu Zug gedrackt Bey Jacob Amnion Im Jahr 1673.*^

ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. -^

338 FRÄNKEL

lieh sein vate/land als von feinden bedrängte Jungfrau auf die bühne gebraeht. Der gang der liandhmg hält zwar diese synibolisierung auf- recht, bietet aber für unser thenia nichts bemerkenswertes, so dass ich auf die analyso des litterarliistorikers, der wul zuerst näher auf dieses stück eingieng, AV. Menzels^ verweisen kann.

Ein deutliclieres beispiel aus dem reformationszeitalter liefert erst ein glücklicher fund, welchen Rudolf Genoe vor einigen jähren machte. Dieser berichtete über denselben, einen meistergesang von Hans Sachs, im Correspondenten von und für Berlin (decbr. 1885) wie folgt:

„Das gedieht, welches ganz zweifellos von Hans Sachsens eigener band geschrieben ist, steht auf sechs ungewöhnlich hohen, aber schma- len folioseiten und enthält dreihundert verse. Die Überschrift lautet:

„Ivlagspruch der Stat Nürnberg ob der Unpillichen Schweren pelegerung Markgraff Albrechts Anno 1552."

Datiert ist die handschrift vom 16. juni 1552, also wenige tage vor dem friedensschluss, welcher jener grausamen belagerung endlich ein ende machte. Das gedieht ist ein gespräch, welches zwischen Nürn- berg (als „fi'äulein" bezeichnet) und dem dichter gehalten wird, und das „fräulein" schliesst es mit der hofniing, dass gott endlich die stadt erlösen möge

„Dass ich wider zunehm und wachs,

Das wünscht von Nürenberg Hans Sachs."

Ich füge noch hinzu, dass in des dichters eigenhändig geschrie- benem generalregister, welches sich in Zwickau befindet, ein gedieht unter dem titel „Klagspruch der stadt Nürnberg" verzeichnet steht, und zwar mit hinweis auf das siebente spruchbuch. Dieses siebente von den 18 handschriftlichen spruchbüchern des dichters ist aber, wie noch andere, bis jezt nicht ans licht gekommen, und auch dieses gedieht sowie alle auf den markgrafen bezüglichen wurden nicht in den druck gegeben. Die nun aufgefundene aparte handschrift des gedichts ist von Hans Sachs einem freunde am 3. fobruar 1553 verehrt worden, wie einige zeilen auf der lezten seite, leider ohne Unterschrift, uns benachrichtigen. "

In den weiteren sätzen dieser vom 18. dezember 1885 datierten mitteilung spricht Genoe nur noch von dem Schicksale des manuscripts soweit dasselbe nachweisbar-, berührt aber die Zugehörigkeit des gedicli-

1) Geschichte der deutschen dichtung (Stuttg. 18.59) 11, s. 416.

2) 1836 gelaugte es mit vielen anderen aus dem besitze des preussischen generalpostmeisters von Nagler in die BerUner kgl. bibliothek.

tJM STÄDTE WERBEM

339

tes zu einer ganzen klasse von iiilialtsverwanten mit keinem worte, so dass ihm dieselbe unbekant zu sein sclieint. Und doch hat gerade dieses eine hervorragende bedeutung als deutliches zeugnis dafür, dass schon um die mitte des 16. jahrluindorts dieser von Schack^ in spa- nischen romanzen vor 1550 nachgewiesene und auf orientalische Vor- bilder- zurückgeführte Stoff auch in Deutschland gäng und gäbe war. Denn nach verschiedenen ausdrücken, welclie in dieser zeit bei der Schilderung entsprechender Situationen gebraucht werden, ist der rück- schluss gestattet. Man betrachte dazu folgende beliebig gewählte bei- spiele:

In einem 1542 anonym gedruckten "^ „Lustig Gespräch der Teufel und etlicher Kriegsleute von der Flucht des grossen Scharrhansen Her- zogen Heinrichs von Braunschweig'' lieisst es vers 72 fgg.:

Die zwo erlich stet Braimschweig und Goslar

Selten für im stehen grosse gefar.

Die wolt er der massen ti-eiben und zwingen,

Dass sie im müsten seins gefallens ein liedlin singen.

Es würde im niemant dürfen weren,

Er wolt sich auch an ir mit verwanten nicht keren.

Ganz genau entspricht diesen worten eine stelle in einem inhaltlich eng damit zusammengehörigen „Bekentniss und Clag Herzog Heinrichs von Braunschweig des Jüngern"^ v. 155 fgg.:

^n den beiden steten im reich

Goslar und Braunschweig zugleich,

Die selben auf das hertst bedrengt.

Aber das mich am sersten krenkt:

Ich hab sie nicht können zwingen wie ich gewolt.

Wie säur ich mich dagegen gestalt.

1) Poesie und. kirnst der Araber in Spanien und Sicilien (18G5) II, s. 117.

2) Eines derselben, bei j\lirchondi Historia Seldschuckidanun ed. Vullei-s IG, wo es von einem fiü'sten, der seine residenz verlässt, heisst: „er heftete der gattin des reiches eine dreifache ehescheidung an den säum ihres Schleiers ", besizt bei Homer (Od. 13, 388; II. 16, 100) eine merkwürdige parallele in dem ^TQoujg h()ä y.QriStuvu („Stirnband") Icetv."- Vgl. L. Döderlein, Homerisches glossarium nr. 739, Anieis und Düntzer zu v. 388, auch hymn. Cerer. 151 y.nriSeuva Tiölrjog (ebenso Hesiod uanlg 'Ho. 105). Fr. Kummer, Tarquin (Lpz. 1888) lY, 2 (s. 101): „Ich brach der zinnen jungfräulichen kränz."

3) Schade, Satiren imd pasquille aus der reformationszcit I, s. 54 u. 217.

4) Schade a. a. o. s. 68 und 220.

5) Schade a. a. o. s. 77 und 222.

22*

340 FRÄNKEL

Eine dritte ^^telle aus dei-selben Situation, in „Bruder Veits Landsknechts im Laii'er vor AVolfenbüttel treuliche AVarnuno'' ^ v. 25 fe.:

Dadurch er der armen stete Goslar und Braunschweig Vermeint mechtig luid ir herr zu sein zu gleich

beriihi*t sich eng mit v. 45 in „Ein new Lied vom Türeken usw., Nürn- berg durch Christoff Gutknecht" (1529?)^, wo dem Wien belagernden „Türk" zugerufen wird: „deV stat soltu nicht gweltig sein." Man über- sehe nicht den doppelsinn des „mechtig (gweltig) sein", was hier wol ähnliches bedeutet als unser „vergewaltigen" und des „herr sein" = „vermählt, gatte sein."'- Schliesslich erwähne ich noch einige stellen aus dem berühmten landsknechtliede von der „Pavier schlacht."^ Es

11

heisst da v. 4 „von dem könig aus Frankreich " :

Mailant das wolt er zwingen

und V. 9 fg.: Er zug für ein stat, die heisst Mailant,

die selbig tet er zwingen,

wozu man die oben angeführte kongruente wendung bezüglich Goslars vergleiclie. Ganz deutlich ist die anthropomorphische auffassung in V. 70 desselben liedes, wo erzälilt ist, dass das belagerungsheer ver- stärkt worden:

Pauia tet sich des freuen.

Dem lezteren ausdrucke begegnen wir in einem anderen zeitge- nössischen liede wieder, dem 1552 von Frankfurt aus verbreiteten flie- genden blatte „Von der belagerung der stadt Frankfurt", welches Arnim und Brentano wahrscheinlich aus „Der AVeit -berühmten usw. Han- dels-Stadt Frankfurt am Main Chronica. Durch A. A. v. Lersner. 1706" s. 388 in „Des knaben wunderhorn II, 336'' aufgenommen haben. Ich setze die dritte Strophe daraus ganz hierher, da die bezügliche anscliauung durch dieselbe durchgeht:

Stadt Frankfurt an dem Maine! Dein lob ist weit und breit. Treu, ehr und glauben reine. Mannliche redlichkeit Hast du mit deinem blute

1) Abgedruckt bei Kömer, Historische Volkslieder aus dem IG. und 17. Jahr- hundert (Stuttg. 1840) s. 150.

2) Über mhd. geualt für „die rechte eines chegemalils oder begünstigten lieb- habers"- vgl. Uhl, Unechtes bei Neifen (Paderb. 1888) s. 31.

3) Abgedruckt bei Soltau. Einhundert historische Volkslieder^ (Leipz. 1845) s. 287 fg.

UM STÄDTE WElüiEN 341

Erhalten ritterlich. Vertrau dem lierrii du ^nite, Er liilft unschuldgem blute, Dess suUst du treuen dich. Man erkent, dass hier das Verhältnis der belagerten testung zu ihren bedrängerii ganz ähnlich ^vie in den bisher beigebrachten belegen ge- dacht ist. Verwante betrachtungsweise kehrt in niaiuiigtacher niodelung im reformationszeitalter wider. Man vergleiche z. b. das von II. Fischer, Gernian. 23, 57 fg. mitgeteilte „historische lied des XVI. jaiirhuuderts'^ wo u. a. folgende verse vorkommen:

Venedig, sych dich eben für Dein hochmüt würt gestilt, glaub mir Dein geyt, vn üppig evtel eer Mag uit vertragen bliben mer.

Weiterhin heisst es von der trotzigen stadt, die gewissermassen unter dem bilde einer spröden kokette erscheint:

Bapst, keyser darzu achtest klein,

In eygnem gwalt vertröst allein.

Venedig, sych dich eben für.

Dail dir die straff ligt vor der thür,

Durch keyser Maximilian.

Man möchte gewiss auch anderwärts in der iitteratur des 16. jalu- himderts noch beispiele auftreiben können. Aber mir komt es nur darauf an, aus der volksmässigen anwendung dieser metonymie ihre gebräuchlichkeit in der in frage stehenden periode zu erweisen, zum wenigsten, dass sie gleichsam in der luft lag, wenn auch nicht viele belege von der handgreiflichkeit des Sachsischen vorliegen.

Jedoch stehen neben diesen Zeugnissen für die gemeinverständ- liche anschauung des „um städte werben'' eine reihe von verschieden- artigen Wendungen, welche denselben grundgedanken in weniger aus- geprägter form widerzugeben versuchen. Auch hier gebührt einer stelle des Hans Sachs zeitlich die führung. Ich meine die allegorische deu- tung der ,,4 fräulein'', welche Nürnbergs kraft und stärke sinbildlich verkörpern sollen, in dem als eiii kabinetsstück sinniger und poesie- umflossener didaktik bekanten lobspruch der stadt Nürnberg i. Vom hauche edelster Vaterlandsliebe verklärt, ersteht hier ein farbenbuntes gemäide der phantasie, welches in dem alten gedanken fusst, dass der glänz einer in ihrer macht- und glanzfülle allen anfechtungen siegreich

1) Gedichte, buchl, t. 4, bl. 404. Vgl. v.2ü5fgg., 285 fgg., 280, 300 fgg. usw.

342 FRiXKEL

geAvachseneu stadt der frischen und reinen blute unberührter jungfräu- liclikeit vergleichbar sei. Weisheit, gerechtigkeit, Avahrlieit und stärke sind die „4 fräulein ", deren gleichsam unverlezte keuschheit Xürn- bergs schütz und schirm bedeutet.

Man fülilt sich unwilkürlich an die vuUere ausgestaltung dieses gedankens erinnert, wie wir ihn in andern nummern dieses stofkreises finden, so in dem „Halt dich Magdeburg" betitelten „Flugblatt aus der reformationszeit'', welches Arnim und Brentano in „Des knaben wun- derhorn" (1. ausg. 11, 102) zum abdruck brachten. Ich führe als cha- rakteristisch nur sti'ophe 5 7 an:

So will ich nicht verzagen, Ich armes mägdelein, Christum will ich es klagen, Der wird mein schutzherr sein.

Magdeburg bin ich genennet. Ganz frei und wohl bekannt. Ich trau auf Christ vom himmel. Mir liilft seine gew^altige band.

Die mittel will ich brauchen. Die mich mein bräutgam lehrt, Vor diesem beschomeu häufen Bin ich noch unversehrt. ^

Die sprechende stadt weist also die umwerbungen ihrer feinde schroff zurück, indem sie sich gewissermassen auf ein Verlöbnis mit Christas beruft. Hierdurch ist aber nicht bloss die reichhaltige anzahl der von Köhler zusammengestelten lieder dieser art, welche sich auf Magde- burg beziehen, um eins vermehrt-, sondern zugleich erwiesen, dass die belagerung der stadt durch Tilly vom jähre 1629 keineswegs die erste ist, welche zu einem solchen gedichte angeregt hat. Es verdient hierbei noch angemerkt zu werden, dass das in „Des knaben wunder- hom" unmittelbar folgende gedieht „Die Magdeburger fehde"^, welches

1) Allerdings ist in dieser hochdeutschen fassung manches etwas entstelt; man vergleiche die niederdeutsche bei Uhland I, 554 und v. Liliencron IV, 515.

2) -Tilly nach der Schlacht bei Breitenfeld ", ein auf urkundliches material gestüzter aufsatz (Schnorrs v. CarolsfeldV) im Arch. f. lit.-gesch. VI, 53 85 bietet viele fälle für Magdeburg, aber ohne das typische des werbens zu streifen.

S) QueUe ist -CjTiacus Spangenbergs Chronik von Aschersleben. Eisleben 1572, Petri." Las gedieht steht Des knaben wunderhora IP, 106.

UM STÄDTE WERBEN 343

noch ins dritte viertel des 16. Jahrhunderts gehört, zwar diese anschauung nicht gerade heraus ausspricht, aber doch in mannigfachen anklängen die anlehnung an das vurliergenante gedieht aufweist^; in stroplie 11 und 12 bricht die personitizierung der stadt, allerdings unter einem etwas andersartigen bilde, ganz deutlich (.lurch. Auch bleibe nicht unerwähnt, dass die von Köhler a. a. o. s. 231 mehrfach belegte auf- fassung der Werbung als einer aufforderung zum tanz sich in der gan- zen gattung öfters widerholt; ich erinnere an die gesrhickte einflcrlitung dieses motivs in einem neueren aber nicht minder volksniässigen bei- spiel, „Die befreiuug Wiens"- Strophe 17:

Es tönt so früh und tönt so hell,

Als ging's zu tanz und wein. Köhler a. a. o. s. 231 (und anm.) wies schon auf diesen zug hin.

Wie verbreitet jene Übertragung aus dem sozialen leben auf die Städtebelagerung schon im 16. Jahrhundert gewesen sein muss, erhelt aus der anzahl verscliiedener fassungen des „Halt dich Magdeburg", die heute noch nachweisbar sind. Die geläufigste ist freilich wol erst um die mitte des 17. Jahrhunderts, anscheinend infolge der belagerung von 1629 31, endgiltig fixiert worden. So liegt sie uns im Yenus-gärt- lein (Hamburg 1659) s. 55 57 vor, und bei Ühland, Alte hoch- und niederdeutsche Volkslieder 1, 1, 553 ist aus einem mundartlichen lie- derbuche eine wortgetreue plattdeutsche Übersetzung derselben mitgeteilt. Aber wir kennen auch eine in einzelheiten stark abweichende nieder- schrift als fliegendes blatt, welche, enthalten in ,, Zwey schöne lieder, das erste der christlichen stadt Magdeburgk zu ehren gestellt, durch P. L. Im thon Es wolt ein jeger jagen 1551", reichlich hundert jähre früher abgeschlossen war. Ähnlich wie oben bei Haus Sachs, ist hier von „drei jungfräulein " die rede, welche auf df^ni Magdeburger Stadt- tore für drei fremde fürsten „rautenkränzelein-' winden. Auf derselben linie bewegen sich die verschiedenen svnonvmen ausdrücke in der ,,Magdeburger fehde." Neben andern gedenke ich nur der Avorte in der

11. Strophe:

Magdeburg, du bist ein wilder arn,

Dein flügel sind unverhauen

als einer geharnischten abwclir an die belagernden fürsten, welche auf einem sehr nahestehenden vergleiche ruht

1) Z. 1). das bezeichnende „es kommen (viel) fremde gaste" in den ersten Strophen.

2) Aus dem sog. Festkalender z. 1). bei Echtermeyer, Auswahl deutscher gedickte, 29. auü., s. 87 fg.

344 rßiNKEL

In aiizieliender weise ist zugleich in „Halt dich Magdeburg '^ das alte gleichuis, dass Christus der kirclie verlebter, der gläubigen und frommen geliebter sei, für die beziehung der gottheit zu der glaubens- mutif!-en Stadt verwertet. Die hvmnenlitteratur und kirchliche lieder- dichtung der nachreformatorischen jalirhunderte weist eine ganze reihe von stellen auf, welche Christus als bräutigam der stadt Jerusalem^ bezeichnen und zwar, was für uns das massgebende ist, als friedlichen eroberer im sinne der religiösen legende oder als schlachtgewaltigen kriegsfüi"sten im altgermanischen stile des Heliand. Bloss einige pro- ben mögen die vielseitige ausbeutung dieses halbmystischen phantasie- bildes, welches die ältere christliche dogmatik in ihrem dränge nach sinlicher greifbarkeit des göttlichen geschaffen hatte, mehr andeuten als sicher beweisen.

Zunächst ein beispiel noch aus dem 16. Jahrhundert. Rambachs Anthologie christlicher gesänge II, 218, auch Schuppii Schriften s. 277 verzeichnen das im modernen protestantischen kirchengesang wider in aufnähme gekommene lied „Von den klugen Jungfrauen" aus „Frewden Spiegel dess ewigen lebens. Durch Philippum Nicolai. Frankfurt 1599." In betracht komt Strophe 1 :

Wachet auf, ruft uns die stimme-

Der Wächter sehr hoch auf der ziime,

AVach auf, du stadt Jerusalem,

3Iitternacht heisst diese stunde,

Sie rufen uns mit hellem munde:

„Wolan, der bräutigam komt.

Steht auf, die lampen nehmt!

Halleluja!

Macht euch bereit

Zu der hochzeit,

Ihr müsset ihm entgegen gehn!"

Xur um für die spätere zeit die fortdauer dieser belebenden dar- stellungsweise zu belegen, ziehe ich die betreffenden zeilen aus einem seltsamen hymnus aus, der als „Anmutiger blumenkrieg aus dem gar-

1) Wackeraagel. Poetik, rhetorik und Stilistik s. 398 bespricht als ty[)isches ^beispiel allegori.scher Personifikation" Hesekiel 16, „wo Jerusalem als weib erscheint und die ganze geschichte der stadt und des volkes in der lobensgeschichte dieses einen weibes anschaulich concentriert wird."

2) Klopstock hefert eine nach seiner gewohnten erneuerungsart (siehe Muncker, F. G. Klopstock, Stuttg. 1888, s. 307 und 311 fg.) vorgenommene umar))eitung „Die geisthche auferstehung" : Samtl. werke 1823, 111 s. 80.

UM STÄDTE WKIiliKN 345

ten der gemeinde gottes, aus licht gegeben im jähre 1712'' in Des knaben winulerhurn 411, 20G fgg. neu gedruckt ist.

In in: 3, die den Untertitel ,,Triunipli des ei-wählten Volkes" führt, lautet sti". 1 :

Auf tiiuuiph, es komt die stunde.

Da sich Zion, die geliebte, die betrübte hocherfreut,

Babel aber geht zu gründe,

Dass sie kläglich über jamnier ül)er angst und kuniiner 'schreit. Str. 2:

Diese dirne hat beflecket

Ihr geschenktes, schön geschmücktes jungfräuliches ehrenkleid

Und mit schmach und höhn bedecket,

Die dem lamme auf die hochzeit ist zum weibc zubereit. Str. 3:

Stolze dirne, nicht verweile.

Die da auf den vielen, vielen, vielen grossen wassern sizt

Und mit angeln und am seile

Ganze Völker zu sich ziehet und in schnöder brunst erhizt.^

Str. 5: Auf dem lande, in den städten

Hat die dirne mit dem becher alle beiden toll gemacht, Sie stolzieren in den ketten, Haben sie als schicksalsgöttin, sich als götzen hoch gemacht.

Str. 11: 0 Avie gross ist deine wonne.

Schönstes Zion, es ist kommen dein erwünschtes hochzeitsfest, Da sich Jesus, deine sonne Der dich krönet, deinen bräutigam, deinen könig nennen lässt.

Endlich str. 12, einen volkommenen abschluss bietend: Nach der hochzeit wird die nymphe^ Aus dem hause ihrer mutter in des vaters haus geführt. Die mit ewigem triumphe In der ki-one ihrer hochzeit, ewig, ewig triumphiert.

Das merkwürdige stück lässt trotz der vielfachen dunkelheiten im einzelausdruck, die durch die verzwickte Interpunktion, in der es hier gemäss dem original belassen ist, noch gesteigert werden, dieselbe

1) Nach der Offenbarung Johann. 17, 1: die grosse hure Babylon.

2) Mit hinbüok auf vv^(fi] ,,die neuvermählte" (Homer II. 3, 130 u. ö.)? Ähu- hch „braut" für Junge frau" (vgl. Hildebrandslied v. 21).

346 FRÄNKKL

gegeiiüberstellung wie in den vorüetulirten „weltlichen'' füllen durch- scheinen, ja man möchte last sa^en, es sezt die bekan tschaft mit die- sen und ihre üblichkeit voraus. Das geht auch aus einigen parallelen in nr. 20 desselben cvklus, dessen nr. 3 wir soeben in bruchstücken kennen lernten, hervor. Dieselbe, „Hochzeit" betitelt^, nähert sich mit einigen anklängen namentlich dem liede „von den klugen Jungfrauen." Ich hebe heraus aus str. 1 :

Es hat sich aufgemachet Der bräutigam mit praclit.

und stelle daneben aus str. 2:

Die Wächter Zions schreien, Der bräutigam ist nah.

Str. 3 bringt sodann die völlig dazu stimmenden verse:

Die tür ist aufgeschlossen - Die hochzeit ist bereit, Auf. auf ihr reichsgenossen, Der bräutgam ist nicht weit.

Auch die 6. strophe gehört hierher:

Begegnet ihm auf erden, Ihr, die ihr Zion liebt, Mit freudigen geberden Und seid nicht mehr betrübt! Es sind die freudenstmiden Gekommen und der braut Wird, weil sie überwunden. Die kröne nun vertraut.

Wie scharf das gegenüber des siegreichen eroberen und dei* bezwungenen bräutlichen Stadt zu fassen ist, zeigen die beiden ersten Zeilen der nächsten strophe ganz deutlich:

Hier sind die siegespalmen, Hier ist das weisse kleid

und nachdem dieser gegensatz noch mit reichen färben ausgemalt ist, bringt die 8. strophe den Avürdig ausklingenden schluss:

Hier ist die Stadt der freuden, Jerusalem der ort,

1) Des knaben wmiderhorn 'III, 229 u. ö.

2) Ganz realistisch zu denken, wie Christus nach den evangelien in Jerusalem einzieht.

UM STÄDIÜ WEUBEN 347

Wo die erlösten weiden.

'1

Hier ist die sichre pfort, Hier sind die goldnen gassen, Hier ist das hochzeitniald, Hier soll sich niedeilasscn Die braut im roseutal.

Endlich waltet auch in dem die eigentiimliche dichtung al)schliessen- den „triumph der erwählten seele^ derselbe gedanke vor, indem „der Siegesfürst aus der schlacht komt", des „höllischen tyrannen raubschloss ganz zerstört", so dass wenn man die mystisch verklausulierten Worte so auslegen darf „seine teur erlöste braut'' nun unbehelligt ist.

Um einige verwante züge aus neueren kirchenliedern gleich hier anzufügen, sei Gellerts abgeblasstes

Dein könig, Zion, komt zu dir

(str. 5 des liedes „Dies ist der tag, den gott gemacht''), Friedrich Dach- ses, des Altenburger hofpredigers

Dein könig komt zu dir.

Du Stadt des felsengrundes, Noch bist du seine Stadt. Mach ihm die tore weit!

(Str. 1 und 2 des liedes „Thu auf die heil'gen pforten'') und etwa noch Fr. Rückerts friedvolles adventslied:

Dein könig komt in stiller grosse Sanftmütig, ohne kriegsgetöse, Empfang ihn froh, Jerusalem

genant, um die Versicherung, dass die ausgedehnte pflege dieser an- schauung durch die kirchliche liederdichtung schon allein aus den Lutlie- rischen gesangbüchern viele beispiele herausgreifen Hess, durchaus glaubhaft zu machen.

Kehren wir zu der chronologischen reihenfolge der besprochenen beispiele zurück, so finden wir als erstes im 17. Jahrhundert unter den bislang nicht berücksichtigten das lied auf die schlacht bei Leipzig, welches auf flugblättern in melirfach stark variierter fassung überliefert ist. Eine längere, noch von 1631 datiert, steht in Des knaben wam- derhorn ^11, 93, bei Talvj, Yersuch einer geschichtlichen Charakteristik der Volkslieder germanischer nationen (1840) s. 442 und sonst öfters abgedruckt, eine andere unter gleicher Überschrift findet sich knapp

348 FßÄNKEL

zusammengeselinitteu in Des kuaben wunderliorn an jenes angeschlos- sen oder in erweiterter gestalt als „Der päpstischen armee unter dess alten corporals general graffen von Tylli comniando zugk vnd flucht 1631" auf einem flugblatt, welches z. b. in der Meusebachschen sam- lung^ enthalten 'war, auch verschiedentlich veröffentlicht worden ist^

Wenn man annimt (wogegen kaum ein erheblicher einwand mög- lich ist), dass der eingang, wenn nicht ein grösserer abschnitt dieses gedichts in der erstgeuanten bearbeitung der stadt Leipzig in den mund gelegt ist, so darf z. b. die 1. Strophe ohne weiteres als beleg für die Aktion eines liebesverhältnisses zwischen Leipzig imd Gustav Adolf gel- ten. Sie lautet nämlich:

Ich hab den Schweden mit äugen gesehn Er tut mir wol gefallen;

Geliebt mir in dem herzen mein

Vor andern königen allen.

Gegen den schluss bekommen die kaiserlichen feldherrn den beliebten moralischen rippenstoss. Während sonst meist Tillys Charakter und geschick die Zielscheibe der protestantischen pamphletisten bildet, ist es hier neben diesem auf den wilden reitergeneral Holk abgesehen. Charakteristisch ist namentlich die apostrophe der flüchtigen „Kraba- ten** und ,,welschen brüder" str. 11:

„Ade, Leipzig, behalt dein mahlzeit. Zu dir komm ich nicht wider",

und zwar ist dieser gefühlsausbruch aus der vorangehenden strophe zu erklären, avo Holks krankheit durch vergiftetes confekt, das er von der Stadt Leipzig erhalten, erzeugt sei. Diese merkwürdige motivierung ist aber in den gedichten jener zeit eine sehr gebräuchliche, wenn schimpflicher abzug eines belagerers geschildert werden soll.''^ Beispiels- weise sei hingewiesen auf R. Köhler, Archiv für litteraturgeschichte I, 245 (auch 241 und 243), besonders auf Freih. v. Ditfurth, 52 unge- druckte balladen des 16., 17., 18. Jahrhunderts (Stuttg. 1874) s. 174 (aus dem jähre 1704) sowie Froih. v. Ditfurth, 110 volks- und gesel- schaftslieder des 16., 17., 18. Jahrhunderts (Stuttg. 1875) s. 37 (schlacht bei Patras 1687) und s. 97 (belagerung der vestung Rottenberg 1744.

1) Z. V». in der von L. Erk besorgten neiiausgabe von Des knabon wimdcr- horn: L. A.s von Arnim sämtl. werke N. A. 1857, XU, 93 fgg.

2) Die erklärung bieten die verse „Ihr red war usw." bei Opel und Cohn, Der dreissigjäbiigc krieg (1862) s. 258.

UM STÄDTE AVERHEN 349

Gleiclifals in jono zeit t'iilt die entsteh iin,<^- des g-elegenlieitsgedich- tes „Wallenstein vor Nürnberg" ^, in dem am ende

„Die bur^er schrien und sun^^-en überhiiit: „Gelt, AVallenstein, du hast di(^ braut? Geh, putz dein gesehen drauss!""

Nach dem inhaite zu folgern, muss wenigstens ein und demsel- ben jähre der spotdialog ,,Tilly und der lange Fritz" 2 angehören, wo dem Tilly als grund seiner erbärmlichen läge entgegengeschleudert wird:

„Weil hast die magd geschändet, Ins elend auch gesendet",

also Magdeburgs grausame Zerstörung.

Über das interessanteste gedieht des 17. jahi-hunderts, welches unser thema behandelt, ist man bis jezt noch nicht ins klare gekom- men. Es ist widerum auf die belagerung Magdeburgs bezüglich und zwar die von Tilly 1631 mit erfolg durchgeführte. Unter den vielen nummern, die sich diesen dankbaren stofP zum Vorwurf gewählt haben, stelt es Köhler s. 249 an lezte stelle. Aus seiner angäbe (s. 250), dass dasselbe gedieht in deutscher Übertragung das original ist lateinisch abgefasst nach einem druck von 1632 bei Opel und Cohn, Der dreissigj ährige krieg (Halle 1862) s. 220 fgg. mitgeteilt ist, ergibt sich seine identität mit einem neuerdings von Witkowski^ eingehend besprochenen gedichte Werders. Ich teile dessen ausführungen nebst den bei ihm herausgehobenen proben mit, indem ich noch seine notiz in der bibüographie der Werd ersehen Schriften vorausschicke, dass das- selbe stück ^ „mit moderner Orthographie" an der angegebenen stelle Opel-Cohns zu finden sei:

„Weit weniger als die nachbildung der bussspalmen ist Werder ein „Trawerlied vber die klägliche Zerstörung der löblichen vnd vhr- alten stadt Magdeburg" gelungen, welches denselben angehängt ist. Das lied schildert die Überwältigung einer Jungfrau (das wappen Mag- deburgs) durch einen alten Wüstling. Unter anderni finden sich darin folgende, fast komische verse:

1) Ditfiiiih, 52 balladou usw. s. 172.

2) Ebd. s. 168; dieses wie das vorige nach handschriftlicher übeiiieferung

(s. xn).

3) Diederich von dem Werder. Ein beitrag zur deutschen htteratui-geschichte des 17. Jahrhunderts (Leipzig 1887) s. 124 fg.

4) Exemplare desselben, 1632 in Leipzig bei Ehas Rchefeld gedruckt, finden sich nach Witkowski in Dresden und Göttingen.

350 FRÄNKEL

Der liiinmel selbst erschrickt. Gottloser buleii knecht, Es weren ja füi* dicli die drey liöll huren ^ recht, Ihr bräutigam zu seyn. Mit solchem braud vnd morden Ist auch des Plutons weib selbst nicht geraubet worden. Du ALTER KAHLKOPE, du verdientest, dass das schiff Charontis mit dir stracks in seinen abgrund lieff. Die allegorie von der Jungfrau und dem alten liobhaber ist noch weiter gefülut: dann redet der dichter die gefallenen an: Ihr bürger aber all", ihr miinner, vnd ihr frawen, Ihr kinder, knäbelein, ihr Jüngling und jungfi-awen, Du kecke kriegesschaar: Ynd du o edler Heldt, Der du ilu- wärest gleich als hertzog fürgestcllt, Glantz aller Tapferkeit-, vnd sonne des Verstandes Ruht ruhet in der asch' hier ewres Vaterlandes Ja ruhet süss vnd sanfft, kein todt ist ewer todt^: Ein leben ist er euch, ein leben auch in gott, Ein leben voller ehr, ein leben voller leben: Ihr vberwunden habt: ihr werdet euch erheben. Hoch vber das gestirn, es wii'd nach unsrer zeit Auch werden ewer lob vnsterblich aussgebreit. Zum schluss ermahnt der dichter die überlebenden, auszuharren und den mut nicht sinken- zu lassen. Das ganze „trauerlied" ist des besungenen gegenständes nicht würdig; denn von dem furchtbaren schmerz, der die ganze protestantische weit nach dem falle Magdeburgs bewegte, ist sehr wenig darin zu spüren. Dasselbe bild von der ge- schändeten Jungfrau benuzte Opitz zu einem epigraram, welches zuerst bei Xeumeister* abgedruckt ist und ebenso wie Werders gedieht beweist,

1) Ich glaube, dass hierbei der stüle gegensatz vorschwebt, welchen das oben besprochene flugblatt „Halt dich, Magdebui'g" so ausprägt (str. 16):

Zu Magdeburg auf dem thore,

Da sitzen drei jungfräulein,

Die machen alle morgen

Drei rautenkränzelein. Bestirnt sind dieselben nach den folgenden yersen für „herzog Hansen", gi'af Albrecht von Mansfeld und einen noch unbekanten retter. Die „höllhuren'* sind Babylon, Jerusalem, Ephraim.

2) Gemeint ist, was W. nicht angemerkt hat, der von Gustav Adolf entsante kommandant der Stadt, obei-st Dietrich Falkenberg.

3) Diese und die folgende wendung erinnern an ähnliche antike im stile der bekanten Tyiiäos nachgebildeten verse des Horaz.

4) Specimen di.ssertationis Ihstorico - Criticae de Poetis Gemianicis hujus sae- cuh praecipuis (2. aufl.j 1708 s. 76 fg. Vgl. Strehlke, M. Opitz s. 105 und 182.

UM STÄDTE U'ERBEN 351

wie wenig die puesie damals den gefühlen über wirklich ei*scliütternde ereigTiisse ausdruck zu geben vermochte."

Soweit Witkowski, dessen dai-stelluiig ich in extenso gegeben habe, weil es mir notwendig schien, bei dei* berichtigung des tatbestan- des den sachkundigsten sprechen zu lassen. Man gelangt aber erst zur sichern feststellung, wenn man seine notizen mit denen Köhlers ver- schmilzt. Dieses ergebnis, dass jenes lateinische gediciit bei Kühler s. 249 fg. und das Werdei'sche zusammenzufassen sind, blieb bei Wit- kowski jedenfals nur deshalb aus, weil ihm leider die bemerkungen seines Vorgängers entgangen zu sein scheinen. Dies geht auch überdies aus seiner nichtberücksichtigung von Köhlei*s auslassung über das Opitzische gedieht (s. 247) hervor.

Da es sich, imi die genetische entwicklung zu veranschaulichen, entschieden empfiehlt, einfach die chronologische reihenfolge inne zu halten, so schliesse ich jezt einen hinweis auf die wol nicht unbeti'ächt- liche litteratur an, welche den fall Strassburgs betrift und meist noch ins jähr 1681 oder die unmittelbar folgenden fält. Ich halte mich dabei an die knappen worte Scherers \ die allerdings nicht in hinblick auf eine litterarhistorische Verwendung niedergeschrieben, die sache algemein beti-achten. „Die populäre litteratur hatte sich des gegenstän- des, wie selten in jenen zeiten geschah, mit eifer bemächtigt. Das Volkslied erhebt sich in allen möglichen klageweisen, schon vor der katastrophe in Warnungen, nachher in bitterem unmut. Aber auch an Satiren gegen Strassburg felüt es nicht, aus denen man ersielit, tlass die meinung sehr rasch verbreitet wurde, es sei verrat im spiel gewe- sen, und die Strassburger müsten nun ihre untreue am reiche büssen. Ein „lezter reichs- abschied von der mutter, dem römischen reich, an die enterbte tochter, nun französischen Stadt Strassburg" geisselt die treulosigkeit der grenzstadt, welche ihi- unglück selbst verschuldet hätte. Sehr beachtenswert ist, dass selbst Leibnitz in den zalüreichen latei- nischen und deutschen gedichten, zu denen ihn das ereignis gestimt hatte, einer gleichen auffassung vorzugsweise räum gibt: „Pfuy Strassburg, schäme dich . . musst mit vielen scherzen Verspotten lassen dich zu deiner pein und last."

Alle genanten Stimmungselemente fliessen in der herben abfer- tigung an die alte reichsstadt zusammen, welche noch ins jähr 1681

1) Lorenz und Scherer, Geschichte des Elsasses II, 130 fg. S. 258 heisst es zum jähre 1870: „AUe Stadien einer regelrechten belagerung solte die unglückliche „Stadt, die siebenhimdei-tjährige jungfräuliche festung erdiüden."

352 FRÄNKEL

fält und von Ditfurth^ aus ,,Cod. germ. s. 136 137" der Staatsbiblio- thek zu München herausgegeben ist. Strophe 8 darin gibt den kern

des gedankens:

Ein jungtrau wärest du.

Hast g'habt den edlen namen;

Pfui, pfui! jezt musst dich schämen!

Scham dich, truck d' äugen zu,

Und ruf: o weh, o weh!

Hab d' jungfrauschaft verloren.

Bin Absalon geboren

Die unti'eu nun versteh!

Für diese scharfe Strafpredigt an die wie (oben s. 344 fg.) Babylon zur dirne erniedrigte stadt empfangen wir in der übernächsten strophe folgende erklärung, welche das gleichnis in das richtige licht rückt:

Dir war das prädikat,

Dass vor viel hundert jähren,

In schweren kriegsgefahren,

Kein feind dich zwimgen hat. In den übrigen teilen des 20 Strophen langen gedichtes treten fast alle die Wendungen auf, die wir in den bisher mitgeteilten Schilderungen derselben Situation beobachten. Str. 6 flicht den anscheinend stereotyp gebrauchten ausruf: „Pfui, Strassbui'g, schäme dich" ein und die Schlusszeilen der 3. und 4. sti'ophe:

Das Teutschland lacht von herzen

Zu deinen grossen schmerzen.

Hast selbst g'macht dir pein beziehentlich:

Das reich dich gar nicht kennet,

Lacht nur zu deinem spott

erinnern so auifäUig an Leibnitzs obige verse, dass ein abhängigkeits- verhältnis auf einer seite wol in frage gezogen werden könte, sei es nun nur dunkele oder unbewuste reminiscenz beim kunstdichter oder zustutzung für den geschmack des gemeinen mannes durch den volks- mund. Zugegeben sei, dass die gebrauchten ausdrücke bei der gang und gäbe gewordenen vergleichsart beiden nicht zu fern lagen 2.

1) 110 Volks- und geselschaftslieder usw. (Stuttg. 187.5) s. 29 .35.

2) Yon bemerkenswerten anklängen seien noch erwähnt : aus str. 1 : Aber du find'st kein mann. Der jezt, da du musst leiden. Mit dir sich schwarz will kleiden" vgl. mit den oben s. 346 besprochenen versen ^Hier ist das weisse kleid" (dort hat die Werbung einen glücklichen ausgang genommen); die worte der zweiten strophe

mi STÄDTF WERBEN' 353

Ich hatte Strassburg- liier in dvn Vordergrund gestelt, obwol einige andere geschichtliche lieder diesor zeit auf fi-oignisse sich beziehen, welche mehrere jähre älter sind. Aber s<Mn fall ist der bekanteste, deshalb volkstümlichste und daher auch vielbesungenste stoft" aus den gleichzeitigen gedichten unserer gattung.

Bloss im vorbeigehen erwähne ich das bei Ditfurth a. a. o. s. 18 mitgeteilte „Gespräch zwischen England und Ruyter (1667)." Dasselbe ist als ganzes mit den oben s. 337 behandelten Personifikationen der Schweiz und den weiterhin zu erwähnenden Deutschlands in parallele zu setzen; im einzelnen gehören etwa v. 29 fg.

„Holland hat mich stark turbieret, Ist mein meister worden sehr"

und gleichfals ein ausruf Englands v. 16

Dürft mich legen bald ins grab hierher.

An den lezteren eigentümlichen gedanken erinnert der eingang

des von Ditfurth s. 24 „Belagerung Rheinfelds" (1678) über-schri ebenen

liedes:

Liebste gräfin an dem Rhin,

Allarm, all arm! es steht dahin,

Dass ihr vielleicht sevd bald ein 1 eicht, ^

Noch darzu schandlich begraben.

In str. 2 wird dem general Stahremberg das lob zuerteilt, dass er bei zeiten „diese gräfin treulich z' schützen" bereit gewesen:

„Die nicht redlich, durch die büxen Liess wie d' finken bürsen^ fort Schöne lehr, jezt liegt er dort!"

Wenn in str. 10 die bedrängte festung aber ausruft:

Meine burger, treue kinder, Meiner feinde überwinder, Halt's ferner treu, steht mir fest bei! Nicht wie Freiburg tut mich lassen, Drum ganz Teutschland tut sie hassen

„Der dir den gValt genommen" erläutern nebst den voraufgehenden „Hast lang genug getrazt" die oben s. 341 abgedruckten verse auf Venedig in ebenso wilkom- mener weise wie die folgenden „(Der dir) die federn wol gestuzt usw." die auf Mag- debui'g: „Dein flügel sind un verhauen."

1) S. Giinmi, Deutsches Wörterbuch YI, 612.

2) Die bei Giimm, Deutsches Wörterbuch 11, 549 fg. und 555 fg. gegebenen begrifsentwicklungen passend ?

ZEITSCITRIFT F. DEUTSCHE PHILOI.OGIE. BD. XXII. 23

354 FRÄNKEL

SO weist sie damit auf die V(>rü:äni2:o hin, welche die oben s. 837 erwälnite Freiburi;er bulscliaft behandelt.

Inhaltlich i:::ehört in diesen Zusammenhang die „Schlacht bei Mal- plaquet" (Ditturth a. a. o. s. 61), wennschon ins 18. Jahrhundert (1709) fallend, wo die 5. strophe anhebt:

„Eugenius gelit izt nach Mons, So ihn erwählest zum gespons.'^

Aus dem 18. Jahrhundert hatte Köhler das lied auf die belage- ruug von Lille (1708) aus „Des knaben wunderhorn'' II, 100, die berühmte umdichtung desselben auf die von Belgrad und eine „Unter- redung zwischen dem könige und der stadt Breslau und den Oestrei- chern, so bev der lezten Übergabe den 19. dec. 1758 geschehen" in den bereicli seiner betrachtung gezogen. Was ich als ergänzung dazu bieten kami, ist folgendes. Zunächst eine anscheinend veralgemeinerte Personifizierung, der ich zu meinem bedauern nicht weiter nachspüren konte, weil mir meine quelle, eine recht ungenaue notiz H. Pröhles, bloss geringen anhält bot und mir auch erkundigungen nicht die gewünschte kentnis zutrugen. Es heisst bei Pröhle^: „Die bürgerliche politische Volksdichtung aus der zeit des siebenjährigen krieges tritt nicht selten in der form der poetischen prosa auf. Mit ausge- zeichnetem humor finden wir die kämpfe zwischen Friedrich und Maria Theresia als dorfgeschichte aus dem dorfe Grossenhagen dargestelt. Deutschland wird als krankes frauenzimmer abgemalt (!), dem eine reihe von uneinigen ärzten an verschiedenen stellen zur ader lässt."

Ganz bestimte nachrichten gab Köhler schon über das Breslauer werbegedicht. Zur ergänzung bringe ich über dasselbe noch die äusse- rungen K. Janickes^, der auch ein andres stück, gleiclifals dem sieben- jährigen kiiege angehörig, bespricht, welches einer an die von Köhler berührten gedichte des 17. Jahrhunderts anklingenden Stimmung aus- druck verleiht. „Das beruht auf altei' Überlieferung, die eroberung einer Stadt mit dem werben um eine Jungfrau darzustellen. So klagt die Stadt Breslau dem könig:

0 preussischer kriegheld, was thust du denn gedenken, Dass du mich in die Lieb wilst ganz und gar versenken, Für eine Jungfrau rein galt ich so lange zeit, Es hat mich niemals noch ein heldenmut erbeut.

1) Friedrich der Grosse und die deutsche litteratur (Berlin 1872) s. 49 fg.

2) Das deutsche kriegslied. Eine littcrarhistorische studio (Berlin 1871) s. 37.

UM STÄDTE WERBEN 355

Nicht immer brin^j;! freien glück: schlimm ists, wenn ein mäch- tiger nebenbuhler den schon sicher geghiubten besitz der geUebten uns i wider entwindet. Darum seufzt der marschall von Contades: j

Ha lia ha! Ich ai'mcr mann,

Ach, was soll icli fangen an?

Hab eine Jungfrau mii* genommen,

Bin mit ihr ins ungliick k(»mmen

Ha lia lia! Ich armer mann, I

Ach, was soll ich fangen an? ^

!

Minden, diese stolze magd,

Nacli der ich so lang getracht',

Die hat dieser Ferdinande I

Abgejagt mir ganz mechante |

Ha ha ha! Ich ainier mann, \

Ach, was soll ich fangen an?" '

Aus dem ende des Jahrhunderts gibt es ein verwantes, mir aber nicht ganz zugänglich gewesenes „Lied auf die belagerung von Lan- dau (sept. 1793), das mehrfacli reminiscenzen aus älteren liedern ver- !

räf'i. Die mir bekanten zwei Strophen enthalten freilich nichts dem- i

^ I

entsprechendes.

Der zeitlichen reihenfolge gemäss habe ich jezt auf die dramatische I

Verwertung der umkehrung unseres gedankens aufmerksam zu machen, welche Schiller in Maria Stuart 2. aufzug 1. auftritt untei-nommen hat. „Die fi-anzösische brautwerbung" bei der königin Elisabet wird daselbst in einem sinbildlichen kriegsspiel geschildert, bei welchem 12 ritter '

derselben „die keusche festung der Schönheit" gegen den ansturm des Verlangens, repräsentiert durch die cavaliere des herzogs von Anjou, siegreich verteidigen. Düntzers kommentar^ entnehme ich, dass ver- ;

schiedene englische historiker hier Schiller eine volkommen ausgebil- |

dete vorläge bieten konten, von Zeitgenossen jener aufführung z. b. \

William Cambden im 1. teile seiner „Annales rerum Anglicarum et

Hibernicarum regnante Elizabetha" (1615) sowie der von diesem direkt inspirierte de Thou (Tlmanus), „historianim sui temporis CXXY." Auch Floegel berichtet in seiner stofi-eichen „Geschichte des grotesk-komi- schen " ^ nach augenzeugen ähnliche einzelheiten über die festlichkeiten

1) Janicke a. a. o. s. 43.

2) Schillers Maria Stuart. Erläutert. (2. aufl. 1878) s. 136 fg. Düntzers hin- weis s. 137 note 2, dass hier die umkehrung des Verhältnisses vorhege, war nur bei den oben gegebenen ausführungen unbekaut.

3) In der neuen bearbeitung von Ebehng (4. aufl. Leipz. 1887) s. 272 und 266.

23*

35b FRÄNKEL

am damalii;-on britischen lioto, die „oiiuMi soltsaiiioii mytholog'ischon anstrich" truiion. Während Avir nun zwar in Deutschland für dieselbe zeit die darstelliing einer bela^eruni;' unter dvv ailegorie einer braut- werbunü' naclizuweisen imstande sind, scheint es als ob wir auf ent*- lischen\^ und dem dieses geistig so vielfach befruchtenden französischen gebiete poetischer fornn^lhihhing jene anschauung wenigstens bis zur mitte des lö. jahrhnnderts zurückverfolgen können. Indem ich die zahlreichen ähnlichen aufführungen bei gelegenheit von hochzeiten und anderen durch ausgedehnt(^ beiziehung der repräsentativen künste ver- edelten festen- übergehe, führc^ icli nui" den mir bekanten ältesten fiill unserer symbolisierung an. Er findet sich bei Engucrrand de Mon- strelet. Chroniques"^ III, 101, wo die erzählung folgendes mitteilt. Als Ludwig XL von Frankreich 14G3 in Tournay einzog, kam über dem tor auf einer maschiiu^ die schönste Jungfrau der stadt herunter und wäh- rend sie sich vor dem könige verneigte, lüftete sie ihr gewand am busen, sodass ein daselbst liegendes künstliches herz sichtbar wurde. Dasselbe spaltete sich und Hess eine grosse lilie aus gold emporsteigen, welche das mädchen mit den werten überreichte: ,, Sire, so wie ich eine jungfi-au bin, so auch diese stadt; denn noch nie ist sie erobert worden, und nie hat sie sich gegen die könige von Frankreich empört: es trägt nämlich jeder ein wohner unserer stadt eine lilie im herzen." Dass hier derselbe grundgedanke vorschwebt, liegt auf der band; dass er sich schon in den alten darstellungen des mitgeteilten Vorganges findet, beweist die behandlung in der weitläufigen „Histoire de Lovys XL roy de France: et des choses memorables advenves de son regne, depuis Tan 1460 jusques ä 1483. Escritte par vn greffier de l'hostel de ville de Paris. 1620." Meines erachtens liegt dieselbe anschauung auch der repräsentation nackter Jungfrauen beim einzuge Ludwigs XL

1) Ycrwanten grundzug zeigt z. b. Das sohloss der beharlielikcit, eine mora- lität aus dem ausgehenden 15. jahrliundert (vgl. Collier, History of engl. dram. poe- tr\- II, 278).

2) Einige besonders fra])])antc beispiele seien genant. „Bei der vorniähluiig der Isabella von Baiem mit könig Karl VI. sali man ein Zwischenspiel, das die erobenmg von Troja darstelte" (Floegel - Ebeling a. a. o. s. 268), bei der Heinrichs IV. mit Margarctha von Valois liatte man vor den Tuilerien 2 Schlösser (paradies und hölle) gebaut, welche eine partei von littern unter dem könige von Navarra und eine unter dem herzog von Anjou gegen einander schützen musten. Nachdem der erste den lezteren besiegt, erfolgte das signal zur Pariser bluthochzeit (Kecreations histo- riques I, 261 274). Vgl. auch Chri.stine de Pizan Vie de Charles V., HI eh. 41 (s. Koch, Leben und werke der Chr. d. P. , Goslar 1885, s. 61 fg.).

.3) Avec notes biogi*aphiques par Buchon. Paris 1836.

UM STÄDTK WEKUEN 357

in Paris 1461 zu gründe, von welcher F. Liebreclit Germania 33, 2-19 spricht.

Aber auch auf deutscheni budon ist diese unikehrung fürs 16. Jahr- hundert gesicliei-t, wennschon leider die beiden lieder, welche ich (hifür anfühlen will, nicht bestirnt datierbar sind. Doch scheinen sie mir beide im 16. Jahrhundert entstanden, im 17. moditiziei-t und umgedicli- tet zu sein. In der V(»rli(,';i^enden gestalt ist jedenfals die „bela- gerung'^ älter, welche v. Ditfurth, 52 ungedruckte balhiden des Ki., 17. und 18. Jahrhunderts (Stuttg. 1874) s. 14 fgg. mit der quellennotiz (s. IX) „Altes geschr. liederbuch aus der gegend von Würzburg'' gedruckt hat. Der sehr geschickt gebaute wie alle stücike dieses stofkreises strophisch gegliederte dialog lässt sich erst wie ein ein- facher liebeszank an, als plötzlich, doch innerlich keineswegs unver- mittelt (genau beim mittelsten veree!) das mädchen ihre scharfe replik

mit den werten:

Dass ein erbarmen möcht!

G'schwind kommen, eingenommen

Die veste ohn' reste:

Das wäre mir fein doli!

kurz abschneidet. Der so in seiner hofnung auf fiir'dliche Übergabe getäuschte liebhaber geht jedoch ohne bangen darauf ein und erwidei't:

So muss es denn belagert seyn,

Wie klärlich ihr es also wMjlt:

Konstabier, stucken gross und klein

Ruckt her nun mit gewalt Ruckt her nun, ruckt her nun,

Ruckt her nun mit gewalt!

Lasst summen die Bommen^,

Stuck knallen und schallen,

Bresch muss geschossen seyn!

Den ausgang der belagerung erzählen die beiden übrigen Strophen mit den reden des paares recht nett:

„Ach weh ! ich steh in grosser not. Es stürmet auf mich alzusehr, All meine schanzen seyn zum spott, Der feind bedrangt mich schwer

Bedrangt mich, bedrangt mich. Der feind bedrangt mich schwer.

Ij Bonimc. f. tympanum, nd. biinge: Grimm, D. wb. LT, 236.

358 KUAMiEL

Wenl müsson schwfr l Oder schlagen schaiii Die vostung geben her.

'i

4i tt

„Was seh ich drüben auf dem tiimi?

77

YAn weisses fähndloin weht aldorL Victori schreit! Braucht's ni«-hr kein ^*

Man ("(fnct schnii dj«« p'

Mail (»fnet, man «»fnet Man öfnet schon die pfort 0 schönste. :i' te.

Hie lieget bc Eur kiie<ht von einem w

Die zweite miniincr. welche in ^ dreissigjiihriges kriegslied" in I)«> k i *II .•

aucli in der von L. Erk besorgten D< '**••• ''•--'^»•■"' -»'i

k'iianirabe La'lassen und nicht einmal w ui uaiiciu

Die eisten beiden stn)j)hcn

Amor, erheb dicii etiler held! Heg<'b(? dich mit mir ins fehl. Frisch auf!

Mein lieb<hen ist gerügt* Als ob sie mit mir stri'itcn m 8ie hat niciits ijuts im

Jczt zieh ich widcr die in> * Die mir die lieb>t ist in d< r W Frisch auf!

Uott weiss, ich bin bereit Mit ihr zu loben ohne stnnt. Wenn sie nur selber wolt.

Deutlichsten ausdruck gewint diiü l)ild ak'r ersi tn der -* mi in den worten:

Ihr leib von gott war schr»n Die festung ist. ihirum ich -tr.it Frisch auf! Ihr zarte bru>telein

1) L. Achims v..u Arnim sämtlirho woikv. N'.i. - i., 350.

UM STÄDTE WERBEN 359

Zwei mächtige basteien sein^, Worauf sie sich verlässt.

Die folgenden Strophen fühi-en die bewafnung der geliebten im eizelnen aus, doch in einem stile, welcher die niederschrift des gedichts L'uume zeit vor dem aufkommen der widerlichen manier der jüngeren ^'ilesier zur gewissheit macht. Dabei ist diese kleinmalerei nicht u-.rtrieben realistisch, hält sich namentlich in jener periode beson- drs anerkennenswert von offenen oder verhülten obscönitäten fern iid entbehrt doch nicht eines gewissen schalkhaften humors.

Str. 5: Ihr fähnlein ist der Übermut, Damit sie mich verachten tut. Frisch auf!

Ihr zarter roter mund Ist spiess und schwert, so mich verwundt. Ja (jftere bis in tod.

Str. (3: Trabanten, fiissknecht, reiterei

Sind uiignad, falschheit, tyrannei.

Frisch auf!

Ihr klare äugelein.

Die sind zwei feuerkügelein.

Damit sie mich verblendt.

Str. 7: So gott mir göimet glück und preis,

Dass ich das fähnlein niederreiss,

Frisch auf!

Ich hotV damit zu sieg'n

Ilcrzheb, du musst doch unterlieg'n

Und geben mir den preis. Str. 1): Denn nimmer hast du die gewalt,

Dass sich dein list gen mir erhiüt,

Frisch auf!

rfciiebt dir frömmigkeit,

Kirnst, tugend, ehr, so wird der streit

Durch mich gewonnen sein.

.um leztcn male tritt das bild in dvv vorlezten , 11. strophe, hervor, o der liebhaber waniend ruft:

1) Di.'srr v.>rj,dri«h, violloicht durch eine falsche dciitimg von ,, briistwchr '^ iitstanden, (in<K«t si.h auch sonst; v,d. Kr.lilor a. a. o. s. 230 str. 8 bastioneu. Vgl. i(t(}mi als S'hifswand.

358 FRÄNKEL

Werd müssen schwer büssen, Oder schlagen schamaden, Die vestimg geben her/' "

„Was seh ich drüben auf dem türm? Ein weisses fähndlein weht aldort. Yictori schreit! Braucht's mehr kein stürm, Man öfnet schon die ptbrt

Man öfnet, man öfnet. Man öfnet schon die pfort. 0 schönste, angenehmste, Hie lieget besieget Eur knecht von einem wort!

Die zweite nummer, welche in betracht komt, ist ein „galantes dreissig;i ähriges kriegslied" in Dos knaben wunderhorn ^II, 344, leider auch in der von L. Erk besorgten neuausgabe desselben ^ ohne (Quel- lenangabe gelassen und nicht eimnal ungefähr datiert.

Die ersten beiden Strophen lauten wie folgt:

Amor, erheb dich edler held!

Begebe dich mit mir ins feld,

Frisch auf!

Mein liebchen ist gerüst!

Als ob sie mit mir streiten müsst,

Sie hat nichts guts im sinn.

Jezt zieh ich wider die ins feld

Die mir die liebst ist in der Welt,

Frisch auf!

Gott weiss, ich bin bereit

^lit ihr zu leben ohne streit,

Wenn sie nur selber wolt.

Deutlichsten ausdruck gewint das bild aber erst in der 4. Strophe in den worten:

Ihr leib von gott war schön bereit Die festung ist, darum ich streit. Frisch auf! Ihr zarte brüstelein

1) L. Achims von Arnim sämtliche werke. Neue ausg. 1857, 12, 359.

UM STÄDTE WERBEN 359

Zwei mächtige basteien sein^, Worauf sie sicli verlässt.

Die folgenden strophen führen die bewafnung der geliebten im einzelnen aus, doch in einem stile, welclier die niederschrift des gedichts geraume zeit vor dem aufkommen der widerlichen manier der jüngeren Schlesier zur gewissheit maclit. Dabei ist diese kleinmalerei nicht übertrieben realistisch, hält sich namentlich in jener periode beson- ders anerkennenswert von offenen oder verhülten obscönitäten fern und entbehrt docli nicht eines gewissen schalkhaften humors.

Str. 5: Ihr fähnlein ist der Übermut, Damit sie mich verachten tut. Frisch auf!

Ihr zarter roter mund Ist spiess und schwert, so mich verwundt. Ja öfters bis in tod.

Str. 6: Trabanten, fussknecht, reiterei

Sind ungnad, falschheit, tyrannei.

Frisch auf!

Ihr klare äugelein.

Die sind zwei feuerkügelein,

Damit sie mich verblendt.

Str. 7: So gott mir gönnet glück und preis, Dass ich das fähnlein niederreiss, Frisch auf!

Ich hoff' damit zu sieg'n Herzlieb, du musst doch unterlieg'n Und geben mir den preis.

Str. 9: Denn nimmer hast du die gewalt, Dass sich dein list gen mir erhalt, Frisch auf!

Geliebt dir frömmigkeit, Kunst, tugond, ehr, so wird der streit Diu'ch mich gewomien sein.

Zum lezten male tritt das bild in der vorlezten , 11. strophe, hervor, wo der liebhaber warnend ruft:

1) Dieser vergleich, vielleicht durch eine falsche deutung von „brustvvehr'' entstanden, findet sich auch sonst; vgl. Köhler a. a. o. s. 236 str. 8 bastionen. Vgl. Tiaoiui als schifswand.

360 FRÄNKEL

Ein wenig denke nach, mein schätz,

Eh du kernst auf den musterplatz,

0 weh! Kehren wir nach dieser längeren abscliweifung, zu welcher uns die herangezogene Schillersche scene veranlassung bot, zu der zeitlichen Ordnung der Zeugnisse zurück.

Von den vier grossen liedmeistern unter der dichterschaar der frei hei tskriege liel Th. Körner viel zu früh unter feindlichen kugeln, um schon die belagerung zu erobernder städte ins äuge fassen zu kön- nen, wahrend E. M. Arndt sich bald seiner knorrigen leidenschaft, bald seinem angeborenen hausbackenen und volksmassig trivialen tone mit der neigung zu einer gewissen algemeinheit und sprichwortähnlichen redeweise überliess. Daher finden sich nur bei Schenkendorf und bei Rückert belege für das ,,um städte werben/' Yon den erzeugnissen des ei*steren komt für die algemeinere fassung des gedankens besonders das weihelied „Seiner herrin" (1814) in betracht, wo er sein herz „in liebesglut und andacht" für sein „heiliges", sein „deutsches reich" entbrennen lässt^ Bei gegebener gelegenheit arbeitet seine phantasie auf dem boden der oben für das Strassburg des 17. Jahrhunderts vor- geführten anschauung, z. b. wenn er in seinem von echt patriotischer begeisterung getragenen gedichte „Die deutschen städte" strophe 32 das verlorene Strassburg mit folgenden werten apostrophiert:

Dann wollen wir erlösen Die Schwester fromm und fein Aus der gewalt der bösen, Die starke bürg am Rhein.

Meist aber nimt das grosse gesamtvaterland wie ja auch im 16. Jahrhundert öfters die stelle ein, welche sonst der einzelnen Stadt angewiesen ist-. Xachdem der dichter gefragt hat, wie lange „Der stuhl Karls des Grossen" noch leer stehen solle, ruft er aus:

Ach, die Sehnsucht wird so laut! Welt ihr keinen kaiser küren?

1) Vgl. F. J. Scherer, Die kaiseridee des deutschen volkes in liedern seiner dichter seit dem jähre 1806: Jahresbericht des Laurentianum Arnsberg 1870 s. XVII.

2) Eine verwante stimmuDg atmen die verse:

Wer dich nur schauet, muss entbrennen In liebesglut imd andacht gleich; So lass mich deinen namen nennen, Mein heiliges, mein deutsches reich! Eine Übertragung aufs religiöse gebiet bietet sein wcihnachtslied „Brich an du" str. 2.

UM blÄDTK WJ-JiBEN 8G1

Kumt kein ritter heimzufilhren Deutscliland die verlassene braut? ^

Schenkendorfs genösse und mitstreiter, Friedrich Rüekert, hat diese vei'se richtig als besonders charakteristich für die tendenz seiner lyrik in die knappen Zeilen seines nachrufs verwoben, wo es heisst:

Das ist der Schenkendorf, der Max,

Der sang von reich und kaiser,

Dei- Hess die Sehnsucht rufen laut,

Dass Deutscldand ihn, die verlassene braut, ^

Nent ihren kaiserherold.

Auf Rückerts eigenes gediclit ,, Brauttanz der stadt Paris'' hat schon

Köhler s. 250 als auf das einzige ihm bekante dieser art aus dem

19. Jahrhundert hingewiesen. Zur ergänzung seiner angaben setze irh

die bezeichnendste stelle nebst dem bei Köhler übei-gangenen fund-

ort her:

"Wir mit hunderttausend lanzen

Wollen dir den brauttanz tanzen.

Kückert, Gedichte, auswahl von 1841 s. 153.

Unsere weiteren nachtrage betreffen poetische ausser ungen einer zeit, welche erst nach Köhlers veröftentlichung liegt, nämlich des deutsch -französischen krieges-. Für unsere samlung quilt in der rei- chen liederpoesie dieses grossen Jahres ein so unerschöpflicher born, dass ich mich auf eine auswahl des bemerkensw^ertesten beschrän- ken muss.

Ein stilvolles poem W. Jensens eröfne den reigen um deswillen, weil es dieselbe allegorie zu gründe legt, die wir oben bei Kückert kennen lernten. In diesem, welches in der von Franz Lipperheide herausgegebenen und verlegten samlung „Lieder zu schütz und trutz'' lieferung 11 s. 65 abgedruckt ist, stehen die scharfen werte:

Wenn nun der eisenring sich schliesst rund um die zweimillionenstadt, Lutetia, du lautes kind Lätitias, wen klagst du an?

Die lüge, die am busen du genährt, der du halleluja An tausend von altären sangst sie klage an Lutetia!

1) Gedichte, Stuttg. und Tüb. 1815, s. 184.

2) Vgl. Obermann, Die kricgsdichtuug der jähre 1870 und 1871. Progr. Zeitz 1884, s. 5 fg., Ivfg. , 21 fg.; zu den ähnhchen regungen vor 1870 s. Koch, Die sage vom kaiser Friedrich, Progr. Grimma 1880, s. 18 31.

362 FEÄNKEL

Und klage an den bohlen prunk, den deiner eitelkeit du dankst, Und klage an der ^vollust tiiink, den du zur tiefsten liefe trankst, Die feilheit, die dein mark entnervt, die sieh /.um götzenbild ersah Die trinität: gold, maeht und rang sie klage an, Lutetia!

Widerum haftete das nationale interesse an Strassburg\ widerum mischte sich ein schmerzliches gefühl in den anruf, aber diesmal lei- tete die klage doch ein anderer ton. A. a. o. 10, s. 15 heisst es: Yergiss der tage, da um bürg und wall Des Siegers schaaren, dich bedrängend, lagen; Yergiss und war's auch schwer der wunden all', Die, ach, der sieger schmerzlich dir geschlagen, Da er, den Wälschen das geraubte gut Entreissend. um dich warb mit seinem blut.

Im wesentlichen fesselt aber die widerherstellung des reiches der alten kaiserherlichkeit die Scänger und so bewegt sich die bewusste pei^onihkatiou meist in demselben kreise wde bei Schenkendoif. Wil- helm Jensens gedankenreichtnm fand in der alten prophezeiung

„Es wird ein kaiser Auf's neu' um Germania fi-ei'n, Wenn zum leztenmale die Türken Ihre rosse tränken im Rhein!" das dankbare motiv zu folgender in seiner weise derb pointierten aus-

f ührung - :

Gen Osten mit schw^irrender geissei

Treibt die Völker ein Tamerlan,

Und siehe, an seine fersen.

Da heften die Turkos sich an.

So winket erfüll ung dem werte

Schon blitzen die Schwerter zum streich,

Zimi werben schon reitet der kaiser!

Steig auf, du heiliges reich! und ebenso wird in die neubelebte volkssage vom alten kaiser Barba- rossa im Kyffhäuser zurückgegriffen, wenn ein dichter ^ denselben seine dienerschaft anrufen lässt:

1) Ein sachkundiger, .Janicke (Das deutsche kriegshed usw.) s. 96, sagt: ,,Ihr, der alten reichsstadt mit ihrem ehnvürdigen münster und grossen historischen erin- nerungen, wante sich die dichtung mit ausgesuchter Vorliebe zu."

2) Lieder aus dem jähre 1870 (Berlin, Lipperheide 1871) s. 12. Über den zu gründe liegenden Volksglauben s. Koch a. a. 0. s. 17 anm. 39.

3) Die angezogene steUe ist mir nur aus Janicke s. 104 bekant.

UM STÄDTE WKliliüN 363

Auf, Zwerge, legt mii- den purpur um, Und helft meinen bart mir stutzen, Zu Deutschlands hochzeitsfeier niuss Der greise kaiser sich putzen.

Damit ist denn endgiltig die frage beantwortet worden, welche Ema- nuel Geibel^ ausgerufen hatte:

Deutschland, die schön geschmückte braut. Schon schläft sie leis' und leiser. Wann weckst du sie mit trompetenlaut, Wann führst du sie heim, mein kaiser?

Wie tief aber dieser sinnige vergleich in das bewustsein des deutschen dichtergemütes eingedrungen war, mögen zwei proben bewei- sen, welche ich Uhland und SchefPel, diesen beiden berufensten Ver- tretern der neueren volkstümlichen kunstdichtung, entnehme. In dem von A. von Keller, Uhland als dramatiker (1877) herausgegebenen frag- ment Konradin ruft (s. 325) der titelheld, welcher ausgezogen ist, um sein väterliches erbe widerzuerobern, und eben an der seeküste vor Neapel gelandet:

Apulscher boden, freudig sei gegrüsst! 0 erde, die du dem gelandeten Noch unterm fiisse wankst, ich fasse dich Inbrünstig wie der bräutigam die braut.

Auch Scheffel fand keinen passenderen ausdruck für das innige Ver- hältnis, welches ihn zeit seines lebens mit der alten musenstadt am Neckar verband als den sinbildlichen vergleich mit der heiligsten Ver- bindung zweier menschen, wenn er in dem bekanten studentenliede Alt Heidelberg du feine ^ str. 3 und 4 natur und herz in diesem hoch- gefühle zusammenstimmen lasst:

Und komt aus lindem süden Der frühling übers land. So webt er dir aus bluten Ein schimmernd brautgewand.

1) Heroldsrafe - (1871) s. 44 und hieraus Gesammelte werke (1883) 11, 12 (als „Lied des Alten im Bart"), mit verschiedenen abweichungen bei Enshn, Die lieder- poesie des deutsch -französischen kriegs (Berl. 1871) s. 146. Über Geibels verhältois zu diesem gedanken s. Strodtmann, Dichtei-profile I, 85 fgg. Vgl. Koch a.a.O. s. 28 anm. 73.

2) Der trompeter von Säkkingen (4. und folgende auflagen) s. 39.

304 FEÄNKEL, TM STÄDTE WERBEN

Auch mir stehst du gescluiebeu Ins herz gleich einer braut. Es klingt Avie junges lieben Dein nanie mir so traut.

Dass aber das alte gleichnis bis mitten in unsere tage hinein fortlebt, beweisen die freilich weder inhaltlich noch formell achtung- gebietenden — vei-se, mit denen das ,, Neue Münchener tagblatt'' vom 30. September 1888 sein „Wilkommen kaiser Wilhelm 11/' darbrachte. Ich hebe hier nur die 'verse hervor, mit denen „Monachia" aufgerufen wurde, sich zum einzuge des friedlichen eroberers würdig vorzu- bereiten :

Wie die braut sollst du dich schmücken,

Den ei*sehnten 7a\ empfangen, Und dein schöner leib soll herlich Wie im diamantkleid prangen.

Mit dieser versöhnlichen Verwendung des vielgebrauchten gedan- kens schliesse icli meine unter den bänden unerwartet angeschwollene nachlese zu K. Kühlers reichhaltigen mitteilungen. Wenn ich es unter- liess, eine volkommen sachgemässe anordnung zu versuchen, so hat dies seine Ursache einmal in der nicht überall möglichen durchführ- barkeit einer solchen: andrerseits brachte mich von einer kurz umris- senen entwickelungsgeschichte des Stoffes die liofnung ab, dass durch die hier gegebene anregung andere über ausgiebigere hilfsmittel ver- fügende zum sammeln von belegen dieser für die litteratiu'- und kul- turgeschichte wie für die poetik interessanten ausdrucksweise, welche fast auf allen stufen volkstümlichen und künstlerischen dichtungsstils nachweisbar ist, veranlasst werden mögen. Der der deutschen lyrik eigentümliche zug sinlicher verniensclilichung lebloser gegenstände prägt sich hier besonders deutlich aus.

LEirZKi, LUDWIG FRÄJsKEL.

LITTEEATUE.

Edda Snorra Sturlusonar. Turnus tertius. Sumptibus legati arnamag- nfeani. Havniae 1880 87 CXIX, 870 ss. 8. Acccdunt tabulae lithograpliicae quinque. 10 kr. = 11,28 m.

Die grosse arnamagnäische ausgäbe der Snorra-Edda liegt jezt vollendet vor. Vom dritten bände, der die arbeit abschliessen solte, erschien die ei'ste hälfle im jähre 1880 kurz nach Jon Sigurdssons tode, der in den lezten jähren seines lebens

MOGK, ÜBER SN. EDDA HI 365

dem werke sich nicht in dem masse widmen kouto, dass er es noch hätte zu einem ihn befriedigenden ahschluss bringen kitnnen. Finnur Jonsson hat das werk im geiste seiner Vorgänger und mit Sigurdssons vorarljciten in lobenswert conservativer weise vollendet. Wol haben sich seit dem ei'scheiuen des ersten liandcs die ansichten über die Edda, namentlich über die handschriften und deren wert, volstilndig ver- schoben, allein die älteren bände waren auf den alt(>n anschauungen aufgebaut, beim texte war der cod. reg. zu gründe gelegt und in diesem sinne mustc auch der schluss abgefasst sein; es galt einen alten bau zu vollenden, nicht aber diesen zu modernisieren. Deshalb mustc F. J(jnsson von seinem Standpunkte aus von den neueren Untersuchungen abstand nehmen.

Als in der mitte der vierziger jähre die arnamaguäische commission den beschluss fasste, die Snorra-Edda herauszugeben, übertrug sie die arbeit Jon Sigurds- son und Sveinbjörn Egilsson; jenem fiel die aufgäbe zu, das handschriftliche material zu sammeln und zu ordnen, diesem, eine lateinische Übersetzung anzufertigen und einen kommentar zu den skaldenstrophen herzustellen. Es waren noch nicht einmal alle membrauen fragmento bekant, als Sigurdsson an seine aufgäbe gieng, denn in derselben versamlung. in der über den fertigen ersten band des werkes berichtet wird, wird zmn ersten male das neugefuudene fragment 1 C/i fol. erwähnt, das doch für die Eddakritik so wichtig ist (Ant. Tidsk. 1846/48 s. 131. 105). Eine Unter- suchung über das haudschriftenverhältnis, wie wir sie heutzutage verlangen, war der ausgäbe nicht vorangegangen: man legte den ältesten und relativ volständigsten codex dei-selben zu gründe. Auf dieser basis solte das ganze werk in zwei starken oktav- bänden erscheinen: der erste solte die eigentliche Edda nach dem cod. reg. mit latei- nischer Übersetzung und kritischem apparate, der zweite die grammatischen abhand- lungen, abdruck der Ups. handschrift, das fragment AM. 748. 4**, den commentar der visur und was sonst noch im engsten Zusammenhang mit der Edda steht, enthalten. Schon 1848 konte der erste band ei^scheinen. Einige jähre später, im fcbruar 1851, war auch der zweite ziemKch vollendet, der im folgenden jähre erschien. Untei"dcssen hatte sich herausgestelt, dass das angehäufte material noch einen dritten erheische (Ant. Tidskr. 1849/51 s. 101): er solte den Egüssonschen kommentar, register und einleitung bringen und in 2 3 jähren vollendet sein (a. a. o. s. 217). Die aufnähme des Skaldatal verlangte jedoch eingehende Untersuchungen über die einzelnen dich- ter, andere interesseu der arnamagnäanischen commission traten in den Vordergrund. J. Sigui'dssou, auf dessen schultern jezt die arbeit allein lag, war auf anderen gebie- ten in ansprach genommen, und so verschob sich denn die Vollendung von jähr ZU jähr, und als Sigurdsson im dezember 1879 starb, war das Skaldatal erst zum kleinsten teil (bis Hallfred) in der ausfiihrung vollendet und gedruckt. Dieser teil wui-de als halbband mit fünf vorzüglichen facsimilia 1880 von der araamagn. com- mission herausgegeben. In den folgenden jähren hat die Eddaforschung gewal- tige fortschiitte gemacht: der vernachlässigle Upsalaer codex ist als hausbuch der Snori-ischen familie anerkant und dadiu'ch das ganze handschriftenverhältnis umge- kehrt worden, Hiittatal ist in neuerer besserer gestalt erschienen, Gudmundr I^or- laksson hat in sorgfältig gewissenhafter, Gudbrandr Vigfusson in leichtfertig genialer weise der skaldendichtung eine geschichte geschaffen. Soweit es angieng hat nun Finnur Jonsson mit benutzimg der neueren arbeiten diesen faden zu ende gesi)on- nen: er hat das Skaldatal vollendet, eine genaue beschreibung und Zusammenstellung der handschiiften als präfatio gegeben und durch den index generalis die benutzung der Snorra Edda ungleich gegen früher erleichtert. Es ist schwer, einen alten, ja

360 MOGK

vei'alteten bau nach der vorschlaft anerkauter meister zu vollenden; stets wird ein- sichtslose kritik. die nicht auf dem gegebenen weiter zu denken vermag, an dem schlusssteiu zu mäkeln haben.

Der Inhalt des jüngst vollendeten 3. bandes ist mannigfaltig: in der einleiten- den aufziüilung der handschriften der Sn. Edda enthält er einen beitrag zur tätigkeit isländischer gelehi-samkeit namentlich im 17. jalirliuudert, durch die bclebung des toten Ski'Jdatal einen wichtigen und bedeutenden beitrag zur norwegisch -isländischen littoratiu'geschichte , in dem Index generalis ein nicht zu unterschätzendos hilfsmittel bei mythologischen und kulturhistorischen arbeiten, in der auflösung der skalden- strophen hilfsmittel zum Verständnis einer reihe schwieriger skaldenstellen. Schon oft war ich genötigt, das buch zur band zu nehmen und um rat zu fi'agen, und ich gestehe unumwunden zu. dass ich es fast nui* mit dem gefühle des dankes gegen die Verfasser aus den bänden gelegt habe. Dass ich in vielen punkten anderer ansieht bin, kann diesen dank nicht schmälern: das ganze werk ist der boden, auf dem allein alle neueren ai'beiten über die Sn. Edda entstehen konten.

Um die bedeutung und den wert der Snorra Edda zu verstehen, ist es nötig, sich in die zeit zu versetzen, in welcher das werk entstanden ist. Es darf wol kei- nem zweifei mehr unterliegen, dass dasselbe zu Snorris zeit und zum grössteu teil von diesem selbst aufgezeichnet, dass also seine entstehungszeit die erste hälfte des 13. jalirhunderts ist. Der ganze norden war christKch; die alte skaldendichtung war im 12. jahrhimdert in verfall geraten und in den gedächten der bedeutendsten dich- ter wie des Bjarni Kolbeinsson weht schon ein anderer zug. Schon hatte man begon- nen in den nafna{)ului' dem gedäciitnisse unter die arme zu greifen, um das Ver- ständnis für die alten weisen aufzufrischen, denn dieses fieng immer mehr an zu sinken und die lebendigen kenningar der alten skalden waren zum nicht geringen teil unverständliche phrase geworden, wie sich überhaupt ein almähhches schwinden der alten kenningar aus dem kreise heidnischer mythen und nordischer germanischer heldensage wahrnehmen lässt. In solcher zeit trat Snorri auf, herangebildet auf dem gehöfte zu Oddi in der historischen schule des alten Sigmund, von haus aus eine konservative natur, ein kritisch genialer geist, der den verfall der alten dichtung und seine Ursachen wol erkante. Schon in früher Jugend befasste er sich mit dich- terischen versuchen, mehr nachahmend, als frei schaffend, doch über alles nach- denkend, alles erwägend. Da mag ihm dann manches aus alter göttervorstellung und sage dunkel gewesen sein, und so kam er dazu alles zu sammeln, was er zum vei"ständnis der alten dichtung auftreiben konte, um dadurch den Zeitgenossen wider Verständnis für die oft gebrauchten leeren worte und weisen zu verschaffen; er fühlte, dass nur auf diese weise eine neubelebung der dichtkunst möglich sei, und so entstand der entwurf seines handbuches für skalden, seine Edda, d. h. poetik, wie schon P. E. Müller (Über die ächtheit der Asenlehre s. 70) u. a. und in jüngster zeit vor allen K. Gislason (Aarb. 1884 s'. 143 fgg.) das wort richtig gedeutet haben. Snorri mag dasselbe zunächst für seine Umgebung bestirnt haben, der er ja jedei'zeit geistiger ratgeber und beistand war. Und dass seine saat nicht auf unfruchtbaren boden fiel, zeigt vor allem sein viel schaffender neffe Sturla f*6rdarson, dessen dich- terische %'ieLseitigkeit sich ebensowenig ohne Snorris theoretische werke begreifen lässt wie Goethes frühzeit ohne kentnis der stürm- imd drangperiode. Sturlas gedichte sind der praktische erfolg von Snorris Edda. Diese tatsache erkanten die Zeitgenossen ungleich klarer als heute unsere gelehrten die bedeutung der Edda verstehen. Deslialb arbeitete man sie zu einem systematischen handbuchc um, das

ÜBER SN. EDDA IH 367

nach dem suhjektiveu ermessen der einzclnon bearbeiter von der vorläge wegliess oder neues, ergänzendes hinzufügte. So liabon wir eigentlich fast so viel Edden, wie wir haudschriften haben. Nur legte man nicht Suorris entwurf zu gründe, sondern das von einem seiner schüler ausgearljeitete werk. Dieses blieb lange zeit auf Island der kanon der dichter, wie die kenningai- Eddu regia, Eddu listar u.dgl. (Cpb. I, XXVI fg.) zeigen. Zwischen dem Snorrischen original und dem über- arbeiteten texte ist aber ein bedeutender unterschied. Auch nicht {innäliernd besass der Verfasser des lezteren den kritischen scharfen geist Snorris. Das werk erhielt zwar äusserlich rundung, aber innerlich wurde es verwässert, auseinandergerissen, an vielen stellen mis verstanden. Durch aufdeckung dieser tatsache allein ist es mög- lich, die geschichte der Edda und ihre Überlieferung zu verstehen. Zum glück genügen die erhaltenen handschrifteu , dass w^r die ganze entwicklung klar verfolgen können. Snorris entwurf ist uns ja wenn auch in einer flüchtigen, oft sinlosen abschrift erhalten; es ist dies die Ups. handschrift der Delag. samlung nr. 11, die mit ausnähme des erweiterten skaldatals sich blatt für blatt auf Siiorri zurückführen lässt. Die Überarbeitungen, wie sie namentlich im cod. AVonn. (All. 242 fg.) und cod. reg. (2367. 4°) erhalten sind, haben nur secundären wert, die nicht selten Snor- ris klarer denkungsweise mythologischen und sachlichen unsinn unterschieben, den Avir freilich selbst in gelehrten arbeiten noch heutzutage nicht selten als lauteres gold altgermanischen götterglaubens aufgetischt finden. Diese tatsachen in der geschichte der Eddaüberlieferung sind nmi, wie schon in Rasks ausgäbe, auch in der arnamagn. geradezu auf den köpf gestelt: man gab die jüngere Überarbeitung als ursprüngliche Edda heraus und druckte nur, mehr des materials als des wertes wegen, das eigentliche werk als ein verdorbenes und verschnittenes litteral ab. An diesem von Egilsson und Sigurdsson vorgeschriebenen wenn auch falschen wege Hess sich nichts ändern. Dagegen w\nr zu erwarten, dass F. Jonsson vielleicht anr schluss seiner einleitung betrefs der handschrifteu entweder über das neuerwiesene redaktions Verhältnis der Edden kurz berichtete oder dies widerlegte und die alte auf- fassung als die richtige erhärtete. Von keiner seite hat sich bis heute gegen die von MüUenhoff und mir verteidigte ansieht Widerspruch erhoben; ja sie darf wol jezt von allen als tatsache angesehen werden, die in eddischen dingen urteil und kentnisse besitzen. Statt dessen lässt sich F. Jonsson auf das Verhältnis der hand- schrifteu und redaktionen unter einander überhaupt mcht ein; er berichtet über die geschichte der einzelnen handschrifteu, gibt nach bekanten mustern ein Verzeichnis, wie die einzelnen laute in jedem codex, namentlich im reg., widergegeben wer- den imd fügt dazu ein algemeines urteil über die handschrift, aus dem wir gerade soviel erfahren, wie wir schon nach erscheinen des zweiten bandes wüsten. So heisst es über den cod. reg., über dessen geschichte wir manchen neuen und schö- nen aufschluss erhalten (s. XLV): „Quamquam codex variis ex causis reprehendi potest, tarnen pretiosissimus et summa reverentia dignus"; es folgt darauf, wie er allein den GrottasQugr, die Jomsvikingadrapa des Bjami Kolbeinsson, das Malshutta- kvaedi und noch vieles andere enthalte. Die Jomsvikingadrapa und das Malshätta- kvsedi sind anhängsei, die mit der Edda überhaupt nichts zu tun haben; vom Grot- tasQngr hat die dem reg. verwante aber entschieden bessere handschrift AM. 748. 4" ^ nur die erste vlsa; das ganze gedieht ist also nur- vom schi'eiber des reg. aufge-

1) In der ausgäbe als A3I. I. aß. fol. bezeichnet, das nach der neixordnung der arnamagn. mss. auf ilon richtigen platz gekommen ist (Kalund. Kattdog over den arnam. handski-s. I. h. s. ü).

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nommen worden; die zusätze, die aber soust der reg. hat. wie der ganze abschnitt aus der Xibelungensage u. dgl. . erweisen sich bei nur obei-fUichlicher prüfung bald als späterer Zuwachs. So spricht vom eddischen stand[»unkte aus die fülle seines iuhalts nicht für, sondern gegen die gute der handschrift. Reiner und ursprüng- licher, wenn auch jünger, steht in dieser beziehung der cod. AVorm. da. Über diese handschrift fält F. Jousson überhaupt kein urteil, obgleich dieselbe von einer reihe nordischer gelehrten als die beste bezeichnet wird (vgl. u. a. Vigfüsson Sturl. I, LXXXI. Opb. T. XLIV). Es wäre demnach nicht nur dieses, sondern auch ein Verzeichnis der stellen erwünscht gewesen, die in der handschrift vom cod. reg. abweichen, sich aber nicht in der ed. AM. finden. Es mag ein solches hier folgen; wenn ich dabei auch rein graphische abweichungen mit verzeichne, so sollen diese zur Charakterisierung der Schreibweise des cod. dienen. Ich lege dabei die ed. AM. zu gnmde.

AM. 43: frrärkgha: IO9 randlegha. 14, hoß. 16^ Imgh. 16- dagh. 20" ?)>atm(hm Icghrm. 24^ draläix. 26, fehlt „godr ok." 28* sem ur h. 30* / not'eg ol: sn'ßiod i danmorl' ok saxlsind. 34^ i mot ; 34* f. srd; 36'- huat ; 42'' fylldi\; 46' j5a vox rndiv rinsfri hendi; 46" sfcifiayta; 48, steht rpp im cod.; öO""' gafu stad; SO^. krm\lott; .52. mennermT\ 54' er kollod er; 54* « ioräv; pi, hada, Pada fast stets im cod.; dsgl. hat mikill in den synkopierten formen ck, im dat. sg. und pl. myekhi, myekhnn: 78»- er himmhiorg heita; 82'° vordin\i; 82" f. ek; 82'« rindliö (d. i. VindHoui oder Mndlion); 84^ heriarm; 86^ alfodr; 86, af Pe'wf aibrrd (so hat die handschiift wie auch das von ihr abgeschriebene fragm. AM. 756 zeigt); 88- hat im cod. fil sinar gestanden, wie auch AM. 756 hat; 92* of giorfa sali; 98" i tnvnn haiis; 106^ preskolldr; 110- pa segir; 112' hat "W ui'spninglich skvlo rer mega: mega ist zwar durchstrichen, aber erst von späterer band. Daher steht es in AM. 756; 112 ^~* Pa leggi (Binn ydar; 112^ i fintmimn; 116^ oUfqdr (nicht allfödr, was in W gar rücht vor- komt); 116'- und 130'* dyra; 118'" taldar (hätte der Schreiber taldar schrei- ben wollen, so hätte er talldar geschrieben; auch 120 '^ hat die handschrift taldar wie ü und r); 122* Pa segir freyr; 124, inamißqldin\i.; 130 5 mannfioläi ; 124^, at tri ma;— 124, at aptni; 128« alfodr;— LSO" pa segir har;— 130'^ fn'orrm frgrm; 136 9 sjnidat sem rant var; 136, gallt /^ann pa; 138^ loff, wie überhaupt fa.st stets für pt : ft steht; so gafti, eftra 142 ^ u. dgl.; 140'^ saJ{\Y\ 140'" ramfmr; 142- e/" ^er kimnvt; 142,, so7i hon da; 142 9 draläix; 142. taldi: 146" raknar sa ma^r stoä vpp skiott; 146'" * braut; 146,, lagda a hak ser, gekk fyr rm daginn ok steeg helld storv; 148* larsar; 148'° drnar; 148'" tidt; 148^ vm vangaim; 148, fvgl- ar; 1.50, framan rtl mids dags; I5O2 milliom. spalanna; 152^ Pvi ruest komv; 152'" moti L; ebenso 154^; 1542 Prreyta vni drykkjr; 156' ok sva; 156* pikki; 156'* cei; 156, erendit; 156. stikill; 156^ en hinr fyrra sinnt; 158^ f. vm hanti; 158^ fangii^ 160 ,„ ok baä; I6O5 Pegar er dagadi; 162' brott; 162- hrerfireg; 162" vsmmd; 162^^ pv hefdw: 162, f. ok; 162, pialra (wie meist); 164,o uoi-dit; 166, hä- semd; \i^^ porr brott; 168 '^ ^il .s^o/ar; 172 ^ Pa segir haar; 172^ drrpymdi ; 174^ at ril risan; 180'- erendi sin; 180'*./?oti segir .sva; 182* i lagsliki: 182'° Enn kastadi; 182'* skildi ; 182, nidr millvm steimi; 184, f. /«; 1842 landskiapta ; 186" swAir; 186'" Imldvm^

ÜBER SN. KDDA ITl 860

188^^ ok er liinu nräri hiopfr a iontr en hinn efri vid Jiimin; 190*^ fenrisrlf (so auch AM. 750); 192„ ed alldna tre; 194=' bogiut in W mit Hnjntr wie bei kapiteLanfängeu eine neue zeile, gerade so wie iu 750 und auch in r. Des- gleiclien lässt der cod. für die initiale freien räum. Auch die folgenden visuranfiinge sind in W und 750 durcli majuskcl hervorgehoben, was sonst in der liandsdirift nicht der fall ist; 198,. ßa si-arav pridi; 208" Ißruw (nui- liier und 258., p im inlaut in der hs.); 208,; ok ammt sinn; 210' ho()rna; 210^ grioi; 212* a p'mg; 212' pinslom; 212^ hnrddr; 212'=', 212^ msir; 212,, /in h()Y(jina, 2I83 Btrn/i .segir; 220^ bqlverkr; 22O3 at P(Ar sk\lv frcista; 222* f. '/; 222» kann ich auch in W nur lia lesen; 222,, f. pd; 224'^ ord- fiolda; 224'" hofrtskaaldin; 220 •' of ragnarqkk; 226'' hofdi en drcfna; 22O4 Akilles; 220 j at Po arkrpori'; 228' v'\^ ragnarqkk; 22S ^^ gvdauna; von 228^ ektore Pa . . . bis 228 ^ ... hann drap konimginn ist von einem anderen Schreiber geschrieben, der durchweg die langen vokale durch accent bezeichnet; 228'" dla; 228g vdrgr; 2283 pijrmdi; 228 ^ brott; 232'" haiKja- gväs; 234^0 vm k.; 234 ^ f. enn; 2883 mms, was 750 als mins gelesen hat; 240'^ frceyiu d. i. freyju; 240 ^ gvd; 244' pcafdan ist nach der Schreibweise des cod. pefdan (vgl, AM. 757), nicht pafdan; 240 3 V77i kva-d; 2489 Eisar vagr (nicht vaagr/); 248 5 f. sem hann kvad; 250 ^^ os; 25O3 ged fiardar; 252- f. svd und kvad; 252'" f. nti; 252" f. segir; 254" rmgaid; 254 '^^ hvasslegvm ; 258^' niox; 258'=" nur .• ok enn; 258., skeyptiY starkepi; 262" gvdrvn; 262^ her gete pess er skadi; 202, j of gieddun hefr; 262g //ann er k.; 262., grUinbvsta; 264g eda vord gada; 266 1^ ok bana ok dolg; 200^- gvdanna; 200^^ tofta; 2^H^ iqrmvngand%; 208** geirradar; 268 ^^ gvdanna; 208 g faarbavta mqg vdari ; 270 2 frfßiv; 272' pa segii' hrugnii-; 272g hlceypdi; 272^ von af por er rvngmv leti; 272.2 ^* griotvna go'rda; 274» V7n qxl; 270^ sva at fretr h&ns lagv a halsi Äans; 270^0 W hat: enn cc\g\ syni sinvm; 270 ^ brott; 278^ ok giordi stiörnv af; 284» vert pat; 284^-^ flavg (BÜt sinn; 284^* s«A-ir; 284'" vm glvgg; 284^« leit moti; 284^ hefdi farid; 284^ fmtmv; 280" f. er; 280^* pa ox hon sva at vppi bravt a oxl honY7?i. pa qxad Äann petta; 288' ok sat porv par; 288 ^ pa Icetr; 288 ^ endilangri hqll; 2883 geirr- ^.^r; 298'" iuq; 298, fvamgengv; 300 ^ brasoär; 302 =* vmlir; 304^ hversv; 304 ^ f. hinn; 300 ^ galla ist im cod. ganz unsicher. Nach g befindet sich im pergamente ein loch; die endung aber ist mehr ia als la; 308' fiallgyldar; 308 »^ fetmeila; 310' drqpi; 310^, loddi; 3106 frödgum ist ganz unsicher; die abkürzung nach f kann ro sein, doch scheint nach dieser ein g gestanden zu haben; für d ist kein räum da. Zwischen g (?) und v ist über den buchstaben ein loch; 310, of ro7ii; 312' fcera; 312g varv (wie 750); 312i 314g fehlt m-sprünglich in W und 750; es befindet sich in beiden codd. ein freier räum, den in W der Schreiber der 2. papiereinlage (Sven Jonas?) nach cod. r. beschrieben hat. Diese Strophen auch im Variantenapparate mit AY zu bezeichnen ist unstathaft; 3143 Hversv (wie 750); 318^ sva sem bragi ^vad; 320^ misgort; 320 ^g ok golf; 320ii sior dyranna; 320^, 322,^ hallfrodr; 3241 hversv; 324 ^ sva sem Refr ^vad; 320 ** kiapta; 3206 snegrvnd; 3283 fjr lo?igv; 330 » kann ich auch in W nui' hrind lesen; das d hat zwar oben einen Schnörkel, aber dieser ist schwerlich die abkürzung von ir; leztere geht stets von der rechten seite nach links; jener c?- schwänz, den die handschrift oft hat,

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. ^^

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gellt nacli ivchts; 330 ^ 332'-"*, 334- u. oft. hrovsv; 330« kami ich nur lesen

rm Jnws rin, so hat auch ganz deutlich 756; 334" haä^ (d. i. er), wie auch

750: hacl er: 340^ fi/tir dyi'um; 340^ linnl: 340'^ lavfcBygiar (so auch

756): 342' ßnr ü\ e?m sfifiäriun: 342^, 344" alldregi\ 344^ fyr'w hrim-

Pftssrm ok dfpmär at (so auch 756); 344ß Tak ßv; 346" vll skiols;

346'-' seni fi/rr rar sagt: 346''' f. nicht margr, sondern of: 348^ Vi hat N>/tt,

nicht Xt/it: *} ist aber in der handschiift y, )iirhf y:^ 3929 lupyrda ek; 396 "f.

sforir wie in ü; 396- Tokr ßa ok elldinn; 3906 f. ßeim; 398^ at hringn-

rm: 398'' ok ßa rcik; 398" skilärx; 400^ sa er hqlgi er nefndr;

400 »^ //anu rar fadir: 400*"^ /yr srold; 402'=' ßmgskaalvm; 404'° iofvr

(so auch 756); 410' nd aihkyns: 410^ vm )/tiadar rist; 412^ framtn;

412" f. er: 414 ^ sceng: 416^ eifi radinn; 418" hyrtrnnrm (so auch

75(5): _ 4208 J. A^'"«^'^'' skilldi; 420^ drifr ok rotv;— 424*^ hnggvx;— 424' W

hreggnirdir, das zweite r ist über der zeile, aber es befindet sich unten ein strich,

welcher andeutet, dass das r nur eingeschiieben , nicht aber kürzuug füi' ar sein

soll. Als leztere hat es freilich schon der Schreiber von AM. 756 aufgefasst;

424g ok adr rar ritad; 4242 ^^ ^'' ff<^i^' (so auch 756); 426^ vm rnga;

430" Spiot er orm kalladr; 432^ viä stretigia; 432^' el eda vapn hiadnmga

elldr eda reuder: 432^, ok dottir Iitms brott tekinn; 4323 P^^' ^'^^ fY^ h£dinn

?;/ed sitt lid; 434- Hogni sraradi strt (so auch 756); d. i. stiitt; 434'^ f.

ßeir; 434g Sra ok: 436'"^ boiti ßrvdr; 436g hat W urspmnglich at\ dies

ist aber unterpunktieit und of darüber geschrieben; 438^ nach i-eidm' hat W

noch }ii.\ 438 .^ Her er ok bcedi; 440^ Hversv skal skip kenna; 440"

ofridr: 442'" slod stör: 442^^ veär lidi (die note in AM. ist unklar); 446"

Hrein reg skal kenna krist; 4465 rammr; 448^ crvci; 450^ girkia;

\öO-mannanna; 452^ rar ritat; 452^ landsceki; 452^ vord landx folks;

454^ folkstiora: 456'- havlldar; 456^*' kafa ?>^ed ser ^il fylgdar; 456,, i

danmork; 456- Ä-onuug/; 458^ opt; 460'' se; 4625 ok e?in q\aä Äann

rvi ßorfiuu iarl: 606^ ßat er; 606 ^ orda fiolda; 608' fylla ok fegra

7muU: 608^ ßat err: 608^ dragax framm : 608^ i qdrv ordi ok hinv

fiorda sevL\ her er; 608" hra'ss; 608 jq her erv allar; 610^ mvnat;

610^ ok hinv fiorda ; 610" ordit; 610'* detthent ok dvnhent ok med nqkk-

vrrm; 6IO11 fyrsta ok; 6IO9 ör anarvi; 610, f. leyß er ßat, 610^ ok

ü lidhendingav. Siavnda at hafva; 612"' viij. at myta; 612' Tivnda ef visv ;

612^ f. std; 612'^ eda sia eda sd; 612'- at er e. (d. i. eda) enn at ma

hafva; 612^ vingiorä; 612, i eyrendi; 614^ hendinga; 614^ ymsvm;

6I42 XTTwae//;— 614« /"«x;— 6U''' tvamaal;— 616« 6r;— 6165 vindrcefrs;

618^ f. en; 618'^ ok hid ßridia; 6I85 liefr; 618 ^ remiityr;

620^ i hinr sidaxta; 620^ f. Jmttrenn, ebenso vor den folgenden visur;

622" I Jmm hatti, 622' ßav ord er olikvxt; 622^" ok erv her af ßvi

stini ord; 6222 verr s/xkiv olikt er at scekia ok veria; 624- f. ok svä;

624- iord er land: 624'' ef saa ferr; 624" saa flytr du bravt; 624"

^at err lios ord; 624*° sdd dreifir srndr er skilr en sdd fylkir er safnai"^

624*- f. ßat; 624*^ f. ok enn (vgl. ü); 624*^ f. i; 624*^ f. ßat;

624g rcesii hm helldr; 624^ hid Till visvord; 624. f. mcelt; 6243 f.

ßd; 6242 iiiks glod er gull; sctJäT gvllx er rrmär; 624^ haf; 626^

1) Die Varianten der eingefügten papierblätter sind nicht angegeben.

ÜBER SN. EDDA HI 371

pat er wadr (wie U); 626^ vaakat; 62G** (f. ok) pai^ err tvenn i hveriv visvordi; 626, (f. ok) slitnar dvi viUii ; 620^ take; 626, / setta oräi er sva (wie U); 628^ at kalla at blöd; 628^ f. eda; 626« f. Ok; 626' f. at; 628"^ frawdr; 628^ da'la; 628, f. sm; 630' f. er svä; 630'-' fraiwni ; 630" i hrcrir ordi; 632., ok hhir fiorda; 632, ok er ein sant- staß i milli ok Irkax; 634"* / hinv fyrsta; 634" ok orda Imgd: 634" sdd er Iielldr f\v; 634 , ftrdvDi ; 636" Fvss; 636, sidin hleika; 636 « e)?i; 636g S(emd; 636.5 (f. vpp) atiat visvord; 638"' f. mi; 638'" lAd lagit; 638 ** vcgrakkr; 638" styria; 638 ^ i inillrm ßeira; 640" gefr; 640., i qdrv ok fiorda r.; 642^ vtn skvla; 642, vnninn; 644'' ok standa; 644* baadar; 646* rasta (wie U); 646 '^ i qdrv ok Uli. r. o. ok arkit; 646" soti franfcirxt; 646" ex en bar; 646- skialfhenda med adalhendingvm. hid pridia v. o. i I/rarrm hehningi; 648^ framdix;- 648*" Äer erv prennar adalhcmUngav ; 648'" fenii; 648" samstafa (vgl. U); 6483 Jiqy er; 65O4 her skiptir hcetti; 650., hlwdfgllingvm (wie U); 652'" drottkredins ; 654g sqkkrm. (wie U); 654 ^ grottv; 654 ^ kann fröda; 656- i fvUaallhen- dt?ig; 656^ pat er ceigi rett; 656, uel er ort; 656 9 kvoidi se ort epitiv {t ok) er Pa; 656- klcengr; 6563 fqr; 658* pl d. i. pott; 658" til hending ar; 658g reUbroti (wie U); 660 ,0 f. sem; 6ö0e_5 aiidi auds i gvlli; 662*^ hev er i hinv .inj. visv ordi; 664" Äer erv qll visv ord styfd. pessiv hcett'w greindir i pria stadi; 664*^ annarY; 664'^ ok er pat haatafqll; 664g geisa; 666g forn skaaldin hafva; 6665 svtnt at haattafqllvni; 666 ^ Svä bis hatti f. im cod.; 668'- zwischen hvitan und prym ist ein freier räum von c. 20 cm; 668^ i sceßs (wie U); 668" allda vinr (wie U); 668" iarls rnegin (wie U); 668^ haatleysa; 668" u. oft. droit kvcedf ; 670''' gaf ntai'- gan dag vaxgi; 670'" haattleysa; 670" ok ridhendvr; 672* skiallda; 672^ Nv erv peir hcettir; 672^ kimlabqnd; 674'* glyggi; 674, ^ fqr; 674. reg vm; 674, hreggi leggi: 676^ vndgagls; 676* yngva; 676" driftvm; 676, Enn or qdrv ok hinv fiorda mdä taka; 6762 stqkkvi; 678 ^ her erv vitj samstqfwv i v. 0. enu Jiemlingar ok stafa skipti sem i hrynhendv (alles andere fehlt); 678,3 rqdnvm; 678, lid; 680* eyddi svei'dv7n (so ver- mag ich nur im cod. zu lesen; erst eine jüngere hand scheint etwas verbessert zu haben); 680=^ f. hverjii; 680* f. hinv; 680^ f. pat; 680., orfa ok; 680, alfvamax vissag ; 682" oss er pat fvanii; 682* Nv erv her; 682*^ f. til; 682 9 f. er; 684^ ok iiij ; 684* f. svä; 684^ sem i dvottkvcedvm hcetti; 684^ erv tttj. samstqfvv rettar; 684* f. e^?^; 684'* fiohnn (was nur fjqlmenn sein kann); 684- anat ok hid iiij. v. 0. ; 6845 hofvtstafinn; 6842 vm mceti; 686^ Äer er skothending i fyrsta; 686* f. hmtti; 686^ tqg- lagi (vgl. tqgmcelt); 686'"- f. env; 688" her er i fyrsta; 688" f. svä; 688" ok hid fiorda; 688' endax; 690" ok tvcer; 690 ^ ba>d hardr; 690 5 f. hcetti; 692* i hinv fyrsta ok Pridia v. o. Po at v. se; 692^ f. env; 692*" ok styfd en fyrri; 694^ lyptax kna oflidi; 694*^ vi satnstqfm' ok cPÄgi rangt poat; 694, blaregg : 696" i vv^y ordi hveviv ok ii adalhending ; 696" hnefstar; 696* ütstrandiv (d. i. üüt.. wie bei da-) 696'" hranngardi; 696 g rvnhendiv erv kalladiv; 698 g enn qn?ivr hinn sidarva helmmg ;

Wii* sehen aus diesem Verzeichnis, dass namentlich Hättatal bei angäbe der lesarten von W in der AM. ausgäbe schlecht weggekommen ist. Viele dieser les- arten hat natürlich schon Möbius in seiner ausgäbe dieses teiles der Edda zur gel-

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tung gebracht. Im auschliiss an dieses verzeichuis sei eine andere unrichtige angäbe wie der heraiisgeber der ed. AM. su auch Finuur Junssous berichtigt. Ich hatte schon mehrfach gelegenheit, auf das engste Verhältnis zwischen W imd den frag- menten AM. 756. 4** hinzuweisen. Das räumt auch F. Jonsson ein; gleichwol reisst es ihn zu der bemerkuug hin (s. LXXX) : ^ sed persaepe lectiones secundum id aut corrigi aut corroborari possimt.'" Das ist nicht richtig, denn AM. 756 ist weiter nichts als eine ganz flüchtige absclirift von AV. AVer diese zwei handschiiften neben einander verglichen hat. kann keinen augenblick daran zweifeln. Ich überzeugte s. z. prof. Gislason dui'ch einige schlagende beispiele imd glaubte, dass infolge sei- ner bemerkung (Xjäla II, s. 287<2ö5)) die sache als abgetan anzusehen sei; da dies nicht der fall ist, sehe ich mich genötigt liier den beweis anzutreten.

Zunächst stimmen in der ganzen einteilung die fragmente mit dem cod. W über- ein: wo diese hs. einen neuen abschnitt bcgint, begint ihn auch 756; nicht in einem punkte weicht lezteres ab. Dazu einiges andere. AM. I, CA^^ scheint der Schreiber von W erst aus versehen skegm geschrieben zu haben, hat aber dann selbst das g in p verbessert; 756 las g imd gab es infolgedessen als skeggi'a wider. 68® trent 756 YG drasils: in W endigt nach YG die zeile, daher der irtum. 72^ steht in TS' ziemlich hoch hinter bifracst ein fi-agezeichen ; dies sah 756 als abkürzung an und gab es deshalb mit bifranstum. wider. Sog schreibt W hcratyr, was der Schreiber von 756 als berat yr las. 88^' geben beide handschriften die vierzig auf ganz gleiche weise wider x^. 90^ macht 756 nach VT denselben Schreibfehler bergrisa f. hergrisar. 98 findet sich ganz aussergewöhnlich vor cap. 26 ein freier räum von c. 15 mm; dei"selbe findet sich auch in 756. 102- schreiben beide handschriften mog nir em etn (doppelt). 110 9 ist in TV in digrleiks das ei"ste i einem a sehr ähnlich, daher die Verlesung daleiks. 112^ hat T\' von haus aus sk\\o rer mega, erst der schi-eiber der randnote hat inega rot durchstrichen, daher findet es sich 756. 192g haben beide handschriften alldtm tre. 198^ die verschreibung ufiar (f. i mar) in 756 kann nur auf W zui'ückgehen , da hier das i ganz mit in in /wor verbunden ist^; der strich über ^, der mehr horizontal als schi-äg geht, wurde vom Schreiber von 756 für abkürz ungsstrich über den ersten beiden grundstrichen angesehen. 202g findet sich in T\' zweimal vingnis, erst spätere band hat das eiuemal durchstrichen. Daher ist das woit in 756 doppelt. Dasselbe gut 204^ von den woiten .s?'er Äann pa at /^ann ste)iduT uti a sleftum. velli, deren widerholung in W auch ei*st später durchstrichen ist. Auch 320 ^ Raä siäan zeigt denselben faU. 238 ^ .schreiben beide handschriften füi* bqlva: bolfa. Der schluss der Haustlong (312, 314g) fehlt in AV; er ist ei-st vom Schreiber der zwei- ten papiereinlage später nachgetragen. Urspiüngüch hat die handschrift fünf zeilen freien räum. Auch 756 geht nicht weiter als W und lässt ebenfals einen freien räum von c. 4 zeilen, der im hinbhck auf die .Schreibweise der handschrift dem von W entspricht. 324 findet sich in "W nach barccyiar skalld ein freier räum von 50 60 mm; in 756 findet sich eine zeüe unbeschrieben. Diese beispiele mögen zei- gen, dass der Schreiber von 756 den cod. "W auf ganz liederliche weise, ohne ihn zu verstehen, abgeschrieben hat; für die Eddakritik ist das tragment volständig

\} Es bedürfte einmal der Untersuchung^, wie weit die präpos. durch anschluss an das folgende subst. oder pronom. ihren Charakter als selbständiges wort verloren hat. Sicher zeigen die alten hand- schriften im nordischen unzählige beispiele, wo praep. und nomen zusammengeschrieben sind. Dabei scheinen ursprünglich lange praepos. infolge des wort- oder satzaccentes auch ihre länge verloren zu haben.

tJBER SN. EDDA UI 373

wertlos. Dagegen stimme ich mit Finniu' Jonsson bctrefs des abfassungsoiies übor- ein: alles weist darauf hin, dass der cod. 756 im norden entstanden ist, vielleicht auf Veranlassung des gesetzsprechers Jon Sigmundarson, iu dessen händen sich im ausgang des 15. Jahrhunderts der cod. W befand.

Über den umfang, den einst der cod. W gehabt hat, herscht noch Unklarheit, ßekantlich fehlt demselben ursprünglich die ganze episode aus der Nibelungeusago und die erzählimg von könig Frodi, ferner der ganze schluss der Skaldskaparmäl von denUkend heiti an (I, 464), der anfang des Hattatal und der schluss desselben. Diese abschnitte sind durch papicrbliitter, deren Inhalt teils dem cod. reg, teils dem cod. Svarf. entnommen ist, ergänzt. Dass die episoden aus der heldensage ui-sprüng- lich nicht im cod. gestanden haben, darf wol als sicher gelten. Aber auch der zweite teil der Skaldskaparmäl hat zweifelsohne nicht in der handschrift gestanden: Bl. 35 schliesst mit den beispielen der kenoingar; es beginnen mit bl. 36 die grammatischen abhaudlungen, die 19 bl. füllen. Alsdann folgt die papiereinlage des Svein Jonsson; nach dieser der erhaltene teil des Hattatal. Dieser fült 6 pergamentblätter ; der feh- lende schluss ist ungefähr gleichen anfangs wie der fehlende anfang. Demnach scheint Hattatal ursprünglich auf einer läge von 8 bl. gestanden zu haben, von der das erste und lezte blatt verloren gegangen ist.

Blicken wir nun aber auf cod. U, wo der zweite gramm. traktat unmittelbar vor Hattatal steht, so wird es wahrscheinlich, dass die traktate auch in W ursprüng- lich vor Hattatal gestanden haben, und dass nur durch Svein Jonsson durch den einschub der papierblätter diese trennung erfolgt ist. Eine andere frage ist, ob die lU-end heiti vielleicht von haus aus vor den traktaten gestanden haben; diese aber wird sich nicht entscheiden lassen. Solche und ähnliche dinge, welche fili- die text- kritik nicht unwichtig sind, lassen sich aus den bemerkungen über ^V (namentlich den s. XLVn fgg.) nicht recht erkennen. Es sei daher hier noch kui'z über die ein- eil ung von W gesprochen und einiges, was ich bei F. Jonsson vermisse.

Der schön und deutlich geschriebene codex enthält 32 zeilen auf der seite. Grosse initialen führen die hauptabschnitte ein. Bei kleinen abschnitten findet sich für die initiale ein kleinerer rechteckiger freier räum. Die eingestreuten Strophen heben sich nicht von der prosa hervor. Schliesst ein teil eines wertes die zeile, so deutet ein querstrich (— ) an, dass das wort noch nicht zu ende ist. Der codex besteht aus lagen zu je 8 bl. Die erste seite ist unbeschi'ieben ; unten stehen die werte : Olai Wormii

Dono Arngrimi jonae Islandi.

Der obere teil der bl. 19 22, 27—30, 34 36 ist sehr zerfressen. Es folgen:

Praefatio bl. 4t'jg.

Gylfaginning 4%o-20%,. Bragaroedur 20 \ 22 \ . Eptirmal 22\— 22%«. Skaldskm. 22'%,— 35''3,.

Von bl. 27 '^ sind nur 4 zeilen beschrieben; sie enthalten den schluss der f*orsdrapa des Eilifr Gudrünarson. Der übrige teil der seite ist unbeschrieben. Zwischen bl. 30 und 31 finden sich 6 papierblätter, die die episode aus der heldensage nach dem cod. Sparf. enthalten. Tom lezten blatte sind niu' 37, zeilen beschrieben. Ein f, das sich auf der ersten zei?e derselben und pergamentbl. 31 ""oo ßJidet, deutet an,

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dass die blätter hierher gehören. Die ganze episode fehlt also von haas aus der handschiift.

Die gramm. abhandlungen I und U 36", 41^.. Diese schliessen sich unmittelbar an das vorhergehende an. Erst die dritte abhandlung leitet eine grosse, schön verzierte initiale ein. Daduich gibt der schieiber zu erkennen, dass hier ein neuer hauptabschnitt begint. der ursprünglich nicht zum werke gehört. Ausserdem ist vor dem zweiten traktate ein unbeschriebener räum von 6 Zeilen.

Grammat. abhandlungen in und IV 41^8 54*3.,. Bl. 54'* ist ursprünglich unbeschrieben; eine junge band hat Marienlieder und andere gedichte frommen Inhaltes darauf aufgezeichnet. Es folgen 9 papierblätter mit der Überschrift: de synonymis simplicibus.

Sie enthalten die ükend heiti, die fornn^fn und den anfang vom Hättatal und sind eine abschrift aus dem cod. reg. Alsdann folgt im cod. eine läge von 6 bl., die höchst wahrscheinlich aber einst 8 bl. enthielt. Das ei*ste und lezte, anfang und schluss. sind verloren gegangen. Diese läge hat wol einzig und aUein Hättatal ent- halten. Zwei papierblätter schliessen sich hier an, von denen das erste den schluss des Hättatal nach cod. Svarf. enthält, während das zweite unbeschrieben ist. Das folgende pergamentblatt enthält die Rigsmäl; das gedieht begint mit gi'osser schöner initiale, der schluss fehlt bekautlich. Fünf weitere leere papierblätter deuten den umfang des fehlenden an; sie sind vom schi-eiber der episode aus der Xülungensage eingefügt, wie der Wasserdruck zeigt. Zum Schlüsse folgen noch zwei pergament- blätter (abgedruckt Sn. E. H. 495 fgg.): die wol das 3. und 6. blatt einer läge aus- gemacht haben. Die lezte seite, urspriinglich unbeschrieben, enthält von junger band lobgedichte auf die jungfi-au Maiia.

Doch ich verlasse die einleitenden bemerkungen über die handschriften , um noch kurz bei dem hauptinhalte des 3. bandes zu verweilen, bei dem commentar zum Skäldatal. Es ist noch kein Jahrzehnt vergangen, wo man sich die berichte über leben und gedichte der einzelnen skalden in den quellen mühselig zusammen- suchen muste. Selbst Keysers litteratiu-geschichte gab wenig, X. il. Petersens so gut wie gar nichts. Heute besitzen wir nicht weniger als drei werke, aus denen wir zur genüge belehrung über die skalden und ihi-e werke schöpfen können. Gudbr. Tigfusson gibt im Cpb. vor den gedichten eines jeden skalden einen lebens- abriss des dichters, geisü-eich. mit vielen kühnen, wenn auch oft unhaltbaren einfallen, die um so schwerer controlierbar sind, als nirgend die quellen angegeben sind, aus denen er die positiven tatsachen geschöpft hat. Infolgedessen ist das werk zu wissenschaftlichen zwecken unbrauchbar. Für das Samfund t. udg. af g. n. lit, gab femer Gudmundr J'orläksson sein buch: ,Udsigt over de noi^k- islandske skjalde fra 9. til 14. arhundrede" heraus: es gibt in kurzen ansprechen- den biographien. denen nirgends die queUen fehlen, einen überblick über die gesarate skaldendichttmg und ist für \iele skalden unser einziger gewissenhafter Wegweiser. Während aber diese schrift eine grössere zahl von skalden behandelt, vertieft sich der commentar zum Skäldatal ungleich mehr in das leben und wii-- ken der einzelnen dichter. Das alte Skäldatal, das in handschiiften der beiden hauptwerke SnoiTis. der Heimskringla und Edda, erhalten war. hatte die dichter vorgeschrieben, deren lebenslauf aufzimehmen war: das grosse gebiet war zeitHoh und örtlich beschränkt, örtlich, indem nur dichter aufnähme fanden, die au nor- dischen königshöfen geweüt hatten, zeitlich, indem es in der erweiterten gestalt der Upsalaer handschrift mit der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts abschliesst Ich

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ti-age kein bedenken, das alto Skaldatal olmo seine späteren Zusätze Suorri in seinem ganzen umfange zuzuschreiben. Möglich, dass es ihm eine kritische Vorarbeit zu seinem grossen geschichts werke war. Lassen sich doch fast alle skalden, die hier aufgezählt sind, in Snorris hauptworkon, der Edda and lEeimskringla, widerfinden, ja selbst in kleineren zügen zeigt das Skaldatal mit diesen Übereinstimmung: Snorri kante die sagengestalt Starkads (lieimskr. 20. 22), er keut Ragnar lodbruk als dich- ter (Sn. E. I, 06G), er weiss, wie köuig Eystein seinen liund Säur über die ein woh- ner von frandheim sezte (Heimskr. 90. 391); was das Skaldatal von Pjödolf (nr. 40) sagt, deckt sich fast wörtlich mit dem cingange der Ileimskringla (s. 1), ebenso das, was es von Eyvinds Haleygjatal bericlitet (nr. 158. llskr. 1 '"). Wie aber Snorris Skaldatal spätere zusätze erhielt, so scheint dieser selbst ein 1)ereits aufgezeichnetes Skaldatal benuzt zu haben, das sich wol in Stiemunds besitz befunden haben mag. Ich schliesse dies aus der reihe der skalden, von denen wir weiter nichts erfahren, als dass sie diesen oder jenen fürsten besungen haben. Hätte Snorri aus der lebendigen tra- dition geschöpft, so würde er gewiss auch von ihnen Strophen erfahren haben, die ihm dann quelle seiner historischen werke geworden wären. Auf alle fälle besteht zwischen dem Skaldatal und Snorris werken ein innerer Zusammenhang, und zur kritik dieser jenes zu benutzen imd umgekehrt wäre eine dankbare und gewiss loh- nende aufgäbe.

Ich weiss nicht, wem die fruchtbare idee gehört, den toten namen des alten Skaldatals lebensvolle biogrophicn der einzelnen dichter zuzufügen, ob Sigurdsson oder Egilsson. Jedenfalls verdient sie volle anerkennung und die vollendete tatsache ist der schönste grundstein zu einem corpus scaldicum. Die Zusammenstellungen über die dichter sind rein philologischer natur. Ihre Verfasser geben das tatsächliche aus den quellen und bauen mit diesem einen soliden lebensabriss der einzelnen dichter auf Widersprechende nachrichten werden kritisch beleuclitet und das für und Avider ein- fach aber klar dargelegt. Dabei war freilich die arbeit des bearbeiters des lezten teiles eine umfassendere und weitgehendere als bei der bearbeitung des ersten halb- bandes. Als dieser bearbeitet wurde, fand man noch nichts ähnliches vor, man hatte also keine falschen ansichten zu bekämpfen, sondern einfach aufzubauen. Der bcar- bciter des zweiten halbbandes hatte dagegen bereits Gudm. I^orlukssons Udsigt und das Cpb. in bänden, mit deren Verfassern er sich öfters auseinandersetzen muste. Und zweifelsohne hat er dies mit ebensoviel geschick als Scharfsinn getan und dadurch manchen eingenisteten fehler beseitigt. Dagegen hätte für die geschichte der skaldendichtung, für eine Schilderung ihres almählichen aufsteigens und ihres verfals noch mehr getan w^erden können. Die philologische gründlichkeit hätte mit dem fei- nen beobachtungssinn eines Y. Rydberg gepaart werden müssen, und wir sind über- zeugt, dass dadurch die skaldendichtung erst auf die stufe gehoben worden wäre, auf die sie gehöii. Von den drei höhenpunkten eines Egil, Sighvat, Sturla I^ord- arson lässt sich das weite feld schön und klar überblicken. So sehr es auch anzieht, an einzelnen gestalten die arbeits weise der Verfasser zu zeigen, so muss ich mich doch mit besprechung nur einiger stellen begnügen.

Über die sagengestalten Starkads und könig Ragnars herschen heutzutage andere und zweifelsohne richtigere ansichten. Nachdem bereits S. Grundtvig Starkad als eine poetische erscheinung, als das heldenideal der nordischen wikingerzeit auf- gedeckt hatte (Udsigt s. 67 fgg.), ist von Müllenhoff bis ins kleinste ein bild dieser alten heldendichtung entworfen worden (DAlv. Y, 301 fgg.). Auch Ragnars dichtung und vor allem die lü'akumäl wird man nach G. Storms überzeugendem nachweis als

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ein spätes erzeugnis aus dem ende des 13. jahi-huudeii:s ansehen (Eagnar lodbrök usw. s. 117). Anders steht es mit Bragi Boddason, den die einen für eiue histo- rische gestalt ansehen, andere dagegen in das bereich der sage bringen. Für lezte- res lässt sich aber nicht die geringste stütze biingen, denn was E. Jessen (Über die Eddalieder s. 21) dafür vorbringt, ist volständig haltlos und zur genüge von G. Storm (Hist. Tidrkr. III, s. 72 fgg.) widerlegt worden. Bragis name^ sowol als auch die genealogie, die wir aus der Laudu. und Egilssaga entnehmen können, haben durchaus nichts unglaubwürdiges, und während die sagengestalten eines Eagnar. Starkad u. a. über den ganzen norden verbreitet sind, beschränken sich unsere quellen über Bragi auf die wenigen norwegisch - isländischen werke.

Etwas anderes ist es, wie Buggo annimt (Ztschr. f. d. ph. YII, 389), dass die person wol historisch, die unter seinem namen überlieferten gedichte dagegen spate- ren Ursprungs sind. Die frage haii bis heute noch der lösung. Jedenfals spricht das geschichthche über Bragi, das uns die quellen an die hand geben, nicht dagegen. Es darf jezt als ausgemacht gelten, dass die sagengestalt des Eagnar lodbrok in dem könige Eeginfridus der Lorscher annalen. der 814 nach kui'zer herschaft fiel, ihren historischen hintergrund hat. Ton Bragi stamte in dritter Knie der herse ArinbJQrn, der nach der Egilssaga (c. 41) etwas älter als Egil war, also ungefähr 900 geboren sein muss. Eechnet man das durchschnitsalter der mutter und grossmutter 35 jähre, so kommen wir auf das jähr 830. ni dem Astrid, Bragis tochter, geboren sein müste. Das weihgeschenk , das ihm Eagnar spendet, zeigt Bragi als rüstigen, taten- durstigen mann. Es spricht also nichts dagegen, wenn wir sein leben zwischen die jähre 780 850 legen. Yigfussons Verschiebung (835 900 Cpb. 11, 2) ist ganz unbe- gründet.

Das todesjahr von Gunnlaugr ormstunga (s. 323) habe ich in meiner ausgäbe um ein jähr verschoben (auf 1009. s. XX). Hierzu sei noch bemerkt, dass der algemein herschenden ansieht, d sumar bedeute nur «in diesem sommer*^, Laxd. s. 104, 17 widerspricht, was auch die herausgeber ganz richtig mit in proxima aestate wider- geben. — Unter nr. 23 werden Gizur svarti und Gizui* gullbrä als eine person auf- gefasst. Schon der alte Einarson trente sie und Möbius und f'orläksson sind ihm gefolgt. Auch Finnur Jönsson sucht die wenig erwiesene Identifizierung wider auf- zuheben (s. 541). Zeitlich liesse sich ja gegen dieselbe nichts einwenden: Hjalti Skeggja.son komt 1017 mit Gizur svaiti am hofe des Schwedenkönigs Olaf zusammen (Hskr. s. 273j. Gizur gullbra aber fält in der schlacht bei Stiklastadii- (1030. Hskr. 491). Dagegen werden die beiden personen übei'aU in den quellen auseinandergehal- ten: jenen finden wir nur im gefolge des Schwedenkönigs, diesen bei Olaf dem hei- ligen. Und wenn es selbst Ottar dem schwarzen nur durch vennitlung seines oheims Sighvat gelang, gnade bei Olaf zu erlangen, so ist es wenig Avahrscheinlich , dass Gizur svarti, der doch am Schwedeuhofe in gleichem Verhältnisse zu Olaf dem hei- ligen gestanden hatte, wie Ottar, eine solche rolle gespielt haben würde, wie Gizur gulbrä in der tat gespielt hat (Hskr. s. 475/ Dazu widerspricht meines erachtens

1) Einen anderen skalden Bragi HalJsson lernen wir als dichter unter könig Sverrir und seinem söhn Hakon kennen (Skt. nr. 132. 138); ein weiterer Bragi Hallsson erlag der grossen epidemie in Nor- wegen 1.392 iTtb. annal. s. a.). Der name scbeint überhaupt norwegisch, nicht isländisch gewesen zu sein und deshalb mrjchte ich den jüngeren skalden Bragi (s. 652) auch für einen Xorweger halten. Als vater des alten Bragi nent das Skt. Boddi. Dies für Bondi zu erklären (s. 307 aiun. 7) Ist aber unstat- haft, da die assimulation nd > dd im norwegischen nicht vorkomt.

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auch der name. Giziu- des schwarzen beiname kaua doch wol nui' auf die schwarze färbe seiner haare gehen. Er mag denselben in der Umgebung von Hjalti, vielleicht von diesem selbst, erhalten haben zum unterschiede von Hjaltis Schwiegervater Gizur dem weissen. Für den beinamen des jüngeren Gizm* stelt man die eigentliche form des Giülbrurskald auf und nimt an, dass er ihn nach einem gedichte erhalten hätte, das er auf ein mädchen mit goldblonden augenbrauen gedichtet habe (s. 334). Allein dem widerspricht die Überlieferung. Die Hskr. schreibt nur yullbrd (475^^. 491'-*'). Ebenso das Skaldatal, wo ohne grund unter 62 Guldbnirskald hergestelt ist: A hat gidlbrä, B ist an der entscheidenden stelle zerfressen. Die grosse Olafssaga (1853) schreibt ebcnfals nur guUbrd (206 13. 217 3). In der Flb. findet sich immer gull- brärfostri (Flb. E, 226. 340. 353. 355), nur einmal fjuUbrärskäld (II, 315). In der On. s. der TMS. findet sich fjiiUbrä (Thomsk. V, s. 56. AM. 325, s. 80. cod. Holm. 2, s. 80); FMS. V, 203 haben wir guUbnirfostri, s. 80 haben es fast ebenfals alle haudschriften, nur- AM. 325 hat gidlbrdrsMld. Entscheidend ist die stelle FMS. V, 56, wo sicher zu lesen ist: gidlbrd, föstri Hofgarda-Iicfs, wie die Tho- massk. hat. Hier liegt der Schlüssel: Gizur war der pflegevater Hofgarda - Refs. Die Überlieferung erhärtet gidlbrd als einzig echten beinamen. Hierzu trat nocli föstri Hofgaräa-Refs; aus misverständnis aber zog man föstri zu gidlbrd, Hess Hofgaräa - Refs bei Seite und so entstand gidlbrdr föstri, das erst in den jüngsten quellen in gidlbrd rsMld umgeändeii; wurde. Demnach hiess Gizur selbst goldbraue ^, ein name, den er nur von der helblonden färbe seiner augenbrauen gehabt haben kann: diese aber schliessen schwarzes haupthaar aus. Dagegen muss man Jon Sigiu'dsson recht geben, wenn er den HallbJQrn hali (s. 373), den das Skt. auf Knut Eiriksson (j 1195) und Sveriii- (tl202) lobgedichte verfassen lässt, von HallbJQiTi hali, der auf J'orleif jarlaskald (t994) dichtete, ti-ent. I'orlaksson will beide identifizieren (s. 145). Wol erfahren wir, dass der leztere lobgedichte auf für- sten gedichtet habe (Ftb. I, 215), allein dies muss in der zeit kurz nach l'orleifs tode gewesen sein. Nachdem die Flb. von lezterem berichtet hat, fährt sie fort: Sa madr bio pa a pingvelli er porkell het usw. Dies pd kann nur auf die zeit gehen, wo f'orleif starb. Und nach der episode von HallbJQrn fähii unmittelbar anschliessend dieselbe quelle fort: En frei bra-drimi porleifs er pat at segia . . (Ftb. I, 214/15). Der erzählung wüi'de das ganze Verständnis geraubt werden, wei- ten wir sie zeitlich um eineinhalb Jahrhundert verschieben. So Hessen sich auch zum ersten teile des vorliegenden bandes noch eine reilio bemerkungen machen, die der einzelforschung noch bedürfen. Dasselbe gilt auch von der arbeit Finnur Jons- sons. Ein Vorzug lezterer ist, dass er namentlich auf die composition der grösseren gedichte eingeht und von manchem eine kurze, klare inhaltsangabe gibt. Eine ganze reihe nicht genügend oder gar nicht erwiesener behauptungen , namentlich Vigfüssons und f'orläkssons , weist er mit gutem recht zurück. Gegen lezteren schemt er in einigen pimkten freilich zu weit zu gehen. Man wird sich zweifelsohne auf F. Jonssons seite stellen, wenn er z. b. jene für unsere heldensage so wichtige visa

Geisli stendr til grundar

(FMS.V, 234. Ftb. HI, 244) dem I'orfinn munr zuschreibt, während f*orm6d Kol- bn'marskald kein am-echt auf sie hat. Dagegen kann ich nicht billigen, wenn F. Jousson (s. 545) mit Jon Sigurdsson (s. 209) die beiden halbstrophen der Sn. E.

Oyt kemr {bo\) jaräar leiptra (Sn. E. I, 232) und pcer eigu ver veigar (Sn. E. I, 240)

37S HOLSTEIN

als zwei eine vIsa bildende halbstrophcn ausieht. Gewiss wird niemand leugnen , dass in einem gedichte alhent gestattet ist. Dass aber in einer visa die erste hälfte ganz regelmässiges dröffkrcpft, die zweite aber durchweg alhent haben kann, ist zum min- desten wenis wahrscheinhch.

Neben dem litterarliistorischen weiie des vorliegenden teiles möchte ich aber auch noch den philologischen hervorheben. Nicht wenige skaldensteilen haben F. Jönsson zu textkritischeu bemerkungen veranlasst und so erscheinen ziemlich viele in neuem lichte. Es lockt, auch von dieser seite auf das werk noch einzu- gehen, doch ich werde bald anderen orts dazu gelegenheit finden.

Ich scheide von dem vorliegenden bände der Edda mit der Überzeugung, dass er, wie schon der erste teil auch in seiner ganzen gestalt die gruudlage zu einer neuen aera der skaldendichtung wird: was wir im Cpb. für alle dichter erwartet hatten, das besitzen wir im vorliegenden werke von einem grossen teile derselben. Veiüefung in die einzelneu teile des ganzen, das sei der dank, den wir in erster linie dem verstorbenen Jon Sigurdsson, aber zum nicht geringen teile auch Finnur Jönsson schuldig sind.

LEIPZIG, DI SEPT. 1888. E. MOGK.

Liidwia: TVirth. Die oster- und passionsspiele bis zum XVI. Jahrhundert. Beiträge zur geschichte des deutschen dramas. Halle a. S., Max Nie- mever. 1889. Till u. 351 s. 8. 10 m.

Die Wahrnehmung, dass seit einer reihe von jähren sich für die ältere geschichte des deutschen dramas eine erhebliche teilnähme gezeigt hat, muss jeden litteratur- freund mit freude eifüUeu. AVar doch seit Hoffmann von Fallersleben und Mono lange zeit die kentnis dieses wichtigen litteraturzweiges auf einige bedeutendere geist- liche spiele des mittelalters beschränkt und fast jeder versuch einer geschichtlichen entwicklung des geistlichen dramas ruhte auf den forschungen jener beiden führer. Inzwischen waren wider einige spiele durch den druck teils volständig, teils bruch- stückweise bekant geworden, aber zu einer streng philologischen behandlung der dramen kam es noch nicht. Erst nachdem Schönbach und Milchsack eine kritisch gesichtete, auf der vergleichung der einzelnen stücke unter einander beruhende Untersuchung über die Marienklagen einerseits und über die lateinischen osterfeiern andereeits mit überzeugender Sicherheit angestelt hatten, nachdem ferner Müchsack in seiner ausgäbe des Egerer und Heidelberger passionsspieles das verwantschaftliche Verhältnis derselben zu älteren spielen mit lobenswerter Sorgfalt erschlossen hatte, konte der aufbau einer geschichte des mittelalterlichen dramas geplant werden. Die herausgäbe der Erlauer spiele durch Kuminer, sowie Wackemells Untersuchung über die ältesten Tiroler passionsspiele haben sodann ein neues lehrreiches material an das licht gezogen und neuerdings hat Lange die Untersuchung über die lateinischen osterfeiern in einer geradezu überraschenden weise gefördert. Denn während Milch- sack nur 28 osterfeiern kante, fand Lange nicht weniger als 224, wovon auf Deutsch- land 159 kommen.

Auf ein so wolgeordnetes und vorbereitetes material gestüzt hat es L. "Wirth unternommen, die entstehung und entwicklung der oster- und passionsspiele bis zum auftreten des gelehrtendraraas darzulegen. Es ist dies in einer weise geschehen, welche unsere gerechte be wunderung herausfordert, da der Verfasser zeigt, dass er

ÜBEll WIKTH, Oiil'Jil4- L'iNL» l'ASSIONSSriELE 379

den kaum übersehbaren stoff nicht nur völlig beherscht, sondern auch streng wissen- schaftlich zu gliedern und zu verarbeiten versteht. Unter diesen umständen und bei seiner vortreflichen kentnis der andern mittelalterlichen dichtungen ist es ihm gelun- gen, ein grundlegendes werk zu schaffen, das uns den reichtum der dramatischen poesie des mittelaltors erschliesst und die Stellung erkennen lässt, welche das geist- liche spiel in der deutschen litteratur einzunehmen berufen war.

Nachdem der Verfasser in der eiuleitimg die osterfeiem kurz besprochen hat, führt er die einzelnen auftiitte auf, welche die beiden gruppen, in die die ostersiüele nach anläge und iuhalt zerfallen, darbieten. Für die erste grupi)e werden 7, für die zweite ebenfals 7 auftritte festgestelt, deren entstehung und schritweiso Weiterent- wicklung sorgfältig nachgewiesen werden. Es folgt dann eine eingehende betrachtung der anläge der passionsspiele und ähnlicher spiele, wobei eine auf Tischendorfs Synopsis evangelica (5. aufl. Leipzig 1884) ruhende chronologische reihenfolge der scenen es sind deren 49 aufgestelt wird, welche eine genaue Übersicht über ihre Verwertung in den verschiedenen spielen gewährt. Es lässt sich erkennen, dass die umfangreichsten spiele, nämlich das Heidelberger spiel, die Frankfurter dirigier- roUe und das Alsfelder spiel, fast den ganzen biblischen stoff bearbeiten. Nimt mau dazu die präfigui-ationen des Heidelberger passionsspieles , welche der Verfasser zu erwähnen keinen anlass hatte, so wird man zugeben müssen, dass dieses spiel inhalt- lich den ersten platz in der litteratur des geistlichen dramas verdient.

An die betrachtung der anläge der passionsspiele schliesst der Verfasser bemer- kungen über die entstehung derselben. Sodann folgt eine sehr lehrreiche Untersuchung über die grundlage und die quellen der osterspiele. Der Verfasser verfährt hinsichtlich der ersten gruppe so, dass er die am häufigsten vorkommenden versikel zusammen- stelt, um erkennen zu lassen, dass die Übereinstimmung der geistlichen spiele auf der benutzung derselben schriftlichen vorlagen und quellen, nicht auf mündlicher tradi- tion beruht und dass die dichterische tätigkeit der Verfasser eine sehr verschieden- artige gewesen ist, indem sie ihre quellen entweder wörthch benutzen oder umarbei- ten und überarbeiten. Als ergebnis wird festgestelt, dass die zahlreichen hymnen und klagegesänge aus den Marien- und Magdalenenklagen herübergenommen sind, dass dagegen für den übrigen text zahlreiche ostergesänge , ferner Walter von Rhei- naus Marienleben, für einzelne stellen auch Martina, passional und erlösung gedient haben. Als grundlage für die erste gruppe kann der Trierer ludus gelten, daneben haben aber auch viele fassungen des Innsbrucker und Wiener osterspieles weite Ver- breitung gefunden (s. 69). Auch auf die zweite gruppe der nach inhalt, spräche und Charakter von der ersten bedeutend abweichenden osterspiele dehnt der Verfasser seine Untersuchungen aus und gelangt zu dem ergebnis, dass das Innsbrucker und das Wiener osterspiel als typus und grundlage derselben zu betrachten sind. Die queUe füi' den 3. und 6. auftritt sind geistliche dichtungen wie Urstende» Martina, passional u. a., für den lezteren auch die erlösung. Die übrigen scenen sind teils geistlichen, teils weltlichen dichtungen entnommen. Interessant sind besonders die anchweise von der Übereinstimmung mit manchen fastnachtspielen, zumal mit dem Neithartspiele , so dass man eine wechselseitige beeintlussung der fastnachtspiele und der geistlichen spiele anzunehmen berechtigt ist.

Der Verfasser zeigt in diesem abschnitte eine grosse Vertrautheit mit den schätzen der poetischen Htteratui- des mittelaiters , wie man auch das sorgfältige Stu- dium der 18 spiele mhmen muss, das er in dem folgenden abschnitt zu erkennen gibt. Hier bespricht er das Verhältnis der von ihm berücksichtigten 18 spiele zu

380 HOLSTEIN

einander und gibt ihre besonderen quollen an, wobei eine sorgfältige Charakteristik jedes einzelnen Spieles gegeben wird. Für die ältesten spiele wird mit recht ein ver- loren gegangenes spiel als gemeinsame quelle angenommen. Dem Verfasser erscheint das Redentiner ostei^spiel , wegen der frischen, volkstümlichen, humoristisch - sati- rischen darstellung, der niederdeutschen lokalfärbung , der gelungenen chai'akteristik der hauptpersonen, der ebenso eigentümlichen wie glücklichen erweiterung mancher scenen- als das beste aller osterspiele. Von der einwirkung der Magdalenenscenen des Benediktbeurer passionsspieles auf die anläge anderer spiele sind auch wir über- zeugt, aber wir hätten gewünscht, dass der Verfasser statt des Hoffmannschen textes den der Carmina burana in der Oesterleyschen ausgäbe zu gi'unde gelegt hätte. Ebenso wichtig für die entwicklung der geistlichen spiele erscheint uns das Wiener passionsspiel. Was die Frankfurter dirigierrolle betritt, so darf ihre entstehung ohne bedenken um das jähr 1350 angesezt werden, da der kanonikus Baldemar von Peter- weil, der 1382 als verstorben erwähnt wird und von dessen charakteristischer hand- schrift zahlreiche manuscripte im archiv zu Frankfurt vorhanden sind, an ihr ver- besseningen vorgenommen und an den rand bemerkungen geschrieben hat, und zwar nach dem duktus dieser bemerkungen zu schliessen, in seiner früheren lebenszeit. Mancherlei für die geschichte des mittelalterlichen dramas wichtigen ergebnisse wird die in aussieht stehende Veröffentlichung des Frankfurter passionsspieles von 1492, das sich handschriftlich im Stadtarchiv zu Frankfurt befindet, zu tage fördern. Es ist. wie mir herr dr. Froning schreibt, eine kopie von der hand des gerichtschreibers Johannes Cremer. „Aus der Übereinstimmung der versanfänge lässt sich in vielen fällen schliessen, dass das jüngere spiel auf dem älteren beruht; nur ist das jüngere unendlich viel dramatischer und hat "^iele wenig dramatische episoden des älteren gestlichen; auch fehlen die im älteren spiele so häufigen, aber doch sehr undrama- tischen chöre in dem jüngeren fast ganz."

Dem fünften abschnitte fügt der Verfasser eine graphische darstellung des abhängigkeits Verhältnisses der sämtlichen spiele bei. aus welcher hervorgeht, dass die osterspiele sich vom Rhein (Trierer ludus) durch Mitteldeutschland verbreitea. Ton hier geht ein zweig nach Österreich (Innsbruck, Wien, Sterzing), ein anderer durch Böhmen ebenfals dahin, sogar bis nach Ungarn (Erlau), ein anderer nach dem norden (Wolfenbüttel, Redentin). Die passionsspiele gehen von Süddeutsch- land ( Benediktbeuren ) und der Schweiz (St. Gallen) aus, verbreiten sich dann nach Österreich (Wien, Sterzing, Erlau) und Mitteldeutschland (Donaueschingen, Frank- furter dirigieiTolle , Friedberg, Alsfeld), wo sie mit den osterspielen zusammen- treffen.

Der sechste abschnitt beschäftigt sich mit dem stil der geistlichen spiele. Es wird zunächst wahrscheinlich gemacht, dass die weltlichen demente, welche die geistlichen spiele enthalten, durch die spieUeute, die clerici vagantes und ähnliche leute in dieselbe gelangt sind. Leztere waren teilweise Schauspieler von beruf, sie wurden zuerst von den geistlichen als mitspieler zugelassen ; als jedoch die weltlichen Elemente hinzuti'aten , wurden die spiele aus der kirche verbaut, die geistlichen musten auf die mitwirkung verzichten und das aus der kii'che vertriebene drama geriet nun ausschliesslich in die bände der spielleute. Im einzelnen weist nun der Verfasser an den sprachlichen, stilistischen und sonstigen eigentümlichkeiten der ver- schiedenen spiele den einfiuss der Spielmannsdichtung nach, so zunächst in allen scenen. in denen Pilatus und seine ritter auftreten, in den krämerscenen, in den teufelsspielen und in den Maiia- Magdalenenscenen. Der nach weis wird in einer

ÜBER WIRTH, OSTER- UND PASSIONSSPIELE 381

Überaus sorgfältigen Untersuchung über die (|uelleii, aus denen die dichter der oster- spiele und der fastnaehtsiäele geschöpft haben, und über die art der benutzung der vorlagen durch die Verfasser der verschiedenen spiele geführt. Diese Untersuchung erstreckt sich auch auf die passionsspielo, welche grossenteils auf grundlageu der epischen dichtung beruhen. Mit einer bewundernswerten Sicherheit, einer folge überaus gründlicher komparativer Studien, kann der Verfasser die tatsache feststellen, dass sich das Bencdiktbourer und das Wiener passionsspiel als })rodukte der spiel- mannspoesie erweisen und dass die Verfasser der grossen i)assionsspiele ihre vorläge in sehr vielen fällen wörtlich abgeschrieben haben. Derartiger hochwichtiger ergeb- nisse hatten die bisherigen forschungen über die entwicklungsgeschichte der drama- tischen poesio des mittelalters sich noch nicht zu erfreuen, und wir können dem Verfasser nicht daukbai- genug sein, dass er sich der grossen mühe unterzogen hat, ein werk zu schaffen, dessen Zustandekommen nur durch die anwendung des ern- stesten und gewissenhaftesten ileissos möglich war.

Als „anhangt (s. 235 343) bringt der Verfasser die belege zu den geistlichen spielen, durch welche das Verhältnis der einzelnen spiele zu einander klar gelegt wird. Der Verfasser begiut hier mit der markierten Scheidung zwischen oster- und passionsspielen (A. osterspiele), ohne dieselbe bei den mit dem Benediktbeurer spiel (s. 278) beginnenden passionsspielen durch den vermerk: B. passionsspiele kentlich zu machen. Auch dieser abschnitt, der das scenarium jedes der 18 spiele nebst den nachweisen der Übereinstimmungen mit dem scenarium anderer spiele enthält, lässt uns auf jeder seite den hohen wert des Wirthschen buches erkennen.

In dem am Schlüsse befindlichen litteraturnachweis vermissen wir Fronings wertvolle kleine schrift Zur geschichte und beurteilung der geistlichen spiele (Frank- fuii a. M. 1884), Milchsacks recension der Kummerschen ausgäbe der Erlaucr spiele (Litteraturblatt f. germ. u. rom. i)hilologie 4, 171 174), Scherers besprechung der Milchsackschen Oster- und passionsspiele (Deutsche litteraturzeitung 1881, 50), fer- ner die erwähnung des Lambacher passionsspieles (Frogr. Kremsmünster 1883). Die berichtigungen , die der Verfasser auf s. 350 und 351 verzeichnet, lassen sich noch um das doppelte vermehren; es sind meist druckfehler, die sich jeder leser .selbst verbessern kann. Doch möchte ich folgende wichtigere hier anführen. Es ist zu lesen: s. 123 z. 8 v. u. von vorn, s. 139 z. 10 Mone U, s. 146 z. 17 brauchbarer, s. 147 ostensiones und Intendant, s. 161 Herodias, s. 191 und 193 Einbecker sünden- faU (unter wegfall des kommas), s. 204 und 205 Wackernagel st. Grimm, s. 212 z. 11 jenes gedichtes konte ich nicht habhaft werden, s. 235 Hoffmann st. Mone, s. 238 Pasche, s. 305 mane nobiscum, s. 345 Pfeiffer, s. 346 unter Krolewiz: Lisch st. Sich, s. 350: zu s. 53 z. 3 oben st. unten.

WILHELMSHAVEN. HUGO HOLSTEIN.

Friedrieh Nicolais kleyner feyner almanach 1777 und 17 78. Erster und zweiter Jahrgang. Herausgegeben von Oeorg Elling-er. Berlin, gebm- der Paetel. 1888. XXXYI, 64 und XH, 86 s. 8. 6 m. Auch u. d. t: Ber- liner neud rucke. Herausgegeben von prof. dr. Ludwig Geiger, prof. di\ B. A. Wagner und dr. Georg Ellinger, 1. und 2. band.

Das neue unternehmen, das hier glücklich und passend durch Ellingers emeuerung der Nicolaischen volksliedersamlung eröfnet wird, soU vergriffene ältere

382 BOLTE

■werte aus dem litteratiu-leben der mark Brandenburg, wie N. Peuckers gedieh te, Schmidt von "Werueuchen u. a. algemein zugänglich machen.

Pie beiden zierlichen bändchen des ,,kleynen fernen almanachs vol schönorr echterr liblicherr volckslieder'^, welche von den zahlreichen seither aufgetretenen samleru auf diesem gebiete fleissig ausgenuzt wurden, sind bereits so selten, dass man nur mit grosser mühe eines exemplars habhaft werden kann, und so wird der vorliegende abdruck fielen freunden der volkspoesie eine wilkoinmcne gäbe sein, zumal da der herausgeber den text sorgfältig revidiert und mit einer gut orientieren- den einleituntj vei'sehen hat.

Seitdem Herder in den Fragmenten über die neuere deutsche litteratur uud in den Blättern von deutscher art imd kunst die junge dichtergeneration auf die wider- belebung des deutschen Volksliedes hingewiesen und den wünsch ausgesprochen hatte, es möge ein deutscher Percy aufstehen, welcher die verstreuten reste desselben im Elsass, in der Schweiz, in Franken, Tirol und Schwaben samle, waren manche die- ser mahnung gefolgt. Besonders aber widerholte Bürger im Peutschen museum 177G mit diiuglichkeit Herders klagen über die gelehrte verbildung seiner zeit und ver- langte, dass die dichter sich in ihren bailaden das Volkslied zum muster nehmen und ihre Wirkung nicht auf wenige gebildete, sondern auf das ganze volk berechnen solten. Piese forderungen und der etwas überschwängliche ton in Bürgers aufsatze gaben dem Berliner kunstrichter Nicolai den plan ein, in der maske eines deutschen Percy aufzutreten imd die widerbelebung der volkspoesie mit denselben parodistischen mittein lächerlich zu machen, die er kurz zuvor (1775) in den Freuden des jungen "Werthers gegen Goethe verwant hatte. Auf Herder brauchte er keine rücksicht mehr zu nehmen, da seine Verbindung mit ihm gelöst war. Längst wol hatte er mit dem nüchternen beobachtungstalente und dem sammelfleisse , welcher seine Beschreibung einer reise durch Peutschland oder seine Beschreibung von Berlin und Potsdam kenzeichnet, auf fliegende blätter und alte liederbüchlein geachtet, aber darin nur curiosa erblickt, denen kein moralischer nutzen und keine förderung der dichtkunst innewohne. „Wenn man solche volksheder im original ansieht '^, schrieb er an Gebier, „so erkent man deutlich die torheit derjenigen, welche der weit weiss- machen woUen, als ob aus den schrecklichsten hechelträgerUedem der wahre zauber der dichtkunst oder gar der geist der nationen ausfindig gemacht werden könne." Von seinen bekanten, wie Lessing und Justus Moser, erbat er sich beitrage und äusserte sich dem ersteren gegenüber auch offenherzig genug über die von ihm befolgte methode: mit heimlichem vergnügen habe er einige schöne stücke zuerst ans licht gebracht, aber wLssentlich einige recht plumpe darunter gesezt, damit man anschauend sehe, dass wahrhaftig nicht alle Volkslieder des abschreibens wert sind. Ein zweites mittel der parodie ist die absichthch verzeiie und überladene Schreib- weise, mit welcher er die lästigen konsonantenhäufungen des 16. Jahrhunderts über- bietet. Auch gieng er mit seinen vorlagen oft recht eigenmächtig um. PeutUcher noch zieht er in der vonede, welche er einem handwerksgenossen des verachteten meistersängers Hans Sachs, dem schuster Paniel Seuberlich tzu Ritzmück an der Elbe, in den mund legt, gegen die Originalgenies zu felde; aber seine parodie des Bürgerschen aufsatzes geht plötzlich in einen ungeschickten direkten angriff vom moralisierenden Standpunkte aus über. Per erfolg des Unternehmens war kaum der von Nicolai erhofte. Seine freunde begnügten sich mit einigen ausweichenden kom- pUmenteu oder sprachen ihre misbilligung über die satire, in welcher ti-efliches und geringes in gleicher weise verurteilt wurde, aus: so Merck, Boie, Lessing. Bürger

ÜBER NICOLAI, ALMANACH ED. ELLINGER 383

beschränkte sich darauf, in einigen Strophen des gedichts Europa ] 777 mehrere üusse- rungen der vorrede zurückzuweisen (vgl. Strodtniann, Briefe von und an Bürger 1, 381 fg.). Zwei anonym gebliebene autorcn veranstalteten, wie Ellinger zuerst nach- weist, einen ironisch gemeinten nachdruck des Almanachs und eine nachahmung: „Ausbund schöner weltlicher lieder für bauers- und handwerkslcute ", Reutlingen, 0. j. Herder endlich uante den Almanach Nicolais eine Schüssel voll schlämm, auf- getragen, damit die uation ja nicht zu etwas besserem lust bekomme, und unter- nahm es 1778, in seinen „Volksliedern" das gold aus dem schätze der deutschen volkspoesie zu heben und dem ])ublikum aufzuzeigen.

Schon Lessing vermisste ein Verzeichnis der von Nicolai benuzten drucke und handschrifteu ; Ellinger hat in einem anhange (2, 61 80) einen solchen quellcnnach- weis für die meisten der 64 lieder geliefert. Danach sind 20 nummern aus den drei teilen der Bergkreycn (Goedeke, Grundriss- 2, 28. 40 fg.) entlehnt, andre entnalim der samler fliegenden bliitteru des 18. Jahrhunderts und den ihm von Moser und Steinbart zugesanten aufzeichnungen aus dem volksmunde; zwei stücke des zweiten bandes sind dichtungen Simon Dachs, welche in Heinrich Alberts Alien stehen. Zu dem 2, 82 mitgeteilten „Vierlander baurliedlein " : „0 moder, o moder, min kucken is dod" sind die nachweise bei H. Frischbier, Preussische volksreime und volksspiele (1867) s. 18 fg. zu vergleichen. In dem 1669 angelegten liederbuche des Leipziger Studenten Christian Clodius (Berliner mscr. genu. oct. 231 s. 4) steht eine andere fassung nebst melodie:

Hey mutter, der finck ist todt.

Hätt ihr den fincken zu trincken gegeben.

So were der fincke geblieben am leben.

Der Sorgfalt des herausgebers entspricht die hübsche ausstattung, welche die Verlagshandlung dem werkchen hat angedeihen lassen. Der hohe preis wii'd freilich der Verbreitung im wege stehen. Dass die Seitenzahlen des originaldrucks nicht angegeben sind und das von Chodowiecki gestochene titelbildchen nicht widerholt ist, wird man leicht verschmerzen; bedauerlich aber ist das fehlen der teilweise von Reichardt komponierten melodien, um so mehr, als weder auf Erks (Die deutschen Volkslieder 2, heft 3 s. 14) bemcrkungen über dieselben noch auf spätere abdrücke in Kretzschmers und Zuccalmaghos samlung, in Erks Deutschem liederschatz u. a. liin- gewieseu wird.

BERLIN. ' JOHANNES BOLTE.

Eiue lausa^isa des Hrömundr halti,

die in der Landnäma (Isl. sögur I-, 162) und in der Flateyjarbok (I, 413) verderbt überhefeii ist, lässt sich folgendermassen herstellen:

Ne ^vi dogri da^^^i 'Roßki 'k litt, {)6t leiki

ÜYaug flatvallar hauga. UYvgndr He{)ins Ut]QX

buumsk vi{) Ihndx jaZmi! (ä|)r vas xitd^^v pwm.

kpY ne gser vas ra^inn. aldr) vi{) rauj)a skj^ldu.

1 Varat mer i dag daudi codd. edd. 2 di-augr codd. edd. {eine hs. der Landnäma drougar). 3 älmar jalmi eine hs. der Ldn. 4 vas] of codd. edd. 6 litvordr einige hss. der Ldn. uitiar Flb. 7 oss var adi- (ädr var oss Flb.) of markadr codd. edd.; vtum var ädr of vitadi* Jon po?'kelsson.

384 NACHHICHTEN

Zur ei-sten zeile, die iu deu bss. hendingalaus ist, vgl. ^Skirnisrnf^l 13^: einu do:gri rqnonk aJdr of skapaßr. Z. 7 hat iu deu hss. ebeufals keiueu silbeureiui. Die von Jou I'oikelsson vorgeschlageue coujectur enthält zwei metrische fehler, die durch die von mir vorgenomuieue uiustelluug entfernt sind. Ob die conjectur das richtige trift, ist natüi'lich ganz uusichei-: die Verderbnis liesse sicli alleufals auf dem wege der mündhcheu traditiou, schwerlich auf dem der schriftlichen erklären. H. G.

Zu zeitschi'. XXII, 93.

Zu dem aufsatze: Eine quelle des Simplicissimus (oben s. 93 fgg.) macht mich heiT dr. F. Bober tag darauf aufmerksam, dass er bereits in seiner Geschichte des romans (Ha, 27. 64 fgg. 93) über die benutzung des Gusman vou Alferache durch Grimmeishausen gehandelt hat. H. G. .

NACHRICHTEN.

Der verein für Hambui'gische geschichte bestirnt einen preis von 1000 mai'k für den besten bis zum 1. mai 1892 im manuscript eingereichten beiti-ag ziu- kentnis des anteils Hamburgs an der entwickelung der deutschen litteratur während der ersten halte des 18. jahrbunderts. Nähere auskunft erteilt der ei-ste Vorsteher des Vereins, di'. Th. Seh rader, Hambui'g, Eilbeck, Hmter der Land- wehr 6/7.

Die XL. versamlung deutscher philologen und Schulmänner wird vom 2. bis zimi 5. Oktober 1889 in Görlitz abgehalten werden. Die vorbereitenden geschäfte für die germanisch - romanische section haben professor dr. 0. Erdmann und professor di'. Gaspary in Breslau übernommen.

Professor dr. Fr. Vogt in Kiel wui'de als uachfolger E. AYeinholds an die Universität Breslau berufen.

An der univereität Leipzig habilitieile sich di'. ^". Streitberg füi- germanische

Philologie.

Am 28. april d. j. verstarb zu Gotha hofrat prof. dr. Karl ßegel (geb. 21. mai 1817). Die Zeitschrift betrauert in dem dahmgeschiedenen , der das di-uckfertige manuscript einer ausgäbe des Wühelm von Östen-eich von Johann von Wüi'zburg hinterlässt, einen ihi-er ältesten mitarbeiter.

Am 5. juli starb zu Berlin der litterai'historiker Wendelin freiherr von Maltzahn (geb. 10. mai 1815 j.

S. 128, z. 1 V. u. lies statt 68: nahezu 62.

Halle a. S. , Buchdrnckerei des Waisenhauses.

ZWEI VEESVERSETZinSTGEN IM BEOWULF.

901 915. Zu anfang dieses abschnittes wird ebenso unvermutet von Sigmund zu Heremod übergegangen, wie mit seinem Schlüsse ganz unerwartet wider auf Beowulf, von dem vor Sigmund die rede war, zurückgesprungen wird. Ferner bleibt das syntaktische vorhältnis zwischen 901 und den vorhergehenden versen durchaus unkhu'. iJiese, die sich auf Sigmund beziehen, lauten nämlich: 898 Se luces ivreccena ivide mcerost

ofer iverpeöde ivt-^endra hleö

ellend(Tdum: he J)ces dron ddh. Dann folgt unser abschnitt:

901 Siädan Ilerernödes hild sivedrode,

carfoct ond dien usw. Man hat diese Schwierigkeiten zu heben gesucht, indem man heremod appellativ nahm. Dies ist zuerst von Rieger in seinem lese- buche (s. 64 und s. 281) geschehen und im anschluss an ihn von Holtz- mann (Germania YIII, 491 fg.) weiter begründet worden. Unabhängig von beiden hat diesen gedanken neuerdings Heinzel in Steinmeyers Anzeiger X, 228 (vgl. jezt auch ebenda XV, 160 fg.) eifasst^ Und er erscheint im ersten nioment wirklich verlockend. Denn nun würde sich auch unser abschnitt auf Sigmund beziehen und sidäan schlösse sich aufs schönste an das vorhergehende, da es den bericht über ein späteres unglückliches abenteuer Sigmunds einleiten würde, nachdem vorher von einem früheren glücklichen dieses beiden erzählt war. Ja es scheint, als ob auch der alte Schreiber, der das von Cosijn (Beitr. YIII, 568) richtig widerhergestelte äron- ddh in rer onddh wandelte, auf die seite dieser auftassung träte. Wenigstens erhelte von hier aus der zweck dieser änderung, die gewiss nicht unabsichtlich geschah, wie der so entstandene gegensatz aT siddan zu beweisen scheint. Gleichwol kommen wir auf diesem wege nicht weit. Denn schon mit den folgenden weiter unten (s. 387) citierten versen geraten wir in die brüche. Sie lassen sich auf keinen andern als auf Heremod beziehen.

1) Auch Körner, Kölbiugs Engl. Studien I, 494 ei-wiigt emen ähnlichen ge- danken.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. 2o

386 JOSEPH

Heinzel ft-eilich weiss sie für seine aniiaivme zu retten, indem er sie als algemeine betraehtung ansieht. Aber ^Yi(lers])rieht dem nicht allein üäel SriihJiii^a 913? Dass hcycmufl sonst nii'gends als adjektiv vor- komt, sondern immer nur als name auftritt, davon darf man füglich absehen. Aber sehr entschieden muss darauf hingewiesen werden, dass das Avort auch im Beownlf als name erscheint und zwar an einer stelle, die unverkenbare anklänge an unsere hat. Hiermit bleibt denn auch an dieser der name zweifellos gesichert, und jeder erklärungsver- such, der die appellative bedeutung des wortes zu gründe legt, ist ein für allemal zurückzuweisen.

Es erhebt sich also nunmehr die frage, wie die nnebenheiten, die in syntaktischer beziehung wie im gedankengang durch das auf- treten Heremods entstehen, zu erklären sind. Bevor wir aber hierüber zu einer entscheiduno- kommen können, müssen wir unsern abschnitt, gesondert von seiner Umgebung, in seinem Zusammenhang in sich, beti'achten. Dieser versuch ist schon oft unternommen worden, ein- gehender von: Holtzmann, Germania YIII, 491 fg.; Müllenhoff, Zeit- schrift für deutsch, altert. XIY, 202, Beovulf, s. 50 fg. (119 fg.); Köh- ler, Zeitschr. f. d. phil. II, 315 fgg.; Hornburg, Die composition des Beowulf, s. 22 fg.; Dederich, Historische und geographische Studien zum ags. Beowulf liede, s. 207 fgg.; Körner, Kölbings Englische Studien I, 492 fgg.: Möller, Das altenglische volksepos in der ursprünglichen sti'ophischen form, 100 fgg.; Heinzel, Anzeiger f. d. alt. u. litt. X, 228. XY, IGO fg.; Bugge, Beiträge XII, 39 fgg. Ich vermag keinem der bisherigen foi*scher in jedem punkte beizutreten. Die verse 902'' ig^.:

he mid Eotenum ivearä 0)1 feonda ^eiceald forä forläcen, snüde forsended

fasse ich übereinstimmend mit Bugge, indem ich ebenfals von mid Eotenum zunächst absehe: „Heremod wurde durch verrat in die gewalt der teufel gegeben, schnell zur hölle entsendet." Ähnlich hatte schon Heinzel, Anzeiger X, 228 diese werte erklärt. Dann folgt (mit Bug- ges interpunktion) :

904 Jiine sorhivylmas

lemede to lan^e, he his leödum wearä, eallum oipelin^uin to aldorceare.

Bugge behauptet, dass der erete dieser beiden sätze sich auf das tun und ti-eiben Heremods in diesem leben bezogen und einen synonymen gedanken zum zweiten satz enthalteii haben müsse. Zu diesem zweck

VERRVERSRTZTTNGEN IM BEOWULF 387

schlagt er vor hine sorh/njlnfffs in sorhfrfjbna hriiic zu andern und übereezt dann: „durcli den griff der verzeln-enden sorge lähmte Heremod (das vnlk) zu lange (als dass es länger geduldet werden konte)." Die ausdrucksweise für diesen gedankcn wird niemand glücklich finden; auch vom syntaktischen Standpunkte ei-schiene sie auffällig. Ich sehe nicht ein, warum man den. satz, den Bugge mit so kühner conjektur bedenkt, nicht auf das leben im jenseits beziehen soll. Nachdem eizählt ist, dass Heremod in die höUe verdamt ist, wird nun von den quälen gesprochen, die er dort erleidet. Dasselbe geschieht ja auch in der andern Heremodstelle und hinc sorhinjlmas Jemede (oder mit Müllen- lioff 1cmedo)i) tu lan^e m diesem sinne würde hier dem entspreclK'U, was dort mit dredmlcds -^chad . . leodbeaio low^siim (1720) ausgedrückt ist. sorhirylm zur bezeichnung von höllenpein findet sich auch Güd- lac 1046.-

In diesem Zusammenhang erhalten denn die nun folgenden verse 907 918, die schon sehr verschiedenen vernuitungen räum gegeben haben, ein neues licht:

Sivylee oft bemearn cerran mceliiMj

sundfcrlipes siä snotor ceorl moni^,

sepe htm heahva tu Lote ■^clyfde, 910 l>ret pect dcödnes hcani ^epeön scolde,

fcpderapelum onfon, folc •^ehccddan,

hord ond hleöburh, hcelepa 7'7ce,

edel Scyldinga. Bugge, der am ausführlichsten über diese stelle handelt, übersezt: „so betrauerte oft in früheren zeiten des kühnen gang {sld) manch weiser mann, der bei ihm abhilfe des Übels hofte, (der es hofte,) dass des königs söhn gedeihen solte, empfangen des vaters adel und das volk verteidigen, den hört und die schirmburg, der beiden reich, den erb- sitz der Schildinge.'' Bugge will aus diesen versen einen gegensatz zum vorhergehenden teile herauslesen, insofern als mit cerran mceluni von fi-üheren zeiten aus dem leben Heremods gesprochen werde, wäh- rend vorher von späteren die rede gewesen sei. Die verse sollen besagen, dass Heremod nicht blos in späterer zeit, sondern bereits in seiner Jugend seinem volk anlass zur klage wurde. Und zwar dadurch, dass er eine kriegsfahrt in die fi-emde unternahm, anstatt zu hause seine herscherpflicht zu üben und seinem bedrängten volk erhofte ret- timg zu gewähren. Hiergegen nun ist einzuwenden, dass cüeser gegen- satz doch äusserst matt und nicht geeignet ist, das an dieser stelle so unerwartete zurückgreifen auf ein Jugendabenteuer Heremods zu recht-

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fertisren. Ferner aber würde auf das aben teuer mit eanz Unverstand- lieber kürze bezug genommen sein. Eine solcbe aber wäre liier um so weniger angebracht, als man aus der andern Heremodstelle entneh- men zu müssen glaubt, dass Heremod in seinen jungen jähren eher die hofnungen seines volkes geweckt als getäuscht habe; vgl. besonders 17 IG fgg., wo gesagt wird, dass er schliesslich traurig enden muste:

(teähpc liine niilffi^ ^od mcei^enes ivTjnnum,

eafepiüH stcptc, ofcr callc men

fönt ^efremede. Ich halte für Bugges gruiidfehler seine aiüfassung von skt Und dieses Avort scheint mir auch von allen übrieen forschern misverstanden oder ungenügend erklärt zu sein; Simrock, Grein, Kühler geben es mit „loos, geschick" wider, was niu' als notbehelf erscheinen kann, sut heisst hier „gang." Ä-ber es ist an dieser stelle nicht mehr plötzlich von einem neuen gang aus Heremods leben die rede, sondern es wird offenbar sein im ganzen vorhergehenden teil behandelter gang ins jenseits, sein heimgang, sein tod mit jenem worte bezeichnet. Aber wie konte der tod eines so verhassten herschers „manchem weisen mann" gegen- ständ des Jammers sein? Das beantworten 909 fgg. Mit recht behaup- tet Körner, Engl. stud. I, 493, dass die verse 910 igg. sich auf jeman- den beziehen müsten, der die herschaft noch nicht angetreten habe; also nicht auf Heremod selber gehen könten, von dem 1719 fg. mit den werten nallas beä^as ^eaf Deniini cefter dorne die ausübung des königtums klar berichtet wird. Demnach bleibt nichts übrig, als unter iteödnes hearn 910 den zur nachfolge bestirnten söhn Heremods, den er in der heimat zurücklässt, zu verstehen, und aus unsern vei"sen dürfen wir also entnehmen, dass in folge von Heremods plötzlichem tode feinde in sein land fielen, seinen unmündigen söhn des thrones beraubten und so der alten dvnastie ein ende machten. Hierzu nun stimt ti'efUch, dass Heremod in den angelsächsischen königslisten als leztes glied genant wird; vgl. Müllenhoff, Beovulf, s. 5 und 50 fg. Die feinde aber, die nach Heremods tod in sein land einfielen, werden dieselben gewesen sein, die er eben bekriegt hatte und bei denen er um seine kampfest üchtigkeit gekommen war, d. h. besiegt wurde und fiel. Hierfür nun passt kein anderes volk besser als ein benachbartes. Und daher ist mir nicht mehr zweifelhaft, dass unter den eotenas 902 nicht mit Bugge „riesen", sondern vielmehr das volk der Juten zu verstehen ist. Nach alledem übersetzen wir die vei-se 907 913 nun folgendennassen: ..Ebenso beklagte oft in vergangenen zelten den hin- gang des kraftmutigen manch weiser mann, der sicli durch ihn geschüzt

VERSVERSETZUNGEX IM BEOWÜLF 389

geglaubt hatte vor den Übeln (die nach seinem todo eintraten), erwar- tet hatte, dass dieses königs söhn gedeihen solte, empfangen die väter- liche würde, herschen über das volk, den hört und die schirmburg, der beiden reich, den erbsitz der Schildinge.''

Es blieb bisher der satz unberücksichtigt, an den sich die eben übersezten verse anschliessen :

905 he his leödwn ueant

ealliDu cej)elin^ii7u tu aldorceare. Wir sind erst jezt in der läge, diesen worten ihre richtige beziehung zu geben. Ich mache vor he 905 eine starke interpunktion und ü])er- setze dann: „Er ward seinem volke, allen edelingen zum herzenskum- mer, nämlich durch sein leben: Ebenso beklagte andrerseits seinen tod manch weiser mann" usw. Die verse 913'' 915 endlich bedür- fen in bezug auf ihren Zusammenhang keiner weiteren besprechung.

Ist somit der abschnitt in sich zur befriedigung erörtert, so dür- fen wir nunmehr sein Verhältnis zu den umgebenden versen betrach- ten. Hier nun ist durch den glücklichen gedanken ten Brinks^, dass 901 direkt mit 861 zu verbinden sei, ein neuer ausgangspunkt gege- ben. Mir ist nicht im mindesten zweifelhaft, dass ten Brink mit die- ser Verbindung den ursprünglichen Zusammenhang richtig widerher- gestelt hat. Denn nun finden sich, wie es der schluss unsres abschnitts verlangt, BeoAvulf und Heremod unmittelbar nebenein andergestelt. Und beide zugleich im vortrefUchsten gegensatz: Beowulf, der herbeieilt, um den Dänen in ihrer bedrängnis beizustehen; Heremod, der wegzieht und sie so in bedrängnis zurücklässt. Endlich schliessen sich auch syntaktisch unsre verse in ihrer neuen Stellung aufs beste an: „Beowulf war der beste kriegsmann auf erden, seit Heremod seinen kampfesruhm eingebüsst hatte.'' Jezt aber erhebt sich die frage, auf welche weise ist imser abschnitt von seinem alten platz getrent? Wie haben Avir es zu erklären, dass zwischen die verse 861 und 901 der passus 862 900 getreten ist? Ten Brink benuzt hier seine Varianten theorie. Er nimt an, dass in diesem zweiten Müllenhoff'schen liedc, in dem wir uns befinden, von einem ordner zwei Versionen contaminiert seien, eine volständige C, die den grundstock abgegeben habe, und eine unvolständige D, die daneben benuzt sei. Dieser leztern version ent- stamme der passus 862 900. 901 sei von 861 getrent, indem der Ordner das D- stück dazwischen geschoben habe. Ten Brink weist in seinen Vorbemerkungen (s. 4 fg.) auf diese steUe besonders hin, weil

1) Beowulf, Quellen und forschungen 62 (Strassbuig 1888), s. 60.

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hier die Verhältnisse so augenfällig lägen, dass sich die richtigkeit sei- nes Verfahrens für jedermann ergeben müsse. Ich will an diesem platze nicht algemeine Stellung zu ten Brinks variantentheoric nehmen. Aber ich glaube, dass er keine günstige stelle ausgewählt hat, um zweifelnde zu bekehren. Denn was müssen wir nun annehmen? Der Ordner reisst ein Satzgefüge mittenauseinander, trent ohne weiteres einen nebensatz von seinem hauptsatz, um einen zusammenhängenden complex von 39 versen dazwischenzuschieben: unbekümmert, in wel- ches syntaktische Verhältnis nun der losgelöste nebensatz gerät; unbe- kümmert, Avie es nun um die beziehung der pronomina im abgetrenten teil steht; unbekümmert endlich um alle gedankensprünge, die entste- hen! Ist da^ wirklich so selbstverständlich? Ist es vor allem selbst- verständlich von einem mann, der doch gelegentlich durch kleine änderungen seine arbeit zu verdecken bemüht ist, der im ganzen wol- bedacht und recht geschickt verfährt, nicht selten so rafüniert, dass es in der reihe gelehrter, scharfsinniger, gewissenhafter forscher erst ten Brinks bedurfte, um die fremde band herauszuerkennen? Demgegen- über möchte ich nun ein mittel vorschlagen, dem man Avenigstens die einfachheit nicht absprechen wird. Ich nehme nur eine kleine Umstel- lung vor, indem ich die verse 900 915 heraushebe und nach 861 einsetze, also folgenden text aufstelle:

i)cer ivces Beöwalfes

mceräo mcmed: moni-^ oft ^ecivceä,

pcette säet ne norä he scem ticcönum

ofer eornienyand öper nceni-^

u ltder sice-^les (je^ou^ selra ncere, 861 rondhcehhendra rlces icyrära, 901 sktäau Ileremödet; hild siceärode,

earfoä ond eilen. He ?nid Eotenuvi ireard

on feöudu ^eiceald ford forldcen,

snüde foi^sended: hine sorhivylinas 905 lemedon to km^e. He Ms leöduni weard

ealltun cej)eli?i^um aldorceare:

sivylce oft hemearn cerran mceliim

sicidferhpes sid snoior ceorl moni-^,

sejje hiin bealwa to hole -^eli/fde, 910 pcet l>cct äeödnes bearn -^ejjeöit scolde,

fcedercepeluhb onfon, foh ^eheaklart,

hord ond hleöhurh, hcelepa rlce,

edel Sc/jldin^a. He Jjcer eallwu iveard,

VEKSVEKSETZUNGEN IM BEOWULF 391

Did'-^ Ili-^eldccs tnanna cfjnne, 915 frcönduin ^effo^m: lilnc fifvcn onicöd. 862 Sc lue hänt wlucdriJäoi uilit nc lu^ou,

^Icedne Hrdä^dr, ac pcet ivcea ^od ctjitin'^.

Hicthuu hvaporöfc hledpan Utoii, 865 on ^cflft farart fealive mearas

äcer M/N fohlire^as fce^cre J)H]ttoii,

cyatutii ende; liivilutn eyitin'^es pe^f/,

^tima -^ilphkeden, jldda ^efn?j7idi^,

seäe ecdfela ecdd-^ese^ena 870 2Cor7i ^einimde, icord öper fand

söäe •^ehnndcn: sec^ ef't ow^an

siä Beöwidfes sni/ttrnm styrimi

ond on sped tvrecan spei "gerade,

icordnni wrlxlmi, tvelkinjlc ^ecicceä, 875 pcet he fram Si^eninnde sec^an liyrde

ellendcediun, uncüpes fela,

Wcelsin^es ^eivin, ivlde sutas,

pärape -^limena hearn ^earive 7ieiviston,

fcchäe ond fyrcna, hiiton Fitela 7nid hine, 880 ponne he swulces hivcet sec^an icolde

eäin his nefan, swa hie ä ivceron

cet nlda -^ehwäm Jiyd-^esteallan.

Hcefdon ealfela eotena cymies

sweordwn ^esce^ed. Si-^emunde ^esjxron^ 885 cefter dedä-dce^e dorn unlytel,

sypdan iv'i-x^es heard icyrm dcicealde,

horded hyrde: he under hdrne ntdn^

cepelinyes hearn dna ^enedde

frecne dcede: ne was him Fitela nnd; 890 hwcepre him ^escelde, dcet pcet siviird pnrhwod

tvtretlicne wyrm, Jjcet hit on n'ealle cetstöd,

dryhtlic iren: draca moräre ^wealt.

Hcefde ä^lceca eine ^e^onyen,

pcet he heähhordes hriicaii moste 895 selfes dorne; scebdt ^ehlod,

beer on hearm scipes beorhte frcetiva

Wcelses eafera: wyrm häte mealt.

Se wces ivreccena wide mcerost

ofer werpeode, ivi'^endra kleö

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900 cJlendädiim: he pces arou ädh. 916 Hu'ilum flftendc fealwe strcete mearum tnatoii.

In der obie-en ordiuuii;' ti'eten also an drei stellen neue verhin- düngen ein: zwischen 861 und 901, zwischen 915 und 862 und zwi- schen 900 und 916. Dass 901 an 861 den besten und einzigen anschluss findet, ist schon besprochen. 862 fg. aber gewinnen in ihrer jetzigen stelhing eine ganz eigene bedeutung. Denn nachdem Beowulf eben auf kosten eines vergangenen Dänenkönigs gelobt ist, erscheint das komplinient für den gegenwärtigen hersclier als nicht übel berech- net. 916 endlich folgt auf 900 ebenso gut wie auf 915. Sehen wir uns nun den grossen Zusammenhang an! Auch liier fügt sich alles nach schönstem wunscli. Auf Beowulfs trefliclikeit fält von zwei ver- schiedenen punkten aus licht: einmal, indem er sich im gegensatz zu einem besonders berüchtigten beiden Heremod befindet; und darauf, indem er in gleiche Stellung mit einem besonders berühmten beiden Sigmund tritt!

Die richtigkeit unsrer Ordnung erhält nun aber noch aus einer stelle, an deren erklärung man sich bisher vergeblich versucht hat, wilkommene bestätigung. Es handelt sich um die verse, mit denen zmn zweiten lobe Beowulfs übergeleitet wird, 870 fgg.

tcord Oper fand söde •gebunden: sec^ eft oif^an skt Beöwidfes siiyttriirn styi^ian. Was sollen wir in der überlieferten Ordnung mit dem wort öper 870 anfangen, das hier ebenso unverständlich erscheint, wie das dann fol- gende eft? Heyne bemerkt im glossar unter fiiidan: „er fand andre werte, d. h. er ging zu einer andern erzählung über." In seinem texte war vorher gesagt, dass Beowulf gepriesen wurde und hier wird wider gesagt, dass Beowulf gepriesen wurde. Wie kann man d^ von einer „andern" erzählung reden? Man hat sich denn auch fast algemein durch ände- rung des textes hier zu helfen gesucht. So Rieger, Ztschr. f. d. phil. m, 390. Er übersezt uord öper fand söde "^ebuiulen „ein wort fand das andre, richtig gebunden'', und ändert, cUesen satz in parenthese stellend, das folgende sec^ in sec^an. Bugge, Ztschr. f. d. phil. IV, 203 schliesst sich ihm an. Grein ändert word öper in irordhleöper und ihm folgt u. a. Holder in seiner ausgäbe. Bei ten Brink fält der anstoss weg, indem er 870^^ 874* als eine Interpolation innerhalb der Version D ansieht. In unserm Zusammenhang nun bedürfen wir keiner änderung noch irgend einer deutelei. Die verse sind auf den

VERSVERSETZUNGEN IM BEO^V^JLF 393

ersten blick verständlich: die ,, andre" rede, mit der hier der Sän- ger das lob Beowults Avideraufiiinit, ist die Zusammenstellung mit Sigmund, welche er der eben vorangegangenen mit Heremod fol- gen lässt.

Bei so alseitiger zusammenstimmuiig muss die frage, wie die Umstellung der besprochenen beiden versgruppen zu erklären ist, als eine nebensächliche erscheinen. Dass Verderbnisse dieser art in alten band schritten vorkommen, ist eine widerholentlich belegte tatsache. Ich gestatte mir auf einen fall hinzuweisen, den ich selbst in Konrads von Würzburgs Klage der kunst^ aufdecken konte. Hier Hess sich auch mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die entstchung der Verderbnis zeigen, ^lan darf wol auch in unserm fall annehmen, dass ein schreiber die stelle an ihrem richtigen platz vergass, an einem späteren nachholte und dadurch verursachte, dass ein neuer schreiber sie falsch einsezte.

Ich glaube, dass erst mit der obigen herstellung unsers textes die richtige grundlage für die höhere kritik, d. h. für die bctrachtung der Innern geschichte dieses teils gegeben ist. Dass aber eine solche betrachtung hier wie im Beowulf überhaupt am platz ist, dass wir in diesem gedieht kein einheitliches werk vor uns haben, das meine ich nach den arbeiten Müllenhoö's, Möllers und ten Brinks unbedenklich annehmen zu dürfen. Heinzel, der in seiner recension von ten Brinks buch- einen entgegengesezten Standpunkt vertritt, hat mich in keiner weise überzeugt. Gewiss wird jeder philologe der von ihm s. 181 erhobenen forderung zustimmen, dass man jedes dichterische werk nach seinem eigenen massstab beurteilen müsse. Aber ich behaupte, dass er sich leider selber gegen diesen grundsatz versündigt hat, indem er zur erklärung des Beowulf ein material heranzieht, das durchaus ungleichartig in sich ist.

1404 1407. Diese verse stehen ebenfals in MüllenhofTs zwei- tem liede. Grendels niutter hat in der nacht einen genossen des königs Hrodgar, Äschere, hin weggeschleppt. Beowulf tröstet den klagenden könig mit dem versprechen, die feindin in ihrem verborgenen schlupf- Avinkel aufzusuchen. Und so macht man sich sofort auf den weg:

pd ivces Hroä^dre hors ^cbceted, 1400 wic^ wundenfeax: uisa fengel ^eatolic ^en^de, -^umfepa stop

\) Quellen und forscliiingen 54, s. 4 und s. 86.

2) Anzeiger für deutsch, alt. u. deutsche litt. XV, 1.53 fgg.

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liiidluebboidm. Ldstas wceron

ceftvr fralih'frapff/fi widc T^csyiie.

3a/t(j ofcr -^r (Hl das, ^e^mini för 1-105 ofcr nnjrcan mör, nia^opc^na beer

pone selestau säwollcdsne,

J)drape mid Hröä^drc hdiii cahtode.

Ofercöde pd cepdirf^a bccuii

stedp stdjtliUdo, sti^e ficarwe, 1410 en;^e oNpadas, uncuä ^eläd,

ncoicle ncessas, nicorhilsa fda.

Die gespert gedruckten verse fallen völlig aus dorn Zusammen- hang, da sie einen im gange der begebenheiten bereits erledigten mo- ment noch einmal in seinem geschehen hinstellen. Bugge (Beiträge 12, 94) sezt daher, indem er einen gedanken von Sievers (Beiträge 9, 1-10) aiünimt, hinter 1403 ein komma, fasst ja/^j 1404 als Substantiv und ergänzt vor dem zweiten halbvers 1404 hiccer heö. Ihm stimt ten Brink (s. 77) zu. 1402 1408 würden also nun besagen: „Die spuren waren längs den waldstegen weithin zu sehen, der gang über die getilde', wo sie hinweg gefahren war über das moor und den besten der ritter seelenlos getragen hatte, derer die mit Hrodgar die heimat berieten," Abgesehen von dem schleppenden und nachhinkenden rela- tivgefüge, das wir so erhalten, so ordnen sich die verse für den auf- merksamen leser auch jezt noch keineswegs ein. Denn betrachten wir die unmittelbar folgenden verse 1408 1411, so erscheint für die land- schaft, die hier geschildert wird, doch gerade die Unübersichtlichkeit charakteristisch. Wir sollen sehen, wie mühsam sich Beowiüf den weg durch verborgene pfade, in fortwährendem auf und ab suchen muss, ehe er an sein ziel gelangt. Wie passt nun dazu die eingangs- bemerkung, dass die spuren des Ungeheuers weithin bis zimi endpunkt denn dieser liegt doch beim moor zu überblicken waren? Von ähnlichen erwägungen ist vermutlich auch ten Brink ausgegangen, wenn er s. 77 von unsei"n versen sagt: „die stelle gehört auf keinen fall zum kern von C.^' In der tat, wir wüi'den nicht das geringste vermissen, wenn wir sie ganz wegliessen. Vielmehr würde dcuin in durchaus folgerichtiger weise zuerst vom wald, darauf vom wilden gebirge und mit 1412 fgg. von dem getilde gesprochen, das zum meer, dem behausungsort des Ungeheuers, führt.

Lassen wir aber nun einmal unsern blick auf denjenigen teil des gedichts hinübergleiten, an dem die eben von uns ausgeschiedenen

VERSVEESETZUNGEN IM BEOWULF 395

verse zeitlich am jilatze waren, auf die verse, die uns Grendels mutter in der ausführiuig ihrer untat zeigen ^i

1280 cicer sdra nearä

ecUffct/rff, corhitn, sijxfan huic f'ealh

1282 3reif(Ues mödor. Xces sc ^rfjre Iccssa:

1291 llrüitc /tcö frjH'lfN^a diinc kcrfde

fcesle bcfatf^en,, pd hcö tu f'ennc ^(m^.

Se ivccs Hrop-^dre hcelepa leöfost

on ^eb'fctes lidd he sehn ticeömint,

rice rcuidici^a, ponedc heö on rceste dbredf,

blcedfa'stne beorn: nccs Beöiculf äccr.

Nachdem mit den werten pd heö fennc ^a/i^ 1295 bereits der abzug des Ungeheuers beschrieben ist, erscheint es nicht passend, dass der dichter hinterher ganz nebenbei in einem relativsatz noch ein neues moment des raubes bringt, nämlich mit den Avorten poneäe heö on ra'ste dbredf 1298. Ten Brink ändert daher fenne in on flette. Hierdurch wird die chronologische folge der begebenheiten in sehr hübscher weise gew^ahrt. Indessen es ergibt sich eine andre Schwie- rigkeit, die ten Brink sofort zu einer weiteren hypothese nötigt: „Zwi- schen 1298 und 1299 dürften dann eine oder mehrere Zeilen ausgefal- len sein, wenn nicht der alte dichter über der Charakteristik Äscheres und dem Übergang zu Beowulf Grendels mutter vergessen, d. h. ihren abgang zu erwähnen unterlassen hat/' (S. 75 fg.)

Ich meine, die verse 1296 1298 tragen zu deutlich den Cha- rakter eines nachträglichen eiuschubs, als dass hier besserungsversuchc zum ziel führen könten. Scheidet man sie nun aber wirklich aus, so ergibt sich ein merkwürdiger fall, der einzig innerhalb des Beowulf dasteht. Denn w^enn sich sonst nach herauslösung fremder elemente die zusammenrückenden teile ohne weiteres oder doch nach leiser änderung aneinander schliessen, so bleibt hier syntaktisch sowol Avie inhaltlich eine klaöende lücke. Aber, ich glaube, es gibt eine sehr einfache erklärung dafür: die klaffende lücke fand eben ein Schreiber vor, und er suchte sie durch die verse, die wir jezt an ihrer stelle sehen, in seiner weise auszufüllen.

Hatte dieser mann es aber wirklich nötig, seine eigenen kräfte zu versuchen? Vergessen Avir seine verse! Erinnern wir uns jener früheren, die uns an ihrer stelle so widerspruchsvoll und entbehrlich

1) 1280—1204 nach teu Briuks. wie ich glaube, glücklicher herstellimg des textes (s. 75).

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erschienen! Nehmen wir sie von ihrem alten platz und setzen sie mit zwei wir also:

mit zwei kleinen änderungen hier in unsre ofne stelle ein, schreiben

Hraäe Jfeö ccpclin/^a cbme hcefde 1295 fresfc hcf'nu'^en: pd heö fenne eft 1404 jaMj [z^f'^^Z] oß^' Z^'iifidas, ^e^/iwn f'dr

ofer myrcan Dior, nia^opegiia beer

poiie selesfa/i sdicolledsiie 1407 pdraj)c ))ihl Hröd^dre hdvi cahtodc, 1299 blcedfu'sUie beorn: nces Beöivulf äcer,

so haben wir auch hier eine tadellos fortschreitende und geschlossene erzählung, in der in knapper und der Situation angemessener weise der abgang von G^rendels mutter geschildert wird.

Ich zweifle demnach nicht, dass die verse 1404 1407 ihre ursprüngliche Stellung zwischen 1295 und 1299 hatten.

Hier nun sehen wir eine kleine gruppe von vier versen um mehr als hundeif vei-se von ihrer ursprünglichen bestimmung getrent. Da erscheint die frage wolberechtigt, wie eine solche Verderbnis entstanden sei. Ich gedenke bei andrer gelegenheit nachzuweisen , dass zwischen dem jetzigen und früheren platze unsrer verse eine bedeutende interpola- torische tätigkeit statgefunden hat, und dass nur folgende teile als ursprünglich anzuerkennen sind:

1311 1813. 1816 1334. 1341 1344. 1383 1385. 1390 1394. 1399—1403. Im ganzen 39 verse i. Und mehr waren auch nicht vorhanden zur zeit, als die Umstellung der verse geschah. So konte denn diese durchaus innerhalb einer imd derselben seite vor sich gehen und ver- liert damit ihren auffälligen Charakter. Wir dürfen vielmehr nun ähn- liches wde vorher annehmen. Ja diesmal sind wir in der läge, uns bestimtere vorstellmigen zu bilden.

Zunächst können wir schliessen, dass der Schreiber, der die aus- lassungssünde begieng, seine verse nicht absezte, sondern fortlaufend schrieb. So wenigstens erklärte sich, dass die lücke nicht nach schluss, sondern nach dem ersten werte eines verses eingetreten ist. Dieses erste wort aber, nämlich ^an^, ist nach unsrer einordnung doppelt vorhanden, indem es auch am eingang der umgestelten verse steht, so dass wir es hier streichen musten. Liegt es da nicht nahe, in diesem

l) Ich bemerke, dass ich statt huaiper 133] mit Bugge (Beiträge 12, 03) hicider lese.

VERSVERSETZUNGEN IM BEOWULF 397

zweiten ;^an^ nur ein merkwort zu sehen? Einen hinweis, mit dem der Schreiber andeuten wolte, hintei' welches wort im texte die fol- gende stelle einzuschalten sei? So würde uns also in dem zweiten ^mi^ noch ein sehr bestimtes anzeichen dafür vorliegen, dass die verse in einer fi-üheren handschrift an einer von ihrem eigentlichen platz entfernten stelle nachgetragen waren. Aber noch mehr! Es würde sich zugleich aufklaren, warum die iiachgetragenen verse später falsch eingesezt wurden. "Wie leicht nämlich konte ein neuer Schreiber über- sehen, dass ^a?!-^ nur merkwort sei, und es so zum texte selber rech- nen! Und nun freilich lag für die einsetzung der verse jeder platz näher, als gerade der richtige! Nehmen wir an, dass die verse am schluss der seite nachgetragen waren, so beliess der schreibor sie viel- leicht da, bezog sie an der stelle, wo er sie zufällig fand, in den text ein. Aber wahrscheinlicher ist mir, dass er mit guter Überlegung verfuhr, als er die verse an ihren jetzigen platz rückte. Denn nach- dem der richtige ausgeschlossen war, wo konten sie wol passender unter- gebracht werden? Hier fügten sie sich am leichtesten ein und erfül- len zugleich in befriedigender weise eine erwartung, die, wenn man den grossen Zusammenhang nicht beachtete, durch 1890 fg. ^ angeregt werden konte. Wie geschickt aber der Schreiber diesen platz gewählt liat, erhelt wol am besten daraus, dass kein forscher bis auf ten Briiik unsere verse an ihrer stelle beanstandet hat.

Um unsre neuordnung zu ermöglichen, bedurfte es mit dem

werte cft 1295 noch einer kleinen nachbesserung. Ich hoffe, dass

dieser umstand der vorgetragenen Vermutung nichts an gewähr neh- men wird.

STRASSBURG, JUNI 1889. EUGEN JOSEPH.

LTEDEKHANDSCHEIFTEN DES IG. UND 17. JAHR-

HÜNDEETS.

DAS LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEYE.

Uhland verzeichnet unter den quellen seiner volksliedersamluncj (1844 s. 974) ein im 16. jahrlnindert entstamlenes liederbiich der her-

1) Diese verse lauten nämlich:

Ar^s rices iceard! läan ra^e feran fremdes mu^an ^anö scedivi^an!

398 ROLTT?

zogin Ammch'a \n Cleve, ans dem er sieben mimmern (55. 05. 79h. 80. 81. 194. H12) cut)wn)me)i hat. SeifJfer hat, soweit ich sehe, nie- mand sich nnf ilasseJbe Ijclihnniert; nar Bö/nne ividerltolt in seinem Attdcatsclien liederlnich (IST? s. 774) die lairxe noti\ Uhlands. Eine eingehendere nachricht irird daher an dieser stelle, hoff'c ich, nicht anirilhommen sei)?.

Die orif/inalhandschriff girng nm 1824 ans dem hesitxe der antiquare Goldsclfmidt a)id Winfpfen in Fra}ilfiirt a. M. hi den des dortigen ar\tcs dr. Georg Kloss über ainl u-urde später von ihm nach Fngknnl rerhanft. Wahrscheinlich befindet sie .sich dort noch i)n priratbesitx ; im Britischen miisenm ist es mir wenigstens nicht gehingen sie xn entdeclen. Unsere kentnis bernht somit allein auf einer abschrift , welche Kloss 1825 von einem .schneidergesellen Jacob Lepper anfertigen Hess und welche auch Uhland benuzte. Sie gehört jezt der .stadtbibliothek zn Frankfurt a. M.^. Der kopist hat seine rorlage offenbar ohne verstä}ulnis , aber sauber fmd sorgfältig nach- gemalt. Leicht crkldrliche lesefehler sind f für f. dan für dair, heuen für lieuen, I für A n. a. „Einige gedicltte", bemerkt Kloss am 15. sepjt. 1841, „waren so sorgfältig mit dinte ausgelöscht, dass sie niclit mehr zu entziffern ivaren." hn ganzen enthalt die abschrift 33 lieder geistlichen iiml weltlichen inhalts; die nummerierung rührt vielleicht erst von Kloss her, da nr. 20 und 21 zusammen ein Med bilden und ziveimal fälschlich Z2vei oder drei verschiedejie lieder unter derselben nummer (22 und 28) ziisammengefasst worden sind.

Auf die ursprüngliche besitzerin und samlerin weist die hinter nr. 27 stehende Unterschrift: „Ammellga geboren hertz.zicheyn %o cleve jullych und berg." Die folgenden lieder 28 31 icurden sicherlich er.st später von einem andern Schreiber aufgezeichnet , ivelcher durch .seine wunderliche häufung der konsonanten, wie ss, fF^ tz i7n anlaut, td statt (\, und andere orthographische eigentümlichkeiten auffäll; vielleicht ist sein name in def)i unter nr. 30 stehenden lettern „M. H. E." verborgen. Die pi'inzessin Amalie- war als die jüngste tochter des herzogs Johann IIL von Jülich- Cleve- Berg am 14. nov. 1517 geboren und lebte 7iuch dem 1539 erfolgten tode ihres vaters am Jwfe ihres hruders, des herxogs Wilhelm (1516 1592), zu Cleve, Dilssel-

Ij ..Liederbuch der Ammellya gebornen herxogin zu Cleve, Jülich und Berg, Abschrift des Originals gemacht im Jahr 1825."' 24 bl. fol.

2) Herr professor dr. TT. Creccliiis in Eiber feld hat die gute gehabt, mir einige nachiceise über diese filrstin xu geben.

LTEDET^BUCII DER nET?Z0OrN A^fALIA VON CLEVR 899

(lorf, Brnshcrg , Burg //vd cnidrnn'/rfs. Sie hlieh unvermüliU find hielt bis ^n. ihrem ende (1. märx 1580) au dou profestan fischen hekentnis fest, irie sie ancJ/ die iochtrr ihres hrnders, der sieh den römisehgesinfc)} in dir armr (jororfoi halte, beicog , der reforn/ierten lehre treu zu bleiben. Einiiicrnuissen aaffiillig ist es daher, dass unter den fünf c/eistliehen licdcrn vnsrer Inindsdirift (nr. 1. ,}. G. 19 21) sich anch ein gebet an Maria befindet. Die 27 ntn'igen )(n)n- inern sind sämtlich liebeslieder; ihr thona ist n/eist das scheiden and meiden, seltener die härte der spriklot angebeteten; viermal (nr. S. 0. 11. 12) begegnet die seit dem erwaelten der ritterlichen mi^inepoesie beliebte form des tageliedes. Der text xeigt xahtreiclie rerderbnisse, von welchen nur ein teil dem modernen absch reiber xur last jalloi kann. Nicht bloss ist metrnm und reim öfter stark vernachlässigt, es i.st auch die spräche ein venrildertes gernisch von niederrheinischon und hochdeutschem diaUkt. Wenn nun Uhland, in den von ihn aus- geuiihlten nummern einen glatten, lesbaren text herxustelkn suchte.^ .w hielt es der heransgeber der nach folge }iden stücke für seine aufgäbe, 'xunächst die ilherlieferung selber vorzulegen und. nur i)i den notwen- digsten fällen von ihr abzuweichen. Mehrfach bleibt der simi freilich noch dunkel und, muss durch weitere textbesser ungen widerhergestelt werden. Zwischen den liedern sind , wie hau fug in liederljüchern Jener zeit, kur^e reimspriiclie eingetragen, so bl. hc

Heit jch mich vor vcrsuiion, des ich mich na versau, jch en heid ne begonen, des jch begimen lian.

Ich qiiaem gegan[g]en in eyn lant, jcli vaint gescriven aen dei want: Wait dich neit annegeit, dat la stan, da et steit.

Yeil gejaget und wenich gevangen, veil gehoyrt und wennich verstanden, veil geseyn und wennicli meircket, dat seiut ael verlaren wercken.

Bl. 18a Stede und stylle

dat ist myn wylle.

Es mag nun ein inhaltsverzeichnis der liedersamlung folgen U7id diesem sich eine auswahl von 14 noch uidtekanten nummern anschliessen.

3 sfr. \

f(

lifhsfoi.

3.

12 Str.

\N

clienJicd

3,

400 BOLTE

1. Bl 2a Want alle dyngcn an gade staent,

des sülleu wvr vnß besynucu. 13 str. ^u 12 'xeiJoi. Untoi nr. I: WeilmachtsUed.

2. BJ. 3h Idt loufet alltzomaüe

die leufergyn yn dat gras. S r. UJfIa?f(I, Voihslicdcr nr. 65. Äbschml von der

Bl. 4h Mit diesen nnwen jare so wirt vns offenbaire. 4 r. Xeffjahrsh'cd. Vr/I. Wache rncui el , Das deutsclie kir- , 917 ur. 1090. Bäumler, Das hathoUsclte deutsclie kirchen- Ued 1, 356 und ViertcIJahrsschn'ft für })nisihu'isscnschaft 4, 245. Iloffwatui rofi Fallerslehe7i, Niederländische geistliche lieder 1854 91 r. 1 2. Ilölscher, Kd. geistliche lieder und spräche aus dem Mün- sferlaude 1854 s. 27.

4. Bl. 5a Ortliches ort, myn einiges wordt,

eyne crone bouen allen wyfen. 4 str. \u 8 .^. Unten nr. V: LiehesgUich Eine gleich fals vier- strophige fassung „Artliclier hört, du min einigs ein, ein krön ob allen wiben'* mit dreistimmiger mclodie liegt hsl. in Basel (F VI 26 nr. 8).

5. Bl. 5 h In liefden ist myr my[n] hertz verbrant

nae eynem vreuwelyngh stoiütz. 10 str. XU 8 X: Unten nr. XIII: Die tmgetreue.

6. Bl. 6 h Myt gantzem ellendigem hertzen

klage ich, klage ich myn sunden groys. 8 str. zu 9 z. Unten nr. II: Gehet an Maria. Zu gründe liegt eine in fliegenden hlättern verbreitete weltliche tageweise:

Mit gantzem elenden hertzen Klag ich mein schweres layd. Ich ste in sorgen vnd schmertzen: Ach wechter, gib mir beschaydt! Hilff mir die sach besynnen, Das ichs fach weyslich an, Das ich mit lieb sey drinnen, Das mein niemants Averdt innen; Trewlich wil ich dir Ionen. (8 str.)

Die Berliner bihliotheh hesixt vier druckß des 16. Jahrhunderts in oktav (Yd 8917. 8986. 8991. 8992) und einen in folio (Yd 7801, 49). Auch eine ebenda befindliche liederJiandschrift aus der ersten hälfte

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 401

des 16. Jahrhunderts (Mscr. germ. (piart TIS, hl. 10b) entMlt das lied, ebenso Cod. palat. germ. 343 (je>J 171) bl. 49a.

7. Bl. 7a Ade, myt leyde

ich van dyr scheide. 3 str. zu 9 %. Liebeslied. Vgl. Ocglins Ucderbnch 1512 nr. 18. Ott, Lieder 1534 nr. 3. SckmcUxl, QiiodUbets 1544 nr. 7. Frank- furter Uederbnch 1582 (nendruck von Bergmaiui. Stuttgart 1845) nr. 177. Cod. palat. germ. 343 (jext 171) bl. 58b. Berliner lieder- handschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) nr. 102. Mscr. germ. oct. 237., bl. 4a. Tschiidis liederbiich (St. G aliener cod. 463). Hoff- mann, GeselschaftsUeder- nr. 154 (nur eine str.). Eine melodie in Amerbachs liederbuch (Basel F IX 22) bl. 42a.

8. Bl. 7b Der morgens sterne der hait sicli uf gedrongen; wie lüde, wie lüde dat vns die fogel sungen.

9 str. zu 4 z. Tagelied. Uhland nr. 79b. Vgl. Niederdeutsche Volkslieder (Hamburg 1883) 7ir. 57. Böhme, Altdeutsches liederbuch nr. 108. R. Eitner, Das deutsche lied des 15. und 16. jhs 2, 173 (1880). Bartsch, Gesammelte vortrüge und aufsätze 1883 s. 294 fg. Geistliche umdichtung bei Wackernagel, Das deutsche kirchenlied 3, 689 nr. 797.

9. Bl. 8a Es daget wonencklichen,

waile schynet der heller dach. 3 str. zu 9 z. Unten nr. VI: Tagelied. Die anfangszeile Icehrt häufig in gleichartigen liedern und deren geistlichen umdichtungeji wider, z. b. bei Wackernagel, Das deutsche kirchenlied 2, 535 nr. 709: „Es taget mimiecliche die sunn der gnaden vol."

10. Bl. 8a Ayn biieler moyß [s]ich lyden vyll,

des byn ich ynnen worden. 7 str. zu 8 z. Unten nr. XIV: Loos des buhlers. Auch in der Berliner liederhandschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) nr. 123 (str. 1 4. 6. 7. 5).

11. Bl. 9 a Uis gantzen we klaget sich eyn hylt

yn stre[n]ger hode verborgen.

10 str. zu 9 z. Wächterlied. Böhme nr. 111 7iach G. Forster 1549, 3 ?ir. 13. Koch eine Darmstädter hs. (Monatshefte für niusikgeschichte 20, 71) ist benuzt bei Arnim und Brentano, Des knaben lüunderhorn 1, 284. 554. In Berlin (Yd 8925. 8929. 8930) drei einzeUrucke : Nürnberg bei K. Hergotin und F. Gutknecht und Magdeburg bei P. Kempff. Berliner mscr. germ. qu. 718 nr. 8. Eitner, Das deut-

ZEITSCHEIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 26

402 BOLTE

sehe Ued 1, 39 nr. 143. Eine geistliehe parodie hei Waekernagel 2, 929 nr. 1156. Bäumker 1, 254 nr. 10. 2, 362 nr. 413.

12. Bl 10 a Der wechter der bließ an den dach

np hoger zynnen, dair er lach. 7 str. XU 6 X. Wächterlied. Franlfurter liederhHch 1582 nr. 155. P. V. d. Acht, Blum vnd Aiißbundt 1602 nr. 109. Görres, Altteut- sche Volks- und meistcrlieder s. 115. Niederrheinisclies liederbuch von 15 74 (Berliner niscr. germ. qu. 716) nr. 39. Vgl. Uhland nr. 80. Böhme nr. 102 a. h. Yxems liederbuch (Berliner rnscr. germ. fol. 753. 1575 im Oldenburg ischen oder Osnabrückischen angelegt; vgl. Balte, Altpreussische monatsschrift 25, 333) nr. 54. Nd. Volkslieder 1883 nr. 115.

13. Bl.lOb AVuelde got, dat idt geschede

zu diesem nnwen jair. 3 str. XU 8 X. Unten nr. III: Liebeswerbung.

14. Bl. IIa Wat wyrt es doch des wonders noch.

7 str. XU 8 X. Liebesklage. Frankfurter liederbuch 1582 nr. 21. P. V. d. Aelst 1602 nr. 176. Mit L. Senfls melodie in Otts liedern 1534 nr. 45 46 und bei G. Forster, Liedlein 1 (1539) nr. 24 und 5 (1556) nr. 51. J. Beiner, Lieder 1581 nr. 26. Fl. blatt Nürn- berg F. Gutknecht (Berlin Yd 9637) und o. o. (Ye 209). Cod. pakit. germ. 343 (jext 171) bl. 135a. Tsehudis liederbuch (St. Gallen 463) 78. Melodie in der Baseler liederhs. von 1560 (F X 17—20) nr. 26. Xd. auf einem fl. bl. der Berliner bibliothek (Ye 437). Geistliche umdichtungen bei Wackernagel 2, 1077 nr. 1309. 3, 780 nr. 920. 4, 77 nr. 131. Eine parodie in Botenbuchers Bergkreyen 1551 nr.l9: „"Was wird es doch des trinckens noch."

15. Bl. IIb Die eirste freud, die ich ye gewan,

ys mir zo truren kamen. 5 str. xu 7 X. Liebeslied. Uhland nr. 194 gibt auffcdlenderweise nur die beiden texten Strophen: „Och meetgen, wat hait dyr der rocken gedayn"; vgl. Eitner 1, 57 nr. 269. Das volständige Ued hocMeutsch nach einem fl. bl. (Yd 9293) bei Böhine nr. 209. P. v. cl Aelst 1602 nr. 170. Cod. pjalat. germ. 109 (jext 66) bl. 105b. Xld. in einer Weimarer hs. von 1537: Weimarisches Jahrbuch 1, 103 nr. 8. Eine geistliche parodie bei Wackernagel 2, 1049 nr. 1285.

16. Bl. 12b Aen dich kan ich niet freiiwen mich.

3 str. XU 8 X. Liebeslied. Frankfurter liederbuch 1582 nr. 34. Fl. bl. Xilrnberg, V. Xeuber (Berlin Yd 9911). Züricher liede7^hind- schrift G 438 bl. 411b.

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALI A VON CLEVE 403

TT. Bl. 13a Ocli schevden brennt mvr swer

vnd niaclit mich gantz traurigklich.

3 str. XU 8 x. Unten nr. VIT: Auf tridcrschen. Äurh nd. in einem fl. bl. Yiir hübsche Icde, WiilffcnbütU'l by Conrad Hörn (Yd 8719) : Nu scheiden brins-et my swer."

T)

18. BL 13b Myn gemuedt vnd pluedt

ist gantz entzynt. o str. XU 9 X. Franlfurter liedcrbiich 1582 nr. 63. Gedrucltes folioblait des IG. jahrh. (Berlin Yd 7801, 44) und oltavdrnck: Nürn- berg, 0. Wächter (Yd 9483). IIar)iisch, Liedlein 1588 nr. 15. Wei- marer handschrift von 1537 (Weimarisches Jahrbuch 1, 105). Yxems liederhandschrift von 1575 (Berliner mscr. germ. fol. 753) nr. 25, vgl. 146. Xd. auf einem jl. bl. der Berliner bibliothelc (Ye 437). Eine geistliche umdichtuug von II. Knaust bei Waclernagel 4, 776 nr. 1150.

19. Bl. 14a Chi'iste, du bvst dach vnd dat Ivcht.

7 str. zu 4 z. Abendlied, nach dem tat. hgmnus des Ambrosius: „Christe, qui hix es et dies." Waclernagel 2, nr. 563. 1096. Bäumker 2, 246 nr. 246. Hoffmann, Xld. geistliche lieder nr. 113. Bolle, Ztschr. f. d. phil. 21, 138 nr. 65.

20 21. Bl. 14b Idt hiich eyn armer sünder vnd slieff. Beide nummern sind fälschlich von einander getrent; sie bilden xu- sammen eine besondre Überlieferung der grossen tageweise Peters von Arberg: „0 starker gott, al imser not", ivelche Bartsch in der Ger- mania 25, 210 229 besprochen hat. Vgl. noch Bäumker 1, 451 nr. 200, Die fünf Strophen von nr. 20 hat Uliland als nr. 312 .sei- ner Volkslieder abgedruckt nnd danach Wackernagel 2, 333 nr. 501 tviderhoU. Nr. 21 enthält nicht nur die verse 17 50. 63 68. 55 fg. 61 fg. von Bartschs rekonstruktion (Germ. 25, 221) , sondern noch weitere 17 verse, ivelche in den andern fassungen fehlen.

22. Bl. 16a In freuden byn ich gantz geletz,

die woyle ich vmmer scheyden moyß. 3 str. XU 8 X. Unten nr. VIII: Abschied.

22a. Bl. 16 b Ich hadt mich ynderwonden,

\Yolde dienen eyme vreuwelyn fyn. 5 str. XU 8 X: Untoi nr. NU: Der ungeschickte liebhaber. Auch auf verschiedenen fliegerulen blättern des 16. jahrh. in oktav (Berlin Yd 7821, 34. 9552) und folio (Yd 7801, 32) erhalten. Die erste Strophe stimt überein mit dem Antiverpener liederbuche 1544 (neudrtick

26*

404 BOLTR

V071 Hoff mann von FaUerskhen 1855) nr. 103. Eine melodie „Ich hett mich vnterwunden" steht in der Kopenliaijener liederJia?i(Ischrift des Petrus Fabricins (Xd. Jahrbuch 13, 55) nr. 1S2. Verschieden davon ist das lied „Ich het mir fürgenommen zu dienen stetiglich" bei Böhme nr. 215.

23. Bl 17a Xu hayn ich alle myn tage gehoyrt.

3 sir. \u 8 x. Böhwe nr. 265 )fach einem gedruclden folioblatte (Berlin Yd 7801, 60): „So hab icli all mein tag gehört." Gassen- hawerlin 1535 nr. 27. Frankfurter liederbuch 1582 nr. 45. EbeJi- reuiters handschrift von 1530 (Bertiner m.scr. germ. fol. 488) nr. 145. Berliner liederhandschnft von 1568 (mscr. germ. fol. 752) nr. 15. Mscr. germ. qu. 718 bl. 18b. Ein Baseler liederbuch von 1560 (F. X. 17 20) nr. 66 bietet auch eine vierstimmige melodie.

24. Bl. 17 b Ach got, wat sali ich svngen,

kurtzwyle ist myr woyrden duyre. 11 str. XU 8 X. Unten nr. IX: Trenniingsschmerx. Fast alle Stro- phen hehren auch in andern Volksliedern derselben xeit ivider. Str. 1, 2. 4 und 6 sind enthalten in der Berliner liederhandschrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) nr. 56. Str. 1 begegnet bei Görres, Altteutsche Volks- und meisterlieder s. 71. Zu str. 3 vgl. Uhland nr. 81, 4 und 88, 6. Zu str. 6, 5 und 11 Uhland nr. 86, 4. Zu str. 9 Uhland nr. 76, 11-12 und 80, 4. Einen in Zivickau (XXX, F, 20) be- findlichen einxeldrnck (12 str.) habe ich Glicht vergleichen können.

25. Bl. 18b Ich bvn durch frauwen wvllen

gereden so menche dach. 5 sir. XU 9 X. Tagelied. Uhland nr. 81. Böhme 7ir. 121. Görres s. 126. Bergkreyen 1536 nr. 45. Frankfurter liederbucJi 1582 nr. 184. In Berlin vier fliegende blätter aus Nürnberger (Yd 9565. 9566. 9568) und Strassburger pressen (Yd 7850, 16). Yxems liederhandschrift van 1575 (Berliner msr:r. germ. fol. 753) nr. 129. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 36. Antweiyener liederbuch 1544 nr. 102.

26. Bl. 19a Wach vff, myn ort, vernym myn wort.

7 str. XU 7 z. Böhme nr. 105. Bergkreyen 1536 nr. 38. Frank- furter liederbuch 1582 nr. 23 und 202. P. v. d. Aelst 1602 nr. 150. Fliegende blätter: Nürnberg, V. Newber (Berlin Yd 9004. 9011) und 0. 0. i)i folio (Yd 7801, 67) und im Mscr. germ. quart 718, bl. 19a. Yxems liederhandschrift (mscr. germ. fol. 753) nr. 97. Ähnlich For- ster, Liedlein 3 (1552) nr. 6. Niederdeutsche Volkslieder 1883 nr. 62. Geistliche parodien bei Wackernagel 2 , 1011 nr. 1249 und 4, 740 nr. 1093.

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 405

27. BL 20a Betrübt ist mir hertz, movdt vnd svn

wol heuer zu diessem neuem jaren. 3 str. XU 6 %. Unten nr. XI: An die enffernte geliebte.

28. BL 2 IIb Wca sali ycli liyn, wa ssal jch her,

wa sali vch mvch hvn kheren.

*^ ^' %/

10 str. 7M 8 X. Franlxfnrter liederlmcli 1582 nr. 82. Einxeldrueh Nürnbenj bei V. Xeiiber (4 str. Berlin Ye 36). Yxems lirdrrhand- schrift von 1575 (Mser. germ. fol. 753) nr. 68. Berliner liedrrlicuid- schrift von 1568 (Mscr. germ. fol. 752) nr. 94. Cod. palat. germ. 343 (jext 171) bl. 14b. Ein andres lied mit gleichem anfange bei Hoff- mann, Geselscliaftslieder ^ nr. 384.

28a. Bl. 20b Eyn bloymellyn dat heyst meytden, dat krencket mych so hart. 3 str. XU 7 X. Eine bessere ilberlieferung bei Görres s. 88 nach Cod. palat. germ. 343, bl. 102a.

28b. BL 21a Ffyl vngeluyckß yst vfp ertden, da ffür mych got behoedt. 3 str. XU 8 X. Beständige liebe. Bei Görres s. 95 nach Cod. palat. germ. 343^ bl. 79 b. Georg xon Helmstorffs liederbuch von 1568 (Ber- liner ms. germ. qu. 402) teil 3, bl. 40b. Auch in einem einxeklrucke „Nürnberg durch Vcdentin Fuhrmann'^ (Berlin Yd 7850, 27) mit xicei weiteren Strophen.

29. Bl. 21b Ich hoff, mir solsz gelingen,

ich weiß mir ein edels blodt.

6 str. XU 7 X. Unten nr. IV: Preis der liebsten. Vgl. xu str. 3 4 Böhme nr. 131, 3. Zu str. 5, 1 2 Böhme nr. 260a, 4.

30. BL 22a Ich hadt mvr vsserwellet

tzo dem mev evn bluemelleyn. 3 str. XU 8 X. Uhland nr. 55. Eine geistliche unulichtung bei Wackernagel 2, 921 nr. 1147.

31. BL 22 b Ffryssch ffrovllich wvllen wvr ssvnffen

yntgen dyssen koyllen mey.

7 str. XU 8 X. Unten 7ir. X: Rosenkranz xum abschiede. Über die bedeutungsvollen blumen des krafixes (str. 3 4) vgl. Uhktnd, VolJcs- lieder nr. 54 55 und Schriften xur geschichte der dicht ung und sage 3, 437. 582. Xiederdeutsche Volkslieder nr. 130. Für die Strophen 3 5 vermag ich eine bessere Überlieferung aus einer niederrheinischen liederhandschrift (Berliner mscr. germ. quart. 612 bl. 30a) anxuführen.

406 BOLTE

I. IVeiliiiaclitslied.

Nr. 1. [Bl. 2 a] 1. "Wallt alle dvngeii an gade staent, des stillen wyr vnß besynnen. als die proplieten gesprochen haynt, eyne jonffrauwe sali gewynnen yn rechter kuyssheyt eyn kyndelyn, deme hemell vnd erde beuolhen salii syn, deine süllen wir alletzyt vnderdienich syn, ffot sali vnß niYstroest wenden.

Yns ist geboern eyn kyndelyn van eyner maget, die is so fynn, Maria hvschet die lieue moder svnn: yere lofP en halt geyn ende.

2. Dat got die minsheit an sich nam, dat diede hy vnß zu troeste.

eyn engel viß deme hemel qvam,

hy grueßet die maget siere schoyne,

hy spraich: Got gruetze dich der gnaden voll,

der here van dyr geboiren wyll syn,

Avant aller genaden bys dw voll.

Got sali vns mvstroest wenden.

3. Maria schreckde sich dair van: Wie wulde dat got gewyllen,

dat ich eyn kynt all sonder man

all gegen nature solde gewynnen?

Der engel spraich: Dat kyndt dw draigts

van deme hylgen geyst, und dw blyffs maigt,

dat vs dat beste, dat men mach vvnden.

Got sali vnß mystroyst wenden.

4. Keyser Augustus was hy genant, hy geboide geweldincklichen

dat evn veder minsche durcli alle syn laut den offer soiüde brengen zu deme riebe. Der aide Joseph gewann yn die schair, hv brachte Mariam mvt eme dair

1. 1 gede hs. 1,6 benöthen san 1, 9 12 steht in der hs. erst nach str. 3, ist aber als refrain nach jeder strophe xu uiderJtolen. 1; 12 seyn 2, 3 gebam 2, 7 des voll 4,4 rieht

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 407

ZU Bethlehem, dair st yeres kyndtz [gebar?]. Got sali vnß mysti'oest wenden.

[2 b] 5. Wylt ir nu wissen, wer er sy, der yn der krybben lyget gebenden? Jesus Cristus der namen dry, syn troest halt uns ontbunden. Die engelen songen und waren fro: Gloria in excelsis deo. Die heyrden rieffen ynt offenbair: Unsers leydtz synt wyr entbonden.

6. Des achten dages q warnen [se] dair all nae der juedischer seeden;

dat kynt wart yn den tempell braicht, dair wart sich Jesus besneden. die engelen songen mit suessem sanck: Jesus Cristus wirt dat kynt genant, dair van so wirdt der duffel geschaut, als sy dat kyndt suert [?] nennen.

7. Des woirden die hyllige diy konynck gewair, sy hoyrten van dem lieuen kyndtgen sagen, golt, mirre und [wirouch] brachten sy dair, eynem offer deme kyndtgen zo dragen.

die hern warn sierre balde bereydt, ein Sterne viß Orienten sy dair geleyt, sy kneden vur der maget gemeydt, Jesus boede den konyngen syne hende.

8. Wer nw wyll treden yn den kränz und speien niyt deme lieuen kynde,

der moyß yn synem hertzen dragen

gedoult und suesse mynne

und oeuerdenken alle syne mysdait,

die hy syn leuen begangen hait,

und bydden dat kvndt und auch die Heue maget,

dat sy eme syne sunden vertzye.

9. Wer nw dat kyndgen wylt baden und baden yn der wonen,

5, 1 mi 5, 4 han 5, 6 geloria 5, 8 heydtz 7, 8 deme kyndt- gen — 8, 1 kraeme 8, 6 sy

I

408 BOLTE

der en mach so druefich nvet e:esYn, syn hertz en movsz eme groeneii. Moicht ich des kyudes syn dicner syn, vnd weschschen evne syne doichclchyn vnd drugen sy yn deme sonne schyn, so hette myn truren eyn ende.

[3 a] 10. Köniuck Herodes wart kont gedayn, so wie eyn köny[n]ck woere geboeren, hv dede die kynder alle erslayn, wat onder dryn jarn was geborn. eyn engel yan boncn braicht die mere zu Marien und Joseph dem besnedere: Far up dar hyn yn Egypten lant all uyß der falscher bueser hant!

11. Dat kyndt wart yn den tempell braicht all nae der juedischer sieden,

dat kynt nam Simeon up synen arm, der ynrmails bhnt war ^ewoyrden. syn alder was waill yonff hundert jair, syne ougen woirden eme weder klair, do hy dat kynt sagh offenbair: Wat hayn ich yn mynen henden?

12. Got yater, gott sonn, got hylyger geyst, dat sint drye hylyge namen,

houen sich up zu der rechter handt

der hellen portzen zu samen.

sy gaeuen der hellen portzen eynen stoysz,

dat sy an allen enden entfloyssz

ynd last den zu der rechter handt,

yerloeste so mennich duyrbar pandt.

13. Nun alle dyngen sint yolnbraich[t], als yns die wysen sagen,

wie die propheten gesprochen haynt

yn den propheten dagen;

dat hait ynsz Maria all verfoult,

halt yns eyn kynt braicht aene schoult,

9, 7 sonne klaire scIijti 10, 3 sy deck die

I

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 409

cleme sullen wvr alle wesen lioult. Got sali vnz mistrocst wenden. Yns ist geborn

nae yedern vei*ss.

II. Grebet an Ilaria.

Nr. 6. [6 b] 1. Myt gantzom ellendigem liertzen klage ich, klage ich myn sunden groys, ich stain yn sorgen und vriesen [/. smertzen?] all viir den gryselichen doyt. hvlff mir, Maria du revne, und stae mir by yn myner noyt, dat ich myne sunde mach beweynen die groysse myt den kleyne[n], ye myr an kompt der gryselycher doyt.

2. Maria du kayserin [reyne], du byst alleyne mvn zuuerlais; bydde vur mich dyn kyndelin kleyne, dat hy myne sele wylle ontfangen,

du bvst evne maoret schone all yn des hemm eis trone, bydde vur mich dynen sone, dat ich by inn kome all zu des hemels trone, dair syngen die engelen schone.

3. Maria, du byst eyne kuysche reyne, du byst all yn dem hertze myn,

mach ich geyn troyst an dyr gewynnen,

so bricht dat eynige hertze myn.

du byst so goder-turn [/. maueren?]

men yant nye dyns gelichs

du bys eyne moder des heren,

wyls yns yn duegeden Heren,

so sint "\vyr hernaemaels verblydet.

V ^

4. Maria, ich bydden ymb genaiden, als eyn armer sunder groyss;

wyls mynre seien stain zu staden,

1, 6 stoe 2, 1 keyserjnna

410 BOLTE

als mvr ankumpt der bytter doyt

Kom mir doch dau zu Imlve

yn myner meister noyt,

wvls mich doch bewarii

all vür die helssche scharen

vnd fueren sv all ^ti des hemels trone.

5. „Ach mynsche, ich Imeren [dyn?] klagen, Ich will, ich wyll gelouen dir, evn dinck avvII ich dvr sairen, und dat behalt und do nae mvr: ganck heymelich zu Caluarien all vmb den berch hoge, wvls dvne Sünden dar bekennen:

%.■ %^ /

got sali dyner seien ontfarmen

und fueren sy jn des hemels trone."

6. Maria, ich stain in sorgen; mvne Sünden sint so menichfalt, der doit wylt nyet borgen, hy en spart noch jonck noch alt; mvne sele die ist beladen mit Sünden also groiß; stae du m^T zu staden, mich dünckt, ich sv verraiden all myt der ewyger pynen so groiss.

7. „Ach mynsche, wyls nyet mystroestich syn, die bar[m]hertzicheit ist so groyß; wvlt dvne sele van sünden ffenvesen, so steis du fry vyß aller noit. got ist so goder lieren myt grosser barmhertzigkeit, hy wyll dyne [7 a] sele visiteren mit mencher schöner maueren all jn der ewicheit." J

8. 0 here, wyls mir vergeuen all mvn vndanckberheit, dat ich havn bedrieuen! och alle myne sunden synt mir leyt, jch bydt all vmb genaide

6, 3 dort 7, 3 sole 8, 3 och dat

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON' CLEVE 4:11

als eyn armer sunder groyß,

laß mich doch nyet [syn] verlorn;

du hais mich vißerkorn,

verloist myt dynem byttercn doyt.

IIL Liebes werliuiii;.

Nr. 13. [10b] 1. Wuelde got, dat idt geschede zu diesem niiwen jair, das mich myn schönes lieff anesiege myt yeren äugen klare: ere angesicht erfreuwet mich, dar zu ere freuntlich laichen; es gesche, wes geschieh en sali, sy kan walle fruntlich machen.

2. i^w halt dich vast und stede, das Avyll ich van dyr haben;

off e}Tier queme, dich dar vmb bede, kere dich nyet an syn sagen. Ich wyll mich leytz ergetzen, aber hv sali waile weder komen: es geschie, wes geschiene sali, das havn ich wail vernomen.

3. Ade, ade zu guder nacht, wyr tzwev wvr moissen scheyden; wanne fuyr und strue by eynandern lieget, balde das vs verbrennet.

„Fair hvn, fair hvn, die straeß ist weydt, fair [hyn] yn frembden landen, suelcher boilschafft darff ich neyt, die mich brenget zo schänden."

IT. Preis der lielbsteii.

Nr. 29. 1. Ich hoff, mir solsz gelingen, ich weisz mir ein edels blodt, sy geleibt mir vor allen dingen,

1, 4 äugen yere 2, 1 galt clich stede imd vast 2, 3 jarvimb 2, 8 enomen 3, 7 boitscKafft

412 BOLTE

ein henbsz braunsz medlein goedt

Ich dein ir altzeidt geren,

ich hoff, sy soll mir werden: J

SV erfrewt mir mein hertz in leib.

2. Ich bin ir holdt gewesen vorwar ein langer tzeidt, von aller weldt erlesen hadt sy mir mein hertz erfrewt, es lebt kein mensch vff erden, die mir so leib mach werden: die warheidt mosz ich sagen. |

3. Sv hadt ein braun krausz hare, darzu zwey Idare eugelein, sy heissen [?] hin vnd herre woU diu'ch das jonge hertze mein; darzu zwey heubsche wangen, nach ir drach ich verlangen in meines hertzen grund.

4. Sy hadt ein leib gleich einem hermelin, darzu szwev ermelein szmall mocht ich sey in drugtten umfanggen, die hertz allerliebste mein! sey ist mildt vnd dugentlichg, dazu heubsz vnd seufferlichg, ir langer ßerdt ir wolL

5. Sey lägh [wol] vff der szynnen vnd sagh szu dem finster herausz; sy swengck sich gegen mir hervmmer, sey vmfeinge mich mit irren ermelein weysz: Wan widtu witterum kommen, du heubsche vnd vill frome? Hertzleib, in kortzer frist.

6. Hertzleib, du dorst mich baldt fragen, wan ich wittrum kommen soU [/. bei dir sol sein]. * Ich mach mich baldt herummer woU zu dem jongen hertzen dein, vff das der kleffer nit erfare;

1, 5 grene 1, 7 erswere 2,4 erswert 3, 2 engelein klare 3,6 noch

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 413

es koest mir leib vnd leben, darzu mein getraues hertz.

y. Liebesglück.

Nr. 4.

[5a] 1. Artlicher hört, myn eyniges wordt, eyne crone bouen allen wyfen, du hais erloist dat hertze myn, ich wyll dyr stedich blyiien. In jamers dall hayn ich geyn sali, dat SV mir doet Ionen; sy ist die rechte, ich byn yere knechte, bis dat sy myr doet lonenn.

2. Ein edell kruydt hait sy gebuwt, dat steyt yn yerem garden,

eyn edell gedieht hait sy an mir erdicht,

sy schantz vf allen karten.

Die schantz was groyss, dae myt sy mich vmsloys

myt synnen und ouch mit wytzen;

sy drückt mich myt lust an yeres hertzen brost:

Halt frunt, du machs mich suure.

3. Eyn vreuwelyn fyn ist by myr gesyn gar hoymlich uff ein oirde;

dat wer myr leit, dat is emantz wyst,

off dat idt queme zu woerde.

Des briecht [?] nur pyn deme jongen hertzen myn,

das machs du, frauwe, geleufen.

Sy dreget tzwy brostgen, die synt wyss,

dair zu twey bruner ougen.

4. Ach paradijs, myn hoichster ort, waer yyndt men dynes geliehen!

ich lofen dich als eyne klaii'e sonne,

eyn keyseryn so riebe.

Die werde guede, dat sy mir got behuede

Yur allen falschen zongen!

Dyt lietgen ist gemacht zu duysent goider nacht,

jn yerem dienst gesongen.

1, 1 Örtliches ort 1, 2 wysen 2, 1 sy an mir erdicht 2, 5 vnsloys 2, 6 synre 3, 5 pyne 4, 2 eynes

Cl1

414 BOLTE

\J. TasrelicMl.

Nr. 9. [8a] 1. Es diiget wonencklichen, waile schynet der heller dach, van vere so movs ich wichen, das ist nivnes hertzen evne klais^e. Sali ich nu van dvr schevden all van der liefsten zart, so geschaich myr nye so leyde, Sprech ich by mynem eyde, vurwair sv liefft mvr hart.

2. Ich hayn es myr gantz vermessen, ich will de geyne lieiier nyet hayn; noch hait mich die lieffde besessen,

dn goider ['?] geselle schone, ich hayn mich dyr ergeuen jn rechter stedichheit, nae dvnem wvllen zu leuen, nochtant so moys [ich] steruen; ist dat nyt jamer groyss?

3. „Geselle, du darffs nyet sorgen, du hais dat hertze myn,

waile schynet der lichter helle morgen,

zu evner vvnsteru in,

der vns tzwey [hat] verdryuen

van vnsenu vreuwden spyll:

0 we mich armes wyuen,

dat hertz yn mynem lyuen

dat Ivdet kommers vvll."

VIT. Auf wulerseheii.

Nr. 17.

[13 a] 1. Och scheyden brengt myr swer und macht mich traurigklich, dat ich nw sali van der, die ofit erfreu wet mich: myt lieff und ouch myt schertzen

Vn. 3//V B hexeichne ich die ahiceichumjen eines %u ,,Wulffenhüttel hy Conrad Hörn" gedruckten fl. blattes (Berlin YdSTlOj. 1, 2 Ä: mich ganz traurigklich

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 415 I

1

halt sy myn gemuet bewarrt; '

yrst werd ich kranck vau hertzen, |

so ich gedonck der hynnetart.

2. Vnfall durch synen nyt * hait senlich clag erdacht,

vnd ouch durcli clefflich tzvt '

dat schoyden wirf vollenbraiclit, j

dar durch ich liaeff groyß sniertzeu !

und ist laek durch [/. raet duir] by mir, ]

dat jch die zart moyß myden: \

hylff Glück, dat clag ich dyr. !

3. Kom myr myt troyst zu steur,

bedeiick des scheydens end, 1

vyll körtzweyll wyrt mir deur, 1

so ich [mich] van hynnen wend.

Myt wissen moys [ich] scheyden,

doch blyfft dz hertze by dyr:

Glück, schaff die tzyt myt freuden,

hvlff vns zosamen schier! '

D 5

1,6 5: myii junge heit 1, 8 -B: der varth 2, 2 yl: semlich clag B: solche klage 2, 3 5: Vnd schicket de klegehke tidt 2, ü J5: vnd ys lanckwilich my 2, 7 5: de schönsten 2, 8 5: o gelücke 3, 1 i?: Gelücke kum 3,5 5: mit wesenden moth ick 3, 6 B: dat junge herte by er.

Till. Abseliied.

Nr. 22. [16 a] 1. In freuden byn ich gantz geletz, die weyl ich vmmer scheyden moyß, ich en weyß doch nyet, dat mich ergetz, dan dat ich byn yn lyden groyß; dat ich zo freuden hayn erweit, dat moiß ich myden und fayr dair hyn: zo eilend werde ich gantz seit, so lange bys ich dich weder sieben.

2. 0 Werder viiint, nw halt [dich] yn hoide, dat ich [/. idt?] dem kleffer nyet en werde [schyn]! ich frücht, hy wende myrs nyet zo goide, dat haue haue [?] weder moit noch syn. Got weiß, dat ich geynen wandell beger, 1, 2 woyle 2, 3 hy werde

416 BOLTE ''

i mach ich dem kleffer verholen syn, v "jl

in rechter deucht uae dyner beghert; i

so bys du doch geweldicli myn.

3. Wyls doch myt truwen herden [?] wort, •;

lais felden sien, nyet schrecke dich, du bvst mvn aller hoichster ort: wan dw mvt truwen mevnes mich, so dvr als mvr vn aller swere durch wont mvn hertz mvt schevdens pvn. Gedenck, wie gerne ich by dyr were: so en mach idt leyder nyet gesyn.

2, 8 mviier 3, 8 on mach ich

IX. Treiinuiigssehmerz.

Nr. 24. [17 b] 1. Ach got, wat sali ich syngen, kurtzwvle ist mvr wovrden duvre, vür zyden gynck ich spryngen, dat bues ich allet hude [/. huyr]; myt groyssem suchten swere vertzer ich menchen dach, vnfall ist myn gefere, wie waile ichs nyemantz dag.

2. Lieff hauen und zu mvden ist mvr evn swere boeß, dat schaff der kleffer nyden, dat ich dich mvden moeß, dat ich dich havn verlorn so gantz vnd ouer all, so byn ich, lieff, dyn eygen vnd nym du myner gewar.

3. Hy nam sy by den henden bv verer sehne wvsser haut, hy foyert sy also veme wallen durch den groenen walt, dair laigen die tzwey by eynandern, kui-tzwyle wart yn neyt lanck:

1, 7 iny 1.8 clage 2, 2 ey swe 2, 3 kleffer zongen 2, 5 im Berliner Mgf 752: verla.ssen 2. 8 ebenda: gleub mir zu dießem malh

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AM ALI A VON CLEVE 417

Hertzlieff, ich movß mich schevden, SO gayr aene mynen danck.

4. So haistii mych gefangen, dat jonge hertze myn, nae dyr dragen ich groyß verhmgeu, du tzartes jonfFreuwelingli, dvn niondlvn roit zo mvden is myr eyne swaere boeß, des trure ich wynter und somer, dat ich dych myden moess.

5. Der meye der is vergangen, die lufft die weht vns kalt,

m}T ligt in myne sinne

eyn jonffreuweling, ys waill gestalt.

Here got, muecht ich yr stediger

und truwe dien er syn,

vnd off ich yere gefeie,

ere evgen wulde ich svn.

6. Ich sali und moyß mich scheyden, ys kan nyet anders syn,

dat brenget myr groyß lyden, ist myr eyne swere pyn. Och scheyden, vmer scheyden, [18a] und wer hait dich erdacht? du hais myn jonges hertzen [in] groyß truren gebraicht.

7. Vur zyden scheyn myr die sonne, es wvll aber nimmer svn,

so bvn ich nw verdrone:en van der aller lieffsten myn, der regen doet vns netzen kalt weyet vns der wynt, du hais mich offt erfreuwet, du wsserweldes kvnt

8. Nu gesegen dich got, myn freuwelen, du hertzes jonfferlyngh,

4, 1 im Berliner Mg f 752 : Du hast mir vmbfaiigen 4, 5 ich {statt roit) 6, 4 pyne 6,7 my 6, 8 *w Berliner Mgf 752: auß freudenn in traurenn bracht 7, 3 verdrogen

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. 27

41S

da macfas mich armer renwen

bys yp dat ende myiL

Wie waile da daist mich, verachten.

dyn p. da] weyblichs byldt so werdt

ich wünsch dvr evn fnintiich laichen

und wat dvn. hertz beghert.

9. Wat zonch sv vis den henden?

m

van ffoulde evn rvn^elchvn.: SjjR da es. da hapscher bresser, draich da es dorch den w\-llen mvn. Wat sali mvT, lieff, dvn svlaer. dar zo dyn roydes goalt? Moeß ich es doch nyet drag'en. vor habschen freawelvn. stoltz!

w

10. !S'och wyll ich nyet vertzagen vnd wvll nvet aaelaen.

Der hencker maeß jnn plaegen. der mich beloegen hayt myt syner falscher zongen, and dat ich weinich acht Dat sy dyr. fynes lieff. gesongen ade zo goder nacht

11. Och schevden. hertzüch schevden. vnd wer halt dich erdaicht?

da hais myn joBges hertze in groysses troren gebraicht Dat ich [mynj Heff saU myden, dat krenket das hertze mvn: da movss mvr ws mvnem hertzen nnd nimmermehr dair inn. y^ 5 syn 10, 5 falcher 11. 2 erdickt

X. Rosenkranz zum abschiede.

Nr. 31.

[22 b] L Ffryssch ffroyllych wyllen wyr ssyngen vnt^n dvssen kovUen mev; wan ych de bloemger ssyen sspryngen, 980 hat myn troyren eyn endt Den vnmoytj den ych draggen, den dragrcren vch orar hevmlvch

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418 ßOLTE

du machs mich armer renwen

bys vp dat ende myn.

Wie Tvaile du daist mich verachten,

dvD [/. du] \yeyblichs byldt so werdt,

ich wünsch dvr evn fruntlich kichen

und wat dyn hertz beghert.

9. Wat zouch sv vis den henden? van e^oulde evn rvno:elchvn. :

Xym du es, du hupscher bresser, draich du es durch den wyllen myn. Wat sali mvr, lieff, dvn svluer, dar zo dvn rovdes 2:oult? Moeß ich es doch nyet dragen vur hübschen freuwelvn stoltz!

10. Xoch wyll ich nyet vertzagen vnd wvll nvet auelaen.

Der hencker mueß jnn plaegen, der mich beloegen hayt myt syner falscher zongen, und dat ich weinich acht. Dat sy dyr, fynes lieff, gesongen ade zo goder nacht.

11. Och scheyden, hertzlich scheyden, vnd wer hait dich erdaicht?

du hais myn jonges hertze in groysses tmren gebraicht. Dat ich [mynj lieff sali myden, dat krenket das hertze m}Ti: du movss mvr vys mvnem hertzen und nimmermehr dair inn. 9, 5 syn 10, ö falcher 11, 2 erdicht.

X. Rosenkranz zum abseliiecle.

Nr. 31. [22 b] 1. Ffryssch ffroyllych wyllen wyr ssyngen vntfi^en dvssen kovllen mev; wan ych de bloemger ssyen sspryngen, SSO hat myn troyren eyn endt. Den vnmoyt, den ych draggeu, den draggen ych gar heymlych

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 419

i

van mvneni stevtdve^en boyllen, dar na vf^rlanget mych.

2. [Du| hast mvr myn licrtz durclitzochgen SSO gar wens vff den gront,

dat vch dvcli, hertzlevff, movsz mytden:

boeyt mvr dvn rovtden mondt!

Dyn boyigen wyr ych gern; ^

mach esz alsso neyt ssyn? i

dvn clairer schvn eifFroewedt

dat [jonge] hertze myn.

3. Wolt du mych, hertzleyff, ergetzen, I SSO mach myr eyn[en] krantz; i dar an ssal du myr ssetzen ^ vii roessger algar gantz,

de ych dyr, hertzleyfP, wyl nenen SSO gantz myt ynderscheyt,

2, 1 hat 2, 4 coytder 2, 7 schynen Str. 3 5 begegnen in bes- serer gestalt in einem 1574 am Nieder rliein angelegteii Uedcrbuche (Berli'fier mscr. germ. quart 612 nr. 15), und 'Xicar hier xu dem Hede „Ich weiss mir einen gart-

tenn" gehörig:

2. Hertzlieb, wiltu mich nicht verlaessenn,

mach mir ein krentzlein damonn; '

darzu [so] soltu faessenn

sieben roeslein, seindt wollgethoenn, j

die ich dir, hertzheb, wil neunenn !

so gar mit vnterscheydt:

wolt ir sey recht erkennenn,

mein hertz ist euch bereidt.

3. Er, lieb, traw vnde stedicheit, das seindt der roeselein vier,

je lennger ie lieber vnnd vergiß meiner nicht,

die staendt euch [/. auch?] woll darbey,

ein kraut heist wolgemuedth,

wolgemuedt das erfrewet das heiize meinn;

das seindt die roeselein siebenn:

hertzheb, gedenck an das krentzleinn!

4. Ein kraut das heist vntraw, , das setzet mir nicht darbey ' vm aller trawenn willen, ' die ir versprechet mir. , got geff dem kleffer leiden,

darzu gToes vnngefall,

der mich vnnd dich vnns beidenn ,

nicht scheiden soll. '

27* !

420 BOLTE

dat du mvch, hertzlevff, erkenest: I

mvii hertz vst dvr berevt. <

4. Trow, levfft [vnd] steytdygeyt dat ssynt der roessger dry;

we lange[r vnd] we leyffer,

dat steyt gans wayl dar by, ]

dat du es vff dysser ertden ;

o^evn Ivffer haffsz dan mvch,

dat ssynt de roessger all vii: i

mocht ych dat krenssgen drageu. |

5. Eyn kroeytgen, dat heysscht vnwyllen, dat ssetz mvr nevt dar an,

dat deyt myr myn hertz sseyr qwellen, j

vt en kau vsz nevt srelan. 1

mych duynckt, du haffsz onsz geredt ;

wavl ouf dem hertzen mvn

der vst ein kleffer

yn der wylt verdryssen mych.

6. Ssolt myr eyn kroytgen bekleyfPen,

mach esz nevt blevffen stavn; !

ssol mych eyn kleffer verdryffen,

de yar reyt ga yn [?] l

Gott geff dem kleffer dat lytden, |

vnd vm movsz wertden we,

all beyt ssyn ougen blyntden, I

SSO [en] sseyt er esz nimer nie. jl

7. Dar an ssolt yr gedencken, | vr hübsstz vonffffrawelevn fevn: ) dem de leyffen doet kerencken, i ssyn droyren hat geyn endt. ^ Myn leyff hat myr vntrow gedayn, * dar vmb tro}T ych dach vnd nacht; : eyn ändert [le}if] moysz ych keyssen, . ^ dartzo hat er mych bracht.

XI. All die entfernte geliebte.

Nr. 27. [20a] 1. Betrübt ist mir hertz, moydt vnd syn wol heuer zu diessem neuem jaren:

1 . 2 wol he heuer

LIEDEHBUCH DER HERZOGIN" AMALIA VOX CLEVE 421

noch drecht mich stet mein hoffonge hem [?] vnd daiffs nvet offenbavrcn, das ich so hart betrübet werd in liuiinmelvcher leib verbürgen.

2. Das ich dich, veins [lieff|, raydenn mus, brengt myr heimmeliche smertzenn,

ist mvnem hertzeu evn sweire bus vnd krenckt mvch fast von hertzen; so leb ych doch der hoöiinge noch, mein trouren wevrt sich wenden.

t.

3. Ich wayrt der tzit, do er wieder geit mein gemoit mit allen freiten

vnd mir macht gesunt myn hertz verwimt, heylff vnß zo samen beyde. tzo dyr, myn gedacht, ade tzo goder nacht, van dvr movss vch mvch vtzund scheiden.

2, 1 minlenn 3, 1 tzu 3, 3 verweynt 3, 5 geacht 3, 6 ytzons

XII. Der ungeschickte liel)liaber.

Nr. 22 a. [16 b] 1. Ich hadt mich vnderwonden, wolde dienen evme vreuwelvn fyn: sy snyt myr dieffe 'wenden dem jongen hertzen myn. Wulde glück, müecht jch yere dienen, jr stedyger diener syn, vnd were es ere gefeilig, yere eysren woulde ich syn.

2. Ich was eirst zo vr komen, verswonden was myr myne rede, ich wart zo evnem stomen,

als ichs yernomen hett: ich durfft nyet vmb sy werfen, idt was alleyne my[n] schoult. vyll lieuer wulde ich steruen, je ich verluyr yr hulde.

3. Wie sali ich mich dair inne schicken, wie sali ichs gryfen an?

ich hay[n] ja gar geyn glück [e], ich bvn evn trurich man.

422 BOLTE

Fviies lieff, laiß dich erbarmen iny[n] kommer vnd groys noyt: mueß jch dich farn hiissen, lieiier ^yere mvr der dovt.

4. Dae sraÖ' vm nw die revne gar vyle fruutlich küß;

dat vi'eulyn fienge an zo weynen vnd sm tickt vn an vr brüst: Fynes lieff, laiß dich erbarmen my[n] komer und groys noyt! ich wyll dich nyet begeuen, schaf[t] lieff dyn mun[d]lyn royt.

5. Dyt liedt das ist gesungen vys trur[ic]lichen mut;

vnfall hait mich verdrongen, ich hoff, es werde noch goyt. Ich wyII der zvt erwarten bys vff die seine stondt, moyß ich dich farn laissen, so spar dich got gesondt!

Str. 4 lalltet im Berliner mscr. germ. quart 708:

So gab sy ym aia segen Mit ainem fraintlichen kuß. Sy sprach: Got sol sein pflegen, Vnd schmückt in an ir brast. Die weil ich hab das leben, Eed ich zu disser stund, Wil ich dich nit auffgeben. Schafft, heb, dein roter mund.

4. 1 m\Tie 4, 2 gar ky fmtlich 5, 2 munde

XIll. Die ungetreue.

Nr. 5.

[5 b] 1. In liefden ist myr myn hertz verbrant

nae eynem vreuwelyngh stoultz,

sy leuet myr zu aUer zyt

recht wie dat fuvre dem houltze.

Ich hain yere gedient vff golden woene,

recht als ich byllich konde. 1, 1 my

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 423

Wat hvlfft vere, dat sy mich verkuyst och sonder alle schoult!

2. „Geselle, des seluen geliehen klagen ich offenbair

dem armen als dem riehen,

du wils darum nyt layn:

myt der eleu du myr vismyst,

mess ich dir widder vm.

in der alder truwen du dyck vergyss,

du mvrcks waile, wie ich des meyne."

3. Zart frauwe, wyls du nyet zürnen dich, dat ich dyr sagen moes:

mych leues bürde [?] dair vff mvn truwe ... du hays dyn hertze gedeylet eyme hie, deme andern dae: ffair hyn myt kleynen heyle, schaff äff haue du zu lone.

4. „[Fai-e] ich nyet, so moysz ich gain, dat myrcke, du knaue stoultz;

und sytze ich nyet, so moysz ich stayn:

schaff äff zu dieser stondt

dat gyffs du myr zu lone

ind drages uff mir dinen hass,

du sages myr wairlich schone:

got geue dyr, ich weys Availe was."

5. Sage fraue, du kans vyll spytyger werdt vnd dragen oeuermoyt,

dat federen splyssen hais gelert

und speien vnder dem hoide,

du kans wail ryncken giessen

und sagen seiden waere:

der dyr . . weirlich zu ließe,

du drieues ys noch eyn hawe [/. jaere?].

6. „Geselle, an dynen äugen suyt men, wat an dir ist:

1, 7 yerknyst 2, 8 wade 4, 3 stayne 4, 4 off 5, 3 gehert - 6, 2 suyt wie

424 BOLTE

du hais er vill bedrogen m'si: dvner valscher Ivst,

du hais myr vvll gesougen

wys gebodeu und s

des havn ich dich befonden ^-f evne falen perde."

7. Zart vrauwe, ir kunt den mantell schicken gegen regen und gegen wynt. Van svden machts du mvr snure, dair girne ich henfFen vyndt. Du hais es dich vermessen, du kans waile spalden wynt, du machs mir des gar behende myt sneden [/. seenden] äugen blynt.

[6a] 8. „Geselle, aen allen hoffen [du] dienst uff losen waen: fair hvn, die dure stevt offen, ich wyll dich neyt langer haen. Du hais der kamern also vyll in dynem jongen hertzen, dat ich dyr neyt geleufen kan aene schympe und euch aene schertzen."

9. Eyn ander hayt mich verdrongen, des byn ich weirlich fro;

m\T ist gar wail erlongen, sy hait eynen andern doren. N. spraich, sy künde schaffen, wie sy sich hauen wyll, der naiTcn vnd der äffen hait sy gemachet vyll.

10. ,,Nu siet, ir schone jonjffrauwen, sydt ir yn stediger hode;

hv kan sich vruntlich machen

und drvuen wanckelen movt.

Hy hait ir fyll gefangen,

an svnem narren sevle,

ich byn eme kome entgangen

got geue myr gelück und heyle.'^

6, 7 besonder! 7, 4 vynde 10, 3 vrmitlich

LIEDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE 425

Xiy. Loos des T)uhlors.

Nr. 10. [8 a] 1. Ayn biieler moyß sich lyden vyll,

des byn icli ynnen worden: des dages dryfft hy äffen spyll und fuvrt cartliusers orden,

7

die gantze nacht liy oeuer braicht myt krysschen und [myt] syngen, in liagell und snehe deyt hy im wehe, hy hoff't, im sülle erlyngen.

2. Wan hy des morgens vrue vp steyt, duet hy sich snell anlegen, hy wardt, Avann sy zo kyrchen geyt, dat hy yere kome ontgegen. Wan sy yn anblyckt, syn hertz erschreckt, eyn woirt kan hy neyt gehen, so gruytz sy yn und geyt vorhyn, nae vere duet hy vmbsiene.

[8 b] 3. So' geyt hy vp und wyder äff", dat duet sy balde vernemen, svn hertz ist im der vreuden voll, wanne hy heymlich sali komen: vp eyne stont, die sy im gont, gar schöyn deyt hy sich mutzen, hv leufft stevtz vmb, sueckt renck und krum myt gaö'en vnd myt gucken.

4. Wanne hy dan zu der Hefster kumpt, syn truren ist im vergangen. Sy spricht: Ir syt hupsch und gelat; myt em kan sy woll prangen, vnd lagt yn an, als sy waill kan

Mit B bezeichne ich einige aus dein Berliner niscr. germ. fol. 752 entlehn- i

ten Varianten. 1. 1 ich 1, 2 yn den 1, 4 cathusers 1,5 1 B\ \

wachtt I mitt pfeiffen, dantzen vnnd singen, | im tlmtt nitt wee reiff, regen oder schuehe 1,7 sucht deyt 2, 7 sy gmytz 2, 8 5: ehr darff nitt wieder vmbsehen 3, 1 B: Ehr geitt ihr nach vnnd nymbtt jrer whar 3, 3 im vyll der vreuden 5: ist foll der freuden gar 3, 4 5: ehr hei sei sali 3, 5 5: sei seytt im ein stundtt 3,6 5: sich zerenn 3,7 fg. B: Ehr gedencktt ahn jr, die zeittwirt jm schwer, [ für die thur komptt ehr hoffierenn 4, 4 B: kallenn 4, 5 J5: sei sichtt in an

426 BOLTE, LIl-IDERBUCH DER HERZOGIN AMALIA VON CLEVE

eyn gecken narren oeiien.

Hy spricht zu yr: Hertze beger,

evn schätz boiien allen wvuen!

5. Ich byn uch, jonffi-auwe, van hertzen hoult, nyet me kan ich gesagen;

wanne mir vre lieffden nvet werden ensoldt,

van leyde muest ich vertzagen.

dan uympt sy vur eyn euentuir,

dair niyt dat hy geit drafen,

macht im eyn krantz: die lieft'de sy [?] gantz,

vnd wardet evnes andern knauen.

4/

6. Och bueler, du vyll armes dier, wane wult du wysheit plegen?

Sy spricht, sy hait geyne gonst zu dyr,

dar vmb lais vnderwegen.

Geleuve mvr, du bvst zu aller frvst

evn mertyrer hie uff erden,

du niaches dyr pyn durch lieffden schyn,

dair dyr geyne lieffde mach werden.

7. Lais äff, lays äff, du armer gouch, sulchs boelschaft darffs du nvet suechen: dat fuyr dat lesch, byst dich der rauch, du schaffs nvet vn der kuchen.

Sueche anders wae, gayne lieffden ist dae, die dir mach wederfaren, dyn lieffde und gonst ist gar vmb sunst, dyne arbeit machs du wail sparen.

4, 6 5: jn gecken vnd narren weise 5, 3 solde 5, 5 euen mir

5, 6 daet myt ö.b fg. B: so nympt sei vorhin einen andern bolen, | mitt dem geitt sei heim brassen 5. 7 und macht im eyne 5: ist gantz 5, 8 J5: sei "wartt aiiff ander 6, 2 wyscheit 6, 3 5: furwar sie enhatt kein hebde 6.dB: glaub mir deiß, du bist jn aller weiß 6,6 mertyter he-, B: meiller

6, 7 schyng B: dir schwer vmb liebde scheir 7, 2 boetscbaft 7, 5 5: freie anders 7. S B: drumb magstu es.

BERLIN. JOHANNES BOLTE.

427

ÜBEE DEN BILDUNGSGANG DER GRAL- UND PARZI- YAL- DICHTUNG IN FRANKREICH I ND DEUTSCHLAND.

(Schluss.)

Sp. 531. Hie kummet her Gaivan xuo dem Ideinen ritter, der deii ivünderlichen schilt hette.

Am bruimcii dabei sass eine schöne, prächtig gekleidete Jungfrau, die mit elfenbeinernem kämm ihr goldig glänzendes haar strich, und ihn freundlich begrüsst, als er seinen namen nent. Alsbald komt auf falbem ross ein kleiner wunderschöner ritter, prächtig gekleidet uufl ungewafnet, in der grosse eines fünfjährigen knaben hergeritten, und ladet Gawan zu seinem schloss ein. Die dame ist seine Schwester, und beide sind sonst verwantenlos. Den schild kann nur der treuste, fromste, tapferste held, der zugleich die treuste geliebte hat, erstreiten. An fünfhundert hat der kleine ritter bereits besiegt, die den versuch wagten. Während sie im schlösse gastlich tafeln, bringt ein knappe auf schAvarzem ross einen gruss von Ydiern, söhn des königs Nuwes, der ein grosses turnier angesezt hat, zu dem auch Artus und die tafelrun- der kommen werden, und wohin auch der schild des kleinen ritters gebracht werden möge, um darum zu kämpfen; dazu möge er sich beim roten kreuz einfinden. Nach der tafel begeben sie sich in eine laube mit schöner aussieht und worin ein prächtiges bette steht. Der kleine ritter reitet gerüstet hinab, um den schild zu hüten. Darauf erklärt seine Schwester Tanreie dem Gawan ihre liebe, und dieser hoch entzückt geivan die hluome von irrne reinen magettiiome. Der kleine ritter kehrt abends ohne abenteuer zurück und Tanreie ist sehr erzürnt, dass der kleine ritter neben GaAvans bette schlafen will. Beide reiten früh morgens mit dem Schilde ab, und lassen die dame schlafen.

Nach Übernachtung bei einem ritter nehmen sie rast, wo Artus mit 3000 rittern lagert, und senden den schild an Idiers, dass er ihn an Artus als kampfpreis überreiche. Kaye ninit ihn zur Verteidigung auf, wird aber vom kleinen ritter klafterweit hinter das ross abgesto- chen. Darauf gleichfals Gawans bruder Mordret von Idiers. Zulezt will keiner mehr den schild zur Verteidigung aufnehmen. Idiers zieht sich mit Gawan und dem kleinen ritter in deren zelte zurück, denn Gawan wolte unerkant bleiben; sie nahmen den silberschiid mit sich und Hessen sichs wol sein bei tafel mit speise und trank. Artus tafelt in seinem lager und zürnt, dass niemand den kleinen zwerg erkant imd besiegt habe. Gawan ritt mit dem kleinen ritter heim, beide

428 SAN MAT?TE

schlafen wider beisammen zum leidwesen der Tanreie. Am andern morgen verabschiedet sich Gawan, während die jungfi'au sich in lange, bittere klagen über seine treuL^sigkeit ergiesst. Er übernachtet dem- nächst bei einem ehrbaren ritter.

Sp. 501. Hie rindet Gaican den vcrdohten^ ritter, dem er sins liebes wider half.

Beim weiterritt trift Gawan auf einen ritter, der träumerisch und tiefsinnig dalün trabt. Ein anderer ritter hat ilun seine geliebte abge- fochten. Bald finden sie dieselbe in einem zelte, aber zugleich auch den feindlichen ritter, der, von Gawan besiegt, die Jungfrau an den verdohten zurückgibt, und Gawan zur nacht einladet. Er heisst Brun und muss sich bei Artus zu Kavalun gestellen. An einem kreuzweg lenkt das beglückte liebespaar ab nach der schwarzen kapelle, und Gawan sezt seinen weg allein fort.

Sp. 572. Hie rindet Gaican sinen siin Gingelcns, doi er hette ron hcrn Brandelins sicester.

Nachdem sich beide freudig erkant, macht der söhn Gawan bekant, dass Artus ihn um beistand gegen den könig Catras ersuche, der sein land mit feuer und schwert verwüste. Gawan teilt dem söhn seine sp. 259 und 264 oben erzählten abenteuer mit.

Sp. 579. Hie rert künig Artus mit sime her uf künig Katras ron Besesse.

Artus zieht mit grosser heeresmacht zu felde. Nach viertehalb monate langer belagerung ergibt sich Katras, und nimt sein land von Artus zu lehn. Gawan blieb bei Artus.

Sp. 582, 11: uns enseit dis mere ron imme niit me nu, wie ez joch harnoch e?'ge.

Sp. 582. Xu teil er ron Farxefale sagen, luie er ein bilde in eins kindes ivise rant und mit im rette uf einem boume und ivisete in %uo dem leidigen berge. [Bern. ms. § 23, zum teil lückenhaft]

Sp. 582, 17: ich wil üeh ron Parxifalen sagen,

hörent irs gerne rnd lontx üeh wol behagen. Walther ron Dunsin dise rede ret, der dise ystorie rollebroht het. er sprichet, daz Parze fal ivolgemuot

1) rerrfoÄ^ vgl. sp. 608, 23. 738,45. 739,29. 741,26. 803 ,11: tcart sere verdoht gar :

er vergax sin selbes sunder sin da?ik. 610, 8: Parxefal icart so sere verdoht,

dax er enicüste nüt tuan icas.

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTÜNG 429

vierzehn tage lang, seitdem er Bagumedes von dem banme befreit hatte, au dem er mit den beinen aiifgeliängt war [s. sp. 506], umlier- ritt, als er im walde ein sehön gekleidetes, etwa 5 Jahre altes kind, einen apfel in der band, hoch im bäume ersah. P]r fragt nach dem gral, doch will das kiud darauf nicht eingehn, und sagt nur, er werde morgen zur säule auf dem leidigen berge kommen und dort weiteres hören. Darauf stieg es im bäume immer hrdicr und höher, bis es verschwand. Parzival übernachtet im hause eines einsiedlers und erreicht am andern tage den leidigen berg, von dem eine Jungfrau herabkomt, die ihn wai'nt. Ihr ritter sei hier wahnsinnig geworden und irre hier im walde iierum; sie suche ihn, doch lehnt er ab, ihr darin zu helfen.

Sp. 586. Hie vert Pcuwcfal zuo der sul uf den leidigen herg und gesdiach im gros oventiire. [Bern. ms. § 23.]

Auf dem leidigen berge fand er eine, wol einen bogenschuss hohe, reich vergoldete kupferne säule, um welche fünfzehn kreuze standen, die je fünf rot, weiss und blau gefärbt, und jedes wol fünf- zehn klafter hoch waren. Mit goldner Inschrift stand auf einer mar- mortafel lateinisch unter einem ringe geschrieben: dass nur der beste ritter hier sein ross anbinden könne. Parzival konte sie zwar nicht lesen, doch hatte der ritter, der ihn in das grab stiess [sp. 485 und 486], den Inhalt gesagt. Er steigt ab, lehnt schild und lanze an die säule und bindet sein ross fest an den ring. Da komt auf einem weissen maultier die wunderschöne Jungfrau vom leidigen berge, die ihr schloss hinter dem berge hat, begrüsst ihn freundlich, streichelt sein ross und ladet ihn in ilu- zeit ein, das sie seit vierzehn tagen hier aufgeschlagen hat, um abzuwarten, wie das abenteuer ablaufen wird, das die tafelrunder Gawan, Gyflet, Dos söhn, Yw^on, Lanselet und Sagremor bestehen wollen und die sie bewirten werde. Viele mägde und knechte befinden sich bereits bei dem zelte.

Sp. 591. Hie hörent von kilnig Artus gcbilrte sagen. [Bern, ms. § 23.]

Sie erzählt dem beiden von Artus geburt, über den von einer weisen frau und Merlin, dem weissager des königs Uterpandragon, grosses prophezeihet worden. Da Uter wissen wolte, wie er den besten ritter erkennen könne, zauberte Merlin jene säule mit den 15 kreuzen und dem ringe zum anbinden der i'osse zur pilifung. Merlin gieng vom hofe zu ihrer (der erzählerin) mutter, und da ward Merlin ihr vater. Auf ihre frage, wer ihn hergewiesen, erzählt Parzival ihr das abenteuer sp. 486 mit dem ritter aus dem grabe. Die Jungfrau erklärt

430 SAN MARTE

den lezteren tur einen schändlichen räuber, den er hätte töten sollen. Sie führt Parzival auf den weg zur gralsburg, doch die schwersten gewitter begleiten ilin am tage, während die Schönheit der folgenden nacht ihn entzückt.

Sp. 598. Hie vindet Parxefal einen hoitm, der vol hiirnender herxen ivax. [Bern. ms. § 24.]

Da sah er einen bäum mit tausenden brennender kerzen, doch je näher er kam, desto mehr verschwand die erleuchtung, und er kam an eine nur mit einem licht erleuchtete schöne kapeile, in der auf dem altare ein erschlagener ritter unter prächtigen decken lag. Da ergieng ein blitz mit fürchterlichem donnerschlag, und eine bis zum eilenbogen schwarze band löschte das licht aus und Parzival verliess unter from- men gebeten die kapeile. Darauf begegnen ihm Jäger des fischerkönigs und eine Jungfrau zu pferde, die ihm bestätigen, dass er auf dem rechten wege zum gral sei, doch verweigert die dame, ihm auskunft über das kiud auf dem bäume und das abenteuer in der kapeile zu geben.

Sp. 602. Hie kummet Parxefal xiio dem anderen mole %uo dem grole. [Bern. ms. § 24 mit dem schluss: drei tage nach der krönung Parzivals zum gralkönig starb der fischerkönig und wurde zu grabe getragen. K Boron s. 176 178.]

Endlich komt der held zur gralburg und wird in dem prächtig geschmückten saale vom könig, der auf einem nihebett sass, gastlich empfangen und genötigt, neben ihm platz zu nehmen. Parzival fragt eifi'ig nach der bedeutung seiner erlebten abenteuer, dem kinde auf dem bäume, dem bäume mit den kerzen, der kapelle mit dem toten ritter. Doch der könig vertröstet ihn bis nach der tafel. Bei dersel- ben ward der gral, die blutende lanze von schönen Jungfrauen, das zerbrochne schwert von einem Junker, der es auf den tisch vor dem könig niederlegt, herumgetragen. Parzival weiss nicht, was er zuerst fragen soll, so sehr ward er verdoht [sp. 610, 8]. Der könig erklärt ihm: das kind habe sich mit ihm nicht befassen können, da er an einer grossen sünde noch zu tragen habe. Gott habe den mensjchen aufi'echt erschaffen, damit er hoch und frei um sich sehe, und die seele nach dem himmel richte, was er bisher nie getan. Das kind sei in den himmel gestiegen, und sei ihm die Weisung damit gegeben, gleichfals dahin zu streben. Über den bäum mit den kerzen und die kapelle mit dem toten ritter wolle er nach tische weiter reden. Par- zival bittet, ihm das rätsei des gebrochenen Schwertes zu lösen, und Amfortas entgegnet: wer die stücke zusammenfügen könne, sei der

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNO 431

beste ritter der weit, doch müsse er zugleich voll gottesfurcht sein und die kirche ehren. Er mügi^ versuchen, die stücke zusammen zu fügen. Hernach werde er ihm vom gral und dem blutenden speer erzählen. Parzival sezt das schwert zusammen, dass es wurde

Sp. 609, 31: so schöne nnde so gantx, frisch, reine und gcsJaht, alse dez tagex , da ez wart gemäht

610, 13: der känig sach in a?/ midr wart fro. mit armoi umbevieng er in do, alse ein tugcnthaft man tiiot. er sprach: lieber herre guot, über dis htis sint gewaltig hie und über alles, daz ich gewa7i ie, one alle tviderrede dekei?ie und teil ilch lieber haben eine, denne keinen man der nu lebendig ist.

Darauf wickelt der knappe das schwert in einen zindel und trägt es fort; der könig aber sprach

Sp. 610, 32: essent, schönre herre, ivolgemuot, daz üch got durch alles sin guot grosse ere geben ivelle unde behuote ilch vor der helle.

(Hier begint Manessiers fortsetzung, s. B.-Hirschf. 1. c. s. 99.)

Als sie weiter tafeln, wird der gral, der blutende speer und die patena nochmals herumgetragen, und als sie sich wider entfernt hatten, begann der könig seine erläuterung: Mit dem speer habe Longinus die Seite Christi durchbohrt, der gral sei „der kelch", in dem das heilige blut aufgefangen. Joseph brachte ihn her, als ihm Vespasianus aus dem kerker half, da er nach Judäa gefahren, um die untat der Juden zu rächen, und wo Joseph das evangelium predigte. Mit seiner gemeinde zog er in die stadt Saresse, und gieng mit ihr in den sonnentempel. Der könig des landes wurde hart von den Ägyptern bedrängt, und war alt und schwach geworden. Joseph heftet ihm ein rotes kreuz auf den scliild. mit dem er und sein volk gegen die feinde ziehn und siegreich zurückkehren. Da Hess sich Avaluk, der könig, mit seinem volke tau- fen, und uante sich Modrens, desgleichen sein seh wager Salafes, der fortan Natigon hiess. Joseph zog mit dem gral und seiner gemeinde, überall das Christentum verbreitend Aveiter und her in dieses land, und

432 SAN MARTE

der gral blieb hier, als er starb. Er, Amfortas^, glaube, er sei Josephs nachkomme: die jangfi-au, die den gral trug, sei seine tochter, die andre mit der patene die des königs Gouns, seines brudei*s. Mit dem Schwerte sei der tütlichste schlag geschehen; denn als sein bruder auf der bürg Kinkagüt von Epinogres belagert ward, nahm sich der neffe des Epinogres die waffen eines toten ritters von Gouns, schlich sich damit an ihn, und spaltete ihm mit dem schwort das haupt. Bei die- sem leidigen schlage zerbrach das schwort. Jener warf den andern teil weg und enttluh. Der leichnam und die schwertstücke wurden auf die bürg gebracht, und meine nichte sagte: wer das schwort wider hei*stelle, der solle damit räche an dem mörder nehmen. Parzival hört andächtiir und teilnehmend zu inid bittet um das schwert zum rachezug gegen den neffen des Aspanogres, den herrn vom roten türme, den „unsinnigen'' Partinias, dessen kraft er nicht fürchte. Parzival lässt nicht nach mit fragen über den bäum mit den lichtem. Es ist der goukelbaum , da sich die feen versammeln, welche die leute betrü- gen, die nicht den glauben haben. Da sie verschwanden, als ihr nah- tet, soll das bedeuten, dass ihr den zaubern dieses landes ein ende bereiten werdet. Den bäum wird niemand wdder finden. Die kapeile aber stiftete Blanschemore von Kornuwale, die mutter des Asspynogres, welche nonne in der kapeile wurde. Als sie starb, schlug er ihr das haupt ab und begrub sie unter dem altar der kapelle. Seitdem ward fast täglich ein ritter von der schwarzen band unter donnerschlägen getötet; wol schon an 5000 fanden so ihr ende. Wer aber mit der schwarzen band kämpfen wolle, der nehme die weisse fahne, die in der kapelle steht, und vom teufel behütet Avird, und setze sie in das Weihwasserbecken, besprenge damit die ganze kapelle, altar und leiche, und gott im himmel werde ferneres unheil verhüten. Der kämpfer müsse aber sehr tapfer sein. Endlich gehn sie im prächtigsten zim- mer schlafen; das bette Parzivals wird weitläuftig beschrieben. Doch Parzival steht schon in der frühe auf, und rüstet sich bestens zur aus- fahrt. Vergebens bittet ihn Amfort^s, wenigstens noch einen tag zu bleiben.

Sp. 625. Hie vindet Farxefal Sagremoi^s und tverdent xicene tnit xelienen vehtende.

Sieben meilen von der herberge trift Parzival auf Sagremors, der einen elenden klepper reitet, da ihm, als er nachts im w^alde schlief, sein ross diebisch mit diesem klepper vertauscht ward. Grosse freude,

1) Im französischen text wird der name Bron stehn.

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITÜNG 433

dass sie sich gefunden! Da kommen zehn ritter feindlich hervor- gesprengt; der erste reitet den schönen Morel des Sagremors, und hat eine Jungfrau vor sich auf dem rosse, die nach liilfc und befreiung schreit. Im ungotümsten kämpfe erschlügt Parzival fünf ritter; Sagre- mors verfolgt die übrigen auf seinem rosse. Auch die lezten zwei werden niedergemacht, doch Parzival ist schwer am knie verwundet. Dennoch führt er auf seinem rosse die dame auf ihre bürg, vor der eine bewafnete schaar ihnen entgegen komt, ilire herrin zu suchen. Freudig empfongen, glänzend untergebracht und von einem arzt ver- bunden, muss der lield einen monat dort in ihrer pflege verbleiben.

Sp. 639. Hie jaget Sagremors cime ritter noch, der im sin ros kette geuomen , unde icürt mit im vehtende in sinre eigineyi bürge.

Der verfolgte floh in sein festes haus. Sagremors ihm nach! Der bauer am tor Hess das falgatter nieder, und er muss mit den vorhan- denen bewohnern kämpfen, bis er sie sämtlich getötet hat. Nun bewir- tet der um gnade bittende torwart ihn mit reichlichem nachtmahl und wolgerüstet reitet er wider auf seinem mutigen Morel in den wald zu der gestrigen walstatt, avo die leichen der zehn ritter lagen. Bald fand er auch eine bürg, die sich im kriege zu befinden scliien.

Sp. 648. Hie kummet Sagremors zuo der inegde bürg und wilrt mit eime ritter vehtende, der kies Talides.

Den willig eingelassnen belehrt eine alte dame, dies sei die mägdeburg; darin seien siebenhundert Jungfrauen, alle von edlem ge- schlecht, und dazu ein schüler und ein kaplan. Ein mächtiger ritter, Talides, fordre eine zur geliebten, die sich aber weigere, ihm zu fol- gen, w^eshalb er jezt die bürg bekriege- Artus sei um beistand gebe- ten. Ein Junker, bruder der geliebten, der die Schwester lieber tot sähe, ehe Talides sie erhalte, hat erkundet, dass Talides mit dem beere morgen anrücken werde. Sagremors sendet diesem eine Jungfrau mit der forderung zum kämpf entgegen; siege er nicht, so müsse er den mägden urfehde schwören. Talides wird im kämpfe besiegt und muss sich der alten dame als gefangener stellen, die doch gerührt ihm die geliebte übergibt. Algemeine freude und andern tages brautlauf und heimzug, während Sagremors auf seinem schwarzen ross Morel andern abenteuern nachreitet.

Sp. 662. Hie vindet Sagremors xivene rittere, die eine jung- froice icoltent gesche?idet han mit den er vehtende icart.

Er erschlägt beide Übeltäter, und die Jungfrau führt ihn in ihr väterliches schloss, und unter beistand ihres bruders und vaters ver- weilt er sechs wochen dort zur heilung seiner wunden.

ZEITSCHEITT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 28

434 SAN MARTE

Sp. 672, 1. dex gesicigoi icir mi, wie ex iimhe in lit, bitx dax ex 7iu irihi xit. eins anders sollen wir an fon von kilnig Artus ölwin, kern Gawon, also ich ex in der ijstorioi vant; anders tuon ich ex ilcli nüt behcmt.

Sp. 672. Hie kuDunet die jnncfroice xuo kern Gawan, die des rifters swesfer wax , der In dem gexelt erschossen wart in hern Gaivans geleite. (S. Sp. 259 oben.)

Als Ga\Yan eines tages sich im saale mit Artus und der königin befand, komt schön geschmückt auf einem maultier eine Jungfrau gerit- ten, und teilt unter ^vehklaa'en mit, dass sie die Schwester des hier meuchlings getöteten ritters sei, und klagt Gawan an, dass er nicht zum gralkönig gekommen, der ihm alle geheimnisse würde entdeckt haben, und dass er ihrem bruder das geleit gebrochen habe. Er solle die Waffen des toten nehmen und ihr folgen, denn sie sei in grosser gefahr. Seine sünden hätten ihn einschlafen lassen, als der könig ihm vom gral und blutender lanze erzählte. Beide reiten sofort ab, übemachten in einer befreundeten bürg, die zweite nacht ohne Spei- sung im freien walde, den dritten tag herbergen sie unter gastlichem empfang in einem zeit bei zwei rittern und zwei Jungfrauen, und dann wider auf der bürg eines würdigen ritters.

Sp. 680. Hie klimmet her Gawan xuo einem füre, da icolte man eine jungfrowe inne verderbet han mit unrehte.

Weiter reitend sehn sie am rande eines waldes, wie zwei knechte eine bis aufs hemde entkleidete Jungfrau in ein feuer werfen wollen. Aber an 20 ritter und eine menge volks, an 2000, waren auch da; ein ritter erklärt, sie habe ihren bruder ermordet, um seine herschaft allein zu besitzen, das volk aber erklärt das für lüge, und fordert ihre frei- lassung, denn der wilde Dodinas habe ihn erschlagen, den sie jezt gefangen halte. Gawan kämpft mit dem vorgetretenen ritter, stürzt ihn vom ross ins feuer, aus dem er tot hervorgezogen wird, und mit jubel des Volks wird die gerettete frei, die Gawan zum dank leib und land bietet. Statt das anzunehmen lässt dieser den Dodinas, der ihren bru- der wirklich getötet hat, vorfüliren, und erkent in ihm seinen freund, landsmann und tafelrundritter, bittet ihn frei, und zieht weiter mit seiner dame.

Sp. 685. Hie kummet her Gawan an einen icalt unde vindet drie rittere, die gebruoder ivorent, unde wilrt mit den vehtende.

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNO 435

Sie sind neffen des ins feuer gestürzten rittors nnd wollen ihn rächen. Gawan tötet zwei (hivon, den dritten scliiekt er besiegt zu der geretteten Jungfrau, die ilui dankbai' aut'ninit.

Sp. 689. IIlc liunt her Uairan mit rinre jiiurfroicen in ir bürg, die in fnorie vo)i ]d\ni(f Artns Jiof, undc trihi mit rimr li'oritje veJitende, der hris Margnns.

Als Gawan mit seiner begleiteten dame in deren stadt und bürg anlangt, werden sie mit klagen empfangen. König Marguns hat sie hart belagert, weil die frau seinen söhn Kargrilo als gemahl verschmäht, indem sie ein ander lieb hatte. Ihr lieb ward aber gefangen, und Marguns liess ihn vor ihren äugen hängen; aber von den ihrigen wird auch Kargrilo gefangen, den sie von einem türm herunterstürzen liess, dass er starb. Nun rief sie ihren bruder zu hilfe, der aber in Gawans geleite durch ein javelot an Ai'tus hof erschossen ward (s. sp. 259), und zwar von Keye, was Gawan jedoch bestreitet. Am morgen reitet Gawan wolgerüstet dem Marguns entgegen. Dieser unterliegt im kämpf, muss steten frieden geloben und sich dem könig Artus als gefangner gestellen. Die Jungfrau bedauert, dass er ihn nicht getötet, und bittet, dass er an Keye räche nehmen möge; sie gab ihm dazu ein rotes fiihnchen mit dem bild eines Aveissen löwen, an die lanze zu heften, das er mit Keves blut färben solle. So reitet Gawan nach Karleun ab, während Marguns gleichfals mit 100 rittern und vielen zeltgeräten sich zu Artus auf den weg macht.

Sp. 700. Hie tvürt errettende Idinig Marguns sine sivester, und ivürt dnimhe vehtende mit eime der hies Gogaris.

Als unterwegs Marguns seine zelte aufgeschlagen, komt auf einem maultier ein hovereht getwerc geritten und berichtet, dass mit 150 rit- tern Gogaris Marguns Schwester Malolehat gewaltsam entführt habe; Marguns verfolgt ihn sofort. Fünfzig seiner ritter werden erschlagen, fünfzig gefangen, und fünfzig entfliehen, und die befreite spert den Gogaris in einen käfig, in dem er sieben jähre schmachten muste. Marguns mit dem zunamen: der könig mit den 100 ritteni, wird dem- nächst von Ai'tus mit ehren empfi^ngen und in die tafeirunde aufge- nommen.

Nu gesivige ich von im hie.

Sp. 703. Hie klimmet her Gawan zuo einer hiirg , und tcürt mit eime ritter vehtende von der bürge, der duff'e hovemeister ivas.

Nu hörefit von herren Gawan.

Einer bürg nahend, erkent ihn die am fenster sitzende herrin derselben, und befiehlt ilirem hofemeister, ihn gefangen zu nehmen,

28*

436 SAN HARTE

da er zu Artus gesinde gehöre, um an ihm Solimag, der ihres vaters bruder Avar und an Artus hofe heimtückisch erschossen Avard, zu rächen. Xach kurzem kämpfe wird der hofemeister niedergeworfen und bittet ebenso, wie seine auf einem maultier herbeieilende nichte, um gnade. Gawan erkent diese dame als diejenige Jungfrau, für die er gegen Mar- guus gefochten hat. Die herrin der bürg mahnt zwar daran, dass ja Solimag unter Gawans geleit erschossen sei, versöhnt sich jedoch und nimt GaAA'an gastlich auf. Die hinzugekommene ist Solimags Schwester und heisst „die rote Jungfrau"; Solimag hiess „der herr der bürg zu den felsen." GaAvan verspricht die anklage gegen Keye als mörder bei Artus ia austrag zu bringen. Gawan legt die waffen des erschossnen ritters an und reitet mit der roten Jungfrau zu Artus.

Sp. 710: Hie humet her Gawan 7alo künig Artus hofe mit einre junyfroicen unde ivürt mit Keygin vehtende von iren ivegen.

Gawan, der unbekant bleibt, besiegt Keye, doch wird ihm auf Artus bitten das leben geschenkt. Gawan bringt die rote Jungfrau zu der bürg zurück, wo er die wafFen entlehnt, und weilt noch 8 tage dort, während Keye noch zwei monate an seinen wunden zu hei- len hat.

Sp. 717. Hie findet her Gaivan sinen hruoder Agrafens, unde werdent vehtende mit fünf rittern, do hies einre Patris.

Nach einiger zeit begegnet ihm sein bruder, der ihm zu seiner beruhigung mitteilt, dass Keye wider genesen, der hof jedoch nicht wisse, wer ihn besiegt habe. Da kommen fünf ritter, todfeinde des Agrefens, feindlich angestürmt, doch zwei, Patris von dem berge und Galien von Kurnewal werden abgestochen und zu Artus geschickt, die übrigen entfliehen. Artus empfängt sie mit ehren Avegen ihres besie- gers. Bald nachher gehn auch die beiden bruder an den hof zu Artus.

Sp. 722, 9. nu wil ich Gawans hie gedagen und tvil üch voji Parzefale sagen der uf der hurg siech lag dort (sp. 625).

Nach mehreren Avochen genesen, bricht Parzival auf, von der herrin der bürg vortreflich ausgerüstet. Das gebrochne schwert nimt er mit sich.

Sp. 723. Hie kummet Parze fal zuo einre capellen unde wurt do init demme täfele vehtende und überwindet in.

Parzival sucht einen schmied, der ihm das zerbrochne scliAvert herstelle. Ein schAveres ungewitter überfält ihn, und er flüchtet in eine kapeUe im walde, dieselbe, in der er vor etAva Jahresfrist geAvesen

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 437

(sp. 598). Auf dem altar liegt der tote ritter bei brennender kerze. Wie damals verlöschte eine schwarze band die kerze; er warf seinen wHirfspiess gegen sie, den sie aber auffieng und zerbrach. Da erschien im fenster bis zum halben gürtel ein feuriges wesen, das ihm einen zwei klafter kugen brand entgegenstreckte, der ihm augenbrauen, bart und gesiebt verbrante. Mit furchtbarem blitz und donnerschlag wird die kapelle in brand gesteckt, der teufel erscheint in person und kämpft mit ihm, seine kreuzigungeii, segensprüche und gebete sind jedoch wirksamer, als sein schwort. Der böse weicht zurück, und Par- zival nimt aus der kapsei das weisse fähnlein, taucht es in Weihwasser und besprengt überall damit die kapelle. Die leiche auf dem altar ist ganz schwarz gebraut. Das feuer erlischt. Er legt das fähnchen wider an seinen ort. Nach vielen gebeten schläft er bis zum frühen morgen, der lachend hereinbricht. Die kerze brent wider, und er läutet eine glocke, damit ein priester komme, die leiche des ritters zu begraben. Mehrere mönche erscheinen, legen den ritter in einen marmornen sarg, bestatten ihn unter den hohen bäumen des friedhofes, und hängen seine waffen an einen bäum, wie auch mit den dreihundert rittern geschehen, die von der schwarzen band erschlagen wurden. Doch unter den angeschriebenen namen derselben befand sich kein tafelrun- der. Die königin ßlanschamor hatte diese kapelle, deren zauber Par- zival gebrochen, gestiftet. Bei spärlichem mahle herbergen ihn die mönche einen tag und eine nacht, und als er auf weitere abenteuer, um preis und ehre zu gewinnen, abreiten will, ermahnt ihn einer der „guten männer": wie er damit seine seele verderbe, dass er die men- schen töte. Parzival erschrickt, geht in sich, bereut seine sünden, tut busse und verspricht besserung.

Sp. 738. Hie sticket der tu fei Parxefalen von sime rosse, und machet sich der tilfel %uo eime rosse, und icurt da% ritende und ivolte in ertrencket han.

Der teufel, in rittergestalt, sticht ihn ab, und reitet mit seinem rosse fort. Dann komt ein lediges gesatteltes schwarzes ross, das er einfängt, sich aber mit ihm in tiefes wasser stürzt, aus dem er sich jedoch mit mühe errettet.

Sp. 742. Hie kummet der tilfel in eime schiffelin, und het sieh gemachet in Parxefals icibes geschöpfede.

Während der held sich betend bekreuzt und seiner sünden gedenkt, komt eine feurige dreiköpfige gestalt mit leopardenantlitz, feuer schnau- bend unter donner, blitz und hagel auf ihn zu. Zugleich komt auf dem wasser ein schifchen mit einer Jungfrau, worauf jene gestalt ver-

438 SAN MARIE

schwand, und diese ihn lierzlich als sein weib Kondwiramur anspricht; sie habe ihn lange gesucht. Bei der tafel im zelte, die ihre leute bereiten, wird von keinem priester ein segen gesprochen. Sie erzählt, wie ein grimmiger ritter, Talides von Cafalun, ihr land verheere; sie bereitet das bette, und als Parzival scherzend bei ihr lag, blickt er nach seinem an der wand hängenden schwert, das mit dem griff oben ein kreuz bildet. Da bekreuzt er sich und betet, und siehe, plötzlich schaffen die knechte bett. alles gerät und das zeit in das schiff, das unter donner und blitz schnell davon schAvamm. Nun erkante er des teufeis list, dankte gott, dass er ihr entrann und betete inbrünstiglich.

Sp. 747. Hie Ixunund ein hotte von (joitc in eins biderben man- nes glicJfnisse in ei nie sckiffelin und fueret Parxefalen von dannan. Der biedre mann im schiff gibt sich dem beiden zu erkennen:

Sp. 748, 13: der oberste vatter von himelrich, der do bekert die sünderj het mich ?ioch iieh gesant her daz ir von sorgen werdent erlost.

Folgt mir, ich werde euch zum ziele führen. Zuvor lässt sich Parzi- val den ei'fahrnen teufelsspuk erklären. Dann setzen sie über, und aus der bürg führt ihm ein Junker ein schönes weisses streitross und einen zeiter entgegen. Der jetzige herr dieser bürg heisst Sakur de Laloe, sein Vorbesitzer Bores. Der gute mann versichert, nachdem er das streitross bestiegen: es werde ihn gewiss zu seinem ziele führen.

Sp. 752. Hie fihtet Parxefal mit eineme rittere, der hiesch imnie xol.

Parcival verweigert den zoll, sticht ihn vom ross und schickt ihn zu Artus mit der Weisung

Sp. 754. Hie kummet Parxefal xuo JJodineas liep und wurt blos fehlende mit eineme rittere, der emveg fuorte siner angesihte, der hies Gafgens.

dass er zu pfingsten an den hof kommen werde. Auf einem wiesen- plan findet er in einem zelte die geliebte des Avilden Dodineas, die ihn entwapnet und freundlich bewirtet. Plötzlich sprengt auf weissem ross ein ritter daher, reisst die dame auf sein pferd und jagt mit der weh- klagenden davon. Parzival, ohne eisenwehr (blos), nur mit schild, schwert und lanze bewafnet, ihm nach, rent ihn nieder, schickt den besiegten zu Artus, und führt die gerettete auf seinem ross zum zelte zurück. Avo inzwischen der wilde Dodineas heimgekehrt, der ihn bis- her gesucht hat und nun ihn freudig aufnimt.

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 439

Sp. 763. Hie se?idet Parxefals lieb Kumleiviramors 7iach imme, daz er ir ze helfe lamime.

Arides von Kaffaliin verwüstet ihr laiul; nachdem beim sclimid Tribiiet das zerbrochne schwert p^anz ^-emaeht und (his hut'hdime pterd hergestelt ist, eilt er mit der butiii nach hause.

Sp. 766. llie kinnmct Par\cfal xuome cliriten mole xiio sime liebe Kioideu'iratNors xuo Bclrepere.

Freudig empfangen, besiegt Parzival am andern morgen den Ari- des, und schickt ihn zu Artus, muss aber tages darauf weiter zum leidwesen der gattin, um zu ptingsteu bei Artus am hufe zu sein. Inzwischen melden sich beim könige der ritter Menader, der Parzival den zoll abforderte, dann Gafyens, der die Jungfrau rauben wolte, und endlich Arides als von Parzival geschickte gefangene, und werden mit freuden in die tafeirunde aufgenommen.

Sp. 779. Hie viiulet Farxefal den xageliaftcn ritte r und wart sin geselle fünf jar.

Parzival begegnet einem ritter, dessen wafPen im sattel neben ihm samt der lanze hängen, der tiefsinnig (verdoht) schien, und ungewapnet ritt, weil er nie fechten wolte. Parzival schilt ihn wegen seiner feig- heit und nötigt ihn, sich kampffertig zu rüsten.

Sp. 781. Hie Immmet Farxefal und der xagehafte ritter xuo zehcn rittern, und ivoltent zwo juncfroiven han verhrant und werdent mit in vehtende.

In einem walde finden sie fünf ritter und zwei knechte, die zwei mädchen im hemde in ein feuer werfen wollen. Parzival eilt ilmen zu hilfe, der zaghafte tötet in notwehr zwei ritter, Parzival die übri- gen; die knechte entfliehen, doch verwundet der eine von ihnen Par- zival mit einem vergifteten pfeile. Die sieger werden von den geret- teten zu ihrer nahen bürg geführt, wo Parzival von seiner wunde geheilt werden soll. An drei monate Aveilt er dort in der pflege der Jungfrauen und des zaghaften, der hier auch „der schöne ritter" ge- nant wird.

Sp. 789, 14: nu hörent von Sagramors filrhas. do er dort tif der bürg icas, da men im hat so gros ere alse ivere er gesin ein künig here (s. sp. 662).

Als er geheilt, findet er an Artus hofe fast alle tafelrunder ver- sammelt, die vergebens Parzival gesucht hatten, imd Artus ist höchst misvergnügt, dass dieser nicht erscheint. An zwanzig der vorzüglich- sten gehn von neuem auf die suche, jeder auf besondrer Strasse.

440 SAN MAETE

Sp. 794. Hie vindei Boors sinen hnioder Lionel, den sehs bit- tere fuorteni nacket und gebunden und ivoUent in verderben.

Booi'S hatte seinen brudcr seit zwei jähren nicht gesehn. Da traf er ihn im walde, wie er grausam gemishandelt und blutig geschlagen von sechs rittern dahingeführt wird. Während er im begriff ist, diese scharf anzurennen, hört er das Jammergeschrei einer Jungfrau, die ein ritter, den noch zehn andere umgaben, entehren wolte. Boors befiehlt seinen bruder gottes barmherzigkeit und errettet die verfolgte, indem er den Übeltäter und alle zehn ritter niederstreitet und tötet. Dann eilt er seinem bruder nach. In der nacht den wald durchreitend, trift er auf eine am wege sitzende Jungfrau, die einen ritter ohne köpf im schoos hielt. Sie weinte, denn sechs ritter, die einen halbnackten mann unter rohen mishandlungen mit sich fortschlepten , erschlugen ihren liebsten, der den armen befreien wolte, und schnitten ihm den köpf ab. Boors eilt vierzehn tage und nachte ihnen nach.

Sp. 799. Hie vindet her Gawan Lyonel, den sehs ritter sluo- gent und übel handeltent , und u'urt her Gaivcin mit in vehtende.

von Boorse ich hie lasxen sol, und sagen von hern Gawane cluog.

Gawan auf seiner suche nach Parzival, begegnet den sechs rit- tern und tötet drei davon, die andern entfliehen. Den geretteten Lyo- nel bringt er in ein haus, wo ihn ärztliche pflege in vierzehn tagen heilt. Dann reiten sie neu gerüstet zusammen weiter, trennen sich doch bald, und Boors klagt zu gott, dass sein bruder ihm nicht zu hilfe gekommen. Xach vierzehn tagen weist ein mann im grauen kleide ihn zu einem bäum, wo ein toter ritter, namens Lyonel, liege. Boors findet ihn, und trostlos fleht er zu gott um beistand, macht das zeichen des segens über die leiche, und siehe, da fuhr der böse teufel mit freischlichem gebrumel, dass die äste an den bäumen zerbrachen, aus der leiche. Mit gebet und dank zu gott reitet er weiter.

Sp. 804. Hie hegegent Boors sime bruodere Lyonel und wiirt mit imme vehtende.

Wütend, dass er ihn nicht gerettet, rent Lyonel den bruder nie- der. Der hinzukommende Kolagrenans will sühne stiften, wird aber von dem rasenden Lyonel erschlagen. Boors erholt sich, bittet verge- bens um frieden, und fleht inbrünstig zu gott um Vergebung. Da kam eine wölke, so dass beide sich nicht sehn konten, und eine stimme vom himmel rief: dass Boors seinen bruder nicht anrühren dürfe; die wölke verschwand, und Lyonel lag wie tot am boden. Als er erwacht,

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 441

versöhnen sich die brüder, ein raönch hilft den Kolagrenans begraben und meint: der teufel sei in Lionel gefahren, daher sein wütiger hass gegen den bruder. Beide trennen sich bald an einem kreuzwege.

Sp. 812. Hie kiinunet l\ir\('f((l nndc der schöne riiter sin geselle %uo eime turncy wider kiiniy Artus nta^scnie.

Der gehrnoderc wellen ivir swigen hie, und sagen wie es Parxefalc ergie.

Nachdem Parzival genesen (sp. 781), gelangt er mit dem „schö- nen bösen", dem zaghaften ritter zu einer bürg, wo Artus und kr)nig Bademagun (sp. 506 und 513 hiess er Bagumades) ein grosses turnier abhalten. Sie halten es für geraten, sich in einem benachbarten klo- ster einzuquartieren und ungekant sich in die rennen einzumischen. Ohne das ende abzuwarten, trennen sie sich am nächsten tage und nennen sich ihre namen. Parzival meint, jener müsse „der schöne kühne" heissen (der dichter vergisst, dass beide schon sp. 506 l)ekant- schaft gemacht haben). Dieser reitet zu Artus, Parzival betet und beichtet sehr andächtig in einer kapeile, und der einsiedler verpflichtet ihn, nicht mehr, wie ehemals, an heiligen tagen wafFen zu tragen.

Sp. 822. Hie vindet Parxefal Estoren Lanszeletens bruoder, und tverdent mitteinandcr vehtende.

Auf einem plane zwischen Schotten und Irland findet Parzival Estorn, der zwei jähre lang irfahrten gemacht. Trotzdem er in zer- hauenen Waffen erscheint, fordert er Parzival zum kämpf, der beide so ermattet, dass sie erschöpft die nacht friedlich im walde zubringen. Beide fühlen sich todmatt und wünschen, dass ein priester zu ihrem sterben komme. Da erhelt sich der wald mit heiterem licht, ein engel trägt den gral herbei, umschwebt sie viermal, verschwindet in dem himmel und beide fühlen sich völlig gesund und stark. Sie trennen sich versöhnt, Estor sucht den bruder Lanzelot, Parzival den Par- tinias.

Sp. 828. Hie kummet Parxefal xno Partinias bürg luid icurt mit imme vehtende.

Parzival gelangt zu einer sehr festen bürg, mit vier kleinen und einem grossen, dem roten türm, wo Partinias wohnt, ,,der detne heil- gen kiinige Anfortas'^ so grossen schaden getan. An. einer grossen prachtvollen tanne vor dem roten türme hängt ein mit zwei Jungfrauen bemalter schild, und ein knecht belehrt ihn: wer den herab werfe, der sei des todes und werde hier, wie er sehe, aufgehängt. Parzival zerbricht den schild, und der knecht ruft den Partinias, der nicht

442 SAN MARIE

an gott glaubt. Sie kämpfen, und Parzival schlägt dem Partinias den köpf ab.

Sp. 834. Hie kNnnncf Parxcfal xiio liUnig Anfortasse xko dem driiioi inoJc mit Partifuds hoiibct, und iviirt der künig ro)nme yrole gesiDit.

Parzival komt endlich mit dem zerbrochnen Schilde und abge- schnitnen haupte des Partinias zur gralsburg, und als dieses dem Am- fortas gemeldet wird,

Sp. 835, 17: der liiuig mit ril frouden gros

sprang iif sine fnesse do xe stunt und ivas (d\emote gesunt. frölich und gar wol gemuot gieng er abe die stege guot, und begrüsste den beiden mit grosser freude und dank, dass er ihn von seinem langen leide befreit habe. Der köpf des Partinias wird auf einen pfähl gesteckt und auf dem höchsten türme ausgestelt. Die tafeln werden aufgeschlagen und dreimal wird der gral, der blutende speer und die patene feierlich herumgetragen, der gral spendet speise und trank. Xach der tafel nimt Amfortas den Parzival in eine fenster- nische imd fiagt nach seinem namen und herkunft, und sie erkennen sich als verwante, denn Parzivals mutter war die Schwester des Amfor- tas, und könig Goun, den Partinias getötet, sein bruder, der später das „wüste land", Parzivals heimat, verwaltete. Er versichert ihn: Sp. 839, 3: attes mi?i lant, des ich geiceltig bin, sol iich eigenliche undertenig sin, und muessent xuo kimige gecrönet sin zuo pfingesten, die %e nehest gont in. dax rnuos sicherlichen geschehen. Parzival will aber die kröne nicht annehmen, so lange Amfortas lebt; er müsse zunächst zu Artus, werde aber sogleich widerkehren. Amfortas gibt ihm neue herliche wafnung, und so reitet der held ab.

Sp. 840. Hie kummet Parzefal zuo einem burnen und rindet sehs rittere, mit den icurt er vehtende.

Auf einem wiesenplano findet Parzival an zwei tannen, zwei lor- beer- und zwei olivenbäumen je einen schild und speer, jeder von ver- schiedener färbe, grün, weiss, gelb, violet, zinnoberrot, das sechste uar gemusieret mit allen diesen färben, aufgestelt und um einen brun- nen herum sassen sechs ritter fröhlich spielend, und von vier schönen Jungfrauen bedient. Es ist der könig Saladres von den inseln mit sei- nen fünf söhnen: Dinisodres, Menassides, Nactor, Aristes und Gorgone.

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUNG 448

Parzival sticht alle sechs einen nach dem andern nieder und schickt sie zu Artus, der sie freudi.^: aufnimt.

Sp. 84(3. ///(' hunn/tcf Par\efal \ko siwe hrnodcr tnid vindet den von geschiltt Feriis Anschefin und ictirt mit inime vehtende.

Hier schliesst sich Wolframs gedieht B. XV, 734, 1 an und wird L. 769, 28 das abenteuer von Boors und Lvonel (s. oben sp. 794 und 804) kurz Avidererziihlt. Es folgt AVolframs text L. 770, 1 l)is L. 772, 30, Avo Parzival in einem längeren einschub kurz alle seine abenteuer, die oben sp. 582, 598, (302, 723, 738, 742, 747, 779, 781, 822, 828 und 840 erzählt sind, dem könig Artus mitteilt und bemerkt der Übersetzer dazu (Schorbach s. LIII):

Daz Seite er de7n ki'uiige gar. der kies es alles schriben dar an ein baoch von ivorte xe icort. die aventüre icolt er han für ein ort und ivax ieder ritter aventüre seite hies er ouch schriben algereite, der guote Idlnig eren vol, und hies es gehalten wol. Im buch XYI ist hinter L. 793, 28 rot die beischrift eingefügt (a. a. 0. LIV):

Hie klimmet Parxefal und sin bruoder Fervis Anscheivin und kilnig Artus und die tafelrunder alle zuo Muntsalfasche zuo dem grole. Hinter L. 820, 16 folgt ein grosser zusatz von 54 versen, der die krönung Parzivals erzählt, wobei ihm 14 grosse könige dienen, und die gralfeier mit dem festlichen gelage sich täglich einen monat lang widerholte. Dem könig Artus werden auch die geheimnisse des grals mitgeteilt, worauf er mit seinem hofe heimzieht.

Hinter L. 823, 10 werden noch einige familienangelegenheiten während Parzivals regieruug angeführt, die Verheiratung zw^eier muh- men und der tochter des Amfortas, und die überlassimg seines heimat- landes an könig Malun. Dann folgt die bemerkung zum schluss (sp. 845): Hie hei der alte Parxifal und der nuive ein ende und ivax rede hie noch geschriben stat, dax het Pfdippes Kot in gemäht, und folgt der widmungsbrief an den grafen Ulrich von Rappoldstein.

Die casanatische handschrift fasst sich hier kürzer und weist die geschichten von Loherin und priester Johannes als hier ungehörig ab. Xach v. Kellers auszug in seiner Romvart, s. 675 lautet sie abwei- chend von dem s. LVI verzeichneten zusatz:

444 SAN MARTE

Pa?'xifal bleip aldo für war gcicaJticJich alle sine jar mit gemache vnd lebte herlich vml hiiicet manige vesten sterldich sine nachgehur vorchtoi in gar sere vnd erboten ime gros ere sine ziva mumcn beriet er herlich nacl) aller siner ger dar )mch horte er sagen mere da\ Änglofals sin bruder tot icere dex irurt er betrübet gar wall er in lieb hette fürwar er sante nach dem kilnige von Malun %o haut vnd beiicdch ime cd sin la.nt dex landes viiderivant er sich künig Malun gar frümldich ouch sage ich iich von Lohelagrin der tet grosxe iviinder schin do er sich ritterschaft versan in dex groles dienste er pris geivan er beginc ivunders so vil Daz ich nit alles sagen wil ivie er zu der herxoginnen gei^i Brabaiit quam vnd die zu einer amyen nam vnd dar 7iach ivider zu de?n grol für also do von tvil ich nit sagen no wan dax wer zu vil do von ich no steigen ivil. Hie solle Erig no sprechen usw. folgt AYolframs text L. 826, 28 bis zum schluss 827, 30.

Das französische manuscript, wahrscheinlich doch auch auf kosten eines reichen geistlichen oder weltlichen hern hergestelt, oder aus einem kloster hervorgegangen, stelt sich als eine kompilation verschiedner Schriftstücke dar. die der kompilator notdürftig in Zusammenhang ge- bracht, und dabei avoI manches an den originalstücken geändert, aus- gelassen oder hinzugefügt hat. Crestien hatte die aventüren Parzivals und Gawans bis zu den festlichkeiten auf Joflanze geführt. Hier füg- ten sich zimächst die fahrten Gawans, dessen erster besuch beim gral und andere abenteuer ein, die nur mit Artus, nicht mit dem gral in beziehung stehn, und von unbekanter band eingesclioben sind. (Sp. 1

BILDUNGSGANG DER ORALDICHTUNG 445

bis 45.) Dann begint das buch von Carados (sp. 45 165), dem noch die keuschheitsprobe mit dem übergiessenden becher an Artus hofe angefügt ist, wie ja einer oder der andre dieser höfischen schwanke fast in allen romanen dieses kreises zur bclustigung der leser aufgeführt wird, lind auch in unserm Jüngern Titurel (str. 2343) in der wunder- brücke über die Sibra nicht fehlt. Mit sp. 169 endet diese erzählung in sich geschlossen und ohne Zusammenhang mit Parzival und gral, und stelt sich als eine ganz selbständige erzähl ung dar. Die folgen- den abschnitte bilden den feldzug Arthurs gegen das schloss Orgalus; sp. 259 reiht der kompilator Gawans zweiten vergeblichen besuch beim gral ein, führt ihn auch in den kämpf mit der schwarzen band, den Parzival später siegreich bestellt, deren geheimnis der dichter aber hier noch nicht verraten darf. Die abenteuer Gawans und seines sohnes werden als eine besondre geschichte bezeichnet (sp. 287, 3), und dieser folgt die erzählung von dem schwan mit dem schiff und toten ritter, welche sp. 314 endet und lediglich wälschen Ursprung verrät. Die Überschrift hier lässt nicht wol einen zweifei, dass der kompilator nun ein neues besonderes Schriftstück einfügt, dessen Inhalt bis sp. 602, mit ausschluss der aventuren sp. 513 579, Gawans fahrten betreffend, Parzivals gralsuche erzählt, als dessen Verfasser gegen den schluss hin sp. 582, 19 Walther von Dunsin genant wird, der aber kein andrer ist, als der anderswo Gautier de Denet, Gauchier de Doudain oder Dourdain genante erster fortsetzer Crestiens, und gleichfals wie der kompilator mit Gawans, dieser mit Parzivals scheiden von Joflanze begint. Eine vergleichung unsers textes mit Rochats auszug des Ber- ner ms. zeigt, dass dem kompilator Gautiers gedieht im original vor- gelegen hat, denn kapitel für kapitel mit wenigen ausnahmen stimmen die Überschriften im Inhalt mit den paragraphen Rochats, und vermute ich, dass auch diese Überschriften im Berner ms. enthalten sind, wo- rüber Rochat sich äussern mag. Da aber zugleich sich eine grosse Übereinstimmung mit dem dritten teil des Boronschen Petit Graal (Par- zival) nach Birch- Hirschfelds auszuge ergibt, wie im obigen auszuge angedeutet ist, so wird erkenbar, dass Gautier diesen gleichfals als Vorarbeit benuzt hat; und in der tat deuten die anfangsworte des Ber- ner ms., welche Rochat s. 1 mitteilt, auf die dichtungen hin, die ihm zu abfassung seines gedichts anregung gegeben haben.

Do roi Ärtit lairai atant,

et si ores clor en avant,

le hon conte de Percheval

et le haut livre de greal.

446 SAN ]SL\RTK

Le hon conte de Percheval ist unzweifelhaft Crestiens gedieht, das er fortsetzen will, und le haut lirre de Greal der Petit Greal Borons, den dieser in seinem ersten und dritten teile melirnials als Ja grant estoirc dou Groel bezeichnet, von welchem vor ihm noch kein sterb- licher geschrieben hat. Dabei holt er mehrere aventiiren nach, die Crestien übergangen hat, aber bei Boron vorhanden sind. Auf Borons Merlin geht Gautier nicht ein. Er scliliesst mit Parzivals krönung nach der genesung des fischerkönigs, welcher drei tage nach der krö- nung stii'bt, und finde ich hiernach erwiesen, dass wii- in dem Ber- ner ms. die dichtung Gautiers in ihrer unverlezten ursprünglichkeit besitzen, wodurch der wert jener handschrift für die französische littera- tur sich steigern dürfte, aber auch in beziehung auf Wolframs gedieht nicht unwichtig ist. Der kompilator des Colinschen ms. konte die- sen schluss nicht gebrauchen, da er auch noch die fortsetzung Manes- siers in seinen codex aufnehmen wolte, zu der aber der fischerkönig am leben bleiben musste, um auch die noch hinzugedichteten fata Par- zivals mit zu erleben. Parzival wurde daher hier nur in folge der gelungenen Zusammensetzung des Schwertes gewissermassen als stathal- ter eingesezt, die krönung aber verschoben bis Manessier, als zweiter fortsetzer Crestiens noch seine dichtung vorgetragen hat. Die krönung, wozu auch Artus eingeladen wird, erfolgt nun, der endliche schluss wird aber in Colins bearbeitung durch die anhängung der beiden lezten bücher von Wolframs Parzival herbeigeführt, mid demgemäss der französische text verlassen. Die dritte fortsetzung Crestiens von Gerbers bleibt unerwähnt und unberücksichtigt, existierte vielleicht auch noch nicht. Mit unrecht schreibt Colin, dass Wolfram dem Cre- stien nachgedichtet habe, indem er ganz ignoriert, dass unser dichter den provenzalen Kyot als seine quelle angibt, dessen namen er doch im deutschen Parzival Wolframs muss gelesen haben.

Augenscheinlich liatte Robert de Boron es auf ein umfassendes Schriftwerk abgesehen, wozu ihm Gottfried von Monmouths Historia Regum Brittanniae, ein werk, das in kürzester zeit einen weitruf erlangt hatte, und von einem grossen teil der geschieh tschreiber als wahre authentische geschichte aufgenommen und nachgeschrieben wurde, mag anregung gegeben haben. Die bekehrung Englands zum Christentum zu schildern, war ein würdiger Vorwurf, und ebenso war es ein glück- licher geistreicher gedanke, die ausführung dieses Vorwurfs an die bis ins 8. und 9. Jahrhundert zurückreichende legende von Joseph von Arimathia und das ihm anvertraute gefäss mit dem blute Christi anzu- knüpfen, wodurch seiner erzählung ein populärer, zugleich religiöser

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTÜNG 447

Untergrund, im gegensatz zu den zahllosen weltlichen rittergeschichten der fahrenden sänger, gegeben ward, der noch dadurch gefestigt ward, dass wirklich bei der eroberung von Ciisarea a. 1101 die berühmte schale entdeckt ward, welche in der ganzen Christenheit das grösste aufsehn erregte und für die abendmahlschüssel des heilands gehalten wurde, wie ebenso bei der einnähme von Antiochien im jähre 1098 die lanze des Longinus gefunden ward, wiewol sie schon einmal Karl dem Grossen geschenkt und von diesem an Otto I. gelangt war ereignisse, die nach 50 bis 60 jähren im volko noch nicht vergessen sein konten, die daher in seine erzählung hineinzuziehen für den dich- ter nahe lag. Indem am Schlüsse des ersten abschnitts des Petit St. Graal dem hüter des heiligen gefässes und seinen genossen die Wei- sung gegeben ward, fern nach dem westen hinzuziehen und das Chri- stentum zu verbreiten, und ein himlischer brief ihm die täler von Avaron (Avalen) anweist, wo sie die gnade gottes und den söhn Alains des Grossen erwarten sollen, spricht Boron deutlich die absieht aus, die geschichte seines heiligtums, des grals, mit den einheimischen fabeln des Artuskreises zu verbinden; denn im tal Avalen auf einer insel, auf die nach altwälscher tradition sich der tödlich verwundete Artus zurückzog, und von wo seine Aviderkunft zur herstellung seines reiches erwartet wurde, lag auch das berühmte kl oster Glastemburg, zu dessen abte im jähre 1126 der dem englischen königshause ver- Avante Heinrich, graf von Blois, ernant war, in dessen auftrage Willielm von Malmesbury um 1135 sein werk De antiquitate ecclesiae Glasteniensis schrieb, worin nach Zarnckes scharfsinniger erörterung (Paul und Braune, Beitrage III, 325 fgg.) nach einer späteren Interpo- lation der apostel Philippus mit seinen genossen die dortige erste kirche gegründet imd das Christentum verbreitet haben soll, worauf schon lange die regierung der englischen könige den anspruch der Unabhängigkeit der englischen kirche vom pabst zu Rom gegründet, ein anspruch, der auch noch im Tridentiner kouzil auf grund dieser fragwürdigen akten behauptet luid durchgeführt wurde. Zustatten kam, dass auch der wälsche klerus im einverständnis mit den fürsten imd häuptlingen des landes im eignen interesse die Unterwerfung unter den pabst beharlich verweigerte (s. Lappenberg, Engl, geschichte I, 136, 141, 182, 248). Den französischen und englischen gelehrten muss überlassen bleiben, festzustellen, zu welcher zeit diese interpolation stat- gefunden hat; dass sie aber zur zeit, da Boron schrieb, schon vorhan- den war, zeigt eben seine Verweisung der gralhüter nach diesem angeb- lich ersten apostolischen kirchensitz, imd er fand darin, ebenso wie

448 SAN MAKTE

Gottfried von Monmouth ein mittel, das lebhafte interesse für sein werk sowol der kirchenpolitik des englischen liofes und was dem anhängig, als der brittischen nation mit ihren tafelrundrittern, so wie des waft'enfreudigen adels zu gewinnen. Ob unter diesem Alain dem Grossen^ jener Alanus, herzog von Armorika, der nach Gottfrieds von Monmouth Historia XII, 12 18, die mit Cadwallo vertriebenen Wtälschen aufnahm, und später ihnen zur rückeroberung ihres landes behülflich war, zu verstehen ist, muss ich dahingestelt sein lassen. Die wälschon fabelschreiber liebten es, die namen hervorragender per- sonen ihren tafelrundrittern zu geben, wie z. b. Ovein (Tvain), Geraint ab Erbin (Erek), Caradoc Briebras (Caradoc Treich-vras, Gottfr. v, Mon- mouth, Hist. Y, 14 und anm. 293 und meine Arthursage s. 30) und Maglocunus (Mael-gun) des Gottfr. v. Monmouth, der nach de la Yil- lemarques scliarfsinniger entdeckung in den Lanzelot der romane ver- wandelt Avurde-, romane die schon vor Gautier von Crestien und andern gedichtet waren. Sielit man an diesem lezteren beispiel, wie mit der Verwandlung liistorischer personen in romanhelden umgesprimgen wird, so dürfte auch die Vermutung nicht weit abüegen, wenn man den in Borons Merlin eingeführten beichtvater der mutter Merlins, Blaise den permanenten Chronisten dieses ganzen Sagenkreises, mit dem Hein- rich grafen von Blois, abt von Glastemburg, durch ein Wortspiel ^ in eine sinnige und schmeichlerische Verbindung zu bringen suchte, indem so die chronik des Blaise, ,, durch die wir das alles noch Avis- sen'^, als Urkunde des hauses Blois kentlich gemacht werden solte.

Der zweite teil von Borons Petit Set. Graal, Merlin, ist fast ausschliesslich auf Gottfr. v. Monm. Hist. Reg. Britt. basiert, und auch dieser teil entbehrt einer gewissen geistlichen färbung nicht in der erzählung von Merlins geburt und seines trotz teuflischer geburt ein- flussreich guten Verhaltens zu Pendragon und Uter als deren berater und prophet. und von Arthurs schwertj^robe und feierlichen krönung auf geheiss Christi weniger freilich in der erzählung von Arthurs unehelicher geburt Aus diesem abschnitt Borons scheinen die Mer- linromane, die von Lanzelot, Tristan, Iwein, Erek und die unzähligen, zusammenhanglosen, zum teil weit über Borons zeit hinausreichenden abenteuerfahrten ihren abfluss genommen, oder in ihnen ihren sam-

1) Über ihn s. meine „Arthursage'^, s. 30. 31, Eochat I.e. s. 173 und Lappen- berg, Gesch. Englands I, 250 (Hamburg, Perthes. 1834).

2) S. San Marte, Beiträge zur celtisch- germanischen heldensage (QuedUn- burg, Basse. 1847) s. 93.

3) Blois, lat. Blesae, Castellum Blesense. Martinian. Hist. geogr. lexicon.

BILDUN'GSGANG DER GRALDICHTÜNO 449

melpunkt gofanden zu haben. Das G:ebiet dieser erzälilungen liegt weit ab von der bekehiung Englands zum Christentum und der erfor- schung des grals und seines heils. Das streben dei- hehlen ist ein rein weltliches, persönliches nach ehre, watt'ennihin, niinue^iiick, wie das rittertum sich das leben mit den schönsten färben ausmalte, gleichwul ohne feste Charakterausbildung und klar durchgeführte motive.

In Borons drittem teile, Parzival, tritt Jedoch ein neues wichtiges dement in die dichtung, indem der gral mit seiner beglei- tung, durch Merlins Stiftung der tafeirunde an Artus hofe abgesondert wird von dieser, und er, als abendmahlsschüssel und heilige wunder- tätige reliquie ein selbständiges leben und wirken erhält, während der sitz an der von Merlin gestifteten dritten tafel nur eine Vorstufe bildet für den als besten der weit bewährten ritter, welcher bestirnt ist den gral endlich zu finden. Und den bildungsgang dieses erwählten zu schildern, macht sich der dichter zur neuen aufgäbe. Von den zwei ersten teilen des Petit Set. Graal haben wir gesicherte manuscripte, beim dritten teile, Parzival, liegt der verdacht neuerer Interpolationen vor, und da scheint mir durch das Berner ms., Avie es Colins franzö- sischer codex mitteilt, und im obigen auszuge markirt ist, einige kon- trolle geübt werden zu können, indem die eingemischten kapitel, welche sich zwar im Berner ms., nicht aber bei Boron finden, als von Gau- tier neu eingeschoben anzusehen sind; denn jedenfals ist das Berner ms. jünger als Borons ursprüngliches gedieht. Solcher art siiul die kapitel sp. 322. 338. 351. 364. 371. 409. 439. 456. 485. 486. 492. 506. 582. 586. 591. 598. Und ist es richtig, dass wir das Berner ms. als Gautiers originalgedicht anerkennen müssen, so werden die im codex Colin enthaltenen nachtrage und einschiebsei, welche sich nicht im Berner ms. und auch nicht bei Boron finden, als vom kompilator des codex Colin herrührend bezeichnet werden können und sehe ich recht, so gesteht auch der kompilator dies selbst in den zeilen zu:

Sp. 314, 22: dar zuo vant er (Parzival) ouch xivor, daz sollent ir ivüssen fürivor, manuj oventür sicer, die nilt sint geschrieheii her,

d. h. die nicht in Gautiers gedieht, seiner vorläge, geschrieben sind^. Demi dass diese bemerkung nicht von Gautier und noch weniger von unsern Übersetzern herrühren kann, sondern nur vom kompilator sei- nes codex, zeigt der bei Kochat abgedruckte eingang des Berner ms.

1) Dies sind die kapitel, .sp. 513. 531. .5G1. 572. 579.

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 29

450 SAN MARTE

Der schluss dos dritten teils, Arthurs kämpf mit Mordrcd, und sein verschwinden auf Avalon gründet sich wider auf Gottfried von Mon- mouth und ward die quelle zum roman Mort- Arthur.

Kobert de Borons schriftstellorperiode wird selir bestimt begrenzt: von 1150 oder 11 60 nacli Waces überdiclitung von Gottfr. v. Monm. Historia Reg. Britt., dem Roman de Brut bis zum tode Crestiens de Troies 1190, der über seinem Conte de Set. Graal hinstarb, dem aber doch Borons gedieht schon einige jähre vorher zu seiner benutzung niuss vorgelegen haben. Auf grund seiner höchst eingehenden ver- gleichung der hierher gehörigen Schriftwerke, wie eins auf das andere sich stüzt und weiter bildet, datiert Birch- Hirsch fehl, 1. c. s. 239 241

Robert de Boron zwischen 1170 und 1189,

Crestien de Troies um 1189,

Gautier de Doudain zwischen 1190 und 1200,

die Queste du Set. Graal 1190 bis 1200, jedoch nach Gautier,

den Grand Set. Greal vor 1204,

Manessiers fortsetzung des Crestien zwischen 1214 und 1220,

Gerbers von Monti'euil einschub zwischen Gautier und Manessier, vor 1225,

Parcival li Gallois in prosa, um 1225, vielleicht auch etwas später. Wir müssen erstaunen, mit welchem eifer die romanschreiber über den von R. de Boron angeregten stoff in den nächsten Jahrzehnten nach Crestiens herfielen, und wie emsig jeder des anderen Averk nach- las, um das material der dichtung zu ergänzen und zu vermehren. Aus Gautiers angäbe seiner quellen müssen wir schliessen, dass ilun nur Borons gedieht und Cretiens Conte du Graal bekant war; auch fehlen in der bis jezt bekanten litteratur ältere Zeugnisse. Da aber Crestien das buch zu seinem gedichte geständlich vom grafen von Flan- dern, Philipp von Elsass, und vielleicht ein schon mit Zusätzen versehenes exemplar erhielt, so muss ich jezt mit Wahrscheinlichkeit annehmen, dass dieses buch eben Borons gedieht gewesen, und nicht das gedieht Guiots von Provins, wie ich früher vermutete. Boron selbst hat in seinem dritten teile schon eine ziemliche anzahl von aven- türen aus dem wälschbretonischen Sagenkreise aufgenommen, auch gegen den schluss (Birch -Hirschfeld s. 178) nochmals den Merlin auf- treten und ihn gewissermassen den epilog zum ganzen sprechen lassen, so dass es nicht befremden darf, wenn hieraus sich immer neue zusätze anschlössen, die indess über die entstehung und bedeutung des grals nicht im geringsten neue aufschlüsse geben, indem alle oben genanten fortsetzer den gral als abendmahlschüssel und heilige wundertätige reli-

BILDUNGSGANG DER GRALDICHTUN'Ö 451

quie, dem p^odankonstrom B(n'ons folgend, festhalten, ja das gefäss fast niit dem persönlich herunnvandelnden hcihmd s<'lbst iih'ntificieren, dadurch aber auch dem ringen nach dem gral ein religi()ses motiv unterschieben, das indess eigentlich nur in der figur Parzivals zum bestirnten ausdruck komt, bei den übrigen holden jedoch ganz verges- sen oder sehr in den hintiM-grund gedrängt ist. Icii ghiube behaupten zu dürfen, dass alles, was die altwiilsehe und altenglische litteratur seit den jähren 1170 80 speziell über den gral ül)erliefert hat, ei"st aus Frankreich nach den inseln übertragen ist, und es wird ein vergebliches bemühen der englischen gelehrten sein, den urspi-ung der sogenanten gralsage auf wälschen oder englischen boden zu vei- ptlanzen, wogegen Crestiens unvollendetes gedieht durch die besondre hervorhebung der figur Parzivals, als von gott designierten gralfindei-s, vermuten lässt, dass er ebenso, wie Gantier, mit der erreichung des gesteckten Zieles seinen i-oman habe schliessen wollen. Dieses neuere material führt daher nicht zur quelle der graldichtung zurück, sondern ist dichterische fortbildung, bez. entstelhnig der französischen dichtung, wenn auch die alten wälschbrotonischen sageii, der inons fIo/oros?ts, das castcUuw piicllarum, die sich schon in Gottfrieds historie finden, die jagd des weissen hirsches, das selbstspielende Schachbrett, die peit- schenden Zwerge, die schwarzen männer und riesen, die feen, ver- wünschten wesen, verzauberten Schlösser usw. mit in die erzählungen hineingezogen werden.

Yergleichen wir diese französischen graldichtungen mit unserer ich darf wol sagen deutschen version der gral- und Parzivaldich- tung Wolframs, so treten wir in einen ganz andern kreis religiöser anschauung, können aber den einfluss französischer vermitlung nicht verkennen. Schon die Vorgeschichte bei Wolfram, die Colin sehr treffend als ,,das buch Gamuret" bezeichnet, weist uns mit entschieden- heit darauf hin. Die begebenheiten bei Patelamunt und Kanvoleis mit den dort auftretenden personen haben anspielungen auf andere erzäh- lungen, die jedenfals in der französischen litteratur vorhanden waren, und wovon sich spuren auch selbst in der deutschen litteratur finden; Bötticher in seiner abhandlung (Zeitschr. f. d. phil. XllI, 420 fg.) hat meines erachtens evident dargotan, dass Wolfram diesen abschnitt nicht erfunden haben kann, sondern einem roman gefolgt ist, der Gamurets leben bis zu seinem tode umfasst. Dieser teil enthält auch die schmeichlerische auszeichnung des hauses Anjou, wozu ein deutscher dichter jener zeit nicht die geringste veranlassung hatte; auch findet sich keine spur von bezieh uugen Wolframs zu dem mit dem englischen

29*

452 SAN MARTE

künigshause vertrauten deutsclieii Weifenhause, dem zu liebe Wolfram, wie Zarncke andeutet, diese anspielung könne gemacht haben. Dieser teil enthält niclit die gering-ste hindeutuni;- auf den gral; er genügte der üblichen anforderung an die dicliter, dass sie auch von den vorfahren des erkornen helden, und wo möglich auch von seinen nachkommen nachricht e:aben. Da Crestien in seinem Conte du Graal schon von Boron darin abwich, dass er den Parzival schon als ritterfiihigen knap- pen einführt, ohne vater und mutter mit namen zu nennen, und somit seine abstannnung vom waischen Alain verwarf, war es einem sinnigen nachdichter nennen wii* ihn Kvot nicht schwer, den helden Ga- miu-et als würdi2:en vater Parzivals einzuführen. Einen wesentlich abweichenden Standpunkt von Crestien aber nahm er bei der Überarbei- tung von dessen gedieht ein, dem er im tatsächlichen zAvar ziemlich treu folgte, und daher die öftere Übereinstimmung AVulframs mit Cre- stien, aber dem gral den Charakter als abendmahlschüssel und reliVjuie nahm, somit die feier der messe ablehnte und ihn zur stimme gottes machte, die unmittelbar zu seinen erwählten, seiner gemeinde redet, welcher er die form einer nach der Unabhängigkeit vom pabst streben- den geistlichen brüderschaft gab, und zwar des von ihm in seiner bible einzig belobten tempelordens, dessen mitglieder in Verteidigung des christlichen glaubensschatzes für ihre Seligkeit kämpfen. Die allego- rischen namen und örtlichkeiten des gral- und zaubergebietes sind französische; wie soll ein deutscher sie erfunden und in einem deut- schen gedichte französisch eingefügt haben? Die scheinbar so zu- sammenhanglos dastehende korrektur Ti'evrezents hin sich ts der neutralen engel zeigt auf einen rein theologischen gelehrtenstreitpunkt jener zeit hin (s. meine Parzivalstudien II, 55), auf den Guiot durch die erwähnimg in Borons legende von Joseph gekommen sein mag, w^o am schluss erzählt wird, dass Joseph den Yespasian niclit blos über die Schöpfung, den sündonfaU, geburt, leben und sterben des hei- lands, sondern auch über das Schicksal der neutralen engel belehrung geben sull (Birch-Hirchfeld s. 153), wodurch Vespasian zum christen- t'.im bekehrt ward: ähnüch wie Trevrezent den Parcival belehrt, was Crestien ziemlich kurz gibt, Guiot aber ausführlicher scheint behandelt zu haben. Älinlicher art ist die andre koiTcktur in Trevrezents lehre, dass gott und nicht der priester die Sünden zu vergeben vermag (s. Parzivalstudien II, 123, 124), wodurch der mensch in unmittelbare beziehung zu gott gesezt und dem Avahrhaft gläubigen nach dem spä- teren ausdruck der reformatoren das algemeine priestertum erteilt, die priesterliche absolution verworfen, und, so hoch auch der geistliche

BILDUNGSGANG DER GRALDICIITUNG 453

stand geehrt wurde, ilun der göttliche nimbus genommen wird, zumal in jener zeit er in seiner Verworfenheit an haupt und gliedern ein zerbild dessen darstelte, was er eigentlich sein solte, wie Guiot von Provins in seiner bible (mitgeteilt und übersezt in meinen Parzivalstu- dien bd. I) es ausfülirlich nachgewiesen hat. Die graldichter wissen nichts von einer si'huld des fischerkönigs, wodurch er sein grausames leiden als strafe verdient habe, er wird vielmelir nur als ein objekt behandelt, an dem der gral seine wunderkraft zu bewähren hat, wäh- rend bei AVülfram die blutende lanze, mit welcher jene dichter nichts anzufangen wissen, als das strafwerkzeug gottes für seine Versündigung gegen gottes gebot dem Amfortas vorgelialten wird, wie in der liäus- lichen erziehung dem kinde die rufe gezeigt wird, um es an seine Unarten und deren konsequenz zu mahnen. Darum wird auch die blutende lanze, wie ich gegen Birch-Hirschfeld s. 185 bemerke, dem gralo vorangetragen, weil bei der gralfeier, die Rosenkranz schon 1830 uir eine art agape erkante, vor dem genusse des gralsegens reue und bussc vorhergehen muss, die durch das algemeine Aveliklagen bei erscheinung der lanze sich kund geben. Daher ist auch Parzivals frage: „luax. tvirret dir?" nicht blos eine frage teilnehmenden mit- gefühls, sondern eine gewissensfrage nach der seeleiüäuterung des ge- straften dulders, ob der kranke in wahrer reue seine schuld erkent und bekent, damit er der gnade gottes wider teilhaftig werde, und auch in diesem sinne beantwortet Amfortas s. 819, 16 820, 4 die frage. Ebensowenig legen sie nachdruck auf die unwandelbare eheliche treue Parzivals, der bei ihnen mehrmals an zärtlichen anwandlungen leidet, und sich sogar die minne der dame durch den hirschkopf erkauft, weshalb er auch, je länger je kräftiger zum tleissigen kirchenbesuch und sonstigen äusserlichen Übungen angehalten werden muss, der fri- volen ansieht des weltlichen rittertums entsprechend, die bei dem minne- vergehn GaAvans in den versen sp. 37, 29. 30 ihren charakteristischen ausdruck findet. Auch die liebestreue Sigunens lassen sie bei seite, obwohl ihre gestalt verdunkelt vorübergeht (sp. 350), und die erschei- nung des Feirefiss entgeht ihnen, da ihnen das buch Gamuret nnbekant geblieben. Ferner frage ich: wie kam AVolfram zur italischen sage von Virgil und Klinschor, den er dem wälschen Merlin substituiert, und wie zu den örtlichkeiten in Steiermark, von denen Trevrezent erzählt? w^orüber der vielgereiste Kyot sehr wol konte künde eingezogen haben. Endlich lassen jene graldichter zur lezten prüfung der Wür- digkeit Parzivals die höllischen erschein ungen, ja den teufel selbst in grauenvoller gestalt gegen ihn ins feld ziehen, nach den voi^tellungen

454 SA>' MAKTE

des stumpfen laiulläutigen von dem klcrus geförderten aberglaubens „nach der pfaffhcit Jcrc/' Wie künstlerisch anschaulich, ja, ich möchte sagen verklart erscheinen diese ungeheuer bei Wolfram in den figuren, die ich als dem reich des bösen angehörig bezeichnet habe! Auf der- selben stufe, wie jene französischen dichter steht auch Albrecht in sei- nem Titurel ^, der über den gral noch die ecclesie als die höhere macht sezt. Wenn Birch- Hirschfeld am schluss seines wertvollen werkes zu dem resultat gelangt, dass Wolfram mit seiner Vorstellung vom grale ganz vereinsamt dasteht, so möchte ich den ausdruck vielmehr in originell verwandeln, denn seine religiöse ansieht steht im klaren gegensatze gegen die jener dichter, so wie das biblische ovangelium der päbstlichen kirchensatzung gegenüber steht.

Und in denselben Jahrzehnten, während jene dichter den gral in ihi'er auffassung verherlichten, und Guiot und Wolfram an ihren dich- tungen arbeiteten, während die akademischen kämpfe über die wich- ticfsten christlichen ii'laubenssätze, über die lehre von der sündenveri^e- bung imd der erlösung, vom ablass, der transsubstantiation usw. auf den kathedern der hochschulen und auf den schlossern der grossen, wie auf den gassen auf das heftigste diskutiert wurden und ihren höhe- punkt erreicht hatten-, in denselben Jahrzehnten wurden schon die Schwerter geschlifi'en und die Scheiterhaufen geschichtet, um die hun- derttausende hinzuschlachten, die von der entsteltcn kirchcnlehre und der entweihten priesterschaft sich mit absehen abwanten. Und diese tief alle schichten der Christenheit in Frankreicli und weiter durch- wogende religiöse aufregung solte nicht auf einen gelehrten, tief sin- nigen bibelkundigen, der christlichen Wahrheit zugewanten geist und dessen dichtung einen reflex geworfen haben, wie der franzose Guiot, der sich mitten im lande dieser bewegung befand, ihn angedeutet, und Wolfram ihn volkommen verstanden, als sein eigentum aufgenommen und in meisterhafter form uns widergegeben hat? In ihm glüht ein flinke, der nach drei Jahrhunderten zur hochauflodernden wetterleuch- tenden flamme aufschlug, und unsere dichtung hoch über alle jene nur zur täglichen Unterhaltung gedichteten werke stelt, und ein zeugnis ablegt, das wir zum vollen Verständnis und zur Wertschätzung dersel- ben nicht verläugnen dürfen.

1) S. San-Marte: Rückblicke auf dichtiingen und sagen des d. niittelalters, (Quedlinb. Basse, 1872) nr. VII, vergleich Wolhams mit Albrecht in theologischer beziehung, s. 175.

2) Reuter, Geschichte der aufliärung im mittelaltcr. Bd. I, buch III zwölf- tes jahrhundei-t. Berhn, Herz, 1875.

MAGDEBURG. SAN HARTE.

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BERICHT ÜBER DIE VERIIANDLUNGEX DER DEUTSCH -ROMANISCHEN SECTIUN DER XXXX. VERSAMLUNG DEUTSCHER rillLOLOGEN UND

SCHULMÄNNER IN GÖRLITZ.

Erste Sitzung.

1. Nachdem sich am 2. Oktober die scctiou im saalo des rathausos constitiüert liattc, wurde die erste sitzuug am 3. Oktober 8V._, uhr eröfnct. In das album haben sich eingezeichnet: Gaspary, Brcshui; 0. Erdmaiin. BrcsLau; Siebs, Breslau; Wolff, Kiel; Marold, Königsberg; Blau, Leipzig; Weingürtner, Breslau; Wilke, Lauban; Boctticher, Berlin; Kinzel, Berlin; Brugmann, Leipzig; Uhlo, Görlitz; Koschwitz, Greifswald; G. Stier, Zerbst; Kölbing, Breslau; Ziemer, Colberg; Rost, Schwcidnitz; Wiedcmann, Görlitz; Abicht, Liegnitz; Fritsche, Stettin; Sternberg, Görlitz. Nach- dem der erste versitzende, professor Gaspary, die anwesenden begTÜsst hatte, über- ti'ug er die leitung der Verhandlungen in voraussieht, dass sich dieselben haupt- sächlich auf dem gebiete der deutschen philologie bewegen würden, dem zweiten versitzenden, professor Erdmann. Zu Schriftführern wurden Siebs und "Wein- giirtner gewählt.

2. Erdmaun widmet den während der lezten zwei jähre verstorbenen fachge- nossen werte der erinnerung; in eingehenderweise gedenkt er vor allem der Verdienste von Karl Goedeke, Paul Schütze, Karl Bartsch dessen teilnähme an den intcressen der philologenversamlung ganz besonders gewüi'digt wird , Nikolaus Delius, Karl Lucae, Karl Elze.

3. Sodann hält Marold -Königsberg den angekündigten vortragt „über den aus- druck des naturgefühls im minnesang und in der Vagantendichtung." Die Vaganten stehen auf dem boden der lateinischen schulpoesie des mittolalters ; von ihrer gelehrten ausdrucksweise sie personificieren die natur, reden vom schoosse und der Schwangerschaft der erde finde sich bei den älteren minnesängern keine spiu*; ei-st um die mitte des XHI. jahi-himderts seien infolge engerer berührung zwischen den deutschen Sängern und den wandernden klerikern jene gelehiien ele- mente in den deutschen minnesang eingedrungen. Sie treten uns erst bei Hohen vels, Nifen und späteren entgegen, deren heimat ausser Vrouwenlob und Wizhlv Schwaben oder die Schweiz ist, und bei denen sich in der regel beziehungen zum geistlichen stände nachweisen lassen. Ein weiterer teil des Vortrags behandelt die Schilderung des winters, der in dei- Vagantendichtung fast durchweg personificieii werde, vor allem wo der dichter den kämpf des winters mit dem sommer im äuge hat. Diese Vorstellung mag ursprünglich volkstümlich sein, jedoch schon die lateinische gelehi-te dichtung hatte sich ihrer bemächtigt (vgl. z. b. den conflictus veris et hiemis des Alkuin). Bei den älteren deutschen minnesängern finde sich hiervon keine spui", und wenn je eine stelle beiVeldeke, Hartman und AValther einen beleg bieten, so sei zu berücksichtigen, dass bei diesen dichtem kentnis des latei- nischen und gelehrte bildung vorausgesezt werden müsse. Bei den minnesängern liege vielmehr das charakteristische der winterschilderung in der gemütvollen teil- nähme an den Veränderungen, welche die natiu* erleidet (der entlaubte wald, das veränderte bild der haide usw.). Dabei bilden sich gewisse typen aus; doch fehlen abgesehen von einigen stellen bei Yeldeke alle physikalischen anzeichen des winters (kalte nachte, die niedrig stehende sonne usw.). Diese sind für die vagan- tenheder charakteristisch, während sich die miuuesänger auf die innere empfin- 1) [Dieser Vortrag wird demnächst ia erweiterter form in der zeitschr. veröffentlicht werden. Red.]

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düng beschränken und die winterkhige entweder in einklang mit dem liebesschmerz oder in gegensatz zum licbcsglüeko stellen. Eine besondere erörterung verdiene Nithaii. Bei ihm seien die eiütheta des winters noch algemeiner art, und nur in den unechten liederu seien solche zu finden, denen eine persouification zu gründe liegt. Dass auf Xithaii die Vagantendichtung von eiutluss gewesen sei , zeige sich in häufiger erwähuung physikalischer ersclicinungen, z. b. der winde, des wetters, des cises (aus der ganzen zahl der minnesänger erwälmcn dieses allein der kanzler, Konrad von "Würzburg und ein unechtes lied Nitharts, während sonst nur schnee und reif genant werden); auffällig sei bei ihm aucli die mehrmalige klage, dass die linde nun keinen schatten gebe: sonst wird der schatten des baumes, der in den Vagantenliedern eine grosse rolle spielt und vermutlich aus der Spielmannsdichtung herübergenommen ist, im miuuesang nur an vier stellen erwähnt (Walther 94, 24; Uh-ich von Wintei-steten MSII 1, 139; Vrouwenlob MSII III, 149; Konrad von AVürz- burg III. 334). Nach der zeit Nithaiis finde ein immer grösserer ausgleicli statt, indem die charakteristische art und weise der vaganten sich im minnesang einbürgere imd umgekehrt. Was sclüiesslich die deutscheu strophen der carmina Burana angehe, so seien lüer die winterschildcruugen durchaus in der terminologie der späteren min- nesänger abgefasst. In der sich ansclüicssendeu dcbatte erwähnt Köl hing die von E. Th. Walter (Germ. 34) über den Ursprung des mmnesangs neuerdings geäusserten ansichten mid weist sodann auf die naturschilderungcn im französischen epos und auf das mittelcnglische epos hin. Hier werde namentlich zu beginn der abschnitte die Winterstimmung m Verhältnis zur liebe gestelt, z. b. im Merlin. Gaspary bemerkt, gelehrter einfluss sei in dem doch algemeinen vorkommen derartiger auffassung der Jahreszeiten nicht zu erblicken, und belegt diese ansieht durch hinweis auf proven- zalische und älteste italienische dichtmigen. Stier macht auf ein im jähre 1888 erschienenes Wernigeroder festprogramm aufmerksam ^ Koschwitz ist der ansieht, die carmina Burana, in denen sich so viele romanische demente finden, seien zu •Dteniational in iliren motiven, als dass sich für deutsche dichtung sichere Schlüsse daraus ziehen Hessen; die personificierendc auffassung der Jahreszeiten nehme zeitlich mehr und mehi* zu. Siebs vermisst in dem vortrage Marolds durchgehcnds die imtersuchung, inwieweit wir volkstümliche motive zu erkennen haben, und hält dafür, dass man bei solchen arbeiten nicht füglich die carmina Burana heranziehen, die volkstümlichen grundlagen des minnesangs aber, wie sie Berger (Ztschr. f. d. phil. XIX. 440 fgg.) unter Verwertung der volksliedersamlungen festsgetelt habe, unberück- sichtigt lassen dürfe. Marold erwidert, das falle nicht in den kreis seiner Unter- suchungen: er habe von nationalen dementen abgesehen und überhaupt nur züge hervorheben wollen, die den gemeinsamen charakter der gelehrten dichtung und des minnesangs erweisen. Wolff bemerkt, lenz und liebe hätten von jeher den gegen- ständ aller lyrik gebildet: die Verbindung beider motive sei im wesen des dichteri- schen processes überhaupt begründet. Die anakreontik des 18. Jahrhunderts und die griechische litteratur werden herangezogen. Nm' übereinstimmende proben ganz ausserge wohnlicher natui'belebung seien für abhängigkeit beweisend. Erdmann hält eine solche annähme für viel zu weit gehend. Möglichkeit der Originalität sei ja selbstverständlich, indes hätten wir doch der anhaltsi)unktc für entlehnung gar viele; ein sehr wichtiger scheine ihm z. b. in den besprochenen Personifikationen der erde zu liegen.

1) H. Drees, Die poetische natarbotrachtung in den liedem der deutschen minnesänger. Wer- nigerode 1888.

rHILOLOGKNVER.SAMLUNG ZU UÖRLITZ 457

4. Kinzel bittet, iu wcitoron kreisen für das i»;ulagogisehe unternehineu der herausgäbe älterer deutscher litteraturdonkniälor nebst Übersetzun- gen, die ilim und Boettieher obliege, wirken zu wollen. In dieser sanilung sollen 41 gedichte AValtiiers von der Vogelweidc erscheinen, denen etwa 20 lieder aus „Des niinnesaugs frühling " vorangeschickt werden, um die eutwicklungsgeschichto der lyrik zu veranschaulichen. Der vortragende gibt übersetzungsjtrobeu von G liodern "\\'althers.

Schluss der sitzung 10^4 u^i^"-

Zweite sitzung.

1. Am 4. Oktober wird die sitzimg um 8'/., uhr nüt dem vortrage Wolffs „über den stil des Nibelungenliedes'^ eröfuet. Zunächst wird angeführt, dass volks- und kunstdichtung nicht gegensätze, sondern stufen seien: wenn man das llildebrandslied und ebenso die Nibelungen als volksepen bezeichne, so lasse man viele grade unberücksich- tigt. Eine entwickluugsgeschichtliche erklärung müsse auf dem Nibelungenliede fussen. Volksdichtung sei die poetische gcstaltung der im volke fortlebenden sage, so lange sie von individualität ungetrübt sei. Stilistische eigentümlichkeiten der Volksdichtung seien z. b. die typisch gewordene Zusammenstellung paarweise zusammengeordneter Worte {ivqj imde man), ferner parallelismus des satzbaus, gewisse metaphern u.a.m. Andere erscheinungen hingegen, die häufig als merkmalc der Volksdichtung angesehen werden, seien nur elemeute der volkstümlichen poesie, nicht der volks poesie, und sie seien vielfach durch die Spielmannsdichtung hineingekommen, z. b. formel- hafte Wendungen, sodann die Superlative ausdrucksweise {t)iir cnkumlc nimmer lie- ber geschehen)^ die schalkhafte darstellung usw. Im algemeinen tragen nicht nur einzelne lieder, sondern das ganze gedieht einen höfischen charakter, und der sei nicht etwa einem höfischen Überarbeiter zu danken, sondern der geist des ganzen Werkes sei höfisch. Beweise dafür liegen in der Schilderung höfischen prunkes, fer- ner in der darstellung des ccremouiellen benehmens {Rücdegcr vor Hayene), in der auffassung der ethischen begriffe {cre, minne)\ wir finden die erst nach dem zweiten kreuzzuge in Deutschland eingedrungenen demente des ritterwesens {aventiure, tjoste usw.); die alten chai'aktere sind gemäss der neuen auffassung umgestaltet {Hagenc der vil xierliche degen; Prünhilt dcr^ minnccliche wlp) kurz, die wenigen spu- ren der volkspoesie seien von höfischer kunst überwuchert. Sodann wird erörtert, ob die lieder zum singen gedichtet seien, oder ob wir es mit einem zum lesen bestünten Schriftwerke zu tim hätten. Auf grund stilistischer eigentümUchkeiten wird die lezte ansieht verfochten. Zwar werde im Nil)elungenliede die scenerie der hand- lung kurz vorgefühlt (dö sprimgen von dem sedelc u. ähnl.); der schall ausführlich besehrieben (wart der schal so gröx-, dax Wormex diu vil icite dar nach vil li'de erdöx)^ der sprechende innerhalb derselben rede widerholt eingeführt und nicht selten die konstruktion htio xoivov venvant; aber es sei stets nur von sagen, nicht von singen die rede, und subjektive luieile, seelenschildemngen, motivierungen und Parenthesen seien zahlreich; ebenso komme häufig betonung von äusserlichkeiten, namentlich der kleidung, vor. Diese leztenvähnten punkte seien für ein zu lesendes werk bezeichnend, denn das lied kenne kerne bcgrüudung und erläuterung, sondern nur tatsachen. Wii- könten also höchstens von kleineren epischen gedichten reden, die zusammengeschweisst seien; aber auch das sei nicht anzunehmen, da wir einen inne- ren Zusammenhang, eine lückenlos fortlaufende handlung hätten; ferner das durch- gehende motiv, dass alle lust in leid ende. Widersprüche, die dui-ch das ganze werk

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laufen, seiou uk-ht aiulei-s zu beurteilen als bei Schiller (Don Carlos) oder Shake- speai'e die seien durch verschiedene quellen erklärlich. Auch habe man mit interi>olationcn und principielleu abänderungen der Schreiber zu rechnen. Alles in allem: wir haben das original eines nationalen hofepos vor uns, von dem uns manche briicken zum fremden romantischen hofepos führen (so namentlich bei A^'olfram). Als heimat des gedichtes bezeichnet der vortragende Österreich; die ent- stehuug sezt er aus stilistischen gründen und annähme historischer analogien (Ver- mählung des Friedrich Barbarossa mit Beatrix von Bm-gund) vor 1170 an.

In der debatte wendet sich zunächst Boetticher gegen den redncr. Der gegensatz eines romantischen und nationalen liofepos sei unklar und nicht zu billigen: hofepos sei die in stoff und form von den Franzosen entlehnte modedichtuiig, wäh- rend die volkssage, von den spielleuten höfisch aufgepuzt, vorgetragen werde. Fer- ner hätten wir im Nibelungenliede durchaus keinen einheitlichen stil, sondern der volksmässige stil der spielmannspoesie und der höfische stil seien in grossen partien unverschmolzen nebeneinander zu finden; auch seien die festschilderungen usw. durch- aus nicht zum ganzen verschmolzen. Bemerkenswert sei ferner, dass kein höfischer dichter ausser AVolfram und dieser aus anderen gründen! Nibelungendicliter erwäline, während doch sonst berufung des einen auf den anderen voiiiege (Veldeke iinpfctc da\ erste ris u.v.a.). Dem entgegnet "W^olff, er glaube natürlich nicht, dass eine stilistische betrachtung allein die Nibelimgenfrage lösen könne. Dass übrigens der höfische Charakter nicht einheitlich durchgeführt erscheine also die Verschmelzung des spielmauusmässigen , des volksmässigen und des höfischen stilelementes erkläre sich eben dui'ch das ringen nach einem neuen stil, durch eine Übergangsperiode. Boetticher bemerkt, der kernpunkt der ganzen Untersuchung müsse sein, ob wir Überhaupt lieder anzunehmen haben, gleichgültig in welcher abgrenzung und Verarbei- tung; und diese frage werde dui'ch stilbetrachtungon nicht gelöst, Wolff bestrei- tet das. Sodann wendet sich Kinzel im anschlusse an Boettichers auffassung gegen die zu verwerfende methode, die des vortragenden Untersuchung eingesclilagen habe. Derselbe habe sowol bei der betrachtung des volkstümlichen bestandes der Nibelungen als auch bei der beurteiluug der einheit seinen ausgang von vorgcfassten meinungen und definitionen genommen und das lied an diesem massstabe gemessen. Exemplificationen von modernen dichtungen (z. b. der vergleich mit den Widersprüchen im Don Carlos) seien unzulässig. Sodann -wird auf grund eingehenderer besprechung des vieiien liedes des vortragenden annähme bekämpft. Wolff bemerkt, ihn habe die eng bemessene zeit genötigt, in der form stellenweise dogmatisch zu verfahren. Auch sei seine anordnung des Stoffes dadurch beeinflusst, dass die resultate aus einer fortlaufenden Untersuchung über die entwicklungsgeschichte des epischen stils heraus- geri.ssen seien. Zum vergleiche könne man die homerischen epen heranziehen, die keine volkspoesie mehr seien; ebenso die slawischen historischen Volkslieder, die auf der stufe unserer spielmannspoesie stünden. Eost wirft dem vortragenden ebenfals vor. er sei von vorgcfassten meinungen ausgegangen, und wendet sich dann im ein- zelnen gegen die auffassung gewisser von AVolff" als höfisch bezeichneten ausdrücke {rieh, herlieh). An höfisclien einflüssen sei das lied reich, aber man brauche darum keine Überarbeitung anzunehmen. AVolff entgegnet, zierlich und andere epitheta der beiden seien beweiskräftig für die veräusserlichte bcurteilung des hcldentums. Uhle äussert über die bedeutungscntwicklung genanter epitheta eine ansieht, welcher Siebs mit einigen etymologischen bemerkungen widej-spricht. Zum Schlüsse erklärt Erdmann, schlagworte wie „volkstümliche poesie" und „nationales hofepos" seien,

miLOLOGENVERSAilLUNG ZU UÖULITZ 459

SO schön sie klingen mögen, mit vorsieht anzuwenden. Die verschiedenen [»aiiicn vor allem z. b. das 14. gegen das 2. und 3. licd betrachtet zeigton koutraste, die unmöglicli die cinordnnng zu einem einheitlichen ganzen gestatteten.

2. Er d manu verliest einen antrag Boottichors, der auf einen antrag H. Stiers in der piidagogischen section der Dessaucr i»liilologenvcrsamlung im jähre 1884 zurückgreift. Die rcsolutiou wird einstimmig in fulgender fassung angenommen: „Die deutsch-romanische section des 40. ithilologontagos schliosst auch ihrerseits sich den bereits 1884 von der pädagogischen section aufgcstelten und jüngst in der versamlung rlieinicslier Schulmänner neubegründeton forderungeu hinsichtlich der widerherstellung der mit- telhochdeutschen lektüre in den obersten klassen der gymnasien und realgymnasien an, indem sie in den immer häufiger und dringender lautwerdenden äusserungcn dieser art ein uiivcrkcnbares zeichen eines uuabweislichen bedürfuisses erblickt."

3. Erdmann berichtet über eine im besitze des dr. Wilhelm -Breslau Ijcfindlicho samlung von briefen aus Kamlers nachlass, die der vater des jetzigen inhabers in Anklam durch einen zufall dem verdorben entrissen hat. Es sind alles briefe von grösserem litterarischen Interesse; Klopstock, maier IIem[»el, Joh. Chr. Schmidt, Gleim, Sucro, Sal. Gessuer, Moses Mendelssohn, Ebert sind vertreten. Der besitzer bereitet die herausgäbe vor.

4. Fritsche berichtet im anschlusse an diese mitteiluug von dem fuudc eines bisher nur teilweise bekanteu Goethcbriefcs an Karl August sowie über bruchstücke eines liriefwcchsels zwischen Friedrich Wilhelm IV. und de la Motte, die sich in Stettin im besitze des assessor Schwencker befinden.

5. Wolff erwähnt demnächst von ihm zu veröffentlichende liandschriften der Eutiner gymnasialbibliothek , unter denen namentUch briefe von Ernestiue Voss an ihren söhn Abraham bemerkenswert seien.

6. Siebs bespricht ein manuscript der Breslauer stadtbibliotliek. welches vermutlich nach einer handschrift im jähre 18ÜG auf der bildiothek des Hallischen Waisenhauses abgeschriebene gcdichte von Ludw. AVilh. Gleim enthält. Es sind „Bie- der gesungen im jähre 1792", „Zeitgedichte für wenige leser. Im jäimer 1801" und „Schweizerische kriegslieder. 1798." Die beiden ei-sten samlungen sind im druck erschienen; die leztgenante ist dem referenten nur aus einer unvolständigen hand- schrift bekant, cUe sich im Gleimstifte zu Halberstadt befindet.

7. Nachdem Erdmann einige vorscliläge betrefs der wähl der versitzenden für die nächste in München al)zuhaltende versamlung gemacht hat, gil)t Kinzel pro- ben seiner übersetzmigen, indem er weitere elf lieder Walthers vorträgt.

Schluss der sitzung 11 uhr.

Dritte sitzung.

Am Sonnabend den 5. Oktober wird die sitzung erst um 9'/4 uhr eröfnet, damit den mitgliedern gelegenheit gegelien sei, dem vortrage des dr. Lehmann -Berlin „über den deutschen Unterricht" in der pädagogischen section anzuwohnen.

1. Eröfnet wird die sitzung unter vorsitz des prof. Gaspary'mit dem vortrage* des prof. Koschwitz- Greifswald „Über die notwendigkeit, bei syntaktischen

1) Den bericht über diesen vertrag gebe ich xuiter benutzung des authentischen protokoLs des heiTn dr. AVeingärtner. Die ausfülirlichcn mitteihuigon rechtfertigen sich, glaube ich, durch das alge- mein - sprachwissenschaftliche interesse des Vortrages.

460 SIEBS

Untersuchungen die lauthistorischen voräuderungeu nicht unbeachtet zu lassen.** Für das Studium des französischen sei das Verhältnis der geschriebenen zur gesprochenen spräche von höchster Wichtigkeit. Neuerdings haben schulreformer (wie Paul Passy) behauptet, num müsse die gesprochene spräche unteiTichten. Not- wendige Vorbedingung dafür ist natürlich die grammatik einer gesprochenen spräche. Das Verhältnis der Schrift zur ausspräche lässt sich noch am ehesten klarstellen; aber in der erkentnis der <|uantitätsgesetze, des wort- und satzaccentes, der ton- höhe, des Verhältnisses der gesprochenen zur geschriebenen formenlehre sind wir noch weit zurück. Bezüglich des lezten punktes verweist der vortragende auf seine ^Neufranzösische formenlehre nach ihrem lautstande. Opi)cln 1889." Die gesprochene tiexionslehre zu unterrichten wie reformer es vorgeschlagen haben sei wol keine erleichterung des lernens: da trete in den meisten fällen für die regel der schriftgram- matik nur eine andere formulierung ein; aus der schulgrammatik konte man doch bei kentnis der ausspräche die regel der lautgrammatik abstrahieren, aber nicht umge- kchit. Betrefs der abweichuugen zwischen geschriebener und gesprochener spräche in der syntax fehle es an allen vorarbeiten. Die flexion ist vielfach erloschen, plu- rale sind meist nicht mehr erhalten, und neuausgebildete syntaktische mittel vertreten die alten tlexionen; auch sind in der gesprochenen spräche die alten konkordanz- gesetze fast geschwimden, das imperf. couj. und das perf. histor. existieren fast nur noch in der gebildetensprache ; superkomponierte formen {fai eu entendii) vertreten die einfachen u. a. w\. Differenz der gesprochenen und geschriebenen spräche in der syntax hat es selbstverständlich wie heute so auch früher gegeben: darum muss die historische erforschung der syntax auch die lautsprache ins äuge fassen. Daraus erklärt sich oft die aufstellung spitzfindiger gesetze, denen die geschichtliche basis fehlt. Lautliche Veränderungen können syntaktische Umwälzungen bewirken. So wurden beim Übergang des lateinischen ins romanische formen wie fut. 1 und II, conj. imperf. und perf., die ihrer lautlichen gestalt nach zusammenfallen oder unkent- lich werden musten, almählich durch Umschreibungen und neubildungen verdrängt. Ferner: im frz. des 12. Jahrhunderts verstumte bei syntaktischer Zusammengehörig- keit das flexivische s vor konsonantischem anlaut (z. b. wo ein adjcctiv vor einem konsonantiisch anlautenden Substantiv stand), vor vokalischem anlaut aber und in der satzi>ause, d. h. am Schlüsse eines satzes oder Satzgliedes blieb es hörbar. Dadurcli geriet schon früh der gebrauch des flexivischen s im nom. sing, und den obliquen casus ins schwanken, vermengung des nomiuativ mit den casus obliqui trat ein, und schliesslich ward die casusunterschciduDg ganz aufgegeben. Infolgedessen ward dann die Wortfolge im satze eine strengere, und im mittelfrz. entwickelte sich die dies- bezügliche feste, heute noch geltende regel. Die erhaltung des s gerade im plur. beruht wol mit darauf, dass der acc. [»lur. liäufigoi- in der satzpause stand als der nom. sing.; das s blieb dann bis ins 17. Jahrhundert an dieser stelle lautend. Redner geht dann auf das verstummen des tonlosen e näher ein und führt u. a. aus, dass t/jnloses e nach einem hauptton vokal viel später am schluss des satzes, wo es unter dem satzton stand, vei-stumt ist, als in andern fällen: also später in „la mere qiie j'ai Tue^'- als in „j'ai vu(e) la niere.^^ Sehr oft haben solche erscheinungen zu den spitzfindigen Schreibgesetzen der grammatiker anlass gegeben: daher die kom[)li- cierten regeln iiber pluralisation appellativisch gebrauchter eigennamen, z. b. Cicerons; hier lautete das s gar nicht. Die regel, dass man nu-tete und nu-pieds, aber <cYc luie und picds nus zu schreiben habe, ist modern: afrz. heisst es 7iue teste und teste nue, nur verstumte das e im ersten falle, wo es ja vortonig war, eher. Bei

PHILOLOGEN VERSAMLÜNÖ ZU GÖRLITZ 461

afrz. nu^ picx ist s (x) schon früh vei-stumt, in pier. nux liingcgen wurde es bis zum 17. jahrhundeii gosproclion. Der adverbicUo cliarakter des voi-anstehendcn mi ist eine fal)el, und so steht es aucli mit den rcgehi über demi, sujtpnse, exrepte usw. Nfrz. helas ist unveränderlicli; im afrz. aber brauchte man eh las! oder eh lasse! {lasses plur.), je naclidem sich mäiinliclie oder weibliclie weson dieses aus- druckes bedienten. Da er stets in der satzpauso stand, so verschwand die llexions- unterscheidung; aber auch im masc. bheb das s fest. So ist auch die moderne i'cgel über »fil und mille (milles) nur durch verstummen des e und s möglich geworden. Sodann wt^st der vortragende die regel über die konkordanz des ])art. perf. mit dem Subjekte bei reflexiven verben als eine neue Spitzfindigkeit nach. Dass ferner das part. perf. bei aioir gerade bei vorangehendem accusativ das e bzw. .s- aufi-ccht erliiolt, bei nachstehendem aber verlor, komme daiier, dass im lezten falle das part. meist an d(Mi satzschluss trat, wo sich ja auslautendes c und s am längsten erhielt. So werden alte durch frühere lautverhältnissc bereciitigte erscheiimiigen in der Schrift festgehalten, auch nachdem sich die lautverhältnissc gcändta-t haben; oder theoretiker finden in dem aufgeben des alten lautes grund zur annähme von differen- zierungen, welche die spräche nie gekaut hat. Solche erscheinungen finden sicli in allen sprachen, am häufigsten aber natürlich da, wo wie im französischen eine starke abschleifung flexivischer laute statgefunden hat. Er d mann bemerkt liierzu, dass diesen hochinteressanten nachweisen sich aus der entwicklung des deutschen in historischer zeit verhältnismässig wenig ähnliche falle würden zur seitc stellen las- sen. Doch sei z. b. die moderne nnsichei'heit im gebrauche des conjunctivs wol zum teil aus dem zusammenfallen vieler formen desselben mit den noch im mhd. von ihnen unterschiedeneu formen des indicativs zu erklären. Gaspary will die regel über das particip nicht auf lautlichen einfluss zurückgefüiirt wissen : das praedicative Verhältnis sei wol noch tiefer empfunden worden. Aus dem spani- schen sei nichts zu ersehen; im italienischen habe eine abschleifung nicht stat- gefunden. Die regel sei ungefähr die des altfranzösischen: unverändert sei das paii. bei voranstellung, veränderlich bei nachstellung. Koschwitz gibt zu, dass die erscheinung vielleicht nicht bloss auf lautlichem einfiusse beruhe; wie in den meisten fällen hätten aucli liier gewiss zwei factoren zusammengewirkt. Brug- mann weist darauf hin, dass erscheinungen wie die vom vortragenden beliandeltHu sich auch in den älteren indogermanischen sprachen finden, namentlich auch schon in der muttersprache des französischen, im latein. Die jüngere sprachentwick- lung, in der sich der Vorgang schrittweise an der band der Sprachdenkmäler ver- folgen lasse, werfe hier wie so oft licht auf die ältere, wo sich der process ganz oder zum teil in vorliistorischer zeit volzogen hat und es dem forscher wilkom- men sein muss, wenn sich seine deutung durch analoga aus modernen, leichter überschaubaren Sprachphasen stützen lässt. Als beispiele dafür, dass auch bereits im lateinisclien rehi lauthcher wandel syntaktische neuenmgen im gefolge hatte, fülni Bnigmann den locat. sing, auf -7 und die 2. pers. plur. auf -mim an. Dass der locativ mehr und mehr zu guusten der ausdrucksweise mit in c. abl. wich, hing damit zusammen, dass die locativform mit der genitivform zusammenfiel (belli „im kiiege'' und „des krieges"). Bei den mit dem lautliclu^i zusammenfall {I auch im nom. plur. masc.) zusammenhängenden oi-thographischen bestimmungen der alten grammatiker (des Lucilius EI für i pingue, I für i tenue) liefen in ähnlicher weise Spitzfindigkeiten und wilkürlichkeiten unter Avie in den analogen fällen bei den älteren französischen grammatikern. Das imperativische sequiminT ist mit J. Wackeruagel

462 MARTIN

als eine imperativiseh verwoiulotc infinitivfovin anzusohon, die den griech. infinitiven \do Xiyfutvut entspricht; das indieativische sequi wiul dagegen war nach alter deu- timg ein nom. plnr. part. med. (entsprechend griecli. ino/jevoi nnd fTiötuftHa) nnd war iirspmuglicli nicht auf den gebrauch als 2. pers. bescliränkt; mau sagte sequi mim suvius, estis, sunt. Nuu hatte der zusainnienfall von oi- und ai- in -7 zur folge eiuei-seits dass das imperat sequi tu im sicli auf pluralisclie Verwendung bescliriinkte, anderei-seits dass d.os indicat. sequimiul mit weglassung der copula nur mehr als 2. pers. gebraucht wurde; in jenem falle hatte das indicat. sequimim das imperati- \ische beeinflusst, in diesem umgekelirt

2. Da die nächste philologenversamlung in Münclien statfniden soll, so wer- den zu sectious Vorsitzenden die professoren Konrad Hof mann und Brenner gewählt.

3. Nachdem der versitzende, prof. Gaspary, den anwes(Miden für ihr erschei- nen gedankt, scliliesst er die Sitzung um 10^4 ^^hr.

BRESLAU, OKTOBER 1889. THEODOR SIEBS.

MISCELLEN UND LITTEEATUR

Grundriss der germanischen jihilologie, unter mitwirkung von K. v. Amira . . . (u. a.) herausgegeben von Herinanii Paul. I. lieferung. Mit einer tifel. Strassburg, Trübner. 1889. 25G s. 4 m.

Eine Zusammenfassung des bisher von der deutschen philologie geleisteten unter gesichtspunkten . welclie auf ihre weiteren aufgaben hinweisen solten, war unzweifelhaft erwünscht und dankenswert, wenn schon füi- die geschieh te unserer Wissenschaft bereits vorzügliche gesamtdarstellungen vorlagen und insofern Pauls unternehmen nicht in gleichem masse neues bieten konte wie Gröbers grundriss der romanischen pliilologie, an welclien sich der seinige äusseiiich anschliesst.

Die erste lieferung wird fast ganz durch die geschichte und die methodenlehrc der germanischen philologie ausgefült, welclie Paul selbst bearbeitet hat. Über den begiiff und zweck dieser Wissenschaft geht er ziemlicli rasch hinweg. Er schliesst sich zunächst an Böckhs definition an, welche als gegenständ der pliilologie die gesamte menschliche kultur l»ezeichnet, eine definition, nach welcher philologie und geschichte wenn diese ebenso im weitesten sinne gefasst wird zusammenfallen. Und so spricht auch Paul in den ersten algemeinen bemerkungon seiner methoden- lehrc nicht vom philologon, sondern vom historiker. Freilich beschränkt er dann doch die aufgäbe des philologeu, indem er ihm die beschäftigung mit den s}»rach- denkmälem zuweist und daher Sprachwissenschaft und litteraturwisscnschaft als die notwendigen zweige seiner tätigkeit ansieht. Vielleicht lässt sich diese beschränkung noch weiter auf einen einzigen keinpunkt zurückführen. Ich schliesse mich dabei an bemerkungen an. welche Müllenhoff mündlich geäusseii hat und die ich aus der erinnerung freilich nur in sehr unvolkommener weise widergeben kann. Müllenhoff stalte den philologeu dem historiker so gegenüber, dass er diesem den stiat, jenem die poesie als den mittelpunkt seines interesses zuwies. Genauer würden wir etwa mit Gröber (Grundriss der romanischen philologie s. 14G u. ö.) anstatt der poesie die künstlerisch gestaltete rede setzen, nur dass für die ältere zeit beides ja zusammen fält. In der tat sind eben die wissenschafthchen fächer, die sich auf die poesie bezie-

ÜBER PAUL, GRUNT)RISS DER GERM. PHTL. I 463

hon, mctnk, littcrahirp:oF;chichto , pootik, sowie dio orkliirung einzelnor dicht- und Schriftwerke so recht eif>outlich aufgalxm der philologie, während die graniniatik auch von den sprachforsclieni im engsten sinne, die altertümcr von historikern und Juristen in ansi)ruch genommen werden. Aber das tatsächlich bi'steheude Verhältnis zunächst den liistorikern gogenül)er lässt sich aucli hogrillicli reclitfertigen. Die wisscnscliaft der gescliiclite hat es mit dem gcscliohcnen zu tun; sie will den gang einer cntwioke- lung begreifen und darstellen, und sie bekümmert sich daher um die träger dieser entwickelung streng genommen nur insofern, als an ihnen diese entwickclung sich volzieht und erscheint. Die ijliilologie dagegen fasst das gewesene ins augo und bemüht sich um die kentnis der (nnzehvescn, welche sie nacli allen selten, soweit die Überlieferung es nur gestattet, sich zu vergegenwärtigen strebt. Daher greift die geschichte weit aus, während die philologie sich gern beschi'änkt. Geschichte und Philologie verhalten sich in der art ilirer arbeit und ihrer crzeugnisse wie maierei und plastik: jene gibt von einem festen Standpunkte aus eine ansieht, welche iil»er grosse flächen, auf weite fernen hin sich erstrecken kann, aber immer nui- eine seite des gegenständes vor äugen stelt; diese zeigt uns volfiguren, nach allen selten hin ausgearbeitet, aber freilich so dass diese gegenstände nur für sich oder höchstens mit wenigen vei-w\anten erscheinungen zusam menge fasst werden, Müllenhoff sagte, wenn ich nicht irre: gescliiclite stelt dar was die menschen verbindet, und keine Verbin- dung ist so stark und so woitgroifend als die durch den staat gegebene; philologie beschäftigt sich mit dem, was den einzelnen auszeichnet, und so eigen ist ihm nichts als die poesie, die kunst der rede. Äussert sich in der kunst das ganze geistige vermögen wie es ursprünglich durch das verbum können bezeichnet wird, so ist unter allen künston die kunst der rede dazu am meisten befähigt, da sie am w^enigsten an äussere bedingungcu gebunden ist. Es kann nun die frage aufgewoifen werden, ob und wie die übrigen gegenstände der philologischen forschung mit jenem mittelpunkt in Verbindung zu bringen sind. Zunächst die grammatik. Es leuclitet unmittelbar ein, dass für das Verständnis der poetischen denkmäler auch die volstän- digste und genaueste kentnis der spräche durchaus nötig ist, dass auch die etymolo- gie schon der Wortbedeutung wegen ein unentbehrlicher bestandteil der philologischen grammatik ist. Die volständige kentnis der spräche erstrebt nun auch die s]jrach- wisscnschaft im engeren, besonderen sinne. Aber widerum ist ein unterscliied zwi- schen philologie mid Sprachwissenschaft vorhanden, der mit jenem, welcher philologie und historik trent, sich wol vergleichen lässt. Die Sprachwissenschaft nent sich genauer noch die vergleichende, weil sie mehrere sprachen heranzieht, entweder um über die geschiclitliche , schriftliche Überlieferung zurück die zusammenhänge der sprachen zu erforschen oder um das wesen der spräche überhaupt zu erkennen. Der Philologe dagegen w^ill für jedes einzelne denkmal auch sprachlich die einzelart fest- stellen; er will wissen, wie jeder ausdruck, jede Wendung zu verstehen ist, welche absichten der Verfasser damit verfolgt, ob er ernst oder ironisch syjricht, ob er ruhig oder leidenschaftlich, gemein oder erhaben sich ausdrückt: alles fragen, welche den Sprachforscher wenig kümmern werden. Insofern ist auch von der grammatischen Seite her die poesie hauptgogenstaud der philologie, da sie die spräche in der gröston freiheit und kraft erkennen lässt. Ähnlich steht es nun auch mit den übrigen feldeni, welche die philologie gemeinsam mit anderen Wissenschaften bear- beitet. Jacob Grimm nimt teil an dem aufbau der deutschen rech tsgesch ich te, aber was ihn besonders beschäftigt, ist die poesie im recht, ist das gebiet der formen und formein. Alle äusserungen des geistigen lebens berücksichtigt die philologie, aber mit

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dem hauptaugeumcvk auf das poetische als das eigentümliche der individuell, der Perioden, der nationen. Oliue sinn für das poetische mag einer ein guter Sprachfor- scher, ein guter historiker oder Jurist sein, aber ein guter i)hilologe ist er nicht. Blicken wir auf unsere meister, die brüder Grimm, Lachmaun, Thland, Schmeller und wer sonst ihnen beizugesellen ist, so wird uns dieser sinn für die poesie, der sich vielfach (selbst wenn wir von üliland absehn) aucli durch selbständige dichtver- suche kundgegeben hat. als das charakteristische für ihre wissenschaftliclic riclitung erscheinen. Und darin liegt schliesslich auch die eigentliche bereclitigung unserer M-isseuschaft innerhalb des geistigen lebens unserer nation: deren ästhetische erziehuug ist wesentlich die aufgäbe der jihilologie; den sinn für poesie soll sie ausbilden und rege erlialten, und dies ihr verdienst ist für uns um so grösser, als wir gegenwärtig unstreitig in einer zeit leben, in welcher die poetische produktion in stetigem sinken l>egriffen ist und die nation durch politisch -sociale fragen mehr und mehr in anspruch geuomnieu wird.

Treten wir von diesem Standpunkt aus an Pauls grundriss heran, so wird es uns zunächst als ein maugel erscheinen, dass in der abteilung, welche der litteratur- geschichte gewidmet sst, die deutsche litteratur nur bis zum ende des mittelalters berücksichtigt werden soll. AVie ungerechtferiigt dieser ausschluss der neueren zeit ist, zeigt sich schon darin, dass Paul selbst in der motliodeulehrc vielfach auf die geschichte der neueren litteratur und ihre methode bezug nimt.

Pauls methodeulehre selbst bringt vieles was wol zu beherzigen ist; die dar- stellung ist bei aller kuapheit reiclilialtig , trotz einer gewissen trockenheit eindring- lich. Die möglichkeiten , welche der forscher bei der entscheidung zweifelliafter fälle sich vor äugen halten soll, die fragen, welche in bezug auf jedes einzelne Sprach- denkmal zu stellen sind, werden ausführlich aufgezählt und erörtert. Für die Sprach- geschichte verweist Paul wesenthch auf die behandlung des gegenständes in seinen „Principien.- Für die poetik komt er zu forderungen , welche vor ilim schon von Scherer ausgesprochen worden sind, wie überhaupt dessen anregungen in Pauls buch vielfach nachgewirkt haben.

Der methodeulehre ist die geschichte der germanischen philologie vorausgestelt. Pauls behandlung dieses Stoffes nimt eine mittelstellmig ein zwischen dem bekanten buche von R. v. Räumer und Scherers Grimmbiogra]>hie: sie ist weniger ausfühilich als jenes, beschränkt sich aber nicht so wie diese auf die hauptj)unkte. Die ein- gefügte bibliographie erstrebt eine gewisse volständigkeit der wichtigen Schriften: nachzutragen wüste ref., der allerdings eine genaue nachprüfung nicht hat anstellen können, nur etwa auf s. 110 Walter de Gray ßirch, Cartularium Saxonicum (Lon- don 188.^ fgg.) und auf s. 138 die 3. aufläge von Jonckbloets Geschiedenis van neder- landsche letterkunde (1881 86, G bde, der G. von Penon bearbeitet). Auf s. 51 wäre eine schrift über die Nibelungen von G[ieseke] (Hamburg 1795) zu erwähnen gewesen, welche über die handschriftliche grundlage der Myllerschen ausgäbe zuerst das richtige bemerkt hat. ein verdienst, welches auf s. 63 irrig J.Grimm zugeschrie- ben wii-d: s. Müllenhoffs anmerkung zu den kleinen Schriften J. Grimms 4, s. 3.

Von den verschiedenen abschnitten des diese aufzählung vorbindenden textes sind die fünf ersten bis zur eigentlich wissenschaftlichen begründung der deutschen philologie mit guter kentuis und überzeugend behandelt; insbesondere die teilnähme, welche das vorige Jahrhundert diesen Studien schenkte, ist so eingehend geschildert, dass auch die litterargeschichtliche erforschung dieses Zeitraums sich dadurch geför- dert sieht.

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Dagegen tiitt leider in den zwei lezten abschnitten die persönliche ansieht des Verfassers in einer weise hervor, welche der referent nicht ohne widerspmch durch- gehn lassen kann. Immer wider ist es die beui-t»'ilung der wissenschaftlichen Ver- dienste Lachmanns und seiner schule, über welche sich der Zwiespalt erhebt. Aber wenn Paul s. 150 das parteiwesen als den schlimsten imter den schaden des gegen- wiiiligen betriebes unserer Wissenschaft bezeichnet und dies abzustellen mahnt, so wird man eine reihe von bemerkungen in seinem buche kaum als dazu dienlicli ansehn kümien. ^^'o Lachmann und seine anhiinger genant werden, fehlt selten die War- nungstafel vor ihrer wilkür und autoritätssucht. Selbst in der methodenlehre wählt Paul, um vor gewissen arten von fehlem zu warnen, seine beispiele so gut wie aus- schliesslich aus den schritten Lachmanus und der Lachmannscheu schule. Boeckh in seiner Encyclopaedie der klassischen philolugie citiei-te in solchen fallen sich selbst.

Hauptgegenstand der vorwürfe gegen Lachmann ist wider die Nibelungenfrage. Hier begeht nun Paul einen allerdings auch schon vor ihm gemachten fehler, indem er s. 75 und 181 behauptet, dass Lachmann den text von A nur deshalb für den ursprünglichen erklärt habe, weil dieser zu seiner theorie von der entstehung des gedichts am besten passte. Wo hat Lachmanu das gesagt? Und wenn man ihm diesen grund unterschieben will, so solte man doch zunächst nicht übei-sehen, dass auch solche germanisten, welche Lachmann persönlicli nahe gestanden und mit ihm wol auch über die Nibelungenfrage verhandelt haben, zwar seine liedertheohe abge- lehnt, aber daran festgehalten haben, dass A den ursprünglichsten text darbiete: so die brüder Grimm, so Wackernagel, so AVilhelm Müller. Und dass der gememe text wirklich interpoliert und überarbeitet ist, das lässt sich auch mit argimienten dartun, welche inchts mit der liedertheorie zu tun haben. Wenn z. b. in der strophe, welche B hinter der str. 432 mehr hat alsA, Siegfried den ger, den er auf Brunhild schleu- dern will, umkehrt um sie nicht zu verwunden, dann aber in str. 433 beim anprall auf die rüstimg vom funkensprühen die rede ist, welches nur durch die gerspitze, nicht aber durch die stange hervorgerufen werden konte, so ist 432, 5 8 als Inter- polation deutlicli erkenbar, einerlei ob man die Nibelungen als werk eines oder meh- rerer dichter ansieht. Doch weiter auf diese viel behandelten fragen einzugelm ist hier nicht der ort. Nur noch die bemerkung möge gestattet sein, dass mit demsel- ben rechte, wie man Lachmanu in diesem punkt verdächtigt, auch umgekehrt behaup- tet werden könte, seine gegner hätten C oder B deshalb bevorzugt, weil diese hand- schriften ihren theorien besser dienten oder gar weil sie dadurch der Verpflichtung entgiengen, auch Lach man ns liedertheorie anzuerkennen. In der tat ist es eine starke stütze für diese, dass die in B und weiterhin in C zu dem bestand von A hinzu- gekommenen Strophen wesentlich denselben Charakter zeigen wie die von Lachmann als interpoHert aus dem text von A ausgeschiedenen.

Aber noch schlimmer ist, wie s. 133 und 235 über die liedertheorie selbst berichtet wird: immer wider hören wir die Verwunderung dai-über, wie sich Lach- mamis 20 lieder zu einem ganzen hätten zusammenfmden kömien. MüUenhoffs schrift Zui- geschichte der Nibelimge not (imd deren fortführung insbesondere dui'ch Hen- ning) hat Paul also volkommen unbenicksichtigt gelassen, während doch Müllenhoff gezeigt hat, dass aus dem ei-sten teil des gedichts nui- das I., IV. und VUI. lied Lachmaiuis für sich bestehn, die übrigen aber als fortsetzimgen und einleitungen zu denken sind. Man lese das YIII. lied und fi'age sich, ob nicht Siegfiüeds tod, der wie ^vir wissen, im 13. jahrhimdert als lied für sich gesungen wurde, hier so zusam- menhängend und abgeschlossen vorgetragen ist, dass nichts als die algemeine keut-

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXH. OU

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nis der sage, also etwas für die zeit um 12(X) volstäudig sichergosteltos, voraus- gesezt wird. Endlich ist nicht zu übei"sehen, dass die von Lachmann angenommene entwickelung des Nibelungengedichts aus einzelnen, mit einander verbundenen und interpoliei-ten liederu, iu einem andern, litterarisch überlieferten fall ihr volständig entsprechendes gegenstück hat: in der diehtung des jüngeren Titurel, dem die Titurel- heder AVolfnuns zu giiinde hegen.

Überhaupt hat Paul gerade Müllenhoffs Schriften niclit richtig beurteilt. Er sagt s. 97 von der Deutschen altertumskunde Müllenhoffs, dass sie auch vollendet doch nicht eine volständige alttn-tumskunde geben würde, weil sie ausser den stam- mesverhältnissen und gewissen punkten der Urgeschichte doch nur die phantasietUtig- keit der alten Germanen, iln-e götter- und heldensage behandeln solte. Gibt diese bemerkung, die selbst weim sie zuträfe, nur einen tadel des gewählten titeis enthält, auch nur entfernt eine Vorstellung von dem reichen Inhalte des Müllenhoffschen wer- tes, von der erschöpfenden behandlung, von der geistvollen lösung der allei'schwie- ngsten gnindfragen unserer Wissenschaft? Ein glück dass dies werk, dass überhaupt Müllenhoffs wissenschaftliche tätigkeit den klassischen philologen bekant und von ihnen in ihrem werte anerkant ist: die studierenden der germanischen philologie, für welche Pauls gi'undiiss zunächst bestirnt ist, werden wenig davon erfahren. Übrigens wird das, was Paul an Müllenhoffs altertumskunde vermisst, doch noch durch die geplanten fortsetzimgen geboten werden, in welche u. a. Müllenhoffs vorlesungsheft über die Gemiania aufgenommen werden soll: da werden ja auch die natürlichen lebensbedüigungen usw. zur spräche kommen.

Von den Denkmälern Müllenhoffs und Scherers heisst es s. 196 (und nochmals ganz ähnlich s. 107) dass darin „die kleineren althochdeutschen texte eine nach allen Seiten hin möglichst erschöpfende behandlung erfuliren, wobei aber die poetischen zum teil sehr ^vilkül•lich zurecht gemacht wurden." Also kein wort davon, dass MüUeidioff hier wichtige gattungen und selbst emzelne stücke der volkspoesie als ui-alt und algemein gemianisch nachgewiesen hatte, den liebesgi'uss , das Sprichwort, wie er schon fiüher für das rätsei das gleiche getan; und nur beiläufig und dunkel wird s. 118 erwähnt, dass Müllenhoffs einleitung zu den Denkmälern die lautforin der deutschen eigennamen in den ältesten Urkunden zu anhaltspunkten verwertet hatte, welche die vorher zeitlich und örtlich hin und her versezten ahd. denkmäler jener zeit fest und sicher zu bestimmen gestatteten.

Auch die persönlichen Verhältnisse verschiedener anhänger der Lachmannschen richtung sind wenigstens schief dargestelt. Von Wackemagel heisst es s. 96, er habe sich in seiner Jugend auf das kümmerlichste durchschlagen müssen. Jeder leser wii'd diese andeutung zunächst auf mittellosigkeit der familie beziehn, die doch bei andern germanisten, z. b. bei Franz Pfeiffer iu viel höherem gi'ade vorhanden und wirksam gewesen ist. Vielmehr entsprangen die Schwierigkeiten, mit denen "Wackernagel nicht nur als Student, sondern noch weit mehr nach beendigung seiner Studien zu kämpfen hattf?, aiLS der traurigen demagogenriecherei in den zwanziger, di'eissiger jahien. Weil er als gymnasiast in einem verti'aulichen briefe geschrieben hatte, Deutschland werde wol in die alten herzogtümer geteilt werden müssen, ward er nicht nur sofort und hart gestraft, sondern auch später weder in schule noch an Universität noch in der bibliotheksverwaltung bei ii'gend einer anstelluug zugelassen, trotz der besten empfehlungen seiner lehrer. Der ruf nach Basel war für ihn die rettung und daraus begieift sich die treue, mit welcher er auch später dort blieb trotz der lockendsten

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anevbietungon der gröston imivorsitüten; damus aber auch gewisse urteile seiner lit- teraturgescliichte.

Am allersclilinisten aber ist Wilhelm Scherer weggekommen, dessen Charak- terisierung s. 99 mit den zahlreichen und ersichtlich von herzen gekommenen klagen an Scherers frühem grabe in schneidendem Widerspruch steht. Zwar was Paul damit meint, wenn er von Scherer sagt, er habe seine ideale in dem modernen grossstäd- tischen leben gefunden, das bekent referent nicht zu wissen. Aber wenn es weiter heisst, Schcrer habe einen guten teil seines einflusses und seines ruhmes feuille- tonistischer schriftstellerei zu verdanken, so darf wol gefragt werden, ob gelehrte wie Miklosich, Mommsen, Zeller etwa dieser begabung Scherers wegen ihm so gün- stig gestimt waren; das urteil solcher männer wird denn doch wol auch für seineu rühm und seinen einlluss massgebend gewesen sein. Übrigens ist es bedeutsam für unser gelehrtenwesen , dass eine leichte, anmutige, eindrucksfähige form in wissen- schaftlichen dingen, anstatt zum lobe, vielmehr zum Vorwurf gereichen soll. Der weiteren bemerkung Pauls, Scherer habe absichtlich die psychologische analyse vor- schmäht und darin liege ein grundmaugel seiner bchandlungsweise, steht schon Scho- rers eigenes wort entgegen (Preuss. jb. XXXI, 482): „Das wesen der geschichte wird ijnmer lebendige vergegenwärtigung bleiben. Es gilt die psychologischen pro- zes.se aufzuspüren, welche den taten vergangener epochen zu gi'imde lagen und diese nachzuleben." Und wenn nach Paul Scherer nicht ein einziges ausgereiftes und abgeschlossenes wissenschaftliches werk geschaffen haben soll, so widerspricht dem der hohe wert, den Paul selbst s. 118 Scherers buch Zur geschichte der deutschen spräche" beimisst; bezeichnet er doch das jähr 1868, in welchem dies buch zum ersten mal erschien (die 2. aufläge von 1878 ist trotz ihrer teilweisen neubearbeituug nirgends erwähnt) als den beginn einer neuen periode in der wissenschaftlichen behandlung der deutschen grammatik, der zweiten nach J. Grimms grundlegender arbeit. Und ebenso übergeht hier Paul ausser den vielen kleineren arbeiten Sche- rers, von denen einzelne schon allein ihrem Verfasser einen namen gemacht hätten, seinem J. Grimm, seiner, Litteraturgeschichte des Elsasses usw. das lezte grosse iebenswerk Scherers, seine Geschichte der deutschen litteratur. AVas er s. 138 von dieser litteraturgeschichte sagt, die referent nicht ansteht unseren besten historischen büchern, denen eines Ranke etwa, an die seite zu stellen, ist völlig unzureichend. Er nent sie nicht einmal da, wo er von den neueren populären darstellungcn des gegenständes spricht, s. 131: unter diesen ragi nach ihm Vilmars litteraturgeschichte gleich sehr durch geist und sachkentnis hervor, ein urteil, welches nachzuprüfen referent aus persönlichen gründen andern überlässt. Wie ganz anders als Paul weiss ein Fi'auzose Scherers buch und seine wissenschaftliche bedeutung überhaupt zu wür- digen, Basch in den Annales de l'Est I und 11 (Nancy 1887 89, auch für sich ei*scliienen).

Nur eine stelle aus Pauls kritik der litteraturgeschichte Scherers möge noch hervorgehoben werden. Er tadelt an dieser, dass darin die hypothesen Lachmanns und seiner schule als ausgemachte tatsachen behandelt würden, ohne dass in der regel auch nur angedeutet sei, dass andere auffassungen bestünden. Wie wären solche andeutungen in einer darstelluug möglich gewesen, welche auch für andere leser als die fachgenossen bestimt w^ar? Die angehängten anmerkungen weisen da, wo Scherer wirklich begründete zweifei anerkante, auf diese in reichlichen Htteratur- angaben hin.

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Aber wiclitiger ist das zugoständnis, welches der heraiisgeber des grundvissos mit der eben angezogenen bemerkung insofern macht, als wir nun lioffen dürfen in den weiter folgenden teilen seines Werkes nicht bloss seine und seiner mitarbeiter ausichten zu erfalu-en, sondern auch die von ihnen abweichenden. Das wird nament- lich auf dem gebiet der metrik sein* erwünscht sein. Es wird dann hoffentlich z. b. für die altgermanische metrik nicht verschwiegen werden, dass die bcobachtungen von Sievei"S über die Stellung der zwei liebungen des lialbvei-ses zu den zwei notwendigen nebensilbeu nicht unvereinbar sind mit der annähme, dass die germanische, im alt- hochdeutschen erhaltene urform des halbvei-ses vier hebungen enthielt, vor und zwi- schen welchen minderbetoute silben, Senkungen, stehn aber auch fehlen konten: sind doch eben dieselben beobachtungen aucli auf Otfricd anwendbar gewesen, dem nie- mand die vier hebungen abspricht; und dass Otfried zwei von diesen vier hebungen über die beiden andern hinaus noch besonders auszeichnet, hat l^ereits Laclimann ausgesprochen (Kleine Schriften 1 , 4.57).

Von Sievei-s rührt nun auch der anfang des die ergebnisse der germanischen Philologie dai-stellenden teiles her: die runen. Sievers schliesst sich fast durchaus an AVimmer an. Nur sucht er den ursprünglichen sinn des wertes rüna in „gemurmel, geheimnisvolle besprechung'^, wälirend doch der Zusammenhang mit dem nordischen raun ,en)robung'' und mit dem giiechischen toewdo} längst geltend gemacht worden sind, um die bedeutimg „frage, insbesondere orakelfi-age" als die älteste zu erweisen, welche mit dem von Tacitus bezeugten loosgebrauch der Gennanen übereiustimt. Die gennanischen buchstaben smd vermutlich zuerst zum loosen angewendet worden, ähnlich wie die lateiiüschen bei den sortes Praenestimie , und wol im anschluss an eine schon fi-üher bestehende rhabdomantie. Weiterhin versucht Sievers die ver- wantschaft von buch und buche zu lösen, wegen der verschiedenen stambildung; aber so wenig wie diese für die vei-schiedenen formen von man eine trennung in mehrere etyma begründet, wird sie hier gewicht haben, wo überdies die buche als frugifera arbos vortreflich zu den andeutungen des Tacitus über den runen- gebrauch stimt. Auch die in § 10 ausgesprochene meinung, dass die menge und relativ koiTekte Überlieferung der alten (eddischen?) lieder 'aufzeichnungen in runen voraussetze, hat wenig für sich. Eindringende kritik lässt diese korrektheit sehr gering erecheinen, insbesondere die heroischen lieder sind geradezu zusammengewür- felt; und dass das gedächtnis der sänger in der alten zeit eine ausserordentliche menge von Strophen fassen konte, wird beispielsweise dui'ch das, was von dem skal- den Stufr in der Heimskringla Har. hardr. c. 2.5 erzählt wird , überzeugend belegt.

Den schlass der lieferang bildet eine palaeographische anleitung von W. Aj'ndt zur beurteilung der in lateinischer schiift verfassten denkmäler nach ihi-er materiel- len Seite.

STRASSBÜRG. K. MARTIN.

Orendel, ein deutsches spielmannsgedicht, mit einleitung und anmer- kungen herausgegeben von Arnold E. Berger. Bonn, Ed. Weber. 1888. CXYI u. 192 s. 8. 9 m.

Eine neue ausgäbe des Orendel wird jedem wilkommen sein, der in der läge gewesen ist. sich bei der benutzung des von der Hagenschen textes die besseren les- aiten müh.selig aus dem Varianten Verzeichnis zusammensuclien zu müssen. Denn es war k'kant und durch Harkensee (Untei-suchungen über das spielmannsgedicht Oren-

VOGT, ÜBER OKKNDKL ED. BERGER 469

del, Kiel 1879) im eiiizelnon iiachgewiscn, dass <lio hei von dor Ragen zu gründe gelegte handschrift (IT) die relativ sclilcelitere, der nur ausnahmsweise und wilkür- lich für die texthorstellung mit herangezogene druck (D) die bessere Überlieferung darbietet. Harkenseo hatte ferner gezeigt, dass die gemeinsame gruudlage (U) der Versionen H und D vielfach verderbt war und dass die Augsbuiger prosa (P) die autlösung einer von U unabhängigen handsehrift des gedichtes ist, welche nicht sel- ten eine ursprünglichere textgestalt durchblicken liisst. In allen wesentlichen punk- ten stimt Borger auf gruud selbständiger und sorgfältiger nachprüfung mit dieser auffassung überein. und da bei solchem stände der überliefei'ung eine lekonstruktion der ursprünglichen fassung des gedichtes nicht möglich ist, so orkante er es folge- richtig als seine aufgäbe, unter Zugrundelegung von D, aber zugleich unt.T steter berücksichtigung von H, die beiden gemeinsame vorläge U kritisch herzustellen, daneben aber zu versuchen, wo P eine handhabe Ijot, „über U liinaus dem originale näher zu kommen." Lezteres ist mit löblicher enthaltsamkeit und vorsieht gesche- hen, und alles was im texte nicht auf D oder H zurückgeht, ist durch kursivdj'uck kentlich gemacht; athetesen sind durcli einklammerung angedeutet. Eine eingehende Übersicht über den dialekt des druckes und eine algemeino Charakteristik der sprach- formen der durch von der Hagens ausgäbe zugänglichen handschrift wird in der ein- Icitung gegeben. Ebendort sind aus D wie aus H die kapitelül)erschriften mitgeteilt, welche zur erläuterung der in beiden enthaltenen l)ilder dienten und deren verglci- chung zeigt, dass auch U schon mit solchen geschmückt gewesen sein muss. ^lit diesen seinerzeit schon in meiner Morolfausgabe angewendeten grundsätzen dui'ciiaus einverstanden, hätte ich nur noch gewünscht, dass die Augsburger prosa volständig abgedruckt wäre. Die eingehende besprechung ihres Verhältnisses zu HD in der ein- leitung und die einschaltung mir in ihi- orlialtener vermutlich echter stellen in den text ist ja recht dankenswei-t, aber da eben U schon vielfach verderbt, oft auch aus D und H nicht melu- sicher herzustellen ist, so hätte dem leser die möglichkcit gegeben werden sollen, überall die prosa zu vergleichen.

Bei gedichten wie das vorliegende, wo eine kritische rekonstruktion des Origi- naltextes unmöglich ist, kaim statt dessen eine sorgfältige Zergliederung der in der Überlieferung häufig verwirten komposition über die entwickluugsgeschichte wenigstens des inhaltes der dichtung einigen aufschluss geben. Berger iiat diese inethode mit erfolg angewendet. Ein ferneres sehr wichtiges hilfsmittel für derartige forschungen, die vergleichung anderer bearbeitungen desselben Stoffes, war dagegen hier so gut wie versagt; nur in den einfachsten grundelenieuten verwante traditionen lassen sich herbeiziehen, die nicht sowol die einzelnen entwicklungsstufen der Orcndelsage und -dichtung, als den urkeim, aus dem sie sich entfaltet, erschliessen lassen. So bewegt sich solche Untersuchung vielfach auf schlüpfrigem boden, und auch wo sie wie hier mit geschickter hand geführt ist, bleiben leicht ihre ergebnisse bestreitbar.

Von entschiedenem, ja im gründe von entscheidendem eintlusse auf Bergers auffassung war Müllenhoffs gehaltvolle ausführung in der Deutschen altertumskundc 1, 33 fgg. Nach ihr bildet bekantlich den kern des inhaltes unserer dichtung die aus einem Jahreszeitenmythus erwachsene sage vom Orendel, der nach weiter seefahrt schifbruch leidet, mit dem nackten leben davon gekommen in des riesischen fischers Ise dienst tritt, nach längerer zeit mit Ises beistand zu seiner gattin heimkehrt und nachdem er diese von lästigen freiem und sonstigen bedrängern erlöst hat, erkant und als gemahl und könig wieder aufgenommen wird. Während nun der spielmann im ersten teile seines gedichtes die heimkehrsage in die übliche brautfahrtgeschichte

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umgestaltet und mit dem iiuschcinhareu kostüm des in Knechtschaft geratenen hol- den den heiligen rock von Trier in abenteuerliche verhindang brachte, hätte er im lezten teile, welcher nach bekanter spielmannsmanier das hauptmotiv variierend wider- holt, die alte tradition von der befreiung der gattin aus der gowalt der um ihre minne werbenden deutlicher und schärfer hervortreten lassen.

Auch nach Bergers auffassung sind dies die grundelcmente dci' dichtung. Nur meint er. dass dem spielmanne die alte sage, aus der dieser nach Mülloiihoff für den zweiten teil nur einzelne bestandteile herausgenommen oder nachgebildet hätte, schon in zwei vei"scliiedeuen poetisclien Versionen vorgelegen habe. Die eine sei in der erzählung von Orendels schifbruch bis zu seiuei- anerkennung als Brides königlicher gemahl und meister Ises belohnung benuzt (1. teil), die andere in dem berichte von Brides gefangenschaft und l)ofreiuug auf Miuolts bürg (2. teil). Gewiss ist für den ei*sten teil durch den angegebeneu abschnitt wenn wir noch Grendels ausfahrt uud heimkehr hinzufügen ein älterer kern, ein quellenmässiger grundbestand des Inhal- tes unserer dichtimg in der hau[)tsachc richtig bestirnt. Die geschichtc des hcihgen rockes ist recht äusserlich damit in Verbindung gebracht; die erzälilung von des fischei's erhebung zum ritter und herzog mit den darauf folgenden kämpfen ist augen- scheinlich eine wilkürliche erweiterung des Stoffes. Auch fiü' den zweiten teil ist so viel klar, dass die doppeluug der erzälilung von Brides Vergewaltigung und erlösung nicht lU'sprünglich ist; das zeigt schon die konfusion, die durch die zwiefache behand- lung desselben motives in die überliefenmg gekommen ist. Freilich ist damit noch nicht gesagt, dass dem dichter der alte bestand seines Stoffes in itoetischer fassung zugegangen sein müste. Zu beweisen wäre das nur, wenn sich doch wenigstens irgend etwas von der alten r^uelle noch im woitlaute herstellen Hesse; aber daran ist gar nicht zu denken. Bergei"S in den günstigsten färben gehaltene darstelluog des inhaltes seiner beiden ui'gedichte liest sich ja recht schön, aber sie entspricht mehr seiner begeisteiTing für den gegenständ als dem, was uns die überliefenmg an die band gibt. Dass die bezüglichen abschnitte unseres gedichtes teilweise wirklich poe- tisch weit bedeutender sind als das was dem kern des Stoffes nicht angehört, muss nicht notwendig aus der form, kann auch aus dem inhalte der alten quelle begrün- det werden. Dass auch in der vorliegenden übeiiieferung sich hie und da verschie- dene schichten noch deutlich von einander abheben, ist aus späteren Zusätzen und verändeiTingen, welche das gedieht selbst erfahren hat, erklärbar. Für unwahrschein- lich halte ich es durchaus nicht, dass unserem spielmann eine alte dichtung des beti'effenden inhaltes bekant war, nur steht uns nicht genügendes material zu geböte, um ihre existenz wissenschaftlich zu begründen.

Von Müllenhoffs erklärung der sage als Jahreszeitenmythus weicht Berger mit Beer (Paul-Bramie 13. 1 fgg.) darin ab, dass er die bezichungen derselben auf das meer nicht füi* ursprünglich hält; vielmehr meint er, dass diese erst aus einer beeinflussung des OrendelmythiLS durch den roman von Apollonius von Tyrus stammen, der, in einigen teilen der Odyssee nachgeahmt, zugleich die mehrfach bemerkten berührungen zwi- schen dieser und dem Grendel vermittelt habe. Dabei sei freilich eine ältere, der Odyssee noch näher stehende fassvmg des romancs vorauszusetzen als die uns erhal- tene. Die verwantschaft der Orendelsage mit dem voarog des Odysseus wäre danach nicht alt. Ein gi'osser kreis von heimkehrsagen und -märchen, welchen Beer a.a.O. herbeizieht, kann gleichfals nach Berger nicht für die erschliessung ihrer ursprüng- lichen gestalt verweiset werden, denn er entstamt nicht dem hier in betracht zu ziehenden mjihus, sondern er ist später aus dem Orient eingedrungen (Berger

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s. LXXXI). Nach Müllenhoff nötigt „die nordische ühcrlieferung (vom Orvandil) und die natur des mythus^ zu der annähme, dass die Orendelsage ursprünglich von der heimkehr des heldcn zu seiner gattin gehandelt habe. Dagegen hat Beer a. a. o. dar- geleg-t, dass und aus welchen gründen es unzulässig ist, „die Orvandilüherlieferung aus der Orendelüberlieferung oder diese aus jener zu ergänzen'^, und aus dem von ihm und Berger herbeigezogenen sagen- und mythenmaterial ergibt sich, dass nach der natur des mythus das von dem beiden befreite oder erkiimi)fte weibliche weseu ebensowol eine Jungfrau wie seine gattin sein kann und dass diese befreiung nicht bei des beiden rückkehr in seine licimat zu erfolgen braucht. AVenu trotzdem die beiden jüngeren forscher au Müllenhoffs ansieht festhalten, nach der ei-st in unserem gedichte, und zwar erst in der vorliegenden fassung desselben, die heimkehr zur gattin in die gewinnung der Jungfrau umgewandelt seiii soll, so sind sie zur begrüu- dung dessen schliesslich doch lediglich auf das gedieht selbst angewiesen. Und in der tat gibt denn auch nach Beer (a. a. o. s. 110) für diese auffassung der umstand den ausschlag, dass „1. in der katastrophc vor den toren von Jerusalem Orcndel selbst sich als den einheimischen könig zu erkennen gebe und erkant werde; und dass 2. die accessorische fortsetzung der legendenfassung augenscheinlich ein unab- hängiges gedieht auf die liickkehr Orendcls zu seiner gattin gekaut und benuzt habe.'*

Was zunächst den zweiten punkt angeht, so ist ja da in unserem gedichte von einer rückkehr Oreudels zu seiner gattin so wenig die rede wie im ersten teile. Orendel ist wider mit Bride in der fremde; da wird sie ihm von einem beiden ent- fühii; er gelaugt in Verkleidung auf dessen bürg, befreit Bride nüt eigener lebcns- gefabr und tötet den entfübrer. Das ist die entführung und widergewinuung des schon einmal erkämpften weibes, wie wir sie als den typischen zweiten teil des spielmannsgedichtes aus dem Eother und Morolf zur genüge kennen; augenscheinlich ein bequemes mittel der stoferweiterimg , wie sie beliebt wurde, als die spielleute von der knappen form des epischen liedes zur ausführlicheren epischen erzählung übergiengen. Die Übereinstimmung mit dem zweiten teile des Rother geht bis ins einzelne; im Morolf, wo ja auch der erste teil schon eine widergewinuung ei'zählt, bieten beide teile parallelen. Dem Orendel wird wie dem Rother ausführlich das Schicksal der geraubten gemahlin berichtet. Der entführer ist ein heide, wie im Rother und beidemale im Morolf; er heisst Minolt. wie Morolf Sd der vater des ersten entführers; sein helfershelfer heisst Princian, wie im Morolf der zweite ent- führer; er ist wie im Rother herscher der wüsten Babilonie , wo ihm 72 könige dienen. Im Orendel wie im Rother und im ersten teile des Morolf macht sich der gatte mit einem treuen kampfgenossen und dem heere auf die Seefahrt. Nach der landung wird das heer in einem sicheren versteck untergebracht und mit einer typischen for- mel fordert Mor. 384, 3, 5, Or. 3346/7 der gefährte den beiden auf hervorzugeben. Der könig und der begleiter (der könig und zwei begleiter im Rother, einmal der könig, das andre mal der gefährte im Morolf j gehen nun in pilgertracbt auf die feind- liche bui-g. Orendel und Ise werden dort wie Morolf zunächst von einem torwärter freundUch bewirtet und über das ergeben der entführten unteriichtet. Der heidnische könig hat indessen einen unheilverkündenden tramii gehabt: ein falke kam geflogen und führte ihm die frau übers meer Rother; ein rabe und ein adler kamen übers meer geflogen und brachen die bürg nieder Orendel. Vor den obren des vor- gebUchen pilgers fragt dann im Orendel wie im Morolf die frau den beiden: „was würdest du tun , wenn könig Orendel (Salman) liier wäre ? " SchUesslicb im entschei-

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denden niomeute gibt in allen di'ei gedichten der gatte die Verstellung auf, er gerät in lebensgefahr. aber das verltorgeno beer M'ird herbeigerufen, er wird errettet, der beide mit den seineu get()tet. Also das ist keine frage, dass dieser zweite teil des Orendel sich iu dem hergebrachten geleiso der spiclmannspoesie bewegt. Will man das nun dadurch erklären, dass hier doch der spielmanu ein urs[trünglich selbstän- diges gedieht von Orendcls hcimkehr benuzt und dasselbe nach dem herkömlichen typus zugeschnitten hätte, so müste man zur bcgründung dessen nachweisen können, dass dieser zweite teil mit dem ersten eigentlich nicht vereinbar ist das ist aber nicht der fall, vielmehr schliesst er sich ihm aufs beste an; oder dass er doch sei- nem wesen nach ein in sich abgerundetes ganze bildet auch das tritt durchaus nicht zu; es müste auch sicherlich, je mehr wir von den mit den übrigen si)iel- mannsgedichten gemeinsamen zügen beseitigen, um so deutlicher die alte heimkehr- erzählung durchblicken, aber selbst das ist nicht zu bemerken. Der Rother zeigt mehr beziehuugen derart als der Orendel. Dass Rother gerade noch in dem momeilt sich einfindet, wo seine frau schon mit einem andern hochzeit macht, dass er sich ihr durch den heimlich zugesteckten ring zu erkennen gibt, sind zwei charakteristi- sche motive der heimkehrsage. Trotzdem wird es wol niemand einfallen, den Rother auf ein altes gedieht von des beiden rückkehr zu seiner gattin und jenen schlussteil auf eine besondere, ursprünglich selbständige fassung dieses alten gedieh tos zurück- zuführen. Da sich aber im zweiten teile des Orendel nicht einmal solche berührun- gen mit der fragliehen sage finden, so haben wir auch hier noch weniger veranlas- sung zu jener annähme.

Allerdings glaubt Berger, dass aus unserer erzähluug noch spuren des alten Verhältnisses durchblicken, nach welchem Orendel eigentlich der horr der bürg sei, auf welcher der beide die Bride gefangen hält. Orendel und Ise hören den greisen pförtner, herzog Achille, ein gebet verrichten, aus welchem hervorgehe, dass er dem Orendel treu geblieben sei; er habe ein interesse für ihn und Bride, welches sich nur erkläi'e, wenn Orendel eigentlich sein herr sei, und in der tat bezeichne denn auch Ise v. 3490/1 den Achille und sich selbst als zwei ritter des Graurockes. Ich kann dem nicht zustimmen. Der freundliche und hilfreiche pförtner oder kämmerer auf der fremden bürg ist eine typische person. Ich erinnere an Morolf 626 fgg., an den Gramabet Wolfd. D. VI, an Hildes kämmerer, der sich Horants und Morungs annimt, nachdem er sich ganz wie der Achille als tieve des einen der beiden anköm- linge entpupt hat. Aus Achilles gebet geht nichts weiter hei'vor, als dass er ein Christ ist, und dass man ihn aus seinem herzogtum veiirieben hat; später erfahren wir, dass er jezt schon 75 jähre dem heidnischen könige dient; er ist also da weder in seiner heimat noch kann er Grendels dienstmann gewesen sein. Als einen Christen beschwören ihn denn auch die beiden vorgeblich aus der heidenschaft entronnenen pilger. ihnen zur weiteiTeise zu helfen, und als christ uimt er augenscheinlich anteil an ihrem wie an Brides, der christlichen königin, Schicksal, deren befroiung durch Orendel ja voiaussichtlich auch ihm selbst die fi'ciheit bringen wird. Was nun den vers .3490 betrift, so ist es doch auffällig, dass Achille nicht selbst sagt, er sei ein dienstmann des Orendel, sondern dass Ise ihm das mitteilt {ich bin diner stvester sun ...so ist dax der gräice roc inin here, des sind tvir 7.iven degen bede)\ dass femer Achille den Orendel auch nach dieser mitteilung nicht als herren begrüsst, und dass durch die erkennung gar nichts an seinem plane geändert wird, er viel- mehr nach wie vor zunächst versuchen will, den beiden von dem beiden das geleit zur weiten'eise zu erwirken. Nun steht aber v. 3400 das entscheidende wörtchen

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da% nur im drucke. Sowol nach der handschrift als nach der prosa hxwifti dor vers so ist der (jrunc roc min herc; ich zweiflo also niclit. dass or auch ursprünglirli so lautete. Im folgenden vcrsc hat die handschrift ihr das sprich ich wol mit cre natürlich nur des reimos wegen statt des in D richtig üborliefortcn eiugesozt, und nach der ursprünglichen lesart sagte also Ise zu Achillc: ^ i«h hin dein schvvester- sohn, der Graurock ist mein hcrr, wir beide (die wir hier vor dir stehen) sind zwei seiner rit.ter." 80 erklärt sich der verlauf des gesprächs wie der weiteren handlung aufs beste; Orendel gibt sich eben nicht zu erkennen. Aber weder dem druck noch der prosa genügte das. So schaltete D sein da>i ein (wie es sogar auch noch den namen von Achilles Schwester hinzufügte), während P den vers 3490 in ursprüng- licher form beibehielt, ilin aber zusammen mit dem vorhergehenden dein Achille in den nuind legte und diesen sich dann weiter nach dem verbleib des graurockes erkundigen lässt, der ihm nun von Ise in der person seines begleiters vorgestelt wird. Dass also Orendel eigentlich der herr der bürg sei, folgt aus dieser st<jlle nitdit im mindesten, würde sogar aus ihr nicht einmal folgen, wenn Ise wirklich den A(;]iill'^ als den dienstmann Grendels bezeichnete, da dieser ja könig von Jerusalem ist. .la sellist wenn es feststände, was Müllenhoff annahm und an und für sich ganz wol möglich ist, dass nach der ursprünglichen dai'stellung in diesem schlusstoile Orendel bei seiner nickkehr nach Jerusalem die Biide in der gewalt der treulosen hüter des grabes findet, so würde ja auch das eine sehr passende form der typischen fort- setzung gewesen sein, und daraus eine stütze für die annähme zu zimmern, auch der erste teil des gedichtes habe eigentlich von des beiden rückkehr gehandelt, ist unmöglich. Es bleibt also für die bcgründung jener aufstollung nach alledem nur der inhalt des ersten teiles selbst übrig.

Nun gibt sich aber an der von Beer a. a. 0. verwerteten stelle der gi'aurock keineswegs „als einheimischen könig*^, sondern als könig Orendel von Trier zu erken- nen. Darauf hin begrüsst ihn Bride als vou gott gesendet und freut sich ihm treulich beistand geleistet zu haben; die tempelherren aber, die ihn eben noch angreifen wol- ten, emilfangen ihn mit ehren und setzen ihn auf den thron. Das alles findet aus- reichende begründung durch das vorausgegangene. Der graurock hat vor den äugen der jungfräulichen königin Bride wunder an tapferkcit verrichtet; einen gegner nach dem andern hat er überwunden, darunter auch zwei die sich auf die königin hofnung mac'hten; kein zweifei, dass er jezt den meisten anspruch auf ihre band hat. Aber man hält ihn in seiner bäurischen kleiduug für einen knecht und als solchen der königin und des thrones für unwürdig. Als Bride ihn nach seinen ersten helden- taten gefragt hat, ob er der ihr von gott zum eheherrn verheissene könig Orendel von Trier sei, hat er selbst es geläugnet; als sie ihn trotzdem in die arme schliesst, wirft ihr ein riese vor, dass sie seinen knecht küsse. Als sie ihn nach seinen wei- teren siegen zum gemahl uimt und sodann ihre mannen, die tempelherren, ihm treue schwören lässt, murren diese unter einander: „was kann das für ein könig sein, der nichts als einen grauen rock hat, als wenn er aus dem kloster gelaufen wäre; wir wollen ihm keine heerfolge leisten.'' So beabsichtigen sie denn, "als Orendel mit Bri- des beistand die mächtigsten gegner widerum überwunden hat, ihrerseits ihn anzu- greifen. Da gibt sich der graurock als könig Orendel vou Trier zu erkennen, und uaturgemäss geben sie jezt dem könige gegenüber den widerstand auf, der dem knechte gegolten hatte. Man braucht gar nicht einmal anzunehmen, dass sie davon wissen, dass Bride den Orendel als den ihr bestirnten bräutigam erwartet, aber sehr wol ist es möglich, dass der dichter dies voraussezte, und dann ist vollends kein

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gnind ersichtlich, weshalb Oreudel uis[tniuglich der einheimische könig gewesen sein solte.

Nicht diese schlusssceno ist also auffällig, sondern nur jene erste frage der Bride an den unkentlichen Orendol, hei welcher sich zeigt, dass sie von ilmi weiss imd ihn als zukünftigen gemahl erwartet, ohne ihn je gesehen zu haben. Dass ihr diese künde durch die yotcs stimme gekommen sei, hält man gewiss mit recht für kein altes sagenmotiv. und so wird denn mit Müllenhoff angenommen, dass Bride ui-sprÜDglich eben den Grendel schon kent dass er eigentlich ihr in vei'änderter gestalt heimkehrender gatte ist. Aber diese folgerung ist doch nichts weniger als zwingend. Analogieen für jene anrede der Bride an den Orendel finden sich, wo auch nicht im entferntesten an eine solche erklärung zu denken ist. Im Wolfdietrich fragt MarpaUe den beiden , den sie nie gesehen hat , ob er Wolfdietrich aus Griechen- land sei; dem hat sie ihre jungfraunschaft aufbewahrt und nur er soll ihr herr wer- den (Wolfd. D; er soll ihren vater im messerwerfen besiegen Wolfd. B). Wolfdic- trich verläugnet sich, trotzdem teilt sie mit ihm das lager, und nach B schleudert sie das schwert fort, durch welches Wolfdietrich sie von sich trente alles züge, die sich auch im Grendel finden. Nach Helgakvi|)a HJQrvarJ)SSonar redet Svava den namenlosen beiden gleich mit Helgi an und sie weiss was ihm bestimt ist; nach der dai-stellung der A^'Qlsungasaga fragt die aus dem todesschlummer erweckte Brynhild ihren befi-eier sofort, ob er Sigurd Sigmunds söhn sei, und Müllenhoft" selbst weist auf ,,die analogie der Nibelungensage, woBrünhild als jungfräiüiche königin in ihrem lande herscht imd Siegfi'ied bei der ersten begegnung erkent." Was Müllenhoff gegen die anwendbarkeit dieser lezten analogie einwarft, fält mit Beers Untersuchun- gen. Ich denke, so gut wie diese weisen Jungfrauen konte auch die Bride in dem beiden von voraherein «den rechten" ahnen, umsomehr, als er sich schon vor ihren äugen durch seine waftentaten als den treflichsten ausgewiesen hat.

Auch Bi'ide ist kein gewöhnliches weib. Sie ist eine streitbare Jungfrau von wun- derbarer stärke; kein mann darf sie benihren. Das sind die einzig wesentlichen eigen- schaften, welche sie im gedichte auszeichnen; sie bleiben nach der MüUenhoffschen hj-pothese völlig unerklärt; den charakter späterer erfindung tragen sie dui'chaus nicht. Die dui'ch das ganze gedieht hin festgehaltene Jungfräulichkeit der heldin etwa auf den einfluss der Brigittenlegende zurückzuführen, ist unstathaft, da sich sonst nir- gend die leiseste spur eines solchen nachweisen lässt und der dichter, w^enn er diese beziehung gesucht hätte, der Bride das prädikat sante sicher nicht vorenthalten haben würde. Dieser zug gehörte so gut wie Biides Streitbarkeit der alten sage an, die auch dadurch \Nider, ebenso wie weiterhin durch das keusche beilager mit dem trennenden schwert, durch die knechtschaft des beiden, die Veränderung seiner gestalt an züge der Siegfried - Brünhildensage erinnert.

So wenig wir demnach zu der Voraussetzung berechtigt sind, dass Bride ursprünglich das verlassene und widergefundene eheweib gewesen sei, ebensowenig bildet sich für die annähme ein anhält, dass ihr aufenthaltsort ursprünglich Grendels heimat und somit ihre erwerbung mit des beiden heimkehr verbunden gewesen sei. Im Osten war Grendel verknechtet; im osten findet er auch die Jungfrau. In eines riesen gewalt befand sich der held; von riesen hat er auch die Bride zu erkämpfen. Bride selbst ist riesischer natui", sie besizt nicht nur jene gewaltige körperkiaft, sie führt vor allem auch die typische riesenwaffe, die stange. Alles weist also darauf hin. dass der held von anfaug an die Jungfrau im riesenlande erwirbt. Auch wenn wir diese sage auf einen naturaiythus zumckzuführen suchen, wozu ja hier der namc

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des beiden ein besseres recbt gibt, als es den meisten deutungsversucben deiaii: zu gründe liegt, so haben wir doeli dunhaus keine veranlassung an der ursi>rünglich- keit jenes zuges zu zweifeln. In der von Berger hcriieigezogenen orzähluug von Mengl(?[) und Svijjdagr. welche den jahrzcitniythus besonders deutlich hervortreten lässt, wird der aufenthalt der Menglg}) als pursa-pjöpar sj<^t bezeichnet (Fj()lsvinnsmHl 1); Mcugl(?[) weilt also zweifellos nicht in Svipdags liciniat; sie ist auch nicht seine gattin; sie ist wie Bride Jungfrau, weilt wie sie im riesenlandc uml harrt wie sie dort dos ihr bestimten geliebten. Mit dorn Meuglof)mythus stobt der von der Ger|)r in enger beziehung. Und auch Ger{)r wohnt in Jotunhcim, Ja sie ist eines riesen tochter. Zu ihrer enverbung bedarf Skirnir eines besonderen rosses und eines besonderen, den riesen verderblichen Schwertes ganz wie Oreiidel zur gcwiimung der Bride. Die waftc, welche wenn auch nur mittelbar den weg zur Mongl^j) bahnt, wird auch in Fjolsvinusmal cnvähnt; sie ist in der unterweit gewirkt und behndet sich in einer mit neun schlössen! verwahrten eisernen lade. Das schwort, welches Uren- del zur bekämpfung des riesen ei'hält, liegt maunsticf unter der erde; dasjenige! welches zuerst für das erforderliche ausgegeben wird, befindet sich in einer mit drei schlossern gesicherten lade. Auch in der Siegfriedsage gieng der gewinnung der wie Menglo|) und Ger{)r von der waberlohe imigebenen Jungfrau die erwerbung des Schwertes und des rosses voran. Es liegt mir fern, deshalb einen direkten Zusam- menhang der Orendelsage mit einer dieser traditionen anzunehmen, oder solchen detailzügeu wie den das schwert betreffenden grosses gewicht beizulegen; aber so viel scheint mir sicher, dass, was sich etwa aus dem inhalte unseres gedichtes auf traditionen mythischer art zurückführen lässt, viel eher auf Vorstellungen aus dem angezogenen kreise, als auf die von Mülleuhoff reconstruierte und in der haui)tsache auch von Beer und Berger voi'ausgeseztc form des mythus weist.

Ich glaube nach alledem als den grundbestand der Orendelsage die folgenden drei aus dem Jahreszeitenmythus erwachsenen motive ansehen zu müssen: 1. Orendel fährt ins riesenland und gerät dort in knechtschaft; 2. Orendel gewint nach erlangung von ross und schwert im riesenlande die Jungfrau; 3. Oi'endel kehrt aus dem riesen- lande heim. In dieser reihenfolge überlieferte die natürlich nicht mehr mythische, sondern rein sagenhafte tradition jene drei motive auch unsenii gedichte. Dass in leztcrem das heimkehrmotiv verschoben und zugleich damit eine völlige imiwälzung der alten Überlieferung volzogen sei, ist also bei dieser fassung nicht mehr anzuneh- men. — Die benutzung der quelle kann auch sehr wol schon an einer früheren stelle unserer dichtung einsetzen, als Berger annimt. Zu den partieen wenigstens, welche poetisch entschieden über das hinausgehen, was Berger s. C fgg. als den „anteil des spielmanns" zu bestimmen sucht, gehört teilweise auch die erzählung von Oren- dels entschliessung und Vorbereitung zur fahrt; vor allem die lebhaft anschauliche darstellung des aufgebotes an die vasallen v. 287 fgg., die nur in der Überlieferung sehr entstolt ist*. Ich sehe also keinen grund gegen die annähme, dass mit den

1) Orendel läfst die herbeigekommenen (je nach ihrem verschiedenen stände) in einzelnen grup- pen, ringen, antreten. Sein erster aufiruf gilt den königen : 8 derselben treten mit einem gefolge von Je HXKD rittern hervor. Der zweite ruf ergeht an die übrigen vasallen (vers 300/1 müssen ursprünglich an stelle von 296 gestanden haben); und zum zweiten male stelt sich eine schaar, 1000 volständig gewapnete ritter. Nun muss der dritte ruf erfolgt sein, denn nur auf einen solchen kann sich v. 304,5 künde er mit allen seinen sinnen die heren von dem ring nit bringen beziehen. Um dieser vergeblichen laufforde- rung an den dritten ring nachdruck zu geben , lässt Orendel einen häufen goldener sporen auf den hof schütten, und mm springen alsbald die jungen herbei und nehmen dieselben auf. Die goldenen sporen sind bekautlich zeichen der ritterwürde ; um diesen preis lassen sich also die jungen {degen wird etwa

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versen 155 fg. e\ spn'chrf in dem huochc [also] ein sfaf li<jt /if (kr Mitseien [döj in der tat der aus der alten tradition schöpfende, natürlich aber hier so wenig wie sonst getreue bericht eingeleitet wird. Bezüglich des weiteren inhaltos des ersten teiles pflichte ich Berger bei, soweit es sich um die ungefähre begrenzung des bestandes der alten überheferung handelt; dass ich sonst auch hier vielfach von seiner auffas- sung abweiche, folgt schon aus den oben gegebenen ausführuugen und wird sich unten weiter zeigen. Auf Orendels Vereinigung mit Bride nach gemeinsamer glücklicher Überwindimg der feinde folgte aber nach meiner ansieht in der alten erzählung nicht allein Ises ei'scheinen und abfindung, sondern auch die mit seinem beistand bewerk- stelligte heimkehr Orendels. Den kern des zweiten teiles auf ein selbständiges gedieht zurückzuführen, fanden wir keine veranlassung, vielmehr erkanten wir ihn als die typische fortsetzung des spielmannsgedichtes. War schon die quelle ein solches, etwa von der gattung des Kother, so mag sie auch schon jenen zweiten teil mit umfasst haben. Hat der dichter selbst ihn hinzugefügt, so ist sein werk durch spä- tere zutaten stark überwuchert. Jedenfals liegen hier elemeutc der dichtuug neben und übereinander, welche nicht gleichen Ursprunges sind.

Für die datierung der quelle unseres Orendel fehlt natürlich jeder anlialt. Die abfassungszeit der originalform des lezteren aber fält nach Borgers meinung imi 1160, die entstehung von U in den ausgang des 13. Jahrhunderts. H stamt aus dem jähre 1477, D aus dem jahi"e 1512; was gibt die veranlassung, U, die nächste gemein- same grundlage der beiden, so weit zurück zu datieren? Nach Berger der umstand, dass U auf reinigung der reime und auf regelrechten vei'sbau ausgehe. Für den ci*sten punkt bringt er 15, für den zweiten 2 belege. Das will schon gegenüber der ga waltigen anzahl unregelmässiger verse und reime, die in U stehen geblieben sind, wenig genug sagen; es verliert aber vollends alle bedeutung, wenn wir sehen, dass H in viel ausgedehnterem masse reine reime und regelrechte verse einführt als U. Was dort im 15. jahrhimdeit geschah, kann doch unmöglich hier die abfassung im 13. Jahrhundert beweisen; nichts hindert sie in weit spätere zeit zu rücken.

Die anfangsgrenze für die datierung von U wird nach Berger durch zwei seiner meinung nach erst ans U stammende reime bestimt, mötie (st. niäne) : schöne und galhi (st. galhie) : sin. Da Berger hier nur das eine beispiel für apokope des e im reime beibringt, so scheint er die zahlreichen weiteren fäUe derselben dem origi- nale zuzuschreiben. Er berührt diesen i)unkt denn auch gelegentlich bei der auffüh- rung derjenigen reime, aus welchen er den dialekt des Originals zu bestimmen sucht. Aber eine Zusammenstellung der betreffenden fälle vermisst man ebenso sehr wie eine erörtei-ung ihrer bedeutung. Ich habe mir 23 reinie notiert, welche apokope des e nach langer stamsilbe unbedingt erfordern, daninter beispiele wie dax : fast (Präteri- tum), bereit : leit (prät.j, hat (\>r'ät) : missetdt, geleit (prät.) ; gemeit, fuurt (prät.) : sluoc, diu tnilt (subst.) ; schilt, er (subst.) ; se, Lac : trac (drache). Das ist doch sicher nicht die reim weise der zeit um 1160, in welche Berger das original sezt. Er muste entvveder diese datierung fallen lassen, oder er muste dergleichen reime der bearbeitung (ü) zuweisen; keinenfals durften sie ignoriert werden. Ähnlich steht es mit den zweisilbigen reimen, welche auf dehnung offener stamsilben weisen. Auch sie scheint Berger insgesamt dem originale zuzuschreiben ; folgei*ungen für die abfas- sungszeit desselben werden aus ihrem häufigen vorkommen nicht gezogen; sie wer-

statt riüer v. .317 in der gruiidlajje gestanden haben) zur teiinahme bewegen. Der dritte ring muss dem- nach die knappen umfasst haben.

ÜBEH ORKN'DEL ED. BRROKR 477

den ohne weitere bemerkungen unter den dialfktlichen reimen der einzelnen vokale aufgefülii-t. Sie sollen also doch wol auf die rechnung der initteldeutsclien niundai"t des gedichtes gesezt werden, während diese erscheinung in gleicher ausdoliiuing in keinem gedichte der fragliclion zeit auftritt, auch in keinem mitteldeutschen. Freilich sind Bergers angaben au(.-h recht unvolstandig. Der reim linr : tncrc komt nicht allein an den von ihm angefühlten 4 stellen vor, sondern auch noch v. 243 und 453. Gauz übergangen sind hcrc (dominus) .• mere 3027, 3288, heren : mcrc 2880, ere (cren):merc 298. 570. 2874, hvre : (jcren 3001; gcrni : werden 2820. 2834. 3124. 3132, genesen : heren 1618, sehen : teere 20r)3. 2303, leben : sterben 1580, tage: sande 506. Im anschluss an diese erscheinung wären auch reime wie stunden : frione; komen : Schalunge; ime : pfcn?iinge zu besprechen gewesen. In manchen lallen können die betreffenden reime anders, teilweise untnr aimalime noch jüngerer sprachformeu erkläii werden (z. b. herr : gern, gern : wer(d)n, scn.'wcr)^ lue und da mag auch eine andere textherstellung angezeigt sein; jedenfals bleibt die tatsacht! bestehen, dass apokope und dehnung offener stamsill>e in den reimen der dichtung eine häufige erscheinung ist.

AVas an entschieden altertümlichen reimen dem gegenüber steht ist wenig genug. Die reimformel forderost : tröst 3679 ist im 12. jalirhuudert geprägt, und wenn sie auch bekautlich in den Nibelungen noch gebraucht und Karlmeiuet 404, 7 aus Rol. 8, 8 beibehalten ist, so wird sie doch von den rheinfriiukischen fahrenden schwerlich noch lange nach dem 12. Jahrhundert selbständig angewendet sein. Lez- teres gilt auch für die v. 3616 von Berger im reime hergestelte form geinarterot, während dem umstände, dass in U ausserhalb des reinies die form gebot (e) stand, keine bedeutung beizumessen ist, wenn, wie Berger s. XXXIV bemerkt, U in Ober- deutschlaud geschrieben war; ebensowenig der Schreibung brün/'ge, brinige. Der auch von mir Mor. CVIII aufgeführte reim danniln : Jordan 1680 ist nicht sicher, da ebensogut wie v. 3135 auch dan gemeint sein kann. Ob v. 346 menigln : Rln oder die sonst übliche form menige : Eine gemeint ist, will ich nicht entscheiden. Reime welche auf ein flexions-c beschränkt sind, lassen sich nach Berger sonst nur in drei fällen nachweisen.

Das sind doch überaus spärliche beispiele voltonig gebrauchter endungen für ein gedieht, dessen reime zum grossen teil nicht neu gebildet siud, sondern aus alt überlieferten formein stammen. Dass sie nicht geeignet sind, seine abfassuug in der zeit um 1160 wahrscheinlich zu macheu, ist wol klar. Es müsten andere, wichtige umstände dafür in die wage fallen. Nun ist die reimkunst des Orendel sehr unvol- kommen; die assonanzen sind sehr zahlreich und sehr roh, roher als im Morolf; von diesem gesichtspunkte aus wird man geneigt sein, die abfassung des Orendel eher vor als hinter die des Morolf zu verlegen. Lezterer aber, meinte ich, könne nicht wol vor dem lezten decennium des 12. jahrhundeits verfasst sein. Berger ist ande- rer ansieht. Er glaubt, dass der kürzere Oswald in die siebziger jähre des 12. jahr- hmiderts falle, der Morolf vor diese zeit und der Orendel vor den Morolf, also um 1160. Da Berger diese datierung des Oswald als „ziemlich sicher" bezeichnet, da sie, wie ich aus Siegm. Schnitzes disscrtation über die Oswaldlcgende (Halle 1888) ersehe, auch von andera dafür gehalten wird, und da hierbei umstände in betracht kommen, welche für die beui-teilung der litterarhistorischen Stellung der spielmanns- poesie überhaupt von bedeutung sind, so halte ich es für nötig auf die frage aus- führlicher einzugehen.

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Zur begriinduDg der zeitbostinimung des Oswald beruft Berger sich auf Paul- Braune XI, 382. Doi-t weist er darauf hin. dass der Oswald in die gruppe Orendel Morolf herzog Ernst gehöre, und zwar, wegen seiner verhältnismässig grösten reim- geuauigkeit, als lezter dieser reihe. Der Orendel aber sei viel früher als 1187 ver- fasst das solle in der ausgäbe ausgefühi-t werden; der Morolf falle vor 1190 das solle an anderem orte wahrscheinlich gemacht werden. Da wird doch der leser im kreise henimgeführt. Es bleibt also der herzog Ernst. Ich muss mich wundern, dass Berger bei seiner Vertrautheit mit der spiolmannspoesie noch dem alten herkom- men folgen kann, welches dieses gedieht mit dem Orendel usw. in eine reihe sezt. AV'enu ich dasselbe bei der Schilderung der spielmanusmanier Morolf CXVIII fgg. ausschloss, so hatte ich meine guten gi-ünde dafür. In der tat hat ja der herzog Erast nichts von den dort geschilderten, so leicht erkenbaren und so charakteristi- schen zügen, nichts von jener an den überlieferten formel Vorrat gebundenen darstel- lung, nichts von den possen oder der plumpen bigotterie, von der ganzen leichtfer- tigen behandlung des Stoffes, von dem pei-söulichen hervoidrängen des spielmanns, nichts von der typischen brautfahrt oder entführuug. Dass der held in den Orient komt und dort allerlei abenteuer erlebt, macht doch dies gedieht so wenig wie den Alexander oder den grafen Rudolf zu einem spielmannsgedichte. Und von vornherein sehen wir es in den gebildetsten kreisen verbreitet. Der angehörige eines der vor- nehmsten baii'ischen geschlechter erbittet es sich vor 118G von einem abte zur abschnft. In der zeit, wo an den höfeu noch eine edlere geseUigkeit gepflegt wurde, las man dort, so erzählt uns Wernher der gärtner, den herzog Ernst vor. Eine bearbeitung in lateinischen hexametern wird 1206 dem erzbischof von Magdeburg gewidmet, eine spätere deutsche erneueruug nimt sich Wolframs mauier zum muster. Ein solches gedieht kann doch unmöglich einen massstal) für jene ganz auf den der- ben geschmack und den beschränkten anschauuugskreis eines niederen publikums zugeschnittene und aus ihm erwachsene spielmannspoesie abgeben. Man muss von dieser von vornherein einen viel geringeren kuustgrad, eine viel grössere befangen- heit in alten typen und formen erwarten. Aber welches sind denn nun die kriterien, die aus dem herzog Ei-nst für die Zeitbestimmung des Oswald entnommen werden? Osw^ald Übertrift an reimgenauigkeit bei weitem den Morolf; näher steht ihm schon der herzog Ernst, „in dem indessen die assonanzen immer noch zahl- reicher sind." Die meist tadellose reinheit des reimes im Oswald weist immerhin (trotz Ungeschick in darstellung und übrigens wesentlich korrektem versbau) schon auf die zeit einer vorgeschrittenen kunstentwickelung. Nun ist der Enist in den siebziger jähren (nach Bartsch zwischen 1173 und 1180) gedichtet, also ist der Oswald auch in den siebziger jähren verfasst. Für „ziemlich sicher" kann ich diese Zeitbestimmung nicht halten.

Rödiger hatte Anz. f. d. a. II, 2.o2 fgg. mimdartliche reimformen des Oswald aus dem alemannischen des 15. jahrhundeiis belegt; er hatte an die assonanzen der von Schönbach ins 14. Jahrhundert gesezten Cäcilie erinnert, auf die zahlreichen beispiele für apokope und stamsilbendehnung in den reimen des Oswald hingewiesen, und nach alledem Bartschs annähme, dass für dies gedieht eine vorläge aus dem .12. jahrh. vor- auszusetzen sei, abgelehnt. Die gründe, welche nun Berger Paul - Braune XT, 370 fgg. zur stütze von Bartschs ansieht beibiingt, sind nicht stichhaltig. Er behauptet 1) es finde sich im Oswald eine anzahl im 1.5., ja wol schon seit der mitte des 14. Jahr- hunderts nicht mehr gebrauchter ausdrücke. Obwol dieser puukt nur die frage nach einer älteren vorlade des gedichtes überhaupt, nicht die abfassung derselben im 12.

ÜBER OREXDEL ED. BERGER 479

jahrhundei-t betrift, so darf doch nicht voi-sch wiegen worden, dass Borgers bohaup- tiiDg bei keinem der von ihm aufgeführten worte zutrift. Es sind die folgenden: bcy namen v. 25. 1420 als tlickwort im reim = fürwahr oder besondere: das Deutsche wb. belegt es in der ersten bedeutung aus dem endo des lö., in der zweiten nocli aus dem endo des 16. Jahrhunderts. (jefutj im I). wb. aus dem 15. Jahrhun- dert bezeug-t. missewende belegt Lexer noch aus dem 15. Jahrhundert. ahu- hant im D. wb. aus dem IG. jahrh. nachgewiesen. ätie. siuidcr wdn komt noch im anfang des IG. Jahrhunderts vor: Wackernagel Kircheul. TT n. 1314 str. 3, 9. megcteyn nocli bei Michel Beheim, AViener 57, 7. 193, G. wimdersch iere ist keineswegs ein altes wort: Lexer belegt es nur aus einer plusstrophe der Morolf- handschrift E vom jähre 1479 (hinter str. 125), ferner aus der Koloczaer hs. 250, 175 und aus Mono altd. schausp. 1, 1920 (14. jh.). einem angewimifu im I). wb. reichlich bis ins 17. jahrhundei-t belegt; sogar Wieland gebraucht das wort noch. hohischeit 327 ist doch nichts anderes als das erst seit dem 17. jahriiundert erloschene hilhscheit. sick underivi)iden = sich in besitz setzen 380 wird so noch im IG. Jahrhundert gebraucht, z. b. Zimmerische chronik 11''^, 422, 37. gehas im I). wb. ununterbrochen bis ins 18. Jahrhundert belegt. friedet ebenda noch aus dem 15., gemcit noch zahlreich ans dem IG., lusten = begehren aus dem IG., mit Umlaut noch aus dem 18., klar = schön bis ins 17. Jahrhundert belegt. sider komt im 15. jahrh. z. b. in Beheims Wienern , im IG. z. b. in der Zimmerischeu chronik vor, aber noch im 18. jahrh. wurde es nach Frisch „in gemeinen reden oft gehört.'^ unde = woge bei Fi'isch aus dem 15., bei Biefenbach noch aus dem 16. jahrh. belegt. beite?i = zögern im D. wb. bis ins 17. jahrh. nachgewiesen. Also dieser punkt ist wol abgetan.

2. Die hdschr. 0 des kürzeren Oswald überhefert einen zug der sage in ver- mutlich ursprünglicherer fassung als das längere gedieht. Das könte doch nur beweisen, dass der Verfasser des kürzeren gedichtes seine kentnis der legende aus einer von dem längeren unabhängigen tradition schöpfte; auf die form, in welcher ihm diese zufloss, können wir daraus gar keinen schluss ziehen.

3. Aus der im übrigen nüchternen und unbeholfenen darstelluug heben sich einige stellen durch zarte cmpfinduug und poetischen ausdruck deutlich ab (es wer- den G kurze versreihen citicrt); diese können unmöglich vom Verfasser von WO (d. i. die uns überlieferte dichtuug) herrühren, sie weisen auf einen begabteren dichter. Daraus würde notwendig der schluss zu ziehen sein, dass in WO von der alten dich- tung nichts melu" zu erkennen ist als einige ganz unbedeutende trümmer; alles andere wäre so durchgreifend geändert, dass sich gerade dadurch jene spärlichen reste des alten noch „deutlich abheben." Und dabei soll noch aus den reimen die- ses nach Berger um 1400 verfassten WO und zwar nicht etwa aus vereinzelten altertümlichen erschciuungen , sondern aus dem gesamtcharakter seiner reimkunst die abfassungszeit jener vorausgesezten alten grundlage, ja im weiteren verfolge die Chronologie der gesamten Spielmannsdichtung bestimt werden? Berger entzieht hier seiner oben angeführten datierung selbst allen boden. Übrigens lässt sich auch aus den betreffenden stellen kein schluss auf eine ältere vorläge ziehen. Durch die ent- lehnungen aus dem Orendel und Morolf wissen wir schon, dass der dichter seine erzähluug mit allerlei reminiscenzen ausschmückt. So ist die von Borger besondei-s herausgehobene stelle v. 411 fgg. augenscheinlich einer jener liebesgrüsse , wie sie im 15. Jahrhundert vielfach überliefert sind, vgl. z. b. Hätzlerin s. 77% Fichards Frankf, archiv III, 257; so haben ihm bei den verseu 137G fgg. augenscheinlich

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erinnerungen an irgend ein iUtoros gobot vorgosclnvobt. die teilweise gar niclit in den Zusammenhang passen.

4. Die alliteration hat in volksmässiger redeweise viel zu lange fortgelebt, um das was wirkÜch von Bergers unter dieser rubrik gegebener Zusammenstellung Dicht auf zufiüligem gleicliklang des anlautes berulit, zur altersbestinunung verwerten zu können.

ö. Die wenigen harten assonanzen, welche ins 12. Jahrhundert weisen sollen, (s. 372), finden z. b. in den reimen der von Rödiger herbeigezogeneu Cäcilie aus- reichende parallelen, vgl. reime wie helihct : ycM'ihet , opJter : einander, nemen : slux- xen u. a. Unter den von Berger aufgefülirten reimen ist übrigens der aus Osw. 0 entnommene adler : beiraren gewiss als adel- ar : heuarn aufzufassen (adel-ar noch im 1(3. Jh.). Vei's 53 scheint mir hoehgebon) (: erknru) 0 deni n-oUjeton W des Zusammenhanges wegen vorzuziehen; jedenfals bietet W mit seinem nolgetdn : 'irkörn keineswegs einen alten, sondern einen sehr jungen reim, ebenso jung wie die nach Baiischs angaben in WO gemeinsam überlieferten nnhegobit : gelöbit 588, böten (nun- tii) ; toten (fecenmt) 849, got : höt 391. 448. 1328, noch : ril nöeh 1076, och : hen noch 1234. Das sind besonders dem elsässischen dialekte des 14/15. Jahrhunderts gemüsse reime, wie sie z. b. der Strassburger* Morolfdruck einführt (Morolf fortsetzung 71', 10 mosx :gr6sx; 73", 2 hor:enhor; 73'', 16 schön : geton)^ erscheinungen, die zusammen mit dem häufigen gebrauche der apokope und stamsilbendehnung der reim- kimst des gedichtes deutlich genug den Charakter des 14/15. Jahrhunderts aufprägen.

AVenn endlich Berger s. 374 „das fehlen höfischen einflusses und die stärkere geistliche tendenz" betont, so ist beides bei einer dichtung legendarischen Inhaltes aus dem 14 15. Jahrhundert ganz in der Ordnung. Andererseits aber waren auch die traditionen der spielmannspoesie in diesem Zeiträume lebendig genug, lun sich in dem gedichte daneben bemerklich zu machen. Der „spruch vom könig Etzel" z. b. (Kel- ler, Erzählungen aus altd. hdschr. 1) ist nichts weiter als ein ganz an den alten for- mein klebendes spielmannsgedicht, und die benihrung der legende mit dieser gattung kann der Chiistophorus B veranschaulichen , den Schönbach , nach Ztschr. f. d. a. 26, 83 unten, gewiss mit recht nicht mehr wie früher für ein werk des 12. jahrhun- deiis hält.

Ich denke, wir haben nacli dem allen nicht den mindesten grund, den kür- zeren Oswald bis ins 12. Jahrhundert zurückzudatieren. Woher auch immer dem dichter sein stoff zugeflossen sein mag, sein machwork gehöii dem 14/15. jahrhundeit an. und es kann daher für die datienmg der spielmannspoesie des 12. Jahrhunderts gai- nicht in betracht kommen. Damit fält denn auch die grenze, welche Berger für die Zeitbestimmung des Orendel und Morolf ziehen wolte.

Aber Berger bringt a. a. o. s. 380 fg. noch einen anderen giimd gegen die- jenigen vor, welche den Orendel und Morolf ' bis gegen das ende des 12. Jahrhunderts hinabrücken wollen. „Kann man" so fragt er „an so später datienmg der genanten spielmannsgedichte noch enistUch festhalten, wenn man ihnen die erzeug- nisse der volkspoesie gegenüber stelt, die uns nach ablauf des Jahrhunderts entgegen- treten?" Gewiss nicht, wenn man alle denkmäler der deutschen dichtung in eine einzige gerade linie rückt, mögen sie nun in Trier oder in Österreich entstanden, mögen sie bei hofe oder an den strassenecken vorgetragen sein. Aber ich denke doch, die litteraturgeschichte hat nicht nur mit chronologischen, sondern auch mit

1) Die s. 380 daneben erwähnten Rother und Ernst sind doch nicht „meist bisher" so datiert.

ÜBER ORENT)EL ED. BERGER 481

landschaftlichen und socialen unterschieden zu rechnen. Jene volksmässige epik vor- nehmeren Stils, auf welche Berger hezug nirat*, sehen wir in Osterreich und zwar in ritterlichen kreisen sich ausbilden. Um IIGO sind uns dort ritterliche trutlkt bezeugt, um dieselbe zeit ei)ische dichtung von Rüdiger und Dietrich von Bern. Dass diese leztere im stile des Grendel und Morolf gehalten war, wird wol niemand anneh- men; es würde uns dann nui* eine karrikatur der Nibehuigensage geblieben sein. Die beschaifenheit jenes altösteiTeichisclien ritterlichen minnegesanges lernen wir bald nach jenem ältesten Zeugnis in Kürnbergs liedorn kennen. Dii'selbe strophenform, dieselbe durchdringimg volksmässiger und ritterlicher elemente wie in ihnen tritt uns später im Nibelungenlied entgegen; beides muss auch für dessen liedailige grund- bestandteile vorausgesezt werden. Minnelied und ei)isches lied haben sich damals in Österreich neben einander auf nationaler grundlage in den höheren geselschaftskroisen entwickelt. Wie aber in Baiern schon im 12. Jahrhundert das vorlesen umfänglicher epischer erzählungen gegenständ der höfischen Unterhaltung geworden war (l^ohuid, herzog Ernst), so waute sich im ersten decennium des 13. Jahrhunderts aueli in ÖsteiTeich gleichzeitig ]nit dem ersten eindringen Hartmannscher und Wolfrainscher epik der liöfische geschmack vom epischen liede der epischen erzählung zu. Dem dii'ekten eintlusse der französischen litteratur jedoch schon durch die geograpliische läge entnickt, geht man nicht wie in Westdeutschland zur bearbeitung französischer quellen über, sondern die nationale diclitimg bequemt sich dem neuen geschmack an: die epischen Ueder oder liedercyklen werden unter einmischmig modern höfischer elemente zu umfänglichen leseepen verarbeitet, so entsteht bis um 1210 das Nibe- lungenlied und später unter dessen einfluss die Gudrun; oder man baut aus einzel- nen sagenhaften motiven frei combinierte erzählungen gleichen stiles auf, so entsteht, gleiclifals in unmittelbarer anlehnmig an die Nibelungendiclitung die Klage imd der Biterolf. Zunächst auf die bairisch - österreichischen lande beschi-änkt, breitet sich diese dichtungsgattung , inzwischen mit dementen niederer volkspoesie versezt, in der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts auch auf alemannische gebiete aus. Da.ss sie jemals auch in den Mosel- und Rheinlanden gepflegt sei, dafür sjuicht kein einziges denkmal. Insbesondere aber wüi-de die annähme, dass in diesen ganz von der fran- zösierenden dichtung beherschten grenzgebieten gleichzeitig mit Nibelungen und Biterolf ebensolche volksmässig- ritterlichen epen in ausgel)ildeter kuustform gedichtet seien, allen tatsachen widersprechen. Wie sollen wir denn also zu der Voraussetzung berechtigt sein, dass ebendort in der zunächst vorangehenden zeit die gesamte volks- poesie sich in einer zu diesem gipfel aufsteigenden linic bewegt habe? Mögen wir die abfassung des Orendel und Morolf noch so weit hinaufrücken, soviel ist doch zweifellos, dass sie, die anerkantermassen erheblich später als der Rother gedichtet sind, keineswegs auf einer kunststufe stehen, welche über den Rother hinaus auch niu- von ferne auf die Nibelungen- oder Biterolfgattung zuführt, dass sie vielmehr die ernstere und gediegenere manier des Rotherdichtei-s , der noch um den beifaU vornehmer geschlechter warb , ins niedere fortgebildet haben , augenscheinlich in einer zeit und in einer gegend, wo die höheren geselschaftskreise den geschmack an der- gleichen verloren hatten. Diese gedichte sind eben höchst charakteristische und wert- volle Vertreter einer niederen volkspoesie, die zu allen zeiten, wo die gebildeten stände ihre besondere kunst pflegten, neben dieser existiert hat; die noch an den alten traditionen haftet, wo die kunstmässige dichtung längst andere wege einschlug;

Ij Der selbst nichts weniger als sicher datierte, nur in später Überlieferung erhaltene Laurin

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kann für die datierung anderer dichtungen nicht in betracht kommen

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLO&IE. BD. XXII.

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und die umsoweuiger fühluug mit der kunstpoesie hat, jcniehr diese unter fremdem einflusse steht. Dass viele formein, dass stil und kompositionsweise dieser durch den Orendel und Morolf verti-eteneu volkspoesie sich auch diu-ch die mittelhochdeutsche blüteperiode hin in lebendiger Überlieferung fortgi^pflanzt haben müssen, zeigt ihr widerauftauehen in dichtimgen wie Ortnit, AVolfdiotrich BD und spateren deut- lich genug. Vielfach berühi-t sich schon jene niedere Spielmannsdichtung mit den moderneren volksmässigen gattungeu. Das wunderbare spielt in ihr eine ähn- liche rolle wie im Volksmärchen; die formel und verwante stilmittel finden sich in einer ausdehnung wie niu* irgend im volksliede; die mischung von ernster und paro- distiseh - possenhafter behaudlung des Stoffes erinneii; lebhaft an die reste der volks- schausjtiele, die wir noch in der puppenkomödie besitzen*; der rein typische Charak- ter ist ihnen mit allen diesen gattuugen gemeinsam. Ich brauche nur daran zu erinnern, wie lange diese noch heute lebendigen arten der volksdiclitung an den alten Stoffen und stüformen festhalten, wie wenig und wie spät sie durch neue epochen der kunstdichtung beeinflusst werden, um ein entsprechendes Verhältnis zwischen der niederen spielmannspoesie und der gleichzeitigen höfischen dichtung einleuchtend zu machen.

Je mehi- nun schon dieser konservative, ganz vom überlieferten abhängige chai'akter der dichtung der ungebildeten die datierung ihrer einzelnen denkmäler erschwert, urasomehr beachtung verdient es, wenn sich in ihnen nun doch diese oder jene spur einer foiigeschiittenen kunstübung zeigt. Es kann so gelingen, wenigstens eine anfangsgrenze für ihre entstehung zu gewinnen. Eine solche spur glaubte ich im Morolf zu bemerken, wenn der dichter, der sich nur stumpfen reim gestattet, dabei nicht mehr nach alter weise auch das tonlose e im versausgange zulässt. Diese sehr merkwürdige beschränkung im reimgebrauche tritt sonst in der epischen dich- tung erst im Nibelungenliede auf, während sie in derselben strophenfomi bei Kürn- berg noch nicht hei'scht. Ton strophischer dichtung der fahrenden lassen sich nur Hergers Sprüche vergleichen. Herger fand sein brot an den höfen, er genoss die gunst hochgestelter adlicher; man darf erwarten, dass er mehr Sorgfalt auf seine dich- tung verwante als ein spielmann vom schlage des Morolfdichters ; aber auch er hat sich der alten freiheit keineswegs entäussert, und seine Sprüche reichen bis gegen 1180. "Unter diesen umständen meinte ich den Morolf nicht über das lezte decen- nium des 12. Jahrhunderts zuiückdatieren zu dürfen, umsomehr als von andrer seite einer solchen Zeitbestimmung nichts widerspricht, wenn man nur nicht vergisst, wel- cher dichtungsgattung der MoroK angehört. Berger meint, „solchen nachweisen sei keine untrügliche beweiski'aft beizumessen, zumal wenn es sich um geringe zahlen- unt^rschiedc handle." In den 788 Strophen des Morolf finden sich nur 1 oder 2 sichere belege für die hebung des e im versausgange, in den 28 Strophen Hergers finden sich deren 14; das .sind doch wahrhaftig keine „geringen zahlenunterschiede ! " Auch wenn man für den Morolf noch alle stellen in betracht ziehen wolte, wo sich irgend etwa vennuten liesse, dass der überlieferte text zu ändern sei, um derartige versausgange herzustellen, so würde doch dort immer nur auf 200, bei Herger auf 4 der in betrachi zu ziehenden reimpaare ein solcher fall kommen. An der tatsache lä.sst sich nun einmal nicht rütteln, dass im Morolf der stumpfe ausgang abweichend vom älteren brauche, in derselben weise wie im Nibelungenliede gesetz ist. Das ist

1) Der zuerst von Scherer angedeutete vergleich zwischen Spielmannsdichtung und Puppenspiel liesse sich bis in sehr bemerkenswerte einzelheiten durchführen. Ein beispiel gab P. Schütze, Gegen- wart bd. XXrX s. 344.

ÜBER ORENDEL ED. BERGER 483

aber eine sehr mchtige neueruu^-, welche den spielmann nötigte mit einem teil der sonst so zäh festgehaltenen traditionen zu brechen. Reiclüich die hälfte der reime, welche der Oreudel verwendet, wurde beispielsweise für den Morolfdichter durch die befolgung dieses gesetzes unbrauchbar. Auf eine grosse anzahl von bequemeu epischen formein inuste er verzichten, formelu z. b. wie /// aller der (jcbtere : als . . . wcere; niht lenger heilen : bereiten; . . . gienc gerillte da er . . . triste ; . . . giene dräte in eine kemenäte; hiex springen : bringen; mit sinnen : bringen : geu innen; vil schiere er sich besande in allem sincni lande; si xugen vf ir segele ir kiele gicngen ebene; mit bröte und auch mit whie mit maneger handc spise; formelu ferner mit fehlen : knehten , biderbe : icidere, gesexxen : vermexxen, suxen : vergdxen, frouiven: schoKuen, ivtle : mile usw. Wenn ein spielmann, dessen darstellung ganz unter der herschaft der epischen formel steht, sich aller dieser Überlieferungen entäussert, oder dieselben, wie das in einzelnen fällen vorkomt, nach dem veränderten metrischen Schema umgestaltet, so ist es doch wol klar, dass es sich da nicht um ein bedeu- tungsloses und dem zufall unterworfenes mehr oder weniger dieser oder jener reim- form, sondern um die bewuste diu'chführung eines ganz bestimten metrischen prin- zips handelt. Sicherhch würde sich aber dieser kunstlose und reimarmo dichter einem solchen nicht unterworfen haben, wenn es sich nicht, im zusammenhange mit der fortgeschrittenen sprachentwickelung, zu seiner zeit schon algemeine geltung errungen hatte. Es dürfte demnach wol sein bewenden dabei haben, dass wir den Morolf nicht über das ende des 12. Jahrhunderts zurückdatieren.

Weder der Morolf noch der Oswald kann demnach zur begi'ündung für Ber- gers Zeitbestimmung des Orendel dienen. Andrerseits ist auch der jedenfals beti-ächt- liche Zwischenraum, welcher den Orendel vom Rother trent, so wenig wie die abfas- sung des Rother selbst auf das jahrzehent anzugeben. So ist denn auch hier kein irgend sicherer anhält. Im Orendel selbst wolte bekantlich E. H. Meyer bestirnte beziehuugen auf die geschichte des königreichs Jerusalem wahrnehmen, welche darauf hinführen würden, dass das gedieht „etwa bald nach den vorfallen vor Akers im jähre IIQO'^ gedichtet wäre. Seinem versuche, den Inhalt unserer dichtung mit ein- zelheiten aus der geschichte Guidos von Lusig-nan und der Sibylle zu verknüpfen kann ich, wie ich schon bei anderer gelegenheit äusserte, so wenig wie Harkensee und jezt Berger zustimmen. Überhaupt sind, wie ich Berger weiterhin zugebe, die angaben des gedichtes über das heilige land meist so konfus und wilkürlich, dass man hier von vornherein keine bestimten und zuverlässigen historischen beziehungen erwarten darf. Aber gewisse algemeine Vorstellungen von den zuständen in Palästina, das durcheinander von Christen und beiden in Jerusalem, die feindseligkeit der tem- pelherren , die kämpfe um das heilige grab , sein verlust und seine wädergewinnung das alles scheint mir auf einen anschauungski-eis hinzudeuten, wie er sich nicht wol in den nächsten jähren nach dem zweiten kreuzzuge, sehr gut dagegen in der von Meyer vermuteten zeit, an und für sich auch in einer späteren periode, nach 1229, im abendlande ausbilden konte. Das wenigstens trift nicht zu, was Berger s. LIX bemerkt, dass es unerlaubt sei, in der Übergabe Jerusalems an die beiden „umb einen schätz" (v. 2895) die erobern ng der Stadt durch Saladiu im jähre 1187 wider- finden zu wollen. Die Stadt wurde ja tatsächlich nicht durch stürm genommen, son- dern, als sie nicht mehr zu halten .\var, nach längeren Verhandlungen durch vertrag dem Sultan übergeben. Das volk aber warf wirklich dem patriarchen und der ritter- schaft vor, dass sie schändliche Schacherer seien, welche den beiden die heilige stadt verkauft hätten, wie einst Judas den heiland, vgl. Wilken, Kreuzz. lU, s. 311 und

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anm. 123. Dass andrerseits einem deutschen spielniaun zur zeit des dritten kreuz- zuges der gedanke an die widergcwinnuug des heiligen grabcs nahe genug gelegen haben würde, um eine solche auf die erzählung vom Verluste desselben folgen zu lassen, ist doch sicherUch nicht zu bestreiten. Wenn sowol Harkensee als Borger Grendels seereise mit der fahrt einer im jähre 1147 von Köln ausgelaufenen kreuz- fahrerflotte vergleichen, so könte es scheinen, als ob sie annehmen, dass eine frische erinneiimg gerade an dieses oreignis in der Schilderung des rheinischen spielmannes zu erkennen und damit eine stütze für ihre datierung gewonnen sei. Ich muss daher noch einmal die schon Mor. CVIII gemachte bemerkung widerholen, dass im jähre IISS rheinische kreuzfalirer ganz denselben weg wählten; vgl. Annales Colon, max. MGSS XVII, s. 795 ann. 1188: interim naves fabricabantur per diversas regiones et civitates in expeditionem , e quibus IT de Colonia moverunt in quibus erant ad MD homines. Tarn quam ceteri omnes ad III annos victualia copiose habebant etc. Gotfried von Cöln a. a. o. 796: in quadragesima naves undique adventantes et sibi invicem copulatae velis oppansis iter aequoreum ingressae smit . . . Erant LX naves ex eis vii'orum vero pugnatorum X milia et amplius. -^ Andere schlugen in dersel- ben zeit den bei Grendels zweiter Jerusalemfahrt beschriebeneu weg ein: sie zogen rheinaufwäi'ts zu lande bis Unteritalion (Ann. Col. max. a. a. o.) und so kehrten auch im november 1190 viele kreuzfahrer über Apulien zurück (a. a. o. s. 798).

Deutlicher als historische weisen kulturhistonsche momente auf eine spätere zeit als die von Berger angenommene. So fern dem dichter natürlich die kunstmittel höfischer poesie liegen, so ist ihm doch höfisches wesen keineswegs fremd; es tritt stellenweise sogar in formen auf, welche überhaupt für das 12. Jahrhundert sonst noch nicht nachweisbar sind. Die moderne ritterliche kampfart gilt dem spielmann schon als selbstverständlich. Jeder Zweikampf begint mit dem speerstechen oder er beschränkt sich auch ganz darauf; dem sieger fält das ross des übei'wundenen zu. Das stechen findet vor den äugen der damen statt (854 fg.) ; nachdem Grendel alle gegner auf den sand gestreckt hat,.lässt er vor der königin sein ross hoch aufspringen (1106 fg.); sie entbietet ihm ihre huld und will ilm in ihren dienest nehmen (1152/57. 1161/2). Das tumier bildet auch emen bestandteil der schwertleite. Diese wrii'd mit meister Ise bei seiner erhebung ziun herzog vorgenommen und im einzelnen geschildert. Nachdem üim ein herzogliches gewand angelegt ist, wird er in die h. gi-abeskirche geführt und dort erfolgt die umgürtung mit dem Schwerte. Jeder der anwesenden helden gibt ihm einen schlag an den lials und Ise spricht dabei: „ich werde es euch vergelten wenn ich kann." Das ist nicht, wie Berger meint, eine eigentümliche, sonst nicht nachweisbare, „bei Verleihung der herzogswürde übliche cerimonie"; es ist zweifellos der ritterschlag. die colee gemeint, also jener schlag, welchen der zum ritter zu erhebende knappe an den hals erhielt unter hinweis auf die mishandlung des heilandes, die er an den ungläubigen rächen soU (so nach einer nachricht aus der mitte des 14. jahi-hunderts über Wilhelms von Holland schwertleite), oder, nach späterer darstellung, als den lezten schlag, den er sich gefallen lassen solle. Dass der spielmann nicht etwa den Grendel allein, sondern gleich die ganze Versandung dem Ise die alapa zufügen lässt, ist bei der bekanten verliebe dieser poeten für kleine prügeLscenen charakteristisch genug. Der gebrauch des ritterschlages aber ist für Deutschland bisher erst seit dem 14. jahi-hundert mit Sicherheit belegt, vgl. Roth V. Schi-eckenstein , Rittei-würde und ritterstand s. 240 fgg. 245 fgg. Seit dieser zeit komt es auch häufig vor, dass deutsche, adhche sowol wie bürger, sich wie meister Ise zu Jerusalem in der grabeskirche zu rittem vom h. gi'abe schlagen lassen. Wich-

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tig wäre es zu wissen, ob sich die sitte doch schon aus früherer zeit nachweisen lässt. Bis dahin scheint mir diese wie manche andere in unserm gedichte zu tage tretende Vorstellung späten Ursprunges dringend verdächtig. Dass dann nacli der weiteren erzählung die wapnung des neuen ritters erfolgt, «Mitspricht dem Itei der schwei-tleite herkijmlichen brauche. Als er sich aufs [)for(l schwingt, wird ilim von Orendel zugerufen, er solle die chi-isten schonen, nicht aber die beiden (bei dem nunmehr nach höfischer sitte sich anschliessenden turnier). Di»- darauf folgenden woiie so wil ich iiich, degen küene, selber iuwcr spcr f Herrn müssen auch noch dem Orendel, nicht, wie Berger will, dem Isc in den mund gelegt worden. Es gehört mit zu den cerimouien der schwei-tleite, dass die älteren ritter den iiovizen solche dienstleistungen ei-weisen, vgl. Nib. 33, 2 die wisen hcten reht dax- si den tumben diendeti als in ivas e getan. Es folgt dann das turnier, zu welchem her- zöge, grafen, ritter und bauern zusammenströmen.

So sehr hat die ritterliche tjost schon den alten reckenmässigen kämpf ver- drängt, dass selbst die riesen gegen alles herkommen nicht zu fuss mit der stango, sondern zu pferde mit dem speer kämpfen, und einem wird in anbetraeht seiner grosse gar ein elephant statt des streitrosses gegeben. Die rüstung dieses riesen wird mit gröster ausführlichkeit beschrieben. Das dem elephanten bis auf die füsse rei- chende gedecke von silbcr ivix (d. i. die covertiure), der schmucküberladene mit einem wappen versehene schild und vor allem die hehnzier. Zu dieser gehöii unter vielem andern ein bewegliches rad, welches an das des Wigalois erinnert und eine goldene linde. Leztere ist eines jener blasebalgkunstwerke, welche in der deutschen dichtung zuerst im Strassburger Alexander durch einen goldenen hirsch vertreten sind. Die linde erscheint sonst noch im Eosengaiien , Grimm 193 fgg., und im Wolf- dietrich B 807 fgg. 555 fgg. Sie steht dort in einem garten bezw. saale und ist wie jener hirsch im Alexander mit goldenen röhren durchzogen, welche in hohle vögel auslaufen; wenn durch einen blasebalg die luft durch die röhren getrieben wird, so singen die vögel. Eben dies komplicierte kunstwerk trägt nun im Orendel der riese auf seinem heim, ja er lässt es sogar musicieren, indem er den blasebalg bewegt! Augenscheinlich doch eine ganz abgeschmackte Übertragung, wie sie sich erst einstelt, wo dergleichen motive in der kunsttradition schon abgenuzt sind, nicht wo sie eben erst eingang gefunden haben. So wird auch auf den wilden mann, der sich ausser einer kröne, der linde, dem rade, einem löwcn, drachen, baren und eher auch noch auf dem helme befindet, ganz gedankenlos die in bezug auf bildlich dargestelte vögel gebräuchliche formel (Berger zu 981) übertragen : recht als er lebte und gegen den lüften strebte. Diese ganze Schilderung kann überdies nur in einer zeit ent- standen sein, wo das helmzimier sich schon zu reichen und abenteuerlichen formen entwickelt hatte, und das war im 12. Jahrhundert sicher noch nicht der fall. Meines erachtens gehört sie mit zu den jüngsten bestandteilen der dichtung, und ich gestehe nicht zu begreifen, wie Berger dies tolle zeug gar der alten, von ihm so begeistert gepriesenen quelle des angeblich um 1160 verfabsten gedichtes zuschreiben kann

(s. xcvni).

Auch so manche Wörter Hessen sich aufführen , welche in der von Berger ange- sezten zeit noch nicht belegt sind, teilweise erst sehr- viel später auftreten, turnei V. 2324 tritt in der deutschen dichtung zuei"st bei Heinrich von Veldeke in einer noch dazu unsicheren stelle der Eneit 937 und im oberdeutschen Servatius 3332 auf (die von Berger eingesezte form turyiier ist noch weit jünger), banier v. 1692 komt statt des früher ausschliesslich herschenden vanc zuerst bei Zatzikhoven, bei Herbort

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und im Athis vor. fier, was gewiss v. 1878 einzusetzen ist, da H das wort nicht eingeKihi-t haben würde, wü-d zuerst bei Heimich von Morungen und Wolfram gebraucht. Alle drei worte kommen übiigens auch im Morolf vor (zu fier s. Mor. 361 anm.). kerne figürlich vom beiden zuerst Athis C114 u. anm. Das später (auch Osw. AVO) im reim so beliebte /'//? v. 1245 ist zuerst bei den minuesingem seit Gotfried von Xeifen gebräuclüich ; im höfischen epos tritt es zuerst bei Konrad von Würzhui'g auf, im volksepos ei-st im Ecke, Rosengarten, Wolfdiotrich und der Yirgiual. Dem gegenüber dürfte man sich für den Orendel auf die ganz vereinzelte bibelglosse des 10. Jahrhunderts bei Graff finlicho tenere sicherlich nicht berufen. Auch eben 420. 1603 bildet einen in später zeit beliebten flickreim, hüsere ist zuerst beim Winsbeken, Reinmar von Zweter und jüngeren spruchdichtern , in der epik zuerst im W'olfdietrich D nachgewiesen (Z. f. d. a. 6, 387). rilxgehüre v. 930 ist erst seit der zweiten hälfte des 13. Jahrhunderts belegt, über art, morgcngähcn s. Berger z. 3256. 198. Das erst aus dem 15. Jahrhundert bezeugte uagelnüwe hätte Berger nicht v. 753 aus D in den text setzen sollen, ebensowenig wie das nicht ältere buolschaft 2429 und lieben = m innen 1888, worüber weiter unten.

Also auch hier fehlt es ebensowenig wie im iuhalte und in den reimen der dic-htung an merkmalen, welche über das 12. Jahrhundert hinaus weisen, und es erhebt sich immer wider die für die Zeitbestimmung des Originals vor allem wichtige frage, in wie weit uns denn dieses in der vorliegenden Überlieferung überhaupt noch erhalten ist. Berger meint, das original sei in der Morolfstrophe verfasst gewesen, und diese sei erst in U, also erst in der nächsten vorläge von D und H beseitigt worden. Er dehnt dabei den begriff der Morolfstrophe dahin aus, dass er unter dieser ,jede fünfzeilige Strophe mit einer waise innerhalb des zweiten reimpaares" versteht, ohne rücksicht auf stumpfen oder klingenden versausgang. Er hätte sogar die gren- zen noch weiter ziehen müssen; denn da bei einem drittel der fünfzeihgen Strophen, die er aus dem Orendel nachweist, der zwischen dem lezten reimpaar stehende vers mitreimt, so kann man nicht behaupten, dass dieser eine waise sein müsse. Will man auf diese veränderliche metrische form jene benennung übertragen, so habe ich nichts dagegen, wenn man nur nicht behauptet, dass diese „Morolfstrophe" die strophe des Morolf sei. Derartiger freierer füufzeiHgcr Strophen weist nun Berger aus den fast 4000 versen des Orendel im ganzen 17 nach. Es kommen einige fälle hinzu, in denen eine langzeile mit dreihebigem schlussteil statt der 4. und 5. zeile steht. In andern fällen findet sich die waise auch an anderer stelle, auch ausserhalb der strophe oder des reimpaares; weitaus am häufigsten aber ist sie spurlos verschwunden. Sehr oft ist es auch unmöglich, zwei reimpaare zu einer strophischen gruppe zusammen- zufassen: die konstruktion erstreckt sich über einen solchen komplex hinaus; oder, wenn man zwei reimpaare als eine strophe auffasst, so bleibt em drittes isoliert usw. Hält man nun trotz alledem an der grundlage in fünfzeiligen Strophen fest, so ergibt sich als notwendige folge die annähme , dass die form des alten gedichtes schon in U eine ganz durchgreifende wandelung erfahren hat, bei welcher unbedingt auch die reime die weitestgehenden Veränderungen erleiden musten. Mithin würden auch die reime des uns aUein erreichbaren U unmöglich ein ii'gend zuverlässiges bild von der reimkimst des Originals geben können, und eine auf sie gegi'ündete Zeitbestimmung des lezteren würde alle Sicherheit verHeren, sobald es sich dabei nicht etwa um einzelne bestimte altertümlichkeiten, sondern um die reimkunst als ganzes handelt. Nun glaube ich zwar, dass die in der überlieferten dichtung vorliegenden merkmale zur Voraussetzung der grundform in fünfzeiligen Strophen keineswegs genügend berech-

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tigon. Die zahl der belege ist viel zu gering; das häufige vorkommen von ^waisen", welche sich in die strophische form nicht eingliedern lassen, spricht vielmehr gegen als für jene annähme; auf die analogie des dem Orendel sonst so nahe stehenden Morolf darf man sich nicht berufen, doim d'w borührungcn zwischen Nibelungen und Klage, zwischen Dietrichs flucht und Kabensclilacht sind noch nähere und doch sind die einen in Strophen, die anderen in roimpaiiren verfasst. Die vom höfischen gebrauch erheblich abweichende gliedcrung der reimpaaro erklärt sich hier und anderswo ausreichend in der Lit. cbl. 1876 s. 1371 angedeuteten weise. Aber das unterliegt auch für mich keinem zweifei, dass die Überlieferung des Grendel selir erhebliche Wandlungen erfahren hat, viel erheblichere als die dos Morolf. Eine solche unentwirbare confusion, wie sie beispielsweise am Schlüsse des gedichtes herscht, wo Duiian die Bride in einem atem verrät und errettet (3785 fgg.), wo in der rede des pilgers die parallelmotive Brides gefangenschaft bei Minolt und Brides gefangenschaft zu Jerusalem mit einander vermischt werden (3286 fgg.)- fenier zahl- reiche sonstige Verwirrungen, Verstümmelungen, versversetzungen , wie Berger sie mehrfach nachgewiesen hat das alles im zusammenhange weiss ich mir nicht anders zu erklären, als durch die annähme, dass die dichtung zwischen und neben den schriftlichen aufzcichnungen auch mündlich sich fortpflanzte. Ein solches neben- einander von schriftlicher und gedächtnismässiger Überlieferung der spielmannscpik wird uns im eiugange des Wolfdietrich C ausdrücklich bezeugt durch die köstlicii anschauliche erzählung, wie die schöne äbtissin zwei meister das Wolfdietrichbuch auswendig lernen lässt, die dann dui'ch alle laude hin das gedieht singen und sagen. Und entsprechende Verhältnisse dauern ja unter den geistigen nachkommen der spiel- leute, unter den puppenspielern bis auf unsere zeit fort.

So erklärt es sich denn auch, dass altes und junges in einer solchen dichtung zu einer nie ganz wider aufzulösenden mischung verfliesst, dass neben formein und reimen, welche nachweislich aus dem 12. Jahrhundert stammen, sprachformen und inhaltliche beziehungen sich finden, welche auf eine spätere zeit weisen. Eine bestimte datierung des Originals wird danach nicht möglich sein. Aber die gattung, der dasselbe angehört, wird sich gegen ende des 12. Jahrhunderts ausgebildet haben, als in Westdeutschland der ältere typus epischer erzählung bei der französierenden richtung der höheren stände nur von volkssängern niederster aii; noch gepflegt und nach dem geschmack ihres publikums fortgebildet wurde. Gewisse grundanschauungen unseres gedichtes passen, wie wir sahen, in diese zeit hinein; was sich an altertüm- lichkeiten findet, lässt sich mit ihr bei einer dichtung dieser art gut vereinigen. Das werk höher hinauf zu rücken liegt durchaus kein grund vor.

Mit so unüberwindlichen Schwierigkeiten also die Grendelkritik auch zu kämpfen hat, an einzelnen stellen scheint doch noch die naht zwischen älteren und jüngeren bestandteilen crkenbar zu sein. Dass die verse 650/65 ein einschiebsei seien, hatte ich Lbl 1880 s. 443 bemerkt, und auch Berger bezeichnet sie als solches. Wie ich aber dort andeutete, hängen mit dieser stelle andere zusammen, welche derselben Überlieferungsschicht zugewiesen werden müssen. Es wird in jenen versen erzählt, dass Ise und sein weih dem Orendel eine dreierhose, grobe rindslederne schuhe und einen schiffermantel schenken, während Grendel unmittelbar hinterher doch noch nackend ist. Eben jene schuhe aber bilden v. 992 1010 den gegenständ eines bur- lesken Intermezzos, welches die Schilderung der rossbesteigung in tolster weise unter- bricht; die verse sind von der ersten interpolation nicht zu trennen. Auf das geschenk der alten hose bezieht sich dann weiter mit v. 2229/30 und 2247/8 die erzählung.

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wie Orendel der fischeiin zimi dank füi- jene gäbe einen zobelmantel sendet. Auch hier muss natiii'lich die eine stelle zusatz sein, sobald man die andere als solchen auffasst. Sie biingt denn auch einen ganz wunderlichen Widerspruch in die erzäh- lung. Ise, der von der Bride lösegeld für seinen knecht Orendel erhalten hat, geht so wird hier berichtet zu diesem imd teilt ihm mit, dass er frei sei. Orendel ist hocherfreut daiüber und gibt ihm den erwähnten mantel; Ise fährt von dannen und ^^ird daheim von seiner frau empfangen. Und unmittelbar hinterher geht Oren- del zur Bride, um ihr mitzuteilen, dass er mit Ise als dessen knecht übers meer gehen müsse! Der interpolator ist hier nicht minder gleichgiltig gegen den Zusam- menhang wie an der zuei-st besprochenen stelle. Die grenzen seines Zusatzes sind noch in den gleichlautenden versen 2207/8. 2231/2 zu erkennen: auf 2208 folgien ursprünglich 2233/4 mit der in D noch richtig erlialtenen lesart künigin statt kimig. Die verse 2235/48 rühren dann natürlich, wie angedeutet, von derselben band her. Nach der ursprünglichen darstellung wüste also Orendel nichts von Ises abfin- dung, und so konte der Verfasser die aus der queUe übernommene erzählung von derselben (vgl. Berger s. LXXIII) v. 2249 fgg. mit seinem auf eigener erfindung beru- henden berichte von Orendels absieht mit Ise fortzugehen, Ises rückberufung , seiner belehnung usw. fortsetzen, ungeschickt freilich, aber doch nicht mit einem unsinnigen und unerkläi-baren Widerspruche, wie er ohne die annähme der interpolation ihm zur last gelegt werden müste. Auch hier ist wider von des fischers frau die rede; und merkwüi'digerweise kommen nun überhaupt an allen stellen, wo diese persön- lichkeit eine roUe spielt, Widersprüche in die erzählimg. Die Schilderung von Ises herhcher bürg 589 fgg. lässt sich, wie Berger zweifellos richtig bemerkt, mit dem sonstigen auftreten Ises nicht vereinigen. Sie leitet aber das erste erscheinen der fischerin ein. Der ganze abschnitt ist auch hier wider durch zwei wenigstens im reime gleichlautende verse begrenzt: 628 würde sich gut an 587 anschliessen , und damit würde sowol jener Widerspruch als auch die roUe der fischerin fortfallen. Nach der schon besprochenen unsinnigen interpolation 650/65 tritt Ises weib zunächst wider bei Orendels abschied von den fischerleuten auf, 756/85. Auch hier ist ihre einfühnmg gleich %vider mit einem bereits von Berger bemerkten Widerspruche ver- bunden: unmittelbar nachdem Orendel den grauen rock dem Ise für die verlangie summe abgekauft hat, sagt dieser: „du solst den rock verdienen um mich und deine meisterin.- Das weib beschenkt darauf den Orendel mit 3 gülden und eben- dies geld opfert denn auch nach einer nur in P überlieferten, aber von Berger der vorläge zugewiesenen stelle (hinter v. 825) Orendel am h. grabe. Unmittelbar vor- her aber (v. 816) hat Orendel ausdrücklich gesagt, dass er gar nichts anderes zu opfern hat als seinen leib und seine seele! Auch hier ist also wider die hand jenes zudichters zu erkennen, in jener nur in P erhaltenen stelle sowol wie in den versen 756/85. Als Orendel den lange begehrten rock endlieh erhalten hat (750/5), macht er sich nach der ursprünglichen dai'stellung von dannen (786), und niemand konte ihm folgen 789: ursprünglich wol wegen einer wunderbaren eigenschaft des grau- lockes, während es jezt so aussieht als wäre vom mangel des gefolges die rede. Somit hätte sich denn die ganze rolle der in den übrigen teüen der erzählung nicht erwähnten fischerin als spätere erfindung erwiesen.

Zur annähme einer interpolation könte man sich leicht bei der erzählung von der abreise Orendels von Trier v. 335 fgg. veranlasst fühlen. Die schiffe werden bereit gemacht, mit speise und trank reichlich beladen; sie fahren die Mosel und den Rhein abwärts bis an das Weteiische meer da werden die schiffe mit speise

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und trank beladen, die herren gehen auf die schiffe usw. Mit dem wilden wäge, zu welchem sich Oreudel v. 334 begibt, wird der dichter sicher nicht die Mosel, sondern ebensogut wie v. 250 das meer gemeint haben, und zwar das "Weterische meer, an welchem denn auch nach der v. 244 50 gegebenen darstellung die 72 schiffe für die fahrt bereitet wurden. Und so läge es denn nahe v. 334 gleich mit v. 349 zu verbinden: kerte er gegen dem ivilden nage an dax Wcterischc jner usw. Aber es ist sehr wol möglich, dass der dazwischen liegende bericht über die art und weise, wie das beer zum moere kam als nähere ausführung des v. 334 vom dichter selbst herrührt. Mit den hier erwähnten schiffen worden kleinere flussfalir- zeuge gemeint sein, von denen sich die reisenden v. 351 auf die Seeschiffe begeben. Die arken v. 341 mögen eine art prahm bedeuten oder in harken zu ändern sein: die am ufer angeketteten flussschiffe w^erden gelöst.

Gewiss mit recht hat Berger v. 1315y'26 als einschiebsei bezeichnet. Es schei- nen hier verworrene remiuisccnzeu an eine ausführlichere darstellung des kampfes in den kui'zen bericht der handschrift auf das ungeschickteste eingeschoben zu sein. Anfang und ende des Zusatzes ist auch hier wieder durch einen gleichlautenden vers begrenzt. Auch Bergers Vermutung, dass der eingang bis v. 18 späteren Ursprunges sei, pflichte ich bei und meine, dass v. 13 18 als erklärender zusatz hinter v. 35 beabsichtigt waren. Aber ich will nicht weiter den teilweise noch erkenbaren, teil- weise verwischten spuren verschiedener schichten in dieser mit der zeit stark Vfi'- änderten und verderbten dichtung nachgehen und nur noch einige einzelbemerkungen zu Bergers textherstellung hinzufügen.

Berger bemerkt s. XI ganz richtig, dass D das wort minne durch liehe ersezt, was meist eine grössere änderung des textes nach sich zog, und er folgt daher mit recht V. 196. 924. 1807 der handschiift, welche das wort beibehält. Aber es ist nicht minder klar, dass an anderen stellen sowol D als auch H, jedes auf seine weise, das jener zeit schon austössige wort (vgl. Haupt z. Engelhard 977; Milchsack Paul- Braune 5, 288) beseitigte, und es war daher auch dort minne herzustellen. Also wenn V. 924 im anschluss an H gelesen wird icax ich da mit gewinne dax gih ich iuch gern %uo 7ninne so muste v. 894 dasselbe reimpaar (nur mit im und al st. iuch und gern) hergestelt werden aus tvas ich da mit gewinne {geivunne D) das geh ich im alles von mynen {xu lone D) HD. Vers 1888, wo es sich lun die gi'ausame drohung eines riesen gegen Orendel und Biide handelt, lässt Berger den bösewicht doch gewiss nicht passend mit D sagen froiav Briden wil ich von herxen lieben! H überliefert /". B. w. i. haben xu eigen. Die mit recht aus P aufgenommene immittelbar vohergehende zeile lautet tcill ich al verhrennen; natürlich folgte darauf f. B. ivil ich minnen, und der von D beziehungsweise H je nach dem bedarf ihres reimwortes hinzugefügte vers da mag mich niemant von trihen D, das ivill ich dem, grau-en roc xeigen H wai* zu sti-eichen. Ferner liest Berger mit D v. 2429 nun solt ir mich buolschaft (!) mit iuch läxeii gewinnen, v. 3227 nu soUent ir mich iur liebe laxen geiv innen, v. 3806 nu sollent ir mich iur hulde laxen gewinnen. H schi-eibt an den di"ei stellen ich musx fruntsclmfft mit uch heginnen, ir sidlent imd nu süllent ir frilntschafft mit mir heginnen. Überall folgt e dax ir komet von hinnen. Es ist doch klar, dass hier überall ein und dieselbe fonnel nu solt ir mich minnen zu gTunde lag. Und ebenso ist v. 3454/5 zu lesen der künig wil si xwingen dax si in solle minnen st. dax si in solle lieh gewinnen (so Berger nach D) bezw. xu wunderliclien dingen (Hj.

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V. 228 lies opfern dem heiligen grab unser s heren wie in derselben for- mel 267. T. 232 ist natürlich das in D ganz lichtig überliefeiie die sckoe?ien st. die sehfvne in den text zu setzen. Die Umstellung der verse 407 12 halte ich nicht für notwendig, wenn sie sich auch au P anlehnt (vgl. Berger s. XIV fg.); die aufeinanderfolge der verse 401/4 ist doch unerfräglich. V. 458 doch gewiss besser nach H also sirinde. 507 ursprünglich drl tage lange? 666 warum nicht dannoeh? 973 u. ö. würde ich unbedenklich niit Ettmüller ein heim iras irol gebonget (gepoutret D, geloubet H) in den text gesezt haben. Der bildung eines solchen verbums aus baue helmspange (Gudr. 519. 3. 1423, 3) steht natürlich nichts im wege. Da aber das wert sonst nicht gebräuchlich und auch hone nach 1300 nicht mehr vorzukommen scheint, so erklärt sich die konsequente änderung in der Überlieferung zur genüge. V. 1205 ist ohne giimd umgestelt. D H lautete (1202) der rise kam mit flixe. sin gedeeke ivas von Silber ivtxe und gieng dem helfant üf den fuox, so man doch den risen brisen muox. Davon hätte sicherlich der erste so gut wie der von Berger ausgeschiedene lezte vers als interj)olation bezeichnet zu werden verdient, und im original reimte dann tctxe : fiiexe. 1284 st. mir lies min, wie ja D ganz richtig überliefert. 1299 wol da boicent si ein geriute, da erner ... 1405: die Zeitangabe einen sumertag D ist richtig, wie aus dem gestern 1474 hervorgeht. 1446 lies nekeiner slahte man. 1509: näher liegt se mcere wigant. 1587: in Übereinstimmung mit 1963 und 2712 muste auch hier, avo ja noch dazu H wesentlich so überliefert, in dem gräwen roc teil ich ex üfgeben gelesen werden. 1632: waiTim denn das richtig überlieferte md. sas {: tca^s) hier durch sahs ersetzen? 1637 war es nicht nötig hin D in yiim (nach P) zu ändern, in dine kunt kann mit se verbunden werden. 1661 war rierxehen hundert aus H aufzunehmen, vgl. v. 1543. 1564. V. 1788 muste ent- weder baften oder jungfrouwe geschrieben werden. Nach v. d. Hagen hätte auch D batten und froutcen. 1874 führt die überlief ei-ung auf die schwache form, die doch hier, im vokativ, ganz angemessen ist. 1878 1. dar st. das (di-uckfehler). 1940/1 : hier %vird wol noch in U die alte formel gestanden haben si sicuoren itn triuw und eide die liexen si alle meine, während dieselbe 2530 schon in U geändert war; vgl. Rother B. 823 des swören sie ime eide die liexen sie immeine (so viel- leicht ursprünglich auch Orendel 2510. 2520_), und mit beseitigung des alten reimes Dfl. 7184 drj sunor auch im der balde drixec eide an der ztt, die He er alle meine Sit. 2496 7iun müex uns {euch D) niemer leider {layd D) gesehen denne oneister Isen geschach do er si bede körnen sach. Wanmi Berger hier eine Verderbnis annimt und die ganz richtig überlieferte hübsche wendung durch eine an P angelehnte nüchterne Übertragung ins positive ersezt, verstehe ich nicht. 2590: die Überlie- ferung führt doch eher auf nit wise getan. 3148/9 soll wol heissen: sie glaubten, dass Bride Orendels weib sei, während sie ja tatsächlich nicht sin wip wart. 3173 mannen: die schwache form erst seit dem 14. Jahrhundert belegt. 3647 und 3653 muste nach einl. XXXVII turteltüb st. turteltoub geschrieben werden. Gegen die Schreibung Jerusalem vgl. Morolf 1, 1 anm. AVie dort das erste e so ist in Babilofiie, welches formelhaft auf konige menige reimt, gewiss das o als kürze anzusetzen. Von dem bestreben waisen herzustellen hat Berger seinen text hin nnd wider zu sehr beeinflussen lassen, z. b. wenn er 2383 von einem in D überlie- ferten, in H fehlenden reimpaare nur den einen vers aufnimt, denn auf ein reimpaar weist hier auch P {wenden : brengen) vgl. s. XLIX, Aber das sind ausnahmen. Im ganzen ist der text mit anerkennenswerter besonnenheit und vorsieht hergestelt.

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Reichhaltige, von umfassender belesenheit zeugende form elsamlun gen hat Bor- ger in den anmerkungen neben mancher dankonswei-teii notiz gegeben. Zu v. 73 sei bemerkt, dass die fonnel in . . . den fjchceren sam er . . . wfprc schon im Ännoliede V. 591 begegnet; vgl. ferner En. 1003 und Behaghols anm., 2731. Über die Über- tragung auf lebloses s. zu Mor. 688, 4, wo die wcndung nach dem strophenschoma umgemodelt wird. Zu 136 vgl. auch Nib. C Zarncke 49, 4 wd ich die müge nemen diu mir imt t/utne rlche xe fromcen iniiye xemen und ebenda 50, 3 weihe ir herre möhte xeinem icihe nemen diu in xe frouwen tUhte unt auch dem lande mähte xe??ien. Zu den beispielen aus der höfischen epik komt Erec6198 dax ich si xe wihe neme. mich dunkel da^ si nol gexenie xe frouwen über min lant. Zu 288 muss doch wol D st. HD gelesen werden. Zu 1207 vgl. Morolf7, 2. 7, 5 Ed. 282, 5. Zu 1402 vgl. Mor. 755, 3. 5. Zu 1548 und 1842: sld ir din frouw Bride? vgl. bist du dar inne edeler künig Princiun? Mor. 765, 4. 741, 4 und anmerkung, sowie Reinke 6m sint gi dar binnen? Reinke 488. Überall wird mit dieser for- mel die forderung der freiwilligen gestellung oder der auslieferung eines übeltätei*s eingeleitet. Schröder zu Reinke a. a. o. hat daher unter vei-weisung auf Grimm weist. II, 749 mit recht vermutet, dass hier eine rechtliche vorladungsfonnel zu gründe liegt. Zu 1695 vgl. auch die dri widerkere durch dax her Nib. 205, 1. Zu 1893 vgl. 2700, Mor. 57, 2.— Zu 2351 vgl. noch Kehr. D 447, 9. 484, 25, sowie des andern morgens fruo geddhte Karl dar zuo Stricker Karl 152, 3; rein formelliaft besonders mit bereiten, vgl. des morgens vele free gereiden si sich dar toe En. 1685, dar?iäch des dirten morgens fro so bereydend üch schnellichen dar Karlm. 29, 12, an dem mitichen ?)iorgen fruo deu künigin berait sich dar xuo Enenkel, GA U, s. 545, daz si sich bereiden dar xü: he icolde des morgenes vril Eilh. 3443, dax man sich da bereite zuo : der vürste wolde morgen vruo Mai 81, 20. Zu 2455 vgl. auch Genesis Fdgr. 11, 41, 32. 70, 21. Zu 2478 vgl. auch diu tüile dühte in lanc (: sjwanc) Gudr. 112, 2 und Martins anm.

Dem urteile, welches der Verfasser in seiner alzu weit ausblickenden vorrede über die bedeutung seiner forschungen und die Sicherheit ihrer resultate abgibt, kann ich nicht ganz beipflichten. Aber zweifellos hat er durch seine ausgäbe die grund- lage gelegt, von welcher in zukunft die Orendelforschung auszugehen hat, und diese selbst ist durch seine Untersuchungen nicht unwesentlich gefördert.

KIEL. F. VOGT.

Untersuchungen über den satzbau Luthers von dr. Hermaim Wunderlich. I. teil: die pronomina. München, J. Lindauersche buchhandlung. 1887. 70 und n selten. 1,50 m.

Der Verfasser, welcher schon durch seine dissertation: Beiträge zur Syn- tax des Notkerischen Boethius (Berlin 188.3) sich als gi-ündhchen und eifrigen forscher auf verschiedenen gebieten der historischen syntax bewährt hatte, betritt mit der vorliegenden arbeit die der aufhellung noch sehr bedürftige Übergangszeit vom mittelhochdeutschen ins neuhochdeutsche. Er sezt bei dem höhepunkte der bewegung, bei Luther ein, um von diesem aus zunächst einen überblick nach rückwärts und nach voi-wärts zu gewinnen. Er hat eine reihe von deutschen briefen und originalwerken Luthers, von der auslegung der busspsalmen (1517) und den berühmten Streitschriften des Jahres 1520 an bis zu hervorragenden Schriften des Jahres 1543 eingehend und systematisch auf bestirnte syntaktische fragen hin unter-

492 EEDMANN, ÜBER WUNDERLICH, LUTHERS SATZBAT7 I

sucht, nicht selten aus reicher beleseuheit vergleichende Seitenblicke auf andere gleichzeitige Schriftsteller, namentlich Ulrich von Hütten und Sebastian Brant werfend. Ton diesen arbeiten veröffentlichte er in dem oben angegebenen hefte die imtersuchimgen über den gebrauch der pronomina.

Dieses gebiet ist eines der reizvolsten der syntax, weil es in den bau des einfachen satzes wie des Satzgefüges einblicke ermöglicht, weil syntaktisches und lexi- kahsches sich berühren und durchkreuzen, weil endlich auch durch die pronominalen adverbia, welche zu conjunctionen geworden sind, sich weite ausbhcke in viele ande- ren teile der syntax eröfuen. Aber eben aus diesen gründen ist es hier selbst bei lang^N'ierigen und mühsamen Untersuchungen nicht immer möglich, klare und durch- schlagende resultate zu gewinnen, zumal da in der nur almählich fortschreitenden entwicklung ältere und neuere redeweisen sich durchkreuzen, da bei jeder fi-age, oft bei jedem beispiel, verschiedene möglichkeiten zu erwägen sind, da endlich gerade beim pronomen auch leicht individuelle neigungen und ab weichungen des schiiftstel- lers sich geltend machen (vgl. z. b. "Wunderlich s. 22. 43). Und gerade beim Satz- gefüge, dessen entwicklung Wunderlich besonders am herzen liegt, wird man doch bei Luther eine gewisse unbeholfenheit imd ein schwanken zwischen verschiedenen Vor- bildern (auch dem der lateinischen Schriftsprache!) oft nicht in abrede stellen können.

Obwol WunderUch stets vorsichtig zu werke geht und jedes beispiel nach allen selten abwägt, ehe er es verwertet, so ist es ihm dennoch gelungen, bei vielen der von ihm untersuchten redeweisen schöne ergebnisse zu gewinnen. Ich nenne namentlich die nachweise über die bei Luther vorkommende oder in gewissen fällen nicht vorkommende auslassung des persönlichen pronomens beim verbum, die sehr ausführlich und mit scharfsinniger Unterscheidung der verschiedenen mitwir- kenden faktoren erörtert ist s. 11 21, und an mehreren stellen zur ergänzung oder berichtigung des von mu' in den „Grundzügen der deutschen syntax '^ darüber gesagten dienen kann. Ferner hebe ich heiTor die lehrreichen erörterungen über das pleona- stische er, es (nominativ, aecusativ, genetiv); der, das s. 27. 29. 31, sowie die belege für die verschiedenen formen der relativverbindung s. 35 fgg., unter denen die s. 45 gegebenen beispiele von anfügimg des nebensatzes ohne eigenes pronomen oder adverb, so\ne s. 48 fg. die besprechung der relativsätze in erster oder zweiter person besonders dankenswert ist. Euer wie an einigen anderen stellen ist auch die frage nach latinismen in Luthers spräche mit recht benicksichtigt. Dui'ch weg sind Wun- derlichs nachweise und erörterungen belehrend und anregend; auf eine zahlenstatistik, die bei dem verschiedenen Charakter jedes einzelnen falles leicht mehr verwirrend als fördernd wirkt und doch nie ganz erschöpfend sein kann, hat er nach meiner meinung ganz mit recht verzichtet. Aus drei gut ausgewählten beispielen kann man oft mehr lernen, als aus dreitausend zusammengehäuften.

Ich für meine person bedaure es lebhaft, dass Wunderlich seine übrigen sam- lungen über Luthers syntax bisher noch nicht veröffentlicht hat. Für den gebrauch der tempora und modi z. b. , der ja für das ahd. und mlid. schon mehrfach dargestelt ist, müste die vergleichung Luthers mit der älteren und der jüngeren spräche lehr- reiche und %-ielleicht kui-z darstelbare resultate ergeben. In dem in der Lausitz gekrönten und im Litteraiischen centi-alblatt gerühmten buche über die Schriftsprache Luthei-s von Franke (Görlitz 1888) findet man über den modusgebrauch (auch über die Unterscheidung von conj. präs. und conj. praet.) kein wort, über den der ein- fachen tempora und der tempusumschreibungen einige unreife und dürftige bemer-

KETTNER. ÜBER MORSCH, GOETHE U. DIE GRIECH. BÜHNENDICHTER 493

kungen, die lange nicht an die durchaus nicht veriichtliclien nachweise von Kehre in oder Yernaleken heranreichen.

Gerade diese Frauksche schrift zeigt recht augenfällig, wie erwünscht und ver- dienstlich die fortführuug und Veröffentlichung von Wuudcrlichs syntaktischen Stu- dien ül)er Luther sein würde!

Inzwischen hat AVunderlich in semer Heidelberger habilitationsschrift: ^Stein- höwel und das Dekameron. Eine syntaktische untei-suchung'* (1889. 46 Seiten) versucht, „syntaktische Untersuchungen in den dienst der algenieinen litteratur- geschichte zu stellen.'* Da ihm die autoi"Schaft Stoinhöwels für die deutsche über- setzimg des Dekameron (vgl. Goedeke, Grundriss- XI, 368) zweifelhaft ist, so ver- gleicht er den Sprachgebrauch derselben mit dem in anderen, unzweifidliaft Steinhö- welschen werken (zu denen er auch die von Goedeke» 1, 346 dem Niclas von AVylc zugeschiiebene Übersetzung von Petrarcas Griseldis zieht), um auf diesem wege eine entscheidimg über die autoi-schaft Steinhöwels zu gewiimen. Da Wimderlich diese venvickelten imtersuchungen noch nicht abgeschlossen hat, sondern die foitsetzung in Herrigs archiv veröffentlichen will, so begnüge ich mich hier mit dieser kurzen erwähnung der arbeit.

KIEL. OSKAR ERDMANN.

Hans 3Iorseh, Goethe und die griechischen bühnendichter. Programm der kgl. realschule zu Berhn 1888 (progi-. nr. 90). 55 s. 4*^.

Nachdem das Verhältnis Goethes zu Homer vor wenigen jähren durch Otto Lücke und die leider mit der italienischen reise abbrechende arbeit Hermann Schreyers eingehend dargestelt ist, hat der Verfasser, der schon 1885 Goethes Stellung su Horaz (in den N. jbb. f. phil. 132, 268 fg.) in sachkundiger weise geschildeii hatte, es nun unternommen, den mannigfachen beziehungen nachzugehen, welche den dichter mit den giiechischen dramatikern verknüpfen.

Er begint mit Goethes auftreten gegen AVielands Alceste, wobei er sehr sorg- fältig überraschende spuren einer dii-ekten, nicht bloss dui'ch Briunoy vermittelten kentnis des Eui'ipides nachweist; weniger glückhch sucht er Goethes auffassmig des di-amas^ gegen Seufferf zu verfreten, er komt dabei über die von Goethe gebrauchten argumente nirgends hinaus. In dem Prometheus erkent er neben antiken elemen- ten mit recht Weitherstimmung, er hätte noch bestimter auf starke reminiscenzen aus Ossian hinweisen köimen. Dann wird der einfluss der beschäftigung mit Aristo- phanes auf die Alceste - farce , den Satyros und die Yögel entwickelt. Mit einer kurzen, aber alles wesentliche berührenden Schilderung der am Weimarer hofe her- schenden, dui'ch Wieland, Herder, Villoison genälu-ten hebhaberei für antike httera- tui- geht er zu den dramen des klassischen stils von Iphigenie bis zur Natürlichen tochter über, bei allen, namentlich auch den fragmenten, wird in erster linie die ein Wirkung antiker Vorbilder auf die dar Stellung bis in einzelheiten sehr genau verfolgt, stilistische mittel, auf denen der eigentümliche ton jener dramen beruht, hen-orgehoben imd auf ihren urspiimg zunickgeführf ; unbefangen werden auch manche dishaiTQonien zwischen den antiken und modernen elementcn in Inhalt und foim zu- gegeben. So hat der Verfasser es auch verstanden, zur erklärung der Iphigenie mancherlei neues beizubiingen , indem er die abgedroschene vergleichung derselben mit dem gleichnamigen stück des Euripides bei Seite liess und einmal ilir Verhältnis zum antiken drama überhaupt ins äuge fasst. Kürzer behandelt der Verfasser die 1) Inzwischen hat darüber auch gesprochen v. Wilamowitz , Einleitung in die attische tragoedie (Eurip. Herakles Ij , Berlin 1889 , s. 234.

494 BREMER

weiteren beziehimgen Goethes zu dem leztcreu, die neuen durch Schiller und vor allem dui'ch Gottfried Hennann gegebenen anregmigen, die symbolisierenden dramen, die reconstiniction des Phaethon usw. , dagegen werden am .Schlüsse noch einmal sehr genau die anlehnimgen der Helena au bestimte sceneu und Situationen antiker dra- men nachgewiesen. Auf Goetlies Stellung zur yuO^aQOc^^ wolte der Verfasser wol nicht eingehen, weil sie mehr sein Verhältnis zu Aristoteles berührt.

Es steckt in der schrift des Verfassers eine fülle von arbeit; er hat nicht bloss die werke Goethes im weitesten umfang (die briefwechsel und tagebücher eingeschlos- sen) für seinen zweck durchgearbeitet, sondern beherscht auch die litteratur über dieselben in einer bei solchen abhandlungen leider nicht gewöhnlichen weise; ebenso zeigt er eine umfassende belesenheit im griechischen drama.

SCHULPFORTE. GUSTAV KETTNER.

Indogermanische praesensbildung im germanischen. Ein kapitel verglei- chender grammatik von Gustav Burg-hauser. Leipzig, Freytag. 1887. 56 ss. 8. Im.

Der 1886 ei-schienenen schiift des Verfassers über den indogermanischen per- fektstamm im gemianischen ist eine solche über die praesensbildung gefolgt ^ Auch in dieser schrift ist es nicht die absieht des Verfassers neues material, neue fragen den fachgelehrten vorzulegen. "Wenn Burghauser sich auch „hie mid da in selbstän- digen aufstellungen versucht'' hat, so will er doch iin ganzen nur den gegenwäitigen stand der Wissenschaft in einer zusammenfassenden darstellung des gewählten gegen- ständes zui' anschauiuig bringen.

Das büchlem eignet sich treflich zum leitfaden für Vorlesungen. Ich möchte es Noreens allerdings selbständigerem Utkast tiU föreläsningar i urgermansk judlära zur Seite stellen. Wenn ims noch eine reihe derartiger, je ein hauptkapitel der ver- gleichenden germ. grammatik behandelnder einzelschrifteu geschenkt wird, so wird ein künftiger gelelnier dieselben leichtei" zu einem einheithchen , nietfesten werke zusammenschweissen können, als dies dem dichter der Nibelungen nach Lachmami mit den einzelnen liedera gelungen ist. In eiinangelmig einer ausführlichen genn. gi'ammatik, die auf der gi-undlage der idg. lU'sprache die germanische Sprachgeschichte aufbaut, ist ein deraitiger ausschnitt aus einer solclien, wie er uns in der schrift von Burghauser vorhegt, mit dank zu begiüssen. Die darsteUung ist streng sachlich gehalten imd bietet eine gute Übersicht über die idg. praesensbildung im germa- nischen.

Wui'zelstämme, reduplizierte stamme und nasalstämme bilden das erste kapi- tel: themavokallose praesentien. Die themavokalischen werden eingeteilt in solche ohne wurzelerweiteinrng (e- stufige imperfektpraesentien und tiefstufige aoristpraesen- tien), in nasal-, jod-, inchoativ-, ^-praesentien und in kausativa. Wie man aus dieser Inhaltsangabe sieht, ist der ausgangspunkt die idg. Ursprache. Die gennanische einteüung in starke und schwache Zeitwörter komt nicht zu ihrem rechte. Yom idg. Standpunkte aus aber scheint mir bei den themavokalischen Zeitwörtern doch die Zweiteilung im Vordergründe zu stehen, welche auch für das germanische recht wol praktisch zu verwerten ist, in primäi-e und in sekundäi-e oder abgeleitete Zeitwörter. Nach dieser einteilung würden zur lezteren klasse bei Burghauser freilich nur die kausativa auf idg. -ejö gehören. Allein es gab im idg. nicht nui- denominativa von e- o-stämmen auf -ejö, sondern auch solche von a-stämmen auf -a;o, von ey^- stam- men auf -gyo usw.; es gab femer noch andi'e, bishe]- freilich noch nicht genügend

1) Neuerdings erschienen ist: Burghauser, Germ, nominalflexion , Wien 1888.

ÜBER BURGHAUSER, PRAESENSBILDÜNO 495

aufgeklärte klassen sekundärer Zeitwörter von der idg. urzeit her, z. b. eine sekun- däi-e klasse nach dem paradigma von lat. habere , got, haban. Burghauser bespricht nui' die kausativa auf -ejö; die allerdings schwierige darstellung der ülirigen sekun- dären Zeitwörter fehlt bis auf die s. 54 fg. gemachten andeutuugen ganz und gar. Und doch ist eine behandlung dieser für die erkentnis der germ. praescnsbildung notwendig. AMe wäre sonst der übertritt von Zeitwörtern wie beben, xittern in die schwache konjugation zu erklären, wenn ihre lautg(3setzlich ererbte, urspninglich starke flexion nicht in manchen formen lautlich zusammengefallen wäre mit formen sekundärer (germ. schwacher) idg. Zeitwörter auf e und a':f Es wäre nützlich gewe- sen, wenn Burghauser in jedem einzelnen falle, wie er es z. b. s, 11 fg. und 15 tut, den weg gezeigt hätte, auf welcliem ein idg. primäres zeitwort im germ. schwach geworden. Tatsächlich sind von den idg. praesensklassen die imperfcktpraesontien und die mit nasalinfix die einzigen, welche im genn. rein als stark flektiert erhalten sind; alle andern klassen, auch die themavokallosen folgen im germ. teils der star- ken, teils der schwachen konjugation; ja die auf idg. -ucdhI sind sogar durchweg schwach geworden. Wünschten wir eine weitgehendere mcksichtnahme auf die ein- teilung in starke und schwache Zeitwörter und besonders eine eingehendere darstel- lung der idg. sekundären Zeitwörter, so wüsten wir im übrigen an dem büchlein keine wesentliche ausstellung zu machen. Wertvoll ist es vor allem durch die neueren htteraturangaben und dui'ch die reiche beispielsamlung, welche bei jeder praesensklasse der kurz einführenden darlegung der idg. konjugation folgt; die bei- spiele sind allen germ. sprachen entnommen. Von einzelheiten möchte ich hier auf zwei punkte besonders aufmerksam machen:

1. An der auffassung der Imperfekt- imd aoristpraesentiert als gespalten aus einem einheitlichen, stamabstufenden urtj^Dus (s. 19) bin ich vielleicht seilest schuld niit meinem Paul und Braimes Beitr. XI, 49 als idg. aufgestelten paradigma *bl'ro, *Urresi. Um so mehr fühle ich mich verpflichtet zu bekennen, dass in dieser algemeinheit meine aufstellung jedenfals eine irtümliche gewesen ist. Jenes stam- abstufende paradigma hat für die imperfektpraesentien nicht bestanden und ist einzu- schränken auf die indische vierte und secliste klasse, die aoristpraesentien. Neben einem bero, beresi bestand allerdings das aus got. tekan und an. taka zu ei-schlies- sende stamabstufende idg. paradigma *dego, *dagesi (Beitr. XI, 283). Ob daneben noch eine dritte, tiefstufige praesensbildung ohne stamabstufung im idg. bestanden hat, das will ich hier unentschieden lassen. Die beispiele für die stamabstufende klasse sind jedenfals sehr zahlreich, auch wenn man von der hierfür besonders lehr- reichen vergleichung des slawischen und litauischen (Leskien, Archiv für slav. phil. V, 497 fgg.) absieht. Ich erinnere nur an lat. vertö: vortö, gr. Tninio : toutio), aind. svedate : svidyämi usw. Aus dem germ. gehören hierher: 1) abulg. jiera : germ. faran, ags. sicelan : ags. forsiccplan , germ. ktreynan : germ. koman, an. hiverfa : an. horfa, aind. kdlpate : an. holfa, germ. melkan : an. molka, germ. skeldan : ahd. skaltan, ht. zengiu : germ. gangan : afrs. gi(nga\ ags. swefati : an. sofa, an. drega : germ. dragan, aschwed. grceva (abulg. grebci) : germ. grabmi, germ. tredan : germ. trodan, geim. bregdan : ^\a.ng. Ikbrüd, (ich stricke), germ. knedan : a.n. knoäa, germ. beogan : ags. bügan, germ. kleoban : ags. clüfan, germ. kreopan : jjlattd. kru- pen, germ. breoivan : mndl. bromcen : mndl. brütcen^, ahd. niuwan : ahd. nü(iv)an, germ. skeoban : genn. skiiban, ahd. slio^an : afrs. slüta; got. tekan : an. taka, ahd.

Vgl. hierzu genn. halön : ahd. holon, germ. nianon : awfrs. monia.

490 BREMER, l'ber bueghatjser, praesensbildtjng

taen : got. daddjan; aschwed. sleka (<^*slaikan) : ahd. slihhan, an. sfreifask : an. stn'task; lat. rüdö : germ. iradan: gr. (f löyio : gorm. bak(k)an. 2) niit y- Verstär- kung (aind. IS', klasse): germ. frirkjan : germ. nurkjan. 3) mit oder oline ^-vei-stär- kung: ahd. helan : germ. Iinljan, abulg. ?neljq : germ. /nalati, germ. sicimman : an. symja, got. gairdan : germ. gurdjan, mhd. encvrgen : ahd. würgen, gr. zfi;- x^cu .- ags. hydan, germ. ncotan ; germ. nutjan; ahd. «;•«;* ; germ. arjan, germ. 6r«- rffl« .• amringisch bräxi, föhringisch ^röd*/ braten (< germ. *brapjan nach der ai- oder ö-konjugation); vgl. mit «A- - Verstärkung germ. prcskan : an. prijskja. 4) mit w-vei"stärkung: aschwed. spitei-na : germ. sponian, germ. rinnan : *rimnan (Sie- vers, Beitr. VIII, S3 anm.), ags. surf na n : an. so/)/f/. Auf grund dieses wechseis wei-den auch einige anomale ablautsverhältnisse zu erklären sein: ahd. swVdan hatte urspiünghch eine tiefstufige stamform *sikl- neben sich, mid diese schuf nach der analogie von bugan : bcogan ein neues zeitwoii seodaii.

2. Sehr- wichtig ist die s. 46 gegebene erklärimg des j in Zeitwörtern wie säen, wehen usw., welche mich um so mehr erfreut hat, als ich selbst im gegensatz zu meinen früheren ausfühmugen (Paul u. Braunes Beitr. XI, 54 fgg.) auf denselben gedan- ken gekommen war. Nur darf man wol kaum diese erklärung soweit veralgemeinem, wie Bm'ghauser es tut. Die zeitwöiier, welche ich a.a.O. und s. 275 fgg. besprochen habe, zerfallen in zwei von alters her vöUig getrente klassen, deren Scheidung vom gemi. aus nicht mehr mit Sicherheit möglich ist. Als paradigma der einen klasse hat ahd. säen zu gelten <; idg. *sisenii (^rjui,), als paradigma der andern ahd. täeti <:idg. dejö; erstere hatte als idg. wurzelauslaut langen vokal, leztere «; verbaladjek- tiv dort *sate-, hier ^d'Jte-. Indem nun erstere klasse im germ. sich der thema- vokalischeu konjugation anschloss, wai* der austoss zur Vermischung beider klassen gegeben, wenn nach meiner annähme, a. a. o. s. 71, in formen wie ahd. säit sich zwischen ä und i ein j lautgesetzlich entwickelte. Nach dem vorbilde von scijif = täjit schuf man sau im ahd. zu säjii = täjii um. Yielleicht die frage wäre wol der untei*suchung wert gab es unter den hierhergehörigen Zeitwörtern noch eine dritte art mit wui'zelauslautendem u^ etwa idg. "" streu-, und ^-ieUeicht ist hier der ausgangspimkt für das ags. imd auch im an. vorauszusetzende iv von ags. säwan zu suchen. Noch natürlicher würde der zusammenfall der verschiedenen klassen sich im germ. ergeben, wenn unter den auf / auslautenden stammen sich themavokallose befunden hätten, weü daim die 1. und 2. sg. mit der ersten klasse schon in idg. zeit zusammengefallen sein würde, von der reduitlikation abgesehen; demi aus einem * dkimi, *d^isi würde, wie idg. *res <C *reis, "^rem <i *reim (lat. res, retri) zeigen, schon in idg. zeit ""demi, *desi geworden sem^ So viel über die Zeitwörter mit

1) Der idg. schwand von i, u nach langem vokal vor bestirnten konsonanten kann, wie ich glaube, grade für die themavokallose konjugation, noch manche aufklärung geben. So würde sich z. b, iGTÜuc gegenüber GTKVoöc. GTVO) usw. erklären aus einer wurzel *stäu-, welche einmal wie folgt flektiert worden wäre, mit auslassung der rednplikation : *staumi, *stäusi, *stäuti, dual und plu- ral *sfü-'. Zu einer zeit, in welcher * dieum und ^ (pum zu * diem und *gö«« (>^^^, ;?wv) wurden, sagte man auch * stämi für *stäunii, vmd nach dieser 1. sg. vielleicht auch nach der analog behandelten 3. sg. ? konte man (besonders wenn das vorbild der auf i ausgehenden themavokal- losen Stämme wirkte, bei denen die 1. und 2. sg. der 3. gegenüberstand) den ganzen sing, uniformieren zii *stämi, *stäsi, *stäti. Nach diesem sing, wäre dann noch in idg. zeit im dual und plural a für ü eingesezt worden, weil man sonst zu ä die tiefstufe a hatte. Ausserhalb des systemzwanges standen und erhielten daher ihren ursprünglichen vokal aind. .s^Äwra, sthävira, gr. GTUVoög, GTVo), Grv).og, ahd. stouicen, ahd. stuxzen, studen, ags. studu, ahd. stüda. In derselben weise wäre aufzufassen das Verhältnis von idg. *ple- zu *pleu- (Beitr. XI. 278, 9), * Qre- zu * ßreu- (278, 12), *stre- zu * streu- (280, 18).

EBDMANN, ÜBER EXOPSTOCKS ODEN EDD. MI7NCKER - PA"^VEL 497

"vmrzelhaftem e. Diejenigen mit idg, Ci oder U sind im genii. in derselben weise flek- tiert worden. Unter diesen befinden sich primäre, wie an. roa, ags. röwan, und sekundäre, mit j abgeleitete kausativa zu primären e- stammen, wie alul. inuocn (zu abulg. sü-meti). Erstere werden im idg. themavokallos flektiert worden sein, wie ö'iö'couc; denn bei annalmie des gegenteils würde z. b. die 2. und 3. sg. *röcsi, *7-öeti nach den idg. kontraktionsgesetzen doch zu *rösi, *röti geworden sein (scheinbar unthematische formen) und daher das ganze zeitwort in die unthematische konjuga- tion hembergezogen haben. Für diese Zeitwörter wäre, nachdem sie im gerni. the- mavokalisch geworden, lautgeschichtliche entstehung des ags. ?r aus dem voraufgehen- den ö möglich. Das deutsche j hätte seinen Ursprung in den kausativen auf idg. -eju. Auch können hier primäre idg. äi- und ö2- stamme vorgelegen haben.

STRALSUND, 26. MÄRZ 1889. OTTO BREMER.

Friedrich Gottlieb Klopstocks öden. Mit Unterstützung dos Klopstock- vereins zu Quedlinburg herausgegeben von Franz 31uneker und Juro Pawel. Zwei bände. Stuttgart, G. J. Göschensche Verlagshandlung. 1889.

Vor etwas über zehn jähren begann ein (auch in dieser Zeitschrift XI, 371. XU, 286. 380 freudig begrüsster) neuer aufschwung der Klopstockstudien. Angeregt Jiauptsächlich diu'ch Michael Bernays sammelten gleichzeitig Richard Hamel und Franz Muncker mit emsigem fleisse und unermüdlichem eifer für die sache das viel- fach vei'streute, teils noch niemals ausgenuzte, teils in Vergessenheit geratene mate- rial zur volständigen textgeschichte Söwie zur sprachlichen, metrischen, litterarhisto- rischen und ästhetischen wüi'digimg der Klopstockschen werke; imd wenn auch nicht alle damals ausgesprochenen oder gehegten wünsche vols tändig erfült worden sind, namentlich was die übersichthche Zusammenstellung aller späteren textverändenin- gen im „Messias'^ und die erneuerung der prosaschriften Klopstocks betiift, so ist doch im verlaufe dieser jalu-e eine reüie von arbeiten und ausgaben entstanden, welche die wirkliche kentnis und unbefangene Würdigung Klopstocks in einer vorher nicht geahnten weise ennöglichen. Eichard Hamel liess den drei heften seiner „Klopstockstudien'^ (Eostock 1879. 1880) die ausgäbe der werke Klopstocks in der Deutschen nationallitteratur (band 46 48, erschienen Stuttgart 1883 fgg.) folgen, welche zwar nur eine auswahl aus den poetischen werken, diese aber mit sehr beleh- renden einleitungen und mit knappen, aber gehaltvollen erläuterungen die drei ersten gesänge des ., Messias" auch mit volständiger angäbe aller lesarten und die „Oden'^ mit volständiger Übersicht der entstehungs- and Veröffentlichungsdaten in vorzüglicher ausstattung und mit guten illustrationen dem gebildeten puljHkum dar- bot. Franz Muncker, welcher in seiner erstlingsschrift ^Lessings persönliches und litterarisches Verhältnis zu Klopstock'^ erörtert hatte (Frankfurt a/Main 1880), gab im 11. hefte der „Deutschen litteraturdenkmale des 18. Jahrhunderts" (Heilbronn 1883) einen genauen abdruck der ersten drei gesänge des Messias nach der ausgäbe von 1748, mit einer einleitung, die namentlich sehr zahlreiche und gut gnippierte litte- rarische belege für die Wertschätzung des „Messias" und die von ihm ausgehenden geschmacksrichtungan darbietet. Im jähre 1888 vollendete Muncker sein grosses werk „Friedlich Gottlieb Eopstock. Geschichte seines lebens und seiner Schriften" (Stutt- gart, G. J. Göschensche buchhandlung) , in welchem es ihm gelungen ist, nicht nur den äusseren lebensgang des dichters nach neuer und vorsichtig - kritischer durch - arbeitung aller zugänglichen quellen in sehr klarer und fesselnder weise darzustellen,

ZEITSCHRIFT F. DEUTSCHE PHILOLOGIE. BD. XXII. 32

498 ERDMANN, ÜBER KLOPSTOCKS ODEN EDD. AltTNCKER - PAWEL

sondern auch alle werke Klopstocks mit eingehender bezuguahnie auf Yorläufer und Zeitgenossen unbefangen und mit alseitiger erwägung der geschichtlichen bedingungen ihres entstehens und wirkeus zu wüi'digen. Schon fniher hatte Erich Schmidt im 39. hefte der ,, Quellen und forschungen'' (Strassburg 1880) die kontnis des queUenmaterials zu Klopstocks jugendlyrik erheblich erweitert; J. Pawel Klop- stocks odeu aus der Leipziger periode kritisch erschöpfend untei-sucht ("W'ien 1880), sowie andere Specialuntersuchungen und -ausgaben veröffentlicht (vgl. diese Zeitschrift Xni, 57. XVII, 341); 0. Lyon Goethes Verhältnis zu Klopstock dargestelt (Leip- zig 1882).

Diesen ai'beiten schliesst sich nun jezt die historisch - kritische ausgäbe sämt- licher öden Klopstocks an, zu welcher zwei der genanten Klopstockforscher sich freundschafthch vereinigten, indem Pawel namentlich die aufsuchimg noch unbekantcr handschrifteu und einzeldrucke und die konstatierung abweichender lesaiien aus ihnen betrieb, Muncker aber das ganze material sichtete imd redigierte, die reihenfolge der öden bestimte und die angaben über ihre entstehimgszeit und geschichte abfasste.

Die ausgäbe enthält also den volstäudigen abdruck aller (235) öden Klopstocks mit ausscheidimg einiger ihm flilschlich beigelegten (vorwoii; s. TU), jedoch nicht die gesänge und hymnen aus dem XX. gesange des Messias und den dramen; mit recht hat es Muncker unterlassen, diese lyiüschen stücke aus ihrem zusammenhange loszu- reissen, obwol er z. b. bei der ode „Die gestime^ I, 154 auf die ähnhchkeit (auch ganz gleiche strophenform!) derselben mit einem dieser stücke aufmerksam macht. Angeordnet sind die einzelnen öden streng nach der entstehungszeit; diese, ebenso wie alle von Klopstock selbst veranlassten drucke sind bei jeder ode unten angegeben, wobei die ab weichungen von Klopstocks eigener ckronologischer anordnung, wo diese irtümlich war, motiviert werden (vgl. auch voiTede I, s, \'UI). Bei den öden „An Ebert'^, -TVingolf^, „Bardale'' sind die ältesten und die jüngsten fassimgen wegen ihi'er starken vei^schiedenheit volständig neben einander abgedruckt; bei allen übrigen bietet Muncker den text der ausgäbe lezter band, während die abweichungen der von Klopstock gebilhgten ausgaben (ausser der wertlosen von 1787), der Dannstädter ausgäbe von 1771, der aufgefundenen Originalhandschriften Klopstocks, der Gleim- schen abschriften und der von C. F. Gramer citierten älteren lesarten unter dem texte aufgeführt sind. Durch diese emsige samlung und sorgfältige Sichtung des sehr umfangi-eichen materiales für die textkritik haben die herausgeber sich ein grosses verdienst erworben. Im eigentlichen sinne kritisieren könte ihi'e arbeit nur jemand, welcher dieses material in gleichem masse beherscht wie sie selbst, was ich von mir nicht rühmen kann. "Wo ich aber in der läge war eine nachprüfimg anstellen zu kön- nen , da habe ich den jQ.eiss und die Sorgfalt der herausgeber völlig bewährt gefunden.

Die anmerkungen, welche Klopstock selbst in verschiedenen ausgaben zu seinen öden gemacht hat, sind volständig abgedrackt; auf weitere eiläuterungen abgesehen von den schon erwähnten chronologischen angaben und erörteiimgen, haben die herausgeber gänzlich verzichtet. Soweit diese enthaltsamkeit auf der scheu davor Ijeruhen mag, die eigene subjektive meinung mit dem objektiv mitgeteilten textmate- rial zu vermengen, begreife ich sie sehr wol; eine dem bedürfnis der meisten leser genügende erläuterung der Klopstockschen ode wäre leicht ein besonderes werk von mindestens gleichem umfange geworden. Aber gewiss wären alle leser den heraus- gebem noch dankbarer gewesen, wenn sie aus dem reichen schätze ihrer belesenheit in der Klopstocklitteratur wenigstens hier und da mitteilungen über die entstehungs- geschichte, die textgestaltung, die Würdigung der einzelnen öden in knapper fassung

WITKOWSKI, ÜBER SCHULTZ, ^^KACUGESKLSCHAFTEN 49!)

gegeben hätten. Ich meine z. h. solche angaben, wie sie C. F. Gramer (2, 345) bei der öde „Heinrieh der Vogler*^ über die von Klopstock selbst später in abrede gestalte ursprüngliche bezieh ung auf Fi'iedrich den Grossen maclit; oder notizen wie die von Seumo („Mein sommer 1805'', in der Ilonipolschea ausgäbe bd. IV, 158) über die textgestaltung eines verses in der ode „Die gestirne." Derartige Überlieferungen sind doch wort erhalten zu werden; imd wo köute dieses besser und wirksamer geschehen, als in der historisch -kritischen ausgäbe?

Doch fem sei es von mir, über solchen wünschen das grosso vordienst ver- gessen zu wollen, welches sich die herausgeber, sowie alle Hjrderer ilirer mühevollen arbeit, durch diese ausgäbe erworben haben. Die bedeutung der Klopstockschen öden für unsere poesie hat Muucker im oingange der vorrede gut und würdig clia- raktcrisiert; möchte „ihre nie verwelkende frische und ihre nie ermattende kraft ■* in dieser schönen und reichhaltigen ausgäbe auf recht viele leser wirken!

KIEL. OSKAR ERDMA-VN.

Die bestrebungen der sprachgeselschaften des XVII. Jahrhunderts für reinigung der deutschen spräche. Von dr. II. Schultz. Göttingen, Vaii- denhoeck & Kuprechts vorlag. 1888. 3 m.

Die Sorgfalt für die reinheit der muttersprache ist seit emigen jähren zu einer öffentlichen angelegenheit geworden, für die durcli eine überaus kräftige agitation die teilnähme der weitesten kreise erregt und wach gehalten wii'd. Es soll liier nicht erörtert werden, ob dieser v/eg der richtige ist, um die wünschenswerte Säu- berung unsrer spräche von einer auzahl entbehrlicher eindringlinge zu en-eichen, es sei nur dai'auf hingewiesen, dass es uns nicht an histonschen beispielcn fehlt, wio wenig dilettantischer eifer auf diesem gebiet zu nützen vermag; denn das siel)zehnto Jahrhundert bietet in seinen bestrebungen für die Sprachreinigung ein seitenstück zu der jetzigen bewegung. Offenbar hat dieser umstand die anregung zu einer anzahl von arbeiten über die geschichte der sprachgeselschaften gegeben, die in den lezten Jahren in rascher folge erschienen sind.

Die jüngste derselben ist die oben bezeichnete sckrift von Schultz, die man- ches neue bringt, im ganzen aber doch in bezug auf die kentnis der vorarbeiten und die ausnützung des materials mängel aufweist. Was soll man z. b. dazu sagen, dass der Verfasser nicht einmal den titel von Buchners poetik kennt (wie er s. 38 selbst gesteht), die, abgesehen von sämtlichen handbüchern, die litteratui-geschich- ten fast ausnahmslos anführen? Wie dürftig sind die als einleitung vorausgeschick- ten bemerkungen über das eindringen der fremdwörter in die deutsche spräche! Selbst die am nächsten liegenden ergänzungen würden bei weitem den umfang des von Schultz angeführten überschreiten. Von wichtigeren vorarbeiten bheben ihm die folgenden imbekant: Kluge, Von Luther bis Lessing; K. Dissel, Die sprachreinigen- den bestrebungen im 17. Jahrhundert (Progr. Hamb. 1885); Walter, Über den ein- fluss des dreissigj ährigen krieges auf die deutsche spräche usw. (Progr. Prag. 1871). Hätte Schultz seine Vorgänger gekant, so würde er wol kaum so leichtfertig den satz (im vorwort) ausgesprochen haben: „Das bisherige urteü über die sprachbewe- gung des XVH. Jahrhunderts, welches dieselbe als verfehlt, ja lächerKch bezeich- nete, wai" durchaus falsch, da es sich nicht auf eine genügende menge von material stüzte." Nicht die bewegung an sich war verfehlt, sondern nur die mittel, durch

32*

500 WITKOWSKI

welche man ihre ziele zu erreichen suchte, waren ungenügende und falsche, und nur in dem urteil über diese nüttel weicht Schultzs meiuung von der seiner Vor- gänger ab.

Der Verfasser steht von vom herein nicht auf dem Standpunkte des leiden- schaftslos abwägenden geschichtschreibers , sondern auf dem des lobredners, und dadurch komt er zu einem urteil über die Fruchtbringende geselschaft (s. 73 fg.), das von dem bisherigen allerdings wesentUch verschieden ist; aber nicht deshalb, weil Schiütz auf neue und bedeutendere lebenszeugnisso der geselschaft hinweisen köute, als die fi-üheren, sondern nur weil er den längst bekanten übersetzungs- und regelwerken entgegen der geltenden, wol begründeten ansieht einen massgebenden und heilsamen eintluss auf ihre zeit zuschreibt, während wir doch durchaus nichts davon ^^-issen. dass sie ausserhalb der geselschaft und der kleinen gleichstrebenden genosseuschaften irgend welche beachtung gefunden hätten. Haben doch sogar die ei&igsten mitgHeder im schriftlichen verkehr, wo er nicht geselschaftsangelegenheiten betraf, ohne alle scheu ihre rede aufs reichlichste mit fremden werten durchsezt, wie z. b. aus Krauses „Urkunden zur geschichte der Anhaltischen lande und ihrer für- sten" (Leipzig 1861 66) klar hervorgeht. Von einem gegenseitigen anhalten der raitglieder unter einander zum gebrauch imvermengter spräche, wie es Schultz (s. 65) für wahrscheinlich hält, dürften nur wenige beispiele aufzufinden sein, zumal da die meisten der genossen das sinbild des palmbaums mehr für eine zierde, als für ein mal ernsthafter Verpflichtung ansahen.

Bartholds „Geschichte der fruchtbringenden geselschaft" hat, trotz mannig- facher irtümer im einzelnen, die historische bedeutung des bundes richtig bestimt und den grösten teil des Stoffes verarbeitet. AVesentliche ergäuzungen brachten Krauses Schriften, von denen Schultz hauptsäclilich die lezte, „Ludwig, fürst zu Anhalt - Köthen" (Köthen 1877 79), zum grössten teil einen schlechten auszug aus den friiheren, benuzt hat. Er widerholt die darin enthaltenen angaben über die schriftstellerischen werke der geselschaftsmitglieder , übergeht aber einige der wichtig- sten, wie Tobias Hüebners „Erste woche" (Leipzig 1631). Die bemerkungen über Opitzens Verhältnis zu den Fi-uchtbringenden " und seinen einfluss auf die spräche sind dürftig; recht merkwürdig ist die ansieht (s. 31), dass Opitz die „unglückselige alte mythologie" eingefühi-t und uns so eine ganze gattung von fremd Wörtern zuge- bmcht habe. Bei der aufzählung der geschichtschreiber der Fr. G. (s. 71) hätte auch das für seine zeit ganz vortrefliche buch von Otto Schulz, „Die sprachgeselschaften des 17. Jahrhunderts'- (Berlin 1824) erwähnt werden sollen.

Von den kleineren genosseuschaften behandelt Schultz zuerst die Aufrichtige geselschaft von der Tannen und vermehrt die bisher bekanten tatsachen zur geschichte derselben beh-ächtlich. Die mitglieder werden im einzelnen ausführlich dargestelt, (eines, Joh. Heinrich Boeder, ist allerdings übergangen), die Zugehörigkeit von Weckher- lin und Moscherosch wird durch neue gmnde bestätigt. Ein weiteres mitglied wird in Hans Heinrich Schill der Tannengeselschaft zugewiesen, der zugleich als Verfasser der Schrift „Der teutschen sprach ehren -krantz" (Strassburg 1644), bestimt wird. Aus diesem umfangreichen, von wanner Vaterlandsliebe durchwehten buche, das eine Zusammenstellung des bis dahin gegen die sprachmengerei gesagten enthält, gibt Schultz dankenswerte reichliche auszüge.

Bei der darstellung der Deutschgesinten genossenschaft " hat sich Schultz leider die gelegenheit. ein bild Zesens und seiner bestrebungen zu geben (wol die

ÜBER SCHULTZ, Si'RAClIGESELSCHAFTEN 501

dankbarste aufgäbe der deutschen litteraturgesdiiclite des 17. Jahrhunderts), entgehen lassen. Unter den mitgliedern fehlt das begabteste, Jacob Schwiger, in Schultzs aufzählung. Die (s. 103) angefühiien, die sprachniongerei verspottenden verse stam- men nicht von Butschky, sondern aus Opitzens „Poeterey'^, was zu erwähnen gewe- sen wäre.

Unter die „gegner der genanten spraehgoselschaften", die Schultz im folgen- den abschnitt bespricht, ist vielleicht auch E. K. Homburg zu rechnen. Wenigstens scheinen die verse aus dem „Lob des krieges" (Scliimpff- vnd Ernsthaft'te Klio. Jehna 1642. S. K4"), in denen er die neu eingeführten mihtärischen ausdrücke anführt, nicht h-onisch gemeint zu sein.

Die „Pegnitz-hii'ten-geselschaff^ wird, entsprechend ihrer geringen teilnähme an der Sprachreinigung, nur kurz erwähnt, ebenso Eists läppischer „Eibischer schwancnorden", und die übrigen genossenschaften, von denen wir nicht wissen, ob sie überhaupt ins leben getreten sind: der „Belorbeeiie tauben -orden", die „Teutsch- liebende geselschaft", der „Leopolden -orden." Woi-tvoll sind die Zusammenstellun- gen von Schultz über diese Vereinigungen deshalb, weil sie zeigen, wie das gi*ündon von sprachgeselschaften schliesslich zum sport wurde, den die imbedeutendsten leute ZU treiben wagten.

Li sieben anhängen gibt Schultz exkurse zu seiner arbeit. Davon hätte der über „die gestickte wappen - tapete im geselschaftssaale " (der Fr. G.) und der über Ratichius wol fortbleiben können, auch der über Leibniz gehört nicht in diesen rah- men. Mit recht ist im anhang I die abhängigkeit Neumai'ks von Hille betont, die ich schon früher (Diederich von dem Werder. Leipzig 1887 s. 22) hervorgehoben habe. Anhang III und V handeln über die undeutschen vornamen und die Verdeut- schung von kunstwörtern (d.h. termini technici), anhang endlich stelt die „namen- losen'^ (d.h. keinem bestirnten Verfasser zuw^isbaren) Schriften gegen die sprachmen- gerei zusammen: die „Deutsche satyre wider alle verderber der deutschen spräche'^, die „Teutschen Michels" und den Sprachverderber. " Am schluss ist ein „Blat- weiser" hinzugefügt, eine bezeichnung, die allerdings in die puristischen bestre- bungen, denen das buch gewidmet ist, zuiückversezt, an deren stelle aber doch besser das gebräuchlichere und vor aUem sinentsprechendere inhaltsverzeichnis " zu gebrauchen wäre. Das ganze buch zeigt, wie es bei der vorwaltenden ten- denz selbstverständlich ist, das streben nach absoluter Sprachreinheit; dass diese aber nicht immer gleichbedeutend mit Sprachschönheit ist, sieht man aus bildungen, wie „förmlich" u. ähnl. Auch sonst finden sich eigentümhchkeiten des ausdrucks, z. b. „beschlagen" für „betreffen" („das leztere kann höchstens das äussere auftre- ten des „Palmordens" beschlagen" in der vorrede, und „modewörtem, welche die ausrüstung des ritters beschlagen" s. 2). Wozu sollen solche sprachschöpferische versuche dienen? Sonst ist die darstellung im algemeinen, bis auf einzelne Über- gänge (s. 55, 65, 72) gewant und gut lesbai-.

LEIPZIG. G. WITKOWSKI.

Berichtigung zu zeitschr. XXII, 243. 244.

Kinzels anzeige meiner ausgäbe des könig Tirol in Pauls textbibliothek möchte ich, indem ich das iirteil in den principieUen fragen (einrieb tung des kritischen appa- rats , auswahl der Varianten , metrik) den fachgenossen überlasse , nur folgende berich-

502 BERICHTIGUNGEN UND NACHRICHTEN

tigiingen beifügen. Die vermisste Variante zu 13, 6 steht in meiner vorrede s. IV. 20, 6 steht nicht, wie Kiuzel angibt, her, sondern herre in Müllcnhoffs abdruck der handschrift. Ebenso hat die handschrift 41, 2. 3 nicht luge^ sondern lüge, gegen für gen 35, 3 ist wegen der analogen fälle 18, 2. 26, 6. 7. 30, 6 eingesezt. 13, 3 alhic (nicht cursiv gedruckt) und 20, 2 die sind zwei leider stehen gebliebene druck- fehler.

HALLE, 20. AUGUST 1889. ALBERT LEITZMANN,

Zu zeitschr. XXII, 255.

Diu'ch die fremidliche verniitlung des herausgebers dieser Zeitschrift macht mich herr prof. Kettner darauf aufmerksam, dass die von mir Ztschr. XXII, 255 angegebenen quellen für Schillei-s Mädchen aus der fremde schon von Boxberger X. jahi'b. f. phil. und pädag. 1868, 11, 10, 485 486 augemerkt und nach dessen vorgange auch in den neuen auflagen der kommentaro Viehoffs und Düntzers auf- geführt sind. Ich hatte leider den nachweis Boxbergers übersehen und konte durch Zufall bei der niederschiift der misceUen Düntzer nur in der 1. aufläge benutzen.

G. ELLINGER.

XACHKICHTEN.

Das grabdenkmal füi* Julius Zacher, ein einfacher syenit-obehsk mit einem tretlich gelimgenen, aus dem atelier von Paul Reiling in Halle hervorgegangenen, reliefbild des verstorbenen in bronce, ist am 27. okt. d. j. feierlich enthült worden. Den freunden und Schülern Zachers, die in freudiger opferwiUigkeit unserem aufrufe entsprochen und eine würdige ausfühiiing unseres planes ermöglicht haben, sage ich hierdui'ch im namen des ausschusses den wäi'msten dank.

KIEL, NOV. 1889. H. GERING.

Fünf isländische gelehrte (Hannes I*orsteinsson, Jon l^orkelsson, 01a-

^

für Davidsson, Pälmi Pälsson und Vald. Asmundarson) beabsichtigen eine Zeitschrift für isländische Volkskunde herauszugeben, die den titel „Huld" führen soll. Das erste heft wird, fals ein genügender absatz gesichert ist, im frühjahr 1890 erscheinen. Die einzelnen hefte, von denen jährlich mindestens eins ausgegeben wer- den .soll, sind auf 12 bogen gi\ 8 veranschlagt; drei davon werden einen band bilden. Der preis für ein heft beträgt 2 kr. ; anmeldungen zum abonnement , die zur abnähme eines bandes verpflichten, erbittet der buchhändler Sigurdur Kristjänsson in Reykjavik.

Geh. rat professor dr. K. Weinhold in Berlin wurde von der philos.-hist. klasse der kgl. akademie der Wissenschaften in Berlin zum ordentlichen, prof. dr. K. Maurer in München zum correspondierenden mitghede erwählt. Die kgl. bayr. akademie der Wissenschaften emante prof. dr. E. Sievers in Halle zum correspon- dierenden mitgliede.

Der ao. professor dr. Oskar Er d mann in Breslau folgte einem mfe an die Universität Kiel als nachfolger Fr. Vogts; der ao. professor dr. Max Koch in Mar- burg wurde in gleicher eigenschaft an die Universität Breslau berufen.

NEUE EUSClIEliNUNGEN 503

Die privatdocentcn dr. F. Jostes iu Münster luid dr. W. Stroitberg in Leii»- zig sind als ordentliche professoren an die neubegrüudeto Universität Freiburg in der Schweiz berufen worden.

Au der Universität Leipzig habilitierte sich dr. Georg "Witkowski für neuere litteratur; an der deutschen Universität in Prag dr. Adolf Hauffen für deutsche Philologie.

Es starben: am 13. december 1889 zu Elberfeld der professor am dortigen gymnasium, dr. AVilhelm Crecelius (geb. zu Hungen in Hessen am 18. mai 1828), seit 1871 mitarbeiter unserer Zeitschrift; aui 27. december 1889 zu Kopenliagen der pastor Carl Joakim Brandt (geb. am 15. aug. 1817 zu Nyborg), bekaut als lier- ausgeber älterer dämscher ütteratiu'denkmäler-, am 3. Januar 1890 zu Göttingen der ordentl. professor der germanischen i^hilologie, dr. Wilhelm Müller (geb. zu IIolz- minden den 27. mai 1812), hochverdient als lexikograph und mytholog.

NEUE ERSCHEINUNGEN.

Steiiimeyer, E. , Über einige epitheta der mhd. poesie. Prorectoratsrede 4. novbr. 1889. Erlangen, imiversitätsbuchdruckerei. 20 s. 4.

Au nachweise über die an einem erkenbaren Zeitpunkte beginnende ausbrcitung des attiibutiven gebrauches von klär, ivert, kluoc, gehmre werden weitgreifeudo bemerkungen über die mhd. dichtersprache geknüpft.

Müller, W., Briefe der brüder Jacob und Wilhelm Grimm an G. F. Be- necke 1808 1829. Mit anmerkungen herausgegeben. Göttmgen, Vandenhoek und Euprecht, 1889. 188 s. 8.

Diese briefsamluug gewint durch die mitteilungen beider brüder über den gang ihrer Studien, sowie durch die vielen zwanglos imd frisch ausgesprochenen urteile über menschen und bücher (z. b. v. d. Hagen s. 17; Lachmanns Z. G. N. N. s. 88; Herlings sjTitaktisch - stilistische Studien s. 137; Rabener, Geliert, Gleim, Uz s. 159 u. V. a.) nach vielen Seiten hin hohes Interesse. Einleitung, noten und register des herausgebers erleichtern die benutzung.

Schmitt, P., Über den Ursprung des substantivsatzes mit rclativpar- tikeln im griechischen. Würzburg, A. Staber, 1889. 80 s. 8.

Biese, A., Das metaphorische in der dichterischen phantasie. Beitrag zur vergleichenden poetik. Berhn, A. Haack, 1889. 33 s. 8.

Die heiligen En-glands. Angelsächsisch und lateinisch herausgegeben von F. Liebennaiiii. Hannover, Hahnsche buchhandlung, 1889. XX, 23 s. 8.

Odiiiga, Th., Das deutsche kirchenlied der Schweiz. Frauenfeld, J. Hubers Verlag, 1889. J\\ 137 s. 8. 2 m.

Marcus evangelion Mart. Luthers nach der septemberbibel mit den les- arten aller Originalausgaben und proben aus den hochdeutschen nachdrucken des 16. Jahrhunderts herausgegeben von Alexander Reif- fei-scheid. Heilbronn, Gebr. Henninger, 1889. XII, 124 s. 8. 4,20 m.

504

I. SACHREGISTER

All die iiiitarl)eitor iiiid leser der zeitseliritt.

Da meine gegen-wäi-tige stelluug mir die ptliclit auferlegt hat. meine kräfte vorwiegend der nordischen philologie zu widmen, erechien es mir als unabweisliche notwendigkeit , von emem teile der redaktionsgeschäfte befreit zu werden. Zu meiner freude hat sich mein kollege, professor dr. Oskar Er d mann hierselbst, bereit erklärt, vom nächsten hefte ab in die redaktion der Zeitschrift einzutreten. Die arbeitsteilung wii-d im algenieinen in der weise statfinden, dass die aufsätze zur* ostgermanischen und angelsächsischen philologie, zur mythologie imd altei-timiskunde meiner durch- sieht unterliegen werden, wälirend das übrige, namentlich also alles in das gebiet des alt-, mittel- und neuhochdeutschen einschlagende, meinem freunde Erdmann zufalt. In der Überzeugung, dass diese einrichtimg, durch welche natürUch an dem überlieferten plan imd Charakter der Zeitschrift nichts geändert wird, derselben nur zuur vorteil gereichen werde, bitte ich die mitarlieiter und freunde unsres organs, ihm auch in zukmift teilnähme und tatkräftige unterstützimg zuzuwenden. Briefe und manuscripte bitte ich in zukimft entweder an mich oder an herrn prof. Erdmann (Kiel, Lornsenstr. 16) zu richten,

KIEL, JANUAR 1890. HUGO GERING.

I. SACHREGISTER.

Akritas siehe Digenis.

Albeiiinus, Aegidius, seine bearbeitung von Alemaus Guzman benuzt von Grim- melshausen im Simplicissimus 93 99. Ygl. diesen. Aleman und Frewdenhold.

Aleman, Mateo, bearbeitung seines Guz- man von Alfarache durch Aegid. Alber- tinus benuzt in Grimmeishausens Sim- plicissimus 93 99. vgl. diesen, Alber- tinus und Frewdenhold.

althochdeutsch. konstruktion von kan 9 12. \on ??iugen 37 46. absoluter gebrauch 38. mit objekt 38 fg. mit dem infinitiv 39 46. vgl. grammatik und Notker.

altsächsLsch. konstruktion von ccm 8 fg. von magati 36 fg. vgl. gi-ammatik.

A m a 1 i a s , herzogin von Cle ve , liederbuch 397—426. handschiift 398 fg. inhalts- verzeichnis 899 405. weihnachtslied 406 409. gebet an Maria 409 fgg. Uebeswerbung 411. preis der liebsten 411 fgg. Hebesglück 413. tagehed 414. auf widersehen 414 fg. abschied 415 fg. trennungsschmerz 416 fgg. rosenkranz zum abschiede 418 fgg. an die ent- fernte geliebte 420 fg. der ungeschickte liebhaber 421 fg. die ungetreue 422 fgg.

Armenisches märchen siehe Schiller.

Ami, bruder, bearbeiter des Eddacodex AM 242 fol. und Verfasser der 4. ab- handlung 131 134. vgl. Snorra-Edda.

Balbi, Gasparo, quelle für Ziglers Asia- tische banise 75 fg. vgl. diesen.

Blois, Heinrich graf von, in der franzö- sischen graldichtung Borons 447 fg. siehe Wolfi'am.

Boron, Eobeii de, le petit Gral siehe Crestien und ^^olfram.

Brunius, schauspielertruppe des Joh. Heinr., ihi"e bearbeitimg von Ziglers Asiatischer banise 206 213. vgl. Zigler.

buch und buche, verwantschaft 468.

bulgarische märclien und sagen als ana- logien zum Tellschuss siehe Digenis und SchiUer.

Colin, Philipp, und Claus "Wisse, Über- setzer der französischen graldichtung 289 fgg. 293 311. 427 444. siehe Wolfram.

Crestiens conte du Graal, seine vorläge nicht Guiot von Provins, sondern Ro- bert de Boron 450 fg. siehe AVolfram.

Digenis Akritas (Porphyrius, Farfuiius, Panthirios oder Panthir) held eines bul- garischen epischen gedichtes 103. eines bulgarischen märchens 104 fg.

drama. Ziglers Asiatische banise in der dramatischen bearbeitung der schauspie-

I. SACHREGISTER

505

lertrui)[)0 des Joh. lleiiir. Bruuius 20G 213. vgl. Zigler. J. E. Schlogols di'ameu siehe diesen.

Edda, Suorra-, bruder Arni bearbeiter des cod. AM 242 fol. und Verfasser der 4. abhandluug 131 134. älteste fas- suug der abhandlung 135. ihre vorläge benuzt im cod. AM 242 fol. 135 fg. Inhalt der ältesten fassung 136 fg. sie ist die einleitung zuni Hattatal 137. art der entstehung und Zusammensetzung der jüngeren fassung 137 144, der Verfasser der abhandluug u. ihre l)edou- tung 145 158. Verfasser der ursprüng- lichen abhandlung Suorri 145 50. erklä? rung der Übereinstimmung zwischen II u. 111% der arbeit Olaf {)6rdarsons 146 149. entstehung der doppelten erklä- rung der figur fl 151 158. der jün- gere vergleich der spräche mit dem isländischen baispiel 152 156. der ältere vergleich (des Snorii) mit der Symphonie 156 fg. text 159 164. Übersetzimg 164 fg. erklärung der bei- den figiu'en 165 fgg. über die ent- stehung der ui-spriinglichen Snorra-Edda und der späteren bearbeitung 366 fgg. Verzeichnis der abweichungen des cod. Worm. von cod. reg. 368 71. nach- weis, dass AM 756 eine flüchtige ab- schrift von "W 372 fg. ursprünglicher umfang und einteilung von ^V 373 fg. das Skäldatal 374 fg. Zeitbestimmung Starkads , köiiig Eagnars , Bragis 375 fg. todesjahr Gunnlaugs 376. Gizur svarti und gullbrä nicht identisch 376 fg. des lezteren beiname 377. Unterscheidung von zwei Hallbjorn hali 377. Lieder - Edda, ursprüngliche aufzeichnung der- selben in runen? 468.

Ernst, herzog, keine Spielmannsdichtung

478. vgl. Orendel. Farfuiius siehe Digenis.

Francisci, Erasmus, quelle für Ziglers Asia- tische banise 77 80. vgl. diesen.

Frewdenhold, Martin, seine fortsetzung des Alemanschen Guzman de Alfarache 93 99. vgl. Aleman, Alberiinus und Grünmeishausen.

Friesen, die: erklärung ihres stark aus- geprägten rechts bewusstseins 258 fgg. Things gerichts-, nicht volksversam- lungsgott 260. erkläiimg der namens- form 261. alaisiagen = die erhabenen gesetzseherinnen 261 264. deutung von Bede undFimmilene 264 fgg. bod- und fimmelthing 266 fg. deutung von Bede als pugnatiix 267 fg. des bod-

things als streitgericht 269.

von Fim-

mileno als ultrix, des fimmelthiugs ids Strafgericht 269 fg. hauptlieihgtum des Tius Things in Almenum 270 fg. der lucus Baduhonnao in Bafflo 271. Orts- namen von Fimilino gebildet 271 fg. liud- und Tiuthing 272 fg. Tiu Badu- nät und Frithunüt 272 fg. Es-thing 273 fg. Tiu Saxing 274. sonstige frie- sische gerichtsstätten 274. Tiu Ächte 275 fg.

Gautior, ( iauchior siehe AValtor von Dunsin.

gotisch, bt'deutung von kiinnan 4 fg. kon- struktion 5 8. mcujan^ bedeutung und konstruktion 33 36.

graldichtung und gralsage siehe "Wolfram.

grammatik. kUnncn im gotischen 4 8. im altsächsischeu 8 fg. im althoch- deutschen 9 12. im mittelhochdeut- schen 12 33. entwicklung der bedeu- tung von liönnen 13 16. iiiögcn im gotischen 33 36. im altsächsischon 36 fg. im althochdeutschen 37 46. im mittelhochdeutschen 46 57. ein- zelheiten und nachtrage 57 60. vgl. gotisch, altsächsisch, althochdeutsch, mittelhochdeutsch. lu'germanische er- haltung des e trotz scheinbar folgenden i 249. erhaltung des e bei folgendem c, das erst später zu i wird 249 fg. Suf- fixe -il, -ir bewirken umlaut 250. kon- sonantische hindernisse des wandeis von e zu i 250. zeit und ausgangs[tuukt des lautwandels e >> ^ 250 fgg. an- gebUche Spaltung des indogermanischen imperfekt- und aoristpraesens aus einem stamabstufenden ui'tyijus 495. erklä- rung des j in zeitwöiiern mit wurzel- haftem e, ä, ö 496 fg. über die not- wendigkeit der berücksichtigung laut- licher Veränderungen bei sjmtaktischen Untersuchungen 459 62.

Grimmeishausen benuzt im Simplicissimus des Albertinus bearbeitung von Alemans Guzman und die foiisetzung des Mar- tin Frewdenhold 93 99.

Herder, zv/ei stücke der Volkslieder von einfluss auf Schülers: Des mädchens klage 255.

Lachmanns behandlung der Nibelungen- frage 465 fg.

Lefranc de Pompignan siehe Schlegel.

lügendichtung des Schnepperers aus einer handschiift des germanischen museums 317 320.

Luther, entstehungszeit des Lutherliedes 252 fg. oberdeutsches glossar zur bibel- übersetzung in dem Basler nachdmcke des Thomas ^Vjlf 325 336.

märchen. analogien zum Tellschuss in siebenbüi'gischen m. 100 114.

506

I. SACHREGISTER

Metastasios Didoue siehe Schlegel, mhiuegesang. aiisdruck des iiaturgefühls

iiii m. imd in der vaganteudichtuDg

455 fg. mittelhochdeutsch, kau, eiitwictlimg

der bedeutung 13 16. absoluter ge-

braucli 16. mit substantivischem objekt

16 21. mit dem infiuitiv 21 33.

mugen 46 57. absoluter gebrauch 47.

mit objekt 47 fg. mit dem iufinitiv 48

57. vgl. grammatik. Morolf. datierung des gedichtes 477. 481

fgg. Morolfstrophe 486 fgg. vgl. Oreudel. Miillenhoff und Scherer, althochdeutsche

denkmäler 466. Nibelimirenlied. über den stil des N.

457 fg. Lachmanns behaudluug der

Nibeluugenfrage 465 fg. Notker. schluss seiner rhetorik aus einer

Bmsseler handschrift 277 286.

Oreudel. die dem gedieht zu gninde lie- gende sage 470. analogien zwischen dem 2. teile des gedichtes und dem des Eother 470 fg. der gruudbestand der Orendelsage 470 476. datie- rung der urspriingüchen forai des ge- dichtes 476 487. angebliche ent- stehung des Orendel vor Morolf und dem jüngeren Oswald 477. datierung des lezteren 478 fgg. Herzog Ernst kein spielmanusgedicht 478. datierung des Morolf 481 fgg. angebliche historische anhalte zui* datierung des Orendel 483 fg. kulturhistorische 484 fg. sprachliche 485 fg. die Morolfstrophe = ursprüng- liche form des originales 486 fg. unter- scheidmig von älteren und jüngeren be- standteilen 487 fg.

Oswald, der jüngere, datierung 478 fgg. vgl. Orendel.

Panthirios, Panthir siehe Digenis.

passional. Dresdener bruchstücke des pass. K 321 324. Clevisches bruchstück aus dem 2. teile 324 fg.

Philologie, zweck und begriff der (ger- manischen) ph. 462 fg.

physiologus. Augustin über die fulica 237. handschriften des ph. 238. erklärung der Verbreitung der tiergeschichtlichen Züge in weitere kreise 240 fg. einwir- kung auf die fabeldichtung des mittel- alters 241.

Porphirius siehe Digenis. quodhbet des XV. Jahrhunderts aus einer Münchener handschrift 312 317.

roman. Ziglers Asiatische banise 60 92. 168 213. vgl. diesen. quellen zu Grimmeishausens SimplicissimiLS 93 99. vgl. diesen.

Rother, könig, analogien zwischen diesem und Orendel 470 fg.

runen, bedeutuug des woiies 468.

Lieder -Edda.

VO"!

Analogien

Scherers und MüUenhoffs althochdeutsche denkmäler 466. Seherers bedeutung für die germanisclie philologie 467 fg

Schillers Wilhelm Teil

zum Tellschuss in einem siebenbür gischen märchen 99 102. in dem bul- garischen von Digenis 103 fgg. vgl. die- sen; schuss des Serbeuhelden Milosch 102. analogie in dem szekler märchen von Tschalo Pischta 106 fgg. in einem armenischen märchen 109 fgg. in einem zigeunermärchen 111 114. Des mädchens klage , beeinflusst von zwei stücken der Herderschen Volkslieder 255.

Schlegel, Joh. Elias, seine Dido ab- hängig von Lefrancs de Pompignan Didon 231. Verhältnis zu Metastasios Didoue 232. aufführung des ins fran- zösische übertragenen Arminius in Pai'is nach Grimms bericht 232 fg. Canut von Lessing erwähnt 234.

Schnepperer, der, eine lügendichtung von ihm aus einer handschrift des germani- schen museums 317 320.

Serbisches märchen siehe Schiller.

Siebenbürgisches märchen siehe Schiller.

Snorris tätigkeit an den grammatischen abhandlungen der Snorra-Edda siehe diese.

Szekler märchen siehe Schiller.

Tellschuss, analogien dazu aus sla vi- schen mjirchen siehe Sclüller.

I^ordarsous, Olaf, tätigkeit an der IQ. grammatischen abhandlung der Snorra- Edda siehe diese.

Vagantendichtung, ausdruck des natui- gefühls im minnegesang und der v. 455 fg.

Wackernagels Jugend 466 fg.

Walter von Dunsin (Gautier de Dcnct, Gauchier de Doudain) , sein gedieht von Parcivals gralsuche (= Berner manu- script) 445 fg. vgl. Wolfram.

Werben, um städte. in einem Schwei- zer gedieht aus dem jähre 1676 336 fg. zwei weitere Personifikationen der Schweiz in Gengenbachs : Der alt Eydgenoss 337. und in der dramatischen bearbeitung des Joh. Casp. AVissenbach 337 fg. in H. Sachsens klaggespräch der stadt Nürnberg dieses als fräulein 338 fg. andre beispiele dazu aus dem 16. Jahr- hundert 339 fgg. Nürnbergs vier fräu- lein in H. Sachsens lobspruch 341. in liedern auf die belagerung Magdcbui-gs

n. VERZEICHNIS DER BESPROCHEXEN STELLEN

507

Chi-istiis der verlobte der stadt 342 fgg. cähnlicho anscliauungen in liedern des IG. 18. 19. Jahrhunderts 344 - 347. fik- tiou eines liebosverhältnisses zwischen Leipzig und Gustav Adolf 347 fg. Nürn-

bergs und A^^^llcnstoins 349.

Vergewal-

tigung Magdebui'gs durch Tilly 349 fgg. ähnliche, auf Strassburg bezügliche lio- der 351 fgg. gespräch zwischen Eng- land und Ru^-ter 353. lied auf die be- Lagerung Eheinfelds 1678 353. auf die Schlacht bei Mali)laquet 354. auf ereig- nisse des siebenjährigen krieges 354 fg. dramatische Verwertung der umkehrung des gedankens 355 fgg. sowie in lie- dern des 16. und 17. jalirliundeiis 357 360. .„um Städte werben'^ in Schen- kendorfschen und Rückertschen liedern 360 fg. in liedern aus dem deutsch - französischen kriege 361 fgg. in Uli- lands Konradin und Scheffels Trompe- ter 363 fg. beispiel aus neuster zeit 364.

Wisse, Claus, und Philipp Colin, Über- setzer und bearbeiter der französischen graldichtung 289 fgg. vgl. "Wolfram.

Wolfram von Eschenbach, es gibt keine gralsage, sondern nur eine gral- dichtung 287. erstes werk über den gral: Robert de Borons le pctit gral 287 fg. deutsche bearbeitung der fran- zösischen fortsetzungen von Crestiens C/Onte du Graal durch Claus Wisse und Philipp Colin 289 fgg. exemplar der- selben in der Casanatischen iDibliothek zu Rom 291 fg. Inhaltsangabe 293 311. 427 444. die französischen vor-

lagen 444 451. Parzivals gralsuche nacli dem gedieht Walters von Dunsin (:= Berner manuscrii»t) 445 fg. vgl. die- sen. Borons dichtung 446 450. am Schlüsse dos ersten teiles beziehung auf lokale Verhältnisse (Tleinricli graf von Blois) 447 fg. unter Borons nachahmern auch Crestien 4.')0 fg. vergleich der französischen graldichtung mit der deut- schen 451 454.

Ziglers Asiatische baniso: bibliogra- phisches und biographisches 60 anm. 1. ibitsetzungen , bearbeitungen, nachali- mungen 62 anm. 2. beliebthcit dos buches 62 fg. litterarhistorisclio ur- teile 64 fg. inhaltsangabo 65 68. komposition 68 74. 88 fgg. ver- liältnis zu Balbi 75 fg. vgl. diesen, zu Erasmus Francisci 77 80. vgl. die- sen, zu sonstigen quellen 81. geogra- phische und naturhistorischc excurse des Werkes 82 fg. Übertragungen deut- scher verkehrsfoi'men 84 fg. kriegs- schilderungen 85. sonstige europäische reminiscenzen 86 fg. lokalfärl)ung 87 fg. ausblicke auf das, was kommen soll 90 fgg. kunstmittel 168 fg. figuren des romanes 169 183. mittel der darstel- lung 183 189. spräche und gefühls- welt des dichters 189 200. sprich- wörtliche redewendungen 200 fgg. an- spielungen auf europäische zeitverliält- nisse 202 205. vergleich der drama- tischen bearbeitung der Bruniusscheu truppe 206 213. vgl. diesen.

Zigeunermärchen siehe Schiller.

IL VERZEICHNIS DER BESPROCHENEN STELLEN.

Eine lausavisa desHromundr

lialti s. 383 fg. Beowulf

901—915 s. 385 393. 1404 1407 s. 393 397. Altdeutsche predigten (ed. Schönbach) H B. 5, 4 s. 115 fg. 8, 10 s. 116. 12, 30 s. 119. 19, 8 s. 116. 19, 24 fgg. s. 116. 28, 10 s. 116. 30, 18 s. 116. 37, 8 s. 116. 42, 11 s. 116. 45, 37 s. 116 fg. 50, 2 4 s. 118.

51,

10

s. 117.

51,

37

s. 117.

52,

14

s. 117.

54,

24

s. 117.

55,

16

s. 117fg

63,

37

s. 118.

65,

24

s. 118.

73,

1

s. 118.

80,

2

s. 118.

81,

12

s. 118fg

83,

13

s. 119.

103,

8

s. 119.

104,

20

s. 119.

119,

23

s. 119.

119,

33

s 119 fg

121,

4

s. 120.

126,

13

s. 120.

131,

16

s. 120.

135, 22 s. 120 137, 20 s. 118 145, 7 145, 9 147, 17 s. 120.

151, 16 s. 120.

152, 30 156, 3 162, 39 s. 120, 167, 15 s. 120.

König Tirol 9, 5 s

s. 120. s. 120.

s. 118. s. 120.

29, 6 s

244. 244.

36, 7 s. 244. 38, 5 s. 244. 41, 2. 3 s. 244. Orendel

228 s. 490.

508

m. -WORTREGISTER

Orendel

232

s. 490.

401/4. 407/12

s. 490.

458

s. 490.

507

s. 490.

666

s. 490.

894

s. 490.

973

s. 490.

1205

s. 490.

12S4

s. 490.

1299

s. 490.

1405 s. 490.

2429 s. 489.

1446 s. 490.

2496 s. 490.

1509 S.490.

2590 s. 490.

1587 s. 490.

3148/9 s.490.

1632 s. 490.

3173 s. 490.

1637 s. 490.

3227 s. 489.

1661 s.490.

3454/5 s. 489.

1788 s. 490.

3490 s. 472 fg

1874 s.490.

3647 s.490.

1878 s.490.

3806 s. 489.

1888 s. 489.

m. WORTREGISTER

Altfriesiseh.

Acht, Achte s. 274 fg. Acta via s. 276. alaesiagen s. 261. Almenum s. 271. Axing s. 274. 276. Baduene, Badwene s. 268, Badunät s. 272 fg. BafÜo s. 271. Bangstede s. 274 fg. Bede s. 264 270. Berstede s. 274 fg. bodthing (bed- badu-) s. 264

270. Es-thing s. 273 fg. Fimel s. 272. Fimmilene s. 264 270. fimnielthing s. 264 270.

Frithuuut s. 273. Imdthing s. 272 fg.

Öchtlebiu'en s. 274 fg. Saxing s. 274. Things s. 265 fg. Tiuthiug s. 272 fg.

Altnordisch.

hQfudstafir s. 144 anm. 1.

Mittelhochdeutsch.

bongen (bouc) s. 490. stiing (stuuge) s. 117.

yeiihochdeiitsch.

abwevhen (bei Goethe) s. 254 fg.

beithun s. 329.

byenen (bie) s. 330 und

anm. 1. fale s. 330 fg. feige s. 330. feil s. 331 fg. früolinge s. 331. gemaug s. 332. Schulter s. 334. Schicht s. 333. schifflend s. 329. stufe s. 334. tappe s. 335. verdachter s. 335. walgung s. 330 fg. wansinu s.

335.

Halle a. S. , Buchdrockerei des Waisenhauses.

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PF 3003

Z35 Bd. 22

Zeitschrift für deutsche Philologie

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