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Zeitſchrift

Pbiloſophi⸗ und hiloſopbiſche

Krit tik, u & Sf oa | im Bereine mit mehreren Gelehrten herausgegeben

von

Dr. 3. 8. Fichte, Profefjor der Philofophie an der Univerfität Tübingen, Dr. Hermann Ulrici, außerordentlichen Profeſſor der Philofophie an der Untverfität Halke, und

Dr. 3. U. Wirth,

evangel, Pfarrer zu Winnenden.

Neue Folge., Awriunddreißigfier Band.

Dalle, 6. E. M. Bfeffer. 1858,

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Inhalt.

Das pfuchifche Maß. Von ©. Th. Fechner F

Der geſchichtliche Eintritt ontologiſcher eweleführung für das Daſeyn Gottes. Bon Dr. R. Seydel.

Zur Sprachphiloſophie. Von Dr. Steinthal.

MRecenfionen. Dr. A. Carlblom: Das Gefühl in feiner Bedeutung für den Glauben, im Gegenfag zu dem Intellectualismus inner« Halb der Tirchlichen Theologie unferer Zeit. Yon H. Ulrici Dr. 5. ®. Ih. Schliephake: 1) Die Grundlagen des fitte lichen Lebens. Gin Beitrag zur Vermittlung der Gegenfüße in, der Ethit. 2) Einleitung in das Syitem der Philoſophie.

Bon Prof. Sengler. . . ... Franz von Baader’s ſämmtliche Werke. Bweiter Artikel. Bon J. U. Wirth..

Dr. Wilh. Fridolin Volkmann: Grundriß der Pfychologie vom Standpuncte des philoſophiſchen Realismus nach geneti⸗ ſcher Methode, als Leitfaden für academifehe Verleſangen und zum Selbſtſtudium. Von Prof. George

Erwiderung auf das Referat des Herrn Michelet über meine . Metaphyfik. Don Prof. Dr. Apelt . . . .

Schelling's Ppoltoſophit der VNythologie Von J. 6. Erd»

mann. .. . oe. o ..

Bur Errophifofongte Don Dr. Steintyat, Zweite Artikel.

Das Problem der Philofophie und feine geſchichtliche Evolution. Ton Prof. Dr. Monrad. Erfte Hälfte. .. ..

Recenfionen.

Chriſtian Earl Joſias Bunfen: Gott in der Geſchichte oder der Kortfchritt des Glaubens an eine ſimiche elnregierung. Bon H. Ulrici. . 2. 2 20. .

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IV

Couſin's philoſophiſche Thättgkeit feit 1853. Bon Dr. Jür gen Bona Meyer. - 2: 2 2 0002 ren

Robert Schellwien: Kritil des "Materialiemus. Don 9. u [ r i i. . . U} ® . oe * ® [1] } ® ® eo ® v } \

F. 9. Germar: Die alte Streitfrage: Glauben oder BWiffen ? Beantwortet aus dem bisher verfannten Berbältniffe von Tact und Prüfung, Glauben und Wiffen zu einander und zu den Wiſſenſchaften, befonders zur Philoſophie. Bon 9. Ulriieeeee. en

Preis« Aufgabe. .. Bibliographie.

L Verzeichniß der im In⸗ und Auslande neu erlhienenen Be Iofophifhen Schriften. . ». . 2 > 0.

II. Verzeichniß philoſophiſcher Artikel in deutſchen, ſangdſtſchen. engliſchen und italieniſchen Zeitſchtiftenn. 0...

Berichtigungen.

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Das piuchifche Mafl. Bon ©. Th. Fechner.

Es ift bekannt, wie weit man in der Schärfe ber Maße auf phufifchem Gebiete gelangt ift. Zeit, Ausbehnung, Gewichte, Licht, Wärme, Electricität, Alles unterliegt genauen Maßen. Dem gegenüber hat man an das Pſychiſche bisher jo gut ald gar fein Maß anzulegen vermocht, und es fragte ſich felbft, ob der Man- gel eined Maßes pfychifcher, geiftiger Größen wenn anders der Mangel des Maßes den Ausprud Größe noch geftattet nicht in der Natur derfelben fo wefentlich begründet fey, daß an eine Hebung deſſelben nicht zu denken, ob nicht das Geiftige das Vermögen ber Mathematik in dieſer Hinficht überfteigt. In ver

- That ift Died eine verbreitete, und von Manchen wohl felbft mit

Vorliebe feftgehaltene Anftcht, welche nicht einmal dad Förperlich Organifche, gefchweige dad Geiftige in mathematische Feſſeln ges ſchlagen haben möchten. Inzwifchen dürften alle Speculationen über Möglichkeit oder Unmöglichkeit eines pſychiſchen Maßes bes endigt feyn, wenn fich ein folcyes wirklich aufzeigen läßt. Um eine folche Aufzeigung nun hanbelt es ſich in einer Schrift, welche demnaͤchſt unter dem Titel „Elemente der Pſychophyſik“ von mir ericheinen wird, auf die ic) durch folgende auszugsweiſe Wieder- gabe des Inhaltd einiger Hauptkapitel die philofophifche Aufmerks jamfeit vorweg Hinzulenfen wünfchte. Zunächft gilt es darin nur

das Maß der Empfindung, denn, obwohl zu hoffen fteht, daß bie

Anwendungen des pſychiſchen Maßprincipes Fünftig weiter reis chen werben, find fie doch, abgefehen von Folgerungen fehr alls gemeiner Ratur, bis jegt nicht weiter gediehen; wonach es felbft jedem freiftehben mag, die Meßbarkeit im geiftigen Gebiete auf Empfindungen eingefchränft zu halten, bis ſich mit der weitern Ent⸗ widlung ber Lehre dieſe Schranke bereinft von felbft heben wird.

Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritik. 32. Band. 1

2 ®. Th. Fechner,

Im Allgemeinen kann nicht in Abrede geftellt werden, daß das Geiftige eine quantitative Seite hat. Sollten aber Quan⸗ tität und Mag nicht endlich überall correlat gefunden werden? Die Helligkeit des Bewußtfeynd fteigt md fällt, die Aufmerkſam⸗ feit fpannt fi ab und an; Empfindungen, Gefühle, Triebe, Wil Iensintentionen find ſchwach und ſtark. Nur daß das einem Je⸗ ben geläufige Urtheil feine Ausfage blos über ein Mehr oder Weniger oder ein Gleich in diefen Beziehungen, nicht aber über ein Wievielmal giebt, was zu einem wahren Maße erfordert wirb und welches zu gewinnen es gelten wird.

Diefer Schmerz ift ftärfer ald jener, aber ift er doppelt, dreimal fo far? diefe Lichtempfindung ift ftärfer als jene, aber ift fie doppelt, dreimal fo ftarf? wer mag es fagen? Gleichheit im Empfindungdgebiete vermögen wir unter gewiffen Berhältnifien wohl zu beurtheilen und das photometrifche Maß 3. B. fußt ganz darauf. Ic zeige in meiner Schrift, wie fich ein folches Urtheil auf alle Sinmesgebiete verallgemeinern und zu großer Schärfe erheben läßt. Aber damit haben wir nod) fein Maß.

Wir haben damit nod) fein Maß, aber wir haben damit die Unterlage ded Maßes, welches das Wievielmal des Glei- hen und alfo vor Allem die Beurtheilung des Gleichen ver- langt. In der That wird fich zeigen, wie unfer pſychiſches Map prineipiel auf nichts Anderes hinauskommt, als das phufifche, auf die Zählung eines Wievielmal des Gleichen.

Umfonft freilich) würden wir verfuchen, eine ſolche Zählung bireet vorzunehmen: bie Empfindung theilt ſich nicht in gleiche Zolle oder Grade ab, die wir zählen fönnten. Aber iſt es mit phyſtſchen Größen anders? Zählen wir denn die Zeitabfehnitte direct an der Zeit ab, wenn wir die Zeit meſſen, bie Raumab- ſchnitte direct am Raume ab, wenn wir den Raum meſſen? Biel mehr, wir legen einen Außerlichen Maßftab an, und zwar an bie Zeit einen Maßftab, der nicht aus bloßer Zeit, an ben Raum einen Maßftab, der nicht aus bloßem Raum, an die Ma- erie einen Maßftab, ber nicht aus bloßer Materie beſteht. Das Maß eined jeden der Drei forbert beides Andere mit. Zu je

Dag pſychiſche Map. 3

der Elle, mit der man eine Ausdehnung mißt, bedarf es außer der Ausdehnung der Elle noch der Materie der Ele und ber fucceffiven Superpofition der Elle über die zu meflende Ausdeh⸗ nung, alfo der Zeitz zu jedem Gange des Uhrzeigers, mit bem man bie Dauer einer Zeit mißt, bedarf ed außer der Dauer des Uhrzeigerö auch noch der Materie und ber Bewegung des Uhr: zeigers durch ben Raum. Auch Gewichte Fann man nicht ab« ſtract durch Gewichte meſſen; der Gebraudy der Wage fchließt feinerfeit8 die Hinzunahme von Raum und Zeit ein. Sollte es im geiftigen, pfochifchen Gebiete nicht entfprechend fern? Daß man doc das Mag des Piychifchen immer im reinen Gebiete bes Pſychiſchen gefucht hat, mag ein Hauptgrund feyn, daß man es bisher nicht finden konnte.

Es ſcheint, daß man in dieſer Hinficht oft etwas verwech⸗ felt hat. Jede Größe kann nur auf eine Maßeinheit ihrer Art bezogen werben und in fofern kann man allerdings fagen, Täßt fih Raum nur durch Raum, Zeit nur durdy Zeit, Gewicht nur durch Gewicht meflen; aber ein Anderes ift es mit den Maß⸗ mitteln, und dem Maßverfahren. Infofern die zu meſſen⸗ den Größen nicht abftract in der Natur der Dinge beftehen und fih nicht von einander abftrahiren und abftract von einander hand⸗ haben laſſen, kann man auch die abſtracte Maßeinheit und ein Mapverfahren damit nicht in der Natur der Dinge finden, und ed fommt nur darauf an, das praftiiche Maßverfahren mit ven concreten Maßen der Wirklichfeit fo einzurichten, daß die Grös Benbeziehung bed zu Meflenden zur Maßeinheit ſich boch rein herausſtelle. |

Alfo werden wir, wenn wir an ein Maß des Pinchifchen, ald wie der Stärfe von Empfindungen und Trieben, der In⸗ tenfität unferer Aufmerffamfeit, der Helligkeit unferes Bewußt⸗ ſeyns u. |. w. denken wollen, dafür allerdings auch eine Maß⸗ einheit berfelben Art verlangen müflen, aber nicht die Maß- mittel ımd das Maßverfahren nothwendig auch im reinen Gebiete des Pſychiſchen zu fuchen, fondern ſolche nur fo einzu sichten haben, daß eine reine Beziehung auf eine pſychiſche Maß⸗

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4 | G. Th. Fechner,

einheit daraus hervorgehe. Es wird niemals möͤglich ſeyn, eine Empfindung unmittelbar ſo über die andere zu legen, daß ein Maß der einen durch die andere erwachſe; aber ed kann durch Zuziehung von etwas Anderm, woran die Empfindungen fo gut gefnäpft find, ald die Ausdehnung der Ele an die Materie der Elfe, möglich feyn, ein Maß der Empfindungen zu gewinnen, Woran aber follen wir in diefer Beziehung denken?

Ohne auf unbeftimmte Mögrichkeiten einzugehen, wende ich mich zur Expofition der. Sache.

Das phyfifhe Map ftügt fi in feinem allgemeinften und lebten Grunde darauf, daß gleich viel und gleich große pfychiſche Eindrüde durch gleich viel und gleich große phy- fifche Urfachen erzeugt werben, deren Wievielmal durch das MWievielmal jener pfychifchen Eindrüde beftimmt wird, indem bie Größe ber Urfache, welche den einmaligen piychifchen Eindruck erzeugt, als Einheit untergelegt wird. Wie wir nun folcherge- ftalt das phyfiſche Maß nur auf Grund der Beziehung des Phy- fichen zum Pſychiſchen gewinnen fönnen, werden wir umgefehrt das pſychiſche Mag auf Grund derfelben nur in umgefehrter Rich⸗ tung verfolgten Beziehung gewinnen.

Wir werden fo zu fagen den Reiz, das Anregungsmittel ber Empfindung, als Elle an die Empfindung anlegen, , Unftrei- tig fehr einfach, wenn fi die Empfindung ohne Weiteres dem Reize proportional ſetzen ließe! Doch das ift nicht ftatthaft. We⸗ ber find wir dazu berechtigt, fo lange und nicht ein ſchon gewonnenes Maß die Vroportionalität der Empfindung mit dem Reize verbürgt, noch wird das wirklich gewonnene Maß die. Pro: portionalität beftätigen. Aber ein anderes, auf feiner Voraus- fegung fußendes, Princip fteht zu Gebote.

Die Gleichheit nicht nur von Empfindungen, fondern auch von &mpfindungsunterfchleden, Eupfindungszuwüchſen läßt fich beurtheifen, und zwar fehr genau beurtheilen, ohne noch ein Maß der Empfindung zu haben. Ich führe in der Schrift drei, unten in Kürze zu charakterifirende, Methoden dazu an, von benen zwei ſchon früher erfolgreiche Anwendung beim Maße zwar nicht ber

Das pfychiſche Maß. | .5

Empfindung aber der Empfindlichkeit gefunden haben, und gebe nach fortgefegten und vielfach varlirten Beobachtungen, welche mich feit faft zwei Jahren befchäftigt haben, die Regeln , welche die genaue Ausführung diefer Methoden fichern.

Die Möglichkeit der Eonftatirung der Gleich— beit von Fleinen Empfindungsunteridhieden, Em: pfindungszuwüchfen unter abgeänderten Reizver- bältniffen durch diefe Methoden, ift bie Hauptun> terlage bes Maßes.

Mit Hilfe diefer Methoden nun unterfuchen wir experi- mental, während fi die Empfindung mit Wachsthum eines Reizes fteigert, wie große Zuwuͤchſe des Reizes nöthig find, um die Empfindung um einen erften, zweiten, britten gleichen Zu⸗ wuchs, u. f. f., Furz fortgehends um neue gleiche Zumüchfe zu - fleigern. Es zeigt fidy, dag die hierzu erforderlichen Reizzumüchfe mit wachſender Empfindung fortgehenb8 wachſen und das Expe- timent führt zu einem beflimmten, eines fcharfen Ausprudes fähigen, Gefete in biefer Beziehung. Indem nun die Zahl der Reizzumüchfe, welche fortgehends gleiche Empfindungszumüchfe her⸗ vorbringen, zugleich die Zahl diefer gleichen Empfindungszumüchfe ift, ift mit der Zahl der einen zugleich die Zahl der andern be: ftimmt, in ber Zahl der legten, der einander gleichen Zus wüchfe aber, aus beiten die ganze Empfindung vom Rullzu- ftande an erwachfen ift, unmittelbar dad Maß der ganzen Ems pfindung gegeben, wobei wir nur beliebig einen einzelnen Empfin- dungszuwuchs oder eine gegebene Summe berfelben ald Einheit unterzulegen haben

Principiellalfowirdb unfer Maß der Emfindung darauf hinauskommen, jede Empfindung in gleiche Abtheilungen, d. ſ. die gleichen Incremente oder Zuwüchſe vom Nullzuſtande an zu zerlegen, und die Zahl dieſer gleichen Abtheilungen zu zählen. Die Zahl dieſer Abtheilungen aber wird als wie durch die Zolle eines Maßſtabes durch die Zahl der Reiz— zuwuͤchſe beſtimmt werden, welche die Empfin—

6 ©. Th. Fechner,

bungszuwücdfe hervorzubringen im Stande find, wie wir ein Stüd Zeug mefien, indem wir die Zahl der glei- chen Abtheilungen deffelben nad) den Abtheilungen der Elle ab- zählen, welche fie zu beden vermögen; nur daß flatt des Deckens hier das Hervorbringen fteht. Kurz, wir befiimmen dad Wieviels mal der Empfindung, was wir birect nicht zu beftimmen vers mögen, durch eine Zählung des Gleichen, was wir direct zu bes ſtimmen vermögen, leſen aber die Zahl nicht an der Empfindung, fondern am Reize ab, der die Empfindung mitführt, und fie leich- tee ableſen läßt. .

Für den erften Anblick freifich mag ſich dieſes Maß viels mehr wie eine müßige theoretifche Speculation, denn als praftifch ausfuͤhrbar barftellen, und eine Schwierigfeit über die andere das gegen fich aufzuthürmen fcheinen. Wir follen: 1) eine Empfin⸗ bung in ihrem Wachsthum ergreifen; aber entweber treffen wir die Empfindungen als ſchon erwachfen, oder fie wachſen zu fchnell, um ihr Wahsthum beobachten zu koͤnnen; dabei flört bie Beob- achtung der Empfindung die Empfindung und die Empfindung umgefehrt die Beobachtung. Wir follen 2) die einzelnen Ins cremente der Empfindung unterfcheiden, aber die Incremente ber’ Empfindung fließen in einander. Wir follen 3) die fuccefftven Empfindungsineremente einander gleich nehmen; aber wie halten wir fie in gleicher Größe auseinander? Wir follen A) die Zahl berfelben fummiren; aber wird nicht die Zahl derfelben unendlich feyn, und die Summation dadurch unausführbar werben?

Alle diefe Schwierigkeiten find triftig erhoben, denn es find wirflihe Schwierigfeiten. Man darf nicht meinen, daß das piychifche Maß mit dem Gedanken baran auch fertig ift; ja nicht einmal der Gedanke deſſelben konnte auf bloßem Ges dankenwege fertig werben; und nachdem man es lange unmög- lich gehalten, ein pfochifches Maß zu finden, Tann man es nicht auf einmal gefchenkt verlangen, Aber zuwörberft ift Fol⸗ gendes im Allgemeinen zu erwieben: Das Princip des Mas Bes ift nicht mit dem Maße felbft zu verwechfeln. Wenn alles dad, was principiell in dad Maß eingeht, auf einmal und in

Das pſychiſche Map. 7

jedem einzelnen Balle der Meffung von Neuem verwirklicht wers ben müßte, fo würbe allerdings das pſychiſche Maß unausführs bar feyn. Aber die principiellen Forderungen ded Maßes bes deuten nichts Anderes ald Forderungen, wonach die Maßmittel einzurichten find. Sie find aber fo einzurichten und laſſen ſich, wie aus bem Bolgenden erhellen wird, fo einrichten, daß bie Schwierigkeit und Mühe wur in bie Eonftruction, nicht mehr in die Anwendung berfelben. eingeht. Erinnern wir uns auch in biefer Beziehung an die analogen Berhältniffe des phyſiſchen Maßes. Um nur den einfachften phyſiſchen Maßſtab, einen Maß⸗ ſtab für räumliche Ausdehnung, zu conftruiren, bedarf es, fol er genau ausfallen, großer Sorgfalt, vieler Vorarbeit und Hülfs- mittel. Ja, was mußte nicht alles norausgehen, che ber erfte genaue Maßftab fertig ward. Iſt aber ein folcher einmal fers tig, fo ift er leicht angelegt und find andere verhältnißmäßig leicht nach ihm gefertigt. Wie viel mehr gilt das noch von andern phyſiſchen Mafmitteln, einer Uhr, einer Waage u. |. w. Ganz das Entfprehende wird fich in ber Conftrustion des pſychiſchen Maßftabes zeigen. Die erfte Conſtruction beffel- ben, und bei diefer ftehen wir erſt noch, wird eine fchwierige und mühfelige ſeyn. Dan kann aus meiner Schrift fehen, welche Mühe darauf von mir gewandt worden ift, und welche ich noch dafür in Anfpruch nehme; nur daß die Schwierigkeit und Mühe hier auf einem ganz andern Umftande ruht, als bei ber Conftruction eined phyſiſchen Mapftabed. Statt der ypeins lichen gleichen Theilung eines Förperlihen Maßſtabes gilt «8 hier die peinliche Ermittelung und Conftatirung des Geſetzes, welches und die Ineremente des Reized und ber Empfindung auf einander beziehen und hiernach von ber Reizgröße auf die Empfindungdgröße mit Eind jchließen laͤßt. Alle erhobenen. Schwierigkeiten machen ſich hierbei geltend; doch nicht auf eins mal, und es ift nicht nöthig, fie auf einmal zu überwinden, Experiment und Rechnung unterflügen ſich aber, fie überwinden zu lafien; und fie find fo weit überwunden, daß man jagen

8 G. Th. Fechner,

kann, ein Maß iſt da, wenn ſchon noch viel an ſeiner Ausar⸗ beitung und Feſtſtellung für alle einzelnen Verhältniſſe fehlt, fuͤr die es anzuwenden ſeyn wird.

Wenden wir und hienach zu einer etwas eingehenderen

Betrachtung. Nach dem allgemeinen Eontinuitätögefepe ſteht feine Empfindung abrupt und ploͤtzlich auf ber vollen Hoͤhe, über bie fie nicht gedeiht, fondern durchläuft som Grabe ber Unmerflichfeit alle Zwifchengrabe, oft freilich im fo kurzer Zeit, daß und die ganze Empfindung plöglih da zu ſeyn fcheint, wie und auch eine Variation der Helligkeit gber Farbe im Raume in Eins zufammenzugehen fcheint, wenn fie ſich in fehr engem Raume znfammenbrängt. Die Bezugnahme auf ein Ans fteigen der Empfindungen von Null an durch immer neue Incremente ' bis zu ihrer vollen Höhe ift alfo Feine Fiction, ſondern entipricht ber Natur der Dinge. Sie ift aber zugleich ein Kunftgriff, welcher uns das Maß der Empfindung überhaupt nur möglid macht. ‚bie ſchon erwachfene Empfindung läßt fi fein Maß anlegen, infofern fich Feine Theile darin unterfcheiden Taffen. Wohl aber laſſen fi) in der wachjenden Empfindung die Ineremente, aus benen fie erwächft, als folche unterfcheiben.

WVron gewiſſer Seite bringt und biefer Kunftgriff für bie Behandlung ber pfychifchen Größen ähnliche Vortheile, als ber entiprechende Kunftgriff für die Behandlung der Raumgrößen. Eine Curve, eine Fläche Liegt gegeben vor, aber die Infiniteſi⸗ malrechnung, ftatt fie ald eine im Ganzen gegebene zu faflen, läßt fie aus ihren Incrementen erwachſen und gewährt ben ges naueften Einblid in die ganzen Berhältniffe beifpielöweife der Eurve, indem fie einen allgemeinen Ausdruck dafür giebt, wie ſich zum fortgehends conftanten Incremente der Abfeiffe das variable Inerement der Ordinate, zum fortgehends conſtanten Ax das variable dy verhält. In ganz entfprechender Weife läßt fih ein allgemeiner Ausdrud bafür geben, wie ſich zum fortge: hends conftanten Incremente ber Empfindung das variable Ins erement des Reizes verhält, und hieraus eine Function zwifchen Reiz und Empfindung ableiten, welche nicht minder durch eine.

Das pfochifche Maf. 9

Gleichung zwiſchen x und y ausdrückbar, und, wenn man will, durch eine Curve repraͤſentirbar if. Durch eine-Sumction die⸗ ſer Art werden wir uns das beziehungsweiſe Zaͤhlen der In⸗ eremente non Reiz und Empfindung erſparen können, indem dieſe Funetion felbft das genauefte, bis zu den Eleinften Incrementen gehende, Zählen dieſer Art vertritt. Nur zur gründlichen Er- läuterung des Princips bleibt es immer noͤthig auf dieſes zu⸗ růckzugehen.

Man bezweifelt vielleicht, daß eine Empfindung auf ihrer vollen Höhe der Summe der Incremente gleich zu ſetzen fen, aus benen fie erwäͤchſt. Damit aber würde man bie quantita= tive Vergleichbarkeit ver Empfindungen felbft nach Mehr und Weniger und Gleich bezweifeln, die man boch zugiebt und zus geben muß, oder dad Ariom bezweifeln, daB das Ganze der Summe ver Theile gleichzufegen. Um dies einleuchtend zu fin ben, braucht man blos einer und berfelben Empfindung in ihren verfchiedenen Stadien eben fo viel verſchiedene Empfin- dungen von ber. Höhe biefer Stadien fubftituirt zu denken. Jede unterſcheidet fi von der andern und die niebrigfte von Rull um ein Gewiſſes, und es ift möglich, die Gleichheit dieſer Unter⸗ jhiede von je einer Empfindung zur andern erfahrungsmäßig zu conftgtiren. Danı aber kann man nicht umhin, den Unter: fchied der zweiten Empfindung von Null doppelt jo groß zu finden, als ber erften, indem fic zum Unterfchiede der erften von Null ein zweiter gleich großer Unterfchied gefügt "hat, und fo. fort durch die ganze Scala der Empfindung. Der Unter: ſchied einer Empfindung von einer Nullempfindung ift aber nichts Anderes als die Empfindung felbft.

Auch würde der- an fich nicht triftige Zweifel, der von biefer Seite her gegen dad Princip des Maßes erhoben werden möchte, von anderer Seite dadurch niedergefchlagen werden, daß das auf diefes Princip gebaute Maß wirklich erfolgreich und allwaͤrts triftig in bie erfahrungsmäßigen Verhältnifle eingreift.

Aber wie fol in einer wachfenden Empfindung die Iſola⸗ tion, die Beurtheilung der Gleichheit raſch ineinander fließender

10 G. Th. Fechner.

Zuwuͤchſe geſchehen, welche noͤthig iſt, die geſetzliche Beziehung derſelben zu den Reizzuwuͤchſen feſtzuſtellen, und damit die Function zwiſchen beiden, um die ſich's handelt, zu gewinnen? Bei den zufaͤlligen und laufenden Empfindungen des Tages waͤre es ‚unmöglich. Aber auch das Fallgeſetz iſt nicht an Steinen, bie vom Dache fallen, gewonnen. Das Experiment muß eintreten, und es fteht zur Begründung der pfycho - phyfifchen Gefege nicht minder zu Gebote ald ber phyſiſchen. Die Subftitution vers ſchiedener Empfindungen von abgeflufter Stärfe für eine an warhfende Empfindung in den verjchiedenen Stadien ihrer Stärfe -fommt und aud) hier zu Statten, und geftattet eine verhältniß- mäßig einfache Ueberwindung dieſer Schiwierigfeit fogar auf mehr als einem Wege.

Hebe ein Gewicht, hebe ein zweites, etwas größeres Ges wicht, du wirft einen Unterfchied der Schwere empfinden. Der Gewichtsunterſchied muß eine gewifle Größe haben, damit er eben merklich werde. Du fannft eine Unzahl Verfuche darüber anstellen, wie groß bei gegebenem Hauptgewichte der Unterfchied ber Gewichte, ber Zuwachs zum einem Gewichte, dad Gewichts⸗ inerement, feyn muß, bamit ein eben merkliches Empfindungs- ineremient entfiehe. Du kannſt daraus dad Mittel nehmen. Du kannſt denfelben Verfuch bei einem größeren Hauptgewichte vor⸗ nehmen. Du wirft finden, daß cin größerer Unterfchied ber Gewichte, ein größeres Gewichtsincrement nöthig ift, um aber» mals einen eben merflichen Unterſchied in der Empfindung der Schwere, ein eben merkliches Empfindungdincerement zu ers zeugen. Du kannſt dieſe Verſuche durch eine.ganze Scala von Gewichten fortfegen und dadurch zu einem Gelege kommen, welche Reizzuwuͤchſe, hier Gewichtszuwuͤchſe, ſich in ben niebern und höhern Theilen ber Reizſcala auf gleiche, d. i. in biefem Galle eben merkliche Empfindungszumächfe, beziehen. Du fannft entfprechende Berfuche im Felde ber Lichts, ber Ton⸗, der Tafte, der Temperatur⸗ und jeder Art Empfindung anftellen. Dieß ift aber nur einer, und zwar der minbdeft genaue von den drei Wegen, bie zu demſelben Zwed zu Gebote ftehen,

Das pfychiſche Maß. 11

und der doch in den Händen von E. H. Weber zu fchönen Re- fultaten geführt hat. Ich nenne die Methode, die dabei einge: ſchlagen wird, die Methode der eben merklichen Un- terfchiede, und erläutere noch kurz am felben Beiſpiel das Weſentliche der beiden andern.

. Nimm zwei gleiche und gleich belaftete Gefäße, und füge zu dem einen ein fo Feines Mehrgewicht, daß, wenn bu beide Gefäße vergleichungsweife aufhebft, ohne zu wiffen, in welchem dad Mehrgewicht Liegt, du dich auch wohl darüber täufchen fannft, welches won beiden ſchwerer iſt. Wiederhole nun biefes vergleichöweife Aufheben fehr oft, und zähle, wie viel richtige Falle und wie viel faljhe Säle unter der Gefammtzahl der Vergleichöfälle vorkommen. Es fommen auch Fälle vor, wo bu unentfchieden bleibft; diefe find nach dem Principe-der Methobe halb den richtigen, halb den falfchen Fällen zuzurechnen. Ein Gewichtsunterfchied gilt als gleich ſtark, als ftärfer oder ſchwaͤ⸗ cher empfunden, je nachdem er em gleiches, ein größeres oder kleineres Verhaͤltniß ber richtigen zu den falfchen Fällen giebt. So kannſt du nun unterfuchen, welche Zufaggewichte bei vers fchiedenen Hauptgewichten nöthig find, daffelbe Berhältnig rich⸗ tiger und falfcher Faͤlle und mithin vieſelbe Groͤße empfundener Unterſchiede zu erzeugen.

Dieſe Methode nenne ich die Methode der richtigen und falſchen Fälle.

Weiter: bringe das eine Gefäß Durch Belaftung auf ein. gegebened Gewicht, dann füge in das andere fd viel ungewoges nen Ballaft, bis es nad) Abwiegung mit ber Hand gleich ſchwer mit dem erften ſcheint. Es wird aber nicht wirflich genau gleich fchwer feyn, fondern bu wirft einen Sehler begehen, den du er: fennft, wenn du das zweite Gefäß’ dann mit der Wange wiegft. Notice diefen Fehler, wiederhole den Verſuch fehr oft, notire jes desmal den Fehler, und gewinne daraus einen mittleren Fehler. Wiederhole den Verſuch bei verfchiedenem Hauptgewicht, und vergleiche die dabei erhaltenen mittleren Fehler; und bu haft

12 G. Th. Schner.

darin den Vergleich gleich ſtark empfundener Gewichtsunterſchiede bei verſchiedenem Hauptgewicht.

Dies nenne ich die Methode der mittleren Fehler.

Alle drei Methoden erfordern zu ihrer genauen Ausfüh- rung viele Rüdfichten und Vorſichten, die nur die Ausführung ſelbſt allmälig Fennen lehrt. Es würde hier nicht der Drt ſeyn, davon zu fprechen, nachdem das Vorige hingereicht haben dürfte, zu zeigen, daß bier jedenfalls ein Ort für genaue Maße ift, und die Möglichkeit einer genauen Ermittlung gefetlicher Ver⸗ hältniffe zuoifchen Reiz und Empfinubung dadurch gegeben ift.

Nach alle dem wird das pfuchifhe Maß in Eonftruction wie in Anlegung minder leicht und einfach bleiben, als das phy- ſiſche; namentlich aus dem Grunde, weil Pei dem phyſiſchen Mage im Allgemeinen gleiche Abtheilungen des Maßſtabes glei⸗ hen Abtheilungen des zu mefjenden Gegenftanded entſprechen, wogegen ber Umftand, daß mit wachignder Größe des Reizes und der Empfindung immer größere Reizzumüchfe nöthig wer ben, um noch denfelben Empfindungszuwuchs zu erzeugen, ger wiffermaßen dem Falle vergleichbar iſt, daß ungleiche Abtheilun gen ber Elle gleichen Abtheilungen des zu meſſenden Gegens flandes entfprechen. Dies Hinbert zwar nicht, bei befannter Beziehung zwifchen beiden von der Zahl der einen auf hie’ ber andern zu fchließen, was dad MWefentliche ift, worauf es an- fommt. Aber die Größen des Neizes und der Empfindung find fi nun nicht mehr im Ganzen- proportional, und das einfachft- mögliche Verhältuiß, was ſich zwiſchen Mapftab und Object denken ließ und beim phyſiſchen Raums, Zeit- und Gewichts⸗ maß wirklich ftattfindet, befteht alfo zwifchen dem pfuchifchen Obs ject und feinem phyſiſchen Maßſtabe nicht. Dies ift ein zwei⸗ ter Grund, welcher die Auffindung des pischifchen Maßes ver- zögert hat.

Inzwiſchen lehrt dad Experiment, daß das nächft einfache Berhältniß befteht, was hier denkbar wäre. Es findet fich, daß, während die abfolute Größe ber Reizzumüchfe für gleiche Empfindungszumüchfe mit wachfender Empfindung felbft immer

Das pſychiſche Maß. 13

mehr waͤchſt, doch unter Vorausſetzung einer conſtanten Empfind⸗ lichkeit, welche ſich in gewiſſen Grenzen verwirklichen laͤßt, die verhältnißmäßige Größe dieſer Reizzuwüchſe ſich für gleiche Zuwuͤchſe der Empfindung fortgehends gleich bleibt, ſo daß im⸗ mer gleiche relätive Reizzuwuͤchſe gleichen Empfindungszu⸗ mwüchfen entfprehen; wenn wir unter relativem Zurduchs bie Größe des abfoluten Zuwuchſes, dividirt durch die Größe bes Reizes, zu dem er ftatifindet, verftehen.

Hiervon ift der Umftand, daß mit wachfender Empfindung die abjolute Größe der Reizzumüchfe für gleiche Empfindungs⸗ zumüchfe immer mehr zunimmt, felbft nur eine Folgerung, fofern bei dem mit der Empfindung wachfenden Reize derſelbe Berhälts nißtheil des Reizes nach Maßgabe abfolut größer ausfallen muß, als der Reiz größer wird, beffen Bruchtheil er bilbet.

Snfofern wir nun nad) Analogie mit den Mapftäben bes Phyfifchen zum Begriffe eines Mapftabes des Pfychifchen- forbern wollen, daß gleiche Abtheilungen des Mapftabes gleichen Abtheilungen ded zu meffenden Objectes entfprechen, werben wir auch diefer Forderung genügen können, indem wir nur als bie eigentlichen Zolle oder Abtheilungen bes pſychiſchen Mapftabes ftatt der abfoluten die relativen Reizzuwüchſe betrachten. “Die Beftimmung und Summirung fortgehends gleicher refativer Reiz zuwuͤchſe im Aufſteigen des Reizes und der Empfindung reprä⸗ ſentirt hiernach eine Summirung eben fo vieler zugehöriger gleicher Empfindungszumwüchfe, deren Summe wir nur auf eine Einheit ihrer Art zu beziehen Haben, um ein Maß ber ganzen Empfindung zu haben.

Streng genommen nun ift biefe Summirung mit unends lich Heinen Zumüchfen vorzunehmen, weil nur für unendlich Heine Zumwüchfe der Empfindung die zugehörigen relativen Reiz- zuwüchfe einen genau beftimmbaren Werth, haben. Denn wollen wir ben relativen Reizzuwuchs für einen endlichen Empfindungs⸗ zuwuchs auf einmal betrachten, fo ift in Betracht zu ziehen, baß ber Reiz hierbei im Aufſteigen ſelbſt verfchiedene Größen durchlaͤuft, von denen jede Anfpruch macht, als Divifor für den

1& ®. 36. Fechner,

Zuwuchs aufzutreten, um ben relativen Zuwuchs zu geben. Die Schwierigkeit, die hieraus zu erwachfen fcheint, hebt fich aber in mehrfach berührter Weife dadurch, daß fich eine einfache mathes matifche Function aufftellen. läßt, welche, ohne die principiell aöthige Beftimmung und Zählung einer unendlichen Menge un- endlich Meiner Reizzuwuͤchſe im Einzelnen zu fordern, das Res fültat einer ſolchen Beftimmung und Zählung einfchließt, eine Function, deren Ableitung zu den einfachften Amvendungen ber Snfinitefimalrechnung gehört, indeß ihr Verſtaͤndniß und ihre Anwendung bis zu gewilfen Grenzen nur elementare Kenntniffe vorausſetzt.

Hiernach wird das wirkliche Maß der Empfin- dung darauf hHinausfommen, die Reizgrabe, wel; heverfhiedenen Empfindungsgraben entſprechen, zu meffen und mit Hülfe jener einfahen mathema- tiſchen Function aus den Berhältniffen ber Reiz- grade die Verhältniffe der zugehörigen Empfins dungsgrade abzuleiten.

Und fo ruht das letzte Mittelglied des pfychifchen Maßes fhlieglich in einer Function, welche felbft als geiftiger Natur an- gefehen werben kann, indeß das Förperliche fein letztes Mittels glied in körperlichen Mapftäben hat, nur daß auch jenes Mit- telglied weder durch Bewegung im reinen Gebiete ded Geiftigen gefunden werben fonnte, noch in feiner Anwendung geftattet, ſich auf biefed zu befchränfen, da es vielmehr eben wie das Förper- lihe Maß auf der Beziehung zwifchen dem Körperlichen und dem Geiftigen fußt.

Daß in den höhern Theilen der Reizfcala größere Reizzu⸗ wichfe erforderlich find, als in den niederen, um noch eine gleiche Berftärfung der Empfindung hervorzubringen, ift Iängft befannt gewefen, indem es eine Sache täglicher Erfahrung if.

Das Wort feined Nachbars hört man fehr deutlich in ber Stille oder beim ſchwachen Tageögeräufch; dagegen man, wie man fagt, fein eigengs Wort nicht mehr hoͤrt, alſo den hierdurch

Das pſychiſche Map. 15

bewirkten Zuwachs unmerklich findet, wenn ein großer Lärm vorhanden ift.

Derfelbe Gewichtsunterſchied, der ‚bei Heinen Gewichten ſehr ſtark empfunden wird, wird bei großen Gewichten. unmerklich.

Starfe Lichtintenfitäten, die ſich photometrifch fehr erheb- lich unterfcheiven, erfcheinen doc dem Auge nahe gleich heil,

Analoge Beifpiele laſſen ſich Leicht im Gebiete aller Ein- nesempfindungen aufftellen.

Aber diefe allgemeine Thatſache genügte nicht ald Unter lage für das pfochifche Maß. Der genauere Ausſpruch nun, daß die Größe des Reizzuwuchſes gerade im Verhaͤltniß ber Größe des fchon gewachſenen Reizes ferner wachen muß, um noch Baffelbe für das Wachſthum des Empfindung zu keiften, iſt in einiger Allgemeinheit zuerft von E. H. Weber gethan und durch Verfuche belegt worden, daher died Gefeg von mir das Weberfche Gefeh genannt wird.

Für einzelne Säle, wo es in Betracht kommt, iſt es ſchon früher ausgefprochen und erwiefen worden, fo von Das niel Bernoulli, von Maffon, von Drobifch, wozu ic die Belege in meiner Schrift gebe. Ich felbft babe in Verbin⸗ dung mit Volkmann das Abſehen hauptiächli auf eine er- weiterte Gonftatirung befielben und die Erweiterung und Aus⸗ bildung der Methoden biefer Conftatirung gerichtet.

Die maihematifche Yunction andererfeits, welche die Größe des Reizes mit der Größe der Empfindung verfnüpft, ift ſchon vor mehr ald hundert Jahren von Euler, neuerdings von Herbart und von Drobifch, für die Abhängigkeit der Em- pfindung ber Tonintervalle von ben Berhältniffen der. Schwin- gungszahlen, dieſelbe Funcion von Daniel Bernoulli, fpäter von Laplace und Boiffon, für die Abhängigkeit der fortune 'morale von der fortune physique aufgeftellt worden.

Wenn man bie Allgemeinheit und bie Bedeutung jenes Geſetzes und dieſer Function früher erkannt hätte, fo würde das allgemeine pfuchtiche Maß fchon früher gefunden feyn. Und un- geachtet die genannten Unterfuchungen nicht in ber Richtung auf

16 ®. Th. Fechner,

ein pſychiſches Maß geführt worden find und ber allgemeine Geſichtspunet defielben darin noch nicht zu Tage tritt, kann man doch ſchon die Vorbegründung befielben darin finden. Ueber den Gang, durch ben ich meinerfeits dazu geführt worden bin, fage ich einiges Nähere in dek Schrift.

Es wird nicht nur an ſich fein Intereſſe haben, fondern dürfte auch zur Erläuterung beitragen, wenn ich hier eine ganz leichte und von Jedem leicht auszuführende Verſuchsart angebe, das Weber'ſche Grundgefeg im Gebiete der Lichtempfindung zu conſtatiren. Es Iaffen fich aber biefer Berfahrungsart andere fubftituiren und find wirklich fubftituirt worden, welche genauere Beftimmungen zulaffen. Auch wird es hier nur gelten, die Haupt⸗ face des Experiments, nicht Miles, was genau genonmen babei tn Rüdficht Fontmt, anzuführen.

Man blide nach dem Himmel und fuhe, was bei nicht ganz gleichförmig hellem Himmel im Allgemeinen leicht gelingt, zwei benachbarte Wolfennüancen auf, bie ſich möglicyft wenig unterfcheiden, fo wenig, baß der Unterfchied nur eben merklich erfeheint. Darauf blide man nach denfelben Nüancen durch ein paar folche graue oder ſchwach bläuliche Plangläfer, wie fie Perſonen mit reizbarem Auge brauchen. Hierdurch wird die Sntenfität ber beiden betrachteten Lichtnüancen mit ihrem Unter: fchiede zugleih und in demſelben Berhältniffe, nah Maßgabe des Abforptiondcoefficiententen, welchen bie Oläfer ha- ben, geſchwaͤcht. Aber man erblickt den fo flarf verminderten Un- terfchied mindeftend noch ganz eben fo beutlich als vorher. Daß aber durch biefe Abſchwächung des Lichtes auch Fein ir gend erheblicher Zuwachs ber Deutlichkeit des Unterfchiebes eintritt, davon giebt folgender Gegenverfuch den Beweis: man fuche, während man die Gläfer vor den Augen hat, zwei be nachbarte Wolfennüancen auf, welche ben fchwächftmöglichen Uns terfchied darbieten, und entferne die Gläfer dann; und man wird den Unterfchied auch nachher immer noch erfennen; wogegen, wenn wirflich der durch die Gläfer abgefchwächte photometrifche

Das pfychiſche Maß.

Unterſchied erheblich deutlicher erſcheinen ſollte, der nachher nur eben merkliche Unterſchied unmerklich werden muͤßte. In der That iſt man leicht im Stande, einen nur eben merklichen Un- terfchieb zweier Beleuchtungen unmerklicdy zu machen, wenn man eine der Beleuchtungen ohne die andere abändert, - wie e8 bei andern Berfuchöweifen gefchehen kann, wo man bie Abänderung beider Beleuchtungen in der Gewalt hat.

Unftreitig iſt es am fich fehr merfwürdig, daß ganz ver- fchiedene Größen eines phuflfchen Unterſchiedes, ein einfacher, zehnfacher, vierzigfacher und die Verſuche über Lichtunter- jchiede find nach einem andern Verfahren mit entfprechendem Er- folge jo weit wirklich ausgedehnt worden gleich ftarf empfuns den werden fönnen, indeß andermale wieder fehr geringe Abän- derungen bed phyſiſchen Unterſchieds eine, foweit ein Urtheil noch ohne Maß möglich ifl, proportionale Abänderung in ber Empfindung mitführen, Erſteres, wenn man beide Beleuch- tungen und hiermit ihren Unterfchied fortgehends in demjelben Verhaͤltniß ändert, Lestered, wenn man eine beider Beleuchtun- gen allein ändert.

Natürlicherweife, fo wie jehr verfchiedene abfolute Lichtuns terfchiede als gleich empfunden werden können, koͤnnen nach dem⸗ jelben Geſetze gleich große abfolute Unterfchiede als fehr verfchie- ben empfunden werben. So ift 3.8. ber abfolute photometrifrhe Helligfeitöunterfchieb von 10 zu 11 eben fo groß ald von 100 zu 101 und von 100 zu 101 ebenſo groß, ald von 1000 zu 1001, Unterfchiede, die fih u. a. an den zwei Schatten befiel- ben Körpers durch zwei Lichter auf die Weiſe verwirklichen laf- fen, daß man die Entfernungen ber Lichter davon demgemäß ab- ändert, mit Rüdficht auf das befannte Geſetz der Schwächung durch die Entfernung. Aber ed ift nad) dem Weberfchen Gefege wie nach dem Ausfall der Verfuche gewiß, daß, wenn der pho- tometrifche Unterfchied 1 zwilchen 100 und 101 nur eben merk⸗ lich ift, ber Unterfchieb 1 zwifchen 10 und 11 auönchmend deut- (ich, zwifchen 1000 und 1001 aber ganz unmerklich, ja fo weit

von ber Merklichfeit entfernt if, daß man bei gleich gehaltener pho⸗ Beitfär. f. Philof. u. phil. Kritit. 32. Wand.

18 G. Th. Fechner,

tometriſcher Intenfitaͤt des Lichtes 1000, die Intenſitaͤt des Lich⸗ tes 1001 erſt bis auf 1010 ſteigern muß, ehe die gleiche Merk— lichkeit als für 101 zu 100 eintritt; bis dahin iſt, wie man ſich ausdrüden fann, eine negative Merklichfeit vorhanden, wie fi) denn aud wirklich für eine folche negative Merklichfeit ein negatives Vorzeichen als nothwendige mathematifche Folgerung ded allgemeinen Maßausdrudes für die Cmpfindungen ergiebt, welcher auf das vorliegende Geſetz geftügt wird.

Wir haben hienach die drei unter einander ‚ufammenfän- genden paradoren Fälle:

Sehr ungleiche abfolute (photometriſche) Lichtunterfchiede fönnen doch als gleich empfunden werben.

Gleiche abfolute Lichtunterfchiede können doch als fehr un- gleich empfunden werden.

Ein viel Fleinerer abfoluter Lichtunterfchiedb kann für bie Empfindung merklich feyn, indeß ein viel größerer unmerklich if.

Dad Baradore diefer Fälle verſchwindet aber fofort, wenn man bie Empfindung des Lichtunterfchiedes anftatt won der ab⸗ foluten Größe vielmehr von der relativen Größe dee phy- fifchen Unterfchiedes abhängig macht, d. h. von dem Unterfchiede ber Intenfttäten, dividirt durch die Summe berfelben.

Sp lange biefe relative Größe des phyſiſchen Unterfchie- des diefelbe bleibt, bleibt der empfundene Unterfchied conftant; nah Maßgabe als fie ab oder zunimmt, nimmt auch der em- pfundene Unterfchied ab oder zu.

Die Seele, fann man fagen, lebt nur in ben Verhaͤlmiſſen der Dinge.

Das Weberſche Geſetz iſt wegen der großen Allgemeinheit und wegen der Weite der Grenzen, in denen es ſtreng oder ap⸗ proximativ (je nach dem Gebiete, worin man es betrachtet) guͤl⸗ tig iſt, als fundamental fuͤr die pſychiſche Maßlehre anzuſehen. Doch hat feine Guͤltigkeit Schranken, welche in der Schrift in jo weit erörtet werben, als fie bis jest befannt find. Auch wo dieſes Geſetz aufhört gültig zu ſeyn, behält aber doch das hier

DAS pfychiſche Maß. 15

erörterte allgemeine Princip des pſychiſchen Maßes ſeine Guͤltigkeit, indem jede andere, wenn auch nur empiriſch ermittels bare und durch eine empirifche Formel ausdrückbare Beziehung zwi⸗ ſchen conftanten Empfindungszuwüchſen und variabeln Reizzu: wüchfen eben fowohl ald Unterlage bed pſychiſchen Maßes bie- nen fann, und wirklich in den Theilen der Reizffale zu dienen hat, wo jencd Geſetz feine Gültigkeit verliert, wie ich in meiner Schrift durch ein wirklich ausgeführte Beifpiel ſolchen Mafes zeige.

Dieß ift ein wichtiger Gefichtöpunft, inden dad Weberfche Gefeg mit den Schranken feiner Gültigkeit hiernach nicht ale Ichranfenfegend für das pſychiſche Maß, fontern nur als bes ſchraͤnktes Mittel deffelben auftritt, Tiber welches das allgemeine Mapprincip hinausreicht. Auch Hat die Unterfuchung im In- terefie der möglichften Berallgemeinerung ded Maßes hiernach keineswegs wefentlich darauf auszugehen, das Weberſche Gefeb möglichft zu verallgemeinern, was leicht eine bedenkliche Neigung mitführen möchte, es über die von Natur geftedten Gränzen hin- aus zu verallgemeinern, oder Bedenken hervorrufen möchte, daß ed zu Liebe ded Maßes darüber hinaus verallgemeinert worden ſey, fondern man wird ganz unbefangen fragen fönnen und zu fragen haben, wie weit reicht es, wie weit reicht e8 nicht; denn auch dahin, wohin es nicht reicht, reichen doch die drei Me- thoden, die dem Maße dienen und fomit dad Maß.

Kurz, das Weberfche Geſetz bildet nur die Unterfage für die zahfreichften und wichtigften Anwendungen bes pfhchifchen Maßes, aber nicht Die allgemeine und nothwendige. Die allge meinfte weiter rüdliegende Unterlage des pſychiſchen Maßes liegt vielmehr in eben jenen brei Methoden, durch welche die Bezüge zwifchen Reiz und Empfindung, innerhalb wie außerhalb der Graͤnzen des Weberfchen Gefeges, zu ermitteln find; und bie Ausbildung diefer Methoden zu immer größerer Vollkommenheit ift das, worauf ed vor Allem in der pfychifchen Maßlehre an- kommt.

Nun wird auch verſtaͤndlich werden, was ich fruͤher ſagte,

2*

% G. Th. Fechner,

daß trotz des Weber'ſchen Geſetzes noch viel an der Ausarbeitung und Feſtſtellung des pſychiſchen Maßes fuͤr alle Verhaͤltniſſe, für die es anzuwenden iſt, ſehle; denn dazu wird gehoͤren, daß auch für alle Abweichungen von Weberſchen Geſetze die Function beftimmt werbe, welche den Reiz mit der Empfindung verknüpft, aber heut zu Tage kennen wir felbft die Grenzen ded Weber; fchen Geſetzes erft fehr unvollftändig. Ein reiches Feld für noch anzuftellende Beobachtungen, denn in der That liegt die Ermit- telung von all dem in ber Tragweite der Beobachtung mittelft eben jener Methoden, durch die fich dad Weber'ſche Geſetz con- ftatiren ließ, fo weit es bis jest conftatirt ift. Es würden aber doch große Bortheile für die Pſychophyſik verloren geben, wenn ihr das fo einfache Weberfche Geſetz nicht wirklich in weiten Grenzen und mit zufriedenftellenden Approris mation zu Grunde gelegt werben Fünnte. Nun aber verhält es fi) damit ganz analog ald mit den Keplerfchen Gefegen und ber einfachen Linfenbrechung: bei jenen ift von den Störungen, bei biefer von den optilchen Abweichungen abftrahirt, und jene wie biefe werden ganz ungültig, wo bie Verhältniffe fih von ben einfachen Berhältnifien jehr entfernen, die für die Gültigkeit jener Geſetze vorausgejegt find. Aber die allgemeinen, die Hauptver- hältnifje der Erſcheinungen, um bie fihs in der Aftronomie und bei der Wirkung der dioptrifchen Infteumente handelt, find doch durch jene Geſetze beherrfcht. Und fo kann auch das Weberfche Gefeg feine Gültigkeit: völlig verlieren, wenn bie mittleren oder Normalverhältniffe, unter denen der Reiz Empfindung wirft, fehr überfchritten werden; aber für die mittleren Verhältniſſe wird es ftetS maßgebend bleiben, und es wird fogar nöthig fen, von jeinen Störungen zu abftrahiren, fo lange es gilt, nur erft bie Hauptverhältnifie im piychophyftfchen Gebiete zu verfolgen, wie es Sache ded Beginnd der Wiffenfchaft ift, indeß bie fünf: tige Entwidelung berfelben auch die Störungen wird in Red: nung zu nehmen haben, nach Maßgabe als fie ber Berechnung berfelben Herr zu werden vermag.

Das pſychiſche Maß. 21

Unter Pſychophyſik verftehe ich überhaupt eine Lehre von ben Beziehungen zwifchen Körper und Seele, welche auf ber Verbindung bed phyſiſchen und pfochiichen Maßes fußt, und ſich dadurch in die Reihe exacter Lehren ftellt.

Ich unterfcheide eine Außere und eine innere Pſychophyſik, jenachdem es fich um die Beziehungen der Seele zu der Törper: lichen Außenwelt oder der Förperlichen Innenwelt handelt. Das pſychiſche Maß ift auf dem Gebiete der Außeren Pſychophyſik ges wonnen und jeine nächftliegenden Anwendungen gehören dem Gebiet derfelben an, feine weitern aber greifen nothiwendig auf das der’ inneren über, und feine tiefere Bedeutung ruht barin. Ueberhaupt, wie das pfychifche Maß Feine Frucht blos müßiger Speculation feyn Fonnte, trägt es auch nicht blos folche Frucht. In der Schrift gehe ich auf die Anwendungen, die fi fchon vom pſychiſchen Maße theild zur Aufklärung, theils zur Feſtſtel⸗ lung fo mancher wichtigen Verhältniffe, darunter folcher von fehr allgemeiner Bedeutung, machen lafien, des Näheren ein, und un- fireitig werben fi) diefe Anwendungen mit der Entwidelung der pſychiſchen Maßlehre immer mehr erweitern. Man hat anfangs mit phnfifchen Maßftäben nur ben Acer gemeffen, heute mißt man ben Himmel damit. Es wird nicht ander mit dem pfy- hifchen Mapftabe feyn; es liegt in feinem Principe, daß «6 nicht anders feyn Fan,

Die ganze innere Pſychophyſik hat ihre erften erfahrungs: inäßigen Unterlagen überhaupt in der äußeren zu fuchen;. aud) waren es urfprünglich Gefichtöpunfte der inneren Pſychophyſik, welche mich zur Auffuchung des pfychifchen Maßes auf das Ge⸗ biet der Außeren führten. Die Verhältniffe des Geiftigen zu ben . körperlichen Thatigkeiten, die ihm unmittelbar in und unterlie- gen, laſſen fich nämlich nicht unmittelbar durch Erfahrung ver- folgen, wohl aber bie Verhältniffe zu der Förperlichen Außenwelt, und das Verhaͤltniß zwifchen Reiz und Empfindung iſt dasjenige, was ber einfachften Auffafiung und Behandlung fähig ift, daher zuerft zu behandeln iſt. Wir beobachten alfo die gefeglichen Ver⸗

hältniffe zwifchen Reiz und Empfindung, aber der Reiz wirkt

22 G. Th. Fechner,

nicht unmittelbar Empfindung, ſondern nur durch Vermit⸗ telung innerer körperlicher Thätigkeiten, zu welchen die Empfin⸗ hung in directerer Beziehung ſteht. Die quantitativen Abhängig- feitöverhältniffe der Empfindung von Reize überfegen fich alſo fchließlich in foldhe von den koͤrperlichen Thaͤtigkeiten, welche ber Empfindung unmittelbar unterliegen, und dad Maß der Empfin- dung durch die Größe des Reizes in ein ſolches durch die Stärfe djefer Bewegungen. Zu biefer Ueberfegung ijt nöthig, dad Ab- hängigfeitösersältniß diefer inneren Bewegungen vom Reize zu fennen ; wo nicht, die einfachftmöglichfte und aus allgemeinen Grün- den wahrfcheinlichfte Hypothefe nad) egacten Grundfägen am Zuſam⸗ menhange ber Erfahrungen zu prüfen. In ber That kann dieſe ganze Unterfuchung auf exartem Wege geichehen, und fie wird nicht verfehlen, den Erfolg exacter Unterſuchung zu haben. Dieſer Meg ift lang und mühevoll, aber ſicher. Damit aber wird eine Herrſchaft der exacten Wiſſenſchaft über die ganze Lehre ver Be- ziehungen zwifchen Leib und Seele gewonnen feyn und man barf vielleicht fggen, daß mit einem, auf die Beziehung des Körperlir chen und Geiltigen gebauten, auf gleichem Princip mit dem phy⸗ ſiſchen Maße fußenden, pſychiſchen Maße der erſte Angriffspunct zu dieſer Herrſchaft gewonnen iſt.

Damit leugn' ich nicht, daß es noch andere und noch höhere als mathematiſche Geſichtspuncte giebt, aus denen das Feld dieſer Beziehungen zu betrachten und zu beherrſchen iſt; aber ihre groͤßte Staͤrke wird dieſe Herrſchaft nicht dadurch erlangen, daß fie der Herrſchaft der mathematiſchen Principien widerſpricht, ſondern daß ſie ſich ſelbſt mit darauf ſtützt.

Mit der ſcharfen Auffaſſung der Beziehungen zwiſchen Leib und Seele erwachſen aber nothwendig „auch Vortheile für die Lehre des Leibes und der Seele für ih. Schon jegt tritt un- jere Mapformel mit nüslichen Folgerungen und neuen Anregun« gen in die Phnflologie der Sinne ein. Bon anderer Seite ifl zu berieben, daß die mathematifhe Pinchologie in unferem Maßpfincipe ein anderes Fundament ald auf Herbartfchen Grunde, dem das Fundament bes Maßen nor fehlt, finden,

Das pfychiſche Maß. 23

und in Folge deſſen eine andere Richtung nehmen wird. Das Auffteigen und Abſteigen der Empfindungen und Vorſtellungen über und unter bie Schwelle, das wechfelfeitige Berdrängen und Miteinanderziehen derfelben, der Aufmerkfimfeit wechſelvolles Spiel, Schlaf, unbewußtes Leben der ganzen Natur, repräfen- tiren fih, wie ih in ber Schrift zeige, im Zufammenhange mit den allgemeinen Berhältniffen bewußten Lebens durch zu⸗ gleich allgemeine und einfachere Conſequenzen unſerer pfydji- [hen Maßlehre, mit ber principiellen Möglichfeit, die Bes ftimmtheit immer mehr ind Einzelne zu treiben.

Das Weberfche Geſetz, was fich, bezogen auf das Berhält- niß von Reiz und Empfindung, im Gebiete der äußern Pſycho⸗ phyſik nur von eingefchränfter Gültigkeit zeigt, hat auf das Ber- hältniß der Empfindung zur lebendigen Kraft der unterliegenden körperlichen Ihätigkeiten (lebendige Kraft im Sinne ber Mecha- nik verftanden) übertragen, wahrfcheinlich eine unbefchränfte Guͤl⸗ tigfeit auf Dem Gebiete ber innern, indem alle Abweichungen von diefem Gefege, die wir in ber Wirkung des Außeren Reizes auf die Empfindung beobachten, daher rühren mögen, daß der Reiz nur unter normalen mittleren Berhältniffen eine feiner Größe proportionale lebendige Kraft der innern Bewegungen auslöft, welche der Empfindung unmittelbar unterliegen. Hiernach ifl sorauszufehen, daß dies Geſetz, nachdem es gelungen feyn wird, feine Uebertragung auf die inneren Bewegungen in exacter Weiſe zu vollziehen, was bis jest noch nicht gefchehen, wozu aber alle Ausficht vorhanden ift, für das Feld der Beziehungen von Leib und Seele eine eben jo wichtige und allgemeine Be⸗ beutung gewinnen wird, als das Gravitationdgefeg im Felde der bimmlifchen Bewegungen. Und es bürfte fonach von Seiten ber Philoſophie nicht gerathen feyn, den Blick hiervon abzuwenden, fondern Acht zu haben, daß nicht, wie fo oft, die exacte Wiſſen⸗ fehaft hier einen Vorfprung nad) einer Richtung gewinnt, deren Gonfolidirung die Philofophie bereinft zum unwillfommenen Eins

24 R. Seydel,

lenken und Umlenken noͤthige. Unſtreitig liegt eine Aufgabe für die Philoſophie ſelbſt vor, die Bedeutung dieſes wichtigen Ge⸗ ſetzes und die Frage nach ſeiner Allgemeinheit auf dem Felde der innern Pſychophyſik zu unterſuchen. Möchte man ſich nur auch uͤber⸗ zeugen, daß dieſe Unterſuchung weder als ein bloßes Fortgeſpinſt aus der Hiſtorie heraus, noch durch rein begriffliche Erörterun- gen geführt werben fann, fondern daß es dazu nöthig ift, auf eine genaue Unterfuchung ber Thatfachen zurückzugehen. Es ift eine der Auflöfung noch harrende Aufgabe, an ber fich. die Achte - philofophifche Methode bewähren kann, und an ber bie falfche fcheitern wird. |

Zwar kann man fagen, das Geſetz betrifft doch nur Ver⸗ haͤltniſſe zwifchen Körperlichfeit und Sinnlichkeit, und wird ſonach fietd eine fehr untergeordnete Bedeutung behalten. Aber ab» gefehen davon, daß dieſe Verhaͤltniſſe nicht nur untergeorbnete, fondern auch untergebaute des ganzen geiftigen Lebens unb hiermit ficher ein Gegenſtand philofophifcher Beachtung find, läßt ſchon die frühfte Anwendung, die Bernoulli von dem We- berſchen Geſetze gemacht hat, ahnen, daß ed weiter und höher hinaufreicht, und es bürfte ſich bereinft zeigen, daß alle quan- titative Beziehung zwifchen Geift und Körper an bemfelben Principe hängt.

Der gefchichtlice Eintritt ontologifcher Beweisführung für Das Daſeyn Gottes. Bon Dr. A. Seydel.

Jene geihichtöphilofophifche Gerechtigkeit, welche die Phi— loſophie unferes Jahrhunderts ganz befonders Eennzeichnet und vielleicht für den größten von berfelben behaltenen Gewinn zu achten ift, hat auch in dem Urtheile über die hergebrachten Bes meife für Gottes Dafeyn, vor Allem über den ontologifchen, eine Aenderung hervorgebracht. Der. Kritit Kants ohne Weite red zu folgen, wird kaum noch einer ſich getrauen; dagegen ber von Hegel eingeſchlagene Weg noch Vielen den Ausgangspunct

Der gefchichtliche Eintritt ontofogifcher Beweisführung sc. 25

darleiht. Denn das Mittelalter in der Tiefe und Fülle feines Gemüthes, wie in der Schärfe und dem Umfange feiner Erfennt- niffe, hat ſich erft unferm gerechten Jahrhundert aufgefchloffen, wie es unfer romantifches Jahrhundert gar zu Sympathien vers lodt hat. Scholaftif und Myftif haben in unfern Tagen ſich neu belebt und ihre Bereinigung, vielleicht in einem Syſteme, das beider Intereffen, des Berftandes und bed Gemüthes, dem ethifchen unterorbnet und im ethifchen ohne Verluſt, bier abers mals gerecht, aufhebt, könnte als das Teste Ziel unferer Philo⸗ fophie und Theologie bezeichnet werben.

Der ontologifhe Beweis, dieſes Acht fehofaftifche Erzeugniß, ift daher jetzt auch wieder öfter behandelt, erklärt, und fo weit möglich gerechtfertigt worden. Jene kantiſche Kritik, bie zuerft den Anfchein Hatte, als hätte fie das Anfehen aller ſolcher Beweife auf immer vernichtet, war durch das dem Kri- ticismus immanente Verhängniß genöthigt, nachfolgenden Schu- Ien und Denkern nur ald Ausgangspunct, keineswegs ald End» punct, fich gelten zu fehen. Denn dies ift das Gefchid alles Kriticismus und Skepticismus, daß er in feinen Verneinungen ungewollte Bejahungen birgt, bie eine pofitivere Philoſophie darin zu entdeden und, wie Schäte, durch Bannung des ver- neinenden Geiſtes zu heben weiß. Die epochemachende That, weldye Kant's Stelle in der Gefchichte der Philofophie bezeich- net, bie foftematifche Zutagförderung ded der menichlichen Ber: nunft ureignen abfoluten Gehaltes, ift doch auch urfprünglich in-anderem Sinn und zu anderem Zwecke geichehen. Indeſſen ift weder bier, noch dort bei den Beweiſen für Gotted Dafeyn, bie Kritik im beabfichfichtigten negativen "Sinne ohne entſchei⸗ bende Wirfung geblieben. Jene Handlung der Gerechtigkeit, die Rettung folcher Argumente, vom Standpuncte vorfantifcher Me: taphyſik zu vollziehen, ift heutzutage nicht mehr möglich; denn jo ſehr gerade die Fantifche Gründlichkeit der Prüfung den Ber- ſuchen der Wiederaufnahme eined herausgeläuterten Inhalte - jener Beweiſe Borfchub Ieiftete, fo einftimmig folgte man dem großen Kritifer in der Verwerfung ihrer Form.

26 R. Seydel,

Hatte Kant die Argumente mit Kunſtworten der Wolfft- ſchen Philoſophie benannt, fo fteht mit diefer Verwerfung ihrer Form, infofern dies die Form der Wolffifchen Philofophie war, ferner im Zufammenhang, daß die gegenwärtige Handhabung ber Namen nicht mehr fireng an der Kantifchen Sonderung hält, vielmehr Berfchiedene in verfchiedener Weife fi) Abweichungen und Umbeutungen geftatten. Daraus erwächft einer gefchicht- lichen Unterfuhung die Aufgabe, eine möglichft unpartelifche Definition, alfo in unferm Falle des ontologifchen Beweifes, voranzuftellen; denn fo leicht kann es ihr nicht werden, baß fle nur dem Namen des Ontologifchen nachfpüren, ihn überall, wo er gefchichtlich begegnet, heranziehen dürfte: erft Kant hat ja längft. vorhandenen. Argumenten diefen Namen beigelegt. Wenn wir daher nachjehen wollen, ob wohl noch höher in's Alterthum, ald Kant bliden mochte, fich die Gefchichte jenes Argumentes erftredt, fo fönnen wir nur auf apriorifchem Wege zu einem firirten Gebrauche de Namens kommen, indem wir alle Mög: lichfeit von Beweiſen für Gottes Dafeyn überfehen und unter den fie nothwendig erfchöpfenden Claſſen derjenigen die Bezeich- nung bed Ontologifchen zuerfennen, welche mit ben jemals fo benannten Beweifen die größte innere Verwandtfchaft hat.

Dies ift leicht und ſchnell gethan, wenn wir uns erin- nern, daß Ontologie feit Wolff denjenigen Theil der Metaphy⸗ fit bedeutete, welcher vom Seyenden als folchem handelte, noch ohne Relation mit irgend einem daraus zu erflärenden Wirf- lichen, jey dies die Natur oder die Seele oder Gott. Kann nun das unterfcheidende Merkmal verfchiedener Beweiſe für eine und biejelbe Sache nicht die Außere Form der Ableitung feyn (denn dieſe ift entweder immer diefelbe, oder müßte bei jebem Argumente mit einer andern vertaufcht werden), fondern allein die Beichaffenheit deffen, woraus man ableitet, Wlfo der Praͤ⸗ miffen: fo wäre ontologifch ſchon nach der Herkunft des Wors tes jeder Beweis zu nennen, der jeine ‘Brämiffen, und zwar beide, durch Säbe bildet, welche, gleich ber Wolffiſchen Ontolo⸗ gie, von keinem Wirklichen als ſolchem Act nehmen. Für beide

Der geichichtliche Eintritt ontelogifcher Beweisführung ı. 27

Prämiſſen würde diefe Forderung nötbig feyn: für die erfte ſchon im Interefie der Unbedingtheit und Allgemeingiltigfeit bed Be- weifes, welche durch einen erfahrungsmäßigen Oberſatz ohne Rückweiſung auf Wahrheiten höherer Ordnung ſchwerlich zu er- reichen feyn möchte; für die zweite als unterfcheidendes Kenn⸗ zeichen unfered Arguments. Es gejchieht nun um ber Kürze willen und mit Ausficht auf fpätere genaue Beftimmung bed Ausdrudes, werm wir biejed Kennzeichen dahin ausfprechen, daß jedes ontologifch zu nennende Argument eine apriorifche Er- fenntniß zum Unterfage (indem wir die Apriorität bed Ober⸗ ſatzes für felbftverftändlich halten) haben müfle: eine Bezeich- nung, beren Grund daß nämlich Sätze von der ontologifchen Art, die alfo Fein Wirfliches als folches in ſich ausſprechen, auch vom Wirklichen nicht abftrahirt, fondern nur a priori ge— funden werden können in biefer Abhandlung nicht gerecht- fertigt werben fol. Umfaßt im Gegenfage dazu a posteriori . alle Erfahrung eines Wirklichen, fo zerfällt alles mögliche Wiſ⸗ fen in dieſe zwei Theile, und die möglichen Urtheile, welche als Beweisquellen für Gottes Dafeyn dienen Fönnten, wären dann mit Ausſchließung jedes Dritten entweder apofteriorifche, betreffen fie die Natur, die Gefchichte oder die menfchliche Seele, ober apriorifche., So ift unfere Definition ded ontologifchen Argu— ments biefelbe mit Kant's, namentlid in ber Schrift vom „einzig möglichen Beweggrunde” ausgefprochener *) ; und unfer Vorhaben ift, zu unterfuchen, wann und wo zuerft ein ſolcher Beweis vorfommen fonnte und vorgekommen ift:

Müſſen fonach Argumente, welche die Erfahrung vines Wirklichen als folchen in ſich aufnehmen, alfo auf einer phnft- ſchen, hiſtoriſchen oder pfochifchen Thatfache in empirifcher Weite fußen, und für apofteriorifche und nicht- ontologifche gelten: fo haben wir es auch abzulehnen, wenn die Bezeichnung des Aprio— eifhen irgend einmal auf einen derartigen Beweis übertragen

*) Im 2. Bd. der Meinen Schriften, S. 280. 285. vgl. Kritik d. r. V. ©. 484. Hart.

28 R. Seydel,

wuͤrde. Daß dies geſchehen ſey, führt z. B. Daub an, in ben Theologumenen ſowohl als in der Kritik der Beweiſe für das Daſeyn Gottes; in dieſer ſcheint er gar damit einverſtanden, wiewohl nur vorübergehend und nicht ohne Zerſtreuung, da ſehr bald ſich dad Gegentheil findet). Freilich bat ed mit dem pſychologiſchen Argumente, weldes Daub in PVerbins dung mit dem ontologijchen zu nennen pflegt, eine befondere Bewandtniß. Dieſes hat in der That feine endliche Erfahrung eines Wirklichen, fondern die Abfolutheit der Vernunft zur Grundlage und fchließt von diefer auf einen gleichfalls abfoluten Urheber, Allein Daub felbft hat richtig eingehalten, daß bie abjolute Vernunft zur Endlichkeit eined erfahrenen Wirklichen herabfinfe, fobald man fie nach dem Cauſalſatze als Wirfung auf eine Urfache beziehe: denn mit folcher Beziehung verliert das Wort abfolut, welches die Negation jeder Bebingtheit und alles Berurfachtfeynd ausfpricht, vollig feinen Sinn und muß aus dem Beweife entfernt werben, wenn er noch etwas bedeuten fol. Dann aber ift er ein fehlichter apofteriorifcher Beweis und theilt alle Mängel des Eosmologifchen. Laflen wir dagegen, was noch übrig ift, die abfolute Vernunft darin und entfernen ftatt ihrer die ihr wiberfprechende Anwendung des Cau⸗ faulfages, fo behalten wir ein Fragment, das, zu einem Be weife vervollftändigt, geradezu das ontologifche Argument dar- ftellen würde, wie wir es jonft finden, alfo feine zweite Art apriorifcher Beweisführung abgäbe. Dieſes pfychologifche Ar- gument, welches Daub trogdem ‚nit Recht unter die Rubrif ber rationalen oder logischen gebracht hat (denn auf dieſe Seite fee lifcher Thaͤtigkeit ift e8 allein gegründet), würde alfo entweder jeine Eigenthümlichfeit aufgeben, wenn es ätiologifch verführe, oder zum ontologijchen fich erheben, wenn es jene Beweisform fallen ließe. Welchen Werth es im letzteren Falle behielte, könnte nur eine Kritit des ontologifchen Beweifed lehren: nur fo- viel

*) Daub’s philof. und theol. Vorlefungen, hberausgeg. von Mars . heinete und Dittenberger, 2, Bd., ©. 377, vgl. ©. 408 ff.

Der geſchichtliche Eintritt ontologiſcher Beweisführung ꝛc. 29

fey uns verftattet, hier zu bemerfen, daß es auf jeben Fall nun aufhören würde, im beabfichtigten Sinne Argument zu feyn, das Verdienſt aber ihm bliebe, die Abfolutheit der Vernunft als un- mittelbare Erkenntniß ausgefprochen zu haben, ein Berbienft, befien Inhalt und für eines ber Ergebnifle alles ontologifchen Argumentirend gilt. Darum gilt für den gefchichtlichen Anfang diefed Arguments daſſelbe, was für den ded ontologifchen; ja, es kann, als ein fozufagen verborben ontologifches, in der Blü- thezeit dieſes lebteren noch gar nicht auffommen, fondern erft da, wo man überhaupt das Abfolute der Vernunft oder die ewi⸗ gen Wahrheiten nicht mehr mit Gott irgendwie ibentificiren, jondern als creatürliches Werk auf ihn ald Urheber zurüdführen will. In ber That ift dieſes pfychologiich = Togifche das bevor⸗ zugte Argument bed nachcartefifchen Dogmatismus, in ber Wolffi- ſchen Schule am angefehenften.

Wie denjenigen, welche Apofteriorifches für Apriorifches auögeben, fo ift unfer Begriff des ontologifchen Beweiſes aber auch denjenigen entgegen, welche apofteriorifche Beweiſe ald on- tologifche aufführen oder überhaupt diefen Namen anders ver- wenden. Dies gefchieht häufig in anderem, als hiſtoriſchem In» tereffe, und ift dann keineswegs zu tabeln. Denn ber Name ber Ontologie muß, feit er faft nie mehr eine bejondere Disci⸗ plin der Philoſophie bezeichnet, nur noch adiectiviſch an ein Ar- gument für Gottes Dafeyn gebeftet, ein unftetes, allgemeiner Willfür preisgegebened Leben führen. In dieſem Schickſale liegt die Kritif dieſes Arguments. So hat Schelling unter dem ontologifchen Beweife früher *) jenen einzig möglichen ver- ftanden, welcher aus dem Senn Gottes oder des Abfoluten felbft geführt wird und darum fein Beweis ift, fondern eine unmittel- bare Kundgebung Gottes, des Abfoluten, durch ſich felbft. Da- mit hat er daſſelbe ausgefprochen, wad wir foeben ald Wahr: heit dem pfychologifchen Argumente entnahmen. Daffelbe Liegt

*) Briefe über Dogmatismus und Kriticismus; Werke I, 1, ©. 308 ff. Note.

30 R. Seydel,

zu Grunde, wenn man neuerdings das Daſeyn Gottes für kei⸗ nes Beweiſes bedürftig gehalten und darum ontologiſch einen Beweis für feine Selbſtbewußtheit und Perſoönlichkeit genannt hat*). Der fpätere Schelling **) hat ald das einzig mögliche Object ſolcher unmittelbaren, ontologifchen Erfenntniß das Abfo- Iute oder Nothwendig-Seyende bezeichnet, das ihm mit dem Got⸗ teöbegriffe nicht mehr zufammenfält, fondern nur den Hinter- grund bildet, von welchem der lebendige und perſoͤnliche Gott ſich freiwillig abhebt, und hat damit ſeine Lehre für principiell identiſch erflärt mit der Weiße's, welcher ſchon längft das Ab- folute für die bloße Möglichkeit Gottes und der Welt und mur als folches für den Gegenftand der Ontologie oder Metaphyfif, d. i. apriorifcher Erfenntniß, erfannt hat, fo daß nad) ihm das Reſultat alles ontologifchen Argumentirens nur der Oberſatz ift für den vollftändigen, kosmologiſchen Beweis des göttlichen Da- ſeyns ***). Dieſe Beichränfung der Metaphyfif, db. i. des on- tologifchen Beweifed, auf die Erfenntniß des Abfoluten als fol- chen, ald der bloßen Möglichkeit des Wirklichen und mithin auch des wirklichen Gottes, oder die Bezeichnung ihres NRefultates, falls ihr Gebiet nicht überfchritten wird, als pantheiftifchen Got⸗ tes im ©egenfage zum niemald methaphyſiſch zu erreichenden, theiftifchen, oder bed deus philosophorum im Gegenfas zum deus religionis, ift und ein zweites Ergebniß der ontologifchen Beweisverſuche. Auch Fortlage +) hat nichts Anderes im Sinne gehabt, wenn er unter der Meberfchrift des ontologifihen Argumente fcheinbar jo Disparated aufführt, wie eleatifche, ftoifche,, ariftotelifche und fcholaftifche Ausfprüche. Es ift ihm weniger um Argumente zu thun, als um Gottesbegriffe, und fo bringt er pantheiftiiche Syſteme und folche Anfchauungen, welche um ihrer Argumente willen und bloß in Anfehung biefer pans theiftifch hätten ausfallen müflen, unter Eine Rubrif. Alte Diefe

) Walte: De ontologico pro Dei existentia argumento. Bremae 1856. **) Werke IL, 1, ©. 316 f.

*** Philoſophiſche Dogmatif, Bd. 1, ©. 338 356.

+) Darftellung und Kritik der Beweife für's Daſeyn Gottes.

LS

Der geſchichtliche Eintritt ontologifcher Beweisführung ı. 31

abweichenden Verwendungen des Namens aber, welche für bie Kritit des: Beweiſes fo Iehrreich find, koͤnnen und nichts dienen für den rein hiftorifchen Zweck der Beftimmung feines gefchicht- lichen Anfangs, Wir haben da nur nach wirklichen Beweid- verfuchen für Gottes Dafeyn und zwar nad rein apriorifchen und zu erfundigen. Wir haben daher aus biefer Beftimmung jelbft die Bedingungen zu entwideln, unter welchen allein ein folcher Beweis geichichtlich auftreten Eonnte und mußte.

Sol es irgend etwas heißen: wir erfennen oder demoſtri⸗ ten dad Dafeyn Gotted a priori, d. h. ontologifh, fo nur dies, daß in bein Begriffe von Gott, welchen wir für ben eins zig wahren und nothmwendigen halten müflen, das Dafeyn dieſes Gottes, mit welchem es dann nur gilt, den conereten Gott ber Veberlieferung zu vergleichen, nothiwendig gegeben fey. Wenn ed nun auch kaum eined Beweiſes zu bedürfen fcheint, daß ber Gottesbegriff dann ein apriorifcher fen muß, indem ein a priori zu bebucirended Merkmal nur Merkmal eines aprioriichen Bes griffes jeyn fann, fo wollen wir e8 doch, um nichts zu unter- laſſen, auch aus der Unmöglichkeit des Gegentheils beweifen. Es fragt fich alfo, wie in einem apofteriorifchen Begriffe von Gott, der im firengen Sinne gar Tein Begriff, fondern nur der abbreviirende Ausprud für eine irgendwie mitgetheilte Erfahrung wäre, fein Dafenn zugleich ald Merkmal enthalten und mit Nothwendigfeit aus ihm abzuleiten feyn könne. Das Erfahrene wirft, indem es erfahren wird, und der Begriff folcher Wirkung macht die Annahme eines realiter Wirfenden, alfo eines hinter ber Erfahrung Anfichfeyenden nothwendig: damit wäre auf das Dafenn des Erfahrenen aus dem Begriffe feiner Wirkung, nicht aus feinem eigenen Begriffe, alfo nicht a priori gefchloffen. Sollte dies letztere gefchehen, fo müßte dad Erfahrene felbft in einer Weife fich zergliedern, daß unter feinen Merkmalen auch das des nothmwendigen Daſeyns fich auffinden ließe; es müßte das Erfahrene alfo zugleich als ein nothwendigerweiſe Daſeyendes erfahren werden. Died wäre gegen die Voraus⸗ fegung, daß das Dafeyn abgeleitet oder bewiefen werben ſollte.

32 R. Seybet,

Der die Zergliederung, könnte man fagen, geichieht fo, daß wir von ber Erfahrung nur überhaupt einen Begriff empfangen, dann dieſen Begriff von der Erfahrung abgejehen analyfiren, bei welcher Analyje wir auf dad Merkmal ded nothwendigerweife Daſeyns ftoßen würden. Allein was heißt es: nur überhaupt einen Begriff empfangen? Heißt ed: ein Wort, einen Ramen fo werden Merkmale nur fynthetifh zum Erfahrenen Hinzuger fügt, aber nie analytifh aus einem Worte gewonnen werben fönnen; und fofern die fonthetifche Vermehrung des Erfahrenen ſonach ohne neue Erfahrung nur eine phantaftiiche, willkürliche (oder apriorifche, wovon hier noch nicht zu jprechen) ſeyn fönnte, fo wären, wir für neue Merkmale immer wieder an bie Erfah- rung felbft verwiefen. Darum kann jener „Begriff überhaupt“ fein bloßes Wort, fondern nur ein ſolcher Begriff feyn follen, deſſen Merkmale ſich wirklich durd) Analyfe aus ihm gewinnen laſſen, alfo doch vorher in ihm gelegen haben müflen. Es ift aber gar nicht einzufehen, wie ein folder Begriff aus der Er⸗ fahrung entftehen fol, wenn nicht fämmtliche Merkmale, bie er enthält, fi) audy unmittelbar erfahren Iaffen fonnten. Und war dieſes letztere möglich, konnte alfo in unferem Falle das noth- wendige Dafeyn miterfahren werben, jo war es ein fehr un⸗ nüger Umweg, erft aus biefer vollen Erfahrung, durch welche bereitd Aled, fogar das Merkmal des nothwendigen Dafeyng, geboten war, einen abftracten Allgemeinbegriff zu bilden, um aus ihm die Merkmale und mit ihnen dad Daſeyn mühfelig zu deduciren. Died wäre Niemandem beigefommen, Endlich könnte der Erfahrungsbegriff von Gott ein unvollfländiger feyn derge⸗ ftalt, daß die nicht miterfahrenen Merkmale des Dafeyns und der Nothwendigfeit aud anderen erfahrenen Merkmalen zu ers fchließen blieben: dann würde aber nicht aus dem Begriffe auf feine Realität, fondern von einem Merkmale der Erfahrung auf ein anderes, d. h. nicht a priori, fondern a posteriori gefchlofs fen. Es bleibt alfo nur, daß, follte das Dafeyn auf aprioris fhem Wege ald nothwendiges Merkmal im Begriffe Goties ges funden werden, dieſer Begriff felbft ein apriorifcher war, wenn

Der gef jiähtliche Cintritt ontologiſcher Beweisführung x. 33

man auch der Erfahrung das Verdienft des Anftoßes zur Er⸗ wedung, Hervorziebung und Ausbildung des Begriffs (fozufagen der Erinnerungshilfe, um der platonifchen dvaurnoıs hierbei zu gedenfen) zuerfennen mag. Ein apriorifcher Daſeynsbeweis ſetzt einen gleichartigen Gottesbegriff voraus, wie er denn auch Fels nen anderen, ald einen begrifflihen, metaphyfifchen Gott zum Refultate hat; ein empirifcher Gotteöbegriff aber kann auch nur empirifch bewiejen werden und wird ohne Metaphyſik immer ein empirifcher bleiben. Gleiches. kann immer nur von Gleichen er- fannt werden. Alfo: ein apriorifcher Gotteshbegriff ift nie erfte Bedingung eines ontologifchen Beweifes,

Bis hierher wäre es vielleicht erlaubt, auch im vorchrifts lichen Alterthume ontologifhe Argumente zu vermuthen, und Fortlage könnte mit der Anführung der pythagoreiichen, eleatis fhen und platonifchen Philofophie auch für uns im Rechte ſeyn. Die uoväg der erften, wie dad ber zweiten, welche beide in ber That mit 6 8eoͤc fich vertaufcht finden, find Begriffe, bie und ald Beftimmungen bed Abfoluten für apriorifche gelten müß: ten, jener der Mathematik, diefer der eigentlichen Metaphyfif an⸗ gehörig. Der Begriff der doxn felbft, deren Erfenntniß von allen Anbeginn Problem der Philofophie war, wie fie den Ber griff diefer überhaupt conftituirt, ift un s ein apriorifcher, fallt zufammen mit unferem Begriffe des Abfoluten. Nur daß ben früheften Philoſophen ein Empirifches, den oben genannten eine reine Gedanfenbeftimmung ald Ausdrud diefer &oyn galt, unter: feheidet Diefe von jenen, Allen wird auch vom Standpuncte jener Philofophen felbft aus diefer Unterfchied als der zwifchen apofteriorifcher und apriorifcher Beftimmung des Abfjoluten ans gegeben werden bürfen? Ober find vielleicht Die wovds und das in jener Munde nicht minder empirifche, aus. der Empirie abftrahirte Begriffe, ald das Edwp im Munde des Thales, umb bie zayıwv Gyr vieleicht nur ein Poſtulat nach empirifchen Analogien? Wir würden bei diefen Alten felbft vergeblich eine Antwort auf diefe Frage fuchen; denn eben dies ift ihr Stand- punct, daß ber Gegenſatz des a priori und a posteriori noch

Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 32. Band. 3

34 R. Sender,

nicht in ihr Bewußtſeyn fallen konnte. Erft nachdem durch So - frates, ben griechifchen Kant, der Weg gebahnt war, Konnte biefer Gegenſatz bemerkt und bezeichnet, wenn auch noch nit in feiner ganzen Tiefe und Reinheit erkannt werden, Vor Sokra⸗ tes aber hat ſich das Subject nicht in ſich hineingewandt, um in feinen eigenen Grund zu ſehen, es kehrt fih nur nad den Außendingen, und auch die Seele, wo fie Gegenfland ber Be- trachtung wird, wird damit zu folchen vor fich hingeftelltem Außendinge; der philofophifche Inftinct, der fich felbft noch nicht fennt und verfteht, fucht dieſe Objecte unter ein Allgemeines zu faflen und benennt biefed Allgemeine nad) gleichfalls den Außen bingen entnommenen oder doch nur an ihnen, durch ihre Ver⸗ mittlung gewonnenen und deshalb vermeintlich von ihnen her⸗ geleiteten Analogien oder Abftractbegriffen. Im letteren Galle find Pythagoreer und Eleaten. Die Eleaten find «8, welche durch ihre Dialeftif, d. h. jene negative Denfarbeit, welche bie empirifche Außenwelt in ihrer bisherigen Geltung vernichtet und durch Zerfegung in widerfprechende Beftimmungen zum Materiale einer philojophifchen Erkenntniß völlig untauglich macht jene Umwendung, jenes Infichgehen des Subjects ‚vorbereitet haben. Ihr Verfahren ift, ohne daß fie ed wiflen, ein apriorifches; «8 find aprivrifche Kriterien, welche fie an die. Erfahrung heran bringen (wie ließe fih auch die Erfahrung Eritifiren ohne factis ſche Erhebung über dieſelbe?); zumal ift ihr Refultat, jenes bes ftimmungßlofe 0», ein-aprioriorifches, denn es ift das Uebrigbfeis bende nach Zerftörung bed a posteriori Wahrgenommenen. Als lein Dialektik und Auffindung bed hatten fih ja an der Beobachtung des Wirflichen vollzogen, und da man fid) des bas bei thätigen abfoluten und angeborenen Organed nicht bewußt war, da es Feine Erfenntnißtheorie gab, fo wurde bie Erwek⸗ fung® = "ober Erinnerungshilfe, wie wir oben die Erfahrung nannten, das Subftrat der Unterfucdhungen und die Gelegens heitöutfache der Entdeckungen, von deren eigentlichem Quell und Grunde nicht unterſchieden. Man hielt daher, wiewohl man alles direct Erfahrene als nichtigen Schein verwarf, jenen hoͤch⸗

Der geſchichtliche Eintritt ontologiſcher Beweisfährumg ıc. 35

ften Begriff doch für einen aus der Erfahrung gewonnenen, ab⸗ ftrahirten, von ihr übriggeblicbenen, ber zwar, im Gegenſatze zur Sinnlichkeit früherer Syfteme, nur im Denfen fein fubjectis - ves Eorrelat fand, aber doch nicht felbfithätig im Denfen ges fucht und gefunden, noch weniger ald ein daſelbſt urfprünglich vorhandener gewußt war. ES bedarf kaum der Erwähnung, dag man fo, "ben Begriff des Abfoluten aus ver Erfahrung gleihfam audichälend, an feiner Realität niemals zweifeln fonnte, ihn auf diefem Wege zugleich als feyenden für gewonnen hielt, und weder Bebürfniß, noch Befähigung Hatte, feine Realität ober ‚fein Dafeyn a priori zu bebuciren., Der nachchriftliche Denker, welcher zu den Eleaten bie geſchichtsphiloſophiſche Pa⸗ rallele bildet, Spinoza zeigt auch in dieſem Punkte feine Achn- lichkeit. Auch er kann bei allem Ontologiſchen ſeines Gottes⸗ begriff nur kosmologiſch beweiſen, wenn aud fein Beweis deutlich eine Zeit befundet, welche das ontologifche Argument im Rüden hatte,

Eine wirkliche, erfenntnißtheoretifche Unterfuchung des An⸗ geborenen vom erfahrungsmäßig YAufgenommenen, ein Bewußts feyn alfo von der Apriorität der Ideen oder Allgemeinbegriffe (die man freilich noch nicht fofort in ihrer Reinheit auszufchei- den verftand) ift erft nach Sokrates möglich, welcher, in Ausü- bung ber mütterlichen Kunft, eine Garicatur in den Augen bes damaligen Griechenvolfes und den Patrioten ein Stein bed An⸗ floßes, damit rang, ein Angeborned zur Welt zu bringen, deſſen legte Innenfeite in embyonifchem Halbleben ihn gefpenftiich er⸗ regte, deſſen Verkündigung ihn zum Propheten eined neuen Erz kenntniß⸗ und Lebensprincipd (Gxaucov duuoriov) und zu jes nem Märtyrer machte, der bie Zeit des clafiiichen Alterthums ebenfo in zwei maͤchtige Entwidelungsperioden ſcheidet, wie ein anderer, ber Märtyrer xar’ 2Eoxnv, die Gefchichte der Menſch⸗ heit in ihrer Totalität. Jenes Bewußtſeyn des Angeborenen, wenn auch noch nicht das volle Bewußtſeyn der Apriorität, tritt auf, nachdem Sokrates die Wahrheitserkenntniß auf bie Erfenntnig der Begriffe geſtellt, die Philoſophi⸗ vielmehr von

*

36 R. Seydel,

der Erde zum Himmel, als vom Himmel auf die Erde führend, und nachdem ſo der Phyſik eine Logik und mit dieſer eine Ethik als vollendende Glieder des Organismus beigeſellt werden konn⸗ ten, zunächft in der draurnous des Platon, des gricchiſchen Schelling. Das delphiſche Symbolum yrwsı oeavrov, das in des Sokrates Geift früh gezündet hatte, wurbe zum Thema ber Philofophen und blieb der Ausgangspunet ihrer Syfteme, bie fi) in der Geftalt des Sfepticismus bie Thatfache darftellte, daß für diefe Selbfterfenntniß noch fo wenig, als für bie frü- here Welterfenntniß, das allein Wahrheit verheißende Princip ‚gefunden war: dann beginnt bie chriftliche Zeit.

Platon's Fortfchritt über die Vorgänger liegt in der Er- fenntniß des a posteriori Wahrzunehmenden ald bloßer Erwek—⸗ fungd= oder Erinnerungshilfe der a priori vorhandenen ewigen Wahrheit der Ipeen. Die Ideen tauchen auf aus dem Grunde ber Seele, wie Sterne aus dem abendlichen Himmel, und je mehr ihrer auftauchen, um fo freier von irbifcher Laſt regt bie Seele ihre Flügel, bis fle endlich am Morgen, die fpröden Scha⸗ len der Puppe zurüdlaffend, als lichtfroher Tagfalter der Sonne entgegenfliegt. So fcheint bei Platon erft jene Bedingung im Wahrheit erfüllt zu feyn, bie wir als die erfte festen für die Eriftenz eines ontologifchen Beweifes: denn es Ieuchtet ein, daß die Früheren, welche ganz ohne ihr Wiffen einen apriorifchen Begriff Gotted oder des Abfoluten gefunden hatten, am wenig. ften darauf fallen konnten, biefen Begriff a priori als einen realen zu deduciren, wogegen ſich bei Platon, ber das ixanor, Tereov, oyadov, d. h. das Abfolute oder Gott (denn fehr häu- fig wird 6 eos für 10 Aya9ov gefagt), für die höchfte ‚der urfprünglichen Ideen, für die Sonne, von welcher jene Sterne ihr Licht empfangen *), erfennt, ein folcher Beweis viel eher er- warten läßt. Darum wird in ber Gefchichte des ontologifchen

*) Platon wird felbft auf einen ähnlichen Vergleich geführt Rpbi. VI, 507 C bis 509 B; VII, 547.

Der gefchichtfiche Eintritt ontologifcher Beweisführung ꝛt. 837

Arguments allgemeiner auf Platon, viel feltener auf die Eleaten und Pythagoreer zurüdgegangen.

Durch Vorftehendes hat ſich obige Bebingung alfo dahin erweitert, daß ein bewußt apriorifcher Gotteögriff zum ons tologifchen Beweife gehöre, und zwar deshalb, weil ein unbes wußt apriorifcher natürlich als fein Gegentheil, als ein aus ber Grfahrung abgeleiteter gewußt oder angejehen wird; ift er aber aus der Erfahrung abgeleitet, fo hält man ihn eben durch die Erfahrung für bewiefen ; ift man ferner fo fehr in dad a posteriori, dad Nicht= Ich verfenft, daß man aus ihm allein den Gottes: begriff zu gewinnen vermeint, fo ift nicht abzujehen, wie man - auf folhem Standpuncte darauf fol fallen können und Mittel dazu befigen fol, auf dem gänzlich entgegengelegten Wege bie Realität dieſes Begriffs zur Mebezeugung zu bringen. Wir füs gen alfo nur unferer zunächft pofitiv ausgebrüdten Bedingung bie negative Seite hinzu, wenn wir fordern, baß der Gotteöbe- griff für den ontologifchen Beweis Fein aus der Erfahrung, wenn aud nur vermeintlich, abgeleiteter ſeyn dürfe, ja wir werden aus ber noch zu erwartenden beſtimmteren Defis nition des a priori erfehen, daß ein unbewußt apriorifcher Be⸗ griff firenggenommen fein apriorifcher ift.

Wie fteht es nun mit der Erfüllung diefer Bedingung ba, wo die Erfahrung nicht mehr ald Princip der Ableitung, ſon⸗ bern als bloße Erwedungshilfe gewußt ift, d. i. bei Platon? Auch dem Platon dient die Erfahrung offenbar zur Vermittelung ber Auffindung ber Ideen, Dadurch, daß dad Erfahrene oder Wahrgenommene (ndoIyra) auf dialectifche Weile zur dosa oder zum un herabgeſetzt wird. Allein nicht im der Afche der fo verzehrten Wirklichkeit glaubt er, wenn auch nicht mit finnlichen, fondern mit denfenden Organen, das Wahrhaftwirfliche ale Reft, der feine Realität felbft bezeugt, finden zu konnen. Bielmehr, während der Geift trauernd ‚brütet über den Trümmern jener Melt des Traumes, erinneren ihn dieſe an ein vormals bejeffe- ned fchöneres “Baradied, das des Wahrkaßkwitklichen ober ber Ideen, beffen er fich erft jegt, mit und nad) Zerftörung ber bie

38 R. Seydel,

Sinne verlodenden Scheimvelt, von neuem bemächtigen kann. Aus feinem eigenen Inneren quillt das neue Leben hervor, und er weiß, daß es Feine weitere Quelle dafür giebt. Freilich aber fann fie nicht fließen, dieſe Quelle kann nicht frei werben, ohne daß Außere Anftöge umabläffig ihr die Bahn bereiten. Sie ift noch zu fehr verfchüttet von flarrem Geftein und feftem Erdreich; ed wird aber eine Zeit fommen, wo fie aus eigener Gewalt ſich zu Tage drängt, alles Wibderftehende im Spiele mit fi fort- freifelnd. Soweit jeboch ift fie jest ſchon erflarkt, daß fie ihr Dafeyn als ein felbftfändiges Fundgiebt, während fie biöher fo ſchwach floß, daß fie durch Menfchenhand aus dem Steine ge ſchlagen ſchien.

Ueberſetzen wir dieſe Bilder in die Sprache der Wiſ⸗ ſenſchaft, ſo finden wir bei Platon die Ideen zwar erweckt durch das Erfahrene, aber ihre Realitaͤt nicht im mindeſten durch eben daſſelbe begründet. Die Realität, d. h. die Uebereinſtim⸗ mung ber bialeftiich zu Tage geförderten Ideen mit dem Seyen- ben an fi, iſt für Platon überhaupt nicht Gegenftand irgend einer Bermittelung, fondern Borausfesung aW feines Philoſo⸗ phirend. Er vertrauet der Objectivität feined Denkens unmits telbar; d. h. Ideen, deren er ſich auf dem Iegitimen Wege ber Diafektif erinnert hat, gelten ihm für unzweifelhaft wahr. Sol daher noch irgend die Rede feyn von einem Beweiſe für bie Realität einer Idee, fo kann darunter nur ber dialeftifche Bang feloft verfianden werben, auf welchem fle gewonnen worben if; denn ift nur bie bialektifche Berechtigung nachgewiefen, fo kann nad) jener Vorausſetzung der Einheit ded Denkens und Seyns über die Realität Fein Zweifel mehr obmwalten. Jener bialektifche Bang aber muß ein boppelter feyn, da bie Ideen felbft zwei⸗ facher Natur find. Einmal find es empirifcher Dinge ibeelle Typen; dann bilden die finnlihen Wahrnehmungen felbft bie ünosnoss *) ber Glenntniß. Oder ed find rein metaphyſiſche

Ich erinnere bier an die au von Schelling forgfältig benußte Stelle der Republik (VI, 511 B.), wo bie Methode Platon’ am unzweis

® Der geſchichtliche Eintritt ontologifcher Beweisführung ꝛc. 39

Allgemeinbegriffe, welche, über die allgemeinften Gattungen und Arten des Empirifchen noch erhaben, erft vermittelt ber Ideen nieberer Ordnung, aber nicht ohne Sprung unmittelbar aus ber Erfahrung, erwedt werben fünnen. Diefe Ideen höherer Ord⸗ nung, welde rein find von empirifchem Zufage und unvorftell- bar durch phantaftifche Schemen, find alfo durch eine, nicht am der finnlichen Erfcheinungswelt, fondern an jenen niederen von ber Erſcheinung emvedten Ideen felbft geübte Dialektik aufges funden. Und zu biefer fo entftandenen höheren Ideenclaſſe ges ‚hören zulegt und zuhöchft die Ipeen des dv und des fo vielfach ausgedrückten Abjoluten, Guten ober Gottes *). Diefe Dialektik nun, durch welche von ben niederen Ideen zu ben höheren und inöbefondere zu der des Abfoluten oder Gotted aufgeftiegen wird, fönnte allein für das einem ontologifchen Beweiſe Achnliche an⸗ geſprochen werben.

In der That läßt fih dafür anführen, daß es nicht im gewöhnlichen Sinne Erfahrungen, fondern der Seele eigene Ideen find, auf weldhen der Gotteöbegriff fi aufbaut, und daher der Schein einer empirifchen Erfenntniß erzeugt wird, zumal Platon auch die mit Empirische verfegten Oattungsideen für urfprüng- liche, nur neu erinnerte, Beligthümer der Seele hält. Ueber diefe aber erhebt ſich ber Gottesbegriff folgendermaßen. Die Borausfegung, daß den Ideen Realität oder Seyn zufomme,

deutigften dargelegt if. Dies ift Methode der dialektiſchen Induction noch in anderem Sinne, als fie auf den Boden gegenwärtiger Speculation über- getragen werden darf und von Schelling wirklich übergetragen worden ift Werte I, 1, vierzehnte Borlefung). Denn das Ausgehen vom Befonder zen ift wohl für uns ebenfo notbwendig; es iſt aber dann kein Ausgehen vom Relativen, um das Abfolute zu erreichen, fondern ein Ausgehen von einer befonderen Form des Abfoluten, die als folche unmittelbar gewußt ift, zu deffen weiteren Formen, bis e3 in feiner Totalität erkannt if. Solchen abfoluten Anfang hat auch Schelling gefunden im Satze vom. MWiderfpruche, und dadurch unterfcheidet fi feine Induction von der plas tonifchen, welche vom Richtabfoluten als ſolchem aus das Abfolute erfteis gen will. Schelling hat m. E. nicht wohlgethan, dieſen Unterfchled zu - verfchweigen. *) Eine Reihe von Bezeichnungen dafür ſ. Rpbl. VI, 484 —486.

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hatte es nöthig gemacht, auch eine Idee bed Seyns zu creiren, an welcher die übrigen Ideen theilhabend real wären”). Yür die Verbindung ferner und Gemeinfchaft her Ideen untereinans ber, fowie für die Herftellung des Verhältniffes ihrer aller zur Idee des Seyns, gleichfam der Spige einer Pyramide, welche aber nicht auf ber breiten Baſis, fondern oben auf diefer Spike fteht, für die fortwährende Aufrechthaltung dieſes Tünftlichen, in fich ſelbſt ſchwer haltbaren Gebäudes bedurfte es einer neuen, allumfaſſenden Idee, der Idee bed Abfoluten oder Gottes, welche al8 Idee des richtigen Verhältnifjes oder der Ordnung des gan« zen Gebäudes 76 ixavov (dad Gehörige) oder als Idee feines zwedmäßigen Aufbaues und feiner Ehaltung 10 &ya9ov ges nannt werben kann **). Darum ift die ided Tod dyason dad ueyıorov uasmun, infofern „durch fie erft alle übrigen Er⸗ fenntniffe dienlich und brauchbar werden.” Sie tft, indem fie das Verhältniß zwifchen den Ideen und ber Idee ded Seyns herftellt, die höhere Einheit über dem voös und den voovuzvors, wie die Sonne über ber dwıs und ben opwedvors, und als folche bie „Urfache ver Erkenntniß.“ Sie ift das Höhere ferner über dem Denfen und Seyn, vermittelt die Gemeinfchaft der Ideen mit den wirklichen Dingen ober ber Materie ebenfofehr, wie die Gemeinfchaft der Ideen untereinander; „nicht das Er⸗ fanntwerben allein gewährt fle dem Erfanntwerdenden, ſondern auch das Senn und Wefen (TO zivar xul r79 obolov), die Sub- ftanz, indem fie felbft nicht Subftanz ift, fondern noch über die Subftanz an Alter und Macht erhaben” **, Ihr Seyn, das Dafeyn Gottes, ift offenbar verfchieden von jenem Seyn, deſſen Einheit mit dem Denken urſprünglich vorausgefegt, bier durch bie Idee des Guten vermittelt wird: dies letztere bildet nur bie

*) Weber die Bedeutung der Idee des Seyns für die xowwria zörv tdeöv iſt vor Allem der Dialog Sophistes zu vergleichen, namentlih von p. 254 D an.

“*) Rpbl. VII, 517 B. C. ***) Rpbl. VI, 505 bis 509 B.

Der gefchichtliche Eintritt ontologifcher Bewelsführung ꝛc. Ai

eine Seite, die der objectiven ober materiellen Exiſtenz, im Das ſeyn Gottes, welches beide Exiſtenzweiſen, ideelle und reelle, in ſich vereinigt.

Hierbei fällt fogleich auf, daß die fonft vorausgefehte Ein- heit ded Denkens und Seyns dennoch zu begründen gefucht wird durch Sebung. Gottes ald Bandes diefer Einheit, und nicht bedacht, daß diefe Setzung felbft feine Realität hat, wenn nicht jene Einheit als Borausfegung ftehen bleibt. Erfennen nun auch wir dad Abfolute für das den Denfen und Seyn ibenti- ide, beidem inwohnende Nothwendige, das als ſolches nicht mehr bewiefen, fondern nur unmittelbar erkannt werben kann als das jeden Beweis erft ermöglichende: fo erfieht man aus Dbigem leicht, daß Platon nur darin, daß er diefe Einheit des Denfend und Seyns vorausfegte, unferem Begriffe des Ab- foluten (und damit, wie wir fehen werben, auch dem ontologis fehen Beweife) nahe gefommen ift, dadurch aber, baß er diefe Einheit felbft nicht unmittelbar ald folche für das Abfolute oder Gott erkennt, fondern für ihre Herftellung der Annahme einer legten Urfache bedarf, fich wieder davon entfernt hat. Erinnern wir und eines fürzlich von und gebrauchten Bildes, das wir in ähnlicher Weife bei Platon felbft Iefen, fo ift von ihm zu fa- gen, daß er von den Sternen (den niederen Ideen) ſich erhebt zur Sonne ald dem SImbegriffe des Lichtd, an welchem jene theilhabend leuchten; die Borfofratifer wären dann durch Ber trachtung des irdiſchen Lichtwechfeld oder anderer Veränderungen an den Erdendingen auf die Crfenntniß der Sonne gekommen, Sokrates hätte die Philofophie von der Erde zum Himmel ger führt, aber erft jpäter hätte man gewagt und vermocht, unmit- telbar in die Sonne feldft zu fehen. Platon's Gang bleibt alfo im⸗ mer ber vom Befonderen zum Allgemeinen, vom Vielen zum. Einen, vom Relativen zum Abfoluten, indem jenes theilhaftig gefunden wird einer höheren und ‚höchften Idee ober in dieſer enthalten. Zu einem niederen Begriffe den höheren fuchen, heißt aber ebenfoviel, als zu einem Bedingten die Urfache ſuchen; denn jede Urfache ift (wenn wir nicht bloß die Gelegenheitsurſache

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oder ben aͤußeren Anſtoß darunter meinen) der höhere Begriff, in welchem die Merkmale fi ald Wirkungen barftellen, und jedes Auffteigen vom Befonberen zum Allgemeinen, vom Merk male zum Begriff, ift darum ätiologifches Berfahren *).

Es tritt und hier alſo als eigentliches Berweißmittel ber Gauffalfas vor Augen, und es liegt nunmehr näher, eine Analogie mit fosmologifchen oder teleologifchen Argumenten, als mit ontologifchen, hier zu erwarten. In der That find wir bem MWiderfpruche des Fosmologiichen Beweiſes, daß er das Abfolute deduciren will, jedoch nicht umhin kann, es in Geſtalt des Cauſ⸗ falfages fchon vorauszufegen und anzuwenden ober in Geflalt der Einheit des Denfend und Seyns es vorweg anzuerkennen, foeben bei Platon begegnet. Und wo finden wir bei ihm jene ontologifche Ableitung a priori, die immer mur die Debuction eines Merkmals aus einem bafjelbe mit Nothwendigkeit ein- ſchließenden Begriffe feyn Tann? **) Wir finden eben nur eine Mehrheit von Dingen (was hier zufällig urfprüngliche Ideen find), die mit einander in Gemeinfchaft gehalten werben follen und für deren Berbindung es eines Bandes, d. h. einer letzten Urſache bedarf, die einmal bie Macht hat, das Auseinander- fallen zu verhüten (ixavov), dann auch den Willen, biefen Zweck ber Erhaltung zu dem ihrigen zu machen (ayador). Died nens nen wir kosmologiſch oder teleologifch, mit einem Worte aͤtio⸗

*) In meiner Schrift: Schopenhauer’s philof. Syflem, dargeftefft und beurtheilt ıc. iſt S. 28— 35 diefe Identität des Baufjalfages mit dem Sape vom Widerfpruhe ausführlich nachgewieſen. In unmittelbarer Anwendung auf platonifche Ideen gefchieht daſſelbe bet Anfelm von Ganterbury, da, wo er in dem Satze: ormnia quae sunt, per ipsum esse sive essentiam sunt, dieſes per für identifch erklärt mit dem ex der Gauffalfolge.e Monologium, cp. 5. 2gl. Billroth: de Anselmi Cantuariensis Preslogio et Monologio.

”*) Eine folde war dem Platon nur bei Begriffen möglich, welche aus der (poftulirteny Realitat des Abfoluten die ihrige empfangen; fo konnte er aus dem Begriffe der Seele, als des auf abfolute Weiſe Leben⸗ digen und den Tod Ausfchließenden, recht wohl ächt ontologifd ihre Uns ſterblichkeit deduciren. Phaedon, 102 106.

Der gefchichtliche Eintritt ontologifcher Beweisführung ꝛc. Ad

logifch beweifen )Y. Es ift dabei offenbar gleichgültig, daß die Dinge, auf weldye ſich ber Beweis frügt, in unferem Falle Ideen find: fein Glied des Beweiſes würde fi) ändern, wenn ed Dinge der äußeren Erfahrung wären. Nichtsdeſtoweniger, möchte man uns einwenden, ift ber Beweis aprioriich und ges hört nad eurer Definition zu den ontologifhen. Dagegen nimmt es fchon Wunder, daß ein Atiologifch geführter Beweis aprios rifch feyn folle. Wir erinneren und des vor Kurzem befproches nen pſychologiſchen Argumente. Es rubte gleichfalls auf einer aprivrifchen Idee, fogar auf ber des Abfoluten ſelbſt. Durch die Atiologifche Schlußweife aber, mußten wir fagen, wird bies fer Idee der Charakter der Apriorität abgeftreift, fie wirb herab» gedrüdt zu einer endlichen Eingelerfahrung, die ſich von andern Erfahrungen als Außeren finnlichen nur ald innere feelifche Er⸗ fahrung unterfcheivet. Nicht anders verhält es fi) mit ben platonifchen Ideen, wo fie einem Atiologifchen Beweife zur Un⸗ terlage dienen: es find dann endliche Einzelerfahrungen, innere, für deren Zufammenhang der zureichende Grund in der Gottes⸗ idee gefucht wird. Apriorifch find fie vieleicht an und für fidh, aber in einem ſolchen Beweife find fie nicht als aprierifche, vielmehr als endliche einer Urfache bebürftige Erfahrung.

Was find nun aber apriorifche Ideen als folche und wie unterfcheiden fie fi) von inneren Erfahrungen? Ohne Zweifel gehören fie zu diefen legteren; es muß aljo noch eine befonbere Beftimmung zu der des innerlich Erfahrenfeyns binzufommen, um den Begriff des a priori ald davon unterjchiebenen zu cons ftituiren. Und fo finden wir hier den erften Anlaß, den Bes griff des a priori genauer zu faſſen. Im firengen Sinne naͤm⸗ lich ift eine Idee nur infoweit und infofern aprio— rifch, wiefern fie als vor aller Erfahrung nothwen- big erfannt ift: dann ift fie abfolut, unendlih, ewig, und bat in Feinerlei Caufjalnerus, nur im Begriffe des Abfoluten ſelbſt, ihre Stelle; in jeder anderen Betradhtung tritt

*) Bgl. mit den angeführten Stellen z. B. Rpbl. II, 379 B.

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ſie nicht als aprioriſche Idee, ſondern als innere Erfahrung auf. Aus dieſer Beſtimmung erhellt von ſelbſt, daß ein unbewußt apriorifcher Begriff Fein apriorifcher ift; denn erft dies macht ihn dazu, daß er ald vor aller Erfahrung noth⸗ wendig gewußt ift; und es gemügt nicht, allein zu wiſſen, er fey aus der äußeren Erfahrung nicht abgeleitet, nur von ihr erwedt: er muß auch als nothwendig gewußt feyn vor aller, felbft der inneren Erfahrung. Sonft würde er fich von letzterer nicht unterfceheiden, und, da zulegt alle äußere Erfahrung auf innere fich bringen läßt, der Gegenſatz des a priori und a poste- riori völlig getilgt feyn. Wird nun ein, immerhin an fich apriorifcher, Gottesbegriff durch Erfahrung, wenn aud) innere Erfahrung, vermittelt, fo läuft dies jener geforderten Erkennt⸗ niß defielben als eines vor ber Erfahrung an ſich felbit Noth⸗ wendigen zumider, wie auch umgekehrt der Mangel dieſer Er- fenntniß jede andere als apofteriorifche Vermittelung unmöglich machen muß. Nach dieſer fchärferen Fixirung des Begriffes a priori find alfo die platonifchen Ideen zwar zum Theil an ſich in Wahrheit apriorifche, d. h. folche, welche ald vor der Erfah „rung nothwendig erfannt werden Fönnen und follten: aber fie find bei Platon nicht als aprivrifche, fondern ald innere Erfahrungen, wie denn auch die drdurnoıs feine fpeculative Der duction, vielmehr nur die innere Erfahrung deſſen ift, was bie Seele aus ihrer antelapfarifchen Freiheit in die irbifche Körpers haft herübergenonmen hat. Ein-Gotteöbegriff der inneren Ers fahrung aber ift und bleibt im ftrengen Sinne ein apofterioris her und kann, wie oben bewiefen, auf Feine Weife ontologifch bedueirt werden. Dies jedoch, daß die Ideen als nicht durdy äußere Erfahrung erzeugte, fondern ald nur mit Hilfe der aͤuße⸗ ren Erfahrung, theilweife auch ohne ſie, innerlich erfahrene ge⸗ wußt find, ift der oben angegebene, fo genauer beftimmte, Forts ſchritt Platon's über die vorfofratifhen Philoſophen. Allein darum, weil in ſeinem Gottesbegriffe keine aprioriſche Nothwen⸗ digkeit enthalten iſt, kann ein ontologiſcher Beweis bei ihm nicht angetroffen werden. Sein Beweis fuͤr die Idee des Abſoluten,

Der geſchichtliche Eintritt ontologiſcher Beweisführung ꝛc. 45

wenn jener dialektiſche Gang fo zu nennen iſt, hat feinen aprio⸗ riſchen Sat, fondern Erfahrungen, nämlich innere, zur zweiten Prämiſſe.

- Bon bier aus koſtet es Feine Mühe, ſich von dem Ausfall des ontologifchen Beweifed bei den vorchriſtlichen Philofophen überhaupt zu überzeugen. Des Ariftoteled Argumentation, eine unverhült kosmologiſche oder teleologifche, ift nie für eine andere gehalten worden, wiewohl ein Moment, welches wir fehon bei Platon als das den ontologijchen Beweis am meiften vors bereitende nennen mußten, bei ihm noch zu größerer Klarheit entwidelt iſt. Die platoniſche Borausfegung nämlich ber Ein- heit des Denkens und Seynd hat fidh bei Ariftoteled in bie ausdrüdliche Annahme einer, alle relative Nothwendigkeit aus ſich fegenden, wiewohl an fich ftofflofen (addov), abfoluten Roth: wenbdigfeit ded Seyns und Denkens verwandelt, welche als das nicht nicht und nicht anders feyn Könnende (rd un Zvdexi- pevov üAlc, ld OnAwc, oder 6 odx Lvölgeran Alilwg Ext ovdauwc) dem wahrhaft mifjenfchaftlichen, apodiktiſchen Willen feine nothiwendigen Anfänge darleiht (Lore yap 7 änodexrızy izıorzun 85 üvoyaoloy doxwr) *). Wie ‘Blaton, welcher Gott feldft Schließlich zum Urheber und Erhalter jener voraudgefegten Einheit macht, laͤßt auch Ariſtoteles dieſe Idee des Abfoluten in Verhaͤltniß treten zur Gottheit, indem er die abfolute Roth- wendigfeit ihr als Eigenfchaft prädicirt (fie: fönne nicht anders feyn als fie ift); allein nody fo wenig, wie bei Platon, ift bei ihm der Gotteöbegriff ein fo weit aprioriicher, daß er in feiner Wurzel mit jenem Begriffe der abfoluten Nothwendigkeit identi⸗ fieirt würde. Gott und das Abfolute ziehen fich feit Sofrated al8 zwei paralelle Fäden durd das Altertum, die fich einander immer mehr nähern, je offenbarer fie an das Tageslicht treten,

*) Wir entnehmen diefe Notiz dem Sendfchreiben Weiße's an 3. 9. Fichte über „das philofophifche Problem der Gegenwart” ©. 155 ff. Die zugehörigen Stellen des Ariftoteles find: Metaph. XIV, 2. XU, 7. V, 5. Anal. post. I, 6.

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86 NR. Seydel,

d. h. je vollfländiger umd erfchöpfender jene zwei Begriffe er- fannt find: erft wo beide zufammlaufen, ift die Hauptbebingung der Eriftenz eines ontologifchen Beweiſes erfüllt,

Von fpäteren griechiſchen Philofophen hat man nur bie Stoifer herangezogen und namentlich foll unter ihnen Klean⸗ thes *) dem ontologifchen Beweife fehr nahe gerüdt feyn. Was jedoch Eicero von diefem Denker berichtet, kann eine foldhe An⸗ nahme nicht begünftigen, und das Argument, welches Sertus mittheilt, rechtfertigt fie nur wenig. Es ruht auf dem Satze, dag der Comparativ jeder Vergleichung, durch welche ein Weſen vollfommener ‚aefunden wird denn ein anderes, einen Superla- tiv, d. h. die Annahme eines Vollfommenfien, nad ſich ziehe

ober deſſen Erifienz vorausfehe, da fi) in's Unenbliche nicht

fortfteigern lafſe. Mag dieſe erfte Praͤmiſſe wirklich apriorifchen Grund haben, wenn auch Kleanth fie durch Erfahrung vermits telt, fo ift die zweite auf jeden Fall empirifch, welche den Com⸗ parativ ald Thatſache ausfpricht und den Superlativ vom Mens chen, der zwar in der Natur das vollflommenfte, aber in fid ein jehr ſchwaches und unvolllommened Wefen fey, nicht minder empirifch wegweiſt. Der Beweis fteht im Uebrigen ganz auf platonifchem Boden, indem er durch Vermittelung ter Außeren bie innere Efahrung macht eined zu aller Bergleichung erforders lichen Ideals als des höheren Begriffd, an welchem das Befon- dere theilhat. Darüber ift bei Platon geurtheilt worden.

Jener andere Baden endlich, die Erfenntniß des Abfolu- ten, das mit dem Gotteöbegriffe noch nicht verfchmilgt, ſetzt fich fort in der bereits im Alterthume, wiewohl zurüdtretend, begeg- nenden Widerlegung des Sfeptcismus aus der Idee ber Wahrheit, vermöge beren auch das eine Wahrheit feyn müfle, daß es Feine gebe, es alfo doch eine gebe ein Ges banfe, der, wiewohl er ohne alle Ahnung eined dabei ausges fprochenen Gottesbegriffes auftritt, vielleicht für die größte An⸗

9 Cicero: de na. D. I, 413 ff. Sextus Empiricus: adr. math. IX, p. 88— 91.

Der gefrhichtliche Eintritt ontologiſcher Beweisführung x. 47

näherung des Alterthums an den ontologifchen Beweis zu hals ten feyn dürfte *). Auch dieſe Widerlegung des Skepticismus ging vornehmlich von den Stoifern aus, beren Abhängigkeit von der poſitiven Seite des Platonismus Kleanth, und bezeugt hat und deren Verwandtfchaft mit Ariftoteled in der Zeit des roͤmi⸗ fchen Eklekticismus bis zu völliger Gleichſetzung der ftoifchen und peripatetifchen Schule geführt hat.

Man ift ſonach im Altertbume nicht weiter vorgedrungen ald bis zur Entdedung des Abfoluten oder Gottes in und, die fich theils durch Hülfe der Außeren Erfahrung, theils ande- rer innerer Erfahrung (denn fie felbft iſt sine folche) ‚vollzieht, und dies ift fo weit, daß, wäre man noch weiter fortgefchritten, wir nicht wüßten, womit die Philofophie die ſeitdem verfloffenen zwei Jahrtaufende hätte ausfüllen follen. Die Theologen haben als natürliche Quellen der Offenbarung (d. 5. deſſelben, was wir Erwedung oder Erinnerung nannten) Natur, Bernunft und Geſchichte angegeben, d. i. mit unferen Worten und indem wir unter Vernunft hier nur die jedwedes einzelnen Menfchen, nicht die allgemeine abfolute Vernunft verftehen, äußere und innere Erfahrung, oder in einen Begriff zufammengefaßt: das End- liche. Wenn nun das Alterthum erkennt, daß dieſes Enbliche dad Gottesbewußtfeyn nur hervorrufe aus einem von Angeburt potentiellen Vorhandenfeyn, fo ift dies mehr, als Diejenigen Supranaturaliften wiſſen, welche die Offenbarung an ben völ- lig verfinfterten Menfchengeift aͤußerlich heranbringen. Allein dieſer urfpränglich eingepflanzte Gotteöbegriff ift im Alterthume nur durch Enbliches erwedt, ift eine Potenz, die auf endlichen Anſtoß allein actuell werben kann, noch nicht die unendliche Actualität, die fich felbft mittheilt als unendliche, das Endliche erft aus fich febende und vermittelnde. Im vorchriftlichen Alter» thum erhebt ſich der Menfc nur auf endlichen Wege zu Gott. Da aber Gott felbft in feinem Dafeyn nicht durd) das Enb- liche vermittelt ift, fondern biefes durch ihn, fo ift dieſer Weg

*)6&. z. B. Cicero, acad. priora, cp. 4 19.

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nur ein ſubjectiv⸗ menfchlicher, diefe Vermittelung nicht eine Ver⸗ mittelung ded Seyns, fondern nur des Denfend, ihr Ziel nur das Wiſſen, daß Gott ift, nit, daß er an fich ſelbſt feyn muß. Wenn ih aus Endlichem weiß, daß Bott ift, fo weiß ich eben nur dieſes, daß er ift: ich habe das ald eine vermittelte Erfahrung, oder meine Erfahrung vom Seyenden hat ſich dahin erweitert und vermehrt, daß es außer dem Enplidyen, welches ich fehe und empfinde, auch einen Gott giebt, deſſen Wirfungen ih fehe und empfinde; wie ber Reifende aus Spuren einer Kunftthätigkeit auf menfchliche Bewohner fehließt, deren Dafeyn er nunmehr weiß, aber deren Nothwendigfeit, warum und wo- ber fie find und feyn müflen, er dadurch um nichts mehr er- kannt hat. Solcjergeftalt aber ift Gott, auch wenn fein Begriff für und ein apriorifcher wäre, doch nicht als apriorifcher ge⸗ fest, wa8 vom ontologifchen Beweife verlangt wurde; denn als apriorifch fegen hieß nad) der Iegten Beftimmung: als vor aller Erfahrung nothwendig erkennen. Alle Erhebung vom Ends lichen zu Gott, vom Befonderen zum Allgemeinen, vom Vielen zum Einen, ift a posteriori Beweifen, welches ſonach nie einen apriorifchen Gottesbegriff im ftrengen Sinne zum Refultate hat. Mittelft der Erfahrung kann ein apriorifcher Gotteöbegriff im- mer nur eriwedt werden, d.h. er taucht auf ald eine neue, ver- mittelte Erfahrung, wie die Wellen im See, wenn ber Wind barüberftreicht, wir erfahren nur die Wellen, daß fie find, nicht, durch welches innere Geſetz bed Sees ober ihrer felbft fie mit Nothwendigkeit find. Solch empiriich erweckter Gottesbegriff ift aber fein eigentlich apriorifcher und es erweift ſich alfo, daß, wie ber ontologifche oder apriorijche. Beweis einen apriorifchen Gottesbegriff fordert, fo auch ein Acht apriorifcher Gottesbegriff nicht anders ald a priori vermittelt werden kann und darf (Glej⸗ es kann nur von Gleichem erfannt werden), Danad) beftimmt ſich nun der einzig mögliche Ausgangspuncd für den Beweis ber Realität eined aprioriſchen Ootteöbegriffs, d. i. den ontologifchen Beweis, von felbft. Soll nämlich Gott a priori, d. h. nicht bloß als feyend, fondern ald nothwendig feyend erfannt werden,

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und ift er Doch zugleich der Unbedingte und Abfolute, deſſen Roth» wendigfeit nicht Abhängigkeit feyn kann von einem Anderen außer ihm: fo bleibt nur, daß er fich felbft als die nur von ihrem eigenen Begriffe abhängige und durch dieſen nothwendig feyende Nothwendigkeit a priori kundgebe. Die apriorifhe Er- fenntnig Gottes hat baher feinen andern Ausgangspund als Gott ſelbſt, oder: für die natürlichen Offenbarungsquellen, welche * hinter diefem Gotteöbegriffe ald unzulänglich zurüdblieben, muß eine übernatürliche, d. h. weder durch Natur, noch Gefchichte, noch feelifche Erfahrung vermittelte, fondern unmittelbare Offen- barung Gotted durch fich felbft eintreten. Durch den Begriff ded ontologifchen Beweiſes ſelbſt als rein apriorifchen und ba- buch, daß wir unfere erfte Bebingung ftreng beim Worte nah- men, find wir alfo unabweislich genöthigt worden, eine uns mittelbare Selbftoffenbarung Gottes als zweite Bedingung ber Eriftenz jened Beweiſes aufzuftellen, wie fehr diefelbe auch jeden, Beweis für Gottes Dafeyn überflüffig zu machen fcheint.

Wenn das Subject nit aus irgend einer Erfahrung, die von ihm als Object befchaut wird, zu Gott fommen fol, alfo nicht durch eine Hinauswendung, fo kann es nur durch eine Hineinwendung, und zwar durch eine Hineinwendung ber Art Gott finden, vermöge beren es felbft mit dem ſich ihm ofe fenbarenden Gotte fich einig, oder genauer, fi @ind weiß, Denn Gleiches wird nur von Gleichen erfannt und finitum non capax est infiniti. Gott, der das Object ift, muß aud das Subject feyn; dad Auge, womit mich Gott fieht, jagt Meifter Edharbt, ift daſſelbe, womit ich ihn fehe, und daß wir Gott nur durch Gott erfennen, ift feit dem Apoftel Paulus einftims mige Lehre der tieferen chriftlichen Denker, vor Allen der My⸗ ftifer. Gott mußte dem Menfchen central werden; gleichfam im Stande ber Erniebrigung (wiewohl es gegen ben vorherigen ein Stand der Erhöhung iſt) mußte er die Initiative haben ber Erfenntniß feiner ſelbſt, welche Initiative bisher die Außere Welt ober. das endliche Subject gehabt hatte. ine völlige Um⸗

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wendung hatte einzutreten, die Erkenntniß von Gott anzuheben, während Gott bisher ihr erftrebted Ziel war, das fie vor Er- fermtniß der Welt in keiner Weife erreichen zu können meinte; und wie ſich die Welt felbft aus Gott ableitet, fehlen nunmehr auch die Erfenntniß ber Welt aus ber Erfenntniß Gottes ſich ableiten, aljo die Hinaudwendung erſt der Hineinwendung fol- gen zu follen, während bisher diefe durch jene vermittelt worden war; ja bie Erfenntmiß der Welt und ded Menſchen fonnte im Grunde nur eine Vervolftändigung der Erfenntniß Gottes, oder alle Wiftenfchaft Religion ſeyn. Die Wifienfchaft und Philo— fophie, welche bisher analytisch zu Werke gegangen, mußte eine SInclination befommen zu fonthetifhem Verfahren. Daß biele Umfehr, diefe Verwandlung des anthropocentrifchen Denkens, das nur Ausflug eined anthropocentrifchen Lebensprincips feyn fonnte, in das theocentrifche, gleichfalls bie Folge des an bie Stelle jened getretenen theocentrifchen Lebensprincips, mit bem Ehriftenthum eingetreten if, haben wir faum noch auszu⸗ fprechen nöthig. In Chriſtus und zmar in ihm felbft, in wer Totalität feiner Perſon, ift diefe Umwandlung fubftantiell darge- ftelt; feine Lehre, feine Werke und feine Gefchichte find nur die Radien, weldye von feiner Gottmenfchheit als dem Mittel: puncte mit NRothiwendigfeit ausgehen. Er ift die realgewordene Apriorität der, Oottedidee. In feiner Nachfolge wendet man fi) an Natur, Gefchichte und feelifche Erfahrung nur noch im polemifchen oder mifltonären Intereffe, um die Geburt des in⸗ wenbigen Gottes bei denjenigen zu erzielen, in welchen fle ſich nicht von innen heraus von felbft vollzog. So erfcheint das griechifche Altertum mit feiner Philofophie, wie die gefammte vorchriftliche Gefchichte, als Paͤdagogie auf Ehriftus, und wie bie hoͤchſte Blüthe diefer Pädagogie bei den Juden in Geftalt der meifianifchen ‘Brophetie durchbrach, fo bei den Griechen in Geftalt des platonifchen Idealismus. Wir fahen, wie biefer lestere an jene Ummenbdung nahe anftreift, und wir werben fes hen, wie er der hriftlichen Wiffenfchaft erftes und bedeutendſtes Serment wird: ja feine Weile, zu Gott aufzufteigen, wird noch

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lange im chriſtlichen Mittelalter wieberhoft, felbft Anfelmus von Canterbury überliefert neben dem feinigen einen rein platonifchen, nahezu Eleanthifchen Beweis )Y. Im Mangel aber des theocen- triſchen Bewußtſeyns konnte auch dieſe Blüthe des Alterthums nur Pädagogie ſeyn, fie felbft in ihrem Fürfichbeftehen mußte zum allgemeinften Subjeciviömus und Skepticismus herabwel- fen, ber nun ſeinerſeits, nicht minder päbagogifch, im Berfau- len den Humus bildete für eine neue, der erften verwandte, aber veredelte Pflanzung.

Allein jene Wiedergeburt felbft, Fönnte man einwenden, das Centralwerden Gottes, erfolgt im Gläubigen vermittelt einer Erfahrung, wenn auch zugegeben werben fol (obzwar ungern), daß der einzige Ehriftus von Natur mit Gott eins war. Se: ben wir zunaͤchſt davon ab, daß ber hier gemeinte Begriff von Erfahrung wohl nicht der unfrige ift, und nehmen wir ihn alfo vorläufig dem unferen gleich, fo koͤnnen wir dieſen Einwand, anfatt feinen Inhalt zu leugnen, unbedenklich dahin erweitern, daß auch in dieſem einzigen Chriftus das erfte Bewußtſeyn Got⸗ ted und dad Wachsthum der Opttederfenntniß durch Außeren Anftoß gewect und erregt wurde. Allein die Erwedung hat hier mit dem Erweckten fo wenig gemein, die Urſache ift jo inabä- Auat ver Wirkung, wie etwa ein leifer Luftzug dem Tode eines Kranken, ober ein kurzer Regen dem plöglichen Aufbrechen aller Knospen des Lenzes. Es war eben Alles reif zur Ernte. So kommt es, daß fuͤr die Erfahrung als Erweckungshülfe Fein be⸗ ſonderes Intereſſe · mehr da iſt, daß fie in Bezug auf das Er⸗ weckte für gleichgültig gehalten, vergeſſen, und nicht mehr in das Syſtem der Lehre, hoͤchſtens als Mittel nad außen, aufs genommen wirb; benn das durch fie Erwedte tritt mit fo über- tagender Macht und folcher Urfprünglichkeit auf, ſich felbft an⸗ fündigend ald das unmittelbar fih DOffenbarende, daß die Vers nüpfung feiner Erfenntniß mit jedwedem endlichen Anftoße mehr wie ein zufälliges Zufanımentreffen erfcheint, oder nicht als Urs

*) Monologium cp. 1 ff. | 4*

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fache der Offenbarung felbft, fondern als Urfache des gerade in die⸗ fen Angenblicke bei dem Einzelnen Eintretend fi} darftelt. Keine weitere Bedeutung, als die jenes Kruftallgefäßes, an welchem fich Jacob Böhme's inneres Licht entzündete, hat der endliche Anftoß für die chriftliche Erfenntniß; und felbft eine jo lange Reihe der mächtigften Erfahrungen, wie fie Auguſtinus zu durch⸗ leben hatte, ehe er am Chriftenthum einen ficheren ‘Bort fand, thut der Unmittelbarfeit dieſes letzteren, feiner Unabhängigkeit von ber Erfahrung, feinen Abbrudy; denn Gott ift darin nicht ald aus dem Enplichen abgeleiteter gewußt, fondern ald von feldft fich mittheilender. Darum hält der Ehrift, der ohnehin der Nas tur und Welt central abgewandte, feine Gotteserkenntniß an ſich ſelbſt für feiner weitern Vermittelung und Ableitung bebürftig noch fähig, als durch Gott felbft, wie er dem Menſchen geeint in Ehriftus fich der Anfchauung darftellt: dieſe göttliche Er⸗ weckung aber (Seonvevorla) fällt nicht unter den Begriff ber Erfahrung in unferem, d. 5. im endlichen Sinne, und wenn fie im obigen Einwurfe als Bermittlerin der Wiedergeburt ver- ftanden war, fo wiberfpricht Died auf Feine Weiſe unferer Mei- nung. Jener göttlichen Erweckung nämlich durch die Anfchauung des Chriftusbildes entipricht im Menfchen ein entgegenfommender Vorgang, welcher, gleichſalls ein theogonifcher, Glaube heißt, und deſſen Bedeutung für die chriftliche Gotteserfenntniß von Bielen nicht ohne alled Recht dabin ausgedehnt wird, daß das ibeale Bild des Gottinenfchen durch ihn vielmehr entftünde, denn als realed von ihm nur aufgenommen würde. Auf jeden Fall ift diefer Glaube der im Menfchen Subject gewordene Gott, ſich im Objecte jeiner ſelbſt bemächtigend, in fortgehender Wechfel- wirfung mit diefem das endlich. menfchliche Subject ſich unter werfend, bis daß nicht mehr Ich bin, fondern Ehriftus das sh, und zulegt Gott Alles in Allem if. So wird Gleiches von Gleichem erfannt, nämlid ber Vater im Sohne durch ben Geift, nicht" Unendliches auf endlichen Wege: das Auge, womit mich Gott fieht, ift Daffelbe, womit ich ihn fehe, und daß es fo ift, weiß der Chrift oder fchauet e8 an, fpricht e8 aus in Theo⸗

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logumenen, vermeint alfo nicht mehr in der Weiſe der Alten, fih vom Endlichen aus erhoben zu haben zu Gott. Dies ifl bie. Ummwendung (uerdrom, conversio) zur Initiative oder Herr⸗ ſchaft Gotted (Buoılsis zav oügavdv), welche ber Exiſtenz eines ontologifchen Beweifes vorausgehen mußte. Darum hat Hegel *), dem wir dieſe Einficht verdanken, dem ontologifchen Argumente den metaphyfifchen Begriff der abfoluten, d. i. chriftlichen, Relis gion entnommen, wie den ber Naturreligion dein Fosmologifchen und ben der Religion ded endlichen Geiftes bein teleologifchen, Allein es ift und nicht verborgen, daß ber oben aufgeftellte Be- griff des Apriorifchen auch durdy diefe Umfehr.noch nicht erfüllt, nur materiel ermöglicht if. Daß der apriorifche Gotteöbegriff voͤllig ald apriorifcher fey, dazu bebarf es noch einer weiteren Bedingung.

Das Chriſtenthum, wie es ald Religion in die Gefchichte tritt, ift noch weit entfernt, Wiffenfchaft zu feyn; es begegnet und jedoch mit dem Begriffe von Wiffenfchaft etwas dem Ana⸗ loges, mas mit dem Begriffe von a priori: er findet ſich auf ben Entwidelungsftufen, die wir betraten, immer irgendwie vor, fehlt ihnen aber im ftrengeren und ftrengften Sinnne, Gegen- wärtig hat fich die ganze Wifjenfchaft fonthetifch zufamınenges fagt in die Anfchauung der gottmenfchlichen Perfönlichkeit und beren Gefchichte; fie hat nunmehr aus diefem Samen fich zu entfalten; von diefer VBorftellung nimmt fie ihren concreten Aus⸗ gang und has in ihr Eonerete. (Zufammengewachfene) hat fie biscret zu machen. Diefe Vorſtellung ob die des wirklichen ober des im gläubigen Gemüthe verflärten Chriftus ift für un« fere Betradytung ebenfo gleichgültig, wie folche Unterfcheidung bem damaligen Bewußtfeyn fremb war dieſe Vorftellung iſt ber objective Ausgang der Wiffenfchaft dieſer Zeit, ihr ſubjectiver ber Glaube (nioreı vooöuer), weldyer nichts anderes ift, als die herzinnige Aufnahme, aber zugleich Reproduction, dieſer Borftels

*) Borlefungen über Religionaphilofophie, Berlin, 1832, Bd. 2, ©. 169 ff., vgl. mit B. 4, S. 203 ff. und Br. 2, ©. 10 ff.

54 NR. Seydel,

lung. Der Gottmenſch ift fürs Erfte an fih, dann if er für mid) im Glauben; aber beides ift er zumal; denn er ift nur Gottmenſch für den Glauben und der Glaube nur Glaube an ihn, naͤmlich centrafe, äfthetifch » theoretifch »ethifche Aneignung feiner. Alfo ift der Gottmenſch in feinem Anſich⸗ und Fuͤrmich⸗ ſeyn oder in feiner Subject-Objectivität Audgang oder vielmehr In⸗ begriff der Wiffenfchaft, den fie auseinanderlegt (auslegt, Einynors). Diefe Auslegung oder Analyfe ift fozufagen die wiſſenſchaftliche Geſchichte des Gottmenſchen, wie feine anfhaulihe Geſchichte das Evangelium ift: daher Teitet fich jene an biefer fort, ift bie Erklärung biefer. Auf viefem Wege legt fi die Chriſtusvor⸗ ſtellung auseinander zu einer Mehrheit von Vorftellungen, deren teleologifche Mitte der Gottmenſch iftz feine Betrachtung führt rüdwärtd auf die Betrachtung Gottes als feines Grunded und jeined Berhältniffes zu ibm ald des vorcreatürlichen Sohnes; fie leitet abwärts auf die Betrachtung der fünbigen, erloͤſungs⸗ bedürftigen Menfchennatur und von hier wieberum rückwaͤrts zur UÜrgefchichte der Menfchbeit und dem vorcreatürlichen Halle Satans ; fie hat die erlöfende Menſchwerdung, Leben, Leiden Tod und Auferftehung des Gottmenfchen felbft zum Gegenftande, blidt vorwärts auf die noch kommenden Thaten bes heiligen Geiftes für die Kirche, ben Leib des Herrn, und ftellt endlich bie Wiederfunft Chrifti als Richters und Vollenders feines Reiches an's Ende der Dinge. Diefe Thätigfeit der Heraus⸗ ftelung allen Inhalts aus dem religiöfen Urprincip ift die Thäs tigkeit der Dogmenbildung, womit wir bie zehn erften chriſt⸗ lichen Jahrhunderte befchäftigt fehen. Indem die chriſtliche Dogmatif aus dem Heidenthume und Judenthume ſich losringt wie die Frucht vom Kelche, kann fie zunächft nur polemiſch ſich entwideln, die ausgenugten Blüthenblätter abfehüttelnd und alle davon anhangenden Spuren an ber Frucht mehr und mehr ent fernend. So erarbeitet fih, indem heidniſche und jüdiſche Ent- gegnungen befeitigt, jubälftrende und ethniftrende Härefien aus⸗ geichieden werden, bis zum Ende diefed Zeitraums ein Stoff, ber dem bamit befchäftigten Bewußtfenn noch als unmittelbarer

Der gefchichtfiche Eintritt ontologifher Beweisführung ıc. 55

felbfterrungener Glaubensinhalt umumflößlihe Geltung haben fonnte, während er fpäteren Generationen als fremdes Object gegenübertrat. In biefer Zeit der Dogmenbildung, deren letzte Jahrhunderte ſich bereitd nur noch in untergeordneten Streitig- feiten bewegen und mehr ſammeln als produciren, bildet fich alſo allmählich eine chriftlishe Wiſſenſchaft heran, weiche freilich nur foweit diefen Namen verdient, als es die Eigenthünlicdyfeit - jener Periode geſtattet. War ed nämlich eine Zeit der Beſchaf⸗ fung bed Inhalts, der Herausarbeitung alled edeln Metalls aus den Schädhten des Glaubens, fo Fonnte ihr noch nicht zukom⸗ men, dieſen Stoff in ein wohlgegliedertes Gebäude zu verwan⸗ dein. Zwar orönet ſie den Stoff in eine natürliche, feiner Bes deutung angemefjene Folge, aber feine Theile ftehen nur neben einander, find nicht fünftferifch ineinandergefügt, und werben fo auch jeder für fich betrachtet, geprüft und gegen freinde Angriffe ver⸗ theidigt. Jedes Stüd für fich ſoll erkannt werben in al feiner Tiefe und feinem Umfange. Dies ift und bleibt ausfchließliches Streben biefer ganzen Periode ; aber wohl wechfelt fie innerhalb ihrer und fhreitet fort in den Drganen diefes Strebens und ben %ors men ihrer Erfenntniß. Hier will. dad Abendland von dem Mors genlande, dad A. und 5. Jahrhundert von dem 2, und 3., bie Inteinifche Patriftif von der griechiichen unterfchieden ſeyn, wies wohl, wie überall in ber Gefchishte, auch hier dad Gefeg der Stetigfeit durch vielfältige Hebergangsformen gewahrt if. Wir hatten gefehen, daß eine Grundanfchauung Inbegriff der Wif; fenfchaft war, die dad Gemüth ergriff und die ein inwohnender, anfänglich verbedt arbeitender, Berftand in ein Syftem von An» fhauungen zerlegte, deren Zuſammenhang ebenfal8 nur ange fhaut wurde. Das willenfchaftliche Organ aber, ohne weldyes nirgend Confequenz ift, welches auch hier unter dem Gewande ber Phantaſie verborgen dieſe Conſequenz bergeitellt hat, mußte ſich als das. allein der Erfenniniß adäquate Drgan zu Tage brängen, jened Gewand immer mehr lüftend, um ed vielleicht einmal völlig abzuwerfen. Daher jehen wir ven wüften, bunten, poetifchen, orientalifh -phantaftifchen Gnoſticismus bed Anfangs

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durch maͤßigende, ordnende Einflüſſe zum Neuplatonismus, die⸗ ſen zum chriſtlich⸗platoniſchen Syſteme eines Origenes ſich ab⸗ flären, und aus dem Kampfe des immer noch poetiſtrenden Alexandrinismus mit der antiocheniſchen Verſtandeskritik ſchon Vorboten und Vorabeiter des Mannes hervorgehen, der nunmehr in ber Eigenart eines anderen Volkes, in anderer Sprache, Dies fen Durchbruch der reinen Erfenntniß, ſoweit es feiner Zeit ver⸗ gönnt war, vollenden follte, wie Origened auch er typifcher Vertreter einer Phaſe chriftlicher Wiffenfchaft, aber mit einem Motto, welches jener in folcher Ausdehnung noch nicht Fannte, dem Motto eined neuen Stabiumd der Wahrheitderfenntniß, quo ea, quae fidei firmitate jam tenentur, etiam rationis luce conspiciantur *).

Innerhalb der oben begrenzten Beriode, ber Zeit der Dog⸗ menbildung, wird alfo chriftliche Wiffenfchaft in dem Sinne er⸗ reicht, daß die einzelnen zu einander gehörigen Anfchauungen, in welche fich die Uranfchauung ded Glaubens zerlegt Hat, mit dem Organe der Vernunft erfannt werden, audgelegt in Begrif- fen, auf philofophifche Weife dargeftelt, Es ift babei Feine weitere Abficht, als die, den Inhalt, ver aus dem Glauben ges wonnen ift, volfftändig zu durchfchauen, zu willen, was man an ihm hat: er felbft, dieſer Inhalt, galt für Wahrheit an ſich; denn er war unabtrennlid von ber Perſon des Gottmenfchen und fomit von dem gläubigen Gemüthe unlöslih,. Object und Subject find durchgängig geeint, wie .auf dem früheren Stadium poetifcher Vorftelung, fo auch noch auf dieſem begrifflicher Er- Härung. Darum ift eine Philofophie in diefe chriftliche Wiſſen⸗ Ihaft eingegangen, deren nahes Heranreichen an biefelbe wir vor Kurzem bemerften, deren intuitiver Charakter der jugendlichen Hriftlichen Dogmatif wohlthat, indem er ihre der Anfchauung noch nicht völlig entwöhnte Vernunft am meiften ſchonte, und deren glaubendartige Vorausſetzung - der Enheit des Denkens

*) Augustinus: ep. ad Consent. 120. Vgl. mit obiger Darftellung der Geſchichtsepoche Haffe: Anfelm von Canterbury, TI, S. 10— 18,

Der gefchichtliche Eintritt ontologifcher Beweisführung ıc. 97

und Seyns ihrem derzeitigen Standpuncte entſprach. Auf die fem Stadium nun, auf welchem fich jene chriftliche Umkehr vers bindet mit den hoͤchſten Ergebniflen -des Platonismus, fo daß die chriftliche Idee in platonifcher Apriorität fich nusfpricht, auf ihm erfüllt ji unfere dritte Bedingung für bie Eriftenz des ontologifchen Arguments, welche auch ihrerſeits zur erften zuruͤck⸗ greift und fie mit dem Inhalte der zweiten vereinigt. Die durch fi felbft vermittelte Gottesidee darf nidt concrete Anfhauung oder PVorftellung feyn, in welcher der Begriff noch apofteriorifhes Gewand trägt, fondern muß diefer äußeren Form entflei- bet als reiner allgemeiner Vernunftbegriff gewußt werden. Erft mit diefer Beftimmung erfüllt ſich die Definition ber von allem Anfang für den Gottesbegriff unſeres Beweiſes geforderten Apriorität.

Es war Aurelius Auguftinus, welder, großen orientalifchen Vorgängern ſich anfchließend, vom Geifte des Pla⸗ tonismud durchdrungen und an Platon’d Hand in die hriftliche Schule eingeführt, der Umfegung des Vorgeftellten in Gedachtes und mit ihr der gläubigen Bereinigung der Religion mit ber Philofophie, im foeben bezeichneten Sinne, den Schlußftein ſetzte. Die Geftaltung des Firchlichen Bekenntiniſſes war bis auf ihn foweit. fortgefchritten, daß ſich das Ganze des Glaubensinhaltes bereitö als ein fertiger Umriß überfchauen ließ; im Beſonderen hatten die trinitarifchen Vorftelungen von Gott fih mit Eins ſchluß des Geifted als dritten Gliedes fo weit abgerundet und firirt, um dem fpeculativen Denker nunmehr zu tieferer begriff: licher Erfaffung volftändig vorliegen zu können. Auguſtinus ift der erfte und bebeutendfie, für alle Zeiten grundlegende, ums“ faffende philofophifche Trinitätslehrer gewefen, amd dies Fonnte er nur dadurch ‚werden, daß er den Begriff Gottes, zunächit bes Vaters, als rein apriorifchen beſtimmte. Denn dad Dogma ber Dreieinigfeit mußte fo lange ein aller Speculation undurhbring- liches Geheimniß bfeiben, ald man nicht die Sphäre des con⸗ creten Vorſtellens fich zu verlaffen entfchloß. Diefer Entſchluß

98 R. Seydel,

war zwar fchon vor Auguftin gefaßt worden und bereit3 Gre⸗ gorius von Nyfla hatte feine Trinitätslehre auf pſychologiſche Analogien begründet; allein nicht bloß pſychologiſches Gleichniß ift das, was Auguftin der Vorftelung Gottes, zunächft und na- mentlich Gott-Vaters, fubftituwirt, fondern aprioriihe Weſens⸗ bezeichnung. Darüber follte die chriftliche Vorftellung keineswegs zu Grunde gehen, was gänzlich dem Charakter der Zeit zumi- berliefe, die den Glauben unbedingt als Borausfegung der Er fenntniß fefthält: es tritt vielmehr dad Innere jener Borftellung, ihr ideeller Gehalt, der in ihr und durch fie erfcheint, d. h. we⸗ fentlid und objectio erfcheint, nicht dem Subjecte bloß fo fheint diefes Innere tritt in’d Bewußtſeyn als apriorifcher Begriff, etwa wie die mathematifch hemifche Formel für bie Zufammenfegung einer Blume ihr Inneres wäre, ihr Begriff; aber doch nur durch Anſchauung gegeben werden fünnte, wie die Blume audfieht. So follten religiöfe Vorftelung und theo- logiſch⸗philoſophiſches Wiflen einander ergänzen, das lebtere in ber Weife des abftracten Begriff den Inhalt jener immerhin wefentlichen Form auöfprechend.

An dem Begriffe, der folchergeftalt nun an die Stelle ber Gottesidee tritt oder vielmehr eben diefe ausmacht, erfennen wir jofort die Folge jener chriftlichen Umwendung, erfennen aber auch die volle Bedeutung ber vorcdhriftlichen Bädagogie. Zwar find ber philofophifchen Bezeichnungen Gottes, die bei Auguftin fid) finden, mehrere, und „Namen nennen ihn nicht” ift zuletzt fein Urtheil; jedoch nur eine diefer Bezeichnungen ift e8, in ber fih unfer Argument vorbereitet finden kann. Dies ift der Begriff der ewigen unveränderlihen Wahrheit (incorruptibilia et incommutabilia vera), wie fie namentlich in der Mathematif zu Tage tritt, alfo im eigentlichen Sinne der Begriff eines Ab⸗ joluten, dad auch als folches erfannt ift, nämlich als nicht nicht und nicht anders ſeyn Könnendes, aber auch nicht ab⸗ hängig in diefer feiner Nothwendigfeit von einem Anderen außer ihm, was den Begriff des Abfoluten wieder aufböbe, noch auch in vorchriftlicher Weife neben dem Gottesbegriff herlaufend ober

Der gefchichtliche Eintritt ontologifher Beweisführung ꝛc. 59

ihm nur loſe verbunden, fondern identifch mit der Gottesidee jelbft, wenigftend mit ihrer Ur» und Grundhypoftafe, welche die übrigen erft aus fich fegt, gewußt als bie ſich burch fich ſelbſt, durch ihren eigenen Begriff, nothwendig fegende Nothwendigkeit. Diele Veritas, welche ift, weil fie feyn muß, und feyn muß, weil fie ift, durch welche wir über alles Andere urtheilen, ja über unfern eigenen Geift, und welche mithin höher ift als Alles und das fchlechthin Allgemeine über Allem, ift nad) Auguftin das Innere der Gottedvorftelung 9: freilich zumächft nur der erften trinitarifchen Perſon; aber wie bie übrigen daraus abgeleitet werben, Tann und hier nicht Fümmern, da es fich nicht um bie weiteren Beftimmungen, fondern um dad Dafeyn Gottes han- delt, welches nur von feiner abfoluten Seite aus gewonnen werden kann, indem dieſe den Begriff Gottes weſentlich cons ſtituirt.

Wir ſahen, daß durch endliche Vermittelung oder Erhe⸗ bung zu Gott, welche das Alterthum allein kennt, nur die Kennt⸗ niß möglich war, es ſey ein Gott, aber nicht bie Erkenntniß, er müffe feyn: als ſeyn müffender kann er nur a priori, d. h. durch ſich feldft, erfannt werden. Aber nur diefer Gottesbegriff ift der wahre; jeder endlich vermittelte Gott ift nur ein neuer Gegenftand der Erfahrung, deſſen Seyn ebenfo zum Probleme wird, wie das Seyn bes unmittelbar Erfahrenen: denn das Ers fahrene ift immer nur ein Problem, feine Erfennmiß, vielmehr eine bloße Kenntniß, die noch erfannt, d. h. in der Nothwen⸗ digfeit ihres Seyns und Sofeynd gewußt feyn will, Nur das ald nothwendig Erfannte ift wahrhaft erfannt; .nun kann aber bie Nothwendigkeit Gottes niemald in einem Anderen beruhen, was feinen Begriff völlig aufhöbe: folglid Tann nur die Er- fenntniß Gottes ald des durch feinen eignen Begriff nothwendig gefesten die wahre Erfenntniß feyn. So ift Gott gefaßt, wie- wohl noch bloß logisch beftimmt, im auguftinifchen Begriffe der Wahrheit. Diefer Gottesbegriff, ebenſo chriſtlich als philoſo⸗

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*) Vgl. z. B. De libero arbitrio II, cp. 11.

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phiſch, erinnert aber troß feiner Neuheit andererfeits auch an das griechifche Altertfum und documentirt ed als feine Päda— gogie. Die ewige Wahrheit ift ja nichts anderes als der eigents liche Inhalt des platonifchen xoaos vonrös, gereinigt, geläu- tert, von aller endlichen Vermittelung losgelöft, und ihren In- begriff nennt Auguftinus Acht platonifh memoria; fie ift «8 auch, aus welcher man längft den Skepticismus zu widerlegen gewohnt war, ohne zu ahnen, daß ed ber Begriff Gottes war, deffen man ſich dabei beviente.

Auguftinus bezeichnet das letzte Stadium pofitiver Vorbe⸗ teitung auf den ontologifchen Beweis *).. Er felbft hat feinen jolchen geliefert und Fonnte nad) obiger Beftimmung ded Got⸗ . teöbegriffö auch feine DVeranlaffung dazu finden. Was bie Schrift de libero arbitrio **) Beweisähnliched bringt, it im Orunde nur die Herausftelung jener Wahrheit als des Abfolu- ten, fchlechthin über Alles Erhabenen, das nad) diefem: feinem Begriffe ſowol, als nad) Andeutungen der heiligen Schrift, welche Gott oder Ehriftum mehr als einmal die Wahrheit nennt und bie Weisheit dad Ebenbild Gottes, mit Gott identisch ſeyn muß. Es wird ſonach anftatt des Dafeyns Gottes. vielmehr bie Einheit jenes apriorifchen Gottesbegriffes mit ber religiöfen Vorſtellung bewiefen, was auch das allein Nöthige war. Der ontologifche (richtiger: Logifche) Gottesbegriff des Auguftinus hat feinen Beweis in fi felbit und läßt ſich umfaffend aus—⸗ brüden in dem Sage, der im Mittelalter unabläjfig wiederholt

*) Walte a. a. O. nennt noch den Bosthius, deffen in der Schrift de consolatione philosophiae III, 10 enthaltenes Argument dem Feanthifchen fehr nahe kommt. Es berubt auf der Bemerkung, daß nur vermöge der Idee des Vollfonmenen etwas als minder vollkommen beurtheilt werden, und daß ebenfo realiter da8 minder Bollfommene dies nur durch den Mangel des Höchftvolllommenen, einen Abbruch an Vollkommenheit, feyn Fönne. Es wird alfo um des Mangelhaften willen das Dafeyn eines Vollkomme⸗ nen angenommen, d. h. vom Endlichen zu Gott aufgeftiegen. Diefer Bes weis wäre daher nur in unferer geſchichtlichen Folge aufzuführen gewefen, wenn er vor Auguftinus aufgeftellt wäre.

”) Il, cp. 12—15.

Der gefchichtliche Eintritt ontologifcher Beweisführung ꝛc. 61

und von den Scholaftifern felbft auf Auguftinus zurüdgeführt wird, der ihn nur in anderen Wendungen, ſich anfchließend an die platonifch » ftoifche Widerlegung des Steptieiomue, ausſpricht, in dem Satze:

Qui negat veritatem esse, concedit esse ve- ritatem; si enim veritas non est, verum est ve- ritatem non esse,. ergo est veritas").

Finden wir nun bis zum wirklichen Auftreten eines onto« Iogifchen Beweifes, alfo bid auf Anfelmus von Banter: bury feine Gelegenheit mehr, innezuhalten und ftillzuftehen, um irgend eine gefchichtliche Erfcheinung als einen Schritt weiter nad) jenem Argumente hin in unfere Reihenfolge aufzunehmen, ift vielmehr nach der bei Auguftinus vollendeten Apriorifirung des Gottesbegriffs der nächfte Schritt der Beweis felbft: fo ba- ben wir nichts mehr zu thun, ald in ber Kürze anzugeben, durch weiche gefchichtliche DVerhältniffe der Beweis felbft hervorgerufen wurde. Dabei ift died am erften einleuchtend, daß eine bloße Fortſetzung der auguftinifchen, überhaupt patriftifchen, Beſtre⸗ bungen, in demſelben Sinne und in derfelben Reihe, nicht zu dieſem Ziele führen konnte; denn wie follte bei der gläubigen Begnügung ber Wahrheit des aus dem gottmenfchlichen Prin- cip gevonnenen Inhaltes, wie follte gar bei der Erfenntniß Gottes ald des an ſich felbft Nothwendigen, das jedem Beweiſe vorangehen muß, auch nur dad Beduͤrfniß nad einem Argus mente für die Realität dieſes Abfoluten gefühlt werben koͤnnen? Es mußte alfo das Princip, die Zeit, die Nationalität, in deren Hände die Weiterbildung der Wiflenfchaft kam, eine andere feyn als die bisherige. Es mußte, um dem gefchichtlichen Geſetze Genüge zu leiften, daß eine neue Entwidelungsphafe nicht eher eintritt, bevor nicht die vorangehende in einem Zuftande bed Verfalles, ber Unprobuctivität, ſich aufgelöft hat «8 mußte nach biefem Gefege dem Anbruche des neuen Stadiums eine Periode geiftiger Verarmung vorhergehen, verurfadht durch das

*) ©. die Stellen bei Fortlage a. a. D. E, via asellalis.

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62 R. Seydel,

Irrewerden am bisherigen Princip, durch ein Schwaͤcherwerden der Kraft, mit welcher dieſes zeither über bie Gemüther geherricht hatte. Haben wir bie zehn erften Jahrhunderte die Zeit ber Dogmenbildung genannt, fo follte biefe Zeit der Abnahme mit eingefchloffen feyn, welche jchon nach Auguftinus, ald dem Eul- minationspuncte, der axıı dieſes Stadiums, beginnt. Schon dort bemerften wir, daß bie legten Jahrhunderte des Zeitraums mehr der Sammlung des Gewonnenen, als neuer Schöpfung gewidmet waren. Da entftehen die großen Sentenzenbüdher, bie Eatenen, bie Commonitorien, die dogmatifchen Handbücher, nad) denen noch lange im Mittelalter gelehrt worden ift, d. 5. welche als objectiver Stoff, ald Grundlage dienten der wiſſen⸗ fchaftlichen Beatbeitung, welche die Aufgabe ber neuen Zeit, der Scholaftif, geworden war. Diejed Berhältnig, welches bie gefammelten Dogmen einnehmen zu den Lehrvorträgen ber Scho- laftifer, ift nun fein anderes, als jenes, welches das Fatholifche Dogma, dieſe Arbeit griechifch-römifcher Batriftif, einnimmt zum Bewußtfeyn der neuen Zeit überhaupt, zum Bewußtſeyn zugleich des neuen Volkes, dem das Intereffe der Wahrheit zu fernerer Pflege übertragen wird, bed germanifchen. Die Scholaftif ift eine germanifche Erfcheinung, nicht eine deutfche (als ſolche ift vielmehr die von der Theologie als folcher ſubſtantiell frei gewordene proteftantifche Philofophie zu betrachten), aber eine germanifche in dem Sinne, daß auch geborene Italiener, Fran⸗ zofen, Engländer (Namen, die und in Bezug auf jene Zeiten faft anachroniftifch Klingen) unter jene Bezeichnung fallen, fofern fie nicht pelasgifchen, fondern gothifchen, Feltifchen, gerinanifchen Stammes find, Die Germanen alfo, aus welchen die Scholas ftifer hervorgingen,, hatten den dogmatifchen Stoff nicht erarbeis tet, er war nicht ihr eigned Erlebniß, war, wie fie ihn über famen, nicht Fleiſch von ihrem Fleiſch, noch Bein von ihrem Bein. Er fland ihnen in dieſer feiner Ausbilbung, wenn fie auch gläubige Chriften wurden, wenn fie auch mit der Taufe ben gefammten Befenntnißftoff zu ihrem eigenen machten, doch als ein fremdes, exotiſches Gewaͤchs gegenüber, Chriften fonnten

Der gefchichtliche Eintritt ontofogifcher Beweisführung ıc. 63

fie werden von Grund Ihrer Seele; denn das Chriftenthum if Univerfalismus ; aber Kirchenväter im Sinne der platonifirenden Dogmenbildungsperiode konnten fie nicht werden; denn dies war eine volföeigenthümliche, individuelle Art des Chriftenthums. Sie hatten diefem vielmehr ihre eigene Art einzuleiben, und, wie in der geſammten Geſchichte die Bolfsindividuen einander fo folgen, daß die neue Form zugleich ein Schritt weiter zur Voll⸗ endung ift, fo war biefer Schritt jegt den Germanen zu thun aufgegeben.

Dem germanifchen Subject ftand dad Dogma ald fertiges DObjert gegenüber: dies ift die einfachfte Bezeichnung für ben Geiſt des Mittelalterd überhaupt, fofern wir e8 vom 11. Jahr: hundert, als dem Beginn der Scholaftif datiren wollen. Aus diefem Grundverhältnig erwachſen fämmtliche Unterſchiede ber fcholaftifchen Wiffenfchaft von der patriftifchen. Ein apologetifches, pofemifches, überhaupt praktiſch⸗kirchliches Beduͤrfniß ift nicht mehr vorhanden; denn der Stoff ift fertig in Sicherheit gebracht; daher kann die Befchäftigung mit dem Stoffe felbft nunmehr felbftftändiger Zmwed werben. Das Subject ift nicht mehr dafs felbe, in welchem fi) der Stoff erzeugt bat; darum ift fein gemüthliches VBerhältniß zum Objecte ein anderes: es glaubt zwar und glaubt innig, aber ift body nicht fo verwachſen mit den Glauben, daß es nicht im Stande wäre, dad Object des Glaubens ſcheinbar aufzugeben, um als Wiflen es wieberzuers langen. Die Beichäftigung mit dem Stoffe ift alfo im engeren Sinne eine erfennende, wiffenfhaftlide, ald es bie bisherige gewejen war; benn das bisherige Zuſammengewachſen⸗ ſeyn (die Eoncretheit) von Subject und Object fonnte die felbft- ftändige, abftracte Reflexion nicht auffonmen laſſen. Noch aber ift das Gemüth, die Anfchauung, der Glaube, der eigentliche Sit ded von ber Kirche vorausgegebenen Inhalts; aber biefem Gemüthe gegenüber, ihm fremd, taucht im dialektiſchen Ver⸗ flande ein Organ auf, das fich nicht weniger zum Selbſt bes Menfchen rechnen zu dürfen glaubt, und feiner eigenthünlichen, ihm urfprünglichen Gefegmäßigfeit wegen den Anſpruch erheben

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muß, daß ein für wahr ausgegebener Inhalt auch mit ihm fich in Uebereinftimmung zeige. Es sollte daher nicht gezweifelt werden an der Wahrheit des Inhalts, fondern bdiefer nur in andere Form gefebt, die als eine höhere, ihm angemeflenere be⸗ trachtet wurde, in welcher der Inhalt durch ſich feloR nothwen⸗ dig ſey, nicht angenommen auf Autorität, Denn Autoritäts⸗ glauben nannte man ſchon jest den Gemüthöglauben früherer Zage, welcher fi ‚gewiß nimmer biefen Namen gegeben hätte: an bie Stelle des Iebendigen Ehriftusbildes, der Apoftel, ber Väter, war bereitd die Kirche getreten. Da mußte ein Bes tengar ed für würdiger finden, nad) argumentis, ald nach aucto- ritatibus zu urtheilen: zur Dialektik feine Zuflucht nehmen, hieße zur Vernunft feine Zuflucht nehmen: dies aber unterlaffen, hieße fi) der Menfchenwürde begeben; denn die Vernunft ift es, nad) welcher der Menfch zum Bilde Gottes gefchaffen, und darum ift ed etwas unvergleichlid Höheres, bei Erforſchung der Wahrheit fich auf die Vernunft, ald auf Autorität flügen”). Die Gels tung ded Satzes: nisi credideritis, non intelligetis, wirb babei nicht im geringften gefchmälert. |

Die Wahrheit, hatten wir oben gejagt, erarbeitet fich ein immer abäquatered Organ, d. h. ein immer ſubjectiveres, ideel- leres, abftractered; denn Wahrheit ift das Abfolute in feiner fubjectiven, ideellen, abftracten Erfcheinung. Diefes Organ fin- det fie bei den Germanen, dem innerlicheren, frei und urfprüngs lich denfenden Volke. Der nächfte Schritt war, daß ber patri- ftifche Bund von Subject und Object in erfennender Anfchauung und anfchauender Erfenntniß fich TLöfte, das Object jenfeit trat in unangetafteter Geltung, und biefjeit im Subject das neue Organ fi entwidelte zur Aneignung jened Inhalte. Diefes Organ ift der Verftand und zwar der endliche Iogifche Vers ftand, bie ariftotelifhe Dialeftif. Denn Ariftoteles ift es, welcher, dem Charakter der Zeit verwandt, über Platon ſich jest die Oberhand errungen hat; allmählich hatte fi) das Studium

*) Berengar: adv. Lanfr. lib. poster. p. 100.

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feiner Schriften während ber Zeit der Auflöfung der früheren Veriode Bahn gebrochen, war erft neben der Dogmenfammlung hergegangen,, jebt, bei Berengar und Lanfranc, fängt es an, feinen Einfluß auf die firchliche Wiffenfchaft zu Außern. Der Verſtand wird bie Form des kirchlichen Lehrinhalts. Aber der Berftand ift Feine Form Im paſſiven Sinne des Gemüths, fon- bern er ift eine Form mit übergreifender Activität; fein Aufneh- men ift denfendes Thun, und diefed denfende Thun ift Beweis fen. Es ift nunmehr eingefehen, daß Anfchauung nur Durch⸗ gangdform, Glaube nur Duelle der Erfenntniß feyn Tann, bie Erfenntniß felbft aber durchdringen muß zum denknothwendigen Wiffen, Wiſſen ded objectiv Nichtandersfennkönnens, welches im Gemüthe nimmermehr erzeugt wird; denn nur für das glaus bende Subject als folches ift der Gehalt des Gemüthes ein ab» foluter. Das Abfolute, wenn es wirklich gewußt ſeyn fol, muß in der Sorm objectiver Rothwendigfeit gewußt werden: daher ift bie hoͤchſte Stufe der Wahrheitderfenntniß ber Beweis. Dies ift der bleibende Fortfehritt, welchen die Scholaftif in der Er fenntniß gethan hat; nur der unverföhnte Gegenſatz bed fremb überfommenen Inhalt8 und bes felbftftändig erzeugenden Den- fend, der auch dad Denkorgan der Gegenfäglichkeit, den end⸗ lichen Verſtand, herbeirief, mußte fpäter fallen, al8_das Subject nicht als Verarbeiter allein, fondern ald Erzeuger des Inhaltes und daher als freier .Beurtheiler des fremd Ueberkommenen fich fühlen lernte (Proteſtantismus).

Der Berftandesbeiveis wird Wahrheitöform. Daher zeigt ſich fjeßt eine wahre Manie zu bemeifen, welche oft gebraucht worben ift, um die Scholaftif zu verfpotten und mit der Sophis ftif unter Eine Kategorie zu ſtellen. Demonftrationen, Disputar tionen find die Uebungen der geiftlichen Ritter, wie der weltli- chen die Tourniere. Dennoch wird von jenen Beweifen nicht bie Wahrheit der Sache abhängig gemacht, fondern es gilt nur, bie allein angemeffene Form der Nothwenbigfeit ihr zu verleihen. Fides quaerit intellectum; &rfenntniß verlangt der Glaube

von denen, bie in ihm feſtgeworden, non ut in fide confirmen- Zeitfehr. f. Philof. u. phil. Kritik. 32. Band. 5

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tur, sed ut confirmati veritatis ipsius intellectu laetificen- tur*) Daher ftelt fih der Scholaftifer fcheinbar auf den Standpunct der Ungläubigen; denn er will das Exempel, deſſen richtiges Facit ihm bereits vorliegt, an deflen Richtigkeit er auch nicht zweifelt, weil ein untrüglicher Recyenmeifter e8 ihm vorge legt, er will es ſelbſt rechnen, nicht um fi im Glauben zu beftärfen (könnte er nicht viel leichter irren, als ber Meifter?), fondern um dad Erempel vollftändig zu befigen und um an ſei⸗ ner eignen Thätigfeit fid, zu erfreuen. Er ſtellt daher den Meis fter bei Seite und verführt remoto Christo, quasi nun- quam aliquid fuerit de illo **).

Auguftinus Hat den Gottesbegriff apriorifirt; aber daß fein apriorifches Abdfolute wirklich der Gott-Vater der Religion fen, bat er nur durch Bibelftellen belegt, nicht bewiefen. Ans felm übernimmt jenen apriorifchen Begriff, er übernimmt auch die Speculationen über bie anderen trinitarifchen Perſonen. Erſt bie Dreiheit ift der ganze Gott; daß dieſer ganze Gott, ber chriſt⸗ fihe Gott, exiſtire, Liegt nicht unmittelbar in jenem auguftinis fchen Begriffe des Abfoluten: es muß alfo bewiefen werben. Um es zu beweifen, mit Nothwendigkeit, alfo a priori zu be weifen, bedarf es aber der Aprioriftrung des ganzen Gottes⸗ begriff, d. h. der Verwandlung beffelben in den Begriff des Adfoluten, des Schlechthinrealen, wovon Alles ausgefagt werben muß, was felbft abfolut, d. h. deſſen Pofttion abfolut beffer als die Negation if. Diefer Begriff ald der des höchftmöglichen Weſens muß gleich feyn dem chriftlichen Begriff Gottes, das Innere ber Gottesvorftellung. Aber remoto Christo weiß ich nicht, ob ed einen folchen Bott giebt; ed Könnte ja noch ein bloßer Begriff feyn, eine menfchliche Chimäre: es muß alfo bie Realität dieſes Begriffd a priori, d. h. aus ihm felber, bewie⸗ jen werden. Diefer Beweis ift geleiftet in vollendet fcholaftis

“) Anselmus: cur Deus homo? II, 15, p. 135. **) Vorrede au cur D. h. p. 108.

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Der geſchichtliche Eintritt ontofogifcher Beweisführung ꝛc. 67

{cher Weife, typifch für die Zeit, in dem Proslogium des Anſelmus 9.

Es iſt im Gegenwaͤrtigen nicht unſere Aufgabe, das an⸗ ſelmiſche Argument darzuſtellen, zu beurtheilen, noch ſeine Ge⸗ ſchichte fortzuſetzen. Nur in Anfnüpfung an einige Aeußerungen unſeres Einganges ſey Folgendes bemerkt. Wir erklaͤrten ein- mal die Befchränfung ontologiſcher Gotteserkenntniß auf die Er⸗ fenntniß des metaphyſiſch Abſoluten, dann die Unmittelbarfeit der Erfenntniß bed VBernunftabfoluten, für bleibende Ergebniffe ber ontologifchen Beweisverſuche. Iſt aber das erfle auf mit- telalterlihem Boden noch nicht erreicht, denn noch wird das Ab- folute mit dem lebendig « perfönlichen Gotte identiſch geglaubt; fo fcheint dagegen das zweite auf diefem Stadium fchon über- fhritten zu feyn. Muß man nit zugeben, daß die Unmittel- barfeit der Erkenntniß allen Beweis aufhebt, dieſelbe aber ſchon von Auguftinus erfannt if, demnach die Scholaftif als ein übers - flüffiger Aufwand fi) darſtellt? Allein bedenken wir, baß jene unmittelbare Erkenntnis das Abſolute nur in der Geftalt der logifhen Wahrheit betrifft, alfo in einer an ſich noch fehr duͤrftigen Form, welche nur die erfte ift, im welcher das Abſo⸗ [ute dem denfenden Subjecte fich darbietet, aber keineswegs die einzige und allumfaffende.. Es bleibt alfo der nachauguſtiniſchen Speculation bie große Aufgabe, die weiteren Beltimmungen bed Abſoluten mit gleicher Nothwendigfeit aus jener erften zu ent wideln, bis die Metaphyſik, d. i. ber Begriff des Abfoluten völlig umfchrieben feyn wird, Dies leiftet fchon der anfelmifche Beweis in feiner Art, indem er ver bloß logiſchen ibeellen Exi⸗ ftenz die reale, materielle, ald nothwendig conftitutived Merkmal, “im Begriffe des Abfoluten zugefellt. Dies nämlid) ift die Wahr⸗ heit des anfelmifchen Arguments **). Wie diefes nicht, jo kann

——

*) Mit diefer ganzen Entwickelung vergleiche Hegel: Borlef. über die Geſchichte der Philof. Berlin, 1836, 3. Bd., ©. 164 ff. Vorleſ. über Religionsphiloſ. 2. Bd. Anhang init. Haffe a. a. D. ©. 15 56.

**) Bol. Billroth: De Anselmi Cant. Prosl. et Monol.

5%

68 Dr. Steinthat,

fein Argument im Grunde das Dafeyn des Abfoluten betreffen ; denn dieſes Dafeyn, des zunächſt logifchen Abfoluten, muß al- len Beweifen vorangehen, ift das Beweiſende in allen Beweifen. Damit haben wir den dritten der Säge audgefprochen, weldye

uns als Ergebniffe des ontologifchen Argumentirend gelten, und |

welche wir, ald Gewinn verfchiedener Zeitalter, hiermit nochmals zufammenfaffend und in chronologifcher Folge wieberholen:

1) Das Abfolute wird als nothwendig daſeyend ummittel- bar a priori erfannt; feine Urgeftalt ift dabei die der Wahrheit, deren Leugnung fich felbft aufhebt Auguſtinus.

2) Nur die weiteren Beltimmungen des Abſoluten ſind

aus dieſer Urgeſtalt durch Deduction zu gewinnen, und die ſo— genannten Argumente für das Daſeyn Gottes betreffen daher nicht dieſes ſelbſt, ſondern nur Beſtimmungen der Art des Da⸗

ſeyns oder die Vervollſtändigung der Merkmale im Begriffe des

Abſoluten Seit Anſelmus.

3) Durch ontologiſches Verfahren wird nie Gott als les bendige ‘Perfönlichkeit, fondern nur das Abfolute gewonnen, ald ber metaphufifche Inbegriff aller fubftantielen und formellen Möglichkeit des göttlichen ebenfogut als des creatürlichen Wirk lichen Seit Kant.

War die hiermit befchloffene Abhandlung die Gefchichte des erften dieſer Säge ald die Einleitung zu einer Gefchichte des ontologifchen Beweiſes, fo würde diefe Gefchichte felbft und Kritif dieſes Arguments die Gefchichte und philofopbifche Ber gründung der zwei legten Saäͤtze ſeyn. Dies aber, wo eine Ge— Ihichte des ontologifchen Arguments zu beginnen habe, war al» lein die durch das Vorftehende zu beantwortende Frage.

Zur Sprachphiloſophie. Bon Dr. Steinthal, Docenten für allgemeine Sprachwiſſenſchaft an der Univerfität zu Berlin.

„Zur Sprachphiloſophie“ —. ober auch „zur Pſychologie“

koͤnnte ich ſagen; und ſowohl die Veranlaſſung zu gegenwaͤrtigem

u.

Zur Spradphilofophie. 69

Auffage, als auch der Inhalt deſſelben dürfte der andern Webers Schrift nicht nur Rechtfertigung, fondern vieleicht gar den Vor⸗ zug verliehen haben. Denn es ift ein pfychologifches Werk, von dem hier Bericht erftattet werden fol; und es follen die pſycho⸗ logischen Mächte, welche die Sprachphilofophie nur in beftimm- ter Ihätigfeitöweife zu betrachten hätte, vielfeitiger, jo weit eben jenes Werk e8 veranlagt, und nach ihrer eigenthümlichen Natur in Erwägung gezogen werben. Ich habe dennoch den befchränf- teren Titel vorgezogen, um fogleich den bejchränften Laienftand- punct anzudeuten, von welchem aus ich meine Meberficht nur anftellen Tann.

Das Schickſal der Eprachphilofophie oder philofophifchen

Grammatif hat dad Wunderliche, daß feit Baco bis heute wohl feiner der bedeutenderen Philofophen unterlaffen hat, gelegentlich auf fie ald ein Defideratum hinzumweifen und von ihrer Bear- beitung wichtige Auffchlüffe über wichtige Probleme der Philos fophie zu erwarten, und daß dennoch feiner von ihnen ernftlich an fie gehen mochte; nicht nur von den großen, fchöpferifchen Philofophen, auch von denen zweiten Ranges warb fie vers fhmäht, und fie fiel, bi8 auf Wilhelm v. Humboldt, ausfchließ- lich dem philofophifchen Dilettantiömus anheim. Dies begreift fich indeß, wenn man daran denkt, daß es bis vor kurzem Feine wirkliche Pſychologie gab, und wenn man weiß, daß ohne ſolche eine fogenannt philofophifche Betrachtung der Sprache leeres Stroh dreichen heißt. Daß nun aber auch Herbart und feine Anhänger es bei bloßen Andeutungen und Hinweifungen auf bie Sprache haben bewenden laſſen, ohne auf ihr Wefen eigend und ausführlich) einzugehen: das war Schade für die Sprachwifienfchaft und nicht ohne Nachtheil für die Pfychologie felbft. |

In meinem Buche über „Srammatif, Logik und Pſycho⸗ logie, ihre Principien und ihr Verhaͤltniß zu einander” hatte ich mic) einerfeitd und zunaͤchſt an die Sprachforfcher gewandt, um ihnen zu zeigen, wie ihr. Object ganz und gar piychologis ſcher Natur fey, und wie darum alle Spracitheorie von ber

70 Dr. Steinthal,

Pſychologie aus Licht empfangen muͤſſe, nicht aber von der Lo⸗ gif, bei der man es bisher vergeblich gefucht habe. Anderer feitö aber wollte ich die Pſychologen darauf aufmerkſam machen, daß ihnen in der Sprachphilofophie ein ‘Broblem geboten werte, welches zu ihren wichtigften gezählt werden müfle. Denn die Sprache durchzieht die ganze intellectuelle ober theoretifche Ent⸗ widelung des Geiftes, zugleich und aus gleichem Keime mit dies fer felbft erwachſend, ihr weiter als nothwendige Bedingung dienend, und fie für immer förderfam begleitend, oder vielmehr fi) fo innig mit ihr verfchlingend, daß alle Entwidelungen des Geiſtes auch ihr, der Sprache, angeeignet, weil nur mit ihrer Hülfe gemacht, fcheinen.

Diefe Anſicht von der Sprache, die wohl zu alten Zeiten mehr ober weniger dunfel geahnt, zuerft aber von Wilhelm v. Hum⸗ boldt entſchieden, Far und tief ausgefprochen wurde, bilde id) mir ein, in meinem genannten Buche zu einem beflimmten piy- chologiſchen Probleme ausgebildet zu haben. Jetzt nun hat La⸗ zarus in feiner Monographie: „Geift und Sprache” (im Fürzlich erfchienenen 2, Bde. feined „Reben der Seele“) dieſes Problem aufgenommen und ausführlich bearbeitet. Er hat meine Ent» widelung in allem Wefentlicyen beftätigt; aber eben nicht nur betätigt, fondern weiter ausgeführt, tiefer begründet und regt überhaupt durch Bervielfältigung ber Gefichtöpunete und Erwei⸗ terung des Kreifed zu noch weiterem Forſchen und Denfen an.

Die Betrachtungen, zu denen er mich weranfaßt hat, und welche ich als Laie bier willig der Beurtheifung ber Männer vom Fach unterwerfe, bewegen ſich um bie drei pfychologiſchen Kategorien: Apperception, Borftellung, Verdichtung des Denkens. Mit der Ergründumg biefer drei geiftigen Pro» ceffe wird auch die volle Einficht in das Wefen und Wirken ber Sprache eröffnet, wie fte denn überhaupt von weitgreifenbfter Wirffamfeit für das intellectuelle Lehen find. Sie begegnen und barum nicht minder in ben anderen Monographien des genann⸗ ten Werkes; und fo werben wir aud) diefe berüdfichtigen, nur natürlich nicht nach dem in ihnen fpeciell behandelten Gegen⸗

N

Zur Sprachphiloſophie. 71

Rand, ſondern nach dem allgemeinen pfychologiſchen Geſetz, das in ihnen auf den beſondern Fall angewendet wird.

l. Ueber Apperception.

Herbart kommt auf die Apperception erſt da zu fprechen, wo er zum innen Sinn, zur innern Wahrnehmung gelangt, nachdem ſchon vom Begriff, Urtheil und Schluß die Rede ge« wegen iſt, nachdem. er jchon bie Kategorien Kant's und Ariſto⸗ tele’ behandelt hat und in die Nähe bed Selbfibewußtfeyns, ber Ichheit gerüdt if. Ebenſo bat auch bei Volkmann die Appers ception ihre Stellung da, wo ſchon längft vom Verhalten des Neuen zum Alten und wo fogar fchon von ber Bollfommenheit bed Denfend die Rebe geweſen ift; da, wo es ſich um Selbfis beobachtung, abſichtsvolle Aufmerkfamfeit handelt.

Sieht man zunädhft auf die Art, wie Herbart, beſonders aber Volkmann die Darftellung der Verhältniffe der Apperception einleiten, to kann man meinen, fie folle eine verwideltere Art ber Berfchmelzumg fenn, und ihr auszeichnendes Merkmal läge in „ienen weitläufigern und mannigfachern Verbindungen von Borftellungen“, in den „mehreren Borftellungsmaffen.“ Man zweifelt aber, ob dieſe Auffafiung richtig iſt, wenn man lieft, daß als „einfachfter Fall“ der Apperception derjenige angeführt wird, „wo a (dad Zu⸗Appercipirende) eine eben gemachte Wahr⸗ nehmung iſt und z (dad Appercipirende) der Inbegriff der Er fahrungen und Erinnerungen, welche bie ganze Claſſe bieler Wahrnehmungen zum @egenftande haben“ ein Fall, ber zwar beim Gebildeten fehr verwidelt feyn Tann, beim Thier, Kinde und Ungebifveten aber fehr einfach verlaufen mag; findet alfo auch bei diefen ſchon Apperception ftatt? Wir lefen weis ter: „Bei nur einigermaßen ausgebildeten Vorftellungsverhälts niffen fommt bie Apperception bei jeder einzelnen Wahmehmung zu ber Perception hinzu”; und weiter: „Die Empfinbung bes fommt für und erft durch ihre Apperception den Namen und bie Bedeutung” und wir find noch wenig gebefiert. Der. Aus⸗

72 Dr. Steinthal,

drud „einigermaßen ausgebildet” ift zu wenig exact. Nur fo viel läßt fich daraus erfehen, daß Apperception nicht bei den ur⸗ fprünglichften, einfachften Borftelungdverhältniffen vorfommen fann. Aber welcher Grad der Berwidelung wäre dann wohl nöthig, um aus ber bloßen Verfchmelzung eine Apperception zu machen? Und welche Wichtigfeit läge denn überhaupt in ber Verwideltheit des Procefies ?

Sehen wir nun auf die Stellung der Xehre von ber Ap- perception, auf ihre Verbindung mit bein inneren Sinn: fo mödhs ten wir annehmen, Apperception werde von Verſchmelzung fo . gefchieden, daß bei diefer eine Aupere Wahrnehmung mit einer Erinnerung verfchmilzt, in jener aber Inneres mit Imerem. Doch auch fo würden wir und täufchen. Denn wir erfahren plöß- lich, daß es nicht bloß eine‘ Apperception des innern Sinnes, fondern aud) eine des Außern Sinnes giebt, von ber freilich noch gar nicht die Rede war. Die äußere Apperception kann ſich aber von ber innern doch wohl nur fo unterfcheiden, wie wir ſo⸗ eben haben Verſchmelzung und Apperception unterfcheiden wollen. Nehmen wir nun den angegebenen Unterfcheidungsgrund für aͤußere und innere Apperception in Anfpruch, welcher bleibt für Apperception und Verfehmelzung ?

Doc fehen wir uns erft einmal biefe nachträglich einges - führte Apperception des Außern Sinnes etwas genauer an. Wir können und doc, nicht täufchen laffen von dem Ausdrucke „Außere Wahrnehmung“ im Gegenfage zu „innerer, Wahrnehmung.“ Wenn er .einen Sinn haben fol, fo kann er doch nur beveuten: Wahrnehmung eines Aeußern; und von einem Äußern Sinne im Gegenfage zum innern Sinne reden wir doch nur, infofern wir mit unfern fünf Sinnen bloß Aeußeres, d. h. Körperliches, wahrnehmen. Die Wahrnehmung felbft aber, der Act und das Product berfelben, ift allemal und durchaus etwas Inneres, Alfo ift die Apperception allemal aud) die des äußern Sin⸗ ned, ber äußern Wahrnehmung —. Apperception eines Innern, und ed giebt nur innere Apperception. Wir ftimmen alfo Schi: ling bei, wenn er fagt (Xehrb. d. Pſych. S. 98), daß „es nicht

Zur Sprachphiloſophie. 73

barauf ankommen kann, ob dad Zu »Appercipirende eben erft in ber Wahrnehmung erzeugt ift; ed wirft ja dabei doch nur ale Borftellung im Bewußtfeyn.“

Schilling hat demgemäß. auch der Apperception eine ans dere Stellung gegeben, nämlich nocd Innerhalb „des niebern Geiſteslebens“, bei ber Wölbung und Zufpigung; nur fommt er natürlich fpäter wiederholt auf fie zurüd.

Indeffen weicht Schilling von Volkmann doch nur in der äußern. Anordnung und ber frühern Einführung des Namens Apperception ab, ohne darum den Bereich ihrer Wirkfamfeit aus- zubehnen. Die Fälle, in denen fie Schilling erkennt, find folche, wo fich „Unerwarteted in der Natur oder Gefellfchaft ereignet” Galle, denke ich, welche doch wohl Volkmann's „einigermaßen ausgebildete Vorftellungsverhältniffe” vorausfegen. |

Dagegen nun wird von Lazarus (II. S. 28 f.) mit voller Entfchlevenheit die Apperception ſchon innerhalb der urfprüng« lichften. Seelenereigniffe anerfannt, ſchon „der früheften Kindheit” äugeeignet, und ich kann nur feiner Anficht beiſtimmen. Er fagt: „daß in den einfachften Proceſſen einer Erkenntniß durch finnlihe Wahrnehmung noch mehrere geiftige Elemente, Erſchei⸗ nungen innerer Thätigfeit vorhanden find”; und weiter: „Haft jede :Berception wird von einer Apperception begleitet und er= gänzt; d. h. jeder Auffafiung von außen kommt eine Berbin- dung mit dem bereitd Innen und durch dad neu Gege⸗ bene Reproducirten zu Hülfe und bient zu ihrer Ergän- zung.” Diefe Berbindung und Ergänzung ift eben Apperception ; fie ift „die Aufnahme einer von außen gegebenen Anfchauung in die Reihe der bereitd vorhandenen ähnlichen und repro⸗ ducirten Borftellungen.”.

Nur-in den Beifpielen, welche Lazarus hier anführt, feheint er mir nicht ganz glüdlich geweien zu feyn. Allerdings bewei- fen auch „die geübten Romans oder Zeitungdlefer”, „daß auch bie einfachften, feheinbar rein finnlichen Vorftelungen fchon durch innere Broceffe ausgebildet werben”; aber Hebung im Leſen feßt allemal fchon mehr als einfache Borftellungsverhältniffe

TA Dr. Steinthal,

voraus, felbft beim Knaben. Wir hören ferner aus einem ges ſprochenen Sage mandyen Laut und manche Sylbe nicht und benfen fie dennoch, d. h. wir appercipiren fie; aber dazu gehört sine geläufige Eprachlenntniß ; in der fremden Spradye apperci- piren wir weniger, als in der Mutterſprache. Der Knabe, ber ein Viereck einen Bonbon, und einen Kreis einen Teller nennt und d. h. als ſolchen appereipirt, hat fchon Bild und Gegen⸗ Hand unterfchieden. Die fcheinbare Gonvergenz endlich zweier paralfefer Linien gegen ihr entferntes Ende bin ift eine optifche Zäufhung, der wir und nie durch Apperception entziehen; nur daß dad Bewußtſeyn über dieſe nothwendige Täufchung und davor ſchuͤtzt, die Sache fo zu nehmen, wie fie fcheint, uns ſe⸗ gar lehrt, Entfernungen zu beurtheilen, wobei allerdings Apper⸗ ception wirkt.

Das lebte Beiſpiel zeigt aber, welchen Kreis von That⸗ fachen Lazarus eigentlich meint. Drobiih (Emy. Pinch. 8. 45) bezeichnet fie treffend, indem er bemerkt, „daß Schen u. ſ. w. nicht bloße Empfinden, fondern zugleich Verftehen, Deu- ten bed Empfundenen ift*, was nad Lazarus heißt: Wahr⸗ nehmen ift nicht bloßes ‘Bercipiren, fondern zugleich Appercipis ren. -Daß uns der Finger fchmerzt, wiflen wir nur durch Ap⸗ perception; denn unmittelbar kund giebt ſich nur dad Schmerz gefühl; daß aber der Zufland des Fingers bie Urſache deſſelben ift, liegt nicht urfprünglich im Bewußtfeyn. Jedoch auch “Dros bifch fpricht dort nur von dem Einflufle, weichen bie Repros duction auf die Wahrnehmung hat, und gedenkt erſt fpäter ber Apperception, da naͤmlich, wo dad „Verſtaͤndniß des Wahrge⸗ nommenen”, d. h. bie Appereeption, „nicht gleich zu Stande fommt*, wo „wir und in untuhiger Aufregung ber, Gedanken befinden" alſo aͤhnlich wie Schilling. |

Zugeftanden aber, daß bie Apperception in den legten Fällen merfbarer, auffallender, weil langſamer kaum ver- widelter ift als in vielen andern, ift fie darum in biefen we⸗ niger vorhanden? weniger Far und beftimmt nachweisbar?

Was alfo unterfcheidet denn bie Apperception von der

Zur Sprachphiloſophle. 75

Verſchmelzung? Die vorangehende Hemmung? Aber fie geht jeder Verſchmelzung entgegengeſetzter Vorftellungen voran; biefe geht nur von ftatten,- in fo weit und nachdem jene befriedigt ift. Und überbies ift eine Hemmung für die, Apperception gar nicht weſentlich; fle fehlt natürlich überall da, wo fich die Apperception durch eine Verſchmelzung gleicher Vorftelungen ausführt. Die Hemmung vor der Berfehmelzung ift aber auch eine Hemmung ber Apperception felbft; und alfo ift fie ihr nicht nur unweſent⸗ Hich, fondern feindlich entgegengeſetzt. Am beften appercipiren wir da, wo etwas ohne Hemmung in unjer Bewußtſeyn eingeht, weil ed Anklang, Beifall in uns findet, weil wir darauf vors bereitet ſind, es erwarten, verſtehen; d. h. da, wo bad neu Wahrgenommene augenblicklich mit dem durch es Reproducirten verſchmilzt ohne Beſinnen; und weil ohne Beſinnen, darum unbeachtet. Nur das verdanken wir der Hemmung und dem dadurch bewirkten Beſinnen, daß wir uns nun auch auf die Apperception befinnen. Das kann dem Pſychologen erwuͤnſcht ſeyn; aber das intereſſanteſte Buch z. B. iſt gerade das, bei deſſen Leſung, wie Herbart bemerkt, „die hemmende Kraft voͤllig verſchwunden iſt“; und ber beſte Lehrer iſt der, welcher jeden Lehrſatz ſo vorbereitet, daß ihn der Schuͤler ohne Hemmung capirt, wie man ſagt, d. h. appercipirt. Und warum appercipirt der zerſtreute Knabe von dem Vortrage des Lehrers nichts wei⸗ ter als die eingeſtreute Anekdote? weil nur fie ohne Hem⸗ mung mit feinem Bewußtfeyn verjchmilzt.

Können wir nun in der Hemmung einen ber Apperception weientlichen Umſtand nicht erfennen, fo Eönnen wir ihn no weniger finden in der „Umformung ber einen Vorftellungs« mafle durch die andere”, welche nach Volkmann ber Berjchmels zung beider vorangehen fol. Denn erfllich beruht eben die Ums formung auf der Hemmung, und ift alle, wie biefe, unweſeni⸗ lich; zweitens aber wird fie nicht bloß durch die der Berfchmels zung vorangehende Hemmung bewirkt, fonbern au, und ganz wefentlich, durch die Verſchmelzung felbfi, mit ber die Apper⸗ ception abichließt; brittend endlich gehört überhaupt die Um⸗

76 .Dr. Steinthat,

formung, fo wenig wie die Hemmung, nothwendig zur Apper⸗ ception. Wer die Thatfachen, indem er fie appercipirt, ums formt; ober wer die Marime, indem er fie auf einen befondern Tall anwendet, umforny: ber appercipirt eben fchlecht, ber ver⸗ fatjcht Thatfache und Marine. Wenn bie gehörte Rede umge- formt wird, fo gicht dad Mißverftändniß.

At alfo die Apperception niemald äußere, fondern nur in= nere; iſt fie aber dennoch ein urfprünglicher Proc ur= fprünglich dem Weſen und der Zeit nach, indem fie bei den ein⸗ fachften Seelenereigniffen des &ebildeten wie des Kinded mit- wirft; und ift fie endlich durch Fein befonderes Merfmal von ber Berfchmelzung überhaupt zu unterfcheiden: wird denn nun Apperception und Verſchmelzung daſſelbe feyn?

So wenig, daß die Verſchmelzung nicht minder ald die Hemmung und Umformung bei der Apperception weber weſent⸗ lich, nod) nothwendig ift, fondern ganz ausbleiben fann. Dann ift eben die Hemmung dad Herrſchende geblieben; bie Apper⸗ ception ift aber nicht minder erfolgt.

Die hierher gehörenden Faͤlle müffen wir ein wenig näher betrachten, da man bisher, fo viel ich merfen konnte, bei der Apperception alles Gewicht auf die endliche Verſchmelzung legte, mit deren Ausbleiben eben die Alpperception unterblieben fey.

Dem entgegen meinen wir, baß e8 eine Art der Apper- ception gebe, deren Wefen oder Inhalt und Zuftandefommen auf der Hemmung beruht, auf dem behaupteten Gegenſatze. Man überlege folgende Fälle. Es laͤuft oft eine lange Reihe von Borftelungen in uns ab, fo daß immer ein Glied das folgende teprobucirt, welche Reproduction aber von der Reihe der ibentis ſchen Wahrnehmungen begleitet wird. Die einzelnen ſich ent- jprechenden Glieder beider Reihen verfehmelzen dann mit einan- ber, und zwar fo fihnell, daß fie nicht appercipirt werben.

Plöglic ftodt bei einem Gliede die Verfehmelzung, eine Hem⸗

mung tritt ein: dieſe Vorftelung, die heinmende und die ges

hemmte wird appercipirt; die Hemmung aber behauptet fih, und -

ber Gegenfag ſelbſt der DVorftellungen wird appercipirt. So

Zur Sprachphiloſophie. 77

geht man z. B. durch eine bekannte Straße und ſieht die be— kannten Haͤuſer, ohne eins davon zu appereipiren. Die Reihe der Wahrnehmungen verfehmilzt augenblidlich mit der Reihe ber teprobueirten Vorftelungen, bevor fie beide au Bewußtfenn kom⸗ men Fonnten. Daher Fonnte während der ganzen Verſchmelzung dad Bewußtſeyn mit ganz andern Vorſtellungen erfüllt feyn. Da ſtoßen wir auf ein niedergeriffenes, neu gebauted, oder nur veränberted Haus; dieſes wird appercipirt, wenn wir nicht in Gedanfen vertieft find. Oder wir gehen im Walde ſpatzie— ren: fein einziger Baum wird von uns appercipirt; wir ſehen ben Baum. vor lauter Wald nit. Aber irgend ein Baum zeichne ſich aus; durch feine Art, indem alle Bäume um ihn her anderer Art find; durch feinen Wuchs, durch Verletzungen, weil er abgeftorben ift: er wird appercipirt, weil wir ihm nicht er» warteten. Das Tiktak der Uhr, während wir arbeiten, bas Klappern der Mühle vom Müller, wird nicht appercipirt; bie gehörten Töne compficiren fich vieleicht mit unferm Gebanfen- laufe, werben aber augenblidlic; gehemmt und kommen darum nicht zum Bewußtſeyn; oder fie bilden eine Reihe für ſich, die neben ber Reihe unferer Gedanken abläuft, ohne fich mit ihr zu berühren. Sie hören plöglih auf, und das wirb apperci- pirt bie unterbrochene Verfehmelzung, die Hemmung. Wir jehen einen Freund; wir appercipiren bie Gefammtvorftellung, bie wir von ihm haben, aber nicht ein Gtied von ihm, nicht feine Hand, nicht fein Auge u. f. w. aber etwa die Wange, welche angefchiwollen ift, das Haar, das er fid) hat fehneiden laffen, An der Wange, ani Haar ftodte die Verſchmelzung. Wir fuchen ein befannte® Ding unter vielen; „dieſes ift es nicht, jenes auch nicht, aber dieſes da.“ Das find brei-Appers ceptionen, von benen die beiden erften auf Hemmung, Negation, beruhen. „Wie fehneidet ein Sprachſchnitzer in's Ohr des Buriften! wie beleidigt ein Mißton ven Muſiker! oder ein Ver: ſtoß gegen bie Höflichkeit den Weltmann!” (Herbart). Und warum? weil dad Erwartete unterblieb; weil die Wahrnehinung mit dem Reprobucitten nicht verſchmolz. Man vente endlich

&

78 Dr. Steinthal,

an Tadel, Spott, Reue und moraliſche Selbffeitif, Worauf beruht denn das Schmerzliche der Reue? doch nur darauf, „daß bie Vorfellungen von dem, was geſchehen ift, in ſehr vielen Punkten verfchmelzen müflen mit den Borftelungen von dem, was hätte geichehen follen; daß fie aber biefer Berfchmels zung nidht nachgeben Fönnen, weil fie dabei aus ihren eigenen Eomplicationen und Verſchmelzungen berausgerifien wer- den. Der Conflict, der bier entfteht, ift ſchmerzlich fühlbar“ (Herbart). Der Egoismus, der nichts Fremdes förbern mag, alles, was nicht ihm gehört, von fich weißt; wie auch der Cha rafter, der die entwürbigende Zumuthung des Unfittlichen von ſich abweift, hat das ihm Fremde appercipirt, als Fremdes, ale etwas, womit er nicht verfchmelzen kann.

Alfo: die Anerfennung von Beränderungen, die Regatio- nen, das Abweichen und Verweigern u. ſ. w. ſind Apperceptio⸗ nen ohne Verſchmelzung.

Aus den vorangehenden Thatſachen und Betrachtungen er⸗ giebt fi wohl, daß Apperception weder einen Elementarproceß bes pſychiſchen Mechanismus, noch auch ein Vermögen der Seele bezeichnet. Was ift fie alfo?

Wir antworten:

Apperception bezeichnet den Antheil der maͤchtigern Vorſtellungsmaſſe an der Schöpfung neuer Gedanken, Vorſtel⸗ lungen oder Urtheile; welche Schöpfung eben darauf beruht, daß eine Vorſtellung oder Borftellungsreihe in ein Verhaͤlmiß zu einer mächtigern Vorſtellungsmaſſe tritt.

Diefe Definition habe ich aus ben vielen Bemerfungen über Apperception, welche Lazarus durch feine Monographien hindurch geftreut hat, abftrahirt. Zunächft befonderd antegend war mir die Bemerfung (II. S. 179), daß bei der Apperception eine‘ Borftelung „nicht bloß nach ihrem eigenen Inhalt, fonbern zugleih dur) einen andern Inhalt und nad) ber Ber> wandtfchaft mit demſelben feftgehalten“ werde. Hierdurch aber erhält ſowohl ſie felbft erft ihren eigenen Inhalt, als much jener andere Inhalt, durch welchen oder innerhalb deſſen fie ger

Zur Sprachphiloſophie. 79

dacht wird, ermeitert und näher beftimmt wird. Denn, wie Lazarus fogleich weiter an einem einfachen Beifpiele klar barge- legt hat, beide Bactoren ber AUpperception werben in ihr umge- formt; fie werden, möchte ich fagen, nidyt nur in einander ver ſchmolzen, fondern damit zugleih auch umgefcholgen zu einem reichen fowohl als auch höhern Dritten. Der gedachte Inhalt ift nicht mehr bloß das, was er enthält; denn durch ihn wirb noch Anderes gedacht; dieſes Andere aber ift auch nicht mehr was ed war; denn ed wird durch Anderes gedacht. Alfo if bier auch nicht bloß eine Summirung beider Factoren, fonbern wirklich etwas "Neues, in welchen beide enthalten find

Apperception ift alfo nicht ein müßiges Beobachten und Beobachtet» Werden einer Vorſtellung oder Borftellungsmafie durch die andere, fondern ber eigentliche geiftige Schoͤpfungs⸗ proceß; nicht ein bloßed Sic)» Befchauen, fondern ein Sich = Bes fruchten und Aus⸗Sich⸗-Gebaͤren. Diefe Analogie wird man nicht zu weit verfolgen. Wir haben in ber Apperception weber bloß einen auf irgend einen. Reiz erfolgenden mechanifchen Pros ceß, noch audy organifche Afftmilation “ober -Eonception. Auch an die Entwidelung ded Embryo zu denken fcheint mir nicht fehr paflend, wenn man auch fchon in Rechnung brädyte, daß ber Geift Embryo und Mutter zugleich ift. |

Ich habe aber zur eben gegebenen Definition noch nähere Beftimmungen hinzuzufügen. Es mag hier dahin geftellt bleiben, ob oder inwiefern Lotze recht hat, wenn er verfchiedene Grade ver. Intenfität des Vorftellend und dadurch . bewirkte ver⸗ ſchiedene Grade der Helligkeit der Borftellungen leugnet: Auch wenn man bie biöherige Anficht beibehält, follte ich meinen, muß man ben Begriff anerfennen, den Lotze ftatt der geleugnes ten Kraft ber Vorftellung einführen will, nämlihd „Macht ber Vorftellung.” Diefe Macht ift aber von ber Klarheit, von der Bewußtheit überhaupt durchaus unabhängig; die mädhtigften Borftelungen find meift die dunfelften, oft ganz unbemwußt. Denn die Macht beruht auf dem Verhältniß der Vorftellung zu andern Borftellungen und zu Gefühlen und Trieben, mag bies

80 Dr. Steinthal,

Verhaͤltniß nun lediglich in pfychologifchen Verbindungen oder auch in dem Iogifchen Werthe und in den Togifchen Beziehun- gen der Vorftellungen liegen. Es wirft aber ald Macht, felbit unbewußt, fey ed, daß dies Bewußtſeyn nur augenblidlich oder auch überhaupt und gänzlich fehle.

Borftellungsmaffen bilden fi, meine ich, durch eine ge- wiffe Attractiond> oder Kryftallifationsfraft )N. Ed kann nun entweder ein Gedanke, ein beftimmter Inhalt, feyn, weldjer diefe Anziehungskraft ausübt und einen Mittelpuncd in einem weiten Kreife von Vorftellungen bildet, innerhalb deſſen Fleinere Kreife liegen können; oder ed kann jene Kraft ald ein über als. (en Vorftelungen einer Maſſe ſchwebendes organifirendes, bloß formale8 Gefeb gedacht werden. Mit der Attractionsfraft aber ift ſchon auch eine Nepulfionsfraft geſetzt. Das Geſetz wirft wie alle Gefege unabhängig von der Bewußtheit. Iſt aber ein Gedanke das Eentraliftrende, fo muß er natürlich ir⸗ gend einmal bewußi gewefen feyn, braudyt e8 aber nicht gerade im Augenblide feiner Wirkffamfeit zu ſeyn.

Das Geſetz ift das Mächtigere als die davon beherrſchten, nad) feiner Forderung fich gruppirenden Vorftellungen ; auch der eentralifirende Gedanke ift mächtiger als alles, was in feinem Kreife liegt, den er beherrſcht; und je vwieljeitiger eine Vorftel- lung mit andern verbunden ift, und je inniger das Attractiond- verhältniß ift, vermittelft deſſen fie herrfcht, um fo mächtiger ift fie.

Je mächtiger aber bie herrfchende Vorftellung ift durch bie Weite feined Kreifes oder die Peftigkeit der Anziehung, oder je mehr das organifirende Gefep Innerhalb der Maffe verwirklicht ift: um fo entfchiedener, fehneller und fefter erfolgt die Apper⸗

*) Ich laſſe es dahingeſtellt, wie fie fih zu Verſchmelzung, Compli⸗ cirung oder Aſſociation verhalte. Es ſcheint mir aber durchaus tadelhaft, wenn man in neueſter Zeit den von Herbart gemachten Unterſchied zwiſchen Verſchmelzung und Complicirung aufgegeben hat und alles wieder zu einer. unbeftimmten Aſſociirung verfhwimmen läßt. Man follte im Gegentheil noch mehr Unterfchiede in der Berbindung der Borftellungen feftzubals ten ſuchen.

Zur Sprachphiloſophie. 81

ception, fey fie nun attrahirend oder repellirend, poſitiv ober negativ, Näheres hierüber geben die Bemerkungen von Lazarus über die Bildung der Weltanfchauungen (I. S. 221,), über gebildete Sittlichfeit (I. ©. 84.), aus benen hervorgeht, daß diejenige Mafle am mächtigften ift und darum am beften apper⸗ cipirt, welche die meiften Vorftelungen umfaßt, und zumal auch oft wieberholte Vorftellungen, und welche am feinften und gefegmäßigften geglievert if. Bildung gewährt dieſe Bedin⸗ gungen zur Stärfung der appercipivenden Maſſen und erhöht alfo die Apperceptionsfähigfeit (Lazarus I. ©. 50,); wie benn auch einfeitige Bildung einfeitige Apperception erzeugt. Diefe Einfeitigkeit hat Lazarus ſchoͤn hervorgehoben bei ber Beiprechung ber materialiftifchen Weltanfchauung; er hätte eben darum auch nicht unterlaffen ſollen, die bedeutende Hülfe hervorzuheben, welche die Bildung ber Sittlichfeit gewährt, und welche es recht⸗ fertigt, wenn vom Gebildeten eine höhere, ftrengere Sittlichkeit erwartet wird, Denn bie Bildung muß fi) nothiwendig auch ‚über die Vorftellungen von den fittlichen Verhältniſſen und For⸗ derungen erftredden. Dadurch aber erhält dieſe Vorftellungsmaffe “eine viel größere Macht, eine größere Herrfchaft über Affecte und Begierden, als fie beim rohen Menfchen haben kann, wo diefe Maſſe „im eigentlichiten Berftande nur bloße Maffe, bloße Anhäufung ohne innerliche Ausbildung und Anordnung” (Her: bart) ift.

Iſtr hiermit im Allgemeinen wenigſtens bezeichnet, welche Vorſtellung oder Vorſtellungsmaſſe die maͤchtigere iſt, fo bleibt noch, um die obige Definition fchärfer zu beſtimmen, dies übrig, dag wir die Verhältnifie näher betrachten, in welche die apper- eipirte Maffe zur appercipirenden treten kann; ober es find bie Berhältniffe anzugeben, in denen zwei Vorſtellungen zu einander ftehen können, wenn eine Apperception ber einen durch die an- dere möglich feyn fol. Hierbei ift ausdrücklich daran zu erin- nern, baß ber pſychologiſche Proceß der Apperception auch umd häufig von logiſchen Berhältniffen bedingt wird, d. h. vom In⸗ halt der Vorftellung felbft; und wenn nun logifch eis apper⸗

Zeitſchr. f- Philoſ. u. phil. Kritik. 32. Band.

82 Dr. Steintbaf,

eipirt wird, d. h. wenn die Apperception zwilchen zwei Vorſtel⸗ lungen ein Berhälmiß fegt, welches dem logiſchen Verhaͤltniß zwifchen ihnen wiberfpricht: fo ift hiermit ein Sehler begangen, ben ber Logifer erkennt, aber nicht dad appercipirende Subject, welches vielmehr dad von ihm in ber Apperception gefegte Ber: bältniß zugleich für das Iogifche hält. Fuͤr den Appercipirenden fallen das pſychologiſch gefeßte und das logiſch⸗reale Verhältnig zufammen; für ihn als foldhen giebt es Feinen Irrthum und nichts Falſches. Nur die abermald appercipirte Apperception Tann durch diefen neuen Act als falſch erklärt werden, Wenn 3. B. ein Begriff von dem andern ald von dem höhern, ab» ſtractern, allgemeinern appercipirt wird, fo koͤnnte zwar bie Xogif zwifchen diefen Begriffen ein ganz anderes VBerhältnig anzuneh- men gebieten und jene Apperception für, falſch erklären; die Ap⸗ perception wäre aber darum nicht minder in Uebereinftimmung mit dem pfochologifchen Gefehe, dab dad Allgemeine das Beſon⸗ dere appereipirt; denn für den Appercipirenden lag dieſes Ver⸗ hältnig vor, wenn auch nicht für die Logik, oder er hat dieſes Verhaͤltniß gefegt, wenn auch unlogiſch. Ebenfo kann auch die Apnerception des Beſondern durch dad Allgemeine unterbleiben, weil eben dieſes Verhaͤltniß nicht erfannt worden ift, auch ‚nicht einmal unbewußt. Die Apperception alfo als pfychologifcher Proceß gejchieht immer gefegmäßig, wie alles in ber Welt nach den mechanifchen Gefegen vor fi) geht. Darum fönnen bie Ap⸗ perceptionsverhältniffe nach ten logiſchen Berhältnifien näher beſtimmt werden, ohne daß damit behauptet wird, baß lebtere wirklich zwifchen ben betreffenden Begriffen obwalten.

"Die Berhältniffe der Apperception näher beflimmen heißt: bie Kategorien der Apperception angeben. Hierzu hat meines Wiſſens bis jetzt Herbart allein den Verſuch gemacht. Er ſtellt (Pſychol. I, ©. 251. Geſ. W. VI, ©. 223) eine Ta⸗ fel der „Kategorien ber innern Apperception” auf, gegenüber ber Tafel der Kategorien, welche die Fantifchen und ariftotelifchen erjegen follen, und welche „die allgemeinften Klaffen ber-Begriffe von Gegenftänden, bie in ber Außern Anfchauung koͤnnen ges

Zur Sprachphiloſophie. 83

geben werben“, bezeichnen (daf. S. 197. Gel. IV. 178). Dem er meint (S. 251. ©. VI. 223): „Sollen die allgemeinften Begriffe, die zur Apperception dienen, Kategorien heißen und - bas find offenbar in Hinficht der Außendinge die gewöhnlich fogenannten Kategorin fo wird es beren eben fo wohl für bie innern Greigniffe als für die Außenwelt geben.“ Gewiß; nur ob es andere ſeyn werben, wie Herbart als ſelbſtverſtaͤnd⸗ lich vorausſetzt, iſt die Frage. ‚Gerade eben fo ſelbſtverſtaͤndlich ſchien es Kant und Ariſtoteles, daß die von ihnen aufgeſtellten Kategorien für die inneren wie für bie Außern Greigniffe gelten und audreichen müßten.

Herbart hat ſich mit feinen „Kategorien der innern Aps perception* gar wunberlich verirrt. Ballen denn bie Innern Ex eigniffe weniger ald bie Außern unter bie Kategorien ber Qua⸗ litaͤt und Duantität; Aehnlichkeit und Gleichheit; Beſitz, Wirken und Leiden; Gegenſatz, Veränderung und Unmöglichkeit; ja felbft Ort und Lage? Welch ein Beduͤrfniß alfo nach befondern Ka⸗

tegorien für die Betrachtung der Innenwelt? Ich fühle voll⸗ ftändig bie Unangemefienheit, folche Tragen an ben Gründer ber. Statif und Mechanik der Seele zu richten. Ich wii alfo nur fagen: was aud) bie Betrachtung ber Seele und der geifti- gen Thätigkeiten an Erfenntniffen produciren mag, welde Bes griffe fte fchaffen mag, fte fallen unter jene allgemeinen Katego⸗ rien Kant's, und fünnen höchftens bie Präpicabilien verooliftän- digen. Empfinden, Wiſſen, Wollen, Verſchmelzen, Reproduci⸗ ten u. f. w. werben fich bequem ben Kategorien der Cauſali⸗ tät, Gemeinfchaft und Modalität unterorbnen laſſen. Herbart bemerkt felbft, daß. ſaͤmmtliche Kategorien der innern Apperception unter den Begriff des Gefchehens fallen. Nun denn, fo werden fie auch alle mit diefem Begriffe, der jich allerdings auch auf Aeußeres bezieht, unter diefelbe Kategorie zu ftellen feyn, etwa unter Veränderung, oder Wirken und Leiden.

Der erfte Fehler, den Herbart bier begangen hat, iſt alfo ber, von dem auch ſchon Die Rede war, daß er eine innere und äußere Apperception unterfcheidet, während doch alle Apperception

6* ,

8 Dr. Steinthaf,

nur innere if, Die gewöhnlich fogenannten Kategorien find eben gerade Kategorien ber immer nur inneren Apperception, „reine Verftandeöbegriffe"; und andere als folche kann es gar nicht geben.

Der zweite Fehler Herbart’3 aber ift ber, daß er überfe- hen hat, wie der Genitiv in dem Ausdruck Kategorien der in- nern Apperception doppelfinnig ift; denn er bedeutet eben fo wohl Kategorien, unter denen die innere Apperception begreift, als auch ſolche, unter denen fie begriffen wird; Kategorien, welche fie fchafft, und folche, unter, denen fie gefchaffen wird. Herbart ‘verfteht unter Kategorien ber innern Apperception Diejenigen, unter denen fie begreift, welche fie ſchafft. Diefe find aber, wenn man bie Apperception nur ald innere auffaßt, eben die gewöhn- lichen Kategorien; und wenn man mit Herbart innere und Außere Apperception ‚unterfcheidet und unter jener die Apperception des innern Gefchehend verfteht,, fo find ihre Kategorien fämmtliche in der Pfnchologie zur Anwendung gebrachte Kategorien, wie Verſchmelzung, Eomplicirung, Evolution und Involution, Bers nunft und Berftand u. f. w. Und flieht nicht Herbart’3 Kate⸗ gorientafel der innern Apperception vollftändig aus wie eine fchematifche LWeberficht der Seclenvermögen?

Beide Fehler liegen Ear zu Tage, wenn Herbart (a. a. O.) den Ausdruck Kategorien der innern Apperception erflärt durch „Hauptbeftimmungen des innern Geſchehens.“ Diefe wären ja ‚nichts anderes ald die Kategorien der Piychologie; und die Ap⸗ pereeption, innere und Äußere, ift felbft nur eine der Haupt- beftimmungen des innern Geſchehens.

Nach dem Gefagten fcheint ed mir Teicht, Herbart's Fehler im Allgemeinen zu berichtigen.

Unter den innern Ereigniſſen eines iſt die Apperception. Sie iſt ein Thun, oder wenn man will, ein Geſchehen, welches zwar einen im Allgemeinen für jeden einzelnen Fall ſich gleich⸗ bleibenden Charakter behält, aber doch im Befondern verſchiedene Bahnen einfchlägt, fich in verfchiedener-Weife volführt und dem⸗ gemäß zu einem verſchiedenen Ergebniß gelangt, je nad) ben

Zur Spradphifofophie. 85

Bedingungen, welche obwalten. “Diefe Verſchiedenheiten lieſern die Kategorien der Apperception.

Die Unterſuchung derſelben läuft alſo auf die Frage bins aus: wie vielfältig geftaltet ſich das Verhältniß zwifchen ver . mächtigern und der fchwächern Borftelung je nad) der Natur und Wirffamfeit beider, was fich alles in einfacher Geſtalt fund giebt im Erzeugniß der Apperception. Daher wäre eine Ueber: ficht biefer Erzeugniffe eine Ueberficht der Kategorien der Apper⸗ ception, und, wäre fle vollſtaͤndig, eine vollftändige Darlegung des Weſens und Wirkens der Apperception.

Died die Aufgabe: fo weit feheint mir die Sache Mar und leicht. Die Ausführung dieſer Aufgabe aber überfteigt meine Kräfte bei weiten, und ich muß fie tüchtigern und in pfpchologifchen Forſchungen geübtern Männern überlafien. ur einige Andeutungen, bie vieleicht förderlich feyn Fönnten, feyen mir geftattet.

Es fcheinen mir drei Hauptpuncte in Betracht zu fommen: erftfich Die identificirende Kraft des Appercipirenden; zweitens feine fubfumirende Kraft, abhängig von feiner logifchen Enge ober Weite; brittend feine rein und im eigentlichen Sinne fchöpfes rifche Kraft. Beim erften und zweiten Punct kommt dann nod) die ponirende oder negirende, attrahirenbe oder repellirende Wirf- famteit der Apperception in Betracht; und in allen drei Fällen kaͤme ber Unterfchieb der theoretifchen und praftifchen Ihätigfeit, des Wiflend und Wollend hinzu: Man kann ferner nody unter- fcheiden je nachdem das Appercipirende bewußt oder unbewußt, und dad Appercipirte eine finnliche Empfindung (ein Empfin- dungscomplex) ober eine bloße Vorftelung (Borftellungsmaffe) ohne finnliche Gegenwart if. Diefe Unterfchiede beruhen auf der allgemeinen Beftimmung ber Seelenthätigfeit und find zwar nicht ohne Einfluß. auf die Apperception, ohne fie jeboch weſent⸗ lich zu beruͤhren. |

Die einfachfte Apperception findet ftatt, wenn ihre beiden Factoren an Inhalt gleich und nur in ihrer pfychologifchen Cri⸗ ftenz verfchieden find: dies kommt vor beim Wiedererkennen,

86 | Dr. Steinthal,

welches fich in einem Identitätsurtheil ausfpricht: „dies jetzt Angefchaute, die gegenwärtige Erfcheinung ift eine folche, wie die frühere war” (Razarud I. ©. 103. 178),

Sogleich beim einfachften Falle alſo floßen mir auf bie Form des, Urtheild. Und in der That, hätte Herbart dad Wer fen ‘ver Apperception ald des nothwendigen Grundprocefied in allem Denten erkannt, ich begriffe nicht, wie er das Urtheil für eine dem Denfen von der Sprache aufgebrungene Form ers . Hären konnte, ftatt in ihm eine der Sprache von der Apperception, db. h. vom Denken, unumgänglich vorgefchriebene Form zu fehen. Alles Denfen bewegt fich in Alpperceptionen, d. h. in einer Beziehung zweier Factoren zu einander, welche fich als Subject und Prädicat darftellen. Das Urtheil, der Satz, fielen nicht eine Verſchmelzung oder eine Complerion dar, fondern eine Apperception, und d. h. vielinehr eine Auflöfung (Aualyſe) einer Berfchmelzgung und Complexion. Dad Subject ift dad Zu⸗Ap⸗ percipirende, das Prädicat dad Appercipirende. Die urfprüng- lichen Identitätöurtheile, Ausprüde der Wiedererfennung, ſprechen fih in einem Worte aus, in einem Ausrufe: „der Vater!“ ruft das Kind, „dad Land!” der Schiffer; und in folchen Säzs zen fchuf der Urmenfch die Wörter. Nichts anderes ift es, wenn dad Kind ruft „mic hungert“ oder „Hunger“; und nur wenig verfchieben, wenn es fagt „Brob! trinfen"; dann nämlich wird nicht das Gefühl des Hungers ober Durſtes, fondern ſogleich ber Trieb nach dem Dinge, weldjed jene unangenehmen Gefühle zu heben vermag, appercipirt. Diefe Rufe find weſentlich Bräs bicate (oder Dbjecte), die appercipirende Vorftellung bezeichnend; dad Appercipirte, dad Subject, ift ein Complex von Empfins dungen, ber verfchwiegen bleibt, weil er noch par nicht apper⸗ cipirt, nicht gebeutet ift, fondern erft im Worte, iin Prädicate eine Bebeutung erhält. In ber entwidelten Sprache wirb das Subject erfegt durch ein Demonftrativum:, das ift... Dieſes Demonſtrativum wird aber nicht lange haben auf fich warten lafien. Das Unbelannte, welches wahrgenommen wird, beun⸗ ruhigt das Gemuͤth; man fehnt fich es zu appercipiven, zu deuten.

Zur Sprachphiloſophie. 87

So werden ſchnell nad) einander Vorſtellungsmaſſen reproducirt, welche appercipiren follen, ohne es zu thun. In folcher DBerkes genheit wendet man, fih an den Begleiter und furht Hülfe bei ihm. Er ſoll aufmerffam gemacht werben, und dad gefchicht durch ein hervorbrechendes „Da!“

Wir fehen dad Wefen diefer einfachiten Apperception barin, bag etwas zunächft Unbekanntes, ein nod) ungedeuteter Empfin-. dungscompler als identifch gefegt wird mit einer Altern An⸗ ſchauung. Dies widerfpricht durchaus nicht der oben angefuͤhr⸗ ten Bemerkung von Lazarus, daß das Wefen der Apperception gerade darin liege, daß etwas nicht bloß nach feinem eigenen Inhalte, fondern zugleich durch einen andern Inhalt gedacht werde, Died gefchieht auch hier; denn der Empfindungscomplex wird in bdiefer Apperception nicht bloß nad feinem Inhalte, ſondern aud) durch den reichern, deutlichern, bedeutenden weil mit andern Vorftelungen und mit Gefühlen verbundenen Sn- halt der ältern Borftelung gedacht. Wir haben alfo hier bie Setung einer Identität Verfchiedener. Hier ift auch noch feine Subjumtion eined Befondern unter ein Allgemeined, fondern Identification zweier Beionderer, und weil Identification, darum auch nur ein Wort. Diefes, wie gelagt, ift Prädicat; und fo ließe ſich jagen, alle Wörter feyen urfprünglich Praͤdicate, feyen als folche geſchaffen. In demfelben Sinne aber ift alles Sprechen und Denken !PBrädicat, - Deutung, Apperception ber Realität, und unmittelbar bloß unferer- Empfindungen. |

Veberhaupt thut man beffer, von Präbicat fo lange nicht zu reden, ald man nicht auch ein Subject -daneben hat; benn Subjeet und Prädicat find relative Begriffe. Sie entftehen erft, wenn nicht mehr bloß identificirt, ſondern zugleich unterſchieden, Gleiches und Ungleiches gefondert wird; dann entfteht auch All« gemeined und Beſonderes; jened wird Gubject, dieſes Prädi- cat, allerdingd dem logiſchen Berhältniffe entgegengeſcht (daf, S. 182. 183).

Es find aber gerade jeme erſten Vdentitaͤtsurtheile ſchon, weiche die Verallgemeinerung der Anſchauung bewirken. Denn

88 Dr. Steinthaf,

fie fegen nur dad an ber gegenwärtigen und ber reprobucirten Anſchauung Gleiche ald glei, und nur dieſes Gleiche ald das Weſentliche, ald die Sache (daf. S. 179. f). Und fo zeigt ſich gleich Hier die fchöpferifche Kraft der Apperception, nach bes ren Vollziehung ein Drittes da ift, welches weber nur dad Ap⸗ percipirte, noch das Appercipirende if. Diefer Unterfchied wird aber von neuem appercipirt, und das entwidelte Urtheil ent⸗ fieht, wo jenes allgemeinere Dritte zum Subject und die Beſon⸗

berheiten des Appercipirten zu Prädicaten werden. Die Sache

N

breht fih aber auch um. Das Grüne dort ift nicht was bu jhon Fennft und wofür du es zuerft nahmft, fondern etwas andered. So wird aud das !Brädicat allgemein. Bemüht zu zeigen, wie die Anfchauungen immer allgemeiner werben, hat Lazarus doch aud) hervorgehoben, wie in dem fcheinbar den Ins balt der Anfchauung verflüchtigenden Streben nad) Allgemeinheit zugleich audy ein Streben nach Auffaflung und Bezeichnung des Befondern liege, und wie das Befondere gerade nur dann be- flimmt erfaßt wird, wenn es als ein Allgemeines im Worte ap» percipirt ift (S. 184). Nun meine ich aber, daß auch in dem entwidelten Sage mit Subject und Präbicat der Erfolg der Ap-

perception doch wieder eine Identität, ift, eine gleiche logiſche

Weite oder Enge beider. Wer im Frühling bemerkt, „die Bäume blühen“, appercipirt die Bäume nur als blühende, und das Blühen nur ald das der Bäume. Es findet hier ein Ineinan- ber zweier Apperceptionen ftatt, und jo eine höhere Identität Verſchiedener ald im vorigen Yale, Das Verſchiedene bleibt unbeacdhtet, und darum find Subject und Prädicat gleich eng oder weit, Feind allgemeiner oder befonderer ald dad andere. Jedes ift ja auch eine Apperception berfelben Anfchauung, der blühenden Bäume, Es wird zuerft jedes, das Blühen und bie Bäume, appercipirt als identiſch mit feinem Allgemeinen; fie werden dann beide ald mit einander identifch, dadurch aber ge⸗ tabe jedes als von feinem Allgemeinen Befonbered appercipirt. Weil Subject und Praͤdicat in der Apperception als identiſch und gleich weit gefegt werden, darum find fie relativ und Föns

Zur Sprachphiloſophie. 80

nen ihre Stelle gegenfeitig umtaufchen: dieſe Bäume blühen, diefe Blühenden find Bäume.

Auf Indentificrungen laufen auch die Apperceptionen bins aus, welche vorfommen beim Finden eines Befuchten, beim Anz erfennen und Glauben. Verwickelter find die Fälle des Einfes hend und Begreifens, Beweiſens, Schließend. Hier fommt es barauf an, das PVorliegende anzufehen als. ein Einzelnes, deſſen Allgemeined man ſchon befigt, d. h. zu ſubſumiren; oder als ein Allgemeines, deſſen Einzelned man ſchon hat. Hierher ges hört auch das Billigen und das noch verwideltere Vergleichen, Erwägen, Wählen, Vorziehen, Wollen, Orbnen.

Subfumtion erfchöpft aber dad Weſen der Apperception nicht. Es Handelt fich vielmehr allgemeiner um die Vertraͤglich⸗ feit und Uebereinftimmung des Zu=Appercipirenden mit den al« ten Borftellungen, von welcher Uebereinftimmung bie mögliche Subfumtion nur ein befonderer Fall iſt. Ich kann den Tod einer geliebten Perfon, obwohl ich die Nachricht fehr- wohl ver- ftanden, alfo appercipirt habe, dennoch nicht glauben, d. 5. nicht appercipiren, weil mein ganzes Gemüth noch vol ift von Gedanken, Entjchlüffen, Gefühlen, welche das Leben jener Per⸗ ſon vorausſetzen.

Hiermit kommen wir auf die intereffanteren verwickelteſten Faͤlle, wo die Apperception in höherem Grabe ihre theils fchöpfe- rifche, theils umgeftaltende Kraft offenbart. Dies kann gele— gentlich fchon da vorfommen, wo es ſich nur-um Deutung ber finnlihen Empfindungen handelt. Lazarus (U. ©. 33 ff.) er⸗ innert uns bier an Don Duigote, der die Windmühlen als Ries fen, die Schaafheerde ald Kriegsheer appercipirt; an den Furcht⸗ famen, ver ded Nachts im Baumftumpf ein Gefpenft, einen Räuber fieht; an Hallueinationen und Wahnfinn (daf. S. 236), Fälle, wo die Empfindungen, das finnlich Gegebene, nur das geringfte Material zu den Vorftellungen liefert, welche bie Apperception erzeugt. Auch der Zimmermann, ber in der Eiche nur dad Bauholz; der LXohgerber, der an derjelben nur die Borfe; der Maler, der nur ihre Form fieht, d. h. appercipirt,

90 Dr. Steinthal,

gehören hierher; fie fehen in demfelben Anblicke ganz Verſchiedenes, d. bh. fie erzeugen Berfchiedened durch verfebiedene Apperceptios nen. Alle Bilder, Vergleiche, Metaphern beruhen’ auf einem terlium comparationis, welches Erzeugniß einer Apperception ift. „Belt wie die Eichen, treu wie Gold, die Morgenftunde bat Gold im Munde”, beruhen auf eigenthümlichen Apperceptio- nen der Eiche, des Goldes. In dein, was oder wie appereipirt ift, liegt der ganze Inhalt des Gedankens (daf. S. 235 238).

Das Errathen, Vermuthen, Ahnen jihließt ſich bier an. Es find Vorftellungen gegeben, zu denen andere von innen ber hinzugefügt werden, um das Gegebene, dad zuſammenhangslos, widerſpruchsvoll, unverftändlich erfchien, in fid) zufammenhängend zu machen. Durch bie verbindenten, ausgleichenden Borftelluns gen werden bie gegebenen, richtig oder falfch, appercipirt. So am entſchiedenſten beim eigentlichen Räthfel, wo bie zu findende auflöjende Vorftelung in eine Maſſe von Urtheilen Licht und Zufammenhang bringt, fie appercipirt.

Hierauf beruht ferner einerfeitd das Sprechenlernen - der Kinder, andererfeitd aber auch das Denfenlernen durch Sprache, das Berftändniß. neuer Ideen, welche boch immer mit alten Wörtern bezeichnet werden, und überhaupt die Anregung, welche bie Sprache, ihr Schat an Wörtern, etymologifchen Formen und ſyntaktiſchen Verbindungsweifen, der Entwidelung der Ge⸗ banfen ‚gewährt, wie aud) wieder umgefehrt die Erweiterung und Bertiefung der Bedeutung der Wörter und Formen durch Yort- fehritte ded Geilted. Das Kind 3. B. hat vor allen Dingen das Sprechen überhaupt zu appercipiren, db. 5. zu merfen, daß Sprechen Darftellung des Innern iſt. Weiß es dies, fo liefert ihm jedes vernommene Wort einen Reiz, es zu verftehen, d. h. eine Borftellung zu bilden, welche in dad Gehörte Sinn bringt, db. h. welche dad Wort zu appercipiren vermag. Diefen “Bunct hat Lazarus ausführlich und vortrefflich erörtert im dritten Ab⸗ fhnitte der Abhandlung „Geift und Sprache." Er bemerkt fehr Ihön: „Das gehörte Wort ift gleichfam ein Saamenforn, in bie Seele gelegt; die innere Triebfraft der Seele aber burchbringt

dur Sprachphiloſophie. 91

und befruchtet es mit geiſtiger Nahrung, ſo daß es ſelbſt zu geiſtigem Leben erwacht und emporwächft”, indem eben die be⸗ zügliche Vorftellung erwacht, weldye dad Wort appercipirt. „Das Wort leiftet Hebammendienfte bei der Geburt des Gedankens“. Bon noch feinerem, geiftigerem Weſen ald in den eben der - nannten Fällen, wenn auch weniger fehöpferifh als vielmehr umgeftaltend, zeigt ſich die Apperception bei der Bildung von fubjectiven Vorſtellungen, welche nicht unmittelbar aus finnlichen Anſchauungen hervorgehen. Hier follen geiftigere Anfchauungen von Afthetifchen und ethifchen Berhältniffen und durch fie ers zeugte Gefühle zu Vorftelungen umgewandelt, und d. h. eben durch das Wort appercipirt werden. ‘Der Abfchnitt, in welchem Lazarus diefen Punct erörtert (H. S. 195 218), fcheint mir die glänzenbfte Stelle ver beiden Bände, Nur verwiefen werde hierauf, da ich hier weder ausfchreiben mag, noch hinzufuͤ⸗ gen kann.

An die oben erwähnte Apperception der Vergleichung fchließt fich die freiere der Analogie, worunter ich alles Schaffen nach einem Modell verftehe, nad) einem im Voraus feftgefegten Schema, das, zunächſt abftract und leer, ausgefüllt werden fol. Herbart würde ſchwerlich eine Kategorientafel, und zwar eine folchergeftalt viergliedrige, producirt haben, hätte ihm nicht bie fantifche vorgefchwebt; und er hätte noch weniger eine ſolche Kategorientafel der innern Apperception aufgeftellt, wenn nicht im Parallelismus mit ber der äußern; d. h. Herbart hat bie Ueberſicht der Kategorien durch die kantiſche Tafel appercipirt, Zumal aber Hegel und feine Schule und fämmtliche ſchematiſi⸗ rende -Philofophen hätten taufend Dinge nicht gefagt oder nicht fo gefagt ohne ihre Schemata; d. h. fie hätten anderd apperci⸗ pirt. Es ift bier aud) zu erinnern an bie wunderbare Macht der Analogie in der grammatifchen Geftaltung der Sprache, wo fie zum herrſchenden und fchaffenden Geſetz wird. Nicht nur die Wörter, z. B. Bifcher, Bleifcher, Vogler u, |. w. find einander analog gebildet; fondern bie Begriffe find ſelbſt erſt durch die

92 ‚Dr. Steinthal,

Analogie gefchaffen, appercipirt, wiewohl hier die appercipirende Analogie unbewußt geblieben ift.

Eben fo unbewußt wirkt die Apperception im Takt, „Wenn auch die kaum“ gar nicht, würde ich fagen „in's Be wußtfeyn gekommenen Borftellungen eben fo auf dad Urtheil und den Entfchluß des Menfchen wirken”, d. b. eben fo apper- cipiren, „wie die Klaren und bewußten Vorftelungen, dann hat er Takt“ (daf. S. 286).

Hieran fchliegt ſich aber überhaupt die Fähigkeit, unferm Gedankenfluſſe die Richtung anzuweiſen, fey ed durch einen be⸗ ftimmten Rhythmus der Bewegung; fey es durch ein vorgefted- te8 Ziel, wo angelangt werden fol; fey es durch Marimen, Grundfäge, Rüdfichten, Lieblingsideen u. f. w. Bon alle dem hängt Reproduction, Combination und Scheidung, Werth und Macht und Wirkfamfeit der Vorftellungen ab, alfo unfer ganzes Denken *). Hierauf, d. h. auf den appercipirenden Maffen be- ruht der einheitliche Geift der philofophifchen Schulen, ber res Iigiöfen und politischen Gemeinfchaften aller Art, ded Jahr⸗ hunderts u. f. w.

Das Ternperament und die Stimmung fommen hier in hohem. Grade in Betracht; fie find bedeutende appercipirende Mächte. Welchen Befürchtungen geben wir und heute bin, wels hen Hoffnungen morgen! und doch ftehen die Sachen heute und morgen gleich; wir appercipiren fie nur andere. Co fpricht Die Muſik zu und, indem fle und in Stimmungen ver- feßt, welche und auf beftimmte Bahnen der Apperception führt (ll. ©. 319).

Kommen wir fchlieglih auf Lie Sprache. Wir haben fhon bemerft, daß ihre Entftehung, ihre Erlernung , ihre Wei: terbildung auf Apperception beruht. Sie ift aber ihrem eigen- ften Wefen, ihrem Urſprunge und ihrem Zwede nad, und ganz

*) Ein großartiges Beiſpiel zum Obigen beſpricht mein Aufſatz „Zur vergleichenden Mythologie‘ in’ der Wiffenfchaftlihen Beilage der Leipziger Zeitung Nr. 50— 55. 1857.

Zur Sprachphiloſophie. 93

ausſchließlich nichts anderes als ein appercipirendes Mittel, ein Mittel, das zwiſchen dem Einzelnen und dem allgemeinen Reiche der Erkenntniſſe und der Ideen ſteht, wodurch ſich jener bes letztern bemaͤchtigt, d. h. wodurch er ſich ſowohl die ſchon ge⸗ wonnene Erkenntniß aneignet, als auch neue erzeugt.

Schließen wir uns einſtweilen der gewoͤhnlichen Anſicht an, ſo hat die Sprache zwei Seiten, eine lautliche und eine innere, begriffliche. Letztere aber gehoöͤrt doch genau genommen nicht zur Sprache, ſondern dem Reiche des Gedankens und der Begriffe; der Sprache bleibt eigenthuͤmlich nur die lautliche Seite; d. h. ſie iſt ein Syſtem der Bezeichnung der Begriffe und Gedanken durch Laute. Dann waͤre die Sprache ein groß⸗ artiges mnemotechniſches Mittel. Das wegen ſeiner Unbeſtimmt⸗ heit, ſeiner Feinheit, ſeiner Complicirtheit ſchwer Zu⸗Reprodu⸗ cirende (die Bedeutung) würde an ein leicht Zu-Reproducirendes (den Laut) gefnüpft und dadurch mittelbar reprobucirt; die Bes deutung wird im Laute, bem Zeichen, appercipirt.

Diefe Anficht ift nicht entfchieven falfch; aber fie erfchöpft keineswegs die vorliegende Thatſache; denn fie überfieht ein drit⸗ tes Moment der Sprache, welches zwifchen dem Laute und dem Begriffe fleht: Die innere Sprachform. Der Laut ift ein Ap⸗ perceptionsmittel; aber die Sprache hat außer ihm noch andere, gedanfliche oder begriffliche Mittel, um die Anfıhauungen, Bes griffe und Ideen zu appereipiren. Das Ganze biefer geiftigen Mittel der Sprache ift ihre innere Form, im Gegenſatze zur Lautform. Die Bedeutung nämlicy der Wörter und Wortfor⸗ men ift fireng genommen durchaus verfchieden von ben Begrif- fen und ben Exfenntniffen ‚ver Realität, gehört zur Sprache ſelbſt und ift neben dem Laute Apperceptionsmittel.

Es drängt ſich und alſo hier ganz entfchieden ein Begriff auf, den wir bisher noch nicht betrachtet haben. Wir fanden früher nur ein Appercipirendes und ein Appercipirtes, auch noch ein Dritted, bad Ergebniß des Proceſſes, die Einheit jener beis ben. Jetzt aber bietet fich innerhalb des Proceſſes felbft noch ein Drittes dar, ein Mittel der Apperception, durch weldes

94 Dr. Steinthaf,

das eine das andere appercipirt. Dies veranlaßt uns, die ſchon betrachteten Bälle der Apperception nochmald anzufehen, ob wir auch in ihnen ein folches Mittel zu erfennen gezwungen find. Und nun feheint mir, ed fey fo. Denken wir an einen einfachen Tal, an das Wiedererfennen. Die Totalvorftellung ift hier das appercipirende Mittel; die Geſammtheit ber durch frühere Wahr: nebmungen ber Perfon oder des Dinged erlangten Erfenntnifie iR die appercipirende Maffe, die gegenwärtige Wahrnehmung bie appercipirte. Durch die Totakvorftelung, welche das allen. Wahrnehmungen Gleiche umfaßt, wird die neue Wahrnehmung mit den alten vereinigt. Der Inhalt der Totalvorftellung aber wird durd dad Wort bezeichnet. Wenn Don Quixote in den Mühlen Riefen fieht, fo ift die Vorftellung der Riefen das Mittel der Apperception ; die eigentlich appercipirende Maſſe aber ift die Geſammtheit feiner Borftellungen vom wandernden Ritter thum. Jedes tertium comparationis iſt ein Mittel der Ap⸗ perception; das Berglichene das Appercipirte; das, womit ver- glichen wird, das Appereipirende; nur daß bad Berglichene und das, womit verglichen wird, oft nur relativ zu beftimmen iſt. Eben fo ift das auflöfende Wort bed Räthfels ein Mittel zur Apperception, welche felbft aber von ben verfchiebenften Diaf- fen vollzogen wir. Wenn nach einer Analogie, nach einem Mufter producirt wird, fo ift diefe Analogie bloßes Mittel. Die Marimen und allgemeinen Säge appercipiren unmittelbarer ; d. h. das Mittel entzieht fich leicht dem Bewußtſeyn. Es fin- bet aber doch hier eine Vergleichung des Allgemeinen und Ein- zelnen ftatt; der Theil bed Einzelnen, der dem Allgemeinen gleich ift, bildet das Mittel der Apperception. Wenn aber allgemeine Ideen und Gefege eine Umgeftaltung von Borftel- fungsmaffen fordern und bewirfen wenn z. B. bie Gottes⸗ ibee die auf Sittlichfeit bezogene Vorftellungsmaffe gefaltet, um fie fich entfprechend zu machen fo wirfen fie als Mittel oder auch ald Zwecke der Apperception. | In folhem Sinne ift die Sprache ein Apperceptionsmittel, und zwar das univerfelle, womit ber Denfer feine Gedanken

Zur Syrachphiloſophie. 95

appereipirt, d. h. jchafft, und auch der Hörer fie appercipirt, d. h. verfteht. Geiftreich fpricht Lazarus (II. S. 113 ff.) vom Schweigen ald einem bebeutenden Triebe zum Selbfibewußt- ſeyn. VBerftehen und Sprechen find im ftrengften Sinne res lative Begriffe. Das eigentlich Wefentlihe und Schöpferifche im Sprechen ift Berftehen. Der Urmenſch bat gewiß nicht feis nen eigenen Laut, fondern den vom Andern gehörten zum Worte gemacht, indem er in diefem Laute fich felbft und den Andern zugleich verftand; und damit hatte er auch die Gleichheit feines Weſens mit dem des Andern erfannt, indem er ihn, wie ſich feldft, ald denfendes und fprechendes Weſen appercipirte.

So ift denn die Sprache auch in dem Sinne Apperceptiond- mittel, daß durch fie nicht bloß in einem individuellen Bewußts ſeyn größere, mächtigere Vorftellungsmaflen fehwächere apperci- piren, fondern daß Perfonen einander appercipiren und einen gemeinfamen einheitlichen Geift bilden (daſ. S. 217). Dies ift der Punc, wo bie Sprachwifienfchaft auf die Voͤllerpſycholo⸗ gie verweiſt. | |

Das nähere Eingehen auf biefe ganze, eben angebeutete Wirkfamkeit der Sprache führt auf eine genaue Betrachtung ber zu Anfang diefer Abhandlung genannten Puncte: Vorſtellung und Verdichtung bed Denkens. Die Betrachtung derſelben joll nicht lange auf ſich warten laflen, wenn bie vorliegende Arbeit die nachfichtige Aufnahme findet, welche ich hoffe.

NRecen ſionen. |

Das Gefühlin feiner Bedeutung für den Glauben, im Ge = genfaß zu dem Intellectualismus innerhalb der kirch— lien Theologie unferer Zeit, dargeflellt von Dr. A. Earl: blom. Berlin, 3. Springer. 185

Die Heine Schrift iſt zwar von einem Theologen für Theo⸗ logen und reſp. gegen Theologen gefchrieben; fie iſt troß ihres geringen Umfangs eine bebeutende Erfcheinung ber theologifchen .

96 Recenfionen.

Literatur, und wenn fie von leßterer bis jebt, fo viel wir wiflen, noch wenig beachtet worden ift, fo ift dad nur ein Zeichen des wiſſenſchaftlichen Verfalls unfrer proteftantifchen Theologie, bie traurige Folge der unfruchtbaren Streitigkeiten, welche ber un⸗ duldfame, theild bornirte, theild von hierardhifchen Gelüften auf. geblähte Orthodoxismus und Confeſſionalismus (— der Berf. bezeichnet ihn von ber theoretifchen Seite als einfeitigen Intel lectualismus —) in die Evangelifche Kirche gebracht hat. Aber aud in philofophifcher Beziehung erörtert und enthält die Schrift jo beherzigenswerthe Dinge, daß wir nicht umbin koͤnnen, unfre Lefer auf diefelbe aufmerffam zu machen.

Der Berf. will darthun, daß die Erwedung ded religiö- jen Gefühls und des „geiftlihen Sinnes“ derjenige Moment im religiöfen und theologifchen Bewußtſeyn fey, welchen jeder wahr- haft Gläubige erleben muͤſſe und in welchem das PBrincip für alle Firchliche Theologie, wenn fie überhaupt Werth haben folle, erzeugt.werbe. Er bemerft indeß ausprüdlich, daß er nicht fo weit gehen wolle, das objective Gefühl in feiner Bedeutung für das Wiffen-überhaupt von Neuem einer Specialunterfuchung zu unterziehen. Bon philofophifcher Seite müflen wir es bedauern, daß er fein Thema fo eng gefaßt und die Erörterung des Ges fühl8 auf das religiöfe Gebiet befchränft hat. Denn der Verf. hat ganz Recht, wenn er meint, baß hier der Punct liege, in weldyem die Philoſophie fi) zu reformiren hat, um über ein unfruchtbared Speculiren mit felbft gemachten Begriffen und über die Verblendung abfoluter Wiffenfchaftlichfeit zum wahren Ver⸗ hältniß von Denfen und Seyn, Wiflen und Glauben durchzu⸗ dringen. Aber auch in theblogifcher Beziehung, fürchten wir, hat der Verf. ver guten Sache, die er vertritt, durch diefe Bes ſchraͤnkung feinen guten Dienft geleiftet. Denn um die Bedeu⸗ tung ded Gefühld im. religiöfen Gebiete zur vollen Anerkennung zu bringen, war ed u. E. nofßwendig zu zeigen, daß wir nicht nur von unfern eignen pſychiſchen Zuftänden, von unferm geiftis gen Leben und MWefen, nur mittelft des Gefühls Kunde erhalten, fondern daß auch das reelle Dafeyn, die Exiftenz andrer geiftiger

"Dr. A. Carlblom: Das Gefühl in feiner Bedeutung für sc. 97

Wefen, wie überhaupt teeller Dinge außer und, nur mittelft bes Gefühld und der finnlihen Empfindung uns zum Bewußtfeyn fommt, daß alfo überall nur Gefühl und Empfindung uns im lebten Grunde dad Dafeyn eined Neellen, Objectiven vers bürgen, Nur auf dieſer Grundlage und durch eine ausführliche Parallele zwiſchen den Geiftesgefühlen und den Sinnedempfin- dungen ließ fich gegenüber dem matertaliftifchen Atheismus und dem „fühllofen? Orthodoxismus unfrer Zeit die Behauptung wahrhaft begründen, daß aud die Ueberzeugung vom Dafeyn Gotted und. jomit jeder lebendige chriftliche Glaube durch das Creligiöfe) Gefühl vermittelt fey und feyn müfle Wir glauben foggr, daß der Marigel an einer ſolchen, mehr philofophifchen Grundlegung die Schuld trägt, warum die Theorie des Berf. hier und da, wie und fcheint, an einiger Unflarheit leidet.

Die Hauptfäge, auf bie ſich der Verf, fügt, find folgende (S. 39 ff.): Im gewöhnlichen Sprachgebrauche bezeichnet ber Terminus Gefühl nicht bloß das Innewerben ber Befriedigung oder Nichtbefriedigung ded Subjectd, fondern ganz abgefehen da⸗ von, ein beftimmtes Verhaͤltniß ded Subjectd zum Object in ber unmittelbaren Bezogenheit beider auf einander. Eben damit ift anerkannt, daß das Gefühl neben der fubjectiven zugleich auch eine objective Seite habe. Die unmittelbare Bezogenheit von Subject und Object auf einander involvirt aber im ‚Subjecte eine unmittelbare Einheit des Ergreifend des Objectd und des Ergriffenwerbens von ihm, eine Einheit, in welcher das Er⸗ greifen die practifche Seite = Willen, das Ergriffenwerden die theoretifche Seite = Einn, Verſtand repräfentirt, und welche alfo zugleich bie unmittelbare Einheit von Willen und Verſtand ift. Bezeichnet man diefe Einheit ald das Herz ded Menfchen, fo erfcheint das Gefühl als das pfychologifche Phänomen des Herzens, d. h. ald das erfennbare Zeichen, daß dad Herz, wie als Ausdruck der beftimmten Art und Weife, wie dad Herz vom Gegenftande ergriffen worden und ihn jeinerjeitö ergriffen hat. Danach ift Har, fährt der Verf. fort, daß das Gefühl, in welchem das Herz erfcheint, objectio genommen, eine boppelte

Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 32. Band. 7

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98 | Recenflonen.

Seite haben muß. Einerſeits muß naͤmlich das Gefühl Aus- brud der Affection tes Herzend durch ein Object feyn, ſodann aber auch den Eintritt eines Sinned in dad Herz bezeichnen, durch welchen das Afficirende erft Object in ber eigentlichen Bedeutung des Wortes wird. Jenes pflegt der Sprachgebraud) als Rührung, diefes ald Sinn oder Gefühl für Etwas zu bezeichnen. Rührung und Sinn alfo find die zwei Haupt- momente des objectiven Gefühle, in welchen dad Herz erfcheint. Die Rührung zeigt ſich ald das mehr practifche, der Sinn als das mehr theoretifche Moment. Indeß würde man irren, wenn man beide Momente fo von einander trennen wollte, daß ber Sinn nie als practifch und die Rührung nie ald theoretiſch, an⸗ gefehen werden dürfte. Im Leben find beide Herzengfeiten in der Gefühlderfcheinung vereinigt. So wird 3.3. Niemand von einem Kunftwerfe gerührt oder bewegt (ergriffen) werben Fün- nen, wenn er nicht einen Sinn für dieſe fpecififche Darftellung bes Schönen mitbringt. Umgekehrt wird Niemand einen Sinn für einen Gegenftand, etwa für die Natur, Mathematif oder was es ſey, haben, wenn ein folcher Gegenfland nicht in der’ Form eines ergreifenden Intereſſes d. h. eben einer Rührung, . "in ihn eingetreten ift. Steht nun im Gefühl als Rührung und Sinn das Herz zu einem Objecte im Berbältniß, fo ift Har, daß dad Gefühl feinem Werthe nad) ganz won bdiefem Objecte abhängig feyn muß. Se höher, umfaſſender und tiefer baffelbe it, um fo mehr fteigen auch Rührung und Sinn im Herzen ded Subject an Werth und Bedeutung. Auf ven niederen Gebieten bed Erkennens und Lebens handelt es ſtch bloß darum, daß das Subject etwas in ſich aufnehme, theores tiſch und practifch, wofür es ſich intereffirt. Das Intereffe aber ‚tritt in der bloß natürlichen Entwidelung feiner Anlagen und Kräfte der Welt der Objerte gegenüber von felbft auf. Ganz anderd auf dem Gebiete des Glaubens. Hier gilt die Forde⸗ -tung, daB das Subject fich durch die erlöfende Macht des in That und Wort wirkfamen Geiftes Gottes in feinem natürli« hen Weſen als dem unheiligen verneinen laſſe; daß es auf

De. R Exrtv.re Dir iR in Feine Arten nr. W

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ur Emmi Dice Eriereng ſtellt dam der Verf. folgende zu: Aumfiige al? Peiner feiner Three wie feiner Krink enmrpericheriver Banken auf: 1. „Die Rührung, wertinigt mr wm Sim, alt umminchbared Bewegtwwerden des Hetzens FR rn mr Zul turen, daß Etxroas (ein Sevended) autischult des Euchjocts, was alte für daſſelbe bidher fine Wer Yertmz hatr, wirflic eingegangen iR in dad Subieet. 2 Der Sim, weeinigt mit der Rübrung, bewirkt. dns jenes Srornde awörchalt des Subjects ſich in cin wirk⸗ Tibes Ddject fir band werwantilt, d. h. in Etas, In vom ten Subject ven um an wit Iatenfie altmiliet & b. ver⸗ Unmten unt in ten Pier arizememmn werten kann. Obne einen iekken Sim iR das Dior wide Obieet, fentern nur ein Frites, Gleizütized, rein Beuperiiches." Nur den erſten Say inte bat ter Berf. in ter vorliegenden Schrift, und year merhr mittel® frisiicher Witerlogung ter entgegengtiegten Pein⸗ cipira (Pkiliryi3 wur Haraaf'?) als in poftiver Snneidiung turdigefühtt und feine yrinciniclle Gültigfeit im veligitien Ges biete barzutkum geſucht. Ucher dem zweiten Sag, d. b. darüber, „wie im Momente ter Geincitenz des glaäubigen Subjects mit feinem Gegenflante tie geiepte Empfänglichkeit des Subdjectt eber der Zinn beifelben ten ſpeciſiſchen Charaltet wicteripiegelt® ober „wie in ber Rührung ber Sinn für ihren Gegenſtand ent Rcht“, #ellt er in ter Schlußketrachtung nur einige leitende Geſichtspuncte anf. Unter ihnen heben wir wur folgenden Ba

100 Recenfionen.

wegen feiner Wichtigkeit für das Verſtändniß der Theorie des Berf. hervor: „Der in der Glaubensrührung entftehende eigenthämliche Sinn für das Heildobject wird der richtige nur ſeyn und fein Object richtig nur faffen, wenn er baflelbe in feinem praftifchen Charakter faßt und immer tiefer in dafs felbe eindringt, fo daß jede tiefere Offenbarung des Heildgegen- ftande8 vor dem Subject diefen Charakter auch tiefer enthüllt,"

Der philofophifch gebildete Lefer wird bereits bemerft ha⸗ ben, daß der Verf. überall die Ausdrüde „Gefühl, Einn (Ver⸗ ftand), Intereffe” theil® ihrer Bedeutung nad) ineinanderfließen läßt, theild in einem Sinne gebraucht, ven fie nad) exact wil- fenfchaftlihem Sprachgebrauche nicht haben. Dadurch entſteht jene Unklarheit, die wir oben ſchon rügten. Was zunächſt das Verhaͤltniß von Sinn und Gefühl betrifft, fo läßt fich weder nad) gemeinem noch nad) philofophifchem Sprachgebrauche fagen, daß der Sinn für einen Gegenftand durch die Rührung (dad Gefühl erft „entſtehe“, ja es läßt fich nicht einmal behaup- ten, daß Sinn und Gefühl in Eins zufammenfallen. Vielmehr it der Sinn ald dad Vermögen der Seele, von irgend eiriem Objecte afflcirt zu werben, nothwendig überall das Prius, weil bie Bedingung der Empfindung und des Gefühle. So gewiß. der Blinde, weil ihm der Gefichtöftnn fehlt, keine Geſichtsempfindung haben Tann, fo gewiß wird demjenigen, der gar feinen Sinn für bie muſikaliſche Schönheit hätte, auch alles muflfalifche Gefühl mangeln. Der Sinn in der gewöhnlichen Bedeutung muß daher immer ſchon bafeyn, wenn eine Empfindung, eine Gefuͤhlsbe⸗ wegung entitehen fol; er „tritt“ nicht erft „ein“ durch die Be⸗ rührung oder Einwirfung des Objects, fondern er kann dadurch nur geweckt d. h. zur Thätigkeit angeregt, und ſodann durch fortgefegte Uebung weiter entwidelt und ausgebildet werden. Wird es befonderd hervorgehoben, daß Jemand Sinn für einen Gegenftand befige, fo heißt das nur, daß er in einem beſonders hohen Grade von dem Gegenftande afficirt werde oder feinen Sinn nad einer beſtimmten Richtugg hin in hohem Grabe aus- gebildet habe. Die Affertion ber Seele, die in Folge bes

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Dr. 9. Carlblom: Das Gefühl in feiner Bedeutung für sc 101

vorhandenen Sinned durch die Berührung mit dem Gegenftande hervorgerufen wird, ift die Empfindung, das Gefühl, Iſt biefe Affection ftarf genug und eine dein Wefen der Seele und ihrer individuellen Beftimmtheit angemeffene, wohlthuende, oder befriedigt fie irgend eine Stebung, einen Trieb, ein Bebürfniß, fo entfteht ein Intereffe für den Gegenftand, und wird um fo ftärfer feyn und um fo mehr zunchmen, je ftärfer der Sinn ift und je mehr er fich eniwidelt. Ebenſo wird die Stärfe des Gefühld von der Etärfe des Sinned und der Kraft der Ein- wirfungen des Objectd abhängen. Alle drei, Sinn, Gefühl und Sntereffe, find dann weiter die Bedingungen ber Auffaffung und des Berftändniffes des Gegenftandes. Denn nur durch ben Sinn und bad Gefühl (Empfindung) erhalte ich Kunde vom Dafeyn des Gegenftandes, und nur durch das Intereffe werde ih veranlaßt, mid) dem Gegenftande hinzugeben und in das Wefen deſſelben einzubringen. Aber der Sinn fällt keineswegs in Eins zufammen mit der Auffaflung und dem Berftändniß. Vielmehr wenn der Verf, dem Sinne für den Gegenftand aud) die Auffaffung deffelben zufchreibt und das Verftändnig von ihm abhängig macht, fo verwechfelt er Sinn und Berftand. Um einen Gegenftand als Gegenftand aufzufafien, d. 5. um mir feine Beftimmtheit zum Bewußtfeyn zu bringen, womit ich eine Anfchauung, eine Vorftellung von ihm gewinne, muß ich ben Gegenftand, wie er mir in der Empfindung und refp. im Ge: fühle erfcheint, von mir felbft und von andern Gegenftänden unterſcheiden; und die unterfcheidende Thätigfeit ift der Ver— ſtand. Ie fehärfer, richtiger, gründlicher dies Unterfcheiden nach allen Seiten hin vollzogen und je deutlicher demgemäß dad We- fen und dad Berhältniß des Gegenftandes zu mir und zu an⸗ bern Wefen aufgefaßt wird, deſto klarer, richtiger, tiefer wird das Verſtaͤndniß ſeyn. | |

Diefe Säge, die, wie und bünft, der Sadje wie bem Sprachgebrauche volle Genüge thun, dürften u. E. auch auf dem religiöfen Gebiete ihre ungefchmälerte Anwendung finden, und zwar im Sinne bes Berf. ſelbſt. Denn mag, je nach ber

102 Hecenfionen.

verfehiedenen Faſſung der theologlichen Doctrin, ber religiöfe Sinn im fündigen, unbefehrten, irreligiöfen Menfchen durch Gott (den h. Geiſt) neu gefchaffen oder nur wieberhergeftellt, wiederer⸗ wedt werben müflen, immer ift die Empfänglichkeit (Afficirbars - feit) der Seele für das religiöfe Object fey diefed Bott felbft in unmittelbar offenbarender Thätigfeit, fey ed bie Kirche mit ihrer Lehre und ihrem Firchlichen Leben bie. conditio sine qua non des Glaubens; immer alfo muß diefe Empfänglichleit erft wieder gewonnen ſeyn, ehe von Glauben in irgend einem Sinne die Rede feyn kann. Und da jede Affection der Seele durch geiftige Objecte, feyen ed Ideen oder unmittelbare Einwirkungen von Geift zu Geift, ein Gefühl ift, fo-ift der „fühllofe Glaube”, diefe neue Erfindung des modernen Orthodoxismus (‘Philippi’s) eine contradictio in adjecto. Selbſt die Teufel, wenn fie, wie die 5. Schrift fagt, an Gott glauben, find nicht fühllos: denn fe „zittern.” Diefed Zittern fann man die negative oder .bie Kehrfeite des religiöfen Gefühld nennen. Die pofitive Seite, das Hoffen und Bitten, tritt nur da ein, wo mit dem religiöfen Gefühl eine Umkehr des Menichen, feine Belehrung, beginnt, d. h. wo das Zittern zunächft in Neue und Buße umjchlägt, und aus ihr die Sehnſucht nad) wahrem Frieden, nad Verſöh⸗ nung und Gemeinfchaft mit Gott hervorgeht, bie dann, durch Gott erfüllt, zum Vertrauen auf die göttliche Gnade und end» lich zur Liebe Gottes, zur vollen Hingebung an Gott. wird, Nur der völlig Ungläubige ift ohne religiöfes Gefühl, weil ohne religiöfen Sinn. Ob ed abjoluten Unglauben wirklich giebt, ift eine Streitfrage, die wir hier. bahingeftellt. laſſen. Jedenfalls aber fann der religiöfe Sinn, wenn auch vorhanden, doch fo ftumpf, das religiöfe Gefühl fo ſchwach feyn, daß Feine Umkehr des Menichen eintritt. Iſt es dagegen ftarf genug, um bie Seele wahrhaft zu erfehlttern, fo wird mit ihm zugleich auch das Intereffe für das religiöfe Object erwachen, zunächft ale Intereffe an dem eignen Heil und damit ald Moment des Ges fühl8 der Reue und Buße. Diefe Dreieinheit, Sinn, Gefühl und Intereffe, die man allerdings dem Sprachgebrauch) gemäß

Dr. 9. Garlblom: Das Gefühl in feiner Bedeutung für ac. 103

bad Herz ded Menfchen nennen kann, leitet dann die weitere Entwidelung bes religiöfen Lebens ober ift vielmehr felbft das, was ſich entwidelt. Dom Intereffe getrieben, bildet fich der Sinn aus, wird durd) Hebung immer feiner, zarter, empfinds licher, nicht bloß für die fubjective religiöfe Erfahrung, fondern auch für die objective religiöfe (firchliche) Lehre, und bietet das her dem Verftande einen immer teicheren, Stoff dar, den er durch Ciheologifche. wiffenfchaftliche) Bearbeitung fich zum immer tieferen Verftändniß bringt. Durch das Intereſſe verftärft, bes mächtigt fi) das Gefühl des Willend oder geht felbft in ben Willen über, und bewirkt, daß Wort und That, Thun und Laſ⸗ fen mit dem, was bie Seele rührt und bewegt, übereinftimmt. Se vollfommener dieſe Webereinftimmung zwifchen dem Willen und dem Verftande (Praxis und Theorie) und beider mit dem teligiöfen Sinn und Gefühle, deſto vollfommener wird ver Glaube feyn. Jede Störung dieſer Einheit ift nothwendig eine Störung bes Glaubens, und wo die Harmonie in Disharınonie ums fehjlägt, wo die Zunge befennt, was dad Herz nicht fühlt und die Hand verleugnet, da ift fein Glaube mehr oder was daſſelbe ift, nur Scheinglaube, Selbfttäufhung und Heuchelei. Diefe Disharmonie ift fehr wohl möglih, und Tann fehr verſchiedene Geſtalten annehmen. Denn die religiöfe Lehre, von Gefchlecht zu Gefchlecht überliefert, zur Autorität geworben und dem Kinde bereitö eingeprägt, kann auch vom bloßen Gebächtniß aufgenoms men und bem Berftande ald Stoff dargeboten werden. Der Berftand kann ihre zuftimmen, fie annehmen und fefthalten, weil er nichts Anderes und Befferes kennt, ohne daß das Herz da⸗ von gerührt, der Wille davon ergriffen wird, ftumpffinniger, unbewußter Scheinglaube aus Mangel an geiftiger Bildung. Der Berftand kann aber auch mit vollem Bewußtſeyn bie über- lieferte Lehre, bloß Außerlich fich aneignen, ja fich in fle hinein, ftudiren, fie zum Spftem ausbilben, in ihr leben und weben, entweder weil der Menfch ein Intereffe (z. B. ein hierarchiſches Gelüfte) hat, die Lehre, obwohl fein Herz nichts von ihr weiß, zu äußerer Geltung zu bringen und ſich felbft den Schein ber

104 Recenſionen.

Religioſitaͤt und Kirchlichkeit zu geben, bewußter Scheinglaube, Heuchelei, oder weil er, in einſeitig theoretiſcher Richtung, in Streitſucht, Rechthaberei, Wiſſenshochmuth ꝛc. befangen, bie Theorie uͤber die Praxis, die Lehre uͤber den Glauben, den Buch⸗ ſtaben uͤber den Geiſt ſetzt, fühlloſer Scheinglaube des Or⸗ thodoxismus. Der wahre lebendige Glaube reicht überall nur fo weit, ald jene Harmonie reiht

Der Erörterung dieſes Cardinalpunctes ift vornehmlich bie Abhandlung des Verf, gewidmet, VBortrefflic zeigt er (S. AA ff. 83 ff.), daß der Verftand für fich allein, ohne bie Ueberwin⸗ bung des (oft unbewußten) Widerſtands des Willens, nicht im Stande ift, die Glaubenswahrheit wahrhaft zu verftchen, das Glaubensobject fich wahrhaft anzueignen, daß vielmehr im wahren Wiffen und Glauben Berftand und Wille immer geeis nigt find, und daß, mo witer befferes Wiffen gehandelt wird, nicht der Verſtand mit dem Willen, fondern Wille (Streben) mit Wille, Verſtand mit Verftand in Widerfpruch ftehen, d. h. daß ber Wiberfpruch ftattfindet zwifchen einem doppelten Willen und Verſtande, daß alfo auf beiden Seiten eine Einheit von Willen und Berftand ſteht (— was bie H. ©. als den Wider: ſpruch zwifchen dem alten und dem neuen Menſchen bezeich— net), und nur das Ich als die befchließende Macht fich für die eine oder andere Seite entjcheidet. Don tiefer Kenntniß des menfchlichen Herzens zeugt bie Bemerfung des Verf., daß es, um ben offenen oder geheimen Widerftand bed Willens zu bres chen, vor Allem darauf anfomme, ein Intereffe an der Wahr: heit zu erweden, und fomit zunaͤchſt das ihr entgegenftehende Sntereffe (die Verfunfenheit in finnliche, weltliche Gelüfte) zu bes feitigen; daß es eine gewollte Unfreiheit bed Verſtandes gebe, die fich der Evidenz der ftärfften Gründe verfchließe, und daß dieſe Unfreiheit, die im Gentrum ber Berfönlichfeit, im Herzen ald der Einheit von Verſtand und Willen, wurzele, nicht durch bloße Gründe und die nadte Objectivität der Lehre, fon bern nur durch eine mächtigere BerfönlichFeit in lebendiger MWirkfamfeit von Geift zu Geift überwältigt werden koͤnne.

Dr. F. W. Th. Schliephake: Die Grundlagen d. fittl. Lebens. 105

Bortrefflich auch ift der Nachweis, wie nicht bloß im praftifchen religiöfen, fondern eben fo im rein theoretifchen Gebiet eine KRührung der Seele, ein Gefühl der Befriedigung, das mit ber Löfung der Spannung des fuchenden, forfchenden, zweifelnden Geiſtes eintritt, dad Finden der Wahrheit begleite, und das jubjective Kennzeichen ey, daß die Wahrheit ben Geift ergrif- fen hat, daß fie wahrhaft lebendig in ihm, fein Eigenthum wie er zu ihrem Eigenthum geworben iſt. . Vortrefflid endlich vertheidigt der Verf. von dieſem Standpunct aus das gute Recht des Pietismus gegenüber dem einfeitigen Orthodoxismus, und ſucht die Linie näher zu bezeichnen, auf ber beide Seiten ſich im wahrhaft lebendigen und wahrhaft orthodoxen Glauben bes gegen. Ihm. in diefe mehr theologifchen Erörterungen und namentlich in bie überall treffende und geiftvolle Widerlegung der Theorie vom „fühllofen Glauben“, von ber er nachiweift, wie fie eben fo fehr mit der Schrift- und Kirchenlehre wie mit jeder gefunden Vſychologie in Widerfpruch ftehe, zu folgen, muͤſ⸗ fen wir uns leider verfagen. | H. ulrici.

1) Die Grundlagen des ſittlichen Lebens. Ein Beitrag zur Vermittlung der Gegenfäße in der Ethik von Dr. F. W. Th. Schliep⸗ hake, Herzogl. Naffauifhem Hofrathe, vormals Profefjor an der Unis verfität zu Brüffel. Wiesbaden, 1855.

2) Einleitung in das Syftem der Philofophie von Dr. F. W. Th. Schliephake 2. 20. Wiesbaden, 1856.

Die zwei vorliegenden Schriften von geringem Umfange find von beveutendem Inhalte und verdienen ausführlid, befpro- chen zu werden. Es find verfchiedene Eigenthümlichfeiten, welche ihnen einen großen Werth geben. Wir lernen in ihnen bie Grundanfichten der Kraufefchen Philoſophie in den verjchiedenen Disciplinen derfelben in einer Haren, präcifen, von ber ſchwer⸗ fälligen Terminologie dieſes Syſtems größtentheils freien Form kennen. Wir wiſſen, daß das Syſtem Krauſe's Vorzüge hat, bie auch noch in der Gegenwart die höchfte Beachtung und ties

106 Recenfionen.

fered Studium verbienen. Es wird und aber auch bie eigene Auffafiung und Individualität des Verf. Interefie einflößen.

Die, die höchften Principien erft fuchende Richtung ber neuern Philofophie kam in Kant zu einer entfchiedenen Erfennts niß des hier vor Allem zu löfenden Problems. Er hat aber nur den Anfang zum Ende gemacht. Anftatt nun biefen Weg weiter zu verfolgen und zum Ende fortzugehen, verließen fchon Schelling und Hegel denfelben ganz und Fichte zum Theil. Sie begannen fchon viel zu früh den fonthetifchen Weg der Eons ftruetion der Wirklichkeit, ohne die Principien berfelben durch Analyfe der Selbſt⸗ und Welterfenntniß gefunden zu haben. Hier zeichnete fih nun Kraufe, im Ganzen auf berfelden Bil⸗ bungöftufe der Zeit ftehend, vor Allem durch jeine Umftcht und Beionnenheit aus.

Diefe zeigten ſich vorzüglich in der umfaflenden Orienti⸗ rung über die Aufgabe der Philoſophie und der Begründung eined analgtifchen Theils derfelben, als Grundlage für den ſyn⸗ thetiſchen Theil.

Dieſe Aufgabe ſtellt nun auch Schliephake in feinen beiden Schriften voran, und legt auf fle den größten Werth. Er ver-

fucht eine ſubjectiv-analytiſche Einleitung in die Philofophie

auf anthropologifcher Grundlage, welche mit ber Analyfe des menfchlichen Selbftbewußtfeynd oder Ichs beginnt, und geht zur Begründung der. Selbftgewißheit auf Carteſius zurüd,

Hier drängen ſich aber gleich eine Menge Tragen hervor, die Ref, hätte erörtert gewünfcht, und die er von Schliephafe nicht als Problem aufgefaßt und daher auch nicht von ihm beantwortet findet. Die erfte Frage betrifft die Stellung bed

analytiſchen Theild zu dem ganzen Syfteme, ob jener ein orgas .

nifches Verhältniß zu dieſem hat, oder bloß eine orientirenbe Einleitung zu ihm iſt. Diefe legte Stellung jcheint mir aus ber vorliegenben-Darftellung zu folgen, denn fonft wären” be- fiimmte Fragen über Princip, Grundlage, Inhalt, Methode und Ziel diefed Theils unvermeidlich gewweien. Der Verf. wird nicht in Abrede ftellen können, daß er hierin ganz empiriſch verfährt

Dr. F. W. Th. Schliephake: Die Grundlagen d. fittl. Lebens. 107

und fein Gebiet durchaus nicht beftimmt begränzt. Der Begriff ber fubjectio-analytifchen Methode ift nicht, beftimmt genug. Schliephake geht, wie gejagt, auf Carteſtus zurück; aber biefer erhält fein ‘PBrincip ganz empirifch und macht nicht ein- mal einen Berfuch, es zu begründen, und fo ift auch feine ganze weitere Methode, wie er zu den angebornen Ideen, und nament- li zur Idee Gotted gelangt, und was er aus biefer ableitet, ganz empirifh. ES find dieſes nur Thatfachen des Bewußt⸗ ſeyns. Diefen Mangel hat fchon Leibnig un Carteſius gerügt, Das Allerbevenflichfte Hierbei iſt aber der dogmatifch = logifche Idealismus dieſes Philofophen, welcher fich von ihm aus über die ganze neuere Philofophie verbreitet, und eine falfche Me⸗ thode hervorgebracht hat. Ueber alle diefe Fragen durfte Schlien« hafe nicht hinweggehen, wenn er das Princip der Selbitgewiß- heit in Gartefius findet. Er mußte hier feinen Bli in die Ge⸗ fchichte der ‘Bhilofophie erweitern. . Leider aber hat er die empirifche Methode des Carteſius auch befolgt. Das empirifche Ich, als Thatfache des Bemußtfeyns, enthält bei ihm ebenfo empirifch bie Beftimmung ber Individualität, bes lebendigen Geiftes und Leibes mit den brei Orundvermögen u. f. w. Es wird bier

mehr befchreibend, als philofophifch begründen und entwidelnd |

verfahren. . | | In dem Begriffe der Selbftgewißheit des Ichs ſtecken fehr complicitte Tragen. Carteſius hatte dad Denfen als die allein» gewiffe Sorm angenommen und es ald Kriterium aller Gewiß⸗ heit und Wahrheit angefehen, und dieſes jo ausgebrüdt: was mir fo gewiß iſt, als ich mir ſelbſt, ift wahr. Auch Schliep⸗ bafe nimmt diefes Princip der Selbftgewißheit als feftes (8. 51 der Einleitung) an, Aber Kant hat ſchon mit Recht dad Kris | terium ber Klarheit und Deutlichkeit der Erkenntniß, das von Gartefiud bis auf ihn herrſchend blieb, für unzureichend erffärt, und ganz andere Probleme zu Feſtſtellung der GSelbftgewißheit geltend gemacht. Diefe finde ich hier bei Schliephafe, ſowie überhaupt die Bebeutung ber Kantifchen transſcendentalen Er⸗ fenntniß zu wenig berüdfichtigt. Es giebt verjchiebene Formen

108 Recenfionen.

der Selbftgewißheit, und das Denken ift nur eine von ihnen. WIN man dad Denken nicht zur Hauptquelle der Erfenntniß - machen und ber Erfahrung nicht ihr Recht verfümmern, fo muß man noch andere Quellen auffuchen und fie in Verhältniß zum Ders fen feben. Es gehört nun gerade zu ben vielen Borzügen der Schliephake'ſchen Schriften, daß fie eine doppelte Quelle der Er⸗ fahrung, die finnliche und überfinnliche Wehrnehmung annehmen, und er macht mit Recht $. 47 51 auf die Bebeutung dieſer letzteren Duelle aufmerffam. Diefes ift ein entfcheidended Mo⸗ ment, welches bisher, und felbft von den neueften Berfuchen zur Begründung einer Erkenntnißlehre unbeachtet geblieben ift; und wo dieſe Erfenntnißquelle berüdfichtigt wird, nimmt fie nicht die gehörige entfcheidende Stellung ein, die fie einnehmen follte, Es genügt aber nicht die Annahme folcher Erfenntnißquellen, fie muß gerechtfertigt werben. Bekannt ift, daß dad Ich des Carteſius ein bloß Iogifches ift, mit ihm ftimmt daher die Ans nahme eined intuitiven Vermögens im Sinne Schliephake's gar nicht. Offenbar foll das Ich die Gewißheit jener intuitiven Erfenntniß beglaubigen, controliren, aber alsdann ift fie nicht aus dem Ich abgeleitet und in ihm begründet, in anderer Hauptvorzug ber Kraufe'fchen Philoſophie it, daß fie die Er- fahrung in allgemeinen, umfaffenden Sinne ald eine nothwens dige Erfenntnißquelle der Philoſophie einverleibt, und hierin folgt Schl. auch dem Meifter; und es gebört gewiß zu bem Beßten feiner beiden Schriften, was er über dad Berhälmiß der Erfahrung zur rationalen Erfenntniß fagt. Er felbft zieht au, wie Kraufe, dad ganze Gebiet der Erfahrung in feine fubjectiv » analytifche Philofophie., So vortrefflich diefes nun ift, fragt man doch nach der Berechtigung und der breiten Grund⸗ fage, auf der folcher Entwicklungsgang ruht. Hierüber vermiffe ich ebenfalls die Rechtfertigung und Begründung, und muß auch hier wieder das rein empirifche Verfahren tabeln. Der - geehrte Verf. hat die Fragen über Grundprincip, Grundlage, Inhalt, Methode und Ziel der Erfenntniglehre mit Kraufe zu empiriſch behandelt, als Thatfachen des Bewußtſeyns, wie ed vor Kant

Dr. F. W. Th. Schliephake: DieGrundlagen d. fittl. Lebens. 109

geſchehen ift, und dieſes ſcheint mir das ſtärkſte Bedenken, ber groͤßte Mangel dieſer Philoſophie zu ſeyn, daß die Bedeutung der Kant'ſchen Philoſophie in dieſer Frage nicht erkannt und die Refultate derſelben ihrem wahren Gehalte nach gewürdigt find. Das ift unftreitig das größte Verdienft und die größte bleibende Errungenfchaft des Kant’fchen Kriticismus, daß er dad Empiri⸗ fche, Gegebene in allen möglichen Formen von dem Nationalen, Bernunftallgemeinen und Nothwendigen auf das fchärffte unters ſcheidet, und diefes eben durch feine drei Kritifen der Vernunft zu begründen fucht, vor Allem aber in der Kr. d. r. V. Die Ausführung und Löfung des Problems mag theilmeife mißlun- gen, unvollftäntig, lüdenhaft feyn; das Princip fteht unumftöß- lich fefl, und es gilt von ver Kant’fchen Philofophie, was Leib: nis von ber Philoſophie des Carteſius fagt: fie ift der gemein⸗ ſame Vorhof der Wahrheit, und es ift nicht weiter zu fommen, ohne ihn dDurchgangen zu haben.

Der zweite Theil der Einleitung von Sc. giebt eine en⸗ eyclopaͤdiſche Ueberſicht über die philoſophiſchen Disciplinen. Die Erkenntnißlehre ſoll alle übrigen Theile des Syſtems in Unterſuchung ziehen nach der phänomenologiſchen, ontologiſchen, metaphyſiſchen Seite derſelben, und deren Verbindung unterein⸗ ander wie die Methode ihrer Darſtellung rechtfertigen. Die Maͤn⸗ gel des fubjectiv -analytifchen Theils werden ſich daher bei die⸗ fem zweiten Theile zeigen und ihm wieder zum Kriterium dies nen. Hier will ich mid nur auf folgende allgemeine Bemer- fungen befchränfen. Der Mangel der nicht gehörigen Beſtimmung, Begrenzung und Begründung des fubjectiv - analytiihen Theild an fich und der entjchiedenen Beſtimmung befjelben zu den ob» jectiv » fonthetifchen Theilen zeigt fich bier in der Beſtimmung der einzelnen Disciplinen an fi) und in ihrem organifchen Ber: bande. Ein großer Theil hätte meines Erachtens in den ſub⸗ jectiv⸗ analytiichen Theil gehört, der hier in dem fonthetifchen vorkommt, und hierher gehören ganze Disciplinen. Es muß die ſes natürlich auf Die Methode diefer Disciplinen den entichiebents . sten .Einflus haben, Man erwartet eine obijectiv⸗ſynthetiſche

110 Recenſionen.

Entwicklung, nachdem Alles phaͤnomenologiſche Erkennen in dem ſubjectiv⸗analytiſchen Theile abgehandelt iſt; denn ohne dieſes fahn auch der objectiv⸗ſynthetiſche Theil nicht beginnen. Wenn die Erkenntnißlehre die Methode für alle Theile des Syſtems der Philofophie finden fol, fo muß fie allerdings die verfchies benften Gegenftände in ihrem Kreis ziehen, damit man nicht bei jeder einzelnen Disciplin vorher die verfchiebenften Vorfragen erörtern und fo immer wieber in bie fubjectiv » analytifche Phi⸗ Iofophie zurüdgehen muß. Ich will indeſſen hier dem Verf. nicht folgen, um Kritif zu üben, fondern auf das viele Treffs Tiche aufmerkſam machen, welches fich überall findet und worin fih Schl.'s allfeitig gebildeter, religiös» ethifcher Charakter offen- . bart. Er zeigt bie der Kraufefhen Philofophie eigne Maßhal⸗ tung, Umſicht, edle Befonnenheit, welche die einfeitig ⸗realiſtiſche, wie idealiftifche Anficht der Dinge zu vermeiden und dem Em- pirifchen wie Rationellen Rechnung zu tragen ſucht. Dieſes führt mich auf die erfte Schrift: die Grundlagen des fittlichen Lebens, in welcher fich dieſe eben gedachte Eigenthümlichkeit am meiften offenbart. Diefe Schrift zeichnet fi durch Inhalt und Form befonderd aus, fie behandelt eine wichtige intereffante Frage mit eben fo viel Umſicht als Einficht, fittlichem Maße, Schärfe, Kürze und dabei Praͤciſton der Darftellung, Es wird hier bei jeder Srage dad Gefchichtliche beigefügt und befonders auch auf die theologifche Bearbeitung der Ethik Nüdficht ges nommen. Er unterfoheidet hier bdreierlei: die Grundlagen des füttlichen Lebens, und zwar bie Kräfte und Anlagen ber fittlichen Natur des Menfchen und den höhern erzeugenden Grund, Gott, und ferner die zu dieſem Leben Hineinleitenden Mächte, Offen- barung und Wiflenfchaft, und die Concentration, Darftelung dieſes Alles in der menfchlichen Perſoͤnlichkeit, und die weitere Entwicklung diefer in der Geſchichte und Kunſt. Nach einer Einleitung, in welcher Begriff und: Aufgabe feftgeftellt wird, folgt eine hiftorifche Meberfiht über die Entwidlung der Ethik, wobei Schl. befonderd Schleiermacher und die Großartigkeit ber Eoneeption und Duchführung der neueften theologifchen Moral herz

Dr. 8.8. Th. Schliephafe: Die Grundlagen d. fittl. Lebens, 111

vorhebt, gegen bie philoſophiſche. Dann beginnt er mit einer Entwicklung zur Sittlichfeit in ihren Stufen, Es zeigt ſich bier genaue Sachfenntniß und die Eritifchen Bemerkungen gegen bie alten und neueren ethifchen Syfteme find feharf beftimmt und meiften® treffend. Wenn.oben getabelt wurbe, daß Schl. Kant's Kritif d. vr. V. und bie gefammte Transſcendentalphiloſophie befielben bei der Begründung des theoretifchen Theiles der Phis lofophie nidyt gehörig gewürdigt und benupt habe, fo muß hier beſonders anerfannt und hervorgehoben werden, daß in ber praftifchen Philoſophie Kant's Verdienſte ganz richtig erfannt und gewürdigt find. Beſonders ift es die Bedeutung bes Pflitbegriffs, welchen Schl. gegen unrichtige neuere Auf: foffungen vertreten bat. Ganz vortrefflih ift aber die in's Einzelne eingehende Entwidlung der ethifchen Grundformen, die mit eben fo großer Klarheit und Präcifion, als Wärme des Gefühls und Lebensfrifcher Darftelung behandelt find. Es kommen bier auch für unfere Zeit ganz beſonders beach⸗ tenöwerthe Erörterungen vor, So if der Zuſammenhang ber Moral und Religion und der dabei geltend zu machende Begriff von Gott, fo wie die Bedeutung der menfchlichen Indi⸗ vidualität, die Schl. aus Krauſe's Philofophie S. 59 69 ent- nommen, barftellt, beſonders beachtenswerth. Eben fo, vortreffe Lich ift die Würdigung der möglichen falfchen Principien, des My⸗ ſticismus, Quietismus, der Tugendfrömmelei, ded Fanatismus, fo wie der das religiöfe Element abfloßenden, ethifchen Richtung, und zwar nad) ihrer aͤußerlich weltlichen wie innerlid) gemüth- lihen und rationaliftifch verftändlichen Seite (S. 64 ff.). Es folgt dann ©. 65 ff. die folche einfeitige Anſicht vermeidende und mit Umficht alles Gute und Wahre. ergreifende und für's fittliye Handeln benugende Entwicklung bes fittlichen Lebens, Wie alle Kräfte des Menſchen zu dem fittlichen Werfe vereinigt zuſammenwirken müflen, fo findet fich Jeder auf feine indivi⸗ duelle Natur geſtellt, und in feiner "Ureigenthümtichkeit ſich er⸗ greifend, erfaßt er bie in ihr begründete Aufgabe, feinen Beruf, und erkennt mit weiſer Beionnenheit alles ihm von außen und

112 Necenfionen.

Andern NRothwendige, von Gott Mitgegebene, und hierin eine göttliche Orbnung für ſich und Andere Im biefem Lichte er- fennt er dad Geſetz durch Gottes Willen gegeben ald Gebot, bad den Menfchen aber nicht befchränft, fondern erhebend bes freit. Es ift die höchfte Faſſung des GSittengefehes, weil in ihm der gefeßgebende Wille dem Menfchen erfcheint und fich mit ihm verbindet. Und fo leitet die Unterfuchung von. ber Logono- mie zur.Theonomie (S. 68), und betrachtet die zu ben ethifchen Principien hinleitenden Lebensmächte: Dffenbarung und Wiffen- ſchaft, und ftellt dam die fittliche Perſoͤnlichkeit als Reſultat dar, welche endlid in der fittlichen Wirklichkeit erfcheint und zwar in ber Kunft und Geſchichte. Die Entvidlung des Be⸗ griffs und der Erfcheinungsformen des Uebel und. die Aufhe-

bung des moralifchen Uebels bilden den Schluß. , | Bei der Hervorhebung des vielen Trefflichen biefer Heinen Schrift würde ich doch meine Pflicht fowohl gegen den geehrten Berf., ald auch dad Publikum nicht erfüllt glauben, wenn id) richt auch zugleich das Nichtbefriedigende hervorheben würde, Es betrifft diefes bie ganze Grundlage, Anordnung, Eintheilung. Schl. bezeichnet feine Schrift als Beitrag zur Vermittlung der Gegenfäße in der Ethik. Die Wichtigkeit diefer Aufgabe erfor: dert, daß wir deren Löfung fchärfer in’d Auge fallen. Hier glaube ich alled mir ungenügend Scheinende in den Mangel einer erfenntnißsthepretifchen Grundlage und Begründung zu finden. Dieſe ethifchen Gegenfäge müfjen auf ihre allgemeinen logijchen, metaphyfifchen, erfenntniß » theoretifchen Principien zu⸗ rüdgeführt und aus ihnen erfannt und beftimmt werden. Die ſes hat der Verf. zwar nicht unterlaffen, aber er hat fein Werk zu empirifch vollbracht, und hier erfchien mir die nicht gehörige practiſche Berücfihtigung und Würdigung der Kantfchen Kritik und der Anwendung derſelben auf die Löfung des vorliegenden Problems ganz befonders auffallend, Das Verhältnig des Im⸗ manenten und Transſcendenten erfcheint mir zu Außerlich, und die Vereinigung berfelben, in Bezug auf die Gewißheit und Wahrheit derfelben, zu empirifch. Die. Grundbeftimmiungen für

Dr. 8. W. Th. Schliephake: Die Grundlagen d. fittl. Lebens. 113

das Empirifche und Nationale, Immanente und Transfcendente liegen im Menfchen, in befien finnlicher, finnfich = geiftiger und rein geiftiger Natur, bie aber eine und biefelbe ift, und daher auch die Vereinigung jener Gegenfäge vermitteln muß. Diefe Natur des Menſchen beftimmt denn aud die Gegenfäge in bes ren Entwidlung und Bollendung. Der Menfch als finnlich geifti- ges, ald empirifches und idealiſches Wefen, als empirifche und ideale Individualität beftimmt fein Berhäftnig zu fich felbft und Andern, der Welt und Gott. Das Goͤttliche erfcheint daher hier nicht nur als Ziel, fondern auch ſchon den Anfang und Fortgang zu ihm im Menfchen mit beftimmend ober diefem im- manent, und deswegen erfcheinen das Immanente und Transfcen- dente auch fpäter ftetd in ihrer Verbindung im Xeben des ein zelnen Menfchen wie ber Menfchheit, und ftellen fi im Hiftorifchen und Rationalen dar, Wir können und feinen Mo⸗ ment in dem Leben des Einzelnen, wie der Gefammtheit bens fen, in welchem dad Göttliche dem Menfchen nicht immanent, und diefe Immanenz nicht zugleich auch als Transſcendenz im Buten, wie im Boöfen erjchiene. Die organifche Verbindung der⸗ felben mit diefem Leben des Menfchen und zwar in dem Seyn, Dafeyn, der Entwidlung, Vollendung deſſelben von Haus aus, entfcheidet über die ganze weitere Entwidlung berfelben in allen möglichen Formen. Das Ideale im Menſchen beftimmt das Reale, alles Hiftorifche hat die Idee zur Vorausſetzung und zum beftimmenden Grund, Kriterium feiner Erjcheinung. Reli⸗ gion, Moral find deshalb organifch verbunden, weil jenes Ideale allem Realen zu Grunde liegt, und der legte Grund des Idealen das Göttliche if. Indem der Menſch feinen hoͤchſten Zwed begründet findet in feinen idealen Anlagen, innern und Außern Berhältnifien des Lebens, ift dieſes Alles eben von Gott begrüft- bet, ober erfcheint die Erfenntniß und Anerkennung biefed Alles als ethifche Beftimmung ſelbſt. Es giebt Temen wahren höhern Zweck, der nicht ethifch als Aufgabe von der Vernunft erfannt und anerkannt wird, und beshalb ift dieſes ethiſche Moment zugleich auch religiös. Es hat ſich die Vernunft ſelbſt ihre

Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritik. 32. Band.

114 | Necenfionen.

Aufgabe und Zwecke gegeben, ſondern ſie ſind ihr von Gott ge⸗ geben, aber das Gegebene iſt die eigene Natur des Menſcheu

ſelbſt, nur der Geber iſt verſchieden. Etwas Anderes iſt aber die poſitive oder geſchichtliche Religion. Die Geſchichte über- haupt in allen Culturzweigen, wie die Religionsgeſchichte hat in dieſen ethiſch⸗ religiöſen Principien ihren Grund, ihre Gewiß⸗ heit und Wahrheit und ihr beſtaͤndiges Kriterium. Diefe Prin⸗ eipien find in und mit der Menfchenvernunft gegeben, machen deren eigene Natur aus, und deßhalb ift fie der Richter über alles aufier ihre Gegebene, feyen e8 göttliche oder weltliche Dinge. Diefe Bernunft hat indeffen ſelbſt eine Gefchichte und in ihr erfcheinen die Principien der Gewißheit und Wahrheit alles Ge gebenen ſelbſt unvolllommen, aber da doch bie Vernunftidee ihrer Geſchichte zu Grunde liegt, hat fie im ſich ſelbſt auch zu⸗ gleich die Macht und dad Bebürfniß, biefe Unvollfommenheit als die Unvollfommenheit ihres eigenen Weſens zu erfennen und fie als folche zu beurtheilen, und fomit über fie hinauszuge⸗ ben. Man barf daher die Bhilofophie nicht mit einem zeit: lichen Syſtem verwechfeln und ihre Aufgabe überhaupt nicht nad zeitlichen Berhältnifien, fondern nach dem ibeafen Grunde aller ihrer Erfcheinungen beftimmen. Alle theoretifchen Interefien und Zwede haben praftiiche zur Grundlage und zum Zwed, unb bie Philoſophie hat ihre Idee ald praktischen Zweck zur Voraus⸗ fegung, aber im Zufammenhang mit andern Ideen als praftis Schen Zweden. Weil diefe eine Begründung durch die Pbilofo- phie ſuchen, iſt die Erkenntniß der Wahrheit ber praftifche Zweck der Philoſophie. Die vielen Welt⸗ und Lebensrathſel fordern eine Philoſophie zur Loͤſung derſelben. Den Inhalt und die Bedeutung dieſer Lebensraͤthſel hat die Philoſophie im praktiſchen Leben, in der allgemeinen Kulturgeſchichte, wie in den beſondern Zweigen des geſchichtlichen Lebens, nach ihrem eigenthümlichen Weſen im populären Bewußtſeyn anzuerkennen und ihre Erſchei⸗ nungen nach dieſem Weſen zu beſtimmen und zu beurtheilen. Sie darf ſich aber nicht verleiten laſſen, aus einſeitigen Erſchei⸗ mungen ihr Weſen oder ihren ſubſtanziellen Inhalt in Frage zu

Dr. F. W. Th. Schliephake: Die Grundlagen d. fittl. Lebens. 115

ſtellen und fie nad) einſeitigen Principien der zeitlichen Syſteme zu beſtimmen oder hinwegzuerklaͤren. Daher iſt die ganze Richtung der Philoſophie von Eartefiud an eine einſeitige, weil fie ſich über dieſe praftiichen Vorausſetzungen hinwegſetzt, und im Gegenfage zu ber Philofophie des Mittelalterd die Immas . nenz mit Ausfchließung ber Transſcendenz durchführen will. Aber fie felbft gründet ihre Idee auf biefe Trandfcendenz, und findet damit fich eben fo geordnet in einen allgemeinen gefchicht- lihen Zufammenhang mit allen übrigen Ideen, welche fie gege- ben hat in dem populären Bewußtfeyn, und dieſes feiner Eigen- thuͤmlichkeit und zugleich auch feinem Wefen nach zu erfennen und anzuerkennen bat. Eine Erfenntnißlchre bat daher vor Als lem dieſe falfche fkeptifche Grundlage der Philoſophie des Gar: teſtus anzugreifen und fid über bad BVerhältniß des populären Bewußtſeyns zur Phlofophie Ear zu werden, damit fie ihre Aufgabe in Bezug auf dieſes Verhältniß beftimmt und löfet. Der Zweifel muß aus dieſem Verhaͤltniß begriffen werben. Es darf nicht ber ſubjective Zwed des Philoſophen, die Art und Weife, wie er zu feiner Gewißheit gelangt, mit bem obfectiven Zwei der Philoſophie verwechfelt werden, ber durch das popus läre Bewußtfeyn, durch einen beftimmten Inhalt in ihm, ben die Philoſophie aus. feinem Weſen zu beftimmen hat, gegeben iſt. So hat die Bhilofophie ihr Verbältniß zu ben pofltiven gegebenen Berhältnifien des innern und äußern Lebens in dem Seyn und Werden deſſelben vor Allem feftzuftellen, damit fie auf ber einen Seite weber in eine falfche Skepſts, noch in einen Dogmatismud geräth, was fie unfähig macht, bie großen Raͤthſel des Lebens nad) ihrem fubftanziellen Gehalte richtig zu verftehen und zu löfen und damit verftändigenb, vermittelnd, vers föhnend durch ihre Theorie auf das Leben einzuwirken. Die nachfantifche Philofophie hat bisher noch nicht den rechten Weg hierzu, aus Mangel an richtiger Einficht in ihrer Aufgabe, ge- funden. Immer hat fie entweder zu fleptifch oder zu dogmatiſch verfahren. |

Diefe richtige Mitte hierin vermiſſe ich Are auch bei

' %

116 Necenfionen.

Schl.s Bermittlungsverfuchen der ethiſchen Grundlagen, und finde bei ihm ein Schwanfen nad) entgegengefegten Seiten zum Sleptiſchen und Dogmatifchen. So beginnt er zu ffeptifch, ins dem er die Immanenz und Transfcendenz bei der ethifchen Ent- widtung gleich Anfangs nicht als mitbeftimmende. Mächte in diefe Entwicklung aufnimmt und fi den Menſchen zu ihnen, nicht aber gleich anfangs aus ihnen entwideln läßt. Hiermit ift der ideale Grund nicht als fchöpferifches Princip anerfamt. Daraus entfteht dann fpäter eine dogmatifche Anſicht, die das Princip der Immanenz und Trandfcendenz zu äußerlich zu ein- ander und zu bem Denfchen ftelt, fo daß das Empirifche und Rationale nicht innerlich verbunden wird. Dieſes hier weiter auszuführen und in bas Uebrige einzugehen, verbietet dad Maß, welches ich mir bei biefer Befprechung an biefen Orte ers wählt habe. Sengler.

Franz v. Baader's fämmtlihe Werte Zweiter Artikel.

Habe ih mich in dem 22. Bde. unſerer Zeitſchrift vor⸗ nämlich über den theoretifchen Theil der Baader'ſchen Phi⸗ Iofophie ausgefprochen, fo erfordert es bie Vollftändigfeit, daß ich auch über die praftifche Richtung berfelben einige Worte zu fagen mir erlaube. Ich kann dies jetzt erſt thun, nachdem

die auf die Societätöphilofophie fich beziehenden Schriften Bass

der's erſchienen find und nunmehr erft uns ein Einblid in bie Stellung Baader's zu den gefellfchaftlihen Problemen des Les bens ermöglicht ift. Ein ſolcher mein früheres Referat ergän- zender Bericht wird auch in umferer Zeitfchrift Immerhin noch feine Stelle finden dürfen, nachdem indeß Erdmann in berfelben über das Unternehmen der Freunde bed verewigten Denfers fich ausgefprochen hat; denn bie fehr intereffante Verhandlung zwis Shen Erdmann und Hoffmann betraf nicht ſowohl das Baader'⸗

-“

Franz v. Baader's fanmtlihe Werke. 117

ſche Eyftem an ſich, ald vielmehr. die Einleitungen Hoffinann’s zu ben Baader'ſchen Werfen und die Rechtfertigung des früheren Urtheild Erdmann's über Baader in feinem gefchichtsphilofophis fchen Werfe; und überdied gehe ich von einem ethifchen Stand» puncte aus, welcher von denjenigen ber genannten Philoſophen ſich unterfcheivet und die Antithefen derſelben unter ſich ausglei- hen duͤrfte. Ä Den 15. Band ziert dad Portrait Baader's, welches ben _ Zieffinn und die Schärfe des Geiftes, das Aggrefiive und zu: - gleich Concentrirte in feinem Seelenleben, eine erhabene Ruhe, die man ald das antike Element feined Kopfes bezeichnen fönnte, einer=, und andererfeitd eine innige Gemüthlichfeit, welche als Anhauch des chriftlichen Geiftes erfcheint, wunderbar in ſich vereinigt darftelt und darum den Beſchauer immer auf neue wieder zur Betrachtung einladet. Diefe Eoncentration ded per- fönlichen Geiſteslebens, welche zugleich tief ſpeculativ und von einer innigen Gemüthlichfeit durchwärmt iſt, war auch ber ganzen Baader'ſchen Art und Weife des PBhilofophireng eigen, welche idy in meinem erften Art. als beftändige Richtung auf die abfolute Einheit des Verfchiedenen und Entgegengefegten, alfo als Anfchauen und Begreifen alles Endlichen in und aus dem wahren, göttlichen Leben bezeichnet habe. B. felbft deutet dies an, wenn er dad Ganze der Begriffe nicht als eine Reihe, fondern als einen Kreis betrachtet wiſſen will, fo daß man alfo mit jedem Begriffe beginnen und von jedem aus gleich fehr in das Centrum eindringen könne. Diefe Eigenthümlichfeit ber Speculation, bei welcher zwar das Koncentrifche aller Begriffe, aber nicht ebenfo dieß feftgehalten wird, daß eigentlich die To— talität der Begriffe ein Kreis von Kreifen und zwar von lauter concentrifchen Kreifen ift, die demnach mit: dem Centrum nicht in gleicher Weiſe unmittelbar zufammenhängen, jondern mehr oder weniger mit demſelben vermittelt find, wie bieß namentlich Platon von der wahren Diafeftif verlangt, fie muß man auch bei Betrachtung der Baader’fchen Ethif oder, wie B. fie nannte, Sorietätöphilofophie ſich vergegenwärtigen, um. ihren

118 Mecenfion en.

Geiſt gehörig zu würdigen. Als das Hauptgebrechen ber neue⸗ ren philofophifhen Moral feit Kant bezeichnet nämlih B. be⸗ fanntlidy ihre Lostrennung von Religion und Phufif, von Gott und Natur; hierdurch fey fie heilos Cheilandlos) geworben, weil fie die Erlösbarfeit und Erlöfung des ethiſch verdorbenen (gefallenen) Menfchen fchlechterdings leugne und das Nichtglau- ben an eine ſolche Erlöfung aus ethifcher Noth dem Menihen fogar zur Gewiffenspflicht und Gewiffensfache mache. Der ſich felbft al8 autonom vergöttende Menſch fpredje: non serviam, aber werde dabei nur feiner Nullität oder Impotenz inne, und das Beftreben der Philofophbie, fich von felhft ober von unten herauf zu begründen, fey nicht minder für mißlungen zu erflä- ren, ald das Ähnliche Streben neuerer Staatsfünftler, die Natio⸗ nen oder Staaten von unten herauf zu Eonftituiren. Die Ge- felfchaft gründe fih auf wahre Liebe, welche die Menfchen ges gens und von einander frei mache und zugleich zu einem gemein» famen einander helfenden Leben aufs innigfte verbinde, alfo das wahrhaft organifirende Lebensprincip, als ſolches aber auch immer religiöfer Natur fey und nur als Wirkſamkeit eines und deſſelben allen Gemüthern innewohnenden und wirklich höheren oder centralen Weſens d. h. ihres gemeinfamen Gottes begrifs

fen werben fönne,

Ich glaube auch mit Erdmann, daß die unmittelbar relis gtöfe Begrimdung der gefammten Ethik und zwar ihrer in ih⸗ rer Doppelgeftalt als Lehre von ber perfönlicyen Sittlichfeit und als Gefellfchaftslehre (die alfo mit der Ethik nicht einerlei, fon» dern nur ein Theil derfelben ift) philoſophiſch ſich nicht rechts fertigen Täßt. Ic glaube bieß nicht etwa aus dem Grunde, weldhen Erdmann anführt, weil nämlich der Menſch zunächft in der Gottferne, alfo nicht mehr in statu integritatis fich be- finde, denn ber Naturzuftand des Menfchen ermweift ſich thats ſaͤchlich als ein noch fortwährenber status integritatis dadurch, daß in ihm ebenſo die reale Möglichkeit und der Trieb des ſitt⸗ lichen Lebens, wie ber ſinnlich felbftifche Wille geſetzt if, jondern ich trete ber religiöfen Begründung und Faſſung ber. ges

——

Franz v. Baader's ſämmtliche Werke. 119

ſammten Ethik aus dem angefuͤhrten Grunde entgegen, weil das Princip der Ethik, welche nach meiner Auffaſſung die geſammte Eittlichkeit, ſowohl vie perſoͤnliche als die geſellſchaftliche und hinwiederum innerhalb der letzteren ſowohl die Rechts» als die Liebeögemeinfchaften umfaßt, ein eigenthümliches, felbft- ftändigesd und zwar ber wahre Begriff des Willens if. Jede bejondere Wiffenfchaft muß aber won ihrem befonderen Princip als ſolchem ausgehen, wenn fie methodologifch richtig angelegt ſeyn fol, und die verfchiedenen Principien der befonbe: ren philoſophiſchen Wiflenfchaften wurzeln, ba fie Erfennts> nißs PBrincipien oder Principien von Wiffenfchaften find, nicht in ber objectiven- Idee Gottes, fondern in ber Idee ber Philofophie, ihrem univerfellen Begriff. Hinwiederum iſt die Kächftenliebe nicht, wie B. meinte, das organificende Princip der Geſellſchaft fchlechthin, fondern ihr fleht ergänzend zur Seite ein zweites Geſellſchaftsprincip, die Gerechtigkeit, welche von ber erfteren wohl zu unterfcheiden ift; denn gerecht Fann jemand gegen einen Anderen feyn,. auch wenn er ihn nicht liebt. Schließ⸗ lich ift die Ethik nicht blos Societätsphilofophie, ſondern auch bie Lehre von der perfönlichen Sittlichfeit des einzelnen Men⸗ hen, welche wiederum auf einem befonbern, von den Prind- pien der gejellfchaftlichen Sittlichfeit zu unterfcheibenden Princip, nämlich dem ber fittlichen Selbftliebe, beruht.

Unterſcheidet fih nun hierin meine Auffaffung der Ethik von derjenigen Baader's, fo trete ich auf feine Seite mit ber Einfiht, daß des Wille felbft vermöge feined inneren Weſens ſich zufeßt zu Bott erhebt, und daß ſich ihm mit der religiöfen Sittlichkeit erft die Welt des abfolut harmonischen Wollend er= Öffnet, in welcher namentlich der innerhalb der rein humanen Sittlichkeit ftattfindende Gegenſatz, alfo der Gegenjag ber per⸗ fönlichen und der rein gefellichaftlichen Sittlichfeit, zur wahren Berföhnung gelangt und überbieß ein neuer Kreid von Pflichten und Tugenden, wie von Beziehungen der Willen untereinander fi erſchließt. Umgekehrt hatten Fichte d. A., Hegel u. A. volls fommen Recht darin, daß fie bie Ethik rein autonom, rein vom

120 Recenfionen.

Begriff des Vernunftwillens aus konſtruirten; aber fie irrten darin, daß fie nicht einfahen, wie der menfchliche Wille felbft, durch innere Dialektif getrieben, zur abfoluten Sirtlichfeit ſich erhebe. Indem in ber Ethik der genannten Philofophen biefer höchfte Kreis der Sittlichkeit fehlt, fommmt fie auch über den Gegenſatz der Moral und des Rechts, der fubjectiven und ob⸗ jectiven Sittlichfeit, nicht hinaus, oder die von ihnen conftruirte Sittlichfeit bleibt eine enbliche, in einem -unaufgelöften Gegen fag befangene. Hegel erkennt wohl an, daß ber enbliche Geift in ber Religion, Kunft und Wiffenfchaft zur abfoluten Berjöh- - nung gelange; aber der Wille als folcher, Die Sittlichkeit, ‚gehört nad) feiner Auffaffung einem niederen Kreife an, während in Wahrheit die Idee des Guten die hödhfte unter allen Ideen, der Wille, in feiner Tiefe erfaßt, die unendliche Form der reellen, dad uninerfele Vernunftreich verwirflichenden Thaͤtigkeit if.

Don hier aus betrachtet, erweift fich daher die Baader'ſche Societätöphilofophie in ihrer von Anfang an religiöjen Faſ⸗ fung als der ergänzende Gegenfag zu ber rein. autonomen oder humanen Geftaltung der Ethik in den Syftemen Kants, Fichte's und Hegel's, und darum ift die Veröffentlichung der erfteren durch Hoffmann u. A. ein wahres Berbienft um bie Philoſo⸗ phie, weil die Nachwelt fonft ein höchft unvollſtaͤndiges, einfeiti- ges Bild von ber mittleren Periode ber europäifchen Philofophie binfichtlich ihrer ethifchen Lehren erhalten hätte. Aber die voll- endete Geftaltung der fpeculativen Ethik wird darum doch in feinem jener Spfteme zu fuchen feyn, fondern einen Geſichtskreis erfordern, welcher jenſeits bed Gegenfages zwifchen ber theolos giſchen und atheologiichen Ethik Liegt.

Haben wir im Bisherigen die allgemeinen Principien der Baader'ſchen Socialphiloſophie beſprochen, ſo moͤchten wir noch Einiges bemerken über eingreifende Fragen der Gegenwart, auf welche B. in feinen zerſtreuten Aufſaäͤtzen, Bemerkungen, Briefen und Kritiken vielfach zuruͤckkommt. So tief religiös der Geſichts⸗ punc war, von welchem aus B. die Ethik behandelt wiſſen wollte, fo lebendig war doch feine ganze fittliche Weltanfhauung

Franz v. Baader’s fämmtliche Werke. 121

vom Geifte wahrer Freiheit durchdrungen. Nur darum ging er auch im fittlichen Gebiet überall von chriftlichen Ideen aus, weil er im Chriftentbum „die den Menichen von Suͤndenluſt und Sündenbienft, hiermit allein von Defpotie und Sflaverei wahrhaft und gründlich befreiende Religion“ erfannt hatte. Jeder Defpotismus, -fowie jede demfelben fröhnende Sklaverei erſchie⸗ nen ihm deßwegen als etwas Widerchriftliches, weil als ein . Dienft der Sünde, von deren Macht das Chriftenthum befreien will und allein befreien Fann, und ald eine Pflicht des Chriften galt ihın, den Geift des Uebermuths und der. Niederträchtigfeit in und außer fid) als den wahren Erbfeind ded Chriſtenthums zu befämpfen. Nachdrücklich tadelte er die Gewohnheit, von den beiden Polen des Geifted unferer Religion, der Liebe des Guten und dein Haß des Boͤſen, nur ben erfteren in's Licht zu ſetzen und hierdurch den männlichen, ritterlichen Geift derfelben erfchlaf- fen zu laflen, oder die herrliche Tugend der innern und Außern

Refignation mit fener faulen Willenlofigfeit zu vermengen, welche

bie Quelle alles Schlechten iſt. Es find dieß goldene Worte Baader’ 3, von denen man nur wänfcdhen möchte, baß fie im deutſchen Volfe einen Fräftigen Wiederhall finden, daß fie ins- beſondere in jenen chriftlichen Gemeinfchaften betrachtet werben, in welchen nicht felten eine tiefe innere Froͤmmigkeit zur bloßen Weltentfagung und einem fchlaffen Quietismus führt.

" Ausflüfle einer wahren, practifchen Xebensweisheit find namentlich Baader's Anfichten über Confervatismus und Radi— kalismus. Es giebt nach feiner überaus treffenden Bemerfung „zu jeder und befonderd zu unferer Zeit: zweierlei Confervative in Kicche und Staat und fo aud) zweierlei Reformer oder Pro- teftirende, von welchen lebteren die Einen Abftellung der Ber: unftaltungen und Mißbräuche in Kirche und Staat wollen, um beide zu erhalten, den Anderen bagegen biefe Mißbräuche und Verunftaltungen willkommen find, theild weil fie ihren Bortheil davon ziehen, theild weil fie eben dadurch Kirche und Staat radifal zerftören zu koͤnnnen hoffen. Kirche und Staat fünnen darum nur mit Hüffe der erſten Reformer, nämlidy der pofitiven,

122 . Recenfionen.

der zweiten negativen fid) erwehren, und nur in einer ſolchen nachbrüdlichen und aufrichtigen Affiftenz der Evolution ber Geſellſchaft, nicht aber im Mangel derfelben oder wohl gar in einer Nefiftenz gegen fte kann beſonders in unferer Zeit eine wahrhafte Eontrerevolution Beftand haben. Die Mazime, daß man in ben beftehenden SocialsInftituten (die religiöfen und wiffenfchaftlichen mit inbegriffen) Alles beim Alten laſſen ſoll, ſchließt die Aufgabe in fich, nichts veraltern zu laſſen, weil biefes ein fihh Verändern oder ein nicht beim Alten Bleiben ift und fomit ein beftändiges entgegenwirkendes Veraͤndern zum Behuf der Conſervation noͤthig macht.“

Dem Revolutionismus will demnach B. durch das allein nachhaltige Mittel des Cvolutionismus begegnet wiſſen, und, was. er hierüber in vielen feiner Schriften, befonderd aber in einem Aufſatz über ben Evolutionismus und Revolutionismus fagt, enthält ebenfo gründliche fpeculative Ideen, als eine ächte praftifche, leider aber ebenfo felten beachtete Lebensweisheit. | B. war insbefondere ein Bertheibiger des Koͤnigthums. Aber, bemerkt er durchaus wahr, frei kann der König nicht feyn und auch nicht reich an geiftigem wie an materiellem Vermoö⸗ gen, wenn befien Volk gebunden und geiftig oder materiell arm ift, aber auch dad Volk kann nicht frei und reich feyn, wenn deſſen König nicht frei und reich iſt. Es ift ein unfeliger, durch bie franzöftiche Revolution aufgefommener Wahn, welcher die wechfelfeitige Freiheit des Volkes und des Negenten mit ih⸗ rem wechfelfeitigen Losfeyn von einander vermengt. B. bil« ligte ed deßwegen an ber Zeitfchrift Avenir, wenn dieſe ebenfo, wie fie für ven NRegenten dad volle Recht ber Sicherheit, Uns verlegbarfeit und Freiheit dem Volke gegenüber verlangte, daſſelbe

Recht dem Volke gegenüber von dem Regenten gefichert wiſſen

wollte, und wenn fie demnach behauptete, daß ed gleich wenig angehe, dem Negenten fein Recht unter dem Vorwande ber Volksfreiheit, als dem Volke fein Recht unter dem Vorwande ber Prärogative ber Krone fehmälern zu wollen.

Do ein folches wechfeljeitig freie Verhaͤltniß von Für

Franz v. Baader’s fämmtlidhe Werke. 123

und Volk mur unter der Vorausſetzung einer gewiflen Begren- zung ber beiberfeitigen Rechte möglich ſey, darf nicht erft ber merkt werben. Baader felbft will ja, daß weder dem Volke noch den Regenten fein Recht d. i. fein Eonftitutionell beftimm- tes Maß von Machtvollfommenheit gefchmälert werde. Ebenſo wenig handelt e8 fich der Natur der Sache nad) hierbei von einem bloßen Rebeneinander, fondern von einen wahren, aber eben deßwegen geglieberten Ineinandergreifen des Regenten und ded Volks, oder von einem Ganzen, deffen Glieder in ges fetlich geordneten Kreifen, mit beftimmten Rechten und Pflichten zuſammenwirken. Deßwegen febt B. auch dem Regenten das Volk nicht als Mafle, als ein Aggregat von privaten Inpivi- duen gegenüber, und will, daß das Volk felbit wieder in In- nungen und Corporationen fich gliedern und der Staat einer fih allmälig zufpigenden, und zulegt in ber Staatögewalt fich abfchließenden Pyramide gleichen fol. Eine Auffafiung, welde bekanntlich auch Hegel theilt und. welche überhaupt aus dem wahren Begriff des Staats ald eines freien Organismus fließt; nur fragt ed ſich, ob jene Innungen noch jest bie mittelalterliche Form der früheren Zunftverfaffung u. dgl. behaupten können und nicht vielmehr ganz neu zu bilden find.

Es lag in der ganzen Weife, wie B. philofophirte, daß ſein ſpeculativer Geiſt von der Idee aus immer wieder auf die thatſaͤchliche Wirklichkeit, ihre Kämpfe, ihre Vernunft und Un⸗ vernunft blickte. Das war mit ein Grund, warum er ſich nicht die Zeit nehmen konnte, welche eine wirkliche Syſtembildung erforderte; das war aber auch der Grund, warum es nicht leicht eine „brennende Frage“ der Gegenwart giebt, mit der er ſich nicht beſchaͤftigt hat. Ich nenne in dieſer Beziehung nur feine Reflerionen über dad bermalige Mißverhältnig der Vermoͤgens⸗ Iofen oder Proletarier zu der befitenden Klaſſe. „Richt fowohl in einem Mißverhäftniffe der Negierungdformen zu den Regiers ten, wie man allgemein glaube, ſondern in dem genannten Miß- verhältniffe der armen Volksklaſſe binfichtlich ihres Ausfommens zu den Bermögenden findet er den Grund ber ſchier überall be-

124 Recenſionen.

ſtehenden leichten Revolutionirbarkeit oder Entzündbarbeit der | Geſellſchaft. Man babe fich dem alten unmenſchlichen Sklaven - und Helotenthum bereit ungleich mehr wieder genähert, als dieß felbft im Mittelalter der Ball gewelen ſey. An dem klei⸗ nen Gipfel der Pyramide, mit welcher unfere gegenwärtige Ge⸗ fellfchaft verglichen werben fönne, befinden fich nur wenige Be— günftigte, während die breite Baſis ein hörlofes und darum leicht beweglicdyes Geſinde oder vielmehr ein vogelfreied Gefindel bilde. Hier könne weder durch bloße Polizeianftalten, noch auch durch Wohlthätigfeitsinftitute, fo vieles Lob auch diefe verdienen, fon» _ dem nur durch eine Redytsanftalt gründfich geholfen werden, indem bie Profetarier ein Recht auf Erleichterung ihres Leben haben. Wenn nämlich ſchon die ‘Proletarier als vermoͤgenslos nicht gleiche Rechte der Repräfentation mit den vermögenden Klaffen haben, fo haben fie doch das Recht, in den Stände» verfammlungen Bitten und Beichwerbden in öffentlicher Rede vor: zutragen, d. h. fie haben das Recht der Repräfentation durch Advofatie, und auch außer den Ständeverfammlungen 3. B. bei Zandräthen müfle ihnen dieſe Vertretung durch felbftgewählte Spruchmänner eingeräumt werben, denen aber ald Anwälte Prie- -fter beizugeben feyen, indem fie zu diefen allein ein Herz faflen fönnen.” Es fann mir nicht einfallen, hier gleichſam im Bors beigehen den Vorſchlag Baader's prüfen oder eine fo tief ein- greifende Frage, wie bie des fog. vierten Standes und feine Stellung im Staate ift, näher erörtern zu wollen, Was idy hier hervorheben möchte, das ift meine auf dem univerfellen Ehjarakter der Philofophie beruhende Weberzeugung von ihrem Berufe, auf Fragen, wie die genannte, welcher eine wahrhaft weltgefchichtliche Bedeutung zufommt, einzugehen und fo vom Himmel ihrer abftracten, metaphufifchen Unterfuchungen auf die Erde zu demjenigen, was unfer Volk bewegt, quält und drüdt, mehr herabzufteigen, wodurch fie auch das Herz der ihr entfrem⸗ beten Nation ſich wiedergewinnen wird. Nachdem bie franzö- fifche focialiftifche Philofophie die genannte Frage im Sinne der alles Recht der individuellen Selbftbeftimmung dem Mechanis⸗

Franz v. Baader's ſaͤmmtliche Werke. 125

mus einer univerfellen Gleichheit hinopfernden romaniſchen Welt- anſchauung zu loͤſen verſucht hat, ſollte die germaniſche Philo⸗ ſophie auch ihrerſeits als ihren Beruf es erkennen, daſſelbe Pro⸗ blem im Geiſte des Germanismus einer beſonnenen Entſchei⸗ dung entgegenzufuͤhren. Was in dieſer Beziehung die beiden Fichte, Vater und Sohn, u. A. geleiſtet haben, iſt aller Aner⸗ kennung wuͤrdig, und ſicher zeugt es von einem wahrhaft philo⸗ ſophiſchen Geiſte, daß auch B. dieſelbe Frage beſchäftigt hat; aber eben dieſe Frage iſt von einer ſolchen Tragweite, daß noch eine groͤßere Betheiligung an ihr zu wuͤnſchen waͤre.

Eine praktiſch und theoretiſch nicht minder wichtige und eingreifende Unterſuchung, welche die Philoſophie in verſchiede⸗ nen Zweigen derſelben, in der Religionsphiloſophie, in der Ethik und in ber Philoſophie der Geſchichte befchäftigen muß, betrifft das Berhältnig der chriftlihen Confeffionen, die Stellung ber verjhiebenen Kirchen zum Staate, ihre rechtliche Organifation und dad Ziel ber Entwidlung der Menfchheit in religiös fitt- licher Hinficht. Die Philoſophie muß es felbftverftändlich den einzelnen, Sakultätöwiflenfchaften überlaflen, in das Detail diefer Unterfuchungen einzugehen; aber ihr Beruf wird es auch hier feyn, das Allgemeine und Principielle feſtzuſetzen. Schon deß⸗ wegen hat aber die Bhilofophie ald folche die Richtung auf einen Univerfalismus der Weltanfchauung, in welchem jene Gegen- füge ber verfchiedenen Kirchen ald etwas Untergeorbnetes und dazu beftimmt erſcheinen, fchließlidy in einer allgemeinen Kirche ſich aufzulöfen, die bei aller Einheit des religiös philofophifchen Glaubens die größte Mannigfaltigfeit individueller Ueberzeugungen zuläßt. Welch' hohe Bedeutung in biefer Hinfiht, alfo nicht blos in fpecififch religiöfer, fondern in allgemeiner Fulturgefchicht« licher Beziehung gerade die beutfche Reformation, fofern fie die Wiffenfchaft von jedem Kirchenzwang befreit hat, längft gehabt habe und nod immer habe, wird fein Einfichtiger verfennen. Baader’ 8 Urtheil über die Reformation ift nun freilich nicht

zu allen Zeiten fich gleich geblieben, und aud in feiner Stel« lung zum römifchen Bapismus, welcher ficher dad größte Hin-

126 Necenfionen.

derniß einer allgemeinen Einigung der verſchiedenen Kirchen iſt, bat er geſchwankt. Wir müſſen aber hierbei die Billigfeit ba- ben, den unwillfürlichen Einfluß zu erwägen, welchen Erziehung und bie täglich und umgebende Atmofphäre des höheren gemein« famen Lebens, in weldyer wir athmen, auch auf das Urtheil eines Philoſophen, zumal eines religiös fo gewiſſenhaften, wie B. war, ber Natur der Sache nach ausüben. Ziehen wir dies in Betracht, fo können wir e8 nicht hoch genug. anfchlagen, daß ein feiner Geburt nach ber Fatholifchen Kirche angehöriger Phi⸗ lofoph, einzelne Zeitmomente abgerechnet, mit aller Energie feis nes tieffinnigen Geiftes gegen die Anmaßungen des Papismus aufgetreten ift und zwar nicht, weil er etwa ein Gegner des Katholicismus, fondern vielmehr weil er ein aufrichtiger Freund befielben war und erkannt hatte, daß eine allgemeine, alfo Tas tholifche Kirche ohne entichiedene Losfagung vom Papismus nimmer möglidy ſey. Nicht eine Monardyie, in welche die jegige Fatholifche Kirche ausgeartet if, noch auch eine Cäfareopapie, welche in der griechiichen und felbft theilweife in der evangeli- fchen Kirche zur Herrſchaft gefommen ift, fondern eine allgemeine Eorporation, eine Weltinnung fol nad) Baader’! Anficht die hriftliche Kirche werden, und in biefer follen die drei Principien, welche biöher in der Chriftenheit ſich, jedoch derzeit in feindli« chen Gegenfaß zu einander, geltend gemacht haben, die h. Schrift, die Tradition und die Vernunftwiſſenſchaft gleichmäßig bie fon» ftitutiven Normen des religiös fittlichen Lebens werben.

Mag man nun über die Vereinbarfeit ber Vernunft mit den beiden andern “Brincipien denken, wie man will; fo ift doch gewiß, daß auch in Baaders Lehre die univerfaliftiiche Richtung, welche der Bhilofophie als folcher eignet, auf eine höchft erfreuliche Weife durchblickt. In biefer Beziehung fteht aber die. Philoſophie unverfennbar im engften Bunde mit dem Staate, welcher, ſofern er verfchiedene Kirchen in. fich vereinigt, bad hoͤchſte Interefje an. dem firchlichen Prieden bat und daher in ber Pflege der Philoſophie, zumal in unferer Zeit ber kirch⸗ lichen Wirren, in der ein faum mehr für möglich gehaltenes

Dr. ®. Fridol. Volkmann: Grundriß ver Pſychologie u. 127

Maß der obffuranteften Intoleranz, ausgeübt von einer wieder übermächtig gewordenen Hierarchie, die Bürger eined Staats überall zu entzweien droht, nur fein eigenes richtig verſtandenes Wohl fördert. Sollte aber auch fernerhin die Philoſophie bier felbe Bernachläffigung und Hintanfepung von Eeiten des Staats, wie bisher erfahren: die deutfihe Nation ſollte doch, je, mehr fe wieder in zwei feindfelige Heerlager zerrifien zu werben droht, defto- lebendiger anerfennen,,. welch’ ein Gemeingut, welch' eine einigende Macht fie noch in der Philofophie befige, und biefe Anerfennung auch durch eine regere Theilnahme an ihren Bors fhungen beweifen. Was wir hier im Allgemeinen von dem Berhältniffe der Bhilofophie zum Staate und zum beutichen Bolfe bemerken, das gilt insbeſondere von dem Berhältnifie der Baaderfchen Philofophie zum Staate Baiern. In ber Bewöl- terung beffelben ſtehen die Katholiken zu. den Evangelifchen in demſelben Berhältniffe, -wie umgefehrt in Preußen die lepteren zu den erfteren, und ber fulturgefchichtliche und Acht national- veutiche Beruf der Regierung jened Staats, welcher durch bie Pflege einer fo rein ireniſchen Religionsphilofophie, wie bie Baader's ift, wefentlich gefördert wird, wird in religiös foctaler Hinfiht darin beftehen, ebenfo im Süden Deutfchlands den Fries ben ber verſchiedenen Eonfeffionen zu wahren, wie bieß feiner ſeits Preußen im Rorden obliegt. n Wirth.

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G u

Grundriß der Pſychologie vom Standpuncte des philoſo— phiſchen Realismus nah genetifher Methode, als Leitfa- den für academifche Vorlefungen und zum Selbftftudium von Dr. Wild. Fridolin Voltmann, Privatdocent der Philof. a. d. Univerfität zu Prag. Halle, 3 Fricke, 1856. VL 4086 ©.

Die Pſychologie erfreut fich heut zu Tage unter allen phis tofophifchen Disciplinen des regſten Intereſſes und die vielfeiti- gen Bearbeitungen berfelben, die in Furger Zeit auf einander ge⸗ folgt find, beweifen nicht nur, daß auf dieſem Gebiete noch manche Probleme vorhanden find, teren Löfung Durch eine ges

128 Necenfionen.

meinfame Anftrengung nach verfchiedenen Richtungen hin. fich

fördern läßt, fondern daß man auch hofft, von Liefer Seite ber eine neue und fichere Grundlage für den Fortfchritt der Philofo- phie im Ganzen zu gewinnen. In der That ift die mit Kant's Kritit der Vernunft begründete Entwidelung der Deutichen Phi⸗ loſophie nody nicht zu ihrem lebten Abſchluß gelangt. Es Tag in ihr ebenfojehr ein realiftifches als ein idealiftifches Princip, dad letztere hat früher in ber fperulativen Entwidelung durch Fichte, Schelling und Hegel vorgeherrfcht, aber auch Herbart leitet mit vollfommenem Rechte fein realiftifches Syſtem von Kant ab und die Regfamfeit der Herbart’fchen Schule holt mit nicht zu verfennendem Erfolge früher Berfäumtes nah und fucht namentlich auf dem ihr von Anfang an am meiften zufagenden Gebiete der Pfychologie ihrem Principe Geltung zu verfchaffen. -

Auch das vorliegende Werk von Vollmann gehört biefer Schule an, und hat als folches das Verdienſt, in außerorbents lich Elarer Entwidelung eine recht überfichtliche Darftellung ber Herbart'ſchen Auffaffungsweife der Seelenthätigfeiten zu geben, manche Probleme in eingehenveren Unterfuchungen und in et⸗ was abweichender Form zu deutlicherem Verſtaͤndniß zu bringen und ſo die Loͤſung der Aufgabe von ſeinem Standpuncte aus zu foͤrdern. Referent, der ſelbſt kurz vor dem Erſcheinen dieſes Grundriſſes feine Kräfte demſelben Gegenftand *) zugewandt hat, muß es den Männern ber- Schule überlaffen, die Einzelnheiten in ben Abweichungen zu würdigen, da ein anderer Standpunct in der Auffaffung nicht geeignet tft, die Aufmerkjamfeit auf die Details in dem Maße zu fchärfen, als es zu ber richtigen Des urtheilung berfelben nöthig wäre; wenn er den ihm geivordenen

- ehrenvollen Auftrag zu einer Befprechung des Buches in biefer

Zeitfchrift übernimmt, fo thut er es nur in ber Zuverficht, daß eine Erörterung deſſelben Gegenftandes -von verjchiedenen Ge⸗ fichtöpuncten aus ber Sache felbft förderlich feyn müffe und daß ed darauf ankomme, das, was noch nicht gelöft iR, recht ſcharf

) Ge orge, Lehrbuch der Pfychologie, Bert. 1858.

Dr. ®. Fridol. Bolfmann: Grundriß der Pſychologie ıc. 129

zu fcheiden von dem, was wir als ficher gewonnenes Refultat in der Wiffenfchaft betrachten dürfen. Wir find mit dem Berf. in ber Borrede der Anficht, daß wir in ber That und der werth- vollften Leiftungen auf dem Gebiete der Pſychologie in den neues ren Zeiten zu erfreuen gehabt haben, und tadeln es mit ihm als einen großen Schaden für die Wiffenfchaft, wenn Jeder feinen Verſuch ald den erften Schritt einer wiffenfchaftlichen Begruͤn⸗ dung hinitellen will und die Arbeiten und Verdienſte Anderer ignorirt. Bielmehr wird nur Beſſeres geleiftet, wenn man recht unbefangen und unpartheiiſch an die Refultate Anderer anfnüpft und felbft auch bei einem verfchiedenen Standpuncte ſich einen freien Blid bewahrt für die Gefammtleiftungen. Wir freuen und ber. würbevollen und Acht willfenfchaftlichen Haltung des Verf. auch in ber Polemik gegen fremde Anfichten und glauben, dag eine annähernde Auögleichung mit ihm wohl möglid ift, auch troß der divergirenden Grundanſichten. Wir befennen es offen, daß wir uns mit den metaphyfifchen BPrincipien der Herbart'ſchen Schule nicht verföhnen können, und ba biefelben tief eingreifen in bie Behandlung ber Biychologie, fo ftehen fie allerdings einer durchgreifenden Berftändigung hindernd entgegen ; aber Referent theilt ‚mit ihre die Bekämpfung eines einfeitigen Idealismus und die nachdrückliche Betonung bed realiftifchen Moments, wenngleich er cbenfowenig der einfeitigen Durchfüh- tung bes Realismus geneigt ift und dagegen auch Die gleiche Berechtigung des ibealitifchen und fpeculativen Standpunctes anerkennen muß. Für ihn ift das Ziel, dem ex nachfirebt, die vollfommene Ausdgleihung beider, indem er überzeugt ift, daß die wahre empirifche Behandlung zur Speculation führen, biefe dagegen auf empiriicher Grundlage ruhen müffe, Die Erfah: zung ift der Weg, der allein zur Wiffenfchaft führt, aber fie ift erſt wirklich vorhanden, wenn fie, im Befiß der Gefege der That- fachen, dieſe begrifflich zu deduciren im Stande ift und fo zur foftematifchen Entwidelung gelangt. Der Verf. fieht ebenfo Flar die Einfeitigfeit der rein empirifchen, wie der willkürlich conftrui-

renden Methode ein, und will eine britte, die beiderlei Principien Zeitſchr. f. Fhilof. u. phil. Kritit. 32. Band. 9

130 Recenflonen.

von Fall zu Fall verbinden fol; er begreift, daß eine bloß em⸗ pirifche Forſchung, ohne rechten Mapftab für das Wefentliche und Bedeutende, dem Zufall anheimfält und nicht geringeren Gefahren ausgeſetzt ift, als eine rüdfichtslofe Conſtruction; er fordert deßhalb, daß fie fi des Zieles ftetd bewußt fey, nad dem fie hinzuftreben habe. Aber wir koͤnnen doch nicht erfen- nen, baß bei dem Verf, ſich beide Methoden wahrhaft durch⸗ dringen. Die Art, wie ihm die Metaphyfif über das Wefen der Seele zu enticheiden hat, und die Piychologie aus ihr den Begriff derfelben entlehnen fol, um fih an ihm bei der Dar ſtellung ber Thafachen und der Entwidelung ber Seelenthätig- feiten zu orientiren, fcheint uns eine fehr unzuverläffige Methobe, bie grade recht Gefahr läuft, die Nachtheile beider Einfeitigkeiten mit einander zu vereinigen und ihre guten Selten zu paralyfi- ren. Drängt die unbefangene empirifche Beobachtung zu ganz anderen Erklärungen bin, fo tritt dem ber Blick auf die metas phyfifchen Principien entgegen, die nun einmal die Betrachtungs⸗ weife nicht geftatten und daher zwingen, bie Erklärung ber Er⸗ fcheinungen dem ſchon vorher feftftehenden Ziele gemäß einzu⸗ richten. Nach unferer Anſicht muß die fpeculative Behandlung aus der empirifchen Beobachtung von felbft, hervorgehen, bie Auffaffung der Geſetze diefer Thatfachen muß dahin führen, fie genetifch zu entwideln, und bie in -diefer Entwidelung hervor⸗ tretenden Unterfchiede der Seelenthätigfeiten müffen fi dann in einem beſtimmt abgefchloffenen Syſtem zur Darftellung bringen lafien, welches die einzelnen Begriffe ebenfofehr in ihren inni⸗ gen Zufammenhange als in ihrer feharfen Sonderung bebucirt und fo bie ganze Totalität der Erſcheinungen In eine ihrem Bes geiffe entiprechende Ordnung bringt. Wir können ed nicht bes greifen, wie bei einer rechten: wiflenfchaftlichen Behandlung ein Gegenſtand , verfchiedenen Wiflenfchaften angehören koͤnne. Hat bie Piychologie zu ihrem Gegenftande die Seele, fo gehört ihre Betrachtung auch. nur in fie hinein und bie Metaphyſik hat mit ihr gar nichts zu ſchaffen; jene allein iſt dann fähig, aus ihrer Beobachtung der Thatfarhen: zu erkennen, was das Wefen und

Dr. ®. Fridol. Volkmann: Grundriß der Pſychologie x. 131

der Begriff der Seele fen, und aus dieſem heraus bie einzelnen Thätigfeiten zu conftruiren. So wird dem Verf. nicht, wie wir es uns allein ald richtig denfen, bie genetiiche Methode von Innen heraus. zur fpeculativen, fondern für die Pſychologie bleibt er bei der empirlfch genetifchen Behandlung ftehen, läßt fie aber ſtets von einer ihr fremden metaphyfifchen Speculation bevor: munden. So aber behält doch die genetifche Methode ben vom Verf. felbft gerügten Mangel der Empirie, daß fie blind bleibt für das Ermeflen des Wefentlichen und Bedeutenden, und auf ber andern Seite laͤßt fie fich beftimmen durch feftftchende meta- phuftiche Vorurtheile. Die genetifche Methode läuft immer, wenn fie es nidyt zu einer Gonftruction bringt, Gefahr, die Unters ſchiede zu fehr zu vermwifchen und ineinanderfließen zu laſſen und für fcharfe Sonderungen und Gegenfäge ben Blick zu verlieren. Die Esordination und Subordination ber Begriffe geht verlos ren, alles bleibt zu fehr immer nur daſſelbe und bie auftretens den Modificationen fehneiden nicht ein, um zu dem Bewußtſeyn zu führen, daß durch die genetifche Entwidelung wirflid etwas neues gewonnen wird. Die Herbartfche Philofophie hat der Piychologie einen großen Dienft dadurch geleiftet, daß fie die Lehre von ben feftftehenden und angeborenen Seelenvermögen

aus ihre mit aller Energie verbannt und dafür die Seelenthätig- keiten eingeführt hat, aber in der That gehen diefe fo ineinan- ber uͤber, daß wir es eigentlich mit einer einzigen, nämlich dem Vorſtellen zu thun haben und dieſes fo dominirt, daß alle andern Unterfehiede dagegen völlig verfehwinden. Da möchte ed wirklich an der Zeit feyn, darauf hinzumeifen, daß doch auch die verfchiedenen Seelenvermögen ihre Wahrheit haben, und daß, wenn bie Thätigfeiten der Seele geübt und ausgebildet werden, fie ihr auch als Kräfte und Vermögen einwohnen müflen, bie bei beftimmten Individuen bald in biefer bald in jener Richtung überwiegend hervortreten. Ban darf fich freilich nicht damit begnügen, bie Erfcheinungen der Seele einfach auf bie zum Grunde liegenden Bifferenten Seelenkräfte zurüdzuführen, ſondern muß bie Einheit der Seele. in dem Zufammenhange ihrer Thä-

9*

132 Recenſionen.

tigkeiten zur Anſchauung bringen und dieſelben auseinander ab⸗ leiten, aber dies hindert keinesweges anzuerfennen, daß in dem Maße, als verſchiedene Thätigkeiten ſich in der Seele wirklich entwideln, dieſe auch in verfchiedenem Grade hervortreten wer« ben, und demgemäß ein fehr verſchiedenes Vermoͤgen zu biefen Thätigfeiten in ihr hinterlaffen.

Bei diefem Ineinanderfließen ber Thätigfeiten der Seele 1äßt fich denn auch) fein rechtes Maß finden für die Behandlung - ber einzelnen nach ihrer wahren Bedeutung. Einige werden mit einer überaus großen Ausführlichfeit behandelt, andere kaum be- rührt oder fehr kurz abgefertigt, während fie doch im Vergleich mit jenen ebenfo eine eingehendere Betrachtung verdient hätten. Dies ift nicht etwa nur der Mangel eines äußeren Ebenmaßes in ber Behandlung, fondern ed beruht darauf die richtige Schäz- zung ber Begriffe in ihrer wahren Eoordination, und Damit alfo dad allerwefentlichfte, wodurd ihre Stellung zu einander be- flimmt wird. So find namentlid) die Sinne, die Temperamente, die Affeete, die Inftincte, die individuellen Näturanlagen und Fähigkeiten, die Neigungen, Begierden, Leidenfchaften und felbft auch die Momente des Willens, die Individualltät und Per⸗ jönlichfeit nicht hinreichend .entwidelt, während die Lehre von ber gegenfeitigen Hemmung und Verſchmelzung ber einfachen Vorftelungen und die damit eng zufammenhangenden Abfchnitte über Reproduction und Gedaͤchtniß mit einer foldhen Worliebe behandelt find, daß fie faft bie Hälfte der ganzen Entwidelung einnehmen.

Der Verf. beginnt zunächft mit der Entwicelung des Be⸗ griffes der Seele aus der Einfachheit des Ichs als des Traͤgers bed Selbſtbewußtſeyns in dem Wechſel der mannigfaltigen Bor- ſtellungen. Hier ftellen ſich gleich die befannten Herbart'ſchen Grundvorausfegungen ein, welche von vornherein die ganze Ber trachtungsweiſe beherrfchen, bie Annahme von der Vielheit der einfachen Wefen, bie felbft unräumlich und unzeitlich, weder bes Thuns noch des Leidens fähig, doch durch ihr Zuſammenſeyn zu gewiſſen innern Zuftänden gelangen ſollen, ‚welche in dem

Dr. W. Bridol, Volkmann: Grundriß der Pſychologie x. 133

Weſen ber Seele bie Borftellung begründen. - Abftrahirt man von biefem Zufammenfeyn mit andern einfachen Weſen, geht der Begriff. der Seele in den des Geiſtes über als bes reinen she. Die Unräumlichfeit und Unzeitlichfeit ber Seele folgt dann aus diefen Vorausſetzungen von felbft, aber dies hindert nicht, nach dem Sie ber Seele im Verhältniß zu dem Ors ganismus zu fragen und ihr ihre Stelle in einer mehr oder weniger umgrenzten Gegend ded Gehirns anzumeifen, auch bei verſchiedenen Thierfläffen einen Siß berfelben an andern Stellen zu vermuthen, |

Hieran knüpft fih eine. Darftelung und Kritif der vers ſchiedenen Anfichten über da8 Wefen der Seele in dem Ma terialismus, Spiritunlisnus, Dualismusd, und Monismus, für welchen der Verf, fich enticheidet, indem er jedoch die fpeculative Loͤſung des Problems nach ber Weife der Identitaäͤts⸗Philoſophie ablehnt, in welcher er nur eine Laͤugnung beffelben fieht, und dagegen die Lehre von ben abfolut einfachen, realen Wefen aufs ftelt, die in ihrem Zufammenfeyn die Erfcheinung ber Dinge erzeugen. Eine Klaffe folcher einfachen Wefen ift die der Geis fter, qualitativ von allen andern verfchieden. Der Leib ift ein Inbegriff von Realen, vie in jene mannigfadhen Verhälmmiffe unter ſich gerathen find, welche die Erjcheinungsformen der Dias terie ausmachen. Eine Borftelung entfteht, wo ber Geiſt mit den einfachen Weſen des Leibes zufammenfommt. Dies wird aber ewig der dunkle Punct bleiben, wo dem Denfen etwas zugemuthet wird, wozu es fich nicht verftehen Fann, und wo dad klare Berftändnig aufhört. Auch dem Verf. gelingt es nicht, diefen Ausgangspunct des Ganzen deutlicher zu machen, er enthält ſich des fonft gebräuchlichen Begriffes der Selbiter- haltung und hält fi an den nicht minder umbegreiflichen Aus⸗ druc innerer Zuftände in dem -einfachen Wefen, die durch das Zufammenfeyn mit den andern Realen entftehen ſollen. Er ums fihreibt e8 fogar ald ein In⸗ und Durcheinanderfegn, ald eine Immanenz, womit bie Schule fchmwerlich einverftanden feyn kann und doc nichts gewonnen wird. „In dieſem Zufammen”, fagt

134 Recenflonen.

er, „können die entgegengefeßten Weſen einander nicht gleichguͤl⸗ tig bleiben, weil fie entgegengefett find, alfo muß etwas be- wirft werden. An den Wefen felbft aber Fann nichts geftört werden, weil fie unftörbar find. Alſo eniftehen Zuftände, bie nicht die Wefen felbft ändern, in denen gleichwohl der Gegen- fag und das Gegenwirken feinen Ausdrud findet. Der Zuftand ift dad, was durch dad Zufammen gefchehen iſt. Entftünde nicht der Zuftand, fo wäre im Zufammen gar nichts gejchehen, ent- ftünde mehr als ein bloßer Zuftand, fo wären bie Weſen nichts abfolut Geſetztes. Dffenbar entflehen in beiden zuſammenſeyen⸗ den Wefen Zuftände, weil der Gegenſatz beiberfeitig ift -und zwifchen ben beiberfeitigen Zuftänden wird eine gewiſſe Wechfel- beziehung ftattfinden. Gleichwohl bleiben die Zuftände ded Einen immer Zuftände dieſes Weſens und haben gar keine innere Aehnlichkeit zu den entiprechenden Zuftänden ‚bed Andern. Die Seele entwidelt im Zufammen mit den Wefen bed Organisnms ein Sträuben (Renitiren) und vieles Sträuben ald Zuftand gedacht, ift die Vorftellung. Jenes ift das Thun, dieſe bad Geſchehene. Die Vorſtellungen der Seele find ihrer Qualität nad) ganz unvergleichbar den Zuftänden ‚in dem Weſen des Leibe." Die ganze Auseinanderfegung drängt ſich zufammen in der Forderung, daß etwas geichehen. fol, und doch feine Thä- tigfeit in die einfachen Weſen hineingedacht werben barf, weil durchaus die metaphyſiſche Grundanſicht eine Veraͤnderung ber abſoluten Weſen ausſchließt; der darin liegende Widerſpruch wird nur ſchlecht verdeckt durch den Ausdruck Zuſtand, der doch immer nur einen Sinn hat in Beziehung auf eine Thaͤtig⸗ keit, wie denn der Verf. dieſe ſelbſt in dem Straͤuben anerken⸗ nen muß, die nach ihm das Thun iſt, als deſſen Zuſtand die Vorſtellung erſcheint. Ebenſo unbegreiflich bleibt es, wie keine Aehnlichkeit zwiſchen den entſprechenden Zuftänden in dem Zu⸗ ſammenſeyn der einfachen Weſen und doch eine Wechſelbeziehung zwiſchen ihnen ſtattfinden fol. Denn wie ohne eine Aehnlich⸗ keit zwiſchen ihnen eine Vergleichbarkeit gedacht werden ſoll, die doch auch in der größten Verſchiedenheit Liegen muß, wenn ir⸗

Dr. ®. Fridol. Volkmann: Grundriß ber Pſychologie ıc. 135

gendiwie nur eine Beziehung zwifchen ihnen vorhanden. feyn fol, bie doch. jedes Zufammenfeyn in fich enthält und bie noch dazu bier als eine Wechlelbeziehung gefegt wird, ift und völlig uns verftändlih, und wie man von entiprechenden Zuftänden reden fann, wo, wenn man bie Aehnlichkeit negirt, alles Entfprechen aufhören muß, Fönnen wir.ebenfo wenig faſſen und nur irgend einen Sinn damit verbinden, Sind bie. einfachen Weſen vers Idieben von einander, fo muß ed auch einen Unterfchied in ber Verfchiedenheit geben und dies bedingt ihre Vergleichbarkeit und mit ihr ihre größere oder geringere Wehnlichfeit. Haben bie Borftelungen mit den einfachen. Wefen, durch bie fie entftehen, gar Feine innere Achnlichkeit, wie können fie dann felbft unter - einander vergleichbar werben und wie fann eine gegenfeitige Hem⸗ mung berfelben cintreten, worauf doch bie ganze weitere pſycho⸗ logiſche Ausführung beruht, Nur die Relativität der Unter⸗ fehiede in der Qualität der Weſen läßt ein Verhaͤltniß derſelben anter einander zu und macht auch eine Beziehung zu der Seele moͤglich, ſo daß ſich in der Differenz ibrer Vorftelungen bie Differenz ber Welen außer ihr ausbrädt; in dem Sinne bed Perf. erfsheint e8 dagegen fo, als ob die Qualitäten ber vers fshiedenen Realen erft in ber Seele vermöge ber gemeinfamen Grundlage ihres Weſens vergleihbar würden, deffen Zuftände die Borftellungen find, während fie nichts gemein hätten. mit den Qualitäten der Dinge, die boch diefe Zuftände hervorrufen,

Noch verwidelter und unbegreiflicher wird die Anficht von dem Fortbeftehen ber Vorftelungen, welde die Grundlage ber fpätern Theorie der Wiedererinnerung wird. Jeder in einem Weſen vorhandene Zuftand fol diefem fortwährend inhäriren, das Zufammen ift und bleibt geſchehen und kann nicht unges Schehen gemacht werden. Das Zuſammen ift wohl die Urſache des Eutftehend, aber keineswegs die Bedingung für das Fort⸗ beftchen des Zuſtandes. Berändert ſich das Zufammenfeyn, fo verändern fi demgemäß auch die Zuftände und ‚gehen ineinans der über und Died kann nicht ohne ein Vergehen gedacht wer⸗ ben. Ein fortwährendes Entitchen ohne ein Vergehen ift uns

136 . Heeenfionen.

denkbar, ohne den Zufammenhang in dem Werben aufzuheben. Es zeigt fich hier dieſelbe Vereinzelung in eine zufammenhangd- Iofe Mannichfaltigfeit, die ebenfo eine Sueceffion einer unend⸗ lichen Vielheit beziehungßlofer qualitativer Zuftände ſich denken fann, wie fie eine unendliche BVielheit in dein Zufammenjeyn ber Weſen ohne innern Zuſammenhang vorftelbar machen will, ‚Bolgt eine Empfindung der andern in bemfelben Sinn, fo hebt fie Die vorige auf, dauert der Zuftand noch fort, fo entjteht ein Nachbild, welches die neue‘ Empfindung verunreinigt und nuf auf einer wirklichen Nachwirkung beruhen kann, die ein noch dauerndes Zufammenfeyn in ben, vermittelnden Nerven voraus» feßt, das über dad Vorhandenſeyn des bie Wirfung einleitenden Gegenſtandes hinausgeht. Die Wiebererinnerung muß auf ganz andern Borausfegungen beruhen als biefem unbegrenzten Fort⸗ beftehen der Vorftellungen, wenn fte nicht mit den Thatſachen ber wechfelnden Empfindung und dem Haren Begriff ded Wer⸗ dend und der Veränderung in Widerfpruch gerathen fol, Dies aber führt auf den eigentlichen Carbinalpunet, in welchem bie Anfichten des Referenten mit denen bed Verf. völlig auseinan« ber gehen, nämlich über das Verhältniß ber Empfindung zur Vorftellung. Der Berf. ibentificirt beide völlig und wird dazu genöthigt durch feine metaphyfifchen Grundanfchauungen; für ihn giebt es nur Vorftellungen als bie einzigen ber Seele eigen- thümlichen Zuftände,, er verwirft die Anficht, welche die Empfin⸗ dung mit dem Reize verwechfelt oder zwifchen dem Reize und. der Borftellung ald ein WVermittelndes einfchiebt. Er kann Feine Richtung in der Einwirkung, feinen Unterfchied zwifchen Activis tät und BPafftvität anerfennen, die Seele thut weder etwas noch feidet fle, fondern fe hat einfach den Zuftand und dieſer ift eben bie Vorſtellung. Später fommt er zwar felbft augenſcheinlich in’d Gedraͤnge, indem er ben Unterfchied zwifchen ber Empfin⸗ dung und der reproducirten Vorſtellung ald eine Thatſache ans erfennen muß, und ganz richtig die Anfichten widerlegt, bie ben Unterfchied in dem Inhalte oder in der Stärfe fuchen- wollen. Was er dagegen an die Stelle fest, ift ein ihn gewiß ſelbſt

Dr. ®. Fridol. Bolfmann: Grundriß ber Pſychologie ꝛc. 137

nicht genuͤgender Nothbehelf und bleibt durchaus unklar. Die Sinnesempfindungen ſollen mit einer gewiſſen Koͤrperempfindung eines beſtimmten organiſchen Ergriffenſeyns verbunden ſeyn, die ſich theils aus gewiſſen dunklen Muskelempfindungen ber wäh⸗ rend des Empftndens vorgenommenen Bewegungen, theils aus Irradiationen des Reizes von ſenſoriellen auf ſenſitive Nerven⸗ „fafern zuſammenſetzen und bei der reproducirten Vorſtellung feh⸗ len. Dieſe begleitende Empfindungsgruppe ſoll die Lebhaftig⸗ feit der Empfindung bedingen, indem fie der objectiven Empfin⸗ dungequalität eine innigere ihr“ anhaftende Beziehung zu dem Leibe und deſſen Lebensproceſſe beilegt. Nach unferer Anficht ift das eine völlige Inconfequenz von feinem Standpuncte aus, indem dies doch immer nur Vorſtellungen feyn fönnten und zwar nur ganz dunfele und verworrene, die anftatt die Empfindung lebendiger und beutlicher zu machen, fie gerade hemmen und. ſchwaͤchen müßten. Der Berf, hat überhaupt öfter die Neigung, bei ſchwierigen Problemen, die aus feinen Grundvorausfegungen fich nicht erflären laflen, auf die fomatifchen Einflüffe zu recur⸗ riren und fi) hier einen Ausweg offen zu- laffen, der entſchie⸗ ben nicht zu feinen Brincipien paßt, und durch die darin herr⸗ [chende Dunkelheit die Möglichkeit zu Vermuthungen geftattet, die mit feiner fonft fo Maren Darftellung nicht harmonirt. Wir haben in unferm Lehrbuch der Pſychologie auf bie Scharfe Unterfcheidung zwifchen finnlicher Empfindung und be wußter Borftelung ein Hauptgewicht gelegt und barin einen Ge: genfab nachgewiefen, ver freilich vorausfegt, daß man ben Uns terfchied einer Einwirkung der Dinge auf bie Seele und umges ehrt der Seele auf die Außenwelt anerkennt. Wir haben zu entwideln gefucht, wie bie Empfindung zu Stande kommt durch eine Reaction der Seele gegen bie Reize, die in ben Bewegungen der Außenwelt ihren Grund haben, während die bewußte Vor⸗ ſtellung gewonnen wird durch die Reaction der Objecte gegen unfere Bewegung, So haben Einpfindung und Bewußtſeyn zwei verfchiedene leibliche Organe, in dem bie-fenfiblen Nerven der Einpfindung, die motorifchen dem Bewußtſeyn dienen. Darauf

138 Recenfionen. !

beruht ed, daß Auge und Zaftorgan ein klares gegenftändliches Bewußtſeyn geben, aber nur weil fie Organe der Bewegung find und in biefer Beziehung das Auge nicht ein Sinnedorgan, fondern ebenfogut ein Taftwerfzeug ift, während die bloßen Sins» neöorgane nur Empfindungen zu erzeugen vermögen, on Musfelempfindungen zu fprechen, ift eine Verwirrung, Die von dem Vorurtheil herruͤhrt, als ob wir nur durch bie finnliche Empfindung mit ber Außenwelt in Berbindung ftänden, was durch den fcharfen Unterfchied der fenfiblen und motorischen Ner- ven widerlegt wird. Bon unferen eigenen Bewegungen haben . wir ein unmittelbare Bewußtſeyn und dad iſt bie erfte und eins zige Quelle ded Selbſtbewußtſeyns, während wir die Obiecte dadurch von uns unterfcheiden, daß fie unferer Bewegung Wis beritand leiften und unferm Ich nicht gehorchen, und Die ganze Entwidelung des. Bewußtſeyns liegt darin, daß wir allmälig die⸗ jen Wiperftand brechen, die Gegenflände geftakten und dadurch mittelbar erfahren, was fie find, indem wir zufehen, wie fie ſich burch und geftalten laſſen.

Mir fehieben daher nicht etwa die Empfindung zwifchen dem Reiz und der BVorftellung als ein vermittelndes ein, gleich- fam nach der alten Vorſtellung, ald wenn die Empfindung aus ben Nerven in's Senforium gelangend eine bewußte Vorftellung würde, fondern die Vorftellung entfteht durch eine Gegenbewe- gung gegen den durch die Empfindung ‚gegebenen Stoff vermöge ber fondernden und verfnüpfenden Thätigkeit des Ich. Die ſinnliche Empfindung felbft kann gar nicht reproducirt werden, fondern nur die dason gebildete Vorftellung ; dagegen unterfchei- det fich die reprodurirte Vorftellung von ber urfprünglic an dem wahrgenommenen Gegenſtaͤnde erzeugten einmal darin, daß dieſe Ießtere bei dem gegenwärtigen Objecte mit der ſinnlichen Em⸗ pfindung verfnüpft ift, und daß anbrerfeitd das gegenwärtige Object immer neue Ausfonderungen und Verknüpfungen geftat- tet, während die Reproduction nur mit denen operirt, bie wir an bem Gegenftande gemacht haben, wenn fle dagegen frei .

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Dr. ®. Fridol. Volkmann: Grumdriß der Pfuchofogiesx. 139

proburirt, biefe nicht durch eine finnliche Empfindung beſtaͤ⸗ tigt findet,

Es muß daher bei ber reprobueirten Borftellung dieſer doppelte-Mangel ſcharf unterfchieden werden. Wo der Gegens ftand fo einfady ift, daß er nur wenige Kombinationen erlaubt, ift die reprodueirte Vorftellung eben fo Flat und deutlich, wie bie urfprüngtiche und es fehlt ihr nur die Empfintung. Ein mit Kreide an die Tafel gezeichneted gleichfeitigeö Dreieck ftelle ich mir abgewendet von ihr eben jo klar vor und wenn ich es wies ber anſehe, fo erhalte ich nur die Empfindung bed Weißen hinzu, aber fonft ift die Vorftellung der Geftalt und damit des Gegen- ſtandes ein und biefelbe. Aber bei einer in vielen unregelmäs Bigen Windungen gezeichneten Figur bleibt immer ein großer Reft von Combinationen übrig, die ich nicht gleich alle machen und daher auch nicht reproduciren Tann, fo daß bei jedem er⸗ neuerten Hinblif immer: wieder zu neuen Veranlaffung geboten wird, die die früher gemachten unterftügen und dadurch das Bild verdeutlichen, während es in ber Reproduction immer mehr ober weniger verſchwimmt. |

Aus, diefen Gründen müflen. wir daher die Behandlung ber Sinnesorgane, namentlich des Taftiinned und der von dem Berf. unterſchiedenen Körperempfindung für unbefriedigend erfläs ren, indem bier bie fchon in biefem Gebiete herrjchende Ders wirrung noch mehr gefteigert erfcheint durch das Zufammenfaffen ganz verfchledenartiger Dinge, Unter dem Taſtſinn behandelt er nicht nur die gewöhnlich demfelben ‚zugeichriebenen Wahrnehr mungen bed Widerftandes, der Glätte u, f. w., ſondern auch bie der Wärme,” des Drudes, und bringt auch die Muskelem⸗ pfindungen hinein, und bei ber Körpereinpfindung fommen dann bie Warme⸗ und die Druds und .Musfelempfindung, noch cin« mal wieber vor, zufammen mit Kigel, Brennen, Kneipen, Stechen, Müdigkeit, Hunger, Efel u, f. w., fo daß der Verf. beides in der That nicht auseinander gehalten hat. Eine Klarheit wirb in die Sache nur hinein kommen, wenn man, wie wir ed ſchon in unferer Unterfuchung über die fünf Sinne und fodann in

140 | Recenfionen.

unſerer Pſychologie gethan haben, die ſenſiblen und motoriſchen

Nerven ſtreng trennt, das Taſten ganz von der ſinnlichen Em⸗ pfindung ſcheidet und dieſe auf das Gefühl des Druckes und der Wärme befchränft, die in den auf der ganzen Oberfläche ber

Haut verbreiteten fenftblen Nervenpupillen ihr entfprechendes

Organ haben, dagegen den Widerftand und die Musfelbewer

gungen nur durch die motorischen Nerven auffaffen läßt, die ald

folche Organe ded Bewußtſeyns find,

Der Verf. ertheilt unter dem Abfchnitt der Empfindung auch) eine Betrachtung uͤber bie Annehmlichkeit und Unannehm- lichkeit verfelben, die er ald Ton der Empfindung bezeichnet und neben den Inhalt und die Stärfe verfelben ftellt. Dies ift aber in der That nicht mehr eine bloße Eigenfchaft der Empfindung, fondern der Affeet der Luft und der Unluft, der aus ber Em⸗ pfindung entfteht und einer anbern Erflärung bedarf, ald ber vom Verf. gegebenen, die wieder an der fihon oben bemerkten Rücklicht auf die fomatifchen Einflüffe leidet, eine Schwierigkeit, die der Verf. felbft fühlt, aber die ihm zu leicht durch die Res flerion verfehwindet, daß die Empfindung zwar eine einfache Auffaffung eines einfachen Reizes fen, der aber aus einer gleich zeitig gegebenen fomatifchen Mannichfaltigfeit refultirt. Jeder Nerv nämlich fol einen durch feine trophifchen Vorgänge bes

gründeten Gefammtzuftand enthalten, eine Stimmung, mit wel⸗

cher der eintretende Reiz fih in-ein beſtimmtes Verhaͤltniß ver⸗ feßt. Daraus follen mannichfaltige innere Hemmungen entſte⸗ ben, welche einen beftimmten Spannımgegrad erzeugen, in ben ber Reiz vermehrenb oder vermindernd eintritt, Aber man fieht doch gar nicht ein, wie diefe bie.einfache Borftellung der Seele modificiren fönnen, und wie dieſe Luft oder Unluſt etwas ande⸗ red als felbft eine Borftellung in der Seele feyn koͤnnte, da alle Zuftände der Seele Borftellungen find, -und dieſes doch nur wie ber ein Zuftand bed Zuftandes feyn könnte. Man kommt aus dem Dilemma nicht heraus, daß der Schmerz entweder ein rein fomatifcher ift und dann mit der Vorftelung gar nichts zu thum hat, oder als ein Zuftand ber. Seele angehört und dann eine

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Borftelung ift, von der man nicht begreift, was fie an ber eins fachen Qualität derfelben ändern foll.

Hierher gehört auch die Betrachtung der Temperamente, die der Verf. fehr ungenügend und etwas wegwerfend behandelt, indem er ihnen lange nicht die Bedeutung beimißt, bie fie in ber That für die Pſychologie haben. Sie gehören doch durch⸗ aus der Eeele an und find gar nicht bloß auf fomatifche Ein- flüffe zu bechränfen. Der Verf. bezeichnet ſie als den in dem Leibe befindlichen und beharrlichen Grund bes verfchiedenen Gra⸗ bed von Stärke in Auftreten und von Schnelligkeit im Verlaufe der Seelenzuftände. Wie dies mit feinen Vrincipien von dem Zur jammen ber einfachen Weſen recht zu reimen fey, begreifen wir nicht, da wir in benfelben eine folche Unterfcheidung nicht bes gründet finden fönnen. Außerdem hätten wir hier eine Erörte- rung ber fid) aufdrängenden Stage nad) dem Angeborenſeyn oder der Entwidelung der Teniperamente durch die Wechſelwirkung mit ber Außemvelt erwartet, eine Frage, welche für bie Pfycho- - logie von der entfcheidendften Wichtigkeit if. Der ganze Gegens ftand ift einer der für bie Herbartfche Philoſophie fehwierigen Puncte, den fie umgeht, indem fie bie Bedeutung der Sache läugnet.

Nach der Empfindung als ber einfachen Vorſtellung wird die Wechfelwirfung verfelben behandelt in der Lehre von ber Hemmung und Verſchmelzung berfelben, det dadurch gebotenen Hülfen und der in Folge diefer Vorgänge erzeugten Bewegung als ein Steigen und Sinken ber Borftelungen, aus denen bie Reproduction abgeleitet wird. Diefe in der Herbart'ſchen Schule mit befonderem Fleiß verarbeitete und bis zur mathematijchen Strenge fortgeführte Partie ver Wiychologie hat auch durch den Berf. einige neue Gefiditspuncte erfahren, aber wir fönnen uns nicht überzeugen, daß dadurch der ganze Borgang in der Repro⸗ duction erftärt werde, ſobald nicht die eigene Thaͤtigkeit des DBe- wußtſeyns gegemüber den Gegenftänden zur Anerfennung gebracht wird. Es kann nicht geläugnet werben, daß die Reproduction einerfeitö geregelt wird durch das Zufammenfeyn mit der Außen-

142 Necenſionen.

welt und der dadurch angeregten Vorſtellungen, nach ihrer Ver⸗ ſchiedenheit und Staͤrke, wechſelſeitigen Hemmung und Foͤrde⸗ rung, aber es wird daraus niemals erklaͤrt werden, wie die Seele eine Herrſchaft uͤber ihre Vorſtellungen erlangt, wenn man nicht der Seele auch von vornherein eine freie Action auf dieſen gan⸗ zen aufgedrungenen Vorſtellungsinhalt zugeſteht und daraus die Moͤglichkeit einer Einwirkung von Innen heraus erlangt, die allein zu einer Herrſchaft uͤber dieſelben fuͤhren kann. Wir ha⸗ ben in unſerem Lehrbuch der Pſychologie eine Theorie des Ge⸗ daͤchtniſſes zu geben verſucht, welche ganz auf der freien Thaͤ⸗ tigkeit des bewußten Individuums gegenüber der Außenwelt, wie ſie zuerſt in der willkürlichen Beweglichkeit des Organismus zur Erſcheinung kommt, begruͤndet iſt, und ſich in einem Spiel von Verknuͤpfungen und Trennungen darſtellt, die auf Veran⸗ laſſung der an den Dingen wahrgenommenen Differenzen ſtatt⸗ finden und ihnen gemäß immer mehr bis zur vollſtaͤndigen Ueber⸗ einftimmung mit der Objectioität geregelt werden. Hier find es räumliche und zeitliche Reihen und die darin, liegenden Momente ber Geftaltung und Bewegung zuerft, beren ſich das Bewußt⸗ ſeyn bemächtigt, während der Inhalt der Empfindungen erft: weit jpäter und immer nur unvollfommen und undeutlid in Borftels lungen reprobucirt wird und feldft hier fo, daß die fich bilden⸗ ben Reihen an die Raums und Zeitvorftellungen angelehnt wer⸗ ben. Auch der Verf. hat auf die Entwidelung der räumlichen und zeitlichen Borftellungen einen befondern Nachdruck gelegt und es ift burch die vielfachen Bemühungen neuerer Forfchungen ber Antheil, den die Bewegungen 'unferer Organe daran haben, außer Zweifel 'geftellt unb auch von ihm anerfannt. Aber dies muß doch darauf führen, daß man noch mit größerer Schärfe das in ber Bewegung liegende Moment von den Empfindungen fheibet und anerkennt, daß die Auffaffung alles Gegenftändlichen - und damit überhaupt - da8 Bewußtwerden und Borftellen rein davon abhängig iſt. Worin anders Tann e8 bann Fiegen, daß, wie ber Verf. zugefteht, allein das Geſicht und der Taffinn deutlicher Vorftellungen fähig find, als eben in ben ihnen allein.

Dr. W. Fridol. Bolfmann: Grundriß der Pſychologie ꝛc. 143

zufommenden Bewegungen, während die andern Einne rein auf bie Empfindung befchränft find. Deshalb Liegt es auch nur in ber Rebeneinanberftellung ber Barbenreihe, daß fi hier am frü- heiten eine beitimmte Vorftelung der Farbe entwidelt und bie beutlichfte Reproduction möglid wird, während die Tonreihe erft weit fpäter fih entwidelt und nur für den Geübteften ein richtt- ges Feſthalten und Neproduciren eines gegebenen Toned nad feiner beftimmten Höhe ober Tiefe und dem wahren Intervalle erreicht wird und beim Geſchmack nur fehr unbeftimmte Anfänge von Reihen ſich bilden, beim Geruch enblich kaum ein Anlauf dazu gemacht wird.

Bei der Lehre von ber. Hemmung ber Vorftellungen wird auch der. Schlaf behandelt, ber mieber einer der Puncte ift, bie bei den metaphyiifchen Grundvorausſetzungen bes Verf. eine befons bere Schwierigkeit barbisten mäflen. . Die Negation des Vorftellend im Schlafe kann ihm nur den Sinn einer Berbunfelung haben, welche dur; Hemmung ber Borftellungen untereinander erzeugt wird, wobei dad. Erwachen dann eine neue Schwierigfeit dar« bietet. Die fomatifchen Einflüſſe find nicht wegzuläugnen und werben befchrieben als ein vom Leibe ausgehender Drud duch) einen Inbegriff zahlreicher an ſich ſchwacher elementarer Empfins dungen, beren jebe fich dem beftimmten Berwußtwerben entzieht, Die aber gleichwohl burch ihre Menge zu einer bedeutenden Wirk ſamkeit gelangen und. die. Hemmung hervorbringen. Aber biefe finden gewiß im wachen Zuſtande ebenfogut ftatt und man fieht nicht ein, wie Schlaf und Wachen in fo periodifcher Abwechſe⸗ lung daraus hervorgehen follen. Dffenbar genügt es dem Verf, . ſelbſt nicht, wenn er fagt, „in ben einzelnen Nerven oder viele mehr in beren Gentralorgane, im Gehirne, mögen fich in Folge nicht näher zu beftimmenber Einflüffe allmaͤlich wachſende Grup⸗ pen dunkler eigenthümlicher Reize bilden (bei benen vielleicht ber. Gegenfag von animalem und vegetativem Nervenleben, oder von Gehirn = und Rüdenmarkleben, vieleicht Umftimmungen bed Blutes und- vieleicht ſelbſt telurifche und kosmiſche Einflüffe in Betracht kommen), welche zu allen fonftigen Reigen in einem

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gewiffen Gegenfag ftehen.” Die ganze Schwierigkeit liegt nur _ für den Verf. in der Anficht von ber Identität der Empfindung und Vorftellung und in der Annahme der unbegrenzten Fortdauer derfelben in ber Seele: Für und ift der Schlaf einfach das Aurhören der Empfindung, einmal durd) das Verſchwinden ber Reize und fodann durch die Abnahme der Reizfähigfeit bei der Ermüdung des Organismus, wobei dad Vorftellen ald Traum recht gut fortdauern ann, aber nicht angeregt und geregelt durch die ausfallenden Eindrüde der Außenwelt. Das Erwachen nad) der Ruhe der Nacht findet dann ebenfo wieder flatt durch neu eintretende ftärfere Reize bei entſprechend wieder erlangter Reactionsdfähigfeit in den Nerven.

Recht fleißig durchgearbeitete Abfchnitte find der fechfte unb fiebente, welche von ber Intelligenz und der Apperception han⸗ deln, in welchen Vieles und recht befriedigt hat, wenn wir aud) bei verändertem Stanbpunct daſſelbe oft anders zu einander zu ſtellen oder noch andere Factogen zur Erklärung binzunehmen müflen. Der Verf. entwidelt darin das Gedächtniß, hie Ein⸗ bildungöfraft, und das Denfen, die Apperception, die Aufmerf- famteit, die Borftelung des Ich, und das Selbſtbewußtſeyn. Na⸗ mentlich bei bem legteren muͤſſen wir darauf hinweiſen, daß, wenn: ber Berf. in Herbart'fcher Weife das Selbſtbewußtſeyn an das Ende ber Entwidelung ftellt, während die entgegenges feste Anficht, der aud wir und anfchließen müflen, es als den erften Ausgangspunct des ganzen Vorſtellens betrachtet, Dies doch eigentlich nicht eine unlösliche Differenz bildet, indem ja dad Ich auch bei dem Berf. dem ganzen Proceſſe zum Grunde liegt, und was bier ald Selbftbewußtfenn bezeichnet wird, nur das reflectirte in dem höchiten Grabe feiner Entwickelung if. Nur müſſen wir die Berhätigung beffelben auch in den niederen Klarheitögraden für weit bedeutender anfchlagen, um die Will führ in dem DVorftellen und bie ſchon früh erlangte Herrfchaft über daſſelbe erflärlicy zu finden, Die Art, wie der Verf. auch hier die Macht des Ichs mit den leiblichen Bewegungen und ben baran ſich anfchliegenden Raumreihen in Verbindung bringt,

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Dr. ®. Fridol. Volkmann: Grundriß der Pſychologie x. 145

gewährt vollfommene Anfnüpfungspuncte für unfere bifferenten Anſchauungen.

Weniger befriedigt müflen wir. und erklaͤren mit dem achten Abfchnitt, der bie Gefühle behandelt. Der Berf. erklärt fie ald ein verwidelteres Phänomen, in- weldhem eine Borftellung gleichzeitig von einer andern gehoben und von einer dritten herab⸗ gebrüdt und fo gewiſſermaßen zwifchen beiden eingeflemmt wird, fo daß der auf ihr Iaftende Drud mit zur Vorftelung gelangt. Es ift died die Wiederkehr immer befjelben ſchwierigen Punctes, wo ed ſich um etwas andered ald den Inhalt oder die Etärfe einer Borftellung und den damit zufammenhangenden Klarheits⸗ grad handelt, wo denn die Erklärung durd) einen gewifjen Drud, fey er fomatifchen Urfprungs oder durch die Vorftelung felbft - erzeugt, nicht nur etwas unflares, fondern auch mit den Grund» vorausfegungen nicht zu vereinigendes mit fich bringt. Dabei wird auch nicht recht deutlich, in welchem Verhältniß der Verf. biefelben ftellt zu dem, was er oben ald Ton der Empfindung bezeichnet hat. Auch die Eintheilung berfelben in wage und fire genügt durchaus nicht, und der Verf. giebt fie felbit offenbar nur in Grmangelung einer beflern, da er die gewöhnlich mit Küdficht auf den Inhalt gemachte mit Recht verwirft, Die äfthetifchen und ſympathetiſchen Gefühle gehören gar nicht in die Pſychologie, die ſich gar fehr vor einer Vermifchung mit der Ethik und ber Aefthetif zu hüten hat. Aus den Gefühlen werben dann bie Begierden abgeleitet, indem die erfteren als ruhende Zuftände der Spannung und ber Einflemmung, bie fegteren als diefelbe in Bewegung betrachtet werben. Die Be- mühung, in, biefed fehwierige Gebiet einige Klarheit hineinzu- bringen, ift fehon immer anzuerfennen, wenngleich bie Entwicke⸗ fung felbft noch fehr unbefriedigt läͤßt. Referent hat in feinem Lehrbuch der Piychologie eine eingehende Unterſuchung geführt über die Art, wie die Neigungen und Begierden aus ben Acten bed Wiſſens entftehen und ift dabei darauf geführt worden, Daß dies nicht möglich ift, ohne auf die Wechſelwirkung zu achten, welche aus den in jedem Wiſſen enthaltenen Momenten bes

Zeitſchr. fe Philof u. phil. Kritil. 32. Band. 10

146 " Recenfionen,

Glaubens und des Erfennens entfpringt, die wieber ihrerfeite auf die Zufammenwirkung von finnlicher Wahrnehmung und teflectirendem Denken zurüdgeführt werben müflen, eine Auffaſ— fungsweife, die wir dem weiteren Nachdenken empfehlen.

Ein für die ganze Betrachtung des Verf, entjcheidender und die Unterfuchung abjchließender ift der zehnte und lebte Ab- fchnitt über das Wollen. Wir geftehen, daß und die Entwides fung des Willens durch den Verf. weit mehr angefprochen ‚hat, als dies bei irgend einem andern der Herbart’fchen Schule aud) in weiterem Sinne angehörigen Werfe der Fall geweſen ift, ſo daß er gerade biefen für biejelbe fchwierigften Punct in dankens⸗ werther Weije weiter gefördert bat, Die Scheidung zwifchen pſychologiſcher und fittlicher Freiheit it von der größeften Wich- tigfeit, und auch wir flimmen mit dem Verf. auf das Entſchie⸗ benfte darin überein, daß man bie fittliche Freiheit nicht als ein natürlich Gegebened, fondern als eine Aufgabe, ald das jeyn follende, das die ganze Ethik in fich fchließt, zu betrachten hat.

Die fittliche Freiheit gehört nicht in die Piychologie, fon» dern in die Ethik, nur dad, was der Verf, als pſychologiſche Frei⸗ heit bezeichnet, gehört ihr an und ift dasjenige, worauf hernach die fittliche bafirt werden muß, Wir möchten, um die Berwech- felung zwifchen beiden zu vermeiden, für die Piychologie noch gar nicht den Ausdruck gebraucht wiffen, fondern dafür den der Perfönlichkeit fegen, die eigentlich mit dem, was ber Berf. ans firebt, zufammenfält, und die wır bezeichnen als ben Stand⸗ punct hoͤchſter Vernünftigkeit der Seele, auf welchen fie weiß, was fie will, und zu ihrem Wollen nur durch die eigne ver⸗ nuͤnftige Einſicht beſtimmt wird.

Wir ſcheiden von dem Buche mit der aufrichtigen Erklaͤ⸗ rung, daß wir bafjelbe mehrmals mit dem gefpannten Interefle durchgearbeitet haben, und auch da, wo wir durch Nichtüberein- flimmung in den Grundanfichten zu Abweichungen der Erflärung der Phänomene gezwungen find, immer eine reiche Anregung gefun⸗ ben haben, um fo mehr und aber der vielfachen Anfnüpfungspuncte

gefreut haben, wo bie Anfichten mit den unfrigen zufammentrafen. George.

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Erwiderung auf das Referat des Herrn Mihelet ꝛc. 147

Erwiderung auf das Referat des Herrn Michelet über meine Metaphuflf. Bon Prof. Dr. Apelt. | Herr Michelet hat vor Kurzem die Lefer dieſer Zeitfchrift mit einem Artifelhen zu unterhalten verfucht, das er ein Refe— rat über meine Metaphyfik zu nennen beliebt. Ich hörte davon noch ehe ich es zu Geficht befam, und ich mußte lächeln bei dem Gedanken, daß der Feine Gernegroß in Berlin über mich in Zorn gerathen war; auch hatte ich meinen guten Grund zu diefem Lächeln. Ich würde wahrfcheinlich zu dieſen Zornergüffen gefhwiegen haben, wenn ich nicht, und zwar von mehreren Seiten, aufgefordert worden wäre zu antworten, und ich würde in der That nichts Anderes antworten fönnen, ald was Goethe in ber befannten XZenie auf die Angriffe des Paſtor Puſtkuchen antwortete, wenn ich die Befanntfchaft der LXefer diefer Zeitfchrift mit meiner Metaphyſik vorausfegen könnte. Da ich aber nicht annehmen darf, daß alle Lefer diefer Zeitfchrift auch) mein Buch gelefen haben oder dafjelbe auch nur fennen, fo werben es viels leicht einige von ihnen mir Danf wiffen, wenn ich fie darüber auffläre, was ed mit dem Urtheil des Herrn Michelet für eine Bewandtniß habe.

Herr Michelet nennt feinen Artikel ein Referat über meine Metaphyſik. Ein Referat ift eine Darftellung des ob: jectiven Ihatbeftanded aus den Akten. Wollte Michelet über meine Metaphyſik referiren, fo mußte er Bericht erftatten über ben wirflihen Ihatbeftand der Lehre, die in dem Buche enthals ten iſt. Da hätte er freilich dieſes Buch erft durchdenken und dann verftehen müflen. Aber das Erftere überftieg feine Geduld und das Andere feine Fähigkeiten.

Indeſſen Herrn Michelet fam ed auch darauf gar nicht an, ſeinem Publicum eine Kenntniß zu geben von dem Inhalte meines Buches, ſondern er wollte nur ſeinen Aerger an mir auslaſſen und ſein Publicum gegen mich einnehmen. Daher er denn dieſem Publicum nicht die Kenntniß der Sache, ſondern nur feine Stimmung anitzutheilen verſucht. Anſtatt ein Bild

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148 Necenſionen.

meiner Lehre zu geben, fuͤhrt er ein Paar aus dem Zuſammen⸗ hange geriſſene Stellen ans meinem Buche an, die nur in ber Abſicht aufgegriffen find, um mid) in ein fchiefes Licht zu ftel- len. Aber dieſes falfche Licht hat ihm feldft geblendet und ihm ftatt der wahren Geftalt der Dinge einen trügerifchen Schein vorgemacht. Denn in biefem Lichte erfcheine ich ihm anfangs als Nachbeter Kantd und jchließlich als blinder Anhänger ber Jacobiſchen Glaubensphilofophie. Das paßt nun freilid) wie die Fauſt aufs Auge und wirft felbft Fein günftiges Licht auf die Zuverläffigfeit und Gewiffenhaftigfeit de8 Referenten, Doch ſolche Ungereimtheiten geniren feinen großen Geift und ein Fleiner macht fi) Nichts daraus, Um das Maag biefer Ungereimtheiten vol zu machen, nennt er mich in einem Athen einen „Nachſchreiber“ Kant’8 und macht mir dennoch Abwei⸗ dungen von deſſen Lehre zum Vorwurf Man höre! Herr Michelet fpricht: ;An die Stelle der Ipealität bed Raums, die der Kantifchen Anficht eine fo fpeculative Farbe verleiht, ſetzt Herr Apelt „die empirifche Realität deſſelben.“ Das hätte ich gethan und gegen Kant gethan? Herr Michelet nehme feinen Kant zur Hand und fchlage auf: Kritik der reinen Vernunft 8.31 Dort kann er lefen: „Wir (d. i. Kant) behaupten alſo die empirifche Realität des Raumes, ob wir zwar bie transfjcendentale Idealität deffelben annehmen." Alfo auch ba, wo er mir Abweichungen von Kant's Lehre Schuld

giebt, ift Michelet in feinem Berichte unmwahr. Aber der gute |

Dann verfteht fein eigenes Intereffe nicht. Denn wenn er mid einmal als Nachbeter und Nachſchreiber Kant’s hinftellen wollte, jo hätte er diefem doc nicht etwas Falſches andichten dürfen, mad, wenn es wahr wäre, fein Urtheil über mich annulli⸗ ten würde.

Wenn mic nun die Befchuldiguugen Micheler8 zum Zorn

reizten? Wenn ich nun den Spieß gegen ihn umfehrte und ben.

Stoß, den er auf mich beabfichtigt, gegen ihn führte? Wenn ih ihn nun für einen Nachbeter und Nachſchreiber He- gels erfläcte? und wenn ich biefe Behauptung mit fiegreichen

Grwiderung auf das Neferat des Gern Michelet se. 149

- Gründen beiweifen fönnte? Mas würde mich daran hindern?

Nichts als ein unbedeutender Umftand! Und viefer if? Herr Michelet .ift der Mann’ nicht, der mich in Zern bringen fann. Er ift der Mann nicht, mit dem ich mir eine ſolche Mühe geben mag.

Sch will, wie gefagt, ben Stoß nicht erwidern. Ich goͤnne ihm von Herzen gerne die Freude uͤber ſeinen Ausfall, ich will nur pariren. Sehen wir ruhig zu, was an ſeinen Beſchuldi— gungen dran iſt.

In Berlin war vor noch nicht allzu langer Zeit ein Pro⸗ feffor am Gymnaſium zum grauen Kloſter der, als Mathemas tifer rühmlichſt bekannt, unter anderen auch vorzügliche Lehrbiüt« her der Elementar - Mathematif gefchrieben hat, die. allgemein gefchäst find. Der Man hieß Ernft Gottfried Fifcher und Miche« let hat vielleicht von ihm gehört. Sch fee den Fall, feine Geo⸗ metrie wäre einem Recenfenten wie Herrn Michelet in bie Hände gefallen und dieſer hätte mit Herrn Michelet alfo geſprochen:

„Wir wollen es nicht geradezu tadeln, ſich auf ben Gründer ber Geometrie, auf Euffives, zurüdzubeziehen. Wenn man aber bald zweitaufend Jahre nach dem Erfcheinen der Elemente des Euflid ein Buch fehreibt, welches den Boden berfelben gar nicht verläßt, fich oft an ihren Entwidelungsgang anſchließt und mit ganz demfelben Refultate abfchließt, fo gleicht ein folcher Mathe⸗ matifer doch gar zu fehr dem Epimenides.“ Was würden wohl die Mathematiker zu diefem Urtheil fagen? Sie würden ganz ein- fa) fagen: Der Recenfent hat weder von Wahrheit noch von Wiffenfchaft einen Begriff. Von Wahrheit nicht, denn bie Wahrheit ift, wie fchon Leffing fagt, Feine wächlerne Nafe, bie fih jeder Schelm nach feinem Gefichte boffiren kann, wie er will. Bon Wiffenfhaft nicht, denn die Wiſſenſchaft iſt fein Hirmgefpinnft, was fi ein Jeder nach Belieben ausgrübeln fönnte, fonbern fie fchreitet von Entdeckung zu Entbedung zur Erfenntniß der Wahrheit fort.

Und wer hat in ver Philoſophie feit Artftoteles. jemals größere Entdeckungen gemacht ald Kant? Ic rechne dahin.

150 Recenfienen.

die Entdeckung der Fritifhen Methode ald ber wahren Methode zu philofophiren; die Entvedung des Unterfchieds der analyti⸗ fihen und funthetifchen Urtheile; die Entdedung der reinen Ans fhauung; die Entdedung des transfcendentalen Leitfabend zur Auffindung aller metaphufifchen Grundbegriffe; die Nachweis fung, wie durch den mathenatifchen Schematismus biefer Grund⸗ begriffe das volftändige Syſtem der metaphyſiſchen Naturgefege gebildet werbe; die Nachweiſung, daß durch die abfolute Beftim- mung bderfelben Grundbegriffe die fpeculativen Ideen entfliehen; die Nachweiſung endlich der pbilofophifchen Nothwendigkeit ber felbftftänfigen fittlihen Grunduͤberzeugung. Unter allen diefen hängt daB Schickſal der Methaphyſik neben der Unterfcheitung ber fonthetifchen Urtheile a priori (d. i. der nothwendigen Vers "nunftwahrheiten) von ben analytifchen Urtheilen Hauptfächlich son dem Verftändniß des transfcendentalen Leitfadens ab. Die - metaphuftfche Erkenntniß ift eine Erfenntniß aus bloßen Be— griffen. Diefe Begriffe dürfen aber nicht willfürlich erbachte oder fingirte Begriffe fepn, fondern fie müffen wirklich in unſe⸗ rer Vernunft liegen, wenn eine ſolche Erfenntnißweife Realität und objective Giltigfeit haben fol. Es haben fi aber nur gar zu oft Begriffe in die Metaphyſik eingefchlichen, bie nicht durch die Vernunft gegeben, fondern nur willfürlic durch ben Verſtand gebildet find. Dahin gehört z. B. der Begriff des Demofritifchen Atoms, ber Leibnisifchen Monade,.ded He⸗ gel'ſchen Weltgeiftes. Eben dahin gehört auch die Vorftels fung der Manichäer von zwei Grundweſen, das Pleroma ber Gnoftifer fowie das Mirwana der Buddhiſten. Wie will man nun ſolche Mißgeburten ded Verſtandes von den nothiwendigen metaphyſiſchen Bernunftbegriffen unterfcheiden, wenn man nicht ein unfehlbares Kriterium ber Aechtheit des Urfprungs ber Bes griffe aus reiner Vernunft hat? Ein folches aber iſt der’ transfcendentale Leitfaden. Die mathematifche Erfenntniß hat eo ipso einen großen Vortheil vor der metaphuftfchen Erkenntniß voraus und biefer beſteht in der Anſchaulichkeit ihrer Erkenninißweiſe. Der

Erwiderung auf das Referat des Herrn Michelet ıc. 151

Geometer kann zwar ben Begriff der Richtung auch durch Feine Definition näher beftimmen und dadurch von anderen unterfcheis ben, eben weil er als Grundbegriff undefinirbar if, aber er fann ihn conftruiren, d. i. er kann das, was er unter bem Begriffe denkt, auch in der Anſchauung darftellen und dadurch jedes Mißverftändnig befielben verhüten, Denn die gerade Linie, die er zieht, ift das Bild der Richtung. Da aber der metaphy- füichen Erfenntniß eine derartige Anfchauung fehlt, in der fe ihre Grundbegriffe darftellen und verftändlich machen könnte, fo fragt fih, wie kann man einen folchen metaphufifchen Grund- begriff wiſſenſchaftlich fcharf beſtimmen und allgemein verftänd- lich machen? Ganz einfady durch den transfcendentalen Leitfa- den. Denn «8. fann wohl zweifelhaft und ftreitig fen, was bei diefem oder jenem Worte gedacht wird, aber ed kann nie mals‘ zweifelhaft und ftreitig ſeyn, was durch biefe oder jene Urtheilsform gedacht wird. Der transfcendentale Leitfaden erjegt und daher die bier fehlende Anſchauung und ſchafft uns Die Möglichkeit, die Metaphyſik zu einer ebenfo exacten Wiſſen⸗ fchaft zu machen, wie es die Geometrie bereitd feit Euklides iſt.

Die Entdedungen Kant's werben nie veralten, fie werben ftehen bleiben, fo lange die Wiflenfchaft ftehen bleibt; fie find wie die Sterne am Himmel, wer fie nicht fieht, der muß blind ſeyn! Was hat es num für einen Sinn, wenn Jemand den, der wiffenjchaftliche Entdedungen annimmt, weil er ſich von ihr rer Wahrheit überzeugt hat, einen Nachbeter des Entbeders- nennt? Dann find alle WMathematiter Nachbeter des Eukli⸗ bes. Denn fie alle glauben an die Wahrheit der Congruenz⸗ füge, des pythagoreifchen Lehrſatzes und wie die Säge alle heis fien mögen.

Aber warum find Kant's Entdedungen in der Philofophie noch nicht allgemein verftanden und anerfannt worden? Das bat feinen Grund in brei Dingen: einmal in der Schwierig. keit des Verſtaͤndniſſes, dann in gewiffen Mängeln und enplich felbft in gewiſſen Fehlern der Kantiſchen Speculation, welche das Verftändniß erfchwert und bie Nachfolger irre geführt haben,

152 Necenfionen.

Entdeckungen, welche bahnbrechend ober tief umgeftaltend in den Wiſſenſchaften wirken, werden jederzeit nur allmälig und langfam verftanden. Adıtzig Jahre nach Euflid wurden feine Elemente auch nur von einigen wenigen ‚dazu befähigten Gelehrten fludirt und verftanden; ber großen Menge derer, bie, wie man fagt, nur unten am PBarnaß wohnen, die fein Eigene thum befigen und Feine Stimme in der Berfammlung haben, waren fie eben fo unbekannt oder unverftändlih, wie es heut zu Tage Kant's Kritif der Vernunft if. Und dennoch muß jetzt jeder ‘Brimaner "Etwas von den Elementen. ber Geonietrie ver⸗ fiehen. Keppler's große aftronomifche Entdeckungen, feine drei’ Geſetze, die jegt jeder Student der Aftronomie fennen muß, wur⸗ ben felbft von feinen größten Zeitgenoffen nicht begriffen und verftanden. Der große englifche Mathematifer Thomas Harriot klagt in feinen Briefen an den Orafen von Northumberland, dag ihm durch dad Studium des Commentard über den Stern Mars Alles in feinem Kopfe ſchwindlig und wirblig würbe. Galilei hatte von Keppler drei Exemplare diefed Werkes fogleich nach dem Erfcheinen deſſelben im Sahre 1609 zugeſchickt erhals ten. Ein Paar Jahre drauf verlangt er noch mehrere Exem⸗ plare nad) und dennoch behauptet er 1632 in feinem Systema Cosmicum, daß bie Figur der Planetenbahnen und namentlich die Figur der Marsbahn noch unbekannt fey, obſchon Keppler bereitö vor 23 Jahren feine Entdeckung ber wahren Figur ber Marsbahn der. Welt mitgetheilt hatte. in beutlicher Beweis, daß Galilei Keppler's Commentarius de stella Martis nicht ver- ftanden hatte. Selbſt der große Huygens fcheint von den Kepp⸗ lerfhen Geſetzen noch feine ordentliche Kenntniß gehabt zu has ben. Erſt Newton gab ihnen dad unveräußerlihe Buͤrgerrecht in der Wiffenfchaft. Don 1609 bis 1686, d. i. von dem Er⸗ fcheinen des Commentarius de stella Martis bi6 zu dem Ers fheinen ber Principia philosophiae naturalis mathematica find 77, alfo beinahe achtzig Jahre. Können wir verlangen, daß bie metaphufifchen Entdedungen Kants in Türzerer Zeit verſtan⸗

Erwiderung auf das Referat Des Herrn Michelet ꝛc. 153

den und anerkannt werden follen ale die aftronomifchen Ent- deckungen Keppler’s ?

Kant hat die umfaffendfte, Fünftlichfte und verwideltfte Dias lektik, die jemals ein Philofoph gehabt hat. Schon darum ift dad Berftändnig feiner Philofophie nicht leicht. Diefes Ver⸗ ftändnig wird aber dadurch noch bedeutend erfchwert, daß feine Dialektik nicht frei von Mängeln und Fehlern ift.

Diefe Mängel will ich hier nur an einem Beifpiel zeigen. Der Lefer der Kritif der reinen Vernunft wird nicht fo leicht das Verſtändniß bes transfcendentalen Leitfadens und feiner Bedeutung finden. Die Sache fteht dort wie aus den Wolfen gefallen. Kant zeigt und weder wie er zu ber Tafel der logis ſchen Urrheilsformen kommt, noch worauf ber Zufanmenhang zwiſchen biefen und ben metaphyfifchen Grundbegriffen beruht. Und in der That fonnte er das auch noch nicht. Denn er be: faß weder die blos logiſche Ableitung der Urtheilsformen indes pendent von den Kategorien, noch fonnte er den Grund des Zu⸗ fammenhangs zwifchen beiden angeben, ber in dem Verhältniß bed Bewußtieynd zu der unmittelbaren Erfenntniß liegt, woruͤber Kant noch offenbar falfche Vorftellungen hatte. . Darum ift den - Meiften nad) Kant dieſe Zuſammenſtellung der Kategorien mit ben logijchen Urtheildformen auch nur ald ein willfürliches Spiel bed Witzes und nicht ald eine Sache der Nothwendigkeit erjchies nen. Kant ift diefer für die Metaphyſik fo wichtigen Entdedung offenbar inductorifeh auf die Spur gekommen, ohngefähr fo wie Newton feiner Entdedung des binomifchen Lehrſatzes auf die Spur kam. Newton gerieth auf den Einfall zu probiren, was heraus; kaͤme, wenn .er in dem Ausdrude A+X)" für n flatt einer gan- zen Zahl /, febte, und wenn er nun (1 +.) ausrechnete, fo fand er, daß, weldye Zahl er auch für x fehte, immer bie Qua⸗ dratwurzel von 1+x hernuskam. Als er dann weiter für d+x) einzelne wirkliche Bälle ausrechnete, fand er ebenfo bie Eubifiwurzel der in Klammern eingefchloffenen Zahl, und nun erft fuchte er den Beweis für die Allgemeingiltigfeit des Satzes.

154 Recenfionen.

Ebenſo ging auch Kant probirend zu Werke. Er fah den Paralle⸗ liamus zwifchen den Urtheilsformen und den Kategorien, und er hatte auf ber einen Seite rhapfodifche und fragmentarifche Auf- ftellungen Togifcher Urtheildformen, auf der andern Seite gewiſſe metaphnfifche Grundbegriffe vor fih, und nun probirte er bie Zufammenftellung ber einen und der andern fo fange abänternd und ergänzend, bis die Tafel der Urtheilsformen der Tafel der Kategorien genau entſprach. Mängel der Art finden fih bin und wieder in den Kantifchen Werfen und wir dürfen und barü- ber aud nicht wundern. Wer zuerft Bahn bridt, von dem fann man nicht verlangen, daß er feinen Weg aud) gleich ebene, jedes Loch zufülle und jeden Stein entferne.

Die Kantifche Speculation ift aber auch noch nicht frei von Fehlern. Ihr größter Fehler liegt in der Verfennung der Natur derjenigen Erfenntnifle, welche den Inhalt der Kri⸗ tif der Vernunft ausmachen. Kant nannte diefe Erkenntniſſe trandfcendentale und betrachtete fie als eine befondere Art ‚von Erfenntniffen a priori, welche von ber metaphufifchen Er⸗ fenntniß verfchieden fey, da fte doch in der That nur empirisch piychologifcher Natur if. Die von Kant fogenannte transſcen⸗ dentale Erfenntniß ift nämlich die Erfenntniß von der Mögliche feit, der Duelle, ven Principien, den Grenzen und dem Umfange der metaphyſiſchen Erfenntniß, und fie befteht in einer Unters ſuchung der menfchlichen Vernunft und des menfchlichen Erfennt- nißvermoͤgens überhaupt, d. i. fie hat bie metaphyſiſche Erfennt- niß zu ihrem Gegenftande und pfuchifch anthropologifche Er⸗ kenntniſſe zu ihrem Inhalte,

Gegen den Dogmatismus war Kant’d kritiſches Unterneh⸗ men dahin gerichtet, ftatt der bisherigen bloß hypothetiſchen Aus⸗ führung des Syftems der Philoſophie erft ein Princip der Mög- fichfeit metaphyfifcher Erkenntniß Ciynthetifcher Urtheile a prieri aus bloßen Begriffen) zu fuchen. Diefed Princip der Moͤglich⸗ feit fonthetifcher Sätze a priori müßte dann, wenn ed einmal gefunden wäre, ber Prüfſtein aller metaphyfiichen Behauptungen werden. Das Princip der Möglichfeit mathematiſcher Urtheite

Erwiderung auf das Neferat des Seren Michelet ıc. 155

nun ift die reine Anjchauung, das Princip der Möglichkeit mer taphyſiſcher Urtheile aber das, was ich die fpeculative Grundform der menfchlichen Erfenntnig nenne Bis auf diefe letztere hat ſich nun Kant mit feiner Speculation noch nicht hindurchgefun- den. Und er konnte fie nicht finden, weil er zufolge feiner Ver⸗ fennung ber wahren Ratur ber transfcendentalen Erfenntniß das Verhältnis der Kritif der Vernunft zur Metaphyſik noch nicht vollſtaͤndig durchſah. Darum hat Kant für die Apriorität des Raumed und der Zeit einen metaphnfifchen Erklärungsgrund, nämlich den trandfeendentaten Idealismus, während der wahre Erflärungsgrund pfochologifch ift und in der Selbftthätigfeit des menfchlichen Geiftes liegt, wie er in den Prolegomenen ſelbſt fagt, der transfcendentale Idealismus fey ihm eines von ben Mitteln, die Aufgabe zu Iöfen: wie find fonthetifche Urtheile a priori möglid. Darum hat er eine ganz falfche Anficht von ber objectiven Giltigfeit der menfchlichen Erfenniniß. Darum ſucht er noch transfcendentale Beweife für bie metaphufifchen Grundfäge. Darum endlich ift feine Ideenlehre mit all jenen Fehlern behaftet, die ich im zweiten Bande meiner Epochen ber Geſchichte der Menfchheit ausführlich erörtert habe.

Die Natur jener transjcendentalen Erfenntniß wurde nun das große Räthfel der nachkantiſchen Philoſophie. Aber anftatt ben Fehler zu verbefiern, haben die Meiften ihn unbemerkt aufs genommen. und dadurch die Angelegenheiten ver PBhilofophie nah und nad) in vollfländige Verwirrung gebracht. Kants Problem iſt nicht die formale Frage: was ift Wahrheit, fondern bie materiale Frage: was ift metapbufifche Wahrheit, d. h. er fuchte feine Definition der Wahrheit, fondern den Gehalt der metaphyfifchen Erfenntniß, der wirklich in uns liegt. Während das Kantifche Problem nur ſubjectiv kritiſch gelöft werden kann, verfuchte man es objectiv dogmatiſch durd) Ableitung aus einem Grundfage zu löfen. Dadurch wurden gleic) anfangs Nachfol⸗ ger Kant's verleitet, die fogenannten Thatſachen des Bewußt⸗ ſeyns für die Quelle phifofophifcher Erkenntniß zu halten, ohne zu bebenfen, daß aus empiriſch pſychologiſchen Sägen ſich Teine

156 Mecenfionen.

nothwendigen Vernunftwahrheiten (ſynthetiſche Urtheile a priori) ableiten laſſen. Dadurch kam endlich das berüchtigte Problem von dem Berhältniß des Subjectiven zum Objeciven an bie Spite ber Philofophie, indem man von einer Definition ber Wahrheit ausging, biefe für ben oberften Grundfag der Philo- fophie anfah und das Syſtem daraus zu entwideln verfuchte. Da man dabei aber feinen Gehalt der Erfenntniß hatte, fo kam man auf den Verſuch, den Gehalt durch die Form zu erzwingen. Die Methode follte den Gehalt verfchaffen. Das Refultat war bie Hegelfche Philoſophie, durch die man anſtatt wiſſenſchaft⸗ licher Gedanken lauter ausgeblaſene Eierſchaalen bekommt.

Das wenn auch noch dunkle Gefühl der Leerheit und Nichtigkeit dieſer Speculation ift e8, was, wie Herr Michelet fagt, „Telöft in’ feinem Kreife die Tendenz hervorgerufen habe, ih auf den Gründer ber neueren Philoſophie, auf Kant, zurüdzubeziehen.* Wenn nun Iemand audy nur bie Schwierigkeiten der Kantifchen Philoſophie befeitigt und ihr Berftändniß erleichtert hätte, würde der ſchon nicht etwas ber Anerkennung Werthes geleiftet Haben? Wenn nun aber Jemand die Mängel der Kantifchen Lehre ergänzte und ihre Fehler ver befierte, würde man ben nicht ald einen Fortbildner ber Kantis ſchen Philoſophie betrachten müfen? Und das, fo ruhmredig ed auch Herrn Michelet Hingen mag, bin ich mir bewußt ges than haben, Welches Recht hat alfo Herr Michelet dazu, mid) ald einen Nachbeter Kant's hinzuftellen ?

Aber was verfteht denn auch Herr Michelet von Kant und feiner Philofophie? Nichte, auch gar Nichts! Den Beweis bafür habe ich ſchon geführt vor achtzehn Jahren und wer ihn lefen will, der findet ihn in der Senaifhen Allgemeinen LiteratursZeitung, Januar 1839, Ar. 7 und 8. Viel⸗ leicht Hat darum Michelet noch einen alten Groll auf mid und er ergreift jegt die Gelegenheit, um feinen Groll ges gen mich auszulafien. So mußte ich denken, als ich vernahm, Hear Michelet habe einen wegwerfenden Artikel über meine Mes taphyſik geichrieben und darum mußte ich lächeln.

Erwiderung auf das Meferat des Herrn Michelet x. 157

Damit will ich für diesmal und ich wünfche fir im⸗ mer Herrn Michelet gehen laſſen. Doch obfchon ich mit ihm felbft fertig bin, fo ift hoch noch ein Punct, über den ich Etwas zu. jagen gedenke. Es find bie Fortſchritte, welche bie Philoſophie in ben achtzig Jahren nad) Kant gemacht haben fol, worüber ich nod) meine Gedanken äußern will.

Taft alle Wiffenfchaften haben in biefem Sahrhundert großartige Hortfchritte gemacht. Die Afttonomie hat durch bie Entdeckung der vielen kleinen Planeten und Kometen ein anfchn- liches Material gewonnen, nachdem Gauß ſchon vorher durch feine Theoria motus ihr Geſetzbuch zum Abfchluß gebracht hatte, Die Mathematif ift durch Cauchy und feine Schule, durch Mös

bius, Steiner und Andere erweitert und verfeinert worden. Wie

groß ift der Zuwachs, den die Phyſik und alle Zweige der Na⸗ turwiffenschaften erhalten haben! Dampfmafcyinen, Eifenbahs nen und Velegraphen find die Früchte dieſer Wiffenfchaft. Nur bie Philofophie fcheint von dieſem allgemeinen Fortſchritt eine Ausnahme zu maden. Es bat zwar nicht an Leben in ihr ges fehlt. Uber was ift daburd) gewonnen worden? Sie hat eine große Revolution noch vor dem Anfang dieſes Jahrhunderts er- fahren. Aber viefe Revolution, weit entfernt einen feiten und foliden Neubau zu ſchaffen, bat eine zuͤgelloſe Anarchie zur Folge gehabt. Selbft dad, was andern Diöciplinen zu’ ihrem Gedeihen fo förderlich gewefen ift Die große Theilung ber Arbeit in den Wiffenfchaften hat der Philofophie nur Nach⸗ theil gebracht, Je mehr der Mathematifer, der Aftronom, ber - Phyſtker, der Chemiker, oder Phyſiolog feine Tchätigfeit auf bes ftinmte Puncte concentrirte, deſto mehr glaubte er der Philoſo⸗ phie gänzlich entbehren zu koͤnnen, Ein Zweig der Naturwiflens ſchaften, die Aftronomie, hat fchon feit Nweton's Zeiten die phis Iofophifchen Begriffe und Grundjäge in ſich aufgenommen, ohne die fie nicht beftehen Fann. Gin anderer Zweig. derfelben fteht noch auf bem Puncte, wo er vorerft auf den Wege der Beos bachtung und bed Experiments eine Maffe von Einzelnheiten eruiten muß, che er ‚daran benfen darf, bie Gefebe zu fuchen,

158 Mecenfionen.

aus denen fi) der Zufammenhang der Ihatfachen erklären läßt. Jener bedarf der Philofophie nicht mehr und dieſer bedarf ihrer noch nicht. Demohnerachtet arbeitet die Philofophie, wenn auch unfichtbar, in alle, felbft die exacten Wiflenfchaften hinein, und jeder Forfcher wird im Suchen bemußt ober unbewußt von phi⸗ lofophiichen Marimen geleitet. Sch babe in meiner Reforma tion der Sternkunde nachgewiefen, wie Kopernifus und Keppler in ihren Entvedungen durch philoſophiſche Ideen geleis tet worden find. Ich habe in meiner Theorie der Induction gezeigt, daß Beſſel durch eine falfche philofophifche Idee fo iere . - geleitet wurde, daß ihm die Entdedung des Neptun, der er auf

der Spur war, entging. Diefe Thatfachen befunden die Abs hängigfeit ver Naturforfhung von der Philoſophie. Philoſophi⸗ fhe Principien ftehen im SHintergrunde einer jeben Wiflenfchaft, wenn auch oft fehr vermittelt, fo wie 3. B. in den Raturwifs fenfchaften häufig durch Mathematik vermittelt. Sie beftimmen und erhellen die Bahn, die die Forſchung Hier oder dort einzus fchlagen bat. So hängt z. B. die Antwort .auf die Frage, ob die Erflärungsgründe für die Lebenserfcheinungen phyfikalifcher oder teleologifcher Natur feyen, nicht fo fehr von ber Erfahrung wie von den Principien der Naturphilofophte ab. Oder um an etwas Anderes zu erinnern! Die großen ftoifchen Rechts- lehrer des Imperatorenreich® haben die allgemeinften Grund» begriffe nicht nur aus dem NRechtöleben der Römer, fonbern zum Theil aus den griechifchen Philofophenfchulen entlehnt. Und wie groß ift der Antheil der Philofophie an der Dogmens bildung ber chriftlichen Kirche geweien!. Mathematifer und Phy⸗ ſiker ſehen oft mit Stolz auf den Philoſophen und Metaphyſtker herab in der Meinung, gegen ‚ihre Konſtructionen und Demon⸗ firationen, gegen ihre Obfervationen und Experimente feyen feine. Speculationen und Debuctionen nur Seifenblafen und Grillen» fpiel. Und dennoch liegen die Wurzeln biefer Wiflenfchaften in dem Grund und Boden ber Metaphufif verborgen. Aber merhvürdig mag es immerhin erfcheinen, daß felbft die exacten Wiſſenſchaften auf eine Wiſſenſchaft fußen, der ed noch nicht

N

Erwiderung auf das Neferat des Herrn Michelet ax. 159

gelungen ift, einen allgemeinen und bauernden Beifall zu er- ringen, bei der Alles zweifelhaft zu feyn feheint: die ragen, bie in ihr Bereich gehören ebenſo wie die Antiworten, vie fie darauf zu geben bat. Während alle anderen Wilfenfchaften nicht nur an Außerem Umfange, fondern auch an innerer Keftig- feit gewonnen haben, fo hat in der Bhilofophie gerade das Um⸗ gefehrte ftattgefunden: die Disciplin ift gelodert und es ift hier der Donbeöiiche Katurzuftand eingetreten, ber Krieg Aller ge- ' gen Alle. nn

Dies ift indeß nicht immer fo geweſen noch ift e8 aller wärts fo. In England herriht noch heut zu Tage eine feitge- fchlofiene philoſophiſche Schule und es würde Einem, der gröbs lich gegen Lie Principien der Bakoniſchen und Locke'ſchen Phi⸗ Iofophie verftößt, fchwer fallen, dafelbft Gehör zu finden. In Deutfchland war ed vor der Epoche von 1781, dem Erfcheinen ber Kritif der reinen Vernunft, ebenfo. Damals herrfchte die Leibnitz⸗Wolff'ſche Philofophie auf allen deutfchen Univerfitäten. Dad Anfehen diefer Schule war eine Macht. Wolff hatte nur einen einzigen bedeutenden Gegner in Deutichland, und dad war Cruſius in Leipzig. Die beiden Baumgarten, der eine in Halle, der andere in Sranffurt an der Ober, waren die Orafel ber Molfffchen Philoſophie. Der Gründer der Aefthetif zog fo viele ' Studirende nah Frankfurt, daß nach dem fiebenjährigen Kriege der Bürgermeifter der Stadt Friedrich den Großen bat, zum Er- fat für die im Kriege erlittenen Drangfale der Univerfität wieder einen Philofophen wie Baumgarten zu geben. Nicht geringer war der Zudrang- zu Darjed in Jena, der Baumgarten’d Nach⸗ folger in Sranffurt wurde, fowie zu Feder in Göttingen und zu Eberhard in Halle. Auf Kathedern und SKanzeln wurde die Wolff'ſche Philofophie verkümbet, in Lehrbüchern und populären Schriften verbreitet. Die ganze Bildung der Nation war durchs brungen von dem Geifte der Leibnigifchen Philofophie, Leffing und Mendelsfohn, Lambert und Tetens, Garve.und Engel war ren Leibnitzianer. Schiller's erfte philofophifche Verſuche waren in Leibnitzens Geifte. Jacobi fing erft an leife an diefer Philo⸗ fophie zu rütteln.

Sa erfchien 1781 die Kritik der reinen Vernunft, und nun beginnt die große Revolution in der Philoſphie. ALS Kant nody als Jüngling zum erften Mat fchriftftellerifch vor dem Publicum auftrat, 34 Jahre vor dem Erfcheinen feiner Kritif, erklärte er, er babe fich die Bahn ſchon vorgezeichnet, die er einzufchlagen

edenfe, und Nichts könne ihn davon abwendig machen. Big in ein hohes Greifenalter hinauf hat er biefe Bahn mit feltener Beharrlichfeit und bewundernswuͤrdiger Geifteöfraft verfolgt. - Das Gefühl des Selbſtdenkers, das jchon Die Seele des Juͤng⸗

160 Recenfionen.

lings erfüllte, bat ihn auf feiner ganzen langen Laufbahn begleitet. | | s Dad Gebäude der Leibnitz⸗Wolff'ſchen Philoſophie ruhte auf zwei großen und einfachen Grundfägen: dem Satze bes Widerſpruchs und dem Sage bed zureichenden Grunded. “Der erftere wurde für das Princip der Xogif, der andere für das Brineip der metaphyfiichen Wahrheiten angeſehen. Die eigent- Jiche Kunft des Philoſophirens beftand dann darin, aus biejen beiven Grundfägen die Wiffefifchaft foftematifch abzuleiten. Iene Grundfäge ſelbſt wurden ohne Weiteres als felbftverftändliche Wahrheiten vorausgejegt.

Kant war fein Spitematifer wie Wolff. - Die Gewalt feined Genies zeigte ſich nicht in fyftematifirender, fondern in analyfirender Thätigfeit. Die Originalität ſeines Geiftes befundete fi) in einer eigenthümlichen Kunft zu philofophiren , einer’ ganz neuen Methode der Nachforſchung nah philofophiicher Wahr⸗ heit. Diefe Methode war ungewohnt und gegen dad alte Her= fommen in der Wiflenfchaft. Sie beftand ihrem Weſen nad) in einer Zergliederung der menſchlichen Erfenntniß. Die Unter» fuchungen Kant’d warfen ein ganz neues Licht auf die Natur der ınetaphyfiichen Erfenntniß und gaben ein ficheres Mittel an die Hand, die Grumbbegriffe und Grundfäpe der Metaphyſik aus⸗ findig zu maden. Beide Wiffenfchaften, die Philoſophie und die Matheinathif, find reine Vernunftwiffenfchaften. Aber un⸗ eachtet ihres gemeinfchaftlichen Urfprungs aus ein» und der⸗ —* Quelle geht die eine von ihnen ſchon ſeit Euklides Zeiten in dem ſicheren Gleiſe einer Wiſſenſchaft fort, während die Phi⸗ fofophie die Bahn noch nicht gefunden hat, auf der fie zu einer feften woiflenfchaftlichen Yorm und Geitaltung gelangen muß. Die Matbematif unterfcheidet fi) nun, wie die Kantifchen Un- luhungen ausweiſen, von der Philofophie nicht blos in der Art der Bearbeitung ihrer Erfenntniffe, fondern in der Art ihrer Erfenntnig ſelbſt. Die mathematische Erfenntnißart ift fpecififch anderer Natur ald die philofophifche, und dieſe Verfchiedenheit der Erfenntnißarten bedingt erft die Verfchiebenheit der Methode in der einen und in ber andern Wiffenfchaft. Die Mathemas tif Tann ſich aus durch die Anfchauung gegebenen Brincipien in der Anfchauung entwideln, während der Philoſophie dieſer Grund und Boden ihrer Erfenntniffe fehlt und fie daher genö⸗— thigt ift, durch eine Kritif ded DVernunftvermögensd (der Duelle, aus der fie entipringt) den Grund und Boden erft zu fuchen, auf dem ihre Erfenntniß wurzelt, und ber in der dunfeln Tiefe unfered Geiftes verborgen liegt. Daher machte Kant die fritis fche Methode zum Geſetz aller Speculation. |

Und nun erft die Refultate diefer neuen Methode! Das

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Erwiderung auf das Meferat des Herrn Michelet x. 161

ftand noch in feinem Compendium weber eines Wolffianerd nod) eined Lockianers. Zweierlei davon war ganz neu und unerhört: einmal das Raͤthſel der Antinomieen nebit dem trandfcendentalen Idealismus, dem Schlüflel zur Auflöfung dieſes NRäthfeld, und dann die vernichtende Kritif der Beweife für das Dafeyn Gottes, in Folge welcher Mendelsſohn Kant den Beinamen. bes Alles Zermalenden gab, Das Ürftere verfegte in eine neue ungewohnte Weltanficht, melche gar bald phantaftiich ausgebeu- tet wurde, Das Andere zerftörte einen alten verfährten Beſitz⸗ ftand, den man ald den philofophifchen Träger ber religiöfen Hoffnungen anzufehen gewohnt war, und es Fonnte bem, ber nicht tiefer in die Sache eindrang, leicht erfcheinen, als ob da⸗ durch ber religiöfen Skepſis Thor und Thür geöffnet fey. Diefe Beforgniß war indeffen nur die Wirkung bed erften Schredeng. Kenntniß der Natur und Anerkennung des moralifchen Werth des Menfchen das ift die Bafld der Kantifchen Speculation, und was auf dem einen Selbe verloren ging die Augficht auf Begründung der religiöfen Ideen das wurde auf dem andern wieder gewonnen.

Man muß bei der durch Kant hervorgerufenen Revolution forgfältig unterfcheiden die innere Umgeftaltung der Wifs fenfhaft und den Außeren Wechſel der Schulen. Denn Diefe Revolution hat in ihrem gefchichtlichen Werlauf zwei ganz verichiedene Seiten: eine rein feientififche und eine ſociale. Die Gefchichte der Tegtern ift die Geſchichte des Kampfes: um die Herrfchaft auf den‘ Kathebern ber beutfchen Univerfitäten.

Der Philoſoph hat eine weſentlich andere Außere Stellung ald der Mathematifer, Aftronom und Phyſiker. Diefer ift ein Glied einer großen einträchtigen Genoffenichaft, die gemeinſchaft⸗ ih an dem großen Bau der Wiffenfchaft arbeitet. Jeder läßt die Arbeit ded Andern gelten, Keiner zerftört das Werf des An- bern. Der Philofoph dagegen hat Etwas von der erclufiven Katur des Seftenftifters an fih. Seine Wiffenfchaft beffgt nicht die zwingende Gewalt der Mathematik. Nicht felten iſt es der Beifall der Menge ober die Gunft der Regierung, worauf fi feine Herrſchaft ſtützt, und die Allianz mit diefen Mächten hängt

oßtentheild nicht von der innern Vortrefflichfeit feiner Lehre, Fonbern von äußern Zufälligfeiten und perfönlichen Verbindungen ab. Der Mathematifer wendet nur die Refultate feiner Wiſſen⸗ fhaft auf die Bepürfniffe des Lebens an. Der Philofopb da⸗ egen geht mit Nüdficht auf feine Alliirten häufig von einem

bürfniß aus und richtet feine Speculation darnad ein. Es ift blos zufällig, daß Fichte, Schelling und Hegel längere Zeit ein jo großes Auffehen erregten. Hätte der Zufall es anders gefügt, fo hätten ftatt ihrer Fried oder Kraufe, Wagner ober

Zeitſchr. ſ. Philof. u. phil. Kritit 32. Banb. 11

162 Hecenfionen.

Efchenmayer eine ähnliche Role fpielen koͤnnen. As Herr von Zach die von Gauß berechneten Elemente der Bahn der Ceres befannt machte, nahmen anfangs die Aftronomen biejelben nicht ohne Miptrauen und ffeptifches Berenfen auf. Und das hatte feinen guten Grund. Die damald befannten Methoden der Bahnbeftimmung eines Himmelsförperd reichten für die wer nigen von Piazzi angeftellten Beobachtungen nicht aus und an- dere Methoden fannte man nicht. Als aber Gauß feine neue Methode in feiner Theoria motus befannt machte, da nahmen alle Aftronomen dieſelbe voll Zuverficht und Weberzeugung an und dad aus innern Gründen und nit auf äußere Ans preifung hin. Oanz andere Mittel aber find ed, durch welche die Häupter der philofophifchen Schulen unter und Anerfennung und Gehör gefunden haben, Denn wenn ıman unparteiiich bie Geſchichte befrägt, fo wird man finden, daß dies nicht fowohl duch ihre eigenen Werfe als durch die Sournaliftif gefchehen iſt. Es ift eine allbefannte Thatfache, daß die Kantiſche Philos fophie erft dann Anfehen und Anerfennng erlangte, ald ſich die Jenaiſche Literaturzeitung zu ihrem Organ machte. Reinhold dem eltern ftand Wieland's Merfur offen. Fichte ſelbſt redi⸗ girte mit Niethammer zufammen ein philofophiiches Sournal, durch das er fich Geltung zu geben verſuchte. Schelling war durch den Bund mit den beiden Schlegel und ihren Genofjen ſehr vortheilhaft Literarifch verfichert und Hegel hatte das feltene Glück, daß feine Philofophie in Preußen eine Zeit lang Schul zwang wurde. Andere, die wie Fried nicht zu den literarijch BVerficherten gehörten, wurden gar bald für verjchollen oder über» wunden erklärt. Man würde ſich indeß fehr täufchen, wollte man, wie ed fo häufig geichieht, das Außere Schickſal einer phi« Iofophifchen Lehre zum Mapftab ihrer. innern Wahrheit nehmen oder wollte man glauben, daß irgend ein Philoſophem der Wahrs heit näher gefommen fey als ein andere® blos darum, weil e8 jpäter entftanden ift als dieſes. Die Gefchichte der nachkantifchen Philoſophie in Deutfchland wird eine ganz andere, je nachdem man fie aus dem Gefichtöpuncte der Sortbildung der. Wiſſen⸗ haft oder aus dem Gefichtöpuncte des Außern Schidjald der einzelnen Lehren erzählt. Es hat fich Schon durch F. H. Iacobi die Sage gebildet, daß bie Philoſopheme von Fichte, Schelling und Der ftetige und confequente Entwidelungen der Kantifchen Philojophie ſeyen. Diefe Sage ift völlig grundlos. Unterfucht man die Sache genauer, fo wird man finden, daß bie Lehren jener Männer, dem Leben ber kritiſchen Bhilofophie felbft fremd, nichts Anderes ald überwuchernde Parafiten find, die ſich auf {hr angelegt und dad Gedeihen der Mutterpflange der kriti⸗ fchen Nhilofophie verfümmert haben. Die kritiſche Philoſo⸗

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Erwiderung auf das Neferat des Herrn Michelet ꝛc. | 163

phie felbft Hat nach Prineip und Methode einen weſentlich ans

deren Charakter als jene ihre angeblichen Kinder.

AS Kant die Auctorität von Leibnig und Wolff vernichtete und die Feflel ver Schule fprengte, da gefchah auch hier, was bei denn Umfturz einer beftehenden Herrfchaft immer zu gefchehen pflegt. Zuerft ergriff Beftürzung und Verwirrung die Menge und aus der Gährung tauchten dann fede jugendliche Geifter auf, PR fich der verlaffenen Zügel der Regierung zu bemaͤchti⸗

en juchten. g K. L. Reinhold war noch Verkuͤnder der Kantiſchen Lehre, aber Fichte ging ſchon ſeinen eigenen Weg. Wie viel oder wie wenig ſeine Wiſſenſchaftslehre mit Kant's Kritik der Vernunft zu theilen bat, kann Jedermann aus der Erklärung ſehen, vie Kant ſelbſt darüber abgegeben hat. Seiner Spur folgten zwei Männer, welche die neoplatonifche Luft, die zu Zeiten in ven Tübinger Stift weht, geathmet hatten: Schelling und Hegel. Jena war ber Heerd der neuen Philoſophie und Jena war ge- wiflermaßen audy die Geburtöftätte der Romantik, Hier fanden ſich die Schlegel, Novalis und Lie mit Fichte, Schelling und Hegel zuſammen. Hier vereinigten fi die Kraftgenies in ihrem jugendlichen Mebermuthe zu dem gemeinfamen Werke, die Zukunft der Welt ganz neu zu geftalten. Da es ihnen aber an der eigenen genialen Erfindungdfraft eined Goethe und Schil- fer fehlte, fo ging ihr Beſtreben dahin, das Alte in neuer Ge⸗ ftalt zurüdzuführen. Abwendung von der Wirflichfeit und Ge⸗ genwart, bunfle Erinnerung der Vergangenheit war ihr Lebens» element. Man wählte in den Myfterien der Inder und Aegyp⸗ ter, in der fchlüpfrigen Symbolif des Orients, man liebäugelte mit dem Mariendienft. Dazu Fam der widerwärtige Unfug ber Komantifer in der Literatur. Die Bolemif des Athenaͤums nahm einen gehäfftgen, giftigen und groben perfönlichen Ton an, ber wiberlich abfticht gegen die großartige auf die Sache gerichtete Polemik Leſſing's. Man hatte nicht wie biefer eine gerechte Sache zu vertheidigen, fondern man griff an und man griff Alles an, was nicht zur Partei gehörte. Man griff nicht mit Gründen, fondern mit Hohn und Spott an. Man wollte nicht wie Lefling aufflären und erleuchten, fondern einfchüchtern und terrorifiren. Das Mittel wirkte auf die blinde Menge. Was aber waren bie Früchte diefer neuen Titerarifchen Bewe⸗ gung? Dan verlor ſich in Wiffenfchaft und Kunft in Tändeleien, man trieb ein leered Epiel mit Formen und Begriffen, während man den Sinn und die Achtung für den Ernft und die Würde der Wiffenfchaft und Kunft untergrub. Man pfropfte romanifche Formen ber Dichtung widernatürlich der deutichen Sprache auf und erfchwerte unnöthiger Weiſe die Dichtung durch Schwierigkeit

164 Recenfionen. Erwider. auf d. Ref. d. Hrn. Miche let x.

ber Außern Form. Man fcheute fih.nicht, der Künftlichkeit: der Torm den Inhalt zum Opfer zu bringen. Im myſtiſcher Vers ſchwommenheit wurde Irdiſches und Himmliſches, Menfchliches und Göttliches, Endlicyes und Ewiges, Alles zufammen in Einen Topf geworfen. Einer folchen äfthetifchen Literatur mußte eine Philoſophie recht gelegen kommen, die ſich vermag, alle Schran= fen nieberzureißen, die zwifchen ber Welt des Endlichen und Ewi« gen auferbaut waren, die die Grenzen aller menichlichen Er⸗ fenntniß ftolz überflog und ſich damit brüftete, im Beſitz des ab- foluten Willens zu ſeyn. Eine folhe Philoſophie jchien der Romantif aus der Noth helfen zu können und fie verfuchte ihr auch dieſen Dienft zu leiften. Aber mit. welchen Opfern mußte diefer Dienft erfauft werden! Logif und Sprache, Matbematif und Erfahrungswiflenfchaften mußten aufgeopfert werden. Schon Wilhelm v Humboldt, der tiefe Kenner der Sprachen, fagte mit bitteret Ironie, bei Hegel ſey die Sprache noch nicht zum Durchbruch gefommen. Was würde Leifing gelagt haben, wenn er dad Kauderwelich der Hegelianer gehört hätte Wir haben aus dem Munde von Hegelianern vernommen: der Schall fey die Negation der Luft, der Teufel bie concrete Angſt Gottes. Wir haben definiren hören: „Liebe ift die Ipentität der Tota⸗ lität eines Theild des unenhlichen Ganzen gemiſcht mit Garni» tät und arität, denn Ich und Du ift Er und Er ift die Liebe. * Das ift wie Hudibrad aus Sand einen Strid drehen wollen: Ariftoteles fagt irgendwo vom Antifthenes, dem Eynifer, ber Menſch ſey fo unwiſſend gewefen, daß er nicht einmal die Form des Urtheild ‚gefannt und gewußt habe, daß jedes Urtheil ein Subject haben müſſe. Man darf ed kaum wagen auszufprechen und dennoch ift es wahr, daß diefer Vorwurf des Ariftoteles auch berühmte Philofophen der neuern Zeit trifft, die die Prins - eipien ihrer Philoſophie in bloßen Bergleichungsformeln von Begriffen und nicht in UÜrtheilen audgebrüdt haben. Denn wenn ih fage: Endlichkeit ift Ewigfeit, Breiheit ift Nothwendigkeit, Seyn ift Nichts, wo ift denn da ein Subject? Es ift bemer- kenswerth, daß die größten Irrthümer in der. Philoſophie meift nicht wie bei andern Wiſſenſchaften in fchwierigen und verwidels ten Combinationen, fondern in den einfachften Elementen fteden. Aber eben darum find fie auch von fo weitgreifenden Folgen. Das Letztere ift fehr natürlich! Wenn das Fundament fchief fteht,, fo fteht da® ganze Gebäude fchief, und wenn der Grund nicht hält, fo wird aud) dad Haus baufällig. Und ein foldyes

Baus it „das SHeiligthum der Philofophie”, welches Herr

ichelet vor mir zu verfchließen die edle Abſicht hat.

Drud von &b. Heynemann in Halle.

Schelling’s Philofopbie der Mythologie. Bon J. €. Erdmann. Ä

Würden die Borlefungen über Bhilofophie der Mythologie, welche der zweite Band von Schelling’® nach⸗ gelaffenen Werfen und bringt, fich an die beiden PBartien, in welche bie Einleitung in die Mythologie zerfiel, ganz gleichmäßig anfchließen, fo hätte ber Ref. Bedenken getragen, biefelben in diefer Zeitfchrift zu befprechen, Ueber die philo- ſophiſche Einleitung, wie im Gegenfab zur .hiftorifch > fri- tifchen die vierzehn letzten WBorlefungen bed erften Bandes ‚überfchrieben worden find, hat derfelbe eine eigne Brofchüre (Leber Schelling, Halle, 1857) veröffentlicht. Vorauszuſetzen, daß die Leſer dieſer Zeitſchrift dieſelbe kennen, wäre eine Anmaßung ge⸗ weſen. Und wieder, noch einmal ſagen was dort geſagt wurde, hieß ſich ſelbſt und diejenigen Leſer der Zeitſchrift langweilen, die jenes Heftchen wirklich geleſen hatten. Dieſem Dilemma bin ich dadurch enthoben, daß dem vorliegenden Bande nur das zum Anknuͤpfungspuncte dient, was in ber hiſtoriſch-kritiſchen Einleitung entwickelt war, d. h. das, worüber in dieſer ſelben Zeitfchrift (Bd. 29. p. 144. ff.) von demſelben Ref. berichtet worden ift, und worauf eben. beshalb ohne Bedenken, fo weit dies nöthig, verwiefen werben barf.

Bon den zwei Büchern, in welche auch bier der Stoff zers fallt ift, behandelt das erfte (Vorl. 1—6) den Monotheis- mus. Für baffelbe ftanden dem Herausgeber außer den neuern Handfchriften auch noch ältere zu Gebote. Er hat ſich natür- lich an die erfteren gehalten, um fo mehr als unter dieſen eine vom Verfaſſer felbft dazu bezeichnet war, und nur in Form von Anmerkungen ift Einiges aus älteren Heften herüber genommen. Die hiftorifch > Eritifche Einleitung hatte zwei Puncte feſtgeſtellt (ſ. Zeitfchr. a. a. O. p. 152 154), naͤmlich erftlich, daß bie Mythologie ein theogonifcher Proceß im Vewußtſeyn ſey, deſſen

Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritik. 32. Band.

166 J. Erdmann,

dieſes fich nicht zu erwehren vermag, zweitens aber, daß dieſem Proceß vorausgefegt werden müfle eine fubftanzielle Einheit des Menſchen mit Gott, in welcher der Menſch Gott fegt gleichfam als eine in Ihn verzüdte Nattir. Da in diefem (fubftanziellen) Monotheismus, den das Bewußtſein nicht loswerden Fann, ber

Grund des theogoniichen Proceſſes liegen muß, fo iſt die Un⸗

terfuchung- über den Monotheisnus überhaupt ber eigentliche Schlüffel zur Mythologie; nur durd fie kann erfannt werten, wie ein theogonifcher Proceß überhaupt, und dann weiter, wie ein folcher im Bewußtfeyn denkbar if. Beides aber muß man wifien, ehe man die Wirblichfeit dieſes ‘Proceffes, d. h. die wirf- liche Mythologie begreifen kann. Die Antwort, welche unferer Trage nach dem Was ober dem Inhalte des Monotheismus zuerft begegnet, daß nach ihm außer Gott fein anderer Bott fey, ift eine Tautologie, da, wenn man Gott denkt, freilich Fein anderer Gott gedacht werden fann, indem dadurch ja Gott zu einem Gott werben würde, Diefe Antwort ift aber zweitens auch ilkuforifch, indem fie ihre eigentliche Meinung verbirgt. Denn da die Einzigfeit zu einem Prädicate Gotted gemacht wird, welches ibm natura, d. h. vor allem Thum, zukomme, fo ift eigentlich bie Anficht dieſe: daß außer Gott nicht nur Fein anderer Gott, ſondern überhaupt nichts Anderes eriftirt, denn dies wäre ja nur eine Folge Seines Thund Dann aber tft, was für Monotheismus ausgegeben wird, auch nur das, was am Beften Theismus genannt wird, und dad eigentlich fpecififche was das Wefen des Monotheig- mus ausmacht, ift ganz überfehen, nämlich der Unterfchied zwi⸗ hen der abjoluten Einzigfeit Gottes und der Einzigfeit Gottes als ſolchen. Soll Gott, wie doch der Monotheismus will, fo gefaßt werden, bag Er fein Gleiches hat, fo ift Er nicht zu denfen als (wie Anderes) an dem Seyn Theil habend; alfo nicht als ein Seyn, fondern vielmehr ald dad Seyende ſelbſt. Damit aber hat man erft nur hen Vorbegriff Gottes. Denn wäre Gott nichts, als das Seyenbe, fo wäre von einem einzigfeyenden Gotte zu reden. eben fo abſurd, als wollte man

Schelling's Philoſophie der Mythologte. 167 |

das Rothe felbft das einzige Rothe nennen, und an dem Prä- diente der Einzigfeit hielt doch der Monotheismus. Viel⸗ mehr muß die Sache fo gefaßt werben, daß zwar nur das, wel- bed das Seyende felbft ift, Gott feyn Fann, daß alfo das Seyende felbft zu ſeyn die Clogiiche) Materie der Gottheit bil det, ohne welche es an Stoff zu einem Gott fehlen würde, daß aber dazu noch ein Anderes hinzukommen muß, eine Beftims mung, wodurch diefed Seynde eben ber einzige Gott iſt. Diefe hinzufommende Beftimmung kann ferner nicht eine feyn, die ſich als nothwendige Folgerung daraus ergiebt, vaß Bott das Seyende iſt, denn da waͤre es unbegreiflich, wie die Einzigkeit Gottes erſt in Folge des Chriſtenthums allgemeine Anerkennung finden konnte; vielmehr wenn, wie im Monotheismus, die Einzigkeit Gottes ein Dogma ift, d. h. eine Behauptung, bie, wie jede folche, nur etwas Factifches betreffen kann und nicht ein Selbft- verftändliches, fo muß. auch über dieſe nothwendige Einzigfeit Gottes, welche abjolute genannt werben kann, da ja ber Grund, Daß fein Stoff für einen anderen Gott da fey, nicht nur einen anderen Gott, fondern jedes Andere für unmöglich erklärt, uͤber biefe muß hinausgegangen werben zu der Einzigfeit Gottes ale folden, mit der man erſt Monotheismus hätte, Die Res ftriction nämlih und Verneinnng, die in dem Dogma beflelben enthalten ift, trifft nicht Die Mehrheit überhaupt, fondern nur die Mehrheit von Göttern wird negirt, wie es denn auch cha- rafteriftifch if, baß an ber capitalen Stelle’ im Deuteron. nicht gelagt wird: Jehovah unfer Gott ift Einer, fondern: Ein Jehovah oder Ein Gott. Daß aber mit dem Monotheismus eine Mehrheit, zwar nicht von Göttern, aber immer eine Mehr- beit,- vereinbar ift, daß Gott, der ald Gott freilich. einzig, in anderer Hinficht Mehrere ift, die wird deutlich, wenn man ben Uebergang genauer betrachtet, für weldyen der gefundene Begriff bes Seyenden felbft den Ausgang bildet. Iſt damit, daß Gott dad Seyenbe felbft ift, allen Anderen ber Stoff des Exiſtirens abgeiprochen, fo ift Gott allein: die Macht zu exiftiren, und zu⸗ nächſt liegt m dem Gefagten nur, daß Gott bie allgemeine

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168 3€ Erdmann,

potentia existendi if, dad was feyn wird, wie von ihm im A. T. gefagt wird; das unmitttlbar feyn fönnende. Da hieraus folgt, daß alles Seyn nur dad Seyn Gottes ift, fo hat man die ausgefprochene Behauptung Pantheismusd genannt, anftatt zu fagen, daß darin nur das Princip des Pantheismus ent» halten if. Nämlich nicht darin befteht der Pantheismus, daß man behauptet, alles Senn fey nur das Seyn Gotted, denn dies kann Niemand leugnen, und weder Vernunft nody Gefühl laſſen fich dieſen Gedanken rauben, tem alle Herzen fchlagen, dem audy der Spinozismus feine Gewalt gerade über die tieferen Gemüther dankt; fondern das Eigenthümliche und der Mangel bes Vantheismus befteht darin, daß er Gott ein blindes Seyn zufchreibt, in dem Er ohne feinen Willen, und Seiner Freiheit beraubt, ift. Dazu aber kommt der Pantheismus, indem er die unmittelbare potentia existendi, als die auch wir Gott beftim« men mäüflen, und die, wie jeded Können, ein (ruhiges) Wollen ift, unmittelbar in die Eriftenz treten läßt, woburd fie zu bloßem Objecte wird, aufhört Wille zu feyn, und fo ein 2Eioraueror, außer ſich Geſetztes, nicht mehr ſich Beſttzendes ift, ber welches nun das vor demfelben zu Denkende (Gott an und vor fih) vergeflen wird. Der wahre Monotheismus, welcher ven Bantbeismus nicht fürdhtet, ſondern überwindet, bfeibt nicht bei dem willenlojen Ungeifte befielben fichn, ſondern erfennt, daß ed.dem ind Seyn ſich erheben Könnenden natürlich ift, ſich bins auszuwenden ins ungsttlidhe, ja gegengöttliche Cblinde) Seyn, aber nicht um darin zu bleiben, fondern um es nicht zu feyn, um onrch die Negation des Lingeiftes fich als Geift zu fegen. Kennt man jene Potenz ded unmittelbaren Seyns in Gott bie Natur in ihm, fo wird Er durch die Negation beffen, was er merd natura, bloß natürlicher Weile wäre, zum Uebernatürs lichen. Bezeichnet man nun dad Moment des reinen Seyn⸗ Könnens mit 1, des reinen Seyns (ohne alled Können) mit 23, fo würbe ber Monotheismus 12 behaupten, natürlicy heißt dies nicht : zwei Götter, fondern eine Zweiheit in dem einzigen Gott. Die beiden bisher entwidelten Momente (man

Schelling's Philofophie der Mythologie. 169

fann fie, da fie die Möglichkeiten bes göttlichen Seyns find, Potenzen.befielden nennen und anftatt, wie oben, mit Zahlen auch als —A und A bezeichnen) bilden einen Gegenfag, indem das eine bloße® Subject (alfo, da es fonft auch Object wäre, Subject des zweiten), dieſes wieder aus bemfelben Grunde bloß Object des erften, fened ohne Seyn, biefes ohne Macht ift, jenes das Selbftifch-feyn-, dieſes das fich nicht Berfagen » küns nende, jened Mangel, dieſes Ueberfluß. In Eeinem von beiden ift, wad wir wollen: Iautere Macht, Die als folche fenend ift, Subject, das als folches, und ohne daß es aufhört Subject zu feyn, Object if. Da unmittelbar fich beide ausfchließen, fo fann man foldye Einheit nur in ein von ihnen ausgeſchloſſenes Drittes feben, dem wir die anderen beiden vorausſetzen. Dieſes +A wäre dad Bei fi DBleibende, indem barin dad An ſich und Außer ſich feyn vereinigt wäre. Hier an diefer dritten Stelle haben wir erft Solches, welches dem Seyn nicht verhaftet, ſon⸗ dern im Seyn frei vom Senn ift, weil es die Macht blieb zu feyn ober nicht zu feyn. Für dieſes fich felbft Beſitzende haben wir Fein anbered Wort als Geift, und er bildet alfo die dritte „Potenz , zu der wir nur gelangen, indem wir von dem ewigen Anfange (— A) durd) das ewige Mittel (+A) zu dem ewigen Ende fortfchreiten. Alle diefe Momente conftituiren den Begriff des göttlichen Seyns, aber nur feinen Begriff. Das heißt, wenn Gott ift, fo ift er der nur in biefen Formen feyn koͤnnende, denn fte find die Formen und Principe ded Seyns, fo daß in . ihnen als den Urpotenzen alles Seyns bie ganze Logik wie die ganze Metaphyſik liegt. Darüber, daß Gott ift, ift durch dieſe Entwicklung Nichts entſchieden, wohl aber, für den Sal, daß wir zu der Wirklichkeit Gotted gelangten, daß es in Seiner Natur liegt, daß die unmittelbare Potenz des Seynd (—A) bie zur Berborgenheit beftimmte, höchftend durch ben Willen of fenbar feyn koͤnnende, ift u. ſ. w. Damit aber, daß Gott alle biefe Formen, nicht nur eine berfelben für ſich, ift, damit iſt auch fein Begriff des AU-Einen gefunden, weldyer von bem Gotteöbegriffe des Pantheismus dadurch unterichieden ift, dag

170 J. E. Erdmann,

er nicht, wie dieſer, eine Potenz mit Ausſchluß der anderen ans erfennt, ſondern vielmehr fie alle einſchließt. Die entwidelte Mehrheit, die feine Vielheit ift, weil zu dieſer mehrere gehören, bie unter einen gleichen Gattungsbegriff fallen, während, Die Potenzen gerade die höchiten Gattungen find, unterſcheidet ben Monotheismus vom Pantheismus; noch mehr aber von dem ſchaalen Theismus, von dem, als dem unbeftlimmten und lee⸗ ren, jene beiden fich fo unterfcheiden, daß ſie vor ihm die Alt- heit voraushaben, indem ſie Gott ald den all- einigen faſſen. Nur bleibt der Pantheismus bei der fubftanziellen AU + einigfeit ftehen, während im Monotheismus als dem übermwundenen oder latent gewordenen Pantheismus, dieſelbe pofitio und lebendig genommen wird. In ber höchſten Form des Monotheidmug, der chriftlichen Religion, wird die All-einigfeit als Dreieinigfeit gefaßt. ‚Nicht diefe Lehre felbft, wohl aber ihre Wurzel iſt in dem bisher entwidelten Monotheismus, d. h. in der Potenzen- iehre enthalten. Der Monstbheismus aber, welcher bis jebt entwidelt worden, ift nur Monotheismus als Begriff, nicht als Dogma. Das heißt: es iſt erfannt, daß wenn Gott wirklid fl, er nur in diefer zum Voraus beftimmten Weife feyn kann, bie Srage aber, ob er wirklich ift, und wie er in ber befchric- been Weife ſeyn kann, ift noch gar nicht beantwortet. Auch ergiebt das bisher Enwickelte diefe Antwort nicht, kenn in die⸗ fem iſt nur gefunden, worin dad Weſen Gottes und der Po⸗ tenzen, deren Einheit Gott if, befteht. Damit fie (und Er) wirklich, activ, feyen, muß alfo erftlich dad Moment A, deſ—⸗ fen Natur ed war, nicht feyend zu feyn, wirklich als nicht fegend gefeßt werben, der Actus aber, durch welchen dieſes ges fchieht, fegt wieder voraus, daß zuvor es als ſeyend gefegt wor⸗ ben ift, denn nur ſolches was ift, kann ald nicht feyend ges fest werden. Wenn nun aber offenbar die Natur Oottes es nicht feyn fann, wodurch ed als feyend geſetzt wird, -indem es vermöge biefer gerade nicht das Seyende ift, fo bleibt nur übrig, daß es durch göttlichen Willen, durch göttliche That als ſeyend gefept iſt. Gefchicht es, fo natürlich nicht um als feyend

Schelling's Philoſophie der Mythologie. 171

zu bleiben, denn das wäre ja gegen die Ratur und dad Wer fen des Alls einigen Gottes, fontern wenn dad, was feinem Wer - fen nad Können, d. h. ruhender Wille war, gegen fein We⸗ fen zu einem Wollen wird (ed fann dann Un wille ge⸗ nannt werden, fo wie Unthat eine That bedeutet, die nicht g⸗ than werben follte) fo wird es in feinen Potenzzuſtand zu⸗ rüdgedrängt werden, überwunden werden müffen. Diefe Ueber: windung nun erleidet e8 von dem zweiten Brincipe, dem +A, welches, ſobald jenes erfte aufgehört hat, Subject des zweiten zu fern, felbfiftändig wird, um das erfte feined Seyns wieder zu entjegen. Bezeichnet man, wie das geichehen war, bie Prin⸗ eipien mit A, fo ift jebt, was urſpruͤnglich nicht Potenz ober Macht geweien war, fonbern potenzlofes blindes Seyn, hier an zweiter Stelle zur ‘Potenz geworben, und Fann daher mit A? bes zeichnet werten; ihm gegenüber kann, was unmittelbar Potenz war, A! genannt werben, wenn e8 nicht worzuziehn wäre, ihm, da jebt feine Natur geändert ift, das Zeichen B beizulegen. In diefem Proceß, in welchem alfo durch göttlichen Wil⸗ len das, welches beftimmt ift, das nicht Seynde zu feyn, activ wird, damit ed von dem, weldied dad rein Seyende, jebt aber in feinem Seyn gehemmt iſt, negirt und - zur Erfpiration gebracht werde, werben beide zum Sig und Thron jenes Hoͤchſten, welches mit bezeichnet werben -fann, dem ſich felbft befigenden Geifte, dem unzertrennlichen Subject « Object. Diefer Proceß, in welchem alſo aus —A,+A und +A, A! (B),.A? und Aꝰ geworben ift, iſt die Erzeugung des göttlihen Seyns, alfo theogonifcher Proceß, denn wie ver Be- griff Gottes jene erften drei Momente enthielt, iſt der wirf- liche Gott nicht etwa nur Geift (A3), fondern die unauflös- liche Einheit von B, A?, A3, In biefem Proceß hat ſich die Stellung der Potenzen umgeftelt, und daher ‚zeigt er bie Vers ftellung, Ironie, Gottes, , in ‚welcher die Botenzen zu dem heraus + ober umgekehrten Einen geworben find,. zum Univerjum. (d. h. unum versum), unter dem hier. natürlich, nicht Dad materielle, aus conereten - Dingen beftehende Univerfum zu verftehen. iſt.

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172 % Erdmann,

Das Wunder der Umftellung ber Potenzen, durch welches eine von Gott verfchiedene Welt da ift (denn die Potenzen in ihrer Spannung find nicht mehr Gott), erklaͤrt auch dad Geheimnig bes göttlichen Scynd und Lebend. Es ift die Suspenfion bed göttlichen Weſens, in der ſich die Spannung zeigt. Der Be griff des theogonifchen Proceſſes aber erklärt auch, wie der Mos notheismus als Dogma, d. h. ald eine, anderen möglichen ents

gegengefefeßte Behauptung möglich if. Daß Gott ber ein⸗

zige Gott ift, wäre ſelbſtwerſtaͤndlich, alſo kein Dogma, werng außer Gott gar nichts Anderes exiftirte. Daß er ber einzige wahre Gott ift, dies wieder hat nur dann den Sinn eined Dogma, wenn es fcheinbare Götter gibt, alfo Solches, was ald Gott gedacht werden kann. Solches find nun bie Potenzen (Elohim), die ald innere Gott feyn würben, ald Außere zwar nicht Gott find, aber.eben fo wenig concrete Dinge, und darum, weil fie nicht der wahre Gott, aber auch nicht ſchlechterdings Nicht Gott, als. herrfchende Mächte, d. h. Götter, gelten Fönnen. Während dem Polytheismus die in Spannung gelegten. Boten- zen als Götter gelten, hält der Monotheismus im Gegenfat dazu die überfubftanzielle Einheit feft, als welche Gott im Un- terichiede von den Potenzen, welche. den Inhalt (die Materie oder Subftanz) feines Wefens bilden, fich, indem er fie in Spans nung febt, behauptet, Nur in viefem Gegenfas zum Polytheis⸗ mus ift der Monotheißmus ald Dogma. Die Frage darum, wie er als folcher möglich ift, fallt zufammen mit dem nach ber Möglichkeit der Mythologie. Es handelt ſich fchlieglich

(Borlef. 6) darum, zu zeigen, wie ber Monotheismus fowohl ald die - |

Mythologie, deren Vereinbarkeit mit dem Begriffe Gotted bis jegt

nachgewieſen worden ift, ſich im menfchlichen Bewußtſeyn geftal-

ten, und demgemäß die Stage zu beantworten: Hat der Monotheis⸗

mus ein urfprüngliches Verhältniß zum menſchlichen Bewußtfeyn?

Da Gott auch ohne den Broceß der universio fi) ald den unüber- windlichen AU »Einen weiß, fo hätte ver Entſchluß, in den Proceß hineinzutreten, in welchem die Botenzen in Spannung find, wenn Gott nur fein eigenes Seyn bezwerkte, gar fein Reſultat. Der Zweck

Schelling's Philofophie der Mythologie. 173

deſſelben muß alfo außer Gott liegen, in einem folchen, das nur durch einen folchen Proceß entftehen kann; biefes nun ift das Gefchöpf und darum ift der betrachtete theogontfche Proceß zugleich, zwar nicht die im ber pofltiven ‘Philofophie zu be⸗ trachtende Schöpfungsthat, wohl aber ber Proceß ber Schö- pfung. Da e8 in diefem Proceß eigentlich und allenblich zu thun ift um das Bemwußtfeyn, dieſes aber die einzelnen Mos mente des Proceſſes nicht unterfcheiden würde, wenn bie Leber» windung der Unterlage (B) in einem Ru geſchaͤhe, To zeigt fich ber Proceß als ein fucceffiver, und bie einzelnen Stufen ber Heberwindung find in den Dingen zu erfennen, deren jebed eben darum ein concretes iſt, d. h. ein folches, in dem bie Thä- tigkeit aller drei Potenzen zufammengewachfen if. Während in den Dingen die Einheit. derfelben verfchoben iſt, erfcheint fte da⸗ gegen im Ziele der Schöpfung, dem (urfprünglichen) Menfchen, ber weſentlich nur Bewußtſeyn ift, als zu ihrer Beflimmung zurüdgebradht. Der Menſch ift deshalb nicht nur ein Schein der Gottheit, fondern die verwirflichte Gottheit, ber gefchaffene Gott, Gott in creatürlicher Geftalt. Auch in dem menfchlichen Bewußtſeyn bildet jened B die Subſtanz oder Grundlage, nur ift es in ihm wieber in ben Botenzzuftand zurückgebracht. War nun aber biefes Moment, wie ed aus dem Seynfönnen heraus⸗ trat, das Gott Aufhebende, fo ift ed, indem es in feine ur- fprüngliche Stellung zurüdgebracht wird, dad Gott wieder Ses gende. Seiner Subftanz nad) alſo ift dad Bewußtfeyn Gott fegend, und nicht ber Atheismus, fondern das Gott sfeken ift als fein primitiser Zuftand anzufehen. Freilich eben fo wenig wie ber Atheismus ein bewußter Monotheismus. Sondern zwilchen jenem fubftanziellen Gott Segen ohne Wiffen und Wol;

- Ien, und biefem bewußten Gott ald AU -Einen Segen, liegt bie

Bewegung ded mythologifchen Proceſſes, dem alfo das Gott Berhaftetfeyn vorausgeht, und in welddem darum ver erfte Schritt nicht fowohl ein Suchen Gottes ift, als vielmehr eine Entfernung von ihm. Das Bewußtſeyn hat Gott a priori, db. 5. vor aller Bewegung weſentlich an fih, nicht als einen

174 J. E. Erdmann,

Gegenſtand vor ſich. Die Moͤglichkeit einer ſolchen neuen Be⸗ wegung liegt darin, daß das wieder zu A gewordene B, eben weil es dies, weder B noch auch bloßes A iſt, ſondern gleichſam ein Mittleres zwiſchen beiden und ein von beiden Freies, daß, weil ed B ald Potenz in ſich bat, es baflelbe auch wieder in Wirkung fegen, in fich erheben kann. Thut es dies, fo entſteht ein Proceß, der nur infofern cin fubjectiver genannt werben darf, als er im Bewußtfeyn Statt findet, der aber objectiv ift, indem das Bewußtſeyn nichts über ihn vermag, da die das Be⸗ wußtfeyn conftituirenden Mächte ihn erzeugen und unterkalten. Da diefe diefelben find, welche ven theogonifchen und Schöpfungss proceß vermittelten, fo ift es erklärlih, daB ein Parallelismus Statt findet zwifchen den Stufen ber Raturpotenzen und den mythologiſchen Vorftellungen, ohne daß man deshalb annehmen- müßte, daß bie Mythologie von Naturkfundigen geinacht wäre. Sie ift überhaupt nicht mit Bewußtfeyn gemacht, fondern, ob⸗ gleich Bolge einer That des Bewußtſeyns, geht der mythologis ſche Proceß als ein natürlicher, deffen ſich das Bewußtſeyn nicht erwehren kann, in ihm vor. Eben deswegen haben auch die mythologiſchen Vorſtellungen für dad Bewußtſeyn Realität, und nicht nur für das in der Mythologie befangene Bewußtſeyn, fondern auch für und. Denn wir willen, es find wirkliche Mächte, welche in der Mythologie Gewalt über das Bewußt⸗ ſeyn befommen. Da es aber die Mächte find, welche in ber: Ratur, namentlich in dem Sclußpuncte berfelben, dem Men⸗ chen, zur Ruhe gefommen find, und welche nun in. ber Mythos fogie in einem neuen Proceß fich zeigen, fo verhalten ſich die mythologifchen Borftellungen zu denen, welche aus dem wirklichen Bewußtſeyn hervorgehen, gerade wie urmeltliche Geſtalten zu den gegenwärtigen. Es find darum nicht Gegenftände, der wirk⸗ lichen Natur, die der Menfch verehrt, fondern über ‚oder außer⸗ oder vornatürliche Mächte, die in der -Außeren Ratur gebunden und beftegt, jegt im Bewußtſeyn wieder Gewalt erhalten. Mit diefem Refultate aber find auch die Aufgaben gelöft, welche die Unterfuchung über den Monotheismus fich geſtellt bake, und

Schelling's Philoſophie der Mythologie. 175

indem in dem, nicht bewußten, fondern ivefentlichen Gott » Segen, diefem nur erlebten, nicht bemußten Monotheismus der Ur⸗ fprung der Mythologie nachgewiefen ift, kann num zu der Be trachtung diefer übergegangen werben,

Fuͤr das zweite Buch (Vorl. 7 29), die Mythologie, lag ten SHerauögebern ein fortlaufentes, in einzelnen Theilen aber doppelt ausgearbeiteted neuered Hauptmanufeript vor. Ein älteres ward nur für die darin niedergelegten Citate benupt, und außerdem als Anhang eine im 3. 1833 im Kunftblatt er- fehienene Abhandlung über ein Wandgemälde in Pompeji nebft einem Umriß deſſelben Hinzugefügt. Nachdem zuerft (Vorl. 7. p- 135 151) mit Nachdruck darauf hingewiefen worken, daß es fich bei einer Philoſophie der Mythologie nicht da han: delt, die Mythologie einem fonft fchon fertigen Syfteme anzu= paſſen, fonbern vielmehr darum, eine Philvfophie aufzuftellen, welche die gefchichtläh vorliegende Mytholdogie erflärt, und daß eben deswegen auch die mythologifche Sprache wicht als eine Bildliche, fondern ald ganz nothwendig, gerechtfertigt werben muͤſſe, wird auf das zurüdgegangen, was die Unterfuchung über ben Monotheismus zum Refultate gehabt hatte: Indem in dem Bewußiſeyn, oder dem urfprünglichen Menfihen, jenes Seyn⸗ Fönnende, dad in der ganzen Ratur außer ſich (B) war, zu ſich ſelbſt wieder gebracht ift, ift der Menfcd das bed Seynkönnend _ Mächtige; damit aber ift in ihm ein Zweifached enthalten: Ein- mal das, deffen er mächtig ift, deſſen wirkliches Außer fich ſeyn zwar aufgehört hat, welches aber doch die Möglichkeit des Anderd - (Außer ſich⸗) ſeyns geblieben tft; zweitens das, wels des des Andern mächtig ift, der Wille, welcher, wenn er ſich zu jener Möglichkeit fchlägt, ein neues Heraustreten und eine neue Bewegung bewirken wird. (Da jenes erftere Moment für fi) nichts vermag, unfruchtbar if, fo fann ed nicht nur, «8 muß als bloße Weiblichkeit, und eben fo muß der Wille als Maͤnnlichkeit gedacht werben). Wenn der Wille dies thut. Das er es tut, hat feinen Grund darin, daß das höchſte über allem fihwebende Weltgefeß feine Zweideutigkeit und Unentfchies

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176 % Erdmann,

benheit dufdet, alfo auch die nicht, wo dem Willen in feiner feligen Unwiffenheit fidy noch gar nicht Die Möglichfeit jenes (neuen) Andersfeynd zeigt. Was auf ber hHöchften Stufe der Mythologie, auf welcher eben darum die Mythologie anfängt fi zu begreifen, Nemeſis oder auch Adraſtea genannt wird, ifl nur dieſes Weltgeſetz. Sie ift die dem Ungewiſſen, Zweideuti⸗ gen, fo wie dem Zufälligen überhaupt, abholde Macht. Die griechifche Lehre von der Nemeſts, die jüdische, daß Gott dem Menfchen die Möglichkeit des Anderswollens zeigt, die hriftliche, daß dad Gefeg die Sünde lebendig macht vöuos und veuears find etymologifch verwandt fie behaupten alle, daß Gott bie zufaͤlli ottgleichheit des urſpruͤnglichen Menſchen nicht will. _ So hodytit in Seinen Augen bie Freiwilligkeit angeſehn, daß er es nicht achtet, das Höchfte, feine erfte Schöpfung, wieder nur ald den möglichen Grund einer höheren Offenbarung zu behandeln. Was ift bie Natur gegen bie lebensvolle Gefchichte, die fich aufthut, indem der Menfch ben in der Natur ſchon abe geſchloſſenen Kreis wieder eröffnet! Damit aber ift fehr wohl vereinbar, daß bei den Griechen der Nemeſis ald Schwefter ber Betrug (Anarn, Maja) beigefellt wird, und im N. T. die Ver⸗ fuhung von ber Schlange ausgeht. Es liegt in jenem Bor- gange wirklich die Doppelfinnigfeit, daß dem Willen die Mög- lichkeit de Heraustretend gezeigt wird, bie aber nicht wirklich heraustreten fol, und alfo nur feheinbare, täufchende Möglichkeit if. Eben darum ift auch bie Erhebung des Bewußtſeyns zus gleich fein Fall. Die achte Vorleſung (p. 152 169) betrachtet diefen Vorgang genauer. Da dad Moment ded Seyn⸗ koͤnnens dad Weibliche gewefen war, fo ift es in dem urfprüng- lichen Bewußtfenn als das vom Männlichen noch nicht Be⸗ rührte zu denfen. Der, natürlich erft fpät entftehende, Mythus von ber jungfräulichen, wohlbewahrten Berfephone enthält des⸗ wegen eben fo wirkliche Wahrheit, wie die Vorftellung von bem im PBaradiefesgarten wohlbewahrten Menfchen. Der Uebergang aus biefem un- oder halbbewußten Unfchuldszuftand gefchieht durch jenen Urzufall (Fortuna primigenia) oder jene Urthat,

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in welcher der Menſch die ihm anvertraute Moͤglichkeit, die ihm in der Verſuchung als zur Verwirklichung übergebene erſcheint, wieder in Wirkung ſetzt, und alſo, da er das ihm nur Gege⸗ bene behandelt als ſtuͤnde es ganz in ſeiner Freiheit, wie oder als Gott ſeyn will. Anſtatt dies zu erreichen, wird er nun wie Einer ber Elohim und darum Gott, der fie alle ift, un- gleich. Indem. aber dad Bewußtſeyn dad, was ihm gegeben war, um latent, occult zu bleiben, ald Myfterium bewahrt zu werben, verwirklicht, ift es nicht mehr das den. (ganzen) Gott fegende. Indem es nur B feßt, find die anderen Momente A? und A3 von ihm ausgefchlofeen, dad Bewußtſeyn ift ganz von jenem Einen eingenommen, ihm verfallen, fehließt die anderen beiden aus. Da fie aber von dem Bewußtfeyn unabhängige Mächte waren, fo kann es bei diefem Ausgefchloffenfeyn nicht bleiben. Wie jenes B, fo nehmen auch die beiden anderen Mo- mente fucceffio dad Bewußtſeyn in Beſitz, und mit jenem Ur- Anfall ift alfo der mythologifche Proceß eingeleitet, der darin befteht, daß fucceffiv das Bewußtſeyn jenen brei Potenzen ver- faͤllt, deren jede in ihrer Ausfchließlichkeit nicht (der wahre) Gott, die aber eben fo wenig Nichts, die alfo Götter, find. Diefe drei Botenzen, welche fo als Götter, anftatt des all=einen Gottes das Bewußtſeyn beherrfchen, Tonnen als Urſachen des mythologiſchen Proceſſes, verurſachende oder formelle Götter genannt werden. Aus ihrer Wirkung entſtehn erſt die nicht ver⸗ urſachenden, die materiellen Gottheiten. In der neunten Borlefung (p. 170— 188) wird bie erfte Stufe des mytho⸗ Iogifchen Procefied Betrachtet: Da die Beftimmung diefed Pro- ceſſes ift, daß das in dem Falle in Wirkung gefehte Moment zur Exfpiration fomme, indem’ es zur Grundlage (Materie) für bie folgenden gemasht wird, fo wird zuerft ein Kampf gefegt feyn zwifchen der Beſtimmung jened Momented und der erlange ten Selbftftändigfeit, die e8 im Bewußtſeyn zu behaupten fucht. Bermöge dieſes Kampfes erfcheint der ald ausſchließend gejegte Gott ald zerrifien, ald Bielheit in der Einheit, als Bewegung in der Ruhe, Dieje erfte Form ded Polytheismud, ber ein

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fimultaner, und alfo in gewiſſer Weife noch Monotheisinus, iſt (ogl. diefe Zeitfchr. Bp. 29 p. 151) tritt und In der aftra- len Religion entgegen, in ber nicht, wie man gefagt hat, der Menſch Sterne als Götter, fondern umgefehrt die Götter als Sterne anfteht. Diefe Religion kann Zabismus genannt werden, weil bie Gottheit in dem himmlifchen Heere (Zaba Uranos) angefchaut wird. Sie ift Die Religion der noch ungetrennden Menſchheit in ihrem nomabifchen Leben. Wegen dieſes ihres fpeeififchen Uuterfchiedes von den fpäteren Polytheismen der Bölfer, ftelt fi der Monotheidmus der Juden und Muhe- medaner zu ihr ganz anderd ald zu biefen. Sie erfennen in dem Zabismus die Verehrung ded himmlifchen Herrfchers, gerade wie auch Herodot fagt: des Himmeld Umſchwung fey hier ber Zeus, der hoͤchſte Gott, geweſen. Das Ziel, welches biefer Kampf im Bewußtjeyn, wie jeber andere Kampf hat, wird in ber Zehnten Borlefung (p. 189-204) betrachtet. Er kann nicht darin beftehn, daß das B ganz nur zu dem wirb, was es geweſen war, denn bann wäre ber Proceß unnüg und ſinnlos gewefen. Sondern auch wenn es in den Potenzzuſtand zurüdtritt, muß es als etwas Actuelles, Bofttives, bleiben. Dies gefchieht nun, indem es ein actuspotentielles ift, d. h. ein Sol« ches, welches, obgleich es einerfeitd etwas Actuelles ift, anderer⸗ feitö gegen ein anderes höheres Princip ſich ald Object, d. h. Materie verhält, während biefed Höhere fich zu ihm ald Sub- ject, d. 5. Geift verhält, d. h. daffelbe erkennt. Dieſes fich zum Object hergebende kann nun in der Mythologie gar nicht andere angefehen werben denn ald ein Weibliches (f. oben), Weil ed Gott durch fein Potenz“ (d. h. Nicht⸗) ſeyn, alfo paſſiv, fest, ift e8 nicht ald erzeugend, fordern nur als gebährend, alſo ald Mütterliched zu denfen. Der nächſte Fortfchritt befteht alfo darin, daß flatt ded Herrn des Himmeld die Himmelsfönt- gin Urania (Molitta, Aftarte, Mitra) das Bewußtfeyn ber berricht, wie uns dies bei den erften Kiftorifchen Völfern, ben Affyrern, Babyloniern und Alteiten Perfern entgegentritt. Ueber diefes Werden des Uranos zur Urania hat die höchfte und letzte

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Form der Mythologie ein Bewußtſeyn, welches in dem Mythus von der Entmannung des Uranos, an welches dann zugleid) die Entftehung ber Aphrodite (Mylitta, Mitra, unsno) ange- fnüpft wird, in der abäqunteften Form ausgefprochen iſt. In ver Eilften Borlefung (p. 205— 236) wird aus ben Zeug⸗ niffen des Herodot gefolgert, daß das perfifche Bewußtſeyn bis zu dem Weiblichſeyn der Gottheit fortgegangen ſey. Die zus nächftliegende Gonfequenz aber, einen Gegenfag zwiſchen dem realen, ungeiftigen, und dem ibealen, relativ geiftigen, zu flatuis ren und fo zu wirklicher Vielgötterei überzugehn, dieſe zieht das perfifche Bewußtſeyn nicht. Irgend ein mächtiger befonnener Beift, fey nun fein Name Serbufcht oder welcher andere, hielt in dem Momente des Ueberganges zur Zweiheit die-Einheit feft, und dadurch entfieht die, allerdings pantheiftifch gefärbte, Vor: ftellung des männlichen Allgottes Mithrad. Daß fi das perfifche Bewußtſeyn der - eigentlichen WVielgötterei durch dieſe Reaction entzieht, macht feine Verwandtſchaft mit dem jüdiſchen erflärlich. Andererſeits wird es dadurch dem Griechen, in wels chem ſich der mythologifche. Proceß ganz durchgeführt hat, uns

verſtaͤndlich. Daher kann Herodot von dem Mithrad nichts wiſ—

fen. Darum aber fühlt er auch, daß ber perfifche Standpunct mit der Idee der Urania nicht recht ftimmt, und läßt die Ver: ehrung derfelben von andern Bölfern an bie Perſer gelangen, Da der Allgott Mithras die beiden, im weitern Broceß auseins ander gehenden, nad) einander hervortretenden Momente, vereinis

gen fol, fo ift es erflärlich, daß in ber Zenvreligion fick ber

ſchroffe Dualismus des Ahriman und Ormuzd zeigt. Ste find die beiden Seiten des Allgottes. Nach diefem Excurs kehrt bie Zwölfte Borlefung (p. 237— 257) wieber zum Portgange des mythologifchen Proceſſes zurüd: Während in der Serdujcht- religion der Verſuch gemacht wird, das untergeorbnet geſetzte und das höhere Princip in einem und demſelben Bewußtſeyn feftzuhalten, ‚gibt hier. das Bewußtfeyn ‚pie. Einheit auf, und dem jetzt untergeordnet gewordenen Gott tritt ein höherer ald ein neuer und zweiter entgegen, jo daß jetzt erft wirkliche Bielgötterei

180 3. Erdmann,

geſetzt iſ. Das Loslaffen von dem erften iſt (man benfe an bie Ausprüde des A. T.) Chebrudy; darum ift der Ehebruch, durch den die Frauen Babylond der Mylitta geheiligt wurden, ein nicht willführlich fombolifcher Gebrauch, fondern die ganz natürliche Aeußerung des erlebten Zuftandes. Die Selbftvers ftlümmelungen, dad Kleidertaufchen ber beiden Gefchlechter u. |. w., alles dies ift ein Wiederholen des Vorganges, durch welchen, was pofitiv, männlich, geweſen war, zu einem relativ weiblichen wird, d. h. einem Kommenden untergeorbnet wird, Diefed Kom⸗ mende ift hier noch ein Unbelanntes. (Dem Fremden gibt fi das Babylonifche Weib Preis). Dagegen hat er bei den Aras biern bereitd einen Namen, er ift der Urotalt (d. b. das Kind der Göttin), der neben der Al⸗Ilat (d. h. der Göttin) verehrt wird. Herodot nennt ihn Dionyfos und feine Mutter Ura⸗ nia, Nicht mit Unrecht, denn in der That entfpricht die Dio⸗ nyſos⸗Idee der Griechen dem das urfprünglich Göttliche Abloͤ⸗ fenden, dem relativ (d. h. gegen Jenes) Geiftigen,

Die dreizehnte Vorlefung (p. 258— 285) enhält allgemeine Betrachtungen, durch welche es gerechtfertigt wird, daß, obgleich Dionyſos als fo benannter Gott erft jehr fpät in ber Mythologie auftritt, dennoch bie Dionyſos⸗Idee eine uralte it. Es wird dann ferner gezeigt, daß erft an dem hier erreiche ten Puncte die Gottheit einen concreten Charakter befommt, und daß eben darum hier die. Mythologie dem Theile der Naturphi⸗ Iofophie entfpricht, welcher die conereten Eörperlichen Dinge be- trachtet, während dem Zabismus das bloß Elementare, dem My— littadienft die zwar fchon reale, aber noch nicht conerete (förper> liche) Materie entfpricht, durch welche „der Erde Grund gelegt“ wird. Endlich werden vorläufig die drei Stufen angegeben, welche in dem mythologifchen Proceß hervortreten und bie ſich zu einander verhalten wie Unorganifches, vormenfchlides Orga⸗ niſches und Menſchliches. Die vierzehnte Vorleſung (p- 286 326), welche die erfte Diefer Stufen genauer betradh- tet, geht Dazu auf das zurüd, was das Refultat der zwölften geweien war: In dem Bewußtſeyn der Arabier waren Urania.

Schelling s Vhiloſophie der Mythologie. 181

und Dionyſos, Mutter und Sohn, friedlich neben einander ge⸗ ſtellt. Sie beide waren hier: nicht Goͤtter, ſondern wie Hero⸗ bot ſagt: ber einzige Gott. Die naͤchſte Stufe des Bewußt⸗ ſeyns, und ba bie Entwicklung deſſelben Feine gewaltſame ſeyn ſoll, ſo muß es alle durchlaufen, das von ihm in Bewe⸗ gung geſetzte reale Princip ganz ſeinen Willen haben, iſt nun, daß dieſes der Anwandlung des zweiten Gottes widerſteht. Zwar nicht ſo, daß es daſſelbe gar nicht gelten laͤßt, denn das wäre Ruͤckgang und alſo ſinnlos, ſondern fo, daß es ihm die Anerkennung als Gott verfagt, eiferfüchtig den neuen Gott herr vorzutreten verhindert. In der Vergangenheit erfchien auch den Griechen die Gottheit fo, und da nannten fie fie Kronos. ‚Darum können wir mit Herebot den Gott der Bhönifer und ber ihnen parallelen Völker, welche eben auf diefer Stufe der My- thologie ftehen, auc jo nennen. Vom Uranos unterfcheibet ſich Kronvd (Baal, Molaͤch) dadurch, daß er geiftig afficirt ift, von der Urania dadurch, daß er ber @eiftigfeit widerſteht. Durch das Erfiere ift er ein Concretes, daher hier zuerft bildliche Dars ftellumgen des Gottes, durch das Zweite fehließt er die beftimmte Form der Geiftigfeit aus, daher Verehrung formlofer Körper (Steine), aus der bei den Bölfern, die aus dem lebendigen mythologifchen Proceß herausfielen, Fetiſchmus werden Fonnte. Hier ift feiner. Das Walten diefed um feine Gottheit bejorg- ten Gottes empfindet dad Bemußtfein als Deifidämonie, d. h. ald Angft um feinen Gott; das innere Zerriffenfeyn und Un- fiherfenn ſpricht fich in den typifchen Handlungen des Sichzer⸗ reißend und Hinkens der Baalöpriefter aus. Keine diefer Hand- (ungen aber ift für das Verſtändniß diefer Religion wichtiger, ald die Hyothufie, dad Opfern der geliebteften und eingebornen Söhne. Wie dort die Frauen Babylons den Ehebruch, den fie erleben, vollziehen, fo ift auch in ben Knabenopfern nur ein inneres Erlebniß äußerlich geworden. Wenn nämlich aus ber möütterlichen Göttin der eiferfüchtige Gott (Kronoe) geworben if, fo muß natürlich an die Stelle des Sohnes ber Göttin ein Sohn treten, befien Gottheit problematifch, yon dem Gotte bes Zeitſchr. f- Philof u. phil. Kritik. 32. Band. 13

182 36. Erdmann, :

ftritten iſt. Darum erfcheint Melkarth (fpradylich der Stadt - Gott, b. h. der Gott des ftäbtifchen feßhaften Lebens, während Ura- nos der Bott ber Nomaden war) dem Griechen ald der Hera: kles, ber fidy zum Gott erft machen ſoll, ald der Entäußerte in Knechtögeftalt. Weil in dem Bewußtſeyn der Gott lebt, welcher des eignen Sohnes nicht verfchont, deswegen verſchont der Menſch des eingebornen Sohnes nicht. Iſt nun aber Kronos nur durch das nicht Verſchonen (ald Knecht Segen) des ihm Gegenüber; ſtehenden ter vom Uranos unterſchiedene Kronos, fo gehen dieſe Opfer aus der Angft hervor, daß die alte, Zeit (Uranos) an die Stelle der neuen (Kronos und Melfarth) trete, und werben eben darum, wie bie Alten und berichten, dem Uranos gebracht aus Deiſidaͤmonie. Die Funfzehnte Vorlefung (p. 327 349) macht einen Excurs in bie griechifche Mythologie, und weiſt die Spentität der Ideen nach, welche den Lehren vom Melkarth und der (offenbar exotiſchen) Herafleöfabel zu Grunde liegen. Zus gleich wird, wie fchon in der vorhergehenden Borlefung, auf den Knecht Gottes bei Jeſaias hingewieſen zum Beweife, daß es ſich bier um eine dem Heiden= und Judenthume gemeinfchaftliche Idee handle, nämlih um das (im Bewußtſeyn bed Menfchen) fortwährende, darum von dem Propheten ald gegenwärtig ge+ ſchaute, Leiden des Meſſtas. Die fechzehnte Vorleſung (p- 350 363) fnüpft recapitulirend den abgeriffenen Baden wieder an: In dem Kampfe zwiſchen bem widerftrebenden Prin⸗ cipe und dem befreienden Gott hatte Kronos den Moment be- zeichnet, wo bie Ueberwindung bes erfteren durch das lebtere zwar immer tentirt, ader durch den realen Gott. ftetö vernichtet wurde und aljo A? nie aus der dienenden Stellung herausfam. Der Uebergang zur wirklichen Weberwindung, zu ber ſich der reale Gott hingibt, ift nun bezeichnet durch das abermalige Er- ſcheinen einer weiblichen Gottheit und kuͤndigt fih im Gefühl ber Völker an durch die Erſcheinung wilder, fich felbft nicht faf- ſender Begeifterung, des Orgiadmus, in dem das reale Princip irritirt (doyr) und gleichfam wanfend und taumelnd erfcheint. Der Dienft der phrygifchen Böttermutter, ber Siybele,

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bie fi zum Kronos verhält wie Urania zum Uranos, zeigt ba- rum die hier erflärlihen Entmannungen, fo wie das triumphis ende Zeigen bed Phallus als Siegeszeichens. Auch daß hier bie gefallenen Steine heilig find, ift charafteriftiich, wenn man denft, daß die ſicher ruhenben Steine Kronosbilder geweſen waren. Bis hierher war immer noch relativer Monotheismus geſetzt, da auch Kronos noch ausfchließend Gott geweſen mar. Mit der Kybele aber iſt jebes Hinderniß gegen wirkliche Viel götterei weggefallen, fie ift wirklich die Mutter der vielen Göt- ter. Die drei (oben p. 180 ſchon angedeuteten) Stufen, durch welche der Polytheismus hindurchgeht, bis er zur völligen Meberwältigung des wibderftrebenden Princips gelangt, find die Agyptifche, indiſche und griechifche Mythologie. “Der erften derfelben find die Sieben- zehnte, Achtzehnte und Neunzehyte Borlefung (p. 364 430) gewinmet: Inden Kybele den Moment bezeichnet, wo der reale Gott dem idealen auch Antheil an der Gottheit gibt, ift ber nächfte Schritt der, daß nun beide nicht mehr wie bisher in einem getrennten, jondern in einem und beinfelben Bewußtfeyn coeriftiren, das dadurch allerdings in einem Widerſpruch befans gen iſt. Dies ift nun der Fall da, wo der Bott ald Dfiris- Typhon gedacht ift, und das Bewußtſeyn (Iſis⸗Nephthys) zwei- felnd und ſchwankend, es bald mit dem einen, bald dem andern hält. Die Verwandtſchaft des Ofiris und des Dionyjos, bes Typhon und Kronos ift augenfällig und von den Griechen anz erfannt. Die Bereinigung der beiden Entgegengefegten hat zus nächft Das Refultat, daß jedes derſelben in feiner Ganzheit nicht mehr gilt. Daher die Zerreißung und Zerftüdelung, d. h. Goͤt⸗ ternielheit ftatt des einen Gottes, hier eine fo wichtige Rolle fpielt. Der Orundton der aͤgyptiſchen Mythologie ift Kampf, den eben darum der Aegypter überall fieht, fo im Jahrescyclus u. f. w., fo daß nicht ſowohl feine Götter kalendariſch als viel: mehr fein falendarifches Syſtem religiös if. Das Weitere aber ift, daß in. biefer Zerreißung jene Exfpiration der realen Ein- heit eingetreten ift, vermöge der die beiden fich widerſtreitenden Brincipien (B und A?) zum Thron und Gig einer höheren, 13*

1 3. Erdmann,

geiftigen Einheit (A?) werden. Diefe höhere Einheit, in wel⸗ cher Ofiris und Typhon gleihfam ausgeglichen find, ift Horos, der die zerrifiene Natur heilende Gott, dem Bubaftis, das nicht mehr zweifelhafte, über Iſis und Nephthys ſchwebende, Bewußt⸗ feyn entſpricht. Horos ift der wahre Oſiris, deſſen Begriff nur vermittelt der Negation bed unwahren Ofiris möglich ift, daher die Anerkennung des typhoniſchen Princips nicht verfchwins det. (Man denke an die Tpphonien). Iſt dem aber fo, fo ift eigent« tich das Ende der ägyptiichen Mythologie (nicht ihr Ausgangspunct, wie z. B. Ereuzer meint) ein wirklicher Monotheisinus. Daher die Ericheinung, daß ſich hier die Priefter zu den intelligiblen Göttern Anun, Phthah, Kneph erhoben, welche Seftalten des Einen Gottes find, und infofern über den Borenzen ftehn, als in jeder derſelben der ganze Gott gefehaut wird. Das Bewußtſeyn diefer inteligiblen Göts - ter ift Hermes, der alfo fidy zu ihnen verhäft, wie Iſis zu Oſi⸗ ris⸗Typhon, Bubaſtis zu Horos. Diefe lebten Götter zu den herrfchenden zu machen, wie es gewöhnlich geſchieht, heißt die ägyptiihe Mythologie in Verwirrung bringen, Gleiches ge⸗ ſchieht, wenn fie (die ewigen) mit den mythologifchen, geworde⸗ nen, Göttern in eine Linie geftellt werben. Weder das Eine noch das Andere ift mit den Nachrichten der Alren, namentlich des Herobot, zu vereinigen. Das Lebtere nicht, denn er ſpricht von verjchiedenen Görterordnungen. Aber auch das Erftere nicht, wenn man Herodot richtig verfteht, denn er zeigt nur, dag das Agyptiiche Bewußtſeyn die intelligiblen Götter (erfte Ordnung) ald logiiche, die Fronifchen (zweite Ordnung) als his ftoriiche Vorausfegungen ber Oftrid - Typhonreligion fest, ohne daß daraus, wie aus der fehr analogen Annahme des voraus- gegangenen Chaos bei den Griechen, irgend Etwas über bie Zeit folgt, wann jene Begriffe ind Bewußtfeyn treten. Daß endlich in Aegypten Thierdienft Statt findet, d. b., daß ber Aegypter, nicht wie man gefagt hat, in den Thieren feine Göt- ter, ſondern feine Gottheit (auch) in gewiffen Thiergattungen fieht, hat feinen Grund darin, daß, wie Kybele dem Uebergange vom Unorganifchen zum Organifchen entfpricht, gerade fo ber

Schelling's Philofophie der. Mythologie. 185

bier entwidelte Gottesbegriff im Bewußtſeyn dem entfpricht, was in ber Natur das Thierleben zeigt: die noch nicht freie, fondern mit der Maſſe Fänıpfende, von ihr gehaltene Getftigfeit. In ber Zwanzigften Vorlefung (p. 431 459) wird zur ins bifhen Mythologie übergegangen und biefelbe in diefer und der folgenden Vorlefung (p. A60— 485) abgehandelt. Iſt bie Mythologie einmal, wie das in Aegypten ber Fall ift, zur volls ftändigen DVielgötterei geworden, indem alle drei Potenzen in ihr gefegt find, fo kann es eigentlich keinen anderen Fortſchritt mehr geben, als der im verfchiedenen Ausgange des Proceſſes liegt, in welchem das wejentlich Gott Setende bed Bewußtſeyns, wels ches, indem ed e slatu potentiae heraudtrat, zum Gott Aufhe- benden wurde, zum actu und mit Bewußtieyn Bott Eekenden werde. Nicht ohne Kampf ift das ägyptifche Bewußtfeyn dazu gelangt; indem ed das reale Princip zwar fterben, aber nie vers ihwinden ließ, gelang es ihm, die Einheit der Potenzen (im Horos) zu erhalten und wieder herzuftellen. Nun ift ed aber möglich, obgleich dies eine falfche Krije wäre anftatt der richtigen . bei den Aegyptern, baß jenes nur Sterben zu einem wirklichen Berihmwinden würde. Die nothwendige Folge wäre davon, daß dad Bemwußtfeyn der Einheit jener Momente (Bubaftid, Her⸗ mes) verfchwände und fie ganz auseinander fielen. . Died nun iſt der Fall in der indifchen Mythologie, in der aus ber Zeit ber, wo die Indier nur noch ein Theil der Menfchheit und nicht als Indier beftimmt waren, Elemente vorkommen, die mit bem ZJabismus, Barfismus u. f. w. ‚übereinftimmen, deren Eigen⸗ thümlichfeit aber in der Lehre von den drei Deiotad befteht. Bon diefen ift nun Brahma ganz vergeffen, hat feine (den Typhonien enffprechende) Tempel, der (ihn) vernichtende Schiwa herrfcht eigentlich allein, und bringt feine Bekenner dahin, in den Berehrern des britten Principes, Wiſchnu, nur Sectirer zu ſehn. Wifchnu ift alfo- hier eine beftrittene. Ericheinung. Eine ganz erklärliche Bolge davon ift nun, daß es hier keinen Hermes gibt, d. b. daß das. Bewußtſeyn der Einheit in der Mythologie keinen Platz hat. Wenn nun aber gerabe durch das

186 3%. 6. Ertmanı,

Auseinanderfallen ter drei Momente dad Berlangen nad ber Einheit um fo intenfiver wird, fo ift die Folge davon der prafti” ſche Myfticisinus, welcher, imdem er auf die Befreiung von dem mythologifchen Proceß geht, antimythologifh genannt werden muß. An diefen Punct fchließt nun die Zweiundzwans zigſte Borlefung (p. 486 520) an, welche ven Budhais—⸗ mus betrachtet und im genauen Zufammenhange mit: der eilften fteht, in welcher die Zendlehre betrachtet wurde. Der Authais- mus tft naͤmlich, ganz wie ber Mithraspienft, eine Reaction ge⸗ gen den mytholegifchen Proceß. Daher der pantheiftiiche und doch auch dualiftifche Charakter fowohl bei dem perfiichen AU - Bott ald auch bier, Wahrfcheinlich von der Zeit her, wo ſich das indifche Bewußtſeyn noch nicht von den perfifchen gefchie: ben hatte, fchreiben fich die Ideen her, bie, nachdem ber Indier in den mpythologifchen Proceß eingetreten war, neben, dann im Gegenfaß zur indiſchen Mythologie fich geltend machen. Da auch die Myftif, namentlid) der Hogalehre antimythologifch ge- weien war, fo Fann fich der Buddhaismus an dieſe anfchließen und fie wiederum fteigern. Eben darum kann aud ohne Wi: berfpruch gegen das oben Geſagte behauptet werden, baß ber Buddhaismus oͤffenthich macht, was das Geheimnig der in- dischen Lehre war. Darum mit, der Haß der Braminen gegen diefe Berräther ded Myſteriums. Der antimythologifche Eha- tafter des Buddhaismus macht ed übrigens erklärlich, warum er darauf ausgeht, Profelyten zu machen, was eine entfchieben po- Igtheiftiiche Religion nie chut. Die Dreiundzwanzigfte Borlejung, fo wie bie darauf folgende (p. 521 568) hat zu ihrem Öegenftande China: Während ver Mithraspienft und der Buddhaismus dadurch entfteht, daß der mythologiſche Pro⸗ eeß an beftimmten Puncten gehemmt wird, hat ſich das chineſi⸗ ſche Bewußtſeyn diefem Proceß ganz entzogen. Died war nur jo möglich), daß das Princip, weiches die Grundlage aller Res figion bildet, weil vermöge beffelben das Bewußtſeyn verhaftet (Gott fegend) tft, gegen alle Anınuthung ſich unterzuorbnen, fefts gehalten wird. - Freilich wird dadurch auch eigentliche Religion

Schelling's Philoſophie der Mythologie. 187°

kim materiellen Sinne.ded Wortes) unmöglich werben, und die Religion wird hier zu einer Gebundenheit Ceiner formellen religio) nicht von Gott, fondern von Ungöttlichem, or jener Anwand⸗ lung war bie Religion Aftralreligion, Himmelsdienſt, gewefen, durch den Gegenſatz gegen jene Anwandlung wird der Himmel auf die Erde herabgezogen. Der Himmel, in dem der Chinefe lebt, ift fein Staat und fein Stanbpunct ift: religio .astralis in rempublicam.versa. Sie ift die Reaction gegen alle Mytholo⸗ gie, darf eben darum erſt abgehandelt werben, nachdem die My⸗ thologie in ihrer Vollſtaͤndigkeit betrachtet worden ift. . Wenn nun aber bloß durch das Hineintreten in den mythologiſchen Proceß die Menfchheit zu Völkern wird, fo folgt, daß die Chi: nefen fein Volk bilden. Bielmehr. find fie eine Menfchheit, d. 5. fie find der Theil der Menfchheit, welcher und zwar nicht Menſch— beit in ihrem urfprünglichen Zuftande zeigt, wohl aber eine Mu—⸗ mie des primitiven Zuftandes, gerade wie ihre Sprache zwar nicht die Urfprache, wohl aber zur Mumie geworden ben Zuftand zeigt, in welchem die einzelnen Worte noch zu feiner Selbſtſtän⸗ bigfeit gefommen waren, wie bied in ben bifiylabiihen Spra⸗ hen der Fall if, Im der Günfundzwanzigften Vorle— fung (p. 569 590) wird zu der Mythologie übergegangen, welche, indem das von der ägyptischen in feinem Todeskampfe feſtgehaltene, vom indiſchen Bewußtſeyn vergeſſene, reale Prin⸗ cip wieder behauptet wird, trotz dem, daß ſie nicht aus jenen beiden geworden iſt, als ihre höhere Einheit bezeichnet werben fann, zur griechiſchen. Dabei muß nun von dem vorge⸗ ſchichtlichen (peladgifchen) Zuftande abgefehen werden, in wel⸗ chem chaotiſch, darum ohne beftimmte Namen, die Götter ber früheren Mythologie das Bewußtſeyn beherrfihten, und ift erft dort zu beginnen, wo es ſich als helfenijches erfaßt, mit ber Zeit, die auch einen Homer und Hefiod hernorbradte. Da fin⸗ bet fi, daß das Prineip, welches bisher das Fronifche im all⸗ gemeinen Sinne genannt wurde, in feiner beilenifchen Faſſung, als eigentlicher Kronos in fi) (verfchlungen) die drei Diomente enthält, in denen fich zu fegen feine Beftimmung. iſt. Einmal

\

188 J. €. Erdmann,

naͤmlich iſt er der, deſſen Beſtimmung iſt, der Unſichtbare und zu Grunde g gangene zu ſeyn, zweitens ſoll er ſich erwei⸗ ſen als der ſich Erweichende zur Materie hingebende, endlich drittens fol er als herrſchender Verſtand ſich über jene beiden erheben. Aides, Poſeidon und Zeus ſind darum alle drei nur der ans Licht tretende Kronos, oder Kronos wie er ſeyn

ſoll. Eben ſo kann man auch ſagen, ſie ſind Typhon, Oſiris

und Horos, nur in einer hoͤheren Potenz. Der Erſte zeigt das kroniſche, der Zweite das dionyſiſche Moment, Zeus endlich iſt der, in welchem jenes durch dieſes überwunden if, Zur Bes ftätigung der hier entwidelten Anfidyt dient bie, als Anhang ben Borlefungen hinzugefügte, Abhandlung über ein Pompejaniſches Wandgemälde (p. 675 685). Nachdem die ſechsundzwan⸗ jigfte Vorlefung (p. 591 614) ausführlich den Begriff bed Chaos erörtert hat, in bein fpätere Reflexion den Anfang der Theogonie fah, zeigt He, daß der in ber Schweiterreligion auftretende Janus nicht mit Unrecht von Ovid mit dem Chaos identificirt werde, wofür auch die Etymologie (dort xuiver, hier hiare) fpreche. Beide bezeichnen die Einheit der drei Potenzen, das eine Mal als unerfchloffene, das andere Mal als ſich bereits auftäuende, Bon dem über aller Mythologie fiehenden Chaos wird dann an. der Hand des Heflod, in dem die Mythologie eben fo in Wiffenfchaft übergeht, wie im Homer in Leben unb Kunft, in der fiebenundzwanzigften Borlefung (p- 615 644) zu der eigentlichen Mythologie übergegangen. Das den Gott fegende, aber ihm untergeordnete Bewußtfeyn fann.nur als den Gott gebährend, nicht ald zeugend geſetzt werden, darum gebiert Gäa den Uranos; indem er die ums faßt, aus der er hervorging, ift Die uni- versio gegeben, won ber in der Abhandlung über den Monotheismus die Rede war. Daß in dem Uranos die Principien, die in fpäterer Beriode in Spannung (Titanen) traten, verborgen gehalten werden, iſt er⸗ Härlich, eben fo, daß dann weiter als Erzeugnifle ded Urbewußt⸗ jeynd Trug, Ironie u. ſ. w. vorkommen. Die fiebente Borle jung hatte jene Urtäufchung genauer erörtert. Die Entmannung

Schelling's Philofophie der Mythologie. 189

des Uranos, das Hervorteeten. ber Aphrodite ift bereits in ber zehnten Borlefung betrachtet worden, Alle dieſe Borausfepuns gen des freien griechifchen Polytheismus, eben fo wie Kronog, in deſſen Gefchichte fich Lie des Uranos wiederholt, treten ind Be= wußtſeyn fogleich ald vergangene. Das hellenische Bewußtfeyn erfaßt fich fogleih ald das vom Kronos befreite, und es ift da- rum vollfommen richtig, daß Zeus, obgleich der jüngfte, feinen Geſchwiſtern zum Leben verholfen habe. Den drei Momenten des Kronos, welche feine Söhne ausprüden, entfprechen als Mo⸗ mente des Bewußtfryns drei weibliche Gottheiten. Von biefen ift nun bie Demeter die ©eftalt, durch welche die griechifche My⸗ thologie ihre ganze Eigenthümlichkeit erhält. Dem Poſeidon (Dionyſos) entfprechend, fteht in diefer Geſtalt das Bewußtſeyn in ber Mitte zwifchen ben beiden Potenzen, einerjeitd fürdhtend, bag ihm mit dem blinden Sem der Gott felbft verloren gehe, anbrerjeitö dem Andrange der geiftigen Potenz nicht widerftehend, In dieſer Mittelftelung hat in der Fronifchen Zeit (vom Kronos verfchlungen) die Demeter die zwei anderen Geftalten des Bes wußtieyns, als einerfeitd Dem Aides, andererſeits dem Zeus ver: haftet, neben ſich (Heftia, Her), Indem aber dad Bewußt⸗ ſeyn fid) dem geiftigen Principe bingibt, wird ed davon befreit, bem realen, blinden, verhaftet zu feyn, und darum ift der ıny- thologifche. Ausprud, daß in Folge ihrer Hingabe an Zeus bie Demeter von. der Aides: Gattin entbunden ſey, d. h. daß Perſephone (diefe eine Seite der Demeter) an bie Stelle der Heftia tritt, vollkommen richtig. Diefes Aufgeben des realen Principes, des blinden Seyns, d. h. das Auseinandergehn der Demeter in Demeter und Berfephone gefchieht in Folge eines Kampfes, daher trennt fich Demeter fchwer, nur gewaltfam (durch Raub) von der Tochter, ſucht fie, und die ganze Oöttervielhelt, die, das blinde Seyn ver: bergend, an feine Stelle getreten if, vermag nicht, fie über den Verluſt (der Einheit mit dem zwar blinden aber auch Einen Bott) zu. tröften. Diefe Klage der Demeter um die vom Aides geraubte Tochter und die Hoffnung ihres Wieberfindens ift ber Punct, wo fi) am Beften ber Unterfchied des griechiſchen Stand⸗

190 3% Erdmann,

puncts vom aͤgyptiſchen und indifchen nachweilen läßt. Weber jo mächtig ift hier das reale Princip, daß es die Iſis in Die Unterwelt nach fich zieht, noch fo ohnmaͤchtig, daß es zum ver- ‚gangenen und vergeffenen Brahına wird, fondern Demeter bleibt, indem fie eine Seite ihres Weſens jenem Principe abgibt, frei gegen den realen Gott und vie materielle Göttervielheit, in welche derfelbe verſchwand, ohne daß doch jede Beziehung zu der⸗ jelben aufgehört hätte. Der Mythus von der Demeter bildet aber aud) ben eigentlichen Schluß» und Grenzpunc ber exoteri⸗ ſchen griechiichen Mythologie, während die enbliche Beruhigung und Berföhnung der Mutter in den Möyfterien gefeiert wurd, bie deswegen biefen Kamen führen, weil fie dad Geheimnig, richt nur der griechiichen fondern der ganzen, Mythologie ent- halten. Da die ausführliche Betrachtung der Myfterien einem andern Orte (der Philoſophie der Offenbarung) beftimmt ift, ſo kann hier über den eigentlichen Inhalt derjelben nur ein Winf gegeben werden: Für ben Gott, ber nicht feyn fol, fan dem Bewußtjeyn nur Erfag gegeben werden durch den Gott, der ſeyn ſoll, welchem gebührt zu feyn. Indem jener erftere (B) ins Seyn erhoben ward, war ein Gegenſatz entftanden zwiſchen ihm und dem Gott ald Seyn (A ?), indem er wieder: zurüdgebrängt ward in den Potenzzuftand, machten beide Dem (A?) Platz, der bie Ratur beider in fid) vereinigt. In biefem. hat dad Bewußt⸗ jeyn den erften Gott als wieder aufgerichteten, da er aber zu⸗ gleich die Natur des zweiten hat, bie bier bie dionyſiſche ges nannt ward, fo wird er ein neuer Dionyfos genannt werben fönnen. Wenn nun Die genauere Betrachtung ber Myſterien zeigt, daß darin die Geburt (dad Kommen oder der Advent) des Dionyfos von der, von der Perfephone getrennten, Demeter (d. h. dem von allem Materiellen gereinigten Bewußtſeyn) als das fie Verfühnende gefeiert wurbe, jo offenbaren uns die My⸗ ferien nicht nur dad Geheimniß (Wejen) der Mythologie, fon- bern was fie lehren ftimmt auch ganz mit ber bier entwidelten Theorie zufanmen, ein Beweis, daß hier die Mythologie wirk⸗ lich ganz aus ſich felbft erflärt ift. _ Die beiden legten Vorle⸗

Schelling's Philoſophie Der Mythologie. 191

fungen, die Achtundzwanzigfte (p. 645— 660) und Neunundzwanzigfte (p. 661 674) weiſen zuerft nad), daß das Gefühl, welches in der griehiihen Muthologie zwar auch Irrthum Tieht, aber einen reizenden, mit der Superftition ber übrigen Mythologie gar nicht zu vergleichenden, votlfommen berechtigt iſt: das Superftitiöfe in diefen beruht auf der moch immer fortdauernden - Gegenwart des ausfchließlichen (falfch mo— notheiftifhen) Principe, während die griechifche Mythologie ed ald Vergangenheit ſich unterworfen bat, und das Princip der vollendeten geiftigen Religion in den Myfterien a8 Zufunft fest, und fo in ein freied Verhaͤltniß Fommt zu ber in ver Ges genwart (der exoterifchen Lehre) gejepten Göttervielheit. We⸗ gen dieſes freien Verhättniffes ift e8 nun auch möglich, daß fich die dichterifche Thaͤtigkeit an dieſe Göttergeftalten anfchließt, ja oft frei, nicht fowohl mit als in dieſen Vorftellungen, fpielt. Nur an diefem Ende des mythologiſchen Proceſſes ift es mög. lih, daB die Götter ın menſchlicher Geftalt dargeftellt werben, und die Scala von den wüften Steinen burd bie Thierbilder bindurdy, zu menfchlichen Geftalten mit Thierföpfen, dann we⸗ nigftend mit masfenartigen Antligen wie bei den Aegineten, ende ich bis hinauf zum vollendet Menjchlicyen hat eine innere Noth⸗ wentigfeit. Weil endlich in der griechiihen Mythologie fich die Mythologie überbaupt vollendet, ja ihr (in den Myſterien) das Geheimniß ihres eignen Weſens Har wird, fo ift es auch ges rechtfertigt, daß die Philofophie der Mythologie, die nichts will ald das Weſen berfelben klar machen, ſich fo gern der Ausprüde diefer Mythologie (Dionyfos Brofephone u. f. f.) in. einem all gemeinen Sinne bedient hat, und eine Lebereinftimmung mit ihr als Probe ihrer Richtigkeit anſieht.

Der Ref. war nicht verwundert, von befreundeten Mäns nern zu hören: Die Lectüre der Schelling’jchen Vorleſungen mache einen faft gefpenftifchen Eintrud und wieder: Der mythos logifche Proceß erfcheine wie durch einen Zauber eingeleitet und weiter fortgeführt, War dies doch beim erften Leſen ganz feine eigne Empfindung geweien. Gr muß aber geftehen, daß bei

192 J. E. Erdmann,

jedem neuen Durchleſen, deſſen immer mehr ward, worin ein ſtrenget Zuſammenhang nadjgewiefen werden fann. Er überzeugte fich, daß derſelbe beſonders darum ſchwer aufzufinden fey, weil eine Menge böchft frappanter Eombinationen, den Baden unterbrechend, eingeftremt werben, welche oft gerade dadurch, daß fie fo treffend find, den Lefer zum Abfchweifen bringen. Er verfuchte ed, was ihm als Bekleidung und Schmud erfchien, zn entfernen, um zuerft die bloße Geftalt kennen zu lernen; wie fich ihm Schelling’s Anficht da geftaltete, das hat er in dem vorflehenden, nur aus Schelling's eignen Worten beftehenden Auszuge dem Leſer dar- zuftellen verfucht. Möglich), daß, wer fich tiefer in den Sinn eingedrungen glaubt, ihm vorwirft, nicht nur entkleidet, fondern ffelettirt zu haben. Sey ed. Selbft in dieſem Skelett wird man, denfe ich, ein Wefen erfennen, das nicht unbeachtet blei⸗ ben darf. Was nämlicdy an diefer Behandlung der Mythologie ein ganz entſchiednes Verdienſt ift, das ift, daß fie gewiſſe Car⸗ dinalfragen zu beantworten verfucht hat, welche Fragen, felbft wenn fie unrichtig beantwortet wären, fcharf formulirt zu haben, ſchon ein großes Verdienft ift.. Wie war ed möglich, daß Menſchen, die nicht verrüdt waren, von Vorftellungen fich fo beherrfchen ließen, daß in einem Lande, wo die Ehe heilig gehalten wurde, der Chebruch Pflicht, daß Sohnesopfer Tugend ward? u. dgl. Und wieder: wie ift es möglich, daß vom Standpuncte der chriftlichen Religion aus in dergleichen Vorftellungen doch immer noch Beſſeres gefehen wird als völlige Religiondlofigkeit? Das ſindFragen, die ſchwerlich an- ders beantwortet werden fönnen als dadurch, daß gezeigt wird, daß bie Mächte, die dort ald Gott gelten, auch auf dem chriftlichen Standpuncte, mindeftens als Momente in Gott, anerfannt wer: ben. Zwar öfter aufgeworfen, aber ſchwerlich genügend be- antwortet ift eine -andere Stage: woher die Uebereinftimmung fo vieler Mythen mit phyfifalifchen Vorgängen, woher der Paral⸗ lelismus zwifchen der Stufenfolge, welche die Mythologien und der, welche die Natur darbietet? Die früher und im neuefter Zeit wieder gegebene Antwort, daß in der Mythologie eigentlich Raturwiffenfchaft vorgetragen werde, und daß fo Proferpina nur

Schelling's Philofophie ter Mythologie. 193

ein Eymbol für das Saamenkorn fey u. dgl., macht Schelling durch die weiteren Sragen ungenügend: warum denn jene Na- turfenner ihre Weisheit fo vorgetragen hätten, daß Keiner, als fie felbft und fpätere Etymologen, verftanden habe, was fie eigentlich meinen? und warum denn, während fonft immer une ter Symbol ein Sinnlicyes verftanden werde, das einen Gedan⸗

fen bedeutet, nur hier der Sprachgebraud) umgekehrt werbe? Gewiß ift e8 richtiger, mit Schelling zu fagen: der Grieche fah bie Tochter der Demeter auch in dem Saamenforn, als zu bes baupten: die Myſterien hätten ihn beöwegen fo erhoben, weil er darin verhält, ganz daffelbe ſah, was er alle Tage bei dem Bauen feines Feldes viel befler fehen Eonnte, daß das Eaamen- forn ftirbt und wieder auflebt. Und gewiß ift auf dem Wege zur richtigen Beantwortung ‚jener Frage der, welcher nachzuwei⸗ ien fucht, daß biefelben Potenzen, welche in der Natur eine Stufenfolge hervorbrachten, in ihrer fucceffiven Herrichaft über bad Bewußtſeyn die Mythologie erzeugten, ohne daß biefe darum Product eines bewußten, oft fo froftigen Allegorifirens iſt. Es find nicht diefe Fragen allein, deren Beantwortung hier ver: fucht wird. Die Trage nad) dem Verhältniß der Mythologie - zum Monotheismus und nad) ihrer relativen Priorität, welche fo Biele in das Dilemma gebracht bat, entweder allen Fortſchritt in ber Gefchichte zu leugnen, ober den urfprünglichen Menfchen in eine bedenkliche Thiernähe zu feßen, fle wird bier durch die Unterſcheidung eines fubftanziellen und bewußten Monotheismus io beantwortet, daß ed von diefer Alternative befreit. Endlich könnten diefe Vorlefungen auch dazu dienen, ein Problem feiner endlichen Löfung näher zu bringen, das fich einem Jeden, wels cher das Auftreten und die Entwicklung des Chriftenthumd vom rein, gefchichtlichen Standpunct aus betrachtet, immer wieder auf« drängt: Steht es in einem fpecififchen Verhaͤltniß nur zum Ju- benthum oder auch zum Heidenthum? Schleiermacher's bekannte Formel hat Anftoß erregt, und mit Recht, weil der Sinn. ber felden nur negativ ift, und durch fie ähnlich wie vom Marcion, mit dem -man ihn ja fehon oft verglichen hat, bie Continuität

=

194 Dr. Steintdaf,

ber Geſchichte geleugnet wird. Die pofltive Ergänzung dazu wird, fo fcheint es, nur auf dem Wege eined Alternirend ent- gegengeſetzter Einfeitigfeiten erreicht werten. Daß im gegenmwär- tigen Augenblid die vorwiegt, welche das Chriſtenthum jubaifirt, fcheint. und entfchieden. Der Eifer, mit dem mancher (wie er meint Acht Tutherifche) Paſtor darnach tradhtet, die Stellung nicht eined Luther, fondern eines Calvin ober Knor einzunehmen, läßt und glauben, daß, wenn nicht die vorgefchriebenen Periko— pen ba wären, er ganz wie bie. Genfer und Schotten, meiftend, vielleicht immer, über Altteftamentliche Texte prebigen würde, (Bieleicht gefchieht ed, wenn mit der Berdrängung ded Wortes Sonntag durd) den in Schottland gebräuchlichen Namen Sabbath, auch das. in die Vergeffenheit gedrängt wird, daß die erften Ehri« ften den Sonntag als. den Freudentag anfahen, an welchem eben deshalb nicht in der Kirche gefniet ward, wie am Freitage u. f. w.) Da mag man denn ein Werf willfommen heißen, welches zeigt, wie Vieles auch in der Mythologie wahr und infpirirt if. Man- cher wird nad) den Aeußerungen Schelling’8 über das Judenthum (4. B. bei Gelegenheit Chinas), welche in biefen Borlefungen vorfommen, vielleicht meinen, es fey bdemielben aus Vorliebe für die Griechen Unrecht gefhehen. Ref. getraut ſich nach ben wenigen Daten noch nicht ein Urtheil zu fällen, und wartet dazu auf die Philofophie der Offenbarung. Aber jelbft wenn bem fo wäre, würde er über Schelling’8 Begeifterung für die grie⸗ chifche Mythologie fih freuen, Gegen das Jubdaifiren bildet das Baganifiren ein Gegengewicht, und erft aus der Reutralifation beider kann hervorgehn, was mehr ift als eine ſolche Neutrali⸗ ſation, ein wahrhaftes Chriſtianiſiren.

Zar Sprachpbilofopbie. Bon Dr. Steinthal. Zweiter Artikel, Ueber die Borftellung und die Verdichtung des Denkens.

Auch in dieſem zweiten Artikel zur Evnchohilelophie beab⸗

Zur Sprachphiloſophie. 195

ſichtige ih, wie in dem erften (f. vor. Heft), einen prüfenden Bericht. zu erftatten über Lazarus’ Leben und Seele, aber in der Weife, daß ic; an ber Bearbeitung eines frei gewählten Ther - mas verjuche, wie beiehrend hierbei das genannte Werf fich er- weil. Der Verf. deffelben könnte zwar bei folhem Berfahren leicht zu kurz kommen; es dürfte dabei leicht fowohl die Man- nigfaltigfeit des Stoffes, den er verarbeitet hat, als auch bie Bedeutſamkeit und Tiefe, welche er feinen pfochologiichen Ent- widelungen zu geben wußte, nicht vollftändig an's Licht gehoben werden. Belonderd muß wohl die Eigenthümlichfeit feiner Be⸗ trachtungs⸗ und Tarftellungsweife verloren gehen, wenn id) feine Gedanken in einen ganz andern Zufammenhang verjee, als in welchen er fie gegeben hat. Indeſſen denke ich, ich habe es hier mit Leſern zu thun, welche fein Werk fchon fennen, und weldye für die Bildung ihres Urtheild über daflelbe nicht erft auf mid warten, die es fich alfo gefallen laſſen koͤnnen und wollen, daſ⸗ felbe aud) einmal in meiner Weife an ben ‘Brobirftein gebracht zu ſehen.

Das Thema des erften Artifeld, die Apperception, war wenigftend nicht ungeeignet, um die Sülle von pfychologifchen Erjcheinungen, welche Lazarus in ben bis jegt erfchienenen zwei Bänden feines Werkes bejprochen hat, ohne Zwang und ın einer Beziehung, die er ihnen felbft gegeben hat, hervortreten zu laſ⸗ ten. Das gegenwärtige Thema gewährt dieſen Vortheil nicht in gleichem Grade. Es fchließt fi) unmittelbar nur an das vierte Kapitel der Abhandlung „Geiſt und Sprache“ an, wo e6 aber. ausführlich befprochen wird. Auch if die hier zu erör- ternde Frage von weitgreifender Wichtigkeit für die Pſychologie und berührt vielfadh und innigft ihre principielle Grundlage.

Bemüht nämlih, den Duell der Sprache im Geifte und ihre Wirkfanfeit für die Ausbildung des Geiftes zu erfennen, habe ich in meinem Buche „Orammatif und Pſychologie“ ıc. den menfchlihen Geift in einer Entwidelung begriffen gedacht, in ber er mehrere Stufen durchläuft; ich habe nur diejenige ges jucht, auf der die Sprache entfpringt, um fo zu erfennen, was

196 Dr. Steinthaf,

der Geift mit der Sprache gewonnen hat, was er ihr weiter bin und für immer verdankt, und wie fie ihn dies leiftet. Das bei wurde ich auf die drei Stufen geführt: Wahrnehmung, Borftellung und Begriff. Wie ich mich hierbei zu Her⸗ bart verhalte, babe ich dort nicht berüdfichtigt. Jetzt möchte ich mich hierüber aufklären und will fehen, wie mir Lazarus da- bei zu Hülfe kommt.

Lqzarus ftimmt bier allerdings im Wefentlihen mit mir überein; denn vor allem wichtig ift hier eben ſchon die Aner- fennung überhaupt einer derartigen Entwidelung des Geiſtes, bag auf einer neuen Stufe „eine neue Thätigkeit des denfenden Weſens“ (Il. S. 166.) beginnt, welche eine „pſychologiſche Me: tamorphofe eines Vorſtellungsinhaltes“ bewirkt (©. 160.).

Gegen folhe Annahme aber feheinen einige Ausſpruͤche Herbart's in fcharfem Widerfpruche zu ftehen, wie 3. B. bie wiederholte Behauptung: „daß unfere ſaͤmmtlichen Boftel- lungen Begriffe find in Hinficht deffen, was durch fie vor- geftellt wird... Die Begriffe find eben fo wenig eine bejondere Art von BVorftelungen, ald der Berftand ein beſonderes Vers moͤgen iſt“ (Lehrb. z. Pſych. 8.179). Diefer Iegtere Sag aber zeigt und, wie der erſtere zu verftehen ift. Denn wenn wir auch die alte Xehre von den Seelenvermögen verwerfen, fo hören wir doch darum nicht auf, von Verſtand zu reden und barımter et- was ganz Beftimmted zu verfiehen, etwas anderes ald unter Einbildungskraft, Vernunft u. f. w.; ja wir fahren geradezu fort,. darunter ein befondered Vermögen zu derftchen, wenn auch fein angeborened, fo doch ein erworbened. Und fo verhält es ſich aud) mit den Begriffen. Herbart feldft definirt (Pſych. 8. 120.): „In pſychologiſcher Hinficht ift ein Begriff- diejenige Vorſtel— lung, welche den Begriff in- Iogifcher Bedeutung zu ihrem Vor⸗ geftellten hat“, womit doch auögefprochen ift, daß nicht jede Vor⸗ ftellung, fondern nur eine von beftimmter Art Begriff if. Her bart fährt auch bdemgemäß fort: „Zuvoͤrderſt müflen wir jegt den Begriff in pfnchologifcher Bedeutung entgegenfegen der Em- pfindung, der Einbildung, der Erinnerung”; und hierauf wird

Bur Sprachphiloſophie. 197

diefer Gegenſatz und der Urfprung ber Begriffe ausführlich entwidelt. |

So glaube ich denn, ohme den Herbartifchen Principien ungetreu zu werden, behaupten zu dürfen, baß im Laufe der Entwidelung des Geiftes ein Punct eintritt, wo die Bewegum⸗ gen im Bewußtſeyn eine andere Form annehmen eine pfys hologifche Metamorphofe, welche ich als den Uebergang bed Dewußtjeynd aus der Anfchauung zur Borftellung bezeichne; und diefer Uebergang ift dad Werk und Wefen felbft der Sprache. Hierin ſtimmt mir Lazarus bei. Zweifelhaft aber ift mir feine Zuftimmung, wenn id nun fortfahre: aller Inhalt unferes Den⸗ fens if entweder Anfchauung (ein bloß erinnertes Bild) ober ein bald mehr bald weniger entwickelter Begriff; Vorſtellung aber bezeichnet nur eine gewiffe Form, im welcher jener Inhalt ge- dacht wird. Anfhauung nämlid ift die durch Wahrneh⸗ mung unmittelbar entflandene Erfenntnig*). Ihre Richtigkeit hängt ab von der Geſundheit unferer Sinne und ber richtigen Deutung (Apperception) der Empfindungen; der Begriff ift Gegenftand der Wiflenfihaft: er ift die in ben metaphufifchen Formen bed Erfennens und in der logifihen Form der Nothwen⸗ digkeit gedachte Anfchauung ober auch das reine Denken biefer Formen, dieſer bloß geiftig erfaßten Beziehungen zwifchen den Anſchauungen; . Borftellung aber ift lediglich eine pſycholo⸗ giſche Form, eine Weiſe wie das Angefchaute, Gebachte, der Ins halt im Berwußtfeyn gegenwärtig if. Diefe Sorm hat an fid) allerdings einen Inhalt; denn fie ift etwas im Bewußtfenn ; aber fie tft ein Inhalt, der nicht als ſolcher gilt, der neben jenem eigentlichen Denkinhalt, neben der Anfchauung oder dem

Begriffe, iſt; fie iR Sprache, und abgefehen davon, daß die

Rede einen Inhalt bat, ift die Sprache an fich ein Inhalt.

2) Die Vollkommenheit des erinnerten Bildes hängt ab von der Treue der Reproduction. Der Inhalt des Bildes und der Anſchauung iſt ders ſelbe; fie find bloß durch die Weife des Eintritts in dad Bewußtfeyn ver⸗

ſchieden. Darum fafle ih beide zufammen unter dem einen Namen Ans

[Hauung. Zeitſche. f. Philof. u. phil. Kritit. 32. Band. 14

ann ——

198 ' Dr; Steinthal,

Mein Verhaͤltniß zu Lazarus ift alfo dad: Er nimmt m der Entwidelung bed Bewußtſeyns drei Stufen an, Anfchauung, Borftellung und Begriff, auf deren jeder der Inhalt des Denkens ein anderer ift, ein durch andere Weifen der Denkthaͤtigkeit ans ders geftalteter Stoff des Bewußtſeyns; Vorſtellung bezeichnet die mittlere Stufe zwiſchen Anſchauung und Begriff, gegen beide gleich ſtreng abgegränzt. Ich dagegen unterſcheide nur zwei Stufen, aber diefe doppelt, einmal mit Rüdficht auf das Ge⸗ dachte, in logiſcher Beziehung, und einmal mit Rüdlicht auf die Daſeyns⸗ oder Bewegungsform des Gedachten im Bewußt⸗ feyn, in piychologifcher Hinficht; dort erhalte ich die zwei. Stus fen Anfchauung und Begriff, bier die zwei Stufen Ans fhauung und Borftellung. Um aber Zweideutigfeit zu meiden, wollen wir lieber ftatt Anfchauung in dem legten Sinne, naͤmlich im Gegenfage zur Vorftellung, fagn: Wahr: nehmung, wobei abermals bie bloß und einfach erinnerten Wahrnehmungen mit inbegriffen feyn follen.

Es ift wohl nicht nöthig zu bemerfen, daß ich nicht meine, Wahrnehmen und Borftellen wären zeitlich gefchiedene Stufen und träten nur nad), nicht neben einander auf. Dem vollfoms menften Begriffe dürfte die Anfchauung am wenigften fehlen, Man muß fi) aber über das urfprüngliche, elementare Weſen des Anfchauend und Bildens dadurch nicht täufchen lafien, daß ‚beides, wie der Begriff, einer unendlichen Vervollkommnung fä: big if. „Der Techniker schaut eine Mafchine, der Kunftfenner ein Bild anderd an, als der Ungebildete; aber der Unterfchied liegt nicht im Anfchauen (denn die Augen bes Ungebildeten fe- hen eben fo gut wie die bed Kenners), fonbern in der entwickel⸗ ten Apperception (Lazarus S. 203). Das Anfcehauen alfo fann nicht „reifer“ (Herbart, Pſych. 8. 147.) werden, als es ur: fprünglich ift gemäß der Gefundheit unferer Sinne; aber die „Befonnenheit“ wähft, und bie appercipirenden Borftellungs- maſſen werden reifer, und biefe Reife des Geiſtes bewirkt, daß die Anſchauung „verliert an dem, was ihr dharafteriftifch iſt“ (daf.).

Zur Sprachphiloſophie. ‚19%

Das Vorftellen aber, obwohl neben der Anfchauung vor⸗ handen, if doch der Entftehung nad) eine im Menſchen zeitlich fpäter ald die Anfchauung auftretende Form des Bewußtſeyns, welche im Kinde und im Thiere kaum vorhanden if. Ans ſchauung ift die Thätigfeit der Thierfeele, wenn man will, felbR- nad Herbartd Definition: „Anfchauen heißt, ein Object, ger genüber dem Subjecte, ald ein ſolches und fein anderes auf faffen.” Man denke an das Thier,- welches die Ohren fpißt; die Rage, die am warmen Dfen liegt, höre ein Geräufch, wie dad Gerafchel einer Maus, fehe in der Entfernung und im Dun- fein fich etwas bewegen: wie ift fie bemüht, das Object „als ein folches und Fein anderes" aufzufafien! Da ift auch Woͤl⸗ bung und Zufpisung zu erfennen; auch ein Subject mag fie feyn, nämlich, möchte ich jagen, ein Subject gegenüber dem Ob⸗ iecte, aber fein Ih, d. h. ein Subject gegenüber fich felbft als Object. Solches Ich enfteht erft durch Vorſtellen.

Borftellen aber heißt: in zufammengewidelten Reis ben denfen, der Inhalt diefer Reihen mag nun aus Ans fhauungen oder Begriffen oder Verhäftniffen und Beziehungen, zwifcher den Dingen unter ſich oder zwifchen ihnen und Perſo⸗ nen ober zwilchen Begriffen, beſtehen. Borftellen bezeichnet hier⸗ nah nur eine pſychologiſche Form, eine Weiſe ded Denkens, ohne ſelbſt irgend einen beftimmten Inhalt zu haben, aber fäs big, jeden Inhalt aufzunehmen eine Form, die natürlich erft auftreten kann, nachdem ſich Anſchauungoreihen ſchon gebildet haben. Bevor ich died weiter entwickele, babe ich mid) gegen Lazarus zu wenden, welcher, wie gefagt, der Vorſtellung einen beftimmten Inhalt zufchreibt. . | Ä

Zunähft unterfeheidet er Anfdyauung und Vorſtellung, und zwar eben fo, „daß auch in dem Denfinhalt beider, obgleich fie auf daſſelbe Object ſich beziehen, wefentlihe Verſchiedenheiten ſtattfinden“ (S. 168 ff... Nämlih: „die Anfchauung ift altes mal die Anfchauung eined einzelnen Dinges, iſt alfo immer in⸗ dividuell, fingulär ; ber Inhalt. ver Borftellung dagegen umfaßt nicht einen beftimnten, einzelnen Gegenftand, fondern eine Art

14 *

200 Dr. Steinthaf,

von Gegenftänden, fie iſt allgemein.“ Aber nicht „die Geſammt⸗ heit aller Anfchauungen von gleicher Art macht den vereinigten Inhalt der Vorftelung aus... Die Vorftellung Baum ift nicht die Einheit aller Bäume, die wir gefehen haben. Vielmehr ift der Inhalt ein in der That unbeftimmter, abftracter, weldyer einerfeitö alle Beftimmtheiten der ihm zugehörigen Anfchauungen einfchließt und dennoch felbft alle Beſtimmtheit feiner felbft ausschließt.”

Das fcheint mir nun alled durchaus richtig, fpricht aber, denfe ich, nur für mich. Der legte Sag zumalift In ded Verf, Sinne ganz unverfändlih, weil in, fi wiberfpruchevoll, und - erflärlich nur in meinem Sinne, Denn ift die Vorftellung die zulammengewidelte Reihe der Anfchauungen, jo ift begreiflich beides, wie fie alle Beftimmtheiten der Anfchauungen „einfchließt“ linvolvirt), und wie fie eben darum alle Beftimmtheit ihrer felbft ausfchliept, fo lange nämlich, bis die Reihe zur Evolution ges langt: dann find die Anfchauungen felbft da in ihrer Be— ſtimmtheit.

Auch was Lazarus weiter ſagt (S. 172) hat meine volle Zuftimmung, wenn ich es in meinem Sinne umbeuten darf. Thatſaͤchlich, heißt es, ift bei den Vorftellungen ber Menfchen „dad Wort, der Name ded Dinges, die eigentliche und einzige Stütze der Beftimmtheit des Inhalts, fo daß diefer ohne das Wort faum zu haften oder gedacht zu werden vermoͤchte. Wenig- ftend im rafchen Fluß der Rede finden wir bei genauer Beobachtung ben eigentlichen Inhalt der Vorftellungen auf ein Minimum res ducirt, fo daß kaum viel mehr als das bloße Wort gedacht wird, welches demnach gleichfam wie die mathematifche Formel einen Inhalt nur tepräfentirt, welcher, wenn die Abficht es er heifchte, zwar zur Entfaltung kommen könnte, gewöhnlich aber ald eine nicht in den Dienft kommende Referve ftehen bleibt.“ Das Minimum von Inhalt, welches Lazarus der Borftelung unter allen Umftänden refervirt, habe ich oben fehon zugeftanden und werde ich ſogleich näher zu entwideln ſuchen. Für mich ift nämlich diefer Inhalt von bloß formaler Bedeutung und Gels

Zur Sprachphiloſophie. 201 tung: während er für Lazarus der eigentliche Inhalt der Vor⸗

ſtellung iſt. Diefer Inhalt, meift auf ein Minimum rebucirt,

fann zur Entfaltung fommen: während ich meine, daß dieſer Inhalt mit demjenigen, welcher zur Entfaltung kommen Fönnte, gar nicht unmittelbar zufammenhängt, da er der bloß formale Gehalt der Vorftellung ift, und nur, ber Inhalt der Anfchauungen fih entfalten, ihre Reihe fich evolviren fann. Wenn mir alſo Lazarus entgegenhält, daß nicht alle Wörter oder Vorftelungen

im Augenblide des Seyns inhaltleer find, fondern in Bezug

auf Qualität des Inhalts fehr fchwanfen, und daß namentlidy die Prädicate „inhaltövoll und energifch gedacht” werben: fo ant⸗ worte ich, daß diefer Inhalt den Anfchauungen gehört, und bie größere oder geringere Energie der Borftellung darin Hegt, daß fie die Reihe der Anjchauungen mehr oder weniger aufwvidelt. Denn wenn die Vorftelung einen Inhalt „repräfentirt”, fo res präfentirt fie eben den Gehalt der Anfchauungen oder Begriffe, feinen eigenen. Die Cnergie der BVorftelung, und überhaupt wohl die größere oder geringere Energie des Denfend beruht darauf, daß während des in Vorftellungen fi) bewegenden Denk. proceffes der vorftellende Inhalt die Reihen, die er vorftellt, mehr oder weniger zur Entwidelung treibt *).

*) Die Energie des Denkens fept nicht unbedingt Leichtigfeit der Ent: faltung der Reihen voraus. Nur der Takt verlangt neben der Energie eine folche Zeichtigfeit der Neihenentfaltung, daß ein Glied der Reihe fo» gar ſchon wirkfam und maßgebend für den Lauf der Gedanken werden fann, nod) bevor die entfaltete Reihe in's Bewußtfeyn tritt, weöwegen denn nun auch die Reihe gar nicht mehr in’s Bewußtfeyn zu kommen braucht; fie hat geleiftet, was fie follte, und wird nun von andern verdrängt, die eben nöthig find. Leichtigkeit überhaupt beruht bloß auf der feiten Vers bindung der Glieder, Der Takt aber verlangt, daß die Verbindung nicht nur feſt und innig, jondern auch noch gefebmäßig fen, d. h. der Natur des Gedachten gemäß, und daher auch allfeitig und zwar auf allen Seiten in geſetzmäßiger Weiſe, oder wie die Sache erfordert, abgeftuft, alfo, möchte ih fagen, rhythmiſſch. Solch eine Verbindung kann fi bilden durch glücklichen Zufall, durch Tebhafte, theilnahmsvolle Anſchauung von Mus ftern, durch finniges, liebevolles Sich = Berfenten in das Wefen ber Sache,

wobei fih ohne alle Neflegion die Gedanken nad den Verhältnifien der

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202 Dr. Steinthaf,

Kann demnad ein befonderer Denfinhalt für die Anfchauung und ein anderer für die Vorftelung nicht unterfchieden werben, fo haben wir nun weiter zu fehen, was es auf fid) habe, wenn Lazarus zwei Claſſen von Vorftellungen unterfcheidet: „nämlid)

folche, die unmittelbar aus einer Anfchauung ſich entwideln, und.

ſolche, die nur mittelbar und entfernt auf Anfchauungen ſich bes ziehen" (S. 165), „nur auf Beranlaflung derfelben von ber Seele producirt werden" (S. 195). Unjere bisherige Betrach- tung war nur mit Rüdficht auf bie erſte Claſſe gemacht, und wir fagten z. B., die Vorftelung „Baum“ Hat feinen objectiven Inhalt, ftellt aber vor den Inhalt einer einzelnen Anfchaunng oder aller Anjchauungen, die wir je vom Baume gehabt haben. Wie verhält es fich aber mit der andern Claſſe?

„Hierher gehört zunäcdft alles was der Menfch zu ben durch finnliche Empfindungen gebildeten Anfchauungen hinzu« denft, theild als perfönliche Beziehung zu den Dingen der Ra: tur, theild als fubjective Beziehungen unter den Dingen feldft. Sp find z.B. alle negativen Urtheile fchon der Erfölg einer fubjectiven Beziehung” (S. 195). „Ein nod) viel weiteres, Ichier unendliche Gebiet von fubjectiven, weit über die bloße Naturanfchauung hinausgehenden, ſpecifiſch menſchlichen Vorftels lungen befteht aus allen den praftifchen, ethilchen und äftheti= ſchen Berhäftniffen, welche die Seele des Menfchen befchäfti- gen” (S. 196).

Sch babe die mit den angeführten Worten eingeleitete Ent⸗ widelung fchon mit befonderem Lobe erwähnt, und es ift nicht die Meinung, von demfelben auch nur das Geringfte zuruͤckzu⸗

Sache geſtalteten und verbanden. Dann kann eine ſolche Verbindung ſchnell und unbewußt und geſetzmäßig, alſo taktvoll auf Denken und Mol: len wirken, ohne daß das Geſetz, auf dem fie ſelbſt beruht, jemals zum Bes wußtfegn gekommen zu feyn oder no zu fommen braudte. Es giebt demnach einen gebildeten und einen natven Taft. Der erftere hat fi) nach Geſetzen gebildet und folche Fertigkeit in ihrer Ausübung erlangt, daß er fie übt, obne nöthig zu haben, fie in's Bewußtfeyn zu erheben, wiewohl er es koͤnnte; der letztere weiß überhaupt nichts von Geſetz.

Zur Sprachphiloſ ophie. 203

nehmen; nur daß dort der Vorſtellung ein beſonderer Inhalt, der nicht entweder Anſchauung oder Begriffe waͤre, unzweifelhaft erwieſen würde: das beſtreite ich.

Zunächſt bemerke ich, daß jene Entwickelung erſt folgt, nad)» dem Lazarus fehon von den Begriffen gefprochen hat, und daß er nun in ihr. den zuvor feftgeftellten Unterfchied zwifchen Vor—⸗ ftellung und Begriff nicht mehr beachtet: daher er meift ganz entſchieden nicht von Vorftelungen, fondern von Begriffen ſpricht. Wenn der Kunftfenner ben allgemeinen charakteriſtiſchen Typus Dürer's darftellen fol, wenn vom Einfluß der Sprache auf die Geſetzgebung die Rebe. ift, fo handelt es ſich doch un Begriffe; und ber begriffliche Inhalt, wie ber der Anfchauungen, beivegt fi) im Bewußtſeyn duch Vorftelungen, d. 5. in der Form von zufammengewidelten Reihen.

Aber Gott z. B., fagt Lazarus (S. 197), ift Doch im Bes wußtfeyn des —* „eine reine innere Vorſtellung, wobei es gar keine Anſchauung hat.“ Keineswegs! Wenn bei ihm „Gott heißt: der liebe, der wachſen und regnen und die Sonne ſcheinen läßt, zu dem man betet u. ſ. w., kurz der Lenfer der _ natürlichen und moraliſchen Weltordnung“, ſo beruht dieſer ganze Inhalt Gottes auf Anſchauungen, und Gott iſt nur die eingewidelte Reihe dieſer Anfchauungen,

Und wie bier bei Gott, fo ift e8 auch bei anderır abftracten Vorftellungen Lazarus felbft, der mir zeigt, wie fie auf Ans ſchauungen beruhen und nichts weiter find ald Reihen der Ans ſchauungen im Zuſtande der Involution. Muſterhaft treffend und klar zeigt Lazarus (S. 129 139) durch ſcharfſinnige Be⸗ trachtung und belehrende Beifpiele in deren Auswahl und Anwendung er glüdlich ift, wie wenige Schriftfteller %) wie

*) Bei den meiſten populär feyn wollenden Schriftitellern merkt man deutlih, daß die Beifpiele, die Anecdoten, nur da find zum Schmuck der Darftellung und zur Unterhaltung des Lefers. Aber bei Lazarus it Har, wie ſehr in addiscendis scientiis exempla prosant, "weil er aus ihnen die praecepta entwidelt.

204 Dr. Steinthat,

das Kind zur Bildung ber Vorftelungen von Sollen, Wollen, ic, mein, wachen u. f. w. gelangt, nämlich immer „durch die - Beziehungen, welche dieſe Vorftelungen zu den anfchaulichen Dingen haben* (S. 130). Ich will eben fo wenig Iäugnen, wie er, daß die moralifchen, äfthetifchen, religiöfen Vorftellungen „urfprünglich und von vorne herein inneres Eigenthum ob angeboren, oder offenbart, oder aus ihm felbft fchöpferifch er⸗ zeugt, fo doc jedenfalls Eigenthum des Geiſtes find; daß bie Bethätigung diefer geiftigen Elemente in einer Regung und Bewegung ber Seele befleht” (S. 197. Aber dieſe „Regungen und Bewegungen ber Seele" noch ganz abgeſehen von „allen finnlichen Anfchauungen, welche nur die entfernten Objecte diefer geiftigen Beziehungen ausmachen koͤnnen“ werben doch em⸗ pirifh, wenn auch inmerlich erfahren; es find Anfchauungen, nicht. von Aeußerm, fondern von Innerm, alſo empirifche Ans fhauungen, welche ſich wiederholen, in biefer Wiederholung eine Reihe bilden, wie die wiederholte Anfchauung ded Baumes, welche dann eine zufammengewidelte Reihe bifden und als foldye eine Borftelung heißen. Das Kind muß fehon vielfach die Stimmung der Andacht in fich erfahren, Freud und Leid durch» lebt haben, wenn es die Vorftellungen Andacht, Freude, Leib foll bilden, dieſe Wörter fol verftehen koͤnnen; hat es aber foldye Stimmung und ſolche Gefühle in ſich erlebt, follte e8 dann fhwerer feyn, fle aufzufaſſen und zu firiren, als bie Vorſtel⸗ lung Baum?

Lazarus fpricht von dem Triebe, welcher den Vorftellungen inne wohnt, ſich immer mehr zu verallgemeinern, und von- ber Neigung gewifler Leute, bei Definitionen nicht nach der Ingifchen Ordnung zu näcft höhern Begriffen aufzufteigen, fondern immer fogleih die abftracteften zur Erklärung zu wählen (S. 187). Mir fcheint, als müfle diefer Bemerkung die gerade entgegenges fegte ald gleich wahr hinzugefügt werden, und als Fönne man biejen Unterfchied dazu benugen, verfchiedene Bildungsftufen, Zeiten, Bölfer zu charakterifiren. Das Streben nad) abftrader Allgemeinheit. ift Zeichen der Halbbildung; ber eigentlich Unge- -

Zur Sprachphiloſophie. 205

bildete weift lieber auf die beftimmte Einzelheit hin, ihm ift das Allgemeine nur „Eins unter Bielen.“ Sokrates hat viel Mühe, feine plaftifchen helleniſchen Jünglinge in das Reich der Ab- ſtraction zu verfegen; auf die Frage: was ift Schön? antworten fie: diefe Frau, dieſes Pferd ift ſchͤn. Wenn der Corporal Trim erklären fol, was heißt das: du folft Vater und Mutter ehren? fo ift es cin beftimmter, feine eigene Berfon betreffender Ball, mit dem er antwortet. Dagegen iſt ja ber Hauptmann, welcher Honneur definirt ald „dasjenige vor demjenigen, dem's zufommt“ (S. 187), ein wahter Metaphyſiker und leibhaftiger Ariftoteles. Aber man überfege diefe Definition in's Latein oder Franzoͤſiſche!

Sehen wir nun, wie Lazarus Vorſtellung und Begriff ſchildert; oder vielmehr, da er wohl hier nichts Neues lehrt, ge⸗ ſtehen wir ihm nur ſogleich alles zu, was er über die Bildung des Begriffe, über feinen Unterfchied gegen Anſchauung und Borftellung, wie über feine Verwanbtfchaft mit derfelben fagt. Alles dies ift aud aus der Weife erklärlich, wie ich oben Ans ſchauung, Begriff und Vorſtellung befinirt habe. Wenn ich für die Entwidelung ded Gedankeninhaltd nur zwei Stufen an⸗ nehme: Anſchauung und Begriff, fo ftimme ich doch auch da⸗ für, innerhalb der zweiten Stufe Unterabtheilungen zu machen. Der Begriff des gemeinen Mannes, ber der empirifchen Wiſſen⸗ fchaft und der der Philofophie unterfcheiden fich allerdings be⸗ beutend genug.

Herbart meint, die ‚Eomplerionen von Empfindungen, welche wir ein Ding nennen, feyen ein Denkact. Wie das fol möglich feyn Eönnen, ſehe ich auch im entfernteften nicht ein. Berfchmelzungen von Elementen des Bewußtſeyns, welche mir allerdings vorzufommen fcheinen, bilden freilich nur einen Act des Denkens, aber auch nur ein Element ded Bewußtſeyns. Soweit zwei Elemente verfehmolzen find, ift auch ihre Beſonder⸗ heit, ihre Zweiheit, völlig unbewußt; fie find und gelten abjo- Iut ale Eins. In den Eomplerionen dagegen bleiben die Ele: mente als viele befondere; und wie ein Act des Bewußtſeyns

206 Dr. Steinthal,

viele Elemente erzeugen, gewußt machen fol: das ift mir unbe⸗ greiflih. Auch als innere Thatfache habe ich vergleichen nie in mir entdedt. Bielmehr find jene Complerionen Begriffe,. beren Inhalt in einer Reihe complicirter Merkmale liegt. Solche Be- griffe Fönnen nun gedacht werden explicite durch die Entwides lung der Reihe, ober implicite als Borftelung. In legterm Falle bewegt fih die ganze Neihe als ununterfchiedene Einheit burch das Bewußtſeyn vermöge eines einheitlichen Denkacts. Nun it nicht mehr Die Schwierigkeit vorhanden, wie in einem Denkacte viele Merkmale gedacht‘ werden fönnen; denn fie wer ben nicht gedacht; nur bad ift einzufehen, wie eine Reihe ges dacht werben Fönne, ohne daß ihre Glieder gedacht werben, Und hierauf ift die Antwort: die Reihe wird eben nicht wirklich ge- dacht, fondern durch einen Stellvertreter, dad Wort, bloß vor- geitellt *),

Die Begriffe find demnach gar feine pſychologiſchen That⸗ ſachen, fondern bloß eine logifche Abftraction oder eine angenom- mene Zufammenfaffung des Inhalts ſammtlicher Erfenntniffe von einer Sache. Der Begriff Thier 3. B., wie ihn der Na-

*, Es fen mir, menigftens unter dem Text, eine Bemerkung geftattet. Nah Obigem, was im Laufe des Artifeld noch weiter aufgeführt wird, fheint mir Herbart's Annahme einer Complerion durchaus unhaltbar. Seine Annahme der Verſchmelzung ſcheint mir noch ficherer vor Lotze's Bemer⸗ tungen über: das wefentlih unterfcheidende Bewußtfeyn fchwinden zu müffen. Möchten alfo die Pfychologen befondere Aufmerkſamkeit dieſer Grundlage aller pſychologiſchen Forſchung widmen. Und noch Eins. I es denn wahr, daß die Vorftellungen ſich afjecliren? oder werden fie von der Seele afjoclirt? IR es nicht ein ganz beſtimmter Kitt, welcher Vor⸗ ftelungen mit einander verbindet, ein beftimmtes Tertium, eine beftimmte Beziehung, die zwifchen zwei Borftellungen erkannt oder geftiftet it? Dies fheint Mar für alle Zäfle, in denen die Aſſociation auf dem Inhalt beruht, wie in der Reihe: Kopf, Zuß, Zerfe, Adilleus, Troja u. f. w. Wo fie aber auf Gleichzeitigfeit oder unmittelbarer Folge des Gegebenen bes rubt? Hier fcheint mir folgendes. Vorſtellungen find Zuftände der Seele; Borftelungen reproduciren heißt alfo für die Seele: in frühere Zuſtände zurüdfehren. Waren nun zwei Vorſtellungen in einem Zuftande gegeben, fo muß auch dieſer zurüdgelehrte Zuftand fie beide zurüdrufen.

Zur Sprachphiloſophie. 207

turforfcher hat, ift als folcher, als ein pfychologifcher Act, nie in ‚feinem Bewußtfeyn; er beiteht aus vielen Reihen von Reis ben, die zugleich zu denken unmöglich iſt. Pſychologiſch ift nur entweder die Entfaltung diefer Reihen nur daß bie legten Reihen fich gar nicht mehr entfalten laffen, weil fie nicht aus verbundenen, fondern aus verfchmolzenen Elementen beftehen oder ihre Vorftelung durch dad Wort.

Hieraus ergiebt fih von felbft, inwiefern ich Tiedemann (bei Drobifh Emp. Pſych. S. 56) beiftiimme, wenn er meint, Begriffe feyen „Skizzen, welche die Anfänge der einzelnen Züge enthalten, nebft einer Tendenz zum weitern Ausmahlen.“ Die Borftelung nämlich enthält weber Züge noch Anfänge dazu; fie ift bloße Tendenz, die Reihen zu entwideln. Auch wird Elar, was Drobifch (daf. ©. 57. 58) jagt; denn in der Vorftellung liegt zwar fein Schweben und feine Verworrenheit; aber fie ift nicht ſowohl ein Gedachted, als vielmehr „eine gewiſſe Forbes rung“ an das Denken,

Anfchauungen und Begriffe werden durch das Wort ges ſprochen; die Vorftellung wird nicht gefprochen, - fie fpricht und zwar Anfchauungen und Begriffe dur das Wort,

Gehen wir nun an die Betrachtung der Wirkſamkeit der Sprache, fo wäre, um mit dem Anfange anzufangen, zunädhft die Frage: worin, in welcher Thätigfeit der Seele liegt der Ur- fprung,. die Conception, die Schöpfung der Sprache? Denken wir und den phyſiſch⸗pſychiſchen Mechanismus des Urmenfchen noch fo vollfommen, den. Zuſammenhang von Leib und Seele noch To innig, die Anfchauungen noch fo lebhaft, ihre reflecti- rende Wirkung auf das Stimm- und Sprachorgan noch fo fein und beftimmt, fo daß auf jede befondere Anfchauung, auf jedes befondere Gefühl eine befondere und zwar die Flarfte Articulation, eine beutliche Sylbe dem Munde entführe: das alles ergäbe noch fein Wort, feine Sprache fo wenig wie Aechzen und Laden, jo wenig wie der Knall des entzündeten Pulverd, fo wenig der Thermometer fpricht, der und den Grad der Tempe, ratur anfagt. Hier ift überall bloß Urfach und Wirfung, und

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208 Dr. Steinthat,

ein Dritter mag diefe aus jener deuten, biefe zum Grfenntniß- prineip jener machen, fie als die Aeußerung und Sprache jener verſtehen. Wie lernt aber die Seele den von ihr reflectirten Laut ihres Leibes verftehen?

So geformt, wie die aufgeſtellte Analogie es herbeiführte, enthäft diefe Frage fchon die wichtige Erfenntnig vom Weſen und Urfprung der Sprache, daß Sprechen auf Verftehen beruht, daß ed an fich Verftehen des eigenen Lautes ift, daß Verftänd- niß ber fchöpferifche Act der Sprache, ihr Duellpunct iſt. Spre⸗ chen heißt weſentlich ſich felbft verftehen, und darum ift Sprache der Keim des Selbſtbewußtſeyns; denn im Sic) » Verftehen liegt zwar noch nicht das: Subject, aber etwas Subjectives, als Ob⸗ ject dem Subjecte gegenüber.

Aber es iſt nun eben die Frage: wie gelangt die Seele zu dieſem Selbftverftändnig? Der durch Reflexbewegung ents ftandene Laut wird nicht minder wahrgenommen ald der Gegen⸗ ftand der Anfchauung, und beide Wahrnehmungen, faft gleich zeitig erfolgend, aflociiren fi. Iſt nun Sprache vorhanden? Noch nicht, denke ih. Lazarus (S. 75) zwar meint: „diele

Affociation erzeugt, oder vielmehr fie ift ſchon die Bedeutung

des Lautes.“ Noch nicht, feheint mir; denn fie ift eben noch

nicht „die Verbindung des Lauted mit der Sache“ (daf.), fons

dern nur Verbundenheit. Mag ſchon „der Laut auch für bie Seele zum Begleiter der Wahrnehmung“ geworben ſeyn; biefe - Begleitung ift noch nicht gedeutet, verftanden, bat noch feinen Sinn. Kurz die Affociation ift ein mechanifcher Proceß, wie die Eniftehung des Lautes ſelbſt. Will man auch, wie ich - felbft geneigt bin, bie Affociation nicht von dem bloßen gegenfeitigen Verhalten der Vorftelungen ableiten, fondern aus ber Seele felbft : fo liegt doch ficherlich im der Verbindung des Gleichzeitis gen wegen ber bloßen Gleichzeitigfeit immer nur etwas rein Mechanifcyes. Daß der Laut alfo das Ding bedeute, ift in ber gleichzeitigen Wahrnehmung und Affociirung beider noch nicht gegeben. Ueberhaupt ift die Bebeutfamfeit ded Lautes etwas, was dem Bewußtſeyn nicht gegeben werben Tann, ift vielmehr

Zur Sprachphiloſophie. 209

eine Beziehung, welche der Geift erft ftiften muß. Alfo „in ber buch die Lautanfchauung vermittelten Verbindung des Lautes mit der Dinganfchauung liegt feine Bedeutung” (S. 76) noch nicht, und würde diefe Verbindung durch taufendfältige Wieder bolung auch noch To innig.

"Lazarus ift ein zu gewiflenhafter und zu feharfer ‘Denker, als daß ihm dies hätte entgehen koͤnnen. Nachdem er von ber Lauterzeugung gefprochen hat, kommt er auf den pfychifchen Pro⸗ ceß und fagt (S.99): „Allein wenn auch hierauf allein“ (naͤm⸗ ih auf der Affociation vom Laut⸗ und Sachanſchauung) „die faßbare und dauernde Bebeutfamfeit der Sprachlaute beruhte, fo geht doch für die erfte Bildung derfelben noch ein anderes Mittel der Verbindung voran. Der Ton felbft hat Achnlichkeit mit der Sache, aber freilich nur vermittelft der menſchlichen An- fhauung ..... Nach den urfprünglichen Weifen, wie bie Seele von empfangenen Einprüden afficirt wird, haben die Wahrneh- mungen der verfchiedenen Sinne für die Eeele eine gewifle Achn- fichfeit mit einander, und fie fann demnach faft alle Arten Wahr« nehmungsinhalt durch eime Art der Aeußerung fich vergegen- wärtigen, darftellen und erkennbar machen“ wenn fie nur erſt dieſe Achnlichkeit bemerft Hat und darauf verfallen ift, dieſelbe für ihre Bildung zu verwertben. Mag alfo immerhin urfprüng- ich „die Sprahfchöpfung Zautmalerei* feyn: fo mag fih die Seele damit vergnügen, zu jeder Anfchauung ein Lautbild zu ſchaffen. Woher aber „die Anwendung, alfo auch Berftändlich- keit” dieſer Lautbilder als Sprache?

So bleibt denn alſo dennoch hier eine Lücke, weil Lazarus nicht ſcharf genug hervorhob, daß Verſtehen der Keim des Sprechens iſt. Lazarus hat ſich auch dadurch geſchadet, daß er den phonetiſchen Proceß vom pſychiſchen, die aͤußere Sprachform von der inneren getrennt betrachtete.

Auch die Wirkſamkeit der Mittheilung ſchlaͤgt Lazarus zu gering an, wenn cr fie bloß „ungemein günftig für das Gelingen und Portjchreiten der Sprache” nennt. Viel⸗ mehr. ift Mittheilung ein wefentliher Moment der Schöpfung

210 Dr. Steinthal,

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und bed Weſens der Sprache. Der Urmenfch hat Teinen Mor nolog gehalten; nur als mitgetheilted Wort fonnte die Sprache entftehen. | j |

Bon einer Abficht zur Mittheilung kann freilic) urfprüng- lich nicht geredet werden. Woher follte diefe Abficht ftammen! auch fie muß fa erft entftehen, und fie Fann es erft, nachdem oftmald unabfihtlic Mitteilung ftattgefunden hat. Und nit nur die Abficht, dad Weſen und bie Möglichkeit ſelbſt der Mit- theilung ift zunächft der Seele unbekannt. Sie urfprünglid) weiß nicht8 von ihr; erft nachdem fie unbewußt ftattgefunden hat, lernt fie diefelbe durch Erfahrung fennen, und zwar durch ihren Erfolg. Wie oft bedurfte der Urmenſch bei Drohender Gefahr ber Hülfe des Anden! So wünfchte er den Andern herbei. Oder er ift im Sichern, flieht aber den Andern in unbewußter Gefahr und wünfcht ihn aus biefer gerettet zu fich, oder wünfcht, der Andere folle auf der Hut feyn, fi) wehren, Siegedluftig fehrt eine Schaar von der Jagd, der Sifcherei zurüd zu den daheim’ Gebliebenen, Von einer Gefellichaft fieht Einer etwas, was die Andern nod nicht fehen, etwas Schredendes oder. Erfreuended. U. ſ. w. Wird bergleihen etwa ſtumm voruͤbergehen? Solche Eindrücke, Zuſtaͤnde, Strebungen werden ſich im Gegentheil ſehr laut kund geben, ohne alle Ruͤckſicht auf Mittheilung. Der Laut iſt da, ungewollt; er wird verſtanden von allen, die ihn hören; der Erfolg, dad Verſtändniß, wird bemerft von allen, die zugegen find; und Laut, und Urſache bes Lautes Bedeutung, und Erfolg ded Lautes Verſtaͤnd⸗ niß bilden durch Affociation eine Reihe, die fi reproducirt, welched Glied auch derfelben unmittelbar gegeben feyn mag. Bes fonderd aber wird die Urſache des Lautes, alfo hülfsbedürftige Lage, Siegeöfreude, nicht bloß den frühern Laut, ſondern auch ben Erfolg defielben reprodueiren und dadurch den Trieb zur Mittheilung erregen. | Alſo: thatfächlih, wenn auch durchaus unbeabfichtigt, ſtattgehabte Mittheilung durch den unwillfürlihen Ruf; Verftändniß deſſelben durd den Hörenden und in Folge ber

Zur Sprachphiloſophie. 211

Beobachtung eined folchen Erfolges auch durch den Rufenden: died erzeugt Sprache, dies ift die Eonception derfelben, die Ap⸗ perception des Lautes als eines bedeutungsvollen, mitthei⸗ lungsfaäͤhigen; und fo entſteht Drang und Abſicht zur Mit theilung.

Haben wir mun fo die Sprache dem Geiſte entfpringen: fehen, fo kommt es weiter darauf an, die in ihr liegenden Mo⸗ mente oder Factoren genau zu fondern, Diefe werben nicht im⸗ mer diefelben bleiben, fondern mit der Entwidelung der Sprache fi) ändern. Wir ſtehen jetzt noch bei der erfien Stufe.

Die Reproduction des Lautes bei der Wiederholung ber Erſcheinung, welche er bedeutet, hängt ab von einer doppelten Urſache. Erſtlich wird dieſelbe Anſchauung durch die Neflexbes wegung ganz von ſelbſt denſelben Laut erzeugen; zweitens re- probuchrt durch Affociation die gegenwärtige Anfchauung die frü« here gleiche und mittelbar mit ihnen den mit ihnen affoctirten Reflerlaut. Je öfter fich die Erfcheinung wiederholt, um fo ge- tinger wird die Empfänglichfeit für fie, um fo fehwächer wird die Wirfung der Reflerbevwegung, aber aud) um fo ftärfer bie Macht der Affociation; das leiblich Mechanifche macht dem pſychiſch Mechanifchen Platz. Diefe Affociation aber beruht wiederum auf einer doppelten Grundlage, erftlich auf der Gleich⸗ zeitigfeit, zweitens auf der Verwandtſchaft des Juhalts, die gleich urfprünglic) von ber wefentlich vergleichenden Thätigfeit des Be⸗ wußtſeyns, wenn auch nur bunfel und gefühldmäßig, aufgefaßt wird. Won- diefer Bermandtfchaft zwifchen Anſchauung und Laut auf der onomatopoetifchen Stufe der Sprachſchöpfung fpricht La⸗ zarus ausführlid, und. wir haben ſchon die Kernftelle citirt. ‚Sch denfe nur hinzufügen zu müflen, daß jene Aehnlichkeit des Lautes mit der Anſchauung auf feiner Entftehung durch Refler beruht. Wir wiflen zwar durchaus nicht zu fagen, wie Lachen und Weinen mit den fie erzeugenden Gefühlen und Gedanken zufammenpaflen; und eben fo dunfel fönnte dad Verhältniß des Wortes zur bedeuteten Anfchauung ſeyn. Es ift aber jedenfalls: ber Unterfchied zu beachten, daß Lachen und Weinen auf fehr

212 Di. Steinthal,

unbeſtimmte Gefühle erfolgen, wenn auch diefe Gefühle aus fehr beftimmten Gedanken hervorgehen; aber nicht diefe Gedanken, fordern die wenig von der Beftimmtheit diefer Gedanken ents haltenden Gefühle reflectiren fi in den eben fo unbeftimmten Aeußerungen des Ladyend und Weinend. Die Spradylaute da⸗ gegen find Wirkungen viel beftimmterer Seelenerregungen. Ich ‚greife hier zunächft dankbar nah Volkmann's (Grundriß ber Pſych. 8. 26) Unterfchied von Ton und Inhalt der Empfin- dung und ber größern Complexe gleichzeitiger Empfindungen, welche Anfchauungen bilden. Auf der Gleichheit des Tons ber Wortanfhauung und der Sahanfhauung dürfte wohl zunächft bie Verwandtſchaft beider beruhen. Berner aber afficiren bie Erfcheinungen die Seele nicht bloß durdy Inhalt und Ton, fon- dern durch die ſubjectiven Bezüge berfelben zu fonftigen Gefüh- len, Wünfchen, Gedanken des Subjects; oder vielmehr dieſe ſub⸗ - jectiven Beziehungen wirken ähnlich ‚wie der Empfindungsreiz auf bie Stimmung des Centralorgand und beftimmen in fehr wirkſamer Weife den Ton der Anfchauung. Nun aber hat wohl feine Empfindung einen fo feinen, verhältnißmäßig beftimmten und darum einer großen Mannigfaltigfeit fähigen Ton wie bie Gehörsempfindung. Daher vermögen die Wörter die indivis buellen Töne fehr vieler, befonderd der primären Anfchauungen mit fühlbarer Beftimmtheit wiederzugeben, felbft wenn unter ben Empfindungen biefer Anfchauungen eine Gehörsempfindung gar nicht oder nur von geringer Bedeutung if. Don der elementa⸗ ren Wirfung der Tonempfindungen auf die Stimmung ber Seele fpricht Lazarus II, S. 321, Es ift dies die tonhafte Wirfung ‚ber Tonempfindungen, welche ihren Inhalt begleitet. Das Wort übt folche tonhafte Wirkung fo gut wie Gefang und Mufif. Die Bocale erftlich find felbft wirkliche Stimmtöne. in beſtimmter Höhe. In den einfolbigen Sprachen Chinas und Hinterinbiend haben die Vocale fogar nicht nur eine Höhe, fondern fle durch⸗ laufen fteigend oder fallend oder beides nad einander meh-

vere Töne ber Scala, und das Wort mit fleigendem a iſt nicht mehr bäfjelbe wie mit fallendem. Die Eonfonanten

Zur Sprachphiloſophie. 213

aber find Geräufche, deren Ton wohl noch befliminter, mates tiefler if.

Auf dieſem Zufanmenbange von ‚Laut und Anfchauung durch den Ton beruht alfo, meine ich, die Affociation derſelben. Denn diefer Zufammenhang wird im Gefühl bemerkt und macht felbft einen, wenn auch tunfeln Gegenftand des. Bewußtſeyns aus. Als folcher ift er die innere Sprachform. Wie Harmonie und Disharmonie mehrerer Töne auch beim mufifa- liſch vollig ungebildeten Menfchen eine fichere Thatſache feines Bewußtfeyns ift, fo ift ed auch die innere Sprachform beim Ur- menfchen. |

Aus diefer erften Stufe der Sprachbildung find nur we: nige Wörter in die hiftorifche Zeit gelangt, und dieſe wenigen, beſonders Benennungen für Bewegungen und Merkmale, ſind nicht ſicher auf die urſpruͤngliche Form und Bedeutung zuruͤck⸗ zuführen; daher die hiſtoriſche vergleichende Sprachwiſſen⸗ ihaft nur wenig ober gar nichts über die Onomatopoie zu ſa⸗ gen weiß.

Der eigentliche Wortfchäg der Eprachen hiſtoriſcher Zeit ſtammt aus der zweiten Periode, wo Dinge, Thätigfeiten und Eigenfchaften nady irgend einem hervorftechenten Merkmale mit einem Lautgebilde, welches zur Bezeichnung dieſes Merkmals fhon gefehaffen ift, benannt find. Selbft pater und mater ge- hören’ hierher; denn fie fommen von ben Wurzeln pa’ bejchügen, ma fchaffen, und Vater und Mutter werben alfo charafterifirend benannt, jener als Beichüber, dieſe als Echöpfer der Kinder; das „Kind“ und befonders der „Sohn“ ift das Erzeugte u f. w. Hier ift die innere Sprachform Har: fie enthält das Merkmal, womit ein Ding. bezeichnet wird.

Bon der innern Sprachform in biftorifcher Zei fpricht La⸗ zarus fehr lehrreich und klar S. 140 158. In den gewöhn- lihften, am meiften gebrauchten, befonderd concrete Dinge be- zeichnenden Wörtern iſt fie dem National: Bewußtfeyn entſchwun⸗ den. In den Wörtern Bater, Baum, Thier, Brot u. |. w. iſt

zifchen Laut und Bedeutung heute fein anbered Band mehr Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritit. 32. Band. 15

214 Dr. Steinthal,

ats das rein mechaniſche der Aſſociation. Dagegen ift in den abgeleiteten Wörtern der Zufammenhang zwifchen ber Bebeutung und dem Wurzelworte, oder bei urfprünglichen, aber mehrdeutis _ gen Wörtern die Beziehung der abgeleiteten Bedeutung zur urs fpränglichen wohl noch im Sprachgefühl lebendig, mehr ober weniger, je nad) dem befonvern Falle und audy entjchieden je nach der fprachlichen Individualität der verfchiedenen Perſonen. Durch diefen Zufammenhang der Wörter und ihrer Bedeutungen unterfcheiden fi urfprüngliche Sprachen, wie unfere deutſche, von ferundären Sprahen, 3. B. dem Branzöfifchen, ſehr ent⸗ fchieden. In den urfprünglichen, wenn auch zerftörten, Sprach⸗ organismen hat die innere Epradyform immer noch eine größere Lebendigkeit, die fih in der innern Entwidelung und in der Be⸗ reicherung ber Sprache. burch neue Bildungen auch ſchoͤpferiſch offenbart.

Lazarus erklärt dad VBergeflen ber innern. Epradyform (S. 141) rein pſychologiſch. Er bat daran durchaus recht ges than; benn der pfuchologifche Grund ift in dieſem Procefie figerlich das Wefentlihe. Daß „Tugend* von „taugen“ fommt, „Kunft” von „können“: daran denken wir doch gewiß bloß, oder wenigſtens hauptfächlich,, deswegen nicht, weil unfer Be⸗ griff von Tugend und Kunft den Begriffen taugen und können ganz entrüdt if. Aber wir dürfen darum doch die Mitwirkung der Berhältniffe der Außern Sprachform, d. h. des Lautes, als fecundäre Urfache nicht überfehen. So ift denn doch, denk ich, jetbft in den angeführten Fällen der Umftand nicht ohne Bedeu⸗ tung, daß die Kraft ded Ablautes, des Lautwandels überhaupt und der urjprünglichern einfachen Mittel der Wortbifdung bei und heute fehr gefhwächt if. Wir wiflen von taugen nur ab» zuleitn: Tauglichkeit deutlicher, aber fchiwerfälliger. Daher ift ed und auch lautlich, wie begrifflich, nicht leicht Tugend auf taugen zu bezichen. ben fo verftehen wir Nabel nicht, wels ches von Nähen kommt. Denn man verftcht nur die Sprach⸗ gebifve, die man auch felbft hätte fchaffen fünnen. In den mei ften Fällen wohl ift bie Emmologie aus dem allgemeinen Bes

Zur Sprachphiloſophie. 215

wußtſeyn dadurch geſchwunden, daß die Wurzelverba, mit denen bie Nomina zuſammenhaͤngen, verloren gegangen find. So ſteht „lahm“ mit einem Verbum in Verbindung, welches brechen, ſchwaͤchen bedeutet. Auch der Grund ſolches Verluſtes ſcheint klat. Die abgeleiteten Verba wie ‚laͤhmen“ bedenten nur wenig anderes als bie Wurzelverba, find aber deutlicher als dieſe mb verdrängen fie darum aus dem Bewußtſeyn. In andern Faͤllen iſt zwar auch bad Berbum noch bewahrt, aber Romen und Ver⸗ bum haben ein verfchiedenes Schickſal ihrer Laute erfahren: das rum verftand der Grieche den Zufammenhang von yırız und yırscdar nicht. Aber ſolche deutliche Entfremdung febt eine in⸗ were voraus. Daß endlich in allen dieſen Fällen auch noch tautverftümmelung die Erkennbarkeit der Wurzel zerftören lann, ſey nur der Vollſtaͤndigkeit wegen erwaͤhnt.

So viel über Entſtehung und Entwickelung der Eyrache. Das Geſagte wird genügen, um und den Prvceß bed Vorſtellens begreifen zu laſſen, zu deſſen Betrachtung wir uns nun wenden.

In unſerm Denken handelt es ſich um Begründung ven Beziehungen zwifchen fangen Reihen, Reiben von Reiben und Geflechten oder Beweben von Reiben nach ten manmnigfaltigften Dimenfionen. Und unfer Bewußtſeyn if fo eng! wie vermag es denn denkend mit. ſolchen Maſſen zu wirken? Es vers mag died nur durch den Kunftgriff, müchte ich fagen, daß es flatt der Reiben und Maflen von Merfmalen und Untheilen bloße Laute ſetzt. Und wie das?

Aus der dunkeln Schaplammer der Seele, wo. fie ale empfangenen Eindruͤcke und gebildeten Erfenntniffe aufbewahrt, sagen Laute hervor in's helle Bewußtſeyn, weldye, mit dem In- halte: ver Seele afforiirt, diefen Inhalt mit dem Bewußtſeyn ver mitteln. Hiernach erfchiene die Sprache als eine Klavintur für das Bewußtſeyn eine Betrachtungsweife, bie wohl nicht falſch, aber unvollſtaͤndig iſt und bald ergänzt werben ſoll.

Sagt man z. B. zu jemandem: N. iſt geſtorben; ſo wird beim Ausſprechen und Hören des. Subjectd nicht die Totalvor⸗ flellung einer Berfon gedacht, als welch eine Sache gar nicht

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516 Dr, Steintbat,

exiftirt; fondern der an ſich bedeutungsloſe Laut der Benennung des Subjectd, Earl, bein Vater, ift verbunden mit unferer gan- zen MWiffends und Gefühlsbeziehung zu einer Perſon. Der Laut verhallt und dieſe unfere Beziehung zu ihr ift wach; wie die Lautanſchauung im Bewußtfeyn erklingt, fo regt fich unfere ganze Kenntniß und Beurtheilung biefer Perfon und unfer ganzes Gemuͤthsbeduͤrfniß nach ihr als einheitliche Maffe pfychis ſcher Elentente unter der Schwelle des Bewußtſeyns, wenn nicht unter der flatifchen, fo doch unter der mechanifchen. Diefe Mafle, aufgeftört, fo zu fagen,. harrt einer Thätigfeit ober eines Leidens ; fie erwartet als Subject ein Prädicat. An dem Laute „tobt“ hängt der Gedanfe des DVerluftes durch das Verſchwinden einer Perſon aus dem Reiche ber Zeitlichkeit; jener Laut erfchallt, und diefer Gedanfe ift wach, um ald Prädicat mit jener Maſſe ats

dem Subjecte fich zu verbinden.

So find die Elemente der Sprache Die Nerven der Seele, ein fechfter Sinn, nicht zum Behufe der Vermittlung der Außenwelt mit dem Innern, fondern theild zur Mittheilung, d. h. zur Vermittlung einer Seele mit der andern, theild zur Vermittlung des Seeleninhaltes mit ben Bewußtſeyn, d. h. der Seele ald des Objects mit der Seele ald dem Subject. Denn fegen wir ftatt der Mittheilung „N. ift tobt” den wirklichen

Anblick felbft des Leichnams, fo wird der Compiler ber Geſichts⸗

empfindungen von benfelben Gedanfenmaffen, wie bie Wörter „N. ift tobt” appercipirt; aber die Apperception wird nicht ges bacht, nicht bewußt. Der Anblid wird den Schmerz erweden, den die Vereinigung jener Gebanfenmaffen verurfachen, und bie- fer Schmerz. wird immer, bald mehr bald weniger, Bewußtloſig⸗ feit verurfachen, bis man etwa ausbricht in den Ausruf: Er ift tobt! wodurch der Seeleninhalt in's Bewußtſeyn tritt, und der Schmerz nad) feiner Urfache gedacht wird. Der Audruf iſt aljo eine Mittheilung an fich felbft, der Seele ald bed Objects an die Seele als das Subject oder als Bewußtſeyn. Dieſe Selbfimittheilung wird auch in dem Falle ber eigentlichen Bes nachrichtigung nicht fehlen. Bei Iebterer wirken bie Wörter

Bur Sprachphiloſophie. 217

aus dem Munde bes. Andern wie ber Anblid; fie wirfen ges wiffermaßen als Nerven zur Wahrnehmung eines abwefenden Thaibeſtandes auf den centralen Inhalt der Seele, welcher ap⸗ percipirt. Auch bier ſchwindet zunächft das Vewußtſeyn und kehrt wieder mit der Selbftmittheilung, dem bewußten Echo ber erften Mittheilung. Die Wörter wirken alfo eben fo wohl cen= trifugal als centripetal zwifchen der Seele und dem Bewußtſeyn.

Hierdurch würde nun wohl ſchon Har feyn, wodurch jene Berdbichtung *) des Denfend bewirft wird, welche ed moͤg⸗ lich macht, daß troß der Enge des Bewußtſeyns und des immer discurfiven Charakters des Denfend, der aus jener Enge noth- wendig folgt, dennoch auch im bewußten Denfen mit einem Ruck, durch den Anftoß eines Hauches, taufend in einander greis fende Räder des Seeleninhalted zugleich und im ‚felben augen blide in Bewegung geſetzt werben.

Die Sache ift jedoch, wenn wir fagen, wie foeben geſche— hen iſt, das Wort ſey aſſociirt mit einem Inhalte unſerer Seele, nur unvollkommen ausgedruͤckt. So träge iſt das Bewußtſeyn nicht, daß es mit der Seele durch eine paffive Communications⸗ firaße vermittelt würde, al® welche wir dad Wort anfehen. Auch das Wort ſelbſt ift nicht ein paſſiver, bewußtlofer Nerv, eine todte Tafte. Sondern in beim Worte, in feiner innern Form, gppercipirt dad Bewußtſeyn den Inhalt ber Seele. Wir. haben ja oben gefehen, daß in biefer -Apperception fogar ber eigentliche Kitt Tiegt für die Affociation des Lautes mit ber Be⸗ deutung, daß nur fie den Laut zum Sprachlaut, d. h. bebeus tungsvoll macht. Durch den Eigennamen z. B., oder beutlicher etaa durch „Vater“, appercipirt dad Bewußtfeyn die Beziehung der Seele zu der Berfon, deren Benennung das Wort if. Und nur darum, weil im Worte der. tiefe, centrale Inhalt der Seele

*) Ee ſcheint mir ein großes Verdienſt von Lazarus, dieſe piyches logiſche Kategorie der Verdichtung des Denkens geſchaffen zu haben. Sie wird aber, dünkt mir, klarer nach meiner Auffaſſung des u Defense der Vorſtellung, als nad der feinigen. |

218 " Dr. Steinthal,

appercipirt if vom Bewußtfem, Tann er aud), ohne ſelbſt ins Bewußtſeyn zu treten, indem fich hier mur fein Apperceptions- mittel, das Wort, bewegt, durch dieſes das neu hinzutretenbe Prädicat appercipiren, weldyes auch felbft vom Bewußtſeyn im Worte fchon appercipirt ift, und fich darum ebenfalls durd fein Wort als Apperceptiondmittel appercipiren läßt. Indem aber bie eine Maſſe als Subject ſich die andere als Präpdicat aneig⸗ net, wird fie felbft vom Bewußtſeyn jo appercipirt, wie fle durch das VPraͤdicat näher beftinmt wird. Nur durch dieſe mehrfäfti- gen Operationen kommt das Urtheil zuftande. Kur im Urtheil aber, nicht im Wort, offenbart fi) das volle Xeben ber Sprache.

Dody bleiben wir noch ein wenig beim Worte. Beſtehe ed aus dem bloßen Laute, oder enthalte ed noch das Merkmal der innern Sprachform, immer ift es ein fehr einfaches Element, das vom Bewußtſeyn leicht regiert wird‘ In ihm aber ift vom Bewußtſeyn ein ganz anderer Eeeleninbalt und oft ein fehr reis her appereipirt, d. h. bier: epitomirt ober verbidhtet; fo vers mag e8, dieſen ganzen Inhalt dem Bewußtſeyn vorzuftellen; und biefer, als Borftellung im Bewußtfeyn, befindet fich im Zuftande der Berdichtung ober Abkürzung, oder des Auszu⸗ ged. Iſt nun aber das Wort nicht bloß ein mit einem Denk inhalt affociirter Laut, fondern iſt es ſelbſt eine Apperception dieſes Inhaltes, fo ift es, um eine Analogie zu haben, nit ein btoßer Nerv, ſondern ein ganze Organ, d. b. ein Mittel, wel- des die Weife der Bermittlung zwiſchen Seele und Bewußt⸗ feyn und daburdy auch ben Erfolg, alfo den Inhalt: des Den⸗ tens felbft, nad fidy beftimmt. Das Wort als Apperceptionds mittel beftimmt das Weſen der durch es vollzogenen Ap⸗. perception. |

Wenn nämlich auch die innere Sprachform, wie fie ur fprünglich im Etymon lag, vergefien ift: jo bildet ſich doch in der Hiftorifchen Zeit, oft ganz abgefehen von dem grammatifchen Zufammenhange bed Wortes, durch bie freie innere Auffaflung defielben tm Gebrauche, eine neue innere Spracform aus, in viel wirkfamerer und bebeutungsvellerer Weile, als durch bie

Zur Sprachphiloſophle. 219

bloß grammatiſche Bildung geſchehen konnte. Die Etymologie des Wortes Lenz z. B. iſt aus dem Nationalbewußtſeyn ge⸗ ſchwunden, ſchon aus dem äußern Grunde der Verſtümme⸗ lung des Wortes. Welche unendliche Poeſie knuͤpft ſich an Dies ſes Wort! ſtimmt ed und nicht augenblidlich poetiſch, fey es fhöpferiich, fey e6 empfänglih? Und nun bie Etymologie: alt deutſch lengizin vom Berbum lengizan, engl. lengthen; alſo die Jahreszeit, wo die Tage „lang* werben. Wie profaiich! wie bürftig! Sener poetifche Sinn des Wortes aber, vom Sprachgeiſte auf rein innerm Wege gefchaffen, ift heute Die ins nere Sprachform befielben. Das beweist Frühling, Frühijahr, weiches bafielbe Raturereigniß, denſelben Abſchnitt des Jahres bezeichnet, aber mehr profaisch, calendariih. Daß heißt alfo: berfelbe Anſchauungs⸗ und Begriffsinhalt wird nicht beliebig und gleichgültig: mit zwei verfshiedenen Lauten affoelirt, fondern durch zwei verſchiedene Wörter mit verfchiedenem Inhalte appercipirt.

Das Wort ift alfo ein fehr zartes Weſen, empfänglich für jeden milden Duft und jede Seinheit der Schattirung, bald vom affert⸗ und gefühlooliften, bald vom abftrarteften Tone; das eben fo wohl mit aller Wärme in die Tiefen des Gemüths, als mit aller Kälte in die Höhen der rein begrifflichen Abftractionen führt. Wie ed. nun ſelbſt appercipirt hat, fo beſtimmt es bie Apperception.

Jede Perſon hat verſchiedene Vorſtellungskreiſe, an die ſich verſchiedene Gefühle, Affecte, Triebe knüpfen; in reichen Spra⸗ den aber hat auch jeder Kreis feine befondere Sprache, d. h. fein beſonderes Apperceptionsorgan, Durch Bethätigung biefer Dre gane können wir frei denjenigen Kreis in bie Wirlſamkeit der Apperception verfegen, ber für die Gelegenheit und unfere Abs -ficht paßt. Ich erwähne hier nur den allgemeinften Unterſchied der Poeſie und Profa, d. h. der erhöbten, von ſtarken und evein Gefühlen bewegten Stimmung und der gemäßigten, vom Berftanbe und von der Reflexion beherrfchten. Die Sprachen zeigen fich im biefer Beziehung allerdings won verſchiedener Kraft. Wie arm if hier die römische Sprache im Vergleich zur griechi⸗

290 Dr. Steinthal,

fhen! und wie arm find die romanifchen Sprachen im Vergleich zur deutfchen! Und wenn ber Grieche zum Ausbrud feiner ver fhiedenen Stimmungen die Verfchiedenbeit feiner charafterverfchie- denen Dialekte benugt plaftifch wie immer, aber doch auch etwas äußerlich, wie immer fo vermag der Deutliche rein innerhalb feines allgemeinen Dialekt, durch mehr innerliche Mit- tel,. jeden Ton anzufchlagen. Wenn ber Dichter fingt: „Schwin- det ihr dunkeln Wölbungen- droben“: fo bebarf es kaum des wundervollen Rhythmus und Reimes, die beide aber doch auch

Mittel der Sprache find, um unfere poetifche Apperceptionsfraft -

anzuregen, Das Simpler „fchwindet” flatt des Gompofitums „verfhwindet? bie einfachen Wörter find im Allgemeinen poetifcher, weil urfprünglicher, alfo conereter, alfo ber Sinnlich⸗ feit und dem Gefühle näher ftehend, als die Compoſita, welche Flarer, dem Berftande zufagender, abftracter find „broben“ und wohl auch „Wölbung” flatt Gewölbe: dieſe Verhaͤltniſſe

der Wörter an fich würden allein ſchon genügen, uns höher zu

ſtimmen. Und diefer erfte Anklang würde fo mächtig fen, um ein ganzes Lied Hindurchzuflingen, wenn auch nicht jeder folgende Vers den Ton fteigerte. Auch die Onomatopöie des angeführ- ten Liebes kommt in Betracht, wenn fle auch nicht jene urſpruͤng⸗ liche -ift, fondern eine durch. die Kunft des Dichters erzeugte, die aber doch auch mit ber urfprünglichen im Zuſammenhange fteht (. Lazarus ©. 147 ff.).

Wegen diefer poetifchen Mittel feiner Sprache braucht auch der Deutſche Fein Latein, um fich religiös zu flimmen.

Er fpricht zu Gott in derſelben Sprache, wie auf den -Marfte, .

und doch mit andern Worten. Auch Hier Iäßt ſich zuweilen ber Zufammenhang der Sprachform mit feiner Wirfung nachweifen. Die breiten ‘Bräteritalformen, 3. B. Iobete, paflen zur getragenen Stimmung der Andacht, die fich langfam bewegt. Die einfachere Wortftellung und die lofe Anreihung der Säge ferner haben einer- ſeits bdaffelbe langfame Tempo, und entrüden und anbererfeits der Fünftlicher gebildeten Rede der Welt. Das alles ift Wirs fung ber innern Spradform, die ihren Sig nicht bloß im Ver⸗

Zur Sprachphiloſophie. 221

ſtande, ſondern auch in der Phantaſie und im Gefühl, kurz in ‚den mannigfaltigſten Aſſociationen bat. Wer in ber Sprache ber Lutherſchen Bibelüberfegung fpricht, ſtimmt religiös *),

Wir haben freilich in keiner Sprache zu jedem Worte ber Profa noch einen entfprechenden poetifchen Ausdruck; allein deſ⸗ fen bedarf e8 auch nicht. Jedes Wort tft mehrbeutig, kann mehrfach wirken, und der Zufammenhang entfcheidet, welche Wir⸗ bung erfolgt. So mächtig wirft ein Wort auf das andere, und fo empfindlich ift jedes für den Eindrud vom andern, daß ein entſchieden poetifches Wort an rechter Stelle alles um fich her poetifch färbt. „Eiche“ bedeutet nicht bloß für den Zimmermann, ben Gerber, ben Dichter etwas anderes; fondern für jeden Men⸗ fhen bat died Wort alle biefe Bedeutungen, bald diefe, bald jene. Lazarus bemerft (S. 240): „Sagt jemand etwa „„den festen Herbſt babe ich im Harze zugebracht““: fo dürfen wir mit Gewißhelt vorausſetzen, er werde. bei dem Worte Herbft nicht bloß an die Talenbarifche Zeit und bei dem Worte Harz nicht bloß an den geographifchen Raum denken; fonbern eine unbeſtimmte Mafle von Bildern und Anfchauungen werben bas zwifchen auftauchen und wie Wogen vorüberraufhen. So wie man zumeilen zwifchen den Zeilen leſen fann, fo wird meift zwifchen ven Wörtern, die man fpricht, gedacht” nicht meift, fondern immer; aber nidyt zwifchen, fonbern unter den Wörtern, infofern als die Reihen und Maffen, welche das Wort vorftelt, unter der Schwelle gedacht werben. Für wen bedeutet benn- wohl das Wort Harz bloß den geographiichen Raum? für die Geographie, d.h. für Niemanden, fondern nur für eine beftimmte Gelegenheit, d. 5. für und infofern und im Augenblide, wo wir Geographen find. Sonft wird in jedem dad Wort Hay auch in dem, ber den Harz nicht gefehen hat das ganze Ge⸗

*) Das Latein bat nur für den, der es nicht verfteht, rekigläfe Wire fung; den Priefter muß es oft an Birgil und Ovid erinnern. Die Wir« fung des hebräifchen Wortes dagegen, beſonders auf den rabbinifch gebil« deren religiöfen Juden, wird zwar von jedem Pſychologen leicht begriffen, ſchwerlich aber vollſtändig nachgefühlt.

233 Dr. Steinthal,

fühl erregen und bedeuten, welches er beim Genuſſe dieſer Na⸗ tur erlebt hat oder fich verfpriht. Das Wort Harz alfo ik fowohl die Anperception eined Ereigniſſes in unferm Leben durch den Ort, auf dem es flatifand, ald auch die Apperception eines Ortes durch den Genuß, den er gewaͤhrt. .

Altes finnlich Gegebene it demnach für und nur das, als was wir es appercipiren, und, da das Wort Organ der Apper⸗ ception iſt, als was das Wort es verfündet. Wenn nun aber dad Wort auch die Apperception von Begriffen genannt wird, fo ift wohl zu beobachten, daß nicht etwa ber Begriff vor dem Worte da war und dann erft von demielben appercipixt ift; ſon⸗ dern er ift erſt der Erfolg der Alpperception aller Anſchauungs⸗ verhältnifie, auf denen er beruht, und ift erft durch dad Wort, atd dad Organ dieſer Apperception, gebildet. Ein Beifpiel ſey ber Begriff des „letzten.“ Es fcheint in dieſem Halle beſonders deswegen ſchwer, ein einheitliches Apperceptionsmittel zu finden, weil der Begriff oder bie Sache durchaus auf einem Reihen» verhäktnifie beruht, has durch mehrere Factoren gebilbet wird; bie Einfachheit des appercipirenden Mittels ik aber nöthig, wenn es als Wort feinen zu appercipirenden Inhalt vorftellen fol. Der Römer .ift Bier, wie meift, abſtract; er bevient ſich bei Demonftrativumd, denn fein ullimus tft, fo zu fagen: ber jer nigfte, d. h. ber fernfte, auf den gezeigt werden kann. Der deutfche. „letzte“ ift der Iafle, träge, ſpaͤte (engl. late). Den Franzoſen ift le dernier der hinter andern, im Rüden anderer feyende. Ein franzöflfches Kind aber (wurde mir erzählt), das biefed Wort noch wicht kannte, bildete fich gelegentlich ſelbſt eins, indem e8 ben Begriff bildete. Aufgefordert naͤmlich, dem Brus der ein Bonbon aus feiner vollen Schachtel zu ‚geben, verſprach es, ihm ben legten zu geben, mit ben Worten: je te donnerai le qu’un, d. 5. denjenigen, von dem es heißen wird: il w’y en a encore qu’un. So läßt dad Wort die Bildung des Ber griff belaufchen, indem es die begriffbildende Apperception vers

räth, obwohl es gerade den Inhalt des ben. Begriff bildenden

Urtheild nur zur Einfachheit verdichtet vorſtellt.

Zur Sprachphiloſophie. . 223:

So iſt alfo das Wort nicht eine träge Lautmaſſe an den fertigen Begriff gefnüpft; es iſt als Vorſtellung nicht ein paſſi⸗ ves Repräfentationsmittel für einen ibm fremben Inhalt; ſon⸗ dern, wenn id; auch die Borftellung als rein formales Element fafle, erkenne ich doch in ihr, wie Lazarus, den Schmelgofen ber Anfchauung, die Werfftätte des Begriffs, ber nach feinem In⸗ halte von dem Durchgange durch den Vorſtellungsproceß weſent⸗ lich beſtimmt wird.

Noch bedeutungsvoller für das Denken wird uns die Sprache erfcheinen, wenn wir nicht bloß, wie bier gefchehen iſt, ihre materialen Elemente, die Wörter betrachten, fondern auch ihre formale Seite, die Grammatik, berüdjichtigen, wie fie fi im Satze offenbart. Dies würde uns hier zu weit führen. Darum ſey mir nur eine Bemerkung geftattet *). ,

Drobiſch (a. a. O. S. 160) fagt: „Das Urtheilen, außer dem wiſſenſchaftlichen Zuſammenhang als pſychologiſcher Act betrachtet, iſt die einfachſte Form des Appercipirens.“ Es iſt nicht eine Aſſociation der in ihm enthaltenen Begriffe; ſondern es bewirkt erſt eine folche. Es iſt aber die einfachſte Art des bewußten Denkens und geht / immer Hand in Hand mit dem ſprachlichen Satze (daſ. S. 158). Daſſelbe fagen Volkmann und Herbart. Ich muß nur hinzufügen, daß, wenn das Urthei⸗ len ſich vom einfachen, auf bloßen Aſſociationen und deren Re⸗ production beruhenden Erkennen der Thiere (S. 157) nur durch die Bewußtheit unterſcheidet: dieſe Bewußtheit deren Werth

=), Die verdichtende Kraft der Sprache und ihre Wirkfamkeit für keitht beweglihes und eben darum klares Denten würde fih befonders augenf&heinlich machen lafjen, wenn wir fie egperimentell ausfondern fünns ten. Solches Experiment liegt aber, wenn aud nur in fehr befchräntter Beife, tbarfählich vor in den unvollfommenen Sprachen der Wilden, in denen der Berdichtungdproceß unvellendet geblieben ik. Jedoch auch über Vielen Bunct muß bier eine Andeutung genügen. Nur noch folgendes Bei⸗ fiel. Statt „hole mir‘ fagt man: „nimm, komm, gieb mir“, oder „geb, komm mit” (einer Sache), oder „geb, nimm, fomm, gieb“; d. b. die ent⸗ widelte Reihe ſtatt der verdichteten denken Log. Lazarus S. 106. 107).

X

324 Dr, Steinthal, Zur Sprachphiloſophie.

Drobiſch bei weitem umterfhägt eben die Wirkfamfeit ver .

Sprache ift; denn die Bewußtheit, alfo das Denken, beruht eben darauf, daß die objective Erkenntniß in den Wendungen ber Sprache ihr ſubjectives, vom Bewußtſeyn gebildetes Spiegel⸗ bild findet.

Und noch eins. Drobiſch, auch Volkmann und Herbart,

meint, das Urtheil, einmal vollzogen, iſt damit auch verſchwunden;

und an feine Stelle iſt die gemachte Aſſociation, der durch es ges bildete Begriff, getreten. Das, etwa zum Behuf der Mittheilung bed Begriffs, wiederholte Urtheil fey nur ein „Iprachlicher Noth⸗ behelf“, weil die Sprache fih nur in Sägen, d. h. in ber Form bed Urtheild, bewege, Das Urtheil aber, als wirkliches Urtheil, die Mutter ded Begriffs, ftirbt gleich nach der Geburt des Soh⸗ ned. Dagegen würde ich behaupten müflen: ein fo, gedachter, ‚paffiver Begriff exiftirt überhaupt nicht. Jede gedachte Aſſocia⸗ tion bleibt immer thätige Affociirung, iſt Urtheil und Sag. In Drobiſch's geiftreichem Bilde zu reden, würde. ich fagen: ber Begriff iſt das ewige Embryo des Urtheild. Beſſer aber noch jagt man vielleiht:. Die Factoren des Urtheils, und viele Urs theife in ihrer gefeßmäßigen Verwebung find bie Organe bes Begriffs, fein Leben, welches, an fich nur eine einfache Einheit, d. h. Einheit vieler Elemente, durch die einfache Einheit bes Worted nur ſcheinbar einfach vorgeftelt wird. Darum kann das wahre Denken bed Begriffs nur gefrhehen durch Wiederholung bed Urtheild, das ihn bildet. Das wieberholte Urtheil iſt alfo fein „wiebergefehrter Schatten“, fondern die Energie des Bes griffs. Voller, wahrer ald im Worte wird darum auch der Bes griff im Satze vorgeftellt, d. b. in der Vorftellung bes Urtheils. Die Satzform drängt nicht dem Denken die Form bes Urtheils auf, fondern folgt aus der Nothwendigkeit für das Denken, ſich in Uriheilen zu bewegen. Denn, wie der Dens fende felbft für fich, wenn er ben Begriff will, immer urtheilen muß: fo muß er auch dieſes Urtheilen, damit es ein bewußtes Denken ſey, ſich vorſtellen im Satze.

Prof. Dr. Monrad, Das Problem d. Philoſ. u. feine geſch.ꝛe. 225

Das Problem der Philoſophie und feine gefebichtliche Evolution. Eine kritifche Betrachtung von Prof. Dr. Monrad.

- Erfte Hälfte | J

Leibnitz ſagt irgendwo, daß alle oder die meiſten philoſo⸗ phiſchen Syſteme Recht- haben in dem, was fie poſitiv behaup⸗ ten, Unrecht aber in dem, was fie negiren. Diefe Aeußerung Fönnte feicht und oberflächlich feinen: man Eönnte fie für das Schiboleth des fehlechteften Eklektieismus haften, ber überall et⸗ was Gutes und Annehmlicdyes findet, fo lange nämlich, ald man auf dem Felde der Gemeinpläge verweilt, der aber immer, wo ed zur fchärferen Beftimmung kommt, abbricht und fcheu zurüds tritt. Das Pofitive und das Negative wird fo als gegen ein« ander Außerlich und zufällig betrachtet, als ob nicht das Polls tive felbft feine wahre Bedeutung hätte in ber nothwendig und innerlich anhaftenden Regation, und in bemfelben Augenblid, als diefe Spitze abgebrochen wäre, felbft aufbörte, etwas Pofi⸗ tives, d. h. Beſtimmtes zu fern. Das ift eben ber Standpunct jener barmlofen philofophifchen Dilettanten, die ohne Syſtem vertraulich im Finftern herumtappen, wo alle Katzen grau find, und die Rofen der Wiffenfchaft wohl ohne Dormen möchten, weßhalb fie dann bie Rofen nie frifch vom Strauche pflüden koͤn⸗ nen, fondern fich ınit einer Art von Potpourri begnügen müffen. Mit eben fo .großem Rechte, ja mit größerem, fcheint «6, koͤnnte gefagt werden, daß eben dad Negative bie eigentliche Seele. der Syſteme ausmache, daß darin ihre Berechtigung und Bedeutung. beftche, daß hingegen eine jebe pofitive Behauptung entweder tautologifch und nichtöfagend, oder übereilt und einfeis tig ſey. Was ein neues Syſtem motivire, fey Immer ber Man- gel und die Ginfeitigfeit des vorhandenen; wäre biefes vollfom- men, fo bliebe Fein Raum für das neue, ja biefed wäre nicht einmal möglih. Wenn alfo auch das neue Syſtem in allem- Uebrigen grundfalfch wäre: in fo weit hätte es doch Recht, als

>, Prof. Dr. Rontad,

es fich dem alten wiberfegte und deſſen Mangel, ausdrücklich oder ſullſchweigend, ruͤgte, alſo werhiuberte, daß die falfihe Theo⸗ rie ſich Eryftallifire. So werben wir aber auch in bie Denkungs⸗ art vieler Menſchen hineingeführt, eben jener verſchmitzten Welt⸗ maͤnner, denen alle Philoſophie laͤſtig iſt und denen das in allen Syſtemen das Liebſte und Wahrfte iR, baß fie einander aufheben und zerfiören.

So viel fehen: wir gleich, bag es ſehr leicht if, den guten Leibniß zu meiftern, und es iſt auch Fein IBamber, wenn in Une ferer aufgeflärten Zeit im Grunde jeber Schulfuchs bie Sache befier verſteht. Haben wir doch jetzt fo viel von ber „dialelti⸗ ſchen Entwidelung“ gehört, daß und ganz fchwindlig zu Muthe wird und alle Syſteme gleich der wilden Jagd vor unferm Kopfe sorüberziehen, um und nur- ſtaunend zuruͤckzulaffen.

Ja es gäbe wohl auch den gewandten Dialekter, der den leibnitziſchen Satz wie einen yeudöueros gegen ihn ſelbſt Ichten koͤnnte, indem er meinte, nur in dem fey Leibnitz zu trauen, was er über dad Recht der Syfteme fagt, in dem aber, was er über ihr Unrecht auszufprechen wagt, habe er feinem eigenen Sape zufolge ſelbſt Unrecht. Was für den Eklekticismus und, indirect für den Skepticismus ned bequemer auslau⸗ fen wärde.

Doch laſſen wir. hier ſowohl die formellen Dialektiker als die eklektiſchen Dilettanten und die weltklugen Zweifler, und fragen uns ganz ernſtlich, was an dem leibnitziſchen Satze iſt; ober vielmehr laſſen wir auch Leibnitz liegen, um nur im All⸗ gemeinen. zu unterfudyen, was vom Recht. und Unrecht der Sy: fieme zu halten fey. Die Frage ift eine alte; denn nicht von geftern ber hat die unläugbare Erſcheinung, daß die philofophte fhen Syſteme wechſeln und einander aufheben, bie Wohlmeinen⸗ den beunruhigt und denen, bie der ganzen Philofophie gem los feyn möchten, zum Lieblingdthema und zum bevorzugten Anhalts⸗ puncte ihrer Angriffe gedient. Beſonders ift diefe wir moͤch⸗ ten faft jagen: Beforgniß rege geworden, ſeitdem die Philoſophie durch ihre fpätere Entwidelung ihrer unmittelbaren jedesmaligen

Das Problem der Philoſ. u. feime geſchichtliche Evofution. 27 i

Exiſtenz gleichfam entrüdt und zum gefhichtlichen Bewußtſeyn erwacht iſtz ja jene Sragen und Zweifel: wegen der Berfchieden- heit der Syſteme And wenn ehrlich und nicht bloße Vor⸗ wände bes Nichtphilofophitend eben bie Symptome von bie- fem Erwachen, Zeichen, daß bie Zeitphilofophie nicht naiv in fich felbft, in ihrer Befchränfung befriedigt ift, fondern den Drang fühlt, über fich felbft, über ihre eigene Schranfe hinauszugehen. In der Berzweiflung über die Discrepanz ber Syiteme liegt eigentlich des Geiſtes unabweisbare Forderung, baß fie body zu vereinen find, und daß bie wahre Philofophie nur eine, Al⸗ les umfaffende, ſeyn kann.

Es ift befamnt, wie bie Philoſophie diefe Bereinigung zu bewerkſtelligen gefucht hat. Ste hat eben jenes geichichtliche Bewußtſeyn gewiflermaßen zu ihrem eignen Princip "gemacht, ſich ſelbſt gleichſam aus ihren Angeln gehoben und ber rivali» renden Nebenftelung mit ben andern. Syſtemen dadurch enthes ben wollen, daß fie behauptete, die andern umfaßt und in ſich „aufgehoben“ zu haben. Dieſe ‘Bhilofophie wollte nicht una de multis, fondern una ex: multis s. una multarum, nidyt eine - von ben vielen, fondern eine aus den vielen Philofophieen, ihr aller letztes Refultatfeyn. Indem fie für fih auf dad Dogma verzichtete oder herabſah und dagegen bie Entwide- fung in Anfprady nahm, hat fie auch das Verdienſt, die Reihe der vorigen Philofophieen ald eine Entwidelung, ald beren letz⸗ tes umb abfchließendes Glied fie fich ſelbſt auffaßte, begriffen und dadurch erft das Princip einer wahren Gefchichte der Phi⸗ Iophie angegeben zu haben. Das legte Glied jener hiftorifchen Entwidelung fey num aber eben darum das legte und abſchlie⸗ fende, weil die Entwidelung: bier zu ſich felbft gefommen fey, und der Unterfchied zwifchen der großen gefchichtlichen Bewegung und der engen bialeftifchen Bewegung bed legten Syitemd ſey nur der, baß dert der. fortfchreitende Zufammenhang unmittels bar fey und bie Form ber Zufälligfeit habe, auch mit einer Menge wirklicher Zufäligfeiten behaftet fey, hier aber vom Haufe ans bewußt umb bezwedit: und von ben Zufälligkeiten möglicht

228 Prof. Dr. Mourad,

gereinigt erfcheine. Gleichwie nun einerfeitd erft diefe ſyſtemati⸗ fche Einficht jenen verborgenen Zufammenhang eruiren und in's Licht fegen kann, weil nur für fie die Geſchichte als etwas Wirk⸗ liches, Vernuͤnftiges entfieht: fo hat andererſeits biefes Syſtem gleichſam feine objective Probe, wodurch es fich ald etwas Mehr als cin fubjectived Denk» Experiment erweift, barin, daß es bie ganze gefchichtlihe Entwidelung in ſich abipiegelt, fo daß es wirklich als die That nicht eined Einzelnen, fondern des allges meinen Weltgeiftes erfcheint.

Wir Fönnten rüdfichtlich biefes ganzen Verhältniffed auf Hegel fchöne Exrpofition in der Einleitung zur Gefchichte der Philoſophie verweifen; weil aber Viele jet ſchon fo weit „über Hegel hinaus“ ſich dünfen, daß fie nicht einmal feine Schriften leſen; weil e8 hier auch nicht auf Hiftorifch treue Wiedergebung der Anfichten anfommt: ziehen wir es vor, bie Sache zu neh» men, wie fie im philofophifchen Zeitbewußtieyn und zu fliehen fheint, und daraus die Folgerungen zu ziehen, ganz unbefün« mert, ob wir dadurch zu neuen Ergebnifien gelangen, oder eigent« ih nur das Alte und ſchon Bekannte herausfommen wird. Denn jedenfall braucht die Zeit, brauchen wir felbft oft auch bad Befannte- und wieder fagen zu laflen.

Suchen wir alſo dad Verhaͤltniß, welches die Philoſophie zu ihrer Gefchichte eingenommen hat, und weiter zu verbeutli«

—chen. Es erhellt aus dem ſchon Gefagten, daß es fehr im In-

terefie des Syſtems felbft liegt, die Geſchichte an fich heranzu⸗ ziehen und mit fi) in Einklang zu bringen. Denn es ſucht ja hierin, wie es fcheint, eine Art von objectivem Guͤltigkeits⸗Stem⸗ pel; ed will ja nicht nur dem Augenblid gehören, nicht nur ein unmittelbarer Ausfchlag der Stimmungen der Zeit feyn, fondern ald ein nothwendiges Refjultat der ganzen vorangegangenen. Ent» wickelung gelten. Eben weil es Philofophie ift, begnügt es fich nicht damit, aus dem Vergangenen unmittelbar wie es fonft mit allem Zeitbewußtfeyn und mit allen Zeitverhältniffen noth⸗ wendig der Fall ift geflofien und vom Nädhften blindlings abhängig zu feyn; bie Philofophie muß ihre gegenwärtige Stele

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 229

lung nicht bloß vorgefunden und angenommen haben, fonbern wejentlich begreifen und felber aus der Ganzheit der Bebingun- gen beduciren. Nur dadurch wird das Denfen über ben Augens blit gehoben und gleichſam vom finftern Drud der Fatalität befreit, daß die Scheivewand ber nächften Vergangenheit durch⸗ brochen und der Gefichtöfreis über die ganze Vorzeit erweitert

iſt. Mit diefer Vorzeit ſteht die Philofophie zwar in nothwen-

biger Verbindung ; denn nicht ift fie wie ein Pilz aus der Erbe hervorgejchoflen, dann wäre fie nur ald ein willfürlicher Einfall zu betrachten; allein ihre Gegenwart hat fie nicht von den Bä- tern überliefert befommen, fondern eben durch ihr Zurüdfchauen

fih ſelbſt gemacht.

Duch das Heranziehen der Gefchichte bewährt alfo die

. gegenwärtige Philofophie nicht nur ihre Hiftorifche Nothwendig—

feit, fo daß fie ald eine objective That des Weltgeiftes erfcheint was vielleicht ihr erfted Intereſſe ausmachte —, fondern ebenjo, wie fich unterdefjen ergeben hat, und was fpäter aus⸗ führlicher zu entwideln ift, ihre Freiheit. Verhehlen wir uns indeffen nicht die Schwierigkeiten, die fchon im Keime da liegen. Es iſt nämlich) offenbar, daß nicht bloß zu jenem hiftorifchen Beweife, Sondern überhaupt zu philofophifchem Gebrauch die unmittelbaren äußeren Thatſachen, gleichfam bie rohe gefchicht- liche Mafle, ganz untauglich find. Denn nicht einmal für Ges - ichichte find fie zu achten fie müßten denn jedenfalls Eritifch gefichtet und nach gewiſſen Gelichtöpuncten geordnet erfcheinen, was immer wie unpartheiiſch“ man ſich auch gebärden mag eigne philofophifche oder unphilofophiiche Anfichten voraus⸗

jet. Und was die Iegteren betrifft, fo würden fie bie

Sache gewiß nicht günftiger ftellen. Denn was bezwedt wird, ift, wie gejagt, eben daß unfre Philofophie nicht nur als unfer fubjectiver Einfall, nicht ald von der individuellen und augen- blidlichen Stimmung abhängig erfcheine, wofür die Gefchichte

bie Probe liefern fol. Nun haben wir aber nicht Gefchichte, wie man zu fagen pflegt, in ihrer reinen Objectivität, ſondern eine Bearbeitung, die fubiectiven Anfichten ſich anſchmiegt oder

Beitfähr. f- Philoſ. u. phil. Kritit. 32. Band, 16

230 Prof. Dr. Monrad,

wenigſtens beren bewußten ober unbewußten Einfluß hat erfah⸗ ren müffen. Iſt diefer Einfluß ein unbewußter, d. h. ift bie Anficht, die der Auffaffung und Behandlung des gefchichtlichen

Materials zu Grunde liegt, Feine foftematifche "und durchge⸗

dachte: fo ift fie um deſto mehr für eine zufällige Parteilichkeit zu achten, und die ganze Gefchichte ift dann der Stimmung und dem Intereſſe des Subjectes und des Augenblided ganz preis- gegeben. Die Uebereinftimmung mit irgend einem Zeitſyſteme kann Nichts beweifen, weil fie entweber eine ganz Außerliche und zufällige oder eine erfchlichene iſt; denn im beften Ball, nämlich wenn in einer folchen Gefchichtsauffaffung doch Sinn und Zufammenhang ift, ift es doch bie Zeitphilofophie, die hin⸗ ter ben Gouliffen wirft, und bie Hiftorijche Arbeit ift ihr nur ein blindes Inftrument geweſen. Weil ed nun vor Allem feft- ſteht, daß die Geſchichte der Philofophie nur durch Philoſophie zu begreifen ift, daß ihre Auffaffung nur dadurch eine Auffaf- fung zu nennen, daß fie aus philofophifcher Einficht gefloflen und von Philofophie ganz durchdrungen ift: fo ift ed jedenfalls ber Würde ber Wiffenfchaft angemefjener, daß dieſer Geſichts⸗ punct offen dargelegt wird, daß die Geſchichte alſo zugeſtandener Weiſe nach den Grundſätzen eines gewiſſen Syſtems behandelt iſt, daß der Geſchichtsſchreiber ſeine Abkunft nicht verläugnet, ſondern Verzicht leiſtet auf das zweideutige Lob, „ohne Religion und Vaterland“ dazuſtehen. Allein in dieſem Fall ſcheint auch der logiſche Cirkel unvermeidbar. Das philoſophiſche Syſtem ruͤhmt ſich, nicht eine abgeriſſene, ſubjective Conſtruction zu ſeyn, ſondern mit der ganzen geſchichtlichen Entwickelung in harmoni- jhem Zufammenhange zu fliehen, und fiehe: die Geſchichte, auf bie es fich fügt, die ed als Zeugin beranruft, ift doch nur feine eigene Conftruction! Und fo wird dad Ganze doch ald in der Luft ſchwebend befunden.

Wenn nun hier fein Schluß näher zu liegen feheint, als .

der, daß das philofophifche Syſtem in nichts Aeußerlichem, in kei⸗ ner Uebereinftimmung mit einem Anderen, fondern nur in fidy jelbft, in feinem inneren, auf fi) beruhenden Zufammenhang

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Das Problem der Philof. u. feine geſchichtliche Evolution. 231

feine Betätigung zu fuchen hat: fo ift freilich dadurch Nichte gefagt, als was jede wirkliche Philofophie ſchon wiffen und vom Haufe aus befennen muß. Denn Bhilofophie ift wefentlidy freies, auf fi) beruhende® Denken. Auf der anderen Seite foll dieſes Denfen doch nicht ein bloß fubjectives feyn, Fein bloß zu inbivi- duellem Gebrauch angeftellte® Experiment, verfchiedene Vorftels lungen in Einflang zu bringen; es macht den Anfpruch als ein allgemeingültiged Erkennen des Wahren und Objectiven zu gels ten. Und wenn auch die Philoſophie das abftract-Aeußere als ein müffiges „Ding an fich“ liegen läßt und fich in den Kreis des Selbſtbewußtſeyns hineinflüchtet: fo fommt, diefelbe Aufgabe doch nur in einer anderen Form wieder, indem die Philofophie eben dahin zielen muß, daß dad Selbftbewußtfenn als das nur einzelne fidy aufhebe und fi) in Einheit mit dem allgemeis» nen Selbftbewußtfeyn, den Selbftbemußtfeyn der Menjchheit wiſſe und bewähre. Und das ift es eben, was bie neuere Phi⸗ loſophie beſonders hervorgehoben hat. Den ſogenannten fub- jectiven Idealismus eines Kant, eines Fichte will fle überwuns den haben. Wie oft ift gefagt worden, daß ſchon Schelfing die Schranfe der Subjectivität durchbrochen und das philofophis fhe Erfennen in das Reich der Obfectivität und ber Allgemein: heit hineinverfeßt habe. Doch, bie Sache näher betrachtet, Hat . man gefunden, daß das Selbſtbewußtſeyn, morin bie fchelling’fche PVhilofophie wurzelt, nicht das wahre allgemeine, fondern erſt das befondere, das mit dem zufälligen Vorzug ber intel- fectualen Anfchauung begabte, welches vom gemeinen Eelbftbe- wußtſeyn nur ausgefchloffen, mithin dadurch begrenzt iſt. Erſt Hegel fo lautet ohngefähr die Trabition der Schule fen ed gelungen, auch diefe Schranfe aufzuheben und dad Eelbft- bewußtſeyn als das wahrhaft allgemeine zu verwirflichen, indem das philofophifche Denken nicht als ein vom gemeinen fpecififch verfchiedenes betrachtet wird, fondern nur ald eine höhere Ber- flärung deſſelben, vie dieſes nicht ausfchließt, fondern ed viel mehr in fich gewiffermaßen eingefchloffen und aufgehoben hat. Man fünnte alfo wie ſchon angedeutet iſt ben ganzen _ 16 *

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Gang jener prägnanten Periode von Kant bis Hegel ald einen phaͤnomenologiſchen faffen, dergeſtalt, dag Kant hauptſaͤchlich nur den Stanbpunct des Selbftbewußtiennd vorbereitet habe, indem er dad unmittelbare Bewußtfeyn vom JZufälligen und Sinnlichen befreite und wefentlich den Begriff der Gefegmäßigfeit her- vorhob; von ben tieferen, pofitineren Philoſophen ded neun zehnten Jahrhunderts vertrete Fichte tad einzelne, Schelling das befondere und Hegel dad allgemeine Selbft- bewußtjeyn. Doch, mag man immer biefe Stufenfolge als Epielerei und leeren Schematismus betrachten vielleicht wäre doch Etwas darin: fo viel ift von der Schule allgemein an⸗ genommen, daß eben der Stanbpund bed wahren allgemeinen Selbſtbewußtſeyns im Ganzen angeftrebt und auch von ber jeßi- gen Philofophie erreicht ift; daß dieſe Bhilofophie eben darum nicht mehr als die Philofophie des oder der Einzelnen, fons dern ald die der Menfchheit, die abfolute Bhilofophie zu betrachten it. Und weil fie bie abfolute ift, Fann fie in Gleichheit mit der fpinoziftifchen Subftanz feine andere neben fich dulden, fondern muß vielmehr ald die Wahrheit die ab- ſolute Subſtanz aller Syfteme da ftehen, welche Alles, was in den andern Syftemen (die für fie eigentlich Feine anderen find), ja felbft im gemeinen menfchlihen Bewußtſeyn Wahrheit ift, aufgenommen und in fid) verarbeitet hat. Eben dadurch, meint man, thue fie über jedes Syſtem ihre abfolute Heberlegen- heit fund, „damit fie in jedem Rechten Recht behalte”, daß fie ſich in Feine Altercation einläßt, nicht Satz gegen Sat ftellt, fondern immer aufzuzeigen vermag, daß die Behauptung ober bie Anficht, die man ihr entgegenhält, ſchon in ihr felbft ald unter- geordneted Moment enthalten ift; dadurch bewähre fih ihr Standpunct ald der höchfte, daß fie von ihm aus alle übrigen volftändig überfehaut. Und ift ed nicht dafjelbe, was man in jeder vernünftigen Debatte im Grunde, wiewohl unbemußt, thut, indem man den Einwänden ber Gegner, die man fehr gut zu fennen wähnt, eine gewifle Wahrheit einzuräumen oft feinen Anftand nimmt, und feine eigene Meinung nichts beftv weniger

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behauptet, was eigentlich vorausfegt, daß jene Einwände auf einer untergeordneten, einfeitigen, in bie höhere, wahre aufzuhes benden Anficht beruhen, Nur daß dieſes logiſche Verhaͤltniß ‚bier gewoͤhnlich den Streitenden felbft verborgen und der Schein - der gegenfeitigen Ausſchließung berrfchend if. Aber für das höhere Bewußtfeyn der Philoſophie unferer Tage fey nun diefer Schein verfhwunden; fie will gar feine Partei bilden, fondern nimmt mit vollem Bewußtfeyn ihrer Berechtigung die überlegene Rolle einer Schiedörichterin an. Darum kann fie auch mit un⸗ parteiifcher Ruhe einem jeden Eyftem fein (relatived) Recht ges währen, in jedem das Gute und Wahre anerkennen. Denn dieß Gute und Wahre ift ihr Eigenthum, das ift in ihr eben in feiner höchften Vollendung. Nämlich fie, die abfolute Philoſo— phie, ift eigentlich in allen Syftemen gegenwärtig; was darin fubftanziel ift, gehört ihr ald ihr eigned Entwidelungs » Mo- ment, und die anderen Syſteme fehlen nur, weil fie bei einzelnen Momenten ftehen geblieben, ohne fie in den abfoluten Fluß aufzu⸗ loͤſen, weit fie ſich alfo abgeſchloſſen und für die weitere Ents widelung verfchloffen haben.

Und fo wären wir denn ohngefähr bei dem Teibnigifchen Sage wieder angelangt, daß das Pofltive in den Syftemen das Wahre, das Abs und Ausichliegende, Negative aber, was bie Enplichfeit des einzelnen Syſtems ausmacht das Falſche fey.

Nicht alfo fo fcheint es in ihrer unmittelbaren Er» ſcheinung haben die Syfteme ihre eigentliche Wahrheit gehabt;

da find fie mit ihrer Endlichkeit behaftet, in ihren Schranken feftgehalten, ſondern eben infofern fie in das abfolute Syftem aufgenommen und in ihm gleichfam wiedergeboren find. Den eigentlichen wahren Sinn -in den Lehren älterer Philoſophen, was der Weltgeift durch fie hat fagen wollen, verftehen alfo wir befs fer denn fie; "wo Platon mit feinen Ideen, Ariftoteled mit feiner En- telechie, Descartes mit feinem „Ich denke”, Spinoza mit feiner Subftanz eigentlich hinauswollten ober vielmehr wo die Ideen, die Entelechie, das Selbſtbewußtſeyn, die Subftanz felbft hinauss wollen, was Wahres daran ift, das koͤnnen wir von unferm

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Standpuncte Flarer faffen und würdigen, als bie Urheber oder erften Entdeder jener Kategorien gleichwie unfre Zeitgenofien, wenn fie auch nicht das Pulver erfunden haben, ſich doch aufs Bulver beffer verftehen als der, welcher e8 erfand. Die unmit: telbare Naturfraft des erfien Schaffens, die halb unbemwußte, gleihfam infpirirte Genialität des Erfindens räumen wir uns fern Vorgängern willig ein; nur dad Berftehen, das be- wußte, ruhige, allfeitige Erfennen nehmen wir für und vorzugs⸗ weife in Anſpruch.

So wird auch auf religiöfenm Gebiete von demfelben Stand⸗ puncte aus gewöhnlich behauptet, Laß dad Chriſtenthum als die abjolute Religion beffer weiß, was ſowohl im Heidenthum als im Judaismus Wahres ift, als diefe Religionen es felbft ge- wußt. Denn vom Ehriftenthum ift das Heidniſche und das Juͤdiſche nicht al8 etwas Fremdes ausgefchlofien, ſondern viel- mehr ald ewig gültige Momente aufgenommen, welche hier nur- dad Falſche und Einfeitige abgeftreift haben und zu ihrer wah- ven Bedeutung gelangt find. Im Chriftenthun ift ſowohl das Heidenthum als das Judenthum wiedergeboren, wie wir auch in der ganzen gefchichtlichen Entwidelung des Erftern diefe Ele: mente wahrnehmen fünnen; und in diefer Wiedergeburt, welche auf einmal eine Bertiefung und eine Aufhebung ift, nicht in dein, was nur im Berharren in dem Einfeitig - Gefchichtlichen befteht, haben wir das wahre Heidenthum und das wahre Ju⸗ denthum anzuerfennen.

Um zur PBhilofophie und ihrer Gefchichte zuruͤckzukommen, fo wurde alfo über das Recht und das Unrecht der Syſteme dergeftalt entſchieden, daß fie eigentlich alle in ihrer unmittelba⸗ ren Eriftenz und der dadurch gegebenen Begrenzung Unrecht hat⸗ ten, weßwegen fte audy zu Grunde gehen mußten, und nur in ihrer geiftigen Wiedergeburt, wie fie im abjoluten Syftem als Momente aufgehoben find, ein ungerflörbares Recht und gleich- fam ein neues unverwüftliched Lehen haben. Allein wenn bem fo ift, wenn wirklich unfer abjolutes Syftem ven wahren Geift aller dageweſenen Syfteme in fich enthält: wozu, koͤnnte man

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Gvofution. 235

fragen, fol uns nod bie Gefchichte? Denn nur der Geift iſt's, der Iebendig macht, das Fleiſch ift zu nichts nüge. ‚Und nur das Fleiſch, d. h. das Aeußere, Zufällige, Unwahre wird bie Geſchichte noch als ein eigenthümliched Gebiet haben; in Allem, was innerlich, wejentlih, wahr ift, wird fie mit der Entwides lung des abfoluten Syſtems zufammenfallen. Wozu dann dieſes „Doppeltfegen”? Es iſt eigentlich daffelbe, was freilich von einer andern Seite, her einigen Verfechtern des -abfoluten Sy: ſtems auch auf dent Gebiete der Religion fo läftig ift, nur daß man bort umgekehrt im Sleifche, d. h. in der natürlichen und

biftorifchen Entwidelung Gott zur Genüge findet und darum

den eigenen, jo zu fagen, concentrirten Gott des Theismus ale überflüffig verwirft. Hier heißt e8 dagegen: wenn wir bie reis nen Gedanfen in der fublimirten, geiftigen, wahren Form im Spyfteme haben, warum befümmern wir und um bie gefchicht: liche, umvahre? Es wicderholt fi das Argument jened muham- medanijchen Erobererd über die alexandrinifche Bibliothek: ent weber enthalten die vielen Bücher Nichts ald was der Koran, dann find fie überflüfftg; oder fie enthalten etwas Anderes, dann iſt es falfch; in beiden Fällen verdienen fie das Feuer.

Auch feheint es, daß viele/von diefen modernen Muhamme: Danern die Analogie mit dem Islam ift in vielen Puncten ſchlagend in ihrem abftracten Glauben an das abfolute Sy— ſtem ſich's mit der Gefchichte ziemlich bequem machen. Ueber bad Ueberwundene wird leicht hinweggeeilt. Ein paar encyclo- päbifche Paragraphen, eine bialeftifhe Wendung damit ift dad Princip eines früheren Syſtems abgefertigt. Auf die em- pirifchen Gefchichtsforfcher und auf ihre Objecte, auf die Bla- töne, die Ariftoteles, die Spinozen, die Leibnige, die Kants u. |. w. wird vornehm herabgefchaut. Das Alles find nur „Momente“, bie und nicht aufhalten dürfen; wir müffen weiter, weiter zum Ziele. Das Vollkommene ift da; man fann nicht beim Unvoll- kommenen, beim bloß Vorläufigen verweilen. Es giebt nur Einen Gott und Hegel ift fein Prophet!

Es Tiegt jehr nahe, daß die Wiedergeburt der Syſteme

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236 Prof. Dr. Monrad,

im jebigen Bewußtfenn auf folche Weile nur eine abftraete und Ichlechte ift. Die antiquirten Syfteme leben in jenen. Paragra⸗ phen, ſelbſt wenn dieſe mehr ald todte Monumente, als Keno⸗ taphien find, - doch nur ein Schattenleben. Das fo geftaltete

Zeitbewußtfeyn ift der Hades ber untergegangenen Spfteme, der

Drt der abgefchiedenen Seelen, während in ben Bibliothefen und im Gedächtniß der empirischen Gefchichtsmänner die abge⸗ ftorbenen Leiber aufbewahrt find.

Werben auch die Xeiber aufſtehen?

Wenn der Unfterblichfeitöglaube am, ſchwächſten iR, wird man befannterweife am meiften von unruhigen, ungeheuren Ah⸗— nungen und Bijionen an dad Reich der Todten und bed -Ien- feitö erinnert. In der Mitternacht des Unglaubens ſtehen die Gefpenifter auf. So wäre es gar nicht zu verwunbern, wenn eben in biefem modernen Spiritualismus, ber alle Realität und alle Unfterblichfeit der Syfteme im Zeitbewußtſeyn findet und meint, daß ſie ſonſt nichts als Staub und Aſche ſind, wenn eben hier der Zweifel an das Abſolute ſelbſt am nächſten laͤge und dad vergangene Relative poltergeifterifch wieberfehrte. -Werrnt man am ficheriten 3. B. ben Kant gänzlich überwunden und befeitiget wähnte, fönnte es gefchehen, daß plöglich ein kantiſches Gefpenft vor dem erſtaunten Bli des abfoluten Zeitphiloſophen aufftiege, ohngefähr folche Rede führend: „Was Ihr da vom abfoluten Syfteme fprecht, klingt ja recht hübjch, und in gewiſ⸗ fer Rüdficht Fan man auch diefe Idee, wie die des abſoluten, allerrealiten Wefens im Allgemeinen, gelten laffen. Aber woher wiflet Ihr denn, daß diefer Idee etwas Wirfliches entfpriht und daß dieſes fogar in Eurem Beſitz iſt? Wollt Ihr ed viel- leicht aus der Idee felbft ontologiſch deduciren? Allein wenn Ihr auch den Begriff von den hundert Thalern habt, fo fehlt doch Viel, Ihr hättet fie in der Tafche; denn aus dem Begriffe kann die Wirklichkeit nie herausgeflaubt werden, Ober Shr beruft Euch auf die Erfahrung, auf das viele bedingte Wif- fen, welches doch zulegt weil der Regrefius fein unenblicher feyn kann ein unbedingtes, abjolutes nothwendig vorausfegen

Das Problem der Philoſ. u. feine gefchichtfiche Evolution. 237

muß, und nun meint Ihr, diefes nothwendige, unbedingte Wifs fen müfle auch wirklich feyn was nichts als der eben ges rügte ontologifche Trugſchluß iſt. Und wenn Ihr die Gefchichte . der Philofophie heranzieht und auf den merkwürdigen Zuſam⸗ menhang der Syfteme aufmerffam macht, welcher auf ein ge- meinſames inneres PBrincip hindeuten und zu einem abjoluten Ziele führen fol: fo ſeht Ihr nur nicht, ‚daß Ihr felbft diefen teleologifchen Zufammenhang hineindeutet und daß diefer wahr: fcheinlich nichts außer eurer eigenen fubjectiven Auffaffung ift. Mit einem Worte: das abſolute Syſtem ift nur eine dee, Die, in der Erfahrung nirgends anzutreffen, und nur ald ein regu⸗ latives Princip zu nehmen iſt, „„woburd die Vernunft, jo viel an ihr ift, foftematifche Einheit über alle Erfahrung ver- breitet."" Es zeigt ſich auch gleich Die nadhtheilige Folge, die darand entipringt, daß Ihr die Idee des abfoluten Syſtems nicht regulativ, fondern conftitutiv braucht (als entipräche ihr etwas Wirkliches, ein Ding an fih), nämlich bie faule Ver: nunft (ratio ignava), die ihre „„Unterfuchungen ald vollendet anfieht und fich zur Ruhe begiebt, als ob fie ihre Geſchaͤft völs lig ausgerichtet habe,” " |

Waͤhrlich, es ift nicht ſchwer zu bemerfen, wie Einige jest dem abfoluten Syfteme idololatrifch vertrauend fich der muͤh⸗ famen Unterfuchnng überheben und in der Betrachtung z.B. der geihichtlichen Syfteme mit dem thatfächlihen Zufammenhang - ſehr Teicht fertig werbend, nur nach einer gewiflen teleologijchen Bedeutfamfeit hafchen, indem fie Alles geſagt zu haben wähnen, wenn fie diefem oder jenem Factum nur einen Pla im abfolus ten Eyfteme anweijen fünnen, gleichwie gewiſſe dogmatifche Theologen alle ſowohl gefchichtlichen ald natürlichen Erfcheinun- gen gleich abfertigen mit der Behauptung, „Gott habe es ge wollt”, indem fie höchftend auf einen abftract allgemeinen, vers meintlich göttlichen Zweck, der dadurch verwirklicht werden foll, hinzudeuten wagen, Bielen ift fo das abfolute Syſtem wie eine Zauberformel, mit deren Hülfe fie über alles Mögliche gleich abzufprechen vermögen, eine magifche Tinctur, die Alles, was

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nur damit in Berührung gebracht wird, unvermittelter Weiſe, man weiß nicht wie, in Gold verwandelt ein wahrer Stein ber Weifen, dem, nad; Göthes Ausprud, „nur zu oft der Weiſe fehlt." '

- Diefer dogmatifche Glaube an das abfolute Syſtem zeigt, wie und fcheint, nur zu deutlich, daß man die Fantilche Ver⸗ nunftfritif nicht fo fehr überwunden und aufgehoben ald viel- mehr vergefien hat. Allein fie läßt fi nun einmal nicht durch Ignoriren befeitigen; wer fie nicht in ſich und für ſich hat, wird fie außer und gegen fi) haben, Und gegen den blinden Dog: matismus, biefer nehme auch welche Geftalt er wolle an, gegen das Sichberuhigen beim. Endlichen, gegen allen transſcendenta⸗ len Schein wird jene Kritif ewige Gültigkeit behaupten. Am Ende wird ſich doc) zeigen, theild, daß das von den geichidht- lichen. Syftemen, womit das jetzige Bewußtſeyn fich. beichäftigt, eben nur ihre „&richeinungen“, nicht die „Syfteme an fich” find, theild daß auch das letzte, jogenannte abfolute Syftem doch aud) feine Enplichfeit hat, nur eine endliche, fubjective, felbft durch

Zeitumftände bedingte auf faffung bed wahren abjoluten Sys

ſtems ift.

In diefer Reflexion Tiegt etwas Troſtloſes. Das Abfos fute ſchwindet unter unfern Händen und befommt nur eine fehr problematifche Exiſtenz. Wir werden wieder in's Zeitliche, in den unendlichen Proceß hinausgetrieben. Was wir denfen, ift alfo doch nicht die Wahrheit, fondern nur ein fchwindendes,

ein aufzuhebended Moment, Die Nachwelt wird auf und, ganz

wie wir auf unfere Vorgänger, mitleidig herabfehen. Und fchon werden die Spötter wie einft wegen der kantiſchen Kritik der Theologie glauben, beim Sterbebette eined Gottes zugegen zu ſeyn und ihr ironifched De profundis anftimmen (S. Heine’d Salon 2. Bd. S. 180, 211.)

| Auf diefe Weiſe ift es leicht begreiflich, daß Viele, eben weil fie die Wahrheit und das abfolute Wiffen gewiffermaßen monopoliftrt zu haben wähnten, zuletzt an der Wahrheit -felbft verzweifeln. Es ift bier nicht unfre Abſicht was auch dem

Das Problem der Philof. u. feine geſchichtliche Evolution, 239

Fernſtehenden ziemlich ſchwer fallen möchte die wiffenfchaft- lichen Erfoheinungen, in welchen jene Verzweiflung den offenba- ven oder verborgenen Gehalt ausmacht, in's Einzelne zu verfols gen; Mancher wird darin fogar einen allgemeinen Zug des jeßi- gen Zeitalterd finden. Nur zwei Grundrichtungen wollen wir hervorheben. -Einerfeitd die Unruhe, mit welcher man immer vorwärts ftrebt, immer von „Darüberhinausgehen” träumt. Das „Vorwärts“ ift auf eine folche abflracte Art zur Lofung gewor⸗ den, daß man fich nicht Zeit läßt, ſtill zu ſtehen; vor zurüdges legten Standpuncten hegt man eine wahre panifche Furcht. Im der. allgemeinen Hetzjagd will Niemand zurüdbleiben, Statt ſich einer ruhigen Betrachtung der Sache von einem fchon gewonnes nen Standpuncte hinzugeben, ift man immer emfig einen neuen und vermeintlich höhern Standpunc zu erflimmen; biefer und die Meſſung feiner Lage ift angelegener als die Ausficht, vie man von da genießt und die Gegenftände und beren Beleud)- tung, bie man fieht. Ein Jeder will immer etmas Neues leiften, fich durch etwas Eigenes, bisher Unerhörtes auszeichnen, Die naive Unbefangenheit, mit welcher 3. B. ein Fichte nur Kantianer, ein Schelling Zichtianer zu feyn wähnten, während fie doch in der That den Gefichtöfreiß bedeutend erweiterten und neue, höhere Principien entwidelten, ift einer ängftlichen Res flerion gewichen, mit welcher ein Jeder vornehmlich feine felbfts ftändige Stellung zu behaupten und feine Abweichung von ben Vorgängern hervorzuheben ſucht. Die Alten fuchten nur bie Sache, die Wahrheit, unbefümmert um den hiftorifchen Platz ihrer eigenen Spftenre, welchen fie der Nachwelt zu ermitteln überließen; die Neueren machen ed umgekehrt, indem eben die tiefere Betrachtung der Sache oft nachzuftehen ſcheint. Dann ericheinen alle jene „Modificatiönchen“, die mit folcher Gefpreizts heit auftreten. Man hat diefe Neuerungsfucht den Philoſophen gemeiniglich als Eitelkeit angerechnet und wie viel fubjective Eitelkeit dabei feyn mag, darüber fann nur Gott urtheilen; das geht aber und nicht an; allein das Obfective, Allgemeine ift jene Unruhe, die in ber Zeitluft liegt, die Berzweiflung an ber

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Wahrheit, vie wie eine wahre Erinnys die Philofophen immer herum treibt und zum ewigen vergeblichen Hafchen und Suchen verurtheilt. Wie für jene Herafliteer, die Blaton im Theätet ſchildert, ift auch für die Zeitphilofophen die Wahrheit nicht zum Stehen zu bringen; fie treibt fi) und fie immer aus ſich heraus, fo daß fie „beobachten das fehr genau, daß ja Nichts feft bleibe weder in ihren Behauptungen noch auch in ihren eignen Seelen, indem fie, wie mich dünft, beforgen, dieß möchte etwas Beharrliches feyn.” (Plat. Theaet. 180 nad} Schleierm.).

Wenn ſchon innerhalb der Schule, d. h. unter denen, bie doch wenigſtens felbft der goldenen Kette der Wiffenfchaft anges hören wollen, die Reaction gegen die ausfchließende Abfokutheit des Syſtems in dieſes unruhige Smmerweiterwollen, vielen ſchlech⸗ ten unendlichen Proceß hinaustreibt, ift e8 nicht zu werwundern, daß außerhalb der philofophifchen legitimen Succeſſion diefelbe Reaction, die im Zeitgeift liegt, derſelbe dort verſteckte Unglaube an die Bernunftwiffenfchaft offen hervortritt und fogar in einer Art von Gegenfyftem ober (8. v. v.) Gegenphilofophie fefte Geftalt annimmt. Wir fprechen bier nicht eigentlich von der Unphilofophie, die unmittelbar bleibt, dem gemeinen Empirismus, der in allen Zweigen ded menfchlichen Thuns und Wiſſens fich breit macht obgleich auch dieſe meitwerbreitete Herrfchaft urfprünglich durch den allgemeinen Standpunct bes philofophifchen Bewußtfeyns vermittelt feyn möchte allein in unfre Betrachtung fällt hier nur dieſe Richtung, infofern fie in einem philofophifchen Anzug, mit philofophifchen Anfprüchen auftritt, infofern fie fi) zu einer Bhilofophie der Unphiloſophie zufpist. Dieß ift hier nicht als ein Scheltwort zu nehmen, forte bern ganz einfach als eine Bezeichnung aller jener philofophifchen Leiftungen, die im Grunde nur einen Proteſt gegen die Philo⸗ fophie, gegen die Macht und That des Gedankens enthalten. Diefe Leiftungen und deren Standpuncte koͤnnen fonft Außerft verſchieden ſeyn; denn wir befinden und hier eben auf dem Felde der unendlichen Zufälligfeiten und Endlichkeiten; das allen Ger meinfame ift nur dieſe Flucht vor der wahren Unendlichkeit, dieß

Das Problem der Bhilof. u, feine gefchichtliche Evolution. 2A

Haften im Endlichen, fogenannt Realen. Mit fonft verfchiede- nen Intereffen ift e8 doch immer ein „Murren in den Wüften“ der Speculation und eine Sehnfuht nad den Fleljchtöpfen Aegyptens. Realität, Wirflichfeit ift dad Schlagwort; man klagt über „die Leerheit der Speculation*, über den „ab> ftracten Logismus“ und was ferner biefe Ritanei- Seufzer ent- halten; man fürchtet fi, in lauter Gebanfen zu verſchwimmen, und will immer etwas Feſtes, Handgreifliches, Dingliched, einen fogenannten fubftantielen Halt anftreben. Während dort die eigentlichen Anhänger der Schule, die kykladiſchen Echolaftifer unfrer Zeit fih in ein Hafchen nad) dem formellen Fortſchritt des Gedanfend verlieren, erfcheint bier in diefen fporabifchen Philofophien nicht weniger ein unruhiges Hafchen nach einem Realen, Eriftitenden, wo ber Gedanke aufhöre und worin er gleichſam aufgehängt fey. Diefer horror vacui treibt nun eben in’d Leere hinaus; denn es ift gar ‚feinem Zweifel unterworfen, daß es nichts Leereres gibt als die Eriftenz, der aller Gedanke entzogen iſt. Dieſes Hervorheben der Realität, worin der Eine: den Andern zu überbieten fucht, Tann fonft auf zwei entgegen⸗ geſetzten Wegen näher veranlagt werden. Entweder und das iſt am Häufigften der Fall ift es der gemeine Menfchen- verftand, der ſich mit plumpen, ungewafchenen Händen an bie Speculation heranwagt, und der alſo billigerweife immer etwas Handgreifliches haben muß, Auch er fpürt einen gewiſſen Zug nad) dem Gedanken, weil der Gebanfe doch an ſich allge- genwärtig ift; auch diefer Verftand will mit feyn und räſonni⸗ ren und bat oft an ber Philoſophie, fo fern als fie eine end- liche, ftoffliche Seite bat, große Erbauung; aber fo bald ale fie fpecufativ wird, wird ihm unheimlich, weil er dad Cpeculative nie und nimmer verfteht, weil Denfen und Seyn, die von aller wahren Speculation in Eins gefegt werden, für ihn ewiglich ges jhieden find. Oder es giebt mitunter auch Geifter, die eigent- lich zu Beſſerem geboren, ſich von der Umgebung herabziehen und dem Zeiftgeifte zu fröhnen verleiten laſſen. Es ift fo ver- fuchend, mit dem Publicum in Eimflang zu fichen; der Philos

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foph kann die Hoffnung begen, wenn er nur tüdjtig das allges meine Lofungswort anftimmt und nad „Realität“ und immer Realität fich heiſer fchreit befonderd wenn er auch ein MWörtchen zum Beiten des beliebten „Practiſchen“ Tann ein fließen faffen doch als ein verftändiger Mann zu gelten. Und wis die Wahrheit betriffi, fo gibt ed eine Verftänbigung. Denn daß erft das Reale eben real fey, kann man body ohne Gefahr und ohne Gewiffensferupel dreiſt behaupten. Andere meinem vielleicht ganz ehrlich, daß der Zeitgeift wohl etwas Recht haben möchte; daß die Philofophen, die jetzt verfchrieen find, auch gar zu eingefleifchte Ipealiften gewefen und daß es jest an der Zeit fey, auch bie andere. Seite hervorzufehren. Oder man fieht, wie dad Publicum die Bhilofophie mißverftcht, indem es fie für lauter Hirngefpinnfte nimmt und wähnt, fie wiffe gar Nichts von Realität; von diefem Verdacht möchte man die Philofophie möglichft reinigen, indem man zeigt, auch fie koͤnne für das Reale eifern. „Fürchtet euch nicht”, will man fagen, „Ihr Männer des Lebens und der Wirklichkeit! Auch wir Philofophen find nicht neblichte Gefpenfter und fünnen nicht von der Luft leben; wir find Yleifch und Blut, wie Ihr, und wiffen alles Reale wohl zu fchäten befonderd das Yutter, dad Ihr und nicht gar zu karg bürft zufließen laſſen.“

Doch die mannigfaltigen Abfchattungen ber fubjectiven Stimmung, bed befondern Farbentons, der durch dieſe Er- jheinungen bindurdhklingt, gehen uns hier weniger an. Auch - haben wir bier nicht zu tadeln, fondern zu begreifen und dad Allgemeine hervorzuheben. Mit der Schuld und Thorheit der vielen Einzelnen ftche e8 wie e8 wolle; die allgemeine Reaction gegen die Abfolutheit des Syſtems iſt nicht zu verkennen; fie zeige fih num entweder verſteckt und in ftetigem Zufammenhang mit dem Syſtem felbft, oder als ein offenbarer Bruch und Bes fehdung deſſelben. Diefe Reaction ift nun ferner weil am Ende die Bhilofophie die Erklärung fowohl ihrer felbft als ihres Gegenſatzes (index sui et falsi) ift aus dem abfoluten Sys fteme felbft oder vielmehr aus der Weiſe, auf welche es aufge

Das Probfem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 243

faßt worben iſt, herzuleiten, weil es nämlich in feiner unmittel- _ baren Erfcheinung ald ein Dogma genonmen und dadurch zu etwas Beſchränktem, Ausfchliegendem geworben it. Man bat das abjolute Syſtem ald einen Bund, ein Wiegengefchenf be= trachtet, etwas Fertiges, um darauf zu ruhen und wodurch man ber weiteren Arbeit überhoben zu feyn wähnte; und eben dadurch it man in dad Entgegengefegte, in die Unruhe, in das hoff- nungsfofe Suchen, in das leere Sich-Abmuͤhen hinausgerathen. Nicht daß dad Syſtem urfprünglic) fo gemeint wäre; denn in feinem Werden, Sichfelbfihervorbringen iſt e8 eben in feiner ur: fprünglichen Wahrheit; bei. dem Urheber, wo es nody vom Les benshauche des jchaffenden Geifted warm ift, kann von Kryſtal⸗ liſation nicht die Rede feyn, und Nichts iſt ungerechter, vogma> tifcher, als die gemeine, befonderd in Frankreich verbreitete Sage, die Hegel zu einem fleifen Dogmatiften macht. Erft wenn das Syſtem ald ein Errungenes, ald etwas Fertiged daſteht, bann tritt die Verfuchung ein, es auch ald eine Errungenfchaft, etwas Bertiged vorwegzunehmen, auf dem Dafeyenden zu fugen, ftatt zum Werden zurüdzugehen. Allein wie fchon bie Logif lehrt, ift Dad Dafeyende eben das endliche Etwas, das immer ein Anderes und wieder ein Anderes in's Unendliche außer fi hat. Auf dieſe Weife weil nämlid; fo das Syſtem zu etwas Todtem, Kryſtalliniſchem geworben ift ed nur zu verftehen, wie mit einem gewiſſen Rechte von einer „Sprengung der Hegel’fchen Philofophie” die Rede hat ſeyn koͤnnen. Nicht die Philoſophie iſt geſprengt, denn fie ift unfterblicher Geiſt; jondern beren fterbliche Nefte, die Einige vergebens haben balfa- miren wollen, haben dem allgemeinen Auflöfungsgefeg nicht wis berftehen koͤnnen. U

Verhehlen wir's uns nicht: auch das Syſtem, das ſich das abſolute nannte, das gottgeſandte, worauf wir hofften, auch das iſt in den Hades geſtiegen! Eben inſofern es ſein Leben retten wollte, hat es es verloren. Ob das auch auferſte⸗ hen wird?

Das Troſtloſe, gleichſam Gottwerlaſſene des jetzigen philo⸗

DAA Prof. Dr. Monrad,

fophifchen Weltzuftandes ift klar vor unfer Bwußtſeyn getreten. Doch eben dieſem klaren Bewußtfeyn der Troftlofigfeit wird der Troſt entquellen. Auf der einen Seite haben wir einen unheims lichen Todten » Kultus, auf der anderen: den ausgefprochenen Uns glauben. Allein das Todte, an welches geglaubt wird, iſt infofern nicht ein ganz Todtes; denn ber Glaube enthält immer unter der verweslichen Hülle einen gefunden Keim zu neuer es bendiger Geftaltung, und der Unglaube, der wirflihe und febendige, der an ſich felber glaubt, ift infofern nicht ohne ein Element des Glaubens, Selbſt die Verzweiflung iſt doch nur die Kehrſeite des unverwüftlichen Vertrauens auf die Wahr heit; es ift in ihr eine tiefe Sehnſucht verborgen, die wohl einer: ſeits die Abwefenheit des Goͤttlichen bezeichnet, andererſeits doch ſelbſt eine Offenbarung deſſelben iſt. Die Menſchheit kann nie abſolut aus der Idee, aus Gott herauskommen; mit dem Ma⸗ terialismus, dem ſich mit dem Endlichen Begnuͤgenwollen iſt es ihr im Grunde nie Ernſt geweſen; oder wenn es Ernſt ſeyn Tönnte, fo wäre in dieſem Ernſte ſelbſt doch ein übermaterielles, ein geiftiged Princip, das die bemußte Annahme Lügen ftrafen wirbe. Mag ber Geift ſich auch in ben Koth einzuniften bes lieben: ſelbſt da wird er fich nicht verläugnen können, ſondern am Ende bie enge, ſchmutzige Wohnung zu einem Himmel e er⸗ weitern und reinigen.

Man ſieht, wir wiederholen nur das alte ontologifche Ars gument, das felbft nichts als ein Ausdruck der ewigen Wirklich. feit der Idee if. Selbft ver „Thor, ber in feinem Herzen ſpricht“, es fey Feine Idee, fpricht doch in demſelben Augenbfid das Senn der Idee aus. Es mag wohl wahr feyn, daß man aus dem Begriffe nie die Wirklichkeit würde herausflauben Töns nen, wenn fie nicht darin fchon läge; aber man kann ebenfo wenig aus dem Begriffe die MWirflichfeit Hinausflauben, die er von Ewigfeit hat, Wie fönnte man auch den Gedanlen aus der Welt hinwegdenken?

Doch vertrauen wir nicht etwa zu ſchnell einer ſchlagenden Sprachwendung. Auf gewiſſe Art und momentan iſt ſelbſt jenes

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evofution. 215

Widerfprechende möglih. Es ift eben. die Größe des Gedan⸗ lens, daß er wirklich auch von ſich felbft zu abftrahiren, für einen Augenblick fich felbft hinwegzudenken vermag. Eben dadurch wird er ein freier, daß er nicht bloß wie durch einen noth- wendigen organifchen Proceß dem Dafeyn als deſſen hoͤchſte Blüthe entiprießt, fondern felbft entfproffen wieder gleichfam ver- welfen, erfterben, in die Maſſe untertauchen fan, um aufs Reue fh aus feinem Nichtfeyn, feinem Gegenfage twieberzugebären. Nur das ift feine Rothiwendigfeit, die Nothwendigkeit der Kreis heit, daß. fein Verſchwinden aus dem Dafeyn eo ipso fein Zu⸗ rückgehen in fich felbft-ift, eine Zurüdbiegung (Reflexion), durch bie er eben in fich zum neuen felbftfländigen Hervorgang erftarft.

Uns verftocdten Idealiſten kann fonach die gegenwärtige fchein- bare Erniebrigung ber status exinanitionis ber Idee nicht zum Wanfen bringen. Selbft in ber allgemeinen Berzweiflung, ſelbſt im Kampfe gegen die Idee fehen wir weſenilich Zeugniffe für deren Wirklichfeit und Macht, fehen wir ein Sehnen und Ringen des Geiſtes darnach. Die Welt ftrafft und ſtemmt fich gegen die Idee, eben weil fie ihren übermächtigen Zug ſchon von der Ferne ſpuͤrt.

Die ſkeptiſche Reflexion, zu welcher wir gekommen, die Betrachtung des Unterganges, der als ein allgemeines Loos uͤber alle philoſophiſche Syſteme verhängt ſcheint, fol uns daher erſt⸗ lich als eine heilfame Lehre dienen. Wir werben dadurch ger warnt, theild nicht auf unfre Vorgänger zu vornehm herabzu- bliden wie 3. B. jest Einige zu einem Kant nur mitleidig zurädfchauen —, theild unfer eigenes abfolutes Syſtem nicht gar zu abſolut zu nehmen.

Doc dürfen wir darum nicht auf die Wahrheit verzich- ten oder im Skepticismus hangen bleiben. Rur fol von biefer Reflerion an, dieſem Todesgedanfen der Speculation, ein leijer ffeptifcher Zug unfer ganzes Denken durchdringen und gleihjam würzen. Diefer ffeptifche Zug ift fo weit entfernt die Wiſſen⸗ ſchaft zu vernichten, daß vielmehr ohne einen folchen Feine wahre, frecufative Wiflenfchaft möglich ift, gleichwie ir im Prafti

Beitfägr. f. Philof. u. phil, Kritik. 32. Band.

26 Prof. Dr. Monrad,

ſchen das Gefühl der Sterblichkeit (dad mit dem ber Unſterb⸗ lichkeit eng verfnüpft ift) dem Leben und deſſen Genufle, indem es eine theils feierliche, theils Humoriftifche Stimmung hervor ruft, jedenfalls eine erhöhte Bedeutung verleiht.

Während nämlid das: Abfolute und überall zu fliehen fcheint, iſt es vielmehr überall gegenwärtig. Wir fiehen ſelbſt mit unferer ffeptijchen Reflexion mitten im Abfoluten, und fo haben auch die Vorgänger geftanden. Denn das vorübergehende Moment ift andrerfeitS doch auch bleibende Totalität, “Der Skepticismus als dogmatiſcher urgirt das Vorübergehen, die Momentanitaͤt; darum kann er nirgends verweilen, weil er das Bewußtſeyn bat, daß Alles einfeitig, vergaͤnglich, flüchtig iſt. Er ift wefentlih ein Haften an der Vernichtung, am allgenıci- nen Untergang, ein Cultus zwar nicht der Todten, fondern des Todes ſelbſt. Aber er vergißt, erftens, daß jened Ber- gängliche Loch auch einen ewigen Kern Hat. Indem er die Endfichkeit eined jeden Eyftemd negativ. hervorhebt, fieht er nicht die Unendlichfeit, die darin wohnt, Zweitens bedenft er nicht, Daß er auch ſelbſt nur cin Moment, etwas Einjritiges und _ Vorübergehendes ift, durch welche Neflerion. er zulegt ſich ſelber aufgeben würde. Oder wenn cr auch Etwas ber. Art wittern mag, bleibt er doch in dieſer boppelten Negation wie feftgebannt, ohne daß er wagt, die Affirmation, die doch mit jener zugleich gegeben if, in wirklichen Befig zu nehmen. Der Skepticismus aufs Aeußerfte gebradyt und gezwungen fich felbft eigentlich aufs zugeben, haftet noch eine Weile an feinem eigenen Schatten. Doch ſo it der Skepticismus feldft nur ein Schatten und nichts Wirkliches mehr; er hat ſich felbft gerichtet. Don ber: doppelten Negation iſt der Zortfchritt zum Affirmativen unauss bleiblih. Wenn die Reflexion der Vergänglichkelt der. Syſteme ſelbſt ald etwas Vergängliches aufgehoben ift, bleibt Nichts zu⸗ rück ald das Unvergängliche im Bergänglichen anzuerkennen.

In ber Nacht des Zweifels, in ber Gefpenfter » Stunde, ift die rettende Idee, das Licht der Welt, ſchon geboren.

Nun iſt freilich jene Anerkenntniß des wahren, unver

Dis Problem der Philoſ. u, ſeine geſchichtliche Evolution. 247

gaͤnglichen Kernes der Syſteme ſelbſt oft eine oberflaͤchliche. In⸗ ſofern ſie nur auf eine Scheidung von Kern und Schale, von Weſentlichem und Unweſentlichem hinauslaäuft und das Erſte vom Zweiten gern abloͤſen und für ſich feſthalten möchte, iſt fie doch im eine abſtracte Reflexion zuruͤckgefallen. Denn dad Wefen, das fi fo geduldig vom Unwefentlichen als etwas Gleichgültigem abſchneiden läßt, ift etwas Abftractes, Todtes, eigentlich Unweſentliches. Darin ſteckt eben nicht ber wahre geiitige Keim. Das bat man, um auf ein befanntes Bei- fpiel hinzudeuten, in der Gefchichte der Theologie hinlänglicy er⸗ fahren, Sedermann kennt die Experimente, welche rationalifti= fche - Echeibefünftler mit dem Chriftentbum vorgenommen haben, indem fie aus den gefchichtlichen Formen, aus Dem, was Chri- ftus und die Apoftel Ichrten, das Weſen, die reine Eſſenz des Chriſtenthums herausdeſtilliren wollten. Wie ift dann jo ehvas Abſtractes, Kraft» und Saftlofes herausgefommen! Eben ber Geift it unter ihren Händen entwichen; dad Waſſer it ihnen geblieben. Und nicht bloß das Urchriſtenthum iſt zu einer fol- ben Erbaͤrmlichkeit eingeſchwunden, fondern auch mit der Ge⸗ ſchichte „der Fortbildung“ ſteht es nicht. befier. Beſonders ift das Mittelalter fshlecht davon gefoimmen. Denn in biefem eigenthünnlichen, für das Senfeitige -entbrannten und doch mit einer folchen finnlichen Energie hervortretenden Geiſte fonnte die enge, verſtaͤndige Reflexion, der das Jenſeitige immer. Jenſeitiges, d.h. Unwirkliches bleibt, nur den albernſten Aberglauben ſehen; und die Glaubenswunder der Vorzeit konnten dieſem pſychologi⸗ ſchen Pragmatismus nur als Erdichtungen vorkommen. Schade nur, Daß die Kreuzzüge doch in. ber Außeren Geſchichte zu viel. Lürmend gemacht hatten, um auch ganz eliminirt zu werben! Daß man fie aber nicht aus dem tefentlichen Bewußtſeyn faßte, fondern aus dem vielbefungenen Ehrgeize der Päbſte und. der Könige und andern unzähligen Urſachen zu erklären verz. fuchte, verſteht fich von ſelber. Was in der gefchichtlichen Er⸗ ſcheinung das Eigenthuͤmlichſte ausmachte, war eben verflüchtigt. Biel beſſer geht es auch wohl jegt nicht; denn wiewohl die ü 17*

248 Brof. Dr. Monrab,

jegige Zeit fi rühmt, ben Nationalismus überwinden zu has ben und einen tieferen Sinn für das Gefchichtliche zu befigen, fo wiederholt ſich doch immer der fchlechte Pragmatisınus des Weſentlichen, der immer auf eine mehr oder weniger wills fürliche Abftraction, eine Berholzung des lebendigen Geiſtes aus⸗ geht. Auch in der Auffaffung ter Philofophie und ihrer Ge⸗ ſchichte hat dieſer abitracte Gegenſatz von Wefentlichen und Un⸗ weſentlichem mehrfach, mehr oder weniger verſteckt, ſeinen Un⸗ fug getrieben. Denn darauf iſt zuletzt auch zurückzufuͤhren die ſchon gerügte Manier, geſchichtliche Syſteme in armſelige Paragraphen hineinzubannen und glattweg als „aufgehobene Momente* zu betrachten. Was hilft nämlich die zugefügte Verficherung, daß das Aufgehobene auch als „aufbavahrt*, der Moment audy ald bleibend zu benfen fey, wenn body thatfächlich darüber nur Teiche. -ten Fußes hinweggeeilt wird? Wir wollen den Paragraphen und ber dialektiſchen Entwidelung ihr volles Recht gewähren ; allein die Zweiterhanbbetradhtung ber gefchichtlichen Phi⸗ Iofophien, bie daraus entfpringt, iſt und bleibt cine Beſchaͤfti⸗ gung mit Tobtem ftatt mit Lebendigem und liegt weſentlich im Unwahren. Hat doch ſchon Hegel ficherlich an eine foldye Auf⸗ faflung gedacht, als er z. B. das Studium der Gefchichte ber. Philoſophie auf Gymnaſien ausprüdlich abraͤth (S. W. XV, S. 362), „weil es nämlich leicht dahin führe, eine nachtheilige, veraͤchtliche Meinung von ber Philoſophie hervorzübringen.“ Und daß dieß nicht bloß auf die Gymnaſien anwendbar iſt, ſieht ein Jeder leicht. Denn wie man es auch mit der Paragraphen⸗ Darſtellung nimmt, wie dialektiſch man auch zu verfahren glaubt, immer wird doch dad Abſtracte, das Unwahre gewiſſermaßen den vorwaltenden Cindruck geben, immer wird das wahre, kon⸗ krete Leben ber Philoſophieen in’ die Ferne rüden, und dadurch ber Vorftelung, als wäre nirgends Mahrheit, Vorſchub gelei⸗ ſtet werden.

Nicht alſo auf dieſe Art wird die Allgegenwart der abſo⸗ luten Idee wahrhaft ergriffen; in dieſem ganzen dialektiſchen Proceß herrſcht noch das Negative vor und die Affirmation

Das Problem der Bhilof. u. feine gefchichtliche Evolution. 249

bleidt bloße Andeutung. Wenn bie wirkliche Gefchichte der Phi⸗ kofophie nichts wäre als jene wie eng auch zufammenhäns gende Auszugsreihe, dann würde fich ergeben, Daß die menſch⸗ liche Wiſſenſchaft immer doc) ein vereiteltes Streben nach der Wahrheit ſey was zwar auch geiviffermaßen wahr, aber nur die eine Ecite der Wahrheit if. Um anbererfeits die Wirklich- feit der Wahrheit zu fafen, muß man bebenfen, was die uns mittelbare Gefchichte, das, waswirflihvorgegans gen ift, vor einer jeden fyftematifchen Darſtellung deifelben voraus bat. Erftlich vie Breite und bie ans⸗ führliche Durcharbeitung. Die Gefchichte nimmt fi Zeit, um fich auf einer jeden Stufe auszubreiten und zu vertiefen; fie eilt nicht wie die reflectirte Darftellung von ber einen Stufe zur andern. Selbft wern der Gedanfe, der eben an ber Zeit ifl und gefaßt wird, ein ziemlich abftracter und gleichfam vorläufis ger ift, fo wird er Loch bid auf den Grund burchgedacht und erweitert fich zw einem Ganzen, einem Syſtem, bad dad ganze Dafeyn umfpannt. Dadurch erhebt er fich über feine eigene Schranke und bethätigt fich alö einen wahren, avigen Gedan⸗ fen, einen Sprößling der abfoluten Idee, dem das einmwohnen muß, nicht bloß abgeriffener Theil, fondern dem Ganzen gleich), ſelbſt Ganzes, Abſolutes zu feyn, cine feibnigifche Monade, die in fich das Univerſum abfpiegelt. Diefer Gebanfe, wie er auch nach außen begrenzt feyn mag, beſitzt doch in fich eine uns. endliche Fuͤlle, ein volles fich entwidelndes Leben; während in der überfichtlichen Reflexion, die von einem überlegenen Stands puncte die Abftractheit jened Gedankens entdedt hat, jene Fülle einfchrumpft und der wahre Lebenskeim erftarrt.

Doch wenn die Ausführlichfeit der unmittelbaren Syſteme (in Vergleich mit der epitomirenden Behandlung ver Reflerionds Darftellung) nur eine Außerliche wäre, wäre fie eher ein Mangel als ein Vorzug, wie dieß audı immer von einem andern Ges fichtöpund aus (wovon fpäter) wirklich als ein Mangel erfcheint. Aber was dieſe Breite zufammenhält, was alfo dem urfprüng« lihen Syſteme feine eigentliche Wahrheit verleiht, it Fweitens

250 Prof. Dr. Monrad,

bie Innigfeit, die fubjective Energie, aus ber es gefloffen if, und die eben in feiner urfprünglihen Geftalt ihren Ausdruck gefunden hat. Die Wahrheit exiftirt nicht abgefondert von ber Subjectivität. Man kann nicht zur Wahrheit in einem bloß aͤußerlichen Verhaͤltniß ftehen; man muß fich innerlich damit verfchmelzen oder darauf verzichten. Diefe Seite der Sache ‚wird oft überfehen ober wenigftend nicht gehörig beachtet. Man wähnt, in einer gewiffen möglichft klaren und vollitändigen, ob. ectiven Gedanfenreihe die Wahrheit zu befisen; man verbeffert immer an dieſem Gedanfenganzen und meint, endlich werde es doch der Objectivität entfprechen, uneingebenf, daß eben ber Befit diefer Gedanfenreihe ein zweifelhafter, oft nur Außer licher if. Denn einerfeits ift die Wahrheit nicht meine Wahr heit, folange ich nicht mein Selbſt ganz in fe hineingelegt habe, fo lange fie nicht den wahren Inhalt meines Ich's ausmacht. Andererſeits ift auch die Wahrheit felbft nicht wahr, ſo Yange fie nicht fubjectio, die Wahrheit eines Ich's if. Yür die wahre Exiſtenz der abfoluten Idee ift es wefentlich, ſich zur Subfectivis tät zuzuſpitzen, den innerften Gehalt einer lebenden Subjectivität auszumachen. Das Abfolute exiftirt für und nur, indem es in uns if. Das heißt: wir förnen die abjolute Wahrheit nur erfennen, indem wir und an fie abfolut hingeben; dieß ift dad Moment des Glaubens und der Liebe, ohne das das wahre Wiſſen unmoͤglich iſt. Nicht das überlegne Urtheil, ſondern die liebende Hingebung hebt den Schatz. |

Die kann vielleicht muftifch Elingen, aber wir bitten ben.

Lefer, Nichts dahinter zu fehen ald das, was unſrer Meinung nach auch die Wahrheit aller Myſtik if, den nüchternen Gedan⸗ fen nämlich, der aus ber Natur der abfolnten Idee mit Noth⸗ wendigfeit fließt: daß die Wahrheit nur wirklich feyn kann, wenn lebendig, und nur lebendig, : wenn fübjectiv. Darin bes fteht nun der Vorzug jener urfprünglichen Denker, daß fie ſelbſt in ihren-Gedanfen ganz gewefen, mit voller Ueberzeugung daran geglaubt haben. Diefe Innigfeit, diefe Licbeswärme, mit ber fie ihre Gedanken umfaßt haben, ift es auch, bie dieſe Fülle

Das Problem ter Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolutien. 251

daraus hervorgelödt bat, durch welche das Syflem als ein Rum bed, unendlich Schwellendes baficht.

Es ift daher eine Selbfttäufchung der Fritijchen Reflerion, wenn ſie daraus, daß für ſie feine Wahrheit in den vergange⸗ nen Syſtemen zu finden iſt, ſchließt, die Wahrheit ſey auch nie erkannt worden. Denn erſtens find bie Ertracte, bie fie für ſich zugerichtet hat, bei weiten nicht die Syſteme felbft, zweitens hat die veränderte ſubjective Stellung, welche fie (bie Reflexion), ihrer Natur nad), zu jenen Syſtemen eingenommen hat, biefen eine veränderte Bedeutung gegeben. Eben durch dieſe nachges borene Reflexion, dieſes fih Hinausziehen aus dem unmittelbas en Gebanfenproreß, ift biefem fein wahres Lebenselement ent« zogen; das an ſich Abfolute, welches fo betrachtet wird, ift nicht als Abſolutes mehr, fondern iſt zu einem Moment herabgefegt. Darım Fann der. Analogie, ‚nach welcher auch über Das jebige Syſtem zum voraus der Stab gebrochen und alfo überhaupt bie Wahrheit der Wirklichkeit entrüdt wird, Feine Volle Gültig« feit zugeftanden werden; denn cben bei dem Gegenwärtigen, Richtvergangenen bricht die Analogie ab, weil das Verhältniß fidy weſentlich verändert. Statt der ffsptifchen Warnung: „forfcht- nicht, denn eure Ergebniſſe werben wahrfcheinlich ebenfo wenig Etand halten, wie die eurer Borgänger”, follte e8 vielmehr heis fer: „gebet euch hin, wie Jene ſich bingegeben haben, jo wer⸗ det Ihr, wie fie, die Wahrheit erreichen; daß eure Nachfolger: aud) an euch nicht bie abfolute Wahrheit haben werben ‚geht euch nichts weiter an.”

Wenn Jemand hieraus folgern möchte, dag auf dieſe Weiſe ein jeder Irrthum dadurch, Daß er nur recht umfichgreifend, und. daß Einer fi) darin grüntlich verftocdte, zur Mahrheit würde: fo kann gleich. beinerft werben, daß. theild das noch fo gewaltige Lmfichgreifen noch Feine Erweiterung zur Totalität, theild Das Verſtocktwerden etwas ganz Anderes ald Hingebung - ft. Es findet hier nicht etwa nur eine quantitative Differenz, fondern ein wahrer qualitativer Sprung ftatt.. Eben dad Herum- ireiben im Relation, das ewige Hineinzichen des Mehr. und

252 Prof. Dr. Monrad,

Weniger, ift ein Verharren in der Umwahrhelt, im Irrihum, worin man ſich auch nur verfioden, d. h. zu etwas Todtem herabſetzen kann; während bie abſolute Totalitaͤt ber Wahrheit weſentlich gehört, und der ſich an dieſe Hingebende darin, in der Wahrheit, fein wahres Leben wiederfindet. Der Irrthum ift weientlich al8 gehemmte, geftocdte, auf halben Wege fichen gebliebene Wahrheit zu bezeichnen. Ein jeder Glaube an ven „Sieg der Wahrheit” hat eigentlicy feinen anderen logiſchen Ges halt, als diefen. Selbſt der Irrthum, muͤſſen wir fagen, wenn er durchgedacht wird, wenn er ſich in ſich vertieft und ſich zur Totalitaͤt erweitert, hebt ſich auf, gleicht ſich gewiſſermaßen aus. Er iſt als Irrthum nur wirklich in ſeiner Halbheit, ſeinem Ste⸗ henbleiben beim Momentanen, alſo eigentlich nur in ſeiner Un⸗ wirklichkeit. Es gibt feinen durchgeführten, abſoluten Irrthum, wie es Fein burchgeführtes, abſolutes Boͤſes gibt.

Schlagender ſcheint die Wendung der Einrede, daß der vorgetragenen Anſicht nach die Wahrheit nicht als eine, unwan⸗ delbare, ſondern als vielfache und veränderliche erſcheine. Hier iſt aber nicht zu vergeſſen, daß dieſe Vielheit nicht fuͤr die un⸗ mittelbaren Syſteme ſelbſt, deren jedes Totalität, geſchloſſene Einheit iſt, ſondern nur fuͤr die vergleichende Reflexion da iſt. Wie nun die Reflexion ihrer Natur nach immer mit ſich bringt, dag die Einheit ſich in Vielheit auflöft, fo gehört ed überhaupt

zur zeitlichen Exiftenz, daß die Idee fich in eine Vielheit von

Geftaltungen zerlegt, eine Nothwendigkeit, der auch die Philo- fophie, infofern fie ein. zeitlich Exiſtirendes ſeyn fol, unterworfen feyn muß, Als zeitliche oder Reflexions⸗Form hebt. aber dieſe Vielheit fi, wieder auf; als von berfelben Idee getragen, und biefelde abfolute Ioee zum Inhalt abend, find die Vielen in ihrer Wahrheit Eins. Diefe Säge werden nun freilich Vielen allzu logiſch und Teer Hingenz und wiewohl das Ver⸗

haͤltniß von Einheit und Vielheit immer ein Iogifches bleibt und

zulegt logiſchen Auffchluß erheifcht, fo wollen wir doch hier in faßlicher Weife und mit fpeciellerer Beziehung bie Sache zu er⸗ örtern fuchen. Daß bie eine Willenfchaft. fih in eine Vielheit

Das Problem ker Philoſ. u. feine geſchichiliche Evolution. 253 _

von Erkenntniſſen entfalten, und daß fie in&befondere in ber zeitlichen Erfcheinung fuccefive mehrere Stufen einnehmen, mehr rere Enhvidelungsphafen durchgehen muß: darin bürfte man ſich ſelbſt vom gewöhnlichen Reflexions⸗Standpuncte aus Teicht finden koͤnnen. Auch auf die weſentliche Einheit dieſer verſchie— denen Stufen oder Phaſen würde man unſchwer eingehen, wenn nur die Entwickelung als eine ſtetige erſchiee. Wenn die Philoſophie nur den hübſchen geſitteten Gang. naähme, ben man gewöhnlidd wiewohl in parenthesi gejagt auch hier nur mit relativer Wahrheit der Mathematif oder den empirischen Wifs fenfchaften zuichreibt, wo ein jeder Forfcher nur feine Entdeduns gen ganz ruhig an die feiner Borgänger anreiht: fo würde man feinen Anftand nehmen, auch die Bhilofophie, wie jede von den anderen, als eine und wahre Wiſſenſchaft gelten zu laffen. Als lein bier geht es nicht fo friedlich zu; die werfehiedenen Zeitfors men fügen fich nicht fanft an einander; fondern ein jedes Sy⸗ fiem fteht ald ein Ganzes, Gefchloffened ta, das vom folgenden nicht anerfannt, fondern aufgehoben wird. Der gefchichtliche Proceß fcheint hier wefentlich ein Immerwährender Vernichtungs⸗ Proceß zu ſeyn, vor dem feine einzige Form befteht. Darım alfo, weil die Stetigfeit der philoſophiſchen Entwicelung ſchwer zu fallen ift, weil die Verfchiedenheit hier zum Gegenſatz, der Gegenſatz zum Widerfpruch fortgeht, darum fträubt man fid), in der Bhilofophie Einheit und bleibende Wahrheit anzuerfen: nen. Allein hierin fiegt ein großer Irrthum. Denn abgefehen davon, daß auch die fyeciellen Wiſſenſchaften nicht ganz auf die gepriefene harmloſe Weife fortfchreiten, fondern auch hier wies wohl vieleicht in längeren Zeiträumen und trägerer Entwicke⸗ lung fich immer Syfteme bilden oder Grundanfichten auf kommen, die wieder. veralten und von fpäteren verdrängt werden eingeräumt, daß diefe Miffenfchaften doch relativ mehr durch ruhig fortgefegte Pofition als durch Negation heramvachien: jo muß man, ftatt dieß als einen Vorzug zu rühmen, umgekehrt fagen, baß eben in demfelben Grade diefe Wiſſenſchaften ciner febendigen Entwickelung und einer wahren innigen Einheit ent

2354 Bref. Dr. Monrad, Das Problem d. Philoſophie ıc.

behren. Denn die „fortgefegte Poſition“, die nicht mit ber Nes Hation innig verfmüpft iſt und aus biefer eigentlich, entfpringt, ift eben nur Jurtapofition, und der Sortfehritt fo mehr ‚eine äußerliche, ftofftiche Vermehrung als ein organischer Wachsthum. Oder um wieder nit fo ftarf an die leidige Logif zu erinnern, fo liegt am Zuge, daß vie Einheit, die nur aus immer fortges fegten Entdeckungen und Beobachtungen beftcht, nur cine zerfühs tene fern und tie Wiffenfchnft alfo als Ganzes nur eine vers kümmerte Exiſtenz haben kann, indem das jedesmal Eriftirende nur Bruchitüde find, die nur im endlofen Proceß ihre Zuſam⸗ menfaffung und Vollendung niemals erreichen.

In der PBhilofophie aber, die eben darum bie höchfte Wifs fenfchaft ijt, .ift die Zufammenfaffung und die Vollendung immer

da. Der unendliche Proceß, der ein jebed endliched Ganzes aufs

hebt, wird im philofophifchen Syſtem felbft immer aufgehoben und fo die Ganzheit hergeſtellt. Diefe Gedanken-Totalität ift eben die Form, unter welcher das Unendliche wirklich im End⸗ lichen erfeheint, indem naͤmlich eine jede. Stufe nicht ein Bruch— find, etwas Unſelbſtſtaͤndliches, Unwahres, fondern felbft Gans - 308, Abfoluted if. Die Zeitichranfe, wiewohl immer. gefegt, wird doch. in jedem Moment wieder aufashoben, ſodaß die Zeit philoſophie, obgleich einerfeits der beftinunten Zeit, dem Augen⸗ blide angehörig, andererfeitd Boch eben dasjenige ausmacht, wo⸗ durch die Zeit über ſich felbft gehoben, die Wahrheit alſo ver Zeitlichkeit entrüicht wird; Eben weil die Philoſophie das ins nerfte und totale Zeitbewußtſeyn it, ‚tft fie mehr als nur Zeit bewußtleyn; es weht in ihr immer ein Hauch der Gwigfeit, Darum läßt die Philoſophie einer gewiſſen Periode ſich nie ganz aus dem Zeitcharafter oder ben. Zeitumſtänden .erfläven, indem fie vielmehr erft jeldft die Verflärung - jenes Charakters ‚at, die in ſich ſelbſt ihren Schwerpunct hat, Je höher und .reiner. eine Philoſophie ift, deſto unabhängiger erfcheint fie von ber ganzen gefchichtlichen Umgebung, nicht. weil fie etwa dieſe fliche ober nur von ber Zeit abſtrahire, fonbern eben weil fie deren inner: lichſte Durchdringung iſt. Aber auch diefe Unabhängigkeit vom

Recenfionen. Chr. C. 3. Bunfen: Gottin d. Gefchichte ꝛc. 255

Zeitlichen, die dad Mefen ber Philofophie ausmacht, muß im Zeitlichen ald eine ſucceſſive Entwidelung erfiheinen, indem bie Philoſophie mehr und mehr der Hülle des Zeitlichen durchar— beitend fich entwindet, mehr und mehr in innig zeitlicher Ge⸗ ftalt und dadurch eben in überzeitlicher Allgemeinheit fich "Des hauptet. Wollte man und ein piychologifches Gleichniß erlau⸗ ben, fo würden wir fagen, daß die Philoſophie erftlich nur als bie verborgene, nicht für fich feyende Seele der gefihichtlicyen Menichheit, danıı aber als ihr abgezogenes, ſcheinbar nur zus fhauendes Bewußtfeyn exiftirt, um endlich als der wahre beherrſchende Geift der Gefchichte wirklich zu werben,

NRecenſionen.

Gott in der Geſchichte oder der Fortſchritt des Glaubens an eine fittliche Weltregieung. Bon Chriſtian Carl Joſias, Bunſen. In ſechs Büchern. 1. Thl. Leipzig, 1857.

Der berühmte Staatsmann und Gelehrte, deſſen Name für ſich allein ſchon das voliegende Werk der Beachtung em⸗ pfiehlt, hat wiederholentlich feine gewichtige Stimme fo entſchie⸗ den zu Gunſten der jetzt verachteten Philoſophie erhoben, daß die Vertreter derſelben ihm zu innigen Dank verbunden ſind. Um ſo mehr werden wir es für unſere Pflicht erachten, ihm da, wo er ſelbſt in das Gebiet der Philoſophie eintritt, mit voller Aufmerkſamkeit zu folgen und feinen Ideen und Anſchauungen eine eingehende gewiffenhafte Prüfung angedeihen zu laffen.

Die vorliegende Schrift will der Anfang einer neuen Phi: lofophie der Gefchichte.feyn, neu nicht bloß in den teen, fons dern auch in der Methode der Forſchung und ber Form der Entiwidelung. Sie will nicht in der beliebten Hegel’fchen Mas nier die Gefchichte a priori conftruiren oder am Finger der dia⸗ Icktifchen Methode ablaufen Iaffen, noch wie früher. über den gegebenen Stoff von fertigen Brincipien und Gefichtspuncten aud Reflexionen anftelfen, ſondern fie faßt die Geſchichte einfach als

256 Recenfionen.

Object der philofophifchen Forſchung, d. h. einer Forſchung, bie nicht bereits im Bejts ber Wahrheit zu feyn wähnt und biefelbe in der Gefchichte nur wiederfinden will, fondern einzig und als lein vorausjegt, daß ihr Object von der Bernunft geformt und durchwaltet ſey und alſo aud ein vernünftiger Inhalt, Bernunftideen, Bernunftgefege feiner Enhvidelung fih in ihm entdecken laſſen müſſen. ie bringt nicht philofophilche Keen und Brincipien zur Gefchichte Hinzu, ſondern will fie erft aus’ ihr gewinnen; das philofophifche Syſtem ſoll nicht in die Gefchichte hinein=, fondern aus ihr herausgearbeitet wer- den; Stoff und Idee, die Erfcheinung und ihr Vernunftgehalt, der Entwidelungsgang und feine Gefege follen miteinander Ge⸗ flat für das Bewußtfeyn gewinnen und aus ber Erforfchung des Gegegebenen zugleich das vernuͤnftige Verſtaͤndniß deſſelben reſultiren.

Auf dieſem Wege allein darin ſtimmen wir dem Verf. vollkommen bei und nur wenige eingefleiſchte Liebhaber ber Eonftruction=a=priori werden ihm widerfprechen, ift eine wahrhafte Philofophie der Geſchichte zu gewinnen, vorausge⸗ jest, daß es überhaupt Philofophie, d. h. Vernunft in der Ge Ihichte giebt. Diefe Vorausſetzung werden ihm freilich unſere modernen Materialiſten und Atheiſten beſtreiten. Und ſelbſt wenn man den einzelnen Menſchen ſubjectw das Vermoͤgen der Ver⸗ nunft, Freiheit und Sittlichkeit zugeſteht, fo folgt daraus aller⸗ dings noch nicht, daß objectiv, im großen Ganzen der Geſchichte ‚der Menſchheit Geſetze, der Vernunft, Principien der Sittlichkeit amd ein von ihnen geleiteter Fortſchritt der Entwickelung herr⸗ ſchen müſſen: denn bekanntlich gewinnt gelegentlich auch die Unverminft und die Unfitte das Uebergewicht. Allein in diefer Grundvorausſetzung kann fich der Verf. auf Kant, Fichte, Schel⸗ ling, Hegel, Baader, Schleiermacher und alle bie größten Namen im Gebiete der Philoſophie ſtuͤtzen; und dieſe Stuͤtze duͤrfte min⸗ deſtens eben ſo ſicher ſeyn als die Prämiſſen ſeiner Gegner. Außerdem will er gerade durch feine Darſtellung zugleich Beweis

Chr. K. 3. Bunfen: Gott in der Gefhlhten. _ 257

jen, daß es eine fittlihe Weltorbnung giebt, d. 5. obiextive Vernunft und vernünftige Geſetze in ber Weltgefchichte walten.

Scyiwieriger dürfte die Trage feyn, wie ber einzelne For⸗ fher die Vernunft und ihren weltgeſchichtlicheu Inhalt in ben hiftorifchen-Thatfachen zu erfennen vermöge, ohne bereitd zu wife jen, was Vernunft und vernünftig fey. Bunfen legt fich biefe Brage nicht ausdrinklich vor. ber wir finden eine Antwort auf fie in dem Kapitel der Einleitung (ded 1. Buchs), welches vom Selbftbewußtieyn und Gottesbewußtieyn handelt. . Hier bes merft Bunfen: „Der Menfch findet in fih ein Bewußtſeyn von Guten und Böfen, Recht und Unrecht, welches wir Gewiſſen nennen, und cinen Sinn, dad Wuhre vom Balfchen, das Denk⸗ bare vom Undenfbaren zu unterfcheiden, welchen wir im Allge⸗ meinen ald Vernunft bezeichnen, Beide nehmen allgemeine und unbebingte Geltung in Anſpruch, fo gut wie ber Naturtrieb der Thiere, welchen wir Inftinet nennen: und die Menfchen unter- werfen ihren Streit über die Anwendung des Gewiſſens und der Bernunft immer nur wieder dem Gewiſſen und der Ver⸗ nunft. Beide fordern deshalb allgemeinen Glauben an fi, und ber Menfch, welcher an ihnen irre wird, verfällt dem Wahn- finn oder thieriſcher Dumpfheit. Alle Beionnenheit des Men⸗ chen im Verkehre mit fi) und der Außenwelt beruht auf dieſem Glauben an Gewiſſen und Vernunft: alle Sprache, Kunft und Wiffenfchaft, wie alle ftaatliche und kirchliche Ordnung unter den Menfchen iſt daraus hervorgegangen. Dieſer Glaube iſt aber im Weientlichen ter Glaube an die Einheit von Gewiſſen und Vernunft, alfo der Glaube, daß das Gcwiffen vernünftig und die Vernunft fittlich, oder daß das Gute wahr, dad Wahre gut ſey.“ Für Bunfen find alfo- Vernunft und Gewifien ein Letztes, uͤber das nicht hinausgegangen werden kann; und, richtig verſtanden, ift es allerdings richtig, daß die Menfchen ihren Streit über die Anwendung von Vernunft und Gewiffen ims mer wieder nur bem Gewiſſen und ber Vernunft unterwerfen. Allein das entbindet den Bhilofophen nicht, Vernunft und Ges. wiflen eben als dieß Letzte, als bie abfolute Praͤmiſſe nachzus

"3 777 Mecenfionen.. Zu

weiten. Jedenfalls darf er fich nicht eritichlagen auf Diejenigen Thatfachen, Bedenken und Einwendungen näher einzugehen, welche, wenn fie ftchen bleiben, feine Prämiffe aufheben oder doch unbrauchbar. machen. Woher kommt es, daß ber Menſch, obwohl nit jenem Sinn für, dad Wahre und Falfche, mit dem Bewußtſeyn von. Recht und Unrecht begabt, doch fo häufig fich irrt und das Balfche für wahr, Unrerht für Recht nimmt? Sind aber Vernunft und Gewiſſen -nicht untrüglich, was helfen fie und dann, um die Wahrheit zu erfennen und das Gute zu ers greifen? Und vermögen wir dennoch zu folcher Erkenntniß zu gefangen, auf welchem Wege erreichen wir fie? Der. Glaube an Gewiſſen und Vernunft und am die. Einheit beider mag im⸗ merhin zur menfchlichen Natur gehören; er für fich allein. hilft und noch nicht, den Inhalt von Gewiſſen und Vernunft wiflens ſchaftlich feftzuftellen. Iedenfalld muß und das Wahre und das Falſche fchon objectiv gegeben feyn, um es mittelft jenes Sinnes „unterſcheiden“ zu können. Und zum Alnterfcheiden: wicherum gehört ein Kriterium, ein Merkmal; woran erkennen wir das Wahre als wahr, das Gute als gut?

Doch die Philoſophie der Sefhichte iſt eine der lehten Disciplinen im Syſtem der Philoſophie, eine ber letzten Wif⸗ ſenſchaften im Entwickelungsproceß der menſchlichen Erkenntniß. Denn fie ſetzt nicht nur: Logik und Erkenntnißtheorie, fondern auch Naturphiloſophie und Pſychologie, Ethik und. Metaphyſik voraus, weil: fie nicht nur einer ſichern Methode der Forſchung und Erkenntniß, ſondern auch naturphiloſophiſcher, pfychologi⸗ ſcher, ethiſcher und metaphyſiſcher Begriffe bedarf, um ſich ihres Objeects philoſophiſch bemächtigen zu koͤnnen. Sie kann über⸗ haupt als Wiſſenſchaft erſt entſtehen, nachdem die Menſchheit bereits eine weite Strecke der Entwickelung durchlaufen und einen Höhepunet geiſtiger Bildung erreicht hat, von dem aus bie zus rüdgelegte. Bahn ſich überſehen läßt. Denn wie der Naturfor⸗ ſcher einer langen Reihe von Thatſachen bedarf, um in ihnen das Allgemeine des Gefeges. zu entdecken, ſo kann der. Geſchichts⸗ philoſoph die Geſetze hiſtoriſcher Entwickelung erſt erfennen, nach⸗

Chr. 3. €. Bunſen: Bott tu der Gefcdichte 0. 259

dem fich eine gewiſſe Hille ded Materials angefammelt hat und eine Reihe menschlicher Thaten und Schickſale, Zuftinte und Verhaͤltniſſe hiſtoriſch feitgeftellt if. Wir wollen daher. gern annehmen, daß dem Verf. eine Erkenntnißtheorie zu Gebote flieht, welche jene Fragen und Bedenfen genügend beantiwortet.. Verweiſt er und doch feldft auf ein „Organon der Philoſophie der Gefchichte der Menjchheit”, an welchem cr feit Jahren ars. beitet und welches ohne Ziveifel auch. auf die oben beregten Puncte eingehen wird. Nur wünfchen wir, daß zum Beften der neuen Wiſſenſchaft diefe Schrift. recht bald. herwortreten möge. Tenn ohne diefelbe bleibt eine Philofophie der Geſchichte wiſ⸗ ſenſchaftlich haltlos, weil, unſeres Erachtens wenigftens, jene Vorfragen in den bisherigen Syſtemen der Philoſophie noch nicht befriedigend gelöſt ſind.

Dagegen koͤnnen wir es nicht gerechtfertigt finden, daß Bunſen auch die Frage, wie die menſchliche Freiheit mit den. Geſetzen der hiſtoriſchen Entwickelung, mit einer goͤttlichen Lei⸗ tung der Weltgeſchichte oder was fuͤr B. daſſelbe iſt mit einer Manifeſtation Gottes in dee Geſchichte vereinbar ſey, une erörtert bei Eeite fihiebt. Laffen wir es uns gefallen, daß cr, nach einer Furzen Wiverlegung der. materlaliftifchen, deiſtiſchen und. pantheiftifchen Weltanfchauung, von Ienen, welche um ber‘ Wahrheit willen zu benfen und zu farfchen wagen, als zugeſtan⸗ den annimmt, daß Gott in der Weltgeſchichte ſich offenbare ;. laffen wir auch die etwas rafche Solgerung gelten, „daß: eine folche Offenbarung nach vernünftigen Gefegen - erfolge und, zwar nad) folhen, deren Wefen und Ziel das Eittliche ift; denn, Bott und Geſetz ſey Eines und daffelbe, fobald man annchme,; daß Gott das Geſetzliche, das Uebereinftimmende, dad zu immer, größerer Gottähnlichfeit und Eeligfeit Treibende in der Welt, ſey“, fo verftehen wir doch nicht, wie zu biefen Praämiſſen: ber Schlußfaß paßt: - „Der für die Vernunft ſchwer zu loͤſende Gegenfag zwifchen Nothwendigfeit und Freiheit fommt hierbei wicht in Betracht: wir Fönnen ihn daher hier unerwogen laſſen.“ Im Gegentheil, uns ſcheint dieſer Gegenfag fehr ſtark in Bes-

350 Recenſionen.

tracht zu kommen. Denn wenn Gott und Geſetz Eines und Daſſelbe iſt, wenn dieß Geſetz das „Treibende“ und nicht bloß das Treibende, ſondern auch das „Umgeflaltende in der Ge⸗ ſchichte wie in der Natur“ iſt, kurz wenn ed, wie B. an einer andern Stelle ſich ausdrückt, „eine ſittliche Weltordnung, einen geiſtigen Kosmos und erkennbare Geſetze deſſelben“ giebt, und wenn doch nicht angenommen werden kann, daß der treibenden und umgeſtaltenden Macht Gottes und feiner geſetzlichen Wirk famfeit ein Widerftand entgegentreten Fönne, fo fragt es ſich doch offenbar, wie neben diefer in Natur und Geſchichte waltenden Nothwendigfeit die menſchliche Freiheit beftchen koͤnne? Dieſe Trage ist dad Grundproblem für jede Philoſophie der Gejchichte. Denn ohne ihre Löjung bleibt die Weltgefchichte im Grunde unverftändlih. Begreifen wir nicht, wie Freiheit und Nothwen⸗ bigfeit fey fie Geſetz, eine ein» für allemal gegebene Welt ordnung oder göttliche Trieb⸗ und Umgeftaltungdfraft zu Einem Ziele zufammenwirfen fönnen, fo begreifen wir auch kei⸗ nen einzelnen Echritt, der dieſem Ziele näher führt. Herrſcht das Geſetz über die Freiheit, fo hört der geiftige Kosmos, bie fittlihe Weltordnung auf, geiftig und fittlich zn ſeyn und fällt mit dem natürlichen Kosmos in Eins zuſammen. Herrſcht die: Freiheit über dad Geſetz, fo fragt es fich, wie erfennbare Ger fege die Weltgefchichte und ihren. Gang beftimmen fonnen, Bun⸗

ſen vertaufcht zwar gelegentlich den Ausdrud Geſetz mit dem

ber „leitenden Ideen“, und giebt die Abficht feines Werks. dahin an, daß es „eine Darftellung der leitenden Perſönlichkeiten und der leitenden Ideen” in der Weltgefchichte feyn wolle Allein wenn wir und auch befcheiden lafien, daß das Wort Geſetz im geiftigen Kosmos nicht dafjelbe bedeute wie im natürlichen, daß in der Geſchichte Das Geſetz nicht mit äußerlich zwingender Ges walt wirfe, fondern nur eine „leitende“ Macht ausübe, fo kehrt body immer das Dilemma wieder: Vermag dieſe leitende Macht die menfchliche Freiheit nicht zu überwinden, fo ift ver geſetzliche Fortſchritt der. Weltgefchichte unmöglich oder doch nur ein Zus fall, und von einer firtlichen Weltordnung, die in der Gefchichte.

Chr. C. 3. Bunfen: Gott in ter Geſchichte ꝛc. 2616

fich abfpiegle, kann nicht die Rebe ſeyn. Ueberwindet fie aber ſtets und in jedem Falle die menfchliche Freiheit, nun fo herrſcht fie eben in. derfelben Weife wie in der Ratur, und von einer ‚,ſittlichen“ Weltorbnung in jenem Sinne kann wiederum nicht bie Rede feyn. Vielleicht will Bunfen auch diefes Dilemma tn dein verfprochenen „Organon“ löfen. Allein bier erfcheint uns die Verweifung auf eine andre, noch nicht einmal vorhandene Schrift mindeftend unzwedmäßig. Denn gerade dieſes Dilemma, diefer wenigften® anfcheinende und noch nicht gelöfte Wir derſpruch zwifchen der gefeglichen Geſtaltung der hiſtoriſchen Greigniffe und der fpontanen Thatkraft ihrer menfchlichen Traͤ⸗ ger, eben dieſer Gegenjag von Nothwendigkeit und Freiheit iſt ed, der auch bei Denen, „welche um ber Wahrheit willen zu benfen und zu forjchen wagen”, ftetS ftarfe Zweifel erregt hat, ob überhaupt eine Philoſophie der Gefchichte möglich fey. Diele Zweifel werden gerade den denkenden und forjchenden Leſer auf Schritt und Tritt begleiten, und ihn bedenklich machen, ob nicht, wo Bunfen Gefege und feitende Ideen entdeckt zu haben glaubt, ein Irrthum in der Auffaffung, eine Ungenauigfeit in ber For⸗ hung jich eingefchlichen habe. Jedenfalls kommen wir aud dem Schwanfen nicht heraus, daß wir nie echt wiflen, ob die welt⸗ hiftorifche That aus der menschlichen Zreiheit oder von ber ge⸗ feglichen Nothwendigkeit herrührt, Und wo ber Urfprung dun⸗ fel bleibt, wird auch die Sache felbft kaum zu voller Klarbeit fi) bringen laffen. PN

Vielleicht in -Bolge davon leidet auch die Art und Weile, wie der Verf. dad Weſen Gottes und fein Verhältniß zur Welt faßt, an einer gewiſſen Unflarheit. Wan hat Bunfen, naments lih- von theologifcher Seite her, als Bantheiften verfegert. “Das ift nun zwar ohne alles Gewicht: Angriffe von Seiten unfter mobernften Orthodoxie gereichen einem Manne ber Wiffenfchaft nur zum Ruhme; auch kennt man ja bereits hinlänglich bieje Art von Polemik, die ohne alle wiffenfchaftlihe Durchbildung gedankenlos gegen jeden Schein von Pantheiſsmus zu Felde zieht und body nicht im Stande ift, ihre eignen Anfchauungen von pan⸗

Zeitſchr. [ Philof. u. phil. Kritik. 32. Band. 18

262 .,. Recenfionen.

theiftifchen Elementen und von ben fraffeften MWiberfprüchen rein zu halten, Und in der That hat man dem Verf. Unrecht gethan. Bunſen will offenbar nicht Pantheift feyn. Das ers giebt fich nicht nur aus feiner Widerlegung ber pantheiftifchen Weltanichanung, die er mit Recht verwirft wegen ihrer Unfäs higfeit, den fittlihen Yorderungen gerecht zu werben; bad zeis gen und feine pofitiven Aeußerungen. Allein damit ftehen ans dre, anfcheinend wenigftens, in Widerfpruch, und rufen nicht nur den Schein des Pantheismus hervor, fondern was für den Phi⸗ Iofophen ſchlimmer ift, den Schein von Ungenauigfeit und Un- beſtimmtheit der Auffaffung, ober mangelnder Durchbildung ter leitenden Begriffe.

Bunjen’d Idee Gotted und feines Berhältnifles zur Welt concentrirt fich in folgenden Sägen: „Die Herleitung des Wer⸗ dens [ded Zeitlichen und Endlichen der Welt] aus dem-Seyn, d. h. aus dein Abfoluten, dem Subject Object, iſt nur mög⸗ lich Durch die Vermittelung der drei oberften DOffenbarungen des linbedingten, als ded hödjften Gutes, ald des unbedingt Wah⸗ ren, al8 des vollfommen Echönen. Das Gute ift die Offen- barung Gottes ald ded ewigen Subjects, das Wahre ald bie des ewigen Objects, das Schoͤne ald die der vollzogenen Eine heit beiter, d. bh. bed Denkens und des Seyns. Diefen drei unendlichen Gegenftändlichfeiten entfprechen im Endlichen bie brei Vermögen ber Seele: das Begehrungsvuermögen oder ber Wille das Erkenntnißvermoͤgen oder die Vernunft, und das An⸗ ſchaungs⸗ oder Einheitsvermögen beider, welches gewoͤhnlich die Einbildungskraft oder Phantaſie genannt wird, Die Einheit je- ner und gegenftändlichen “Drei ift die Gottheit, die Einheit dies jer drei fubjectiven Vermögen iſt Die Seele” (Vorrede S. XXXIV.) „Seten wir fonad) Gott ald den ewigen und in fich vollendeten und. ruhenden Willen und Gedanfen der Schöpfung, fo if die Welt, mit dem Menfchengeifte als dem Ziele aller Schöpfung, bie Entfaltung ded ewig won Gott Gedachten. So vermögen wir feftzuhalten den Unterſchied des Ewigen und Endlichen, bes Unbetingten und Bebingten, des über alle Veränderungen des

Chr. C. 3. Bunſen: Gott in der Geſchichte ıc. 2653

Werdens erhadenen Seyns einerfeits; und andererfelts jenes Wer- dens, welches jich nad) den Gefegen bed Endlichen geftaltet und in dieſer Endlichfeit Gott, den Unentlichen, in fortfchreitenber Entfaltung offenbart. Gottes ewiged Eeyn an ſich bleibt ım- verändert; aber Das, was fich in ber Gefchichte wie in der Na⸗ tur als das Umgeftaltente und Treibende zeigt, ift nichts Andres als das Göttliche, nur mit dein Unterfchiede des Endlichen und Unendlichen. Gottes Offenbarung erfolgt daher nothwendig nach. vernünftigen Gefegen und zwar nad) ſolcheñ, deren Wefen und: Ziel das Sittliche if. Dem correfpondirt auf menfchlicher Seite jened fchon erwähnte Grundbewußtfeyn, jener Glaube an die Einheit ded Guten und MWahren, des Gewiffens und ber Vers nunft, welcher Göttliche und Menfchliches verbindet, Unenpliches mit dem Endlichen verfnüpft, Die Welt mit Gott verföhnt. Zur gleich aber liegt in dem Segenfab von Gott und Welt der Grund ber Doppeltheit, in welcher die Aeußerungen biefes allgemeinen Grundbewußtſeyns hervortreten. Es erfcheint nämlich nach der vorherrfchenden Richtung bald als Gottesbewußtfenn, d. h. als - Bewußtfeyn ded ewigen, bewußten Gedankens und Willens, aus welchem bie in Zeit und Raum ſich entwidelnden Dinge hervors gegangen find; bald als Bewußtfeyn der menfchlich = gefchicht- lichen Wirklichkeit. Diefes find- die beiden Ausgangspuncte oder Tole des Bewußtſeyns. Auf der menfchheitlichen Seite herrfcht bie Empfindung der Menfchheit vor als eines vernünftigen Gan« zen, als einer fittlichen Natur. Es wird babei angenommen, daß die Theile diefes Ganzen ſich nach gleichen Geſetzen bilden und entwideln, entftehen und vergehen. Da aber unfer Geift jo befchaffen ift, daB das Unenpliche nur durch das Endliche ins Bewußtfeyn tritt und das Endliche nur durch das Zeitlofe, Unendliche, den Gedanken und Willen, erfannt wird, fo fegen ſich Gottesbewußtfeyn und Menſchheitsbewußtſeyn gegenfeitig voraus. Die bewußte, fittlich vernünftige Berfönlichfeit des ein-. zelnen Menſchen findet fih alſo zwifchen Gott und Menſchheit: die Einheit. beider und die wefentliche Verfnüpfung der bewuß⸗ ten Berjönlichfeit des Sch mit beiden ift die VBorausfegung alles 18 *

264 nl - Mesenflonen.

Denkens über bad Eine wie über das Andre. Der. urfprängs liche Gegenſtand bes religiöfen Glaubens der Menfchheit ift da- ber nicht Gott an fi), fondern Gott in der Schöpfung und in

der Menfchheit als beider Urfache und Einheit. Man fönnte |

nun dad Bewußtſeyn Gottes in der Natur Weltbewußtſeyn ober Gottweltbewußtjeyn nennen; das Bewußtſeyn Gottes aber in der Geſchichte der. Mentchheit das menfchheitliche Gottesbewußtfenn ober mit Einem Worte Gottmenſchheitsbewußtſeyn. Offenbar würde das reine deale Gottesbewußtfenn fo wenig ausge ſchloſſen durch das Gottmenſchheits bewußtſeyn, als bie Gottheit durch bie Entfaltung des Goͤttlichen in der Welt und Geſchichte ihr görtliches Urfeyn aufgiebt. Umgekehrt, jenes Gott» menſchheits⸗Bewußtſeyn dürfte ald das volle Gottesbewußt⸗ ſeyn angefehen werben; denn ed kann ſich des Bewußtſeyns bes Unendlichen fo wenig entfleiven ald bed Bewußtſeyns des Ends lichen: es jet ebenfowohl das ideale Gottesbewußtſeyn ‚voraus als das Weltbemußtfeyn. Aber diefe beiden fchliegen nicht um- gekehrt das Gottmenfchheits - Bewußtfeyn in fi. Letzteres als kein, d. b. das Bewußtfeyn von Gott in der Weltgefehichte oder das weltgefchichtliche Gottesbewußtſeyn, welches Grund und Ziel in Gott an fi, feinen endlichen bewußten Spiegel aber in Mens fhengeifte hat, ift Daher der innere Grund aller Religion, d. 5. aller Gottesverehrung und aller Erfenntniß der göttlichen Dinge; und ebenſo ift ed dad Bewußtfeyn, daß das Göttliche fich in der Gejchichte der Menjchheit nach ewigen, erfennbaren Gefegen

entwidelt.” (Einleitung S. 7 f. 21 f) Aus diefen Säben .

erhellet zugleih, warum und in welchem Sinne der Verf. fein Werk: Gott in der Gefchichte, betitelt hat.

Haben wir Bunjen recht verktanden, fo geht ihm das Wer fen Gotted auf in dem bewußten Willen und Gebanfen ber Schöpfung. Gott ift nichts als die Idee der. Welt, aber bie Idee als Prius und Grund der Realität, ber xöauos Fonröc, aber mit Bewußtfeyn und Willen begabt. Der Inhalt biefes Bewußtſeyns iſt nur die Schöpfung, d. 5. ber zu realiſirende natürliche und geiftige Kosmos; zugleich aber. faßt es dieſen

Chr. 3. 6. Bunfen: Gott in der Geſchichte ac. 265

Kosmos in feiner Idealität, und biefe Spralität iſt burch bie Ideen des Guten, Wahren und Schönen beftimmt oder ihnen gemäß formirt. Daher ift im göttlichen Bewußtfeyn zugleich der Zwed der Schöpfung, den die gefchaffene Welt auszuführen hat, mitgefegt, und dieſer Zweck ift zumächft die Menfchheit, ver gei⸗ fige Kosmos, die Weltgefchichte, in der fodann (vermittelft ber göttlichen DOffenbarungsthätigfeit) die Ipeeneinheit des Guten, MWahren und Schönen, welche dem menfchlichen Geifte in Ges wiften und Vernunft immanent gegenftänblich find, und damit bie urfprünglih nur im göttlichen Bewußtfeyn gefegte Idealität ber Welt ihre Realität gewinnt. Die Echöpfung, d. h. die Ber: wirklichung des xoaos vonros, dad Hervortreten der wirklichen Welt aus dem bewußten Willen und Gedanken ihrer felbft, ift eben darum nur die „Entfaltung“ des Göttlichen in die Biel heit, Zeitlichfeit und Enplichfeit der erſcheinenden Dinge, die Ent» widelung des Göttlihen in der Gefchichte der Menfchheit”, dad Ausgehen bed Werdens von bem ewigen umvanbelbaren Urſeyn.

Es ift ſehr möglich, daß wir des Verf. Saͤtze nicht ganz in feinem Sinne aufgefaßt haben. Aber wir befermen, daß wir fie nur in dieſer Baflung zu verſtehen und bie anfcheinenten Widerfprüche von der „Entwickelung des Göttlichen“ in der Welt und dem ewigen unveränderten Seyn deſſelben zu einigen vers mögen. In der That feheint durch dieſe Faſſung der Idee Got⸗ ted das Problem, wie ein felbftbewußter, ewiger und unenblicher, in fi) vollendeter (abfoluter) Gott neben dem Werden, der Zeit lichkeit und Endlichfeit des weltlichen Daſeyns beftehen- und doch zugleich) in dieſer Endlichkeit und Zeitlichleit Sich offenbaren fonne, und damit der Zwielpalt zwilchen Deismus und ‘Ban theismus gelöft. Aber in Wahrheit feheint e8 nur fo. Bei näherer Betrachtung zeigen fich die zu loͤſenden Widerfprüche nicht befeitigt, fondern nur verhüllt, oder treten in anderer Korn wieder hervor. Wir wollen nicht fragen, wozu dieſes geboppelte Seyn Einer und berfelber Sache? wozu neben der in Gott oder vielmehr als Gott von Ewigkeit vorhandenen ibealen, abjolut

266 . Necenfiouen.

vollendeten, ihrer felbft bewußten Welt in ver Korm des unend«

-lichen unmandelbaren Seyns nod) eine zweite Welt der Ends lichkeit und Zeitlichfeit, die daſſelbe erft werden fol, was jene bereits iſt? wozu noch einmal in einem langwierigen Proceß des Werdens und der Entwidelung realifiren, was bereits realiter vorhanden it? Denn dem ewigen Urſeyn Gottes muß doch wohl mindeſtens diefelbe Realität beigemeflen werben, die feiner

Entfaltung in der Welt und Gefchichte zufommt? Wir wollen-

und biefer Fragen, obwohl fie ſich unwillfürlich aufbrängen, entfchlagen, weil fie Bunfen für vorwitzig erflären moͤchte. Aber die Frage können wir nicht zurüdhalten weil an ihr bie Möglichkeit des Gedankens felbft hängt —: wie ift es venfbar, daß daſſelbe Göttliche, da8 als bewußter Wille und Gedanfe der Schöpfung und damit als ewiges und unendliche Urfeyn unwanbelbar befteht, in der Welt und Gefchichte und damit in der Form bed Werdens, der Zeitlichfeit und Endlichfeit fich entwidele? Wie fann aus dem Seyn bad Werden, aus ber Bollendung die Entwidelung hervorgehen oder „abgeleitet” wer⸗ ben, wenn das Werdende, Sichentwidelnde daſſelbe ift was das Seyende, Bollendete? Der Widerſpruch, der in diefem Wer⸗ ben des Seyns, in der Enblichfeit des Unendlichen, der Zeit- lichkeit des Ewigen Liegt, iſt zwar verbedt, aber nicht gelöft, da⸗ durch, daß Gott ober dad ewige und unendliche Seyn als ber bevußte Wille und Gedanke dr Schöpfung bezeichnet wird. Denn ift die Schöpfung, die Greatur, an fid) wie fie im götts lichen Bewußtſeyn befteht, zeitlich und endlich, ſo fann dem Wil⸗ fen und Gedanken, ber Fichte Andres ald die Echöpfung zu feinem Inhalt hat, nicht das Praͤdicat der Ewigfeit und Unend⸗ lichkeit zufommen. Der Wille wie der Gebanfe, welcher nur das Zeitliche will und denkt, ift vielmehr nothwendig felbft zeit lich, veränderlich, weil er mit dem Anderswerden feines Inhalts nothwendig fich felcher ändert oder nur durch feine Aenderung dad Anteröwerden feines Objects hervorruft. Iſt aber bie Schöpfung an ſich ewig und unendlich, fo fragt es fich, wie fie zugleich werden, fich entwideln, zeitlich und endlich feyn kann?

Ehr. C. 3. Bunfen: Gott in der Gejchichte ıc. 367

d. h, wie fih die contradictio in adjecto, die in einer ewigen und unendlichen Schöpfung liegt, föfen laſſe? Es hilft nichts, die Schöpfung ald göttlichen Willen und Gedanfen dadurd) von der wirklichen Welt zu unterfcheiden, daß jene den idealen Kos: mos bilde, zu dem die wirkliche Welt fich erft zu erheben habe.

Tenn das Gefchaffene., Werdende, Zeitliche und Endliche fann

wohl ein Ziel feined Werdens, ein Ideal oder höchfte Beſtim⸗ mung feiner Entwidelung und Thätigfeit haben; aber es kann, auch mit der vollen Erreichung deſſelben niemald zum Cwigen und Unendlichen werden, weil e8 damit aufhören würde zu jeyn, indem es nicht fich entwickelte zu feiner Beftimmung bin, fondern ein gan Andres würde ald es war, oter wad dafs jelbe ift, weil ed, wenn es ewig und unendlich würde, dieß doch immer nur geworden wäre, ein gewordened Ewiges und Uns endliches aber eine contradictio in adjecto ift. Wir wenigitens vermögen und ein werdendes, ſich entwickelndes Abjoluted cbenfo wenig zu denfen ald eine ewige und unendliche (unbedingte weil unbefchränfte) Schöpfung. Der erfte Gedanke feheitert an dem innen Widerfpruch, daß jedes Werdende, Eich entwicelnde als folched nur darum noch nicht ift was es feyn foll, weil dieſem Seyn Bedingungen oder Schrunfen und Hindernijje im Wege fteher, die erft zu erfüllen und zu bejeitigen find, ein Uns bedingteö aber, das Schranken und Bedingungen feines Seyns, fen e8 an ihm felbft oder an einem Andern hätte, offenbar fein Unbedingtes wäre Aus einem Bedingten aber, geſetzt auch, daß es feine Bedingungen und Schranfen vollftändig übenvände, kann niemals ein Unbedingted werden, weil diefed nur dadurch von jenem fich unterfcheidet, daß es feine Schranfen und Be: dingungen feines Seyns hat und mithin auch Feine-zu uͤberwin⸗ den haben kann. Der zweite Gedanke ift unmöglich, weil jede Schoͤpfung ein Schaffendes vorausfegt, an dem fie dad Prius und die Bedingung ihres Dafeyns hat, folglich nicht ewig und unbedingt (unendlich) feyn kann. Eben darin endlich Tiegt auch die Unmöglichfeit eines Willens und Gedankens, defien Inhalt nur die Schöpfung wäre, Denn zur Schöpfung fann ed nur

268 Merenfienen.

fommen, fofern bad Schaffende fih von dem zu Schaffenden und refp. Geſchaffenen unterſcheidet. So gewiß bie Wir

kung undenkbar ift ohne bie Unterfheidung und ben Unterfchied einer Urfache, vom der fie andgegangen, fo gewiß ift die Schoͤ⸗

pfung undenkbar ohne-einen von ihre unterfchiedenen Schöe pfer, der, wenn er feiner felbft bewußt ift, ſich nothwendig auch als unterfchieden von feiner Schöpfung faflen muß. Wäre es aber etwa Bunfen’d Meinung, daß neben dem bewußten Willen und Gedanfen der Schöpfung in Gott noch ein von diefem Ge⸗ banfen und Willen unterfchiedenes göttliches Selbſt und Selbfl- bewußtfenn beftehe, fo ift durchaus nicht einzufehen, wie von einer „Entfaltung des Göttlichen in der Welt und Geſchichte“ die Rede feyn kanı. Denn das von der Welt unterſchie⸗ dene göttliche Selbft kann doch offenbar nicht in der Welt fih - entfalten. Wollte Bunfen einen folchen urfprünglichen Unter⸗ ſchied Gottes und der Schöpfung, bes göttlichen und des crea⸗ türlihen Weſens ftatuiren, was u. E. bie Grundlage und

Vorbedingung jeder wahrhaft theiſtiſchen Weltanfhauung ifl, fo wäre es wünfchenswerth gewefen, dieß vorab entichieben aus⸗ zufprechen, und fodann zu zeigen, wie dennoch die Welt und Ges schichte als Offenbarung Gotted gefaßt werben koͤnne und ber. Glaube an Gott mir dem Glauben an eine fittliche Weltordnung in Eins zuſammenfalle.

Hoffentlich Härt und auch hierüber das verfprocdhene „Ors ganon“ auf und hebt die Mängel, bie in einer bloßen Einlei⸗ tung, welche zugleich die philofophiihe Brundlegung für den großen Bau einer weltgefchichtlichen Darftellung des Gottes⸗ bewußtfeynd feyn fol, vielleicht fchmer zu vermeiden waren, Sehen wir von bdiefen. Mängeln ab, fo können wir ben Ideen, Motiven und Tendenzen, bie den Berf. bei feinem großen Un⸗ ternehmen leiteten und die er in der Einleitung barlegt, nur unfre volle Anerfennung zollen. Wir begegnen bier nicht nur manchem tiefen, inhaltsvollen Gedanken, der für alle Zeiten ‚Geltung bat, ſondern auch einer ebenfo Haren ald gründlichen Einſicht in die Schäden und Bedürfniffe der Gegenwart. Bun

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Cht. T. J. Bunfen: Gott in ber Geſchichte cv. 269

fen's Wert fol, vollendet, auf folgende fünf Fragen Antwort geben: 1) Bewährt fi) det Glaube an eine fittliche, in Gott bewußt lebende Weltorbnung, wonach das Gute zugleich das allein Wahre ift, wirklich in der Weltgefchichte nad) den uns vorliegenden Thatfachen? 2) Bilden die Erfcheinungen biefes Gottesbewußtſeyns eine organiiche Entwidelungsreihe? 3) Ift dad Ehriftenthum wirklich die Weltreligion? 4) Können feine jetigen Firdylichen Bormeln und Formen ald normal und gefund angefehen werden? und 5) Wird das Gottesdienftliche, tie Res ligion als Anbetung, aufhören und bie philofophifche Betrach⸗ tung ihre Erbin feyn? Mit Recht folgert der Berf.: Solls ten die. erften beiten ragen vom weltgefchichtlichen Standpunet bejahend zu beantworten feyn, ſo muß von jedem folgerecht ben» kenden Menfchen ancrfannt werden, daß jenes Gottesbewußtfeyn und jener Glaube ein angeborened Gemeingut, dad Erbtheil der Menfchheit fey, nicht etwas Zufällige und Uebereinfümmliches, alfo auch fortdauernd ein Beduͤrfniß der Menfchheit fey und bleibe. Wird auch die dritte Frage bejaht, wird erkannt, daß das im Evangelium offenbarte Chriftenrhun die wahre Religion fey, fo ift damit auch anerkannt, daß es ſich ebenfo philofophifch wie hiſtoriſch als wahr erweilen müſſe. Die Erfenntniß und Darſtellung der in ihm gefchichtlich offenbarten Lehren ald Vers nunftwahrheiten muß das Ziel der Philoſophie des Geiſtes, ihre Verwirklichung als folcher aber im Staate der Endzwed der Ofs fenbarung und ber Gefchichte feyn. Damit find auch die vierte und fünfte Frage beantwortet, naͤmlich verneinend, Es fällt da⸗ mit zu Boden die Scheidewand zwiſchen Gelchichte und Offen barung, zwilchen Vernunft und Glaube. Aber «8 fällt nicht minder zu Boben ber gemeine Nationalismus bes vorigen Sahrhundertd, welcher in der Offenbarung wie in der ganzen Geſchichte nichts als Außerliche Thatfachen fieht, gleichſam als gäbe es eine höhere Offenbarung der Vernunft als in der Ges ſchichte. Bor Allem aber fällt der Anfpruch einer äußern Anftalt auf untrügliche Autorität für die Wahrheit der jegigen Formeln und Formen, inſofern dieſe im Widerſpruch mit Geſchichte

270 Recenfionen.

und Philoſophie als weſentlich gelten ſollten. Aber es erſteht in nie geſehenem Glanze die älteſte Wahrheit, und es treten zum erſten Male in ihrer vollen goͤttlichen Geltung hervor vier ewige Wirklichkeiten: 1) Chriſtus als perſoͤnliche Verwirklichung der Idee der Menſchheit. 2) Die ſittlich vernünftige Perſoöͤnlichkeit als die Gott ſich verantwortlich wiſſende Trägerin des religiöſen Bewußtſeyns. 3) Die organiſch nad) Synoden und Voͤlkern ſich geſtaltende Gemeinde, alſo im höchſten Ausdrucke die Menſchheit als Trägerin der Verwirklichung und als Richterin. 4) Die Bibel als die göttliche Gegenftänblichfeit des perfönlichen und bed gemeindlichen Bewußtſeyns, als der Spiegel der Weltges fhichte und, im höchften Sinne, Gotted Wort an die Menſch⸗ heit.” Die Weltgefchichte, aus deren richtigem Verſtaͤndniſſe bie Antworten auf jene fünf Fragen und in neuem Glanze dieſe vier ewigen Wirflichkeiten hervorgehen follen, hat zum Hebel ihrer Entwickelung die Berfönlichfeit, „Alles Große geht aus vom Einzelnen; aber nur in den Maße, als diefer (wer er auch fey) das Ich dem Ganzen opfert, alfo vollftändig erſt durch den Tod. Die höchfte Bewährung des aufopfernden Willens ift die höchfte Willensthat, das Aufgeben des Lebens für die Menfch- heit. Die Weltgefchichte ift alfo dad Werk der entfelb« ten ‘Berfönlichfeit. Aber die Berföntichfeit ift gebunden an bie engen Schranken der Lebensdauer und Lebenskraft eines Einzel⸗ nen. 8 handelt fidy daher weiter um die Verwirklichung des Gedanken und Willend des Einzelnen durch die Gefammtheit. Diefe Geſammtheit erwächſt aus der Hausgenoſſenſchaft zum Stamme, zum Bolfe, zur Menfchheit. In diefer Verwirklichung bildet fih mithin nothmwendig ein großer Körper, und alfo ein größerer Widerftand des Stoffes gegen den zum ortfchritt um—⸗ bildenden Geiſt. Die Gefammtheit artet aus durch Verfleiſch⸗ lihung des Gedankens und Willens jener Berfönlichkeit, und verwildert oder erſtarrt. Diefer Ausartung kann nur wieder abgeholfen werben durch eine neue WBerfönlichfeit, welche vers jüngt, was lebensfaͤhig ift, der Zerfiörung aber weiht, was dem

Chr. C. 3. Bunfen: Gott in ter Gefchichtene. 271

Tode verfallen. So iſt jeder Fortfchritt eine Ruͤckkehr zur Idee des Beſtehenden; und in dieſer Idee liegt nothwendig dad Kles ment des Fortichrittö, weil jede Verwirklichung nur eine ihrer Phaſen if. Das neue Lehen, welches bie neue Perjönlichkeit in fich ausbildet, wird ald Keim gepflanzt in die verjüngte oder ‚erneute Menfchheit. Die lebenerzeugenden Berjönlichteigg bilden hiernach eine fortſchreitende Reiihe. Es muß alſo noihwendig einmal eine Perſoͤnlichkeit erſcheinen, welche nicht dieſe oder jene göttliche Eigenſchaft, ſondern den ewigen Gedanken oder lieben» den Willen Gottes ſelbſt in ſich darſtellt innerhalb der ihr ges ſteckten Schranken der Endlichkeit, nicht für Stamm oder Volk, ſondern für die Menſchheit, Gottes letzten Gedanken. Eine ſolche Perſönlichkeit kann dann nicht wieder auf eine höhere hin— weilen, fondern nur auf die Geſammtheit. Sie kann alfo auch nicht auf’ ſich felbft als Erfeheinung verweifen, fondern auf den Geiſt Gottes, der in ihr wirft und der Ichenerzeugend von ihr ausſtrahlt. So allein will fie verftanden feyn.“ „Der Eins zelne für das Volf, das Wolf für die Menfchheit, die Menſch⸗ heit für Gott, aber jeder Einzelne in Gott und Gott in jedem Einzelnen: das iſt das oberite Geſetz des Daſeyns in biefeni Wechſelſpiele des weltgefchichttichen Lebens. Das Miyfterium ber Menfchheit wie des Weltalld ift die Berfönlichfeit, d. h. das bewußte wollende Eeyn, welches in dad Ganze gefegt und dem Ganzen gegenübergeftellt ift: alfo Freiheit des fich felbft beftims menden fittlichen Willend gegenüber der außern Nothwendigkeit. S 38 f.).

In dieſen Sätzen anticipirt Bunſen bie Reſultate ſeiner Forſchung uͤber dad Geſetz und das letzte Motiv des Fortſchritts in der Weltgeſchichte. Es iſt einerſeits die Idee, welche von Gott ausgeht, andrerfeits die Perſoͤnlichkeit, welche die Idee er⸗ faßt, ſie individualiſirt (den gegebenen Verhältniſſen anpaßt) und als Lebenskeim, als entwickelndes, umgeſtaltendes, regeneriren⸗ des Princip in die Nation und Menſchheit einpflanzt, durch die fie dann erſt ihre Verwirklichung empfängt, Das iſt allerdings eine viel lebensvollere gefchichtlichere Anfchauung als das via

272 Mecenfionen.

lektiſche Triebrad des ſ. g. reinen Begriff, das Hegel in Be wegung feßt, oder der Naturaliömus Herders, ber von Race und feiblicher Organifation, von Klima und Bodenbefchaffenheit,

von ber geographiichen und ethnographifchen Situation der ein⸗

zelnen. Völfer den Entwidelungsgang der Menfchheit zur f. g. Sumagität abhängig macht. Wir vermiffen nur eine nähere Bes griffsbeſtimmung des hemmenten, den feheinbaren Rüdichritt oder (was daflelbe ift) die „Ruͤckkehr“ zur Idee bebingenden Principe. Denn der „größere Widerftand des Stoffes“, ber in der Verwirklichung der Idee durch die zu Volk und Menſch⸗ heit anwachfende Gejammtheit fich bilden fol, -bezeichnet doch wohl nicht die Cache feloft, fondern giebt nur ein Bild. We⸗ nigftend wäre näher darzulegen gewefen, in welchen Einne bie Gefammtheit gegenüber der leitenden Idee und ber fie vertretens den Perſoͤnlichkeit als bloßer Stoff zu betrachten fy. Etwa weil fie durch „WVerfleifchlichung des Gedankens und Willend* ausartet, verwildert oder erftarrt? Aber was ift ver Grund diefer BVerfleifchlihung? Liegt die Wurzel des Böfen, das ber Entwidelung des Böttlihen Widerftand Ieiftet, im Fleiſche, in der Sinnlidyfeit? Oder ift die Verfleifchlichung nur die Folge einer Verfehrung des Willens und Gedankens, die vom Geifte ausgegangen? Die Beantwortung diefer ragen dürfte doch nicht wohl zu umgehen feygn, wenn eine weltgefchtliche Darkels Aung des Gottesbewußtſeyns volles Licht gewinnen und in ihr namentlich den Grundidern des Chriftentbums und feiner Auf faffung der Perfönlichfeit Ehrifti ihr Necht wiverfahren fol.

Der weltgefchichtliche Fortſchritt iſt indeß nach Bunſen

nicht allein bedingt durch die leitenden Perſoönlichkeiten, ſondern auch durch Lie befondern Volksthümlichkeiten, in die jene geftellt oder aus denen fte hervorgegangen erfcheinen. Das menfchheits liche Gottesbewußtfeyn verwirklicht fi) nämlich einerfeits durch Gcdanfen, Kunft und Wiflenfchaft, andererfeits durch die ſitt⸗ liche That ber Ausprägung, in Gefep und Staat. - „Wie nun im Leben der Einzelnen fich immer ein Üebergewicht findet ent⸗ weder auf der Seite ber Erfenntniß, oder. auf der Seite ber

Chr. C. 3. Bunfen: Gott in der Geſchichte c. 278

Verwirklichung bed Erkannten durch äußere That, fo auch in ber Weltgefchichte und inöbefondere in der Entwickelung des menfchheitlichen Gottesbewußtſeyns oder des Bewußtſeyns Gottes in ter Geſchichte. Es ift unbeftreitbar, daß die Idee biefed Bewußtſeyns ihre großen weltgefchichtlichen Träger an drei Volks⸗ thümlichkeiten hat: an ben Hebräern im erften Weltalter, an den Hellenen im zweiten, an ben Deutjchen im britten. Es ifl aber ebenfalls eine weltgefchichtliche Thatſache, daß in jedem diefer drei Weltalter ben drei Trägern bed weltgefdichtlichen Gedankens drei Leiter der weltgefchichtlichen That gegenüberftes hen. Den femitijchen Hebräem gehen zur Seite in der Reihens folge ihrer nationalen Entwidelung die zoroaftrifchen Sranier, zuerft bie Baftrer, dann Meder und Berfer; der Semitisinus wird erft überwviegend That im Ausläufer der femitifchen Welt anfhauung, dem Welt erobernden arabifchen Muhammedanis- mus. Den geiftichaffenten und Freiheit rettenden Hellenen ſte⸗ en zur Eeite bie gefeglich ordnenden und weltherrjchenden Roͤ⸗ ter; ben Deutfchen endlich zuerft die verwandten Romanen, ann bie flammverbrüberten Engländer, Es füllt dabei eine an⸗ re merkwürdige Thatſache fogleich in die Augen. Alle Träger 3. Gedanfend find Bundesvölfer geweien, alle Träger ber Pat Völker des Einheitsſtaats, nach einem weltgefchichtlichen enfage, welcher feine Löfung nur im wahren Bundesſtaate han lann“ (S. 56 f.).

Die. Idee (das Gottesbewußtfeyn) entwidelt fi) nun aber

ten drei weltgefchichtlichen Trägern derfelben wie überhaupt

em Bolfe in zwei Hauptftufen oder Bildungsepocdhen. In

rama der Weltgefchichte unterfcheiden fich daher bei jedem

wei große Zeitalter. „Das erfte ift das der Sprachen»

Methenbildung. In ihm werden die Erfcheinungen auss

Qu Lauten ald Sinnbildern der Begriffe, und das Gots

yn wird verwirklicht durch heilige Mythen und Ges. 8 ift infofern nothivendig das Zeitalter der Götter

Tas Denfmal der Sprachbildung find die Spras

hen ſelbſt; in der Religionsbildung ift das Denkmal entweder

274 —— Necenſionen.

nur ein Wort (die Benennung des Gegenſtandes ber Anbetung) und ein Brauch, oder auch eine dein Brauche und dem Namen zur Seite ftehende, deutende und Ichrende Weberlieferung oder Ofs fenbarung. Der Zwed berfelben ift die Erklärung des Sinnes bed Begenftandes, der Erfcheinung, in welcher Das Gottesbe⸗ wußtſeyn fich fpiegelt. Dieje Erfcheinung ift entweder eine Na⸗ turerfcheinung, oder cine gefchichtliche. Dort im Raturfpiegef bildet fih der Naturmythus: Himmel und Erde, Aether und. Licht und verwandte Erfcheinungen werden in göttlich « menjch- liche Perfönlichkeiten eingekleivet und ihnen die Gefühle, Hands lungen, Leiden dieſer ‘Berfönlichfeit beigelegt; aber alled Diefes ift urfprünglich nur Symbol, erzeugt vom Gottesbeivußtfeyn, geftaltet vom Kunfttriebe. Hier bei einer gefchichtlichen Erſchei— nung bildet fih der gefchichtlihe Mythus, aber ebenfalls: nur als ein Näthfel, als eine finnbildliche Eprache des Gottes⸗ bewußtfeynd: die Berfönlichfeit wird rein ideal aufgefaßt, das Gefchichtliche wird zur Legende, in welcher fich die iteale Auffaſ⸗ fung fpiegelt. Im zweiten Zeitalter vereinigt derſelbe Trieb, welcher den Grund ber gemeinfamen Gotteöverehrung gelegt und in der Sprache dad Mittel zur gegenfeitigen Verftändigung ge> fchaffen hat, die zu Stämmen gereiften Familien ald Völfer, und bildet Staaten, den hoͤchſten Ausdruck felbftftändiger Vereinigung ber Gfieder der zerfprengten Menfchheit, Derſelbe Bildungstrieb begeiftert fodann zu Schöpfungen der: Kunft und Wiffenfchaft, d. h. zum Geſtalten des Wahren und Guten im Schönen und zur Erfenntniß der Einheit diefer drei großen Ideen in Gott. Wie im erften Zeitalter die mehr unbewußte und im Geifte Des Ganzen ſchaffende Weltanfchauung vorherrfcht, fo im zweiten das bewußte Erkennen und Schaffen. des Einzelnen. Die einwohnen de Weltanfchauung treibt zur Bhilofophie der Gefchichte der Menſch⸗ heit, Dabei wird bie Eindliche Weltanfchauung angefochten von dem erwachenden Einzelbewußtſeyn. Denn bie Verſtandesbe⸗ trachtung beginnt mit dem Zweifel, indem fie fragt, ob die Abe. nung und ber Glaube nicht täufchen, ob eine göttliche Weltord⸗ nung wirklich beftche. Solche Zweifel loͤſt nur bie fortfchreis

Chr. €. J. Bunfen: Gott in der Geſchichte ıc. 275

ende Philoſophie. Dieſer Fortſchritt ift ein nothwenbiger: bie Wetanfhauung muß zur Erfenntniß werden, die Ab» nung jum Bewußtſeyn“ (S.A8 |).

Sao ergeben ſich für Bunfen zwei allgemeine Gefege ber weltgefchichtlichen Entwidelung, 1) „Die Bildung eines jcben nationalen Gottesbewußtſeyns beginnt mit der volföthümlichen MWeltanfchauung und endigt (wenn dieſer Punct überhaupt ers reicht wird) mit dem philofophifchen Bewußtfeyn, welches auf die allgemeinen Fragen oder fogar auf die erften Gründe unfers Wiſſens mehr oder weniger ftreng wiffenfchaftlich zurüdgeht. Zwi⸗ hen beiden liegen die Staatenbildung, die Kunftichöpfung und das gebildete poctijche wie profaifche Echriftthum in der Mitte.” Dieß Geſetz gefunden und durch den Nachweis, daß nicht nur die fünftlerifche und ſchriftthümliche, fondern aud) die rein phis loſophiſche Betrachtung der Weltgefchichte auf einer frühern mehr oder minder unbeiwußten Weltanfchauung ruht und diefe zuerft als Sprach⸗ und Religionsbiltung,, dann als Ueberlieferung er⸗ fheint, den Grund zu einer wahrhaften Philoſophie der Ge: fchichte gelegt zu haben, ift nach B. das größte Verbienft der kritiſch⸗ deutſchen Schule, ſowohl der philofophifchen (von Leib⸗ nig bis Hegel) ald der gefchichtlichen und philologiſchen. Das zweite Geſetz, daß wie alle Gefchichte, fo auch alle Ueberliefe- zung und Dichtung von großen Berfönlichkeiten ausgeht, bee fchränft und ergänzt jenes erfte. Diefes in der Philoſophie ver⸗ nachläffigt und in der hiftorifchen und philologifchen Forſchung -überfehen zu haben, erklärt Bunfen für den großen Mangel jes ner. deutfchen Schule. In dieſer Beziehung fol fein Werf bes richtigend und ergänzend zur Förderung ber Philofophie der Ge⸗ fchichte beitragen.

Aus dieſen Orundanfchauungen, die Bunfen als Refultate und Principien feiner Forſchung aufftelt, erklärt es fih, warum ‚er nicht nur gründliche hiftorifche. Studien, nicht nur eine tiefe philofophilche Bildung, fondern auch umfaſſende philologifche Kenntniffe für unerläßliche Erforderniſſe einer wiffenfchaftlichen Darftellung des weltgefchichtlichen Gottesbewußtſeyns hält, Zus

276 oo. Recenfionen.

gleich werben aus unſerer Darlegung dieſer Grundanſchauungen unſre Leſer ſich entnehmen koͤnnen, auf welchen Standpunct Bun⸗ ſen ſich ſtellt und was ſie von ſeinem Werke zu erwarten haben. Die philoſophiſche Berechtigung dieſes Standpuncts und der lei⸗ tenden Ideen wird ſich erſt vollſtaͤndig beurtheilen laſſen, nach⸗ ben das Ganze vollendet und das verſprochene „Organon” ers ſchienen ift. | |

Nach dem vorläufig angegebenen Plane ded Ganzen wird es fünf Bücher umfaflen. Der vorliegende erfte Band enthält nur die beiden erften berfelben, von denen das eine in einer „allgemeinen Einleitung” die oben ffizzirten Orundanfchauungen entwidelt, das zweite dad Gottesbewußtjeyn der Hebräer dar⸗ legt. Das dritte fol das Goitesbewußtſeyn der Hellenen, dad vierte das Gottesbewußtſeyn der chriftlichen Völker, das fünfte endlich das Gottesbewußtſeyn als Wiffenfchaft darftellen. Da ber Verf. in dem vorliegenden zweiten Buche auf ſpeciell hiſtori⸗ fhe und philologifhe Tragen über einzelne Bücher und Stellen des Alten Teftaments eingeht, über die wir und Fein Urtheil anmaßen dürfen, fo müſſen wie es und verfagen, ihm in biefe Erörterungen zu folgen, das Urtheil darüber den Männern vom Fach überlaffend. Nicht aber, fnnen wir es und verfagen, den herzlichen Wunsch auszufprechen, daß dem verehrten Verf. Kraft und Muße bleiben möge, fein großes Unternehmen würdig bins auszuführen, und daß es ihm gelingen möge, feine Principien und Orundideen im weiteren Ausbau fowohl philofophifch als hijtorisch zu voller Klarheit und überzeugender Evidenz heraus⸗ zuarbeiten! H. Ulrici.

r r ——

Couſin's philoſophiſche Thätigkeit ſeit 1853.

Es erſcheint mir Unrecht, daß ich in den Heften dieſer Zeitſchrift ſchon uͤber ſo manche Buͤcher der philoſophiſchen Lite⸗ ratur Frankreichs referirte und noch Nichts mittheilte über die gegenwärtige Thätigkeit des Mannes, der zur Förderung philo⸗ ſophiſcher Studien in Frankreich das Meiſte gethan hat. Aller⸗

Couſ in's philoſophiſche Thaͤtigkeit ſeit 1853. 277

dings hat Couſin, von dem allein bier die Rebe ſeyn kann, in ben Ichten Iahren nichts philofophifch Neues gefchrieben, ſondern feine. philofophifche Thaͤtigkeit auf eine wiederholte Durchficht und Herausgabe feiner früheren philofophifchen Vorlefungen bes ſchraͤnkt. Indeſſen find bei einem Manne wie Couſin auch ein« zelne Reußerungen und Stimmungen beachtenswertb; und da feine den neuen Ausgaben beigegebenen Vorreden über feine ges gemwärtigen Anfichten und Wuͤnſche manche Ausfunft geben, fo will ich aus ihnen bie Hauptfache mittheilen. Da aber eine Beurtheilung diefer Anfichten Couſin's weiter in bie verſchiede⸗ nen Gebiete der PBhilofophie und ihrer Geſchichte hinführen würde, als mein Willen und überdieß der mir hier zugemeffene Raum erlaubt: fo werde ich auch meift nur Coufin felber res den laffen.

Mein Referat mag beginnen mit ber Vorrede der 1853 in zweiter Ausgabe und 1855 in fünfter Ausgabe erfchienenen Vorle⸗ fungen: . Da vrai, du beau et du bien. Aus feinem Gefammte« unterricht von 1815 1821 hat Couſin dieſe Vorleſungen nad fitenger Mufterung zufammengeftellt, was bisher von ihm ſelbſt 1845 in feinen übrigen Cours t. 1. der 1. Serie und vordem 1836 von feinem Schüler 4. Garnier, jetzt Profeſſor der Phi⸗ loſophie an der Sorbonne, nad aufgeſchriebenen Schülerheften geſchehen war. Die 18 Vorleſungen, bie Coufin in dieſem Bande vereinigte, ſollen weniger als andere ſeiner Vorleſungen Rückſicht nehmen auf Geſchichte der Philoſophie, fie ſollen viel⸗ mehr eine geordnete Expoſition ber Lehre ſeyn, „die ſchon ba> mals in feinem Geifte feftftand und feit der Zeit alle feine Ars beiten Teitete." Das Buch foll alfo ven kurzen aber exacten Ausdrud feiner Anfichten über die Sundamentatpunde der Phi⸗ Iofophie enthalten. Unter dem Titel ber drei Worte: „das Wahre, das Schoͤne, das Gute“, theilt er bie Refultate feines Denkens über Pſychologie (metaphyſiſche Erfenntnißtheorie im - weiteren Sinne), Aefthetif und Ethik mit. Cine gebrängte Dar⸗ ſtellung feiner Theodicee fchließt die Vorleſungen, denen er in

ber 2. Ausgabe von 1853, fowie in ber von 1855 noch einen Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 32. Band. 19

278 | . Resenfionen.

Appendix (Lefueur und Pouffin) zur 10Oten Vorlefung über bie franzöfifche Kunft im 17. Jahrhundert beifügte.

Was Coufin in dieſen Vorleſungen gewollt bat, fagt er felbft in der Vorrede von 1853, indem er fih zunachſt gegen das eingeriffene Mißverftänpniß des ihm zugefchriebenen. Effektis cismus ausfpricht.

„On s’obstine à representer l'6cleetisme comme. la doctrine & laquelle on daigne attacher notre nom. Nous le declarons; l’&clectisme nous est bien cher, sans domte, car il est & nos yeux la lumiere de lhistoire de la philosophie, mais le foyer de cette lumidre est ailleurs. L’£clectisme est une des applications les plus importantes et les plus utiles de la philosophie que nous professons, mais il n’en est pas le prineipe.

Notre vraie doctrine, notre vraie drapeau est le spiri- tualisme, cette philosophie aussi solide que genereuse, qui ‚sommence avec Socrate et Platon, que PEvangile a r&pandue dans le monde, que Descartes a mise sous les formes se&veres du genie moderne, qui a &t& au XVII. siöcle une des gleires et dcs furces de la patrie, qui a per avec la grandeur na- tionale au XVIIL, et qu’au commencement de celui-ci M.

Royer-Collard est venu- rehabiliter dans. V’enseignement pu-

blic, pendant que M. de Chateaubriand, Mme. de Sta&l, | Quatremere de (Quincy la transportaient: dans la literature et les arts.

On lui donne & bon droit le nom de spiritualisme; parce que son caractöre est de suhordonner les sens à Pesprit, et de tendre, par tous les moyens que.la raison avoue, à &lever et & agrandir !’homme. Elle. enseizne la spiritualit de l’äme, la liberte et la responsabilit& des actions humaines, Vobligation morale, la vertu desinteressse, la dignite. de h justice, la beaut6 de la charité; et par. delä les limites. de ce monde .elle montre un Dieu, auteur et type de !’humanite, qui, apres l’avoir faite &videmment pour une fin excellente, ne l’abandonnera pas dans le d&veloppement mysterieux de 53

J

Goufin’s philoſophiſche Thärigkeit feit 1853. 279

destinge. Cette philosophie est -Palli6e naturelle de toutes les bonnes causes. Elle soutient le sentiment religieux; elle se- eonde l’art veritable, la j.o&sie digne de son nom, la grande litterature; elle est Pappui du droit; elle repousse &galement la démagogie et la tyrannie; elle apprend à tous les hommes ä se respecter et à s’aimer, et elle conduit peu & peu les so- cietes humaines à la vraie r&epublique, ce reve de toutes les ames gendreuses, que de nos jours en Europe peut seule r6a- liser la monarchie constitutionelle. '

Concourir, selon nos forces, & relever, & defendre, & propager cette noble philosophie, tel est l’ohjet qui de bonne heure nous a suscit&, et qui nous a soutenu dans le ceurs- d’ane carriere déjà longue les difficultes ne nous ont pas manque. Gräce à Dieu, le temps a plus töt augments que afaibli nos oonvictions, et nous finissons comme nous avons eommenc6; cette nouvelle edition d’un de nos premiers ou- vrages est un nauvel effort en faveur de la sainte cause, pour laquelle nous combattons depuis pr&s de quarante anndes.*

Eoufin fchfießt dann feine Vorrede mit einer pathetifchen Anſprache an die gegenwärtige Jugend Frankreichs, indem er fie warnt vor den verlodenden Strömungen des um fich greifen⸗ ven Materlalismus und Atheismus, und vor dem Jagen nad) einem bequemen Leben, diefer Krankheit unſeres Jahrhunderts, mit der jeder edle Ehrgeiz unvereinbar iſt.

Die „lecons sur le vrai, le beau et le bien“ haben, wie die ſchnell auf einander folgenden Auflagen zeigen, große Berr breitung gefunden, find auch 1854 in einer engliichen Ueber fegung von DO. W. Wight, für die ſich noch ber verftorbene Hamilton intereffirte, zugleich in Ebinburg und New Dorf er- ſchienen. In Frankreich fand das zum großen Theil ja ſchon befannte Buch vielen Beifall, doc fehlten auch entgegengefekte Stimmen niht Eine foldhe erhob 3. B. I. Wallon, der niit unſerm Landsmann Dr. H. Sloman 1854 eine Ueberſetzung der fubjectiven Logik Hegeld berausgab, obſchon er nichts weni⸗ ger als ein Anhänger Hegels if. Aus perfönlichem Umgang

| 19 *

20 Necenſionen.

kenne ich ihn als einen Mann, dem es Ernſt um's Denken iſt, ber aber leider dad richtige Gefühl, das feinen Urtheilen oft zum Grunde liegt, durch al zu fehr auf die Spige geftellte Ausprüde in Unrecht verkehrt. Wallon behauptete nun in einer 1854. erfchienenen Brochüre über. Couſin's Borlefungen, ihre Zus fammenftellung babe weder ein gutes Buch gebildet, noch ſey dies Buch eigentlich philofophifh. Das Erſie beweift er aus ber Inkongruenz und bem ofen Zufammenhang der einzelnen Partien; das Andere daraus, daß Couſin die Erörterung ber Hauptfragen fhuldig bleibt. Er tadelt, daß Couſin im erften Kapitel uber die Eriftenz der Principien fprechen will und doch nicht viel mehr fagt ald: „Il y a des_principes parce quil y a des principes, parce qu’il ne se peut qu'il n’y en ait point,“ und daß Couſin ebenfo im Kapitel über den Werth ber Principien fagt: „la valeur des principes est au-dessus de toute demonstration.“ Kurz er findet, daß Eoufin Vieles bes hauptet, was zu beweiſen er nicht einmal verfucht. Er meint, folches Abſehen von ben eigentlichen philoſophiſchen Schwierige feiten möge gepaßt haben, als Couſin feine Vorträge hielt und es galt. junge Leute für eine Richtung zu gewinnen; aber es ſey unflug gewefen, biefe Vorträge auch durch den Druck ernſten Lefern unter die Augen zu ſtellen. Indeſſen den Anfprüchen bies fer zu genügen, meint Wallon, fey überhaupt Fein Profeſſor ber Philoſophie gewachſen: „il n’y a plus aujourd’hui, .en Europe, que de professeurs de philosophie, charges par. les gouverne-

ments de faire la-legon aux jeunes gens qui vont entrer dans-

le monde,.et non point de repondre aux incereitudes, aux defaillances, aux doutes de ceux qui virent dans le mande.“

Wallon fordert dieſes eingehende Sicherftellen der Prin⸗ eipim mit dem Gemüthe eines ſtrenggläubigen Katholiken. Wie es jcheint, von einem anderen Standpunct aus hat ber in ben Recenfionen ded vorigen Heftes befprochene Taine ähnlich über Couſin's Buch geurtheilt. „En voici le,sens, fagt er: Je ng suis pas philosophe, je suis. prelicateur. Je n’apporte ni une vue nouvelle sur la nature des £ires,. ni une vue nou-

Goufin’s philoſophiſche Tätigkeit felt 1858. 281

velle sur la methode des Sciences; j’apporte une exhortätion à la vertu. Ma philosophie n’est pas une ouvrière de science, cest un instrument de morale. Son but n’est pas de de- courrir le vrai, quel qu’il soit, mais de faire des honnéêtes gens, quoi quil en coüte.* „Son premier principe est d’edi- fier les honnêtes gens et de convenir aux pres de famille. Cest pour elle unique marque du vrai. Une doctrine a-t-elle ce caractere, elle laccepte. Ne Fa-t-elle pas, elle larejette. Les observations et les analyses sont de simples accessoires quelle emploie pour se donner un faux air de science, et sur les quelles elle ne s’appuie pas.“ " Was diefe Urtheile tadeln wollen, kann man tabeln; aber weder ift ihre Form eine würbige, noch ihre Tragweite richtig. Es ift wahr, daß Couſin es mit dem Nachweis feiner Behaup- tungen oft zu leicht nimmt; aber eine Kritik, die fcharf ſeyn will, hat doppelt die Pflicht zu fagen, wo dies ber Ball ift und wo nicht. Sie hat ſich zu hüten, daß fie nicht felbft Unnmögliches verlangt. So laſſen fich 3. B. allerdings die Principien nicht anders als durch das Aufzeigen ihrer Exiſtenz beweifen, und bie Aufgabe der Wiffenfchaft kann nur darin betehen, zu prüfen, ob angebliche Principien in Wahrheit PBrineipien find. - Wie man die Principien fand, und warum man fte dafür hält, das läßt fih darthun; und wird dies von einem Philoſophen unterfaffen, der Principien hinſtellt, jo verdient bied Tadel. Coufin nun verfuccht wenigſtens bei einigen PBrincipien zu zeigen, daß ihre fupjective und objective Realität aus dem allgemeinen Bebürfs niß des menfchlichen Geiftes folge. Wer damit nicht zufrieden ift, muß fagen warum nicht, und zeigen, wie man beffere Prin⸗ cipien beffer beweifen kann, und das haben Coufin’d Gegner nicht gethan. Will man gerecht feyn, fo fann man, wie ges jagt, wohl manchen Nachweis vermiffen oder nicht billigen, 3.8. der Meinung feyn, daß Eoufin weder bewiefen hat, bie Schöns heit ſey Ausbrud der Wahrheit, noch daß dies überhaupt zu bes weifen fen, weil es unrichtig ift; aber nichts deſto weniger wird man zugeben muͤſſen, daß trogbem das Buch’ viel zu viel -tiefe

283 . Rerenfionen.

Gedanken enthält, um zu einem trivialen Katechiömus ber Mo⸗ ral heradgefegt zu werden. Diefe Urtheile halten ſich nur an Couſin's wenige, bie Jugend moraliſch anfprechenden Worte ber Vorrede, von denen man allerdings mit Julian Echmidt fagen kann: „Das ift die Sprache eines Parlamentsredners, der auf bie Leidenichaften feiner Zuhörer einzuwirken ftrebt, aber nicht eines Philofophen, der ihre firenge Aufmerkſamkeit und ‘Prüfung berausforbert, ber fie zur Mitarbeit heranzicht und fie gegen feine eigenen Irrthümer wachlam erhält. (Geſch. der fram. Literat. feit 1789 1. Br. 1857 ©. 437). Aber man darf dies nur fagen, wenn man zugleich fo gerecht if, wie Schmidt, ans dere Elemente des Buches gebührend anzuerkennen (|, daſ. S. 440). Meine Studien über die Gefchichte der franzöftichen Philofophie in tiefem Jahrhundert werben mich -Ipäter dahin führen, über Couſin's Buch eingehender zu fprechen.

Nur das fey hier noch bemerft, daß, wiewohl es am ge eignetften ift über Couſin's Richtung und über das Refultat fei- nes Denfens ein Gefammtbild zu geben, es im Einzelnen nicht Couſin's tiefſte Speculation enthält. |

Seine 1855 in dritter verbefierter Ausgabe erfehienenen: „Pre-. miers essais de philosophie“ gehen gerade auf einige metaphys filch wichtige Probleme tiefer ein, fo befonders in den Kapiteln: de Pidentit6 du moi, analyse de la.connaissance sensible, du fait de la conscience, de la spontaneite et de la röflexion. Indeffen was auch bei biefer Publication zunächft als neu herr andgehoben werben fol, ift wieder tie Vorrede. Couſin erklärt, daß die biöherige nach Schülerheften veranftaltete Ausgabe dies fer feiner 1816 und 1817 gehaltenen Borlefungen einer Leber arbeitung bedurfte und daß die Borlefungen in diefer Umgeftal- tung, bie feine damaligen Ideen getreuer und ausführlicher wies vergeben fol, beſſer ald Vorbereitung zu ſeinem Buch über dad Wahre, Schöne und Gute erfcheinen. Er behauptet, ſchon da⸗ mals feine Richtung gehabt und weder Kant noch Reid zum Führer empfohlen zu haben, Zwar begann er als getreuer Nach⸗ folger Royer⸗Collard's damit, die fchottifche Theorie. ber äußeren

Couſin's philofophifche Thaͤtigkeit ſeit 1883. 288:

Perception darzuſtellen; aber die wiederholte Lectüre von Des⸗ carted’ Meditationen ließ es ihm vor die Seele treten, daß bie: Stage nad) dem Ich und der perfönlichen Erxiftenz eine wichtigere ſey. Er brach daher von feiner Beiprechung ber fhottifchen Theorie plöglich .ab und ‚verwandte ein Jahr auf die Erwägung: ber legten. Stage, indem er bald zu feinem. Studium ded Des⸗ carted das bed Plato fügte. Ueberdies wird man ſchon in bies fen feinen erften DVorlefungen, fagt Coufin, den Eklekticismus finden, „la chose et le mot, avec sa juste portde et dans sa. waie mesure, c’est-ä-dire comme une methode historique,: 'supposant une philosophie avanc&ee, capable de discerner ce qu'il y a de vrai et ce qu'il y a de faux dans les diverses: doctrines,. et, après les avoir épurées et degagses par l’ana= Iyse et la dialectique, de leur faire à toutes une part legitime. dans une doctrine meilleure et plus vaste.* Diefe Doctrin fol der fih an Platon und Dedcarted anfchließende und mit; dem Chriftenthum übereinftimmende Spiritualiömus ſeyn. Weber biefen Einflang von Chriſtenthum und Bhilofophie erklärt ſich Couſin alsdann ausführlicher. Er ift der Meinung, daß wenn⸗ gleich die Philofophie nur mit natürlicher Geiftesfraft zu natürs lichen Wahrheiten gelangt, die Religion aber auf eine übernas türfiche Autorität geftügt auch übernatürlicher Wahrheiten theil⸗ haftig wird, beide aljo in ihrem Urfprung, ihrer Tragweite und Form verjchieden find, doc) bie wahre Religion und bie wahre Philoſophie in mehreren weientlichen Buncten ſich berühren. Nur bie wahre Pbilofophie (der Spiritualismus) und das Chri⸗ ftenthum Fönnen ein aufrichtiges Buͤndniß mit einander ſchlie⸗ Ben, weil biefe Philoſophie dem Chriſtenthum Platz für . feine Dogmen läßt, „Elle lui offre une äme & la fois pleine de misere et de grandeur, pour y asseoir ses enseignements- sublimes; une morale gen6reuse, pour la couronner de ses di- vines esp6erances; un Dieu qui est. une personne comme la personne humaine, avec l'infinite de plus, et peut ainsi por- ter la trinii& chretienne. Disons-le encore une fois: la phi- losophie la plus pure n'est point une religion: mais le chri-

231 0.20. Mecenflonen.

stianisme est sa religion, comme elle est la philosophie du christianisme quand il se place, ainsi qu'il le fait souvent, dans les limites de la raison naturelle. La philosophie spi- ritualiste a précédé le christianisme, mais elle en a beaucoup proſité. et elle serait bien ingrate si elle ne reconnaissait ce qu’elle Jui doit, comme aussi le christianisme doit beaucoup ä la philosophie dans ses indispensables prolé gomènes, dans son exposition .et dans ses explications. La philosophie ne croit point s’bumilier en avouant quelle est faite pour :quel- ques-uns, et ne sufüt point au genre humain. Le christia- nisme, à son tour, n’a qu'à gagner à reconnaltre, qu'il v a dans l’homme un besoin immortel de libre reflexion, qu'il est impossible de deraciner, qui a commenc6e avec le premier homme et ne finira qu’avec le dernier, qui, attaqué outrageu- sement ou pelitement tracasse, ne sait que trop rendre guerre pour guerre, et qui, loyalement accept6, s’apaise et s’&claire, et peut, dans le champ il s’exerce, porter des fruits bien- faisants. Ä

Nous parlons ici du plus profond de notre coeur: ja- mais nous n’avons r&v& de rempläcer dans Phumanité le chri- slianisme par la philosophie. Nous avons toujours consider6 un pareil reve comme la chimère la plus dangereuse: propre seulement à soulever des tempötes effroyables et sieriles qui se terminent par ramener l’esprit humain au point meme dont on &tait parti, & savoir, la distinction äternelle et l’öter- nelle coexistence.de la religion et de la philosophie.

Combien de fois n’avons-nous pas dit, 6erit, répété sur tous les tons: gardons du 18 siecle Vindependance; voilä no- tre conquete; mais cette ind&pendance, employons-la tout autrement. Ä | Tels ont toujours &t& nos pensdes, nos sentiments, no- tre langage public et prive, Ici, dès sen berceau, la .philoso- phie nouyelle couvre le christianisme des hommages les plus sinceres et les plus affectueux, elle se complatt à J’appeler en temoignage de ses verites les plus chereg.“

Eoufin’s phifofophifche Thätigfeit feit 1853. 285

Schließlich fpricht Couſin noch feine Freude darüber aus, taß er jegt endlich einige Symptome Liefer ftetd von ihm erftrebs ten Allianz begrüßen kann. Er findet diefelben in anerfennen- den Aeußerungen des Erzbifchofs von Paris, des Abt Maret (Doyen der theolog. Fakult. in Paris), des Biſchofs von Troyes und des Biſchofs von Orleans. Freilich fehlt ed auch an Geiſt⸗ lichen nicht, die diefe Allianz verwerfen; der Biſchof von Poi⸗ . tas z. B. bat 1855 die Glieder feiner Diöceſe vor Couſin's Religion und vor feinem Buch uͤber das Wahre, Schoͤne und Gute gewarnt.

Wie Coufin in feinen Premiers essais für jene Anerken⸗ mung feinen Dank ausfpricht, fo hat er in feinen 1856 wieber neu herausgegebenen Vorlefungen von 1819: „sur la philosophie sensualiste au dix-huitiöme siècle“ die Vorrede benupt, um ein Wort gegen den Bilchof von PBoitierd zu fagen. Schon 40 Jahre, fagt er, fey er unter den Angriffen zügelofen Sfeptie ciomus und Materialidınus, wie engherziger Unterwürfigfeit ſei⸗ nen Weg gegangen. Beſonders den erſtern Gegnern, den Sen⸗ fualiften, galten bie Vorlefungen von 1819. Die Darftellung und Kritit der fenfualiftifchen Moral des 18. Jahrhunderts wählte Couſin damals, weil er die lebten noch nicht venwifchten Spuren diefer Lehren austilgen wollte. Die Borlefungen follen damals grogen Eindrud auf die Jugend gemacht haben. Hie und da fcheinen ihre Urtheile mir zu fireng, fo 3. B. das Ur- theil über Voltaire's Candide, worüber ich mich ſchon in meis nem „Boltaire und Rouſſeau in ihrer focialen Bedeutung 1856* p. 46 auögefprochen habe. Daß Boltaired Witz bie Grenzen

der Sittlichfeit überfchritt, die wir inne gehalten wünfchen, darin’

ftimme ich Coufin ficher ebenfo bei wie im Allgemeinen feinem philofophifchen Urtheil über Voltaire. Ob ferner Eoufin nicht überhaupt die Folgen ber fenfualiftifchen Moral für das bürgers liche Leben zu ſchwarz anficht, das ift eine viel zu weit greifende Stage, ald daß fie hier beiläufig befprochen werben koͤnnte. Nachdem Eoufin im erften Semefter 1819 diefen feinen Feldzug gegen bie fenfunliftiiche Moral beendet hatte, fuchte er

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286 Recenflonen.

im-zweiten Semeſter deſſelben Sahres feine Zuhörer für die ent gegengejegte Anficht zu gewinnen, indem er fie mit ber ſchotti⸗ fchen Philoſophie bekannt machte. Hier fand er „eine gefunde- Metaphyſik, geftügt auf eine ftrenge Bfychologie, die in natürs licher Weife zu einer die vorjichtigften wie Die edelften Geifter bes friedigenven Aefthetif, Theodicee, Ethik und Politik. führte“. Diefe Vorlefungen über die in. Deutfchland wohl noch immer zu wenig beuchtete fchottifche Philofophie hat Couſin nun 1857. mach neuer Durchſicht herausgegeben und mit einer 12 Geiten langen Borrede begleitet. Er erklärt, daß feine ſchon damals ausgefprochene Verehrung für Reid unter dem längeren Verkehr mit anderen PBhilofophen nur geftiegen fey. Gr rühmt deſſen teflerive Methode, die menfchliche Ratur zu beobachten ; und weilt auf eine in Reid vielfach überfehene Stelle bin, in der Reid diefe Methode nicht an Bacon, fondern an Descartes anfnüpft. Al zwei andere große Dienjte Reid's hebt Couſin hervor, daß. er die Theorie von den Ideen, die nur bie Dinge vorftellen, ohne zu fügen, was die Dinge iind, endgültig vernichtete, daß er gegen den Nominalismus und Skepticismus auf einen ges funden Realismus Hinleitere. Couſin giebt zu, baß Neid an. Weite und Erhabenheit des Gefichtöfreijes mandem Denfer nad ſteht; aber er hält ihm für einen der größten Kenner der menſch⸗ lichen Natur und erflärt ihn und Kant für die größten Metas phylifer des 18. Jahrhunderts. Er findet in beider ſokratiſchem Etreben nach Selbſterkenntniß einen Vergleichspunct und zieht eine in vielen Stüden hübſche Parallele zwiſchen ihnen. Aber im Erfolg der Beftrebungen beider feheint ihm ein großer Contraſt hervorzutreten. Kant hat die Zügel der deutſchen Bhilojopbie nicht in der Hand behalten; Reid's Denfen beherrjcht noch is mer die fchottiiche Philoſophie. Die ſchottiſche Philoſophie bies tet das jeltene Beijpiel einer. Philofophie, dig in fletiger Forts entwicklung ſchon fat ein Jahrhundert dauert, Coufin fehließt feine Vorrede, indem er dem jüngft verftorbenen krafwollen Förs derer diefer Schule, feinem Freunde Hamilton einen ehrenden Nachruf hält und gegen feinen Nachfolger im Lehramt, Profeſſor

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Coufin's philoſophiſche Thätigfeit feit 1858. 287

Srafer, die Hoffnung auſpricht, er möge verhüten fünnen, daß bie fchottifche Philofophie einer Importation der fchlechten Mes. taphyſik des entarteten „Deutfchlande“ das Feld räume. Couſin wird ficher bei diefem Sage vorwiegend an gewiſſe Richtungen ber Hegelianer gedacht haben; indeſſen feine Achtung, vor der deutfchen Phiioſophie hat überhaupt mit den Jahren abs. genommen. Zwar erklärt er in der oben genannten Vorrede Kant neben Reid für den größten Metaphyſiker des 18, Jahr: hunderts; allein in der Vorrede zu feinen 1820 gehaltenen und 1857 wieder nen ebirten Vorlefungen: „Pbilosöphie de ıKant“,. fügt er, daß fein Urtheil über Kant's Metaphyſik heute noch firenger ausfallen würde al8 damald. „Car, plus nous avan- gons dans la vie, plus nous preferons le.sens commun au genie lui-meme, et les grandes voies marche l'humanité aux sentiers dötournds qui trop souvent aboutissent à des pr6-: eipices.* Couſin gab in diefen Borlefungen von 1820 eine Darftellung und Beurtheilung der Kritif der reinen Vernunft; feine Abfiht war im zweiten Semefter von ber Metaphyiif Kant’ auf feine Moral zu kommen. Al. er aber hiermit bes. gann, baten ihn einige feiner eiftigften Schüler, ftatt deſſen zu- nächft einmal das Syſtem zu entwidehr, aus dem heraus er ſelber fremde Syſteme beurtheile. Goufin folgte dem Wunfche, : und hat die Eröffnungsrede dieſer Vorlefungen ſowie einige Ars. tifel von Auguftin Thierry über biejelben dem Bande über die fantifche Philoſophie angehängt. Der politifch reactionäre Geift der Reftauration unterbrach) 1821 feine Vorlefungen, erft 1827 fonnte er den philoſophiſchen Lehrſtuhl wieder beſteigen. Durd) folche Umftände abgezogen ift Coufin nie dazu gefommen, Kant’d Möral zu behanteln, für deren Refultate er mehr Anerkennung . äußert, „ald für das Refultat der Kantiſchen Metaphyſik. Erdmann, der in feiner Entwickl. der deutſch. Specul. feit Kant Bd. 1 p. 286 Eoufin’d Darftellung und Kritif ber. Metaphyſik fobt, fprach fehon fein Bedauern über das Fehlen einer ähnlichen Behandlung der Moral aus, und Coufin Hätte feine neue Aus⸗ -gade ter Philosophie de Kant ‚nicht ohne biefe Vervollſtäändigung

288 Necenfionen.

Iaffen follen. Was nun Eoufin’d Metakritik zur Kritik det reinen Vernunft betrifft, fo ift fie, wie gefagt, von Erdmann im Allgemeinen gebilligt, eben fo von Buob in einem Auffag diefer Zeitfchrift Bo. XIX. p. 71, indeffen machte doch Buob einige fehr wichtige Ausftellungen, die auch für Couſin's neue Ausgabe gelten. Ich werde darauf in einem fpäteren Auffap über die neuen Beurtheilungen Kant's in Frankreich zurüds fommen.

Hier will ich meinem Referat über Couſin's philoſophiſche Tätigkeit nur noch eine allgemeine Bemerfung beifügen. Cows fin fpricht wiederholt fehr geringfchäßend von der gegenwärtigen deutſchen Philofophie, entweder fchmäht er ihre entartete Meta phyſik oder tadelt, daß man in Deutichland das Studium der Pſychologie, die doch die Teuchtende Fackel der Philoſophie feyn müßte, abfichtlich meide. Ja, er behauptet fogar, die Zurüds fegung diefer Wiffenfchaft habe Schuld daran, daß die abftractn Syfteme von zweifelhafter Größe einen fehimpflichen Ruͤckſchlag nach fich zogen, von bem getroffen „die deutfche Philoſophie noch lange barnieder liegen werde.”

Diefe harte Befchuldigung und Weiffagung Couſin's fors dert eine fcharfe Entgegnung heraus, Aus perfönlicyer Unter⸗ redung mit Couſin im Jahre 1855 ift mir befannt, daß Couſin nur in fehr geringem Umfang weiß, was jest die deutſche Phi⸗ lofophie erftrebt. Die werthvollſten Arbeiten in der Pſychologie, wie 3.2. die Lotze's, waren ihm damals völlig unbefannt, an deres nicht zu gedenken. Bei folcher Bewandtniß ift es nicht billig, ein fo fcharfed Urtheil über Gegenwart und Zufunft ber deutſchen Philofophie auszuſprechen. Couſin mag immerhin Recht haben, „den Anker ſeiner nationalen Philoſophie in den Gemeinſinn und das Bewußtſeyn zu werfen“ und an dem Tau pſychologiſcher Beobachtung auf den Grund zu gehen; aber wenn er Vergleiche zieht zwiſchen der Stellung zur Pſychologie in Deutſchland und Frankreich, fo muß er wenigſtens beide Poſitio— nen fennen. Behauptet er, in Deutfchland achte man nicht auf die Pſychologie, fo beweift er eben damit, daß ex Deutichland

Eoufin’s philoſophiſche Thaͤtigkeit feit 1858. 289

nicht mehr hinreichend Fennt, um es treffend beurtheilen zu koͤn⸗ nen. Ich habe Eoufin Schon 1855 bemerkt, daß Thaulow bes reitö gegen benfelben von Barthelemy Saint» Hilaire ausge Iprochenen Irrthum auftrat,

Coufin ſchenkt Deutfchland nicht mehr feine frühere Auf⸗ merkſamkeit, überhaupt feſſelt ihn ſeit einigen Jahren die Litera⸗ turgeſchichte des 17. Jahrhunderts mehr als die Philoſophie. Nicht hier, ſondern dort producirt er Neues, indem er Biogra⸗ phien einiger derzeitigen berühmten Frauen ſchreibt, der Damen de Longueville, de Sable und de Schevreuſe. Mehrfach find in Frankreich biefe feine Studien ald ein Verrath an der Philos

» ſophie betrachtet. Mit der Einfchränfung, daß biefelben doch

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manche philofophifch intereffante Stellen bieten ich meine z. B. feine Betrachtungen über Ahnungen und über die Maximen von Laroche Foucauld fpreche ich ebenjo mein Bedauern aus, dag Coufin nicht feine unvollendet gebliebenen philofophilchen Arbeiten fördert. Sagte er doch felbft fchon 1853 in ber Vor⸗ rede zur Biographie der Madame de Longueville, „bad werte wahricheinlich die legte diefer Arbeiten Teyn, fein Alter nahe; da fühle er fi) zu ernſteren Gedanken verpflichtet und wolle feine legten Kräfte der großen Sache widmen, der er früher gedient habe.“ „I nous reste à recueiller de tous nos &crits les ele- ments épPars d’une th&odic6e nouvelle, particulierement fondee sur une psychologie exacte, fecondee par une induction legi- tiıne, avec le double dessein de defendre la grande foi du genre humain contre la detestable philosophie que l’Alle- magne, en ces derniers temps, a Tenvoyee A da France, apres ja lui avoir empruntee, et de defendre aussi la vraie et la bonne philosophie contre une devotion pusillanime, indigne du christianisme et condamnee par l’Eglise, qui refuse a la raison humaine le Jroit et la force de s’elever jusqu'à Dieu. Jl nous reste surtout a metire la derniere main à cette tra- duction de Platon, dont nous voudrions faire le monument le mwins fragile de notre entreprise philosophique,*

Mögte Eoufin doc, diefe Verpflichtungen, die er felber

290 | Recenfionen.

fühlt, erfüllen und ebenfo andere begonnene Arbeiten vollenden. Läßt ihm dann der Ernft diefer Studien noch Muße für die Damen des 17. Jahrhunderts, fo liet man feine kulturgeſchicht⸗ lich werthvollen Biographien mit ungetheilterem Intereffe. Nä⸗ her freifich berühren und die Mittheilungen aus feinem eigenen Leben, die Eoufin unter dem Titel: Une promenade philos o- phique en Allemagne zuerft in Die Revue des deux Mondes von 1, Octob. 1857 einrüden ließ. Bald darauf erfchien von ihm ein Band: „Fragments et souvenirs“, ber dieſe Soure- nirs d’Allemagne mit anderen ſchon früher publicitten Abhand⸗ lungen: über Kantd letzte Lebensjahre, über Santa + Rofer, Fourier, einem Essai de philosophie populaire und hoͤchſt in⸗ tereffanten Etudes sur le style de J. J. Rousseau vereinigte. In den Grinnerungen aus feiner erften Reife nach Deutſchland im Sahre 1817 fihildert Couſin den Eintrud, den die bedeu⸗ tendften Männer und die damaligen Zuftände unfered Landes auf ihn gemacht haben. Ausführlichere Mittheilungen aus Dies» fen Reifcerinnerungen müffen einen folgenden Hefte dieſer Jeite ſchrift überlaffen bleiben.

Beachtet man fchließlich noch Couſin's verfchiedene Ars beiten im Journal des Savants, fo muß man die rüftige Thäs tigfeit dieſes jegt 66 Jahre alten Mannes bewundern. Und nur eine ungerechte Berfleinerungsjucht der Gegenwart kann ſich vers leiten laffen, über Couſin's Nebeninterefien die Hauptfahe und über Coufin’d Fehler feine bleibenden philoſophiſchen Verdienſte

zu vergeſſen. Dr. Jürgen Bona Meyer.

Kritik des Materialismus. Don Robert Schellwien. Berlin, 1858.

Unter den vielen Widerlegungsfchriften, die ber moderne Materialismus hervorgerufen, ift die vorliegende cine der bes fin. Der Berf, zeigt nicht nur ein klares Verſtaͤndniß der Fra⸗ gen, um bie es fich eigentlich Handelt, fondern auch Scharffinn,

R. Schellwien: Kritik des Materiafismus, 291

Tiefe und jenen Wahrheitäfinn, der ihn in ben Srrgängen ber Speculation auf den richtigen Weg leitet. Allein abgefehen das von, ob der moderne Materialismus überhaupt fi wegfritifiren laßt und ob es nicht gerathener wäre, ihn in pofitiver Weiſe durch den Ausbau eines befrichigenderen und befjer begründeten Syſtems zu widerlegen, gereichen bie Cigenfchaften, die den Verf. als fpeculativen Bhilofophen auszeichnen, der Wirkſamkeit feiner Schrift als bloßer Kritik zum Nachtheil. Sollte Iegtere auf feine Gegner, wie fle nun einmal beichaffen find, einen Eindrud mas her, fo mußte er u. E. fein Verſprechen, das er in der Eins leitung giebt, ftreng halten und den Materialismus, der in “Wahrheit ja nur ein Schluß aus gewiſſen Pramiffen ift, durch Sichtung und eractere Faſſung der Thatfachen‘, auf die er ſich ftüßt, durc Berichtigung der Begriffe und Kategorien, die er anwendet, durch Widerlegung der faljchen Yolgerungen, die er zieht, und Aufdeckung der Widerfprüce, in die er fich verwidelt, in feiner ganzen Blöße darſtellen und es dem Lefer überlaflen, ſich die Wahrheit, die an die Stelle der befeitigten Irrthümer zu treten hat, felber zu fuchen. Die Mühe, die er ſich giebt, in beflerer Form aufzubauen, was er Eritifch niedergeriflen, ift nicht nur eine vergebliche, fondern fchadet feiner Abſicht. Denn die Helten des Materialismus find theild außer Stande, fpeculatis ven Erörterungen zu folgen, theils verachten fie ale Speculas tion fo decidirt, Daß fie Alles, was der Verf. vorbringt, als puren Galimathiad verwerfen und in dem Augenblid, da fie auf dieſe pofitiven Auseinanderfegungen ftoßen, feine Schrift bei Seite legen werden. Und was das Schlimmſte ift, fie haben infofern den Schein des Rechts auf ihrer Eeite, als es ja ums - möglich) ift, in zwifchengeiworfenen Gegenbemerkungen bie Tiefe ver philoſophiſchen Wahrheit zu erfchöpfen und Säge auch nur plaufibel zu machen, welche bie forgfältigfte Begründung for ven. Es ift vollkommen wahr, wenn’ der Verf. den Materias lismus mit dem modernen Orthoborisinus unſrer reactionären, Fathofifirenden Theologie zufammenftelt und bemerkt: „Diele - beiden Richtungen fcheinen die Außerften Gegenſaͤtze zu feyn,

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2... Rereiifionen.

und doch find fie von der größten innern Verwandtſchaft. Es ift bei beiden ein ftarres Aeußere, ein Gegebened, dad als als leiniger Wahrheitöquel dem Bewußtfeyn aufgezwungen wirb, ohne jede innere Vermittelung; ed iſt bei beiden die gleiche. Bers achtung der Autonomie des Menfchengeiftes, der freien That, bes äfthetifchen und fittlichen Gefühls, das body) dem ungetrübs ten Einne ald unbebingte Norm gift; bei beiden bie gleiche Herabſetzung der Gefchichte, der einheitlichen, ftetigfortichreiten« den Entwidlung eines bewußten jchöpferifchen Lebensgrundes, in welcher nichts bei Seite gefihoben, nichts verachtet, nichts verurtheilt werben darf nad) einem einfeitigen Maßftabe, ſondern alles begriffen werden muß in feiner Beziehung zu ber großen Harmonie ded Seyns. Das ift die unfügliche Schwäche dieſer beiden Richtungen, daß fie, ftatt Wurzel zu fehlagen in dem na⸗ türlichen Bewußtfeyn, in dem VBollgefühl der Menfchendruft wie es nicht etwa feit heute. ober geftern ſich manifeftirt, fondern wie es in feinen Grundzuͤgen immer geweſen ift daß fie, ftatt dicß zu thun, ohne alle Rechtfertigung ſich ber Innerlich⸗ feit, welche allein eine Gewähr ver Wahrheit feyn kann, höhr nend gegenüberftellen; daß fie an Etelle der lebendigen That eine todte Formel fogen, an Stelle der freien unausgeſetzt forts fchreitenden Entwidlung einen fertigen Zuftand von trauriger Vollkommenheit, an Stelle der reichen Offenbarung des Lebens und ber Gefchichte ein bürftiges- Außerliches Princip, nad) wel- chem die Dinge nicht begriffen, nein! won den Einen verfpottet, von den Andern verdammt werden. Beide Richtungen beruhen in ihrem legten Grunde auch auf bdemfelben Irrthume. Ste verfennen beite, daß das Gefeg der Freiheit, der Subjectivität, das Weltgefeg, und daß Feine Meberzeugung möglich iſt, es fey als Glaube oder ald Wiffen, ohne die eigne Thätigfeit des ers fennenden Subjects. Es ift nichts, ald Bewegung, als That, - und fo farin aud) nichtd erfannt werben, als allein durch Ber wegung, durch That, durch die freie Reproduction, die in ſich ſelbſt zugleich dad Andre erfaßt. Die Geltung dieſes Grund- ſatzes fchließt die Annahme ber Entftehung von Gedanken ober

Schellwien: Kriuk des Materialismus. + 208

Vorſtellungen burch bloße Außere Einwirkung, zu welcher das Subject fi lediglich paffiv verhält, vollfländig aus, und es zeigt ſich, daß, wie ber Materialismus auf einer falfchen Theo⸗ tie des Wiſſens, fo bie Fatholifirende Theologie auf einer gleiche mäßig falfchen Theorie bed Glaubens beruht. Es iſt ebenfo wahr, wenn ber Verf. fortfährt: „Die Aufgabe der Bhilofophie aber ift, nicht nur ben Begriff des Willens, fondern audy ben des Glaubend in ihrer uriprünglichen proteftantijchen Geltung, die noch heute unfer Leitſtern ift und feyn muß, nicht allein wieber herzuftellen‘, ſondern durch unabläffige, immer tiefer des Weſens der Sache ſich bemächtigende Arbeit zu befeftigen. Ihr Ziel it es, den Glauben nicht als etwas Frembartiges, Wille kührliches, von ſich auszufchließen, ſondern zu begreifen. Wie fe das Weſen ber Erfenntniß nur verfteht, indem fie Empfin- dung, VBorftellung und Begriff als ihre unzertrennlichen,. einer und derfelben Thätigfeit entquellenden Momente faßt, jo muß fie Gefühl, Glauben und Wiſſen ald durchaus zufammengehörige Stufen der Ueberzeugung' begreifen und darthun. Nicht fo, daß bad Wiffen Gefühl und Glauben als überwundene Standpuncte hinter ſich läßt, fondern fo, daß das Wiflen ſich nur ald das fih felbit are Gefühl enweift und ald der zum Berftänpnig feiner feibft gefommene Glaube.“ Allein fo wahr u, E. diefe Säge find, und fo herzlich wir uns freuen, in ihnen diefelben Zielpuncte anerkannt zu finden, denen wir felbft nadıftreben, weil wir in ihnen die wahre Aufgabe der Philofophie erbliden, jo hätten vwoir doch gewünfcht, ihnen inmitten einer gründlichen Grfenntnißtheorie zu begegnen, ftatt am Schluß einer Kritik des Materialismus.

Was der Verf. über die gängliche Unfähigkeit des letzteren, das Bewußtſeyn und die Erfcheinungen bes geiftigen Lebens zu erflären, vworbringt, ift ebenfo wahr, als fcharf und praͤcis aus⸗ gebrüdt. Es ift in der That augenfällig, daß der Materialid- ums nicht Dabei ftehen bleiben kann, bie Freiheit bed Willens zu leugnen, fondern daß er confequenter Weife den Willen über« haupt, ja jebe That leugnen muß. Denn „Wille ift nichts ans

Zeitſchr. fe Philof. u. phil. Kritik, 32. Band. 20

294 Eu Recenfionen.

dres als Selbſtbeſtimmumg, eigner Impuls von innen heraus, und dieſes Sichsfelbftsbeftimmen, ſich jelbft zum Princip bes Handelns machen, erfchöpft zugleich vollftändig den Begriff Der Freiheit und der mit ihr in Eins zufammenfallenden That. Was dagegen lediglich durch ein Andres beftimmt wird, ift nicht ſelbſt Princip ded Handelns, bat feinen Willen, ja überhaupt feine Fähigkeit der That; denn es bewegt fich nicht, fondern es wird bewegt, es handelt nicht, fondern e8 leidet. Geht nun dad We⸗ fen des Menfchen, wie der Materialismus ehrt, in der ſinnli⸗ hen Erjcheinung auf, fo kann er nicht für ſich Anfang einer Bewegung feyn, er Tann alfo Feinen Willen haben und über- haupt nicht handeln; denn in den finnlidyen Erfcheinungen giebt es feine That, ja unmittelbar fogar fein Werden, fondern ſtets nur die vollendete Thatfache; das Werben aber ift eine Auffaf- fung, die erſt das Denken, nicht auf Grund einer finnlichen Wahrnehmung denn dad Werden ift nicht finnlih wahrs nehmbar, fondern ald ein NRefultat feiner eignen Thätigkeit hinzufügt. Geſtehen wir aber auch dem Materialismus das Werden ald Thatfache zu, jo wird er fich doch felbft beſcheiden müflen, daß in den ſinnlichen Erfcheinungen nirgend ein Sefbft- thätiged, nirgend ber freic Anfang einer Bewegung bervortritt, fondern überall Eined auf ein Anderes zurüdweilt, Eined vom Andern abhängt, Eines vom Andern beftimmt wird. Ja fchon damit ift zu viel gefagt, daß Eined vom Andern beftimmt werde. Denn damit ift bereit etwas für fich gefebt, und einem Andern gegenübergeftellt. In ber firömenden Bewegung der finnlichen Erfcheinungen ift aber Nichts für fich, fondern jedes nur, infos

fern e8 inmitten diefer alles Andre bedingenden Bewegung iſt;

biefed Seyn in der Bewegung ift fein ganzes Seyn, es ift nur infofern e8 in ihr ift, und die Abhängigfeit, bie paflive Berve- gung iſt nicht etwas, mad es ald ein Seyenbed erfährt, fondern

basjenige, wodurd und worin ed erft ein Seyendes ift, oder.

vielmehr in jedem Augenblid von Neuem wird. Es giebt alfo

in der materlafiftifchen Weltanfchauung feine Stelle für den Willen, für die That.”

Skhellwien: Kritik des Materialismus. 295

Ebenfowenig kann, wie der Verf, weiter zeigt, Im Syſtem bed Materialismmus von Wahrheit und Unwahrheit die Rede feyn. Denn dem Materialismus find die Gedanken Brovucte des Raturprocefied wie jede finnliche Erſcheinung, wie etwa bie Abfonderung der Galle oder der eleftrifche Funfe ıc. „Wie es nun höchft abgefhmadt wäre, bie Abfonderung der Galle, die magnetifche Anziehung, den elektrifchen Funken in dem einen Halle wahr, im andern unwahr zu nennen, fo bat aud) der Materialismus Fein Recht, den einen Gedanken wahr und den andern unwahr zu finden, da jeder Gebanfe für ihn ja unmit⸗ telbarer Ausflug des Stoffe und Product des Einen ſich immer felbft gleichen Stoffwechfels if. Was thut e8 zur Sache, daß bieß Product einmal fo und ein andres Mal anders ausfällt? Eind doch and alle übrigen Naturproducte ohne Ausnahme don einander verfchieden, darum bat doch jedes von ihnen glei⸗ ches Recht. Wer kritifirt die Natur? Eind die Gebanfen alfo nichts als unmittelbares Naturprobuct, fo find fie über jeder Kritit erhaben. Und wie wollte man es auch anfangen, fie zu kritifiren? Wo ift die Norm, wonach) fle in gute und fchlechte zerfallen? Giebt ed Normalgehirne, in welchen ber Stoff ſich ben feinem Weſen entfprechenden Ausprud fchafft? Und giebt ed welche, wie ermittelt man fie, da doc) jeder Maßſtab dafür fehlt?"

In der That if der Materialismus ald Syſtem fchen das rum voͤllig unhaltbar, weil er ſchlechthin unfähig iR, das Willen, bad er behauptet, die Meberzeugung, die er als wahr hinftellt, von feinen Principien aus zu erflären, ja aud nur die Moͤg⸗ lichkeit denkbar zu machen, wie er felber dazu komme, ſich ein« zubilden, daß feine Behauptungen wahr, bie .entgegengefegten falſch ſeyen. Hat er ſich doch bisher vergeblich bemüht, für das Bewußtfehn, diefe Grundlage alles Wiens, Meinens, Behaups tens, von feinen Prämiſſen aus innerhalb der Ratur, wie er fie faßt, auch nur eine entfernte Analogie nachzuweiſen. Allerdings’ behauptet er mit großer Zuverſicht, daß die Borftellung (ber bewußte Gedanfe) nur in einer Beränderung der rl, ind»

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298 | Recenfionen.

beſondere des Ghirns beſtehe, und if nur zweifelhaft, ob dieſe Beränderung burch einen phufitaliichen oder chemifchen Proceß ober durch eine Reihe folder Procefie bewirkt werbe, Allein mit völlig gleichem Rechte könnten wir behaupten, daß bie Vorgaͤnge im Gehirn, wo fie nicht von äußerer Einwirkung berühren, auf einer Beränderung bed Bewußtſeyns beruhen, und wären viel⸗ keicht befier im Stande, dieſe Paradoxie zu beweifen. Auch hier ſtellt der Verf. die Sache in das rechte Licht, wenn er bemerkt, daß folgende Säte ebenfo feft, ja fefter ftehen als irgend eine ſ. g. Thatfache, auf bie der Materialismus fich beruft und bie body die Thatſache des Bewußtſeyns zur DBorausfegung hat: „Wir Tennen das Bewußtſeyn zunächft bloß als eine Lebend Außerung bed Menfchen. Zum Menfchen gehört weſentlich und, fofern wir bloß die finnliche Erfahrung fragen, allein bie finn- liche Erfcheinung, ber Leib, fo daß felbftverftändlich ohne biejen das Bewußtfeyn nicht erfcheinen fan. Ein normales Bewußt⸗ feyn findet nur flatt, wenn gleichzeitig ein normaler Leib und insbefondere ein normales Gehirn vorhanden ift; weſentlicht Berichievenheiten des Gehirns find begleitet von woefentlichen Verſchiedenheiten des Bewußtfeynd und wefentliche Veraͤnderun⸗ gen bes einen treten nicht auf ohne wejentliche Veränderungen des andern. Zugleich bemerken wir diejelbe Zufammenftimmung und ©egenfeitigfeit in allen Theilen und allen übrigen Lebens⸗ Außerungen bed menſchlichen Organismus in ihrer Wirkung auf

einander und auf bad Ganze, nur verfchieben dem Grade nad,

je nach ihrer mehreren oder minderen Wichtigkeit für bie Lebens⸗ functionen und ihrer größeren ober geringeren Entfernung von ben Eentralorganen. Wenn wir biefe Säpe nach ihren wahren Gehalte wägen, fo werben wir daraus unzweifelhaft folgern: ber ganze Menſch ift Individualität, d. h. eine harmonifche Ein- heit, in ber nicht zufammenhangslofe oder einander wiberfire- bende Elemente ihre Wefen treiben, fondern alle Theile und alle Lebendäußerungen umter ber Herrfchaft einer unbebingten Geſetz⸗ mäßigfeit, einer fie alle in einander zufammenhaltenden Einheit ſtehen, bergeftalt, daß jedes von ihnen nur in bem normalen

Schellwien: Kruillk des Materialismus. 2

Zufammenhange mit dem andern, nur in dem an keiner Stelle geförten Organismus, feiner Beſtimmung voll genügen Tann. Das aber werben wir andrerfeits ebenſowenig verkennen, daß bamit darüber, worin benn nun.bieß Weſen bes menjchlichen Organismus befteht, und welches ber Proceß bed Lebens ift, er Außere fih nun in finnli wahrnehmbaren Objerten ober in den nur der innern Erfahrung zugänglichen Thatſachen des Ber wußtſeyns, noch gar nichts ausgemacht ift, da wir doch eben biöher nur wiſſen, daß dieſes Weſen harmoniſch wirkt und daß darum Störung an irgend einer Stelle mehr ober weniger tief greifende Störung im Ganzen zur Folge bat. Wenn aljo ber Materialismus ohne irgend welche weitere Thatfache für fich. zu haben behauptet, daß dad Bewußtſeyn in einer auf che⸗ miſchem oder phyfifalifchem Wege entſtehenden Veränderung ber Miterie des Gehirns ober einzelner Theile deſſelben feinen Grund habe, fo iſt dieß eine bloße Dreiftigkeit. Sehr breift ift dieſe Behauptung aus einem boppelten Grunde. Erſtlich weiß ber Materialismus von folhen Veränderungen des Gehirns, bie er als Urfachen des Bewußtſeyns anfieht, nicht das Mindefte; es iR niemal8 darüber etwas beobachtet oder in irgend einer Weiſe wahrgenommen worden; dann aber weiß er ebenfowenig barüber zu fagen, in weldyer Art diefe finnlichen Beränderungen Urſache des Bewußtſeyns find, das wir doch allein durch Die innere Er⸗ fahrung kennen und nicht zwar ald eine Veränderung bed Ges. bins, fondern als etwas durchaus andres, indem nicht finnliche Objecte, fondern Borftelungen und Begriffe feinen Inhalt bilden, «

Ev fteht die Sache in Wahrheit thatfächlich und jedes gefunde Auge Farm fie nur fo und’ nicht anderd anfehen. Alles Uebrige ift bloße Folgerung aus unflaren Begriffen, die der Mas terialismus von feinen allgemeinen Gruntlagen aus ſich gebil⸗ det hat. | In der Kritik diefer Grundlagen indeß feheint und ber. Verf. weniger glüdtich geiwefen zu ſeyn. Hier vermiflen wir an einzelnen Puncten ein tieferes Gingehen, an andern bie

- 208 Necenſtonen.

Schärfe ber Auffaflung und Folgerung, bie feine Schrift ſonſt auszeichnet. "Bekanntlich find es vornehmlich die beiven Begriffe: Stoff und Kraft, um welche bie materialiſtiſche Doctrin wie in ihren Angeln ſich dreht. Mit einer Kritik derfelben, wie fie bei K. Vogt, Büchner u, U. auftreten, beginnt baher der Verf. Und den rohen Borftellungen dieſer Herren gegenüber, im Kampfe mit ihrer völligen philoſophiſchen Unfähigkeit ift es ihm freilich gelungen, die gänzliche Unbaltbarfeit dieſer Grundlagen nachzuweiſen. Allein in dieſem Pamcte Hätte er ſich an einen würdigerern Gegner halten follen. Zwar brauchen oder vielmehr mißbrauchen unfre materialiftifchen Raturforfcher das Wort Stoff ganz nach ihrem Belieben, indem ed ihnen bald die Maſſe ber wahrnehmbaren Materie, bald die einfachen chemiſchen Subſtan⸗ zen, bald die völlia unwahrnehmbaren, bloß erjchlofienen Atome bezeichnet. Indeſſen ift es doch die Meinung jedes einfichtigen Raturforfchers, daß, wo ed fih um Wefen und Begriff des Stoffes Handelt, nur die Atome in Betracht kommen fünnen: denn aus ihnen ift angenommener Maßen fowohl jeder palpable Körper wie jebe chemifche Subftanz zufammengefebt. Den Atos mismus nun hat Th. Fechner in feiner bekannten Schrift (ber phyſtkaliſche Atomismus 2c.) natumvifienfchaftlid und philoſophiſch zu begründen. gefucht; natürlich nur als nethmwendige Annahme, Allein wenn er in der That mit Nothwendigkeit aus unbeſtreit⸗ baren Thatfachen folgt, fo ift er fo wohl begründet wie jede, Thatfache- felber. Fechner iR ein ganz anderer Gegner als bie Moleſchott, die Vogt und Büchner: er weiß wohl, daß man mit unklaren Begriffen und ſchwankenden Bezeichnungen hödyftend dem großen Haufen Sand in die Augen ſtreuen, aber nicht die Wiſſenſchaft fördern kann, und hat es daher auch verfucht, das, was unter Etoff und Kraft zu verftehen ſey, in eine beftimmte Definition zu faſſen. Gegen ihn ‚mußte daher der Berf, feine Waffen richten. Und wollte er insbefondre den Atomismus widerlegen, fo blieb ihm nur. übrig, entweder nachzuweiſen, daß die naturwiffenfchaftlichen Thatfachen und Folgerungen Fechners falſch feyen, ober darzuthun, daß ber aus ihnen. refultizende Be⸗

R. Schellwien: Kritif des Materialismus. A

griff des Atoms unmoͤglich, weil undenkbar, widerſprechend ſey. Das letztere verſucht nun zwar der Verf., indem er behauptet, es koͤnne in der ſinnlichen Welt nichts Kleinſtes, nichts Untheil⸗ bares geben; denn ed gebe nichts Sinnliches ohne Ausdehnung, wo aber Ausdehnung, alfo eine gewifle Größe fey, fey auch noch eine Theilung, -alfo ein Kleineres möglich: das Atom fey daher ein Unding, eine unhaltbare Hypothefe, wegen eines unheilba⸗ ren innern Widerſpruchs weder in der finnlichen Welt noch un Gedanken irgend von Beitand. Allein dieſer Einwand, fo oft er auch ſchon dem Atomisſsmus entgegengehalten morben, tft doch ohne alles Gewicht, weil er im Grunde auf einer Verwechſelung der Begriffe beruht. Allerdings liegt es im Begriffe der Größe rein als folcher, daß fie in's Unendliche theilbar, in’d Uns endliche vermehr⸗ und verminderbar iſt, und folglich fann von einem untheilburen, einem Fleinften ober größten Quantum nicht die Rede ſeyn. Daſſelbe gilt von ber Ausdehnung rein als folcher: denn fie ift nichtd anders ald bloße Raumgröße, d. b. die Entfernung zweier Puncte im Raume, die durch bie Zahl der zwifchen ihnen denkbaren Puncte gemeflen wird: wo ed nicht möglich ift, wenigftens zwei Puncte ald non einander entfernt, wenn auch dicht neben. einander liegend, zu denken, fann von Ausdehnung nicht die Rebe fsyn. Nun giebt es aber fein bloßes Quantum, fein Quantum rein als folcheö; bie. Sröße ift immer nur an einem Quale ald deſſen Beſtimmtheit (Gränze); ja wir permögen und auch nicht einmal eine reine Größe zu denfen ohne ein Etwas, das groß ift, gefebt auch, daß wir dieß Etwas gedankenlos die Zahl, d. b. wiederum nur eine Größe nennen. Ebenfo ergeht es uns mit ber. Ausdehnung: ed giebt nicht nur renliter feine reine bloße Ausdehnung, fon- bern wir vermögen fie und auch nicht vorzuftellen ohne ein Et⸗ was, das ausgedehnt iſt, gefeht auch, daß wir dieß Etwas. ebenjo gebanfenlod den leeren Raum nennen. Daraus aber folgt mit unabweisbarer Evidenz: als bloßes Quantum iſt allerdingd jedes Ding (Dunle) in's Unenpliche teilbar, d. h. muß als abſolut theilbar gedacht werden; und wuͤrden bie Atome

300 Recenfionen.

als bloße Quanta gefaßt, fo wäre ihr Begriff ebenfo wider⸗ ſprechend als ber Begriff einer Fleinften Größe Allein fein Ding ift ein bloßes Quantum, und ebenfo wenig iſt der Na⸗ tunvifienfchaft das Atom eine leere Größe oder Ausdehnung. Bon einem Quale aber, wenn ed auch irgend eine Größe ald feine Beftimmtheit haben muß, laͤßt ſich nidyt behaupten, daß es in’d Unendliche theilbar fen müfle. Vielmehr ob und wie weit e8 theilbar fen, hängt offenbar von feiner Qualität ab, und es ift daher durchaus fein Widerfpruch, ein Etwas anzuneh⸗ men, das zwar als bloßes Quantum in’d Unenbliche theilbar ift, deſſen Qualität aber biefe bloß mögliche Theilbarkeit derge- ftalt beichräntt, daß fie auf einem gewiſſen Puncte zur wirklichen Untheilbarfeit wird, d. h. ein Atom ſich vorzuftellen, das zwar quantitativ ald immer noch theilbar gedacht werben Tann, aber weil es Fein bloße Quantum ift, realiter untheilbar ifl. Mit Einem Worte: es iſt eine uerdßanıs eig GAdo ylvos, das, wad nur vom. Begriffe des reinen Quantums gilt, ohne Weite red anf bie reellen Dinge zu übertragen, bie Feine reinen Duanta find. |

Was ben Begriff der Kraft betrifft, welche der Materia⸗ lismus als die Qualität des Stoffs zu betrachten pflegt, fo hat ber Berf. ganz Recht, wenn er behauptet, daß der Materialifl, der nur bie finnliche Wahrnehmung ald Duelle der Erkenntniß gelten läßt, conſequenter Weiſe von Kraft nicht reden darf. Denn bie Kraft, auch jede einzelne beftimmte Kraft ift in der That „le biglich etwas Gedachtes: die Erfcheinungen zeigen bloße Wir kungen. Natürlich; denn bie Erfcheinungen find feldft ja nichts ald Wirkungen, die Wirkungen, welche bie realen, aber bloß ge dachten und niemals unmittelbar erfcheinenden Dinge auf das empfinbende Subject hervorbringen. Die Veränderungen, bie in den finnlichen Erfcheinungen hervortreten, find immer an bre, immer neue Wirkungen, von benen wir auf entſprechende Urſachen fchließen. Der Uebergang von ber Urfache zur Wirs fung aber, das Werben, und basjenige, was fich ald Fräftig bethätigt und bie Wirkung hervorbringt, tritt überall nicht in

R. Schellwien: Kritik des Materialismus. 301

bie Erſcheinung. Es find jetzt Waſſerſtoff und Sauerſtoff in bet Erſcheinung, ſie verbinden ſich und es entſteht Waſſer, d. h. zwei Erſcheinungen, die vorhanden waren, ſind verſchwunden, und eine neue iſt an die Stelle getreten. Wir ſchließen auf eine Kraft, die dieſe Veränderung hervorgebracht hat; aber es iſt hoͤchſt ſeltſam, dieſe Kraft dem Waſſerſtoff, oder dem Sauerſtoffe, oder beiden zuzuſchreiben. Denn dieſe beiden haben ſich in die⸗ ſem Vorgange ſelbſt ja bloß als ſolche gezeigt, die nicht eine Veraͤnderung hervorgebracht, ſondern ſie erfahren haben; denn ſie find verſchwunden, ſie haben ſich nicht thätig bewieſen, ſondern einer Thaͤtigkeit unterliegend.“ Damit iſt zwar treffend und ſcharf die willkührliche, unbeſonnene Weiſe charakterifirt, in wel⸗ cher der moderne Materialismus ſeine Folgerungen zieht. Aber was der Naturforſcher Kraft nennt iſt damit keineswegs elimi⸗ nirt, ſondern nur auf feine wahre Duelle zurückgewieſen: es Bleibt immer fiehen, daß die finnliche Erfcheinung (d. h. unfte fh und aufbrängende Empfindung, insbfonvere die Empfindung des MWiderftands oder, wenn man lieber will, der Schranke) zwar nicht allein, doch aber zuſammen mit dem Denfgefeße der Caufalität und nöthigt, den reellen Dingen Kräfte beizumeffen oder fie jelbft als beftimmte Kräfte (Thaͤtigkeitsweiſen) oder doc) ald Organe (Medien) beftimmter Kräfte zu betrachten.

Ebenſo endlich bekämpft zwar der Verf. mit fiegreichen Gründen die Behauptung des Materialismus von der Ewigfeit und Unvergänglichfeit der |. g. Grundftoffe (d. 5. der Atome in ihrer chemifchen Berfchiebenheit). Aber ‚um fo mehr ift zu bedauern, daß ſich in feine Wiverlegung eine falfche Auffaffung eingefchlichen hat. Nach der materialiftifchen Doctrin ändert ſich im chemifchen Proceſſe nicht die Form der Grundftoffe felbft,. fondern nur die Form ihrer Verbindung. Der Berf. kann daher nicht behaupten: „Wenn Waflerftoff und Sauerftoff in ihrer Berbindung Waſſer bilden, fo verlieren fie neben allen übrigen Eigenfchaften auch ihre gasartige Form.“ Denn diefe Form ift nach Anficht der Atomiſten nicht die Form der Grund- ſtoffe ſel bſt, d. h. der Wafferfloff- und Eauerftoff- Atome,

302 Recenſionen. R. Scheliwien: Kritik d. Materiafismus.

fondern nur die Form, in der ſich ein Waflerfloff Atom mit dem andern verbindet; und wenn die Wafterftoffatome mit Suter ſtoffatomen zuſammengerathen und Wafler bilden, fo ändert fid wiederum nicht die Form der Atome felbft, fondern nur die Korn ihrer Verbindung, indem bie Atome beider Gasarten in einer andern Art und Weile ſich an einander lagern oder in einander verfchieben, als wenn bie Atome einer jeden Gasart für ſich al fein bleiben: dadurch entfteht in der Erſcheinung an Stelle der gasartigen Form die tropfbar flüffige Borm des Waſſers.

Dagegen hat der Verf. vollfommen Recht zu behaupten: „Wenn

wir finden, daß ohne Ausnahme allemal die Löfung eines zus jammengefegten Stoffes nad) Qualität und Duantität genau daſſelbe ergiebt, wie dasjenige war, aus defien Verbindung der zufammengefeßte Stoff‘ entflanden, fo werden wir bieß als ein Raturgefeß erfennen; das Dauernde aber werden wir einzig und allein in dieſem ſtets ſich gleichhleibenden Geſetze entbef- fen, nicht aber inven Erfcheinungen, bie beitändig wechſeln, raſtlos entftchen und vergehen.” In der That ift es nur cine jener übereilten Solgerungen bed modernen Materialismus, aus jenem Naturgejege zu fchließen, daß die ſ. g. Grundftoffe ewig und unveränderlich feyen. Denn daß bie Atome von Wafjerftoff und Sauerftoff, wenn fie aus ihrer gasartigen Verbindungs⸗ form in die tropfbarflüifige des Waſſers übergehen, damit nicht auch an ſich feldft eine Veränderung erleiden, die natuͤrlich wieder ſchwindet, wenn ihre Urfache, die Verbindung beider Gasarten mwegfällt und beide wieder getrennt werden, Daß vielmehr die Atome unveränderbar durch alle phyſikaliſchen, ches mifchen und organifchen Brocefie hindurchgehen, ift eine bloße Borausfegung des Materialismus, die weder aus der ſinn⸗ lihen Erſcheinung noch aus dem Gedanken begründet werden fann. Im Gegentheil, der Gedanke fordert .anzunehinen, daß die Urjache, z. B. die Wärme, welche bier die Atome aus ber tropfbarflüfjigen in die gasartige, dort aus ber feſten in bie flüſſige BVerbindungsform überzugehen zwingt, auf bie Atome felbft eine Wirkung ausübe und daß jede Wirkung eine Vers

59. Germar: Die alte Streitfrage: Stauden or. Wilfen? 203

Anderung fey. Und wenn gar ber Muterialismus folgert, daß, weil die Grundſtoffe nad Aufhebung ihrer 'chemifchen Verbin» dung mit andern qualitativ und quantitativ unnerändert wieder erfiheinen, die Grundftoffe als ewig, d. h. ald unentftanten, von feinem Andern hervorgebracht oder ausgegangen anzufehen feyen, fo ift das ein augenfälliger Fehlſchluß, ber feiner Wider⸗ legung bedarf. H. Ulrici.

Die alte Streitfrage: Glauben oder Wiſſen? Beantwortet aus dem bisher verfannten Verhältniffe von Tact und Prüfung, Glaus ben und Wiſſen zu einander und zu den Wifjenfchaften, befonders zur Pbilofopbie, von 3. H. Germar, D. d. Theol. und Hofprediger a. D. Zürich, 1856. Ä

Der Berf. glaubt im Begriff des Tacts, defien nähere Ers örterung bisher auffallender Weiſe allgemein vernachlaͤfſigt wor: ben fey, den Schlüffel gefunden zu haben nicht nur zur Beants wortung der oben bemerften fpeciellen Streitfrige, fondern auch zur Schlichtung der Streitigkeiten in ber Theologie (über deren gegenwärtigen Zuftand und bie daraus fich ergebende Nothwen⸗ digfeit einer höheren Ausbildung der Hermeneutif und einer gründlichen Vertiefung der exegetiihen Studien er, in der Bors rede fehr beherzigenöwerthe Bemerkungen macht), wie zur Löjung ber Grundprobleme der Erfenninigtheorie und ber Philofophie überhaupt. Er ſucht daher vor Allem feftzuftellen, was nach dem Sprachgebrauche unter „Tact“ zu verftehen fey, und geht dabei vom Beifpiel des perfpectivifchen Tacts aus. „Der per⸗ fpectivifche Tact lehrt den ungebildetften Beichauer, der von Optik und Perfpective nicht einmal den Namen kennt, auf den erften Blid, ob die Seitenmauern eined Thurmes vertical, alfo unter ſich parallel find oder nicht, ungeachtet er, wenn er nic- drig und nahe fteht, bie Abftände derſelben nach oben immer mehr verkleinert ficht,. daher die Kanten ihm ald convergirend erfcheinen müſſen. Er fällt alfo ein richtiged Urtheil, ohne fich der Gründe der Abweichung deffelben von ber finnlichen Erfcheis nung bewußt zu.werben. Ja er. urtheilt ſogar, daß die obern

3 | Necenfionen.

und ungern Kanten der Seitenflächen eines zuruͤckweichenden Ger baͤudes parallel feyen, und meint auch dieſes zu fehen, ungeach⸗ tet er gerabe das Gegentheil ſieht; benn die Wiffenfchaft beweiſt, bag alle zurüdweichenden Barallelen fi) im Horizont fehneiden, folglich al8 convergirend gefehen werben müflen. Dieſes ift num gerade die Art des Tacts. Er fällt Urtheile und zwar mei fehr richtige, ohne zu wiffen warum; aud hält er fie eben deb⸗ wegen für unmittelbare, ungeachtet die Wiflenjchaft, wenige ftens in diefen Falle, genau nachweiſen kann, welche vielfachen Berfnüpfungen und Bermittelungen von Erfahrungen, Urtheilen und Schlüffen nöthig find, um zu dem Tacturtheile zu gelangen.” Demnach erklärt der Verf. ben perfpectivifchen Tact für „dad Beifteövermögen, eine Menge von Sactoren, aus benen das pers ſpectiviſche Tacturtheil entfteht, ſchnell zu vergleichen und fid des Refultatd der Bergleihung (der Harmonie oder Disharmo⸗ nie) bewußt zu werden, ohne daß die Factoren ſelbſt zum Be wußtfenn kommen“ (S. 6 f). Daffelbe gilt nach ihm vom religiöfen, fittlichen, politifchen, hiftorifchen, Afthetiichen, exegetis ſchen, geſellſchaftlichen ꝛc. Tacte: überall „beweift ſich der Tact als das Vermögen des menſchlichen Geiſtes, eine Menge von Empfindungen, Begriffen, Urtheilen und Schlüffen (beſonders verwandter Art) fchnell mit einander zu vergleichen und bed Refultats diefer Vergleihung (der Harmonie oder Disharmonie) ſich bewußt zu werden, ohne jene einzelnen Bactoren zum Des wußtieyn zu bringen“ (S. 9.).

Aber dieſes „wunderbare Vermögen ”, deſſen Eriftenz, fo unerflärlih ed auch dem befchränkten Menfchengeifte ſeyn möge, ſich nicht leugnen laſſe, fol nun nad) dem Berf. nicht bloß Urtheile der angeführten Art (die ZTacturtheile ”) fällen, fondern auch die Gefühle des Angenehinen und Unan- genehmen, die Wahrnehmungen, bie Begriffe und Begriffs⸗ bezeichnungen, bie Urtheile und Schlüſſe überhaupt und fomit alled Denken, Spreden und Berfichen des Geſproche⸗ nen, urfprünglich erzeugen; ja fogar „vie Ahnungen der Zufunft und des Ueberfinnlichen nebft den Idealen der Boll

F. K. Germar: Die alte Streitfrage: Glauben od. Wiffen? 305

kommenheit“ follen nichts anders :ald „Wirkungen“ chen dieſes Zac ſeyn. „Da nämlich die Functionen bed Tacts weſentlich in ber Bergleichung dunkler Vorſtellungen und in ber blitzſchnel⸗ fen Erzeugung des Refultats diefer Vergleichung beftehen, fo bemerft der Tact augenblidlich, ob gewifle wirkliche Empfindun⸗ gen mit dem dermaligen Geſammtzuſtande bed Ichs harmoniren oder nicht; im erften Balle nennt er fie angenehme, im zweiten unangenehme: dadurch eben werben die Empfindungen zu Ges fühlen; und jenachdem die Vergleihung ſich auf den Eörperlichen Zuftand des Ichs bezieht, find "die Empfindungen ibm förperliche oder finnliche Gefühle, dagegen geiftige, infofern bie Bergleichung mit der Gefammtheit der Vorftellungen bie Urs fache derfelben iſt.“ Aber „die Tunctionen bed Tacts befchrän« fen fidy nicht darauf, die Empfindungen mit ten Geſammt⸗ zuftande des Ichs zu vergleichen, ſondern die Vergleichung bes zieht ſich auch auf die Empfindungen untereinander und auf bie. von bdenjelben gebildeten und im Gedaͤchtniß aufbewahrten Vorftellungen von Empfindungen. Dadurch gelangt fie zu den erften Begriffen, Urtheilen und Schlüſſen“ (S. 166. f.). „Denn was find die Wahrnehmungen der Objecte, die |. g. Anſchauungen, anders ald Tacturtheile, die durch Vergleichung gewiſſer Empfindungen theils mit einander, theil® mit frühern ähnlichen, theild mit bereits aus dieſen ähnlichen abgeleiteten Borftellungen, Urtheilen und Schlüffen hervorgebracht oder ver⸗ mittelt find, deren Erzeugung aber fo bligfchnell und jo unbe⸗ wußt gefchieht, daß fie und als unvermittelt oder unmittelbar gegeben erjcheinen?“ Inden dann weiter „der Tact eine wirk⸗ liche Empfindung mit feiner im Gedaͤchtniß aufbewahrten Vor⸗ Rellung von früheren wirklichen Empfindungen vergleicht, findet er jene entweder mit einer von dieſen Vorftelluggen völlig gleich (identiſch), ober völlig ungleich (verfchieden), oder zum Theil gleich, zum Theil ungleich (ähnlich). Bei ber unendlichen Man⸗ nichfaltigfeit der Empfindungen finden ſich aber fo wenig, ibentifche, daß es dem Gebächtniß unmoͤglich wäre, alle übrigen als verſchiedene einzelne feftzuhalten. Daher fommt der Tact

306 Rerenfionen.

ihm dadurch zu Hülfe, daß er die Ähnlichen unter Geſammt⸗ begriffe zufammenfaßt und diefe wiederum nach gemeinfhaft« lichen Berfchiedenheiten in Unterbegriffe zerlegt. So bilden fih aus den Aehnlichkeiten die Gattung sbegriffe, aus ben gemeinchaftlichen Verfchiedenheiten die Arten und aus beiden die Merkmale der Begriffe” (S. 8. 168). „Sind die Be griffe gebildet, fo können fie vom Tact auf die einzelnen wirk lichen Ericheinungen nicht angewendet werden, ohne dieſe untes jene zu fubfumiren, d. 5. ohne Urtheile zu fühlen”, und da nad dem Verf. das Urtheil eigentlich fchon ald das Refultat eines Schluſſes zu betrachten ift, fo ift der Tact auch dad Vermögen ber Schlüſſe und Holgerungen (S. 168). Natürlich ift ed dank weiter wiederum ber Tact, der die realen Objecte oder die Dinge an fi von den Empfindungen und Borftellungen unterfcheibet, und unter den realen Objecten „jogleich eine wefentlicye Ver ſchiedenheit erfennt”, indem er ben „mit feinem eignen Geiſtes⸗ vermögen verbundenen, zu feinem benfenden Ich gehörigen Leib” son andern realen Objecten, fowie feinen Leib von feinem Geifte unterfcheidet (S. 172). Entlich findet der Tact unter den mans nichfaltigen realen Objecten „bald auch folche, bie ihm fo viele Achnlichkeiten mit ihm jelber barbieten, daß er fie ald Weſen feiner Art anerkennen und ſich mit ihnen unter den gemein. fhaftlihen Begriff Menfch fubfumiren muß. In der Verbindung oder Gefellfehaft mit diefen Wefen erfennt er dann die Bedingung feiner eignen Erijtenz und Subfiftenz, aber au die Gefahren, welche aus dem Zufammenleben wmehrerer Men⸗ fhen entfichen.” Um biefen Gefahren, den ewigen Streitigfeis ten und Gewaltthätigfeiten zu entgehen und die eigne Subfiftenz zu fihern, „müflen fid) die Menfchen über gewiſſe Regeln bed Eigenthums vereinigen. Und aus dieſem freilich unbewußten Grunde entwidelt fih im Tact bad Urtheil über das Eigen tbumsrecht und demnächſt der Begriff ded Rechts überhaupt ald der Befugniß zu einer gewiffen Art der Selbitthätigfeit, und des Unrechts als einer LVieberfchreitung biefer Befugniß.“ „Jemehr dann der Tact durch die gefellfchaftlichen und befons

F. H. Germar: Die alte Streitfrage: Glauben od. Wiffen? 307

ders durch die Familienverbindungen zur Anerkennung ber Gleichartigkeit der Menfchen und ber gegenfeitigen Abhängigkeit ihrer Wohlfahrt gelangt, deſto mehr entwidelt fi) auch ber. fittlihe Tact, deſſen Grundlage in ber Wahrnehmung bes Innern Widerfpruch® zu ſuchen ift, ber darin liegt, daß ein An⸗ drer mir nicht leiften will wa® er von mir fordert, daß ich folgs ih audy ihm leiſten muß,-was ich felbft von ihm verlange, wenn ich nicht in offenbaren Widerfpruch mit mir ſelbſt gerathen will" (5. 200. 203.) Was fchlieglih den Urſprung des religiöfen Glaubens anbetrifft, fo befteht der weſentliche Inhalt defielben nach dem Verf. darin, „daß die realen Objecte mit ihren Veränderungen, alfo auch der Menfch mit feinen Eid» falen, als die Wirfung einer unfichtbaren oder vielmehr über« finnlichen Urfache betrachtet werben.” Nun führt aber fchon „die erfte Unterfcheidung der wirklichen Empfindung von der bloß gedachten (der Vorftellung einer Empfindung) den Tact auf die Begriffe von Urſache und Wirkung“, indem er bie fich ihm aufprängende und oft wider feinen Willen entftehende wirk⸗ liche Empfindung auf eine Urfache außer ihm zurüdführen muß. Dieß nöthigt ihn, „fobald er zur Wahrnehmung äußerer Obs jecte gelangt ift, jede Veränterung ald Wirkung einer Urfache zu betrachten. Diefe Urfahe ift aber häufig gar nicht wahrnehmbar, wie bei den organifchen Veränderungen ber Pflan⸗ zen und-Ihiere oder den Veränderungen ber Atmofphäre, Stum, Dig, Donner ꝛc. Diefe alle müffen ihm folglich als Wirkun⸗ gen unfichtbarer und überfinnlicher Urfachen erfheinen Dadurch allein ſchon ift dem Tact die Brüde aus der finnlich wahrnehmbaren Welt in bie unfichtbare oder überfinnliche ges baut, und nun wird jede Veränderung in der fichtbaren Welt, deren Urfache er nicht wahrnimmt, ihm die Offenbarung einer: unfichtbaren Urſache“ (S. 222 f.), d. h. der Tact führt in almäliger Entwidelung und Ausbildung zum Glauben an Gott, zur Religion und Religionslehre.

Man fieht, nach dem Verf. ift und bewirkt der Tact im Grunde Alles in Allem. Allein eben biefer Tact und feine Auss

308 Necenſionen.

fprüche (Urtheile) find keineswegs untrüglih. „Denn ba ber Zac nichts Andres ift, ald das Vermögen, bie Vebereinftims mung ober den Widerſpruch eined Gedankens mit dem unbe wußten Borrathe der übrigen Vorftellungen, wie fie ſich gerade in einem Individuum befinden, alfo mit feinem ganzen dermali⸗ gen geiftigen Zuftande wahrzunehmen, fo hängt die Nichtigkeit des Tacturtheild von der Richtigkeit feiner übrigen unbewußten BVorftellungen ab: es muß alfo unrichtig werben, wenn dieſe es find” (S. 19. Nun finden ſich aber ſchon in den finnlichen Wahrnehmungen vielfach Irrthümer, Sinnestäufhungen. „Noch häufiger find die Begriffe, welche der Tact ſich gebildet hat, von ganz zufälligen Merkmalen bergenommen, und müflen daher aud) zu falfchen Urtheilen und Schlüflen führen“ u. ſ. w. (©. 24 f.). Folglich müfjen die Ausfprüche ded Tacts einer „Prüfung“ uns terworfen werben, einer Prüfung derjenigen Yactoren, aus benen er fie gebildet hat. „Das Wefentliche der Prüfung aber befteht in der Vergleichung des Bezweifelten mit dem Unzweitelhaften“, . ald dem Maßftabe, an welchen jenes gehalten und gemeflen wird; und das Unzweifelhafte befieht entweder in Sägen, die nur thatfächlich nicht bezweifelt werben, oder in folden, die nicht bezweifelt werden Eönnen, in unbezweifelten ober un bezweifelbaren Sägen (S. 27 f.). Auf diefen Gegenfag zwi⸗ ſchen Tact und Prüfung, Tacturtheilen und Prüfungsurtheilen, gründet fi nad) dem Verf. das Verhältnig von Glauben und Wiffen. Der Unterfchied zwifchen beiden liegt nur „in ber Ents ftehungsart ded Bewußtſeyns von der Wahrheit ded Gedachten: ift dieß Bewußtſeyn durch den Tact, folglich ohne Bewußt⸗ feyn der Sactoren oder Gründe, durch die es vermittelt ward, entitanden, fo heißt e8 ein Glauben; zum Wiffen aber wird es dadurch erhoben, daß jene Factoren zum Bewußtjeyn gebracht und refp. geprüft find” (S. 58 f.). Die Philofophie endlich ift nach dem Verf. die „allgemeine Prüfungswifien ſchaft.“ Während alle andern Wiflenfchaften die unmittelbaren Tacturtheile nur mit unbezweifelten Sägen vergleichen, hat fie die unbezweifelbaren Säge wenn es folche giebt zu er⸗

5. 9. Germar: Die alte Streitfrage: Glanben od. Wilfen? 309

mitteln, aufzuftellen und daran alle übrigen Site, Annahmen, Refultate der Forſchung zu prüfen. Man kann fie alfo Kurz die „Lehre von ber Prüfung. durch das LUnbezweifelbare * nennen (S. 161).

Jeder Kunbige fieht, daß ber Verf. unter feinem Begriffe bed Tacts eine Mannichfaltigfeit von Thätigfeitsweifen der Seele zufammenfaßt, die Bisher und wie wir glauben mit Recht von einander unterfchieben worden find. Nur dadurch erhält feine Theorie vom Tacte den Schein der Neuheit. Zu- naͤchſt verwechſelt oder idenficirt er mit dem Tacte die unter⸗ Iheidende Thätigfeit der Seele, eine Grunbthätigfeit, von der wir Cim Syſtem der Logif und fonft) dargethan zu Haben glauben, daß in ihr der Urfprung bed Bewußtſeyns liegt, daß fie zugleich die vergleichende Thätigfeit ift, daß durch fie unfre finnlihen Empfindungen zu VBorftelungen, Wahrnehmungen, Anſchauungen werben, daß fie die Begriffe, Urtheile, Schlüffe formirt sc. (wie der Verf. impficite felbft anerkennt, indem er biefelben durch „Unterſcheidung“ und refp. „Vergleichung“ ent« Reben laßt). Andrerfeits fließen dem Berf. vielfach Tact und Gefühl in einander, obwohl er beide ftreng gefchieben wiſſen will. Denn daß zuwörberft die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen nicht erft in Folge von Tacturtheilen entftehen, daß vielmehr die Harmonie oder Disharmonie einer Empfin⸗ dung, Wahrnehmung, Vorftelung ıc mit dem Weſen und Zus Rande unfrer Seele oder dem Inhalt (den Strebungen, Ueber: jeugungen ıc.) unferd Bewußtſeyns unfre Seele unmittelbar afficitt und damit ein Gefühl des Angenehmen oder Unanges nehmen unmittelbar gegeben ift, glauben wir ald anerkannte Thatfache des Bewußtſeyns behaupten zu dürfen. Sodann aber giebt es keinen Rechtstact, Eeinen Pflichttact, keinen Wahrheits⸗ oder Schoͤnheitstact, und ebenſo wenig einen „religioſen“ Taet, ſondern nur ein religiöſes Gefühl (Sinn), ein. Rechts⸗ und Pflihtgefühl, ein Wahrheits⸗ und Schönheitögefühl, und wenn man dennoch, wie der Verf., hier und ba im gemeinen Leben von ‚aͤſthetiſchem“ und „fittlichem Tact“ fpricht, " * das u. E.

Ztitſchr. f Philoſ. u. phil. Kritik. 32. Band.

310 Recenfionen. 8. 8. Germar: Die alteStreitfr. : Glaub, od. ?x.

nur eine ungenaue Ausdrucksweiſe, eine Hebertragung des Worte Tact in Gebiete, in denen er in Wahrheit nichts zur fchaffen hat. In Folge dieſer maßlofen Ausdehnung des Begriffs Tact geräth der Verf. nicht nur mit dem Sprachgebraudy und der Pſychologie, fondern auch mit feiner eignen Theorie von Glauben und. Wiffen wie mit feiner Begrifföbeftunmung ber Philoſophie in Eonflit, Denn da nah ihm alled Denfen, Sprechen und Berftehen auf dem Tact beruht, fo koͤnnen auch jene unbezweifelten wie bie unbezweifelbaren Säge, die ald Maß ftab für die Prüfung ber unmittelbaren Ausſprüche (Urtheile) bes Tacts dienen follen, ebenfalls nur Producte des Tacts feyn. Und fomit würden nur Ausfprüce des Tacts durch Ausfprüde des Tacts geprüft werden fönnen, was offenbar feine‘ fidfern Refultate liefern würde.

Dennoch hat der Verf. Recht, und es ift ein Verdienſt feiner Schrift, dieß hervorgehoben zu haben, daß der Tact nicht nur im practifchen und.gefellfchaftlichen Leben, fondern aud im Gebiete der Wiffenfchaft, namentlich der Exegefe, der Ge fhichte, der Votitif, eine große Rolle fpielt. Nur können wir feiner Begriffsbeftimmung nicht ganz beiftimmen, weil wir glaw ben, daß der Urfprung der ſ. g. Tacturtheile etwas anders zu fafien if. Gehen wir mit dem Verf. vom perfpectivifchen Tact (dem Augenmaß) aus. Hier“ gewinnen wir durch eine Menge von Fällen, in denen entfernte Gegenftände, obwohl fie Fleiner erfcheinen, doch als gleich groß mit den näheren, ober die. Ums rißlinien hoher Gegenitände, obwohl fie zu convergiren fcheinen, doch als parallel fi) ausgewiefen haben, zunächſt die Erfah tung, daß in allen biefen Fällen der Schein trügt. Er trügt aber nad) beftimmien Geſetzen, weldye die Optif ermittelt und bargethan hat. Diefe Geſetze entgehen freilich dem gemeinen Bewußtſeyn. Aber jedes Auge bemerkt, nicht nur daß die Ge genftände, je entfernter ſie find, defto fleiner erfcheinen und befto mehr ihre parallelen Linien zufammenlaufen, fondern auch, daß bieß mit einer geroiffen Regelmäßigfeit gefchieht. Danach. bildet ſich mir der Zeit jedes Auge, allerdings unbewußt und unwill⸗

Breisaufzabe, 311

kührlich, einen gewiſſen Maßftab, den es ebenfo unbewußt an« wendet und banadı den trügerifchen Schein rectificirt, d. h. es wenbet diefen Maßftab ald Norm an, nad) der ed den vorfoms menden Ball beurtheilt oder vielmehr, nad) der die unterfcheis dende (beurtheilende) Thätigkeit unmittelbar und unwillführlich verfährt. Diefe Norm ift Fein beftimmter Begriff, Feine bewußte Vorftellung, fondern ift nur im Gefühl vorhanden. Denn fie entftcht nur dadurch, daß jene Regelmäßigfeit, die in allen Fällen perfpectinifcher Verkürzung und Convergenz der Linien waltet, uns nicht zum ausdrücklichen Bewußtfeyn gekommen ift, fondern nur implicite in und mit ber bemerften Verkürzung die. Seele afficirt hat, d. 5. daß wir die Regelmäßigfeit nur gefühlt haben. Ebenſo beruht der gejellichaftliche Tact auf einer ebenfalls nur im Gefühle vorhandenen Norm, nad) der wir felbft verfahren und das Benehmen Andrer beurtheilen, und bie ftd) dadurch gebiltet hat, daß die in dem gefelligen Benehmen der und umgebenden Menfchen implicite ſich ausdrüdenden Gejege und Regeln der Höflichfeit und guten Sitte unfre Seele unbes wußt affieirt haben. Gleichermaßen ift der politische Tact nichts andres als die in ähnlicher Art entftandene, dem Gefühle gleich» fam eingeprägte Norm für die Auffaffung und Beurtheilung po« fitifcher Verhältniffe und Eituationen, der exegetiſche Tact die gleiche Norm für den eigenthuͤmlichen Sprachgebrauch und die befondere Weife der Gedanfenverfnüpfung, die bei einem Schrift fteller vorherrfchend (und damit ald Regel) erfcheint. U. f. w. Daß ſonach der Tact von großer Bedeutung und ein feis ner und richtiger Tact, d. h. eine fcharfe Auffaffungdgabe ver einzelnen Erfcheinungen und ein zarted, lautered Gefühl für vie in ihnen waltende Gefegs und Regelmäßigfeit, eine werthoolle Gabe ift, bedarf Feines Beweiſes. Aber ein ganzed Syftem ber Philoſophie laͤßt fich auf ihm nicht gründen, 9. lllrici.

——

Preis: Aufgabe. Die Summe von 1500 Thlr. pr. Cour. ift von einem früheren Mitglieve des Bengal Civil Service ausgefegt und 21 *

312 Breisaufgabe.

in ficheren Papieren zu Berlin niedergelegt worden, um ale

Preis für das befteWerf zugetheilt zu werden, welches Bolgens

des leiftet:

1. Der VBerfafier muß mit den unten genannten, auch ohne Kenntniß des Sanferit zugänglichen Werfen über indiſche Philoſophie hinreichend vertraut feyn, um die Kehren ber verfhiedenen indifhen Philofophen-Schulen, mit Ausnahme der buddhiftifchen, insbejondere aber des Vedaͤnta genau zu kennen und die Gewinnung ihrer Angehörigen für das Chriſtenthum in's Auge zu faſſen *).

2. Seine Hauptaufgabe iſt, eine auf die Gewinnung indiſcher Bhilofophen der verſchiedenen Schu— len, insbefondere der Bedäntiften für die Er— fenntniß von der Wahrheit des Ehriftenthumd abzielende Darftellung der chriſtlichen Grund- wahrheiten zu geben, die auf fiherem hiſto— tifhen Grunde, in ftreng logifher Ordnung

*) Die Werke, auf welche es hauptſächlich ankommt, find:

Coolebrooke’s Abhandlungen On the Vedas und On the philosophy of the Hindus in feinen Miscellaneous Essays Vol. I. p.9— 113, 227—419. Lon- don, 1837, oder in der franzdfijchen Ueberſetzung von Pauthier, Paris, 1833, deutſch tbeilweife von Polen, Leipzig, 1847 (bei Teubner).

Wilson’s Sänkhya Kärikä. Oxford 1837.

Windischmann’s Sancara sive de theologumenis Vedanticorum. Bonn, 1833,

Bhagavadgitä, edit. Schlegel. Bom, 1823 und sonst.

Wil ſon's Ueberfegung des Vishnupuräna.. London, 1840.

Burnouf’s Ueberfegung des Bhägavala Puräna. Paris, 1840 —48.

Ballantyne’s Aphorisms of the Sänkhya, Nyaya, Vedänta, und Lectu- res on the SäAnkhya, the Nyäya, and the Vedänte. Mirzapore, Allahabad und Calcutta, 1850 54.

Roer's Ueberſetzung der Upanishad in No. 27, 38, 41, 50, 78 und 437 der Bibliotheca Indica. Galcutta, 1853. 1856.

Barthelemy St. Hilaire’s Mémoire sur la philos. Sanscrite, le Nyäya in den Memoires de P’Academie des sciences morales et politiques de Pluisti- tut de France Tom 3. 1841, und defjelben: Premier memoire sur le Säankhya Tom. 8. defjelben Werkes 1852.

B. St. Hilaire: Des Vedas. Paris, 1854.

Laffen’s Indifche Alterthumstunde. Band I-IM. Bonn, 1847 bis 1858, und Gymnosophista. Bonn, 1832. Die aüglicen Abhandlungen in der Zeitfchrift der Deutfchen Nor genländifchen Gefellfchaft, befonders diejenigen Noth’s u. M. Müller &

Roth’s drei Abhandlungen: Zur Literatur und Gefchichte des Weda. Stuttgart, 1846.

Weber's Indifche Kiteraturgefchichte, Berlin, 1852, Indiſche Skiz⸗ en, Berlin, 1857, und verſchiedene Artikel in feinen Indiſchen Studien.

d. I—IV. Berlin, 1849 58.

Die Ueberſetzungen der Veda's von Rufen, Benfey, Wilſon.

Preisaufgabe. 313

und feſtem Zuſammenhange ein Ganzes bilde, deſſen einzelne Theile fi) organiſch in einander ſchließen und daher dem falfchen Syfteme heipnifcher Weisheit ein echtes Syſtem chriftlicher Wahrheit entgegenftellen.

3. Das Werf fol vom Standpunce entfchieden glüus biger Anſchauung den göttlihen Urfprung und die abfolute Auctorität des Chriſtenthums zur Erfenntniß bringen und died in den einzelnen chrift- lihen Lehren auf eine tem Geiſte und der Sins nedart der Hindu’d gemäße Weife in Elarer, faß- licher, nicht abftracter, Tondern lebendiger Sprache herwors treten laffen, dabei aber ſtets die Widerlegung der hindu'⸗ fhen Grundirrthümer und faljchen Einzellehren mit im Auge behalten.

4. Der Berfaffer muß die Anfhauungs- und Dentweife ber Hindu's im Auge behalten, die Grundgedanken ibrer Syfteme herausheben, die unzweitelbaften Wahrheiten, welde darinmitdem Irrthum vers wacfen find, zur Unterlage für den Aufbau der Lehrdarftellung machen und jeglihe Berührung hindu'ſcher Anfihtenmit ver hriftlifchen Wahıs heit fo benugen, daß ed tem an unfere Weile ded Dens kens ungewohnten indijchen Leſer möglich wird, ihre Trag> weite und Beweis kraft zu verftehen. Es verſteht fich von felbft, daß er welt⸗ und naturgefchichtliche, pfychologis fhe und fiterarhiftorifche, phyſikaliſche, geographiſche und andere Borfenntniffe bei dem hindu'ſchen Lefer nicht vorausfegen darf, fondern fie in geeigneter Weife in feine Darftellung zu verweben hat.

Die näheren Bedingungen find folgende:

1. Die Abhandlungen find deutlih und leſerlich ges fchrieben (wibrigenfalld fie von der Bewerbung audges ihloffen werben können), in deutfcher oder franzo- fifher Sprache, vor dem 1. Juli 1861 an den Königl. GeneralsSuperintendenten Dr. Hoffmann zu Berlin einzufenden.

2. Sie müffen jede mit einem Motto bezeichnet feyn, welches wortgleich auf einem verfiegelten Briefe, welcher den Namen, Stand und Wohnort des Ver⸗ faffers enthält und mit der Abhandlung einzujenden ift, gleichfalls geichrieben fteht.

3. Die Abhandlungen find in mäßigen Grenzen des Umfangs zu halten und follen jedenfall8 30 Drudbogen in ger wöhnlihem Octav nicht viel überfteigen. |

4. Es bleibt den Preidrichtern:

314 Berzeihn. d. im In⸗ u. Ausl. nen erfhien. philoſ. Schriften.

Generals Superintendent Dr. Lehnerdt zu Magdeburg,

Geh. Hofratb Prof. Dr. H. Ritter zu Göttingen,

Prof. Dr. Roth zu Tübingen vorbehalten, auch Abhandlungen, welche kurz nach dem genannten Termine einlaufen, zur Bewerbung noch zuzu⸗ laſſen und Arbeiten, welche der Berichtigung oder Der volftändigung in einzelnen Puncten bedürfen, um preiss würdig zu werden, ihren Verfaffern zum Behufe derjelben nochmal zurüdzugeben.

9. Es fteht den Richtern frei, den Preis nicht zu erthei— len, wenn feine eingefandte Abhandlung deffelben würdig ericheint. Sollten mehrere gleich preiswürdige Arbeiten eingehen, fo entjcheidet zwifchen ihnen über Ertheilung des Preiſes das Loos.

6. Der feſtgeſetzte Preis von 1500 Thlr. pr. C. wird von dem General-Superintendenten Dr. Hoffmann zu Berlin dem Verfaſſer der gefrönten Abhandlung fofort ausbezahlt.

Den Berfaflern fämmtlicher reis tchriften bleibt ihre eigene Beitimmung in Betreff der Herausgabe derfelden im Buchhanbel unbedingt vorbehalten,

Edinburgh,

Berlin, } den 10. Gebr. 1858.

J. Muir Esq. Dr. Hoffmann.

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316 Verzeihn. d. im In» u. Aust. neu erſchien. philoſ. Schriften,

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No. 34 u. 35. Der Kampf um die Seele. No. 48 u. 49. Maltos kosmus u. Mikrokosmus (I. Büchner, II. Lotze). No. 50, 51, 52, und

Verzeichn. philoſ. Artif. i. deutſch. franz., engl. u. itaf, Zeitfhr. 319

1858. No. 5, 6, 7. Die Sefchichte der Religionen vom Standvuncte der berrich. Philoſ. No. 5. Ueber den religidf Weltpreceß der Gegenwart, Vortrag von Roſenkranz (für den Guft.= Ad. Verein).

Europa. 1857 u. 1858.

No. 42. Die Realpbilofvpbie in alter und neuer Zeit. No. 6. ®. Eilers: über Stein und Schleiermacher.

Deutfhes Kunſtblatt. 1857 u. 1858.

Nov. 21. Lazarus: Leben der Seele, Bd. 2 No. 1. Ueber Bers nays, Grundzüge d. verlor. Abhandl. d. Ariſt. über d. Wirkung d. Tragöd. Augsburger Allgemeine Zeitung. (Beilage 1857 u. 1858.

No. 248. Erlar des Pabftes über Beurtbeilung der Günther'ſchen Philos fopbie. No. 255. Die Philoſophie u. die Philoſophen in Frankreich (aus Paris). No. 325. Die Ybilofopbie in Veftreih (aus Wien. No. 337. Günther’? Syſtem (aus Nom). No. 351. Comte's Rofitiviss mus, Nov. 356. U. Comte (nah Franf’s Art. int Journal des Debats). 1858. No. 30, 31 u. 33. Haym's Segel u. f. Bet.

National-Zeitung. 1358. No. 1 u. 5. Haym's Hegel u. f. Zeit. Spener’fhe Zeitung. 1857. Vom 17., 19. u. 20. Decemb. Haym: über Hegel. Zeitſchrift für Proteitant. u. Kirche. 1857.

34. Bd. 5. Heft. Wagner: Der Kampf um die Seele vom Stands yuncte der Wifjenfchaft.

Deutfhe Zeitfhriftf. chriſtl. Wiſſenſch. u. Hriftl. Leben. 1858.

No. 5. Elfter: das Zurücktreten d. Unfterbfichfeitsfehre im A. Teſtam.

Zeitſchrint für d. gefammte kathol. Theologie. 1857.

8. Bd. 2. Heft. E. Müller: über das höchſte Gut in der katholi— ſchen Etbik.

Jahrbücher für deutſche Theologie. 1857 u. 1858.

3. Bd. 3. Heft. Dorner: die Gefchichte Der Lehre von der Unverän⸗ derlichfeit Gottes bis auf Schleiermacher. 4. Heft. Sig wart: Schleiern macher's pfychol. Verausfegungen (Begriff des Gefühls u. der Individua« lität). 3. Bd. 1. Heft. HamBerger: ‘die Verklärung oder Vergeiſti⸗ gung der Leiblichkeit.

Evangel. Kirdenzeitung. 1857. u. 1858.

61. Bd. 6. Heft. Der Kampf um die Seele (Wagner, Mantis, Thum). 62. Bd. 1. Heft. No. 5. Beilage. Das päbitlihe Verdammungsurtheil der Günth. Philofopbie.

Revue des deux Mondes. 1857.

1. oct. V. Cousin: une promenade pbilos. en Allemagne. 1. dee. Ch. de Remusat: des hommes et de P’hist. de la restauration. 15. dee. E. Saisset: revue philos. f

Revue contemporaine. 1857.

30 sept. Revue crit.: le sceptic. combattu dans ses principes (Kant) par Manrial, et Pommier: de l’atheisme et du deisme. 31. oct. Rev. crit.: E Beaussire: lectures philos. Etudes pratig. sur la methode posit. de M. Thibes., par Villetard.. 15. dec. Rev. crit.: über Remusat’s Bacon. 31. dc. E. Caro: hist. d’une äme sincere (M. de Biran).

Revue de Paris. 1857 et 1858.

15. sept. Me. Clarisse Cognet: etudes philos. au Pautheisme (Spinoza). 1. oct. Ch. Dolfus: Lichtenberg. 1. nov. E. Despois: bist. des theories moral. dans Y’antiquite par Denis, 1. janv. L. Babaud-Lari- biere: Royer-Collard.

Revue francaise, 1857. 10. de. Schopenhauer: base fondam. de la morale. . Correspondant. 1857 et 1858.

‚25.nov..L’abbe Hugonin: Philosophie reponse à M. Saisset. 25. janr.

Vieomte de Meaux: le P, Grairy et l’avenir de la philos. chretienne.

nr

320 Verzeichn. philoſ. Artik. i. deuiſch. franz., engl. u. ital. Zeiiſcht.

Correspondance litter. 1857. 2. annee. No. 1. (nov.) Bullet. bibliog. Oeuvres de Schelling. Journal des De&bats. 1857.

10. et 12: sept. Alloury: la religion natur. par J. Simon 13. sep. H. Rigault: du demon de Socrate, edit. nouv. par F. Lelut. 23. sept, Ch. Daremberg: collection des fragm. perdus d’Aristote. 21. 23, ot. Baudrillart: hist. des th6ories ‚et des idees mor. dans Pantiquit& par Denis. 8. dee. Bandrillart: Bacon par Ch, de Remusat. 12., 18. et 19. dec. Ad. Franck: A. Comte et le positivisme.

Univers. 1857 et 1858.

25. oct., 8, 22. nov., 3. 17., 31. janv. D. Gueranger: du naturalisme dans la philos.

Revuc de l’instruction publique. 1857 et 1858.

24. sept. Ed. Robinet: la relig. natur. (4. edit.) par J. Simon, 5. nov. F. Baudry: du nirwana indien. 10. dec. De l’atheisme ei du deisme de M. Pommier. 14. janv. J. E. Alaux: leitres philos. par Ch. Dolfus.

Journal general de l’instruct. publ. et des cultes. 1857.

4. nov. Du stoicisme de M. F. Ravaisson. 2. dec. Compt, rend. de la mor. d’Arist., trad. et comment. par M. Barth. St. Hilaire.

Comptes rendus de l’Acad. des scienc. mor. et polit. Paris 1857 et 1858.

Sept. 2. Mem. sur la physiolog. de la pensce, par Lelut Mem, sur la poel. d’Arist. par Barth. St. Hilaire. Oct. (suite) A. Garnier: hist. de la morale. Jany. et fevr. Damiron: sur Maupertuis.

Annales de philos. chret. 1857. Nov. Des domaines de la raison et de la nature par M. de Montant. Bibliotb. de Geneve. 1857. Aoüt. p. 523. Bacon par M. de Remusat. Journal des Savants. 1857. Sept. Nonvell. litter. über Bouillet, les enneades de Plotin, trad. en frang. Rivista contemporanea, 1857.

Juni. Mamiani: del massimo problema dell’ ontologia. Aug. L. Feri (eben darüber.) Nov. Mamiani: prolusione letta nella universitä di Torino il 26 di nov., aprendosi la nnova catiedra di filosofia della storia.

Civilta cattolica. 1857.

16. Mai: erflärt fih für die Philofophie des Thomas Aquino.

Westminster Review. 1857 et 1858. -

No. XXIV. Contemp liter.: über Remüſat's Bacon. No. XXV. (Jan.) Contemp. liter. über: Gratry: connaiss. de l’äme Schwarzenberg, chrift« liche Religionsphiloſophie. Grant: the ethics of Arist. MW. Mach on: the metaphys. of Arist. Lewes: biogr. histor. of philos.. Apelt’s Metaphyſik. Tappan: a treatise on the will.

North. British Review. 1857 et 1858.

No. LIV. The scottish metaphysicians Brown and Hamilton. No. LV.

@an.) Mill’s Logie of induction. Edinburgh Review, 1857. No. CCXVI. (Oct) Spedding’s compl. edit. of the works of Bacon.

Berichtiguugen. ü ©. 27.3. 9. v. u. ließ „Beweisgründe” für KR = 35. = 18. = . = „‚Unterfcheidung” = „Unterfuchung.“ s 39. = 949. s = s „avriorifhen”“ „enpirifhen.“ s 40. s 6. = 0. e „eben“ . - „oben.“ s 61. s 14. - u. feße „an“ nach „Begnügung.”

nn æ ⁊Xcccc Druck von Ebd. Heynemann in Halle.

*

Zeitſchrift

Philoſophie und philoſophiſche

Kritik, |

$ %/- 717 im Bereine mit mehreren Gelehrten herausgegeben von

Dr. 3. $. Fichte,

Profefior der Philofophie an der Univerfität Tübingen, Dr. Hermann Mlrici, außerordentliche Profefjor der Philoſophie an —* Univerſitaͤt Hal, und

Dr. 3. U. Wirth,

evangel, Pfarrer zu Winnenden.

Neue Folge. Dreiunddreißigſter Band.

Halle, C. E. M. Pfeffer. 1858.

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® 2 f » i «+ + * 2 - R di [3 «* emo ? ° * no Ü vo [2 \ €, . rin... v : - iu), u 2 uw,»

: Inhalt. ee Ueber das Ert·dene Ein Genie ans ber cthern von R Carrier. . Jo. een.

Das Proben der Phito ſophie und "feine geſchichtliche Evoiution. Eine kritiſche Brwachtung don Prof. m. Monrad. Zweite Hälfte,

Blato’3 Lehre von der Luft nad dem Philebus dargeſtelſt. Bon

Dr. Anton, Etſte Hälfte, a Er Er re

Ueber den pſychologiſchen Urgprung, der Ranmporfigfung- Bon

3.9. Fichte. onen

. Rensnfionen. -

Dr. Cart Schmidt: Die Harmonie der Welten. © - +...

Pr. Joh. Carl Baffavant: Unterfuhungen über

den Lebensmagnetismus und das Hfllfehn. |" + +. * 1 Don Wirth.

Derſelbe: Das Gewiffen. Eine Betruchtung. Derſelbe: Sammlung vermifhter Auffüge . - P- . . + - Derfelbe: Bon der Freiheit des Willens. - - | 2 0. Dr. Martin Kapenberger; Wiſſenſchaft vom Togifchen Den en. Erſter Theil, mit dem befondern Titel: Die Grundfrage

der Logil. Bon 9. Ulrich - 0 2 0 0 2 2000 y Ehriftian Karl Joſias Bunfen: Vollſtandtges Bibelwerk für die Gemeinde. Erfte Adtheilung: Die Bibel, Weberfeßung und Ertlärung. Erfter Theil: Das Geſetz. Erſter Halbband. Bon HD Ulriei. . ...

Couſin's Erinnerungen aus ſeiner Reiſe durch Deutſchland im Jahre 1817. Bon Dr. Zürgen Bona Meyer...-.

118

142

145

IV = /

Veber den Bunct. Bon G. Th. Kenner. - 2 000. Ueber den religiöfen Weltproceß der Gegenwart. Bon Karl Roc ſenkranz... ... . Plato's Lehre von der Luſt nad dem Philebus —— Von Dr. Anton. Zweite Hälfte. 0 0 nen. Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte des Atetthuus. 3 Von

Prof. Dr. Haupt. . 0 8 8 0 0. 26 . 0 0. .'

Necenfionen. A. Rosmini-Serbati: Il Rinuovamento della filosofia in Italia.

Don Dr. N. Seydel. . . [ } [} [} [| [ } « [} [} J. M’ Cosh (Prof. of Logie and Meyiphysäös): The Method of the Divine Government, Physical and Moral. Bon 9. Ulrick.. .

Cinige Schriften zur Meligionspbilojophie aus Belgien --: :: : 3) G, Lonay; Dissertztions philospphiques sur. leg points capitanz . de la controverse chretienne. Bon Dr. Jũrgen Dong Meyer. .

Seite. 161

183

213

238

2) Otto Duesberg: Oeuvres posthumes, publices per ses am, ..

(Expose theorique de la religion naturelle. Le maserialisme con- - temporain etc.) Bon demfelben. ee arg

3) G. Tiberghien: Etudes sur la religion. Deigl. rn

4) Ausonio Franchi (directeur de la.Ragione): Le rationalisme,

avec une introduction par D. Bancel,'antien reprösentant du peu- ple (Dröme), profess. honor. à l’Universite libre de Bruxelles Desgl. ' N Li) ti 3. Don demſelben. . 0 8 82 8 0 82 8 ib ee. 8 0

Bibliographie. L Verzeichniß der im Ins und Auslande neu erſchienenen philo⸗

ſophiſchen Schriften. . . 2... en.

‚N. Verzeichniß philoſophiſcher Artikel in veutfäen. franzoͤfiſchen, engliſchen und italieniſchen Zeitſchriften. . ..

Beritigungen. ©» 2 00 0 = .. 4

a 307

314

318 323

Ueber das Erbabene: Ein Gapitel aus der Aeftbetif von M. Carriere.

Wir erfennen im Schönen bie Formweſenheit; es kommt darauf an, daß bie Beftaltung des Inhalts eine wohlgefällige it, daß eine Idee in zeitlich räumlicher Begrenzung erfcheint, die freie Bildungskraft des Weſens in ihrer Aeußerung fi Bes fiinmtheit und Maß gibt. Aber wir proteftiren gegen bie leere Form, wir verlangen die ausbrudsvolle, gehaltreihe: fie gibt dem Stoffe Beſtimmtheit, indem fie fih an ihm verwirflicht, das Noffliche Element ift daher zur Vollanſchauung des Schoͤnen in . Betracht zu ziehen, und ebenfo dies feflzuhalten, daß alles Er- ſcheinende feine Grenze, fein Maß, damit feine Größe hat, Wir bleiben im Fortgang dieſer Unterfuchung innerhalb bed Scho- nen, aber es fagt und die Verntinft, daß im Schönen doch ne ben der Form bald auch das Stoffliche, bald die Größe des Gegenſtandes dasjenige feyn kann, was den erften Eindrud auf und macht, und was bleibend in ihm als befonders beveutfam wirft. Erfahrungsgemäß finden wir neben oder mit dem Schoͤ⸗ nen das Erhabene, und das ſinnlich Reizende des materichen Stoffs wie das geiftig Anzichende bed idealen Gehalts kommen vielfach in Frage. ch wende mich hier zum Element der Größe, zum Erhabenen. Da aber gilt es vor Allem gegemäber den Irrthümern feitheriger Theorien Dies feftzuhalten, daß wir mit ihm innerhalb der Sphäre tes Schönen bleiben, daß dag Große, welches Afthetifch wirken foll, immer ein formal Erfreuliches feyn muß, immer dem Geifte einen geiftigen Gehalt offenbart, indem es die Sinne ergögt und überwältigt. Das Erhabene tritt nicht als ein Neues zum Schönen, fondern es iſt ein Echönes, in weichem eins der Elemente, bie in allem Schönen vorhanden find, mit befondrer Macht fich geltend macht, fo daß ed als die Hauptſache heroortritt und die andern Beftimmungen, das For⸗

Seitſqhr. f. Phhiloſ. u. phil. Kritit. 33. Ban. 1

2 M. Barriere,

male und Stoffliche, die auch ihm nicht fehlen, mehr nur. wie an der Größe gefegt und als ihre Begleiter erjcheinen.

Ich halte es für zwedtmäßig, die herfümmlichen Begriffs beftiimmungen bes Erhabenen zunächft durchzugehen und ſowohl auf das Unrichtige himnweifen als einzelnes Wahre daraus zu gewinnen.

Burke, der berühmte und ‚geiftoode Engliiche Stgatsmann, fchrieb in feiner Jugend eine philoſophiſche Unterſuchung übe den Urſprung unfeer Ideen vom Erhabenen unb Schönen. Daß Werk it vielfach maßgebend geworden. Burke erkennt richtig daß das Schöne wie das Erhabene als ſolches ein Gefuhl deß Menſchen ift, außer der Subjectivität für ſich fertig nicht exiſtith; er beginmt: aber zugleich bie faliche Srheibung beider: Er nimmt An menfchlicken Gemuͤthe zwei Grunbtriebe an, den ber Selb erhaltung und den der Grfelligkeit; jener -ift Princip ber Znbb vidualitaät, diefer: per Gemeinfchaft der Menfchen ; auf jenem · be⸗ ruht die perfönliche Kraft und Selbſtſtaͤndigkeit, aus dieſem flich die Liebe zu Andern. Wirken fis muf die Einbildungskraft, ip erregt der eine dad Gefühl des Erhabenen, der: andere 646 Or fühl des Schönen. Was. und. anmuthet, zum Anſchlaß m) ‚zart Verhindung reizt, daß nennen wir ſchoͤn, das Milde, Zark ‚der Geftalten oder Töne, oder. auch das leiſe Widerftreheuk, damit ber Trieb erregt werde. Der Trieb der Selbfterheltung ‚aber wird zunaͤchſt nicht durch. das hervorgerufen, was ihn Sr ‚dert, jonbern was fich ihm entgegenflellt: ein ungeahntes Ueber⸗ maß von Gewalt und Größe wird, wenn ed uns wirklich ‚Be fahr ‚droht, und mit Furcht und Zagen erfüllen, zugleich abet zum Widerſtand erweden; ift ed und num nicht wirklich: gefähr lich, find wir in Sicherheit, fo erregt ed. nur unfre Einbildunge⸗ ‚aft und in ihr den Selbſterhaltungatrieb, und es entfcht- hab Gefühl des Erhabenen. Die Wirkung beider Gefühle: beſtimmie er gang finnlid ‚und phyſiologiſch; das Schöne mi bie Reren angenehm abfpannen und das Erhabene fie auf eine nicht ſchmery hafte Weife anfpanıren und fo fie beleben und fleigern: es fol dadurch die Gefäße, wie er beſonders ruͤhmt, von beſchwerlicher

Neber dad Erhabene. u >

und gefährlichen . Verftopfungen: reinigen, worüber A. W. Schle⸗ gel äußerte, man werde dann das Erhabene am. beften im ber Apotheke zu kaufen fuchen. Uebrigens machte Burke im Ein« zelnen viele: treffende Bemerkungen, die ber Wiſſenſchaft zu gute fonımen. u er

Kant Schloß fich ihm an und behandelte in der Kritlt der Urtheils kraft das Gefühl des Erhabenen gleichfalls‘ getrennt von dem’ des Exhönen. Er uͤberwand den Englifchen Senſualismus, enträdte aber dad Erhabene ganz aus der Stuneöwelt,; wenn er ſagte: Erhaben ift, was auch nur denken zu können. ein Ver⸗ mögen ded BGemuiche beweift, das jeden Maßitab der Gimme übertrifft. An Burke: anfmüpfend nennt er erhaben dasfenige;: was durch feinen Widerftand gegen. das Intereſſe der Sinne unmittelbar gefällt, unb beftimmt dies näher dahin, daß das Gefühl des Erbabenen nicht birect dad Innewerden einer Boför- derung des Lebens iſt, fonbern indirect durch eine augenblickliche Hemmung der Lebensfräfte und darauf ſogleich folgende befte ſtuͤrkere Ergießung derſelben erzeugt wird. Sehr richtig Bemerft Kant weiter, das das Wohlgefallen am: Erhabnen mit der Vor⸗ Rellung ber Quantitaͤt verbumden ſey. "Bährt er nun fort. zu behaupten, daß wir das ſchlechthin Große erhaben nemen, Te reiht er daran die Bemerlung, daß wir biefed,. das Unendliche in der Sinnenwelt nit finden, fein Gedanfe aber im Geiſte ecztugt wich; das Unendliche denken zu : können ift jenes Ver⸗ "mögen des Gemuͤths, das fich Über alles Sinnliche erhebt; das Erhabene liegt darum nicht. im erfcheinenden. Gegenſtande, ſon⸗ dern im auffaflenden Geiſt; wir ‚nennen. Erjcheinungen. erhaben, beren Anſchauung bie Idee des Unendlichen mit fich führt, welche der Einbildungskraft ebenſo unerreichbar als der Bernmift gemäß if. Das Gefühl des Erhebenen ift alfo.ein Gefühl deu Unluſt aus der Unangemeſſenheit der Einbilpungdfraft: in ber aͤßhetiſchen Groͤßenſchaͤtzung für bie durch die Bernumft und eine: dabei zugleich eriwedie Luft aus der. Nebereinſtimmung eben die⸗ ſes Urtheils der Unangemeflenheit des größten. ſinnlichen Ver⸗ moͤgens zu. Vernunſtideen, foferne die Veſtrebung zu denſelben doch Geſez ift.

1 *

i

4 | M. Earriere,

Herder, ben bie nachfolgenden Aeſthetiker allzu wenig beach⸗ teten, eiferte in ber Kalligone bereitö gegen die Trennung des Schönen und Erhabenen. Er fah dies Tebtere in dem, was Winfelmann die hohe Schönheit nannte; erhaben nannte er das, was feiner Ratur und Region nad) mit Einem viel und zwar das Biele KIN und mächtig gibt ober wirft. Das Einfache verleiht bem Bilde Kraft, krafwolle Einheit fchafft und iR das Erhabene. Er wied.auf die Alten bin, welchen das Erhabene der Gipfel des Schönen und die Bluͤthe der Tugend, das Hoch⸗ herrliche war, wie es und auch in der Anfchaunng ihrer Mar miorwerfe aufgeht, oder wenn wir Pindar und Blaton leſen. Er bebauerte, daß Leffing nicht zu einem Gommentar über Dur ke's Buch Zeit gewonnen, um ein Priebeflifter zwiſchen dem Erhabenen und. Schönen zu werben, in unſrer Ratur die Einkeit beider Principien darzuthun. Nicht Gegenfäse find das Etha⸗ bene und Schöne, fondern Stamm und Aeſte Eines Baumes; fein Gipfel iR das erhabenfle Schöne.

Herder geht dann nach feiner Art von ber Sprache aus. Ho nennen wir, was über uns if, erhoben, was durch eigne oder fremde Kraft emporftieg. Eine Höhe zu erklimmen foflet Mühe, fie zu erfchwingen bebarf’6 Flügel; daher das Hohe ein Ausdrud des Vortrefflihen. Ein hoher Muth erſtrebt die Hoͤhe, ein hoher Sinn bat fie durch Ratur immer, hohe Gebanfen wandeln auf ihr. Ein Gefühl des Erhabenen iſt die Empfin⸗ dung feiner Vortrefflichfeit mit Hochachtung vor ihm, mit Schw fucht zu ihm bin; es heißt Erhebung. Ueber ums ſelbſt erho⸗ ben werden wir mit ihm höher, weiter, umfaflender. Gerabe bort tritt dad Erhabene in der Kunft hervor, wo an's Unermeflene Maß gelegt, wo Bas Ueberſchwaͤngliche an Dafenn oder Mraft, das uncrreichbar fchien, als erreicht dargeſtellt wird,

Hegel fpricht über das Exrhabene nur bei der Betrachtung ber ſymboliſchen Kunſt, Die das Unenbliche auszudrücken ſucht, ohne einen ihm ganz angemefienen Begenftand zu finden. Im Schönen durchdringt das Innere die ünfere Realität, fo daß Beibe Seiten einander adäquat erfeheinen ; in der Erhabenheit dagegen

Ncher das Ethabene. 5

iſt das aͤußere Daſeyn machtlos der Subſtanz gegenüber, die es zur Anſchauung bringen will; die Welt iſt ungenügend zum Bilde Gotted, und in ber Anerkennung der Wichtigkeit alles Enb- lichen gegenüber dem Unendlichen ‚erheben: wir uns zu. biefem. Zeifing irrt ſchwerlich, wenn er hiermit die Unzulänglichkeit ber Erſcheinung, die Idee völlig auszudrütlen, als das wefentliche Merkmal des: Erhabenen bezeichnet ficht und eben barin dir Grundlage ber Bifcherichen Throrie findet.

Auch Solger behauptet awöbrädtid den Gegenſad be6 Schönen und Erhabenen, die fogar einander ausichließen follen, ſodaß das Erhabene niemals fchon, Das. Schöne niemals erhas ben fey. Seine Definition, daß bad. Erhabene: das in's End⸗ liche herabſteigende, ſich im Endlichen fegende Unendliche ſey, wirerfpricht aber zugleich der Hegel'ſchen Anficht, während fie nach unfrer Faſſung ber Idee des Schönen ald des im Endli⸗ hen offenbaren Unendlichen ſich anſchließt.

Weiße erklaͤrt, daß an jedem ſchoͤnen Gegenſtand, das was ihn zum Schoͤnen macht, Erhabenheit iſt; es ſcheint, daß alles Schoͤne als ſolches ſich über das Gewoͤhnliche hebt; aber Weiße verſteht es nicht in dieſem einfachen Sinne, er meint, das Erhabene ſey die Irrntionalität, welche im die Maßbeſtim⸗ mungen des Endlichen eingehen muͤſſe, um es ſchoön zu machen; das Ueberſinnliche, Ueberſchwaͤngliche in die Erſcheinung überge⸗ hend ſ 6 Erhabene. Die Schönheit, ſagt Weiße, erſcheint cinmal als bad Attribut einzelner endlicher Dinge, andrerſeits As Attribut des Gefammnvefend aller Endlichkeit, weiches dieſe ins Daſecyn ruft, aber auch wieder verneint und jedes Beſon⸗ dere in den allgemeinen Fluß aller Dinge zurücknimmt. Dieſe beiden Schönheiten, die endliche und ˖ die erhabene, erſcheinen als kaͤmpfende; ober vielmehr die wirkliche Schönheit, welche ſtets die erhabene iſt, iſt die Erſcheinung des Kampfes jener. zwei Mächte, denen nur in. dieſem ihrem Sanıpfe das Prabdicat ber Schoͤnheit zufommt. Hier moöcht ish erinnern, daß das Schöne niemald der Kampf, ſondern der aus dem Streit ‚geborene Yrie- den iſt, allerdings Feine leere Einfachheit und träge Ruhe, ſon⸗

6 M. Carriere,

dern thassll lebendige Einheit, Hatmonie als Loͤfung des Ge genſatzes von Geiſt und Natur, Unendlichem und Endlichem. Dann, daß jenen lieblichen kleinen Madonnenbildern Raphaels und Correggiois oder. fo manchem einzelnen Liede aus dem Munde des Volbes, ober Goͤthe's und. Heine's Niemand bie Schoͤnheit abſprechen, ebenſowenig aber bie Erhabenheit beilegen wird, Daß Weiße hernach die Erhabenheit gar eine gegen Ah -felbft gefehrte Schönheit nennt, gehört zu den verkchrten dialekti⸗ jchyen Umſchlagsſpielereien feiner Aeſthetit, deren es leider ſo viele gibt. Dahin rechne ich: auch die weitere Behauptung, daß die ſinnliche Grͤße des Echabenen als Moment der Geſtaltloſigkeit gefaßt werden muͤſſe, d. h. des Hinausgehens der endlichen Er⸗ ſcheinung über diejenigen: Verhaͤltniſſe, innerhalb deren als beſondrer und einzelner ihre eigenthuͤmliche Schönheit beſchlofſen iſt. Michel⸗Angelo ſche, Phidias ſche Gebilde ſollen wir nicht deßwegen erhaben nennen, weil ihe Maß die naturliche Erſchei⸗ wing des menſchlichen Körpers überſteigt, ſondern weil dieſe Große das Mittel für die. Darſerilung von Berhältnifien iſt, welche von ben natuͤrlichen des Organismus nicht blos verſchie⸗ den, ſondern auch ihnen dergeſtalt widerſprechend ſind, daß fe innerhalb jener nicht ſtattfinden konnten. Darnach befinde:bann das Kennzeichen des Erhabenen in der vhyſiſchen Unmöglichkeit, in der Widernatuͤrlichkelt, in: der Ungeſtalt! Indeß Weiße geht sach weiter, Die Wahrnehmung, daß gerade an ger Große des Weltalls, ferveit wir fie uͤberſchanen, im Gebirge, Tin Meere, unter den Sternrnhimmel, die Erhabenheit und aufgeht, briugt ihn dazu, die Erhabenheit als die Negatisität, ſtatt als Das Zuſammenwirken ber enblichen ſchoͤnen Gegenftände zu bezrich⸗ sion; dieſe ſollen nun nicht mehr in ſich beſchloſſene Mikrokos⸗ men, ſondern nur zerſtreute Bruchſtuͤde eines einzigen ſchoͤnen Gegenſtaudes, des Welialls ſeyn. Indeſſen, ſetzt Weiße hinzu, bleibt diefer Makrokvomus der Schoͤnheit eine bloße Forderung und eine. unwirkliche Mögkichlet, —: d. h. es gäbe alfe über haupt feine Schönheit und feine Erhabenheit, da fie im Befen- beim micht ſeyn ſoll, vielmehr ald die Negativität des Beſondern

neber das: Erhabene. 7

magegeben wird, und ba. bie Anſchameng ber: Netalitat für ung

unvollzichbar iſt. -; SKumt Hat feiner. ganzen. Philofenhit gern nichts über

den Gegenſtand beitimmen wollen, ſondern nur unfer jußjecttwes

Gefühl unterſucht; er hatte im. unſerm Gefühl. den. Aufſchwung and dem Endlichen in's Unendliche, Damit "bie Erhebung tiber die endliche Erſcheinung zur Idee gefumden; Bilcher wollte, mie es ſchrint, den ſubjectiven Idealismus Kant's corrigiren, that dies dann aber auf ſehr unphiloſophiſche Weile dadurch, daß er

die Etimmung des Gemuͤths in's Object verlegte, und dadurch

ven Begriff des Erhabenen völlig verfehlte, während er. über einzelne erhabene Srfcheinungen treffliche Bemerfungen macht. Er hat: dad Schöne im Geiſt der nemern Zeit als die Einheit

von: Idee und. Bud befſtimmt. Er ſagt uns Solgendes: „Die Wet reißt fi) aus Der ruhigen Einheit, worin jie mit dem Ge⸗

bitte verſchmolzen war, 108, ‚greift. über. dieſes hinaus und häft ibm als dem Endlichen ihre Unendlichkeit entgegen, So eniſteht der exſte Widerſtreit im Schönen, dad ſErhabene:“ Ich frage, obr in allem. Schönen, ober nur manchmal? Ift die. vom Ges:

genſtand loogeriffene Idee etwas für ſich Scyendes, oder bedarf: ehstun. eines Trägers, eines Subjectes, bad fie denkt? Im: epttın Fall wer die ganze Thätigfeit dis Sichlooreißens un

möglichs.;: In Wahrheit ift ed nur eine. fpeculativ klingende Phraſe. De. Erhabenen erſcheint das Bild Durch das Ueber⸗ walhlen der Ihre als dasjenige, was nicht die Idee ift, oder das (Erhabene ift diejenige Form des Schönen, wo das ideelle Montent in negativem Berhältnig zum ſinnlichen ſteht.“ Wenn Ind Schöne als die Einheit von Idee und Bild bezeichnet wird, baum iſt der, Gegenſatz beider .nicht seine Form ded Schönen, ſondern das Unichöne. Eine Erſcheinung, bie gerade bie Uns

fähigkeit, ihren Begriff darzuſtellen, ihrer Idre zu gemügen, zur Schau ftellt, wird Niemand mit Bifdyer erhaben: neuen wollen,

ſie iſt vielmehr das Gegentheil Davon, fie iſt Heinlich, ſchwach, dedauerlich. Um Riſcher zu rechtjertigen, erklärt ſich Zeifing die Sache fo: Biſcher verſtehe hier unter Idee nicht das Dem: Ge⸗

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8 M. Carriere,

genſtand einwohnende Geſialtungoprincip, nicht ben ſich im ber Erſcheinung realiſirenden Begriff, ſondern das im Subject her⸗ vorgerufene Bild der Erſcheinung, einen durch fie erzeugten Ge⸗ danken in uns; doch hat Viſcher das nirgends geſagt, er behandelt hier das objectis Erhabene und von ber Wirkung des Gegenſtandes auf uns ſpricht er fpäter im Auſchluß an Kant. Jedenfalls bliebe es unlogiich, unter ber Idee beim Erhabenen etwas anders ald beim Schönen zu verliehen und beide doch nad) ihrer Beziehung zue Idee zu charalteriſiren, und Zeifing vermißt jebe Andeutung der Qualitäten, wodurch eine Erſchei⸗ mung eine fie überragende Idee in und hervorruft. Dieſe An⸗ deutung kann man im Folgenden finden: „Das Schoͤne if reine Form; diefe it weientlich zugleich ein für jede Sphäre bes Lebens aus ihrer Qualitaͤt fireng hervorgehendes unb genau begrenztes Maß der Berhältniffe des Gebildes. Dies Maß überfchreitet dad Erbabene, und zwar in's Unenbliche, zugleich aber muß es gemäß ber Beſtimmung feined Weſens als Wider fpruch die Form ober dad begrenzte Maß feſthalten; das Er⸗ habene ift in Einem geformt und formlos.” Plato, ber zuerſ dad Maß dem Schönen weſentlich nannte, bezeichnete das Ge⸗ ſchlecht des Maplofen nicht als erhaben, ſondern als haͤßlich. Wie etwas das Maß in's Unendliche uͤberſchreiten und doch das begrenzte Maß feſthalten kann, hat Viſcher nicht erklaͤrt. Ich betrachte im Geiſte den Prometheus bes Aeſchylud und den ‘Pos feidonstempel von Paͤſtum, ben Wontblanc und Michel Angelo's Propheten, Kolumbus auf dem Meere, die Riobe und was man fonft vorzugsweiſe erhaben nennt, und finde nirgends ein Maß⸗ üderfchreiten in's @rengenlofe, vielmehr überall im Gegentheil ein in ſich begrenztes Unendliches, nirgends zugleich Yormlofig- feit und Form, fondern überalt Form, fchöne Form! Biſchers Berftellung vom Erhabenen, feine Theorie iR allerdings ein Widerſpruch, nicht aber dad Erhabene ſelbſt.

Biel richtiger hat Zeifing die Natur des Erhabenen aufges faßt; ohne Herder's Anſicht zu Tennen, begründet er fie. Das Erhabene iſt ihm dasjenige Schöne, welches durch obiectioe Boll

Ueber das: Erhabene. 9

kommenheit, namentlidy durch feine Größe die Idee der abſolu⸗ ten Bolllommenheit erwedt, welches und auf unmittelbarem und pofitivem Wege in’d Gebiet des Abſoluten hinüberführt. Damit find wir.enblic aus den Begrifföfpielereien auf ben Bos den ber Wirklichkeit und der Anſchauung getreten. Der Leer mußte aber einmal cine Wanderung durch dad Didicyt und Ge⸗ ſtrrippe ber aͤſthetiſchen Theorien mitmachen, um felber zu er⸗ fahren, daß bie. jhwerverfländtichen Darftelungen ihre Dunkel⸗ beit nicht aus der. Tiefe ber Idee, fondern aus mangelnder Er« Ienntniß ſchoͤpfen, daß bie gefundene Wahrheit ſtets Klar und ein» fach if, ſie zu finden aber gar oft verwickelte und mihſame Bahnen nöthig find.

Das Erhabene nannte ich dasjenige Schöne, welches nicht wohl durch die Anmuth ald durch bie Größe ber Korn auf und wirft, welches zunaͤchſt don Seiten ber in ihm waltenben Macht oder Ausdehnung ſich darſtellt. Um bies zu Sönnen, muß es fich felber über das Gewoͤhnliche erheben, das herkoͤmni⸗ liche Maß der Dinge, nit aber fein eignes Maß üuͤberſchrei⸗ ten, weil Maßlofigkeit niemals das Zeichen jelbfiherrlicher Kraft

ik, die ſich vielmehr im Maßgeben bewähtt. Darum nennen

wir dasjenige erhaben, neben weichen alles Andre als Hein er⸗ ſcheint; nur daß man nicht vergeile, wie die Größe allein es nicht thut, ſondern fletd die Bedingungen ded Schönen erfüßkt feyn müſſen: wir flehen nicht außerhalb, fonbern innerhalb des Schönen. Daher bedarf. das Erhabene anbrer Erſcheinungen neben ihm, an denen wir ed meflen, mit denen wir es verglei⸗ den, ja es liebt den Contraſt. Wir erimüben, wenn und: fletö aux Ueberſchwaͤngliches geboten wird, und ber Schauer des Er⸗ habenen weicht dann am Ende der Abfpannung, der Langeweile, und wenn innerhalb einer beftimmten Sphäre alle Dinge über ihr gewöhnliches Maß gefteigert werben, fo: ertiheint und bad Ganze viel Fleiner als es wirklich ift, weil wir die gewohnte

Verhaͤltnißmaͤßigkeit erbliden. Jenes if in Klopfiodd Meſſiade,

dies in ber Peterslirche ber Fall. Die,Kinderengel an den Waſ⸗ ſerſchalen haben dort bie Größe ber Männer, bie Tauben mit

10 M. Eärriere,.

bem Oelzweig über ihnen find: mehrere Buß lang, bie anten Ihmüdennen Gchalten der Pfeiler find auf gleiche. Weiſe ver⸗ größert, ja um jo mehr, je böher fie fiehen. Wir meffen aber die Höhe nach der perſpectiviſthen Berjingung, und wo dieſe nieht eintritt, gewinnen mir wohl rinen Berktanbeöbegtiif, aber feinen äfthetiichen Eindtuck der Höhe. Die Pieiler find, rieſg, und würden und ſo erſcheinen, wen bie menſchlichen Geſtalten, weiche fie ſchmuͤchen, menschliches Map hätten; inkem fie mit dem Pfeiler über das Gewöhntiche gefleigert ſind und kein Con⸗ traſt vorhanden iſt, erhebt fich ung der Anblid des ganzen baulichen Gliedes nicht in's Ungewötwtiche, eine Größe ſchwaͤcht die andre, der Pfeiler, an dem zwei Kinderengel jdisuaben;: 'Die feine Breite größteniheild ausfüllen, erfeheint uns nicht befpnders groß, und fo ift aud) das Zuſammenwirben alter Theile zum Ganzen ber Kirche ohne bie erwartete Wirfung ; men, muß: über die Ausdehnung erſt reflectiren, fe ſich erft .allunklig zum: Ber Wishtieyn bringen und. dann Die innere Vorſtellung mit ‚ber Sir nesanſchauung verbinden, um. biefe: erhaben zu finden, waͤhrend bei dem Eintritt in den Mailänder Dom ſofort unititteiber ein Geſfuͤhl Des Unendlichen uns übenwältige, ee

Wenn wir uns einein großen Berge ober Gebäude Kchrätte weife nähern, To daß es Anfangs -in der Werne klein erfchlen, dder wenn eine Tomnaffe allmählich voller und breiter anſchwillt, fo: wird zwar der Eindruck des Erhabenen nicht ausbleiben, aber .ein ploötzliches und überrafihendes' Sintreien der Suche‘ in unfre Empfindung wird und mehr erfchittern: der Donner, Ger auf einmal laut erſchallt, das ſchneebedeckte Wetterhorn, dem wir in Walde nahegekommen find, das Meer, das eain Hügel uns barg, fo daß wie beide auf einmal in der Naͤhe gewaͤhren.

Wenn ganz was Unerwartetes gefchieht, | . Steht unfer Geiſt auf zine Weile il,

Wir haben nichte, womit wir es vergleichen. .. \ Wir ſelbft als Sinnenweſen erſcheinen und ale meſchmn- dend dem erhabenen Getzenſtand gegenüber, wir keamen ihn nicht ſofort. mit unſerim Maße meiſen, bie gewohnten Verhaͤliniſſe er⸗

Ueber das Grhabwee. 11

ſcheinen unamvendbar, wir haben unmittelbar ben Eindruck eines Unermeßfichen, einer alles übenwältigenden Größe, nicht Dadurch), daß wir und über die Anſchauung erheben, und jenfeits-:ihrer eine Idee bilden, ſondern in ihr, durch fie fühlen wir ein. Uns endliches ſich uns offenbaren, und was Der Berftand und was die Erfahrung auch von der Meßbarkeit nachteäglich fagen mag, für dad Gefühl und. die Bhantafle, die beim erften Anblid pas

gewohnte Maß verloren, bleibt. der weiprüngliche Eindrud des

Unendlichen; es liegt für uns nicht jenſeits ber Sauce, nicht blos in unferm Gemüthe, fonbern daß. es mit ihr verknüpft. if; macht fie und zur erhabenen. Der Gegenſtand erwedt durdy feine Größe die Idee des Unendlichen, fie verfchmilzt. mit feinem Bilde, er wird ihr Träger für unſre Anfhauung, und fo entſteht in feinem Jufammenwirken mit un fer m Gemürh das Gefühl des Brhabenen.

Daß es aber weſenilich auf Die Graͤße ankemmnt, mögen uns. :einige Beiſpiele lehren. Wir betrachten das Modell des Koͤlner Doms, das in den Vroportionen richtig, in Den. Formen fein ift, aber. wir haben den Einprud des Erhabenen nicht;

weit eher macht ihn das noch Fleinere Gemälde, wenn. fi) die

Abbildungen von Haͤuſern, von. Menjchen: zugleich darauf befin- den und wir. nun dieſe in der Phantaſie zu ihrer gewohnten Groͤße ſteigern und in demſelben Verhältniß das Bild des Doms innerlich anwachſen laſſen. Die Verherrlichung des Achilleus in der Ilias wirkt deßhalb fo wunderbar, weil. wir ſchon durch eine Reihe vvn Geſaͤngen Die Troer ſiegreich ſahen, weil fo. viele Anftrengungen gewaltiger Helden, eined Diomedes und Odyfſeus, eines Agamemnon, Mind und Patroklos vergeblich waren; ba auf einmal. genügt ber bloße Ruf des Achilleus, jein bloßes Er- jcheinen, die Troer zurückzuſchrecken, die Achäͤer zu reiten; feine Größe ift damit hoch über alle gefteigert. Im Marius -auf

Karthago's Trümmern ftaunen wir die Größe des einen Mans ned an, der geſchlagen und wehrlos «8 dennoch wagen fann, er allen, darauf zu ſnnen, daß ex;-hem- feindlichen Rom das

12 m. Garriere,

Schickſal Karthago's bereite. Die Bölternaffen, bie er bewaͤl⸗ tigt, die weiten Räume, die er durchzieht, umkleiden Alexander

den’ Großen mit dem Glanz der Erhabenheit. So wirken Ten⸗

maflen in einem Hänbelfchen Halleluja, in einem Beethovens fhen Finale, und zwar iR der Eindruck viel gewaltiger als ber

ded nur von wenig Stimmen ausgeführten Geſangs ober be

Klavierandzugs; und beide Kuͤnſtler find ihrer Wirkung ficher, weil fie nicht beftändig alle Mittel aufbieten und Lärın machen, fondern das Machtvolle mit dem Zarten und einfach Melodiſchen in Contraſt ftellen. Auch für Michel Angelo's Prophet

Sibyllen Ift die Außere Größe nicht gleichgültig, ebenſowenig für den Gottvnter als Weltichöpfer von Cornelius in ber Lud⸗

wigdficche zu München ; die Raphaelöicye Darftellung von Ezechiele

Geficht fcheint au& dem engen Rahmen hinaus zu. wachen und iunfaffende Dimenfionen zu fobern; bie dem Phidias nachge⸗ fhaffene Büfte ded Zeus von Dtricoli gilt für erhabrner als die andern formal verwandten Darftellungen, wel in ihrer finnl dyen Größe fehon etwas Rieberichmeiternded für ben. Beſchauer liegt. Hier ift natürlich nirgends leere Mafienbaftigfeit ober ein Außrer Kraftaufwand, der eine innere Leerheit und Hohlheit bärge, fondern bie ideale Hoheit und Wuͤrde ‚prägt ſich im For⸗ men aus, beren Umfang fchon ſich und und über dad Gewöhns liche erhebt, und in der Bewältigung einer gewaltigen Maft zeigt fich die Macht des Geiſtes. In diefer letztern Hinſicht trägt ed zum Eindruck der Erhabenheit bein wenn chwas ur⸗ fprüglich Ungefüges noch im Stoffe nachklingt, das aber der orbnenden Form ſich dennoch hat fügen müflen, wie im stile sustico ber Florentiner Bauten, am Palaſt Pitti gder Strozzi, wo die rauhen ungeglätteten Werkitäde ohne. umnhüllenden Bewurf fihtbar find und in ihrer rohen trogigen Derbheit Die Macht der Idee um fo größer erfcheinen laffen, die fie ergriff, und in einfachen klaren Linien fie zu einan harmoniſchen Gan⸗ zen zufammenfügte.

Wenn Winkelniann fagt, daß das Schöne buch Einfſach⸗ heit erhaben werde, fo ſtimmt dies zu unſter Auffaſſung. Der

neber das u 1

hohe Swl detaillirt nicht viel, ſondern gibt das Weſenhafte in großen Linien; die Menge des Einzelnen, das für ſich hervor⸗ tritt, loͤſt das umfaſſende Ganze in eine Bielheit auf, bie in als lem Befondern ſchoͤn feyn kann, ohne daß“ das Einzelne für ſich groß wäre. Gin ichachbrettartiger Thurm wird in eine Reihe “einzelner Quadrate zerlegt, die Linie des Anſtrebens beitändig durch. wechfelnde Farben unterbrodyen. „Zerflüde den Donner in, feine einfachen Sylben, ſagt Fiesko, und bu wirft Kinder damit in den Schlaf fingen; ſchmelze fie zufammen in einen plöglichen Schal, und der monarchiſche Laut wird den ewigen Himmel bewegen.“ | Darum wirft die Dämmerung guͤnſtig, weil fie eben mans ches Detail verfchwimmen und bie großen Maſſen heroortreten laͤßt; Die Peterskirche von außen erjcheint herrlich und flaunens« werth, wenn bei einttetender Nacht bie überladenen Einzelheiten der Facçade verſchwinden, die gewaltigen Grundlinien derſelben aber und der Kuppel über ihr durch einen Kranz von ſchimmern⸗ den Larmpenfternen bezeichnet werden. Folgende Stelle aus Goͤ⸗ ihe's Wahrheit und Dichtung beftätigt umd erläutert das Ge⸗ fagte, fofern man füch nicht daran ftößt, daß der Dichter Er« habenes und Schönes Anfangs getrennt hält, um fie dann zu vereinigen, wo jenes erft feine Wahrheit erreicht. „So vicl if gewiß, daß die unbeflimmten fi weitausbehnenden Gefühle ber Jugend und ungebilveter Völfer zum Grhabenen geeignet . find, das, wenn ed durch Außere Dinge in und erregt werben foll lformlos ober zu unfaßlichen Formen gebildet (2)) uns mit einer Größe umgeben muß, ber wir nicht gemachfen find. Eine jolche ‚Stimmung der Seele empfinden. mehr ober. weniger alle Men⸗ hen, fowie fie dieſes volle Beduͤrfniß auf mancherlei Weite zu befriedigen fuchen. Aber wie das Erhabene von Daͤmmerung und Nacht, wo ſich bie Beftalten vereinigen, gar leicht erzeugt wird, fo wird es dagen vom Tage verſcheucht, ber Alles fon- dert und trennt; und jo muß es auch durch jede wachfende Bil- bung vernichtet werben, wenn es nicht glüdlich genug: ift, fich zum Schönen zu flüchten: und ſich innig mit ihm. au vereini⸗

14 MR. Gasriete,

gen, wodurch bean beibe gleich unſterblich und uwerwuſ⸗ lich ſind.“ Aehnlich iſt es mit der Macht der Ferne, zeitlich wie räumlich. Kleine Beſonderheiten, aus denen ein Ganzes beſteht, hören auf für ſich ſelber ſichtbar zu ſeyn und verſchmelzen zu einer gemeinſamen Wirkung, in der eben nur die großen Formen des Totalumriſſes hervorgehoben werden. So überträgt die Sage und die Gefchichte Die Gefammtthätigfeit ganzer Geſchlech⸗ ter und Zeiten auf einzelne Heroen, die als leitende Genien den Ton und bie Richtung des Ganzen angaben, und diefe wachſen damit in der Vorftellung der Menfchheit höher und höher. Selbſt abgefehen hiervon vetfchwinden auch bei dem Werk des Einzel sten alle befonbern Zurüftungen, alle Heinen Mittelarbeiten, und nur die ganze That, nur die ganze Geſtalt als ſolche fteht für und da. Deßhalb fagt das franzöfifche Sprichwort, daß es für die Kammerdiener Feine Helden gibt, weil nehmlich ſie im He den in ber täglihen Nähe den aufftehenden und fehlafenden, an⸗ und auözufleidenden, effenden unb trinkenden Menſchen fehen, “und vor diefem Vielen und Aeußeren, das für fie das Wichtige ift, nicht zu der Erfenntniß des Einen und Innern fommen; das ihn groß macht. Auch die Weihe des Todes gehört hier⸗ her. Der Abſchluß eined Lebens treibt den Geift der Ueberle⸗ benden ein Totalbild zu gewinnen, und wie es aus ber Ber- ſchmelzung der befondern Werfe und Einbrüde ſich erhebt, fo tiberragt es fie alle, und wirft auf bie Ueberlebenden, die für ſich unter den einzemen Eindrüden befangen bleiben, mit uͤber⸗ tagender Größe. "Schiller im’ Caͤſar hat: dies trefflich ausge ſprochen. Er erfennt nicht blos: | | "Ein mächtiger Vermittler iſt der Tod. Da Biden alle Yornesflamumen auf, .. . nd Der. Haß vexſohnt ſich und das ſchöne Miffed . ,.. vr Neigt fih, ein weinend Schweiterbild,. mit, ſanſt Anſchmiegender Umarmung auf die Urne.

Er weiß auch, daß ber Geftorbene Wenſeits allen Wettftreitd wie ein Gott = Ba ber. Erimierung der Menſchen wandelt. *

“r

. Ueber das Ethabene. 8

. &r-fitgt. hinzu: Der Tod bat eine reinigende Kraft, In feinem unvergängkichen Palafte Zu ächter Tugend reinem Diamant Das Sterbliche zu läutern, und die Flecken Der mangelhaften Menſchheit zu verzehren. Nach dieſen vermikteinden Erörterumgen wird bie bereits

oben angezogene Etele aus Winkelmanns Kunſtgeſchichte in

ihrem ganzen Werthe erfannt werben: „Dur bie Einheit und Einfalt; wird. alle Echönbeit erhaben, fowie es durch dieſelbe

Alles wird, was wir wirken und reden, denn was in ſich groß iſt, wird mit Einfalt ausgeführt und vorgebracht erhaben. Es wird nicht enger eingeſchraͤnkt ober verliert von. ſeiner Größe, wenn es unfer eilt wie mit einem Blicke uͤberſehen und meſſen und. in einem einzigen Begriffe einfchliegen und faflen kann, fondeen eben durch Diele Begrifflichfeit ſtellet es fich und in feiner völligen Größe vor und unſer Geift wird durch die Faſ⸗ jung deſſelhen erweitert und zugleich mit -erhoben.. Denn. Alles, was wir getheilt betrachten miifie, oder Dusch. bie Menge ber zuſammengeſetzten Theile nicht mit: einmal überfehen können, verliert dadurch von. Isiner Größe, ſowie uns ein langer Weg kurz wirb durch mandyerlei Borwürfe, welche fich und auf dem ſelben barbietem, oder durch wide Herbergen, in welchen wir anhalten koͤnnen. Dieienige Hormonie, die: unſern Geiit ent aüfte, beſteht nicht in unendlich gebrochmen gefettelen und ‚ger ſchleiften Toͤnen, ſondern in einfachen, lauganhaltenden Zügen.”

Mit der Einfachheit und: Ploͤtzlichkeit haͤngt bie. Concen⸗ tration ud; Fürge zufamymen, bie das Erhabene im Wert err hoͤht. Schon Longin praiſt den Ankıng des Moſasc „Gott ſprach: es werde Licht! und es ward Licht.“ So das „Moif der Medea, das „Soyons amis, Cinaa* des Auguſtus bei Eprr neille, das „Jeder Zoll ein König!" im Munde Lears, umb‘ Wallenfſteins Erklaͤrung: Nacht muß. es feun, wo. Friedlandé Eterne ftrahlen. Die Erhabenhait der. Rede ift. Ausdruck einer genfen Seele, die ihre Macht darin bewährt, daß fie. nicht viele Worte braucht. Nehmt erſchüttert Zeus ben Olympos mit

46 MR. Garrirre,

ber Bervegung feiner Augenbrauen, burd bie herabwallenden Loden feines Dauptes. |

Die Erbabenheit wird ſelbſwerſtaͤndlich gefteigert, wenn fie nicht blos an einem Gegenftand erfcheint, dem andre minder große zur Seite ftehen, ſondern wenn fie als ein Ganzes und umfängt, das und unermeßlidh Aberragt und ſchon aus mehrern Teilen der Art beftcht, daß wir ihnen gegenüber uns klein sorfommen. So wirken in einer Alpenlandfchaft ver weite hehe Himmel, die gewaltig anfteigenden Berge, ter ſchaͤumende War ferfturg und die Tiefe der Schlucht zuſammen; jeder dieſer Theile ift erhaben für ſich und verbunden ftellen fie das in ſich ge ſchloſſene Ganze ded Unendlichen dar. Aehnlich die Gemälde Michel Angelo's in der Sixtiniſchen Kapelle; dieſe Bilder der Si⸗ byllen oder Propheten, des Weltichöpfers und Weltrichters über wachen riefig ihre Umgebung, jedes ift erhaben für fi und faffen wir fie zuſammen, fo ſtehen Anfeng und Ente bes ir fchen Seyns ald ber Rahmen da, welcher die hohen Geftain und Thaten der Gefchichte umſchließt. Shaffpeare ift hertlich in jedem feiner Werke, aber auch ein Goͤthe miochte zu ihm mit Ehrfurcht einporbliden, wenn er das Oefammtbild feiner Safe kraft anfchaute,

Der hebraͤiſchen Poefie genuggt nichto Einzelnes zum Aut druck für dad Weſen Jehova's; der Flug ber Phantafie ſchwingt fich durch das AU, um in einer Kalle von Bildern ben Herm zu preifen. Nehmen wie den 104. Palm; da heißt es: He, mein Gott, du. bift fehr Herrlich, du biſt fchön und prächtig geichmüdet. Licht ift bein Kleid, das du anhaſt, du breiteft auß den Himmel wie einen Teppich. Du fähref auf ben Wolfen und geheft auf ben Fittigen des Windes, Du grünbeft tab Erdreich auf: feinem Boden und bie Berge gehen: hoch hervor. Du läfleft Brunnen quellen in den Grimten, daß bie Waſſer zwiſchen ben Bergen binfließen, und an tbenfelben ſitzen bie Vögel des Himmels. und fingen unter beit ‚Zweigen. Da laͤſſeſt Grad wachlen für das Wild und Saat zu Rus DW Menfchen, und bag ber Wein erfreue des Menſchen Herz, ſeine

cher das Erhabene. 17

Geſtalt ſchoͤn werde vom Del und: das Brot fein Herz ſtaͤrke. Du macheſt den Mond; das Jahr darnach zu theilen; die Sonne weiß ihren Niedergang, Du macheſt Finſterniß, daß Nacht wird; da regen ſich bie wilden Thiexe, bie. jungen Löwen, bie da brüllen nach dem Raupe und fuchen ihre Speiſe vor Bott. Wenn aber die Sonne aufgeht, heben Re. ſich davon und ber Menſch geht an fein. Werl, Du fchaueft die Erde gn, fo bes bet fie, du rühreſt Die Berge an, ja rauchen: ſie. Alle Wefen warten auf bi. Verbixgeſt du bein Angeſicht, ſo erfchreden fie, bu nimmſt weg ihren Oben, ba.vergehen fie und werden wieder zu Staub. Du, läffeft aus beinen Odem, ſo werben fie geihaffen und du erneuerſt die Geſtalt ber Erde, Herr, wir ſind deine Werke fo groß und fo viel! bu haft ‚fie alle: weislich geordnet und. bie Erbe ift voll von deiner Güte!

So hauft auch im Hiob der Herr die Beweiſe ſeiner Er⸗ habenheit dem, Menſchen gegenuͤber: Mo warſt bu, da ich bie Erde gruͤndete, da mich die Morgenſterne miteinander lobeten, und jauchzten alle Kinder Gottes. Wer gebietet dem Meere: Bis hierher und nicht weiter; bier ſollen ſich legen deine ſtolzen Wellen? Haſt bu dem Morgen geboten und der, Morgenroͤthe ihren Ort gezeigt? Kannſt bu den Donner in ber Wolke hoch⸗ berführen? Kannſt du ben Gürtel be Orion lem? Weißt du, wie ber Himmel zu regieren if}?

Richt anfer allen biefen Dingen ſtehet der Ser, i ſondern | in ihnen wirfet er und fie offenbaren feine Herrlichkeit, die ganze Gülle der Erſcheinungen gibt und bad Bild feiner Unendlichkeit. Ganz ähnlich reiht. bie Lyrik Dſchelaleddin Rumi’s alles Schöne und Wunderbare ber Welt wie Perlen auf-einer Schnur zufan men, um Gott ald Grund ımd Band ver Dinge barzuthun, den VUnendlichen in ber Füuͤlle und Precht bed Endlichen auſchauen zu laſſen.

Vor einer Macht, die ſich in der, Berneiyung des Enblicen lundgibt, burchbebt und wohl das Gefühl unfrer Wichtigkeit, aber es fehlt bie Freudigkeit der Erhebung, ‚weil jewe felber.. ber Schoͤnheit ermangelt, weil fie nicht ald Liebe offenbar wird.

Beitfche. ſ. Philoſ. u. phil. Kritik. 33. Band. 2

46 M. Garrirre,

ber Bewegung feiner Augenbrauen bur die berabwällenden Loden ſeines Hauptes.

Die Erhabenheit wird ſelbſerſtaͤndlich geſteigert, wenn fie nicht blos an einem Gegenſtand erſcheint, dem andre minder große zur Seite ſtehen, ſondern wenn fie als ein Ganzes und umfängt, das uns unermeßlich überragt und ſchon aus mehrern Theilen der Art befteht, daß wir ihnen gegenüber ums klein sorfommen. So wirken in einer Alpenlandfchaft ber weite hohe Himmel, die gewaltig anfteigenden Berge, ker ſchaͤumende Wah ſerſturz und die Tiefe der Schlucht zuſammen; jeder dieſer Theile if erhaben für fih und verbunden ſtellen fie das in fi ge ſchloſſene Ganze ded Unendlichen dar. Aehnlich die Gemälde Michel Angelo's in der Sixtiniſchen Kapelle; dieſe Bilder der Si⸗ bulien oder Propheten, des Weltſchoͤpfers und Weltrichters über wachen riefig ihre Umgebung, jedes if erhaben für ſich und faſſen wir fie zufammen, fo fiehen Anfang und Ente des ir fchen Seyns als der Rahmen da, welcher die hohen Geftalen und Thaten der Geſchichte umſchließt. Shaffpeare iſt hertlich in jedem feiner Werke, aber auch ein Goͤthe mochte zu ihm mit Ehrfurcht einporbliden, wenn er das Gefammtbitb keiner Saöpter kraft anſchaute.

Der hebräifchen Poeñi⸗ genugt nichts Einzelnes zum Aus druck für dad Weſen Jehova's; der Flug ber Phantafie ſchwingt ſich durch das AU, um in einer Fuͤlle von Bildern ben Herm zu preifen. Nehmen wie den 104. Pſalm; da heißt es: Her, mein Gott, du bit fehr Herrlich, du biſt ſchoͤn und prächtig gefchmüdet. Licht ift dein Kleid, das du anhaft, bu breiteft aus ben Himmel wie einen Teppich. Du fähreft auf den Wolfen und geheft auf den Fittigen des Windes. Du gründet ab Erbreih auf feinem Boden und bie Berge gehen hoch hervor. Du laͤfſeſt Brunnen quellen in ben Grimben, daß bie Wafltt zwifchen ven Bergen binfließen, und an benfelben fiten die Vögel des Himmels. und. fingen unter beit -Zweigen. Da laͤſſeſt Grad: wachfen für dad Wild und Saat zu: Nug des Menfchen, und baß der Wein erfreue des Menfchen Herz, ſeine

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Ueber das Erhabene. 17

Geſtalt ſchoͤn werde vom Oel und das Brot ſein Herz ſtaͤrke. Du macheſt den Mond; das Jahr darnach zu theilen; bie Sonne weiß ihren Niedergang. Du. maheft Finfterniß, daß Nacht wird; da regen ſich die wilden Thiexe, die jungen Yöwen, bie da brüllen nach bein Raupe und fuchen ihre Speife vor Bott. Wenn aber bie Sonne aufgeht, heben fe. ſich davon und der Menſch geht an fein Werl. Du fchaueft die Erde gn, fo bes bet fie, du rühreſt bie Berge an, fo rauchen fie. : Alle Weſen warten auf bi. Verbirgeſt bu bein Angeficht, ſo erfchreden fe, du nimmft weg ihren Oben, da vexgehen fie und werben wieber zu Staub. Du. läfleft aus beinen Odem, ſo merben fie aeſchaffen und du erneuerſt die Geſtalt ber Erbe, Herr, wir ſind deine Werfe fo groß und fo viel! bu haft fie alle weislich geordnet und bie Erbe ift voll von beiner Güte!

So hauft auch im Hiob der Hear bie Beweiſe feiner Er⸗ habenheit dem Menſchen gegenüber: Wo warſt bu, ba ich bie Erde gründete, da mich die Morgenſterne miteinander lobeten, und jauchzten alle Kinder Gottes. Wer gebietet dem Meere: Bis hierher und nicht weiter; hier ſollen ſich legen deine ſtolzen Wellen? Haß bu dem Morgen ‚geboten. und ber Morgenroͤthe ihren Ort gezeigt? Kannft du den Donner in ber Wolfe hoch⸗ berführen? Kannft bu ben Gürtel des Orion löfen? Weißt hu, wie ber Himmel zu regieren if?

Richt außer allen diefen Dingen ftehet ber Her, ſondern in ihnen wirket er und fie offenbaren feine Herrlichkeit, die ganze Fülle der Erſcheinungen gibt uns das Bild feiner Unendlichkeit. Ganz ähnlich reiht: bie Lyrif Dſchelaleddin Rumi's alles Schöne und Wunderbare ber Welt wie Perlen auf einer Schnur zuſam⸗ wien, um Gott als Grund und Band ber Dinge barzuthun, der Unendlichen in ber Fülle und Pracht bed Endlichen auſchauen zu laſſen.

Vor einer Macht, die ſich in der ‚Berneigung des Endllchen lundgibt, durchbebt und wohl das Gefühl unfrer Richtigkeit, aber es fehlt die Freudigkeit der Erhebung, weil jeme ſelher ber

Schönheit ermangelt, weil fie nicht: als Liebe offenbar. wird. Beitfhe. f. Philoſ. u. phil. Kritil. 33 Wand. 2

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18 M. Barriere,

Die Emfamfeit die Sandwuͤſte ober bie Wißfelder der Schnee: regionen, die ſtumme Finſterniß ber Racht find in Ihrer Form: toftgfeit ‘mehr ſchreckhaft und grauenvoll als erhaben. Wenn aber die Sonnenſtrahlen in’ den Eiskryſtallen funkeln und det ganze bfißende Farbenreihrhum aus ihnen hervorbfüht,‘ wenn bie Sterne aus dem Dunkel aufleuchten mit freubigem Heim, dann entbitidet Rh das Leben aus dem Tob, und wir gewahren, wie feine lichte freundliche Macht ſich in die Schönheit leidet. Darum verlangt auch ˖· Trendelenburg, daß: das Erhabene in's Schoͤne abklinge, wiewohl auch er der Meinung huldigt, tag im Erht benen die Idee die endliche Erſcheinung durchbreche "and bit Geiſt laͤuternd aus dem Sinnlichen zu ſich hinaufziehe. “Dies hieße aber doch die Schoͤnheit aufheben und für ungenügend erflären, die in ber Harmonie der Ibee und Sinnlichkeit beſtehl. Jene Meinung mag fidh’ dadurch gebildet haben, daß wir in ber außergemöhnlichen Größe der Ericheinung bie Altes überwin dende Macht der Idee, welche jene: geftattet, anſchauen: ht gerade diefe Unendlichkeit der Idee offenbart ſich in der Erich hung, fie liegt fuͤr das Gefühl und die Anſchauung nicht fin: ſeits derſelben. Allerdings hat“ der Verftand recht, "daß midtt Endliches ein’ Unendliches iſt. Allein es kann die Idee der Un' endlichkeit In’ uns erwecken tind: wir verknuͤpfen ſte mit tm, er⸗ blicken fie in ihm. Alles Schöne it ia unſere Schau, ift'fain ober alt ben Dingen‘ nicht fertig, ſondern im Zuſammenwirken mit ihnen erzeugt es ber Geiſt. So iſt das Erhabene Für dit fuͤhlenden Geift die Darftellung des Unendlichen im Enblichen. Wr fteht nicht außerhalb, fondern innerhalb des Schönen. DH Fläche des Meers in ihrem ausgebreiteten Hunde, die empor ſteigende Wölbung des Himmels, die Linie des Veſuvs oder Tr Sungfran neben dem Giger- amd Mönch, fie jefgen uns bald bie gejegmäßige, bald die dem Auge wohlgefällige und auddrucks⸗ volle Form, die dad Große umſchreibt. Und die gtüen Matten oder Wälder, auud denen Die Alpen -auffireßen, das reine fchher alaͤnzende Haupt im blaͤuen Weiher und im goldnen Richt der Sonne badend, die bluͤhenden Gärten und der Spiegel des We

Ueber das Erhabene. | »

res am Fuße Des Veſuvs, alle diefe Reize wirken zufammen, um mit der überwältigenden . Größe ‚vereint den Eindruck der erhabenen Schönheit in uns hervorzurufen. - . Wir ftehen am Strande bed Meers auf ber Felſenklippe; weit breitet ſein Bogen fi vor und aus, aber nicht flarr und’ tobt, fordern lebensrege im Spiel ber Wellen; in reigenben Li⸗ rien ſchwellen fie auf und ab, bis ſie am Geſtude ſich brechen‘ und mit beim verſtiebenden weißen Perlenſchaume ſich ſchmücken, während ihre Blaͤue den Himmel ſpiegelt, und fie das Bild ber Sonne tauſendfach gleich funkelnden Lichtern und blinkenden Sternen dahinwiegen. Immer neue Wellen kommen heran, ihr Wogen will nicht enden, das Meer iſt unerſchoͤpflich, und in der Fuͤlle ſeiner Bewegung, die unſre Faſſungskraft oder die Be⸗ ſtimmtheit des Vielen in der Anſchauung uͤberſteigt, erhebt ſich unſer Geiſt zur Idee des Unendlichen und fickt im Wellenſpiele bed Meers ein Unendliches gegenwärtig, und wie bie mannig« fachen "wohlgefälligen Formen und Farben des Beſondern hars moniſch zufammenffingen, gewinnen wir das: Gefähl des Er⸗ habenen ald des Schönen in.feiner Größe, in weicher Unendlichfeit und Endlichkeit einander offenbaren und fi ver⸗ führen. Daſſelbe iR der Fall mit Dem Sternenhimmel. Liner meßlich gegenüber der eignen Kleinheit duͤnkt uns fein Gewoͤlbe, unzãhlbar die Menge der Sterne, beren. immer mehrere, immer neue aus dem Dunkel auftauchen, je fhärfer wir hinblicken; ſie ordnen ſich zu Gruppen. zuſammen und durchſtrahlen : die Nacht mit erfreuendem Licht; ihre Anmuth, verbunden mit der Vorſtellung der Unermeßlichkeit, bildet das Erhabene.

Im gothiſchen Dom feiert die Macht des Geiſtes in ber Bewältigung. der Materie ihren Triumph; aber jeded einzelne bauliche Glied if. finmvoll und anmuthig geſtaltet und alle ſtim⸗ “men und wirken einheitlich zu ‚ben herrſchenden ſymmetriſchen Formen dies großen Ganzen zuſamnen. Nirgends iſt da: :bie angebliche Formlofigkeit, überall bie Schoͤnheit des Erhabenen. Kar und’ lieblich umwogt und der Fluß der Melodien in Haͤn⸗ dels Oratorien, in Bethovens Symphonie, vn Migton, deu

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M. Carriere,

ſich nicht in Wohllant aufloͤſte; reine ſeelenvolle Klaͤnge, die zu vollen brauſenden Aftorben verſchmelzen. Richt minder iſt in den mitgetheilten Stellen des Alten. Teſtaments bad Einzelne bebeutungsvoll and glauzreich. Der Strom Pindariſcher, Ar ſchyleifcher Begeifterung wälzt bie gewaltigen Wozte in klarge⸗ meſſenem Rhythmus dahin. Kein Phidias ober Skopas, Fein Ra⸗ phael oder Kaulbach verlängert die Proportion der menſchlichen Geſtalt, vielmehr laſſen ſie den Adel der großen Seele im Adel der großen Formen hervortreten und bie Einheit ber Idee in der Mannigfaltigkeit ber Glieder anmuthsvoll ſich entfalten. Der Reiz der Farbe fehlt nicht, er tritt nur nicht für ſich her

var, er ordnet fi den Ganzen unter, befien Größe uns ergreift.

Und doch war in jenen Theorien yon ber Bormlofigfeit des Er⸗ habenen, von feiner Negatioität gegen das Schöne bie Rebe, doch. joßite die Ider bie Exſcheinung durchhrechen, der Gegenſtaud ungenügend, dad Erhabene ſelbſt ein Widerſpruch feyn !

Das Erhabene: nenmen wir: prächtig, wenn es ſich mi dem Glanze ber Erſcheinung ſchmuͤckt, und gerade durch ihn feine Macht bekundet. So der Zeus des Phidias, ſtrahlend non Bolk und Elfenbein auf dem mit Bildwerk reich verzierten Thron; fo der Aufgang ber Some, ber und zugleich eine prangende Landſchaft enthäßt; ſo das Finale won Beihovend Heroica, wo bie Fülle ber. Melodien: in einen großen Siegesmarſch zufammen« raufcht, oder Tizians Himmelfahrt: Her Marta, wo der Schwung zum Simmel erhebender Begeifteung aus blendender Farbengluth entzückend hervorleuchtet.

Maieftätifch erſcheint uns das Ghabene im ruhigen Be⸗ wußtſeyn ſeiner Herrſchetgroͤße, es iſt das Koͤnigliche, wie es den wahren Fürften des Volles, wie es ben Adler und Löwen als Fürſten der Thiere kennzeichnet. Feierlich wirkt es, wenn ed ſich felber vor einem unſichtbaren Höhern "beugt, bemüthig bie

eigne Würde ihm zur Berebeung dienſtbar macht, wie im reli⸗

giöfen Cultus. Glorreich erfcheint es im Gemuſſe feines Triunwhs,

durch welchen es feiner Unendlichkeit inne wird und das Irdi⸗

ſche in das Ewige verklaͤrt.

m. —- -

leber das Erhabene. 21

Das Erhabene kann uns in ber Natur, im Geiſte, in ber Kunft entgegentreten. Zwei Dinge, fagt Kant einmal in ber

Kritik der praftifchen Vernunft, erfülen da& Gemüth mit immer

neuer und zunehmender Bewunderung, je dfter und nachhaltiger fi) das Andenken dainit befehäftigt, Der befkiente Himmel über mir und dad Sittengeſetz in mir. Was ber Gewalt der Eier mente Trotz bietet, mag uns erhabener gelten. als fie, Lern ber Sieger: des Sturmd iſt der Unerfehütterte Held, von meiden Göthe fingt: Er ſtehet männfid) an dem Steuer, ee

Bit dem Schiffe ſpielen Wind und Wellen,

Wind und Wellen nit mit feinem Herzen;

Herrſchend blickt er In die grimme Tiefe,

Und vertrauet ſcheiternd oder-Tandend

Seinen Göttern.

Aber das ift Keine „Regation bes objectio Echabenen, noch viel weniger ift „im Subject das endliche Außer⸗ und Nebeneinander der endlichen Dinge zum Inſichfeyn aufgehoben”, wie Viſcher meint, denn bie Dinge beftehen fort und das Sub⸗ fect felber .ift außer und neben andern. Es ift nicht wahr, „daß nur eine doppelte Taͤuſchung den Schein ber: wahren Erhaben⸗ heit in die Natur gelegt hat,“ noch daß der betrachtende Meuſch feine eigne Crhabendeit dem Meere oder. Gebirge unterſchiebt; vielmehr iſt es gerade in ver Natur, daß die überwaͤltigende Größe auch den noch rohern Menſchen ergreift, daß fie. geſchmuückt mit Lieblichkeit ihn anzirht und erfreut; von bier aus wird. cr auch für das Übrige Schöne empfänglich, und aus der Herrlich

Felt der Ratur Feuchtet dem unbefangenen Gemüthe unmittelbar

ein, daß fie Gott nicht verbirgt, fondern offenbart, daß er. in ihre waltet und fie beſeelend durchbringt; fo wenig ber: Stuben⸗ gelehrte erft feine Bernunft: den Semmen. und. Blanelen unter ſchiebt, um fie ſich gefehlich bewegen zu laſſen, jo ‚wenig: brand auch das Subject ſeine Erhabenheit ihren zu leihen. | Die Größe des Schönen, auf. wehher ver, Bimtrud der Erhabenheit beruht, kann eine extenſive und intenſtoe ſeyn, Tann, ſich als verhaltene Kraft in der Ruhe, als thätige in. der Bewe⸗

2 M. Karriere,

gung, als in ihrer Entfaltung ſelbſtoerwirklicht barftellen. Nichts blos Aeußerliches wirft aͤſthetiſch. In jeder Ausbehnung im Raume ik es die fi) auöhbreitende innere Weienheit, bie ben Eindruck auf und macht. So lange wir dad Ausgebehnte als von Andrem begreuzt anfehauen, kann es und nicht unendlich cr- ſcheinen; exit wo es als die Grenze in fi) und außer fich ſelbſ fegend aufgefaßt wirft, lann es crhaben wirken. Denn aud eine unerſchoͤpfliche Kraft kann ſich doch im ber Begrenzung ſel⸗ ber ein Maß beftimmen. Wir werden fie dort vermuthen, wo unferm Blid eine Einheit entgegeniritt, die alles Beſondere, ja und felbft in ſich umfängt, wie der Sternenhimmel, ober wie das Meer die Wellen, ober dort, wo auch ein einzelner Gegen ftand die mannigfaltige Umgebung fo fehr überragt, daß er nicht von ihr begrenzt zu werben, fondern vielmehr fie zu begrenzen jheint: Unter den räumlichen Dimmenfionen wirkt die Höhe zu meift erhaben, weil in ihr die Kraft des ſich Ausbreitend in dem freien: Auffteigen am Harfien wird. Achnlich wirkt die Auß dehnung in ber Zeit erhaben, wenn fie den Sieg des Daum

dert über den Wechſel, vie Selbfierhalumg eines Kernes im

Fluſſe der Entwicklung befundet, So ſchildert Schubert den Eindruck der Pyramiden, indem er fragt, woher feine unbefchreib- liche Kraft ftamme. „Sie kommt nicht aus bem Gewicht und Umfang der Hier aufgehäuften Werkftüre, fondern fie beruht auf Dem SGedanken, den der Geiſt des Menſchen andern Menßhen verſtaͤndlich hinernlegte. Dieſer Gedanke iſt Ewigkeit. Es iR der Gedanke des Monumentalen, der und bewegt, das unab⸗ weisbare Beduͤrfniß unfres Weſens, feine Wirkſamken wie bie Schwingen eines über dem Zufünftigen brütenden Adlers weit hinaus über das Lehen der Zeit: zu breiten.“ So verlangt auf Zelfing. von dem Greis wie von ber Mythe der Vorwelt ober dem antiquirten Haußgenäth, daß fie außer dem -Gepräge des Alters auch den Stempel der tunen Kraft und Ausdauer ti gen amb erkenwen Hiffen, daß fie: der zerſtörenden Gewalt ber Zeit nicht witerlegen find. Und mie waͤchſt die Geſtalt eints Moſes vor unfern Augen, wenn wir fehen, wie ex feinem Volke

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lieber das Erhabene. 23

in ber, Wüfte,. eine neue ‚Generation, heranbilbend, hen: Stemptl feines. Geifted aufbrüdt ‚und wie ben bied Volk bewahrt ‚big auf ben. heutigen Tag, wie feine zehn Gebote bei allen cioilifigy

ten Völkern immerpar mit feinen Worten verfündet werben ! E

. ‚Snftgumente, bie langaushaltende Toͤne heworbringen, wie Poſaunen und Orgeln, ſind für das Gehör zur Darftellung bes Grhabenen vor andern berufen... Die Poeſie wird vielumfaffende Ideen gern in weitaustönende Worte kleiden und lange Eylben häufen, wie der erhabenfte Dichter des Alterthums, Aeſchylus. Das Extenfive ber Geiſtesgröße zeigt. ung Alexander in ſeiner Welteroberung, das Intenſive ein Diogenes, der um der innern Freiheit willen der Welt entſagt. Wie er vor dem jugendlichen Helden in der Tonne ſitzt und nichts wuͤnſcht, als daß der ihm qus ber Sonne gehe, da möchte jener Diogenes Icon. , wenn a siht Alexander wäre. .- .,

"Das. Erhabene der Kraft gibt. ſich in der Bewegung dund, wir meſſen fie bald wie die des Blitzes an ihrer Schnelligkeit; bald an dem Umfang der Maffen, die jie, überwindet... Su die des Sturms, die des Waſſerſturzes oder des vulfaniichen: Feuer⸗ ausbruchs. Da werden wir ſelber fortgeriſſen zu einem Ger fühlg dieſer Kraft, und möchten mit eingehen in jhr hemmungs⸗ loſes Schalten und Walten; wir möchten fämpfen mit den Wo—⸗ gen oder dahinbrauſen mit, ihnen ſchaͤumend über, Klippen in bie Tiefe. and wieder. aufſprudelnd jauchzen, und verftchen, ‚Ab Hölderlin bie fühne Feuerluſt des Empedokleg, der in ben Agua menden Krater des Aetna ſprang.

Das Erhabeue ber Bewegungskraft in ihrer, arme ſchildert der Erdgeiſt in Goͤthe's Fauſi: ht on

In Lebensfluthen, W

In Thatenſturm en

Fi,

2 ert Bebehin und ba! 4... 2°... 4 FR 0.0 Geburt und Grab , 5... oo a J "Ein ewiges Meer, BE Ein wechſelnd Wehen, de ne wi. Ain.akleenn:heben, PP | So ſchaff' ih am fanfenden Webllubl der Fe Und wire der Gottheir Kbendiges Kleid. u

24 RM. Barriere,

Der raſche Gang der Rhythmen in den balb Kurz abgebrochen, bald aushallenden Verſen entfpricht dem Gedanken and ben Bil⸗ dern der Sache. Dagegen erfreut die Ruhe und das Gleichmaß der Ordnung in der Bewegung, wenn Fauft das Bild des Makrokosmos betrachtet und ben Organismus des’ Univerfums bichterifch fchikbert:

Wie Alles fih zum Ganzen webt,

Eins in dem Andern wirkt und Seht!

Wie Hinmelskräfte aufs und niederiteigen .

Und fi die gold’nen Eimer reichen!

Mit fegendufienden Schwingen

Vom Himmel durch die Erde dringen,

Sarmonifh all das A durchklingen!

-Die Muß druͤckt ſolche Erhabenheit ber Vewegung in ſftets fich erweiternden Melodien und Harmonien aus, indem fie dabei wie die bildende Kunſt im breiten Style vorſchreitet wid aufloͤſende Verſchnoͤrkelungen meidet; eine allmählich anſchwellende Berſtaͤrkung der Töne zeigt dad Wachsthum ber Kraft, Paufm’ ber Ruhe ihr ſich Sammeln oder ein momentaned Verſtummen bed Künftlers in beim Streben das Unendliche auszufprechen, das feine Seele erfüllt, und das wir ahnen, wern wir ihn mit deine jelben ringen fehen; am Ente aber muß ber volle Ausdruck gelingen. -

Das Erhabene der Gemůths dewegung erſcheint in ber Leidenſchaft ober dem Enthuſiasmus, wenn die" ganze Wucht der Seele ſich In eine beftimmte Lebensrichtung legt, in einem eins zelnen Ausbruche ſich kundgibt, oder wenn der Schwung ber Begeiſterung für eine Idee den Menſchen im Fluge hinweghebt uͤber das Endliche und ſeine kleinen Bedenken und Ruͤckfichten. Das Gewoͤhnliche iſt dann klein dieſem Ungewoͤhnlichen gegen⸗ über, das in feiner Erhebung über. jenes eben feint Erhabenheit bezeugt. Richt minder aber wirft die Faffung im Aufruhr ber Gefühle, und zwar dann, wenn fle nicht apathiiche Kälte und Unempfindlichfeit ift, fondern bie. Kraft und. Wärme der Gefühle fihtbar ward. „Ertragt es wie ein Mann‘, fagt Malcolm, als Machuff die Ermordugg von Weib und Kind erfährt, und

lieber das Erhabene. 3}

diefer verſetzt: „Doch ebenfo muß wie ein Mann ich's fühlen.“ Und der Herzenfündiger und Meifter der Darftellung gibt une ten vollen Ausdruck feines. Schmerzes. und zeigt und dann ben Helden, wie er ihn im Kampfzorn und im tdlen Muth für bie Defreiung bed Vaterlandes überwindet, Auf biefe Art wirkt das Pathetifche erhaben. ES zeigt dic leidende Ratur und bie Mürde des Geiles in ihr. „Ein tapfer Geift im Kampf mit des Widenwärtigfeit ift ein anziehendes Schaufpiel felbft für die Goͤtter“, lehrt Seneca. Das Tragiſche ſtellt fid) auf die Eeite des Erhabenn. Das Heroijche verbindet bie Einfachheit mit der Kraft in der ungebrochenen Sefundheit und unzerfplitterten Le⸗ bensäußerung. Aehnlich fpricht Kant von ber Erhabenheit des Individuums, das auf fein unfichtbared Ich zurüdgeht und bie abfolute Freiheit feines Willens allen Schreden des Schidjale md der Tyrannei entgegenftellt, von feinen nächiten Umgebungen anfangend, fie für ſich verſchwinden, ebenio Dad, was aus⸗ dauernd crfcheint, Zelten über Welten in Trümmer flürzen läßt und einfam fi als fich felbit gleich erkennt. Und von beim gerechten und ftarfen Manne jagt Horatius felbft auf er⸗ habene Weiſe:

Si fractus illabamr orbis,

Impavidum ferient ruinae.

Und bricht um ihn die Welt zufammen,

Ireffen die Trümmer ihn unerfhüttert. Der Muth, welcher den Tod nicht fürdjtet und ben Schreden des Todes überwindet, wirkt um fo erhabener, wenn er in einem Herzen wohnt, dad mild, gnadenreich und liebevoll ber Menfchheit fchlägt, ja die ganze Menfchheit umfaßt, Ev it vor Alleın der Opfertod Chrifti eghaben.

Endlich. gilt und die Herrlichkeit Gottes als Erhabenheit, nicht fofern er jenfeitd der Schöpfung ſteht, denn für das rein Beiftige gilt das Aefthetifche nicht, fondern wie er in der Na⸗ tur und Geſchichte fich offenbart und beide in fich zur Zotalität zuſammenfaßt. Da beien wir mit Klopftod:

8 M. Carriere,

Um Erden wandeln Monde,

Erden um Sonnen,

Und aller Sonnen Heere um eine große Sonne: Bater unfer,. der du biſt in dem Himmelt.

Zu einen Falten Gefeg; zu einer logiſchen Formel als dem Erſten und Regten fonnte unfer Gerz fih nicht erheben ; die bloße fchaffende und wieder zerftörende Narurfraft bezeichnet‘ Goöthe's Werther ald ein ewig verſchlingendes, ewig wieberfänendes Un⸗ gehemer, und Lose fieht in ihr eine troftfofe Dede, in der mit einer umerfchöpflichen Triebkraft wie die wuchernden Gewaͤchſe In Sümpfen vder ‘das wilde Ffeifh in Gefdnvüren fich Fine ie: endliche Mannigfaftigkeit zwar entwickelt, aber in gährenter Ref: fofigfeit nur von unten getrieben, ohne von außen’ oder über durch ein’ Ziet gehoben und erföft zu werden, dem dieſe Bntige . Unruhe zuftrebte. Das Gefühl des Erhabenen befehrt uns eines Beffern. Göthe's Werther giebt ihm felber erhabene Worte! „Bom unzugängliihen Gebirge, tiber die Einöde, vie kein Fuß betrat, bis an's Ende des unbekannten Oceans weht- der Erik des Ewigfchaffenden und freut fich jedes Staubes, der ihn vers nimmt und kebt. Ach, wie oft. habe ich mich mit Zittigen eines Kranichd, der über mir binflog, zu den Ufern des ungemeflenen Meeres gefehnt, aus dem ſchäumenden Becher des Unendfichen jene fehwellende Lebenswonne zu. trinken und nur einen Augen; blick in der eingeichränften Kraft meines Buſens einen Tropfen der Seligkeit des Weſens zu fühlen, das Alles in ſich und durch ſich hervorbringt!

Wenden wir nun noch beſonders dem Entflehen des Er⸗ habenen in uns oder ſeinem Gefuͤhlscharakter unſre Aufmerkſam⸗ keit zu, ſo werden wir ihp als eine durch Schmerz vermittelte Luſt bezeichnen können. Die Größe des Gegenſtandes überragt auch und, ‚wir jelbft erfcheinen ihm gegenüber verſchwindend Hein, wir fühlen und als finnliche Weſen überwältigt und zu Boden geſchlagen, aber wir erheben uns zugleich geiſtig an der Idee des Unendlichen, die in unſerer Seele aufgeht; wie wir fie in uns aufnehmen, empfinden wir uns aufgenommen in fie;

. Meher das Erhabene, 27

daß wir fie denken, iſt ja das Siegel unſerer Abkunft aus Gott und unſerer Beſeelung durch ihn. Was der Geiſt in ſich auf⸗ nimmt, das wird er ſelbſt, was ihn, erfüllt, zu dem wächſt er empor; und fo fühlt unſer Gemiuh ſich erweitert und erhöht zu der Größe, die es anſchaut und vorſtellt. Ein warmer Schauer, Ber Dusch unfere liches rieſelt, offenbart died Erbeben und Erheben unfezer ganzen Rahır in Einem, und, läßt die im Geiſt gewonnent Idee auch in bie, Leiblichfeit nachklingen, Welch Kleiner Punet iſt; die Erbe unfer der Sternenwelt, und was anf diefer Grde bin ich? Und doch bin ich es, der jene unzählige Fulle vn. unesmeßlice. Ausnehmung zur Ginheit des Gedankens der Unendlichkeit zuſammenfaßt, und dadurch felbft des Unend⸗ lichen thailhaftig wird. Ueber jene Unluſt im Gefuͤhl eigner Kleinheit und hinſchwindender Nichtigkeit triumphirt die, Luſt über die Erhöhung und. Erweiterung unſeres Weſens in der An— ſchauung der Größe, im welcher jich und das, Unenpliche dar⸗ ftellt. So zeigt ſich im Erhabenen, daß das. äftbetifche und reg ligiaſe Gefühl aneinander grenzen. Auch in dieſem emfinden miy unſere Abhaͤngigkeit won Bott, aber er iſt zugleich unſer wahres Exyn und Weſen, und fo werben wir frei in ihm, inbem wir ihn als in und mächtig auerkennen; er ift die Liebe, und in der Liebe zu ihm werben,wir feiner Seligfeit inne. Die Größe, die und darniederfchmettern würde, erfreut ung durch die Schönheit, Doren ‚Blanz fie frägt, und fo tritt im Gefühl des. Erhabenen an bie Stelle der Furcht die Freude der Bewunderung unp der Liebe. Wo die Furcht ‚siegte, chva wenn wir der Gewalt des Sturmes auf dem Meere preiögegeben find, we wir um unfere Eriftenz forgen ober kaͤmpfen muͤſſen, da fehlt Die Freiheit des Gemuͤths, jene Entledigung ſelbſtiſchen Intereſſes, die das &e- fühl des Schaͤnen vorausſetzt; aber die Erhabenheit der Erſchei⸗ nung. vermag und wohl auch dann der Gefahr vergefien zu machen. Immer aber behält das Lucreziſche Wort feine Gel⸗ dung, daß es ſuß iſt vom: Lande auf das Meer zu. ſchauen, wann bie Winde und die Wogen mit einander ringen.

Das Erhabene, lehrt Schon Longin, erregt Staunen und

28 M. Carriere, über das Erhabene.

Bewunderung. Dies find Affecte, die nicht eine milbe und all⸗ mähliche Wirkung äußern, fondern gewaltig die Seele ergreifen und hinreißen. Die Seele aber, die etwas Herrliches erfaßt, wird von Freude ımb Stolz erfüllt als bie felber das wird, was fie in fid) aufnimmt. So fagt auch Biſcher: „ES ift ein Zu⸗ fammenwachfen des ebenbürtigen Geiſtes im Subſecte mit ber unendlichen Idee im Gegenſtande, ein Aufgehen beiver in Einen Strom, ein Schwung, als führe uns Sturmwind mit im bie Höhe.” Auch Trendeienburg drückt unfern obigen Oxrbanfengang in feiner Art auf eine verwandte Weife aus: „Bir bewundern dad Erhabene. Bewimberung it da, wa im Großen kuind Schö⸗ nen das Achnliche fehle und daher untere Vorſtellungen nick mehr von Achnlichen zu Aehnlichem fortſpielen, ſondern vor dem Einen ohne feincd Gleichen ſtunun ſtehen bleiben und ſich vor ihm fammeln, wie die Sprade im Staunen dies Stehen: bleiben und Stauen der Gedanken ſoll bezeichnet Haben. In der Bewunderung ift da8 geheime Gefühl der Unluſt ein Gefühl des eigenen Unvermögend ober der Ohnmacht; aber wir löſen ed in cine höhere Luft auf, indem wir im Geifte zu der frem- den Größe hinanfleigen und fie dadurch für ven Augenblid der Borſtellung zu unferer eigenen machen.“ - In jenem feligen Augenbfide Ich fühlte wich ſo Mein, fo groß! _

So faßt Goͤthe's Fauſt die Erinnerung an die Erfcheimung bed Erbgeifted zufammen, die wir oben ats erhaben anführten, fo bezeichnet er mit treffender Kürze ihren Eindruck. Ausführ licher that es der Dichter in den Briefen aus der Schweiz; die ganze Stelle möge unjere Unterfuchung wie eine Bejtätigung und freie Wiederholung derſelben befchließen. „Das Erhabem gibt der Seele die fchöne Ruhe, fie wird ganz dadurch ausge füllt, fühle ſich ſo groß als fie ſeyn Tann. Wie herrtich ik ein ſolches reines Gefühl, wenn es bis genen ven Rand fteigt ohne überzulaufen. Mein Auge und meine Seele Fohnten die Gegen⸗ ftände faflen, und ba ich rein war, biefe Empfindung nirgenbs falfch widerfticß, fo wirkten fie, was ſie ſollten. Vergleicht man

Monrad, das Probl. d. Philoſ.u. feine geſchichtl. Evolution. 29

ſolch ein Gefühl mit jenem, wenn wir und müͤhſelig im Kleinen umtreiben, biefem fo viel ald moͤglich zu borgen und anzufliden und unſerm Beift burdy feine eigne Creatur Freude und Yutter zu hereiten, jo ficht man. erk, wie ein armfeliger Behelf es it. Ein junger Mann, den wir von Bafel mitnahmen, fagte, es ſey ihm fange. nicht wie dad erſte Mal: und gab ber Neuheit bie Ehre. Ich möchte aber fagen: wenn wir einen ſolchen Gegen⸗ ſtand zum erſten Mal anblisten, fo weitet fich bie ungeahnte Seele er aus, -und es wacht dies ein ſchmerzlich Vergnügen, eine Ueberfulle, die bie Seele bepvegt unb und wollükige Thraͤ⸗ nen abipsfta Durch diefe Operation wird bie Seele in ſich grö« fer, ohne es zu wiſſen und ift jener erſten Empfindung nicht mehr fähig. Der Menſch glaubt verloren zu haben, er bat aber gewonnen. Was er an Wolluſt verliert, gewinnt er an innerem Wachsthum. Hätte mich nur das Schidfol im irgend einer großen Gegend beißen wohnen, ich wollte mit jedem Morgen Rahrung ber Großheit aus ihr faugen, wie aus einem lieblichen Thal Geduld und. Stille.“

Das Problem der Philoſophie und feine gefchichfliche Evolution. Eine Eritifche Betrachtung von Prof. Dr. Monrad. Zweite Hälfte, |

Im Allgemeinen exiſtirt bie Idee In höherer und wahrerer Weiſe, wo fie ſich zur charakterifliichen Inpiwihunlität zuſam⸗ mennimmt, ala wo fie fich nur in bie homogene, gleishgültige Ertenſion ausgießt. So ſtchen anerkannter Weife in der Rakır bie anorganiſchen Kraͤfte, die nur im kosmiſchen Syſtem, d. h. eigentlich im enendlichen Proceß eine Art von Zuſammenſchlie⸗ ſung anſtreben, weit niedriger ala das monadiſch concentrirte Pflanzen⸗ und Thierleben, und dieſes erreicht feine hoͤchſte Stufe im Menſchen, wo eben. bie Individualität zum vollkopimenſten

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30. . Monrkad,

Abſchluß und zu kraͤftigſter Repulfien entwidelt iſt. Doch hier, alſo im ſtraffſten Bande der Einzeinheit, ſteht, indem das menſch⸗ liche Individuum ſich ſelber frei aufſchließt und das nur: Jui⸗ viduelle abſtreift, bie wahre Augemeinheit zum ewigen eeben wieder auf.

Wer überhaupt nur die leibnitziſche Monaͤde, ai die ſchen oben angeſpielt worden iſt, hoͤher ſtellt und für eine wahrere Form bes Abſoluten hält, als die 6ſpinoziſtiſche) abſttaet Eike, in ımterbrochener @inerleiheit ausgebreitete Subſtanz: dem wird es nicht verargen, dab mich die philoſophiſche Wahrheit: virk⸗ mehr in individualiſirten Geſtaltungen, als im einem mie ſchiedsloſen, in's Endloſe verflleßenden Strone zur Erſchei⸗ nung kommt.

Rum koͤnnen wir wirklich, nach unferer- bis jeht- gewonne⸗ nen Anſicht der Sache, in den verſchiedenen philoſophiſchen Syz⸗ ſtennen, bie theils in der Zeit ſich Fuccediren, theild auch: jeber⸗ zeit in verſchiedenen Individuen und Schulen neben einander beſtehen, ein Syſtem von Monaden erblicken, deren jede ein Ganzes iſt und wirklich das Univerſum in ſich abſpiegelt. Die wirkliche Geſchichte der Philoſophie, als abſolutes Syſtem auf gefaßt, iſt dann weſentlich nicht als ein Syſtem von abftracten Memusıter, ſondern ale ein: Sayſt em won Syflenyen zu bo trachten. Nur unter dieſer Bedingung if “auf, jedem Puncte bie Wahrheit, wenn nämlich) ein jeder Bunct eigentlich ein Kreis ift, der ein Unenpliches umfaßt.

Gleichwohl laͤßt fich nicht läugnen, daß auch auf Diele Weite bie Sthivlerigkeiten nicht geloͤſt ſind. Denn eigentlich iſt die Reflexion uͤber den Gegenſatz verfchtedener Syſteme mehr abgewieſen als Aberwunden, Ein ſedes unmittelbare Syſtem Tas zwar in ſeiner abgeſchloſſenen Einheit Alles und es iſt ihm gleichguͤltig, daß auch andre Syſteme Draußen find; die Monade iſt trotz Ihrer Begtenzung weſentlich affirmätiver Ratur und: Hab die Negation, die Gtenze, ſcheinbar nur als etwas :Zufälkiges: So erlangen wir auch von dieſer Seite her eine genauere Ein⸗ ficht in die eigentliche Bedeutung des leibnitziſchen Saßrs, wo⸗

Das Probfem der Phifof.w..fehne geſchichtliche Evolution. 31

mit wir anfingen, nach welchem cben’tad Affirmative in afn Syſtemen dad Wahre iſt. Wir aber: milffen wiederhofen, daR Das Negative ebenfo wefentlich ift, unb bie Reflerion nach außen, Die die Mehrheit und den Begenfat ber Anfichten zum Bewußt⸗ ſeyn bringt, nicht zu ignoriren oder vom inneren Sehaft eines jeden Syſtems ſelbſt abzutermen if. Immer bleibt dach das - Außereinander der Geſchichte eine unbefriedigende, unwahre Form Der abſolnten Wahtheit; wie ſehr⸗ ih auch das einzelne Syſtem bagegen abzuſperren imd in ſich zu begnuͤgen fuchen mag: ber Schein dieſer verwirrten, dunkeln „Matkrik“ wird Ammer beim⸗ rühigend darein fallen und ſeine ſelbſtgenügſäine Sicherheit ſtö⸗ ren. Auch haftet an jedem einzelnen Syſteme die Negation noihwendig, inſofern es ein individuelles iſt, und es iſt eben nur Am Mangel, dieſe feine eigene Negativitaͤt nur als unmittelbare und unbegriffene zu haben. Daß es alfo die Grenzoͤ nur als Außere, nicht als felbfleigene an ſich hat, if eben der Grund, par „die andern Syſteme“ fo ale hie andern, «fe vunkle, undurchdringliche Materie erfiheinen ; die drohende Duns kelheit nach außen it mit ber nal innen ganz und gat identiſch.

Dieß führt barauf, daß das wahete phlloſophiſche Evſtem Doch ewas mehr als bloße verſchloſſene Monade feyn muß, und dieß eben dadurch, daß 'es felbſt feine Negativität begreift und feine Begrenzung aus ſich ſelber -fept. Durch tiefe Negal tivitaͤt, dieſes Moment der Selbſtaufhebung, das 'in einein je⸗ Ber wahren phlfofophifchen Syſteme em mit feiern innerſten Seyn verwebtes Ingredienz ift, IR das einzelhe Syftem roefenttih über Rh hinaus, aber dadurch, daß dieſe Negatidiktt eine ber griffene, eine ſelbſtgeſetzte iſt; doch nicht in: endloſt Flucht ger trieben, ſondern weſentlich mit it ſich zuſammengehend, mit und in ſich einig. 0 WDiefe Einſicht im die eigene: Regatioität wird rum eben wir wir es auch zuwor eroͤrtertert haben, durch das hiſtotlfche⸗ Bewußtſeyn vermittelt. Ein jedes vollſtäͤndiges Gyſtem oder wie wir es auch ausdruͤcken Fönnen, die Philsſophie auf⸗einer

32 Monrad,

jeden Stufe, muß ihre Geſchichte der Philoſophie, ihre Betrach⸗ tung der zurüdigelegten Stufen und ihre Ueberſicht bed ganzen Gnpwidelungsganges haben. In ber That ficht ein jedes Sys fiem im Berhälmiß zur ganzen Bergangenheit; es gilt dans aber auch, fich dieſes Verhaͤltniſſes bewußt zu werden, welches . eben in ber hiſtoriſchen Reflexion geſchieht. Jenes Verhältnis einer Philoſophie zu ihrer Vergangenheit iR nun am. ſich ein Ihellö negatives, theils afiicmatkors., injolern auch hier ſowohl Discretion als Bontinuität herrſchen, ein Unterjchieb, ber in her geſchichtlichen Succeſſion als ein abwechſelndes Vorherrſchen des einen ober des andern Moments erſcheinen wird, indem ber eine Denker ſich mehr an das Syſtem ſeines Vorgängers unmittel⸗ bar anzufehließen ‚und daſſelbe nur pofitio zu entwideln, ber andre mit: ber Vergangenheit mehr zu brechen und etwas ganz Neues aufzuſtellen fcheint. Doch indem ein Syitem ald Ganzes und in fit Bollendetes betrachtet eben durch die Regation nad augen ſich als ein eigenes behauptet, Liegt. es am Naͤchſten, an der ganzen Vergangenheit das Negative hervorzuheben und ſich ſelbſt dagegen als die Arfirmation anzufehen.

Diele ganze Vergangenheit erfcheint erſt als eine bunkle, chaetiſche Maſſe von Irrthümern, vielleicht wit einzelnen zufaͤl⸗ ligen Streiflichtern der Wahrheit. Aber je mehr man in dieſes Chaos eindringt, deſto mehr. lichtet eo fich und artifulirt ſich in Have, unterfchiebene Geftalten. In jener allgemeinen Regativi- söt wird doch ein Mondſchinnner von Affirmation erblidt. Kasz, um bier bie Mittelglieder zu überfpringen: bie ganze vergangene Geſchichte erſcheint zuletzt ala ein bialektiicher Proceß bes Affir⸗ mativen, doch wie wir ſchon oben bemerkt haben ſo, daß das Ganze weſentlich sub specie negationis geſehen wird.

So weit nun dieſe reftectirte Geſchichte (nach dem, was früher entwickelt iſt) dem wirklich Geſchehenen an ſchwellender Kraft und unmittelharrr Innigkeit der ſubjectiven Ueberzeugung nachſtehen mag: ſo iſt doch auch dieſe negative Reflexion ein weſentliches Moment der hoͤchſten Wahrheit, tie fie ſelbſt au Thatſache iſt und aus der Thatlärhlichfeit durch leinen Macht

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 33

ſpruch hinauszuweiſen iſt. Die Succeſſion, ber fogenannte wirt liche Hergang wird nur in Wahrheit wirklich, wenn er in einem wirklichen Bewußtfenn zufammengefaßt wird. Und wenn Das vergangene Syſtem eben durch fein" Bergangenfeyn zwar feine unmittelbare faftige Realität- und gleichfam Lebenswärine eingebüßt hat, To ift es doch auch dagegen hier, im ſtillen Reich Der Erinnerung, der irdiſchen Spannung enthoben und vom matt nichfaltigen Zufälligen, dad an feiner unmittelbaren.‘ Exiftenz Elebte, gereinigt. Die hiſtoriſche Reflexion ift fo ein Zegefeuer der philofophifchen Syſteme. Dadurch wird auch der Schein gleihgültiger Aeußerlichkeit, die wenigftens zum Theil unter den verſchiedenen Syftemen obwaltet, aufgehoben, und ber ins nere Zufammenhang tritt Hervor, indem auch die abftracten Prins cipien der Spfteme, ihre Grundzeichnungen, fchärfer aus der cons ereten Verwickelung heraus fidy darftellen.

Wenn wir alfo-fräßer. gefunden haben, daß bie unmittel- baren Spfteme in ihrem . urfprünglichen Daſeyn etwas Lebendi⸗ gered und Wahrhaftigeres find, als fle- in. ver fpäteren cpitomi- renden Reflexion erſcheinen: ſo iſt doch von einer andern Seite ber. eben dieſe Zufanımenziehung und Verkürzung ein Worzug, . indem ein Wuft von Yeußerlichfeiten und Zufälligfeiten bejettigt und eine. weitere Meberficht gewonnen wird. Und felbft was die Innigkeit der fubjectiven Ucherzeugung betrifft, fo Kat auch Diele, fo lange fie unmittelbar ift, infofern etwas Unfreies, einen Schein fataliftiicher Rothwendigkeit, der aufgehoben werben muß. Dem unmittelbaren. dogmatifhen Bhilofophen wird fein Syſtem gewiflermaßen von feiner Zeitflelumg und von feinem Genius gegeben; es ift fein Verhängnis, in welchem er mit feinem ganzen Geifte feftgewwurzelt if. Darum Tann aud) von Hingebung in vollſtem Sinne die Rede nit feyn; denn man gibt ſich nur demjenigen hin, von dem man frei ift, bem man aud) als etwas Setbitiländiges gegenuͤberſteher koͤnnte. Auch in biefer Ruͤchſicht zeigt ſich vie Stellung zu vergangenen Eyſte⸗ men gewiflermaßen . günfliger. Denn das Bergangene iſt als

ſolches nicht mehr ‚unmittelbare Wirklichkeit, die Fr. gefangen Zeitſchr. fe Philof. u. phil Kritik. 33. Wand.

34 Monrad,

halten Tann; es bedarf eben eines Aktes des freien Willens um mich dahin zu verſetzen, mich darin betrachtend zu verſenken; der Zeitabſtand und die zurückblickende Reflexion, durch welde ich dem betrachteten Gegenſtand entzogen bin und ihn gleichfam unter mir habe, ift zwar noch nicht bie wahre Breiheit, aber . doch ein nothwendiger Durchgang für diefelbe. Um ein Syſtem frei zu befigen, nicht bloß davon befeifen zu ſeyn, muß man feinem unmittelbaren Wirkangskreis entrüdt ſeyn, wenig. ſtens fh ſelbſt davon abſtrahiren fünnen; und dieß gibt ſich bei dem Spyftem einer anderen Zeit von ſelbſt.

Wenn wir uns hier ein wenig nach unjerer angefellten Betrachtung umſehen die Mandyem vielleicht ald etwas hin⸗ und herwogend vorkommen mag, weil wir. hier nicht einmal bie Methode vorausſetzen hürfen,- fondern uns. im Ganzen nur fu chend verhalten: fo hat ſich Icheinhar ergeben, erftlich, daß bie unmittelbaren, in ſich geihhloffenen Syſteme eben. in ihre totalen Ausbreitung und in ihrer unmittelbaren Selbſtgewißbeit eine. von ber Reflexion ungelaunte Wahrheit haben; dann aber auch, daß dieſe Reflexion ihrerfeits als ein Nothwendiges und Wahres anzurechnen ift. Und das Verhaͤltniß ſtellt ſich nicht etwa fo, Daß auf jeder Seite befonbere Vortheile und andere Nachtheile fenen; ſondern eben baflelbe, was 3. B. an ben un miktelbgren Syſtemen ihren Borzug ausmacht ihre Breite und bie unmittelbare Innigkeit zeigt ſich auf ber anderen Geite als ihre Einſeitigkeit. Daß nun dieſer Wiberfpruich durch ben wahren Begriff bed „dialektiſchen Proceſſes“ geloͤſt iſt, mag immerhin wahr feyn; aber wir dürfen audy nicht: ben.bialeftifchen Proceß als ein Zauberwort anwenden, fondern. mrüffen genaue zuſehen, wie bie Sache ſich entwidell. So viel leuchtet hervor, daß man, um die Wahrheit zu erbennen, theils ein Syſtem ba ben und dieſes mit. feinem innerften. Seyn verfihmelgen, theils aber auch durch freie, überfichtliche Meflexion über das einzelne, beſchraͤnkte Syſtem gehoben feyn muß. Dieß iſt num aber wohl nur Dadurd), möglich, daß das eigene Eyſtem ſelbſt jene Reflerion in ih) aufnimmt und mit ihr weſenilich identifch if, oder

Das Probfem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 35

was eigentlich baffelbe iſt daß bie Hiftorifche Reflerion ſich zum Syſtem vertieft und verallgemeinert. Auf dieſe Weife wird abet ber Begriff fowohl des Syſtems als der hiftorifchen Res flexion eine Metamorphofe erleiden. Denn einmal ift das Sy- fem nunmehr nicht bie vereinzelte, unaufgejchloffene Monade, bie die anbern nur außer fi; hat; es ift vielmehr aus fich felbft herausgetreten, in die geſchichtliche Aeußerlichkeit hineinverſenkt, um daraus nur zu ſich zu kommen. Die böftorifche Reflerion iR jegt nicht etwas dem Syſtem nur Neußerliches, nur ein Beis werk ver Philoſophie, fondern ein integrirendes Moment verfel« den, eine Weile, in welcher fie ihr eigenes Weſen auslegt. An- bererfeitö darf aber auch dieſe Reflexion nicht mehr: jene muͤſ⸗ fige, über Alles leicht hinſchwebende, ſondern eine in ſich ges fammelte, fich zur Totalität geftaltende und bei aller Freiheit und Meberlegenheit überall mit Ruhe verweilende, liebevoll ſich bingebende ſeyn. Die hiſtoriſche Betrachtung geht fo zwar von einer foflema- tifhen, Acht philoſophiſchen Anſicht aus, doch nit in dem Sinne, Daß fie von einem fertigen, ſchon kryſtalliſirten Syſteme beherrfcht werde, ſondern fo, daß dns Syſtem in und mit ber hiſtoriſchen Entwidelung fich felbft entwidelt. Jenes Herrichen eined dogmatifchen, gewonnenen Princips zeigt eben bie fchiefe, parteiifche Reflexion, die in alle vergangenen Syſteme nur das Negative, in das von ihr felbft vorausgeſotzte nur das Affirmative verlegt, die darum das Vergangene nie, in deſſen Wahrheit und Rebendigkeit zu reprobuciren, fonderh nur ein verftümmeltes und verzogenes Schattenbild darzuftellen vermag. Hier entfleht eben jener circulus vitiosus, wenn nämlich ein dogmatifch begrenztes Syſtem ſich durch gefchichtlihen Nachweis fügen will; denn biefe Geſchichte Hat feine objective Guͤltigkeit; fle iſt nur eine elende Ereatur der engen Anftcht, die fich an fie vergebens an- zulehnen ſucht. Die hier gemachte Bemerkung hat eine große Tragwelte. Denn es gilt nichte nur von ber Philoſophie, daß, wer eng in fich begrenzt und unmittelbar in feiner Eigenthuͤm⸗ lichkeit befangen if, nur ſehr unvollkommen fich fremde Eigen⸗

36 Monrad,

thuͤmlichkeiten verſetzen kann. Bei ganzen Nationen und Jets altern zeigt ſich dieſe Engherzigfeit und Unfreiheit. So wer 3. B. die fogenannte claſſiſche Periode in der franzöftfchen Lite ratur zu eng und unflar, um bie alte Claſſicitaͤt, für welche fie eine eingebilvete Schwärmerei hegte, in obiectiven Bildern zu vergegenwärtigen; bie Perfonen "der novantifen Tragöbie waren daher nur franzöftfche Zeitfiguren, bie im antiken Coſtuͤm ver- fappt und nach antifen Reminifcenzen benamft einhertraten. Se mehr aber der Geift in ſich frei wird, je weniger er feinen eige nen Charakter al8 eine fefte, fatalififche Beſtimmtheit hat, deſto Harer fann er auch in fi die ©eifter fremder Rationen und Zeitalter abfpiegeln, deſto ficherer darf er, ohne body ſich ſelbſt zu verlieren, ſich in biefe fremden Beftimmungen hinein begeben. So auch mit dem philoſophiſchen Syſtem. Seine eigene Kraft und Freiheit kann es eben in ber Selbfentäußerung erproken, durch welche e8 andere Syſteme ganz und lebendig wiederzuge⸗ ben vermag. Eben weil diefe Selbftentäußerung zu feinem eige⸗ nen Wefen gehört, weil dad Aeußere doch auch fein eigene Innere ausmacht, darum ift es in ihe immer bei fich ſelbſt. Es ſucht au in der gefchichtlichen Betrachtung Keine Außen Anlehnung, feinen mechaniſchen Gültigfeitsbeweis für irgend eine vorweggenommene Theſis; es will nur feine eigene That thun, ſich zu fich felbft frei enwickeln.

Bon ber Engheit, von bem InsfichsBefangenfeyn eine Syſtemes fommt aud) jene unruhige Haft, mit welcher über bie anderen gefchichtlichen Syfteme hinweg geeilt wird. Das bogme tifche Syftem ift wie ber Egoift, der Alles auf fich bezieht und in allen Dingen und -Erfcheinungen nicht das, was dieſe am ſich felbft find, fondern nur das, wodurch fie feine Intereſſen berühren, fieht und betrachtet, für die innere Fuͤlle wie für die eigene Schönheit der Dinge feinen Sinn habend, So wird bei in feinem eigenen Syſtem befangene- Dogmatiker ben anderen Spftemen nur eine . oberflächliche und flüchtige Aufmerkfamteit widmen fönnen; er kann fich nicht.an fie. hingeben-, nicht darin verweilen; er bringt darum auch nicht im ihr Inneres hinein,

Das Problem der Philoſ. u. feine gefichtliche Evolution. 37

findet nicht wie er auch nicht fucht was fie in fich felbft in ihrer Wahrheit, fondern nur was fie in Beziehung auf ihn find, nur ihre Begrenzung gegen ihn ober fein Syftem. Er hat es alfo gemig, fie unter abfiracte Yormeln zu bringen jene kurz abfprechenden Paragraphen welche eben nur Außer tihe Grenzbeflimmungen find, ' für ihn aber das Weien ver Sache erfchöpfen. . Die. anderen Syfteme find für das enbliche Syſtem eben .nur die anderen, fein Anderes. Dadurch wirb es nun freilich auch felbft zu den anderen nur das Andere; fe ſtehen infofern alle auf gleicher Stufe, und es Fönnte fi jelbft wejentlih in den anderen wieberfinden. Ober, um ber * Iogifchen Formeln wieder los zu feyn, die oben gefchilderte ſteptiſche Reflexion, die aus jenem unruhigen hiftorifchen Ruͤck⸗

blick unausbleiblich entftcht, wird, um fich greifend, das eigene

Syſtem in ihren zermalmenden Wirbel hineinziehen und da⸗ durch fein ganzes Verhaͤltniß zur Gefchichte wejentlich ungeftal- tn. Denn wenn dad Ganze nicht in einem finnlofen Wirbels tang enden fol, wo alle Wahrheit fich verflüchtigt und eigent- lich Nichts bleibt: fo muß die Neflexiond» Bewegung fich auf ſich ſelbſt befinnen, fih in fich klaͤren und beruhigen, was eben dadurch geichieht, daß das letzte dogmatiſche Sy⸗ Rem feine engen Schranken durchbricht und ſich zu wah— er Allgemeinheit erweitert, dergeftalt, daß ed im gefchicht- lichen Proceß nicht nur ein felndlich Gegenüberſtehendes, ſondern feine eigene Fülle .und Sättigung fucht, Die Zwingburg, die früher ſtrenge gejchloffen, fich nur vom Raube nährte und durch ihre Gewaltibaten endlih bie Revolution geweckt hat, welche jest droht Alles umzumwerfen und in ein Chaos zu verwandeln, kann ſich und die ganze Gegend mer dadurch retten, daß fie frei- willig ihre Shore öffnet, den heranftürmenden, verwahrloften Schaaren ein mildes Afyl bereitet und ihnen unter ihren Ob⸗ dach ein neues, befieres Leben verfpricht. Wenn es noch einen Adel, einen bevorzugten Stand. wirklich gibt, fo iſt e8 nur, injos fern er auf alle exclufiwen Privilegien verzichtend, nur den gei- figen Mütelpunct des Volkes bildet, die Ausmündung und

38 " Monrad,

wahre Bethaͤtigung aller von allen Seiten herauſtrebenden geifi- gen Kräfte. Das hoͤchſte Syſtem unferetwegen bad abje- Iute, denn eben durch Herablafiung bethätigt fich. das wahre Adfolute darf nicht auf feine Vorgänger vornehm herabfehen; ed muß fie ald vernünftige und ebenbürtige betraxhten, und bauf- . bar erfennen, daß es felbft mur auf ihren Schultern ſteht, ber greifen, daß es aus ihnen entwidelt iſt, ober vielmehr fich im mer auf's Neue aus ihnen entwideln. Die fehlechte, uaͤußerliche Teleologie, die immer dad Vergangene nur als Mittel für einen legten Zweck betrachtet, die ein jedes Menfchengefchlecht eigentlich zu einem unfelbftfländigen Dafeyn verurteilt, damit nur bad legte, bevorzugte fid) auf den Trümmern erhebe muß eine tieferen, Tiberaleren Anficht weichen. Analog ift die Nüslichkeitd- Berechnung, der die Pflangen nur da find, um den Thieren, und die Thiere uur, um ben Menfchen zur Nahrung zu dienen; während der gebildetere, tiefer finnende Menfch an der eigenen, inneren Schönheit und Zweckmaͤßigkeit ber Natur fich zu erfreum und eben in biefer hingebenden Betrachtung feine eigene Beſtin⸗ mung, fein eigenes wahres Wefen zu finden und zu bethaͤtigen weiß, wie andererſeits auch die Natur in berfelben\finnigen Bes trachtung ein höheres, geiftiges Dafeyn gewinnt. Das it ts nun, was wir oben zu zeigen gefucht haben, daß bie früheren philofophifchen Syfteme, die ber Reflexion nur ald aufgehoben Momente, ald zurüdgelegte Entwidelungsftufen gelten, doch an ſich felbfiftändige, inwohnende Wahrheit gehabt Haben, doch auch Selbſtzweck gewefen find. Der weiter fortgefchrittene Geift darf und fol darum doch zurüdgehend in in ihrer Betrachtung wer len, auf jeder Stufe Unendliches, Abſolutes, Geift, fich felbk finden. Die zurüdgelegten Stufen find dem Geifte wie feine Natur geworden, in bie immer herabzufteigen, um exit daraud zu ſich felbft zu kommen, bes Geiftes wahre Beſtimmung if, nicht naturlos, nur Außerlich anfchauend, darüber zu ſchweben. Nur auf dieſe Weife kommt die Gefchichte der Philoſophie zu ihrem Recht. Die gefhichtlichen Syfteme werden fo im Geiſte wirklich widergeboren. Richt nur die abftracten Principien,

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Das Problem der Ppilof. u. feine geſchichtliche Evolution. 39

ein verflüchtigtes Sublimat von ben vergangenen Syſtemen, ſon⸗ dern die Philofophien felbft in ihrer conereten Lebendigkeit, in ihrer ganzen Leiblichfeit follen im Geiſte vergegenwärtigt werden. Wir haben vorher zu zeigen verſucht, daß eben biefe Leiblichkeit etwas Wahres und Weſentliches ift, daß fie alfo einen unfterblichen Zebenöfeim enthält; denn eben was wirklich lebt, ift unfterblid,. Doch nicht unmittelbar; denn wir haben gezeigt, daß auf der anderen Seite bie zerflörende Neflerion und ber allgemeine Untergang alles. Unmittelbaren auch ein Noth⸗ wendiges ift; ber Geift muß. bem Leib entzogen werden, um ihn frei wieder: einzunehmen. Der Leib wirb fo ein verklaͤrter, ein aus dem Geiſte wiedergeborner. Wie das möglid fey? &o lautet fihon die alte nifodemifche Trage; allein damit man nicht fage, wir fpiefen die Sache in ein myſtiſches Gebiet Hinüber und ziehen andermwärtige Borftellungen herein, wollen wir, felbt init Gefahr den Gedanken zu verflachen, den Geſichtskreis möglichft eng und beftimmt faſſen. Dadurch alſo, fageh wir, wird’ einer Philoſophie Der Vorzeit ein neues, con⸗ cretes Leben, daß der jetzige Denker fle nicht nur ald vergangen, als etwas Abpetragened, von außen. anfieht, jonbern innerlich und gründlich betrachtet, fih an deren Stubium wirklich bin- gibt, nicht aus uriofltät, fondern weil er darin wejentliche Wahrheit und feine Wahrheit, Geift von feinem Geiſte fucht und finde. Denn jene Gebanten werben dann wirklich auf's Neue gedacht; das Syftem entfteht in feinem Geiſte, indem. er ed betrachtet; und dad Gedachtwerden ift eben für die Phi lofophie das Leben. Dieſes Wiedergedachtwerben ober Wieder entftehen einer "Philsfophie iſt nun nicht etwa nur eine Repro⸗ duction im Gedächtniß oder dad ypaffive NRachgefchlepphverden des Gedankens durch Leſen von Quellenjchriften u. dgl.; was man hierin hat, iſt eben nur, was wir oben den balſamirten Leib der Philoſophie genannt haben, dem der Seit ‚entzogen iR. Sondern biefen Leibe muß vom Geiſte des Iebenbigen Denkers ein neuer Geift, welcher doch - wiederum nur der alte, kein, Spfteme eigene iſt, eingehaucht werden, Das heißt: der

40 Monrad,

abſtraete Gedanke, der jetzt nicht mehr unmittelbar in ber Hülle jenes Syſtems ſchlummert und der alſo nicht mehr erſt durch jenen muͤhſamen, oft dunkeln Gedankenproceß ſich herauszuar⸗ beiten braucht, ſondern längſt befreit und in abſtracter Form darüber ſchwebt, dieſer Gedanke, die abgeſchiedene Seele des Syſtems, die im jetzigen Zeitbewußtſeyn ſchon aufbewahrt liegt, hat ſich wieder in die alte Form hinein zu begeben, oder viel⸗ mehr dieſe wieder qus ſich zu entwickeln, damit das alte Syſtem nicht ald etwas Fremdes und Dunkles, fondern als etwas Kla- red, vom Haufe aus Durchfichtiges, vom Gedanken Durchbrunge nes fich im Geiſte des Betrachters erneuere. Es ift nicht ge ug, über die Syſteme nachzudenken; dieß ift eben nur jene Reflexion, in deren Kälte alles Leben erflarrt; fondern die Sy fteme ſelbſt müfjen nachgedacht werben, aus ihren Principien heraus wieder lebendig entfliehen.

Jeder wirkliche Gebanfe ift, wie ber Gei, aus dem er gefloſſen, unſterblich; Vernichtung iſt gegen feine Natut. Was einmal gedacht worden, was ſich einmal aus der Nacht des un mittelbaren Daſeyns zum Haren Licht des Bewußtſeyns empor

gewunden hat, ift und bleibt eine "wahre Errungenfchaft des

Geiſtes, der ganzen folgenden Menſchheit bleibender Gewinn Zwar kann er vergeſſen werden, und ſelbſt wenn er von ſolchem Umfang und ſolcher Bedeutung war, daß er ſich in einem ge⸗ ſchichtlichen Syſtem ein dauerndes Monument errichtet hat, kam er dem wirklichen Bewußtſeyn lange erloſchen ſcheinen; allein et hat da, in jedem folgenden Zeitbewußtfeyn, ein verborgenes Le⸗ ben, ift nothwendig einer von ben vielen Factoren, bie zufams men den Gehalt dieſes Zeitbewußtſeyns bilden. Wenn die Zeit alfo nur über ſich felbft in's Share Fommen will, muß fie alle jme Momente, die in ihr verborgen jchlummern, herausſtellen und zu Harer, bewußter Mirflichkeit erwecken. Der Gedankt, ber einmal zu einer gewiſſen Reife entwidelt tft, -zieht ſich wir ber in abftracte Innerlichkeit, gleichlam in ein Saamenforn zu⸗ rück, und ift num in biefer impliciten Geftalt im Bewußiſeyn ber ganzen Folgezeit enthalten. Wenn nun der rechte Geifed

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Das Problem der Philoſ. u. ſeine gefchichtliche Evolution. 41

frühling da ift, wenn bad Saamenkorn vom warmen und lich- ten Strahl der wahren, liebevollen Erfenntniß getroffen wird: alsdann wirb wieder daraus die gruͤnende, blühende Pflanze entfproffen, |

Wir haben das Bedenken geäußert, unfer ganzer Gebanfe vom Wiederaufleben der philofophifihen Syſteme werde ſich vers: flachen, indem wir jenes neue Leben nur in bie |peculative Reproduction fpäterer Denker febten, wad Leicht als ein Ge ringes und Zufäliges erſcheinen konnte. Aber wir haben buch auch wenigftend angedeutet, Daß jene Reproduction nicht bloß als die That Einzefner, fondern als die Aufgabe des allgemei- nen menfchlidhen Bewußtſeyns anzufehen ift. . Jene einzelnen Denker find alfo was die Denker immer find bie Organe, durch welche der für das totale Leben der Menfchheit nothwen⸗ dige Gedankenproceß zu feiner höchften Reife gelangt. Und das zuletzt gebrauchte Bild vom voiederfeimenden Saamenkorn leitet und jetzt zur Frage über, welches denn die Bedingungen. dieſes Wiederkeimens find; denn offenbar ift nicht jedes Zeitbewußtfeyn fähig, feine Vergangenheit in ſich wieberzubeleben; lange PBerio- ben ftehen wminterlich in fich verfchlofien da. Die jet aufge worfene Frage ift nur diefelbe, die und cigentlich ſchon vorher begegnet it, naͤmlich nach der Art de philofophifchen Eyftems, dem eine wahre, obfective Gefchichte der Bhilofophie möglich ift. Oder was abermals (weil hier ein Wechfelverhältniß anzu⸗ nehmen ifl) auf Dafielbe hinausläuft: was wird einer Philoſo⸗ phie, wie gefaltet fich ihr eigenes Wefen, indem fie fich zur Bergangenheit kehrt und biefe möglichft rein abfpiegelt ? Schon Daß biefe Fragen hier zuſammenfallen, ift charakteriftiich und enthält bereits gewiflermaßen die Antwort. Denn wenn das Syſtem ſchon ohne den hiftorifchen Ruͤckblick als etwas Fertiges, durchgaͤngig Beſtimmtes anzuſehen waͤre, ſo daß ſeine Entwicke⸗ lung mit einſeitig immanenter Naturnothwendigkeit erfolgen muͤßte und eigentlich nur als eine Emanation zu betrachten wäre; wenn das Syſtem alſo von jenem Rücblick Nichts erlei⸗ den, Nichts gewinnen noch verlieren fönnte, fonbern feinen gans

42 - Monrad,

zen Charakter unabänderlich in fi) trüge: dann wäre dad Aus⸗ fich » Heraußtreten, das Eingehen in fremde Sphären, worig bies fer hiſtoriſche Rücdblid eben 'befteht, nicht nur nichtöfagend, fon- bern geradezu eine Unmöglichkeit. Das Syflem wäre dann -von Haufe aud in fidy gebannt, Und umgekehrt: wenn dad Syftem jenen Ausflug mit Frucht vornehmen fol, muß offenbar diede dingung dazu jchen im feinem eigenen Grundkeime liegen. Dieß muß und jegt zu einem andern Begriff des philofophifchen Sy⸗ ſtems führen ald dem gewöhnlichen, welchen zunächft dad Bild eined organüchen Weſens als Beiſpiel vorſchwebt, wo naͤmlich aus einem gegebenen Keime Alles ſich mit einſeitiger Rothwen- digkeit entwidelt. Dad philofophifche Syſtem, das. und bier genügen, fol, ınäffen wir vielmehr als. ein weſentlich Freies denken, das flatt in ſich ruhend, mit jich unmittelbar ibentikh zu. feyn, vielmehr über ſich ſelbſt gehoben, ſich in jeiner Unmit⸗ telbarfeit aufbebend fen. Und zwar nicht fo, daB es nur al unbeftimmt jeven anderweitigen Gehalt aufgunehmen, in jebe Ge alt fih einzubilden’gleich fähig wäre; ſondern jenes Ueber⸗ſich⸗ Sehobenfenn, jenes freie Aussfich- Herausieeten, muß doch wit der eine innere, fjelbit im Keime liegenbe Nothwendigkeit jeyn. Die Unbeflimintheit des Syſtems, die bier gefordert wird, um fernerer Entwidelung offen zu teyn, it: nicht das leere Nichts des platten empirischen Geifted, ver eigentlich Fein Geiſt il, weil er in feinem Stoffe immer nur außer ſich, niemals bei fih iR, nicht bie Unbeftimmtheit, die jede Beſtimmung nur aufe fi), ald unmittelbaren Gegenſatz hat, ſondern bie, welche aufs gehobene Beftimmiheit if. Das heißt: nicht Mangel eines Sp ſtems uͤberhaupt ift es, der für wahre ‚geichichtliche Betrachtung befähigt, jondern ein Syſtem, dad fich ſelbſt gewiſſermaßen ge ſchichtlich wird, dad fich felbft durchdrungen und bamit aufge hoben hat ober vielmehr fich immer aufhebt. Wir fühlen, daß dieß leicht als eine leere Fermel exfrheinen kann, und muͤſ⸗ fen es dem Leſer überlaſſen, ob er Etwas dabei benfen will. Kur das ſielle er ſich nicht etwa vor, als ſey gemeint, Der fey eben erft der rechte Geſchichtsmann, der mit feinem eigenen

« Das Broblem der Philoſ. u: feine gefchichtliche Evolution. 43

Syfteme ſchon fertig, d. 5. deſſen jatt und überbrüffig ſey, und des eigenen Denkens müde fi) dem Fremden, Thatjächlichen in die Arte werfe. Denn es ift in diefem Fall nicht das Sys ſtem, das ſich anfhebend und aus flch heraustretend boch bei: fich bleibt, fondern ein menfchliches Subject, dem das Syſtem zu eng it und das fich..alfe davon losſagt, das wie ein geift- reicher, jetzt verftorbener Däne von einem modernen Philoſophen gejagt Hat das Syften „burchbrochen” hat wie die Maus einen Thurm, worin fie gefangen, wenn fie ſich ein Zoch darin genagt hat und davon gelaufen if. Was frei ſeyn fol, ift nicht nur das Subject, fondern das Syftem felbit; denn genauer befehen, ift.e8 nur das freie Syftem, in welchem auch das bens kende Subjeet feine-wahre Freiheit feiert... Doch. kann auch um: geiehrt das Syftem eben als frei nur gedacht werben im Vers hättniß zur freven Subjectisität oder um ein Schlagwort der neueften Zeit zu nennen zur PBerfönlichfeit; wir konnen daher nicht umbin, dieſes Verhältnig etwas genauer zu erörtern. Wir haben es oben ald einen Vorzug ber ſogenann⸗ ten unmittelbaren Syſteme gefunden, daß ihre Urheber daran glaubten, mit Leib. und Seele davon hingenommen waren, daß das Spftene alfo mit dem perfönlichen Charafter nothwendig verfnüpft: war. Doch. war bieß wieder ein Mangel, weif jene Berfnüpfung als eine unmittelbare und fatale erfchien, weil das Subject ſich nicht in fih, den Syſtem gegenüber, zurüds genommen und fi) dadurch zu wahrer Perſoͤnlichkeit befreit hatte. Dieb nun gefchieht durch jene ffeptifche Reflexion, vie eben ben fataliftifchen Zauber loͤſt, durch welchen das benfende Subject an ein mit feiner ganzen biftorifchen Stellung gegebe⸗ ned Syftem gebunden if, Wir haben daher auch in dieſer Res flerion die erfte Bedingung ver Freiheit gefehen. Doch nicht die ganze wirkliche Freiheit felbft; denn das durch die Reflerion von feinem unmittelbaren Gehalt losgebundene Subject ift erft das leere, blafitte, das eigentlich mit berfelben Fatalität zum bodenlofen Schweben beftimmt, wie bie unmitteldaren Geifter an bie Erdſcholle gebunden find. Es wieberholt fich. hier auf

!

44 Ä Monrad,

dem jperulatioen Feld, was wir von ber fittlichen Welt ber wohl kennen oder vielmehr es ift hier der PBunct, wo beide Wels ten fich berühren: der Menfch hat erſtlich feinen Gehalt als einen durch Natur und Erziehung gegebenen,. er ift.nur, wozu er geboren oder vom Schickſal geführt ift. Aber zu feiner höhe ren Ausbildung gehört, daß er auch mit. feiner Unmittelbarfeit brechen fol, indem er mit unbefangenen Blid feine eigene Sphäre wie auch die anderen überjicht und frei darüber reflectirt. Allein dieſes Entrücktſeyn dem unmittelbaren Geſetze ift noch lange nicht Freiheit oder Eittlichfeitz vielmehr fann hier die eigentliche Unfittlichfeit, die Geicklofigfeit und Blafirtheit erſt eintreten oder ift jchon eingetreten, infofern jener Bruch, jene Regativität nicht eine ganz momentane ift und ihre ganze Be⸗ deutung Darin ſucht, in eine höhere Affirmation überzugehen. Die wahre Sittlichfeit wird crft erreicht, wenn dad Eubject fidh feinen Gehalt wiedergibt gewiſſermaßen benfelben, der in fei- ner ganzen Stellung gleichjam vorherbeftimmt lag, aber anderer⸗ feitd auch einen toto caelo verfchiedenen, denn die Freiheit, Dies fer wahre Himmel, ift dazwifchen. Jener abftraeten Freiheit, die. über Allem gleichgültig ſchwebt, muß der Menſch fidy bege⸗ ben und von feiner Höhe in bie beftimmien,. oft engen Verhält« nifje des Lebens hinabfteigen, um da einer eingefchränften Auf⸗ gabe mit. Hingebung und Treue Genüge zu thun. Dieß ift das Dpfer, ohne dad Riemand in. das Gottesreich der wahren Eittlichkeit eingeht. Doch ift das Opfern und bie Demüthi⸗ gung des Selbiied nur bie eine, negative Seite dieſes Einge⸗ hend; denn ambererfeitd behält man theils von dem früheren Gelbftabftrahiren her das Bewußtſeyn, die enge Stellung und Aufgabe fich felbft gegeben zu haben; theils muß man bie vers föhnende Einficht gewonnen haben ober. gewinnen,. daß der enge Lebensfreid nicht nur dieſer enge Kreid, dieſes Endliche ift, fon- bern. weientlih eine Offenbarung des Ganzen, innerlich von Unenblichen fchwanger, ein göttlicher Beruf, wo göttliche Kraͤfte walten. Aufe diefe Weite alfo betrachtet ber wahre fittliche Menfch feine .Lebensaufgabe: mit einem milden. Humor erkennt ex deren

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Eolution. 45

Kleinheit und überhaupt die Nichtigkeit alles Irdiſchen an, woruͤ⸗ ber. er ſich unendlich erhaben fühlt; aber auf der andern Seite kann er fich diefer Kleinen Aufgabe innig bingeben, indem er aud) in ber niedrigen Erfcheftung das Göttliche ficht.

Wir haben nicht als abgelegen angefehen, diefe Paar Worte über dad Weſen der wahren Sittlichkeit einzufchalten ; denn unferer Anſicht nad) ift das Ergreifen und Ausbilden eines philofophiichen Syftemes in letzter Inftanz eine: wahre fittliche That. Es mag immer in einem gewiflen Sinne wahr feyn, was gelehrt wird, daß die Wiffenfchaft über der Sphäre der Sitt⸗ fichfeit erhaben ift; aber eben darum kann bie leßtere won der erften nicht ausgeſchloſſen ſeyn. Nur einem untergeorbneten Standpuncte und vereinzelten Richtungen des wiflenfchaftlichen Strebens kommt ein gewiſſes Zurüddrängen und Vergeſſen bed Sittlichen zu, welches auf der höchften Stufe der Wifjenichaft, die Totalität iſt, nothwendig wiederfehren muß. Wie bie fitte liche Perfönlichkeit zu ihrer wahren Ausbildung der Wiſſenſchaft bedarf, ja man fönnte den Ausbrud wagen, zufegt eine wiſſen⸗ fchaftliche, von Wiflenfchaft durchdrungene werden muß: fo ift auch ihrerfeits die wahre Wiffenfchaft ein innerlich Perfönliches, womit der früher zur Betrachtung gezogene Sat, „daß die Wahr heit nur wirklich, wenn Ichendig und fubjectio”, zu vergleichen if. Darum mag c8 vieleicht möglich feyn,; einen einzelnen Ars beiter ber Wiffenichaft, einen Mathematiker, Phyfiker, Geſchichts⸗ forfcher oder Linguiſten, purum putum, ohne ethifche Gefinnung (anders als nebenbei) zu denken; einen wahren Philoſophen unmöglich. In feinem Verhältniffe zu feiner Wifienfchaft, "hier feinem Eyſtem, vollendet ſich exit feine Berfönlichkeit. Sein Syſtem, inwiefern ed ein endliches, unmittelbared ift, ift fein gegebener Gehalt, über welchen er fich durch freie, negative Res flerion erheben muß, um fich wieder frei dazu herabzulaſſen, eingedenf, daß cr für fich die abfolute Wahrheit nur erreicht, indem er fie durch eine endliche Form hindurchzuarbeiten - firebt. Hierin befteht jener leiſe ffeptifche Zug, von dem wir vorher gefprochen, der den wahren “Denker, felbft wenn er mit innigfter

46 Monrad,

Ueberzeugung feine Gedanken enwickelt, charakteriſirt. Dem nicht ſtelle man ſich etwa vor, daß der fo geſonnene Denler feine Ueberzeugung babe oder an fein eigenes‘ Syflem- nicht glaube; nur das nennen wir eine waͤhre Ueberzeugung, einen wahren Glauben, der frei und lebendig ift, der aus feinem Ges genſatze fich felber wieder herworbringt. Wir wiederholen es: nur Der kann ſich einem Syſteme hingeben, ‚ber erſt ein Sich hat, Und wenn ed bier einen Augenblid fcheinen könnte, als beftünde ein Zwielpalt zwifchen dem Syfteme und dem perfön- lichen Denker: fo ift e8 eben biefer Zwiefpalt, der aufgehoben und verjöhnt werden foll, der an.fich ſchon aufgehoben ift. Denn dieſes Loßgebundenfeyn vom Syſtem iſt andererſeits doch eben die Philoſophie, das Syſtem des Denkers, eben bie philo⸗ ſophiſche Wahrheit, in die er eingeht und die er denkend zu ent⸗ wickeln ſucht; wie jene Erhebung über das Syſtem urſpruͤng⸗ lich nichts dieſem Fremdes, keine änßerlihe Gewaltthat war, ſondern im Syſteme ſelbſt, in deſſen eigener Negativität begrän det jeyn mußte,

Man liebt e8, gewöhnlidy dem Berfönligen das Lo⸗ giſche entgegenzuſetzen; man tadelt es an einem ſpeeulativen Syſtem, daß es, im Kerne logiſch, von der Perſoͤnlichkeit nichts wiſſe, ber Perſoͤnlichkeit nichts laſſe. Und wir wiſſen es auch, daß der abftracte Logos noch lange nicht perfönlicher Geiſt if; aber wir vwiflen zugleih, daß ber Geiſt doch mit dem Logos weſentlich iventifch, wefentlich der auferftandene, aus der Natur zu fid) zurüdgefehrte Loges iſt. Und darum möchten wir ber haupten, dag, wenn das abfolute Syſtem zulest ein perſoͤnliches feyn muß, dieß nur dadurch möglich wird, Daß es ein weſent⸗ lich logiſches und, was eigentlich daſſelbe heißt, ein idealiſtiſches if. Denn nur, wenn im Begriffe dad Wahre und Wirklice gefucht wird, wird die Wahrheit als em frei ſich Entwickelndes gefaßt, und bie Faſſung feldft eine frei fich entwickelnde fern fönmen. Der Realismus, welcher über ein unmittelbar Dafeyan bes nicht hinausfommt, den das Denken und Gebdachtwerden etwad Sfeichgültiges und nur von außen Hinzukommendes if,

Das Probfem der Philof. u. feine geſchichtliche Evolution. 47

während umgefchrt dem Denken und dem Begriff die Realität etwas ebenfalls Aeußerliches und Gleichgültiges bleibt: dieſe Denkweiſe wird nothwendig bad Abſolute höchſtens als Subſtanz, nie aber als Perfoͤnliches faffen fünnen. Bon dieſem Geſichts⸗ puncte wird in Gott felbft das blinde, „unvordenkliche” Daſeyn, der Naturgrund überwiegen, das eigentlich Goͤttliche oder Abſo⸗ Inte feyn, und dagegen bad Denken und die Breiheit, wenn ihm beigelegt, doch nur als ein Accefforifches und entweder ald ein nothiwendiger, abgeleiteter Raturproceß, oder als ein Zufälliges, unbegreiflicher Weiſe Hinzugetretened® d. 5. entweder als ein abftract Unwillfürliches oder ald ein ebenfo abftrac Will kürliches, nie aber als ein Vernünftig⸗-Freies erſchei⸗ nen. Mit andern Worten: Wenn das Denken oder der Logos nicht ſchon der Grund und die Vorausſetzung des Daſeyns ſel⸗ ber iſt, ſo iſt ein jedes ſpaͤtere Denken oder Logiſiren der Dinge ſelbſt ganz unbegründet und unlogiſch, oder vielmehr unmoͤglich. Nur wenn „der Naturgrund in Gott“ ſelbſt zuletzt ein logiſcher, wenn feine Nothwendigkeit weſentlich eine Denknothwendigkeit iſt, kann Gott Gott: ein Freier und Perſoͤnlicher ſeyn. Man ſcheut fich, dem Logifchen oder der Idee den Mebergriff über das Reale einzuräumen, und ed gibt Denker, bie das Ideale und das Reale wenigfted im Gleichgewicht: halten. möchten; aber wenn man dennoch das Berfönliche will, fo folkte man bebenfen, daß bie Berfönlichfeit, ihrem Weſen nach, cin über dad Real -Nas türliche. iebergreifendes ik und auf einem Geltendmachen ber Idee beruht, ferner, daß dieſer Webergriff oben. nur dann als ein berechtigter erfcheint, wenn das Real⸗Naturliche ſelbſt an fih ald Yon der Idee geſetzt und als ein: von ihr ſ. 3. ſ. zu Uebergreifendes betrachtet wird.

Wenn anf diefe Weile bie realiſtiſche Philoſophie ſchon in ihrem Object bie wuhre Freiheit und Perfönlichfeit verfehlt und unter den Extremen eines naturakiftifchen Pantheismus und der Annahme eines blinden, willkuͤrlichen Gotteswillens herum⸗ geworfen wird: fo ift die Philoſophie ſelbſt in daſſelbe Dilemma eingeffemmt; benn indem bad Wahre, bad Weſen der Dinge,

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48 Monrad,

in ein Reales außer dem Denken verlegt wird, muß das Sys fteın ſelbſt fich entweder von diefem blinden Daſeyn weſentlich beftimmt willen, alfo einen überwiegend fachlichen, unfreien, uns verfönlichen Charakter haben; odet es wirb fich felbft als ein nur ſubjectives, zufälliged- Denf- Experiment, dem fein Anfich entforeche, betrachten, d. h. entweder als ein Ding ober ein Unding, jedenfalls nit ald ein wahrhaft perſoͤnliches daſte⸗ ben. Kinerfeits entſteht dann das fchon vielbeſprochene Dogmas tifche Syftem, dem nur feine eigenen Säte mit fataliftiicher Nothwendigkeit als wahr gegeben find, während alle antern Syfteme mit berfelben Nothwendigkeit als falfch erfcheinen; ans bererfeitd der fogenannte fubjective Idealismus, der eigentlich auf einen alle Wahrheit vernichtenden Skepticismus hinauslaäuft. Allein es muß begriffen werden, daß das wahrhaft Reale zulegt die Idee felbft ift, daß. das Dafeyn, ſchon an ſich Gedanke, eben da ift um für ſich Gedanfe zu werben, um gedacht zu werben und ſich felbft zu denken. " Das Denken und Gedachtwerden if fo dem Dafeyn nichts Außerfiches, ſondern fein innerfter Rem, feine wahre Beftimmyng. Die dafeyende Welt hat eben im Ge⸗ danfen, iin diefer inneren Welt, wie ihre Borausfepung, jo aud ihre wahre Vollendung und Wirklichkeit. Die Dinge, kann man fagen, find da um begriffen zu werben, und aus dem Begriff aus dieſem inneren Eentro heraus fol zulebt dad reale Das feyn auch praftifch beherrfcht werden. So fteht auch das ben ende Subject und fein Syſtem in feiner Berechtigung da. Man ft gewohnt, die Natur und die Gefchichte als Realitäten zu be⸗ trachten, die, in ſich vollendet und auf ſich beruhend, ſich um die menſchliche Wiffentchaft, der nur eime müſſige Zufdchauer Rolle zuftehe, nichts befümmern. Aber die Wahrheit iſt, daß feldft die Natur nur in ber Wiſſenſchaft und durch biefelbe zur volftändigen Entwickelung gelangt, indem nad) Goͤthe's Aus druck zulest „ber Kern der Natur Menfchen im Herzen ift“, wie ſogar praktiſch die Wiffenfchaft die Geburtshelferin der Natur it, die erft fo manche fonft gebundene und chaotiſch vermirrte Stoffe oder Kräfte zu freier, Tlarer Exiſtenz herausbildet. Und

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4

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 49

daß die Geſchichte, ſelbſt objectiv genommen, daß bie geſchicht⸗ lichen Vorgaͤnge Nichts ſind ohne das innere Ideengewebe, daß eben die menſchlichen Gedanken und Anſchauungen hier weſent⸗ liche Motive ausmachen, iſt von ſelbſt klar, auch fruͤher von uns angedeutet. Wie ein Zeitalter fich ſelbſt auffaßt, iſt für ven ganzen Zeitcharakter weſentlich, und das wiſſenſchaftliche Sys ftem, das jene Selbitauffaflung enthält, ift jelbft eine hiſtoriſche Thatiache von der allerrealften Art. Das benfende Eubject hat auf diefe Weife eine wichtige Ihat zu vollbringen: es hat das Daſeyn felbft zur Reife zu bringen, befien Sammlung in fich und Erhebung in eine höhere Sphäre factiſch barzuftellen, Und dieß eben durch freies Denfen, nicht bloß etwa durch nas türliche Aus⸗ oder Wiederftrahlung; denn nur in ber freien Deafihätigkeit, im Außer - .oder vielmehr Ueber = fid) « foımmen erreicht dad Dafeyn fein wahres Weſen, feine Berfönlichfeit. Denn außer fih ald Außerlichem, db. h. in dr Ins nerlichkeit, in ber Idee, hat bas reale Dafeyn ‚fein eigent- liches Ziel, eben weil es ſelbſt aus ber Idee ſtammt unb nur außerjichgetretene Idee if. In der Rüdfehr zur Idee, zum Los giſchen, im Begriffen» und Logiſirt⸗werden beſteht auch jede wahre Befreiung. Man ſpricht mitunter vom logifchen Zwang; man. meint, der Geift werbe in der Iogifchen Geſetzmaͤßigkeit, die man.fich als einen flarren Mechanismus vorſtellt, gefeſſelt und büße feine. Freiheit, feine Regſamkeit ein. Aber diefe Vor⸗ Rellung ift irrig. Der ftarre Mechanismus unb ber Zwang gehört eben nur dem natuͤrlichen Dafeyn. Das mechanifche Geſetz it in gewiffem Sinne zwar mit dem logiſchen identifch, aber. dieſes erfcheint nur in der Natur als ein flarred und todtes, weil es hier nämlich ein vorausgefestes iſt. Auf eigenem Gebiete ift das logiſche Geſetz aber Feine vorausgeſetzte Noth⸗ wendigfeit denn das würde einen Logos vor dem Logos und fo ins Endloſe vorausfegen fondern eine ewig ſich felbft erzeugende, fich frei entwickelnde. Run hat ber menfchliche Geiſt theils als Naturweſen dieſes logiſche Geſetz auch als voraus

geſehies, woran er ſich gebunden fühlt, theils als Geiſt bie Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritit. 33. Wand 4

50 Monrab,

Fähigkeit und bie Beſtimmung, jenes Geſetz als felbfteigenes in fich zu entwideln und fo den Schein von Aeußerlichkeit und Nöthigung nad) und nad) aufzuheben. Und bieß geichieht nicht etwa dadurch, daß der Geift fih in das Abftract- Logijche ver» fchließe und das reale Dafeyn draußen liegen laſſe, fondern bas burch, daß er fein ganzes reales Dafeyn, alle feine natürlichen und hiſtoriſchen Vorausfegungen durchdringt und in der Idee, im Logifchen fließend macht. Die feſte Baſis, auf welcher ber Geift urfprünglich fteht, Darf nicht fo bleiben, daß ber Geiſt fortan fi daran lehne, darauf nach dem Gefebe der Schwere niedergebrüdt lafte; fonbern indem der Geift fich frei erhebt und weſentlich auf ſich beruht, muß er vielmehr felbft feine Naturs baſis zu fi und in fi aufheben. Es gilt bier, was man auch von der ausgebildeten menfchlichen Geftalt treffend gejagt hat: daß nicht der Körper den Kopf, jondern umgelchrt der Kopf den Körper tragen' muß. Denn ber Kopf ift eben der Sit des Denkens, der wefentlich logiſchen Thätigfeit. So wie nun der einzelne Denker feine eigene logiſche Entwidelung in bemfelben Grade fördert, in welchen er auch das reale Daſeyn für fi) zur logiſchen Reife, zum Begriffe heranzubilden weiß: fo verhält e8 fich auch mit der Menfchheit im Ganzen, deren wahre Bildung eben barin befteht, daß in ihrem Denken. (wie in ihrem Handeln) der Begriff immer klarer herrfchend- und bes ftimmend heraustrit. So nur ift eine wahre ftufenweife Ent widelung auch der Erfenntniß möglich. Statt nämlid an Dem realen Dafeyn gemeflen zu werben (in welchem alle nicht von Entwidelung, fondern nur von Annahme wahrer und Verwer⸗ fen falfcher Vorftellungen bie Rede ſeyn ann), bat vielmehr der. Begriff feinen Maßſtab in fich felbft und wird umgekehrt für das reale Dafeyn maßgebend. Bei einem wirklichen Denk foftem wird dann mit Recht nicht fo fehr gefragt, mas Falſches oder Wahres daran fen in dem Sinn yon Borftellungen und Sägen, die mit einer gegebenen Objectioität überein ober nicht überein ftimmen, fonbern vielmehr, wie viel. Daran wahrer - de griff iſt, und das heißt wieder. nicht: wie viel abgezogen,

Das Problem der Philoſ. u. feine gefchichtlihe Evolution. 51

dem realen Daſeyn entfremdete Vorftellung, fondern eben wie weit da8 mannichfache Dafeyn in den Begriff aufgenommen, darin gleichfam aufgelöft erfcheint.

Diefe Auflöfung wird nun gewöhnlih als eine „Ders fluͤchtigung“ perhorreſcirt, wie vor dem Logifchen eine wahre Bafterfcheu zu herrfchen fcheint. Aber wenn überhaupt ber Geift das Höchfte im Dafeyn ſeyn fol und die Verſoͤnlich⸗ keit ift doch ein Geiſtiges fo iſt dieſer Verflüchtigung nicht zu entgehen; denn ber Geift ift eben die Auflöfung des Realen in Ivealität. Und das höchfte Reale kann er natürlicher Weife nur darum ſeyn, weil diefe Shealität der wahre Kern des Near fen felbft if. Wenn die Materialiften fagen, ber Geift fey Nichts, Fo ift dieß in ihrem Sinne einerfeitd ganz richtig, info: fen er Nichts in die gemeine, fefte Realität Aufgehendes oder ihr zur Seite Stehendes ift; nur ziehen wir nicht mit ihnen bie Solgerumg, daß der Geiſt darum überhaupt Nichts oder abfolut zu eliminiren ſey, fondern wir fchließen umgekehrt, daß, weil der Geift das hoͤchſte Dafeyende Ift, dieſes eben in der Ideali⸗ tät, in der Auflöfung feine Wahrheit bat. Und wohl fol man bedenfen, daß die Idee, in welche ſich alle Nealität auflöft, die concrete, die immer gerinnenbe, immer fleifchwerbende, immer m die Einzelnheit austretende ift, indem das wirkliche Denken, mar en fi) vorausfehungslos, in jedem Moment fich eine Vorausſetzung für Bad folgende bildet und durch lebendiges Fortfchreiten wieder aufhebt. |

So wird bie wahre, abfolute Miffenjchaft immer in einem dafeyenden, endlichen Suftem, von einem „exiftirenten Denken“ umfaßt, zum Vorſchein kommen. Diefes tft nun in feinem Ent» fiehen von vielen Umftänden bebingt, yon ber inbivibuellen Bes gabung und Stellung des denfenden Subject, von der Natios nalttät, von ber allgemeinen Weltlage, befonderd aber von der vorhergegangenen Entwickelung der Wiſſenſchaft und von dem dadurch gewonnenen Standpund. In diefem Allen erbliden wir dad Fatum und die Natur» Grundlage des Syſtems. Aber weil es doch an ſich logiſch⸗idealiſtiſch, weil fein ucheber doch

52 —Monrad,

an ſich freier Geiſt iſt, iſt es oder er über diefes Fatım weſentlich erhaben, was dadurch realiſirt wird, daß es die ganzt reale Grundlage, die es auch als an ſich von ber Idee geſeht, als den Nieverfchlag der vorhergegangenen Idee⸗Entwickelung betrachtet, wieder in Idee aufloöſt, wieder logiſch macht und ſich alfo darin zu fich feldft, dem für fich Logifchen Syſtem, entwidelt, Was es iſt, was es durch die Zeit und das Schickfal gerdets ben, darf es nicht unmittelbar fo hinnehmen, um darauf zu fr gen und Alles daran zu meſſen; es ift eben feine Aufgabe; die ſes ‚fein Seyn denkend zu durchdringen, es in Iebenbigen Pro ceB zu verwandeln. Wenn das Spftem durch biefen “Brocf enblich zu ſich felbft zurückkommt, fich ſelbſt wiederfüirdet, fo fin det es fich zwar als ein Nefultat, aber nicht das Reſültat einer dunfeln, fataliftifchen Nothiwendigfeit, durch welche es ohne eige ned Zuthun eben fo und nicht anders ift, ſondern dits einer I giſchen Entwickelung, in Folge deren es nun von fich feibit ge⸗ ſetzt erſcheint. Don der afſertoriſchen Selbſtbehauptung iſt % durch das problematiſche bis zum apodiktiſchen Urtheil über vich mehr bis zum Schluß hindurchgegangen.

Das, als was das Syftem fid, fo wieberfinbet, ode “vielmehr wozu es ſich felbft gemacht Hat, ift, infofern ed ein Beitimmtes ift, einerfeitd wieder ein Enbliches, gewiffermaßen ein Bedingtes. Aber es ift jegt erftens nur von ber logiſchm Entwidelung des Abfoluten bebingt; es iM*ein göttNicher Ber, der daburdy zu uns laut wird. Es bedarf immer einer Hin⸗ gabe, eines Opfers; denn bie erfannte logiſche NRothrvendigfit ift kein Zwang; dem göttlichen Berufe in biefer Form Kamm wibderftanden werden; aber es ift leicht einzufehen, daß dieſe Hingabe, felbft ein Aft ver Freiheit, eben zur wahren Freiheit führt. Mag die Aufgabe, die. und auf biefe Wetfe geſtellt wird, noch fo gering erfcheinen nur etwa die Durchführung eines einzelnen Gedankens: wir wiffen doch, daß biefer Gedanle eben an ber Zeit ift und feine ewige Geltung behauptet, weil er, aus dem Schooße bes Abfoluten geboren, ſelbſt das Abſo⸗ Inte einfchließt und aus fich zu entwideln beftimmt iſt.“

Das Brobfem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 53

Denn zweitens, wenn das philoſophiſche Syſtem in einem logiſchen Proceß zu ſich zurückkommt, ſo findet es ſich nicht als ein Ruhendes, Vorfindliches, nur Seyendes, ſondern eben als ein Werdendes, ſich Entwickelndes. Nämlich: das, was es iſt, das, worin es ſein wahres Sich anerkennen kann, iſt ja nicht fein unmitielbared Seyn, feine fataliſtiſche Beſtimmt⸗ beit, fondern vielmehr fein Aufheben dieſer Beftimmtheit, fein thaͤtiges Zuſichkommen. Die Vollendung feines Selbſtbewußt⸗ feund, bie zugleich die Vollendung feines wirklichen, thätigen Etrebens ift, beſteht eben darin, fi) als ein thätig ſtrebendes zu erfennen alſo ald ein nicht vollendete im Sinne des Abgrmachten, Bergangenen.

So muß alfo, unfrer Anfiht nach, das Syſtem befchaf« fon ſeyn, welches ald abjolut wahres fich betrachten darf. Es iſt abſo lut, indem es immer fich entwidelt, immer in fidh bleis bend. doch Über fih Hinausgeht, und alfo in feinem Moment feiner Entwidelung als abfolvirt dafteht. Es ift das wahre, nicht indem es in fich verfchlofien bleibt und die anderen Sys fteme als Außerliche verwirft, fondern indem: es ſich in dieſe als in feine eigenen: realen Borausfegungen, feinen eigenen realen Gehalt hinein und hindurch benft.

Das abjolute Syſtem ift fo nur wirklich, indem es ſich ſtets erneuert. Das philofophifche Denken fünrgt immer von vorne, vom Anfang an. Keine Entſcheidung darf unerjchüts terliches Axiom bleiben, Feine Trage bleibt für immer abgethan, fein Zweifel für immer befeitigt. Was gedacht worden, muß immer wieder gebacht werben. Wir haben gefagt, daß ber eins mal entdeckte Gebanfe unvergänglich if; aber feine Unvergäng- lichkeit ift nicht Die eines todten Refibuums, des flarren Daſeyns, fonbern eben das ewige Erneuertwerden; er muß immer nicht nur ſeyn fondern werden. Und pas heißt nicht etwa nur, daß er immer wieberholt werde, kenn die Wiederholung ift fein wirkliches Werden; ber Gebanfe, der ſich aus fich lebendig ge⸗ ‚bärt, wird fig immer theild im fd, vertiefen, theils erweitern ‚und entwideln, ober richtiger:. ex wirb ſich entwickeln indem

54 Monrad,

er fich vertieft. So hat nicht nur das Syſtem, fonbern jeder von den einzelnen Begriffen und Gedanfen, in weldhe dad Ey ftem ſich auslegt, feine Geſchichte, durch welche er zu bem ge worden, was er ift ober vielmehr wird, Er bat feine Vergun⸗ genheit, durch deren immer tiefere Durchdringung er ſich ſelbſt immer Harer, tiefer und freier fafen muß. Die Wiſſeuſchaft muß fid) immer durch dieſelben Gegenſaͤtze durchkaͤmpfen, bie. aber eben, weil file immer mehr als diefelben erkannt werben

und immer mehr vom Bewußtſeyn ihrer allgemeinen logiſchen

Gültigkeit begleitet find, nicht mehr diefelben, ſondern ent wideltere, vollfommenere, geiftigere find.

Hier iſt nun zwar nur -ber Begriff des gefchichtlichen Bros cefied im Allgemeinen angegeben; auf biefe Art muß ein jedes philoſovhiſche Syſtem entftehen, auf biefe Art feine ganze Ber gangenheit In fich aufhebend faflen. Eine folche Vertiefung und Entwidelung des Vorbergegangenen ift auch ein jedes geſchicht⸗ liche Syſtem factifch getvefen. Es koͤnnte nun billig geil werben, was denn wir gewonnen, was wir vor unſern Be: hängern zuvor haben, weil wir doch von einem abfoluten Syſtem reden. und uns deflen rühmen, was die Alten nicht gethan haben. Wir haben gefehen, wie viel Leeres im jenem Gerede liegen kann; es ift an ber Zelt, zu fehen, was Wahres eigentlich daran if. Und wir müflen dann fagen, daß ſchon der Gedanke oder Begriff des abfoluten Syſtems und der Entwidelung ein reeller ja ein abfoluter Kortfchritt: iR. Diefer Gedanfe it wenn nur ein wirklicher Bedankte m) fein auswendig repetirter Wortſchall ſelbſt erwas Realcs, eine hoͤhere Beſeelung unſres ganzen Strebens. Was den früheren Syſtemen am Abfoluten gefehlt hat, iſt wicht ſo feht die unmittelbare Sache, als vielmehr der Begriff des Abſo⸗ luten, und dieſer Behßriff iſt eben erſt das Abſolute in feine Vollendung, ſeiner Abſolutheit. Denn die Sache if immer in ‚ber Zeit früher als ber Begriff, und biefer if doch erft bie voll⸗ endete, bie wahre Sache. So iſt auch ſchon / in den früheren mehr oder weniger dogmatiſchen ESyſtemen Entwickelung

[3 %

Das Problem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Evolution. 55

und Zertfchritt da, aber als unmittelbare, unbewußte: fie waren nicht für fich felbft wefentlich entwidelnde; die Entwidelung mar in ihnen ſcheinbar mır nebenbei; fie waren nit die Ennvide lung, der Fortſchritt ſelbſt. Jene Syſteme ſahen ſich doch ſelbſt weſentlich als daſeyende an, und ihr Object war auch haupt⸗ ſaͤchlich das Daſeyn. Und wenn fie auch häufig ſich zur Ver⸗ gangenheit zurüdfehrten, daraus ſcheinbar fehönften, fo war es wefentlich entweder um ſich dagegen zu. behaupten, ober (im Einzelnen) um ſich daran zu Ichnen: Wir aber, denen ber Bes griff der abfoluten Entwidelang aufgegangen ift ober. immer aufgeht, wir wiſſen auch, daß unfer Syſtem nur da ift, ins tem ed aus feinen Boransfegungen wird; wir kehren zur Ders gangenheit, zur Gefchishte zurüd, nicht um uns darauf zu fügen ober uns dagegen zu ſtemmen (was eigentlich auch ein Anleh⸗ ven iſt), fondern vielmehr um ein jedes Anlchnen an ein Aeußer⸗ liches aufzuheben und auf. und felbft zu beruhen, was nicht durch Ignotiren oder Ausfshliegen, fonbern eben bucch Auziehen und Durchdringen geſchieht. Wer den Begriff bed abſoluten Syſtems gefaßt, wer kiefen wahren fpefulativen Olymp erklommen hat, der wird nicht mehr von ber Erde getragen (worin bad) gewiſ⸗ fermafen ber Olymp felbft feine Wurzeln bat), ſondern wie je- ner. homeriſche Zeus wird er die Erbe felbft an der Keite em⸗ porheben (Il. VII) |

Hohe und Hohle Worte! wird Jemand fagen, Und daß fie hohl feyn können und oft wirklich hohl find, haben wir zur Genüge geiehen, Hohl if aber der Beguiff nur, fo lange er abſtraet iſt; allein wie der Begriff aus ber Wirklichkeit ſtammt, jo it er auch feld die Macht, ſich in Wirklichkeit zu ſetzen. Mag er immer in. feinem erfien Aufgehen ala ein zu Berwirk- lihennes, als ein Sollen erfcheinen; genauer beſehen ift doch dad Sollen mehr als ein Sollen;“ es ift eben die Natur bed Sollens über ſich hinaus zu treiben, und ſo if es reelle Kraft, Energie die Macht des Begriffe. Se if, wie bes kannt, auch die Tugend „Fein Iserer Name“, wie viel Leeres auch darüber im Einzelnen gefhwapt wird; fondern chen der Rame,

56 | Monrav,

d. h. der Begriff der Tugend, dieſes reinen Sollens, if von ber Außerften Wichtigkeit und bie hoͤchſte, allein befriedigende Triebfeder ihrer Realifation, die alle anderen Triebfedern an ſich heranziehen muß, um ihnen erſt wahre moraliſche Stripe zu verleihen.

Der Begriff vom abfofuten Syſtem, richtig gefäßt, iſt fo weit entfernt, hochfahrende Anwandlungen und. ten fo ft nerügten. phifofophiichen Dünfel zu erregen, daß er wiehnehe, mit dem ſokratiſchen Nichtwiffen in naher Bezichung, die mahre, freie wiffenfchaftliche Demuth erft möglich macht. Weberhaupt: Duͤnkel ift mit Dunfelyeit verwandt und muß immer ber Klar beit, dem Begriffe weichen. Wir haben gefehen, wie das abids Inte Syſtem fich als ein ſich entwidelndes faffen muß, wie ee alfo nicht auf ſich felbft beharren, ſich egoiftifch in ſich ſelbſt verfchließen ımb alles Andre abfloßen darf, wie ed vielmehr ai fih, aus feiner Unmittelbarkeit herausgeben (ſich von ſich ſelbſt abftoßen) muß, um ſich im allgemeinen Proceß wiederzufinden (oder richtiger: wieder zu erzeugen). Die abfolute Philoſophie ift eigentlich Nichts von beſtimmtem, endlichen Willen, wie mah der Geift Nichts von kryſtalliſirtem, materialem Dafeyn ifl. Auch hierin bewährt ſich der perfönliche Charakter der abfoluten Wiſ⸗ fenfchaft. Und wenn fie doch von ihrer abfoluten Selb abftraction zu einer endlichen, beftimmten Form zurückkehrt, To gefchieht die eben mit Bewußtſeyn von deren Endlichkeit, umd fie wird darum nicht dagegen haben, eben dieſer auch ambete Endlichkeiten gewähren zu laffen gerade dem entgegengefeht, was bei dem Hochmuth der Fall if. Ueberhaupt if bie viel gepriefene Humanität und Toleranz entgegengeiegter Anſichten feine fo einfache Sache, wie Manche wohl meinen mögen. Dean häufig ift, was mit dieſem Namen prunkt, Nichts als Schlaf. heit und Mangel eigener Üeberzeugung, und die „Denffreibeit‘, die man fo für fih und Andere in Anſpruch nimmt, in ter That nach Schelling's treffendem Ausbrud: nur Freiheit vom Denken, bie Freiheit, nicht zu benfen im beſten Zall Skepticismus. Wo - Hirigegen eigene, conſequente Neberzeu⸗

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Das Problem der Philof. -u. feine geſchichtliche Evolution. 37

zeugung, wo Syiten ift, wird, inwiefern dieſes Syſtem ein fe- ſtes, ſproͤdes, nicht dialektiſches ift, eine jede Duldung des Ents gegengefegten nur eine Nöthigung, vom eigenen Standpunct aus eine eigentlich unberechtigte, unerlaubte; ober wenn doch bie Humanität ald moraliſche Eigenfchaft hinzukommt, wird jeden⸗ falls zwiſchen den theoretifchen Bewußtſeyn und dieſer praftifchen Richtung ein innerlich unverföhnter Gegenſatz beftehen, ber im tiefs ften Grunde unmoraliich if. Diefer Gegenſatz wird nur aus⸗ geglichen, wenn das Syſtem, an welches man mit voller Lieber: zeugung fid) angeſchloſſen hat (und das ein Jeber dann wenig⸗ ſtens unmittelbar für das abfolute hält), auch vom wirffis den Begriffe des Abfoluten und vom Bewußtſeyn von deſſen wahrer Natur duichdrungen ift, worin ſomit bie DBerfchie: venheit der Anfichten ihre rechte, anerfannte Stelle findet umd alſo nicht nöthig hat, gleichſam durch bie Hinterthüre einges fehmuggelt zu werben, Ober wie wir es auch. früher audges ‚brüdt haben: das freie Verhältnig. zum eigenen Epften wird dann erſt möglich, wenn das eigne Syſtem ſelbſt ein freies if. Denn nur innere Freiheit kaun die Freiheit auch außer ſich ges währen laſſen.

Der Begriff des abſoluten Syftemd, nicht als ein Ruhe⸗ Eiffen, auch nicht als eine in wüfte Irrfahrten hinausftachelnde Bremſe, fondern ald eine ruhige, durch die volle Wirklichkeit ſich foribewegende Entwidelung genommen, enthält fo erſt Die reale Möglichkeit eines. wahren bewußt humanen Berhaltens fos wohl gegen bie Syſteme der Vorzeit, ald gegen die. verfchiedenen gleichzeitigen, mehr oder weniger willenfchaftlichen Anfichten.. Ja . in biefem Begriff ſehen wir erft die Loſung für bie Wiederge⸗ burt der Syſteme, die wir früher in Ausficht geftellt haben; er iſt die wahre Weihe des Bodens, woraus bie in ber gefchicht- lichen Erinmerung fchlummernden Philofophieen der Vorzeit zu neuem Leben emporblühen follen. Denn wer fein eigenes Wiſ⸗ fen als ablolutes nicht hinnimmt, ſondern nad). beim wahren Gehalt dieſes Begriffö zu würdigen weiß und zu verwirklichen ſucht, der wird das Abjolute und Wahre aud) überall zu wärs

58. Monrad,

digen wiſſen und über die „Vorſtufen“ ſeines Wiſſens nicht mit einem leichtſinnigen Sprunge hinwegſetzen; der wird an den „verlaſſenen Standpuncten“ cher die Standpuncie ſelbſt als des ren Verlaſſenſeyn betrachten und nicht waͤhnen, aus den Banden der Vergangenheit eher befreit zu werden, als er deren Geiſter ſich zu eigen gemacht hat und aus ſich wieder zu tepzodueiren weiß. Er wird barum bei dieſen Geiſtern nicht allein fleißig in die Lehre geben, fondern ihre Lehren wirklich durchleben und fie fo auch in ſich lebendig machen, Auf dieſtun Standpunct fängt alfo erft vie rechte Geſchichtsarbeit an. Es werben nicht nur trodene Materialien gefammelt oder willtürfiche Couſtructio⸗ nen geliefert, weter Todiengerippe noch neblichte Gebilde ericheis nen mehr; fonbern wenn ber wahre Logos die Gräber gesffuet bat, werben bie Todten lebendig auferſtehen und lebendig im Leben herumwandeln. Indem die geichichtlichen Syfteme im Lichte des abſoluten Begriffs erflärt werden, erſcheinen fie. auch als verflärt; das was an ihnen unfterblich ift, tritt mehr und mehr offenbar hervor; man fühlt es jenen Gedanken an, daß fie nicht verſchollen oder abgethan, ſondern daß fie eigenb lich dieſelben find, die noch leben und die Geifter bewegen. Wer in diejem Sinn felbft nur ein einzelnes geſchichtliches Syftem behandelt und wieder an den Tag bringt, wirh willen, daß er eine vollwichtige That des grgenwärtigen Geiſtes thut; denn die Gegenwart hat eben die Aufgabe, das Vergangene in ſich, in die Gegenwart aufzunehmen, db. h. 66 zu nergegenwärs- tigen; was aber treu und objectiv gejchehen muß, nicht wie son Ginigen, bie (befonderd in Frankreich) politiſche Geſchichte fchreiben (oder wie, wenn wir nicht irren, auch ein deutſcher Gelehrter mit dem „Komantifer auf dem Kalfertären” gethan bat) welde geſchichtliche Figuren nur als Masken für nit geläuterte Zeittendenzen anwenten. Auf ber anderen Geile wird nämlich das Zeitbewußtſeyn, indem es jo bie wahre,, ewige Bergangenheit in fich treu abzufpiegeln vermag, felbft, ald ein gelaͤutertes, verflärtes,. beruhigtes ericheinen, Wenn es fich bes wußt wird, baß bie Gegenſätze, mit welden es zu thun hat,

Das Problem der Philoſ. u. feine gefchicktliche Evolution. 59

tige find, wird es fich feiner Arbeit ruhig hingehen umd aller Haft, aller fieberhaften Spannung fich entiedigen. Inden das Gefchichtliche immer Flarer, inniger hervortritt, wird das Dens fen (dad zugleich progrefiio und regrefiio ift) immer mehr vom Bewußtſeyn, daß dieß auch früher gedacht, begleitet; der Ge: banfe verliert dann zwar das Intereife der Neuheit, d. h. diefe förende, dem Geiſte Gewalt anthuende Zremoheit, aber nur um ein höheres Imtereffe zu gewinnen, indem der Geiſt ſich in die fen Fragen, als in einem vererbten und unveräußerfichen &igen- thum, einheimiſcher, freier fühlt und weniger leidenfchaftlich aufs geregt wird. | Sagen wir endlich weil dieß doch eine jetzt beliebte Form ver Beirachtung it ein Wort über „die Philofophie der Zukunft“, jedoch wohl wifiend, daß wir bamit eigentlich nur das, was unfrer Anficht nach die wahre Gegenwart ausmacht, bezeichnen werden. Ohne Zweifel ift die Zeit der unmittelbaren, naiven Spfteme jest vorbei; mit dem Begriffe bed abjoluten ESyſtems hat biefe Entwidelung ein Ziel erreicht, und ein neuer philofophiicher Meittas ift kaum zu erwarten. Vielmehr ift der Proteſtantiomus der Wiflenfchaft eingetreten, wo die Specula⸗ non nit mehr ein fichtbares Oberhaupt anerkennt, fondern Außerlich in wiele individuellen Formen zerfallend, nur im Geifte, „md indem fie doch zu derfelden klaſſiſchen Vergangenheit zurüds ſchaut und darin einen gemeinichaftlichen Anhalt findet, vereinigt bleibt. Man wird hiernach nicht eigentlich von einem einzigen herrſcheuden Zeitſyſteme fprechen hören; verſchiedene Richtungen, mehr oder weniger bie alten Gegenſaͤze und deren Formen wie dergebend, werden neben einander beftehen, feine einzige, die vorzugsweiſe als aus der Zeit entftanden oder ihr im Ganzen entfprechend zu betrachten wäre. Man wird dann vielfach fa- gen, daB unfre Zeit Fein sigenthümtliches Syſtem, Feine eigen⸗ thänliche philoſophiſche Grundanſchauung habe eben weil das eigenthämlich Vereinende ein Unfichtbares if. Vielleicht ‚werden wir deutlicher, wenn wir uns einer Parallele bebienen. ‚In der Kunft, befonders in der Architektur, ſcheint es uns eine

58 Monrad,

digen wiſſen und über bie „Borjtufen” ſeines Wiſſens nicht mit einem leichtfinnigen Sprunge bimvegiegen ; der wird an ben „verlaftenen Etandpuncten” cher die Standpuneie felbit als des ten Berlaffenfeyn betrachten und nicht wähnen, aus ben Banden der Vergangenheit eher befreit zu werben, als er deren Geiſter ſich zu eigen gemacht hat und aus ſich wicber zu reproduciren weiß. Gr wird darum bei dirten Geiſtern nicht allein fleißig in die Lehre geben, ſondern ihre Lehren wirklich burchleben und fie fo auch in fich lebendig machen, Auf dieſein Standpunct fängt alfo erft die rechte Geſchichtsarbeit an. Es werben nicht nur trodene Materialien gefammelt oder willfürliche Conſtructio⸗ nen geliefert, weber Todtengerippe noch nebtichte Gebilde ericheis nen mehr; fonbern wem der wahre Logos die Gräber geoͤffnet hat, werben bie. Todten lebendig aufsriichen und lebenbig im Leben herumwandeln. Indem bie geishichtlichen Syfteme im Lichte des abſoluten Begriffs erklärt werden, erſcheinen fie. auch als verflärt; das was an ihnen unfterblich iſt, tritt mehr und mehr offenbar hervor; man fühlt es jenen Gedanken an, daß fie nicht verichollen oder abgethan, ſondern daß ſie eigent-

lich diefelden find, die noch leben und die Geifter bewegen. Wer

in dieſem Sinn ſelbſt nur ein einzelnes geſchichtliches Syſtem behandelt und wieder an den Tag bringt, wird wiflen, daß er eine vollwichtige That des gegenwärtigen Geiſtes thut; denn die Gegenwart hat chen die Aufgabe, das Vergangene in ſich, in die Gegenwart aufzunehmen, d. h. 66 zu nergegenwärs tigen; was aber treu und objectio geſchehen muß, nicht wie son Sinigen, die (befonders in Frankreich) politifche Geſchichte fchreiben (oder wie, wenn wir nicht irren, auch ein deutſcher Belchrter wit dem „Romantifer auf dem Kaiſtrthron“ gethan

bat) welde geichichtlüche Figuren nur als Masken für nit

geläuterte Zeittendenzen anwenden. Auf ber anderen Geile wird nämlid, das Zeitbewußtſeyn, indem es fo bie wahre, ewige Bergangenheit in fich treu abzufpiegeln vermag, felbft. ald ein geläutertes, verklärtes,. beruhigtes ericheinen, Wenn es füh ber wußt wird, baß bie Gegenfäge, mit welchen es zu. thun hal,

Das Problem der Philoſ. m. feine gefchicktliche Evolution. 59

ewige find, wird es fich feiner Arbeit rubig hingeben und aller Haft, aller fieberhaften Spannung ſich entledigen. Indem das Gefchichtliche immer Flarer, inniger bervortritt, wird das Den: fen (das zugleich progreſſiv und regreſſiv ift) immer mehr vom Bewußtfenn, daß dich auch fräher gedacht, begleitet; der Ges banfe verliert dann zwar das Intereife der Neubeit, d. h. dieſe förende, dem Geiſte Gewalt anthuende Fremdheit, aber nur um ein höheres Intereſſe zu gewinnen, indem der Geiſt fidy in die fen Gragen, als in einem vererbten und umveräußerlichen Eigen⸗ thum, einheimifcher, freier fühlt und weniger leidenſchaftlich aufs geregt wird. |

Sagen wir endlich weil dieß doch eine jetzt beliebte Form der Betrachtung it ein Wort über „vie Philoſophie der Zukunft”, jedoch wohl wiſſend, daß wir damit eigentlich nur das, was unfrer Anficht nach die wahre Gegenwart ausmacht, bezeichnen werden. Ohne Zweifel ift die Zeit der unmittelbaren, naiven Syſteme jebt vorbei; mit dem Begriffe bes abfoluten Syſtems hat biefe Entwidelung ein Ziel erreicht, und ein neuer philoſophiſcher Meſſtas iſt kaum zu erwarten. Vielmehr ift ber

PMProteſtantiomus der Wiſſenſchaft eingetreten, wo die Specula⸗

non nicht mehr ein ſichtbares Oberhaupt anerkennt, ſondern Außerlich in viele individuellen Formen zerfallend, nur im Geiſte, „mb indem fie doch zu dorſelben klaſſiſchen Vergangenheit zuräds ſchaut und darin einen gemeinſchaftlichen Anhalt findet, vereinigt bleibt. Man wird hiernach nicht eigentlich von einem einzigen herrſcheuden Zeitſyſteme ſprechen hören; verſchiedene Richtungen, mehr ober weniger bie alten Gegenjäge und deren Formen wie⸗ Dergebend, werden neben einander befteben, feine einzige, die vorzugsweiſe ald aus der Zeit entftanden oder ihr im Ganzen entiprechend zu betrachten wäre. Wan wird dam vielfach fa- gen, daß unfre Zeit fein eigenthürnliches Syſtem, feine eigen- thümliche philoſophiſche Grundanſchauung habe eben weil das eigenthämlich Vereinende ein Unſichtbares iſt. Vielleicht werden wir deutlicher, wenn wir uns einer ‘Parallele bedienen. In der Kunft, befonders in der Architektur, fcheint es und eine

60 . Monrad,

verbreitete und in vielen Rüdfichten berechtigte Meinung, daß unire Zeit feinen eigenen Styl bat, indem man vielmehr alle Stylarten der Vorzeit reproducirt und bald griehiih, bald ros manifch, bald germanijch, bald & la renaissance. baut, dergeſtalt, daß die Bauwerke der Zeit ald ein wunderliches Gemiſch, cine Art von hiſtoriſchem Muſeum im ‚Großen erſcheinen. Zichen wir ab, was bier noch doctrinär und ungefimb bleibt, fo kann man jagen, daß, was ceigentlid dad Moderne bezeichnet, eben die Freiheit if, von feinem einzelnen Styl unmittelbar beherrfcht zu werden, fondern über alle nach Belieben und: nach. der ſpe⸗ cielen Art der Aufgabe zu verfügen, eine Freiheit, die eigentlich mit den reflectisten Bewnßtfeyn über den Styl, mit dem Swlbegriff gegeben ift, welchen Begriff die älteren eigenttich fwilbildenden Perioden nicht fnmten. Man fann den jchigen Zuftand als einen Verfall, als Stylloſigkeit und Zerfahrenheit bedauern und gewiß ift auch wirklich noch viel Leichtitnn, viel Gemachtes und Unharmoniſches dabei; aber im Ganzer ik boch die Freiheit hier, wie überall, ein Fortſchritt; fie wird auch nach und nad felbit Anfchaulidyfeit gerinnen und durch Die bun⸗ ten angenommenen Formen mehr und mehr als das Welents liche vurchicheinen. Die gotkifchen Kirchen, die man jetzt baut, folfen nicht. peinliche Wieberhofungen ſeyn; es wird immer of fenbarer, daß der gothifche Styl, in feinem wahren Welen, in feinen Leben aufgefaßt, Hier als ein. frei angenammnener, als eine auferftandene, pneumatiſche Koͤrperlichkeit daſteht. Im dieſer freien Geiſtigkeit, die man den Bauwerken der Neuzeit mehr und mehr maß anſehen koͤnnen und ſicher mehr und mehr anſehen wird, werden fie in aller Verſchiedenheit, wird das Antike, das Romaniſche und das Gothiſche, doch ihre wahr Ginheit und Harmonie finden. |

Iſt es vielleicht Vermeſſenheit, wenn wir über das Schid⸗ fal der. Philoſophie ähnliche Vorſtellungen hören? —. Hören wir doch ſchon vielfach, daß es mit der Philoſophie: aus ſey, daß das philofophifche Intereſſe, früher an ber Zeit, jept ande ren Interefien weichen. muͤſſe. Es ift dann wenigſtens verſuchend,

Das Problem ter Philoſ. m. feine geſchichtliche Evolution. 61

im Gleichniß zu ‚bleiben und zu fagen: ja wohl! mit der Phi⸗ tofophie ift ed aus, wie mit ber Baukunſt; aber wie man body nicht aufhört zu bauen (und wie wir glauben, immer fchöner und vollfommener), ſo wird man auch nie aufhören zu philofos phiren. Allein bier, wie dort, ift mit dem Bewußtſeyn des abs foluten Syftemd, mit deſſen klar erfanntem Begriffe, die unmit telbare Spftemberefchaft gleichen der naive philoſophiſche Styl aufgelöft. Eine Zeit lang wird bieß ald Syſtem⸗ oder Styl⸗ loſigkeit eriheinen, und Mancher wird meinen am beiten den Ton zu treffen, wenn er ganz unfoftematifch, unzuſammen⸗ hängend „in Aphorismen und Bligen” denkt. Philoſo⸗ phiſche Wühler werden im Namen ber (abfttarten) Freiheit gegen „Syſtemzwang“ und „Schulfuchferei”, gegen alle Zucht und Ordnung ein fürchterliches Zetergefchrei erheben,. gegen den ſpe⸗ eufativen Olymp in Titanen» (oder wenn man Fieber will: Frei⸗ Ihärlers) Weiſe heranftürmen und alle Elemente zu milchen fuchen. Gegen dieſe modernen Titanen wirb ‚nun der wiflen- ſchaftliche Geiſt erftlich ihre älteren Bräter, die Hundertarmigen der „Hiftortihen Schule”, die geheiligten traditionellen Mächte zur Hülfe ziehen. Diefe werben, durch neue fpeculafive Anıbros fla in's Leben gerufen, mit jenen einen langen, verzweifelten _ Kampf aushakten und fie nicht eher befiegen und fefleln, als fie ſelbſt, immer von ver unfterblichen Nahrung erneuert, zuletzt ihre fterblichen Nefte abgeftreift haben und, wiewohl in ihrer wahren Weienheit erhalten, dennoch zugleich als neue Weſen, Gelchöpfe und Diener des neuen Geiſtes baftehen, und diejer neue Geiſt, Wie wir auch oben. angedeutet haben, zufegt Alles an ber gold⸗ nen Kette zieht. - " | Man halte und zugute, daß wir hier, wo doch geweiſſagt werden follte, auch, wie es biefer Art geziemt, in Bildern and Gleichniſſen geredet haben. Um uns ein wenig eigentlidyer auszudruͤcken: fo muß zulebt doch offenbar werben, daß ohne Syſtem und Ordnung gar nicht philofophirt werden kann, daß die Zuchtlofigkeit im- Denken im Grunde nur Gedankenloſigkeit WM. Gegen biefe geiſtreiche ober auch nicht⸗ geiſtreiche

62 Monrad,

Wühlerei, gegen die „Menſchheitsphiloſophen“, wirb der gefit- tete, ernfte willenfchaftliche Gedanke ſich erftfich in die heiligen Reſte der Bergangenheit, in die treue hHiftorifche Arbeit hinein⸗ retten. Denn er wird hier Fleiſch von feinem Fleiſche, Bein von feinen Beinen erfennen, und eben in dieſer Erfenntnig wird er feine weſentliche Macht zeigen. Aber wegen menfchlicher Schwäche wird es geſchehen, daß Mancher ſich in biefen Stoff, in das Fleifch verrennt und darin ſtecken bleibt, ohne fich zu freier Geiftigleit zu erheben. Auch würbe es uns gar nid wundern, wenn Eimer und der Andere felbft lebendige Gedanken mit irgend einer von jenen alten Formen umfleidete, fo Baß wir alfo moderne Cartefianer, Spinoziften, Leibnitzianer, Kantianer unter und wandeln zu fehen befämen wie es ja auch früher, und zwar mehrmals, neue Pintoniter, neue Peripatetiker, neue Epifureer u. dgl. gegeben Bat, Und biefe Manier analog mit der Anwendung von Bauſtylen ber Vorzeit ſcheint for gar Vieles für ſich zu haben. Denn wie früher bemerft, kehren immer biefelben Gegenſaͤtze wieder; biefelben abftracten Vorſtel⸗ {ungen, bie alten Irrthüämer find immer zu befämpfen. Es liegt dann“ fehr nabe, daß 3. B. den empiriſch⸗ ſenſualiſtiſchen Wahne, der immer mehr ober weniger in Locke'ſche Fußtapfen tritt, immer. am beiten mit Leibnisiichen Baffen zu begegnen IR, oder daß alle dogmatiſche Sicherheit. und aller moraliſche Eubir monismus am nachbrüdlihften mit Kantifehen Zweifeln und Kantiſchem Tategorifchen Imperatio erfhättert wid. ‚Eben bei der Steigerung des hiſtoriſchen Bewußtſeyns werden bie Herom der Vorzeit wieder aus der Gruft heraufbeſchworen, um ihren Kampf auch für die neut und Reale Zeit aufs Neuedurchzu⸗ kaͤmpfen. Nur werden dieſe Einfeitigfeiten, in welche ſich der Geiſt verhuͤllt, mehr und mehr als ſolche anerkannt werben und daher als von ihm ſelbſt geſetzte erſcheinen. Wenn ber Geiſt ſich die ſer ſpeciellen Aufgabe widmete und zu dieſem Zweck eben dieſe Ruͤſtung als bie geeignetſte anzog, fo geſchah es nicht blindlings, ſondern aus freier Hingebung und mit immer klare⸗ rem Bewußtſeyn uͤber den Zuſammenhang des Einzelnen mi

—— N

Das Probfem der Philoſ. u. feine geſchichtliche Erofution. 63

bem Allgemeinen, bie Bedeutung jener fpeciellen Aufgabe für die totale Entwidelung des wiſſenſchaftlichen Weltgeiſtes. Mehr und mehr muß dann auch die angenommene Form von dieſem Bewußtſeyn durchdrungen und gleichſam durchhaucht erſcheinen. Wenn die reifere Menſchheit immer zu jenen klaſſiſchen Formen zurückgeht und ſich freut, darin ihren beſten Gehalt ausgedrückt zu finden, wird jenes „aliter Grotius“ immer ſeine Anwen⸗ dung haben.

Wie nun das wahre abſolute Syſtem ſich zu den Syſte⸗ men der Vorzeit und der ganzen geſchichtlichen Entwickelung ver⸗ halt, naͤmlich, um es mit einem Wort zu Tagen, als deren Entelcchte und unfichtbarer beherrfchender Geiſt: auf analoge Weiſe wird daſſelbe fich auch zu den vielen gleichzeitigen Stand» puncten und Anfichten verhalten. Denn dieſelbe Mannichfaltig- kit der Etufen, die in der hiftorifchen Succeffion vorkommt, wird au und um deſto mehr, je mehr der Denkkreis der Menfchheit ſich erweitert in gleichzeitiger Ausbreitung neben einander beftehen, unb zwar theild, wenn fie zu einer ges wiſſen Reife gelangt find, mit Bewugtfeft und wahlverwandt⸗ fhaftlicher Heranziehung geſchichtlicher analoger Denkweiſen, theild ohne dieſes Bewußtieyn ganz unmittelbar auftretend. Nun find wir nicht Bolytheiften, und glauben nit, daß die Wahr- beit fh nur in diefe Mamnichfaltigfeit ohne Einigung zeriplits tere; wir glauben an eine abiolute Wahrheit und ein abfolutes Syſtem, das ich nicht (etwa beiftiih) als ein bloß forınal Algemeines über der allein realen Mannichfaltigkeit ſchwebet, one für fih etwas zu feyn und zur Wirklichkeit zu gelangen, jondern das, einmal in die Eriftenz getreten, immer als ein reales, wiewohl unfichtbares, Centrum alles wahren Denkens ſich verwirklicht, in welchem alle relativ berechtigten Anfichten ihre wahre Einigung und ihre abfolute Bebeutung finden, Diele abjolute Bhilofophie, die fih alfo immer an eine gewifle hiftoris ſche Kernform vorzüglich anichließt, flieht in Allen, was fonft gelehrt und geglaubt wird wie anbererjeitd in der gejchicht- lichen Vergangenheit ihren eigenen ftofflichen Gehalt, deſſen

64 Monrad, das Probfem der Philoſophie x.

Seele fie felbft ausmacht und den fie in fi aufhebt nicht indem fie dieſes Verhäftniß bloß poftulirt und überall Unter werfung und äußere Anerfennung verlangt, fondern indem fie es wirklich durchzuführen vermag, indem fie jede verfchiedene Anficht bis in den Grund zu durchſchauen und fih wahrhaft anzueig- nen, jeber Anficht ihren rechten Pla bei. ſich anzuzeigen weiß. Wer auf dem wahrhaft höchften, abfoluten Standpunct ſich ber findet, wird bie anderen, niedrigeren Standpuncte nicht nur überſchauen, d. h. von oben auf fie herabfchen, fondern er wird auf jeben beliebigen wirklich herabfteigen föhnen, um ben garizen da befindlichen Geſichtskreis bis in's Einzelne unb bis auf den Grund für ſich audzubeuten. Und hier, un —— zu Andersdenkenden, wird eben dic Humanität des wahren Phi⸗ fofophen erprobt. Wiewohl der Wahrheit im Allgemeinen ge wiß, wird er doch, weit entfernt ausjchließen oder vernichten zu wollen, fich gerne überall nady Belchrung wenden; denn er weiß, daß er nur fo feine fonft abftrade Grundanſicht rcalifirt, und er zweifelt gar nicht, daß alle Geifter, die er nur verftehen lernt, ihM bienftbar werden muͤſſen. Nur wird er nicht auf diefe Dienftbarfeit ald eine äußere Anſpruch machen; er wird fich befcheiden, daß fein Reich nicht von diefer Welt ift, daß er nur dazu in die Melt gekominen ift, um die Wahr heit zu erfennen und von der Wahrheit zu zeugen, Wenn er unter den Menfchen fchreiend und um ſich ſtoßend herumlaufen und überall: „Platz dem Herrfcher, der abfolutge Wiſſenſchaft!“ rufen wollte, würbe er feinen Beruf gänzlich verfennen und ſich in unnüßen bitteren Zänfereien aufreiben. Denn er, ber Bil, fende, fol doch wiffen, daß das Anerfennen eben fo weit ald das Willen und Verftchen reicht, daß er daher zwar bie Andes ren, die Anderen aber nicht ihn anerkennen fönnen, weil er wohl fieht, was an ihnen Wahres ift, fie aber nicht umgekehrt feine wahre Bedeutung faffen, weil es eben in der Natur untergeord- weter, engerer Gefichtöfreife liegt, fich gegen höhere und weitere zu verichließen. Nur indem er Wahrheit und Licht um ſich zu verbreiten, nur indem er bie anderen Gefichtöfreife wahrhaft zu

Anton, Plato's Lehre von ber euſt % 6

erweitern und zu abjoluter -Eimficht zu erheben vermag, kann er auf Würdigung des abjoluten Syſtems und auf bie damit ver- bundene wahre Demuth ſich Rechnung machen. Sein Stolz muß darum auch nur feine eigene Demuth feyn; er ift Aller Herr nur indem er Aller Diener ift; er kann Allen ein Lehrer. wer« den nur indem er von Allen lernen kann und mag.

Daß dieſe Herrſchaft im Reiche der Geifter, welche fo dem wahren Philoſophen zukommt, weil unfichtbar, feine wirflihe ſey, kann nur von dem behauptet werben, beim: der Geift Nichts und uͤberhaupt nur das Aeußere BAR iſt.

'%

Plate’ 8 Lehre von Der Luft nach dem Phi⸗ lebus dargeſtellt. | . Bon Dr. Anton. Erfte Hälfte, 0 Mus man bei ber. Betrachtung eines platonifchen Dialoge - ſich jeberzeit bie beiden ragen vorlegen, inwieweit er ein feloftftändiged Ganzes ift und welche Stelle er im Syſtem ein- nimmt, was er abjchließt, wie er weiter baut und was er vor⸗ bereitet, fo ift e8 für bie exfte Frage nöthig, bie Idee zu ſuchen, nad) beren Darftellung und Berwirklihung der Dialog ſtrebt, ihn feloft in Theile zu zergliedern, wieder zufammenzufügen und zw

zeigen, wie ein jeder dem Ganzen bient und, fo weit es an ihm

ift, dazu beiträgt, den allgemeinen Gebanfen zur AUnfchauung au. bringen; Hr die zweite auf dem durch bie erfle gewonnenen Refultate fußend, bie Lehren früherer und fpäterer Schriften zu vergleichen. . Wenn wir nun im Folgenden befonderd bie Lehre von ber Luft nach dem Philebus darzuftellen fuchen, Tönnen wir doch die übrigen Betrachtungen. des Dialogs, die damit in ges nauer Verbindung ftehen, füglic nicht aus ben Augen laſſen, und werden, indem wir bem von Plato Telbft - genommenen Gange folgen, zunãchſt auch bie erſte jener dragen bericht gen muͤſſen.

Platon verfegt ung im Anfangs des Dinge in ben Ru⸗

Beitfär. f. Philoſ. u. ꝓhil. Kritik. 33. Band.

668 Anton,

hepunct eines Geſpraͤchs, das Sokrates mit Philehus in Gegen⸗ wart vieler Jünglinge (pag. 15, C. 16, A. 19, C. 23,B. 36, E. 52, E.) über das hoͤchſte Gut geführt hat.

Philebus, ber für bie Luft gefochten hat und noch ficht, erfcheint ald ein Mann, ber trog aller Gründe, bie gegen bie von ihm vertretene Anſicht vorgebracht werben, mögen fie auch noch fo richtig und treffend feyn, um feinen Preis feine. Mei nung aufgeben will (duoi sin nunzwg vıray ndory dexel zu dose pag. 12, A) und fich feierlich, das Vergnügen. zur Gott heit erheben, von aller eignen Mitwirkung bei ber weitern Um

uchung losſagt (pag. 12, B,); doch aber noch fo viel Inter * e zeigt, daß er derſelben zeitweiſe geſpannt folgt (Pag. 18, A, D.) Für ihn tritt Protarchos ein, ein junger Dann, Sohn des Kallias Kpag. 19, B.); er hört den Worten des Softateg mit Aufmerffamfeit zu (cf. pag. 16, A.) und zeigt fh au, einer Diöputation, in welcher Die Wahrheit ermittelt werben fol, mehr bereit. Daher kommt e8 auch, daß er, wenn gleich. Die Rolk bes Philebus fpielend, doch nicht fo Kartnädig für die Sf, ſtrei⸗ tet, ſondern Gruͤnde und Gegengruͤnde anhoͤrt, hier und da ab⸗ waͤgen hilft und die Anſichten des Sokrates, nach und, nad beffex verftehend und tiefer auf fie eingehend, wo nicht ganz, fo doch zum großen Theil zu den feinigen macht. Damit er wiffe, um was es ſich handelt, welche Rolle er von und für Philebus übernehmen fol, wiederholt Sokrates im Anfange bed Geſpraͤchs das Thema in folgender Weife (pag.11. cf. pag. 14, B.): Philebus fagt, daß die Luft für alle lebenden Mefen. has höchfle Gut fey; Sokrates behauptet, daß die Einſicht fuͤr alle lebenden Weſen beſſer ald bie Luft und am nüplichften ſey. So ficht man, follen in ber Unterfuchung bie Anſichten der beiden alten Philoſophen, der Sophiften und bes Ariftipp,. ben Philebus vertheidigt, auf ber einen Seite, unb bed die Anſicht ber Mer garifer mehr aufs Praktiſche beziehenden Antifthenes, für.den Sofrates, fo weit er boch mehr Recht bat als jene, im bie Schranken tritt, auf ber andern Seite gegen einander: abgeivogen werden. Was jede biefer Anfichten für Rebenbeftimmungen

m. wm - -

Blato's Lehre von der Luſt had dem Philebus dargeſtellt. 67

bie im Lauf der Unterſuchung gewonnen werden in ſich haͤlt, zeigt pag. 60, A., wo gefagt wird, daß Philebus behaupte, bie Luſt fey das richtige Ziel für alle Tebenden Weſen und alfe müßs ten nach ihr ftreben; fie fey zugleich. das höchfte Gut, gut und angenehm aber ſeyen bafielde, Sokrates: hingegen‘, dies fey nicht fo, gut und angenehm feyen von einander verfchieden, und bie Einficht (poo⸗noic) habe mehr Antheil am Guten, als bie Luft Jef. Corgias pag. 495.]9). Da fällt es ſogleich auf, daß Sokrates ſich in Bezug auf fein Gut fo behutſam ausdrüͤckt und von ihın nur ald von einem fpricht, das beffer und wünſchens⸗ werther als die Luſt fey, nicht aber wie diejenigen, deren Par⸗ tei er nimmt, behauptet, daß bie Einſicht für das hoͤchſte Gut zu halten. Er bat immer ein anderes höchftes Gut im Auge, das fich erft aus der Unterfuchung ergeben fol, und darauf weift er und gleich hin, wenn er nun ald Fragen, um: die ed fihh handelt, hinſtellt: 1) weldyer von Beiden hat Recht, ift Luft oder Einfiht das hoͤchſte Gut, und ift es Feines, welches

dritte? 2) ift es ein drittes, welches von jenen zweien ſteht die⸗

fem näher und erlangt dadurch den Vorrang. vor dem andern? Don dem höchften Gut felbft aber fordert er, daß es eine ges wiſſe Befchaffenheit und Verfaflung (Ess und dıdFeoss) der Seele

ſey, welche allen Menfchen koͤnne das Leben glüdfelig machen u

(pag. 11. D. cf. pag. 19, C. zT! raw ardownbwy xrrudtwy Keıorov und 66. A, wo bie Luft ein ariua genannt wird), daß es zugleich nicht nur für alle Menſchen, fondern auch für das AU dafielbe fey und von und, wo nicht feldft, fo doch im Abbild, das das Wahre des Achten ahnen laͤßt, erfaßt werden

fünne (pag. 64. A. C. pag. 65, A): Während nämlich bie

Geſtalten des AU, deſſen Elemente auch im Menſchen ſich fin⸗ den, gleich nach ihrer Bildung ſich als mit dem hoͤchſten Gut zufammenhängend darſtellen, iſt der Menſch beſtimmt, nach ihm zu ſtreben, mit der Hoffnung, es zu erreichen, wenn es ihm ge⸗

*) Republ. 6, 505. 5

68 i . ı. Anton,

Engt, Bernunft und Einficht (voös und pecrnes) in fie Derhältniß zu der Luſt (7dovn) zu fegen.

Sokrates benugt nun das angebeutete Thema zum Faden, an dem er feine Unterfuchungen hinfpinnt, und beginnt pag. 12. C. mit der Unterfuhung über das Wefen der Luſt. Ez fiheine zwar, fo meint er, als wenn Luft dody nur Luft ſey ui darin fein wefentlicher Unterfchieb ftattfände, aber wenn mak bebenfe, daß ber Befonnene und Bebächtige ſich keue, es freie fi) aber auch ver Zügellofe und Unverftändige, fo fehe mar doch, daß es gute und ſchlechte Luft gebe und das Wort „LÜf“ mancherlei und auf eine gewiſſe Weife einander unähnliche, ja vielleicht entgegengefegte Arten in fich faſſe. Ebenfo ſey ia Faͤrbe such Farbe, und doch wage Niemand zu. behaupten), daß «8 nicht verjehiedene und einander entgegengeſetzte Arten gebe, W ſchwarz und weiß. Der Gattung (ydvos) nad) fey Alles Ein, Luft ſey Zuft, aber die Theile feyen theils fehr verſchieden, thelig einander entgegengefeßt. So wirb wohl glei an bie vehte der Sophiſten, die nicht nach Arten ſchieden, und an die iu Ariſtipp angefnüpft, der, wenn er gleich Luft von Luft nicht ums terfchieb und meinte, daß nicht leicht etwas angenehmer fern Eönne als etwas anderes, doch trefflichere und geringere, Fir yerliche und Seelenluft, aljo gleichſam Grab s und Artunter fchiede annahm, nur in ber Empfindung der Luft ſich feinen Unterfchied denken Fonnte. Es jcheint aber Philebus den erſten Sag: „Luft ſey Luſt“, zu ſtarr feftgehalten zu haben und ſich der Möglichkeit, daß tropdem ein Art» und Gradunterſchied ftattfinden Fönne, nicht bewußt geworben zu feyn %. Nentie man num, fährt Sokrates fort, jede Luft ein But, fo verwechole man den Ramen „Luſt“ mit dem Namen „Gut“ (Gorgias pag. 434), Das Luſt Erregende ſey wohl angenehm bad

5) Es ſcheint in Athen damals unter den Philofophen viel über bie Zuſt gefprochen zu feyn und die Anfichten fo weit auseinander gegangen, baß die einen fie für dad Gut ſchlechthin, die andern fie, wenigftens ihrer Ausfage nad, für ſchlecht hielten; einige ſuchten wohl auch gu wermilteln Ci. Aristot. Eth. Nicom. X, 2,

@

Plato's Lehre von der Luſt nach dem Philebus dargeſtellt. 60

bezweifle Niemand, aber das Angenehme fey nicht‘ immer gut, fondern zum Theil zwar gut, zum Thell aber auch ſchlecht⸗ denn was fey es wohl, daß in allen Ruftgefühlen, in. guten wie in fhledhten, innewohnend fie alle zu einem Gute macheI Aehnlich freilich verhalte es fi) mit ten Wiflenfchaften, dem Gebiete der Verminft und der Einficht, . denn es gebe verfchie« dene, unähnliche, vielleicht auch entgegengeſetzte Wiſſenſchaften, und man nenne fie doch alle chen mit dem einen Namen: Wiſ⸗ fenfchaft. Allein man müffe feithalten, daß trog dieſer Aehnlich⸗ feit zwifchen beiden Principien ein Unterfcjied obwalte und- dies fer allein die Entfcheidung über die fraglichen Puncte berbeiführe:

Nachdem er fo das Thema feftgeftellt und zugleich von den Hebonifern (Brandid pag. 477), deren einer Theil mit Ariftipp ſich ſchon eher dahin neigte, zugeftanden erhalten hat, dag Luft von Luft, wenn gleich der Gattung nad eins, doch verfehieden fey und mehrere Arten in ſich fafle, fucht. er nun naͤ⸗ ber zu beftimmen, wie dies möglich fey, und hinſichtlich bes Weges, den er bei ber Unterfuchung einfehlagen foll, einen naͤ⸗ bern Anhalt zu finden. So kommt er auf den bewundernswür⸗ digen Sag (pag 14, C.) zu ſprechen: „daß eins ſey das Diele | und das Eine vieled," „daß das Eine ſey vieles und unbegrenzt und das Viele nur eins“, und beginnt deſſen einzelne Theile näher zu erörtern.

Unter dem Eins zunächft verftcht er nicht ein Eins, das dadurch vieles wird, daß es mit verſchiedenen Dualitäten, wie ‚groß Klein, fchwer leicht, in feinen Thellen behaftet ift, oder bar durch, daß es aus Theilen befteht, mithin felbft entftcht und vergcht, aljo überhaupt nicht einen finnlichen Gegenſtand fondern ein Eins, das weder entficht noch vergeht, und das dem Geifte fichtbar wird, wenn er gefunden hat, daß z. B. in allem Schönen eine Einhelt if, die es zufammenhält, oder bag das Gute eins ift, und daß ebenfo in allen Menſchen eine Eins heit iſt, Die fie zu Menichen macht. Bei folhen Einheiten, fahrt er mit Hinblick auf die Megarifer (Dycks pag. 45) fort, iſt dreierlei zu unterfuchen: 1) ob fie wirklich als ſolche exiſtiren.

*

R Union,

.. wie eine jede für fich, immer biefelbe, weder entfichenb noch vergehend, eben dieſe eine iſt, d. 5. ihre Qualität, 3) wie eine foldhe Einheit in vielen Individuen zur Er⸗ ſcheinung Kommen lann; ob fie, eine jede für fih, in ben em benden und Unbegrenzten als zerſtreut und viel geworben: gu fegen find, oder ob fie, eine jede als Ganzes, doch gleichſam ſelbſt von ſich geſchieden und außer ſich geſetzt was ummögs lich ſcheint ſich als daſſelbige und eins zugleich in Einem und Vielen zeigen, d. h. 1) iob es allgemeine Begriffe Lodge trennt von der Materie wirklich giebt, 2) wie beſchaffen fie ſind/ daß fie immer biefelden bleiben, 3) wie ihre Qualität iſt, ob eine jebe. in bie aud der Erſcheinungswelt unter fie fallenden. Individnen vertheilt if, ober ob fie. ganz als daffelbe und eint: zugleich fo wohl in der Gattung ald in jedem ticgelnen Theilt innewohnen ®) (cf. pag. 23, E.). u —W "Am dergleichen Fragen aber zu entſcheiden, muß man einen Weg einſchlagen, der in's Toncrete führt und ſo das Abſtrarte am Conecreien deutlich machen. Iſt dies doch um fo wichtiget, als man in Allem, was je geſprochen wird und if, immer vor⸗ ausfest, daß das Eine im Vielen und Das Viele fi im Einen finde; beruht doch alles Urtheilen Darauf, daß man die Arken- unter das: Allgemeine fubfumirt, daß man die Individuen in der Gattung vereint. Es findet fih aber jene Behauptung, daß das Eine ift vieles und umgekehrt, gleichfam verkörpert in alle dem, was befleht (eivau); denn jedes wie ſchon bie Al⸗ ten, welche ben’ Göttern näher fanden, vernommen haben, von dem man fast, daß es ift, befieht aus Einem und Bir Ien und hat Örenze (ndgas) und Unbegrenztes (Arsuge): in fih verwahfen (Roͤuupuroy). Um ſolch' ein Ding nun in feinem Weſen zu erfaffen, giebt ed zwei Wege, den des ſyn⸗ thetiſchen und den des analytiſchen Verfahrens. Auf jenent ge

*) Ct. Ueberweg: „Die platoniſche Weltſeele“ im Rhein. Mufeum 1834. pag. 52. Deufchle:. „Die Begriffe der Bewegung nnd des Wettend bei NRlaton.“ Jahrbüder für Philal. u. Bäpag,. 1865. 2. Saft, peg. 178.

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Plato's Lehre von der Luſt nach dem Philebus dargeſtellt. 711

langt man von ber Gattung durch die Arten zu der Mannichfäl⸗ tigfeit der Inbivibuen, vom Einen durch dad Biele zu dem Un⸗ begrenzten, welches aber quantitetiv durch bie Zahl und qualis tatio durch bie Idee beſtimmt wird. Aus ber Idsn ded Dinges werben befien Arten und Individnen conſtruirt, aus bein In⸗ halt wird der relatio unendliche Umfang abgeleitet und biefe uns begrenzte Maſſe bes Einzelnen und im Einzelnen alt durch bie Zahl gebunden ohne welche fie nicht gedacht werben kann vorgeftellt: (pag. 16, D. cf. Aristot. Eih.:Nicom. 9. 20. 1170, 6, 83). Will man z.B. die Buchſtaben kennen lernen, fo ge [dicht Dies doch noch nicht, wenn man werk, baß ber Laut fer bes einzelnen Menichen und aller einer iſt und aus dem Munde hervorgeht, auch unendlich an Menge if, benn man Tamt batın wohl die Gatiung, weiß auch, daß bie Individuen, bie unter fie fallen, unendlich an Menge ſind, Bet aber weder von ihren Quantität noch von ihrer Qualität. eine Vorſtellung: und body macht dies erft ben Kenmer ber Buchſtaben. Aehnlich iſts bei ber Muſik. Auch in ihr iſt der Laut einer; und wenn man auch weiß, daß er Koch, tief, auch glelchienig if, fo Fennt man doch die Mufif noch nicht; wenn man aber alle die Intervalle und Grenzen ber Intervalle im Bectreff der Höohe und Viefe kant und ihre Beichaffenkeit und bie ſich aus ihnen ergebenden Spfieme und Harmenien, und wann. man weiß, daß ähnliche derartige Zuftände in ben Bewegungen bed Körpers: fich finden; jobald fe nur durch bie Zahl. gemeffen werden dann erfennt man die Gattung, bie Arten. und Individuen, wie fie quantita⸗ ti und qualitativ beſtimmt find, und Tann nun getroft behaup⸗ ten, daß man bie Tonkunft lenne.

Das analytische Verfahren hingegen fucht in ber gegebes nem Erfcheinung ben allgemeinen Grund, geht alfo von bem Un⸗ begrenzten durch das Viele; welches burch eine Zahl gefefielt wird, zu dem Einen hin (ef. Arist, Eth. Nic. 3. 5.). Als Bei⸗ ſpiel fönnen wieder die Buchftaben dienen. Aus ber unbegrenz⸗ ten Menge derfelben werben ausgeſchieden bie Bocale, bie Lie quida, die Mutä, die nur durch: eine Zahl beftimmt find, und

24 Anton,

biefe werben wieder bis auf jeben einzelnen Buchſtaben zerlegt und benannt. So if die Duamkttät beftimmt. Aber alle diefe aus dem Unbegrenzten und dem Mielen usgeſchitdenen Einzel⸗ nen laſſen ſich in ihrer Qualitaͤt nicht ganz erkennen, wenn Man fie nicht: alle zuſammen betrachtetz denn ſie bilden, umter einan⸗ ber genau zuſammenhaͤngend, ein gewiſſes Eins (> zws). Dies geſchieht in. der Buchſtabenlehre (yeuuparech Kanſt zit leſen und zu fihreiben), dem fie umfaſſenden Bande (Au Bopkist, pag. 258)... So finde ich aus ben Individuen Durch bie Asten die Gattung. Es befteht alſo jeber allgemeine Begriff aus bin > al ber Gatlung und faßt nort« ats Arten und Inbielduch, welche wiederum als ürsoov von dem die Zahl c vertretenden aladz gebhunden werben”), in ſich. Und es ergiebt filh;- nB jene Einheiten wirklich, wenn auch nicht ſichtbarlich / ertſtiren jede immer viefelbe bleibt und in der Geſammtheit der Indivi⸗ dien verkörpert zur Auſchauung Tommt (ef. pag. 20, A) Ss ſind gegenüber. den Sophiſten die Arten hervorgehoben und "ge genüber den Megarifern. die ewigen Geftalten ver Dinge als mit den veraͤnderlichen Dingen in gewiſſer Weiſe verbunden vorgeſtellt (cf. Dycks pag. 41. 46. Brandis 2, pag. 110% Luft und Erkenntniß bilden nun auch: teded ein Eins, ein &; das fich gleich und daſſelbe bleibt; wie find fie. denn Binesum Bieles und wie find ſis Un en dl iche s, jedoch von der Zahl ge⸗ bundenes, d. h. wie ſtellen ſie eins und vieles, niocg und nt- gor,.dbar? Ob und weiche Arten giebt es, wie ſind vn Quantitaͤt und Onalität beſtimnit? Zn EEE Dieſe Unterſuchung jehoch, welche Protarchos net‘ uns im Namen feiner Genoſſen erklaͤrt wicht fihren zu Können, ſondern dem Sofrate& überktöt, wird wieder zuruͤckgedraͤugt, “ta fi bie Frage: welches von beiden das hoͤchſſe Entf): anch ohnt Kenniniß der Arten beantworten läßt. Man braucht nemlich nur. bie Kemnzeichen des hochlen Gutes zu beachten, um fogtig

“) Das Dicke und das Unbegrenzte find 106 nicht vößig aut Das Unbegrenzte wird Vieles, weil es durch die Zahl gebunden. wird.

|

Plato's Lehre von der Luß nad dem Philebus Dargefteflt. 13 mit Sokrates Gott zu danken, daß er: ihm eine Grinnerumg an alte Reden gegeben, wonach weber Luft noch Einficht das: hoöchſte Gut find. Dieſes muß nemlich vollfommen (rdlsor), ſich

felbft genügend (ixarir) *) und feiner felbft wegen von allen‘

lebenden Weſen in ſolchem Maße zu erfizeden ſeyn (aloeror), daß fie fih um nichts anderes -Fünmern (pag. 20. D. 22. B. 60. C.). Nun genügt aber weber Luft noch Einfiht dem Men⸗ ſchen allein (of. Arist. Eth. N. 10. 2. 1172, 6. 30.), ja Luſt hört fogar ganz auf, für den Menſchen Luft zu feyn, wenn fie nicht von der Bernunit (voös) und den ihr verwandten Seelen Thaͤtigkeiten, wie dem Gedaͤchtniß und ber wahren Meinung, begleitet wird: und wieder iſt das Zeben nad) der Vernunft ohne Zur wehl möglich, aber für den Menfchen nicht wunſchenswerth (pag. 21. C. 33. B. 60. E.). Erſt wenn ſich beide gegenfeitig

burchdringen, find fie wuͤnſchenswerth, genügend, vollkommen

(pag. 22. A.), mithin ift ein Leben, weiches beide, Luk und Einſtcht, in» und durchrinander enthält, dasjenige, welches bad hoͤchſte Gut in ſich fchließt.

Somit iſt gezeigt, daß es wirklich Einheiten, geteife En

tungscharaktere giebt, die immer biefelben bleiben, doch verſchie⸗

dene Arten in fich faflenz es iſt nachgewieſen, daß Luft und Einficht, die jebed eines genannt werden, doch von einander verichieden und vieles feyen. Die Arten find zwar nicht. abge leitet, aber in ihrer Möglichkeit behauptet: Dabei ift ſchon hin⸗ teichend bewieſen, daß bie Luft nicht das hoͤchſte Gut fern kann; von der Vernunft (voös) hingegen ift es nur angedeutet, daß fie und. zwar find diefe Worte dem Protarchos zugefchrieben ohne Luft nicht wuͤnſchenswerth erfcheint; wie es fich aber eigents lich mit ihr verhält, das laͤßt Soerates im Zweifel, wenn .er

fngt: od ulrsoı Ton ya ülmdırky Aa nal Ieloy olpaı voür, Y 7 a '

*) Telsor und inavor find fogeng mit einander verbunden, daß fie Pag. 22. A. und’ pag. 60.C. unmittelbar in einander übergehen. Das höchſte Gut hat das fich ſelbſt Genügende am vollkommenſten, und iſt es das voll: tommenfte, muß es ſich ſelbſt genügend feyn; fo wird auch P28- 81. A. das aaro⸗ vom rideo⸗ vertreten.

74 | Anton,

a im wc &yev 22,.C. Zumächit löft er auch bie Zwei⸗ fel nicht weiter, ſondern geht zu der früher angeregten zweiten Frage über, ob -Bernunft oder Luft dem gemeinfamen Leben näher che (pag. 22. D.), und daran Inipft ſich die Unterfuchung über die Arten (3. C. cf. 27. 6.) Wir erhalten ‚vie Antwort vor der Unterſuchung, ſoſern Sokrates ſagt, ex werde beweiſen, baß bie: Bernmft biefeme gemiſchten Lehen naͤher ſtehe und ähnlicher. fey, die Luſt iaber 'feibft dem dritten Preis noch an andere &hter abtreten müſſe. Dabei ſe es nöthig, einen zum Bheil von bem frühern verſchiedenen Weg einzuſchlagen (pag. 23. B.). Run wendet. er ſich zu aiiene. wi vun Oyea dr var nung, zu den räumlichen Oeſtalten, une -Inüpft an bie frühe auf bie Götter zuruͤckgefuͤhrte Behauptung am, ai Zeil der Dinge erſcheine ald unbegrenzt (ünepor); ei. Thei als die Oronze (zEpas) in. ſich habend; wonn aber eine Geſtalt zur Erſcheimmg, fomme, müſſe fie beides, Grenze: und Unbe⸗ grenztes, im ſich zu einer Einheit gemiſcht haben GE “Agpön seviow Er Eummayöuerov); ferner beduͤrfe es eines Grundea (nirde), der bewirle, daß Beide zuſammengehen; offen gelaflen wird bie Frage, ob. auch etwas ba ſeyn muß, das fie wir der tremit. '

So wird die pag. 16. C. aufgefiehiie und: yon: 1 ben Botha⸗ gorerrn entlehnte (el. Boekh: Philolaus pag. 47. 57, 145.) Be hauptung, daß jedes Ding aus Einem und Vielen beſteht, umd Grenze und Unbegrenztes in ſich verwachſen hat, dahin erörtert, daß die Elemente des Dinges, die Grenze wie das Unbegrenzte, ſelb wieder allgemeine Begriffe md und gleichſam Arten ia ſich befaſſen; daß fie aber, um zu einem Seyn zu gelangen, ſich vereinen, ja ſogar zum Dheil ihr Weſen aufgeben: müſſen, un Fall der Nichr⸗Einigung hingegen beide nur in der Abſtraction vorhanden ſind. Und nun richtet ſich die Unterfuchung darauf, von ihnen nachzuweiſen, wie firweine Gattung mit ihren Arten darftellen, wie jedes von ihnen felbft eins und vieles iſt, wie sin jedes ſich ſpalten und theilen, und doch wieder zuſammen⸗ fügen läßt. Dann ſoll zu denken verſucht werden, wie ein je⸗

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Plato's Lehre von der Lu mach dem Philebus dargeſtellt. "7

bes von ihnen von Anfang an eins und vieles war. Darum werben von pag. 24 an bie einzelnen Erfcheitungen unter bie Geſichtspuncte des =foas und &zerpo» gebracht und zunächfi dies jenigen nachgewiefen (pag. 25.),. welche das zepug nicht. haben.

Was gehört alfo zu der Gattung des Unbegrenzten (dnspov)? Alled, was jowohl mehr als weniger werben, was bald ſtark bald ſchwach ſeyn kann (ef. pag. 26. D.), durch ſich in ſich ſelbſt zu keiner feſten Geſtaltung gelangt, in ſich kein Ziel (76205) hat, zu dem es hinſtrebt, deſſen Gradunterſchiede wohl vorhanden, aber nicht nach beſtimmter Norm geregelt ſind. Dergleichen Begriffe, wenn man ſie ſo nennen kann, ſind: warm kalt, trocken naß, ſchnell langſam, groß klein, hoch tief u. ſ. w. (u C.). Ber ihnen allen verſchwindet völlig das Quantita⸗ tive *) und das Maß (pag. 24. D.); denn ſobald das „wärmer und kaͤlter“ nady einem Maß geregelt wird, hört ed auf wärmer und fälter zu ſeyn. So: kommt allen das Linbeftimmtfenn zu, fie tragen alle den Gattungscharakter bed „mehr und weniger“ und gehören mehr: und weniger in das Geſchlecht bed -ünupor wie in eins (26. D.). Sie find gleichſam bie‘ Repräfentanten ber Maierie, - die immenwährend bewegt und verändert in ſich noch zu keinem feſten Halt gelangt iſt.

Wie verhaͤlt es ſich mm mit bee Grenze? (ndans, veü nipatos ylıra 25. D.). E umfaßt alle bie Geſtalten, weiche das Gegentheil von jemem, aljo dad Gleiche, das Zwei⸗ faltige, überhaupt Alles, was ein Maß oder eine Zahl im Bers gleich mit dem Grundmaß und der Grundzahl if, in fih auf nebinen, und es bewirkt, indem es fi der Zahl bedient und nad) ihr bie Erfcheinungen regelt, daß Das, was einander ent» gegengefegt und von einander verſchieden ift, aufhört zu dishar⸗ moniten und maßvoll und zufsmmenftimmend wird **) (mega

*) C£. Irendelenburg: Gef. der Kateg. pag. 209. Anm., wie fig die Ariſtoteliſchen Kategorien in ihrem Anfange bei Platon zeigen.

”.) So mit Trendelenburg: „de Platonis Philebi consilio“* pag. 7. Anm. 9. Die neueren Weberfeger Müller und Wagner folgen wieder Schleiexmacher und verbinden eesIuor nicht mit Ardsica, fondern mt

areoyajeran

76 Anton,

ve änupyacaro. To nepag Ev voig oda). Als eins erfcheint fo mit die Grundzahl, als äneıpov alles, was, im Berhältniß zu diefer, Zahl genannt wird. Es if aber dad Verhältnig dieſts Vielen zum Einen enger, ald beim ünsıpov, es hängt das ein⸗ zeine tem Weſen nach genauer mit dem Eins zuſammen. Es fheint faſt, als wenn Plato ſich ſcheue auszufprechen, daß dad ztoag vieles iſt. Pag. 24. 10 de ndoug Exov Huüs nepuerite,. Pag. 25. A. D. änsspüv TE dr nuvrl noAd xal nlong Ixaybr. Pag. 25. D. xal pev zöye nlgag Dure nord elyer ot Lövon- Anivouer wg odx mr iv güas. Es iſt das ndoas eins und vie- les, wie die Idee. Zur Erſcheinung aber kommt es, indem ed fi) des .aneıgov bemeiftert.

In jeder Erfcheinung nemlich iſt beides mit einamber ver⸗ bunden, jede bat ein Maß in fih. Co giebt es 3. B. ein „wärmer“ an ſich nicht, es ift etwas warm und hat dann fein Maß der Wärme, wärmer ift es nur in Bezug auf ein ztoeile, Der Begriff „warm“ läßt zwar verfehiedene Steigerungen zu, aber jede hat, wenn fie zur Erjcheinung fommt, ihr Map. So eniſteht das dritte, bie Welt der Erfoheinungen, gemifät aus den beiden vorigen (76 Tolrov dE aupoiw Todzow Er Erumuoyouevov), es findet flatt eine Entftehung zınn Sem aus den mit der Bewegung fich ergebenden Maßen. Wirbz. 2. in der Krankheit die richtige Gemeinfhaft von Grenze und Ur begrenztem erzeugt, fo entfteht die Geſundheit; wirb in. ’de6, was bald hoch bald tief, bald ſchnell bald langſam feyn kann, ein nous gelegt, fo entfteht ein neues dpa, die ganze Muff; in „warm und Falt“, bie an ſich einer großen Ausdehnung f big find, ſchwindet das änepov, ſobald fie durch das does ge bunden zur Erfcheinung kommen und in-ikrem Aeußern ſchon dar⸗ thun (ovpuergov), daß fie ihrem Weſen nah Map habm (Epperpov); fie erzeugen bie Jahreszeiten. Ueberhaupt alle Er fheinungen, die fhön geworden, find dadurch entflanden, daß fih das Aneıpor mit bein, was nous hat, gemifcht hat. Daß felbe findet ftatt bei den Gütern des Körpers, Geſundheit, Schöw heit, Kraft, und in ber Seele. Aber auch der Uebermuth (Bess)

Plato's Lehre von ber Luft nach dem Philebus dargeſtellt. 77

und überhaupt jede Schlechtigfeit, die an fich feine Grenze ber Luft umd der Sättigung haben, demnach unter das Unbegrenzte gehören, find in der Erjcheinung durch ein Geſetz und eine Orbs nung ‚gebunden und haben fo eine Grenze, find mithin den all» gemeinen Beftimmungen .untenvorfen.

Das nioas iſt eind; es iſt Dad Maß, das die Erſchei⸗ nungen regelt; es iſt aber hinreichend vorhanden, um alle Er- [heinungen des Ansıoev zu regeln; es wirkt im üneıgov, wels ches vieles ift, die Erzeugung des Eins, d. h. beſtimmter Ge- ſtalten, die wieder mannigfaltiger Art ſind, wie Geſundheit, Tonkunſt, Jahreszeiten (pag. 26. C. zd mAnIog rijç yardoswg Tod rolsov). Dasjenige, wad das Eine und das Viele erzeugt, iſt alſo ald Einheit geſetzt. Es erfcheint nun bad ndpuc in der Miſchung, durch welche ein bleibendes Weſen entſteht; es muß. alſo in allen dieſen Geſtaltungen angeſchaut werben können. So iſt das noas bie mathematiſche Einheit, welche da8 Ungeordnete des Unbegrenzten zur Ordnung führt, in ihm Gattungen erzeugt, dieſelben in allen ihren Arten durchdringt und jede einzelne gewordene Geſtalt zulammenhält. So ift e8 der Vermittler zwifchen Idee und Erſcheinung, ed bewirkt, daß die Idee erfcheinen kann; denn dadurch, daß ed das Unbegrenzte ordnet und in ihm Geſtalten erzeugt, ſetzt es zugleich voraus, daß diefe ein bleibendes Weſen haben Cähnlidy bei den Pytha— goreern, Boeckh: Philol. pag. 144—147.). Eo vertritt es endlich auch die Idee, welche als Urbild mit mathematifcher

Beitimmung fi) in Die Materie einfenfend (das zgus ſentt

eine Zahl ein) bier ein Abbild erzeugt, in dem fie fid) ſpiegelt, fie fich anfchauen läßt, Die finnliche Erfheinung offenbart die Idee (ef. Zeller, Philoſ. ber Griechen, u, pag- 280. Stein» hart, pas. 642.).

Ueber dieſem ganzen Proceß aber waltet bie alrlo. Sie fenft die Grenze in's Unbegrenzte ein, ober bewirkt, daß es ſich einfenfen Tann (27. A.); fie wirkt (moi) Alles und lei— tet (dmyuovpyei) Alles; fie iſt es, der jene Drei, welche fich aus der Betrachtung beffen, was wird und woraus etwas Wird,

TB... | Anton,

ergaben, zum Werben (eig Jdysar) bienenz fie benukt Bas 'ndoos zur Erzeugung der einen oder. andern Geſtalt Im ünzegor, wie fie 3.8. die Jahreszeiten einrichtet und ordnet (xoogei, ewwrkr- zer); fie bindet, fie iſt Urſache des Werdens zum Senn, wir aber zunädhft nicht im Sen angeſchaut. Die alria wirft alfo mit bem gegebenen ndoas und Anepor die Erſcheinung, das Seyn. Das negas aber gehorcht ihr, dem nipas gehordt vas änepov, fo daß zullßt die ulzla als Alles wirfenb und verwaltend (ef. pag. 30. D.) vorgeftellt wird. Co entſteht ein Dualismus, der. aber dadurch ausgeglichen wird, daß die adıla fh die andern Dinge bienflbar macht und zu ihren Zwecken verwendet. Anders loͤſt es Philolaus, der, wenn er gleich bie beiden Gegenfäge nous und änepor in einer Höhen Einhei wurzeln läßt, doch zu ihrer Berfnüpfung noch der Harmonie bedarf als der Form, unter welcher allein ber «oaros eniſtthen - konnte (Boechh, pag. 53. 64... Glich das änepor ber Mi

terie, vermittelte das mreoag ald Zahl die Idee, fo iſt bie altin

der Grund, ‚der, in der göttlichen Bermunft erzeugt, biefelbe Der 1003, die Ideen ber Materie zu geben, die Dinge zu erzeugen: Wenn nämlich jede Miſchung einen Grund haben muß, fo muß auch die Ordnung, die im AU fich findet, fich auf- ihren Grund zurüdführen laſſen; dies ift entweder der Zufall oder Die Behr munft (voös), die Wagſchaale neigt ſich aber nad) ber Seite ded vous; der hoͤchſte voss nun, der des Zeus, hat die alric in fil.

-Diefe ganze Unterfuchung Bat Sofrates hier äußerlich’ ges führt, um die Frage, ob Luft oder Einficht- den zweiten Preis verdiene, zu entfeheiden: und zwar fol er bem zugeſprochen wers ben, welches als ein wefentlicherer Beſtandtheil des gemifchteit Lebens im größeren Maße dazu beiträgt, baffelbe hervorzubringen (pag. 22. C.). Deshalb hat er die Gattungen (y&7) gefürht, bie erforderlich find, wenn überhaupt etwas entfehen ſoll, und hat als ſolche die adria, daß nlong und das: Änzıger gefunden; zugleidy: hat er gezeigt, daß bie alz/« ben meiften An⸗ theil an der Ontfichimg eines Dinges habe, dann das zrigas, endlich das -imupen. Es fragt fi alfe, welchem won bieſen

glato's Lehte vom der Auf mach demi Philebus dargeſtein. 79

Geſchlechtern gchört die Luft an, welchem die Einſicht, welchem bad gemifchte Lehen? und da das britte Geſchlecht, alles vom 2oos gebundene anegov, d. h. alle Geſtalten, alſo auch das gemifchte Lchen enthält, welches uneoor if dann in dieſem von welchem nepas gebunden ?

Die Luft füllt unter das Unbegrenzte, denn fie ift der Menge und Steigerung. (70 nAäFog xel vo uüilor), ber Quan- tität und Qualität nach unbegfenzt, ebenfo: die Unluſt (cf. Arist. Eth. Nic. 10. 2. 1173. 6. 22.). Hieraus folgt, daß die Luſt, indem fie in biefer Hinficht mit ber Unluſt, bie. body nicht gut it, übereinftimmt, nicht weil fie umbegrenzt iſt einen. Antheil an Gütern enthält, ſondern daß etwas anderes zu ſuchen iſt, was fie ald unter bie Güter gehörig erſcheinen läßt.

Die Vernunft (vos) ift der adzda verwandt, hat.bie elrla, in fh. Wenn näntlich feflfieht, daß ber »oõc, König bes Himmels und ber Erbe, das AU mit bewundernswerther Klug⸗ heit verwaltet, des Anblicks der Welt, der Sonne, des Mon⸗ bes, der Geſtirne, des ganzen Umſchwungs würdig if; wenn ferner feftfteht, daß das einzelne lebende Wefen mit dem All zuſammenhaͤngt und aus dem AU fein Entftehen und feine Nah⸗ rung zicht, und wenn demmächft alle Theile, die in dem leben⸗ den Mefen Hein und fchlecht, nicht rein, mit einer ihrer Natur nicht würdigen Kraft ſich finden, im AN in feltener Menge und Schönheit, Reinheit-und Größe und mit bewundernswerther Kraft vorhanden find und gleihfam Theile von fich den einzel- nen lebenden Wefen gegeben haben ſey es Rörperlih, denn wie der zoopog aus Feuer, Waſſer, Luft und Erde beitcht, fo auch das owua Tod Lwov fey ed feelifch, denn wie unfer Körper eine Seele hat, fo bat auch der Körver bes MI eine Seele, von welder, als der fchönern und berrfichern, erft un⸗ ferm Körper feine Seele verliehen iſt: fo ſtammt auch geis fig unfere Vernunft (voög) von ber göttlichen, denn es ift Dies felbe aiz/e, die, wenn fie zoic nup’ naiv wirkt, unfere Seele erzeugt, Leibeskraft giebt, den Eranfen Körper zuſammen⸗ fügt und heilt. und allerkei Weisheit genannt wird, und fofen

80 Unten, Blato’s Lehre v. d. auft nach d. Phllebus dargeſt.

fie ir Sim oögurg iſt, im AN Alles auf das ſchoͤntte und Km lichſte ordyget, wie fie Jahre, Jahreszeiten und Monate eniſtehen laäͤßt. Und dieſe airda if in dem voös bed Zeus, macht ihn zu einem Föniglihen (dıs zuv säs alzlag döragır), und ba fit nicht ohne Seele vorhanden ift, bawirkt fie, baß in dem Weſen bed Zeus eine koͤnigliche Seele innewohne. So fällt hier ber Gruhd mit dem, was ihn erzeugt, dem höchften vous, das Ges wirfte mit tem Wirfenden zufammen, und es folgt, daß ber vos in letzter Inſtanz eind mit der adzla des AU (alrlac I yerıjg xal Tovsov ayeödy Tod ylrovs 31. A.), bie alııa, welche in ben einzelnen Dingen wirft, in ſich hat, erzeugt und von ſich in Abhüngigfeit weiß. So iſt die alrla bie Madıl, durch welche der voös aller Dinge Grund if; fie gehört: zu ſti⸗ nem Weſen und zeigt ihn in feiner auf die Bildung bed AU ge⸗ richteten Thaͤtigkeit. .

War früher nachgewieſen, baß «8 Gattungen giebi, ie Arten haben, in denen das Weſen ber Gattungen, bewahrt bleibt, fo ift nun gezeigt, wie aus zwei folder Gattungen, den pas ald Einem und dem üneıpov ald Bielem, beſtimmte Ge⸗ ftaltungen, bie finnlichen Dinge wie Begriffe, entſtehen: al Ordner und Wächter aber bie altlu, welche als zpös wir, ber. Miſchung vorſteht. Es ift aber zugleich gezeigt, daß bie Gefep der Bildung nicht nur auf ber Erbe, ſondern im. ganzei Weltenraume, in dem ja liberal biefelben Elemente, nur noach Menge und Reinheit verfchieden, wwiederfehren, feine Gel hat. Bon Luft und Einficht endlich if bargethan, daß, koyayı beide barin übereinftimmten, fie, jedes dem Geſchlechte gah eins, doch viele Arten in ſich faſſen fie doch weſentlich van einander verſchieden find, ſofern bie Luft unter das Aneuppr, gpr hört (das zepag in ihr ift noch nicht beſtimmt), ber. voög his gegen in feiner Geftaltung nichts vom ärzegor hat, auch nicht bad nous iſt, fondern ber alsla verwandt if... Und bamit fängt auch die Frage nad) dem Unbegrenzten unb ber Grenze un gemifchten Leben an fi zu Löfenz doch iſt fie noch nicht jo weit vorbereitet, haß fie hier ſchon entſchieden werben koͤnnte.

% H. Fichte, über d. pfychologiſchen Urſpr. d. Raumvorſt. 81

Vorher naͤmlich iſt noch eine Unterſuchung darüber anzuſtellen, worin Luft und Einſicht ihr Beſtehen haben und wodurch fie entftehen, wann fie entftehen, deren Reſultate wir im folgenben Artikel darlegen werben.

Ueber Den pſychologiſchen Urſprung Der Naumvorſtellung. Von J. H. Fichte.

Den in ber Ueberſchrift bezeichneten Gegenſtand hier zur Sprache zu bringen, fcheint mir in mehr als einem Sinne ges rade jetzt ein zeitgemäßer Verſuch. Außer der innern Bedeutung der Frage felbft, welche aus dem Verfolge ber Unterfuchung er⸗ hellen dürfte, babe ich auch noch eine perfönliche Veranlaſſung, fie anzuregen. In ben Berhandlungen zwiſchen Hermann Loge und mis, welche ich in einer fo eben erfcheinenden Schrift: Zur Serlenfrage, eine philofophifche Eonfeifion *, mei- nerſeits weiterzuführen im Begriffe bin, beruht der wahre unb legte Grund aller unferee andern, größern oder Fleinern Diffes tenzen in dem verfchiedenen Grundbegriffe vom Seelenwefen, von welchem Jeder von und ausgeht. Loge if firenger und confequenter Spiritualift; die Seele ift ihm ein ſchlechthin ein- faches, raͤumliches, nur intenfiver Bewußtſeynsveraͤnderungen faͤhiges Weſen. Ich bin in letzterem Betracht abweichender Meinung, und habe diefelbe in meiner „Anthropotogie” ausführlich zu motiviren verſucht. Daß aber biefe ganze Differenz nicht von nur beiläufigen Werthe, fondern von entfcheidender Wichtigkeit fey für die geſammte Fortbildung der Biychologie, darüber glaube ich alfe Einfichtigen mit uns einverftanden.

Unvertennbar ift ferner, daß die Pſychologie im gegen» wärtigen Stabium ber philofophifchen Entwidlung überhaupt eine ganz neue, eine weit durchgreifendere Bedeutung gewonnen

babe, als jemals vorher. Ich rede nicht von dem äußern Ums Beitfgr. ſ. Philof u. phil Kritil. 33. Band. 6

82 | 3. 6. Fichte,

fante, Daß das allgemeine Interefle der Gebildeten, ben ab- Bracten ‘Principienfampfen und den ſogenannten „neuen Syſte⸗ men” gründlich abgeneigt, nur noch pſychologiſchen Werten und Unterfuchungen ſich zuzuwenden fcheint, fo daB zu ‚verhoffen, die Speculation werde dad im Uebrigen faft verfcherzte Vertrauen durch Leiftungen auf diefem Gebiete wieder gewinnen koͤnnen. Dies find äußerlich allerdings erhebliche, innerlich aber nicht vollgültige Gründe, um Die erneuerten Anftrengungen ber For fcher fir die Seelenlehre zu rechtfertigen.

Entfcheidend dagegend iſt Folgendes. Seit dem Ableben Ber Syſteme eined (vermeintlich) „abfoluten Wiſſens“, feit der duch Kant's Wiedereinwirkung neu erwedten Einſicht, daß wir nur vom Augpuncte und nad ben Bedingungen menſch⸗ lichen Wefene und. Wifiend die Wahrheit zu erfenuen vermö⸗ gen: müͤſſen alle philoſophiſchen Probleme zunaͤchſt unter die Controle der Pſychologie geſtellt werden. Dies ik be weſentliche, aber auch ber entſcheidende Charaeter der nachichel⸗ Imgfchen und nachhegelächen Speculation; nur dadurch gewin⸗ nen wir das Recht zur Behauptung, daß die alte pantheiſtiſche Usberſtuͤrzung voͤllig aͤberwunden und abgeſchuͤttelt ſey, weil, wen jene Maxime beſonnener Vorſicht einmal unverbrüchlich eigen geworden, der einer fo trügeriſchen Illuſion ſich nie mehr Singugehen. vermag. Es verſteht ſich dabei, daß wicht dies bie Meinung ſeyn kann, irgend ein einzelnes pſychologiſches Reful⸗ tat ober eine fertige Bewußtſeynstheorie (etwa bie Kantiſche ober Fries/ ſche ober die von Herbart) zu Grunde zu legen, ſondern übers haupt nur. bie Lehre vom menſchlichen Geiſte und von ben. te feben feines. Erkennens zum allgemeinen orientivenden Ausgangee puncte zu machen. And an ven befannteften Problemen hat ſich dies fchon heftätigt. Jene abſtracte, und fo wie fie gewöhnlich fich giebt, unbrauchbare ober ſchiefe „Identität son Denken und Seyn“ gewinnt eine gang andere Geſtalt und Begründung, went eine. bejonnene fowgfältige Erkenntnißtheorie bie erfie Entſtehung des Verhaͤltniſſes zwiſchen Subjectivem und Objeetivem aufdeckt. Die entſcheidende Mahrheit von der Aprierität Der Ideen, fernen

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Heber den pſychologiſchen Urſprung der Raumvorſtellung. 83

ift nicht mehr in Gefahr, -in bie pantheiftiſche Lehre vom „abſo⸗ Iuten Geifte“ überzuichlagen, fobald ihr pſychologiſcher Sim feſtgeftellt ift.

Aber auch die innerlich weltbewegenden ragen ber Ger genwart, nad) dan Weſen und Urfprunge ber Religion, nad dem Berhälmiß des menfchlichen Geiftes zum göttlichen, nad der Möglichkeit eigentlicher Offenbarung, Tragen, welche geiftige Konflicte. in fich fchliegen, wie fle fo herbe und fp zerreißenh noch nie empfunden worden find, ald gerade jet: man muß erkennen, daß fie bleibend und gründlich zu Föfen find nur auf pinchologifchem Wege, durch umfichtige Erforfchung der Tiefen beö nıenfchlichen Geiſtes. Und fo darf ich wohl mit vollem Rechte den neuen felbfifländigen Aufſchwung pſychologiſcher Forſchung, wie er von mehr als einer Seite fo hoffnungsvoll begonnen hat, als ein bedeutungsvolles Ereigniß für die Wiſſenſchaft bes grüßen und was noch von eigenen Sräften mir zu Gebote ſteht, ber Börberung ber gleichen. Angelegenheit widmen.

Zugleich wäre bied vielleicht -zine Wendung, welche die beuitfche Speculation ben: beiden großen wiffenfchaftlichen Matio- ven des Auslandes gegenüber von ihrer verbächtigen Iſolirung zu befreien verſpraͤche. Die Englifche Bhilofophie hat feit den Zeiten der Schottifchen Schule -in ihrem begrängten pſychologi⸗ hen und erkenntnißtheoretiſchen Gebiete nicht olme Eigenthüm⸗ lichkeit und wahre Verdienſte ſich entwideli, wie auch unfere Zeitſchrift bei mehreren Werfen zu zeigen Gelegenheit Hatte. Auf diefem gemeinfamen Gebiete mit uns fich begegnend, würde fie Zuirauen zu und gewinnen and unfern tiefer angelegten Unterſuchungen vieleicht dauernden: Einfluß auf ſich geftatten, während unfere „großen Syſteme“ ihr ungenießbar und hoch⸗ befremblich bleiben mußten. Und mas die franzöfifche Philoſo⸗ phie betrifft, fo ift nach den Bekenntniſſen, welche wir noch) vor⸗ Kurzem von V. Eoufin:vernahmen, es gerade die Lehre von. der „abfoluten Vernunft“, die ihm vwerbächtig geworden und welcher er alle unfere bebenflichen Ueberſpanntheiten Schuld. giebt, wobei man bekennen muß, daß benz feinfinnigen Sranzofen.

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84 I. 95. Fichte,

gerade ber Punct in's Auge gefallen ift, der auch von beuticher Seite nad) Hegel ber erften kritiſchen Revifion unterzogen wers den mußte. Denn fonft freilich ergiebt ſich aus Couſin's Be richte, daß ihm völlig unbekannt geblieben zu ſeyn feheint, was eigentlich und innerlich feit Hegel's Abtreten in ber beutfchen Sperulation fi zugetragen hat.»

Died Alles nun bringt mich auf die fchen erwähnte pfycho⸗ logiſche Grunddifferenz zurück zwiſchen meinem Freunde Loge und mir. So lange man über den Seelenbegriff aus bloß abs geleiteten Argumenten ftreitet, kann ber Kampf ohne letztes Er gebniß geraume Zeit hin⸗ und herfluthen. Gelingt es dagegen, ein entſcheidendes Factum für bie eine ober die andere Anſicht aufzumwelfen, fo muß ber theoretifche Begriff von felbft fich gen. Run glaube ich wirklich eine ſolche pſychologiſche Thaw fache gefunden zu haben, durch beren vollſtaͤndige Erwägung die antifpirinaliftifche Natur der Scele meines Erachtens außer Zweifel geftellt: wird, und darüber wünfcht ich im Folgenden zunädhft meinem Freunde einige Betrachtungen vorzulegen,

Es iſt dad von Kant ſchon geltend gemachte urſpruͤngliche Vorhandenſeyn einer Raumanſchauung in unſerm Bewußtſeyn. Kant hat daraus die entſcheidende Folge fuͤr das Subjective des Bewußtſeyns gezogen, indem er mit unbeſtreitbarer Evidenz die Apuioritaͤt des Raumes (und ber Zeit) für das Bewußt⸗ feyn daraus ableitet, ohme übrigens den obfjectiven Grund und Urfprung bderfelben aufzuſuchen. Dieſen nachzumeifen macht meine (künftig erſcheinende) „Pſychologie“ zu einer ihrer Haupt aufgaben, aus welcher den betreffenden Abſchnitt hier vorläufig mitzutheilen mir erlaubt fey. Jener Nachweis aber beruht in der mit bloß fpiritualiftifchen Vorftellungeg von der Seele durch⸗ aus unverträglichen Thatfache: bag alle Raumanſchauung, über haupt bie Rothwendigfeit, alles Reale ohne Ausnahme ald räumlich Ansgebehntes vorzuftelen, ihren pſychologiſchen Grund nur in dem urfprünglichen Ausbehnungsgefühl habe, welches dem Geifte vom Gefühle feiner eignen Exiftenz un ab⸗ trennlich beimohnt, welches daher nur auf einem ob jectiven

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Berhältniß beruhen kann. Dies, wie gefagt, ber einfache Ges danfe, den ich wenigftens in diefer Faſſung für neu und in Bezug auf bie allgemein pſychologiſche Theorie für enticheidend halten möchte,

Es hat zwar immer ewas Mißliches, aus einem ſtreng ſyſtematiſchen Werke ein Bruchſtuͤck herauszugreifen, ohne die Begründung, welche es im Vorhergehenden gefunden. Doch wird die Einſicht und der gute Wille des Leſers dieſen Umſtand leicht übertragen, wenn er eine klare kurze Bemerkung über den Zufammenhang, dem das Bruchftüd angehört, nicht unerwogen laſſen will.

Bei dem Abſchnitt „vom ſinnlichen Bewußtſeyn“ galt es, den Begriff der „Wahrnehmung“ im Unterſchiede der bloßen „Sinnedempfindung” feſtzuſtellen, d. h. nachzuweiſen, was im Inhalte der Wahrnehmung „Mehr“ ſey, denn bloß Empfundenes. Es zeigt fih, daß dies Mehr eben in dem raum - und zeitſetzenden Acte des Bewußtſeyns beſtehe. in jeder Außere Empfind ungsinhalt wird zugleich als ein. beſtimmtes „Wo“ und „Wann einer allgemeinen Raum⸗ und Zeltanfehauung einge⸗ ordnet, welche daher ſelber nicht aud Empfindung ſtammen koͤn⸗ nen, fo gewiß fie dieſer bedingend vorangehen und ihr Bewußt⸗ ſeyn allererſt möglich machen.

Dieſer zunächft noch negative Begriff des „Nichtempfun— denwerdens“ von Raum und Zeit liegt eigentlich, wie wir dort in einer ausführlichen Kritik zu zeigen ſuchen, dem Kantiſchen Beweiſe der Aprioritaͤt von Raum und Zeit zu Grunde. Den poſitiven Urſprung der beiden Anſchauungen hat er nicht ent⸗ huͤllt. Davon wird hier die Rede ſeyn. Wie es aber auch mit jenem kritiſchen Ergebniß ſich verhalte: feſiſtehen möge dem Le⸗ fer für das Folgende der von: Kant ſchon unbeſtreitbar begrün- bete Sa: daß der Raum (und bie Zeit) nie Gegenftand blos fer Empfindung, fondern etwas zum Empfinbungsinhalte durch einen Act des Bewußtſeyns Hinzutretendes fey.

1. Sind Raum und Zeit in Teinem Sinne das Ergebniß bloßer Empfindung, muͤſſen fe vielmehr verfelben als Bedingen⸗

86 B. 8. Fichte, des vorausgeſetzt werden, iſt zugleich jedoch das Empfinden das Frühefte und Unmittelbarfte, zugleich das Weckende altes Be wußtſeyns: fo kehrt mit deſto größerem Nachdrucke die Frage zurück, welches ihr eigener Urſprung im Bewußtſeyn ſey? Die näcfte Antwwort iſt nicht zweifelhaft: die Vorſtel⸗ lungen von Raum und ˖ Feit können nicht früßer, nicht fpäter, ſondern nur zugleich ante in unauflöslicher Verbindunz mit dern Empfinden tin Bewußtſeyn entſtehen; nicht jedoch aus ben objectiven Erregungen,. welde Grund ber Empfin⸗ Yung find, denn font wären fie ſelbſt auch mır Empfindungen. Deßhalb können fie ihren Urfprung nur im Geiſte haben; + woraus jedoch, wie ſich ergeben wirb, keineswegs in Kant's Weife zu folgern iſt, daß Raum und Zeit als bloß fubjechee Formen für der Empfindbungsinhalt zu denken ſeyen. Auch Kant ſuchte ganz richtig ihren Urfprung im Geifte; aber: ber Pſycholvgie damaliger Zeit gemäß war ihm diefer Geiſt lediglich Bewußtſeyn und nichts ald Bewußtſeyn; und fo kom | - & auch Raum und Zeit nur aus Bewußtſeynsthätigkeit herleiten, überhaupt als ein lediglich fubrertived Umhäa⸗ nomen betrachten, ohne jebe objeetive Grundlage und. Veran⸗ laffung. Dadurch wurden ihm, ganz folgerichtig, Raum unb Zeit zu etwas dem Weſen bed Obfertiven völlig Fremden und Unangemeffenen und ein’ ſubjectiver Idealismus mit alt feinen verhaͤngnißvollen Nefultaten ward eingeleitet, ohne daß man fe gleich entdecken Eonnte, welche Praͤmiſſe in dieſer ſonſt buͤndigen Schlußfolgetung ſchadhaft oder umwwollſtaͤndig feyn möge. - 2. Wir ſelber ſtehen von Anfang an auf breiterer Grund⸗ Inge: für uns iſt ber Geiſt zugleich reale Subſtanz, dabei in ben eigenen Zuſtaͤnden und Wirkſamkeiten viel: weiter reichend, als fein Bewußiſehn zu umfaffen vermag. Wenn wir daher, wie wir müuͤſſen, gleich Kant ben Urſprung jener beiden iu | ſchanungen im Geiſte, nicht im Empfindungsinhalte ſuchen, 0 ſchließt Dies nicht die für die Kantiſche Philoſophie charakteriſti ſche Folgerung in ſich, daß beide völlig ſubjective Vorftellungen ſeyen. Uns bleibt der entgegengeſetzte Ausweg aͤbrig, den Ur⸗

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Neber den pſychologiſchen Utſprung der Raumvorſtellung. I

fpeung beider Anſchanungen im Objectiven bed Geiſtes zu, ſuchen. Es kommt nur darauf an, dies durch ihre Gattehunges gefchichte im: Bewußtſeyn wirklich au erhärten,

3. In Betreff per Zeitanſchauung fcheint dies Keine Schwie⸗ rigkeit zu bieten. Der Geiſt ift objectiver Weiſe ein dauernder, im Wechfel eigener Zuſtaͤnde als berfelbige Mich behauptend Se iſt auch fein urſpruͤngliches Bewußtſeyn des eignen Zuſtan⸗ bed das unmittelbare, Dauergefühl“z mit welchem Worte und zu bezeiehnen erlaubt ſey jenes: nach ganz unbeflimmte (darum „Gefuhl“), ‚aber hoͤchſt intenfive und vom Bewußtſeyn des eignen Dafeyns unabtrennliche Gewahrwerden unſerer jelbft, ald eines wechſelnde Zuſtaͤnde durchdauernden (, zeitſetzen⸗ ven") Weſens. Wie ſolches Beharren völlig unabtrennlich vom unferem realen Senn, fe..ift auch das (dumpfere oder hellere, mentwickeltere oder entwideltere) Gefühl davon ſchlechthin umabirennlich vom Bewußtfeyn ber eignen Eriſtenz und bil⸗ det den Urſprung der eigentlichen, Zeitanſchauung“, welche eben damit ſchlechthin „aprieri“ allem. ſonſtigen Empfinden und Vewußtſeyn unſerer ſelbn und eines Andern bedingend voran⸗ gehen muß.

Mit dem erſten Ale des Vewußtſeyns vurchlauft der Geik wechſelnde Borkellungszuftände;. aber als bere ſelbſt dauernde und diefer Dauer bewußte, verfnäpft.er jenen. Werhfel zur ſte⸗ tigen Reihe eines Nacheinander (eitreihe); und mifteht aus jenem unbeſtimmten “Druegefühl die (eigentliche) „Zeitanfhanung“, in-melche gr Alles aufschmen muß, was überhaupt von Gmpfundenem und Vorgeſtelltem für in cxiſtitt, alſo auch die vaumlichen Vorſtellungen.

Daher erklärt ſich auch die abſolute Unabfteahirbars keit des Danergefühled und der Zeitanfchauung in unſerem Be⸗ wußtſeyn. Wir. können fie alles befondern Inhalts entleert denken, ohne daß ſie ſelbſt verſchwaͤnde; wir vermögen von jeder einzelnen Zeitanfchauung zu ahſtrahiren, von ihr feibes aber nicht, jo wenig wie. von unſerm Bewußtfeyn,. meil beibe ſchlechthin unabirennlich von einander find, . Wie Daher im

88 3.8. Fichte,

Schlafe oder der Ohnmacht nıit den Bewußtſeyn auch das Bil der Zeit für uns erlifcht, fo erſteht fie doch ſo gleich und zus erft für und wieder (wenn es auch nur im bumpffien „Dauer: gefühle” ſeyn follte), ſobald wir zum Bewußtſeyn erwadhen.

4, Ganz anders fcheint es ſich mit dem räumlich um ſchiedenen Empfindungsinhalte und der Raumanfchauung felbft zu verhalten. Das Bewußtſeyn Hat nicht bie gleich ums mittelbare Beziehung zum Raume und. feinen Beftimmungen, wie zur Zeit. Im Gegeantheil: die Bewußtſeynsthaͤtigkeit ift eine lediglich intensive, helere ober dunklere, deutlichere ober. undeutfichere Berftellungen erzeugend, für bie, abs ſolche, iv der Begriff einer räumlichen Ausbreitung vollig ſinnloß wäre. Deun es verſteht fi, daß bie Borftellung eines Raͤumlichen oder räumlicher Berhälmmifie, eines Oben und Unten, eines Linken und Rechten nicht felber - auseinander liegen, oben ober unten, links ober rechts im Bewußtſeyn exiſtiren Töne.

Dennoch iſt der hoͤchſt merfwürbige Umſtand nicht zu über fehen,. Daß pie Raumanfhauung ebenfo ein. völlig Unabfrapirbares für das Bewußtſeyn fey, vol die ber Zeit (8. 3.). Auch den Raum koͤnnen wir entleert benfen von jeglicher Erfuͤlung; auch feine Borftellung entſchwindet und im Zuſtande dereBewußtlofigfeit. Aber dad erſte Erwachen Int Bewußtſeyn ruft ums in gleicher Weile, wie bei ber Zeit, bad Bild einer ruhenden Ausbreitung wieder hervor, in der wi felber uns zu befinden bewußt find, Jenem urfprüngliden „Dauergefühle“ entfpricht ein ebenfo urſpruͤngliches, vom Bes wußtfeyn unferer Eriftenz gleichfalls unabttenn: liches „Ausdehnungs- (Körpers) gefühl". Es muß ſich die Frage erheben, wie jene Grundthatſache ber gleichen Un: abſtrahirbarkeit des Raumbewußtfeyns zu deuten ſey?

5. Bon alten ſonſtigen bereits gewonnenen Refultaten abgeſehen, muß ſchon bie Analogie des von der Zeitanſchauumgz Erwiefenen uns darauf leiten, im objeetiven Wefen be Geiſtes auch den Grund feines Raumbewußtfeynd zu ſuchen. Nur darum können wis. urſpruͤnglich und unabflrafiebar wi

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Ueber den pfychologiſchen Hefprung der Raummorfielun. 89

jenem Ausbehnungsgefühle behaftet jeyn, weil unfer Geiſt reali- ter ein raumſetzendes (ſich eorporifirendes) Wefen iſt. Ohne diefe Borausfegung wäre es ſchlechthin unmöglich zu begreifen, wie überhaupt das Bild eines Aus, grdehnten in uns entfiehen Lönne, da Im Wefen und in der Thättigfeit bed Bewußtſeyns ats ſolchen nicht die geringfte Beranlaffung oder Möglichkeit Liegt, etwas Dergleihen hervorzubringen.

Diefe innerhalb der. Pſychologie unabweisliche Folgerung wird nun durchaus beftätige Durch die allgemeine metaphnfifche Betrachtung. Denn nicht bloß als Beharrendes im Wechſel („Zeitfegendes"), fonbern eben damit auch Wirfendes gegen Anderes („Sichausdehnendes“), wie fremder Gegenwirfung Sichhingebendes (gegen Andere „Sichabgraͤnzendes“ in⸗ nerbalb einer allgemeinen Ausdehnungsſphäre) muß jedes vente :Weien, alſo auch ber Gert, gedacht werben. Und nur dadurch unterſcheidet fi ber Geiſt vom bewußtlos Realen, daß dieſem jene Doppeleigenſchaft der Raumzeitlichkeit bewußtlos bieibt, während beide dem Beifte mit dem Bewußtſeyn feines eignen Dafems unmflöstic "und umnabſtrahirbar verfnüpft fenn müffen. Dies urſpruͤnglich uns beiwohnende, unfer Selbſtbe⸗ wußtſeyn unmbirenntich begleitende Dauers und Ausbeh- nungsgefühl nun ift es, In welchem Kit, ganz mit Recht, die Apriorität der „Zeit"= und „Raumanfchanung“ fand, nur Dadurch im Ausdruck ungenau, daß er dies ſchon „Anſchauung“ nannte, welche erft auf der Stufe des entwidelten wahrneh⸗ menden Bewußtſeyns entftcht.

6. Bir fönnen nicht umhin, dem Refultate biefer Beweis- führung mittelbar eine große Tritiiche Bedeutung beizulegen. Den Pſychologen, weiche noch Immer dabei beharren, die Seele zu einer einfachen, fchlechthin raumlofen Subftanz emporzuläu- tern, wäre. bie einfache Bemerkung entgegenzuhalten, daß es ih⸗ nen unter dieſer Boraudfegung völlig unmögli bleibe, ven Widerſpruch zu befeitigen, wie in folchem ſelbſt aller Raͤum⸗ lichkeit freimbbleibenden Welen eine Raumporftellung je ſich

o” Ä 3. 6. Fichte,

erzeugen könne, welche body faetifeh und fogar durchaus unab⸗ ſtrahirbar in der Seele vorhanden iſt? Denken wir ein unaus⸗ gedehntes, aber in ſtetigem Wechſel innerer Veraͤnderungen be⸗ griffenes Weſen mit Bewußiſeyn begabt, wie es das „einfade Seelenweſen“ Herbart's wäre: fo kann in einem ſolchen mu Zeit⸗, nimmermehr aber Raumanfſchauung entſtehen; denn zum Vorſtellen eines Nebeneinander ik in ihm nmicht hie geringfte Veranlaſſung vorkanden.. Und wirklich ſehen wir da⸗ ber auch in der Herbart’fhen Schule das Befireben, beite Anfchauungsgebiete einander moͤglichſt zu nähern, Die Entſtehung der „Raumreihen“ ganz nach Analogie der „Zeitreihen“ zu ber Handeln, was aber niemals bis zum völligen, Zufesumenfallen beider zu bringen if, fo daß Die bier übrig bleibende Lücke ber Erklärung zwar verhüllt und ben Augen entrüdt, niemald abe wahrhaft ausgefüllt werden kaun. Wollten wir umgekehrt "einem Körper der unorganiſchen Natur, einem Mineral, weiches zwar ausgebehnt, nicht aber einem fletigen Wechſel innere Zu⸗ fände unterworfen ift, Bewußtfeyn beilogen, fo mürde- dies aus analogen Gruͤnden lediglich als Raumvorſtellung auftreten konnen, nicht aber bie ver Zeit im ſich ſchließen, eben. weil kein Racheingader von Beränderungen in ihm unterſcheidbar if:

So tritt. von Neuem die befremoliche Paroderie der Lehe von der Unraͤumlichkzit ver Seele in's hellſte Licht; ſit ſteht nik der Grundthatſache unſers eignen Bewußtſeyns in entſchiedenſten Widerſpruche, indem es für fie vollig unerllaͤrlich bleibt, mie ein an fid) unsäumliches Weſen dennoch gemötbige: fenn, koͤnne, unausgefest und unwillkührlich ſich als ein raum⸗ lich Ausgedehntes und räumlid Wirkendes vorzu⸗ ſtellen, was nach diefen Prämiſſen micht nur unbegreißich wäre, ſondern auch als Maximum der Selbſttaͤuſchung hezeich⸗ net werben muͤßte. Ungekehrt vielmehr wird man veranlaßt ſeyn, vom urſprünglichen Bewußtſeyn unſerer Raumexiſtenz auch auf die Realität dieſer Vorſtellung zu ſchließen, eben weil fie eine urſpruͤngliche, durchaue nwiltähefige uud. gar nich abzulegende iſt.

Ueber den pſychologiſchen Urſprung der Raumvorftelung. 91

7. Diefe allgemeine Auffoflung der Sache wirb nun burchaus beftätigt, wern wir bie Geneſis der Raumvarftellungen im Befondern ‘verfolgen. Jenes urfprünigliche, vom Gefühle des eignen Daſeyns unabtrennliche Raumberwußtieyn (8 4.), die erſte Grundlage von Allem, ſetzt ſich naͤher erwogen aus zwei wohl zu unterſcheidenden Elementen zuſammen. Es iſt zunaͤchft ruhendes Ausdehnungsgefühl, womit wir bezeichnen die un⸗ auflöslich ;unferm ‚Selb anhaftende Borfiellung, daß wir Raummwefen find und einen Ort einnehmen. Dies für ſich unbeſtimmte, gewiſſermaßen bildloſe Gefühl wird num ſtets ers regt und genauer beftimmt durch die von Bewußtſeyn begleites tn Bewegungen unferd Körpers, deſſen bie Seele ale be ihrigen umb zugleich ihrer felbft, al räumlich wirkenden Weſens, dadurch erft gewiß und inne wirb.

8. Jenes ruhende Ausbehnungdgefühl und dies Bild ver Bewegung. aber bebingen ſich gegenfeitig und rufen im Bewußtſeyn fich wechſeleweiſe hervor, zugleich dadurch die Bars ſtellang bed eignen Körperd und feiner Deetlichfeit immer deut⸗ licher im's Einzelne ausbilbend. Um eine gewollie Koörperbewe⸗ gang votzuſtellen (und je de Bewegung muß Anfangs aus⸗ drücklich gewollt und damit vorgeſtellt, d. h. „gelernt“ wer⸗ den; erſt ſpaͤter entzieht: fie ſich durch Uebung und Gewohn⸗ heit dem Beduͤrfniß ausdruͤcktichen Bewußtſeyns): muß fie dem ſchon vorhandenen uinbeſtimmten Ausdehnungsbilde des Körpers eingeordnet werden. Umgekehrt aber wird an ber Ver⸗ ſchiedenheit dieſer beſtimmten Beavegungdsorftellungen jenes Ausdehnungsbild felbſt erſt zu einem immer deutlichern und ausgeführtern. So ergiebt ſich endlich aus dem Anfangs uns beſtimmten Koͤrpergefühle die mehr ober minder vollftaͤndige Vor⸗ ſtellung des eigenen Leibes und feiner Theile, wolche wiederum nicht möglich iſt ohne das Bild einer Abgrenzung deſſelben ges gen einen ihn umgebenden Raum.

9. Diele notwendige Stufenfolge ſchließt jedoch eine der entſcheidendſten Erweiterungen unferd gefanunten Bewußtſeyns in ſich. Ste noͤthigt und, das Ausdehnungsbild zunaͤchſt über

92 3. 8. Fichte,

den eignen ımmittelbaren Bereich unſers Leibes fortzuſetzen, all mählich dann immer weiter, fogar in's Unbegraͤnzte auszufpans nen. ber auch dazu liegt der Anfang nur in jenem ummittels baren Ausdehnungsgefuͤhle. Nur weil wir urfprünglid mit einem Raumbilde unjer felbf behaftet find, müffen und fönnen wir aud das übrige Reale als Räumliches vorftellen. Was wir „Außere Körper“ nen⸗ nen, if urſpruͤnglich nichts Anderes, als eine Summe qualitativ verjchiedener Empfindungen, welche mit ben Auodehnungsbilde des eignen Leibes in ımmittelbare Beziehung treten, fomit zu nächft an ihm localiſtrt werben müflen, in weiterer Folge daraus auch außer ihm, in dem allmaͤhlich fich entwidelnden Bilde einer Raumumgebung,, inwerhalb' welcher auch ber eigne Leib nunmehr einer örtlichen Stelfe eingeorbnet wird.

Dad Bild unbegrängter Ausdehnung endlich, welches wir von da aus fortfchreitend entwerfen muͤffen, entfteht gleich⸗ falls aus jenem einfachen Anfange: aus ber Berlingerung ber Radien, welche vom Mittelpunde bes eigenem. Ausothnungo⸗ bildes und ber ihm anbangenden Ruumumgebung nach alır Seiten Bin in's Bränzenlofe ausgehend gedacht werben Tim nen. „Gedacht“ fagen wir; kenn die Anſchauung bed: Raumes, als folche, ‚wie fie im Bewußtſeyn urnfprünglich entſteht, enthaͤl noch nicht ſeine Unenptichkeit, ſondern nur bem weitem. noth⸗ wentigen Anlaß, ibn als unenblidhen denken zu müflen.

10. Daraus ergiebt fich ferner, wie das Bild des Or⸗ tes, das „Localzeichen“, mit dem fpeeiftichen : Empfindungs⸗ inhalte im Bewußtſeyn unauflöstich ſich verfmüpfen muͤſſe. Bo reits hat ſich gezeigt, wie bie Vorſtellung äußerer. Koͤrperobjecte überhaupt nur und entfichen koͤnne mittels des eignen urſpruͤng⸗

lichen Ausbehnungsbildes: lediglich für umfere Rmmtichtet

und von ihr aus wird der Empfindungsinhalt felber zum räumlichen. Dies aber keineswegs anf ‚bloß allgemeine oder unbeflimmte Weife, fonbern indem wir ihn überhaupt mit unfern Ausdehnungsbilde verknüpfen, muͤſſen wir zwgleich Ihn

localiſiren, d. h. in ein beſtimmtes Raumverhaͤltniß zu ihm

Ueber ben pſychologiſchen Urfprung der Raumvorſtellung. 93

fegen. Keine äußere Empfindung baher, ohne zugleich ihr be⸗ ſtimmtes Wo an fich zu tragen. Democh ift Dies Wo felöft nicht empfunden, ja kann gar nidyt Gegenfland der Empfindung ſeyn; fondern es ift Product der Einordnung des wahrnahs menden Bewußtſeyns in das ſchon vorhandene Ausdehnungs⸗ bild, zunaͤchſt des eignen Leibes, von da aus feiner weitern Raumumgebung.

11. - Hiermit ſcheint nun auch eine andere deage ganz von ſelbſt und aufs Einſachſte ſich zu erledigen, die für jede Pſychologie, welche von ſpiritualiſtiſchen Vorausſetungen aus⸗ geht, mit beſondern, wie wir glauben, unuͤberwindlichen Schwie⸗ rigfeiten umgeben if. Wir meinen das Problem von der Lo⸗ califation der Außern Empfindungen. Da bad Raumver- haͤltniß berfelden, wie wir erwieſen haben, durchaus nicht felber erapfunden werben kann; ba ferner jedoch in ber als ſchlechthin ausbehnungslos vorausgefehten Seele nicht bie geringfte ob⸗ jeetive Beranlaffung liegt, Raͤumliches und Raumverhaͤltniſſe vorzuftellen: woher doch überhaupt bie Möglichkeit für die Seele, die qualitativ unterfchiebenen Außern ‚Empfindungen nicht nur nad) biefen qualitativen Unterſchieden, fonbern aud als räum«- fich neben einander geordnet vworzuftellen, und zwar alſo, daß bie beiden Raumfinne, Getaft und Geſicht, dies Localifiren in unmittelbarer und fteter Uebereinftimmung vollgichen?

Die ganze Schwierigkeit der Sache unter ſpiritualiſtiſchen Boransfesungen hat zuerſt Lotze empfunden, nicht zwar um dadurch am ber Richtigkeit ber allgemeinen Vorausſetzungen zweifelhaft zu werben, fondern um bie Schwierigkeit felber zu befeitigen. Ob ibm dies voͤllig ge fey, wirb ber weitere Erfolg Ichren. Für uns iſt gleich glich die Hauptveran⸗ laſſung der Schwierigkeit nicht vorhanden, und wir haben das Recht, auch darin eine indirecte Beſtaͤtigung unſerer geſammten Grundanſicht zu finden. Wir muͤſſen aus ganz anderen, von der hier verhandelten Frage unabhängigen Gründen ein urſpriug⸗ liches Ausbehnungsbild in: der Seele verausjegen, in welches fie zunächft die Theile ihres Körpers, und damit in Verbindung

94 83.6. Fichte,

zugleich bie Mfoctlonen, welche biefe Körpertheile treffen, orbnend hineinlocalifiet. Der Stich ine Finger (bied war zufallig das Beifpiel, an welchem wir fchon in ber „Antheopolö- gie” 5. 199. umfere Anficht vorkänfig zu entwickeln ſuchten) der Stich im Binger, indem er in feinem fpecifiichen Charakter als Stih, nicht etwa als Brandſchmerz, empfunden und inter fchieden wird, muß nun zugleich mit dieſem Inhalte von der empfindenden Seele an Ber befkmmtien Stelle des eignen Körperbildes Ioealifiet werden; der Emyfinbungsinhatt und dad Localzeichen treffen ſtets zufammen, wie wohl fie aus fehr verſchiedenen Quellen bed Bewußtſeyns ſtammen. Kein objectioer Empfintungsinhalt kann für das Bewußiſeyn ohne fein (won ibm binzugefügtes) Localzeichen ſeyn, und umgekehri fein Zocalzeichen Tann im nligemeinen Körperbilde näher ſixiri und ihm eingeorbnet werden ohne bie Veranlaſſung dam darin vorgehenben Affertion ver Nerven, welche das Bewußtiehn in den fpecififehen Inhalt eine Empfindung umſetzt. Daraus ergiebt ſich mittelbar under der Vorausſetzung - allerbings, baf die Seele jenes unbeſtimmte Ausdehnungsbild bereits zu deutlichen Körpervorttellung entwidelt habe tie fie, genoͤthigi ſey, das Bewußtfeyn der Umftimmung chier bie Empfin⸗ bangen bed Stiche), mit dem „Lecalgeichen”, dem Bilde vom Drte der Umſtimmung chier des Singer®), mmauflöslih und untruͤglich zu verbinden,

12. Die Richtigkeit dieſer Geftkrung wird beſtaͤtigt durch die Controle ſcheinbar davon abweichender Thatſachen. Die Seerle localifirt ungenauer, wie man bei einiger Aufmerkſamkeit an ſich felber bemerken kan, wife die Empfendung an eine-Körbers ſtelle verlegen muß, ve elcher ihr die Detailoorſtellung fehlt: wie am Rüden, ober überhaupt an ben. groͤßern, gewoͤhnlich bebediten Koͤrperflaͤchen. Hier bebarf es einiger Aufmerkſambeit, um im unbefſtimmten Bilde jener Koöͤrpergegend die Stelle her Empfindung genau zu Iocalifiven. Dann aber thut die Seelt nur nachtraͤglich und im Einzelnen, mas fie -geitlebens und in: Ganzen gethan hats ihr urſpruͤnglichrs, aber undeutliches Koͤr⸗

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Ueber den pſychologiſchen Urfprumg der Raumvorftellung. 9

perbifb zu immer beſtimmterem Bewußiſeyn zu erheben. „Das Kind (ſelbſt nad) dem. Säuglingsalser) vermag die Stelle bes Schmerzes oft gar nicht oder nur ſehr beiläufig anzugeben; ber (im Höcften Grade) Blödfinnige jammert über den Schmerz, iſt aber außer. Stande, Dad davon ergriffene Glied zu bezeich« nen." (Somit kann in hoͤherm Grabe des Idiotismus das schon erworbene Körperbild wieder verloren gehen. „Wir Alle erben ſchwankend, ſobald es ſich um die genauere Firirung der Empfindung an einen im Innern bed Leibes- gelegenen, anfern Sinnen minder zugänglichen Punct handelt,” Umgekehrt halten wir nod) das Koͤrperbild von Theilen feit, die wir ver- loren haben und localiſiren die Empfindungen nad) alter Ge⸗ wohnheit in fie hinein. „Operirte empfinden den Schmerz in Gliedern, die fie laͤngſt nicht mehr befigen, was nad) I. Müller ſelbſt dad ganze Lehen hindurch ſtattfinden kann. Während ber Amputation ift das Glied jenſeits der Schnittfläche der Sig des heftigften Schmerzes. Bei ber kuͤnſtlichen Rafenbildung aus der Stunhaut wird die Berührung der neuen Naſe eine Zeitlang noch auf die Stirne verſetzt und ber Jerthum erſt nad) und nach verbefiert” u. ſ. m. *). |

13, Auch für eine andere vielverhandelte Frage, über das Michtöverfehrtichen der Gefichtohjecte trog der Umkehrung im Nephautbilde, ſcheinen nach unſern Praͤmiſſen die Schwierig- feiten von ſelbſt hinwegzufallen, welche der herrſchenden Pſycho⸗ chologie und ihrer Lehre vom „Gentunlgegan der Seele im Hirn“ unvermeidlich und unbeſiegbar entgegenzutreten ſcheinen.

Die Grundvorausſetzung derſelben iſt, Daß das ungekehrte Farbenbild auf der Netzhaut ſich zum Centralorgane im Hirn fortpflanze und dort das Bewußtſeyn afficire. Dann gäbe es

*) Die eitirten Thatſachen find aus W. F. Vorkmann's Grund⸗ riß der Pſychologie (1856) ©, 223. entichnt. Auch er lehrt richtig den Unterfhied des Localiſirens von der bloßen Empfindung, weicht aber dadurch principiell von unferer Auffaffung ab, indem er bemüht iſt, die Entſtehung der Raumvorftellungen ald etwas Secundäres aus der Der

fürmelzung gleichantiger Vorſtellungsreihen. zw .erliäuen. ı .

96 3. 6. Fichte,

jeboch für bad Bewußiſeyn (die Seele) eigentlich ein bompeltes Dbject, ein mittelbares und unmittelbares: ber im richtigen Raumverbältniß ſtehende Gegenſtand und das umgelcehrt aufge tragene Bild deſſelben. Da nun aber bie Seele jener Voraus⸗ febung gemäß ſich Hinter dem lebteren befindet: fo bleibt. für diefe, als eigentliche und einzige Veranlafiung ihres Bewußt⸗ feynd vom Raumobjecte, nicht ber richtige localiſirte Gegenſtand, welcher vielmehr für das Bewußtſeyn der Seele gang verſchwun⸗ ben, aufs Eigentlichfte verdedt ift durch das dazwiſchen ges ſchobene umgefehrte Bild, ſondern nur dad letztere übriz. Hier bleibt die noch nicht gelöfte und niemals zu loͤſende Schwies tigfeit, zu erklären: warum nun dennoch bie Gehichtäohjere vom Bewußtſeyn gleih unmittelbar richtig, d. 5. in Meber- einftiimmung mit dem Taftorgasfe, aufgefaßt werben? Daß bie bisher dafür erfundenen Erklärungen ungenügend feyen, darf wohl als zugeftanden beixashtet werben unb finbet darin das berebiefte Zeugniß, indem man neuerbingd bie Annahme völlig aufgegeben hat, das verfehriftehende Netzhauibild auf das Bewußtſeyn wirken zu laſſen. Loge lehrt ausbrüdlich, bad Neshautbild Habe unmittelbar gar feinen Einflug auf die Seel, welche vielmehr, wie er mit Recht behauptet, durchaus activ und felbfithätig die Empfindungen räumlid) gruppiren müfle. Zu biefer Localiſation müſſe aber die Seele von ben Eindrüden felbft gezwungen werben. Der Grund bavon koͤnne nur in einer qualitatigen Eigenfchaft liegen, welche ein Ein drud wegen ber befondern Natur ber Stelle, wo tt den Körper trifft, erlangt, und feinem qualitativen Empfin bungeinhalte noch Hinzufüg. Daraus (db. h. durch biefe De ziehung auf befonbere Stellen bed eignen Körpers) enifichen . nad Lotzze dem Bewußtfeyn bie „Zocalzeihen“ ber Empfür dungen, nad welden ed. die Einbrüde zu einem räumlichen Bilde ausbreitet. Auch nad) Loge daher localifirt die Seele al⸗ led Andere nur in Folge des eignen Körperbildes und von ihm aus; eine Auskunft, welche auch wir für die einzige richtige halten, die wir indeß bei Lose nicht hinreichend begrün

Ueber den pſychologiſchen Ihfprang‘ der Raumvorſtellung. 97

det finden, indem bier eine doppelte Frage überfprungen wird. Rad feinen Prämien. ift weder erklärt, wie überhaupt eine Raumvorſtellung in ber an ſich rammlofen Seele entftehen Eönne, nody auch wie fle in&befondere zu dem hier voraudzufegenden Raumbild der „befondern Stellen“ des Körpers gelange, an welches die „Localzeichen“ ber Außen Empfindungen fich Enüpfen Toten. Denn ausbrüdtich fchärft er auch bei diefer Veranlaflung ein, daß für die Seele unmittelbar fein räumliches Außer⸗ einander rriftire, daß fie nur empfänglich fey für qualitative Berfchiebenhelten, aus deren Verbindung und Berfchmelzung fie die Raumvorftellungen erſt erzeuge, um ben Empfinbungs- inhalt als räumlichen gruppiren zu koͤnnen. In ber „Medis einifhen Pſychologie“ vergleicht er die Stellung der Far⸗ benpuncte im Netzhautbilde nach ihren Werthe für die Seele „einer Lage vieler Buncte in einer verfchloffenen Schachtel.“ Aber jene Farbenpuncte im Retzhautbilde repräfentiren doch die „verichiedenen Stellen”, an welchen ver qualitative Einbrud ben Körper trifft, woraus bie „Localzeichen * deſſelben fich bilden folen. Können fe daher auch nah Lotz e's eigner Theorie für das Bewußtſeyn fo ganz ohne Werth fen für das objective Raumverhaͤltniß der Eindrüdet Im „Mitrofosmud * ferner fchilvert er jenes behauptete abfolute Verſchwinden ber ob» jectiven Raumeindruͤcke für die Seele und die jelbitftändige Ers - neuerung derfelben durch bie Thätigkeit des Bewußtſeyns nad) dem GBleichniffe „einer Bibliothek, weiche aus ihrer Lage genom⸗ men, eingepadt und an einen andern Orte nach den aufgefleb- ten Etiketten (Rocalzeihen) in der gleihen Ordnung wie der aufgeftellt wird". Warum in ber gleichen Ordnung? Wenn ausdrücklich in Abrede geftellt wird, daß die objectiven Zocalzeichen bei der „Berpadung“ mitgenommen werben, b. h. unmittelbar in's Bewußtfeyn übergehen Tönnen? Wenn über- haupt nicht erflärt iſt, wie much nur die unbeftimmtefte Raums vorkellung in der Seele entfichen könne, fo if die Erklärung

*) Lotze, Rediciniſche Pſychol. ©. 367. Mitrolosmus). S. 346. 47. Zeitſchr. fx Philoſ. u. phil. Kritit. 33. Band. 7

98 i g, &. Fichte, ur 1.040

zwar richtig, ‚aber umnvollſtaͤndig; denm iſie jchriertiem der Schwie rigkeit, ‚wie die Seele nach. daͤs ſeen Praͤmiſſen berhaupt fühlg werde, „wenn unmisttelhar ten. väumiliches : Außerrinandret für fig -exiftied”, auch ner anittelbar ein: Raumbild ſich zu er⸗ zeugen und zunächit des eignen Körpers, als einzs- raͤumlich ausagedehnten bewuſn zu werden. Beſaͤße did Seele nicht ſchon urfprüunglid jenes Ausdehnungsbild: melches ſach allmahlig zur. Vorſtellung des eignen Korpers, von da, durch fortgeſetztes Localiſtren des damit in Verbindung Tretenden, zum Wilde einer Maumumgebung etneiterb: es waͤre der Seele ſchlochthin un⸗ möglich, af mittelbare Weiſt, amd; bloß intenſivenVorſitl⸗ Iungsteihen, das Bilpısintör&xtenfinen: ie ch zu. erzeugen Gier alſo mühes bir dentlich den Eprung ober die Lücke er⸗ kennen, welche in der ſonft ſo el rie eiriteten nor. - Begründung ührig. bleibt. . PER

s 1 So Iehet er anch im weiteren Verfolge das gm Richtiges: aber es: ſtimmt nicht weit hen. "allgemeinen: Briuniiien feiner Throrie, ja: ed ſchrint fie; direet aufzuheben. Er geigt, daß die Localzeichen ber Geſichtsempfindungen durch die Ridhr tung. der Augen: gegen..die Geſichtsobjecter bin ;eniftchen: und Daß das Netzhautbild eben darum notmankig wm gefchrufteber muffe, am sie ſelbſt in richt ige Runge ſehen zu fönnen®. NET RP RI ad et | Schärfer und .treffenber kann man ſich, unmöglich. auds brüden, als ‚hier geſchehen; richtig. aber ift es nur unter Der Voraudfegung, daß der Augpund ber Seele im Sehorgan, fe ber, nicht irgendwo hinten im Hirn gebacht werde, . md .ia fheint er durch dieſe Erflämng feiner fonft fo ſtark heton⸗ ten Lehre: vom. Site ber Seele im Sim indireet ben. Ahſchied zu geben. 2 ran Dar Zene Erllarung beruht ſeltſt naͤmlich auf einer, boppelin Borausfegung.. Das. Beitimmen der Richtung: und. had, ;daramd erfolgende Lotaliſtren der Geſichtsempfindungen if, mie ex alcich⸗

) Loge, mediciniſche Pſychologie S. 369.

Ueber den pfychologiſchen Urfprumg ber Raumvorftellung. 99

falls überzeugend gezeigt. hat, nicht& ‚ber. bloßen Sinnenempfin⸗ dung mehr Angehörendes, ſondern Etwas, das bie Seele; das Bewußtfepn,. felbftftändig, und felbfithätig dem Em- pfindungsinhalte hinzufügt. Wie aber .anbers vernag fe Died, als indem fie urf prünglich fon ein Raumbild ber Nöt, in welcher ſie das Einzelne. hineinzulocalifiren vermüge? Um in beftimmter Richtung fehen, um die eine von der andern unterjcheiden zu können, muß überhaupt fehon eine ruhen de Raumvorftellung, wie unbeſtimmt Re auch fey, zu Grunde liegen, innerheip deren .jene einzelnen Richhingen (des Oben und Unten, des Linfs. oder Rechts) allein fich unterſcheiden laſ⸗ ſen. Es iſt ea ſchon ſattſam van uns nachgewieſene Aus⸗ dehnumgsbild varaugqufegen, weſches ſomit als nothwendige Bedingung dieſes ganzt Bewußtfeynmergangs ihm voraus ges ben, micht aber als erft aus ihm em tſtan den gedacht wer⸗ den maß. Die zweite Vorqusſetzung aber iſt, daß bei biefer ganzen Operation ber Standpunet ber. Iscalifitenden Scele nur im Auge felbft angenommen werden könne, nicht Binten im Hirn; denn. bei letzterer Annahme wäre, wwie- fh: gezeigt hät, die Möglichkeit, wichtig zu localifiren, unwiederbringlich für "die Seele verfhunmden. „Sie hätte als einziges Object mur das verfehrt. ſtehende Netzhautbild vor, ſich, und fie koͤnnte von ihm: aus nur in umgefehrter Richtung locafifiren.. , J Auch hier daher, fuͤrchten wir, iſt der tteffliche Forſcher auf dem halben Wege des Richtigen ſtehen geblieben; wenn feine‘ Theorie Über die Localzeichen in allen Theilen Hat und Über zeugend ſeyn foll, fo muß bie Lehre von einem Gentralergän der Seele im Hirn, ebenſo die Behauptung von’ der objectiven Unraͤumlichkeit der letztern unbebingt aıfgegeben werden. Dieſe enticheidende Einſicht zu erwecken iſt der einzige Zweck der bis⸗ herigen Bemerkungen geweſen, umd man hätte das Recht, bie- ſelben kleinlicher Mäfelei zu zeihen, wenn ‚ihnen nicht jene alls gemeine Welkcht zu Grunde läge, 0 oo 15. Wie die Sache für uns ſich geftalte, werben wir am

t ;

100 J. 6. Kite,

Beſten erkennen, wenn wir das Verhaͤttniß nes Taſt⸗ und des Geſichtsorgans zu einander im Einzelnen ins "Auge faffen. Zuvörberft muͤſſen wir die fo gewöhnlich geworbene Bes zeichnung ablehnen, daß man fie „raumerzeugende*' Sinne nennt. Dies ftürzt ums in jenen ungenügenveit Subfectivismus zurüd, deſſen Folgen wir im Vorhergehenden nach allen Seiten beleuchtet haben. Wohl aber find Geſicht⸗ unb Tapfinh raum entwidelnde* Einne zu nennen. Wie die Seele ün erſten aufdämmernden Bewußtſeyn von fich fetbfe "ein ündeftimintes Auspehnungsgefühl gewinnt, fo iſt es chen dies, was Duck jene beiden Sinne ertenfiv und intenfio genauer Kreis und ims Einzelne gegliedert, nicht aber erſt „erzeugt? Wirt 16. Ob das Gefiht bei ruhen dem Auge den Eiipfln⸗ dungsinhalt ſchon in räumlicher Form bed Rebeneinanver' fs faffe, hat man bezweifeln wollen. Durch Beobachtung" if es kaum zu ermitteln; body; füheint uns Fein entſcheivender Gtund dagegen zu fprechen. Die Lagerung der Faſern bes Schuerven ift offenbar dazu beftimmt, daß jede ihren Heiz gefordert: be— halte und gefondert fortleite;s er hat fomit bie Elem ente zur Borftellung eined Nebeneinander in fi) bereit liegen. - "Sind nun fämmtliche alfo entflandene Elementarempfikdimgen” quälls -tativ völlig gleich, fo kommt es ohne Zweifel‘ ju Teiler dub; drüdlichen Raumvorftelung. Damit dieſe beſtimmt ſich el wide im Gefichtöfelde, bedarf ed für dad Bewußtfenn Wer An⸗ regung qualitativ verfchiedener Farbenreize. Unter dieſer Vorausſetzung muß bereitd bie Lage der verfchievenen Reize ger gen einander, wie fie objectivo in ber Neghaut beſteht, auch’ ſub⸗ jectiv. zugleich mit dem qualitativen Empfindungsinhalte vom Bewußtſeyn unterfehieden werden. Hier iſt der erfte Ring zut "richtigen Erflärung des Ganzen "einzufügen. Jeder geſchene Empfindungeinhalt gewinnt unmittelbar fein „Loralzeichen“, weil mit feinem Bewußtwerden fogleich und zwar an dieſer Sk (nicht rüdwärts im Him, alfo in umgekehrter Oag ) fee Raumverhältniß zu den andern zum Bewußtfeyn Fon, Was die gleichfalls nothwendige Leitung der Nervenfaſern in's Hirn

»

Weber ben pſychologiſchen Urſprung der Raumvorſtellung. 101

unter dieſer Vorausſetzung bedeute, wird ſich zeigen und betrifft einen ganz andern Bewußtſeynsvorgang.

So ſind nun, auch unter Annahme eines ruhenden Auges, die qualitativ verſchiedenen Geſichtsempfindungen ſchon jetzt in einem Ausdehnungsbilde gelagert, welches ihnen irgend ein Raumverhältniß zu einander anweiſt, wie unbeſtimmt und ver⸗ ſchwommen dies zunaͤchſt dem Bewußtſeyn auch bleibe. Wenn nun allerdings biefe Vorausſetzung ſich ungenügend erweiſt, um die Ausdehnung des Sehfeldes zu erklären, in welchem bei ausgebildetem Bewußtſeyn unfere Gefichtövoritellungen wohnen: jo fommt dem Bebürfniß weiterer. Erklärung eine Thatjache zu Hülfe, welche jeden Zweifel an ber Richtigkeit des erften Aus- gangspunctes aufhebt und fo Den zweiten Ring der Erklärung anfügt. Das Auge ift kaum jemals in abfoluter Ruhe, Da vielmehr, wie befannt, nur sin Theil der Nephaut zu völlig dcutlichem Schen gerignet iſt, fo. liegt barin für den Sehenden der unabläfige Reiz zu Bewegungen bes Auges. Durch bie ftetig ſich aneinanderreihenden Verruͤckungen dieſes Organs Ans dert ſich das Raumbild ebenso ftetig, und es fummirt fid) aus ſolchen einzelnen Elementen für das Bewußtſeyn ein innerlich zuſammenhangendes Gefichtöfeld, welches nunmehr ſchon eine fefte Raumordnung von Geſichtsobiecten barbietet, ins dem der Sehende, dad Auge in "umgefchrter Richtung zurüds

beipegend, dieſelbe Bilderfolge rüdwärts burdläuft. So muß

diefe Ordnung vom Bewußtfeyn ald eine objective, von ihm und feinem Sehen unabhängige beurtheilt werben zufolge eines ipäter zu untgrfuchenden Denkactes.

17. Hier nun ſteht, nicht fowohl für dad Auge als fol- ches, wohl aber für bad durch das Auge zufanmenfügende und beustheifende Bewußtſeyn, Alles ſchon urfpränglih in richti— ger Ordnung, nicht im verfehrtem Bilde. Denn bas Be⸗ wußtfenn localifit vom Standpunete bed Auges aus, nicht hinter demſelben. Die von oben eintretenden Lichtreize fallen in der Rephaut unten, die von unten kommenden oben, die von Rechis nad) Links und umgekehrt ins Auge. Aber gerade

| EEE "26 Höte,

darum müffen fieswon dem percipitenden Bewußtſeyn nach dt Richtung, in der fie einfallen, "Iocafiftrt werben; d. h. fie werben richtig, nicht in unigekehrter Ordnung geſeheii.“ Aus demſelben Grunde ſteht auih, d. h. localiſirt man die Gefichte- objecte in der Größe der Einfällswinkel der Echttrahlen nichi nad) der Kteinheit des „Augenbilbchens*n welches tn Wahrheit für bie Seele gar nit vorhanden ‘tft, fondktit nut den Rich⸗ tungopanct bezeichnet, "ohn weichem aus fle Tocafifirt, " - Bei diefen Allen aber uͤberſehe inan niiht die Grund vorausfegung, unter welcher ullein bas Votſtehinve ſich als möglich erweiſt. Wird ver Standpunct des im fen‘ khaͤtigen Bewußtſeyns dus dem Auge hinaus in irgend ein Centralorgan bed Sins zuruͤckgeworfen, fo iſt Alles’ in die ſchon geſchildette Verwirrung geftürzt, indem uünter dieſer Votausſetzung für bie percipirende Seele nur: jenes‘ „unienblüh kleine und verkehrt fit ſtehende Farbenbildchen“ erifliren fan. Hätte die ganze Lehre vom Centralorgane der Seele ſich nicht ſchon aus Alfgeintinen Gründen als unhaltbar gezeigt; fürwahr, ſchon aus dieſem ein zeinen Grunde waͤrr fie zu verwerfen, weil ſie eine am ſich ſelbft ſo einfache Thatſache durch die von iht inzugebtähten Hwe⸗ theſen ſo unheilbar verwirrt. | 18. Und kaum wird man hier noch fragen Ce iſt aller⸗ bings ein Einwand, den Loge unſerer Geſammtanſicht entge— gengeßalten Hat), wozu für uns die anatomifche Fortleitung bet Gefichts⸗ oder überhaupt der Sinnennerven in's Hirn noch Ne thig ſey, wenn dad Bewußtſeyn den Eitpfindungsart wirklich an Ort und Stelle vollziehe und dazu Feiner Leitung ind. Een⸗ tralorgan 'bedürfe? Der Grund dieſer Nothwendigkeit Liegt an einer ganz andern Stelle. Es ift anzunehmen imd auch "bie „Anthropologie“ hat der Gründe dafür ausfuͤhrlich gedacht; daß im normalen‘ Zuftande durchaus Fein Act ber Seele; ſey er de wußtlos ober von Bewußtfeyn begleitet, "von" Stätteh'"gehet köͤnne, ohne au eine correfpoitbirende Nerventhaͤtigkeit gebunden zu ſehn. Ebenſo iſt die Annahme begruͤndet, daß das große Hin Organ ver Acte bewußter Intelligenz, des „Denkens“

u

Ueber Den pſychologiſchen Urſprung ter Raumvorftellung. 108

ſey. Haben, wir nun ſchon vorläufig darauf hiegerwielen, und wird es ſich im Selgenben noch entſcheidender ergeben, daß ſchlechthin fein Empfindungsact im menſchlichen Bewußtſeyn rein vorkomme, ſondern unmittelbar won combinirendem, utthei⸗ lendem, ſchließendem Denken zu Anſchanungen und Wahrneh⸗ mungen wverarbeitet werde, fo entſpricht dieſer pſychologiſchen Thatſache die anatomiſche Beobachtung. auf's vollſtaͤndigſte. Alle Sinnennerven muͤſſen ihren „Urſprung“ im großen Hirn haben, d. h. ihren Zufammenhkang mit'bem Organ ber Ju⸗ telligenz, behaupten, weil ohne dieſe Gombination : gar Fein Anſchauungs⸗ und Wahrnehmungsact zu Stande käme.

19. Auch bei Erklärung der. Raumvorſtellungen, welche Die Empfindungen bed Hautfinns und bes Zaftfinne ber gleiten, iſt von dem uripsüglichen Ausbehnungabilde auszuge⸗ ben, welches. die Seele ‚Dunkler oder auägebilbeter vom eignen ' Körper befigt; amd hier laͤßt ſich dieſer nothwendige Anknüpfungs⸗ punct fogar deutlicher nachweiſen, als an der xelativ höchft? klein zu denkenden Reisfläche der Neghaut im Auge. Ale Empfin⸗ dungen des Hautſinnes zunächſt Incalifiren.-fich. auf eine Weiſe, die wir im Vorigen näher darlegten (G. 8. ff.),. fogleich an dem Körperbilde; aber damit tragen. fie ſebſtverſtändlich ihrerſeits dazu bet, jenes Körperbild deutlicher auszugeſtalten.

Doch auch hier, wie bei dein Auge, iſt ein analvges Ver⸗ haͤltniß zwiſchen bez ruhenden Form des Organs (dem: Haut⸗ ſinne) und ber beweglichen, dem eigentlichen Taſten, Deuts. lich zu erkennen. Das Gefühl eines Druckes, welches ſich über: eine größere Fläche des empfindenden Koörpers verbreitet, ent⸗ wickelt, neben ſeiner allgemeinen . Socalifation. am Koͤrperbilde und, neben, ter ſonſtigen ſpecifiſchen Empfindung (des Kalten, Warmen, Rauhen, Glatten u. ſ. w.) zunaͤchſt auch das mehr oder minder genau begrauͤnzte Bild eines ſietigen Außereinander von Raumtheilen; es entſteht dunkler oder deutlicher die Vor⸗ Hellung der Flächenform. Und auch bie. Empfindung einer Spitze quf der Hayt.. kann für. dieſen Sinn nur als kleinſte Flaͤche zur Vorſtellung kommen, durchaus nicht als Graͤnze vers

N

14. , 3. 4. Fichte, ſchiedener Ebenen, was fie z. B. als Winkel: eines ERürfels

waͤre und wie fie nur mittels des Taſtorgans vorgeſtellt werden

kann. Dem Hautſinne für ſich ſcheint alſo in der Flaͤchenform die Graͤnze der von ihm aus zu entwickelnden Raunworſtelliengen gegeben ; ex wirkt in biefem Betreff bem Geſichtsorgan awaleg, welches auch bei der Flächennorftellung ſtchen bleiben muß

20. Tritt hierzu nun das Taſtor g an mit. beweglichen Gliedern, fo vermag dieß jene Flaͤche durch Hin⸗ amd Herbe⸗ wegung nach Breite und Höhe zu beſtimmen und von allen Seiten abzugraͤnzen. Hier ſummirt das begleitende Vewußtſeyn, ganz analog mit dem, was bei der Augenbewegung ſich ergab

(s. 16.), die einzelnen Empfindungen zur fletigen Raumgtoͤße

einer abgegraͤnzten Flaͤche. Von dieſer Bränze aber kaumn fir bad Bewußtſeyn mittelſt des Taſtorgans das Bild einer mem Raumrichtung begianen; dann entfeht zur Breite und Hoͤhe die Voeſtellung der dritten Dimenfion. Nehmen wi au, dad Taſtorgan bewege fi auf einer Fläche, welche wie vom Staubpunete unferer Ausbildung eine horizontale bene: nennen möfen, und num mit einem Wale. finfe das taſtende Gliedein eine unter biefer Ebene Liegende Richtung herab ): fo: wir dies nothwendig im vergleichenden Bewußtfeyn ‚die Borftllmig einer vollig neuen Flaͤchenrichtung erzeugen muͤſſen. Es iſt die dritie Dimenſton mit ber. darin enthaltenen Vorſtellung ber Körr perlichkeit. Die dritte Dimenfion wird nicht geſchen, ſon⸗ bern ertaſtet und. erſt durch Uebertragung bed durch Taſten ger

fundhenen Bildes der Tiefe auch auf bie Geſichtsobjeete bezogen

und durch einen nmwilllührlichen Schluß ber. Analogie ben allein geichenen vielfady begränzten Flächen uniergelegt. |

21. Bon befenderet Bedeutung für unſere geſammte An⸗ ficht ift e&, von der Entfichung bes eignen Körperbildes noch ein Wort zu fagen; weil von biefem alles Uebrige ausgeht.

*) Bir benügen In dieſer Wendung die ſehr anſchauliche Darflellung welche W. F. Volkmann Coindstogk ©. 206) von tem bezelchneien Vorgang gegeben Hat.

Ueber ben pſychologiſchen Urſprung der Raumvorſtellung. 109

Auch bier men wir behaupten, daß es feine erfte Wurzel in jenem unbefiinnnien Ausdehnungsgefühl habe, welches von uns ferem Daſeyn unabtrennlich ift und die ſtets und begleitende Gewißheit der eigenen Körperlichkeit uns gewährt. Sogleich aber geſellt fi zu ihm, durch das Gefühl von der Bewegung des eiguen Körper und feiner Glieder, bie ebenſo unbeitimmte Vorftielugg eines ihn umgebenden Raumes.

Aus der bemußten Entwichlung beider Elemente. ergiebt ſich allmälig jenes Körperbild. Zumächſt gefchieht dies gewiß durch Selbſtbetaſtung unter oriemtirender Mitwirkung des Ger fichtfinne® ; aber. zur allgemeinen Deutlichkeit vollendet wird jes nes Bild ohne Zweifel er an. der nachfolgenden Bergleichung mit dem Bilde anberer Menfchenförper, fo daß verhältnigmäßig gewiß fehr fpät und allmälig eine beutliche Borftellung des eig⸗ nen Leibes zu Stande konnnt, ohne daß darmn bie Rocalifation der andern Körper auf die vorher befchriebene Weile, durch con⸗ cusrisenbe Zuſammenwirkung ber drei Sinne bes Geſichts, bes Hautfinned und Getaftes, gehindert würde. Yür Abgrän- zung bed eignen vom den anbern Körpern aber bebarf es bes zweiten Elementes. Auch das Bild der Raumumgehung muß ſich verdeutlicht haben, um Lie Borflellung des eignen Koͤrpers gegen die übrige Außenwelt genau zu emtwideln. Auch hier bebarf «8 ber Bewegung, nicht mehr bloß der einzelnen Glieder, fordern des geſammten Leibes: den fid) bewegenden, fein Raumwerhaͤltniß zur Umgebung ändernden Leib begleitet das Bewußtſeyn dieſes ſtets fid) verändernden Verhaͤlmiſſes, welches in das ſich erweiternde Bild der Raumumgebung eingeordnet wird. Damit wird endlich die Stufe der geordneten aͤußern Wahrnehmung erreicht, von welcher ſpaͤter.

Die allmälige Erweiterung beruht aber urſprünglich auf einem ſteten (der Vergeiſtigung des Sinnenbewußtſeyns vergleich⸗ baren) Bortfchreiten vom Taften zum Sehen, auf einer ſtets mehr gelingenden Uebung, die allein gefehenen Blächen auf die (drei Dimenfionen barbietenden) Bormen des Getafies zu⸗ rühguführen, ohne ber controlirenden Nachhülfe des Taſtens zu

106 J. HG. Fichte, Meber ven pfuchefogifchen Urſprung x.

bevürfen, und fo zuletzt Körper zu chen, den eignen und danıı die Außenwelt. Hierbei ift an die conftante Erfahrung zu ertiinern, daß im erften aufdämmernden Bewußtſeyn des Kindes dies vor allen Dingen jeden gefehenen Gegenſtand zu betaften trachtet, nicht nur weil ihın dies für jegt noch der einzige Aus gangspunct zur Feftftellung obiectiven Dafeyns if, ſondern auch weil das Kind noch nicht eine audgebildete Vorfieiiing ber Raumumgebung gewonnen hat, im welche es das geſehene Raumobject einzuordnen vermöchte. Es muß daher: eilen, bmm Gegenftand zu betaften, d.h. in BEontinuität mit degı eignen Körperbilde zu bringen, in welchem es zunaächſt noch bie einzige Controle einer objectiven Gewißheit befigt, Aus demſelben Grunde erklären fich auch andre befannte, nicht immer aber richtig gebeutete Ihatfachen, daß dem Btindgeborenen,

welcher plöglich fehend wird, das Geſicht zunächft nur als eine

andere Art von Getaft erfiheintz er fight alle Geſichtsobjecte „gleich nahe”, er glaubt fie „auf dem Auge liegen zu haben“, d. h. er beurtheilt das Erſehene ganz dem Ges tafteten gleich, wegen bed Fehlens einer "dur das Geſicht gewonnenen Vorftelung von der Raumumgebung bed Körpers, in welche er bie Geſichtsobjecte köcalifiren "fürmte. Aus gleichem Grunde fieht der geheilte Blindgeborne zuerft Alles nur als Fläche und in ungeordneten Gruppen, und erſt allmählig lernt

er aus der Buntheit der Farbenbilder einzelne Geſtalten unter,

fcheiden. Der von Dr. Franz Operirte unterſchied die Kugel nicht von der Scheibe, den Würfel nicht Yon Quadrate ünd der perfpectiwifche Anblick eines Körperwinfels febte ihn in Ver⸗ legenheit u. ſ. w. *).

22, Unverfennbar übrigens ift, warum mir auf die Ans erfenntniß jener Stufenfolge einigen Werth legen muͤſſen. Sie beftätigt durch die verfchiedenartigften Thatfachen bie "allgemeine

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2) Das Ausführlichere bei Bolfmann, Artikel „Sehen“, in R. Bags ners Dandwörterbuh der Phyſiologie III. S. 268, Waitz Lehrbud der Pſychologie 1849, S. 249 251, W. F. Volkniann a a, D. ©. 214

Necenfionen. Carl Schmidt: Die Harmonie d. Weltm. 107

Grundlage unferer Theorie. Hautſinn, Getaft und Geficht find nur die beſtimmtere Ausbildung und Erweiterung jenes urfprüng- tichen Ausdehnungsbildes in der Seele, welches vom Gefühle Ihres eignen Dafeyns unabtrennlich iſt. Im Taften und dem davon unabtrennlichen Gefühl eigner Bewegung dehnt bie Serete ihre Raumvorſtellung über die Gränzen des Leibes aus. Das Sehen, pſychologiſch, nicht phyſtologiſch betrachtet, einem erweiterten, zuletzt in's Gränzenloſe ausgedehnten Taften ver- gleichbar, entwickelt endlich die allgemein ruhende Rauman-> ſchauung, deren fih das Denken bemädtigen kann, und welche die Geometrie voraußfegt. Der Keimpunct aber und bie nothwendige Vorausfegung für dies Alles iſt jenes einfachfte Ausdehnungsgefühl in ver Seele. Nur weil fie fi ſelbſt al s täumliches Weſen anſchaut, vermag ſie auch die andern Weſen als räumliche zu bezeichnen: und von ſich aus zu localiſiren.

MNMecenſionen.

Die Harmonie der Welten, von Dr. Carl Schmidt. Leipzig, 4853. Berläg von Gelbel. nr '

Wir dürfen und mit Recht darüber freuen, daß von Tag zu Tag die Zahl derjenigen Freunde der Philoſophie ſich 'mehrt, weiche fich zu ber felbft von den bedeutendſten Bertretern der deutfchen Philofophie in dem jüngft abgejchloffenen Zeitraum nur höchft verfümmtert aufgefaßten rein fperulativen Gottesidee erheben und in iht Die höchfte' Vollendung alles Erkennens und Wiſſens finden. Ju ihr dürfen wir u. A. auch den Verf: rech⸗ nen. Zwar wenn berfelbe Gott, mit beffen- Begriff er fein Ey ſtem beginnt und in welchem er mit Recht den Grund aller Harmonie findet, als Urzelle beftimmt, fo niöchte dieſe Defi- nition nicht ohne Grund Manchem als eine zu phyſikaliſche er? feinen; denn die Selbftoffenbarung Gottes in der Welt

108 Mecenfionen.

iſt nicht als eine Selbftaufhebung deffelben zu denken, derglei⸗ chen die Selbftdifferenzirung ber Urzelle eines Orgmismus if; allein Schmidt gebraucht, wie fi im Verlauf feines Buchs zeigt, jenen Austrud Im Grunde nur in einen bildlichen Em und will damit Gott bezeichnen als die Ureinheit, woraus alle Mannichfaltigkeit des weltlichen Lebens Avig hervorgeht. Wort iſt ihm der Urgeift, der fehle ewige Urnatur in ſich ſelber trägt, zugleich abjolute Ruhe und Tchätigkelt, wiſſendes Sehn md feyended Willen, die fich felbit anſchauende Vernunft, frei, aber zugleich mit innerer Nothwendigkeit ſchaffend, im und’ über: der Natur und Welt. Er fegt Las Viele in ſich, aber er iſt bie allumfafjende und allüberfaffende Einheit zugleich, er iſt bei ich, und doc) leben und weben und find wir in ihm; er Em tralgeift und Gentralnatur in abfoluter Einheit und als "folder der wahrhaft Hebergreifende über alle endliche Natur -und-alın endlichen Geift.

Mit allem Recht bemerkt Hoffmann Mn feiner Rebe, welche er zum Antritt des Reftorats ‚über ten Werth und bie Bedeutung der Philofophie am 2. San. 1858 gehalten hat, traf dad alle tieferen philofopbifchen Eyiteme durchdringende Der wandtichaftsverhältniß beſonders mächtig hervortrete in den theifti⸗ ſchen Syſtemen, welche ſeit Schelling, Schleiermncher, Hegel und Herbart von einer Anzahl philoſophiſcher Forſcher in Deutſch⸗ land ausgebildet wurden und groͤßtentheils noch in der Aus⸗ bildung begriffen find. Er bezeichnet ſodann jene Forſcher mil Namen (welchen er mit allen Fug auch den feinigen beizählen durfte), und bemerft hierzu, daß alle diefe Philpſophen ſich in ihren Grundanfchanungen näher getreten feyen als es won tiner auch nur annäherungsweife gleichen Anzahl ‚ausgezeichneter Selöf- forfcher irgend einer früheren Zeit gefagt werden koͤnne. Gewiß darf man das Zurüdgehen auf die philofophiiche Gottesidee, das Streben, fie in ihrer ganzen Tiefe, Säle und. Freiheit zu erfaffen und in ihr den vollendenden Abſchluß alles Wiffend .zu gewinnen, als eine8 ber erfreulichen und charafteriftiichen Zei⸗ chen der neueſten veutfchen Philoſophie, ſoweit fie ſich wenigfiand

Cat Schmidt: Die Harmonie der Welten. 109

in einer namhaften Zahl von Vertretern berfelben ausfpricht, betrachten, und hierin iſt ficher ein Beweis davon zu erbliden, daß die deutſche Philofophle im Fortſchritte zu einem ſchönen und befriedigenden Ziel ihrer dur Jahrhunderte fich hindurch⸗ ziehenden Arbeit. begriffen if. Auch in dem kaum erft abgeflof- jenen Zeitraum ihrer Entwidlung, welcder von Sant bis auf Hegel und Herbart geht, bat die deutiche Philofophie, wie das nicht anders ſeyn kann, in der Idee Gottes den Höhepunft des Glaubens und Willens geſucht. Allein theild wurde fie aus- drücklich für etwad an fich Unbegreifliches, für ein bloßes Object des Gefühle und Ahnens erflärt, wie von Jakobi, Fries u. A, cheils wurde fie mit unfpefulativen Elementen des pofitiven Tirchlichen Glaubens vermifcht, wie von Baader und felbft von Schelling in der lebten Periode feines Bhilofophirens, theils endlich blieb fte noch im Elemente des blos abftraften Den⸗ fend gehalten und darin befangen, wie in ben Eyftemen J. ©. Fichte's und Hegel’s.

Was Hegel zwar im rein fpefulativen Denfen immer er ftrebt, aber doch nie ganz erreicht hat, das ift die abfolute Ein- beit des Allgemeinen und der Einzelheit. Er fpricht fie fogar manchmal aus, und body bleibt ihm Teglich die Einzelheit nur der Berluft, nicht bie ſelbſt in fich unendliche Neflerion der All⸗ gemeinheit; oder vielmehr er behanptet beides und fieht nicht ein, daß nur das eine von beiden, nämlich die metaphyfijche Wahrheit, welcher zufolge die Einheit und Congruenz des all gemeinen Seyns unb der reflexiven, monadifchen Einzelheit das erfte, an und für fi) Eeyente, das Abfolute it, fi philofos phifch rechtfertigen läßt. Denn das abjolute Princip der Phis lofophie kann nicht ein blos allgemeines Seyn, die allge> meine Subftanz, die allgemeine Idee, die erft Einzelheit wird, in fie ewig ſich reflectirt, u. dgl., wie ber Pantheismus Ichrt, nod) auch eine unendliche Vielheit von uranfänglihen Einzels heiten, wie bie atomiftiiche Theorie behauptet, fondern es muß als Princip auf urfprüngliche Weife beides, Allgemein: heit und Einzelheit, in völliger Eongruenz ſeyn. Died aber ift

110 . . Ketenſionen. nm

das Prineip ‚nur als abfaluter Urgeift, der ygleirh die umiver⸗ jele. Vernunft und wahrhafte Ichheit in ewiger Identität. ſelbſt⸗ bewußted Denken und Wollen bes ‚allem Seyenden zu Grunde liegenden Ideenſyſtems iſt. Alſo wird die Philofophie ‚nur dann zum ‚wahren ‘Brineip, damit zum vollendeten Abſchluß, in ſich gelangen, wenn fie in der Gottesidee deu Höhrvunft des Wis ſens erreicht, und von da aus ergiebt fih dann die vallkonunen harmoniſche Geſtaltung des Syſtems. | . Schmidt zeigt nun eben diefe Harmonie, die ſich van der Gottesidee aus ergiebt und die von ihr aus durch das geſammit, Wiſſen ſich hindurchzieht, in begeiſterter Weiſe, viellad, an⸗

fnüpfenb an bie erhabengn Denker, welche in derſelben Idet gen

lebt. und gedacht haben, an Pythagoras, Giordano Brunn, Rear ler u. A. In der That quillt die hoͤchſte Begeiſtgrung aus der ächten lebendigen Vernunftidge Goties, weil pon ihre. auf, in ihrem wunbernollen Lichte betrachtet, ale Widerſprüche des Le⸗ bens, welche ohne f ie bie höchfte, letzte, negative, Macht; bes Seyns wären, ſich ſchließlich köfen.. Poeſie, Religion ‚und Phi⸗ lofophie, treten alsdann in ein tiefbefriedigendes. Verhältniß ins nerer Uebereinftimmung, welches die ſpeciſiſche Verſchiedenheit berfelben nicht aufhebt, und. der Geiſt, ber in jenen. brei Spha⸗ ten ‚gleichmäßig fein höheres Lebenselement bat, gewinnt in ſich ſelbſt die befeligte Einheit ‚feines Anſchauens, Ermuthe ‚amd Denkens.

Der höchfte Begriff, unter welchen ſich yon bier. aus. hie Naturphiloſophie ftellt, fofern in ihm das Princip ber Geſiab tung und Bewegung der ganzen Koͤrperwelt enthalten iſt, iſ wie der Verf., anſchließend an eine Abhandlung des Referenten zeigt, die Affinität. In Wahrheit ermeift bie Naturwiſſenſchaft, je weiter fie in ihren Beobachtungen und Entdeckungen fort fchreitet, nur befto mehr die univerfelle Bedeutung jenes Prin⸗ cips. Weil alle Ginzelwefen in ſich. elöft individuelle Einheiten. mannichfaltiger Elemente find und hinwiederum alle zum Melk ganzen als Glieder fi) verhalten, die unter ſich ebenfo. eine univerjelle Einheit bilden, wie ein jedes in ſich eigen geſtaltet

Carl Schmidt: Die Harmonie der Welten. 111

iſt; ſo muß bie Affinität da& allgemeine Geſtaltungs⸗ und Be: wegungsprineip. felbft fern. Das ergiebt ſich rein yom That- fächlichen, ‚empirisch. Gegebenen aus. Bon der Idee Gottes aus ' bie Welt betrachtet, erhält. diefelbe Wahrheit ihre höchfte Beftäs tigung und ihr volles Licht. Denn weil. Gott als Geift die Welt ewig nur als Offenbarung. feines unendlichen Ideenſyſtems hervorbringt, in dem er felbft die Fülle. feines Lebens anfchaut, liebt und will, fo muß alles nad) ‚den göttlichen Maafen jenes Syftems geordnet feyn, gin jedes Glied darin ſeine eigenthüm— liche Stelle und Bedeutung haben und alle müſſen unter ſich doch nur eine unendliche Einheit bilden, welche demnach die Affinität aller mit allen in unendlich mannigfaltigen Affinität: kreiſen, in unmittelbarer: oder’ mittelbarer Weiſe felbft zit; Im Alfgemeinen alfo ftinnte ich freudig mit dem Verf. überein. Gott, in ſich die ewige Harmonie der, Urformen des Seyns, iſt das Prineip der Harmonie, jn ber auch die gewor— denen Seynöformen der Welt ſich bewegen. Hier: allein iſt das obftracte Negativitätsprincip überwunden: In's Einzelne, jedoch) kann ich Dem Ber. nicht Folgen, noch auch mich mit allen feinen Ausführungen einverſtanden erflären; namentlich möchte ich, was feine Anſicht von, einem individuellen, ſelbſtbewußten Geiſte der Erde, der Planeten we. w. betrifft, auf eine frühere Auss einanderſetzung in dieſer Zeitfehrift CB. XXIV. H. 2.) verweifen, Allein. ich. verkenne auch ‚nicht, daß in der Auffaſſung des Eins zelnen eine. große Mannichfaltigfeit der Anſichten möglich und unvermeidlich, und hierin die Philoſophie mit den übrigen -Wif- fenſchaften in einem unendlichen Fortſchritt begriffen. if, ber nur allmaͤlich zu einer immer größeren Uebereinſtimmung aud in ben konkreten Sphären führen kann und führen wird, je reiner: und vollftändiger die Grundidee erfaßt, wird. Ebenſo wenig glaube ih, daß Schmidt zu ber. abfkraften Reinheit und Höhe des philoſophiſchen Begriffs ſich erhoben. habe; die Idee Gottes iſt eine fo tiefe, Daß ihre ſpekulative Stfaffung, deren wir und fo weit wir derſelben fähig find, die hoöͤchſte Abſtraktion bes Dentens erfordert, dann aber auch in

112 Necenſionen.

ihr alles andere Seyn feiner innerſten Weſenheit nach zumal begriffen und geſchaut wird. Bis zu dieſer Abſtraktion oder Reinheit des intuitiven Denkens iſt Schmidt keineswegs vorge⸗ drungen; feine Darftellung bewegt ſich in der Mitte zwiſchen dem reinen Gedanken und ver Borftellung. Allein es if erfreu- lid und fogar für die Verbreitung der philofophifchen Erfennt- niß nothwendig, daß bie Ideen der Spekulation in populär wifienfchaftlicher Borm der Nation vorgelegt werben. | Ä . Birth.

Unterſuchungen über den Lebensmagnetiämus und das Hellfehen von Dr. Joh. Carl Paffavant. Zweite unigearbeitete Auflage.

Das Gewiffen. ine Betrachtung von denfelben.

Sammlung vermifhter Aufſähe. Desgl.

Bon der Freiheit des Willens. Gbenfo.

Es gibt nicht leicht Schriften, welche auf jeden nach bar: monijcher Bildung von Geift und Gemüth Strebenden einen wohlthuenderen Eindrud machen, al8 diejenigen Paſſavant's. Im ihm ſelbſt fanden Wiffen und Glauben in fchöner Ueberein- flimmung, und darum find alle fein® Geiftesergüffe von einem zarten religiöfen Anhauch befeelt, durch welchen ſtets ein geiſt⸗ reicher Gedanke hinducchleuchtet. Er war überbieß ein Kenner der Natur, wie Wenige. Richt zufrieden damit, in Erforſchung derfelben blos ben analytifchen Weg ber Zerglieberung einzus fchlagen, einen Weg, welcher, einfeitig verfolgt, nur zur Kennt- niß der Trümmer der Ratur, zur Annahme von fchlechthin diskreten, feiner wahren Einheit mehr fähigen Stofftheilchen, damit in feiner lebten Eonfequenz zur rein materialiftiichen Theo⸗ tie des Stoffwechfeld führt, fuchte Paſſavant mit dem analyti⸗ {hen Weg auch den funthetifchen zu verknüpfen, welcher in der ewigen Selbfidifferenzirung ber Ratur zugleich die Einheit ber Differenten erfaffen und die bildende Idee des Ganzen erfennen lehrt. Meber alle Schriften PBaffavanı's ift hierbei eine foldye

Schriften von Ioh. EartiP affavant. 119

Milde der Gefinnung, eine folche Liebe zur Menſchheit ausge: goſſen, wie fie nur aus einem gottinnigen und klaren Gemüth fliegen kann, ‚und ich mödjte gerade in unferer Zeit des durch bie Hierarchie wieder kuͤnſtlich gefchürten Feuers ber .confefftos nellen Streitigkeiten den Schriften Paſſavant's, um ihrer vers mittelnden, verfühnenden, alled Extreme fliehenden und dabei doch durchaus refigiöfen Tendenz willen eine weite Verbreitung wuͤnſchen.

Ueber die richtige Methode der Naturforſchung ſpricht ſich P. ſelbſt aus in einem Aufſatze über einige Hauptprobleme der Naturwiſſenſchaft. Sich anfchließend an einen Ausſpruch Bacos vergleicht er hier die Idealiſten mit ben Spinnen, welche ihr Gewebe aus ſich herausfpinnen, die Realiften, .die. fleißigen Beobachter und Sammler, mit den Ameifen, bie alled von außen zuſammenbringen. Wenn leßtere mit unermüdlichem Fleiße die Ratur zergliedern, fo find fie nur zu loben; wenn fie aber bie zufammengetragenen Stoffe, die für fie allein erfennbare und genießbare Welt, für die Welt überhaupt hielten, fo Fönnten wir die Befangenheit diefer Realiften nicht leugnen. P. will alfe eine Bereinigung ; beider Methoden, das Beobachten und Sam- meln des Einzelnen, aber auc die Erhebung zur Idee, welche „vor den Wefen ift, aber zugleich ihnen einwohnt. Platon, der die Idee vor der Erfcheinung als feyend, und Ariftoteles, der fie in den Wefen ald werbend, ald Energie auffaßte, müffen fih ergänzen. Aber eben biefe Idee, den fchöpferifchen Begriff. ver Dinge, welche die innerliche, bildende Einheit und Wefenheit derſelben tft und ald Zweck in ihnen fich. hervorbringt, mißfen- nen bie meiften Natürforfcher, und fo giebt e8 unter ihnen mehr fleißige Steinmegen, als gute Architekten.”

Indeß blieb P. nicht blos bei dem logiſchen Begriff als Energie der Natur ftehen. „Der Grundfag, fagt er daß der mathematifche und Togifche Verftand die in der Natur herrfchenden mathematifchen und ontologifchen Gefege verſtehe, könnte leicht zu einer Einfeitigfeit führen und hat öfter dazu

geführt. Der Menfch ift nämlich nicht blos ein vernünftiges, Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 33. Band. 8

1 Nirenſionen.

er iſt auch ein freies, mit produttiver Phantaſie begabtes Weſen, und bie Natur iſt auch nicht blod eine mathematiſche Rechnungs⸗ tafel ober eine reell gewordene Logik. ABS letztere wurde bie Natur in einem berühmt gewordenen philofophiichen Spftem betrachtet. Das Grfek der logiſchen Nothwendigkeit bildet aber nur dad erſte Stockwerk ded Weltgebaͤudes. Wenn ein Menſch immer logiſch vernünftig denkt, fo ift er dadurch noch fein Künftler oder Dichter. Außer der geieglichen Form verlangt man noch ein Mehreres: Leben, Eigenthümlichkeit, Charakter, Ausdruck des Freien. Die Natur ift auch ein poetifches Mei⸗ ſterwerk, eine commedia divina, unb weißt in dieſem Theile der Schöpfung auf einen Urpveten bin, auf den Schöpfer der Welt poefte, ber zugleich der Schöpfer der Mathematik und Logik if." Bon dieſem Geſichtspunkte aus bat P. die hauptſaͤchlich⸗ ſten Erfcheinungen des Naturlebens behandelt und fie in Ad philofophifcher Weiſe zu erforfchen geſucht. Seine Abhandlung Aber die. allgemeinen Naturfräffe und die organiſchen Kräfte, mit welcher er feine Unterfuchungen über den Lebensmagnetismus eröffnet, enthält namentlich hoͤchft beachtenswerthe Bemerkungen über das Weſen des Lichts, der Wärme, ber Eleftricität, bed Magnetismus u. dgl., und wir bürfen mit Recht behaupten, daß in ihr Acht philofophifche und zugleih durch die Beobach⸗ tung beftätigte Begriffe und Beftimmungen über die wichtigfiek Naturerſcheinungen aufgeftellt find. Bon ben richtigen Grund⸗ begriffen aus, welche P. über das Raturleben aufftellt, bahnt er fih in dem genannten Werk die Bahn zum Verſtäͤndniß ber jo intereffanten Erfcheimungen bed Lebensmagnetismuchaſelbſt, bie er treffend beleuchtet. Wer freilich eine fo niedrige Am fhauung des Weſens und Lebens der menfchlichen gottoverwandin Perföntichkeit mitbringt, daß er -ihre ganze Wirklichkeit und Be flimmung nur auf bie enge und kurze Lebensfphäre einfchränft, weiche fie hienieden im wachen Zuftande erfüllt, ein folcher muß ſelbſt die allen Forderungen ber Kritik entiprechenden Beobach⸗ tungen über jene Erſchrinungen ſchon darum wegleugnen, weil fie auf ein über die gewöhnliche Raum- und Zeitichrande Hin

4

Schriften von Joh. Carl Paſſavant. 21

ausragendes Leben der menſchlichen Perfoͤnlichkeit hinweiſen. Paft ſavant, welcher glaubte und wußte, dag wir göttlichen Geſchlechts find, brauchte. vor ben wirklichen Thatfachen des Somnambulio⸗ mus jein Auge nicht zu verichließen, und baß er biefeiben, nicht ſcheuend das Vorurtheil der Unverftändigen,, dutch feine geiſt⸗ vollen Ideen erhellt hat, wird ihm ficher Die Achte Wiſſenſchaft Dank wiflen. Indeflen läßt ſich hierbei nicht verkennen, daß er namentlich in dem gejchichtlichen Theil feiner Schrift zu we⸗ nig die Grundſaͤtze einer befonnenen Kritif angewendet hat. Wer, "wie Paflavant, alle die Wunbererzählungen einer unverkenubar vielfach abergläubiichen und darum zur Mythenbildtung mur gu ſehr geneigten Vorzeit mit fo allgemeinen Formeln rechtfertigen und denkbar machen will, vergleichen bie Säbe find, die. Natur fey nm bed Geiſtes willen da, eine göttliche Kraft wirkte durch Die menfchliche Natur u. dgl.: ein folcher überficht bie Einheit ber göttlichen Weisheit und Allmacht, kraft deren auch die letz⸗ tere ſtets nur gefegmäßig wirkt. Gerade in vielem fo überaus dunklen Gebiet ift die fehärffte Kritik das allererſte Erforderniß, um nur das ganz ſicher Feſtſtehende als Gegenſtand einer ſpe⸗ lkulativen Ergruͤndung zu ermitteln, und ich glaube deswegen immer noch, in meiner Theorie ded Somnambulismus ben ride tigen Weg eingefchlagen zu haben, mag auch im Einzelnen ſich infolge- fortgefeßter Beobachtungen Manches aͤndern und erwei⸗ tern lafſen.

Daß Paſſavant's wiſſenſchaftliche Forſchungen, weil ef philofophifch, zugleich wahrhaft religiös waren, ift bereits anges deutet. Ganz vortrefflich ift namentlich, was er über ben Ge⸗ genfag ber chriftlichen Sonderkirchen ſagt. Mit allem Roche findet er in ber freien MWiffenfchaft eine Macht, die enblich über jenen Gegenſatz hinausführen müffe Er erinnert daran, daß jeßt ſchon die wahre Religionsphilofopkie über jene Streitfragen, weiche früher die Trennung. der Kirchen herbeiführten, ob naͤm⸗ lich der Glaube allein rerhifertige oder die Werke, ob die goͤu⸗ lihe Gnade alles Heilige wirfe ober auch der menſchliche Geift mitwitke, völlig hinaus ſey. Darum ft die Allianz der verſchie⸗

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416 fo

benen ‘Barteien innerhalb der evangeliſchen Kirche eine hoͤchſt erfreuliche Grfcheinung, an welcher auch die freie Wiſſenſchaft ihren Antheil hat. Wenn dabei die beiden Hauptfirchen in einen nun fo fchroffen, bedauerlichen Gegenſatz zu einander getreten find; wie hoch ift es dann anzufchlagen, daß noch in unferm deutſchen Bolfe eine Philofophie lebt, die alle Denfende wenig- fiend in dem reinen Streben nach Wahrheit -eint! Und follte ihe Beruf :auf dem Gebiete der Religion nicht am ‚Ende noch ein weit höherer fen? Gewiß, wie früher bie platonifche Phi loſophie die hoͤchſten, fpäterkin in die chriftliche Kirche uͤberge⸗ gangenen und fie befruchtenden Ideen zeugte, fo. birgt auch jeht bie wahre. Philofophie einen Schag reiner religiöfer Wahrheit in fich, welcher bereinft beftimmt ift, Gemeingut: der durch bat felben in dem Höchften wieder zu einenden Menfchheit zu wer⸗ ben. Nur Eins iſt hierbei nicht zu überfehen. Schon die Ente ftehung der freien Philoſophie fegt bie, Reformation voraus, Wären die Riefenplane des Papftes Gregor VII. verwirklicht worden, fagt Hoffmann mit Recht in feiner Rebe zum An tritt bed Rektorates fo würde alle ächte Philofophie, weil mur freie Philofophie die Achte fern kann, erbrädt und er worben feyn.

Ich flimme deßwegen auch p. vollkommen bei, wenn er in feinem Aufſatze über bie Theologie der Zukunft bie. Aufgabe ber Religionsphilofophie ald eine reformatorifche bezeichnet. Kom fervativ in Beziehung auf das Wefen der Religion, welde P. treffend als ein ewiges und ähnlich der Sprache nothwendiges Gemeingut der Menfchheit bezeichnet, ift fie reinigend, Täuteend hinfichts der unlautern Erfcheinungsformen ihres ewigen Wer fens, und beibes zufammen macht den evolutionären, reforma⸗ torifchen, fortbildenden Charakter der wahren Religtonsphilofophie aus. Diefe überaus treffende Anficht haben laͤngſt alle Adıten Philofophen getheilt; ich erinnere nur an Platons Berhalten zu ber Religion feiner, Zeit. Männer, mie Feuerbach u. 9. glauben mit ben unvollkommenen Erfcheinungdformen ber Reli gion, deren Falfchheit und Unangemeſſenheit ſie mit Recht aufe

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Säriften von Joh. Tal Paſſavant. 117

decken, thoͤrichter Weiſe die Religion ſelbſt, ihr ewiges Weſen, ihre Idee kritiſch vernichtet zu haben; Andere ſtellen an bie Achte Philofophie, welche in das feichte Geſchwätz jener Leute nicht einftimmt, weil fie die unendliche Wahrheit des religiöfen Bes wußtſeyns erfannt hat, die umgefchrte Forderung, daß fie alle überlieferten Dogmen rechtfertigen fol. Beide ahnen nichts von bem freien Beruf der Bhilofophie, nichts von der reinen, herr lichen Form, welche die Idee der Religion erft erftrebt und welche fie allein mittelft der Philoſophie, d. i. mittelft der in die Tiefe des Gemüths eindringenden Vernunft erreichen kann.

Gerade derjenige aber, welcher im Dienfte einer Theologie „der Zukunft”, wie P. fagt, arbeiten will, muß auch in ber Ausſcheidung des blos Menfchlichen von dem Göttlihen, das nirgends fo fehr als in diefem erhabenften Gebiet des Geiftes, ben ber Religion, von dem erfteren verunreinigt zu werben pflegt, Außerft gewiffenhaft zu Werke gehen... Leider Farm ich nun nicht fagen, daß P. Hierauf alle dem menfchlichen Geifte mögliche Sorgfalt verwendet habe. Wie hätte er fonft bie ganz trübfelige Anſicht Vieler nachfprechen können, daß wir mit einer urfprünglichen Disharmonie unferer Natur, mit zum Theil üblen phyſiſchen und geiftigen Anlagen, die nicht ohne vorausgegangene eigene-Schuld gedacht werden können, biefe Erde betreten! Hat denn auch diefe höchft unwahre Vorftellung irgend einen Grund in der thatfächlichen Wirklichkeit, wo vielmehr alles troß ber menfchlichen Thorheiten und unferer unfeligen Berhältniffe bie unverwüftliche Güte der Menfchennatur beweift, ober gar in dem unendlich Haren Bewußtſeyn deſſen, welcher das Wort ge⸗ fprohen: wahrlich ich fage euch, fo ihr nicht umkehret und werdet wie bie Kinder, fo koͤnnt ihr fchlechterdings nicht hinein⸗ kommen in dad Reich ver Himmel? Ober verlangt man etwa von ber. Kindheit, daß in ihr ſchon ber Vernunftwille zur be- wußten Herrfchaft gefommen feyn, ber Wille bereits in feiner erften Erfcheinung uͤher die finnliche Beftimmtheit hinaus jeyn ſoll? Dann würde man von dem Anfang erwarten, was nur das Ende der Entwidlung feyn kann; man würde gänzlich über:

118 NTeetenſionen.

ſehen, daß der Geiſt ſein eigenes Seyn erſt frei hervorbringen muß und dieſe freie Selbſthervorbringung gerade ſein Vorzug iſt. Weil P. Die alle fittlichen Begriffe vernichtende Vorſtel⸗ lung nicht theilen kann, daß durch bie Handlung eines Einzel⸗ wen alle übrigen Menſchen in jenen Zuſtand angeborener Suͤnd⸗ haftigkeit verſetzt worden ſeyen, ſo ſchreibt er das Böſe, womit alle Menſchen angeblich geboren werden, phantaſtiſcher Weiſe gar der vorzeitlichen That eines jeden Einzelnen zu. So zeugt ein Irrthum ben andern, und man fieht, wie nothwendig es iR, mit heiligem Ernft darauf zu fehen, daß an feinem Punkte bem Unwahren der Zutritt in das hödhfte, geiſtige Bewußtſeyn, bad religiöfe, zugelaffen werde.

Bei allem dem war doch Paſſavant's Geiſt fo ſehr bem böhern Leben in der reinen Wahrheit zugewandt, daß Teldft feine Irrthuͤmer ihm ihr reines Licht mar wenig trüben Eonnten, und er hat jo viel Schöne® und Gutes in einer überbieß jo Haren Eiprache geithrieben, daß ich zumat in ımferer Zeit bes bis zum Dienft der Materie herabgefuntenen Bewußtſeyns einer s und andererſeits Eines ganz mittelalterlichen Aberglaubens von feinen Schriften Heil erwarte für unfer deutſches Volk. Iſt gleich die ganze Richtung Pafjavant's eine mehr wermittelnde und bie Ge⸗ genfäge verföhnende, als eine fritifch feharffinnige; fo ift doch gevabe in unſerm Tage der jchroffen Extreme eine Berföntichkeit von ber genannten Richtung eine wohlthuende Erſcheinung.

j Birth.

Biffenfhaft vom Logifhen Denken. Bon Dr. Martin Hagen berger. 8. Profeſſor der Philofophie in Bamberg. Erfter Theil, mit dem beſondern Titel: Die Grundfragen der Logik. Leipzig, 1858.

Die vorliegende Schrift ift eine ber erfreulichen Erſchei⸗ nungen ber neueren philofophifchen Literatur, ein Erzeugnis ebenſo felbfiftändiger als grümslicher Forfchung, ein Beweis, daß ber Sinn für firenge Wiſſenſchaft und ächte Speculation in

Deutichland noch nicht ganz erflorben if. Der Verf. legt nicht

Katzenberger: Wiſſenfſchafi vom vogiſchen Denken. 110

sur eine genaue, das ganze Gebiet beherrſchende Kennmiß ber Die Logik betreffenden Literatur wie der älteren und neueren phi⸗ Iofophifchen Syfteme an den Tag, fonbern erfaßt auch die logi⸗ Ihe Stage in ihrer ganzen Tiefe und Bedeutung, Er. begreift und weißt ed zum Theil mach, daß tie Berirrung ber neueren deutſchen Speaulation, dort in fich überhebenden Idealismus und Anthropotheiömus, bier in erniedrigenden Materinlismus und Atheismus, zuletzt auf einer falſchen Auffafjung der Natur, ber Geſetze und Normen des menfchlichen Denfens und damit auf Berftößen gegen die Logik beruht. Er weiß, daß die Funda⸗ mente gründlich reflaurirt werben müflen, wenn has große Ge⸗ bäude, an bem die Philofophie feit Sahrtaufenden arbeitet, um einen Schritt weiter geführt werden fol. Darum erörtert er zu⸗ nächft in dem vorliegenden erften Theile feines Werks „die Grund⸗ fragen der Logik”, und legt in einer umfafjenden Kritik die Feh⸗ ler und Wängel dar, die indbefondere von ben neueren Logikern bei Faffung und Beantwortung berfelben begangen worben. Da⸗ bei berüdfichtigt der Verf. auch des Unterzeichneten „Syftem ber Logik“ (Leipzig 1853), zwar im Allgemeinen zufiimmend unb freundlich anerfennend, aber doch unter berichtigendbem Wider- fpruch gegen einzelne Hauptpunfte. Um fo mehr fieht ſich ber Unterzeichnete veranlaßt, fich ber näheren Befprechung dieſes Werks zu unterziehen, theils in ber Hoffnung, ſich mit bem würdigen Verf. zu verftändigen, theild in dem Bertrauen, baß jede neue Grörterung der ‘Brobleme, um die es fich handelt, zur Auftlärung der Sache etwas (fo wenig ed auch fey) beitra⸗ gen wird.

Der erfte Abfchnitt Handelt von ber „methodiſchen Eon- firuction der Logik als Wiflenfchaft”, d. 5. er erörtert die Con⸗ troverfe zwifchen der |. g. rein formalen und ber ſ. g. ſpecula⸗ tiven (realen ober ontologifshen) Logik. Der Berf. zeigt, daß „formal“ und „ſpeculativ“ keineswegs Gegenfäbe feyen, inben auch Die rein formale Logif fehr wohl fpeculativ behandelt wer- den Eönne; und ebenfo wenig fchließen fich „formal“ und „real

- odeg ontologiich” gegemfeitig auß; denn ed könne ja aud) reale

x

120 Reconfionen.

oder omsologifche Formen geben. Mit Recht behauptet er ba- ber, daß die ganze Frage annoch eine offene fey, indem ſie bis jetzt noch keineswegs völlig beigelegt erfcheine; vielmehr werde gerade: fie vorzugsweile den wiflenfchaftlichen Werth jebed neuen Syftems der Logik bedingen. Im Grunde fällt biefelbe, wie je der Kundige fieht, mit der Frage nad) dem Berbältniffe der Lo⸗ gik zur Metaphyſik und refp. zur Erkenntniß⸗ oder Wiſſenſchafts⸗ Ichre in. Eind jufammen. Die Antwort auf biefe Frage, be merkt der Verf. wurde bis jept abhängig gemacht von bem Ber hältniffe der Form zum Inhalt, des Spealen zum Realen, des Subjectiven zum Objectiven, Der Kantiſche Dualismus, wel⸗ cher Inhalt und Form fchroff fehied und ben Inhalt mit bem Objeetiven, die Form mit bem Subjectiven zufammenfallen ließ, mußte. folgerichtig die bloße Form dem Gebiet der Logik, den Inhalt der Metaphyſik zumelfen und zwifchen- beiden eine unüberfteigbare Scheidewand fegen. Der Bichte- Schelling » He gekfche. Monismus dagegen, welcher Form und Inhalt, Sub jeetived und Objectives, Ideales und Realed, Geift und Natur für wefendgleich erflärte und das Eine ohne Weiteres „Denen“, dad Andere „Seyn“ nannte, mußte confequenter Weife den ſpe⸗ afifchen Unterſchied zwifchen Logif und Metaphufif aufheben und beide ibentificiren. Mit Recht ftelt der. Verf. . Diefer Ber: drehung der ganzen Frage die Behauptung entgegen, daß es ſich bei Löfung derſelben gar ‚nicht um die wiffenfchaftliche Feſtſtel⸗ bung des Verhältniffes von Form und Inhal, Idealem und Ren lem ꝛc. handle. Nach ihm ift vielmehr die Frage fo zu. formuli⸗ ren: „Wie (nach welcher Norm und in welcher Form) muß und ſoll ber jelbftbewußte perfönliche Geift felbft ein wer fenhaft ſeyendes Subject und alfo nicht gleichbedeutend mit bloßem Denken dur Tegitimen Gebrauch feiner Denkkraft richtige Gedanken bilden, welche Gedanken mit dem gedachten Gegenftande (dem Seyenden) übereinflimmen, mag nun bet fubjective Geift fich felbft oder Andres zum Denkobject wählen?" Mit andern Worten: ed Handelt ſich „nicht um das Verhält niß der bloß fubjectiven Formen zum objectiven Inhalte ber fie

Ka Bender 8 er: Wiſſenſchaft vom Logiſchen Dentn. 121

erfüllen mag”, fondern um das „Verhältniß der allgemein noth- wendigen Denkform und Denkweiſe zu dem denfenden Subfecte felbft wie zu dem denkbaren Objecte.“ Der Unterzeichnete kann zwar biefe letztere Faffung in einem gewiſſen Sinne gelten laffen; doch würde er es vorziehen, die Sache fo auszudrücken: Es handelt ſich um die allgemein nothwen- dige Denkweife und fomit um die Gefege und Normen, welche nicht das inhaltöleere Denfen, denn ein fjolches yiebt es gar nicht, fondern das inhaltswolle Denken zu befolgen hat, möge fein Inhalt jeyn welcher er wolle, mithin überhaupt. um fein Verhältniß, weder um das der Form zum Inhalt, noch des Idealen zum Realen ıc., nod) auch) der Denfform zum den- fenden Subject und denkbaren Objecte, fondern um die Natur bes menfchlichen Denfend, um die Trage, ob unfere Denfthätig- feit an beftimmte Gefege und Normen gebunden oder ein völlig freied beliebiges Thun ſey? „Indem wir nun aber, fährt ber Verf, fort, diefes Problem bis auf feine legten Gründe und höchften Principien zu verfolgen fuchen, fo werben wir noth- wenbiger Weife den Boden der Metaphyfik berühren. Allein befien ungeachtet dürfen wir nicht vorfchnell die Logik mit ihr identificiren.“ Vielmehr werde zunächft zu fragen feyn, was unter Metaphyſik zu verftehen ſey. Nach dem Verf. ift fie bie zewrn gikocopla, welche ben letzten Grund und das höchfte Princip für alles Dafeyende und Bewußtſeyende, fo- nad für dad gefammte Real- und Idealgebiet an fich zu ihrem Inhalt hat, und mithin hinfichtlich ihres Inhalts Grund- wiffenfchaft, hinfichtlich ihres Werhältniffes zu andern Wiflen- fchaften Centralwiſſenſchaft. „Wil darum” eine Wiffenfchaft gründlich verfahren, fo wird fie irgendwie die Wiſſenſchaft vom legten Grunde berühren, aber fie wird nicht biefe felbft. Denn gründlich philofophiren und über den legten Grund phi— (ofophiren ift ein Unterfchied.” Mithin wird zwar jede Einzel- wiflenfchaft und alfo auch die Logif „den höchften Erflärungds grund für ihre Probleme auffuchen, aus welchem: fie in egter Inftanz allein genügend erflärbar werben; allein über die Natur

182 ‚Recenflonen.

und das Weſen dieſes Grundes und fein lebendiges Verhaͤlmiß zum Univerfum ſtellt fie feine eingehenden und befonbern Unter fuhungen an.” Sonach, fhließt der Verf., find Logik und Metaphyſik nicht abfolut zu fcheiden (wie Kant that), aber auch nicht unterfchieb8lo® zu verſchmelzen (wie Hegel forbert). Ja, die Logik wird nicht einmal zum bloßen Theile der Metaphy⸗ fit; beide Wiſſenſchaften berühren fich vielmehr nur im Orumbe: wie jede andre Wiflenfchaft, fo weifet auch bie Logik nur auf die Rothwendigkeit ihres beftimmten genügenden Erklaͤrungo⸗ grundes hin (S. 60. ff.).

Ref. ift mit diefer Faſſung des Verhältniffed ganz ein verftanden. Aber eben darum findet er es inconfequent, wenn ber Berf., nachdem er nur im Allgemeinen gezeigt hat, daß wir überhaupt nad) Geſehen denken muͤſſen, die Frage, warum wir muͤſſen, ſofort aus dem letzten metaphyſiſchen Grunde alles Seyns und Denkens zu beantworten und dabei darzuthun ſucht, daß dieſer Grund ein ſelbſtbewußter, perfönlicher Schoͤpfergeiſft ſeyn müffe. Giebt es einen legten abfoluten Grund, fo muß freilich auch die Logik mit ihrem Inhalte, dad menfchliche Den fen mit feinen Gefegen und Normen in ihm ſich gründen. ber daß es einen folhen Testen Grund giebt, hat nicht die Logik, fondern eben die Metaphyſik nachzumeifen. Die Logik Iiefert ihr dazu die Mittel, indem fie die Geſetze und Normen alled menschlichen Denkens und fomit auch ded Erfennens feftzuftellen fuht. Nur mit Hülfe diefer Normen und Gefege, indem fe ihnen gemäß verfährt, Tann die Metaphyſik ihre Aufgabe Töfen, Diefe Gefebe und Normen waren daher erft vollftändig zu er mitten, d. h. aus der Natur des menfchlichen Denkens abzu⸗ leiten: denn in ihr haben fie ihren nächften Grund, d. h. in ihr liegt der nächfte Grund, warum wir überhaupt nad) Ge fegen und gerade nad) dieſen Gefegen denken müſſen. Erft nachdem bieß geichehen, Fonnte Anhangsweile darauf Binge wieſen werben, daß wir und eben durch dieſe Geſetze, burd die logifche Natur unſers Denkens genöthigt Ihe fie auf einen

Ss

Katzenberger: Wiſſenſchaft vom Logiſchen Denken. 128

höheren (lebten) Grund zurüdzuführen und daß biefer Grund nur ein ſelbſtbewußter perfönlicher Schöpfergeift ſeyn könne.

Ebenſo fcheint und ber Verf. das richtige Berhältnig, in weiche er jelbft bie Logik zur Erfenntnißtheorie fiellt, im Ber- Inufe feiner Crörterungen nicht ſtreng feftzuhalten. In biefer Beziehung erflärt er: das Ziel der Logik fen möglichfte Er⸗ kenntniß und Wiflen, von ihrem Gegenftande zu verfchaffen. „Darum wird fie auch mit der Erfenntmiß- oder Wiſſenſchafto⸗ Ichre in einem Verbältniffe fichen. Und zwar ebenfowohl in formeller ald in fachlicher Hinſicht. Im erfterer, weil auch die Logik wifienschaftlich behandelt werden muß; in zweiter, weil Denfen und Erkennen ſich nicht wie zufälliges, fondern wie nothivendiged Mittel zu einem nothmenbigen Zwecke gegens feitig verhalten. Nur gründlich denfend erkennen wir gründlich. Aber deſſen ungeachtet bilden Logik und Erfenntnißlehre zwei verfchiedene, wenn aud) engere concentrifche Kreife des Einen wifienfchaftlichen Ganzen oder verhalten fich zu einander wenig» ftend wie zwei Halbkreife ſdeſſelben concentrifchen Kreifed]. Jede hat ihren eigenen Inhalt, ihr befonberes Object, welches in beiden Allen zur gründlichen Erfenntniß erhoben werben fol, fey ed, daß nach dem Erkennen des Erfennens gefragt wird in der Erfenntnißlehre, fey ed, daß das gründliche Er- bennen der Geſetzmaͤßigkeit des vermünftigen Denkens in Brage fteht in der Logik“ (S. 65). Danach fcheint ed, ald ftimme ber Verf. mit der Anficht des Unterzeichneten völlig überein, daß nämlich das Ganze der Erfenntnißtheorie in zwei Hälften zer falle, 1) die Logik als bie Wiſſenſchaft von ben allgemeinen Gefegen und Normen unferd Denfens-überhaupt, alles Denkens, zu welchem natürlich auch das Erkennen gehört; und 3) die Erfenntnißlehre im engern Sinne ald die Wiffenfchaft yon ben befondern Normen, Mitteln und Wegen, burch die uns fer Erfennen (Wiffen) zu Stande fommt. Allein damit laſſen fi) andre Neußerungen des Berf. ſchwer vereinigen. Schon wenn er, wie bemerkt, das Grundproblem ber Logik in die Frage zuſammenfaßt: Wie muß und fol der felbftbewußte Geiſt durch

1 MNeecenſionen.

legitimen Gebrauch feiner Denkkraft ſich richtige Gedanken bilden, welche mit dem gedachten Gegenſtande (dem Seyenden) übereinſtimmen, fo erſcheint die Logik mit der Erfenntnißs Iehre im engern Sinne ibentificirt. Denn bie „richtigen“. Ge: danken, welche „mit dem Seyenden übereinftimmen”, find eben unfre Erfenntniffe, und bie Wiffenfchaft, welche lehrt wie ſolche Gedanken zu bilden feyen, ift nothivendig Krfenntnißlehre. Dal: felbe folgt aus des Verf. Begriffebeftimmung der logiſchen Gr feße, wonach fie die ewig gleichen Gefege ſeyn follen, an welde der Geift gebunden fey, „wenn er die gefammte Wirklichkeit | außer fih und fich felbft verfiehen wolle.“ Denn wenn bie logifchen Gefege nur für dad „Verftehen“ gelten, fo find fi Ä feine allgemeinen Denfgefege: wen ed auf dad Werftehen

nicht anfäme, wäre nicht an fie gebunden. Das Berftehen ft

ja nur eine befondre Form oder Art des Denkens, eine höher _ Geftalt des Erkennens, und die logifchen Gefehe wären alſo | nicht allgemeine Denk-, fondern befondre Erfenntnißgefege. So

nach fcheint der Verf. fich doch zu Denen zu neigen, welche tr | gif und Erfenntnißlehre nicht beftimmt auseinander halten, went | er auch beide nicht geradezu identificiren will. Allein es giebt nun einmal Gefege und Normen, bie fchlechthin allgemeine Geltung haben und demgemäß zwar auch unfre erfennendt Denkthätigkeit + aber ebenfo auch jede andre, weil eben alle Dentthätigfeit beherrfchen. Auch meine völlig ſubjectiven, wi | führlichen Bhantaftegebilde muß ich von einander unterfchelben,

um fie überhaupt denken zu können. Auch einen Gentauten, einen Kobold ıc. muß ich als Eentauren, mit diefer oder jene Beftimmiheit, vorftelen und bin fchlechthin außer Stande, ihn zugleich als Nicht» Eentauren zu denken, d. h. ich muß bad f. Denkgeſetz der Identität und des Widerſpruchs befolgen. Ebenſo muß ich denken, daß dieſes Phantaſiegebilde einen Grund ode eine Urfache habe, warum es überhaupt gedacht und gerade ſo gedacht wirb oder gebildet worden ift, d. h. ich muß auf daſ— felbe ven f. g. Sat der Gaufalität ober des zureichenden Grm bed anwenden. Ingleichen muß ich auch meine willluͤhrlichſten

Kapenberger: Wiſſenſchaft vom Logiſchen Denken. 198

Phantaſtegebilde nach gewiſſen Kategorien (Normen), nad Groͤße, Beſchaffenheit ꝛc., von einander unterſcheiden, weil fie nur dadurch eine Beſtimmtheit für mein Bewußtſeyn erhalten und das ſchlechthin Unbeſtimmte undenkbar iſt. Und will ich endlich meine ſelbſtgemachten, willkuͤhrlichen Vorſtellungen unter einander verknuͤpfen, fo muß ich ſte unter Begriffe ſub⸗ jumiren und ber Berfnüpfung die Form des Urtheils geben: ih) muß fagen: der Gentaur ift halb Menfch, halb Pferd, er verhält fich zu jenem andern Phantafiegebitve fo und fo.2c. Das heißt: Die logifchen Gefege, Normen und Berfnüpfungdformen erweifen ſich als gültig für die Bildung aller und jeder Ges banfen, von denen wir überhaupt ein Bewußtfeyn haben, ald Bedingungen nicht nur aller Erfenntniß, fondern alled Denkens, weil des Bewußtſeyns felbft. Natürlich gelten fie alfo auch für bie erfennende Denkthätigkeit oder unſer Erfenntnißvermögen; MM durch ſie allein wiſſen wir von einem reellen Seyn, d. h. auf ihnen beruht die Gewißheit, daß es ein ſolches Seyn giebt und daß daſſelbe ebenfalls den logiſchen Geſetzen und Kategorien gemäß beſtimmt ift, daß letztere alſo auch für das reelle Seyn gelten und das Band zwifchen ihm und unferm erfennenden Geifte bilden. Damit ift wenigftens die Möglichkeit einer objectiven Erfenntniß der Dinge dargelegt, und mit dieſen Nach» weilungen "leitet die Logif zur Erfenntnißlehre im engern Sinne binüber, d. 5. fie giebt den Punct an, von welchem die Er- kenntnißlehre auszugehen hat. Aber barum fällt fie mit letzte⸗ rer feineöwegs in Eins zufammen. Denn bie bloße Möglich- feit objectiver Erkenntniß ift noch keineswegs die Wirklichkeit berjelben; es ift vielmehr noch erft zu ermitteln, wie unb wo⸗ durch dieſe Möglichkeit zur MWirklichfeit werde. Dieß feftzuftels len, kann nicht Sache der Logik feyn. Vielmehr fo gewiß es ſchlechthin allgemeine Gefege und Normen alles Denkens giebt, fo gewiß muß es auch eine befonpre wiffenfchaftliche Disciplin geben, welche biefelben darzulegen hat. Und fo ges wiß nicht jedes Denfen ein Erkennen ift, fo gewiß muß es

eine andre wiffenfchaftliche Disciplin geben, welche zu unter⸗

126 Mecenſionen.

ſuchen bat, was wir als Erkenntniß anſehen duͤrfen und wie und wodurch unſer Erkennen zu Stande kommt.

Auf dem Mangel an Entſchiedenheit in. des Verf. De fimmung des Verhältnifjed von Logif und Erfennmißlehre de ruht, wie wir glauben, aud) ein gewiſſes Schwanfen, dad it feiner Begriffebeftimmung des logiſchen Geſetzes hervortritt. & fpricht zwar vielfach von ber Gefebmäßigfeit unferd Denkens ber gemäß wir denken müſſen; er betont biefe innere Roth wendigkeit; andrerſeits aber erklärt er die logiſchen Geſetze für bie allgemeinen Grundgefege und Grundnormen, nad benen, weil fie jeden logifch-richtigen Denkact mit Raturnothmwentig feit innerlich leiten, „ber Geift jedes denkbare Object denken muß und foll, falls ein Elarer beftimmter und gründlicher Gedank und gegenfeitiged Berftändniß möglich fenn fol” (S. 75), Allein es tft Har, daß, fireng gegommen, von Müflen und Selm nicht bei Einem und demfelben Acte die Rebe. ſeyn fann: * das Muͤſſen Platz greift, iſt das Sollen ausgeſchloſſen. das Sollen ſchreibt zwar ebenfalls ein beſtimmtes Thun re eine gewiſſe Thaͤtigkeitsweiſe vor, aber es läßt die Möglichkeit offen, von der Vorſchrift abzumeichen oder fie auch nicht zu m füllen. Das Muͤſſen dagegen fchließt jede folche Mögliche

aus, Darum fprechen wir vom Sollen vorzugsweiſe im Gebien

ber Ethik: die fittlichen Geſetze brüden nur ein Sollen an, weil fte an die menfchliche Freiheit fich wenden, bie fich ihre Erfüllung entziehen fann; und darum wäre es exacter, flatt von fittlichen Gefegen nur von fittlichen Vorſchriften, Principien oder Forderungen zu fprechen. Das Geſetz im ſtrengen eigent Hohen Sinne, wie es in ber Natur herrfcht, involvirt dagegen ſtets ein Müffen, eine Nothwendigkeit, von welcher bie Kraft ober Thaͤtigkeitsweiſe, um bie ed fich handelt, nie und nirgend® abweichen kann, weil fie ihre eigne Natur und Weſenheit auf druͤckt. Die logiſchen Gefege find nun, mie gezeigt, folde Ge feße im engen und ftrengen Sinne des Worts, weil fie im der Weſens⸗ ober Naturbeftimmtheit unſers Denkens ſelbſt ald um terſcheidender Thätigfeit liegen und alfo unjer Denken nicht von

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Kapenberger: Wilenfheft vom Logifhen Denfn. 17

ihnen abweichen kann ohne aufzuhören, Denken zu ſehn. “Die logiſchen Geſetze kann daher der felbftbewußte Geiſt nicht „überfpringen”, wie der Berf. an einer Stelle fagt. Wir koͤn⸗ nen zwar wohl von einem hölzernen Eijen ober einem vieredigen Ariangel reden, benn die Wörter ber Sprache laflen fi beliebig zufammenftellen, aber denken fönnen wir ein öl zernes Eifen ſchlechterdings nicht, fo wenig als eine Wir Bang, bie feine Urfache hätte, oder ein Thun, das ſchlechthin nichts thaͤte. Im Gebiete der Erfenntnißlehre dagegen fm in einem gewiflen Sinne allerdings von einem Sollen bie Rede ſeyn. Denn bie befonderen Gefebe ber erfennenden Thaͤ⸗ tigfeit muß zwar ber Geift ebenfalls befolgen, wenn er m wirklicher Erkenntniß gelangen will: er muß genau und forge fältig die wahrgenommenen Objecte unterfcheiven und mit ein» aber vergleichen, er muß ſich möglichft beftimmte und klare Begriffe bilden, er muß vorfichtig urtheilen, fchliegen uud fols gern; jonk wird feine Erkenntniß einfeitig, ungenau ober falſch feyn. Aber er kann auch oberflädhlich und ungenau unterfcheis ben, fich unklare Begriffe formiren, unvorſichtig urtheilen und ſchließen, und darum fann er irren; und wenn er folde uns Hare Begriffe unvorſtchtig oder willtührlich verknüpft, fo kann er ſich ſelbſt und den Logifchen Gefegen widerfprechen. Dar ein neuer Unterſchied zwifchen ber Logik und ber Erk iß⸗ lehre im engern Sinne: ihre Geſetze haben nicht nur einen an⸗ dern Inhalt, ſondern auch die Geſetzeskraft derſelben iſt eine andere,

Nachdem der Verf. feftgeftelt hat, was unter einem Ge⸗ feße überhaupt und insbefondere unter einem logifchen Gefege za verſtehen fey, fucht er darzuthun, daß es logiſche Geſetze gebe. Ref. hat dieſelben in ſeinem Syſtem der Logik aus der Natur derjenigen Thaͤtigkeitsweiſe unſers Geiſtes, die man Den- ten im engern Sinne nennen kann, naͤmlich aus der unter- ſcheiden den Denkthaͤtigkeit herzuleiten und zu zeigen gefucht, daß fe eben nur Ausdruck der Raturbeftimmtheit diefer Thatig⸗ keitsweiſe feyen. Der Verf. ſchlaͤgt einen andern Weg ein. Er

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ſtellt an jeben Einzelnen bie Worberung: „Denke, cogitane audel! - und behapptet, jeder werbe babei durch je den Denkact feine Bedingtkeit faetiich befunden und. durch die That: beweiln, baß er weder über füch felbft nody über die concrete Wirklichkeit außer fich noch über die Sprache hinawstieten fann, daß unfer Denken fein Wehen ſetzendes und fchöpferiiches if, daß wir überhaupt nur über. den Gegenftand benfen Tonnen, inden berfelde in Feiner Weife fih unſrer Willkühr fügt. „An den Geſetzen des Seyenden und ber Sprache findet auch bad menfchliche Denken feine gelebliche Schranfe. Wir haben biefe Geſetze uns bloß zum Berftändniffe (dmsoryem) zu: bringen, find Feine Prometheus, ſondern bloß Ep imetheus“ (S. 88); Das Alles mag ganz wahr feyn. Allein. die „Schranfen“, bi unfer Denken an dem Seyenden hat und bie jeber Denfendr an ber Sprache, in welcher er benfen gelernt, findet, fine noch Feine Denk geſetze, noch beweifen fie, daß ed Denfgefehe giebt. Denn auch eine gefeglo8 wirkende Kraft oder Thaͤtig⸗ feit könnte an. irgend einem Andern ihre Schranfe haben, ohur deshalb aufzuhören, eine gefeßlofe zu feyn. Außerdem trifft die Schranke des Seyenden unfer Denken nur, wenn und fofern e das Seyende zum Object feiner Thätigkeit markt ;. an die Schranke ber Sprache aber ift nur. der Einzelne gebunden, ber an und in einer. bereits fertigen Sprache denken lernt, das menfchlide Denken überhaupt dagegen ift Teineöwegs durch bie Sprade beſchraͤnkt, da ja die Sprache urfprünglich nur Product de menjchlichen Geiftes und feines Bebürfniffes der Mittheilung ft.

Jedenfalls beweifen diefe Schranfen und die allgemeine Bebingtheit des menfchlichen Weſens noch nicht, daß «8 logi⸗ fehe Gefeße geben müffe. Denn die logifchen Geſetze, wie be Berf. anerkennt, gelten nicht für unfer menfchliches Weſen üben haupt, nicht einmal für alle unfre geiftige Thaͤtigkeit, nicht für unfer Empfinden und Fühlen, unfer Streben, Begehren md Wollen, fondern nur für das Denfen oder die unterſchei⸗ bende Thätigfeit unſers Geiſtes. Es war mithin zu jeigen 1) daß die unterfeheidende Thätigkeit zum Weſen unſero Geiſtes

Kapenberger: Wiſſenſchaft vom Logifchen Denken. 129

gehört, und 2) daß umd wiefern jene Schranfen und Bedin⸗ . gungen auch biefe Ihätigkeit binden und eine Gejegmäßigfeit

ihres Thuns involviren. Dieß mußte der Verf. nachweifen, wenn er feiner eignen. Baflung ber Togifchen Geſetze Genüge ihun wollte. Denn das erfte logifche Denfgefeg, das gewöhn- lich der Sap der Ipentität und des Widerſpruchs genannt wird, formulirt er felbft dahin: „Rimm Alles als Das, was ed ift in feiner beflimmten Unterſchiedenheit, und nicht ale ein Andres was es nicht iſt. Kuͤrzer: Unterſcheide (diſtinguire) genau, oder negativ: Verwechsle bei beinem Denken nichtd mit einander” (S. 98). Darin finde ich ganz meine eigne Anficht von der Bedeutung dieſes erften Geſetzes auögefprochen. Um fo mehr hätte ich gewünfcht, daß ver Verf. ſich über meine Ableitung des Gefeges aus ber Natur ber uns terſcheidenden Denfthätigkeit wie überhaupt über meine Grund⸗ anfehauung vom Weſen ber Iogiichen Functionen kritiſch ausge laſſen ‚hätte. Statt deſſen macht er mir in Betreff meiner Er- oͤrterung des erften logiſchen Geſetzes zunädhft den Vorwurf, ih hätte das Denken perfonificirtt und es in einem zu \eiten Sinne gefaßt. Allein diefer Tadel beruht auf einem bloßen Mißverſtaͤndniſſe, das ich durch Unflarheit oder Ungenauigfeit des Ausdrucks verfchuldet haben mag. Ich habe allerdings S. 4 in einer Anmerkung erklärt, daß ich unter Denken bie geiftige Thaͤtigkeit überhaupt, alfo alle geiftige Thaͤtigkeit ober den Geiſt felbft ald Thätigkeit verftehe; ich habe aber an, eben biefer Stelle unmittelbar Hinzugefügt: „Ich weiß für dieß Allgemeine (der geiftigen IThätigkeit- überhaupt) feinen paſ⸗ ſenderen Ausdruck“, und ber ganze Verlauf meiner Darſtellung zeigt, daß ich unter dieſem allgemeinen Ausbrud ober unter ben Denken im weitern Sinne nicht bloß das Denken im engern Sinne (dad Nachdenken, Urtheilen, Schließen ıc.), ſon⸗ bern auch das Empfinden, Fühlen, Streben, Begehren, Wollen ıc. befaßt wiſſen, und alfo Feineswegs bie ganze Thätigfeift des Geiſtes nur in das Denken im engern Sinne fegen wollte,

worauf der Berf. feinen Vorwurf gründet, Ebenſo wenig habe Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritit. 33. Band.

136 - Reeenfionen.

ich ausdruͤcklich das Denken „perfonificirt“ ober mit dem Geiſu als „gleichbebeutend” genommen, noch geleugnet, daß der Geiß „ein reales Pricip, ein Wefen ift, das fich in den mannichfach⸗ ften Weifen und Richtungen manifeſtirt.“ Das Mißverſtaͤndniß des Verf. ruht wiederum nur -auf jener ungluͤcklichen Anmer⸗ kung: er faßt meine obigen Worte in tem Sinne auf, als wol ten fie fagen, baß ber Geiſt nur Thaͤtigkeit und daher identiſch mit dem Denken ſey. Allein der Sinn meiner Worte, wie wie | derum der Berlauf meiner Abhandlung zeigt, iſt vielmehr, Dh unter dem allgemeinen Ausdruck, Denken“ der Geiſt, fofern n töätig TR oder von Seiten feiner Thätigleit befaßt feyn folk, d. h. daß idy dem Ausbruck Denken eben zur Bezeichnung alles ver mannichfachen Thaͤtigkeitsweiſen, bie ber Geiſt ausüben möge, gebrauchen molle. Bon dieſen Thaͤtigkeitsweiſen ft ſteht S. 82 meines Syſt. d. Log. zw beſen unterſcheidet Fi der Gei ats ihre Einheit: „damit werden ihm biefeiden nich nur in ihrem Thım und ihren Thaten immanent gegenftänbih, fondern er wird zugleich felbft ald bie immanente Einheit in ber Mamnichfaltigfett three Glieder (Functionen) fich gegen ländlich, und dieſe ihrer felbft bewußte Einheit it das Ich." Hätte der Verf. mit biefer Stelle den Abfchnitt, der vom Be griff des Weſens handelt (S. 318 f. 333 f.), verglichen, fo würbe er gefunden haben, daß ich mit jener Einheit, bie ihre mannichfaltigen Thätigfeitäweifen: nicht nur auskbt, fordern aud fi) von ihnen unterſcheidet, das Wefen des GSeiſtes bezeichnet haben wollte. War ver Berf. mit biefer Begriffsbeſtimmung nicht einverftanden, fo mußte ee fagen, ‚worin das Wehen bed Geiſtes und refn. der Begriff bes Weſens nach feiner Anſtht beſtehe, was auch inföfern wünſchenswerth gewwefen- wäre, als er nicht nur mehrfach urgirt, der Geiſt fey ein: Seyended, ein reales Weſen, ſondern ach: der Meinung zu ſeyn ſcheint bie Logik habe vom Geiſte zu handeln. Dagegen iſt nach / mei⸗ ner Anſtcht der ſpecielle Gegenſtand ˖ der Fogtfihen Forſchungz allerdings nicht der Geiſt, fonderm dad Denken im engeren Sinne (d. h. die unterſcheidende Thatigleit bes Seifks ud

Kapenberger: Wiffenfchaft vom Logiſchen Denten. 131

ihren verſchiebenen Functionen). Was bei Gehe fer, ob ein ſelbſtſtaͤndiges Weſen, eine für ſich ſeyende Subſtanz ober Mur eine befondre Function (ettva des Gehirns), Hat nicht Bid Lo⸗ zik, ſondern die Pſychologle oder Pneumatologie feftzuftellen. Die Logik kann iur Mittel jur Beautwortung bieſer Frage lie⸗ fern. Ihre eigenthumliche Aufgabe wie auch dei Verf. an⸗ eckeunt iſt, nur bie Geſetze, Normen, Funckionen ꝛc. derjeni⸗ sen Thätigkeit des Geiſtes zu erforſchen, welche wir Denken im engern Sine nennen, und michin kann fle auch nur vor dieſer Thaͤtigkeit reden und deren Thun und Taten analyſtren. Den zweiten Vorwurf, daß ich beit Inhalt des Geſetzes von Bi Kriterium beffelben ſo wie das: Verhaͤltniß bes logiſchen Denkgeſetzes zu geſetzmäßigen Gebanken, womit bie nos üntielle Bezeichnung des erften Denkprincips zufammendänge, RR ſcharf genug uhterfchieden haͤklte, begruͤndet ber Verf. mit MM Bemerkung: Die vielbeſprochene Nothwendigkeit fey bloß dun Enicht Das einzige) poſitives Kriterium, daß Etwas Gefetz ſey; ihm ſtehe gegenliber die Un möglichkeit bes Ge⸗ geniheils als negatives Keiterium; dagegen fen pas Geſetz wies verum das Kritetium für die Richtigkeit cines Acts, das Denkgeſetz alfo das Kriterium für die, Richtigkeit unfrer Denk⸗ aett und Der hiervon bebingten Gedanken.“ Aber daß nid nur die Nothwendigkeit, fondern auch die Unmoͤglichkeit des‘ Gegen- theils ein Kriterium, d. h. ein "unterfcheidenkes Merkmal (ein deakteriftifches Moment) im Begriffe jedes Geſeßes fen, habe id doch wohl deutlich genug ausgeſprochen, went ih S. 86 behaupte: „Jedes Geſetz laͤßt füh feinem Begriffe nad in doppelter Form faffen: denn da es nur det allgemeine Aus» druck der beſtimmten Art und Weife HE, in bir eine Thaͤtigkeit nothwen dig ſich vollzieht umd da jede Nothwendigkeit ihren Begriffe nach die Unmoͤglichkeit des Gegentheils involvirt, fo Tann: jedes Geſetz poſitis als Ausbruck ver Nothwendigkeit, aber auch negativ als Ausdruck der Unmoͤglichkeit des Gegiem theibs gefaßt werden.“ Dagegen habe ich allerdings vom Denlgeſetze als Kriterlum ber Nichtigkeit unſrer Denk 9 *

132 | Recenfionen.

acte und Gedanken nicht gefprochen. Aber idy beftreite, daß da von bei den logiſchen Geſetzen die Rebe ſeyn kann. Mir ſcheint es ein Widerfpruch zu ſeyn, wenn ber Verf. anerkennt, bad Gegentheil des erſten logiſchen Denfgefebes fen „abfolut unmöglich“, und doch hinzufügt: „wer danach Inach biefem Gr gentheil] feine Gedanken einrichte, denke unrichtig, weil wiber geſetzlich.“ Denn find Gedanken, bie dem logifchen Denfgeick wiberfprechen, „abſolut unmöglih", wie ed denn in ber That . unmöglich ift, ſich einen vieredigen Triangel (A=non A) zu ben fen, fo kann von foldhen Gedanfen auch gar nicht die Rebe ſeyn: unmögliche Gedanken find weder richtig noch unrichtig. Was endlich die nominelle Bezeichnung des erften logiſchen Denkgeſetzes betrifft und in&befondere die Frage, ab ber Name „Geſetz des Widerfpruch8“ gerechtfertigt fen, fo will ich darüber mit: dem Hrn. Berf. nicht rechten. Es laͤßt fich allerdings Manches gegen jenen Namen.einwenden. Indeß geftehe ich, daß ‚ich bie: althergebrachte Bezeichnung ber vom Berf. gewählten, ber ed das „Geſetz des beftimmten Lnterfcheibens‘ nennen tun ihm das „Geſetz des beftimmien Beziehens“ zur Seite flellm will, doch vorziehen wuͤrde, weil ‚nach meiner ausführlid bargelegten Anſicht jedes Logische Geſetze nur der unterſchei⸗ denden Thätigfeit ‚gilt und alles Unterfipeiben nothwendig zw gleich ein Beziehen iſt.

Im Uebrigen bat der Verf. ganz Recht und bezeichnet ſcharf und treffend die Mängel in ber bisherigen Behandlung bes erfien Iogijchen Grundgefeßes, wenn er bemerkt: „Bekannt lich hatte Ariftoteled Tediglich den Grundſatz feftgeftellt, ohne ihn mit einem beftimmten Namen zu bezeichnen. «Gr nannte ihn weder Geſetz der Identität noch ber Nicht» Ipentität, weber Geſetz der Ucbereinftimmung noch des Widerſpruchs. Und ben noch lenkte die wiffenfchaftliche Kritik der fpätern Zeit vorzugs⸗ weife das Auge auf diefe fertigen Termini, ftatt auf den eigent lien Inhalt des Axioms, der ein unumgehbares Denkgefrh war; Anſtatt des Gefeged wurden -bie: abſtracten Begriffe „Sdentität, Webereinftimmung, Wiberfpruch” ꝛe. ‚überhaupt, ober

Kapenberger: Wilfenfhaft vom Logiſchen Denken. 133

bie beitimmten Kategorieen „ber. Ipentität, der Verfchiedenheit, bed Gegenſatzes, des Widerſpruchs“, oft mit großem Aufwande von Scharf» und Tieffinn in Unterfuchung genommen. Und doch ſoll naturgemäß durd) das erfte Denkgeſetz keineswegs beftimmt werben, was das Identiſche und Nichtiventifche, das Ueberein⸗ ftimmende und Wiberfprechende in den Dingen fey. Die Theo» rie der Denfgefege befümmert fi gar nicht um ben befon- dern Inhalt der Dinge, fondern entwidelt nur die allger meine Norm, wie wir denfen müflen, wenn wir überhaupt fogifch denfen wollen, handle es fi) um Begriffe oder Richts Begriffe, um Kategorieen oder Richt» Kategorien. Ohne biefes Geſetz wüßten wir aljo weder von einem beftimmten Begriffe, noch von einer beftimmten Kategorie ıc., wenn ſie auch nicht aus dvemfelben und durch baffelbe entftehen. Hatte man aber einmal Geſetz mit Richt- Gefeg (nämlich mit Begriff ober Kategorie), ferner Ipentität mit Nichts Ipentität (nämlich Ueber⸗ einftimmung), den logifchen Widerfpruch mit nichts logie fhem (naͤmlich realem) Widerſpruch, die Avripucıs mit vavsio- og verwechſelt, und war man hierdurch: dem erften Denkge— fege, welches biefe Verwechſelung nicht erlaubt, felbft verfal- len, fo war auch jedes unbefangene Verſtändniß abgefchnitten ; ‚man war toto coelo getrennt und jeder fprach über ein andres Object” (S. 197 f.).

Ebenfo ſcharf und treffend weift der Berf. ſowohl die Einwände gegen den ſ. g. Satz vom ausgefehloffenen Dritten wie bie Erhebung veffelben zu einem beſondern Denkgeſetze zurüd, „Der Stagirite hatte mit Feiner Sylbe angedeutet „Laß er mit dieſem Grundgefege ein neues Denk» und Erkenntniß⸗ princip aufzuftellen gebenfe. Er hatte bloß eine zweite Unmög- lichkeit vom Gegentheile des f. g. Ipentitätögefeged ausge⸗ fprochen, welche nicht weniger mit den Forderungen bes: yer- nünftigen Geifted und der Natur ber Dinge im Widerſpruche fiehe als die erfte. Hier wie dort handelt es fih um Den⸗ ken ober Richt» Denken überhaupt. Nur weil wir noth⸗ wendig ein beftimmted A auch als diefes A, unterfchieden

134 Berenfionen.

yon wicht A, beufen müffen, wenn wir es überhaupt denfen | wollen, fo it ein Zweifaches unmöglid und undenkbar, weil

widergeſetzlich: 1) A ſowohl ald A wie ald nicht A; ) 4

weder ald A noch als nidht A, fondern ald ein Mittleres zwiſchen beiden zu benfen. In heiben Fällen hätten wir A gar nicht gedacht, Mögen wir man unter A perfiehen, was wir wollen, ein beflimmted Ganzes, ein beſtimmtes Weſen, eine de

ſtimmte Eigenfchaft, ein beftimmtes Verhältniß zc., dad Anden |

am allgemeinen Denkgeſetze gar nihts. Ebenfo bfeibt bad Ge⸗ jeß als ſolches unerfchüttert und es ift von der Logik überhaupt gar nicht zu beantworten, ob wirklich das beftimmte A in einem conereten Falle vorhanden ift oder nicht, Das Geſetz verlangt ganz allgemein, Daß A, wenn es überhaupt ſeyn und gedacht werben fol, nur dieſes beftimmt unterfchiedene A und nidt zugleih Nicht⸗4 ober ein Inpifferentes zwiſchen beiden jen könne” (©. 229), Dagegen Fönnen wir mit dem Berf. nicht einverſtanden "seyn in ber Art. und Weife, wie er bad ſ. g. Geſetz be zurei⸗

chenden Grundes faßt. Er behauptet; „Mit dieſem Ausdrud

fol wohl nicht mehr und nicht weniger angedeutet ſeyn, als. baf wir bei der Bildung unfrer Logifchen Gedanken, mögen fie Ir Jahend. ober verneinend ausgedruͤckt werben, zufolge unfrer Dank natur gendthigt find, und auf den Grund zu befinnm, warum wir gerade fo und nicht anders denken und urtheilen mäffen. Diefer logiſche Grund (ratio) ift jedoch wohl zu un

terfcheiden von der Urſache Ccausa). Unter Urfache verfichn

nämlich den nothwendigen ober freien Realgeund, aud

durch welchen Etwas hervorgeht oder gewirkt wird, welches

Zweite darım bie Wirkung heißt. Man fpricht infofern von

einer gausa efficiens, bie einen, eflectus zur Folge hat, Dage

gen bie ratio bezeichnet das beftimmenhe Moment (ratio de terminans), welchea den denkenden Geift veranlaßt, gerabe in eine! beſtimmten Weife zu denken und bierburdy einen Gehanken zu begründen, d.h. in feiner nothwmenbigen Beftimmthei zu erfaſſen. IR dieſe ratio zufäßig, fo iſt fie insuffciens; in

Kapenberger: Wiflenfchaft vom Logifchen Denken. 135

fie aber nothwendig, jo heißt fie sufficiens und ift unabhängig von ber Willkühr des einzelnen Denkers. Die Logik ber ſchaͤftigt ſich nun nicht mit dem Realgrunde (principium essendi et fiendi), nicht einmal, wie man gewöhnlich annimmt, mit dem Grfenntnißgrunde (principium cognoscendi), aus welchem etwas erfannt wird, Das zu ‚löfende Logifche Problem lau- tet vielmehr bahin, ob wir und a priori genöthigt finden, unfre Gedanfen auch zu begründen, wodurch fie erft zu logiſchen Gedanken im firengen Sinne bed Worts werben, und ob des⸗ halb das Begründen für das logiſche Denken ein Gefeg iſt? Wird diefe Unterfcheidung zwifchen Real⸗, Erkenntnifr . und Denfprincip nicht genau eingehalten, fo ift von vornherein Fein Verftändniß zu erzielen“ (S. 235 f.). Später formulirt er die Frage ſo: „Müſſen wir von Natur aus bei unfern Gebanfenbildungen und Verbindungen fragen, warum wir gerabe fo und nicht anderd denken?“ und fügt hinzu, ed müſſe nach gewieſen werden, „ob es für ben vernünftigen denfenden Geiſt Geſetz ift ober nicht, daß er feine Gedanken auch logiſch zu begründen fuchen muß, bevor er fubjective Bürgfihaft für ihre Gewißheit und Sicherheit hat, ba. er außerdem bad Rich⸗ tige wohl getzoffen haben fann, aber ‚nicht getroffen haben muß* (S. 269). |

Zunaͤchſt vermiffen wir eben: biefen vom Verf. felbit ges forberten Nachweis, daß bad privcipium rationis in feinem Sinne ein Denfgefeg ſey. Er behauptet zwar gelegentlich: bag wir auch dieſem Gefege gemäß denken müffen, fey unleuge bar, und jede Ueberjpringung dieſes Müffend, biefer Schranfe, bebe das Denken felbft auf, Allein er ift den Beweis biefer Behauptung fchuldig geblieben, und es ift eine notoriſche Thatſache, daß Taufende von. Menfchen leben und Gedanken haben, ohne ſich ihr Lebenlang „veranfaßt” over „gensthigt” zu fehen, ihre Gedanken aud) ‚zu „begründen“ und fich zu fra gen, warum fie gerade fo und nicht anders denken, Die Richts befolgung jenes Geſetzes hebt alfo keineswegs das Denken⸗ über: haupt auf, Auch wir felbft fragen weber und noch) einen Ans.

136 Neeenfionen. J

dern nach den „Gruͤnden“ unfrer Gebantensüberhaupt, fon bern nur ba ftellen wir dieſe Frage, wo Jemand behauptet, daß feine Borftellung, Anficht, Behauptung wahr oder richtig ſey, d. 5. daß fie eine Erfenntniß involvire. In der That glaus ben wir, daß ber Verf., trog feiner Erflärung: bie Logik Habe ed nicht mit den principiis cognoscendi zu thun, auch bier wies derum Logik und Erkenntnißlehre nicht ſtreng genug auseinan der gehalten hat. Wir möüffen daher wiederholt urgiren: Die Logik hat nur diejenigen Gefege und refp. Normen zu ermitteln, die unfer Denken befolgen muß, um überhaupt zu einem Inhalt des Bewußtſeyns und damit zum Bewußtſeyn felbft zu fommen, um alfo überhaupt zu beflimmten, der Bewußtheit fähigen Gedanken zu gelangen und biefelben unter einander verbinden zu FTönnen, mögen biefe Gedanken und ihre Ber fnüpfungen (die Urtheile, Schlüffe ꝛc.) richtig ober unrichtig, wahr oder falfch ſeyn. Nach welchen Brincipien wir zu verfaß ren haben, um uns „richtige“ Gedanken zu bilden ober um unfern Gedanken die „richtige Beftimmtheit” und refp. Ber fnüpfung zu geben, das hat die Erfenntnißlehre auszumachen. Halten wir dieß feft, fo läßt fih, wie es mir fcheint, nur auf ben von mir eingefhlagenen Wege das f. g. Princip des zw reichenden Grundes als logiſches Denkgeſetz darthun. Denn wir vermoͤgen nun einmal einen Gedanken als Inhalt des Be⸗ wußtſeyns nur zu haben, ſofern und indem wir ihn und reſp. feinen Inhalt (Gegenſtand) von unſerm Denken (und felbfl) unterfheiden: benn nur dadurch wird er und immanent gegenftänplich, d. 5. vorftellbar, Inhalt des Bewußtſeyns. Im diefem Unterfcheiden aber müffen wir unfer Denfen als den Grund oder die Urfache, den Gedanken als fein Product ober feine Wirkung faflen: denn wir vermögen, der Ratur unferd Denkens gemäß, fehlechterdings feinen andern Unterjchieb zwi⸗ ſchen ihm und unfern Gedanken zu fegen, und fofern jeder Ger danfe nur dadurch Gedanke, Inhalt des Bewußtfeynd wird, daß das Denken ihn ſellbſt thaͤtig won ſich ſelbſt unter ſcheidet, fo ift er auch in ber That Product oder Wirkung ded

Kagenberger: Wiffenſchaft vom Logifchen Denken. 137

Denkens. Mit andern Worten: unfer Denken ift nun einmal von Ratur Thätigfeit (producirende und umterfeheibende Thaͤ⸗ tigkeit) ; nur weil es bieß iſt, hat es Gedanken; und indem es thätig ift, geht ed nothwendig von Thun in That über, d. h. es Fann nicht thätig feyn, ohne etwas zu thun, und darum kann es auch Feine Thätigkeit denken ohne eine That und Heine That ohne Thaͤtigkeit. Es muß daher nicht nur benfen, daß feine Gedanken als folche an ihm ſelbſt ihren Grund ober ihre Urfache haben, fondern auch, daß ed fchlechthin Feine (denkbare) That. geben koͤnne ohne eine Thätigfeit und umge⸗ kehrt. Das ift allein das Denkgeſetz, welches dem Verhaͤlt⸗ niffe von Grund und Folge, Urfache und Wirkung ꝛc. zu Grunde liegt, das alleinige Denfgefeg, das unmittelbar qus der Natur bed Denkens Clogifch) fich ableiten laͤßt, und das Jeder ftill- ſchweigend oder ausbrüdlidh, bewußt oder unbewußt, infofern anerkennen muß, als er nicht: umhin kann, es in allem feinen Denken zu befolgen. | Aus diefem Geſetze folgt indeß allerdings welter, daß, wenn das Dafenn unfrer Gedanken einen Grund oder eine Urs fahe haben muß, aud die Beftimmtheit berfelben einen Grund haben müfle. Diefer Grund kann nun aber ein fehr verſchiedener ſeyn. Zunächft erhalten zwar alle unfre Gedan⸗ fen ihre Beftimmtheit für unfer Bewußtfeyn (db. 5. fie wer- den überhaupt nur zu beftimmten Vorftellungen) dadurch, daß wir fie gemäß den Kategorieen von einander unterſchei⸗ den, wie ich dieß in meinem Syſtem ber Logik näher darges than habe. Allein dieß Unterfcheiden kann ein bloßes Nach⸗ unterfcheiden und damit ein bloßes Auffaffen ſchon vorhans bener Unterfchiede (gegebener Beftimmtheiten), oder es Fann ein freied Segen .neuer Unterfchlede feyn. Das erftere findet ftatt bei denjenigen Gedanken, bie zunädft nur als finnliche, durch die Außern materiellen Dinge vermittelte Empfindungen, ober ald innere, durch die Zuftände, Leiden, Thätigfeiten ber Seele heroorgerufene Gefühle vorhanden find: dieſe Gedanken haben bereit an fich eine Beftimmtheit, fte fliehen meift auch

n

138 Recenſionen.

ſchon an ſich in einer beſtimmten Verbindung, und es kommt nur darauf an, dieſe ihre gegebenen Beſtimmtheiten und reſp. Berfnüpfungen genau und forgfältig von einander zu unterſchei⸗ ben und fie fich Dadurch zum deutlichen Bewußtſeyn zu bringen. Das Zweite findet flatt, wo wir und (mittelft der Einbil« dungskraft) neue Gedanken bilden oder die vorbandenen belichig verändern, fie in neue felbftgemachte Verbindungen einführen u. |. w. Im erften Falle ift der Grund ber Beſtimmtheit unfrer Gedanken (die ratio determinans) unfer Erfenntnibyermö- gen: benn auf Grund ber bereitd an ſich beftimmten Sinnes⸗ und Gefühlöperceptionen durch forgfältiged Unterfcheiden, Verglei⸗ hen, Berfnüpfen derfelben (zu Begriffen und Urtheilen, Schlüffen und Folgerungen baraus) entſteht das, was wir unfre Erfenntni yon den Dingen und unferm eignen Weien nennen. Im zweiten Galle ift Der Grund ber Beftimmtheit unfrer Gedanken bie Eins, bildungsfraft, ein ſubjeetipes, freies, willkuͤhrliches Schal⸗ ten und Walten mit unſern Gedanken, deſſen Producte naulich feinen Erkenntnißinhalt gewähren koͤnnen, weil ſie unmittelbar in gar feiner Beziehung zum reellen Seyn ſtehen. Für fie läßt ſich mithin auch Feine weitere „Begründung“ forbern: fie haben ihren Grund eben,.nur in ber Einbilbungsfraft, in unfrer Denk⸗ und reip. Willensfreiheit, und fie bedürfen Feiner Begründung, weif fie gar feinen Anſpruch auf Gültigkeit für Andre machen. Die Forderung bes Verf. hat mithin nur einen Sinn für die⸗ jenigen Gedanken, welche für objectiv, für richtig, wahr gelten wol⸗ fen, d. h. welche Antpruch auf einen Erkenntnißinhalt und da mit auf Gültigkeit für Andre machen. Eben barum aber ik fie Feine logiſche Forderung, fein logiſches Geſetz, fonbern gehört in die Erfenntnißlehre. Der Verf. bat gang Recht, daß bie „Sufficienz“ der Begründung ſolcher Gedanken auf ber „Nothwendigkeit“ ihrer Beftimmtheit beruht: denn auf ber Denk

‚nothwendigkeit beruht alle Gewißheit und Evidenz und nur fie

Hiebt und Bürgfchaft für die „richtige” d. h. gültige, allgemein anzuerkennende Beftimmtheit unſrer Gebanfen. Aber wo es ſich um richtige ober wnrichtige Gedanfen gar nicht handelt, Tann

Katzenberger: Wiſſenſchaft vom Logiſchen Denken. 139

auch von Sufficienz oder Inſufficienz ihrer Begruͤndung nicht bie Rede ſeyn. Ebenſo hat der Verf. ganz Recht, daß das, was er dad „logiſche Warum” nennt, nicht bloß bie abgeleiteten Säge, ſondern auch die Grunbfäge trifft. Allerdings muß bie Wiftenfchaft oder „ber vernünftige Geift" fragen: „warum ber Menſch unbeweisbare Principien an bie Spige (feiner Annah⸗ men und Beweiöführungen) fielen muß? warum wir foldhe Principien befolgen müfien? warum wir ohne fie nicht richtig denfen koͤnnen? warum dieſes oder jenes ein wirkliches Denk geſetz ſey u. ſ, w. Aber die Wiffenfchaft, Die danach fragt, ifl eben Wiffenfhaft, welche auf die Erkenntniß ber letzten Grinde des Denfend und Daſeyns ausgeht; und fie Eönnte alle jene Fragen gar nicht aufwerfen, wenn es ihr nicht bereits feftflünde, daß Alles was wird, geſchieht, gefegt it, einen Grund haben müfje. Denn ehe ih fragen Tann, warum. etwas fo und nicht anders iſt, d. h. welchen Grund etwas Hat, ‚muß ih zu vor ſchon willen ober übergengt jenn, da ß es einen Grund haben muͤſſe. Dieſe allgemeine Vor aus ſetzung aller Borfchung nach den Gründen und damit aller „Begruͤndung“, dieſe Noth⸗ wendigkeit, Daß alles Gewordene, Gegehene, Geſetzte, Beſtimmte einen Grund oder eine Urſache haben muͤſſe, darzulegen, d. h. ſie als ein allgemeines (logiſches) Denkgeſetz aus ber Ras tur unferd Denkens abzuleiten, ift qlfein Die Aufgabe der Logik. Welche Gründe dagegen unſre Gebanfen, Üeberzeugungen, wiſ⸗ fenfchaftlichen Feſtſtellungen ꝛc., welche Urſachen die Dinge und ihre Veränderungen haben mögen, das zu erforfchen if - Sache der übrigen Wiffenfchaften, unter denen micherum bie Erkenntnißlehre die Aufgabe Hat, Diejenigen Gründe, Kräfte, Thaͤtigkeits⸗ und Verfahrungsweiſen feſtzuſtellen, Durch welche wir zu richtigen, gültigen, ohjectiven Gedanken, d. h. zu Ge banfen, beren Uebereinftimmung mit bem reellen Seyn anzunch- ‚men wir berechtigt oder genöthigt find, und damit zu Erlennt niffen gelangen, Logiſch unrichtige Gedanken giebt «8 gar nicht; es kann nur logifch yunrichtige Berfnünfungen yon Gedanken geben, d. h. Berfnüpfungen, welche im Widerſpruch

140 Mecenfionen.

ſtehen mit den Gefegen und Normen ber unterfcheidenden Denk thätigfeit, die als ſolche auch bie funthefirende, fubfumirende, urtheilende und fchließende Thätigkeit ift, wie ich des Naͤheren dargethan zu haben glaube, Ueber die logiſch, d. 1. formell richtige oder unrichtige Verknüpfung unfrer Gebanfen entfcheiden . aber nicht nur die Iogifchen Gefege, ſondern vorzugsweife bie Iogifchen Kategorien als bie Normen der unterfcheidenden Denkthätigkeit, aus deren nothiwendiger Anwentung die allge meinen Dentformen bed Begriffs, des Urtheild und des Schluf- ſes fich ergeben ald nothwendige Formen ber Verfnüpfung unfrer Gedanken. |

Hierin wie überhaupt in der Lehre von ben Katego⸗ rieen erfreue ich mich wiederum ber Zuftimmung bed Verf. Er erflärt wenigftend die Kategorieen ebenfalld für die „Grund⸗ momente und Grundverhältniffe, nach welchen alles Dafeyn beſtimmt ift und darum von und logisch beftimmt werben muß.” Auch nach ihm find fie die „formalen Halt- und Ge⸗ ſichtspunkte, nad welden wir alles &riflicende ohne Aus, nahme beurtheilen”, und - darum haben wir und, fo oft wir allgemeingefeglih und richtig über Etwas benten wol⸗ len, die Frage aufzuwerfen: „inwiefern will ich über Etwas nachdenken, inwiefern, d. h. nach welcher Kategorie will ich aljo vergleichen, unterfcheiden, beziehen und einen einheitlichen Zus fammenhang gewinnen” (S. 281). Allein obwohl ſonach ber Verf. in der allgemeinen Begriffsbeftimmung bes Wefens und de? Bedeutung. ber Kategorieen ganz mit meiner Auffafjung über: einſtimmt, fo weicht er doch infofern wieder ab, als ihm bie Kategorieen zunächft und principaliter die Grundmomente und Grundverhältniffe find, nach denen alles Daſeyn beftimmt ift, fo daß nur darum, weil alled Dafeyn ihnen gemäß bes ſtimmt, es auch von uns ihnen gemäß beftimmt werden muß. Deshalb will er die Kategorieenlehre auch einer befondern Wif- fenfchaft, der Ontologie, zuweilen. Allein diefe Behauptung von ber Beftimmtheit alles Daſeyns ift erft von ber Meta- phyſik, Naturphiloſophie, Pſychologie ıc. zu erweifen; ja es

„Katzenberger: Wiffenfhaft vom Logiſchen Denken. 141

if erft darzuthun, daß und wieweit wir überhaupt das Dafeyn der Dinge und ihre Beftimmtheit zu erfennen vermögen. : Diefer Nachweis gehört einerfeitd nicht in die Logik; anbrerfeits muß für ihn wie für jede Beweisführung die Logik. erft die (formels len) Mittel liefern, indem fle die Gefepe und Normen unfers Denkens überhaupt, die auch für alles Beweiſen gelten, feſtzu⸗ ftellen hat. Dabei zeigt fi nun aber, daß wir ohne die Ans wendung ber Kategorieen, ohne ihnen gemäß unfre erften Sin⸗ neds und Gefühlöperceptionen zu unterfcheiden und refp. zu ſyn⸗ thefiren, überhaupt nicht zu bewußten Gebanten, zu beftimmten Vorstellungen zu gelangen vermögen; es zeigt fich, daß die Ent- ſtehung unfrer einzelnen Vorftellungen wie insbefondre unſrer Begriffe, und fomit die Bildung unferer Urthetle, die Formuli⸗ zung unfrer Schlüffe und Folgerungen, dergeftalt durch die An⸗ wendung (Befolgung) der Kategorieen bebingt ift, daß ohne fie bie Vorftelung reeller Dinge, der Begriff eined objectiven Das ſeyns unmoͤglich wäre. Eben damit aber erweift es fich, daß bie Kategorieen zu naͤchſt und principaliter ald die unfre un⸗ teefcheidende (auffaflende) Den Fthätigfeit Teitenden Normen zu fafien find, und daß alfo die Erörterung und Yeftftellung derſel⸗ ben zunächft in ber Logik erfolgen muß. Dagegen gehört bie Trage, welches Verhältnis und melde Bebeutung die Katego⸗ tieen für dad Seyn haben, allerdings in die Metaphyfif oder die Ontologie und kann von ber Logif nur infoweit erörtert werden, als fie das Verhältniß unfers Denkens zum Seyn übers haupt in Betracht zu ziehen hat. Aber Metaphyſik und Ontos logie können dieſe Srage gar nicht beantworten, wenn nicht vor⸗ her ausgemacht ift, was bie Kategorien für unfer Denken find. Es wird alfo doch dabei bleiben müffen, bie Lehre von den Kategorieen wenigftend auch in ber Logif zu entwideln; und will man den Gegenftand nicht in Stüde zerreißen, foll die Rategorieenlehre ein Ganzes bleiben, fo wirb ed immer am zwedmäßigften fey, auch die metaphyſtſche ober ontologifche (und reſp. pſychologiſche) Bedeutung der Kategorieen mit in der Logit darzulegen.

143 5 Hecenflonen.

Schlleßlich Bitte ich den Hrn. Berf., dieſe ausführliche Störterung und Kritif feiner Principien nur als einen Beweis anſehen zu wollen fuͤr den beſondern Werth, den ich auf eine rielleicht zu erzielende Verſtaͤndigung mit ihm lege.

9 Ulrici.

Vollſtändiges Bibelwerk für die Gemeinde Bon Ehriftian Kari Jofias Bunfen. Erfie Äbtheilung: Die Bibel, Ueberfegurig und Erklärung. Grftes Theil: Due Sp: Erſter Halbband. eei⸗⸗ zig, Brockhaus, 18388.

Das vorliegende Werk gehört pvar, wie ſchon fein Tite zeigt, Feineswegs. zur Yhilofophifcyen Literatur im engen Sinne Aber wenn ein Mann wie Bunfen ed unternimmt, die Bibel, auf deren Grundideen unfre gefammse geiftige Bildung in Wiſ⸗ ſenſchaft (Philoſophie) und Kunft, in Religion und Sittlichkeit, in Staat und Kirche ruht, nicht nur im ben Glauben des Balls wiedereinzuſetzen, fonbern auch die hiſtoriſche und idegfle Wahr heit ihres Inhalts durch Erläuterung und Auslegamg jebem um⸗ befangenen Wahrheitögefühle.. überzeugend darzulegen, jo iſt es die Pflicht jeder Zeitichrift, die an den höchſien Interefien ber Menschheit Antheil nimmt, auf ein. ſolches Werk aufmerkſam zu machen. Dazu kommt, daß hier zuerft die Auslegung und Er läuterung wie bie Auffaffung bes Inhalts felb von einer durch⸗ gebildet philofophifchen Grundanſchauung getragen und durch⸗ drungen erſcheint. Denn Bunfen erflärt ausbrüdlich: ber ein- zige Weg zum Ziele fey zunädhft „ruüͤckſichtsloſes, vorausfegungdr loſes Erforſchen und Feſtſtellen der Thatfachen, ſodann Erken⸗ nen. des geſchichtlichen Zuſammenhangs dieſer Thatſachen, end⸗ lich Verſtaͤndniß der bleibenden, menſchheitlichen, ewigen Bedeu⸗ tung derſelben vom Mittelpunkte ber Weltanſchauumg des Bibel.“ Nur dieſes Eentrum, dieſe „innerliche Einheit“, in welcher die berichteten Thatſachen wie die leitenden Ideen ‚der, Bibel. gravitiren, will er als Norm und Prufſtein für bie. richtige Auffaſſung des Inhalts, für das richtige Verſtaͤndniß

Bunfen: Vollſtaͤndiges Bibelwerk für bie Gemeinde. 143

ver ideellen Wahrheit beffelben gelten laſſen. Allein dieſe innert Einheit, dieſe Grundidee des Ganzen iſt in ber Bibel felbft nir⸗ genb mit beitimmten Worten ausgeſprochen. Bunfen jet fie in den „Glauben an ein mit dem Menfchengefchlechte in vie Zeit eingetretened, von Ewigkeit ber beſchloſſenes Gottesreich des Wahren und Guten, weldyed in Jeſu feine perfönliche Zufanmens- fafſung, in dem Evangelium feinen Spiegel, in der chrifklichen Gemeinde feine fortfchreitende Zichtausftrömung bat.” Aber daß diefer Glaube das Alles beherrfchende Princip ver bibfifchen Gefchichtöparftellung und Weltanfchauung ſey, und insbefondere daß er. felbft in der Wahrheit begründet ſey, läßt fich nicht aus der Bibel allein, fondern nur auf Grund einer Philoſophie ber Geſchichte erfenmen, welche über die biblifche Geſchichte binausgreift. Bunſen verwieft daher und u. E. mit Recht ber bogmatiftiichen wie ben vationalififchen und myſtiſchen „Schlüffel“ ver Bibelauslegung. Aber der Schlüflel, den er ſelbſt anlegt, kann nicht ohne Weiteres für den „bibliſchen“ er⸗ kläärt werden, benn dieſer Ausdruck enthielte eine. petitic priseipii; er. kann füglich nur als ber: gefchichtäphilofophifche bezeichnet werden. Und in der That ift es offenbar Bunſen's ger ſchichas philoſophiſche Grundanſchauung, mie er fleim erften Bande feiner Schrift: „Gott in bes Gefchichte” bereits entwidelt Hat, bie ihn Bei der. Auffaflung und Erklärung des biblifchen Inhalts: leitet: das beweifen nicht nur einzelne Aeußerungen ver „Ein: leitung” und der Geift, in welchem fie gefchrieben ift, fondern auch feine Ueberfegung und Auslegung ber erften Gapitel ber Geneſis. Wir haben die Hauptmomente diefer Grundanfchauung im vorigen Hefte diefer Zeitfchrift bei Gelegenheit der Anzeige ber eben genannten Schrift Bunfend dargelegt. Indem wir auf diefen Artikel verweiſen, begnügen wir und, nur noch auf den reichen Inhalt der vorliegenden erften Abtheilung des Bun⸗ jenfchen Bibelwerfs aufmerffam zu machen. Die Einleitung ſucht im erften Abfchnitt das Beduͤrfniß und den Beruf unfrer Zeit zu einer neuen Bibelüberfegung darzuthun. Der zweite Abſchnitt Handelt von der Sammlung, Anordnung und bem Tert

144 . ,. Besenfionen.

ber biblischen Schriften. Sodann folgt eine Kritif ber bisheri⸗ gen Altern und neuern Bibelüberfegungen, an bie ſich im vierten Abſchnitt eine Beleuchtung der bisherigen Principien (Schluͤſſel) der Erklärung und Auslegung der Bibel anreiht. Den Schluß macht die Darlegung des Plans, den Bunfen felbft für feine neue Bibelüberfeßung ſich vorgezeichnet hat, zu deren ‘Prüfung und Vergleichung mit ben bisherigen Ueberfegungen dem Lefer in einem Anhang breißig auögewählte Schriftftellen vorgelegt werben. Auf diefe einleitenden Abhandlungen folgen „Berglei- chende Zeittafeln für die altteftamentlichen Geſchichten vom Aus⸗ zuge der Iöraeliten aus Aegypten bis auf Alerander d. G.“, die ein Anhang zur Herftellung der Gefchlechter und Zeiten des Haufes Aaron in der Linie Eleaſar's und der bibliſchen Reihe ber Hohenpricefter Israels von Aron’d Tode bis auf Alexander begleitet. An fie fchließen fih Gewichtes, Münz- und Maß - Tafeln für das Alte und Reue Teftament an, und in einem Nachtrage wird noch die Mai’fche Ausgabe ber vaticanifchen Bibelhandfchrift beſprochen. Darauf erft folgt bie Ueberſetzung der erften 11 Gapitel der Geneſis mit erläuternden Anmer⸗ kungen.

Ob und wie weit die leitenden Ideen, die hiftorifchen Ans ſchauungen, die Ueberſetzung und Auslegung Bunſen's theologiſch und philologiſch haltbar ſeyen, muͤſſen wir natuͤrlich der Beur⸗ theilung der Maͤnner vom Fach uͤberlaſſen.

H. Ulrici.

Eoufin’3 Erinnerungen aus feiner Reiſe durch Deutſchland x. 145

Goufin’s Erinnerungen aus feiner Reife dur Deutfä- ‚land im Jahre 1817. | | Sm vorigen Hefte Fonnte ih auf. Couſin's unlängft er- ſchienene Fragments et souvenirs nur kurz hinweifen und mußte mir die Mittheilung bed philofophifchen Theils ihres Inhaltes vorbehalten. Es fcheint mir paffend, fchon in diefem folgenden Hefte das Fehlende zu ergänzen und bier aus den. biographis ſchen Erinnerungen Eoufin’d das die beutfche Philofophie Bes treffende zur Kunde der Leſer diefer Zeitfchrift zu bringen, Zusfeiner geiftigen Erholung unternahm Coufin im Herbft 1817 feine erfte Reife nad) Deutfchland. Er hatte fidh bereits mit der beutichen Philofophie, befonders mit Kant befchäftigt und mwünfchte nun auf einer Reife durch perfönlichen Verkehr mit ben Bertretern ber bamaligen Richtungen über biefelben einigermaßen orientirt zu werben, Er verfprach fich nicht eine tief eingehende Kenntniß ber verſchiedenen Beftrebungen ald den Ertrag einer kurzen Reife; aber er hoffte doch für das fpätere tiefere Stubium einen guten Grund zu legen. | Ein kurzer Aufenthalt in Frankfurt am Main führte ihn in Deutfchland ein; der Hiftorifer Schloßer, ber Arzt Baffa- vant und Fr. Schlegel gaben ihm bort bie erften Rathfchläge. Schloßer entwarf ihm ein Bild von der damaligen beutfchen Bhilofophie, das ihn von vornherein hätte abſchrecken können, feine Reife fortzufegen. Schloßer fah in aller Philofophie nad Kant nur zunehmenden Verfall, „Ce que vous savezade PAl- lemagne, me dit-il, est precisement ce qu’elle a de mieux: ce que vous en ignorez, ne vaut pas la peine d’etre appris.“ Schloßer fol alle Syſteme nur nad) ihrem fittlichen und chrift- lichen Werth beurtheilt und deshalb Daub hoch gefhägt haben, den in Heidelberg aufzufuchen er Eoufin veranlaßte. Paſ⸗ favant fuchte ihn für Baader zu gewinnen, Coufin durch⸗ blätterte Baader's Schrift über die Euchariftie, fand aber Feinen Gefallen an diefem extravaganten Chriſtenthum. Br. Schle- gel, als eifriger Katholif, warnte ihn vor ber Vernunft, bie

zum ‘Pantheismus verleite, und fuchte ihn davon zu überzeugen, Zeitſchr. fe Philoſ. u. phil, Kritik. 33. Band. 10 |

146 Neecenſtonen.

daß nur ein glaͤubiger Empirismus, der ſelbſt dem Myſticismus gerecht werde, zur Wahrheit führe. Schlegel wollte ſich damit am den biöher flets mißverſtandenen Baron anfchließen. Die: jenigen aber, bie dem Empirismus im Sinne der Schottiſchen Schule vertraten, adhtete Schleget gering. Unter den Franzofen Befaßen feiner Meinung na. nur Saint» Martin und Du Bor nald philoſophiſchen Geifßt. Ueber bie zeitgenöfftfchen beutfchen Philoſophen urtheilte ee: „Fries und Krug find mittelmäßige Geiſter; Bouterweck iſt oberflächlich; Hegel fubtil. In Berlin miüffen Sie Solger und Schleiermacher fehen. Die drei bedeu⸗ tendften Männer Deutſchlands find Jakobi, Schelling und Ban der.” Schlegel hielt fich ſelbſt damals noch für zu fung, m feine eignen Ideen zu veröffentlichen, obſchon er bereits 49 Jahre alt war. Couſin fand ſich angezogen von ihm, jedoch ohne von feinen Ideen gewonnen zu feyn. Mit Schloßer reifte Couſin fodann nad) Heidelberg, um Daub fennen zu lernen. Mit großer Befcheidenheit wies diefer ihn auf Hegel bin, als auf denjenigen, ber beffer als er über Philoſophie ihm die gewuͤnſcht Ausfunft geben koͤnne. Couſin hatte Hegel's Namen ſchon wie: derholt gehört und entſchloß ſich, troß einigen Widerſtrebend, Heidelberg nicht zu verlaffen, ohne Hegel kennen gelernt zu has ben. Als er ihn gefprochen, warb er durch deſſen Bekanntſchaft noch einige Tage gefeffelt. Sie geftelen einander und zwar be fonder8 in ihrer gemeinfamen Sympathie für die franzöftice Nevolution und für Fonftitutionellen Monarhismus. „I y avait du moins entre M. Hegel et moi quelgue chose de com- mun, une foi commune dans la philosophie, une commune convietion qu’il y a ou qu'il peut y avoir pour esprit humain une science vraiment digne de ce nom, qui matteint pas senle- ment l’apparence, mais la r6alitd des choses, qui n’exprime pas seulement les r&ves mobiles de P’imagination humaine,

mais les caractöres intrinsöques des @tres. M. Hegel &tait

dogmatique; et, sans que je pusse encore me bien orienter dans son dogmatisme, il m’attirait par la. De son cöte, il me savait gr& des efforts que je faisais poür l’entendre et de

Couſin's Erinnerungen aus feiner: Meiſe durch Deutfchland ꝛc. 447

mon geüt pour les grandes speculations. Ainsi se forma, n9- tre amitiéè et cetie liaisen à ka fois de eoeur et d’espnit, qui ne s’est jamais démentie, alors m&me. qu’axec le temps la difference de :nos vues en ım6taphysique se declara de plus ea plus, et que la pelitigue demeura notre seul et der- nier. lien.“

Er verlies Hegel mit ber Ueberzeugung, einem Geiſt er⸗ fen Ranges begegnet zu ſeyn, der im Beſttz einer großen Lehre war, bie wohl Anfpruch auf ein ernſtes Studium machen fonnte,

Den nächſten Halt machte Boufin in Marburg, Tenne⸗ mann's wegen. Ihre Unterhaltung. mußte lateiniſch geführt werden, weil Keinem die Mutterſprache des Andern geläufig war.. Schon Tennemann ſuchte Couſin's Anſicht von Kant zu berichtigen. Daß aber die Belehrung nicht eindringlich oder nicht überzeugend genug war, erſteht man daraus, daß Couſin noch jet feinen damaligen Irrthum über Kant's Verhältnig zum Slepticismus fefthält.. Tennemann machte Boufin auf Fries aufmeräfam. „Fries, fagte ex, a refait pour notre siècle la Critique de la reison. Il en a garde l’admirable methode; et, .ce qui vons plaira à vous autres Frangais, il en a ‚sim- pläfi6 la composition et la langue. Comme ‚Kant, Fries est aussi un mathematicien et un ‚physicien habile, tandis que Schelling ei ses disciples ignorent entierement les mathéfma- ligqnes et corrompent la pbysique. Mais æe qu'il faut le plus estimer dans Fries,. dest le moraliste. Il propage dans la jeunesse le goßt de la vertu que detruit ka ‚Philesapbie de la nature,“ Tennemann ſchenkte an Couſin die zweite Aus⸗ gabe feines :Handbuches der Gefchichte der Philoſophie und Cou⸗ fin lad .daflelbe :auf dem Wege nad) Kaflel mit großem Inter ehe. Coufin hat befanmtlich fpäter mit Hülfe feines Freundes Viguier dieſes Werk in’d Franzöfifche überfegt.

Die Reiſe führte Couſin von. Staffel nad Göttingen, wo er im Umgang mit Heeren, Staeublin, Eichhorn, Schulze und Bouterweck zehn Tage verweilte, Bon

Ä 10*

148. Recenflonen. -

Staeudlin ſagt Couſin: „Moräliste avant tout, il a en horreur tout ce qui sent le pantheisme, M, Schelling et ses adherents. Il ne peut pas comprendre comment M. Daub, d’Heideiberg, peut s’arranger d’un s’ystöme qui, en détrui- sant toute liberts, detruit toute morale et par: consequent toute vraie religion. M. Staeudlin est un homme de sens et: d’un caraotere sövere.* Auch Schulze und Bouterweck erflären vor Couſtn ihre Abneigung gegen bie Raturphilofophie. „U ya, fagt Schulze, en Allemagne, trois systömes qui se combattent: le vieux Kantisme, le pantheisme de Sehelling, la doctrine du sentiment de Jacobi, que mon collögue Bouter- weck a adopi&e en partie, et ma philosophie, qui consiste & detruire toutes les autres.“ Goufin hätte fidy gern eingehende mit Schulze unterhalten, in dem er troß. feines Skepticismus einen tüchtigen Geift verehrte; aber ihre. beiderfeitige Ungeuͤbt⸗ heit in ber Jedem fremden Sprache erſchwerte die Verſtaͤndigung zu ſehr.

Bouterweck dagegen drückte ſich mit Leichtigkeit und Gewandtheit franzoöſtſch aus und Coufin konnte daher von ihm mit geringerer Mühe Aufſchluß bekommen. Bouterweck aäußerte ſich ſehr befümmert über den damaligen Zuſtand der Philoſo⸗ phie in Deutfchland. „Elle est, me dit-il,. dans un 6tat de. crise dont il est impossible de prevoir l’issue. Dans cette obscurit& de l’avenir, ce qui reste à faire & tout homme de bien est de s’opposer fortement & la philospbie de la nature. L’universit6 de Goettingen lui ferme tout accès dans ses 6c0- les. Mon collögue Schulze et moi, par des raisons diffören- tes, nous nous sommes unis contre cette philosophie, qui ne peut donner à l’äme qu’une exältation. vide. de toute vraie religion. et de toute moralite. Voyez Schleiermacher, qui pre tend que vouleir censerver sa personnalit6 dans l’autre vie est un 6goisme condamnable, et qu’on. doit se contenter de se perdre dans l’infini. Schleiermacher est un homme exalte comme tout spinoziste doit P&tre. Une : raison sévère de truit la philosophie de Schelling; mais: diun: autre: cöte, il ne

Goufin’s Erinnerungen aus feiner Reife durch Deutfchland ꝛc. 149

faut pas se fier trop & la raison; le sentiment est un meilleur u guide, c'est’ en derniöre analyse le juge supr&me. "Toutes les grandes verit6s nous sont connues immeödiatement par ‚per suasion intime, tandis que les categories de Kant ne con- duisent qu’ä des paralogismes. : La ‚plus grände, contradietion od un philogophe puisse jamais ‚tomber est: de- prefendre, somme Kant, &tablir en morale ce qu’il dötruit en metaphi- sique. Moi aussi jai d’abord été Kantien ardent; : mais, avec l’äge, jai quitté ce systöme, tout en respectant. Kant, ‚dent jai fait l’eloge fundbre. Le philosophe que je prefere à tous les autres est Jacobi, et Phomme le plus ‘dangereux de l’Alle- magne est Schelling. Ses Ecoliers ont corrompu toutes les parties des sciences: Oken l’histoire naturelle : : Goerres . Creuzer, Phistoire des religions et de Thumanité Daub, theologie; et voila Hegel qui fait de la scolastique avec " po6esie du maltre,“

Couſin erfannte in der gemefienen behutſamen Spelula⸗ tion der Goͤttinger Philoſophen ein gutes Gegengewicht gegen die uͤberſchwengliche Spekulation, bie von Jena ausging.

Auf der Durchreiſe fuchte Couſin in Hannover und Braun- ſchweig Feder und Buhle vergebens auf; fie waren auf dem Lande.

Am 10. Sept. endlich kam Couſin in Berlin. an, fand aber auch bier nur wenige Profeſſoren. Die meiſten brachten ihre‘ Derbftferien. auf Reifen zu; indeſſen traf er doch Diejeni⸗ gen, die ihn befonders intereffiren mußten, Er verfehrte mit Ancillon, Solger, Schleiermader und De Wette. Ancillon zeigte ſich nicht als Freund ˖Schleiermacher's, er ver- ehrte Jacobi und bezeichnete den Naturforfcher Erman als den tiefften philofophifchen Denker Berlin. Couſin bedauert, ben- jelben wegen feiner Abweſenheit nicht kennen gelemt zu haben. Eoufin ſprach mit Ancillon über. feine Nouveaux melanges de litter. et de philos. und warf ihm vor, daß er in den von ihm jelbft gerügten Abſtraktionsfehler Schelling’& falle, wenn er den Begriff des Seyns vor den deö Ich ftelle, was eine geſunde

450 ' Necenſionen.

Pfychologie verbiete, die von der Erkenntniß des Beſtimmten zu: der: des Unbeſtimmten fortſchreite. Couſtn fand ed jedoch m möglich, mit Ancillon eine geregelte eingehende Diskuſſton zu führen. Ebenſo blieb auch Solger zurädhaltend, Rur ab gemein ließ er‘ ſtch gegen Couſin über vie damalige deuiſche Philoſophie aus: „La philosophie est chez nous dans un ötat de crise. “Jusqu’ich, eHe & march& avec plus d’impetuo- site et d’ardeur que’ de miesure et de r£öflexien; il est temps d’y appliquer la eritique. Vous’ dtes bien. bon d’avoir été ä Gosttingen. La: bibliothegue y & tus 4a philosophie; on y compile, Bepuis P’Aenesidemus, Schulze: n’a rien produit de. remarqwable. N’attendez rien de Leipzig. Daub, d’Her- delberg, est un komme d’imagination; iE ne fora qu’embrouil- ler.la th&ologie avec les id6es de Schelling, qu'il ne connakt meme que dans leur premidre forme. Il est aisé d’eblouir comme Baader, lorsqu’on ne publie que. de .petits £crits done demi-feuille. Tout r6sume d’idees est toujours un peu frapparit, mais if faut voir 'cela developpe. Herbart de Koe- nigsberg est un. vrai philosophe. Fichte est mort entiere ment; lui. qui‘. attirait:-tant: de monde ä ses lecons, n'a pas fait un seul dleve qui de’ son vivant vu depuis sa mort alt enseigne sa doctrine avec succös; et cela tient au fönd même de. cette:doctrine.. lei sa place ne peut £tre remplie que par Hegel.“ Solger verhielt ſich nur Fritifch zu den anderen &% fiemen, „Fai Pair encore sceptique, m’a-t-il dit, mais je m’expliquerai successivement.“ Vergebens ſuchte Couſin ihn zur Beantwortung einiger metaphyſtſchen Tragen zu bringen; Solger wich ſtets aus und: revete flatt deſſen von politiſchen Zu fländen. |

Durch Solger wurde Boufin bei Schleiermader ein— geführt, mit dem. er gleich eine zweiftänbige Unterredung hatte. Eoufin gefteht, ‚bei der Idee, einent ber bedeutendſten Männer Deutſchlands gegenüber zu treten, eine gewiſſe Unruhe empfun⸗ ben zu haben und bei dem erſten Anblick des Heinen verwachſe⸗ nen Mannes ganz betroffen geweſen zu ſeyn. „Métaphysicien

Couſins Erinnerungen aus feiner Reife durch Deutfchland ꝛc. 151

harılı, moraliste profond, .th&ologien, erateur, érudit, mon imagination rassemblait tous ces titres sur quelque imposant personnage. La porte s’ouvre, et dans le fond d’un cabinet mal éclairé j’entrevois un petit homme, chetif et bossu; c’&tait la Schleiermacher, Je demeurai immobile d’&tonnement, .et m’apercus & peine qu'il y avait un autre personne dans le cabinet: c&tait le cel&bre theologien de Wette. .M. Schleier- macher me le presenta. Je me remis peu & peu, et ce com- mencement ne m’ayant point égayé, j’entrai en matiere avec un grand serieux. Ce qui m’a le plus frapp& dans M Schleiermächer, c'est ce qu’on m’avait aussi le plus vant& en lui, la prodigieuse subtilit€ de son esprit. On ne peut. pas ötre plus habile, plus delie, et pousser plus loin une idee. Si je pouvais reproduire 8a conversation, on y verrait un mode£le d’adresse; il ne voulait pas dire sa pensee, mais sans cesse il me placait sur des 'pentes glissantes qui m’y con- duisaient doucement et inevitablement. J’aurai y consen- tir et me denner le spectacle de l’esprit de M. Schleiermacher; mais les choses m’occupaient tout entier, et je lui demandai trop et trop vite. Il ne me röpondit jamais ou presque ja- mais. directement. Gependänt, ma bonne foi encourageant la sienne, sur la fin Jde la conversation il m'énonça quelques propusitions asse2 claires.“ |

Sihleiermacher erflärte fich für Plato und d Spinoza. Couſin dagegen wollte nicht mit Spinoza die Materie als Attribut Got- tes betrachten, ſondern wollte fie mit Plato als unabhängige Subſtanz für ſich angeſehen wiſſen. Einwendend fragte ihn Schleiermacher, ob er denn mit Sicherheit behaupten koͤnne, daß die Materie ausgedehnt ſey. Das Ich koͤnne ebenſo gut wie das Nicht- Ich ausgedehnt feyn, oder dad Nicht=Jch ebenfo gut geiftig wie das Ich; Die neue Phyſik verflüchtige ia fchon alle Körper zu Gas und das Ich befinde fich doch jo gut im Raume, wie dad Nicht Ich in der Zeit. Darnach vertieften fie fich in dad Problem der Schöpfung. Schleiermacher bemerkte: „Il est aise de s’elever à Dieu, mais tres diflicille d’en descendre.

152 Necenſionen.

Là, on ne peut marcher régulièrement; il faut sauter de l'in- fini dans le fini.“ „L’esprit et la matiere, une fois unis, sont immortels; le corps ne perit pas plus que l’esprit; rien ne périt et ne peut perir.* Eoufin Tnüpfte daran die Frage an Schleiermacher, ob er ſich die Unfterblichkeit ohne Bewußt⸗ feyn und Erinnerung vorftellen koͤnne, und Schleiermacher bes iabte die Frage. oufin hat Schleiermadher noch wiederholt gefprochen; Hat aber über feine philofophifchen Anfichten Nichts erfahren, was ihn mehr befriebigte. „Nous avons de nouveau agit& de graves problömes. Rien de net“, fagt Eoufin. Nur Schleiermacher's Geftalt gewann in feinen Augen, je häufiger er ihn ſah.

Eoufin befuchte auch De MWette,. deſſen Anfichten über dit Bibel den naͤchſten Gegenfland ihrer Unterhaltung bil beten. De Wette riet) ihm das Hebrälfche zu lernen, um zu theologifchen Kritik des Alten Teftamentes ſelbſt befähigt zu ſeyn. Eoufin war nicht gefonnen, dieſem Rathe zu folgen, Vielmehr hatten feine theologifchen Geſpraͤche mit Eichhorn und De Wette in ihm den Entſchluß zur Reife gebracht, von ber theologiſch⸗ hiftorifchen Kritik der chriftlichen Lehre gänzlich abzuftehen. Er ftattet fogar Deutfchland feinen befonderen Danf bafür ab, daß ed ihm die theologifche Exegefe verleidete, mit der ſich zu be fhäftigen er in Sranfreich begonnen hatte. Seine Unterhaltung mit De Wette wandte ſich demgemäß auch bald zur Philoſophie. „I me dit que la morale qui derive du christianisme le’ sa- tisfait entierement; que le christianisme est le but tend toute philosophie ; que la th&ologie et la philosophie sont la meme chose, la verit& &tant une.“ Auf Coufin’d Frage, welches phi⸗ Tofophifche Syftem dem Chriftenthum am nächften ftehe, nannte ihm De Wette die von Fried vervollkommnete Philoſophie Kants. Mit großer Klarheit, wie Couſin fagt, entwidelte ihm De Wette die Hauptpunkte von Fried Syſtem. Die Anfichten Schelling’s, Hegeld, Daub's erklärte der eifrige Frieſianer für Unfinn und Wahnwitz; auch Schleiermacher's Anficht über bie Einheit von Geiſt und Stoff verwarf er natürlich.

Conſin's Erinnerungen aus feiner Melfe durch Deutſchland x. 153

Ende Septembers verließ Eoufin Berlin und fuchte Goethe in Weimar auf. „Notre entretien commenga assez mal. Je Iui exposai Pétat de la philosophie en France et mes projets, lls n’ötaient pas tout & fait de nature & plaire au Voltaire de PAllemagne (17), & Yadmirateur de Diderot, et il m’insinua doucement que la France ne s’occuperait jamais serieusement de philosophie. Je lui r&pondis qu’au contraire la philosophie ötait dans l’essence m&me du genie francais, t&moin tant de philosophes illustres qu’a produits la France depuis Descartes jusqu’a M. Royer-Collard. Goethe m’eut tout l’air de. ne croire ni P’un ni Fautre. I me dit alors qu'il croyait bien qu'il y aurait toujours en France des individus d’elite qui &tudieraient la philosophie, mais qu’il doutait fort qu'ils pus- sent communiquer leur goüt & un public nombreux.“ Eous fin fprach mit großer Wärme die entgegengefebte Zuverficht aus und gewann gerade dadurch größere Theilnahme Goͤthe's, ver ſich nun herabließ, feine Meinung ‚über die deutfche Philofophie zu fagen, Er hatte gerabe feit einigen Monaten ben Kant wie der gelefen, „Rien n’est si clair, fagte er, depuis que Fon a tir& toutes les consöquences de fous ses principes, Le systöme de Kant n'est pas detruit. Ce systöme, ou plutöt cette methode, consiste & distinguer le sujet de Pobjet, le moi qui juge de la chose jugee, avec cette röflexion que c’est tou- jours moi que juge. Ainsi les sujets ou prıincipes du juge- ment £&tant differents, il est tout simple que les jugements le soient. La’ methode de Kant est un principe d’humanite et de tolerance. La philosophie allemande, .me dit-il-en- core, c’est la manifestation des diverses qualit6s de l’esprit. Nous avons vu paraitre tour à tour la raison, Pimagination, le sentiment, l’enthusiasme.*

Died find die philofophifchen Eindrüde, die Coufin auf feiner Reife im 3. 1817 empfing. Er fchließt die Schilderung berjelben mit einer zufammenfaffenden Betrachtung. Hier gilt jein erſtes Bedenken ber Frage, ob dieſe Eindrüde geeignet find, Gegenftand feines Unterrichts in Zranfreich zu werden. Die

154 | Mesenfionen.

Antwort iſt verneinend. Er will bie wachſende ſpiritualiſtiſche Schule Frankreichs nicht frühzeitig auf das Studium fremder Lehren werfen, deren Verdienſte und Fehler nicht, leicht abzu⸗ fchägen find. „Non, laissons la nouvelle philosophie francarse se dövelopper naturellement par sa vertu propre, par la puis- sance de sa methode, cette methode psychologique, abanden- nee ou dedaignee en Allemagne, et qui est, a mes yeux, la source unique de teute vraie lumidre, en suivant les instincls hereditaires du gönie frangais, considere partieulierement & l’epoque la ‚plus illustre de sa grandeur pass6e, et dans ce qui fait aujourd’hui en quelque sorte ’äme des temps nou- veaux, je veux dire les pricipes de la revolution de 1789. Tel est mon dessein, et mon enseignement ne se ressehlira point du voyage que je viens de faire, Il le reprendrai ok je Vai laisse, FPagrandissant et le perfectionnant sans cesse, mais sans en changer le caractere, de plus en plus spirilux liste dans la theorie, Eclectique dans Y’'histoire, et par- dessus tout liberal et francais.“ Nur für fich felbft ſucht er bie Eindrücke in ein Hared Bild zufammen zu faflen und den J derſelben für feine Entwicklung abzuſchaͤtzen. Died Urtheil i eben nicht ſehr günftig für uns ausgefallen. „En dechiratt les voiles dont la pensse allemande semble prendre plaisir a s’envelopper comme pour se cacher à elle m&me la voie des abimes elle se pr£cipite, trop Francais pour me pa— yer de mots (Il), deja trop vers& dans !’histoire pour m’en laisser imposer par Papparence et ne pas reconnaitre les m mes opinions sous des formes differentes, Jeprouve un éton- nement douloureux de voir l’Allemagne, cette Allemagne si fameuse par ses travaux theologiques et philosophiques, s’agl- ter dans un cercle de doctrines suspectes qui peuvent éblouir un morhent, mais non pas retenir un esprit bien fait.“ Cou⸗ fin fand überall in Deutfchland den brennenden Streit zwiſchen Kant's Philofophie, mehr oder weniger nach Jacobi's Anfichten umgeftaltet, und der von Scelling herkommenden Naturphile fophie. Und was tft die’ erfte Bhilofophie anders, fagte er, ald „ie plus beau, le plus admirable sceplicisme, ramene un peu forc&ment & un dogmatisme &quivoque semé de mille contra- dictions.“ „La subjectivit€ de la raison, voilä le point de depart fatal de la philosophie allemande. Tant que ce fonde- ment subsiste, l’&difice entier est ruineux, et les röparations les plus hkabiles, les decorations les plus brillantes ne trom- peront qu’un oeil inattentif ou peu exercè.“ Dagegen hatte nach ihm die Raturphilofophie meiftend den Vorzug dogmatiſch zu ſeyn, an die Vernunft zu glauben, „et c’est par la quelle m’attire. Mais d’un autre còté ce nom de philgsopbie de la

Eoufin’s Erinnerungen aus feiner Meiſe durch Deutfchland x. 255

nature me pisit assez peu; il marque bien un retour vers la

rẽalité mais vers quelle realte? Celle du-monde, Jarone que cell de Fäme et celld de Diew m’importent bien. da» vantage.“ Au 19. siöche;: ta philosophie de ta. nature de

M. Schellitig rapelle inveiohtairement; le Traité de lu natare

de Robinet, PInterpretation de la nafure de Diderot; et Dieu veuil que tout ce naturalisme n’aboutikse pas au Systöme de la nature baron d’Holbach! Il serait triste que cette philosophie allemande si vantee ne füt qu'un retour Jaborieux et tenebreüx à la philosophie lögere des eteYclopädistes. Quelle humiliation pour l’orgueil de PAllamagne, et quelle mystification pour moi, qhi serais venu cherche à gräridse frais à trois eents lieues de ma patrie ce qQufhelas! j'y ai ren, contre des les premiers pas de ma cafriöre, ce que je Ihe propose d’y combaltre- jusqu's mon dernis suupirt® Daß Schelling, Sthleiermacher und Hegel ſich fo weit verirrten, meinte Couſin nicht, aber er fuͤrchtete, die pantheiftifchen Elemente ih⸗ ter Anſichten möchten bei Anderen dieſe Entwidelung zum Mas

terialismus nehmen und ſchon ihre partheiftifchen Keigungen

Befriedigten feine theiſtiſchen Wünfche nicht. Wie ihn Scyelling, üder deflen fpätere Meinungsentwicklung er in einer Bemerkung anter dem Text feine Freude ausfpricht, damals un ben pan⸗ tHeiftifenen Robinet erinnerte, fo Schleiermacher nur an Spt noza. Platon wollte er in beflen Antflchten nidyt wieder erken⸗ nen. Hegel hatte ihm feine eben erſchienene Encyhklopaͤdie bet philoſophiſchen Wiſſenſchaften geſchenkt. „Je me suis jet& des+ sus; mais il m’a parfäitement resist6, ef je n’en al pas saisi grand’chose.*“ - Auf feiner Rückreiſe vurch Heibelberg fuchte et Vergebene Yon Hegel feibft die nöthigen Erklärungen zu er- fangen. Hegel wich. feinen Fragen Befänbig aus, und bemerfit nicht, daß er ungenügend antwortete, indem er vermied zu ant⸗ mworten. Das reine Seyn Hegeld fehlen ihm der abfoluten Subſtanz Spinoza's fehr Adnlih zu ſeyn. Nach Couſin's An- ſchauung alſo kämpfte die deutſche Philoſophie nur um Skepti⸗ cismus oder Pantheismus, und beide wollte er nicht. „Arretons-nous; le jour va paraltre, ſo fchließt nun Eoufin diefe in Kehl -arigeftellte Nachthetrachtung. Oui sank doute V’Allemagne- est une grande &cole de philosophie; il faut Fetudier et Ta bien eonnattre, mais il ne faut pas s'y arreter. La nouvelle philosophie francaise, s’il m’est denne de Iui servir de guide apr&s M. Royer-Collard, ne cherchera pas plus ses inspirätions en Allemagne qu’en Angleterfe; elle les puisers & un source plus &levee ef plus süre, «elle de la conscieate et des fäits qu’elle atteste, et cell6 aussi - de notre grande tradition nationale du 17. sidelo. Dejä par

156 Becenfionen.

elle-m&me elle est forte du bon sens frangais; je ’armerai.ea- core de lexperience de l’histoire entiere de la philosophie, et, Dieu aidant, nous saurons bien &chapper ainsi au scepli- eisme de Kant, traverser le sentiment de M. Jacobi, et per venir sans hypothese & un dogmatisme un peu meilleur que celui de la philosophie de la nature.“. Coufin erklärt in ben einleitenden Worten zu dieſen Reiſc⸗ mittheilungen wieberholt, daß er damals nicht gehofft Habe, auf ber kurzen Reife in die Tiefe. der deutlichen Bhilofopbie cr bringen zu koͤnnen. Die jebige fpäte Mittheilung feiner Iage buchsnotizen babe daher zwei Nachtheile. Sein Tagebudy werk wenig Belehrendes enthalten für die mit ber beu den Philoſe⸗ phie Bekannten und dagegen wenig Verſtaͤndliches für Diejen en, die fie nicht kemnen. Indeß hofft er, werde vielleicht biek Mittheilung der Reife Mandyem ſeyn, was ihm die Reife feihh war: „une sorte d’avant goüt et d’initiation imparfaite à H philosophie allemande, depuis la mort de Kant et de Fichte C’est dans cette esperance.que je transcris ces ‚notes, sans.y rien changer, et sans meler apres coup & ces récits de jeum homme, pour en couvrir la pauvrei6, les jugements et. ig idees d’un autre äge.* Rur einige hiftorifch erflärende Not reichen in bie fpätere Entwicklung unſrer ‘Philofophie hintin Auch nur -beiläufig fügt Coufin einige wenige Erir a aus feinem zweiten Aufenthalt in Deutſchland von 1824 hing Es hätte von Intereſſe ſeyn können, wenn Goufin auch übe

erſten Reife verfehrte, richtig aufgefaßt hat oder Wi en, wie unanger

ihn nicht auf, Nur in großen Zügen läßt er ſich die ſtreitend Syſteme vorführen, und urtheilt doch über fie mit einer allge⸗

Couſin's Erinnerungen aus feiner Reife durch Deutſchland x. 157

Ik meinen Sicherheit, jr der einzig das eingehendfle Stublum ihm ar hätte ein Recht geben Fönnen. Gern mögen wir anerfennen, a daß Eoufin manchen richtigen Blick gethan hatz wir koͤnnen wohl a. auch entfchuldigen, daß er damals als junger Mann raid im ın Berallgemeinern halbwegs richtiger Urtheile war; aber niemals durfte er diefem jugendlichen Uttheil die Stütze feines nunmehr ve geteiften Alters geben, ohne ſich auf gründlicher erworbene Ans rechte dazu berufen zu können. Aber durch Feine Arbeiten über he bie neuere deutfche Philofophie hat Couſtn fich inzwiſchen dieſes ın Anrecht gefichert. Damals ftellte Eoufin feinem Tadel ber deut fhen Philoſophie nur Wünfche entgegen; er tabelte den beuts ie! Inden Pantheismus, er wünjchte einen gefunden Theismus zur tung zu bringen. Noch jetzt aber hat Couſin eine Theodicee 6 als die erfi zu löfende Aufgabe feines Lebens bezeichnet. Leicht uk iſt es, etwas Beſſeres wünfchen; aber fchwer, dad Beſſere ſchaf« ze fen. Die deutſche Philoſophie hat darnach gerungen und ringt at darnach; und Eoufin darf fih mit Richten rühmen mehr geleiftet mi ji haben. Man möchte felbft jagen bürfen, daß zur Zeit feines ngen Strebend und feiner Hoffnung, bereinft felbft die genuͤ⸗ * a 2öfung ber bislang nicht zu feiner Zufriedenheit gelihen Kit bleme zu bringen, Goufin’s hartes Urtheil noch ein befiered mr Anfehen hatte, als jebt, wo es nur das Refultat ber beſonnen⸗ ge Ren fachlichen Einficht fen durfte. Couſin aber hat Nichts’ ‚3 gethan, was in und das Bertrauen erwecken könne, er befige na dieſe Einficht in bie letzte Entwicklung unferer Philoſophie. my Die feinen Retfeerinnerungen beigegebenen Noten find bis⸗ u weilen nicht einmal in den Außerlichften Angaben von leicht er⸗ | reichbarer Zuverlaäſſtgkeit. So z. B. hält er Bouterwecks 1813 int erichienenes Lehrbuch der philoſ. Wiſſenſch. für deſſen letztes 14 Werk, während derjelbe ja noch 1818 feine kleinen Schriften ya Und 1824 feine Religion der Vernunft herausgab. Auch Bou⸗ as terwecks Literarhiftoriich bebeutende Gefchichte der neueren Poeſie ‚; und Beredſamkeit erfchien ja von 1801 1819 in 12 Bänden; ‚, Während Coufln, ber dieſes Werk citirt, ed zu einem Werk von Bänden macht, das von 1801 1807 erſchien. Mit leichter Mühe hätte Couſin aus ber ihm bekannten Gefchichte der neues 7 ven Philofophie von Erdmann Bd. 3. p. 349 ff. das Richtige ar eriehen können. Dort hätte er vielleicht auch Anlaß gefunden, * in einer Note vor Allem zu bemerken, daß Bouterwecks philoſo⸗ ern: phiſches Hauptwerk die 1799 erſchienene „Idee einer Apodiktik“ Get war. Dort Bd. 3 p. 502 hätte Eoufin auch fehen können, in daß Schulze nicht 1832, fondern 1833 geftorben it, daß Schulze h weder 1817, noch ſonſt eine —— Moral herausgab. una erwähne dergleichen an fi unwichtige Ungenauigkeiten nur, le ve gerade fie am augenfälligften als: folche barftellen und '

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158. - Macenfionen.

fo ungemein leicht zu vermeiden waren. Bei anderen, ſach⸗ lich wichtigeren Punkten, wie 3. B. bei dem Sab: „c’est A dena que M. Schelling a debute et qu’il a forme MM. Hegal, Oken et ses disciples les plus c£lebres* tritt die Unge nauigfeit weniger deutlich hervor. Bon Untundigeren ift Hegels Berbältniß zu Schelling in ber Zeit ihred Jenenſer Zuſammen⸗ lebens oft als das Der Schülerſchaft aufgefaßt; war doch Hegel ſelbft genöthigt, PRroteſt einzulegen gegen hie Aeußerung der „Stuttgarter allgemeinen Zeitung“, Schelling habe fih au ihm einen rirftigen Vorfechter nach Jena gerufen. Wieberholt begeht Couſin dieſen allerdings nicht felten vorgekommenen Fehler, He⸗ gel's Urſprung zu verwiegend in Schellings Naturphiloſophie ſuchen; wie er ebenfalls den früher nicht ſeltenen Irrthum ieh hält, der in Kants Kriticismus nur Skepticismus ſah. Daß Boufin zur Zeit feiner Reife dieje Irrthümer hatte, iſt verzeih⸗ lich; daß er fie aber noch jegt ohne Berückſichtigung der inzwi⸗ ſchen zur Geltung gefommenen richtigeren Auffafſungen mittheilt, ift verkehrt. Wir fehen daraus, Daß er ed mit der richtigen Einficht in bie deutſche Philoſophie nicht gewiſſenhaft nimm, und müflen ihın Deshalb das Recht abſprechen über fie abzuur- theilen. Daher verdienen die Monte, mit Kenen Couſin in. der Vorrede feiner Fragmenis et souvenirs dieſe leuten einleite, einen fcharfen Tavel. „Ce sont, fagt er dort, des motes .de voyage £crites chague jour, sur les lioux mwenses, et qui ont au moins le m£rite de da plus parfaite exactitude. On y ver les plus fameux representants de la philosophie allemande, interroges sur les plus graves problömes par un jeune Frao- eis, decide a ne se paver de mots, les forcant doucement A sortir de leurs nuages, et souvenl a laisser paraitre de tristes conclusions. Ces n tes contiennent donc plus d’une lagon utile, et d’aillemrs nous avons pris soin, dans une sorte de meditation derniere,. de soulever les voiles qui couvraieat‘ encore en 4817 la philosophie allemande, et d’armer d’avance nos jeunes compatriotes contre. les systemes qui fermen- taient alors sourdement, et qui depuis, surtout en 18348, ont Eclat& au grand jour et deshonor£ leurs principes par leurs comsdqmences.“

Selb in Franfreich iſt dieſer hochfahrende Ton Couſim's getabeit worden. Dolfus, Mebaftenr der mit dieſem Jahre in? Lehen getretenen Bevue Germanique, bezeichnet Couſin's ju⸗

gendliche Abficht, ſich von den berühmten deutſchen Phitofaphen

nieht mit Worten abfpeifen gu laſſen, geraden ala jugenblide Arroganz. Wer hei jo wenig bewährtem Anrecht jo ſtreuges Gericht hält, ver provocirt win hartes Bericht über fich felil.

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Goafin’s Erimmerungen aus feiner Reiſe Durch Deutſchland ac. 150

Bin Couſin feine Berfprechungen gehalten? hat er eine tüchtige ſychologie, eine Theodiree geichaffen? Nein, Er hat nur gur ten philoſophiſchen Grundfaͤtzen Bahn gebrochen, er hat zu werthr vollen. Studien über die Geſchichte der Philoſophie Anregung ge geben und den philofophifchen Unterricht in Frankreich. gehoben. Diefe Verdienſte Couſin's werben ziemlich allgemein anerkannt und find unlängft auch von Renan in einem Artikel ber. Revue des deux mundes vom 1. April (De l'école spiritualiste) ger bührend hervorgehoben. In Betreff des pofitiven Inhalts ſei⸗ ner philofophlichen Lehre dagegen vermiſſen felbft günftigere Beur- weiler das MWeientlichfte die Ausführung. Coufin darf «8 fi) mit Recht aufchreiben, den vor ihm von Maine de Biran und Royer-Collard begonnenen Feldzug glorreich beenbet zu has ben, d. h. den Senſualismus von den philofophifchen Lehrftühs fen vertrieben zu haben, die er vordem inne hatte. Nenan glaubt nit, wie manche Andere, daß Eoufin in biefem Kampf fein Ziel überfihoffen bat; aber er meint, daß Eoufin’d ſpiritualiſti⸗ ſche Lehre einer wiflenfchaftlichen Entwidlung beburft hätte, „Elle est vraie dans son ensemble, quoique certaines parties lais- sent desirer plus de preeision scientiique.“ „Si Fon entend . par philosophe un savant d’un genre special, Pinventeur d’un systeme nouveau, le cr&eateur d’une doctrine originale, ce mot n’est pas celui qui convient pour le desimer. M. Cousin appartient encore plus à la: litterature qu’& la science. (’est avant tout un ecrivain, un orateur, ‘un tritique, qui siest oc- eupe de philosophie. Son nom reveille plutöt lidee de V’e- loquence que l’idee d’un genre de sp6culation determine. La nature Favait dou& de trop de dons pour qu’il püt ne deman- der la gloire qu’a un seul, et, dans la foule des qualites qu'ii jeignit à celles du philosophe, une seule eät suffi pour le kannir de cette severe phalange des chefs de la pensee ab- straite.*“ „Toutes les doctrines ne sont pas &galement elo- quentes, et je crois bien que plus d’une fois M. Cousin a se laisser entrainer vers certaines oppinions autant par la con- sideration des beaux developpemens auxquels elles pre£taient que par des d&monstrations purement scientifiques.*“ Renan will Goufin daraus Feinen Vorwurf machen. Er nennt es einen Fehler der Kritif, wenn fie genialen Menfchen veorwirft, nicht anderd gewefen zu ſeyn, als fie waren. Ein Genie hat feine eigene Art und kann nur in ihr feine Beftimmung erfüllen. „M. Cousin atteignit son but, ..qui €tait, non de cr&er une doc-' trine originale, mais de donner une forme eloquente et un sens populaire aux grandes verites de l’ordre moral. Je vais montrer que tout ce que des juges malveillans seraient ten- tes d’appeller ses defauts fut la consequence de ce grand

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160 Necenſionen. Gonfin’s Erinnerungen aus feiner Reiſe xc.

parti pris. Du moment qu’on admet que le dessein &tait no- ble et dleve, les defauts qui en dtaient la condition sont absous d’avance, et il n’en est pas un seul dont on ne puisse dire ce que leglise dit de la faute originelle: Felix culpal* - Renan hat Recht, der Kritif, die Heinlih an Couſin's Bers bienften mäfelt, entgegen zu treten; aber feine Entſchuldigung der Fehler Eoufin’d erregt gerechte Bedenken. Gewiß follte Ries mand vergeflen, dem Genie und dem wahren Verdienſte Couſin's volle Anerkennung zu zellen. Ueberdies fcheint mir ſelbſt Cou⸗ fin’d philoſophiſche Bedeutung größer als Renan annimmt; nad) meinem Urtheil tritt in Couſin's Weſen der ‘Pphilofoph jo ſehr nicht in den Hintergrund neben dem genialen Schriftfieller; auch famt ich die wilienfchaftliche Bedeutung des Mannes fo gering nicht anfchlagen, der in Frankreich die Phikofophie wies der auf den Rang einer Wiflenfchaft erhoben hat: aber, ge rade je mehr ich wünfche, daß man Couſin volle Gerechtigkeit angebeihen lafie, um fo lebhafter wünfche ich, daß Eoufin ſelbſt Gerechtigkeit übt. Ihm hat man in Frankreich oft die Schuld aufgebürbet, dem Rationalismus und PBantheismus das Wort „geredet zu haben. Goufin weiß aljo aus eigener Erfahrung, wie vage folche allgemeine Anfchuldigungen zu feyn pflegen. Er hatte daher um 5 größeren Anlaß, fich vor dem Ausfprechen ähnlicher allgemeiner Anſchuldigungen gegen Andere zu hüten. Coufin macht die deutihe Philofophie verantwortlich für den Materialismus und die Revolution von 1848. Das ift in Dies fer allgemeinen Form eine ebenfo nichts fagende Phrafe, wie die feyn würde, die Couſin zum Borwurf machen wollte, baß die Reaktion gegen feinen Spiritualismus wieder Materialiften bervorrief und daß fich diefelben in ven Reihen der Sorialiften, @ommuniften und anderer Utopiften fanden. Wer ſich mit ſol⸗ hen Allgemeinheiten herumfchlägt, wird felten ber hiſtoriſchen Wahrheit mit Elarem Blid und richtiger fachlicher Einfiht auf den Grund gegangen fern. Aus derartigen Allgemeinheiten pet das Bourtheil; die Wahrheit hat meift ein inbividuelleres epräge. Ä Aue Achtung vor Couſin münfchte ich, dieſe Entgegnung könnte ihn behutiamer in feinen Urtheilen über. Deutſchland machen, Goufin beklagt fih, in Deutfchland fremd geworden zu feyn, gerade feit er unter und befannt wurde. An ihm liegt es, bei uns fich nicht. zu entfremden. Wer Gerechtigkeit für fich will, darf die Gerechtigkeit gegen Andere nicht aus den Augen feten. Ä Dr. Jürgen Bona Meyer.

Drud von Ed. Heynemann in Halle.

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Ueber den Punct. Von G. Th. Fechner.

Die folgenden Bemerkungen über den Punct knuͤpfen ſich an das, was Schaller in feiner Kritik des Atomismus (S. dieſe Zeitſchr. XXXIL. ©, 35) über denſelben aufgeſtellt hat. Sey es mir nur geſtattet, bevor ich darauf eingehe, ein paar Worte über dieſe Kritik, ſofern ſie zugleich eine Kritik meiner Abhand⸗ lungen über Atomiſtik iſt, vorauszuſchicken, indem es nicht meine Abſicht ſeyn kann, ausführlich darauf zu erwidern. In ges wiſſer Hinſicht moͤchte es ſogar ſcheinen, daß kein eigentlicher Widerſtreit zwiſchen uns beſteht, da Schaller ſelbſt (S. 27) er⸗ klaͤrt: „nicht uͤber die Thatſache der ſogenannten atomiſtiſchen Dispoſition könne ein Zweifel entſtehen“, ſondern nur „über die Proceſſe, durch welche die relative Selbitftändigfeit der einzelnen individuellen Geftalten bedingt ſey.“ Nun bezieht fi) der phy- ſikaliſche Atomismus und meine ganze Bertheidigung deſſelben einzig und allein auf jene Thatfache, nicht auf diefe Proceſſe, worüber dem PBhilofophen völlig freies Spiel bleibt, fo lange dieß Spiel nicht ftörend und verwirrend in den vom Phyſiker feftzuhaltenden Thatbeftand eingreift; wird diefer feinerfeitd vom Philoſophen anerkannt, fo ift der Streit ded Phyſikers mit ihm zu Ende.

Leider freilich ift jened Zugeftändnig illuſoriſch, indem es näher angefehen nur eben bis zu dem Puncte reicht, won wo aus die phyſikaliſche Atomiftif erft beginnt, die in der That nicht bei den Poren im Holze und in ber Eicrfchaale beginnt, und nicht blos bei unbeftimmten Vermuthungen ftehen bleibt, die Getheiltheit könne auch ganz in's Unfichtbare reihen, woran der Berfaffer S. 27 mich fäljchli den Begriff des phyſikali⸗ fchen Atomismus Fnüpfen läßt, die vielmehr geradezu behauptet, daß die Kryftalle, das Waffer, die Luft, der Aether aus dis⸗—

Zeitſchr. f. Philof u. phil. Kritik. 33. Band. 11

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continuirlichen Atomen beſtehen. Ob dieß der Fall ſey oder nicht, iſt, die Haupt⸗ und Lebensfrage der phyſikaliſchen Atomi⸗ ſtik der dynamiſchen Anfichtsgegenüber, nicht aber, ob etwa bie Atome aus den Kräften, die fie äußern und daß fie folde äußern, darüber befteht Fein Widerftreit zwifchen phyftkalifcher Atomiftif und Dynamif auch beftehen, oder was ihnen über- haupt für ein Weſen unterzulegen ſey. SHierüber mag der Phi⸗ lofoph mit dem Philoſophen ftreiten. Den Phyſiker befümmert biefe Frage, wie wichtig fie fiir jenen feyn mag, nicht, und ber Beftand der phyfifalifchen Atomiftif hängt jo wenig an ihrer Entſcheidung al8 der Beftand der Aftronomie an ber entfpredens den Frage. Die Weltkörper werben ftetd getrennt beftehen, gleich⸗ viel, woraus fie nad) den Philofophen beftehen; fo die Atome in Kryſtallen, Waffer, Luft und Aether, Bis zu einer derartigen Getheiltheit der Materie aber reicht die Anerfenntniß des Dyne- miferd und hiermit des Verfaſſers nicht, Meines Erachtens nun galt es in einer Kritif des yphyfifalifchen Atomismus vom dynamifchen Standpunet aus ben Widerſpruch, welchen bie by namifche Anficht in diefer Hinficht erhebt, fcharf und Klar her: vorzuheben; wogegen ihn der Verf. fo weit bemäntelt, ja al gar nicht vorhanden erflärt, daß der Vorwurf Platz gewann, ich Tampfe gegen einen „geipenftiichen Gegner”, e8 handle fih um ganz andre Dinge, ald um die ich handle; indeß er in ben fachlichen Erörterungen denfelben Widerfpruch doch nach Kräften . geltend macht. Ich geftehe, daß hier Etwas iſt, was ich nicht verſtehe.

Sn der Hauptſache nun gehen die Einwuͤrfe Schallers gegen meine Argumente für die phyſikaliſche Atomiftif da hin, daß die Erklärungen berfelben, auf die ich mich berufe, nur Zurädführungen auf Wunder und Räthfel feyen, und daß fie in Betreff der wefentlichiten Puncte, um die ſich's dabei han belt, noch fo unficher, ſchwankend und in fich felbft zwiefpältig feyen, um überhaupt fein Zutrauen zu verdienen und feinen feften Fuß behaupten zu fünnen. Einwuͤrfe diefer Art aber glaube id ſchon hinreichend beantwortet oder ihnen fo weit zuvorgefommen

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zu jeyn, um ein Zurüdfommen darauf unnöthig zu halten, zu: mal nad) der abgegebenen Erklärung, daß ich den Streit über diefen Gegenſtand überhaupt ald gleichgültig für den. Beftand und die Fortentwidelung der Atomifiif auf dem Boden, auf dem fie biöher Gedeihen gefunden und gebracht hat, und ferner fins - den und bringen wird, halte. Um fo vergeblicher fchiene es mir, meine philofophifche Atomiftif, die auf der phyſikaliſchen fteßt, gegen einen Philoſophen, der diefe beftreitet, vertheidigen zu wollen. Ich weiß es, fie wird in der heutigen Philoſophie, was ich in Kürze fo nenne, überhaupt niemals einen Platz finden.

So müde aber auch das Publicum biefes erfolglofen Strei- ted um eine Sache, deren Erfolg von anderer Seite gefichert it, feyn mag, wird es body wohl einer Fleinen, wenn ich nicht irre berichtigenden, Erörterung den Raum gönnen, welche einen Punct betrifft, der ganz ohne Rüdficht auf den von mir nicht wieder aufzunehmenden Streit um die Atomenfrage das philos fophifche Intereffe berührt, indem er den mathematifchen Grundbegriff des Puncts ſelbſt betrifft.

Der Verf. ſagt S. 35: „Was iſt aber ein mathematiſcher Punct? Die Mathematik giebt darauf keine andre Antwort, als, daß er der Anfang oder das Ende der Linie ſey. Dieſe ift wieder der Anfang der Fläche und dieſe der Anfang des nach 3 Dimenfionen umfchloffenen Raumes. Der Punct ift alfo eben die Gränze der beftimmten umſchloſſenen Raͤumlichkeit und nichts weiter, als biefe Gränze, d. h. er ift nur mit ber Linie, der Fläche, dem Raume zufammen.”

Giebt die Mathematik wirklich Feine andre Antwort auf die Frage, was der Bund fey, als daß er, nichts weiter als die Gränze der Linie, und demgemäß der umjfchloffenen Räuns lichkeit ſey?

Euklid ſagt: „Der Punct iſt, was Feine Theile hat“*). Der Mathematiker und Philoſoph Chriſt. Wolff ſagt *): „Punctum

*) Znueiov dstıv ob ulgog dußtr. **) Elem. geomet. 8. 6. 11*

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est, quod quaquaversum se ipsum terminat, seu quod non habet terminos alios a se distinctos.* Bretſchneider in einem gefchägten Lehrbuche (Lehrgebäude der. niedern Geome⸗ trie & 2) fagt: „iede beftimmte Stelle im Raume, wenn fie als ſolche bezeichnet werben fol, wird ein Bunct genannt.“ Staudt (Geometrie der Lage, 1847, S.1) befinirt zwar Punct erft als Graͤnze der Linie, Linie ald Gränze der Fläche; nimmt aber nachher auch den uingefehrten Gang, indem er die 2inie durch Bewegung ded Punctö hervorgehen läßt, den Punct aber mit Euflid ald ein Untheilbares erflärt. Eben fo fchlägt Kunze (Lehrb. d. Geometr. 1851, 1. Bd. ©. 2) eine doppelte Bes griffsbeftimmung ein, indem er erft die verfchiedenen Raumfor⸗ men in ihrer Abhängigkeit von einander, dann aber in gemein famer Abhängigkeit vom Dimenftonsbegriff, wie folgt, erklärt: „die Ausdehnung des Körpers hat drei Dimenfionen, Länge, Breite ımd Dide, die der Tläche zwei, Länge und Breite, bie der Linie nur eine, Länge; ber Punct Hat gar Feine Aus dehnung.

Ich führte Hier nur das an, was ich in den mir eben zu Gebote ftehenden Lehrbüchern gefunden, und unftreitig wür- den fich viele Barallelftellen dazu in andern finden Taflen. Es dürfte aber dad Angeführte hinreichen, die Behauptung zu redjt- fertigen, daß die Mathematif die Frage, was ber Punct ifl, in der That noch auf andere Weife beantwortet, ald der Berf. angiebt; denn da man die Antwort nicht bei einer abftracten Mathematik fuchen Tann, muß man ſich wohl an die Werke, welche ihren Standpunct vertreten, halten. Bemerkenswerth ift der directe Widerſpruch der Wolff'ſchen Erklärung gegen bie, „welche der Verf. als die alleinige vertritt.

Freilich, es fteht noch nicht Alles fo feft und klar im Felde der mathematifchen Grundbegriffe, als wohl zu wuͤnſchen wäre; und bie Mathematiker felbft geben es im Allgemeinen zu. Wie fchön, wenn die Philofophie da zu Hülfe Fame. Die Mathematif gleicht in gewiffem Sinne jener feften Stadt, von ber man fagt, fie fey auf ein Lager beweglicher Infuforien ges

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baut; fo viel Schwanken findet man in ben einfachfien Bes griffsbeftimmungen, auf welche dieſe feite Lehre: fich begruͤndet. Und fo dürfte fih auch an ben obigen Begriffsbeftimmungen bed Punctes allerdings dieß und das noch mäfeln ober wirklich triftig ausfegen laſſen.

Man kann namentlich gegen bie Euklidiſ he Erklärung einwenden, daß fie blos negativ und dabei zu weit fey, indem fih 3. B. auch von einem Zeitpunet, einem einfachen Begriffe, wohl jelbft einem ganzen Geiſte fagen lafle, er fjey ehwad, was . feine Theile habe, ohne daß er doch ein Raumpunct fey; gegen ‚die Wolff’fche, daß fie nicht Har genug fey, und, wenn fie nicht auch auf den Kreis und jebe gefchloffene Figur paffen folle, noch genauerer Erörterung bebürfe, was mit bem „se ipsum terminare“ gemeint ſey; gegen die Bretfchneis Der’fche, daß man eine Stelle im Raume felbft nur umgefehrt ald einen beftimmten Punct im Raum erklären kann, bie Er⸗ Härung aljo tautologifch ey,

Wohl, kann der Berf, jagen, nichts weiter wollte ich eben mit dem kurzen Ausprude jagen, baß bie Mathematif feine als Die angegebene Antwort auf die Frage, was ein Punct fey, babe, ald daß fie feine andre genügende babe. Du feldft führft aus, daß alle andern dir befannten ungenügend find,

Aber, daß fle ungenügend find, macht weder die vom Verf. vertretene Erklärung ihrerſeits genügend, noch ſchließt es die Möglichkeit, eine andre gemügenbere zu finden, aus,

Wenn id in der Pflanzenanatomie die Zelle als einem Heinen Schlau an den Enden’ einer Pflanze erkläre, jo wird man biefe Erklärung zwar nit unrichtig, aber ungenü= gend finden. Man wird wirklich die Zelle danach fuchen und finden können; aber man fönnte fie noch an vielen andern Drs ten fuchen und finden, wo die Erklärung fie nicht fuchen und finden läßt. Aehnlih, wenn man den Punct ald Anfang oder Ende einer Linie erklärt, fchlimmer, wenn man ihn nur dafür erlärt, wie der Verf., die gewöhnliche Erklärung verfchär- fend, thut. |

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Kreis und Tangente haben einen Punct nicht an ihrem Anfang und Ende als in ſich zurüdlaufende und unendliche Linie haben fie nicht einmal Anfang und Ende fondern in ihrem Berlaufe mit einander gemein. Das ift jedenfalls ein Punct, der nicht ald Anfang oder Ende zu faſſen. Wer kann ferner den Kreuzungspunct zweier Linien als Anfang oder Ende faſſen wollen. Freilich tft e8 möglich, am Berührungspumet oder Kreuzungspunct die Verbindung der Linien in der Vorſtel⸗ lung fo zu zerbrechen, daß der Punct doch ald Anfang oder Ende dafelbft erfiheint. Aber was man kann, joll man hier nicht, weil man damit zugleich die Bedeutung bed Berührungds puncted, des Kreuzungspunctes felbft zerbricht, welche vielmehr die eined Knopfes oder Nagels ift, der bie Linien zuſammen⸗ heftet, als einer Schärfe, bie fie auseinander fchneitet, Eben fo könnte man bie Erflärung, daß die Zelle nichts weiter, als ein Schlauch an den Enden einer Pflanze fey, damit recht⸗ fertigen wollen, daB man ja die Pflanze nur in der Mitte aus⸗ einanderzufchneiden brauche, um auch die Zelle inmitten zu einem Endſchlauche zu machen. Der Begriff der Continuität felbft wird aufgehoben, wenn man eine Linie oder Fläche an jedem Puncte, den man in ihr finden kann, zerbrechen fol, damit ber Punet überall nur Anfang oder Ende fen.

Aber, kann der Verf. eutgegnen, dem ift ausbrüdlich da⸗

durch begegnet, daß ich zur Erklärung: „der Punct fey nichts

weiter ald die Gränze der umfchloffenen Räumlichkeit“, alsbald die Erflärung gefügt: „die Bontinuität des Raumes ſey nichts

"Andres, als die Kontinuität des Buntes,”

Wird aber auch die mathematifche Kiarbeit dadurch gewin⸗ nen, daß man widerfprechende Beftimmungen in der Erklärung bed PBuncted unmittelbar verbindet? Vielmehr hätte man beide davon auszufchließen, wenn ſte noch beide mit bem Punct vers träglich ſeyn follen,

Wenn in der Phyſtk Ewas für nichts meiter als das Schwarze einer Sache erflärt worden ift, fo gebt es body nicht an, unmittelbar darauf zu erflüren, daß das Weiße derſelben

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Sache nicht® weiter ald die Weiße dieſes Etwas ſey. Uuch in ber Mathematik gebt dergleichen nicht an; follte ed in ber phi⸗ loſophiſchen Vertiefung der Mathematik angehen? Der Berf. fcheint mir hier einigermaßen dem Arzte zu gleichen, der, um jedenfalls das rechte Mittel zu treffen, das eine und das enige- gengefegte gleich nacheinander giebt. Doch giebt ed Dinge, bie bald weiß, bald ſchwarz oder hier weiß, ba fchwarz find; wie erflärt man fie? als das, was fie abgejehen von Weiß ober Schwarz find, dann koͤnnen fie noch Eines und Bas Andre feyn. Und alfo, meine ih, wird man aud den Punct weder blos ald Gränze noch ald Vermittler des Gontinuum zu er= tlären haben, bann wird er noch Eines und bad Andre feyn Eönnen. |

Auch, wie man den Mittelpunct in einer Kugel unter ben Begriff „der Gränze einer beftimmten umfchlofienen Raͤumlich⸗ keit“ bringen kann, möchte etwas ſchwer feyn, ungezwungen und mit einiger Klarheit darzuthun. Unfteeitig zwar wird es gehen, wenn man bie Definition um jeden Preis rechtfertigen will; aber jollte man eine genügendere Definition billiger haben koͤn⸗ nen, fo dürfte fie vorzuziehen feyn. Iſt nicht der Begriff bed Innern überhaupt fo berechtiät als ber der Graͤnze, und ift ed nicht mindeſtens eben fo oft nöthig, einen Punet zum Inhalt ald zur Graͤnze eines umfchloffenen Raumes zu rechnen? ine Erklaͤ⸗ rung, bie nur die eine Möglichkeit berücdfichtigt, kann nicht als eine genügende, eine ſolche, die nur bie eine gelten läßt, nicht ald eine richtige gelten,

Da der Verf, wohl nicht pie Abficht gehabt hat, bie mar thematifche Definition des Buneted durch die Verfehärfung mit dem nicht8 weiter zu verbeſſern, ſondern nur zur Waffe ger gen bie Atomiftif brauchbar zu machen, wozu ex biefer Berfchärs fung bedurfte, laſſen wir feinen deßfallſigen Verſuch bei Seite, Daß auch die gewöhnliche unverfchärfte Definition nicht allwaͤrts befriedigend erfchienen ift, beweifen die oben angeführten Ver— fuche verfchievener Mathematiker, eine andre aufzuftellen, welche von ber Bebeutung bes Punctes als Anfang oder Enbe abftras

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birt. Und zwar glaube id, daß das Beduͤrfniß dazu nicht als ein darin lag, daß man die zu große Befchränftheit jener Defi- nition gefühlt hat, fondern auch darin, dag man eine Erklärung des Einfachen durch feinen Bezug zum Zuſammengeſetzten nicht recht paſſend gefunden hat; man fuchte eine felbfiftänpige Er- Härung des einfachften Elements ber Geometrie. Gehen. wir nun an bie Frage, ob fich beiden, gewiß ganz triftigen Geſichts⸗ puncten, nicht im Zufammenhange durch eine Definition gene gen läßt, nachdem wir die in biefem Sinne bisher verfuchten ſelbſt nicht ganz triftig finden Eonnten. Freilich muß eine ge wiſſe Schwierigkeit hier vorliegen; fonft würden wir nicht heute noch an einen neuen Verſuch gewieſen feyn.

Die Hauptfchwierigfeit ſcheint mir in folgendem Umftanbe zu fuchen. Raum wird im Allgemeinen mit Ausdehnung iden⸗ fieirt, oder doch als ein Ausgedehntes betrachtet; dieß ſchließt den Punct, welcher Fein Ausgedehntes ift, von der Unterorbnung unter den Raunbegriff aus. Von andrer Seite muß man doch den Bunct im Raume fuchen, ja ald etwas zum Raume Gehör

riges betrachten; und will man dieß nicht in bie Erklärung des Punctes mit aufnehmen, fo wird fle, wie die Euflidifche Erklaͤ⸗ zung, nothwendig zu weit, weil fi das einfache Wefen des Raumpuncted von andern einfachen Wefen, namentlich dem Zeit punct, eben nur dadurch unterfcheidet, daß e8 ein Einfaches bed Raumes oder im Raume iſt. Alfo gilt es doch, den Punct al eine Sache bed Raumes zu erffären. Aber wie foll dieß gefche hen, ohne den Punct an ber Ausdehnung des Raumes Theil nehmen zu laffen, die ihm andrerfeitd nicht zuzugeftehen ift?

Man darf_Zweies nicht verwechfeln. Indem man da Punct vom Umfang des Raumbegriffes in logifchem Sinne aus fehließt, und demgemaͤß fich weigert, ihn ald einen Raum, ein Audgedehntes, gelten zu laſſen, fchließt man ihm noch nüht vom Inhalt, vom Beftande veffelben aus, und es kann hiernach zw vörderft Fein Bedenken feyn, ihn ein Räumliches zu nennen, womit eben nur das Inbegriffenfenn unter den notis oder Theile begriffen, nicht ben species des auögebehnten Raumes zu ver

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fiehen ift. So ift ein Stein fein Haus; aber im Haufe ent« halten, der Begriff de8 Steine demgemäß dem Begriff des Haufes nicht unterzuordnen, aber einzuordnen. Auch bie Form des Haufe ift fein Haus, gehört aber doch dem Haufe an, und alle befondern Yormen, welche die Form des ganzen Hauſes einschließt, find nicht der Form des ganzen Haufes be grifflich untergeorbnet, aber begrifflich wie fächlich eingeorbnet. Hiervon ift Leicht Die Mebertragung auf Raum und Punct zu machen.

Was Raum felbft im Ganzen fey, dürfte immer nur durch Berweifung auf den Raum felbft ald eine unferer allgemeinen Anfchauungsformen vollfommen klar zu machen und hierauf im Ausgange von der Mathematik fich zu berufen fern. Man kann ihn ein Außereinander nennen; aber auch Materie und Zeit enthalten ein Außereinander; man kann Materie ein Intenfives, Zeit ein Nacheinander, Raum ein Nebeneinander nennen; aber wie ift. ohne Berufung auf die Anfchauung der Unterfchieb des Nebeneinander und Nacheinander Far zu machen? Ich abftras hire von den f. g. dialeftifchen Conftructionen ber Zeit und des Raumes, von denen einfach zu fagen ift, Laß fie für die Mas thematif nicht zu brauchen find.

Ohne die Verweifung auf die Anfchauung felbft dadurch eriparen zu wollen, läßt fich doch meines Erachtens folgender Unterfchied zwifchen jenen drei Eriftenzformen, reſp. Anſchauungs⸗ formen, je nachdem man fie bezeichnen und faffen will, machen:

Materie, Zeit, Raum find reſp. Formen, in denen man fohlehthin auf Feine Weife, nur auf Eine Weife, auf uns endlich viele Weiſen durch biefelbe Form vom Einfachen zum Einfachen ftetig gelangen Tann, Das Einfache der Materie ift das Atom, der Zeit der Moment, des Raumes der Bunct.

Vielleicht wird eingewandt, daß die unendliche gerade Li⸗ nie dieſelbe Erklärung zulaffe, die hier von der Zeit gegeben ift. In der That aber kann man mit Stetigfeit von je einem zu einem andern Puncte berfelben Linie auf unendlich verſchie⸗ denen Wegen, d. h. durch eine unendlich verfchiedene Bielheit

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andrer Puncte des übrigen Raumes gelangen, in bem bie dis nie doch immer enthalten bleibt, wenn fie auch in ber Vorſtel⸗ lung ifolirt werben kann. _ Auf legterem Wege aber wird fie dann wirflich ein Bild ber Zeit, wie ber Raumpunct ein Bild des atomiftifchen Materienpuncts, der, wie er wirklich in einem Raumpunete ift, jo in der Zeit wirklich eine Linie befchreißt, was Alles zufammenhängt und gut zufammenftinimt. Nur auf bie wirkliche Zeit, die wirkliche Materie felbft aber paßt bie ges gebene Erklärung fchlechthin im eigentlichen und vollen Sinne?)

Man wird den gegebenen Erklärungen wenigftend bie Kettigfeit nicht abfprechen, follte man ihnen auch Feine Tiefe zugeftehen wollen; indeß will ich fie hier nicht urgiren, ba es

*) Nachdem Punct und Linie in iſolirter Auffafjung das Bild von Materie und Zeit geben, liegt die Frage nahe, wovon die Fläche das Bild ſeyn möge, und die Antwort darauf ift: vom vollftändigen Raume felbft. Die Fläche genügt ſchon in gewiſſem Sinne dem Raumbegriffe nad obiger Feſtſtellung; aber nur in gewiſſem Sinne, indem die Unend⸗ lichkeit der Wege, die man in- ihr von einem Puncte zum andern finden Tann, noch nicht die volle Unendlichkeit der Wege ift, die der ganze Raum gewährt, Die vielmehr noch unendlichemal fo groß if. Doch würde man jene für die volle halten, wenn man nicht diefe aus Erfahrung kennt Infofern kann die dritte Dimenfion von gewiffer Seite fhon als ein Luxus erfcheinen, der in der Anfchauungsweife höherer Wefen möglicder: weije noch weiter luguriiren könnte, oder umgekehrt, unfere Beſchränkung auf drei Dimenfionen als eine Armuth, die durch einen größeren Reid thum in der Anſchauung höherer Wefen überboten werden könnte. Ein Beifpiel des ärmſten Weſens, deffen Anfchauung blos zwei Dimenflonen befaßt, alfo den einfachen Grundiypus der Naumanfchauufg unmitielbar verwirklicht, Fennen wir in der Erfahrung. Diefes Wefen iſt unfer Auge Es fieht nur Flächen. Seine Armuth wird ſchon in und durch uns über boten, die wir die Anfhauung unfrer Augen in uns haben; denn wir wijjen von 3 Dimenfionen. Die reichte Anfchauungsweife mit einer un beitimmten Menge Dimenfionen möchte die göttliche feyn, welche die An fhauugen aller Wefen in fih faßt. Man wird diefe Paradoxie eines Raumes von mehr oder weniger als drei Dimenfionen, der ich in meinen „Bier Paradoxien“ (von Mifes) eine fcherzhafte Ausführung gegeben, in einer Anmerkung wohl paffiren laſſen, zumal die Frage in Betreff det mehreren Dimenfionen nicht abzuweifen, wenn auch nicht zu enifcelden, in Betreff der wenigern aber durch die Berweifung auf dad Auge ſchon entſchieden iſt.

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ſich für jet nicht um eine Metaphyſik der allgemeinen Exiftenz- formen oder Anfchauungdformen, unter denen fie gefaßt werden, fondern nur um die Beftimmung des Punets, weldyer ber einen derfelben angehört, handelt. Zumal ein weiteres Eingehen auf ben Atomenftreit zurückführen würde, den ich hier ablehne. Denn das Atom tritt dabei ald einfach und abfolut discontinuirlich auf, fonft erhalten wir ftatt Gegenſatzes Tautologie des Rau⸗ mes und der Materie und Alles kommt aus dem Geſchick. Nur vie in jenen Erklärungen mit gegebene Erklärung: des Punctes wird es bier gelten feftzuhalten und zu urgiren. Wie aud der Raum erklärt werde, fo wird der Bunet als das Einfahe im Raume, das Einfahe des Raumes, das räumlich Einfache zu erklären feyn.

Sin gerigneteds Subftantivum als Träger für dad Ads fectivum Einfach zu finden, ohne der Einfachheit widerfpres chende Nebenbedeutungen anzufnüpfen, ift vieleicht nicht ganz leicht, und dann, wie fo oft, die erforderliche Allgemeinheit des Begriffs demſelben ausbrüdli particuläaren Bedeutungen ges genüber zu vindiciren. Auch bie bisherigen Erklärungen. aber bezeichnen den Punet nicht alle fubitantivifch; ich erinnere an die Euklidiſche; und, irre ich nicht, fo läßt fich die Schwierige feit doch heben. |

Nehmen wir Form im allgemeinften Sinne, fo wird jede beftimmte Weife des Seyns, Erſcheinens, Anſchauens, Vorſtel⸗ lens, Denkens, darunter verſtanden; Raum und Zeit ſelbſt werden in dieſem Sinne Exiſtenz⸗ oder Anſchauungsformen genannt, ohne daß man ihnen eine Figur beilegt. Hiernach ſcheint mir dann nichts zu hindern und es nicht einmal dem durch den gemeinen Sprachgebrauch erzogenen Gefuͤhle zu widerſprechen, Punct, Li⸗ nie, Flaͤche, Körperraum als räumliche oder Raumformen unter dem Kormbegriff zu vereinigen, kurz alfo, den Punc eine ein- fache Raumform zu nennen.

Freilich, der gemeinen Vorftelung ſchwebt unter Form vorzugäweife eine Brgränzungsweife und eine Berbin- dungsweiſe vor, Die Form der Kugel begränzt zugleich den

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Inhalt der Kugel und iſt eine Verbindung von Flädenelemen ten unter fih. Vom Punct aber kann man weber die Begräns zung eines Inhaltes noch eine Verbindung von Theilen unter fi) ausfagen. Eben darım muß ausdrücklich auf den allge: meinften Begriff der Form provocirt werben, wenn derſelbe auf den Punct fol Anwendung finden. In fpeciellerem Sinne (in dem auch die Materie der Form vielmehr entgegentritt ale fi) unterordnet) iſt der Punct wie der unendliche Raum ein fchlechthin Formloſes. Uebrigens fteht es immer frei, bei ber Subftantivirung des Einfachheitöbegriffes ftehen zu bleiben, nur daß dann die Erflärung feine Unterordnung bed Punctes unter einen gemeinfamen Begriff mit den übrigen Raumformen biete, wozu ein Bedürfniß jedenfalld befteht.

. Den PBunct ein einfaches Moment de Raumes zu new nen, würde, abgefehen von dem Uneigentlichen, was biefer Aus: bruf in der Uebertragung von ber Zeit auf den Raum hat, biefen Nachtheil der bloßen Subftantivirung des Einfachheitd begriffes theilen.- Denn man würde Linie, Fläche, Körperraum mit dem Puncte nicht wohl unter dem Begriffe von Raummo⸗ menten verbinden Fönnen, ohne das Uneigentliche des Ausdrucks noch mehr zu fteigern. Außerdem verlangt Moment jo gut eine Erflärung als Punct.

Den Punet einen einfachen Raumtheil zu nennen, würde dem mathematifchen Begriffe des Theiled nicht wohl entiprechen, und man daburd in Eonflict mit dem Ariom fommen, daß das Ganze gleich der Summe der Theile fen; denn ein ausgedehnter Raum laͤßt fih nicht ald Summe von Buncten faffen (vergl. meine Atomenlehre S. 136).

Im Wefen trifft die gegebene Erklärung mit der Euflidi- - fhen zufammen; nur daß fe durch die Subflitution des Bes griffed der Einfachheit für den ‚der Untheilbarfeit oder vielmehr des Theilmangeld dem Vorwurfe entgeht, eine blos negative Beſtimmung für den Punct zu geben, wie dadurch, daß fie dad Einfache im Raume fuchen läßt, dem Borwurfe, daß man auch noch Andres als das Raum-Einfache darunter fuchen

eher den Bunct. 173

fönne. Der Begriff der Einfachheit felbit aber an der Spitze der einfachften Erflärungen der Geometrie dürfte mathematifch wie philofophifch unbebenklih feyn. Dazu wird dem Philofo- phen nicht verwehrt feyn, ihm noch zu vertiefen, falls er ſich getraut, dadurch eine Vertiefung der Klarheit zu erzeugen.

So fimpel unfre Definition ift, entſpricht fie doch in ihrer Simplicitaͤt der Natur des Gegenftanded und hiermit den bes fprochenen Bedingungen und Bedürfniffen. Man kann ben Punct danad) im Innern ebenſowol als an der Gränze einer Linie oder eines umfchloffenen Raumes fuchen, ihm die Bedeu⸗ tung der Mitte, des Verbindenden, eben fowohl beilegen, als ber Gränze; ihn eben fowohl eingehend in ein Continuum, als ganz discret für ſich faſſen. Nur felbft ald ein Continuum darf man ihn nicht fafen, und nicht fomohl von einer Continui⸗ tät ded Punctes, als ded Raumes, in den er eingeht, fprechen. Gontinuität ift feine Sache der Einfachheit an ſich.

Man fönnte fragen, ob ber Begriff. des Naumeinfachen ftatt auf den Punct nicht eben fo gut ober vielmehr befier auf das Element, das Differenzial: einer Linie anzuwenden fey. ber ein folches ift nicht abfolut, fondern nur relativ ein Einfaches, Es ift das Einfahfte, was dem Begriff einer Linie noch ent- fpricht; aber in jedem Linienelement muß die mathematifche Bors ftelung Anfang und Ende ald nicht zufammenfallend unter- fcheiden, fonft iſt Feine Erzeugung ber Linie daraus möglich); wogegen der reine, abfolute Bunct nichts in fich unterfcheiden läßt; aber eben bamit auch durch Summirung oder Jurtapo- fition Feine Linie giebt.

Während der Sormbegriff die Unterordnung des Puncted mit allen übrigen Raumformen unter benfelben Begriff vermittelt, läßt der Einfachheitsbegriff ihn ausfchließend allen „übrigen For⸗ - men entgegentreten; indem alle möglichen Raumformen außer dem Puncte ſich unter dem Begriffe der nicht einfachen, fur; zuſammengeſetzten Raumformen vereinigen laffen, d. h. folder, in denen eine Mehrheit unterſcheidbar ift, Durch Tegtere

Erläuterung .bejeitigt man ben Einwand, den man gegen ben

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Ausdruck zufammengefegt machen kann, als laſſe ſich dabei nur an eine wirklich erfolgte Zuſammenfetzung denken. Jeder Ausdruck, der dieſe Erläuterung erſparte, würde willkommen ſeyn; ich wuͤßte meinerſeits keinen einfachern zu finden; es iſt dieß aber nur eben eine Schwierigkeit der Sprache, nicht der Sache.

Die Mehrheit, welche in einer nicht einfachen oder zuſam⸗ mengefesten Raumform unterfheidbar ift, erhält den Namen "Theile in mathematifchem Sinne, werm eine Zufammenfegung der ganzen Form aus ihnen oder eine Zerlegung in fie in ber Vorſtellung und dem darauf fußenden Gedanken vollftändig voll zogen werden kann, ein Act, von dem ich nicht weiß, ob er anders als durch Berufung auf Erfahrung zu charafterifiren ift, Kann jener Vollzug nicht mehr ftattfinden, vermag die Mehrheit durch ihre Zufammenfegung fih nicht mehr zur Erfüllung ber ganzen Form, zu ergänzen; fo tritt fie unter ben Begriff ber Raumform einfadherer Stufe oder Fury einfacheren Raumform feldf.

So ift Fläche nicht ald Theil eines Körperraumes in ma thematijchem Sinne bes Theiles,. fondern nur als bie nächft ein- fachere Raumform, die im und am SKörperraum unterfchieden werben Tann, anzufehen; entiprechend mit Linie gegen Fläche, Punct gegen Linie. in Linien Element ober Differenzial ifl der Fleinftmögliche Theil einer Linie; indem es in feinem Bes griffe jelbft Liegt, daß die ganze Linie aus folchen zufammenge fegt gedacht werden kann; ein Punet ift Fein Theil einer Linie mehr, wenn er ſchon etwas in einer Linie ift; fein Begriff ſelbſt ift mit dem der Linie nicht mehr commenfurabel.

Im obigen mathematifchen Sinne des Theiles wird man mit Recht von der Seele fagen koͤnnen, daß fie feine Theile habe, boch aber ed fraglich finden Fönnen, ob der Begriff ber Einfachheit darauf anwendbar fey, da fi) doch fo vieles in ihr unterfeheiden läßt, und ein Begriff und eine Empfindung in der Seele unftreitig etwas Einfacheres als fie felbft ift, will man nicht die Seele als etwas Abftracted Hinter ihren Begriffen und Empfindungen faflen. In der That fehen wir ſchon an ben

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mathematiichen Formen, daß fich außer Theilen auch noch Ans dred darin unterfcheiden laßt; es fcheint mir aber vielmehr eine Trage der Sprache ald der Sache, ob wir den Begriff der Ein- fachheit blos auf den Mangel an Theilen, ober auch an eins facheren Bormen beziehen wollen.

Die Oränze einer zufanımengefegten Raumform, d. i. wo bie Erfüllung derſelben durch Theile anfängt und aufhört, iſt die naͤchſt einfachere Raumform. Die naͤchſt einfachere, denn nicht triftig Tann man einen Punct die Gränze einer Fläche oder gar, wie ed nom Berf. gefchieht, die Graͤnze einer ums fchloffenen Räumlichfeit nennen, von der er vielmehr blos einen | Graͤnzpunct bildet, und dad blos, wenn er in der Gränze liegt. Der Berf. nennt ihn freilich infofern fo, als der Punct doch die Gränze der Linie, dieſe der Fläche, dieſe der umfchloffenen Räumlichkeit ſey; aber der Diener des Dieners ift deßhalb nicht auch der Diener des Herrn diefed Dieners.

Die zufammengefesten Raumformen find continuirlich, zu- faınmenhängend, oder nicht, je nachdem jeder darin unterfcheids bare beliebig groß oder Flein genommene Theil mit einem antern eine einfachere Raumform gemein hat oder nicht, die erftenfalls den Charakter des DVerbindenden annimmt. Hiergegen befteht fein Hinderniß, nachdem wir die einfacheren Raumformen nicht als bloße Gränzen ver zufammengefegten erklärt haben. Sie find ebenfo Gontinuitätövermittler inwendig, wie Graͤnze aus⸗ wendig, zugleich Gränzen für die Theile, und Vermittler bes Zufammenhanges für dad Ganze. .

Sollte man freilich für Form den gemeinen Begriff unter- legen, fo würde man von discontinuirlichen Formen überhaupt nicht fprechen Tönnen; und jede zufammengefegte Form wäre eine continuirliche. Aber in den allgemeinen Formbegriff, von dem wir ausgegangen, geht Continuität nicht ald Merkmal ein, und die Abtheilung der Raumformen in continuirliche und dis⸗ eontinuirliche wird nothwendig, und entfpricht dem Geifte und Interefie der Mathematif.. Die Hyperbel ift eine discontinuir⸗ Tiche, die Ellipſe eine continuirliche Raumform, beide inbegriffen

176 G. 3. Fechner,

unter der allgemeinen Form der Kegelfchnitte. Die Leinnifcate kann jegt unter der Form einer zufammenhängenden Schleife, jebt unter der Form zweier discreten Kreiſe oder andrer ge fehlofjener Figuren erfcheinen, und bleibt doch immer eine ma thematifch verbundene unter derſelben allgemeinen Gleichung be- griffene Linie. |

Es giebt eine abfolut discontinuirliche Raumform, d. i. die Zuſammenſetzung aus discontinuirlihen Puncten. 8 giebt eine abjolut continuirliche Raumform, d. i. der ganze unendliche Raum. Der Blid in den Himmel giebt und in dem Sternen heer ein Bild der erften, in der unergründlichen Tiefe des Him- meld ein Bild der zweiten, Außerdem giebt ed Raumformen, die in gewiſſem Sinne, innerhalb gewiffer Gränzen ober bis zu einer gewiffen Gränze continuirlih, wie foldhe, die aus bergler- chen unvollftändig continuirlichen Raumformen biscontinuirlid zufammengefegt find u. f. w. Die genauere Begrifföbeftimmung diefer Formen feheint mir nach dem Bisherigen feine erhebliche Schwierigkeit mehr zu haben, gehört aber nicht zu unfrer Auf gabe, nachdem dad Vorige hingereicht haben dürfte, zu zeigen, wie eine fiharfe und are Stellung ber verfchiedenen Raumfor men nad) ihren allgemeinften Verhältniffen gegen einander mög lich if. Sie wird aber nur auf dem Grunde unfrer Definition des Punctes möglich, welche einerfeitS die Zufammenfaffung def felben mit den übrigen Raumformen unter einen _gemeinfamen Begriff, amdrerfeitd die Unterfcheidung von benfelben durch eine differentia specifica, brittens eine Einordnung in den Inhalt derjelben, welche der Unterfcheidung nach Seiten des Umfangs nicht widerftrebt, möglich macht, Wo der Bunct nur ald Graͤnze anderer Raumformen erklärt wird, ift dieß nicht möglich).

Nun hindert ferner nichts, nach felbftftändiger Yeftftellung bes Punctbegriffs den Begriff der Linie, Fläche und des Kir perraums mit Bezug darauf zu beftimmen. Linie ift hiernach eine (unvolftändig oder vollſtändig) continuirlihe Raumform, beren Theile nur Puncte, Fläche eine folche, deren Theile nur Linien, Körperraum eine foldhe, deren Theile nur Flächen

Ueber den Punkt. 177

zur Graͤnze haben. Hier und in diefem Sinne fcheint mir ber Begriff ded nur an feinem Platze; man erlangt dadurch eine ausfchließende Erklärung der betreffenden Raumformen, ohne fie ausfihließend für Gränzen zu erklären *).

Ungeachtet ich mich nicht erinnere, diefen Gang, wonad) man jede zuſammengeſetzte Raumform durch die Begränzungs- weiſe ihrer Theile mittelft der nächft einfachen erflärt, bisher ſchon eingefchlagen gefunden zu haben, halte ich ihn doch für angemefiener, als den gewöhnlichen, der rückwärts Die einfachen Formen durch ihre Beziehung zu den zufammengefeßten erflärt.

Es fcheint mir mit den mathematifchen Raumformen wie ‚mit den chemifchen Stoffen 'zu ſeyn. Man Fan die einfachen Raumformen wie die einfachen chemiſchen Stoffe nicht unmittelbar für fi, fondern mur aus ihren Zufammenfegungen haben; dem:

,

*) Wollte man flatt „nur Linien, "Flächen zur Gränze haben“ ſetzen „nur durch Linien, Flächen begrängt ſeyn“, fo müßte es der Genauigkeit halber mit dem Zuſatze gefchehen: „nur dur Linien einfchließfich ver darin enthaltenen Puncte”, „nur duch Flächen einfchließlih der darin enthaltenen Linien und’ Puncte“; denn unftreitig tragen Linien und Puncte, indem fie in eine Fläche ald Gränze eines Körperraums einge- ben, zu deflen Begränzung bei, wenn fhon nur die Fläche felbft den Be⸗ griff der Gränze des betreffenden Raumes erfüllt.

Auf eine Untriftigfeit aber würde man gerathen, wollte man „ver: bunden ſeyn“ als gleich brauchbar mit „begrängt ſeyn“ in die Definition ſetzen, in Rüdfiht, dag die durch eine einfachere Raumform begrängten Theile ja doch zugleih als dadurch verbunden angefehen werden können. Sn der Ihat würde es falfh feyn, einen Körperraum al8 eine Raunform zu definiren, deren Theile nur durch Flächen verbunden find; denn zwei an ihrer Spiße verbundene Kegel laſſen fich als Theile eines Körpers faſſen, Die nicht duch eine Fläche, fondern durch einen Punct verbunden, wohl aber durch eine Fläche begränzt find. Wir find alfo an die vor- zugsweife Feſthaltung des Begriffes der Gränze in der Definition ges bunden.

Sind die continuirlichen Raumformen endlich, fo folgt aus der Be» gränzungsweife ihrer Endtheile von felbft die entfprechende Begränzungss weife der ganzen Raumformen; wogegen man fie wegen der Möglichkeit, daß fie auch nicht begränzt find, eben fo wenig allgemein durch die Bes gränzungsweife der ganzen Raumform bdefiniren, als den Begriff der ein= facheren Formen auf diefe Begrängyngsweife gründen kann. Wir bleiben alſo an die Begränzungsweife der Theile in der Definition gewiefen.

Zeitſchr. fe Philof. u. phil, Kritik. 33. Band. 12

178 G. Th. Fechner,

gemaͤß ſie auch recht wohl nach ihrer Abſtammung aus dieſen Zuſammenſetzungen bezeichnen, und in gewiſſem Sinne erflären. Aber eine methodifch vorfchreitende Chemie zieht es mit Recht vor, von ben einfacheren chemifchen Stoffen zu den zufammenges fegteren, al8 in umgefehrter Richtung, vorzufchreiten; und wenn fhon fie nicht vergißt, die Gewinnungsweiſe des Sauerftoffd und Waſſerſtoffs aus Waſſer anzuführen, würde fie e8 doch für eine zu befehränfte Erklärung halten, fie nur ald Wafferbeftand: theile zu erklären, wogegen fie feinen Anftand nimmt, Waſſer als eine Zuſammenſetzung berfelden zu erklären.

Wenden wir und nun aber von den zufammengefeßten Raumformen zurüd zum Puncte, mit dem wir ed eigentlich hier allein zu thun haben, um der mathematifchen Unfelbftftändig- feit deſſelben noch von einer andern Seite als biöher zu wis derſprechen.

Ein Punct kann ganz eben ſo gut für fih durch eine Gleichung repräfentirt und feiner ifolirten Lage nad) im Raume vorgeftellt werben, als eine Linie ober Flaͤche. Die befannte Glei⸗ hung für einen ifolirten Punct iſt |

&—-)?+y—b)’+G—0?’=0. Eie erfüllt fi mit einem realen Werthe blos, wenn x=a, y=b, z=c. Sie läßt ſich auch als Gleichung einer unendlid feinen Kugel anfehen, die Niemand ald Gränze einer Linie an fehen wird. Freilich iſt fie doch eine Gränze, nämlich die un- tere Gränze aller möglichen Sugelformen felbft; aber der Bund fol ja auch eine ımtere Gränze der Raumformen feyn; nur nidt wefentlich die Gränze einer andern Raumform innerhalb ber allgemeinen. Zum Raume wird man ihn immer in Beie bung fegen oder denfen müffen, aber nicht zur Linie.

Noch mehr, ed kann nicht blos ein einziger ifolirter Punct durch eine Gleichung vorgeftellt werben, fondern auch jede belies bige Vielheit gegen einander biscontinuirlicher Puncte, indem fie durch das ‘Product der Gleichungen der einzelnen Buncte gege: ben if. Nicht minder kann ein Punct oder eine beliebige Anzahl discreter Puncte in Discontinuität gegen eine Linie

Ueber den Punkt. 179

Flaͤche oder einen umfchlofienen Körperraum, doch in mathema- tiihem Zufammenhange der Entftehung damit, durch eine Glei⸗ chung repraͤſentirt werden.

Gehen nun auch in ſolche Gleichungen die Werthe von Coordinaten, d. h. Linien, ein, ſo ſind doch die Mittel, Etwas nach ſeiner Lage, Groͤße, uͤberhaupt Exiſtenzweiſe zu beſtimmen, nicht mit dieſem Etwas ſelbſt zuſammenzuwerfen, ſonſt muͤßte man auch die Tiegel und Reagentien, mit denen man bie ein⸗ fachen Stoffe der Chemie darftellt, die Gedanfenvermittelungen, durch die man einfache Begriffe findet, zu biefen felbft rechnen. Wie der Tiegel und dad Reagend vom einfachen Stoffe, tritt vielmehr die Vorftellung der Coordinaten von der des Punctes zurüd, nachdem feine Lage dadurch beſtimmt ift.

Wäre der Punct blos als Gränze der Koordinaten anzu- fehen, die ihn beflimmen, fo wäre auch die Linie nur ald Graͤnze der Eoordinaten anzufehen, die fie beftimmen; d. h. bie Linie nur als Gränze von Linien. Hier leuchtet die Abfurbität uns mittelbar ein,

Im Gegentheil aber wird der Punct durch Vermittlung der Coordinaten der obigen Gleichung fo bargeftelt, daß fein Degriff als Begränzung der Linie ausdrücklich ver- neint wird, indem die Continuität deſſelben mit jeder andern Raumform dadurch verneint wird. Sieht man näher zu, fo findet fi, daß die Koordinaten, deren Kreuzungspund die Stelle des Puncted beftimmt, imaginäre Werthe bei jeder größern Länge oder Kürze annehmen, ald der Lage diefed Punctes ent: fpricht, fo daß eben nur ber betreffende Punct als realer Kreu⸗ zungspunct übrigens imaginärer Linien übrig bleibt. Die Glei⸗ hung fagt: imaginire die Koordinaten, behalte aber von biefer ganzen Imagination blos den Kreuzungspunc als real zurüd. Das ift ed, was ich dem Zurüdzichen des Tiegels und der Reagentien, die zur Reindarſtellung eines Stoffes dienten, vergleiche.

Außerdem fann der Anfangspunct der Coordinaten nicht als Graͤnze einer fchon vorgegebenen Linie gefaßt werben.

12*

180 G. Th. Fechner.

Unabhängig von den Coordinaten wird er willkuͤhrlich in den Raum das oder dorthin gefegt, um den Anfang der Eoordina- ten dahin zu verlegen.

Run fagt auh Schaller, der Punct fey nur „Anfang“ oder Ende ber Linie. Aber e8 Ieuchtet ein, daß ich den Punc erft feen muß, ehe ich den Anfang der Coordinaten dahin ver- legen, d.h. damit coincidiren laffen kann, und daß ed mir dann noch frei fteht, es wirklich zu thun oder nicht. Thue ich es nicht, fo ift er nur fein eigner Anfang und Ende. Der Berf. giebt weiter zu: „freilich kann ich auch den Punct allein vor- ftellen; ich kann ihn hierhin und dorthin feßen; eben fo kann ih ihm aber auch wieder fortnehmen die ganze Procedur geht eben in mir vor.“ Nun aber verftche ich nicht, wie, wenn es möglich ift, den Punct in der Vorftelung für ſich hierhin und dorthin zu fegen und wieder fortzunehmen, er doch im ma thematischen WVorftellen, wovon die mathematische Erklärung ab hängt, blos fol als Anfang oder Ende einer Linie geſetzt und wieder fortgenommen werden Fünnen.

In der That brauchte ich dem Verf. hier wie ſchon oben ganz einfach blos mit feinen eigenen Worten zu widerfprechen, wenn es überhaupt blos um einen Widerfpruch gegen denfelben zu thun geweſen; doch glaubte ich, eine etwas gründlichere Aus führung gegen feinen erften kategoriſchen Ausſpruch, der Punct fey nur ald Anfang oder Ende anderer Raumformen faßbar, fönne auch wohl einiges pofitive Intereffe in Anſpruch nehmen,

da der Gegenftand, um den ſich's dabei Handelt, zu denen ges

hört, die der Klarftelung und Feftftelung noch bedürfen. Und follte ich felbft nichts Abſchließendes darüber haben fagen fön- nen, fo mochte doc) der Verſuch einer genaueren Inbetracht⸗ nahme im Rechte feyn, und eine gelegene Anfnüpfung in ber Betrachtung des Verf. finden,

Zuletzt kann fih der Verf. darauf berufen, und thut es wirklich, daß die Sjolation des Punctes doch eben nur in ber Borftellung moͤglich fey, und er in Wirklichfeit immer ‚etwas mit dem übrigen Raume BVerfließended bleibe. Und ba

lieber den Punkt. 18

dieß der eigentliche und wefentliche Ausgangspunet feiner Bes. ftreitung der felbitftändigen Exiſtenz einfacher Atome iſt, war es, dünkt mich, ganz ummöthig, jene erſte Angabe über die mathes matifche Erklärbarfeit ded Punctes, die fich der Natur der Sache nad nur auf das, was im ber Borftel: lung und im Denfen möglich) ift, „begründen fann, vor⸗ anzuftellen, um dann mit der andern Hand zurüdzunehmen, was er mit'der erften gegeben, und ſich in fo mande Widerſprüche zu verwickeln. Dieſe gaben meinem MWiderfpruche Raum, ber Behauptung einer realen Verfließbarkeit bes Punctes mit dem übrigen Raume aber, ober einer Unbeftandfähigfeit deſſelben ohne den übrigen Raum, um bie ed dem Verf. doc) eigentlid) nur zu thun war, vermag ich nicht zu wiberfprechen.

Und in der That nöthigt mich diefelbe zu dem Zugeſtänd⸗ niß, daß Atome an einfachen Raumpuncten nicht ohne Berflies gen biefer Puncte mit dem übrigen Raume Cftrenger, ohne Ein- gehen in den verfließenden Raum) in Wirklichkeit beftchen Fön nen; gerabe fo wie Weltkörper in größeren Räumen nicht ohne Berflicßen diefer Räume mit dem übrigen Raume beftehen koͤn⸗ ‚nen, wenn ſchon fie getrennt von andern Weltförpern beftehen. Es wird mit den Atomen gerade eben fo feyn. Und unftreitig würde die Mathematik, welche das in ber Wirklichkeit verflie⸗ ßende Object doch in der Vorſtellung und im Denken ſondert, etwas ſehr Muͤßiges ſeyn, wenn nicht die Materie etwas zur Erfüllung ihrer ifolivenden Vorſtellungen thäte. Nun vermuthe ich, denn einen Beweis möchte ich nicht darauf gründen, Daß fie die einfachfte Erfüllungsweife durch Erfüllung der Borftellung des Raumeinfachen vorgezogen haben wird. Ich weiß nicht, ob es Mangel an Klarheit von meiner ober von bed Berf. Seite ift, wenn ich aus feiner Betrachtung über die Verfließbars eit des Raumpuncteö feine andre Hare Folgerung zu ziehen weiß.

Ich wollte aber den Streit um die Atomenfrage nicht er— neuern, und fügte die letzte Bemerkung hauptfählih nur bei, um zu zeigen, daß ich die Abficht des Verf. bei feinem Aus- gange von der Punctdefinition wohl verftanden habe, wenn ic)

182 G. Th. Fechner, Ueber den Pund.

aud die Weife, wie fie zur Erreichung dieſer Abficht etwas ber tragen könne, nicht verfiche.

Dabei nehme ich feinen Anftand zu befennen, was man diefer Keinen Abhandlung doch angefehen Haben würde, daß eine wefentliche Beranlaffung dazu die war, durch die Beleuch⸗ tung eines ‘Bunctes in der Abhandlung des Gegners, d. i. eben der Punctfrage, fo weit e8 mir möglich war, einlenchtend zu machen, daß, nachdem fich fo Manches dabei ausſetzen ließ, eine - Behandlung aller übrigen Puncte‘ nicht gar zu dringend wat, und daß fie für eine kurze Abhandlung unmöglich war.

Irre ich nicht, fo ruht das, was der Verf. über den Punci gefagt, nicht auf voller Kenntniß der mathematifchen Sachlage, und ift nicht ganz fo puͤnctlich, „als es bie Betrachtung dei Puncts verlangte. Wogegen ich fo manche mich bemüthigente Aeußerungen bed Verf. über den Eharafter, den Nutzwerth und Erfolg meiner Schrift mit Demuth Hinnehme, gern zugebend, daß fie zur GSicherftellung einer fihern Sache nichts Weſentliches beitragen konnte, und eine ſcharfe Sache feiner Vertretung durd Scharfe Worte bedurfte,

Nun möchte ich mir nur noch zum Schluß ein paar Worte ber Bitte erlauben, nachdem ich felbft e8 etwas genau mit ben Worten meines Gegnerd genommen, er möge ed boch Fünftig jeinerfeid etwas genauer, etwas pünftlicher mit den meinigen nehmen, als ich hier und da finde. So laͤßt mich der Berl, ©. 19 „unaufhörlich die Klarheit und Anfchaulichkeit der Atomi⸗ ſtik ruͤhmen“, indeß ich ſelbſt blos S. 64 meiner Atomenlehte aufzufinden vermag, wo ich dieſen Vorzug derſelben mit auf brüdlichen Worten hervorgehoben habe. Es koͤnnte mich abet natürlich nur freuen, wenn meine Darftellung der Atomiftif fat und anfchaulich genug gewefen ſeyn follte, um ‚den Gindrud eines unaufhörlichen Rühmens diefer Eigenfchaften ber Atomifil bei nicht zu pünctlicher Auffaffung zu machen. So läßt mid det Berf., den Ausdruck deſſelben Vorwurfs durch zwei frühere Geg⸗ ner wohl zu fehonend findend, S. 27 dem Dynamiter „Die tolle Einbildung“ unterlegen, „daß Alles in der Welt nur ein

Roſenkranz, Ueber den veligiöfen Weltproceß ber Gegenwart. 183

eontinuirlicher, d. h. identifcher, in fich geftaltlofer Schlamm ſey“, indeß ich nur finden kann (Atomenlehre Kap. V.), behaup⸗

tet zu haben, daß bie legte Organifation und Gliede-⸗

rung ber Welt für die Anfchauung des Dynamiferd klumpig ober zu einem Klebwerk, d. h. zu ganzen zujammenhängenden Maſſen, zufammengehe, die Unterſcheidung, die Geftaltung aber biefer ganzen Maſſen und Gliederung der Welt darein vom Dy⸗ namifer nicht nur nicht geleugnet, fondern vielmehr als fo ſchoͤn und werthvoll anerfannt ‚werde, baß ed nur befremden fönne, ihre Durchführung bis in's Kleinfle von ihm abgewiefen zu fe hen. Es Tann freilich wieder nicht befremden, wenn bei nicht zu pünctlicher Auffaffung aus der Uebertreibung und dem Ge- gentheil eines Vorwurfes ein Vorwurf gegen diefen felbft erhos ben wird.

Auch den Nichtatomiflifer aber bürfte einige Genauigfeit dem Atomiftifer gegenüber zieren,

Ueber Den religiöfen Weltprocef Der Gegenwart. Bon Karl Roſenkranz. Im Januar 1858.

Mit Recht hat man unfer Zeitalter das ber technifchen Eultur genannt, Wohin wir bliden, wirbelt und ber Raud) von ben Yeuerpyramiden ber Babrifen, von den Locomotiven ber Eifenbahnen, von den Schornfteinen der Dampfichiffe entgegen. Wohin wir bliden, fehen wir bie Telegraphenftangen ben Rüden ber alten Mutter Erde wie einen neuen Kunſtwald überwachfen. Der Blig ift zum gefügigen Boten geworben, ber die Bahn ber Kupferbrähte gedankenſchnell durchfliegt und die verhängnißvollen Zelegramme von Land zu Land trägt, Wohin wir bliden, fes hen wir die Menſchen die Natur mit Gewaltjamfeit zwingen, fi ihren Tendenzen. zu unterwerfen. Viaducte führen ſchwin⸗ delhoch über Häufer und Straßen, über Ströme und Seen,

184 K. Roſenkranz,

Tunnels graben ſich durch die Nacht der Gebirge, hoch oben, tief unten dad moderne Feuerroß hinſchnauben zu laſſen. Land: engen, bie Welttheile mit einander verbinden, werben durch⸗ ftochen und das weftliche Polarmeer erblickt zum erfien Mal an feinen Jahrtauſende hindurch einfamen Geftaben den kuͤhnen Europäer. Wohin wir bliden, fehen wir die Menfchen die Erde nady Kohlen durchwuͤhlen, in deren Lagern fie vorforglid die jungen Riefemvälder verfargte, den Spätlingen ihrer Kinder auf dem entholzten Boden die unentbehrliche PBrometheifche Gabe möglich zu machen, ohne welche feine Eultur denkbar iR, denn

Feuer ift obenan!

Feuer, es hat's gethan,

Schmiedete, rundete Kronen dem Haupt!

Und was will der Menſch mit ſeiner Arbeit? Gold, Gold! Wie Horaz ſchon ſagt, iſt es der verfluchte Hunger nach Gold, der ihn raſtlos umtreibt. Nachdem er die alten Gold⸗ minen in Oftindien, in Spanien, in Guinea und Peru aus gebeutet bat, fehen wir ihn in ven Uralifchen Gebirgen, in dem Ealifornifchen Huͤgellande, in ven kahlen Ebenen Oftauftraliend leidenfchaftlicher ald je nad) Gold fhürfen und graben.

Und das Gold? Iſt es der lebte Zweck? Keineswegs. Es ift nur Mittel zum Genuß. Es ift. die magifche Kraft, bie Alles Hervorzuzaubern vermag, was den Sinnen bed Menfhen ſchmeichelt. Köftliche Stoffe, ihn zu Heiden, funfelnde Ge ſchmeide, ihn zu fehmüden, leckere Speifen, ihn zu nähren, vuf tende Weine, feinen Gaumen. zu Figeln und feine Nerven zu ſpannen, fchöngeformte Geräthe und prachwoll decorirte Zimmer, feine Augen zu weiden, Spiele aller Art, ihn zu zerftreuen, Nymphentänze, ihn in wollüftige Träume zu wiegen das ifl ber ‘Preis des Mühend. Das nennt man vornehm den Realie- mus ded Jahrhunderts,

Aber in diefem Ringen nad) der Herrfchaft über die Ra tur, in diefem Kampf um den Befig, in biefem Drängen. nad) fiimlichem Genuß, Tann der Menfch doch nicht ben‘ Idealismus feines Bewußtfeyns vernichten, ber über die Erde in das Gier:

Ueber den religiofen Weltproceß der Gegenwart. 185

nenall hinausdringt und ihm die Frage vorlegt, ob er, der fterb- liche Menfch, nicht ein Verhältniß zur Ewigkeit habe; ob nicht ein Weſen exiftire, das, frei von der Nothwendigkeit der Natur, fr von dem Proceß der Gefchichte, zu ihm ein abfolutes Vers hältnig habe, worin erft der letzte Zweck feines Daſeyns liege? D. h., die Religion hört nicht auf, den Menfchen daran zu er⸗ innern, daß er nicht blos fie Werkftätten, Fabriken, Eifenbah- nen, Dampfichiffe, Goldgräberei, Börfenagitation, Krieg und Einnengenuß gemacht ift, fondern daß er einer unendlichen Geis fterwelt angehört, die ihre erhabenen Kreile durch den gefammten Kosmos hindurhfchlingt und dem Furzen Verlauf jedes einzelnen Menſchenlebens die Weihe einer unfterblichen Bedeutung ertheilt.

Aber die Religion felber? Wie fteht fie gegenwärtig? Denn, ihrem Inhalt nah) ewig, hat fie Loch ald menschliche Erfcheinung eine Gefchichte, oder vielmehr ift ihre Gefchichte bie Seele der Gefchichte. .

Wenn wir ben religiöfen Weltproceß der Gegenwart bes trachten wollen, jo muß uns zunächft eine eigenthümliche Em— pfindung anmwandeln. Wenden wir nämlich unfer Auge rüd: waͤrts und verfolgen die Gejchichte der Religion -in ihrer alls mäligen Fortbildung, jo ergiebt fi und eine Folge von Geftals ten, in denen wir einen Bortfchritt beobachten fönnen. Bon den Fetifchismus der elementaren Naturreligion ab fönnen wir bie fucceffive Läuterung der Religion bis zum jebigen Chriftenthum verfolgen, das mit Selbftbemußtfeyn ald Weltreligion darauf ausgeht, fich zur Religion der gefammten Menfchheit zu ma- hen. In dem Chriftenthum erfenmen wir daher alle übrigen Religionen, als ideell bereitd überwunden an und vermögen aud), von feinem Stanbpunet aus, und dad Wefen der nichtchrift- lichen beffer zu erblaͤren, als es dieſen felbft möglich if. Sind fie aber ſchon reel überwunden? Schon zweitaufend Jahre exis ftirt das Chriftentbum und noch exiftiren zahllofe Völker im Norden und Süden der Erde, die in der Dumpfheit der magi- hen Naturreligion dahinleben; nod) gilt die moraliftrende Re— ligion ded Kongfutfeu als Staatsreligion ded Chinefifchen Reichs ;

186 K. Roſenkranz,

noch wird der Cultus des Brahma, Wishnu und Shiva in In⸗ dien gefeiert; noch erſcheint Buddha ſeinen Gläubigen in immer neuen Menſchwerdungen; noch beten die Guebern mit verhange— nem Munde zum reinen Feuer des großen Sonnenkoͤnigs; npd erwarten bie Juden den kommenden Meſſias; noch träumt der Muhammedaner von den Freuden des Paradieſes, welche ber Prophet feinen Anhängern verheißen hat.

Die Religionen alfo, die in ihrer Genefid eine fucceffive Reihe bilden, ftellen fich, wenn wir die Erde überfchauen, fimul tan als neben einander exiftirende in einer ähnlichen Weiſe bar, wie aud) die Pflanzen und Thiere, die nad einander entftanden find, jest in dem Nebeneinander ihrer Berbreitung&bezirfe er: feinen. Bon den vielen Millionen Menfchen, die unfer Pla net trägt, gehören einige Millionen, die fich nicht berechnen laſ⸗ fen, dem niedrigften Heidenthum; über dreihumdert Millionen dem Buddhismus; ſechs Millionen dem Judenthum; zwei hun- dert und zwanzig dem Islam und etwa zwei Hundert und ſechs⸗ zig dem Chriftenthbum an.

Mir müflen daher einerfeit8 einen progreffiven Proceß der Religion annehmen, anderfeitd aber anerkennen, daß jeber weltbiftorifche Standpunct der Religion fich zu behaupten fudt. Nah dieſem Gefeg erbliden wir innerhalb des Ehriftenthums felber die Griechifche, Römijche und Germanifch - Proteftantifche Kirche, die fich auseinander entwidelt haben, zugleich als ein Nebeneinander. Schon find es über dreihundert Jahre, daß bie Norddeutſchen fi) vom Papſtthum losgeriſſen, aber noch exiſtirt ber Papſt in ber Siebenhügelftabt. Dennoch ift es undenkbar, daß eine folche Coexiſtenz der verfchiedenen Religionen für im⸗ mer dauern koͤnnte. Dies ift unmöglich, weil die Erde nur eirien ſehr beichränften Schauplag für die Gefchichte darbictet, den wir gegenwärtig bereitd vwollfommen zu überfchauen im Etande find, weil alfo die Völfer und Religionen im- Fortfchritt ber Zeit mit einander in die mannigfaltigfte Berührung gerathen müſſen. So lange die Erde noch nicht überall bewohnt war, Tonnten fie einander ausweichen. Sie fonnten in einem neuen

Ueber den religiöfen Weltpreceß der Gegenwart. 187

Local fi anfieden, und in bemfelben fich nach ihrer. ganzen Eigenthümlichkeit entwideln. Noch öffnet die Erde einige Ge⸗ genden für den Auswanderer, allein bald wird Feine neue. Ferne zu entbeden feyn. Es wirb zu einer Wechſelwirkung aller Völker mit allen kommen müflen. Yür jest find es bie Europäer und die Europäifchen Koloniften in Amerifa, die mit der Verwirk⸗ lichung ber univerfelfen Beziehung auf alle Länder und Völfer bereitö den Anfang gemacht haben.

Menden wir und nun zunächft zur unterftien Stufe reli⸗ giöfer Bildung, zur Naturreligion, fo finden wir noch eine un⸗ geheure Menge Nationen auf dem Boden derfelden. Die dünn- gefäcten Polarvölker, die Rorbamerifanifchtn Prairieindianer, die Brafilianifchen Waldindianer, die Injulaner der Eüpfee, der bei weiten größte Theil’der Afrifanifchen Neger, die Papu⸗ neger auf Neuginea und den umliegenden Eilanden, viele Ma- lafifche und und noch wenig befannte Stämme, wie die Kuli's in dem Innern bed Borberindifchen Dekan und in den Urwäl⸗ bern, welche der Godaweri durchftrömt, alle diefe Millionen find Heiden, Ep groß ber Unterfchied der Race und des Lo⸗ eals bei diefen Stänmen ift, fo ift Doch ihre Religion im Wer fentlichen überall die nämliche. Zauberei, Fetiſchismus, ſchwache mythologifche Formationen, die fich ſchnell verwifchen, Anſaͤtze zur Bildung eined nad) dem Cyflus der Jahreszeiten organiſir⸗ ten Cultus und eines priefterlichen Standes, das find die Ele⸗ mente, die wir unter ben mannigfaltigften Geftaltungen bier überall finden. Ein höheres Bewußtſeyn, welches die Kraft ge- fhichtlicher Erinnerung entwidelte, fehlt noch gänzlidh. Seit Sahrtaufenden haben die Neger Feine Religion hervorgebracht, die über den Fetiſchismus hinausgegangen wäre und durch einen tiefern geiftigen Gehalt und eine allgemeinere Form die Fähige feit bewiefen hätte, aus ber Iocalen Dumpfheit ihrer ephemeren Improvifationen auf andere Nationen übertragen werden zu koͤn⸗ nen. Wenn daher diefe Raturreligionen mit einer hiftorifchen Religion in ein dauerndes Verhältniß treten, jo vermögen fie feinen Widerfland zu leiften. In der Haltlofigfeit ihrer trüben

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188 K. Rofenfranz,

Zuftände finfen fie bald vor der Energie eines bewußten Glaus bens zufammen. Der Buddhismus, ber Islam und ber Chris ſtianismus haben ſich in die Aufgabe der Zerftörung der Ratur:- religionen getheilt; der Buddhismus im centralen Aften und in Hinterindien; der Islam im Afrifanifchen Sudan und auf den Infeln des Indiſchen Meeres; das Ehriftenthum als Griechi⸗ ſches in Sibirien, als proteftantifches in’Nordamerifa und in ber Capkolonie, als Eatholifches in Sibdamerifa, in Nordafrika und auf zerftreuten Puncten der Dceanifchen Infelflur, wo «8 hier und da mit der proteftantifchen Miffton collidirt. Wie ſchnell die Zerftörung folcher Religionen erfolgt, Eönnen wir vor unfern Augen fehen. Auf Neufeeland, auf Dtaheiti, auf den Eandwichinfeln herrfchte noch zu Anfang dieſes Sahrhunderts das vollfommenfte Heidenthum. Wie hat fich Hier Alles vers ändert! Die Sandwidinfeln haben fogar fchon eine Verfaflung nach der Chablone des Englifchen Conftitutionaliömus und bie Hotels in der Hauptftabt Honolulu find gerade fo eingerichtet, wie die-Europäifchen. Sie unterfcheiden fih von ihnen nur de durch, daß fie noch theurer find. Die meiften dieſer Völfer, nas mentlich die Amerifanifchen, ſchwinden in ber Berührung mit der Kaukaſiſchen Race auch Förperlich dahin und nur die Ma laiifchen Stämme, nocd mehr die Neger, zeigen eine größere Ausdauer. Sie find in ihrer Rohheit, trog der ihnen anhaf tenden Woluft und Graufamfeit, für die chriftliche Religion nicht unempfänglih. Amerika hat und eine ausreichende Er⸗ fahrung darüber machen laſſen. Es Ieben dort durchſchnittlich ſechs bis fieben Millionen Neger, die dem Chriſtenthum affimis lirt worden find. Bon Nordamerika find bereits viele freie chrift- liche Neger, als Mifitonare nad Afrifa gegangen und haben bort mit glüdlihem Erfolge gewirkt. Das Bild, welches Mip Harriet Beecher in Onfel Tom’d Hütte von dem. chriftlicyen Dulderfinn eines ſchwarzen Sclaven aufgefielt hat, ift ab lerdings ein romanhaftes, jedoch nicht der Wahrheit ermangeln- bed. Meberhaupt wird Afrifa in den nächſten Jahrhunderten eine ganz neue Nole in ver Weltgefchichte fpielen, fobald es

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Ueber den religtöfen Weltproceß der Gegenwart. 189

gelungen feyn wird, den Sclavenhandel zu vernichten; denn die⸗ fer ift e8 feit jeher gewefen, welcher im Innern des Landes eine ftete Unficherheit ded Dafeyns, eine Gleichgültigfeit des Einzel- nen gegen feine Zukunft und gegen fein Leben, fo wie eine Nicht- achtung und Härte des Menfchen gegen ben Menfchen erzeugt bat, die alle Anfänge der Givilifation fofort wieber zerftören müffen. Die Gewöhnung, in dem Menfchen eine Waare zu erbliden und Menfchenjagden zu veranftalten, fich in ven Ber fiß derfelben zu bringen, muß die Barbarei permanent machen. Die genauen Berichte Barth’8 über die Zuftände im Sudan laf- “fen feinen Zweifel über die nothwendige und wohlthätige Folge zu, welche. die Aufhebung bed Sclavenhandeld haben muß. Die Belhiffung des Quorra⸗ und Benusſtroms aber, die mit eifer- nen Dampfbooten bereitd gelungen ift, hat und die Möglichfeit gezeigt, mit Entjchiedenheit in das Herz des großen Continents einzubringen und Handelöverbindungen anzufnüpfen. Haben die Negervölfer erft begriffen, daß fic Europäifhe Waaren gegen Naturproducte ihres Landes noch ficherer und gewinnreicher, als früher gegen Menfchen, umtaufchen koͤnnen; haben fie erft ges lernt, Die fchüchternen Anfäge zur Induſtrie, die fich bei ihnen felber finden, zu vervollfommen; kann ſich der Aderbau und bie Viehzucht, die jetzt ſchon won fo vielen Stämmen betrieben wer: den, erft dauernd befeftigen und Gerealien und Häute auf den Markt bringen, fo wird ein ungeahnted Leben entftcehen und in unberechenbarer Weife auf die übrigen Eontinente zurückwirken. Die Entwidlung wird bier eine Aethiopifche ſeyn müſſen; denn der Europäer kann in der tropifchen Zone Afrika's nicht aus- dauern und die einheimifche Race nicht, wie in Amerika und in Dceanien, abjorbiren.

Unter Afrika haben wir bier immer dasjenige Land ver- ftanden, welches füblih vom Atlas und den Nubifchen Gebirs gen liegt; denn der Nordrand Afrika's von Aegypten bis Mo- gador gehört ſchon von Alters her der Aftatifch » Europäischen Geſchichte und ift von einem eigenthümlichen Volksſtamme, dem

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ver Berbern, bewohnt, mit welchem die Araber fidh fpäter theil- weiſe vermifcht haben.

Eine ganz andere Phyſiognomie, als Died gefchichtlofe Afrika, bietet Aften dar! Es ift dad Mutterland aller welthis ftorifchen Religionen, Durdy die Scheidung der Völker begrün- dete fich bier fchon früh das Ehinefifche, Indische, Perfifche und Buddhiſtiſche Religionsiyftem. Im fechöten Jahrhundert vor ChHriftus muß durch ganz Aften hin eine tiefgreifende religiöfe Bewegung die Gemüther erfchüttert haben. Es war das zZeits alter der Aftatifchen Reformation. In China war ed ein Phi⸗ Iofoph, Kong⸗fu⸗tſeu, von 551 478, der die Religion refors mirte und fie in derjenigen Geftalt firirte, welche fie noch heut: zutage als Ehinefifche Reichsreligion hat. In Indien war es Buddha, der Königsfohn von Maghada, der dem Thron ent fagte, fi) Jahrelang in das Schweigen der Wüfte begrub und aus ihr als der menfchenfreundliche Held hervortrat, Die Tren⸗ nung ber Kaften aufzuheben, die Religion ded Mitleids, der Entjfagung, der Wiedergeburt zu predigen, Apoftel allwärts Hin auszufenden und Gemeinden zu fliften, in welchen nicht nur alle Stände, fondern auch beide Gefchlechter gleichberechtigt find. Nah einem langen, fegenreichen Xeben ftarb er 543. In Per fin war es Zaharathuftra, der die heroifche Religion ded Kampfs ded reinen und guten Ahuraomazdbao gegen ben unreinen und böfen Agromainyus als einen Kampf ded Lichts und ber Fin fterniß von Neuem organifirte. Bei den Juden wurde unter dem Könige Joſiah, der von 642 611 regierte, das Moſaiſche Geſetzbuch reformirt und von dem “Propheten Esra nach der Babylonifchen Gefangenfchaft in derjenigen Geftalt reftaurirt, in ber wir ed noch befiten. Ja, fo gewaltig. feheint bie relis giöfe Bewegung geweſen zu feyn, daß fie ſelbſt noch in ben Griechiſchen Polytheismus hinübergriff, wenn wir erwägen, daß Bythagorad, der von 584— 527 Iebte und von Samos nach Unteritalien überfiedelte, durch eine mit vielen Orientali- ſchen Elementen verfeßte Socialreform ſich in einen ſolchen Wi⸗ derfpruch mit dem Beftehenden verwidelte, daß er fammt feinen

Meber den religiöfen Weltproceß der Gegenwart. 191

Schülern von den Krotoniaten angegriffen und getöbtet wurde. In derſelben Zeit mußte Xenophaned 536 aus Kolophon in Kleinafien fliehen, weil feine Philoſophie dem polytheiftifchen Glauben feindfelig war und den Anthropomorphismus der Göt- ter verfpottete. Die bloße Gleichzeitigkeit aller diefer Thatfachen - würde zwar ſchon an, fich Höchft merkwürdig feyn, allein fie ift es noch mehr dadurch, daß fie eine gewifle innere Webereinftim- mung verrathen, die Vorftellungen der Gottheit zu entfinnlichen und in bie fittlichen Verhältniſſe eine größere Reinheit und Milde einzuführen.

Bis zu unferm Jahrhundert hin hat ſich nun feit jener Zeit das Chinefifche, Indifhe und Buddhiſtiſche Religionsſyſtem im Wefentlichen al8 dafjelbe erhalten. Nunmehr fehen wir aber, daß in China eine Revolution ausgebrochen ift, die fich feldft für eine Propaganda ded Ehriftentbums hält. Es ift der Kampf der Taipingd gegen die herrſchende Mandſchudynaſtie. Es ift fchwer, ſich eine richtige Vorftelung von ihm zu machen, wenn . wir auch gelehrten Sinologen, wie Profeffor Neumann in Mün- hen, fehr dankenswerthe Aufflärungen darüber fehulden. Ein Factor in diefer Revolution find unftreitig die Chineſiſchen Ehri- ften felber, die nicht ohne Sympathie für fie feyn koͤnnen. Das Ehriftenthum ift in China periodifch unerlaubt oder erlaubt geivefen, jenachdem ed gefährlich fchien oder nicht: Die Chi- neſiſche Staatäreligion ift nämlich an fich gegen alle Religionen infofern tolerant, als fie nicht der Moral widerfprechen, die ih- ren Inhalt ausmacht. Sie ift eine Religion ohne Götter, ohne Mythen, ein Nationalismus, ver feinen andern Eultus, ald den ber Samilienpietät kennt. Daher erflärt fih, daß fowohl ber Buddhismus, ald der Islam, als ber Ehriftianismus, mit ihr fich leicht in Verbindung ſetzen konnten. Wenn aber eine jener Religionen politiiche Bedenfen erregte, fo wurde fie verboten und während einer foldhen ‘Periode jeder Anhänger verfelben Hinge- richtet, gerade wie das Chriſtenthum unter den Römifchen Kai- fern, als religio illicita. Dieſe vielen Hinrichtungen find ver Grund, weshalb in ganz China gegenwärtig faum eine Million

192 8. Rofenfranz,

Chriſten cxiftirt, was bei einem Volk von mehr als dreihundert in ber That wenig genug ift. In der laufenden Periode ift das Ehriftenthum den Chinefen bei Todesftrafe verboten. Der verftorbene Kaifer, Tao-kuang, d. h. der Glanz ber Vernnft, richtete noch in feinen legten Regierungsjahren ein feharfes Epic gegen das Chriftenthum, in welchem er eine ausführliche Kritik beffelben gab und vorzüglich die von Ehriftus erzählten Wunder lächerlich zu machen beitrebt war. Die chriftliche Moral, meinte er, könne nicht beſſer feyn, als die ded großen Philojophen Kong =fustjeu, der Wunderglaube aber, den die Ehriften fir‘ unerläßlich zum Seelenheil erachteten, könne auf die Moralität nur ſchaͤdlich einwirken; fie hätten in der Chinefifchen Gefchichte felbft genug Leute folhen Schlages gehabt, melde das Vol durch Vorgeben von Wunderfraft zu täufchen befliffen geweſen jeyen. Natürlich gilt die Todesftrafe nur für die Chinejtjchen Unterthanen, bie mit dem Uebertritt zum Chriſtenthum ein Staats verbrechen begehen. Die Regierung bat aber auch Europäilde Miffionarien binrichten laffen, namentlich den gefeierten Katho- lifen Perboyre vom Drden des heiligen Lazarus in Canton, ges gen weldied Verfahren die Sranzöftfche Regierung proteflirt hat. ‚Die Chriften leben daher augenblicklich nur ald eine kryptiſche Secte, die dem Kampf der Taipings mit Angft aus ihrer Ver: borgenbeit zufchaut. Es herrſcht aber bei ihnen felbft ein Zwie— fpalt, weil die Eatholifchen und proteftantifchen Mifftonarien fih zur Revolution entgegengefegt verhalten. Diefe ift nänılich von einem Bauernfohn ausgegangen, der durd) proteftantifche Miffto- narien zum Chriftenthum gelangt ift und feine Veberzeugungen vorzüglich aus der Xectüre einer Chinefichen Ueberſetzung des Matthäusevangeliums gefchöpft hat. Die. proteftantifchen Miſ— fionen ftehen daher auf der Seite der Taipings, die Fatholijchen auf der der Regierung; eine Entzweiung, die in den Firchlichen Sournalen der Engländer, welche den biblifchen Proteſtantismus, und der Branzofen, welche den actuofen Katholicidmus vertreten, den heftigften Ausdrud gefunden hat. Ein zweiter Factor der Chinefifchen Revolution ift das Proletariat. Schon feit dem

Ueber den refigiöfen Weltproceß der Gegenwart. 193

Ende des vorigen Jahrhunderts beftehen gerade, wie in Europa, auch in China geheime Gejellfchaften, welche dad Proletariat gegen bie Befitenden zu revolutioniren ftreben. Die Chineſiſche Regierung fuchte fie zwar durch blutige Verfolgung auszurotten, vermochte jedoch ihre Wurzeln nicht zu vertilgen und drängte fie über die Grenzen des Reichs in die Nachbarländer, von wo fie fortwährend thätig blieben. Unter dieſen Geſellſchaften ift die communiftifche Propaganda der Tien⸗ti⸗hoci, die in ben Zeitungen gewöhnlich die Zriadgefellfchaft genannt wird, am beften .organifirt. Da nun das biblifche Chriſtenthum eine Res ligion der Armen und Elenden, der Gedrüdten und Verworfe⸗ nen ift, da es die Verachtung des Reichthums lehrt und die Weggabe deſſelben an die Dürftigen fordert, fo ift begreiflich, daß das Ehinefifche Proletariat von diefer Seite her den Tai⸗ pings, die einen Zuftand der Gleichheit des Genuſſes herftellen wollen, Vorſchub Teiftet. Hieraus wird die lange Dauer des Kampfes erflärlih; denn während die Beflslofen den Taipings zuftrömen, find die Befigenden ihnen abgeneigt, Die Regierung behält daher eine große Stärfe trog ihrer anfehnlichen Verluſte und troß der erfolgten Einnahme und Behauptung Nanfinge durch die Rebellen. Ein dritter Factor der Chinefifchen Re⸗ volution ift der Gegenſatz der Chincfiihen Nationalität gegen die Mandfchubynaftie. Der Stifter und Führer der Taipings it ein Achter Chinefe. Obwohl aus niedrigem Herkommen würde ihn Died nicht Kindern, den Thron einzunehmen, denn die Ehinefifche Gefchichte ift reich an folchen Analogien. Da aber die Chineſtſche Nationalität mit den Fanonifchen Inftitutios nen des Kong fustieu auf dad Engfte verwachfen ift, fo ift, bei allem noch vorhandenen Haß gegen die Tartaren, dies Ferment doch viel ſchwaͤcher, als man erwarten ſollte. Ein vierter Factor ift endlich die fpecififche Geftalt, welche dad Chriftenthum in der Religion ber Taipingd angenommen hat. Sie muß un- fer höchftes Intereffe in Anfpruch nehmen, weil fie alle Erfcheis nungen entwidelt, die wir bei Gründung von Religionen aus

ber Geſchichte als mythifche zu vernehmen gewohnt find und die Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 33. Band. 13

194 K. Roſenkranz,

hier vor unfern Augen in einem ſonſt ber Proſa jo ſehr huldi⸗ genden Lande auftreten. Der Stifter der Taipings hält fid nämlid für den zweiten Sohn Gottes, ver berufen ift, das Wert des eriten Chriſtus zu vollenden. Er Iebt in efftatifchen Zu ftänden. Er genießt in der Form von Infpirationen und Viſio⸗ nen einer continuiclichen Offenbarung. Da die Chinefen bie Breffe kennen, fo find fchon viele dieſer feltfamen Manifeftatio- nen durch den Druck verbreitet und auch nad) Europa gefom- men. Wenn wir gerecht ſeyn wollen, jo müffen wir, glaube ih, in diefen grotesfen Theophanien die Vorſchule anerkennen, welche der Ehineflfche Verftand durchzumachen Hat, ſich bie Grundbeftimmungen des Chriſtenthums anzueignen. Man be benfe, was es fagen will, von einer mehr als viertaufendiähr gen Eultur ſich Ioszureißen und in einer einfylbigen Wurzel⸗ fprache, welche die Außerfien Schwierigfeiten darbietet, den chriſt⸗ lichen Ideen einen genügenden Ausdruck zu fehaffen. Dieſer große Schritt ift num aber gefchehen. Es find nicht mehr roth⸗

haarige Barbaren, welche das Ehriftenthum lehren. Es find‘

geborene Ehinefen, welche daſſelbe nationalifiten, welche dafjelde zum Princip einer großen focialen Reform machen und auf Schlachtfeldern wie auf Richiftätten zu Tauſenden ihr Blut dr für vergießen, Werden die Taipings fiegen? Es ift nicht wahrfcheintih. Die Chineſiſche Regierung wird zulegt Herin beö Landes bleiben, zumal wenn fie, mie fie jegt beabfichtigen ſoll, die Refervecavallerie der tributären Mongolen in den Kampf führte. Wird aber nichts durch denfelben für den Fortſchritt Chi na's gewonnen ſeyn? Etwas allerdings. Die innere Zerrüt- tung Ehina’d wird unendlich gewachfen ſeyn. Mit ihr wird aber auch die Empfänglichfeit für das wirkliche Chriſtenthum und für die Europälfche Civiliſation wachen; denn beide fünnen nach Außen bin fo tief eingelebten Denfweifen und Sitten ges genüber zunächft immer nur zerftörend wirken.

Nur ald zerftörend kann vorerft bie Chriſtlich- » Europäifche Herrſchaft auch in Indien auftreten, obwohl es ganz anbere Bedingungen, als China, barbietet, ja zu ihm ben. färfften benl-

Ueber den religiöſen Weltprocch der Gegenwart. 1%

baren Gegenfag ausmacht. In China find alle Bürger des himmliſchen Reichs einander vollfommen gleih. Es herricht unbedingte Freizügigkeit und Gewerbefreiheit. Das Beftehen der gefeglich angeordneten Prüfungen ermöglicht Jedem, fich den Meg auch zu den höchſten Staatsämtern zu bahnen, die Jedem offen ſtehen. Es exiftirt, mit einziger Ausnahme der Familie des Rong-fustfeu und ber jedesinaligen Faiferlichen Dynaftie, fein Erbadel und eine Unterorbnung nur nad) ber Function, die Jemand gerade befleidet. Alle Chinefen lernen lefen und ſchrei⸗ ben und ber Buchbrud wird ſeit Iahrhunderten geübt. Eine revolutionäre Bewegung kann daher Leicht allgemein werben. Wie ganz anders in Indien! Hier fohmiedet die Unerbittlichfeit ber Geburt jeden Hindus fofort in das Joch feiner Kafte, bie er nie, bis zum legten Athemzug, verlaffen kann, die ihn mit einer Kette der peinlichiten und kleinlichſten Rücfichten einengt, die ihm im Schlafen- und Wachen, im Gehen und Stehen, im Efien und Trinken beftimmt. Indien ift mehrfach erorbert wor- ben, aber die Kaften .find geblieben und haben fih nur um fo fchroffer gegen einander abgefchloffen. Innerhalb des militäri- ſchen und eivilen Dienftes abftrahirt der Hindus, was gefeglich erlaubt ift, von dem religiöfen Geremoniel, wie er dies auch auf den Eijenbahnen zu thun gezwungen ift, in deren Waggons alle Kaften fich vertragen müffen; außerhalb eines ſolchen Schickſals aber tritt die. pünctlichite Beobachtung der alten Riten ein. Daß fo viele Brahmanen im Heerdienft angetroffen werden, bat feis nen Grund in der Befugniß der höhern Kafte, diejenigen Ge- fehäfte der untern verrichten zu dürfen, die mit ihrem Charakter nicht unverträglich find. Der ‘Briefter kann Soldat oder Kaufe mann und der Soldat Tann Kaufmann werden, ohne feine Kafte zu verleten. Das Umgekehrte ift nicht geftattet. Da nun in ber Provinz Bengalen die Kriegerlafte in dem Kampf gegen bie Eroberer faft ganz ausgetilgt, bie Priefterfafte Hingegen außer- ordentlic, zahlreich geblieben ift, fo erflärt ſich das häufige Vor- fommen von Brahmanen unter den Sipahi's. Sie dienen meiſt in der Infanterie, denn die Sipahi's der Cavallerie beftehen zuw 13 *

1% 8. Roſenkranz,

größten Theil aus Muhammebanern ald Nachkommen der Mon⸗ golen und Perfer, bie Indien früher erobert haben. Aus ber Trennung des Volls in. Kaften begreift fih, daß in Inbien ein Krieg, der nicht gegen dies Princip felber gerichtet ift, ſeht fchwer einen nationalen Charafter gewinnen und eine allgemeine Begeifterung. hervorrufen Tann. Die verfchiedenften Croberer haben ſich daher des Landes leicht bemächtigen Fönnen, weil die Kriegführung nicht allgemeine Pflicht, fondern Sache einer zu ihr bevorrechteten Kafte ift, der die übrigen Kaften gleichfam zus ſehen. Es begreift fi) daraus auch, daß die Organifation ber Indischen Gemeinden nach den Borfchriften der Veen und bed Manu feit Jahrtaufenden fih gleich bleibt und daß mitten im Kriege, wie wir auch jett wieder erlebt haben, die Steuern ohne Schwierigkeit eingehen. Aber eben daher begreift ſich auch, daß die Eroberer dad Leben ded Hindus fo ſchwer im Innern uns zumandeln vermögen und daß fie felber nur als eine verworfen Kaſte gelten; mit welcher der Eingeborene ſich nur nothge drungen berührt.

Der jetzige Krieg in Indien bat keinen religiöfen Charal⸗ ter. Er follte die Britifche Herrſchaft zerftören und bie ber Muhammebaner wieder herftellen. Delhi war daher in der That dad Centrum der Empörung und Nena Sahib, dad Haupt ber Sndilchen Partei, nur eine Nebenerfcheinung. Die Patronen, welche durch Schweinefett den Glauben des Muhammedanifchen, durch Rinderfett den des Hinduftanifchen Sipahi's verlegt haben follen, waren nur ein Außerliches Motiv, die Maſſen in Bewer gung zu fegen. Die Sipahi's haben ſich nicht gefcheut, mit eben dieſen glaubensgefährlichen Patronen auf die Englänter zu Ihißen.

Die Herrfchaft der Engländer wird aus ber Dämpfung diefer Militairmeuterei befeftigt hervorgehen. In religiöfer Hin ficht wird durch fie nichts verändert werden. Bon Außen her aber mit Gewalt ift nichts auszurichten. Die Sipahi's, bie vor die Mündungen der Kanonen gebunden und mit zerfchmet- terten Gliedern fortgeblafen wurben, ftarben furchtlos, todes⸗

Ueber den religioͤſen Weltproceß der Gegenwart. 197

mutbig, Die tiefer blickenden Engländer haben fehr wohl er⸗ fannt, daß die Reform der Hindus an den Verfall felbft ans knüpfen müfje, ber in ihrem eigenen Innern vorgeht. Ein ro; bed, an Anzahl nicht übergroßes Wolf, wie die Sachſen, Tonnte Karl der Große mit Gewalt aͤußerlich chriftianifiren. Ein os bes, an Anzahl nicht übergroßes Volk, wie die Preußen, fonn- ten die Kreuzritter mit Gewalt’ äußerlich chriftianiftren, wenn auch beide Befehrungen dem Geift der Liebe, der der Geift des Ehriftentbums ift, widerfprachen. Aber ein gebildetes, altge- fchichtliches Wolf von hundert und funfzig Millionen läßt ſich durch die Waffen zum chriftlichen Glauben nicht terrorifiren. Wenn Waffengewalt und Tyrannei etwas über die Hindus ver⸗ möchte, jo würden fie ſchon ſaͤmmtlich Muhammedaner ſeyn müj- fen, ba ber Islam ed nicht an Grauſamkeit gegen fie bat feh⸗ len laſſen. Und doch haben fie vom Islam nur einige Sitten angenommen, wie die Abfperrung der Frauen in einem Harem. Die Engländer haben daher die Ueberzeugung gewonneft, daß ber Fortſchritt der religiöfen Bildung ber Hindus durch die Er- fenntniß ber Unhaltbarfeit ihres Glaubens von ihrem eigenen Innern aus zu machen fey. Sie ftügen die Ausſicht für einen folhen auf die Gefchichte, welche die Indiſche Religion biöher durchlaufen hat und aus welcher hervorgeht, daß fie in ben Möglichkeiten, die fie ald probuctive im fich fehließt, ſich er- fhöpft hat. Bramismus, Wishnuismus, Shivaismus und eine Menge von Secten und philofophifchen Schulen haben ben Glauben nach allen Richtungen Hin zerfegt. Die Reform des Buddhismus ift zwar in einer blutigen Verfolgung deſſelben von Borderindien ausgeftoßen. Der Wishnuismus hat Buddha in’ die Zahl der Incarnationen Wishnu's aufgenommen und bie ver- fchiedenen Confeſſionen des Brahmanifchen Syftems find die als fein heirfchende Kirche geworden, mit Ausnahme vieler Wald - und Bergvölfer des Defan, die wir, als die ſchwarzen Urein- wohner Vorderindiens, unter dem Collectionamen der Kuli's zuſammenfaſſen; denn dieſe befinden ſich oft noch auf den nies drigften Stufen ver Naturreligion und bringen fogar noch jetzt

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Menfchenopfer dar, welche die Englifche Herrfchaft 3. B. kaum in der öftlihen Landfchaft Oriffa zu unterbrüden vermocht hat. Der: inmere Verfall der Inbifchen Kirche erfcheint, wie immer, in ben Extremen des finfterften Aberglaubens und bes Eritifchen Zweifelde. Aus jenem ift unter Anderm bie berüchtigte Sec ber Thuggs oder Phanfigars, d. b. der Würger hervorgegangen, die ihren Mord und Raub ala einen Eultus ber Todesgoͤttin Bhavani betrieb, durch ganz Indien ald Geheimgefellfchaft ver- zweigt war und von den Engländern nur langſam und mühſam vernichtet werben konnte. Auf der ffeptifchen Seite jehen wir Reformverfuche, wie die von Nanaf Guru, ber die Secte ber Sikhs ftiftete, die einen eigenen Staat begründete; wie die Coali⸗ tion des Muhammedanifchen Monotheisinus mit dem Indiſchen Pantheismus, welche der große Kaifer Akbar von Delhi, be 1605 ftarb, anftrebte; wie bie Fortbildung des Indifchen Pan⸗ theismus zu einem rationaliftifchen Deismus, die in- unferm Sahrhandert das Werk des edlen Rammon Nhoy war, ber fi deshalb eine Zeitlang aud in London und Paris aufhielt, Ta nun die bisherigen Mifftonen der chriftlichen Kirche trog ber großen auf fie verwendeten Koften und Anftrengungen mit eins ziger Ausnahme der Infel Ceylon fo gut als gar feinen Erfolg gehabt Haben, fo iſt die Engliſche Miffion auf ben richtigen Gedanken gekommen, einen Breis für eine Schrift auszufegen, in welcher die Irrthuͤmer ber Indifchen, fpeculativ im hödhften Grade durchgebildeten Theologie widerlegt würden, um bie Or— thodorie und Hierarchie der Brahmanifchen Kirche von Innen aus zu zeritören. Eine foldhe Schrift würde dann das unent⸗ behrliche Handbuch für einen jeden Indiſchen Sendboten werben, Auch gegen dad britte der großen Aftatifchen Religions⸗ föfteme, gegen dad Buddhiſtiſche, kann fih die Chriſtlich Eure paͤiſche Civiliſation zunächft nur zerftörend verhalten. Dies Sy ſtem ift befanntlich eine nothwenbige Confequenz ber Brahmanis ſchen Orthodoxie felber. Es macht den Kern ihrer fpeculativen Theologie und ihrer höhern Askeſe aus. Es ift ein pantheiftifcher Nihilisnus, der alle negativen Tugenden, Die auf Entweltlichung

Ueber den religtöfen Weliproceß der Gegenwart. 199

des Seyns, auf Selbſtbeherrſchung, auf Enthaltiamfeit, auf Duldimg beruhen, im Außerften Stade befitt. Die Welt tft für ihn werthlos. Sie iſt das Sanfara, d. h. ber unendliche Kreislauf des Werdens der einzelnen Erfcheinungen, die aus dem Nichts als eine Taͤuſchung entfpringen, um wieder in das Nichts zu verſchwinden, wie die Waſſerblaſe auftaucht, zu zerplaten. Das wahre Seyn iſt der Akosmismus, die Weltlofigkeit, das Nichtſeyn des einzelnen Dafeyns ; denn das DVereinzeltfeyn, das Selbftfeyn, Fürfichfenn, Ichſeyn iſt die Dual der erfcheinenden Eriftenz. Dem Sanfara ift daher das Nirvana, das Austöfchen bed individuellen Dafeyns, entgegengefeht. Köppen in feinem vorirefflihen Werk über die Religion des Buddha jagt daher: „Im Sanfära ift Entftehen und Vergehen, Wanbern und Bes wegung, Bülle und Mannigfaltigfeit, Zufammenfegüng und In- bividualität; im Nirwana Ruhe und Stile, Einheit, Einfach- heit und Leerheit; in jenem Geburt, Krankheit, Alter- und Top, Sünde und Schmerz, Tugend und Lafter, Verdienft und Schuld, in diefem völlige Löfung von allen jenen Bebingungen und Be flimmungen. Nirwana ift das Ufer ber Rettung, das dem im Strom des Sanfara Ertrinfenden winkt; Nirvana ift der fichere Port, dem die Welen aus dem Deean der Schmerzen zuſteuern; Nirvana iſt die Freiftätte, welche dich aufnimmt, wenn du dem Kerker der Exiftenz entfprungen bift und die Feſſeln des Kreis⸗ laufs gefprengt haſt; Nirvana heißt die Arznei, die alle Leiden hebt und alle Krankheiten heilt; Nirvana ift das Waffer, wel⸗ ches den Durſt des Verlangens ſtillt und das Feuer ber Erb⸗ fünde löſcht“ u. |. w.

In ſolchen und aͤhnlichen Beſchreibungen bemüht ſich der Buddhismus, die definitive Befreiung im Jenſeits des Nirvana zu ſchildern. Es iſt der Tod, dem keine Wiedergeburt folgt und durch welchen es mit allem Elend des Daſeyns, weil mit dem Daſeyn ſelber, ein Ende hat. Eine Religion, die von einer fo unendlichen, aufrichtigen Sehnſucht nad) Selbſtentäußerung durchdrungen iſt, mußte zahlloſe Moͤnchs⸗ und Nonnenflöfter und einen mächtigen Klerus hervorbringen, weil dad Geſchaͤft

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20 | 8. Rofenfranz,

ber Heiligung eigentlic) das einzige ift, bad jeder Menſch be treiben ſollte. Schoͤngeſchmückte Kirchen, die mit Glockentoͤnen oder weitfchallenden HYongs zur Andacht rufen; Bilder und Star tuen Buddha's, der Götter und Heiligen; Föftlihe in Karben und Goldftidereien glänzende Drnate, Reliquien und Wallfahrs ten, wohlduftende Weihrauchwolfen, Gefänge und Litaneien, Rofenfränze, Gebetmühlen u. |. w. find daher im Buddhismus zu Haufe. Seine Gefchichte hat fi) in dogmatiſchen und lir turgifchen Streitigfeiten, die auf Synoden und oͤkumeniſchen Concilien entfchieden werden, und im Kampf ber Prieſterpar⸗ teien und geiftlichen Orden, als ein vollfommened Gegenbild ber Gefchichte der chriftlichen Kirche entwidelt. Jm Innern ift jedoch ein großer Unterfchied. Vom Gefühl des Elends, ber Sündhaftigkeit und Erlöfungsbebürftigfeit tief ergriffen, int biefe Neligion darin, baß fie das Dafeyn an fih ald das Re jultat einer Schuld betrachtet, von der man fi) nur durch bie paflive Tapferkeit des Duldens, durch die Flucht aus Dem Das ſeyn befreien könne. Sie hat die Trennung ber Kaſten aufge hoben; fie hat alle Menfchen berufen, fich als Brüder qnzuer« fennen und zu lieben; fie hat das Schidfal des Einzelnen al ein Product feiner Freiheit erkannt; fie bat bie ceremonielle Werfpeiligfeit in die Reinheit und Innigfeit einer Tiebevollen Gefinnung aufgelöft; fie hat den bürren Nationalismus ber Chinefifchen Nation mit frifchen-religiöfen Trieben durchpflangt, die "wilden Mongolifchen Horden Mittelafiend gezaͤhmt und feine friegöluftigen Neiterwölfer, den Schreden des Eurspäifchen Mits telalters, gefittigt; fie hat die barbarifchen Hirtenftämme in ben Alpenthälern Tibets, des Katfchinfehinga, des Nanfchi, des Kuͤen⸗ 2ien, zu mildgefinnten, freundlichen Menfchen umgewandelt, ein nicht genug anzuerkennendes Verdienſt; aber fie hat auch dad Affirmative im Leben und in ber Welt verfannt und die Kraft des Willens in das Leere hingewendet. Weil fie das Nichtſeyn als das letzte Ziel hinftellt, bei welchem die Seele in der Reihe ihrer Umgeburten endlich anlangen fol, fo durchweht fie das ganze Leben mit dem Schauer ded Todes, zehrt dad Mark aus

ueber den religiöſen Weltproceß der Gegenwart. 201

den Knochen, erzeugt ein falſches Mitleid mit der Thierwelt und eroͤffnet eben durch das Dogma von ber Seelenwanderung dem Aberglauben ein weites Feld. Der politiſche Despotismus findet daher in ihr diejenige Religion, die ihm die Maſſenherr⸗ {haft aim bequemften macht; denn fie ift durch ihre Leidenschaft für dad ftile Ertragen alles Elends principiel die Gegnerin aller revolutionären Oppofttion gegen den Drud der Tyrannei. Glüdlicherweife übt die menfchliche Natur gegen die extremen Eonfequenzen des Buddhismus eine gefunde Reaction. Sie cor⸗ rigirt, wie überall, durch die praftifche Inconfequenz, die vom Bedürfnig hervorgezwungen wird, die Fehler der Theorie. Wo man in Buddhiſtiſchen Ländern geht, erblidt man auf Monus menten, auf jeden Meilenftein der Straßen, auf allen Fahnen ber Broceflionen und vernimmt man aus Aller Mund die Fors mel: Om mani padme nun! Wörtlicy heißt died: O du Foft- barer Schag im Lotos! Amen. Die auf tem Waſſer fchwims mende Lotosblüthe ift das Bild Buddha's. Dem Einne nad bedeuten daher jene Worte: O möchte, ich die Vollkommenheit erlangen und in Buddha aufgehn! Amen. Diefer pantheiftifche Quietismus als ein Nihilismus bes einzelnen Geiſtes ift ber Kern des bubdhiftifchen Glaubens, der noch eine lange Dauer haben wird und zu welchem fih ja fogar ein Deutfcher Philos foph, Arthur Schopenhauer, ald zur einzig wahren Religion bes tennt, obwohl man noch nidyt vernommen, daß er mit ihren praftifchen Conſequenzen Ernft gemacht, den Comfort unjerer Lebensweiſe aufgegeben und die Wuth feiner Leidenfchaften ges gen Andersdenkende bemeiftert hätte, Der Buddhismus fcheint auch darum unüberwinblich, weil er. toleranter ald alle andern Religionen tft, die chriftliche nicht ausgenommen. Was Tann in dieſer Hinficht merfwürbiger ſeyn, als die Antwort, welde ber jebige Regent in Laſſa, der Hauptſtadt Tibets, den Franzoͤ⸗ fiihen Mifftonaren Huc und abet, ertheilte! Er behauptete bie weientliche Uebereinftimmung ver Grundwahrheiten der chrift lichen und buddhiſtiſchen Religion und fagte: „Eigennt dar auf an, zu willen, welche die wahre iſt. Wir wollen fie beibe

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richtig und aufmerkſam prüfen. Iſt Eure bie befiere, fo nehmen wir fie an, benn wie könnten wır uns deſſen weigern? Ergiebt ſich aber unfere als die befiere, fo werdet Ihr fo verfländig feyn und Euch zu ihr befennen.“

Menden wir und nun von ben ethnifchen Religionen zu ben monotheiftifchen, zur Süpifchen und Muhanmebanifchen, fo müffen wir auch diefen Religionen, wie der Bubphiftifchen, noch eine lange Dauer zugeftehen, weil der Glaube an bie Einheit eines überweltlichen Gottes ein rationelles Princip ift, bem ald folhem nur der Atheismus und die Unteligion entgegengejeht werden kann, da er, wie der Islam in der Perſiſchen Secte ber Sofi's zeigt, den Pantheismus fehr wohl mit ſich zu verſchmel⸗ zen vermag. Die Juden find fest burch alle Völfer über das ganze Rund der Erde zerftreut. Sie leben in allen Zonen un ter allen Racen und fprechen alle Sprachen. Sie find ein kos⸗ mopolitifches Volk geroorden. Als Theofraten bleiben fie durch

den Gehorfam gegen das Mofaifche Geſetz und beffen Talmudi-⸗

ſche Erweiterung eine eigenthümliche Nation, obwohl fie feinen Staat ausmachen. Nur als Individuen oder Gemeinden Fönnen fie mit andern Religionen in Conflict treten. Sie felbft Tonnen feine Kriege führen, eine Eroberungen machen, feine Kolonien anlegen, feine Hanbelöverträge fchließen. Indem fie aber mi ben übrigen Nationen fich überall hin verbreiten, betrachten fe diefe Ubiquität als eine Vorbereitung für bie Zeit, in melde der Meſſtas kommen und alle Völker unter feiner Herrfchaft ver einigen wird. Weil fie das chriftliche Dogma von ber Gotis menfchheit Chrifti für einen Widerfpruch mit dem Begriff ber wahrhaften Einheit Gottes halten, fo glauben fie an eine ein flige Zurüdbildung des Chriſtenthums in das Judenthum, wenn die Erfcheinung des wirklichen Meffind die Chriften von ihrem Irrthum überzeugt haben wird. ihrer welthiftorifchen Stellung nach müffen. wir fie daher für ein Außerft wohlthätiges Ferment innerhalb des Chriftenthums halten, dem es die Religion, aus welcher e&yagelber eniftanden, unaufhoͤrlich vergegenmwärtigt und dadurch einen heilſamen Fritifchen Neiz in ihm unterhält. Durch

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Ueber den refigidfen Weltproceh der Gegenwart. 2037

bie bürgerliche und politiſche Emancipatfon der Juden iſt dieſem theoretifchen Proceß alles Finftere und Gchäffige genommen, das ihm früherhin anklebte, Juͤdiſche und Chriftliche Gelehrte wirfen jest für die Erforfchung des Jüdiſchen Alterthumd und für die Auslegung feiner Schriften in freundfchaftlichem Wette eifer zufammen.

Anders verhält fi der Islam als die Religion des Se mitifchen Wüftenbewohners, bie mit dem egoiftifchen Anfpruch auf Sinnengenuß und mit dem trügerifchen auf Alleinherrjchaft auftritt. Als Religion ift er für den Berftand ber einfachfte und faßlichfte Glaube, der auch die allgemeinften Grundlagen eines fittlichen Lebens enthält. Uber zugleich fchmeichelt er der Zrägheit durch feinen Fatalismus, der Herrfchfucht durch die Aufforderung zum Waffenkampf gegen bie Ungläubigen, ber Sinnlichfeit durch die Ausficht auf die wollüftigen Freuden des Paradieſes. Für das Naturel der Völker der tropifchen Zone ift er Daher eine claffifche Religion. Der abenteuernde Bebuine wird aus eigenem Antrieb nie einer andern bedürfen und in ber ganzen tropifchen Zune wird der Islam, weil er die Biehweiberei geftattet, vor dem Chriſtenthum ſtets ein großes Voraus haben, wie feine Propaganda in Afrika überall gezeigt hat, Dadurch, daß er Muhammed auf die Schultern von Abraham und Mo⸗ ſes, David und Jeſus ftellt, nimmt er die Miene der Weberles genheit über das Judenthum und Chriftenthum an. Cr ift übris gend regfamer und elaftifcher, ald man ſich oft vorftelt und zahlt unendlich viele Secten, von denen vier als orthodox aner= kannt find. Durch die Vergleihung der empirifchen Zuftände mit ber Norm des Koran befigt er ein Fritifches Element, aus welchem oftmals Reformatoren aufgeftanden find, Die, lebte große veformatorifche Bewegung feit dem Anfang unferes Jahr hunderts war bie der Wechabiten, Sie richtete fich gegen bie Verehrung der Grabflätten und Reliquien der Heiligen und wollte ben Cultus mit puritaniſcher Strenge reinigen. Ihre Anhänger wurden zuletzt in Syrien fammtlid niedergehauen, aber in Afrika, wie wir aus Barth's Mittheilungen entnehmen,

204 8. Rofenfranz,

zahlt diefe Richtung noch viele Bekenner. Nach Außen hin be ficht das Charakteriftiiche in der Stellung des Islam zum Ehris ftentbum wohl darin, daß der Krieg zwifchen beiden ein Religi⸗ ondfrieg zu ſeyn aufgehört hat. Zwar der Islam ift noch im mer dazu geneigt und gegen die heidniichen Neger in Afrifa führt er in der That auch noch einen wirklichen Glaubenskampf, ber bie Befchrung der Voͤlker zum Islam ſich zum Zweck macht. Aber den- riftlichen Völfern gegenüber hat fid) dad Verhältniß dadurch geändert, daß biefe gegen ihn nicht mehr aus religiöfen Motiven Krieg führen. Die Sranzofen haben Algier nicht aus hriftlichem Intereſſe erobert. Abdelkader wollte zwar feinerfeits ben Krieg gegen fie zu einem heiligen entflammen; da jebod die Franzoſen ohne allen religiöfen Fanatismus bie Eroberung und Givilifation des Landes betrieben, fo gelang es ihm nid. Die Bedingung dazu wäre wie zu den Zeiten der Kreugzüge die geweien, daß die Branzofen ebenfall® einen heiligen Krieg hätten führen und in Mauren und Kabylen nicht vor allen Dingen einfach Menfchen, fondern Ungläubige hätten fehen wollen, Es gelang umgefehrt Rußland eben fo wenig, ben Krieg gegen bie Türfei zu einem heiligen. zu ftempeln. England und Frankreich erfannten ſehr wohl die politifchen Motive Rußlands und unters ftüßten deshalb die Muhammebdanifche Pforte, nidyt aus einem unchriftlichen Sntereffe für den Islam, fondern ebenfalld aus lediglich politifchen Gründen.

Dies ift ein außerordentlicher Fortſchritt der Civiliſation, welche die Furie des Religiondfrieged ald das größte Unglüd verabfcheut, weil fie mit Recht will, daß jedem Menfchen bie Sreiheit ded Glaubens und Gewiſſens gewährt werde. Zuwei⸗ fen vernehmen wir freilich noch Stimmen eines fanatifchen Hal jed auch von Chriften, welche die Anderögläubigen auf dem Al tar des Kriegsgottes opfern möchten, aber dad Bewußtſeyn ber Zeit desavouirt fie. Wer erinnert fich nicht, wie befremdlich und jened Manifeft des Ruffifchen Kaifers Hang, mit weldyem et 1848 feine Nation aufforberte, fi) zum heiligen Kampf gegen

die Deutfchen und Franzofen zu rüften, die geradezu als Heiben

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Neber den refigiöfen Weltproceß der Gegenwart. 205

bezeichnet wurden, welche der rechtgläubige Ruffe im Namen bes Herm zühtigen müffe! Mit welder freudigen Verwunderung vernehmen wir heute aus Rußland eine ganz andere bie friede liche Wechſelwirkung der Völker predigende Sprache.

Endlich wäre und noch. eine Furze Betrachtung des Chri⸗ ſtenthums in dem religiöfen Weltproceß der Gegenwart übrig. Noch niemals ift die univerfelle Bedeutung: deffelben alfgemeiner und mächtiger, als in unferer Epoche, erfchienen. Noch nie- mald hat e8 mit einem folchen Bewußtſeyn feiner welthiftorifchen Miſſion den andern Religionen gegenüber geftanden. Noch nie- mals ift e8 fo, wie jest, mit allen Religionen der gefammten Erde in unmittelbaren Verfehr getreten und noch niemals ift es fo, wie jest, entjchloffen und beitrebt geweſen, die Religion ber Liebe nicht durch unwuͤrdige Lift oder brutale Gewalt, fondern nad) dem erhabenen Borbilde feines Stifter und feined großen Apofteld Paulus nur durch die evangelifche Predigt von ber Treiheit der Kinder Gottes zu verbreiten. Diefe Stellung, dies Bewußtfeyn, diefe Art der Wirkfamfeit, ift das Product der BR- dung, die es ſich durch die Wifjenfchaft erworben hat. Das heutige Chriftenthum ift die Religion der Vernunft und ber Humanität. Nur in diefem Zeichen kann es, will e8 und muß ed fiegen. Der Proteftantismus ſchuf das bibliſche Chriften- thum, indem er jedem Chriften das Recht vindicirte, fich durch das Studium der Bibel eine eigene Auffaffung von dem Wefen des Chriftentbums bilden zu dürfen. Er forderte die Schrift- forfhung. Man fol, was man für chriftlih hält, durch bie Auctorität der Bibel begründen. Sehr begreiflich wurde biefe Auctorität bald eine eben fo Außerliche, als die der Firchlichen Satungen geweſen war, von benen der Proteftantiömus ald un chriſtlichen, weil unbiblifchen, fich Iosgefagt hatte. “Der Buch⸗ ftabe tötete den Geift, wie zuvor bie Kirche die Religion ges tödtet Hatte. Wie nun einft Deutfche, ein Luther, Melanchthon, Zwingli, die Religion von dem werfheiligen Dienft des Papis⸗ mus befreit hatten, fo befreieten wiederum Deutfche Männer, ein Jakob Böhme und Leibnig, ein LXeffing und Herder, ein

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Kant und Fichte, bie proteftantifche Kirche Yon dem Drud unt Afterbienit des Buchftabens, indem fie in intellectneller Beziehung die felbftbemußte Vernunft, in ethifcher Beziehung die Humani- tät zu Kriterien des wahrhaft religiöfen Glaubend und Lebens machten. Run erft, da die Bibel von aller äußerlichen Autori⸗ tät frei geworben ift, nun erft, da fie aufgehört hat, mit ihrem Buchftaben felbft eine folche zu feyn, wird fie auch feldft mit Freiheit um der Wahrheit ihres Inhalt willend verchrt und - findet fie die .ergiebigfte Anwendung. Wir wiſſen jebt viel ge nauer, ald ehemals, wie bie biblifchen Bücher entftanben find; wir kennen bie naturwifjenfchaftlihen und hiſtoriſchen Irrthümer in ihnen; wir verbergen und die Widerfprüche nicht mehr, bie zwiſchen ben einzelnen Schriften, ja zwiſchen Berichten und Bes flimmungen einer und berjelden Schrift herrſchen; aber gerade, weil wir und bie menfchliche Geneſis diefer Bücher jet eben fo erklären, wie bie der Indifchen Beben oder des Griechifchen Homer oder des Livius oder ded Koran, vermögen wir ben eiwi- gm Inhalt in der gebrechlichen Halle der Erfcheinung viel Fa rer zu erfennen und haben in ihm nicht mehr etwad und. Yrems des gegenüber, Die Pfychologie hat und die Gefebe ber menſch⸗ lichen Intelligenz erfchloffen und damit auch ein Berftändniß aller jener Thatſachen gegeben, die ehedem für ten Geift ald undurchdringliche Näthfel daftanden, weil fie als wunberbare Ausnahmen den gefchichtlichen Zufammenbang aufhoben. Welde Sophiſtik war erforderlich, dies vermeintlicd; Wunderbare doch als eine Rothwenbigfeit geltend zu mahen! Welch' unnatürlide Borausfegungen mußte man erfinden, alle biblifchen Bücher, die Refiiltate fo weit auseinanderliegender Bulturfiufen, als bus irrthumloſe Werk einer directen göttlichen Infpiration zum ZJwed einer firchlichen Dogmatif annehmlich zu. machen! Wie peinlid war bie Furcht, durch die Kritif Gott felbft als ihren unmittel⸗ baren Berfaffer zu beleidigen! Dieſe Furcht ift dahin und nun erft find wir mehr als je gedrungen, die Bibel ald das Bud aller Völker zu bewundern, zu verehren, zu lieben, denn num erft können wie mit unbefangenem Bertrauen in bie Tiefe ihred

Ueber den refigiöfen Weltproceß der Gegenwart. 207

Wortd binabfleigen. Nun erft ift uns möglich, auch die andern Religionen richtig zu würdigen, denn nun verachten, nun haffen wir fie nicht mehr, fondern vermögen aud) in ihnen bie eigen- thümliche Geftaltung aller wefentlichen Elemente des religiöfen Proceſſes zu erfennen und, ihr Verhaͤltniß zur Erlöfung des Chriſtenthums feftzuftellen. Das hohe Werk der Miflton wird dadurch eine ganz neue Geftalt gewinnen und, bie Unfruchtbar- keit und geiftige Unbehüfflichkeit verlieren, woran es aus Mangel an religiös «pfychologifcher und paͤdagogiſcher Einficht fo oft Fränfelte, |

Die praftifche Ergänzung dieſes intellectuellen Fortſchritts ift die Humanität, welche alle Völker als folldarifch verbundene Glieder des Einen Dienfchengefchlechts erkennt und deshalb auch dem Geſchick des geringften Menſchen, des elendeſten Bettlers, bie nämliche Wichtigfeit für dad Ganze, zuerfennt, wie ben pri⸗ vilegirteſten Ariftofraten und gefeiertetften Berühmtheiten. Durch das Bewußtſeyn ber gleichen Berechtigung aller Menfchen, welche das Chriftenthum fordert, iſt nicht blos auch in der Europaͤi⸗ fhen Menſchheit ein Geift der Milde gegen alle Verbrecher und des wohlmwollenden Mitleivend gegen alle Leidende entftanden, wie wir ihn auch im Buddhismus finden, fondern es ft aud) die Berechtigung aller Menfchen anerfannt, in ihrem Glauben nach dem Urtheil ihres eigenen Gewiſſens fich verhalten zu bür- fen. Dem Staat ift daher als chriftlichem die Pflicht erwach⸗ jen, jedem feiner Bürger dad Recht des Glaubens ald ein Mas jeftätörecht feiner privaten Individualität zu fichern. Jeder fteht und fallt feinem Herrn. Es ift fein anderer Weg, ber zum Heil führen könnte, denn das Verhältnig des Menfchen zu Gott ift ein abfolutes, über welches Fein Menfch einem andern Zwang aufzulegen berechtigt ift. Nach Außen ftehen auch) die chriftlichen Etaaten nicht an, von nichtehriftlichen dies Recht zu fordern und für feine Anerkennung nöthigenfalls mit Serieg zu drohen, wie 3. DB. wenn ſie fordern, daß ihre Miffionare in China unges fährdet das Chriftenthum follen verkünden bürfen, oder wenn fie fordern, daß der Emir al Omrah in allen Muhammebanis

208 K. Roſenkranz,

ſchen Staaten nicht nur die ungehinderte Ausuͤbung des Cultus aller chriſtlichen Confeſſtonen dulde, ſondern auch feine chriſt⸗ lichen Unterthanen den muhammedaniſchen in bürgerlicher Rüde ficht, durchaus gleichſtelle. Blicken wir jedoch in das Innere der chriftlichen Staaten, fo entipricht leider die Verwaltung bei ihnen felbft nöd) Feinedwegs überall jener gerechten Forderung, weil die Regierugggen noch immer fich nicht von der längft durch die Gefchichte widerlegten Vorſtellung losmachen fönnen, in der Begünfligung einer Staatöficche eine bejondere Befeftigung ihrer Macht vorauszufegen. Der chriftliche Staat darf feine Confef- fion vor einer andern begünftigen und daher auch Feine bürger- lichen und politifchen Rechte von einem befondern Glaubens⸗ befenniniß abhängig machen. Wo er bied thut, legt er den Grund zu revolutionären Bewegungen, weil er der Vernunft und Humanität des Chriſtenthums damit widerfpridt. “Der chriftliche Staat hat daher auch das Amt der Sittencenfur bei allen Eonfeffionen., Das befondere Bild, welches fie ſich' von Himmel und Hölle machen wollen, ift ihrer Freiheit überlaffen, aber Polizei-, Civil» und Criminalgericht dürfen wie feinen Unterfchied des Standes, fo auch nicht der Eonfeffion machen. Sie halten ſich an die ethifche Qualität der Thatfache einerfeits, an das Geſetz andrerſeits, welches für alle Bürger das gleiche ift.

Die Verwirklichung der Glaubens⸗- und Gewifiensfreiheit iſt unftreitig in den Staaten der Nordamerifanifchen Union am weiteften vworgefchritten. Im ihnen bereitet fich eine religiöfe Gährung, die zu einem neuen und großen Refultat führen muß, Noch herrſcht für die Bewältigung der Natur das Intereſſe an ber technifchen @ultur vor, aber ſchon fehen wir jene extremen Oeftalten des Gefühls, der Phantaſie und des Verftandes her- portreten, die dad Symptom eines tiefern geiftigen Bebürfniffes find. Die Regierung verhält fih mit Bewußtfeyn gegen alle Gonfelfionen keineswegs indifferent, aber neutral. Seder Glaube hat denfelben Anfpruch auf ihren Schuß unter der Bebingung, daß feine Anhänger die Gefege des Staats refpectiren. Nord: amerifa ift daher das Land, in welchem die grelften Eontrafte

Ueber den refigidfen Weltprocch der Gegenwart. 209

teligiöfer Bildung neben einander fichen und bie flärfiten relir gioͤſen Inpividualitäten in ungehemmter Energie ſich ausleben koͤnnen. An der öftlihen Küfte in Bofton finden wir die ratio- nellſte Entwiclung der Unitarier. Ein Channing und ein Par⸗ fer verwerjen jeden Glauben, her nicht vor der Vernunft fich zu vechtfertigen vermöge. "Dicht neben ſolchem Nationalismus für den wir bie religiöfe Frazze bed Geiſterklopfens, des Tifchrüdensg, der pſychographiſchen Prophetie. Da, wo bie Pflanger. noch mit ber Art in der Hand, mit ber Büchie Über ber Schulter, nad) Weften vorbringen, nehmen bie religisfen Gefühle im Kanıpf mit einer noch zu entwildernden Natur die Kraft urfprünglichfter Begeifterung an, bie in phantaftifchen und comwulftsifchen Er- fheinungen heroortritt. Bei den Wiedererwedungsmeetings ſam⸗ meln fih Taufende im geheimnißvollen Dunkel ber Wälder, bes raufchen fich im Terrorismus der Bilder von den Qualen ber Verdammten in der Hölle, fchwelgen in den Vifiomen von ber Herrlichkeit des himmliſchen Jeruſalems und überlaffen fich ver ganzen. Heftigfeit ihrer Empfindungen in Zumgenzeden, Geheul, Ohnmachten, Zuckungen und fanatifchen Tänzen. Iſt es ein Wunder, daß wir in einem ſolchen Lande eine Secte, wie bie der Mormonen, finden, die allmälig immer mehr von Oſten nadı Weſten vorgebrängt ift, bis fie nunmehr am Salzſee in Utah hoch oben im Gebirge eine fehöne Stadt begründet hat, wo noch vor zehn Sahren Wölfe und Bären hauften.

Bon ihnen will ich noch einen Augenblick zum Schluß " eben, weil ihre dermalige Lage dem Princip der Glaubens» und Gewifiensfreiheit zu widerſprechen fcheint, die ich als praftifchen Ausdrud der Vernunft und Humanität von der Unionsregie- rung gerühmt ‚habe. Die Mormonen find auf der weftlichen Halbkigel, was die Zaipings auf der öftlichen, eine abnorme Geftaltung des Chriſtenthums im Drange, ſich zu indivibuali- firen. Sie zeigen und auf dem jungfräulichen Boden ber neuen Welt dieſelben Phänomene der Stiftung einer Religion, wie die Taipingsd auf dem cultivirteften Boden der alten Welt. Theo⸗

phanien, Engelerfiheinungen, Weiffagungen, Heilige Urkunden Zeitſchr. f- Philof. u. phil. Kritit. 33. Wand. 1A

210 | BR, Rofenfranz, -

finden wir. dort wie bier; allein die Taipingo find durd; eine in Sahrtaufenden zur zweiten Natur gewordenen Staatöverfaf- fung bedingt, während die Mormonen. fi) ihren phantaftifchen Eingebungen in einer nur. von flüchtigen Indianern durchſtreif⸗ ten Wildniß bis zur Zügellofigfeit überlafien koͤnnen. Die Tai- pings haben bie Viehveiberei aus der beftehenden Chinefifchen . Sitte. aufgennmmen, bie Mormonen haben fie mit: Berufung auf bie.Bibel bei fach eingeführt: daß ſie im alten Teftament zugelaffen, im neuen nicht verboten ſey, getade wie die füdlidyen Sclavenftaaten ed mit der Rechtfertigumg: der Sclaverei machen. Es ift recht modern, Daß: ein. Roman ben Grund zum ſpecifiſchen Glauben der Mormonen gelegt. hat; denn ein. Deuticher, Namens Spalding, ſchrieb in feinen Mußeftmnden eine. fictioe Geſchichte der Urbevölferung:Amerifa’d, in welcher er von der Hypotheſe ausging, daß Jeſus nach ‚feiner Simmmelfahrt won der Oſthalbe der Erde zur Wefthalbe gegangen ſey, um dort bie Nachkommen von Züdifchen Stämmen, die quer. durch Aſten nach Amerifa eingewandert und verwilbert jenen, zu -erlöfen. Dazu babe. er auch zwölf Apoſtel eingefeht, ..aber das Ehriftenthun.fey wieder untergegangen und num: in einem geheinmißvollen Buche, Mormon mit alterthümlicher Schrift ſey eine Tradition davon - geblieben. Died fictive Factum war ber Punet, an: welches ein gewiſſer

Smith anknfipfte. . Bon. einem Engel geleitet, fand er das Buch

Mormon angeblich auf: goldenen Tafeln in einem Hügel. Es wurde fpäter gebrudt und ift.nun ſchon oftmals aufgelegt und in viele Sprachen überfeht. Bald fammelte ſich eine Gemeinde von ‚Heiligen. der. legten Tage, wie fie fih namte, um Smith. Gute Wirthfchaft und Klugheit im Handel und Wandel, ädhtes Yankeethum, erweckte den Mein ihrer Nachbarn. -: Ste wurden nach Miffenri und vor da immer, mehr nach Welten gedrängt und gründeten am Ufer des Miffifippi im Staat Illinois eine Statt Nauvoo. Aber nun erwachte Neid und Mißgunft no ärger .gegen fie. : Die gamze Ulmgegend wurde aufgeregt. Der Gouverneur mußte endlich, da fie zu ihrer Selbſwwertheidigung “die Waffen ergriffen; gegen fie marſchiren. Sie capitulirten und

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- Ueber den religkäfen Weltproiß dee. Bogenwart. : 214

ftellten Geißeln. Der Prophet Emith; :unb "fein Bruder Hyrnm ließen ſich nach: Karthago in's Gefüngniß abführen. In bies aber drang :ein maslkirter Poͤbelhaufe, ſchoß die Befangenen nieder und ſtürzte Die Leichname zum Wenfter hinaus. Dieſe

Graͤuelthat, die zu ben Schandfleden..der WUmerifanifchen Ge⸗ fehichte gehört; bewog bie Mormonen, mitten im’ Winter von

Rauvon nach dem Gebiet von Utah. auszuwandern. Sie voll⸗ endeten noch ben Bau eines großartigen Tempels, abwohl fie nur ein einzig Mal Gotteödienft darin halten fennten: und zogen dann’ ab. Ihre niedrig denkenden Verfolger ‚warfen euer in ben Tempel, dad ihn ſchnell wieder: zur Ruine machte. Der Zug Durd das weite Steppenland mit Thieren, mit Frauen; Kindern, Kranken, forberie in rauher Jahreszeit: Helbennuif: Mitten auf demſelben kam ein Befehl der Unidnsregierung an fie, zum Siege. gegen Merifo ein Eontingent zu ftellen, obmehf fte ſich in dem über zwei Sahe, von 1846 bi 1848, bauernben Zuge beftaͤndig felbfl' gegen räuberische Indiantranfälle zu ſchützen hatten. Sie benahmen Tich groß. Am. zweiten Tag nach der erhaltenen Ordre flellten fie ein vollflänbig bewaffnetes Corps von fünfhundert Mann, das nad Mexiko marfhirte. Ihre tühne Wanderung;durch die Wüfte wurde mit der umfichtigften Kinghrit geleitet: : Immer zog: eine :Abfheilung der beherzteften Männer vorm, Wege’ zu bahnen, Brüden zu ſchlagen, Kom.an paſſenden Orten für bie ſpaͤtrer Nachrüdenben zu: fäen. . Enbixh langte man in ber erfehnten Hochebene des Felfengebirged an und ging: raſch an die Begrünbsing ber Stadt, .die nach einem mehiterhaften Plan angelegt . und auf alle Beduͤrfnifſe deu mo: dernen Bildung berechnet wide. Schule sand eine Univerfität ftariden: oben. an. Bald würben eine Staatsdruckerei und eine Münze gebauet, in welcher letztern man. Californiſches Gold prägte. Doch Hatte man noch die furchtbarſten Leiden, auch die Gefahr der Hungerönothizu beſtehen, aber die Männlichkeit: und praftifchei:: Klugheit der Mormonen wußte immer neue. Hülfs⸗ quellen zu ſchaffen. Mußten nicht fo viel Drangfale, mußten nicht ſo viel · heroifche Dugenden ein hohes Intereſſe für bie 14 *

2312 8. Rofenftanz, Ucher den zullgtöfen Weltproceß zc.

Mormonen erweden?! Durfte man nicht hoffen, daß fo pralti⸗ ſche Menſchen, als welche fie ſich bewährt ‚hatten, bald über die Trübheit anfänglicher Eufturzuftände. hinaustommen würden! Indeſſen fcheinen die Auswuͤchſe des phantaftifchen Zunbaments ihres Glaubens, namentlich aber eine fociale, von der Unftttte ber tolerirten Polygamie ausgehende Zerrüttung dem jungen Staat eine gefährliche Krifis von Innen aus zu bereiten. Die Uniondregierung bedroht ihn jegt mit rinem Friegerifchen Angriff von Außen. Es iſt fein Religionsfrieg, der Hier vorliegt; es ik feine Berhimmerung ber Religionsfreiheit, Die bezweckt wird; fondern e& iſt bie Bekämpfung einer politiihen Heteronomir, weiche ben Zwiefpalt hervorruft und Außerfi: merkwürdig ift. Der Mormonienfaat iſt nämlid, eine Theodemokratie. Brigham Young, im fchwarzen Leibrod und weißer. Eravatte, if Gou⸗ verneur,. Briefter und Prophet berfelben. Diefer außerorden⸗ liche Dann hat in einem Decennium alle Stadien durchlebt, Die in der Judiſchen Tcheofratie zwiſchen Mofes und Salom liegen. Als die Mormonen von Raunoo auszogen, war er bit Mofed; jest im neuen Serufalem am Salzſee, ift er Salome, Er hat ſechszig Weiber, mit denen er in zwölf Kutfchen foaie ren fährt u. dgl. m. ‚Die Unionsregierung ernannte einen aw dern Bräfidenten, den Young aber nicht anerfannte. Rum kann allerdings .nacd) der Verfaſſungsurkunde der Union jeder Stat feine Selbſwwerwaltung einrichten, wie er will, aber er muß für die Gefeßgebung fich eine repräfentative Verfaſſung geben, ſich ein Barlament organifiren. : Mit diefem conftitutionellen Princip ſteht das ber prophetiichen Improvifation, das in Young biöhe ben Staat regiert hat, in Widerfpruch. In feiner monarchiſchen Gewoͤhnung will er aber aud) die Bezirksrichter nicht anerfen nen, welche die Union fo lange zu ernennen berechtigt ift, bis ber junge Staat 60,000 Einwohner zählt. Die Polygamie, if übrigens Yon. ven Führern bes Utahſtaates vielleicht nur im Ins terefie der. Prolification befchloffen und wuͤrde zu feiner Zeit, wenn fie ihren Zweck erreicht hätte, etwa durch eine neue pro- phetifche Ordonnanz plöglich wieder abgefchafft. Sie würde bi

Anton, Plato's Lehre von ber Luſt ıc. 218

der: Gentralregierung wohl erſt zur Frage kommen, nachbem ber. Staat feine Berfaffung abgefchlofien und eingereicht hätte, Der projectirte Angriff auf Utah bat alſo, wie. man ſieht, polis tische Geimde. Die Religionsfreiheit bleibt unangetaftet. Leben doch im Staat Neu- Californien in ber Stabt San Francisco fogar viele Chineſen, bie, obwohl fie nach hriklichen Vorſtel⸗ Issngen Heiden find, doch am Iahreötage der Union mit, allen Übrigen Bürgern unter dem gemelafchaftlichen Sternenbanner feierlich aufziehn. Menfchen aus dem älteflen Staat ber Erbe, aus ber Deöpstie. des Sohnes des Himmels, aus. dem geſchicht⸗ gefättigten Orient und ber Kindheitsepoche deſſelben, haben bier, am weftlichen Ufer der neuen Welt, im einer noch unausgebeu- teten Natur, unter dem Panier des Bernunft und Humanität, wie: iht Bewußtſeyn weſentlich durch das Chriſtenthum vermit⸗ telt iſt, einen neuen Orient und eine neue Heimath gefunden, in welcher fie als friedliche Bürger unter dem Schutz bes glei⸗ - herr Geſetzes fih mit Menfchen aus. allen. Racen, auch mit Negern und eingebornen Indianern fo; gut als ‚mit blaſirten Burspamüben, vertragen. :

So hätte denn unſere Heine Rundſchau uns gezeigt, wie ſehr in unſerm Zeitalter der techniſchen Cultur doch zugleich der religioͤſe Proceß überall thätig iſt, die Welt auch im Imerſten umzugeſtalten und wie neben dem Feuer des Hochofens, der Schmiede und Locomotive auch das heilige Feuer der ſchaffenden Begeiſterung in den Myſterien des Gemuͤths fortglühet, denn auch vom Geiſt muß geſagt werden:

Feuer iſt oben an, Feuer, es hat's gethan, Schmiedete, rundete Kronen dem Haupt!

Plato's Lehre von der Luft nach dem wu lebus Bargeftellt. Ä Don Dr. Anton. Zweite Dälfte Die Unterfuchung, bei ber wir im vorigen Artikel abbra⸗ den: worin Luft und Einficht ihr Beftchen haben

+

AH a on,

und wodurd fie entfkehen, wenn ficentilchen, rich tet fich zunächft wieder auf bie Luft (of: Rep.’ 9, pag. 381.— 585). Da (ft nun nad) den fruͤheren Refultaten klar, daß vie Luft, die an fich ihrer ‚Gattung nach zum üxsspo» gehört; weder am änseoov noch am neoag- einzeln genommen zur: Erfcheinung fommt; fonbern da alles ärsınoy' nur, wenn es vom ndpag ger bunden IR, zu einem wiellichen Seyn gelangt, fie auch nur an Geftalten, die in's dritte Geſchlecht gehören, ſichtbar werben kann. Das zeigt ſich noch mehr, wenn man auf bie Entftehung der Luft Rückſicht nimmt und, da Luſt ſich nicht ohne: Unluſt betrachten laͤßt, auf die Entſtehung der Unkuſt. Auögehen muß man bei Beantwortung dieſer Frage, die ſich polemiſch gegen Ariſtipp verhält (Diog. Laert. II, 87.), von dem Zuſtande eints lebenden Weſens, das fich in voller Harmonie befindet, im dem Grenze und Unbegrenztes geein ſind. Loͤſt. ſich -nenlich die Harmonie, fo loͤſt ſich gleichſam die Natur, und es entſtthen

Schmerzen; wird fie Aber wiederhergeſtellt, ſo daß fie ihre eb

here Natur allınälig wieder echaͤlt, fo enſteht Luft. Empſindet z. B. ber Menſch Hunger, fo iſt er ſich einer Disharmonk ſeines· Koͤrpers bewußt, einer Adeks, und fühlt Unluſt; wir der- Hunger dagegen durch Speiſe geſtillt, wird ‚ber Mangel dusgefüllt, ſo tritt uf ein (pag. Au. E.). Ebenſo gild Dum für. Unluſt, das den Durft Slillende: oder Die Kraft, melde was trocken geworden mit Feuchtigkeit fuͤllt, für Luſt; uͤberhaupi iſt jede widernatuͤrliche Trennung: von Theilen, die durch Hitze bewirkt wird, Unluſt, die naturgemäße Wiederherſtellung und Ab⸗ fühlung Luft; ebenſo wie das in Folge won Kälte eintretende Erſtarren von Fluͤſſigkeiten als der Natur des bebenden Weſens zuwider Unluſt, hingegen der Ruͤckweg zum frühern Zuſtand der naturgemuße Weg Haft genannt wirkegik rin, irre odösg. 32. B.). Im Allgemein lat ſich)allo Tagen, daß, went die aus der Grenze und ‚Sem Unbegrenzten naturgemäß gewor⸗ dene befeelte Geſtalt vererbt idird, eben dieſes Verderben Un faft hervorbringt, ber Weg .aben zu ihrem eigenthuͤmlichen Seyn Luft (eſ. Arist. Eih. N, 10. 2. 117% n. 9. Und dis. git

Plato's Lehre von der Luft nach dem Philebus dargeftellt. 215

als die eine Art son Saft. und Umluft, die in Eöcpenlichen Af⸗ feetionen ihren milichungagmumd- hat,’ aber. gieich der ‚andern, von der. Seele empfunden wird. '

Dieſe nämlich empfindet, was auch v von an Ariſtlpp gelängnet worden war (Diog. L. 2. 87. Aelian, V. Hist. XIV. 6. Bran- dis pag. 97. a. 6.), ſchon wenn fie. jene Zuſtaͤnde erwartet, ohne. daß ber Körper irgendwie. bethejligt iſt, haffend -auf Ungench- mes Luft, fuͤrchtend Schmerzliches Unluſt, und iſt daher bald in einer angenohmen und zuperſichtlichen Stimmung, bald in einer. aͤngſtlichen und ſchmerzvollen (pag. 32. C.). Daraus ‚ergiebt fih nun, daß Luft, oder Unluſt eintreten, nicht wenn zu exſten⸗ mal bie Grenze ſich in das Unbegrenzte -einfenkt und naturga⸗ maͤße Geſtalten erzeugt, ſondern wenn. hereits die Geſtalten ge⸗ bildet find und die Einheit, welche Grenze wid Unbegrenztes in ihnen eingegangen: "haben, unterbrochen und dann wieberherge- ftellt wird. Da nun die Unterbrechung der Wiederherſtellung vorausgeht, kann die Luft gar nicht; ohne vorhergegangene Un⸗ luſt exfcheinen. Ja man kaun weiter gehen und fagen, Luft und Untuft wuͤrde gar nicht exiſtiren, wenn Alles in feinem Weſen beharrte; ſie ſind an ven Wechſel gebunden und durch ihn Des. dingt. Mithin empfindet ein Weſen, das weder im Zuſtand des Verderbens noch in dem der Wiederherſtellung begriffen iſt, rveder Luſt noch Unluſt*) (pag. 32. B.). Im einem ſolchau. Zuſtande kann derjenige leben, ber ſich das Denken (poorean) zum Leben. gewählt Hat; denn er Tann feiner Thätigfeit oblie⸗ gen, ohne ber Luft zu bedürfen. Dies ift das göttlichfie Leben. Damit wird wieber an die anfangs angeregte Frage angeknuͤpft, ob das Lehen nach Luft ober nad) der Vernunft beſſer ſey, und wie; früher dieſeſ der. Luft nicht bedurfte, nur ohne Luſt für den Menſchen nicht recht wuͤnſchenswerth ſchien, jo bedarf auch Der im Zuſtand des Denkens Lebende der Luß nicht. Daß er. hin⸗

I.

.. * . . *) Diefelben drei Zuſtände des Lebens ſcheidet Ariſtipp nach Ariſto⸗ tles bei Euseb, 'Prdep. ev. XIV, 8. Cf. Ritter u. Preller' ed.-Il: 4857. päg. 494. Brandis Peg. 98.

216 Anton,

fichtlich feines Körpers auch in Lagen bed Wechſels kommt und fo zur Empfindung von Luſt und Unluſt, wird nicht berückſfich⸗ tigt, es frägt fih nur, ob er feiner Thätigkeit ohne Luſt oblie⸗ gen kann. Darum ift auch dieſes Leben zunaͤchſt ohne Bedeu⸗ tung für die Unterſuchung; es iſt das Leben ber Götter, die förperlidhe Bedürfniffe nicht haben.

Bei Betrachtung nun der Zuffände, welche bie Seele allein empfindet, bie rein und nit aus Luft und Untuft gemifcht find, muß ſich vor Allem zeigen, ob bie gefammte Luft ober ein ander Gefchlecht der vorhergenannten für gut und vol fommen zu halten, oder ob bie Luft nur zuweilen und nur in einigen Arten bie Natur des Guten annimmt. Wie aber Tommt die Seele dazu, fragen wir zuerft, daß fie ohne Betheiligung bed Körpers Luſt empfinden Tann?

Alles was uns begegnet, berührt zunächkt den Körper und ſetzt ihn in irgend eine Thätigfeit. Einige diefer Erregungm verlöfchen im Körper und bleiben ber Seele verborgen (Avaedr- olv), andere dringen durch ihn bis zur Seele (pag. 33. D). Dann nimmt die Seele wahr, und Sinneswahrnehmung (drodr- mis) iſt eine Bewegung (xbvnoıs) bed Körpers und ber Seele (Phaedr. pag. 350. 355. Cf. Aristot. de visu, pag. 436. b. 7. a. 8. Categ. c. 5.8. 19. ed. Buhle.), Die Sinneswahrneh⸗ mung wird bewahrt im Gedachtniß, und fo wird bie urfprüng- liche Erregung, die vom Körper ausgehend die Seele traf, Ei genthum ber Seele ‘allein (34. A). Nimmt biefe eine folde MWahnehmung, deren fie ja mehrere in dem Gedaͤchtniß liegen hat,. num ohne Hülfe bed Koͤtpers felbſt in fi) wieber hervor oder fucht fie eine Erinnerung an eine Wahrnehmung ober Er fenntniß, Die fie bereitö verloren hatte, wieber hervor, ſo erin⸗ nert fie ſich wieber und freut fi (pag. 38. C.). Befindet ſich nun das lebende Wefen im Zufande des Mangels, fo fehnt es fi) nad) Erfüllung. Es kann fich aber nicht nach dem fehnen, was es weder in biefem- Moment erbufdet noch früher erbuldet bat, fondern muß ſich nach einem Zuftande fehnen, in bem es fih ſchon einmal befunden hat. Es trifft nun einen folden

Plato's Lehre von der Luft nad dem Philebus dargeſtellt. 217

nicht im Körper dieſer IR Teer fondern erfaßt ihn mit der Seele im Gedaͤchtniß. Mithin kann auch der Körper fi nicht fehnen, denn er koͤnnte ſich ja wur nad) etwas, das in ihm ift, fehnen, fordern die Seele ift es, die fich fehnt, und fie fehnt ſich nach dem Zuſtand, ven fie durch's Gedächtniß kennt; fie hilft alſo dem Körper, giebt Ihm Rath und Unterſtützung; jeder Drang, jebe Begierde gehört ihr an; ſe it die aͤexij des lebenden Weſens. |

Die ſich ſehnende Seele vermag alſo nur durch Erinne⸗ rung den Gegenſtand ihres Sehnens ſich vorzuſtellen. Die Sehnſucht aber wird durch ein Leiden des Koͤrpers, welches die Seele mit Unluſt erfüllt, geweckt und durch bie Erinnerung, welche die Befriedigung hoffen oder nicht hoffen laͤßt, mit Luſt oder Unluſt, welche der Seele eigens angehören, verknuͤpft. Es find die Affeete der Seele mit eimer Affection des Körpers ge⸗ mifcht, entweder ſo, baß Die durch ben Körper heworgebrachte Unfuft durch Furcht ober dadurch, daß Feine Hoffnung ba if fie zu heben, verſtärkt (7ö dınloöv THc ung 36. A.) ‚ober durch fröhlicheres Erinnern und ‚Hoffnung mit Luft gemifcht wird. Sp werben hier die beiden vorhergenannten Arten ber Luft näs her mit einander in Verbindung gefebt, und zwar in ber Art, Daß die zweite in die Mitte ber erſten fällt. . Ein Zuſtand des Körpers bewirkt in ber. Seele Unluſt; biefe fucht Hülfe und je⸗ nachdem fie fte findet, freut fie fh oder trauert fie; wird und: ift die Huͤlfe gewaͤhrt, empfindet fie Luft von Neuem durch den Körper, ber mun zur Harmonie zuruͤckklommt. Diefe aber fleis gert die vorhergehende nicht, Ba ja in bemfelben Moment bie durch's Sehnen entitandene Luft aufgehoben wird (pag. 39.:D.J. Es giebt mithin keine Luflempfindungen bes Körpers, fie werben nur durch ben Zuftand des Körpers bebingt. Auch pag. 50. D. fagt ‚nur, daß mit Unluſt gemifchte Luftgefühle entweder durch ben Körper allein oder durch die Seele allein, ober durch beide vereint hernorgerufen werden.

Wenn nun die Seele auf Anregung des Körpers entiweber über den Zuftand deſſelben oder Durch fich und für fich alkein

218 :%. Anton, .. 0“.

Luſt empfindet, giebt es wohl. ein Kriterium, daß bie Lnſt jedes⸗ mal wahr ift; oder kann e8 auch falfche, träigerifche Luk and: Unluft geben (pag..30. D.)?. ähntich wie Das was -wir fürdsten bald wirklich zu finden if, bald wicht, unſre Furcht mit- bin bald wahr, bald falſch iſt; und mie Das was wir erwarten oder was wir meinen, eintrifft ‚oder uns taͤuſcht. Mit andern Worten; Freut ſich wirklich Jeder, bee fi zu freuen meint, und trauert Jeder, der zu trauern meint? .

"Auch dieſe: Frage wirb aufgeworfen mit Beyug ‚auf früs here Syfteme, jofern die Anhanger des Ariſtipp fol einen Un⸗ terſchird wicht. machten, bie. des Pratagonas ihn im: Zweifel 30 gen’ tef: Steinhart: Progr; Pforte 1853,. Prolegomena ad Plato- wis Philebum..pag. A8.).. Zuexſt, fagt: Plato, ift zu bemerken (päg. 37. B), daß wer ſich freut. mag es auf richtige Art ge fehehen ober nicht, dodimmer Freude ‚empfindet, ebenfo wie Irder, der eirwas meint, mag er eine richtige ober falfche Meis nung aufftellen, doch eben meint (coll, 40. P.); zweitens daß Luft und Unluſt, weiche dadurch, daß fie.in die Gattung ‚des Unbes

greuzten göhören,: aller. Quantitaͤt bar merden, doch eine gewiſſe

nalisäf erhalten, z. B. groß Flein, ſtark ſchwach find, und bag an’ dieſen Gradunterſchied ein Artunterſchied ſich knuͤpft, fefern went eine Schlechtigleit zu Luſt ober Schmerz hinzutritt, die Vorſtellung wie die vuſt ſchlecht wird. Und alles dies er⸗ haͤlt Sokrates leicht zugeſuunden, weil es von der Lehre des Ari⸗ ſatxp nicht eben differirte, ja im erſten Falle den Satz, daß Luft zum ſty, gleichſam anerlannte. Drittens iſt anzunehmen, daß Luſt ſowohl auf. wahre oder falſche Meinung folgt, und daß fly: die auf richtige Meinung und Wiſſenſchaft gegründete Luft von dor mitteift falſcher Meinung und linwiflenheit eintretenden unterſcheidet: daß ed: alfo auch auf der Spite des logifchen Ge⸗ bletes einen: Artunterſchied giebt. We vethalt fichs nun mit dieſem Unterſchiede?

Alle Meinung entſteht vurch. Wobenehmong. und mittelß des Gedaͤchtniffeß. Wenn: 3. B. Jemand in der Berng nicht ganz

deuilich Etwas am Baume Ichnen fieht, fucht er wohl zu u

Plato's Lehre von der Luſt nach Dem Philebus dargeſtellt. 249

theilen, was ed: fe. Da lkann es fi treffen, daß er zuerft richtig urtheilt und es für einen Menſchen hält, dann aber wie⸗ Ber non feiner Meinung abfommt und. glaubt, es fen ein Schnitz⸗ werk der Hinten. Wenn er nun zufällig mit Jemand gebt, fo fett.er das, was er erft zu fich ſelbſt gefagt hat, in Laute um und theilt dieſem feine Meinung mit, und bie Meinung wird Rebe, Itt er allbin und..belyalt er feine Meinung längere Zeit für füch, che er ſie rinem Andern fund giebt, fo- fchreibt :er - fie gleichſam in feine Seele, die einem Buche zu vergleichen iſt, ein. Und fo fhreiben das Gebaͤchtniß und die Wahrnehinung. nebft ben dazu gehörigen Zuſtaͤnden, beide auf denfelben. Gegen⸗ fand gerichtet, bie Reden in. unfte: Serte (pag. 39. Ar). Je nachdem fie aber richtige. oder. falfche Meinungen in: die Seele eingeichnen,. werben von biefer auch richtige vder falſche Mei⸗ nungen und Neben mudgehen. Außer dem Einzeichner kommt noch ein anbrer Werkmeifter, ber Maler. Wem nemlicd Jemand eine Erfiheinung:, wor der er .eine Meinung gewoniten und von. ber er geſprochen hat, aus dem Geficht oder einem ande Sinne wegrücdt und: nun. in ſich Das. Bild derſelben anjchaut, fo malt ex. daffeibe ſchnell in feine Serle ein; und iſt bie aus ber An⸗ ſchanung hervorgegangene Meimmg richtig, fo wird das Bid wahr ſeyn, ift fie trügeriſch, truͤgeriſch. So entfteht alſo zuerſt eine falſche Meinung, aus dieſer ein falſches Bild. Aber nicht wur von Gegenwaͤrtigem und Vergangenem, fonbern auch von Zukünftigem bilden ſich, Bilder in unjrer Serle, - Wenn nem⸗ lich die Eeele für ſich allein Luft oder Unluft in Gewartung eines angenehnen ober unangenehmen Ereignifſes empfindet (pag. 32), fo ſpricht fie gleichfalls zu ſich und zeichnet die Worte fich ein, ‚oder fie ſtellt ſich eiwas vor und malt fich's ein, Iſt das’ rich tig, fo fehen auch die ich daran knuͤpfenden Hoffninigen einer Erfüllung entgegen und: erregen richtige Luft; ſte koͤnnen ' aber auch auf einem Seren beruhen and erzeugen dann falſche Luft. "

*) Gerade umgefehrt ertlärk Ralmus: Platon über Die Luft, pag. 14, BR Halberſtadt, 4857. - oo. |

220 Unten,

Alle Hoffnung richtet ſich auf bie Zukunft, und fo empfinde die Seele Luft oder Unluſt auch in Bezug auf Zukimftiges.

Mithin ergiebt fi, daß Meinung nd Wahrnehmung und mittelft des Gebächtnifies entfteht und je nach ihrer Des tchaffenheit, mag fie fih auf Gegenwart, Vergangenheit ober Zukunft richten, wahre oder trügerifche Luft im Menſchen erzeugt.

Berüdfichtigen wir nun auf fittlichem Gebiete, Daß ber gerechte, fromme, gute Mann gottigeliebt ift, der ungerechte und böfe aber nicht, fo wirb boch wohl bem Guten, weil er gott geliebt ift, meift Wahres, dem Boͤſen Fulfched eingezeichnet und eingemalt ſeyn, dem Guten wahre Meinung, wahre Luft, dem Böen falſche Meinung, fafche Luſt. Mithin freuen ſich bie Guten über wahre, die Böfen über trügerifche Luftempfindungen. Es giebt .alfo im ber Seele ber. Menſchen trügerifche Freuden; fie find als entſtanden zu denken durch Rachahmung ber wahren nad) der Seite bed Lächerlichen bin (pag. 40. C.). Derielbe Fall findet flatt. bei den Empfindungen von Zom und Furcht und vergleichen, fie alle find bisweilen .trügeriih. Wie man nun von guter oder ſchlechter Meinung nur injofern ſpricht, ald fie wahr ober trügerifch ift, fo nennt man auch bie Luſtempfin⸗ dungen fchen deshalb fchlecht, weil fie trügerifch find... Es giebt zwar auch folche, die weil fie mit andern großen Schlechtigkeiten zufammenfallen, alfo wegen ihrer Schlechtigfeit ſchlecht find, doch gehört ihre Befprechung nicht zu ber Unterfuchung, welche nach wahren und trügerifchen forſcht. Und im Weitern find fie vor Plato übergangen..

Zweitens aber giebt ed noch andere Elemente, als bie trü- geriſche Meinung, welche zur Erzeugung von trügerifcher Lufl beitragen. _ Wenn fi) die Seele (pag. Al. B.) im Zuftand ber Sehnſucht nad) der dem Körper entgegengefesten Befchaffenheit befindet . (coll. .pag. 35), Luft und. Unluft durch den Zuſtand des Körpers bedingt ift, d. b. wenn bie Seele, während bet Körper Unluft erregt, weil fie auf Hebung ber Unluſt hofft, Luft empfindet, fo tritt der Fall ein, dag Luſt und Unluft in bem- felben Augenblid vorbanden find, daß alfo Luft neben Untuf

Plato's Lehre von der Luft nach dem Philebus dargeſtellt. 221

und Unluft neben Luft erſcheint. Da beide unter das Ges ſchlecht des Unbegrenzten gehören, bad „Mehr und Weniger“ aufnehmen, bed Wachſens und Abnehmens theilhaftig find, fo fragt man in jenem Zuftand, fie vergleihend, ob Unluft gegen Luft, ‚oder Lu gegen Luft, Unluft gegen Unluft gehalten (pag- Al. E.) größer ober Feiner, ftärfer ober jchwächer ift. Wie nun richtige oder falſche Meinung auch dadurch entſteht, dag man etwas in ber Nähe oder Ferne fieht, fo entfliehen richtige oder falfche Luftgefühle in gleicher Weife dadurch, daß fie von ber Seele in der Nähe oder Berne betrachtet werden, fofern bie eine ſchon da ift, während bie andere erſt herannaht, oder dadurch, daß fie beide zugleich neben einander gegenmärtig find. Und babei erfcheinen fie oft größer und flärfer, als fie find. Hier entfpringt alfo die falfche Luft nicht aus falfcher Meinung über irgend einen äußern Gegenftand, fonbern daraus, daß fie auf irgend eine Art unmittelbar neben der Unluſt ſich zeigt.

Giebt es nun noch mehr Arten von Luft und Unluft, bie tügerifh find? (pag. 42. C.) Wie ift e8, wenn jener Zus ftand, wo die Seele Unluft empfindet, wann ber Körper Mangel leidet, und Luft, wann er in feine frühere Natur zurüdgeführt wird, einmal nicht ftattfindet, fondern ber Körper im Zuſtande ber Ruhe ift? Da fagt man,. indem man fid) auf die heracli= tifch = protagoräifche Lehre vom Fluß aller Dinge beruft, daß im⸗ mer Alles nach oben und nad unten fließe, ein Zuftand ber Ruhe alfo nicht denkbar ſey. Wohl ift ed wahr, daß unfer Körper ſich beſtaͤndig verändert, aber das gefchieht oft auf folch' eine flille Weife, daß es und gänzlich verborgen bleibt, und nur bie großen Beränberungen kommen und zum Bewußtſeyn: jo daß auch nad) Ariſtipp's Lehre von der Bewegung (cf. Zeller 2, pag. 123, Brandis pag. 94) ein Zuftand angenommen werben ann, in dem, weil bie fanftefte, nicht merfbare Bewegung ftatt- findet, der Körper fich nicht zu verändern fcheint und die Seele weber Luft noch Unluſt empfindet. Danach giebt ed drei Zu- ftände der Eeele, einen, in bem fie Luft, einen andern, in dem fie Unluft empfindet, und einen britten, in bem fie feins von

10323 Tee BE ', Anton,

beiden ‘erleidet. in: vierter, in: dem fie Luſt und Unluſt einpfin- det, von benen bie eine noch anhält, während:bie andere an⸗ fängt, ihr ihr Beſitzthum ſtreitig zu machen, wird bei” der Fragt nach der Ruhe der Seele nicht berüdtfichtigt.

“Run wirft aber Antiſthenes dem Ariſtipp ein, daß man ja Kuft empfinde, wenn man frel von Unluſt ſey; denn das nicht Unluſt Empfinden ſeh angenehm; eine andere Luſt gebe es nicht, ſie ſey nur die Befreiung von Unluſt; und es ſey am an genehmſten, das Leben hindurch nie von einem Gefühle der Un—

luſt beſchlichen zu wetden (Brandis pag. 78, Diog. L. 6, 71).

Allein man bedenke doch, daß, wie wad weder Gold mod) Eil⸗ ber iſt, auch nicht Gold der Silber werden kann, ſo auch ein Zuſtand, in dem man weder Luft noch Unluſt empfindet, ſich nicht zu einem geſtalten kann; in dem, mar Luft empfindet. It (gevdn ya un 'dofalovor neol toö Zalosıv ®) "päg. AA. A) nun auch hierin Antifthenes und mäffen wir bein Ariftipp bei⸗ ſtimmen (Zeller 2, pag. 135), fo ſind doch feier und Feine An hänger wegeit "ihrer nicht unedlen Nakitt treffliche Führer und Wahrſager bei der Unterſuchnng über Die’ Luſt; denn fie Haben wohl Recht, wenn fie behaupten, daß virle Luft nur veht Scheint nach, nicht: im Wirklichkeit Luft iſt, ebenſo wie viele Luſt, bie groß zu fen ſcheint, nicht rein, ſondern mit Unfuft verbunden iſt (pag. 51. 4.). Sie fcheinen aber zu ihrem Schluß gekom—⸗ men zu fern, indem fie der Ariftippier Lehre, daß bie koö rperliche Luſt beſonders zu erſtreben und auch Luſt,! von ſchimpflichen Dingen empfunden, für cin Gut zu haltet ſeh (Blog. L. II, 88), genauer unterſuchten. Man kann nämlich fagen, daß man, um bad Weſen ber Luſt zu finden, ebenfo wie man bei "ber Frage nach’ der Natur des Trodnen das am mieiften Trockne betrach⸗ tet, ſo hier die größte, qualitativ färtfte Luſt Beachten mnüffe,

*) Es ik dies aber nid, wie: Stallbaum pag. 9 und Steighen pag. 651 wollen, eine neue Art von trügerifcher Luft; fie beruht .auf fals {her Meinung und wird erwähnt, um die dritte Art der r gemiſchen zu finden. '

Plato's Lehre von der Luft nad .dem Philebus dargeſtellt. W3

Dergleichen werde zwar auch burch Zußänte bed Körpers: oder der. Seele. hervorgerufen, aber es zeigt: fich dabei, daß erſtens die Luftgefühle der Kranken größer find als die der Gefunden, da ja auch ihre Begierden ftärker auftreten, wie 3. B. bie Fie⸗ berkranken mehr von Durſt und. Kaͤlte leiden, ats die Gefunden und daher auch mehr Luſt einpfinden, ‚wenn :ife Verlangen bes friebigt wird: und daß zweitens bie ber Unbefonnenen . größer find ald die der Befonnenen; denn während jeno ihre Luſt gleich⸗ fan bis zum Wahnfinn ſteigern können, bält.diefe das undev öyar davon ab. Es finwen ſich alſo die größten Lufin: wie: luft - Empfindungen: in einer Verderbtheit (zownora) : ber Geele wie des Körper, nie in ber. Tugend, und: man kann wohl fagen, daß es angmehm ift; won un. wu Bump fokungin befreit zu fyn. © ' " Wie verhält es ſich nun aber mit dieſen Sufgeküben, die jo bie größtem zu Senn fcheinen? Bon ilmen allen läßt fich behaupten, daß fie nicht rein, fondern mit Unluſt ges mifcht find. Ci werden aber ſolche Miſchimgen von Luft und Unluft, bald beide vuſt bald Unluſt genannt, hervorgerufen durch Zuſtände enſweder des Körpers oder ‚ber Soche allem, oder durch ſelche, die beiden. gemeinfam find. Sahen wir frü⸗ here was hier kurz wiederholt wird. (pag. 47. 0) —- ba in den dem Körper und: der Seele: gemeinfhaftlichen -Zuftänben Luſt mit Unluft gemiſcht iſt, ſo wendet ſich jegt: die Unterſuchung zur Betrachtung ber Verhaͤltniſſe von Luft und Unluſt,die ein⸗ treten, wenn der Koͤrper in der Seele zugleich Luſt und Unluſt erregt oder wenn die Seele in ia allein ugie ich Luft und Unluſt empfindet. Der Koͤrper wirkt nun dergleichen, z. B. wenn wir —* und Wärme zugleich empfinden und ohne rechten Eefolg Daß eine zu behalten und von dem andern frei: zu werden und :br+ mühen. Bei jolhen Miſchungen find dam Luft und Unluſt zu gleichen ‚oder ungleichem Theilen vorhanden: nur bei der Miſchung aus ungleihen Theilen kann ein GrfBer und Kleiner flattfinden: Betrachtet man zunächft, wie Luft und Unluſt aus ungleichen

za Auton,

Theilen mit Ueberwiegen ber Unluſt im Körper gemiſcht ſind, fo findet man dafür ein Beiſpiel in der Krankheit der Kratze. Hier entſteht Luft nur an der Stelle, wo man reibt, aljo an der Oberfläche, während bie Umluft über den ganzen Sörper verhreiteb ift, ımter ber Haut, im Innern. Luſt im Innen tritt nun hervor im Gegenfaß zu der Unluſt im Aeußern, bie man fi) etwa mit Gewalt erregt. Wiegt zweitend in derarti⸗ gen Zuftänden die Luft vor, fo bringt der eingemifchte Schmerz ein wenig Unwillen hervor; bie viel färfere Luft ſetzt in Auf regung und zeigt fich im Aeußern; man fpringt, wechjelt die Farbe, macht allerlei Stellungen, athmet in verſchiedener Art auf und preift ſich als den glüdlichiien, denn man empfinde eine. Luſt, in beren.Genuffe man, gleichſam dahinſterbe. Und um fo mehr erftrebt man diefe Luft, je unbejonnener und zügel- loſer man if. Wie leicht feheint es bier, daß man Viſt empfin⸗ zen muß, wenn man von ſolchen Zuftänden frei ift: aber bad bloße Freiſeyn ift noch nicht Luſt.

Empfindet nun aush die Seele in fi zugleich Luſt und Unluſt? (pag. 47. D.). Für Schmerzen det Seele gelten: Zom, Furcht, Sehnſucht, Wehmuth, Liebe, Eiferfucht, Neid und ber gleichen. Wach in fie iſt Luſt eingemifcht; fo ift es ſüß zu zuͤr⸗ nen, fo ift2uR im der Wehmuth und in der Sehnfucht, Schauen wir 3. B. eine Tragödie in welchem Bade unfer Zuftand jenen Affeeten zugeneigt iſt fo Fönnen wir weinen und und doch zugleich freuen; beutlicher noch ift es bei der Komödie, in weicher beſonders bie Mißgunft fich in ihrem Weſen zeigt. Neib it eine Untuft der Seele, der Reidifche freut fich über bie Uebel bes Nächten; Uebel find Unwifienheit und Einfalt, bie ſich darin zugleich als laͤcherlich und als Schlechtigfeiten der Seele fund geben, daß ber, dem fie anhaften, fich nicht kennt. Entweder hätt fich ein folcher für reicher, als er iſt Giußere. Güter), ode für größer und ſchoͤner (Leibes⸗Guͤter), ober für beffer an Tu⸗ gend und Weisheit (Seelen Güter). (Tap weudn dasar negi iavrü» avontuc dokalouf pag.49. B.). Iſt er nun flarf und fräftig, fo baß er ſich rächen kann, wenn ex ob feiner Unwiſſen⸗

Plato's Lehre von der Luſt nach dem Philebus dargeſtellt. 225

heit verlacht wird, fo heißt er furchtbar ımb mächtig, ift er ſchwach, wird er wohl lächerlich und unfchädlich genannt. Wie ift num hier Luft mit Unluft gemifcht? Reid ift eine ungerechte Unluſt und eine ebenfolche Luſt. Ift Jemand unfer Feind und wir freuen üns über fein Unglüd, fo ift died weder ungerecht, noch zeugt ed von Neid; freuen wir uns aber über dad Unglüd unfrer Sreunde, fo ift dies Unrecht und zeugt von Reid. Run ift die Unwiſſenheit, Weisheitsbünfel, Schönheitspünfel für Akte ein Uebel, bei ſchwachen Tächerlich, bei flarfen gehaßt. Zeigt fie fi an unfern Freunden in einem für uns unſchaͤdlichen Zur ftande und wir lachen, fo freuen wir und; Luft aber über ein Uebel der Freunde wird durch Mißgunſt hervorgerufen; alſo miſchen wir lachend Luft mit Unluft. Unfer. ganzes Leben aber wogt auf und ab, bald zur Tragödie, bald zur Komödie ſich neigend; überall ift Luft mit Unluſt gemifcht.

Aus alle dem geht nun hervor, daß viele Luft folche zu ſeyn ſcheint, Die es nicht ift, und wieder groß zu feyn fcheint, aber nicht rein, fondern mit Unluft verbunden ift, daß alfo alle dieſe Luftgefühle auf gewiſſe Art trügerifche find. Demnach giebt ed drei Arten trügerifcher Luft, fofern folche erfiend aus falfcher Vorftelung entfteht, im Allgemeinen und bejonders auf fittlichem Gebiete, zweitens neben der Unluſt erfcheint und ſich fo dem rechten Maß entzieht, oder endlich drittens, ohne daß fte es eigentlidy weiß, ihrem Welen nad) nicht rein, fondern mit Unluft gemifcht if. Es find aber hier die Lehren des Ariftipp und Antiſthenes weiter geführt, fofern ‚behauptet ift gegenüber Ariftipp, daß ed unähnliche, ja verfchiedene Luft gebe und fie nicht ohne Unluft, die ftetS vorausgehe, betrachtet werden koͤnne; zweitens daß bie Zuftgefühle fid) in gleicher Weife auf Vergan⸗ genheit und Zukunft, wie auf Gegenwart beziehen und nicht nur dadurch entftehen, daß Schmerzen gelindert oder aufgehoben wers den, fonbern auch fchon von der harrenden Seele empfunden werden; brittend daß jene Unähnlichfeit der Luftgefühle ſich nicht auf einen Grad» Unterfchied beichränft und ter Art» Unterjchied nicht blos darin befteht, daß man Körpers und Seelenluft ſchei⸗

Zeitſchr. f Philoſ. u. phil. Aritik. 33. Bank. 15

226 Anton,

det, fondern daß die Kuftgefühle, mögen fie durch ben Körper ober durch die Seele hervorgerufen werben, in währe und fal⸗ ſche, gute und ſchlechte zerfallen; dieſe aber wieder genau zuſam⸗ menhängen, ſofern auch die falſche Luft ſchon eine ſchlechte iſt. Dagegen iſt von Ariſtipp angenommen, daß Jeder, der ſich freut, allerdings Freude empfindet, freilich bald richtig bald falſch, und daß es eine Ruhe der Seele giebt, in der fie weder Lufl noch Unluſt empfindet. Die ganze Unterſuchung ftrebt dahin, nachzuweifen, daß bie Luft nicht das höchfte Gut fey, fondern Antifthenes mehr Recht Habe, wenn er die Einficht höher ftelle, nur habe er Unrecht, wenn er die Luft in der Schmerzlofigfeit fuche umd jede andere Luft verwerfe, weil gerade die ftärffte uf nicht reine Luft ſey. Aehnlich ‚zeigt Ariftoteles im 7. Bude feiner Nicomachiſchen Ethik, wo er gegen Antifthenes zu fhre chen fcheint cap. 13., daß Liefer bei feinen gegen eine im Sime Ariftipps aufgeftellte Kuftlehre vorgebrachten Einmwürfen mehr die niedrigen Luftgefühle, nicht die wahre Eeelen- Luft berüdfichtigt. Diefe reine und wahre Xuft nun im Umriß zu zeichnen, dazu geht ‘Platon über pag. 51. A. Im Gegenfag zu Arifti und feinen Genoflen, die Iehrten, Luft fönne nicht durch unmit telbare Sinnes - Thätigfeit empfunden werben, die auch bie fürs perliche Luft der feelifchen vorzogen ‘(Diog. La&rt. 2, 90.), wird wahre Luft als diejenige befinirt, welche durch fehöne Farben, durch Figuren, duch Geruch zum größten Theil, durd Töne und durch al dergleichen hervorgerufen wird, was ohne mel baren und ohne mit Schmerz gemifchten Mangel doch eine merk bare und angenehme Befriedigung gewährt. Daraus folgt, daß auch hier die Luft nicht ohne vorhergegangenen Mangel zu den fen iſt; ba aber ber Mangel, weil er nicht gefühlt wird, Feine Unluſt verurfacht, iſt die Luft, bie fich ergiebt, wenn er gehoben wird, von Unluft frei. Alle jene Dinge, welche wahre Luft er— zeugen, find immer an fi) von Natur fehön, nicht relativ fhön, und find jebes von einer eigenthümlichen (o?xe/a) Luft begleitet Sie zerfallen in drei Arten: 1. reine Luſt, geweckt durch dad

Plato's Lehre von der Lu nah dem Philebus dargeſtellt. BD

Anſchauen und Auffaflen von Karben, Alguren und‘ Tönen *) Unter den Yiguren ſtehen oben an die geometrifchen ©eftalten, bie gerade Linie, die Kreislinie und die durch Dreheifen, Richt fcheit und Winfelmaß erzeugten Flaͤchen und Körper, Sie alle "werben auch für jhön. gehalten, wenn nicht von der Anſchauung, doch von Eeiten des Berftanded, der hier den einfachen. Begriff verwirklicht fieht. -Ebenfo if’8 mit den Farben, werm man fie nicht in ihrer Anwendung auf Oegenftände, wo fie mit einander vermifcht werden, fondern in ihrer urfprünglichen Reinheit fich vorftelt. Und bei den. Tönen gilt ed von den fanften und hellen, die ein reines Lieb entfenden.

2, Reine Luft, hervorgebracht durch die Thätigkeit des Geruchs und zugleich würdig, jener erften an die Seite zu tre ten, wenn man in Erwaͤgung zieht, auf welche Weife und wos bei dies Lufigefühl in und erregt wird. An fi ift fie zwar weniger göttlich, aber nicht nothwendig mit Unluſt vermifcht (ef. Republ. 9, 584.). 3. Reine Luft, dur Erkenntniß hers vorgerufen, vorausgeſetzt, daß die Xuft weder Hunger nad) wei⸗ tern Lernen fühlen läßt, noch etwa durch Hunger nach Lernen Anfangs entitandene Schmerzen zu überwinden hat, Schwindet das Gelernte wieder, d. h. wird es vergeflen, fo perurfadht es feinen Schmerz, dad Vergefien jelbit geichieht ohne Unluft: dieſe entſteht erft, wenn ver, der vergeflen hat, weil er das Vergeflene braucht, merkt, daß er vergeflen hat, alfo erft Durch Berechnung; nicht unmittelbar. Alle drei Arten vertreten Luftgefühle, welche von theoretifc für fehön gehaltenen Dingen ausgehen und durch theoretifche IThätigfeit, fo zu fagen, dem Menſchen zu Theil werden. Ihnen gefellen fi zu die Luftgefühle, welche durch Tugend entftehen; fie werden fpäter als nothwendig betrachtet . und als ſolche in das höchſte Gut aufgenommen (pag. 63. E. coll. pag. 45. D.). So jcheivet Platon (pag. 52. C.) reine, und wie er fich ausprüdt, unreine Luft, ſchreibt der flarfen Luft

*) Cf. Arist. Eth. Nic. 10, 2. 1173. b. 17. dann 10, 5. 1176. a. 1. die Verfchledenheit der Zuftgefühle-und der Reinheit der Sinne coll. 3, 18. 15*

228 Auton,

Unmaß, ber nicht ſtarken Maß zu und ſetzt diejenige, welche, mag es oft, mag es ſelten geſchehen, groß und heftig werden kann, unter dad Geſchlecht des Unbegrenzten und mehr oder wes niger Körper wie Seele Berührenden; die andere hingegegem rechnet er unter die maßvollen. Auch bier vertritt dad Maß⸗ volle (Eupergor) nicht die Erfcheinung, fondern ftellt fi, ents gegengelept dem Unbegrengten, als ber Grenze genauer entjprechend dar, und zwar ifl ed das durch Einfenten der Grenze ind Un- begrenzte entftandene mepus, welches nachher in feinen einzelnen Theilen auch zufammenflimmend (ovauerpor) feyn fann und muß. Es haben eben dieje Luftempfindungen in ſich eine Grenze, die fie zügelt, wenn fie auch durch jened under. ayav des Weifen bewirkt wird (anders Steinhart pag. 655.) Was ift num aber, wird nochmal gefragt, der Wahrheit und auch der Schönheit verwandter? Iſt's Dad Qualitative, nad) feiner Reinheit, Lau⸗ terfeit und Oenügfamfeit betrachtet, ober das Duantitative wit feiner Stärfe, Menge und Größe? Wenn überhaupt die Rein: heit und Aechtheit eines Dinges nicht nach der Größe und Menge defielben, fondern danach beftimmt wird, wie viel andere Gegens ftände ihm beigemifcht find, und dasjenige, was ganz felbfiftän« dig erfcheint, für das reinfte gehalten wird, wie 3.3. bei den Barben dasjenige weiß, welches ganz unvermifcht ift, für bad reinfte gilt und den Begriff „weiß“ am wahrften und fchönften ausdrüdt, und wenn ein wenig reined Weiß weißer, fchöner, wahrer ift als vieles vermifchte Weiß, fo ift chenfo jede Schwache, geringe, aber von Unluft reine Zuft angenehmer, wahr rer und fchöner, als ftarfe und viele umreine Luft. "Um die Luft alfo in ihrem Weſen zu erfafien, muß man nicht auf bie mit Unluft vermifchten, unreinen, trügerifchen Luftgefühle fehen, fie fcheinen nur Luſt zu feyn, auch nicht auf die größten und ftärfs ften, fondern allein auf bie reinen, unvermifchten, in welch Fleiner Anzahl und Stärfe fie auch vorhanden find.

Und nun, nachdem fo alles vorbereitet, wird, indem wies der Ariftipp’3 Unterfuchungen zum Ausgangspuncte dienen, zu einer genauen Beftimmung ber Luſt gefchritten und mit ihm

Plato's Lehre von der Luft nach: dem Philebus dargeſtellt. 229

behauptet: die Luft ift ein Werden, Fein Seyn (Diog. Laert. 2, 86. Arist. Eth. N. 10, 2. 1173. a. 29. Zeller 2, pag. 118. Seuerlein: „die Sittenlehre der Alten” pag. 94, er citirt Sext. Pyrrh. Hypot. 1. cap. 31. adv. Math. VII, 199). Da jedody alle Dinge in zwei Arten zerfallen, in bie eine, des ren lieder felbft an fih find, von hehrer Natur und Zwecke für andere, und in die, deren Individuen ftetd nad) einen Ans bern ftreben, dieſem aljo nachftehen und feinetmegen erft entftes ben, wenn.ed mithin unter allen Dingen ein Werden und ein Seyn giebt: fo frägt es fich, welches von bdiefen beiden bes andern wegen da ift, ob das Werben des Seyns willen ober das Senn ded Werdens willen. Da fteht fchon feft, daß alle Werkzeuge und aller Stoff des Werdens wegen, jedes Werben eined Seyns wegen und jedes andere Werben eines andern Seyns wegen, das geſammte Werden aber ded gefammten Seyns wes gen geichieht. Aller Stoff ift unfeldftitändig, ift eines Seyns wegen, d. h. einer beftimmten Erfcheinung wegen, jede Erſchei⸗ nung ftellt aber ein ndoug bar. Iſt alfo die Luft ein Werden, fo geichieht fie nothwendig um eined Seyns willen. Dasjenige aber, weswegen das wegen Etwas Werdende wirb, welches ber Zwed für ein Werden ift, gehört in die Ordnung des Guten (Gorgias pag. 499. E.), das aber, was eined andern wegen wird, in eine andere Ordnung. In biefe gehört alfo die Luft. er fih nun Luft zum Gut wählt, nad dem er ftrebt, wählt ſich das Werden und Vergehen, wählt fich dad Leben, in dem Luft mit Unluft vermifcht ift, nicht aber jenes britte göttliche Les ben, in dem er weder Luft noch Unfuft empfindet, aber fo rein als es möglich iſt, denken kann. Die Luft ift mithin nicht das hoͤchſte Gut, ja fo im Allgemeinen fein Gut (pag. 55. A.) Iſt es denn nicht auch unfinnig, die Luft jeded Gut (pag. 27. E.) zu nennen und nur ben für gut zu Balten, der fich freut? (ef. Gorgias pag. 498. E. üyadoi Agua, of av yalowaı, xuxol dE . of är druavraı nuyv ye). Es giebt ja doch auch Güter bes Körpers und an vielem andern Guted und Schönes; es giebt in auch Güter der Seele, wie Tapferkeit, Befonnenheit, Er⸗

230 - . : Anton,

fenntniß und vergleichen, follen fte alle fein Gut feyn? (ef. Gore 495. D.) und wie ift es möglich, den, ber Schmerz empfindet, für fchlecht zu halten, wenn er auch ber befte if, und den fir der Tugend näher ftehend, der ſich mehr freut?

Mit pag. 55. C. wendet ſich nun Sofrated zur Unter: fuchung über die Einfidht und die Vernunft (goörnars, vods). Er hat hier ein weites Feld, denn ed gehört hierher Alles, was auf das Denken Bezug hat. Es werden aufgeführt: Cinficht, Wiffenfchaft, Vernunft pag. 13. E. 28. A. C., Vernunft und Wiſſenſchaft Bernunft und Einfiht pag. 59. D. 22. A, Vernunft, Wiflenfchaft, Urtheil (odveaıs), Kunft pag. 19. D., Einfiht, Vernunft, Berechnung (Aoylleodaı) pag. 21. B, Ge daͤchtniß, Einficht, Wilfenfchaft, wahre Meinung pag. 60. D., und ber Luft gegenüber heißt es: das Leben ber Luft, dad Le⸗ ben der Einſicht pag. 11. 21. E. 27. C. D. 33. A., Arten der Luft und der Wiffenfchaft pag. 20. A., daß Luft und Wiſſer Schaft geprüft werben foll pag. 52. E. Als Vertreter der gan zen Schaar, die alle in biefelbe Idee gehören, treten hervor: Einfiht und Vernunft (Pooynoss und voüc). Nun frägt So: krates (pag. 28. C. voür zal dnıornunv koönevog önolou yErang cley) nady der Gattung, zu ber Vernunft und Wiffenfchaft ges hören, nennt dann im Verlauf die Vernunft jede und allerfel Weisheit (oopla) und betrachtet fie als ausgerüftet mit den Wiffenichaften; und wiederum pag. 55. C. fagt er, er wolle die Vernunft und die Wiffenfchaft unterfuchen (voör xal dmornum), ipricht aber, wie Stallbaum pag. 59 richtig bemerkt, nur von den Wiffenfchaften: aber ſie bilden das Feld, auf dem fich ber voös in. feinen verſchiedenen Thätigkelten Außert. Darum fann er auch, als er den Begriff der Dialektik ſucht, wieder fagen: disgevvnoduevor Td xaFapbv you Te al Pp0»N0Ews Pag: 58. D. Die Wiffenfchaften zerfallen in thenretifche und in Hands werföfünfte, bie praktiſche Uebung erfordern. In beiden find leitende (Ayeuorızal), die fih) auf Maß und Zahl beziehen; in det einen jedoch find fie von Natur, in ihnen iſt das nfoas wirfend, in ben andern wird durch Probiren ein Maß geſucht;

Platos Lehre von ber Luſt nach dem Philebus dargeſtellt. AM

fie liegen im ärger und erhalten erft durch das bindende zz&pas ihre wahre Geftalt. Jene nun, in denen eine beflimmte Norm berrfcht, fcheiden fich jenachdem fie von Philoſophirenden oder von ber Maſſe angewandt werden. Zu dem Behuf werden die Dad Weſen ergründende Arithmetik und die philofophifch bes rechnende Geometrie angeführt. Während nemlich die Menge beim Gebrauche der Arithmetif die zwei Monaden, bie in ber Zahl zwei liegen, auf alle Gegenftände, fall8 fie nur zwei find, müs gen fie groß oder klein ſeyn, anwendet, wie fie z. B. in glei= cher Art von zwei Heeren und zwei Stieren fpricht, ohne auf die Verfchiedenheit der Monaden zu achten: theilen jene bas Univerfum in Monaden, von denen febe der andern gleich if. Ebenfo ift die Rechnen» und Meßkunft, auf Baukunft und Hans belöverfehr angewendet, verfchieden von der philofophifchen Geo⸗ metrie und ihrer Anwendung ber Berechnungen. Zu den Kün— fen, in denen praftifche Hebung erforderlich ift, gehören die Arzneis funft, der Landbau, die Kunft ded Steuermanns, des Feldherrn und dergleichen, auch die Muſik. Allen Wiflenfchaften geht vor⸗ an die Dialektik (pag. 58); fie ift das eigenthümliche Feld des voös und der gYoornaıs. Ihr gegenüber beruhen die andern Wiflenfchaften auf Vorftelungen; fie beziehen fi) auf Werden und Entftehen. Sie aber befchäftigt fich mit dem, was wahres haft ift und immer nach demfelbigen wird, fie ift die bei weitem wahrfte und genauefte Erfenntniß, während die Ueberredungs⸗ funft (neıIıxn) ded Gorgiad in Bezug auf den Nupen, ben fie den Menfchen bringt, den Vorrang verdient (cf. Rep. 6, pag. 505 511). So ift hier, wie bei den Luftgefühlen, bie eine Wiſſenſchaft reiner, ald die andere gefunden, und in ihr find bie Theile, mit denen die Philoſophirenden fich befchäftigen, als an Genauigfeit und Wahrheit in Bezug auf Maß und Zahl weit die andern übertreffend dargethban. Abgefehen vom Nugen ber Willenfchaften ift nun bie Kraft der Seele, welche im Stande ift das Wefen zu lieben und feinetwegen Alles zu thun, ald dies jenige zu preifen, welche im Befig bed Wahren ſich befindet, und da Bernunft und Einficht ſich damit befchäftigen, muß. man

23 Anton,

fragen, ob fie dadurch den Vorzug verdienen, ober ob es nod) eine Kraft in ihnen giebt, die herrlicher ift, als diefe. Es bes fchäftigt fi) aber nur die, welche die Herrlichfte ift, mit dem, was immer ift, und nicht mit dem, was geworben it, wird oder werden wird; darum ift fie die genauefte, denn von dem, was nicht immer auf diefelbe Weife ſich verhält, giebt es Feine Genauigkeit; darum ift fie auch die wahrſte. Die Vernunft und die Wiffenfchaft, die ſich auf die Künfte beziehen, welche erft der Meinung folgen, und die, was dieſe betrifft, angeftrengt fuchen, oder wenn fie über die Natur nachforfchen, doch wieder blos fragen, wie die Welt ift, was fie leidet thut; welche ſich alfo auf Gewordenes, Werdendes und Künftiged beziehen, koͤn⸗ nen in Bezug hierauf nicht dad der Wahrheit Entfprechenve ent- halten, da ihr Zuftand fid) immer verändernd Feine Sicherheit darbietet, wohl aber die Vernunft, welche fi aufdas wahr haft und immer nach bemfelbigen Seyende bezieht, auf Das Sichere, Reine, Wahre, Iautere, Unvermifchte. Ihr am nächften fteht der vods, der fi) mit dem, was biefem verwandt ift, be Thäftigt (die genauen MWiffenfchaften), dann folgen die andern. Die Bernunft alfo und die Einficht, welche zu ihrem Objert „die Gedanken um das wahrhaft Seyende“ haben, find bie wahrften, genaueften, fhönften *).

.*) Es möhhte alf zu tbeilen feyn: 4. Dialektik (genaueſte, göttliche Wiſſenſchaft (dxosßeordzn]) coll. pag. 61.E. B. Die andern Wiffenfhaften, in denen allen die Mathematif, als Arith⸗ methik, Meßkunſt, Statit waltet (menſchliche). a. genaue Wiſſenſchaften pag. 57. E. (axgıBeis). a. Arithmetik, Geometrie der Philofophirenden; Wifjenfchaft, die ſich mit Bildung befchäftigt (neo nadetar xal Teopur). ß. Arithmetit der Menge pag. 56. D.; auf Baukunſt ange wandte Meßkunſt, alfo angew. Mathematik. b, probirende Wiſſenſchaften (oroyaorızat), die die Thätigkeit der Sinne in Anfpruch nehmen 55. E.; Muſik, Arzneikunſt, Lands bau u. f. w. Das Hervorheben der Dialeftit im Gegenfaß zu den Pythagoreern, denen Mathematif die Stelle der Dialektik vertrat, Suhſemihl: Recenſion von Badham's Philebus in der Zeitfähr. für Alterthumswiſſenſchaft 1857,

4

Plato's Lehre von der Luft nach dem Philebus dargeſtellt. 233

Hatte Sofrated gezeigt, daß Luft und Einficht beide allein nicht das höchfte But ſeyn koͤnnen, daß es Gattungen und Ars ten giebt und man, um eine Öattung kennen zu lernen, Arten und Individuen fennen muß; daß in den Arten der Gattungs⸗ charakter erhalten bleibt; daß eine Gattung überhaupt dadurch entfteht, daß in die einzelnen unter fte fallenden Individuen ein Band, das fie einige, gebracht wird, und hatte er dieſes dem zepag, die Individuen dem äneıpov verglichen; hatte er dann bie Begriffe ded neous und ded üneıpov in ihrer weitern Bedeutung und in ihrer Wichtigfeit für die Bildung des AU auseinandergeſetzt, dann erflärt, daß die Luft mit ihren Arten unter dad änsıpov gehört, die Vernunft am ſich aber nicht das reoas, jondern mehr der Grund der Mifchung, die ulzia ift, hingegen die Wiflenfchaften, in denen ſich die Vernunft fund giebt, durch's nepag erft ihre genauere Beftimmung erhalten haben oder täglich erhalten, fo frägt es fih nun, welche Luſt⸗ gefühle und welche Wiffenjchaften, welches änegov . und welches nedoas, und wie muß ed gemifcht werden, damit die Mijchung gut werde und ein Gut daraus hervorgehe, das für den Menfchen beftimmt doch zugleich die Kennzeichen ded allgemeinen Gutes, das für's AU gilt, an ſich trägt.

Zuerft doch diejenigen Theile der Einficht und ver Luft, - welche für die wahrften gehalten werden (pag. 62). Wenn wir aber nur die am meilten wahre, die göttliche Wiſſenſchaft, d. h. diejenige, vermöge deren wir wiflen, was ein Ding an fidy ift, die Idee 3. DB. der Gerechtigkeit, Kreiſes, der Kugel, einmifchen und die menfchlicdye, d. h. ditſenige, welche und lehrt, wie ein Ding feiner Wirklichkeit nad) ift, wie es in menjchlichen Dingen angewendet wird, vernacdhläffigen: fo fehlt an unſerm gemijchten höchften Gut der Theil, welcher die Anwendung ber in ihm feyenden Erfenntniß enthält, fo daß ed dann den An⸗ forderungen nicht genügt. Es müflen alfo auch die andern

11. Jahrg. 1. Heft. CA. Herman: Geſch. u. Syſtem d. platon. Philoſ. pag. 286. Anmerkung 72.

234 Anton,

Wiſſenſchaften alle eingemifcht werben, bie von Mathematik durch⸗ drungen ſind, aber auch wenn das Leben Leben ſoll ſeyn, die⸗ jenigen, welche der Muſik folgen.

Wie verhält ſich's nun mit der Luft? Sind auch die un- reinen Luftgefühle mit einzumifchen? Wir würden fie einmifchen, wenn, wie e8 unfchäplich und nüslich ift, alle Kunft zu fennen, "fo es auch unfchäblid und nüglich wäre, fi) auf jede Art das Leben hindurch zu freuen. So aber bewirfen die größten und ftärkften Empfindungen der Luft Wahnfinn und verhindern bie Einficht und die Vernunft thätig zu feyn und zu erzeugen, lafs fen fie und ihre Kinder nicht zur Herrfchaft (doyn) kommen, Wohl aber find die wahren einzumifchen, bie ja dem vous beinah eigenthümlich find, und diejenigen Luftgefühle, welche durch Gefundheit, durch Befonnenheit entftehen und fo viele jegliher Tugend wie eincd Gottes Begleiter find. So wird die Mifchung die fehönfte und die ruhigfte für den Menfchen *). Wenn nun gleich fo die der Erfenntnig nach wahrften Willen» fchaften und Zuftgefühle eingemifcht find, fo muß doch die Mis fhung felbft auch eine Wahrheit in fi tragen, die fie be techtigt zu entftehen und durch die fie geworden ift (cf. Trendelen- burg: de PI..Phil. cons. pag. 15). Somit hat bie Unter ſuchung, mie fie gezeigt hat, daß in der Welt jede Erfcheinung auf finnlichem wie geiſtigem Gebiete funftvol geformt ift, felbft geiftig einen fchön befeelten Körper aufgebaut. Seine Materie find die einzelnen Unterfuchungen, die von der Seele des Gans zen zufammengehalten Meden. Ueber ihnen aber ſteht als för

*) Ohne Kenntniß der Sache urtheilt Feuerlein: „Die pbilofoph. Sit⸗ tenlehre‘ pag. 87: „Wil man aber die Erzeugnifje beider, d. 5. die ein- „zelnen Lüfte und die einzelnen Gegenftände des Wiſſens zufammenmifchen, „fo dürfen weder die unreinen und unwahren Wiſſenſchaf⸗ „ten, noch die unreinen und unwabren Lüfte dazu genommen werben, „fondern nur die wahrhaften, mit dem Ewigen ſich abgebenden Wiſſen⸗ „ſchaften und die die Befonnenheit und jediwede Tugend begleitenden Lüfte; „nur mit diefer Mifhung kann man dem Begriffe des Guten im einzel« „nen Menfhen und im großen Ganzen näher kommen.“

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Plato's Lehre von der Luſt nah dem Philebus dargeſtellt. 55

perlicher Herrfcher bie Art und Weife, wie Sofrates bie Unters ſuchung geführt hat (pag: 64, B.),

Rachdem fo die Mifchung vollendet und das hödhfte menfch- liche Gut gewonnen ift, fragen wir nun, was bewirft ben, Daß dieſes Gut unter biefelbe Idee fällt, wie das bes AU? Wodurch zeigt es fich, daß sd wirklich das höchſte Gut für den Menſchen und fürs AU repräfentirt? Damit ftehen wir am Vorhofe des höchften Gutes. Was ijt zunaͤchſt in dieſer Mi⸗ ſchung für ein Grund, ber fie allen Menſchen lieb macht? Es ift dad Maß und die maßvolle Natur; maßvol und wahr in feinem Innern offenbart es zugleih im Aeußern fein Weſen, ftelt jo Schönheit und auf fittlihem @ebiete Tugend bar, Aeſthetiſches und Ethifches erfcheint identificirt ). Auch Wahr⸗ heit ift der Mifchung beigemifht. Die drei Ihren der Wahrs heit, des Maßes, der Schönheit beftimmen das höchfle Gut ſchlechthin, welches, da die Schönheit auf anderm Gebiete Tugend ald äußere Erfcheinung eines. Innern maßvollen und wahren Handelns ift, fich ald ein Gut für den denkenden wie fittlih handelnden Menſchen darſtellt. Sie alle drei bewirfen, daß jene Mifchung gut ift. Sie aber waren ed auch, die im AN thätig an jeder Erfcheinung des AU hafteten (pag. 29. 30). Die andern Gebilde in der Menfchen Nähe find nur ſchwache Abfömmlinge von denen des AU; das höchfte Gut aber aus benjelben Beftandtheilen wie jene zummengejegt, ſtrahlt in ders ſelben Reinheit, Schönheit, Größe, Dadurch ift nun der Menſch im Stande, nad) einem höchften Gut zu ftreben, welches alles in ſich enthält, was e8 nur Guted auf Erden und im All giebt. Er fol ftreben nad) den Ideen, fol fuchen fie im Leben zu ver« wirklichen, fol der Luft, welche die Beichäftigung mit den Wiſ— fenfchaften ihm bringt, und die fich ihm durch die Sinne, welche ja die fchönen Geftalten des AU auffaffen, barbietet, nachjagen; dann aber auch fittlich Ieben, Die Luft der Tugend genießen.

*) Ch. Wehrenpfennig: „Die Berfchiedenheit der ethiſchen Principien hei den Hellenen“ Progr, Berlin Joach. 1856. pag. 28,

236 Anton,

Dann ſtellt er in fich felbft eine Geflalt dar, in ber bad Ideal der Schöpfung verwirklicht if; er zeigt, wenn fein voös und bie 7dovn im richtigen Verhälmniffe ftehen, daß er dad Gepräge der Wahrheit, der Schönheit und des Maßes auf feiner Stirn trägt. Dann ift er würdig, als belebte und befeelte Geftalt den andern, umbelebten zur Seite zu treten; dann zeigt er dad Ab⸗ bild des AU, denn in biefem ift auch Alles, was ift, durch Wahrheit, Schönheit und Maß dargeftellt. Somit ift das höchfte Gut daffelbe für das Al, wie für den Menfchen; Alles ftrebt in feinen Bildungen jene drei Seiten darzuftellen. Der Grunds ‚gebanfe des Dialogs möchte alfo darauf gerichtet feyn, zu zei gen, wie das höchfte menfchliche Gut ebenfo entfteht, wie jede Geftalt im AU, aus negag und Aneıpov, und wie ed biefelben Elemente enthält, wie die Geftaltung bed AU im Allgemeinen; wie das hoͤchſte Gut Wahrheit, Maß und Schönheit in fid ſchließt, und danach die Bildungen im AU wie in ber menſch⸗ lichen Seele beftimmt*).

Nun ehrt Platon zurück zu der Unterſuchung, ob Luſt oder Einſicht und Vernunft hoͤher ſteht, und fragt, welches von beiden iſt dem hoͤchſten Gute verwandter und bei Menſchen und Göttern geehrter? Da iſt es leicht zu finden, daß die Vernunft zunächft mehr Wahrheit in fich faßt, ift fie doch faft daſſelbe wie die Wahrheit oder wenigftend ihr am Ahnlichiten und am wahrften; während bie Luft prahlerifch und gerade in ihrer ftärf- fien Aeußerung finnlih und des DVerftandes nicht mächtig. ift. Dann fteht die Vernunft aber auch dem Maße näher, fie hat es in fih, während bie Luft fich jeglichem Maße entzieht, und endlich zeigt fie mehr Schönheit, ift doch die größte Luft häßlic, fo daß ſie fid) vor dem Tageslicht fcheut.

*) Platon nennt diefe drei Ideen pag. 65. A. xallog, Euunergia, alj- Iera, da aber die Euuuerora faft im ganzen Dialog die maßvolle Schön: heit bezeichnet und dadurch nicht wefentlih von xallos verfchieden iſt, nennt er flatt ihrer pag. 65. B. die ueressıng, welche mehr das innere Maß bezeichnet.

Plato's Lehre von ber Luft nah dem Philebus dargeſtellt. 337

Wie verhalten fih num aber die in jenem menjchlichen Gute gemifchten Gegenftänbe zu einander, welche von ihnen find bie wichtigften und erhabenften? Woranzuftellen ift Allee das, was bem Ganzen erft Beftchen giebt, das die Geftalten fchafft und im hödhften Gut felbft dad bindende ift, dad Maß; denn ohne daſſelbe würde nie eine Geftalt aus dem üreoov ſich zur ‚Schönheit erheben. So ift ed das ewige, unvergänglicdye Wer fen jeder Geftaltung, das fie ſchuͤtzt und vor Verderben behütet (Ergo, ulrgeov, xalgıov, aldıov). AS zweites tritt auf dad von ihm unmittelbar Gewirkte, die äußere” Geftaltung. Die olrio, über der ganzen Bildung ſchwebend als thätiges Princip bes Föniglichen »oüs des Zeus hat gewirkt, daß das Maß ſich in’d äneıgov fenft: wonach diefes, Maß und Echönheit darftels lend, zugleich als vollkommen und ſich felbft genügend erfcheint (odusssoov, xuA0v, TEAEov, ixayor). Der dritte Play gebührt der Wahrheit, jede Geftalt muß fie in fich tragen. Im höchften. Gut wird fie vertreten durch die Vernunft mit der Einſicht (voös zul goornons): fie ift (pag. 65. D.) baffelbe wie die Wahrs heit oder doch ihr am ähnlichften und befchäftigt fich mit dem, wad am wahrften ifl. Darauf fpielen vielleicht die Worte an: zo Tolvuy roltov, wen dun uavreia, voüv xul PEovnoıw Tıdeig odx av ulya Te rjç Ahm$eiag naupebeidoıs. Als vierter Theil gejellen fich Hinzu die Wiflenfchaften, die Künfte, die richtigen Borftellungen (dmiorzums, reyvar, dösa 6097), alfo das geiftige Eigenthum der Seele: ohne fie kann der voög feine Thätigfeit nit in richtiger Weife ausüben. Zuletzt kommt bie Luſt und von ihren Arten nur die reine (&Avrzos), welche der Aneignung bed Wilfend und der Thätigfeit der Sinne folgt, mit Inbegriff ber Luftgerühle, welche Begleiter der Gefundheit, Befonnenheit und jeglicher Tugend find. Sie erhalten durch das Euperoov einen Antheil am Guten. So ift das hoͤchſte Gut gefchloffen und in feinem Zufammenhang mit dem Ewigen und Unvergäng- lichen nachgewiefen. So ift in das Viele der Wiffenjchaften und Lufigefühle ein Maß gefegt und eine jchöne Geftalt ent

238 Saupt,

ftauden, deren Gepraͤge bie Wahrheit ift *. War den Hebo- nifern bie Zur das hoöchſte Gut, fo ift nun gezeigt, daß fie wes ber ben .erften noch zweiten, ja noch nicht ben dritten, ſondern erſt den fünften. ‘Preis erhält und auch nur dann, wenn fie rein it. Warum haben denn jene nun aufgeftellt, die Luft ſey das böchfte Gut? Weil die meiften Menſchen ebenfo wie die Thiere nad) ihr ſtreben und fie diefe für befiere Zeugen bieften, als von phitofophifcher Begeifterung eingegebene Reden. So geht ver Schluß ded Dialogs. zum Anfang zurüd.

Zur chriftofogifchen Philoſophie Der Ge ſchichte Des Alterthums. Bon Prof. Dr. Haupt.

I. Die Philofophie Hat die Geſchichte als die GSelbfibewegung des Selbſtbewußtſeyns nach feinem realen Grunde aufzufaffen, und’ die driftolngis ſche Philoſophie diefen realen Grund als ben 29908: Chriftus aufzuzeigen, |

Der Anfang und das Ende alled Lebens ift Gott. Gott ift aber nicht bloß das Leben an fih, fondern iſt auch Das le ben für ſich, das bewußte, fich felbft wiflende Leben. Indem e das bewußte Reben ift, ift er Schöpfer der Welt, abfolute Thaͤ⸗ tigfeit. Das Echaffen der Welt ift ein ewiges wie Gott ſelbſt, weil ed das Wiffen Gottes von fih if. Das ewige. Schaffen kann auch eine ewige Offenbarung genannt werben. Zeit und und Raum find bie Kategorieen der Schöpfung, welche weſent⸗ lich eine Berendlichung des abfolnten Geiftes ift, die derſelbe als feinen eigenen Wefen unadäquat ewig wieder aufhebt. Bel diefer Verendlichung, bei diefem Wußerfichfenn ift Bott immer bei fih; nur wir nenmen es dad Weſen des abfoluten Geiſtes,

*) Verfhiedene Unfichten fiehe bei Trendelenburg pag. 23, Stal⸗ baum pag. 77, Brandis pag. 492, Zeller 2, 281.

Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte des Alterthums. 239

daß er zugleich 1) an fich, 9 fich ihm ſelbſt offenbar ober außer fich, fi) auswirfend, und 3) in feiner That bei fih if. Im Bezug auf das Dritte dieſer Dreieinigfeit heißt er auch ber Heilige. Geift. Ewig eoncrete Totalität zu feyn, d. h. der In⸗ begriff des Alls und der Einheit; und ewig Offenbarer feines Anſich oder Sichwiffens in der Offenbarung zu ſeyn, das if Das Wefen des Geiftes Gottes, dad Leben des Abfoluten. In Bezug auf dad Zweite biefer Dreieinigfeit heißt Gott auch und it zugleich Chriftus ald der ewige Logos, in befien idealem Weſen auch die Machtvollfommenheit liegt, Gott gegenüber ſich als felbftftändiges Ich zu ſetzen und zu behaupten und fo bie Phänomene der Körperweit oder Materie zu erzeugen. So ift er der offenbarende Gott, der Grund ber Gottmenfchlichkeit und ihres göttlichen Wollend und Wiſſens, das göttliche Wollen und Wiſſen im menfchlichen Selbftbewußtfeyn, der Seelengrund ter Menfchheit. Als das göttliche Wollen und Willen ſich vermittelt der SKategorieen von Zeit und Raum verendlichend und Körperlichkeit verſchaffend, erfcheint der Logos zunächft zerr fplittert und begrängt, mannichfaltig, als Abfall von feiner ewi⸗ gen Gotteinheit, nicht frei wie Bott gegen das materielle Da- feyn; feine ewige Herrlichkeit und Wahrheit fchafft er fih in ber menſchlichen Seele. In biefer feiner angemeffenften Schöpfung hat er feinen Centralpund und bildet fie, indem er ihr feine Unendlichkeit offenbart durch die Sprache zum Geift. Die erfte Stufe, in ber er ſich ihr offenbart, um fie zum adaͤquaten Körper zu bilden, ift die Empfindung, welcher er diejenigen Beziehungen zur Unendlichkeit einverleibt, die Religion, Glaube genannt werden. Alles, was bie Religion angeht, wurzelt nicht nur urfprünglich in der Empfindung des Unenbdlichen, fonbern bleibt auch in ihr beruhen, wie fehr e8 auch daraus zu beftimm- ter Borftellung und Anſchauung fid) erheben mag. Die Em- pfindung ift aber befchränft, individuell, unfrei in ber größten

*) „L’äme est natnrellement chretienne“ Fenelon, nad den Kirchen: vätern, denen der Logos „igneus aniınarum fons.“

240 Saupt,

Freiheit. Sie ftrebt wirfliches Daſeyn zu gewinnen, ihr Ob- jeet, cben bad Unendliche aus fidy herauszuftellen. Sie madıt darum die umgebende Sphäre ber Enblichfeit zu Zeichen, Bil dern, Symbolen ihrer felbft, geftaltet das ganze Leben nad ihrem erregenden Princip, die Sitte, Staatsform u. f. w., Alles auf mehr oder weniger unbeftimmte Weife, je nachdem fie jelbft Klar und Tebendig if. Sie erzeugt tie Kunft, zunaͤchſt ald Kultus. Hier will fie angemeflenere Wirklichkeit gewinnen, als e8 im Staats» und Privatleben wegen der Härte. ber Auf ven. Nerhältniffe immmer möglich if. Denn Staat und Privat leben reifen durch die Geſchichte der Selbftftändigfeit entgegen und Löjen fi von ihrer Wurzel los. Erſt im Reiche des chrift- lichen Logos haben diefe Kreife, Recht, Geſetz, Familie, die Befugniß, jelbftftändig zu ſeyn und in die Wirklichkeit zu gehören, nicht von ber Religion oder dem Staate abforbirt zu werden. Das Reich ded präeriftenten Logos, das heidniſche Altertum, mußte in der Wiffenfchaft und Staatsidee zu Grunde gehen. In deren Selbitftändigfeit ift aber das unendliche Wil fen immanent; ed gründet fic darin eine eigene Sphäre, die aber entfernt von der Urquelle. Dieſe Sphäre ift alſo der einen Seite nad) der Religion ald der Empfindung des enblid gewordenen Wiſſens, und der andern Seite nach dem enblid) gewordenen Wiſſen an fich ober dem Begriff des Logos zuge wandt. Auf der zweiten Stufe, lodgeriffen und felbftftändig, töft es fich rafch in die Unenplichkeit auf und vergeht. Die Kunft tritt dann lebendiger auf, Geift und Diaterie überall ver: föhnend. Aber audy fie Löft ſich bald von ihrer Wurzel ab, wird felbftitändig und hebt fi in ihren Begriff auf. Da raus entfteht dann das Wiffen ded Wiſſens, die Wifienfchaft, ‚deren Mittels und Höhepunct die Philofophie ift, das verend- lichte Wiſſen Gottes in ber entſprechendſten Form, die wahre Erfenntniß, die in der Erfenntniß des Erkennens befteht. Arist. Met. XII, 9. -

Gott ift nicht naturlos, der Logos weltichöpferifche Macht. Die kosmifchen Elemente und Mächte find diefelben, welche bie

n

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Zur dhriſtologiſchen Philoſophie der Gefhichte des Alterthums. 241

menfchliche Seele, das Bewußtjeyn conftituiren; ihre Einheit ift die Idee, der Logos bei Gott, ideell und materiell zugleich, als geftaltendes Princip. Die Wiffenfchaft, deren Höhe die Philos fophie ift, bat im Allgemeinen die Principien zu ihrem Inhalt, weiche die adäquateften Erfcheinungsformen der Idee find. Selbft Gedanken und Gedanfenverhältniffe, welche zugleich die Sache felsft und das Wefentliche des Sachverhältniffes, wie es immer in der Erfcheinung ſich darbiete, auf eine allgemeine und durd)- greifende Weife ausprüden, ftellen fie ſich damit als die Prin⸗ cipien alles Denkens und Seyns, ald die göttliche That des Logos felbft dar. Die Bielheit der Pricipien treibt und ſtrebt feldft nach Einheit, nah den Einen oberften und höchften Prin⸗ cip, und nach ihrer Vermittelung, nad) ihrem Geſetz und Bes ſtimmtſeyn durch daffelbe in angemefjenen Formen. Das Eine, Höchfte, Gott oder das Abfolute, der abfolute Inhalt, den der Geiſt fihon in unmittelbarer Gewißheit hat, wird für das Dens fen und durch das Denfen vermittelt, das Eine als das Sepende feiner felbft, und das Verfchiedene als das in feiner Selbftunter- . fheidung feine Identität mit fich ſelbſt nicht Berlierende, fondern aus der Nichtidentität in die Identität fi) Zurücknehmende er- fannt. Die Idee Gottes ift dad Selbftthätige, wie überall fo auch in uns ſich Hervorbringende, es fen in der Weife des Glaubens oder des Denkens; fie ift felbft ſchon die darin wirt fame und leitende abfolute Thätigfeit, und der fie erfennende Geift erfennt damit fich in dein Grunde feiner eigenen Wahrheit und findet feinen eigenen Begriff. Somit ift Gott nicht bloßes Object des Selbftbewußtieyns, fondern Subject, in welchem das Sch fein reines Eelbftbewußtieyn hat. Das Denfen, welches fi) zur Dialektik der Erfenntniß des Lebens beftimmt, ift höchfte Stufe des adftracten Wiſſens. Das reale Wiffen aber, das feine Realität in der Anjchauung des natürlichen und geiftigen Lebens hat, ift wefentlich Liebe, d. i. Innewerden und Sicheinsfühlen des Subjectd mit der Gottheit, mit der Menfchheit und mit fich ſelbſt; hat Ichensfräftige Beſtimmung der Handlungen oder des

Willens zur Verwirflihung der Einheit und Wahrheit, als Zeitſchr. f. Philoſ. u. phil. Kritil. 33. Band. 16

242 Haupt,

religiöjer Glaube theils vom ideellen (gelftigen), theild vom materiellen Moment in Gott ausgehend, als Berehtung, und Verehrung ift Liebe zu einem Höheren, das und body wies derum fo nahe ift, daß wir und ihm traulich hingeben dürfen. Mie der individuellen, menichlichen Seele die einzelnen fomati- fhen Sphären, die ihr Begriff ſich bildet, fortwährend den Zur ftand, in welchem fie unter fi) und mit der Außenwelt ftehen, dem Bewußtwerben zuleiten, fo find für die Volksſeele die Na: turverhältnifie gleichfam die Vorſtellungsmaterie, durch die fie ihred Begriffes bewußt wird, um ihn zu verwirklichen, alſo zur Lebenswirflidhfeit gelangt. Auf der erften Stufe, der der Ans fhauung und Empfindung, wird fo der Geift ein genialer Künft- fer. Durch ein Zeichen verbindet der Künftler Gegenftände und bald auch die mannigfaltigiten Beziehungen des Gemüths, das Eichtbare mit dem Unfichtbaren, läßt die Materie durch und für den Geiſt fern, fühlt das Charakteriftiiche überall heraus, macht das Charafteriftiiche ter Oegenftände zum Erinnerung® vehifel der vom Geiſte bewahrten Eindrüde, Empfindungen u. |. f.; bie Aehnlichfeit erklärt und erweitert ihm das Endliche zum Un⸗ endlichen; alle Gegenftände werden ihm Werkzeuge feiner geiſti⸗ gen Schöpfungen; bie erfchaute oder empfundene Achnlichkeit it bad austrudsvolle und unendlich Ihannigfaltige Zeichen der Ges genftände und ver fichtbaren und unfichtbaren Beziehungen, bes ven Verftändniß allein der Geiſt Intelligenz; ift, welcher an der ſchwachen Andeutung dad Behlende leicht ergänzt, 3. 2. wann der Künftler eine von hohen Eichen befchattete Wiefe bar: ftellt, den Eindruck ländlichen Etilllebend empfindet, Hirten und Schafe ſchaut zc., die gar nicht dargeftellt find. Es ftchen aber bie Naturverhältniffe und Naturobjecte auch im organischen Zus ſammenhange mit der Idee überhaupt, die ſich darin ſymboliſirt, und der menfchliche Geift abftrahirt aus ihmen feine Idee, und was er jpäter in und an ihnen biefer Idee nicht entiprechend findet, fucht er ihr anzupaffen, zunächft auf gewaltfame, wills kuͤhrliche oder phantaftifche Weife. So lernt er die Natur bes zwingen, um fie fih, d. h. feinem Bewußtſeyn oder feiner Idee

Zur chriſtologiſchen Philoſophie Der Gefchichte des Alterthums. 243

einzuverleiben, geſtaltet fie ſich adäquat, räumt hemmende Qua⸗ litäten des Materials oder Locals hinweg, organiſirt ungeglie⸗ derte Maſſen, ſtellt Verbindungen her, noͤthigt die Natur zu ed⸗ len Producten, annullirt den Raum, das Seyn, um Zeit, Bes wegung zu gewinnen ꝛc. Hier iſt nicht mehr bloße Beziehung zum abſoluten Geiſt, ſondern Bewegung und erfolgreiche reale Thaͤtigkeit.

Der ſubjective Geiſt nimmt überhaupt in feinem Auffaſſen der objectiven Welt denfelben Gang als dieſer in feinem Sich» fchaffen, Die Welt war im Anfange, wenn wir der Sage und den Raturforjchern glauben, eine andere, weniger geiftige, von ber Schwere mehr gehalten ald vom Licht; das Colaſſale herrfchte vor dem Gegliederten, Symmetrifchen, bie Erde war nicht in dem jegigen Rapport zum Sonnenfyften, das Naturreich in ſich weniger vollendet, mehr gigantifch, 3. B. im Animalifchen, wo jelbft Mannweiblichkeit; felbit Maaß und Zahl fcheinen noch nicht überall als fcharfe Begrenzung und Beftimmung gegolten zu haben. In der neuen Ratur find Zahl und Maaß die Form des Gefeped der Bewegung bid in das der Zeitlichfeit unver: fennbar entferntefte Gebiet. In den religiöfen Anfchauungen, dem Empfindungswifien find im Anfange das Chaos, die Ge— walten, das Goloffale, die Geſchlechtsloſigkeit, Die Mannweib⸗ lichfeit u. f. w. vorherrfchend, dann treten Maaß und Zahl darin ein, wonach fich auch das Leben im Staat, der dann erft möglich, und die Bamilie beftimmt. Die philofophifche Erfennt- niß nimmt denfelben Weg: dad Chaos, die Urfräfte, dann, und zwar bei den Griechen erſt durch Pythagoras, wird Maaß, Zahl und Figur als Princip aller Dinge aufgefaßt: Bewegung und Fluß der Inder bei den Eleaten, geiftige Abftraction der Verſer und Mebräer bei Heraflit und Anaragorad. Ebenſo die Ges fehichtderfenntniß, deren Blürhe und Vollendung in bein Begrei« fen liegt, wie im Willen des Menjchen ‚ein Univerfalismus liegt, der über den Anfang ‚der Nationalitäten weit hinaus⸗ reicht, wie ftatt der Nationen als Bieler vielmehr die Menfchheit ald Eine dad wahre Object der Geſchichte ift und wie es ein

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von der Geſchichte felbft werfchiedenes Geſetz der Gefchichte nicht giebt. Die Menfchheit entwickelt fich nicht blo8 in den Natur- Kategorieen, denn fie hat nicht bloß ihre Ratur, fondern auch ihren Geift, der als folcher in feiner Allgemeinheit wie in feiner ‘Berfönlichfeit über die Natur hinausgeht; und die Welt- gefchichte erfcheint nicht blos als Weltgericht, fondern auch als die Rechtfertigung und Verberrlichung Gottes, und ift ald Ge⸗ fchichte der Thaten Gottes in der Menfchheit die Selbftoffen- barung feined Wejend, das dem Weſen des menfchlichen Gei- fted homogen if. Der Fortgang der Weltgefchichte ift das Werden der felbftftändigen PBerfönlichkeit in Gott; im Beginn der Eultur herrfcht das gattungdmäßig ‚Gemeinfame; die freie Harmonie des Geiſterreichs ift dad Ziel der Gefchichte.

Wie der Geift feine erften beiden Erfcheinungsphaien (1. ald an fi) ſeyend im Drient, 2. ald für fich feyend a) abftract in Griechenland, b) reflectirt in Rom) im Alterthum räumlich und zeitlich auseinander und nacheinander hat, fo ih er doch ſtets unendliche Totalität zugleich, organiſches, foftema- tiſches Eins, was die Wiſſenſchaft aufzuzeigen hat, und bie endlich getrennten Phaſen oder Stadien ftehen in continuirenber Beziehung, was den friedlichen Verkehr oder die Kriege der Bol: fer und Länder hervorbringt. So bildet denn auch Die Ider der Sprache, ber Religion, Bolitif, Kunft und Wifjenfchaft in ihren räumlich) und zeitlich getrennten Crfcheinungen ftet3 ein Syſtem, ohne fi) an die geographifche oder hiftorifche Aufein- anderfolge im Einzelnen zu binden. Der menſchliche Geift ver mochte in der Urzeit unferes Gefchlechts fein eigenes Wefen und das ihm inwohnende Göttliche noch nicht von ber Natur und der finnlichen Anfchauung zu trennen, feine eigene Thaͤtigkeit war noch an Materie, Natur und Sinnlichkeit gefnüpf und dad Sinnliche, Aeußere und Natürlich -Materiele war für den Menfchen nur dann wahrhaft vorhanden, wann ein geiftiges Seyn unmittelbar in ihm enthalten gefchaut ward. Die Auf merffamfett bed menfchlichen Geiftes iſt Die erſte Stufe fei- ner Befreiung aus dem Ratürlichen, und hebt fihon den Gegen⸗

Zur chriſtologiſchen Philofophie der Geſchichte des Alterthums. 245

ſatz des Aeußern und Innern hervor, und nimmt nach Will⸗ kühr und Zufall irgend eine einzelne Aeußerlichkeit zum Zeichen oder Merkmal des Unterſchiedes; und wenn dieſes zufällige und willkuͤhrliche Zeichen oder Merkmal anfaͤngt dem wachſenden Bewußtſeyn unzureichend zu erſcheinen, nimmt der menſchliche Geiſt angemeſſenere, durch Größe in die Augen fallende Objecte, felbft Naturobjecte, wie Baun, Berg, Fluß; und erft fpäter, bei mehr hervortretendem eigentlichen ©egenfage zwiſchen In⸗ nerlichen und Aeußerlichem, der Seele und des Leibes, nimmt er Leben und Bewegung Habendes, d. 5. Animalifches zum Zeichen, Bilde, oder viehncht zum Symbol, und ganz zulept die Naturobjecte Bewegung und Leben und Luft als foldye, wos mit denn auch eine intenfiocere Scheu und Verehrung verbunden it. Die Völker, die alled Geiftige in unmittelbarer Einheit mit den Körperlichen anjchauten, mußten an der quantitativeren Mafje der Individuen ald natürlicher Beſtimmtheit dieſer Mafle, die Seele oder den Geift darin wahrnehmen und ausdrücken, und auch in allem Uebrigen Zahl und Maaß als natürliche Beftimmtheiten und als Seele anfchauen, und bald auch an der Farbe ein ſolches Merkmal des Verborgenen, Geifterhaften finden. Diefe Völker empfinden oder betrachten nun ihr ganzes Beftchen nad) dem Duantitativen und find felbft wirklich auch nichts als quantitative Maflen, ihr Dafeyn nur dad Unmittels bare der Individuen, d. h. einer unbeftunmten, zufälligen, gleich» gültigen Wahrheit, nody lange nicht gegliederte Organismen, welche die eigentlichen ausgebildeten Staaten ausmachen; bie Gefchichte macht fie, nicht fie die Gefchichte: fie haben, wie faft der ganze heidniſche Drient, Feine Gefchichtfchreibung. Zahl, Maaß Stoff, Farbe ift Princip und ihnen heilige und geis flige Macht, und gingen als foldhe von ber Bedeutung eines äußern, finnlichen Zeichens zur Bebeutfamfeit eined Symbole über, als fie ſich auf fich felbft bezogen und an den Naturob» jecten als geiftigen Beftimmtheiten immer mehr wahrgenommen wurden, gingen über fich felbft hinaus oder wurden über ſich felbſt hinausgehoben. Es war bied aber zunächft nur der Geiſt

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Einzelner im Volke, der Priefter oder Priefterfürften, durch welche das Volt durch die Zahl, die Volksverhaͤltniſſe und Rechte durch das Maaß ſich geftalten und Selbftheit gewinnen fonnte. Denn das bewußte Vorbandenfeyn des geiftigen Prin⸗ cips in jedem Einzelnen, welcher dadurch wirkliches Individuum wird, gehört dem Decident an. Das zum Symbol hinaudge- teiebene Zeichen bleibt an der Ratur haften, jebody ſchon dem Leben und Lebenslicht der Natur zugehörig, und erft der Mythus gehört dem Geift und feinem Leben, ber Gefchichte an, und es hat daher erft ber Occident wahre, von bleibenden Reſul⸗ taten erfüllte Gefchichte, während die Symbolreiche des Orients nur erft Bewegungen ohne dauernde Nefultate haben Tonnen, Wie das Leben ber Natur Baſis und Ausgangspunc des Geis fteslebens ift, fo geht das dem Naturleben angehörige Eymbol ben Mythus voraus. Beiden gemein ift ihre Univerfalität, ins bem jedes die Gefammtheit aller geiftigen Beftrebungen der Voͤl⸗ fer, in denen es beftand, enihält (= Princip war). Wie das Zeichen zum Bilde wird, fo hebt mit der Bilberwelt die Sym⸗ bolwelt an, und endigt damit, daß das Symbol ein Fünftleris ſches und ein bewegted oder Anfang vom Mythus wird, letz⸗ teres in Vorderaſien, erſteres, d. h. das Fünftlerifche und bes wegte in Perſien und bei den ſemitiſchen Voͤlkern, die ſchon die Bewegung und das Lehen in dem Wandeln ber Raturobjecte (Sterne) oder das Lebenslicht in der ganzen Natur als das Göttliche gewahrtenz In der Mitte, nach dem Anfange Indiens, wo Zeichen, Symbol, Mythus gährend in einander liegen, fteht Aegypten, Gott als concretes Leben, intenfive& Object und das Allgemeine ald Beift erfaffend und im Eymbol darftelfend und verwirflichend. In der Symbolwelt fol jeder Staat und jedes Bolföleben Ausdruck und Abbild der Hieroglyphe des wahrs genommenen oder fingirten Baued und Lebens bed Univerſums, namentlich de& immateriellen Hinmeld und der HimmelSmädhte, feyn; ber göttliche Geiſt, die ewige Seele fol hier wie dort wohnen; geftalten und erhalten alle Verhältnifie. Diefen Stant zu ſchaffen oder überhaupt einen Staat, ift hier wiederum: dad

Zur Ariftofogifchen Philoſophie der Sefchichte des Alterihums. 247

zauberifche d. i. genialpraftifche Ich Einzelner, obwohl die Macht dazu Alle inftinetartig und unbewußt in fich tragen. So ift es auch noch im Anfange der Mythuswelt, wo es die Heroen find, Im Orient aber find es Propheten, Briefter, Prieſter⸗ fürften, Heerführer, Könige, Richter, Hier wird eine höhere Stufe ded Geiſteslebens eritiegen obwohl auf dem Gipfel puncte dafelbft das Geiftige, die Idee erft noch aus ber Ferne wirfend (Hekatos und Hefated und noch lange nicht Mn reiner menfchlicher Geftalt gegenwärtig, wie fchon Im griechlichen Heroenthum, erfheint 9), Zuvor muß die ganze Ratur, mit Einſchluß der menſchlichen Individualität, zu einem großen Orts ganismus vereinigt werben, ber auf ähnliche Art den höheren Geift zu tragen vermag, wie der menichliche Organismus feinen Geiſt, und wie die Verfönlichkeit eines einzelnen Menſchen fpä- ter. dann den göttlichen Geiſt; nachher tritt dann ber Geiſt ale Setdftheit heraus in Perfien (die Feruer, Izeds) und bei den feinitifchen Völkern und überall, wo die Religion ver Geiſtigkeit fortbeftand und fucht fi) gleichfam eine neue Wohnung, die der Menſch wird in Griechenland, wo er das Maaß aller Dinge, wo plakiihe und individuelle Goͤttergeſtal⸗ ten wo das Handeln Mimefid des göttlichen Lebens und

*) Noch bei ten gebildeten Fälfern in PVorderaflen, den Lydern, My⸗ ſern, Phrygern, Dardanern herrſcht durchgängig die Anſicht, das Fuͤrſten⸗ thum ihrer Geſchlechter herzuleiten von einer göttlichen Bevorzugung ihrer Ahnherren. wodurch ihnen eine zauberiſche Gottgefälligkeit beivohne. Die Zaubergunſt gewinnt der Menſch durch Hingebung und Götterdienſt (die Daktylen ꝛꝛc.) der Zauberprieſterſtab, das Gotterbild als Palladium mit darangeknüpften Hoffnungen hoher Macht, dergleichen die Iſraeliten an ihre Stiftshütte anſchloſſen. Das Zauberwort die Sibyllen. Das Palladium, was Gottheit und Menſchheit verbindet, ja aneinader bannt, iſt ein Ideal, eine Göttergeſtalt, z. B. Helena, als Göttergeſchenk, das goldene Vließ, der heilige Graal. der Nibelungenhort zc., welches verloren gebt, wieder erftrebt wird ꝛc. wie das verlorene Paradies; das Hinſcheiden und Wiederzurüditreben tft das Agens der Gefchichte der Menfchheit, und zwar don W. nah O. der trojanifche Krleg, von D. nah W. die Perſer⸗ züge, von W. nah D. der Zug Aleganders, von D. nah W. die BVölker⸗ wanderung, von W. nah D, die Kreuzzüge ꝛc.

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Handelns, daher die Kunft das ganze Leben eine Sunftwelt; nach den Typen des Mythus find die Typen ber Idee, die ber Mythus in fi trägt, ausgelegt durch die Darftellung der eigentlichen Künftler, und dann durch die concreten Lebensver⸗ bältniffe erfüllt: fo Handelt ſich der mythifche Geift heraus aus bem begeiftigten Körper zum freien .Selbftbewußtfeyn und bie Selbfterfenntniß des verendlichten Gottes ald Logos beginnt in- fefern. Im abftracten Begriff ift zunächft dad Leben des freien Selbftbewußtfeyns enthalten. Abftracte Begriffe treten nun alſo ftatt der plaftifchen individuellen Lebensgeſtalten auf die Bühne des Weltgeifted. Unflare, nebulofe Geiftergeftalten haben bie nordeuropäifchen Völfer, und die Gallier und Germanen treten

‚bier ein, dann auch Nord» und Mittelitalien. Hier fehlt es an allen Haren und feften Göttergeftalten, aber abftracte Be griffe und Vorfielungen dominiren, und alle irdifchen Verhält niffe und menfchlichen Beziehungen und Geiftes« oder Verſtan⸗ besthätigfeiten werden zu folchen Geiftern oder Genien de Seele, und: dad ganze Leben tiefer Völker arbeitet darauf hin, ben Geift auf ſeiner noch niedrigen Stufe als blinden Verſtand in die Welt einzubauen, dies Princip zu verwirklichen. ' Diefer Mythus des Verftanded oder ber Geiftigfeit ift aber die reflectirk, im Endlichen und Bartiellen befangene, ber Fiction verwandie Sage, ein geifterhafter Nachklang des ideellen Mythus. So wird der objective Geift in dieſer Ephäre ſubjectiv, und Je hen, Mythus, Sage als Voͤlkerprincipien die Erſcheinungsfor⸗ men des präezxiftirenden Logos. In ber erften Sphäre feiner Entäußerung oder negativen Einheit, in der Sprachſchoͤpfung, tritt der Geiſt zuerft als Gewalt und feheinbare Willkuͤhr auf, und zieht das ganze Leben bed Volks, wo er vorzugsweiſe bit Stätte biefer feiner Schöpfung hat, an ſich in China und Indien nimmt die Sprache allein zum Mittel fich zu objertivi- ren, und das Natürliche geiftig wiederzugebaͤren zum Celbft zwed, während er bei anderen Völfern, wo er mehr in andern und höheren Sphären und abäquateren Formen fich feinen Tem

Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte des Alterthums. 249

pel baut, durch Ueberwindung und Vergeiſtigung des Natürs lichen, die Sprache zurückläßt und ſte nur zum Mittel für wei⸗ tere Zwecke der Selbſtoffenbarung gebraucht, im Cultus⸗ gebäude, Sitte, Verfaſſung, Kunſt und Wiſſenſchaft. Darum iſt die Chineſiſche Sprache als mechaniſche Wurzelſprache, und die urſpruͤngliche Sanskritiſche Goͤtterſprache als. Flexionsſprache vor andern Sprachen ihrer Art ſo ausgezeichnet, daß letztere als disjecta membra dieſer Urſprache angeſehen werben konnten, und enthalten den Typus aller Sprachbildung. Es gehoͤrt aber die Sprache in das geiſtige Reich des Zeichens.

II. Die Chriſtus-⸗Idee oder die Mächte des menſchlich⸗ göttlichen oder des gottmenſchlichen Bewußtſeyns haben im Elementarifchen, in Raum und Zeit, Land und Volk die Natur- bedingungen, welche vom Weltgeifte präbeftinirt find, dad Acußere mit dein Innern zu verfchmelzen in dem Broceß der Gefchichte. Die Chriſtus⸗Idee als der conerete immanente Refler und Bros eeB Gottes im menjchlichen Selbftbewußtfeyn oder der Grund des gotimenfchlihen Bewußtſeyns erfaßt und offenbart fich oder erfheint Durch das Wechſelſpiel von Beift und Materie, indem jede Thatjache ner Weltgefchichte eine Schöpfung der Chriſtus⸗ Idee ift, dieſe fie in's Leben rief, wie jeden gefchlchtlichen Zu: fand und Beſtand: Chriftus als

n 6dös (ald das allgemeine Höhere, als bewegungslos⸗ barmonifched Himmelscentrtum in China, dem Reiche der Mitte, urfprünglich geſchlechtslos; n ton, Jals die Elemente der Weltfeele oder das Leben über- haupt in Indien, männlich. und weiblich; als z6 hals das Licht der Subſtanz, Selbitoffenbarung der Materie und concreter als Teuer, in Perfien, | männlich; püg, Jals befeelted Leben (Thierſeele), Seele, in Aegyp⸗ ten, männlich und weiblich);

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als zd | ald Sternbewegung und Sternleben, Sternfeele, in den chaldäiſch-ſa⸗ bäifchen Reichen ; männlid) ; gas als abftracter Geiſt in ber Höhe in JIJudaa; | ss | al8 Feuer und Waſſer in den fyrifhen Rei— chen, mannweiblid ; ws, | ald Erbfeele, Herrin des Waſſers in ber Erbe, in Kleinaſien, weiblid; 7 yaoıs ( als Kunfts und Schönheitöprinchp in der Welt und za der menfchlichen That in Griechenland; ern, | al8 Perfonen », Rechts» und Staatsprinziv in Rom; als gattinenfchliches Bewußtſeyn felbft, perſoͤnlich gottmenſchlich im Chriſtenthum. | Wie nun diefe &rfcheinungsforn des göttlichen Selb: bewußtfeynd das Staats und Volksleben der alten Welt ges ftaltete und wie das Staats und Bolföleben überall die Außere Form und das Symbol de& Vereinigungsprocefies und ber Ver⸗ ſchmelzung von ‚Gott und Menſch geworden und im Alterhum das emige MWechfelfpiel von Geift und Materie gewefen ift bis zu ihrer Verföhnung im perfönlichen Geifte in feiner entjprechens ben Leiblichkeit, muß dargethan werben. Luft, Feuer, Waſſer, Erde find die aropela Tod xöonov (bie Materie), die das noch ganz phyſiſche Bewußtſeyn als feine Potenzen empfindet, erfaßt und verehrt, während das reflectirenbe Bewußtſeyn dieſe übers kommenen Gottheiten läutert und verflärt (Luft als Geiſt in ber Athene 2c.), und dann als Eubftrate des geiftigen Lebens faßt, wie die ionifchen Bhilofophen Griechenlands sc. umd in chriftlicher Zeit die 3 Hauptrichtungen der brahmaniſchen Phi⸗ lofophie in Fichte, Schelling, Hegel, und die buddhaiſtiſche in Schopenhauer ihre Verklärung finden, | Nebenher geht aber bei allen indogermaniſchen Völfern bie Ahnung Gottes als einigen abfttacten Geiſtes, und wenn wir zugeben, daß nach der Sündfluth die Menfchen die urfprüngliche Kenntniß des wahren Gottes hatten, wie der Sohn ten Vater

Zur chriſtologiſchen Philofophie der Gefchichte des Altertfums. 251

gefehen hat, von dem er ausgegangen (Joh. 6, A6), fo können oder müflen bie Spuren davon als die Refte von biefer urs fprünglicheren reineren Gottederfenntniß aufgefaßt werben; und wenn die vergleichende Sprachforſchung die Nefultate, welche Schleicher in der Allgemeinen Monatsfchrift 1853 S, 786 Furz zufammengeftellt hat, liefert, fo müßte man annehmen, daß bie würbigere, die Gefchichte geftaltende Anficht von dem Weſen der Gottheit bei den Griechen und bei. den Germanen eine Folge ber früheren Losreißung von dem indogermanifchen Urvolfe fey, ein Schaß, den fie fi von der mitgebrachten Meberlieferung bes wahrt; und daß dad, was die Griechen aus dem Driente ems pfangen, vielmehr eine Trübung des reineren und wahreren Got⸗ tesbewußtfeynd, ald eine Mittheilung höherer Kultur geweſen ift. Und fann wohl überhaupt das menfchliche Urbewußtjeyn oder das Gottesbewußtfeyn, womit der Menſch uranfänglic) begabt war, ein anderes gewefen feyn, als ein reines und wah⸗ res? Der Ifraelit erhielt es fich Im hartnädigften Kampfe ſieg⸗ reich; bei den anderen Bölfern, die der Materie erlagen, wurde es ein phyſiſches Bewußtfeyn, von dem fie fih nach und nad) wieder zu befreien ftrebten, was, ald das Streben nach Ehrifte, dad Hauptagend ihrer Gefchichte ausmachte. Der Gegenfa zwifchen dem materialiftifchen PBantheismus und dem Spiritua⸗ lismus iſt in den concreten Erfcheinungen der Gefchichte darum fo fehr feftzuhalten, weil der Pantheismus die Welt und das Leben auf bad Naturgefeg, der Spiritualismus auf das Eitten- gefed gründet. Bei gleichen und ähnlichen Erfceheinungen kommt ed überall auf das unterfcheidende Princip an. So ifl z. B. ihon darum ein großer Unterfchied zwilchen dem großen Geift ber Indianer, der an fich hohen Sittlichkeit, der Menſchen⸗ ja Beindesliebe der alten Hindus, und andrerſeits dem Gott und der Sittlichkeit der Chriften. Auch die Speeulationen ber Hin⸗ bus und der Griechen find fehr verfchieden yon den chriftlichen und ebenfo der Einfluß derfelben auf Religion und Gefrhichte: benn in jeder NRatur-Religion, die eine Geſchichte hat, entwidelt fih ein toppeltes naturſymboliſches Moment, ein urfprüngliches,

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und cin reflectirteö ; aber die reflectirte Symbolik ift nicht fchöpfes rich in Beziehung auf die Religion und Gefchichte, und hat nur einen großen Einfluß auf die veränderte Auffafjung der Religion, und bie bewußte oder unbewußte und unbefangene Eyeculation trägt affectlo® ihre Auslegungen in die bereits vorhandene Re ligion hinein. Ein Volk von friid bewegten Leben fchiebt vor bieje reflectirte Religion erſt noch ein Zeitalter wirklicher Gott⸗ heiten und Leben geftaltenver Heroen ein, welches von ber alten Naturſymbolik nur höchftend den Namen beibehält, und bie Aus« malung dieſer Geftalten ift ihm die Hauptfache, feine wirkliche Religion, wobei denn bald ber dunkle Urgrund der Nutur ald geſtaltloſes Factum und sin Naturfatalisnus entfteht, ber an eine in Brovocation, Appellation, Eidesfeiftungen, Ordalien ge genwärtige myſtiſche Gottesidee, ald über die anthroinorphofiten Götter Herifchend, glauben läßt. Anders bei den fpirituellen und geoffenbarten Religionen, die einen andern, ideellen, geiſti⸗ gen Urfprung haben, den SBrincipe nad). Die Formen, in iv nen das Naturgefeg und in denen das GSittengefeg ſich dem Glauben und der Vorftellung deutlich macht, mögen bei ihrem MWechfel und ihrer Fortbildung noch fo fehr einander ähnlich werden, das Princip bleibt immer dafjelbe und unterfcheibel bie fpirituellen Religionen himmelweit von den materialiftichen, fo wie überhaupt We chriftliche Religion von allen Entwide [ungen der heipnifchen Anfchauung. Der Urgrund aber ift ein und berfelbe und bie biftorifche Entwickelung treibt als Reſultat bie Wahrheit hervor des Ausfpruches Ehrifti: „She Abraham war, bin ih.”

An Chrifti Feiblichkeit Theil zu nehmen ift die fortwäh⸗ rende Wicderherftellung des erften feligen Grundverhäftniffed zu Gott. Biele Sagen der Alten priefen diefe Urverhältniffe, died felige Ingottfeyn der Urväter (Toüg rulnods xal dyyic Year yeyovorag xpslrtovaus Adv nal Eyyvıdow Yewv olxdovrag elt.: Greg. Symb. I. ©. 6. 3. Aufl.); ebenſo Vieles deutet auf bie Begierde zur Theilnahme an dem materiellen Moment det

Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Gefgichte des Afterifums. 253

Körperlichkeit der Gottheit, 3. B. dad Eomafaft-Trinfen der Sranier, die fleifchliche Verrheilung des Geiſtes von Aegypten, des Oſiris an die einzelnen Nomen, die griechiſchen Sagen von Minos, Tantakus, die Gewohnheit der alten Indianer, einen Menfchen ale Eymbol ter Gottheit zu opfern und deſſen Kör: perftüde zu verzehren ꝛc. ALS Chriftus ward der ewige Logos Fleiſch, um durch fein Blut das primitive Verhaͤltniß des Ingott- feyns wieder herzuftellen. Dies ift der zweite Act der göttlichen Meltgefchichte, der Act der göttlichen Liebe, wie die Weltichöpfung der Act der göttlihen Madıt.

’E» Xaoriö elol ndyres of Inoavgol tus voplag xal Tg —XX ENOXEUDON.

Il. Sowie ſich ergiebt, daß die unterſten Naturvölker bis zu den Chineſen das allgemeine kosmiſch-elementariſche, die Inder das vegetabiliſch-animaliſche, die Aegypter das Thier⸗ ſeeliſche, die Perſer und babyloniſchen Aſſyrier oder Vorderaſiaten bad aftralifch »terreftriiche Lebenslicht überhaupt darlegten und darlehten und der Logos ihnen 7 Lon zul 10 gws war: ebenfo ergiebt fich und der ideale (abftracte) Logos als der Seelenborn, der Träger bed Selbſtbewußtſeyns (Gattungsbewußtſeyns) der Menſchheit und als das universale reale des Gottmenfchen- geſchlechts, allgemein und individuell zugleich; feine Seiten, eine ideelle (fpirituelle, geiftige) und eine materielle oder elementare (wie auch der Aoyos als Sprache beide Seiten ober Momente bat) hat er fich zu Bewegungsprincipien oder Agentien geſetzt, „der vor den Elementen war und ber Sonne feinen Tribut zahlt, Leben und Tod beherrfchend, der ewige Vermittler ber Einheit zwifchen Gott und Welt." Der Menich, obſchon ein Gewordenes, hat in diefen und durch fie den Trieb, den freien Willen zur felbfturfadhlichen Potenz feines Weſenhaften felbft- fhaffend zu erheben und wird fomit der Factor (Selbſturſachlich⸗ feit) und Traͤger feiner felbft und zwar in 3 Perioden. Sein urfprüngliches Anfichfeyn ift das ideele Seyn: reines Denfen in Gott, Aber Trieb und Willen treibt ihn zum Ans und Rürs ſichſeyn und giebt ihn der andern, anziehenden Seite, ber ma=

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teriellen oder elementaren, anheim. Bor dieſem feinen Sünden fall war im Menfchen dad Berne, und das Gegenwärtige nicht gefchieden; feine Einne reichten weiter; er hatte mehr Theil an ben Strömungen ber elementarifchen Kräfte; aber Selbftftändig- feit und Selbftbeftimmung war nur im Keime da. ‘Die zweite Periode, die gefchichtliche, ift die des orientalifch » heibnifchen Selbſtbewußtſeyns. Hier hat der Menſch die Wurzeln feiner Kraft allein in den Elementen ber Welt, des natürlichen Dafeyng, in die er ſich aufgiebt und die ihn beherrſchen; aber bald ſucht er fein ideelled Moment wieder zu gewinnen, fich erfüllt zu ers heben und zu befreien. Der Chinefe jucht in den mathemati- ſchen Naturnormen, in Maß und Zahl, in ter Harmonie des natürlichen Dafeynd und ber äußeren Natur und der Ma terie ſein ideelles Moment (— ein beitiinmtes, ben organiſchen Naturgegenſtaͤnden abgeſehenes Maaß und geometrifches Ber: haͤltniß iſt auch die Seele aller Tempel, Pyramiden des Alter: thums bis zum Parthenon ; die Aegypter haben fogar eine dem rechten Maaße heilige Stadt, Syene, genannt Pa⸗chech, d. i. die Stat ded Richtmaßed —); der Inder Welt ift cin Chaos, wo „rein ift das Herz, das feinen Willen hat”, wo Alles Gott ift außer Gott felber, wo Natürliched und Geiftiged gemifct ineinander gehen, wie im Traum und Taumel: bei beiden ift die Sinnlichkeit fündhaft und der Geift ein ferned Jenſeits ges worden. Sp bei ben übrigen Völfern biefer Stufe. Auf alle Weiſe fuchen fie den Geift herabzubeſchwoͤren. Dies ift ihr Pa⸗ thos und zugleich ihr Seldftgericht und ihr Antheil am chriſt⸗ lichen Logos. Diefer oder dad Weſen des Chriftenthums er: kennt die fittlihe Selbftftändigfeit und Freiheit des Menfchen in Gott und erhebt ihn zu ihr (ohne Erbfünde, Genugthuung ıc.) durch Heiligung und Verklärung des Gemüthd. Der Menid gewordene Logos, Chriſtus, Hat wie die alten Propheten in ber urfprünglichen Reinheit der Menfchennatur das Göttliche wie: deraufgefunden; in feiner von Geift durchleuchteten Geſtalt war er ftiN und felig und Gottes gewiß und eins mit ihm; er hatte die Gottheit in feinem Willen, und fie ftieg in ibm von ihrem

Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte des Alterthums. 255

Weltenthron; wird er in uns wiedergeboren, ſo ſind wir durch ihn ewig, wie er ſelbſt, und nicht verloren in der Natürlichkeit und haben Theil an feiner Leiblichkeit. An diefem Logos hat das Selbſtbewußtſeyn des Ehinefen Theil in den unter dem Allgemeinen feftftehenden Raturnormen als moralifchen Regula⸗ tiven; fein Selbfigericht ift die fittlich leere, erftarrte Unis verfität. Das Selbfibewußtjeyn der Inder gewinnt Theil an diefem Logos durch die abftracte Bewegung ber Naturgegenfäge und Gefege bis zum uniformen gottgleichen Menfchenthum im mitleidsvollen Buddhaismus; fein Selbftgericht ift die nihilifie rende, auflöfend ertöbtende Abftraction des nivellirten Gott⸗ menſchenthums. Das aͤgyptiſche Selbftbewußtfenn hat Antheil an diefem Logos in der ſymboliſchen Heiligung des rein natürs lihen Lebens und Todes; fein Selbftgericht ift das Aufgehen in der Symbolifirung. "Der mediſch⸗-perſiſche Antheil am dieſem Logos ift die ftantliche Ordnung des Lichtreich® und feiner Ges feglichfeit: fein Selbftgericht tft die Verflüchtigung des göttlichen Inhalts durch Die weltliche Despotie. Aflyriens und Babylo⸗ niens Antheil ift die Heildordnung der aftralen und elementaren Eympathie bis zur Vernichtung der menfchlichen Seele, worin das Selbftgericht beſteht. Diefe erhebt ſich im claffifchen Alters thum wieder und feiert ihre Auferftehung in der (relativ freien) Merfönlichkeit. Das Volk der Griechen begreift die Wahrheit, aber nur in ter Geftalt der finnlichen Schönheit (wie die Kar tholifen in Maria). Es bat die Naturgebundenheit ded Drients noch nicht völlig abgeftreift; noch fehlte jenes Verhältniß von Geiſt und Sinnlichkeit, wo ber Geift fich feiner Gefchicdenheit und Freiheit bewugt ift, wo er fich über die Materie erhebt, um fi) dann wicher auf fie einzulaffen, um fo innerhalb des Natürlichen felbit feine rechte, volle Freiheit zu behaupten. Die Eophiften und mit ihnen gleichzeitig Sokrates führen den Men- hen von der fchönen Erfcheinungswelt in tad ewig Innere zurüd und zwar in der Weiſe, daß bei ihnen das ideelle Mo⸗ ment, der Geift als das Höhere auftritt, der Welt des natür- lichen Daſeyns gegenüber, Während aber tie Eopbiften Ten

„1 .

256 Haupt,

Geift und zwar den fubjectiven Geiſt des Menfchen und feine Normen und Sategorieen zum Maaß aller Dinge machen und das fubjeetive Ermeflen zum Regulativ ded Handelns, wird dem Sokrates die Schranfe des menschlichen Wiſſens und Erkennens far, und die Berechtigung der objectiven Welt fühlbar, und nur durch das wahre Willen vermag fih ihm das Selbftbewußt- feyn der objectiven Welt gegenüber als felbfiftändige und herr: ſchende Macht geltend zu machen. Diefes Wiffen ift nun das höchfte Gut des Menfchen, und nur die Wifienden beligen die wahre Tugend, und aller Tugend muß Selbſterkenntniß vorher: gehen. Die höchfte Tugend ift die auf ſolcher Einjicht beruhende und zur Sittlichfeit geivordene owgevodvn, dad Sich Befinnen auf ih, d. h. auf die innere göttliche Weſenheit, welche das rechte Maaß aller Dinge In fich ſchließt; wo das nicht aus reicht, find dem fubjectiven Belieben als objective Schranken die r09u00 TOv Ieov und andrerjeitö die voros nolswg gefegt. Dieje oopia ift die Quelle ſowohl der 3 ardinaltugenden, da yzonteia, irdols und dixawoouyn, als aud) der Eubaimonit, und obgleich Sokrates das Gute an fich begrifflich nicht fo wie fpäter Plato erkannte, fo ſchuf er dody fomit eine völlige Um— fehrung des antifen Selbftbewußtfeyns, brachte es zur Vernunft und bereitete dem chriftlichen Xogo8 den Weg. Nun war nidt mehr Moralität, d.h. Handeln nad) äußerlich und aufgebrunges nen Gelesen, fondern Sittlichkeit, d. h. freicd Thun des Guten aus Erkenntniß und innerem Bebürfniß, die vergöttlichende Tur gend der Welt. Das fittlich Gute war ihm auch das Außer ich Nügliche, in den Willen aufgenommen, ebenfo wie bad Schöne Da dad Schöne an fi erkannto ward, fo waren Künfte und Wilfenichaft in das Himmelteich, in das Reich bed Ewigen aufgenommen. Da aber das Gute an fidh nicht begrif fen und in den Willen aufgenommen wurde, fondern Dies nur al& relativ galt, fo fiel es dem ſchönen Schein und mit ihm das Äußere Griechenland der Schattenwelt anheim (nad Röm. 1, 21— 32). Das Selbftgericht des römijchen Selbſtbewußtſeyns wird ein Ähnliches. Seinen Antheil am chriftlichen Logos bes

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Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte des Alterthums. 257

gründete der zur Vernichtung ber rein ſinnlichen, blos natürlichen Belt determinirte Wille, welcher auf Rechtsformen eine neue Welt auferbaute, aber an der de&potifchen Selbftfucht ald dem pofttiven, bie Freiheit Aller vernichtenden Böfen Außerlic zu Grunde ging, wie gefagt war Dan. 2, 40; 7, 23 ff., in feie nen Rechts⸗ und Willensdeterminationen der Perſon aber als geiftige Weltelemente fortlebt. Beim Proceß des Unterganges kommt bie Frucht des femitifchen Selbitbewußtfeynd, namentlich ber Hebräer zur Reife. Died ging, fpecififh verfchieden (woher auch die Verfchiebenheit der Mundart) von feinem ideellen Mo- mente aud und hatte oder fand auf diefe Weile zwar leicht ben einigen ewigen Gott ald Geift, aber. erhielt ihm nicht die Uni⸗ verfalität; feine theofratifche Gefeplichkeit ward bald zum todten felbftfüchtigen Gefegformalismus, und e8 bedurfte nicht weniger, ald das Selbftbewußtfeyn der andern Bölfer, „ver Auferftehung und bes Xebend: „Iſrael, das vom Geift erzeugt war und harrte feined Gottes”, und nah Ev. Joh. 8, A ſelbſt von Geifte ge- boren war und als Geift die Materie in fi aufnahm. Und Ehriftus fprach nicht blos für alle Menfchengeifter, fondern auch für alle individuellen BVolfögeifter: Ich bin die Auferftehung und das Leben! Die beiden Seiten bed Logos im claſſiſchen Alterthum, im Helleniömusd die freie und fchöne individuelle Menschlichkeit oder die fchöne ‘Perfönlichfeit im Sinne des blo8 oder rein Menfchlichen innerhalb der Staatsfchranfen, im Römerthum oder der rönıischen Weltdespotie die allgemein menfch- liche organifche Xeiblichfeit oder Staatöperfönlichkeit, verſchmolzen nicht nur dynamifch im chriftlichen Logos vermittelit des mofai- hen Eorrectivs, fondern bringen durch Chriſtus den unendlichen geiftigen und materiellen Weltinhalt in immer reiferem und voll- fommnerem Maaße zur Erfeheinung, das Reich Gottes auf Er⸗ den als die allgemeine chriftliche Leiblichfeit in die Welt einfüh- rend, Denn Chriftus ift nicht gefommen das Geſetz aufzulöfen, fondern zu erfüllen, nicht die Welt zu richten, fonbern felig zu machen, d. h. fie zum Abglanz feiner Herrlichkeit, da er felbft ber Abglanz der Herrlichkeit Gottes, zu geftalten, Ä Beitfhr. f- Philof. u. phil. Kritik. 33. Band. 17

258 * Sanpt,

Dies iſt der Proceß, vermöge deſſen Gatt die zu feinem Weſen gehörige ewige Natur ewig zu einer ihm ſelbſt als Geiſt durchaus entiprechenden, in unenblicher Herrlichkeit ſtrahlenden bimmlifchen Leiblichfeit erhöht. Der Abglanz ded ewigen Ders eined der Natur und bed Geiſtes iſt die Gefchichle als Die welt liche Verleiblichung des in ihr, über ihr und durch fie walten- den Geiftes, der, je nachdem er fich zu Gott erhebt (in Weife des Zeichens, Symbold, des Mythus —), ober von Gott ſich entfernt, das geftaltende Princip, ber Lebensodem ber Gefchichte ift. Und wie die organiiche und unorganifche Natur der dyna⸗ miſche Abglanz, die reale Symbolif des Geiſtes und für biefe protypiſch tft: fo ift es das Alterthum für den chriftlichen Lo⸗ 908, für das Chriftenthum. Der präerifiirende Chriftus oder der Logos ehe er Fleiſch, Perſon geworden, find die Principien der Volksgeiſter, welche ihr concreted Leben geftaltet haben; er ift dad Seyn, bie aroıreia Tod xdonov oder Ta navre Of aftens (nuvre dl aurod Eyevero), dad Leben Aegyptens (2v ar- 16 Loy nv etc.), dad Licht des Perſerreichs (zei 7 Ton u⸗ zo pas rwr üvdewnew etc.), der tantalifche Todesfchmerz und die Auferfiehung zur Berfönlichfeit in Vorderaſien (2yw eis # &vcoraoız ect.), die fchöne Individualität und berechtete Per⸗ fönlichkeit Griechenlands und Roms (40099 Ye0d), und des Propheten Wort und die Meſſias⸗Idee Iſraels (Jeſ. C. 6 coll. E. Joh. 12. 14). Die in Ehriftus erfchlenene und wirffame Perfönlichkeit Gottes ift als folche und war als ſolche das le⸗ bendige treibende Princip aller Gefchichte und die Wahrheit aller göttlichen Offenbarung und Wirffamfeit zu aller Zeit; und der Hoͤhepunct alles vorchriftlichen Denkens und Handelns war das Hinftreben nach Chrifto, und Diefer wiederum ift der präeris ftente Logos als abſolutes Heilsprinciy.

Die Auffaffung des Logos in dieſer feiner-Identität ſowohl als abfoluten Heilsprincips ald auch als Weltprincips, als welt: fhöpferifcher Macht und weltgeftaltenden Principe ift alfo eben- fogut in ver Philoſophie als in der Bibel, namentlich im Evan» gelium Johannis begründet und durd die Weltgefchichte gerechts

1

Zur chriſtologiſchen Philoſophie der Gefchichte des Alterthums. 259

fertigt. Die altteftamentlichen Bewegungen ber weltichöpferifchen Mächte weifen auf diefen Weltichöpfer ebenfo hin als die Idee bes Pfatonifchen Demiurgos. Aber wie die Abtrennung des vollfommen rein geiftigen Gottes vom Gotte der Körperwelt und des Jubenthumd dad Neue und Abfolute der chriftlichen Religion ausmacht: fo unterfcheidet fih durch das abfolute Heils- und Erloͤſungsprincip der chriftfiche Logos won bem ber griechifchen und jüdifch-alerandrinifchen Speculation. Als welt- geftaltendes Princip und Seele ded ganzen gefchichtlichen Heils⸗ procefied der Menfchheit erfcheint der Logos im Sohannisevan- gelium, welches die uaorvola ift von der Sendung bed Logos als zweiter, geiftiger Welterfehaffung, dem Hauptacte ber götts lichen Liebe, und von ber in der Welt geoffenbarten ddEn des viös Tod drdownov An övouvoö, der zugleich als tovoyerig vidg Ieod am Bufen ded Vaters liegt. Diefe dos offenbart fich, inſofern er ald der vom Vater Gefandte für die Menfchheit in abfoluten Sinne das Princip der göttlichen Wahrheit, des ewi⸗ gen Lebend und bed in ber Finfterniß ericheinenden Lichtes if. Obgleich reine Selbftthat des Sichgründend der Gottesliebe ift er ſelbſtſtändig und Perſon in der Perfönlichkeit‘ Gottes vom Anfang an. Die Liebe ald das Band ber felbftfländigen und frei ſich bethätigenden Macht ift das verborgene Geheimniß der ewig freien Sohneszeugung. Er hat vom Bater das ewige Selbftieben als Worte des ewigen Xebend redend und habend (Soh. 6, 63, 68). Denn Wort bezeichnet das ewige Leben als fich felbft unendlich bethätigend, alſo ald unendliches Selbft- leben, als Wille innerer Selbftmächtigfeit, Grund eigner Per fönlichfeit, die unterfchieden, aber nicht verfchieden von der des Vaters if. Das Sprechen ift daß lebendige Auswirfen und Of: fenbaren des eelengrundes, bed Willens, ber perjönlichen Machtvollkommenheit. „Das Wort war Bott; faßlid bin ich der ich mit euch rede. „Dur dad Wort ift Alles ges Schaffen im Himmel und auf Erden“ oh. 1, 35 Hebr. 1, 2,10; Coloſſ. 1, 16, 20. 0 Äöyog heißt er in dem Sinne wie er 7 ton, 76 Qüs, A ArIaa heißt, nur daß, da das göttliche -17*

260 Haupt,

Hort die Vorausſetzung bed mitgetheilten göttlichen Lebens ift, jener Begriff der umfaffendere ift, Hebr. 1, 2 u. 3. Der Sohn ift Weg, Leben, Licht und Wahrheit ald Urfprung, Wort und Ebenbild x. Ja ald Weg, Leben, Licht und Wahrheit war er dad BVölferlebensprineip vor feiner Erfeheinung im Fleiſche. Er zeigt den Weg und war ber Weg ben Völkern ber früheften, unterften Naturftufe, den Bölfern des Zeichens; er war Das Leben und gab dad Leben denjenigen Völkern, fo das Leben und Lebendprincip zu ihrem Gotte machten, den Indern und Aegyptern. Der Sohn ift felbftwerdendes Seyn oder Leben, welches feinen Urgrund im feyenden Seyn hat, aber ald ewiges Selbſtwerden fein ewiger Urfprung if. As Seyn und Leben offenbart er ſich zunaͤchſt in dieſen Völkern, als göttliches per- ſoͤnliches Leben, unendliches LXeben, das er im Grunde ift, wie Gott fein Vater das Grundfeldftfeyn. Im Strom der unend⸗ lichen Geſchichtsbewegung wirft er fich felbft aus und verwirk licht fein Anfichfeyn, ift unendlicdhes Wirken und Schaffen. Die Selbftwerben ift dad Eigen des Sohnes; aber dies Leben ald ewiges hängt nicht nur mit Liebe, Licht und der Erfenntniß Gottes zufammen, fondern fein ewiges Leben, welches er em- pfangen hat und giebt, vollendet fih auch im Erfennen Gottes nad) Joh. 17, 2, 3. Als allgemeine Menfchheitsliebe offenbart er fih in der Buddha⸗Religion, ald Licht und Erkennen im Perſerthum und Judenthum. „Sch bin das Licht der Welt.“ - Gott wohnt in einem unzugänglichen Lichte, nur der vom Bar ter ift, hat ihn gefehn; der Sohn flieht den Water wirfen, und was jener thut, thut gleich auch der Sohn, Joh. 6, A6. Er, dad Gute, wirfet gute Werke ald das Ebenbild Gotted, Joh. 10, 32 ff., Eol. 1, 15. Dies ift die Religion des Lichtes und ber Lichtwerfe, die aftralen Lebensideen des ewigen präeriftenten Logos, an welches ſich dad Judenthum anfchließt, aber in Mo⸗ jes und den Propheten oder ber ewigen mar feine Bollen- dung findet. In bdiefen reift das Sichfelbfterfennen und Ber- herrlichtwerben des Gottmenfchen. Aber ehe der Herr ald Gott- menſch nad Phil. 2, 6 ſich vollendete und verherrlichte, mußte,

Zur chriſtologiſchen Philofophie der Gefchichte des Alterthums. 261

er durch das Leiden des Todes gehen, ber Herzog ber Seligs Teit durch Leiden vollkommen werden und in ben Vater zurüd- fehren, Hebr. 2, 9, 10, 1. Eor. 15, 28. So war er nicht bloß 7 lwr zul pws, fondern 76 Yüs zig Lois, n bw xor 7 üvaoracıs. AB Im pas vereint und ald Licht des Lebens (Soh. 1, 4; 5, 26; 8, 12) ift der Logos Princip des aſſyriſch⸗babyloniſchen als Lo xal dvaoracıs bed ägyp⸗ tifhen und vorderafiatiihen Denkens und Wirkens. Die Er- fenntniß ift dad wahre, nicht: vom Seyn und Wirken losgeriſ⸗ fene Denken, bat in ihm alle Subftantialität ded Seyns und alle Probuctivität des Wirkens umfchloffen, und dies wahre felbftbemußte Denken vollendet erft die Perfönlichkeit, ift die Anden. Der Vater erfennt in dem Sohne fein Ebenbild, der daher vollenbetes göttliched Selbftbewußtieyn hat und fomit und foweit vollendete, abfolute, felbftftändig begründete Perſoͤn⸗ lichfeit oder göttliche Geftalt, Phil. 2, 7. Das Wort, welches bei Gott war und damit von Gott erfannt und ihn kennend, iſt felbft Gott, göttliche Perfon (denn das Bei: Einem - Seyn, noös rıva eivar, fchließt das Kennen in fih). Der Sohn ift vollendetes, göttliches Bemwußtfeyn, weil er als unendliches, göttliche® Leben das vollendete, fid) erfennende, ewige und un- enbliche Senn bed Vaters auf Erden vollfommen ebenbilbet. Er ift abfolut feiner bewußt und Alles wiſſend, Joh. 16, 30, hat Klarheit, indem er beim Vater war und if, Joh. 17, ©. Das vollendete Sichkennen ift der Grund der Perſon einerfeits fowie die fubftantielle Selbftftändigfeit des freien Wollend und Wirkens andrerfeitd ald die Selbftmächtigkeit des Sichwirkens, d. h. des Wirkens in Geift und Wahrheit. Diefe göttliche Selbſterkenntniß und Selbftmächtigfeit, dies Reich der Area des Logos ift der Urfprung des Griechenthums und Römers thums, wo dad Wort fein Wefen zum göttlichen Ebenbild und zur gottebenbildlichen Perfon vollendete. Mit der Erfentniß ward dad Streben nad) der xopp} Feoü, aus welcher die doku Feoü her vorging, in Hellas, oder nad) dem finnbildlichen Ausdrucke, der Dars ftellung gegeben; fie bedingten fich gegenfeitig mit der Rechtes

262 Haupt, Zur qhriſtologiſchen Philoſophie der Geſchichte ıc.

und Willensfixirung: in Rom die Grunblegung zur begründeten, freien Berfönlichkeit des Menfchen: beides dad Endlichwerden ber hypoſtatiſchen und perfönlichen Unterfchievenheit de vom Bater ausgegangenen Sohnes, bie Wechfelbeftätigung ber Liebe zwifchen beiden Berfonen, f. Joh. 17, 18 u. 21, und die mit der AAnFea verbuudene zagıs, ibid. 14— 17. Der Vater ift bei dem Sohne, der Sohn bei dem Vater von Ewigkeit. Daraus aber, daß auch der Sohn im Vater ift, folgt, daß die Menſch⸗ werbung befielben und daß die Erzeugung an ſich ein ewiger innerlicher Act des Vaters if, Aber als die Zeit erfüllet war, als die Gefchichte den Begriff des allgemeinen Menfchenthume dur; Alerander d. G. und die Römer vermirklichte, den ewigen Logos durch die griechifche und die jübifch=alerandrinifche Spe⸗ eulation zur wirffamen Erfenntniß gebracht und die Macht de& gottmenfchlichen Selbftbemußtfeyns auf den Thron ber Welt erhoben Hatte u. f. f., da ward das Wort Fleifch, der Logos Perſon, und wandelt unter und, und wir fehen feine Hen lichkeit ıc.

Alfo wirkte und fchaffte der ewige immerweltliche Chriſtus oder ber präeziftente Logos als Leben, ald Licht und als tie Wahrheit in dieſen Reichen der Welt oder ber Finfterniß, die ihn nicht begriffen haben (Joh. 1, 5), beſonders in ber letzten Zeit vor feiner Selbftunterfoheidung oder Selbftbeftimmung ala Perfon. Das Wort war von Anfang in ber Welt, aber bie Welt nahm es nicht auf (Hebr. 1, 2); dur den Glauben haben die Alten davon Zeugniß ‚befommen (Hebr, 11, 2), das Licht fchien, aber die Welt kannte es nicht u. ſ. ſ. Dennoch wirfte diefer Logos in diefen Zeiten und Reichen fo Fräftig, daß er das Alterthum ald einen naudaywyds eis Xoiarov erjcheinen ließ und daß ſolche Anflänge an die Chriftusrefigion überall in fpäterer Zeit erlangen, daß einige Kirchenväter dies als Werk und Nahäffung des Teufels erklärten; ſolche Momente berfelben an das Licht traten und die Idee des Chriſtenthums fo fehr in die Erfheinung drängte, daß man darin die Chriftus- religion ſelbſt ſchon ober gar die Quellen berfelben zu fehen ges

Merenfionen. A.Rosmini-Serbati: Il Rinnovamento etc. 263

glaubt hat. Namentlich iſt die Idee des Buddah und ber Bud⸗ Dah Religion, viele Dogmen des Brahmaismus von ber Incar⸗ nation, . dem Trimurti ꝛc. und befonders die Anfchauungen und Ritualien der alten. Perſer als Duelle chriftlicher Glaubensleh⸗ ren und Ritualien angefehen worben (3. B. Nork: Mythen ber alten Berfer als Quellen chriftlicher Glaubenslehren und Ritua- lien), während Andere meinen, daß dergleichen Aehnlichfeiten oder Anklänge darin fpäterer Zeit angehören und aus dem Chri- ftenthum übertragen feyen. Es war aber dies die Macht der ewigen Idee und bie Wirffamfeit des. präegiftenten Chriftus, welche 3. B. den Buddha zu einem fich aus Mitleid aufopfern- den Gottmenfchen und den Cultus beffelben ganz dem Tatholifd) = ehriftlichen ähnlich machte, und welche den Mithras als Demiur- gos⸗-Logos und ald Mittler zwijchen Gottheit und Menfchheit mit der Bedeutung eines leidenden und triumphirenden Gottes erſcheinen ließ.

Necenfinnen

N Rinuovamente della filosofia in Jtalia, proposto dal C. T. Na- miani della Rovere ed esaminato da Antenio Rosmini-Serbati, prete roveretano, Milano 1836. 705 f. in 3 faseicoli.

Wir fennen bie Theorie Rosmini’s, der unter den Italies nern ſelbſt mit Recht als der größte ihrer neueren Philofophen neben Bicenzo Gioberti gefeiert wird, ‚bereitd aus einer von Hrn. Prof. Weiße gefchriebenen Anzeige feines Hauptwerkes, bes Nuovo Saggio ‚sull’ origine delle idee, im 2.9. bed 28. Bdes. diefer Zeitfchr, Die gegenwärtige Schrift Tann zu biefem Haupt⸗ werfe als Anhang betrachtet werden, ber die Beftimmung hat, bie Theorie namentlih nad der] Seite der Auseinanders ſetzung ihres Verhaͤlmiſſes zu gleichzeitigen Philoſophien eini⸗ germaßen zu ergaͤnzen; einigermaßen: denn immer noch gilt das in der eben erwähnten Anzeige Ausgeſprochene, daß die deutſche philoſophiſche Literatur nur bis zu einer hinter der Ge⸗

264 Recenfionen.

genwart bereitd nicht wenig zurückliegenden Zeitgrenze benußt it. Ein fehr weientlicher Fortfehritt aber iſt in vieler Bezie⸗ bung zu bemerfen: Hegel, beflen im ganzen Umfange bes Nuovo Saggio auch nicht einmal im Borübergehen gedacht war, wird hier einer, nach der Anlage des Ganzen ausführlich zu nennenden, Kritik unterzogen. Außerdem lernen wir von neuere transalpinifchen Denfern, wie dort ben Pasquale Galluppi, hier den Grafen Mamiant (doch wohl berfelbe, ber vor Kurs zem in diefer Zeitfchr. als Terenzio Mamiani auftrat, obgleich Rosmini zum ftehenden Hauptvormamen dad C. wählt) und den Piacentiner Giandomenico Romagnofi näher Fennen. Die pofitiven Entwickelungen, welche zum Theil zur Unterſtützung ber Polemik herangezogen werben, zum Theil, und befonbers, am Ende der Schrift einen thetifchen Abfchluß darftellen, ent halten dem Inhalte nach nichts Neues für ben Kenner ed Saggio und der Form nach ſchwerlich eine Verbeſſerung dieſes legteren. Zu bemerken ift, daß die dialogiſche Darſtellungsweiſt hier noch mit mehr Vorliebe angewandt wird, als es dort d Fall war. Die Schrift ift eine Streitfchrift, veranlaßt durch ein Bud Mamiani's: del Rinuovamento dell’ antica filosofia italiana (Parigi 1835), in welchenr ber Saggio R's. angefochten und gegen ihn bie italienifche Tradition in Geftalt des Thomas von Aquino, Patrizio, Bruno und Campanella angerufen worben war. Rosmini, der von der antifen und mittelalterlichen Phi lofophie, ebenfo wie von der neueren namentlic Sranfreichd und Englands, die genaueften Kenntniffe hat, kann feinem Gegner falfches Verſtaͤndniß der genannten Autoritäten nachweiſen und bemüht fich feinerfeits, die fehon im Saggio mit befonberem Vorzug in Anſpruch genommene Webereinftimmung mit dem ©. Zommafo für ſich und feine Lehre zu behaupten. Mamiani Dagegen, ber in Folge ziemlich auffälliger Widerſpruͤche und Ins eonfequenzen nicht im beften Lichte erfcheint, kommt ihm in eine Reihe mit den Senfualiften zu ftehen, welche im dritten Fascikel glei, den Nominaliften des Skepticismus als ihres thatſäch⸗

A. Rosmini-Serbati: I Rinuovamento della filos, etc. 265

lichen Standpunctes überwiefen werden. Nun ift zwar Mamiani bei weiten fein Senfualift, er huldigt vielmehr der Grundanficht Gioberti's (welcher ihn auch an einer Etelle feiner Werfed mit Luigi Ornato ald feinen Gefinnungsgenoffen aufführt), daß ber intuito die legte Duelle ber Wahrheit fey, aus welcher ſich bie Reflexion nur als intuizione mediata ableite, und nimmt für biefe „intellectuelle Anfchauung” unbedingte unmittelbare Gewiß⸗ heit, weil völliges Imeindfeyn der erfannten Obfecte mit bem erfennenden Subjeete, in Anfpruh, wobei er ausbrüdlih an feine reale Außenwelt, alfo an Feine ſenſuelle Wahrnehmung denkt, deren Zuftändigfeit und Objectivitaͤt er vielmehr‘ auf weis terem Wege erft bewieſen haben will. Allein Rosmini findet mit Recht, daß dieſer innerliche Senfualismus als Subjectivis- mus jedem andern materiellen gleiche und daher mit diefem, wie nit jedem ungerechtfertigten Autoritätsglauben, alle Confequen- zen gemein habe, Dieſe Kritif muß und um fo willfommener und intereffanter feyn, da fie zugleich R's. Stellung zu feinem großen Rivalen Gioberti ausfpricht, beffen er merfwürbiger und beinahe unbegreiflicher Weife in feiner ber und zu Haͤnden ge- fommenen Schriften gebenft, während doch Gioberti feinerfeits Rosmini mit Hochachtung und Eorgfalt, wenn aud, gegnerifch, in feiner Introduzione allo studio della filosofia beurtheilt hat, und eine perfönliche Spannung, wenn wir fie annehmen wollen, mwenigftend dann nicht mehr ftattfinden fonnte, als R. unter Gioberti's Minifterium eine diplomatifche Sendung übernahm. SIndeffen finden wir und in Bezug auf dad Erfenntnißprincip des intuito wirklich durch gegenwärtige Schrift für diefen Aus- fall entſchädigt. Es muß dieſes Erfenntnißprincip als ein ohne weitere Rechtfertigung feines Inhalts Tediglich ſubjectives von R., der durchaus auf objective Nothivendigfeit des Erfennend bringt, vor Allem in feinem Ausgangspuncte, unfehlbar ver: ‚worfen werden, und er wäre vollftändig berechtigt, wenn er überhaupt den fonft bei Fatholifchen Denfern fehr gebräuchlichen Gegenfag von Ontologismus und Pſychologismus in feiner Terminologie hätte, den ihm von feinem Landsmanne gemachten

266 Recenflonen.

Vorwurf bed Pſychologismus, der biefem gleichbedeutend mit Keperei, Heidentbum und Proteſtantismus ift, ebendemſelben zurüdzugeben. In all der Schärfe und Klarheit, weldye wir an unferem Roveretaner gewohnt find, faßt er feinen Gegenſatz ge⸗ gen diefe Nüance des Subjectivismus in bie Worte zufammen: Il vero intuito & quello che rende vera l’intuizione, e non Fintuizione rende vero il suo oggetto, come per l’opposto il falso intuito rende falsa lintuizione, eziandiochö noi il giu- dicassimo falsamente per vero. Denfelben Subjectivismus fin—⸗ bet er in ber Lehre des Romagnoft, welcher durch fein Erfennt- nißprineip und Kriterium ber Wahrheit ſehr an die Schotten erinnert. Sein senso razionale, auch mente sana genannt, ift eine geheime unerfennbare Macht der im stato normale be: findlichen Seele, welche Macht fich durch ihre Wirfungen allein, db. i. durch einen unerfchütterlichen Seelenfrieden und durch ein mit dem ber Mehrzahl der Menfchen übereinftimmendes Hans bein ald vorhanden zeigt, Bon biefem dunkeln väthfelhafte Geelengrunde läßt er eine Reaction ausgehen gegen die Action ber Außendinge auf die Sinnesorgane, und durch Verbindung biefer Action und Reaction von Körper und Geift zu einer Ein heit (doppia segnatura), innerhalb welcher sensazione (segna- tura positiva) und idea (segnatura razionale) ganz bafjelbe find, nur von zwei verfchiedenen Seiten gejehen, läßt er bie wahre Totalerfenntniß, deren Ausdruck das io sento ift, fi vollziehen. Daher kommen denn Mamtani wie Romagnofi auf einer fehr überfichtlich und vollftändig angefertigten Tafel der philofophifchen Syſteme rüdfichtlih ihrer Beftinmung des Kris teriumd der Wahrheit auf die Seite zu ftehen, welche alle bie: jenigen enthält, die nur eine nota della veritä, fein primo vero, als dieſes Kriterium angeben. Hierzu find mit tief gegründetem Mechte nicht blos diejenigen gerechnet, bie irgend ein Seelen vermögen oder irgend einen Act der Seele für dieſe nota del vero anfprechen, ſondern aud) Alle, welche in höchſter Inflanz irgend einer Autorität, fey es göttlicher oder menfchlicher, folgen zu müflen meinen, Dies ſetzt ben R. principiell auf proteftan-

A. Rosmini-Serbati: Il Rinuovamento della filos. etc. 267

tiihen Standpunct; und cd ift gewiß bemerfenswerth, daß er bei dem fatholifchen Autoritätöprincip, während er alle übrigen aufgeftellten Rubriken in ‚einigen folgenden 88. erflärend durch⸗ geht und beurtheilt, es mit der bloßen factiichen Nermung be⸗ wenden läßt. Auf der anderen Seite der Tafel finden fich das gegen Malebranche, Platon und Schelling als folche, Die zu viel in die Beftimmung des primo vero hereinziehen, d. h, welche das Abfolute zu real faflen, und Hegel mit Pythagoras als foldhe, die. wiederum durch einen Defect irren, indem fie dad Abfplute zu ideell oder au fubjectio fallen. (Die zwei großen Haupteubrifen entfprechen genau der Einthellung des Fritifchen Theile im Saggio, welcher ſich erft mit denen befchäftigt, die zu wenig, bann mit denen, bie zu viel des Angeborenen in ber Erkenntniß zulaffen), Dies führt nun auf bie Kritif Hegel’s, die wir uns etwas genauer vorzuführen haben, da fie auf die Eigenthümjichkeit der Rosminifchen Ideenlehre, auch auf ihren bereitö von Weiße (a. a. O. S. 296 ff.) hervorgehobenen Mangel, ein fehr fcharfes Licht wirft, und da hier, wo dad Verftänpniß des beutfchen Philofophen ficherlich dem Ausländer den größten Kraftaufwand gefoftet, R, felbft mit unverfennbarer Hochachtung die Deutschen zur Erwägung feines Urtheild auffordert.

Die Hegel'ſche Philoſophie ift ihm nur ein Beifpiel bes die deutſche Philofophie im Allgemeinen charakterifirenden Feh— lers und Grundvorurtheiles. Diefes, ein Erbtheil von Locke, beftehe darin, daß man ſich niemals volftändig vom Subjectiven losmache, vielmehr es für eine ausgemachte und bed Beweifes “nicht bedürftige Sache nehme, daß dad Wiffen eine Production oder Motification ded benfenden Subjects ſey. Daher wirft er bereitö in einer Anmerfung (S. 314) der Hegelichen Philos fophie vor, daß fie noch nicht zur völligen Unterfiheidung zwi⸗ fhen dem Ic, und feiner Erfenntniß durchgedrungen ſey, ſon⸗ dern darauf hinausfomme, bad reine Denfen und Erfennen felbft mit dem Namen „Ih“ zu belegen, wiewohl fie dabei durchaus alles Concrete wegdenke. So bleibt ihr das Hoͤchſte, Abſolute doch immer ein adftract für fich geſetzter reiner Actus,

268 Recenſionen.

welcher zuletzt nur eine Analogie ſubjectiv⸗ menſchlicher Bor gänge ift, wogegen R. ein abfolutes Object, fein Thun, fein Denfen, fondern ein Seyn, das Seyn der Wahrheit felbft, an jene Stelle gefeßt haben will, Er gefteht Hegel zu, daß en, nachdem bei Fichte das abfolute Object rein im fubjectiven Thun aufgegangen, bei Echelling dad Abfolute zwar objectiv ange fhaut, aber in biefer Anfchauung felbft mit Subjectivität bes haftet geblieben war, von biefen dreien und von den Deutichen überhaupt durch Annahme des Einen, Unmittelbaren, worin Subject und Object gleichfam im Kuffe verfcholgen, die größte Objectivität erreicht habe; „allein fo heißt es in jener Anmer- fung obwohl die hegelfche Lehre wunderbare Anftrengungen macht, um ſich vom Subjecte loszumwideln, gelingt ihr es doch nicht und kann ihr es nicht gelingen, weil fie immer won einem Acte des Subjectd ausgeht, welcher, was man auch über ihn ausfage und wie fehr man ihn auch mit ber Einbildungsfraft erhebe, immer ein Act des Subjects bleibt: und dies allein ge nügt, dieſe Lehre zu einer im innerften Kerne fubjectiven zu machen, wie fehr fie ſich auch verftellen, oder dieſen fehlerhaften Urfprung geradezu ableugnen möge.” (Aus ähnlichen Gründen hat auch Gioberti Hegeln von dem der proteftantifchen Philo⸗ fophie im Allgemeinen gemachten Vorwurfe bes Pſychologismus nicht ausgenommen). Dies ift der allgemeine Gefichtöpund, aus welchem bie übrigen Ausftellungen am Hegel'ſchen Syſteme fich ergeben, wie fie von S. 360 bis S. 373 in überfichtlicher Folge dargelegt find. Zunächft muß natürlich die Anficht, daß bad Werden über den Gegenſätzen des Seyn und Nichſeyn bie wahre abfolute Beftimmung fey, als eine bloße Analogie betrachtet werden, bie vom Proceſſe des Denkens hergenommen ſey, da ja allerdings die Einheit des Objectd und Subject, fobald fie gedacht werde, wiederum in ihre Momente zergedt, welche Eigenheit oder Schwäche unferes Denkens aber feine wegs auf dad Abfolute, auf die Wahrheit, wie fie an fih if, übertragen werden dürfe. Daher fey denn das Togijch meta. phyſiſche Princip Hegel's nichts weniger als ein Kriterium bei

A. Rosmini-Serbati: Il Rinuovamento della filos. etc. 269

- Wahrheit, Der Grundfaß, daß Seyn fo viel wie Richt und alles Wirkliche daher immer ein Mittelding fey zwiſchen Seyn und Nichts, fen willfürlic und falfch. Hegel habe damit dem Spinozismus entgehen wollen, welchen er für die unabweisliche Folge der einfeitigen Setzung des Seyns hielt; aber man bürfe ein Geſetz, welches wohl in ber Zeitlichfeit, innerhalb der engen Schranfen ber endlichen Dinge, feine Geltung habe, nicht für ein abfolutes auf jeberlei Seyn anmwenbbared ausgeben. „Wäre Hegel mit feinem Denfen bis zu einem unbegrenzten, vollente- ten Leben gelangt, deſſen Beflg in jedem Momente ganz und ungetheilt, fo wie ohne Suceeffion ift (fo definirt Bosthius die Ewigkeit): dann würde er leicht erkannt haben, daß der Wech⸗ fel der zufälligen Dinge, ihr. Entftchen und fich Verändern, in . ber göttlichen Gwigfeit zum abfolut Unbeweglichen aufgehoben ſey.“ Das Seyn Gotted fey in ber That ein beratiged Seyn, wie Hegel es für unmöglich halte, nämlich ohne Zumifchung eined Negativen, ohne Nichts, ohne Werben: von ihm koͤnnen ereatürliche Beftimmungen, welche aus den Gefegen der Erfchei« nung in Raum und Zeit entipringen, alfo lediglich phänomenal find, auf feine Weife ausgefagt werden. Hierzu fomme, daß dieſes vielgerühmte Princip des Werdens Hegeln nicht einmal über den Dualismus oder den Subftantialisinus Spinoza's hin⸗ weghebe; benn es fei dieſes Werden doch zulegt nichts ald eine prima materia, und Hegel könne troß aller Verficherung, daß das Abfolute feine Unruhe, feine immanente Bewegung, noth⸗ wendig in ſich habe, „nicht davon Überzeugen, daß aus biefem erden ohne Hinzuziehung eines zweiten Princips je etwas werben könne. Nachdem endlich noch gegen die Hegelfche Vers einerleiung von Seyn und Wiffen oder Seyn und Begriff bie hriftliche Vorftellung geltend gemacht worden, welche jederzeit in Gott den Unterfchied von realitä und conoseibilitä (= Verbo) feftgehalten habe, bis zu welchen Höhen der religlöfen Specu- lation ſich Hegel freilich nie habe aufſchwingen wollen, wird indem wir eine minder wichtige Einwendung, ben Begriff bes „verfchwindenden Seyns“ betreffend, übergehen dad Ge⸗

270 Recenfionen.

ſammturtheil folgendermaßen ausgeſprochen: In der Hegel'ſchen Faſſung des Abſoluten ſey weder eine entſchiedene Realität noch eine entſchiedene Idealität zu finden: die Realität ſey daran unendlich gering, aber doch für den wahren Begriff des Abſo⸗ Iuten noch zu groß; Die Idealität fen ebenfo unendlich gering und eben deshalb viel zu gering für den wahren Begriff, „Die Einigung ded Eubjectiven und Objectiven bei Hegel fey baher aus demfelben Grunde unfruchtbar, wie die des Pythagoras, nämlich in Folge eines Uebermaßes von Abftractheit: allein die ded Pythagoras fey fo zu jagen ein Hageftolz der idealen Welt (un celibe del mondo ideale), die Hegel’8 ein Hageftol;, der auf der Grenze zweier Welten lebt, der idealen und realen.”

Nirgends wird das von Weiße a. a. O. über Rosminib Ideenlehre gefprochene Urtheil, daß fie fich auf der einen Enite ebenfoweit unter den Standpunct Kant's berabgeftellt habe, wit auf der anderen über denſelben emporgeſchwungen, beffer beitö tigt al8 in biefer Kritif des Hegelfchen Grundprincips, de Grundprincips der Ipentitätsphilofophie in der Geſtalt des ad foluten Idealismus; ja wir möchten fagen, der tieffte Grund ber dort gerügten Dürftigfeit des fonft mit fo großer Schärfe, Umſicht und Energie behaupteten und vertheidigten Nosminifchen Abfoluten Fommt erft hier an den Tag. Denn finden wir und genöthigt, die Bezeichnung des Hegel’jchen Abfoluten als eined hageftolzen,. das dem Wirklichen froftig und ohne Wahlverwandts fchaft gegenübertritt, ober eines fpröden und unfruchtbaren, das auf ſich in feiner Einfachheit befchloffen bfeibt, wiewohl fie hier nicht ganz ohne Recht ausgefprochen ift, doc) vielleicht noch mit mehr Grund auf Rosmini's eigne idea dell’ essere possibile zurüdzumenden, fo fehen wir diefen Umftand eben durch ben Mangel desjenigen Elements erzeugt, welches der Hegel'ſchen „Idee“ aus ihrer Sterilität heraushilft. Rosmini, ber feine ihm zur Rothivendigfeit und Natur gewordene eigne Anſchauungs⸗ weife auch auf das Hier beurtheilte Syſtem überträgt, meint, auch jened „Werden“ fey an ſich unfruchtbar und tobt und ber dürfe, um fich fortzubeftimmen, Immer noch eines zweiten Prin⸗

A. Rosmini-Serbati: Il Rinuovamento della filos. ete. 271

cips, das ihm als einer prima materia bualiftifch gegenüher-

trete: wir wiederholen, daß diefe Bemerkung in ber einfeitig ivealiftifchen Geftalt des Hegel'ſchen Ipentitätsprincips ihren gus ten Grund hat, indem dieſe Einfeitigfeit allerdings Feine andere Brüde zur Natur und Wirklichkeit verftattet, als ein „Umfchla- gen“, d. h. ein unbegriffenes bualiftifches Aufeinanderfolgen zweier gänzlich verfchiedener Eriftenzen; allein nicht in einer folchen für das wahrhaft Abfolnte noch zu ibeellen Fafſſung defs felben fand unfer Italiener den Anlaß für jenen Einwand, ihm ift vielmehr die „Idee“ des beutfihen Gegners bei weitem nicht ideell genug (inwiefern er bie feinige troßdem für minder „abſtract“ Hält, fogar im Vergleich zur pythagoreiſchen, ift und nicht recht verftändlih) fondern er fand diefen Anlaß im Begriffe des Werdens felbft, den er nun und nimmermehr für die wahre Dualitätsbeftimmung des Abſoluten erfennen will. Er hält alfo auch in dieſer Beziehung an ver Einfachhelt und Unbeweglichfeit feine essere feſt. An einer einzigen Stelle feined Hauptwerfes, noch ganz am Ende, war er einmal auf bem Wege, biefe ſelbſtgeſetzte Schranfe zu durchbrechen, ober verfiel wenigftend auf einen Ausdruck, der feinem Denfen eine neue Wendung hätte geben können, Es ift da, wo ihm eine gefonderte Betrachtung der Tragweite ber apriorifchen Erfennte niß die Idee des Seyns in verfchiedenen Erfcheinungsformen vorführt, welche Vielheit er doch nicht durch die Emmirfung ber realen Außenwelt auf bie Sinne oder auch durch Empfin- dfingen des Inneren Sinnes entftehen laſſen kann, fo daß zuleht folgender Sat feiner Feder entgleitet, ‚der einzige in dem ums fänglichen flaunenswerth principtreuen Werke, in welchem wir eine ihm fremde und entgegengefehte Denfweife fich hereindrängen fehen: „die Idee des Seyns wendet fich auf: fich ſelbſt und erkennt fich felbft, fie ſelbſt tritt auf zugleich ald Praͤdicat und ald Subject, ift Urtheilende® und Beurtheiltes: das ift die wunderbare Eigenfchaft des Seyns, daß es, ohne feine Einfach. heit zu verlieren, Macht hat fich zu vervielfältigen und in fich felbft, jo zu fagen durch eine fungfränliche Sruchtbarfeit, die

272 . - Hecenfionen.

Denfbeiwegung (il ragionamento) zu erzeugen” (Bd. IH, © 326; neuefte Ausg. 8. 1456). Nur einer Feſthaltung und confequen ten zurüd» und vorwärtöverfolgenden Ausbildung dieſes Ges danfend hätte es beburft, um ben Fortſchritt über Kant nicht allein von "der ihn verbunfelnden Begleitung eines Rüdfalles in vorkantifchen Dualismus zu befreien, fondern ihn fogar, in dem ja alle übrigen Urſachen, aus denen R. recht eigentlich als ein Philofoph der Gegenwart zu bezeichnen war, beftehen blie ben, zum Fortſchritte über Hegel felbft zu fleigern. Dagegen ift derjelbe Dualismus oder Dogmatismus, welcher im gan zen übrigen Saggio alle und jede Mannichfaltigfeit und Biel heit den Sinnen, der Wahrnehmung, der Erfahrung, dem A pe steriori überläßt, das A priori aber auf die einfachfte Einfad- heit einfchränft, und berfelbe, welcher ſich gegen die Comäden; bed Seyns und des Nichts im Werden ald der Wahrheit ale Seyns nicht genug firäuben kann, ber baher ben Sag, daß all Wirkliche ein Mittelving fey zwifchen Seyendem und Nichtſeya bem, nimmermehr unterfchreiben Tann; derſelbe endlich, der iR Folge defien der creatürlichen, endlichen, zeitlichen Vielheit de Welteriftenzen ein allerrealfted Wefen als Gott gegenüberfeht dad ohne alle Negation, mithin ohne alle Succeffion, oft Werden und Geſchehen, ohne Bewegung, in jedem Momente abfolut fertig iſt. Diefer Dualismus oder Dogmatismus if ed welchen wir durch die Kritik der reinen Vernunft für negati, durch das Erfenntnißprincip der deutſchen Philoſophie de 19. Jahrhunderts oder der Ipentitätslehre, d. i. durch das Prir cip ber coincidentia oppositorum, für . pofttio überwunden halten,

Rosmini tabelt an der deutfchen Philoſophie, daß fie ſich „gar nicht aus dem Hanfe der Subjectivität fitzen Tönne* und id daher nie Dazu verftanden habe, anflatt des bloßen Actes des Denfend dad Object deſſelben zum Gegenftande ihrer dor ſchungen zu machen. Wir müffen bier wiederum bie theilweiſe Berechtigung dieſes Tadels einräumen, einräumen aud) feine Geltung für Hegel; denn auch uns ift das Hegel'ſche Abſolute

A. Rosmini-Serbati: U Rinuoramento della filos. etc. 273

zu fubjectiv, d. h. es iſt und fo fehr nur reines Denfen und reiner Geift, daß wir ſchon oben: den Verzweiflungsact ded Ums ſchlagens in die Natur einen ımbegreiflihen nannten, der auf denſelben Dualismus, welcher hier gänzlich entfernt feyn follte, zurückfuͤhre; wir find daher einverflanden mit dem Proteſt bes Italieners gegen die unmittelbare Einheit von Seyn und Wiflen, Seyn und Begriff in dem Sinne, daß ber eine Theil (ber Bes griff oder dad Wifien) ſich als abfoluten lege und mithin den anderen (bad Seyn) in fi abforbire. Dies ift ein Verftoß gegen das Princip der Ipentitätsphilofophie ſelbſt. Allein troß alledem ift ed gerade jene gerügte und verfchmähte Betrachtung des Denfacted als folchen geweien, welche feit Kant bie deutfche Philoſophie zur Lehrerin der Völker erhoben bat, Das einfache Denten, welches fich ein Object vorhält, worüber e8 benft, be; ginnt ſchon mit einem Dualismus, dem Dualismus von Sub« ject und Object, welchen e8 weder als einen berechtigten erfen- nen und mithin beftehen laſſen, noch auch als’ einen bloß vor⸗ geftellten und fcheinbaren aufheben, noch auch der höheren Wahr: heit ald Moment einfügen kann, ohne fi) vom einfachen Den» fen zum Denfen bed Denfens zu erheben. Dieſes Denfen des Denkens ift die Höhe ber neueren beutfchen PBhilofophie, auf welcher allerdingd Gefahr war, in bie Abgründe des Subijecti⸗ vismus und Skepticismus zu verfinfen, oder im Schnee des einfeitigen Idealismus ſtecken zu bleiben. Nur indem das Den- ten fich. felbft erfennt, die Geheimniffe feines eignen Thuns, feine Vortheile und Lift gleichfam, mit denen ed durch einen Naturinftinet geleitet die ihm in's Garn laufende Beute fefthielt und fich zum Beſitze machte, vor fich bloßlegt, wird ed gewahr, was an diefem Thun recht und unrecht, wad daran jubjectiv > menfchlicy und darum irrig, und was daran göttlich und darum wahrhaft if. Es erfährt, welche Schäden es den Dingen, bie ed auf bezeichnete Weife behandelt hat, angetban, indem es ih⸗ nen feine eigne Natur mit ihren feftgegliederten Beſtimmungen ald Feffel anlegte: es lernt dagegen die Folgen feiner fubjectiven - Einwirkung auf die Objecte fofort wieder tilgen und, die Objecte Beitfhr. f- Philofe u. phil. Kritik. 33. Band. 18

274 Necenſtonen.

dem Stande ber Freiheit wieder zuruͤckgeben, ohne doch auf ik ven Beſitz zu verzichten. Denn das Denken bed Denkens, da ed allen Dualismus beſeitigt, ſſteht dem Wirklichen nicht mehr feindlich entgegen wie ber einfache Berftand, jo daß er es ſchrau⸗ ben, preflen und in fpanifche Stiefel jchnüren muß, um es zu befigen, ober es töbten, um fich es ‚anzueignen, und es fo doch nicht ale Wirkliches hat, ſondern als Todtes: das Denken bed Denkens (die Vernunft) erfennt vielmehr das Wirkliche lieben als Fleiſch von feinem Hleifh und Bein von feinem Bein, mi bat ed daher, wie es felber Leben ift, in lebendigem Beide Alles Leben aber beruht in einem organifhen Werben und bi Erfenntniß des Lebens beruht mithin in ber Exfenntniß ber ab foluten Bedeutung. ber Negation. Das bloße Seyn ift 3b, it, fo fehr es auch ſich als Vofttivfied giebt, doch die pur Rs gation: nur die Negation dieſer Negation iſt das wahre Obiective. Es ift wahr, biefe Entdedung ift zunächſt auf ſub jectivem Gebiete gemacht worden, und ihre Anmenbung m ſyſtematiſche Durchführung von ibealiftifcher Einſeitigkeit zu be freien, ift eine Aufgabe, an ber wir noch arbeiten. Allein bit Aufgabe muß auf Grund jener Entdeckung ſelbſt gelöft werden. Da wir aber diefe Aufgabe für die der gegenwärtigen Philie phie erkennen, fo finden wir auch Rosmini unter der Reihe da im Zeitbeduͤrfniß Strebenden, indem auch feine Ireenichre cm Verſuch und zwar nad) vielen Seiten hin einen ber fruchtbar und gediegenfien Verſuche barftelt, den Anfprücden ded Idealismus und des Realismus gleichfehr gerecht

zu werben, Dr, Rt. Seypel.

J. M’Cosh (Professor of Logic and Metaphysics): The Method of ihe DI-

vine Governement, Physical and Moral. Fifth Edition, Edinburgh, 18% (647 S.)

MWir haben ſchon öfter darauf hingewieſen, daß gegenwir⸗

tig die Philoſophie in England, Belgien, Frankreich und ſelb

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J. WM Cosh: The Method of the Divine Government etc. 975

in Italien eine größere Theilnahme finde und eine höhere Be⸗ beutung habe als in Deutfchland, bei der „Nation. ver Denfer* (). Die vorliegende Schrift Liefert einen neuen Beweis dafuͤr. Wels ches philoſophiſche Werk unſter Zeit mit Ausnahme einzel ner Pamphlets von C. Bogt u. A., die kaum einen wiſſen⸗ fchaftlichen, geſchweige denn einen philofophifchen Charakter tras gen, fann fi rühmen, die fünfte Auflage (und zwar binhen jeh8 Jahren) erlebt zu haben? Iſt es doc fchon ein Aufſehn erregenbed Ereigniß, wenn es einem beutfchen Bhilofophen wis verfährt, nach langer Zeit feine Schrift in zweiter Auflage, in verbefierter, vollendeter Geftalt den Bublicum vorlegen zu koͤn⸗ nıen, während wir aus England eine ganze Reihe von umfangs reichen philofophiichen Werken anführen koͤnnten, bie es nad einigen Jahren zur dritten und vierten Auflage gebracht haben, Es ift Hier nicht der Ort, die Gründe dieſer Erfcheinung zu er örtern; bazu würde eine befondere Abhandlung erforderlich feyn und doch kaum eine erhebliche Wirkung thun. Wohl aber bürfte es zweckmaͤßig ſeyn, fehärfer als gewöhnlich in Betracht zu ziehen, wie ber Berf. des vorliegenden Werkes feinen (ſchwie⸗ rigen) Gegenftand behandelt bat. Denn fiherlih tragen, ins⸗ bejondre nach dieſer Seite hin, die deutſchen Philofophen ſelbſt einen Theil der Schuld an der Gteichgültigkeit des Publicums, und dürften daher Manches von ihren Collegen jenfeit der Nord⸗ fee wie jenfelt des Rheins zu lernen haben.

Da müfjen wir nun zunächft rüßmend anerkennen, Daß die Schrift im edelſten Sinne populär gefcheleben iſt. Sie iſt freifich nicht für Gevatter Schneider und Handſchuhmacher bes flimmt; aber jeder einigermaßen gebildete Mann, ber ein Inter⸗ effe für den Gegenftand mitbringg und das Nachvenfen nicht abjolut feheut, wirb fie. verftehen können. Mit andern Worten, ber Berf. weiß was er jagen will, und bemüht ſich mit Erfolg, ſich ar und präcis auszudrücken, was leider noch keineswegs von allen deutſchen Philofophen zu rühmen if. Er fehreibt zwar nicht wigig, er pußt feine Darftelung nicht mit Autitheſen, Pointen und foheindaren Paradorieen aus, noch umhüuͤllt er fie

18 *

276 Mecnfionen. '

mit dem ſchillernden Gewande poetifcher Bilder und Gleichniſſe; er ftrebt auch nicht nach einer. gefuchten Kürze und Knapphei des Auspruds, noch zerhackt er den Inhalt in eine Anzahl chr zeiner Säge, aus denen ihn ſich der Lefer zuſammenzuſuchen hat, Fehler, in die manche neuere philoſophiſche Schriftiteler | bei und verfallen find, um bem Vorwurfe der Langweiligfeit und Breitfpurigfeit zu entgehen, womit fie aber nur das Inter effe von ber Sache felbft ablenfen und an die Stelle des ſchlep⸗ penden fchleichenden Schritt ein auf bie Dauer ebenfo une: trägliches Hüpfen und Springen ſetzen, ohne darum raſcher vom

Fliecke zu kommen. Der Verf. dagegen ſchreibt in einem ernſien,

würdigen, rubig bahinfließenden Styl, und doch lebendig, zw weilen ſchwunghaft; er verfchmäht nicht bie Bilder und Gleich⸗ nifle, aber er braudyt fie nur, wo fie nöthig find, um dem Aus⸗ druck des Gedankens größere Klarheit und Eindringlichket m geben; er fliht zu demſelben Zwede Beifpiele, Hinmweijunge auf gefchichtliche Thatfachen, dicta probantia bedeutender Mir ner ein, aber er verliert über dem Mittel nie ven Zwed au den Augen. Aber, wird man fagen, biefe Popularität, ſo zweckmaͤßig fie zur Verbreitung der Wiflenfchaft feyn mag, vr flacht und erniedrigt fie, ohne fie im Wefentlichen zu fördern Denn fie verbietet nothwendig, in bie innere Tiefe der philde phiichen Probleme hinabzufteigen, weil an fie weder das Ber ftändniß noch das Intereffe des Publicums herabreicht; fie hält fi) daher notbgebrungen auf der Oberfläche, den Kernpunct bet Frage entweber umgehend ober ftatt der Löfung cine nadte Der fiherung, vielleicht nur unter deren Gewande ein neues ſchwie⸗ rigered Problem hinſtellend. Wir müflen im Allgemeinen das Gewicht dieſes Einwands zugeben. Es ift nun einmal dad Schickſal der Philofophie weil der menſchlichen Wiflenfchafts über haupt, überall auf. Fragen zu ftoßen, deren bloße Eroͤrterung ſchon das gemeine Berftändniß überfteigt, beren. Beantwortung, wenn überhaupt möglich, immer ſchwierig, vieleicht immer un genügend bleiben wird, ober wie Pascal jagt, auf einer unge heuer weiten Mitte zu ftehen und wohl von ber Mitte ber

J. WM Cosh: The Method of the Divine Government etc. 977

Dinge, nicht aber vom Anfang und Ende berjelben fichere Ers fenntniß gewinnen zu Fönnen. Populär wilfenichaftliche Werke werben daher an die Löfung folcher Probleme ſich nicht wagen dürfen, und häufig genug geſchieht es, daß fie auch die bloße Berührung derfelben forgfältigft vermeiden; damit verflachen und erniebrigen fie it der That die Wiffenfchaft, und weranlaflen den wiſſenſchaftlich wie moralifch vwerberblichen Duͤnkel, als fey bie menschliche Erfennmiß fchon auf ihrer legten Höhe angelangt, jeder Zweifel gehoben, jede weitere Frage überflüflig.. Aber dies fer Vorwurf trifft unfern Berfafler nit. Er vermeidet zwar ebenfalls das innere Gebiet der eigentlih metaphyſiſchen Spe- eulation, er verfelgt nicht die metaphyſtſchen, ja nicht einmal die naturwifienfchaftlichen, ethiſchen und erfenntnißtheorctifchen Probleme bis in ihre letzten Quellen; aber. er ignorirt dieje Bros bleme keineswegs, er führt vielmehr ausdruͤcklich auf fie Bin und führt die Grörterung berfelben foweit, daß jeder Gebildete ſich eine perfönliche Weberzeugung bilden fann, und doch fein Recht hat zu wühnen, an dieſer Meberzeugung wiflenfchaftliche unumftößliche Erfenntniß zu befigen, daß er vielmehr bei nähe- rer Erwägung ſich aufgefordert fühlen muß, ben betretenen Weg weiter zu verfolgen und wo möglich ben eigentlichen Quell und Kernpunet der Trage zu erfaffen. Ja ber Berf. geht nod) einen Schritt weiter und giebt in längeren Anmerkungen, bie er theil8 am Ende ber einzelnen Abfchnitte, theild. am Schluß des Ganzen beifügı, eine tiefer eindringende Erörterung ber eins zelnen ‘Probleme, oder. fucht wenigftend den Lefer, der ihm fols gen mag, genauer zu verfländigen über ven Punc, um ben ed fi) in Iegter Inftanz handelt. Wo die Bopularität auf dieſe Meife tiber ſich felbft und ihren Standpunct hinaußleitet, ba. wird fie auch der firengen Wiflenfchaft wahrhaft förderlich ſeyn; denn fie wird zum Studium ſtreng wiflenfchaftlicher Werke bie freifich neben den populären nie zu entbehren, fondern deren nothwendige Vorausſetzung find binführen und den. befähig⸗ ten Lefer zu eigner wiflenjchaftlicher Thätigkeit erregen. Gleiches Lob verdient die DOrbnung und Gliederung des

278 Nerenfionen.

Stoffes. Das Ganze kann unter bie Rubrif der in England feit Wollafton und S. Elarfe ſo befiebten Schriften über die f. g. natürliche Religion geftellt werden. Ber Verf. ‚bemerkt felöft, daB feine Schrift fih eng an Ehalmer’8 Bridgewater Treatise und befien Natural Theology anfchließt. Aber der Verf. erweitert nicht nur den Stoff, indem er vorzugsweiſe die Art (Methode) der göttlichen Weltregierung in’d Auge faßt und aus ihr d. h. aus der Wektorbnung und dem Naturlauf wie aus dem Gange ber menſchlichen Schickſale und den Geſehen. die das menfchliche Leben beherrichen, dad Dafeyn und bie we⸗ fentlichen Eigenſchaften Gottes darzuthun ſucht; fein We zeichnet fi) aud) dadurch vor andern Almliden Schriften vor theifhaft aus, daß es auf ein gründliches Studium der Nat: wiffenfchaft und eine genaue Kenniniß ihres gegenwärtigen Star bes fich flübt, und daß es tiefer umd unbefangener, als fin Borläufer, auf die Erörterung der einſchlagenden pſychologiſchen, ethifchen und theofogifchen Fragen eingeht. Der Berf. hält ft ebenfo fern von dem aprierifiifchen Idealismus und ben Ueber fehwänglichfeiten der beutfchen Specufation feit Schelling, wi von den Einfeitigfeiten und Extravaganzen des Empirismus und Realismus, ber feit Locke bis vor Kurzem in England vorge herrfcht hat. Er nimmt in der Exfenntnißtheorie einen Stand punct ein, der im Allgemeinen dem Kantifchen und ben Beim bungen der neueren (nad »hegelfchen) deutſchen Philoſophie in fofern entfpricht, als Kant's erfenntniß-theoretifche Intentionen offenbar auf eine Sichtung, Abgränzung und refp. Vermittelung der apriorifchen und apofteriorifchen Factoren umfers Erkennend und Wiſſens gerichtet waren. In metaphyſiſcher Beziehung hul⸗ digt der Verf. inſofern dem Dualismus, als er Gott und Welt, Geiſt und Materie ftreng umterſcheidet, eine Unterſcheidung bie auch wir für die Vorbedingung aller wahren metaphyſiſchen Erkenntniß halten, läßt aber doch infofem eine Bermittehmg offen; ala er keineswegs gemeint ift, aus dieſer Unterſcheidung eine abfolute Scheidung, eine ewige Unvereinbarkeit beider St ten zu machen. Im Gebiete ber Pſychologie und Eihil folgt

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J. M Cosh: The Method. of ike Biyine Government etc. 279

er unbefangen ben gegebenen Thatſachen des Bewußtſeyns und zieht aud ihnen, meift mit Scharffinn und logiſcher Sicherheit, feine Folgerungen. In religiöfer Hinficht endlich ift ex zwar tief von der Wahrheit des Chriftenthums überzeugt, aber ohne jene vorurtheilsvolle Bornirtheit und intolerante Ausfchlieglich- feit, bie bei uns wie in England jede freie wiſſenſchaftliche For⸗ ſchung in religiöfen Dingen unmöglich macht, weil fie einer- feits den Forſchungstrieb austilgt und den Blid umnebelt, und onbrerfeitd die freie Forſchung ald die Feindin aller Religion fürchtet und verabfcheut, wie fie denn freilich die abgefagte Feindin alles Buchftabendienfted, aller verfnödherten Orthodorie

und hierarchiſcher Unduldſamkeit ift. und bleiben wird. Gehen

wir nun näher zu, wie ber Verf. feinen Stoff ordnet und dar⸗ legt, fo werben wir damit zugleich die Art, wie er feinen Stand⸗ punct durchführt, und den weientlichen Inhalt feiner Schrift kennen lernen.

Nachdem der Berf. in einer kurzen Einleitung bie vers ſchiedenen Arten von Gegenftänden, aus benen wir unſre Idee Gottes herleiten, und das Object feiner Abhandlung näher bes zeichnet hat, giebt er zuwörberft einen allgemeinen Ueberblid über bie meift überjehenen Erfcheinungen, in denen die Außere und innere Weltregierung Gottes d. h. bie göttliche Vorſehung in ber Natur und im geiftigen dfittlichen) Leben des Menfchen fi) Eundgiebt. Das ganze erfte Buch bildet daher im Grunde nur eine ausführliche Einleitung zu ben beiden folgenden, bes ftimmt, den Leſer mur genau zu orientiren über den Gegenftand, den die beiden folgenden in Unterfuchung nehmen follen, wäh- rend das vierte (lebte) Buch die Rejultate, die aus ber Uns terfuchung fi) ergeben haben, zufammenfaßt und fie zur chriſt⸗ lichen Offenbarung, zur Verföhnung Gottes und des Menichen (als dem Zweck ber göttlichen Weltregierung), in Beziehung fegt. Man fieht, dieſe Dispofttion ift ebenfo klar ald einfach. Wir vermiſſen nur einen Punct, den der Verf. ganz unberührt läßt, der aber u. E., wenigftend in dem erften einleitenden Buche, nothwendig eine Erörterung finden. mußte. Es ift bie

280 Necenfiunen.

Trage nad dem Verhältnig von Wiſſen und Glauben. Auf ven erſten Blick leuchtet ein, daß das Wifien, was die Mathe- matif und einige Theile der Naturwiſſenſchaft gewähren, verſchie⸗ ben ift von der Erfenntniß Gottes und göttlicher Dinge, woher wir diefelbe auch immer fihöpfen mögen. Zum Wiffen im engern und ftrengen Sinne des Worts läßt ſich dieſe Er⸗ fenntniß niemals erheben; fie bleibt immer ein Glauben, eine perfönliche, wenn auch völlig unerfchütterliche Ueberzeungung. Jede Methaphyfit, jede Religionspbilofophie, jedes Werk, Das von Gott und Gotted Erfenntniß handelt, muß u. €. biefen Unterſchied erörtern, weil ed fonft dem Borwurfe der Anmaßung oder ber Unfenntniß ber eignen Schranfen fich ausſetzt, und Anforderungen wacruft, die vom Standpuncte ber ſtrengen Wiſſenſchaft vollfommen "berechtigt find, und bie es doch unmög⸗ lid zu befriedigen vermag. In der Erörterung dieſes Unter jchieds hätte dann auch alles das, was ber Verf. an verichie denen Stellen feiner Schrift über Die Bildung unferer Borftel- lungen, die Ngtur und bie Gefege unſers Erkenntnißvermoͤgens ꝛc. einftreut, feinen natürlichen Platz gefunden, und würbe, im Zu« ſammenhang vorgetragen, einen größeren Effect gemadyt haben. Gemäß ber angegebenen Diepofition des Etoffed beginnt ber Verf. im zweiten Buch eine nähere Betrachtung der Natur, ihrer Gefege und Ordnung, um zu zeigen, baß fie nicht nur das Dafeyn Gottes als Schöpfers der Welt, fondern auch die leitende, bisponirende, das Paſſende zufammenfügende Hand Gottes überall vorausſetzen. Er fucht zuvörderft den Begriff des Naturgeſetzes feftzuftellen, ba mit diefem Namen metft fehr verſchiedene Dinge bezeichnet werden. Sein Ausgangspunct ift die Annahme, „die alle machen müffen”, daß es materielle Sub» ftanzen giebt, welche gewiſſe Qualitäten oder Beftimmtheiten (properties) befigen. - Durch- diefe Eigenfchaften find die Körper fähig, Veränderungen auf einander bervorzubringen, d. h. dieſe Eigenschaften find Kräfte oder Erfeheinungen (Aeußerungen) von Kräften. Allein. wenn wir die Natur berfelben näher betrachten, fo finden wir, daß fein Körper auf fich felber wirft: wo Koͤr⸗

J. |’ Gosh: The Method of-the Divine Government etc. 31

per überhaupt wirken, wirken fie immer nur eines auf ben ans dern. Soll es daher in der Natur Thätigkeit, Veränderung ges ben, fo muß fletd mehr als Ein Körper vorhanden fen. Ja es ift dazu nicht nur eine Mehrheit von Körpern, fondern auch nod eine beftimmte Beziehung zwifchen den Qualitäten (Kräfs ten) berfelben erforderlich. Dzxygen und Hydrogen 3.8. einis gen ſich, weil fie die Eigenschaft gegenfeitiger Affinität befigen, “und fie werben fich nicht einigen außer in Proportionen, bie Diefer ihrer Affinität (Beziehung) entfprechen, „Eine materielle Subſtanz, die allein im Univerfum eriftirte, würbe fchlechthin feine Wirkung hervorbringen. Gebt und zwei materielle Sub⸗ ftangen, und eine Wirkung Tann erfolgen. Gebt uns Diele Subſtanzen in einer ihren Qualitaͤten (Kräften) anges meffenen Relation ‚zu einander, und eine Wirkung wird erfolgen." Daraus ergiebt fih, daß alle Urfachen, fo weit: fie materiell fine, zufammengefegt (complex) feyn müffen, d. h. dag immer nur eine Mehrheit (wenigſtens zwei) Subftanzen oder Dualitäten zufammen die Urſache einer Wirkung, eines Gefchthens in der Ratur feyn können, und baß wir alfo bei ber Erforfhung der Urfachen immer nach den Qualitäten von wes nigftens zwei Körpern umd nad) der Bedingung (Relation) ; bie fie zur Wirkſamkeit befähigt, fuchen müffen. Wir fagen wohl fo obenbin, die Sonnenftrahlen feyen die Urfache der Färbung der Mflanzenblätter; aber die wahre Urfache ift eine zuſammen⸗ gefeste, umfaflend nicht nur die Sonnenftrahlen mit Ihren Qua⸗ Iithten, fondern auch das Chlorophyll und die Säfte der Blät⸗ ter mit Deren Qualitäten. Wir behaupten, daß biefelbe Urſache unter benfelben Umftänden diefelbe Wirkung hervorbringen werde ; aber bie wahre, unbebingte Urfache, die Urfache, ver afftin im- mer bie Wirfung folgen wird, tft nur dad Zufammen ber Urfache und der Umftände oder Bedingungen. Sonach, fchließt der Verf., können unter dem Ausdruck „Naturgeſetz“ brei verfehiedene und forgfältig zu unterfcheidende Dinge verftanden werden. Er kann 1) bezeichnen die Qualitäten der Körper ober ihre Kraft, Veränderungen auf einander hervorzubringen; und

3 MNecenſtonen.

in dieſem Sinne nennt man ed ein Naturgeſetz, daß alle Die terie die Kraft befigt, andre Materie anzugichen, oder daß Sauer ſtoff bie Eigenfchaft bat, ſich mit Kohlenſtoff in beftimmten Pro⸗ portionen zu verbinden. Er kann 2) dad Berhältniß. der wir lich thätigen Urfache zu ihren Wirkungen ausdrücken, d. h. bie Ihätigfeit von zwei oder mehreren Körpern bezeichnen, die ge genfeitig fo befhaffen find, daß ihre Kräfte (Qualitaͤten) zur Wirkſamkeit lommen; und in biefem Sinne braucht: man dad Wort, wenn man e8 ein Geſetz nennt, daß die Sonnenſtrahlen bie Blätter der Pflanzen färben, oder daß die Verbindung des Sauerftoffd mit Eifen Roft hervarbringe; bioß- in dieſem Sinne fann man von der Wirkſamkeit eines Naturgeſeßes fprechen, fohald man nur nicht vergißt, daß ein ſolches Eeſch, wenn in beftändiger Wirkfamfeit, die Beftänbigfeit der Rela⸗ tion zwifchen zwei oder wmehrern Körpern vorausfeht. Er Tamm endlich 3) bloß eine allgemeine Klaſſe von Thatſachen ode Dingen bezeichnen, die wegen ihrer Aehnlichkeit unter Eim Geſichtspunct zufammengefaß werben; fo nennen wir ed z. B. eh Naturgeſetz, daß alle vierfüßigen Thiere Säugethiere odek daß alle Kinder von berfelben Art wie ihre Eltern find, obwohl bieß nichts als f. g. allgemeine, d. h. auf her Erfahrung bew hende und von uns generalifitte Thatfachen find. '

So richtig es if, Daß die Naturwiſſenſchaften den Ausdruck „Geſetz“ meift ohme nähere Unterſcheidung in bien drei Bedeutungen anwenden, fo vermiſſen wir bod) eben bei halb um fo mehr die nähere Beſtimmung der wahren Bedeu⸗ tung des Works. Dean eine Qualität oder Kraft, bie ale oder einer befimmten Art von Dingen zukommt, ein Geleh zu nennen;*ift offenbar ein Mißbrauch des Works. Und ebenie wenig kann eine bloße Thatſache, wie etwa daß alle vierfüßigen Thiere Säugethiere find, Fein Gefeg genannt werben. Gele kann es vielmehr dem Sprachgebrauche gemäß nur geben Mit ein Geſchehen, fey dafſelbe eine bloße Bewegung (Ortsvei⸗ änderung), oder eine fubftanzielle, qualitative Veränderung MI Dinge, oder eine Thätigfeit (Handlung) beftiminter Factoren.

J. MW Cosh: The Method ofthe Divine Government etc. 2383

Denn dad Gefep ift nur ber Ausdruck, bie Formel oder Bezeich nung ber beftimmten Art und Weife, in ber eine Bewegung, Beränderung, Thätigkeit notwendig oder wenigftend ſteis und überalE ſich vollzieht (ober, wie auf dem Gebiete der Ethik, ſich vollziehen follte); und wenn irgend ein Gejchehen einem Ge⸗ fege unterworfen if, fo liegt darin nothwendig, daß Etwas ſtets und überall auf .eine beftimmte Art und Weile gefchehe. So ift es allerdings ein fehr bedeutſames Naturgeſetz, daß fein Ding, feine Subftanz, feine Kraft der. Ratur für ſich allein, ſondern immer nur mit andern zuſammenwirkt, daß alfo alle Thaͤtigkeit in ber Natur ein Zufammenwirken von zweien ober mehreren Stoffen und deren Sträften ift, d. h. daß alle Thätigkeit ber na⸗ türfichen Dinge diefe beftimmte Form ded Zufammen» und refp. Aufeinander⸗Wirkens hat, Es ift ein ebenfo bedeutſames Ge⸗ fu, daß nicht alle Stoffe (Körper) ohne Weiteres mit und auf einander. wirfen, fondern ihre Wirkfamfeit nach Form und Inhalt (Effech) durch gewiſſe Dualitäten und deren gegenfeitiges Verhaͤltniß bedingt und beftimmt if. Eben fo ift es ein Geſetz Im wahren Sinne ded Worts, daß die Schwer- ober Anzie⸗ hungskraft im graben Berhältniß ded Volumens der Körper und im umgefehrten Berhättniß ded Quadrats ihrer Entfernungen wirft, oder daß gewiſſe Subftanzen nur in beflimmten Propor⸗ tionen ihrer Gewichtätheile und refp. Bolumina fi chemifch verbinden ıc. Ä

Auf jene erften beiden beveutfamen Geſetze gründet bann ber Berf. vorzugsweife feinen Nachweis, daß eine göttliche Welts regierung zunaͤchſt innerhalb der Natur angenommen werben. müfle oder vielmehr fich felber manifeftire. Denn danach können überhaupt Wirkungen in der Natur und imäbefonbere „wohls thätige" (die Erhaltung und das Wohlbefinden der Gefchöpfe bedingende) Wirkungen nur erfolgen, wenn bie verfchiebenen Stoffe und refp. Körper fo disponirt und in ihren Qualitäten fo einander angepaßt (adjusted) find, daß fie eine Wirkſamkeit zuſammen und auf einander auszuüben vermögen. In biefer Dispofiion und Unpafjung zeigt füh aber fo viel Weiöheit,

284 Mecenſtonen.

Iwecmaͤßigkeit, Ordmmg und Harmonie, daß wir nicht umhin koͤnnen, darin bie Dhaͤtigkeit des allweiſen und allguͤtigen Urhe⸗ bers der Welt anzuerkennen. Dieß iſt das Thema, das der Verf. nach allen Seiten Hin, geſtazt auf feine gruͤndlichen na turiiffenfchaftlichen Kenntniffe, mit Geiſt und Geſchick durchfuͤhn. Er baſirt feinen Nachweis zunächft auf das Adjustment der Körper hinfichtlich ihrer Qualitäten (Kräfte), und weiſt na mentlich darauf hin, wie kunſwoll die Atmoſphaͤre, das Wafle (Meer), die verfchiedenen Fähigkeiten ber Körper Wärme zu abs forbiren und auszuftrahlen 3c., in ihren Qualitäten und gegen feitigen Wirkungen abgewogen feyen. Dafjelbe funftoolle Arrange⸗ ment zeige fi) in den quantitativen Berhältuiffen ber Körs per zu einander, 3. B. in dem Maßverhältniß der verſchicdenen Stoffe, aus denen bie Atmofphäre beftehe, in dem Maße ver Schwerkraft unfers Planeten nach ihrem Verhaͤltniß zu den Pils zen und lebenden MWefen, die ihn bevöfkern u. f. w. Aber auf in Beziehung auf den Raum, bie Stellung und Entfernun ber Körper, finde ſich eine gleich Funftvolle Anorbung und 4 eben fo nothiwendig, als in den andern beiden Beziehungen. Denn offenbar könnten die Stoffe ganz fo beſchaffen ſeyn wie fie find, und doch würde bad Refultat nur einen ungefchidtn Wirrwarr ergeben, wenn bie Körper in zu_große Nähe ober zu große Entfernung gegen einander geftellt wären. Daſſelbe end⸗ lich gilt Hinfichtlih der Zeit: auch in biefer Beziehung, na mentlich im Gebiete ber organifchen Weſen, finden wir überall ein Adjustment, welches die Bedingung bes Beftehens ber Dinge in der Zeit iſt, 3. B. daß die Milch ver Mutter gerade von dem Augenblid an fließt, wo die Bebürfniffe des neu geborenen Kindes fie fordern, daß die Geburt gewiſſer Thiere (mie die Larven der AInfecten) und bie Entftehung ber ihnen zukoͤmmlichen Nahrung genau in venfelben Zeitpunct fallen, obwohl die Bor bereitungen für die Geburt des Thiered und für die Entſtehung feiner Nahrung von fehr verfchiedenen Zeitpuncten datiren u. ſ. w. Demnächft jucht der Verf. zu zeigen, daß auch jene allgemeinen Thatfachen, die er als Raturgefege in ber dritten ber vor

J. M’ Cosh: The Mothod of Me Divine Government etc. 2385

ihm unterfchiebenen Bebrutungen des Wortd gelten läßt, na- mentlich die Eintheilung der Dinge in: Oattungen und rien, die ſtets fich gleichbleibenden typifchen Formen der Keyftallijation, der Bilanzen» und Thierbildung in den verichiedenen Gattungen; bie ‘Proportionen, in denn bie Stoffe chemiſch fich verbinden, Die beftimmten Zahlen, nach denen die Anziehungs» (Schwer) kraft zus und abnimmt und nady benen bie Schwingunggn bes Aethers und der Luft erfolgen, um bie Harmonie der Farben und ber Töne zu erzeugen, kurz bie allgemeine Welt⸗ oder Nas turordnung wiederum ein, genaues, Zunfivolled Adjustmeyt der Stoffe und Körper erfordert, "wenn -fie zu Stande kommen und ohne Störung ſich erhalten fol. Denn „wir Tünnen uns fehr wohl eine Welt venfen, in welcher das Caufalitätögefeg gilt, und doch wenig ober gar feine Reſultate der obigen Art bervortreten koͤnnten. Eine Urfache hat unter denfelben Umftän- ben diefelbe Wirfung, aber es Eönnte feyn, daß biefelben Um⸗ Rände niemals oder doch night nach derſelben Regel: wiederkehr⸗ ten, und dann würde in der Welt doch nur Verwirrung herr⸗ ſchen, trotz einer Reihe von gleichförmigen Folgen. Es erfordert mithin die Anpaſſung von Subſtanz zu Subſtanz, von Urſache zu Urſache, um jene regelmäßigen Reſultate hervorzurufen, au denen die Natur fo reich iſt.“ Endlich ſucht ter Verf. dars zuthun, wie biefe Refultate, diefe allgemeine Naturordnung, ins: bejondre mit dem Weien und ber Conftitution bed Menichen bergeftalt zuſammenſtimmen, daß nicht nur die Fortdauer bed Menfchengefchlechts und das Wohlbefinden ded "Einzelnen wie ded Ganzen, fontern auch menfchliche Erkenntniß und Wiflen- Ihaft, "menfchlihe Bildung und GBinilifation, und vor Allem bie ethiſche Entwidelung der Menfchheit zu wahrer Humanität möglid) ift.

Diefer Rachweis bildet dem Uebergangspunct zum zweiten Hauptabfchnitte (dem 3. Buche) feiner Schrift, zur Darlegung der innern Weltregierung Gotted oder den Manifeftationen ber göttlichen Vorſehung im ethiſchen Gebiete, in ber Ge- fhichte der Menfchheit wie im Leben ber einzelnen Individuen.

286 Neernſionen.

Der Verf. beginnt mit einem Ueberblick über die verſchiedenen Attribute, Bermögen ober Wirkungskreiſe ber Seele. Er zählt folgende ſechs auf: 1) das einfache Wahrnehmungsvermöge, durch dad wir eine Kenntniß einzelner Gegenſtaͤnde in concreie gewinnen, und zwar a) mittel der Sinneöpercentionen bie

Kenntniß materieller Subſtanzen in beſtimmten Modificationen

oder da der Ausübung beftimmter Kräfte, und. b) wittelft des Selbſtbewußtſeyns bie Kenntniß umfers. eignen Selbſt; 2) dad Bermögen bie Borftellungen aufzubewahren und zu reprobuciten, welches a) ald Gedaͤchtniß, b) als Einbilbungsfraft, und c) ad Syınbolifirende Thaͤtigkeit oder’ als Bernögen uns Gegenfläntt unter gewiffen Zeichen vorzuſtellen, ſtich wirkfam zeigt; 3) bie „correlativen“ Vermögen, welche die Verhaͤltniſſe a) des Gamer

und bes Theils, b) ber Identität und Differenz in Beziehumg

auf Raum, Zeit, Quantität und Qualikit (Kraft), und c) M Urfache und Wirkung „eniveden“; 4) bad „moralifche Bermk gen“, das in Betreff gewiſſer innexer Zuſtaͤnde über Recht ud Unrecht entfcheibet; 5) bie Gemuͤthsbewegungen (Gefühle x.) bie. und zu gewiſſen Gegenftänden hinziehen, von andern ab halten; und 6) das Willens - oder Begehrungövermögen, dd umter den der Seele ſich darflellenden Objecten wählt ober ft verwirft (S. 264 f.).

In Betreff dieſer Unterſcheidung und Claſſiſicirung kam ich dem Verf. nicht ganz beiflichten. Er folgt ber Richtung bet Engliſchen Philoſophie und namentlich‘ ver Schottiſchen Schule welche im Allgemeinen geneigt iſt, eine große Anzahl verſchiede⸗ ‚ner Seelenvermögen anzunehmen, während bie neuere beutiht Philoſophie beftreht ift, die anscheinend verfiedenen Thaͤn keitsweiſen ber Seele wo möglich anf Eine Grundkraft zuruͤd⸗ zuführen. Sicherlich hat dieß Beftreben infofern eine höhe wiffenſchaftliche Berechtigung, als die Wiflfenfchaft und insbe⸗ fondere bie Bhilofophie ihrer Natur nach nothwendig af &% ftematifirung (Zufammenfaffung des Mannicjfaltigen zur ‚Ci beit) ausgeht. Allein ebenfo gewiß ift bie Wiſſenſchaft verpflich⸗ tet, da, wo nun einmal die gegebene Mannichfaltigkeit auf ein

J. M' Cosh: The Method of ihe Divine Government etc. 387

höhere Einheit oder größere Einfachheit ſich wicht zurüdführen It, eine Mohrheit der. wirkenden Kräfte, Gefeke ıc. ausdruͤcklich anzuerfennen. In diefer Beziehung. hat die deutſche Bhilofophie, namenilich die Serbart’fche Schule, vielfach gefehlt und in ihrem Beftreben nah Einheit und @infachheit den Thatfachen Gewalt angethan, während die Schottifhe Schule, in Acht engliſchet Meile ihre. alten Traditionen zu zäh fefthaltend, nicht genug bes

in )

müht geweſen ift, jenem wiflenishaftlichen Streben überall ge -

recht zu werden. Diefen Fehler bat, wie mich duͤnkt, auch ber Berf. ſich zu Schulden fommen laſſen. Er behauptet zwar, es dürfe, wenn wir bie Thatfachen bed Bewußtſeyns vollftändig im Auge behalten, unmoͤglich fenn, irgend eines ber von ihm angeführten Seelewermögen in irgend ein anbred ober in alle übrigen aufzulöfen. Dennoch laſſen ſich, wie mir fcheint, bei näherer Betrachtung jeme ſechs verfchiebenen Vermoͤgen ohne Schwierigkeit zunaͤchſt auf zwei große allgemeine Thaͤtigkeits⸗ weifen der Seele zurüdführen, bie ich bie producirende und bie unterfcheidende Thätigkeit nennen möchte. Broductiy thätig (wenn. uch nur zuſammenwirkend mit Sträften, Affectio⸗ nen, Anregungen be& Leibes und refp. der Außenwelt) ift bie Seele offenbar bei der Entftehung, 1) der finnlihen Empfin⸗ bungen und ber durch die Empfindung vermittelten Sinnesper- eeptionen, 2) ber Gefühle und Gemuͤths bewegungen, und 3) her Begierden, Strebungen, Neigungen x. Die producirende Thaͤ⸗ tigfeit- würde alfo unter fich befaflen 1) das Empfindungs- vermögen, kraft defien die Seele befähigt ik, von den Zuftäns ben, Bewegungen, Reigungen ıc. bed Leibed (der fenfitiven Ner⸗ ven) affieirt zu werden und im Zuſammenwirken mit dieſen Af- fectionen ihre finnlichen Empfindungen und Einneöpereepiionen fich zu bilden; 2) das Gefühlsnermögen, d. h. die Faͤhigkeit der Seele von ihren eignen mannichfaltigen‘ Zufänden, Bes ſtimmtheiten, Ihätigfeiten 2c. afficirt und reſp. erregt und bes wegt zu werben, oder mas daſſelbe ift, folche Affectionen und Bewegungen auf Anregung ihrer eignen. Zuftände x. in ſich zu erzeugen, Affertionen, die jenachdew fie. der Natur und reip.

288 Ä Mecenfionen.

dem jebeömaligen Geſammtzuſtande ber Seele entiprechen ode wiberftreiten, ihr angenehm ober unangenchm ſeyn werben. (Unter biefen Affeetionen findet nicht nur das fittliche und aͤſthetiſche Wohlgefallen und refp. Mißfallen, fondern aud das Gewiſſen, | fofern e8 unmittelbar nur ein Gefühl des Sollens ift, feinen Platz); 3) dad Begehrungsvermögen, ober die Fähigkeit ber Seele, auf Anregung ihrer leiblichen wie ihrer eignen Bedinf niſſe Strebungen in ſich hHervorzurufen‘, die von ſelbſt auf ben Gegenftand ber Befriedigung des Triebes und Bebirk | niffes gerichtet find. Die |. g. reprobucirenden Vermögen des Gedaächtnifſes und der Einbildungsfraft würden, wenn fie al befondre Vermögen anzufehen find, ebenfalls unter bie beſondem Bethaͤtigungsweiſen der probuctiven Kraft ber Seele zu ſubſum⸗ ren ſeyn. M. E. find fie indeß, fo weit fie die einmal mia denen Empfindungen, Gefühle ꝛc. bloß aufbewahren, m’ als ein Annerum des Gefühldvermögens alkufehen. Aber alt die mannichfaltigen Erzeugniffe der probuctiven Thaͤtigkeit a Seele würden und nit zum Bewußtſeyn kommen, wit wuͤr⸗ ven vielmehr hoͤchſtens ein dunkles Gefühl von ihrem Daſeyn haben, wenn bie Seele.nicht zugleich die Kraft oder dad Ver—

- mögen des Unterfcheidens befäße und: zufammen mit ihm producirenden Thätigkeit übte. Dieß Unterſcheidungsvermoͤgen iſt die ſpecifiſch geiſtige Kraft oder Thätigkeitsweiſe der Secle— Denn durch fie iſt das Bewußtſeyn und Selbſtbewußtſeyn ver mittelt, weil nur dadurch, daß die Seele eine in ihre herworgent fene Empfindung, Gefühldaffeetion, Etrebung ıc. von ber andem und zugleich von fich (der Seele) ſelbſt unterfcheidet, ihre She bungen, Gefühle, Empfindungen ihr immanent gegenfländlid | (d. h. bewußt) werben und ihre Beſtimmtheit für das Bewußl⸗ | feyn erhalten, d. h. weil nur durch fie zumächft die blopen Empfindungen, Gefühle, Strebungen ꝛc. zu ebenfo vielen Vor⸗ ftellungen von einzelnen Dingen und deren qualitativen und quantitativen Beftimmtheiten, Kräften, Verhaͤltniſſen werden, und demnächft nur durch weitere Unterfcheidung diefer einzeln Borftelungen von einander unfre allgemeinen Begriffe, x.

J. M Cosh: The Method,of the Divine Government etc. WP-

unſre Borftelungen. nm dan Skalen ı:: Bakkıngen. markı Axten den: Dinge, von. den allgemeinen: Verhaltniſſen, unter: denen fla- Bar: ben ,. von ben Gaſetzen ihrer Schätigkeit mom. her; Megelmäßigfeit, ' und, Ordnung ihm Vewegung ⁊tci, emſtehan. Huf her under⸗ ſcheidenden Thaͤtigkeit beruht demmaͤchſt auch ‚alles: Vergleichen, Urtheilen, Schließen und Folgern;denn dieſe Thaͤtigkeiten, welrke gemäßsuäch · befondern Vermoͤgcn Zigeſchriehen, werden, arweiſen id) bei, naͤherer Betrachtung nur⸗als. Modifieatjonen des Vntar ſcheidungsvermaͤgenoᷣ, das als ſolchas unmittelbar bag. Berge gm: der: Auffaſſuug (Boncentian:: unde Annerception)) weil daq des Bewußtſeyns aͤberhaupt iſt. Durch ·die unterſcheidende Thätigkeit endlich entſtehen auch unſte :;echiichen- Vorſtellungen, unſte Begriffe yon. Recht und Unrecht, Gut vnd Boͤſe, Schoͤn und Haͤßlich, Wahr und Unwahr: ihre, Emtfehumg unterſcheidet fin nur dadurch vom Urfprung unſrer übrigen Vorfellungen, Daß jtne mittelft Unterfeheibung gemäß ben ethaͤſchen Kategoriem,: dieſe bagegen mittel Unterſcheidung gemäß ben allgemein Ig.r gaſchen Kategorieen ſich bilden,

Zwiſchen diefen. beiden Grundfräften ber Seele ‚mit iheen verſchiebenen Bethaͤtigungsformen ſteht der Wille gleichſam in ver Mitte. Er iſt die Seele ſelbſt, ſofern ſite als empfindend, fühlend, ſtrebend, ſich erinnernd, aber auch als unterſcheidend, vergleichend, urcheilend und damit erwägend und überles gend, aus dieſen mannichfaltigen Beſtimmiheiten ihres Weſens und ihres momentanen Zuflandes- heraus zum Thun ober Unter⸗ laſſen einer Handlung fih entfcheibet. Er gehört inſofern ber. unterfcheibenden Thaͤtigkeit an, al$ jede Entſcheidung Geder bewußte Willensentſchuuß) ein wenn auch noch fo. raſches und kaum zum Bewußtſeyn kommendes Unierſcheiden, Vergleichen, Erwägen vorausſetzt; er gehoͤrt aber auch ber pros, ducirenden Thätigfelt an, ſofern jeder Entichluß zu einer bes fitumten Handlung ober Unterlafung ein wenn auch motivir⸗ tes, doch immer felbfleigned Erzeugniß der Seele iſt.

Huf diefe Weife gewinnen, wie mich bünft, bie mannich⸗ faltigen Seelenvermoͤgen nicht nur eine größere ee und in.

Zeitſchr. f. Philof. u. phil. Kritik. 33. Band.

dAlectuhoxenl

migere Verbiaung, fondern auch ihre Clafſtſeiring eine ein⸗ fachete Anorönimg. Ich beandige ni wit ben oben gegebenen augeme inen Andeutungen, ba ich neuetbings in einer beſondern Schaft (, Olauben und Wiſſen, Spetulation mb exarte Wiſſen⸗ ſchaft“ xx., Leipzig 1855) den fraglichen Bund näher erörtert und meine obigen Behauptungen zu erweiſen geſucht habe. Daraus englebt Ach, daß ich dem Merfs nicht beiliumen Im, wen er ven Willen um ben vs ſich im Verlauf feiner Erörterungen votzugẽeweiſe handelt mit dem Degehrungsvermoͤgen (optative poner) in Eins zuſammenfullen läßt, Er bemerit ganz richtig: dad: Velen des Willens ſeh Enwähling und tefp. Berwerfung, aber er. wergißt hanzuzufligen, Erwaͤhlung ober Berwerfung in Bezug auf Inhalt und Form einer Handlung. Ich kamı dei gtoßer Erbigang zu trinfen begehsen (weil bie Begierbe hanadı vurch das leibliche Bedürinig unwilltichriich im ver Erele her⸗ vodegerufen wird), und doch aus Rachſicht auf meine Geſumdhei nicht trinfen wollen. Im dieſem Falle ſtehen ſich Wollen mb

Begehren im ſchroffen Widerfpruch, ſich werhfeffeitig negtrend gegenüber, und können alſo unmoͤglich auf Ein und daſſelbe Seelenvermoͤgen zurädgeführt werben. Dagegen hat der Berf. ganz Reiht, wenn er bie Gefühle and Gemüthöbemsenungen (Enröttens of the mind) vom Begehrumgsvermoͤgen und vom Willen beſtimmt unterſcheibdet. Es iR fehe wohl denkbar, daß unſte Seele mannichfaltige Gefühle, namentlich das Gefühl des Angenehmen imb Unängenehinen beſttzen, und doch zu entſprechen⸗ ven Sixebangen und · Willensacten nicht beftihtht ſeyn koͤnme Die Gefühle und Gemuͤthsbewegungen etragen amd : verſtärken alerblugs bie: Beptetven und ſind oft won. großem Einfluß auf die Entſcheidungen des Willens; aber fe find keineswegs üben tiſch mit jenen und nach weniger mit vieſen.

3... WDiefe Gebrtetungen führen den. Verf. auf bie alte: Strru⸗

feage über die Freih eit des Willins. Er erllaͤrt id für ie

Freiheit, und beruft fi zut Begründung feiner Anncihme der⸗

felben mit Wecht einfach Auf vas allgemeine Bewußtſeyn. Denn

einerfeits laͤßt ſich jene Streitfrage nur aus Thatſachen des Be

J. M’ Cosh: The Method: of the Divine Government etc. 3.

wmußtſeyn⸗ entſcheiden, weil jeder meinen Wiltenduste und deſ⸗ fen Eniſtehungaweiſe nur mir zum Bewußtſeyn kommt und Fein Andrer in das innere Lehen meiner Seele. himeinfchen und was: in ihr vorgeht, erlennen Tann, Anarerſeius faͤllt die Freiheit des Willens, zunaͤchſt und. unmittelbar wenigfen®, mit dem Bes wußtfeyn freier Entihließung in Eins zufammen, Wenn ich von anderweitigen meinen Willenseniſchluß ehwa bervorrufenden: daißern Utſachen ſchlechthin kein Brwußtſeyn habe, ſo bin ich, weil und ſofern eben mein Entſchluß mit Bewußtſeyn ge faßt wird und mir. darum ein Willensac.ift, füz mich we⸗ nigftens freier Urheber beflelben. Ob ih es auch an fi bin, d. h. ob mein Bewußtſeyn freier Entichließung auf Wahr⸗ beit oder Irrthum (Taͤuſchung) beruht, Diele Frage würbe mer dann gegen die Wahrheit des Freiheitsbewußtſeyns zu entfcheiden jeyn, wenn fidy nachweiſen ließe, daß und welche anberweitige (aͤußere) Urſachen meinen vermeintlich freien Ente ſchluß hervorgerufen und beftimmt haben. Aber dieſen Nachweis haben die Detesmimiften bisher noch nie geführt. Sie haben fich immer nur theils auf bie. allgemeine. Geltung bes. Cauſali⸗ taͤtsgeſetes berufen, theils baranf, daß auch nad) den Thatſachen des Bewußtſeyns jeder: Willensentſchluß ein Motiv habe und dieß Motiv doch wiederum einen Grund ober eine Urſache haben müſſe. Auf den letzteren Einwand antwortet der Verf. ebenſo ſcharf als treffend: „Dad. Wort Motiv ‚I zweideutig. Wenn damit die Summe aller .ver Urfachen, bie einen Willensentſchluß hervorrufen, gemeint ift, fo verſteht ſich von ſelbſt, daß das Mo⸗ tin immer den Willensentſchluß beſtimmt; aber dann iſt in Dies fer Summe der Urfachen dat Hauptelement eben der Wille ſelbſt. Wenn dagegen unter Motiv nur bielenigen Urfachen, die unabhängig vom Willen wirken, verfienben werben, dann behaupten wir, Daß fie nicht ben Willensentichluß beſtimmen, fondern nur ben Willen, ber die wahre beſtimmende Macht iſt, zur Ihätigfeit anzegen.” Auf jenen erften Einwand ber Determiniften dagegen ſchein und ber Verf. eine Antwort ge geben zu haben, bie mit feiner Behauptung ee abireihei 1 »

WE. Kengtfdetifionen. |

in Wberſpruch ſteht. Er raumt die allgemeine Geltung des Cauſalicatsgeſedes in vem Shane, daß jedes Phanomen eine Urſache haben muͤſſe, ein, und behauptet beingemäß ſelbſt, daf arsch der Wille mit allen feinen befondern Beihaͤtigungen (actings) ebenfalls eine Urſuiche haben müfle; will aber ˖ nichtodeſtowe⸗ niger die Freiheit des Willens feſthaltei, mdemer meint, daß

ine beiden Behauptungen: fh” Teineswegs widerſprechen· Wer

einen Widerſpruch zwiſchen ihnen finde, muͤffe nachweiſen, daß „bie Freiheit und die Nichtverurſachimg des Willens Eines und daſ⸗ ſelbe Attribut ſey“ was bisher noch Niemand dargethan habe. Wir glauben, daß ber Verf.einerſeits dem Cauſaulitaͤtsgeſche eine Ausdehnung zugeſtanden Hat, vir hm in Wahrheit nicht zufommt, und andrerſeits einen: Unterſchied üserfleht, der für bie Entfcheivung ber Frage von großer Bedrutung if, Dad bloße. Dafeyn: bes freien Willens .:eined Vermögen? der menſchlichen Seele muß allerdings ſo gewiß eine Urfade Haben, fo gewiß ber Dienfch ſich nicht ſelbſt gefchaffen hat; u es kann eine Urfache haben,. ohne daß damit die Freiheit de Willens aufgehoben wäre: Aber wenn: ber. Berf. meint, nidt nur ber freie Wille ſelbſt, ſondern auch feine Berhätigungen muͤſſen gemäß dem Cauſalitaͤtsgeſetze eine Urſache außer Ihm huben, fo fteht diefe Behauptung u. E. allerdings im log ſchen Widerſpruche mit der behaupteten Freiheit des Willens, oder was daſſelbe iſt, die Freiheit des Willens und die Nichte verurſachung feiner einzelnen Wiklensacte durch eine Urſache außer ihm find u. E. allerdings Ein und daſſelbe Atttibut. Denn die Freiheit des Willens befagt ja eben, be der Mille ſelbſt und nicht irgend eine Urfache außer ihm der - Grund feiner einzehien. Willensacte ſey: wo letztere im Grunde nicht von ihm, ſondern von. einer. andern Kraft oder Thätigfei hervorgerufen, beftimmt und ſomit neeeflitire find, kann von Freiheit des Willens offenbar nicht die Rede fen. Das Caufalitätögefeß fordert aber auch -nur, daß jede Wirkung eine Urfache habe, keineswegs, daß jede. Urfache wiederum ihre Urfache Haben müfle. Im Gegentheil, wo eine Reihe von

JM Cosh: The Method:of.she Divine Government etc. 293

Wirkungen gegeben: ift, die inſofern zugleich im Cquſalnexus uns ter einander ſtehen, als jede: immer: bie Wirkung einer. andern ift, da fordert das Cauſalitaͤtogeſeß, ;daß...eime letzte Urfache ber ganzen Reihe angenpinmen. werbe, weil fonft eben nur Wirs kungen und keine Urſache vorhanden. feyn würden. „Die, eins zelnen Willendacte müflen. daher allerdings eine Urſache haben; aber. bie; allgemeine Geltung des Cauſalitaätsgeſetzes ‚hindert Leis neswegs anzuerkennen, daß dieſe Urfache diejenige Kraft ber Seele ſey, die wis Willen. nennen. - Mit diefer Annahme wirh das Caufalitätsgejeh ; wie e8 in. der Natur herrſcht, ‚weder ges leugnet noch, durchbrochen. Die Naturwiſſenſchaft ‚hat vielmehr nachgewieſen, daß mehrere, verſchie dene Kräfte (Urſachen) in der Natur zuſammen⸗ und aufeinanderwirken ‚und daß dieſel⸗ ben inſofern von einander unabhängig (urſpruͤnglich) ſeyen, als feine von ihnen auf die andre zuruͤckgeführt noch als bloße Wir⸗ Tung oder Mobificgtlon ber ‘andern betrachtet werben könne. Sie zählt zu diefen Kräften die Schwerkraft (Gravitation), bie chemiſche Affinität, das Licht, Die Wärme, die Eleftricität u. |. w. Warum fol zu ihnen nicht auch die Willenskraft des. Menfchen, gerechnet werben dürfen? Wir glauben mit dem Berf., daß alle jene Raturfräfte von einem allweiſen Schöpfer der Welt fo gefeßt, beftimmt und aufammengeorbnet find, baß fie nicht nur gefeslih, fondern harmoniſch mit«. und aufeinanderwirken und dem Zwecke bed großen. Ganzen dienen. Warum. follen: wir nit annehmen. bürfen, daß auch die Willenskraft und dar mit die Freiheit des Willens die ja keineswegs eine abſo⸗ Inte, rand⸗ und-bandlofe Wilführ, fondern nur eine fehr. ber fihränfte Wahl freiheit zwifchen einer -geringen Anzahl möglicher Einzelhandlungen ift vom Schöpfer ber Welt in die Ges fammtheit jener Urfachen „mit eingeordnet jey, um mit ihnen zu bem gleichen ‚Ziele zuſammenzuwirken? Von biefer Annahme, der bie Refultate ‚ver Naturforfchung nirgend wiberfprechen, Tann and wenigftend das unge Gerede von ber. allgemeinen Serrnf bed rs x, nicht zurückhalten.

An die, Frage nach der Freiheit des Willens taupfi dep

294 Recenflonen,

Verf. unmittelbar die Erörterung des MWefend und Begriffs bee Gewiſſens. Obwohl ein entichlebener Anhänger der induchs

ven Methode, behauptet er. hoch eben fo entſchieden, umd wir

werben auf biefen Punct weiter unten noch zurüd Tomme, |

daß es fundamentale, apriorifäge, von ber Erſahrung unabhaͤn⸗ gige Principien oder Geſetze giebt ſowohl für unfre moraliſche wie für umfre denfende Natur. „Die Ethik if die U fenfchaft der nothwendigen Gefege unfrer. moralifchen Natur, wie bie Logik die Wiffenfchaft der nothwendigen Geſetze unſers Der tens. In beiden find die Geſetze an fich ſelbſt a priori und mnabhängig vorn der Erfahrung, aber in beiden können fie nur nachgewieſen werden durch apofteriosifche Induction. Dem eb giebt nun einmal feine apriorifchen Ideen als abftrade era allgemeine Ideen, und ebenfo wenig giebt es aprioräfche Per cipien im Bewußtſeyn als bewußte Principien. Darım fat wir, obwohl angeborene Principien bes Denkens wie ber Dr ralität von ſelbſt in uns wirkſam find, doch nicht eher berei tigt einen -wifienfchaftlichen Gebrauch von ihnen zu machen, ald Bid wir ihre Natur und ihre Regel in einer präcifen Fomil dargelegt haben.” Mit andern Worten, bie allgemeinen Ip find nicht als Begriffe, nicht unmittelbar im Bewußtſeyn gegeben, wir wiffen nicht unmittelbar von ihnen, fondern ft wirken ald Geſetze oder Rormen in unferm Denten, d.h. fi beftimmen und leiten unfer Denfen ohne baß wir ein Bemuß ſeyn von ihnen haben, und erft durch Reflexion auf unfer Ihm und durch apofteriorifche Inductton werben wir und ihrer be⸗ wußt und läßt ſich ihr urfprängliches Vorhandenſeyn nad weifen. Hierin flimmen wie dem Verfaſſer vollfommen bel und freuen und, daß er in völlig ſelbſtſtaͤndiger Forſchung zu benfelben Refultaten gelangt if, bie wir (ſchon in ber Schrift „Das Grundprindp der Philof.” TH. IT. Leipz. 1846, vgl Spftem der Logif, Leipz. 1852) weitläufig zu erweiſen geſucht haben. Es ift im Wefentlichen die Kantiſche Grundanſicht; mit daß Kant den Fehler beging, dieſe apriorifchen Grundlagen m fer Denkens als „reine Anfhauungen“ und reſp. als rein

J. M’ Cosh: The Method of the Divine Government etc. 285

»Stammbegriffe*. des, Verkandes zu fallen, während: ſie in Wahrheit an fich und arfprünglich nur ald unbewußte Geſetze und Normen in unſerm Denken wirken. Ebenſo faßte Kant feinen kategoriſchen Imperativ der Pflicht als ein urſprüngliches Princip der: praktiſchen Vernunft, d. h. des ſitilichen Beim u ß t⸗ ſeyns. Gegen dieſe Auffaſſung ließen ſich mit Recht alle Die Einwaͤnde geltend machen, mit denen bereits Locke die angebore⸗ nen Ideen Destartes' fiegreich bekaͤmpft hat, während unſre An⸗ ſicht von dieſen Einwürfen gar nicht berührt wird und auf in⸗ ductivem Wege ſich ehenſo klar erweiſen läßt, wie bie Gaſetze der Natur, welche die Naturwiſſenſchaft aufgedeckt hät.

Nach dem Verf. min iR es das Gewiſſen, bem: die fundamentalen Principien unſrer moraliſchen Natur (unfers ſiutlichen Wolſeng und Handelns) in derſelben Weiſe a priori einwohnen, wie dem Verſtande die nothwendigen Principien bes Denkens. Ex findet zwar eine gewiſſe Analogie zwiſchen hei⸗ den, will aber doch dad Gewiſſen vom Verſtande beſtimmt un⸗ terſcheiden. Nach ihm beſteht bie eigenthuͤmliche Natur des Bes wiſſens darin, daß es einerſeits nicht nur von einem Geſetze mit autoritativer Verbindlichkeit ausgehe, ſondern daſſelbe auch offenbare und demgemaͤß ein autoritatives Urtheil über die ihm ſich praͤſentirenden Handlungen ausſpreche, und daß es andrer⸗ ſeits „ald eine gewiſſe Klaſſe von Gemuͤthsbewegungen (matiae) befigend, als ein Gefühl (sentiment) zu betrachten fer," Wir find mit dem Berf,. infoweit einverftanden, als wir mit ihm Aberzeugt find, daß das; Gewiſſen ein urfprünglicd.es Ger fuͤhl iſt, und zwar bad Befühl des Sollens und refp, Nichte follens, alfp ein Gefühl der Berpflichtung gegen das Sit tengeſet Daraus folgt, daß es in jebem einzelnen Falle zum Thun ber dem Sittengeſetz entſprechenden Handlungen antreiben, vom Thun ber entgegengeſetzten abmahnen wird (mas man als lenfalls ein „Urtheilen“ im weiten Sinne des Worts nennen fann). Auch flimmen wir darin dem Verf. bei, daB dieß Ger fühl im lebten Grunde nur yon Gott felbft hervorgerufen ſeyn koͤnne. Wenn er aber zugleich hehauptet, daß das Gewiſſen

26 rt Meeenflonen. :

das Sittengeſetz auch „offenbare*, daß es und mit dem Inhalt veffefben „bekannt made", daß es -„ erkläre, was ſeyn jolle*, fo muͤſſen wir zunaͤchſt fragen, in weldyer Weile und biefe Offeibarung zu Theil werde? If: es eine unmit⸗ telbare Offenbarung, fo daß wir im Gewiſſen ur mittelbar wiffen, was Recht ind Unrecht; Gut und Böfe fey? (— mie der- Berf. anzunehinen ſcheint, wert‘ er ſagt, Dir der Unterſchicd zwiſchen Gut und Böſe „eingeſchrieben ſey on’ the "very: comt- tütion-of the mind). Aber in dieſem Fälle wäre ber. alles mieine Begriff des Buten und Bboſen eine dem Bew tſeyn unmittelbar einwohnende Vorſtellung, alſo eine angeborene Ihe in dem Stine; in welchem ber Verf. felbft angeborene Ihrem mit Recht leugnet. Soll aber jene „Offenbarung mer ein mittelbare feyn, fo fragt es ſich weiter, wo durch iſt fe we mittelt, d. h. wodurch fommt uns zum Bewußtſeyn, ned Bad Siüttengeſetz vorfchreibt? - Der Verf. giebt uns Feine nähe Auskunft darüber, wie es das Gewiffen macht, : daß wir vn Inhalt des Sittengeſetzes Kenntniß erhalten. Nun liegt aber im bloßen Gefühl des Sollens noch keine Beſtimmung deffen, was wir-follen. Und andrerſeits ſcheint es und nach dem gegebenen Thatſachen unzweifelhaft zu ſeyn, daß wie zu einer (berußten) Borftellung von dem, was gut und recht fey oder worin bad Rechte und Gute einer Handlung beftche, nur dadurch gelangen, daß wir. vie fih und präfentirenden Handlungen (Willendack) Yon einander unterfcheiden, daß alfo, wie alle unit Vorſtellumgen, ſo auch unſre Borftelung von Gut und Dill nicht unmittelbar im Bewußtſeyn gegeben, auch nicht durch has Gewiffen unmittelbar geoffenbart, fonbern durch bie unterfheb ven de Thätigkeit’ver Seele vermittelt iſt. Das Kind ik anfaͤnglich und- urfprüngiich Altes, auch das an ſich Bäfe, fit xtlaubt (gut), To lange ihm nicht etwas ausdruͤcklich verboich AR: ſein Gewiſſen ſagt ihm alſo nicht, mas gut und böfe Ih, es regt ſich vielmehr erſt als ein Gefühl--des Sollens, nach⸗ dem ihm ein beſtimmtes Gebot oder Verbot gegeben iſt, oder machdem es anderswoher eine Vorſtellung von Gut und /Voſe

J. M’ Cosh: The Method. of the Divine Government etc. 297

gewonnen hat, Rice: nur GEinzelne, ſondern ganze-Rationen ber folgen, was unter ihnen allgemein⸗als Geſetz· und Sitte, als recht und’ gut gilt; ſie thun es, ohne: daß bad Gewiſſen auch nur eines Einzigen unter ihnen Dagegen ſpraͤche; ſie thun es mit gu⸗ tem’ Sewifien, obwohl es In vielen Faͤllen keinem Zweifel unterliegen Tante, daß es anifich.böfe und unrecht iſti Der Verf. giebt (S. 440. 440) ſelbſt zu, daß: das Bemwiffen: wielfach verdorben und: miß⸗ geleitet ſey, vund daß es baber.: „recifichntl:: werben: muͤſſe. Wie über wuͤre dieß moͤglich, wenn? dao Gewiſſen ‚nid ſolches das Bermoͤgen der: ſittlichen Vorftellungen wäre und die wahre Ice des Guten in fich-teüget Durch welche Kraft: bet Seele koͤnnte dieſe Idee verfälfcht" oder eine: falfche an ihre: Stelle geſeht wer⸗ ben? Wird wicht werigftens mit ber Annahme. einer ſolchen Kraft implicite ein zweites Vermoͤgen ethiſcher Vorſtellungen angenommen? Durch den Beſitz des Gewiſſens wird mithin nicht nur, wie der Berf. mit Recht bemerkt, noch kein Menſch gut oder tugendhaft, ſondern 'wir:.erfahren dadurch auch - ach feineswegs, was gut oder böfe fe: : Dieß kommet uns vielmehr nur zum Bewußtfenn zunächft als Eimzelnorftellung durch Unterfhelbung einzelner Handlungen: and Willensacte von einander, : fpäter erſt als allgemeimer Begriff vurd.Bergleis hung einer Mehrheit von Fällen mit einer Mehrheit an⸗ derer {entgegengefegter). Aber alles Unterſcheiden feßt: eine Norm, ein Kriterium voraus, wonach es verführt: wie wir nicht die Größe eines Dinges von :ber Qualität. eines ans ven, fondern nur Größe von Größe, Qualitaͤt son Qualitaͤt zu unterfeheiden vermögen, wie wir alfo die Dinge nur nach Quhntiktt und Ovalität, nach Innerm und Arußerm, Weſen und Erfiheinung ic. von ‚einander unterſcheiden und mit einan⸗ per vergleichen koͤnnen, fo bebürfen wir auch einer ‚heffinmten allgemeinen Norm zur Unterfcheibung der ethiſch en: Beichaffen- Yet der einzelnen. Handlungen. und Willensacte. :Diefe-Rorm Santı felbft nur eitte eth iſche ſeyn. Sie beſteht ‚zwar, an: fi) in dem Begriffi des Guten’ und reſp. Bölen z- aber dieſer Bigriff iſt uns nicht als Begriff unmitlbaerim Bawyßtleyn: ge⸗

298 Necenſionen.

geben, fondern als immanente Norm unſerer unterſcheidenden Thaͤtigkeit leitet er dieſelbe zunaͤchſt unbewußt und unwill⸗ Führlich, und erſt nach dem mir gemäß dieſer Norm die. Hand⸗ lungen und. Willendacte unterſchieden haben, gewinnen wir eine bewußte Vorſtelliumg von Gut und Boͤſe. Solche normative Begriffe find im Gebieie des Rechts, der Maralitaͤt und Aeſthe⸗ tik daſſelbe, was bie logiſchen Kategorieen im Gebiete her Logik und der allgemeinen Erkennmißtheorie. Wir. haben bie fen Punct, und. insbefondere. die Frage, wie:von ben ethiſchen Kategorieen aus der bioße Begriff des Buten mittelfi des Ge⸗ wifiend zum Inhalte des Eütengefebes werde, in ber jchen angeführten Schrift. („Glauben und Wiſſen“ x.) näher. erörtert, und müflen uns hier beguägen, barauf zu verweilm. Ebenſo müßten wir es uns verfagen, auf die Eroͤrterungen bed Verf, über den Begriff ber Tugend und ihr Berhältnig zum Gewißen und zir Glüdfeligkeit: wie über dad, was er dic molive Prie ciples der Seele nennt, näher einzugehen. und feinen Darauf gr flügten Nachweis, wie in der moralifhen Conftitution des Mey ſchen und im fittlichen. (focialen) Leben ber gefallmen Menſchheit die göttliche Morfehung ſich Fund gebe, darzulegen, (Auch bie Deweisführung if für den Zweck des Verf. wohl gelungen, ge nügt aber freilidy nicht ganz ber ftrengen philoſophiſchen Willen fhaft). Nur über feine en inipiheorsifäen Principien haben wir noch ein Wort hinzuzufügen.

Der. Verf. kommt darauf zuruͤck in einem Anhange, der von den „fundamentalen Principien“ handelt. Gr erklaͤrt ſich hier für die Annahme der Schottifchen Schule, daß wir certain fr eulties of simple cognition bejißen, d, 5. Vermögen, durch bie wir von den reell exiſtirenden einzelnen Gegenſtaͤnden nicht bloß einen Eindruck oder eine Vorſtellung, fonbern eine Extenniniß (knowledge) gewinnen. Er nennt ala folche einfade Erfenn- nißvermögen 1) die Perception, durch bie wir wid nur dad fuhftanzielle Dafeyn materieller Dinge erkennen, fondern auch bie Beftinnmtheiten (properties), bie fie zeigen (exereise), und 2) bad Vewußtſeyn, durch das: wir unſer eignes Selbſt in einem bes

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J. Cosh: The Method of ihe Divine Government ete. 27%

ſtimmten Züftande erfennen. Cr behauptet, daß dieſe cognitions fi; nicht weiter erflären laſſen, weil fie einfache und utfprüngr fiche ſeyen und daher ſich nicht in noch Einfacheres auflöfen laſſen (S. 533). Sol mit biefen. Behauptungen: nur gefagt ſeyn, baß wir. durch die Perception und das Selbſtbewußtſeyn (richtiger das Selbſtgefuͤhl) bie erſte Anregung erhalten zur Annahme Anßerer Dinge, oder was daſſelbe iſt, die erſte Runde von dem Daſeyn Außerer Dinge und von der Eriftenz ur; ſers eignen Seldft in einem beſtimmten Zuftimte, d. h. daß duch die Perception und das Selbfigefühl unfre Annahme vom Dafeyn Anferer Dinge und unfrer Seele vermittelt fey; fo fimmen wir mit dem Verf, vollkommen überein. Meint er bar gegen, daß es nur der Perception und des Bewußtſeyns his bürfe, um und die Gewißheit zu. geben, daß es Anfere Dinge realiter giebt und daß fie. fo beſchaffen fehen, wie wir fie auffaſſen, fo müffen wir gegen dieſe Behauptung: allo vie Ein⸗ wuͤnde wiederholen, die wir gegen Sir Will, Hamilton's Er⸗ kenntnißthevrie geltend gemacht haben (ſ. dieſe Zeitſchr. B. XXVII, 1855, p. 83 ff.). Unſre Erkenntniß im engen Sinne, d. 5,

unſre Gewißheit, daß unſre Auffaſſung des Seyns und der

Beſchaffenheit der Dinge der Objectivitaͤt (Realität) entſpreche, beruht nicht bloß auf einfachen cognitions, ſondern auf einem complicitten Proceſſe des Denkens, ber zwar ebenſo raſch als unwillkuͤhrlich und unbewußt ſich vollzieht, aber nichtsdeſtoweni⸗ ger ein complicirter iſt, wie wir in der angefuͤhrten Schrift G&lauben und Wiſſen“ ꝛc.) dargethan zu haben glauben. Wenn ber Verf, weiterhin behauptet, daß Die Ueberzeugung vom Daſeyn eines Umenplichen ein „angeborener Glaube“, ein „cons ftituitendes. Brineip” ber Seele ſey, fo Können wir ihm auch

darin in 'eihemm gemwiffen Sinne zuftimmen. Denn bie Borfiel-

lung des Endlichen als ſolchen kann nur durch Unterfiheibung deſſelben von einem Unendlichen entſtehen, und daraus folge, daß in und mit der Auffaſſung eines Endlichen als ſolchen zu⸗ gleich die Vorſtellung eines Unendlichen und folglich (wie der Verf. wi) mit der Vorſtellung eines endlichen Raumes zugleich

300 Wrenfionm. J.M’ Cosh: The Method af the Divine etc.

bie eined unendlichen Raumes unmwillführlich ſich bildet. Dieß Unendliche, weil nur im Gegenſatz zum Enblichen gefaßt, .. wird allerdings zunächft nur negativ, nur ein Nicht⸗ endliches, ein Gränzens und Schranfenlofes zu ſeyn fcheinen. Aber bei die⸗ fer negativen Faſſung kann es nicht bleiben. Wir find nun, eins mal außer Stande, ein. bloß Negatives, ober was baffelbe ift, ein Solches, dem nur irgend eine. Beitimmtheit abgeiprochen, ober Feine anbre beigelegt: wird, und vorzuftellen. Das Richt> Endliche rein als ſolches iſt eim rein Negatives Nichts: es wird damit in Wahrheit nichts gedacht (und nichts Denken iſt kein Denken, wie nichts Thunkein Thun), oder: was daſſelbe iſt, 28 wird damit wiederum nur bad Endliche vorgeſtellt als ein ſolches, das nicht umenklidy if. Wir kommen mithin über bad Enpliche gar nicht hinaus, und alle Vorſtellungen, in bes nen das Unendliche nur negativ gefaßt wird, wie 3:3; hie Borftellung eines grängenlofen Raums, einer gränzenlofen Zeit eines gränzenlofen Seyns .ıc., haben gar feinen befonbern, eigew thümilichen Inhalt, der vom Begriff bes Raums, ver Zeit ı verfhieden wäre, fondern repräfentiren eben nur den. Raums überhaupt, die Zeitsüberhaupt, d.h. fie find im Grunde nur unfre allgemeinen Begriffe von Zeit und Raum, ihre Ins halt alfe die allgemeine Zeit, der allgemeine Raum, ber als folcher fein einzelner beftimmter Raum ift und mithin auch keine beftimmten Gränzen haben Tann, infofern alle al⸗ lerdings graͤnzenlos erſcheint. Aber damit haben’ wir keinedwegs die Vorftellung eines Unendlichen als folshen gewonnen, fondern nur eine Generalifation gemacht. So lange es und ‚nicht ges dungen ift, bem Unenblichen eine pofitive Beſtimmung zu ge ben: und fein Dafeyn pofitiv nachzumweifen, fo lange hat Sir W. Hamilton Recht, wenn er behauptet, daß has Unenbliche als das unbedingt Grängenlofe weder erkennbar noch denkbar fen (vgl. dieſe Zeitſchr. a. O. S. 62 ff.)

Dagegen ſtimmen wir dem Verf. ohne Ruͤckhalt bei, wenn ee’ behauptet, Daß die Seele an ſich Feine abſtracte Idee, weder don Raum und Zeit, noch von Subftanz und Qualität, Urſache

Mecenfionn. Lonay: Dissertations philosophiques etc. 30%:

und Wirkung ıc. habe,‘ daß vielmehr" ihre erfien Borftellungen‘ nur Ein zelvorftellungen ſchen, und daß ſie zu jenen abftracter Begriffen, erft: paͤter mil, Hülfe - ‚ber, Reflexion gelange. Wir ſtimmen ihm ebenfo ruckhaltslos bei, wenn. er im &egenfaß ger: gen bie deuifche aprioriftiſche Specülation behauptet: die Seele gehe zwar in Al; ‚ihrer hätigfeit von fundamentalen (apriori⸗ ſchen) Principien a8: aber „finiwenbe, biefelben zunächt. unwill⸗ führlich und‘ unbewußt art, ohne. zu wifſen, was dieſe Principien ſeyen. Um dieß zu; erkelmnen, ſey es notfhwendig, genau in Be⸗ tracht zu ziehen und zu claſſificiten, was von Anſchauungen und. rejp. Urtheilen ſich allgemach bilde, und biefe feyen alle beſon⸗ dre, einzelne. „Daher bie Unhaltbarkeit der aprioriſchen Me thode der Speculation, daher bie Nothiwendigfeit der In- duction, um zur Erkenntniß jener Principien zu gelangen, bie zwar unabhängig von aller Erfahrung wirfen Coperate), aber weber zu unfrer Kenntniß kommen noch als philofophifche Prin- cipien angewendet werben Tönnen, bis wir ihre Natur, Regel und Graͤnzen durch forgfältige Beobachtung feftgeftellt Haben." Mir hätten nur gewünfcht, daß der Verf. ſelbſt dieſe ‚Ratır, Regel und Gränzen” genauer erörtert, und insbeſondre näher bargelegt hätte, in welcher Weile: jene Mrineipien „wirken. 9 Aitel,

Einige Schriften zur Heligionspbitofopbie aus Belgien

9 G. Lonay: Dissertations philosophiques eur les points capitaux de la conitroverse chretienne. Bruxelles, chez H. Goemare, 1857. 531 P. 2) Oeuyres posthumes de Otto Duesberg, publices par ses amis (Expos&

theorique de la religion naturelle. Le materialisme contemporain, etc.) Liege, chez P. Gonchon, 1858. 302 pP. 3) &. Tiberghien:' Eindes sur la religion. Bruxelles, 1857. 113 P, - 4) Ausonio Franchi (directeur de la Ragione): Le rationalisme, avec ‚une introduction par D, Bancel, ancien representant du peuple (Dröme),. profess. honor. à l’Üniversite lihre de: Bruxelles, Bruxelles et Leipzig, : chez A. Schnee, 1858. 334 P.

Die citirten Schriften find ein ſprechendes Zeugniß von ben Bedürfniß unſerer Zeit nach) Verſtändi ug uͤber das Ver⸗ haͤltniß von Philoſophie und ie alle ſuchen den

—— EEE

Mm .: Necenſtonen.

Gegenſatz ober den Einigungepiinft von Willen und Glauben, Vernunft. und Offenbarung, Philoſophie umd Chriſtenihum. Aher mehr als das —** für dieſe Fragen haben nicht viele unter ihnen mit einander gemein; vielmehr ſucht jede auf eige⸗ nem Wege das religioͤſe Veduůrfaiß zu befriedigen. | Lonay, Ehren» Sanonikus von Lüttich und Profeffor der Philofophie am Seminar von Saint»Trond, beabfichtigt in ſei⸗ nem Buche eine philofophifchswiffenfchaftlihe Erklärung der auptpuntte in der Bontrowerfe über das Chriſtenthum zu geben. je Wahrheit des Chriftenthums feht er voraus und findet Das bes die Aufgabe der Religionsphilofophie ‚nur in der Erklärung der hriftlichen Lehren. Eine philofophifche Rechtfertigung dieſer fieht er zugleich als eine Vertheidigung des wahren Bernunfts- rechte8 an. Daher will er mit feinem Buche nicht nur dem Chriſtenthum, fondern ebenfo ber oft verfannten Vernunft und Philoſophie einen Dienft erweiſen. Er behauptet die rabdicale eicberehftimmung beiber nur fol man biefelbe nicht fo auffaſ⸗ fen, als jey die Vernunft fchon für fich im Stunde, das pofitive Dogma zu finden, Da, wie er meint, diefer Irrthum ber Ras. tionaliften gerade jeßt fich. verbreitet, fo hält er es für zeitgemäß. zu zeigen, baß die blos auf fich geftellte menſchliche Vernunf gar feine religiöfe Wahrheit findet, geſchweige denn die Gehein⸗ nifje des pofitiven Dogmas. Lonay: beweiſt dies in einen ev ften Abhandlung aus der allgemeinen ‚philsfophifchen Erfahrung, die uns zeigt, daß bie Menihen alle ihre Kenntniffe nur ver mittelft Unterweifung von Anderen gewirmen, Er folgert baraus,

daß Unteriveifung das Geſetz aller Vernunftentwicklung tt. In⸗

dem.er dieſes Geſetz auf den erſten Menſchen anwendet, ergiebt fih ihm für dieſen die Nothwendigkeit einer uͤbermenſchlichen Unterweifung. Die Vernunft aller Menfchen entwidelt ſich vers mittelft Unterweifung anderer Menſchen das ift der Erfah: rungsſatz, uf dem er fußt; dem euften en fehlt biefe Unterweifung, das ift ſelbſwerſtaͤndlich; baher ift für ihn eine bejondere göttliche Unterweifung Hber Offenbarung nöthig das ift die Holgerung, aus ber zugleich hervorgeht, daß im

blit auf dieſen Urſprung alle Wahrheiten von Gott und nicht 6108 von der auf ſich geitellten menfchlichen Vernunft ausgehen. Die äußeren Bedingungen, die erfahrungsgemaͤß bei aller Ber nunftentwicklung nothwendig And, liegen alſo bei der Entwids fung ber Bermunft‘ des erfien Menſchen in der göttlichen Unter weilung, bie man ſich nach Lonay, ber verſchiedene andere Theo⸗ rien beipricht und verwirht, am einfachſten fo. zu benfen hat, daß. Gott glei) den fertig denkenden und redenden Menichen aeichaffen hat. Was die Vernunft an eigenem Vermoͤgen bes ſitzt, beichränkt ſich auf bie Faͤhigkeit, dieſe göttliche Unterwei⸗

Lonay: Dissertations philosophiques etc. 303

fung aufpmehnen. Indem Lonay auf bie Nothwenbigkeit dieſer Mitwirkung der Vermmft zur Ermweifung ber vefinlöfen Wahr⸗ heiten hinweiſt, glaubt er Vernunft und Philoſophie zu rechtfer⸗ tigen, Bon dem Zugeftändniß biefer erſten nuttihen Offenba⸗ rung, über deren Sinn hiernach noch ein Wort zu ſagen ſeyr wird, bis zur Aunahme ber verſchiedenen fpäter geoffenbarten Dogmen und Geheimlehrrn des Chriſtenthums iſt nun freilich mod ein weiter Weg. Um Lonay's Satz: „Pour croire il faut que la raison vole quelle doit croire* nicht nur auf bie Urs offenbarıng Gottes, Tondern auch auf bie nachträgliche, chriſt⸗ liche Offenbarung anzuwenden, iſt ed vor Allem noͤthig, daß die Bernunft biefe als‘ eine göttliche erfennt. Longay ſpricht es wiederholt aus (p. 313, 340, All, A12, 453, 457), daß zu biefem Ende die Hifterifche Prüfung der Thatſachen ber chriſt⸗ kichen Offenbarung das Haupterfordernig iſt. Er felbft jedoch fieht von dieſer Prüfung ganz ab, und zeigt mur im ber zweiten und dritte Abhandlung feines Buches, dag die Wunder und die chriſtlichen Geheimlehren, 3. B. bie ber Irinität, nicht im Widerſpruch mit der Vernunft fliehen. Wenn gleich ich Lonah's mit unbeſtreitbadem Scharflinn angeftellte Betrachtungen über die legdte Weile, die Dogmen philoſophiſch Be erklaͤren, mit Ins erefie geleien habe, fo müßte doch, bevor ich Zeit auf die Kris HE diefer Erflärungen verwenden möchte, bie Vorfrage nach dem, was man als göttliche Offenbarung im Chriſtenthum anfehen muß, entſchiedener ſeyn, als fie ed thatfächlih if. Sch ber fchränfe mich daher hier nur darauf, zu bemerken, daß ber Berf. fih auch üher die Freiheit im bloßen Erklären der nicht bezwei⸗ felten Dogmen in ‚einer ſeltfamen Taͤuſchung befindet. Die Kicche, fo behauptet ex, hat nie eine ber verfchiebenen zur philv⸗ ſophiſchen Erklärung ihrer Dogmen erfonnenen Theorien als bie endgüftig richtige angenommen und wirb dies auch niemals thun.

te fehrt nur das Dogma feldft, nicht feine Erflärung; viel mehr duldet ſie den Verſuch ber. verfchiebenften Erflärumgen und laßt fomit ber Vernunft einen freien Spielraum. Iſt nım dies fer Spielraum ivirffich Frei, Werm der Verf. mit Recht hinzufügt,. die Kirche dulde nur diejenige Theorie eined Dogmas nicht, die den Begriff deffelben aufjebe? Dann hält ja bie Kirche eine Auffaflung des Dogmas für die wahre und. es bleibt der Vers’ munft hoͤchftens noch die begrenzte Freiheit, biefe Firchengemäße Auffaſſung im Einzelnen meiter auszumalen oder zu prüfen, was in ihr enthalten iſt. Der Verf. erimtert baran, baß der chriſt⸗ ftche Glaube von Huet durch philoſophiſchen Zweifel, und von Storhenau durch Lorke'fchen Senfualismus geftüpt wurde; aber kann er mit Recht behaupten, die Kirche dulde beide Theorien? Iſt nicht Lammenais wegen feines Zweifels an ver Kraft ber

304 8 WUWbckcenſionen.

Vernunft zur natulichen Religion von ber KLirche verurtheilt worden, und hat nicht ‚ein paͤpſtliches Breve noch unlängft wie⸗ ber: decretirt, die Vernunft ſey faͤhig, zum Glauben an Gott und an. die Freiheit und Unſterblichkeit der menſchlichen Seele zu. kommen? Bleibt wirklich noch Spielraum in der Erklä⸗ rung des Wunders, wenn nur die Erklärung chriſtlich iſt, die bad’ Wunder als eine außergewöhnliche Erſcheinung anfieht, in ber fich ‚Bott. auf Hefondere Weile offenbart? Beweiſt doch Lo⸗ naly gerade die Umnrichtigkeit der Auffaffung Anderer vom uns ber. aus ihrer Unnexträglichkeit mit jmer Erklärung. Zonay ſpie⸗ get der philofophifchen Brand. in der That mır einen Schein von Breiheit vor, er macht der Vernunft und Philoſophie einige zeitgemäße Complimente, iſt aber im Grunde fo kirchlich gebun⸗ den und unfrei, daß er gleich im Anfang .erflärt,- jede feiner Erklärungen zurücdnehmen zu wollen, welche die Kirche für ketze⸗ riſch halten möchte (p. 14).

Refümfre ich mein Urtheil, fo kann ich fagen, daß Lonay wicht ohne.großen Aufwand von Scharffinn und nicht ohne ftarfe philoſophiſche Belefenheit gezeigt hat, wie man chriflliche Dogmen philefophifc, auffaſſen könnte, daß er aber fein anderes authentiſches Zeugniß für die Richtigkeit feiner Auffaflung bei⸗ gebradjt hat, als die. vorgebeutete Approbation feiner katholiſchen Kirchenbehörde. und Daß vor Allem feine ganze Erörterung werth⸗ los iſt, To lange nicht was er felbft für die Hauptfache hält (p. 453) die hiſtoriſche Brüfung ber chriſtlichen Ueberlieferung ein klares Reſultat ergeben hat, \ on

Vieles von dem über Longy’s Bud, Gefagten paßt auch auf bie Religiosanfichten Duesberg's, der jelbft in feinem „Expos& theorique de la religion naturelle“ auf Lonay's fur zuvor. erfchienenes Buch wiederholt verweiſt. Duesberg ift ein Rheinländer von Geburt, Fam aber fchon in feinem zehnten Jahre nad) Belgien, befuchte bier zuerft da8 Seminar von Saint» rond und fiudirte 1854 auf der Univerfität, Lüttich mit befonderem Eifer deusfche Philoſophie. Sein eben genanntes Expose war die Löfung einer von feiner Behörde geftellten Preisaufgabe. Die fung genügte den Anforderungen der Jury nicht, doch anerkannte fie die Tuͤchtigkeit des Verfaſſess. Dues berg griff gleich eine neue Arbeit an, er ſchrieb eine Abhandlung: „Le matérialisme contemporain“, die den in Deutſchland ſo lebhaft entbrannten . Streit über Leib und Seele ſchildert. Dies war feine legte Arbeit, er farb bald hernach auf einer Reife an ber Mofel. Zwei Freunde des Berftorbenen bieten uns nun feine binterlaffenen Arbeiten; die beiden fchon genannten Abhand- lungen, und einige in ben Annales de l’enseignement public abgedrudte Auffäge, deren einer De l’enseignement de la phi-

Duesberg: Oeuvr. posthumes, publises par ses amis etc. 306’:

losophis ſich auf meinen: Aufſatz über philoſophiſchen Gymnaſial⸗ unterricht in dieſer Zeitſchrift (Bd. 30. Heft 2) VA Er berg hinterließ feine Arbeiten ‚zwar. nicht völlig. brudfettig und. wohrde fie gewiß noch in’ manchen Theilen verbeffert und ver⸗ vofläntigt haben; doch find ſie auögearbeitet genug, um bie Richtung und bie. Hauptgefichtspuikte jeiner Denhweile klar herr austreten zu laſſen. Mit Lonay iſt er der Anſicht, daß: Of⸗ fenbarung und Vernunft bei er Bildung unſerer religiöfen An⸗ ſichten zuſammen wirfen. Während aber Lonay mehr den Antheil ver ‚Offenbarung in's Auge Taßt, fucht Duedberg mehr ven. Anteil der Vernunft darzuthun. Lonay hebt nur hervor," daß die: Bermanft ber: göttlichen. Unterweifung. eine Fähigkeit. des. Ver⸗ ſtehens entgegen ‚bringt; Duesberg keigt weiter, zu. welchem: res ligioſen Inhalt die Vernunft Somnien kann. Sie foll uns bie. Einficht geben: -in ben Glauben an: den dreieinigen Gott, der. Schöpfer. und Vorſehung ft, fie fol und die Wahrheit des Gefuͤhls unferer Perföntichkeit, umferer Freiheit und Unfterbliche keit fichern. Und biefe Säbe des Glaubens: follen den Inhalt der allen Menfchen gemeinfamen ‚natürlichen Religion bilben. Religion iſt nach ihm die tendance consciente et libre de Pbomme vers, Dieu comnie vers sa. fin supreme. Sie untere feheidet fi von der: Philofophie nur im Ausgangspunft ihres Strebend. „La philosophie. aspire.ä commattre Dieu, Pidealits absolue; 3a religion veut posseder Dieu, la réalité supr&me.“ Aber die Verwirklichung diefer beiden Strebungen fällt zuſammen. Mer :Oott erkannt, beſitzt ihn, und wer ihn beſitzen will, muß r erkennen. “Religion und Philofophie ergänzen fih. Die Bilofophie ſchließt ein religiöfed Element. in. ſich und jebe Res ligion ein philofophifches. Diefes- philofophifche ‚Element jeder Religion mn ift es, was die natürliche Religion bilden fol. Raturreligion iſt der Auadeud: jener oben genannten :„tendance consideree comme principe, en tant qu’elle.nous est dannde avec notre .nature m êe me.“ Und dieſe Tendenz wirb zur poſi⸗ ven. Religion „quand :elle se ' manifeste ‘dans le temps et Yespace par une suite d’actes. libses“, oder befier „la religion. sisthrelle, o’est ceite :tendänce considerse. dans les actes aux- queis elle donne lieu® NRatusreligion: und’ pofitive Religion ſollen ſich verhalten wie Urſache und Wirtung. Die Ratınrelia gion kann nicht exiſtiren ohne eine poſitive Form anzunehmen; und: eine poſitive Religion wäürbe:nicht da ſeyn, wenn nicht ein natrliched, unferer Natur. eingeborened refigiöfes Element zur. Entwidelung ber pofttiven Religion hinfuͤhrte. Fragen wir mın, worin dieſes urfprüngliche religiöfe. Element beftehen ſoll, fe giebt und Duesberg darauf allerdings Feine klare Antwort. Da Sberg in dem zweiten Theil: ſeines Expos& den Glauben an Zeitſchr. fe Philoſ. u. phil. Kritik, 33. Band. 20

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Shit ala Schoͤpfer und: Werfehung, am unſer freies und unſterb⸗ liches Ich als Inhalt der Naturreligion barktgen will, fo follte man denken, eu wolle Damit dem urfprünglichen Religionsgefühl und der DBernunft. in uns zuirauen,: daß fie. allein und in bes ſtimmter Weife: zu biefen Wahrheiten gelangen fönnen. Aber doch ift. dies ſeine Meinung ‚nicht. —*— Betrachtungen machen die Naturreligion ‚zu: einer Utſacht ohne volle Wirkung. Das dem Menſchen eingeborenen natürliche: Element. führt ihn doch wicht. zus der wollen religiͤſer Wahrheit, nicht: einmal zum: vollfſtaͤndigen Glauben an Gott. Die Bernunft erflärt Duesberg zunaͤchſt Ichon Anshalb: für unfähig: Gottes Eriftenz zu beweiſen, weil ihw; beweifen fo viel: hieße, ald ihn von einen Andern abs leiten: wollen. Neben dem Upnnblichen aben: :criftire.fein Anhe⸗ res; Wir wiſſen ſomit von Gott aur durch den Glauben, „par. une ceriitude premiere, antäriewnd à tonta speculation,.“ Mar Frme nicht. mit Deseanked: Sagen, Gott. ertflict, weil;;er gedacht werden ‚kann; man müſſe vielmehr Tagen, Gott rrifiick und wir benden, ihm, weil: er die Idee won ſich in uns legte. Nu könnte) ma. noch denben, es ſey dem Menſchen wenigſtens in dioſem urſpruůnglichen wchigiöfen: Empfindungselement zugleich die solle: Urſache zu ſheinen ſpauͤteren Vorſtellungen von Gott gegeben; aber auch diefe Erwartungereibt Duesberg in: enge Grenzen zurüd,.. Denn hoͤchſtens in dem erſten Menſchen ſcheint er eine reine. Gottesvorſtollung vorauszuſetzen, weil hier bie göttliche Uroffenbarung in Gemuthe voch rein wirkt... Später trübten nad dem Sünbenfall die. Leidenſchaften dieſe gemüthliche Urof⸗ fenbarung., und ſeitdem hat bis zur: Crjepeinting des Chriſten⸗ thums feine philoſophiſche Lehre, weder hie indiſche, noch die platoniſche, die wahre Gottesidee entwideln Tonnen (CE p. 89, 106 u. 139).:. Der Sündenfall alfo machte eine zweite Offen⸗ barung nothig, die chriſtliche, die ſomit die. jetzt einzig legitime Erklaͤrerin der Raturteligion iſt . | ni oo Fragen wir.mun ſchließlich, was ‚wach: Duesberg Die Ver⸗ nunft bei: der Bildung unſeror religiöſen Vorſtellungen thun feßs und worin der. Inhalt der Naturreligion beſteht: ſo müiſſen wit antworten, daß die Naturreligion nach ihm ohne Juhali iſt auud daß unſere Vernunft nur bad Beruiögen hat zur religlöfen Wahr⸗ heit zu gelangen, went fie ſich auf bas poſitive Chriſtenthum fügt. Dieſes Refultat hat Duesberg durchaus nicht in klaren Einklang gebracht: mit: feinket. urſprunglichen Abſicht, die Ele⸗ mente ber natürlichen Religion von deuen ber. poſttiven zu un⸗ terſcheiden. Sch: muß daher das Bady.: fo fehr es mein Nach⸗ denken im Einzelnen ‚amnegte, ſo ſehr auch es mich freute, im bein Verf. einen Ausländer zu finden; der ſich um deutſche Phi⸗ Iofophte ernſthaft befümimerte;, der. audy dieſer Zeinfcheife und

heit zu entwickein. vr,

Tiberghien: -Blitdes:shr la religion. 809

ihren Heraushebern an ſo vllen Stellen ſeine Anerkennung! ih⸗ rer: Beſtrebungen ausſpricht, vboch in ‘der Sauptfakhe fuͤr ikonk genügend .ertläten, und bedauert aufrichtig, baß nicht ein lamge⸗ ve. Leben ben. Verf; vergoͤntſte, ſeine Idren zu gröberer Klar⸗

ee gran Fa merala,z. „7

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an er an Dont pen nn TR . 1:5: @ängy-änberer Nkhtimg find Tibefghien’s:„Etudes sur ba seligion.*: Hier "Haben: wir *8 mit einem Phlioſophen zu thum; ber Ernuſr macht: mit’ dem Nachweio Einer inhallsvollen Natur⸗ religion.Die Abſicht feinet Schtift geht gerade dahin, den Starrgläubigen ſowohl! röte den Fteidenbern zu brweiſen, daß bie veligiöfe: Frage der Wiſſenſchaft zufallt und daß ſie, geld werben. kann durch die bloße Kraft: ver Vernunft, „du''momen gan l’esprit' dst.“en possession un polntdedepart;er:d/um principe cörtain.* Fa, er hätt gerade Amfere Zeit ‘für berufen, dem Streite der Meimungen eitt Ziel zu bringen. Die Dienfihs heit: entwidelt! ſich durch drei Stufen, auf der erften herrſcht Einheit, aber im unentwickelten Embryonalzuſtande s'“anf :ber zweiten Stufe, die von dem’ Beginm geſchichtlichen Lebens ans hebt, entfriltet jich die zu Gegenſäͤhen ſich ſondernde Verſchieden⸗ beit, und erſt jetzt beginnt auf der dritten Stufe das: Streben wach Löfımg der Gegenfätze, nach beivußter Einigung, nad) —* monie. Dieſes Streben iheilt auch bie Philoſophie unſerer Zein Sn dem Eklekticismus ber. neueren Philoſophit finder ern mir einen: ſchwachen Verſuch dieſes modernen Geiſtes, eine wage Ten⸗ denz gut Harmonie. Aber uͤberwunden bereits ſind bie Schwaͤchtz

diefes Strebens in Krauſe's Philoſophie, die er den treiuen und

wiſſenſchaftlichen Ausdruck diefer Gore der Organiſation riemmti Dieſes Pphiloſophiſche Streben nach Einhett bricht ſich auch auf Dem. Gebiete der religiöfen Ueberzeugung Bahn, und verbdraͤngt immer ‚mehr den Glauben an Das, was. die Spaltung der Con⸗ feffionen. bebingt. Der Katholickemus führt nad): Tiberghien nur noch eine" Scheinezifteng, im Gtunde iſt Nichts: mehr kathe⸗ liſch im unſerer Geſellſchaft. Und ber. ſtreng dogmatifche . Bros teſtantismus wird überwunden von Ehanning's Umtariomus, der ſich rafch über Die alte und: newe. Welt verbreitet. (Cit. Fe vom Meenen, Prineipes du christian; unitaire. Bruxelles, 1855. + Chanting, sa. vie et bes cdemvres, uveo' une: preface .de :Ch. de Römmmsat:: : Paris, 4857): Der Urttarter hiebt ber: Vernunft die Suprematie über: ven Glauben und verläßt doch ‚bie. chriftlicye Ueberlieferung nicht. Nur entkleiden er fie ihred wunderbaren Charalters und verwirft Ihre Geheimlehren. Die confeſfionellen Huͤllen fallen ab · von ‚dem: durch fie verſchleierten ·Bilde her/ na⸗ fürlichen Religion. „La religion naturelle ‚' fin dérnierde ces niowreinents, "se produnt::dejä avge vgueur. dans bes (lives 20%

Ü

308 Pe] Necenßener.

et; les reyues en Angleterre, em Hollande, en Allemagne, em Ilie, en Franre, en Espagne, elle prösage la réênovation re- ligieuse. de. Phumanite, sous le, drapeau de Funite, sous la ferme de l'Eglise yniverselle.“ Und worin befteht nun. biee Raturreligion und ihre Einheit? Auch Tiberghien führt fie zu⸗ nähft auf den allen Menfchen gemeinfamen Trieb zur Religion zurüd; er erflärt bie Religion: für einen Beſitz ber Vernunft, wie die Schwere eine Eigenichaft ber Materie iſt. Beide. drücken die Abhängigkeit. des Theiles vom und den Zug zum. Ganzen aus. Aber Tiherghien, beſchraͤnkt die natürliche Religion nicht auf dieſen Zug der Seele zu Bett; er hält-aud) die Vernunft, vhne andere göttliche Dffenbarung als biejenige, bie. durch fie felber. fpricht, für faͤhig, das natürliche religlöfe Element mit Huͤlfe wiffenfchaftlichen Denkens zu feften religiöfen. Borftellungen zu entweideln., Doch: iſt er darum nicht. Willens mit Hegel zu behaupten, die Religton muͤſſe in. Wiflenfchaft aufgehen. Das Denfen tft nur eine Seite unſeres Bewußtſeyns, dns ‚Gefühl iſt eine andere; und bie Religion. ſpricht fo. ſehr zum Herzen al® zum Gef. Sie wird daher. ftetd; einen: in diefem Gefühl ge gründeten. Glauben neben; dem wiſſenſchaftlichen vernünftigen Er⸗ kennen ihres ‚Slaubensrechted -und Slaubensinhalte® haben. Aber pbenſo wenig. begnuͤgt ſich die Religion mit dem bloßen Glauben; fie erhält vielmehr ‚ihr. klares Bewußtſeyn erft im einem von der Vernuft geprüften: und geläuterten Glauben. Mas nun, ein folder Glaube annimmt, entwickelt Tiber⸗ ghien im. dritten. ‚Kapitel: feinen. Schrift Um. 28: kurz zu Tagen, “ex. rechtfertigt :den: Olnuben an. einem perfönlichen Gott und. ent wickelt den. ‚Inhalt. dieſes Glaubens, . Beſonders verwahrt er ſich gegen. den Vorwurf bed Pantheisınus, den die. Theologen fo oft ben Philofephen machen, ‚ohne Rüdjicht darauf zu nehmen, ob fie ſagen, das AU. fey Gott, : oder Alles fey in Gntt. Die Kenntniß, der von ihm citirten Schriften. Krauſe's if feiner An⸗ ficht nad) am geeignetiten, dieſen Irrthum zu verbannen. . Gott iſt zugleich Ie tout,. PEtre um .et entier: und l’Etre. supr&me. Or, le. panthéisme s’ast.arr&äte au premièr ’aspect de Ja notion de: Dieu, sans. Jamais. soupgonaer le second ;. Ies auteurs.chr6- tiens, au conlrairp, ont regonnu. ka. secand, ‚mais sans Pex- ‚pliquer et le plus ‚aouvent ‚en: gubliant le premier; : il: faut maintenant. les; combiner etl des compieter un. par; .l’ausre: Keite ; comhinaisen !est;;propre au: systeme de Krause... Elle - venge ‘le: pantheisme du mepris. des théologiens, et le chris- ‚tianisme. du m£pris. de cerfains philosophes; elle montre Pin- suffisance des doctrines ‚religieuses qui se.sont-produiteg dans "histoira; elle met. fin à Fantagonisme de ‚la philosophie et :de: la th&ologie, et prösage l’harımonie des: esprits dans le

Aus. Franchi: Le ratisnalisıne, avec une introd. etc. 305

* domaine:de la religion: —-: Der wahre: Mänteiver Rellgions⸗ philoſophie, bie dies bewirkt, iſt Panentheismus, Bar In⸗ haft der einigen, unveraͤnderlichen, ewigen naturlichen Religion bildet, die auf eine dauernde Weife was Ideal! per perfänlichen Verbindung des Menſchen mit Gott ausbrüda..

10. ;

Schwerlich wird die. Herrfchaft biefer. natürlichen Religinn fo ſchnell und allgemein zum Siege gelangen, wie Tiberghien es zu erwarten ſcheint. Sitzen - bie Feſſeln des. katholiſchen ober eines ſtarren evangeliſch confeſſtonellen Glaubens wirklich ſchon fo loſe, wie er es darſtellt? Und anderexſeits hat die natürliche Religion ohne Ahweichung in Aller Augen denſelben Inhalt, den er iht als ewigen zuſchreibt? Das Gegenthril bezeugt z. M das oben genannte Buch pes Italieners, Auſonig Franchi dao gerade jetzt durch die Herausgqhe —— Collegen. D. Bancel, ancien: represeniant du, peuple: ot profesgeur, Ae+ noraingä l’Universitf- libre,de Bruxeles, in Belgien, verbreitet wird und eben deshalb· hier einen Platz zur Beſprechung findet, Franchis Rationalismus: befämpft geradezu die, Borftelungen von Bott, die Tiberghien jals den unveränderlichen Inhalt. der eini⸗ en Naturreligion betrachtet wiflen will. ‚Er weiſt im Cap. Y, ine Buches nad), daß ed inconfequent und abſurd fey, Tich Bott. als: eine. mit Geiſt und freiem Willen: begahte Perfoͤnlich⸗ Zeit zu ‚denken; ſtatt einer lebendig im die Welt eingreifenden Borfehung nimmt er nur ein unabaͤnderliches Naturgefeb an (Chap. Vi. p. 77), und -indem..er: nad) dem Urſprung der reikr isfen Borftellungen . foricht, -erfennt er, daB fie; bad; natürlige Freie Produkt bed menjchlichen Geiftes find; „Te rationalisme xAduit,- selon }a formule, de Feuerbach, Ja thenlogie à Fanthror pologie (ap. 319. Hier wird aljo, in; bekannter Weiſe der Blaube an bie „biective Wahrheit. alſer Satze verwiſcht, hie Tiberghien al& ewigen allgemeinen Glgybensinhalt- aller natuͤr⸗ lichen Religion betrachtet. Und doch kommt 8: Franchi nicht in ten Sinn, dem Glauben an Gott fein. Recht abzuteugnen,. Nur beſchraͤnkt er ihn auf das dunkle Gefühl von einer Mat über und, die das Prinzip des AUS iſt. Er halt es ſelbſt für uns ‚möglich, dem Menichen das Streben nad dem Begreifen dieſes höshften Grundes der Welt zu nehmen. „La destinge de Phomme 'a 616. et sera toujours de, chercher Dieu, sans: jamais le trou- ver, car l’instinet de le chercher et Fimpessibilit# de. ke tro ‘ver ‚sont ' deux Jois de la. nature, €galement constantes, im ‚manentes,..universelles“ .p.,31. Seine ganze, Neligion befteht Alfo. eigentlich nur in dem Bebürfnig nad ber Erkenntnüß dieſed hoͤchſten Weltgrundes, und. das ſtets unbefriedigte Streben

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MO mann Bern... I i:rana. ti».

darnach erſcheint ihen nicht anders als bad. Reid unbefriebigte + Streben des MNenſchen nah, Old. 0: nchi's gemigt,,.. in defe

7A wild von Steyticismus,

rathen iſt find. Bei Beſptechung des erſten Punktes tritt oft eine ſelt⸗

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Aus. Franchi: Le rasienelismik, avec une introd. etc. BER

zu: Teint: weden nferer Bethunft. Die Dffakkarmugı ft varm oben urſprunglich⸗ hrimmijcht in unfendt Bermineft ‚mind ifenur. götilich in: Toweltiräbetgaupt 'unfere Vernunft⸗goͤttlichen ‚Hufprungs iſt. Desineligiäfe:Zireb IR: danw: eihe, Eigenschaft der. Vernunft, die man wicht als ıcht! Anderes der Vernunft/ sam Pie Seite fielen ta rat ne. en N tat Es fragtı:fih danũ nun, wbhin führt diefer velsgiöäfe Trieb te en. gar "Aninihme- seiner seinzigen;, - allgemein. notchwendigen natürlichen: Religion? ‚Das ik; ie. Aurite Frage, deren wolle Beantwortung fehr Fehawer iſt.GEsriſt nur ſaviel gleich bei cn ſter Prufnung klar) bapı eine allzemeine Uebereinſtimmung in dies fen Punktt jene nicht exiſtirt. Daß nie erſten Menſchen, wie fie aus: Gottes Hand hervorgingen, die einfaiche, richtige Blottede vorſtellung hatten, Bann. nur behanptet.,.: wicht. bewiefen werden. Daß die Menſchen erſt durch den: Suͤndenfall dieſe reine ii weisheit verloren, gill als Dogma, 0b mit Recht, hat eine hi⸗ ſtoriſche Kritik zu entſcheiden. Ob ale: dies. Dogma richtig fee koͤnne, wenn: es den allgemeinen Sinn haͤtte/ die Allgeme heit des Glaubens um Gori als geſtubt ungufehen durch menſch liche :Reidenfchaften und’ Vorurtheile, das zu prüfen kann Auſ⸗ gabe det Philoſophie ſeyn. Zu dieſem Ende wich ſie dar. allem eligionen Gemeinſame aufſuchen, und prüfen, ob es möglich iſt, bie abweichenden Anfichten auf.iBomutheile zurüchzufühnen. Bei dieſer Prüfung nen: kommt 46: vor Allem bayauf an, W zu viel ‚umd ‚nicht zu wenig beweiſen zu wollen, -- Weber: Tiber ghien, noch. Franchi find Hier. meiner Anſicht nad) behutſam ge nug geweſen. Franchi hat: Unvecht, ed. fir abſurd zu arklaͤreſt wenn man ſich ‚Bott ald Perſonlichkein denkt, und Tiberghien bat: Unrecht, wenn er glaubt ſtreng brwieſen zu ‚haben, vieſer Begriff gehöre: zum Weſen Muttes. Tiberghien had: ger; Arche Recht, ben Gedanken einer Schöpfung: aus Nichts: durch IB bloße Wort oder durch den bloßen Mia: als aebenueifläch" zu verwerfen, und bagegem zu meinen, er ‚habe: has Verhoͤltniß der Weltſchoͤpfung begriffen wenn er ſagt,Gott ſei die cause Ahr Nnie et: abwolue werd beshalb Schöpfenume- Dirk heiße, zu: vieil bewilfen wollen: Untemmimminun aber Jenand;/ are hieher Un⸗ Fähigkeit. des: Meenfchenyfich “yon; Bott: dien vollſtaͤndig abr aquaden Begriff zu bilden ı:ais: beweiſen/ Suß.-weit- über! Gott gar Seine Aunahme machen mäflert;: wie dies Freamchi will, ſo Heißt das zu wenigi beweifen wollen,’ &8 wit: dann verlannt, daß es viellricht dach, moͤglich iſt zu geigen, was wir unſerer Name f uber⸗ Bott. und göttliche Binge glauben ſollen ober möß te vohne daß wir zugleich im. Stade waͤren, dieſe Glaubens⸗ mannahmen begrifflich aus. einander abzuleiten, I: h. eben wiſſen⸗ »Ichaftilch zu bewalſen:. Danntigtnade hemdelt ne ſich? nur das

a2... ur Be ee 2 Accenſtonen , *

zum diefes urſpruͤngliche, natuͤrliche Glaubendgefuͤhl des Men⸗ ſchen frei zus machen von den Vorurtheilen, die es ambüllen, und num zu. prüfen, ob es einan einigen Ausdruck findet. But, werden nun Manche jagen, fo Tommen wir bach. immser nur zu einem menfchtich unficheren Glauben, dem die höhere Beglaubigung fehlt, und wir behalten daher noch dad Beduͤrfniß nach .einer pofitiven, uns Gewißheit zuſichernden Offenbarung...

Das führt und zur dritten Frage. Unbeſtreitbar ift: ber Wunſch nad) diefer Zuficherungs ob aber dieſe in den behnupte sen Falten. gegeben ift,: fann vor Allem nur rine Sache. genauit hiſtoviſcher Brüfung. ſeyn. ter wird mm beſonders das oft überfehen, daß ſelbſt im beſten Fall die poſitive Offenbarung und wur die Zuſtcherung der Wahrheit: für gewifle Glaubensannah⸗ meh bietet, : dieſe Annahmen jelbft:aber um Nichts begreifficher füt und macht, als die Vernunft dies zu thun vermochte. Ale Ausleger? der pofttiven Offenbarimg bekennen doch ſchließlich, weder die Schöpfung, noch die Vorſehung, noch. die Perſoͤnlich⸗ tert Gottes, noch unfere Unfterblichfeit ‚begreifen zu hönnen. Sit Yhben keine Erfiärimg des Unbegreiflichen erhalten,: und wenn ft verſuchen rinr ſolche zu geben, ſo greifen fie: zu denſelben un⸗ zulaͤnglichen Vergleichen‘, mit denen ſich auch die bloße Vernumft in aͤhnlichem Fall abquaͤlt. Auch ſie ſagen dann um das Ver⸗ haͤltniß Goties zu dem Einzelwefen der Welt: klar zu machen, tiefe verhalten ſich zu ihm, wie eines unferer Organe zum gar zen Organismus, und bedenken :dabei' wicht, daß unfere. einzelnen Organe Feine ſelbſtbewußten Einheiten bilden in der Einheit des Drganiemnd, daß fomit: gerdde ber. erflärende Vergleichungs⸗ punkt fehlt. . Kurz die poſitive Offenbarımg ergänzt die na⸗ türlichen Glaubensannahmen in Rüdfiht auf die bregriffliche Einficht um Nichts ,. fie fagt thnen nur einen höheren. Halt zu. Sie gewährt biefen Halt aber nur. Demjenigen, der. durch die hiſtoriſche Prüfung bed Dogmas von der Wahrheit deſſelben über

engt if. Va dies aber fchon der Natur ber Sache nad ver

Altnigmäßig mie bei’ wenigen Menfchen der Fall fen Tann, ſo muß doch wohl der natürliche Glaube für die meiften Menſchen eine unmittelbare Gewißheit haben; Ift aber dies der Fall, fo foltte ſich ‘alle poſttive Theologie freuen, . wenn bie Philoſophie es auf ihre eigene Sand unternimmt: zu prüfen, welches bet Anhalt des natürlichen Glaubens iſt und wie: mar pie. Vorur⸗ theile, die eine. unbefangene Aeußerung befielben hemmen, aM beften befämpft. Das ift.eine Aufgabe, bie, wie mir ſcheint, ber Philoſophie angemeffener iR, ald bie, über Die Möglichler ten einer philofophifchen Erklärung von Dogmen zu. ftreiten, de⸗ ten Biftorifche: Wahrheit fe nicht einmal zu prüfen hat. am (Ende einer folchen Präfung muͤßte auch hirr die Philoſophit

‘men pflegen, ſo wäre ed wohl zwecknäßig

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‚eintreten; erfP: dan" Törmte- mt - Erfolg: Stel Fruge aufgeworfen erden, "ob And in; wie. weit Phitefophie und Religion Eno Kuh bar mn chen nt, Di Yıryen Bonn Meyen.

335% na” WI No tiz. Der Hiſtoriker Mignet hat als ſtaͤndiger Secretair der Aka⸗ demie der —A d pelitihen, Wiſſenſchaften in ber öf⸗ fentlihen Sitzung dieſes s am 7: Auguft die übliche Nach⸗ tede auf den als Mitglied, ber: AMdemie gefiorbenen Schelling iten. Mignelhat wir dieſelbe :gütigft zugeſchickt zb ab mis ſomit möglich ‚gemacht, nach eigener. Anficht auf fie zu verwei⸗ fen. Es war- keine. leichte. Aufgabe vor dem gemufchten Publi⸗ kum, das bie ‚öffentliche Iahresfigung Ber genannten Akademie zu beiuchen pflegt; ein anziehendes, treffenbes Lebensbild unſe⸗ 38 Philoſophen zu enthüllen; Mignet has diefe Aufgabe,. für De er wie mir bekannt feit 1855 ‚gefammelt und gearbeitet. hat, mit dem gewohnten Glanze feiner Darftellungsgabe geloͤſt. Da dieſe akademifchen Schriften nicht‘ Jedem ‘i bie" Haͤnde zu. kom⸗ | bie Rede in.deuticher Weberfegung zu verbreiten. Vielleicht mache ich mid) ſelbſt ag diefe Arbeit. Borläufig. beſchraͤnke ich mich auf die wörtliche Mittheilung des Schluffes der Rebe: , BEE . „»M. Schelling est en effet un penseur ‚aussi, 6slatant que profond. Il a saisi avec puissance et trait&..avae erigi- nafite les‘ grands problömes qui s’offrent à l’esprit avide de decpuvrir son origine, de connaltre sa nature, de penötrer sa «destinde,:et. qui le tourmentent, d’äge,eu äge. On peig.ne pas trouver ‘ses explications condluantes, mais an ne :sayrait meconnaitre ce quwil y a de grand:'dans ses idees; ‘son génie ‚qui s’eleve vers les regions inaccesibles, peut sembler t&me- raire, mais il surprend et il enlöve par la. force de ses.4lajıs, il frappe par T&tendue de ses penötrastes suppositians, il "eblouit par Ja beaute de ses constructions majestueuses. Sl

„ne parvient pas à convaincre, il &meut la pensee et Pentraine

à demi seduite dans les mystérieuses contemplatipns .de Pu- 'mivers et de Dieu.. ‚Schelling n'a vécu que pour. le:;perfep- 'tionnemeht de la science, dent il avait le culte et ‘dont il ‚gtait le prophäte. II a fait du monde une oeuvre Wart, de la philosophie une religion: S'il n’est pas de ces geriesme- 'surös et dirconspeets qui decwuvrent les verites pantielles par 'Fobservation, il’ est de ces génies entreprenants et basardeux

“qui s'élancent vers la verit6 universelle par inspiration, Con-

-goivent ce .qui ‚ne...se, demontre pas, enirevoient.ce qui ne s’atteint pas, et parviennent à Dien: par la trace que, Dieu a mise de 'ses: desseins dans ‚le monde:et de: son. esprit’dans !homme. La diversit6 de ces genies aide 'egalement & la

SEA Berzeichn. d. im Iu- u. Ant ‚neu erfhien. philoſ. Schriften.

.sswrche da genrs hamaln 5:los Yas, en: ]%c}airant: d’une. aben- dante et: harte himigne sur: queliiues pointa de Ja poute;: les autres: au ‚ei moatrent lies plus lointains horizons à travers de vacillantes mais magnifiques | eurs. “nl r. Jürgen Bone Meyer. 7.. f

v9, anliegen | 1. Berzeichuißz

dm im ein md Anslond men erſchienenen philoſephiſchen Säriften,

Abhandlungen der hiſtoriſch⸗ philoſophiſchen Geſellſchaft in Breslau. 1. BP.

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. 3: Spell zu „Blatou's. Werken elnzein erflärt“ 26) Crfurt, 1858. (11,99

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National Review. 1858, '

No. XIH. (July). Hegels philosophy of history. Conite’s life and phl- losophy. Westihinster Review. 1858.

No. XXVI. (Apr.) The religion of positixism. Contemp, Hier. ubet: Newman, Theisin, doetrin. and practice Fraser: Rational philosophy in hist. and syst. Haym's Hegel. No. XXVIT. (July). Contemp. liter. über: Renan: de l’origine du langage. Jourtdain: la philos. de St. Thomas d'Aquin. Bailey: letters on the philos. of the human mind. R. Dunn: an essay on psychological physiology.. Noble: the human mind in its relat. with the. brait! and uerv. system. Poetique d’Arist, tr&. par Barth. St. Hilaire.

North. British Review. 1858. No. LVI. Dugalt Stewart.

" Oxlord Essays. 1858,

Ancient Stoics by Sir Alex. Grant,

The Atheuaeum. 1858.

No. 1593. May 8. pag. 591. Noble: the human mind etc. (f. oben). No. 1595, May 22. pag. 656. Bailey: letters on philosophy of the hı- man mind. No. 1601. July 3. pag. 13. An introduction to logical science, being a reprint of the art. legic, from the eighth Edit, of the Encyel. Britan., by W. Spalding. No. 1606. p. 163. M. de Biran, his life and his thoughts, by E. Naville,

Drud von Ed. Heynemanmin Halle,

vw %

75,

94. 98. sg

Berichtigungent.

9. v. u. ließ „des Affirmativen und des Negativen” flatt „des

14. v. u.

9. v. u. 6. v. u. 1. v. u. 2. v. u.

11. v. o. 18. v. D.

14.9. u. 12.90. 0. 11.0. u. 9. v. o. 14. v. u. 1. v. o.

Affirmativen.“

„geronnenen“ ſtatt „gewonnenen.“ att „zeigt“ ließ „zeugt.“

„exiſtirenden Denker“ ſtatt „exiſtirenden Denken.“ „das Weſen“ ſtatt „das Wahre.“ „pag. 494“ ſtatt „pag. 434.“

„Deyeks: de Megaricorum doctrina. pag. 45.“ ftatt Dyeks.“

„Quantität“ ſtatt „Qualität.“

„gebören ſämmtlich“ ſtatt „gehören mehr und weniger.“

„Begrenzung (rdoxs)“ ſtatt, Bewegung.“ „am Guten“ ſtatt „an Gütern.“ „unräumliches“ ſtatt „räumliches.“

iſt „klare“ auszuſtreichen.

„Empfindung“ ſtatt „Empfindungen.“

vor „aber“ find die Worte: „in ihrer Begrüns dung” einzuſchalten.

Ebendaſelſt

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