ZEITSCHRIFT FÜR WISSENSCHAFTLICHE ZOOLOGIE BEGRÜNDET VON CARL THEODOR V. SIEBOLD UND ALBERT V. KÖLLIKER HERAUSGEGEBEN VON ERNST EHLERS PROFESSOR AN DER UNIVERSITÄT ZU GÖTTINGEN HUNDERTFÜNFZEHNTER BAND MIT 304 FIGUREN IM TEXT UND 7 TAFELN LEIPZIG VERLAG VON WILHELM ENGELMANN 1916 Inhalt des hiindertfünfzehnten Bandes Erstes Heft Ausgegeben den 11. Januar 1916 Seite Hch. Stauffacher, Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. Mit 29 Fi- guren im Text und Tafel I und II 1 Bernhard Dürken, Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca und die "Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes. Mit 12 Figuren im Text und Tafel III— V 58 Emil Rohde, Histogenese, Furchung und multiple Teilung. Mit 18 Figuren im Text 129 Emil Rohde, Histologische Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen bzw. Frotophyten und Metazoen bzw. Metaphyten. Ein Vergleich. Mit 30 Figuren im Text 155 Zweites Heft Ausgegeben den 29. Februar 1916 Georg Schmidt, Blutgefäßsystemund Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). Mit 38 Figuren im Text 201 Heinrich Weisensee, Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechts- apparat bei Anodonta. Mit 27 Figuren im Text 262 Drittes Heft Ausgegeben den 28. März 1916 Ludwig Rhumbler, Der Arterien verlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphua L. und sein Einfluß auf die Geweihform. Mit 12 Fi- guren im Text und Tafel VI 337 Fr. Ahlborn, Der Flugmechanismus der fliegenden Fische. Mit 5 Figuren im Text 368 Henrik Strindberg, Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallo- phagen. Mit 38 Figuren im Text 382 Ludwig Cohn, Epibdella steingröveri n. sp. Mit 7 Figuren im Text . . 460 / t, / 7 ^ IV Viertes Heft Ausgegeben den 2. Mai 1916 Seite Walther Trappmann, Die Muskulatur von Helix pomatia L. Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Locomotion unserer einheimischen Pul- monaten. Mit 42 Figuren im Text 489 Carl Freitag, Die Niere von Helix pomatia. Mit 31 Figuren im Text. . 586 W. St ende 11, Die Schnauzenorgane der Mormyriden. Mit 15 Figuren im Text und Tafel VII 650 Der Erreger der Maul- und Klauenseuche, Von Dr. Hch. Staiiff acher. Mit 29 Figuren im Text und Tafel I und II. Das Jahr 1913 hatte in der Landwirtschaft einiger Kantone der Schweiz geradezu katastrophale Wirkungen, weil die Maul- und Klauen- seuche in einem Umfang und besonders in einer Heftigkeit auftrat, wie dies die Geschichte der Tierepidemien bei uns nur selten zu verzeichnen vermag 1. Der Kanton Thurgau blieb längere Zeit von der Seuche verschont und bereits hegte man Hoffnungen, daß wenigstens diesmal seine Grenzen nicht überschritten werden, als gegen den Herbst des Jahres 1913 die Hiobspost eintraf, der Zungenkrebs sei plötzhch in einigen Ställen der am meisten gefährdeten Gemeinden ausgebrochen. Sofort faßte ich den Entschluß, an das Studium dieser Krankheit zu gehen und eventuell zu versuchen, den Erreger, auf den man schon so lange fahndete, festzustellen. Solange die Seuche den Kanton Thurgau nicht erreichte, war mir ein Bekanntwerden mit derselben unmöglich, da weder persönliche Be- ziehungen noch irgendwelche Kompetenzen existierten, die mir bei der Beschaffung infizierten Materials hätten behilflich sein können. Nun aber gestaltete sich die Situation wesentlich anders; denn die stete Hilfsbereitschaft meines Freundes, des Herrn Bezirkstierarztes Gubler in Frauenfeld, verschaffte mir sofort Anschluß an diejenigen seiner Kollegen, in deren Bezirk die Seuche herrschte, und diese Herren, 1 Verseucht waren nach der Statistik im Jahre 1913: 45 966 Stück Großvieh 23 125 » Kleinvieh zus. 69 091 Stück. Im Jahre 1898 waren es allerdings noch mehr: 55 213 Stück Großvieh 51 671 » Kleinvieh zus. 106 884 Stück. Zeitschrift f. wlssensch. Zoologie. CXV. Bd. 2 Hch. Stanffachor, zunächst Herr Bezirkstierarzt Eisenhut in Affeltrangen und Herr Bezirkstierarzt Siegrist in Bischofszell erteilten mir mit Genehmigung der thurgaui sehen Regierung bereitwilligst die Erlaubnis zum Betreten der verseuchten Ställe und besorgten mir mit größter Zuver- lässigkeit wertvolles Material. Sobald von irgendeiner Seite telegraphiscli die Meldung eintraf, die Seuche sei ausgebrochen, führte mich Herr GuBLER . persönlich in seinem Automobil mit jeder wünschbaren Ge- schwindigkeit an Ort und Stelle, wo ich mir Material von lebenden sowohl wie von frisch geschlachteten Tieren holte. Die Zuverlässigkeit des Herrn Bezierkstierarztes Gubler, die Un- eigennützigkeit, mit der er mir Tag und Nacht zur Verfügung stand, das intensive Interesse, das er dem Problem selbst und meinen For- schungen entgegenbrachte, und sein unerschütterlicher Glaube an mein Können bilden wunderbare Lichtpunkte in meinem Kampfe mit dem Virus der Aphthenseuche, der an mich in jeder Beziehung schwere Anforderungen stellte und geführt werden mußte, ohne daß meine Berufstätigkeit darunter nennenswert leiden durfte. Ohne diese Per- sönlichkeit an meiner Seite müßte vielleicht mein Plan gescheitert sein oder es wäre doch mindestens die Lösung des Problems zeitlich weit hinausgeschoben worden. Herrn Bezirkstierarzt Gubler gebührt also in allererster Linie mein Dank. Großen Dank bin ich ferner schuldig: dem Chef des thurg. Land- wirtschafts-Departements, Herrn Regierungsrat Aepli, dem Chef des st. gallischen Landwirtschafts-Departements, Herrn Regierungsrat Dr. Baumgartner, dem Chef des Landwirtschafts-Departements des Kts. Graubünden, Herrn Regierungsrat Vonmoos, dem Chef des zürcherischen Landwirtschafts-Dej)artements, Herrn Regierungsrat Nägeli, der Firma Maggi in Kempthal (insbesondere Herrn Dr. Holzmann), den Herren Bezirkstierärzten: Eisenhut in Affeltrangen, Sieg RIST in Bischofszell, Schlatter in Rorschach, Jäckli in Altstätten (St. Gallen), Guetg in Savognin (Kt. Graubiinden), Schifferli in Rheineck, Dr. Mäder in Gossau und Keller in Sulgen. Außerordentlich liebenswürdig und stets hilfsbereit war ferner der Ivantonstierarzt des Kt. St. Galk>n, Herr Dr. Hüchner, der meinen Der Erreger der -Maul- und Klauenseuche. 3 Wunsch nach infiziertem Material nach Kräften befriedigte; ihm ver- danke ich eine Reihe der wertvollsten Präparate. — Sehr zuvorkommend war endlich der Verwalter des städtischen Schlachthauses St. Gallen, Herr Baumgartner, der die Freundlichkeit hatte, mich in das städtische Schlachthaus einzuführen und dort persönlich nach Wunsch zu bedienen. Auch diese beiden Herren haben mich zu immanentem Danke ver- pflichtet. Sehr hoch schlage ich die moralische Unterstützung an, die mir in besonders kritischen Momenten durch folgende Herren zuteil wurde: Professor Dr. L. Hoffmann in Stuttgart, Professor Dr. M. Krause von der hydrotherapeutischen Uni- versitätsanstalt in Berlin, Dr. A. Liebe in Ludwigslust (Mecklenburg), Oberst v. Planta in Zuoz (Kt. Graubünden), Dr. Albertini, Landammann des Ober-Engadin. Den Chemischen Fabriken von Dr. Merck in Darmstadt aber verdanke ich angelegentlich die tadellose Präparation der Nährböden, auf denen ich den Erreger züchtete; wir werden auf diesen Punkt übri- gens später noch zurückzukommen haben. — Ich war mir der Schwierigkeit der Situation von Anfang an vollauf bewußt und zum vornherein auf ein Scheitern meines Unternehmens gefaßt ; denn es war mir wohl bekannt, wie zahlreiche bewährte Forscher seit Jahrzehnten den Erreger der Maul- und Klauenseuche suchten, und es bestand die allergeringste Wahrscheinlichkeit, daß mir unter un- günstigeren Verhältnissen und in der durch den Seuchenzug vorgeschrie- benen Zeit das gelinge, was andern Forschern unter wesentlich besseren Bedingungen und in jahrelangen Bemühungen nicht geglückt. Zwei Momente aber ermutigten mich, trotzdem einen Versuch zu machen. In erster Linie konnte ich mich auf eine gründliche Bekanntschaft mit dem Mikroskop und mit sämtlichen modernen mikrotechnischen Methoden stützen. Meine Untersuchungen waren während mehr als 20 Jahren speziell auf die Erforschung der Zelle gerichtet und fast jedes normale pflanzliche und tierische Gewebe wurde hierbei berück- sichtigt. Für den vorliegenden Fall schien mir das besonders günstig zu sein und wir werden im folgenden noch erfahren, daß mir die mikro- skopische Untersuchung tatsächlich den Schlüssel zur Lösung des Rätsels in die Hand gab. Voraussichtlich trifft dies bei einer großen Zahl anderer Krankheiten zu, deren Erreger zur Stunde noch unbekannt sind und zu den ultravisibeln Dingen gezählt werden. 1* 4 Hch. Stauffacher, Zweitens entdeckte ich beim Studium der Literatur über Maul- und Klauenseuche einige schwache Stellen; ich sah, daß sich in diese Forschung gewisse Vorurteile eingeschlichen hatten, die möglicher- weise hemmend gewirkt haben könnten, und wichtige Schlußfolgerungen kamen mir zu Gesicht, deren Notwendigkeit und Stichhaltigkeit durch- aus nicht über jeden Zweifel erhaben ist. Diese Beobachtungen gaben meinem Entschluß einen besonders kräftigen Impuls. Dazu kommt, daß ich auf dem Felde der Naturforschung keinerlei Privilegien und Monopole anerkenne. — Ich hielt es daher nachgerade für meine Pflicht, nach Kräften an der Erforschung der unsere Landwirtschaft so schwer schädigenden Seuche teilzunehmen, um, wenn möglich, einen Beitrag liefern zu können — und sei es auch in der bescheidensten Weise — zum Wohle der leidenden Kreatur. Andere Motive kannte ich nicht. — Es ist soeben darauf aufmerksam gemacht worden, daß ich in der Literatur über den Zungenkrebs gewisse schwache Stellen angetroffen, die mir Mut einflößten, an das schwierige Problem heranzutreten und einen schwachen Schimmer von Hoffnung übrig ließen, es möchte nicht jeder Versuch zur Feststellung des Erregers zum vornherein als aus- sichtslos zu betrachten sein. Vorläufig will ich auf drei Punkte hin- weisen, die Annahmen und Folgerungen enthalten, welche nicht als einwandfrei betrachtet werden dürfen. 1. Es wurde und wird noch vielfach angenommen, daß das Virus der Maul- und Klauenseuche, weil alle Versuche, es im mikroskopischen Felde sichtbar zu machen, bisher scheiterten, ultravisibel sein müsse. Und etwas, das man doch nicht sehen kann, weiter zu suchen, hat aller- dings keinen Sinn. Der Schluß mag ja unter Umständen richtig sein; allgemein zu- treffend und bindend ist er jedoch nicht. Es kann irgendein Objekt ganz wohl in den Sehbereich unserer Mikroskope hineinlangen, ohne daß wir es sehen können, weil wir eben die zu seiner optischen Diffe- renzierung, also Sichtbarmachung, nötigen Färbeverfahren noch nicht kennen. Die Mikroskopie hat Beweise genug für die Richtigkeit dieser Behauptung: Wie oft sind doch schon bei geeigneten Tinktionen Dinge im mikroskopischen Gesichtsfeld aufgetaucht, von deren Existenz wir vorher keine Ahnung hatten. Und das Individuum, um das es sich in meinen mikroskopischen Präparaten handelt, ist ein neuer, frappanter Fall in der Reihe solcher Beobachtungen. — Anfangs, als ich die ge- bräuchlichen Methoden der Zell- bzw. Kernfärbung auf die an Maul- und Klauenseuche erkrankten Gewebe anwendete, konnte lediglich mangelnde Affinität — besonders zu den basischen Farbstoffen — kon- Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 5 statiert werden. Die tadellosen Schnittserien erweckten aber nicht den leisesten Verdacht, daß es in ihnen wimmle von Individuen, die, allerdings zum Teil von äußerst geringen Dimensionen, zum Teil den ganz respektabeln Betrag von 1 — 2 n Länge erreichen. Erst nachdem eine ganz bestimmte — wenn auch einfache — Bedingung erfüllt war, tauchten mit denselben Farbstoffen, mit denen ich vorher Tinktion versuchte, auf einen Schlag in den Schnitten Wesen auf, deren Existenz mir vorher absolut unbekannt war und die oft auf kleinem Raum in erstaunlicher Menge beieinander saßen. Ganze Serien von Schnitten, die ich vorher als wertlos beiseite gelegt in der Meinung, daß hier nichts Zellfremdes existiere, wurden nun wieder hervorgeholt und nach Ent- fernung des Deckglases neuerdings gefärbt, wobei sich ergab, daß auch sie erfüllt waren von den sonderbaren kleinen Geschöpfen. Wenn also z. B. Löffler in seinem Vortrag »Verbreitung der Maul- und Klauenseuche und der gegenwärtige Stand ihrer Bekämpfung « (Archiv d. Deutschen Landwirtschaftsrats, 38. Jahrg. 1914) auf S. 149 sagt: »Die Quintessenz ist: Der Erreger ist ... (mit dem Mikroskop) voraussichtlich auch nicht auffindbar«, so liegt eine Notwendigkeit zu dieser Schlußfolgerung keineswegs vor. Oder besteht wirklich bei Löff- ler auch gar kein Zweifel mehr darüber, daß die moderne Mikroskopie auf der Suche nach dem Erreger der Aphthenseuche alle ihre Mittel erschöpft hat? Wo sind denn die Beweise dafür, daß die heutige Mikrotechnik gerade hier, auf dem Felde der Maul- und Klauenseuche- forschung definitiv versagen soll? Wer bietet ferner Garantie, daß in allen den andern Fällen, in denen man heute von einem » ultra visibeln« Virus spricht, das mikroskopische Auge auch dann nichts sehen könnte, wenn die Methoden zur optischen Differenzierung modifiziert würden? Ich wiederhole daher bei dieser Gelegenheit, was viele andere vor mir warnend auch schon betont: Persönliche Meinungen, wie die oben von Löffler ausgesprochene, Behauptungen, die einer ausreichenden empirischen Hinterlage entbehren, in einer beinahe apodiktischen Art und dazu von einer Seite aufgestellt, die in weitesten Kreisen als autori- tativ angesehen wird, haben je und je mehr Unheil als Nutzen gestiftet und unter Umständen unsere Wissenschaft schwer gehemmt. Belege hierfür aus allen Zweigen der Naturforschung beizubringen, würde mir nicht schwer fallen. Wenn also Löffler glaubt, daß es aussichtslos sei, mit dem Mikro- skop den Erreger des Zungenkrebses suchen zu wollen, so lehren mich meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen das Gegenteil: Der Kampf mit dem Schmarotzer gestaltete sich deshalb so aussichtslos, 6 Hch. iStauffacher, weil der mikroskopische Angriff mangelhaft war — es wäre sonst, um auf ein eklatantes Beispiel hinzuweisen, die Beobachtung GkugelsI (im Laboratiorum Prof. Pfeiffers in Rostock), daß in der von ihm zusammengestellten Nährflüssigkeit nach der Impfung mit Aphthen- lymphe »zahllose, kleine kugelige Gebilde lehbaft tanzende und kreisende Bewegungen ausführten . . . << wahrscheinlich ganz anders ge- wertet und verfolgt worden, wie dies tatsächlich der Fall war. Der mikroskopische Abschnitt meiner Maul- und Klauenseucheforschung war denn auch weitaus der schwierigste, und ich begreife jetzt voll- kommen, Aveshalb viele Forscher auf eine intensive mikroskopische Sichtung der infizierten Gewebe, des Blutes und der Blasenlymphe verzichteten oder diesbezügUche Untersuchungen vorzeitig abbrachen. Eine Berechtigung zur Annahme, das Virus der Aphthenseuche sei ultra- visibel, ließ sich aber aus diesen Versuchen nicht ableiten, selbst aus der Tatsache nicht, »daß in einer Lymphe, die (besser: deren Filtrat) wirksam war, keine Mikroorganismen mikroskopisch aufgefunden wer- den konnten << (Löffler, loc. cit. S. 148). Daß es Geschöpfe geben mag, die bei der momentanen Leistung unserer besten Linsen unsichtbar, also ultra visibel sind, ist natürlich nicht ausgeschlossen. 2. Ein anderes Vorurteil, das sich bis auf den heutigen Tag zum größten Schaden der Erforschung der Maul- und Klauenseuche — man möchte fast sagen, fortgeerbt hat, gründet auf der Filtrier barkeit des Erregers dieser Krankheit: Wir wissen, daß er durch Bakterien- filter hindurchgehen kann, und diese Tatsache schien hinwiederum die Forscher in der Annahme zu bestärken, der Parasit liege jenseits der Sehgrenze unsrer Mikroskope. Auf das Gefährliche und Unzutreffende dieses Schlusses, der ganz besonders lähmend auf das Studium der Aphthenseuche wirkte, machte bereits Siegel^ aufmerksam. Er sagt: »Die Filtrierbarkeit eines Para- siten bedeutet tatsächlich nichts für die Größe desselben im allgemeinen. Sie bedeutet nur, daß unter den möglichen Formen eines Parasiten auch solche von sehr geringer Größe vorkommen können. Die ge- wöhnlich auftretenden Formen können sogar eine ganz erhebliche Größe aufweisen, wie z. B. die Trypanosomen, deren Filtrat bekanntlich nach Mc Neal und Nory virulent ist. << Irrtümlich wurde vermutlich auch eine Bemerkung Abbes über die Grenze der Leistungsfähigkeit unserer Mikroskope gedeutet. Abbe 1 S. Literaturnachweis auf S. 9 dieser Arbeit. 2 J. Siegel, Neue llntersuchuiigeii über die Ätiologie der Maul- und Klauen- seuche. In: Berliner Tierärztl. Wochenschrift. Jahrg. 27. 1911. Nr. 50. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 7 stellte nämlich fest, daß man bei einem Gebilde, dessen Minimalgröße 0,2 Tausendstel Millimeter (^Vs /O betrage, die Form nicht mehr genau erkennen könne. Diese Unfähigkeit des Mikroskops, Gebilde unter 1/5 /« aufzulösen, ist indes nicht gleichbedeutend mit Un- sichtbarkeit derselben. Tatsächlich können wir noch gefärbte Kör- perchen sehen, die jene Grenze von 1/5 /' bedeutend imterschreiten, worauf übrigens wiederholt aufmerksam gemacht worden ist (Siegel 1, Tröster 2, v. Betegk», Dörr*). — Auch von diesem Standpunkt aus beweist also die Filtrierbarkeit des Maul- und Klauenseucheerregers nichts gegen seine Sichtbarkeit in unsern Instrumenten. Eine sehr schöne Illustration zu dem, was soeben von Siegel her- vorgehoben wurde, hefert gerade das Virus der Maul- und Klauen- seuche. Die kleinsten Stadien, die ich bei schärfster Färbung in den Geweben — und zwar in enormen Mengen — angetroffen habe, repräsen- tieren bei 1200facher Vergrößerung in den besten Mikroskopen winzige Pünktchen, die hart an der Grenze der Sichtbarkeit liegen. Daneben finden wir allerdings in ungeheurer Zahl auch alle Stadien bis zu 1 und 1 1/2 /( hinauf. Die Mikrometerskala war bei der Messung jener kleinsten Gebilde nicht mehr zuverlässig; dagegen ließ sich durch zahlreiche und sorgfältige Vergleichungen und Schätzungen zeigen, daß die letzten sichtbaren Körperchen — sie erschienen immer rundlich — i/k, /« oder wenig mehr maßen. Am besten kann man sich auf folgende Art ein Bild dieser Dinge machen: Man erzeuge mit einem sehr fein gespitzten Bleistift unter ganz gelindem Druck auf einem Blatt Papier einen Punkt, dann ist dieser Punkt etwa von der Größenordnung j euer Kör- perchen bei 1200/1 ö_ Milliardenhaft findet man sie auch in jedem Tropfen der Blasenlymphe. Es ist übrigens hier noch auf einen Punkt aufmerksam zu machen: Diese Körperchen sind in natura ohne Zweifel noch kleiner, wie sie nach der Färbung erscheinen ; denn meine Methode setzt eine »Beize« voraus, was unter nachfolgender scharfer Tink- tion mit EHRLiCHSchem Fuchsin-Methylenblau wohl zu einer künst- lichen Vergrößerung der gefärbten Wesen führen muß. Wir werden darüber weiter hinten noch zu sprechen haben. — Die durch Kultur erlangten ausoewachsenen Individuen aber hatten eine Länge von 1 Siegel, loc. cit. S. 910. 2 Tröster, Archiv f. Tierheilkunde. 1910. ■> V. Betegk, Centralbl. f. Bakteriologie. 1911. 4 Dörr, Verhandlungen der microbiologischen GeseUschaft 1911. 5 Die Influenzabakterien von 1 fx Länge sind also geradezu Eiesen im Ver- hältnis zu den kleinsten der genannten Körperchen. 8 Hch. Stauffacher, 30, 40, 50, 100 und ev. noch mehr /<, erreichten also oder übertrafen noch die Größe der ausgewachsenen Trypanosomen. Es liegt also, wie wir sehen, hier ein Fall vor, welcher dem bei Trypanosomen voll- kommen kongruent ist. 3. Eine Annahme, die allmählich fast zur fixen Idee wurde, ist die, daß der Erreger der Maul- und Klauenseuche notwendigerweise ein Bacterium sein müsse. Diese Annahme könnte ja zutreffen, aber nichts bringt uns die Überzeugung bei, daß sie richtig sei. Man scheint vielmehr vergessen zu haben, daß der Zungenkrebs bei uns nicht ende- misch ist, daß er vielmehr aus dem Lande der Malaria stammt, daß in südHcheren Gegenden ganz allgemein pathogene Protozoen an die Stelle der pathogenen Bakterien unserer Zonen treten und daß Schlaf- krankheit, Texasfieber, Sumpffieber usw. usw. Krankheiten sind, welche durchaus auf tierische Schädlinge zurückgeführt werden mußten. Und eine Reihe von klinischen Erscheinungen bei Erkrankung an Maul- und Klauenseuche weisen ganz deuthch darauf hin, daß der Zungenkrebs wahrscheinlich nicht bakterieller Herkunft ist. Diese Anzeichen sind so deutlich, daß Professor L. HoFFMANN-Stuttgart, gegenwärtig unzweifelhaft der beste Kenner dieser Krankheit, im II. Teil seines Werkes »Bekämpfung der Maul- und Klauenseuche« S. 118 sagt : » Der Charakter der Maul- und Klauenseuche zeigt sich mehr wie der von Trypanosomen . . .<< Aus dem Gesagten erhellt ohne weiteres, daß ich ohne Vorurteil an das Problem herantrat und weder speziell ein Bacterium, noch speziell ein Protozoon suchte. Aber das, was mir beim Studium der mikroskopischen Präparate infizierter Gewebe in die Hände fiel, ist entschieden kein Bacterium, sondern ein Protozoon. Wir werden weiter hinten die Gründe, die zu diesem Schlüsse führten, zusammenstellen. Untersuchungen, wie die vorliegende eine ist, können als abge- schlossen betrachtet werden, wenn drei Bedingungen erfüllt sind. 1. Muß der als Erreger der Krankheit angesprochene Parasit immer wieder in den kranken Geweben aufgefunden werden können. Aber die Beobachtung allein, daß ein und dasselbe zellfremde Individuum konstant in den verschiedenen infizierten Organen erscheint, kann die Annahme, dieser Fremdling sei die Ursache der Erkrankung, höchstens wahrscheinHch machen. So konnte Spirochaete pallida z. B. lange Zeit nur als der wahiischeinliche Erreger der Lues angesehen werden. Es ist daher 2, nötig, daß das verdächtige Geschöpf gezüchtet werde und daß Der Erreger der Älaul- und Klauenseuche. 9 3. die Reinkultur desselben auf das Tier überimpft, hier das typische Krankheitsbild erzeuge. Experimenteller Teil. Zunächst teilte sich meine Arbeit in zwei Teile, die lange Zeit parallel zueinander geführt wurden. In der einen Versuchsreihe be- strebte ich mich, durch Bakterienreinkulturen und Überimpfung der- selben auf ein Schaf den Erreger zu isolieren, während in der andern Reihe infizierte Gewebe der genauesten mikroskopischen Untersuchung unterworfen wurden. Der Versuch der Züchtung des Erregers auf verschiedenen festen Nährböden und seine Übertragung auf das Schaf schlug fehl. Es erging mir also hier, wie es andern Forschern auch schon ergangen ist, die das Virus der Maul- und Klauenseuche nach Art der Bakterien zu kultivieren versuchten. Und höchst wahrscheinlich sind derartige Kul- turen sehr viel öfter vorgenommen worden, wie die Literatur uns glauben macht; denn ich kann mir vorstellen, daß die Bakteriologen nur über diejenigen Unternehmungen referierten, die irgendein Resultat zeitigten, während ergebnislose Bemühungen in dieser Richtung öffentlich wohl nur selten zur Sprache kamen. So bemerkt z. B. Löffler (loc. cit. S. 150) : »Ich kann Ihnen sagen, daß wir unendlich viele Versuche mit dem Virus der Maul- und Klauenseuche gemacht haben. Es ist uns bisher nicht gelungen, den Erreger künstlich zu kultivieren. << Pfeiffer 1 sagt: »Obwohl mir bei den Einrichtungen des Landes- gesundheitsamtes zu dieser Zeit derartige Versuche wenig zweckmäßig erschienen, erlaubte ich doch dem Präparator GtRUGEL auf sein Bitten, mit dem Material einige Züchtungsversuche anzustellen, die er damit begann, daß er Aphthenlymphe auf die verschiedenen, in den bakterio- logischen Laboratorien üblichen künstlichen Nährböden verimpfte und prüfte, ob ein Wachstum von Mikroorganismen erfolgte. Als diese Züchtungsversuche nicht zum Ziele führten . . .<< Siegel bemerkt (loc. cit.) : ». . . Es ist sicher, und auch aus der Literatur nachweisbar, daß Versuche, aus inneren Organen sowie aus dem Blaseninhalt etwas zu kultivieren, sehr häufig vorgenommen wurden. Das Urteil lautete aber regelmäßig: Diese Materien seien , steril'. Dieser Ausdruck, der offenbar nur besagen sollte, 1 L. Pfeiffer, Kurze Mitteilung über die im Landesgesundheitsamte zu Rostock ausgeführten Untersuchungen über die Maul- und Klauenseuche. In: Berliner Tierärztl. Wochenschrift. Jahrg. 29. 1913. Nr. 0. 10 Hell. Stiiuffiicher, daß mit den in Anwendung gebrachten Methoden bis jetzt eine Züchtung nicht gekmgen sei, wurde aber in falscher Anwendung seines Wortlautes dann regelmäßig so gedeutet, als kämen züchtbare Gebilde überhaupt nicht vor, und führte, da derselbe Ausspruch von bedeutenden Bakterio- logen des öfteren wiederholt wurde, zu einem Verzicht auf Variation der Methode. So viel konnte ich bei Bearbeitung der Organe bei Maul- und Klauenseuche bestätigen, daß jeglicher Versuch, mittelst Züchtung auf festem Nährboden, mit oder ohne Zusatz von genuinem Eiweiß, nicht zum Ziele führte.« Auch die Eesultate von Klein (1886), Schottelius und Kurth, 1891 (Züchtung und Verimpfung von Kokken oder kokkenähnlichen Gebilden aus den Blasen) führten nicht zu befriedigenden Erfolgen. Damit ist nun allerdings ein strikter Beweis, daß der Erreger der Maul- und Klauenseuche kein Bacterium sein könne, noch keineswegs erbracht. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß hier ein Bacillus vorliege, sinkt doch — meiner Meinung nach — mit jedem weiteren gescheiterten Versuch, das Virus nach Art der Bakterien zu züchten. Plötzlich wurde mit dem bakteriellen Teil und den Impfversuchen abgebrochen. Ich brauche hier den Ausdruck »plötzlich« mit Eück- siclit auf diejenigen, welche bisher meine Studien einigermaßen zu ver- folgen Gelegenheit hatten. Denn der Umschwung in meiner Über- zeugung schien ihnen ganz plötzlich vor sich gegangen zu sein ; sie hatten aber die intensivste mikroskopische Arbeit während vieler Nächte nicht gesehen und die sich hieran knüpfende Entwicklung in meiner Ideen- welt nicht miterleben können. Es war keineswegs der Mißerfolg bei meinen Impfversuchen, der mich vcranlaßte, den bakteriellen Teil der Forschung zu verlassen; denn ich habe soeben betont, wie alle unsere erfolglosen Anstrengungen zusammen keine Gewähr dafür bieten könnten, daß der Angriff auf das Virus der Aphthenseuche von der bakteriellen Seite ein verfehlter sei; aber ich hatte unterdessen im mikroskopischen Gesichtsfeld Dinge gesehen, die mir die Annahme, der Erreger könnte ein Bacterium sein, im höchsten Grade unwahrscheinlich machten. I. Resultate der mikroskopischen Untersuchung infizierter Gewebe. Untersucht wurden im ganzen die Gewebe von 2(5 kranken Tieren^ (25 Kühe, 1 Stier), und zwar erstreckte sich die Untersuchung auf 1 Dazu koiiunt die Untersuchung der cntsi^cch enden Gewebe eines ge- sunden Kontrolltieres. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 11 Zunge, Flotzniaul, Klauen, Backendrüsen, Herz, Milz und Bluti. Im ganzen wurden über 20 000 Serienschnitte von 5 — 8 [i Dicke angefertigt. Entweder holte ich mir — und das war meistens der Fall — das in- fizierte Material selbst an Ort und »Stelle, wo ich auch, wenn immer möghch, den Notschlachtungen beiwohnte; oder der behandelnde Tier- arzt übersandte mir die gewünschten Organe in 70%igem Alkohol^. Konserviertes Material wurde mir zugeschickt aus den Kantonen Thur- gau, St. Gallen und Graubünden. Das an Maul- und Klauenseuche erkrankte Gewebe kennzeichnet sich — worauf bereits hingewiesen wurde — sofort durch eine An de - rung seiner Affinität zu Farbstoffen. In erster Linie fällt auf, daß basische Farbstoffe nicht mehr aufgenommen werden, wobei jedoch zu bemerken ist, daß sich dieser Ausfall an Färbung nicht plötzlich, sondern ganz allmählich einstellt, je mehr wir uns dem In- fektionsherd nähern. Bekanntlich sind nun die sauren Nucleoproteide, die demgemäß Affinität zu basischen Farbstoffen besitzen, vornehmlich im Kern der vegetativen Zellen angehäuft; mikrosomale Portionen von Basichromatin kommen allerdings auch im Cytoplasma vor. Färbt man nun infiziertes Gewebe bloß mit basischen Farbstoffen (Anihnfarben, Methylenblau, Hämatoxylin usw.), wie das bis in die neueste Zeit hinein üblich war und teilweise jetzt noch ist, so muß sich der Ausfall der Färbung in erster Linie und in besonders auffallender Weise an den Kernen bemerkbar machen: Sie bleiben ungefärbt. In normalen Geweben finden wir häufig auch im Zellplasma herum verteilt kleine, dem Kern entstammende Nuclein-(Chromatin-) Portionen; in infizierten Geweben fehlen auch diese vollständig, so daß also der gesamten Zelle die Chromatinreaktion fehlt. Ziehen wir dazu in Betracht, daß das Plasma des Zelleibes zum vornherein keine Affinität zu basischen Farbstoffen hat, so ist klar, daß im infizier- ten Gewebe nicht nur der Kern der Zelle, sondern diese selbst in ihrer ganzen Ausdehnung farblos bleibt. Wendet man Doppelfärbungen, z.B. Fuchsin x Methylenblau nach Ehrlich an, so ändert sich natürhch die Situation im Prinzip nicht: Es wird kein Methylenblau aufgenommen, weder im Kern noch im Zellplasma, und die Stelle, wo der Nucleus liegt oder vielmehr früher lag, ist eine matte Fläche, die aufzufinden unter Umständen recht schwer fällt. 1 Zu einer genauen Prüfung des Darmtractus kam ich bis jetzt aus Mangel an Zeit noch nicht. 2 Als Fixierungsmittel ^vurdc immer 70% Alkohol verwendet. 12 Hch. Stauffacher, Ersetzt man aber das gewöhnliche Fuchsin durch Säurefuchsin, so kann man die Beobachtung machen, daß »Schnitte durch Gewebe aus kranken Organen unter Umständen jetzt mehr von diesem Farb- stoff aufnehmen, wie in normalen Fällen: Der Zelleib speichert also in infizierten Geweben mehr sauren Farbstoff auf, wie in gesunden. Durch fortschreitende Infektion wird allerdings auch diese Farbreaktion nachträglich wieder ausgelöscht. Auf diese Erscheinungen hat früher schon ZsCHOKKE-Zürich hin- gewiesen. In seiner Arbeit: »Zur Pathologie der Maul- und Klauen- seuche« (Schweizer Archiv für Tierheilkunde 1912, 11. Heft) sagt er auf S. 512/13: ...»Untersucht man Zungenblasen, die uns als etwa 1 — 2 mm breite, weiße Flecken erkennbar sind, also im ersten Stadium des Entstehens, so wird man auch in Serienschnitten vergebhch nach solchen Epithelabhebungen fahnden. Vielmehr beobachtet man die ersten Veränderungen im Rete Malpighii, und zwar nicht in der tiefsten jüngsten Zellage, sondern im Stratum spinosum. Die Epithelien zeigen eine veränderte Affinität zu den Farbstoffen: Das Protoplasma nimmt mehr als normal Eosin auf, der Kern weniger Hämatoxylin, wird blaß und blasser und verschwin- det schließlich ganz. Daneben quellen die Zellen auf, werden lockerer, schattenhaft und verflüssigen siclii. So entsteht eine Höhle in der Epithelschichte . . . << Oder weiter unten: ». . . Analog fand ich auch den Vorgang in Schnitten von Blasen an der Ballen- und Sohlenhaut. Das erste war eine vermehrte Rotfärbung der Hornzellen und zwar in der Höhe der Spitzen der Papillen (Fleischzotten), während in den Tälern zwischen ihnen ganz normales Hörn lag. Gleichzeitig erschien die Kittsubstanz der Zellen und später das Zellprotoplasma selber gequollen und zufolge der größeren Alkaleszenz stärker eosinophil, und weiterhin verlor sich der Kern, lockerten sich die Hornzellen vollends in ihrem Verband und boten die Erscheinungen eines scholligen Zerfalles des Horngewebes ...<< Diese Beobachtungen Zschokkes kann ich • — wie sich aus dem oben Gesagten ergibt — durchaus bestätigen. Auf das Lockerwerden und Aufquellen der Zellen möchte ich spä- ter zu sprechen kommen; uns interessiert vorläufig die andere wichtige Erscheinung, daß sich die Kerne mit basischen Farbstoffen nicht mehr färben. Sie werden »blaß und immer blasser und verschwinden schließ- lich ganz«. Es mangelt ihnen also das Chromatin, dieser für das Von mir gesperrt. Stauffacher. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 13 Leben der Zelle so wichtige Bestandteil; auch die mikrosomalen Por- tionen des Cytoplasmas sind verschwunden. Wo ist dieser höchst charakteristische Kernbestandteil hingekommen? Die Beantwortung dieser Frage ist von der aller- größten Bedeutung. Um diesen Chromatinverlust dürfte sich das ganze Problem drehen; denn daß das Fehlen des Nucleins hier in ursäch- lichem Zusammenhang stehen muß mit der Tätigkeit des Erregers der Maul- und Klauenseuche, kann, meiner Meinung nach, kaum bezweifelt werden. Hat die Forschung aus der fehlenden Affinität des infizierten Ge- webes zu basischen Farbstoffen nicht vielleicht wiederum eine Kon- sequenz gezogen, die nicht als einwandfrei zu bezeichnen ist? Ich kann mir nämlich vorstellen, daß folgendermaßen kalkuliert wurde: Da sich mit Hämatoxylin nichts mehr färbt, ist auch nichts mehr da, während ein anderer Schluß mindestens ebenso nahe gelegen hätte: Weil kein Chromatin mehr da ist, ist vermutlich etwas anderes vor- handen, das jene Substanz allmählich vernichtet hat; dieses zell- fremde, kernzerstörende Agens braucht sich nicht notwendigerweise so zu färben, wie sich das verschwundene Material färben würde. Die Frage, ob es sich hierbei um etwas Ultravisibles oder um ein Geschöpf handelt, das dem Sehbereich unserer Mikroskope angehört, bleibt vor- derhand natürhch noch offen. — Bei der Prüfung der verschiedenen Gewebe eines infizierten Tieres fiel mir eines auf, das die obengenannten histologischen Erscheinungen bei Erkrankung an Maul- und Klauenseuche, nämlich den Kernschwund seiner Zellen (besser: Schwund des gesamten basichromatischen Mate- rials) und anfängliche relative Speicherung saurer Farbstoffe auffallend deuthch und in großem Umfang zeigte: Es sind das die Backendrüsen. »Unmittelbar unter der Schleimhaut, welche die innere Fläche jeder Backe bekleidet, liegen . . . Schleimdrüsen, welche sich zu folgenden zwei Gruppen zusammenhäufen: Die oberen (vorderen) Backendrüsen (glandulae buccales sup.) . . . bestehen aus einzelnen ziemlich starken Drüsenhaufen, welche sich am vorderen Rand der Backen von der Beule des Oberkieferbeins bis zum zweiten Backenzahn hinziehen und zum größten Teil durch den äußeren Kaumuskel bedeckt werden. Die unteren (hinteren) Backendrüsen (gl. buccales inf.) bilden eine schmale zusammenhängende Drüsenmasse, welche durch den Backenmuskel be- deckt, nahe dem hinteren Rande sich vom oberen bis zum unteren Ende der Backe erstreckt. Die oberen und die unteren Backendrüsen besitzen zahlreiche Ausführungsgänge, welche mit engen 14 Hch. Stauffachcr, öffnunjren gegenüber dem Zahnliöhlenrande des Ober- bzw. Unterkiefers in den Vorhof der Mundhöhle münden^.« Es erscheint bei einigem Nachdenken recht plausibel, daß diese Backendrüsen so deutlich — und wohl auch schnell — auf den Schma- rotzer reagieren; denn die Haupteingangspforte für den Erreger der Maul- und Klauenseuche ist zweifellos der Mund des Tieres, und von hier aus dürfte das Virus am leichtesten und schnellsten durch die vielen Öffnungen der Glandulae buccales in diese selbst gelangen. Hätte ich diese Drüsen vorher gekannt, würde ich sie wahrscheinlich zum vornherein als gutes Operationsfeld für meine mikroskopischen Unter- suchungen gewählt haben. So aber mußte ich auf dem weiten Umweg des Studiums sämtHcher Organe (mit Ausnahme des Darmtractus), die bei der Infektion in Betracht fallen, erst auf sie aufmerksam werden. Ich habe übrigens bemerkt, daß selbst in den Kreisen der Tierärzte diese Organe nicht überall gleich gut bekannt sind; denn es wurden mir anstatt der Backendrüsen, die ich wünschte, nicht selten die Ohr- speicheldrüsen zugeschickt. Auf eine genaue Beschreibung der gesunden Backendrüsen können wir hier verzichten. Dagegen muß — mit Eücksicht auf das Folgende — darauf aufmerksam gemacht werden, daß bereits bei der Färbung der Schnitte in Ehrlichs Fuchsin x Methylenblau eine Differenz im Ver- halten der Kerne in den Zellen der Tubuli dieser Organe bemerkbar wird: Während nämlich die einen Kerne leicht Methylenblau aufneh- men, sich also sehr deutlich färben, ist dies bei den andern in weit ge- ringerem Maße der Fall. Die Vermutung lag nahe, daß es sich hier wie an vielen andern Orten um cyanophile (basophile) und erythrophile (acidophile) Nuclei handle. Ich ersetzte daher das neutrale Fuchsin durch das Säure - Fuchsin und konnte in der Tat konstatieren, daß diejenigen Kerne, die sich vorher nur schwach tingierten, jetzt die saure (rote) Komponente speicherten. Viel deuthcher und schöner kommt allerdings diese Verschiedenheit der Kerne zum Vorschein, wenn wir die genannten Methoden ein wenig variieren. AVir werden darauf zurückkommen. Färbt man nun Schnitte durch die Backendrüsen kranker Tiere nach den obenbezeichneten und andern gebräuchlichen Verfahren, so werden — wie früher schon erwähnt — von den Kernen schließlich gar keine Farbstoffe mehr aufgenommen. Das Chromatin schwindet aus beiden Kernarten, und die ursprünglichen Differenzen zwischen ihnen Aus: Anatomie und Physiologie des Pferdes von C. F. Müller. Der Erreger der Älaul- und Klauenseuche. 15 sind damit natürlich ausgelöscht. Von den Kernen bemerkt man höchstens noch schattenhafte Flächen und Umrisse oder auch gar nichts mehr. Der Chromatinschwund tritt allerdings nicht plötzlich, sondern allmählich ein, wie dies bereits Zschokke (loc. cit.) im Zungen- gewebe kranker Tiere beobachtet hat, und es liegt nahe, diese sukzessive Abnahme der Kernsubstanz mit dem Fortschreiten der Infektion in Beziehung zu bringen. — Auch die Grenzen zwischen den einzelnen Zellen der Tubuli verschwinden nach und nach ganz. Dadurch verliert das Gewebe seine Drüsennatur, und der Schnitt sieht homogen aus. Auf den früheren Stadien der Infektion speichert allerdings das Cyto- plasma die saure Komponente eines heterogenen Farbstoffgemisches, aber auch diese Reaktion verliert sich bei starker Infektion, so daß die optische Differenzierung schließlich auf der ganzen Schnittfläche ver- sagt. Selbst das Messer des Mikrotoms scheint den Unterschied zwischen dem kranken und gesunden Backendrüsengewebe schon zu spüren, denn jenes ist entschieden leichter zu schneiden, und die Schnittdicke kann daher selbst bei relativ großer Fläche bis auf 5 fi reduziert werden. — Die Versuche, die ich anstellte, um in den farblosen Schnitten durch die Backendrüsen irgend etwas optisch zu differenzieren, also sichtbar zu machen, waren sehr zahlreich. Sie alle aufzuzählen und die Überlegungen zu registrieren, die mich jeweils leiteten, hätte keinen Wert: Die Kombinationen verliefen alle resultatlos oder doch ohne sicheren Effekt. Nach monatelangen, ununterbrochenen Studien dieser Art an tausenden von Schnitten war ich eben im Begriffe, die Versuche abzubrechen, als sich die vorher farblose Fläche des Präparates wie auf einen Zauberschlag belebte : Millionen von kleinen und kleinsten Wesen tauchten plötzlich im mikroskopischen Gesichtsfeld auf, und die Schnitte nahmen ein total-verändertes Aussehen an. Die Modifikation, die zum Ziele führte, ist sehr einfacher Art. Die Schnitte werden in eine »Beize« gebracht, und zwar erzielte ich bis jetzt weitaus die besten Resultate dann, wenn ich der Färbung mit Ehrlichs Fuchsin-Methylenblau eine Vorbehandlung der Präparate in einer ver- dünnten Lösung von Säurefuchsin vorausgehen ließ. Der Vorteil dieser Behandlung zeigt sich bereits bei der Unter- suchung der Blaseninhalte. Frische Lymphe, die man einer noch intakten Blase von Zunge oder Flotzmaul entnimmt, verrät unter den besten Linsen direkt nichts von einem Erreger. Das Gesichtsfeld ist oft ganz hell und scheint höchstens isolierte Gewebszellen, Leucocyten 16 Hch. Stauffacher, u. dgl. zu beherbergen. Sobald man aber mit Säurefuchsin färbt, wim- melt es von kleinsten Kiigelchen, die allerdings erst bei der Nachbehand- lung in Fuchsin-Methylenblau schärfer hervortreten. Die wässerige Lösung von Säurefuchsin war gewöhnlich 0,2 %ig. Man braucht sich jedoch nicht streng an diese Konzentration zu halten: Der Mikroskopiker kann sich ganz wohl mit einer empirisch hergestellten Lösung behelfen, wenn letztere nur so dünn ist, daß man noch leicht durch sie hindurchzusehen vermag. Stärkere Konzentrationen rufen eine Überfärbung und dementsprechend eine, wie mir scheint erhebliche künstliche Vergrößerung der tingierten Objekte hervor. Die Objektträger werden mit den Serienschnitten zunächst für einige Stunden in die verdünnte Säurefuchsin-Lösung gebracht. Im Minimum beließ ich sie hier 2, im Maximum 6 Stunden. Nach Ab- spülung in destilliertem Wasser gelangen sie in das EHRLiCHSche Fuchsin-Methylenblau, wo sie 6 — 10 Stunden verbleiben i. Dann folgt sorgfältiges Auswaschen und Entfernung des Überschusses an Farb- stoff in destilliertem AVasser, von wo die Schnitte direkt so lange in abs. Alkohol gelegt werden, bis kein Farbstoff mehr ausgezogen wird. Nach Aufhellung in Xylol erfolgt Einschluß in Kanadabalsam. Wie sieht nun das gesunde Gewebe der Backendrüsen nach diesem modifizierten Färbeverfahren tingiert aus? Es wurde oben darauf aufmerksam gemacht, daß schon mit den gebräuchlichen Methoden — Färbung in Ehrlichs Fuchsin x Methylen- blau usw. — ganz deutlich zweierlei Kerne unterschieden werden; jetzt konunt diese Differenz viel klarer zum Vorschein. Es fällt zunächst auf, daß die einen Zellkerne etwas größer sind, wie die andern. Der Hauptunterschied aber liegt im Verhalten des Chromatins: Die kleineren Kerne nehmen sehr leicht Methylenblau auf, sie sind also cyanophil. Ihr Chromatin ist daher intensiv blau gefärbt und tritt meist in einem oder mehreren rundlichen Klumpen auf, die häufig im Innern des Nucleus, hier und da auch peripher gelegen sind. Kleinere Portionen von Chromatin liegen etwa dem Kernrande an. Die größeren Kerne zeigen eine sehr feine Verteilung ihres Chro- matins, dessen Partikel vornehmlich peripher, als Kranz am Kernrand liegen, diesen nicht selten überragend. Es kann allerdings auch vor- kommen, daß ringförmige Anordnungen der kleinen Chromatinelemente auch im Innern der Kerne auftreten. — Das Chromatin dieser Kerne 1 Es ist, wie sich aus den Angaben schon ergibt, durchaus nicht notwendig, daß man bestimmte Zeiten strenge innehalten muß; die Variationen, die zu dem- selben Ziele führen, sind mannigfaltig. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 17 ist nun dunkel- oder schwarzrot gefärbt; es ist also vornehmlich die rote Komponente des Farbstoff gemisches aufgenommen worden (Ery- throphilie), doch gibt es vereinzelte Fälle, wo im Innern des Nucleus größere Portionen blau gefärbten Chromatins beobachtet werden können. Diese Kerne zeigen auch prächtige Kernbrücken, während solche Strukturen bei den cyanophilen viel weniger zahlreich sind. — ■ Die Kernfläche der erythrophilen Kerne enthält ein dichtes Netzwerk rotgefärbter Lininsubstanz, während das Kerngerüst der cyanophilen Nuclei spärlich und scluvach blau gefärbt ist, so daß hier die Kern- fläche heller, lichter erscheint, wie in den größeren (erythrophilen) Kernen. Wir färben nun nach demselben Verfahren das Backendrüsen- gewebe kranker Tiere. Jetzt wimmelt oft das Cytoplasma und der Kern von intensiv schwarz gefärbten Gebilden, die zunächst in der Hauptsache rundlich sind. Die kleinsten dieser Dinge stehen hart an der Grenze der Sichtbarkeit auch der besten Mikroskope, und man ist gezwungen, scharf zu färben, wenn man sie sichtbar machen will. Ich habe schon einmal darauf aufmerksam gemacht, daß man am ehesten einen Begriff von ihren Dimensionen bekommt, wenn man mit einem feingespitzten Bleistift unter schwachem Druck einen Punkt erzeugt. Schätzungsweise bewegen sich ihre scheinbaren Durchmesser um 0,1 //. herum. Tatsächlich dürften sie noch bedeutend kleiner sein; denn die Anwendung einer Beize macht es sehr wahrscheinlich, daß sie bei der Färbung eine optische, also künstliche Vergrößerung erfahren. Dadurch wird vielleicht auch die S. 16 notierte Beobachtung erklärt: Färbt man den frisch einer Blase entnommenen Inhalt nach dem be- schriebenen Verfahren, so wimmelt es im mikroskopischen Gesichtsfeld von kleinen und kleinsten Kügelchen, während die Linse von ihnen sonst nicht das mindeste verrät. Die photographische Reproduktion meiner Präparate hat jene kleinsten Gebilde fast ganz ausgelöscht; immerhin bekommt man sie in einigen Photogrammen noch dann und wann zu Gesicht. Daneben finden sich dann allerdings auch größere rundliche Formen, die in un- unterbrochener Stufenleiter bis zu 0,5 und mehr fi hinaufsteigen. Es kommt auch vor, daß zwei oder mehr solche Kügelchen nahe beieinander oder übereinander hegen und so kleinere oder größere Klümpchen er- zeugen. — Häufig beobachtet man, daß zwei oder mehr Kügelchen an- einander hängen bzw. in einer Kette stehen (Textfig. 1). Auch der Fall ist nicht selten, wo an einem größeren Kügelchen wie eine Knospe ein kleineres hängt. GelegentHch ist das Knöspchen durch ein kürzeres Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 2 18 Höh. Stauffachor, oder längeres, gerades Verbindungsstück in Form einer sehr feinen Linie mit der größeren Kugel verbunden (Textfig. 2), und es ist denkbar, ja wahrscheinlich, daß diese Stadien Vorstufen der in der Textfig. 1 gezeichneten Ketten sind, um so mehr, als Fälle vorkommen, wie in Textfig. 3, wo mehrere Kügelchen in absteigender Größe miteinander verbunden sind. Offenbar haben wir in allen diesen Figuren (1, 2 und 3) Vermehrungsstadien vor uns, die durch Zerfall wieder die rundlichen Einzelformen bilden, von denen wir oben sprachen. Eine Beobachtung erweckte ganz besonders meine Aufmerksamkeit ; sie betrifft vornehmlich die kugehgen Formen in den Lücken des Gewebes. Mit Sicherheit sah ich diese Kügelchen oft nach einer Seite in ein Spitzchen auslaufen. Häufig war zwar dieser Anhang nur schattenhaft angedeutet; in den Lymphräumen und -gefäßen dagegen nahmen diese schattenhaften An- u| • f ! t M I 6 7 s 8a Textfig. 1—8. hängsei greifbare Gestalt an und wurden zu wirklichen Schwänzen, wobei das kugelige oder auch ovale Köpfchen sich ganz allmählich in den Schwanz verjüngte (Textfig. 4). In diesem Schwanz konnte man gelegentlich wiederum kleinere Kügelchen antreffen, die jenen, wie es scheint, seitlich überragen (Textfig. 5). Diese Formen leiten uns zu den folgenden über. Neben diesen rundlichen Gebilden treffen wir nämlich in großer Zahl — besonders bei etwas vorgeschrittener Infektion — längliche Individuen, stäbchenförmige, ovale oder birnförmige (Textfig. 6) oder schwach sichelförmig gekrümmte an (Textfig. 7); die letzteren sind in der Mitte am dicksten, gegen die Enden hin merklich verjüngt. — Alle diese Formen bestehen nicht etwa aus eng aneinander liegenden Kügel- chen, sondern sind durchaus einheitliche Bildungen. Sie erreichen die Länge von 1 /< und darüber. Andere gekrümmte Formen laufen am einen Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 19 Ende spitz zu, während das andere Ende kugelförmig angeschwollen ist (Textfig. 8). Bei diesen Individuen erkennt man unter Umständen recht deut- lich, daß sie aus zwei Partien bestehen, nämhch aus einem rundlichen Kopfteil und einem mehr oder weniger gebogenen Schwanzanhang (Textfig. 8 a). Aber auch stark sichelförmig ge- krümmte Formen sind vorhanden (Textfig. 9), und *«^ ^ endlich trifft man Fälle, wie sie die Textfig. 10 demonstriert, wo vollständige Krümmung statt- ^ '^ gefunden hat, ohne daß der Kreis geschlossen Textfig. 9 u. 10. worden wäre. Deutlich schließen die beiden ein- ander genäherten, freien Enden des Ringes mit Verdickungen ab. Alle diese Formen werden wir später wieder antreffen; sie erreichen eine durchschnittliche Länge von etwa 1 /«. Instruktiv sind besonders diejenigen Stellen des Gewebes, die — selbst noch nicht infiziert — an infizierte Partien angrenzen, wo also die Invasion im Gange ist. In Taf. I, Fig. 1 habe ich eine solche Stelle photographiert und zwar auf Lumiere-Platten. Bei derartig diffizilen Objekten und besonders bei den oft ungeheuren Mengen kleinster Wesen, die in solchen Fällen von der Platte fixiert werden sollten, versagt — wie schon betont — bei den feinsten Details selbst die gewöhnliche photographische Reproduktion; um so mehr ist dies bei der viel weniger empfindlichen Autochromplatte der Fall. Immerhin kann man sich in Taf. I, Fig. 1 über die wesentlichsten Dinge noch ganz gut orientieren 1. — In erster Linie fällt, worauf schon S. 12 hingewiesen wurde — das stark oxyphile Verhalten des Cytoplasmas der noch intakten Gewebspartie auf. In diesem noch unverseuchten Rest erkennt man einige Tubuli und die früher (S. 16/17) beschriebenen Kerne — erythrophile sowohl wie cyanophile — mit ihren scharfen Kerngrenzen. Von unten aber und links rücken in großen Scharen jene Geschöpfe an, die wir soeben einzeln kennen gelernt haben; zunächst sind es winzigste Kügelchen, denen aber bald längliche, ovale und ge- krümmte Formen folgen. Sofort verblaßt an diesen Stellen das Cyto- plasma, die Zellgrenzen verschwinden, die ursprüngliche Organisation des Drüssngewebes ist zerstört, und schließlich fehlt auch die Kern- berandung. Hier, in den Kernen scheinen sich jene Gebilde geradezu zu konzentrieren. Die Kernterritorien sind zwar (unten links im Bild) 1 Ich hätte dieses schöne Präparat vielleicht zeichnen sollen; aber ich wollte jeden subjektiven Eingriff womöglich vermeiden. 2* 20 Hch. Staiiffachcr, an der f'rünblaueii und rötlichen Fläche vorläufig immer noch zu er- kennen; aber von einer scharfen Abgrenzung dieses Territoriums gegen den Zelleib hin ist keine Kede mehr und die typische Anordnung des Chromatins fehlt. Dafür gewahrt man jetzt in der Kernfläche, glän- zend schwarz von der Unterlage sich abhebend, dieselben Formen, die uns im Cytoplasma bereits begegneten. Es ist also wohl zu beachten, daß diese Veränderungen von außen gegen den Kern vordringen; sie tonnen also nicht im Nucleus ihren Sitz haBen. Sehr rasch schwindet das Chromatin ganz, der Kern verliert seine Färbbarkeit vollständig und kein Kernfarbstoff vermag mehr Leben in die völlig matte Fläche zu bringen, die optische Differenzierung gelingt nach den bisher üblichen Verfahren nicht mehr. — Färben wir nun aber wieder nach meiner modifizierten Methode, so nimmt jetzt die Schnittfläche das Aussehen der Fig. 2, Taf. I an. Zu unserm Er- staunen zeigt es sich, daß die Kerne dicht bevölkert sind, während wir unmittelbar vorher noch keine Ahnung von dieser Tatsache hatten. Man hat aber sofort das Gefühl, daß uns nicht mehr der Kern von früher entgegentritt, sondern daß sich kernfremde Dinge seiner be- mächtigt haben, um auf seinem Platz ihr Spiel zu treiben. Es herrscht offenbar hier reges Leben, trotzdem das Gewebe zerstört ist ; die schwar- zen Gebilde kommen und gehen, schwärmen auch etwa wie ein Bienen- volk aus (siehe Kern in der Mitte). Die Lokalität, wo sich früher die normalen Geschäfte des Kerns in aller Ruhe und Gesetzmäßigkeit ab- wickelten, hat sich in einen Kampfplatz verwandelt, wo alles drunter und drüber geht. Die Zellen aber sind gequollen und haben ihren Zusammenhang gelöst: Der ursprüngliche Charakter des Gewebes hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert. Das bringt uns erst so recht deutlich Taf. I, Fig. 4 zum Bewußtsein. Die Versammlungen, die in Taf. I, Fig. 2 noch auf den Kernterritorien abgehalten wurden, haben sich nun auch aufgelöst — offenbar ist der Nucleus ausgeräumt — und nur an vier oder fünf Stellen gewahrt man noch Schatten, die an die frühere Existenz eines Kernes erinnern. Dabei regt sich in uns der Verdacht, die Kerninsassen der Taf. I, Fig. 2 hätten sich zum größeren Teil verzogen und es seien die auf der Schnittfläche die Kreuz und Quer eilenden bakterienähnlichen Gestalten nur noch die Nachzügler, die sich ebenfalls ein neues Arbeitsfeld suchen. Unsere oben ausgesprochene Vernuitung, es m()chte etwas anderes an die Stelle des verschwundenen Chromatins getreten sein, hat sich also bestätigt. Nun ergeben sich aber immer noch zwei Möglichkeiten: Der neue Besitzer der Zelle und des Kerns kann aus dem Chromatin Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 21 entstanden sein, oder sich auf dessen Kosten entwickelt, die wertvolle Kernsubstanz also vernichtet haben. Zur Entscheidung dieser Fragen sind — wie mir scheint — zwei Momente ins Auge zu fassen : 1. üie Form der neuen Gebilde und 2. ihre Verbreitung. — Die Diskussion des zweiten Punktes dürfte ganz besonders wertvolle Anhaltspunkte ergeben, wenn wir ein Urteil darüber fällen wollen, ob die in Frage stehenden Gebilde Zellderivate, oder ob sie dem Gewebe fremd sind. Die im infizierten Backendrüsengewebe zu erwartenden Formen sind in der Hauptsache bereits signalisiert, und wir gehen zur Kon- trolle über. Die Taf. I, Fig. 1 ist zu wenig stark vergrößert, als daß man Formstudien an den schwarzen Gebilden anstellen könnte ; eher ist das schon in Taf. I, Fig. 2 möglich, wo man mit Sicherheit punktförmige, Stäbchen- und sichelförmige Wesen unterscheiden kann, und mit Leich- tigkeit erkennen wir sie in Taf. I, Fig. 4. Die Fig. 5 und 6 a, h, c, Taf. I zeigen bei sehr starker Vergrößerung in photographischer Auf- nahme einige der besonders charakteristischen Formen. In Fig. 6 a begegnen wir einer rundlichen Form mit dem Schatten eines Anhanges, daneben eine Stäbchenform; in Fig. 6 6 hängen zwei Kügelchen an- einander, von denen das eine größer ist (s. Textfig. 2), in Fig. 6 c be- gegnen wir den Formen der Textfig. 8, in Fig. 5 dagegen einerseits der Form der Textfig. 10, anderseits einem geschlossenen Ring mit zwei chromatischen Punkten (Textfig. 11)^. Ein sehr schönes und klares Bild liefern, bei nicht zu weit vor- geschrittener Infektion, die dichtstehenden cyanophilen Kerne in den Wandungen der Drüsenkanälchen, weil sich hier die glän- zend schwarzen Körperchen von der bläuHchgrünen Unter- lage besonders scharf abheben (Fig. 3, Taf. I). Wir wollen bei dem Präparat einen Moment /^ verbleiben. Man beachte zunächst die ovale \J Gruppe von Kernen in der Mitte der Figur. 11 Ein Kern links zeigt das Aussehen der Text- Textfig. 11 u. 12. fig. 12. Ein kugeliges Körperchen liegt im Nucleus drin, ein stäbchenförmiges steckt halb in der Kernperipherie und eins (links) nähert (oder entfernt) sich von derselben, während rechts unten ein sichelförmiges Gebilde mit dem einen Ende im Kern- 1 Zur leichteren Orientierung holen wir uns jeweils den einzelnen zu be- sprechenden Fall in einer Textfigur heraus. 22 Hch. Stauffacher, rand steckt, während das andere Ende frei heraushängt. Man fühlt sich beim Betrachten dieser Stelle unwillkürlich an einen saugenden Blutegel erinnert. Weiter oben in der Kerngruppe sehen wir einen Nucleus mit zwei ovalen Körperchen, wie in Textfig. 13, schief rechts däneben einen Kern mit drei Insassen, von denen ganz besonders der in der Mitte der Kernfläche liegende deutlich einen Kopf- und Schwanz - teil unterscheiden läßt (Textfig. 14). Zählen wir von hier aus den dritten Kern schief rechts unten, so beobachten wir sowohl die Form • , die wir auch sonst viel sehen, wie die charakteristische Ge- stalt O (Textfig. 15). Etwas rechts neben diesem Kern liegt wiederum ganz deutlich ein Individuum von der Form '«^ . Sehen wir von der Besprechung weiterer Kerne dieser Partie ab, so finden wir in der linken unteren Ecke der Fig. 3, Taf. I einen Kern mit nur einem schwarzen Körperchen (Textfig. 16); etwa 1 1/2 cm rechts daneben aber gewahren wir eine Form, die ebenfalls aus Kopf- Kern. ,, Mern. ,A^ / l>Im Inhalt frischer, noch nicht aufgebrochener Blasen von Rindern und Schweinen, sowie in frischen Ulcerastücken der Zunge sah der Verf. massenhaft kleine, stark lichtbrechende, runde Körperchen, welche sich sehr lebhaft bewegen, gelegenthch diplokokkenähnhch sind und in den kleinsten Formen im Kern der Leucocyten leben. Die Annahme ist berechtigt, daß es sich hier um den Erreger der Maul- und Klauenseuche handelt. << (L. v. Betegh, Beiträge zur Ätiologie der Maul- und Klauenseuche. Referat in : Berl. tierärztl. Wochenschr. Jahrg. 1911, S. 9-10.) Die Erscheinungen im Blute der an Maul- und Klauenseuche er- krankten Tiere, über die ich im vorhergehenden referierte, konnten in allen von mir untersuchten Fällen konstatiert werden, während sie im 32 Hch. Stauffacher, Blute des gesunden Kontrolltieres fehlten. — Als Ergebnis dieser mikroskopischen Untersuchung des Blutes ergibt sich also die sehr wichtige Tatsache, daß die im Innern der Blutkörperchen (aber auch in der Blutflüssigkeit) angetroffenen Fremdkörper voll- ständig — in Größe sowohl wie in der Form — denjenigen Gebilden "entsprechen, die uns schon im Backendrüsenge- webe und Flotzmaul auffielen, deren Provenienz damals jedoch unsicher war. Jetzt wird die Situation klarer. Diese Individuen sind dem tierischen Körper tatsächlich fremd; sie sind nicht im Organismus selbst entstanden — sie könnten sonst unmög- lich im Gewebe und in den roten Blutkörperchen zugleich existie- ren — , sondern sie sind von außen eingedrungen und daher parasi- tärer Natur. Die in den Backendrüsen und im Flotzmaul kranker Tiere vorkommenden Gebilde sind also nicht die Folge des durch Invasion eines unbekannten ultra visibeln Erregers hervorgerufenen Zell- und Kernzerfalls, sie sind vielmehr die Ursache dieser Zerstörung. In ihnen liegt der Krankheitserreger selbst vor uns, der im Gewebe — also intrazellulär — den Chromatinschwund der Kerne bedingt i, gerade so, wie er in den Blutkörperchen das Hämoglobin vernichtet. — Übrigens findet der Kundige jetzt die genannten Formen auch in Zunge, Klauen und Milz kranker Tiere. Der Parasit ist zwar polymorph; aber die Gestalten, die er an- nimmt, sind überall dieselben, zeigen also Konstanz, und die Poly- morphie ist derart, daß man sich die einzelnen Formen mit Leichtigkeit auseinander entstehend denken kann. — Auch ihre Größe variiert: Von kleinsten, an der Grenze der Sichtbarkeit liegenden Pünktchen aus- gehend, erreichen sie allmählich die Länge von 1 /< und etwas mehr, bei einer Breite von etwa 0,2 [i. Unter sämtlichen mir bekannten Mikroorganismen gibt es nun bloß drei Fälle, die zu den hier beschriebenen Erscheinungen einigermaßen Analogie zeigen würden: Babesia^^ die Tropenringe der Malaria^ und Leishmania. Wir würden dadurch mit unserm Parasiten zu den Proto- 1 Ich habe ihn daher gelegenthch einmal »Kernfresser« genannt. 2 Für Babesia wird von verschiedenen Autoren angegeben, daß die amö- boiden Stadien auf den roten Bkitkörperchen äußerhcli ansitzen. Doflein, loc. cit, S, 692, Fig. G44 A und B. Auch die Malariaparasiten sollen nach Arqutinsky, Schaudinn u. a. nicht immer im Erythrocyten, sondern vielfach nur an dessen Außenfläche an- geheftet, bzw. in dessen 8troma eingesenkt, ihren Sitz haben. Es ist noch un- klar, ob dies für bestimmte Stadien oder Phasen derselben die Regel ist. DoF- LEEN, loc. cit. S. 740. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 33 zoen verwiesen, was hinwiederum seinen Polymorphismus und seine Anwesenheit in den roten Blutkörperchen plausibel zu machen ver- möchte. Ich weiß, daß Analogien nichts beweisen; aber eine Analogie kann zum heuristischen Prinzip werden. Und das ist hier der Fall ge- wesen. Es ist ganz besonders Leishmania, die in verschiedenen Punkten sehr an unsern Erreger erinnert. Zuerst sei darauf hingewiesen, daß die intracellulär (in Knochenmarkszellen) schmarotzenden Stadien von Leishmania Donovani (Lav. u. Mesn.) genau dieselben sichel- und ring- förmigen Gebilde aufweisen, die wir in den Te.Ktfig. 9, 10, 11 und 25 angetroffen haben. Man vergleiche zur Prüfung Fig. 653 in Doflein, Protozoenkunde (II. Aufl. 1909) mit unsern Abbildungen. — Von Leish- mania tropica (Wright), die übrigens nach verschiedenen Autoren mit L. Donovani identisch sein soll^, scheinen im Gewebe des menschlichen Körpers meist spindelförmige, an beiden Enden zugespitzte Formen vorzukommen; doch sind auch rundliche und mehr stäbchenför- mige beschrieben worden. Auch das klinische Bild, das die Erkrankung an L. tropica er- zeugt, erinnert an dasjenige bei Erkrankung an Maul- und Klauen- se'if^he : >>Es treten unter der Haut, vor allem im Gesicht, an den Händen usw. beulenartige Infektionsherde auf, welche oft einen Durch- messer von mehreren Zentimetern erreichen. Diese Erscheinung ist die Veranlassung zur Bezeichnung der Krankheit als endemische Beulen- krankheit, Orientbeule, Aleppobeule, Bagdad-Nilbeule usw. << (Doflein, loc. cit. S. 703). — Auch bei Maul- und Klauenseuche würde man besser von Beulen als von Blasen sprechen, worauf übrigens wiederholt schon HoFFMANN-iStuttgart aufmerksam machte. Weitere Vergleichs- punkte werden wir weiter unten antreffen. Von L. Donovani sagt Doflein (loc. cit. S. 702): ». . . Die Para- siten scheinen im menschlichen Organismus in allen möglichen Teilen vorzukommen. Regelmäßig werden sie in der Milz und in der Leber gefunden, ferner im Knochenmark, den Lymphdrüsen, in den Endo- thelien der Gefäße, auch in den Darmwandungen. In der Darmwandung und in der Haut entstehen häufig Geschwüre. Vor allem findet man sie in Makrophagen, welche von Gefäßendothelien abgeleitet werden, manchmal auch in mono- und polynucleären Leucocyten eingeschlossen. In den Zellen finden sie sich oft in enormen Mengen, bis 100 — 200 In- 1 Neuerdings stellte Laveran fest, daß es sich bei L. tropica um eine eigene Art handelt. (A. Laveran, Infections experimentales de la souris par la Leish- mania tropica. C. R. Ac. sc. Paris 1914. Nr. 14.) Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 3 34 Hch. Stauffacher, dividuen in einer einzigen Zelle. Das Vorkommen in roten Blutkörper- chen, welches von Donovan angegeben war, wird von mehreren Autoren bestritten. Doch findet sich die Leishmania im peripheren Blut in Leucocyten, wenn auch recht spärlich . . .<< Auch andere Forscher sind bereits auf den Gedanken gekommen, der Erreger der Aplithenseuche k()nnte m()glicherweise im Lager der Protozoen gesucht werden müssen. Daß L. HoFFMANN-Stuttgart darauf hinwies, >)der Charakter der Maul- und Klauenseuche zeige sich mehr wie der von Trypanosomen <<, ist bereits erwähnt. Ferner veröffentlichte A. LiEBE-Ludwigslust (s. Tierärztl. Rund- schau, Jahrg. XIX Nr. 27, 1913) folgende Mitteilung: »Gelegentlich Eruierung eines Falles von Maulseuche eines Rindes wurde die mikro- skopische bzw. bakteriologische Untersuchung u. a. nicht nur auf den Keimgehalt der der Maulseuche eigentümhchen pathologisch-ana- tomischen Veränderungen ausgedehnt, sondern auch auf eine eventuelle Keiminvasion des diesen Veränderungen benachbarten, makroskopisch noch anscheinend intakten Epithels gefahndet und folgende Färbe- technik zur Anwendung gebracht. Die lege artis angefertigten Deckglaspräparatc (Bläscheninhalt, Epithelzellen, öchleimhautschnitte) wurden bei Zinnnertemperatur 2 — 3 X 24 Stunden schwimmend auf einer konzentrierten, wässerigen Fuchsinlösung gehalten, darauf erfolgte eine mindestens 6 Stunden anhaltende Nachfärbung mit Rubin-Fuchsin 10,0 Alkohol rect. 34,0 Formol 40% 6,0 (vorsichtiges Erwärmen !) und sofortige Rückführung der Präparate in die abgekühlte, konzentrierte, wässerige Fuchsinlösung. Erneutes Verweilen in derselben etwa 24 Stunden (kühl und dunkel aufbewahren, jedoch nicht gefrieren lassen!) und die Präparate darauf mit einer Lösung von Amylalkohol 1 Alkohol 5—10 so lange entfärbt, bis die beschickten Deckgläschen bei durchfallendem Lichte noch schwach röthche Färbung aufwiesen. Als Kontrastfärbung kam wässerige Methylenblaulösung 1 : 100 zur Anwendung, die Deck- gliischen durch 1% Essigsäure gezogen, gründlich abgespült und dann wie übüch für mikroskopische Untersuchungszwecke weiter behandelt. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 35 Durch Ausübung dieses Färbverfahrens und unter Zuhilfenahme stärkster Vergrößerung (ölimmersion) gelang es, zu 0,5 — 1 fx lange und etwa 0,1 /« breite, teils Stäbchen- teils ovale Formen zeigende, kirsch- rot gefärbte Gebilde festzustellen, aber noch nicht einwandfrei zu diffe- renzieren, und zwar in dem Blas che ninhalt wie in Epithel zellen. Während nun die in den Epithelzellen eingewanderten Gebilde zwei bis drei hintereinander gelagerte, ovale, heller nuancierte Einlagerungen erkennen ließen, zeigten die aus dem Bläseheninhalt stammenden min- destens drei kugelförmige eingelagerte, körperliche Formen; außerdem wurden, aber nur im Bläscheninhalt, an der Grenze des eben noch »Sichtbaren liegend, freie, wie vorstehend beschrieben, kugelförmige Gebilde nachgewiesen. Allem Anschein nach handelt es sich um einen Zerfall (Zerfallsteilung) der in dem Epithel- und Bläscheninhalt befind- lichen Elternzellen in kleinste, eben noch sichtbar gemachte Keime (Sprößhnge). Die eventuelle weitere Zerfalls teilung dieser kleinsten Keime entzog sich zunächst noch unsrer Wahrnehmung. Die Diagnose wurde daher auf — Sporozoeninfektion gestellt. Leider haftet dem Färbeverfahren außer hoher Umständlichkeit noch der erhebliche Übelstand an, daß die gefärbten Präparate nach einiger Zeit verblassen, wahrscheinlich auf Formol- oder Amylalkohol- nachwirkung basierend. Eine Nachfärbung gelang bis jetzt nicht . . . Teils aus Mangel an frischem Material . . . teils aus weiteren Gründen mußten die Arbeiten leider vorzeitig abgebrochen werden . . << Denkt man sich in dieser Technik Formol und Amylalkohol weg, so besteht im Prinzip Übereinstimmung zwischen dem Verfahren Liebes und dem meinigen. Auch Liebe färbt mit Fuchsin vor und verwendet zur Kontrastfärbung ebenfalls Methylenblaulösung. Auch er empfindet das Bedürfnis anzusäuern, zieht aber die Deckgläschen nur durch 1% Essigsäure. — Die »Beize« war also offenbar zu wenig sauer, um einen Effekt zu erzielen, der dem meinigen entsprochen hätte. Wenn nun Liebe in den in den Epithelzellen eingewanderten Ge- bilden zwei bis drei hintereinander gelagerte ovale, heller nuancierte Einlagerungen sieht, so fühlt man sich unwillkürlich an unsere Text- fig. 1 — 3 erinnert. Und wenn er bei den Gebilden aus dem Blaseninhalt mindestens drei kugelförmige, körperliche Formen unterscheiden kann, so würden wir uns veranlaßt sehen, diese mit den Fig. 51, 52 und 58 unsrer Tafel zu vergleichen. — Daß diese Einlagerungen heller nuanciert waren, ist gut verständlich; denn eben diese bereiten der optischen Differenzierung erhebhche Schwierigkeiten, die Liebe durch sein Ver- fahren leider nicht ganz behoben hat. Da Liebe von Kügelchen spricht, 3* 36 Hch. Stauffacher, die an der Grenze der Sichtbarkeit liegen, daneben aber auch stäbchen- iörmige und ovale Gebilde unterscheidet, die in ihren Dimensionen den von mir beschriebenen ähnlichen Formen ebenfalls gut entsprechen, besteht die allergrößte Wahrscheinhchkeit, daß ihm bereits zum Teil wenigstens dieselben Individuen vorlagen, die ich oben beschrieben habe; das renitente Verhalten der' von Liebe gefundenen Formen gegen- über Farbstoffen bestärkt mich noch in meiner Annahme-. — Die Dia- gnose traf allerdings nicht ganz das Kichtige, was ja angesichts der vorliegenden Tatsachen sehr verständHch ist. In seiner Abhandlung »Zur Atoxyltherapie bei Maul- und Klauen- seuche der Einder« (Berhner tierärztl. Wochenschr. Jahrg. 1911, S. 851, 869 und 890) kommt L. MAYR-Augsburg zu nachstehenden Schluß- folgerungen : »1. Das Atoxyl . . . ist ein . . . Präparat, das hochgradige spirillicide Eigenschaften besitzt . . . 4. Trotzdem (durch Atoxyl) eine vollwertige Prophylaxis gegen die Seuche nicht erzielt werden kann, so ist es unverkennbar, daß bei nachfolgenden Infektionen die Tiere leicht durchseuchen, die Freßlust kaum gemindert wird und Komplikationen wie Abortus und Abmagerung nicht entstehen. 5. Das Atoxyl vermag bei Maul- und Klauenseuche kranken Tieren den Verlauf der Seuche ganz bedeutend abzukürzen . . . 7. . . . Jedenfalls seien wir froh, in dem Atoxyl einen Körper zvi haben, der bei der Therapie der Maul- und Klauenssuche wirksam in Betracht kommt, solange der Erreger, das ultravisible Virus, noch in unbekannten Sphären sich bewegt und dementsprechend auch das Problem einer zuverlässigen allgemeinen Serum-Schutz- und Heil- wirkung gegen die Maul- und Klauenseuche wirksam noch nicht gelöst ist. Oder sollte gerade der Umstand, daß das spirillicide Atoxyl auch eine günstige Wirkung auf die Aphthenseuche ausübt^ nicht den Rückschluß gestatten, daß der Erreger der Maul- und Klauenseuche doch ein Protozoon sei?^< Aus einem ähnlichen Grunde kommt M. KRAUSE-Berlin zur Über- zeugung, das Virus des Zungenkrebses sei protozoärer Natur (s. »Ver- breitung der Maul- und Klauenseuche und det gegenwärtige Stand ihrer Bekämpfung«. Archiv des Deutschen Landwirtschaftsrates. Jahrg. 38. 1914). Es ist nicht ausgeschlossen, daß sich noch andere Stimmen in dieser Art vernehmen ließen, aber mir bis jetzt nicht zur Kenntnis gekommen sind. Die Literatur über Maul- und Klauenseuche ist sehr umfangreich Der EiTogL'i- der Maul- uml Klauenseuche. 37 und von mir selbstverständlich noch nicht ganz aiisgesch()pft, weil der weitaus größte Teil der mir übrigens in sehr beschränktem Maße zur Verfügung stehenden freien Zeit mit der Erstellung und Untersuchung mikroskopischer Präparate und der Beschaffung frischer Lymphe ver- wendet werden mußte; legte ich doch nur im Automobil (mit Herrn Bezirkstierarzt Gubler) auf der Suche nach frischem Material in den Kantonen Thurgau und St. Gallen über 2000 km zurück. Überhaupt dürfte derjenige, der nicht selbst auf diesem Gebiet gearbeitet, kaum eine Ahnung davon haben, mit welchen Schwierigkeiten der Forscher zu kämpfen hat, der auf Zufall und guten Willen der behandelnden Tierärzte abstellen muß, ob er einwandfreies Material zu seinen Unter- suchungen bekommen kann oder nichts. II. Die Kultur der Parasiten. Wie oben mitgeteilt wurde, hatte das vergleichende Studium der mikroskopischen Präparate in mir den Verdacht erweckt, der Erreger der Maul- und Klauenseuche sei kein Bakterium, sondern sei den Proto- zoen zuzuzählen und möglicherweise systematisch in der Nähe der Leishmanien unterzubringen. Dann, so kalkulierte ich, könnte ver- mutlich auch die Nährlösung zu seiner Züchtung geeignet sein, welche NicoLLE zur Kultur seiner Leishmanien verwendete. Durch Ver- mittelung der »Gesellschaft für chemische Industrie in Basel <<2 gelangte ich an das Institut Pasteur in Paris, das mich aber direkt an Professor NicoLLE, Direktor des Institut Pasteur in Tunis verwies, und Herr Professor Nicolle^ hatte denn auch die große Freundlichkeit, mir sofort das (übrigens sehr einfache) Rezept für den Nährboden zu über- mitteln. >>En voici la technique. 1. Eau distille 900 gr. Agar 14 gr. Sei marin 6 gr. Dissoudre. Repartir en tubes ä essais, ä raison de 4 ä 5 centimetres cubes par tubes. Steriliser. 2. Les tubes de ce milieu etant maintenus liquides ä une tempera- ture de 60°, ajouter a chacun le quart de son volume, soit environ 1 cent. cube de sang de lapin, frais. (Nous prelevons ici ce sang par ponction 1 Vgl. hiermit auch die Bemerkung Pfeiffers (loc. cit. S. 102). 2 Herrn Prof. Nicolle sowohl, wie der »Gesellschaft f. ehem. Industrie in Basel« spreche ich an dieser Stelle für die mir erwiesenen Dienste meinen ver- bindlichsten Dank aus. 38 Heb. Stauffacher, aseptique du coeur avec une seringue de Roux qui nous sert ensuite ä repartir lo sang dans les tubes.) Incliner les tubes et, lorsque le milieu est bieii solidifie, apres une demi journee, porter ces tubes ä l'etuve a 35° pendant 12 a 24 heures. Cette mise ä l'etuve deterniine la production d'eau de condensation. Celle-ci doit etre tres-claire; si on laissait trop longtemps les tubes ä l'etuve, eile s'epaissirait et le milieu trop concentre conviendrait mal a la culture. Les tubes une fois prepares doivent etre conserves dans un endroit frais pour eviter l'evaporation; ä la glaciere ils sont encore utilisables apres un mois. La culture se fait dans l'eau de condensation; mettre les tubes ä 18—22°.« Es sind, wie man sieht, die Prinzipien, die bei der Trypanosomen- züchtung in Anwendung kommen, hier berücksichtigt worden. Infolge Mangels an Zeit war es mir nicht möglich, die Nährböden selbst herzustellen, und ich gelangte deshalb an die Chemischen Fa- briken von Dr. E. Merck in Darmstadt mit der Bitte, die Präparation derselben nach dem Rezept von Professor Nicolle zu besorgen. Die Bereitwilligkeit, mit der die genannte Firma auf meinen Wunsch einging, und die Sorgfalt, mit der sie die Nährböden präparierte, verpflichten mich ihr gegenüber zu größtem Dank. Ich darf ferner nicht verschwei- gen, daß die Firma Dr. Merck mir sämthche (über 100) Nährböden gratis lieferte und die Sendungen auch während des Krieges nicht sistierte, trotzdem Herstellung und Transport in diesen schweren Zeiten für sie mit vielen Schwierigkeiten verknüpft waren. Die Kaninchenblut-Agar-Nährböden wurden mir in zugeschmol- zenen Tuben fest geliefert; unmittelbar vor dem Gebrauch stellte ich die Röhrchen (natürlich ohne sie zu öffnen) nach der Vorschrift Nicolles bei einer Temperatur von 35° C in den Wärmeschrank, wo sich in 12 — 24 Stunden etwa 1 ccm Kondenswasser sammelte, in das ich nun sofort in unten näher zu beschreibender Weise sowohl den Inhalt von Blasen als auch Blut von kranken Tieren impfte. Die Tuben wurden alsdann in einer Temperatur von 22° C gehalten; denn »die Kulturen (von Blutparasiten) gedeihen am besten bei Zimmertemperatur (bzw. 18 bis 25°); bei 37° C ist die Entwicklung energischer, doch halten sie sich dann viel kürzer, wohl infolge der Zersetzung des Hämoglobins. Wäh- rend z. B. Tri/panosoma Lewisi bei Zimmertemperatur sich über 1 Jahr züchten läßt, gehen die Kulturen bei 37° nach 3 Wochen ein. In den Kulturen wachsen die Trypanosomen am besten im Kondenswasser, aber auch im Agar und zwar in Form von rosetten- bzw. kugelförmigen Kulturen von oft Tausenden von Individuen« (Doflein, loc. cit. S. 301). Der Erreger der Maiil- und Klauenseuche. * 39 Bald nach Eintreffen der ersten Sendung von Nährböden trat ein Fall von Notschlachtung eines verseuchten Stalles ein und zwar am 23. Juli 1914 in der st. gallischen Gemeinde Rheineck. Einem der zu schlachtenden Tiere wurde an Ort und Stelle auf die früher (S. 30) angedeutete Weise frisches Blut entnommen: Eine Stelle am Hals wird rasiert, mit Seife, Wasser und Lysol gewaschen und darauf die Vena jugularis mit steriler Kanüle geöffnet. Einige Zeit ließen wir das Blut ausströmen, dann fing ich einige Tropfen des- selben im Kondcnswasser der bereitgehaltenen NicoLLEschen Röhrchen auf, während mehrere Kubikzentimeter in 50% Alkohol aufbewahrt wurden. Diesem Präparat sind wir bereits in Fig. 30, Taf. I be- gegnet. Die Zunge eines der geschlachteten Tiere zeigte eine sehr schöne und große, vollständig entwickelte, aber noch ganz intakte Blase, die ich aber nicht an Ort und Stelle, sondern bei meiner Rückkehr nach Frauenfeld in meinem Laboratorium mit aller Vorsicht behandelte. Die Blase (Beule) wurde zunächst mit aller Gründlichkeit gewaschen (Wasser, Alkohol, steriUsiertes Wasser oder physiologische Kochsalz- lösung) und dann mit der ausgeglühten Kanüle einer ausgekochten PRAVAZschen Spritze geöffnet. Die Spritze enthielt etwa 1 ccm steriles Wasser oder physiologische Kochsalzlösung. Da nämlich die als >> Blase << bezeichnete Bildung bei Maul- und Klauenseuche, wie bereits gesagt, eher den Namen »Beule« verdient, da sie wenig oder gar keine Flüssig- keit enthält, mußte ich danach trachten, ihren Inhalt möglichst voll- ständig in meine Spritze zu bekommen. Ich schwemmte zu diesem Zwecke den Inhalt mit sterilem Wasser auf, indem ich 1 ccm zunächst in die Blase einspritzte und dann wieder einsog. Die so gewonnene Flüssigkeit — sie erschien ganz klar — impfte ich sofort in ein Nicolle- sches Röhrchen, das selbst etwa 1 ccm absolut helles Kondcnswasser enthielt, so daß sein Inhalt nunmehr aus 2 ccm bestand. — Einen kleinen Teil der aufgeschwemmten Blasenlymphe brachte ich auf reine Objektträger und ließ hier eintrocknen, während die Kulturröhrchen teils mit Blut, teils mit Blasenlymphe geimpft, bei 22° C in den Wärme- schrank gebracht wurden. Wir wollen uns der Reihe nach mit den so gewonnenen Resultaten befassen. a) Untersuchung der genuinen Lymphe. LöFFLER sagt über diesen Punkt (loc. cit. S. 148): »Tatsache ist jedenfalls, daß in einer Lymphe, die wirksam war, keine Mikroorganis- 40 Hch. Staiiffafhcr. men aufgefunden werden konnten.« Dieser Ausspruch ist sehr niiß- verständUch. Möghcherweise hat Löffler sagen wollen: »Bis jetzt« sind keine Mikroorganismen aufgefunden worden. Diese Behauptung würde jedoch nicht stimmen; denn die Publikation von Liebe (s. oben S. 34) datiert vom 7. Juli 1913, während der Vortrag Löfflers im Deutschen Landwirtschaftsrat am 11. Februar 1914 gehalten wurde. Ich persönlich aber kann aus dem Satz, wie ihn Löffler gesprochen, nur den Verzicht herauslesen, je etwas in der Lymphe färben zu können, und dann subsummiert sich jener Ausspruch eben unter das allgemeine Vorurteil, der Erreger der Maul- und Klauenseuche sei ultra- visibel. Meine Beobachtungen decken sich nämlich mit denjenigen von Liebe. Färben wir nach meiner Methode, so wird man auf dem Ob- jektträger unzählbare Mengen feiner und feinster Kügelchen, da- neben aber auch stäbchenförmige, ovale und mehr sichelförmige Wesen antreffen, genau in den Dimensionen und Formen, wie wir sie bereits im Blut und in den Geweben gesehen haben; Ringe fehlen 1. Unter den zahllosen rundlichen Formen stehen die kleinsten — wie auch Liebe hervorhebt — an der Grenze des Sichtbaren, und höchstwahrscheinlich haben wir es hier mit dem filtrierbaren Teil der Lymphe zu tun. Zu meinem größten Bedauern konnte ich bis zum Abschluß vorliegender Arbeit die Filtration und die Aufzucht des fil- trierbaren Teiles nicht mehr durchführen. Nachdem die Berkefeld- Filter in meinem Besitze waren, fanden nur noch drei Notschlachtungen statt; im einen Falle war mir die Stoff entnähme untersagt, der zweite Fall wurde mir nicht angezeigt, und im dritten Falle waren die Blasen bereits geplatzt. Auch lebenden Tieren zu diesem Zwecke Lymphe zu entnehmen, war nicht mehr mr)glicli, da die Seuche rasch im Abnehmen begriffen war. • — Mitten unter jenen kleindimensionalen Gebilden finden wir aber in beschränkter Zahl auch bedeutend größere Formen, zunächst Kugeln und birnförmigc Geschöpfe. Die Fig. 31, Taf. II gibt im ungefähren Größenverhältnisse die beiden Sorten wieder: drei von den größeren, einige der kleineren und kleinsten. Hier und da finden wir um diese 1 Während der Drucklegung der vorliegenden Arbeit stellte ich auch Photographien von Präparaten her, die genuine Lymjihc gefärbt enthielten. Die Photogramme konnten jcdocli leider den beiden Tafeln nicht mehr einver- leibt werden. Dagegen sind in den Fig. 31, 49 und 50, Taf. II einige der kleinen Individuen zu sehen, und zwar riuidliche sowolil wie ovale, birn-, sichel- und stäbchenförmige. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 41 Gebilde herum sehr deiithchc, helle, scharf gegen außen abgegrenzte Höfe (Fig. 38, 41, 45 usw.). Ob diese helle Kontur eine Hülle vorstellt, oder ob das lediglich eine zufälHge Erscheinung ist, die auf die Prä- paration zurückgeführt werden muß, kann ich vorläufig nicht ent- scheiden; unwahrscheinlich ist ja das Vorhandensein einer Hülle nicht, aber sie müßte alsdann wohl überall gesehen werden können, was nicht der Fall ist. — Diese Kugeln fangen an auszuwachsen (Fig. 34 — 37) und lassen dann zweifellos die Gestalten der Fig. 39 — 58 aus sich her- vorgehen. Es lassen sich hier vielleicht zwei Formen unterscheiden: Formen der Fig. 51, 52, 57 und 58 und solche, bei denen der Kernapparat bereits auf einen binucleatcn Flagellaten hinweist (Fig. 41 — 50, 53). Wir werden noch einmal darauf zurückzukommen haben. Diese zuletzt- genannten, birnförmigen Gestalten der genuinen Lymphe erinnern uns nun wieder außerordentlich an gewisse Stadien der Leishmania Dono- vani aus dem durch Punktion gewonnenen Milzsaft und der Leishmania infantum Nicolle (s. Ch. Nicolle, >>Le Kala Azar infantile <<. An- ^ • nales de Tlnstitut Pasteur, T. 23, ; .. ~" 7 2 1909 und DoFLEiN, Protozoen- kunde, II. Aufl., 1909, S. 701). — 1 Ich habe in Textfig. 28 einige Tcxtfig. 28. dieser Formen nach Donovan und Nicolle gezeichnet, um eine Vergleichung mit unsern Figuren eher zu ermöglichen. b) Untersuchung des Kondenswassers. Die Beschickung der NicoLLESchen Röhrchen fand am Donnerstag abend statt. An den folgenden drei Tagen ließ ich die Kulturen voll- ständig in Ruhe, ohne je nachzusehen, denn ich konnte ja nicht wissen, daß sich im vorliegenden Falle die Nährflüssigkeit sehr schnell zu be- völkern pflegt. Am Montag morgen beobachtete ich, daß das Röhrchen mit der Blasenlymphe, dessen Inhalt am Donnerstag abend ganz klar war, eine sehr starke milchige Trübung aufwies. Ein ganz kleiner Tropfen dieser Flüssigkeit wurde unter das Mikroskop gebracht, und schon bei relativ schwacher Vergr()ßerung gewahrte ich ein ungeheures Gewimmel; bei lOOOfacher Vergrößerung aber zeigten sich unzählbare Mengen blitzschnell und zwar geradlinig, etwa auch tanzend und kreisend sich bewegender Individuen. Ich wiederhole: Die Zahl der mit fabel- hafter Schnelligkeit sich bewegenden, äußerst kleinen Geschöpfe war 42 Hfh. 8tauffacher, im mikroskopischen Gesichtsfeld eine ungeheure. Bedenken wir, daß das auf dem Objektträger ausgebreitete Tröpfchen sehr viele solcher Gesichtsfelder fassen würde und daß das dem Röhrchen entnommene Tröpfchen nur einen bescheidenen Teil des Inhalts der Kultur aus- machte, so möchte für letztere die Zahl der Individuen in die Milliarden gehen. Voraussichtlich hätte ich schon am Tage vorher, ev. bereits am Samstag Abend die wimmelnden Mengen angetroffen, wenn ich nach- gesehen hätte, so daß die Entwicklung meiner Kultur nur 2 — 3 Tage in Anspruch nahm. — ^ In dem Röhrchen, das ich in Rheineck mit Blut beschickte, entwickelten sich, wenn auch etwas langsamer, dieselben Formen. Wie sehen die flinken Geschöpfe aus? Solange die Bewegung eine rasche ist, sieht man lediglich hin und her rasende Lichtpunkte; läßt sie aber nach, so erkennt man lauter Kugel chen, die lang ge- schwänzt sind. Dieser geißelartige Schwanz setzt vorn am kugeligen Köpfchen mit der ganzen Breite des letzteren ein und verjüngt sich all- mählich nach hinten, wo er spitz zuläuft. Man könnte auch sagen : Das Köpfchen geht ganz allmählich in den Schwanz über. Die Schwänzchen erreichen in ihrer Länge das Fünf- und Mehrfache des Köpfchendurch- messers. Das Bewegungsorgan ist also hier kein faden- oder haar- artiges Gebilde, wie wir es bei Ciliaten und Flagellaten im allgemeinen zu sehen gewohnt sind. In Reinkulturen tritt nur die beschriebene Form auf; andere Formen in diesen Dimensionen habe ich hier nicht angetroffen (s. Fig. 59, Taf . II a — m). Die erste Reihe a — e ist lebend mit Safranin und Säurefuchsin gefärbt, die zweite Reihe / — m mit der eingangs beschriebenen Methode. Das Köpfchen scheint nicht immer ein einfaches Kügelchen zu sein, ich habe auch solche wie bei c, d und e (Fig. 59) gesehen. Bis jetzt gelang es mir nicht, den Schwänzen eine andere Färbung zu geben, wie den Köpfchen; soviel ich mich auch bestrebte, Differenzierungen zu er- halten, immer färbten sich die beiden Teile gleich, bei den genannten Methoden rot im ersten, blau im zweiten Falle, doch so, daß das Köpf- chen mehr von dem Farbstoffe speicherte. Im lebenden Zustand nahmen die Schwänze Safranin anscheinend gerne auf; die Säurefuchsin-Methylenblaumethode dagegen befriedigt nicht; jene Organe werden meistens nur schattenhaft oder gar nicht gefärbt. Ich werde mich also in diesem Punkt nach zuverlässigeren Tinktioncn umzusehen haben. Bei gut gefärbten Individuen beobachtet man nicht selten auch in den geißeiförmigen Schwanzanhängen noch Der Erreger der Maul- und Klauenseuelie. 43 Kügelchen (Fig. 59 6, d, c/, i, l) und zwar in Ein- oder Mehrzahl; sie überragen seitlich den Schwanz ganz deutlich und werden nach hinten immer kleiner. Offenbar haben wir es hier mit Geschöpfen im Stadium der Vermehrung zu tun. Bei der Bewegung geht sehr häufig der Schwanzteil voran, doch habe ich genügend Fcälle angetroffen, wo das Köpfchen voranging. Verfolgt man aber ein einzelnes Individuum (das kann man aber erst, nachdem es die Bewegung gemäßigt hat) längere Zeit, so kann man sogar konstatieren, daß es bald mit dem Kopf-, bald mit dem Schwanz- teil vorauseilt. Nicht selten findet man diese Form in Häufchen angeordnet; ich habe mich genügend davon überzeugt, daß solche Häufchen aus den- selben Geschöpfen bestehen, wie wir sie soeben einzeln angetroffen haben. Die Individuen suchen den Sauerstoff sehr energisch auf; deckt man ein Tröpfchen Kulturflüssigkeit mit einem Deckgläschen, so sammeln sich die Scharen in kürzester Zeit um die ev. entstandenen Luftblasen und rasen hier lange weiter, während sonst die Bewegung bald abnimmt und erstirbt. — Die gleiche Beobachtung wie an den Luftblasen können wir natürlich auch an den Rändern des Deckglases machen. Es wird nicht schwer fallen, die jetzt im Kondenswasser der Nicolle- schen Nährböden sich bewegende, in Fig. 59 abgebildete Form mit den im Gewebe und Blut im schmarotzenden Zustand angetroffenen Stadien zu identifizieren. — Wir verstehen jetzt auch die oft schattenhaften Anhängsel der schmarotzenden Formen, wie wir sie z. B. in Fig. 6 a, Taf. I gesehen, und die so häufige Form J der Gewebe (s. Fig. 6 c, 13, 18, 24, 27 a, 28) stimmt sogar genau mit der Form k, z. B. der Fig. 59 (Taf. II) überein. Dem beschriebenen Kultureffekt konnte ich zunächst entnehmen, daß meine Kalkulation, der Erreger des Zungenkrebses könnte in die Nähe der Leishmania und damit der Trypanosomen gehören, das Rich- tige getroffen. Mit andern Worten: Es war ein Argument mehr dafür erbracht, daß die Richtung, in die mich die mikroskopische Unter- suchung von Blut und Gewebe gedrängt, die richtige war; denn ein Geschöpf, das mit den genannten Protozoen keinerlei Verwandtschaft aufweist, würde sich in der verwendeten Nährlösung schwerlich mit einer derartigen Leichtigkeit entwickelt haben. Hier möchte ich noch einmal an die Arbeit von L. Pfeiffer (s. Literaturerzeig auf S. 9) erinnern. Eingangs wurde bereits darauf 44 Heb. Stauffachcr, hingewiesen, daß der Präparator Pfeiffers — Grugel — umsonst Aphthenlymphe auf verschiedene Nährbcklen, die in den bakterio- logischen Laboratorien übhch sind, zu verimpfen suchte. »Als diese Züchtungs versuche — so fährt Pfeiffer fort — nicht zum Ziele führten, stellte er (Grugel) sich eine besondere Nährflüssigkeit her, die ähnlich beschaffen war, wie die gewöhnliche Nährbouillon, zu deren Bereitung aber statt Fleisch Zunge, Lippen, Zahnfleisch und Speicheldrüsen eines Hindskopfes verwendet wurden. Diese Nährflüssigkeit, die wegen ihres Leim- und Mucingehaltes sehr schwer zu filtrieren und stets trüb war, beim ruhigen Stehen auch Absätze lieferte, wandte er mit Zusatz von 10% sterilen Rinderblutserumsi zu den weiteren Versuchen an . . . Eines Tages, am 9. Bebrütungstage, zeigte sich die Erscheinung, daß die (paraffiniertcn) Wattestopfen zum Teil in das Kolbeninnere, zum Teil tiefer in den Kolbenhals und in die Röhrchen hinabgeglitten waren. Nur bei einem Kolben, dess3n Inhalt mit Aphthenlymphe beschickt war, und bei den Kolben und Röhrchen mit nicht beimpfter Nähr- flüssigkeit saßen die Wattestopfen unversehrt noch an der alten Stelle ... in den beimpften Kolben und Röhrchen war wahrscheinlich infolge Sauerstoffzehrung eine Luftverdünnung eingetreten und der äußere Überdruck hatte die Stopfen tiefer gepreßt. Hatte der Lebensprozeß von Mikroorganismen die Sauerstoff- zehrung bedingt, so mußte gleichzeitig Kohlensäure gebildet worden sein, und ergaben ferner Aussaaten auf Nährböden und mikroskopische Präparate die Abwesenheit von nachweisbaren Mikroorganismen, so mußte die Kohlensäure von unsichtbaren Lebewesen, von den ein- gesäten Erregern der Maul- und Klauenseuche herrühren . . . Vor der Beimpfung der Nährflüssigkeit mit Aphthenlymphe war geprüft worden, ob diese allein etwa durch Zufall organischer Stoffe Kohlensäure abgab oder verunreinigende Keime enthielt. Bei diesem Vorversuch wurde keine Kohlensäureabgabe beobachtet. Sofort nach der Beimpfung der Nährflüssigkeit mit Aphthenlymphe begann das Barytwasser sich zu trüben. . . . Vom 7. Tage an sank die Kohlensäureabgabe stetig ab, am 10. Tage wurde der Versuch beendet. Aussaaten von Proben der Nähr- flüssigkeit ergaben, daß sie frei von verunreinigenden Keimen war. Ein Parallelversuch, bei welchem statt Aphthenlymphe zur Nährflüssig- keit (600 com) 1,0 ccm Kulturflüssigkeit von der vorausgegangenen Züchtung zugegeben worden war ( = 0,001 ccm Aphthenlymphe), ergab 1 Damit macht Grugel — unbewußt vielleicht — eine Konzession an die Blutparasiten (Trypanosomen). Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 45 fast die gleichen Werte für die Kohlensäureabgabe; auch in diesem Falle wurde der Kolbeninhalt frei von fremden Keimen ge- funden. Durch mikroskopische Präparate wurde festgestellt, daß in den Nährflüssigkeiten, jetzt als Kulturflüssigkeiten anzusprechen, keine größeren Mikroorganismen waren, aber zahllose kleine kugelige Gebilde, die lebhaft tanzende und kreisende Bewegungen ausführten, auch kleine Häufchen bildeten . . . << Es besteht, meiner Meinung nach, kaum ein Zweifel, daß Pfeiffer und Grugel dieselben Geschöpfe unter dem Mikroskop hatten wie ich. Und zwar sind diese in der Nährflüssigkeit aus der Aphthenlymphe gezüchtet worden. Woher sollten sie denn sonst in der sterilen Nähr- lösung stammen? Und eine bloße »Molekularbewegung« kann jene »tanzende und kreisende« Bewegung kaum gewesen sein. Sie kam wohl auch Pfeiffer nicht als solche vor, er hätte es sonst jedenfalls nicht für nötig gefunden, darauf speziell aufmerksam zu machen. Diese Beobachtung macht aber, wie jedermann zugeben wird, einen dicken Strich durch das Dogma von der ultravisibeln Natur des Erregers der Maul- und Klauenseuche, und wir müssen es lebhaft bedauern, daß die beiden Forscher, die so nahe am Ziel ihrer Wünsche waren, ihre Ent- deckungen nicht weiter verfolgen konnten. Von der in unserer Fig. 59 abgebildeten Form, gezüchtet in der NicoLLESchen Nährflüssigkeit, sahen Pfeiffer und Grugel wohl nur die Köpfchen ; die Bildung von Häufchen ist ebenfalls in beiden Fällen beobachtet; die relativ bedeutende Abscheidung von Kohlensäure stimmt sehr gut zu dem bei unserer Form vorhandenen Sauerstoff- bedürfnis, und ebenso würde der rasche Rückgang meiner Kulturen nach dem 4. Tage eine Parallele bilden zu der Beobachtung Pfeiffers, daß die Kohlensäureabgabe etwa am 3. Tage ihr Maximum erreichte und sich dann in wenigen Tagen der Grenze 0 näherte. Aber ein Hemnmngsfaktor in der Züchtung der Aphthenlymphe scheint bei Pfeiffer und Grugel doch vorhanden gewesen zu sein; die Formen kamen offenbar nicht zu ihrer vollen Entwicklung, wahr- scheinlich deshalb nicht, weil das Milieu dem Schmarotzer nicht voll- ständig zusagte. Aus demselben Grunde entwickelten sich vielleicht in der GRUGELschen Nährflüssigkeit auch keine großen Formen, auf die wir nun zu sprechen kommen. — Neben der obenbeschriebenen kleinen Form traten nämhch noch andere Individuen auf und zwar sowohl in der Kultur aus Blasen- lymphe, wie in derjenigen aus Blut, in sehr viel geringerer Zahl zwar, aber in dem Röhrchen, das mit Aphthenlymphe beschickt war, immerhin 46 Hell. Stauffacher, in die Tausende gehend. Diese Geschöpfe, die sich also ebenfalls in höchstens 3 Tagen entwickelten, sind abgebildet in den Fig. 60 — 100 der Taf. II, und zwar entstammen die Fig. 60, 64, 72 und 88 dem Blut- präparat, während alle andern Individuen der Kultur der Lymphe entnommen sind. Es sind Riesen unter den Zwergen und repräsentieren die Leptomonas-¥ orm. Sehr deutlich treten zwei Typen hervor: Ein kurzer, dicker und ein langer, dünner. Die durchschnittliche Länge der dicken Form be- trägt einschließlich Schwanzanhang etwa 45 ii (es gibt Individuen, die über 50 //, andere, die bloß 30 // messen), der Körper allein ist durch- schnittlich 20 — 25 /.i lang; der Durchmesser beträgt im Maximum 4 fi, im- Durchschnitt etwa 3 /i; diese Individuen sind also bis fünfzehnmal so lang als breit (s. Fig. 60 — 64 usw.). Der dünne Typus erreicht dagegen im Maxinuim eine Länge bis zu 120 /t (Fig. 80, 83, 84, Taf. II). Die Breite sinkt hier gelegentlich unter 1 /<, erreicht aber anderseits auch fast 2,5 /t (Fig. 83). Absolut reichen also solche Geschöpfe in ihrem Durchmesser an die schmäleren Formen des ersten Typus heran; da aber diese alsdann viel kürzer sind, erscheinen sie uns relativ dicker. Vielleicht könnte man noch von einem dritten Typus sprechen, der zwischen jenen Extremen vermittelt und in den Fig. 85 — 91 dar- gestellt ist. Das würde uns an die Trypanosomen erinnern. Auch bei Herpetomonas treffen wir unter der Leptomonas-F ovm. zweierlei oder gar dreierlei Individuen an. Herpetomonas culicis Novy z. B. zeigt drei verschiedene Individuen: kurze, auffallend breite, mittlere und sehr lange, schlanke Gesch()pfe. (Doflein, loc. cit. S. 349.) Wir könnten vielleicht den kurzen, dicken als den A-Typus, den langen, dünnen als den B- und den mittleren als den C-Typus bezeichnen. Es soll zunächst eine Beschreibung einzelner Individuen dieser drei Typen folgen. A-Typus. Es gelang mir, lebende Individuen aus beiden Kul- turen (von Blasenlymphe sowohl wie von Blut) längere Zeit zu beob- achten. — Fig. 60 ist dem Blutprä parat entnommen i und zeigt ein lebendes Geschöpf, das an einem Leucocyten {L) klebte und alle An- strengungen machte, loszukommen. Elegant schwang es seine Geißel, etwa so wie ein Fuhrmann eine lange Peitsche schwingt. Der Körper ist sehr elegant und hyalin. Das eine Ende geht in eine schlanke, gerade, sehr feine Spitze über, während sich das andere, breitere Ende 1 Diese Kultur war vollstäiulit!; frei von andern Keimen. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 47 ziemlich rasch in einen Schwanz verschmälert, der ungefähr so lang ist (auch etwas länger oder kürzer sein kann) wie der übrige Körper. Bei andern Individuen dieses Typus (z. B. Fig. 61, 63, 64, Taf. II) geht der Körper weniger deutlich abgesetzt in den Schwanz über, jener ver- schmälert sich vielmehr ganz allmählich in den letzteren. Wir dürfen also auch hier nicht von einer Geißel im gebräuchlichen Sinn des Wortes sprechen, sondern müßten das Bewegungsorgan als geißelartigen Schwanzanhang bezeichnen. Es liegt also hier in dieser Beziehung genau derselbe Fall vor, wie bei den kleinen Kulturformen der Fig. 59. Trotzdem werde ich im folgenden diesen Schwanz auch etwa Geißel nennen, wie das ja auch anderwärts in der Literatur über Protozoen geschieht. Ich bezeichne aus Analogie das Geißelende als das vordere, obschon ich bis jetzt nicht habe konstatieren können, ob es bei der Bewegung konstant vorangeht oder nicht. — Der ganze Körper des Tieres ist äußerst platt : Kehrte mir das Geschöpf der Fig. 60 bei seinen Bewegungen zufällig einmal die Kante zu, so verschwand es geradezu für mein Auge, und nur die genaueste Beobachtung konnte eine sehr dünne, doppelt konturierte Linie konstatieren, die der Dicke des Tieres entsprach. — ; Eine Mundöffnung ist nicht vorhanden; Vacuolen habe ich nicht gesehen, wage aber auch nicht zu behaupten, daß solche tat- sächlich fehlen. Der Körper, von der flachen Seite gesehen, zeigte jederseits einige (hier vier) stark lichtbrechende, randständige Punkte; er ist nicht metabol, wenigstens habe ich nichts beobachten können, was auf eine Formveränderung hätte schließen lassen. Auch in der Kultur aus Blasenlymphe habe ich lebende Indi- viduen vom A-Typus beobachtet; eines derselben ist in Fig. 61 dar- gestellt. Es entspricht dem in Fig. 60 abgebildeten Wesen, nur zeigte es unmittelbar vor der Geißelbasis noch ein stark lichtbrechendes Kör- perchen (Blepharoplast?), was ich bei Fig. 60 nicht wahrgenommen oder übersehen habe. Das spitz zulaufende hintere Ende ist schwach gebogen. Die randständigen Hchtbrechenden Elemente sind hier zum Teil deutlich stäbchenförmig und stehen dann senkrecht zum Rand. — Noch besser würde der Fig. 60 allerdings das Geschöpf der Fig. 62, das ebenfalls der Blasenlymphe entstammt, wie Fig. 61, entsprechen, da sich auch bei ihm der Körper genau so rasch in den Schwanz ver- jüngt, wie bei Fig. 60. Aber die Fig. 64 aus dem Blutpräparat gleicht wiederum der Fig. 61, so daß die Stelle, wo der Körper in den Schwanz übergeht, wie man sieht, bald mehr bald weniger ausgeprägt sein kann. 48 Hell. RtauffacluT, Die Bewegungen des Individuums der Fig. Gl konnten nicht genau verfolgt werden,, d. h. ich konnte, trotzdem das Geschöpf freilag, nicht erkennen, ob es mit dem Schwanzende voranging; denn das Durch- einander der zahllosen kleinen Formen verhinderte eine sichere Beob- achtung. Die Färbung in Siiurefuchsin und Eiirlichs Fuchsin-Methylenblau förderte noch eine Anzahl weiterer Merkmale bei diesen, Formen zu Tage. Wir schauen uns zu diesem Zweck die Individuen der Fig. 62 (aus Blasenlymphe kultiviert) und der Fig. 64 (aus Blut kultiviert) an. In beiden Fällen sehen wir einen ziemlich großen Kern n mit Chromatinkügelchen erfüllt; ebenso steht ein kernähnhchcs, aber kleineres Gebilde an der Geißelbasis. Ganz besondeis auffallend ent- wickelt ist dieses Körperchen bei den Individuen der Fig. 63 und 64; ich habe es mit b bezeichnet in der Voraussetzung, es entspreche dem bei Protozoen so häufig vorkommenden (an der Geißelbasis sitzenden) Blepharoplasten. Der Schwanz färbt sich immer wie der übrige Körper; eine diffe- rente Färbung zwischen den beiden Partien zu erzielen, war mir bis jetzt, trotz vielfacher Versuche, unm(")glich. Das ist ein Verhalten, das uns wiederum an die kleinen Formen erinnert, bei denen ja Körper (Köpf- chen) und Schwanz ebenfalls konstant diesslbe Färbung zeigten i. Auffallend und sozusagen konstant ist eine Erscheinung, die wir am geißeiförmigen Schwanzanhang konstatieren können. Er enthält närnlich hintereinander liegende stark farbstoffspeichernde Körperchen, die kurze Stäbchen (Fig. 62, 63, 71, 72) oder auch Kügelchen sind (Fig. 64, 65) ; diese chromatischen Gebilde ragen meist seitlich über den liand der (Jeißel hinaus. Wir denken hierbei unwillkürlich an die Kör- perchen im Schwanz der kleinen Formen, die sich ganz ähnlich ver- halten, wie die soeben beschriebenen. Solche chromatischen, kugeligen und stäbchenförmigen Gebilde, wie wir sie mehr oder weniger in jedem dieser Schwanzanhänge an- treffen, finden wir nun auch im Körper der Individuen und zwar oft in großer Zahl. Sie ordnen sich meist randständig an und bilden dann doppelte Reihen (s. Fig. 65, Taf. II). Die stark lichtbrechenden Körn- chen und Stäbchen der lebenden Formen in Fig. 60 und 61 sind nichts anderes, als derartig zweizeilig angeordnete Gebilde. Ihre Vermehrung 1 Bei den Fig. 62 und 04 ist mir noch eine Beobaclitung uufgefallen. Vom Schwanzanhang aus scheint sich nämlich eine stärker fäibbare Linie bis zum Blcpharo))lasten hinzuziehen. Bei Fig. 04 war die Erscheinung besonders gut zu sehen; die Linie geht den einen (in der Figur linken) Rand entlang. Der Erreger der Maul- und Klauenseuche. 49 im Körper dieser Geschöpfe hängt zweifellos mit einer chromidialen Aufl()siing des Kerns und der Blepharoplasten zusammen. Wir finden das bestätigt durch die Fig. 71, 65, 75 und 78 der Taf. 11, Ganz be- sonders hübsch zeigt Fig. 65, wie vom Kern aus Kügelchen nach vorn und hinten abgehen, während der Blepharoplast sich vermutlich schon aufgelöst hat. — In den Fig. 75 und 78 sind die chromatischen Centren ganz in einzelne Kügelchen zerfallen. Wir werden bald noch einmal auf diese sonderbare Erscheinung zurückkommen. Die Fig. 69, 72 und 74 verzeichnen weitere Individuen dieses Typus. Fig. 72 stannnt aus der Blutkultur. Eine Einschnürung zwischen dem kerntragenden und dem Abschnitt, welcher den Blepharo- plasten enthält, wie dies die Fig. 72 und 74 zeigen, kommt sehr oft vor, ohne daß ich dieser Beobachtung eine besondere Bedeutung glaube zusprechen zu müssen. Die Individuen des A-Typus vermehren sich offenbar durch Teilung und zwar Längsteilung. Fälle, wie Fig. 73 und andere Doppelstadien, die jeden beliebigen Winkel zueinander bilden, treten zahlreich auf und können doch wohl nur als Teilungsstadien aufgefaßt werden. In- dem die Tochterindividuen mit den Hinterenden vereinigt bleiben, täuschen sie allerdings Querteilung vor (s. Teilung der Trypanosomen, DoFLEiN, loc, cit. S. 354). Die Teilungsprodukte sind nicht immer gleich groß (ähnlich wie bei den Trypanosomen). J3ieser A-Typus korrespondiert nun wieder ganz auffallend mit den Kulturformen der Leishmania, gerade so, wie dies schon bei früheren Stadien der Fall war. Ich habe in der nebenstehenden Text- fig. 29 drei Leishmanien in der Leptomonas- Form gezeichnet. Nr. 1 ist Leishmania Dono- vani und entstammt der Protozoenkunde von DoFLEiN (loc. cit. S. 702); die Nr. 2 und 3 repräsentieren Leishmania infantum (NicOLLE, loc. cit.), und niemand wird die große Ähnlichkeit verkennen, die zwischen der Leishmania Nr. 1 der Textfig. 29 und dem Geschöpf unserer Fig. 62 (Taf. II) 'l'^xtllL^ 2i). besteht. Im Bewegungsorgan besteht aller- dings insofern ein Unterschied, als sich der Körper der Leishmania in eine wirkliche Geißel verjüngt, während das bei unserni Schmarotzer bekannthch nicht der Fall ist. Im strömenden Blut konnte ich bis anhin erwachsene Formen des Zeilsclirilt f. wisscnscli. Zoologie. CXV. Bd. 4 L, ifpnu'iK 1^ '. 1, 50 Hch. Stauffacher, A-Typus nicht konstatieren. Auch die Leishmanien »hat man bisher bei den Kranken fast immer nur im geißellosen, der Vermehrung fähigen Stadium intracellulär angetroffen. Flagellatenzustände sollen gelegentlich gesehen worden sein, doch treten solche regelmäßig in Kulturen schon nach wenigen Tagen auf und zwar in Leptomonas- Form<> Transplantatlosen << wieder um eins zugenommen; von den 15 noch vorhandenen Transplantaten (eins ist inzwischen konserviert worden) zeigen nur noch sechs äußerlich erkenn- bare Gliederung ( — 4), dagegen neun ein kleines scheinbar wenig ver- i Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 67 ändertes Transplantat (+3). Wenn nun auch, wie schon gesagt, aus dem Umstände, daß ein Transplantat äußerlich nicht erkennbar ist, nicht folgt, daß ein solches überhaupt fehlt, so zeigt doch der eben an- gestellte Vergleich der letzten und vorletzten Revision, daß eine Ab- nahme der gut entwickelten Transplantate stattgefunden. Es müssen also irgendwie Reduktionsvorgänge eingetreten sein, so daß schheßlich nur acht äußerlich erkennbare Transplantate konserviert werden konn- ten statt der ursprünglich vorhandenen 23. Die Beschreibung der einzelnen Fälle soll nach dem Alter erfolgen; dabei ist jedoch zu bemerken, daß dem höheren Alter keineswegs ein höherer Entwicklungsgrad des Transplantates immer entspricht. V. Befund bei der anatomischen Untersuchung. Falll. T2 vom 23. V. 12. Als jüngstes Objekt wurde zur Untersuchung benutzt ein mit T 2 vom 23. V. 12 bezeichnetes Exemplar (das Datum gibt den Tag der Konservierung an). Es ist eine kräftige Kaulquappe von 32 mm ganzer Länge; ohne Ruderschwanz (bis zum After) mißt sie 12 mm. (Das letztere Maß erscheint mir für die Größenbestimmung der Frosch- larven besser als die Gesamtlänge; darum wird es auch hier wie in meinen früheren Untersuchungen hinzugefügt.) Es ist eins von den Tieren, welche bei der Revision am 22. V. (vgl. oben) die implantierte Beinknospe zwar nicht abgestoßen haben, bei denen sie also wohl gut eingeheilt, aber nicht gewachsen ist. Das rechte Auge fehlt; an seiner Stelle findet sich eine flache Delle, in deren Mitte ein mit unbewaffnetem Auge nicht sichtbarer winziger Pfropf weißlich durchscheinenden Gewebes zapfenförmig vorragt. Auf seiner ganzen Oberfläche finden sich Pigmentzellen, doch nicht so reichlich wie in der Haut der Umgebung, so daß sich seine Färbung von dieser deutlich abhebt. Man erkennt deutlich, daß der kleine Zapfen der Haut nicht oberflächlich aufsitzt, sondern mit seiner Basis im Gewebe unter der Haut angewachsen ist. Die Gesamtentwicklung der Larve ist nor- mal. Die Hinterbeine sind bereits etwa 1,5 mm lang, bereits deutlich gegliedert mit einer noch nicht in Zehen gesonderten Fußplatte. Das linke Auge ist normal. Seit der Operation sind etwa 5 Wochen verflossen. Diese Zeit hat noch nicht ausgereicht, den Opticus der rechten Seite, d. h. der Operationsseite, vollständig zum Schwinden zu bringen. Nach Ex- stirpation des Augenbulbus tritt einfache Atrophie des Opticus ein (1913 b) ohne irgendwelche Degenerationserscheinungen. Das läßt sich 5* 68 Bernhard Dürken, auch hier feststellen. In der Länge ist der Nerv bereits bedeutend reduziert; sein centraler noch vorhandener Stumpf ragt nicht mehr über das Cavum cranii hinaus, so daß in der Augenhöhle keine Spur von ihm zu finden ist. In der Dicke steht der Opticusstumpf dem Nerv der normalen linken Seite ebenfalls bedeutend nach. Das geht vor allem zurück auf das fast völlige Fehlen der Fasermassen. Der Opticus- stumpf besteht aus dichtgedrängten epithelial angeordneten Zellen, die namentlich in der Nähe des Zwischenhirns den von ihnen umschlossenen feinen Centralkanal deutlich erkennen lassen. Von den Augenmuskeln sind nur noch spärliche Reste vorhanden. An Nerven findet sich nur der Kamus ophthalmicus nervi trigemini, der ja mit dem Auge nichts zu tun hat. An Stelle des exstirpierten Bulbus findet sich lockeres embryonales Bindegewebe, das die ganze Augenhöhle ausfüllt; wie es auch an vielen andern Stellen dieses Ent- wicklungsstadiums vorkommt. Als Folge der Augenexstirpation ist am Zwischen- und Mittelhirn durch Unterdrückung der zum fehlenden Auge gehörenden Gebiete eine leichte Asymmetrie entstanden, die aber entsprechend dem noch nicht vollständigen Opticusschwund erst leichteren Grades ist. Eine nähere Beschreibung kann hier unterbleiben; es sei auf meine frühere Unter- suchung über Augenexstirpation (1913 b) verwiesen. Von einer Einwirkung der Augenexstirpation auf die Entwicklung des Knorpelschädels, wie sie in der eben genannten Arbeit beschrieben wurde, ist in vorliegendem Falle nichts nachzuweisen. Dabei ist her- vorzuheben, daß hier das Chondrocranium noch nicht sehr weit ent- wickelt ist; speziell seine orbitale Seitenwand, an der vor allem jene angedeuteten Mißbildungen sich zeigten, ist noch nicht knorpelig aus- gebildet, so daß eine Formreaktion noch nicht eingetreten sein kann. Die Umgebung des Opticusaustrittes ist noch nicht verknorpelt, nur basal von ihm liegt der Knorpel des Prächordale. Der Nervenaustritt liegt also noch in der bindegewebigen Wand des Cavum cranii; es ist dafür auf der normalen Seite eine ziemlich weite Öffnung vorhanden, die auf der Operationsseite vollständig fehlt. Besonders interessiert naturgemäß der Zustand des Transplantats. Es ist eine winzige Knospe, die nicht nur nicht gewachsen ist, sondern auch unzweideutig Umbildungserscheinungen erkennen läßt (Taf. III, Fig. 3 und 4). In der Hauptsache besteht sie aus dichtgedrängten Mesenchymzellen, die keine Verdichtungen — als erste Anlage der Differenzierungen — erkennen lassen. Mit der etwas aufgelockerten Basisfläche sitzt das Transplantat dem die ganze Orbita ausfüllenden Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 69 lockeren Bindegewebe auf, nach außen überzogen von einem zwei- schichtigen Epithel, das ohne irgendwelche Grenze in das Körperepi- thel der Larve übergeht. So macht das Implantat ganz den Eindruck, als ob es sich um eine junge normale Beinanlage handelt, die sich immer an dieser Stelle befunden habe. Gefäße und Nervengewebe sind nicht in ihr enthalten. Nur an der Basis der Knospe liegt etwas heller er- scheinendes Gewebe, das vielleicht auf Nervengewebe zurückgeht. Man wolle sich erinnern, daß die transplantierte Beinanlage bereits Nerven und im basalen Teil wenige Gefäße besaß, die also zurückgebildet sind oder (Nerv) nur noch undeutliche Reste erkennen lassen. Insbesondere steht die Knospe wieder mit dem Gefäßsystem noch mit dem Nerven- system der Unterlage in irgendwelchem Zusammenhange. Kommt schon in dem Verhalten von Nerven und Gefäßen eine Umbildung zum Aus- druck, so vor allem darin, daß das ursprüngliche ectodermale Epithel der Knospe vollständig verschwunden ist. Das genannte zweischichtige Epithel, das jetzt das Transplantat überzieht, ist nichts anderes als das der Conjunctiva der normalen Seite entsprechende Körperepithel der Unterlage. Dieses Körperepithel hat, besonders auch dort, wo es die Conjunctiva bildet, eine außerordentlich deutliche Basalmembran. Diese hört im Bereich der eingepflanzten Knospe plötzlich auf (Taf. III, Fig. 4), so daß bei dieser das Mesenchym stellenweise nur undeutlich von dem Epithel getrennt ist. Das Eigenepithel der Knospe zeigt einen Befund, der dafür spricht, daß hier eine Metaplasie vorliegt. Auf einigen Schnitten nämUch, die mehr der Peripherie der Knospe an- gehören, ist die Basalmembran des Körperepithels noch deutlich zu er- kennen, wenn auch dem normalen Zustand gegenüber reduziert. Auf diesen Schnitten nun findet sich, von jener Membran durch eine un- regelmäßig dicke Zellschicht getrennt, noch eine feine deutliche Linie, die ich als den Querschnitt der Basalmembran des Eigenepithels der Beinknospe deuten möchte, während im allgemeinen diese Membran schon völlig verschwunden ist. Jene Zellschicht läßt eine epitheliale Anordnung nicht mehr erkennen, sie gleicht vollkommen der Haupt- mesenchymmasse des Transplantats. Das ectodermale Epithel ist also hier in eine Umwandlung eingetreten, die es zur Stufe des Mesenchym- gewebes gebracht hat. Wie die Basalmembran des Körperepithels im Bereich des Transplantats fast ganz reduziert ist und dadurch die Grenze gegenüber dem Mesenchym der Knospe verschwunden ist (Taf. III, Fig. 4), so ist auch die Basalmembran des Eigenepithels bis auf geringe Reste reduziert, die Abgrenzung des Eigenepithels zu- gleich gegenüber dem Körperepithel und dem Knospenmesenchym 70 B(-rnli;nd l)üilst offenbar in Mesenchym übergeführt. Bemerkenswert ist noch die Beschaffenheit des Kcirperepithels der Larve, das die implantierte Knospe überzieht und der Conjunctiva der normalen Seite entspricht. Denn diese ist auf der Operationsseite ja nicht entfernt worden, sondern in möglichster Ausdehnung erhalten geblieben; die in ihr erzeugte Wunde hat sich vollständig geschlossen und so ist die implantierte Knospe völhg überwachsen worden, wie schon die Untersuchung des lebenden Objektes deutlich gezeigt hat. Die nor- male Conjunctiva hat sich auf dem vorliegenden Bntwicklungsstadium dem übrigen Körperepithel gegenüber bereits stark verdünnt, sie ist frei von Pigmentzellen. Anders auf der Operationsseite. Das aus der Conjunctiva hervorgegangene Epithel besitzt die gleiche Dicke wie das übrige Körperepithel und enthält reichlich stark pigmentierte Farb- zellen (Taf. III, Fig. 4), die nur im Bereiche des Transplantats etwas weniger zahlreich sind. Fall 2. T3 vom 8. VI. 12. Dieses Exemplar wurde 7 Wochen nach der Operation konserviert. Das Tier steht kurz vor dem Abschluß der Metamorphose, doch ist der Ruderschwanzrest noch ziemlich lang. Die Vorderbeine sind beide frei, alle Extremitäten sind normal ausgebildet, die Länge ohne Ruder- schwanz beträgt 29 mm. An Stelle des rechten Auges tritt am hinteren dorsalen Rand der Augenhöhle das Transplantat hervor, das in Unter- schenkel, Metatarsus und Tarsus gegliedert ist (Taf. III, Fig. 5). An diesem sind Zehen in der Fünfzahl angedeutet. Der Fuß ist noch nicht so weit entwickelt wie ein normaler Hinterfuß desselben Tieres, bei dem die Schwinntihaut deutlich abgesetzt ist; außerdem ist das Trans- plantat kleiner. Der Metatarsus ist vom Unterschenkel scharf ab- gebogen; seine Längsachse steht in dorsoventraler Richtung. Der Unterschenkel ist nur in seinem distalen Ende frei; in seiner größeren Erstreckung läuft er als rundlicher Wulst am oberen Rande der Augen- höhle entlang und ist in seiner Längsrichtung festgewachsen; seine Richtung läuft fast parallel zur Medianebene des Tieres. Am vorderen Dorsalrand der Augenhöhle verschwindet der Unterschenkel unter der Haut, er endet dann bald mit einem kleinen Wulst. Ob ein Ober- schenkel vorhanden ist, läßt sich äußerlich nicht feststellen. Unterhalb des Transplantats bildet die Augenhöhle eine deutliche Delle. Pigment ist im Transplantat wenig enthalten, nur etwas an den Zehen und an der angewachsenen Längsseite des Unterschenkels. Bewegungsfähig- Das Verhalten transplautierter Beinknosi)en von Rana l'usea iksw. 71 keit des Transplantates wurde nicht beobachtet; auch passive Be- wegung der einzelnen Abschnitte gegeneinander ist nicht möglich. Als Folge der Augenexstirpation ist zunächst zu verzeichnen das vollständige Fehlen des rechtsseitigen N. opticus und die daran an- schließende typische Verkleinerung der linksseitigen Hälfte des Zwischenhirns und des linken Lobus opticus. Von den Augenmuskeln der rechten Seite ist in fast normaler Ausbildung vorhanden der M. leva- tor bulbi, der bekanntlich den Augapfel von unten her wie eine Tasche umfaßt. Hier zeigt er eine normale Anordnung; er umgreift, durch Bindegewebe davon getrennt, von unten her die proximalen, in der Tiefe liegenden Teile des Transplantats. Auch die übrigen Muskeln des Augapfels fehlen nicht vollständig, doch ist ihr Verlauf ein ungeordneter. Das Verhalten des M. levator bulbi fällt umsomehr auf, als er auf dem Operationsstadium noch nicht vorhanden ist, während die übrigen Muskeln schon eine ziemHch weit vorgeschrittene Ausbildung zeigen. Die die Augenmuskeln versorgenden Nerven — es kommen in Betracht die Nn. oculomotorius, abducens und trochlearis — sind ebenfalls vor- handen. Der Knorpelschädel erscheint auf der Operationsseite ebenfalls normal, doch fehlt vollständig ein Foramen nervi optici; dasselbe ist knorpelig verschlossen. Der äußerlich ziemlich weitgehenden Formdifferenzierung des Trans- plantats entspricht seine histologische Differenzierung und vor allem die Gliederung des Skelets, das sich in verhältnismäßig hohem Grade entwickelt hat (Textfig. 4). Es ist noch vollkommen knorpelig und besteht aus Ober- {je) und Unterschenkel [fi, ti), Fußwurzel {fil, tu, c) und Mittelfuß mit Zehen (7— F). Irgendwelche Rudimente eines Beckens fehlen vollständig. Das proximale Ende des Femur (fe) endigt dementsprechend ohne Gelenk- knopf im Bindegewebe; eigentümhch sind zwei Fortsätze an seinem distalen Ende (Taf. III, Fig. 6, Textfig. 4). Überhaupt ist seine Form- bildung nicht normal, es ist zu kurz, und die Gelenkenden weichen von der Norm ab; die dahingehörenden Einzelheiten interessieren nicht so sehr als die Tatsache, daß Ober- und Unterschenkel gelenkig von- einander abgesetzt sind, wenn im Leben auch keine Bewegung des Kniegelenks, das vollständig unter der Kopfhaut liegt, wahrgenommen wurde. Das Kniegelenk ist der oberen Seitenwand des Chondrocraniums zugekehrt (Taf. III, Fig. 6), während das Femur schräg nach unten vom Schädel sich fortwendet; eine unmittelbare Berührung des Chondro- 72 Beruliaid Diirken. craniums mit dem Transplantatknorpel findet nirgends statt; es ist von diesem getrennt durch lockeres Bindegewebe und durch den M. levator bulbi, der ganz ähnlich innen vom Femur verläuft wie normalerweise vom Augapfel. Tibia und Fibula {ti und ji) sind noch völlig voneinander getrennt, abgesehen von den Gelenkenden, an denen sie in einer ge- meinsamen Verdickung verschmolzen sind. Zwischen Unterschenkel und Fuß ist ebenfalls ein Gelenk differenziert; von den Tarsalia sind Tibiale {tu) und Fibulare (/i7) gut ausgebildet, außerdem findet sich noch ein kleines Knorpelstück (c), das ich als Centrale deuten möchte. Daran Textfig. 4. Knorpelskelet des Transplantats von T3. Rekonstruktion; Vcrgr. 40. fe, Fenuir; fi, Fibula; ti, Tibia; fü, Fibulare; tu, Tibiale; c, Centrale; / — F, Metatarsalia ; II— V mit deutlich abge- setzten eingliedrigen Phalangen. schließen sich fünf Metatarsaha an (/ — F), von denen aber nur vier das Rudiment einer Zehe tragen in Form eines einfachen gelenkig ab- gesetzten Knorpelstückes. Die Gesamtausbildung des Beinskelets läßt sich dahin charakterisieren, daß zwar eine weitgehende Differenzierung vorliegt, insbesondere die Gelenkbildung trotz der Bewegungslosigkeit des Beines nicht unterdrückt ist, andrerseits aber auch Mißbildungen der Form und Ausfall einzelner bestimmter Knorpelteile zu verzeichnen sind. Außer dem Knorpel finden sich im Transplantat Muskulatur, Ner- ven, Gefäße und Bindegewebe. Die Muskeln weisen einen auffallenden histologischen Zustand auf. Die einzelnen Fasern sind sehr dünn und enthalten auffallend viele dunkel sich färbende Kerne, an manchen Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 73 Stellen derartig viele, daß der faserige Bau der Muskelpartie dadurch bei schwacher Vergrößerung fast verdeckt wird und eine Unterscheidung des muskulösen Gewebes von dem Bindegewebe kaum möglich ist (Taf. III, Fig. 7). Es handelt sich also entweder um eine bindegewebige Entartung der Muskulatur oder um primäre mangelhafte Differenzierung. Aus leicht ersichtlichen Gründen ist letztere anzunehmen. Von beson- derem Interesse ist die Tatsache, daß das Transplantat innerviert ist (Taf. III, Fig. 7), und zwar von einem Nerven, der seinen Ursprung im Ganglion prooticum commune hat. Dieses Ganglion wird zusammen- gesetzt aus Anteilen mehrerer Gehirnnerven, und zwar des Trigeminus, Abducens und Facialis außer solchen des Sympathicus. Bei den in das Transplantat eintretenden Nerven handelt es sich um Teile des Trige- minus, und zwar um Äste des Eamus temporalis superficialis. Es sind mehrere dünne Nerven, die vor dem Eintritt in das Bein einen Plexus bilden. Ihre histologische Beschaffenheit erscheint normal. Zwischen der Muskulatur des Transplantats lassen sich die Nerven nur ein kurzes Stück verfolgen, da sie in dem eigentümlich dichten Bindegewebe nicht zu unterscheiden sind. Dieses Bindegewebe ist dichter und enthält viel mehr Zellkerne als das normale lockere Bindegewebe der jungen Frösche; es ist durch- setzt mit Muskelfasern. Auch in dem Teil des Transplantats, der unter der Kopfhaut liegt (Taf. III, Fig. 6), ist dieses mit Muskelfasern durch- setzte dichte Bindegewebe vorhanden, so daß dadurch eine Abgren- zung des Transplantats von dem lockeren Bindegewebe der Umgebung möglich ist. Eine klare anatomische Gliederung der Muskulatur in die normalen Beinmuskeln liegt nicht vor. Auf der linken (normalen) Kopfseite ist namentlich das untere Augenlid bereits gut ausgebildet; auf der Transplantationsseite ist von einem solchen nichts vorhanden. Die der C'onjunctiva entsprechende Haut, die ja bei der Operation in großer Ausdehnung erhalten bleibt, überzieht die von Bindegewebe ausgefüllte Augenhöhle, in der die proximalen Teile des Transplantats liegen (Ober- und Unterschenkel). Beachtenswert ist, daß der nach vorn, d. h. nach dem Conjunctivagebiet gelegene Kand des Transplantats frei von Pigment ist und daß auch der da vorliegende Rest der Conjunctiva ziemlich pigmentfrei ist; sie ist aber nicht verdünnt, wie auf der normalen Seite (Taf. III, Fig. 5). Ober- und Unterschenkel des Transplantats besitzen keine Epi- dermis, sondern bestehen nur aus dem Knorpelskelet mit wenig Muskel- fasern und Bindegewebe. Von einer Epidermis des Transplantats kann erst dort die Rede sein, wo das Bein frei aus dem Kopf hervorragt, also 74 Bornliard Diirkcn, am distalen Teil des Unterschenkels und am Fuß. Sie geht ohne Be- sonderheiten in die Kopfhaut über. Fall 3. T4 vom 13. VI. 12. Das Objekt wurde 8 Wochen nach der Operation konserviert, kurz vor Vollendung der Metamorphose. Seine Länge beträgt ganz 28 mm; ohne Schwanzrest 11,5 mm. Die Froschform ist bereits typisch aus- geprägt, in den Mundwinkeln stehen noch Papillen; alle Beine sind normal, Vorderbeine beide frei. Von einem Transplantat ist äußerlich mit Sicherheit nichts erkennbar. An der Augenstelle auf der Operations- seite findet sich ein längslaufender Schlitz, der durch Faltenbildung in der die Augenhöhle überziehenden Haut entstanden ist. Diese Haut ist nicht durchsichtig und dünn, sondern opak wie die übrige Körper- haut, aber etwas weniger pigmentiert als diese. Bei stärkerer Lupen- vergrößerung sieht man in dem hinteren Ende des erwähnten Schlitzes einen winzigen, ziemlich stark pigmentierten Zapfen, der frei aus der schlitzförmigen Einfaltung hervorragt; in ihm wurde das Transplantat vermutet, was sich bestätigt hat. Über die Wirkung der Augenexstirpation ist nichts Besonderes zu berichten. N. opticus und Gehirn zeigen das schon beim vorhergehenden Falle geschilderte typische Verhalten. Auch die Beste der Augen- muskeln weisen nichts Bedeutsames auf. Die Seitenwand des Knorpel- schädels ist auch auf der Operationsseite normal, ein Foramen nervi optici ist vorhanden, aber stark verengt. Sehr interessant ist der Zustand des Transplantats. Der in der Beschreibung des Objekts erwähnte kleine Zapfen ist, wie die Unter- suchung auf Schnitten lehrt, als solches anzusprechen (Taf. III, Fig. 8). Der obenerwähnte Schlitz, in dessen hinterem Ende der Zapfen steht, kommt dadurch zustande, daß oberes und unteres Augenlid gut aus- gebildet sind und nur wenig in unwesentlichen Dingen von der Norm abweichen. Die zwischen den Lidern in der Tiefe des Spalts gelegene Conjunctiva ist nicht verdünnt und enthält Pigment, wenn auch nicht so viel wie die übrige Körperhaut. In der hinteren Hälfte des Lidspaltes erhebt sich der erwähnte Zapfen, der aus einer Vorstülpung der Epi- dermis besteht und im Innern Bindegewebszellen mit großen runden Kernen enthält. Daß es sich hierbei um eine Bildung handelt, deren Zustande- kommen auf die Transplantation zurückgeht,folgt aus den Beziehungen dieses Gebildes zu den an seiner Basis liegenden Teilen des Transplantats. Dort findet sich nämlich eine Anhäufung dichtgedrängter Zellen, ein- Das Verhalten transplantiorter Beinknospen von Rana fusca usw. 75 gebettet in das lockere Bindegewebe, das die ganze Augenhöhle aus- füllt (Taf. IV, Fig. 9). Diese Zellanhäufung hat ähnliche Beschaffen- heit wie die mesenchymale normale Beinanlage, doch sind die Zellen kleiner als dort. Mit ihr steht in Zusammenhang der bindegewebige Centralteil des mehrfach erwähnten Zapfens. Basal von der mesenchy- malen Zellanhäufung, also noch tiefer in der Augenhöhle, unmittelbar an ihr findet sich ein Knorpelstück (Taf. IV, Fig. 9), dessen Gesamtform in der Rekonstruktion der Text- fig. 5 wiedergegeben ist. Es besteht aus einer einheitlichen kaum geglieder- t, ,.. - '=' o Textiig. 5. ten Masse, in der jede Andeutung von Gelenken fehlt, Knorpeiskeiet des umgeben von wenigem, dichterem Bindegewebe. Das Transplantats von ganze Transplantat besteht also nur aus mesenchym- tjon. vergr. 4o. artigen Elementen und einem kleinen einheitlichen Knorpelstück. Von Nerven und Muskeln kann nicht die Rede sein. Die Muskelmassen, welche in der Nachbarschaft des Kn9rpelstücks liegen, gehören zu den Augenmuskeln, deren Lage nach Entfernung des Bulbus eine unregelmäßige geworden ist. Der Knorpelschädel wird von dem Transplantatknorpel nicht berührt; beide sind getrennt durch ziemlich viel Bindegewebe und den M. levator bulbi. Fall 4. T5 Tom 13. VI. 12. 8 Wochen nach der Operation wurde dieses Objekt konserviert; es hat also das gleiche Alter wie T 4 (Fall 3) ; aber der Entwicklungs- zustand des Transplantats ist ein andrer als dort. Bei der Konservierung ist der Schwanz schon sehr weit reduziert, alle Beine sind normal und kräftig; das Tier steht unmittelbar vor dem Verlassen des Wassers. An Stelle des rechten Auges ragt das Trans- plantat hervor in der Form eines kurzen runden Zapfens mit stumpfem Ende, etwa 1/2 — Vs i^^^^i lang, senkrecht von der Kopfseite abstehend (Taf. IV, Fig. 10). Pigment ist in seiner Epidermis fast ebenso reichlich enthalten wie in der übrigen Haut. Das Transplantat steht im hinteren Winkel der Augenhöhle. Über die Folgen der Augenexstirpation ist nichts von dem Ver- halten der schon geschilderten Fälle Abweichendes zu berichten. Das Transplantat ragt nur etwa zur Hälfte nach außen hervor, die andre hier als proximal bezeichnete Hälfte liegt im lockeren Binde- gewebe des Kopfes an Stelle des fehlenden Augapfels. Seine Längs- richtung steht senkrecht auf der Medianebene des Trägers. Das Trans- plantat ist vollständig frei von Muskeln und Nerven; es besteht nur 76 Bernhard Dürken, aus Knorpel und btwas lockerem Bindegewebe. Von dem Knorpel, der in mehrere Stücke gegliedert ist, gibt die Textfig. 6 eine genügende Vorstellung, so daß eine längere Beschreibung unterbleiben kann. Ein Versuch, die einzelnen Knorpelstücke morphologisch zu deuten, kann als überflüssig für das Ziel dieser Untersuchung unterlassen wer- den. Wichtig ist nur, daß wenigstens an einer Stelle (bei *) ein aller- dings unvollkommenes Gelenk vorkonnnt, daß aber im übrigen die Formbildung eine höchst mangelhafte ist. Das erwähnte Gelenk war im Leben vollständig unbeweglich; die beiden Knorpelstücke, welche es begrenzen, liegen parallel zueinander in dem als stumpfer Zapfen Textfig. 6. Knorpelskelet des Transplantats von T'>. Kckonstruktion. Vergr. 40. Bei * Gclcnkanlage. frei aus dem Kopf hervorragenden Ende des Transplantats, umschlossen von einer gemeinsamen Epidermis (Taf. IV, Fig. 11). Das proximale Ende des Knorpels reicht bis an die Schädelseitenwand, ohne sie jedoch unmittelbar zu berühren; gleichwohl ist die Schädelwand in diesem Gebiete gegen das Cavum cranii eingedellt (Taf. IV, Fig. 11). Am proximalen verdickten Ende des Knorpels finden sich nuiskulöse Ge- websteile, die aber nicht zum Transplantat gehören, sondern Augen- muskelreste sind; der M. levator bulbi zieht straff gespannt an der Unterseite des langen Knorpelstabes entlang, so eine Eigenmuskulatur des Transplantats vortäuschend. Auch Nerven, wie z. B. der Kamus ophthalmicus n. trigemini, ziehen unmittelbar am Knorpel vorbei. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 77 Soweit das Transplantat aus dem Kopf hervorragt, ist es von einer nor- malen Epidermis bedeckt, die in die übrige Kopfhaut übergeht. Dar- unter liegt lockeres Bindegewebe, das den Knorpel einhüllt. Nur am distalsten Ende findet sich etwas dichteres Gewebe mit reihenweise an- geordneten Kernen, in dem aber keine Muskelfasern nachgewiesen wer- den können. Der proximale Teil des Transplantats liegt, nur aus Knor- pel bestehend, frei im lockeren Bindegewebe der Orbitalgegend. Das Ganze erscheint demnach nur als eine abnorme Knorpelbildung, welche die Epidermis nach außen vorgebuchtet hat. Von der Bildung der Augenlider auf der Operationsseite sind nur Andeutungen vorhanden am vordersten Augenwinkel; sie schließen das Transplantat zwischen sich. Für die Bewertung des Ergebnisses ist noch ein Umstand von Be- deutung; nämlich man geht w^ohl nicht fehl, die Anschwellung am proxi- malen Ende des Knorpels als eine Bildung anzusehen, die auf den Ge- lenkkopf des Femur zurückgeht; auch die geringere Gliederung dieses Endes spricht dafür, daß dasselbe dem Oberschenkel entspricht. Kurz gesagt entspricht im allgemeinen also die Lage des Transplantats mutatis mutandis der normalen Raumorientierung des Beines. Fall 5. T« vom 13. YI. 12. Seit der Operation bis zur Konservierung sind 8 Wochen vergangen. Das Tier steht im Endstadium der Metamorphose; Längenmaße 30 bzw. 13 mm. Die Vorderbeine sind schon frei; in den Mundwinkeln finden sich noch Papillenreste. Von einem Transplantat ist äußerlich nichts zu sehen. An Stelle des fehlenden Auges schwache Lidbildung. Auch auf Schnitten ist nichts von einem Transplantat zu finden. Außer den typischen Wirkungen der Augenexstirpation ist nur noch von Bedeutung das Verhalten der Kopfhaut zwischen den schwach angedeuteten Lid- falten (Conjunctiva, Taf. IV, Fig. 12 a— h) ; sie führt ebenso Pigment wie die übrige Körperhaut, nur etwas weniger; auch ist sie nicht in dem Maße verdünnt wie auf der normalen Seite. Der Knorpelschädel ist nicht sehr stark in Mitleidenschaft gezogen; das Foramen n. optici fehlt rechts vollständig; die Gehörkapsel ist rechts etwas vorgelagert wie in allen Fällen; die rechte Seitenwand des Schädels ist nur an einzelnen Stellen wenig dicker als die linke. Fall 6. T7 Tom 15. VI. 12. Reichlich 8 Wochen nach der Operation konserviert, unmittelbar vor Durchbrechen der Vorderbeine; Längen: 30 bzw. 11 mm. Der 78 Bernhard Dürkon, Mundrand zeigt noch Papillen. Von einem Transplantat ist äußerlich nichts wahrzunehmen. An Stelle des fehlenden rechten Auges eine flache Delle. Beide Hinterbeine sind mangelhaft, zu klein und zu schwach; an den Füßen stehen statt Zehen nur unregelmäßige Höcker. Von einem Transplantat wird auch bei mikroskopischer Unter- suchung nichts gefunden. Die Lidbildung ist auch am normalen Auge noch nicht eingetreten; doch ist hier die Conjunctiva pigmentfrei und verdünnt; auf der Operationsseite, wo ja die Conjunctiva größtenteils stehen geblieben ist, ist keins von beiden der Fall. Die Haut über der Orbita ist ebenso dick und führt ebenso Pigment wie die übrige Haut. Im übrigen liegen keine bemerkenswerten Besonderheiten vor. Die Wirkung der Augenexstirpation ist wie in allen andern Fällen die genügend geschilderte typische. FaU 7. T8 vom 19. VI. 12. Das Objekt wurde etwa 9 Wochen nach der Operation konserviert; es ist ein kräftiges Tier kurz vor völligem Abschluß der Metamorphose; alle Beine sind normal. An Stelle des rechten Auges eine grubenför- mige Vertiefung, deren Grund von der Conjunctiva gebildet wird. Diese letztere erscheint opak, mit Pigmentzellen, wenn diese auch weniger zahlreich sind als in der übrigen Kopfhaut. Die Conjunctiva hebt sich daher von der Umgebung wie ein hellerer Fleck ab. Das Transplantat ist äußerlich nicht mit Sicherheit zu erkennen. Längenmaß des Ob- jektes: vom Mund bis zum After 12 mm. Schwanz fast ganz reduziert. Im Mundwinkel findet sich noch ein Papillenrest. Über die Folgen der Augenexstirpation ist nichts Auffallendes zu berichten. Das Chondrocranium hat keine verdickte Seitenwand; das rechte Foramen opticum fehlt. Auf der Operationsseite sind die Lidfalten gut entwickelt (Taf. IV, Fig. 13); sie begrenzen einen etwas klaffenden Lidspalt, in dessen Tiefe man die Conjunctiva findet. Diese ist gegenüber der übrigen Kopfhaut zwar verdünnt, führt aber im scharfen Gegensatz zum nor- malen Verhalten Pigmentzellen. Textfig. 7. ;L)as Transplantat liegt (Taf. IV, Fig. 13) ganz in der Wantet! vtn Tiefe. Es besteht nur aus Knorpel, der in das lockere T8. iiekonstruk- Bindegewebe der Unterlage eingebettet ist. Die Form- trgr. . (jjffgj.ßj^2ierung ist äußerst gering (Textfig. 7). Es ist nur ein rundlicher Knorpelstab gebildet, der etwa parallel zur Seitenwand des Chondrocraniums lieot, von dieser durch einen Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 79 ziemlich beträchtlichen Zwischenraum getrennt, in welchem sich Augen- muskelreste befinden. Das nach der »Schädelbasis gerichtete Ende des Knorpelstabes stützt sich auf den M. levator bulbi (Taf. IV, Fig. 13), der dadurch im rechten Winkel ausgebuchtet wird. Das nach oben ge- richtete Ende des Knorpels endet im Bindegewebe. An ihm setzt sich ungefähr im rechten Winkel ein kurzes Knorpelstück an, das aber nicht gelenkig abgegliedert ist. Dieses quere »Stück ist nach außen gegen die Conjunctiva gerichtet, ohne sie aber zu berühren. Das ganze Gebilde hat also die Form eines Hakens mit langem Stiel. Fall 8. T9 vom 19. VI. 12. Konservierung 9 Wochen nach Operation; Metamorphose noch nicht vollendet. Das rechte Vorderbein ist frei, das linke steht un- mittelbar vor dem Durchbruch; die Reduktion des Schwanzes hat be- gonnen; in den Mundwinkeln finden sich noch Papillenreste. Längen- maße: 29,5 bzw. 11 mm. Das rechte Auge fehlt; die Conjunctiva zeigt den gewohnten Be- fund. Die Beine sind schwächer als normal, und besonders die Hinter- beine zeigen eine abnorme Form. Die Füße sind hakenartig nach außen gebogen mit höchst mangelhaft und unregelmäßig entwickelten Zehen (mäßige Klumpfußbildung). Besonders der Unterschenkel ist zu dünn; er steht in einem äußerst spitzen Winkel zum Oberschenkel, diesem in seiner ganzen Länge angepreßt. An dem rechten Vorderfuß sind die Zehen ungenügend gesondert. Der Befund am Chondrocranium ist ohne Besonderheiten; das rechtsseitige Foramen opticum fehlt. Das Mittelhirn (Lobi optici) ist durch die Augenexstirpation stark in Mitleidenschaft gezogen, beide Lobi optici erscheinen verkleinert, in höherem Grade der linksseitige. Die rechte Seitenwand des Chondrocraniums ist der linken gegenüber nicht verdickt. Ein Transplantat ist nicht vorhanden. Bildung der Augenlider auf der Operationsseite ist unterbHeben. Im Conjunctivalgebiet, das stark pigmentiert ist, eine zapfenartige Ausstülpung der Epidermis, die vielleicht auf eine Narbenbildung zurückgeht; angefüllt ist diese Aus- stülpung mit mesenchymatischem, ziemlich dichtem Gewebe, das sich auch noch in der Umgebung ausbreitet. Ob dieses Mesenchym auf die transplantierte Beinknospe zurückzuführen ist, bleibt unentschieden, Fall 9. TU vom 24. VI. 12. 91/2 Woche nach der Operation wurde das vorliegende Objekt konserviert, gegen Ende der Metamorphose; die Mundecken weisen 80 Bernhard Dürken, noch kleine Papillenreste auf, beide Vorderbeine sind frei; der Ruder- schwanz ist zum Teil reduziert. Länge mit Schwanzrest 28 mm; bis zum After 11 mm. An Stelle des rechten Auges findet sich das ziemlich weit ent- wickelte Transplantat (Taf. IV, Fig. 14 und Taf. V, Fig. 15), das alle Abschnitte einer Hinterextremität zeigt. Der Oberschenkel liegt ganz in der Augenhöhle; er beginnt am vorderen Augenwinkel und erstreckt sich über den hinteren hinaus unter die Kopfhaut. In der eigentlichen Augenhöhle bildet er eine in ihrer ganzen Längenausdehnung am Kopf festgewachsene rundliche Leiste ohne Pigment in der Epidermis. Der Unterschenkel setzt in sehr spitzem Winkel unter der Kopfhaut an dem Oberschenkel an; er ist nach vorn gerichtet. Nur sein distales Ende ist frei, im übrigen ist er der Länge nach mit dem Oberschenkel ver- wachsen. An der Außenseite des Winkels Ober-Unterschenkel ist letz- terer pigmentiert; sonst ist er farblos, nach der Konservierung weiß. Der Form nach ist er ein drehrunder Stab von 2 mm Länge. Der Fuß ist wieder nach hinten gerichtet, in spitzem Winkel zum Unterschenkel, mit diesem im größeren Teil seiner Länge verwachsen ; das distale Ende des Fußes ist frei und zum Teil pigmentiert. Äußerlich sind nur vier Zehen zu erkennen, zwischen denen die Schwimmhaut nur durch seichte Furchen angedeutet ist. Das ganze Transplantat war im Leben nicht beweglich, schon wegen der Verwachsungen seiner Teile; anscheinend war es auch nicht sehr sensibel, da Berührungen mit einer Nadelspitze das Tier nicht zu Schwimmbewegungen veranlaßte. Ferner war das Transplantat im Leben durchscheinend; im Innern des Unterschenkels sah man zwei parallele glänzende Linien, die wohl als die Konturen des Knorpelskelets aufzufassen sind. Der reichen äußeren Gliederung entspricht die gewebliche Diffe- renzierung und die weitgehende Gliederung des Knorpelskelets, das in keinem der von mir angestellten Versuche so weit entwickelt ist wie gerade in diesem Falle. Das Skelet (Textfig. 8) besteht aus einem Beckenrudiment (p), dem Ober- (fe) und Unterschenkel {ti, fi), dem Tarsus {til, fü, c) und dem Metatarsus mit einem Glied der Phalangen (/— F); nur der fünfte Metatarsalknorpel trägt zwei Phalangenglieder. Es ist noch besser diffe- renziert als das Skelet des Objektes T3 (Textfig. 4). Das Becken- rudiment besteht aus einer dicken plumpen Platte, die fest mit dem Gelenkende des Femur {fe) verwachsen ist, so daß sich kein Hüftgelenk vorfindet. Ober- und Unterschenkel haben eine ziemlich normale Form ; Tibia und Fibula sind noch, abgesehen von den Gelenkenden, von- Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 81 einander getrennt. Im Tarsus findet sich außer dem gut ausgeprägten Tibiale und Fibulare {til, fil) noch ein Knorpelstück (c), das ich wie auch bei T 3 als Centrale ansprechen möchte. Bemerkenswert ist nur noch die mangelhafte Ausbildung der Zehen, von denen die vier ersten je nur durch ein kleines Knorpelstück angedeutet sind. Der wie ein Gelenkknopf aufgetriebene proximale Teil des Femur ist der vorderen Seitenwand des Chondrocraniums unmittelbar an- gelagert, ohne jedoch irgendwie das Chondrocranium in seiner normalen Textfig. 8. Knorpi'lskelet des Transplantats von TU. Rekonstruktion. Vergr. 40. p, Beckenrudiment; /«, Femur; ti, Tibia; /;, Fibula; tU, Tibiale; fil, Fibulare; c, Centrale: / — F, Metatarsalia mit Phalangen. Formbildung beeinflußt zu haben (Taf. V, Fig. 16); das Transplantat berührt den Schädel unmittelbar gleich hinter der Nasenkapsel. Das Beckenrudiment ist vom Schädel abgewandt; der Oberschenkel liegt etwas schräg nach außen vom hinteren Schädelbezirk abgekehrt, doch berührt sein distales Gelenkende (Kniegelenk) unmittelbar den vor- deren Teil der Ohrkapsel an der Außenseite, an einer Stelle, wo auch nor- malerweise eine schwache Eindellung der Kapsel vorhanden ist. Auch hier ist von einer Formbeeinflussung des Schädelknorpels nichts wahr- Zeitsclu-ift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. G 82 Bernliard Dürken, zunehmen (Taf. V, Fig. 17). An allen Teilen der implantierten Extremi- tät ist Muskulatur vorhanden, die histologisch namentlich an den proxi- malen Abschnitten eine normale Beschaffenheit zeigt. Im Fußabschnitt sind die Züge des muskulären Gewebes sehr kernreich, ähnlich wie oben die Muskulatur des Objektes T3 beschrieben wurde. Mit dem Vor- handensein der Muskulatur geht Hand in Hand das Vorhandensein von Nerven im Transplantat. Der Ursprung dieser Nerven ist gelegen im Ganglion prooticum comnmne (Taf. V, Fig. 18), und zwar handelt es sich um den Ramus temporalis superficialis des Trigeminus, der mit dem Ramus maxillo-mandibularis das Ganglion verläßt und schon gleich an der Basis des letztgenannten Ramus abzweigt. Die proximalen Teile des Transplantats sind, soweit dieses nicht frei über die Oberfläche des Kopfes vorragt, unter der Kopfhaut in dem lockeren Bindegewebe eingebettet, ohne andre Verwachsungen mit dem Träger als die Verbindung der Epidermis des Fußes mit der des Kopfes; erstere geht ohne jede Grenze in die letztere über. Über die eigentliche Wirkung der Augenexstirpation ist nichts vom typischen Verhalten Abweichendes zu berichten. Das rechtsseitige Fo- ramen n. optici ist sehr stark verengt, die Schädelseitenwand jedoch nicht abnorm verdickt; das Hirn zeigt die bekannten asymmetrischen Bilder. Zur Bildung von Augenlidern ist es nicht gekommen. Fall 10. T12 vom 24. VI. 12. Das Objekt wurde 91/2 Woche nach der Vornahme der Transplan- tation konserviert; seine Längenmaße betragen 27 bzw. 11 mm. Alle Beine sind frei und normal entwickelt; die Mundwinkel haben noch kleine Papillenreste. Das rechte Auge fehlt; die Lidfalten sind vor- handen; an der oberen sehr kleine wie Wucherungen aussehende Gebilde. Von einem Transplantat ist äußerlich nichts wahrzunehmen. Der vorliegende Fall bietet einen sehr einfachen Befund. Wenn auch äußerlich kein Transplantat zu bemerken ist, so ist es doch vor- handen. In der Tiefe der Orbita findet sich ein stabförmiges Knorpel- stück von geringem Durchmesser, das das einzige Differenzierungs- produkt der implantierten Beinknospe darstellt. Dieser Knorpelstab liegt parallel zur basalen Schädelseitenwand zwischen den trotz der Augenexstirpation ja stets vorhandenen Augenmuskeln, von diesen zum Teil eng umgeben; auffallend ist die Dicke des Perichondriums. Neben dem hinteren Ende dieses Stabes findet sich noch ein winziges Knorpel- stückchen, das dem stabförmigen Knorpel dicht anliegt, aber durch das Pcrichondrium davon sehr deutlich getrennt ist. Die Fornibildung Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 83 wie die histologische Differenzierung des Transplantats ist also eine sehr geringe. Im übrigen liegt der typische Befund vor. Fall 11. T13 vom 27. VI. 12. Das 10 Wochen nach der Operation konservierte Tier besitzt mit Schwanzrest eine Länge von 26 mm, ohne denselben von 11 mm. Die Vorderbeine sind frei; alle Extremitäten sind normal entwickelt. Im Mundwinkel findet sich noch ein sehr kleiner Papillenrest. An der Stelle des rechten Auges findet sich das Transplantat, das aus drei winkelig gegeneinander abgesetzten Gliedern besteht, welche die drei Ab- schnitte des Hinterbeines darstellen ; es sind runde, plumpe Bildungen, die in einem spitzen _ Winkel zueinander ste- v^"^^^ lien. Der »Fuß« endet ^^?3r^"->. / A stumpf ohne Zehen. Über J^^ ^^--JluA ~P r die Form im einzelnen geben die Abbildungen Auskunft (Taf. V, Fig. 19 und 20). Pigment ist ziemlich viel am Hinter- rand und auf der oberen Fläche vorhanden, der Textfig. 9. Vorderrand ist pioment- Knorpelskelet des Transplantats T13. Rekonstruktion. , T X 1 1 Vergr. 40. p, Beckenrudiment; fe, Oberschenkel; ti und fi, los. Im Leben war das Unterschenkel; t, Fuß. Transplantat bewegungs- los, aber offenbar sensibel, da bei Berührung mit Nadelspitze sofort heftige Schwimmbewegungen der Larve einsetzten. Das Skelet des Transplantats weist eine im ganzen höchst unvoll- kommene Ausbildung auf, doch ist immerhin bemerkenswert, daß die Andeutung einer »gelenkigen« Gliederung vorhanden ist (Textfig. 9). Die Gesamtgliederung stimmt mit der äußeren überein (Taf. V, Fig. 20). Infolge der Schnittrichtung erscheint bei der zeichnerischen Rekonstruction der Unterschenkel {ti und fi) stark verkürzt. Der Oberschenkel {fe) beginnt mit einer großen unregelmäßigen Auftreibung, die ich wegen dieser Größe und wegen der Art ihres Absetzens vom Oberschenkel nicht als Gelenkknopf, sondern als Beckenrudiment an- sprechen möchte (p). Es ist fest mit dem Oberschenkel verwachsen. Zwischen diesem und dem Unterschenkel {ti und fi), in dem Tibia und Fibula nicht gesondert sind, findet sich die einzige Gelenkbildung des 6* 84 Bcrnharcl Dürken, ganzen Skelets; die als Fuß (Tarsus und Metatarsus, t) gedeuteten Knorpelteile sind fest untereinander und mit dem Unterschenkel ver- wachsen. Außer dem Knorpel sind Muskeln und Bindegewebe vorhan- den. Die Muskeln zeigen zum Teil normale histologische Beschaffenheit, zum Teil weisen sie j enen Zustand auf, der oben schon charakterisiert wurde, sehr zahlreiche dichtgedrängte, stark färbbare Kerne und sehr wenig Muskelfasern (Taf. V, Fig. 21). Eigentliches Bindegewebe tritt nur spärhch auf. Wie auch in den andern ähnlichen Fällen, in denen es nicht besonders erwähnt wurde, sind ferner Gefäße vorhanden. Besonders hervorzuheben ist, daß in das implantierte Bein Nerven eintreten, und zwar aus demselben Gebiete wie in den schon erwähnten Fällen, nämlich Äste des Kamus temporalis superficialis trigemini. Es sind nur dünne Nerven, schwächer als in den weiter oben beschriebenen beiden Fällen. Wegen der erwähnten Beschaffenheit der Muskulatur sind sie nicht weit in das Transplantat hinein zu verfolgen. Das implantierte Bein ist nicht wie sonst eigentlich tief in den Augenraum eingebettet, sondern dem mit lockerem Bindegewebe an- gefüllten Gebiet aufgewachsen (Taf. V, Fig. 20 und 21). Seine Epi- dermis geht glatt in die des Kopfes über; Lidbildungen sind nicht vor- handen; die Verwachsung findet sich im größeren Teil der Länge des Transplantats, so daß nur das >>Knie<< sich frei über die Kopfhaut hin- überschiebt. Im übrigen sind keine auffallenden Besonderheiten zu erwähnen. Fall 12. T14. vom 29 VI. 12. Reichlich 10 Wochen nach der Transplantation erfolgte aus un- bekannter Ursache der Tod des Objektes. Da noch keine stärkeren Macerationsspuren vorhanden waren, eignet es sich noch zur Unter- suchung; die Längenmaße betragen 25 bzw. 13 mm. Das Tier steht also kurz vor dem Abschluß der Metamorphose; die Mundecke ist fast ohne Papillenrest. Die Beine sind normal, doch sind die Zehen beson- ders an den Hinterfüßen miteinander verwachsen. An Stelle des rechten Auges findet sich das Transplantat, das drei winkelig voneinander ab- gesetzte Abschnitte unterscheiden läßt und mit stumpfer kegelförmiger Spitze endigt. Die Länge des Gebildes — ohne Berücksichtigung der Biegungen — beträgt ungefähr 2 mm. Nur ein Stück an der Spitze ist pigmentfrei, sonst findet sich das gleiche Pigment wie in der Kopfhaut. Das Ganze erinnert an eine Extremität, ist aber, ganz abgesehen von der geringen Größe, höchst unvollkommen ausgebildet. Das Knorpelskelet des Transplantats ist in Textfig. 10 dargestellt. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 85 Es läßt drei Abschnitte unterscheiden. Der proximale Teil (/e), der als Oberschenkel anzusehen ist, trägt eine dicke quergestellte Knorpel- platte, die als Beckenrudiment angesehen werden kann; sie ist fest mit dem Femur verwachsen. Das Kniegelenk ist ausgebildet, im Unter- schenkel sind Tibia und Fibula deutlich gesondert vorhanden. Es ist allerdings nicht zu bestimmen, welchem Knorpel die eine oder die andre Bezeichnung zukommt. An den Unterschenkel {fi, ti) schließen sich noch zwei kleine Knorpelstücke an (0, die wohl die Tar- ..^»»^ F^ salia darstellen. Im gan- zen ist die Formbildung des Skelets außerordent- lich mangelhaft, sowohl durch das Fehlen der di- stalen Teile als auch durch die sehr unvollkommene Ausbildung der vorhan- denen Stücke. Von einer einigermaßen normalen Extremität kann daher nicht die Rede sein. Muskulatur und Ner- ven sind in dem Transplantat nicht vorhanden. Soweit es frei über die Oberfläche des Kopfes hervorragt, wird der Knorpel umhüllt von dichtem mesenchymartigen Bindegewebe, das das ganze Gebilde aus- füllt. Der proximalste Teil der Extremität (Beckenrudiment und anschließender Teil des Femur) liegt in dem lockeren Bindegewebe der Augenhöhle, von dem Knorpelschädel getrennt durch die Augen- muskeln (M. levator bulbi). Im übrigen liegt das typische Verhalten der schon beschriebenen Fälle vor. Textfig. 10. Knorpelskclet des Transplantats T14. Eekonstruktion. Vergr. 40. fe, Oberschenkel; ti und fi, Unterschenkel; t, Fuß. Fall 13. T16 vom 1. YII. 12. Das Objekt mißt mit Schwanzrest 28 mm, ohne denselben 12 mm. Die Konservierung erfolgte 10 i/g Wochen nach der Operation. In den Mundwinkeln ist noch ein sehr kleiner Papillenrest vorhanden. Alle Beine sind normal entwickelt. Das linke Auge wie in den andern Fällen normal; das rechte fehlt. Hier finden sich im Gebiet der Conjunctiva drei längslaufende Furchen; am Vorderrande der ventralsten und längsten, also im Vorderwinkel der Augenhöhle schaut ein win- ziges mit bloßem Auge nicht erkennbares Zäpfchen hervor, das 86 Bernhard Dürken, äußerlich der trausplaiitierten Beinknospe gleicht, da es arm an Pigment ist. Die Untersuchung auf Schnitten ergibt, daß dieses Zäpfchen aber keineswegs als das Transplantat angesprochen werden kann. Es ist lediglich auf eine Faltenbildung in der Conjunctiva zurückzuführen, die zwischen den Lidspalten etwas hervorragt. Die Ausstülpung ist mit mesenchymatischem Gewebe angefüllt, das etwas dichter ist als das normale larvale Bindegewebe. Pigment ist in seiner Epidermis ebenfalls enthalten, wenn auch etwas weniger als in der übrigen Con- junctiva, die ihrerseits wieder etwas weniger enthält als die übrige Kopf- haut. Der Fall erinnert stark an das Objekt T 9 (Fall 8), wo ein ähn- liches Zäpfchen gefunden wurde. Im übrigen ist über das vorliegende Objekt nichts Besonderes zu berichten. Die Wirkungen der Augenexstirpation bewegen sich in Fall 14. T17 Tom 17. VII. 12. Konservierung 13 Wochen nach der Operation; die Metamorphose ist weit fortgeschritten; als Längenmaße sind anzugeben 29 bzw. 10 mm. Die Mundecken besitzen noch Papillen; alle Beine sind normal. Das rechte Auge fehlt; doch ist wie auch sonst die Lidspalte angelegt. An deren Rand steht ein winziges Knöllchen, das auch in diesem Falle auf eine Faltenbildung zurückgeht. Von einem Transplantat ist nichts vor- handen. Die Wirkungen der Augenexstirpation stimmen auch in diesem Falle mit den in der ganzen Versuchsreihe T beobachteten überein. Fall 15. T19 vom 13. VIII. 12. Es handelt sich um das älteste der untersuchten Objekte, das un- gefähr 17 Wochen nach der Operation konserviert wurde. Das Ende der Metamorphose ist fast erreicht ; der Schwanz ist sehr weit reduziert. Die Längenmaße betragen 22 bzw. 13 mm. Das Tier ist kräftig und normal entwickelt. An Stelle des rechten Auges steht das Transplantat in Form eines etwa 1 mm langen geraden Zapfens. Er enthält nach dem Befund der äußerlichen Untersuchung kein Pigment und ist am distalen Ende dicker als am angewachsenen (Textfig. 11); so daß seine Gestalt keulenförmig ist. Er ist zwischen den Lidfalten angeheftet. Die Augenexstirpation hat auch in diesem Falle dieselben Wirkun- gen hervorgerufen wie bei den übrigen Objekten der vorliegenden Das Verhalten transplantierter Beiiiknospen von Rana fusca usw. 87 Versuchsreihe, so daß eine nähere Beschreibung unterbleiben kann; insbesondere ist wie in andern Fällen die orbitale Schädelseitenwand normal. In dem winzig klein gebliebenen Transplantat findet sich ein Knorpelskelet, das in Textfig. 11 abgebildet ist. Es besteht aus drei gesonderten Stücken, deren morphologische Deutung unmöglich ist. In der frei vorragenden kleinen Keule liegt ein verhältnismäßig großes Knorpelstück (a), dessen beide Enden Ansätze einer Gabelung zei- gen. Völlig davon getrennt liegen an der Verwachsungsstelle des Trans- plantats mit der Orbitalgegend zwei winzige Knorpelbildungen {b, c), be- reits eingebettet in das lockere Mesenchym, das die Stelle des fehlen- den Auges eingenommen hat. Das Textfig. 11. m 1 j i ii "Ij o 1 Knorpelskelet des Transplantats T19. Transplantat enthalt außer dem Yß,.gj. ^^ Knorpel nur noch Bindegewebe mit Gefäßen, das im allgemeinen die bekannte Beschaffenheit des lockeren larvalen Mesenchyms hat. Nur in der angewachsenen Spitze der Keule findet sich festeres Gewebe von der Art, wie es sonst in der Cutis des Frosches angetroffen wird. Muskeln oder Muskelfasern sind nicht vorhanden; ebenfalls fehlen Nerven. Die Epidermis enthält fast kein Pigment. VI. Zusammenfassende Besprechung. 1. Die Unterdrückung eingeheilter Transplantate. Zunächst wird es von Interesse sein, die Gegenüberstellung der Zahlen der ausgeführten Transplantationen und der bei der Konser- vierung wirklich vorhandenen Transplantate, die schon oben (vgl. S. 65 und Tabelle S. 66) in gewissem Umfange vorgenommen wurde, unter Berücksichtigung der Ergebnisse der anatomischen Untersuchung zu vervollständigen. Aus den obigen Ausführungen und der Tabelle (S. 66) geht hervor, daß eine größere Anzahl von transplantierten Beinknospen einheilte, als später bei der Konservierung vorgefunden wurde. Mit Sicherheit konnte festgestellt werden, daß bei der Kevision des lebenden Materials am 24. IV., also etwa eine Woche nach der letzten Operation, 23 Exem- plare mit eingeheiltem Transplantat vorhanden waren, während nur bei zwei Tieren kein solches mehr vorgefunden wurde. Fünf Tage blieb dieses Zahlenverhältnis dasselbe, was wohl als sicherer Beweis dafür 88 Bernhard Diirken, gelten muß, daß die nun (seit dem 29. IV.) beginnende Verringerung der Zahl der Transplantatträger nicht darauf zurückgeht, daß die Beinknospe noch nicht eingeheilt war und deshalb einfach verloren wurde. Bei der nach und nach erfolgten Konservierung des Materials zeigten nur noch 8 Exemplare ein äußerlich erkennbares Transplantat (von ursprünglich 23). Fünf Versuchstiere gingen allerdings seit 24. IV. während der Aufzucht ein, aber, wenn man diese auch aus Vorsicht unter den Transplantatträgern sucht, genügt der Abgang doch nicht, um die Abnahme der eingeheilten Transplantate von 23 auf 8 zu erklären. Unzweideutig beweist das auch die Zunahme der transplantatlosen Ob- jekte. Während am 24. IV nur zwei Exemplare ohne äußerlich erkenn- bare Beinknospe festgestellt wurden, ist die Zahl am 7. VI. bereits auf sechs gestiegen, und nach der Konservierung des gesamten Materials finden sich zwölf Exemplare, bei denen durch äußerliche Untersuchung mit der Lupe kein Transplantat wahrgenommen werden kann. Wie schon oben (S. 67) gesagt wurde, ist daher die Abnahme der Trans- plantatträger und die gleichzeitige Zunahme der »transplantatfreien« Tiere nur durch Kück- oder Umbildungsvorgänge zu erklären. Die eingehende anatomische Untersuchung, welche zu einer kleinen Korrektur der angegebenen Zahlen zwingt, spricht ebenfalls einwand- frei zugunsten dieser Erklärung, und zwar gerade durch diejenigen Um- stände, welche jene Korrektur herbeiführen. In der vorstehenden Beschreibung der Einzelfälle sind sieben auf- geführt, bei denen schon äußerlich das Transplantat wahrzunehmen ist. Im ganzen sind von diesen Fällen acht konserviert worden (Tabelle S. 66) ; ein Exemplar verunglückte bei der Präparation und fehlt des- wegen bei den Einzelfällen. Außerdem aber wurde noch bei drei Exem- plaren ein Transplantat vorgefunden, das bei äußerlicher Untersuchung nicht sichtbar in der Tiefe der Orbitalgegend eingebettet lag. Damit steigt die Zahl der Transplantatträger auf 11. Die übrigen Objekte besaßen bei der Untersuchung kein Transplantat; in der Einzelbeschrei- bung sind davon als ausreichend nur fünf Fälle aufgeführt. Es erhellt also als Schlußergebnis, daß von 23 ursprünglich vorhan- denen Transplantatträgern elf ein solches dauernd behielten. Zieht man selbst die fünf vorzeitig eingegangenen und wegen längeren Liegens im Wasser nicht mehr zur Untersuchung geeigneten Tiere von jenen 23 ab, so bleiben noch sieben Exemplare übrig, bei denen im Laufe der Zeit das ursprünghch eingeheilte Transplantat zurückgebildet sein muß. Es gilt nun, nach Möglichkeit die Faktoren dieses Kückbildungs- festzustellen. Das Verhalten tiansplantierter Beiiikiiospen von Rana fusca usw. 89 Das rein äußerliche Unsichtbarwerden der transplantierten Bein- knospe beruht zunächst einfach darauf, daß die kleine Knospe von der Conjunctiva gänzlich überwachsen und dadurch in die Tiefe der Augen- höhle gedrängt wurde, wofür ja die Möglichkeit durch das Fehlen des Bulbus gegeben ist. Wie oben schon des näheren geschildert wurde, geschah die Trans- plantation in der Weise, daß durch eine möglichst kleine Öffnung in der Conjunctiva der Bulbus herausgeholt und in diese Öffnung die kleine Beinknospe derart hineingeschoben wurde, daß ihre Spitze daraus noch hervorragte. Möglich ist die Einheilung nun offenbar auf zweifache Weise. Erstens kann sie so erfolgen, daß die Wundränder der Con- junctiva sich nicht über der Knospe schließen, sondern ringsum diese umfassen. In diesem Falle behält die Knospe und damit auch das daraus sich entwickelnde äußerlich wahrnehmbare Transplantat teilweise das eigene Epithel (s. unten). Wenn diese Art der Einheilung auch möglich ist, so kommt ihr doch wenig Wahrscheinlichkeit zu. Zweitens kann bei der Einheilung die fCnospe vollständig über- wachsen werden, indem sich die Wundränder der Conjunctiva über sie hinwegschieben und so die Wunde schließen. Diese Art der Einheilung hat nicht nur die Wahrscheinlichkeit für sich infolge der speziellen Art der Transplantation, sie stinnnt auch allein überein mit dem Befund an allen Objekten. Zunächst einmal ist sicher, daß eine teilweise Überdeckung der Knospe mit dem freien Wundrand der Conjunctiva immer eintritt, da die Wundränder der Knospe nicht dem Wundrande der Haut angelegt wurden, sondern die ganze Knospe unter die Haut geschoben wurde; sie ist also von vornherein zu einem Teil von der Conjunctiva bedeckt (Textfig. 3), und zwar zum weitaus größeren Teil. Da der Augenbulbus fehlt, findet die kleine Knospe in der von dem vorderen unversehrten Teil der Conjunctiva überspannten leeren Augenhöhle wenig oder gar keine Stütze, sie rutscht daher tief hinein. Da sie außerdem kegel- förmig ist und mit ihrer breiten Basis voran in die Wunde eingeschoben wurde, aus der sie im allgemeinen nur wenig mit der Spitze hervor- ragte, so ist ohne weiteres sicher, daß sie beim Wundverschluß ganz unter die Haut gerät. Auf diese Weise wird die Knospe zuweilen ganz in die Tiefe gedrängt, so daß äußerlich nichts mehr von ihr wahrzuneh- men ist. Wenn sie jedoch in Entwicklung eintritt, so buchtet sie viel- fach die überdeckende Haut nach außen vor, und das Transplantat bleibt äußerUch wahrnehmbar. Seine proximalen Teile liegen meist in 90 Bernhard Dürken, der Tiefe der Orbitalgegend, während die distalen Teile nach außen hervortreten. Besonders der Befund bei Fall 1 ( T 2) zeigt deutlich den Vorgang der Überwachsung, da dieses Objekt so frühzeitig konserviert wurde, daß wichtige Einzelheiten festzustellen waren, welche bei höherem Ver- suchsalter andern Verhältnissen Platz gemacht haben. Vor allem wichtig ist unter diesen Einzelheiten der Nachweis, daß bei der Über- wachsung der Knospe diese ihr eigenes Epithel verliert, welches durch das Conjunctivaepithel ersetzt wird, wie bei der Beschreibung des Falles 1 näher erläutert ist. Naturgemäß kann die Überwachsung der Knospe nicht nur von dem vorderen Wundrand (Rand der Conjunctiva) her erfolgen, sondern auch zugleich von der den Wundrand hinten begrenzenden Kopfhaut. Diese ist dadurch gegenüber der Conjunctiva ausgezeichnet, daß sie sehr viel Pigment enthält, während auf dem Operationsstadium bereits die Auf- hellung der Conjunctiva begonnen hat. Diese besitzt zwar auch noch reichlich Chromatophoren, doch immerhin weniger als die übrige Kopf- haut, so daß sie infolge der Minderung ihres Pigments sich besonders nach der Konservierung durch weißlich grauen Farbton von der Um- gebung abhebt. Da, wie Fall 1 einwandfrei belegt, die Knospe bei der allgemein erfolgenden Verlagerung unter die Haut ihr Eigenepithel verliert, so wird das nach außen vorragende Transplantat überzogen von einer Epidermis, die von der Unterlage stammt, und zum Teil der Conjunc- tiva, zum Teil der übrigen Kopfhaut entstammt oder auch ganz von jener oder dieser gehefert sein kann. Welcher dieser Fälle vorliegt, kann an dem Pigmentgehalt der Epidermis erkannt werden, denn wie unsre Versuche zeigen, bleibt die Minderung des Pigmentes im Gebiete der Conjunctiva, die bei der Operation schon eingetreten war, unter allen Umständen bestehen. Ist sowohl die stark pigmentierte Kopfhaut als auch die weniger pigmen- tierte Conjunctiva an der Bedeckung des nach außen vorragenden Trans- plantates beteiligt, so muß der nach vorn (nach der Schnauzenspitze) gelegene Rand des Transplantats weniger Pigment besitzen als der Hinterrand. Denn bei der Anlegung der Wunde wird der Hinter- winkel der Conjunctiva zerstört, so daß nur die nach vorn gelegene Seite der Knospe unmittelbar von vornherein von der Conjunctiva bedeckt wird. Ferner müssen beide Gebiete (das der Conjunctiva und das der Kopfhaut) eine ziemlich scharfe Grenze gegeneinander aufweisen, wie es bei der normalen Conjunctiva auch der Fall ist. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 91 Bedeckt nur dieConjunctiva das Transplantat, muß dieses pigment- arm sein, während es ganz pigmentiert ist, wenn die übrige Kopfhaut die Epidermis geliefert hat. Für jeden dieser Fälle liegen Beispiele vor. Bei der Beschreibung des äußerlichen Befundes der Einzelfälle ist hervorgehoben, daß die am weitesten entwickelten Transplantate in ihrer Epidermis nur teilweise stark pigmentiert sind. Für unsere Betrachtung sind besonders bemerkenswert die Fälle 2, 9 und 11. Sehr charakteristisch ist Fall 9, dessen Abbildung (Taf. V, Fig. 15) eine ganz scharfe Grenze zwischen pigmentierter und unpig- menticrter Epidermis erkennen läßt. Nicht nur die Lagebeziehung der pigmentfreien Epidermis (am Vorderrand) und der pigmentierten (Hin- terrand) zum Gebiet der ursprünglichen Conjunctiva bzw. Kopfhaut und die schlagende Tatsache der teilweisen Pigmentlosigkeit selber bezeugt die völlige Überwachsung des Transplantats von den zwei öfters genannten Gebieten aus, auch die Art, wie das Transplantat im allgemeinen mit der Unterlage verbunden ist, ist eine Folge und zu- gleich ein Beleg dieser Überwachsung. Am Objekt selbst kommt das naturgemäß besser zum Ausdruck als an der Abbildung (Taf. V, Fig. 15), doch ist es einigermaßen auch an dieser zu erkennen. Der Oberschenkel liegt ganz in der Tiefe, er buchtet die Conjunctiva deutlich nach außen vor, vor allem verursacht aber das Kniegelenk eine Auftreibung der Kopfhaut. Ober- und Unterschenkel und Unterschenkel und Fuß sind größtenteils miteinander verwachsen, d. h. die betreffenden Teile des Transplantats liegen in einer gemeinsamen epidermoidalen Hülle, die durch Ausbuchtung der Kopfhaut bzw. der Conjunctiva durch das Wachsen des Transplantats entstanden ist und sich nur im allgemeinen dessen Form angepaßt hat. Die Abbildung 15 zeigt die aus dem Trans- plantat entwickelte Extremität von der Oberseite, so daß der pigment- freie Bezirk nicht etwa die ja normalerweise pigmentärmere Unter- seite ist. Im gleichen Zusammenhange sind hier anzuführen die Fälle 2(^3) und 11 (T13). Bei beiden ist der nach vorn gerichtete Rand des Transplantats pigmentfrei bzw. äußerst pigmentarm, die nach dem Kopf und dem hinteren Augenwinkel gerichtete Seite besitzt reichlich Chromatophoren, so daß sie ebenso stark pigmentiert ist wie die übrige Körperhaut. Die Bedeckung des Transplantats besteht also zum Teil aus einem Derivat der Conjunctiva, zum Teil aus Kopfhaut. Die merkwürdige Form des Transplantats T 13 (Fall 11) erläutert außer- dem noch besser die Tatsache der vollständigen Überwachsung der Knospe (Taf. V, Fig. 20) als der Fall 9 (T 11). ÄußerHch ist nur eine 92 Bernhaid Diirla-n, plumpe, wenig gegliederte Bildung vorhanden, weil die vorgebuchtete Kopfhaut sich der Gliederung des Transplantats wenig angeschmiegt hat, so daß in auffallend deutlicher Weise >>Ober-<< und »Unterschenkel«, aber auch der Fuß in einer gemeinsamen, ziemlich einheitHchen »Tasche« der Epidermis liegen, die nur dadurch etwas gegliedert ist, daß sie ent- sprechend der inneren Form des Transplantats an einigen Stellen stärker vorgetrieben ist. Wird die Hülle des Transplantats nur von der Conjunctiva ge- liefert, so muß sie in ganzer Ausdehnung pigmentarm sein. Ein solcher Fall liegt vor bei T 19 (Fall 15). Es handelt sich um ein nur wenig differenziertes Transplantat, das in der Form eines kleinen Zapfens zwischen den deuthch ausgebildeten Lidfalten steht. »Seine ganze Epi- dermis ist pigmentfrei. Ihre Gleichsetzung mit der Conjunctiva stimmt vollständig überein mit der Lage des Transplantats zwischen den Augenlidern, welcher Raum ja die Conjunctiva enthält. Und zwar steht der kleine Zapfen nicht im Hinterwinkel der Lidspalte, sondern vor der Mitte, angenähert an den Vorderwinkel des Auges. Gerade dort ist die Conjunctiva bei der Operation erhalten gebheben. Die Bein- knospe ist bei der Transplantation im hinteren Gebiete des Auges ein- geschoben worden. Findet sie sich später weiter vorn, so ist sie unter den stehengebhebenen Teil der Conjunctiva gerutscht, von der sie ganz bedeckt wird, wie die pigmentfreie Epidermis zeigt. Auch ein Fall gänzlicher Überwachsung durch pigmentierte Kopf- haut liegt vor (Fall 4, T 5; Taf. IV, Fig. 10). Das Transplantat steht in diesem Falle im hinteren Augenwinkel; es hat hier die Kopfhaut zu einer kurzen blindsackförmigen Ausstülpung vorgetrieben, in welcher parallel nebeneinander zwei gelenkig voneinander abgesetzte Knorpel- stäbe hineinragen; das Gelenk liegt am peripheren Teil des Zapfens (Textfig. 6); auf die Gliederung des Transplantats hat also die Ausstül- pung gar keine Rücksicht genommen ; dieser Umstand illustriert treff- lich wie in den andern Fällen die Herkunft der Transplantat-Epidermis von der Kopfhaut, die durch das unter sie geratene Transplantat bei seinem Wachstum vorgebuchtet wurde. Im Fall 1 (T2), in welchem zweifellos völlige Überwachsung der Knospe vorliegt, besitzt die Conjunctiva noch Pigment. Das steht jedoch nicht in Widerspruch mit dem über T 19 eben Gesagten. Denn einmal ist das Objekt T 2 frühzeitig konserviert, während die andern Fälle, zumal T\9i, bedeutend älter sind, und zweitens zeigt das zum Knospenepithel gewordene Conjunctivaepithel eine deutliche Aufhellung gegenüber der übrigen Haut. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 93 Der Vorgang der völligen Überwaclisung, wie er bei allen Trans- plantaten vorliegt und kurz nach der Vollendung bei T2 (Fall 1) be- obachtet ist, gibt die Erklärung für die Fälle 3 (T 4), 6 (T 7) und 10 ( T 12), die in höherem Alter als T 2 konserviert nur noch in der Tiefe der Orbitalgegend das Entwicklungsprodukt der Beinknospe erkennen lassen. Die vollständige Überwaclisung der implantierten Beinknospe führt nun allerdings wohl in diesen Fällen zur Verdeckung des Transplantats durch Verlagerung in die Tiefe, so daß äußerlich nichts mehr von ihm wahrzunehmen ist, nicht erklärt wird aber dadurch der völlige Schwund des Transplantats, wie er ja tatsächhch in mehreren Fällen eingetreten sein muß. Zur ausreichenden Erklärung dieses Vorganges müssen Verände- rungen des implantierten Gewebskomplexes herangezogen werden. Es kommen Kesorption und Metaplasie in Frage. Wie in der Literatur schon oft hervorgehoben ist, erleidet im all- gemeinen das transplantierte Gewebs- oder Organstück vor oder wäh- rend, ja auch nach der Einheilung weitgreifende Veränderungen. Be- sonders ist das der Fall bei Implantationen unter die Haut oder in Körperhöhlen der Unterlage, namentlich wenn das Implantat aus hoch- differenzierten Geweben besteht. Aber auch bei embryonalen Trans- plantationen bleiben derartige Veränderungen nicht aus, die unter Um- ständen zu vollständigem Schwund des Implantats durch Resorption führen können. Über die Wundheilungsvorgänge bei Transplantationen und die Veränderungen der eingepflanzten Gewebe hat F. Marchand (1901) eine zusammenfassende Darstellung gegeben. Besonders sei auch hin- gewiesen auf die Untersuchung von H. Ribbert (1908). Im übrigen findet sich die wichtigste Literatur über Transplantationen bei E. Kor- SCHELT (1907), dessen zusammenfassende Abhandlung eine gute Ein- führung in das Gebiet der Transplantationen vermittelt. Bei der vorliegenden Versuchsreihe handelt es sich um embryonale Transplantationen; die überpflanzte Beinknospe insbesondere hat noch eine durchaus embryonale Beschaffenheit. Embryonale Zellen besitzen eine größere Umänderungsfähigkeit als differenzierte Gewebszellen; sie vermögen sich leichter neuen Bedingungen anzupassen und neigen daher häufig zu Regulationen, während letztere diese regulatorische An- passungsfähigkeit im allgemeinen weniger besitzen und daher, unter neue Bedingungen gebracht wie bei einer Transplantation, der Re- sorption von vornherein mehr ausgesetzt sind. 94 Bernhard Dürken, Wie steht es nun bei den hier zu besprechenden Versuchen mit der Kesorption? Zunächst steht ein Ergebnis fest, das negativer Natur ist: Über- wachsung der implantierten Beinknospe führt keineswegs ohne weiteres zu ihrer Resorption. Das geht daraus hervor, daß die in die Tiefe ver- lagerten Teile des Transplantats alle Gewebselemente einer normalen Extremität aufweisen können, wie besonders deutlich das Objekt TU (Fall 9) zur Anschauung bringt. Gerade die in diesem Falle ganz in der Tiefe des die Orbitalgegend füllenden Bindegewebes gelegenen Teile der transplantierten Extremität besitzen histologisch normale Musku- latur, Bindegewebe und Knorpel. Auch die von dem vorgestülpten Kopfepithel bedeckten Teile weisen alle Gewebselemente auf. Soweit mangelhafte Bildungen vorliegen, finden sie in noch zu besprechenden Faktoren ihre Erklärung. Auch die Fälle gänzlicher Verlagerung in die Tiefe (3, 7, 10) zeigen, daß damit durchaus nicht die Resorption des Implantats verbunden ist. Denn bei diesen Objekten findet sich ganz unzweifelhaft von der im- plantierten Beinknospe herrührender Knorpel, und in Fall 3(^4) sind mesenchymale Bildungen vorhanden, welche offenbar ebenfalls auf das Implantat zurückzuführen sind. Nun ist wohl anzunehmen, daß vor der Verheilung der Beinknospe mit der Unterlage einzelne Zellen und auch ganze Zellgruppen absterben und der Resorption verfallen, aber das völhge »Schwinden« des eingeheilten Transplantats würde durch diesen Vorgang keine genügende Erklärung finden. Es bleibt also noch die Metaplasie, d. h. die Umwandlung der ge- weblichen Elemente des Transplantats in solche andern Charakters und die Ablenkung der Entwicklung der »indifferenten« Elemente der Knospe von ihrem normalen Endpunkte (Knorpel, Muskel usw.) zu einem andersartigen Zustand, durch den dann das Bestehenbleiben der implantierten Zellkomplexe verwischt wird. Für das erstere, die Metaplasie im eigenthchen Sinne, hegt ein positiver Befund vor im Fall 1 (T 2), bei dem gezeigt werden konnte, daß das ectodermale Epithel der Knospe, welche vollständig über- wachsen ist, in Umwandlung zu einem mesenchymatischen Charakter begriffen ist, so daß es zum Teil schon von dem mesodermalen Mesen- chyni der Knospe nicht mehr zu unterscheiden ist. Daß beim unmittelbaren Übereinanderlagern zweier epithehaler Blätter diese die feste epitheliale Anordnung ihrer Zellen einbüßen, ist ja eine in der Entwicklungsgeschichte nicht seltene Erscheinung, und so ist es auch hier nicht auffallend, daß das Eigenepithel der Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 95 Knospe der Metaplasie verfällt und durch das fremde Epithel er- setzt wird. Die Folge der geschilderten Metaplasie ist schließlich, daß bei der Untersuchung nur noch mesenchymatisches Gewebe vorgefunden wird. Tritt nun eine vom Normalen abweichende Entwicklungsrichtung dieses Komplexes ein oder wird die Ausbildung einzelner Gewebe unter- drückt, so folgt daraus ein gänzhches oder teilweises Schwinden des Transplantats. Die Tatsachen sprechen durchaus zugunsten dieser Annahme. Zu- nächst ist die Unterdrückung bestimmter Differenzierungsvorgänge un- bestreitbar belegt durch das völhge Fehlen der Muskulatur in mehreren Fällen (Fall 3, 4, 7, 10, 12, 15). Die Muskulatur ist hier nicht unter- drückt durch Ausfall derjenigen Embryonalzellen, aus welchen sie nor- malerweise gebildet wird, etwa infolge Resorption dieser Zellen, sondern durch Hemmung oder Ablenkung der Differenzierung. Das folgt aus dem Vorhandensein mancher Übergangszustände von bindegewebiger zu muskulöser Beschaffenheit. Besonders lehrreich ist dafür Fall 4 (TS). Muskelfasern konnten in dem Transplantat dieses Objektes nicht nachgewiesen werden. Wohl aber zeigt ein Teil seines Bindegewebes durch die dichtgelagerten reihenweise angeordneten Kerne eine Be- schaffenheit, die bei andern Fällen (2, 9, 11) durch mehrere Zwischen- stufen in ein und demselben Transplantat zu normaler Muskulatur überleiten. Es ist daher wohl die Anschauung gerechtfertigt, daß im Falle des Fehlens der Muskulatur infolge metaplastischer Entwicklung aus den für die Muskulatur vorhandenen Zellen nur Gebilde binde- gewebigen Charakters hervorgegangen sind. Die meisten der muskellosen Transplantate lassen nicht erkennen, ob das in ihnen vorhandene Mesenchym Eigenbesitz ist oder dem lockeren Bindegewebe der Unterlage angehört. In Fall 3 (T 4) jedoch ist das Mesenchym des Transplantats von deutlich andrer Beschaffen- heit als das der Unterlage; es besteht zum Teil aus rundlichen Zellen, die mehr dem Mesenchym einer jungen Beinknospe gleichen als dem lockeren Bindegewebe, in welches der kleine Knorpel dieses Transplan- tats eingebettet ist. Nimmt man hinzu, daß in Fall 15 (T 19), in dem das kleine muskelfreie Transplantat unter Vorbuchtung der Conjunctiva der Orbitalregion aufgewachsen ist, in dem Transplantat außer dem Knorpel Bindegewebe vorhanden ist, von dem man annehmen muß, daß es Eigenbildung der eingeheilten Beinknospe ist, so wird man wohlbegründet zu der Ansicht geführt, daß das eigene Bindegewebe des 96 Bernhard Diirken, Transplantats auch in denjenigen Fällen nicht fehlt, in denen es nicht von dem Mesenchym der Unterlage unterschieden werden kann. Zieht man dabei in Betracht, was über den Verbleib der Muskel- anlagezellen gesagt wurde, so sind diese letzteren sowohl als auch die eigentlichen Mesenchymzellen der sich entwickelnden Beinknospe in dem den Knorpel der muskelfreien Transplantate umgebenden Mesen- chym zu suchen, mag dieses von dem Mesenchym der Larve noch unterschieden werden können oder nicht, wie in den Fällen, in denen eine Verlagerung des Implantats in die Tiefe stattgefunden hat. Jedenfalls berechtigt nichts zu der Annahme, daß bei diesen letz- teren Objekten alle Zellen der eingeheilten Beinknospe der Eesorption verfallen seien mit alleiniger Ausnahme der Knorpelbildungszellen. Wenn der Knorpel in allen Transplantaten als w^ohlcharakterisiertes Gewebe vorhanden ist, so hegt das nicht daran, daß allein seine Ur- sprungszellen der Resorption Widerstand zu bieten vermochten, son- dern an der allgemein bekannten Erscheinung, daß in der Differen- zierung fortgeschrittene Zellen weniger zu Umbildungen neigen als noch »indifferente«. Nun ist zwar in den transplantierten Beinknospen noch keine Absonderung oder sonstige sichtbare Differenzierung der Knorpelanlage vorhanden. Wenn man aber bedenkt, daß in der sich entwickelnden Extremität als eine der ersten abgegrenzten Bildungen eine Verdichtung des axialen Mesenchyms als Anlage des Knorpels auftritt, und daß diesem Sichtbarwerden der Spezialisierung sicherlich innere uns nicht wahrnehmbare Differenzierungen voraufgehen, wäh- rend die andern Gewebe, vor allem die Muskeln, sich erst später sondern, so ist es erklärlich, daß gerade der Knorpel unter den neuen Bedin- gungen der Transplantation am wenigsten von seiner Eigenschaft ein- büßen muß. ^ Überblickt man das Ganze — Metaplasie des Epithels, »binde- gewebige« Entwicklung der Muskulatur mit Übergängen zu normalem Muskelgewebe, Verhalten des Eigenmesenchyms des Transplantats — , so kommt man zu dem Schluß, daß das scheinbare Fehlen gewisser Gewebsarten in einer größeren Anzahl von Transplantaten nicht aus- schließlich auf Resorption ihrer Anlagezellen, sondern jedenfalls in erster Linie auf Metaplasie bzw. metaplastischer Entwicklung, herbei- geführt durch fremdartige Bedingungen, beruht. Solche Vorgänge dürften auch mitgespielt haben bei dem völligen »Schwund« sicherlich ursprünglich eingeheilter Beinknospen. Daß in diesen Fällen auch kein Knorpel angetroffen wurde, kann seinen Grund darin haben, daß die transplantierten Knospen besonders jung waren. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 97 Auch bei sorgfältiger Auswahl des Materials ist bei der großen individu- ellen Variabilitcät des Differenzierungszustandes eine gewisse Ungleich- mäßigkeit unvermeidlich. Immerhin soll nicht gesagt sein, daß Re- sorptionsprozesse für das Verschwinden des Transplantats gar nicht in Frage kommen, sondern nur, daß sie allein zur Erklärung dafür nicht ausreichen und in weitem Umfange metaplastische Vorgänge heran- zuziehen sind, Vorgänge, die letzten Endes ermöglicht sind durch das Vorhandensein des vollständigen Idioplasmas in jeder Körperzelle und durch die darauf beruhende Regulationsfähigkeit aller Zellen. 2. Der Entwicklungszustand der Transplantate. Die Gesamtentwicklung, welche die Transplantate erreicht haben, ist trotz der verhältnismäßig hohen Differenzierung der Objekte T 3 (Fall 2) und TU (Fall 9) als mangelhaft zu bezeichnen. Besonders her- vorzuheben ist, daß das Alter der Versuchstiere keineswegs mit einer vollkommeneren Ausbildung des Transplantats zusammenfällt. TU (Fall 9) besitzt das am weitesten differenzierte Transplantat, sowohl nach der äußeren Form als auch nach dem Grade seiner anatomisch- histologischen Ausbildung. Dieses Objekt ist aber 71/2 Wochen jünger als T 19 (Fall 15), bei dem ein höchst mangelhaft entwickeltes Trans- plantat gefunden wurde. Dieselbe Tatsache ergibt sich beim Vergleich der übrigen Objekte. Nur T 2 (Fall 1) wurde so frühzeitig konserviert, daß die kurze Versuchsdauer das Ausbleiben der Entwicklung hin- reichend erklärt. Bei den übrigen Objekten ist das nicht der Fall; es haben hier andre Faktoren mitgespielt. Besonders kennzeichnend für den erreichten Formzustand ist die Entwicklung des Knorpelskelets (siehe Textfig. 4 — 11 und folgende Tabelle mit Textfig. 12 a — i). Die Befunde lassen sich in vier Gruppen (/ — IV) einordnen. Die erste Gruppe (T 4; T 8) weist nur ein einheit- liches Knorpelstück von geringer Größe auf, an dem durch Bildung je eines kleinen Fortsatzes eine Gliederung angedeutet ist, die aber in gar keine Beziehung zum normalen 8kelet gebracht werden kann. Das ist auch nicht möglich in der zweiten Gruppe, in der das Trans- plantat der Objekte T 12, T 19 und T 5 zwar mehrere getrennte Knor- pelstücke besitzt, deren morphologische Deutung aber entweder un- möglich (T12, T 19) oder mindestens sehr unsicher ist (T5). Nur läßt sich bei letzterem Objekt mit großer Wahrscheinlichkeit die An- sicht vertreten, daß die proximal gelegene Verdickung des größten Knorpelstücks dem Gelenkende des Femur entspricht. Anders verhält es sich mit den Gruppen III und IV. In ersterer Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 7 98 Bernliard Dürken, {TU, T 13) ist zwar die gesamte Formbildung höchst mangelhaft, es läßt sich aber doch das Vorhandensein der wesentlichen Teile einer Extremität, wenn auch in starker Mißbildung feststellen; es ist sogar an dem als Femur zu deutenden Teile eine Bildung vorhanden, die als Rudiment des Beckens aufzufassen ist. Gruppe IV umfaßt die beiden am weitesten differenzierten Transplantate {T 3, T 11), welche verhält- nismäßig normale Form des Knorpelskelets besitzen. In einem Falle ist auch ein Beckenrudiment vorhanden (TU), in dem andern fehlt ein solches ( T 3) ; hier endet das Femur proximal ohne Andeutung c:> Toxtfig. 12 a—/. eines Gelenkkopfes. Trotz der verhältnismäßig hohen Ausbildung des Skelets in dieser Gruppe kann man es nicht als normal ansprechen, da vornehmlich distale Glieder (Zehen) fehlen oder mangelhaft sind und auch im übrigen Mißbildungen der Form und der Gelenke vorliegen. Das Vorhandensein gelenkiger Abgliederung der einzelnen Teile gegeneinander auch im Falle schwerster Mängel des Ganzen ist von besonderem Interesse. Sogar bei Fall 4 ( T 5) konnte auf die Anlage eines Gelenkes aufmerksam gemacht werden, obwohl gerade hier jede Bewegungsfähigkeit unmöglich ist sowohl wegen Fehlens jeglicher Mus- Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusea usw. 99 Ausbilduugsgrad des Kuorpelskelets. Gruppe. Allgemeine Kenn- zeichnung Objekt s 1 1 S > Textfig. 12 a— i Form des Kuorpelskelets H Morphologische Deutung der KnorpelteUe ein eit- les rpel- ck T4 (FaU 3) 8 - — («) 5 - ] Nur einh licl Kno sti] T8 (Fall 7) 9 - - 7 — lil T12 (FaU 10) 9V2 - — {c) (rf) (e) — — II nte Kl le; mor 1 nicht bar T19 (FaU 13) 17 - — 11 - Getren stücl logisc T5 (Fall 4) 8 — 6 — I Knorpel - rphologisch iber stark t ; wesent- le fehlen T14 (FaU 12) 10 - — (/) ig) 10 Oberschenkel mit Beckenrudiment; Unterschenkel; Fuß. I] Gesonderte stücke; mo deutbar, mißgebilde liehe Tei T13 (FaU 11) 10 + + 9 Beckenrudiment ; Oberschenkel; Unterschenkel; Fuß. n Teile der landen in ig guter ung T3 (Fall 2) 7 + + (0 4 Femur; Tibia; Fi- bula; Tibiale; Fibu- lare; Centrale; Meta- tarsaUa; Phalangen. IV Die wesentlichste Extremität vor verhältnismäß Formbild TU (Fall 9) 91/2 + + 8 Beckenrudiment ; Femur; Tibia; Fi- bula; Tibiale; Fibu- lare ; Centrale ; Meta- tarsalia mit Phalan- gen. kiilatur als auch wegen der Einbettung der beiden abgegliederten Knor- pelstücke in ein und dasselbe zapfenförmige Gebilde. Zwischen Becken- rudiment und Femur ist in keinem Falle ein Gelenk vorhanden; es liegt in den drei in Betracht kommenden Fällen (^14, T 13, TU) feste Verwachsung vor. Besonders gut ausgebildet (Gruppe III und IV) ist das Kniegelenk, aber auch die übrigen Gelenke sind in diesen Gruppen 7* 100 Bcniliard Diirkcn, angelegt (T 14, T 13) oder ziemlich gut ausgebildet. Die Ausbildung der Gelenke ist um so vollkommener, je höher die allgemeine Formdiffe- renzierung des Transplantats ist. Das gleiche gilt für das Knorpel- skelet überhaupt. Daß die Formbildung dieses letzteren dem Ver- suclisalter nicht parallel geht, lehrt ein Blick auf die Tabelle. Wohl aber liegt eine Parallele vor zwischen Ausbildung des Skelets einerseits und der Muskulatur und Nerven anderseits. Ist nur ein einfaches Knorpelstück vorhanden (Gruppe I), so fehlen Muskeln und Nerven vollständig. Der gleiche Mangel ist zu verzeichnen in der Gruppe II, in der das Skelet aus mehreren, aber man könnte fast sagen, willkürlichen Stücken besteht. In Gruppe III besitzt nur das eine Objekt (T 13) geringe, zum Teil histologisch abnorme Muskulatur, und zugleich konnte mit Sicherheit der Eintritt von Nerven nach- gewiesen werden. Die beiden Fälle der Gruppe IV haben sowohl Mus- keln als Nerven, so daß wir feststellen können, daß das Vorhandensein von Muskeln und Nerven parallel geht sowohl hinsichtlich dieser beiden Gewebsarten als auch hinsichtlich des Knorpelskelets. Muskeln und Nerven sind entweder beide vorhanden oder fehlen beide. In erste- rem Falle ist das Knorpelskelet verhältnismäßig gut ausgebildet, in letzterem höchst mangelhaft. Bemerkenswert ist, daß bei T 13 der mißgebildeten Skeletform eine geringe Entwicklung der Muskulatur parallel geht, während die vollkommeneren Skelete T 3 und TU auch mit reichlicher Muskulatur versehen sind. Bindegewebe und damit Gefäße, auch wo letzteres nicht ausdrück- lich erwähnt ist, finden sich — unter Berücksichtigung des oben über metaplastische Entwicklung Gesagten — in allen Transplantaten. 3. Die Ursachen für die mangelhafte Entwicklung der Transplantate. Die Allgemeinausbildung der Transplantate hat nach dem Gesagten als mangelhaft zu gelten; nur bei TU (Fall 9) kann die Formbildung als verhältnismäßig normal angesehen werden. Dieser Gegensatz ist aber kein unvermittelter, sondern die Transplantate weisen eine Form- reihe auf, beginnend mit einem kleinen Knorpelstück und durch Über- gänge aufsteigend zum reichgegliederten Skelet. Sie zeigen also keineswegs ein übereinstimmendes Verhalten, und es gilt nunmehr, den Versuch zu machen, die Ursachen für die bald geringere, bald höhere Differenzierung der aus der embryonalen implantierten Beinknospe ab- stammenden Gebilde aufzudecken. Fassen wir zunächst die mangelhaft entwickelten Transplantate ins Auge. Ihr geringer Entwicklungsgrad ist nicht durch Rückbildung Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 101 entstanden, sondern durch Ausbleiben der Differenzierung. Worauf beruht das? Man kann zuerst an mangelhafte Ernährung der implantierten Beinknospe denken, aber es zeigt sich bei näherer Überlegung, daß eine solche Begründung nicht stichhaltig ist. Zunächst verhindert Hunger keineswegs die Differenzierung der Organe und Gewebe in der Frosch- larve, wie Barfurth (1887) durch eine eigene Untersuchung nach- gewiesen hat und wie ich (1911, S. 318) bestätigen konnte. Im Gegen- teil zeigen Hungerlarven eine beschleunigte Metamorphose; die Form- bildung ist im einzelnen nicht beeinträchtigt, nur bleiben die Tiere klein und kümmerlich. Ferner spricht für die Unzulänglichkeit obiger Be- gründung folgendes: Die Beinknospe besaß bei der Transplantation nur im proximalen Teil die erste Anlage von Gefäßen. Das beweist, daß ihre Ernährung zu der Zeit hauptsächlich noch durch das anstoßende Gewebe vermittelt wird. Daher ist es von vornherein wahrscheinlich, daß sie auch nach der Operation zunächst noch ohne Gefäße auskommt, ohne dauernden Schaden zu nehmen, bis Gefäße von der Unterlage her für Blutzufuhr sorgen. Das darf man um so eher annehmen, als am Einpflanzungsort bei der Operation ein für die Ernährung günstiges Medium vorhanden ist: außer dem äußerst lockeren embryonalen Bindegewebe der Orbitalgegend Blut (aus der Arteria centralis) und schleimartige Substanzen. Auf vorgeschrittenerem Stadium finden sich im Transplantat stets Blutgefäße, so daß eine normale Ernährung sichergestellt ist. Es erscheint daher richtig, den »Hunger« als aus- schlaggebenden Faktor für das Ausbleiben der Differenzierung aus- fallen zu lassen. Ein zweites Moment könnte gesucht werden in der Polarität der Beinknospe. Es wurde zwar bei den Operationen die Beinknospe in möglichst »normaler« Raumorientierung eingesetzt, d. h. so, daß die Spitze aus der Wunde hervorsah, aber es wäre von vornherein nicht ausgeschlossen, daß unter Umständen eine Umkehr der Knospe einge- treten wäre, so daß dann die Basis nach außen, die Spitze nach dem Inneren der Augenhöhle gerichtet gewesen wäre. Besitzt nun die Knospe eine starke Polarität, so wäre es denkbar, daß durch eine solche Umkehrung die normale Entwicklung verhindert wurde. Über die Polarität d^r Beinknospe liegt bis jetzt keine Unter- suchung vor, und über die Polarität beim Froschembryo findet sich nur weniges in der Literatur. Bemerkenswert sind hier nur die Ver- suche von Harrison (1898). Zwei Larven von Rana virescens wurden derartig miteinander vereinigt, daß beiden ein Teil des Schwanzes ab- 102 Beniliard Dürkcn, geschnitten und die so entstandenen Wundflächen zur Verheilung ge- bracht wurden. Nach der Vereinigung wurde die eine Larve nahe der Verwachsungsstelle abgeschnitten, so daß ein kleines Stück ihres Schwanzes an der anderen Larve zurückblieb. Dieser zurückbleibende Schwanzrest hat eine Orientierung, welche der des Trägers entgegen- gesetzt ist. Von seiner neuen Wundfläche aus erfolgte Regeneration, und zwar die Bildung einer Schwanzspitze entgegen der Polarität des angeheilten Schwanzrestes. Daraus geht hervor, daß die Polarität bei Eana virescens nicht so starr ist, als daß sie nicht bei Trans- plantationen durch Einfluß der Unterlage geändert werden könnte. Es ist jedoch zu beachten, daß die an einer bestimmten Form erzielten Ergebnisse sich nicht ohne weiteres auf andere Formen, nicht einmal auf eine nahe verwandte Art der gleichen Gattung über- tragen lassen. Darum ist der bei der vorliegenden Versuchsreihe vorhandene Tatsachenbefund unabhängig nach der Bedeutung der Polarität zu prüfen. Diese Prüfung ergibt die Ablehnung der Polarität als Faktor in den vorliegenden Mißbildungen. Bei der wiederholten genauen Be- sichtigung der Versuchstiere in der ersten Zeit nach der Operation ergab sich, daß die Beinknospen in der gewünschten angegebenen Richtung eingeheilt waren. Ferner wäre es auffälhg, daß bei minde- stens fünf von neun Fällen die Knospe eine unbeabsichtigte nachträg- liche Umkehrmig erfahren hätte. Und endlich spricht dagegen der Befund bei T 5 (Fall 4). Hier findet sich eine schwere Mißbildung des Skelets zugleich mit dem völligen Fehlen von Muskulatur und Nerven. Wie aber schon oben (S. 77) betont wurde, kann kein Zwei- fel darüber bestehen, daß das Transplantat hinsichtlich seines Trägers >> normale <( Raumorientierung besitzt. Es ist also nach anderen Fak- toren zu suchen. In früheren Untersuchungen (1910 — 1913 b) habe ich nachge- wiesen, daß u. a. die Gliedmaßen von Rana fusca einen korrelativ-ab- hängigen Entwicklungsniodus zeigen. Diese wechselseitigen Entwick- lungsabhängigkeiten, für welche ich deshalb, weil sie unmittelbar sind und durch formative Reize bewirkt werden, die Bezeichnung echte Korrelationen vorgeschlagen habe, bestehen u. a. zwischen Extremität und zugehörigen Teilen des Nervensystemsr Die Nerven stehen un- mittelbar in Beziehung zu der Muskulatur, aber die Tatsache, daß (1911, 1913b) durch Entwicklungshemmung des Centralnervensystems nicht ein bloßer Ausfall oder mangelhafte Differenzierung der Musku- latur hervorgerufen wird, sondern schwerste Mißbildung der ganzen Das Verhalten transplantierter Beinknospeji von Rana fusca usw. 103 Extremität — auch des Knorpels — und unter Umständen sogar gänz- liche Unterdrückung der ganzen Gliedmaße, läßt erkennen, daß der gesamte Differenzierungskomplex des Beines vom Nervensystem ab- hängig ist. Aber auch noch andre Entwicklungsbeziehungen konnten aufgedeckt werden. Hier sei nur hervorgehoben das Verhalten des Querfortsatzes des Kreuzbeinwirbels nach einseitiger frühzeitiger Ex- stirpation der Beinanlage (1911, S. 235). Diese hat zunächst zur Folge den Ausfall der zugehörigen Beckenhälfte, und damit steht in Kelation die schwache Ausbildung des zu dieser gehörenden Querfortsatzes in- folge korrelativer Entwicklungshemmung. Kurz gesagt, die Bein- knospen stehen an ihrem normalen Ort in mannigfachen korrelativen Beziehungen, welche notwendige Faktoren für ihre normale Entwick- lung sind. Diese normalen korrelativen Beziehungen werden bei der Trans- plantation gestört; sie können nicht ohne weiteres bei der Einheilung der Beinknospe an einem abnormen Ort wiederhergestellt werden. In dieser Störung haben wir den wahren Grund für die mangelhafte miß- bildungsartige Entwicklung der Transplantate und für die wahrscheinlich gänzliche Unterdrückung einzelner derselben zu erblicken. Durch Korrelationsstörung wird entweder eine ganz schwere Miß- bildung des ganzen Beines oder gar seine gänzliche Unterdrückung er- zeugt, oder es folgen in leichteren Fällen Mißbildungen einzelner Teile. Darin stimmen die früheren Ergebnisse (1911, 1913 b) vollständig mit dem Befund der vorliegenden Untersuchung überein. In dem zuletzt genannten Falle werden besonders die distalen Glieder der Extremität betroffen. Auch das ist hier der Fall. Bei den am besten differen- zierten Transplantaten ( T 3, Fall 2 ; TU, Fall 9) sind außer dem Becken und dem Acetabulum vor allem die Zehen in Mitleidenschaft gezogen. Der nunmehr durch drei voneinander ganz unabhängige Versuchs- reihen (1910 — 1913 b und vorliegende Abhandlung) ermittelte kor- relativ abhängige Entwicklungscharakter der Extremitäten von Rana fusca kann also als sicher erwiesen gelten. Aber wie ist damit in Einklang zu bringen, daß bei den vorliegenden Versuchen gleichwohl ein oder auch zwei Transplantate eine Entwicklung erfahren haben, die dem normalen Zustand zwar keineswegs gleichwertig ist, sich diesem aber doch stark nähert? Jedenfalls ist doch die Störung der ursprünglichen Entwicklungsbeziehungen die gleiche gewesen wie in den übrigen Fällen; das Ergebnis ist aber doch ein stark ab- weichendes. Hier scheint also ein Widerspruch zu bestehen, der gelöst werden muß. 104 Beinhanl Dürken, Gewiß ist die Korrelationsstörung bei der Exstirpation der Bein- knospe und ihrer Übertragung an einen fremden Ort auch in den letzt- genannten Fällen (T3, TU) vorhanden gewesen. Es fragt sich nur, ob diese Störung dauernd bestehen geblieben ist oder ob für die be- seitigten korrelativen Beziehungen irgendwelcher Ersatz eingetreten ist. Diese Fragestellung ist, wie unten klar werden wird, u. a. von her- vorragendem methodologischem Interesse. In der Einleitung wurde die Wendung gebraucht, daß durch die Transplantation in gewissem Sinne eine >>Isolation<< der Beinknospe an- gestrebt werde. Selbstverständlich ist dabei der Ausdruck »Isolation« nicht wörtlich aufzufassen; ihm kommt nur, könnte man sagen, der Wert einer vorläufigen Ausdrucksweise zu, die der Einfachheit halber zunächst angewandt wurde. Denn, wenn auch bei der Entnahme das Transplantat von seinen ursprünglichen Beziehungen isoliert wird, so geht es doch bei der Einheilung neue ein. Die Unterlage steht dem Pfropf keineswegs indifferent gegenüber, sondern zwischen beiden treten gegenseitige Beeinflussungen auf. Besonders ein wenig umfangreiches Transplantat wird sehr wohl von der Unterlage beeinflußt. Das zeigten in den vorliegenden Ver- suchen bereits die geschilderten Metaplasien. Es wird überdies durch zahlreiche Angaben in der Literatur belegt. Vor allem seien hier Arbeiten über die regulatorischen Vorgänge bei Transplantationen, besonders die Beeinflussung der Polarität hervor- gehoben, die den Einfluß der Unterlage auf das Transplantat wohl be- sonders klar vor Augen führen. Zu nennen sind hier u. a. außer der schon angeführten Untersuchung von Harrison (1898) vor allem die Versuche von Wetzel (1898), Peebles (1900) und King (1902) an Hydroidpolypen, bei denen zahl- reiche Regulationen beobachtet wurden, welche auf die gegenseitige Beeinflussung der Komponenten nach der Transplantation zurück- gehen. Ferner erzielte entsprechende Ergebnisse L. V. Morgan (1906) an Planarien. Hier sind ferner zu nennen die Transplantationen von RuTHLOFF (1908) an Lumbriciden, bei denen durch Anheilung eines kleinen Transplantats in diesem eine Polaritätsumkehr erzielt wurde. Auch die Regulationen bei Verschmelzung von Echinidenkeimen Driesch (1900) gehören hierher, wie noch vieles andre, auf dessen Auf- zählung verzichtet werden kann. Aus dem Angeführten folgt zur Genüge die Beeinflussung des Transplantats durch die Unterlage. Es kommt nun darauf an zu sehen, wie es in den vorliegenden Versuchen damit steht. Das Verhalten tians|ilantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 105 In meinen wiederholt genannten früheren Untersuchungen (1911, 1913b) hatte sich gezeigt, daß gerade die Störung der Innervation bzw. die Entwicklungshemmung der nervösen Centren korrelativ zu schwer- sten Entwicklungshemmungen der Gliedmaßen führt. Daraus gelangt man zu der Forderung, daß dann, wenn Innervation der transplantierten Knospe vorhanden ist, mit andern Worten, wenn eine nervöse Verbin- dung derselben mit einem nervösen Centrum hergestellt wird — natur- gemäß bis zu einem gewissen frühen Zeitpunkt — , die Entwicklung des embryonalen Transplantats sich dem normalen Endzustand mehr nähern muß, als wenn eine völlige Isolation gegenüber dem Nerven- system bestehen bleibt. Daß in dieser Forderung eine noch zu be- weisende Voraussetzung steckt, sei hier vorderhand nur angedeutet. Diese Forderung ist aber in den vorliegenden Versuchen voll und ganz erfüllt. In drei Fällen {T 13, Fall 11, T 3, Fall 2, TU, Fall 9) konnte mit unbedingter Sicherheit die Innervation des Transplantats vom Ganglion prooticum commune aus nachgewiesen werden, und diese drei Fälle sind nicht nur die einzigen, in denen außer Knorpel und Bindegewebe auch noch Muskulatur differenziert ist, sie sind auch allein diejenigen, welche ganz allgemein den höchsten Entwicklungs- grad erreicht haben, bei denen auch das Skelet sich am meisten dem normalen Formzustand nähert. Wie die Nerven in das Transplantat hineingekommen sind, braucht hierbei nicht erörtert zu werden; hier genügt die Tatsache, daß sie vorhanden sind und die Verbindung mit einem nervösen Centrum vermitteln. Demgegenüber weisen alle nerven- losen Transplantate einen äußerst mangelhaften Differenzierungsgrad auf, nicht nur dadurch, daß sie keine Spur von Muskulatur besitzen, sondern auch durch die Mangelhaftigkeit des Skelets. Die Differen- zierung der drei innervierten Fälle geht ferner genau parallel dem Stärkegrade der Innervierung. Bei T 13 treten nur schwache Nerven- äste in das Transplantat ein. Dementsprechend ist das Skelet sehr mißgebildet und mangelhaft, und nur ein kleiner Teil der in geringem Umfange vorhandenen Muskulatur hat normale histologische Beschaffen- heit. Besser ist es mit der Innervierung bei T 3 und TU, besonders bei letzterem, wo ein starker Nerv in das Bein eintritt und sich verzweigt. In Zusammenhang damit ist nicht nur eine gut entwickelte Muskulatur vorhanden, sondern auch das Knorpelskelet weist eine auffallend gute Ausbildung auf. Alles zusammengenommen liegt hier also ein schlagendes Beispiel für die Beeinflussung des Transplantats durch die Unterlage vor, ins- besondere eine Beeinflussung durch das Nervensystem. Zwischen den 106 Bernhard Dürkcn, mangelhaften muskelfreien Transplantaten und zwischen den besser differenzierten letztgenannten drei Fällen besteht also kein Widerspruch, sondern letztere bestätigen ebenso wie erstere den korrelativ abhängigen Entwicklungsmodus der Gliedmaßen von Rana fusca. Daß selbst bei der verhältnismäßig starken Innervierung von TU (Fall 9) nicht die gesamte Muskulatur normal beschaffen ist und auch sonst schwere Mängel der Formbildung vorliegen, kann nicht wunder- nehmen, wenn man die aus drei Wurzelpaaren stammende mächtige Innervierung des normalen Beines bedenkt. Ausdrücklich mag hervorgehoben werden, daß die durch das Nervensystem vermittelten formativen Keize wohl nicht die einzigen sind, welche in diesen Versuchen für die Beeinflussung des Transplantats durch den Träger in Betracht kommen. Aber sie sind bei der Art des vorliegenden Objekts die in erster Linie ausschlaggebenden und im Gegensatz zu den andern jedenfalls noch vorhandenen Reizen die am klarsten nachweisbaren. Wie beim normalen Bein namentlich auch für die Einzelteile des Skelets andre Reizquellen als das Nervensystem anzunehmen sind (vgl. das oben über den Querfortsatz des Sacral- wirbels Gesagte und die Abhandlung 1911) — , so wird auch die ge- samte neue Umgebung des Transplantats jedenfalls einen formativ reizenden Einfluß negativer oder positiver Natur auf die Beinknospe ausüben. Näheres läßt sich aber darüber hier nicht ermitteln. Kurz gesagt tritt aber deutlich zutage, daß die durch die Exstir- pation gestörten korrelativen Beziehungen bei der Einheilung an ge- wissem abnormen Ort wenigstens in gewissem Grade ersetzt werden können. Auf diese merkwürdige Erscheinung wird unten noch beson- dere Aufmerksamkeit gerichtet werden müssen. Von den verschiedenen Gewebsarten zeigt in der transplantierten Beinknospe der Knorpel die größere Selbständigkeit der Entwicklung, sowohl nach der histologischen Seite als auch nach der Seite der Aus- bildung getrennter Teile, d. h. mit andern Worten der Anlage von Gelenken. Von einer bedingungslosen Selbstdifferenzierung des Knor- pelskelets kann allerdings nach den Erfolgen der Versuche in Über- einstimmung mit den früheren Ergebnissen (1911, 1913 b) nicht die Rede sein. Für diese relative Selbständigkeit der Knorpelbildungen liegt ein Grund zunächst darin, daß der Knorpel sich auch bei der normalen Beinentwicklung sehr frühzeitig als Mesenchymverdichtung (Vor- knorpel) absondert, wie schon oben hervorgehoben wurde, so daß auch in einer noch indifferent aussehenden Beinknospe die intracellu- Da« Verhalten transplaiitierter ßeiiiknospen von Raua fusca usw. 107 läreii Differenzierungen dieser Gewebsart wohl schon in die Wege ge- leitet sind. Infolgedessen wird die Knorpelanlage auf einem relativ vorgeschritteneren Stadium transplantiert. Mit dem Fortschreiten des Entwicklungsgrades nimmt aber bekannterweise die Abhängigkeit der Entwicklung mehr und mehr ab bzw. sie kommt nicht mehr zur Geltung, da hierfür eine gewisse Zeit notwendig ist (1911 S. 325). Auch Le Cron (1907) hat dies letztere festgestellt. 8o erklärt sich wohl vor allem der normale histologische Zustand der Knorpelbildungen. Die Formbil- dung hat sich aber in den vorhegenden Versuchen auch als abhängig erwiesen. Immerhin ist sehr auffallend die auch bei schwerer Mißbildung des Skelets auftretende Neigung zur Bildung von Gelenken. Auch im muskelfreien Transplantat (Tö, Fall 4, TU, Fall 12), in dem eine Bewegung der Teile gegeneinander vollständig ausgeschlossen ist, sind gelenkige Absetzungen vorhanden. Das beweist klar, daß die Funktion ontogenetisch für die Anlage der Gelenke keine Kolle spielt. Das steht ganz im Einklang mit der bekannten Tatsache, daß in der normalen Entwicklung die Froschlarven die Extremitäten erst spät zu bewegen beginnen. Die Unabhängigkeit der Ghederung des Knorpelskelets von der Entwicklung der Muskulatur in der Brustflosse des Haies hat Braus (1906) durch eine besondere Untersuchung nachgewiesen. Auch wenn die Entwicklung der Muskulatur in der Flosse vollständig verhindert wird, tritt die normale Ghederung des Skelets ein. Daß die Gelenke einen hohen Grad von Selbstdifferenzierungsfähigkeit besitzen, geht auch aus einer andern Untersuchung desselben Autors hervor (Braus 1910). Transplantationen von Beinknospen bei Amphibien sind aus- geführt worden von Banchi (1904, 1906), Braus (1904, 1905, 1909), Gemelli (1906) und Harrison (1907), vor allem mit Rücksicht auf die Frage, wie die Nerven in der transplantierten Beinknospe ent- stehen; die Arbeiten von Braus berücksichtigen auch eingehend die Skeletentwicklung und zeigen, daß insbesondere die Gelenkentwicklung unabhängig von der Funktion, der Metamerie der Muskeln und selbst unabhängig von den Gelenkteilen der Umgebung erfolgt. Für die Frage der Entwicklungsabhängigkeit der Extremitäten vom Nervensystem haben die genannten Untersuchungen nur mittelbaren Wert. Denn erstens sind in den implantierten Beinknospen nach einiger Zeit stets Nerven gefunden worden, zweitens sind die Versuche nicht an Rana fusca, sondern an andern Objekten vorgenommen worden. Die Erfah- 108 Bernhard Dürken, rung namentlich bei der Erforschung der Linsenentwicklung hat aber gelehrt, daß auch nahe verwandte Formen sich ungleich verhalten können. Darauf mögen einzelne Widersprüche zurückgehen. Banchi und Gemelli experimentierten mit Bujo vulgaris, Braus mit Bomhi- nator pachypus, Harrison mit Rana sylvatica und Bujo lentiginosus. Jedenfalls würde es von höchstem Interesse sein, an diesen Formen die Transplantationen nach derselben Richtung hin zu wiederholen, wie vorliegende Untersuchung sie für Rana fusca geschildert hat. Sollte dann ein verschiedenes Verhalten der einzelnen Species zutage treten, würden die Ergebnisse in dem unten (S. 120) angedeuteten Sinne zu verwerten sein. Hier verdienen besonders hervorgehoben zu werden die »accesso- rischen<< Extremitäten, welche sowohl Braus wie Harrlson bei ihren Transplantationen beobachteten. Es treten nämlich an den implan- tierten Beinknospen häufig Verdoppelungen auf (in meinen Versuchen sind solche nicht vorgekommen), welche zur Bildung einer zweiten accessorischen Extremität führen. Nach Braus sind die accessorischen Extremitäten bei Bomhinator stets nervenlos, können aber im übrigen voll entwickelt sein. Dagegen gibt Harrison an, daß bei Rana syl- vatica und Bufo lentiginosus die superregenerierten Beine stets Nerven besitzen. Der Widerspruch ist nicht ohne weiteres zu lösen; er mag auf die Verschiedenheit des Materials zurückgehen. Jedenfalls aber sprechen die Angaben von Braus für Unabhängigkeit dieser Superregene- ration vom Nervensystem. Ob aber dieselbe als reine Selbstdifferen- zierung einer Extremität angesehen werden darf, scheint mir einer besonderen Untersuchung zu bedürfen. Wenn in den hier zu Rede stehenden Versuchen an Rana fusca auch unzweideutig zum Ausdruck konunt, daß erstens die Gelenk- anlage einen hohen Grad von Selbständigkeit besitzt, daß zweitens die Anlage von Gelenken völlig unabhängig von der Muskulatur erfolgt, wie Braus dasselbe für Bombinator festgesetllt hat, so läßt sich anderseits nicht verkennen, daß eine absolute Selbstdifferenzierung der Gelenke bei Rana fusca jedenfalls auch nicht vorhegt. Denn selbst bei TU (Fall 9), das gute Formbildung und auch reichhche Muskulatur aufweist, ist das Beckenrudiment wie in allen andern Fällen fest mit dem Gelenk- ende des Femur verwachsen, und andre Fälle zeigen ja überhaupt keine Spuren einer Gelenkanlage. Das steht gut im Einklang mit dem bei Rana fusca überhaupt stark in den Vordergrund tretenden korrelativ-abhängigen Entwicklungsmodus (Extremitäten, Augenlinse, Auge, Nervensystem !). Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 109 4. Die Beeinflussung der Unterlage durch das Transplantat und die Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes. a) Die Wirkung der Augenexstirpation auf die als Unterlage benutzte Larve. Aus dem Vorhergehenden geht deutlich hervor, daß die Umgebung des Transplantats diesem letzteren nicht indifferent gegenübersteht, sondern wesentUchen Einfluß auf dasselbe ausübt. Es erhebt sich nun die Frage, ob auch das Umgekehrte der Fall ist, ob also auch das Trans- plantat seine Umgebung beeinflußt. Um das zu entscheiden, ist zu- nächst den Wirkungen der Augenexstirpation auf die als Unterlage dienende Larve nachzugehen. Die Folgen frühzeitiger Augenexstirpation bei Rana fusca habe ich in einer besonderen Untersuchung (1913b) klargelegt. In der hier vorliegenden Versuchsreihe sind daher ähnliche Ergebnisse zu erwarten, mit der einen Einschränkung, daß die Larven auf dem Operationsstadium ein wenig höher entwickelt waren als 1913. Infolgedessen sind die Folgen der Augenexstirpation nicht so schwere wie dort. Das Centralnervensystem (Mittelhirn) ist einseitig in Mitleiden- schaft gezogen, indem Verkleinerung des linken Lobus opticus vor- handen ist. Bei T 9 (Fall 8) hat die Entwicklungshemmung auf die rechte Hirnhälfte übergegriffen, so daß hier beide Lobi optici in Mit- leidenschaft gezogen sind, wie das häufig der Fall war in meinen Ver- suchen über Augenexstirpation (1913b). Der rechte N. opticus fehlt überall vollständig. Die Augenmuskeln sind in allen Fällen meist in regelloser Anord- nung vorhanden; nur der M. levator bulbi zeigt stets eine verhältnis- mäßig normale Ausbildung. Die Extremitäten haben, entsprechend der im allgemeinen nur einseitigen Entwicklungshemmung des Nervensystems, in ihrer Form- bildung meist nicht gelitten, jedoch konnte in drei Fällen {T 7, Fall 6; T9, Fall 8; TU, Fall 12) Mißbildung der Füße beobachtet werden. Dem entspricht bei T 9 die doppelseitige Entwicklungshemmung des Mittelhirns. Auch der Knorpelschädel weist im Vergleich zu den jüngeren Operationsserien 1913 nur verhältnismäßig geringe Beeinflussung auf. Außer starker Verengerung des Foramen nervi optici oder dessen voll- ständigem Verschluß und der Vorlagerung der Ohrkapsel ist nichts von Bedeutung zu erwähnen. Insbesondere fehlt abgesehen von Fall 5 ( T 6) die starke Verdickung der orbitalen . Öchädelseitenwand auf der 110 Boriiliard Dürkcn, Operationsseite, wie sie 1913 als typische Folge der Augenexstirpation beobachtet werden konnte. Bei T 6 ist die rechte Schädelseitenwand nur an einigen Stellen etwas dicker als die linke. Ob das Aus- bleiben dieser eigenartigen Formreaktion lediglich auf den Ent- wicklungsgrad des Ausgangsstadiums zurückzuführen ist, bleibt noch zu erörtern. b) Wirkung des Transplantats auf die Unterlage, insbeson- dere die Conjunctiva. Bei der Operation wurde die Conjunctiva möglichst geschont; nur ihr Hinterwinkel wurde zerstört, um den Augenbulbus zu entfernen und die Beinknospe einzusetzen. Auf dem Operationsstadium ist sie gegenüber der übrigen Kopfhaut erst wenig verdünnt; sie besitzt noch reichlich Pigment, wenn auch schon etwas weniger als die übrige Epi- dermis. Augenlider sind noch nicht vorhanden. Auch deren Gebiet wird bei der Operation kaum verletzt. Prüfen wir zunächst einmal, ob nun nach Fortnahme des Auges und nach Einheilung der Beinknospe sich die Lidfalten bilden oder nicht (vgl. folgende Tabelle). Verhalten der Conjunctiva und der Augenlider. übject Transplantat Conjunctiva Lidfalten, fehlend (— ) oder vorhanden ( + ) TG (Fall 5) fehlt Nur etwas weniger Pig- ment als in der Körper- haut; nur wenig ver- dünnt + T7 (Fall G) fehlt dick ; viel Pigment, doch weniger als in der Kopf- haut auch auf der norma- len Seite noch nicht gebildet T9 (Fall 8) fehlt viel Pigment, aber weni- ger als in der Kopfhaut — T15 (Fall 13) fehlt viel Pigment; etwas auf- gehellt, in einer vor- springenden Falte etwas mehr aufgehellt + T17 (Fall U) fehlt nur etwas weniger Pig- ment als in der übrigen Haut -H Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 111 Transplantat Conjunctiva l.idfalten, fehlend (— ) oder vorhanden ( + ) ganz in der Tiefe; sehr klein etwas verdünnt; pig- mentiert, etwas auf- gehellt :anz in der Tiefe; sehr klein pigmentiert; etwas auf- gehellt noch sehr jung und un- entwickelt dick, mit Pigment; über zieht Transplantat; auf der normalen Seite voll kommen durchsichtig sehr klein ; in der Tiefe ; nur ein bindegewebiges mit Pigment, dick Zäpfchen frei vorragend ehr klein; äußerlich in der Lidspalte als winzi- ger Kolben vorragend; im vorderen Augen- winkel groß; frei vorragend; zum Teil von Conjunc tiva überwachsen groß; frei vorragend, zum Teil von Conjunc- tiva überwachsen äußerlich aufgewachsen ; groß ; abgesehen vom Vorderrand stark pig- mentiert im Hinterwinkel der Augenhöhle; mäßig groß ; zum Teil frei vor- ragend; stark pigmen- tiert ; von der Kopfhaut überdeckt kein Pigment ; überzieht das Transplantat überzieht Ti'ansplantat kein Pigment überzieht Transplantat; kein Pigment; durch- scheinend Vorderrand des Trans- plantats ohne Pigment nur geringe Ausdeh- nung ; vielleicht zer- stört nur am vorderen Augenwinkel schwach angedeutet zum Teil in der Tiefe; mäßig groß ; distaler Teil frei vorragend; pigmen- tiert; Spitze pigmentlos unsicher; vielleicht pigmentfreie Epidermis an der Spitze des Trans- plantats Es liegen fünf Fälle vor (5, 6, 8, 13, 14), in denen bei der Unter- suchung kein Transplantat vorgefunden wurde. Der eine Fall scheidet 112 Bernhard Dürken, für unsre Betrachtung aus, weil auch auf der normalen Kopfseite noch keine Lidfalten angelegt sind (T7, Fall 6). Von den vier übrigen Fällen besitzen drei auf der Operationsseite gut ausgeprägte Lidfalten (5, 13, 14), während sie bei T 9 (Fall 8) fehlen. Man kann also sagen, daß beim Fehlen des Transplantats im allgemeinen die Augenlider gebildet werden. Zu dem gleichen Ergebnis führt die Betrachtung der kleinen, ganz oder zum Teil in der Tiefe der Orbita eingebetteten Transplantate. Davon Hegen ebenfalls fünf Fälle vor (7, 10, 1, 3, 15). Abgesehen von einem Falle (T 2, Fall 1) sind Augenhder vorhanden. Das Fehlen der- selben bei T2 (Fall 1) erklärt sich daraus, daß wohl noch nicht eine genügend lange Versuchsdauer vorliegt, da das Objekt schon 5 Wochen nach der Operation als erstes konserviert wurde; dementsprechend ist ja auch das Transplantat noch undifferenziert (vgl. oben). Anders verhalten sich jedoch die Augenhder bei den großen frei hervorragenden Transplantaten, von denen auch fünf Fälle zu ver- zeichnen sind (2, 9, 11, 4, 12). Hier fehlen sie bei allen mit der einen Ausnahme, daß bei T 5 (Fall 4), dessen Transplantat äußerlich im hinteren Augenwinkel nur als kurzer Zapfen hervorragt, am Vorder- winkel des Augengebietes eine schwache Andeutung der Lidfalten auftritt. Es handelt sich also augenscheinlich um eine Beeinflussung der Lidbildung durch das Transplantat. Fehlt ein solches oder ist es sehr klein, werden im allgemeinen die Lider ausgebildet; ist es aber groß, so wird ihre Entwicklung unterdrückt. Die Erklärung dafür ist aber nicht in der Wirkung besonderer for- mativer Reize zu suchen, sondern in der rein mechanischen Wirkung des wachsenden Transplantats. Durch das weit über die Oberfläche vortretende Gebilde wird die umgebende Haut vorgestülpt und glatt- gezogen, so daß eine Faltenbildung verhindert wird. Ist das frei vor- ragende Stück des Transplantats klein wie bei T 5 (Fall 4), so können die Lidfalten noch angedeutet werden. Im allgemeinen wird also die Bildung der Augenlider durch das Fehlen des Bulbus nicht berührt, doch gilt das nicht unbedingt, wie der Fall 8 (T9) lehrt, bei dem trotz Fehlens des Transplantats keine Lidfalten vorhanden sind. Interessanter ist die Wirkung der Augenexstirpation und die Ent- wicklung des Transplantats auf die Conjunctiva. Es zeigt sich nämlich, daß durch Fortnahme des Auges unter Schonung d-es Conjunctiva- gebiets die weitere Aufhellung der Conjunctiva unterbleibt, daß aber Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 113 unter Umständen durch die Entwicklung des Transplantats der Ausfall des Auges wettgemacht wird und dann doch das Pigment aus der Con- junctiva verschwindet. Eine Durchsicht der in der vorstehenden Tabelle zusammen- gestellten Tatsachen läßt das angegebene Verhalten klar erkennen. Ist das Transplantat gänzHch unterdrückt worden (Fall 5, 6, 8, 13, 14), so bleibt die Conjunctiva ziemlich dick; sie wird im Gegensatz zum normalen Verhalten gegenüber der übrigen Kopfhaut nur wenig ver- dünnt. Außerdem bleibt sie stark pigmentiert. Allerdings erscheint sie etwas heller als die Umgebung, aber das rührt daher, daß schon auf dem Operationsstadium die Aufhellung begonnen hatte. Diese Auf- hellung bleibt stets erhalten, so daß daran das Gebiet der Conjunctiva erkannt werden kann. Das gleiche Verhalten bleibt bestehen, wenn das ganz in die Tiefe verlagerte Transplantat eine nur geringe Entwicklung durchmacht, wie in den vier folgenden Fällen (7, 10, 1, 4). Auch hier ist die Con- junctiva nur wenig dünner als die übrige Haut und enthält viel Pig- ment. Der Fall 1 {T 2) ist allerdings einigermaßen auszuscheiden, da das Objekt verhältnismäßig frühzeitig abgetötet wurde. Das Trans- plantat ist noch gar nicht differenziert, und es ist nicht zu sagen, ob es nicht noch einen höheren Ausbildungsgrad erreicht haben würde, so daß sich im Anschluß daran die Verhältnisse im Sinne der Fälle 2, 11 und 13 geändert haben würden. Die Conjunctiva hat die Beinknospe ganz überwachsen, ist nicht verdünnt und enthält Pigment, allerdings weniger als die übrige Kopfhaut. Auf der normalen Seite ist aber schon eine völlige Aufhellung eingetreten, so daß hier auch die Verzögerung dieses Vorganges feststeht. Die Sachlage ändert sich aber vollständig, wenn das Transplantat sich so entwickelt, daß es frei nach außen vorragt und die Conjunctiva mehr oder minder nach außen vorbuchtet. Dann verliert die Con- junctiva ihr Pigment, das höchstens in geringen Spuren zurückbleibt. Eine Verringerung ihrer Dicke tritt nicht ein; sie bildet dann ganz oder teilweise die Epidermis des Transplantats (vgl. oben S. 91). Es ist dabei nicht notwendig, daß das Transplantat sehr groß ist, wie wir gleich sehen werden. Betrachten wir zunächst den Fall 15 (T19). Wie schon oben (S. 92) ausgeführt wurde, kann kein Zweifel darüber bestehen, daß das in der vorderen Hälfte der Lidspalte stehende Transplantat vöUig von der Conjunctiva überzogen wird, die durch den Knorpel des Trans- plantats kolbenförmig nach außen vorgestülpt ist. Sowohl die Beob- Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 8 114 Bernhard Dürken, achtung am lebenden und konservierten Objekt wie die Untersuchung auf Schnitten zeigt, daß diese vorgebuchtete Conjunctiva kein Pigment enthält. Ebenfalls kein Pigment findet sich in den andern analogen Fällen (2, 9, 11), in denen das Transplantat in ansehnlicher Größe frei vorragt. Diejenigen Teile seiner Epidermis, welche als Derivat der Conjunctiva zu bezeichnen sind, enthalten kein Pigment. Infolgedessen ist der nach vorn (im Sinne des Trägers!) gelegene Rand des Transplantats pigmentlos, wie besonders deuthch Taf. V, Fig. 15 zur Anschauung bringt. Bei diesem Objekt (TU, Fall 9) geht die Aufhellung der Con- junctiva bzw. ihres Derivats so weit, daß das Transplantat im Leben durchscheinend war, so daß man durch die Haut das Knorpelskelet erblickte. Ganz übereinstimmend verhalten sich die Fälle 2 (T3) und 11 (T 13). Taf. V, Fig. 20 (T 13) zeigt deutlich die Grenze des pigment- freien von der Conjunctiva abstammenden Gebiets gegen den pigmen- tierten Bezirk. Das nur mäßig vorragende Transplantat des Objekts T5 (Fall 4) ist vollständig pigmentiert. Es beweist aber nichts gegen die vor- stehenden auf einer völlig geschlossenen Tatsachenkette beruhenden Ausführungen. Denn erstens steht das Transplantat im hinteren Augenwinkel (vgl. Taf. IV, Fig. 10), so daß anzunehmen ist, daß es von der immer pigmentierten Kopfhaut überzogen ist. Zweitens besitzt das Gebiet zwischen den nur eben angedeuteten Lidfalten im Vorderwinkel eine nur geringe Ausdehnung, vielleicht ist hier ein größerer Teil der Conjunctiva zerstört worden, als beabsichtigt war. Als unsicher muß ausgeschaltet werden T 14 (Fall 12). Das Objekt wurde tot im Aquarium gefunden, so daß sichere Feststellungen über die hierher gehörenden Erscheinungen nicht mehr gemacht werden konnten. Immerhin spricht aber der Umstand, daß wenigstens ein kleiner Teil seiner Epidermis als völhg pigmentfrei festgestellt werden konnte, mehr für die obigen Darlegungen als dagegen. Die Abhängigkeit der Aufhellung der Conjunctiva von der Ent- wicklung des Auges auch bei Amhhjstoma hat Lewis (1905) nach- gewiesen. c) Die Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes. Die Untersuchung über das Verhalten der Conjunctiva liefert nun- mehr zwei Ergebnisse. Erstens: Die Ausbildung der Conjunctiva ist keine Selbst differen- Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 115 zierung, sondern sie ist abhängig von der Entwicklung des Augapfels. Die Einwirkung des letzteren auf die ihn überlagernde Kopfhaut nach Abschnürung der Linse kann nur als Reiz gedacht werden. Die Ab- hängigkeit ist aber, soweit ermittelt werden konnte, eine einseitige, in- dem nur die Conjunctiva abhängig erscheint voni Auge, nicht um- gekehrt. Für das wechselseitige unmittelbare Abhängigkeitsverhältnis zweier oder mehrerer Komponenten eines Komplexes, vermittelt durch morphogenetische oder formative Reize, habe ich (1913, S. 234) die Bezeichnung echte Entwicklungskorrelation vorgeschlagen. In rich- tiger Anwendung des sprachlichen Ausdrucks benenne ich ein derartiges einseitiges Abhängigkeitsverhältnis als Relation, so daß wir also sagen müssen, die Conjunctiva von Rana fusca steht in echter Entwicklungs- relation zum Bulbus des Auges. Zweitens: Der formative Reiz, den das Auge auf die Conjunctiva ausübt, ist kein spezifischer in dem Sinne, daß er eben nur vom Auge ausgehen kann. Er kann auch geliefert werden von einem andern Entwicklungskomplex, wie ihn eine an Stelle des Auges unter der Con- junctiva sich entwickelnde Beinknospe darstellt. Das besagt, daß die Quelle des formativen Reizes vertauscht werden kann, wie das in den vorliegenden Versuchen tatsächlich geschehen ist. Das ist nicht nur geschehen beim »Ersatz« des Auges durch die Beinknospe, sondern auch durch die Innervation derselben vom Gan- ghon prooticum commune aus, wenn es dabei auch nicht so auf- fällig ist. Oben (S. 105) wurde die Forderung aufgestellt, daß die transplan- tierte Beinknospe beim Vorhandensein einer Innervation einen höheren Differenzierungsgrad erreichen muß als bei völhger Isolation gegen- über dem Nervensystem. Diese Forderung wird, wie wir gesehen haben, durch die vorliegenden Versuchsergebnisse aufs genaueste erfüllt. Da- mit ist an sich schon die Richtigkeit der Voraussetzung für diese Forde- rung erwiesen. Denn wenn die unerläßliche Voraussetzung nicht zu- treffend ist, kann auch die auf ihr beruhende Folgerung nicht eintreten; tritt diese aber ein, so beweist das die Richtigkeit der Voraussetzung. Um endhch diese Voraussetzung zu nennen: sie besteht in der Ver- tauschbarkeit der normalen Beincentren als Quelle eines formativen Reizes mit irgendwelchen andern nervösen Centren. Diese Sachlage ist in diesen Versuchen tatsächlich vorhanden. Denn die Innervation des entwickelten Transplantats vom Ganglion prooticum commune bzw. von den diesem Ganglion übergeschalteten Hirnzentren aus (Fall 11, 2, 9) ersetzt die Innervation der an normaler Stelle sich entwickelnden 8* 116 Bernhard Dürken, Beinknospe von den normalen Beincentren des Rückenmarks nnd Gehirns aus. Könnte der formative Reiz, der, wie hinreichend gezeigt worden ist, bei Rana jusca für die Beinentwicklung notwendig ist, nur ausgehen von den normalen Beincentren des Centralnervensystems, so könnte sich die transplantierte Anlage nicht so weitgehend differenzieren, wie es bei drei Objekten (Fall 11, 2, 9) geschehen ist. Die Tatsache, daß bei fremdartiger Innervation hochgradige Differenzierung eintritt, be- weist die Möglichkeit, die Quelle des formativen Reizes zu vertauschen, ebenso, wie der Beweis dafür geliefert wird durch die völlige Aufhellung der Conjunctiva, wenn diese dem formativen Reiz der wachsenden Bein- knospe ausgesetzt ist, statt dem normalerweise vom Auge ausgehenden Reiz. In der Einleitung wurde dargelegt, aus welchen Gründen gerade die Augenhöhle als Übertragungsort ausgewählt wurde. Ich ging dabei u. a. von der Fragestellung aus, ob die nach frühzeitiger Augenexstir- pation eintretende Verdickung der orbitalen Schädelseitenwand (1913b) durch Implantation der Beinknospe an Stelle des Bulbus verhindert wird. Diese Frage kann nun allerdings an dem vorliegenden Material nicht gelöst we'rden. Denn sowohl bei den transplantatlosen Objekten als auch bei den Transplantatträgern ist die orbitale Seitenwand des Chondrocraniums durchweg normal beschaffen. Das kann einmal darauf beruhen, daß das Ausgangsmaterial etwas weiter in der Entwicklung vorgeschritten war als das Ausgangsmaterial 0 (1913). Allerdings ist die orbitale Seitenwand wenigstens in ihrer größeren Ausdehnung auch bei dem Ausgangsstadium der vorliegenden Versuche noch frei von Knorpel, aber die Entwicklung des Chondrocraniums ist zweifellos weiter gediehen als bei dem Ausgangsstadium 1913, so daß der Zeit- punkt der Augenexstirpation und der Transplantation früher zu legen wäre. Dahingehende Versuche an jüngerem Material sind auch bei dieser Untersuchung gemacht worden, doch erzielten sie infolge Abster- bens der Larven kein Ergebnis. Dann kann aber auch das Ausbleiben der Schädelwandverdickung bei den transplantatlosen Tieren darauf zurückgehen, daß das ur- sprünghch vorhandene und erst sekundär unterdrückte Transplantat schon einen formativen Einfluß auf die Anlage des Knorpels ausgeübt hat. Diese Frage muß vorläufig unentschieden bleiben. Die Möglichkeit, die normale Quelle des formativen Reizes zu ersetzen, geht auch unter Ausschluß dieser speziellen Frage aus den J Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 117 Versuchsergebnissen hervor. Ich bezeichne sie als die Vertret- barkeit der Quelle des formativen Reizes. Diese Vertretbarkeit ist u. a. auch deswegen wichtig, weil sie uns ein Mittel an die Hand gibt, durch geeignete Versuche näheres über die Natur der formativen Reize zu ermitteln, und weil sie das Problem der formativen Reize bedeutend vereinfacht. Darüber läßt sich auf Grund der hier geschilderten Versuche natur- gemäß noch nicht viel sagen. Immerhin können schon einige Gesichts- punkte hervorgehoben werden, welche in dieser Hinsicht zu berück- sichtigen sein werden. Die Vertretbarkeit ist keine beliebige oder, was mit andern Worten dasselbe besagt, ein bestimmter formativer Reiz kann nicht durch einen beliebigen andern formativen Reiz vertreten werden, sondern nur die Reizquelle kann ausgetauscht werden. Das geht hervor aus dem Ver- halten der Beinanlage gegenüber dem Nervensystem. Der von diesem gelieferte formative Reiz kann nicht durch einen beliebigen ersetzt werden, sondern muß vom Nervensystem ausgehen. Daher ist die In- nervation der Anlage zu ihrer normalen Entwicklung notwendig. Anderseits können nicht nur die normalen Beincentren diesen not- wendigen Reiz liefern, sondern auch andre Nervencentren, wie die innervierten Transplantate beweisen. Auch der formative Reiz, der von dem Auge auf die junge Conjunctiva ausgeübt wird und zu ihrer endgültigen Differenzierung notwendig ist, kann von einer fremd- artigen Quelle stammen. Der Reiz kann also nicht so einseitig spezi- fisch sein, daß er nur vom Bulbus des Auges geliefert werden kann, son- dern er muß einen viel allgemeineren Charakter haben, so daß er auch von einem andern Entwicklungskomplex ausgehen kann. Das berechtigt wohl, die Anschauung auszusprechen, daß nicht von allen Reizquellen ein und dieselbe Reizart ausgeht, sondern daß es eine gewisse Anzahl von formativen Reizen oder mehrere unter sich verschiedene Kategorien dieser Reize gibt, die aber viel weniger zahl- reich sind als die einzelnen speziellen Fälle, in denen die Wirksamkeit formativen Reizes nachgewiesen werden kann. Darin liegt die be- deutende Vereinfachung des ganzen Problems. Diese Vereinfachung kommt nicht nur der Frage nach der Natur der formativen Reize zugute, sondern auch dem Problem der Kor- relationen. Die Spezifität der formativen oder morphogenetischen Reize wird also nicht darin zu suchen sein, daß in jedem einzelnen Falle ein ganz spezieller Reiz vorliegt, der nur von einer ganz speziellen Quelle aus- 118 Bernliard Düiken, gehen kann, sondern darin, daß die formativen Reize erstens nicht funktionelle Reize sind (vgl. 1911, S. 298), und daß zweitens gewisse, vielleicht nicht einmal zahlreiche Kategorien dieser Reize vorkommen, welche allerdings dann spezifisch formative Reaktionen erzielen. Diese spezifische Wirkung der formativen Reizart geht z. B. in deuthcher Weise auch hervor aus den schönen Versuchen Spemanns und andrer Autoren über die Linsenentwicklung bei den anuren Am- phibien (1912), insbesondere bei Bombinator 'pachypus. Der Augen- becher übt auf Epidermiszellen, die normalerweise eine Linse liefern, einen formativen Reiz aus, der nicht beliebige Vorgänge auslöst, son- dern die spezifische Wirkung hat, daß sich eine Linse bildet. Diese spezifische Reaktion läßt auf einen spezifischen Reiz schließen. Im übrigen werden noch zahlreiche Versuche notwendig sein, um in der angedeuteten Richtung weiterzukommen, insbesondere wird zu prüfen sein, welche Entwicklungskomplexe sich als Reizquelle ver- treten können. 5. Die Herkunft der Nerven in den Transplantaten. Drei der entwickelten Transplantate (T13, Fall 11; T 3, Fall 2; TU, Fall 9) besitzen Nerven, die in allen drei Fällen zum Bereich des Ganghon prooticum commune gehören. Es erhebt sich die Frage, woher stammen diese Nerven, soweit sie dem Gebiete des Transplantats angehören? Sind sie aus der eingeheilten Beinknospe selbst entstanden oder sind sie von den Nerven der Unterlage aus in die Knospe hinein- gewachsen? Im ersteren Falle sind sie sekundär mit dem Nervensystem der Unterlage in Verbindung getreten, nachdem sie sich unabhängig von ihr und vor allem auch unabhängig von den centralen Ganglien- zellen entwickelt haben; es würde sich um autogene Entstehung der peripheren Nerven handeln. Im zweiten Falle sind sie normale oder accessorische Äste der in der Einpflanzungsgegend vorhandenen Nerven. Sie sind dann durch Auswachsen von diesen aus entstanden. Dabei braucht nicht in Betracht gezogen zu werden, ob die periphere Nerven- faser nur als Ausläufer der centralen Ganglienzelle entsteht oder ob sie ein Produkt vieler Zellen darstellt, da diese Frage an dem vor- liegenden Material nicht beleuchtet werden kann. Banchi (1906) und Braus (1904, 1905) sind auf Grund ihrer schon erwähnten Transplantationen von Beinknospen für die autogene Ent- stehung der Nervenbahnen unabhängig vom Nervensystem der Unter- lage und unabhängig von centralen Ganglienzellen eingetreten. Da- gegen haben Harrison (1907) und Gemelli (1906) betont auf Grund Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 119 älinlicher Versuche, daß die im Transplantat vorhandenen Nerven von der Unterlage aus hineinwachsen. Auf die Verschiedenheit des Ver- suchsmaterials wurde schon hingewiesen. Nach Braus (1904) werden die schon in der transplantierten Knospe vorhandenen Anlagen von Nerven zurückgebildet, was mit meinen Beobachtungen übereinstimmt. Wie Taf. III, Fig. 1 zeigt, ist auf dem Ausgangsstadium in der transplantierten Beinknospe bereits Nervengewebe vorhanden. Wenn auch einige der übertragenen Beinknospen noch ein wenig jünger waren als die abgebildete, so ist bei der reichen Entwicklung des nervösen Ge- webes in dieser nicht daran zu zweifeln, daß auch auf dem weniger jün- geren Stadium bereits die erste Anlage der Nerven vorhanden war. Es gilt also zu entscheiden, ob aus dieser bereits vorhandenen Anlage die Nerven entstanden sein können. Diese Frage muß verneint werden und ebenso die dann noch mögliche autogene Entstehung der Trans- plantatnerven aus einer neugebildeten autogenen Anlage. Die Gründe für diese negative Entscheidung sind folgende. Erstens ist nicht einzusehen, weshalb bei selbständiger Entwick- lung jener Anlage oder überhaupt bei der autogenen Entstehung der Nerven und der für diese anzunehmenden hohen Selbstdifferenzierungs- fähigkeit der peripheren Nerven nur in drei Transplantaten Nerven aus- gebildet sind, während bei den übrigen sieben keine Spur von solchen aufzufinden war. Zweitens zeigt der Befund des Falles 1 {T 2), bei dem das unter- suchte Transplantat noch undifferenziert ist, kein sicher als solches er- kennbares Nervengewebe. Es findet sich nur an der Basis der Knospe eine etwas heller als die übrigen Gewebe erscheinende Masse, von un- bestimmter Struktur, die vielleicht als das degenerierte Nervengewebe aufzufassen ist. Da anzunehmen ist, daß solches wenigstens in der ersten Anlage bei der Transplantation auch hier vorhanden war, ist es offenbar zurückgebildet statt weiterentwickelt, obwohl die Versuchs- dauer 5 Wochen betrug. Drittens liegt ein positiver Grund vor, die autogene Nervenbildung in unsern Versuchen abzulehnen. Nämlich es konnte mit Sicherheit festgestellt werden, daß die in das transplantierte Bein eintretenden Nerven einem ganz bestimmten Nerven der Unterlage angehören, und zwar in allen drei Fällen demselben, nämlich dem Ramus temporalis superficiahs trigemini. Bei TU (Fall 9) ist es der Hauptstamm dieses Nerven selbst, der das Bein durchzieht und an seine Muskeln Äste abgibt. In den beiden andern Fällen sind es Teiläste dieses Nerven. Derselbe zieht normalerweise durch das Implantationsgebiet zu seinem 120 Bernhard Dürkcn, Endgebiet, so daß es ohne weiteres verständlich ist, wenn er mit dem Implantat in Beziehung tritt. Dieses gerät durch Verlagerung seiner proximalen Teile in die Tiefe der Orbita in unmittelbare Nachbarschaft zu ihm, und auch die peripheren Teile des eingepflanzten Beines liegen zum Teil im Innervationsgebiet des genannten Nerven. Kräftige Nervenäste, welche durch dünnere Brücken mit den Nerven der Unterlage in Verbindung stehen, konnten außerdem nicht nachgewiesen werden. Es wird also auch der Beweis für die autogene oder auch nur für die selbständige Entstehung der Nerven aus bereits vorhandenem Anlagegewebe, den Braus (1904) für Bombinator er- bringt, für die hier vorhegenden Fälle hinfällig, der darin bestehen würde, daß in den Beinnerven mehr Fasern enthalten sind, als durch die nervösen Verbindungsbrücken von der Unterlage aus eintreten können, so daß für das Vorhandensein dieses Mehr an Fasern nur die autogene Entstehung übrigbleibt. Zusammengefaßt ergibt sich also, daß in den transplantierten Bein- knospen von Rana fusca die Nerven nur von der Unterlage her ent- standen sind; autogene Entwicklung liegt nicht vor. Ob dabei und wie bei frühzeitiger Innervation von der Unterlage aus das bereits vorhandene Nervengewebe benutzt wird, muß unent- schieden bleiben; doch scheint es nach dem Befund bei T2 (Fall 1) nicht der Fall zu sein. 6. Schlußbemerkung. Die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung haben die durch frühere Arbeiten klargelegte abhängige Art der Entwicklung von Rana fusca durch den auch hier zutage getretenen Differenzierungsmodus der Extremitäten bestätigt und in der Feststellung der Abhängigkeit der Conjunctivadifferenzierung um einen neuen Beleg erweitert. Für den vorwiegend abhängigen Charakter der Embryonalentwicklung von Rana fusca spricht außerdem auch das Ausbleiben der Linsenentwicklung nach Verhinderung der Entwicklung des Augenbechers durch Zerstö- rung der Anlage des letzteren (Spemann 1912). Dieser korrelativ-abhängigen Entwicklungsart steht gegenüber die bei andern Formen festgestellte Selbstdifferenzierung. Der Gegensatz zwischen beiden Arten der Entwicklung ist aber keineswegs so groß, wie es manchmal scheinen mag und wie es manchmal hingestellt wird; vor allem ist auch der Gegensatz kein unvermittelter. Die Entwicklung besteht in der Auswirkung von vorhandenen Anlagen und in der Ein- wirkung von solchen Beziehungen auf die Anlagen, welche im Laufe Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 121 der Entwicklung zwischen den einzelnen Komplexen auftreten. Der- artige Beziehungen werden zu einem großen Teil vermittelt durch die formativen Reize. Je nachdem nun in einem Entwicklungsprozeß der eine Faktorenkomplex die Vorherrschaft gewinnt, seien es die Anlagen, oder seien es die Wechselbeziehungen, erhält er den Charakter der selbständigen oder der abhängigen Entwicklung. Es fragt sich nun, welcher Entwicklungsmodus der primäre ist; Anlagen und damit eine gewisse Grundlage für die Selbstdifferenzierung sind natürlich für jeden Entwicklungsvorgang notwendig. Anderseits wird es wohl kaum einen Entwicklungskomplex geben, der vollständig frei ist von gegenseitigen Beziehungen. Die Selbstdifferenzierung ist immer nur eine relative, d. h. die Unabhängigkeit der Entwicklung besteht immer nur gegenüber bestimmten Faktoren oder gegenüber der Umgebung eines bestimmten Komplexes. Man kann sagen, dieser Komplex besitzt Selbstdifferen- zierung, während gleichwohl innerhalb dieses selben Komplexes ab- hängige Differenzierung auftreten kann. Nimmt man erbgleiche Verteilung der Anlagenmasse auf die ein- zelnen Elastomere und damit auf alle Zellen des Organismus an, so ist folgerichtig die abhängige Entwicklung als der primäre Modus anzu- sehen. Denn bei ursprünglich gleicher Potenz aller Zellen kann nur durch Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Differenzierungskom- plexen, wie sie u. a. durch formative Beize vermittelt werden, ein ein- heitlicher Organismus mit für einander abgestimmten Organen ent- stehen. Stellt man sich dagegen auf den Standpunkt der erbunggleichen Teilung, so erscheint die reine Selbstdifferenzierung als das primäre Geschehen, das durch Hinzutreten von Wechselbeziehungen gewisser- maßen gefälscht wurde. In weitem Umfange spielen hier deszendenz- theoretische Fragen mit hinein. Für die mannigfaltigsten Probleme ist die Feststellung des pri- mären Entwicklungsmodus von hervorragender Bedeutung; nicht nur für die Kenntnis und das Verständnis der formativen Reize und damit der echten Korrelationen. Ist der primäre Entwicklungsmodus festgestellt, so lassen sich die Faktoren für die sekundäre Bildungsweise ermitteln, in allgemeiner Hinsicht sowohl als auch in den speziellen Fällen. Der Weg zu der endgültigen Lösung dieser Frage führt naturgemäß von Spezialfällen zum allgemeinen. Es ist unmöglich und auch überflüssig, an dieser Stelle auf die ge- samte Literatur über abhängige und unabhängige Entwicklung einzu- 122 Bernhard Dürken, gehen. Nur auf einige Arbeiten sei hier hingewiesen, nämlich auf die Untersuchungen über die Entwicklung der Augenlinse (Literatur bei Spemann 1912). Bei der Entstehung der Linse hat es sich nicht nur gezeigt, daß bei nahe verwandten Formen ungleicher EntMacklungs- modus vorkommt, sondern daß auch Mitteltypen vorhanden sind, welche von der abhängigen Entwicklung überleiten zu der unabhängigen. Abhängige Entwicklungs weise der Linse ist u. a. vorhanden bei Rayia fusca, Rana sylvatica und Bombinator pachypus; selbständige Entwicklung findet sich bei Rana esculenta, Salmo, Funduhis. Die Abhängigkeit der Linsenentwicklung von der Entwicklung des Augen- bechers besteht nun aber in ungleichem Grade. Bei Rana fusca bildet sich keine Linse, wenn der Augenbecher fehlt oder die Haut nicht er- reicht (Spemann 1912, S. 32). Auch bei Bomhinator und Rana syl- vatica ist die Mitwirkung des Augenbechers notwendig (Spemann 1912; Lewis 1907 u. a.), doch konnten bei Bomhinator ohne den Augenbecher Andeutungen einer Linse beobachtet werden, während unter den gleichen Bedingungen bei Rana palustris noch die ersten Entwicklungs- stadien einer Linse vorkommen (King 1905). Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse bei Amblystoma pun:tatum (Le Cron 1907). Dagegen besitzt die Linse von Rana esculenta (Spemann 1912), Salmo (Mencl 1908 u. a.) und Fundulus (Stockard 1910 u. a.) eine volle Selbständig- keit in der Entwicklung, so daß sie auch bei Fehlen des Augenbechers ausgebildet wird. Die Abstufung des Abhängigkeitsverhältnisses tritt in diesen Versuchen klar zutage; sie kommt auch zum Ausdruck in den zu den gleichen Versuchsreihen gehörenden Transplantationen linsen- fremder Haut an die Stelle der normalen Linsenbildungszellen, wie Spemann (1912) sie ausgeführt hat. Zugleich ist dabei noch etwas andres wichtig. Bei Rana esculenta wird weder aus Kumpfhaut noch aus Kopfhaut unter Einwirkung des Augenbechers eine Linse ent- wickelt, während bei Bomhinator aus einer linsenfremden Stelle der Kopfhaut eine solche erzeugt wird. Aus fremder Epidermis erhielt Lewis (1907 u. a.) bei Rana sylvatica und palustris eine Linse nach Transplantation des Augenbechers unter eine abnorme Stelle der Haut. Bei den letztgenannten Formen ist die Fähigkeit, unter Einwirkung des Augenbechers eine Linse zu bilden, der Haut in größerer Ausdehnung eigen als bei Bomhinator. Es zeigt sich auch hierin in Übereinstimmung mit den Ergebnissen der obengenannten Versuche das Fehlen von Ent- wicklungsbeziehungen bei Rana esculenta, ihr Vorkommen bei Bomhi- nator und R. sylvatica und palustris und zugleich eine Abstufung dieser Beziehungen bei diesen drei letzteren Formen. Das Verhalten transplantierter Beinlinospen von Rana fusca usw. 123 Was aber außerdem bei diesen Transplantationen hervorzuheben ist, ist die zur Anwendung gekommene Vertauschung des Anlagemate- rials, nämlich des Anlagematerials der Linse mit dem Anlagematerial einer andern Hautstelle, und die Übertragung dieses ausgetauschten Anlagematerials in die Wirkungssphäre ein und desselben formativen Keizes, der vom Augenbecher geliefert wird. Es handelt sich also um die Vertretbarkeit der Anlage. Um weiterzukommen in dem Problem des primären Verhältnisses von abhängiger und unabhängiger Entwicklung, ferner um die Lösung der Frage nach der Natur der formativen Reize anzubahnen, erscheint es angebracht, für alle bisher bekannt gewordenen echt korrelativen Entwicklungsabhängigkeiten nach Abstufungen innerhalb verwandter Formen zu suchen, die von unbedingt abhängiger Entwicklung über- leiten zu selbständiger Differenzierung, wie es bei der Linsenentwicklung schon in weitem Maße geschehen ist. Dabei ist ferner die Vertretbar- keit des Anlagematerials zu untersuchen unter Berücksichtigung der Abstufung dieser Vertretungsmöglichkeit und endhch ist die Prüfung der Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes anzuschließen. Der Weg ist schwierig, aber er erscheint als ein Weg in ein lohnendes Oebiet reicher Ergebnisse. 7. Ergebnisse. 1. Bei der Einheilung der jungen transplantierten Beinknospe von Rana fusca treten in weitgehendem Maße Metaplasien auf. 2. Der korrelativ-abhängige Charakter der Entwicklung der Ex- tremitäten ist erneut bestätigt. 3. Die notwendigste Bedingung für die Entwicklung der jungen Beinknospe ist ihre Innervation. 4. Besonders abhängig in der Differenzierung von dem Zusammen- hang mit dem Nervensystem ist die Muskulatur, aber auch die Extre- mität in ihrer Gesamtheit bedarf des vom Nervensystem ausgehenden formativen Reizes. 5. In der transplantierten Beinknospe kommt es nicht zur auto- genen Bildung von Nerven; etwa vorhandene Nerven wachsen aus der Unterlage hinein. 6. Die Gelenke zeigen einen hohen, aber nicht unbedingten Grad von Selbständigkeit in ihrer Anlage und Entwicklung. 7. Die Conjunctiva ist in ihrer Differenzierung abhängig von der Entwicklung des Augapfels. Fehlt dieser, so bleibt die Epidermis im Bereich der Conjunctiva dick und pigmentiert. 124 Bernhard Dürken, 8. Die bei der Exstirpation der Beinknospe und ihrer Transplan- tation an einen fremden Ort gestörten korrelativen Beziehungen können durch formative Reize, welche die neue Umgebung liefert, ersetzt wer- den, so daß trotz des abhängigen Entwicklungsmodus nach der Trans- plantation ein hoher Differenzierungsgrad erreicht werden kann. 9. Wird nach Fortnahme des Auges unter Schonung der Conjunctiva eine Beinknospe an seine Stelle gesetzt, welche von der Conjunctiva überwachsen wird, so tritt Aufhellung der Conjunctiva ein, wenn sie von dem sich entwickelnden Transplantat vorgebuchtet wird. 10. Der von den normalen Beincentren des Centralnervensystems ausgeübte formative Reiz kann ersetzt werden durch den von einem fremdartigen Nervencentrum gelieferten Reiz. 11. Der vom Augapfel auf die Conjunctiva ausgeübte formative Reiz kann ersetzt werden durch den Reiz, der von einem andersartigen Entwicklungskomplex, nämlich der sich entwickelnden transplantierten Beinknospe, ausgeht. 12. Daraus (10, 11) folgt die Vertretbarkeit der Quelle des forma- tiven Reizes. 13. Ferner folgt daraus (10, 11) mit großer Wahrscheinhchkeit, daß die Anzahl der formativen Reizarten geringer ist als die Zahl der einzelnen speziellen Fälle, in denen ihre Wirksamkeit zutage tritt. 14. Die Vertretbarkeit der Quelle des formativen Reizes bietet die Möglichkeit, der Erforschung der Natur der formativen Reize näher- zukommen. Göttingen, im Mai 1915. Literatur. 1887. D. Barfurth, Versuche über die Verwandlung der Froschlarven. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XXIX. S. 1—28. Taf. I. 1898. R. G. Harrison, The growth and the regeneration of the tail of the frog- larva. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. VII. S. 430—485. Taf. X u. XI. 1898. G. Wetzel, Transplantationsversuche mit Hydra. Arch. f. mikr. Anat. Bd. LH. S. 70—96. Taf. VII. 1900. H. Driesch, Studien über das Regulationsvermögen der Organismen. 4. Die Verschmelzung der Individualität bei Echinidenkeimen. Arch. f. Entwickungsmechanik. Bd. X. S. 411 — 434. 1900. F. Peebles, Experiments in Regeneration and in Grafting of Hydrozoa. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. X. S. 435—488. Das Verhalten transplantierter Beinknospen von Rana fusca usw. 125 1901. F. Marchand, Wundlieilung und Transplantation. Deutsche Chirurgie 1901. 1902. H. D. King, Observations and Experiments on Regeneration in Hydra viridis. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. XIII. 1904. A. Banchi, Sviluppo degli arti abdominali del bufo vulgaris innestati in sede anomala. Monit. zool. Ital. Anno 15. 1904. H. Braus, Einige Ergebnisse der Transplantation von Organanlagen bei Bombinator-Larven. Verh. d. Anat. Ges. 18. Vers. Ergänzungsheft z. Anat. Anz. Bd. XXV. S. 53—65. 1905. H. Braus, Experimentelle Beiträge zur Frage der Entwicklung peripherer Nerven. Anat. Anzeiger. Bd. XXVI. S. 433—479. 1905. H. D. King, Experimental studies on the eye of the frog embryo. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. XIX. S. 85—107. Taf. VI. 1905. W. H. Lewis, Experimental studies on the Development of the Eye in Amphibia. II. On the Cornea. Journ. of exper. Zool. Bd. IL S. 431 bis. 446. 2 Taf. 1906. A. Banchi, SuUo sviluppo dei nervi periferici in maniera indipendente dal sistema nervoso centrale. Anat. Anz. Bd. XXVIII. S. 169 — 176. 1906. H. Braus, Ist die Bildung des Skeletts von den Muskelanlagen abhängig? Eine experimentelle LTntersuchung an der Brustflosse von Haiembryonen. Morphol. Jahrb. Bd. XXXV. S. 240—321. Taf. IV— VI. 1906. A. Gemelli, Ricerche sperimentali sullo sviluppo degli arti pelvici di Bufo vulgaris innestati in sede anomala. Contributo allo studio della rigene- razione autogena dei nervi periferici. Riv. Fat. Nerv. Ment. Firenze. Bd. XL S. 328—332. 1906. L. V. Morgan, Regeneration of grafted pieces of Planarians. Journ. of exper. Zool. Bd. III. S. 269—294. 1907. R. G. Harrison, Experiments in transplanting limbs and their bcaring upon the problems of the development of nerves. Journ. exper. Zool. Bd. IV. S. 239—281. 1907. E. KORSCHELT, Regeneration und Transplantation. Jena. 1907. W. L. Le Cron, Experiments on the origin and differentiation of the lens in Amblystoma. Amer. Journ. of Anat. Bd. VI. S. 245 — 257. 5 Tafeln. 1907. W. H. Lewis, Lens-formation from stränge ectoderm in Rana sylvatica. Amer. Journ. of Anat. Bd. VII. S. 145 — 169 (und frühere Arbeiten). 1908. E. KoRSCHELT, Beeinflussung der Komponenten bei Transplantation. Mediz. Naturw. Arch. Wien. Bd. I. S. 447—526. 1908. E. Mencl, Neue Tatsachen zur Selbstdifferenzierung der Augenlinse. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. XXV. S. 431—450. Taf. XIX— XX (und frühere Arbeiten). 1908. H. RiBBERT, Über Veränderungen transplantierter Gewebe. Arch. f. Ent- wicklungsmechanik. Bd. VI. S. 131—147. 1908. C. RuTHLOFF, Transplantationsversuche an Lumbriciden. Vereinigung invers gelagerter Teilstücke unter Überwindung der Polarität. Arch. f. Entwicklungsmechanik. Bd. XXV. S. 451—491. 1909. H. Braus, Gliedmaßenpfropfung und Grundfragen der Skelettbildung. Morphol. Jahrb. Bd. XXXIX. S. 155—301. Taf. XIV— XVI. 126 Bernhard Dürken, 1910. B. Dürken, Über das Verhalten des Nervensystems nach Exstirpation der Extremitätenanlagen beim Frosch. Vorl. Mitteil. Nachr. d. K. Gesellsch, d. Wiss. Göttingen. Math.-phys. Kl. 1910. Ch. R. Stockard, The independent origin and development of the crystal- line lens. Amer. Journ. of Anat. Bd. X. S. 393—423. 2 Taf. (und frühere Arbeiten). 1911. B. Dürken, Über frühzeitige Exstirpation von Extremitätenanlagen beim Frosch. Ein experimenteller Beitrag zur Entwicklungsphysiologie und Morphologie der Wirbeltiere unter besonderer Berücksichtigung des Nervensystems. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XCIX. S. 189—355. Taf. X bis XVI. 1912. B. Dürken, Über einseitige Augenexstirpation bei jungen Froschlarven. Vorl. Mitteil. Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen. Math.-phys. Kl. 1912. H. Spemann, Zur Entwicklung des Wirbeltierauges. Zool. Jahrb. Abteil. f. allg. Zool. u. Phys. d. Tiere. Bd. XXXII. S. 1—98. Taf. I— VI (und frühere Arbeiten). 1913a. B. liÜRKEN, Über die Transplantation junger Beinknospen in die Augen- höhle bei Froschlarven. Vorl. Mitteil. Nachr. d. K. Gesellsch. d. Wiss. Göttingen. Math.-phys. Kl. 1913 b. — Über einseitige Augenexstirpation bei jungen Froschlarven. Ein Beiti'ag zur Kenntnis der echten Entwicklungskorrelationen. Zeitschr. f. Aviss. Zool. Bd. CV. S. 192— 242. Taf. XIV— XVI. Erklärung der Abbildungen, Allgemein gültige Bezeichnungen. hg, Blutgefäß; hl, bindegewebige Schädelkaiisel ; hl, Blut; hr, Beckenrudiment; ht, bindegewebig entartete Muskeln des Transplantats; c, Conjunctiva; cau, Capsula auditiva; ch, Chondrocranium ; CO, Cornea; e. Epithel; je, Femur; jep, Falte der Epidermis; ji, Fibula; g, Gehirn; gpr, Ganglion prooticum commune; kt, Knorpel des Transplantats; l, Linse; /«, Mesenchym; mlh, Musculus levator bulbi; Das Verhalten transplanticrter Beinknospen von Rana fusca usw. 127 mt, Mesenchym des Transplantats; rmä, Muskulatur des Transplantats; n, Nerv; n', degenerierter embryonaler Eigennerv des Transplantats (?); no, Nervus opticus; ol, obere Lidfalte; orh, Orbitalraurn ;' }}, Pigment; prch, Prächordale; rtr, Ramus temporahs superficialis n. trigemini, der in das Trans- plantat eintritt; t, Transplantat; <^,Tibia; tr, transplantierte Beinknospe; ul, untere Lidfalte; z, Zwischenhirn; zt, vom Transplantat vorgestülptes Zäpfchen. Tafel III. Fig. 1. Schnitt durch die transplantierte Beinknospe (TO) auf dem Opera- tionsstadium. Vergr. 95. Fig. 2. Querschnitt durch die Orbitalgegend der zur Unterlage benutzten Larve {T'o) nach Exstirpation des rechten Auges. Vergr. 46. Fig. 3. Querschnitt durch die Orbitalgegeiid von T 2 (Fall 1) mit der ein- geheilten Beinknospe. Vergr. 46. Fig. 4. Schnitt durch das Transplantat von T 2 (Fall 1). Vergr. 95. Fig. 5. Rana fusca; Kopf des Objektes T3 (Fall II) mit dem differen- zierten Transplantat an Stelle des rechten Auges. Vergr. 5. Fig. 6. Querschnitt durch die Orbita von T 3 (Fall II) mit den in die Tiefe verlagerten Teilen des Transplantats. Vergr. 46. Fig. 7. Eintritt eines Nerven in das Transplantat von T 3 (Fall II). Vergr. 46. Fig. 8. Querschnitt durch die Augengegend von T 4 (Fall III) mit mesen- chymalem Transplantat. Vergr. 95. Tafel IV, Fig. 9. Querschnitt durch die Augengegend von T 4 (Fall III) mit Trans- plantat, das aus Mesenchym und Knorpel besteht. Vergr. 95. Fig. 10. Rana fusca; Kopf des Objektes T 5 (Fall IV) mit zapfcnförmigem Transplantat in der rechten Augenhöhle. Vergr. 5. Fig. 11. Längsschnitt durch das Transplantat von T5 (Fall IV). Vergr. 46. Fig. 12 a — b. a) Querschnitt durch die Augengegend der rechten Seite von T 6 (Fall V), bei dem kein Transplantat vorhanden ist. Die Conjunctiva ist dick und pigmentiert. Vergr. 95. b) Querschnitt durch die normale, völlig aufgehellte Conjunctiva desselben Objektes T 6 (Fall V) auf der linken Kopfseite, zum Vergleich mit 12a. Vergr. 95. Fig. 13. Querschnitt durch die Orbitalgegend von T.% (Fall VII) mit dem nur aus Knorpel bestehenden Transplantat. Vergr. 46. Fig. 14. Rana fusca, Objekt T 11 (Fall IX). Vergr. 3. 128 Bernhard Dürken, Das Verh. transplant. Beinknospen v. Rana fusca usw. Tafel V. Fig. 15. Dasselbe Objekt wie in Fig. 14 ( T 11, Fall IX); Ansicht des Kopfes mit dem weitentwickelten Transplantat, das nur an der Hinterkante pigmentiert ist. Vergr. 5. Fig. 16. Frontalschnitt durch die Orbitalgegend von TU (Fall IX), An- lehnung des Transplantats an das Chondrocranium. Vergr. 35. Fig. 17. Frontalschnitt durch das Transplantat von TU (Fall IX), An- lehnung desselben an die Labyrinthkapsel. Vergr. 35. Fig. 18. Innervation des Transplantats von TU (Fall IX) vom Ganglion prooticum commune aus. Vergr. 35. Fig. 19. Rana fusca, Objekt T 13 (Fall XI). Vergr. 4. Fig. 20. Dasselbe Objekt wie in Fig. 19 ( T 13, Fall XI), Ansicht der rechten Kopfseite mit dem Transplantat, das an der Vorderkante pigmentfrei ist. Vergr. 5. Fig. 21. Querschnitt durch das Transplantat von T 13 (Fall XI). Vergr. 95. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. Von Prof. Dr. E. Rohde (Breslau). Mit 18 Figuren im Text. Inhaltsangabe. ^ Seite 1. Einleitung. Die Gewebszellen sind die Differenzierungsprodukte von viel- kernigen Plasmodien 130 2. Dasselbe gilt von sehr vielen Blastomeren: Auch sie entstehen in einem vielkernigen Plasmodium, zu welchem das Ei sich durch fortgesetzte Kernteilungen (ohne gleichzeitig erfolgende Abfurchung) umwandelt . . 131 3. Gleich den Gewebszellen stehen die Blastomeren untereinander in ausgebil- detem protoplasmatischen Zusammenhange 138 4. Auch in der Art der Entstehung stimmen die Blastomeren mit vielen Ge- webszellen überein, d. h. es treten in dem vielkemigen Eiplasmodium mehr oder weniger flüssige (Vacuolen) oder feste (membranartige) Diffe- renzierungsprodukte auf, welche die Blastomeren zur Sonderung brin- gen. Die Membranen der Blastomeren sind (gleich den Grundsubstanzen der Bindegewebe) dauernd lebende Substanz und nur lokale Verdichtungs- produkte des allgemeinen Spongioplasmas des sich entwickelnden Eies . . 140 5. Die Furchung der Metazoen findet ihr Seitenstück in der multiplen Teilung der Protozoen: auch hier wird die Mutterzelle durch fortgesetzte Kern- teilungen zuerst vielkernig und bringt erst sekundär die Tochterzellen zur Entwicklung und zwar ebenfalls wieder im Zusammenhang mit Vacuolen- bildungen 145 6 . Bei der Furchung der Metazoen wie bei der Teilung der Protozoen ist der Zerfall der Mutterzelle in Tochterzellen entweder ein totaler oder es bleibt ein Restkörper übrig, welcher bei der Furchung dem Nahrungsdotter entspricht 147 7. Zusammenfassung 151 8. Schlußbemerkung 154 Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 130 Emil Eohde, Einleitung. Ich habe in mehreren Arbeiteni den Nachweis zu führen versucht, daß die herrschende Zellenlehre nicht mehr den neuesten histologischen und histogenetischen Befunden gerecht wird. Meine ersten Unter- suchungen bezogen sich fast ausschließlich auf den fertigen Organis- mus, ich konnte für diesen in meiner diesbezüglichen Arbeit nach- weisen (1. c. a), daß Tier und Pflanze nicht aus scharf gesonderten Zellen bestehen, wie bisher allgemein angenommen wurde, sondern daß die Zellen fast sämtlich, und zwar nicht nur die Zellen desselben Ge- webes, sondern der verschiedensten Gewebe, miteinander in engem organischen Zusammenhange stehen, oft in dem Maße, daß die ein- zelnen Zellen als solche kaum oder überhaupt nicht unterscheidbar sind, sondern an ihrer Stelle vielkernige Plasmamassen auftreten, ferner, daß viele allgemein als Zellen aufgefaßte Elemente Produkte von je mehi-eren meist ganz verschiedenartigen Zellen darstellen, daß manche Zellen viele der Form wie der Qualität nach ganz verschiedene Kerne enthalten, daß gewisse in der Zelle sich abspielende Prozesse, besonders die Regenerationserscheinungen, genau in derselben Weise verlaufen wie in den Organen usw. Bei Fortsetzung meiner Studien auf die Histogenese erkannte ich, wie ich in meinen letzten beiden diesbezüglichen Arbeiten^ ausgeführt habe, daß die Gewebszellen nicht, wie ferner allseitig geglaubt wurde, die direkten Abkömmlinge von Embryonalzellen (der Protoblasten Köl- LiKERs), sondern Neubildungen sind, welche sekundär, bisweilen sogar tertiär, in der verschiedensten Weise, oft organartig aus vielkernigen Plasmamassen hervorgehen, daß die histologische Differenzierung nicht an Zellen gebunden ist, sondern in vielkernigen Plasmodien erfolgt, häufig ehe noch die Gewebszellen zur Ausbildung kommen, daß also alle Gewebe in ihrer Entstehung von vielkernigen Plasmodien aus- gehen, welche sich je nach der Gewebeart verschieden differenzieren. Am Schlüsse meiner letzten Arbeit^ faßte ich meine Resultate fol- gendermaßen zusammen: »Nicht die Zellen spielen also bei der histo- 1 E. ROHDE, a) Unters, über den Bau der Zelle. IV. Zum histologischen Wert der Zelle. Zeitschr. f. wiss. Zool. 1904. b) Histogenetische Untersuchungen. I. Syncytien, Plasmodien, Zellbildung und histol. Differenzierung. Breslau 1908. Kerns Verlag, c) Zelle und Gewebe in neuem Licht. Vortr. u. Aufs, über Ent- wicklungsmechanik der Organe. Herausgeg. von Wilh. Roux. Heft 20. 1914. 2 1. c. b) und c). 3 I.e. c) S. 133. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 131 logischen Differenzierung der Tiere die maßgebende Rolle, sondern die vielkernigen Plasmodien, nicht die Zellbildung, sondern die funktio- nelle Differenzierung der lebenden Masse, d. h. der vielkernigen Plas- modien bildet das leitende Prinzip der Organismen. Die Zellen stellen nur eine, oft sehr vergängliche. Form der lebenden Masse dar. << Die Zellen selbst entstehen, wie schon oben bemerkt, in der mannigfaltigsten Weise: bei den Epithelien und manchen Bindege- websarten durch das Auftreten von Vacuolen; der zwischen den Vacuolen erhalten bleibende Teil des vielkernigen Plasmodiums er- scheint dann im Bilde von Zellen, die durch Intercellularbrücken miteinander verbunden sind — bei den Vertretern der Bindesub- stanzgruppe bilden sich allgemein die Grundsubstanzen; der nicht zur Grundsubstanz umgewandelte kernhaltige Rest des vielkernigen Plasmodium entspricht den Zellen der Autoren — in der Muskulatur und im Nervensystem bringt das primäre vielkernige Plasmodium kontraktile Fibrillen bzw. nervöse Substanz im Umkreis der Kerne zur Differenzierung und zerfällt sekundär in der Umgebung der von kontraktilen Fibrillen bzw. nervöser Substanz umrahmten Kerne in zellähnliche Territorien i. In meiner letzten Arbeit^ konnte ich bereits darauf aufmerksam machen, daß auch die Keimblätter häufig als vielkernige Plasmodien erscheinen, die erst sekundär durch das Auftreten von Vacuolen in Zellen sich gliedern. Verfolgt man die Entwicklung der Tiere bis auf die aller- ersten Stadien zurück, so überzeugt man sich, daß vom Furchungsprozeß sehr häufig im Grunde dasselbe gilt wie von den späteren Entwicklungsperioden: Schon das Ei wird primär in vielen Fällen zu einer vielkernigcn einheitlichen Plasmamasse, welche erst sekundär in Zellen, d. h. die Blastomeren zerfällt, und zwar oft durch Vorgänge ganz ähn- lich denen, welche die Bildung der Gewebszellen bedingen, d. h. teils durch Vacuolenbildungen teils durch Entstehung von festen (membranartigen) Plasmaprodukten, welch letz- 1 Für das Nervensystem hat meine Auffassung eine glänzende Recht- fertigung in allerjüngster Zeit erfahren, nämlich durch die soeben erschienene ausgezeichnete Arbeit Gottes: »Die Entwicklung der Kopf nerven bei Fischen und Amphibien <'. Arch. f. mikr. Anat. 1914. Bd. LXXXV. Abt. 1. 2 1. c. c. 9* 132 Emil Rohde, tere ebenso als lebende Masse wie die Grimdsubstanzen der Bindegewebsgruppe zu betrachten sind. Besonders instruktiv ist die superficielle Furcbung der Arthropoden. Hier steht es einwandsfrei fest, daß das Ei primär zu einem vielkernigen Plasmodium sich umwandelt, welches erst sekun- där die Zellen d. h. die Blastomeren bildet. Wir werden aber sehen, daß auch bei andern Furchungsarten dieselben Verhältnisse wieder- kehren. Das Ei der Arthropoden stellt bekanntlich (Fig. 1 — 5) eine stark von Dotterelementen durchsetzte Plasmakugel dar, in der sich das Plasma besonders central dotterfrei erhält. Dieses centrale Plasma Fig. lA—D. Blastodermbildung bei HydropMlus. (Nach Heider.) Aus Korschelt und Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. steht nun mit einem verschieden breiten peripheren Keimhautblastem in seinen Maschen die Dotterelemente enthält (Fig. 2). Der Furchungs- kern liegt in dem centralen Plasma (Fig. 2 und 3) und zerfällt durch fortgesetzte Teilungen in eine große Anzahl von Kernen, welche an- fangs central bleiben (Fig. 4), dann aber allmählich in dem Plasma- gerüst, welches die centrale und periphere Plasmaanhäufung mitein- ander verbindet, aufsteigen, bis sie die periphere Plasmazone erreicht haben (Fig. 2 und 5). Während aller dieser Stadien bleibt das Ei auf der Stufe einer vielkernigen einheitlichen Plasma- masse bestehen. Erst sekundär treten in dem peripheren Keim- Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 133 liautblastem in gewissen Abständen von den Kernen Furchen auf, welche außen beginnen und immer tiefer einschneiden, bis mehr oder B / / /( D Fig. 2A—E. l'ünf verschiedene Furchungsstadien des Isopoden Jaera. (Nach McMurrich.) Schnitte. Aus KOESCHELT und Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. minder scharf gesonderte Blastomeren entstehen, die eine Blastula bilden (Fig. 5). Über den Wert der Furchen werde ich mich später auslassen. 134 Emil Rohde, Ganz ähnliche Verhältnisse kehren bei den Coelenteraten wieder (Fig, 6). Auch hier wird das Ei in vielen Fällen durch fortgesetzte Kern- teilungen ohne gleichzeitig einsetzende Abfurchung zu einer vielkernigen Plasmamasse, die sich erst sekundär in Zellen sondert. Besonders steht der als syncytiale Delamination bezeichnete Vorgang nach vielen Rich- Fig. 3^—^. Sechs verschiedene Furehungsstadien von Campodea staphylinus. Schnitte schematisch. (Nach UzEt.) Aus KORSCHELT Und Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. tungen der eben beschriebenen superfici eilen Furchung sehr nahe, d. h. auch hier z, B. bei den Hydrokorallien wird das Ei primär zu einer viel- kernigen Plasmamasse. Die Kerne, welche bisweilen auf eigentümhche, später näher zu beschreibende Weise aus dem primären Furchungskern hervorgehen, liegen anfangs in Plasmainseln, welche allenthalben im Ei auftreten und durch Fortsätze untereinander im Zusammenhang Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 135 stehen (Fig. 6), genau wie bei der superficiellen Furchung der Arthro- poden. Erst später rücken die Furchungskerne wieder in das ober- flächliche Blastem, welches sekundär durch das Auftreten von Furchen Fig. 4:A—D. Vier Furchungsstadien von Geophilus ferrugineus. (Nach Sograff.) Aus Koeschelt und Hkider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. in die Zellen des Ectoderms zerfällt (Fig. 6). In gleicher Weise entsteht dann das Entoderm. In manchen Fällen der syncytialen Delamination der Coelenteraten 136 Emil Rohde, erscheint primär eine Morula (Fig. 7), welche erst sekundär in ein vielkerniges Plasmodium über- geht, das tertiär in der eben für die Hydrokorallien geschilderten Weise in Ectoderm und Entoderm zerfällt (Fig. 7). Auf dieses Verhal- ten komme ich später noch zurück. Auch bei der discoidalen Furch ung, welche besonders aus- A ..<<-^^ Fig. 5A—D. Vier aufeinander folgende Stadien der Blasto- dermbildungvoni(/Msca vomitoria. Querschnitte. (Nach Blochmann.) Aus Kokschelt und Hei- der, Lchrb. d. vergl. Entvviclvlungsgesch. y -^-i \ \ i ^ ^^' ^^-- Fig. (SA—D. Vier verschiedene Entwicklungsstadien von Di- stichopora violacea. (Nacli Sydney J. Hickson.) Aus KORSCnELT und Heider, Lehrb. d. verg'. Entwicklungägesch. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 137 gebildet bei vielen Wirbeltieren zutage tritt, kehren im wesentlichen dieselben Erscheinungen wieder. Hier stellt die Keimscheibe den eigentlichen Bildungsdotter bzw. das Bildungsplasma dar. Daneben er- hält sich aber das primäre dotterfreie Eiplasma als Eindenschicht und inneres Plasmagerüst, ganz ähnlich wie bei den sich superficiell furchenden Eiern der Arthropoden. Auch bei q B -MM^K i x^. l-^ -pig.lA-C. Drei Entwicklungsstadien von Turritopsis. (Nach Beooks und Kittenhouse.) Aus Korschelt und Heidek, Lehrb. d. vergl. Entwiclilungsgesch. ,<^^^^ .- ^r/ "^ Fig. 8A und B. Keinischeibe und darunter lagerndes »Dottersyncytiura« von Lachs. B.Teil des »üottersyncy- tiums« genauer dargestellt. (Nach Hoffmann.) Aus Hertwig, Handbuch der Enwicklungsge» schichte der Wirbeltiere. 138 Emil Rohde, der discoidalen Furchung zerlegt sich häufig, besonders deutlich bei den Elasmobranchiern und KeptiUen, der Furchungskern durch wieder- holte Teilungen in eine Anzahl Kerne, ohne daß gleichzeitig eine Furchung einsetzt. Das Ei stellt dann genau wie in den eben be- schriebenen Fällen primär eine vielkernige Plasmamasse dar. Erst sekundär kommt es zur Abgrenzung von Blastomeren. In der weiteren Entwicklung ist es bei den Wirbeltieren meist die intermediäre Schicht, von welcher sich die Blastomeren abschnüren, und zwar nicht nur an der Peripherie, sondern an der ganzen Basis des Keims, wie es heute festzustehen scheint. Die intermediäre Schicht stellt aber ein viel- kerniges Plasmodium dar (Fig. 8^ u. B), das allgemein fälschhch als Dotter-» Syncytium« bezeichnet wird (vgl. unten die Schlußbemerkung). Die Blastomeren entstehen also auch bei der discoidalen Furchung dauernd als Differenzierungen einer primären vielkernigen Plasmamasse. Bei der totalen Furchung tritt ebenfalls bisweilen eine wiederholte Teilung des Furchungskerns ohne gleichzeitig erfolgende Abgliederung von Zellen ein, das Ei ist also auch in diesem Falle primär wieder eine vielkernige einheitliche Plasmamasse (vgl. z. B. Fig. 12). Wir haben also gesehen, daß die Blastomeren genau wie die Gewebszellen der späteren Entwicklungsstadien und des erwachsenen Tieres oft Differenzierungsprodukte eines pri- mären vielkernigen Plasmodiums sind. Ebenso wie die Ue- webszellen untereinander im plasmatischen Zusammenhang stehen, bleiben auch die zur Ausbildung kommenden Blasto- meren mehr oder weniger innig protoplasmatisch mitein- ander verbunden. Schon vor vielen Jahren machte Sedgwick darauf aufmerksam. So schrieb er zunächst bezüglich von Peripatus^ : »Der Zusammenhang der verschiedenen Zellen des sich teilenden Eies ist primär und nicht sekundär; d. h. bei der Spaltung trennen sich die Segmente nicht voll- ständig voneinander. Aber sind wir berechtigt, in diesem Fall überhaupt von Zellen zu sprechen? Das vollständig geteilte Ei ist ein Syncy- tium; es gibt keine Zellgrenzen und es waren keine in irgendwelchem Stadium« und später in einem Briefe an Spencer^: »Alle embryo- logischen Studien, die ich seit jenen, auf die Sie sich beziehen, gemacht 1 A. Sedgwick, Monograph of the Development of Peripaitts capensis. 2 Vom 27. Dezember 1892, vgl. hierüber: Spencer, Unzulänglichkeit der »natürlichen Zuchtwahl«. Biol. Centralbl. 1893. Bd. XIII. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 139 habe, befestigen mich mehr und mehr in der Ansicht, daß die Verbin- dung der Zellen bei Ausgewachsenen nicht sekundäre, sondern primäre Verbindungen sind, aus der Zeit herrührend, wo der Embryo eine ein- zelhge Struktur war. . .<< »Meine eigenen Untersuchungen über diesen Gegenstand haben sich auf die Arthropoden, Elasmobranchier und Vögel beschränkt. Ich habe gründlich die Entwicklung von wenigstens einer Art jeder dieser Gruppen untersucht und ich war nie imstande, ein Stadium zu entdecken, in welchem die Zellen nicht im Zusammen- hang untereinander gewesen wären. Und ich habe unzählige Stadien untersucht vom Beginn der Teilung aufwärts.« Besonders interessant für die vorliegende Aufgabe sind auch die Untersuchungen von HamMx\r. Derselbe beobachtete zuerst bei den Echinodermeni, daß das Ei von einer oberflächlichen Plasmaschicht überzogen wird, welche die zwischen den Blastomeren auftretenden Furchen brückenartig überspannt, also eine Verbindung der zur Sonde- rung kommenden Blastomeren darstellt. Gleiche Befunde wie bei den Echinodermen konstatierte Hammar später^ noch bei den verschie- densten andern Tierklassen, so Coelenteraten, Würmern, Mollusken, Tunikaten und Arthropoden. Selbst nach Entwicklung des Ecto- derms bleiben die Zellen des letzteren durch solche Brücken im Zusammenhang, bisweilen nicht nur an der Basis, son- dern auch am andern Ende, so daß das Epithel dann einen leiterartigen Bau zeigt, wie Hammar angibt. Auch auf die- sem Stadium besitzt also der Embryo noch den Wert einer einheitlichen Plasmamasse. Ebenso erhält sich der plas- patische Zusammenhang der Blastomeren nach Hammar auch während der Teilungen. Hammar schreibt diesbezüglich: >> Schon die erste Teikmgsfurche durchschneidet das Ei somit nicht. Sie respektiert immer den Grenzsaum, und die die zwei ersten Blasto- meren trennnnde Spalte entsteht offenbar nach innen von dem Grenz- saum — intra protoplasmatisch. Diese Spalte, die ja bei eng anliegen- den Zellen eigentlich nur virtuell vorhanden ist, kann als die erste Anlage der Furchungshöhle aufgefaßt werden. Bei jeder neuen Teilung bleibt der ursprüngliche Grenzsaum des Eies ungetrennt, so daß das Ei auch dann, wenn die Zellen im späteren Blastulastadium eine epi- thehale Anordnung anoenommen haben — wenigstens bei gewissen i Hamm AB, Aug., Über einen primären Zusammenhang zwischen den Fur- chungszellen des Seeigeleies. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XLVII. 1896. 2 Hammar, Über eine allgemein vorkommende primäre Protoplasmaverbin- dung zwischen den Blastomeren. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XLIX. 1897. 140 Emil Rohde, Objekten auch später, während der Keimblätterbildung — noch als eine einheitliche Protoplasmamasse mit einer gleichfalls einheithchen intraprotoplasmatischen Höhle bezeichnet werden darf. << Auch bei der superficiellen und discoidalen Furchung stehen die zur Differenzierung konnnenden Blastomeren längere Zeit mit dem ursprünglichen einheitlichen Eiplasma in offener Verbindung, oft in breiter Fläche (vgl. z. B. Fig. 5, 8)i. Wie ich in meinen letzten Arbeiten^ nachgewiesen habe, spielen bei der Sonderung vieler Gewebszellen Vacuo- len und Grundsubstanzen d. h. teils flüssige teils mehr oder weniger feste Differenzierungsprodukte der primären viel- kernigen Plasmodien, aus denen die Gewebe hervorgehen, eine große Rolle: das zwischen den Vacuolen bzw. den Grundsubstanzen erhalten bleibende primäre Plasma der vielkernigen Plasmodien erscheint dann im Bilde von Zel- len bzw. Zellverbindungen (vgl. oben). Ganz ähnliche Vor- gänge spielen sich bei der Entstehung der Blastomeren aus dem vielkernig gewordenen Eiplasmodium ab. Was zunächst die Differenzierung des Eies durch Vacuolen be- trifft, so macht Kastschenko^ für die discoidal sich entwickelnden Eier der Elasmobranchier die interessante Angabe, daß im Innern des Keims Vacuolen entstehen, welche zusammenfließen, nach außen durch- brechen und die Furchung hervorrufen, d. h. die Blastomeren zur Unter- scheidung bringen. Auch Hamm AR beschreibt für die verschiedensten Tierklassen (vgl. das oben gegebene Citat)*, daß von der centralen Furchungshöhle, welche anfangs eine von Flüssigkeit erfüllte Spalte darstellt, radiäre Spalten mit mehr oder weniger keilförmiger Verjüngung zwischen die Blastomeren eindringen, ohne aber die obenbeschriebene periphere Plasmaschicht zu durchbrechen, so daß die Blastomeren, wie betont, basal untereinander verbunden bleiben. Ebenso gewinnt man bei den Fig. 9 A — C, welche sich auf die 1 Vgl. auch die vielen diesbezüglichen sehr instiiiktiven Figuren in der Arbeit von His: Zellen- und Syncytienbildung usw. Abh. der Kgl. Sachs. Ges. d. Wissensch. Bd. XXIV. 1898. Vgl. unten 8. 142 ff. 2 I.e. 3 Kastschenko, Zur Frage über die Herkunft der Dotterkerne im Sela- chierei. Anat. Anz. III. Jahrg. 1888. * I. c. Vgl. in der letzten Arbeit (1897) von Hammak die vielen nach dieser Richtung sehr instruktiven Abbildungen. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 141 Furchung von Theridium maculatum beziehen, durchaus den Eindruck, als wenn die Blastomeren durch Spalten, welche von der mit Flüssig- keit erfüllten Furchungshöhle ausgehen, hervorgerufen werden i. In Fig. 4 B sieht man ferner das Eiplasma allenthalben von Vacu- olen durchsetzt, welche in die die Dotterpyramiden trennenden bzw. erzeugenden Spalten oder Furchen übergehen. Beachtenswert ist schließlich, daß bei der superficiellen Furchung die Furchen oft schon eher da sind, ehe die Kerne in das periphere Blastem aufgestiegen sind (Fi.g 4 B), und daß die Furchungskerne in den zwischen den Dotterpyramiden befindlichen Räumen nach der Fig. 9.4— C. Verschiedene Furchungsstadien von Theridium maculatum. Schnitte. (Nach Morin.) Aus Kor« SCHELT und Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklimgsgesch. Peripherie wandern (Fig. 4 C), jedenfalls ein Beweis, daß die Furchen nicht durch Einwirkung des Furchungskerns entstanden sein können. Schon Gronkoos^ hat die Ansicht vertreten, daß die Furchen nur hinfälhge Erscheinungen sind, deren Bedeutung sich auf einen kurzen Abschnitt der Furchungsperiode beschränke. Möglicherweise dient die Bildung vieler, d. h. besonders der eben beschriebenen von innen nach außen durchbrechen- den Furchen einer besseren Ernährung der vielkernigen Plasmamasse des Eies^, während andrerseits die peripher 1 In diesem Sinne sind vielleicht auch die eigenartigen Dotterrosetten der Spinnen zu erklären. 2 Gronroos, Zur Frage nach der Homologie und dem sog. Anachronismus der Furchungssysteme bei der Eifurchung. Helsingfors 1899. ^ In gleichem Sinne habe ich mich schon in meiner letzten Arbeit (1. c. c) ausgesprochen und gleichzeitig betont, daß auch die Vacuolen, die bei der Ge- nese vieler Gewebe auftreten und Zellen zur Unterscheidung bringen, zweifels- ohne im Zusammenhang mit der Ernährung der sich differenzierenden primären Plasmodien stehen. 142 Emil Rohde, beginnenden und nach innen immer tiefer einschneidenden Furchen in vielen Fällen vielleicht die Aufgabe haben, dem vielkernigen Eiplasmodium 0 zuzuführen. Wir werden unten sehen, daß die Furchung der Metazoen nach vielen Richtungen ungemein an die multiple Vermehrung der Proto- zoen erinnert. Auch bei dieser erfolgt die Entstehung der Tochter- zellen durch Vacuolisierung der primär vielkernig gewordenen Mutter- zelle. Was den zweiten Fall anbelangt, d. h. die Ausbildung von Blasto- meren durch die Entstehung von festen Differenzierungsprodukten des Eiplasmas im 8inne der Grundsubstanzen der Bindegewebe, so sind diesbezüglich besonders die Untersuchungen von His über die Zellen- und Syncytienbildung bei den Salmonidenkeimen i sehr interessant. Sie sind ebenso auch wichtig für die oben schon erörterte Frage nach dem Zusammenhang der Blastomeren und der Sonderung derselben durch vacuolenartige Bildungen, His unterscheidet im Plasma des Eies bzw. der zur Ausbildung kommenden Blastomeren ein Morphoplasmagerüst, welches aus feinen Fäden und aufgelagerten Körnchen besteht, und ein dazwischen be- findhches Hyaloplasma, das er aber gegenüber dem Morphoplasma für den unwichtigeren Teil des Protoplasmas hält. His beobachtete nun, daß die Blastomeren nach ihrer Entstehung noch lange Zeit im aus- gedehntesten Zusammenhang bleiben, es lockert sich an ihrer Grenze nur etwas das Morphoplasmagerüst des Keims, wobei gleichzeitig vacuolenartige Spalträume zwischen den Blastomeren zur Ausbildung kommen. His sagt: >>In den tieferen Schichten^ treten klaffende Spalt- räume zwischen den im übrigen gerüstartig verbundenen Zellen auf. Anstatt einer einheitlichen Furchungshöhle umschließt somit der Keim ein komphziertes System zusammenhängender unregelmäßiger Spalten. « His nennt diese locker gefügten Grenzpartien der benachbarten Blasto- meren »Diastemen. Das in solche zusammenhängende Blasto- meren (Plasmochoren, His) sich zerklüftende Eiplasma stellt also nach wie vor eine zusammenhängende vielkernige Plas- mamasse dar^. 1 His, Abh. d. Kgl. Sachs. Ges. d. Wiss. Bd. XXIV. 1898. 2 d. h. des Keims. 3 Schon GÖTTE (Entwicklungsgesch. d. Unke) hat die hohe Bedeutung der Interstitialflüssigkcit für die histologische Differenzierung des Embryos betont. Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 143 Schließen sich aber die Blastomeren durch Membranen schärfer voneinander ab, so erkannte His ferner, daß die Membranen nichts anderes als ein etwas festeres Verflechtungsprodukt des Morpho- plasmagerüstes des Keims, also ebenso lebende Substanz sind wie bei dem späteren Bindegewebe die Grundsubstanzen, welche gleichfalls Zellen zur Abgrenzung bringen. Also auch in diesem extremen Fall der Blastomerensonderung bleibt das Ei ein einheit- liches Ganzes, um so mehr als nach den Beobachtungen von His solche durch Membranen gesonderte Blastomeren durch Auflockerung des Morphoplasmagerüstes der Membranen wieder in ein vielkerniges Plasmodium übergehen können. Daß Blastomeren sekundär zu vielkernigen Plasmodien ver- schmelzen, ist eine Erscheinung, die öfteis wiederkehrt, so z. B. bei der syncytialen Delamination. Hier entsteht bisweilen aus dem Ei anfangs eine Morula, die sich später, vor Bildung der Keimblätter, in ein vielkerniges Plasmodium bzw. Syncytium auflöst (vgl. oben S. 135, 136 und Fig. 7/1— C). Ein vollständiges Seitenstück zu den Hisschen Membranen bzw. Morphoplasmafäden stellt das SziLYSche embryonale Stützge- webe dar, das ich besonders in meiner letzten einschlägigen Arbeit^ aus- führlich berücksichtigt habe. Dasselbe stellt ein feines Fasergewebe dar, welches alle Räume zwischen den frühen embryonalen Organen bzw. Keimblättern erfüllt und nach Szily aus basalen Fortsätzen der Epithel- zellen der Keimblätter bzw. Organanlagen hervorgeht. Ich habe dasselbe Gewebe gleichzeitig ^ mit Szily beschrieben, es aber als spongioplas- matisches Fasergewebe bezeichnet, weil ich es für eine Umbildung des Spongioplasmas des Eies hielt. Diese Auffassung hat sich bei mir auf Grund meiner fortgesetzten Untersuchungen immer mehr befestigt. Dieses spongioplasmatische Fasergewebe durchzieht nämlich nicht nur die freien Räume zwischen den Keimblättern, wie Szily glaubte, son- dern verdichtet sich, gleich dem Hisschen Morphoplasma an gewissen Stellen membranartig, bringt aber nicht nur zellartige Bildungen wie z. B. Furchungszellen, Blutzellen zur Abgrenzung, sondern auch organ- artige Gebilde, so das Centralnervensystem, die Chorda, die ersten Blut- gefäße usw. Auch die Scheiden aller dieser Organe sind nichts andres als Verdichtungsprodukte des spongioplasmatischen Fasergewebes, wie 1 1. c. c). 2 1. c. b) 1908. 144 Emil Rohde, man sich besonders bei den jungen Embryonen von Triton und Rana überzeugen kann [vgl. 1. c. b) und c)]. Das spongioplasmatische Fasergewebe setzt sich aber drittens auch in das Innere der Organanlagen z. B. der Muskulatur fort und zer- gliedert einerseits diese, sich wieder membranartig verdichtend, in größere oder kleinere Abteilungen, w^elche auf den ersten Blick den Eindruck von Muskelfasern machen, mit solchen aber nichts gemein haben, sondern den Muskelkästchen der niederen Wirbeltiere ent- sprechen, wie ich schon früher (1. c.) ausführhch beschrieben habe, anderseits geht das spongioplasmatische Fasergewebe in das Spongio- plasma der Muskulatur direkt über. Szily konnte ebenfalls beobach- ten, daß sein embryonales Stützgewebe sich in das Protoplasmagerüst der Muskulatur direkt fortsetzt, und findet diesen Befund sehr auffällig und unverständlich. Bei meiner Auffassung findet derselbe seine ein- fache Erklärung: Die Muskulatur jüngster Embryonalstadien erscheint auf Schnitten nur als eine besonders strukturierte seitliche Partie des Embryo, welche aber an ihrem inneren Bande mit ihrem Spongio- plasmagerüst oft unterschiedslos in das allgemeine Spongioplasma- gerüst des Embryo übergeht. Ich hatte dieses Verhalten schon in meiner ersten diesbezüglichen Arbeit i konstatiert und war deshalb schon damals zu der Auffassung von der Spongioplasmanatur des SziLYSchen Gewebes gelangt. Das Hissche Morphoplasmagerüst und mein spongioplasmatisches Fasergewebe stehen also auf gleicher Stufe. Betont sei noch einmal, daß die organartig sich anlegen- den Teile des Embryos, das Centralnervensystem, die Chorda, die Blutgefäße, die Muskulatur usw., von denselben spongioplasmatischen Fasern membranartig umhüllt wer- den wie die zelligen Differenzierungen des Embryos, d. h. die Furchungszellen, die frühesten Blutzellen usw., daß in beiden Fällen die Membranen Differenzierungsprodukte einer einheitlichen vielkernigen Plasmamasse d. h. des viel- kernig gewordenen Eies sind, und daß andrerseits die mem- branartigen Bildungen auf gleiche Stufe zu setzen sind mit den Grundsubstanzen der Bindegewebe, z. B. des Knorpels, und gleich diesen lebende Substanz darstellen. Steigt man von den Metazoen zu den Protozoen herab, so findet sich hier ein Zellvermehrungsprozeß, der unzweifel- 1 1. c. b). Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 145 haft stark an die Furchung vieler Metazoen erinnert, das ist die multiple Vermehrung bzw. Teilung. So z. B. bei den Amö- ben. Im Anschluß an die Untersuchungen von Schaüdinn und Popoff läßt sich Lang in seinem Handbuch der Morphologie der wirbellosen Tiere folgendermaßen hierüber aus (vgl. Fig. 10): »Neben der Schizo- gonie kommt sowohl bei Ä. minuta wie auch bei den Entamöben noch eine zweite Form der multiplen Vermehrung vor, die sich von der ersteren sofort dadurch unterscheidet, daß sie innerhalb einer Cyste erfolgt. Bei A. minuta ist die hierbei entstehende Zahl von Tochter- Fig. IQA—E. Multiple Vermehrung einer encysticrten Amöbe. (Xach Popoff.) Aus Lang, Handbuch der Mor- phclogie der wirbellosen Tiere. Individuen eine verhältnismäßig große (bis zu etwa 40). Nachdem die Kerne für diese Tochterindividuen gebildet sind, vielleicht auch schon während dieselben noch eine Vermehrung erfahren, entsteht im Cen- trum der Cyste eine unregelmäßig gestaltete große Vacuole, die zuerst einheitlich ist, dann aber allmählich feine Ausläufer nach allen Rich- tungen hin entsendet. Diese Vacuolenkanäle winden sich überall im Plasma durch und zerteilen dieses derart, daß um jeden Kern eine Plasmaschicht abgegrenzt wird. Anscheinend wird hierbei das ganze Plasma aufgebraucht, ohne daß ein zugrunde gehender Restkörper übrigbleibt. « Also ganz ähnlich wie gewisse Eier bei der Furchung wird der durch multiple Kernteilung mehrkernig gewordene Amöbenkörper durch das Auftreten von Vacuolen in Tochter- Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV, Bd. 10 146 Emil Rohde, stücke zerlegt. Der Unterschied besteht nur darin^ daß die jungen Amöben frei werden, die Blastomeren aber vereinigt bleiben. Besonders aber fordert die multiple Teilung von Paramöba Eil- hardi nach den Untersuchungen von Schaüdinn direkt zu einem Ver- gleich mit der Furchung der Metazoen heraus. Lang (1, c.) schreibt B D % '^ :^^^: ^ Ök Fig. \\A—E. .Multii)le Teilung und Furchung. A — D. Paramoeha Eühardi Schaüdinn. A, vegetative Amöben- forni. B — D, multiple Vermehrung; 1 Nebenkörper, 2 Kern. E, Furchungsstadium von Dromia. A — D nach Schaüdinn, aus Lang, Handbuch der Morphologie der wirbellosen Tiere. E nach Cano, aus KORSCHELT und Heidek, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgcsch. diesbezüghch (vgl. Fig. 11 A — E): »Innerhalb der so gebildeten Cyste teilt sich dann zunächst der Nebenkörper in zahlreiche Teilstücke. Hierauf zerfällt der Kern durch mehrfache, sich rasch wiederholende Zweiteilungen in zahlreiche kleine Tochterkerne, die sich im Plasma so verteilen, daß sich zu jedem Nebenkörper ein Kern gesellt. Hierauf zieht sich das Protoplasma etwas von der Cystenhülle zurück, und die je von einem Nebenkörper begleiteten Kerne rücken an die Oberfläche, wo sich um jeden von ilinen eine Plasmaportion sondert. Diese Son- Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 147 clerung der einzelnen Plasmaportionen schreitet von der Oberfläche nach der Tiefe zu vor, und schließlich wird auch das anfangs noch un- geteilt gebhebene Plasma im Centrum der Cyste zerklüftet.« Die Teilung der Mutterzelle von P ar atn ob a E ilhar di verläuft also zunächst genau gleich der superficiellen Fur- chung der Arthropoden (Fig. 11 E) und wird schließlich eine Furcliuug von Macrotoma vulgaris. Schnitte, schematisch. (Nach Uzel.) Aus Korschelt und Heider, Lehib. d. vergl. Entwicklungsgesch. totale, ganz ähnlich wie die Furchung von Macrotoma vul- garis (Fig. 12). In derselben Weise verläuft die multiple Teilung (Schizogonie) niclitencystierter Amöben. Während in den eben angeführten Beispielen der mul- tiplen Vermehrung die Mutterzelle restlos in Tochterzellen aufgeht, bleibt in andern Fällen ein Restkörper übrig, welcher untergeht, z. B. bei den Coccidien. Bei Coccidium Schuhergi produziert das in einer Darmzelle parasitierende Coc- cidium ebenfalls durch Schizogonie eine große Menge Tochterzellen (Fig. 136, c), wobei ein Teil des Muttercytoplasmas, der sogenannte Restkörper, zurück- bleibt. Dasselbe gilt von den Grega- rinen, bei denen der Restkörper oft sehr bedeutend ist (Fig. 14). Ein solcher Restkörper bleibt auch bei vielen sich furchenden Eiern der Metazoen zurück, das ist der Nahrungsdotter, welcher in vielen Fällen nur zum Teil zur Ernährung der Blastomeren dient, zum andern Teil aber untergeht. So zu- 10* Fig. 13 a — c. Eimer ia (Coccidium) Schuhergi. Nach SCHAUDINN. Multiple Vermehrung, b Coc- cidium in einer Darmepithelzelle, c das- selbe mit durch Teilung vermehrten Kernen. Aus Claus-Grobben, Lehrb. d. Zoologie, 148 Emil Rohde, nächst öfter bei der syncytialen Delamination. Der Keim stellt hier (vgl. oben) anfangs wie bei der superficiellen Furchung der Arthropo- den ein vielkerniges Plasmodium dar. von dem sich das Ectoderm ganz ähnlich abschnürt wie das Blastoderm im Insektenei. Der im Innern zurückbleibende Rest des vielkernigen Plasmodiums bildet zum Teil das Entoderm, und zwar in ganz ähnlicher Weise wie das Ectoderm. zum Teil verfällt er einer degenerativen Auflösung. Gleiche Verhältnisse kehren bei der superficiellen Furchung der Arthropoden wieder. Auch hier erfolgt eine sekundäre Dotterfurchung, im Zusammenhang mit dieser entstehen sekun- däre Dotterpyramiden. Der innerhalb der- selben übrigbleibende Teil des vielkernigen Plasmodiums geht ebenfalls zugrunde, oft nach- dem ein Teil der Dotterzellen eine Zeitlang als Vitellophagen funktioniert haben (Fig. 15). Ganz ähnlich wirken auch bei der discoi- dalen Furchung die Dotterzellen nur anfangs als Vitellophagen und degenerieren dann unter Bildung von Kernglomeraten, Riesenkernen, ^^' ' Amitosen usw. In vielen Fällen tritt hier eine Große Cyste einer Regenwurm- ^ . n , • ty n i Monomtü mit reifen Sporen, in Verflüssigung bzw. gallertige Umwandlung des der Mitte ein Restkörper. (Nacii Dotters Unter gleichzeitiger Bildung einer BÜTSCHLI.) AusCLAUS-GROBBEN, ^ ^ i i i ■ Lehrb. d. Zoologie. ^ urchungshohle em. Sehr auffällig ist ferner die Beob- achtung, daß bei gewissen Furchungsprozessen sich diesel- ben Kernteilungsvorgänge abspielen, Avie sie bei der mul- tiplen Teilung der Protozoen vorkommen. So zerfällt nach Popoff bei der multiplen Teihing von Amöha minuta der ursprüngliche Kern in eine Unzahl von Chromatinbrocken (Chromidien), die später zu den neuen Kernen zusammentreten ; auch bei Arcella entstehen die zahlreichen neuen Kerne aus Chromidien, während die beiden alten Kerne verschwinden. Ebenso gehen bekannthch bei den Radiolarien aus dem sich auflösenden Kern eine Unmasse sehr kleiner Kernpar- tikelchen hervor, die sich im intrakapsulären Plasma zerstreuen, worauf ein Zerfall der Centralkapsel eintritt, statt deren man dann in dem Weichkörper des Radiolars eine größere Zahl kernhaltiger Protoplasmaballen findet. Sehr ähnliche Verhältnisse kehren bei der Furchung der Hydro- koralhen wieder: Aus dem ersten Furchungskern entstehen durch Kernfragmentation kleine Chromatinpartikelchen, die sich im Eirauni Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 149 zerstreuen. Später treten im Ei viele durch ein plasmatisches Reti- culum untereinander verbundene Plasmainseln (vgl. Fig. 6) auf, welche Kerne enthalten, die durch Vereinigung der Chromidien entstan- den sind. Die Übereinstimmung zwi- schen Furchung und multipler Teilung ist hier nicht zu leugnen. Ebenso bemerkenswert ist der Befund, daß bei der Fur- chung bisweilen in dem primären vielkernigen Plasmodium Zellen in derselben Weise zur Abgrenzung kommen wie bei manchen Proto- zoenkolonien, in beiden Fällen stehen die Zellen durch breite _ -eit Fig. \^A—G. Sekundäre Dotterfiirchuiig und Entstehung von sekundären Dotterpyramiden, in deren Innerem ein Eestkörper, d. 1. der Xahrungsdotter {d, en) zurückbleibt, en, Entoderm; ec, Ectoderin. Fig. A, B, Maja verrucosa. (Nacli Cano.) Scliematiscli. Fig. C, Palasmon. (Nacli Bobretzky.) Aus KORSCHELT und Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgescli. Intercellularbrücken in ausgedehnt protoplasmatischem Zusammen- hang (Fig. 16, 17). Daran erinnert sei schließlich, daß auch bei*der Entstehung der Pflanzen sich oft ganz ähnliche Vorgänge abspielen wie bei der Fur- chung der Metazoen und der multiplen Teilung der Protozoen. So 150 Emil Rohdi', Histogenese, rurchimg und nuiltiple Teilung. teilen sich ähnlich wie bei der superficiellen Fmchung in dem Em- bryosack der Phanerogamen bei der Endospermbildung der Kern und seine Deszendenten wiederholt, ohne daß gleichzeitig eine Zellbildung Fig. IG^, B. F urchungsstadien von Jaera marina. (Xach McMueeich.) Aus Korscelt uud Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgcsch. erfolgt. Erst nachdem die volle Kernzahl erreicht ist, entsteht um jeden Kern eine Zelle (Fig. 18). Auch ein Restkörper bleibt öfters zurück, so z. B. bei der Sporenbildung der Ascomyceten. Auch hier erfolgt in jedem Ascus zuerst eine mehr- fache Kernteilung und erst sekundär die Zellbildunff. Fig. 17. Volvox globator. (Nach Arth. Meyer.) Zusammenfassung. Ebenso wie alle Gewebszellen histogene- tisch aus vielkernigen Plasmodien hervor- gehen, so sind auch viele Blastomeren die sekundären Differenzierungsprodukte einer vielkernigen Plasmamasse, zu welcher das Ei durch fortgesetzte Kernteilungen ohne gleichzeitig erfolgende Ab- furchung sich primär umwandelt. Das gilt besonders für die super- ficielle und discoidale Furchung, läßt sich aber auch für die totale Furchung nachweisen. Bei der superficiellen Furchung zerfällt der centrale Furchungs- kern durch fortgesetzte Teilungen in eine große Anzahl Kerne, welche anfangs central bleiben, später aber allmählich zur Peripherie auf- steigen, bis sie das oberflächhche Blastem erreicht haben (Fig. 1 — 5). Erst jetzt erfolgt die Sonderung von Blastomeren, indem Furchen auftreten, welche peripher beginnen und allmählich tiefer einschneiden. 151 Die Blastomeren erhalten sich lange Zeit basal mit dem gemeinsamen Bla- stem in breiter Verbindung. -^"^ ^ Dasselbe gilt von der discoidalen Fiirchung. Auch hier, besonders bei ^ J\ 'l Elasmobranchiern und Reptihen, eilt die Teilung des Furchungskerns der ^' '^i -^* * Blastomerenbildung voraus, so daß der Keim wieder anfangs eine vielkernige - j^ Plasmamasse darstellt (Fig. 8 Ä, B). -^^ Auch hier schneiden schon die ersten ^1^'^ ^^ Furchen nicht ganz durch die Keim- ^i, 'f' Scheibe durch, die entstehenden Blasto- .^>^ .^Pf meren bleiben also basal wieder in Ver- # bindung. In der weiteren Folge ist es ^ das vielkernige Plasmodium der inter- ^ mediären Schicht, welches die Blasto- 7 ^ meren zur Differenzierung bringt und /f* X mit ihnen längere Zeit plasmatisch zu- ^ sanmienhängt. % '^^ Auch die totale Furchung setzt in i 1 1 ■>M M' (^ ^^ •c \ Fig. 18^, B. A. Früillara im per. Protoplasmatischer Wandbelng aus dem Enibryosack. B. Reseda odorata. Proto- plasmatischer Wandbelag des Embryosackes zu Beginn der freien Zellbildung. (Nach Strasburger.) 152 Emil Rohde, manchen Fällen mit einem vielkernigen einheitlichen Plasmodium ein, zu welchem das Ei durch fortgesetzte Kernteilung sich primär um- bildet (Kg. 12 A—D). Ebenso wie alle Gewebszellen durch Fortsätze miteinander ver- bunden sind, erhält sich auch bei den Blastomeren ein ausgedehnter plasmatischer Zusammenhang. Besonders interessant sind nach dieser Richtung die Untersuchun- gen von His über Zellen- und Syncytienbildung bei den Salmoniden- keimen. His unterscheidet im Protoplasma des Eies (bzw. der Blasto- meren) Morphoplasma und Hyaloplasma. Das erstere besteht aus einem Netzwerk von feinen Fäden, welchen Körnchen aufgelagert sind, und stellt den wesentlichen Teil des Plasmas dar, während das von ihm umschlossene Hyaloplasma von geringerer Bedeutung ist. Wenn die Blastomeren sich aus dem primären kernhaltigen Plasmodium bilden, dann bleiben sie nach His noch lange durch eine hellere Grenzzone (Diasteme) in Zusammenhang, da diese nur eine etwas aufgelockerte Partie des allgemeinen Morphoplasmagerüstes des Keimes darstellt. Die Membranen aber, welche später als Abgrenzung der Blastomeren zutage treten, sind nach His nichts andres als ein dichteres Verflechtungs- produkt des Morphoplasmagerüstes, bestehen also dauernd aus lebender Substanz und erhalten so die Blastomeren im Zusammenhang. Diese Hisschen Membranen entsprechen den Grundsubstanzen, wekhe später bei der Histogenese der Bindesubstanzgruppe, z. B. des Knorpels, zur Differenzierung kommen, gleichfalls nur modifiziertes und dauernd lebendig bleibendes Plasma darstellen, gleichfalls in einem primären vielkernigen Plasmodium zur Entstehung kommen und gleich- falls Zellen, die Knorpelzellen der Autoren (d. h. das nicht zur Grund- substanz verwandelte Plasma des primären Plasmodiums) zur Unter- scheidung bringen. In dieselbe Rubrik gehört das SziLYSche embryonale Stützgewebe, welches von mir (gleichzeitig mit Szily) im Jahre 1908 beschrieben und als spongioplasmatisches Fasergewebe bezeichnet wurde, da es sich in ihm um eine Modifikation des ursprünglichen Spongioplasmas des Eies handelt. Dieses spongioplasmatische Fasergewebe durchzieht nicht nur die freien Räume zwischen den embryonalen Organen bzw. Keim- blättern, wie SziLY es angibt, sondern verdichtet sich gleich dem His- schen Morphoplasma an bestimmten Stellen membranartig und bringt so Zellen (Furchungszellen, früheste Blutzellen usw.) zur Abgrenzung. Aber nicht nur Zellen, sondern auch organartige Anlagen des sich differenzierenden Eies (so das Centralnervensystem, die Chorda, die Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 153 Blutgefäße usw.) werden von demselben spongioplasmatischen Faser- gewebe scheidenartig umschlossen. Auch in die Muskulatur dringt das spongioplasmatische Fasergewebe ein und grenzt hier einerseits, sich wieder membranartig verdichtend, größere oder kleinere Territorien im Sinne der Muskelkästchen der niederen Wirbeltiere ab, anderseits geht es in das Spongioplasma der Muskulatur direkt über. In andern Fällen spielen nicht feste Umwandlungsprodukte des Plasmas, sondern Vacuolenbildungen bei der Differenzierung des Eies eine große Rolle, insofern im Innern des vielkernigen Plasmodiums, welches der Embryo anfangs darstellt, Vacuolen auftreten, welche Fortsätze entsenden und die ursprünglich einheitliche vielkernige Plasmamasse des Eies m der Umgebung der Kerne in Blastomeren bzw. Dotterpyramiden zerklüften, wie dies bei den verschiedensten Arten der Furchung zu beobachten ist Auch dieser Vorgang erinnert wieder an die Histogenese vieler Gewebe, so der Epithelien und gewisser Bindesubstanzen. Auch hier treten in den vielkernigen primären Plasmodien, von welchen diese wie alle Gewebe ihre Entstehung nehmen, Vacviolen auf; der zwischen ihnen erhalten bleibende Teil des ursprünglichen Plasmodiums er- scheint dann wieder im Bilde von Zellen bzw. Zellfortsätzen. Die Furchung der Metazoen findet ihr Seitenstück in der mul- tiplen Teilung der Protozoen. Auch bei dieser entsteht aus einer Mutter- zelle durch fortgesetzte Kernteilungen primär ein vielkerniges Plas- modium, welches erst sekundär in Tochterzellen zerfällt. Oft rücken dabei die Tochterkerne an die Peripherie der Mutterzelle, erst hier kommen Tochterzellen zur Differenzierung, welche wieder durch das Auftreten von Furchen entstehen und durchaus an die Blastomeren bei der superfici eilen Furchung erinnern und lange Zeit basal mit dem Plasma der Mutterzelle in breitem organischen Zusammenhang bleiben (Fig. 11 Ä — E). In andern Fällen treten, genau wie bei gewis- sen Furchungen, central Vacuolen auf, welche nach außen durchbrechen und die Tochterzellen zur Sonderung bringen (Fig. 10 A — E). Auch die Kernteilungsvorgänge zeigen bisweilen zwischen Furchung und multipler Teilung eine auffällige Übereinstimmung, insofern der ur- sprüngliche Kern der Mutterzelle bzw. des Eies in eine Unmasse chro- midienartiger kleinster Teilstücke zerfällt, welche zu den Tochter- kernen der Tochterzellen bzw. Blastomeren sekundär zusammentreten. Bei der multiplen Teilung der Protozoen geht entweder die ganze Mutterzelle in der Bildung von Tochterzellen auf, oder es wird nur ein Teil der Mutterzelle dazu verwandt, und es bleibt ein Restkörper übrig, 154 Emil Rohdc, Histogenese, Furchung und multiple Teilung. der untergeht. Beide Fälle treffen wir bei der Furchung der Metazoen wieder: Bei der totalen Furchung zerfällt das Ei vollständig in Blasto- meren, bei der discoidalen und superficiellen Furchung wird nur ein Abschnitt des Eies in Blastomeren zerklüftet, während der Rest, der Nahrungsdotter, nachdem er eine Zeitlang für die Ernährung der Blastomeren tätig gewesen ist, häufig ebenfalls degeneriert. Rest- körper und Nahrungsdotter sind also entsprechende Bildungen (Fig. 14 und 15). " Ich will diesmal von weiteren Ausblicken absehen, zu denen man durch die Resultate dieser Arbeit gedrängt wird, und nur darauf auf- merksam machen, wie der Ausdruck »Syncytium << in der Literatur in der Regel ganz unrichtig gebraucht wird: Entsteht eine vielkernige Plasmamasse direkt durch wiederholte Teilungen eines primären ein- heitlichen Kerns, so kann man nur von einem vielkernigen Plasmodium sprechen. Hieraus ergibt sich, daß z. B. die Ausdrücke »Dottersyncy- tium«, >>syncytiale Delamination« usw. in vielen Fällen durchaus un- angebracht sind. Breslau, im Mai 1915. Histologische Differenzierung, Zelibildung und Entwicklung bei Protozoen bzw. Protophyten und IVIetazoen bzw. IVIetaphyten. Ein Vergleich Prof. Dr. Emil Kolide (Breslau). Mit 30 Figuren im Text. Inhaltsverzeichnis, Seite I. Einleitung. Die Protozoen und der Zellenstaat der Metazoen . . . 155 IL Histologische Differenzierung und Entwicklung bei Protozoen und Metazoen 15G III. Zellbildung bei Tier und Pflanze 171 IV. Zusammenfassung und Allgemeines 178 I. Einleitung. Allgemein werden Protozoen und Metazoen scharf voneinander geschieden, die ersteren bleiben, wie man sagt, dauernd auf der Stufe einer Zelle stehen, die letzteren gehen zwar auch von einem einzelligen Stadium, d. h. dem Ei aus, zerfallen aber durch den eigenartigen Fur- chungsprozeß in eine große Anzahl von Zellen, welche anfangs mehr oder weniger gleich erscheinen und sich zu mehreren Lagen d. h. den Keimblättern anordnen, später im Zusammenhang mit den verschie- denen Funktionen, die sie im fertigen Körper zu übernehmen haben, sich mannigfaltig verändern, d. h. sich zu Muskelzellen, Nervenzellen, Bindegewebszellen, Drüsenzellen, Epithelzellen, Blutzellen usw. diffe- renzieren und zu höheren Einheiten d. h. den Geweben bzw. Organen zusammentreten. Der fertige Metazoenorganismus wird als Staat auf- gefaßt, der sich aus sehr selbständigen Elementen d. h. den Zellen 156 Emil Roh de, zusammensetzt. Die Gesamtleistung dieses Zellenstaates entspricht einer Summe von Einzelleistungen, die an die Zellen gebunden sind. Im Gegensatz hierzu fehlen den Protozoen alle Zellbildungen, alle ächten Gewebe und Organe; alle Komplikationen, die in ihrem Körper auftreten, sind, wie gelehrt wird, nur Differenzierungen einer einzigen Zelle und erinnern nur physiologisch an die Gewebe und Organe der Metazoen, es handelt sich bei ihnen nur um Zellorgane, um Organellen. Sieht man aber genauer zu, so verwischen sich die Gegensätze zwischen Protozoen und Metazoen nach vielen Richtungen. Dies gilt besonders von der II. Histologischen Differenzierung. Es zeigt sich, daß bei der histologischen Differenzierung der Meta- zoen die Zellen eine ganz untergeordnete Bolle spielen, und die Ver- hältnisse in Wirklichkeit ganz anders liegen, als die Theorie des Zellen- staates es annimmt. Schon Rouxi hat vor Jahren die Ansicht vertreten, daß es im Körper der Metazoen Substanzen gibt, die ganz unabhängig von Zellen leben und sich funktionell differenzieren, das sind die Intercellular- oder Grundsubstanzen. Er sagt diesbezüglich: »Die spezifisch fun- gierende Intercellularsubstanz des Bindegewebes und Knorpels wird aus gutem Grunde als auch von sich aus für assimilations-, wachstums- und differenzierungsfähig gehalten, und ich habe angenommen, daß hier der funktionelle Reiz auch auf diese fungierenden Teile selber trophisch, erhaltend und differenzierend wirkt.« — »Außer von den aus Zellen bestehenden entwickelten Teilen gibt es auch viele Gestaltungen des Soma, welche durch typisches Eigenwachstum und Selbstgestaltung der Intercellularsubstanzen bedingt sind.« — »Die Selbstgestaltung der Intercellularsubstanzen werden nach G. Schlaters und meiner Meinung zurzeit noch sehr unterschätzt. Ihr typisch gestaltendes Wachstum ist sicher nicht nur von den zugehörigen Zellen, als den angeblich allein lebenstätigen und allein mit typischen vererbten Gestaltungsvermögen versehenen Teilen abhängig, wie man dies jetzt noch annimmt, son- dern die Intercellularsubstanzen des Knorpels, vielleicht des Binde- gewebes und Knochens haben wohl auch eigene, typisch lokalisierte und gerichtete Wachstumspotenzen.« Ebenso machen Heidenhain und Gurwitsch gegen den Zellen- staat Front, worüber ich mich schon früher i eingehend ausgelassen 1 Vgl. Ausführlicheres in meiner Arbeit: Zelle und Gewebe jn neuem Licht. Vortr. u. Aufs, über Entwicklungsmech. d. Ürg. Heft 20. 19l4. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 157 habe. Heidenhain schreibt u.a.: »Demnach ist der fertige Körper hochorganisierter Geschöpfe eine Assoziation ungleichwertiger Form- bestandteile (Bindegewebsbündel, elastische Fasern, Zellen, Muskel- fasern usw.),« und Gurwitsch: »Der Zellbegriff versagt aber völhg als Arbeitsmittel, sobald wir an die Analyse jener überaus zahlreichen Gewebe herantreten, bei denen neben oder außer den als solche identi- fizierbaren Zellen verschiedene Bestandteile auftreten, welche weder von dem ursprünglichen Zellschema vorgesehen noch demselben ein- gezwängt werden können. Ihren topographischen Beziehungen nach können wir dieselben als inter- (besser wohl: extra-) celluläre Sub- stanzen bezeichnen.« — »Wir hätten demnach die Grundsubstanz als ein der Zelle, Faser (Röhre der pflanzlichen Objekte) usw. koordiniertes Beschreibungsmittel in unser histologisches Inventar aufzunehmen. « — »Es geschieht jedoch einer vorgefaßten Ansicht zuHebe, wenn man die Histogenese ausschließlich von den Zellen ausgehen läßt und die Zwi- schen- oder Grundsubstanz der jungen Keime ganz aus dem Spiel läßt.« — »Wenn wir somit die Sachlage ohne die vorgefaßte Meinung objektiv beurteilen, so müssen wir sagen, daß das Schwergewicht der histogenetischen Prozesse der extracellulären bzw. acellulären Bestand- teile der Gewebe in diesen selbst liegt.« Gleich Roux nimmt also auch Gurwitsch eine Selbstdifferenzierung der Grundsubstanzen an. Ich selbst habe die herrschende Zellenlehre seit Jahren bekämpft und meine diesbezüglichen Ansichten in mehreren Arbeiten i nieder- gelegt. Zunächst wies ich nach, daß die Zellen des fertigen Organismus, selbst Gewebszellen der verschiedensten Art, sämtlich untereinander in engem organischen Zusammenhang stehen. Die Metazoen stellen demnach in Wirklichkeit eine einheitliche kernhaltige Plas- mamasse dar. Zweitens konnte ich konstatieren, daß die Gewebszellen der fertigen Metazoen nicht die direkten Abkömmlinge aus dem Fur- chungsprozeß hervorgehender Embryonalzellen, wie allgemein ange- nommen wird, sondern Neubildungen sind, welche sekundär, bisweilen sogar tertiär in der verschiedensten Weise (vgl. unten) aus der viel- kernigen Plasmamasse hervorgehen, die der sich entwickelnde Orga- nismus der Metazoen bildet, ferner, daß die histologische Differen- zierung allgemein nicht an diese Gewebszellen gebunden ist, sondern in den vielkernigen Plasmodien ganz unabhängig von den Gewebszellen erfolgt, meist ehe letztere noch zur Ausbildung gelangen, daß also, mit andern Worten, alle Histogenese von vielkernigen Plasmodien aus- geht, die sich an verschiedenen Stellen verschieden differenzieren. 1 Vgl. bes. Zelle und Gewebe usw. 1. c. 158 Emil Rohde, Schon die Keimblätter setzen sieb, nicht aus scharf gesonderten Zellen zusammen, wie allgemein geglaubt wird, sondern repräsentieren gleichfalls einheitliche vielkernige Plasmodien und sind ebenso wie W^^-^y-;^^^' Eig. 1. SziLYsches embryonales Stützgewebe. Querschnitt. 9 Tage alter Kaninchenembryo. Ep, Epider- mis; So, Somatopleura. \f. >*; .:'ji ■-mx k-^ Fig. 2. SziLYsches embryonales Stützgevv(be. Schnitt. 51 Stunden alter Hühncrembryo. Ep, Epidermis; So, Somatopleura; Fs, Fasersystem; Mz, Mesenchymzellen. (Fig. 1 ti. 2 nacli Szily, Anat. H. Abt. 1. Bd. XXXV. 1908.) die aus ihnen hervorgehenden embryonalen Organe (Chorda, Cen- tralnervensystem, Myokommata usw.) alle unter sich plasmatisch verbunden (Fig. 1,2). Und zwar ist dieser Zusammenhang ein primä- Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 159 rer. Er wird hergestellt durch ein spongioplasmatisches Fasergewebe (Fig. 2), welches aus dem Spongioplasma des Eies hervorgeht und von SziLY, der es gleichzeitig mit mir entdeckte, als embryonales Stützgewebe bezeichnet wurde i. Ja selbst vom Furchungsakte gilt dasselbe wie von den späteren Entwicklungsperioden, d. h. das Ei verwandelt sich in vielen Fällen (besonders deutlich bei der superficiellen und discoidalen Furchung) primär durch fortgesetzte Teilungen des Furchungskernes ohne gleich- zeitig einsetzende Zellbildung in eine einheithche vielkernige Plasma- Fig. 3A und B. Schnitte durch frühe Entwicklungsstadien verschiedenen Alters von Ocophlius ferrugineus. k, Kerne. (Nach Sograff. Aus Korschelt u. Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. Allg. Teil. 3. Lfg. Jena 1909.) masse (Fig. 3), welche erst sekvmdär die Blastomeren bildet 2. Gleich den Gewebszellen bleiben die Blastomeren plasmatisch verbunden. Auch auf den embryonalen Stadien stellen also die Metazoen ein einheitliches vielkerniges Plasmodium dar, so daß schon A. Schneider den Embryo der Selachier als eine viel- kernige Zelle bezeichnete. Nach diesen Beobachtungen bzw. Anschauungen erscheint die Kluft zwischen Metazoen und Protozoen schon viel weniger tief: 1 Vgl. Ausführlicheres in: Zelle und Gewebe usw. 1. c. 2 Vgl. Ausführlicheres in meiner Arbeit: Histogenese, Furchung und mul- tiple Teilung. Zeitschr. f. wiss. Zeel. Bd. CXV. 1915. 160 Emil Rohde, //■ Metazoen wie Protozoen stellen einheitliche Massen leben- der Substanz dar. Die histologische Differen- zierung vollzieht sich bei beiden prinzipiell in durchaus gleicher Weise. — Betrachten wir zunächst die Ent- stehung der kontraktilen Substanz. Bei den Metazoen, z. B. in der Stamm- muskulatur der Wirbeltiere, tritt die kontraktile Substanz in dem vielkerni- gen Plasmodium des Myokommas zu- erst als feine Fibrillen auf (Fig. 4, 5), welche sich sekundär zu stärkeren Muskelsäulchen oder Muskelröhrchen (Fig. 5) zusammenlegen. Diese ordnen sich tertiär zu der höheren Einheit der Muskelfaser im Sinne der quergestreif- ten Muskelzelle der Autoren an, die durch ein spongioplasmatisches Faser- werk bzw. ein Sarcolemma schärfer nach außen begrenzt wird^. M^ ^w\ '0:i m m -m »•?«V; &Cl imfw Mg. 4. Querschnitt durch zwei Muskelbänder eines ' jungen Mustelus von 6 cm. Länge. Nach Maurer. ^■i"^^ .'■'■ff.. Trjio« -Embryo. 3,8 mm. Muskulatur, Quer. Sehr stark vergrößert. (Aus IIohde, Histol. Unters. I.) In andren Fällen, z. B. bei vielen Muskeln der Wirbellosen (Chäto- poden, Mollusken usw.), bleiben die Muskelsäulchen [ms, F) mehr oder 1 Vgl. Ausführlicheres in: Zelle und Gewebe usw. 1. c. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 161 weniger selbständig, d. h. sie vereinigen sich entweder nicht zu Muskel- fasern, sondern verlaufen isoliert, oder, falls sie sekundär Muskelfasern (mz) bilden, bewahren sie in diesen lange ihre Individualität (Fig. 6, 7). In einem dritten Falle (Herzmuskulatur der Wirbeltiere) kommt es weder zur Bildung von scharfgesonderten Muskelfasern, d. h. Muskel- zellen, noch von Muskelsäul- chen, sondern die kontraktilen Fibrillen durchziehen einzeln und selbständig die vielkernige Plasmamasse (Fig. 8, 9)^. Genau die gleichen Verhältnisse finden wir p.t^ ■■ ■Ä-%;^<#5'r'<^,;,^--^D tf^/o^^,, bei den Protozoe,. Auch ^AH^^^Mh Sie stellen eme emheithche / -J>5Ä^ ■"'• ' ^ ' ' #'^ Plasmamasse dar, in der die p|^Ä^''8^*%- Myonemen sich differenzieren. """ -''' Cm)CJk^'^' Die Myonemen der Protozoen '™; ■ — entsprechen etwa den Muskel- Fig. 6. säulchen der MetaZOen sie be- Lumhricu^ agncola. Hautmuskelschlauch. Längs, et, Cuticula; shc, Subcuticula; rm, Ringmuskulatur; Im, stehen ebenso wie diese einer- Beginn der Längsmuskulatur; mz. Muskelfaser; ms, SeitS aus feinen Fibrillen, in die Muskelsäulchen. (Aus Rohde, Die Muskulatur der Chaetopoden. Zool. Beitr. 1.1 Sie sich oft an den Enden pinselartig auflösen, andrerseits treten sie wieder öfter zu höheren Einheiten zusammen (Fig. 10), of *% welche mit den Muskelfasern, d. h. Muskelzellen • ; ä/ der Metazoen (vgl. Fig. 7) oft eine auffallende Über- / ^;;^^ einstimmung aufweisen und zweifelsohne diesen gleichwertige Bildungen darstellen. Wie bei den , '. ,, ^ ... Pterotracheamuiica. Mus- Metazoen ist die kontraktile Substanz ferner auch keizeiie (= Muskelfaser) bei den Protozoen bald glatt bald quer gestreift. ''''''■ ^' Muskeisäiüchen. " . (•'^us WACKWITZ, Beitr. z. Ebenso sind die Myonemen gleich den Muskelele- uistoi. d. MoUuskenmus- menten der Metazoen oft durch Anastomosen netz- ""^^^l^^/^^.!""!;?'?"* 111. Bd. o. U. 189^.) artig miteinander verbunden. Was die Beziehungen der Kerne des vielkernigen Plasmodiums der Muskulatur zu der kontraktilen Substanz bei den Metazoen anlangt, so liegen die Kerne oft im Innern der Muskelfasern, d. h. Muskelzellen (Fig. 4, 5), häufig aber auch ganz außerhalb derselben, so daß die Muskelfasern dann ganz kernfreie Köhren darstellen (z. B. Muskel- 1 Vgl. Ausführlicheres in: Zelle u. Gewebe 1. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 11 162 Emil Rohde, fasern der Chaetopoden [Fig. 6]), genau wie die gleichen Bildungen der Protozoen. Nicht selten sind auch Zwischenstufen zwischen diesen beiden Extremen vorhanden, d. h. die Kerne erscheinen teils außer- halb, teils innerhalb der Muskelfaser, teils in der kontraktilen Rinde derselben. Kommt es nicht zur Ausbildung von Muskelfasern, so ver- laufen die Muskelsäulchen ms (z. B. Ringmuskulatur der Chaetopoden i ■! \; ■ ■ I Mü/v I ^ - :: i \i\\i ihh.im IIa f II i i' hl f (/' i \! I i( I Mir Fig. 8. Tangentialschnitt durch die Herzwand eines Kntenembryo von 3 Tagen, mit :\ruskelfilirillcn. Nach M. Heidenhain. Vergr. 2500. [Fig. 6]) bzw. Muskelfibrillen (Herzmuskulatur [Fig. 8, 9]) ganz regellos zwischen den Kernen der vielkernigen Plasmamasse. Besonders die Fälle, in denen die Muskelfasern derMeta- zoen ebenso kernfrei sind wie die entsprechenden Bildungen der Protozoen, beweisen aufs neue, daß wir es in den Muskelfasern der Metazoen nicht mit Äquivalenten von Zellen, wie allgemein angenommen wird, sondern wie bei Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 163 den Protozoen mit Gebilden zu tun haben, die lediglich im Zusammenhang mit der Funktion als höhere Einheiten in einer einheitlichen Plasmamasse entstanden sind, genau wie die niederen Einheiten der Muskelsäulchen und Myo- nemen bzw. Fibrillen, aus denen sekundär die Muskelfasern hervor- /'.'v gehen. ~v '/ V\ . ;; ■ Was von der Muskula- ' ''--^ tur gilt, trifft auch für die verschiedenen Vertreter der _'^'^-v..^ Bindesubstanzgruppe """ -v^ zu. Wie die kontraktilen Fibrillen sind auch die Schlei- '""^^isK:; \ migen, gallertigen, knorpe- , "^ ligen, knöchernen Grund- "^^^is^sr ^ "^ <. V "^ \V oder Intercellularsubstanzen ,._ ''"n^^.:--^"--.!!:' "^ , XNCT. ^ bzw. die Bindeo-ewebsfibril- ~ C**»--!!.^ len und die elastischen ^ , .^ Fasern der Metazoen Diffe- *"- renzierungsprodukte einer -'^ vielkernigen Plasmamasse, Yis. 9, welche ebenso wie die kon- Bildung der MyofibrUlen im Herzmuskel von Spinax. traktile Substanz selbstän- ^•^' K""«. (Aus K. C Schneider, Histolog. Practicum. G. Fischer, Jena 1909.) dig, d. h. ganz unabhängig von Zellen leben, wachsen bzw. sich teilen usw. Zwar kommen auch hier Zellen vor, sie sind aber wieder sekundäre Bildungen, wie z. B. beim Knorpel die sogenannten Knorpelzellen, welche nichts andres als die nicht zu knorpeliger Grundsubstanz umgewandelten Teile des pri- Fig. 10. mären vielkernigen Plasmodiums sind. Die vorticeiiaMoniiatani^.,c,uer ö _ m, Muskelfaser, zusammenge- Grundsubstanzen des Bindegewebes sind setzt aus peripher gestellten sowohl bei Wirbeltieren als Wirbellosen ^^ITTT T^ I'^^-'': . Handb. d.iviorphoi. d. wirbel- aufweite Strecken nicht nur zellfrei, son- losen Tiere. I. Bd. Prot, dern auch kernfrei, wie ich schon in einer Jena 1913.) früheren Arbeit betont habe^. Bei den Protozoen finden sich ebenfalls schon Differenzierungen im Sinne der Bindesubstanzen der Metazoen: Bindegewebsfibrillen, 1 Vgl. Zelle und Gewebe usw. 1. c. m.fi 164 Emil Rohde, elastische Fasern, Gallertgewebe (und Centralkapselhülle) der Radio - larien usw. Fassen wir den Protozoenkörper nicht als eine den Gewebszellen der Metazoen gleichwertige Bildung, sondern als eine Plasmamasse auf, welche je dem ganzen Körper eines Metazoon entspricht, so stimmen beide Tier- typen im Prinzip auch hier wieder überein, d. h. sowohl bei Protozoen wie bei Metazoen handelt es sich bei den elasti- schen Fasern, Gallertsubstanzen usw. wieder um Bildungs- produkte einheitlicher Plasmamassen, um eine funktionelle Differenzierung der lebenden Masse, ohne daß spezielle Zel- len dabei eine Eolle spielen. Das von den Muskelfibrillen, Bindegewebsfibrillen und elastischen Fasern Gesagte gilt in gleicher Weise von den Tonofib rillen, welche besonders in den Epithellagen der Metazoen auftreten. Auch die Epi- thelien erscheinen allgemein als ein- heitliche Plasmamassen. Zwar kommen auch bei ihnen bekannthch häufig Zel- len vor. Diese stehen aber stets in aus- gedehntem plasmatischem Zusammen- - r. , ., hang untereinander und sind ebenfalls sekundäre Bildmigen, entstanden durch einen weitgehenden Vacuolisationspro- ^^" zeß, der in dem primären vielkernigen Untere Schicht vom Kiemenblattepithel -f-,, t ■ ^ -r, ,tt it r>\ einer Salamanderlarve bei Flächenbe- Plasmodium UUl Slch greift (Flg. 11, 2). trachtung. (Nach flemming.) Die Zellen- bzw. Intercellularbrücken der Autoren sind nichts andres als die zwi- schen den Vacuolen erhalten bleibenden Teile des primären Plasmo- diums. Und so kann es nicht wundernehmen, wenn die Tono- fibrillen unbekümmert um die sogenannten Zellgrenzen auf weite Strecken und nach allen Richtungen die Epithellage durchziehen (Fig 12). Sie sind eben gleich den kontraktilen Fibrillen, den bindegewebigen Fibrillen und den elastischen Fasern nichts andres als die funktionellen Differenzierungs- produkte einer einheitlichen, vielkernigen Plasmamasse und entsprechen vielleicht den Fibrillenbildungen, welche in den oberflächlichen Lagen des Protozoenkörpers, z. B. in der Al- veolarschicht der Infusorien, zur Unterscheidung kommen. Den Grundsubstanzen stehen die Cuticularsubstanzen nahe. Auch sie sind bei den Metazoen lokale Umwandlungsprodukte vielkerni- ger, einheitlicher Plasmodien d. h. der Epithellagen, welche den Körper Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 165 Überziehen, und erhalten oft im Zusammenhang mit ihren physiologi- schen Leistungen sehr komplizierte Strukturen. Sie finden ihr Seitenstück in den Pelliculabildungen, welche an der Oberfläche des Protozoenkörpers auftreten und ebenfalls nicht selten sehr kunstvolle WO Fig. 12. Aus dem Epithelwall vom Kiefer der neugeborenen Katze. Die Epitlielfaserung zieht vertikal von der Basis des Epithels in der Richtung auf die freie Oberfläche. (Nach Heidenhain, Plasma und Zelle. G. Fischer, Jena 1911.) funktionelle Differenzierungen aufweisen. Sehr richtig bemerkt Heidenhain über die Cuticularbildungen der Metazoen: »Das Auf- fallende an den mitgeteilten Befunden ist nach zwei Richtungen hin zu suchen. Erstlich nämlich werden durch die Epithelmembrane kontinuierliche Fasern produziert, so daß die Epithellamellen mithin als eine ganze, als eine einheitlich lebendige Masse funktioniert; und 166 Emil Rohde, zweitens zeigt sich eine sonderbare Orientierung der Fasern, nämlich eine mathematische Orientierung nach zwei sich rechtwinkhg über- schneidenden Richtungen. << Bei Metazoen wie Protozoen imprägnieren sich schheßlich die organischen (chitinigen, pseudochitinigen usw.) Grundsubstanzen der Cuti- cularbildungen (ebenso wie die Grundsubstanzen des Knochens) sekundär mit an- organischen Massen und er- halten dadurch sehr große Starrheit und Härte. Was schließlich das Nervensystem betrifft, so geht auch dieses in seiner Histogenese von vielkerni- gen Plasmodien und nicht von scharf gesonderten Neu- roblasten aus, wie in der Neuzeit allgemein geglaubt wärd^. In der Umgebung der Kerne der einheitlichen Plasmamasse, als welche Rückenmark und Hirn der Wirbeltiere primär erschei- nen, kommt nervöse bzw. neurofibrilläre Substanz zur jij„ j3 " Differenzierung, sie zeigt Aus einem etwa 4 Tage alten Entenembryo. Pleuroblasten sich ZUerst an dem einen nach Held. (Entw. des Nervengew. bei den Wirbeltieren, p^jg ^^g KernS, Umfaßt die- Joh. Ambr. Barth. Leipzig 1909.) sen aber allmählich vollstän- dig. So entstehen die Neuroblasten der Autoren. Die nervöse Sub- stanz eines Neuroblasten bleibt aber nicht auf diesen beschränkt, sondern greift auch auf die benachbarten Neuroblasten über, mit 1 Vgl. Ausführlicheres in meiner Arbeit: Zelle und Gewebe in neuem Lichte, und ferner die vor kurzem erschienene vorzügliche Abhandlung von Götte (Die Entwicklung der Kopfnerven usw. Arch. f. mikr. Anat. Bd. LXXXV. Abt. I. 1914), durch welche meine Auffassung glänzend gerechtfertigt wird. — Auch Leontowitsch tritt in seiner Arbeit: Das »Syncellium« usw. (Biol. Centralbl. Bd. XXXIII, 1913), auf die ich erst nach Fci-tigstcUung des Manuskripts auf- merksam geworden bin, für einen syncytialen Bau der Gewebe, bes. des Nerven- systems ein. i Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 167 andern Worten: Die einheitliche kernhaltige Plasmamasse des Rückenmarks bzw. Hirns wird von der nervösen (neurofibril- lären) Substanz allenthalben durchsetzt (Fig. 13), ähnlich wie auch die kontraktilen Fibrillen, z. B. beim Herzen der Wirbeltiere (Fig 8, 9), die einheitliche Plasmamasse des Her- zens nach allen Richtungen durchziehen, unbekümmert um die Zellbildungen, welche etwa sekundär zur Unterscheidung kommen. 71 nk M ky-m ■-:--#: viv»:!-:-'.-: af ^^ '.^ / i I: '■''•■ •""/ %:, k \^[: m '^^>r- ---'** Fig. U. Ganglienzellen von Äplysia. af, Fortsatz der Ganglienzelle; n, Neuroglia; nk, Neurogliakern; k. Kern der GanglienzeUe. Aus Rohde, Ganglienzelle, Achsencylinder, Punktsubstanz und Neuroglia. Arch. f. mikr. Anat. Bd. XLV. 1895. Ich habe von jeher in meinen Arbeiten die Ansicht vertreten, daß beim Nervensystem das eigentlich Nervöse in dem Hyaloplasma d. h. in einer mehr oder weniger homogen aussehenden Substanz enthalten ist, welche überall von einem nicht nervösen als Stütze dienenden, bald gröberen, bald zarteren Spongioplasmagerüst durchsetzt wird. Im Nervensystem der Metazoen tritt das Hyaloplasma besonders dort zu- 168 Emil Rohde, tage, wo das Spongioplasma weniger entwickelt ist, so besonders im Achsencylinder der Nervenfasern und in den peripheren Abschnitten und in dem Nervenfortsatz der Ganghenzellen, und erscheint hier als eine wasserhelle, äußerst fein fibrilläre Substanz (Fig. 14). Wird das Hyaloplasma aber von einem dichteren und gröberen Spongioplasma durchsetzt, wie im Innern der Ganglienzellen (Fig. 14) und bei vielen Nervenfasern der Wirbellosen, so ist es hier zwischen dem Spongio- plasma kaum nachzuweisen 1. Ich glaube, daß ein solches Hyalo- plasma, welches aber noch nicht an ein Spongioplasma gebunden ist, auch bei den Protozoen schon existiert, be- sonders an bestimmten Stellen, z. B. in der Gegend der Augenflecke, daß es aber mehr diffus auftritt, d. h. noch nicht eine feste Begrenzung hat wie in den Ganglienzellen und Nervenfasern der Metazoen und daher sich unter den übrigen Strukturen des Protozoenkörpers nur schwer nach- weisen läßt2. Bei den Schwämmen ist ebenfalls noch keine nervöse Substanz nachgewiesen worden, aber sicherlich schon vorhanden und wahrschein- lich nur hyaloplasmatisch entwickelt ähnlich wie bei den Protozoen. Wir haben also gesehen, daß alle wesentlichen histolo- gischen Differenzierungsprodukte der lebenden Substanz bei Protozoen ebenso vorkommen wie bei den Metazoen. Berücksichtigen wir ferner, daß die Protozoen in vielen Fällen eine große Anzahl von Kernen enthalten, so erscheint die Übereinstimmung zwischen Protozoen und Metazoen noch größer. Es bleibt dann im wesentlichen nur noch der Gegensatz bestehen, daß die Kerne der Protozoen qualitativ gleich, diejenigen der Meta- zoen aber je nach den verschiedenen Geweben verschieden differenziert sind. Doch auch nach dieser Richtung finden sich Übergänge, insofern schon bei gewissen Protozoen Kerne verschiedener Art vorkommen. So zunächst bei den Infusorien ein Macronucleus und Micronucleus, von denen der eine der Geschlechtskern, der andre der vegetative Kern ist. Der erstere ist der primäre, welcher den Macronucleus aus sich hervorgehen läßt, ebenso wie der 1 Vgl. meine ausführlichen histologischen Untersuchungen über das Nerven- system und meine Arbeit: Zum histologischen Wert der Zelle. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LXXVIII. Heft 1. 1904. 2 Engelmann nimmt für die Protozoen nervöse Fibrillen an. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 169 Eikern alle die verschiedenen Kerne der Metazoen. Be- achtenswert ist ferner die Tatsache, daß manche Infusorien Micronucleus und Macronucleus je in größerer Zahl, also gewissermaßen schon zwei Serien verschiedener Kerne in ihrer Plasmamasse aufweisen. Eine Doppelkernigkeit andrer Art, welche schon stärker an die Verhältnisse der Metazoen erinnert, findet sich bei den Trypanosomen, insofern hier bereits motorische Kerne auftreten. Die Trypanosomen enthalten neben dem Haupt- kern noch ein zweites chromatisches Gebilde, welches mit dem Eand- faden der undulierenden Membran im Zusammenhang steht, nämlich den Blepharoblasten oder Kinetonucleus, der nach Schaudinn und Prowazek nach der Befruchtung aus dem ursprünglich einheitlichen Kern durch heteropole Teilung entsteht. Hauptkern wie Kineto- nucleus werden als vollwertige Kerne angesehen, die sich promitotisch teilen, beide geben chromatisches Material in Form von Chromidien an das Plasma ab; beim Haupt- kern ist die trophische Komponente stärker ausgebildet, beim Kinetonucleus mehr die locomotorische. Ein ähnliches Verhalten zeigt Paramoeha. Auch diese besitzt zwei funktionell ver- schiedene Kerne, welche sich mitotisch und promitotisch teilen, auch hier ist der eine vorwiegend locomotorischer Natur. Entsprechende Verhältnisse kehren bei den Heliozoen wieder, welche neben dem exzen- trischen Kern noch ein in der Mitte des Körpers befindliches stark hchtbrechendes und für Kernsubstanz sehr empfängliches Central- korn besitzen, von dem die elastischen Fibrillen der Axopodien aus- strahlen. Dasselbe entsteht aus dem Kern durch eine ähnliche hetero- pole Teilung wie der Kinetonucleus der Trypanosomen. Schließlich sei noch betont, daß auch bei gewissen Kadiolarien qualitativ ver- schiedene Kerne vorkommen sollen. So fassen Moroff und Stiasny auf Grund eingehender cytologischer Untersuchungen die sogenannten gelben Zellen der Acantharien nicht als symbiontische Algen, sondern als Teile der Radiolarien auf und zwar als trophische Kernet. Wie in der histologischen Differenzierung so herrscht auch in den Teilungserscheinungen der Kerne zwischen Protozoen und Meta- zoen große Übereinstimmung. Auch die Protozoen zeigen direkte und indirekte Kernteilung und bei letzterer dieselben komplizierten Kern- und Plasmastrukturen (einschließhch der Centrosomen) wie die Metazoen. 1 Vgl. Näheres bei Lang, Handb. der Morphologie der wirbellosen Tiere. Bd. I. Protozoen. Jena 1913. 170 Emil Rohde, Besonders bemerkenswert ist es, daß bei vielkernigen Protozoen, z. B. Äctinosphaerium, in der Umgebung der sich karyokinetisch teilen- den Kerne eine zellartige Abgrenzung des Protoplasmas auftritt (Fig. 15), Avelche ungemein an die sogenannten Keimzellen der Metazoen er- innert. His beschrieb zuerst im embryonalen Centralnervensystem der Wirbeltiere durch besondere Form, Größe und mehr oder weniger isolierte Lage charakterisierte Zellen, welche er als Keimzellen bezeich- nete und für die Anfangsstadien der Neuroblasten bzw. Ganglienzellen hielt. Ich habe schon früher^ die Ansicht vertreten, daß es sich bei diesen Keimzellen ledighch um Karyokinesen handelt, in deren Um- gebung sich das Protoplasma des vielkernigen Plasmodiums, als wel- ches das Centralnervensystem primär erscheint, schärfer nach außen begrenzt, so daß das Bild von deutlich gesonder- ten Zellen hervorgerufen wird. Solche Keimzellen sind nicht nur auf das Nervensystem beschränkt, sondern erscheinen auch in andern embryonalen Organen, z. B. in der Chorda, wie dies auch Held betont. Ganz ähnliche Keimzellenverhältnisse keh- ren bei den Karyokinesen der vielkernigen Actino- sphaerien wieder. Die nach außen scharf abgesetz- ten Protoplasmapartien in der Umgebung der Kerne entsprechen den Polkegeln von R. Hertwig, Actinosphaerium. >>Keim- . .. . Zell« -Bildungen. (.A.us machen aber m vielen Italien durchaus nicht den ROHDE, Unters, über den Eindruck von solchen, sondern erscheinen wie zu Bau der Zelle. I. Kern u. ^ ^^ , .. . „ n ., ,-r^. -, ^, rr Kernkörper. zeitschr. f. den Kernen gehörige Zelleiber (Fig. 15). Zu ge- wiss, zooi. Bd. Lxxiii, wissen Zeiten macht dann der Protoplasmaleib der Actinosphaerien den Eindruck, als wenn er viele gesonderte Zellen enthielte, genau wie das durch Keimzellen ausge- zeichnete Plasmodium des embryonalen Centralnervensystems der Wirbeltiere. Bekannt ist ferner, daß bei der Teilung mancher Protozoen die alten Kerne in viele kleine Chromatinbrocken, die sogenannten Chro- midien, zerfallen und die neuen Kerne durch Zusammenballen dieser Chromidien entstehen. Auch dieser Vorgang ist nicht auf die Protozoen beschränkt, sondern kehrt bei gewissen Furchungen der Metazoen wieder, so z. B. bei den Hydrokorallien. Hier lösen sich die Furchungskerne durch Kernfragmentation in viele kleinste Chro- matinteilchen auf, die sich sekundär zu den späteren Furchungskernen vereinigen. 1 Vgl. Zelle und Gewebe usw. 1. c. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 171 Zuletzt sei noch daran erinnert, daß auch die Furchung der Meta- zoen in vielen Fällen in genau derselben Weise verläuft wie die mul- tiple Teilung der Protozoen, wie ich schon in meiner letzten Arbeit i beschrieben habe. Auch in der Entwicklung bestehen keine fundamentalen Gegen- sätze zwischen Protozoen und Metazoen, worauf ich unten noch näher eingehen werde. IIL Zellbildung bei Tier und Pflanze. Wie ich in meinen früheren Arbeiten schon ausführlich beschrieben^ und oben kurz resümiert habe, sind die Gewebszellen der Metazoen nicht die direkten durch fort- - gesetzte Teilungen ent- . . standenen Abkömmhnge von Embryonalzellen, sondern sie bilden sich ohne unmittelbaren Zu- sammenhang mit den Kernteilungen in vielker- nigen Plasmodien in der verschiedensten W^eise, oft durch eine Art freier Zellbildung. Bei den Bindesub- stanzen ist es die Diffe- renzierung der Grund- substanz, welche in den primären vielkernigen Plasmodien Zellen zur Unterscheidung bringt. Als solche erscheinen die nicht zu Grundsubstanz umgewandelten zwischen der Grundsubstanz übrig- bleibenden kernhaltigen •r« ^1 >:> OL: )C4-' I Vgl. meine Arbeit: F'g- 1^^ '-"^^^ ^• Histogenese, Furchung und Zottenepithel eines jungen menschlichen Eies. Das vielker- 1. • 1 ry -1 , nige Epithelplasraodium zerklüftet sich in einzehie Zellen II ng. . c. durch Bildung heller Vacuolen in der Umgebung des Kernes, V gl. u. a. Zelle und wodurch einzelne Zellkörper abgegrenzt werden. (Nach Mar- Gewebe usw. 1. c. ohand, Anat. H. Abt. 1. Bd. XXI. 1903.) 172 Emil Rohde, Teile des primären Plasmodiums, z. B. beim Knorpel die Knorpel- zellen der Autoren. Die Bildung dieser Zellen ist also hier nur durch die im Zusammenhang mit der Funktion des Gewebes stehende Bil- dung der Grundsubstanz bedingt. Die sogenannten Zellen enthalten oft nicht nur einen, sondern mehrere Kerne. Bei den Epithelien und verwandten Geweben (Chorda) sind es nicht feste Differenzierungsprodukte der primären vielkernigen Plas- modien, welche zur Bildung von Zellen führen, sondern mehr oder Fig. ITA und B. Durch Vacuolisienuig entstandene »Chordazellen«. A, Pristmrus-HmhTyowii. Chorda. Qtierschn. a mit 13, 6 mit 26 — 27, c mit 34—35 rrwirbeln. Nach Rabl. — B, Ceratodus-Embiyo. Querschn. durch die Chorda. Nach Semon — C, Acipefiser-l,a.rvc, 7 inm lang. Querschn. Chorda. (Nach Maurer in O. Hertwig, Handb. d. Entwicklungslehre d. Wirbeltiere. III. 1.) weniger flüssige d. h. vacuolenartige Bildungen, welche das vielkernige Plasmodium in zellartige Territorien zerlegen, die aber durch Plasma- brücken im engsten Zusammenhang bleiben (Fig. 1, 2, 11, 16, 17). Ähnlich sind auch bei den animalen Geweben d. h. der Muskulatur und dem Nervensystem die Zellen sekundäre, ja oft tertiäre Bildungen, welche in vielkeinigen Plasmodien entstehen, in vielen Fällen erst, nachdem die typischen Differenzierungsprodukte dieser Gewebe, d. h. die kontraktilen Fibrillen und die nervöse Substanz, schon gebildet sind. Zellbildungen derselben Art, wie sie die Gewebszellen Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 173 darstellen^ sind im Tier- und Pflanzenreiche sehr verbreitet, besonders aber kehrt der Modus der Zellentstehung, den wir bei den vegetativen Geweben, d. h. den Epithelien und dem Bindegewebe, getroffen haben, sehr oft wieder. So hatte ich in meiner letzten Arbeit ^ bereits aufmerksam ge- macht, daß auch die Furchungszellen in gewissen Fällen durch einen Vacuolisationsprozeß ganz ähnhch dem eben für die Epithelien geschilderten aus einer einheitlichen, vielkernigen Plasmamasse ent- stehen, zu der das Ei durch fortgesetzte Kernteilungen ohne gleich- zeitig einsetzende Zellteilungen sich umwandelt. Fig. 18. Ämoeba minuta, multiple Vermehrung. (Aus A. Lang, Handbuch der Morphol. der wirbellosen^ Tiere. I. Bd. Prot. Jena 1903.) Genau dieselben Vorgänge wiederholen sich bei der multiplen Teilung vieler Protozoen, z. B. der Amöben. Auch bei diesen entsteht aus einer Mutterzelle durch fortgesetzte Kernteilungen ein vielkerniges Plasmodium, welches erst sekundär in Tochterzellen zerfällt, und zwar in der Weise, daß im Innern dieses Plasmodiums eine unregelmäßig gestaltete große Vacuole entsteht, welche zuerst einheitlich ist, dann aber allmählich feine Ausläufer nach allen Kichtimgen hin entsendet. Diese Vacuolenkanäle winden sich überall im Plasma durch und zer- teilen dieses derart, daß um jeden Kern eine Plasmaschicht abgegrenzt wird (Fig. 18). Anscheinend wird hierbei das ganze Plasma aufgebraucht. Gleiche Prozesse sind ferner verbreitet bei den Proto- 1 Histogenese, Furchung und multiple Teilung. 1. c. 174 Emil Rohde, phyten, z. B. den Pilzen. Hier erfolgt die Sporenbildung in den Sporangien in genau der nämlichen Weise (Fig. 19, 20) und zeigt oft eine frappante Übereinstimmung nicht nur mit der multiplen Teilung der Amöben (Fig. 17), sondern auch mit vielen Furchungsprozessen (Fig. 21). Dasselbe gilt von dem Fortpflanzungsmodus der Algen, Fig. 19. Bildung der Sporen im Sporangium von Pilobus. 1. Das polyenergide Sporangium. 2. Ein Teil desselben vergrößert. 3—5. Spaltung bis zur Bildung einkerniger Stücke. (Aus Lotsy, Vortr. zur botan. Stammesgesch. I. Bd.) besonders der Siphoneen. Bei diesen spielen sich häufig Vorgänge ab (Fig. 22), welche zum Verwechseln den zur Zell- bildung führenden Vacuolisationsprozessen bei der Histo- genese der Metazoen ähneln (Fig. 16). Bisweilen wird bei den Siphoneen der Zerfall des vielkernigen primären Plas- modiums nicht so weit fortgesetzt, daß einkernige Tochter- stücke entstehen, sondern die vacuoläre Auflösung hört schon bei vielkernigen Stücken auf. LotsyI, an dessen Aus- 1 J. P. Lotsy, Voi'träge über botanische Stammesgeschichte. I. Bd. Algen und Pilze. Jena 1907. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklimg bei Protozoen usw. 175 führungen ich mich besonders halte, sagt u. a. diesbezüglich: »Die Spaltung führt nämlich nicht zur Bildung einkerniger Protozoen, son- dern hört schon auf, wenn die Stücke noch mehrkernig sind.« Ebenso interessant und instruktiv für die Bewertung des Zellbegriffs ist die Differenzierung von festen Plasma- produkten, welche bei den Pflanzen zur Entstehung von s \ V n 0 [. i: G \ 1 A 9 \ \ Fig. 20. Zoosporenbildung bei Saproleguia. 1, 4, 5, Längsschn., 2, 3, Qiiersclin. Fig. 1, 2 mit ausge- bildeter Vacuole, Fig. 3 Anhang, Fig. 4, 5 Fortsetzung der Spaltung. (Aus LOTSY, Vortr. zur botan. Stammesgesch. I. Bd. Jena 1907.) Zellen führen, ganz ähnlich wie beim Knorpel der Meta- zoen. Hier sind wieder die Siphoneen und die ihnen nahestehenden Si- phonocladen von großer Bedeutung. Die Siphoneen sind bekanntlich schlauchförmige Algen, welche in ihrem Thallus eine Unmasse kleiner Kerne enthalten, aber allgemein nur als Äquivalent einer Zelle an- gesehen, d. h. als einzellige Organismen bezeichnet werden, obwohl sie oft sehr groß sind und sich in Stamm, Wurzel und Blätter usw. diffe- renzieren können. Die Siphonocladeen beginnen die Entwicklung auch mit einem solchen vielkernigen einzelhgen Stadium, in der Folge ent- 176 Emil Rohde, stehen aber in dem Thallusschlauch Querscheidewände, welche oft als ringförmige Einschnürung der Zellulosewand beginnen, schließlich aber Fig. 21. Schnitte der Eier von Theridmm maculatum in verschiedenen Stadien der Furchung. Aithro- podenfurcliung. (Aus Korsohelt u. Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. Allgem. Teil. 3. Lfg. Jena 1909.) Flg. 22. Eydrodictyon. 25. Auftreten der ersten PJasmaspal- ten bei der Bildung der Fortpflanzungszellen. 26. Wei- tere Spaltung. (Aus LOTSY, Beitr. z. bot. Stammes- geschichte. I. Bd. 1907.) den Thallusschlauch in eine An- zahl vollständig voneinander ge- trennter Abteilungen zerlegen, die ebenfalls je eine große An- zahl von Kernen enthalten und als Zellen bezeichnet werden. Der ursprünglich einzellige Organismus wird also mehr- zellig. Der Zerfall des pri- mär einheitlichen Zell- schlauches in Zellen erfolgt aber ganz unabhängig von den Kernen. Lotsy sagt in seinem ausgezeichneten eben zi- tierten Werke: »Die Zellteilung findet durch Bildung eines Cellu- loseringes an der Zellwand statt, deren Öffnung kleiner und klei- ner wird, wodurch der Proto- plast durchgeschnürt wird. Bei dieser Methode der Zellteilung spielen die Kerne keine Kolle.<< Bei den höherstehenden For- men der Siphonocladeen werden Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 177 die Cellulosequerscheidewände immer häufiger, sie entstehen in immer geringeren Abständen, mit andern Worten: Die Zellen werden durch fortgesetzte Zellteilung in dem eben angegebenen Sinne immer kleiner bis zu dem Minimum, daß sie nur zwei Kerne enthalten. Von diesem Stadium ist nur ein kleiner Schritt bis zu dem durch die höherstehenden Pflanzen repräsentierten Zustande, in dem die Zellen nur einen Kern enthalten. Lotsy schreibt : >> Bei den niedrigeren Formen ist die Keim- pflanze noch einzellig, und werden erst später Querwände gebildet, die Ontogonie ist hier also eine Wiederholung der Phylogonie; bei den höheren Formen dagegen ist dies nicht mehr der Fall, die Septierung tritt schon in zartester Jugend auf. Bei den allerhöchsten Formen können die Abschnitte so klein werden, daß sie sogar nur zwei Kerne enthalten. Die Zellbildung bei den Siphonocladeen erfolgt also in genau derselben Weise wie beim Knorpel der Metazoen, sie ist lediglich bedingt durch das Auftreten von festen Plasma - Produkten, welche funktionelle Bedeutung haben. Auch beim Knorpel sind die Zellen oft mehrkernig. Die sogenann- ten Zellen entstehen in beiden Fällen ohne Einfluß der Kerne. Die Siphoneen bzw. Siphonocladeen haben ein ausgesprochenes Spitzen Wachstum, d. h. der Schlauch wächst besonders an der Spitze und enthält hier namentlich viel Kerne, ähnlich wie z. B. die Knorpel- strahlen der niederen Wirbeltiere, die Spongienfasern, die Myocomm.ata usw.i. Während nun bei den niederen Siphonocladeen {Chaetomorpha und niedrige CladopJiora- Arten) der vegetative Thallus sich überall, d. h. in seiner ganzen Länge durch die geschilderten Scheidewände in Zellen zerlegen kann, ist bei den höheren dieser Vorgang auf die Spitze beschränkt, d. h. es entsteht eine Scheitelzelle, welche an ihrer Basis die Zellen abghedert. Diese Scheitelzelle ist ebenfalls vielkernig. Was die Kernteilung selbst anlangt, so ist sie bei den Siphoneen bzw. Siphonocladeen (ebenso wie bei den höchsten Pflanzen) teils direkt, teils indirekt, aber in jedem Falle, um es noch einmal zu betonen, ohne direkten Einfluß auf die Zellteiluno^. 1 Vgl. Näheres in meiner Arbeit: Zelle und Gewebe usw. 1. c. 2 Die im Thallusschlauche durch die Bildung von Scheidewänden entstehen- den Zellen wachsen zu Seitenzweigen aus, welche sich ebenfalls gliedern, d. h. in eine Anzahl Zellen teilen und sich abermals verästeln können usw. Die Verzwei- gungen höherer Ordnung werden jedesmal kleiner, bis wieder ganz kurze Zellen gebildet werden. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 12 178 Emil Rohde, IV. Zusammenfassung und Allgemeines. Alle Gewebezellen der Metazoen stehen untereinander in engem plasmatisclien Zusammenhang und sind die sekundären (bisweilen ter- tiären) Differenzierungsprodukte von vielkernigen Plasmamassen, als welche die Gewebe primär erscheinen, nicht aber die direkten durch fortgesetzte Zellteilung hervorgegangenen Abkömmlinge von durch den Furchungsprozeß erzeugten Embryonalzellen. Alle Gewebe bzw. Or- gane (Nervensystem, Muskulatur, Chorda usw.) sind primär, d. h. schon bei ihrem ersten Auftreten im Embryo plasmatisch untereinander verbunden. Der Metazoenkörper stellt also dauernd eine einheitliche Plasmamasse dar^, welche in toto je einem Protozoenkörper entspricht. Dasselbe gilt vom Pflanzenkörper. Auch hier stehen alle Zellen untereinander in protoplasmatischem Zusammenhang, wie dies von vielen Seiten, besonders aber von Kienitz-Gerloff^ einwandfrei nach- gewiesen wurde. Dieser untersuchte die allerverschiedensten Species, von den Lebermoosen bis hinauf zu den höchststehenden Pflanzen, und kam zu dem Eesultat, >>dai3 sämtliche lebende Elemente des ganzen Körpers der höheren Pflanzen durch Plasmafäden verbunden sind.« Dieselbe Ansicht vertritt 8trasburger. Auch Arthur Meyer bekennt sich in einem bedeutungsvollen Aufsatz^ zu der Auffassung, daß bei jedem Tier und bei jeder Pflanze 1 Mit dieser Auffassung decken sich auch die physiologischen Anschauungen vieler Autoren über die Funktion der einzelnen Organe. So sagt z. B. Heidenhain bezüglich des Hirns sehr richtig (Plasma und Zelle. 1907): »Die physiologische Funktion ist keine Summe von Einzelleistungen, keine Kollaboration auf Grund von Kompromissen unter den einzelnen Zellindividuen, sondern die Leistung ist nach unsrer Auffassung einheitlicher Natur und wird auf Grund einheitlicher Erregungszustände (ungeachtet der Zellgrenzen) besorgt von der lebenden Masse ... « »Im Gehirn kann . . . wohl niemals eine einzige Zelle, auch nicht ein Komplex von zweien oder dreien für sich tätig sein, sondern es müssen offenbar jederzeit Millionen und aber Millionen gleichzeitig in Erregung befindlich sein, welche in einem derartigen Verhältnis gegenseitiger durchgängiger Verknüpfung befindlich sind, daß Ruhezustände einzelner Individuen innerhalb des erregten Komplexes ausgeschlossen sind. « 2 Kienitz-Gebloff, f.. Die Protoiilasmavorbindungen zwischen benach- barten Gewebszellen in der Pflanze. Botanische Zeitung. 49. Jahrg. 1891. 3 Arth. Meyer, Die Plasmaverbindungen und die Membranen von Volvox glohator, aureus und tertius mit Rücksicht auf die tierischen Zellen. Botan. Zeitung 189G. Histol. Differenzierung, Zellbiklung und Entwicklung bei Protozoen usw. 179 alle Zellen protoplasmatisch, zusammenhängen und jedes pflanzliche wie tierische Individuum eine einheitliche Protoplasma- masse besitzt^. Die histologische Differenzierung vollzieht sich in der einheitlichen Protoplasmamasse des Protozoen- und Meta- zoenkörpers genau in derselben Weise, d. h. sie ist auch bei den Metazoen nicht an Zellen gebunden, sondern erfolgt ganz unabhängig von solchen in den vielkernigen Plasma- massen, als welche die Gewebe primär erscheinen, im engsten Zusammenhang mit den Funktionen der einzelnen Abschnitte des Metazoenkörpers. Die histologische Diffe- renzierung ist nicht das Produkt von Zellen, sondern im Gegenteil, die Gewebszellen sind die Folgeerscheinungen der histologischen Differenzierung, wie dies die verschiedensten Gewebe beweisen. Bei der Bindesubstanzgruppe entstehen die für diese charakteristischen Grundsubstanzen. Was zw^ischen diesen in dem primären vielkernigen Plasmodium übrigbleibt, repräsentiert die Zellen der Autoren, besonders deuthch beim Knorpelgewebe zu verfolgen. Diese Zellen entstehen also sekundär infolge der Ausbildung der Grundsubstanz. An andern Stellen des Metazoenkörpers, so besonders deutlich in den Epithellagen, kommen in dem primären Plasmodium nicht feste, sondern mehr oder weniger flüssige Produkte, d. h. vacuolenartige Bildungen zur Entwicklung. Die von diesen be- grenzten Teile des primären Plasmodiums erscheinen dann ebenfalls als Zellen bzw. als Intercellularbrücken (Fig. 1, 2, 11, 16, 17). Also auch hier ist die Zelle das Produkt der histologischen Diffe- renzierung. Bei der Muskulatur entwickeln sich in dem primären viel- kernigen Plasmodium die kontraktilen Fibrillen, welche sich bei Wirbel- losen wie Wirbeltieren meist zu höheren Einheiten : Säulchen, Plättchen, Röhrchen usw. zusammenlegen, welch letztere {ms und / in Fig. 6, 7) sich dann wieder im engsten Zusammenhang mit der Funktion zu noch höheren Einheiten, d. h. den Muskelfasern, d. s. die Muskelzellen mz der Autoren, vereinigen (Fig. 4, 5, 6, 7). Auch in diesem Falle ent- stehen die Zellen demnach wieder erst nach dem typischen Differenzierungsprodukte, d.h. nach den kontraktilen Fi- brillen. In vielen Fällen kommt es überhaupt nicht zur Ausbildung 1 Für die Tiere war es C. Heitzmann, der zuerst (Microsc. Morph. Xew York 1883) den Satz aufstellte, daß die Zellen nicht scharf voneinander getrennt wären, d. h. der tierische Körper eine einheithche Plasmamasse darstellte. Seine Lehre ist aber wenig beachtet worden. 12* 180 Emil Eohde, von Muskelfasern, bzw. Muskelzellen, sondern die kontraktilen Fibrillen verlaufen mehr oder weniger gesondert in dem vielkernigen Plasmodium, z. B. im Herzmuskel der Wirbeltiere (Fig. 8, 9). Ganz ähnlich liegen die Verhältnisse beim Nervensystem. Bei diesem kommen ebenfalls erst nach dem Auftreten der nervösen bzw. neuroblastischen Substanz in dem primären Plasmodium die Zellen, d. h. die Neuroblasten bzw. Ganglienzellen zur scharfen Unterscheidung (Fig. 13). Die histologische Differenzierung der Protozoen voll- zieht sich prinzipiell in durchaus gleicher Weise. Am deut- lichsten bei der Muskulatur. Auch in der einheitlichen Plasmamasse der Protozoen entstehen zuerst kontraktile Fibrillen, welche sich zu Myonemen im Sinne der Plättchen, Röhrchen usw. der Metazoen zusammenlegen, die sich ihrerseits abermals zu höheren Einheiten, entsprechend den Muskelfasern, d. i. Muskelzellen der Metazoen, ver- einigen und bald glatt, bald quergestreift sind, genau wie bei den Meta- zoen. Die Muskelfasern der Protozoen haben oft genau denselben Bau wie bei den Metazoen (Fig. 7 und 10). Diese Tatsache sowie die Kern- losigkeit vieler Metazoenmuskelfasern beweisen aufs schlagendste, daß die Muskelfasern der Metazoen nicht als Zellen betrachtet werden dürfen, wie dies allgemein geschieht, sondern ebenso wie die Fibrillen und Plättchen nur ein funktionelles Differenzierungsprodukt der ein- heitlichen lebenden Masse der Metazoen darstellt. Das von der Muskulatur Gesagte gilt in gleicher Weise von allen übrigen Differenzierungen der Protozoen: den elastischen Fasern, den bindegewebigen Fibrillen, den Tonofibrillen, den gallertigen Grundsub- stanzen (Radiolarien), Cuticularsubstanzen usw. Fassen wir die Protozoen, wie es allein richtig ist, nicht als iiquivalente der Gewebezellen, sondern des ganzen Metazoenkörpers auf und letzteren als einheitliche Protoplasmamasse, so erfolgt die Differenzierung aller dieser histologischen Bil- dungen bei Protozoen und Metazoen im wesentlichen nach demselben Prinzip. (Über die nervöse Substanz der Protozoen s. oben S. 167, 168.) Ebenso wie die Gewebszellen der Metazoen sind auch alle andern Zellen, sowohl der Tiere wie der Pflanzen, sekundäre Bildungen, welche in primären vielkernigen Plasmodien zur Entstehung kommen. Oft sind es ähnlich wie bei den vegeta- tiven Geweben der Metazoen (Epithelien, Bindesubstanzen) flüssige (vacuolenartige) oder feste Umwandlungsprodukte des Plasmas der Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 181 vielkernigen primären Plasmodien, welche zur Entstehung von Zellen führen. Dies gilt zunächst für die Furchungszellen. Schon die Eier verwandeln sich häufig (namenthch bei der superficiellen und discoi- dalen Furchung) durch fortgesetzte Kernteilungen ohne gleichzeitig einsetzende Zellbildungen in ein vielkerniges Plasmodium, welches erst sekundär in Furchungszellen zerfällt i. Fig. 23. SziLTsches embryonales Stützgewebe. Schnitt. 51 Stunden alter Hühnerembryo. Ep. Epidermis So, Somatopleura; Fs, Fasersystem; Mz, Mesenchymzellen. (I^ach Szhy, Anat. H. Abt. 1. Bd. XXXV. 190?.) Dasselbe trifft für die multiple Teilung der Protozoen zu^, z. B. der Amöben, insofern die Mutterzelle in derselben Weise wie bei den eben erwähnten Eiern zuerst in das Stadium eines vielkernigen Plas- modiums übergeht und erst sekundär durch einen Vacuolisationsprozeß sich in Zellen zerlegt (Fig. 18). Die gleichen Erscheinungen kehren bei der Bildung der Sporen der Pilze und Algen (Siphoneen) wieder. In diesen 1 Vgl. meine letzte Arbeit : Histogenese, Furchung und multiple Teilung 1. c. 182 Emil Rohde, Fällen kommen oft Entwicklnngsstadien zustande, welclie eine ganz auffallende Ähnlichkeit mit gewissen sich fur- chenden Eiern und vacuolär sich zerklüftenden, d. h. in Zellen zerfallenden Geweben der Metazoen zeigen (vgl. einer- seits Fig. 23, 24, 25, 26, andrerseits Fig. 27, 28, 29). Auf der andern Seite sind es, wie eben betont, feste Dfferenzierungspro- dukte primärer vielkerni- ger Plasmodien, welche ähnhch den Grundsub- stanzen der Bindegewebe (z.B. beim Knorpel) auch sonst bei Tieren wie bei Pflanzen Zellen zur Unter- scheidung bringen. So kommen z. B. nach His in den sich entwickelnden Eiern oft dadurch Blasto- meren zur Abgren- zung, daß das spon- gioplasmatische Ge- rüst (d. i. das Morpho- plasma von His) des Eies sich membranar- tig verdichtet und den ursprünglich ein- heitlichen vielkerni- gen Keim sekundär in Unterabteilungen im Sinne der Blastome- durch Bildung heller Vacuolen in der Umgebung der Kerne, ren Zerlegt (vgl. meine (Nach MARCHAND, Anat. H. Abt. 1. Bd. XXI. 1903.) ^^^^^^ Arbeit (1. c). Besonders trifft dies aber für viele pflanzliche Zellen zu. Hier sind namentlich instruktiv die Siphoneen bzw. die ihnen nahe- stehenden Siphonocladeen. Die Siphoneen sind schlauchartige Algen, welche eine Unmasse kleiner Kerne enthalten, sich bereits in Stamm, Wurzel, Blätter usw. differenzieren, aber nach allgemeiner Auffassung nur den AVert einer Zelle besitzen. Die ihnen nahe-, aber etwas höher- V] :^r: t4 Fig. 24 A und ß. Zottenepithcl eines jungen inenschlicheii Eies. Das vielker- nige Epithelplasmodium zerklüftet sich in einzelne Zellen Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entiwcklung bei Protozoen usw. 183 stehenden Siphonocladeen sind primär genau gleich den 8iphoneen ge- baut, d. h. sie stellen zuerst eine einzige vielkernige Zelle dar. In der weiteren Entwicklung gliedert sich diese aber sekundär in Unter- abteilungen, welche ebenfalls je eine große Zahl von Kernen enthalten und als Zellen aufgefaßt werden. Je mehr der Siphonocladeenkörper sich gliedert, d. h. je mehr Zellen er bildet, desto kleiner, desto kürzer werden diese, desto weniger Kerne enthalten sie bis herab zu dem Mini- mum von zwei. Bei den verwandten Pflanzenformen der Ulvaceen Flg. 25 A und B. Durch Vacuolisiertmg entstandene »Chordazellen«. Ä, Pris^tMrws-Embryonen. Chorda. Querschn. rt mit 13, b mit 26—27, c mit 34 — 35 Urwlrbeln. Xach Rabl. — B, Ceratodas-^mbryo. Querschn. durch die Chorda. :N"ach Semon. — C, Acipenser-Lawe, 7 mm lang. Querschn. Chorda. (Xach MATJRER in O. Hertwig, Handb. d. Entwicklungslehre d. Wirbeltiere. III. 1.) reduziert sich schließlich die Kernzahl der Zellen auf eins. Sehen wir nun genauer zu, wüe die Zellbildung erfolgt, so finden wir im Grunde genommen dieselben Vorgänge wieder, welche wir bei der Zellbildung mancher Gewebe der Metazoen getroffen haben, z. B. des Knorpels. Wir wüssen, daß bei diesem die vielkernige einheitliche Plasmamasse, welche auch hier wie bei der Histogenese aller Gewebe primär auftritt, sekundär knorpehge Grundsubstanz zur Differenzierung bringt, welche wabenartig gebaut ist und das primäre Plasmodium in Unterabteilungen, d. h. die Knorpelzellen der Autoren zerlegt, denen gegenüber die Grund- substanz als Scheidewände imponiert. Genau in derselben Weise er- 184 Emil Rohde, folgt die Zellbildung bei den Siphonocladeen, d. h. es entstehen quere Scheidewände, welche den ursprünglich einheithchen, vielkernigen Schlauch in die beschriebenen Unterabteilungen, d. h. in Zellen, gliedern. Diese Scheidewände sind nichts andres als feste Differenzierungsprodukte des Plasmas, welche oft (z. B. Valonia) uhrglasartig im Innern des Siphonocladeenkörpers entstehen, durch Plasmaansammlung vorbe- reitet werden und sekundär mit der äußeren Cellulosewand des Thallus verschmelzen und selbst aus Cellulose bestehen. Ebenso wie die Knorpelzellen ganz unabhängig von den Kernteilungen ent- stehen, so erfolgt auch bei den Siphonocladeen die Zellbil- dung ganz ohne Beziehung zu den Kernteilungen, d. h. die Fig. 26. Schnitte der Eier von Theridium maculatum in verschiedenen Stadien der Furcliung. Arthro- l)odeufiu:chung. (Aus Korschelt u. Heider, Lehrb. d. vergl. Entwicklungsgesch. Allgem. Teil. 3. Lfg. Jena 1909.) Kerne kommen bei der Zellbildung nicht in Betracht, die Zellteilung wird nicht durch Kernteilung eingeleitet^. Besonders interessant ist nun die Tatsache, daß bei den Siphoneen sich schon die Vorstufen dieser Scheidewände der Siphonocladeen fin- den, d. s. die Cellulosebalken, welche bei den Siphoneen das Innere des Schlauches nach allen Richtungen durchziehen, meist radiär angeordnet sind, ebenfalls, was sehr wichtig ist, Differenzierungsprodukte des Plasmas sind, primär im Innern des Schlauches entstehen und erst sekundär mit der Wandlung desselben verschmelzen, genau wie viele der zur Zellbildung führenden queren Scheidewände der Siphonocla- deen. Diese Cellulosebalken werden allgemein als Stützgerüst für den weitverzweigten Thallus der Siphoneen aufgefaßt. Die die Zell- bildung hervorrufenden Scheidewände der Siphonocladeen sind meiner Ansicht nach nichts andres als eine Fortsetzung 1 Ähnliche Fälle finden sich übrigens bei den Infusorien, insofern vielkernige Tiere sich in Tochtertiere teilen, die gleich von vornherein viele Kerne enthalten. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 185 der Cellulosebalken der Siphoneen, sie unterscheiden sich von den letzteren nur dadurch, daß sie senkrecht zur Längs- richtung des Schlauches angebracht sind, haben aber zwei- felsohne in erster Linie auch nur eine Stützfunktion ebenso wie die Cellulosebalken der Siphoneen. Also auch bei den Siphonocladeen sind die Zellbildungen Folgeerscheinungen der histologischen Differenzierung, d. h. der Ausbildung Fig. 27. Bilduug der Sporen im Sporangium von Pilobus. 1. Das polyenergide Sporangium. 2. Eiu Teil desselben vergrößert. 3 — 5. Spaltung bis zur Bildung einkerniger Stücke. (Aus LOTSY, Vortr. zur botan. Stammesgesch. I. Bd.) von festen Plasmaprodukten, d. h. der Scheidewände, welche ihrerseits wieder aus funktionellen Gründen erfolgt, genau wie bei gewissen Geweben (z. B. Knorpel) der Metazoen, und entsprechen darum hier wie dort nur wenig dem Zellbegriff der herrschenden Zellenlehre. Das eben Gesagte gilt auch für Zellbildungen der höheren Pflanzen, so für das Endosperm, Auch hier entsteht primär durch fortgesetzte Kernteilungen ein vielkerniges Plas- modium. Die Zellen, die erst später zur Ausbildung kommen, 186 Emil Rohde, sind sekundäre Erscheinungen, hervorgerufen durch das Auftreten fester Differenzierungsprodukte des Blasmo- diums,d. h. der von den Zellhautbildnern ausgehenden Mem- branbildungen, ähnlich wie die Blastomeren nach Hisi. Bisher haben wir nur die Zellen berücksichtigt, welche im Körper der Metazoen bzw. Metaphyten in festerem oder lockerem Verbände Fig. 28. Zoosporenbildung von Saproleguia. 1, 4, 5, Längsschn., 2, 3, Quersclin. Fig. 1, 2 mit ausge- bildeter Vacuole, Fig. 3 Anfang, Fig. 4, 5 Fortsetzung der Spaltung. (Aus LOTSY, Vortr. zur botan. Stanimesgesch. I. Bd. Jena 1909.) miteinander sich befinden. Ihnen gegenüber stehen die sogenannten freien Zellen. Auch sie lassen sich histogenetisch in vielen Fällen auf vielkernige Plasmodien zurückführen. Wir haben oben schon gesehen, daß bei der Entwicklung der Protozoen und Proto- phyten die Tochterzellen in vielkernigen Plasmodien entstehen und durch einen ausgebildeten Vacuolisationsprozeß frei werden. Dies gilt z.B. von der multiplen Teilung der Amöben und von der Sporenbildvmg 1 Vgl. meine Arbeit: Histogenese, Furchung und multiple Teilung, bes. Fig. 18 A und B. Zeitschrf f. wiss. Zool. Bd. CXV. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 187 der Pilze und Schlauchalgen (Siphoneen). Dasselbe trifft für viele freie Zellen der Metazoen zu. So entstehen oft die Mesenchymzellen aus den sich zerklüftenden Ectoplasma- und Entoplasmaplasmodien (Fig. 2, bzw. 23), die Blutzellen durch einen gleichen Vacuolisationsprozeß aus den Blutinseln. Ebenso bilden sich die Geschlechtszellen bzw. ihre Vorstufen in den vielkernigen Plasmodien, als welche Ovarien und Hoden primär erscheinen i. Diese sogenannten »freien Zellen« sind also nichts an- dres als frei gewordene kleinste Teilchen leben- der Substanz. Sie kön- nen durch Teilung wieder in gleichartige Tochter- stücke zerfallen und recht- fertigen dadurch den alten Satz: omnis cellula e cel- lula. Dieser Satz hat aber keine allgemeine Gültig- keit, wie wir gesehen haben. Diese freien Zel- len sind es, welche oft als Typus der Zelle von den Forschern studiert worden sind. Was hier aber erkannt wmrde, sind nur die Eigenarten, d. h. die Lebenserscheinungen, die Struktur usw. der lebenden Substanz, die Zellbildung Fig. 29. selbst hat nur sekundäre Hinlrodictyon. 25, Auftreten der ersten Plasmaspal- T, T , ten bei der Bilduog der Fortpflanzungszellen. 26. Wei- rseaeutung. ^^^.^ gp^itung. (Aus Lotsy. Beitr. z. bot. Stammes- Die freien Zellen können geschichte. i. Bd. 1907.) andererseits sich wieder zu vie- len, zu größeren vielkernigen einheitlichen Plasmamassen (Myxo- myceten) zusammenlegen, wie wir sie als Ausgangsstadium aller Zell- bildungen bei Metazoen und Metaphyten kennengelernt haben. Ebensowenig wie die alte Zellenlehre trägt die SACHSsche Ener- gidentheorie bei Tier und Pflanze den tatsächlichen Verhältnissen 1 Vgl. Näheres in meiner Arbeit: Zelle und Gewebe usw. 1. c. 188 Emil Rohde, volle Rechnung, wenigstens nicht in der schroffen Form, wie sie von Sachs vertreten wird. Die Energidenlehre hat in der Botanik viel Anklang gefunden, sich in der Zoologie aber nur wenig eingebürgert. Sachs versteht unter einer Energide »einen einzelnen Zellkern mit dem von ihm beherrschten Protoplasma, so zwar, daß ein Kern und das ihn umgebende Protoplasma als ein Ganzes zu denken sind, und dieses Ganze ist eine organische Einheit, sowohl im morphologischen wie physiologischen Sinne«. Gegen diese Theorie hat sich schon Richard Hertwig^ in sehr treffender Weise ausgesprochen, besonders auf Grund des Baues der Protozoen, so zunächst der Infusorien, er schreibt: »Die ciliaten Infusorien haben bekanntlich zweierlei Kerne, einen funktio- nierenden Kern und einen Geschlechtskern. Ist nun ein Paramaecium mit einem Hauptkern und einem Geschlechtskern eine Doppelenergide? Das ist nicht denkbar, wenn man zum Begriff einer Energide fordert, daß jeder Kern sein besonderes Plasma habe. Denn hier hat jeder Kern Anteil am ganzen Protoplasma, ein jeder in seiner Weise. Wir haben wohl zwei Kerne, aber nur ein Protoplasma, welches sich in keiner Weise auf die Kerne verteilen läßt<<; sehr richtig sind auch die dies- bezüglichen Auslassungen Hertwigs für die vielkernigen Protozoen, wenn er sagt : »Auch die zweite Annahme von Sachs, daß der Kern mit seiner protoplasmatischen Umgebung eine feste organische Einheit bildet, ist nicht nur willkürlich, sondern widerspricht sogar der Er- fahrung. Bei einem vielkernigen Protozoon ist vollkommenster Aus- tausch innerhalb des Protoplasma möglich; Material, welches in einem bestimmten Zeitpunkt um Kern a liegt, findet sich nach einiger Zeit im Umkreis der Kerne h oder c usw.« Dasselbe trifft für die niederen Pflanzen zu. Sachs hat besonders den Bau der Siphoneen als Stütze für seine Theorie herangezogen. Die Siphoneen sind, wie ich oben schon ausführhch dargelegt habe, schlauch- förmige Algen, welche viele Hunderte von Kernen in ihrem Plasma enthalten. Sachs glaubte auch hier, daß zu jedem Kern ein bestimmtes Quantum Protoplasma gehört. Aber schon Berthold^ hatte erkannt, daß die Kerne der Siphoneen keine konstanten Beziehungen zum Proto- plasma zeigen, sondern vielmehr von dem Plasma allenthalben passiv herumgeführt werden, und sich oft zu zweien oder dreien zufällig zu- sammenlegen. Auch bezüglich der Gewebe der Metazoen ist die Sachs- 1 R. Hertwkj, Die Protozoeji und die Zelltheorie. Arch. f. Protistenkunde. Bd. 1. 1902. 2 Berthold, Mitteilungen aus der Zool. Station zu Neapel. Bd. II. 1881. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 189 sehe Theorie zweifelsohne verfehlt. So beherrschen z. B. in der quergestreiften Muskelfaser die Kerne der sogenannten Muskelkörperchen nicht nur die ihnen zunächst befind- lichen PlasmateilCj sondern alle Muskelkerne gemeinsam die ganze Muskelfaser, welche ja, wie wir wissen, eine ein- heitliche Plasmamasse darstellt. Dasselbe gilt für die so- genannten ScHWANNschen Kerne der Nervenfaser der Wirbel- tiere usw. Tatsache scheint zu sein, daß mit der Zunahme des Plasmas häufig auch eine Vermehrung der Kernsubstanz Hand in Hand geht i . Dasselbe wird aber ebensowohl durch eine Vielzahl von kleinen Kernen als durch einen einzigen großen Kern erreicht, zumal wenn sich dieser sehr stark verzweigt. Viele kleine qualitativ gleiche Kerne wirken ebenso einheitlich auf die ganze zugehörige Plasmamasse wie ein einziger großer Kern. Auch dies hat schon Hertwig richtig erkannt, indem er schreibt: »Sachs nimmt in seiner Energiden- lehre ein bestimmtes Verhältnis des Wachstums der Zelle zur Zahl der Kerne (Energiden) an. Dies ist nur in sehr beschränktem Sinne zu- treffend. Kichtig an dem Gedanken ist nur, daß bei funktionierenden Zellen — für Eier gilt der Satz auch in dieser beschränkten Fassung nicht — ein bestimmtes, wahrscheinlich in engen Grenzen schwanken- des Verhältnis zwischen Masse des Protoplasmas und Masse der Kern- sabstanz eingehalten sein muß. Aber dies Verhältnis kann in ganz verschiedener Weise gewahrt werden, entweder durch eine Vermehrung der Kerne, unter Beibehaltung der geringen, jungen Individuen zukommenden Größe desselben, oder durch enormes Wachstum des Kerns unter Wahrung der Einzahl. Sehr instruktiv sind in dieser Hinsicht die Radiolarien. Eine mehrere Millimeter große Thalassicolla hat einen einzigen riesigen Kern, eine sehr viel kleinere, nur Bruch- teile von Millimeter messende Spärozoencentralkapsel Hunderte von kleinen Kernen. Die Kerngröße wechselt somit bei nahe verwandten Arten im Verhältnis von ein zu vielen Tausend. Das gleiche Quan- 1 Betonen möchte ich aber an dieser Stelle, daß das quantitative Verhältnis von Kern und Plasma oft außerordentlich verschieden ist. So haben z. B. die großen Ganglienzellen der Mollusken meist nur einen ganz schmalen Plasma- besatz um ihre Riesenkerne, die weitaus den größten Teil der Zelle ausmachen, während dagegen z. B, bei den Epithelien bekanntlich die Kerne häufig ver- schwindend klein sind. Ebensowenig ist dei Satz immer richtig, daß bei großen Exemplaren einer Art nur die Zahl der Kerne, nicht aber die Größe der einzelnen Zellen zunimmt: die peripheren Ganglienzellen von Pontobdella sind bei großen Tieren viel größer als bei kleinen. 190 Emil Rohde, tum von Leistungen kann von einem einzigen Riesenkern oder von vielen Tausend kleinen Kernen geleistet werden.« In diesem Sinne ist wohl auch der Befund zu erklären, daß die qualitativ gleichen Kerne vielkerniger Organismen bzw. Plasmodien sich in der Regel simultan teilen. Nicht von der Hand weisen möchte ich dagegen die Annahme, daß die Kerne vielkerniger Plasmodien oft die ihnen zunächst gelegenen Plasmaabschnitte vorübergehend physiologisch, besonders trophisch, stärker beeinflussen als die entfernt liegenden Teile, niemals aber bilden auch in diesem Falle Kern und protoplasmatische Umgebung eine fest- gefügte organische Einheit. Wie wiederholt betont wurde, sind also die Protozoen und Meta- zoen morphologisch gleichwertige Bildungen, d. h. beide stellen einheit- liche Plasmabildungen dar, in denen sich die histologische Differen- zierung nach demselben Prinzip vollzieht. In einer meiner Arbeiten i sagte ich diesbezüglich: »Ebenso wie bei den Protozoen, entsprechend dem Organisationsplane des Tieres, an der einen Stelle Muskelfasern, an einer andern ein Auge bzw. nervöse Substanz (wenn auch ultra- mikroskopisch), an einer dritten Stelle die komplizierten Bildungen der Haut sich entwickeln, so reift auch das vielkernige Plasmodium, das der Metazoenembryo repräsentiert, histologisch allmählich heran, d. h. die histologische Differenzierung erfolgt auch hier ganz unabhängig von Zellen. << Besonders in dem Falle, in dem die Protozoen vielkernig sind, wird die Übereinstimmung noch größer. Es bleibt dann nur der Gegensatz bestehen, daß die Kerne der Protozoen quali- tativ gleich, die der Metazoen dagegen je nach den Geweben qualitativ verschieden sind. Doch auch nach dieser Richtung hin finden sich Über- gänge, insofern schon bei gewissen Protozoen Kerne ver- schiedener Art vorkommen: so bei den Infusorien Macronucleus und Micronucleus, und zwar nicht selten beide Kernformen in großer Menge in einem Tier, ferner, was noch bemerkenswerter ist, in andern Fällen neben dem Hauptkern kleinere Kerne von locomotorischer Be- deutung (z. B. Trypanosomen) oder trophischer Funktion (die söge nannten gelben Zellen gewisser Radiolarien, vgl. näheres oben). 1 Zelle und Gewebe usw. 1. c. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 191 Ist die histologische Differenzierung abhängig von den Kernen bzw. den Chromosomen (oder Chromiolen), und sind die Chromosomen qualitativ verschieden, d. h. gibt es, um mich kurz auszudrücken, Muskel-, Nerven- usw. Chromo- somen (bzw. Chromiolen), so steht die Entwicklung der vielen qualitativ verschiedenen Kerne der Metazoen wahrschein- lich im engsten Zusammenhang mit der mächtigen Ent- faltung der Gewebe, die bei den Metazoen eintritt, während auf der andern Seite die meist nur sehr spärlichen histo- logischen Differenzierungsprodukte der Protozoen nur sehr wenig Chromosomensubstanz beanspruchen, so daß oft nur ein Kern genügt. Dann würde der diesbezügliche Gegensatz zwischen Protozoen und Metazoen nur ein histologischer, nicht aber ein morphologischer und nicht viel größer sein, als zwischen zwei Tiergruppen, von denen die eine z. B. sehr viel, die andre dagegen nur sehr wenig Muskulatur besitzt. Spielen dagegen die Kerne nur eine untergeordnete Rolle bei der histologischen Differenzierung, d. h. ist diese aus- schließlich oder vorwiegend durch das Plasma bedingt, so würden sich Protozoen und Metazoen bezüglich der histo- logischen Differenzierung noch näher kommen. Bemerkenswert für die letztere Möglichkeit ist der Be- fund, daß bei den Metazoen die histologischen Differenzie- rodukte in vielen Fällen eine große Unabhänsiakeit runas o c von den Kernen zeigen. So beweisen besonders die Grundsub- stanzen bzw. Intercellularsubstanzen der Bindegewebe oft eine große Selbständigkeit!, insofern sie wachsen und sich differenzieren (in Fibril- len usw.), obwohl sie entweder ganz kernfrei oder nur so spärlich von Kernen durchsetzt werden, daß diese diesbezüglich kaum von Einfluß sein können. Beim Knorpel gehen oft die Kerne samt den umgebenden Plasmapartien, d. h. die ganzen Knorpelzellen der Auto- ren, zugnmde, trotzdem wächst usw. die Grundsubstanz weiter. Heidenhain^ hat bereits betont, daß das Verhältnis zwischen Meta- plasmen, wie er die Grundsubstanzen nennt, und Kern sehr gelockert ist. Man könnte a priori schon annehmen, daß das gleiche auch für die andern histologischen Differenzierungsprodukte der lebenden Masse 1 Vgl. meine Arbeit: Zelle und Gewebe usw. 1. c. 2 Plasma und Zelle. 192 Emil Rohde, Geltung hati. In der Tat liegen Beobachtungen in diesem Sinne vor. So wird heute u. a. allgemein geglaubt, daß die kontrakti- len Fibrillen sich ganz selbständig teilen und vermehren. Man könnte zur Erklärung dieser Beobachtungen vielleicht ver- muten, daß die histologischen Differenzierungsprodukte der Metazoen zwar in ihrer ersten Anlage vom Eikern aus beeinflußt werden, d. h. einen bestimmten histologi- schen Charakter bekommen, in der Folge aber bis zu einem gewissen Grade selbständig weiterleben und sich teilen und vermehren, d. h. also daß primär unter der Einwir- kung des Eikerns gewebebildende Substanzen im Sinne / der organbildenden Substanzen von Kabl entstehen, welche allmählich zu der definitiven Form heranreifen. Es liegt nahe, hierbei an die Granula zu denken, aus denen z. B. alle fibrillären Bildungen (bindegewebige, elastische Fasern, Muskelfibrillen, Nerven- fibrillen) sekundär entstehen (vgl. z. B. Fig. 8 u. 9), und die Granula als diejenigen Elemente zu betrachten, die vom Eikern aus primär einen gewissen histologischen Charakter bekommen (vielleicht sogar aus dem Kern stammen) und sich dann mehr oder weniger selbständig teilen und zu den verschiedenartigen Fibrillen unabhängig vom Kern entwickeln. Wenn aber solche gewebebildende Substanzen schon im Ei der Metazoen vorhanden sind, so finden sie sich zweifelsohne auch primär im Protoplasmakörper der Protozoen, dann würden Metazoen und Protozoen einander noch näher rücken. Sollte die Annahme von Meves sich bewahrheiten, daß alle histo- logischen Differenzierungsprodukte aus den im Ei auftretenden Chon- driosomen hervorgehen und diese zur Hälfte aus dem sogenannten Mitochondrienkörper der befruchtenden Samenzelle stammen, so würde die erste Anlage der histologischen Differenzierungsprodukte auch bei dieser Annahme bis weit hinauf in die ersten Entwicklungsstufen verlegt werden müssen. Doch wissen wir von all diesen Verhältnissen zu wenig Bestimmtes, als daß es sich lohnte, auf diese Frage schon heute näher einzuüehen. Auch bezüglich der Entwicklung ist der Gegensatz zwischen Metazoen und Protozoen nicht so groß, als er auf 1 Bekanntlich zeigen die Kerne häufig keine nachweisbare strukturelle Ver- schiedenheit bei den wechselnden Funktionszuständen des umgebenden Plasmas, z. B. in der Muskulatur, im Nervensystem, im Bindegewebe usw. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 193 den ersten Blick erscheint, wie sich aus folgenden Beobachtungen bzw. Betrachtungen ergibt. Auch die Protozoen haben ihre Entwick- lung. Wenn sie durch Teilung usw. neu entstehen, dann fehlen ihnen oft noch viele wichtige Organellen oder sind nur stückweise da, das Tier muß also erst eine Entwicklung durchmachen, bis es seine nor- malen Bauverhältnisse besitzt. Die Entwicklung erfolgt in diesem Falle unabhängig von jeder Zellbildung im Sinne der Blastomeren der Metazoen. Im gleichen Sinne hat sich schon Gurwitsch geäußert, indem er schrieb: »Wir können auch bei den Protozoen von einem Entwicklungscyclus sprechen. Das neue Individuum, welches entwe- der durch Halbierung oder durch anders geartete Zerteilung des Mutterorganismus entsteht, erhält von letzterem in der Regel nur einen Teil seiner Organe zugewiesen und muß bis zur vollen Ausbil- dung eine bestimmte Entwicklungsbahn durchlaufen. Es besitzt aber dieselbe keinerlei Berührungspunkte mit der der eigentlichen Form- gestaltung vorangehenden Vorbereitung meristischen Materials — der Furchung und Zellbildung der größeren Organismen.« Die Kluft zwischen Protozoen und Metazoen erscheint also nach die- ser Eichtung unüberbrückbar. Und doch ist dies in Wirk- lichkeit nicht der Fall. Zunächst sei daran erinnert, daß bei vielen Metazoen die sich entwickelnden Eier durchaus nicht in einen Haufen von gesonderten Zellen im Sinne der Furchung zerfallen, sondern durch fortgesetzte Kernteiluno- ohne gleichzeitig erfolgende Zellteilung in eine vielkernige einheitliche Plasmamasse sich verwandeln, und daß die Blastomeren, die sekundär entstehen, protoplasmatisch miteinander verbunden bleiben, infolgedessen das Ei auch auf dem Blastomerensta- dium noch den Wert einer einheitlichen vielkernigen Plasmamasse hat. Dies gilt besonders von den sich superficiell und discoidal furchenden Eiern, hat aber wahrscheinlich allgemeinere Bedeutung (vgl. u. a. das HAMMARsche Citat in meiner letzten Arbeit, 1. c. S. 139: Histogenese, Furchung und multiple Teilung). Auch die Keimblätter sind einheitliche vielkernige Plasmodien und stehen untereinander im ausgedehnte- sten plasmatischen Zusammenhang (vgl. Fig. 1, 2). Zweitens ist ex- perimentell festgestellt worden, daß unter gewissen Verhältnissen (Druck usw.) bei Eiern, die sich sonst normal furchen, die Furchung, d. h. der Zellbildungs Vorgang, unterbleiben kann und trotzdem der Embyro sich normal weiterentwickelt. Die Entwicklung ist also an Zellen nicht gebunden. Wie Rabl richtig bemerkt, hat sich in diesen Fällen nur die äußere Form, nicht aber die innere Struktur des sich entwickelnden Organismus verändert. In gleichem Sinne hat sich Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 13 194 Emil Rohde, schon Grönroos ausgesprochen: »Die Furchen seien hinfällige Er- scheinungen, deren Bedeutung sich auf einen kurzen Abschnitt der Furchungsperiode beschränke, und von denen im embryonalen Kör- per keine bestimmten Derivate existieren.« Gleiche Ansicht vertritt Whitman: »Die gestaltenden Kräfte kümmern sich um keine Zell- grenzen, sondern sie gestalten die Keimmassen ohne Kücksicht auf Art und Weise der Aufteilung in Zellen. « Besonders interessant sind diesbezüghch auch die Zerschnürungs- versuche Spemanns an den Tritoneiern, die zu dem Eesultate führten, daß es »am Eiplasma, nicht an den Kernen liegt, zu welchem Teile des Embryos sich die Teile des Keims entwickeln.« »Bei medianer Schnü- rung«, sagt Spemann ferner, »kann demnach sowohl die eine Hälfte, welche z. B. ^ Viß des Furchungskerns, also viel zu viel, erhalten hat, einen normalen Embryo bilden, als auch die andre, der viel zu wenig, nur 1/16 des Furchungskerns zugekommen ist. Nach frontaler Schnü- rung dagegen nützt es der ventralen Hälfte nichts, ^Vi6' j^ ^^^n ganzen Furchungskern zu besitzen, sie bildet doch nur ein Bauchstück, wäh- rend die dorsale Hälfte jedenfalls mit 1/4 Furchungskern noch zum Embryo wird.« Ist aber die Entwicklung der Metazoen vom Eiplasma und nicht von den Kernen und der Zellbildung abhängig, so besteht diesbezüglich auch kein prinzipieller Gegensatz zwischen Metazoen und Protozoen. Der Körper aller Organismen besteht (zunächst abge- sehen von der Kernsubstanz) aus zweierlei lebender Sub- stanz, nämlich aus einer Embryonalsubstanz, welche das Primäre ist, und aus histologischen Differenzierungspro- dukten, welche das Sekundäre darstellen. Letztere über- wiegen im ausgebildeten Metazoenkörper; die zwischen ihnen erhalten bleibenden, oft nur spärlichen kernhaltigen Reste der Embryonalsubstanz entsprechen meist den Zellen der Autoren, so z. B. den sogenannten Knorpelzellen, den Knochenkörperchen, den Riesenzellen, den Osteoblasten des Knochens, den Muskelkörperchen, den Schwannschen Zellen usw. Alle diese sogenannten Zellbildungen stellen eine zu- sammenhängende embryonale Masse dar, wie dies besonders oft bei der Regeneration zutage tritt. Alle Neubildungen von Muskel und Nerven z. B. gehen von einer einheitUchen vielkernigen Plasmamasse aus. welche aus den sogenannten Muskelkörperchen und ScHWANNschen Histol. Differenzierung, Zellbiklung und Entwicklung bei Protozoen usw. 195 Zellen beim Anfange der Regeneration entsteht und den vielkernigen Plasmamassen entspricht, aus denen Muskel und Nerv histogenetisch hervorgehen. Dasselbe gilt von der osteogenen Substanz usw. Die Bildung der Zellen geht, um es noch einmal zu be- tonen, in vielen Fällen auf physiologische Gründe zurück, insofern sie teils mit der besseren Ernährung, teils mit der Festigung der großen vielkernigen Plasmamassen im Zusammenhang steht: Das erstere wird durch das Auftreten von Vacuolen erreicht (Fig. 1, 2, 11, 16, 17), welche, wie wir wissen, oft Zellen zur Unterscheidung bringen, das letztere durch das Erscheinen von Intercellular- bzw. Grundsub- stanzen oder von Membranbildungen, welche mit denlnter- cellularsubstanzen histologisch auf gleicher Stufe stehen, d. h. ebenso wie diese lebende Masse darstellen. Je kleiner die durch solche feste Scheidewände hervorgerufenen Zellen sind, desto größere Festigkeit erhält die vielkernige Plasmamasse, z. B. beim Knorpel und Knochen. Für die Pflanzen hat schon Sachs betont, daß durch die Kleinheit der membranhaltigen Zellen die Festigkeit der Pflanzen be- dingt wird. Die Zellbildung steht also im Zusammenhang mit der funktionellen Differenzierung. Wir haben gesehen, daß Tiere und Pflanzen einheithche vielkernige Plasmamassen darstellen. Diese Einheitlichkeit geht aber noch weiter, als bisher angegeben worden ist. Sie erstreckt sich auch auf den Kern. Wir wissen, daß bei der Karyokinese alle Kern- grenzen schwinden und daß das Linin des Kerns unterschiedslos in das Plastin des umhüllenden Plasmas übergeht. Dieselbe Erscheinung kann man aber auch sehr oft bei ruhenden Zellen beobachten, d. h. auch bei diesen sind die Kerne nicht immer allseitig von einer Membran um- geben, welche sie von dem Plasma des Zelleibes scharf abgrenzt, sondern in vielen Fällen fehlt auf weite Strecken jede Membranbil- dung, und der Kern geht peripher ganz allmählich in das Plasma des Zellkörpers über, d. h. das die Grundlage des Kerngerüstes bildende Linin setzt sich in das Plastingerüst des umgebenden Plasma fort, nur die charakteristische Färbbarkeit des Kerngerüstes macht an der Kerngrenze mehr oder weniger plötzlich Halt, geht aber bisweilen auch ganz allmählich auf den Zelleib über, wie ich mich wiederholt über- 13* 196 Emil Rohde, zeugt habe, besonders deutlich bei den großen Ganglienzellen der Wirbellosen, z. B. der Gastropoden i — Kern und internucleäres Plasma (d. h. Zelleib der Autoren) bilden dann auch eine Ein- heit. Dasselbe hat schon Stauffacher^ auf Grund eingehender Untersuchungen betont. Nach ihm hängen auch Nucleolus mid Kern plasmatisch zusammen. In manchen Fällen trifft man, wie bekannt, statt eines einheit- lichen scharf abgesetzten Kernes eine Unmasse kleinster Chromatin- teilchen, Chromidien, welche allenthalben regellos in den Plasmaleib der Organismen eingestreut sind. Dies gilt besonders von den Proto- zoen, findet sich aber auch ausnahmsweise bei den Metazoen, z. B. bei den sich furchenden Eiern gewisser Hydrokorallien. Nicht selten ver- schmelzen die Chromidien sekundär miteinander und erscheinen dann wieder als deutliehe Kerne. Der alte Satz : omnis nucleus e nucleo ist also (ebenso wie der Satz: omnis cellula e cellula, vgl. oben) nur be- schränkt richtig, wenn man unter Kern ein aus Linin, Chromatin und Kernsaft zusammengesetztes, gegen das Plasma mehr oder weniger scharf begrenztes Gebilde versteht. Volle Gültigkeit hat er eigentlich nur für die direkte Teilung. Für die indirekte wird er besser ersetzt durch den Satz: omne chromosoma e chromosoma oder noch treffender: omne chromiolum e chromiolo. In letzterer Form hat er auch Berech- tigung für die >>Chroraidial-Organismen<<. Ferner will ich noch kurz auf die Tatsache aufmerksam machen, daß bei den Protozoen zwar Gewebe noch fehlen, daß aber alle wesentlichen histologischen Differenzierungsprodukte bei ihnen schon vertreten sind, und daß manche von letzteren schon bei ihrem ersten Auftreten in der Tierreihe, d. h. bereits bei den niedersten Proto- zoen dieselbe Vollkommenheit wie bei den höchsten Tierklasscn zeigen, so daß unwillkürlich die Frage entsteht, ob die lebende Substanz in ihrer histologischen Differenzierung überhaupt einen wesentlichen Fort- schritt aufweist. Dies trifft besonders für die kontraktile Masse zu, insofern die Muskelfibrillen bzw. Myonemen der Gregarinen und Infu- sorien schon eine deutliche Querstreifung und auch sonst dasselbe Ver- halten wie bei den höchststehenden Tieren zeigen (vgl. oben). Das gleiche gilt im wesentlichen aber auch von den übrigen Differenzierungs- 1 Vgl. z. B. die Photographien auf Taf. IV meiner Arbeit: Untersuch, über den Bau der Zelle. IV. Zum histol. Wert der Zelle. Zeitscl.r. f. wissensch. Zool. 1904. 2 Zeitschr. f. wiss. Zool. Btl. XCV, 1910 u. Bd. XCVIll, lUll. Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 197 Produkten. Auch in chemischer Beziehung. So sind z. B. die elastischen Fasern der Protozosn schon widerstandsfähig gegen Pepsin i usw. In den Geweben der höheren Tiere erfährt die histologische Diffe- renzierung besonders dadurch eine große Kompliziertheit, daß die specifischen histologischen Differenzierungsprodukte nicht nur zu höheren Einheiten sich zusammenlegen, sondern auch mit anders- artigen histologischen Elementen vermischen, so z. B. in der Musku- latur die Muskelfasern mit bindegewebigen Teilen, im Nervensystem die nervöse Substanz d. h. das Hyaloplasma mit dem mehr oder weniger als Stütze dienenden Spongioplasma bzw. der Neuroglia (vgl. oben Näheres). Ich werde mich an andrer Stelle über diese Frage noch ausführlicher auslassen. Daß Protozoen und Metazoen morphologisch gleichwertige Bil- dungen sind2, dafür spricht schließlich u. a. auch der Befund, daß der Protozoen- und Metazoenkörper in zwei anatomisch und physiologisch nach vielen Richtungen gleichwertige Schich- ten zerfällt, nämlich in eine äußere, d. h. das Ectoplasma bzw. Ectoderm, welche bei Protozoen wie Metazoen im wesentlichen animale Funktion versieht, und in eine innere d. h. das Entoplasma bzw. Entoderm, die bei Protozoen und Metazoen namentlich für vegetative Leistungen bestimmt ist. Bemerkenswert bleibt auch die Tatsache, daß bei Protozoen wie Metazoen in der Außenschicht oft ein Hautmuskelschlauch zur Diffe- renzierung kommt. Schon das Ei der Metazoen zeigt in vielen Fällen die scharfe Sonderung in Ectoplasma und Entoplasma. Be- sonders spricht die Auffassung von Ray Lankester über die Entstehung des Entodcrms für die Gleichstellung beider Schichten bei Protozoen und Metazoen (vgl. Fig. 30, 1^4). KoRSCHELT und Heider schreiben in ihrem Lehrbuch^ diesbe- züglich : »Für Ray Lankester ist das Blastocöl die ursprüngliche Darm- höhle (Fig. 30, 3 u. 4), welches sich dadurch zu einer solchen quahfizierte, 1 Bemerkenswert sind diesbezüglicli auch die komplizierten (mit Linse versehenen) Augenbildungen mancher Protozoen und die Nesselkapseln, die bei den Protozoen schon dieselbe Vollkommenheit zeigen wie bei den Cölenteraten. 2 Auch Whitmän hat sich schon gegen die morx:)hologische Trennung von Ein- und Vielzellern ausgesjjrochen. ^ Vergleichende Entwicklungsgeschichte. 198 Emil Rohde, daß in seinem Innern verdauende Enzyme auftraten. Die Ernährung des ursprünglich einzelhgen Protozoenzustandes war zunächst eine intracelluläre. Von einem Ectoplasma wurden feste Nahrungspartikei- chen aufgenommen, welche im Endoplasma verdaut wurden (Fig. 30, 1). Wenn sich später eine Protozoenkolonie ausbildete, so behielten die inneren Enden der radiär gestellten Zellen diese verdauende Fähigkeit (Fig. 30, 2). Bald aber entwickelte sich im Inneren eine besondere ver- dauende Cavität, die dem Blastocöl der einschichtigen Keimblase gleich- zusetzen ist (Fig. 30, 3). Zur intracellulären Verdauung trat nun die secretive Verdauung hinzu. Indem sich die Zellen der Wand tangential Fig. ;}üi— i. Schemata zur Veranschaulichuug der Ansichten Ray Lankesteks bezüglich der Entstehung ein?r Gastrula durch Delamination. Qucrschnittsbilder. (Aus Balfours Handbuch.) Fig.l.Ei. Eig. 2. Ein Stadium in Furchung. Fig. 3. Beginn der Delamination nach Auftreten einer centralen Höhlung. Fig. 4. Am Ende der Delamination. Ec, Ectoplasma bzw. Ectodcrm; En, Entoplasma bzw. Entodcrm. teilen, wurde die Form zweischichtig. JJen äußeren Zellen verbheb die Funktion der BeAvegung und Nahrungsbeschaffung, während den Zellen der inneren Schicht die Verdauung und Resorption überlassen war. Später erst entwickelte sich der Mund, indem die Nahrungszufuhr sich auf eine bestimmte Stelle lokalisierte, an welcher dann ein Durchbruch eintrat« (Fig. 30, 4). . . . »Die Vorstellungen, welche Ray Lankester von diesem Prozeß der Entodermbildung entwickelte, finden in dem bei- gegebenen Schema (vgl. Fig. 30, 1 — 4) ihren Ausdruck. Unter der Voraussetzung, daß in der Eizelle (Fig. 30, 1), wie das ja tatsächUch vielfach zu beobachten ist, eine deutUche Scheidung in Ectoplasma und Histol. Differenzierung, Zellbildung und Entwicklung bei Protozoen usw. 199 Entoplasma vollzogen ist, wobei dem Entoplasma die Funktion der Verdauung aufgenommener geformter Nahrung übertragen sei, kommt es, da bei der Furchung zunächst nur Teilungsebenen mit radiärer Stellung, also Anticlinen im Sinne von Sachs in Frage kommen, schließ- lich zur Entstellung einer Cöloblastula, deren Zellen eine deutliche Schei- dung in einen ectoplasmatischen und einen endoplasmatischen Anteil erkennen lassen und bei welcher — so wurde angenommen — bereits das Blastocöl als verdauende Cavität fungieren sollte, indem die von außen aufgenommenen Nahrungspartikelchen durch die Zellwand hin- durch in die innere Höhle eintreten (Fig. 30, 3). Nun wird jede Zelle parallel zur Oberfläche geteilt. Es treten also Periclinen im Sinne von Sachs auf, wodurch der endoplasmatische Anteil jeder Zelle von ihrem ectoplasmatischen abgetrennt wird. Es erfolgt auf diese Weise die Trennung von Ectoderm und Entoderm. << Balfour hat zwar schon betont, daß ein derartiger Modus der Delamination außer bei Gerijonia in der Natur nicht vorkommt. Man könnte vielleicht richtiger sagen: »nicht mehr vorkommt«. Jedenfalls verläuft die Entwicklung der Geryoniden noch sehr ähnlich, nur daß nach den Untersuchungen von Metschnikoff die Entodermzellen zwar durch eine paratangentiale Teilung zur Sonderung kommen, aber nicht in zusammenhängender Schicht, sondern einzeln. Auf der anderen Seite sei noch einmal daran erinnert, daß das sich entwickelnde Ei der Metazoen häufig nicht in eine Anzahl scharf ge- sonderter Zellen zerfällt, sondern sich, indem der Kernteilung keine Zellbildung folgt, in eine einheitliche vielkernige Plasmamasse ver- wandelt, welche ihr Seitenstück bei vielen Protozoen findet und sekundär in Ectoderm und Entoderm zerfällt. Es besteht im wesentlichen dann nur der Unterschied, daß bei den Metazoen Ecto- und Entoderm sich in Zellen zerklüften, bei den Protozoen aber nicht. Ich habe aber auch schon wiederholt hervorgehoben, daß die Zellbildung bei den Metazoen nur von untergeordneter Bedeutung ist, daß für viele Zellen sich nachweisen läßt, daß sie lediglich aus physio- logischen Gründen, d. h. im Zusammenhang mit der besseren Ernährung und der Festigung des Metazoenkörpers sich sekundär bilden und wahr- scheinlich auch mit der bedeutenden Größe der Metazoen im Zu- sammenhang stehen. Wie wenig auf botanischer Seite auf die Zellbildung Gewicht gelegt wird, beweisen folgende Auslassungen des berühmten Pflanzenphysiologen Sachs: »Die multicelluläre Pflanze ist von der umcellulären nur dadurch verschieden, daß in 200 Kniil liohde, Histol. Differenzierung, Zellbildnng usw. ersterer das Protoplasma von zahlreichen, sieb- oder gitterarti«; durch- brochenen Platten durchsetzt wird, während bei letzterer das Proto- plasma ungekammert bleibt« . . . »Die Zellenbildung ist eine im orga- nischen Leben zwar sehr allgemeine Erscheinung, aber doch nur von sekundärer Bedeutung, jedenfalls bloß eine der zahlreichen Äußerungen des Gestaltungstriebes, der aller Materie, im höchsten Grade aber der organischen »Substanz innewohnt.« Breslau, im Mai 1915. Biutgefäßsystem und Mantelhöhie der Weinbergschnecke (Helix pomatia). Von Georg Schmidt, Wehrshausen. (Aus dem Zoologischen Institut in Marburg.) Mit 38 Figuren im Text. Inhalt. Seite 1. Einleitung und Literatiu-überblick 202 2. Material und Methoden 204 I. Das arterielle System 205 A. Das Herz 205 B. Die arteriellen Gefäße 208 1. Die Aorta 208 2. Die Arteria pericardialis 209 3. Die Arteria posterior 209 4. Die Arteria renahs 212 a) Die Arteria intestinalis 213 b) Die Arteria glandulae albuminalis 213 c) Die Arteria uterina minor 213 d) Die Arteria rectalis 213 e) Die Arteriae renales (A. r. dorsalis und ventralis) . . . 214 5. Die Arteria receptaculi seminis 216 6. Die Arteria uterina major 217 7. Die Arteria salivalis 217 8. Die Arteria parietalis posterior 219 9. Die Arteria circumpallialis anterior 219 10. Die Arteria buccalis 220 11. Die Arteriae cephalicae (A. c. dextra und sinistra) .... 222 a) Die Arteriae tentaculi 223 b) Die Arteria penis 224 c) Die Arteriae parietales anteriores 225 12. Die Alteria pedalis • 225 13. Nerven- und Bindegewebsarterien 226 14. Gefäßnetze 226 II. Das venöse System 228 A. Die Fußvenenstämme 229 Zeitschrift f. wissenscli. Zoologie. CXV. Bd. 14 202 Georg Schmidt, Seite 1. Die Venae pedales laterales 229 2. Die Vena pedalis media 232 B. Der Circulus venosus 232 1. Die rechte Randvene 232 2. Der Sinus rectalis 233 3. Die Vena circularis 236 4. Die linke Randvene 236 ö. Die Nebenäste des Circulus venosus 237 6. Der Blutstrom im Circulus venosus 237 C. Die Bluträume der Körperhöhle 237 III. Die Lunge 241 A. Die Lungenliöhle 241 1. Ihre Lage im Körper 241 2. Das Pneumostom 242 3. Die an der Bildung der Lungenhöhle beteiligten Organe. . 244 4. Die in ihr gelegenen Organe 244 B. Das Lungendach 245 1. Allgemeines 245 2. Die abführenden Gefäße der Lunge 248 a) Die Vena pulmonalis 248 b) Die abführenden Gefäße ini rechten Lungenteil .... 249 c) Die abführenden Gefäße im linken Lungenteil 251 3. Die zirführenden Gefäße 252 4. Übergang zwischen zu- und abführenden Gefäßen 253 Anliang: Der Nierenkreislauf 256 Literaturverzeichnis 260 1. Einleitung und Literaturüberblick. Die vorliegende Arbeit soll eine zusammenhängende Darstellung über den morphologischen Bau des Blutgefäßsystems einschließlich des Atemapparates von Helix pomatia geben. Es wird daher nur so weit auf die Histologie eingegangen werden, als es für das Verständnis des Baues und der Funktion der Gefäße notwendig erscheint. Die ersten Untersuchungen über den Gegenstand reiche . ungefähr bis in die Anfänge des vorigen Jahrhunderts zurück. Daß die Verhält- nisse hier nicht so einfache sind, wie es vielleicht bei einer oberfläch- lichen Betrachtung erscheinen mag, beweist schon die Tatsache, daß die Beschaffenheit des Circulationssystems der Anlaß zur Erörterung zahlreicher Streitfragen wurde, von denen namentlich zwei bald in den Vordergrund traten, nämlich einmal die, ob das Circulationssystem der Mollusken ein vollkommen geschlossenes sei, d. h. ob Arterien und Venen vorhanden seien, die kontinuierlich ineinander übergehen, und Blntgefäßsystem und Älantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 203 zweitens die, ob es gegen die Außenwelt abgeschlossen sei, oder mit ihr kommuniziere. Was die erste Frage anbetrifft, so standen bekanntlich CuviER und seine Zeitgenossen auf dem Standpunkte, daß das Gefäß- system bei den Mollusken ein ebenso vollkommenes sei wie bei den Wirbeltieren. Diese Überzeugung war so tief bei ihnen eingewurzelt, daß sie auch selbst dann noch daran festhielten, als sie die Kommuni- kationen der großen Venenstämme mit den Hohlräumen des Leibes- parenchyms entdeckten und diesen Kommunikationen die Fimktion von Lymphgefäßen zuschrieben. Erst in den vierziger Jahren tauchten allmählich Zweifel an der Richtigkeit dieser Theorie auf, als einige Zoologen, namentlich Milne Edavards, Quatrefages u. a., auf Grund physiologischer Injektionen einen Zusammenhang der Leibeshohlräume mit dem Blutgefäßstysem nachwiesen. Trotzdem hielten jedoch eine ganze Reihe von Naturforschern, wie z. B. Souleyet und Robin an der alten Überzeugung fest und sprachen sich in Streitschriften gegen die andere Partei sehr lebhaft gegen den >> Phlebenterisme << aus. Nach imd nach neigte jedoch die große Mehrheit der Zoologen der Auffas- sung M. Edwards zu, nämhch der, daß das Blut zwar mit Hilfe deutlich abgegrenzter Gefäße nach allen Teilen des Körpers transpor- tiert würde, sich sodann aber in die Lückenräume der Leibeshöhle ergießt, aus denen es durch die Venen aufgenommen würde. Die zweite Frage fand erst viel später (1883) eine Lösung durch Nalepa, welcher mit Hilfe von Injektionen und Behandlung mit ge- wissen Fettmischungen kleine Öffnungen zwischen den Epithelzellen des Fußes nachwies, die andrerseits mit den Bluträumen in Verbindung stehen, so daß also eine Verbindung mit der Außenwelt vorhanden Aväre. Eine weitere Bestätigung hat dieses Resultat jedoch bis jetzt noch nicht gefunden. Neuere zusammenhängende Arbeiten über den Gegenstand sind außer den ebenfalls im Jahre 1883 von Nalepa veröffentlichten »Bei- trägen zur Anatomie der Stylommatophoren << kaum vorhanden. Be- achtung verdient noch eine von Wedl 1868 verfaßte Arbeit, die auf Grund von Gefäßnetzen (Capillarsystemen) auf der Oberfläche fast sämtlicher Organe ein Geschlossensein des Kreislaufs beweisen soll. Weiter besteht noch eine Darstellung der Nierencirculation durch Girod (1891), die jedoch leider der Abbildungen entbehrt und daher äußerst schwer verständlich ist. Als neuste zusammenfassende Werke wären schließhch noch die Monographie Meisenheimers (1012) und SiMROTHs Bearbeitung der Mollusken in Bronns Klassen und Ord- nungen zu nennen. 14* 204 Georg Schmidt, 2. Material und Methoden. Getötet wurden die Tiere entweder in der allgemein üblichen Weise des Erstickens in abgekochtem Wasser oder durch Betäuben mittelst einer etwa 2%igen Kokainlösung, die an einer beliebigen Stelle des Körpers mit einer Subcutanspritze eingespritzt wurde. Letztere Me- thode erwies sich im Laufe der Untersuchungen als am vorteilhaftesten, denn erstens waren die Objekte sofort gebrauchsfähig, zweitens waren die beim Ersticken in Wasser auftretenden namentlich beim Konser- vieren unangenehmen Quellungen nicht vorhanden und drittens zeigte sich nach dieser Behandlung der ganze Körper ziemlich gleichmäßig erschlafft und so für die Injektion verhältnismäßig gut geeignet. Trotz- dem war jedoch die Injektion des Grefäßsystems wegen der überaus großen Kontraktionsfähigkeit der Schnecken vielfach mit Schwierig- keiten verknüpft und gelang nur selten so gut, daß alle Organe gleich- mäßig von der Injektion betroffen waren. Es wurden daher zum Zweck gegenseitiger Ergänzung stets mehrere Objekte gleichzeitig injiziert. Als Injektionsmasse wurden die schon von älteren Autoren verwandten Suspendierungen von Karmin, Chromgelb, Berliner Blau usw. benutzt, die dann noch mit Gelatine je nach Bedarf verdickt wurden. Zur Verfolgung der größeren Gefäße genügte das unbewaffnete Auge, bei den kleineren wurde das ZEisssche Binocular zu Hilfe genom- men. Sie gestaltete sich ziemlich schwierig, sobald die Gefäße in dich- teres Gewebe, wie etwa Muskulatur, eindrangen. Teilweise mußte dabei ein Macerationsverfahren mit Kalilauge angewandt werden. Die Untersuchungen des venösen Systems geschahen namentlich mit Hilfe von Rasiermesserschnitten, die sich nach erfolgter Injektion und Härtung in Formol leicht ausführen ließen. Um bei dieser Art des Schneidens ein Auseinanderfallen der einzelnen Organstücke zu ver- hindern, wurden die vorhandenen Hohlräume vor dem jedesmaligen Anfertigen eines Schnittes mit erwärmter durchsichtiger Gelatine aus- gegossen. In einigen Fällen notwendige Konservierungen geschahen mittels ZENKERscher Lösung, und die in Paraffin eingebetteten Präparate wurden zu 5 — 15 /< dicken Mikrotomschnitten verarbeitet und mit Hämatoxylin-Eosin oder auch Methylenblau gefärbt. Die Beschaffenheit des Blutgefäßsystems gestattet uns eine deut- liche Gliederung in drei Abschnitte: das arterielle System, das venöse Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 205 System und den Atemapparat. Letzterer verdient deshalb eine geson- derte Betrachtung, weil er weder zum arteriellen noch zum venösen System zu rechnen ist, denn seine Gefäße enthalten beiderlei Blut und sind auch in ihrem Bau weder Arterien noch Venen vollkommen gleich- zustellen. Auch zeigt er so eigenartige Komplikation, wie sie in keiner der beiden andern Gefäßgattungen zu finden ist. Was den Unterschied zwischen Arterien und Venen anbetrifft, so ist dieser zwar, wie Beegh festgestellt hat, kein so erheblicher, als man leicht anzunehmen geneigt ist. Beide besitzen eine aus Muskelfasern bestehende Wandung, die nur bei Arterien mit einer Art Endothel aus- gekleidet zu sein scheint. Ein morphologischer Unterschied besteht insofern, als die größeren Stämme der meisten Arterien eine Isolierung von dem umgebenden Gewebe erfahren haben und daher teilweise einen vollkommen freien Verlauf aufweisen können, was bei Venen niemals der Fall ist. Die Lunge ist zwischen dem arteriellen und venösen System ein- geschaltet und vollzieht die wichtige Umwandlung des Blutes. Die Bewegung der Blutflüssigkeit schließlich wird durch das Herz, die Triebfeder der gesamten Circulation, bewirkt. Es ist, da es das Blut aus der Lunge erhält, vollkommen arteriell. L Das arterielle System. A. Das Herz. Als Centralorgan des gesamten Blutgefäßsystems dient das Herz. (Über seine Lage vgl. S. 244.) Es hat in seiner Gesamtheit etwa die Gestalt einer Spindel, die aber in der Mitte eingeschnürt ist, wodurch eine Trennung in eine nach hinten zu gelegene Herzkammer (Ventrikel) (Fig. 1 F) und eine der Lunge zugekehrten Vorkammer (Atrium, Fig. 1 A) zustande kommt. Ein Querschnitt durch das Herz verrät, da er eine etwas ovale Gestalt hat, eine ganz schwache dorsiventrale Abplattung. Außer der die äußere Umhüllung bildenden Epithelschicht besteht es in der Hauptsache nur aus Muskulatur (Fig. 1 m), deren ver- schiedenartige Beschaffenheit in den beiden Kammern diesen ihr charak- teristisches Gepräge verleiht. In der Herzkammer ist sie außerordentlich stark, denn diese hat ja die Aufgabe, das Blut in dem ganzen Röhrensystem der Gefäße vorwärts zu treiben. Auch liegt sie hier ziemlich dicht nach der Wan- dung hin zusammengedrängt, so daß sie in der Mitte ein je nach dem Kontraktionszustand arößeres oder kleineres Lumen freiläßt. Die ein- 206 Georg Schmidt, zelnen Muskelstränfte haben band-, faden- Fig. 1. (Erklärung nebenstehend.) oder bündeiförmige Gestalt, wie auf Fig. 1 zu erken- nen ist. Die ganze Herz- kammer macht von außen den Eindruck einer festen kompakten Masse. Schon äußerlich unter- scheidet sich von ihr der Vorhof durch sein zar- tes, durchscheinendes Aus- sehen, welches die im Ver- gleich zum Ventrikel außer- ordentlich dünne Wandung bedingt. Auf einem Schnitte zeigt sich weiter, daß der innere Raum von einem Gewirre von zarten Muskel- fäden durchzogen ist, die einerseits an der Wandung festgewachsen sind, andrer- seits aber untereinander nach allen Richtungen hin in Verbindung treten, sich wieder von neuem verzwei- gen und so ein ganzes zusammenhängendes Netz- werk bilden. Man kann also hier nicht zwischen einem inneren Lumen und einer der äußeren Wandung an- liegenden Muskelmasse un- terscheiden. Herzkammer ( V) und Vorkammer (.-1) in einem mittleren Kontraktionszu- stand längs durchschnitten, und zwar parallel zur Fläche der Ventilklappen {sk) und so, daß diese nicht von dem Schnitt getroffen wurden, vp Vena pulmonalis, o Mündungen der abfüh- renden jS'icrengefäße in der Wandung derselben, n Stück von der Niere, p Stück vom Pericard, m Muskulatur. Vergr. etwa 15. Blutgefäßsystem und Mantelliöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 207 passiv, zusamnien- Die beiden Kammern stehen durch eine verschließbare Öffnung in der Einschnürungsstelle miteinander in Verbindung. Als Ventil dienen zwei bereits von Cuvier entdeckte sogenannte Semilunarklappen (Fig. 1 sk), zarte, etwas halbmondförmige Häutchen, die zu beiden Seiten der Öffnung angewachsen sind und einen in das Lumen der Herz- kammer vorspringenden Spalt bilden. Sie trennen sich beim Ausdehnen (Diastole) der Herzkammer (s. Fig. 2 b) und werden bei deren Kontrak- tion (Systole) durch den Druck des Blutes, also gepreßt (Fig. 2 a), so daß ein Zu- rückweichen desselben in den Vor- hof ausgeschlossen ist. Beide Kammern sind außer- ordentlich kontraktil. Die Fig. 2 a undb lassen erkennen, wie erstaun- lich der Unterschied zwischen vollständiger Systole und Diastole der Kammer ist. Daß die Aus- dehnungsfähigkeit jedoch noch nicht vollkommen ausgenutzt, sondern durch das Pericard nur bis zu einem gewissen Grade ge- stattet wird, zeigt sich, wenn man bei einem noch lebenden Tier das Pericard öffnet, wobei die gerade in Diastole befindliche Kammer blasenartig aus der geöffneten Stelle hervortritt. Vorkammer und Herz führen stets abwechselnde Kontraktionen aus. Da ihnen immer nur der vom Pericard gebildete Raum zur Verfügung steht, die beiden äußeren Enden der Spindel jedoch festgewachsen sind, muß sich stets die eine Kammer in dem Maße verkleinern, wie die andre zunimmt. Daher führt auch die Einschnürungsstelle zwischen den beiden Kammern stets eine pendelnde Bewegung aus, deren Maximalweite aus der Differenz zwi- schen den Stellungen in Fig. 2 a und b erkennbar ist. Auffallend ist das schon von Cuvier und Treviranus nicht nur bei Helix, sondern auch bei verwandten Nacktschnecken beobachtete vollkommene Fehlen irgendwelcher Klappenapparate sowohl zwischen der Vena pulmonalis und dem Vorhof, als auch zwischen Ventrikel und Aorta. Es müssen daher Einrichtungen getroffen sein, die eine Rück- Fig. 2 a und b. Umrisse des Herzens in den beiden extremen Kon- traktionszuständen. Die Pfeile deuten die Rich- tung des Blutstromes an. Die Stellung der quer durchschnitten gedachten Semilunarklappen ist schematisch angedeutet. V Ventrikel, A Atrium, sk Semilunarklappen. (Vergr. 4.) 208 Georg Schmidt, Stauung des Blutes an diesen Stellen verhindern. Dieses wird bei der Vena pulmonalis dadurch erreicht, daß diese die gleichen Kontraktionen wie der Vorhof ausführt, somit also die Tätigkeit des letzteren sogar unterstützt, wozu sie ihre überaus stark entwickelte Muskulatur be- fähigt. An der Aorta dagegen scheint eine derartige Einrichtung des- halb überflüssig zu sein, weil eine saugende Wirkung des Ventrikels wohl überhaupt nicht vorhanden ist, vielmehr das Füllen der Herzkam- mer nur durch den Druck des Vorhofs bzw. der Vena pulmonalis geschieht. B. Die arteriellen Gefäße. 1. Die Aorta (Arteria anterior). (Fig. 3 av.) Sämtliche arteriellen Gefäße gruppieren sich um einen starken Hauptstrang, der die Fortsetzung der Herzkammer nach hinten zu bildet, sich sodann aber in der Richtung der Längsachse des Körpers (vom Eingeweidesack abgesehen) nach vorne zu wendet und nach beiden Seiten hin die übrigen Gefäße aussendet: Die Aorta oder arteria anterior (Fig. 3 ao). Von Organen berührt sie auf ihrem Wege die Leber (Le), den Darm {D), das Receptaculum seminis (Rs), den Eisamenleiter [Spo), das Diaphragma (Di) und verläuft dann zwischen den beiden Teilen des Columellarmuskels {Co) fast geradlinig nach dem unteren Schlundganglion (Ug) hin. Da wo der vom Blindsack herkommende, fast vollkommen in die Leber eingebettete Darm in der Nähe der Niere seine erste starke Krümmung beschreibt, verläuft sie zwischen Darm und Leber und wird bald darauf von dem letzten Ende des Receptacu- lumstiels umschlossen, so daß das Receptaculum gleichsam an ihr auf- gehängt erscheint. (Auf Fig. 3 ist diese Lagebeziehung nicht zu er- kennen, da das Receptaculum hier bei der Präparation nach rechts hinübergezogen ist, um die darunterliegende Arterie sichtbar zu machen.) Mit einigen Organen ist die Aorta fest verwachsen zum Unterschied von Limax, bei dem sie auf ihrem ganzen Wege isoliert ist. Dadurch wird ihr stets eine bestimmte Lage angewiesen, was insofern von Vorteil ist, als sie bei ihrer relativ beträchthchen Länge leicht zwischen irgend- welchen Organen eingeklemmt werden und so eine Stockung der ganzen Circulation hervorrufen könnte. Eine derartige Verwachsung findet gleichzeitig mit dem Diaphragma und dem Eisamenleiter statt, wo sie auf ihrem Wege die genannten Organe berührt. Daher kann man sie bei injizierten Objekten an dieser Stelle von außen her durch das Diaphragma hindurch deutlich wahrnehmen, sobald man das Lungendach entfernt Blutgefäßsysteni und Mantelliöhle der Weinbergschnecke (Helix poniatia). 209 hat (s. Fig. 4). In ihrem weiteren Verlauf ist sie von dem Nervus in- testinaHs begleitet, dem sie bis zu seinem Ausgangspunkt am Visceral- ganglion folgt. Hier findet sie dann abermals eine Stütze am Unter- schlundganglion, mit dem sie zwischen Pedal- und Visceralgangiion in innigem Zusammenhang steht. Unmittelbar danach biegt sie ganz spitzwinklig nach unten und hinten um und endigt so als Pedalarterie (Fig. 3??e(^>Fig. 6) im Fuß. Während die Aorta den soeben beschriebenen Verlauf stets als konstante Erscheinung bewahrt, sind dagegen ihre Nebenäste vielfachen Variationen unterworfen. Zwar schwankt ihr Vorhandensein und ihr prinzipieller Verlauf nur unbedeutend, umso mehr dagegen ihr Ursprung, so daß an Stellen, wo Ursprungs- oder Verzweigiingspunkte sehr be- nachbart sind, meist so viele Verschiedenheiten beobachtet werden können, als Möglichkeiten dazu gegeben sind. 2. Die Arteria pericardialis. Der erste von der Aorta ausgehende Nebenast ist hinsichtlich seiner Größe nur unbedeutend und im Verlauf und Ursprung schwankend. Es handelt sich um ein Gefäßstämmchen, welches kleine Mantelpartien in der Nähe von Pericard und Niere versorgt, gelegentlich auch von der Arteria posterior ausgeht und oft mit der unten beschriebenen zweiten dorsalen Nierenarterie identisch ist. 3. Die Arteria posterior (Aorta hepatica). (Fig. 3 apo.) Sie zweigt unmittelbar nach dem Austritt der Aorta aus dem Peri- card ab und übernimmt die Versorgung der in die Schale eingeschlosse- nen Organe außer der Eiweißdrüse (^'iir), also der Leber (ie), des Dünn- darms (D) mit dem Magenblindsack {Bl) und der Zwitterdrüse {Ziv). In einer von der Leber gebildeten Furche etwa zur Hälfte eingeschlossen, zieht sie sich an der der Columella anliegenden Kante neben dem An- fangsstück des Dünndarms hin bis zum Blindsack. Ihr weiterer Ver- lauf ist an der Oberfläche der Leber nicht mehr sichtbar, denn sie dringt jetzt in das Innere des Eingeweidekomplexes ein, um ihren Weg mitten durch die Zwitterdrüse zu nehmen, an deren einzelne Drüsenbündel sie größere und kleinere Zweige abgibt, von denen auch einer an den Zwittergang herantritt und ihn etwa bis zur Hälfte begleitet. Ihr äußerstes Ende läßt sich bis in die letzte Windung am Apex verfolgen. Die Versorgung der großen unteren Leberlappen geschieht meist durch einen starken vorderen und zwei bis drei schwächere hintere Äste, Georg Schmidt, Fig. 3 und 3a. Das arterielle Gefäßsystem. Die durch Organe verdeckten Gefäßverbindungen sind, soweit sie auf andern Figuren nicht noch besonders zur Darstellung kommen, durch Punktieren angedeutet. Bl Blindsack, Co linker Teil des Columellarmuskels, D Dünndarm, Di ein Stückchen vom Diaphragma, Eiw Eiweißdrüse, Fdr fingerförmige Drüse, Fl Flagellum, L Lunge, Le Leber, Lp Liebespfeilsack, M Magen, N Niere, Og Oberschlundganglion, Pe Penis, Ph Pharynx, Re Rectum, Rph Pharynxre- tractor, Rs Receptaciüum seminis, Rst ßeceptaculumstiel, Spd Speicheldrüse, Spo Spermoviduct, Ti rechter großer Tentakel, To linker großer Tentakel, Ug Unterschlundganglion, V Herzkam- mer, Fd Vas deferons, /;/■ ZwiKcidrüse, ^w^Zwittorgang; rreArtcria columellaris, aC(Z Art. cephalica dextra, acep Art. fciilialicd-iKU letalis, acpa Art. ciniiin i)alli.ilis anterior, acpp Art. circum pallialis posterior, ocs Art. ccphalic a r^inistra, aga Art. glanchdao albuiiiinalis, «i Art. intestinalis, ao Aorta, ap Art. penis, apad Art. i)arictiilis anterior dextra, apas Art. parietalis ant. sinistra, «po Art. poste- rior, app Art. parietalis posterior, ar Art. renalis, ars Art. reccptaculi seminis, arv Art. renalis ventra- lis, öS Art. salivalis, ati Art. tentaculi niajoris dextri interior, ato Art. tent. maj. dextri exterior, atj Art. tent. maj. sinistri interior, a<4 Art. tent. maj. sinistri exterior, atmd Art. tent. maj. dextri, atms Art. tent. maj. sinistri, auma Art. uterina major, aumi Art. uterina minor, ped Art. pcdalis. Vcrgr. IV2— 2. Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 211 Fig. 3 a. die meist noch eine kurze Strecke auf der Oberfläche der convex ge- krümmten Leberseite sichtbar sind und sich dann mit ihren Nebenästen in das Innere versenken. Bei gut gelungenen Injektionen mit einem hellen Farbstoff, der sich von der Farbe der Leber genügend abhebt, kann man auch ein Gefäßnetz bemerken, dessen Maschen die einzelnen Paketchen der Leberacini umkreisen. Besondere Äste für den in der 212 Georg Schmidt, . Leber eingebetteten Darmteil sind nicht vorhanden, sondern die Ver- sorgung desselben geschieht so, daß kleine die Leber allenthalben durch- setzende Ästchen da, wo sie zufällig auf den Darm treffen, auf diesen überspringen und ihre Weiterverzweigungen auf dessen Oberfläche fortsetzen. Nur für den Blindsack ist ein besonderer Ast bestimmt, der naturgemäß nach der andern Seite zu abzweigt als die bisher be- schriebenen, unter dem Darm hindurchläuft und auf der andern Seite mit seinen Verzweigungen wieder zum Vorschein kommt. Von die- sem Ast aus wird auch das erste Stück des Dünndarms versorgt, welches nur ausnahmsweise einen besonderen Zweig von der Aorta erhält. Für die äußere Umhüllung des Eingeweidesackes besteht eine große Anzahl kleiner Ästchen, die von oberflächlichen Gefäßen der Leber ausgehen und sich bald zu einem weitmaschigen Gefäßnetz vereinigen. Außer der Arteria posterior können dann noch eine, zwei oder auch .drei, dem Wechsel stark unterworfene Leberarterien vorhanden sein, die direkt von der Aorta ausgehen, aber stets nur ganz geringen Anteil an der Versorgung der Leber haben. 4. Die Arteria renalis. (Fig. 3 ar.) Als nächster Zweig der Aorta wird von Nalepa und Meisenheimer die Arteria uterina beschrieben, die außer dem Eisamenleiter und den mit ihm in Verbindung stehenden Copulationsorganen noch eine ganze Reihe von Organen im Eingeweidesack versorgen soll. Diese Beschrei- bung stimmt jedoch mit meinen Erfahrungen insofern nicht überein, als ich die Uterina, ich nenne sie hier Uterina major zum Unterschied von einer zweiten kleineren Arteria uterina minor (s. S. 213), stets als besonderen Zweig der Aorta fand, also ähnliche Verhältnisse, wie sie Nalepa für Zonites beschreibt. Ich muß allerdings erwähnen, daß ich auch ein einziges Mal die von Nalepa für Helix beschriebenen Verhält- nisse vorfand, die ich mithin nur als seltenen Ausnahmefall bestehen lassen kann. Zwischen Uterina und Arteria hepatica befindet sich also hier noch ein weiterer größerer Aortenzweig, den ich als Arteria renalis bezeichnen will. Die Niere ist jedoch keineswegs das einzige von ihm versorgte Organ, es gibt vielmehr im ganzen übrigen Arteriensysteni kein weiteres Gefäß, das seine Zweige an so zahlreiche Organe verteilt, wie die Arteria renalis. Sie versorgt nämlich außer der Niere noch die Eiweißdrüse, ein Stück des Magendarms, den halben Zwittergang, einen Teil des Spermoviducts und das Rectum. Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 213 a) Die Arteria intestinalis. (Fig. 3 ai.) Zum Darm gehen ein oder mehrere Zweige, die Arteria (bzw. Ar- teriae) intestinahs, deren Verlauf jedoch so inkonstant ist, daß es kaum möglich ist, eine feste Regel für den gewöhnlichsten Fall aufzustellen. Es scheint jedoch die in Fig. 3 abgebildete Anordnung zu überwiegen. In diesem Falle sind also zwei bis zu ihrem Ausgangspunkt getrennte Ästchen vorhanden. Jedoch läßt die frühe Spaltung des einen in zwei kleinere Stränge schon ahnen, daß diese Spaltung sich auch so weit vervollständigen kann, daß zwei vollkommen getrennte Ästchen daraus hervorgehen. Ebenso kann jedoch auch die Verschiebung der Verzwei- gung in entgegengesetztem Sinne erfolgen, so daß das Endresultat nur ein gemeinsamer Hauptstamm ist, der sich, bevor er an den Darm heran- tritt, in mehrere Nebenzweige auflöst. b) Die Arteria glandulae albuminalis. (Fig. 3 aga.) Die Eiweißdrüsenarterie, ebenfalls ein Ast der Arteria renalis, bildet in der Regel bald nach ihrem Ursprung zwei Hauptäste, deren einer sich an die Spitze, der andere an die Basis der Drüse verteilt; sie zeichnet sich durch ihren wenig gekrümmten, fast geradlinigen Verlauf aus. Entweder von ihr oder direkt von dem Hauptstamm der Arteria renalis aus wird ein dünner Strang zum Zwittergang gesandt, der dem oben erwähnten Aste der Arteria posterior entgegenläuft. Die Versorgung des Zwittergangs von zwei Seiten her entspricht dessen Anlage, welche ebenfalls teils von der Zwitterdrüse, teils von der Eiweißdrüse her geschieht. c) Die Arteria uterina minor. (Fig. 3 aumi.) Ein weiterer kleiner Zweig, die Arteria uterina minor, versorgt den von der demnächst zu besprechenden Arteria uterina major unberück- sichtigten Teil des Spermoviducts. d) Die Arteria rectalis. (Fig. 4 are.) Der letzte Abschnitt der in ihrem Verlauf ziemlich komplizierten Nierenarterie beschreibt nun einen Bogen um das Geschlechtsorgan herum, um sich jetzt nach dem Rectum (i?e) und der rechten Nierenecke 214 Georg Schmidt, hin zu wenden. An der Stelle des Kectums angekommen, wo dieses im Begriff steht, in die Lungenhöhle einzudringen, gabelt sie sich gerade über dem Rectum in die Arteria rectalis und die Arteria renalis im engeren Sinne. Die Rectalis liegt unterhalb des Rectums, d. h. zwischen diesem und der äußeren Körperwand, und verläuft stets zwischen den beiderseits vom Enddarm gelegenen, weiter unten beschriebenen. Fig. 4. Hintere Körperpartie mit Art. renalis {ar) und Art. circum pallialis anterior {acpa). Das Rec- tum {Re) ist teilweise losgelöst und zur Seite gedrängt, um die Art. rectalis {are) sichtbar zu machen. Di Stück vom Diaplniifiina, N Xiere, ao Aorta, arv Art. renalis ventralis. Vergr. 2. venösen Gefäßen. Sie gibt nicht nur Zweige zum Rectum allein, sondern auch zu den umgebenden Partien der Körperwand ab. o) Die Arteriae renales dorsalis und ventralis. Der für die Niere bestimmte Endzweig entläßt schließlicli zunächst noch ein kleines Ästchen, das die Oberseite des Rectums ein Stück weit versorgt, dessen Anwesenheit jedoch nicht immer festgestellt werden Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 215 kann, ebenso wie auch sein Ursprung zwischen den Arteriae renalis und rectahs variiert. Bei der ersten Berührung mit der Niere teilt sich auch die Arteria renalis wieder in eine Arteria renalis dorsalis (Fig. 5) für die dorsale Seite der Niere und eine Arteria renalis ventralis für die ventrale vSeite. Der ventrale Ast (Fig. 4 arv) läuft zuerst dem Rande des Nieren trichters etwa bis zur Mitte parallel und wendet sich dann in einem Bogen nach der Nierenspitze zu, wobei er spärliche Nebenäste nach beiden Seiten abgibt. Etwas stärker, länger und viel reichlicher verzweigt ist der dorsale Ast. Zunächst sei aber noch bemerkt, daß gelegentlich sein Ursprung, wenn auch nur ganz selten, ein anderer als der eben beschriebene sein kann. Ich fand ihn z. B. als einen Zweig der Arteria posterior, der ungefähr an derselben Stelle, wie der gewöhnliche, an die Niere herantrat, wobei aber trotzdem der reguläre Ast als rudi- mentärer kleiner Zweig angelegt war, der ventrale Ast dagegen in Verlauf und Ursprung keinerlei Beeinflussung verriet. Der ganze Ast jedoch war, da er auch bereits mehrere Neben- zweige an die Leber abgegeben hatte, schwächer ausgebildet als gewöhnlich, was wiederum durch eine ausnehmende Stärke der linken inkonstanten Nieren- arterie (s. S. 216) ausgeglichen werden mußte. Einiges wäre nun noch über den weiteren Verlauf des dorsalen Astes zu sagen. Er ist leicht vom Herzen aus zu injizieren, wenn man den vorderen Teil der Aorta abklemmt, aber auch schon ohne Injektion wegen seiner durchscheinenden äußeren Gefäßwand sichtbar, allerdings mit Ausnahme kurzer Strecken, welche gewisser- maßen untertauchen, d. h. sich etwas unter die Oberfläche versenken und nach kurzer Zeit wieder zum Vorschein kommen. In Fig. 5 sind derartige Stellen durch Punktieren angedeutet. Er tritt zusammen mit dem ventralen Zweig an der hinteren rechten Ecke der Nierendreiecks an dieses heran und behält während seines ganzen Verlaufs immer eine dem rechten Nierenrand ungefähr parallele Richtung bei. Auch läuft er Fig. 5. Die dorsale Oberfläche der Niere mit der Art. renalis dorsalis {ard). Vergr. 4. 216 Georg Schmidt, in der Kegel dicht an diesem Eand entlang und kann ihn zuweilen sogar durch eine kleine Ausbiegung überschreiten. Selten ist er so weit nach links zu verlagert, daß er von den beiden langen Seiten des Nierendrei- ecks gleich weit entfernt ist. Infolgedessen läuft auch die weitaus größere Menge seiner zahlreichen, mehr oder weniger parallelen Nebenäste nach einer Kichtung und zwar naturgemäß nach links hin, wo ja die Haupt- masse der Niere zu versorgen ist: nur ganz wenige verlieren sich nach rechts iind überschreiten dann auch den rechten Kand der Niere, um sehr bald im Lungendach zu endigen. Verhältnismäßig oft tritt außer dieser Nierenarterie noch ein zweite dorsale auf, welche von der Leber her aus der Arteria posterior kommt und an der linken hinteren Ecke, dem rechten Winkel der Niere in diese eintritt. Sie ist auch in Fig. 5 gezeichnet. Der Verlauf der Arterienästchen ist jedoch nicht unbedingt an die Niere gebunden, sondern, wie schon oben erwähnt, über- schreiten sie zuweilen ihren Eand und endigen im Lungendach oder Pericard. Was die Aufgabe der Nierenarterien anbetrifft, so besteht kein Zweifel darüber, daß sie außer den dorsal und ventral sichtbaren Ästen auch kleine Zweige nach dem inneren Faltengewebe der Niere ausschicken, die hier zum größten Teil oder ausschließhch zu Er- nährungszwecken dienen. Da die weitaus größere Anzahl der inneren Nierenfalten von der dorsalen Wand, von der ventralen dagegen nur ganz wenige ausgehen, erklärt sich auch die verschieden starke Aus- bildung der dorsalen und ventralen Arterienzweige. 5. Die Arteria reeeptaculi seminis. (Fig. 3 ars.) Auch für das Keceptaculum (Rs), das nach Nalepa und Meisen- heimer von der Uterina aus versorgt werden soll, besteht eine besondere Arterie als direkter Zweig der Aorta, auch dann sogar, wenn ausnahms- weise Aiteriae renalis und uterina gemeinsamen Ursprung haben. Sie zweigt zwischen den beiden letztgenannten Arterien ab an der Stelle, wo die Aorta das vom Keceptaculum gebildete Öhr passiert. Außer dem Keceptaculum seminis versorgt sie noch mit einem kleinen Ästchen einen Teil des Diaphragmas. An dieser Stelle mögen gleichzeitig auch noch einige kleine sehr inkonstante Ästchen erwähnt werden, die das Diaphragma an der Verwachsungsstelle der Aorta von dieser erhält (s. Fig. 4). Blutgefäßsystem und Mantelliöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 217 6. Die Arteria uterina major. (Fig. 3 auma.) Über ihren Ursprung ist bereits oben einiges bemerkt, es sei hier nur noch hinzugefügt, daß sie ganz dicht an der Verwachsungsstelle der Aorta mit dem Eisamenleiter entspringt, weshalb ihr Ursprung nicht sofort ins Auge fällt, zumal da ihr Anfangsstück fast ganz in dem schwam- migen Drüsenteil des Spermoviducts eingeschlossen ist. Letzteres gilt auch teilweise für ihren weiteren Verlauf, der stets an dem inneren von Nalepa als Prostata bezeichneten Drüsenwulst des Samenleiters zu suchen ist. Viele kleine Ästchen, deren Zahl ungefähr der der Uterus- falten gleichkommt, versorgen von beiden Seiten her den Eileiter. Ihr Verlauf ist anfangs ebenfalls vollkommen unter der Prostata versteckt und kommt erst an der Grenze zwischen dieser und dem Eileiter zum Vorschein. Ferner gehen Ästchen in größeren und kleineren Abständen zum Receptaculumstiel {Rst), gestützt durch das Mesenterium, das diesen mit dem Eileiter verbindet. Ihre Endzweige verteilen sich an Vagina, Liebespfeilsack, fingerförmige Drüsen und Vas deferens. Den ersten stärkeren Ast erhält das rechte Büschel der fingerförmigen Drü- sen, wobei in jedem Tubus ein kleines Zweiglein endet, das jedoch selten bis an die Basis eines solchen zu verfolgen ist, sondern sich da, wo die einzelnen Tubuli dichter aneinander gedrängt sind, oder zwei in einen gemeinsamen Ausführungsgang münden, bald als Zweig eines benach- barten Astes ausweist. Während ihres ganzen Verlaufs gehen von der Uterina aus, soweit die Entfernung eine angemessene ist. Ästchen zum Receptaculumstiel und zum Vas deferens ( Vd). Bevor sie an den Liebes- pfeilsack herantritt, spaltet sie sich in zwei Endzweige, deren einer aus- schließlich für den Liebespfeilsack, der andere für diesen und die Vagina bestimmt ist. Letztere erhält jedoch auch schon vorher von dem Hauptstamm der Uterina kleine Nebenäste. Das rechte Büschel der Fingerdrüse wird von den Vaginalzweigen her versorgt. 7. Die Arteria salivalis. (Fig. 3 as.) Die Anzahl der nunmehr noch von der Aorta auf ihrem ganzen Wege bis zum Unterschlundganglion ausgehenden Zweige schwankt zwischen eins und drei. Die beiden extremen Fälle sind seltener. In der Regel bemerken wir zwei Äste, die jedoch stets an derselben Stelle der Aorta entspringen, aber nach verschiedenen Richtungen laufen, von denen der eine, rechte, zur Arteria circumpallialis anterior (Fig. 3 Zeitsclirift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 15 218 Georg Schmidt, und 4 acpa) wird, der linke sich dagegen wieder gabelt und die senkrecht nach unten zulaufende Arteria parietalis posterior und die den Magen und die Speicheldrüsen versorgende Arteria salivalis liefert. Die beiden andern Fälle lassen sich aus dem genannten leicht herleiten, indem ein- mal die Verzweigung der Arteria parieto-salivalis, wie ich den gemein- samen Stamm der Arteria parietalis posterior und der Arteria salivalis nennen will, bis zur Aorta hinauf verschoben wird, das andre Mal der Ausgangspunkt der Arteria circumpallialis an der Arteria parieto- salivalis hinunterrückt. Die Speicheldrüsenarterie (Fig. 3 as) läuft in gerader Kichtung nach einem Vorsprung der hinteren rechten Speicheldrüse hin, der besonders zur Aufnahme der Arterie gebildet zu sein scheint, und teilt sich bald nach ihrem Eintritt in diese, mitunter auch schon vorher, in zwei gleich- starke Äste, von denen jeder durch die Mitte je einer der beiden Speichel- drüsenlappen geht und hier durch seine bilaterale Verzweigung durchaus den Eindruck der Nervatur eines Blattes hervorruft. Der linke Ast benutzt bei seinem Übergang zum linken Drüsenlappen stets die Brücke, die beide Teile der Speicheldrüse miteinander verbindet. Der vordere Teil der beiden Aste der Arteria salivalis ist ebenfalls fest mit den Ausführgängen der Speicheldrüse vereinigt und läuft mit ihnen zum Pharynx (Fig. 9 as-^ und as^), wo sich jeder in zwei Endzweige auflöst, die rechts und links in der gleichen Weise angeordnet sind. Einer be- hält die Richtung nach vorne zu bei und verschwindet bald auf der dor- salen Seite, die beiden andern umgreifen den Pharynx von beiden Seiten her und dienen zur Ernährung der hier anliegenden starken Muskelzüge. Wie schon oben bemerkt, versorgt die Speicheldrüsenarterie auch den Magendarm. Dieses geschieht teils durch besondere Nebenäste, teils durch kleine Zweiglein, die aus der dem Magen zugewandten Seite der Speicheldrüse heraustreten, oder sich über ihren Rand hinaus ver- längern und auf den Magen überspringen. Letztere sind dabei stets, wie auch die eintretende Arterie, von einem Lappen der Speicheldrüse begleitet. Die besonderen von ihrem Hauptstamme ausgehenden Neben- äste unterliegen bedeutenden Unregelmäßigkeiten. Ihrer Anzahl nach sind es in der Regel zwei, die bei normalem Verlauf der Arteria salivalis hintereinander oder auch mit einem gemeinsamen Stamm von dieser ausgehen, deren Ursprung jedoch auch direkt an die Aorta oder an die Arteria parietalis posterior verlegt sein kann. Für den vordersten Darmteil sind außerdem noch regelmäßig zwei besondere Gefäßstämm- chen angelegt, die Arteriae oesophageales (Fig. 9 aoes und aoed), die Blutgefäßsystem und JMantelhöhle der Weinbergsehnecke (Helix poniatia). 219 unter dem Cerebralganglion vom linken und rechten Speicheldrüsen- arterienast abzweigen und auf dem Schlund nach rückwärts zu laufen. Der Ursprung der Speicheldrüsenarterie kann sich verdoppeln, wenn ihre erste Gabelung so weit zurückverlegt wird, daß beide Äste als getrennte Zweige der Arteria parietalis posterior zu betrachten sind. 8. Die Arteria parietalis posterior. (Fig. 3 app.) Sie zeichnet sich dadurch aus, daß sie nicht horizontal oder schräg wie alle übrigen Gefäße, sondern genau vertikal zwischen den beiden Teilen des Columellarmuskels hindurch verläuft. Auf Fig. 3 ist dieser Verlauf nicht direkt zu erkennen, weil sie bei der Präparation samt der Aorta nach rechts gezogen ist. An der hinteren fleischigen Wand des gestreckten Teiles der Eingeweidehöhle angekommen, breiten sich ihre Nebenäste nach den verschiedensten Richtungen hin aus, indem sie alle von einem Punkte abzweigen. Nur die Arteriae columellares inserieren, entweder gemeinsam oder getrennt, meist etwas höher, laufen frei nach den beiden Columellarmuskeln hin und verteilen sich sowohl an diese wie auch an den Retractor des Pharynx. An ihrem Verlaufe fällt be- sonders die regelmäßige scharfe Knickung der einzelnen Äste auf, die stets in dichtem Gewebe zu beobachten ist. Von den Endzweigen der Arteria parietalis posterior geht ein besonders langer nach der rechten, ein weiterer Ast nach der linken hinteren Seitenwand, und beide über- nehmen gemeinsam auch die Versorgung des dorsalen Teils der Körper- hülle. Ein dritter Ast durchdringt die starke Muskulatur der hinteren Wand, um den Mantelrand zu erreichen, und bildet so die Arteria circumpallialis posterior (Fig. 3 acjjp), die gemeinsam mit der vorderen Mantelarterie den Mantelrand versorgt. 9. Die Arteria circumpallialis anterior. (Fig. 4 acpa.) Das dritte von dem zuletzt erwähnten Verzweigungspunkt an der Aorta ausgehende Gefäß ist, was seine Verästelung anbetrifft, weniger kompliziert. Sein Ursprung ist gewöhnlich an der Aorta, und aus- nahmsweise, wie in Fig. 4 gezeichnet, an der Arteriae parieto-salivahs. Sie wendet sich nach der rechten Seite der hinteren Körperwand hm, durchdringt den Rand des Diaphragmas, läuft an der Grenze zwischen diesem und der Seitenwand der Lungenhöhle entlang, biegt am Atem- loch fast rechtwinklig um und dringt dann in den Mantelrand ein, nachdem sie vorher einen kleinen Zweig an das letzte Ende des Rectums 15* 220 Georg Schmidt, abgegeben hat. Außerdem werden auf ihrem ganzen Wege noch kleine Ästchen an das Diaphragma und die Lungenhöhlenwand abgegeben. 10. Die Arteria buccalis. (Fig. 6 ab.) Bis zum Schhmdganghon verläuft die Aorta nunmehr ohne weitere Verzweigung. Kurz nach dem Austritt aus demselben jedoch teilt sie sich durch einen aus- nahmsweise horizontalen Einschnitt in zwei me- diane Äste, ihre End- zweige, von denen der eine, die Arteria pedalis scharf nach hinten zu umbiegt, der andre da- gegen die ursprünghche Kichtung beibehält und zur Arteria buccalis wird. Nachdem diese letztere dicht an ihrem Ursprungs- punkt nach beiden Seiten hin je einen starken Ast, die Arteriae cephalicae ab- gegeben hat, bleibt von ihr nur noch ein relativ schwacher Stamm übrig, der anfangs in der Mittel- linie der ventralen Pha- rynxfläche verläuft, sich nach vorn zu jedoch ga- belt und mit seinen End- zweigen die Versorgung der nächsten Umgebung '", ' der Mundöffnung über- V nimmt. Ein kleiner Ast ' geht noch an der Stelle, ' - wo sie an den Pharynx Fig. G. herantritt, von ihr aus Pedal- und Buccalarteric {ped und ab). Der Pharynx ist nach nach hinten hin ZUr Ra- vorn umgeklappt, ao Aorta, Rs Radiüascheide, Rph Retrac- t i j. i tor des Pharynx. Vcrgr. 1. ÜUlataSCüe. Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 221 Die Bedeutung der Buccalarterie liegt jedoch in einer besonderen Erscheinung, die im ganzen übrigen Arteriensystem nicht mehr beobach- tet wurde. Wie auf Fig. 6 zu erkennen ist, gibt sie dicht vor der Ansatz- Fig. 7. Sagittalschnitt durch den Pharynx, ab Arteria buccalis, V Ventil, Rs Eadulascheide, Stk Stütz- knorpel der Radula, Stm Stützmembran, Ra Radula, Bl Blutraum, Oe Ösophagus. Vergr. 6. stelle des Pharynxretractors, da wo sie selbst ihre erste Verwachsung zeigt, einen Ast nach dem Inneren des Pharynx zu ab. Dieser Ast hat jedoch nicht die Eigenschaft, wie alle andern, sich in seine kleinen und klein- sten Zweige aufzulösen und an die verschiedenen Organe zu verteilen, sondern er f irfdet sehr bald nach seinem Ursprung schon wieder sein Ende, in- dem er nämlich alles Blut, was er ent- hält, in einen größeren Kaum abgibt, der von der Radula bzw. der unter ihr liegenden elastischen Membran, gebil- det wird (s. Fig. 7 Bl). Das Blut wird hier, wie ja öfters bei Mollusken, zu mechanischen Zwecken verwandt und dient wohl zum Straf f halten der Radula- membran. Wahrscheinlicher wird diese Deutung noch durch eine Einrichtung, welche sich am Eingang in diesen Blutraum befindet. Wir bemerken hier eine Art Ventil, das jedoch einen ganz andern Bau zeigt als die Herzklappen und dessen Funktion Fig. 8. Buccalventil, a geöffnet, b geschlossen, vb vorderer Ast der Buccalarterie, hb Zungen- scheidenarterie. Vergr. 12. 222 Georg Schmidt, auch wohl von derjenigen der letzteren verschieden ist. Die Figuren 8a und 6 zeigen das Ventil von der Fläche, und zwar das eine Mal in ge- öffnetem, das andre Mal in geschlossenem Zustand. Der Hauptstamm der Arteria buccalis ist hier entfernt, und es zeigt sich vor dem Ventil eine Erweiterung zu einem Vorraum. Zur Anschauung bringt man das Ventil am besten mit Hilfe eines Sagittalschnittes durch den Pharynx in der Mittellinie der Arteria buccalis nach vorheriger Härtung in Formol, wie dies bei Fig. 7 geschehen ist. Den geöffneten Zustand erreichte ich dadurch, daß ich den Blutraum entweder von der Arterie her oder mit- tels Durchstich von außen her mit einer dickflüssigen Gelatinemasse injizierte und darauf in Formol härtete. Geschlossen war das Ventil dagegen stets, wenn ich die Härtung vornahm ohne vorhergegangene Injektion. Die Erscheinung, daß arterielle Gefäße sich plötzlich mit einer kontraktilen Öffnung in lacunäre Bluträume ergießen, ist übrigens bei Mollusken nichts Außergewöhnliches. Pelseneer erwähnt sie z. B. für Haliotis, Patella, Heteropoden und Thecosomata, und zwar handelt es sich hier entweder ebenfalls um die Kopfarterien oder die Pedalarterie. 11. Die Arteria cephalica dextra (Arteriae cerebrales [Nalepa]) und sinistra. (Fig. 3 acd und acs.) Diese Arterien verdienen, obgleich sie Zweige der Buccalis sind, eine gesonderte Betrachtung, da sie bedeutend stärker und länger sind als die nach ihrer Abzweigung übrig bleibende letztere. Ihre sich oft ge- nau gegenüberliegenden Ausgangspunkte befinden sich außerdem so dicht an der Aorta, daß sie Nalepa zu den paarigen Endzweigen dersel- ben rechnet. Die erste Strecke ihres Verlaufs steht mit dem Schlundring in enger Beziehung. Sie begleiten nämlich die beiderseitigen Cerebro- Visceralcommissuren, die auch von ihnen durch kleine Ästchen versorgt werden, und sind mit ihnen in eine gemeinsame Bindegewebsmasse ein- gehüllt. Dieser Umstand dürfte wohl der Grund sein, weshalb ihnen Nalepa die Bezeichnung Arteriae cerebrales zugeteilt hat, die jedoch nur den kleinen Nebenästchen gebührt, die das Cerebralganglion von ihnen erhält, denn unmittelbar nach Abgabe der letzteren verlassen sie das Gehirn, um nunmehr die im vordersten Körperteile gelegenen Or- gane außer dem Pharynx zu versorgen, und zwar übernimmt der linke Ast die beiden linken Tentakel, der rechte außer diesen auf der rechten Seite noch den Penis mit dem Flagellum und einem Teil des Vas deferens. Hierdurch ist also die Symmetrie der beiden Kopfarterien Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 223 gestört, was bei Limax und Zonites nicht der Fall ist, da nach Nalepa bei diesen eine besondere Arterie für den männlichen Begattungsapparat vorhanden ist. a) Die Arteriae tentaculi. (Fig. 3 u. 9.) Die beiderseitigen großen und kleinen Tentakelarterien gehen aus der Gabelung der rechten und linken Arteria cephalica hervor und haben im weiteren alle den gleichen Verlauf, der jedoch etwas leichter ver- rt?<»CTl£Vr Fig. 9. Pharynx und kleine Tentakel. Das'Buccalganglion ist durchschnitten und der Schlundring ausein- andergebreitet. ««i iindasadic beiden Äste der Art. salivalis, aoerf u. aoes die beiden Art. oesopha- geales, acd und acs die beiden Kopfarterien, at^ — ats vgl. S. 24, atms und atmd linke und rechte große Tentakelarterie, atmis und aiwirf linke und rcclite kleine Tentakelarterie. Vergr. 2^/2. ständlich sein wird, wenn wir vorher ganz kurz auf den Bau eines Ten- takels eingehen. Der Tentakel ist eine schlauchartige Köhre, die als eine Ausstül- pung der Kopfhaut zu betrachten ist. An seiner Spitze sitzen die Augen bzw. Tast- oder auch Geruchsorgane. Er kann jedoch in das Innere des Körpers zurückgezogen werden vermöge eines Muskels, der nach vorn zu ebenfalls zu einer Röhre ausgestaltet ist und so beim ausgestreck- ten Tentakel eine zweite innere Röhre bildet, die an ihrem peripheren Ende ringsum mit der äußeren verwachsen ist. Auf den Figuren 3 und 9 sind die Tentakel stets vollkommen einuezooen gezeichnet, weil nur in 224 Georg Schmidt, diesem Zustand die Blutgefäße alle zu erkennen sind. Da also zwischen der inneren und äußeren Röhre eine beträchtliche Lage Veränderung gestattet ist, so muß die Blut Versorgung naturgemäß eine getrennte sein. Daher teilt sich stets der für einen Tentakel bestimmte Strang in zwei Äste, von denen der eine die Versorgung der inneren Röhre nebst dem Auge und Geruchsorgan, der andre die der äußeren mit dem seiner Basis benachbarten Teil der Körperhülle übernimmt. Es existie- ren somit insgesamt vier Tentakelarterien mit je einem äußeren und einem inneren Zweig, die entsprechend mit folgenden Bezeichnungen zu belegen sind: 1. Die Arteriae tentaculi majoris dextri (Fig.Satmd) mit: a) Der Aarteria tentaculi majoris dextri interior {atj); b) der Arteria tentaculi majoris dextri exterior (a^g)- 2. Die Arteria tentaculi majoris sinistri (atms) mit: a) der Arteria tentaculi majoris sinistri interior («^3); b) der Arteria tentaculi majoris sinistri exterior (at^). 3. Die Arteria tentaculi minoris dextri (Fig. d atmid) mit: a) der Arteria tentaculi minoris dextri interior {at^) ; b) der Arteria tentaculi minoris dextri exterior {ato). 4. Die Arteria tentaculi minoris sinistri (atmis) mit: a) der Arteria tentaculi minoris sinistri interior (at^); b) der Arteria tentaculi minoris sinistri exterior {atg). Die an der äußeren Röhre hinauflaufenden Ästchen sind stets in Zweizahl vorhanden. Weitere kleine Bndverzweigungen der äußeren Tentakelarterien versorgen noch die an der Basis der Tentakel gelegenen Teile der Körperhaut und der Umgebung des Mundes. Die inneren Tentakelarterien treten stets zusammen mit dem Ten- takelnerv in die innere Röhre ein und werden öfters von ihm spiralig umwunden. Bei der rechten großen Tentakelarterie wurde insofern Inkonstanz beobachtet, als die Gabelung in inneren und äußeren Ast bereits so früh eingetreten war, daß der gemeinsame Stamm ganz verschwand und der äußere Ast von der Arteria penis (Fig. 3 ap) ausging. b) Die Arteria penis. (Fig. 3 ap.) Die Penisarterie zweigt kurz vor der Gabelung der Arteria tenta- culi majoris dextri (Fig. 3 atmd) von dieser ab. Sie zerfällt alsbald in zwei Hauptäste, von denen der eine mit mehreren Endzweigen an den Penis herantritt, der andere zunächst am Vas deferens, dann am Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix poniatia). 225 Flagellum entlang läuft, an beide Organe kleine Nebenästchen abgibt und das Flagellum bis zu seiner äußersten Spitze begleitet. c) Die Arteriae parietales anteriores. (Fig. 3 afad u. apas.) Ganz an der Basis der Cerebralarterie oder auch von der Pedal- arterie zweigt an der rechten Seite eine Parietalarterie ab, die ausnahms- weise auch noch von einer zweiten begleitet sein kann, parallel mit der Tentakelarterie über die Geschlechtsorgane hinwegläuft und den vor- dersten Teil der rechten Körperwand, also die Region der Geschlechts- mündung versorgt. Es ist dies die Arteria cephalico-parietalis (Fig 3 acf), die stets unpaarig auftritt, da sie auf der linken Seite durch einen Zweig der äußeren Tentakelarterie ersetzt wird. Zwei weitere Parietalarterien (Fig 3 ayad und a-pas) sind jedoch wieder symmetrisch angeordnet. Ihr Ursprmig liegt ebenfalls in der Nähe des Unterschlundganglions, meist an der Basis der Cerebralarte- rien, doch weist er, wie ja zu erwarten ist, oft Unregelmäßigkeiten auf. Die von ihnen versorgten Gewebe sind die der mittleren lateralen und dorsalen Körperwand. 12. Die Arteria pedalis. (Fig. 6 fed.) Der letzte Ast der Aorta, der auch zugleich als ihr Endzweig an- gesehen werden kann, weil er der stärkste unter den vom Unterschlund- ganglion herkommenden Stämmen ist, ist die Arteria pedalis, die bei älteren Autoren mit Recht die Bezeichnung Arteria recurrens führte, denn sie durchläuft den Körper von vorne nach hinten, also in entgegen- gesetzter Richtung wie die Aorta. Sie ist am regelmäßigsten von allen Arterien der Weinbergschnecke gebildet. Ihr Hauptstamm verläuft median auf der inneren Oberfläche des Fußes und ist infolgedessen nach Entfernung der über ihm liegenden Bindegewebshäute mit den ersten Anfängen seiner Nebenäste leicht zur Ansicht zu bringen (Fig. 3 fed). Letztere vergraben sich jedoch bald in der Muskulatur des Fußes und durchziehen ihn allenthalben mit einem Netz von Gefäßen. Die Aus- gangspunkte der Nebenäste zeigen stets folgende Anordnung: Während die beiden ersten einander genau gegenüberstehen, ist bei den beiden folgenden bereits eine kleine Verschiebung derselben in der Richtung des Hauptstammes eingetreten, welche nach hinten zu immer größer wird, bis schließlich rechte und linke Verzweigungspunkte in gleichen Entfernungen miteinander abwechseln (s. Fig. 6). Das letzte Ende 226 Georg Schmidt, der Fußarterie gabelt sich, sobald es in das Metapodium eingetreten ist, in zwei gleichstarke Hauptäste. Die ersten beiden Nebenäste gehen bereits ganz dicht am Ganglion ab und laufen nach vorne zu, um die unter dem .Pharynx gelegenen Teile des Fußes nebst den unteren Mund- partien zu versorgen. Die andern, jederseits drei bis vier stärkere und dazwischen mehrere kleinere, zweigen etwa im Winkel von 45° schräg nach hinten zu ab und versorgen den übrigen Fuß. Ganz kleine zarte Ästchen schließlich schlängeln sich noch an den Fußretractoren des Columellarmuskels hinauf. 13. Nerven- und Bindegewebsarterien. (Fig. 10.) Die bis jetzt aufgezählten Arterien sind jedoch bei weitem noch nicht alle vorhandene. Es existiert außer ihnen noch eine große Anzahl von Gefäßen, die aber in Verlauf und Ursprung zu inkonstant sind, um sie alle zu beschreiben. Es seien hier zunächst die Gefäßstämm- chen erwähnt, die an den Nerven entlanglaufen (s. Fig. 10) und oft auch den Verzweigungen dersel- ben folgen. Die Versorgung der vom Unterschlundganglion ausge- henden Nerven geschieht größten- teils direkt von der Aorta aus, die andern erhalten zarte Nebenäst- chen von irgendwelchen Gefäßen, denen sie zufällig benachbart sind. Letzteres gilt im allgemei- nen auch für die Bindegewebs- arterien, deren Aussehen jedoch, da sie für eine möglichst große Flächenausdehnung berechnet sind, durch die zahlreichen Ver- zweigungen und vielfach schlän- gelnden Windungen ein wesentlich anderes Bild darbietet als die lang- gezogenen, geradlinigen und mangelhaft verzweigten Nervengefäße. 14. Gefäßnetze. Verfolgt man den Verlauf der kleinsten Arterienäste in den ver- schiedenen Orcanen noch weiter, so findet man, daß sie allmählich Fig. 10. Fig. 10. Versorgung von Xerv {N] und Bintlcge webe {Bg). Vergr. 8. Blutgefäßsysteni und jMantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 227 untereinander zahlreiche Anastomosen eingehen und so Gefäßnetze bilden, wie sie in jedem beliebigen Körperteil durch mehr oder weniger leicht ausführbare Injektionen darzustellen sind. Diese Netze wurden schon von Erdl beobachtet und von Wedl zuerst ausführlich be- schrieben, der auf Grund ihres Vorhandenseins ein Geschlossensein des Gefäßsystems der Mollusken beweisen wollte. Auch Nalepa spricht von Capillaren, obwohl sie, streng genommen, diese Bezeichnung nicht ver- dienen, denn es ist bisher nicht gelungen, einen Übergang von Arterien in Venen mittels eines Capillarnetzes nachzuweisen. Die von Wedl Fig. 11. Gefäßnetz auf der inneren Körperoberfläche. Vergr. 15. festgestellten Gefäßnetze haben vielmehr vollkommen arteriellen Charak- ter. Daß auch ihre Funktion nicht derjenigen wirklicher Capillaren entspricht, beweist schon die Tatsache, daß sie bei den meisten Organen nur an deren Oberfläche zu finden sind. Von ihnen aus dringen dann erst frei endigende Zweige in das Innere der Organe ein. Diese Be- schaffenheit läßt sich außer am Darm sehr schön bei der Versorgung der äußeren Körperhaut beobachten. Bei einer guten Injektion der Parietalarterien erhält man auf der inneren Oberfläche der Körperwand ein vollkommenes Gefäßnetz (Fig. 11). Von diesem sieht man jedoch. 228 Geoi'g Schmidt, wieder Zweige abgehen und in das Innere der Wandung eindringen. Betrachtet man daher die injizierteKörperwand von außen her (Fig. 12), so sieht man hier die freien Endigungen der Zweige, und zwar meist je einen in jeder warzenartigen Erhöhung. Wir haben es also hier, wie sich Fig. 12. Arterienendigungen in den warzenartigen Erhöhungen der äußeren Körperhaut, Vergr. 15. bei der Betrachtung des venösen Systems noch deutlicher herausstellen wird, nur mit Gefäßnetzen zu tun, die sämtliche Organe umspinnen und so eine sehr gleichmäßige Verteilung des Blutes bewirken. II. Das venöse System. Wenn das Gefäßsystem bei Helix ein unvollkommenes oder ein nicht geschlossenes genannt wird, so bezieht sich diese Bezeichnung vornehmlich auf das venöse System, da ja das arterielle, wie wir ge- sehen haben, mit Ausnahme eines einzigen größeren Sinus im vorderen Körperteil aus deutlich abgegrenzten, ziemlich gleichmäßigen Röhren besteht, die sich nur nach ihrem peripheren Ende zu verengen. Da sie jedoch schließlich frei endigen, so bleibt also das Blut, um in die Venen zu gelangen, nicht innerhalb fest umschlossener Bahnen, sondern füllt zwischen Arterien und Venen ein Lücken- oder Lacunensystem aus, wobei es die verschiedenen Gewebe umspült und ihre Ernährung ver- mittelt. In einigen Organen, welche dicke kompakte Massen bilden, Blutgefäßsystem und Mantelböhle der Weinbergschnecke (Helix poinatia). 229 wie Leber, Fuß und Eiweißdrüse, kann man wohl auch kleine, ziemlich scharf begrenzte Venenästchen bemerken, die ganz den Eindruck eines geschlossenen Gefäßsystems hervorrufen, zumal da sie, namentlich in der Leber, bis dicht an das arterielle Gefäßnetz heranreichen. Dieser Gefäßverlauf in der Leber bildete daher auch den Hauptbeweispunkt für die Vertreter der Ansicht eines geschlossenen Gefäßsystems. Dennoch steht aber auch hierbei fest, daß kein kontinuierlicher Übergang vor- handen ist, sondern daß stets zwischen beiden Systemen wandungslose, von Nalepa als Übergangsgefäße bezeichnete Bluträume festgestellt werden können, aus denen das Blut durch venöse Kanäle abfließt. Daß weiter die zahlreichen, von strukturloser Bindesubstanz und Muskel- fasern gebildeten Räume der Organhöhle einen Teil des venösen Systems ausmachen, dürfte ja wohl heute nicht mehr bezweifelt werden. Im ganzen ist demnach das venöse System nicht so weit entwickelt als das arterielle. Es existieren nur drei oder vier größere Hauptbahnen, nämlich die Fußvenenstämme und der Circulus venosus, die zwar regel- mäßig wiederkehren, jedoch niemals von ihrer Umgebung isoliert, son- dern stets in Muskulatur usw. eingeschlossen sind und höchstens in injiziertem Zustande an der Oberfläche etwas durchscheinen. A. Die Fußvenenstämme. 1. Die Venae pedales laterales. Die im Fuß verlaufenden Venenstänmie sind bis jetzt kaum unter- sucht worden und werden bei den Gehäuseschnecken von manchen Autoren sogar vollkommen geleugnet. Simroth bemerkt hierüber ausdrücklich: »Bei den Gehäuseschnecken Helix und Zonifes fehlen die großen Venenstämme im Fuß.« Er gibt zwar eine schematische Zeichnung von Howes, scheinbar für Helix aspersa, mit einem mäch- tigen Blutraum (Pedalsinus) im Fuß, die jedoch sicherlich auf einer stark übertriebenen Darstellung beruht. Nalepa hat ebenfalls größere Bluträume im Fuß beobachtet; auch erwähnt er deren Verbindungen mit der Leibeshöhle, doch sagt er nichts über ihre Gestalt. Wenn sie auch teilweise lacunären Charakter tragen, so glaube ich sie doch als Venenstämme bezeichnen zu dürfen, die genau den beiden Stämmen im Fuß von Limax entsprechen und in ihrer Anordnung durch die Ausbildung des Eingeweidesackes nicht im geringsten beein- flußt sind. Nur können sie nicht mehr, wie bei letzterer, direkt in den Circulus venosus münden, da bei den Gehäuseschnecken die Lunge in den spiraligen Eingeweidesack verlagert ist. Die Tatsache, daß sie so vvenig bekannt sind, läßt sich darauf zurückführen, daß sie von außen 230 Georg Schmidt, nicht sichtbar und, wie Nalepa meint, durch Injektionen schwer dar- stellbar sind, weil die Flüssigkeit sofort in die umliegenden Bluträume eindringt. Zu ihrer Injektion eignet sich daher nur eine stark verdickte Masse, die eben nicht leicht in die kleinen Nebenräume eindringen kann. Auf Querschnitten kommen sie dann (s. Fig. 13), vorausgesetzt, daß die Tiere nicht allzu stark kontrahiert sind, sehr schön zur Ansicht. Ich vA-- ^'p- /i/r >^.' -^- Fig. 13. Querschnitt durch ein ausgestrecktes Tier in der Lungengegend. Co Columellarmuskel, Da Darm, Di Diapliragma, F Fuß, Fd Fußdrüse, K verbindender Kanal zwischen Fußvene und Circulus venosus, L Lungenhöhle, Ld Lungendach, Lg lacunäres Gewebe unter dem rechten Diaphragma- rande, Lr linke Randvene, Mi u. M^ Mantelwulst, Re Rectum, Rr rechte Randvene, Sn sekun- därer Ureter, Spo Spermoviduct, Sr Sinus rectalis, Vpx u. Fp2 die lateralen Fußvenenstänmie, Vpm die mediane Fußvene. Vergr. 5. injizierte sie, indem ich seitlich am Fuß einen kurzen Einschnitt anbrachte, wodurch eine direkte Einführung der Kanüle in den Veiien- stamm möglich war. Die beiden Stämme liegen vollkommen symme- trisch zu beiden Seiten der Fußdrüse, beginnen mit zahlreichen Ver- ästelungen im hinteren Fußende und durchziehen in gerader Richtimg den ganzen Fuß bis zum Kopf. Hier verlagern sie sich in die seitliche Körperwand, wobei sie sich stark erweitern und schließlich in Bluträume Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 231 des vordersten Körperteils übergehen. Eine große Menge ihrer Neben- zweige verläuft schräg nach unten in den parapodialen Teil des Fußes. Andrerseits aber bestehen zahlreiche direkte Verbindungen mit Blut- räumen der Leibeshöhle, welche, ebenso wie das ganze Gefäß selbst, eine stark muskulöse Begrenzung besitzen und sphincterartig verschließbar sind. Ihrer Funktion nach dienen die Fußvenen mit ihren Nebenästen einmal der Ableitung venösen Blutes. Weiter aber muß ihnen noch eine zweite Funktion zugeschrieben werden, die mit enormer Schwell- barkeit des Fußes in Zusammenhang steht. Wie ja überhaupt ein großer Teil der Bewegungen des Molluskenkörpers durch Blutdruck hervorgerufen wird, so muß auch eine derartige Aktion im Fuß von Helix angenoimnen werden. Dabei käme den Fuß- venenstämmen dieKolle eines Eeservoirs zu. Das Füllen derselben ist auf zweierlei Weise denkbar. Entweder ge- schieht es durch Ableitung des von den Arterien dem Fuße zugeführten Blutes, wo- bei durch Verschließen des ^^' c^ , . ,. ^^ Xebenast einer lateralen Fußvene nach einem Schnitt bphmcter die Verbindungen durch ein junges Tier. Vergr. 40. nach der Leibeshöhle hin ab- geschlossen werden, so daß also ein Innendruck entstehen muß. Oder aber es wird von der Leibeshöhle her, vielleicht mit Hilfe eines durch das Diaphragma erzeugten Druckes Blut in den Fuß hineingepreßt, wobei die Sphincteren ebenfalls das Zurückfließen desselben verhindern. Welche von den beiden Möglichkeiten die tatsächlich in Betracht kommende ist, wird schwer zu sagen und höchstens durch eingehende physiologische Versuche festzustellen sein. Im allgemeinen ist anzunehmen, daß vermöge der reichlich vor- handenen Muskulatur das in den genannten Bäumen vorhandene Blut leicht dahin gedrängt werden kann, wo eine vom Blutdruck abhängige Bewegung beabsichtigt ist. Dafür sprechen auch die oft außerordentlich weitlumigen von ihr ausgehenden Nebenäste (s. Fig. 14), die einen schnellen Transport des Blutes wesentlich unter- stützen. 232 Georg Schmidt, 2. Die Vena pedalis media. Im hinteren Teile des Fußes befindet sich noch ein dritter Venen- stamm, die Vena pedalis media, der zwischen den beiden ersten, aber oberhalb der Fußdrüse, also median, verläuft, so daß die drei Fußstämme auf einem Querschnitt die Eckpunkte eines gleichschenkligen Dreiecks darstellen (s. Fig. 13 Vpm, Fpi u. Vp2)- Nach vorn zu erweitert sich dieser dritte Ast plötzlich zu einem größeren Sammelraum, der bei dem in Fig. 13 dargestellten Schnitt getroffen ist. Er ragt noch ein kurzes Stück in die Leibeshöhle hinein und ist von dieser nur durch quer ver- laufende in Bindegewebe eingehüllte Muskelfasern getrennt, die sein Lumen bei ihrer Kontraktion ganz beträchtlich zu reduzieren vermögen. Nach dem hinteren Fußende zu verjüngt er sich dagegen stetig und löst sich, ebenso wie die beiden andern Stämme, in seine zahlreichen Endzweige auf. In der Nähe der hinteren Körperwand geht von der erweiterten Stelle ein Kanal (Fig. 13 K) aus, der zunächst ungefähr senkrecht nach oben bis dicht an die innere Oberfläche der Körperhöhle vordringt, sodann jedoch einen nach rechts offenen Bogen beschreibt, um sich nach einem lacunären Gewebe an der Innenseite des rechten Diaphragmarandes hin zu wenden. Da aus diesem Gewebe der Circulus venosus einen großen Teil seines Blutes aufnimmt, so steht er damit in direkter Verbindung mit den Fußbluträumen. Mit den beiden lateralen Venenstämmen steht dieser mediane sowohl durch das lacunäre Gewebe des Fußes als auch durch direkte Kanäle in Verbindung. B. Der Circulus venosus. (Fig. 16.) 1. Die rechte Randvene (Vena magna Girod). (Fig. 15 Er.) Der die Lunge umkreisende venöse Gefäßring wird von den beiden Eandvenen und der sie verbindenden am Mantelrand entlang laufenden Vena circularis (Hescheler) gebildet. Die rechte Randvene, auch als große Vene (Vena magna) bezeichnet, beginnt bereits in der kleinsten Windung des Eingeweidesackes am Apex, läuft an dessen ganzer rechten Kante, also an der Naht der Schale entlang bis zum Mantelwulst und dient mithin hauptsächlich zur Ableitung des von Leber und Darm verbrauchten Blutes. Zahlreiche Nebenäste breiten sich auf der Ober- fläche der Leber aus, wo sie ein förmliches Kanalsystem bilden und, da sie nur aus mit Bindegewebe ausgekleideten Furchen in der Oberfläche Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 233 dieses Organs bestehen, dessen eigenartig runzliges Aussehen bedingen. In der Nähe des Mantelrandes werden ihre Konturen undeutlich, sie ist daher hier nur noch auf Schnitten zu verfolgen, wobei sich zeigt, daß sie hier kein deutlich abgegrenztes Gefäß mehr bildet, sondern sich in mehrere kleine Kanäle spaltet, wodurch sie mehr den Charakter eines Fig. 15. Der Eingeweiclesack nach Entfernung der Schale. D Darm, N Niere, Re Rectum, Rr rechte Randvene, Sr Sinus rectalis, Vc Vena circularis. Vergr. 2. cavernösen Gewebes annimmt. Dabei ergießt sie ihr Blut, soweit es nicht von den zuführenden Gefäßen der rechten Lunge aufgenommen wurde, in einen venösen Gefäßring, der das Atemloch umfließt tmd bei geöffneter Lungenhöhle an einer wulstartigen Erhöhung im Diaphragma erkennbar ist (s. Fig. 16 TF). 2. Der Sinus (Vena) rectalis. (Fig. 15 und 16 Sr.) Mit der eigentlichen Randvene steht ein zweiter Ast in Verbindung, der jedoch mit viel größerem Recht die Bezeichnung eines Sinus als die einer Vene verdient, denn erstens ist sein Lumen derartig geräumig, daß sein Querschnitt mindestens das fünffache von dem der Randvene be- Zeitschrift f. wissenscli. Zoologie. CXV. Bd. 16 234 Georg Schmidt, trägt, und zweitens geht er nicht aus mehreren kleinen Endzweigen hervor, sondern steht an beiden Enden mit dem Circulus venosus in Fig. IG. Ganzes Tier mit geöffneter Lungenliölüe und injiziertem Circulus venosus. (Die punktierte Linie gibt die ungefälire Lage der rechten Randvene an.) A Atemloch, D Diaphragma, 1> linke Rand- vene, N Niere, S Seitenwand der Lungenhöhle, Sr Sinus rectalis, R Rectum, Fe Vena circularis, W Wulstartige Erhöhung am Atemloch, Wl Wulst, welcher längs der linken Randvene verläuft. Vcrgr. 1V2- Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 235 Verbindung. Er wurde bisher stets als ein besonders starker Venenast beschrieben, der sich nach hinten und vorne zu in kleine Endzweige auflöst. Eine derartige Beschaffenheit besteht jedoch in Wirklichkeit Fig. 17. Querschnitt durch die reclite Seite der hinteren Lungenpartie (zum Teil scliematisiert). D Dia- pliragma, Lg lacunäres Gewebe zwischen Kectuni und Körperhülle, jV Niere, Pr primärer Ureter, Re Rectum, Rr rechte Randvene, S Seitenwand der Lungenhöhle, Sr Sinus rectalis, Su sekundärer Ureter, Uf angeschnittene Falte desselben, Va zuführendes Lungengefäß, Vk venöser Kanal an der Innenseite des Diaphragmas. Vergr. etwa 15. keineswegs, ein auf der Zeichnung von M. Edwards und Valenciennes angedeuteter, von hinten her kommender Zweig ist überhaupt nicht vorhanden, sondern wird nur durch einen Leberblutraum, der sich bis in diese Region erstreckt, vorgetäuscht. Die eine der beiden Verbin- 16* 236 Georg Schmidt, düngen mit dem Circulus venosus befindet sich an der hinteren Lungen- grenze (s. Fig. 15), wo der Sinus, da er an der entgegengesetzten Seite des Rectums verläuft wie die Randvene, unter dem Rectum hindurch sich nach der letzteren wendet und sich mit ihr vereinigt. Die vordere Verbindung befindet sich am Atemloch, wo er ungefähr gleichzeitig mit der rechten Randvene in den »Atemlochringkanal << übergeht. Außer den beiden Enden des Sinus rectalis sind keine direkten Verbindungen mit der Randvene mehr vorhanden. Dennoch ist aber ein Austausch von Blut zwischen den beiden Kanälen möglich durch das sie trennende lacunäre Gewebe (s. Fig. 17 Lg) zwischen Darm und äußerer Körperhülle. GiROD bezeichnet als »Perirectalsinus << noch einen weiteren Blut- raum, der sich zwischen Enddarm und der ihn überziehenden inneren Lungenauskleidung befindet und mit den beiden den Darm begrenzenden venösen Gefäßen in Verbindung steht. Allerdings wird bei einer Injek- tion der Randvene oder des Sinus rectalis auch die Umgebung des Dar- mes vollkommen von der Injektionsmasse gefärbt, dennoch scheint er mir aber als Sinus nicht von großer Bedeutung zu sein, da er nur aus einem System von kleineren Lückenräumen (s. Fig. 17) besteht, die nur ganz geringe Mengen von Blut aufzunehmen imstande sind. 3. Die Vena circularis. (s. Fig. 15 und 16 Ve.) Sie stellt die Verbindung zwischen rechter und linker Randvene her, läuft vom »Atemlochringkanal« aus am ganzen vorderen Mantel- rand entlang und bildet so die vordere Begrenzung des Lungendachs. Die zuführenden Gefäße des linken trabeculären Lungenteils werden von ihr gespeist. Kleine Nebenästchen verbinden sie mit den Schwell- netzen des Mantel Wulstes und mit dem Diaphragma. 4. Die linke Randvene (Vena coUumellaris). (Fig. 16 Lr.) Sobald die Vena circularis an der rechten Seite des Mantelrandes angekommen ist, verläßt sie diesen, wendet sich wieder nach hinten zu und bildet so die linke Rand- oder Columellarvene. Diese stellt ein ziemlich deutlich abgegrenztes Gefäß dar und ist bis an die hintere Lungengrenze zu verfolgen, wobei sie an einem Wulst entlang läuft, der die Lunge an ihrem hinteren linken Rande begrenzt und den Ursprung der zuführenden Gefäße verdeckt (s. Fig. 16 Wl). An ihrem Ende ist die Abzweigung zweier Äste zu beobachten, von denen der eine nach dem Blutraum zwischen Leber und Niere hinführt, der andre dagegen sich mehr nach vorne zu wendet und in Bluträume am linken inneren Blatgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 237 Diaphragmarande (s. Fig. 13 Lg) übergeht. Der Hauptstamm aber erweitert sich unmittelbar nach dem Austritt aus der Lungenhöhle zu einem größeren Leberblutraum in der Ncähe des Columellarmuskels. 5. Die Nebenäste des Circulus venosus. (Fig. 16.) Außer den beiden großen Randvenen erhält der Circulus venosus noch Blut aus kurzen, aber weiten Nebenästen, die zwar nicht als gut ausgebildete Venen, sondern nur als kurze Verbindungskanäle mit zu- nächst liegenden Bluträumen der Leibeshöhle aufzufassen sind. Ein solcher befindet sich z. B. in der Nähe des Atemlochs. Von dem den Rand des Atemlochs bildenden Wulst aus sehen wir eine Falte des Diaphragmas eine kurze Strecke nach hinten zu laufen (s. Fig. 16 W). Sie umschließt einen Hohlraum, der mit einem an der Unterseite des Diaphragmas befindlichen cavernösen Gewebe in Verbindung steht (s. Fig. 13 L(j) und mithin sein Blut zum größten Teil aus dem Fuße erhält. Zwei weitere Nebenäste münden an der hinteren Wand der Lungenhöhle in den Sinus rectalis. Einer von ihnen (Fig. 16) kommt von der Nierenbasis her und führt somit Blut aus dem Leber-Nieren- sinus. Der andre, vordere dagegen beschreibt einen Bogen nach dem Diaphragma zu, in dessen Wandung er eine Strecke lang verläuft, er- weitert sich dann aber allmählich und geht schließlich in einen größeren Blutraum in der Nähe der Geschlechtsorgane über. 6. Der Blutstrom im Circulus venosus. Es ist wohl selbstverständlich, daß das im Circulus venosus vor- handene Blut dessen einzelne Abschnitte nicht in der Reihenfolge durch- strömen kann, in der sie oben angeführt worden sind. Eine sehr leb- hafte Strömung darf überhaupt nicht angenommen werden, vielmehr staut sich hier das Blut, das aus der Körperhöhle in den venösen Gefäß- ring hineingedrängt und von den zuführenden Lungengefäßen auf- genommen wird. In den beiden Randvenen ist also der Blutstrom entgegengesetzt gerichtet, so daß im vorderen Teil des Circulus venosus, der Vena circularis, ein vollkommener Stillstand herrschen muß. An- dererseits wird jedoch eine gewisse Strömung im einen oder andern Sinne stets von den jeweiligen Druck Verhältnissen, die ja an verschie- denen Stellen des Körpers verschieden sein können, abhängig sein. C. Die Bluträume der Körperhöhle. Die Beschaffenheit der Teile des Circulationsapparates ohne ge- fäßartigen Charakter ist im einzelnen schwer darzustellen, da einmal 238 Georg Schmidt, bei Injektionen die zarten sie begrenzenden Bindegew ebshäutclien leicht verletzt werden können, und da sie andrerseits meist so durchsichtig sind, daß man sie unter gewöhnlichen Bedingungen nur schwer erkennt. In der Literatur drückt man sich daher auch über diesen Gegenstand ziemlich unbestimmt aus. Ihre Injektion erfolgt am sichersten von Teilen des Circulus venosus oder den Fußvenenstämmen aus. Nach der Injektion legte ich die Tiere sofort einige Zeit in Formol, wobei die Häutchen etwas widerstandsfähiger und auch zugleich undurch- sichtiger wurden. Letztere zeigten an manchen Stellen feine Perfo- rationen (s. Fig. 18), die den Durchtritt des Blutes gestatten. Die Bluträume des gestreckten vorderen Körperteils lassen sich in drei Gruppen zerlegen: die Übergangsgefäße, die Wandgefäße und den centralen Hohlraum. Die von Nalepa als Übergangsgefäße be- zeichneten Räume bilden die Fortsetzung der Arterien und vertreten wohl, da sie die Gewebe direkt bespülen ??^^^>-Y^"''^*"5 . und dadurch deren Ernährung vermit- '^^'"-^*' ' teln, das Capillarsystem der höheren Tiere. Nalepa steht zwar nicht auf >i diesem Standpunkte, sondern glaubt, %;Z■^'^^> l"'-^*Ci>^S^ ^^^ ^^® ®^®^ beschriebenen Gefäßnetze '^''^rW^^^t die physiologische Bedeutung der Capil- Yia, 18. laren bei höheren Tieren besitzen, ob- Ein Stück des die Bluträume begrenzen- gleich er ihren Vollkommen arteriellen den Bindegewebes mit zahlreichen Kernen Charakter ebenfalls betont. Er begrün- und Perforationen. ° det seine Ansicht damit, daß Organe, wie z. B. die Nerven, welche sozusagen im Blute schwimmen, trotzdem mit einem Gefäßnetz ausgestattet sind. Diese Tatsache genügt jedoch •durchaus nicht als Beweis, denn auch die Nerven sind in eine Bindege- websmasse eingehüllt, die gerade so wie beim Darm einen Abschluß der Übergangsgefäße gegen die größeren Leibesbluträume bilden dürfte, so daß also auch hier ganz gut eine Ernährung durch die Übergangs- gefäße denkbar ist. In andern Organen, wde Lunge und Niere, gibt er ihre Funktion als Capillaren zu, da hier ein »capillares Terminalnetz« fehlt. Die Übergangsgefäße sind als kleinere Räume aufzufassen, die nur auf Schnitten und mit stärkerer Vergrößerung beobachtet werden kön- nen. Mit der Leibeshöhle stehen sie durch venöse Ostien (Nalepa) in der sämtliche Organe umhüllenden Bindegewebshaut in Zusammen- hang. Zur Bestätigung dieses von Nalepa gefundenen Resultats kann ich eine Beobachtung anführen, die Jourdain auch schon bei Arion Blutgcfäßsysteni vind Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix poniatia). 239 machte, daß nämlich bei einer Injektion mit einer genügend dünn- flüssigen Masse diese in Form kleiner Tröpfchen an der Oberfläche ver- schiedener Organe zum Vorschein kommt. Ich erreichte dieses bei der Injektion der Uterina an der fingerförmigen Drüse. Unter die Gruppe der Übergangsgefäße sind auch die sogenannten Schwellnetze zu stellen, poröse Gewebe besonders in Mantelrand und Fuß, welche die Ursache der enormen Schwellbarkeit dieser , _ Organe sind. "* Die zweite Kategorie von Bluträumen, die ich als Wand- gefäße bezeichnen will, weil sie nur rings an der ganzen inneren Ober- fläche der Körperhülle zu finden sind, bilden ein System von zahl- reichen Kammern (s. Fig. 19 IF) mit dünnen Bindegewebswänden, die sich oft taschenartig nach dem inneren Hohlraum zu vorwölben. Nach der inneren Körperhöhle zu sind sie durch eine gemein- same Membran abgeschlossen (s. Fig. 19 M), so daß man durch Zertrennen der Wandgefäße die äußere Körperdecke ablösen kann, ohne diese sämtliche Eingeweide umhüllende Membran zu ver- letzen. Der innere centrale Blutraum besitzt keine weitere Kammerung mehr, sondern bildet eine einheit- liche große Höhlung, die von den Hauptorganen, wie Darm, Geschlechtsorgane und Columellarmuskel, ein- genommen wird. Von diesem Raum gehen trichterartige Fortsätze aus, die alle diejenigen Organe in sich einschließen, die durch Blutdruck aus- gestülpt werden müssen. Eine derartige >>Bindegewebshose<<, wie sie vielleicht am treffendsten bezeichnet werden können, zeigt z. B. Fig. 20 isoliert für einen großen Tentakel. Bei Betrachtung dieser Einrichtung wird es verständlich, wie ein Ausstülpen des Fühlers durch Blutdruck möglich ist. Eine ganz ähnliche Einrichtung befindet sich am Schlundkopf, Fig. 19. Querschnitt durch den vorderen Teil des Kör- pers. IF Wandgefäße, M Umliülliingsmembran, D Magendarm, C centraler Blutraum, Co Columellar- muskel, Yp Fußvene. Vergr. 10. 240 Georg Schmidt, oder überhaupt am Kopf, der ja im Kontraktionszustande durch die Kopfretractoren ganz beträchtlich in das Innere des Körpers hinein- gezogen wird. Die Ausstülpung ist dagegen nur durch Blutdruck mög- lich. Von dem GangHenring aus gehen nach vorne zu Bindegewebs- häute, die andrerseits mit der Kopfhaut fest verwachsen sind und so den auch von Nalepa schon festgestellten Kopfblutraum bilden. Die Kommunikation mit dem centralen Blutraum geht durch den Schlund- ring hindurch. Wird nun in diesen allseitig abgeschlossenen Kaum Blut hineingepreßt, so ist die notwendige Folge dieser Aktion das Ausstülpen der Kopf partien. Die gleichen Verhältnisse sind auch bei den Begattungsappara- ten anzutreffen, wo dieBindege- webshäute besonders stark aus- gebildet sind. Auch die vor- deren Fußretractoren sind von derartigen Bindegewebshosen umgeben. Eine Einteilung der Leibes- liöhle in zwei größere Längs- räume, wie sie Creighton (s. SiMROTH, Kl. u. 0.) angibt, konnte ich nicht feststellen. Ich fand zwar, daß der Ei- samenleiter durch ein Mesen- terium mit der rechten Körper- wand zusammenhänge, daß jedoch ein zweites, das zur Vervollständigung eines Blutraumes not- wendig wäre, fehlt. Im aufgerollten Eingeweidesack ist eine derartige Einteilung der Bluträume nicht bemerkbar. Venöse Sammelräume befinden sich hier überall zwischen den Organen. (S. Fig. 21). Sie stehen mit dem cen- tralen Hohlraum des vorderen Körperteils in direkter Verbindung. Darm, Eiweißdrüse und Leber sind rings vom Blut umspült. Ein größerer Sammelraum befindet sich zwischen Nierendeckel und Leber bzw. Darm, sowie in der Nähe der Verwachsung des Columellarmus- kels mit der Schale. Die Größe der verschiedenen Bluträume im allgemeinen ist ab- Bei jeder andern Stellung des Fig. 20. Eingezogener Tentakel mit Bindegewebshose. Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix poraatia). 241 Tieres verlagern sich nicht nur dessen Organe, sondern auch die zwischen ihnen circulierenden Blutmassen. So scheint sich bei einem zusammen- gezogenen Tier die Hauptmasse des Blutes im Eingeweidesack und namentlich unter dem Diaphragma anzuhäufen, das in diesem Zustand Spo Fig. 21. Schnitt durch den venös injizierten Eingeweidesack. Co Columellarmuskel, D Darm, Ei Eiweiß- drüse, Le Leber, ^ Niere, JVrf Nierendeckel, Re Rectum (schräg getroffen), Spo Sperraoviduct. Vergr. 10. fast bis zur Berührung mit dem Lungendach hervorgewölbt wird, so daß also das Zurückziehen des Tieres in die Schale stets mit einer Ver- kleineruno; der Lunsenhöhle verbunden ist. III. Die Luuge. A. Die Lungenhöhle. 1. Ihre Lage im Körper. Die Lungenhöhle, auch Mantel- oder Atemhöhle genannt, liegt im vordersten Teil des aufgerollten Eingeweidesackes und erstreckt sich ungefähr über die Länge einer Schalenwindung. Ihrem Ursprung nach leitet sie sich von einer unpaaren Mantelfalte am dorsalen Teile des Tieres her, die nach innen zu eine tiefe Einbvichtung erfahren hat. Wir finden daher ihre ganze innere Oberfläche mit einem Epithel ausgeklei- det, das teilweise jedoch besonders differenziert ist und wegen seiner Funktion als Atemepithel bezeichnet wird. Am Rande der Einbuchtung 242 Georg Schmidt, befindet sich ein dicker Wulst, der Mantelrand oder Mantelwulst, der sich wie ein Kranz um die Basis des Eingeweidesacks legt, mit der Kör- perdecke verwachsen ist und so auch die Atemhöhle nach außen zu abschließt. 2. Das Pneumostom. Die Verwachsung mit der Körperdecke läßt nur eine kleine Öffnung frei, die die einzige Verbindung der Atemhöhle mit der Außenwelt dar- stellt, das Atemloch oder Pneumostom (Spiraculum) (Fig. 22 und 23 A). Es befindet sich in der rechten vorderen Ecke der Mantelhöhle und ist somit, auf die Schale bezogen, stets nahe beim vorderen Ende der Naht zu suchen. In geschlossenem Zustand ist es von zwei Lappen des Man- tels bedeckt, die seine Lage nur durch ihre Trennungslinie vermuten Fig. 22. Photographie einer lebenden Schnecke. Die gestrichelte Kontur gibt die ungefähre Lage der Atem- höhle an. A Atemloch. Natürl. Größe. lassen. Man kann sie jedoch sehr leicht feststellen, wenn man bei einem getöteten Tier die das Pneumostom umgebenden Partien auseinander- breitet, wie dies in Fig. 23 geschehen ist. Wir sehen dann, daß sich von der dem Körper anliegenden Seite des Mantelwulstes her, etwa in der Kichtung der Halbierungslinie des von der Schale gebildeten Winkels, ein Einschnitt im Mantelrand befindet, an dessen Ende wir in der Tiefe das Atemloch bemerken. Die durch den Einschnitt an beiden Seiten entstehenden Ecken des Mantels haben sich zu Lappen oder Lippen verbreitert (Fig. 23 Vi, Hl). Girod bemerkt hierüber folgendes: >>Le pneumostome est limite par deux levres, l'une dorsale, saillante, l'autre ventrale recouverte par la precedente; c'est sur la ligne de commissure gauche que s'ouvre l'anus usw.« Abgesehen davon, daß bei einem kriechenden Tier der Mantelrand eine horizontale Stellung hat, und die Blutgefäßsy stein und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix ijoniatia). 243 Begriffe dorsal und ventral überhaupt nicht gut verwendbar sind, wird es trotzdem schwer fallen, sich nach dieser Angabe ein richtiges Bild der bestehenden Verhältnisse zu machen. Zunächst handelt es sich um einen -vorderen und einen hinteren größeren Lappen {Vi und Hl), die beide die Beschaffenheit des ganzen übrigen Mantelrandes aufweisen, also eine durch das Vorhandensein zahlreicher Kalkzellen bedingte gelblich-weiße Farbe haben und wahr- scheinlich lebhaften Anteil an der Bildung von Schale und Diaphragma nehmen. Weiter muß dann noch eines verbindenden Hautstückes (Vh) gedacht werden, das, wie man auf den ersten Blick erkennt, keine Fig. 23. Sechte Seite des Mantelrandes. (Das Tier ist auf der Seite liegend gedacht und der Mantelrand ist etwas zurückgedrängt-, um das Atemloch sichtbar zu machen. A Atemloch (halb geöffnet), VI vor- derer, Hl hinterer Lappen, Vh verbindendes Hautstück, 0 Afteröffnung. Vergr. etwa 2 1/2. •oder nur wenige Kalkzellen, vermutlich aber zahlreiche Schleimzellen enthält, wie aus seiner stets feuchten, schlüpfrigen Oberfläche zu schlie- ßen ist. Es hat also auch eine mehr dunkele, graue Farbe und zieht sich von der äußeren Kante des hinteren Lappens nach der Unterseite des vorderen hin; ich vermute, daß in diesem Teil das von Girod als ven- trale Lippe bezeichnete Organ zu suchen ist. An der den Spalt begren- zenden Kante des hinteren Lappens bemerken wir ferner eine Rinne (Fig. 23 0), die sich bei genauerer Untersuchung als die Mündung des Rectums, den After, ausweist. Ebenfalls in der Umgebung des Atem- lochs, doch erst beim öffnen der Lungenhöhle sichtbar, befindet sich die Ausmündungsrinne des Ureters (Fig. 26^^). 244 Georg Schmidt, 3. Die an der Bildung der Lungenhöhle beteiligten Organe. Die Wandimg der Liingenhöhle setzt sich aus drei morphologisch und physiologisch verschiedenen Elementen zusammen : Dem Lungen- boden, dem Lungendach und der Seitenwand. Der Lungenboden oder das Diaphragma besteht aus einer von starken Quer- und Längsmuskelfasern durchzogenen Hautschicht (Fig. 24), die beim Einziehen und Ausstoßen der Atemkift eine wich- tige Rolle spielt und daher mit dem Diaphragma der höheren Wirbeltiere zu vergleichen ist. Das Lungendach ist derjenige »1 Teil der Lunge, dem die eigent- ^' liehe respiratorische Tätigkeit zu- ■ kommt. Es berührt sich mit dem Lungenboden längs desMan- ''y- -^- telrandes und der ganzen linken Die Muskulatur des Diaphragmas. Vergr. 60. ^, .. , -p beite der Lunge. An der rechten Seite dagegen ist zwischen Diaphragma und Lungen- dach noch ein Seitenteil eingeschoben, dem keinerlei besondere Funk- tion zukommt, sondern das nur zur Vergrößerung der Atemhöhle zu dienen scheint. Es ist eine nach vorn und hinten spitz zulaufende Fläche (s. Fig. 16 S), die dem convex gekrümmten Teil des Schalen- innern anliegt. 4. Die in der Lungenhöhle gelegenen Organe. Zwischen dem Seitenstück und dem Lvm gendach verläuft in einem flachen Bogen der Enddarm (Fig. 3 und 16 Re), der, wie wir oben ge- sehen haben, am Atemloch mündet. Außer diesem sind am Dach der Lungenhöhle noch zwei wichtige Organe sichtbar, nämlich Herz und Niere, welche gemeinsam die sogenannte Renopericardialgruppe bilden und einen Teil des Lungendaches einnehmen. Man sieht sie schon nach Entfernung der Schale durch den Mantel hindurchscheinen, doch kom- men sie noch besser zur Ansicht, wenn man das Lungendach an seinen Begrenzungslinien loslöst und auseinanderbreitet. Letzteres zeigt sich dann als eine etwas halbmondförmige Fläche (s. Fig 30), die in ihrem hinteren Teil durch die Auflagerung der Renopericardialgruppe in zwei Divertikel ausläuft (Girod). Das Herz (Fig. 33 H) liegt an der linken Seite der Niere und ist in ein Pericard eingeschlossen, das einerseits Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 245 mit der Niere, andrerseits mit der Lungendecke, an beiden Spitzen jedoch mit der Aorta bzw. Vena pulmonalis fest verwachsen ist. Der Pericar- dialraum ist mit einer dem Blut nicht identischen Flüssigkeit angefüllt und steht durch den Renopericardialgang, nach NüssLnsr ein rudimen- täres Nephridium, mit der Niere in Verbindung, mit dem eigentlichen Circulationssystem hat er also nichts gemein. Er ist innen mit einem Epithel ausgekleidet und gilt als der Rest einer echten Leibeshöhle. Die Niere (Fig. 3, 4, 16 N, auch Fig. 5 u. a.) hat in ihren Umrissen etwa die Gestalt eines Dreiecks, und zwar eines rechtwinkhgen Dreiecks, dessen kürzere Kathete an die Leber bzw. den Darm anstößt. An der längeren Kathete liegen Pericard und Herz, die jedoch nicht ihre ganze Länge, sondern höchstens etwa ^/^ derselben einnehmen. Der rechte Winkel liegt an der Stelle, wo die Herzkammer in die Aorta übergeht. Die Hypotenuse wird von dem Rand des primären Ureters gebildet, der vorn an dem spitzen Winkel der Niere beginnt, der ganzen Basis entlang zieht und am hinteren Ende der Niere scharf umbiegt, um sich dann als sekundärer Ureter dicht am Rectum her, von diesem sogar teilweise überdeckt, nach dem Atemloch hin zu wenden, wo er neben dem After mit einer Rinne nach außen mündet (s. Fig. 2Qum). Was im einzelnen den Bau des Ureters und der Niere anbetrifft, so ist dazu noch zu erwähnen, daß sie in ihrem Inneren zahlreiche Faltenbildungen zeigen, die ihr Maximum an Zahl und Größe in der Niere erreichen, wo sie größtenteils dorsal aufgehängt sind, nach allen Richtungen hin verlaufen und miteinander in Verbindung treten. Im sekundären Ureter befinden sie sich ebenfalls an der dorsalen Wand, oder besser gesagt, an der dem Lungenlumen abgewandten Wand, sind jedoch hier meist untereinander parallel und senkrecht zur Richtimg des Ureters angeordnet. Im primären Ureter schließlich bilden sie ein netzartiges Gefüge und sind auf dessen ganzer inneren Oberfläche zu finden. Diese Faltenbildungen müssen deshalb erwähnt werden, weil sie mit der Blutcirculation in engstem Zusammenhang stehen. B. Das Lungendach. 1. Allgemeines. Über die Beschaffenheit der Lunge selbst, also des Lungendaches, sind schon von den älteren Autoren zahlreiche Betrachtungen angestellt worden. Auffallend ist bei allen älteren Darstellimgen, daß die Lungen- gefäße stets als ein einheitliches System aufgefaßt werden, indem man auch die zuführenden Gefäße als direkte Äste der abführenden betrach- 246 Georg Schmidt, tete. Erdl stellt sie 1840 zuerst bei Helix algira im Prinzip richtig dar und spricht hier, was auch ganz berechtigt erscheint, von Lungen- arterien, unter denen er die zuführenden Gefäße versteht. Nichts- destoweniger wird nach ihm noch ein derartiger Verlauf der Gefäße entschieden geleugnet. Auch die Beschreibung Wedls hat die Ver- hältnisse noch nicht vollkommen geklärt, er betrachtet nämlich eben- Fig. 25. Schematischcr Qucisclinitt durch mehrere Lungengefäße im vorderen Lungenteil, ae äußeres, ie inneres Epithel, bl Blutgefäße. Fig. 2G. Ein Stück der Lungenoberfläche in der Nähe des Atenüochs. Vp Endigung der Vena pulmo- nalis, um Mündungsrinne des Ureters. Vcrgr. 10. falls, soviel aus seiner Darstellung zu entnehmen ist, alle in Trabekeln verlaufende Gefäße als abführende und nimmt unter den Trabekeln zuführende Gefäße an. Die Lungengefäße sind, wie alle venösen Gefäße der Schnecken, nicht selbständigen Charakters, d. h. sie besitzen keine eigene, von dem umgebenden Gewebe isolierte Wandung. Auch fehlt ihnen, wie Ebekth Blutgefäßsysteni und Mantelliöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 247 mit Sicherheit festgestellt hat, jegliche Auskleidung mit einem Epithel. Die einzelnen Blutbahnen sind so gebildet, daß die innere Hautschicht des doppelwandigen Lungen dachs so von der äußeren abgehoben ist, daß langgestreckte Falten (Trabekel) entstehen, die in ihrem Innern einen Hohlraum, das eigentliche Gefäß, umschließen (s. Fig. 25). Be- Fig. 27. Ein Stück ans dem mittleren Teil der Lunge zwischen trabeculärem und glattem Teil. Vergr. etwa 10. Fig. 28. Schnitt durch den glatten Lungenteil, ae Mantelepithel, ie Atemepithel, V Blutbahnen. Vergr. etwa 450. merkenswert ist dabei die verschieden starke Ausbildung der Gefäße in verschiedenen Teilen der Lunge. Im vorderen Limgenteil in der Nähe des Atemlochs, also da, wo der Luftwechsel am lebhaftesten vor sich geht, sind die Gefäße zum Teil sehr groß, dicht gedrängt und weit von der Unterlage abgehoben (s. Fig. 26). Betrachtet man jedoch den hinteren Limgenteil links von der Vena pulmonalis, so findet man, daß der Durchmesser der Gefäße stetig abnimmt, die Entfernungen 248 Georg Schmidt, zwischen den einzelnen Gefäßen größer werden imd die Gefäße selbst nur wenig oder schließlich gar nicht mehr aus der Ebene her- austreten. Fig. 27 zeigt ein Stück aus der Grenze zwischen dem »trabekulären« und dem glatten Lungenteil, wo die Gefäße zwar bereits kleiner geworden, aber trotzdem noch deutlich als solche zu erkennen sind. Die Gefäße im hinteren glatten Lungenteil sind am besten auf Schnitten zu beobachten. Sie zeichnen sich hier (s. Fig. 28) durch keinerlei besondere Differenzierungen mehr aus, sondern sind weiter nichts als Hohlräume, die in dem Lacunengewebe zwischen den beiden Epithelien freigelassen sind. Im rechten Lungenteil besteht kein wesentlicher Unterschied Fig. 29. Schnitt durch einen Teil der Wandung der Vena pulmonalis. Wi Längs-, niz Ringmuskulatur, hl lacunäre Bluträume. Vergr. etwa 500. zwischen den Gefäßen der vorderen und hinteren Hälfte, sie haben hier überall denselben Bau und auch ungefähr denselben Durchmesser. Allenthalben im Lungendach finden wir Muskelzüge eingelagert, die ihm eine weitgehende Kontraktionsfähigkeit ermöglichen. In den größeren Gefäßen sind diese zu einer ausgesprochenen Ring- und Längsmuskulatur geworden, die besonders schön an der Vena pulmo- nalis (s. Fig. 29) ausgebildet ist. 2. Die abführenden Gefäße der Lunge. a) Die Vena pulmonalis. Ihrer Anordnung und Funktion nach lassen sich, wie schon oben angedeutet, sämtliche Gefäße der Lunge in zwei große Gruppen ein- Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 249 teilen, in zuführende und abführende Gefäße, oder Vasa afferentia und Vasa efferentia, deren gegenseitige Lagebeziehungen auf den schema- tischen Figuren 30a-/ erkennbar sind. Sie wechseln regelmäßig mit- einander ab und unterscheiden sich hauptsächlich nur dadurch, daß ihre Verengerung stets in entgegengesetztem Sinne erfolgt. In Fig. 30 sind die abführenden Gefäße schwarz ausgezeichnet, die zuführenden nur konturiert. Wir wollen zunächst die abführenden Gefäße einer genaueren Betrachtung unterziehen. Nalepa läßt die Lunge durch die Pulmonalvene in zwei Abschnitte geteilt werden, von denen er den rechten, an den Darm angrenzenden als trabekulären, und den links von der Pulmonalvene gelegenen als glatten bezeichnet. Jedoch ist bei ihm der Begriff der Lungenvene nicht genau festgelegt. Nennt er Vena pulmonalis das, was im folgenden als solche definiert ist, so stimmt diese Einteilung nicht ganz, denn ein Teil der linken Lunge ist dann entschieden noch trabekulär. Kechnet er jedoch die starken Äste der linken Lunge noch zur Vena pulmonalis, so bildet diese erstens einen sehr schwankenden Begriff, und außerdem müßte man dann noch einen dritten dabei unberücksichtigten Teil, nämlich das Bereich der Vena pulmonalis selbst, unterscheiden. Wir sehen also, daß es zunächst nötig sein wird, sich über den Begriff der Vena pulmonalis klar zu werden. Ich will daher kurz ihren Verlauf skizzieren . Sie bildet die Fortsetzung der Herzvorkammer und beginnt da, wo durch die Verwachsung des Pericards eine Grenze zwischen ihr und dem Herzen geschaffen ist (s. Fig. 1 und 30). Sodann verläuft sie dicht an der Niere entlang und zwar so dicht, daß sie an der der Niere zugekehrten Seite keine besondere Wandung mehr hat, sondern ihr Lumen direkt an die Niere angrenzt. Darauf setzt sie sich in gerader Richtung nach dem Atemloch hin fort und löst sich, kurz bevor sie dieses erreicht, in drei bis vier kurze Endzweige auf. b) Die abführenden Zweige der Vena pulmonalis im rechten Lungenteil. Die Lungen vene teilt auf die geschilderte Weise einen Streifen der rechten Lunge ab, der die Fortsetzung des durch die Auflagerimg der Renopericardialgruppe gebildeten rechten Divertikels nach vorne zu bildet, so daß am ganzen Enddarm entlang ein schmaler rechter Lungenteil entsteht, dessen Breite nur etwa 1/2 bis 1/3 der übrigen Lunge beträgt, und dessen Gefäßverlauf ein vollkommen anderes Bild als der im linken Teil darbietet. Die ungefähr gleich starken Gefäße verlaufen hier im großen und ganzen einander parallel und senkrecht Zeitsclirift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 17 250 Georg Schmidt, zur Vena pulmonalis. Dies gilt sowohl für den vorderen Teil als auch für den hinteren, wo zwischen Vena pulmonalis bzw. Pericard und d e f Flg. -Ma—f. Voiscliiedüiic Verzweigungsformen der abfülirciideii J>un!j;engcfaße (Eiklärmig im Text S. 51). Lungendivertikel die Niere eingeschoben ist. Daraus geht aber schon hervor, daß die abführenden Gefäße im hinteren Teil des Streifens Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (HeHx pomatia). 251 keine direkten Äste der Vena pulmonalis sein können, sondern ihr Blut erst durch Vermittelung der Niere in diese abgeben. Die Ver- zweigung im rechten Lungenteil ist, abgesehen von den klemen Neben- ästchen, welche die Verbindung mit den zuführenden Gefäßen vermit- teln, eine ziemlich spärliche. Nicht selten ist nur eine einfache Röhre vorhanden, die vom sekundären Ureter nach der Vena pulmonalis bzw. der Niere hin läuft. Meistens tritt eine einmalige Gabelung ein und nur ausnahmsweise, wie z. B. in Fig. 30 /, tauchen etwas größere Ge- fäßstämme auf, die dann auch mehrere Nebenäste besitzen und in ihrem Verlauf zur Vena pulmonalis geneigt sind. c) Die abführenden Zweige der Vena pulmonalis im linken Lungenteil. Links von der Vena pulmonalis ist der Gefäßverlauf kein so regel- mäßiger wie der eben beschriebene. Im vorderen Lungenteil bilden ihre Zweige mit ihr einen spitzen Winkel, der jedoch nach hinten zu stetig zunimmt, so daß er in der Nähe der Nierenspitze bereits ein rechter und am Pericard schließlich ein stumpfer ist. Der letzte ihrer Zweige verläuft hier in dem Winkel zwischen Pericard und Lungendach und mündet in die Lungenvene unmittelbar vor ihrer Verwachsung mit dem Pericard (s. Fig. 30). Die Anordnung der Hauptstämme im vorderen linken Lungenteil ist eine äußerst mannigfaltige. Ich will versuchen, an der Hand der schematischen Figuren 30 a-f die Haupttypen der vorkommenden Verzweigungen zu erläutern. Beginnen wir von der Fig. 30 a als der grundlegenden, wenn auch nicht gerade am häufigsten auftretenden Verzweigungsform, so haben wir hier zunächst von der Vena pulmonalis ausgehend, etwa in der Mitte zwischen Nierenspitze und Atemloch, einen Ast a. Von diesem zweigt ein zweiter Ast h ab, der seinerseits wieder einen dritten Ast c aussendet. Denken wir uns jetzt den dritten Zweig c so in seiner Lage verändert, daß er nicht mehr von h, sondern von a ausgeht, so haben wir die in Fig. 30 h dargestellte Form vor uns. Rückt c noch weiter hinauf, und wird er zu einem direkten Ast der Vena pulmonalis, so entsteht eine dritte Variation, wie sie Fig. 30 c zeigt. Gehen wir jetzt wieder von der ersten Form a aus und lassen h nicht mehr von a, sondern direkt von der Vena pulmonalis abzweigen, so wird das Bild die Form von Fig. 30 d annehmen. Schließlich ist der Fall noch denkbar, daß alle drei genannten Zweige direkte Äste der Vena pulmonalis sind. Auch dieser Fall tritt gelegentlich ein imd ist in Fig. 30 / dargestellt. 17* 252 Georg Schmidt, Außer diesen Hauptverzweigungsmodi treten jedoch auch noch Zwischenformen und Abweichungen auf. So ist z. B. Fig. 30 e ein Über- gang von der Form c zu der Form /, denn hier befinden sich die Gefäße a und h gerade im Stadium der Trennung. Fig. 30 / zeigt insofern eine Abweichung, als außer den drei genannten Gefäßen noch ein vierter star- ker Ast in der Nähe der Nierenspitze von der Vena puhnonahs abzweigt. Diese Darstellung der Verzweigung bezieht sich selbstverständlich nur auf die stärksten Äste der abführenden Gefäße, welche sich, je nachdem es der vorhandene Raum gestattet, an ihrem peripheren Ende noch weiter verzweigen können und stets durch kleine Seitenästchen mit den benachbarten zuführenden Gefäßen in Verbindung treten. Abgesehen von diesen ziemlich regelmäßigen, meist im rechten Winkel abzweigenden Seitenästchen ist die Verästelung eine ebenso spärliche wie die im rechten Lungenteil beschriebene und beschränkt sich auch hier meist auf eine einfache Gabelung. Bei allen Gefäßen oder Gefäß- zweigen, die bis an den Mantelrand bzw. den Ureter reichen, ist am peripheren Ende eine Spaltung in zwei dünne Endästchen zu beobach- ten, was als wesentliches Unterscheidungsmoment gegenüber den zu- führenden Gefäßen anzusehen ist. Die Art der Verzweigung ist nach dem Gesagten, wenn man auch die kleineren Gefäße berücksichtigt, als eine Kombination von dendritischem und bilateralem Typus zu be- zeichnen. 3. Die zuführenden Gefäße. Wie wir gesehen haben, bilden also die abführenden Gefäße, mit Ausnahme der des rechten Lungenventrikels, ein einheitliches System. Nicht so die zuführenden. Diese bewahren alle eine gewisse Selbstän- digkeit, indem jedes einzelne mit der Blutquelle, dem Circulus venosus, in Verbindung steht und sich mit einer bis ins kleinste durchgeführten Regelmäßigkeit zwischen je zwei abführenden Gefäßen einschiebt. Eine direkte Verbindung mit dem Circulus venosus ist jedoch nicht überall nachweisbar, sondern nur im Mantel und im linken Lungenteil. Verfolgt man dagegen die zuführenden Gefäße im rechten Lungen- streifen, was am zuverlässigsten auf Schnittserien geschieht, so stellt sich heraus, daß in den Falten des sekundären Ureters ihre ersten Wur- zeln zu suchen sind (s. Fig. 31). Dieses Ergebnis bestätigt sich auch noch dadurch, daß in der Wandung der aufgeschlitzten rechten Randvene auch bei stärkerer Vergrößerung keinerlei Öffnungen als Abzweigungen von Seitenästen zu bemerken sind. Das Blut muß also, um von der Randvene in die Lunge zu gelangen, zunächst die poröse Wandung Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix poinatia). 253 der Vene durchdringen, um sich dann in dem unter dem Darm und Ureter befindlichen lacunären Gewebe zu verbreiten und so auch in die Falten des Ureters einzudringen, die sich an ihrem peripheren Rande zu gefäßartigen Hohlräumen, den Wurzeln der zuführenden Lungen- gefäße, erweitern. Diese Falten bilden aber meist keine direkten Fort- sätze der Lungengefäße, sondern treten erst untereinander mehrfach in Verbindung, bevor die zuführenden Gefäße aus ihnen entstehen. Ein Teil des Blutes kommt jedoch auch von der Oberfläche des Darmes und des Ureters her in die Lunge; man erhält daher auf dem Rectum Fig. 31. Längsschnitt durch einen Teil des sekundären Ureters. / Ureterfalten, bl Blutgefäße, l lacu- näres Gewebe. Vergr. etwa 50. und dem Ureter gefäßartige Verästelungen, wenn man von der Rand- vene aus injiziert. Die Verzweigung der zuführenden Gefäße ist äußerst einfach. Sie besteht meist nur aus jenen zahlreichen kleinen, ziemlich senkrecht von dem Hauptgefäß ausgehenden Ästchen, die die Verbindung mit den abführenden Gefäßen vermitteln. 4. Übergang zwischen zu- und abführenden Gefäßen. Die Verbindung zwischen Vasa afferentia und efferentia ist höchst selten eine direkte. x'Vlles Blut muß, bevor es von einem zuführenden in ein abführendes Gefäß gelangt, ein System durchfließen, das über- haupt keine deutlich abgegrenzten Gefäße mehr enthält, sondern nur noch aus größeren und kleineren Intercellularräumen besteht. Injiziert man eine Lunge etwa vom Circulus venosus aus, so werden zunächst die großen Stränge der Vasa afferentia von der Injektionsmasse erfüllt. 254 Georg Schmidt, Bald verbreitet sich diese jedoch auch in dem umgebenden Gewebe, so daß man auf injizierten Schnittpräparaten in dem ganzen Raum zwischen den beiden Epithehen des Lungen daches Spuren der Injektionsmasse findet. Daß diese Tatsache nicht etwa auf Gefäßrupturen zurückzu- führen ist, zeigen Schnitte von nicht injizierten Objekten, wo man an Stelle der Injektionsmasse Blutkörperchen vorfindet. Ferner sieht man bald auf der Oberfläche der stärkeren Gefäße kleine Zweige auf- treten, die man jedoch auch schon bei nicht injizierten, besonders bei in Formol gehärteten Objekten mit schwacher Vergrößerung erkennen kann (s. Fig. 26). Treviranus sah diese Ästchen ebenfalls bei Limax, doch werden sie von keinem der neueren Autoren mehr erwähnt. Trotzdem scheinen sie mir aber von großer Wichtigkeit zu sein. Ihr Zweck kann deutlicher erkannt werden, wenn wir auch die Histologie bis zu einem gewissen Grade mit in den Kreis unsrer Betrachtung hineinziehen. Auf Schnitten durch einen beliebigen Lungenteil zeigt sich, daß das das Lungendach überziehende Epithel besonders da seine typische Abplattung erfahren hat, wo es zur direkten Begrenzung von Bluträumen dient, daß seine Zellen dagegen oft ihre mehr kubische Gestalt sofort wieder annehmen, wenn der Raum unter ihm durch dichteres Gewebe eingenommen ist. Zum Vergleich können etwa die Figuren 28 und 29 dienen, doch findet man an anderen Stellen derartig verschieden dicke Epithelien auch un- mittelbar nebeneinander (s. Fig. 32). Wir müssen annehmen, daß nur das stark abgeplattete Epithel zur Respiration geeignet ist und daß das Blut auch nur dann seine Oxydation vollziehen kann, wenn es mit ihm, oder wenigstens seiner nächsten Umgebung in Berührung gekommen ist, und letzteres unter allen Umständen zu erreichen, scheint das Bestreben der ganzen Lungen- einrichtung zu sein. Das venöse Blut würde kaum in arterielles über- geführt werden können, wenn es nur durch den Centralkanal eines Ge- fäßes flösse, da die Wandung eine außerordenthch dicke ist (s. Fig. 29 und 32). Es muß daher eine Einrichtung vorhanden sein, die dem Blute gestattet, die Wandung teilweise zu durchdringen und bis dicht an das Atemepithel vorzudringen. Wenn wir Querschnitte durch große Lungengefäße betrachten, so finden wir kleine radial verlaufende Kanäl- chen (s. Fig. 32), die vom inneren Lumen des Gefäßes ausgehen und das Blut entweder in die Wandung (bei zuführenden Gefäßen) oder aus dieser heraus (bei abführenden Gefäßen) in das Lumen leiten. Cuenot bemerkte diese Kanälchen auch, er schreibt ihnen jedoch eine andre Funktion zu. Sie sollen nämlich die in dem Gewebe des Lungendaches Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 255 gebildeten neuen Blutkörperchen dem Blute zuführen. Diese Erklä- rung erscheint mir jedoch etwas gesucht, denn es wäre sehr merkwürdig, wenn, obgleich die ganze Gefäßwandung von Bluträumen durchsetzt ist, besondere Ableitungen für die neuen Blutzellen vorhanden wären. Das so in die Lückenräume der Gefäßwand gelangte Blut dringt nun bis dicht an die Epithelbegrenzung vor (s. Fig. 32) und sammelt sich schließlich an der Oberfläche der Gefäße in den oben beschriebenen kleinen Astchen, die nach außen zu nur von einer ganz dünnen Wandung mit dem stark abgeplatteten Epithel begrenzt sind und die Wurzeln der abführenden Gefäße bilden. Es kann somit auf die- sem Wege kein Blut von zuführenden in abführende Gefäße gelangen, das nicht ganz nahe mit dem Atem- epithel in Berührung gekom- men ist. In ähnlicher Weise wiederholt sich dann derselbe Vorgang in den Nebenästen, auf deren Wandung jedoch jene Gefäßfortsätze nicht mehr so deutlich erkannt werden können, bis sich end- lich die Gefäßzweige dritter Ordnung, die oft nur noch als kurze zahnartige Fort- sätze zu erkennen sind, selbst so stark verengern, daß sie eine sehr feine Verteilung des Blutes und eine genügende An- näherung desselben an das Atemepithel bewirken. Die zuführenden Gefäße erstrecken sich bis dicht an die Wandung der abführenden, wobei sie eine allmähliche Verschmälerung erfahren. Doch ist hier niemals oder wenigstens höchst selten eine direkte Ein- mündung vorhanden, wie die älteren Autoren glaubten, sondern diese vollzieht sich vielmehr wieder auf dem Wege der kleinen Wandungs- gefäße mit dem stark abgeplatteten Epithel. Auf diese Weise wird erreicht, daß auch das letzte noch in den zuführenden Gefäßen zurück- gebHebene venöse Blut den Oxydationsprozeß vollführen kann, um dann erst mittels der Radialkanälchen vom Lumen der abführenden Stämme aufgenommen zu werden. Ähnliche Endzweige wie auf der Wandung der großen Lungengefäße Querschnitt durch die Wandung eines Lungengefäßes. r Radiärkanälchen, C Centralkanal. Vergr. etwa 450. 256 Georg Schmidt, befinden sich auch auf der des primären und sekundären Ureters (s. Fig. 33). GiROD hält diese ebenfalls für Ausläufer der Lungengefäße. Ich bin ganz derselben Ansicht, nur glaube ich auf Grund des stark abgeplatteten Epithels auf der Oberfläche des Ureters noch hinzufügen :>>;^^'*;^,:si-j. J'ig. XL Niere und rechter Lungendivertikel. (Die Hauptblutbalinen sind scliwarz eingezeichnet.) r Kec- , tum, SU selvundärer Ureter, pu primärer Ureter, vp Vena pulmonalis. Vergr. 4. ZU dürfen, daß ihnen auch dieselbe Funktion wie denen in der Lunge zuzuschreiben ist. Vielleicht ist es nicht zu viel gesagt, wenn ich auch dem Pericard noch eine Beteiligung an der Respiration zuspreche, dessen großer Blutreichtmn schon Nalepa und anderen Autoren auffiel. Entschie- den dafür spricht jedenfalls seine Versorgung mit venösem Blut von dem Lebersinus her. Anhang: Der Niereukreislauf. In den Darstellungen des Nierenkreislaufs finden sich noch bis in die neueste Zeit krasse Widersprüche, die hauptsächlich die Frage be- Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 257 treffen, ob hier eine Mischung von arteriellem und venösem Blut zu- stande kommt. Meisenheimer schreibt hierüber: »Besonders zu beachten ist, daß, wie aus der gegebenen Darstellung des Nierenkreis- laufs hervorgeht, der Excretionsprozeß sich nur an arteriell gewordenem Blut abspielt.« Diese Ansicht wird unterstützt durch Nalepa und GiROD. Dagegen gibt Strohl, dessen Beschreibung sich auf Unter- suchungen Deschamps gründet, eine venöse Versorgung von dem Leber- sinus her an. Nach meinen Erfahrungen kann ich nicht mehr daran t Fig. 34. Tangentialschnitt durch die faltige Wandung des primären Ureters, bl Blutgefäße. Vergr. etwa 500. zweifeln, daß beide Blutarten in die Niere gelangen und sich hier mit- einander vermischen. Die zur Ernährung dienenden arteriellen Gefäße auf der Ober- fläche der Niere bleiben hier unberücksichtigt, sie sind bereits oben (s. S. 212 ff.) ausführlich beschrieben. Es handelt sich also hier ledig- lich einmal um den weiteren Verlauf der arterielles Blut enthaltenden abführenden Gefäße des rechten Lungendivertikels, das andre Mal um die Zufuhr von venösem Blut vom Lebersinus her. Die Verfolgung der abführenden Lungen- bzw. zuführenden Nieren- gefäße geschieht am zweckmäßigsten auf Schnitten senkrecht zu den 253 Georg Schmidt, eintretenden Gefäßen, denn eine Beobactitung von außen her (s. Fig. 34) ist nur ganz selten möglich, da sie in der Regel nicht an der Oberfläche verlaufen, sondern sich sehr bald im Inneren der Niere verlieren. Wird auf solchen Schnitten die Wandung des primären Ureters tangential getroffen, so finden wir diese von größeren und kleineren Blutgefäßen (Fig. 35 bl) durchsetzt, die jedoch nicht mehr ringsum abgegrenzt sind, sondern mit den Falten des Ureters in freie Kommunikation treten. Ein großer Teil des Blutes verteilt sich so also in der Ureterwandung, die ein vollkommen lacunäres System darstellt. Der Hauptstamm der Fig. 35. Blutgefäße {bl) der Niere. (Der Schnitt ist parallel zur Ebene des Lungendachs ausgeführt.) Vergr. etwa 450. Gefäße tritt jedoch in die Niere ein. Das Innere der Niere besteht bekanntlich aus einem komplizierten Faltensystem, dessen einzelne Ele- mente zum größten Teil dorsal aufgehängt, aber in verschiedenen Richtungen angeordnet sind und vielfache Anastomosen eingehen. An den Stellen, wo zwei oder mehrere Falten aufeinandertreffen, ent- stehen Zwischenräume, die im Querschnitt eine dreieckige oder stern- förmige Gestalt besitzen (s. Fig. 35) und als Blutbahnen dienen. Die direkten Fortsetzungen der Lungengefäße jedoch sind im Querschnitt rundlich und unterscheiden sich kaum von der in Fig. 37 gegebenen Dar- stellung für den Ureter, nur muß immer dabei berücksichtigt werden, daß auch sie nicht ringsum abgeschlossen sind, sondern mit den an- grenzenden Faltenräumen kommunizieren (s. auch Fig. 21). Blutgefäßsystem und Mantelhöhle der Weinbergschnecke (Helix pomatia). 259 Die Art und Weise der venösen Blutziifuhr zeigt ebenfalls Fig. 21. Wir sehen hier, daß am Kande des Nierendeckels (nd) eine freie Ver- bindung zwischen Leberblutraum und Nierengefäßen besteht, die, wie sich bei weiterer Verfolgung der Schnitte zeigt, rings um den ganzen Trichterrand der Niere zu finden ist. Von den größeren Nierengefäßen aus tritt nun das Blut immittelbar in die Falten über, in denen die Harnabsonderung stattfindet. Die Ableitung des gereinigten Nierenblutes geschieht durch Ge- fäße, die sich ebenfalls in den Falten be- finden und zwar an dem in das Lumen der Niere hineinhängenden freien Eand. An diesem bemerkt man auf Schnittpräparaten (s. Fig. 36), daß die beiden Faltenlamellen Fig. 3(5. Fig. 37. Fig. 38. Fig. 36. Querschnitt durch eine Nierenfalte. Vergr. etwa 450. — Fig. 37. Die dorsale Seite der Niere mit den oberflächlichen zuführenden Nierengefäßen {Va). V dorsale Nierenvene, Ls Blut- raura zwischen Leber und Niere. — Fig. 38. Die ventrale Seite der Niere. Vr ventrale Nieren- vene, Ls wie Fig. 37. an ihrem peripheren Ende auseinander weichen und so ein Lumen bil- den, in dem sich das Blut der Falte sammelt und, nachdem sich mehrere dieser Leitungsbahnen vereinigt haben, in die Vena pulmonalis geleitet wird. Ein Teil dieser abführenden Nierengefäße mündet direkt in die Lungenvene, so daß man schon bei schwacher Vergrößerung ihre Mün- dung in der Wand zwischen Niere und Lungenvene wahrnehmen kann, wenn man den der Niere anliegenden Teil der Vena pulmonalis auf- 260 Georg Schmidt, schlitzt (s. Fig. 1 o). Zur Aufnahme der übrigen existieren zwei beson- dere Kenalvenen, eine dorsale (Fig. 37 V) und eine ventrale (Fig. 38 Vt), die in den Grenzen zwischen Pericard und Niere verlaufen, kurz vor dem Übergang der Lungenvene zum Vorhof in erstere münden und gemischtes, aber gereinigtes Blut enthalten. Von der ventralen aus- gehend ist noch ein undeutlich konturierter Nebenast zu sehen, der die Ableitung der ventralen Seite der Niere übernimmt. Zum Schluß sei es mir gestattet, Herrn Geh. Reg.-Kat Prof. Dr. E. KoRSCHELT für die Anregung zu dieser Arbeit und das stete gütige Interesse, das er mir bei ihrer Ausführung entgegenbrachte, an dieser Stelle meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. Ebenso bin ich den Herren Dr. Harms und Dr. Blunck für ihren jederzeit gern erteilten Rat zu herzlichem Danke verpflichtet. Marburg, Juni 1914. Der Verfasser der vorstehenden Arbeit trat zu Beginn des Krieges beim Marburger Jägerbataillon als KriegsfreiwilHger ein und zog mit diesem voller Begeisterung ins Feld. Seine Studien hatte er vorher zu einem gewissen Abschluß gebracht, indem er am 8. Juni 1914 die Doktorprüfung mit Auszeichnung bestand. Am 30. Januar 1891 zu Wehrshausen geboren, besuchte er bis Ostern 1910 die Marburger Oberrealschule, um dann in Marburg und München Naturwissenschaf- ten zu studieren. Am 20. Oktober 1914 fiel er zusammen mit seinem Freunde, dem Doktoranden der Zoologie, Wilhelm Helümann bei den schweren Kämpfen in Flandern. So wurde sein Wunsch, sich weiter den Wissenschaften zu widmen, zunichte gemacht. Die ihn kannten, werden ihm und seinem reinen wissenschaftlichen Streben stets ein treues Andenken bewahren. Korschelt. Literaturverzeichnis. Bergh, K. iS. 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Die Geschlechtsverhältnisse bei Anodonta (Einleitung) 272 A. Die Geschlechterverteilung im Genus Anodonta 275 B. Versuch einer theoretischen Verknüpfung der gefundenen Daten 289 C. Folgerungen in bezug auf die Systematik 296 II. Die Morphologie des Geschlechtsapparates bei Anodonta 304 A. Topographie der Geschlechtsorgane 305 B. Anatomie der Geschlechtsorgane 309 a) Die Acini 309 b) Der Ausflilirungsgang nebst Gonopericardialgang 310 c) Die Geschlechtsöffnung 317 Anhang: Die Histologie des Geschlechtsapparates bei Anodonta 319 Zusammenfassung und Bezugnahme auf die Funktion des Geschlechtsappa- rates 328 Verzeichnis der benutzten Literatur 331 Die vorliegende Untersuchung entstand im Zusammenhang mit einer Keihe anderer Arbeiten über die Teichmuschel. Ihre ursprüng- liche Aufgabe war, eine Darstellung der Morphologie und Histologie des Geschlechtsapparats, sowie der Bildung der Geschlechtsprodukte zu geben. Bei der Ausführung dieser Untersuchungen ergab sich jedoch manches Neue hinsichtlich der Geschlechtsverhältnisse im allgemeinen, so daß mit deren Feststellung der größte Teil der auf die Arbeit zu ver- Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 263 wendenden Zeit zugebracht wurde und dem histologischen Aufbau des Genitalapparates nur geringere Aufmerksamkeit zugewendet werden konnte. Dagegen lag es in der Natur der Sache, daß die Beobachtungen sich auch auf das Gebiet der Systematik erstrecken mußten. Anmerkung. Da die Fertigstellung des Abschnittes über die Histologie des Geschlechtsapparates sich verzögerte, wird er zu einem späteren Zeitpunkte getrennt erscheinen. Material und Methoden. Das Material, an dem die nachfolgenden Untersuchungen vorgenommen wurden, stammt zum größten Teil aus der Umgebung von Marburg. Es wurde entnommen einmal aus der Lahn selbst, zweitens aus zwei von ihr herstammenden Altwassern: der »alten Lahn« bei Ruttershausen und dem »Schützenpfuhl« bei Marburg, und drittens aus zwei Altwassern der Ohm bei Anzefahr und Cölbe. Eine größere Anzahl von Tieren aus dem Maimheimer Floßhafen wurde ebenfalls zur Untersuchung mit herangezogen. Zur makroskopischen Untersuchung wurden die Muscheln zunächst in eine l^/g bis 2%ige Lösung von Hydroxylamin-Hydro- chlorid gebracht, nachdem die Schalen durch zwischengeschobene Korkstückchen auseinandergezwängt waren. Nach etwa 3 — 4 Stunden trat dann eine vollkom- mene Erschlaffung der Tiere ein, der größte Teil der Geschlechtsprodukte war entleert und der Fuß vollkommen ausgestreckt. Die so vorbereiteten Objekte wurden weiterhin behandelt mit einer 5 — 7%igen Formaldehydlösung und zwar mindestens 2 Tage. Dann waren sie geeignet zur Präparation und zur Herstellung von Rasiermesserschnitten. Die Präparation ist am ganz frischen Tier wegen der außerordenthch leichten Zerreißbarkeit der Acini fast unmöglich. Diese Zerreiß- barkeit ist auch der Grund, weshalb die Ausführung von Injektionen in den Geni- talapparat sehr schwierig ist. Zudem macht die oft erhebliche Menge der darin enthaltenen Geschlechtsprodukte das Eindringen der Injektionsmasse fast ganz unmöglich. ■ — Die Vornahme von Injektionen erwies sich schließlich als unnötig, da die durch das Formol gehärteten Geschlechtsprodukte in den Acini die In- jektionsmasse sehr wohl ersetzen konnten. Es zeigte sich im Laufe der Arbeit, daß die Untersuchung des Geschlechtsapparates an den so präparierten aus- gewachsenen Tieren nicht genügte, um Aufklärung zu finden über feinere morpho- logische Einzelheiten, besonders über die Lage des Ausführganges. Es wurden deshalb junge Tiere herangezogen und Schnittserien studiert, und zwar sowohl Querschnitte, wie auch Sagittalschnitte. Als besonders brauchbar erwiesen sich dabei die aus ihnen hergestellten Rekonstruktionsbilder: Aus einer geeigneten Schnittserie wurde von jedem zweiten Schnitt (die Schnitte hatten eine Dicke von 10 fx) ein Bild hergestellt. Durch Aufeinanderlegen und Durchpausen, wobei bei den Querschnitten der quergetroffene Enddarm und bei den Sagittalschnitten die untere Wand des BojANUSSchen Organs als Orientierungspunkte dienten, komite dann eine einigermaßen genaue Rekonstruktion des genannten Ganges angefertigt werden. — Die etwas mühsame Arbeit der Herstellung der vielen Einzelbilder läßt sich erleichtern durch Anwendung eines Projektionszeichenappa- rates. Wo ein solcher nicht vorhanden ist, läßt er sich mit relativ einfachen Mitteln 264 Heinrich Weisensee, leicht improvisieren. Ich möchte die von mir benutzte Anordnung hier kurz an- geben, da sie manchem in ähnhcher Lage recht gute Dienste leisten kann. Als Lichtquelle wurde benutzt eine LEiTZsche 4 Amp.-Handregulierungs-Bogenlampe. Die daraus austretenden Strahlen sind durch eine am Lichtschutz angebrachte Convexlinse parallel gemacht. Zur Kühlung dient ein genügend großes Wasser- gefäß, das von planparallelen Platten begrenzt ist. Es ist nun eine zweifache Anordnung der Apparatur möglich. L Die so gekühlten parallelen Strahlen werden durch eine Convexlinse convergent gemacht und in den Condcnsor des umgelegten Mikroskopes geworfen. Das vom Ocular erzeugte Bild des Objektes wird nun durch einen unter 45 ° gegen die Horizontale geneigten Planspiegel nach oben geworfen. Über dem Spiegel ist ein Tisch aufzustellen, in dessen Platte eine gewöhnhche Spiegelglasscheibe eingelassen ist. Legt man nun auf diese Scheibe ein Stück weißes, nicht allzu dickes Papier, so kann auf diesem Papier durch ge- eignete Einstellung des Mikroskopes das Bild des Objektes erzeugt werden, das sich nun mit leichter Mühe zeichnerisch festhalten läßt. Die Größe des Bildes ist leicht zu variieren durch Veränderung der Entfernung zwischen Mikroskop und Planspiegel. 2. Kann aus irgendwelchen Gründen das Mikroskop nicht umgelegt werden, so empfiehlt sich folgende Anordnung. Die oben erwähnten parallelen, gekühlten Strahlen werden in den Concavspiegel des Mikroskopes geworfen und bewirken so eine Beleuchtung des Objektes. In diesem Fall wird auf der Scheibe im Tisch ohne weiteres aus dem Ocular das mikroskopische Bild erzeugt. Hier läßt sich eine verschiedene Größe erzielen dadurch, daß man die Entfernung zwi- schen der Glasplatte und dem Ocular verändert. — In beiden Fällen ist es vorteil- haft, die beschriebene Apparatur auf dem Fußboden aufzustellen. Man erhält dann bei Anwendung der geeigneten Linsensysteme das Bild etwa in Tischhöhe. Bemerken möchte ich hier nur noch, daß es sich empfiehlt, bei Anwendung schwach vergrößernder Objektive den Condensor des Beleuchtungsapparates zu entfernen, da dann eine gleichmäßigere Beleuchtung des Gesichtsfeldes — besonders auch bei Anwendung des Planspiegels an Stelle des Concavspiegels am Mikroskop — er- zielt wird. Als Fixierungsflüssigkeiten für das Schnittmaterial dienten ZENKERsche Lösung und Subhmateisessig (angewandt bei größeren Stücken), FLEMMiNGsche Lösung und MAXiMOWSches Gemisch. Für die feineren histologischen Untersuchun- gen lieferte die FLEMMiNGsche Lösung die besten Resultate, während sich das MAXiMOWsche Gemisch ganz besonders eignete zur Konservierung des Fhmmer- epithels. — Gefärbt wurden die Präparate mit HEiDENHAiNschem Hämatoxylin, DELAFiELDschem Hämatoxylin und Eosin, MALORYschem Gemisch (zu Über- sichtsbildern) und mit Safranin. Es war von außerordentUcher Wichtigkeit, stets nur sehr frisches Material zur Fixierung zu verwenden. Ich war daher genötigt, die Konservierung draußen im Freien vorzunehmen, sofort nachdem die Tiere aus dem Wasser geholt worden waren. Die Untersuchung des Geschlechts der Tiere wurde am lebenden Material vorgenommen. Historischer Überblick. Die Untersuchung des Geschlechtsapparates der Najaden Unio und Anodonta hat schon recht lange die forschenden Zoologen interessiert. Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 265 Wenn auch, insbesondere in den letzten Jahrzehnten, hauptsächHches Gewicht auf die Beobachtung der Schale zum Zwecke systematischer Betrachtungen gelegt wurde, so mußten doch stets auch Hinweise auf die Geschlechtsorgane und die Geschlechtsverhältnisse in diesen Ar- beiten ihren Platz finden wegen der vielfach konstatierten Korrelation zwischen Schale und Geschlechtsapparat. — Der erste, der sich genauer mit dem Genitalapparat und dem Geschlechtsleben der Anodonten be- faßte, war Leeuwenhoek (48). Im 95. Brief seiner »Arcana naturae<< vom Jahre 1695 spricht er die Ansicht aus, daß die Anodonten getrennt- geschlechtlich seien. Er ist der erste, der die Spermatozoen dieser Tiere gesehen hat, und er suchte den Genitalapparat ganz an der richtigen Stelle. Auch war ihm die Entwicklung der Embryonen in den äußeren Kiemen bekannt. Die Beobachtungen von Lister (50) im Jahre 1696 bringen nichts Neues. Dagegen sind Mery (55) [1701] und Poupart (67) [1706] der An- sicht, der Genitalapparat von Anodonta sei hermaphrodit angelegt. — 1752 bringt dann Swammerdamm (83) in seiner »Bibel der Natur« Abbildungen von Anodonta, zeigt aber keine bedeutenderen Kenntnisse von deren Geschlechtsapparat, und auch die »Geschichte der Fluß- conchylien« von J. S. Schröter [1779] (77) bedeutet keinen großen Fortschritt für die Erforschung der Anatomie der Najaden. Es ist merkwürdig, daß Leeuwenhoeks schöne Entdeckungen allmählich vollkommen vergessen wurden und erst bedeutend später wieder zu Ehren kamen. Koelreuter (42) [1788], dem der Aufenthalt der Eier in den äußeren Kiemen bekannt ist, hält diese für das Ovarium. Poli (66) [1791 — 95], dessen Arbeit mir leider nur im Referat zugänglich war, schließt sich der Ansicht Merys und Pouparts von dem Hermaphro- ditismus von Anodonta an. — 1797 erscheint die Arbeit von Rathke (72), welche die in den äußeren Kiemen vorkommenden Embryonen für Parasiten erklärte und ihnen den Namen » Glochidium « gab, der bis heute beibehalten wurde. Mangili (51) [1804] hält, wie Koelreuter, die äußere Kieme für ein Ovarium. Bis zu dieser Zeit hatte man sich noch nicht eingehender befaßt mit der Untersuchung des Baues des Geschlechtsapparates. Damit machte Oken (60) den Anfang. In den »Göttinger Gelehrten Anzeigen« vom 15. September 1806 lesen wir den Bericht über einen Vortrag Okens, der sich mit den »Eyergängen der Muscheln« befaßt. Oken hat, wie sich daraus zeigt, vollkommen richtig die Geschlechtsöffnungen gefunden, ja sogar beobachtet, wie die Geschlechtsprodukte aus diesen Öffnungen herausquellen und sich nach dem hinteren Schließmuskel Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 18 266 Heinrich Weisensee, hin bewegen. Allerdings vermag er noch keine Auskunft zu geben über den genaueren Bau der Keimdrüse und deren Ausleitungssystem. BojANUS (10) beschreibt dann 1819 in seiner Arbeit über die >>Athem- und Kreislauf Werkzeuge der zweischaaligen Muscheln« wieder ganz richtig die Lage der Geschlechtsöffnungen in Beziehung zu den Ure- tern, die er als Öffnungen der »BojANUSschen Lunge« ansieht. Die Kiemen erscheinen ihm als bloße Anhängsel des Genitalapparats. In den Jahren 1820 bis 1840 beschäftigen sich eine ganze Reihe von Forschern mit Bau und Funktion des Geschlechtsapparates der Najaden, und wir stoßen auf oft recht widersprechende Befunde. Tee- viEANUS (84) untersucht 1824 » die Zeugungstheile und die Fortpflan- zung der Mollusken«. Er sagt von den Muscheln, speziell von Äno- donta: >>Es giebt bei diesen Thieren und den Muschelthieren überhaupt nur ein Zeugungsorgan, den Eierstock«. Diesen beschreibt er als ein System von »häutigen Schläuchen«, »die im Sommer einen Aveißen Saft, im Herbste Eier enthalten. Die Schläuche öffnen sich in Gänge, welche gemeinschaftlich mit den Ausführungsgängen der Galle durch die Leber zum Magen und vielleicht auch zum Mastdarm gehen.« Er glaubt, die Eier gelangten aus der Gonade in den »Mastdarm« und von dort durch den After in die Kiemen. Die von Bojanus beschriebenen Geschlechtsöffnungen hat er nicht gefunden. Er meint, selbst wenn an der bezeichneten Stelle Öffnungen vorhanden wären, so sei damit doch noch nicht deren Zusammenhang mit dem Eierstock erwiesen. Offenbar ist ihm die Untersuchung von Oken nicht bekannt. Es konnte nicht ausbleiben, daß dieser Beobachtungsfehler von Trevikanus, dieses Nichtauf finden der Geschlechtsöffnungen, zu Angriffen auf seine Arbeit führte. Ein solcher Angriff wird denn auch 1826 laut in Gestalt eines anonymen Artikels in der »Isis«, als dessen Verfasser wohl sicher Bojanus (1) anzusehen ist. Er erinnert in recht scharfer Form daran, daß die Geschlechtsöffnungen nach ihrer Entdeckmig durch Oken wieder gesehen worden waren durch Bojanus, K. E. von Baer, Blain- viLLE, Prevost und Pfeiffer und fügt hinzu, daß er sich auf- hundert- fältige Beobachtungen und Versuche stützen könne, er habe durch Zusammenpressen des Fußes das Hervorquellen der Geschlechtsprodukte aus der Öffnung bewirkt und den Bau des Geschlechtsapparates durch Einblasen von Luft und Injektionen mit Quecksilber demonstriert. Erst 1829 erscheint eine Erwiderung von Treviranus (85) auf diesen Angriff: Er gibt zu, jetzt auch die Geschlechtsöffnungen gefimden zu haben, aber an einer anderen Stelle als der von Bojanus angegebenen, nämlich im geschlossenen Teil des inneren Kiemenganges und nicht Die Gesclilechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 267 im offenen. Wahrscheinlich untersuchte Treviranus eine andere Species als Bojanus, und auf diese Weise erklärt sich die Verschieden- heit der Beobachtungen. Prevost veröffentlichte schon 1825 eine Keihe von Arbeiten (68, 69, 70) über die Geschlechtsorgane und die Fortpflanzung der Muscheln, besonders der Unionen. Er konstatierte deren Getrenn tgeschlechtlichkeit und machte den Versuch, die männlichen und weiblichen Individuen getrennt zu halten . Er erhielt dann von den Weibchen nur unbefruchtete Eier. Angeregt durch die Untersuchungen von Prevost veröffentlichte 1826 auch Blainville (7, 8) eine Arbeit mit dem Titel »Über den Zeugmigsapparat der Unio und Anodonta <<. Er gibt eine Beschreibung des Geschlechtsapparates, der bei beiden Gruppen vöUig gleich sein soll, glaubt aber nicht, daß es sich um ein paarig angelegtes Organ handelt, sondern ist der Meinung, es läge eine einzige Drüse mit zwei getrennten Ausführgängen vor. Es kann vielleicht hier bemerkt werden, daß noch verschiedentlich in späterer Zeit eine solche Ansicht geäußert wurde. Der stark verzweigte und komplizierte Bau des Organes erlaubte nicht eine endgültige Entscheidung dieser Frage an Hand der Unter- suchungen am ausgewachsenen Tier. Erst die späteren entwicklungs- geschichtlichen Arbeiten konnten die nötige Klarheit bringen. — Blainvilles Beschreibung des Ausleitungsapparates ist vollkommen den Tatsachen entsprechend ; er betont schon dessen starke Verschieden- heit bei den einzelnen Individuen. Die Eier gelangen nach außen durch die Kontraktion des Fußes mit Hilfe einer Flüssigkeit, über die er nichts Näheres aussagt, und zwar in den inneren Kiemengang, von da in den äußeren und in die äußere Kieme. Bei einigen Individuen fand Blainville die Gonade angefüllt mit einem weißlichen, milchigen Saft, in dem er unter dem Mikroskop selbst keine Spur von »Samen- thierchen« bemerken konnte. Es ist wohl anzunehmen, daß es sich hier doch um Samen handelte, daß Blainville aber die Spermatozoen größer annahm, als sie tatsächlich sind. — Er wagt nicht zu entscheiden, ob es sich hier wirklich um männliche Tiere handelt, oder ob es Weibchen vor der Befruchtung sind. Ein abschließendes Urteil über die Ge- schlechtsverhältnisse der Anodonten gibt er also nicht. 1826 taucht zum ersten Male der Name K. E. von Baers (2, 3, 4) auf unter der Literatur über die Anatomie der Muscheln. Er findet unter den Anodonten neben männlichen und weiblichen Individuen bisweilen solche, die außer völlig entwickelten Eiern auch noch in andern Gegenden der Gonade den »weißen Saft« der Männchen aufweisen. Auch er wagt nicht, ein abschließendes Urteil zu fällen über die Geschlechts- 18* 268 Heinrich Weisensee, Verhältnisse, sondern erwägt nur, daß eine Befruchtung der Eier durch die von außen her schwer erreichbaren Geschlechtsöffnungen nur mit »großen Schwierigkeiten und Unwahrscheinlichkeiten << anzunehmen sei. In dem oben erwähnten »weißen Saft« findet er in großer Menge die »Samenthiere«, deren Bewegung und Gestalt er unter dem Mikroskop studiert. Mit Bücksicht auf die Schwierigkeit, ja Unmöglichkeit der Befruchtung ist Baer der Ansicht, die mit Samen versehenen Muscheln seien »gar nicht zeugungsfähig, sondern abnorme, d. h. unfruchtbare Hermaphroditen.« — Home [1827] (31) geht in seiner Arbeit nur recht oberflächlich ein auf den Bau der Keimdrüse und bringt einige Daten über die Entwicklung der Eier. Die Befruchtung, glaubt er, gehe im Eierstock vor sich, er sagt aber nichts aus über das Vorkommen von Sperma, wenn er auch Selbstbefruchtung bei Anodonta wie bei der Auster annimmt. — Unger [1827] (86) ist sich vollkommen unklar über den Geschlechtszustand bei den Muscheln. Er hält ,den Ge- schlechtsapparat für sehr niedrig stehend und indifferent: je nach den Umständen als männlich oder weiblich wirkend. Dieser eigen- tümlichen Meinung scheinen ungenaue Untersuchungen über die Ge- schlechterverteilung zugrunde zu liegen, wie aus Abschnitt I dieser Arbeit noch erhellen wird. Bis zu diesem Zeitpunkt herrschte im allgemeinen volle Einigkeit über die Entwicklungsgeschichte der Najaden, denn die Ansicht Rath- KES, der die Glochidien als Parasiten ansah, hatte in der Folgezeit keine weitere Beachtung gefunden. Da griff 1828 Jacobson (35) von neuem diese Ansicht Rathkes auf imd suchte sie besser zu stützen. Aber noch in demselben Jahr veröffenthchte Blainville (9) eine Arbeit, in der er alle Beweise Jacobsons vollkommen widerlegte. Seine Stellung zur Frage der Geschlechtsverhältnisse der Anodonten ist die, daß er an- nimmt, die Tiere seien hermaphrodit und die Befruchtung der Eier gehe vor sich beim Durchtritt durch den Hoden. Er schließt sich im allgemeinen der Ansicht Polis (66) an. — Pfeiffer [1829] (65) geht in seiner »Naturgeschichte deutscher Land- und Süßwassermollusken« nicht ein auf den anatomischen Bau der Muscheln und konstatiert nur, daß sich alle Muscheln außer Cydas, die lebendig gebärend sei, durch Eier fortpflanzten. 1830 erscheint endhch die schon lange angekündigte Untersuchung K. E. v. Baers (4) »Über den Weg, den die Eier unserer Süßwasser- muscheln nehmen, um in die Kiemen zu gelangen usw.«. Diese präch- tige Arbeit, die bis heute noch ihre Geltung hat, brachte zum ersten Male eine wissenschaftlich genaue Beobachtung über die Entleerung des Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 269 Ovars und die Wanderung der Eier in die äußere Kieme. Ein großes Verdienst Baers ist auch, daß er mit dieser Arbeit die heute noch gebräuchhchen hauptsächhchsten Benennungen, wie »Kiemen gang«, »Kloake« usw. einführte. Erwähnt sei nur noch, daß er feststellte, daß es sich beim » BojANUSSchen Organ« nicht um eine Lunge, sondern um eine Niere handle. Er konstatierte auch die verschiedene Lage der Geschlechtsöffnung bei den verschiedenen 8pecies der Anodonten. — 1832 bringt Carus (13) in seinen »neuen Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte unserer Elußmuschel« eine recht gute Be- schreibung des weiblichen Geschlechtsapparates und der Eier. Er berichtet, bei Muscheln, deren Eier noch nicht vollkommen reif seien, stelle der Inhalt der Gonade imter dem Mikroskop sich als eine »feine gekörnte Flüssigkeit dar, unter welcher dann oft nur hier und da ein- zelne Körner etwas mehr aufgeschwollen gefunden werden«. Es ist nicht unmöglich, daß es sich hier um zwittrige Individuen handelte, die neben einer großen Menge von Spermatozoen und Spermabildungs- stadien vereinzelte, vielleicht noch unreife Eier, aufwiesen. Möglich wäre allerdings auch, daß ihm tatsächlich ein rein weibliches Tier zur Untersuchung vorlag, und daß diese » Körnchen « aus Dottermaterial bestanden. Verdächtig bleibt auf jeden Fall seine Aussage, der Inhalt des »Ovariums« erscheine in diesem Zustand dem unbewaffneten Auge »als eine bloße Milch«. Die 1836 erschienene »Iconographie« Rossmässlers (73) beschäftigt sich nicht mit der Anatomie der Muscheln ; sie wird aber im Abschnitt über die Systematik genauere Erwähnung finden müssen. — Kirt- LAND [1836] (40) geht hauptsächlich ein auf die Schalenverschieden- heiten der männlichen und weiblichen Unionen. Er betrachtet die äußeren Kiemen als Ovarien und kann einen Hoden nicht auffinden. Auf Grund dieses negativen Beweises hält er die Najaden für getrennt- geschlechtlich. Die Arbeit erschien im »Archiv für Naturgeschichte«, und der Herausgeber Aug. Wiegmann fügte ihr eine Anmerkung bei, in der er einen Literaturüberblick gab, der zeigte, daß in damaliger Zeit es für erwiesen galt, daß die Unionen getrennten Geschlechtes seien. — Des Hayes [1836] (16) betonte den einfachen Bau der Genera- tionsorgane der Najaden und war der Ansicht, da man nur ein Ovarium und sonst nichts bei den Tieren feststellen könne, müsse man sie als Hermaphroditen auffassen. Th. von Siebold (78, 79, 80) [1837] stellt fest, nach den Unter- suchungen von Prevost, Baer und R. Wagner sei die Getrennt- geschlechtlichkeit der Najaden erwiesen und bei den Anodonten sei 270 Heinrich Weisensee, an der Schale schon leicht der Geschlechtsunterschied zu konstatieren. Der Bau des Hodens gleicht vollkommen dem des Ovariums, die Aus- leitungskanäle sind bei beiden Geschlechtern mit Fhmmern bedeckt. Er untersucht die Spermatozoen genauer und kennt auch die Sperma- bildungsstadien, die er als kleine »rissige Körper« bezeichnet. Die Befruchtung vollzieht sich im inneren Kiemengang, durch die mit dem Atemwasser herbeigeführten Spermatozoen. Garner [1841] (20) hält die Lamellibranchiaten für Zwitter und glaubt an Selbstbefruchtung. — Sehr eigentümlich muß die Untersuchung Neuwylers [1841] (57, 58) anmuten. Er hält das BojANUssche Organ auf Grund recht oberfläch- licher Beobachtungen für den Hoden der Muscheln und glaubt an Selbst- befruchtung im inneren Kiemengang dadurch, daß sich die Geschlechts- öffnung, die er als Mündung des Oviducts ansieht, und der Ureter, in dem er die Mündung des Hodens erblickt, aufeinander legen. — P. J. VAN Beneden [1844] (5) stellt fest, daß bei den von ihm unter- suchten Anodonten in der gleichen Drüse — aber in verschiedenen Drüsenläppchen — Eier und Spermatozoen gebildet werden. Er ist der Meinung, die Befruchtung der Eier müsse im Ovarium vor sich gehen. Von einem Unterschied in der Farbe der Ovarien und Hoden ist ihm nichts bekannt. — In K. Wagners [1847] (88) »Lehrbuch der Zootomie« finden wir eine gute Zusammenstellung der bis zu j euer Zeit gefundenen Resultate. — Drouet [1852] (17) hält die Anodonten für Zwitter, meint aber, nur der weibliche Teil des Geschlechtsapparates sei zu erkennen. Fraglich scheint es ihm, ob vielleicht die schleimige Flüssig- keit, in der die Eier sich bewegen im Ovidukt, der Samen ist. Keber [1853] (37) steht auf dem Standpunkt, daß nach Leeuwenhoek, Pre- VOST imd V. Siebold Anodonta als getrennten Geschlechts anzusehen sei. Er gibt eine Beschreibung des Eies und der Spermatozoen und einen Überblick über deren Bildung. Hauptsächlich interessiert ihn das Eindringen der Spermatozoen in das Ei durch die »Mikropyle<<. Bischöfe (6) greift ihn im nächsten Jahre [1854] heftig an, sowohl in seiner Auffassung der Mikropyle als auch in seinen Beobachtungen der Befruchtungsvorgänge. In einer Erwiderung darauf stellt Keber (38) fest, er habe das Geschlecht bei den Unionen an der Schale nicht er- kennen können, wohl aber bei Anodonta anatina. Weiter bringt er die Beobachtung, er habe unter 500 in den Monaten September und Ok- tober geöffneten Flußmuscheln bei 12 Tieren lebende Spermatozoen im Ovarium aufgefunden, wobei er sich überzeugt habe, daß es sich nicht um Zwitter handelte. In den Jahren 1854 und 1855 erscheinen drei Arbeiten von Lacaze- Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschleclitsapparat bei Anodonta. 271 DuTHiERS (43, 44, 45), die sich auf unsern Gegenstand beziehen. Er gibt darin eine gute Darstellung des Geschlechtsapparates bei einer Reihe von Lamellibranchiaten, auch von Anodonta und Unio. Ob es sich um eine Drüse handelt mit zwei Ausführungsgängen, oder ob zwei symmetrisch liegende Organe vorhanden sind, diese Frage kann er nicht entscheiden. Er tritt ein für die Getrenntgeschlechtlichkeit der Najaden. Hoden und Ovarien sind in ihrem Bau nicht voneinander unterschieden, nur ist die Farbe der Hoden etwas weißhcher. Er hebt bei der ganzen Gruppe der Acephalen den Zusammenhang zwi- schen der Gonade und dem BojANUSschen Organ hervor, hauptsächhch in Bezug auf die Lage der beiderlei Mündungen zueinander. Seiner Ansicht nach kommen bei den sonst durchweg getrenntgeschlechtlichen Anodonten ausnahmsweise und sehr selten Zwitter vor. (Er fand unter 50 Tieren einen Zwitter.) — 1859 und 1860 kommen zwei Arbeiten VON Hesslings (28, 29) über die Flußperlmuschel heraus. Uns interes- siert daran hauptsächhch seine Beschreibung der Gonade, die aber nichts Neues bringt, und vor allem seine Ansicht, die Befruchtung der Tiere gehe so vor sich, daß Männchen und Weibchen ihre Geschlechts- produkte ausstoßen, die dann im freien Wasser zusammentreffen und von Männchen und Weibchen gleichermaßen mit dem Atemwasser wieder aufgenommen und in den Kiemen abgelagert werden. Dieses sonst nie mehr beobachtete Auftreten von Kiemenbrut bei männlichen Individuen muß stutzig machen. Sollten diese Individuen nicht am Ende Zwitter gewesen sein? 1869 wird v. Hessling auch wegen seiner Ansicht durch Keber (39) angegriffen. Dieser führt als Gegenbeweise an, er habe des öftern im Ovarium weiblicher Tiere geschwänzte und ungeschwänzte (?) Spermatozoen gefunden, und außerdem führe der Atemstrom nicht nach der äußeren, sondern der inneren Kieme. Dort müßten die Eier dann nach v. Hesslings Annahme aufgefunden werden, was aber den Tatsachen nicht entspreche. 1865 gibt Stepanoff (82) eine Beschreibung und Untersuchung über den Geschlechtsapparat und die Entwicklung von Cyclas, die im wesenthchen ganz ähnliche Verhältnisse aufweise, wie wir sie bei Anodonta wiederfinden, und seit dieser Arbeit ruht für längere Zeit die Untersuchung des Geschlechtsapparates der Süßwassermuscheln. Die nun folgenden Arbeiten sind teils solche, die sich mit der Entwick- lungsgeschichte der Muscheln beschäftigen, teils aber haben sie die Systematik der Najaden im Auge, wobei natürlich stets auch biologische Gesichtspunkte mit hereingezogen werden. Ich möchte auf die ersteren hier nicht näher eingehen, sondern verweisen auf die entwicklungs- 272 Heinrich Weisensee, geschichtliche Arbeit von K. Herbers [1913] (26); nur seien einige Namen genannt: Flemming [1874, 1875] (18, 19), H. v. Ihering [1877] (32, 33), Schierholz [1878, 1889] (74, 75), Ziegler [1885] (89), Stauf- FACHER [1893] (81), Meisenheimer [1901] (54) und W. Harms [1907, 1909] (22, 23, 24). Außer in der Arbeit von K. Herbers sind in diesen Arbeiten nur spärliche Andeutungen gemacht über die Entwicklung des Geschlechtsapparates. Auch die vorher erwähnten systematischen und biologischen Ar- beiten, die für meine Untersuchung hauptsächlich in Betracht kamen, seien hier kurz aufgezählt. Sie werden im Lauf unsrer Betrachtungen, besonders im systematischen Abschnitt, genauere Beachtung finden. Es sind da zu nennen: F. Heynemann [1869] (30), C. Noll [1869] (59), E. VON Marxens [1871, 1883] (52, 53), W. Kobelt [1871] (41), S. Clessin [1872, 1876] (14, 15), J. Hazay [1881] (25), 0. Buchner [1900] (11), F. Haas [1910] (21), A. E. Ortmann [1911, 1912] (61, 62), E. Eassbach [1912] (71) und W. Israel [1913] (34). Fast allen diesen Arbeiten liegt die Ansicht zugrunde, daß wir es bei Unio und Anodonta mit getrenntgeschlechtlichen Tieren zu tun haben und daß gelegentlich bei Anodonta — allerdings sehr selten — Fälle von Hermaphroditismus vorkommen. Dieselbe Ansicht finden wir auch vertreten in den meisten neueren Lehrbüchern der Zoologie und vergleichenden Anatomie. Auch hier seien einige Namen genannt: Vogt und Yung [1888 — 94] (87), Parker and Haswell [1897] (63), A. Lang [1900] (46), Eay Lan- kester [1906] (47) und Eichard Hertwig [1910] (27). Noch zwei Arbeiten möchte ich hier erwähnen, die nicht einzuordnen sind in die beiden vorhin aufgestellten Eubriken. Es ist einmal das »Lehr- buch der vergleichenden Histologie der Tiere« von K. C. Schneider [1902] (76), das einen Abschnitt bringt über die Histologie des Ovariums von Anodonta, und dann die Arbeit von Pelseneer [1912] (64) über den Hermaphroditismus der Lamelhbranchier, die einen guten Überblick gibt über das Auftreten der Zwittrigkeit in dieser Tiergruppe. I. Die Geschlechtsverhältnisse bei Anodonta. Ehe ich mich näher einlasse auf die Geschlechterverteilung bei Anodonta, sei noch eine Frage gestreift, die schon sehr lange die Conchy- Hologen beschäftigt hat, die Frage nach der äußeren Unterscheid- barkeit der Geschlechter bei den Muscheln auf Grund von Schalencharakteren. Während Lister (50) der Ansicht war, die Männ- chen und Weibchen der Süßwassernmscheln seien von annähernd Die Geschleclitsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 273 gleichen Maßverhältnissen, stellte K. E. v. Baer (24) fest, besonders bei der Malermuschel, aber auch bei Anodonta zeichneten sich gegen- über den kürzeren und breiteren Weibchen die Männchen durch größere Länge aus. Kirtland (40) sah in den äußeren Kiemen der Unionen deren Ovarien und vertrat die Ansicht, die Schalen der weiblichen Tiere seien stärker in die Länge gezogen und mehr gewölbt als die der männlichen. Th. von Siebold (79) konnte — ■ nicht bei Unio, Ticho- (jonia, Mytilus, Cardium Teilina und 3Iya — wohl aber bei Anodonta die männlichen und weiblichen Individuen auf Grund der Schalen- verschiedenheiten leicht unterscheiden: die Männchen besitzen im Gegensatz zu den Weibchen eine flachere, mehr breit-eiförmige Schale. Er geht sogar so weit, zu behaupten (a. a. 0. S. 415), »daß Anodonta cycjnea und cellensis nichts anderes als die verschiedenen Geschlechter einer und derselben Teichmuschelart sind«. Über die Berechtigung dieser Behauptung wird in einem späteren Abschnitt noch einmal gehandelt werden müssen. Keber (38) konnte das Geschlecht bei den Unionen an der Schale nicht erkennen, wohl aber bei Anodonta anatina. NoLL (59) stellte ebenfalls fest, daß bei den Najaden die Schale der Männchen weniger stark gewölbt erscheint als bei den Weibchen. — Auch E. V. Marxens (53) war derselben Ansicht: Wegen der Kiemen- brut ist die Schale der Weibchen stärker gewölbt als die der Männchen. Hazay (25) stellte genauere Messungen an und fand, daß bei Anodorita cotnplanata Ziegl. zwischen den männlichen und weiblichen Individuen ein Dicken unterschied von ca. 6 mm vorkomme. Er hält Anodonta cellensis für das Weibchen von ^. cygnea L. und glaubt, »daß ponderose, ventricose Formen immer weibliche Tiere nachweisen lassen.« Wir stoßen hier wieder auf eine schon von Th. v. Siebold vertretene An- schauung, über die noch geredet werden soll. — • Schierholz (74) be- streitet die Beobachtungen, die die größere Dicke der Weibchen be- zeugen wollen. Er fand keinen erheblichen Unterschied, ja bisweilen zeigten sich die Männchen mit gewölbteren Schalen als die Weibchen. Buchner (11) läßt sich etwas genauer auf diese Frage ein (a.a.O. S. 139 Z. 3 V. u.): »Der geschlechthche Unterschied ist bei den Schalen sehr junger Muscheln nicht zu bemerken, dagegen zeigt er sich in der Regel schon ziemlich deutlich bei den Mittelformen mit 5 bis 6 Jahres- ringen, indem die Männchen sich besonders im Vorderrand gegen den Unterrand hin auszubuchten beginnen, während die Weibchen mehr und mehr ventricos werden und sich dabei großenteils abdominal ver- längern.« Also auch er ist der Ansicht, daß die Weibchen stärker gewölbte Schalen besitzen als die Männchen. Allerdings sind diese 274 Heinrich Weisensee, Untersuchungen sehr vorsichtig aufzunehmen, denn aus der Arbeit scheint hervorzugehen, daß die Prüfung des Geschlechtes der Tiere durch den Verfasser sich beschränkt zu haben scheint auf die Fest- stellung, ob zur Brutzeit in den Kiemen Embryonen vorhanden waren oder nicht. — Zum Schlüsse dieser Literaturbetrachtung sei noch das Lehrbuch von Vogt und Yung (87) erwcähnt, in dem auch der Stand- punkt vertreten wird, daß bei Anodonta die Weibchen sich durch eine stärker gewölbte Schale auszeichneten. Wir sehen, solange die Getrenntgeschlechtlichkeit von Anodonta bekannt und angenommen ist, hat man versucht festzustellen, ob das verschiedene Geschlecht der Tiere nicht an der Schalenform zu erkennen sei. Als einigermaßen feststehendes Resultat aller dahingehenden Untersuchungen ließe sich vielleicht sagen, daß bei den Anodonten — ■ mehr als bei den Unionen — bei gleicher Größe der Individuen die Weibchen sich durch eine stärker gewölbte Schale von den Männchen unterscheiden. Ich selbst habe keine genauen Messungen der Tiere vorgenommen, aber wohl auf etwa auffälligere Unterschiede der Ge- schlechter geachtet. Mir sind jedoch keine derartigen Unterschiede vor Augen gekommen, die einen sicheren Schluß auf die Verhältnisse des Geschlechtsapparates zuließen. Das außerordentlich häufige Vor- kommen von Zwittern unter den Anodonten, von dem im nächsten Abschnitt die Rede sein wird, trägt mit dazu bei, dieser Frage eine größere Bedeutung zu nehmen. Bemerkt sei hier noch das eine: es sind mir unter den Schalen zwittriger Tiere von ein und demselben Fundort Formen vor Augen gekommen, die wohl beim oberflächlichen Zusehen die Meinung hätten aufkommen lassen können, daß es sich um männ- liche und weibliche Tiere handelte. Ich hege die begründete Befürch- tung, daß von manchen Autoren, die sich nicht speziell auf die Frage der Geschlechtsverhältnisse bei Anodonta eingelassen haben, infolge ungenauer Untersuchung des Genitalapparates Versehen vorgekommen sind. Sicher ist anzunehmen, daß manches zwittrige Individuum in die Reihe der getrenntgeschlechtlichen gesteckt wurde, wenn sich die Fest- stellung des Geschlechtes beschränkte auf die Untersuchung der Kiemen- trächtigkeit. — Bei den tatsächlich gonochoristischen Formen wird zugegeben werden müssen, daß im allgemeinen die Weibchen eine etwas stärker gewölbte Schale besitzen als die Männchen. Aller- dings weist diese »Regel« soviel Ausnahmen auf, und ist dieser Unterschied gewöhnlich ein so geringer, daß man kaum von einer durchgehenden Erscheinung von Geschlechtsdimorphismus reden kann. Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 275 A. Die Geschlechterverteilung im Genus Anodonta. Die Ungewißheit unsrer Kenntnis von dem Zustand des Geschlechts- apparates der Anodonten hat schon der Literatiirüberblick aufgewiesen. Es seien hier nur einige der bedeutendsten Namen rekapituliert, um die herrschenden Widersprüche noch deuthcher zu unterstreichen. Leeuwenhoek, der als erster die Anodonten genauer untersuchte, hatte deren Getrenntgeschlechtlichkeit festgestellt. Seine Ansicht wurde später wieder vertreten von Lister, Prevost, K. E. v. Baer, Th. v. Siebold, Garner, Keber, Lacaze-Duthiers usw. Denen gegenüber hielten an dem Hermaphroditismus von Anodonta fest: PouPART, Mery, Poli, Blainville, P. S. van Beneden usw. Beide Ansichten bestanden andauernd nebeneinander, ohne daß ernstere Auseinandersetzungen vorgekommen wären. I^ange Zeit herrschte ja überhaupt über den Zustand des Genitalapparates der Muscheln voll- kommene Unklarheit, herrschten die abenteuerlichsten Meinungen über dessen Anatomie. Noch 1836 sah Kirtland in den äußeren Kiemen die Ovarien des Tieres, und noch 1841 hielt Neuwyler das BojANUSsche Oro;an für einen Hoden. Seit der Arbeit von Lacaze-Duthiers über den Genitalapparat der Lamellibranchiaten wurde die Frage nach der Geschlechterverteilung bei Anodonta nicht mehr zum Gegenstand ein- gehenderer Untersuchungen gemacht. Seit diesem Zeitpunkt war man der Ansicht — und diese Ansicht finden wir in fast allen heutigen Lehrbüchern vertreten — daß die Na jaden — sowohl Anodonta als auch Unio — in der Regel getrenntgeschlechtlich seien. Über die zahlenmäßige Verteilung der Geschlechter auf die Indi- viduen eines und desselben Fundortes finden wir in der Literatur nur wenig Angaben. Prevost (69) fand bei Unio mehr Männchen als Weibchen, eine Erscheinung, die K. E. v. Baer (2) nicht bestätigen konnte: er fand bei Unio — und noch mehr bei Anodonta — die eier- tragenden Weibchen den Männchen an Zahl überlegen. Schierholz (74) dagegen gibt an, in der Regel finde man bei den Süßwassermuscheln gleich viel Männchen und Weibchen. Im Lehrbuch von Vogt und YuNG (87) wieder wird die Zahl der Weibchen unter 1000 untersuchten Exemplaren aus dem Genfer See mit 70% angegeben. Die meist nicht direkt ausgesprochene aber doch wahrscheinhch zugrunde liegende Ansicht der meisten Autoren läuft wohl auf die Annahme hinaus einer gleichmäßigen Verteilung der Geschlechter bei Anodonta. Einem großen Teil der Forscher, die für den Gonochorismus der Teichmuschel ein- traten, war ein Vorkommen von zwittrigen Individuen nicht unbekannt. 276 Heinrich Weisensee, Sie waren stets der Ansicht, in diesen — wie sie es nannten — »ge- legentlichen Fällen« von Hermaphroditismus rein zufällige Erschei- imngen erblicken zu müssen, die vielleicht aufzufassen wären als Re- miniszenzen an einen früheren Zustand, denen aber für die Beurteilung des jetzigen Zustandes keinerlei Bedeutung beizumessen sei. So be- richtet Lacaze-Duthiers (44), er habe unter 50 Anodonten, die er untersuchte, einen Hermaphroditen gefunden; auch Keber (38) gibt an, er sei einmal auf einen Zwitter von Änodonta gestoßen, ohne ge- nauere Zahlenverhältnisse anzuführen. Schierholz (74) fand eben- falls Hermaphroditen und ist der Ansicht, es käme etwa auf 100 gono- choristische Tiere ein Zwitter. Ähnlichen Anschauungen begegnen wir dann wieder in den neueren Lehrbüchern, z. B. bei Vogt und Yung (87) (S.766): »Jedoch ist es nicht selten, Hermaphroditen darunter zu treffen ; vielleicht erklärt dies die Tatsache, daß manche ältere Autoren Änodonta für Zwitter hielten.« Bei Ray Lankester (47) finden wir Änodonta imhecillis als durchgehend zwittrio; angeoeben, eine Angabe, die von A. E. Ortmann (62) wiederholt und bestätigt wird. Ortmann spricht außerdem die Vermutung aus, daß auch Änodonta henryana Lea. als hermaphrodite Species anzusehen sei. Kurz zusammengefaßt ließe sich die heute herrschende Ansicht über die Geschlechterverteilung der Teichmuscheln so aussprechen: Die Anodonten sind — ebenso wie die Unionen — in der Regel ge- trennten Geschlechts. Bisweilen, wenn auch sehr selten, treten Zwitter auf, die aber nur als zufällige Erscheinungen anzusehen sind. Unter den amerikanischen Anodonten ist die Species Änodonta imhecillis als durchgehend zwittrig festgestellt, vielleicht ist dasselbe auch bei Äno- donta henryana Lea. der Fall. An der Auffassung des Gonochorismus als des regulären Zustandes wird durch diese letzten Feststellungen nichts geändert. Ich werde im folgenden versuchen, meine eigenen Untersuchungen und Befunde über die Geschlechterverteilung im Genus Änodonta dar- zulegen. Im voraus sei mir noch einmal gestattet, darauf hinzuweisen, daß das mir zur Verfügung stehende Material leider verhältnismäßig gering war und bis auf eine Form nur aus dem Lahngebiet stammte. Die Zahlen der untersuchten Tiere der einzelnen Fundorte sind nicht überall so groß, wie man sie hätte wünschen sollen, doch war eine weitere Materialbeschaffung nicht möglich, da die einzelnen Fundstellen durch die übrigen am hiesigen Institut angestellten Untersuchungen über Änodonta schon sehr stark ausgebeutet waren. Trotzdem hoffe ich bestimmt, daß die vorhandenen Daten genügen werden, um ein Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 277 einigermaßen übersichtliches Bild der Verteilung der Geschlechter zu geben. Zuvor noch ein paar Worte über die Art und Weise, wie das Ge- schlecht der Tiere untersucht wurde. Das erscheint mir um so nötiger, als ich glaube, annehmen zu müssen, daß bei manchen früheren Unter- suchungen auf dieses Moment nicht der genügende Wert gelegt wurde. Ich ging folgendermaßen vor: Die frisch aus dem Wasser genommenen Tiere wurden aus der Schale geschnitten und in einer Präparierschale festgesteckt. Nachdem durch einen kreuzweise geführten Schnitt die Muskeldecke des Fußes aufgeschnitten war, konnte mit Hilfe einer Pinzette oder eines Spatels ein Teil des Inhaltes der leicht zerstörten Gonade auf den Objektträger gebracht und unterm Deckglas mit Hilfe des Mikroskops betrachtet werden. Es war am geeignetsten, dabei zur Beobachtung des Spermas das Objektiv 7 und Ocular 1 (von Seitz) zu verwenden. Meist ließen sich die Spermatozoen leicht erkennen an ihrer eigentümlichen Bewegung. Aber auch ohne diese konnten sie recht sicher erkannt werden an ihrer typischen zuckerhutähnlichen Gestalt, auch ohne daß der Schwanzfaden sichtbar war. Die Fest- stellung der Spermatozoen genügte nicht ohne weiteres zur Beurteilung des Geschlechts im untersuchten Tier. Fanden sich diese neben den Eiern, in ein und demselben Individuum, so war damit noch nicht un- bedingt feststehend, daß es sich um einen Zwitter handelte, denn diese Spermatozoen konnten auch von einem männlichen Tier in das weib- liche gelangt sein. Es wurde daher stets Wert darauf gelegt, auch die Anwesenheit von Spermabildungsstadien festzustellen. Die Eier sind immer — auch wenn sie in noch jungem Stadium sich befinden, leicht zu erkennen an der typischen Form des Nucleolus. Bei sehr vielen Tieren — Weibchen und Zwittern — wurde das Auf- suchen und Erkennen der Spermatozoen sehr erschwert durch die außerordentlichen Mengen von Dotterkörnchen jeder Größe, die oft nicht leicht von Spermatozoen und Spermabildungsstadien zu unterscheiden sind. — Am wesentlichsten aber für die Genauigkeit der Unter- suchung war es, daß die Geschlechtsprodukte aus jedem Teil des Fußes beobachtet wurden, denn, wie aus dem Abschnitt über die Topographie des Genitalapparates hervorgehen wird, kommt es bisweilen vor, daß nur an ganz wenigen Stellen des Fußes bei Zwittern Sperma erzeugende Acini zu finden sind. — Durch Pressen des Fußes ließ sich auch bei den meisten Tieren ein Ausströmen der Geschlechtsprodukte aus der Geschlechtsöffnung bewirken. Dieses Verfahren erwies sich aber als wenig geeignet zur genauen Untersuchung, da es vorkommen konnte, 278 Heinrich Weisensee, daß bei zwittrigen Individuen die in entfernter gelegenen Acini ge- bildeten Spermatozoen sich zunächst der Beobachtung entzogen. Am sichersten führte auf jeden Fall die Zerstückelung des ganzen Einge- weidesackes zum Ziel. — Recht erschwert wird zu manchen Zeiten — etwa im November und Dezember — die Feststellung der männlichen Geschlechtsprodukte. Es kann dann vorkommen, daß gar keine reifen Spermatozoen in der Gonade vorhanden sind und man auf die Auf- findung von Bildungsstadien allein angewiesen ist. Außer den Muscheln des Lahngebietes in der Nähe von Marburg wurde nur eine einzige andere Form untersucht, und zwar Tiere aus dem Mannheimer Floßhafen. (Beobachtungen, die ich an einigen Exemplaren aus einem Teich bei Hamburg machte, möchte ich deshalb nicht in den Kreis der Betrachtung ziehen, weil das mir zur Verfügung stehende Material zu gering war, um einen sicheren Schluß auf die Geschlechtsverhältnisse zuzulassen.) Was die Bestimmung der Formen und ihre systematische Einordnung angeht, so ist dabei zunächst voll- kommen abgesehen von einer Kritik der gegenwärtig üblichen Syste- matik, sondern es liegt zugrunde die in neuester Zeit von E. E. Ort- mann vertretene Ansicht, daß es bei Anodonta sich in der Hauptsache nur um eine einzige Art handle, die nach dem Prioritätsgesetz den Namen Anodonta cygnea L. tragen muß. Die Abweichungen von dem Grundtyp der Cygnea-^ovm. anzugeben, wurde versucht durch einen Vergleich mit den Formen, die in Rossmässlers »Iconographie<< abgebildet sind. Herrn Dr. Fritz Haas (Frankfurt a. Main) bin ich zu großem Dank verpflichtet für seine freundliche Hilfe bei der Bestimmung der unter- suchten Formen. Es sei mir gestattet, auch an dieser Stelle meinem Dank Ausdruck zu verleihen. — 1) Die Anodonten aus dem Mannheimer Floßhafen stellten sich dar als eine Flußform mit flacher Schale (Fig. 1 und 2) und sehr stark ausgebildetem Schild. Die Tiere leben in einer w^ohlgeschützten Stelle des Hafens mit sehr feinem Schlammgrund bei gänzlichem Mangel an Geröll oder größeren Steinen in langsam fließendem Wasser. Bis auf die allmähliche Verpestung des Wassers durch die Fabrikbetriebe müßten die vorhandenen Lebensbedingungen der Muscheln als sehr gut bezeichnet werden. Die Fortpflanzung scheint hier auch ihren voll- kommen geregelten Gang zu nehmen, denn ich fand Jugendstadien in recht großer Menge vor, eine Tatsache, die bemerkenswert ist gegen- über den Befunden in den stehenden Gewässern des Lahngebietes. Die Größe der Tiere bewerte sich in der Längendimension etwa zwischen Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 279 5 cm und 9 cm und in der Höhe zwischen 3 cm und 6 cm. Die Dicke der Tiere war außerordentlich gering und überschritt kaum 2,3 cm. Ein stark auffälhger Unterschied in der Dicke zwischen männlichen und weiblichen Individuen ist mir nicht aufgefallen, doch ist nicht ausgeschlossen, daß ein solcher vorhanden ist. Die Schale zeichnete sich aus durch ihre geringe Dicke — bei jungen Tieren war sie papierdünn — und ihre helle, grünliche bis gelbliche Farbe. Bei manchen Muscheln waren Jahresringe kaum zu erkennen, so gleichmäßio- war der Bau Hg. 1. Anodontaxygnea L. aus dem Maunheinier Floühafen. Von der Seite. Katürl. Größe. Fig. 2. Dieselbe von oben. Xatürl. Größe. der Schale erfolgt. Der Wirbel zeigte keine Abschleifungen und Ver- letzungen, oft war noch die Embryonalschale gut erhalten. Was den ganzen Habitus der Schale angeht, so ist hervorzuheben, daß sie sich in hervorragendem Maße von der der anderen untersuchten Tiere unterscheidet. Der schon erwähnte starke Schild und die Kürze des Tieres geben der Schale das eigentümliche Gepräge. Der stark gekrümmte untere Schalenrand geht gleichmäßig über in die kreis- förmige Rimdung des Vorderendes. Im Gegensatz zu den übrigen 280 Heinrich Weisensee, Formen steigt die Linie des Schloßbandes gegen das Hinterende ziem- lich steil an, wodurch am höchsten Punkte des Schildes eine scharfe Ecke sich zeigt. Die tiefste Stelle des Unterrandes liegt etwa senkrecht unter dem Wirbel. Die Wölbung der Schale (vgl. Fig. 2) ist am stärksten in der Mitte der Längsachse des Tieres und nimmt nach dem Hinterende wie nach dem Vorderende fast vollkommen gleichmäßig ab. Die mikroskopische Untersuchung des Geschlechts wurde vor- genommen im März. Kiemenbrut war bei keinem Individuum mehr zu finden. Von 121 untersuchten Tieren erwiesen sich 56 als Weib- chen und 65 als Männchen. Auf Grund dieser Zahlen läßt sich also behaupten, daß für diesen Fundort die Zahl der männlichen und weib- lichen Tiere annähernd die gleiche ist, denn ich glaube dem schein- baren Überwiegen der männlichen Tiere keine besondere Bedeutung beilegen zu dürfen, sondern annehmen zu müssen, daß es sich hier lediglich um ein Spiel des Zufalls handelt. — Vielleicht ist es noch von Interesse, zu erfahren, daß diese Muscheln außerordentlich verseucht waren durch Spirochaeta anodontae, die sich hauptsächlich im Kristall- stieldarm vorfand. — Der Name, der dieser Form zusteht nach der jetzt üblichen Bezeichnung, wäre Änodonta cygnea L.; sie stimmt etwa überein mit Eossmässlers Abbildung der Änodonta piscinalis Rossm. (»Iconographie«: Taf. XIX, Fig. 281). 2) Als diesen Tieren verhältnismäßig nahestehend muß eine Form bezeichnet werden aus einem Altwasser der Ohm bei Cölbe kurz vor ihrer Mündung in die Lahn (Fig. 3 und 4). Auch dieser Form gebührt der Name Änodonta cygnea L. und sie wäre etwa zu vergleichen mit Änodonta anatina Rossm. (Icon., Taf. XX, Fig. 419). Die Tiere stimmen äußerlich vollkommen überein mit den aus der fließenden Lahn ge- fangenen. Im Gegensatz zu den Mannheimer Muscheln haben sie eine länglichere Form und eine bedeutend dickere Schale mit deutlich sicht- baren Jahresringen, die eine dunkle, schmutzige Färbung zeigt und in der Gegend des Wirbels stark abgeschliffen ist, so daß nie — selbst nicht beim jungen Tier — eine Embryonalschale mehr zu sehen ist. Auch bei ihnen ist der Schild verhältnismäßig stark ausgebildet und läßt an seiner höchsten Spitze eine deutliche Ecke erkennen, während hier die Linie des Schloßbandes weit mehr horizontal verläuft. Ab- gesehen von der Ecke des Schildes ähnelt die Umrißlinie der Schale mit dem flacheren Unterrand sehr einer Ellipse, da das Hinterende noch nicht, wie wir es bei den nächsten Formen kennen lernen werden, zu einem typischen »Schnabel« ausgezogen ist. Die tiefste Stelle des Unterrandes liegt wieder etwa in der Mitte, während das Lot vom Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 281 Wirbel auf die Längsachse diese innerhalb ihres vorderen Drittels trifft. Wie Fig. 4 erkennen läßt, liegt auch hier wieder die Stelle der stärksten Wölbung der Schale in der Mitte der Längsachse, doch ver- läuft die Wölbung von diesem Punkte aus nach hinten zu flacher als nach dem Vorderende, wodurch eine geringe Verschiebung des Schwer- punktes nach vorn bedingt wird. Die Länge des Tieres überschreitet kaum 10 cm und die Höhe selten 5,5 cm. Die Dicke der Tiere variiert Fig. 3. Anodonta cygnea L. aus Cölbe. Von der Seite. Natürl. Größe. Fig. 4. Dieselbe von oben. Natürl. Größe. und ist durchschnittlich 3,5 — 4 cm. Auch bei dieser Form ist mir ein erheblicher Dickenunterschied zwischen männlichen und weiblichen Individuen nicht aufgefallen, doch möchte ich einen solchen nicht un- bedingt leugnen. Von den Muscheln dieses Fundortes standen mir zur Untersuchung 58 Exemplare zur Verfügung. Davon erwiesen sich 36 Tiere als weiblich und 22 als männlich. Hier genau so wenig wie miter den Mannheimer Muscheln konnte eine Zwitterform festgestellt werden. Auffällig bei dieser kleinen Zahl von untersuchten Individuen Zeitschrift f. wissenscli. Zoologie. CXV. Bd. 19 282 Heinrich Weisensee, muß das recht starke Überwiegen der Weibchen gegenüber den Männ- chen erscheinen. Auch diese Tiere waren stark verseucht durch Spiro- chaeta anodontae und schienen auf dem Aussterbeetat zu stehen, denn obwohl das Altwasser, aus dem sie stammten, reichlich Fische enthielt, so waren doch Jugendstadien nur in ganz geringer Menge vorhanden. Die von mir zur Untersuchung verwandten ganz jungen Tiere stammten alle aus der fließenden Lahn, zeigten aber keinerlei Unterschiede von denen aus dem Cölber Altwasser. 3) Schon äußerlich, der Größe nach, sehr verschieden von diesen beiden Formen waren die Tiere meines dritten Fundortes, eines Alt- wassers der Ohm bei Anzefahr (Fig. 5 und 6). Diese Muscheln er- reichten meist eine sehr beträchtliche Größe, sie waren bis zu 18 und 19 cm lang. Ihre Höhe überschritt selten 8 cm, während ihre Dicke zwischen 4,5 und 6 cm schwankte. Die in die Länge gestreckte Schale war von mittlerer Stärke und gewöhnlich dunkelgrün mit deutlich sichtbaren Jahresringen. Das charakteristische Unterscheidungsmerkmal dieser Form von den beiden zuvor besprochenen besteht neben ihrer Größe in der außer- ordentlich starken Verlegung des Wirbels nach vorn. Das Lot von diesem Punkte aus trifft die Längsachse gerade auf der Grenze des vorderen Viertels. Ein Schild ist ebenfalls vorhanden, doch zeigt er sich stark reduziert. Der Verlauf des Schloßbandes vollzieht sich noch mehr in horizontaler Kichtung, nahezu parallel mit dem geraden Unter- rand, der sich sogar (Fig. 5) ein wenig nach oben ausgebuchtet zeigt. Das Vorderende der Schale ist beinahe kreisförmig, während das Hinterende zu einem deutlichen »Schnabel« ausgezogen erscheint. Die Stelle der stärksten Schalenwölbung liegt auch hier beinahe in der Mitte der Längsachse, zeigt aber schon eine kleine Verschiebung nach dem Vorder- ende, wodurch eine noch merklichere Verschiebung des Schwerpunktes nach vorn bewirkt wird, als wir sie bei den vorhin besprochenen Tieren konstatierten. Der »Schnabel« hat seine am weitesten vorragende Stelle etwa in der Nähe der Mittelachse des Tieres, wo die Umrißlinie eine deutliche Ecke aufweist, der ein Stück weiter oben, in der Nähe des Schildansatzes eine zweite mehr oder weniger deutliche folgt. — Auch diese Form muß mit dem Namen Anodonta cygnea L. belegt werden und entspricht etwa der von Kossmässler als Ä. cellensis in der »Iconographie« (Taf. XIX, Fig. 280) abgebildeten Muschel. Der recht tiefe, stark mit faulenden Substanzen und Steinen durchsetzte Schlamm ist wohl die Veranlassung dafür, daß hier die meisten Indi- viduen in der Nähe des Wirbels oft außerordentlich stark beschädigt Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 283 waren und meist sehr starke Verletzungen des Periostracums aufwiesen. Auch diese Tiere schienen auszusterben, denn, obwohl ich den Tümpel fast vollkommen ausfischte, fand ich nicht ein einziges Exemplar, das kleiner als 10 cm gewesen wäre. Etwa 30 dieser Muscheln konnte ich 19* 284 Heim-ich Weisensee, genauer auf das Geschlecht hin untersuchen und fand bei zweien nur ein Ovarium mit Eiern angefüllt, während alle übrigen Individuen — ich stellte meine Beobach- tungen gegen Anfang No- vember an — neben den Eiern noch reife und wohl- ausgebildete und bewegliche Spermatozoen in großer Menge aufwiesen, also Zwit- ter waren. — Sfirochaeta anodontae fand ich hier nur ganz vereinzelt bei wenigen Individuen. 4) Der vierte Fundort, dem ich Muscheln zur Unter- suchung entnahm, war ein Altwasser der Lahn bei Kuthershausen. Es wird durch eine Straße in zwei ungleiche Teile geteilt und liefert zwei der Schale nach nicht vollkommen überein- stimmende Formen. Die eine (Fig. 7 und 8, S. 285) stammt aus dem größeren der beiden Tümpel, der reichlich Fische enthält und verhältnismäßig wenig mit Wasserpflanzen durchsetzt ist. Die darin enthaltenen Tiere sind ziem- lich zahlreich und ähneln in der Größe sehr denen aus Anzefahr, mit denen sie auch in der Form fast voll- kommene Übereinstimmung zeigen. Sie unterscheiden sich von diesen ein wenig dadurch, daß sie nicht ganz so stark in die Länge gestreckt erscheinen und einen etwas mehr abgerundeten Schnabel besitzen, dessen vor- springende Ecke meist um ein Geringes unterhalb der Mittellinie liegt. Die Geschlechtsvcrhältnisse und der Gesehlechtsapparat bei Anodonta. 285 Ihr Schild ist nicht so stark reduziert und zeigt eine eigentümlich geschwungene Form, wodurch das Hinterende im ganzen mehr ab- gerundet erscheint. Wie gesagt, sind diese Unterschiede nur von unter- geordneter Bedeutung. Fig. 7. Anodonta cygnea L. aus Euthershausen. Von der Seite. Natiul. Größe. Fig. 8. Dieselbe von oben. Xatürl. Größe. Auch diese Tiere sind stets stark am Wirbel verletzt. Ihre Länge bewegt sich im allgemeinen zwischen 12 und 15 cm, ihre Höhe zwischen 6 bis 8 cm. Die durchschnittliche Dicke beträgt 4 bis 5,5 cm und zeigt oft bedeutende Schwankungen, die leicht in die Versuchung führen 286 Heinrich Weisensee, könnten, an einen Geschlechtsdimorphismus zu glauben. Allerdings wird diese Annahme bald als unmöglich ersichtlich, wenn man das Ge- schlecht der Tiere genauer untersucht. Von den 90 mir zur Verfügung stehenden Tieren konnten 6 als Weibchen erkannt werden, während die 84 andern Zwitter waren. Auch hier haben wir es wieder mit einer Anodonta cygnea zu tun, die als identisch anzusehen wäre mit der Ross- MÄssLERschen Anodonta fonderosa (Icon. Taf. XX, Fig. 282). Die Muscheln aus dem andern kleineren Teile des Ruthershausener Altwassers (Fig. 9 und 10) bieten ein etwas andres Bild. Ihr Hauptunterscheidungsmerkmal von den übrigen Formen besteht in ihrer beträchtlich stärkeren Schalenwölbung, die verbunden ist mit einer noch auffälligeren Schwerpunktsverlagerung nach dem Vorder- ende. Das Lot vom Wirbel auf die Längsachse trifft diese hier sogar innerhalb ihres vorderen Viertels. Die Schalenhöhe ist größer als bei den übrigen Formen, wodurch ein massigeres Aussehen des Tieres be- wirkt wird. Eine Ähnlichkeit dieser Form mit den Muscheln aus Anze- fahr, die sich auch ausspricht in dem auffällig geformten Schild, ist nicht zu leugnen. Es muß noch aufmerksam gemacht werden auf die abgerundete Form des Schnabels (Fig. 9) und die starke Aufbiegung des geraden unteren Schalenrandes nach dem Hinterende zu, wodurch die untere Ecke des Schnabels besonders stark hervortritt. Die durchschnittliche Länge der Muscheln beläuft sich auf etwa 17 cm und darüber, ihre Höhe auf 7 bis 8,5 cm, während ihre Dicke zwischen 5 und 6,5 cm schwankt. Sie kommen in ihrem stark zuge- wachsenen Tümpel, der nicht vollkommen von Fischen entblößt ist, nur in sehr geringer Menge vor. Im ganzen konnte ich 10 Exemplare fangen, die sich durchgehend als Zwitter erwiesen. Auch hier scheinen die Tiere auf dem Aussterbeetat zu stehen, während ich im andern Teil des Tümpels noch verhältnismäßig junge Tiere vorfand. In beiden Formen zeigten sich nur sehr vereinzelt Spirochaeten. Daß wir es bei der letzteren Form ebenfalls zu tun haben mit einer Anodonta cygnea L., ist wohl selbstverständlich. Auch sie ähnelt im übrigen der Anodonta cellensis Rossmässlers (>>Iconographie<< Taf. XIX, Fig. 280). 5) Der fünfte Fundort lieferte sehr interessante Befunde. Es ist — • richtiger: >>war<< — ein Altwasser der Lahn bei Marburg selbst mit dem Namen »Schützenpfuhl«. Dieser früher recht große Tümpel ist seit einiger Zeit stark verkleinert und wird nun durch Ausfüllungsarbeiten vollkommen verseucht, so daß fast alle Muscheln eingehen. Die hier gefundenen Exemplare zeigen sehr große Ähnlichkeit mit den Tieren Die Geschlechtsverhältmsse und der Geschlechtsapxiarat bei Anodonta. 287 aus Anzefahr und Ruthershausen, nur ist ihre Schale dünner, heller in der Farbe und nicht ganz so stark abgeschliffen und verletzt als bei den andern. Es erübrigt sich daher, eine genaue Beschreibung dieser 288 Heinrich Weisensee, Form zu geben, und es sei nur aufmerksam gemacht auf die sehr starke imd auffällige Ausbildung der beiden Ecken des Schnabels. Auch hier fällt der Schnittpunkt des Lotes mit der Längsachse in deren vorderes Viertel. Die Jahresringe sind sehr deutlich ausge- prägt, und die Wölbung der Schale ist ungefähr von derselben Gestalt und Stärke wie bei den Muscheln aus Anzefahr. Die Tiere gehörten mit zu den größten hier vor- kommenden Formen und erreichten oft eine Länge von 20 cm und darüber. Durchschnittlich waren sie allerdings nur 13 bis 17 cm lang und 6 bis 7,5 cm hoch, während ihre Dicke zwischen 4 und 6 cm schwankte. Junge Brut Avar in der letzten Zeit nicht mehr zu kon- statieren, sicher eine Folge der Verseuchung des Was- sers. Manche Individuen waren sehr stark durch- setzt mit Spirochaeten. Alle aus diesem Fundort stammenden Tiere, die ich darauf hin beobachtete, waren Zwitter. In kei- nem einzigen Fall konnte G etrenntgeschlechtlich- keit nachgewiesen wer- den.— Systematisch wäre auch diese Form zu Äno- donta cj/gnea L. zu rech- nen und ihrer Schalen- form nach müßte sie zu Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 289 RossMÄssLERs Anodouta cellensis (Iconographie Taf. XIX, Fig. 280) zu stellen sein. Fassen wir noch einmal allgemein die hier niedergelegten Befunde zusammen. Einmal finden wir unter den Anodonten im fließenden Wasser Formen, die getrenntgeschlechtlich sind und eine gleiche An- zahl von Männchen und Weibchen aufweisen (vgl. Anodonten aus dem Mannheimer Floßhafen). Unter den Anodonten im stehenden Wasser stoßen wir 1) auf Formen, die denen des fließenden äußerlich fast voll- kommen gleichen, ebenfalls getrenntgeschlechtlich sind, aber im Gegen- satz zu diesen ein Überwiegen der Weibchen gegenüber den Männchen zeigen (vgl. Anodonten aus Cölbe), 2) auf Formen, die sich durch be- sondere Größe auszeichnen und neben fast lauter zwittrigen Vertretern nur selten Weibchen aufweisen (vgl. Anodonten aus Anzefahr und Ruther shausen) und 3) auf Formen, die mit den vorigen an Größe übereinstimmen, aber neben den Zwittern keine W^eibchen aufweisen (vgl. Anodonten aus dem Schützenpfuhl). In systematischer Hinsicht gehören nach den gegenwärtigen Anschauungen alle vier Gruppen in die Rubrik: Anodonta cygnea L. Welche Folgerungen müssen nun wir aus diesem Tatsachenbestand ziehen? Zunächst steht wohl das eine fest: Die Getrenntgeschlecht- lichkeit ist nicht ohne weiteres als der reguläre Zustand des Geschlechtsapparates bei Anodonta zu bezeichnen, denn es wird kaum möglich sein, ein derartiges häufiges und regelmäßiges Auftreten von Hermaphroditen unter den Anodonten zu erklären als eine zufällige und gelegentliche Erscheinung ohne prinzipielle Bedeu- tung. Hier scheint eine Regelmäßigkeit vorhanden zu sein, ein Kausal- zusammenhang. Ein Versuch, dem nachzuspüren, soll die Aufgabe des nächsten Abschnittes sein. B. Versuch einer theoretischen Verknüpfung der gefundenen Daten. Es ist eine längst bekannte Tatsache, daß der Standort einer Muschel von außerordentlich großem Einfluß ist auf deren Ausbildung; besonders in bezug auf die Schale ist das von Clessin, Hazay, Buch- ner usw. stets hervorgehoben worden. Sehen wir uns nun die Fundorte der von uns untersuchten Muscheln einmal genauer an. Die getrennt- geschlechtliche Form des Mannheimer Floßhafens ist, wie wir schon oben feststellten, eine typische Flußform und sie findet sich tat- sächhch im fheßenden W^asser. Alle andern dagegen entstammten ste- henden Altwässern. Bis auf die Muschehi des Cölber Wassers reprä- sentieren auch wirklich alle in den Grundzügen den Typ der eigent- 290 Heinrich Weisensee, liehen »Teichmuschel <<. Die Cölber Tiere dagegen zeigen äußerlich schon, in der Schale, eine vollkommene Übereinstimmung mit den Anodonten der fließenden Lahn. Wie sind diese Tatsachen zu erklären? AVir haben also einmal eine Form des fließenden Wassers, die getrennt- geschlechtlich ist, und unter den Muscheln aus stehenden Teichen eine Form, die fast vollkommen übereinstimmt mit der Flußform, die eben- falls getrenntgeschlechtlich ist, und dann eine Keihe von Formen, die sich schon äußerlich stark unterscheiden von der Flußform, und bei denen der Hermaphroditismus die Regel bildet oder mindestens bei weitem vorherrscht gegenüber dem Gonochorismus. Eine genauere Untersuchung der Fundorte konnte hier weitere Klarheit bringen. Alle oben erwähnten Altwässer standen gar nicht mehr oder nur sehr mittel- bar in Verbindung mit dem fließenden Wasser. Auf jeden Fall war ein Überwandern von ausgewachsenen Muscheln aus dem Fluß in die Teiche nach deren Abschnürung nahezu unmöglich, wenn nicht ein sehr starkes Hochwasser mit beigetragen hätte, eine Voraussetzung, die für unsre Beobachtungen nicht in Frage kommt. Die Tiere mußten also, seit sie vom Fluß getrennt waren, sich vollkommen rein fort- gepflanzt und also eine dem Aufenthaltsort angepaßte selbständige Entwicklung genommen haben. Da die Fundorte der verschiedenen Formen biologisch fast vollkommen das gleiche Bild zeigten — ab- gesehen höchstens von einem mehr oder minder üppigen Pflanzen- wuchs — , so konnte der Grund für eventuelle Verschiedenheiten nur gesucht werden in der Verschiedenheit des Zeitpunktes, seit dem die Altwasser entstanden waren. Das muß vielleicht hier noch gleich eingeschoben werden: es ist mit ziemlicher Sicherheit anzunehmen, daß alle die untersuchten Teich- formen tatsächlich sich herleiten müssen aus den in der freien Lahn vorkommenden Anodonten. An eine Übertragung aus andern Teichen durch Wasservögel usw. ist nicht zu denken, wenn man die kurze Ent- stehungszeit der Teiche in Betracht zieht und die oft recht große Menge an darin enthaltenen Muscheln. Die Entstehungszeit mußte also wohl hier ihre Bedeutung haben, und diese Vermutung wurde auch tatsächlich bestätigt. Es stellte sich heraus, daß das Altwasser bei Cölbe vor ungefähr 27 Jahren ent- standen war anläßlich eines Bahnbaues. Durch einen Eisenbahndamm war es von der fließenden Ohm abgeschnitten worden. Ebenso ließ sich auch feststellen, daß die »alte Ohm« bei Anzefahr in ähnlicher Weise ihre Entstehung genommen hatte. Im Jahre 1863, also vor 50 Jahren, gab ein Durchstich an jener Stelle Veranlassung zu ihrer Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 291 Bildung, wie sich aus den Rechnungsbüchern der Gemeinde Anzefahr nachweisen heß. Noch älter als diese beiden Altwässer sind die bei Ruthershausen. In den Jahren 1850 bis 1852 etwa wurden sie von der Lahn abgetrennt durch den Bahnbau der Strecke Frankfurt (Main) — Kassel. Die Entstehungszeit .schließlich des Schützenpfuhls bei Marburg ließ sich nicht mehr genau feststellen. Bemerkungen in einer Chronik waren nicht aufzufinden, und selbst das Stadtarchiv wußte keine nähere Auskunft zu geben. Die Tatsache aber der Ausgrabung eines alten Wehrs, das mit dem Schützenpfuhl, einem früheren Mühl- graben, in Verbindung zu bringen ist, und auch Andeutungen, die sich in den Büchern des Fischereivereins vorfanden, lassen mit Bestimmt- heit darauf schließen, daß dieses Altwasser als stehendes Gewässer seit mindestens 300 Jahren besteht. Die Zahl 300 ist vielleicht eher etwas zu niedrig gegriffen als zu hoch, reicht aber vollkommen aus, uns die nötige Aufklärung in unsrer Frage zu geben. Fassen wir unter diesem neuen Gesichtspunkt die erlangten Er- gebnisse zusammen. Die Anodonten des fließenden Wassers — die Tiere aus dem Mannheimer Floßhafen sowohl wie aus der Lahn — erweisen sich als durchgehend gonochoristisch mit gleich viel Männchen und Weibchen. In Cölbe waren die Muscheln seit etwa 27 Jahren vom fUeßenden Wasser getrennt. Ihre Schalenform gleicht noch fast vollkommen der der Flußformen. Auch sie sind durchgehend getrennt- geschlechtlich, zeigen aber ein Überwiegen der Weibchen gegenüber den Männchen. Die seit etwa 50 Jahren vom Fluß abgeschnittenen Tiere in Anzefahr repräsentieren schon äußerlich den Typ der »Teich- muschel«, sind in der Regel hermaphrodit und weisen nur ganz selten daneben noch rein weibliche Exemplare auf. Fast ganz dieselben Verhältnisse treten uns auch entgegen bei den Muscheln aus der alten Lahn bei Ruthershausen, einem Wasser, das seit etwa 60 Jahren nicht mehr mit dem Fluß in Verbindung steht. Und schließlich finden wir in dem seit rund 300 Jahren als Teich bestehenden Schützen- pfuhl nur zwittrige Tiere, ohne die geringste Andeutung von Getrennt- geschlechtlichkeit . Diese Tatsachen können keine Zufälligkeiten darstellen, hier scheinen einige Stadien einer Entwicklungsreihe vorzuliegen. Versuchen wir, sie aufzudecken. Wir können verfolgen, wie aus den getrennt- geschlechthchen Tieren des Flusses, die unter die veränderten Lebens- bedingungen des stehenden Wassers gebracht werden, allmählich, aber doch in einem verhältnismäßig sehr kurzen Zeitraum Hermaphroditen entstehen. Wir haben hier gewissermaßen die verschiedenen aufein- 292 Heinrich Weisensee, anderfolgenden Phasen eines Experimentes gleichzeitig nebeneinander vor uns. Wir sehen, wie nach und nach im stehenden Wasser die Zahl der Männchen gegenüber derjenigen der Weibchen abnimmt und dann plötzlich Hermaphroditen auftreten, wie dann allmählich die Zahl der neben den Zwittern noch vorkommenden Weibchen zurückgeht, und wie schließlich wir zu rein zwittrigen Formen in schon sehr lange be- stehenden toten Wässern kommen. Auf Grund der oben angeführten Beobachtungen ist es wohl klar, daß wir hier eine Umbildung des Geschlechtsapparates vor uns haben, daß sich die Getrenntgeschlechtlichkeit als der Normal- zustand erweist für die im fließenden Wasser lebenden Anodonten, während die des stehenden Wassers herm- aphrodit sind. Diese Umwandlung vomGonochorismus zum Hermaphroditismus ist wohl auf Grund des angeführten Tatsachenmaterials als erwiesen anzusehen. Eine Nach- prüfung an den Verhältnissen andrer Flußgebiete wäre dazu angetan, diesen Befund weiter zu stützen. Bislang war es nur wegen Material- mangels noch nicht möglich, diese Bestätigung zu liefern, doch hoffe ich bestimmt, das später noch nachholen zu können. Über die Art und Weise, wie sich die oben angeführte Umwand- lung nun tatsächlich vollzieht, vermag ich gegenwärtig noch keine Auskunft zu geben, denn es fehlte mir bisher noch vollkommen an Jugendstadien der Zwitterformen. Ich muß mich darauf beschränken, diese Umwandlung zu konstatieren und meine Folgerungen daraus zu ziehen. Eine dieser Folgerungen wäre, daß der Genitalapparat der Lamellibranchiaten als verhältnismäßig sehr primitiv anzusehen ist, denn solch tiefgreifende Umwälzungen in derartig kurzer Zeit wären an einem kompliziert gebauten Organsystem kaum denkbar. Diese Primitivität des Organes wird auch noch aus der Betrachtung seiner Anatomie im zweiten Teil der Arbeit erhellen. Was aus unserm Be- funde zu folgern wäre für die Funktion des Geschlechtsapparates, wird im letzten Abschnitt der Arbeit seine Erwähnung finden. Nur das eine sei hier noch gebracht: diese eigentümlichen Verhältnisse des Ge- schlechtsapparates geben uns auch die Erklärung für die zahlreichen Widersprüche, die über diese Frage in der Literatur stets herrschten. Alle Angaben, die über den Zustand der Genitalorgane bei Anodonta gemacht wurden, ließen den Fundort der Tiere außer Beachtung und konnten aus diesem Grunde keine Klarheit über die Sachlage bringen. Uns soll hier nur noch eine Frage beschäftigen, die nach den Ur- sachen der festgestellten Umwandlung. Inwiefern hat das Überführen Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 293 der Tiere aus dem fließenden Wasser in stehende Tümpel einen Einfluß auf deren Geschlechtsapparat? Schon oben wurde darauf hingewiesen, daß der Einfluß des stehenden Wassers auf die Schalen der Muscheln eine längst bekannte Tatsache ist. Und daß eine solche Beeinflussung eintritt, ist leicht verständlich, wenn man bedenkt, daß hier eine direkte Berührung und eine starke Abhängigkeit vorhanden ist. Es wäre auch zu verstehen, daß der Zustand des Wassers von Einfluß etwa wäre auf die Färbung der Weichteile der Muschel, denn auch hier ist eine innige Berührung vorhanden, selbst eine Gestaltsveränderung der Kiemen wäre aus diesen Gründen verständlich. Aber inwiefern das Leben im stehen- den Wasser von Einfluß auf den Geschlechtsapparat einer Muschel sein und eine derartige Umwandlung bewirken kann, muß uns zunächst doch Wunder nehmen. Auch ich möchte nicht den Anschein erwecken, als sei ich in der Lage, nun eine vollkommen genügende Erklärung und Lösung dieser Frage zu geben. Dazu bedarf es experimenteller Unter- suchungen und biologischer Beobachtvingen, die sich auf längere Zeit- räume erstrecken, und die anzustellen, mir nicht möglich war. Ich möchte aber doch versuchen, einen Weg zur Lösung der Frage ausfindig zu machen, theoretisch eine Klärung des Problems zu geben, ohne mich dabei auf eine vollkommen festliegende Ansicht zu versteifen. Es ist wohl anzunehmen, daß die Beschaffenheit — die chemische wie die physikalische — des stehenden Wassers nicht direkt — etwa chemo- taktisch — einen Einfluß haben kann auf den Geschlechtsapparat, denil einmal sind die Unterschiede zwischen fließendem und stehendem Wasser nur gering und andrerseits sind Berührungspunkte zwischen Wasser und Geschlechtsapparat ja kaum vorhanden. Ein Einfluß des umgebenden Wassers wäre also nur denkbar in bezug auf die Funktion des Genitalapparates und hier wieder höchstwahrscheinlich nvir auf den Akt der Befruchtung. Ich will mich hier nicht weiter einlassen auf die bis heute noch nicht gelöste Frage nach dem Ort der Befruchtung usw. Es genügt uns zunächst die Feststellung, daß bei den getrenntgeschlecht- lichen Flußformen eine Befruchtung der Weibchen durch ein männ- liches Individuum vor sich gehen muß, und zwar, da keine besonderen Begattungswerkzeuge vorhanden sind, durch die Vermittlung des Wassers, in dem die Tiere leben. Wie sich in dieser Beziehung die zwittrigen Formen verhalten, davon wird noch im Schlußkapitel die Rede sein. Für uns genügt zunächst die Feststellung — und diese Tatsache ist wirklich unbestreitbar — , daß das Wasser bei der Befruch- tung wenigstens der getrenntgeschlechtlichen Formen von großer Be- deutung ist. Wir wissen, daß das Männchen seine reifen Spermatozoen 294 Heinrich Weisensee, mit dem Atemwasser entleert, daß sie in dem umgebenden Wasser ■weitergetragen werden und sich darin bewegen, und daß sie schließlich mit dem Atemwasser in das Weibchen gelangen, wo sie — gleichgültig an welcher Stelle — die Befruchtung der reifen Eier bewirken. Für uns ist nun wieder von besonderer Bedeutung, in welcher Weise das umgebende Wasser bei dem Transport des Spermas beteiligt ist. Ge- langen die Spermatozoen hin zu dem Weibchen durch die Kraft ihrer Eigenbewegung, oder ist dabei eine W^asserströmung notwendig oder doch wenigstens von Vorteil? Sicherlich wirken diese beiden Momente zusammen, doch ist wohl anzunehmen, daß die Eigenbewegung der Spermatozoen hier eine untergeordnete Kolle spielt. Sie ist — das. lehrt uns schon die Beobachtung des lebenden Spermas unter dem Mikroskop — sicher nicht ausreichend, um über eine größere Strecke hin das Spermatozoon zu befördern, besonders wenn man die Geschwin- digkeit der Vorwärtsbewegung allein ins Auge faßt, ohne sich durch die Oszillationen beirren zu lassen. Und noch eins kommt hinzu, was uns veranlassen muß, der Eigenbeweglichkeit des Spermas hier eine geringere Bedeutung beizumessen. Es ist die Beobachtung, die schon V. Hessling (29) an der Flußperlmuschel machte, daß nämlich das. vom Männchen ausgestoßene Sperma sich nicht ohne weiteres mit dem umgebenden W^asser mischt, sich in diesem nach allen Seiten ver- teilt, sondern daß es sich oft lange Zeit in Form von Wolken schwebend erhält, die dann, wie v. Hessling beobachtete, von der Strömung weitergetragen werden und mit dem Atemwasser in die Kieme des Weibchens gelangen. Auf Grund dieser Beobachtungen glaube ich wohl berechtigt zu sein zu der Annahme, daß der Transport der Sperma- tozoen vom männlichen zum weiblichen Tier weit mehr auf Rechnung von Strömungen im umgebenden Wasser als der Eigenbeweglichkeit des Spermas zu setzen ist. Die Strömungen des umgebenden Wassers, zerfallen wieder in zwei Arten: einmal in die Strömung des Flusses selbst und dann in die feinen durch das Atmen der Muscheln bedingten Strömungen. Diese letzteren sind im Gegensatz zu den ersteren gering und kommen daher nur in zweiter Linie in Betracht; die Hauptarbeit bei dem Transport des Spermas fällt also ohne Zweifel der Strömung des Flusses zur Last. Wie werden sich nun die Verhältnisse gestalten für die im stehenden Wasser lebenden Anodonten? Hier ist keinerlei deutlich merkbare Strömung vorhanden. Ich erinnere nur an die. kleinen Tümpel mit oft stark mit Strauchwerk zugewachsenen Ufern, die selbst bei einem starken Sturm kaum eine oberflächliche Bewegung des Wassers zeigen^ Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 295 in denen aber unter Umständen die Anodonten oft recht gut gedeihen. Eine geringe Wasserbewegung wird ja auch hier wohl bewirkt durch darin befindhche Fische, doch ist diese zweifellos kaum in Betracht zu ziehen wegen ihrer geringen Stärke und Unregelmäßigkeit. Daß sie zudem durch die in solchen Tümpeln stets recht häufig auftretenden Wasserpflanzen stark gedämpft wird, ist ein weiterer Punkt, der hier mit hereinspricht. Es läßt sich also nicht leugnen, daß bei der großen Bedeutung der Wasserbewegung für die Befruchtung der Anodonten die im stehenden Wasser lebenden Tiere unter weit ungünstigeren Ver- hältnissen sich befinden müßten als die im Flusse lebenden, wenn sie nicht selbst Abhilfe schaffen könnten. Und als solch eine Abhilfe wäre die hermaphrodite Anlage des Geschlechtsapparates verständlich. Ich möchte nicht ohne weiteres hier der Selbstbefruchtung dieser Zwitter das Wort geredet haben, — diese Frage wird im letzten Kapitel der Arbeit ihre Behandlung noch kurz finden, obwohl ich sie, wie ich gleich hier bemerken will, nicht geradezu leugnen möchte. Aber auch so liegen ja die Vorteile auf der Hand, die unter den gegebenen Verhältnissen ein hermaphrodit angelegter Geschlechtsapparat für die Erhaltung der Art haben muß, wenn wir eine Wechselbefruchtung annehmen. Bei Tierformen mit langsamer Ortsbewegung, bei denen die Befruchtung so stark von Zufälligkeiten abhängt wie bei den Muscheln im stehenden Wasser, muß es als ganz bedeutender Vorteil angesehen werden, wenn die Zahl der weiblichen Tiere eine möglichst große ist. Und diese For- derung ist im höchsten Maße erfüllt bei einer hermaphroditen Anlage des Geschlechtsapparates, denn hier ist die Zahl der weiblichen Tiere ebenso wie die der männlichen gerade so groß als die der Individuen überhaupt. Und noch ein Punkt: wenn bei einer gonochoristischen Form zwei Individuen zusammentreffen, so ist nur in der Hälfte aller Fälle eine Begattung möglich, denn die Wahrscheinlichkeit, daß die beiden zwei Männchen oder zwei Weibchen sind, ist genau ebenso groJ^ wie die, daß ein Männchen und ein Weibchen zusammentreffen. Es ist dagegen bei einer hermaphroditen Form stets eine Befruchtung möglich. Ja, selbst wenn nur ein einziges Individuum vorhanden ist, so wäre sehr wohl noch die Aushilfe der Selbstbefruchtung denkbar, damit die Art erhalten bliebe. Wenden wir diese Betrachtung noch einmal speziell auf unsre Muschel an. Die Möglichkeit einer Befruchtung getrenntgeschlechtlicher Tiere im stehenden Wasser ist nach dem Vorhergesagten zweifellos, sehr gering, denn besonders da bisher eine Annäherung zwischen männ- lichen und weiblichen Individuen zum Zwecke der Befruchtung nicht 296 Heinrich Weisensee, beobachtet Averden konnte, in sehr vielen Fällen, selbst bei der An- nahme, daß die Tiere nahe beieinander säßen, wird der Weg, den die Spermatozoen vom männlichen Individuum zum weiblichen zurück- legen müßten, unüberwindlich groß sein. Anders jedoch werden sich die Verhältnisse gestalten, wenn wir es mit Zwittern zu tun haben. Hier wird ein Transport des Spermas von einem Individuum zum benach- barten viel leichter möghch sein; und damit wäre eine regelmäßige Befruchtung weit besser gewährleistet als im andern Fall. Daß die hier angestellten Betrachtungen zu keinem sicheren Er- gebnis kommen konnten, war schon von vornherein klar. Um dahin zn gelangen, bedarf es genauer Nachprüfungen und Erweiterungen besonders mit Hilfe langwieriger Experimente. C. Folgerungen in bezug auf die Systematik. Die oben gebrachten Darlegungen gaben Veranlassung zu Folge- rungen auch in bezug auf die Anodontensystematik. Wer die enorme Literatur über dieses Gebiet kennt, wird verstehen, daß sie nur mit Auswahl benutzt werden konnte. Auf Einzelheiten mich einzulassen, konnte auch nicht meine Absicht sein, sondern es galt für mich nur, die neuen Befunde womöglich für die hier vorhandenen Streitfragen prinzipieller Natur nutzbar zu machen. Zu diesem Zweck wird es notwendig sein, einen ganz kurzen Überblick zu geben über die Ent- wicklung der Anodontensystematik. Form und Beschaffenheit der Schale waren stets die Hauptanhalts- punkte für den Systematiker. Nur hie und da (vgl. Kossmässler) wurde daneben noch Wert gelegt auf die Farbe der Weichteile, ein Kriterium, das aber, wie Buchner (11) nachwies, nicht sehr brauchbar ist, da das umgebende Wasser außerordentlich großen Einfluß auf die Färbung des Tieres hat. Wir werden sogleich sehen, wie in neuester Zeit die Stellung der Forscher zu dem alten Hauptcharakteristikum eine andre geworden ist. Auf Grund von Schalenmerkmalen hatte Linne zwei Arten von Teichmuscheln aufgestellt: Mytilus cygneus und Mytilus anatinus, die Draparnaud zu einer einzigen Grundform vereinigte {Änodontides variahilis). Diese Ansicht erlangte keine allgemeine Anerkennung, und in der Folge ging der Gesichtspunkt, daß die Systematik die Aufgabe habe, die verschiedenen Tierarten und -species zu vereinen unter höheren durchgreifenden Gesichtspunkten, mehr und mehr verloren. Er wich zurück vor dem Bestreben, immer neue Arten und Species ausfindig zu machen und mit Namen zu belegen, im Grunde genommen vor allem Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 297 ZU dem Zweck, ein großes Sammlungsmaterial hübsch zu gliedern und zu etikettieren. — Rossmässler (73) gibt in seiner »Iconographie der Land- und Süßwasser-Mollusken« eine Keihe hervorragender Abbil- dungen der verschiedenen Anodontenf ormen ; ohne sich weiter auf deren Anatomie einzulassen, verlegt er sich rein auf eine Beschreibung der Schalen. Zur prinzipiellen Frage der Systematik nimmt er keine Stellung; ihm lag nur daran, die verschiedenen bekannten Arten ab- zubilden. — KoBELT (41) reduzierte zwar in seinem »Catolog der im europäischen Faunengebiet lebenden BinnenconchyHen« die Zahl der guten x^rten von Anodonta Cuvier auf fünf, nämlich: A. cijgnea L., A. cellensis Gmel., A. piscinalis, A. anatina, A. complanata Zgl. mit einer großen Menge von Varietäten, erwähnt aber daneben noch 28 schlechte Arten. — Die Zahl der aufgestellten Arten, die bisweilen heute noch anerkannt werden, war unübersehbar groß. Westerlund stellte für die deutschen Gewässer 87 Arten fest, und Serrain beschrieb aus dem Main zwischen Hanau und Frankfurt 26 Arten (Israel). Eine Änderung, die schon, wie aus dem vorigen hervorgeht, von Kobelt angebahnt war, wurde bewirkt durch die Stellungnahme Clessins (14, 15). Dieser griff zurück auf die alte DRAPARNAUDSche Ansicht, ver- einigte fast alle die mannigfachen Formen unter einem Grundtyp, dem er den^ amen Anodontides mutabilis gab, und ließ daneben nur Anodonta complanata Zgl. auf Grund ihrer anatomischen Unterschiede von den andern Formen als selbständige Species bestehen. Hazay (25) schloß sich ihm an, führte aber für A. mutabilis den alten Namen Anodonta cygnea L. wieder ein. Auch Buchner (11) vertrat denselben Stand- punkt: er hielt ebenfalls Anodonta cygnea L. für die einzige systematisch haltbare Einheit, der als selbständige Species die wenig häufige Ano- donta complanata Zgl. zur Seite tritt, die neben anatomischen Unter- schieden auch eine etwas abweichende Glochidienform aufweist. Um eine Übersicht zu ermöglichen über das Formenchaos der Anodonta cygnea, versuchte er, fünf sogenannte »Variationszentren«, die schon Clessin hervorgehoben hatte, aufzustellen, um die sich all die mannig- fachen Formen herumkristallisieren sollten. Er nannte als solche: \) A. cygnea L. (typische Form), 2) Var. cellensis Schrot., Zeitschrift f. wlssensch. Zoologie. CXV. Bd. 20 298 Heinrich Weisensee, 3) Var. fiscinalis Nils., 4) Var. anatina L., 5) Var. lacustrina Cless. Es muß dabei hervorgehoben werden, daß er bei der Betrachtung dieser Formen auch einen gewissen Wert legt auf ihren Aufenthaltsort, obwohl ihm die Schalenform das Ausschlaggebende ist. Die Muscheln 1) und 2) sind die Formen des stehenden Wassers, 3) und 4) finden wir in langsam- bzw. schneller-fließendem Wasser, während 5) den Typ der größeren Seen repräsentiert. Es kann nicht meine Aufgabe sein, mich in alle Einzelheiten der Schalenverschiedenheiten einzulassen, doch soll darauf aufmerksam gemacht werden, daß die hier aufgestellten Typen in der Hauptsache den gleichnamigen von Kossmässler (Icono- graphie Heft I bis VI) abgebildeten und beschriebenen Formen ent- sprechen. Es bleibt mir daher nur noch übrig, die von mir untersuchten Tiere mit diesen Typen zu vergleichen. Wenn wir die im ersten Kapitel gegebenen RossMÄssLERschen Bezeichnungen mit heranziehen, ergibt sich ohne weiteres, daß wir die Formen aus Anzefahr, Ruthershausen und dem Schützenpfuhl zum Typ A. cygnea L., Var. cellensis Schrot, rechnen müssen, daß die Cölber Tiere der Var. anatina L. zugehören — sie tragen eben noch vollkommen der Schale nach das Gepräge der Fluß- form — und daß die Muscheln aus dem Mannheimer Floßhafen als typische Vertreter der Var. 'piscinalis Nils, anzusehen sind. Im Gegensatz zu den bisher erwähnten Autoren machte Haas (21) den Versuch, zwei Haupttypen von Anodonta aufzustellen: A. cellensis Schrot, und A. fiscinalis Nils., die er allein auf Grund ihrer Schalen- form auseinanderhalten wollte, eine Unterscheidung, die er heute selbst wieder aufgegeben hat. Außerdem machte er den Versuch, Anodonta complanata Ziegl. als selbständiges Genus wiederaufzustellen unter Anwendung des schon von Bourguignat eingeführten Namens >>Pseud- anodontai<. Ortmann (61, 62) erkennt wohl A. complanata auf Grund ihrer anatomischen Unterschiede von dem Cygneatyp als selbständige gute Art an, kann aber nicht die Berechtigung zur Aufstellung eines neuen Genus einsehen. Auch er vereinigt alle übrigen europäischen Anodontenformen unter den Typ der Anodonta cygnea L. Israel (34) schließt sich seiner Auffassung in allen Punkten an. Analog den »Variationszentren« Buchners stellt er auch eine Reihe von Hauptformen auf, die mit jenen vollkommen übereinstimmen, nur kennt er noch eine Zwischenform zwischen dem Typ cygnea und cellensis, die er als A. cygnea cellensis Gm. bezeichnet. Er legt dabei Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 299 nur einen geringen Wert auf die Schalenbesehaffenheit — in der Haupt- sache beschränkt er sich auf Angabe der Maßverhältnisse — und hält sich an den Aufenthaltsort der Tiere (a.a.O. S.31). Fassen wir kurz den heutigen Stand der Anodontensystematik zu- sammen. Fast durchweg besteht die Anschauung, daß wir es bei den europäischen Anodonten — anders liegt die Sache bei den in Amerika lebenden — hauptsächlich mit einer Art zu tun haben, der der Name Anodonta cygnea L. auf Grund des Prioritätsgesetzes beigelegt werden muß. Neben sie tritt als gleichfalls gute Art auf Grund geringer ana- tomischer Unterschiede und einer etwas verschiedenen Glochidien- form die wenig verbreitete Form Anodonta co?nplanata Ziegl. Diese letztere Form findet sich nur sehr selten in fließendem Wasser und zwar nur in Donau und Elbe. Alle übrigen mannigfachen Formen des fließen- den und stehenden Wassers sind als zugehörig zu Anodonta cygnea L. anzusehen und kommen höchstens als Varietäten in Betracht. Durch dieses Ergebnis, das bei weitem noch nicht allgemein an- erkannt ist, — insbesondere verblieb die französische Schule immer noch ungefähr auf dem Standpunkt, daß jede etwas abweichende Schalenform anzusehen sei als Merkmal einer neuen Art, — war ja nun im großen und ganzen eine gewisse Vereinfachung und Übersichtlich- keit des Systems erreicht, aber es blieb immer noch das Chaos der A. cygnea L. bestehen, das keinerlei Übersicht gestattete. Bei der Aufstellung der beiden großen Gruppen A. cygnea und A. complanata hatte man sich allein gestützt auf anatomische Merkmale und nun griff man fast durchweg wieder zurück auf die Betrachtung der Schalen, um eine Gliederung in der Cygnea-FoTni zu bewerkstelligen. Daß da- neben Buchner Eücksicht genommen hatte auf den Standort der Tiere und ebenso Israel in noch höherem Maße, wurde vorhin schon erwähnt. Es muß nun aber noch auf die Stellung Hazays (25) in dieser Frage eingegangen werden, die — wie mir scheint — am meisten dazu an- getan ist, uns einen klaren Überblick über die Cygnea-^oim zu ermög- lichen. Er legt bei seiner Beurteilung der Formen das Gewicht allein auf den Standort. Wir lesen (a. a. 0. S. 190, Z. 8 v. u.) : »Von den Anodonten ist Anod. complanata die eine Form, welche sich nicht an alle gegebenen Bedingungen anpaßt und sich nur unter besonders gün- stigen Existenzbedingungen behauptet, darum aber auch in ihrer Form mehr Beständigkeit aufweist. Alle anderen Gebilde dieses Genus mit mehr Anpassungsfähigkeit sind in ihren Formen äußerst variabel und gehören einer zweiten Art an. Sie sondern sich je nach der Wasser- 20* 300 Heiiuich Weisensee, beschaff enheit in drei Gruppen und zwar: in den Typus des ruhigen, stehenden Wassers als Cygnea cellensis; in den Typus des fließenden Wassers als fiscinalis mit ihrer rostralen Altersform und mit anatina, ihrer Verkümmerungsform; in den Typus der Gebirgsseewasser, die ge- drängten, kurzen Formen mit engen Jahresringen, als lacustrina Cless., welche, den physikalischen und chemischen Eigenschaften des Wassers gemäß, mehr oder minder, nie aber gänzlich ihre Stammform 'piscinalis verleugnen.« — Über das Verhältnis dieser drei Formentypen zu ein- ander ist seine Ansicht die (a. a. 0. S. 191, Z. 19) : »Erst wenn wir in den Gestaltungen des ruhigen, stehenden Wassers, in welchem erwiesener- weise alle Wassermollusken zur vervollkommnetsten Formausprägung gelangen, den Formtypus der Art ansehen, ergeben die Gestaltungen der Fluß- und Seeformen bedingte Varietäten.« Wie schon oben bemerkt wurde, und wie alle Systematiker von RossMÄssLER an bis zu unserer Zeit stets hervorgehoben haben, ist es eine längst bekannte Tatsache, daß unsere Anodonten in der über- raschendsten Weise mit der Änderung ihrer Schalengestalt reagieren auf die geringsten Änderungen des umgebenden Wassers, und Clessin (14) hat selbst auf experimentellem Wege den Beweis dafür erbracht. Man war sich stets bewußt — wenigstens in neuerer Zeit — , daß die mannig- fachen aufgestellten Varietäten der Ci/gnea-¥orm keine fest gegen- einander begrenzten Einheiten, sondern daß sie durch alle möglichen Zwischenstufen verbunden seien und selbst in relativ sehr kurzer Zeit ineinander übergehen könnten, wenn die Verhältnisse ihres Standortes wechselten. Obwohl man diese Unbeständigkeit der Schale kannte, nahm man sie doch als Kriterium zur Aufstellung der Varietäten. Ist nicht zu befürchten, daß ein solches Kriterium zu unbestimmt sich zeigt? (Vgl. ßossMÄssLER, Heynemann, Clessin, Hazay, Buchner, Israel usw.) Was nützt uns eine Varietät, wenn wir befürchten müssen, daß sie in absehbarer Zeit zu einer anderen wird? Man glaubte, außer in der Schale keinen Ansatzpunkt finden zu können für eine syste- matische Ordnung. Und aus dieser Ansicht heraus erfolgte eine Ab- kehr vom Studium der Anatomie der Anodonten. So lesen wir bei Buchner (a. a. 0. S. 877 Z. 3 v. u.): »Das muß uns jetzt absolut klar sein, daß die Schalen unserer Anodonten höchstens zur Beurteilung der Varietät und zwar nur im engeren Sinne der , bedingten Varietät' in Betracht kommen können, denn darüber sind die Akten längst ge- schlossen, daß die größeren Ohnzahnmuscheln unseres engeren und wei- teren Vaterlandes im Baue ihres Organismus in seiner Gesamtheit wie in dessen einzelnen Teilen wesentlich übereinstimmen.« Die Folge Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 301 dieser Ansicht war eine sehr oberflächliche Behandlung aller der Punkte, die eine genauere anatomische Untersuchung gefordert hätten: so scheint aus Buchners Arbeit hervorzugehen, daß sich seine Unter- suchungen des Geschlechts der Anodonten beschränkten auf eine Fest- stellung der vorhandenen oder nicht vorhandenen Kiementrächtig- keit, ein Merkmal, das als sehr unzuverlässig angesehen werden muss. Auf das Vorhandensein oder Vorkommen von Zwittern scheint er gar nicht geachtet zu haben; und es ist mit großer Sicherheit anzunehmen, daß ein gut Teil der von ihm untersuchten Formen tatsächlich Zwitter waren. Es sei mir gestattet, einen von Hazay erwähnten Punkt hier erst noch zu streifen, ehe ich mich der prinzipiellen Frage der Systematik wieder zuwende. Hazay spricht von Anodonta cygnea L. und sagt weiter (a.a.O. S. 24 Z. 18): »Ihr beigeordnet untersteht die immer auch geschlechtlichen Unterschied bietende weibhche Form cellensis Gmel.<<, und später: >>Anod. cygnea L. wie auch das Weibchen cellensis erreicht ...<<. Buchner stimmt ihm in dieser Auffassung nicht ohne weiteres zu, wenn er auch die x\nsicht vertritt, daß die stärkere Auf- geblasenheit der Schale als Anpassung an das Brutgeschäft hauptsäch- lich bei den Weibchen festzustellen sei. Auch gibt er zu, daß mit dieser stärkeren Wölbung der Schale eine Längsstreckung nach hinten zu Hand in Hand gehe. Er stellt eine Reihe von sogenannten »sexuellen Modifikationen« fest in bezug auf die Schalenform. Ich möchte nicht weiter diese einzelnen Punkte besprechen, sondern nur darauf hin- weisen, daß zu deren endgültiger Aufklärung unbedingt eine peinlich genaue Untersuchung der Geschlechtsverhältnisse notwendig wäre, die sich nicht nur begnügte mit einer Beobachtung der Kiementrächtigkeit. Unsere Betrachtung hatte zu einem Punkt geführt, der den Wert der Schalenbeschaffenheit für die systematische Ghederung als zweifel- haft erscheinen lassen mußte. Aber wir hatten auch schon einen Weg kennen gelernt, der dazu dienen könnte, diesen Schwierigkeiten aus- zuweichen: es war die Aufstellung der drei Anodontenformen von Hazay auf Grund ihres Aufenthaltsortes. Auf diesen Versuch möchte ich nun näher eingehen, und will versuchen, meine eigenen oben dar- gelegten Ergebnisse damit in Zusammenhang zu bringen. Die im ersten Abschnitt der Arbeit aufgezählten, beschriebenen und abgebildeten Muscheln gehören durchweg der Art Anodonta cygnea L, an. Unsere weiteren Betrachtungen führten uns allmählich dazu, diese verschiedenen Formen in zwei Hauptgruppen zu gliedern : einmal in die typische Form des fließenden Wassers mit ihren aus Fig. 1 und 2 302 Heinrich Weisensee, ersichtlichen Schaleneigentümlichkeiten, die sich in der Hauptsache bekunden in der flachen Wölbung und dem stark verlängerten Schild, und dann in den Typus des ruhigen, stehenden Wassers (vgl. Fig. 11 und 12) mit der abgerundeten Schalenform, dem nur schwach Fig. 11. Anodonta cygnea L. aus dem Schützenpfulil. Von der Seite. Natürl. Größe. Fig. 12. Dieselbe von oben. Natürl. Größe. ausgebildeten Schild und der stärkeren Wölbung. Vertreter des ersten Typus waren die Tiere aus dem Mannheimer Floßhafen, des zweiten die aus dem Schützenpfuhl bei Marburg. Hier kommt nun aber ein neues Moment hinzu, das den Gegensatz dieser zwei Typen noch stärker zu betonen hilft: Wir hatten gesehen, daß die Mannheimer Anodonten Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 303 alle getrenntgeschlechtlich waren, während sich die aus dem Schützen- pfuhl als durchgehend hermaphrodit erwiesen, daß also zwischen den beiden Typen nicht nur ein rein äußerlicher Unterschied in der Schalen- beschaffenheit festzustellen war, sondern daß diesem auch eine tief- greifende Verschiedenheit der inneren Organisation ent- sprach. Daß alle die übrigen untersuchten Formen aus Cölbe, Anze- fahr und Ruthershausen als Zwischenstufen, Zwischenformen zwischen diesen beiden Typen anzusehen seien, wurde ja schon im zweiten Kapitel hervorgehoben und braucht hier nur noch einmal kurz er- wähnt zu werden. Wie sich die Verhältnisse gestalten bei der von Hazay noch als dritten Typus aufgestellten Gebirgsseeform, darüber vermag ich leider keinerlei Auskunft zu geben, denn es stand mir kein Material zur Ver- fügung, das eine derartige Untersuchung ermöglicht hätte. Wie aber aus Hazays Arbeit hervorzugehen scheint, besteht kein sehr tief- greifender Unterschied zwischen ihr und der Piscinalis-YoTUi der fließenden Gewässer, nur zeigt die Bauart ihrer Schale gewisse Ver- schiedenheiten. Diese Tatsache ist auch leicht verständlich, denn in der Hauptsache sind die biologischen Verhältnisse, unter denen die Muscheln dieser Seen leben, ähnlich denen im fließenden Wasser. Hier muß der Wellenschlag, der besonders am Ufer fühlbar wird, wo sich in der Regel die Muscheln aufhalten, dieselbe Wirkung haben als dort die Strömung des Flusses. Es wäre also leicht denkbar, daß zwi- schen der typischen Form des fließenden Wassers und der der Gebirgs- seen keine sehr tiefgreifenden Unterschiede vorhanden sind. Es ist mir leider nicht möglich, mich in dieser Frage endgültig zu entscheiden. Hazay vertrat die Ansicht, daß wohl die Form des stehenden Wassers als die typische und höchststehende aufzufassen sei. Dem kann ich mich jedoch nicht vollkommen anschließen, denn es scheint mir nicht möglich, ohne weiteres zu entscheiden, ob die hermaphro- dite Form als höherstehend einzuschätzen sei als die gonochoristische, sondern ich möchte weit lieber beide als gleichberechtigt nebeneinander stehen lassen. Vielleicht sogar müßte die getrenntgeschlechtliche Fluß- form an die Spitze gestellt werden, denn aus ihr entwickelt sich ja erst sekundär die des stehenden Wassers, wobei allerdings abzuwarten bleibt, ob nicht auch eine Umwandlung in umgekehrter Richtung — vom Hermaphroditismus zum Gonochorismus — möglich wäre. — Es sei mir gestattet, hier am Schluß noch einmal zusammenfassend den Hauptpunkt dieses Kapitels hervorzuheben. Nachdem es anscheinend feststeht, daß wir unter den europäischen 304 Heinrich Weisensee, Anodonten nur zwei gute Arten zu unterscheiden haben, nämlich die wenig verbreitete Anodonta complanata Ziegl. und die alle übrigen For- men zusammenfassende Anodonta cygnea L., scheint mir die Gliederung dieser letzten Art am vorteilhaftesten durchführbar unter dem Ge- sichtspunkt des Aufenthaltsortes der Tiere. Unter diesem Gesichts- punkte konnte ich bei dem mir vorliegenden Material mit Bestimmtheit zwei Typen unterscheiden: 1. die typische Form des fließenden Wassers und 2. die der stehenden Gewässer. Als Hauptmerkmale des ersten Typus seien genannt: flache Schale von geringer Größe mit meist stark ausgeprägtem Schild. Der Geschlechtsapparat ist gonochoristisch. Die Merkmale des zweiten Typus sind: große, meist stärker gewölbte Schale mit kleinem Schild. Der Geschlechtsapparat ist durchweg hermaphro- dit. — Zwischen diesen beiden Haupttypen sind alle möglichen Zwischen- stufen feststellbar. Ob diesen beiden Grundformen noch eine dritte, der Typ der Ge- birgsseeform Hazays, als gleichwertig an die Seite zu stellen ist, vermag ich auf Grund des mir zur Verfügung stehenden Materials nicht zu ent- scheiden. Es kann nach diesem Versuch, zurückzugehen bei der systemati- schen Gliederung der Art Anodonta cygnea L. auf die Betrachtung des Aufenthaltsortes, natürlich nicht meine Absicht sein, alle Gliederung auf Grund von Schalenverhältnissen zu verurteilen. Sondern es sollte nur gesucht werden nach einem Gesichtspunkt, der uns unabhängig machen könnte von der Variabilität der Schale, deren Form selbst- verständlich auch zu einem gewissen Grade berücksichtigt werden muß. Allerdings bin ich der Überzeugung, daß die Heranziehung von Schalen- charakteren erst in zweiter Linie in Betracht kommen darf, da die Be- rücksichtigung des Standortes — insofern als festgestellt wird, ob die Tiere im stehenden oder fließenden Wasser leben — zusammen mit den durch ihn bewirkten Unterschieden im inneren Bau der Muscheln sehr wohl die Aufstellung von zwei Typen ermöglicht, die in ihrer vollkom- mensten Ausbildung sicher als scharf voneinander unterschieden, also als systematisch vollkommen berechtigte Varietäten anzusehen sind. II. Die Morphologie des Geschlechtsapparates bei Anodonta. Aus der historischen Betrachtung zu Beginn der Arbeit erhellt, daß die letzten morphologischen Untersuchungen des Genitalapparates von Anodonta sehr weit zurückliegen. Die damals vorhandenen, relativ beschränkten Hilfsmittel waren nicht dazu angetan, ein genaues Ver- ständnis dieses in der Organisation einfachen, aber durch seine Lage Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 305 recht schwer untersuchbaren Organes zu ermöglichen. Die genaueste Untersuchung, die geliefert wurde, ist die vouLacaze Duthiers (43). Und doch konnte er die Frage nicht entscheiden, ob dieses Organ nun aus zwei getrennten, symmetrisch gelegenen Teilen bestünde, oder ob wir es mit einem einzigen Organ zu tun hätten, das zwei verschiedene Ausführungsgänge besäße. Erst die entwicklungsgeschichtlichen Ar- beiten konnten die Richtigkeit der ersten Ansicht nachweisen. Die Untersuchungen, die ich selbst über die Morphologie der Ge- schlechtsorgane anstellte, decken sich im wesentlichen mit den Ergeb- nissen von Lacaze-Duthiers und führen nur in einigen Punkten über diese hinaus. Sie wurden vorgenommen sowohl an gonochoristischen Formen wie auch an hermaphroditen. In den Grundzügen des morpho- logischen Baues herrscht eine vollkommene Übereinstimmung zwischen dem Geschlechtsapparat der Zwitter und der getrenntgeschlechtlichen Formen. Der einzige Unterschied ist der, daß bei den Hermaphroditen ein Teil der Drüsenläppchen als Hoden und der andere als Ovarien funktioniert. Das Verständnis der zwittrigen Gonade schließt also ohne weiteres das der gonochoristischen in sich. Ich werde daher ver- suchen, meine Erläuterungen zu geben an Hand der Betrachtung eines hermaphroditen Apparats. A. Topographie der Geschlechtsorgane. Der Geschlechtsapparat von Anodonta ist ein drüsiges Gebilde, das fast vollkommen den als »Eingeweidesack« oder >>Fuß<< bezeichneten Teil des Muschelkörpers anfüllt. Er zerfällt in zwei getrennte Systeme, die bilateral-symmetrisch gelegen sind, und deren jedes einen eigenen Ausführungsgang und eine eigene Geschlechtsöffnung besitzt, die meist im vorderen geschlossenen Teil des inneren Kiemenganges gelegen ist. Sein ganzes Aussehen, seine Lage ist bedingt hauptsächhch durch die Lage und Beschaffenheit aller übrigen im Fuß eingelagerten Organ- systeme, was verständlich werden muß, wenn man seine relativ sehr späte Anlage in Betracht zieht. Dieser Punkt wird später bei der Betrachtung der Morphologie noch einmal hervorgehoben werden müssen. Seine Lage beim ausgewachsenen Tier wird veranschaulicht durch Fig. 13. Sie stellt die Photographie dar des Fußes einer etwa 18 cm großen Anodonta cygnea L., einer Teichform mit zwittrigem Ge- schlechtsapparat. Auf der rechten Seite des Fußes wurde, nachdem das Objekt in Formol genügend gehärtet war, die Muskeldecke durch Abzupfen der einzelnen Fasern und Durchtrennung der trans- versal verlaufenden Stränge beseitigt und auf diese Weise die Gonade 306 Heinrich Weisensee, freigelegt. Wie wir sehen, erfüllt sie den Fuß nach jeder Kichtung. Nach dem vorderen und oberen Ende des Fußes zu wird sie begrenzt teils durch die Leber (le) und teils durch die Muskulatur des Fußes. E w Die Geschlechts Verhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 307 Diese bildet denn auch nach allen übrigen Seiten hin eine scharfe Ab- grenzung. Die Abgrenzung gegen die Leber ist weniger scharf, es erfolgt hier stets eine gegenseitige kammartige Durchdringung, die sehr stark ^^ Q S |s . O 'S •SP ^£ ■«1 308 Heimich Weisensee, von Zufälligkeiten bedingt ist und dementsprechend bei fast jedem Individuum ein anderes Bild gibt. Unsere Photographie zeigt uns nun auch noch die Lagerung der Hoden (ho) und Ovarien (ov) zueinander. Wir sehen die weißlich erscheinenden, zu größeren Komplexen ver- einigten, spermabildenden Acini eingesprengt liegen zwischen der grau sich darstellenden Masse der Ovarien, deren Farbe im Präparat eine gelbliche ist. Die Art und Weise, wie diese Einstreuung erfolgt, läßt keinerlei Regelmäßigkeit erkennen, sondern ergibt in jedem besonderen Fall ein eigenartiges Bild. Fast durchweg jedoch scheint die gesamte Masse des Hodens kleiner zu sein als die der Ovarien. — Die hier ge- schilderten Verhältnisse werden sich noch klarer erkennen lassen an der folgenden Abbildung (Fig. 14). Sie stellt die Photographie dar eines Rasiermesserschnittes durch den in Formol gehärteten Fuß einer zwittrigen Änod. cygnea L. Wir sehen auch hier wieder im vorderen Ende die Leber ile) liegen, die sich rund um den Schlund und den Magen (ma) herumzieht. Wir sehen den Darm {d), dessen verschiedene Windungen fast genau median getroffen sind ; links zeigt sich das Pedal- ganglion {fg) im Durchschnitt mit den davon ausstrahlenden Nerven- ästen, und die Unterseite läßt die einzelnen Stränge des Fußmuskel- wulstes deutlich erkennen. Auch hier sehen wir wieder allen von den oben erwähnten Organen nicht eingenommenen Raum des Fußes ausgefüllt durch die Gonade. Wir sehen wieder dieses kammartige Ineinandergreifen mit der Leber und beobachten, wie der Darm förmlich eingelagert erscheint in die Acini des Geschlechtsapparats, dessen ganze Ausdehnung uns hier noch deutlicher entgegentritt als bei der vorigen Figur. Auch hier wieder gilt der Unterschied zwi- schen den weißlichen Hoden (lio) und den mehr gelblich erscheinenden Ovarien {ov). Und wieder müssen wir eine vollkommen verschiedene gegenseitige Lagerung feststellen. Die Hauptmasse des Hodens scheint vereinigt etwas unterhalb der Mitte des Fußes zu liegen, während ver- sprengte Acini-Komplexe sich finden zwischen der Leber {le) und dem Mund {mu) und in der Nähe der Stelle {ag), an der etwa das letzte Ende des Ausführungsganges der Gonade zu suchen wäre. Besonders am Hoden ist hier schon makroskopisch ungefähr zu erkennen, wie die einzelnen Acini zueinander gelagert sind. Zusammengefaßt ließe sich über die Topographie der Gonade sagen: Der Geschlechtsapparat von Anodonta ist ein aus zwei bilateral symmetrisch liegenden selbständigen Teilen bestehendes drüsiges Ge- bilde, das innerhalb der Muskulatur des Fußes allen nicht von Magen, Darm und Leber eingenommenen Raum erfüllt. Seine Abgrenzung gegen Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 309 die Leber ist eine unbestimmte, vom Zufall abhängige. Beim zwittrigen xVpparat ist die Lagerung der Hoden- und Ovarienkomplexe zueinander eine unbestimmte und stets verschiedene. Die Masse des Hodens B. Anatomie der Geschlechtsorgane. Der Geschlechtsapparat von Anodonta besteht aus den Acini, dem Ausleitungssystem und der Geschlechtsöffnung. a. Die Acini. Die Acini sind die keimbereitenden Elemente des Genitalapparates. Es sind fast vollkommen kugelige Gebilde, die, etwa nach Art einer verwachsenen Kartoffelknolle, oft in größerer Menge vereinigt sind und r> ~. ^ --äff Fig. 15. Drüsenläppchen aus dem Ovarium einer Anodonta cijgnea L. ag Ausführungsgang. einen gemeinsamen Ausführungsgang besitzen. Eine solche Gruppe von Acini, wie sie den ganzen Genitalapparat zusammensetzen, ist in Fig. L5 dargestellt. Die Größe eines einzelnen Acinus ist etwa 0,2 mm, die einer derartigen Gruppe, die den Namen »Drüsenläppchen« verdient, etwa 0,8 — 1,0 mm. An der Form der Acini ist kaum zu erkennen, ob sie zur Produktion der Eier oder des Spermas dienen, die der Hoden und Ovarien sind durchschnittlich von gleicher Gestalt, wenn auch in der Regel sich diejenigen der Hoden als etwas kleiner erweisen als die der Ovarien. Wie schon oben erwähnt wurde, zeichnen sich die Hoden in der Eegel — bei in Formol gehärtetem Material ist das besonders schön auf Rasiermesserschnitten zu beobachten — durch eine auffällig weißliche Färbung aus gegenüber den gelbhcher getönten Ovarien, Nicht immer ist allerdings dieser Farbunterschied gleich stark. Während die Ovarien in jedem Zustand ihre gelbliche Farbe behalten, 310 Heim-ich Weisensee, verschwindet der weißliche Ton der Hoden mehr oder weniger dann, wenn sie nicht mehr prall mit Sperma angefüllt sind, also im Winter und besonders kurz nach der Zeit der Befruchtung im November und Anfang Dezember. Zum genaueren Verständnis des Baues der Acini sei schon hier auf Fig. 20 verwiesen, die — etwas schematisiert — einen etwa me- dianen Schnitt zeigt durch ein ähnliches Drüsenläppchen aus einem Ovarium, wie es in Fig. 15 dargestellt ist. Bei unseren histologischen Betrachtungen werden wir noch einmal darauf zurückzukommen haben. Wie die einzelnen Drüsenläppchen zueinander gelagert sind, soll in Fig. 21 veranschaulicht werden. Wir haben hier vor uns das mikro- skopisch-photographische Bild eines Schnittes durch den Fuß einer zwittrigen Anodonta cygnea L. Die Stelle des Präparates ist gerade so gewählt, daß wir etwa in der Mitte des Gesichtsfeldes eine Gruppe zu- sammenhängender Drüsenläppchen eines Hodens (ho) vor uns sehen, deren Ausführungsgang {ag ho) fast ganz median liegend quer getroffen ist. Es ist eine Stelle des Fußes hier dargestellt, die sich nahe bei dessen Rand befindet. Wir sehen daher links von diesem Hodenkomplex die Muskeldecke des Fußes (mus) quer getroffen, während die rechte und untere Seite des Bildes eingenommen wird von quergetroffenen Ovarial- acini (ov), von denen ebenfalls ein Ausführungsgang {ag ov) halbschräg angeschnitten ist. Eine weitere Erklärung dieses Bildes wird sieb erübrigen. b. Der Ausführungsgang nebst Gonopericardialgang. Nicht so einfach wie die Untersuchung der Acini gestaltet sich die des Ausleitungssystems des Geschlechtsapparates. Wegen der außer- ordentlichen Zartheit der Gewebe ist es fast ganz unmöglich, auf dem Wege makroskopischer Präparation die feinen Ausführungsgänge der einzelnen Drüsenläppchen wie auch die durch deren Vereinigung ent- standenen größeren Äste des Systems freizulegen, selbst wenn die Tiere vorher in Formol stark gehärtet sind. Es mußte daher ein anderer Weg zur Untersuchung eingeschlagen werden, der allerdings, wie sich bald zeigte, nicht vollkommen und in jedem Fall gangbar war. Es war dies die Beobachtung mit Hilfe von Kekonstruktionsbildern aus mikroskopischen Schnitten. Dieses Verfahren war aber nur brauchbar bei Verwendung junger Individuen, denn beim ausgewachsenen Tier wird — wie das Fig. 21 schon erraten läßt — das mikroskopische Bild derartig unübersichtlich durch die verwirrende Menge angeschnittener Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 311 Acini und Ausfühmngsgänge, daß eine genaue Eekonstruktion unmög- lich erscheinen muß. Es empfahl sich also zu diesem Zweck, junge Tiere zu gebrauchen und die so gewonnenen Eekonstruktionsbilder zu vergleichen mit Schnitten durch ausgewachsene Individuen. — Wie schon mitgeteilt, wurden diese Rekonstruktionsbilder dadurch er- halten, daß man die mit dem Zeichenapparat gewonnenen Bilder einer Schnittserie aufeinander durchpauste und so einen Überblick über die fortschreitende Lageveränderung und den Wechsel des Or- gans bekam. Der auf diese Weise erhaltene Verlauf des Organs wurde dann eingezeichnet in ein etwa aus der Mitte der Schnittserie ent- nommenes zufälhges Schnittbild, um die Übersicht zu erleichtern. — Mit Hilfe des Rekonstruktions Verfahrens gelang es, ausgehend von der Geschlechtsöffnung, die erste und bisweilen auch noch die zweite Gabe- lung des Hauptastes zu verfolgen. In den entfernteren Teilen des Fußes war die weitere Orientierung wegen der großen Menge ausge- schnittener Drüsenläppchen nicht mehr in dem Maße möglich, daß ein völlig genaues Bild hätte gewonnen werden können. Wir hatten bei der Betrachtung der Acini schon aus Fig. 15 und 21 deren Ausführungsgang kennen gelernt als einen dünnen Schlauch, der allmählich in das Drüsenläppchen übergeht, konnten ihn aber nur ein ganz kurzes Stück verfolgen. Der weitere Verlauf dieser Gänge ist nun auf Schnittbildern außerordentlich leicht zu verfolgen. Wir sehen sie sich teils ein längeres, teils ein kürzeres Stück von den Drüsenläppchen entfernen; teils verlaufen sie gerade, teils weisen sie Krümmungen auf, je nach der Lage der übrigen Acini und Organe, zwischen denen sie sich hindurchzwängen. Meist ist ihre Länge nicht sehr groß und sie ver- einigen sich gewöhnlich mit einem von einem benachbarten Drüsen- läppchen ausgehenden Gang zu einem Zweig höherer Ordnung, so daß eine typisch dichotome Gabelung sich zeigt, wie w^r sie auf dem später noch zu besprechenden Bild der Fig. 22 vor uns sehen. Die so entstandenen neuen Äste verhalten sich genau so wie die vorigen und so fort, je nachdem das Organ schon sehr stark entwickelt ist oder nicht. Wir haben schließhch hier das Bild eines sehr stark verästelten Baumes, der in seinen Seitenästen, was deren Bau und An- ordnung angeht, keinerlei durchgreifende Regelmäßigkeit aufweist, sondern deren Entwicklung sich vollkommen abhängig von ihrer Um- gebung vollzieht. Uns interessiert hier nun noch vor allem der Stamm dieses Baumes, das heißt der letzte Abschnitt des Ausführungsganges, der mit der Geschlechtsöffnung endigt. Es wird sich fragen, inwiefern wir in dessen Gestalt und Verlauf eine gewisse Regelmäßigkeit erkennen 312 Heinrich Weisensee, können. Betrachten wir zu diesem Zweck die Fig. 16. Sie stellt eines der schon vorhin besprochenen Querschnitt-Rekonstruktionsbil- der dar. Die zugrunde liegende Schnittserie stammt von einem etwa äk- 'c5) ^ - ^ Fig. IG. Uekonstruktionsbild der Ausführungsgänge des Genitalapparates einer etwa 25 mm großen Ano- donta. Etwa 40 Schnitte sind in eine Querschnittebene projiziert, a Acini der Gonade, ag Aus- führungsgang der Gonade, äk äußere Kieme, ao Aorta, d Darm, e Stelle seiner ersten Gabelung, / Fuß, gö Geschlechtsöffnung, gp Rest des Gonopericardialganges, ik innere Kieme, man Mantel, p Pericard, u Ureter. 25 mm großen Exemplar von Anodonta cygnea L., einem Weibchen aus der fließenden Lahn. Zur Orientierung: Wir sehen den mit / bezeich- neten Fuß auf beiden Seiten bedeckt von den inneren Kiemen {ik), den äußeren Kiemen {äk) und dem Mantel {man). Quer getroffen sind Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 313 auf dem als Grundlage dienenden Schnitt der Enddarm (d), die Aorta (ao), das Pericard (p) und eine Reihe von Acini (a) des Genitalapparates, während sich der Ureter (u) im Längsschnitt zeigt. Mit (ag) ist der hereinrekonstruierte letzte Stamm des Ausführungsganges bezeichnet mit der Geschlechtsöffnung (gö) und dem noch näher zu besprechenden Rest des Gonopericardialganges (gp). — Bei unserer Verfolgung des Ausfiihrungsganges gehen wir am besten aus von der Geschlechts- öffnung (gö), deren Lage zum Ureter in beinahe derselben Querschnitt- ebene uns hier zum erstenmal gleich deutlich vor Augen tritt. Von dieser Öffnung aus sehen wir den Gang sich zunächst gerade in den Fuß hineinwenden. Ein ganz kurzes Stück vor der Öffnung trägt er einen nach dem untern Zipfel des Pericards hin gerichteten Fortsatz, den man als Rest des Gonopericardialganges anzusehen hat. K. Herbers (26) hat in seiner Untersuchung der Entwicklungsgeschichte von Anodonta (a. a. 0. S. L57ff.) die Entstehung der Geschlechtsorgane etwa in fol- gender Weise beschrieben. Sie legen sich an in zwei Ausstülpungen des Pericards in der Nähe des Ureters, die nach unten, nach dem Fuß zu, weiterzuwachsen beginnen. Auf diesem Vorrücken nähern sie sich der Körperwand in der Gegend der späteren Geschlechtsöffnung, und nach- dem schon die Spitze der Aussackung begonnen hat, in den Fuß ein- zudringen, erfolgt an dieser Stelle ein Durchbruch der Körperwand: die Bildung der Geschlechtsöffnung. Schon während dieses Durchbruchs hat sich indessen dieser nach dem Fuß vordringende Schlauch vom Pericard abgeschnürt, und nur ein kleiner Rest — beim jungen Tier kann er allerdings von größerer Länge sein (vgl. Herbers, a. a. 0. S. 161, Fig. 101) — deutet das frühere Vorhandensein des Gono- pericardialganges an. Als solchen Rest haben wir den in unserer Fig. 16 vorhandenen Fortsatz (gp) des Ausführungsganges zu ver- stehen. Verfolgen wir nun den Gang weiter. Wir sahen ihn sich zu- nächst senkrecht in den Fuß hineinwenden und den nach dem Pericard weisenden Fortsatz, den Rest des Gonopericardialganges, tragen. Bei diesem Weg muß er die Muskelschicht des Fußes durchdringen. Sofort nach dem Durchtritt durch die Muskulatur, der schon in ein wenig schräger Richtung nach unten erfolgt, kommt es zu einer scharfen Biegung in die Richtung der Vertikalen, und in dieser Richtung erfolgt dann der weitere Verlauf, der auch nach der ersten Gabelung bei e keine wesentliche Änderung zeigt. Interessant ist für uns hier noch die Stelle dicht hinter dem Durchtritt durch die Fußmuskulatur, denn sie ist beim jungen Tier nur wenig, beim älteren Individuum aber sehr Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 21 314 Heinrich Weisensee, stark sackartig erweitert. Sie bildet gewissermaßen einen Behälter für die Geschlechtsprodukte vor ihrem Austritt aus dem Apparat. Im Schlußkapitel wird noch einmal darauf eingegangen werden. Wir müssen bei der Beurteilung der hier geschilderten Verhält- nisse eines im Auge behalten, um einen richtigen Begriff zu bekommen von dem tatsächlichen Aussehen des Apparates, nämlich, daß uns Fig. 16 nur eine Projektion des wirklichen Bildes in eine Querschnitt- ebene bietet, und daß dabei alle Veränderungen und Gestaltsverschieden- heiten, die nur in sagittaler Richtung merkbar sind, verloren gehen müssen. Es ist deshalb notwendig, dieselben Verhältnisse noch an einem ebenso hergestellten Rekonstruktionsbild aus einer Serie von Sagittalschnitten zu betrachten (Fig. 17). Der von der Geschlechts- öffnung (gö) senkrecht in den Fuß führende Abschnitt des Ganges ist hier nicht zu sehen, ebensowenig wie der sehr kleine Rest des Gono- pericardialganges. Aber sehr deutlich erkennen wir wieder die oben- erwähnte sackartige Erweiterung. Bei dem zu dieser Serie verwandten Individuum, einer etwa 20 mm großen weiblichen Anodonta cygnea L. aus der Lahn, finden wir schon eine Gabelung des Ganges {1) unmittel- bar nach dieser Erweiterung, eine Erscheinung, die sich bei dem Tier der Fig. 16 nicht beobachten ließ. Wie wir sehen, führt der Haupt- gang hier schräg nach dem Vorderende des Tieres und nach unten zu, um dann plötzhch sich bei (2) in zwei gleichwertige Äste zu gabeln, deren einer sich nach vorne erstreckt, während der andere, der Richtung des Darmes folgend, weiter nach hinten führt. Bei der Beurteilung dieses Bildes müssen wir wieder im Auge behalten, daß uns hier alle in die Querschnittsebene fallenden Gestaltsänderungen und Verschieden- heiten verloren gehen. Ein richtiges Bild der Sachlage kann uns nur eine Kombination von Fig. 16 und Fig. 17 liefern. Wir hatten gesehen, wie sich die einzelnen Ausführungsgänge der verschiedenen Drüsenläppchen miteinander vereinigten und wie durch diese fortgesetzten Vereinigungen der neuen Gänge das Bild einer typischen dichotomen Verzweigung entstand. Es ist hierzu noch ein Punkt nachzutragen, der die Verhältnisse bei den zwittrigen Individuen angeht. Wir hatten schon im vorigen Kapitel beobachtet, wie zum Beispiel die einzelnen Drüsenläppchen des Hodens sich zu mehreren zu einer Gruppe, einem Komplex vereinigen. Diese Vereinigung ge- schieht dadurch, daß ihre Ausführungsgänge miteinander in Verbin- dung treten, so daß schließlich die ganze Gruppe einen gemeinsamen Ausführungsgang besitzt. Diese Ausführungsgänge höherer Ordnung vereinigen sich wieder, gleichgültig, ob sie der Leitung von Eiern oder Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 315 Spermatozoen dienen, untereinander und wir finden schließlich im letzten Abschnitt des Ausleitungsapparates, hauptsächlich in der sack- 1.1 21* 316 Heinrich Weisensee, artigen Erweiterung die beiderlei Geschlechtsprodukte nebeneinander liegen. Es ist also bei diesen Zwittern für Eier wie für Spermatozoen nur ein gemeinsamer Ausleitungsapparat vorhanden, wie von allen Autoren, die sich mit diesem Gegenstande befaßt haben, angenommen wird. Als regelmäßige Erscheinung dürfen wir mit Sicherheit ansehen den zunächst senkrecht zur Körperdecke des Fußes verlaufenden Gang des Hauptstammes, das Vorhandensein — selbst beim ausgewachsenen Tier — eines Restes des Gonopericardialganges und die sackartige Erweiterung des Kanals dicht hinter seinem Durchtritt durch die Muskulatur des Fußes. Des weiteren ist es ein ziemlich regelmäßiges Vorkommnis, daß der Hauptgang zunächst sich ein Stück nach vorne zu in den Fuß hinein wendet und dann eine Umbiegung nach dem Hinterende zu erfährt. Zur ersten Gabelung kommt es in der Regel erst nach diesem Umbiegen, wobei der nach vorne führende Ast als kommunizierend anzusehen ist mit den in der Nähe der Leber liegenden Drüsenläppchen der Gonade. Der Winkel der Umbiegung nach hinten unterhegt sehr großen Verschiedenheiten, und man ist außerdem sehr abhängig bei seiner Beobachtung von dem mehr oder weniger kontra- hierten Zustand des Tieres im Augenblick der Abtötung. Im allge- meinen ist er ein wenig stumpfer, als er in Fig. 17 erscheint. — Weniger festliegend scheint mir nach meinen Erfahrungen der Ort der ersten Gabelung zu sein. Wie wir aus Fig. 16 sehen, liegt er bei diesem Tier ein ziemliches Stück von der Geschlechtsöffnung entfernt, während bei Fig. 17 schon ein Ast sich dicht nach der sackartigen Erweiterung ab- zweigt. Ob diese Stelle (1) der ersten Gabelung in Fig. 16 entspricht, oder die nächste (2) erst, wird sich kaum entscheiden lassen. Auf jeden Fall wurde diese sehr frühe Gabelung des Hauptstammes nur selten gefunden. Im Grunde genommen handelt es sich hier in Fig. 17 an der Stelle {1) auch nicht einmal um eine Gabelung, sondern höchstens um einen Seitenast, da dieser nicht vollkommen gleichwertig mit dem Hauptast erscheint. Relativ scheint die Entfernung der ersten Gabe- lung von der Geschlechtsöffnung bei dem jungen Tier größer zu sein als beim älteren Individuum, eine Erscheinung, die wohl dadurch ihre Erklärung findet, daß jener Teil sich hauptsächlich in die Breite er- weitert und im Längenwachstum dabei gegenüber den anderen Teilen zurückbleibt. Eine feste Regel für den Ort des Auftretens der ersten Gabelung wird sich kaum nachweisen lassen, dieser ist individuell ver- schieden; stets wiederkehrend scheint aber die Tatsache zu sein, daß sich der Hauptstamm in zwei Aste teilt. Die Geschlechtsverhältnisse und der Gesehlechtsapparat bei Anodonta. 317 c) Die Geschleclitsöffnung. Aus dem historischen Überblick ging schon hervor, daß sie zum erstenmal aufgefunden wurde von Oken (60) [1808], daß sie Bojanus (10) später wieder auffand und beschrieb. Eine Reihe von Jahren darauf, nachdem schon eine ganze Anzahl Forscher ihr Vorhandensein mit Sicherheit nachgewiesen hatten, wurde sie wieder geleugnet von Trevi- RANUS (84), nach dessen Ansicht die Geschlechtsprodukte durch Leber, Fig. 18. Photographie einer ausgewachsenen, aus der Schale geschnittenen Anodonta. Um die Geschlechts- öffnung zu zeigen, wurden Mantel- und Kieraenblätter der linlsen Seite zurücligeschlagen und die innere Lamelle des inneren Kiemenblattes ein Stück weit vom Fuß losgetrennt und zurückgezogen. Die Stecknadel ist in die Geschlechtsöffnung eingeführt. Natürl. Größe. Magen und »Mastdarm« nach außen und in die Kiemen gelangten. Kurze Zeit später jedoch mußte er, belehrt durch einen scharfen, ano- nymen Artikel aus der Feder Bojanus (1), seine abenteuerliche Ansicht aufgeben. Er entdeckte nun auch die Geschlechtsöffnung, aber an einer anderen Stelle, als bisher die Forscher sie gesehen hatten. Diese sonderbare Tatsache klärte sich jedoch bald auf, als K. E. v. Baer (2) zeigte, daß bei den verschiedenen Muschelspecies die Lage der Öffnung tatsächhch etwas verschieden sei. Er sagt in dieser Beziehung (a. a. 0. 318 Heinrich Weisensee, S. 318) : »Hiernach scheint sich folgende Reihenfolge entwerfen zu lassen : 1. Der Eierstock mündet in den offenen Teil des inneren Kiemen- ganges bei: Unio pictorum, Anodonta cellensis (Nilss.), Anodonta cygnea (nach BojANUs); 2. in den geschlossenen Teil des inneren Kiemen- ganges, doch nahe an seinem Übergang in den Halbkanal, bei: Ano- donta anatina, Anodonta intermedia (nach Blainville); in denselben geschlossenen Teil, doch weiter nach vorn, bei Anodonta lacustris, Ano- donta ventricosa.<< Bis zu einem gewissen Grad sind diese Beobach- tungen richtig, doch sind meist diese Unterschiede nur sehr gering und außerdem individuell ver- schieden. Auf jeden Fall scheinen sie nach meinen Erfahrungen kaum dazu geeignet, um zur systema- tischen Unterscheidung mit herangezogen werden zu können. Die gewöhnliche Lage der Geschlechtsöffnung ist zu ersehen aus Fig. 18. Die Abbildung stellt eine Photographie dar einer hermaphroditen^4 nofZowto cygnea L. von durch- schnittlicher Größe. Das Tier ist aus der Schale geschnitten und die Kie- men und der Mantel der linken Seite zurückgelegt. Die innere Lamelle der inneren Kieme ist ein Stück weit losgetrennt an ihrer Befestigungsstelle am Fuß und etwas zurückgezogen. Auf diese Weise werden die Ge- schlechtsöffnung und die Mündung des Ureters freigelegt. Zur besseren Orientierung ist in Fig. 18 eine Nadel in die Geschlechtsöffnung ein- geführt, und etwas nach links oben von dieser erkennt man die Ureter- mündung, die als ein Wülstchen mit orangefarbener Umgebung her- vorleuchtet aus dem dunkleren Gewebe des BojANUSschen Organs. Genauer lassen sich diese Verhältnisse erkennen an Fig. 19. Hier ist die in Betracht kommende Gegend stärker vergrößert dargestellt. Wir erkennen wieder die wulstige Uretermündung (w) und etwas nach rechts 90 Fig. 19. (Jegend der Geschlechtsöffnung einer ausgewachsenen Ano- donta. Etwas vergrößert, u Ureter, gö Geschlechtsöffnung Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 319 unten davon die Geschlechtsöffnung (gö) als einen länglichen Spalt in der Wand des Fußes, hart auf der Grenze des BojANUSschen Organs. In dieser Weise erscheint sie in der Eegel bei gelähmten Tieren, deren Fuß nicht kontrahiert ist, während sie im anderen Fall mehr wulstig sich hervorhebt und ihre durch Kontraktion geschlossene Öffnung nur schwer erkennen läßt. Anhang: Die Histologie des Gesclilechtsapparats bei Anodonta. Dieser Abschnitt der Arbeit sollte noch eine eingehende Durch- arbeitung erfahren, die für die Spätsommermonate in Aussicht ge- nommen war. Der Ausbruch des Krieges verhinderte sie und nach Fig. 20. Schnitt durch einen Aeinus aus dem Ovariuni einer geschlechtsreifen Anodonta. Zellen, dz Dotterzellon, ag Aasführungsgang, ep Gangepithel. menschlichem Ermessen wird sie kaum noch zur Ausführung kommen können, weshalb ich mich genötigt sehe, diesen Teil der Arbeit in der vorliegenden leider recht unvollkommenen Gestalt zu veröffenthchen. Ihn ganz wegzulassen, schien mir wegen der immerhin darauf ver- wandten Mühe und wegen einer sich dann ergebenden Unvollständigkeit des Ganzen doch nicht richtig zu sein. Die Histologie des Geschlechtsapparates der Najaden ist bis jetzt noch kaum eingehend behandelt worden, da eben diese Tiere seit dem Aufblühen der zoologischen Schnittechnik nicht zum Gegenstand 320 Heinrich Weisensee, oTÖßerer Untersuchungen gemacht wurden. Wir finden eine Angabe über den Bau des Ovariums und der Eier bei K. C. Schneider (76) und auch eine Abbildung eines Stückes aus einem Acinus, die voll- kommen die natürlichen Verhältnisse wiedergibt. Was die Ausführungs- gänge angeht, so ist Schneider der Ansicht, diese bestünden aus einem einfachen Flimmerepithel, über das nichts Besonderes auszusagen sei. mus. ho- # ^ l'ig. L'l. Schnitt durch einen Teil der Gonade einer geschlechtsreifen, zwittrigen Anodonta. ho Hoden, agho Ausführungsgang aus dem Hoden, ov Ovarium, agov Ausführungsgang aus dem Ovariuni, ■mus Muskulatur des Fußes. Es ist nicht meine Absicht, mich hier auf den genaueren histologi- schen Bau der Acini besonders einzulassen, denn, wie schon zu Beginn der Arbeit bemerkt wurde, soll die Entstehung und Ausbildung der Geschlechtsprodukte noch besonders untersucht werden. Zur allgemeinen Orientierung aber sei ganz kurz an der Hand des schon erwähnten Querschnittes durch einen Ovarialacinus (Fig. 20) dessen Bau in den Grundzügen skizziert. Ein solcher Acinus besteht Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 321 aus einem einschichtigen Epithel, an dem wir zweierlei Elemente unter- scheiden müssen: die Eizellen und die Nährzellen. Schneider (76) sagt ganz richtig von diesen (a. a. 0. S. 549) : »Die Dotterzellen sind kubische oder cylindrische Elemente mit grobkörnigem, mit Eosin leicht färb- baren Inhalte, der sich vielfach zu großen Dotterkugeln von fast homo- gener Beschaffenheit zusammenballt. Der dunkle, oft ganz kompakte Kern liegt basal oder mittelständig; bei völliger Erfüllung der Zelle mit Dotter wandständig. << Was die Funktion der Dotterzellen angeht, so ist er der Ansicht, »die Dottersubstanzen werden jedenfalls in ge- löstem Zustande in das Gonozöl ab- gegeben und dienen zur Ernährung der Eizellen«. Die hier geschilderten Verhältnisse sind aus Fig. 20 leicht ersichtlich, in welcher einige be- sonders typische Dotterzellen {dz) dargestellt sind. — Leicht zu unter- scheiden von diesen Dotterzellen sind die Ureizellen (urei). Sie sind ausgezeichnet durch ein homogenes körniges Plasma und besitzen schon bei verhältnismäßig geringer Größe einen recht umfangreichen Kern, der den typisch gestalteten Nucleolus aufweist (Fig. 20 urei, ei). Der histologische Bau des Aus- leitungssystems ist bis auf den der Geschlechtsöffnung relativ einfach. Es sind zwei Zellarten zu unter- scheiden: einmal bewimperte Epi- thelzellen und dazwischen einge- streute Schleimzellen, die Schneider unerwähnt läßt. Die Epithelzellen besitzen ein helles, feinkörniges Protoplasma. Sie sind nahezu kubisch, vielleicht ein wenig höher als breit. Ihr runder bis ovaler Kern, der ein Gerüstwerk und einen kleinen Nucleolus erkennen läßt, liegt meist ein wenig unterhalb der Mitte der Zelle, selten wandständig (Fig. 22). Jede Zelle besitzt einen wohlausgebildeten Fhmmerapparat mit zahl- reichen Flimmern, die etwa halb so lang sind, als die Höhe der ganzen Zelle beträgt. Sie lassen fast stets ein System von Faserwurzeln erken- nen. Noch deutlicher zeigen das die Fig. 23 und 24. Es sind hier Fig. 22. Schnitt durch eine Kreuzungsstelle eines Aus- führungsganges des Genitalapparates bei Ano- donta. Darüber ein quergetroffenes Stück eines anderen Ganges. 3p) sind einfachem Bau und 322 Heinrich Weisensee, zwei Stücke eines Schnittes dargestellt durch das Epithel eines Aus- führganges einer hermaphroditen Anodonta cygnea L. Beide geben uns ein Bild einer Reihe von Epithelzellen mit ihren Kernen, Wimpern und SZi SZ2 ep Fig. 23 Stück des Epithels (ep) eines Ausführungä mit zwei Schleimzellen sz^ und ssg. Faserwurzeln. Da der Schnitt in Fig. 24 nicht genau senkrecht zur Wand des Ganges geführt ist, erscheinen die Epithelzellen der linken Seite ein wenig verzerrt und die Zellgrenzen verwischt. Auf der rechten Seite jedoch ist das Bild wieder ohne weiteres klar. — Wir finden auf diesen beiden Abbildungen auch die zweite vorhin erwähnte Zellart vor, die sogenannten Schleimzellen {sz). Es sind dies meist ovale bis kugelige Zellen von verschiedener Größe je nach dem Stadium ihrer Tätigkeit, die in größerer oder geringerer Zahl eingeschaltet zwischen den Epithelzellen gefunden werden. Ihr Inhalt färbt sich nicht merklich durch Heidenhain und Safranin, wohl aber nimmt er eine schwach violette Farbe an bei Anwendung von Hämatoxylin(DELAFiELi))-Eosin. Es läßt sich darin ein feines Gerüstwerk von stärker färbbarer Substanz erkennen und ein den Epithelzellen fast ganz gleicher runder bis ovaler Kern, der stets Fig. 24. Schleimzelle (sz) aus dem Ausführungsgangepithel einer ausgewachsenen Anodonta. Sccretionsstadium. Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 323 basal liegt. In Fig. 23 ist eine derartige Schleimzelle (sz^) etwas seitlich getroffen und zeigt infolgedessen keinen Kern. Einen solchen sehen wir aber in der nahe dabei liegenden Zelle (szg) angeschnitten. Diese Zelle scheint sich kurz vor der Secretion zu befinden, denn obwohl sie noch nicht bis an den inneren Rand des Epithels heranreicht, so hat der fSchleimpfropf doch schon einen kleinen Fortsatz vorgeschoben, der in kürzester Zeit zwischen den Epithelzellen hervorbrechen muß. In der folgenden Abbildung (Fig. 24) ist eine Schleimzelle (sz) getroffen, die sich gerade im Secretionsstadium befindet. Hier hat sich der Schleimpfropf zwischen den Epithelzellen durchgezwängt und beginnt, sich in das Lumen des Ganges zwischen die Flimmern zu entleeren. Was die Zahl und Verteilung dieser Schleimzeflen im Epithel des ganzen Ausleitungs- systems angeht, so läßt sich ungefähr sagen, daß sie sich in fast voll- kommen gleicher Anzahl über die ganze Länge des Apparates erstrecken. Doch ist ihre Zahl bei den ganz jungen Tieren noch sehr gering — oft fehlen sie ganz, wenn noch nicht die Geschlechtsreife erreicht ist — und wechselt bei den ausgewachsenen Tieren je nach der Jahreszeit. — Es ist wohl kaum ein Zweifel daran möglich, daß wir in dem von ihnen produzierten Secret den »schleimigen Saft« wiederfinden, in dem, wie schon die älteren Forscher feststellten, die Geschlechtsprodukte nach außen befördert werden. Ob er nur dazu dient, das Ausleitungs- system für die Geschlechtsprodukte passierbar zu machen, oder ob ihm noch die Aufgabe zufällt, diesen als Ernährungsflüssigkeit zu dienen, darüber kann ich keine bestimmten Aussagen machen. In welch großer Menge bisweilen solche Schleimzellen auftreten können, ist ersichtlich aus Fig. 27. Hier ist ein Teil aus dem letzten Ende des Ausführganges einer ausgewachsenen Anodonta cygnea L. dar- gestellt, die im September konserviert worden war. Die Zahl der vor- handenen Secretzellen (sz) ist derartig groß, daß das Epithel voll- kommen zerrissen erscheint. Bezüglich des Übergangs vom Keimepithel der Acini in das Wimper- epithel des Ausführungsganges sei auf Fig. 20 verwiesen. Der Über- gang zwischen dem niedrigen Flimmerepithel des Ganges mit den fast doppelt so großen Dotterzellen des Acinus vollzieht sich in der Weise, daß die Zellen des Ausführganges gegen den Acinus hin immer kleiner werden und an ihrem letzten Ende keine Bewimperung mehr erkennen lassen, während sich die großen Dotterzellen ein ziemlich großes Stück über diese flachen Zellen hinüberlegen, so daß beinahe der Eindruck eines zweischichtigen Epithels erweckt werden könnte. Daß dies jedoch nicht vorhanden ist, wird schon aus der Figur ersichtlich; man möchte 324 Heinrich Weisensee, meinen, durch ihre außerordentlich starke Überladung mit Dotter übten diese Zellen einen gegenseitigen Druck aus, und dieser Druck sei an der Stelle, wo durch die flacheren Epithelzellen nicht der nötige Gegendruck geschaffen wurde, die Veranlassung, daß die Dotterzellen mit ihrem oberen Teil sich über jene hinweglegten. — Die Beschaffenheit des Aus- führungsgangepithels haben wir nun kennen gelernt und auch seinen Übergang in das Epithel der Acini. Die Verbindung mit dem Körper- epithel veranschaulicht Fig. 25. Das Bild stellt einen Schnitt dar durch -bg. ^?\ AI ' A mus mus. Fig. 25. Querschnitt durch die Gegend der rechten Geschlechtsöffnung einer 25 mm großen Anodonta. ag Ausführungsgang der Gonade, gep Epithel des Ausführungsganges {ag), gö Geschlechtsöffnung, gp Rest des Gonopericardialganges, bg Bindegewebe, kep Körperepithel, mus Jluskulatur, p Peri- card, sz Schleimzelle, u Ureter. die rechte Geschlechtsöffnung einer ca. 25 mm großen weiblichen Ano- donta cygnea. Das Pericard (;>) ist angeschnitten und der Ureter (w), dessen Mündung schon auf einem der nächsten Schnitte getroffen sein nmß, ebenso ist der Rest des Gonopericardialganges {g'p) sichtbar. Die Verhältnisse beim Übergang sind nun die, daß an einer bestimmten, oft ziemlich weit nach außen liegenden Stelle des Ganges das etwas höhere Wimperepithel unvermittelt aufh(Jrt und sich das flachere un- bewimperte Körperepithel daran anschließt. Dieselben Verhältnisse Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 325 sind auch andeutungsweise zu beobachten an der später zu besprechen- den Fig. 26, deren Vergrößerung allerdings nicht ganz ausreicht. Es liegt nun die Frage nahe nach der Herkunft der drei Epithelarten und ihren Beziehungen zueinander, oder genauer: Ist das Epithel des Ausführganges mesodermalen oder ectodermalen Ursprungs? Herbeks (26) spricht in seiner Arbeit die Ansicht aus, daß dem Ectoderm bei der Bildung der Ausführungsgänge jedenfalls nur ein geringer Anteil zufalle. Und diese Ansicht würde bestätigt werden, wenn wir in dem Übergang von Körperepithel zum Gangepithel die Grenze zwischen den beiden Keimblättern erblicken dürften. Aber auch der Übergang vom Gang- epithel in das Keimepithel könnte uns zu derselben Annahme verleiten. Eine Entscheidung dieser Frage kann nur durch eingehend entwick- lungsgeschichtliche Untersuchungen gegeben werden. Was das Verhältnis der Acini und des Gangepithels zum umgeben- den Gewebe betrifft, so gestaltet sich dieses für die Acini und den Aus- führungsgang bis zu seinem Durchtritt durch die Fußmuskulatur recht einfach. Bis zu dieser Stelle liegt der Apparat eingebettet in ein lacu- näres Bindegewebe, das keinerlei besondere Differenzierungen aufweist, wie wir sie nachher noch kennen lernen werden ; wir finden weder irgend- welche Muskulatur noch elastische Fasern. — Etwas anders gestalten sich die Verhältnisse in der Gegend der Geschlechtsöffnung. Hier be- sitzt der Ausführgang eine Muskulatur, und das Bindegewebe, in dem er eingebettet liegt, ist fester. Schon in Fig. 25 sind diese Verhältnisse ungefähr zu erkennen; wir sehen, wie von der Fußmuskulatur {mus), die auf dem Bild links quer getroffen ist, an der Stelle, wo der Aus- führungsgang sie durchbricht, eine Reihe feiner Muskelfasern von der Hauptmuskelschicht abzweigen und an dem Gange bis zur Geschlechts- öffnung entlang laufen. Ringsmuskulatur ist auf dem Bilde nicht zu erkennen. Besser gehen diese Verhältnisse aus Fig. 26 hervor. Sie stellt einen Schnitt dar durch diesebe Gegend, in der der Schnitt von Fig. 25 geführt war, aber bei einer ausgewachsenen Anodonta cygnea L. Wir sehen wieder die Körpermuskulatur (mus) mit einigen davon aus- gehenden transversalen Strängen und den Durchtritt des Ausführungs- ganges durch diese Muskulatur. Und hier läßt sich weit deutlicher er- kennen, wie an dieser Stelle ein Auseinanderweichen der Muskulatur erfolgt, wie einige Stränge den Gang sowohl ein kurzes Stück nach links wie auch bis zu seiner Mündung nach rechts begleiten und eine große Anzahl rund um den Gang verlaufender Muskelfasern quer getroffen ist. Auch diese angeschnittene Ringsmuskulatur läßt sich auf der ganzen Länge des Ganges bis zur Mündung verfolgen. Ein ganz kurzes 326 Heinrich Weisensee, Stück links von der Stelle des Durchtritts des Ausführganges durch die Körpermuskulatur tritt jedoch die Muskulatur ganz zurück. — Über die Wirkungsweise dieser Muskulatur läßt sich sagen, daß sie fast nur zusammen mit der übrigen Fußmuskulatur sich betätigt, d. h., daß die Geschlechtsöffnung meist nur geschlossen wird, wenn der gesamte Fuß sich kontrahiert, und geöffnet ist, wenn die Fußmuskulatur entspannt ist. Es läßt sich das leicht beobachten, wenn man eine Muschel aus der Schale schneidet, wobei sie nicht verletzt werden darf, und, nachdem die Querschnitt durch die Geschleclitsöffnung einer ausgewachsenen Anodonta. Bezeiclmungen wie in Fig. 25. Geschlechtsöffnung freigelegt ist, sie ruhig in Wasser liegen läßt. All- mählich, oft schon nach einer Stunde, streckt sich dann der Fuß aus, entspannt sich die Muskulatur und kommt in einen Zustand der Ruhe. Man beobachtet dann, daß die vorher verschlossene Geschlechtsöffnung jetzt als ein klaffender Schlitz sichtbar wird. Die oben geschilderten Verhältnisse lassen sich noch deutlicher erkennen an Fig. 27. Sie stellt bei stärkerer Vergrößerung ein Stück des Ausführungsganges der Fig. 26 dar. Es sei noch einmal aufmerksam gemacht auf das Vorhandensein der zahlreichen Schleimzellen. In dem umgebenden, von wenigen Lacunen (lac) durchzogenen Bindegewebe, dessen feste Beschaffenheit wir Die Gesclilechtsverliältnisse und der Gesclilechtsapparat bei Anodonta. 327 schon vorhin erwähnten, läßt sich die oben beschriebene, wohlausgebil- dete, längs und rings verlaufende Muskulatur erkennen. Auf eine Differenzierung des Bindegewebes muß noch hingewiesen werden, die bisher unerwähnt blieb. Wir sehen direkt unter dem Epithel des Ganges — ähnlich wie eine Basalmembran — eine dünne Lage von, verdichtetem homogenem Bindegewebe (elb) ohne Kerne und Bindegewebsfibrillen, das sich nach Resorzinfärbung als schwarzes z-'-ymus. Idc. Fig. 27. Ein Teil des in Fig. 26 dargestellten Ganges stärker vergrößert, elh elastisches Band, gev Gangepi- thel, lac Lacunen, mua Muskulatur, sz Schleimzellen. Band, also als aus elastischen Fasern bestehend, zeigt. Wir sehen die Muskulatur des Ganges begleitet von einem elastischen Band [elh), das sich nur an den mit Muskulatur versehenen Stellen zeigt, also von der Geschlechtsöffnung an bis zu der Stelle kurz nach dem Durchtritt des Ganges durch die Muskelschicht des Fußes reicht. Sein Zweck ist aus dieser Tatsache ohne weiteres verständlich: es dient dazu, die von der Muskulatur bewirkte Zusammenpressung des Ganges nach deren Entspannung wieder aufzuheben. Für die Beurteilung der Funktion des Geschlechtsapparates ist dieser Mangel an Muskulatur in seinen entfernteren Teilen von Bedeu- 328 Heinrich Weisensee, tung. Es ist daraus zu folgern, daß die Entleerung der Geschlechts- produkte bei den Tieren durch eine, schon von K. E. v. Baer (4) an- genommene, wehenartige Kontraktion des ganzen Fußes bewirkt wird. Zttsammenfassuug und Bezugnahme auf die Funktion des (Teschlechtsapparates. Wir sahen, daß wir unter den Anodonten Deutschlands zwei gute Arten voneinander zu unterscheiden haben: Anodonta complanata Zgl., eine nur wenige Vertreter aufweisende Gruppe, und Anodonta cygnea L., die alle übrigbleibenden verschiedenartigen Formen des Genus Anodonta umfaßt. Bei der letzten Art mußten wir auf Grund unseres Materials wieder zwei Haupttypen unterscheiden. Neben den bekannten Scha- leneigentümlichkeiten unterschieden sich die beiden dadurch, daß die im Flusse lebende Form getrenntgeschlechtlich war, während die in stehenden Gewässern lebende einen hermaphroditen Geschlechtsapparat aufwies. Uns interessierte vor allem der zwittrige Geschlechtsapparat und an diesem die Erscheinung, daß er für die Eier sowohl wie für die Spermatozoen einen gemeinsamen Ausführungsgang hat. An diesem Ausführungsgang stellten wir — sowohl bei den gonochoristischen wie bei den hermaphroditen Formen — dicht bei seinem Durchbruch durch die Muskulatur eine sackartige Erweiterung fest, die den Zweck eines Reservoirs für die Geschlechtsprodukte zu haben schien vor deren Austritt aus der Geschlechtsöffnung. Bemerkenswert war auch die Tat- sache, daß wir in diesem Reservoir sowohl als auch in den von der Mündung entfernteren Teilen des Ausleitungssystems, in der Hoden und Ovarien gemeinsam mündeten, vollkommen ausgebildete Eier und Spermatozoen nebeneinander liegend vorfanden. — Es sei dann endlich noch die Tatsache erwähnt, daß wir an dem Geschlechtsapparat außer an dem letzten kurzen Ende vor seiner Mündung keinerlei Muskulatur vorfinden, daß also die Entleerung der Geschlechtsprodukte allein be- wirkt werden muß durch eine wehenartige Kontraktion der gesamten Fußmuskulatur. Nach Feststellung dieser Tatsachen möchte ich zum Schluß dieser Arbeit noch einmal ganz kurz eingehen auf die Frage der Befruchtung bei den Anodonten und untersuchen, inwieweit unsere Beobachtungen hierauf von Einfluß sind. Schon seit den ersten Untersuchungen über die Teichmuschel bemühte man sich um die Frage : Wo findet bei diesen Tieren in der Regel die Befruchtung statt ? Wo treffen Eier und Sperma zusammen? Ich möchte nicht alle, teils schon im historischen Über- Die Geschleclitsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 329 blick gebrachten Ansichten über diesen Punkt hier wieder zitieren. Nur so viel sei gesagt: Von dem Augenblick an, da man die Tiere für getrenntgeschlechtlich hielt, herrschte die Ansicht, die Übertragung des Spermas aus dem Männchen erfolge durch Vermittlung des um- gebenden Wassers, dadurch, daß das Männchen die Spermatozoen, nachdem sie den Geschlechtsapparat verlassen hatten, mit dem Atem- wasser ausstoße und diese dann vom Weibchen wieder mit dem Atem- wasser aufgenommen würden. Dieser Punkt wurde ja schon im zweiten Kapitel dieser Arbeit erörtert. Man nahm fast durchweg an, die Be- fruchtung vollziehe sich im Innern des weiblichen Individuums. Nur V. Hessling (29) machte, wie schon erwähnt, eine Ausnahme, indem er glaubte, das Zusammentreffen von Ei und Sperma bei der Flußperl- muschel vollziehe sich im freien Wasser und dann würden die befruch- teten Eier von Männchen und Weibchen gleichermaßen wieder mit dem Atemwasser aufgenommen und in den Kiemen niedergelegt, eine Ansicht, die weiterhin keine Bestätigung gefunden hat. Allgemein herrscht also gegenwärtig die Ansicht, die Befruchtung vollziehe sich innerhalb des weiblichen Individuums. Aber wo doch? Drei Möglichkeiten sind da gegeben, die auch alle drei schon verfochten wurden. Die Befruch- tung konnte vor sich gehen einmal im Ovarium, was Keber annahm, oder auf dem Weg in die äußere Kieme, d. h. im inneren Kiemengang, eine Ansicht, die Flemming und Schierholz vertreten, und endlich in der äußeren Kieme selbst, wie v. Hessling zunächst meinte. Diese letzte Annahme ist heute wohl allgemein nicht mehr anerkannt, denn es gelang nicht, in der äußeren Kieme unbefruchtete Eier in größeren Mengen — selbst kurz nach ihrer Ablagerung — aufzufinden. Was die beiden anderen Anschauungen angeht, so läßt sich über die absolute Richtigkeit der einen oder der anderen bis heute noch kein definitives Urteil fällen. Einesteils fand man in den Ovarien der Anodonten bis- weilen befruchtete Eier und Furchungsstadien, aber andererseits deutete die stets gleiche Entwicklungsstufe der Eier in der äußeren Kieme darauf hin, daß die Befruchtung auf einmal -bei allen Eiern vor sich ging. In dem engen Ausführungsgang der Gonade w^ar das kaum mög- lich, wie man annahm, wohl aber in dem weiteren inneren Kiemengang. Nach unseren oben festgestellten Befunden spielt hier vielleicht aber die sackartige Erweiterung, das Reservoir, am Ausführgang eine Rolle. Doch läßt sich das ohne weiteres mit Sicherheit nicht feststellen. Wir müssen wohl zugeben, daß bei den getrenntgeschlechtlichen Anodonten der Ort, an dem Eier und Spermatozoen zusammentreffen, auch heute noch nicht sicher ermittelt ist. Ob das obenerwähnte »Reservoir << eine Zeitschrift f. wissensth. Zoologie. CXV. iJil. 22 330 Heinrich Weisensee, Rolle dabei spielt, wird noch durch weitere Beobachtungen untersucht werden müssen. Wir sprachen seither nur von den getrenntgeschlechthchen Formen, bei denen eine gegenseitige Befruchtung mit Sicherheit anzunehmen ist. Wie gestalten sich aber nun die Verhältnisse bei den Hermaphroditen? Müssen wir auch für diese an eine Wechselbefruchtung glauben? Wir sahen, diese Tiere haben sowohl für die Eier wie für die Spermatozoen nur einen gemeinsamen Ausführungsgang, in dem wir auch die beiderlei Geschlechtsprodukte nebeneinander vorfinden in vollkommen ausgebil- detem Zustande. Daß es mir bisher nicht gelang, befruchtete Eier und Furchungsstadien in den Präparaten zu finden, erklärt sich leicht da- durch, daß die Tiere, die bis jetzt untersucht wurden, meist noch nicht vollkommen befruchtungsfähig waren oder daß die Eier und Spermato- zoen noch nicht genügend lange Zeit miteinander in Berührung waren. Meist kam diese Berührung erst dadurch zustande, daß die Acini beim Herausschneiden der zu konservierenden Stücke gedrückt wurden und einen Teil des Inhalts in die Gänge entleerten. — Es ist mir nicht mög- lich, einen direkten Beweis für die etwaige Selbstbefruchtung beizu- bringen, doch ist nach der ganzen Anlage des Genitalapparates wohl anzunehmen, daß sie vorkommt. Wir lernten im vierten Kapitel die Verteilung der Hoden und Ovarien als unbestimmt und versprengt kennen. Wenn nun die Entleerung der Geschlechtsprodukte durch Kontraktion des gesamten Fußes erfolgt, so werden ohne weiteres Eier und Spermatozoen im Ausführungsgange zusammentreffen müssen. Es wäre also zum mindesten die Möglichkeit vorhanden, daß bei den zwittrigen Anodonten eine Selbstbefruchtung vorkommt. Einen Be- weis dafür vermag ich jedoch nicht beizubringen, denn auch Versuche mit isoliert gehaltenen hermaphroditen Tieren, die ich im vorigen Jahre in einem Teich in der Nähe ausgesetzt hatte, wurden mir von unbe- rufener Hand gestört und die Tiere vernichtet. — Es wird also auch diese Frage einer Nachprüfung und Ergänzung bedürfen. Es sei mir gestattet, Herrn Geh. -Rat Prof. Dr. E. Korschelt an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank auszusprechen für seine An- regung zu dieser Arbeit und seine gütige Unterstützung bei ihrer Aus- führung. Auch Herrn Prof. C. Tönniges und Herrn Privatdozenten Dr. W. Harms bin ich für den mir stets freundlichst gewährten Rat zu großem Danke verpflichtet. — Marburg, im Februar 1914. Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 331 Verzeichnis der benutzten Literatur. 1. Anonymus, Über des Hrn. G. R. Treviranus abentheuerliche Meynung in Betreff der Zeugungsorgane der Teichmuschel. Taf. IX. Isis. Bd. XX. 1826. S. 752. 2. K. E. VON Baer, Bemerkungen über die Entwicklungsgeschichte der Muscheln und über ein System von Wassergefäßen in diesen Thieren. Frorieps Notizen f. Natur- und Heilkunde. Bd. XIII. 1826. S. 1. 3. — Beiträge zur Kenntnis der niederen Thiere. Nova Acta. Nat. Cur. Bonnae. Bd. XIII. 2. Teil. 1827. S. 523. 4. — Über den Weg, den die Eier unserer Süßwassermuscheln nehmen, um in die Kiemen zu gelangen, nebst allgemeinen Bemerkungen über den Bau der Muscheln. Meckels Arch. f. Anat. u. Physiol. 1830. S. 310. 5. P. J. VAN Beneden, Sur le Sexe des Anodontes et la signification des sperma- tozoaires. Bullet, de l'acad. royale de Bruxelles. T. XI. 2. T. 1844. S. 377. 6. Th. L. W. Bischoff, Widerlegung des von Dr. Keber bei den Najaden und Dr. Nelson bei den Ascariden behaupteten Eindringens der Spermato- zoiden in das Ei. Gießen 1854. 7. H. de Blainville, Note sur l'appareil de la generation dans les Moulettes et les Anodontes. Nouv. Bull, des Sc. par la Soc. philom. de Paris. 1825. S. 156. 8. — Über den Zeugungsapparat der Unio und Anodonta. Frorieps Notizen f. Natur- und Heilkunde. Bd. 13. 1826. S. 6. 9. — Rapport sur un memoire de M. Jacobson, ayant pour titre: observations sur le Developpement pretendu des oeufs des Moulettes ou Unios et des Anodontes dans leurs branchies. Ann. d. Sc. nat. Paris. Bd. XIV. 1828. S. 22. 10. L. BOJANUS, Sendschreiben an den Herrn ChevaHer G. de Cuvier, über die Athem und Kreislaufwerkzeuge der zweischaaligen Muschehi, insbeson- dere des Anodon cygneum. Isis. Jahrg. 1819. Bd. I. S. 81. 11. 0. Buchner, Beiträge zur Formenkenntnis der einheimischen Anodonten unter besonderer Berücksichtigung der württembergischen Vorkomm- nisse. Jahreshefte d. Ver. f. vat. Naturk. in Württemberg. 56. Jahrg. Stuttgart 1900. S. 60. 12. K. F. Burdach, Die Physiologie als Erfahrungswissenschaft. Bd. I. 1. Aufl. 1826. 13. C. G. Carus, Neue Untersuchungen über die Entwicklungsgeschichte unserer Flußmuschel. Verh. d. kaiserl. Leop.-Carols-Akad. d. Naturf. Bd. XVI. 1. Abt. Leipzig 1832. 14. S. Clessin, Studien über die deutschen Species des Genus Anodonta Cuv. Corresp. -Blatt d. Zool.-mineral. Ver. in Regensburg. 26. Jahrg. 1872. Nr. 6. S. 82 und Nr. 7. S. 97. 15. — S. Clessin, Deutsche ExkursionsmoUuskeixfauna. Nürnberg 1876. 16. G. P. DES Hayes, Artikel » Conchif era «. The Cyclopaedia of Anatomy and Physiology. Bd. I. London 1836. S. 694. 22* 332 Heinrieh Weisensee, ] 7. H. Drouet, Etudes sur les Anodontes de l'Aube. Revue et Magasin de Zoo- logie 2. Serie, Tome IV. 1852. S. 51, 244, 285, 362, 527. 18. W. Flemming, Über die ersten Entwicklungsersclieinungen am Ei der Teich- muschel. M. Schulze: Archiv für mikrosk. Anatomie. Bd. X. 1874. S. 257. 19. — Studien in der Entwicklungsgeschichte der Najadcn. Sitzgsber. d. k. Akad. d. Wissensch. 3. Abt. Februarheft Jahrg. 1875. S. 1. 20. R. Garner, On the Anatomy of the Lamelhbranchiate Conchifera. Transact. of the Zool. Soc. of London. Vol. IL 1841. S. 87. 21. F. Haas, Die Najadenfauna des Oberrheins vom Diluvium bis zur Jetztzeit. Abhandl. der Senckenb. Naturf. Ges. Frankfurt (Main). Bd. XXXII. 1910. 22. W. Harms, Über die postembryonale Entwicklung von Anodonta piscinalis. Zool. Anzeiger. Bd. XXXI. 1907. S. 801. 23. — Die Entwicklungsgeschichte der Najaden und ihr Parasitismus. Sitzgsber. Ges. Naturw. Marburg 1907. S. 79. 24. — Postembryonale Entwicklungsgeschichte der Unioniden. Zool. Jahrb. Abt. Morphologie. Bd. XXVIII. 1909. S. 325. 25. J. Hazay, Die Molluskenfauna von Budapest. Malakozool. Blätter. Neue Folge. Bd. IIL 1881. S. 1 und Bd. IV. 1881. S. 43. 26. K. Herbers, Entwicklungsgeschichte von Anodonta cellensis Schrot. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. CVIIL 1913. S. 1. 27. R. Hertwig, Lehrbuch der Zoologie. Jena 1910. 28. Th. V. Hessling, Die Perlmuscheln und ihre Perlen. Leipzig 1859. 29. — Über die Befruchtung der Flußperlrauschel. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. X. 1860. S. 359. 30. F. Heynemann, Einige Bemerkungen über die Veränderhchkeit der MoUus- kenschalen und Verwandtes. Bericht über die Senckenberg. Naturf. Ges. in Frankfurt (Main). 1869/70. S. 113. 31. E. Home, The Croonian Lecture for 1826 (on the propogation of the common oyster, and the large freshwater muscle). Philos. Transactions of the Royal Soc. of London. 1827. Part 1. S. 39. 32. H. V. Ihering, Zur Morphologie der Niere der sog. »Mollusken «. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIX. 1877. S. 583. 33. — Zur Kenntnis der Eibildung bei den Muscheln. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXIX. 1877. S. 1. 34. W. Israel, Biologie der europäischen Süßwassermuscheln. Stuttgart 1913. 35. L. Jacobson, Undersögelser til naemere oplysning af den herskende Mening om Dammuslingernes Fremarling og udvikling. Bidrag til Blod.-Dyr Anat. og Phys. I. Kjobenhavn 1828. 36. G. Johnstone, Einleitung in die Konchyliologic. Stuttgart 1853. S. 379. 37. F. Kebbr, De Spermatozoorum introitu in ovuliv Königsberg 1853. 38. — Mikroskopische Untersuchungen über die Porosität der Körper. Nebst einer Abhandlung über den Eintritt der Samenzellen in das Ei. Königs- berg 1854. 39. — Zur Controverse über die Befruchtung ck-s 1^'lußiuuschcl-lCies. Arch. f. Anat. u. Pliysiol. von Reichert und uu Buis-ReymoxND. Jahrg. 1869. S. 284. Die Geschlechtsverhältnisse und der (ileschlech tsapparat bei Anodonta. 333 40. J. P. KiRTLAND, Über die sexuellen Charaktere der Najaden. (Auszug aus SiLLiMANs American Journal of Science and Arts. Vol. XXVI. July 1834. S. 117.) Arch. f. Naturgesch. von Aug. Wiegmann. 2. Jahrg. Bd. I. Berlin 1836. S. 236. 41. W. KoBELT, Catalog der im europäischen Faunengebiet lebenden Binnen- conchylien. Cassel 1871. S. 70. 42. J. T. KoELREUTBB, Observationes Anatomico-Physiolog. MytiU Cygnei , L. Ovaria concernentes. Nov. Act. Acad. Petropolit. A. VI. 1788. S. 207. 43. A. Lacaze-Duthiers, Recherches sur les organes genitaux des Acephales Lamellibranches. Ami. des Sc. nat. 4. Serie. Zoologie. Bd. II. Paris 1854. S. 155. 44. — Observations sur l'hermaphrodisme des Anodontes. Extraits d'une lettre adressee par M. van Beneden. Ann. des Sc. nat. 4. Serie. Zoologie. Bd. IV. Paris 1855. S. 381. 45. ■ — Memoire sur l'organe de Bojanus des Acephales Lamellibranches. Arm. des Sc. nat. 4. Serie. Zoologie. Bd. III. Paris 1855. S. 267. 46. A. Lang, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie der wirbellosen Tiere. 1900. 47. E. Ray Lankester, A treatise on Zoology. Part V. Mollusca by P. Pelse- neer. London 1906. 48. A. Leeuwenhoek, Continuatio arcanorum naturae detectorum. Lugduni Batavorum 1722. epist. 95 (a. d. Jahr 1695). S. 16. 49. R. Leuckart, Über die Morphologie und die Verwandtschaftsverhältnisse der wirbellosen Tiere. Braunschweig 1848. 50. M. Lister, Conchyliorum Bivalvium utriusque aquae exercitatio anatomica tertia. Londoni 1696. 51. C. G. 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Bull, des Sc. par la Soc. philom. de Paris. 1825. S. 78. 69. — Über die Erzeugung der Muscheln. Frorieps Notizen. Bd. XL 1825. S. 57. 70. — De la generation chez les Moules des peintres (Myae Pictoruni). Mem. de la Soc. de Phys. et d'hist. nat. de Geneve. Bd. IIL Teil 1. 1825. S. 121. 71. R. Kassbach, Beiträge zur Kenntnis der Schale und Schalenregeneration von Anodonta cellensis Schrot. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. CHI. Heft 3. 1912. S. 363. 72. S. RiATHKB, Om Dam-Muslingen. Skrifter af Naturhistoric-Selskabet. 4de Bind. Iste Hefte. S. 139. Kjobenliavn 1797. 73. E. A. RossMÄssLER, Iconographie der Land- und Süßwasser-Mollusken. L— VI. Heft. Dresden und Leipzig 1863. 74. C. Schierholz, Über Entwicklung der Unioniden. Denkschr. d. kaiserl. Akad. d. Wiss. Bd. LV. Wien 1889. S. 183. 75. — Zur Entwicklungsgeschichte der Teich- und Flußmuschel. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXXI. 1878. S. 482. 76. K. C. Schneider, Lehrbuch der vergleichenden Histologie der Tiere. Jena 1902. S. 540. 77. J. S. Schröter, Die Geschichte der Flußconchylien. Halle 1779. 78. C. Th. VON tSiEBOLD, Über die Sexualität der Muschelthiere. Wiegmann's Arch. f. Naturg. 3. Jahrg. Bd. I. 1837. S. 51. 79. — Über den Unterschied der Schalenbildung der männlichen und weiblichen Anodonten. Wiegmann's Arch. f. Naturg. 3. Jahrg. Bd. I. 1837. S. 415. 80. — Fernere Beobachtungen über die Spermatozoen der wirbellosen Thiere. (3. Die Spermatozoen der Bivalven.) MüUer's Arch. f. Anat. u. Physiol. Jahrg. 1837. S. 381. 81. H. Staitff ACHER, Eibildung und Furchung bei Cyclas Cornea L. Iiiaug.-Diss. in Zürich. Jena 1893. 82. P. Stepanoff, Über die Geschlechtsorgane und die Entwicklung von Cyclas. Arch. f. Naturgesch. 31. Jahrg. Bd. I. 1865. S. 1. 83. F. SwAMMERDAMM, Bibel der Natur. Leipzig 1752. S. 82. 84. G. R. Treviranus, Über die Zeugungstheile und die Fortpflanzung der Mollus- ken. Zeitschr. f. Physiologie. Bd. I. Heft 1. 1824. S. 1. Die Geschlechtsverhältnisse und der Geschlechtsapparat bei Anodonta. 335 85. G. R. Treviranus, Nachtrag zu den Bemerkungen über die Fortpflanzung der Anodonten im ersten Bande der Zeitschrift für die Physiol. S. 36. Zeitschr. f. Physiol. Bd. III. 1829. S. 153. 80. F. F. Unger, Anatomisch-physiologische TTntersuchung über die Teichmuschel. Wien 1827. 87. Vogt und Yung, Lehrbuch der praktischen vergleichenden Anatomie. Bd. I. Braunschweig 1888—1894. 88. R. Wagner, Lehrbuch der Zootomie ( = 2. Aufl. des » Lehrb. der vergl. Anat. «) 2. Theil = Anatomie der wirbellosen Thiere. Leipzig 1847. S. 490. 89. H. E. Ziegler, Die Entwicklung von Cyclas cornea Lam. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLL 1885. S. 562. Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L und sein Einfluß auf die Geweihform. Von Dr. Ludwig Rhuiubler, Professor an der kgl. Forstakaderaie Hann. Münden. Mit 12 Figuren im Text und Tafel VI. In früheren Mitteilungen habe ich zu zeigen versucht^, wie das Wachstum und der Aufbau der Hirschgeweihe in hohem Grade von der Art und Verteilung der Arterien, kurz von der Intensität der Blut- versorgung und der von ihr abhängigen Nahrungszufuhr abhängig er- scheint, welche die einzelnen Geweihabschnitte während ihres Wachs- tums in der Wachstumszeit der Stangen, der sogenannten Kolbenzeit, erfahren; darum bringe ich im nachstehenden eine kurze Schilderung über diesen Verlauf, der in der seitherigen Literatur noch keine ein- gehendere Behandlung erfahren hat. Als Grundlage zur nachfolgenden Darstellung diente das, dem zoologischen Institut in Marburg gehörige, Injektionspräparat einer rechten Zehnerstange, das mir durch die hebenswürdige Güte des Herrn Geheimrat Prof. Dr. E. Kokschelt auf längere Zeit zur Verfügung gestellt worden ist. Schon Rörig2 (00, S. 621, 644, Taf. XIII, Fig. 63) 1 L. Rhumbler, »Über die Abhängigkeit des Geweihwachstums der Hirsche, speziell des Edelhirsches, vom Verlauf der Blutgefäße im Kolbengeweih«. In: Zeitschr. f. Forst- und Jagdwesen (Möller und Fricke), Jahrg. 1911. S. 295—314. 12 Textfig. — Derselbe: a)» Fehlt den Cerviden das Os cornu?« In: Zool. Anzeiger Bd. XLII. 1913. S. 81—95. 15 Textfig. — Derselbe: b) »Hat das Geweih des Damhirsches {Dama dama [L]) eine morphologische Drehung erfahren?« Ibidem Bd. XLII. 1913. S. 577—586. 11 Textfig. — Derselbe: »Zur Entwicklungsmecha- nik des morphologischen Aufbaues der Hirschgeweihe«. In: »Die Naturwissen- schaften« 1914. Heft 7. 2 A. RöRiG: »Über Geweihentwicklung und Geweihbildung. — II. Die Ge- weihentwicklung in histologischer und histogenetischer Hinsicht«. In: Arch. f. Entwicklungsmech. Bd. X. 1900. S. 618—644. Taf. XIII. — Eine Kopie der betreffenden Figur Taf. XIII findet man bei H. Przibram: »Experimental- Zoolo- gie. Bd. V: Funktion inklusive Sexualität«. Leipzig und Wien 1914. Taf. V, Fig. 1. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 23 338 Ludwig Rhumbler, hat eine Darstellung dieses Präparates durch eine Zeichnung gegeben, die aber nicht genau und nicht eingehend genug ist, um für Wachstums- fragen benutzt werden zu können. a. Geweihform. Zur leichteren Verständigung sei an folgendes erinnert. Die aus der Hautdecke hervorstehende Geweihstange sitzt einem Knochenzapfen der Frontalia auf, den man als Rosenstock oder Stirn- beinzapfen bezeichnet. Das untere Ende einer Geweihstange trägt eine ringförmige Wulstverdickung, die sogenannte Rose. Aus dem basalen Rosenwulst hebt sich die übrige Geweihstange wie ein Baumstamm aus einem Wurzelwulst in die Höhe; man kann an ihr zweierlei Haupt- bestandteile unterscheiden, nämlich einerseits den Hauptstamm der Stange und andrerseits die Sprossen — im Singular sowohl die Sprosse als auch der Sproß genannt. Der Hauptstamm verläuft von der Rose aus bis in das oberste hintere Ende des Geweihes (Taf. VI, Fig. A, /// h), die Sprossen aber zweigen sich vom Hauptstamm mit freiragenden Enden nach vornen hin ab (Textfig. 1). Die Zehnerstange i des Mar- burger Präparates hat vier solcher Sprossen, die von unten nach oben folgende Namen führen; dicht an der Rose findet sich der »Augsproß << (Taf. VI, Fig. A, I a), kurz darüber der »Eissproß« (Fig. A, Ih), in weiterer Entfernung folgen dann der »Mittelsproß« (Fig. A, 77) und schHeßlich am obersten Stangenende der »vordere Kronensproß« (Fig.A, III v). Im letzteren Falle spricht man von einem »vorderen« Kronen- sproß, obgleich ja alle andern genannten Sprossen auch nach vornen gehen, deshalb, weil in der Regel das letzte nach hinten geneigte Ende des Hauptstammes (Fig.A, III h) als »hintere Kronensprosse« be- zeichnet wird, und darum die einfache Benennung der vierten Sprosse als »Kronensproß« zu Mißverständnissen führen könnte; besser wäre, die Bezeichnung »Kronensproß« nur für den Vordersproß der Krone zu verwenden und den hinteren Zapfen als »Kronenende « zu bezeichnen, denn dieser hintere Endzapfen ist kein Sproß, sondern gehört dem Hauptstamm zu und stellt dessen Ende dar. 1 Nicht alle Zchncrstangen des Rothirsches sind bekanntlich in gleicher Weise gebaut. Die Marburger Stange repräsentiert einen sogenannten Eissproß- zehner, der die Fünfendenzahl auf einer Stange durch einen Eissproß erreicht. Neben solchen Stangen kommen auch sogcnamite Kronenzehner vor; bei ihnen fehlt die Eissprosse, imd die Fünfendenzahl wird durch eine abermalige Sprossen- de am Kronenende en-eicht. Der Arterien verlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphiis L. usw. 339 Die Abgabe der Sprossen gliedert den Hauptstamm der Geweih- stange in einzelne Abschnitte, die wir als Geweihetagen und Geweih- stiegen unterscheiden wollen. Die >> Geweihetage << ist diejenige Stelle des Geweihes, auf welcher der Hauptstamm der Stange eine Sprosse abgibt, die »Geweihstiege« ist der zwischen zwei Etagen Hegende Teil des Hauptstammes. Da die Eissprosse dicht bei der Augsprosse liegt und da überdies selbst bei Geweihen mit höherer Endenzahl die Eis- sprosse auch ganz fehlen kann, rechnen wir für Aug- und Eissprosse nur eine Etage, die »Unteretage << (Taf. VI, Fig. A, /), es folgt dann die »Mitteletage« (Taf . VI, Fig. A, //) auf der Höhe der Mittelsprosse und schließHch bei unsrer Zehnerstange die »Oberetage«, die zugleich hier, da sie die Zehnerstanoe nach oben abkrönt, auch als Kronenetage zu bezeichnen wäre, auf der Höhe des Kronensprosses. An Geweih- stiegen sind folgende Abschnitte des Hauptstammes zu unterscheiden: Die »Unterstiege« reicht von dem Unterrand der Rose bis zur Unter- etage (Taf. VI, Fig. A, /), die »Mittelstiege« von der Unteretage (/) bis zur Mitteletage (//), die »Oberstiege«, zugleich bei unsrer Zeliner- stange als oberste Stiege »Kronenstiege«, von der Mitteletage (//) bis zur Oberetage (///). Als »Sprossenbucht« wird die winkhge Bucht bezeichnet, welche ein abgehender Sproß mit dem nach oben weiter- gehenden Teil des Hauptstammes, dem unteren Teil der nächsthöheren Stiege also, bildet. Für die Ausgestaltung der einzelnen Geweihteile hat C. Hoffmann 19011 drei allgemein, auch für andre Hirscharten, geltende Gestaltungs- regeln ausfindig gemacht, die das Geweih zu einer im hohen Grade zu Angriff und Abwehr geeigneten Waffe stempeln. Diese HoFFMANNschen Regeln heißen: 1. Jede Stange eines mehrsprossigen Geweihes macht gegenüber dem Ansatz der Sprosse einen Knick, der das Stangenende von der Sprossenansatzsteile aus nach rückwärts beugt (Textfig 2). Da der Knick somit auf einer Etage steht, wollen wir ihn kurzerhand als »Eta- genknick« bezeichnen. Dieser Etagenknick hat zur Folge, daß der Sprossenbuchtwinkel von der verlängert gedachten Achse der unterliegenden Stiege halbiert wird (Textfig. 3), ein Verhalten, das schon von früheren Autoren zur Unterscheidung von normalen und anormalen accessorischen Sprossen, wie sie beispielsweise nach Verwundungen der Kolbengeweihe oft ent- 1 C. Hoffmann : »Zur Moriihologie der Geweihe der rezenten Hirsche*. Mit mehreren Textabbildungen und zahlreichen Photographien auf 22 Tafeln. 77 Seiten. Cöthen 1901. 23* 340 Ludwig Rhumbler, stehen, benutzt worden ist. Bei letzteren kann der Sprossenbucht- winkel ganz beliebige Lagerung zu der Stangenachse haben. Der Etagenknick bewirkt, daß der tiefste Punkt der Sprossenbucht genau in der Achse des unter der Bucht gelegenen Stiegenteiles des -KSt. -n.St. K.St. Textfig. 1. Textfig. 2. Textfig. 3. Tcxtfig. 1. Schema soll zeigen, wie eine Geweilistange mit Vordersprossen aussehen müßte, wenn sie keine Knickungen und Biegungen in ihrem Verlauf erführe. — Textfig. 2. Schema soll die Form einer Geweihstange zeigen, die durch die jedesmalige Stangenknickung am Sproßansatz entstehen müßte, wenn diese Etagenknickung nicht durch die nach vorn gerichtete Concavkrüm- mung (Fig. 3 jfc. SO kompensiert würde. — Textfig. 3. GeweUistange des Rothirsches ; i-S« kompen- satorische Stiegenki'ümmung; die vorn eingezeichneten Punktlinien zeigen, daß die Achsen des oberen Stiegenteiles die Sprossenbuchtwinkel halbieren. Hauptstammes liegt. Trifft beim Kampfe zweier Hirsche ein Stoß aus irgendwelcher Richtung in die Bucht, so wird er nach dem tiefsten Punkte der letzteren abgleiten müssen, seine Wirkung wird sich dabei auf den ganzen unterhalb liegenden Stangenkörper wie auf die Stirnfläche einer Tragsäule verteilen, so daß die Abbruchgefahr für die schwächere Sprosse selbst beseitigt wird (Textfig. 4). 2. Zwischen je zwei Sprossen zeigt die Stange eine »kompensatorische Krümmung« mit konkaver Vorderseite. Diese Krümmung bewirkt eine Wiederaufrich- tung des Hauptstammes der Stange und eine Ein- führung ihrer Sprossen in die Kampfesrichtung nach vorn, da sonst infolge der ersten Regel die oberen Geweihteile mit ihren Waffenzacken nach hinten zu liegen kämen (vgl. Textfig. 2 mit Textfig. 3). Wir diese Krümmung ihrer Lage und ihrer Wirkung entsprechend als »kompensatorische Textfig. 4. Schema, Bindefirst in der Sprossenbucht schwarz ; die durch punktierte Li- nien angedeuteten Stoß- wirkungen auf die Spros- senbucht werden auf den darunter gelegenen Stan- genteil abgeleitet. (Aus bezeichnen zwei Figuren Hoffmanns kombiniert.) Stiegenkrümmung«. — 3. An der Stelle, wo eine Sprosse entspringt, flacht sich die Stange seithch ab und es entsteht durch die Abflachung innerhalb der Der Arterien verlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 341 Sprossenbucht eine harte, sich zu einer First zuschärfende Bindelamelle (Textfig. 4), ähnhch der Haut zwischen Daumen und Zeigefinger bei der menschhchen Hand. Dieser besonders stark verknöcherte >> Bindefirst der Sprossen- bucht« verhindert, daß die Stange der Länge nach aufsphttert, wenn im Kampfe zweier Hirsche ein Stoß aus irgendwelcher Richtung in die Bucht hineinfällt und nach deren tiefstem Punkte abgleitet (Textfig. 4). Diesen drei allgemeinen Regeln Hoffmanns können wir noch eine vierte allgemeingültige hinzufügen, welche folgendermaßen zu lauten hätte. 4. Jede Sprosse hat die Tendenz, sich mit ihrem äußeren Ende nach oben und gleichzeitig nach der Medianebene hin zu biegen. Die emporgebogenen Sprossenspitzen werden, wenn der Hirsch seinen Kopf zum Stoßen nach vorn beugt und ihn dann mit den starken Nackenmuskeln wieder hochzieht, den Gegner viel empfindlicher verletzen können, als wenn sie geradegestreckt verliefen; außerdem werden infolge dieser Sprossenkrümmung, wenn der Hirsch beim Flüchtigwerden sein Ge- weih nach dem Nacken wirft, die Textfe 5 Sprossen ohne Gefahr hängenzubleiben Zwölfendergeweih des Maral {Cervus maral durch Astwerk und Gestrüpp hindurch- ^^'l'^y'- '"Steuer Abfall der Rosen, Aufwärts- und Medianbiegung der Sprossenspitzen. kommen. (Xach Heck.) Außer den vier allgemeinen Re- geln, deren Geltung den Geweihbau der Hirsche zu selektionistisch erhaltungsfähiger Zweckmäßigkeit erhebt, gilt für den Rothirsch und einige andre (Textfig. 5) — aber nicht für alle — Hirscharten die Regel, daß die' höherendigen Geweihstangen den Stirnbeinen nicht vertikal, sondern halbschräg nach außen gerichtet aufgesetzt sind, und daß sie dann in ihrem oberen Verlauf sich nach der Medianebene des Körpers hinbiegen, so daß in der Frontalansicht die beiden Stangen gemeinsam einen mehr oder weniger eiförmigen am oberen Pole ab- gestumpften Raumausschnitt umrahmen, dessen oberes abgeschnittenes Ende durch die nach innen gebeugten Kronenenden des Hauptstammes der beiden Geweihstangen gegeben wird (Textfig. 5). Die betreffende Krümmung des Hauptstammes, welche die soge- nannte seithche Ausladung des Geweihes nach den Körperseiten hin besorgt und dadurch die Schutzschildwirkung des Geweihes auf die 342 Ludwig Rhunibler, Körperseiten ausdehnt, wollen wir als Ausladekrümmung der Geweih- stange bezeichnen. Sie vergrößert sich in der Eegel nach jedem Ab- wurf mit jedem neu aufgesetzten Geweihe mehr und mehr. Die seithche Ausladekrümmung des Geweihes wird in erster Linie dadurch veranlaßt, daß mit jedem Abwurf ein oberer Teil des Rosen- stocks gleichzeitig mit der Stange abgeworfen wird, der in Keilform der unteren Abwurffläche der Abwurfstange, mit ihr einheitlich ver- sintert, aufsitzt. Die Schneide des Keils entstammt der Medianseite, der Keilrücken der lateralen Partie des Rosenstockes; es wird also bei jedem Abwurf von dem, nebenbei bemerkt mit jedem Abwurf sich ver- kürzenden und verbreiternden, Rosenstock auf der Medianseite weniger weggenommen als auf der Lateralseite und da- durch nun ein stetiges Absinken der Ansatz - fläche des Rosenstockes aus ursprünghch mehr • ... horizontaler Lagerung in '~« eine mehr vertikale ver- anlaßt 1. Da nun ferner die Rosenebene einer neu aufgesetzten Stange dem Rosenstock direkt aufhegt, so müssen die Schf^'^fi'-'---'' Textfig. 6. iide Schrägstellung der Kosenstockoberflächen Rothirsch. (In Anlehnung an Altum.) Ebenen der rechten und linken Rose bei jedem neuen Geweihwechsel eine andre spitzwinkligere Neigung gegeneinander einnehmen und dadurch die ihnen aufsitzenden beiden Geweihstangen immer wei- ter auseinander beugen. Die im Anschluß an Altum^, der die durchschnitthche Größe der von den beiden Rosenebenen gebildeten Winkel für verschiedene Abwürfe gemessen hat, angefertigte Text- fig. 6 wird diese Verhältnisse klar machen. Denkt man sich auf 1 Gelegentlich vorkoiniucnde unregelmäßige Geweihabbruchsflächen er- gänzen sich in diesem Sinne wieder, ehe sie das neue Geweih aufsetzen, so daß dadurch das Absinken von Geweihansatzfläche und Geweih bei späteren Ab- würfen gewahrt bleibt. Vgl. Dr. Cogho: »Über die Veränderung der Rosenstöcke beim Geweih Wechsel der Edelhirsche«. Leipzig 1880. 22 Textfig. 45 Seiten. 2 B. Altum: »Die Geweihbildung bei Rothirsch, Rehbock, Damhirsch. Berlm 1874. 59 Seiten. 19 Textfig. Der Arterienverlaiif auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 343 die gezeichneten Ab wurf flächen jedesmal die Stangen aufgesetzt, so wird man ohne weiteres erkennen, daß sich die Geweihstangen mit jedem Geweihwechsel an ihrer Basis stärker nach den Seiten hin ausladen müssen. Die ganze Geweihstange reckt sich dann aber wie- der, der Schwerki-aft entgegen, sagen wir der Kürze wegen »negativ geotropisch << nach oben. Die seitliche i\.usladekrümmung wird also einerseits durch das seitliche Absinken der von dem Rosenstock den Stangen gebotenen Ansatzflächen und andrerseits durch negativen Geotropismus^ der im Wachstum begriffenen Stangen bewerkstelhgt. Durch die angegebenen fünf Regeln ist die Form der Rothirsch- stange in ausreichend engen Grenzen festgelegt, und zugleich die Zweck- mäßigkeit der Geweihform so weit beleuchtet, daß ihre Entstehung von selektionistischem Gesichtspunkte aus vollkommen verständHch sein wird. Die selektionistische Betrachtungsweise gibt aber immer nur die Außenweltfaktoren, welche die Erhaltung und Weiterzüchtung physio- logisch entstandener Formen im Kampf ums Dasein erwirkt haben, sie gibt dagegen keine Auskunft darüber, wie das dem Daseinskampfe vorgesetzte lebende Material physiologisch entsteht. b. Gefäßverlauf. Die nachkommende Darstellung der Beziehungen zwischen Geweih- form und Verteilung der Arterien auf dem wachsenden Geweih sollen einen Beitrag zur Aufdeckung der physiologischen Internfaktoren des Geweihwachstums liefern, also die Erkenntnis der Entwicklungsmecha- nik des Geweihwachstums fördern helfen, das wegen relativ einfacher Verhältnisse — das wachsende System besteht nur aus Haut und Knochen und deren Konstituenten; es fehlen die Muskeln und Gelenk- bildungen, die das Knochenwachstum der Extremitäten komplizieren — zu einer ersten Analyse besonders verlockend erscheint. Dabei werde ich aber auf die bereits in früheren Arbeiten behandelten, und in der letzten Fußnote dieser Abhandlung aufgezählten Geweiheigentümhch- keiten nicht mehr näher eingehen. Bekannthch ist das fertig gebildete, kämpf gerechte, von dem Hirsch gefegte, d. h. seines Hautüberzuges beraubte Geweih ein totes abgestorbenes Knochengebilde, das über sein früheres Wachstum kein direktes Zeugnis mehr abzulegen vermag. Das Wachstum des Geweihes 1 Dieser Ausdruck ist nur als ein bequemer beschreibungstechnischer hier verwendet; es soll dagegen einstweilen nicht damit gesagt sein, daß die Schwer- kraft dabei aktiv beteiligt sei. 344 Ludwig Rhumbler, fällt in die sogenannte Kolbenzeit — beim Rothirsch und andern plesio- metacarpalen Cerviden Frühjahr bis Mitte Juni oder Juli — , in der die Geweihstangen von der Körperhaut überzogen sind und sich in allmäh- hchem Spitzenwachstum und unter entsprechender Verzweigung all- mählich als größer werdende »Kolben« über der Stirn emporheben. Die Geweihstange wird unter der Körperhaut, dem »Bast«, zu- nächst aus verhältnismäßig weichem, plastischem Bindegewebsmaterial angelegt, das erst sekundär, aber ziemlich bald nach seinem Aufbau unter Ablagerung von Kalksalzen verknöchert wird. Das Wachstum der Geweihkolben mit den Sprossen findet durch Neuansatz solcher Binde- gewebssubstanz vorwiegend an den oberen Endspitzen statt (Textfig. 7), während ein irgendwie bemerkens- wertes Dickenwachstum der einzel- nen Geweihanteile nach dieser ersten fW' ' , ^W-f^ '^^Wk Erzeuguno; nicht mehr eintritt. Aus /m y I ' »i ' '^Mfeik anderwärts gemachten Erfahrungen w7j^ i ii M^ V \\ K^^ darf man ohne Bedenken annehmen, daß das bei dem Spitzenw^achs- tum initiative, »führende« »dukato- Gewebe, das durch sein eignes Wachstum die übrigen betei- ligten Gewebe des überliegenden Bastes, der Blutgefäße, Nerven usw., zum Mitwachsen veranlaßt, in der äußeren Oberflächenschicht des spä- ter knöchernen Bestandteiles, der sogenannten Periostschicht, gelegen ist. Dieser Periostschicht, die also dem Geweih selbst, nicht dem Bastüberzug, angehört, sind zahlreiche in der Längenrichtung der Stange und Sprossen verlaufende Gefäße angepreßt, die dem Periost die zu seinen Wachstumsarbeiten notwendigen Baustoffe zutragen. Diese längsverlaufenden Rindengefäße (deren Verlauf auch bei dem, nach dem Fegen fertiggestellten, Geweih in Gestalt der bekannten Ge- fäßrillen sichtbar bleibt) sind, wie Taf. VI, Fig. D zeigt, so mächtig entwickelt, daß ihnen gegenüber die im Innern der Knochenanlage 1 Vgl. L. Rhumbler in: Ergebnisse der Physiologie (Asher und Spiro). 14. Jahrg. 1914. S. 569 u. ff. Textfig. 7. Auf der rechten Körperseite (in der Figur links) eines Rehscliädeldaches sind einige Arterien nSCiie« schematiscii aufgetragen, die von dem Gefäß- kranze ( G,Kr) aus entspringen und sicli unter Wirbelbildung (TF.) in das Innere des wachsen- den Kolbens begeben. R = Rose. Auf der linken Körperseite Verknöcherungskrater, aus dessen Gipfel die noch weiche Anlagesubstanz herausgebrochen ist. (Kombiniert nach An- gaben und Abbildungen Bertholds und V. KORFFS.) Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 345 aus den Frontalia heraus direkt hochsteigenden kleinen Gefäßchen ganz zurücktreten. Man darf hieraus schließen, daß die Hauptbaustoff- zufuhr für das Geweihwachstum von außen her, also von der Periost- schicht aus, erfolgt, deren initiatives Wachstum zugleich durch ihre besonders günstigen, durch den direkten Kontakt mit den ernährenden Gefäßen und ihren Capillaren gegebenen, Ernährungsbedingungen ver- ständlich wird. Wo das Periost besonders viel bauen soll, da muß es auch zur gesteigerten Baustoff zufuhr besonders mit Gefäßen ausgestattet sein; so erlangt die Verteilung der Blutgefäße ihren Einfluß auf das Form- wachstum, der aber am Ende dieser Arbeit noch näher zu motivieren sein wird. Die Rindengefäße sind zum Teil Arterien, zum Teil Venen; die Venen laufen den Arterien, in nächster Nähe derselben, parallel i, sind aber zuweilen in einer etwas geringeren Anzahl vorhanden, so daß an manchen Geweihstellen zuweilen auf zwei Arterien nur eine Vene fällt. Die nachfolgende Darstellung (Taf. VI, Fig. A — C) bezieht sich allein auf den Verlauf der Arterien und läßt denjenigen der Venen, die an dem Wachstum der Geweihteile begreiflicherweise keinen aktiven Anteil haben, unberücksichtigt; sie stützt sich zwar in erster Linie auf die in dem Marburger Präparat 2 deuthch rotinjizierten Gefäße; auf der an diesem Präparat gewonnenen Grundlage sind dann aber durch Studium der Gefäßrillen auf andern Zehnerstangen des Rothirsches auch solche Arterien und Arterienstrecken in die Figur eingetragen worden, die in dem Marburger Präparat keine Injektionsmasse aufgenommen hatten; derartige aus dem Studium andrer Stangen gewonnene Ergänzungen sind in der Figur durch spitzig gestrichelte Linien kenntlich gemacht; während die eckig punktierten Linien, wie sie die Abbildung der Median- seite auf den Sprossen Ih und II sowie diejenige der Außenseite auf der Sprosse III v am Unterrande der Sprossen zeigt, sich auf solche Gefäßstrecken beziehen, die wie die voll ausgezeichneten Linien gut injizierte Arterienstrecken bezeichnen, aber im Unterschied zu den letzteren solche, die von der andern Geweihseite aus auf die gezeichnete übertreten. Was also auf der Medianseite eckig punktiert ist, bedeutet 1 Von dem Parallelziehen und der ungefähr alternierenden Anordnung von Arterien und Venen gibt Rökigs Abbildung (loc. cit. Taf. XIII) eine hinreichende Vorstellung. 2 In den beiden Marburger Präparaten [außer der von mir eingehender studierten rechtsseitigen Kopfhälfte des Zoologischen Instituts besitzt die Mar- burger Anatomie die dazugehörige linke Kopfhälfte, die ich aber nur flüchtig an- sehen konnte] sind auch die Venen injiziert, mit blauer Farbe. 346 Lvidwig Rhumbler, eine Gefäßstrecke, die von der Außenseite herkommt, was auf der Außenseite eckig punktiert ist, eine Gefäßstrecke, deren vorhergegan- gene Bahn auf der Medianseite liegt. Wie schon Berthoj-d (1831, S. 72) festgestellt hat, nehmen die, auf der Stangenrinde hochsteigenden, Arterien ihren Ursprung von einem unter der Rose gelegenen Gefäßkranze i, der in unsrer Figur unterhalb der kolorierten Rosenabsohnitte sowohl auf der Außen- wie auf der Medianseite deutlich zu sehen ist. Von diesem Unterrosenkranz- geflecht, das sich um den obersten Teil des Stirnbeinzapfens herumlegt, steigen die Geweihgefäße (in fast rechtwinkliger Stellung zur Kranz- geflechtebene) in die verschiedenen Stangenteile steil auf. Trotzdem nun der weitere Verlauf der aufsteigenden Stangen- gefäße auf die Ausbildung der Geweihform von wesentlichem Einfluß ist, darf man sich diesen Verlauf doch ganz und gar nicht als in jeder Beziehung streng und fest normiert vorstellen. Die relativ große Variabilität, die ganz im allgemeinen auch in andern Fällen dem Verlauf der Blutgefäße eigen ist, gibt sich bei homo- logen Stangen verschiedener Individuen der gleichen Hirschart ebenso wie bei aufeinanderfolgenden Abwürfen ein und desselben Hirsch- individuums dadurch zu erkennen, daß Gefäßstrecken bzw. Gefäß- rillen, die auf einer Stange in der Mehrzahl parallel in dichter Neben- einanderlagerung als unmittelbare Nachbarn hinlaufen, auf einer andern entsprechenden Stange zu einem größeren Gefäß bzw. zu einer breiteren Gefäßrille miteinander verschmolzen sind. Größere Gefäße bzw. Gefäß- rillen können sich in zwei oder drei, selten mehr parallel verlaufende auseinanderspalten, und ebenso können auch mehrere nach dem gleichen Geweihabschnitt hinlaufende parallel ziehende Gefäße auf kleinere oder auch große Strecken hin zu einem dickeren Gefäß verschmelzen. Die in der Figur eingezeichneten Linien sind also bei einem Vergleich mit den Gefäßrillen entsprechender andrer Stangen nur als Bahnen anzu- sehen, die in bestimmtem Verlauf von der Basis nach den Enden des Geweihes hinziehen, von denen es aber gleichgültig ist, ob sie in einem konkreten Falle eine größere oder mehrere parallel verlaufende kleinere 1 Das Marburger Präparat zeigt diesen Gefäßkranz als ein ganzes Geflecht kleiner Arterien, die sich kranzartig unterhalb der Rosenbasis um das Stirnzapfen- ende herumlegen; ob ein größeres einheitliches Gefäß, wie es Rörig loc. cit. bei der Wiedergabe desselben Präparates in seiner Zeichnung angegeben hat, außer- dem noch in den tieferen Schichten existiert, was ich für durchaus wahrscheinlich halte, ließ sich ohne Schädigung des Präparates nicht erkennen. Die dick inji- zierten Venen laufen in meist, aber nicht allwärts, oberflächlicher Lagerung durch das arterielle Kranzgeflecht hindurch. Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 347 Arterien enthalten. Ich möchte für Gefäße, die sich durch ihren paral- lelen Verlauf bei gemeinsamem Ursprung als einer Gefäßbahn zuge- hörend erweisen, als Zwieselgefäße bezeichnen. Zwieselgefäße sind also parallel in dichter Aneinanderdrängung nebeneinander verlaufende Ge- fäße oder Gefäßstrecken, die aus einem Stammgefäß entspringen oder auch an beliebigen Stellen miteinander verschmolzen sind. Nicht die Parallelität allein ist hierbei maßgebend, sondern ihre gleichzeitige Zusammengehörigkeit zur selben Bahn; sie müssen oberhalb der Kose aus einem gemeinsamen Arterienstamm entspringen, dann dicht neben- einander hinlaufend gleiche Wege auf den gleichen Geweihteilen bis zu ihrem Ende beibehalten. Während die Zwieselgefäße bedeutungslose und stark variable Gefäßspaltungen darstellen, die auf dem Geweihteil, auf dem sie sich gespalten haben, verbleiben, kommen neben ihnen noch andre Gefäß- abzweigungen vor, die neue Gefäßbahnen liefern und bei großer Kon- stanz einen höheren morphologischen Wert bekunden. Ich bezeichne derartige abgezweigte Gefäße als Zweiggefäße; die Zweiggefäße treten winklig von einem Stammgefäß ab, die Zweige laufen nicht eng anein- ander geschmiegt parallel und der abgezweigte Arterienast endet auf einem andern Geweihteil als die Hauptarterie, von der er sich abgezweigt hat. Während nämlich die Hauptgefäße auf dem eigenthchen Stangen- teil des Geweihes liegen, treten die Zweiggefäße auf die Sprossen des Geweihes über^. Eine besondere Art von Zweiggefäßen stellen die »Sprossenbucht- gefäße« dar, sie finden sich im Sprossenbuchtwinkel und zeichnen sich dadurch von den sonstigen Zweiggefäßen aus, daß sie in dem Stamm- teil der Sprossenbucht einen abwärtigen Verlauf annehmen, um nach kurzer Strecke im • Sprossenanteil der Sprossenbucht wieder hochzu- steigen. Die Sprossenbuchtgefäße hängen, etwa wie ein schlaffes Seil, von ihrem, auf dem Hauptstamm gelegenen, Abzweigungspunkt aus nach der Sprossenspitze hinüber. Jede Sprossenbucht hat mindestens zwei solcher Sprossenbuchtgefäße, eins nämlich auf der Medianseite und eins auf der Außenseite des Geweihes; diese Sprossenbuchtgefäße können sich beiderseits aber zu mehreren Gefäßen verzwieseln. Un- abhängig davon, ob die Sprossenbuchtgefäße verzwieselt sind oder 1 Die Geweihsprossen werden indessen keineswegs nur von Zweiggefäßen beschickt, sie erhalten vielmehr, wie aus dem späteren hervorgehen wird, immer noch neben den nie fehlenden Zweiggefäßen auch Hauptgefäße, die verzwieselt (gespalten) oder nicht verzwieselt vom Unterrosenkranzgeflecht auf direktestem Wege bis zum Sprossenende hochsteigen. 348 Ludwig Rhumbler, nicht, liegen sie beiderseits dicht am konkaven Rande der Sprossen- bucht, der sich als Bindefirst zwischen ihnen emporhebt; die medianen und die lateralen Sprossenbuchtarterien stellen also zwei bogig herab- hängende parallele Systeme dar, die den Bindefirst der Sprossenbucht zwischen sich hochgehen lassen. Es Wcären demnach für die nachfolgende Beschreibung folgende Begriffe festzuhalten: Haupt- oder Stammgefäße = Gefäße, die vom Rosenstock (als unterer Geweüibasis) aus unverzweigt in die Stange und eventuell auch in die Sprossen hochsteigen, oder Gefäßstrecken, die noch keine Zweige abgegeben haben. Zweiggefäße = Gefäße, die sich winklig von einem Stammgefäß abzweigen und von diesem aus in eine Sprosse hinüberlaufen. Sprossenbuchtgefäße — Zweiggefäße besonderer Art, die im Bogen von ihrem Abgangspunkt am oberen Rand der Sprossenbucht nach einer Sprosse hinüberlaufen und dem Bindefirst der Sprossenbucht seithch anliegen. Zwieselgefäße = Gefäße, die durch Spaltung eines Gefäßes entstanden sind und in paralleler Anemanderschmiegung den gleichen Weg einhalten. Sowohl Hauptgefäße wie Zweiggefäße und Sprossenbuchtgefäße können streckenweise in Zwieselgefäße übergehen, oder wie man sich kürzer ausdrücken kann, sie können »verzwieselt « sein. Für Arterien der genannten Kategorien schlage ich weiterhin, je nach dem Verlauf, den sie auf den Geweihteilen nehmen, folgende Aus- drücke vor: Eine Arteria rectilinea ist ein Hauptgefäß, das von dem Gefäß- kranz unverzweigt bis zu dem Stammende hochsteigt; sie ist in der Einzahl oder in der Mehrzahl auf dem Stangenrücken zu finden (Taf . VI, Fig. C, Medianseite, das rotgezeichnete Randgefäß, das bis nach III h hochsteigt) und kann wegen dieser Lagerung als System der Arteria dorsalis cornuum bezeichnet werden. Eine Arteria promissai ist ein Hauptgefäß, das sich von dem Stamm aus, auf dem es eine größere oder geringere Strecke geradlinig verlaufen ist, auf der Höhe einer Etage auf die konvexe Unterseite einer Sprosse sanft herniederbeugt. Am besten erkennt man derartige Arteriae promissae cornuum in den rotgezeichneten Gefäßen der Fig. C auf Tafel VI auf der Außenseite der Augsprosse, Eissprosse und Mittelsprosse. Eine Arteria reclinata ist eine Arterie, die nach mehr oder weniger geradegestrecktem Verlauf in den Stiegen dann auf einer Etage eine Sprossenbuchtarterie rückläufig an eine Sprosse abgibt. Jede Sprosse hat mindestens zwei solcher Arteriae reclinatae cornuum. 1 promitto := vorwärtssenden, vorwärtsgehen lassen, herablassen (von Gegenständen gebraucht, welche wachsen). Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 349 Arteriae promiscuaei cornuum sind Arterien, die gleichzeitig den Charakter der vorgenannten nebeneinander haben, sie verlaufen in das Kronenende hinein und geben Zweige sowohl als Sprossenbucht- gefäße auf der Mittel- oder Oberetage ab. Eine Arteria promiscua medialis findet sich auf der Medianseite (Taf. VI, Fig. A, erste Ar- terie im Occipitalquadranten), eine Arteria promiscua externa auf der Außenseite (Taf. VI, Fig. A, Außenseite, letztes Gefäß am linken Rande der Figur). Um den Ort des Aufstieges der einzelnen Kolbenarterien genauer angeben zu können, zerlegt man am besten den Querschnitt der Rose, durch welche die Arterien bei ihrem Aufstieg, aus dem Unterrosenge- fäßkranz zur Stange, hindurchtreten, in vier Quadranten, die in Fig. A, Taf. VI durch verschiedene Farben angegeben sind. Der Rosenquer- schnitt ist eine ungefähre Ellipse, deren (größere) Hauptachse in der Ebene der Sprossen, deren (kleinere) Nebenachse senkrecht zu ihr, in der Frontalachsenrichtung des Tieres, hegt. Diese Rosenellipse, durch deren Ebene die Gefäße lotrecht hindurchschneiden, teilt man zweckmäßig in topographische Quadranten so ein, daß ein vorderer [blau] und hinterer [rot] Quad;:ant von stärkerer Konvexität und zwei seitliche, weniger konvex gekrümmte Quadranten entstehen, von denen der eine als Außenquadrant [grün] nach der Körperseite, der andre als Medianquadrant [gelb] nachder Medianebene des Hirschkörpers hin gewendet ist^. Die Hauptachse der RoseneUipse halbiert somit vornen den Vorder- oder Frontalquadranten [blau], hinten den Hinter- oder Occipitalquadranten [rot], während die Nebenachse den Außen- oder Lateralquadranten [grün] und den Medianquadranten [gelb] hal- biert. Die genannten Quadranten geben nun in folgender Weise Gefäße zu den einzelnen Geweihabschnitten der Zehnerstange ab (Taf. VI, Fig. A). a) Der Vorderquadrant [blau] schickt Arteriae promissae nach der unteren Konvexseite des Augsprosses (/ a) hin ; nur eine dem Außenquadranten nächst benachbarte Arteria reclinata greift, mit 1 promiscuus = nicht gesondert. 2 Bei manchen Stangen setzen sich diese vier Rosenquadranten durch seichte Einkerbungen der Rosenellipse (an den Endpunkten der Quadranten) ganz deutlich voneinander ab, in andern Fällen muß man sie sich nach Augenmaß und Arterien verlauf künstlich konstruieren; man gibt sich etwa auf der Stangen- rose die vier Trennungspunkte der Rosenquadranten an und sieht dann zu, ob man mit ihnen die richtigen Arterien gefaßt hat, widrigenfalls verbessert man die Lage der Punkte entsprechend, wobei es sich aber immer nur um ganz geringe Größenverschiedenheiten der sich gegenüberliegenden Quadranten handeln darf. 350 Ludwig Rhumbler, ihrem aufsteigenden Bogenteil, an der Eissprosse auf der Medianseite vorüberziehend, auf die Mitte der Mittelstiege hinüber und verläuft hier auf deren Vorderseite ; sonst bleiben die Blutgefäße dieses Vorder- quadranten ganz auf die Augsprosse beschränkt. b) Der Außen- oder Lateralquadrant [grün] zerfällt in zwei Hälften, deren Teilpunkt [in der Figur durch einen schwarzen Punkt angedeutet] das äußere Ende der Nebenachse der Kosenelhpse ist; dieser Teilpunkt, der sich manchmal durch eine besondere Erhebung der Rose an dieser Stelle zu erkennen gibt, teilt wie eine Wasserscheide das Abflußgebiet der dem Lateralquadranten zugehörigen Arterien in der Weise, daß die Gefäße der vorderen Hälfte dieses Quadranten der konvexen Unterseite des Eissprosses (/ b) als Promissae zufließen, während die Hinterhälfte dieses Lateralquadranten Arterien abgibt, die, auf der Außen- und Vorderseite der Mittelstiege hochsteigend, auf die konvexe Unterseite des Mittelsprosses (//) hinüberziehen; nur die dem Halbierungspunkt des Quadranten zunächstliegende Arterie gibt als Reclinata eine Sprossenbuchtarterie an den Eissproß ab. Diese Sprossenbuchtarterie anastomosiert an ihrem der Sprossenspitze zuge- kehrten Ende mit der nächstliegenden, Promissa der vorderen Hälfte desselben Quadranten auf der Eissprosse. Im allgemeinen trennt also der Wasserscheidenpunkt des Lateralquadranten die zum Eissproß hin- ziehenden und die zum Mittelsproß hinziehenden Hauptarterien von- einander; nur die Sprossenbuchtarterie der Eissproßbucht legt eine Zweigbrücke zwischen die sich zunächstliegenden Arterien der beiden Quandrantenhälften. c) Die Arterien des Hinter- oder Occipitalquadranten [rot] steigen, ohne von der Augsprosse und Eissprosse beeinflußt zu sein, durch die Unterstiege und Mittelstiege glatt weg und nehmen dann erst die Versorgung des Mittelsprosses und der Kronensprossen vor. Die auf dem hintersten Geweihteil dieses Occipitalquadranten gelege- nen Dorsales cornuum ziehen in gerader Streckung, ohne Zweiggefäße abzugeben, bis in die oberste Spitze des Kronenendes hoch, in welchem sie sich meist verzwieseln (Taf. VI, Fig. A, Medianseite bei III h); die dem Außenquadranten und dem Medianquadranten zunächstliegenden Arterien des Occipitalquadranten geben dagegen Zweiggefäße auf der Mitteletage und Oberetage an die entsprechenden Sprossen ab. Dabei zeigt sich ein Unterschied zwischen den Arterien auf der Geweih- außenseite und denen auf der Geweihmedianseite. Das vorderste Gefäß der Geweihaußenseite gibt nämlich als einfache Rechnata nur ein Sprossenbuchtgefäß an den Mittelsproß ab und zieht dann zur Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 351 Oberstiege weiter. Das vorderste Gefäß auf der Geweihmedianseite, die Arteria promiscua medialis, gibt dagegen, nachdem es sich im Bogen gegen die Mittelsprosse hin vorgebuchtet hat, zunächst ein gewöhn- liches Zweiggefäß und dann erst ein oberes Sprossenbuchtgefäß an die Mittelsprosse ab und verläuft dann zur konvexen Unterseite der vorderen Kronensprosse {III v). Die Sprossenbuchtgefäße der Kronen- sprosse werden von weiter hinten liegenden Arterien geliefert, die, ohne bis dahin andre Sprossen versorgt zu haben, von dem Kranzr gefäß bis in das hintere Kronenende der Stange (/// v) hineinsteigen, auf der Außenseite speziell von der Promiscua externa. d) Der Medianquadrant [gelb] läßt sich wieder [wie sein Visavis, der Außenquadrant] in zwei Hälften teilen, deren Teilpunkt durch das Medianende der kleinen Ellipsenachse gegeben ist. Leider haben die Gefäße dieses Medianquadranten in dem Marburger Injektions- präparat die Injektionsmasse nicht aufgenommen, so daß sich mit einer geringeren Zuverlässigkeit der Gefäßverlauf nur aus der Lagerung der Gefäßrillen entnehmen läßt, die überdies gerade in diesem Gebiet auch bei andern Stangen weniger deuthch zu sein pflegt als in den andern Quadranten. Immerhin läßt sich aus dem Gefäßrillenverlauf des Präparates unter Zuhilfenahme entsprechender andrer Zehner- stangen mit ausreichender Sicherheit feststellen, daß die Gefäße der (dem Vorderquadranten anstoßenden) vorderen Hälfte des Median- quadranten auf die Medianseite und auf die konkav nach oben ge- krümmte Oberseite der ersten Vordersprosse (Augsprosse / a) hin- laufen, während diejenigen der hinteren (dem Hinterquadranten anstoßenden) Medianquadrantenhälfte, vornehmlich durch bloße Zweig- gefäße, die Medianseite der Eissprosse und dann die untere Hälfte der Mittelstiege mit Gefäßen versorgen. Ein auf der Grenze zwischen Vorderhälfte und Hinterhälfte (also an dem Medianende der Nebenachse der Rosenellipse, an dem am weitesten nach der Medianebene vorgezogenen Punkte der Ellipse) aufsteigendes Gefäß teilt sich zu einem mehr oder weniger fächerartigen Geflechtwerk auf, das seine beiden an den Fächerrändern aufsteigenden Hauptzweige wieder so verteilt, daß der vordere nach der unteren Konvexseite der Eissprosse hinzieht, während der hintere auf dem Stamm hinzieht und sich hier bis zur ungefähren Mitte der Mittel- stiege verfolgen läßt, vor deren Erreichung er je ein Sprossenbucht- gefäß an den Augsproß (/ a) und an den Eissproß (/ h) abgibt. Der Medianquadrant hält demnach seine Arterien auf dem unteren Teil der medianen Geweihseite zusammen, er gibt an Aug- 352 Ludwig Rhumbler, sproß, Eissproß und die untere Hälfte der Mittelstiege seine Ar- terien ab. Zur Erleichterung einer mehrseitigen Orientierung habe ich auf Taf. VI, Fig. B die verschiedenen Arterien so unter Farben gestellt, daß die zur Augsprosse führenden Gefäße rot, diejenigen der Eissprosse gelb, der Mittelsprosse grün, der Kronensprosse blau und des Kronen- endes weiß gehalten sind. Im übrigen erklärt sich die Figur von selbst. Keine Sprosse wird von mehr als zwei Quadranten her ver- sorgt, nänihch die Augsprosse vom Vorderquadranten und der Vorder- hälfte des Medianquadranten, die Eissprosse von Median- und Lateral- quadranten, die Mittelsprosse vom Lateral- und Occipitalquadranten, und nur die Kronensprosse, gleichzeitig mit dem Kronenende, nur von einem Quadranten, dem Occipitalquadranten. Für die Augsprosse und die Kronensprosse liegen die versorgenden Quadrantenteile kontinuierlich zusammen, für die Eissprosse und Mittelsprosse dagegen liegen sie sich wechselseitig auf der Außen- und Medianseite des Geweihes schräg gegenüber (vgl. die Grundrisse unter den Augsprossen Fig. B, Taf. VI). Will man sich eine allgemeine Vorstellung von dem Verteilung s- plan der Arterien auf der Geweihstange machen, so geht man am besten von einer langgestreckten unverzweigten Spießerstange aus, auf deren Rinde man sich die Gefäße parallel nebeneinander von der Basis zur Spitze verlaufend, also als ein System von Arteriae rectilineae (vgl. S. 348), zu denken hat. Man hätte dann an diesen Spieß nach und nach die Sprossen der späteren Abwürfe angebracht zu denken und in Betracht zu halten, daß jede Sprosse für sich zwei Arten von Gefäßen beansprucht, nämlich einmal die auf der konvexen Sprossenunterseite verlaufenden Arteriae promissae und dann die Arteriae recli- natae, die mit ihrem rückläufigen Zweig beiderseits den Bindefirst der Sprossenbucht guirlandenartig behängen. Fig. C, Taf. VI zeigt die promissae rot, die reclinatae grün gefärbt. Die abwechselnd rot und grün gehaltenen Arterien, die den Charakter von Promissae und Eeclinatae vereinigen, sind die Arteria promiscua medialis und externa (vgl. S. 349). Aus dem Rectilineatenvorrat des Spießes hat man sich nun die an der vordersten Front des Spießes gelegenen Arterien als promissae nach vornen gebeugt zu denken, um die promissae der konvexen Unterseite der Augsprosse zu erhalten ; die ihnen rechts und links an- grenzenden Arterien müßten dann als reclinatae die herabhängenden Arterienzweige der konkaven Sprossenbuchtoberseite liefern, während iiir Hauptstamm auf die nächste Stiege weiterlaufen kann. Man hätte Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cerviis elaphiis L. usw. 353 SO die Beaderung des Gablers mit einer Augsprosse erlangt. Um nun von diesem Gablerzustand den Zustand der Seclisergeweihe mit Mittel- sproß abzuleiten, denke man sich zunächst wieder den Gablerzustand, dann aber müßte man die Gefäße, die rechts und links (auf der Außen- seite und auf der Medianseite der Stange als Visavis) an die zur Gabel- sprosse verwendete Gefäßgruppe anschheßen, wiederum zu promissae und reclinatae umgewandelt denken. Das erste sich vis-a-vis stehende Anschlußpaar müßte also auf die Unterseite der Mittelsprosse nieder- gebogen werden, das zweite Visavis bekäme seinen herabhängenden Sprossenbuchtast angehängt, während die hierzu nicht verbrauchten Arterien auf dem Hauptstamme als rectilineae ungebeugt zur Spitze weiterliefen. Das gleiche Verhältnis würde sich auch beim Achter- und Kronenze'mer wiederholen, indem jedesmal bei jeder neuen Sprossenbil- dung auf einer höheren Etage die (auf der rechten und linken Stangen- seite an die bereits zur Sprossenversorgung benutzten Arterien an- schheßenden, sich paarweise gegenüberstehenden) Gefäße in einer ersten vorderen Gruppe als promissae, in einer zweiten, dahinterhegenden anschließenden Gruppe dagegen als reclinatae ausgebildet werden müßten. Kurz gesagt, bei jeder erneuten Sprossenbildung fällt auf der rechten und linken Seite des Geweihkolbens jedesmal ein Gefäß oder ein Gefäßkomplex zur Speisung der unteren Konvexseite der betreffen- den Sprosse nach vornen und ein zweites seitlich anschließendes Gefäß bzw. ein zweiter seithch anschheßender Gefäßkomplex steigt auf der Stiege weiter, um etwas oberhalb der betreffenden Sprosse ein Sprossen- buchtgefäß für die Sprosse abzuzweigen. Es alternieren also auf jeder der beiden Geweihseiten im Bereich der Geweihstiegen zwei Arten von Hauptgefäßen oder Hauptgefäßkomplexen miteinander, von denen j edes- mal die vorderen die untere Konvexseite einer Sprosse beschicken und keine Zweigarterien besitzen (Promissae), während die dahinter gelegene zweite Art von Gefäßen bzw. Gefäßkomplexen an den Stiegen weiter- zieht und dann erst oberhalb der Sprosse durch Abzweigung bogig herabhängende Sprossenbuchtarterien für die konkave Oberseite der Sprosse abgibt (Rechnatae). Das angegebene Verteilungsschema läßt sich an den Gefäßrillen von Spießer-, Gabler-, Sechser-, Achter- und Kronenzehnerstangen erst nach einiger Übung sicher erkennen, dem ungeübten Auge erscheint das ganze Rillensystem wie ein großer Wirrwarr vorwiegend längs- gerichteter, aber an ganz verschiedenen Punkten miteinander ver- schmolzener und durcheinander ziehender Furchen und Netze. Die deutliche Erkennbarkeit des gegebenen Schemas wird für die Rillen Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 24 354 Ludwig Rhumbler, auf abgeworfenen Stangen gestört dadurch, daß erstens die erörterten Grefäßbahnen bei verschiedenen Geweihabwürfen schon vom Gefäß- kranze aus von einer verschiedenen Zahl gleichlaufender Hauptgefäße befahren werden können, zweitens dadurch, daß alle Gefäße — an manchen Geweihstangen habe ich ganze Gehänge von Sprossenbucht- gefäßen gesehen, zuweilen drei bis vier untereinander — sich ver- zwieseln können, drittens dadurch, daß alle in gegenseitigen Kontakt kommende Arterienabschnitte Anastomosen miteinander bilden können, viertens dadurch, daß zuweilen ein Gefäß an irgendeiner, wenn auch nur kurzen Strecke einen hin und her schlängelnden Verlauf annimmt, und schließlich fünftens dadurch, daß sich auf der Stange die Kiefen für Venen mit denen für Arterien so unterschiedslos vermengen, daß man beide kaum auseinanderhalten kann. Ohne Zuhilfenahme von Injektionspräparaten wäre in das Rillengewirr der Stangen keine Klärung zu bringen gewesen. Die Injektionen scheiden einmal das Venen- und Arteriengewirr voneinander und heben dann auch die Hauptbahnen dadurch deuthcher hervor, daß in die Zweiggefäße nur wenig oder gar keine Injektionsmasse eindringt, während sich die Hauptbahnen prall damit gefüllt zeigen. Am schwierigsten zu deuten sind die Beaderungsverhältnisse der Eissprosse auf der Medianseite, also in dem Gefäßgebiet der Hinterhälfte des Medianquadranten der Rosenellipse ; hier werden die beiden Haupt- systeme der Sprossenbeaderung — das System der unteren Konvexseite und das Sprossenbuchtsystem der oberen Konkavseite der Sprosse — aus einem ganzen Fächer vernetzter Adern herausgearbeitet; man erhält den Eindruck, daß hier irgendeine Besonderheit, welche für die übrigen Sprossen nicht gilt, das allgemeine Beaderungsschema der Sprossen besonders stark verundeutlicht hat. Um diesen Punkt gleich vorweg zu nehmen, werde darauf aufmerksam gemacht, daß gerade die Eis- sprosse auch in andern Beziehungen Eigentümlichkeiten verrät, die den andern Sprossen fehlen. Zum ersten treten bei dem Mehrendig- werden der Abwürfe alle übrigen Sprossen ihrer Ordnungszahl von unten nach oben entsprechend an der Geweihstange der höheren Ab- würfe auf. Die auf den einfachen Spieß folgende Gablerstange hat der seitherigen Spießerstange nur die unterste Augsprosse (/) auf der Unter- etage zugefügt, die Sechserstange bildet sich dann durch Hinzukommen der Mittelsprosse auf der Mitteletage aus, die Achterstange durch Hin- zutreten einer Kronensprosse auf der Oberetage, und erst bei der Eis- sproßzehnerstange tritt mit einemmal wieder, weit unten, auf der Unteretage die Eissprosse hinzu, während sonst die Sprossenvermehrung Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 355 23April- 6. Mal auch fürderhin auf immer höhersteigenden Etagen vor sich geht. Auch in bezug auf die zeithche Ausbildung steht die Eissprosse den übrigen Sprossen isohert zweitens dadurch gegenüber, daß sie im Kolbengeweih, wie die A. Rörig entnommene Textfig. 8 zeigt, vollständig synchron mit der Augsprosse gemeinsam hervorwächst und mit ihr auch gleichzeitig zum Abschluß gelangt (6. — 10. Woche), während die übrigen Sprossen der Reihe nach in zeitlicher Aufeinanderfolge zur Ausbildung gelangen (die Mittelsprosse in der 10. — 14. Woche, die untere Kronensprosse in der 14. — 16. Woche, die obere Kronensprosse in der 16. — 18. Woche, wie sich aus den Ziffern der Textfig. 8, die zweiwöchent- M7.Juni^- liehe Perioden bedeuten, ent- nehmen läßt). Diesem Ausderreihefallen in bezug auf Höhenstellung und zeitliche Ausbildung ge- sellt sich drittens ein räum- liches Ausderrollefallen hinzu, das mir in der seitherigen Literatur noch keine Beach- tung gefunden zu haben scheint. Prüft man eine größere Anzahl von Eissproß - Stangen genauer, so wird man unter ihnen sicher solche fin- den, bei denen die Eissprosse aus der Ebene der übrigen Sprossen deutlich nach der Außenseite des Tierkörpers hin verschoben erscheint ; nament- lich, wenn die Eissprosse eine stark aufrechte Lage auf einer Stange zeigt, steigt sie sehr häufig von der Rose aus mit ihren Gefäßrillen wie eine der Unterstiege angeklebte Halbsäule an der Geweihaußenseite hoch; aber auch in andern Fällen, also auch bei stark »in «oder »unter« die Horizontale gekrümmter Eissproßlagerung, läßt sich die eigenthch seitliche Anfügung der Eissprosse an einer gelegenthchen Vorbauschung der Vorderhälfte des Außenquadranten der Rosenellipse und vor allem daran erkennen, daß fast bei allen Stangen eine auf der frontalen Mittel- linie der Mittelstiege hinziehende besonders kräftige Rillenwand an der Medianseite der Eissprosse vorbeiläuft, ohne von ihr Notiz zu nehmen, 24* 9.-22. April 26. März - 8 April II -25 März 26 Febr.-IIMarz.2'^ ' 11-25. lebr Textfig. 8. Wachstunisperioden der Stange eines Zwölfenderrot- liirsclies nach Rörig (vgl. Fig. 12). 356 Ludwig Rhumbler, und sich in den Bindefirst der Sprossenbucht der Augsprosse fortsetzt (Textfig. 9 R). Dieser Rillenfirst schließt den Unterteil der Mittelstiege Textfig. 9 a und b. Zehnenderstange eines Rothirsches (52 cm lang), a) Etwas schräg von vom gesehen, bei B ist ein Bleistift angelegt, um die sonst leicht zu übersehende Knickungskehle, die der Eissproß auf dem Mediankontur des Hauptstammes erzeugt, deutlich zwischen Bleistift und Mediankontur zu zeigen. R — Rillenfirst, der auf der Medianseite an dem Eissproß vorbeiläuft. — b) Ansicht von außen; der Eissproß steigt wie eine angeklebte Halbsäule von der Rose aus auf der Außenseite der Unterstiege entlang. /W.J/ Textfig. 10. Mediandurchschnitt durch den unteren Geweih- teil eines Rothirsches. An der Basis des Eis- sprosses iE) ist die Außenrinde [Ri] erhalten ge- blieben, da die Eissproßbasis seitwärts außerlialb der Schnittebene liegt. Ro - Rosenstock, R = Rose, U.St = Unterstiege, A = Augsproß, M. St = unterer Teil der Mittelstiege. — (Nach COGHO.) mit der Augsprossenbucht in eine Bildebene zusammen, der die Eis- sprosse äußerhch angelehnt ist. Ver- sucht man durch die Augsprosse, Unterstiege und Mittelstiege hin- durch einen genauen Medianschnitt zu legen, so geht dieser Schnitt fast immer an der Basis der Eissprosse so weit vorbei, daß auf ihrem Basis- ende die braune Geweihrinde gar nicht berührt wird (Textfig. 10). Die Eissprosse gehört demnach gar nicht in die Hauptebene des Ge- weihes, die durch den Verlauf des Stammteiles und der Sprossen ge- legt werden kann, hinein, sondern sie ist ein seitlicher, allerdings in der Regel in nicht sehr hohem Rehef angefügter Anhang zu dem übrigen Der Artcrienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaplius L. usw. 357 Geweih, der jedoch das Streben hat, sich in die eigentliche Geweih- ebene der übrigen Sprossen hineinzudrängen, und dieses auch bei ein- zelnen Stangen erreicht. Ich möchte hiernach die Auffassung vertreten, daß die Eissprosse als >> Adoptivsprosse << aufzufassen sei, sie entspricht meines Erachtens der Anlage eines zweiten seitlichen Geweihes, das, ehe es sich noch zu einem richtigen Spieß entwickeln konnte, von dem ursprünglichen Geweih adoptiert worden ist, und nun auf diesem Geweih sich wie eine gewöhnliche Geweihsprosse zu entwickeln sucht, ohne jedoch über die Bildung eines Mitteldings zwischen einem angelehnten Spieß und einer gewöhnUchen Sprosse hinauszukommen. Ray LankesterI hat gezeigt, daß bei den Cavicorniern Hörn er an ganz verschiedenen Stellen der Frontalia entstehen können (Textfig. 11) und innerhalb ötirnbein An/ifocaprd americana, Oreofragus saltator' Oi^/s trage/aphus Cephe/ophus corona/us - Nasenbein /l^ordere Hörnen '' i/on Tetra ceros ■Augenhöhle O1//60S moschafus ' Cert/us elaphus Hintere Hörn er voo Tetraceros A/celaphus caama Scheitelbein Textfig. 11. Diagramm, um die verschiedene Stellung der Hornzapfen bei Wiederkäuern zu zeigen. RAY LANKESTER aus HiLZHEIMER.) dieser Gruppe trägt das Genus Tetraceros ebenso wie manche Hausrassen von Schaf und Ziege vier Hörner. Die den ursprünglichsten Cerviden nahestehenden oHgocänen Protoceratiden besaßen zwei Paar seltsame paarige Schädeldachfort- sätze, die an diejenigen der Giraffiden erimiern; es kommt also in dem Gebiet der Ruminanten eine Verdoppelung der Stirnwaffen oder ihrer Äquivalente auch sonst vor, sie hat sich schon geologisch früh gezeigt und kama, wie die Haustierrassen zeigen, auch später zum Hervorbrechen kommen. Damit soll natürlich durchaus 1 Zitiert nach: M. Hilzheimer: »Handbuch der Biologie der Wirbeltiere«. Stuttgart 1913. 599 Textabbild. 756 Seiten. — Siehe daselbst S. 712. 358 Ludwig Rhumbler, nicht gesagt sein, daß ich irgendwelche Neigung hätte, die Hirsche mit Eissjirossen, zu welchen außer dem Rothirsch mit seinen nächsten Verwandten (Wapiti, Maral) nur noch der Damhirsch gehört, von unbekannten vierstangigen Hirschen abzu- leiten, — solche haben vielmehr wahrscheinlich nie existiert, denn man hat nie Reste von ihnen gefunden, — es soll nur gezeigt werden, daß die Befähigung zur Erzeugung zweier Stirnwaffenpaare von derjenigen von nur einem nicht allzu weit abliegen kann. Überdies nehme ich an, daß diese weiter verbreitete Befähigung beim Hirsch ja auch über ein Anfangsstadium nie herausgekommen ist, indem die zweite Stange sofort von der ursprünglichen aufgenommen wurde. Eine der vorgetragenen Auffassung entsprechende Stellung eines linkseitigen Nebenspießes zeigt das Tafel VI, Fig. Dl bis D 3 in verschiedenen Stellungen photographierte anormale Rehgeweih, das somit beweist, daß bei den Cerviden der Rosenstock tatsächhch unter besonderen unbekamiten Umständen die Potenz hat, der Eis- sprosse des Rothirsches vergleichbare Bildungen als Einzelspieße zu entwickeln. Mit dieser Auffassung der seitlichen Herkunft der Eissprosse steht dann eine vierte Eigentümlichkeit der Eissprosse in gutem Einklang; sie läßt nämlich den Etagenknick auf dem hinteren Stangenrücken fast ganz vermissen, den alle übrigen Sprossen deutlich zeigen. AltumI hat geglaubt, daß der Eissprosse ein solcher Knick überhaui^t nicht zukäme. C. HOffmann (Ol, S. 10 und 15) hat dagegen Einspruch erhoben, und eine allerdings sehr wenig deutliche Knickung auch für die Eissprosse aus- findig gemacht. Sie erscheint als eine äußerst geringe konkave Einsenkung in dem hinteren Stangenkontur, die infolge ihrer Geringfügigkeit leicht übersehen wird. Die Knickungskehle des Stiegenknickes liegt bei den übrigen Spros- sen dem Sprossenabgang direkt gegenüber, etwa so, als ob einem leicht gekrümmten menschhchen Knie die Kniescheibe zu einer Sprosse aus- gewachsen wäre, da nun aber die Eissprosse nicht vornen wie die übrigen Sprossen, sondern mit ihrer Basis mehr seitlich außenseits der Stange aufsitzt, ist die Krümmungskehle der Eissprosse auch nicht auf dem Hinterkontur der Stange zu suchen, sondern sie ist — etwa derart, als ob man sein Knie nicht nach vornen, sondern nach außen gewendet hätte — der Außenseite der Stange gegenüber, also auf deren Median- seite, zu erwarten. Man kann auf der Medianseite des Geweihes diese Knickung bei einer Eissproßstange oftmals ohne weiteres deutlich er- kennen; sie hilft bei den höherendigen Stangen die seithche Auslade- krümmung der Stange (die, wie oben [S. 342] erwähnt, durch die bei 1 B. Altum: »Forstzoologie«. Bd. I. Berlin 1872. S. 204 äußert sich un- gefähr: Während die andern Sprossen die Stange knieförmig nach hinten biegen, geht mit dem Auftreten der Eissprosse an der Stange weiter keine Veränderung vor sich. Sie wird daher wohl weniger wie die andern Sprossen als Hauptbildung aufgefaßt werden müssen. — Altum ist also die Besonderheit der Eissprosse schon aufgefallen; man könnte sie im Gegensatz zu dem von ihm gebrauchten Ausdruck Hauptbildung als eine Geweihnebenbildung bezeichnen. Der Artericnverlaiif auf der Zehnerkolbenstange von Cervus claphus L. usw. 359 späteren Abwürfen schräg vertikal abgesunkenen Aiifsatzflächen der Rosenstöcke entstanden ist) wieder zur Vertikalen emporrichten, sie ist also als ein Faktor bei der negativ geotropischen Hochrichtung des Hauptstammes anzusehen und hilft den spitzen Pol der eiförmigen Ausschnittfigur formieren, welche die beiden Stangen mit ihren Haupt- stämmen umrahmen. Nur das letzte Verstreichen der median ge- legenen Eissproßetagenknickung trifft noch auf den Hinterkontur der Stange, so daß sich hierdurch die in der Regel nur geringe AuffälHgkeit dieses Knicks auf dem Hinterkontur erklärt i. Um nun auf den Ausgangspunkt dieser Betrachtung der Eissprosse wieder zurückzukommen, läßt sich die eigenartige Beaderung ihrer Medianseite nunmehr dadurch erklären, daß die auf der Medianseite eigenthch wie sonst zu erwartenden parallelen Hauptgefäße, nachdem sie sich durch Abgabe des Sprossenbuchtgefäßes der Augsprosse den direkten parallelläufigen Zugang zu der Eissprosse verhängt hatten, nur auf dem Wege von Queranastomosen, die zur Ausbildung des Netz- werks führten, zu dieser Adoptivsprosse hinübergelangen konnten. Man wird sich, anders ausgedrückt, das Arteriennetzwerk auf der Median- seite der Eissprosse als eine Ausbildung von quer verlaufenden Kol- lateralen vorzustellen haben. Auf der Außenseite dagegen stieß der Adoptivspieß direkt an die Rindengefäße der Außenseite an und konnte von diesen ohne weiteres versorgt werden. Die Speisung der Medianseite der Eissprosse durch ein Geflecht- werk hindurch scheint dann aber auch für das Einbiegen der Eis- sprosse (trotz ihres seithchen Ansatzes) in die Ebene der übrigen Sprossen hinein, eine nahehegende Erklärung zu bieten, es ist nämlich sehr wahrscheinlich, daß in der Wachstumszeit durch dieses, durch das Netzwerk vielfach geknickte und an sich verhältnismäßig englumige Röhrensystem nicht unerheblich weniger Blut hindurchfheßt, als durch die in ungehindertem Verlauf auf der Außenseite zu derselben Sprosse aufsteigenden, an sich schon viel weiteren Gefäße. Bei der von mir 1 Auch die eigentliche Knickkehle auf der Medianseite ist der geringen seitlichen Relief bildung der Eissprosse entsprechend in der Regel sehr flach; man kann ihre Anwesenheit aber dadurch nachweisen, daß man ein Lineal oder einen Bleistift über die der Eissprosse gegenüberliegende Stelle der Medianseite legt (Textfig. 9 a, B). Man sieht dann deutüch, wie die betreffende Stelle sich konkav von dem Lmeal oder Bleistift nach der Eissprosse hin abbeugt. Je mehr es im Einzelfalle dem Hauptstamm gelingt, die adoptierte Eissprosse auch mit ihrer Ansatzbasis in die Ebene der übrigen Sprossen hineinzuziehen, desto mehr verschiebt sich im übrigen die Etagenknickung der Eissprosse von der Medianseite nach der Hinterseite der Geweihstange. 360 Ludwig Rhumbler, behaupteten Abhängigkeit des Wachstums der einzelnen Geweihteile von dem Grade der Blutversorgung hat das zu bedeuten, daß die Außen- seite der Eissprosse schneller wachsen wird als die Medianseite, oder was dasselbe bedeutet, daß aus ersichtlichen mathematischen Gründen die schneller wachsende Außenseite die in Entstehung begriffene Eis- sprosse nach der Medianseite hindrücken muß, so daß sie in ihrem spä- teren Verlaufe in die Ebene der übrigen Sprossen hineingeschoben wird. Hier haben wir ein Faktum berührt, das uns nunmehr auch zum Verständnis von weiteren Geweiheigentümlichkeiten führen soll, das ist die große Verschiedenheit in betreff der Blutquanta, die verschiedene Organe oder Organteile des Tierkörpers in einer bestimmten Zeiteinheit zugeschickt bekommeni. Durch eine gerade Verlaufsbahn wird bei gleicher Gefäßweite und gleichem Blutdruck eine größere Blutmenge in der Zeiteinheit hindurch- fheßen als durch eine gebogene, geknickte oder von der geraden unter einem Winkel abgehenden Zweigbahn, denn jede Abirrung von der Geraden erhöht die Reibung des Blutes an den Gefäßwänden. Weiter- hin wird durch ein weites Gefäß bei gleichem Blutdruck erheblich mehr Blut hindurchfheßen als durch ein engeres Gefäß, denn die gesetzmäßige Beziehung zwischen Gefäßdurchmesser und der mittleren durchströmen- den Blutmenge ist im Arteriensystem mit einer gewissen Einschränkung ungefähr dieselbe, wie in dem für die anorganische Natur geltenden PoiSEUiLLEschen Gesetz, d. h. die mittlere durchströmende Blutmenge ist proportional der vierten Potenz des Gefäßdurchmessers 2. Betrachtet man von diesem Gesichtspunkte aus die Blutzufuhr nach der Geweihstange hin, so fällt zunächst auf, daß der unter der Rose liegende Gefäßkranz seine Blutzufuhr nur auf der Außenseite (von dem mächtig entwickelten hinteren Ast der Arteria temporalis) erhält (Taf. VI, Fig. A, weiß), während die Medianseite nur auf diejenigen 1 Um nur ein Beispiel hierfür anzuführen, so haben Untersuchungen von Jensen, von Landergreen und Tigerstedt und von Tschuewsky an Kaninchen und Hund für 100 g Organ bei 100 mm Hg folgende Minutenvolumina für die Durchströmung ergeben: Hmtere Extremität 5, Skeletmuskel (Ruhe) 12, Kopf 20, Niere 100, Gehirn 136, Schilddrüse 560 ccm. Vgl. A. Oppel: »Über die ge- staltliche Anpassung der Blutgefäße unter Berücksichtigung der funktionellen Transplantation. Mit einer Originalbeigabe von W. Roux, enthaltend seine Theorie der Gestaltung der Blutgefäße einschließhch des KoUateralkreislaufes. Leij^zig 1910. 181 Seiten (Heft X der von Roux herausgegebenen »Vorträge und Aufsätze über Entwicklungsmechanik). S. 47. 2 Vgl. THOMt in: Arch. f. d. gesamte Physiologie, V. 82. 1900. S. 474—504 und Oppel 10 (in voriger Fußnote zitiert) S. 46. Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 361 Blutmengen angewiesen ist, die innerhalb des Kranzgefäßes selber in senkrecht von dem Verlauf des Zuflusses abgezweigter Richtung von der Außenseite auf die Medianseite der Rosenbasis hinübergeflossen sind. Dadurch, daß nun die Rindengefäße der Außenseite des Geweihes in der Verlaufsrichtung der zutragenden Gefäße liegen, müssen sie durch den Gefäßkranz hindurch eine größere Blutmenge zugetragen erhalten, als die Gefäße der Medianseite des Geweihes, die nur nach beträcht- lichen Strombahnknickungen ihr Blut erhalten können. Dadurch erhält die. Außenseite eine Prä valenz in der Blut Versorgung, die außerdem noch dadurch gesteigert wird, daß auf der Medianseite für die Sprossen- buchtarterie und die Innenseite der Mittelsprosse nur eine Bahn vor- handen ist, während auf der Außenseite zwei getrennte Bahnen zu den betreffenden Stellen hinlaufen. Die Außenseite des Geweihes muß also, wenn die Wachstumsgeschwindigkeit nach unsrer Behauptung von der Blutzufuhr abhängig sein soll, infolge ihrer allgemeinen Prä- valenz bei der Blutversorgung rascher wachsen als die Medianseite des Geweihes. Das gefolgerte raschere Wachstum der Außenseite der Geweihstange bekundet sich tatsächlich als mathematische Notwendig- keit für die ganze Wachstumsperiode des Geweihes in der konvexen Gestalt des Lateralkonturs der Geweihstange, der notwendig größer ist als ihr medianer konkaver Innenrand; das raschere Wachstum der Außenseite liefert also direkt den negativen Geotropismus, der nach dem Absinken der Rosenstockflächen das Geweih wieder im Bogen hochrichtet; daß dieses überschüssige Wachstum der Außenseite dann noch von der Etagenknickung der Eissprosse unterstützt wird, wurde oben S. 358 bereits gezeigt; auch ist das Auftreten der seitlich adop- tierten Eissprosse an sich schon als eine Folge des stärkeren M-^achstums der Außenseite zu betrachten, ohne die stärkere Blutversorgung der Außenseite hätte sie nicht wachsen können, auf der Medianseite des Geweihes wäre sie unter den obwaltenden Arterienverhältnissen ganz unmotiviert. Nun läßt sich die Frage aufwerfen, ob denn vielleicht die Aus- bildung des Gefäßkranzes unter der Stangenbasis außer der Herbei- führung der Prävalenz der Blutversorgung auf der Außenseite noch sonst eine physiologische Aufgabe bei dem Stangenwachstum zu versehen hat, denn schließUch hätte sich diese Prävalenz, der Subvalenz der Blutversorgung auf der Medianseite des Geweihes gegenüber, auch dadurch erreichen lassen, daß der unterhalb des Gefäßkranzes in mehrere Gefäße sich aufspHtternde Ast der Arteria temporalis einige dieser Gefäße von abnehmendem Durchmesser nach der Medianseite hinge- 362 Ludwig Rhumbler, If.-njun,^^^ scliickt hätte. Jedenfalls ist der Gefäßkranz eine so eigentümliche Vorrichtung, daß man von ihm noch eine besondere Wirkung vermuten darf, die sich durch bloße Arterienverzweigung nicht so leicht hätte erreichen lassen. Man wird ohne weiteres einsehen, daß dieser Gefäß- kranz als eine Horizontalverbindung zwischen den aufsteigenden Ge- weihrindengefäßen letztere in eine größere gegenseitige Abhängigkeit versetzen muß, deren Wirkung durch die Lage dieses Gefäß- kranzes ganz auf die Geweih- stange beschränkt bleibt, ohne die übrigen TemporaHsäste des Kopfes zu alterieren. Der Gefäßkranz ermöglicht eine rasche auf den Kolbenneubau beschränkte Regulation der Blutzufuhr von Geweihteil zu Geweihteil in der Weise, daß, wenn aus irgendwelchen Grün- den die Blutzufuhr irgendeiner Arterie abnimmt oder ganz aufhört, die bei dieser Be- hinderung oder Sistierung in der betreffenden Arterie einge- sparte Blutmenge ohne weite- res allen andern nicht behin- derten und sistierten Gefäßen zugute kommt, denn das Blut, das in der behinderten Arterie nicht vorfließen kann, wird auf kürzester Bahn durch die Horizontalstrecken des Gefäß - kranzes hindurch seinen Weg aufgerichteten Gefäßen hin- 9-22.Apr,l 26. /Harz- ÖApri/ 11-25.März 26.Febr.-n/ll6rz.. n-25.FebrJ\ Textfig. 12. Wachstumsperioden einer Zwölfenderstange des Kot- hirsches. Unter den vierzelintägigen Perioden^ — 9 siutl diejenigen mit römischen Zahlen bezeichnet, in denen die Sprossenspitzen zum Abschluß kommen und gleich- zeitig durch Gabelung des Hauptstammes neue Spros- sen zur Anlage gelangen; die übrigen tragen deutsche Ziffern. Die beigeschriebenen Prozentsätze beziehen sich auf die Volumenprozente der Gesanitstangc, die in den betreffenden Perioden hervorwachsen. — (Abbildung nach A. RÖRIG unter Einschreibung seiner Resultate.) nach den übrigen auf dem Gefäßkranz nehmen. Nun kommen, wie früher schon erwähnt, die Sprossen des Kolben- geweihes der Eeihe nach von unten nach oben zum Wachstumsabschluß, Aug- und Eissproß in der unteren Etage zuerst, dann Mittelsprosse, dann der Eeihe nach die Obersprossen in den folgenden Etagen. Die Textfig. 12 gibt durch ihre römischen Ziffern die vierzehntägigen Perioden an, in welchen die betreffenden Sprossen ihren Abschluß finden. Wenn nun Der Arterienverlaiif auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphns L. usw. 363 das Wachstum einer Sprosse in der früher von mir angegebenen Weise (Rhumbler 13a, 8. 90) zum Abstoppen gekommen ist, muß natürhch die Blutzufuhr zu den abgestoppten Kindengefäßen, die kein Blut mehr durch den vollständig reduzierten Spitzenwirbel an der Sprossen- spitze in das Sprosseninnere hineinführen können, ganz erheblich ab- nehmen, und das Blut, das jetzt nach dem Abstoppen der Sprossen- spitzen eingespart ist, wird jetzt durch Vermittelung des Gefäßkranzes in den Arterien des Hauptstammes hochsteigen und dadurch dem Wachstum des Hauptstammes zugute kommen; in der Tat zeigt sich, wie eine Verfolgung der in unsrer Figur römisch signierten Wachstums- perioden (F, VII, VIII) mit Hilfe der gestrichelten Linien nach der Hauptstange hin ergibt, daß in jeder Periode der Sprossenabstoppung jedesmal eine neue Gabelung auf dem Hauptstamme, also eine Zeit erhöhten Stangenwachstums eintritt. A. Rörig (06, S. 510) hat diese Tatsache schon in den Satz gefaßt: »Sobald die Entwicklung einer Gabel ( = Abgabestelle einer Sprosse in unserm Sinne. Rh.) am Geweih einsetzt, erlischt das Längenwachstum der unterhalb dieser, in der Ent- wicklung begriffenen, Gabel befindlichen » Kampf sprosse << ( == Sprosse in unserm Sinne. Rh.)<<; ich würde diesen Satz der dargelegten entwick- lungsniechanischen Analyse entsprechend folgendermaßen ausdrücken: Sobald bei dem Wachstum des Kolbengeweihes eine Sprosse zum Wachstumsstillstand kommt, wächst auf der nächstfolgenden Etage des ausreichend dicken Hauptstammes i unter Gabelung des Stammes eine neue Sprosse hervor, und als Begründung dazu setzen, weil jetzt das bei der abgestoppten Sprosse eingesparte Blut durch Vermittlung des Gefäßkranzes dem Wachstumswirbel des Hauptstammes zugute kommt, und dieser darum das mathematisch notwendige Plus an Oberflächen- wachstum zu liefern vermag, welches nach meinen früheren Darlegungen (Rhumbler 11, S. 174, 175) zur Gabelung der Stange, in Hauptstamm .und Sprosse, notwendig führen muß. Hiernach ist also meines Erach- tens der Gefäßkranz als ein denkbar einfacher Korrelationsmechanis- mus anzusehen, der das Aufhören des Wachstums einer Sprossenspitze mit der Entstehung einer, weiter oben befindhchen, neuen Sprosse am Hauptstamm in korrelative Verbindung bringt. Gehen wir nun von der Betrachtung des Hauptstanmies zu der- jenigen der Sprossen über, so läßt sich für sie die allgemeine Regel an- 1 Ist der Hauiitstanim dagegen schon zu dünn, wie schließlich am Kronen- ende, dann fülirt nach früheren Erörterungen (Rhumbler 11, S. 175 — 176) die gesteigerte Wachstunisgeschwindigkeit zu einem langgestreckt kegelförmigen Ab- schlußende der Haujjtstange, die dann keine Sprossen mehr erzeugt. 364 Ludwig Rhumbler, geben, daß die konvexe Unterseite der Sprossen durchaus von Arteriae promissae beschickt werden, die auf kürzestem Wege vom Gefäßkranz aus hochsteigen und sich in sanftem Bogen auf die Sprossenunterseite hinbegeben; die konkave Oberseite der Sprossen aber wird im Gegensatz hierzu im günstigsten Falle nur von stark abbiegenden Gefäßen (vgl. das mittlere Gefäß auf der Medianseite der Augsprosse [/ a] in Fig. A, Taf. VI), in den weitaus meisten Fällen aber nur von Zweiggefäßen oder gar von rückläufig herabhängenden Sprossenbuchtgefäßen aus versorgt; gerade hier zeigt das Marburger Injektionspräparat unzwei- deutig, daß die an zweiter Stelle genannten Gefäße der konkaven Ober- seite der Sprossen für den Blutstrom schwerer zugängig sind, indem sie den prallgefüllten Hauptstämmen gegenüber nur wenig oder gar keine Injektionsmasse aufgenommen haben. Die bessere Blutversorgung auf der Unterseite der Sprosse muß diese Seite rascher wachsen lassen als die schlechter beschickte Ober- seite, d. h. die Sprosse muß sich so biegen, daß der untere Kontur länger wird als der obere, oder was dasselbe besagt, die Sprosse muß sich nach oben biegen. Es erklärt sich also auf diese Weise die Aufwärtsbiegung der Sprossenspitzen. Auch zeigt sich, meist sehr deutlich bei der Mittelsprosse, aber auch bei andern Sprossen, daß diejemgen Arterien bzw. ihre Gefäß- rillen, die von der Außenseite auf die untere Konvexseite der Sprossen übertreten, der allgemeinen Prävalenz der Gefäße auf der Außenseite entsprechend, stärker entwickelt sind als diejenigen, die von der Median- seite aus auf die konvexe Unterseite der Sprossen übertreten ; ein solches Verhalten bewirkt dann in den betreffenden Fällen außer dem Auf- wärtsbiegen gleichzeitig auch ein Einwärtsbiegen der Sprossenspitze nach der Medianebene des Hirschkörpers hin, ~da dadurch die außen- seitige Flanke der convexen Unterseite länger werden muß als die medianseitige Flanke der Sprossenunterseite. Bei dem in Textfig. 5 ab- gebildeten Maralgeweih ist diese gleichzeitige Biegung der Sprossen- spitze nach oben und nach der Medianebene hin deuthch zu sehen, sie ist aber auch für den Rothirsch Regel; sie schützt den Hirsch, wie wir oben schon erwähnt haben, vor dem Hängenbleiben im Gebüsch- werk bei zurückgeneigtem Geweih. Nimmt man zu den in vorstehender Mitteilung gegebenen Aus- einandersetzungen über den Verlauf der Arterien im Kolbengeweih und über seinen Einfluß auf die Krümmungen des Hauptstammes und die Krümnmngen der Sprossen sowie auf die besondere Ausnahme- stellung der Eissprosse, die den übrigen Geweihsprossen nicht äquivalent Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 365 ist, die Tatsache hinzu, daß sich, wie ich in früheren Abhandlungen ein- wandsfrei gezeigt zu haben glaube, auch alle seither bekannt gewor- denen andern Geweiheigentümlichkeiten i auf die spezielle Art der Blut Versorgung (durch Arterien und ihre Kapillaren) in den verschie- denen Geweihteilen zurückführen lassen, so kann man die gesamte Geweihform sowie den ganzen Entwicklungsgang des Ge- weihes (Emporsprossen, Verecken, Gefegtwerden, Abwurf, Wieder- neuaufsetzen) als die gemeinsamen Resultanten des dukato- rischen Wachstumsver niögens der Oberflächenschicht des Geweihknochens und der durch die Arterien bedingten Nah- rungszufuhr bezeichnen. Das klingt fast selbst verständHch und besonderer Erwähnung kaum wert; es ist aber nichts weniger als selbstverständlich. Im Gegenteil nimmt das Geweih, wie ich schon andernorts auseinandergesetzt habe (Rh. 13, S. 93 Annierk. 17; und Rh. 14), in dieser Abhängigkeit seines Wachstums von der Blut Versorgung eine Sonderstellung ein, »denn es wäre ganz falsch, dieses Abhängigkeitsverhältnis von der Blutversorgung auch auf alle andern Knochen übertragen zu wollen; die andern lang- samer wachsenden Knochen finden ihre notwendigen Baustoffe in stets genügender Menge im Blut, sie können darum, da überall Baustoffe für ihren allmähhchen Bedarf vorhanden sind, ihr langsameres Wachs- tum unabhängig von dem' Verlauf der Blutgefäße ausführen; die rapide Wucherung des Geweihes hat dieses dagegen in die deuthche Abhängig- keit von der Blutversorgung gebracht. Auch besitzen die Geweih- knochen keine aktive Funktion, sie werden nicht wie andre Knochen des Skeletts von Muskeln bewegt und dabei wechselnden Zug- und Druckbelastungen unterworfen. Somit fehlt bei ihnen die funktionelle 1 So wurden außer dem auch hier wieder behandelten 1. Aufwärtsbiegen der Sprossenenden auf hämodynamische Weise erklärt: 2. Die Wirbelbildung an den Kolbenspitzen, 3. Spitzenwachstum, 4. jährlicher Wachstumsstillstand, 5. Ab- sterben des Bastes, 6. Abwerfen, 7. Wiederaufsetzen, 8. Etagenknick am Sprossen- ansatz, 9. Verzweigung, 10. kegeKörmige Verjüngung dümier Geweihteile, 11. kom- pensatorische Stiegenkrümmung, 12. Bindefirstbildung in der Sprossenbucht, 13. Zunahme und Abnahme der Endenzahl mit Zu- und Abnahme der gesamten Körperkonstitution, 14. Fehlen von Trajektorienstrukturen in der Spongiosa. (Rh. 14.). Vorliegender Aufsatz hätte somit die Erklärung noch folgender Er- scheinungen hinzugeliefert: 15. Ausladekrümmung der Hauptstange; 16. Sonder- stellung der Eissprosse; 17. Prävalenz der Blutversorgung auf der Außenseite und Subvalenz auf der Medianseite des Geweihes; 18. Einwärtsbiegung der hochge- krümmten Sprossenspitzen; 19. Korrelation zwischen dem Wachstumsstillstand einer Sprosse und dem Hervorwachsen einer neuen Sprosse. 366 Ludwig Pvhumbler, Anpassung, die in bekannter Weise (nach dem Rouxschen Prinzip) die Ausgestaltung andrer Knochen übernimmt und die Wirkung der Blut- gefäßanordnung bei andern Knochen zurückdrängt. Das Geweih bleibt gleichsam in der Periode der ersten Organanlage (Roux), in seiner ersten Aufstellungsperiode also stehen, weil es nach seiner Aufstellung als abgestorbener Knochenanhang nicht aktiv funktioniert und ihm die späteren funktionellen Ausbildungsperioden — und mit ihnen auch die Ausbildung von funktionellen Trajektorienkurven innerhalb der Spon- giosabälkchen — daher ganz fehlen. In der ersten Periode der Organ- aufstellung, mit der wir es demnach allein zu tun haben, bewirkt aber — das reiht das Geweihwachstum in die sonstigen Erfahrungen über Organanlagen glatt ein — gesteigerte Blutzufuhr auch sonst (besonders lange bei bindegewebigen Organteilen) Verstärkung des Wachstums, das in späteren Perioden mit Blutzufuhr allein nicht mehr zu erreichen ist (Roux, Oppel u. a.).<< Hann. Münden, Zool. Inst, der Forstakademie, 14. Mai 1915. Erklärung der Abbildungen. Tafel VI. Fig. A — C. Etwas schematisierte Darstellung des Arterienverlaufes auf der im äußeren Aufbau vollendeten rechtsseitigen, etwa ^1^ m langen Zehnerstange eines Rothirsches auf Grundlage eines Injektionspräparates des Marburger Zoolo- gischen Instituts. [Die Gefäße sind etwas zu breit gezeichnet, um sie deutlicher hervortreten zu lassen, und einzelne Strecken sind nach dem Rillenverlauf auf andern Zehnerabwürfen ergänzt (vgl. S. 345); Venen sind nicht mit eingezeichnet.] Links steht immer die Abbildung der Medianseite, rechts diejenige der Außen- seite; unter den Augsprossen sind jederseits die zugehörigen Grundrisse für die Rosenellipsen angegeben. Die Farben haben in den Fig. A — C jedesmal eine andre Bedeutung. Fig. A. Die Gefäße, die aus verschiedenen Quadranten der Rosenellipse hervorkommen, sind ebenso wie die betreffenden Quadranten selbst durch ver- schiedene Farben gekennzeichnet. Blau = Vorder quadrant oder Frontalquadrant; grün = Außen- oder Lateralquadrant; rot = Hinter- oder Occipital quadrant; gelb = Innen- oder Medianquadrant ; weiß = Arteria temporalis mit Gefäßkranz. Fig. B. Die den verschiedenen Sprossen zufallenden Gefäße sind mit ver- schiedenen Farben angegeben, die Gefäße des Kronenendes sind weiß gelassen. Blau = Gefäße der Kronensprosse, grün — Gefäße der Mittclsprosse, gelb = Ge- fäße der Eissprosse, rot = Gefäße der Augsprosse; Gefäßstrecken mit zwei Farben gehören gleichzeitig zu den beiden Sprossen, die durch die Farben angegeben werden. Der Arterienverlauf auf der Zehnerkolbenstange von Cervus elaphus L. usw. 367 Fig. C. Die Gefäße, die bogig zurücklaufende Sprossenbuclitgefäße ab- zweigen, sind ebenso wie diese Buchtgefäße selbst grün, die nach der konvex gekrümmten Sprossenunterseite hinlaufenden Haupt- und Zweiggefäße sind rot angegeben. Bezüglich der rot und gi'ün signierten Gefäße vgl. S. 352. Fig. D. Anormales Geweih eines Rehbocks {Capreolus caprea Gray), das auf der linken Seite einen Nebenspieß * entwickelt hat (vgl. S. 358). D^ = Ansicht von links, D2 = schräg nach vorn geneigt, D3 = Ansicht von halbrechts. Höhe der linken Hauptstange = 19,2 cm, Höhe des linken Nebenspießes = 7,9 cm. — Besitzer des Gehörns ist Herr Domänenpächter W. Schlabitz (bei Oels in Schle- sien), der mir das Stück in. liebenswürdiger Weise auf einige Zeit überließ. Der Flugmechanismus der fliegenden Fische. Von Fr. Ahlborn (Hamburg). Mit 5 Figuren im Text. Im folgenden möchte ich die Hauptergebnisse eingehender Studien über den Fischflug mitteilen, über die ich bereits im Jahre 1895 eine ansführhche Abhandlung unter dem Titel: »Der Flug der Fische« ver- öffenthcht habe. Zu einer Zeit, als das Interesse für den Flug sich noch in engen Kreisen hielt, ist die Schrift nur in kleiner längst vergriffener Auflage erschienen und wenig bekannt geworden. Da in einigen neueren VeröffentUchungen über diesen Gegenstand abweichende und zum Teil nicht zutreffende Meinungen vertreten wurden, halte ich eine kurze, zusammenfassende Darstellung für angebracht. Vorkommen. Die Flugfische sind Bewohner tropischer und subtropischer Meere und gehören meist der artenreichen Gattung der Schwalben fische (Exocoetus) an. Daneben erscheinen die Flughähne (Dactylopterus = Fingerf lügler), die durch die fingerförmigen ersten sechs Brustflossen- strahlen an ihre Verwandtschaft mit dem bekannten »Knurrhahn << er- innern. Die Größe der Tiere schwankt je nach Art und Alter zwischen der eines Schmetterhngs und eines Herings, mit dem sie auch in der Körperform eine gewisse Ähnhchkeit besitzen. Man trifft die fhegenden Fische innerhalb der Wendekreise meist in Schwärmen oder »Schulen«; die größeren fliegen zu fünf bis sechs oder einzeln. Sie halten sich in den oberen Wasserschichten auf, wo sie ihre Nahrung finden, aber auch den Nachstellungen zahlreicher Feinde ausgesetzt sind. Vor diesen suchen sie sich durch ihren Flug in der Luft zu retten, bedienen sich aber auch sonst ihrer außergewöhnUchen Fähigkeit beüebig, wie jedes andre Tier. Der Flugmechanismus der fliegenden Fische. 369 Fig. 1. Querschnitt nahe dem Grunde durch die ersten Flossenstralilen eines Exocoetusfiü- gels. Strahl 1 und 2 verwachsen; s Sehne des Spreizmuskels; /. Flughaut. Flugapparat, Übersicht. Zum Fluge sind sie besonders ausgerüstet mit ihren großen, flügel- artigen Brustflossen, die beim Flugbahn annähernd kreisrund, bei den Schwalbenfischen schmal dreieckig bis unregelmäßig viereckig gestaltet sind. Ausgebreitet erscheinen diese Flügel eben, ohne erkennbare Wölbung, wie andre Fischflossen. Ein Gerüst von rutenförmigen, mehr- fach gegabelten und durch Knorpelein- lagerungen elastischen Knochenstäben, die Flossenstrahlen, gibt den häutigen Flügeln die nötige Festigkeit, wie die Stäbe in einem Schirm oder Fächer. Dadurch, daß die Strahlen am Vorder- rande dichter nebeneinander liegen und die Gabeläste in schlanken Bogen ge- gen den hinteren und äußeren Flügel- rand ausstrahlen, ist die Festigkeit und Steifheit des Flügels den beim Fluge auftretenden Beanspruchungen durch den Luftwiderstand genau angepaßt. Die Strahlen sind in ihrem Stammteil aus zwei im Winkel aneinanderstoßen- den Leisten, den sogenannten Halb- strahlen, zusammengesetzt (Fig. 1). Die einen dieser Leisten ragen als hoch- kantige Träger an der unteren Flügel- seite hervor, während die andern in der Flügelfläche dachziegelartig und gleitend übereinander greifen und so die ebene Form und Festigkeit der Fläche sichern. Bei den Flughähnen sind die führenden ebenen Halbstrahlen nur am Gelenk als kurze dreieckige Lappen entwickelt, die sich wie die Lamellen einer Irisblende übereinanderschieben (Fig. 2). Auch die paarigen Bauchflossen haben bei vielen Schwalbenfischen eine außergewöhnhche Größe, so daß sie im Verein mit der Bauch- und Rückenfläche eine nicht unerhebliche Vergrößerung der Gesamtflug- fläche darstellen. Bei schnelleren Schwimmbewegungen werden alle diese großen Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 25 Fig. 2. Unteres Ende der Flossenstrahlen aus dem Flügel eines Dactylopterus mit den iris- blendenartigen Führungslamellen. 370 Fr. Ahlbom, Flossen fächerartig dicht an den Körper herangezogen, da sie wegen ihrer Größe und der Geringfügigkeit der an ihnen wirkenden Muskeln für die Arbeit mit den großen Widerständen des Wassers ungeeignet sind. Die unpaarigen Rücken- und Afterflossen können, falls sie ent- faltet sind, beim Fluge als Stabilisatoren dienen, die Schwanzflosse als Horizontalsteuer. Zur Einleitung des Fluges erteilen sich die Fische schon im Wasser eine mciglichst große Geschwindigkeit. Das geschieht allein durch die Schwanzflosse eines Exocoetus. Fig. 3. Die Profile darunter bezeichnen die Formänderungen während 3ines seitlichen Flossenschlages. Arbeit des Schwanzpropellers, der als Wrickruder wirkt und durch die gesamte Seitenmuskulatur betätigt wird. Dieser Muskelmotor umfaßt nahezu das gesamte eßbare Fleisch bis zum Kopfe des Fisches und macht den größten Teil des Körpergewichts aus. Die Schwanzflosse (Fig. 3) ist nicht nur der schuberzeugende Pro- peller, sondern steht auch noch in einer andern, sehr merkwürdigen Beziehung zum Fluge. Sie ist durch einen keilförmigen Einschnitt in eine kleine obere und eine sehr viel größere untere Hälfte geteilt. Unter dem Druck der seitlich gerichteten Ruderschläge biegt sich nun der elastische obere Rand der unteren Flossenhälfte derart zurück, daß die Der Flugmechanisraus der fliegenden Fische. 371 ganze Flosse in eine schräge Lage kommt und somit wie ein schief ein- gesetztes Bootsruder nach unten hinabgleitet. Damit erhält die Längs- achse des Körpers eine nach vorn ansteigende Richtung, in der das Tier unter dem Einfluß der Schubwirkung automatisch in die Luft getrieben wird. Die auf solche Weise erlangte Geschwindigkeit kann bei grolien Fischen 15 — 20 Metersekunden und mehr betragen. So schießt der Fisch gleich einem Wurfgeschoß unter kleinem Erhebungswinkel aus dem Wasser heraus und beginnt den Flug, indem er während der Ab- lösung vom Wasser seine Flugflächen aus der Ruhelage entfaltet. Die Flügel sind beim Fluge horizontal, oder häufiger etwas nach oben gerichtet. Ihre Profile stehen aber in einem nach vorn offenen Winkel zur Flugrichtung. Sie wirken daher wie Drachen oder wie die Trag- flächen der Flugzeuge. Die Flugbahn steigt nun in der Richtung, in der das Tier das Wasser verlassen hat, schnell bis zu ihrem Kulminationspunkte empor und erhebt sich am Tage selten über 1 m von der Oberfläche des W^assers. Abends und in der Nacht fliegen die Fische oft nach den Lichtern vor- überfahrender Schiffe, kommen auf Deck oder durch die Kabinenfenster oder zerschellen an der Bordwand. Man hat dabei Flughöhen von 5 — 6 m beobachtet. Vom höchsten Punkte der Bahn schweben die Fische oft nur unmerklich sinkend weiter, geradlinig, oder in Kurven, mit denen sie sich den Hebungen und Senkungen der Wasseroberfläche anschmiegen. So gleiten sie bald im Bogen über die Wellen, ohne diese selbst zu berühren, bald plätschern sie über einen Wellenrücken oder fliegen durch den entgegenkommenden Kamm. Mehr und mehr nimmt die Fluggeschwindigkeit ab, der Schwanz sinkt immer weiter herab, bis endlich der Fisch in schräger Stellung wieder im Wasser verschwindet. Die Dauer und Weite der Flüge hängt in erster Linie von der Anfangsgeschwindigkeit und der Größe der Tiere ab, da die tragenden und hemmenden Luftwiderstände allmählich die lebendige Kraft auf- zehren, die der Fisch. vor dem Fluge durch die Arbeit seines Wasser- motors erworben hatte. Sehr wesentHch ist es dabei, in welcher Rich- tung gegen den herrschenden Wind der Flug angesetzt wird, denn der Flugwind, der das Tier tragen soll, setzt sich zusammen aus der Eigen- geschwindigkeit des Fisches ± Windstärke. Fliegt daher der Fisch gegen den Wind, so ist sein Flugwind um die Windstärke größer als die Eigengeschwindigkeit, und daher auch die Tragkraft der Luft besser als mit dem Winde. Die weitesten Flüge sind daher immer gegen den 25* 372 Fr. Alilborn, Wind gerichtet. Das ist dasselbe wie beim Lanzenwiirf. Man hat Flüge bis zu 18 Sekunden Dauer beobachtet, und von 100 — 120, nach einem Beobachter sogar von 450 m Länge. Aber meist sind die Flüge von viel geringerer Dauer und Weite. Nicht Austrocknen der Flügel oder Atemnot veranlaßt den Fisch, seinen Flug abzubrechen, sondern die Bewegung wird allein durch die Hemnumgen des Luftwiderstandes begrenzt. Vertikale und seitliche Schwankungen der Kichtung und Stärke des Windes üben ihren Ein- fluß im Verlauf des Fluges aus, und manche, scheinbar willkürliche Steuerungen m()gen auf solche Wirkungen zurückzuführen sein. Der Mechanismus der Fiugmuskeln. Bei der Entfaltung der Flügel tritt ein dreiteiliges Muskel - werk in Tätigkeit, das an der Außenseite des pflugscharförmigen Schulterknochens der Tiere befestigt ist. Dieser Knochen {co + cl, Fig. 4) liegt unmittelbar hinter dem Kopfe und begrenzt mit seinem Fig. 4. Muskelmeclianismua eines Exocoetus-Tlügels Fl. a b, Lage des scharnierartigen Flügelgelenks. eo, coracoid + clavicula = Scliulterlvnoehen. Punktierte Linie ac, Hinterrand des Spreizmuskels sprz.m. Pfeil I, dessen ])rchriclitung; Pfeil II, Zugrichtung des Sperrmuskels sp.m: Pfeil ///, Zugrich- tuiig des Flugmuskels, »Herabzieher«, kz.m. abstehenden >>Streicliblatt<< den hinteren und unteren Umfang des Kiemenraumes bis zur Kehle, wo beide Pflugscharen mit ihrer nach innen gekrümmten Schneide von den Seiten her zusammenstoßen. Der erste Teil jener Flugmuskeln ist ein wohlabgegrenztes, tief- liegendes Bündel (Fig. 4, sprz.m.), das im vorderen Abschnitt hinter Der Flugniechanismus der fliegenden Fische. 373 der Pflugschar seinen Ursprung nimmt und sich mit seinem freien, oberen, sehnigen Ende an die Vorderkante des ersten Flossenstrahles anheftet. Seine Zugrichtung (Fig. 4, Pfeil I) liegt somit in der Ebene der Flügel. Er spreizt die Flossenstrahlen wie die Finger einer Hand und soll daher Spreizmuskel heißen. — Der zweite, obenauf liegende Muskel hat eine nahezu wagerechte Zugrichtung (Fig. 4, Sf.m. IL). Durch seine Arbeit wird der gespreizte Flügel nach vorn gedreht, so daß er seitwärts vom Körper absteht: Sperrmuskel. Der dritte Muskel endlich (Fig. 4, hz.m. III.) steigt mit seinen Fasern und Sehnen unter etwa 45 ° schräg nach hinten hinauf zu den Anheftungs- punkten an den Flossenstrahlen; seine Zugwirkung hat daher eine Komponente nach vorn, ähnlich dem Sperrmuskel, und eine nach unten. Dieserhalb können wir den Muskel als Herabzieher bezeichnen. An der Innenseite des Schulterknochens liegt das Gegen- werk der eben beschriebenen äußeren Flugmuskeln. Es ist eine zwei- teihge Muskelplatte, deren Volum kaum geringer ist als die der Außen- muskeln. Daraus ist zu entnehmen, daß auch die gesamte Leistungs- fähigkeit beider Muskelgruppen nicht sehr verschieden sein kann. Der obere Teil der Innenmuskulatur ist der schmale, oberflächHch liegende Heranzieher des Flügels. An dem horizontalen Faserverlauf ist er leicht als der Gegenmuskel des Sperrmuskels zu erkennen. Darunter liegt der breite Hebemuskel des Flügels, dessen Fasern wie die des antagonistischen Herabziehers schräg nach hinten oben gegen die An- heftungen an den Flossenstrahlen ziehen. Ein besonderer Gegenmuskel für den Spreizmuskel der Außenseite ist nicht vorhanden. Diese Arbeit wird durch gleichzeitige Wirkung des Hebers und des Herabziehers verrichtet. Die Kenntnis der Anordnung und Arbeitsrichtung der fünf Flug- muskeln ist für die Beurteilung des Charakters des Fischfluges von entscheidender Bedeutung. Es handelt sich um die vielerörterte und immer wieder aufgeworfene Frage, ob die fliegenden Fische während ihres Fluges ähnlich den Vögeln oder Kerftieren aktive Flügelschläge ausführen können, die eine in der Flugrichtung be- schleunigende Wirkung ergeben; oder ob der Flug passiver Natur ist und die Tätigkeit des Muskelapparates nur auf ein Entfalten, Ein- stellen und Festhalten der Flügel in Drachenstellung hinauskommt. Im Gegensatz zu den Vögeln, deren Flügel in einem Kugelgelenk an der Schulter befestigt sind, ist der Flossenflügel der Schwalben- fische durch ein einfaches gerades Scharniergelenk (Fig. i ah) mit 374 Fr. Alilborn, dem Körper verbunden, das mit der Längsrichtung des Tieres einen nach vorn offenen Winkel von etwa 30 ° bildet. Unter diesem Winkel muß sich auch im allgemeinen die ebene Fläche des entfalteten Flügels dem Flugwinde als Drachen entgegenstellen. Unter dem Einfluß der auf- tretenden Luftwiderstände werden aber die äußeren und hinteren, biegsamen Teile der Fläche, dem Drucke nachgebend, mehr und mehr emporgebogen, so daß die Neigungswinkel kleiner werden und der Flügel zunehmend nach außen und hinten entlastet wird. Daneben liegt die Möglichkeit vor, daß im vorderen Teil der Fläche durch stär- keres Herabziehen der ersten Flossenstrahlen eine flache, nach unten hohle Wölbung des Profils geschaffen wird. Da hierdurch die starken Vorderstrahlen auf Kosten der schwächeren, nachfolgenden entlastet würden, so kann diese Formänderung sich nur in sehr engen, kaum merkhchen Grenzen halten. Der Flügel hätte dann im Fluge ein sehr flach S-förmiges Profil. Immer behält aber der Fischflügel den Charakter einer echten Drachenfläche, und die an ihm auftre- tenden Widerstandsströmungen ergeben nur hebende und hemmende, aber keine nach vorn treibende, Komponenten, denn diese können an dem durch das Körpergewicht belasteten Flügel nur dann entwickelt werden, wenn, wie bei den Vögeln, Flächenteile vorhanden sind, die entgegengesetzt, d. h. nach vorn geneigt sind. Mit diesem Charakter des Fischflügels steht die oben näher be- zeichnete Wirkungsweise der beim Fluge tätigen Muskelmaschinen im vollen Einklänge. Zur Überwindung der an den Flügeln auftretenden Flugwiderstände sind nur der Sperrmuskel und der Herabzieher vor- handen. Diese aber können ihrer Zugrichtung nach nur solchen Wider- standskräften entgegenwirken, die nach hinten und oben gerichtet sind, also im Fluge hemmend und hebend wirken, wie die Widerstände an einem Drachen. Die nach vorn und unten gerichtete Zugresultante der beiden Flugmuskeln entspricht genau dem Fadenzuge eines Drachens. Wären die Flossenflügel der Flugfische dazu bestimmt und ge- eignet, einen vorwärtstreibenden Luftwiderstand hervorzurufen, so müßten auch die zur Aufnahme und Übertragung desselben auf den Körper notwendigen Muskeln nachweisbar sein. Das müßte ein Mus ke 1 mit einer nach hinten gerichteten Zugkomponente sein. Von einem solchen ist hier aber nichts vorhanden. Der Vergleich mit dem entsprechenden Mechanismus der Vögel läßt diesen grundsätzlichen Unterschied klar hervortreten. Ich habe in Fig. 5 nebeneinander a den Flügel einer Taube, h den eines großen Raubvogels, c eines Flug- Der Flugnieclianismus der fliegenden Fische. 375 fisches mit den zugehörigen Flugmuskeln schematisch in der Stellung abgebildet, die sie annähernd beim Fluge einnehmen. Man sieht, daß die Fasern des Flugmuskels bei den Vögeln mehr oder weniger stark gegen die Flugrichtung de nach hinten gerichtet sind, da sie einen vortreibenden Luftwiderstand zu bewältigen haben; die der Flug- fische aber gehen nach vorn und sind daher zu einer solchen Leistung nicht befähigt. Trotz der großen Flächenentfaltung der Flossenflügel ist die zu- geordnete Muskulatur im Grunde dieselbe gebheben, wie die der nicht- fliegenden Fische. Wenn man aber in einem Aquarium die Tätigkeit Fig. 5. Zugrichtung des Flugmuskels bei Vögeln und Flugfischen; schematisch, a, Taube; J», großer Raubvogel; c. Schwalbenfisch, co, Coracoid; ed, Flugrichtung, Muskelzug in der Richtung der nach unten zeigenden Pfeile. der gewöhnlichen Brustflossen beobachtet, so findet man, daß die- selben — immer nur für langsame Bewegungen — einen Vortrieb nur dann erzeugen, wenn sie durch den Hebemuskel nach hinten oben bewegt werden, also entgegengesetzt^ wie der vortreibende Flügelschlag eines Vogels. Dies ist im Wasser möglich und zweck- mäßig, da hier der Fisch dank dem Auftriebe seiner Schwimmblase kein Gewicht hat. In der Luft aber, wo das ganze Gewicht von der Flugfläche zu tragen ist, würde das Hochziehen der Flügel dem Körper die Stütze nehmen, und der Absturz ließe sich nur durch schleunige Wiederherstellung der tragenden Fläche vermeiden. Ein absehbarer Flugvorteil einer derartigen internüttierenden Betätigung wäre bei der, wie wir sehen werden, ohnehin schon außerordenthchen Beanspruchung der Muskulatur schwerhch vorhanden, da der etwa beim Hochschlag 376 Fr. Ahlbom, der Flosse erzielte Vortrieb durch die beim Tiefschlag auftretende stärkere Hemmung wieder aufgehoben werden würde. Man könnte hierbei an den Schwirrflug denken, wie er von den Insekten ausgeführt wird. Die Idnematischen Aufnahmen von Lendenfelds und aus dem Institut Marey ergeben hier auch beim Hochschlag der Flügel einen an- scheinend ebenso starken Antrieb nach vorn wie beim Tiefschlag: vor- ausgesetzt, daß die Tiere dabei nicht festgehalten wurden, sondern daß es sich um freien Flug handelte. Tatsächlich wird nun von einer großen Zahl völüg zuverlässiger Beobachter, die Gelegenheit hatten, die fliegen- den Fische aus geringer Entfernung zu sehen, berichtet, daß die Flossen- flügel beim Fluge nicht selten in schnellschwingender Bewegung sind. Am auffälligsten sind diese Bewegungen im Anfang des Fluges, in dem Augenbhck, wo das Tier aus dem Wasser hervorschießt. Die Bewegungen sind dann so stark, daß sie ein »raschelndes« Flatter- geräusch hervorrufen, aber sie hören auf, sobald das Tier vom Wasser freigekommen ist und die Flügel voll entfaltet sind. Diese Bewegungen sind offenbar passiver Natur und können nicht mit Flügelschlägen ver- glichen werden. Sie sind von gleicher Art wie die flatternden Bewegun- gen eines Schirmes, den man im Begriff ist im Winde aufzuspannen. Auch bei den Flugfischen treten sie nur während des Ausspannens der Flossenflügel auf, solange diese noch nicht vollständig in der Gewalt der Flugmuskeln sind. Andre Beobachter berichten, daß sie in einzelnen Fällen gesehen haben, wie die Flugfische, während der Trennung vom Wasser, wenn der Schwanz noch im Wasser war, mit den Flügeln lebhafte abwechselnde Bewegungen ausführten, so daß es aussah, als ob die Tiere mit den Flügeln über das Wasser liefen. Auch hier handelt es sich anscheinend nicht um aktive Flügelschläge, sondern um eine Reaktion der Wrick- maschine, des Schwanzes, mit der sich der Fisch im Wasser die zum Fluge erforderliche Anfangsgeschwindigkeit erteilt. Der Schwanz ar- beitet, solange er im Wasser ist; er bedarf aber normalerweise des großen Widerstands des Wassers nicht nur an der Schwanzflosse, son- dern auch an den Seitenflächen des ganzen Körpers, die dabei eine ähnliche Rolle spielen wie der Kiel und die Seitenwände eines Schiffes beim Segeln. Ist nun der vordere Körperteil bereits in der Luft, so fehlt hier der seithche Widerstand, und die abwechselnden Kontraktionen der starken Seitenmuskulatur ziehen den Vorderkörper widerstandslos zur Seite, wie wenn man einen lebendigen Fisch am Schwänze festhält. Das Tier bewegt sich daher in einer Zickzacklinie vorwärts. Sind dann die Flügel bereits entfaltet — und das wird der Fall sein, wenn der Der Flugmechanismus der fliegenden Fische. 377 Austritts winkel gegen die Wasseroberfläche ein kleiner ist, also der Vorgang der Trennung vom Wasser länger dauert — , so kann bei den seitlichen Ausschlägen des Vorderkörpers, je nach der augenblicklichen Flügelstellung, eine abwechselnde Hebung und Senkung der Flügel- spitzen erfolgen, die den Eindruck aktiver Flügelschläge macht. Wo man immer derartige Bewegungen beobachtet hat, war es zu Beginn des Fluges, solange der Schwanz noch im Wasser arbeitete, oder wäh- rend des Fluges, wenn der Schwanz in einen Wellenrücken eintauchte und durch seine Tätigkeit den Antrieb erneute und nicht selten auch die Flugrichtung änderte. Prof. Dahl, der sein Augenmerk gerade auf diesen Punkt richtete, erkannte deutlich die Ruderschläge des Schwanzes an den dadurch erzeugten Wellen und glaubte in dem Zu- sammenhang der sogenannten Flügelschläge mit der Bewegung des Schwanzes die Ursache aller Flatterbewegungen gefunden zu haben. Aber es können doch auf diese Weise immer nur rechts und links ab- wechselnde, also »laufende« Bewegungen der Flügel zustande kommen von gleichem Takt wie die Wrickschläge des Schwanzes, und sie müssen auch mit diesen gleichzeitig aufhören. Eine dritte Art von Bewegungen ist während des Fluges vielfach gesehen worden. Sie wird bald als >>une espece de fremissement<<, bald als eine »zitternde Bewegung, gleich den Flügeln der Heuschrecken«, bald als »an almost imperceptible but rapid Vibration« beschrieben, und die Beobachter sind meist der Meinung, daß dies das Mittel sei, durch das sich die Tiere in der Luft halten und fortbewegen. Irgend- welche Beweise für diese Annahme sind meines Wissens nicht erbracht. Dagegen hat MÖBiusi bereits im Jahre 1878 diese Vibrationen als passive Schwingungen erkannt, die im Wechselspiel zwischen den elastischen Flügelrändern und den an ihnen entlangstreifenden Luftströmungen entstehen. Daß in der Tat für das Zustandekommen derartiger Vibra- tionen keine aktiven Muskelkräfte erforderlich sind, davon kann man sich leicht überzeugen, wenn man z. B. eine Vogelfeder in den Wind hält, die scharrenden Bewegungen treten dann augenblicklich ein. Hält man einen lebenden Schwalbenfisch am Schwänze in der Hand, so breitet er die Flügel aus und erzeugt mit den Flügeln eine außer- ordenthch schnelle, zitternde Bewegung, ähnlich einem sitzenden Nacht- falter. Auf den ersten Blick scheint kein Grund vorzuHegen, warum der Fisch derartige Bewegungen nicht auch gelegentHch im Fluge machen sollte. Allein durch diese Bewegungen würde der Fisch ebenso- 1 Die Bewegung der fhegenden Fische durch die Luft. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XXX. Supplement. 378 Fr. Alüboin, wenig fliegen können, wie der zitternde Nachtfalter. Während aber dieser sehr leicht zu wirklichen, ihn forttragenden Flügelschlägen ge- bracht werden kann, ist dies trotz aller darauf verwendeten Mühe bisher noch niemandem mit einem Flugfisch gelungen. Kein fliegender Fisch hat jemals versucht, flatternd wie ein Schmetterling aus der Hand zu entweichen. Man könnte vielleicht daran denken, daß der aus dem warmen Wasser gehobene und in der Luft abgekühlte Fisch durch Kältereiz erzittert. Ebenso wäre es auch nicht unmöglich, daß die Vibration beim Fluge teilweise die Folge von Überanstrengung der Herabzieher- nuiskeln ist. Bei keinem andern Flugtier werden die Flugmuskeln derartig stark beansprucht wie bei den Flugfischen. Davon erhält man eine Vorstellung aus den folgenden Angaben, wenn man bedenkt, daß die Leistungsfähigkeit eines Muskels im allgemeinen seinem Gewicht proportional ist. Es beträgt das Gewicht des herabziehenden Flug- muskels in Prozenten des Körpergewichts beim Grünspecht 31, Ente und Rebhuhn 20, Sperling und Taube 17, Möven 10—11, dagegen bei den Flugfischen nur 0,9 bis 1,1 ! Hinsichtlich der Flugflächenbelastung stehen die Flugfische mit 8 — 9,5 kg auf 1 qni^ nahezu gleich dem Rebhuhn und der Stockente (9,7 bzw. 9,4 kg qm); während aber bei diesen das Gewicht des ge- nannten Flugmuskels 77,0 bzw. 118,7 g beträgt, ist es bei den Fischen nur 1,2 — 4,5 g. Nimmt man hinzu, daß diese winzigen Muskeln an dem einarmigen Hebel des Flügels ganz nahe am Gelenk angeheftet sind, also nur an einem sehr kurzen Hebelarme das auf die großen Flügel mit langem Hebelarm gestützte Körpergewicht zu tragen haben, so wird man überzeugt sein, daß die Muskeln im Fluge ganz gewaltig in Anspruch genommen werden. Die Vermutung, daß die den Spannungs- zustand der Muskeln bedingenden Nervenimpulse unter diesen Um- ständen an den Vibrationen der Flossen erkennbar werden könnten, ist daher nicht ohne Grund. Allein eine solche Ermüdungserscheinung müßte besonders gegen das Ende des Fluges deuthch hervortreten, während die Beobachter die Bewegungen gerade im Anfang deuthch gesehen haben, wo von Ermüdung noch keine Rede sein kann. 1 Neuerdings hat H. Hoernes (Zoitschr. f. Flugtcch. u. Motorluftschiffahrt. IV. 8. 332) an 20 konservierten Exocoetus- Arten Flächenbelastungen von 4,8 bis 27,4 kg für 1 qm berechnet. Der riugsmechanismus der fliegenden Fische, 379 Während die meisten Beobachter der fliegenden Fische die Be- wegungen der Flügel als ein schwaches, schwer erkennbares Erzittern be- schreiben, erhält man davon nach den eingehenden Berichten von Seitz eine wesentlich andre Vorstellung. Seitz hat den Flug im Indischen Ozean von einem niedrigen Ruderboot aus beobachtet und so die Vor- gänge aus nächster Nähe verfolgen können. Er sah die Tiere bis 1 m über dem Meeresspiegel schnelle Flatterbewegungen ausführen, also noch lange, nachdem der Schwanz seine Ruderbewegungen eingestellt hatte. Die Frequenz der Flügelschläge schwankte dabei im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Tiere annähernd zwischen 10 und 30 in der Sekunde; die Amplitude betrug bei 20 cm langen Fischen 10 — 12 cm. Die Bewegungen traten nur in den ansteigenden Strecken der Flugbahn auf, also nur im Anfang, oder wenn ein nochmaUges Heben der Bahn, etwa über einer entgegenkommenden Welle, erfolgte. Seitz stützt sein Urteil auf reiche, in allen Meeren gemachte Erfahrungen und ist der Meinung, daß die Vibrationen wirkliche aktive Fliegebewegungen sind und nicht zufälUge, passive Wirkungen der Luftströmung. Eine Wiederholung und Bestätigung dieser anscheinend sehr sorg- fältigen Beobachtungen wäre zu wünschen, da es äußerst schwierig sein muß, im schwankenden Boot derartig schnelle Vorgänge mit dem Auge zu verfolgen und zahlenmäßig zu bestimmen. — Ein positiver Beweis für die aktive Natur der Bewegung ist auch durch Seitz nicht erbracht. Ein wirklicher, echter Flügelschlag hat immer eine vortreibende und eine hebende Bewegungskomponente. Für den Vortrieb fehlen den Flugfischen die zugehörigen Muskeln. Die Fische würden dann auch zweckmäßiger nicht im Anfang des Fluges flattern, wenn sie bereits eine maximale Geschwindigkeit durch die Schwimmbewegung im Wasser erhalten haben, sondern späterhin, wenn diese Geschwindigkeit durch den Luftwiderstand nach und nach aufgezehrt wird. Der Mechanismus der drachenartigen Flugflächen ist nur für die Aufnahme tragender, hebender Widerstandskräfte der Luft eingerichtet. Das Zusammen- fallen der flatternden Bewegungen mit den ansteigenden Abschnitten der Flugbahn läßt daher der Vermutung Raum, daß beide in einem ursächhchen Zusammenhang stehen. Entweder ist die Hebung der Flugbahn die Folge der als Aufwärtssteuer wirkenden Flatterbewegung, oder diese letztere wird passiv erzeugt durch den infolge der Hebung vergrößerten Flugwinkel gegen die Luftströmung, also durch verstärkten Luftwiderstand. Da die Flugfische zur Nacht höher f hegen als am Tage — gegen beleuchtete weiße Segel oder gelegenthch selbst in die Fenster der 380 Vr. Ahlborn, Kabinen — , so wird man ihnen ein gewisses Steuerungsvermögen nicht absprechen können. Hierfür kämen auch die Bauchflossen in Betracht, da sie durch Zusammenfalten oder Flächenverkleinerung, oder durch geeignete Einstellung das Herabsinken des hinteren Körperendes, also Aufwärtsrichten der Flugachse, bewirken können. Bei andern, lang- sam im Wasser schwimmenden Fischen sieht man oft, wie die Tiere durch flügelschlagartige Bewegung der Brustflossen aufwärtssteuern. Wenn daher die Flugfische in der Luft die gleiche Wirkung mit den- selben Organen hervorrufen, so ist es naheHegend, daß es durch die gleiche Betätigung geschieht, freihch mit weit größerer Geschwindig- keit, da der Luftwiderstand geringer ist als der des Wassers. Eine endgültige Entscheidung darüber, ob die von Seitz beschrie- benen Flatterbewegungen wirklich die aktive Ursache der Hebung der Flugbahn sind, ist kaum möglich, es sei denn, daß durch erneute syste- matische Beobachtungen die SEiTZschen Angaben bestätigt würden. Im besonderen wäre festzustellen, ob dies Flattern immer nur im An- fang des Fluges auftritt, oder auch bei den späteren Hebungen der Flugbahn, und welche Rolle die Bauchflossen bei der Überlenkung der ansteigenden in die horizontale Bahn spielen. Zusammenfassend läßt sich über den Flug der Fische folgendes sagen : L Die fliegenden Fische erlangen durch die Tätigkeit ihrer 8eiten- muskulatur als Motor und ihrer Schwanzflosse als Propeller im Wasser eine große Geschwindigkeit. 2. Die Unsymmetrie der Schwanzflosse hat zur Folge, daß dabei die Längsachse des Körpers in eine nach vorn aufsteigende Richtung gebracht wird. Dadurch werden die Tiere automatisch aus dem Wasser in die Luft geführt: sie schießen wie ein Pfeil unter kleinen Neigungs- winkeln in die Luft hinaus. 3. Die in der Luft entfalteten großen Brust- und Bauchflossen dienen beim Fluge als passive Drachenflächen, indem sie einen hebenden Luftwiderstand erzeugen, welcher der Fallbewegung entgegenwirkt. 4. Der Flug wird allein durch die ► vorher im Wasser gewonnene lebendige Kraft unterhalten und erreicht sein Ende, wenn diese durch die auftretenden hemmenden Luftwiderstände aufgebraucht ist. Pfeil- flug. 5. Die flügelartigen Brustflossen sind zur Erzeugung besonderer Vortriebskräfte während des Fluges nicht imstande, da ihnen die dazu geeigneten Muskeln fehlen. Der Flugmechanismus der fliegenden Fische. 381 6. Der Zug des Flugmuskels (Herabzieher) hat die Richtung wie der Faden eines Drachens ; er vermag somit nur hebende und verzögernde, nicht aber beschleunigende, vorwärtstreibende Luftwiderstände auf den Körper des Fisches zu übertragen, wie dies bei aktiven Flugtieren der Fall ist. 7. Da das Gewicht des Flugmuskels — im Vergleich zu andern Flug- tieren von gleicher Belastung der Flugflächen — bei den Fischen außer- ordentlich gering ist, so ist dadurch die Befähigung zur Ausführung f lüge] schlagartiger oder steuernder Bewegungen während des Fluges sehr herabgesetzt. 8. Man hat Flügelbewegungen fast nur zu Beginn des Fluges wahr- genommen. Nach den Darstellungen der Beobachter handelt es sich dabei um vier verschiedene Bewegungsformen. Das Rascheln der Flügel während ihrer Entfaltung beim Durchtritt durch die Wasser- oberfläche ist offenbar passiver Art, wie das Flattern eines Schirmes, den man im Winde öffnet. Auch die gelegentlich darauffolgenden ab- wechselnden Flügelbewegungen, die den Eindruck machen, als liefe der Fisch über das Wasser, sind keine aktiven Flügelschläge, sofern sie nach Dahl als Reaktionen des im Wasser nachrudernden Schwanzes anzusehen sind. Ebenso können auch die feinen, kaum wahrnehm- baren Vibrationen der Flügel während des Fluges nicht mit echten Flügelschlägen oder etwa den schwirrenden Flugbewegungen des In- sektenflügels verglichen werden. Sie sind passiver Art (Möbius) und werden durch die Schwankungen des Luftwiderstandes infolge Ablösung von Wirbeln hervorgebracht. Nur für die von Seitz beschriebenen ausgiebigen Flatterbewegungen in den ansteigenden Teilen der Flug- bahn muß die Möglichkeit einer aktiven Entstehung zugegeben werden. Aber durch diese Flügelschläge würde der Charakter der Flügel als Drachenflächen nicht geändert werden, denn es könnte immer nur gesteigerte Hebung (Aufwärtssteuerung) und Hemmung, nicht aber ein Vortrieb dadurch ausgelöst werden. Die Bestätigung der SEiTZschen Beobachtungen ist abzuwarten. Hamburg, im August 1914. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. Von Henrik Strindberg. (Aus dem Zootomischen Institut der Hochschxxlc zu Stockliolra.) Mit 38 Figuren im Text. Inhalt. - ., Seite Vorwort 383 Teil I. Embryologie 384 Bildung des Blastoderms 385 Bildung der Keimscheibe 387 Bildung der Embryonalhüllen 387 Bildung des unteren Blattes, Paracyten und sekundäre Dotterzerklüftung 390 Bildung der Organe 392 1. Ectodermale Organsysteme . . . „ 392 2. Mesodermale Organsysteme 395 3. Entodermale Organsysteme 396 Teil IL Anatomie 399 Anatomie des Kopfes. 1. Mundteile und Muskulatur des Kopfes 399 2. Endoskelett 410 3. Drüsen 411 Anatomie des Hinterkörpers. 4. Geschlechtsorgane 413 1. Männchen 413 Gliricola 413 Ch/ropus 424 2. Weibchen 440 aiirimla 440 Gijropus 447 5. ]\lALPiGHische Gefäße 454 6. Darmkanal 454 Literaturverzeichnis 457 Bedeutung der Buchstabenbezeichnungen 458 Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 383 Vorwort. Seit einigen Jahren habe ich mich mit Studien der Insektenembiyo- logie beschäftigt und dabei nur embryologische Fragen behandelt. Da ja aber die Embryologie im Verhältnis zur Anatomie nur als eine Hilfs- wissenschaft betrachtet werden darf, habe ich mich in dieser Arbeit auch der Anatomie der Insekten zugewendet und dabei die Ordnung der Mallophagen speziell in Betracht genommen. Wie bekannt, sind diese interessanten Tiere zwar mehrmals anatomisch untersucht worden; allein es handelt sich dabei meistens um äußere anatomische Fragen und Merkmale, die vor allem für systematische Zwecke bedeutungsvoll sind. Dagegen ist die innere Anatomie weniger berücksichtigt, und was man davon kennt, ist speziell das Aussehen der Organe, d. h. deren Um- risse. Es ist daher natürhch, daß Homologisierungsversuche mit von andern Forschern untersuchten Mallophagen schon von Anfang an sehr erschwert sein müssen und in manchen Punkten keine sicheren Resul- tate geben können. Ich habe mich daher auf eine eingehende Beschrei- bung der wichtigeren Organsysteme beschränken müssen und nur stellenweise andre Mallophagen zum Vergleich benutzt, wenn die Ver- hältnisse genügend klar liegen. Als Vergleichsobjekt bei andern Insektenordnungen habe ich aus mehreren Gründen die Isoptera (Termiten) gewählt, einerseits, da diese Insekten als die niedersten der Pterygoten anzusehen sind und noch für einige Jahre mit den Mallophagen u. a. in der Ordnung der Pseudo- neuroptera vereinigt wurden, anderseits, da eingehende anatomische Untersuchungen über die Isoptera in späteren Jahren erschienen sind (HOLMGREN, 08). Wenn auch, wie oben gesagt wurde, die Embryologie nur den Cha- rakter einer Hilfswissenschaft besitzt, läßt es sich nicht leugnen, daß manche anatonüsche Fragen nur durch embryologische Untersuchungen endgültig gelöst oder bestätigt werden können. Hierher gehört hin- sichthch der Mallophagen z. B. die systematische Stellung derselben. Meine Vorstudien zur Anatomie der Mallophagen bestehen daher in einer Untersuchung über die Entwicklungsgeschichte derselben Tiere, da ich teils eine solche für meinen Zweck als notwendig betrachte, teils die Mallophagenembryologie verhältnismäßig sehr wenig bekannt ist. Denn unter den zahlreichen Arbeiten der Insektenembryologie besitzen wir, meines Wissens, nur eine einzige, die die Embryologie der Mallo- 384 Henrik Strindberg, phagen behandelt, und diese Arbeit verdanken wir Melnikow (69). Da aber dieser Forscher nicht die Schnittmethode verwandt hat, sondern seine Beobachtungen nur durch Studien an Totalpräparaten begründete, sind ihm auch einige bedeutungsvolle Tatsachen entgangen. Ich wollte dann mit Hilfe von Schnitten die befindlichen Lücken unsres Wissens hinsichthch der Mallophagenentwicklung zu decken versuchen, was mir auch ziemlich gut gelungen ist. Als embryologisches wie auch anatomisches Untersuchungsmaterial habe ich Eier bzw. ausgeschlüpfte Exemplare in allen Altersstadien von Gliricola gracilis N. und Gyropus ovalis N. verwandt, die beide, wie bekannt, an Cavia cohaya vorkommen^. Die eigne Untersuchung über die Entwicklung der Mallophagen gewinnt dadurch noch an Be- deutung, daß ich schon früher in meiner Arbeit: »Embryologische Studien an Insekten« Gelegenheit gehabt habe, meine Aufmerk- samkeit der Ent\vicklung der Isoptera, Eutermes rotundiceps, zu widmen, was mir bei der Beurteilung der Mallophagenentwicklung eine gute Hilfe leistet. Ich werde somit auch an geeigneten Stellen auf Ähnlich- keiten oder Unähnlichkeiten zwischen den Entwicklungsvorgängen dieser beiden Pterygoten hinweisen. In dem ersten Teil meiner Arbeit habe ich also nur embryologische Fragen und dabei, wie in früheren Arbeiten, Stadium für Stadium behandelt. In dem zweiten Teil der Arbeit tritt die Anatomie in den Vorder- grund; auch hier habe ich aber betreffs einiger Organsysteme auf embryologische Tatsachen hingewiesen, speziell natürlich, wenn die embryologischen Bilder zur Erklärung und zu besserem Verstehen der anatomischen dienen können. I. Teil. Embryologie. Ehe ich zur Beschreibuno; der verschiedenen Entwickluno-sstadien von Gyropus schreite, ist einiges hinsichtlich der technischen Behand- lung der Eier zu sagen^. Die Fixierung (durch die Flüssigkeit Carnoys) und die Zerlegung der Eier in Schnitte bietet nämlich wegen der harten und dicken Eischale einige Schwierigkeiten. Man muß deshalb die 1 Stellenweise habe ich auch die Entwicklung von Tricliodectes climax N. in Betracht genommen. '■^ Ich habe nur Gyropus embryologi.sch studiert, da Gliricola eine ganz ähnliche Entwicklungsgeschichte besitzt. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatoni ic der Mallophagen. 385 Eischale bei der Fixierung mit einer Nadel anstechen oder den Eideckel abpräparieren, um die Flüssigkeit eindringen zu lassen, und später die Eischale gänzlich entfernen, da dieselbe sonst bei der Zerlegung der Eier in Schnitte einen allzu großen Widerstand bietet. Bildung des Blastoderms. Ich kann hier ohne weiteres auf eine Beschreibung der Eier ver- zichten, da der äußere Bau und das Aussehen derselben nichts Be- merkenswertes darbietet. Das jüngste Ei, das ich untersucht habe, ist schon in Kernfur- chung eingetreten, und die AbkömmHnge des Furchungskerns befinden sich vorwiegend in der vorderen Hälfte des Eies. Sie sind alle ziemlich groß und liegen scharf konturiert in einem wohlentwickelten Plasmahof eingebettet, von welchem mehrere deuthche Ausläufer gehen, die sich zwischen den Dotterballen verlieren. Über die Beschaffenheit des Dotters ist nichts Neues hinzuzufügen; hier sei nur bemerkt, daß die plasmatischen Bestandteile ziemUch reichlich vorkommen und an der Eioberfläche eine zusammenhängende Schicht bilden. In etwas älteren Eiern unterUegen die Kerne wieder indirekten Teilungen, wodurch sie beträchthch vermehrt werden (Fig. 1 fkr)^. Wie früher befindet sich die Mehrzahl derselben noch im vorderen Teil des Eies, obschon eine Strömung gegen die Eioberfläche sich bereits bemerkbar macht. Die Eioberfläche wird in den folgenden Stadien allmähUch erreicht, doch bleiben hier, wie gewöhnhch unter den In- sekten, einige Kerne, Dotterkerne, immer im Innern des Dotters An der Dotteroberfläche setzen sich die indirekten Teilungen fort, und in dieser Weise bildet sich hier ein oberflächliches Syncytium mit zahlreichen eingebetteten Kernen. Dann tritt eine Abgrenzung in ver- schiedene Territorien, oder besser die superficielle Furchung, ein, und das Blastoderm ist fertig gebildet. Dasselbe besteht aus ziemlich hohen, fast kubischen Zellen und ist über die ganze Oberfläche des Eies in derselben Weise gebaut (Fig. 2 hd). HinsichtUch der Blastodermbildung finden wir also bei Gyropus dieselben Verhältnisse wieder, die uns bei der Mehrzahl der Insek- ten bekannt sind. Bei den Termiten dagegen handelte es sich um eine konzentrierte Strömung von Kernen zu einer bestimmten Stelle der Eioberfläche, gleichzeitig mit einer Strömung von einzelnen Kernen 1 Direkte Kernteihingen habe ich hier nie beobachtet, Zeitschrift f. wissenscli. Zoologie. CXV. Bd. 26 38G Henrik Strindbcrg, o-eo-en den Kest der Eioberfläche, wodurch bei der Bildung des Blasto- dernis dasselbe schon von Anfang an differenziert wurde. Anderseits aibt es aber in der Struktur und dem allgemeinen Charakter der Kerne Fig. 3. Fig. 4. am ed Fig. 7. Fig. 8. Fig. 1 — 8. Sdiema der Eiiibryonalstadien von Oyropus ovalis, vor der 'ümrollunK des Embryo. vor der Blastodermbildung eine sehr große Übereinstimmung mit den Termiten, die ich bei andern von mir untersuchten Insekteneiern nie wieder gefunden habe. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Malloj)hagen. 387 do(ser) Dem Obengesagten gemäß ist die Bildung der Keimscheibe, Diffe- renzierung des Blastoderms, bei Gijropus im Verhältnis zu Eutermes verzögert. Bildung der Keimscheibe. Die Bildung der Keimscheibe wird bei Gyropus dadurch eingeleitet, daß die Zellen an einer bestimmten Stelle des Blastoderms sich in die Länge strecken, während gleichzeitig die übrigen Blastodermzellen stark abgeplattet werden. Von nun an können wir also von einem embryo- nalen bzw. extraembryonalen Blastoderm reden. Ersteres besitzt verhältnismäßig eine sehr große Ausdehnung; an medianen Sagittal- pr(dm) Fig. 9. vd ^j/aöd. Fig. 10. mde ^/// Fig. 11. Fig. 9—11. Schema der Embryonalstadien von Gyropus ovalis, nach der Umrollung des Embryos. schnitten können wir dasselbe von dem Hinterpol etwa über die Hälfte der ventralen Eioberfläche verfolgen (vgl. Fig. 3 ke). Die Grenzhnie zwischen den beiden soeben erwähnten Blastodermpartien tritt anfangs nicht allzu deutlich hervor, indem die Kandzellen des embryonalen Blastoderms ebenfalls ziemhch abgeplattet sind. Anderseits liegen aber die Kerne des betreffenden Zellverbandes sehr dicht aneinander, was dagegen im embryonalen Blastoderm nicht der Fall ist. Bildung der Embryonalhüllen. Die Bildung der Embryonalhüllen wird bei Gyropus durch einen deutlichen Wucherungsprozeß eingeleitet. Wie es die Fig. 3 zeigt, 26* 388 Henrik Strindberg, wird das embryonale Blastoderm an einer Stelle in der Nähe des hin- teren Eipols dadurch mehrschichtig und, wie es schon Melnikow er- wähnt hat, nach innen gestülpt. Die eingestülpte Partie der Keim- scheibe besitzt nur eine geringe Ausdehnung, während die weitaus größte Partie derselben noch superficiell bleibt und mit dem extra- embryonalen Blastoderm in unmittelbarem Zusammenhang steht. Nach innen von der Einstülpung ist eine deutliche Auflösung von Dotterballen zu bemerken, was vielleicht für die Erleichterung des Einstülpungsprozesses nicht ohne Bedeutung ist; wenigstens beginnt die invaginierte Keimscheibepartie von nun an stark in die Länge zu wachsen. Wie es schon Melnikow (69) beobachtete, dringt dabei das bhnde Ende der Einstülpung zuerst in den Dotter hinein und biegt dann winkelartig nach dem vorderen Eipol um, um sich etwa in die Längsachse des Eies einzustellen (vgl. Fig. 4 und 5). Ganz denselben Verhältnissen wie bei Gyrobus begegnen wir ja auch bei den Libelluliden, Brandt (69). Wie ich aber in einer früheren Abhandlung hervorgehoben habe, gilt dasselbe prinzipiell auch für die Termiten; nur daß hier das blinde Ende der Keimscheibeneinstülpung sehr wenig und kaum bemerkbar sich in den Dotter einsenkt, dann unmittelbar die Dotterballen wegdrängt und sich über den naheliegen- den Hinterpol der Dottermasse schlägt, ohne somit in dieselbe weiter einzudringen. Bei dem immer fortdauernden Längenwachstum dehnt sich dadurch bei den Termiten die Keimscheibe oder nunmehr besser der Embryo über die dorsale Oberfläche des Dotters gegen den Vorder- pol des Eies. Die hier oben dargestellten Verhältnisse gehen übrigens durch einen Vergleich zwischen den Fig. 3 und 4 dieser Arbeit und den Fig. C und E, Schema I meiner Arbeit: »Embryologische Studien an Insekten << ohne weiteres hervor. Es ist jedoch hervorzuheben, daß es sich in den Fig. 3, 4 und C um eine Keimscheibe, in der Fig. E da- gegen um einen Embryo handelt, d. h. die Keimscheibe hat sich hier unter Bildung der beiden Embryonalhüllen von dem extraembryonalen Blastoderm (Serosa) losgemacht. Wenn sich also im Stadium Fig. 5 ebenfalls bei Gyropus ein Embryo gebildet hat, ist derselbe wie bei einem entsprechenden Stadium bei den Libelluli den immers, bei den Termiten dagegen superfiziell. Ein prinzipieller Unterschied zwischen diesen beiden Typen ist daher ausgeschlossen. Zwischen der Einstülpung der Keimscheibe bei den Termiten einerseits und Gyropus und den Libelluliden anderseits können wir etwas verschiedene Verhältnisse bemerken. Bei den ersteren wird nämhch die relativ sehr kleine Keimscheibe völlig invaginiert, was Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 389 dagegen bei den letzteren nur teilweise der Fall ist, indem eine breite Kandzone noch eine Zeit ihre superficielle Lage beibehält (vgl. Fig. 3, 4 und 5). Dies ist für die folgende Entwicklung der Embryonalhüllen nicht ohne Bedeutung, wenn auch nicht von prinzipieller Natur, denn dadurch können nicht wie bei den Termiten Embryonalhüllenf alten, und zwar wie hier eine Schwanzfalte, schon bei der Invagination her- vorgerufen werden (vgl. das Kapitel über »Die Bildung der Embryonal- hüllen bei Eutermes<<, Embryol. Stud. an Ins.). Die Entstehung der zwar sehr großen Schwanzfalte bei Eiäermes ist aber eng mit der Richtung der Einstülpung verknüpft. Dies geht aus einem Studium der Fig. 19 meiner obenzitierten Arbeit hervor. Denn wenn wir uns denken, daß die Einstülpung gegen den andern Eipol gerichtet wäre, dann würde auch nicht eine Schwanzfalte, sondern eine Kopffalte gebildet werden und die entgegengesetzte Partie der Keimscheibe superficiell, d. h. im Niveau mit dem naheliegenden extra- embryonalen Blastoderm liegen, also ganz die entgegengesetzten Ver- hältnisse. Wenn aber die Invagination anfangs etwa rechtwinkelig gegen die Längsachse des Eies erfolgen sollte, ja, dann wäre die ganze Randpartie der Keimscheibe im obenerwähnten Gesichtspunkt immer superficiell, wodurch wahre Falten nicht zum Ausdruck kommen könnten, und dies ist eben, meiner Auffassung nach, was bei Gyropus und den Libelluliden geschehen ist. Prinzipiell haben diese Verschiedenheiten, wie ich glaube, keine Bedeutung, indem sie nur mit sich führen können, daß bei Gyropus und den Libelluliden die Bildung der Embryonalhüllen, Abschnürung des embryonalen vom extraembryonalen Blastoderm, sehr verzögert wird und daß, wenn dieser Prozeß erfolgt, nur sehr kleine Embryonal- hüllenfalten gebildet werden, ähnlich wie wir es aus den Abbildungen von Brandt (69) kennen. Bei Gyropus scheinen zumal solche Falten nie gebildet zu werden, sondern die superficielle Randpartie der Keim- scheibe allmählich nach innen gezogen, um zuletzt mit den Rändern zu verlöten, wodurch die beiden Embryonalhüllen und gleichzeitig der Embryo fertig gebildet sind, wie dies die Fig. 5 zeigte. Die Entstehung der beiden Embryonalhüllen stimmt somit für Gyropus prinzipiell mit demselben Prozeß der Pterygoten im all- gemeinen überein, indem das Amnion von der Randzone der Keim- 1 Die alte Auffassung Melnikows (69), daß die Invaginationsmündung sich nicht schließen und also die beiden Blastodermpartien immer miteinander in un- mittelbarer Verbmdung stehen sollten, habe ich somit weder für Oyrofus noch für Trichodectes bestätigen können. 390 Henrik Strindborg, Scheibe und speziell von der Hinterpartie derselben geliefert wird, während die Serosa von dem extraembryonalen Blastoderm den Ur- sprung nimmt. Ihrem Ursprung gemäß ist die Anlage des Amnions hinten von Anfang an mehrschichtig, wird erst allmählich einschichtig und gleich- zeitig in ein ungemein dünnes Plattenepithel umgewandelt (Fig. 5 am). Das weitere Schicksal der Embryonalhüllen bei den Mallophagen ist schon von Melnikow (69) wenigstens angedeutet worden, indem sie nach der Umrollung des Embryos an der Dorsalseite desselben zu sehen sind. Hier ist, in der Fig. 32, Taf. XI, Melnikow (69), das so- genannte »Amnion« dorsal vom Kopf zusammengeballt; in der Tat repräsentiert aber das »Amnion« die seröse Hülle, während das wahre Amnion als »Deckblatt« bezeichnet ist. Nach Melnikow sollen nun die beiden Embryonalhüllen in der Bildung der Rückenwand eine Verwendung finden, was aber nicht der Fall ist. Denn, wie es ja zu erwarten war, sind sowohl bei Gyropus als bei Trichodectes die für die Pterygoten gewöhnUchen Verhältnisse wiederzufinden. Die beiden Hüllen werden somit schon am Anfang der Umrollung ventral mit- einander verklebt und gelangen nach beendigter Umrollung in bekannter Weise an die Dorsalseite des Embryos, dessen provisorischen Rücken sie eine Zeitlang repräsentieren (Fig. 9 ser, am). An der betreffenden Figur ist die frühere Serosa {ser) als »Dorsalorgan« {do) vorn stark zu- sammengepackt, während das frühere Amnion {am) noch ein Plattenepi- thel bildet. Wenn die definitiven Körperränder nach oben wachsen, wird das »Dorsalorgan« von dem früheren Amnion überwachsen und nach innen, wie bei den Termiten, rohrförmig gestülpt, um in dem Dotter zugrunde zu gehen (Fig. 10, wo die degenerierenden Zellen noch eine Zeitlang zu sehen sind). Dann unterliegt das frühere Amnion dem- selben Schicksal, indem es von vorn und hinten in den Darm gedrängt wird. Der definitive Rücken ist in Fig. 1 1 fertig gebildet. Bildung des unteren Blattes, Paracyten und sekundäre Dotterzerklüftung. Gleichzeitig mit der Entstehung der EmbryonalhüUen sind noch einige Entwicklungsvorgänge im Ei von Gyropus zu bemerken, denen wir uns hier zuwenden wollen. Wie es schon oben erwähnt wurde, wird die Invagination der Keimscheibe von einer Wucherung der letzteren be- gleitet oder vorbereitet. Diese Wucherung hat aber auch mit der Bildung des sogenannten unteren Blattes zu tun, denn schon in nur ein wenig Zuj' Entwicklungsgeschichte und Anatomie dei' Mallophagen. 391 älteren Eiern ist die innere Oberfläche der Keimscheibe von zahlreichen rundlichen Zellen bedeckt, die zusammen einen dicken, mehrschich- tigen Verband bilden. Derselbe ist,, wie es in der Fig. 4 üb ersichtlich wird, von dem oberflächlichen Teil der Keimscheibe {eht) wohlabgegrenzt und erreicht nicht ganz den Rand des letzteren. Im Prinzip begegnen wir hier also ähnlichen Verhältnissen wie bei den Termiten; nur wird bei den letzteren die Bildung des unteren Blattes schon frühzeitig ein- geleitet, wenn die Keimscheibe noch keine Einstülpung erfahren hat, indem nach Knower (1900) Zellen nach innen gedrängt und von der oberflächlichen Zellschicht abgegrenzt werden. Ein Stadium bei der Entwicklung der Termiten, das dem Stadium Fig. 4 bei Gijrofus ziem- lich gut entspricht, finden wir in Fig. 19 meiner Arbeit »Embryologische Studien an Insekten« (13) wieder. Nur ist bei Gyrobus das untere Blatt schon überall scharf von der oberflächlichen Schicht {ekt) abgegrenzt und das Lumen der Einstülpung, Amnionhöhle {ah) in eine kaum sicht- bare Spalte umgewandelt. Die Übereinstimmung hinsichtlich des untern Blattes ist für Fig. 25 derselben Arbeit noch größer, indem das untere Blatt hier ebenfalls ganz abgegrenzt und außerdem speziell hinten, aber auch vorn, in Auflösung begriffen ist. Die Auflösung des untern Blattes wird durch die Entstehung zahlreicher Paracyten {par) bedingt, die unter für dieselben charakteristischen Degenerations- erscheinungen massenhaft von dem unteren Blatte abgelöst werden und in den Dotter gelangen, wo sie nach kurzer Zeit spurlos verschwin- den i. Nach Beendigung der Paracytenbildung ist diejenige Partie der Keimscheibe, die das Amnion größtenteils liefert, von dem unteren Blatte befreit (vgl. Fig. 5). Bei beoinnender Invagination der Keimscheibe ist noch eine Tat- Sache, aber nur hinsichthch des Dotters, zu bemerken. Schon im Stadium Fig. 3 tritt im Dotter eine Veränderung ein, die ich bei den Termiten nie beobachtet habe, indem zuerst am hinteren Eipol sich einige deuthch abgegrenzten Territorien im Dotter bilden {dt). Die- selben besitzen je einen röthch gefärbten Kern von unregelmäßigem Umriß und sind mit Dotterkugeln beladen. Die betreffenden Terri- torien können daher als Zellen bezeichnet werden und repräsentieren den Anfang eines Furchungsprozesses, der sich bald über die ganze Dottermasse ausdehnt (Fig. 4 und 5). Da aber diese totale Furchung des Dotters nicht in Zusammenhang mit der Kernfurchung in den frühe- 1 Wie ich für Oywpus habe feststellen können, gehören also die Paracyten dem unteren Blatte, d.h. dem noch nicht differenzierten primären Entoderm an. 392 Henrik Strindberg, sten Stadien steht, müssen wir sie als eine sekundäre Dotterfurchmiir bezeichnen, ähnlich wie sie z. B. bei den Coleopteren, Lepidopteren und auch nach Melnikow (69) bei andern Mallophagen beschrieben worden ist. Diese sekundäre Zerklüftung des Dotters ist noch in den letzten Embryonalstadien zu sehen. Bildung der Organe. Ehe wir die verschiedenen Organsysteme besprechen, die von den drei Keimblättern gebildet werden, ist zuerst einiges über das Stadium Fig. 5 zu sagen. Letzteres entspricht völhg dem Stadium J, Schema I, in der Termitenentwicklung, das in beiden Fällen durch ttie starke ventrale Einknickung im Hinterteil des Embryos schon an Total- präparaten sehr deuthch gekennzeichnet ist. Die Einknickung ist bei andern Mallophagen schon von Melni- kow (69), wie auch bei den Libelluliden und Orthopteren beob- achtet und wie bekannt von Heymons als >> Kaudalkrümmung << be- zeichnet. An Totalpräparaten tritt außerdem in demselben Stadium noch eine, wenn auch nicht so stark ausgeprägte, Einknickung inehr nach vorn auf, die bei den Termiten nicht bemerkbar ist. Wie schon oben erwähnt wurde, sind in diesem Stadium die Embryonalhüllen soeben fertig gebildet; die großen und median durch eine sehr tief einschneidende Furche voneinander geschiedenen Kopflappen des Em- bryos hegen daher noch superficiell, während der übrige Teil des Em- bryos völhg zwischen den Dotterterritorien eingetaucht ist. An Schnitten untersucht, finden wir am Embryo die drei Keim- blätter, von denen das Mesoderm wie bei den Termiten besonders hinten kräftig entwickelt und von einem spärhchen sekundären Ento- derm bedeckt ist. Von diesem Stadium ausgehend, können wir also unschwer die Bildung der Organe von den verschiedenen Keimblättern näher besprechen. 1. Ectodermale Organsysteme. Unter den ectodermalen Organsystemen sind zuerst der Vorder- und Hinterdarm wie das Nervensystem zu beschreiben. Die Anlage des Vorderdarms (vd) tritt zuerst als eine kurze von Mesoderm bekleidete Einstülpung im Stadium Fig. 6 auf, also ziemhch später als bei den Termiten (Stadium Fig. H, Schema I). Bei den letzteren finden wir ein entsprechendes Stadium in Fig. K, Schema I. In beiden Stadien ist die Caudalkrümmung schärfer als vorher, und bei Gyropus ist Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 393 außerdem der Embryo völlig in den Dotter eingesenkt und von Dotter- territorien umgeben. Eine Hinterdarmeinstülpung (ed) finden wir ebenfalls von Meso- derm bekleidet, schon in dem Stadium Fig. 7, das wieder dem Ter- mitenstadium Fig. L entspricht. In dem folgenden Stadium Fig. 8 (Termitenstadium Fig. M) entwickeln sich die betreffenden Darmteile nur in die Länge und werden an ihren bhnden Enden von dem be- kleidenden Mesoderm befreit i. Erst während und vor allem nach beendigter Umrollung des Em- bryos, Stadium Fig. 9 (Termitenstadium Fig. 0), macht sich eine Diffe- renzierung in den beiden Darmabschnitten bemerkbar, gleichzeitig mit einem beträchtHchen Wachstum in die Länge. An Embryonen un- mittelbar nach der Umrollung finden wir sowohl am Vorder- wie am Hinterdarm, daß die distalen Teile der beiden Darmabschnitte sich blasenförmig erweitert haben unter gleichzeitiger Abplattung der Bodenzellen. Die blasenförmige Erweiterung am Vorderdarm hat mit der Bildung der Valvula cardiaca zu tun, und ihre Entstehung erfolgt durch Faltenbildung (Fig. 10) in derselben Weise, die ich für Eutermes be- schrieben und in Fig. 53 abgebildet habe. In den folgenden Stadien weichen die Bodenzellen des Vorder- darms auseinander, so daß im Stadium Fig. 11 eine Kommunikation zwischen Vorder- und Mitteldarm offen wird. Die Valvula cardiaca ist hier sehr kurz und dringt kaum in das Lumen des Mitteldarms ein. Ein echter Proventriculus fehlt wie bei den Termiten. Am Vorderdarm ist übrigens der Kaumagen und der Kropf {kr) wie der langgestreckte Oesophagus im Stadium Fig. 11 fertig gebildet. Wie aus der Figur hervorgeht, ist die dorsale Wand des Kropfes ziemlich stark verdickt, und von dieser Wandpartie bilden sich später, in dem letzten Em- bryonalstadium, die in dem anatomischen Teil näher erwähnten klauen- förmigen Chitinbildungen. Der Kropf bleibt immer stark entwickelt, erhält aber hier nie- mals Divertikel, .was bei Trichodectes der Fall ist. Die Divertikel- bildung ist bei den vollgebildeten Tieren schon längst bekannt und entsteht während des Embryonallebens als eine schlauchförmige Aus- stülpung der Dorsalwand des Kropfes, die sich nach hinten dorsal vom Mitteldarm streckt. Die Innenfläche ist anfangs glatt, erhält aber in dem letzten Embryonalstadium eine größere Innenfläche, indem sich hier zahlreiche Zotten und Runzeln entwickeln. Siehe übrigens »Entodermale Organsysterae «. 394 Henrik Strindborg, Am Hinterdarm tritt eine Differenzierung im Stadium Fig. 9 ein, indem eine mediane Erweiterung erscheint, die die Anlage der auch bei den Termiten vorkommenden Analblase repräsentiert und in welcher sich bald ebenfalls Analdrüsen entwickeln (Fig. 11 ac?); eine nähere Untersuchung über die Drüsen der Analblase ergibt, daß es sich hier wie bei den Termiten um sechs Ansammlungen von Drüsenzellen han- delt, die in derselben Höhe Hegen und in Querschnitten das Hinter- darmlumen als einen sechsstrahhgen Kern hervortreten lassen. Sowohl an Längs- als an Querschnitten sind die Drüsenansammlungen birn- förmige Bildungen, wo basal die Kerne der Drüsenzellen liegen, wäh- rend die Apicalpartie kernlos ist und feingestreift erscheint (vgl. Embryol. Stud. an Ins. Fig. 56). Bei den Termiten behalten die Analdrüsen den- selben Bau während des ganzen Embryonallebens. Bei Gyropus und Trlchodectes aber werden sie allmählich plattgedrückt und treten dann als rectanguläre Bildungen vor. Für den Hinterdarm ist noch kurz zu bemerken, daß in den letzten Embryonal Stadien zwischen Analblase und Mitteldarm zwei blasen- förmige Erweiterungen, und am meisten distal im Stadium Fig. 10 die knospenden Anlagen der vier MALPiGHischen Gefäße erscheinen. Die Bildung des Nervensystems bietet bei Gyropus nicht viel von Interesse, da dasselbe ganz wie bei den Termiten entsteht. Im Stadium Fig. 6 treten schon die Neural wülste deutlich hervor, und im Stadium Fig. 8 beginnt die Bildung der Hypodermis und der Fasermassen, so daß nach beendigter Umrollung, Stadium Fig. 9, sämthche Ganglien des Nervensystems fertig sind. In der Bauchganglienkette treten schon früh Verschmelzungen ein, so daß zuletzt von den anfangs 17 freien Ganglienpaaren nur vier freie Ganglienmassen vorhanden sind, von denen das letzte, große Paar im Stadium Fig. 1 1 das letzte Thoracal- und die elf Abdominalganglien repräsentiert. Das Eingeweidenervensystem besteht aus einem ziemlich großen Frontalganglion {ggl.fr). Ähnlich wie Gyropus verhält sich hinsichtlich des Nervensystems auch Trlchodectes. ^ Die Kette der Bauchganglien erleidet anfangs durch die früher erwähnte Caudalkrümmung des Embryos eine starke Einknickung. Bei den Termiten wird dieselbe bis in die letzten Embryonalstadien beibehalten, geht aber bei Gyropus wie bei Trlchodectes bei beginnender Umrollung verloren und tritt nicht wieder auf. Die Ganglien liegen daher nach der Umrollung in einer nach unten leicht gebogenen Reihe. Später tritt eine neue Krümnning, ganz wie bei den Termiten, auf; Zur Entwicklungsgeschichte und Anatoinie der IMallophagen. 395 allein diese befindet sich zwischen dem Unterschlundganglion und den nach hinten liegenden Ganglien und ist bei Gyropus sehr scharf. Die weiteren Lageveränderungen der Gan^hen gehören dem anatomischen Teil an und haben mit der veränderten Stellung des Kopfes zu tun. Über die Entwicklung des Tracheensystems ist nicht viel zu sagen. Die Stigmen befinden sich in Prothorax — sie sind hier sehr groß — und in den Abdominalsegmenten 2 — 7, also ganz wie es für die voll- gebildeten Tiere bekannt ist. Bei den Termiten ist außerdem ein Stigmenpaar im Mesothorax und in den acht ersten Abdominalsegmen- ten nach HoLMGREN (08) anzutreffen, was ich für die Embryonen habe bestätiaen können. Die übrigen ectodernialen Organsysteme, wie z. B. die Endo- skelettbildungen und die Drüsen, können bei den kleinen Embryonen nicht mit Vorteil studiert werden. Hier will ich nur bemerken, daß das Tentorium im Prinzip wie bei den Insekten im allgemeinen angelegt Avird und bei den ausgeschlüpften Tieren aus zwei vorderen und zwei hinteren Einstülpungen besteht, die miteinander durch eine Quer- spange vereinigt sind. Näheres ist in dem anatomischen Teil ge- geben. 2. Mesodermale Organsysteme. Bei der Besprechung der mesodermalen Organsysteme ist mit dem Stadium Fig. 6 zu beginnen. Hier bemerkt man, wie das Mesoderm zwar noch an medianen Sagittalschnitten sichtbar ist, sich aber in eine Anzahl von Ursegmentplatten zerlegt hat; nur hinten in der Schwanzpartie ist noch eine zusammenhängende Mesodermplatte zu sehen (vgl. das Termitenstadium Fig. K). Letztere ist teilweise noch im Stadium Fig. 7 und noch in Zusammenhang mit dem Mesoderm des Hinterdarms beibehalten, während die Segmentplatten mit Ausnahme von derjenigen, die den Vorderdarm bekleidet, übrigens an medianen Sagittalschnitten verschwunden sind (vgl. das Termitenstadium Fig. L). An Querschnitten durch Embryonen desselben Stadiums finden wir die Cölomsäckchen in Bildung begriffen. Wie es Heymons (95 und 97) für die Blattiden und die Apterygoten, Lepisma, wie ich für die Termiten, Eutermes, beobachtet habe, werden die Cölomsäckchen auch bei Gyropus durch Umbiegen der Außenränder der Mesodermsegmente gebildet. Die Zahl derselben ist wie bei den Termiten 19, von denen jedoch das tritocerebrale Cölomsäckchenpaar rudimentär wird und einer Urseg- 396 Henrik Strindberg, menthöhle entbehrt. Wie bei den erwähnten Insekten werden sie so- wohl bei Gyrofus als bei Trichodectes in den Subösophagealkörper umgewandelt. Derselbe ist bei Gyropus ziemlich klein und befindet sich an Längsschnitten nach der Umrollung zwischen und etwas nach oben von dem Unterschlundganglion und dem ersten Thoracalganglion als eine in die Länge gestreckte Bildung von glashellen Zellen mit kleinen dunklen Kernen, also völlig dasselbe Aussehen wie bei den Ter- miten. Gegen Ende der Embryonalzeit wird der Körper nach hinten geschoben und gelangt auch an die Unterseite des nach hinten stark verlängerten Cölomsäckchens des Antennensegmentes. Eine mediane Brücke scheint nicht vorhanden zu sein, wodurch der Körper jederseits nur aus einer lappigen Zellanhäufung besteht. Bei den ausgeschlüpf- ten Tieren habe ich den Körper nicht beobachten können (vgl. die Termiten). Über die übrigen mesodermalen Organe ist nichts zu sagen, da sie mit denjenigen der Termiten in allem prinzipiell übereinstimmen. 3. Entodermale Organsysteme. Hierher gehört ja nur das Mitteldarmepithel, das wie bei den Ter- miten dem untern Blatte, primärem Entoderm, der Länge nach zu ent- stammen scheint. Die plattgedrückten Zellen dieses Verbandes treten im Stadium Fig. 8 mde deuthch in der Nähe des Vorderdarms vor der Umrollung auf, dann auch am Hinterdarm. Über den blinden Enden der beiden ectodermalen Darmabschnitte zieht das Mitteldarmepithel etwas nach vorn bzw. nach hinten, wodurch wir in dieser Hinsicht denselben Verhältnissen begegnen wie bei mehreren Orthopteren, z. B. Phyllodromia, Dixippus u. a. Diejenigen Partien des Mitteldarmepithels, die mit den Bodenzellen der ectodermalen Darmabschnitte in Kontakt stehen, bilden in ziemlich späten Embryonalstadien die vordere bzw. hintere Grenzlamelle, indem sie eine kurze Zeit allein den Abschluß des Vorder- und Hinterdarmes gegen den Mitteldarm bewirken, nachdem die Bodenzellen der betreffenden Darmabschnitte auseinandergewichen sind. Die beiden Grenzlamellen sind also hier entodermaler Natur, wie ich es schon für die Termiten vermutet und bei Dixippus zeigen konnte 1. Die beiden Grenzlamellen stehen alsbald verloren, so daß 1 Bei den Hymenopteren luibo ich für Vespa inid Trachusa (U) eine ec to- der male Grenzlamelle beschrieben. Dieselbe kommt dadurch zustande, daß die entodeniialen Zellen, die über das blinde Ende des Vorderdarmes ziehen, hier frühzeitig auseinanderweichen, wodurch die ectodermalen Bodenzellen des Vorder- darmes allein den Abschluß gegen den Mitteldarm bewirken. Die Grenzlamelle Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 397 vorn eine koagiilatenähnliche Masse vom Mitteldarm in den Vorder- darm gelangen kann, wie ich es an mehreren Embryonen unmittelbar vor dem Ausschlüpfen beobachtet habe^. Eine starke Ausdehnung der vorderen Grenzlamelle, wodurch dieselbe das Mitteldarmlumen vorn austapeziert, kommt also hier nicht wie bei den Termiten vor. Der dorsale Verschluß des Mitteldarms erfolgt wie bei den Termiten gleicli- zeitig mit dem definitiven Verschluß des Rückens. Es ist hier noch einiges über den Dotter und die Dotterzellen (Dotterterritorien) in späteren Embryonalstadien zu erwähnen. Wie oben hervorgehoben w^irde, unterüegt der Dotter einer sekundären Furchung, und soweit ich an den Embryonen habe beobachten können, werden die Dotterterritorien noch in den letzten Embryonalstadien bei- behalten. Kurz vor dem Ausschlüpfen sind sie stark gegeneinander gedrückt und nicht mehr rundlich, sondern vielecldg. Die Grenzlinien zwischen ihnen treten nur in den peripherischen Teilen des Dotters deutlich hervor, und diesen Grenzhnien entlang wie auch in dem Innern der Dotterterritorien befinden sich die früheren Dotterkerne. Allem Anschein nach sind es auch solche Kerne, die entweder einzeln oder in Gruppen vereinigt in der unmittelbaren Nähe des Mitteldarmepithels gelegen sind. Dagegen deutet nichts darauf hin, daß diese Kerne dem Mitteldarmepithel entstammen sollten, da letzteres immer als ein sehr dünnes einschichtiges Epithel hervortritt. Diese Verhältnisse sind speziell deutUch bei den Embryonen von Trichodectes zu sehen. Auch bei den Termiten ist eine ähnliche Verschiebung der Dotterkerne gegen das Mitteldarmepithel in späteren Embryonalstadien zu sehen. Hier aber grenzen sich die allerdings sehr großen Gebilde nebst umgebendem Plasma voneinander ab und bilden in dieser Weise einen einschichtigen Verband von großen, kubischen Zellen unmittelbar innerhalb des Mittel- darmepithels. Dasselbe trifft ebenfalls unter den Orthopteren bei Gryllus und Periplaneta nach Heymons (95) zu, obschon die betreffen- den Zellen bei Periplaneta nicht eine zusammenhängende Schicht bilden. Für die Mallophagen ist dagegen die Ähnlichkeit in dieser Hinsicht mit den Verhältnissen bei Lepisma saccharina Heymons (97), und den Libellen, Tschupkoff (04) größer. Wenn wir zuerst Lepisma ist also ecto- oder entodermaler Natur, je nachdem die ursprüngliche ecto-ento- dermale Doppellamelle von den ento- bzw. ectodermalen Zellen befreit wird. 1 Ähnliches ist auch von Korotneff (85) und Heymons (95 und 97) für verschiedene Orthopteren bzw. für Lepisma beobachtet worden. 398 Henrik Stiindberg, berücksichtigen, findet auch hier eine sekundäre Dotterzerklüftun» statt, und »wenn die jungen Lepismen das Ei verlassen haben, so weichen die Dottersegmente auseinander und ziehen sich an die Wand des Mitteldarms zurück, welche einstweilen allerdings nur aus einer dünnen, später zur Muscularis sich umgestaltenden Mesodermlamelle besteht« (I.e. 612). Die Dotterkerne, die nunmehr von Plasma umgeben sind und daher als Dotterzellen betrachtet werden, wandern nun teilweise aus dem Dotter und beginnen, an der Mitteldarmwand gelagert, sich mi- totisch zu teilen, wodurch hier Gruppen von fünf bis sechs Zellen ent- stehen. Wie bekannt, sollen nach Heymons diese Zellgruppen als »Crypten« das bisher noch nicht vorhandene definitive Mitteldarm- epithel bilden und dadurch das embryonale, von den Dottersegmenten gelieferte Mitteldarmepithel ersetzen. Das Mitteldarmepithel wird somit tatsächhch von den Dotterzellen aufgebaut. Einer solchen Ansicht kann ich für die Mallophagen nicht beitreten, indem hier schon ziemlich frühzeitig das definitive von dem unteren Blatte herzuleitende Mitteldarmepithel fertig ist, und im Aufbau des- selben haben die Dotterkerne keinen Anteil. Daß eben diese Kerne in späteren Embryonalstadien gegen die Dotteroberfläche verschoben wer- den, um sich hier einzeln oder in Gruppen dem Mitteldarmepithel an- zuschheßen, scheint mir nur eine bedeutungslose Ähnhchkeit zu sein, da ja das Mitteldarmepithel immer sein früheres Aussehen beibehält. Außerdem ist hervorzuheben, daß diese alten Dotterkerne sich niemals mitotisch teilen und daß sie im Stadium unmittelbar vor dem Aus- schlüpfen einer deuthchen Degeneration unterliegen und nebst den Dotterresten aufgelöst werden. Ich glaube daher, daß ähnhches wie bei den Mallophagen auch für Lepisma nicht ganz ausgeschlossen ist, um so mehr, da in der neuer- dings erschienenen Arbeit von Philiptschenko (12) über die Embryo- nalentwicklung einer andern Apterygoten, Isotoma cinerea, das Mitteldarmepithel ebenfalls von dem unteren Blatte hergeleitet wird, während die Dotterkerne in dieser Hinsicht von keiner Bedeutung sind und überhaupt keinem bestimmten Keimblatte zugerechnet werden können. Die Ähnhchkeit zwischen den Libellen und Lepisma hinsichthch der Bildung des Mitteldarmepithels ist schon von Tschupropf (04) hervorgehoben; ich kann daher auch für die Libellen auf meine Beob- achtungen an den Mallophagen hinweisen. Zui' Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 399 • Die hier gegebene Darstellung über die Embryonalentwicklung der Mallophagen lehrt, daß sie einen Typus repräsentieren, der sie vor allem in die Nähe der Termiten stellen muß. Die Verwandtschaft findet schon in dem allgemeinen Charakter der Furchungskerne des Eies einen Ausdruck, und wir können dann in allen verschiedenen Stadien der Entwicklung prinzipiell ganz ähnliche bei den Termiten wieder- finden, so daß sie zwei parallele Serien bilden. Die alte Meinung, daß die Mallophagen und die Termiten anatomisch einander nahestehen, ist also durch die Embryologie bestimmt bestätigt worden, obschon ich natürlich nicht damit aussprechen will, daß nicht aus mehreren anatomischen Gründen die Termiten unter dem Namen der Isoj)tera systematisch eine Stellung für sich verdienen können. II. Teil. Anatomie. In dem anatonnschen Teil meiner Arbeit habe ich, wie in dem embryologischen, die Organsysteme hauptsächlich je nach ihrer Ent- stehung aas den verschiedenen Keimblättern zu behandeln versucht und dabei speziell auf einige, wie die Geschlechtsorgane u. a., besonders Gewicht gelegt. Dageoen muß ich, wie früher oesagt wurde, auf einen eingehenden Vergleich mit andern Mallophagen verzichten, da wir diese hinsichtlich mehrerer für die Verwandtschaftsbeziehungen bedeu- tungsvollen Fragen noch nicht hinreichend kennen und also neue, detaillierte Untersuchungen abwarten müssen, ehe die Lücken unsres Wissens zur Genüge gefüllt sind, um einen erfolgreichen Vergleich er- lauben zu können. Wie im embryologischen Teil habe ich mich daher als Vergleichungsobjekte vor allem den Termiten zugewandt und will hier als erstes Kapitel die Anatomie des Kopfes behandeln. 1. Mundteile und Muskulatur des Kopfes. a. Stadieu au Totalpräparateu. Die folgende Darstellung habe ich nur durch Beobachtungen an Gliricola begründet, da die Verhältnisse bei Gyropus im Prinzip in keiner Hinsicht abweichend sind. Der Umriß des Kopfes ist bei Gliricola wegen der tiefen Aushöhlungen an den Seiten ziemhch charakteristisch. Letztere entsprechen den Gliedern der Antennen, die in diesen drei Aushöhlungen in der Ruhelage verborgen werden. Die Hinterpartie des Kopfes bildet jederseits einen breiten, flügelartigen Vorsprung, an dessen hinteren Rand sich zahlreiche Längsmuskeln befestigen. Sehr 400 Henrik Strindberg, weit nach vorn befinden sich die komplizierten Mundteile und die An- tennen. Die hier kurz angegebenen Verhältnisse werden avis der Fig. 12 ersichtlich. Bei verschiedener Einstellung des Mikroskops sind drei Konturen des Kopfes zu unterscheiden, die ich in der Figur mit k^, h.^ und k^ bezeichnet habe. Sie gehen alle von der scharfen, gemeinsamen Kontur des Hinterkopfes aus. Da der Kopf von der Ventralseite gesehen ab- gebildet ist, betrachte ich die Kontur k-^ als die für meinen Zweck add.br. m. m. abda. Fig. 12. Kopf von GUrkola gracüis von der Ventralseitc gesehen. wichtigste und habe dieselbe scharf eingezeichnet, während die übrigen nur durch punktierte Linien wiedergegeben sind. Diese erste Kontur kl tritt bei hoher Einstellung hervor und läuft mit zwei hügelförmigen Ausbuchtungen versehen nach vorn, um in der Nähe der Antennenbasis zu endigen. Die zweite Kontur, k2, bei etwas tieferer Einstellung, ist etwas mehr medianwärts gelegen und besitzt prinzipiell dasselbe Aussehen wie die Kontur ki; nur laufen die beiden Ausbuchtungen in zwei scharfe Spitzen aus, wodurch drei Einbuchtungen hervorgerufen werden, die je eines der drei Antennenglieder aufnehmen. — Bei noch tieferer Einstellung des Mikroskops erscheint zuletzt die dritte Kontur, k^, die Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 401 also der dorsalen Kontur des Kopfes entspricht. Wir finden an der Figur, daß dieselbe etwas mehr nach vorn als die beiden übrigen be- ginnt. Von der Ursprungsstelle aus läuft sie zuerst nach außen, dann nach vorn und innen, so daß ein breiter flügelförmiger Vorsprung ge- bildet wird, der die ventrale Kontur l'i weit überragt. An Totalpräparaten erscheinen die Seitenpartien des Kopfes, die ventral und dorsal von den Konturen k^ bzw. ^'g begrenzt werden, sehr stark chitinisiert zu sein. Dies ist auch so, aber nicht so stark, wie es scheint, indem die verdickte Chitinschicht alle drei Aushöhlungen der Seitenwände bekleidet und dadurch optisch eine allzu dicke Chitin- schicht vortäuscht, was an Querschnitten bestätigt wird. Wie es schon oben erwähnt wurde, dienen die drei Aushöhlungen zur Aufnahme und zum Schutz der Antennenglieder. Der Bau der Antennen ist schon von M.JÖBEEGr (10) kürzlich beschrieben. Auch die vordere Begrenzung des Kopfes zerfällt in zwei Konturen. Von diesen ist die punktierte Linie ^-4 die wahre Begrenzung der Ober- lippe, während die Kontur k^ gleichzeitig mit den Konturen ^'2 oder ^'3 erscheint und also tiefer liegt. Die Oberlippe {ob) ist somit etwas nach unten gebogen und bildet die Vorderwand eines Raumes, der die Mandibeln (md) und Maxillen (mx) enthält und hinten von der Unter- lippe begrenzt wird (vgl. Fig. 12). Hinsichtlich der Mundteile ist folgendes an Totalpräparaten, von der Ventralseite gesehen, zu bemerken (Fig. 12). Die Unterlippe ist von membranöser Natur und demgemäß sehr dünn und durchsichtig. An dem Hinterteil befinden sich zwei nahezu parallele Reihen von kurzen Haaren, die eine schmale, ziemlich wohlersichtliche Hinterpartie zwischen sich fassen. Die letztere ist wohl als Submentum {sm) zu bezeichnen. Die Fortsetzung nach vorn bildet das sehr viel größere Mentum, das distal mit zwei Reihen von Haaren verschiedener Größe versehen ist. An dem Vorderrand des Mentums befinden sich jederseits drei Anhänge mit Haaren. Die größeren lateralen stellen die Paraglossae (pg), die kleineren medianen die Glossae dar. Eine Strecke lateral von den Paraglossen befinden sich die wohl- entwickelten zweigliederigen Labialpalpen (Ip). Wie bekannt, be- haupten Gkosse (85) und Kellogg (96), daß nur Labialpalpen vor- handen sind, während Snodgrass (05) u. a. die Palpen zu den Maxil- len führen. Ist letzteres richtig, was die Muskulatur wahrscheinHch macht, sind die mit Ip, pg und g bezeichneten Bildungen die Maxillar- palpen bzw. die Labialpalpen und Glossae (vgl. Fig. 12 — 14), Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 27 402 Henrik ,Strindberg, Unterhalb der Unterlippe treten die beiden ziemlich stark ehitini- sierten Maxillen hervor (mx). Sie stellen zwei breite nach vorn gerichtete Stäbchen dar, die distal an der Spitze eine blätterartige Lamelle mit deutlichen radiären Rippen trägt; die Lamelle dehnt sich jederseits von der Spitze der Maxille nach hinten und sitzt dem medianen stärker chitinisierten Rand des betreffenden Mundteiles auf. Basal sind die beiden Mundteile an ihrer Ventralseite j e mit einem wohlabgegrenzten rundlichen Feld versehen. Dasselbe tritt an Total- präparaten als ein dunklerer, punktierter Fleck hervor (Fig. 12); an Schnitten können wir aber sogleich beobachten, daß die Punkte nichts andres sind als kurze, nach unten gerichtete steife Haare. Unmittelbar lateral von den beiden erwähnten Flecken gehen die beiden kräftigen und stark chitinisierten Sehnen der Maxillen {mxs) aus. Sie dehnen sich etwas divergierend nach hinten und können bis an die Region des Ten- toriums {tent) ohne Schwierigkeit verfolgt werden. Zu den Maxillen gehören auch, wie es scheint, zwei lange und schmale lamellöse Bildungen, die nach innen von den Maxillen jeder- seits der Medianlinie des Kopfes liegen (Hypopharynx?). Zuletzt begegnen uns die sehr kräftig entwickelten Mandibeln (mt^), die einen komplizierteren Bau besitzen. Sie sitzen dem Kopf etwas schief an und sind deutlich von zwei wohlgesonderten Partien zusammen- gesetzt. Die Vorderpartie ist stark chitinisiert und enthält die Mandibel in eigentlichem Sinne, indem sie eine kräftige, zahn- oder klauenförmige Bildung ist, deren Spitze in einige kleine Zähne zer- fällt. Nach hinten von diesem Teil der Mandibel und von demselben durch eine tief einschneidende Spalte geschieden, befindet sich die zweite Partie, die jedoch basal mit der ersteren Partie breit zusammen- hängt. Die letztere Partie ist wenig chitinisiert, fast mehr blattartig und an dem Innenrand stark gez ähnelt. Die beiden Condylen der Mandibel sind an Totalpräparaten gut sichtbar und befinden sich basal in der Nähe voneinander. Der eine gehört der Vorderpartie, der andre der Hinterpartie der Mandibel an. Die den Mandibeln zugehörigen Sehnen lassen sich dagegen nicht gut an Totalpräparaten studieren. Die Muskulatur des Kopfes ist zieniHch kompliziert; einige De- tails können jedoch auch den Total präparaten entnommen werden. Von dem Hinterkopf entspringen mehrere wohl entwickelte Muskeln, die etwas konvertrierend nach vorn zu den Mundteilen des Tieres verlaufen. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatoniie der Mallophagen. 403 Eine Ausnahme machen besonders zwei kräftige Muskeln, die schräg gegen die MedianHnie ziehen und sich hier bald mit zwei Portionen an die Wand des Oesophagus befestigen . Der betreffende Darmabschnitt scheint hier stark erweitert zu sein und bildet unmittelbar vor den An- heftungsstellen der beiden Muskeln zwei in das Darmlumen vorsprin- gende flügelartige Bildungen (Fig. 12, md). Im allgemeinen kann von den Muskeln gesagt werden, daß sie in der Längsrichtung des Kopfes verlaufen und daß diese Muskeln sich in der ventralen Hälfte des Kopfes befinden. Eine Ausnahme von der letzteren Regel machen vor allem zwei Muskeln, die eine dorsale Lage im Kopf einnehmen; sie entspringen an der Grenze zwischen Oberlippe und Clypeus als eine einheitliche Bildung, die sich bald in zwei Portionen teilt und von der Ursprungsstelle dicht aneinander in der unmittel- baren Nähe der Medianlinie nach hinten verlaufen, um zuletzt an dem morphologischen Hinterrand des SupraoesophagealgangUons in der Hypodermis zu endigen. Die Muskeln, die durch den Kopf quer verlaufen, sind schwächer ausgebildet und befinden sich in der dorsalen Hälfte des Kopfes. Hier- her gehören die Muskeln, die die Antennen bewegen, und vor allem eine größere Zahl, die sich an den Wänden des Oesophagus nach vorn von der oben erwähnten Erweiterung desselben oder an der Erweite- rung selbst befestigen (Fig. 12, m.dil). Die centrale Partie des Hinterkopfes ist von den beiden Schlund- ganglien eingenommen. Zuerst begegnet uns das ovale in der Längs- achse des Kopfes eingestellte untere Schlundganglion, das das viel breitere und größere obere Schlundganglion durchschimmern läßt. In dem Hinterkopf können wir auch jederseits drei starke Zweige der von dem Thorax kommenden Tracheenbündel beobachten, die lateral von dem unteren Schlundganglion sich weiter verzweigend nach vorn dringen und speziell die großen Muskelbündel im Hinterkopf versorgen. Nach dieser allgemeinen Darstellung über den Bau des Kopfes an Totalpräparaten gehe ich zur Besprechung meiner Studien an Schnitten über, denn nur durch Verwendung der Schnittmethode können wir die Verhältnisse definitiv feststellen, die es mit meiner oben an Totalpräparaten gegebenen Darstellung zu tun haben. Ich will hier weiter bemerken, daß die Fig. 12, die ich oben besprochen habe, nach einem männlichen Tiere gezeichnet ist und daß dasselbe Tier dann, von dem Kanadabalsam befreit, in eine lückenlose Querschnittserie zerlegt wurde (Schnittdicke 4 /<; Oc. 4, Obj. 7a). 404 Henrik Strindbcrg, b. Studien au Querschnitten. Ich kann hier ganz von einer Beschreibung der Kopfform u. a. absehen, da dies alles durch die Schnittstudien eine Bestätigung erhalten hat, und meine Aufmerksamkeit nur den komplizierteren Or- gansystemen widmen, wie den Mundteilen, der Muskulatur, dem Endo- skelett und dem Darmkanal. Ich halte es hier für zweckmäßig, vor allem eine Beschreibung über verschiedene und besonders lehrreiche Querschnitte nach Abbildungen zu geben. lab ^ mxs. rig. 13. lab mmJev.ment Ip Fig. 14. m.dbd lab. m med- lab. m.dil. m.dbd.m. m abd.m. rnd. ~=' "mm. lev.ment.spd. Fig. 15. Fig. 16. Fig. 13—16. Querschnitt durch verschiedene Partien eines Gliricola-Koriies. Die ersten Querschnitte haben nur die Oberlippe geschnitten und bieten nichts Bemerkenswertes dar. Dann begegnen wir dem Quer- schnitt Fig. 13, wo alle Mundteile hervortreten. Dorsal befindet sich der Clypeus (cl) und ventral von demselben die Mandibeln (md) mit einem dorsalen und einem ventralen Teil, von denen der erstere stärker chitinisiert ist. Die Maxillen folgen dann als ein unpaares Stück (mx), dessen Medianpartie eine mediane und zwei laterale tiefe Einkerbungen besitzt. Durch diese drei Einkerbungen werden median zwei Spitzen hervorgerufen, die an mehreren Querschnitten zu sehen sind und also Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 405 in der Tat zwei ziemlich lange stäbchenförmige Erhebungen repräsen- tieren, die basal mit den nach außen gelegenen eigentlichen Maxillen im Zusammenhang stehen. Die stäbchenförmigen Bildungen stellen die beiden obenerwähnten Teile, die median an den Maxillen in Fig. 12 liegen, dar. An der Ventralseite der Maxillen bemerken wir jederseits eine kleine rundliche Einstülpung {mxs), die Sehne der Maxille. Noch mehr ventral befindet sich ein zweites, unpaares Stück, das Labium {lab) mit den Paraglossae {fg) und Glossae {cj). Der nächste Querschnitt (Fig. 14) ist durch die Vorderpartie der beiden früher erwähnten und in der Fig. 12 ersichthchen behaarten Felder der Maxillen gelegt. An der Figur finden wir übrigens dieselben gh Tenf ■^-,^A-_^ V Gj'f m med lab mmdil ob Fig. 17. Sagittalschnitt, etwas lateral von der Medianlinie, durch einen Gliricola-Kopi (Q). Teile wie in der Fig. 13 wieder. Die Maxillen (mx) treten aber hier nur ein wenig hervor, wie die median von denselben gelegenen Stäbchen. Ventral bemerken wir die beiden behaarten Partien, nach innen von den Sehnen der Maxillen {7nxs). Die beiden Palpen des Labiums sind auch geschnitten und treten lateral als zwei rundliche, stark chitinisierte Bildungen (Ip) hervor. In dem nächsten Querschnitt (Fig. 15), der durch die Basalpartie der Palpen des Labiums (Ip) gelegt ist, sind die Verhältnisse stärker abgeändert worden, indem teils verschiedene Muskeln, die später nähere Erwähnung finden sollen, hervortreten, teils die Maxillen wie die beiden median von denselben gelegenen Stäbchen nicht mehr ersichtlich sind. Statt dieser finden wir an der Dorsal seite des Basalstücks eine wenig tiefe Einsenkung mit besonders stark chitinisierten Wänden. Diese bezeichnet die Anfangspartie des Oesophagus und ist ebenfalls an dem Längsschnitte Fig. 17 als eine tiefschwarze Chitinscheibe an der Ven- tralseite des betreffenden Darmabschnittes wiedergegeben. 406 Henrik Strindbcrg, Meine Funde hinsichtlich der Mundteile stimmen im Prinzip gut mit den Beobachtungen von Kellogg (96) und Snodgrass (99) über- ein. Dagegen bin ich mit der Beschreibung Mjöbergs (10) über die Mundteile bei Gliricola nicht einverstanden. Dies gilt hauptsächlich für >>ein Paar stäbchenförmige, an der Spitze breitere und hier fein gezähnelte Gebilde; sie liegen unmittelbar unter den sehr weichen, fast membranösen Maxillen und repräsentieren, allem Anschein nach, das stark gespaltene Hypopharynx<< (1. c. 18). Diese Gebilde habe ich nicht wiederfinden können, wenn es sich nicht tatsächlich um die Maxillen oder um die beiden von mir median von den letzteren be- schriebenen Stäbchen handelt. Gegen letzteres spricht aber die Be- schreibung Mjöbergs; denn sie stellen in der Tat zwei langgestreckte und nicht freie Bildungen dar, die eine gezähnelte Spitze entbehren. Dagegen scheint es mir nicht unwahrscheinhch, daß sie dem Hypopha- rynx angehören können (vgl. S. 402). Muskulatur des Kopfes. HinsichtUch der Muskulatur habe ich diejenige des Kopfes, und zwar nur in den Hauptzügen, behandelt, da wegen der Klein- heit der Objekte die Mehrzahl der Muskeln mit den Befestigungs- punkten nicht sicher bestimmt werden kann, obschon ich sowohl Längs- als Querschnitte wie oberflächliche Schnitte zu kombinieren versucht habe. Um einen Vergleich mit den Termiten zu erleichtern, habe ich dieselbe Einteilung und Terminologie der Muskeln wie Holm- GREN (08) verwandt. Antennale Muskeln. Sie stimmen mit denen der Termiten prinzipiell völüg überein und sind also bei Gliricola folgende: die Mm. adductores antennae {mm.add.a.), der M. abductor antennae {m.abd.a.). Sie sind ziemlich kräftig entwickelt, was vor allem von den beiden ersteren gilt. Sowohl diese als der wenig kräftige M. abductor an- tennae sind rein tentoriale Muskeln, die von dem von den Einstül- pungen des ersten Paares gelieferten Teil des Tentoriums etwas nach hinten von der Umbiegungsstelle des ersten Paares nach außen (vgl. Fig. 12 tent, wie das Kapitel über das Endoskelett des Kopfes, Tento- rium) entspringen und sich an das erste AntennengHed befestigen. Der M. abductor antennae befestigt sich an der Oberseite der be- treffenden Tentorialeinstülpung, während die Anheftungsstelle dei: Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 407 beiden Mm. aclductores antennae etwas mehr nach hinten und an der Unterseite der Tentorialeinstülpung hegt (vgl. Fig. 12 und IQm.abd.a., tent., und mm.add.a.). La br a 1 mus kein (Tritocerebrahnuskehi) . M. retractor labri medialis {m. med. lab.). Dieser Muskel ist anfangs unpaarig und entspringt genau, median etwa an der Grenze 2;wischen Oberhppe und Clypeus (Fig. 16 und 17 m.med.lah.). Von hier aus zieht er nach hinten und zerfällt sehr bald in zwei kräftige Portionen, •die jedoch immer dicht aneinander verlaufen. Der in Fig. 17 wieder- gegebene Sagittalschnitt ist also nicht ganz median. Sie befestigen sich an der Dorsalseite des Kopfes, wie es die Fig. 17 aufweist. In Quer- schnitten sind sie anfangs rundhch(Fig. 16 m.med'.Za6.), werden aber dann dorsoventral abgeplattet und sind, dicht an die Matrixlager des Chitins gedrückt, bis an den morphologischen Hinterrand des oberen Schlund- ganglions zu verfolgen. Hier finden wir ihre Anheftungsstellen, nach- dem sie in je zwei kleine, kurze Portionen zerlegt sind. Der betreffende Muskel ist auch bei den Termiten von Holmgren (08) als eine paarige Bildung beschrieben und scheint ganz dieselbe Ausdehnung zu be- sitzen: »Sie entspringen unmittelbar von der Transversalnaht in der Mediallinie und begeben sich direkt nach vorn, um medial an dem oberen Teil des Labrum an der Grenze zwischen der eigentlichen Ober- lippe und dem Clypeoapicale zu inserieren« (1. c. 16). M. retractor labri lateralis {m.ahd.lab.). Vv^.lG m.abd.Iab.{^.). Zu den Labralmuskeln gehört auch eine große Anzahl von Mus- keln, die bei den Termiten als Dilatatoren der Tubae buccalis und pharyngis bezeichnet sind. Sie sind in der Fig. 12, m.dil. als paarweise Muskeln wiedergegeben, die vor allem nach vorn von dem Querstück des Tentoriums gelegen, zwischen den Darmwänden und dem Kopf dach ausgespannt sind. An den Querschnitten Fig. 15 und 16 wie auch an dem Längs- schnitt Fig. 17, m.dil. bzw. mm.dil. können wir beobachten, daß diese Muskeln fast immer an der Dorsalseite des Vorderdarms befestigt sind. In der ersteren Figur finden wir bei m.dil. die erste Anheftungsstelle dieser Muskeln und, wenn wir in der Querschnittsserie von vorn nach hinten schreiten, bemerken wir nach einigen Schnitten, daß der Muskel paarig ist und sich jederseits pyramidenförmig nach oben und außen streckt (Fig. IQ m.dil.), um zuletzt an dem Kopfdach mit breiterer Basis befestigt zu werden. Der früher beschriebene, paarige 408 Henrik Strindberg, M. retractor labri medialis wird in dieser Weise lateral von den obenerwähnten Schlundmuskeln umfaßt. Nach hinten begegnen uns zuletzt noch mehrere Muskelpaare ver- schiedener Größe, die teils in der Nähe der dorsalen Medianlinie den Kopfes, teils mehr lateral befestigt sind, so daß im ganzen hier etwa sieben Muskelpaare vorkommen. Auch nach hinten von dem Querstück des Tentoriums können wir einige dieser Gruppe zuzurechnende Muskeln beobachten (vgl. Fig. 12). Mandibulare Muskeln. Von diesen sind zu nennen: 1) der M. adductor magnus mandibulae (m.md.), 2) der M. adductor brevis mandibulae {m.add.hr.m.), 3) der M. abductor mandibulae {m.ahd.). Alle drei sind gut entwickelt und mit den entsprechenden Muskeln der Termiten völlig homolog. Der erste mandibulare Muskel ist wie bei den Termiten sehr kräftig entwickelt und in etwa elf verschiedene Portionen zerlegt, die von den lateralen und ventralen Partien des Hinterkopfes entspringen, wie es die Fig. 12 m.md. lehrt. Von hier aus strecken sie sich konvergierend nach vorn und befestigen sich an die zugehörige Sehne, die von der hinteren Partie der Mandibeln ausgeht. Nur ein Muskelbiindel macht eine Ausnahme, indem es zwar von derselben Stelle wie die übrigen entspringt, sich aber stark median- wärts begibt und sich hier hinter dem Querstück des Tentoriums an der im Kapitel über den Darmkanal erwähnten Erweiterung des Oeso- phagus befestigt, nachdem er sich in der Nähe der Befestigungsstelle in zwei Portionen geteilt hat (Fig. 12). Der zweite mandibulare Muskel verhält sich in ähnlicher Weise wie bei den Termiten. Er ist ziemlich kurz und kegelförmig und entspringt von der vorderen Einstülpung des Tentoriums, um sich an der Hinterpartie der Mandibeln zu inserieren (Fig. 12 m.add.hr.m.). Den dritten mandibularen Muskel habe ich in der Fig. 12 mit m.ahd. bezeichnet An Querschnitten tritt noch ein Muskel deuthch hervor und entspringt von der dorsalen Oberfläche der Kopf- kapsel, wo sie zuerst hinten zwischen dem Oesophagus und den Hälften des Tritocerebrums jederseits als eine ziemlich schmale Bil- dung hervortritt. Sie liegt anfangs von unten her den lateralen Teilen des (im Querschnitt) halbmondförmigen Oesophagus dicht an, um mehr nach vorn etwas mehr lateralwärts geschoben zu werden. Gleichzeitig werden auch die Muskeln sehr kräftig und im Querschnitt Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 409 rundlich, und die Fasern ordnen sich in drei übereinander gelagerten Portionen, die jedoch immer miteinander vereinigt bleiben (Fig. 16 m.ahd.m.). Sie inserieren an der lateralen Oberseite der Vorderpartie der Mandibeln in der unmittelbaren Nähe des konvexen Gelenkkopfes (Fig. 15 m.ahd.m.) [vgl. auch Fig. 12, m.abd.m. (?)]. Maxillare Muskeln. Hinsichtlich der maxillaren Muskeln bin ich nicht ins klare gekom- men. Nur die Sehnen der Mm. abductores maxillae (Fig. 12, 13, 14 und 15 mxs) treten ziemlich deutlich hervor und sind, soweit ich es richtig beobachtet habe, sehr langgestreckte Bildungen, die sich bis in die Nähe des Querstückes des Tentoriums verfolgen lassen. Labiale Muskeln. Von den labialen Muskeln, die mit dem Mentum zu tun haben, habe ich drei Paare beobachten können. Das erste Paar besteht aus zwei ziem- lich schmalen Muskeln, die dicht aneinander jederseits der Medianlinie an der Ventralseite des Kopfes verlaufen (Fig. 12 mm.lev.ment.), in ähn- licher Weise wie die dorsalen Mm. medialis labri. Sie entspringen von der Ventralwand des Kopfes, etwas nach hinten von der Vorder- partie des unteren Schlundganglions ; von hier aus dehnen sie sich nach vorn und können bis in den Bereich des Mentums verfolgt werden, was ich an den Querschnitten bestätigt habe (Fig. 14, 15 und 16 mm.lev.ment.). Diese beiden Muskeln sind vielleicht mit den von Basch (65) bei Termes /Zauz'pes beobachteten M m. levatores menti s. partis basilaris oder Hebern des Grundstückes zu identifizieren, indem sie hier kleine bandförmige Muskeln sind, »die in der Mitte der Innenfläche des Vordergrundstückes vom Unterschlundganglion teilweise bedeckt entspringen, ganz nahe nebeneinander parallel verlaufen und sich am hinteren Kande des Grundstückes zwischen den dort befindlichen Gleitflächen inserieren« (1. c. 70). Nun befinden sich die betreffenden Muskeln bei Termes fast ganz innerhalb des Vordergrundstückes, so daß wir, wenn wir eine Homologisierung als berechtigt voraussetzen, zur Annahme geführt werden, daß bei Gliricola das Submentum, Vorder- grundstück, sich sehr viel mehr nach hinten streckt, als es aus meiner früheren Beschreibung und der Fig. 12 hervorgeht. Wenn meine hier oben ausgesprochene Auffassung richtig ist, können wir wohl auch die beiden Muskelpaare jederseits der Mm. lev. menti bei Gliricola, die an denselben Querschnitten Fig. 14, 15 und 16 erscheinen, mit den Mm. abductores menti s. partis basilaris 410 Henrik Strindberg, bzw. den mit dem Buchstaben k bezeichneten Muskeln in der Fig. 9 Taf. V bei der Arbeit Baschs homologisiereni. Diese beiden Muskeln sollen jedoch nach Basch von der Lamina basilaris des Kopfskeletts entspringen und also ziemlich langgestreckt sein. Letzteres ist ebenfalls für Gliricola der Fall, wenn sie auch etwas nach vorn von dem ersten Muskelpaar entspringen. Dagegen habe ich nicht entscheiden können, ob sie sich am Tentorium befestigen oder nicht, obschon ich eher aus- sprechen will, daß sie dies nicht tun. 2. Endoskelett2. Der Bau des Tentoriums ist bei Gliricola etwas schwierig zu stu- dieren, erstens, weil es nur von meistens sehr schmalen Partien zu- sammengesetzt ist, zweitens, weil die verschiedenen Teile ein ungemein schmales Lumen besitzen, das an Schnitten sehr wenig hervortritt. An medianen Sagittalschnitten ist von dem Kopfskelett nur eine kleine, dreickige, hellgefärbte Bildung mit fast unscheinbarem Lumen dicht oberhalb der Vorderpartie des unteren Schlundganglions zu sehen (Fig. lltent.). Dies ist die Querspange des Tentoriums, die hier also der Quere nach geschnitten ist. Wenn wir uns den Querschnitten zuwenden, ist es vorteilhaft, mit demjenigen Querschnitt zu beginnen, wo eben die obenerwähnte Querspange des Tentoriums der Länge nach geschnitten ist. Wir können dann ventral und lateral zwei Einstülpungen der Hypodermis bemerken, die nach oben und gegen die Medianlinie gerichtet sind und deren Lumen von einer dicken Chitinschicht aus- gekleidet ist. Diese beiden Einstülpungen gehören dem Tentorium an und entsprechen bei den Insekten im allgemeinen dem hinteren (zweiten) Paare der Einstülpungen des Tentoriums. Sie können nicht als Avahre Sehnen der beiden großen und kurzen Muskeln, die, wie es scheint, an den blinden Enden derselben befestigt sind, ange- sehen werden, indem die Einstülpungen weiter etwas nach vorn dringen und miteinander median verlötet werden. In dieser Weise wird die genannte Querspange des Tentoriums gebildet^. Die beiden 1 Dafür spriclit auch, daß die beiden JMuslieljiaare sowohl bei Termes als bei Gliricola nach vorn konvergierend verlaufen. 2 Dasselbe habe ich nur bei Gliricola studiert, da sie allein wegen der weichen Chitinbekleidung des Kopfes Sehnittstudien erlaubt. 3 Embryologisch wird die Querspange, wie bei den übrigen Insekten, z. B. den Isoptera, von dem vorderen Paare der tentorialen Einstülpungen gebildet, mit denen sich dann die Einstülpungen des hinteren Paares vereinigen. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 411 3Iiiskeln befestigen sich also etwa an der Mitte der Einstülpungen des zweiten Paares. Wenn wir in der Quersclinittreihe weiter nach vorn schreiten, können wir beobachten, daß die beiden Lateralpartien der rohrför- migen Querspange scharf nach vorn umbiegen und in mehreren Schnitten als zwei hellgefärbte, kreisrunde und ziemlich stark lateral geschobene Bildungen mit sehr engem Lumen verfolgt werden können. Wie es aus der Fig. 16, tent ersichtlich ist, wird dies Verhältnis aber abgeändert, indem hier die beiden Kohre der Länge nach geschnitten sind. Dies bedeutet, daß sie — in der Nähe der Antennen {ant) — scharf nach unten (und außen) umbiegen. Sie münden demgemäß etwas nach vorn und an der Unterseite der Antennenbasis mit einer ziemlich breiten und stark chitinisierten Anfangspartie (in dem Querschnitt unmittelbar ^'or demjenigen Fig. 16). An der Umbiegungsstelle der beiden Tentorial- röhren befestigen sich jederseits die Mm. add. und der M. abd. an- tennae. Aus der oben gegebenen Darstellung geht also hervor, daß das Tentorium bei Gliricola prinzipiell wie dieselbe Bildung bei den In- sekten im allgemeinen gebaut ist und seine Entstehung unzweideutig zwei paarigen Einstülpungen, einer vorderen und einer hinteren ver- dankt. Der kompliziertere Bau des Tentoriums, den Holmgeen (08) für die ausgewachsenen Termiten und ich (13) für die Embryonen derselben Tiere nachgewiesen haben, kommt also nicht bei Gliri- cola vor. Die wichtigsten Sehnen des Kopfes sind kürzlich im Zusammenhang mit der Muskulatur desselben Körperteiles behandelt worden. 3. Drüsen. Hinsichtlich der übrigen rein ectodermale'n Organsysteme, wie das Nervensystem, das Tracheensystem, die Oenocyten und die Drüsen habe ich nicht viel zu sagen. Von den letzteren Bildungen ist jedoch zu be- merken, daß eine Drüse mit einem ziemUch kurzen unpaaren Ausfüh- rungsgang basal und an der Oberseite der Unterlippe mündet (Fig. 16 u. 17, spd). Der Ausführungsgang ist im Querschnitt rundlich und mit ziemhch stark chitinisierten Wänden versehen. Die Drüse selbst befin- det sich etwas vor dem unteren Schlundganglion an der Ventralseite des Kopfes und erscheint an Querschnitten als eine zweilappige Bildung, die also an dem fast völlig medianen Sagittalschnitte Fig. 17 nicht ge- schnitten werden kann. Der Mündungsstelle gemäß müssen wir sie als Labialspeicheldrüse bezeichnen und mit der an derselben Stelle 412 Henrik Strindberg, mündenden Drüse bei den Termiten homologisieren. Bei den letzteren liegen jedoch die Drüsenzellen stark nach hinten geschoben un- mittelbar vor dem Kröpfe (vgl. »Embryol. Stud. an Insekten«, Fig. 37 spd). Unter den übrigen Drüsenbildungen finden wir sowohl bei Gliricola als bei Gyropus noch ein Paar, das mächtig entwickelt und in dem Vorderteil des Hinterkörpers gelegen ist. Die beiden Ausführungsgänge münden ein Stück nach vorn von dem Kröpfe in den Oeso- phagus ein. Soweit ich habe beobachten können, sind die beiden Gänge nicht an der Einmündungsstelle miteinander vereinigt. Bei Gliricola sind die beiden Drüsen schon gut an Totalpräparaten sicht- bar. Sie stellen zwei längliche, von einigen großen ein- oder zweikerni- gen Zellen aufgebaute Bildungen dar (Fig. 18 dr)\ die Kerne sind etwas un- regelmäßig konturiert und mit einem großen Nucleolus versehen; der Plasma- inhalt ist deutlich granuliert (Fig. 18 dr). In der letzteren Figur sind die Drüsen wegen der kräftigen Entwicklung der Ovarialröhren ziemlich stark beiseite ge- drängt. Bei Gyropus sind die Drüsen da- gegen beträchtlich kleiner und kugel- förmig und können nur an Schnitten beobachtet werden. Wir finden dann, daß die Zellen ziemlich groß und keil- förmig gegen die Mitte der Drüse ver- längert sind. Der Plasmainhalt ist stark granuliert, besonders gegen die Periphe- rie der Drüse, wo der scharf tingierte Kern sich befindet (Fig. 19). Drüsenreservoire 'habe ich weder bei Gliricola noch bei Gyropus beobachtet. Fig. 18. Junges G/irico?a-Männchen von der Dor- salseite gesehen. Flg. 19. Vorderilarnulrüsc bei Gyropus der Länge nach geschnitten. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 413 Ein historisches Eesmiie über die letzteren Drüsenbildungen ist für die Mallophagen schon von Snodgrass (99) gegeben, weshalb ich hier nur auf seine Arbeit hinweisen kann. Er nennt sie »SaUvary Organs« und sagt u. a. darüber: »As far as is known, all species of Mallophaga possess two pairs of salivary glands; in some cases there is evidence that only one of each pair is a gland, the other being a reservoir<< (1. c. 165). Bei Gliricola und Gyropus finden wir somit hinsichthch der Drüsen einfachere Verhältnisse, die wohl als eine ursprünghche Eigenschaft angesehen werden können, da diese Mallophagen sich auch in andern Organsystemen primitiv verhalten und daher auch systematisch nied- rig gestellt worden sind. Bei den Termiten gibt es kein Homologon. 4. Geschlechtsorgane. 1. Männchen. Gliricola. Die Geschlechtsorgane des Männchens können teilweise schon an mit Boraxcarmin gefärbten Totalpräparaten ziemlich gut studiert wer- den. Dies gilt bei jungen, noch nicht geschlechtsreif en Tieren nur für die mesodermalen Organteile und erst an älteren geschlechtsreifen Tieren zum Teil auch für die ectodermalen. Denn es ist schon hier zu erinnern, daß bei der Entwicklung bis zur Geschlechtsreife die ersteren Organteile stark an Größe zunehmen und dabei eine andre Gestalt und Lage annehmen; dasselbe ist auch und noch mehr für die letzteren Organteile der Fall, und dazu kommt, daß sie erst postembryonal zur Ausbildung gelangen, in der Meinung nämhch, daß sie während des Embryonallebens vermißt werden. a. Studien an Totalpräparaten. Ein ziemlich junges, noch nicht geschlechtsreifes Männchen ist in der Fig. 18 von der Dorsalseite gesehen abgebildet. Die Medianpartie des Hinterkörpers ist größtenteils von dem breiten Mitteldarm (md) eingenommen. Lateral von der Medianlinie bemerken wir jederseits drei ovale in der Längsrichtung des Tieres eingestellte Körperchen, die die Testes (t) repräsentieren, und von denen die der Unken Seite etwas mehr nach vorn geschoben sind. Die Testes sind alle mit dünnen, kurzen Stielen jederseits an einem gemeinsamen Strang (vd) befestigt, der nach hinten läuft und das Vas deferens bildet. In der Nähe der Analblase, die sich durch die deutlich hervortretenden Analdrüsen {ad) 414 Henrik Strindberg, kennzeichnet, und ventral von derselben gehen die beiden Vasa defe- rentia in die Ectadenien {ehd) überi. Mit Ectadenien, Esche- rich (94), meine ich drüsenartige Säckchen, die dem distalen Ende des Ductus ejaculatorius ansitzen und bei Gliricola durch doppelte, bei Gyropus durch einfache Längsteilung einer einheitlichen, ectoder- malen Anlage hervorgegangen sind. Bei Gliricola werden von den vier tSäckchen die beiden medianen bei geschlechtsreifen Tieren zur Auf- nahme von Spermatozoenbündeln verwandt und können daher wenig- stens physiologisch als Samenblasen, Vesiculae seminales, be- trachtet werden. In morphologischer Meinung verdienen sie aber nicht diese Bezeichnung, indem ja die Samenblasen mesodermal sind und als blasenförmige Erweiterungen an den Vasa deferentia auf- treten. Die bisher von Snodgräss (99) u. a. verwandte Terminologie hinsichthch der männlichen Geschlechtsorgane der Mallophagen braucht daher eine Revision, indem die sogenannten Vesiculae seminales, »seminal vesicle<<, tatsächlich Ectadenien sind, während, wie ich schon hier erwähnen will, wahre Samenblasen vermißt werden. Bei Gliricola sind sie schon in diesem Stadium ziemlich gut ersicht- lich und stellen zwei Paar Säckchen dar, von denen das erstere vordere rundlich, das zweite hintere dreieckig ist. Die ganze Bildung liegt noch median. Bei etwas älteren Tieren tritt die obenerwähnte Größenzunahme und Lageveränderung der mesodermalen Geschlechtsteile ein. Die Testes schwellen stark an, wodurch sie teils mehr nach vorn, teils auch einander nähergelegen scheinen und eine mehr rundliche oder birn- förmige Gestalt annehmen. Auch können wir ohne Schwierigkeit zahlreiche Bündel von Spermatozoen beobachten, deren dicht anein- ander liegende Köpfe als stark lichtbrechende Punkte hervortreten. Die Spermatozoenbündel befinden sich in der Hinterpartie der Testes, während vorn die Zellen ihr früheres Aussehen besitzen. Die Vasa deferentia laufen nicht länger gerade nach hinten, sondern biegen nach einer Strecke stark median und nach vorn um. Dies deutet darauf hin, daß die ectodermalen Ectadenien nicht dieselbe Lage wie vorher beibehalten. Dies ist tatsächlich auch der Fall, indem sie nach vorn geschoben sind, was vielleicht mit der kräftigen Entwick- lung des ebenfalls ectodermalen Ductus ejaculatorius in Zusammen- hang zu setzen ist. Mit der Laoeveränderung; der Ectadenien erfolgt ^ Die Ectadenien entsprechen der sogenannten »accessorischen Secrctions- driisc«, Kramer ((>!»). Zur Entwicklungsgescliiclite und Anatomie der ]MalIopliagen. 415 gleichzeitig ein Wachstum in die Länge, so daß die beiden Blasen des vorderen Paares als zwei längliche, schmale Bildungen hervortreten, die dicht aneinander median liegen und von den allerdings etwas kür- zeren Blasen des zweiten Paares lateral umfaßt werden. Hinten er- scheint das Anfangsstück des Ductus ejaculatorius, der als ein ge- rades Rohr nach hinten zieht. Das definitive Aussehen der Geschlechtsorgane an Totalpräpa- raten geht aus der Fig. 20 hervor. Dieselbe repräsentiert den Hinter- körper eines völhg geschlechtsreifen Gliricola-Wännchens von der Ven- tralseite gesehen. Von den Testes {t) und den Vasa deferentia (vd) ist nichts Neues liinzuzufügen. Dagegen sind die Ectadenien (ekt) wieder sehr stark ver- größert und befinden sich nach der einen Seite und nach vorn geschoben, so daß hier ihre Vorderpartie sich an derselben Höhe wie die beiden Testes des ersten Paares befindet. Der Ductus ejaculatorius (de) ist nicht länger überall ein gerades Rohr, son- dern in seinem Anfangsstück stark ge- krümmt und übrigens von einer ziemlich breiten und sehr langen, chitinösen Spange (hp) von unten verborgen. Dieselbe ist in der Medianpartie an ihren Rändern stärker chitinisiert und hört vorn in der unmittel- baren Nähe der Basalpartie der beiden me- dianen Ectadenien mit scharfem Rande plötzhch auf (vgl. Fig. 20!). In den letzten Abdominalsegmenten bemerken wir in diesem Stadium auch ein nach hinten zugespitztes Feld, das von Chitinhöckerchen besetzt ist und lateral von demselben jederseits eine chitinöse, leicht gebogene Partie. Die hier kürzUch beschriebenen Veränderungen hinsichtlich der Geschlechtsorgane bis zur Geschlechtsreife des G^^mcofe- Männchens gehen aus einem Vergleich zwischen den beiden Abbildungen, Fig. 18 und 20, gut hervor. Fig. 20. Ein völlig geschlechtsreifes Gliricola- iMännchen von der Ventralseite ge- sehen. b, Studien an Schnitten. Die unten oeoebene Darstellung habe ich an Kombinationen von Längs- und Querschnitten begründet, da diese Methode mir hier am 416 Henrik Strindberg, meisten vorteilhaft erscheint. Dies gilt vor allem von denjenigen Teilen der männlichen Geschlechtsorgane, die dem Ectoderm ent- stammen, während die mesodermalen speziell an Querschnitten gut studiert werden können. Als ectodermale Bestandteile habe ich unten die Ectadenien, Escherich (94), den Ductus ejaculatorius, den Penis und den Basalplattensack nebst Basalplatte behandelt, während die mesodermalen von den Testes und den Vasa deferentia repräsentiert werden. Die ectodermale Natur der ersteren Teile geht erstens aus ihrer (postembryonalen) Entwicklungsgeschichte, zweitens aus ihrer Chitinbekleidung ohne weiteres hervor. Letztere wird bei den Ectadenien vermißt; hier lehrt aber ihre Entwicklung, daß es sich um rein ectodermale Bildungen handelt. Die ectodermalen Teile werden sämtlich aus einer gemeinsamen Anlage der Hypodermis gebil- det, die an sehr jungen Tieren als eine Einstülpung der Hypo- dermis ventral zwischen dem neunten und zehnten Abdomi- nalsegment erscheint. Die Ein- stülpung ist schon von Anfang an mit dicken Wänden ver- sehen und dringt in horizon- taler Richtung rasch in die Dabei wird dorsal eine Partie der im übrigen dünnen Hypodermis mit eingezogen, so daß hier keine Faltenbildung hervor- gerufen wird, wie es jedoch ventral der Fall ist (Fig. 21). Aus Sagittalschnitten, die jederseits der Medianlinie etwas lateral gelegt sind, und aus Querschnitten geht hervor, daß an dem blinden Ende der verdickten Hypodermispartie eine Differenzierung im Gange ist und daß hier jederseits zwei rundhche Ausstülpungen entstehen, die die Loben der vier Ectadenien repräsentieren. Der Rest der ver- dickten Hypodermispartie Avird also in den folgenden Stadien in den Ductus ejaculatorius^ den Penis und den Basalplattensack mit Basalplatte umgewandelt. Diese Umwandlungen werden aus der Fig. 22 ersichtUch. Die- selbe stellt einen medianen Sagittalschnitt durch das Hinterende eines ziemlich alten Gliricola-Mimnchens dar und zeigt von den Ectadenien nur das gemeinsame Anfangsstück {ekd). Von hier aus strecken sich die vier Ectadenien nach vorn als vier miteinander parallel liegende [iiiterkörperspitze Fig. 21. Medianer Sagittalschnitt durcli die eines selir jungen Gliricola-'MÄnncb.en unmittelbar vor nn^pfp einer Häutung. J Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Älallophagen. 417 rohrförmige Ausstülpungen, von denen jedoch die beiden medianen etwas länger sind als die lateralen. Wir haben es also hier wieder mit einem soeben beschriebenen Stadium zu tun (siehe Studien an Total- präparaten), das zwischen den Stadien Fig. 18 und 20 liegt. An Quer- schnitten untersucht, finden wir die vier Loben in Fig. 23 Ä, ehd wieder. Die beiden medianen sind immer in der Höhe etwas ausgezogen, während die beiden lateralen eine rundliche Gestalt besitzen. Für alle sind aber die mehrschichtigen Wände und die zahlreichen Teilungs- spindeln zu bemerken. Letztere zeigen ein lebhaftes Wachstum, was auch in späteren Stadien durch die Größenzunahme der betreffenden Teile zum Ausdruck kommt, während sich gleichzeitig die epithelialen Wandzellen in einer einzigen Schicht anordnen. " Nach hinten setzen sich die Ectadenien zusammen in ein gerades, ziemlich weitlumiges Kohr, den Ductus ejaculatorius (Fig. 22 und Fig. 22. Medianer Sagittalschnitt durch die Hinterkörperspitze eines noch niclit gesclüeclitsreifen Gliricola- Jlänncliens. 23 de), fort. Sowohl an den Längs- als an den Querschnitten finden wir, daß die Wand desselben zweischichtig ist. Die äußere Schicht wird zur Muscularis, während die innere eine chitinöse Bekleidung ausscheidet. Dies tritt aber erst etwas später ein. Eine Strecke weit nach hinten geht die äußere Schicht des Ductus ejaculatorius verloren (Fig. 22), und letzterer endigt hier, wenn auch in diesem Stadium nicht sehr scharf, zwischen zwei stark ver- dickten Zellschichten. Diese begrenzen oben und unten in der er- wähnten Figur einen ziemHch stark erweiterten Hohlraum und biegen beide plötzUch und unter beträchthcher Verdünnung nach vorn um. Sowohl dorsal als ventral wird in dieser Weise eine Faltenbildung her- vorgerufen, die beide zusammen die Anlage des Penis repräsentieren. Das obere bzw. untere Blatt der beiden Falten dringt in dem Längsschnitt Fig. 22 zuerst nach vorn, um dann nach hinten scharf Zeitsclirift f. wissenscii. Zoologie. CXV. Bd. 28 418 Henrik Strindberg, ZU biegen und in der Nähe der Analöffnung (a) bzw. an der Übergangs- stelle in der oberflächlichen Hypoderniis zu endigen. Durch diesen Verlauf der beiden betreffenden Faltenblätter treten zwei spalten- förmige Hohlräume iji und h-^ hervor, von denen jedoch der ventrale (Ai) sehr viel stärker nach vorn ausgedehnt ist. c/iyp g Fig. 23 a — h. h Querschnitt durch vciächiedeue Partien des Hinterliörpers eines Glincola-yiiinnchens, etwas älter als in Fig. 22. Wir müssen uns hier den Querschnitten Fig. 23 zuwenden, um eine richtige Vorstellung von den erwähnten Verhältnissen zu erhalten. Die Querschnittserie Fig. 23 a — h ist einem etwas älteren Tier, als es die Fig. 22 repräsentiert, entnommen. In der Querschnittserie be- ginnen mv von hinten, um zuerst die ectodermalen und dann die meso- Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 419 dermalen Organteile zu besprechen, da diese letzteren nebst den Ecta- denien mit Vorteil nur an Querschnitten studiert werden können. Die Lage der Querschnitte a — c im Verhältnis zu dem Sagittal- schnitt Fig. 22 ist mit entsprechenden Buchstaben für die Querschnitte a — c bezeichnet. In der ersten Querschnittfigur a finden wir somit wie in allen übrigen Figuren der Querschnittserie peripherisch eine Hypodermisschicht (hi/p), nach außen von einer Chitincuticula bedeckt, und in die Medianhnie dorsal geschoben den überall quergeschnittenen Enddarm (ed). Ventral vom letzteren finden wir in den Fig. a wieder eine ringförmige Zellschicht, die ihre ectodermale Natur durch das Ausscheiden einer Chitincuticula an der Innenseite zeigt, und innerhalb der letzteren noch eine, wenn auch kleinere ringförmige Zell- schicht. Wenn wir zuerst die erstere in den übrigen Figuren der Quer- schnittserie verfolgen, finden wir dieselbe noch in der Fig. e vorhanden, mit den nach innen befindhchen Teilen, die unten besprochen werden sollen, jedoch lateral in Fig. e an zwei Punkten wie verlötet, so daß der früher zusammenhängende Hohlraum in einen dorsalen und einen ventralen zerlegt erscheint.' In dem nächsten Querschnitt Fig. / ist der dorsale Raum schon nicht mehr sichtbar, während der ventrale noch vorhanden ist und in mehreren Schnitten als eine kleine schmale und wie früher dorsoventral abgeplattete Bildung hervortritt (vgl. Fig. 23 e — h, bps). Die Ausdehnung des anfangs zusammenhängenden Hohlraumes ist also dorsal geringer als ventral, was ja ganz mit den Verhältnissen in der Fig. 22 übereinstimmt, wo derselbe Hohlraum eben als die beiden Spalten h und h-^ hervortritt, und von denen der ventrale sich eine Strecke weit nach vorn fortsetzt. Diese Fortsetzung des ventralen Hohlraumes besitzt aber gar nicht überall dieselbe Breite, wie so-, eben angedeutet wurde, sondern wird nach vorn immer schmaler, wie es aus einem Vergleich der Fig. 23 e — h, bps ohne weiteres hervor- geht; sie stellt daher tatsächlich einen vorderen medianen Divertikel dar, der von der Ventralseite des gemeinsamen Hohlraumes ausgeht. Damit steht auch in Zusammenhang, daß die in der Fig. 22 ersichtliche Vorderpartie des ventralen Hohlraumes (Äi) nur an einigen wenigen Längsschnitten hervortritt. Den betreffenden Divertikel habe ich der späteren Verwendung gemäß als Basalplattensack (bps) bezeichnet, indem hier durch Ausscheidung einer chitinösen Schicht an der Innen- seite die Basalplatte {bp) entsteht. Letztere ist dorsolateral, aber nur in ihrer hinteren Partie sehr verdickt; dies geht schon aus den Querschnitten Fig. 23 e und / hervor, indem hier lateral in der dorsalen 28* 420 Henrik Strindberg, Wand des Basalplattensackes die Epithelzellen ziemlich stark in die Höhe gestreckt sind, während sie median und in der ganzen ventralen Wand ein Plattenepithel bilden, was auch für den Basalplattensack in den Querschnitten Fig. 23 cj und h der Fall ist. Es bleibt uns noch übrig, die Anlage des Penis an den Querschnitten zu behandeln^. An Längsschnitten (Fig. 22) tritt die Anlage des Penis als eine dorsale und eine ventrale lamellenartige Bildung hervor; Quer- schnitte aber lehren, daß dieses nur für den distalen Teil der Penis- anlage gilt und daß letztere übrigens eine rohrförmige Ringfalte reprä- sentiert, wenn auch das Lumen dieses Rohres durch Verdickungen und Faltenbildungen der Wände eingeengt wird. An dem Querschnitt Fig. a, der durch den distalen Teil der Penis- anlage gelegt ist, finden wir nur die ventrale Lamelle der betreffenden Anlage als eine etwas nach oben gebogene und plattgedrückte Bildung wieder, die in der Mitte des soeben besprochenen Hohlraumes sich befindet. Ein wenig mehr nach vorn, in dem Querschnitt Fig. h, ist auch die dorsale Lamelle [s) geschnitten, die dreieckig erscheint und von unten von der hier stark nach oben gekrümmten Ventrallamelle umfaßt wird. In dem nächsten Querschnitt Fig. c sind die beiden Doppel- lamellen miteinander derart vereinigt, daß die Schichten der Lamellen ineinander übergehen, wodurch sie nunmehr zwei ringförmige Schichten bilden. Die innere von denselben ist dorsal stark verdickt und dringt knospenförmig nach unten, wodurch das Lumen der Penisanlage als eine etwa halbmondförmige Spalte mit der Konkavität nach oben hervortritt. Das Lumen der Penisanlage ist auch in dem Querschnitt Fig. d ersichtUch, wird aber hier durch seitlich hervordringende Partien der Wand etwas undeuthch. In diesem Querschnitt ist außerdem dorsal von dem Lumen der Penisanlage eine neue, aber sehr viel kleinere rohrförmige Bildung der Quere nach geschnitten. Diese repräsentiert den proximalen Teil des Ductus ejaculatorius, der hier als eine kurze Ringfalte in dem Lumen der Penisanlage hervorspringt (vgl. Längsschnitt Fig. 24rc^e). Diese Ringfalte ist nur durch die Spitze geschnitten und erscheint daher einblätterig und ohne Muscularis. In einem Querschnitt (Fig. e) nach vorn von der Ringfalte finden wir 1 Wie schon früher hervorgehoben wurde, ist die Querschnittserie Fig. 23 a — h einem etwas altern Tiere, als es Fig. 22 repräsentiert, entnommen, so daß nicht immer eine völlige Übereinstimmung zwischen den Längs- und Querschnittbildern herrscht. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 421 also in dem Ductus ejaculatorius (de) zwei Schichten, von denen die äußere zur Muscularis wird (vgl. Längsschnitt Fig. 24). Ventral von dem Ductus ejaculatorius und etwas lateral geschoben ist der Basalplattensack (bps) ersichtlich. Wenn wir wieder nach vorn in der Querschnittreihe schreiten, weitet sich der Ductus ejaculatorius blasenförmig aus, wie es aus dem Längsschnitt Fig. 22 ekd ersichtlich wird. Diese erweiterte Partie bezeichnet die Übergangsstelle zwischen dem Ductus ejacu- latorius und den Drüsenanhängen, Ectadenien, desselben. Letztere Bildungen liegen hier, wie es für den Längsschnitt Fig. 22 hervorge- hoben wurde, miteinander parallel und sind im ganzen vier, von denen jedoch die beiden lateralen etwas kürzer sind als die medianen. In dem Querschnitt Fig. h, eJcd finden wir demgemäß alle vier der Quere nach geschnitten, während noch mehr nach vorn nur die beiden medianen getroffen w^erden. Die Wände der Ectadenien sind, wie schon oben erwähnt wurde, in diesem Stadium noch mehrschichtig, und die zahlreichen Teilungsfiguren deuten auf ein starkes Wachs- tum hin, das auch tatsächlich stattfindet, obschon es erst in pj 24. einem älteren Stadium deutlich Medianer Sagittalschnitt durch die Hinterkörper- ZUm Ausdruck kommt (^ie}^Q ^viU*^ ^^^^^ ^'öl^^S geschlechUveifen Glincola-M&im. \ chens. unten!). Die beiden medianen Ectadenien sind im Querschnitt überall rectangulär, die beiden late- ralen dagegen rundlich. Hinsichtlich der mesodermalen Teile der männlichen Geschlechts- organe ist nicht viel zu sagen. Die Testes (Fig. 23 h, t) sind ziemHch stark angeschwollen und zeigen zahlreiche Bündel von Spermatozoen, die jedoch noch nicht in die Vasa deferentia hinübergewandert sind. Letztere sind außerordentlich dünn und zeigen keine Anschwellung, die als eine Vesicula seminalis gedeutet werden könnte. Wir wollen nun zu den Längsschnitten zurückkehren und dabei den medianen Sagittalabschnitt Fig. 24 zuerst besprechen. Derselbe ist einem nahezu völlio- entwickelten Tier entnommen und zeigt ziem- liehe komplizierte Verhältnisse, die teilweise schon an dem Totalpräparat Fig. 20 eine kurze Besprechung fanden. Im Verhältnis zu dem früheren Stadium (Fig. 22) ist die Chitinisierung sehr viel stärker geworden und 422 Henrik 8triiidberg, streckt sich über alle durch Einstülpung der Hypodermis nach innen gelangte Teile aus. Eine Ausnahme machen nur die Ectadenien, wie wir es später sehen werden. Die mehr bedeutenden Veränderungen, die an dem betreffenden Sagittalschnitt hervortreten, haben es aus- schließhch mit dem proximalen Teil des Ductus ejaculatorius und dem Penis zu tun. Ersterer wird nur ein wenig, und zwar durch die Entstehung der schon oben erwähnten und in das Lumen des Penis hervorspringenden kurzen Ringfalte {rde) abgeändert werden, während letzterer einen kompUzierteren Bau erhalten hat. Dies geht am besten durch einen direkten Vergleich zwischen den Fig. 22 und 24 hervor. Hier sei nur außerdem erwähnt, daß von der Spitze der oberen Lamelle der Penisanlage in Fig. 22 eine kurze Falte nach vorn und unten ent- standen ist, die eine starke, mit Höckerchen besetzte Chitinbekleidung erhalten hat und die an dem Sagittalschnitt als eine stäbchenförmige Bildung er- scheint i. Unmittelbar nach oben von der stäbchenförmigen Bil- dung finden wir eine keulen- förmige Falte, die sich aber nach hinten und ein wenig nach oben streckt und, soweit ich habe beobachten können, von der Basalpartie des dor- salen Blattes der Ventrallamelle der Penisanlage in Fig. 22 entspringt. Der definitive Bau des Penis ist mit der Entstehung der soeben be- schriebenen Faltenbildungen erreicht, so daß in den folgenden Stadien nur eine Verdickung der inneren Chitinbekleidung, und zwar in dem Basalplattensack, wahrzunehmen ist. Dazu kommt nur an der Spitze der Dorsallamelle des Penis eine etwas nach oben gerichtete Einstülpung (Fig. 25), wo die Chitinschicht besonders kräftig entwickelt wird. In den beiden letzten Abbildungen befindet sich der Penis in Ruhelage ; bei der Begattung wird er aber ausgestülpt, wobei wohl die oben er- wähnten Höckerchen auf das Weibchen festhaltend wirken (vgl. Gyro- bus, S. 428, Fig. 29). Zuletzt sei hier einiges über die Querschnittbilder älterer Tiere t, obschon sie prinzipiell wenig Neues im Verhältnis zu den Längs- Stellen und vor allem an der sehen; vgl. Fig. 24 und 25. Medianer Sagittalschnitt durcli die Hiiitcrkörpcispitze eines völlig geschlechtsreifen CHrico^a-lMännchens etwas älter als in Fig. 24. 1 Die Chitinhöckerchcn sind auch an andei Dorsalseite der ventralen Lamelle des Penis zahlreich Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophaf 423 schnitten lehreni. So z.B. stimmt der Querschnitt Fig. 26 a mit dem Querschnitt Fig. 23 h gut iiberein; nur ist an gewissen gut ersicht- lichen Stellen die Chitinschicht stark verdickt worden, und seitlich von der ventralen Lamelle des Penis bemerken wir zwei rundliche, ebenfalls stark chitinisierte Bildungen (p). Die Bedeutung letzterer und die weitere Ausdehnung der stärker chitinisierten Partien in der Wand des Penis geht aus dem mehr nach vorn gelegenen Querschnitt Fig. 26 & hervor, der etwa dem Querschnitt Fig. 23 c entspricht. Die beiden Lamellen des Penis sind hier miteinander in früher beschriebener Weise vereinigt worden, und wir finden die beiden rundüchen Bildungen {f) an der Ventralseite der ursprünghch ventralen Lamelle des Penis als zwei knospenförmige Ausbuchtungen der Wand, von welcher sie also als zwei kurze Stäbchen entspringen. Ihre Bedeutung ist völlig unklar. _€•(/ ed la Querschnitt durch verschiedene Partien des Hinterkörpers eines geschlechtsrcifen Gliricola- Männchens. Dorsolateral von denselben bemerken wir jederseits in Fig. 26 h eine halbmondförmige Partie der Chitinschicht stärker chitinisiert, die die unmittelbare Fortsetzung der schon im früheren Querschnitt angedeu- teten Chitinverdickungen dorsolateral in die ventrale Lamelle des Penis repräsentiert. Es sind sicherlich diese beiden Chitinpartien, die von MjöBERG (10) bei Glirkola und andre Mallophagen als Parameren bezeichnet worden sind. In der Tat stellen sie aber, wie ich es oben dargelegt habe, nicht anders als besonders stark chitinisierte Partien in der äußeren Wand des Penis dar und können also gar nicht, wie es der genannte Verfasser meint, als mehr oder minder selbständige Bil- dungen betrachtet werden und verdienen daher auch keine besondere Beziehung. Solche verdickten Chitinpartien, von denen hier die Rede ist, finden sich auch lateral in der inneren Wand des Penis, wie es aus dem Querschnitt Fig. 26(* und h hervorgeht. In dem Ductus ejaculatorius, denEctadenien und den meso- dermalen G-eschlechtsteilen bemerken wir in der soeben besprochenen 1 Diese Querschnittserie entstammt demselben Tiere, das zuerst als Total- präparat in Fig. 20 abgebildet wurde. 424 Hem-ik Strindberg, Querschmttserie einige Veränderungen, die hier Erwähnung finden sollen. Wie ich schon für das Totalpräparat Fig. 20 hervorgehoben habe, sind sämtliche Teile stark vergrößert und nach vorn und lateral geschoben. Dies gilt auch von dem Basalplattensack, dessen außer- ordenthch abgeplattete Zellen um die Basalplatte einen schleier- artigen Protoplasmabelag bilden, wo die Kerne der Zellen als spärliche^ spindelförmige Bildungen hervortreten. Die Basalplatte selbst ist, wie es der Querschnitt Fig. 26 c lehrt, proximal besonders in den late- ralen Teilen stark verdickt, oben und unten median sehr dünn; mehr distal, also nach vorn, ist ihre Wand dagegen mehr gleichförmig ver- dickt. Nach oben von der Basalplatte finden wir wie früher den Duc- tus ejaculatoriuSj dessen Lumen jedoch nunmehr von einem ein- schichtigen Plattenepithel begrenzt und von Spermatozoenbündeln erfüllt ist. Solche finden sich auch in den Ectadenien, aber nur in _ den beiden medianen (Fig. 27). Diese '*€«**'* "*% ^^^"^ können daher funktionell als ein Paar * * «i » CS S-i^ ^y--- fi Tf^'^''^ Vesiculae seminales betrachtet werden, "^l^l #^* ''"^■'^^^ nicht dagegen morphologisch, da ja wahre S*.'* \^ Samenblasen mesodermal sind. Die Be- '^»*»_ deutung der beiden lateralen Ectadenien Fig- 27. ist dagegen wohl eine secretorische; wenig- Die beiden medianen Ectadenien bei ^^^^^ ^^^^ -^j^ j^-g^, • ^^ ^^^^^ Lumen derscl- Gliricola der Quere nacli gesclinitten. ben ein Koagulat gefunden, das wahrschein- lich auf eine secretorische Funktion der beiden Bildungen hindeutet. Die epithelialen Wände der Ectadenien sind nunmehr einschichtig geworden, und die Zellen derselben für gewöhnüch in die Länge gestreckt. Die Kerne befinden sich alle gegen die äußere Peripherie geschoben und liegen bei den beiden lateralen Ectadenien sehr viel dichter an- einander als bei den medianen; dies ist wenigstens an der Basis der Ectadenien der Fall. Eine schwach entwickelte Muscularis (m) ist vorhanden. Hinsichtlich der mesodermalen Geschlechtsteile ist nur für die Vasa deferentia eine beträchtliche Dickenzunahme hinzuzufügen» und daß sie mit Spermatozoen erfüllt sind. Gyroj)us. a. Studien an Totalpräparateu. Studien an Totalpräparaten geben bei Gyropus im Prinzip nichts Neues. Wie bei Gliricola sind drei Paar Testes vorhanden, die bei der Geschlechtsreife an Größe stark zunehmen und dabei, "-eseneinander Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 425 geschoben, an den Berührungsstellen abgeplattet werden. Sie stellen kugelförmige Bildungen dar und stehen mit ziemlich kurzen Vasa deferentia mit den bei der Geschlechtsreife sehr großen Ectadenien in Verbindung. Letztere sind bei Gyrofus nur in Zweizahl vorhanden, birnförmig und mit dünnen Wänden versehen, die den Inhalt von einem gelblichen Koagulat distalwärts und .Spermatozoenbündel proxi- malwärts durchschimmern lassen. Von den Ectadenien geht nach hinten ein deuthch erkennbarer Ductus ejaculatorius, der bei Gyropus mächtig entwickelt ist und bei zunehmender Länge sich in einige kurze Schlingen legt. Den Bau des Copulationsgliedes, des Penis, können wir nicht durch Studien an Totalpräparaten ermitteln. Nur ist zu bemerken, daß derselbe sehr groß und mit zahlreichen Haken versehen ist. b. Stadien an Schnitten. Wegen der obenerwähnten Größe des Copulationsgliedes bietet Gyropus ein vorteilhafteres Objekt für die Schnittstudien, und ich will ^ 1:, m ab ad Fig. 28. Medianer Sagit talschnitt durch den Hinterkörper eines völlig geschlechtsreifen Ci/;-öp«s-Männchens. wie bei Gliricola mit diesem Teil des männlichen Geschlechtsapparates auch bei Gyropus beginnen. In Fig. 28 ist ein medianer Sagittalschnitt durch den Hinterkörper eines völlig geschlechtsreifen Gyropus-Männ- chens wiedergegeben. Ein Vergleich mit den Verhältnissen bei Gliricola (Eig. 24 und 25) lehrt, daß der allgemeine Bauplan hier derselbe ist, obschon, wie wir sehen werden, die Faltenbildungen und übrigen Einzelheiten sehr viel komphzierter sind. Das Copulationsglied (cop) besteht in dem Längsschnitt aus zwei lamellenförmigen Bildungen, eine 426 Henrik Strinclberg, obere und eine untere, die distalwärts durch eine enge Spalte geschie- den sind. Die Mündung der Spalte nach außen ist die Geschlechts- öffnung (gö). Die beiden Lamellenbildungen sind oben und unten von einem spaltenförmigen Hohlraum {h und hi) begrenzt, der tief nach innen drängt. Dies ist vor allem unten der Fall, wo wir den erwähnten Hohlraum eine ansehnliche Strecke weit nach vorn verfolgen können. Hier wie bei Gliricola lehren Querschnitte, daß tatsächhch das Copula- tionsgiied von einem cyhndrischen Hohlraum umgeben ist, der an der Ventralseite durch einen sehr langen Divertikel nach vorn fortgesetzt wird. Letzterer stellt den Basalplattensack (hps) dar und ist speziell lateral mit dickem Chitin ausgekleidet. Überhaupt tritt die Basal- platte ihf) schon an Totalpräparaten als eine mächtige Bildung hervor, die von bedeutender Breite sich nach vorn streckt und hier etwa an der Übergangsstelle zwischen Ductus ejaculatorius und den beiden Ectadenien endigt. Hinsichthch des Baues der beiden Lamellen des Copulationsgliedes ist nur weniges an medianen Sagittalschnitten zu erkennen. Wir können aber dorsal eine stärker chitinisierte Partie beobachten, die nach hinten durch eine wenig tiefe Einstülpung der Dorsal wand ab- gegrenzt ist. Solche Chitinpartien finden wir auch an der ventralen Wand der ventralen Lamelle, wie speziell basal an der Innenseite der beiden Lamellen. Hier sind sie außerdem mit groben, etwas nach hinten gerichteten Haken versehen, die übrigens auch über dem größten Teil der in dem Längsschnitt ersichtlichen Oberfläche der Lamellen vorkommen, ohne daß gleichzeitig die Chitinschicht eine bedeutendere Dicke erreicht. Wie bei Gliricola umfassen die Lamellen zwei andre (vgl. Fig. 28 mit den Fig. 24, rde). Diese sind aber sehr viel kleiner, schmäler und besitzen keine Hakenbildungen. Sie bestehen je aus zwei dicht aneinander gedrückten Blättchen, die ineinander distal übergehen, und stellen in der Tat eine Ringfalte dar, die ziemUch weit nach hinten in den von den beiden erstgenannten Lamellen begrenzten Hohlraum hervorspringt, wobei die ventrale Lamelle sich eine kurze Strecke länger nach hinten ausdehnt (vgl. Fig. 28). Zwsichen beiden findet sich ein enger Kanal, der den Hinterteil des Ductus ejacula- torius {de) repräsentiert. Die Lamellen stellen also ebenfalls die distale Partie derselben Bildung dar. Von hier aus setzt sich der Ductus ejaculatorius als ein enges Rohr nach vorn fort. Die AVände be- stehen immer aus einer einfachen Schicht von Epithelzellen, die an der Innenseite eine Chitincuticula ausgeschieden haben. Mehr nach vorn bemerken wir, daß die Epithelschicht einige kurze Falten bildet und Zur Entwicklungsgeschiclite und Anatomie der Älallophagcn. 427 dadurch mehrschichtig erscheint, um zuletzt in den eigeutHchen Ductus ejaculatorius überzugehen. Letzterer ist von der hinteren Partie in mehreren Hinsichten geschieden: X,_Die Wände sind hier von zwei Zellschichten aufgebaut. Die innere Schicht besteht fortwährend aus einem Plattenepithel, das jedoch keine Chitincuticula aufweist, wäh- rend die äußere von einer sehr kräftigen Muskulatur gebildet wird. Es handelt sich hier, wie bei Gliricola, nur um eine Eingmuskulatur, wo die einzelnen Bündel der Quere nach geschnitten als große, rund- liche, schwärzUch gefärbte Bildungen hervortreten (Fig. 28 rm). 2. Das Rohr und auch das Lumen ist beträchthch erweitert und bildet mehrere Schlingen in dorsoventraler Richtung. Fig. 28a. Die Ectadenie der einen Seite von demselben Gyropus-Männchen wie in der Fig. 28, der Länge nach geschnitten. Der Bau der Ectadenie n geht aus dem Längsschnitt Fig. 28 a hervor und soll weiter unten behandelt werden. Ehe ich zur Bespre- chung der Querschnitte schreite, will ich aber auf die Fig. 29 aufmerk- sam machen, da die soeben beschriebenen Verhältnisse hier in noch deuthcherer Weise hervortreten. Dieselbe stellt, wie die frühere Figur, einen medianen Sagittalschnitt durch den Hinterkörper eines Gyropus- Männchens dar, wo aber das Copulationsglied ausgestülpt ist^. Zuerst bemerken wir infolge der Ausstülpung des CopulationsgUedes eine Streckung des Ductus ejaculatorius, wodurch die Falten- bildungen und SchHngen, die oben beschrieben wurden, verloren ge- gangen sind. Vor allem ist die Streckung der einer Muscularis ent- behrenden Partie eine beträchthche, was ohne weiteres aus einem Vergleich zwischen den Fig. 28 und 29 hervorgeht. Es handelt sich 1 Eine Ausstülpung des Copulationsgliedes findet öfters beim Fixieren mit der Flüssigkeit Flemmixgs statt. 428 Henrik Strindberg, hier in der Tat um mehr als eine Verdoppelung der Länge. Auch ist der Ductus ejaculatorius stark erweitert worden; dies steht wenig- stens teilweise sicherlich mit dem Vorhandensein der großen Samen- patrone (sp) in Zusammenhang, die, in einer der beiden Ectadenien gebildet, nach hinten gegen die Geschlechtsöffnung (^ö) eine Strecke weit gedrungen ist. (Die Bildung und der Bau derselben sind unten im Zusammenhang mit den Querschnittstudien über die Ectadenien behandelt.) Von dem Körper der Samenpatrone ist vorn eine große, kugelrunde, hinten eine kleinere, langgestreckte Partie abgegliedert. Erstere bestellt aus einem gelblichen Koagulat, ringsum von einer schwarzen Kindenschicht umgeben, ähnlich wie die eigentHche Samen- W bp de rm Fig. 29. Medianer Sagittalschuitt durch den Hinterkörper eines völlig geschlcchtsrcifeu &'(/roi3((.s-Mänuchcn3 mit aussestülptem Copulationsglied (cop). patrone, wo außerdem eine Menge von Spermatozoenbündeln vorhan- den sind. Letztere besteht dagegen nur aus einer schwarzen Substanz und befindet sich in der unmittelbaren Nähe der Geschlechtsöffnung {(fo), in dem hintersten Teile des Ductus ejaculatorius, wo derselbe die beiden inneren Lamellen, die Ringfalte, bildet. Letztere sind hier von derselben Länge, indem sich die ventrale etwas verkürzt hat. Dies ist auch für die beiden Lamellen des Copulationsgliedes {cof) der Fall, wenigstens hinsichtlich der nach innen gewandten Wände, indem die früher am meisten nach hinten gelegenen inneren Wandpartien auf die äußeren Wände übergreifen und hier die am meisten nach hinten ge- legenen Teile derselben bilden. Die Verlängerung der äußeren Wände wird auch durch eine andre Tatsache bedingt, diejenige nämlich, daß Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Malloi^hagen. 429 der Hohlraum (li und h-i), der dorsal und ventral in Fig. 28 die beiden Lamellen des Copulationsgliedes umgibt, in Fig. 29 weniger tief nach vorn eindringt, d. h. bei der Ausstülpung des Copulationsgliedes ist auch die dorsale Wand des dorsalen Hohlraumes mit ausgezogen. Hier- durch erhalten wir eine natürliche Erklärung nicht nur über die be- deutende Verlängerung der erwähnten Außenwände, sondern auch dar- über, daß die in Fig. 28 stärker chitinisierte Partie in der dorsalen Wand der dorsalen Lamelle des Copulationsghedes in Fig. 29 sehr weit nach hinten gelagert worden ist. Ähnhches gilt auch für die ventrale Chitinverdickung in der ventralen Wand der ventralen Lamelle. Hier ist aber zu bemerken, daß der ventrale Hohlraum nach vorn den früher erwähnten Divertikel, Basalplattensack, aussendet, dessen ventrale AVand infolge der kräftig entwickelten Chitinschicht, Basalplatte, nicht in derselben Weise mitgezogen werden kann. Die Verlängerung der ven- tralen Wand der ventralen Lamelle kommt daher hier dadurch zustande, indem der Basalplattensack nebst der Basalplatte einfach nach hinten rückt, wodurch die Faltenbildungen der betreffenden Ventralwand wohl wenigstens teilweise hervorgerufen werden i. Wäre dies nicht der Fall, sollten wir als Ausdruck des Zurückziehens des Basalplatten- sacks eine Verlängerung der dorsalen Wand der ventralen Lamelle des Copulationsghedes erwarten, was ja aber tatsächhch nicht stattfindet, sondern vielmehr eine starke Verkürzung. Daß wirküch auch eine Verschiebung in der ventralen Lamellenwand stattfinden muß und zur Verlängerung derselben beiträgt, können wir aus der Lageveränderung der Faltenbildung j) ermitteln (vgl. Fig. 28 und 29, p). Die Bedeutung dieser Faltenbildung ist unten im Zusammenhang mit der Beschrei- bung der Querschnittbilder näher behandelt worden. Durch das Zurückziehen des Basalplattensacks wird auch in der ventralen Wand des ventralen Hohlraums eine Veränderung hervor- gerufen, die in einer sehr starken Vergrößerung der kleinen Falten- bildung jh in Fig. 28 sich bemerkbar macht, so daß dieselbe in der Fig. 29 zumal eine Strecke weit den Hinterrand des Sternites des IX. Abdominalsegmentes überragt. Die Falte ist hier an der Spitze keulenförmig und mit schmaler Basis versehen. Daß es sich eben um eine Vergrößerung der in der Fig. 28 ersichthchen kleinen Falte handelt, scheint mir unzweideutig, da die größere Falte in Fig. 29 sich ganz an 1 Daß der Basah^lattensack nebst Basalplatte wirklich eine Strecke weit nach hinten rückt, ist sehr leicht zu beobachten, wenn man die Lage der Vorder- partie desselben vor und nach der Ausstülpung des Copulationsghedes bei gleich großen Tieren bestimmt. 430 Heiirilc Strindberg, derselben Stelle befindet und die früheren Verhältnisse in der Lage und der Muskulatur des öternites des IX. Abdominalsegmentes immer beibehalten werden. So z. B. finden wir in beiden Figuren, daß die freie Hinterspitze des betreffenden Sternites etwas mehr nach hinten als die entsprechende Partie des Sternites des X. Abdominalsegmentes gelegt ist und hier als Befestigungspunkt für Liingsmuskeln {Im) dient (vgl. Querschnitt Fig. 30a ?m)- Ich Vv'ill hier die Gelegenheit ergreifen, um einiges über die Genital- muskulatur beim Gyropus-Männchen zu sagen. Dieselbe ist sehr kräftig entwickelt und eignet sich daher viel besser als bei Gliricola für eine nähere Beschreibung. Zur Genitalmuskulatur können wir wohl nur diejenige rechnen, die bei den Bewegungen der verschiedenen Ge- schlechtsteile direkt eine Eolle spielt, indem sie sich an verschiedenen Geschlechtsteilen befestigt oder als King- und Längsmuskulatur der- selben Teile ausgebildet ist. Zu den ersteren gehören vor allem die starken Retractoren des ausgestülpten Copulationsgliedesi. Sie entspringen größtenteils von der Vorderpartie der Basalplatte und ziehen jederseits der Medianlinie als starke Bündel nach hinten, um sich an den basalen Teilen der Ring- falte des Ductus ejaculatorius zu befestigen, etwa an derjenigen Stelle, wo die Außenblätter der betreffenden Ringfalte in die Innen- blätter der Ringfalte des Copulationsgliedes übergehen (Fig. 28 cof). Die Oberfläche dieser letzteren, also die Innenfläche der Ringfalte des Copulationsgliedes im ganzen, ist stark chitinisiert und besitzt, wie es scheint, eine schuppige Skulptur, wo die einzelnen, länghchen Schuppen an ihren nach hinten gerichteten Spitzen je einen kräftigen Chitinzahn aufweisen. Die Chitinzähne treten in der Fig. 28 dorsal und ventral von der Ringfalte des Ductus ej aculatorius als die früher erwähnten Hakenbildungen hervor; ventral finden wir auch die Schuppen, da in dem Schnitt die innere Oberfläche der Ringfalte des Copulations- ghedes getroffen ist. Zu der zweiten Gruppe der Genitalmuskulatur gehören die ebenfalls früher erwähnten, kräftigen Ringmuskeln des Ductus ejaculatorius (Fig. 28 rm), wie eine sehr wenig entwickelte Ringmuskelschicht der beiden Ectadenien (siehe weiter unten S. 436). 1 Die Ausstülpung des Copulationsgliedes wird wohl teils von den kräftig entwickelten dorsalen und ventralen Segmentalmuskeln, die beim Zusammen- ziehen den Hinterkörper verkürzen, teils von den dorsoventral verlaufenden Muskeln, die beim Zusammenziehen den Hinterkörper abplatten, bewirkt. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagcn. 431 Nach dieser Darstellung über den Bau der Geschlechtsorgane und speziell deren niederen Teilen an Längsschnitten, müssen wir uns hier wie bei Gliricola Querschnitten zuwenden, um eine richtige Vorstellung über diese Organteile erhalten zu können. Wir beginnen mit dem Querschnitt Fig. 30 a, der durch die Hinterpartie des Copula- tionsgliedes eines vollerwachsenen Männchens gelegt isti. Dorsal bemerken wir den plattgedrückten Enddarm {ed) und ventral ist der /p ed p Im C Fig. ma—d. d Querschnitte dui-ch verschiedene Partien des Copiüationsgliedes eines völlig gcschlechtsreifen Gj/ropMS-Männchens. Sternit des IX. Abdominalsegmentes geschnitten. Zwischen diesen bei- den Teilen tritt ein zusammenhängender Hohlraum hervor, den ich hier, wie in den übrigen Querschnitten, mit dem Buchstaben h bezeichnet habe und der in dem Längs schnitt Fig. 28 der früher erwähnten dorsalen und ventralen Spalte (h und hj) entspricht. In der Mitte des Hohl- 1 Hier wie in den übrigen Querschnittbildern ist nur die Genitalpartie der Schnitte wiedergegeben. 432 Henrik Strindberg, raumes in Fig. 30 a müssen wir also das Copulationsglied wiederfinden. Dieses ist hier aus einer dorsalen und einer ventralen Lamelle (cop) ge- bildet, von denen speziell die erstere sowohl oben als unten mit zahl- reichen, kurzen und groben Haken besetzt ist. Diese dorsale Lamelle schiebt nach unten mit zwei ziemlich langen und breiten Falten, wo- durch in der ventralen Lamelle zwei entsprechende Einbuchtungen hervorgerufen werden. Die lateralen Partien dieser letzteren Lamelle sind stärker chitinisiert, und der spaltenförmige Hohlraum zwischen beiden stellt das Lumen des Penis (Ip) dar. Noch mehr ventral finden wir in dem Hohlraum h zwei dreieckige Bildungen, die eine Strecke weit voneinander geschieden sind und eine dicke Chitinschicht besitzen. Dieser Querschnitt entspricht also prinzipiell völlig demjenigen der Fig. 26a bei Gliricola, so daß ich hier auf einen Vergleich zwischen beiden ganz verzichten kann. Wenn wir von dem soeben beschriebenen Querschnitt nach vorn in der Eeihe fortschreiten, finden wir zuerst eine sehr kurze Strecke ähnliche Bilder wieder, bis wir einem Querschnitt begegnen, der etwa durch die in dem Längsschnitt Fig. 28 ersichtliche kleine Falte in der dorsalen Wand der dorsalen Lamelle des Copulationsghedes geführt ist. Dieser Querschnitt ist in der Fig. 30 b wiedergegeben. Hier sind meh- rere Veränderungen eingetreten, ähnlich wie wir es für Gliricola Fig. 26b beschrieben haben. Das Lumen des Penis {Ip) ist nicht länger lateral gegen den Hohlraum h offen, sondern bildet ein abgeschlossenes Lumen des Copulationsghedes, indem die beiden Lamellen sich lateral miteinan- der vereinigt haben. An der Innenseite können wir wie früher eine Chitinschicht beobachten; letztere ist aber hier etwas dicker und mit zahlreichen hügelförmigen Vorsprüngen versehen, die je einen kurzen, und groben Haken tragen und das Lumen etwas einengen. Letzteres wird aber in noch höherem Maße durch das Vorhandensein der median gelegenen etwa dreieckigen Bildung vi bewirkt, die der ventralen La- melle in dem Hinterteil des Ductus ejaculatorius in Fig. 28 ent- spricht und nach unten in eine scharfe Spitze dringt, wodurch anderseits eine tiefere Einstülpung in der ventralen Wand des Copulationsghedes hervorgerufen wird (vgl. Fig. 30a). Die erwähnte Spitze wird in dieser Weise jedcrseits von einer birnförmigen Bildung oder Vorsprung der ventralen inneren Wand des Gliedes umfaßt. Von dem betreffenden Querschnittbild ist außerdem eine Aus- dehnung der schon im früheren Querschnitt vorhandenen Chitin- verdickungen zu bemerken, die da nur lateral in der ventralen Lamelle beobachtet wurden. In den folgenden Schnitten werden nicht nur Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 433 immer größere Partien der ventralen Lamelle stärker chitinisiert, son- dern neue treten auch auf, wodurch zuletzt, nach der Vereinigung der beiden Lamellen, das in Fig. 30 b wiedergegebene Verhältnis erreicht wird, indem dabei die dickeren Chitinpartien teils in die Innenwand, teils in die Außenwand des Copulationsgliedes zu liegen kommen. Zu- letzt ist auch hinsichtlich der beiden dreieckigen Bildungen ventral in dem Hohlraum h zu erwähnen, daß sie vergrößert und einander genähert sind, sonst aber frühere Verhältnisse aufweisen. Die Annäherung der beiden letzteren Bildungen aneinander findet sehr bald in der Quer- schnittserie eine natürliche Erklärung (Fig. 30c), indem sie, wie es die Figur zeigt, median unter beträchtlicher Verbreiterung miteinander vereinigt werden. Diese mediane Partie ist etwas verdünnt, aber stark chitinisiert und tritt nur an einigen Schnitten hervor, um dann nebst den lateralen Partien völlig zu verschwinden, d. h. sie kann nicht sehr lang sein. Aus den Querschnitten können wir nun den wirklichen Bau dieser in dem ventralen Teil des Hohlraumes h befindüchen Bildung ermitteln. Sie muß aus einer breiten und besonders median stark chitinisierten und abgeplatteten Basis bestehen, von der jederseits ein ziemhch langer, an der Spitze dreieckiger Divertikel ausgeht. Sie muß weiter aus einer Stelle in der Wand des Hohlraumes h durch Ausstülpung entstanden sein, da wir an sämtlichen Querschnitten, wo die Bildung erscheint, eine Matrixschicht beobachten können. Dies alles findet in dem medianen Längsschnitt Fig. 28 wie in den lateralen Schnitten derselben Serie eine Bestätigung, indem median und in der ventralen Wand der ventralen Lamelle des Copulationsgliedes die kleine, platt- gedrückte, mit f bezeichnete Falte die kurze Medianpartie der betreffen- den Bildung repräsentiert, die hier also der Länge nach geschnitten ist. An lateralen Sagittalschnitten muß also, wenn die Deutung der Quer- schnittbilder richtig ist, die Falte immer länger und an der Basis breiter (höher) werden, wie es auch tatsächlich der Fall ist. Bei Tieren mit ausgestülptem Copulationsglied habe ich die Falte in toto beobachten können, da sie dabei ganz frei der Unterseite des Gliedes ansitzt. In dem medianen Sagittalschnitt Fig. 29 finden wir bei p die hier etwas höher gewordene Basalpartie derselben wieder. Wie ich schon hier vorgreifend bemerken will, ist sie, d. h. die Falte, bei Gyropus von Mjöbeeg (10) mißverstanden worden und von ihm als Parameren (?) bezeichnet: »Die Parameren (?) sind von charakteristischer Form, basal- wärts breit, von da an stark zugespitzt und am Außenrande ein wenig ausgeschweift« (1. c. 239). Wie ich oben dargelegt habe, handelt es Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 29 434 Henrik Strindberg, sich aber um eine einheitliche Bildung, die übrigens von Mjöberg bei Gliricola mit den von ihm ebenfalls hier als Parameren bezeichneten, sehr schwach chitinisierten und schwach bogenförmigen Stäbchen jeder- seits des »Präputialsackes << homologisiert sind (vgl. seine Fig. 129). Diese Homologisierung ist unzweideutig richtig; hier will ich außerdem bemerken, daß sie stark chitinisiert sind und als zwei rohrförmigc Falten betrachtet werden können, die, wie es die Fig. 26b p zeigt, lateral und an der Unterseite des Copulationsgliedes entspringen und weiter, daß sie keine gemeinsame Basalpartie besitzen, was ja dagegen bei Gyropus der Fall war. Die Bedeutung der Faltenbildungen ( Gliricola) oder Faltenbildung (Gyropus) habe ich nicht ermitteln können und wage nichts darüber auszusprechen; auch scheint es mir zweifelhaft, ob sie den Namen »Parameren« verdienen, obschon ich der Einheitlichkeit wegen immer die Bezeichnung »Parameren« (p) beibehalten habe. Kehren wir nun zu dem Querschnitt Fig. 30 c zurück. Das Lumen (Ip) des Copulationsgliedes ist wegen der Größenzunahme des letzteren erweitert worden, und die Innenwände sind immer mit von dickem Chitin bekleideten Ausbuchtungen versehen, die die früher erwähnten Haken tragen. Ventral springen zwei Ausstülpungen in das Lumen hinein und stellen die direkte Fortsetzung der beiden birnförmigen Bildungen in Fig. 30 b dar, obschon sie nunmehr keine gemeinsame Basalpartie besitzen. An den medianen Wänden ist die Chitinschicht verdünnt und trägt nur spärliche Hakenbildungen. Zwischen beide tritt wie früher von oben her eine zapfenförmige Verlängerung (Aus- stülpung) ein, die der ventralen Wand des Ductus ejaculatorius entstammt^. Dies findet auch lateral jederseits statt. In dem Ductus ejaculatorius bemerken wir also im Vergleich zu der Fig. 30 b eine bedeutende Größenzunahme in alle Richtungen hin und außerdem in der Mitte eine Chitinschicht, die ein spaltenförmiges und unregelmäßiges Lumen de begrenzt, d. h. es sind hier beide in dem Längsschnitt Fig. 28 ersichtlichen Lamellen des Ductus ejaculatorius geschnitten, woraus wir entnehmen können, daß es sich tatsächlich um eine Ringfalte han- delt, die in das Lumen des Copulationsgliedes nach hinten vorspringt. Die in der Mitte befindliche Chitinschicht ist also von dem inneren Blatte der Ringfalte, die die Oberfläche des Ductus ejaculatorius 1 Auch an der Dorsalseite ist in der Fig. 30c eine niediane, unpaare Ver- längerung der Wand nach unten zu sehen, die übrigens in mehreren Querschnitten an derselben Stelle hervortritt (vgl. Fig. 30d). Zur Entwicklungsgescliichto und Anatomie der Mallophagen. 435 bekleidende Chitinschicht dagegen von dem äußeren Blatte der Ring- falte ausgeschieden. Wenn wir uns in der Querschnittserie der Basis der betreffenden Ringfalte nähern, werden sehr bald die in der früheren Figur beob- achteten Verhältnisse abgeändert, indem 1. die Bildung f schwindet, 2. der Hohlraum h dorsal wie unterbrochen wird, wodurch derselbe halbmondförmig erscheint, 3. die mediane unpaare Verlängerung an der Ventralseite des Ductus ejaculatorius mit der Innenwand des Hohlraumes Ij) an der Spitze verlötet und hier durchbrochen wird, und 4. indem jederseits mehrere Muskeln (Im) sowohl in dem Hohlraum If als in dem Hohlraum zwischen den beiden Blättern der Ringfalte des Ductus ejaculatorius, der nunmehr ventral und median mit dem erstgenannten in direkter Kommunikation steht, auftreten. Alle diese erwähnten Veränderungen gehen aus dem Querschnitt Fig. 30 d hervor. Wenn wir den zweiten Punkt berücksichtigen und den Querschnitt Fig. 30 d mit dem Längsschnitt Fig. 28 kombinieren, ist es deutlich, daß ersterer nach vorn von dem in die Tiefe hineindringenden dorsalen, spaltenförmigen Hohlraum h, der also im Querschnitt nicht erscheinen kann, gelegen sein muß, während ventral der Hohlraum {h) immer hervortritt. Um unser Bild zu ergänzen, brauche ich nur zuletzt zu erwähnen, daß noch mehr nach vorn der Hohlraum h in den Querschnitten im- mer kleiner wird und zuletzt als eine ventral gelegene Spalte erscheint, deren Wände besonders lateral sehr stark chitinisiert sind. AVir haben es hier mit dem früher auch für Gliricola beschriebenen Divertikel, dem Basalplattensack nebst Basalplatte, zu tun. Auch schwinden die übrigen hier oben erwähnten Teile, bis hinsichthch der Geschlechts- organe außer dem Divertikel nur der Ductus ejaculatorius übrig- bleibt (vgl. Gliricola, Fig. 26c). Wie ich schon früher hervorgehoben habe, ist der allgemeine Bau- plan der männlichen Geschlechtsorgane bei Gliricola und Gyropus einander sehr ähnhch. Ich habe jedoch für beide eine eingehende Be- schreibung gegeben, erstens weil die männhchen Geschlechtsorgane der Mallophagen tatsächlich nur wenig und nur in gröberen Zügen bekannt sind, zweitens weil die Verhältnisse bei Gyropus sehr viel komplizierter sind als bei Gliricola. Die wenigen Angaben, die wir für die männlichen Geschlechtsorgane bei den beiden obengenannten Mallophagen be- sitzen, sind außerdem nicht nur mangelhaft, sondern auch teilweise unrichtig, und ich habe daher oben auf einige Irrtümer hinsichtlich 29* 436 Henrik Strindberg, Gliricola und Gyropus aufmerksam gemacht (vgl. übrigens Mjöberg (10) (1. c. S. 239 und Fig. 130). Ehe wir das Kapitel über die männlichen Geschlechtsorgane bei Gyropus verlassen, ist etwas hinsichtlich des Baues der Ectadenien und der Bildung der Samenpatronen hervorzuheben i. Wie früher gesagt wurde, sind die Ectadenien bei Gyropus in Zweizahl vorhanden und bilden bei völlig geschlechtsreifen Tieren zwei birnförmige Säckchen, deren Wände wie bei Gliricola von zwei Zell- schichten aufgebaut sind (vgl. Fig. 28a). Die äußere derselben ist eine dünne, ringförmige Muskelschicht, wo die verschiedenen Muskeln an Längsschnitten als stark plattgedrückte, schwarz gefärbte Bildungen hervortreten 2. Die innere, epitheliale Wandschicht besteht proximal, also in der Nähe des Ductus ejaculatorius, aus ziemhch platt- gedrückten Zellen, während distal die Zellen länger werden. Die Samenpatronen werden gleichzeitig in den beiden Ectadenien gebildet und liegen in dem proximalen Teil derselben jederseits als eine spindelförmige Bildung, die, wie es scheint, die Wand der Ecta- denien nach hinten eine Strecke weit in einem Blindsack hervortreibt. Der Bau der Samenpatrone geht am besten aus dem medianen Längs- schnitt Fig. 29 hervor, wo dieselbe (sp) schon aus der einen Ectadenie getrieben ist und mit der hinteren Spitze sich in der Nähe der Geschlechts- öffnung (gö) befindet, während die zweite Samenpatrone noch in der zugehörigen Ectadenie liegt. Die erstere Samenpatrone ist von dem in dem distalen Teil der Ectadenie ausgeschiedenen Secret, Koagulat, umgeben, das an der Oberfläche schwarz, mehr nach innen aber gelblich gefärbt wird. Andre Partien desselben Secretes befinden sich, wie oben erwähnt wurde, vor und hinter der Samenpatrone, so daß die Ectadenie völlig ent- leert ist^. Innerhalb der von dem Secret gelieferten Wand der Patrone können wir hier und da Epithelzellen beobachten, die um die Masse der Spermatozoenbündel eine Schicht von körnigem Aussehen bilden. Diese Zellen stammen, wie es scheint, von dem Epithel der Ectadenien, an deren medianen Wänden eine lebhafte Zellwucherung stattfindet. Die Zellen der Wucherung dehnen sich über die Oberfläche der gesamten 1 Der Ductus ejaculatorius ist schon früher beschrieben. 2 Bei Trichodectes climax ist die Muskelschicht kräftig entwickelt. 3 Wie es mehr lateral gelegene Längsschnitte lehren, steht die vordere Secretmasse mit der Vorderpartic der Samenpatrone in unmittelbarer Verbindung. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Malloi^agen. 437 Spermatozoenbündel aus und bilden in dieser Weise eine Hülle um die letzteren, wodurch die Samenpatrone ihre Wandschicht erhält. Dazu kommt auch das Koagulat, das die Patrone von außen her umgibt und das obengeschilderte Verhältnis bewirkt. Die epitheliale Wand- schicht der Samenpatrone tritt besonders deutlich hervor, wenn die Patrone noch in der Ectadenie liegt (Fig. 28a). Nach dieser Beschreibung über die männlichen Geschlechtsorgane bei Gliricola und Gyropus müssen wir uns zuerst den Ergebnissen andrer Forscher der Mallophagen zuwenden, um einen Vergleich liefern zu können. Hier soll zuerst die Arbeit Nusbaums (82) über die Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane bei Lipeurus hacilus und Goniocoles hohgaster eine Erwähnung finden, da seine Beobachtungen durch meine Untersuchung an Gliricola im wesentlichen eine Bestätigung er- halten haben. Aus dem Hautepithel entwickeln sich die Anhangsdrüsen, Penis und Ductus ejacuiatorius aus zwei paarigen Hautepithel- verdickungen, die sich zu einem hufeisenförmigen, anfangs soliden Körper vereinigen. In dem vorderen Teile desselben entstehen zwei Höhlen, die sich nach vorn verlängern und die zwei mittleren Schläuche des »birnförmigen Körpers« bilden. Diese entsprechen unzweideutig den beiden mittleren Ectadenienschläuchen bei Gliricola und treten mit den Vasa deferentia in Verbindung. »In dem mittleren Teil des Keimes entsteht eine längliche, unpaare, geschlossene Höhle, und dieser Teil differenziert sich allmählich in einen Ductus ejacuiatorius« (1. c. S. 640), aus dessen Vorderteil zwei seitliche Ausstülpungen hervor- gehen, die den beiden mittleren obenerwähnten Schläuchen anliegen und mit den beiden äußeren Ectadenien bei Gliricola zu homologisieren sind. Ein Penis wird gebildet, indem zwe'i paarige, solide Auswüchse an dem Hinterrand des Mittelstücks des Keimes entstehen, die sich dann aushöhlen und miteinander zu einem unpaaren Penis vereinigt werden. Für Gliricola habe ich hier nur zu erinnern, daß die obenerwähnten Teile der männhchen Geschlechtsorgane aus einer unpaaren Anlage der Hypodermis hervorgehen, die durch Einstülpung in die Tiefe ver- senkt wird, um hier einer Differenzierung in verschiedene Teile zu unterhegen. Daß es sich bei Gliricola um eine unpaare Anlage handelt, scheint mir nicht ganz unwichtig, denn Gliricola ist wohl als eine der niedersten Amblyceren anzusehen, wo ursprünghche Verhältnisse er- 438 Henrik Strindberg, wartet werden können. Ich will damit natürlich nicht aussprechen, daß alle Organsysteme und somit auch die Geschlechtsorgane ursprüng- lich gebaut sein müssen. Unter Voraussetzung aber, daß dies auch für die Geschlechtsorgane der Fall ist, sind die von Nussbaum beobachteten paarigen Anlagen sekundär von einer unpaaren, wie bei Gliricola, her- zuleiten. Übrigens können wir ja nicht entscheiden, was in dieser Hinsicht primär oder sekundär ist. Denn wenn auch die zwei Anheftungs- punkte der beiden Vasa deferentia an der Hypodermis für eine paarige Anlage der ectodermalen Organteile sprechen könnten, so ist die Entstehung einer solchen paarigen Anlage nur unter der Voraus- setzung zu erwarten, daß die beiden Endstücke der Vasa deferentia durch eine genügend breite Hypodermispartie voneinander geschieden sind, während sonst eine unpaare Anlage wohl am meisten plausibel erscheint. Unter den Dermapteren und Orthopteren ist auch von Hey- MONS (95) eine unpaare Anlage angegeben worden; ähnliches gilt eben- falls für Lepisma u. a. (Heymons 97, Wheelee 93). Eine ziemlich ausführliche Darstellung über die Geschlechtsorgane und andre Organsysteme verschiedener Mallophagen verdanken wir Snodgrass (99). Seine Arbeit gewinnt dadurch an Bedeutung, daß seine Beobachtungen sowohl an Totalpräparaten als an Schnitten be- gründet sind. Aus seiner Beschreibung geht hervor, daß die männ- lichen Geschlechtsorgane bei den von ihm untersuchten Mallophagen hauptsächhch nach einem Typus gebaut sind, der bei Gliricola etwa dem Stadium Fig. 22 entspricht. Eine nähere Darstellung ist aber nicht gegeben; dies gilt vor allem von dem Bau des Penis, der hier mit verschieden gestalteten Chitinverdickungen versehen ist und die mit ähnlichen Bildungen bei Gliricola und Gyropus zu homologisieren sind. Diese Verdickungen in der Wand des Penis sind wie bei Gliricola und Gyropus vor allem lateral ausgebildet und stellen in ihrer ein- fachsten Form Chitinbalken dar, die durch Ausdehnung nach oben und unten zuletzt bei gewissen Arten den Penis ganz umhüllen können. Auch basal im Penis tritt ein Chitinstäbchen, z. B. bei Menopon, auf und ist als »internal plate« oder >>rod<< bezeichnet. Letzteres Gebilde entspricht unzweideutig der Basalplatte bei Gliricola und Gyropus, obschon diese hier nicht als ein dem Penis zugehöriger Teil betrachtet werden darf, da sie ja von einem vorderen, medianen Divertikel in der Wand des den Penis umgebenden Hohlraumes ausgeschieden wird. Um einen mehr eingehenden Vergleich liefern zu können, sind detaillier- tere Untersuchungen über die erwähnten Organteile abzuwarten. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 439 Hinsichtlich der übrigen Geschlechtsteile sind unsre Ergebnisse im Prinzip übereinstimmend; nur sind die Ectadenien unrichtig als eine Samenblase, Vesicula seminalis, »seminal vesicle«, bezeichnet. Die Ectadenien scheinen z. B. hei Eurymetopus, Physostomum und Colpocepha- lum wie bei Gliricola viergeteilt zu sein. Speziell ist die Ähnlichkeit mit Eurymetopus bemerkenswert, indem hier auch die Vasa deferentia an derselben Stelle wie bei Gliricola in die Basis der Ectadenien münden. Unter späteren Arbeiten der Mallophagenanatomie ist diejenige Mjöbergs (10) zu erwähnen, vor allem, da der genannte Verfasser auch einiges über die männlichen Geschlechtsorgane bei Gliricola und Gyropus geschrieben hat. Da er aber nicht die Schnittmethode ver- w^andt hat, ist ihm auch vieles entgangen oder unrichtig gedeutet. Hier seien nur einige Berichtigungen geliefert, die speziell für Gliricola und Gyropus gelten. Die Basalplatte wird bei Gliricola folgendermaßen beschrieben: »Die Basalplatte besteht hier aus zwei längUchen Chitinstäbchen, die im proximalen Ende sich zu vereinigen scheinen« (1. c. S. 238). Wie es meine Untersuchungen gelehrt haben, sind diese »Stäbchen« in der Tat nichts andres als die stärker chitinisierten Ränder einer einheit- lichen Basalplatte, die natürlich bei einem oberflächHchen Studium als selbständige Bildungen erscheinen können. Weiter ist ein Penis nicht beobachtet worden, obschon ein solcher als ein wohlentwickeltes Organ vorhanden ist. Dieser Irrtum findet aber in einem andern Irrtum seine Erklärung, demjenigen nämhch, daß der genannte Verfasser den proximalen Teil des Ductus ejacula- torius als einen Penis gedeutet hat. Dieser Auffassung nach sollte der Penis bei Gliricola nur von der kleinen in der Fig. 24 mit rde be- zeichneten Bingfalte repräsentiert werden, die natürlich an Totalpräpa- raten »vermißt« wird. Demgemäß versteht er unter »Präputialsack«: »ein blasenförmiges Gebilde, das rings um den Penis und teilweise auch den distalen Teil des Ductus ejaculatorius sich streckt und an dem distalen Teil der Basalplatte zwischen dieser und den Parameren meistens befestigt zu sein scheint« (1. c. S. 227). Abgesehen davon, daß die Beschreibung über den »Präputialsack« unklar und fehlerhaft ist, haben wir ja eben in dem »Präputialsack« den wirklichen Penis vor uns, wenn wir nämlich unter Penis das Copulationsghed verstehen. Der Vorwurf, den Mjöberg (1. c. S. 238) gegen Snodgrass richtet, daß letzterer den »Präputialsack« völlig übersehen oder mit dem eigent- lichen Penis verwechselt hat, ist daher ohne Bedeutung, da ja Snod- grass das Copulationsglied ganz richtig aufgefaßt hat. 440 Henrik Strindberg, Was ich hier oben für Gliricola gegen Mjöbekg hervorgehoben habe, gilt, in noch ausgedehnterem Maße, auch für Gyropus. Ich will jedoch hier bemerken, daß der genannte Verfasser zugestanden hat, daß er über die männlichen Geschlechtsorgane dieser Form nicht ins klare gekommen ist. Zuletzt ist noch zu erwähnen, daß die von Mjöberg als Vesicula seminalis beschriebene Bildung nur Ecta- denieii sind^. Unter den den Mallophagen nahestehenden Insekten will ich hier speziell die Isoptera in Betracht ziehen. Bei den Termitenmännchen befindet sich nach Hülmgren (08) das Copulationsglied zwischen dem IX. und X. Abdominalsternit, was mit Gliricola und Gyropus über- einstimmt. Der Bau der Geschlechtsorgane läßt sonst keine nähere Verwandtschaft mit den Mallophagen erkennen; dies trifft wenigstens in topographischer Meinung zu. Rein morphologisch ist es ja aber nicht unwahrscheinlich, daß die von Holmgren (08) als Samenblase bezeichnete, kugelrunde Bildung in der Tat eine unpaare Anhangs- drüse, Ectadenie, repräsentiert, wie wir sie bei mehreren Mallophagen kennengelernt haben, während eine wahre Samenblase, Vesicula seminalis, vermißt wird, ganz wie bei den Mallophagen. 2. Weibchen. Gliricola. a. Studien an Totalpräparateu. Studien an Totalpräparaten liefern beim Weibchen wenig Neues, indem nur die Anzahl und Lage der Ovarialröhren sowie die gröberen Züge der äußeren Geschlechtsteile festgestellt werden können. Dies trifft speziell für junge Weibchen zu, wo in dem Hinterkörper die MALPiGHischen Gefäße noch nicht allzu groß sind, um die Bilder zu trüben. In Fig. 31 finden wir den Hinterkörper eines alten Gliricola- Weibchens von der Dorsalseite gesehen abgebildet. Wie es schon NiTzscH für die Amblyceren als charakteristisch angegeben hat, finden wir hier jederseits drei Ovarialrohre, wo jedesmal nur ein Ei zur Reife gelangt, währenddem eine beträchtüche Größe erreicht und dabei nahe- liegende Organe, wie den Mitteldarm und Kropf, beiseite drängt^. Um an Totalpräparaten eine Vorstellung über die äußeren Ge- 1 Auch Grosse (85) nonnt die beiden Ectadenien bei Tetrophthalmus chi- lensis » Samenblase «. 2 Spätere Forscher liaben für verschicdeiu' Amblyceren emo andre Zahl der Ovarialrohre beobachten können. Ein historisches Resume über diese Verhält- nisse ist schon von Snodgkass (99) zusammengestellt worden. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 441 schlechtsteile zu liefern, habe ich in der Fig. 32 die vier letzten Abdomi- nalsegmente von der Unterseite gesehen abgebildet. Ehe ich zu einer Beschreibung schreite, muß ich auch auf die Fig. 33 hinweisen, die einen medianen Längsschnitt durch den Hinterkörper eines Gliricola- Weibchens repräsentiert. Wir finden hier, daß die verschiedenen Seg- mente dorsal und ventral gegeneinander stark verschoben sind, daß das Sternit des VIII. Abdominalsegmentes an zwei Stellen erscheint, und daß die Vorderpartie des Sternits des VIII. Abdominalsegmentes sich ventral und distal befindet, während die Hinterpartie nach innen versenkt ist (Näheres hierüber siehe unten S. 443 !). Wenn wir nun zu der Fig. 32 ■ma/p Ivs Fig. 31. Fig. 32. Hiiiterkörper eines völlig geschlechts- Die vier letzten Abdoniinalsegmente eines noeh nicht ge- reifen ÖZmcoto-Weibchens von der schlechtsreil'en G/frico/a- Weibchens von der Ventralseite ge- Dorsalseite gesehen. sehen. zurückkehren, muß also das Sternit des VII. Abdominalsegmentes bei hoher Einstellung des Mikroskops zuerst hervortreten. Wir können hier die abweichend gestaltete hintere Grenzhnie beobachten. Dieselbe geht nämlich nicht quer über den Körper, sondern bildet eine Bogen- linie und läuft dann nach hinten jederseits in eine scharfe und grobe Spitze aus, die mit zahlreichen Stacheln und Haaren versehen ist. Nach innen von den beiden Spitzen ist die Grenzlinie eine Strecke weit wieder bogenförmig zu verfolgen, um gegen die Medianlinie immer un deutlicher zu werden. 442 Henrik Strindberg, Nach hinten von dem medianen Teil der betreffenden Grenzlinie springt eine kurze Lamelle hervor, die die Vorderpartie des Eternits des VIII. Abdominalsegmentes repräsentiert (vgl. Fig. 33 VIII). In dem Abdominalsegment IX sind die Verhältnisse komplizierter. Lateral bildet das Sternit des betreffenden Segmentes einen flügelartigen und ziemhch scharf gebogenen Vorsprung, >>Gonopode<<, MjÖBERG(lOb), an dessen konkaver Innenwand eine horizontale, dünne Lamelle hervor- zuspringen scheint. An der Ventralseite und etwas nach innen von dem freien Rand derselben sind nebst gewöhnlichen Haaren auch min- destens drei blattförmige Gebilde befestigt, die von Mjöbekg (10) als >> Schüppchen << erwähnt sind. Dorsal und median von den beiden horizontalen Lamellen geht jederseits eine nach hinten gerichtete und der Länge nach gefaltete Bil- dung aus, die an der Spitze ebenfalls drei aneinandersitzende »Schüpp- chen« aufweist (Fig. 32 ?vs). Die Chitinisierung ist hier sehr stark; speziell lateral bemerken wir eine kräftige Chitinleiste, die wie ein Seitenzweig der nach vorn liegenden Chitinspange in die betreffende Bildung eintritt. Median findet sich jederseits noch eine horizontale Lamelle (vs), die an ihrer nach hinten gerichteten Spitze durch eine tiefe Einkerbung von der übrigen Partie der einheitlichen Bildung ab- gesetzt ist. Diese Spitze ist median stark chitinisiert und geht nach vorn in eine gemeinsame Basalpartie über, die feingestreift erscheint und die Analöffnung (a) als eine quergestellte, schmale Spalte in ihrer Mitte trägt. Die Analöffnung nebst umgebender Partie und den beiden letztgenannten Bildungen (Fig. 32 Ivs, vs) gehören dem X. Abdominal- segment an (vgl. Fig. 33). Wenn wir den obenerwähnten chitinösen Seitenzweig nach vorn verfolgen, finden wir, etwa an der Grenze des VII. und VIII. Segmentes einen ähnlichen Zweig, der aber als Stütze für die Gonopoden dient. Wir haben es also hier mit einer gabelförmigen Bildung zu tun, die mehr nach vorn einheitlich wird und unter allmählicher Versenkung in die Tiefe plötzlich gegen die Medianlinie biegt und sich hier mit ihrem Visavis vereinigt (ksp). In dem dadurch wohlabgegrenzten und etwa viereckigen Feld bemerken wir einige mit dichten Haarreihen besetzte kleinere Felder, die, wie es die Fig. 32 zeigt, nicht oberflächHch, sondern in der Tiefe liegen. Diese kleineren mit Haaren besetzten Felder sind teils ein ziemlich oberflächlich gelegenes, das mit breiter Basis sich nach vorn als eine dreieckige Bildung erstreckt, deren Spitze abgestumpft erscheint und außerhalb der Grenzlinie des zuerst genannten Feldes liegt, teils auch ein mehr in die Tiefe versenktes, das median eine schmale Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 443 und tiefe, von hinten eindringende Einkerbung aufweist. — Etwas nach, vorn von der letzteren finden wir eine rundliche Partie, die lateral zwei schlauchförmige Divertikel aussendet. Dieselbe stellt, wie wir später sehen werden, eine unpaare Anhangsdrüse {adr) mit ihren beiden Divertikeln dar. b. Studien an Schnitten. Um eine richtige Vorstellung von dem Bau und der Lage der hier oben beschriebenen Teile des weiblichen Hinterkörpers zu erhalten, müssen wir notwendig auch Schnittstudien verwenden. In Fig. 33 ist ein medianer Längsschnitt durch ein Tier von demselben Alter wie das in der früheren Figur wiedergegebene abgebildet. Wir bemerken hier dorsal den Enddarm mit den Analdrüsen (ad) und der Analöffnung (a); ein wenig unterhalb der letzteren erscheint die Geschlechtsöffnung (gö) Fig. 33. Medianer Sagittalschnitt durch den Hinterkörper eines noch nicht gesclilechtsreifeii Gliricola- Weibchens. als eine schmale »Spalte, die sich nach innen ziemlich stark erweitert und hier dem von Snodgrass (99) erwähnten »genital Chamber« [gr) entspricht. Die Dorsalwand dieses »genital Chamber« ist nur schwach chitini- siert; eine Ausnahme finden wir aber mehr nach vorn, wo dorsal eine tiefe, schlauchförmige und kopfwärts gerichtete Einstülpung (adr) ge- legen ist. Diese stellt die soeben erwähnte Anhangsdrüse der weib- lichen Genitalorgane dar, die, wie es Schnitte jederseits der Median- linie bestätigen, mit zwei großlumigen Divertikeln versehen ist. Der Ausführungsgang der Drüse liegt somit genau median und ist, wie die Drüse selber, an der Innenseite mit einer Chitinschicht ausgekleidet, die an den Wänden des Ausführungsganges stark verdickt wird^. 1 An der Innenseite der Drüsen treten Runzehi und Falten auf, die die Ober- fläche vergrößern. 444 Henrik Strindberg, Eine Strecke noch mehr nach vorn bemerken wir eine nach hinten gerichtete, klauenförmige und stark chitinisierte Bildung, die hier fast einen Abschhiß des spaltenförmigen Genitalraumes (gr) bewirkt. Ein solches Bild wird an medianen Sagittalschnitten hervorgerufen, in- dem das in der Tiefe gelegene, behaarte Feld in Fig. 32 hierdurch nur eine kurze Strecke der Länge nach geschnitten werden kann, diejenige nämlich, die nach vorn von der tiefen Einkerbung des Feldes gelegen ist. Demgemäß erscheint auch an lateralen Sagittalschnitten die klauenförmige Bildung sehr in die Länge gestreckt (vgl. Fig. 32). Die ventrale Wand des soeben besprochenen Hohlraumes (gr) ist wie größtenteils die dorsale schwach chitinisiert, aber mit mehreren Querreihen von ziemlich groben Börstchen versehen, die etwa bis unterhalb der dorsalen klauenförmigen Bildung wahrgenommen werden können. Diese mit Haaren besetzte Wand tritt in der Fig. 32 als das dreieckige, mehr oberflächlich liegende Feld hervor, wie ich es oben beschrieben habe, und ist also hier der Länge nach geschnitten. Ehe wir zu einer Beschreibung der Vagina und der mesoder- malen Geschlechtsteile schreiten, müssen wir einige Querschnittsbilder studieren, die einem Weibchen von ganz demselben Aussehen wie in Fig. 32 entnommen sind. Wir fangen mit dem Querschnitt Fig. 34 a an, der durch die Spitze der klauenförmioen Bildung in Fig. 33 «elegt ist. Dorsal ist der End- ö 0 0 0 0 darm (ed) getroffen und tritt ringförmig hervor, ganz wie eine mehr ventrale, aber kleinere Bildung (adr), die nichts andres als die oben- erwähnte Anhangsdrüse {adr) repräsentiert. Noch mehr ventral finden wir einen spaltförmigen Hohlraum, dessen Wand dorsal und ventral von einer Chitinlamelle begrenzt wird. Die ventrale entbehrt hier scheinbar einer Matrixschicht und ist unten schwarz gefärbt und late- ral mit Börstchen versehen. Eine ähnliche schwarz gefärbte Partie ist auch dorsal, aber nur in der Medianlinie zu sehen ^. Die betreffende Chitinlamelle stellt die Spitze der klauenförmigen Bildung in Fig. 33 der Quere nach geschnitten dar, wodurch natürlich ein Matrixlager nicht hervortreten kann. Die Bedeutung der Chitinlamelle und des von derselben von unten her begrenzten Spaltraumes ist mir nicht ganz klar. Vielleicht handelt es sich hier um eine Bildung, die funktionell als Receptaculum seminis wirkt, da ich in dem Spaltraum Spermato- zoenbündel .«befunden habe : wie ich schon hier vorgreifend bemerken will, Die Chitinbckleidung der Hypoderinis ist hier mit grauer Farbe wieder- )en, während die mit schwarz ausgezeichneten Partien stärker chitinisierte Teile repräsentieren, die diese Farbe mit Eisenhämatoxylin erhalten. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 445 finden wir für diese Auffassung bei den Verhältnissen der Termiten, HoLMGREN (08), eine Stütze, indem eben hier in der dorsalen Wand eines ähnlichen Spaltraumes eine unpaare Blase mündet, die von Holm- GREN als »Samen blase« bezeichnet worden ist. Ventral von der soeben besprochenen Chitinlamelle begegnen wir einem wohlentwickelten Hohlraum (gr), der der obenerwähnten »genital Chamber« entspricht. Demgemäß ist die ventrale Chitinbekleidung desselben wie mit kurzen Zacken besetzt, die die der Quere nach ge- schnittenen Haarreihen repräsentieren (vgl. Fig. 33). Die noch mehr Fig. 34 a—/. Querschnitte durch verschiedene Partien des Hinterkörpers eines völlig geschlechtsreifen Gliricola- Weibchens. ventral gelegenen Teile brauchen keine nähere Beschreibung, da die Bedeutung derselben durch einen Vergleich mit dem medianen Längs- schnitt Fig. 33 ohne weiteres hervorgeht. Hier sei nur etwas von den lateral von der Anhangsdrüse gelegenen Chitinspangen (ksp) gesagt. Sie sind schon für die Fig. 32 hinsichtlich ihrer Lage mit einigen Wor- ten beschrieben. An dem Querschnitt Fig. 34 a finden wir dieselben in die Tiefe versenkt, wo sie als kräftiger chitinisierte Partien in der Chitinschicht der dorsalen Wand des »genital Chamber« hervortreten. Mehr nach hinten nehmen sie aber eine oberflächlichere Lage ein, um 446 Henrik Strindberg, zuletzt, wie es der Querschnitt Fig. 34 c ^'sp lehrt, an der Körperober- fläche aufzutauchen und hier basal an der Außenfläche der beiden fiügelförmigen Bildungen (Fig. 32 fh) eine verstärkte Partie der Chitin- bekleidung derselben zu bilden. In dem nächsten Querschnitt (Fig. 34b), der etwas nach hinten liegt, finden wir ähnliche Verhältnisse wie in dem vorigen wieder. Nur ist zu bemerken, daß die Anhangsdrüse sehr verkleinert und innen stärker chitinisiert erscheint, indem hier der Ausführungsgang ge- schnitten ist, und weiter, daß die Chitinlamelle im vorigen Querschnitt als zwei gleich große gegen die Medianlinie hervorspringende Lamellen hervortritt. Letzteres Verhältnis wird natürlich durch das Vorhanden- sein der obenerwähnten tiefen Einkerbung des einheitlichen Feldes hervorgerufen (vgl. Fig. 32). In den folgenden Querschnitten schwinden allmählich die zuletzt beschriebenen Bildungen, wodurch das Bild einfacher wird, und wir können demgemäß in dem Querschnitt Fig. 34 c in der Medianpartie außer dem Enddarm [ed) nur eine weite Öffnung beobachten {gö), die die Mündung des »genital Chamber« repräsentiert, und dessen ventrale Begrenzung nur von der stark chitinisierten freien Spitze der Vorderpartie des Sternites des VIII. Abdominalsegmentes geliefert wird. Lateral finden wir jederseits die frühererwähnte Chitinspange (ks'p), die hier eine oberflächliche Lage einnimmt, und ventral von derselben jederseits eine freie, sternförmige Chitinpartie, die die quergeschnit- tene Spitze des dem Abdominalsegment VII zugehörigen, dreieckigen Ausläufers repräsentiert (vgl. Fig. 32). Der nächste Querschnitt (Fig. 34d) ist durch die Analöffnung (a) gelegt. Der ventral und median liegende Teil, der in der Mitte ein- geschnürt erscheint, ist die Spitze der in der Fig. 33 zwischen Anal- öffnung (a) und Geschlechtsöffnung {gö) befindlichen Partie, die zu dem X. Abdominalsegment gehört, und die als eine freie Bildung nur an einem einzigen Querschnitt hervortritt; sie muß daher in dieser Hinsicht sehr kurz sein. Lateral sind die Flügelbildungen {fh) ge- schnitten, die an der Basis mit einem medial gelegenen Vorsprung des Chitins {vs + Ivs) zusammenhängen (vgl. Fig. 32). In den letzten Querschnitten Fig. 34 e und f treten die beiden Bil- dungen vs und Ivs selbständig hervor. Meine Darstellung über die äußeren Geschlechtsteile des Weibchens bei Gliricola ist hiermit beendigt, und ich habe daher noch den Bau der Vagina und die mesodermalen Geschlechtsteile zu behandehi. Die Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophcagcn. 447 Vagina stellt eine sehr breite, aber englumige Fortsetzung des Genital- raumes dar und erstreckt sich an medianen Sagittalschnitten, wie es die Fig. 33- zeigt, nach vorn bis unterhalb der Analdrüsen (ad) des End- darmes. Dann biegt sie scharf nach hinten, um nach einer kurzen Strecke bald ihre frühere Kichtung wieder einzunehmen. Die Wand der Vagina ist ihrer ectodermalen Herkunft gemäß von einer Hypo- dermisschicht aufgebaut, die an der Innenseite eine Chitinbekleidung und an der Außenseite eine Muscularis besitzt. Erstere zeigt in ihrem distalen Teil einen charakteristischen, wellenförmigen Verlauf, wäh- rend letztere sehr schwach entwickelt ist und nur distal hervortritt (vgl. Fig. 33). In der Gegend der Analdrüsen geht die Vagina in das unpaarige und ebenso breite und englumige Anfangsstück des Eileiters (od) über. Die Übergangsstelle ist durch eine blasenförmige Erweiterung des Eileiters markiert und außerdem daran leicht kenntlich, daß un- mittelbar nach hinten die wellenförmige Chitinbekleidung der Vagina hier scharf endigt. Die blasenförmige Erweiterung ist außerdem mit einer ziemlich wohlentwickelten Muscularis versehen, die an dem Kest des Eileiters überall gut hervortritt. Das unpaare Anfangsstück des Eileiters wird bald in zwei Rohre mit sehr engem Lumen zerlegt, die an ihren distalen Enden in je drei ziemhch lange, ungemein dünne Fädchen übergehen, die ihrerseits mit je einem Ovarialrohr in Verbindung stehen. Ich kann hier ohne weiteres auf eine Beschreibung des Baues der letzteren Teile verzichten, da meine Beobachtungen prinzipiell mit denjenigen von Snodgeass (99) und Gross (05) übereinstimmen. Gyropus. Die weiblichen Geschlechtsorgane bei Gyropus habe ich sowohl anatomisch als entwicklungsgeschichtlich studiert. Wie bei dem Männchen von Gliricola ist die erste Anlage der ectodermalen Geschlechtsteile unpaar und erscheint bei Gyropus als eine unpaare Einstülpung der Hypodermis, die rasch nach vorn dringt. Ich habe hier mit Sicherheit die Lage der Einstülpungsmündung feststellen kön- nen. Sie befindet sich genau median, aber etwas nach vorn geschoben in dem Sternit des VIII. Abdominalsegmentes, der ein wenig breiter als derjenige des VII. Abdominalsegmentes erscheint i. Von 1 Die Entstehung der ectodermalen Geschlechtsteile in der Mitte eines Segmentes ist bei den Insekten ein nicht gewöhnliches Verhältnis, indem sie im allgemeinen interseg mental erscheinen (Palmen, 84, Holmgren, 08, zwischen 448 Henrik Strindberg, hier aus streckt sich die Einstülpung etwas nach oben, um dann nach vorn scharf umzubiegen (Fig. 35). Aus der Figur geht ohne weiteres hervor, daß die Wände der Einstülpung ähnlich wie die Hypodermis im übrigen ziemlich dick sind. Hinten und dorsal ist aber teilweise schon eine Verdünnung eingetreten. Die Einstülpung hört vorn scharf ab- gegrenzt auf und besitzt dorsal schon eine sekundäre Ausstülpung, die die Anlage der später zu besprechenden Anhangsdrüse {adr) repräsen- tiert. Vorn befestigt sich die unpaare Anfangspartie des Oviductes {od) als eine strangförmige Bildung, die noch nicht ein Lumen besitzt, während besonders ventral zahlreiche Zellen (m) zwischen der Einstül- pung und der Hypodermis eingeschaltet sind. Letztere bilden etwas später die Muskeln der bei Gyropus sehr kräftio- entwickelten weiblichen Genitalmuskulatur. Die übrigen in der Fig. 35. Medianer Sagittalsclinitt durch den Hinterkörper eines nicht gesclüechtsreifen Gyropus-W'eihchens. Figur wiedergegebenen Teile sind der zweimal geschnittene Mitteldarm {md) und der Enddarm, der die Analdrüsen (ad) aufweist und in das X. Abdominalsegment mündet. Querschnitte durch die Einstülpung zeigen nur, daß letztere dorsoventral stark plattgedrückt und ziemlich breit ist. Von den folgenden Entwicklungsstadien brauche ich hier keine Abbildung zu geben, da in den Geschlechtsorganen nur kleinere Ver- änderungen sich bemerkbar machen. Sie bestehen vor allem in einem starken Längenwachstum der ectodermalen Organteile und in der Aus- bildung von Muskelfasern; auch erhält der Eileiter ein deutliches Lumen den Stemiten des VII. und VIII. Abdominalscgmcntes). Nach Ntjsbaum (82) ent- stehen sie aber bei Lipeurtts und Ooniocotes im vierten, bei Blatta zwischen vor- letzten und letzten Abdominalsegment. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 449 und eine Muscularis, ist aber sonst wie früher noch von der Ectoderm- einstülpung scharf abgegrenzt. Das definitive Aussehen der weiblichen Geschlechtsorgane bei Gyropus ist in dem medianen Sagittalschnitt Fig. 36 wiedergegeben. Ein Vergleich mit der Fig. 35 lehrt, daß die Geschlechtsöffnung (gö) stark nach hinten geschoben ist und nunmehr terminal liegt. Von vornherein will ich darauf aufmerksam machen, daß diese Geschlechts- öffnung nicht ganz derjenigen in Fig. 35 entspricht, sondern teil- weise eine Neubildung repräsentiert. Dies geht ohne weiteres aus folgender Analyse hervor : Um eine terminale Lage zu erreichen, wie dies die Fig. 36 lehrt, muß notwendig das Sternit des VII. Abdominalseg- Fig. 36. Medianer Sagittalschnitt durch den Hinterkörper eines völlig geschlechtsreifen Gyropus-W eihchans. mentes stark nach hinten rücken und dabei die kleine Vorderpartie des Sternites des VIII. Abdominalsegmentes mit sich nehmen, was auch unter gleichzeitiger Vergrößerung der betreffenden Teile in der Fig. 36 geschehen ist^. Hier finden wir nämhch das große Sternit des VII. Abdominalsegments weit nach hinten nebst einer ziemlich kleinen knospenförmigen Partie, die unzweideutig der Vorderpartie des Ster- nites des VIII. Abdominalsegmentes entspricht. Die ventrale Wand der Geschlechtsöffnung ist somit ganz dieselbe wie in früheren Stadien; dies ist aber gar nicht für die dorsale Wand der Fall, indem letztere nun von dem Sternit des letzten, X. Abdominalsegments gehefert wird. Das X. Abdominalsegment trägt, wie oben erwähnt wurde, 1 Beide Figuren sind in derselben Vergrößerung gezeichnet und beim Druck um i/s verkleinert. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 30 450 Henrik Strindberg, die Analöffnung (a), ist relativ sehr klein und von dem IX. Abdominal- segment durch tiefe Einkerbungen wohlabgegrenzt. Die ventrale Grenzlinie desselben Segmentes liegt nunmehr nicht oberflächlich, sondern scheinbar in der Tiefe versenkt; wir finden dieselbe hinten und dorsal in dem großen Hohlraum wieder, den ich hier wie bei Gliricola mit Snodgrass als Genitalraum, »genital Chamber« {gr), be- zeichnen will. Die ventrale Wand desselben wird von der ventralen Wand der Hypodermiseinstülpung in Fig. 35 allein geliefert und besitzt eine ziemlich dicke Chitincuticula, die mit spärlichen, nach hinten gerichteten Börstchen stellenweise besetzt ist. Die dorsale Wand dieses Hohlraumes ist dagegen eine viel kompliziertere Bildung und von der dorsalen Wand der Einstülpung nach hinten von der Anhangs- drüse wie von der Hinterpartie der Sternites des VIII. und den ganzen Sterniten des IX. und X. Abdominalsegmentes zusammengesetzt. Die Chitinbekleidung besitzt dieselbe Dicke wie ventral und ist ebenfalls von nach hinten gerichteten Börstchen besetzt (vgl. die Figur !). Die Segmentgrenze zwischen dem VIII. und IX. Sternite scheint in der Fig. 36 verloren zu sein. Dies ist aber nur scheinbar der Fall, denn in lateralen Sagittalschnitten tritt sie jederseits sehr deutlich und in gewöhnlicher Weise hervor und ist wie in den übrigen Segmenten als Anheftungsstelle für segmentale Muskeln in Anspruch genommen. Eine richtige Vorstellung hinsichthch des Baues des Genital- raumes wird nur durch eine Kombination mit Querschnitten gewonnen. Wir finden dann, wenn wir in der Querschnittserie von hinten nach vorn schreiten, daß die Vorderpartie des Sternites des VIII. Abdominal- segmentes, die ja an Längsschnitten als ein knospenförmiger Anhang des Sternites des VII. Abdominalsegmentes erscheint (vgl. Fig. 36), ein kurzes und freies Läppchen bildet, während der Sternit des VII. Abdominalsegmentes sich größtenteils wie gewöhnlich verhält. Der Genitalraum ist sehr breit und dorsoventral wie früher stark abgeplattet. Mehr nach vorn wird derselbe allmählich schmäler, und die Wände erhalten zuerst ventral und median, dann auch lateral zahl- reiche Faltenbildungen, die den Querschnitten durch den Genitalraum ein charakteristisches Aussehen verleihen. Ein solcher Querschnitt ist in der Fig. 37 abgebildet und durch die Vorderpartie des Genital- raumes gelegt. Letzteres geht daraus hervor, daß dorsal die in der Fig. 35 und 36 abgebildete Anhangsdrüse {adr) geschnitten ist. Wie es Kombinationen von Längs- und Querschnitten lehren, stellt dieselbe eine kurze und abgeplattete Bildung dar, die nach hinten einen Diver- tikel aussendet (vgl. Fig. 36). Der Ausführungsgang ist kurz und breit Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 451 und von dickem Chitin bekleidet, das an der Innenseite der Drüse in eine sehr viel dünnere Schicht übergeht. Das Lumen ist öfters von einem Koagulat gefüllt, und die Wand besteht aus einer ziemlich dicken Schicht von kubischen Zellen, die an den Rändern dünner wird. Nach vorn von der Anhangsdrüse begegnen wir in Fig. 36 der als Vagina (vg) zu bezeichnenden Fortsetzung des Genitalraumes als einer strangförmigen Bildung mit schmalem Lumen. Unter beträchtlicher Erweiterung biegt dieselbe scharf nach hinten und dann wieder nach vorn, um nach einer Strecke in den Eileiter (od) überzugehen. Die Übergangsstelle ist scharf markiert, erstens dadurch, daß hier das Epithel der beiden Abschnitte eine kurze etwas nach oben und hinten gerichtete Eingfalte bildet, die in das Lumen der Vagina hervorspringt, zweitens dadurch, daß das Epithel der letzteren überall von einer Chitincuticula bekleidet ist, die zahlreiche Zacken und Runzeln trägt (vgl. die Figur). Außerdem ist das Epithel der Vagina sehr dünn, bei dem Eileiter dagegen kubisch. Durch Studien an Quer- schnitten können wir entschei- den, daß die Vagina in zwei, jedoch nicht scharf voneinander abgesetzte Abschnitte geteilt ist. So ist die Anfangspartie cyhnder- förmig und ziemlich schmal und von kräftigen ringförmigen Muskeln (rm) umgeben, die, quergeschnitten, in der Fig. 36 als schwarze Punkte in einem gemeinsamen grauen Feld ober- und unterhalb des Epithelrohres wiedergegeben worden sind. Weiter nach vorn ist aber die Muscularis nicht von Ringmuskeln, sondern von starken Längsmuskeln (Im) gebildet, und diese finden sich überall bis an den Eileiter, wo sie wieder ringförmig angeordnet sind (die Anfangspartie des letzteren ist ebenfalls von Längsmuskeln umgeben). Etwa an der Stelle, wo in der Wand der Vagina Längsmuskeln auftreten, weitet sich dieselbe auch in der Breite stark aus (vgl. Fig. 37 vg) und wird speziell in den lateralen Partien jederseits etwas aufge- triebeni. Hier habe ich zahlreiche, zusammengeballte Spermatozoen- bündel aufgefunden. Der Eileiter {od) bildet in dem gemeinsamen Anfangsstück eine Fig. 37. Querschnitt durch die Anhangsdrüse eines völlig geschlechtsreifen G',vro/)if.s-Weibchens. 1 Wie es aus der Figur hervorgeht, finden sich Längsmuskeln in der Vagi- nalwand vor allem dorsal und ventral. 30* 452 Henrik Strindberg, U-förmige Schlinge, die in dem nach vorn gewandten Schenkel eine birn- förraige Erweiterung aufweist. Das Epithel ist kubisch und nach außen in dem Hinterschenkel von Längsmuskeln, in dem Vorderschenkel von Ringmuskeln umgeben. Der Vorderschenkel geht in eine nach hinten gewandte Partie über, die durch ein succulentes Epithel, ein schmales Lumen und eine sehr schwach entwickelte, ringförmige Muskulatur ausgezeichnet ist. Sie ist ebenfalls stark verjüngt, während der übrige Teil des Oviductes ebenso breit ist wie die Vagina. Hinsichtlich des Baues der Ovarialröhren ist nichts Neues hinzuzufügen. Ein Vergleich mit den Verhältnissen beim ö^^Vico^a-Weibchen lehrt also, daß Gfjropus hinsichtlich der distalen Teile des weiblichen Ge- schlechtsapparates viel einfacher gebaut ist, indem speziell der Genital- raum als eine einheitliche Bildung ohne Lamellen, wie bei Gliricola, hervortritt. Auch die dorsal gelegene Anhangsdrüse entbehrt der beiden Blindschläuche und repräsentiert dadurch einen einfacheren Typus. Sonst sind die Verhältnisse wenigstens im Prinzip überein- stimmend. Dies gilt auch von der definitiven Lage der hinteren Ab- dominalsegmente, was für eine ähnliche Entstehung der ectodermalen Geschlechtsteile spricht. Die Hinterpartie der ventralen Wand des Genitalraumes stellt somit wie bei Gyropus die Vorderpartie des Ster- nites des VIII. Abdominalsegmentes dar, während die dorsale Wand von der Hinterpartie desselben Sternites und den Sterniten des IX. und X. Abdominalsegmentes gebildet ist. Die Segnientgrenzen treten sehr deutlich an lateralen Sagittalschnitten hervor. Die bei Gliricola beschriebenen Flügelbildungen (fb) jederseits der Analöffnung finden sich auch bei Gyropus, obschon sehr viel weniger entwickelt. Sie entspringen auch hier von der Ventralseite des Ster- nites des IX. Abdominalsegmentes und umfassen die Analöffnung lateral, indem sie sich auch über den Sternit des X. Abdominalseg- mentes erstrecken, und sind stark halbmondförmig gebogen, so daß sie sich vorn und hinten in der Medianlinie des Tieres fast begegnen. An ihrem nach unten gewandten freien Rand tragen sie mehrere lange und grobe Haare; dagegen habe ich keine »Schüppchen« oder Chitin- leisten wie bei Gliricola entdecken können. Auch werden die beiden Spitzen am Hinterrande des Sternites des VII. Abdominalsegmentes bei Gyropus vermißt. Die Arbeiten, in denen die weiblichen Geschlechtsorgane der Mallophagen behandelt werden, geben keine sicheren Anknüpfungs- Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 453 punkte, um Homologisierungsversuche zu erlauben, da die Geschlechts- teile teils nicht entwicklungsgeschichtlich, teils nicht an Schnitten studiert sind. Eine Ausnahme finden wir aber bei Snodgrass (99), der seine Aufmerksamkeit auch Schnitten gewidmet hat. Aus seiner Arbeit können wir ermitteln, daß das Sternit des VIII. Abdominalsegmentes hinten jederseits in einen kräftigen Vorsprung ausläuft, der wohl mit den beiden ähnlichen Bildungen bei Gliricola zu homologisieren ist, obschon sie bei Gliricola von dem hinteren Eande des VII. Abdominal- sternites ausgehen. Wahrscheinlich findet auch ähnliches bei dem von Snodgrass untersuchten Menopon titan statt, indem die Geschlechts- öffnung und die früher erwähnte »genital Chamber« durch eine Einstül- pung des Sternites des VIII. Abdominalsegmentes gebildet werden sollen. Ebenso finden wir die kräftigen Chitinspangen wie bei Gliricola wieder, die jederseits als >>a large, inward-projecting ridge<< beschrieben sind. Auch eine Anhangsdrüse ist z. B. bei Euri/metopus taurus beobachtet. Sie mündet an der Dorsalseite der Vagina und stellt eine gestielte, kugelförmige Bildung dar, an deren Stiel Muskeln sich befestigen. Diese Drüse ist wohl mit der Anhangsdrüse bei Gliricola und Gyropus homolog, obschon hier Muskeln vermißt werden. Ein Vergleich mit den weiblichen Geschlechtsorganen der Isoptera, Leucotermes tenuis, Holmgren (08) lehrt, daß vor allem bei Gliricola eine große Übereinstimmung wenigstens prinzipiell und topographisch herrscht (vgl. Fig. 73, 1. c. Holmgren, 08). Leider sind aber hier ebensowenig wie in der Arbeit von Snodgrass (99) die betreffenden Organe entwicklungsgeschichtlich studiert, was für eine Homologisie- rung wünschenswert ist. Wir finden aber eine zwischen den Abdonii- nalsterniten VII und VIII eindringende, tiefe Einstülpung, die wohl dem Genitalraum entspricht, sowie eine von der Dorsalseite her ein- mündende Anhangsdrüse, die sicherlich mit derjenigen der Mallophagen, Gliricola, Gyropus u. a., homolog ist (vgl. S. 447, Anm.). Dafür spricht wenigstens ihre obenerwähnte Lage und der Bau derselben, indem sie aus zwei Blindschläuchen und einem gemein- samen Endstück bestehen; ein Unterschied liegt nur darin, daß in die Blindschläuche zahlreiche enge Drüsenröhren sich öffnen. Außerdem ist eine bei Gliricola fehlende Samenblase, Spermatheca (?), vorhan- den, die dorsal und nach vorn ganz an derselben Stelle mündet, wo ich zwischen der klauenförmigen Bildung und der Dorsalwand in Fig. 33 Spermatozoenbündel gefunden habe; dieser spaltförmige Raum dient meiner Auffassung nach physiologisch als eine Spermatheca, wo- bei die obenerwähnte, stark chitinisierte Partie in der Medianlinie der 454 Henrik Strindberg, Dorsalseite der klauenförmigen Bildung vielleicht als Samenrinne wirkt. Eine solche ist auch bei Leucotermes vorhanden, liegt aber hier in der Dorsalwand der Spalte unmittelbar nach hinten von der Mündung der Samenblase. 5. Malpighische Gefäße. Die MALPiGHischen Gefäße der Mallophagen sind durch die Arbeit von Snodgrass (99) u. a. gut bekannt. Wie schon frühere Forscher konnte Snodgrass feststellen, daß die Zahl derselben immer vier be- trägt und daß sie entweder überall gleich dick sind oder in der Nähe der Basis eine kürzere oder längere Verdickung aufweisen. Über den feineren Bau der Gefäße sagt Snodgrass folgendes: »Each tube consists of an apparently structureless investing membrane (Plate XI, Fig. 6), of a Single layer of large granulär epithelium cells within this, and finally of a thin intima lining the epithehum« (1. c. S. 170). Meine Funde an GUricola stimmen im Prinzip mit den Angaben Snodgrass' überein. Ich will jedoch hier für GUricola bemerken, daß die MALPiGHischen Gefäße nur bei den noch nicht geschlechtsreifen Männchen und Weibchen gleichartig gebaut sind, indem sie überall aus etwas abgeplatteten und sich in Eisenhämatoxylin gelblich fär- benden Zellen mit je einem rundlichen Kern bestehen. Bei beginnen- der Geschlechtsreife wird dies Verhältnis, aber nur bei den Männchen, beibehalten. Bei dem Weibchen dagegen wird es abgeändert, indem die Gefäße in der Nähe der Basis eine Strecke weit durch eine Größen- zunahme der hier befindlichen Zellen und Kerne eine beträchthche Verdickung erfahren, während sie proximal und distal ihr früheres Aussehen beibehalten. Dadurch werden die von Snodgrass beschrie- benen Verhältnisse hervorgerufen, die ich in der Fig. 31 onalf bei einem (rZ^V^co/a- Weibchen abgebildet habe. Mit der obenerwähnten Größen- zunahme der Zellen wird gleichzeitig das rundliche Lumen der be- treffenden Gefäßpartie beträchthch eingeengt, um zuletzt fast gänzhch zu obliterieren, während sich die früher rundhchen Kerne in schwärzlich gefärbte, wurstförmige Bildungen ohne deuthche Abgrenzung gegen das Plasma umwandeln. 6. Darmkanal 1. Der Vorderdarm beginnt mit einer Buccalhöhle, die (an Quer- schnitten) durch die Mundteile ziemlich stark eingeengt erscheint 1 Nur bei GUricola näher studiert, da Gyropus im Prinzij) dieselben Ver- hältnisse a\ifweist. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 455 (Fig. 13 — 15). Von hier aus setzt sich der Vorderdarm nach hinten in einen schmalen und dorsoventral im allgemeinen stark abgeplatteten Oesophagus fort. Das Lumen des Oesophagus tritt anfangs in der für Fig. 16 wiedergegebenen Weise hervor und besitzt an den Wänden eine ziemlich dünne Chitinschicht. Nur in der ventralen Medianhnie ist die Chitinschicht sehr kräftig entwickelt. Wie es aus dem Längsschnitt Fig. 17 hervorgeht, wird dieses Verhältnis eine Strecke weit nach hinten, bis an die Stelle, wo der Oesophagus eine starke Erweiterung aufweist, beibehalten. Querschnitte aber zeigen, daß das Lumen nun- mehr halbmondförmig (die Konkavität nach oben) erscheint und daß an der Ventralseite die Chitinschiebt überall, also nicht länger nur median, beträchthch verdickt ist. An Querschnitten, die durch das Querstück des Tentoriums (vgl. Fig. 17 tent) gelegt sind, ist auch die obenerwähnte Erweiterung des Oesophagus getroffen. Das Lumen ist hier eine sehr kurze Strecke rundlich, wird dann aber durch jederseits einen breiten, flügelartigen sowie dorsal und ventral durch einen kurzen, pyramidenförmigen Vorsprung des Epithels stark eingeengt und dorso- ventral in die Länge gestreckt. Die Chitinbekleidung ist speziell an den beiden Flügelbildungen ziemlich dick. Dasselbe Bild der Querschnitte begegnet uns eine Strecke weiter nach hinten, ist aber hier stark verkleinert, bis wir in die Querschnitt- serie an den morphologischen Vorderrand des Supraoesophagealganglions gelangen. Hier wird das Lumen wieder rundlich, und von beiden Seiten springt eine kurze und schmale Lamelle in das Lumen hinein, so daß dasselbe teilweise wie in zwei Etagen zerlegt erscheint. Dasselbe Ver- hältnis wird auch eine Strecke weit nach hinten beibehalten, wenn schon der Oesophagus in den Thorax eingetreten ist. Hier wird er all- mählich dorsoventral stark abgeplattet und geht zuletzt in die Er- weiterung des Kropfes über (Fig. 18 hr). Letztere Bildung ist in dem vorderen Teil des Hinterkörpers ge- legen und wie die ganze thoracale Partie des Vorderdarmes ungemein dünnwandig und an der Innenseite mit einer kaum sichtbaren Chitin- bekleidung versehen. Die Lage derselben ist übrigens etwas variabel, speziell bei den geschlechtsreifen Weibchen, vermuthch wegen der starken Entwicklung der Eiröhren. Schon bei den Embryonen habe ich beobachten können, daß hinten in der dorsalen Wand in späteren Embryonalstadien eine Verdickung der Epithelschicht sich bemerkbar macht (Fig. llTcr). In dem letzten Embryonalstadium, also unmittel- bar vor dem Ausschlüpfen der Embryonen, finden wir an dieser ver- dickten Epithelialschicht eine dicke Chitincuticula, die eine quer- 456 Henrik Strindberg, gestellte Reihe von starken Chitinzähnen trägt. Schon an Totalpräpa- raten von ausgeschlüpften Tieren macht sich die Lage des birnförmigen Kropfes durch diese Zähne, die eine leicht gebogene Querreihe von etwa 15 stark lichtbrechenden Stäbchen bilden, deutlich bemerkbar (Fig. 18 kr). Auch an Querschnitten treten die Chitinzähne als stäbchenförmige Bildungen hervor (Fig. 38), die basal weniger stark chitinisiert, an ihren Spitzen zerschlitzt erscheinen. Längsschnitte aber lehren, daß es sich in der Tat um klauenförmige Bildungen mit scharfen, nach hinten leicht gebogenen Spitzen handelt, und daß die schmalen Basal- partien derselben in der Längsrichtung des Tieres eingestellt sind. Die funktionelle Bedeutung dieser Bildungen ist wahrscheinlich, die Nah- rungspartikeln nach hinten in den Mitteldarm zu schieben. In den Mitteldarm ^'^ springt der Hinterteil des Vorderdarmes mit einer kurzen, ringförmigen Falte hinein. Letztere ist als Valvula cardiaca zu be- zeichnen und besitzt nach vorn einige sehr kurze i'ig- ^8. Falten, die wohl die Lage Querschnitt durch dcu Kropf eines völlig geschlechtsreifeu j hier kaum ersicht- Gliricola-W eihchcns von derselben Querschnittserie wie die Fig. 34a— f. liehen Kaumagens bezeich- nen. Die Valvula car- diaca wird von dem Vorderteil des Mitteldarmes umfaßt, d. h. wir begegnen hier, wie bei den Termiten, einem Proventiculus^ der nur topographisch einem wahren Proventiculus entspricht und außerdem in keiner Weise von dem Rest des Mitteldarmes abgesetzt ist^. Die Lage des Mitteldarmes ist je nach der Lage des Kropfes ver- schieden. Die Muskelschicht ist sehr dünn. Die epitheliale Schicht besteht aus einem Plattenepithel, wo jedoch an mehreren Stellen einige Zellen mit großen, scharf tingierten Kernen, hügelartig in das Lumen hervorspringen (vgl. Fig. 35 md). Hinten wird der Mittel- darm stark verschmälert und biegt, wie aus der Fig. 18 hervorgeht, nach links stark um. Hier mündet von oben her der letzte Darm- abschnitt, der Enddarm, von welchem jederseits zwei Vasa malpighii ausgehen (Fig. 10 malp). 1 Die Vorderiicartie des Mitteldarmes dringt liier etwas nach vorn jederseits als ein kurzer Blindsack hervor, ähnlich wie es z. B. Snodgrass (99) beschrieben hat. Zur Entwicklungsgeschichte und Anatomie der Mallophagen. 457 Der Enddarm befindet sich mit Ausnahme von dem lateral gelegenen Anfangsstück genau in der Medianhnie des Tieres und besteht min- destens aus vier voneinander wohlabgegrenzten Partien. Die vier Abschnitte des Enddarmes treten als drei Blasenbildungen und als ein kurzer Kanal, der mit der Analöffnung (a) endigt, hervor. Die beiden ersteren Blasen sind einander ziemlich gleich und weisen nichts Bemerkenswertes auf. Dagegen ist die dritte Blase von Interesse, da sie die sogenannte Analblase repräsentiert und die sechs schon für die Embryonen beschriebenen Drüsenpakete (ad) enthält, die hinsicht- lich des Baues mit den entsprechenden Bildungen bei den Termiten übereinstimmen. Die Analöffnung befindet sich im letzten (X.) Abdo- minalsegment und stellt einen ziemlich breiten Schlitz dar. Die hier gegebene Darstellung über die Embryologie und Anatomie von Gliricola gracilis und Gyropus ovalis kann natürlich nicht als voll- ständig betrachtet werden, da ich speziell meine Aufmerksamkeit solchen größeren Organen oder Organsystemen gewidmet habe, die zur Erklärung der Verwandtschaftsbeziehungen der Mallophagen zu andern Insekten- ordnungen von Bedeutung sein können. Wie ich schon früher (S. 399) hervorgehoben habe, lehrt aber schon die Entwicklungsgeschichte der beiden betreffenden Mallophagen, daß eine ausgeprägte Verwandtschaft mit den Isoptera, Termiten, herrscht, und wir können auch hinsichtlich mancher anatomischen Fragen ganz ähnliches aussprechen. Nur müssen neue eingehende anatomische Untersuchungen abgewartet werden, ehe die systematische Stellung der Mallophagen, sowie die Stellung der verschiedenen Familien und Gattungen innerhalb derselben Ordnung befriedigend fixiert werden kann. Stockholm, im Mai 1915. Verzeichnis der zitierten Literatur. Basch (65), Untersuchungen über das Skelett und die Muskeln des Kopfes von Termes flavipes. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XV. Brandt (69), Beiträge zur Entwicklungsgeschichte der Libelluliden und Hemi- pteren. Mem. Acad. St. - Petersbourg. Tom. XIII. Escherich (94), Anatomische Studien über das männliche Genitalsystem der Coleopteren. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LVII. Gross (05), Untersuchungen über die Ovarien der Mallophagen und Pediculiden. Zool. Jahrb. Bd. XXII. 458 Henrik Strindberg, Grosse (85), Beiträge zur Kenntnis der Mallophagen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLII. Heymons (95), Die Embryonalentwicklung von Dermaptera und Orthoptera. Jena. — (97), Entwicklungsgeschichtliche Untersuchungen an Lepisma saccharina. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. LXII. HoLMGREN (08), Termitenstudien. 1. Anatomische Untersuchungen. Kungl. Svenska Vetenskapsakademiens Handlingar. Kellog (96), New Mallophaga II. Proc. Cal. Acad. Sei. Vol. VI. Knoweb (1900), The embryology of a Termite. Journ. of Morph. Vol. XVI. KoROTNEFF (85), Die Embryologie der Gryllotalpa. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLI. Kramer (69), Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Gattung Philopterus. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XIX. Melnikow (69), Beiträge zur Embryonalentwicklung der Insekten. Archiv f. Naturgesch. Mjöberg (10), Studien über Mallophagen und Anopluren. Kungl. Svenska Vetenskapsakademiens Handlingar. — (10 b), Studien über Pediculiden und Mallophagen. Zool. Anz. Bd. XXXV. NiTSCH (1818), Darstellung der Familien und Gattungen der Thierinsekten (Insecta Epizoica) usw. Germar's und Zencken's Magazin für die Entomologie. Bd. III. NusBAUM (82), Zur Entwicklungsgeschichte der Ausführungsgänge der Sexual- drüsen bei den Insekten. Zool. Anz. Bd. V. Palm^:!^ (84), Über paarige Ausführungsgänge der Geschlechtsorgane bei Insekten. Helsingfors. Philiptschenko (12), Beiträge zur Kenntnis der Apterygoten. Die Embryonal- entwicklung von Isotoma cinerea. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. CHI. Snodgrass (99), The Anatomy of the Mallophaga. Contr. to Biology fr. the Hopkins Seaside Laboratory. — (05), Transactions of the American Entomol. Society. Vol. XXXI. Strindberg (13), Embryologische Studien an Insekten. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. CVI. — (14), Beiträge zur Kenntnis der Entwicklung der Orthopteren. Zool. Anz. Bd. XLV. — (14), Zur Kenntnis der Hymenopterenentwicklung. Vespa vulgaris usw. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. CXII. Tschuproff (04), Über die Entwicklung der Keimblätter bei den Libellen. Zool. Anz. Bd. XXVII. Wheeler (93), A contribution to Insect Embryology. Journ. of Morph. Bedeutung der für alle Figuren gültigen Bezeichnungen. a, Analöffnung; ah. Anmionhöhle; ab, Analblase; am, Amnion; ad, Analdrüsen; ant, Antenne; adr, Anhangsdrüsc; bd, Blastoderm; Zur Entwicklungsgesch. und Ajiatomie der Mallophagen. 459 bp, Basalplatte; bps, Basalplattensack; cop, Copulationsorgan (Penis); de, Ductus ejaculatorius; dk, Dotterkern; do{ser), Dorsalorgan; dr, Drüsen; ed, Enddarm; ekd, Ectadenien; ekt, Ectoderm; ep, Epithel; fe, Follikelepithel; fk, Fettkörpergewebe; fkr, Furchungskerne ; ggl I — ///, Thoracalganglion I — III; ggl.abd, Abdominalganglion ; ggl.fr, Ganglion frontale; gh, Gehirn; gr, Genitalraum; gö, Geschlechtsöffnung ; hyp, Hypodermis; ke, Keimscheibe; kr, Kropf; ksp, Chitinspange; l, Lamellbildungen ; lab, Labrum; Im, Längsmuskeln; Ip, Lumen des Penis; m, Muskelzellen oder Muskeln. m.abd.a, M. abductor antemiae; m.abd., M. abductor mandibulae; m.add.a. Mm. adductores antennae; malp, MALPiGHische Gefäße; max, Maxille; md, Mandibel; inde, Mitteldarmepithel ; m.med.lab, Musculus medialis labri; mxs. Sehnen der Max.; ob, Oberlippe; od, Oviduct; oes, Oesophagus; par, Paracyten; pr {am), provisorischer Rückenver- schluß ; rde, Rmgfalte des D. ejaculatorius; rm, Ringmuskeln; sa, Serosaanlage ; ser. Serosa; sp, Sperma tozoen oder Samenpatrone; t, Testes; tent, Tentorium; tr, Tracheen; üb, unteres Blatt; uggl, Unterschlundganglion; V, Vas deferens; vd, Vorderdarm; vg, Vagina. Die Figuren sind alle mit Reicherts Mikroskop und Leitz' Zeichnungs- apparat gezeichnet und beim Druck um 1/3 verkleinert; nur die Fig. 1 — 11 sind nicht verkleinert. Von den Abbildungen sind für die Fig. 1 — 11, 12, 18, 20, 31 Oc. 4, Obj. 3; für die Fig. 13—16, 19 Oc. 4, Obj. 7a; für die Fig. 17, 33 Oc. 2, Obj. 7 a; für die Fig. 21—26, 28, 29, 32, 34—38 Oc. 1, Obj. 7 a und für die Fig. 26, 27, 28a mid 30 Oc. 3, Obj. 7a angewandt. Epibdella steingröveri n. sp. Von Dr. Ludwig Cohn (Bremen). Mit 7 Figuren im Text. Unter altem Spiritusmaterial des Bremer Museums fand ich eine Anzahl ectoparasitischer Tramatoden aus Deutsch - Südwestafrika, gesammelt von Kapitän SteingröverI. Der Erhaltungszustand ist recht gut, so daß ich das Parenchym z. B. näher untersuchen konnte, doch ist die Cuticula zum größten Teil zerstört. Bedauerlicherweise fehlt eine Angabe über den Wirt, den wir ja in irgendeinem Fische von der südwestafrikanischen Küste zu suchen haben. Da es sich aber um eine neue Species des bisher artenarmen Genus Epibdella handelt, meine Untersuchung außerdem die Möglichkeit ergibt, an den früheren Publikationen über das Genus einige Korrekturen vorzunehmen, so hielt ich die Aufstellung der neuen Art trotz mangelnder Angabe des Wirtes für angebracht. Das Genus Epibdella ist in seiner heutigen Umgrenzung recht weit gefaßt. Die dazu gerechneten Arten weisen äußerlich wie auch in ihrem inneren Bau viel größere Unterschiede auf, als man nach der heute giltigen systematischen Praxis bei digenetischen Trematoden innerhalb eines Genus dulden würde. Die geringe Zahl der bisher bekannten Arten läßt aber auch weiterhin diese mildere Praxis angezeigt er- scheinen, da sonst Zersphtterung in Genera mit meist nur einem Ver- treter eintreten würde. Die hauptsächlichen Differenzen der im Genus Epibdella ver- einigten Arten sind die, daß einige am Vorderende Sauggruben, andre 1 Kapitän Steingröver war der Begleiter unsres Kolonialpioniers Lüde- ritz, dem wir die Erwerbung von Deutsch-Südwestafrika verdanken; er ist mit ihm zusammen dort verschollen. Es ist wohl nicht unberechtigt, wenn ich der von ihm gesammelten neuen Art seinen Namen beilege. Epibdella steingröveri n. sp. 461 Saugnäpfe haben, daß die hinteren Saugnäpfe bei den einen Papillen tragen, bei andern nicht, und daß der Darm bald stark verzweigte Divertikel besitzt, bald ganz ohne solche Divertikel ist. Meine Art steht der E. hippoglossi van Beneden am nächsten. Ich war sogar anfangs im Zweifel, ob ich sie nicht überhaupt mit jener für identisch erklären solle, denn in ihrem ganzen inneren Aufbau wie auch im äußeren Habitus scheint mir die E. hippoglossi meiner Art gleich zu sein, bis auf die Art der Darmverästelung. Da aber dieser Unterschied nicht unerheblich ist, sofern wir uns an die gewiß recht zuverlässige Fig. 3, Taf . II bei van Beneden halten, so habe ich mich doch zur Aufstellung der neuen Art entschlossen, zumal der Fundort bei beiden ein so sehr verschiedener ist. E. steingröveri nimmt ihrer Größe nach unter den Epibdella- Arten eine Mittelstellung ein, und zwar steht sie in dieser Hinsicht der E. Hens- dorffii näher als den beiden von van Beneden beschriebenen, sehr großen Formen. Es messen: Epibdella sciaenae v. B. 24 : 12 mm. » hippoglossi 0. F. M. 20—24 : 12—13 mm. >> steingröveri, mihi 9 : 5,3 mm. >> hensdorffii v. Linst. 8.7 : 5,2 mm. Bezüglich der Haftapparate ähnelt meine Art hingegen mehr der E. hip- poglossi als den beiden andern: sie hat, wie E. hippoglossi, Papillen auf der ventralen Fläche der hinteren großen Haftscheibe und zugleich am Vorderende nur Saugscheiben, nicht Saugnäpfe, während E. sciaenae zwar ebenfalls die genannten Papillen, dafür aber vorn echte Saugnäpfe hat, E. hensdorffii wiederum vorn nur Saugscheiben, im hinteren Haft- organ aber keine Papillen besitzt. Die hintere Haftscheibe ist rund, etwa 3 mm im Durchmesser und, wie bei den andern Arten, mit einem dünnen Randsaume versehen; ein kräftiger Stiel setzt sie devitlich vom Rumpfe ab. Sie trägt die für die Gattung charakteristischen drei Hakenpaare, und zwar in der- selben Anordnung, wie sie bei E. hippoglossi und E. sciaenae beschrieben ist, indem nämlich die beiden hinteren Hakenpaare, das lange, schlanke und das kleine, rudimentäre hinterste dicht beieinander gelagert sind und sich kreuzen, während bei E. hensdorffii nach der Abbildung von V. LiNSTOw die schlanken mittleren Haken weit vom Rande der Saug- scheibe fortgerückt sind, so daß die kleinen hintersten Haken ganz frei in der breiten hinteren Randpartie liegen. Das Parenchym ist bei meinen Exemplaren recht gut erhalten. 462 Ludwig Cohn, Die Angaben über diesen Bestandteil des Körpers bei den monogeneti- schen Trematoden gehen weit auseinander. Für E. hensdorffii führt V. LiNSTOW aus, das Parenchym sei nicht von zelhgem Bau, sondern es »besteht aus einer feinfaserigen Grundsubstanz, der zahh-eiche, bis zu 0,02 mm große, rund- q Exp. liehe oder eckige Kerne, welche die verschiedensten Gestalten haben können und stellenweise sehr dicht gedrängt stehen, eingefügt sind«. Demgegenüber spre- chen Stieda und Lorenz von einem Parenchym bei Polystomum und Axine, das aus wohlumgrenzten, mit einer Membran ver- sehenen, rundlichen, polye- drischen oder ovalen Zellen bestehe, die deutlich Kern und Körperchen zeigen. Das von v. Linstow be- schriebene Bild führte schon Braun auf schlech- ten Erhaltungszustand sei- nes Materials zurück, und ich möchte mich dem ganz anschließen, da ich das Parenchym bei meiner E. steingröveri ganz ebenso aus deutlich umgrenzten, viel- gestaltigen Zellen aufge- baut finde, wie Stieda und Lorenz bei dem guterhalte- nen Material der von ihnen untersuchten Arten. Bei Efihdella besteht das Parenchym in den meisten Teilen des Rumpfes aus dicht aneinander gelagerten, vieleckigen Zellen von durch- schnittlich 0,02 mm. Die Zellen haben ein feinkörniges, mit Carmin gut färbbares Plasma, einen großen chromatinarmen Kern mit großem Kernkörperchen; eine Membran ist dagegen nicht vorhanden. Die Fig. 1. Epibdella steingröveri n. sp. Cir., Cirrus; Exp., seitlicher Excretlonsporus am Vorderende; h.Exp., hinterer Excre- tionsporus; Ot., Mündung des Ootyps; Vg., Mündung der Vagina; Ov., Ovarium; H., Hoden; Dtg., Hauptsammel- gang der Dottergel'äße. Epibdella steingröveri n. sp. 463 Zellen füllen die Maschen, welche die zahlreichen, sich durchflechtenden Parenchymmuskeln bilden, aus und liegen auch dem Darm und seinen Divertikeln, den Wassergefäßen und Nerven sowie zum Teil den Genital- organen dicht an. Auch alle Zwischenräume zwischen den zahllosen Dotterstockfollikeln sind von ihnen ausgefüllt. Zwischen Hoden und Ovar dagegen finden sie sich, wie es auch Stieda für Polystomum an- gibt, nicht, und ihre Stelle nimmt hier ein faseriges Parenchym ein, das in den zelligen Teilen ganz wenio- ausgebildet ist und hinter den ^=~iM Fig. 2. Parenchymzellen und ihr Verhältnis zu den Organen. LN., einer der Hauptlängsnerven; Wg., ein Hauptstamm des Wassergefäßsytems ; Df., DotterfoUikel. Zellen völlig zurücktritt. Faserig ist das Parenchym auch in der hin- teren Haftscheibe, die keine Zellen enthält. Auch über die Zusammensetzung des Hautmuskelschlauches gehen die Angaben der Autoren für die verschiedenen Arten der mono- genetischen Trematoden weit auseinander, doch scheinen hier in der Tat die Lagebeziehungen der einzelnen Muskelschichten zueinander verschiedene zu sein. Ring-, Längs- und Diagonalfasern sind überall vorhanden; während aber Braun, in Bestätigung der Angaben von Stieda, die Diagonalfasern bei Polystomum die mittlere Schicht bilden läßt, kann ich bei E. steingröveri diese schräg verlaufenden Fasern sicher als innerste Schicht feststellen. Wenig wahrscheinlich scheint 464 Ludwig Cohn, mir dagegen, was auch schon Braun anzweifelt, daß bei E. hensdorffii zu. äußerst eine Längsmuskelschicht liegen soll, wie v. Linstow es angibt: bei E. steingröveri ist jedenfalls die äußerste Lage eine Schicht von Ringmuskeln, auf welche zunächst die Längsmuskeln folgen, — und bei der nahen Verwandtschaft beider Arten ist doch ein verschie- denes Verhalten derselben in einem so fundamentalen Punkte nicht recht anzunehmen. Auch bei meiner Art unterscheiden sich Rücken- und Bauchfläche durch verschieden starke Muskulatur, und wie sonst kommt die Ver- stärkung des Hautmuskelschlauches an der Bauchseite durch kräftigere Längsmuskeln zustande; doch spielt hier auch die Diagonal muskulatur eine Rolle, indem sie nach dem Hinterende des Rumpfes hin viel kräftiger auf der ventralen )Seite ausgebildet ist. Die Parenchymmuskeln bestehen, wie überall, in der Haupt- sache aus dorsoventralen Fasern, die, den Hauptmuskelschlauch durch- setzend, sich an der Subcuticula inserieren. Im Rumpfe sind sie nur schwach, — gegen das Hinterende aber entwickeln sie sich sehr mächtig, da sie hier mit in den Bewegungsapparat der hinteren Saugscheibe einbezogen werden, worauf ich noch an betreffender Stelle zurück- komme. Außer den dorsoventralen Fasern kommen, wie bei Tristo- mum, auch zahlreiche längs und schief verlaufende vor, die mit den ersteren zusammen ein stellenweise sehr dichtes, feines Maschenwerk bilden, in dessen Lücken dann die obenbeschriebenen Parenchymzellen liegen. Die besondere Entwicklung, welche die dorsoventralen Fasern in der hinteren Saugscheibe zeigen, bespreche ich später des näheren. Zu den Parenchymmuskeln gehören wohl auch die Muskelfasern, welche in die Wandungen der Hoden und des Ovars eingelagert sind, doch kann ich nur Brauns Angabe bestätigen, daß die Muskeln nie mitten durch diese Organe hindurchziehen, wie es v. Linstow für E. hensdorffii angibt. Was dieser Autor im Innern von Hoden und Ovar gesehen hat, hat mit Muskulatur nichts zu tun und soll bei Be- sprechung dieser Organe behandelt werden. Eine höchst komplizierte Muskulatur weist die hintere Saug- scheibe auf, und zwar wirken hier Teile des Hautmuskelschlauches mit Parenchymmuskeln zusammen, v. Linstow geht auf diese Mus- kulatur nur sehr wenig ein. Er erwähnt eine sehr starke dorsoventrale Parenchymmuskulatur, die beim Festsaugen die weichere ventrale der starreren dorsalen Cuticula nähern soll, und daneben eine Muskel- schlinge, die die kleineren vorderen Haken umfassen und aus ihrer Scheide heraustreiben soll. Der Untersuchuno stellt sich das Hinder- Epibdella steingröveri n. sp. 465 nis entgegen, daß am ungefärbten Totalpräparat die Muskelfasern im allgemeinen zu wenig hervortreten, am gefärbten aber von andern Ge- websteilen sehr verdeckt werden, so daß man höchstens die dicksten Stränge verfolgen kann; über die Ansatzstellen der Muskeln gelangt man aber auch dann leicht zu Irrtümern, wie sie eben v. Linstow mit der obengenannten Schlinge begegnet sind. Schnitte helfen zwar etwas in der Scheibe selbst, versagen aber zum großen Teil im Stiel der Saug- scheiben, - — zeigen doch, nach einer Äußerung von Niemec, auch best- orientierte Schnitte hier nur ein Chaos von Muskeln an der Basis des Organs, deren Verlauf sich nur zum geringsten Teil entwirren lasse. Mein Material erwies sich nun als besonders günstig: durch Gerbstoff stark gebräunt, läßt es schon am Totalpräparat die Mus- kelzüge gut hervortreten, und neben Schnittserien verwendete ich auch noch dicke Tangential- schnitte, die mir über alle Haupt- fragen genügenden Aufschluß gaben. Die hintere Saugscheibe von E. steingröveri trägt am Rande, wie auch die andern Arten, einen dünnen, durchsichtigen Saum, der den Scheibenrand ventral überragt. V. Linstow erwähnt, daß er mus- kulös ist, und nimmt an, daß er wohl dazu diene, einen dichteren Ab- schluß der Scheibe gegen die unebene Oberfläche des Fischkörpers herzustellen, — eine Auffassung, der ich mich nur anschließen kann. Nicht ganz zutreffend ist es dagegen, wenn er den Saum allgemein »welhg<< nennt, denn im Euhezustand liegt dieser ganz flach und nimmt nur infolge der Muskelkontraktion diese wellige Form an. Die Randmembran besteht aus einer Falte der Cuticula und der vSubcuticula der Saugscheibe und hat in verschiedenen Teilen ihrer Circumferenz wechselnde Breite. Am hinteren Rande der Scheibe ist sie mit 0,2 mm am breitesten, und nur hier kommen die weiter unten beschriebenen Muskeln zur Ausbildung, während im vorderen, schma- leren Saumteile sich nur faseriges Parenchym findet. Der Saum isfc wie gesagt, im Ruhezustande flach; seine Ansatzlinie an den Scheiben- zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 31 Fig. 3. Ein Stück vom Randsaum der hinteren Saugscheibe. 466 Ludwig Colin, rand ist nicht ganz gerade, sondern zeigt in gleichmäßigen Abständen die in Fig. 3 abgebildeten Einkerbungen, an deren Grunde sich Paren- chymniuskeln der Saugscheibe inserieren; diese zeichnen sich gegenüber den übrigen Parenchymmuskeln durch besondere Stärke aus. Je zwei dieser Einkerbungen sind nun durch einen Muskelbogen untereinander verbunden, der weit in den Randsaum hineinspringt, ohne aber den äußeren Rand der Membran zu erreichen. Die Bögen bestehen aus sehr zarten Muskelfasern, die schief von der dorsalen Fläche des Saumes zu seiner ventralen ziehen, also zu den Parenchymmuskeln zu rechnen sind. An der Basis des Bogens sind diese Fasern, wie meine Abbildung zeigt, am kürzesten, an den Seiten am längsten. An den Einkerbungen treten je zwei der Muskelbögen dicht aneinander heran, ohne aber miteinander in Verbindung zu stehen. Außer diesen Bögen finden sich im Randsaume noch radiäre Fasern, die zu je zweien oder dreien innerhalb jedes Bogens vom Rande der Saugscheibe nach dem Rande der Membran ziehen. Auch sie er- reichen nicht den Rand des Saumes, sondern setzen sich innerhalb des Muskelbogens nächst dessen höchstem Punkte an die dorsale Cuticula des Saumes an. Ihr Ausgangspunkt am andern Ende (am Saugscheiben- rande) ist mir nicht ganz klar geworden: meist schien es mir, daß es besondere Parenchymmuskeln seien, die sich am Scheibenrande in der Subcuticula inserieren, doch hatte ich manchmal auch den Eindruck, als wären sie direkte Fortsetzungen der radiären Parenchynunuskeln der Saugscheibe, die sich kontinuierlich in den Randsaum hinaus- erstreckten. AVie dem aber auch sei, — ihre Kontraktion wird jeden- falls wellige Einbuchtungen des Saumes in der horizontalen Ebene erzeugen, während die Kontraktion der Muskelbögen im Saume senk- rechte Wellen hervorbringen wird. Dank dieser doppelten Fältelung wird die Randmembran der Unterlage sich sehr fest anzuschmiegen imstande sein. E. Steingröveri besitzt, wie bereits gesagt, drei Hakenpaare auf der hinteren Saugscheibe, wie die andern Epibdella- Arten auch. Wir finden hier 1. zwei schlanke gebogene, scharf gekrümmte Hinterhaken, die mit ihrer Spitze nach dem Hinterrande der Saugscheibe gerichtet sind und so weit in einer Tasche stecken, daß nur die Spitze im Ruhe- zustand frei herausschaut, — ich bezeichne sie des weiteren kurz als die großen Haken; sie messen 0,7 mm; 2. zwei dicke und kürzere 0,5 mm große Vorderhaken, die entgegengesetzt orientiert sind und mit ihrer Spitze aus der Tasche nach vorn, also nach dem Stiele der Saugscheibe hinausschauen; 3. zwei ganz kleine, längliche, etwa 0,08 mm lange, Epibdella steingröveri n. sp. 467 augenscheinlich rudimentäre Chitinstäbchen, die ganz nahe dem hin- tersten Rande der Saugscheibe dorsal quer über die Spitzen der großen Haken gelagert sind ; ich halte sie für rudimentär, weil sie — abgesehen davon, daß sie neben den großen Haken schon ihrer Kleinheit wegen von keiner funktionellen Bedeutung sein können — augenscheinlich leicht verloren gehen, so daß ich sie auf der Scheibe einer Anzahl sonst gut erhaltenener Exemplare vermisse. Die Funktion der Haken ist seitens v. Linstows meiner Ansicht nach falsch gedeutet worden. Er schreibt darüber 1. c. S. 165: »Wäh- rend die Haken der Trematoden und Cestoden sonst Apparate sind, welche zur Befestigung dienen, sind die der Schwanzscheibe hier offenbar Organe, die zur Loslösung vom Orte des Sitzes bestimmt sind. Die mittleren, langen Haken werden den Zweck haben, mit ihrem ge- krümmten Ende den freien Rand einer Fischschuppe zu umfassen; will das Tier nun seinen Platz wechseln, so gilt es zunächst, die große fest- gesogene Schwanzscheibe zu lösen, was in der Weise geschehen wird, daß die vier Sehnen, welche die beiden vorderen, mit ihren Spitzen nach vorn gerichteten Haken an ihrer Wurzel umfassen, durch die Körpermuskulatur an ihren Vorderenden nach vorn gezogen werden; dadurch richten sich die Haken auf, so daß sie senkrecht zu der Fläche der Saugscheibe gestellt werden, und lösen die Scheibe auf diese Weise von ihrer Unterlage, an die sie angesogen war; den Gegenhalt bieten die mittleren langen Haken, welche ein Fortgleiten nach vorn ver- hindern.« Diese Darstellung der Hakenfunktion will mir nicht recht plausibel erscheinen. Erstens wird sich die Saugscheibe einfach durch Lockerung der die Ansaugung bewirkenden Muskulatur sowie durch gleichzeitige Entspannung des Randsaumes ohnehin vom Untergrunde loslösen können, wie jeder andre Saugnapf auch; zweitens werden die vorderen, kleineren Haken durch Anspannung der sie bewegenden Muskulatur gar nicht senkrecht gestellt, wie wir weiterhin sehen werden. Es ist aber auch gar nicht nötig, für die Haken eine solche außergewöhnliche, von allem sonst Bekannten abweichende Funktion hineinzudeuten, denn sie können, wie genaueres Studium der sie bewegenden Muskeln ergibt, sehr wohl bei der Fixation der Saugscheibe mitwirken. Der Hakenmechanismus wirkt vielmehr wie folgt. Die stark gekrümmten, nacä hinten gekehrten Spitzen der großen Haken werden, wie auch V, LiNSTOW richtig annahm, zunächst zwischen die Fischschuppen greifen ; werden die Spitzen darauf auseinandergespreizt — und hierauf ist ihre Hauptmuskulatur berechnet — , so schlagen sie sich fest in die 31* 468 Ludwig Cohn, Haut ein, und ein nachfolgender Zug am langen Hebelarm treibt sie noch tiefer in die Unterlage. Zugleich werden sie die 8augscheibe nach hinten ziehen, also ein Vorwärtsgleiten derselben verhindern, das sonst unter der Zugwirkung der kleineren Haken eintreten würde, die nach vorn aus ihrer Tasche heraustreten und sich in die Haut des Fisches einbohren. Die kleinen Haken machen aber, wie aus ihren Muskeln unzweifelhaft hervorgeht, nicht nur jene einbohrende Bewegung nach vorn, sondern zugleich eine Drehung, welche ihre Spitzen nach außen auseinander spreizt, so daß sie wie Sperriegel der Zugwirkung der großen Haken entgegenwirken. Beide Hakenpaare zusammen werden mithin bei gleichzeitiger Tätigkeit die Saugscheibe sehr fest auf dem Untergrunde verankern können. Bedingen schon diese kombinierten Bewegungen der beiden Haken- paare eine recht komplizierte Muskulatur, so kommt hier noch hinzu, daß für einzelne Bewegungen zwei und sogar drei Muskelgruppen vor- gesehen sind; daher das reichentwickelte Muskelsystem, das ich hier ausführlich behandeln möchte, da in dieser Richtung bisher noch keine Schilderung vorliegt, die den Verhältnissen einigermaßen ge- recht wird. Zur Bewegung der großen hinteren Haken dienen vier Gruppen von Parenchymmuskeln. Die Haken sind an ihrer concaven Seite tief rinnenförmig ausgehöhlt, so daß sie einer langgestreckten Klaue gleichen. Im Innern der Rinne, an der concaven, nach außen gekehrten Seite des Hakens setzt sich eine Reihe kurzer Muskelfasern an, die schief nach vorn verlaufen und sich an der dorsalen Cuticula der Saugscheibe inserieren, — die Muskeln A der Fig. 4 — ; sie werden bei ihrer Kon- traktion die Hakenenden voneinander entfernen und deren Spitzen in die Fischhaut einbohren. Ihre Antagonisten — B der Abbildung — setzen sich entsprechend an die convexen inneren Flächen der Haken an und ziehen ebenfalls zur dorsalen Saugscheibenfläche; bei der Los- lösung der Scheibe ziehen sie die Haken heraus. Jeder dieser beiden Muskeln findet nun durch je einen zweiten Unterstützung. Parallel verlaufende Muskelfasern in größerer Zahl, die nächst dem Hinterrande der Scheibe die beiden Hakenspitzen untereinander verbinden — die Muskeln C — unterstützen die Loslösung, während die kräftigen Ring- muskeln D, an den concaven Seiten beider Haken inseriert und dabei um die ganze Saugscheibe herumlaufend, die Implantation der Haken fördern werden. Daß diese ringförmigen Muskeln D auch noch eine weitere Funktion haben, werde ich späterhin, wenn ich den Mechanis- mus des Festsaugens bespreche, noch zu erwähnen haben. Epibdella steingröveri n. sp. 469 Zu diesen vier Parenchymmuskeln tritt nun noch ein Retractor der großen Haken, Muskel E, der im Gegensatz zu jenen von dem Haut- muskelschlauche des Rumpfes herstammt. Die Längsmuskeln des Hautmuskelschlauches vereinigen sich bei ihrem Eintritt in den Stiel der Saugscheibe zu einer Anzahl breiter Muskelbänder, die getrennt in die Saugscheibe eintreten. Zwei seithche dieser Bänder ziehen zu den großen Haken und inserieren sich an deren basalen (nach vorn gekehrten) Enden. Da nun aber direkt vor den großen Haken die kleinen Fig. 4. Hintere Saugscheibe, von der Rückenf lache aus gesehen. im Text. Bedeutung der Buchstaben siehe liegen, so muß dieser Retractor der großen Haken, um diese zu er- reichen, zunächst nach außen ausbiegen: er gelangt mithin in einem großen Bogen an seine Ansatzstelle an den Haken. Damit er nun trotzdem seine Zugwirkung nach vorn auszuüben vermag, ist er seitlich durch einen seitlich abgezweigten Teil der Muskelfasern verankert. Die Fasern des aus dem Stiel der Haftscheibe heraustretenden Muskel- bandes teilen sich, ein Teil erreicht den Haken, der andre inseriert sich an der Subcuticula der dorsalen Saugscheibenfläche zwischen den dorso- ventralen Parenchymmuskeln der Scheibe. Es ist klar, daß bei gleich- zeitiger Kontraktion beider Schenkel des Muskels eine Zugwirkung 470 Ludwig Colin, nach vorn eintreten muß, die zur Fixation des betreffenden Hakens in der Fischhaut beizutragen geeignet ist. Während also die Bewegung der großen Haken überwiegend durch spezialisierte Parenchymmuskeln bewirkt wird, besteht die Muskulatur der kleinen^ vorderen Haken, die ich oben wegen ihrer Angriffs- weise an der Unterlage als Sperrhaken bezeichnete, hauptsächlich aus Muskeln, die sich auf die Längsmuskeln des Hautmuskelschlauches zurückführen lassen. Hier sind es vier Paar durch den Stiel herantreten- der Längsmuskeln und nur ein einziger unpaarer Parenchymmuskel. Der Vorwärtsbewegung der kleineren Haken, welche sie in die Haut einbohrt, dienen : L der innere gerade Muskel F, der aus dem Stiele direkt zum Vorderende des Hakens verläuft und sich hier pinselförmig auflöst, und 2. der entsprechende Außenmuskel G, dessen Verlauf an den Muskel E (Retractor) der großen Haken erinnert, indem auch er seitlich an den Haken herantritt und sich in zwei Teile teilt, von denen der eine ihm als Verankerung dient; der Unterschied ist nur der, daß der Retractor des großen Hakens sich an die dorsale Cuticula der Saug- scheibe ansetzt, der Muskel G des kleineren Hakens dagegen sich am peripheren Scheibenrande verankert, — er löst sich durch fortgesetzte dichotomische Teilungen in zahlreiche feine, auf eine weite Fläche ver- teilte Fasern auf, die sich gleich den Parenchymmuskeln in der Sub- cuticula inserieren. Während diese Muskeln F und G hauptsächlich der Vorwärts- bewegung der Haken dienen, bewerkstelligen die beiden folgenden Muskelpaare hauptsächlich jene Drehung, welche ich oben als Sperr- bewegung bezeichnete. Daß hierzu gleich zwei Muskelpaare dienen, spricht für die Wichtigkeit der Sperrwirkung für die Fixation der Saug- scheibe (zumal auch noch der erwähnte unpaare Parenchymmuskel sie in dieser Tätigkeit unterstützt). Ich unterscheide die geraden Drehmuskeln H und die gekreuzten Muskeln J. Die Muskeln H stammen von den am weitesten dorsal gelegenen Längsmuskelbändern des Stiels her; sie ziehen am Innenrande der kleineren Haken nach hinten und be- festigen sich an deren basalem Ende, — doch nicht an ihrem Innen- rande. Das basale Ende der kleineren Haken zeigt vielmehr eine tiefe Einkerbung, und der Muskel H, der von innen an den Haken her- antritt, zieht durch diese Rinne auf die Außenseite des Hakens hin- über, um sich dort ein wenig unterhalb der Kerbe zu inserieren. Bei seiner Kontraktion wird er eine kräftige Drehwirkung ausüben, die beiden Hakenspitzen nach außen drehen, wodurch eben die erwähnte Sperrung zustande kommt. Epibdella steingröveri n. sp. 471 Die eben geschilderte Form der kleineren Haken, d. h. die Kerbe an ihrer Basis und ebenso das Herumgreifen eines Muskels um diese hat V. LiNSTOw bereits richtig beschrieben und auch abgebildet; was aber bei ihm irrtümlich ist und zu seiner falschen Darstellung einer um die kleinen Haken herumlaufenden Muskelschlinge führte, ist der Um- stand, daß er Muskel H und Retractor E nicht auseinanderhielt und ineinander übergehen ließ. Die basalen Enden beider Haken liegen allerdings sehr dicht beieinander, so daß man nach dem unklaren Bilde eines Totalpräparates leicht zu solcher Auffassung kommen kann. Die zweiten Sperrmuskeln, die gekreuzten Muskeln J, stammen von mehr dorsolateralen Teilen der Längsmuskulatur des Stieles; sie kreuzen sich etwa in der Mitte ihres Verlaufs und inserieren sich am basalen Hakenende innen, dicht unterhalb der Kerbe. Sie werden eine reine Drehwirkung ausüben, während die Muskeln H vielleicht daneben auch eine Zugwirkung nach vorn haben könnten. Unterstützt wird die Sperrung der Haken, wie gesagt, außerdem noch durch den unpaaren Parenchymmuskel K, der beide basalen Enden der kleineren Haken miteinander verbindet. Ein Antagonist ist nur für die Sperrmuskeln vorhanden, und zwar im Muskel F: da er sich am Innenrande des Hakens inseriert, nächst dessen Spitze, so wird er bei seiner Kontraktion die auseinanderge- kehrten Spitzen der Haken nach der Mitte zusammenziehen, also die Sperrung aufheben. Besondere Muskeln zum Herausziehen der Haken aus der Haut habe ich nicht gefunden, - — sie scheinen auch entbehrlich; sobald die Sperrung durch die kleinen Haken aufgehoben ist, wird ja die Saugscheibe ohnehin, dem Zuge der großen Haken folgend, von selbst nach rückwärts gleiten, wodurch dann die Spitzen der kleinen Haken ohne weiteres sich aus der Haut herauslösen müssen. Dient auf die obenbeschriebene Weise ein Teil der durch den Stiel in die hintere Saugscheibe hineintretenden Längsmuskeln des Haut- muskelschlauches zur Bewegung der beiden Hakenpaare, so wird andrer- seits der Rest dieser Muskeln in den Bewegungsapparat der Saug- scheibe selbst hineinbezogen. Diese Fasern spielen aber dabei nur eine untergeordnete Rolle, — in der Hauptsache treten bei den Ansauge- bewegungen der Saugscheibe Parenchymmuskeln in Aktion. Von dem Mechanismus des Ansaugens gibt v. Linstow für E. hens- dorffii eine Darstellung, die mir, nach meinen Befunden an der nächst- verwandten Art, nicht richtig zu sein scheint. Er hat eben auch hier nur einen kleinen Teil der in Betracht kommenden Muskeln gesehen. Seine Darstellung lautet: »In der Mitte haben diese (nämlich die hin- 472 Ludwig Colin, tereii Saugscheiben. L. C.) einen wohl doppelt so großen Durchmesser, wie am Kande, und da die Cuticula des Rückens derb und wenig nach- giebig, die der Bauchfläche zart und weich ist, so wird eine gleichmäßige Kontraktion der Muskulatur die Bauchfläche der Rückenfläche nähern,« — wobei er allein die dorsoventralen Parenchymmuskeln im Auge hat, die sich zwischen beiden Flächen der Saugscheibe ausspannen. Es scheint mir nun ohne weiteres wenig wahrscheinlich, daß die Spannung eines so großen Gewölbes, wie es eine festgesaugte hintere Saugscheibe ist, allein durch die Starrheit der dorsalen Cuticula getragen werden könnte, • — zumal diese Starrheit ja gar nicht so groß sein kann; ver- ändert sich doch beim Ansaugen auch die Wölbung der ganzen Saug- scheibe nicht unerheblich. De facto kommen denn auch beim Fest- saugen noch ganz andre, kräftigere und zweckdienlicher befestigte Muskeln in Aktion, die aus dem Stiele in die Saugscheibe hineingreifen. Die Muskulatur der Saugscheibe selbst besteht, wenn wir von den bereits besprochenen Hakenmuskeln absehen, hauptsächlich aus viererlei Elementen: 1. aus den Parenchymmuskeln, die ganz der Saugscheibe angehören, 2. aus denjenigen Parenchymmuskeln des Rumpfes, die in die Saugscheibe hineintreten und sich hier inserieren,. 3. aus einigen Bündeln der durch den Stiel in die Saugscheibe hinein- tretenden Längsmuskeln des Hautmuskelschlauches des Rumpfes, und 4. aus dem Hautmuskelschlauche der Saugscheibe selbst. Die dorsoventralen Parenchymmuskeln der Saugscheibe sind be- deutend stärker ausgebildet als die des Rumpfes, — abgesehen nur von dem hintersten Teile des Rumpfes, dessen Parenchymmuskeln ja, wie schon gesagt, zu der Saugscheibe in enge Beziehungen treten und auch entsprechend kräftiger entwickelt sind. Abgesehen von ihrer größeren Zahl ziehen sie in der Saugscheibe nicht einzeln, wie im Rumpfe, son- dern sind hier zu breiten Bändern vereinigt, wie Fig. 5 zeigt. Je weiter vom Centrum der Scheibe entfernt, desto dichter stehen sie. Ihre Kontraktion wird, wie schon v. Linstow ausführte, die dünnere ventrale "Wand der Saugscheibe der derberen dorsalen nähern, — d. h. wenn die dorsale Wand genügenden Widerstand leisten kann. Ich finde nun bei E. steingröveri neben den das Gros bildenden, senkrecht zu beiden Flächen orientierten Parenchymmuskeln in den centralen Teilen der Saugscheibe noch eine besondere Art von Bündeln, die geneigt ver- laufen, und zwar ventral weiter vom Centrum der Scheibe, dorsal mehr nach innen sich inserieren, wie meine Abbildung zeigt. Es ist klar, daß so gerichtete Faserzüge besonders geeignet sein werden, eine stärkere Zugwirkung auf die ventrale Fläche auszuüben, — der Gegenhalt, den Epibdella steingröveri n. sp. 473 solche Faserbündel an der Cuticula der dorsalen Fläche finden können, wird um so größer sein, je schiefer sie verlaufen, je mehr tangential sie sich an der dorsalen Fläche inserieren. Damit paßt es gut zusammen, daß diese schief verlaufenden Muskelbündel auf den mittleren Teil der Saugscheibe beschränkt sind, denn beim Ansaugen kommt es, wie sich aus dem nachfolgenden ergibt, nicht auf eine gleichmäßige Verdünnung der ganzen Saug- scheibenfläche an, sondern auf ein besonders kräftiges Anhe- ben des Scheibencentrums. Ich bemerkte soeben, daß die dorsoventralen Parenchym- muskeln der Saugscheibe ihre Funktion nur ausüben können, wenn die dorsale Fläche ge- nügenden Widerstand darbie- tet; einen solchen aber allein von der größeren Starrheit der dorsalen Cuticula zu erwarten, wie es v. Linstow tut, scheint mir nicht angängig zu sein. Die Wirksamkeit dieser Mus- keln wird vielmehr erst dadurch ermöglicht, daß ein kleinerer Teil der Längsmuskeln des Kumpfes, und zwar die der Dorsalfläche angehörigen Teile des Hautmuskelschlauches, nach ihrem Eintritt in die Saug- scheibe fächerförmig nach den Seiten auseinanderstrahlen und sich an der dorsalen Cuticula inserieren. Ihre Kontraktion wird die dorsale Fläche der Scheibe ver- steifen, und erst dadurch erhält diese die nötige Festigkeit, um als Ansatzstelle für die dorsoventralen Fasern wie auch für einen Teil der Hakenmuskvilatur dienen zu können. Von den Parenchymmuskeln des Kumpfes ziehen die des hintersten Kumpfabschnittes in die Saugscheibe hinein. Sie sind, wie gesagt, erhebhch stärker entwickelt als die übrige Eumpfparenchymmus- —/e .— Jy S=L\~--;^/> -He Fig. 5. Sagittalschnltt. Übergangsstelle des Stieles des^Rum- pfes in die hintere Haftscheibe. Schema des Über- trittes der Parenchymmuskeln des Rumpfes in die Haftscheibe. iJ., Rumpf; Ägr., Saugscheibe: ffe., hin- terer Kreisteil, Fe., vorderer Kreisteil; Sp., eigene Parenchymmuskeln der Saugscheibe; Rp., in die Saugscheibe eintretende Parenchymmuskeln des Rumpfes. 474 Ludwig Colin, kulatur, und treten zu starken Bündeln zusammen. .Statt quer durch den Rumpf zu ziehen, wenden sich die Muskelbündel scharf nach hinten, durchziehen den Stiel und inserieren sich mit ihrem andern Ende an der ventralen Fläche der Saugscheibe in deren Centrum und in der nächsten Umgebung des Centrums (Fig. 5, Rp.). Im Rumpfe gehen sie dabei zum Teil von der dorsalen, zum Teil auch von der ventralen Fläche ab. Eine Kontraktion dieser starken Mus- keln muß die Mitte der Scheibe sehr energisch anheben und, unter- stützt von den eben besprochenen Parenchymmuskeln der Scheibe selbst, beim Ansaugen den luft verdünnten Raum schaffen. Die Hauptaktion wird dabei von diesen langen und starken Muskelbün- deln des Rumpfes ausgehen. Die vierte Muskelgruppe endlich, die des Hautmuskelschlauches der Scheibe selbst, besteht hauptsächlich aus Fasern, die parallel zur Querachse der Saugscheibe verlaufen. Sie liegen dicht unter der Cuti- cula und sind dorsal viel stärker ausgebildet als ventral. Die Kontrak- tion wird die Hochwölbung der Scheibe beim Ansaugen unterstützen. Senkrecht zu diesen Fasern verlaufen noch, dorsal wie ventral, sehr schwache Muskeln in der Längsachse der Scheibe, so daß der Haut- nmskelschlauch auch hier, wie im Rumpfe, außen aus zwei sich kreuzen- den Muskelschichten besteht, nur daß hier die im Rumpfe vorhandene innerste Schicht der diagonal verlaufenden Muskelfasern fehlt. Erwähnen möchte ich noch eine weniger bedeutende Muskel- gruppe, die zu den Parenchymfasern gehört und auf den hintersten Teil der Scheibe beschränkt ist. Hier sehen wir zu beiden Seiten der Mittel- linie, nach außen von den großen Haken, eine Anzahl einzelner Muskel- fasern von der Scheibenkante radiär nach dem Centrum der Scheibe auseinanderstrahlen und sich dann an der dorsalen Fläche inserieren. Ihre Aktion muß zur Hochwölbung des hinteren Teiles der Scheibe beitragen. Diese Hochwölbung wird außerdem auch von jenen ring- förmig um die ganze Scheibe verlaufenden Muskeln unterstützt werden, die ich bei der Hakenmuskulatur beschrieben habe, weil sie gleichzeitig die Eintreibung der Haken in die Unterlage fördern. Wie werden nun alle die im vorstehenden beschriebenen mannig- fachen Muskeln zusammenarbeiten, damit sich die Scheibe festsaugt und gleichzeitig sich mittels der Haken an der Unterlage fixiert? Die Saugscheibe wird sich zunächst mit schlaffer Muskulatur, also ganz abgeflacht und mit schlaffem, glattem Randsaume der Schuppen- oberfläche des Fisches auflegen. Die Abdichtung erfolgt dann durch Kontraktion der Saummuskeln. Zugleich wird der hintere Teil der Epibdella steingröveri n. sp. 475 Saugscheibe durch die Haken fixiert: bei den großen Haken kontra- hieren sich die Muskehi A und D, die Spitzen in die Haut hineindrückend, dann der Retractor E; zu gleicher Zeit müssen dann auch die kleineren Sperrhaken in Funktion treten, damit die Scheibe nicht unter dem Zuge der großen Haken nach hinten rutscht. Über das Zusammenarbeiten der Muskeln der kleinen Haken siehe oben. Nunmehr kann die eigentliche Ansaugebewegung einsetzen. Die dorsale Fläche der Saugscheibe wird zunächst durch die aus dem Rumpfe in die Scheibe hineinziehenden und beiderseits ausstrahlenden Längs- muskeln fixiert, — dann kontrahieren sich die zweierlei Parenchym- muskeln, die bestimmt sind, die ventrale Fläche der dorsalen zu nähern: die dorso ventralen Faserbündel der Scheibe selbst und die in die Scheibe eintretenden Parenchymmuskeln aus dem Endteile des Rumpfes. Es entsteht ein Hohlraum unter der Scheibe, der noch dadurch verstärkt wird, daß die Circulärfasern, die sich an den großen Haken inserieren, bei ihrer der Hakenfixation dienenden Kontraktion zugleich auch eine stärkere Wölbung der ganzen Saugscheibe bewirken. Die langen Haken werden dabei passiv so weit wie nötig aus ihrer Scheide hinaus- gezogen werden, da besondere Muskeln hierzu, wie wir sahen, nicht vorhanden sind. Über Nervensystem und Wassergefäßsystem fasse ich mich kurz, da ich dem von den andern Arten her Bekannten nichts Neues hinzuzu- fügen habe, wenn ich auch in Einzelheiten etwas abweichende Bilder sah. Nervensystem. Braun macht auf den Gegensatz aufmerksam, der betreffs der E. hippoglossi zwischen van Beneden und Taschenberg besteht. Van Beneden fand das Gehirn an der Stelle, wo der Pharynx in den Oesophagus übergeht, Taschenberg vor der vorderen Pharyn- gealöffnung. Wenn sich die Verhältnisse hier bei E. steingröveri ebenso verhalten, wie dort (was doch wohl anzunehmen ist), so haben beide Autoren eigentlich richtig gesehen. Die eine — und zwar die größere — Nervenmasse mit zahlreichen Ganglienzellen liegt da, wo VAN Beneden sie beschreibt; eine zweite kräftige Quercommissur, die zwei ganglienzellhaltige Anschwellungen verbindet, liegt aber noch vor dem Pharynx. Das hintere bandförmige Gehirn steht mit den beiden seitlichen Anschwellungen der praepharyngealen Commissur jederseits durch eine seitlich um den Pharynx herumgreifende Commissur in Ver- bindung. Wir haben es also hier mit einem richtigen Pharyngealring zu tun; die kräftige Ausbildung der vorderen Ganglienknoten steht wohl mit den Augen und den vorderen Sauggruben in Verbindung. 476 Ludwig Cohn, Die Augen bilden, wie bei den andern Epibdelliden, zwei Paare, die vor dem Pharynx liegen und jedes aus einem größeren hinteren und einem kleineren vorderen bestehen. Von der vorderen Commissur und deren seitlichen Anschwellungen gehen nach vorn zahlreiche feine Nervenästchen aus, die untereinander wieder durch eine feine Eing- commissur verbunden sind, — von dieser Commissur aus wird wohl die Innervierung der Sauggruben geschehen. Man erhält also im ganzen ein Bild, das an den vordersten Commissurenring des Tänienscolex am Rostellum erinnert. Jederseits gehen von den obenbeschriebenen centralen Teilen des Nervensystems drei Längsstämme nach hinten ab, und zwar je zwei gemeinsam von den Verdickungen der praepharyngealen Com- missur und ein dritter von dem hinter dem Pharynx gelegenen Gehirn. Dieses mediane Paar verläuft in dem Räume innerhalb der beiden Darmschenkel rückwärts, sich dem Ovar und den beiden Hoden außen eng anschmiegend; es dient wohl hauptsächlich zur Innervierung der Genitaldrüsen und ihrer Ausführungsapparate. Seine Lage ist aus- gesprochen ventral. Die beiden lateralen Stämme, von denen der innere der stärkere ist, verlaufen in sich gleichbleibendem Abstände durch den ganzen Körper nach hinten und treten durch den Stiel in die hintere Haft- scheibe hinein. L^tereinander und mit den medianen Stämmen sind sie durch zahlreiche Quercommissuren verbunden; von den Commis- suren zwischen den seitlichen Stämmen gehen dann weiter nach außen feine Nerven bis an den Körperrand. Die Ansatzstellen zwischen den medianen Stämmen und den inneren seitlichen Nerven entsprechen nicht immer den äußeren Commissuren zwischen den beiden seitlichen Paaren, so daß man nicht von regelmäßigen Nervenringen sprechen kann. Innerhalb des Rumpfes scheinen die Längsnerven nirgends Ganglienzellen zu enthalten, wohl aber in der hinteren Saugscheibe. Der genaueren Untersuchung der Nerven und ihrer Struktur waren Erhaltungszustand und Tinktionsfähigkeit nicht günstig. Was das Wassergefäßsystem anbelangt, so kann ich mich im großen ganzen der Darstellung van Benedens anschließen. Die beiden Hauptlängsstämme, die außen von den Darmschenkeln verlaufen, er- weitern sich vorn, etwa auf der Höhe des Cirrusbeutels, jederseits zu einer weiten Blase, und aus dieser führt ein feiner Ausführungsgang nach dem seithchen Körperrande, fast rechtwinklig von der Richtung des Längsganges abbiegend. Van Beneden sah diese Erweiterung pulsieren; hier wird das wohl auch der Fall sein, da sie, wie tangentiale Epibdella steingröveri n. sp. 477 Schnitte zeigen, eine eigne Muskulatur besitzt. Ihr Inhalt wird also durch die seitlichen Pori entleert. Nach vorn hin erstreckt sich als Fortsetzung des Hauptlängskanales ein Wassergefäßstamm bis jeder- seits vor den Pharynx, wie es van Beneden beschreibt; ebenso fehlen nicht die medianen, zwischen den Darmschenkeln hinziehenden Äste. Eine Anastomose vor dem Pharynx konnte ich hingegen nicht konsta- tieren, — vielleicht entzog sie sich mir aber nur wegen der starken Kon- traktion des Vorderendes; van Beneden konnte sie ja auch nur durch Injektion am lebenden Tiere beobachten. ^■yOd. Fig. 6. Flächenschnitt durch das Vorderende. D., Darm; Dd.. Darmdivertikel und ihre Ver- zweigungen; Wg., Hauptwassergefäßstamm; Am., pulsierende Erweiterung des Wassergefäßes; Ov., Ovarium; Dtr., Dotterreservoir; Cr., Girrus; Ph., Pharynx; Rs., Receptaculura seminis; Ovd., Oviduct; Ot., Ootyp; Vg., Vagina; B.., Gefunden habe ich hingegen etwas, was der von v. Linstow be- schriebenen hinteren Ausmündung der Excretionsstämme entsprechen würde. Während aber bei E. hensdorffii nach diesem Autor sich beide .Stämme zu einer gemeinsamen pulsierenden Blase vereinigen sollen, die in einem einzelnen Porus ausmündet, sah ich bei E. steingröveri jeden Stamm für sich im Centrum der hinteren Saugscheibe mit einer feinen Öffnung ausmünden; beide Öffnungen liegen dabei dicht neben- einander. Die Längsstämme des Excretionsapparates, die vor dem Pharynx gelegenen wie die langen Körperstämme, entsenden stark verzweigte 478 Ludwig Colin, Seitenäste, deren Verästelung ganz den gleichen Charakter hat wie die des Darmes; diese Wassergefäßäste reichen beiderseits bis dicht an die Körperränder heran. Der Darmkanal endlich zeigt keine prinzipiellen Abweichungen gegenüber dem Darme der nächstverwandten Epibdelliden, wie E. Jiens- dorffii und E. hippoglossi. Im Pharynx sind die Muskeln, die zwischen beiden Wänden desselben ausgespannt sind, nur schwach und treten nur wenig zu Bündeln zusammen; die innere Kingmuskulatur ist da- gegen, und auch im Gegensatz zu den schwachen, außen um den Pha- rynx verlaufenden Ringmuskeln, sehr kräftig ausgebildet, — die ein- zelnen Fasern sind breit bandförmig und dabei hochkant zur Cuticula der inneren Pharynxfläche gestellt. Ein Oesophagus fehlt so gut wie ganz. Der am Hinterende bogen- förmig herumbiegende Darmkanal unterscheidet sich, wie bereits in den einleitenden Worten gesagt, von dem Darme von E. hifpoglossi durch die Art der Verzweigungen seiner zahlreichen seitlichen Diver- tikel. Während diese Divertikel bei E. hippoglossi, wie die Abbildung VAN Benedens zeigt, kurz und dick sind, finden sich bei E. steingröveri lange, schlanke und in zahlreiche stark verästelte Ausläufer übergehende Seitenäste; die Spitzen der Verästelungen reichen bis dicht an den Kör- perrand heran. Auch nach innen, in den Raum zwischen beiden Darni- schenkeln, gehen solche Divertikel ab. Vor dem Ovarium sind sie nur sehr kurz und kaum verzweigt, da der ganze Binnenraum durch die Ausführungsgänge der Genitalorgane eingenommen wird; zwischen beiden Hoden sind die Divertikel dagegen schon, wenn auch nicht zahl- reich, doch so lang, daß sie beiderseits fast bis zur Mittelhnie reichen. Der Raum endlich hinter den Hoden und bis zum hinteren Darmbogen ist von zahlreichen und gut verzweigten Darmästen durchsetzt, die den äußeren ganz entsprechen. Die Darmwandung hat eine eigne, zarte Muskulatur aus sich kreuzenden Muskelfasern. Innen ist sie, soweit das Epithel erhalten ist, von einem zusammenhängenden Darmepithel ausgekleidet. Die Genital Organe sind im allgemeinen nach demselben Prinzip gebaut wie bei den andern Epibdelliden, doch sind gerade über dieses Organsystem die bisherigen Untersuchungen in wesentlichen Punkten zu nicht ganz richtigen Resultaten gelangt. Insbesondere der weibliche Apparat, der eine Vagina entbehren sollte, ergab bei der von mir unter- suchten Art ein abweichendes Bild, — bei der nahen Verwandtschaft der E. steitigröveri mit den von van Beneden und v. Linstow unter- Epibdella steingröveri n. sp. 479 suchten Species wird sich das von mir Gefundene wohl auch ohne weiteres auf jene übertragen lassen. Der männliche Genitalapparat. Die beiden Hoden, die vor der Mitte der Körperlänge symmetrisch beiderseits von der Mittellinie liegen, sind zwei kugelige Körper von etwa 1,0 mm Durchmesser. Beim ausgewachsenen Tiere wölben sie aus der Bauchseite die Körperoberfläche deuthch hervor, v. Linstow schreibt über ihren Bau: >>Die Hoden, von einer derben Membran rings umschlossen, werden von starken Dorsoventralmuskeln durchzogen.« Hierzu hat schon Braun 8. 429 bemerkt: »Auch zwischen den Organen trifft man die Parenchymmuskeln in großer Zahl, jedoch durchsetzen sie niemals die Organe selbst, wie Linstow glaubt: was dieser Autor bei Epibdella hensdorjfii v. L. für Hoden und Ovarien durchsetzende Parenchymmuskeln hält, sind nach den Abbildungen zweifellos binde- gewebige, von der Umhüllung der genannten Organe ausgehende Septen.« Nach den Abbildungen, die v. Linstow in den Fig. 21 und 22 seiner Arbeit gibt, konnte Braun zu keiner andern Deutung kommen. Damit, daß die Parenchymmuskeln niemals die Organe durchqueren, hat er unzweifelhaft recht, ebenso mit der Deutung, daß die von v. Lin- stow gezeichneten Fasern von der Hülle der Hoden herstammen. Die Abbildungen sind aber äußerst schematisch und geben das wahre Ver- halten nicht entfernt wieder, — sie täuschen nur Septen vor, wo in Wahrheit gar keine vorhanden sind. Außen sind die Hoden mit einer dicken Hülle umgeben. Über diese schreibt Braun zusammenfassend : >>Sie (nämlich die Hoden. L. C.) haben wohl überall ihre eigne Membran, wie dies mehrere Autoren be- tonen, andre allerdings bestreiten. Diese Membran ist entweder struk- turlos und dünn, oder dicker und weist dann einzelne flachliegende Kerne auf oder sie ist ganz dick und faserig, wie bei E. hensdorffii v. L., und entsendet durch die Substanz der Drüse selbst Scheidewände, welche die Hoden in mehrere, äußerlich nicht erkennbare Abteilungen teilen . . . Haswell erwähnt sogar Muskelfasern in der Wand der Hoden von Temnocephala. « Auch die Hodenwand von E. steingröveri ist deutlich muskulös. Außen ist sie von einer Lage von Eingmuskeln gebildet, denen innen eine dünnere, strukturlos erscheinende Membrana propria anliegt. In das Innere der Hoden treten aber die Muskeln nicht ein. Die Querzüge, die man auf dorsoventralen Schnitten findet, be- stehen vielmehr aus derselben strukturlosen Substanz, wie die eigent- liche Hodenwandung, — es sind eben quer durch das Lumen verlaufende 480 Ludwig Colin, Stränge der Membrana propria. Nun zeichnet aber v. Linstow dicke Bündel im Innern des Hodens, die wohl Dissedimente darstellen könnten, durch welche der Hoden in mehrere Abteilungen getrennt werden könnte: ich dagegen finde nur dünne, einzelne Balken von rundlichem Querschnitt, die sich färberisch wie die Membrana propria verhalten, und die ringsum von mehreren aufeinander gelagerten Reihen kleiner Zellen umkleidet sind. Dies letztere hat sie wohl v. Linstow breit erscheinen lassen. Wir haben also einen einheitlichen Innenraum des Hodens, der in dorsoventraler Richtung von einzelnen Querbalken durchzogen wird. Was den Hodeninhalt bzw. die Bildung der 8permatozoen anbelangt, so finde ich bei meinem Material nicht die einschichtige Lage großer Zellen, die Stieda u. a. an der Peripherie gefunden haben, glaube das aber auf das weit fortgeschrittene Stadium zurückführen zu müssen, in dem sich die Spermabereitung bei meinen Exemplaren bereits be- findet. Über die Weiterentwicklung dieser äußeren Zellschicht sagt nämlich Lokenz, daß die Entwicklung der Spermatozoen von kleinen Zellen ausgeht, welche mit den Epithelzellen der Hoden große Ähnlich- keit haben und wohl von diesen abstammen; solche losgelöste Epithel- zellen sollen sich zu einem Haufen kleiner Zellen teilen, später einzelne der letzteren sich vom Haufen abtrennen, an Größe zunehmen und sich weiter zu Spermatozoen entwickeln. Ich finde nun, wie gesagt, keinen einheitlichen Wandbelag großer Zellen mehr vor, wohl aber an der Peripherie dichte Haufen kleiner, gleichartiger Zellen, die meines Erachtens mit den aus dem Epithel entstandenen Samenmutterzellen von Lorenz identifiziert werden können: da diese Haufen augenscheinhch von der Hodenwand her gebildet worden sind, werden dort wohl auf jüngeren Stadien auch die anderwärts beobachteten großen Epithelzellen vorhanden gewesen sein. Und diese selben kleinen Zellen, aus denen die Spermatiden ent- stehen, sind es auch, die, dicht neben- und übereinander gereiht, die obenerwähnten dünnen Querstränge auf ihrem Zuge quer durch den Hoden bekleiden. Ich glaube daher in diesen Quersträngen eine Vorrichtung sehen zu dürfen, die zur Vergrößerung der Spermazellen produzierenden inneren Hodenoberfläche dient. Die Spermabildung erfolgt eben nicht nur von der peripheren Wandung, sondern auch von diesen Querbalken aus. Die Spermafäden selbst sind fadenförmig mit ganz schwach ver- dicktem Kopfe, im ganzen etwa 0,17 mm lang. Über die Ausführungsgänge der Hoden und den Cirrusbeutel Epibdella steingröveri n. sp. 481 spreche ich lieber erst später, im Znsammenhang mit den weiblichen Genitalgängen. Die weiblichen Genitalorgane. Das Ovarium, in der Mittellinie und wenig vor den Hoden gelegen, ist ein annähernd kugeliges Organ von 0,6 mm Durchmesser; auch hier finden sich nach außen von der Membrana propria rund herum verlaufende Muskeln. Der Innenraum ist, wie bei den Hoden, einheitlich, und auch außen kommen keine Loben zur Ausbildung. Einen sehr merkwürdigen Eindruck machen Schnitte durch den Mittelteil des Ovars. Man sieht da einen Schlauch, der nur reife Eier enthält, mitten in dem Organ liegen. Es ist das der Oviduct (oder vielmehr eine besondere Ver- breiterung desselben). Der Oviduct entspringt vorn am Ovar in der Mittellinie, und zwar dicht an der dorsalen Körperfläche, als ein sehr enger Kanal, der immer nur je ein Ei passieren lassen kann. Statt aber nun direkt nach vorn zu ziehen, wendet sich der Ovi- duct zunächst ventralwärts und zieht bis dicht an die ven- trale Fläche, — verläuft dabei aber nicht außerhalb des Ovars, sondern in eine tiefe Furche eingesenkt, die in das Ovar vorn einschneidet. Man könnte das Ovar am ehesten mit einer Niere ver- gleichen, — durch das Nierenbecken würde dann der Oviduct entlang- ziehen. Da der Oviduct auf dieser dorsoventral gerichteten Strecke bedeutend verbreitert ist, so müssen eben auf Flächenschnitten solche Bilder entstehen, wie sie Fig. 7 wiedergibt. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 32 Fig. 7. Kekonstruktion der Genitalgänge. Vd., Vas deferens; Ov., Ovarium; Os., Ovarialtasche; Od., Ovi- duct; Rs, Receptaculum seiniuis; Bfg., Befruchtungs- gang. Sonstige Bezeichnungen wie auf den früheren Zeichnungen. 482 Ludwig Colin, Van Beneden hat für E. hippoglossi die gleichen Verhältnisse beschrieben, S. 32: >>Le germigene, ou la glande qui produit les vesicules germinatives, est forme d'une vesicule unique . . . Vers le milieu, un peu ä droite et en avant, on voit couchee sur ce germigene une petite vesicule comme la vesicule du fiel dans un lobe du foie; eile est assez etroite en avant et un peu dilatee vers le milieu. Dans le germigene on voit les vesicules transparantes emboitees et de diverses grandeurs, tandis que dans cette vesicule elles sont toutes parfaitement spheriques et de meme volume; il y a tout juste l'espace en avant pour le pas'sage d'une vesicule ä la fois. On dirait une poche remplie de perles. C'est aussi un organe de depot ou le germisac.« Man könnte diesen Teil des Oviductes, entsprechend dieser Bezeichnung, die Ovarialtasche nennen. Nicht ganz deutlich ist der Ausdruck: >>on voit couchee sur le germi- gene ...<<, — denn auch bei E. hippoglossi liegt augenscheinlich, wie der gleich nachfolgende Vergleich mit Leber und Gallenblase zeigt, die Ovarialtasche in das Ovar eingesenkt. Abweichend von der Beobach- tung VAN Benedens sah ich außerdem die Eier auch in der Ovarial- tasche nicht rund, sondern, wie die im Ovarium selbst, meist abgeplattet, als Folge früheren gegenseitigen Druckes; vielleicht ist das Verhalten aber bei lebendem Material, wie es van Beneden untersuchte, ein andres, als beim konservierten und stark kontrahierten. Nachdem er in der Kinne des Ovars die ventrale Körperfläche erreicht hat, tritt der Oviduct aus dieser heraus und wendet sich nun nach vorn. In der Rinne stark erweitert und dünnwandig, verengt er sich wieder so weit, daß immer nur ein Ei passieren kann, und bekommt zugleich sehr dicke, muskulöse Wandungen, die besonders eine kräftige Ringfaserschicht enthalten. In recht gestrecktem Verlaufe und mit nur wenigen Windungen erreicht der Oviduct, dessen Wandung in der zweiten Hälfte seiner Länge wieder dünn wird, das Ootyp, das ganz vorn, gleich hinter dem Pharynx gelegen ist. Zuvor einige Worte über den inneren Bau des Ovars selbst. In der Hauptsache kann ich direkt darauf Bezug nehmen, was ich weiter oben über die die Hoden durchziehenden Querstränge sagte. Auch hier treten diese, von der Basalmembran ausgehenden Stränge in dorso- ventralem Verlaufe recht zahlreich auf, ohne daß das Lumen des Ovars aber seine EinheitHchkeit verliert, da es sich auch hier nur um schmale Bänder, nicht um breite Scheidewände handelt. Die Bedeutung der Stränge ist hier wohl die gleiche wie im Hoden. Die Eier sind rund, von 0,06 mm Durchmesser, immer aber mehr oder weniger polygonal abgeplattet durch gegenseitigen Druck. Sie zeigen einen großen, blas- Epibdella steingröveri n. sp. 483 chenförmigen, chromatinarmen Kern, der von einer auffallend hellen Plasmazone umgeben ist. Diesen hellen Hof hat van Beneden auch an frischem Material beobachtet, so daß es sich jedenfalls nicht um ein Kunstprodukt handelt, — nur in diesem Sinne ist ja seine Angabe zu verstehen, daß das Ei von E. hippoglossi aus drei ineinander ge- schachtelten Bläschen bestehe. Er spricht von der Eihülle als von einer »troisieme membrane qui sert d'enveloppe<<, — eine Abscheidung des hellen Plasmateiles von dem übrigen durch eine Membran ist aber natürlich nicht vorhanden; da van Beneden eine solche annimmt, so muß wohl am frischen Material infolge starker Lichtbrechung der Helligkeitsunterschied zwischen dem Hofe und dem übrigen Plasma noch erheblicher sein als am konservierten. Dicht hinter der Stelle, wo der Oviduct aus der Ovarialrinne her- austritt, münden in ihn die Ausführungsgänge des Dotterreservoires und des Receptaculum seminis. Betreffs des Befruchtungsvorganges und seiner anatomischen Grundlage haben van Beneden und v. Linstow Darstellungen gegeben, die sich mit meinen Befunden bei E. steingröveri nicht decken. Nach Linstow würde die Befruchtung der Eier bei E. hensdorffii durch die Uterusmündung (oder vielmehr durch die Mündung des Ootyps) er- folgen, da eine Vagina nach ihm nicht vorhanden ist ; (eine mit Sperma gefüllte Blase, die seithch dicht vor dem Ovar liegt, deutet er als Vesicula seminalis, nicht als Receptaculum seminis, und zeichnet dementspre- chend auch das Vas deferens mit sehr starken Windungen, die diese Blase mit in sich einschließen). Auch nach van Beneden soll die Befruchtung (bei E. hippoglossi) auf diesem Wege vor sich gehen. Aus der Darstellung dieses Autors geht aber hervor, daß er sich seiner Sache doch nicht ganz, sicher war, denn er hat die betreffenden Ver- hältnisse nur an Totalpräparaten studiert und, wie er selbst sagt, nur einigemal die in Betracht kommenden Gänge sehen zu können geglaubt. Es ist auch in der Tat unmöglich, hier ohne Schnittserien richtig zu sehen, — die Einmündungssteilen von Dottergang und Vesicula semi- naHs in den Oviduct liegen zu dicht beieinander und männliche wie weibliche Gänge greifen zu sehr durcheinander. Immerhin ist van Beneden der Wahrheit schon näher gekommen, denn er beschreibt ein Organ, dessen Bedeutung ihm selbst ganz unklar geblieben ist, und das gerade die Lösung des Rätsels bildet. Er schreibt S. 34: >>Un organe que nous avons cru longtemps en rapport avec le vitellosac, et dont nous ignorons completement l'usage et la signification est situe en avant du vitellosac et longe le canal deferent dans une partie 32* 484: Ludwig Colin, de sa longueur, pour se perdre au devant de la vesicule piüsatile. Cet Organe consiste dans un boyau tortueux, im peu elargi vers la base et inontrant des circonvolutions sur son trajet. Son aspect est legerement jaunätre; au fond on trouve des corps arrondis, tandis que vers le bout il ii'existe dans l'interieur qu'une gaine repliee sur elle-meme et remplie d'une matiere granuleuse . . . Dans TEpibdelle de la Sciene cet organe est encore plus distinct : on voit au fond un sac d'une apparance glan- dulaire que le contenu rend opaque, et une gaine en avant qui marche parallelement aux deux conduits excreteurs des organes sexuels. Nous croyons avoir vu cet organe s'ouvrir ä Texterieur ä cote des orifices sexuels. << Was VAN Beneden da zu sehen glaubte und so unsicher beschrieb, existiert in der Tat und mündet neben Cirrusbeutel und Ootyp, nach außen von ihnen : es ist eben die Vagina, die von den Autoren vermißt wurde, van Beneden gab keine Deutung des in seinen distalen Teilen richtig verfolgten Apparates, v. Linstow wieder übersah ganz den distalen Teil und hat irrtümlich den proximalen Teil mit in die Win- dungen des Vas deferens einbezogen. Schon am Totalpräparate ist die Mündungsstelle der Vagina deut- lich kennthch. Während die Dotterfollikel auf der andern Körper- hälfte bis ganz nach vorn ziehen, bleibt die ventrale Fläche um die Vaginamündung von ihnen frei, so daß diese Stelle ohne weiteres heller und durchscheinend ist. Auf der Dorsalfläche findet sich hier, neben den beiden andern Genitalmündungen und nach außen von ihnen, ein tiefes trichterförmiges Genitalatrium, an dessen Grunde die Öffnung der Vagina liegt. Von hier zieht die Vagina zunächst als dünnwandiger Kanal in gestrecktem Verlaufe längs des Cirrusbeutels nach innen, wie es VAN Beneden richtig gesehen hat; dann legt sie sich aber in zahl- reiche und sehr dicht aneinander gelagerte Schlingen und zieht so fast geradeweg nach der Mitte des Ovariums, die Schlingen des Vas deferens unterwegs kreuzend. An dieser Stelle hat dann v. Linstow Vas defe- rens- und Vaginalschlingen verwechselt und alle zusammen als Vas deferens bezeichnet. Eine Verwechslung ist dabei bei genauerem Zu- sehen am Schnittapparat gar nicht leicht, denn das Vas deferens bildet in seinem ganzen Verlaufe ein weites, in breit ausladende Schlingen gelegtes Rohr, während die Vagina, wie gesagt, den gestreckten und etwas weiteren distalen Teil ausgenommen, ein sehr enges Lumen zeigt und dabei kurze und steile, dicht aneinander gedrängte Windungen bildet. Die Vagina zieht von dem Vorderende her direkt auf die Mitte Epibdella steingröveri n. sp. 485 des Dotterreservoirs hin, biegt dann dicht bei diesem, eine Vas deferens- .•Schlinge überkreuzend, nach derselben Seite ab, auf der auch die Vagina- mündung hegt, und mündet alsbald in das Receptaculum seminis, das neben dem Dotterreservoir liegt und dem Ovar dicht angelagert ist. Das Receptaculum ist nicht eine Blase, wie das Dotterreservoir, sondern langgestreckt und U-förmig gebogen, so daß auf Flächenschnitten an der Stelle drei runde Querschnitte erscheinen; da es zudem etwa den gleichen Durchmesser hat, wie das Vas deferens und ebenfalls prall mit Sperma erfüllt ist, ist die Verwechslung des Receptacuhims mit einer Vas deferens-Schlinge leichter möglich, v. Linstow nennt es zwar in der Figurenbeschreibung seiner Arbeit (Fig. 11) ein Receptaculum seminis, doch wäre nach seiner Zeichnung seine Auffüllung nur vom Ootyp her möghch. Van Beneden wieder zeichnet auf Taf. II Fig. 1 an der betreffenden Stelle gar mehrere kleine Bläschen um den eine starke Schhnge bildenden Oviduct und nennt diese vesicules seminales internes, — im Totalpräparat sah er eben die Querschnitte der U-förmig gebogenen Blase. Die Vagina mündet in das eine Ende des Recep- taculum, während ein sehr kurzer und feiner Gang von diesem in den Oviduct führt. Das Verbindungsstück zwischen seinem rätselhaften Gange und dem Receptaculum hat van Beneden nicht gesehen, da «s ja, wie gesagt, hinter einer Vas deferens-Schlinge verschwindet, — • •daher läßt er eben seinen unerklärten Gang in das Dotterreservoir ein- münden, an dessen Mitte die Vagina, wie oben bemerkt, dicht heran- tritt. E. steingröveri besitzt also eine Vagina, die mit dem Receptaculum seminis in direkter Verbindung steht, und die gleichen Verhältnisse liegen zweifellos, bei naheliegender Umdeutung der Darstellung der Autoren, auch bei E. hensdorffii, hippoglossi und sciaenae vor. Die Dotterstöcke von E. steingröveri sind sehr stark entwickelt, indem sie nicht nur die beiden Seitenfelder beiderseits der Darmschenkel ausfüllen, überall zwischen die dendritischen Verzweigungen von Darm und Wassergefäßen eindringend, sondern auch den ganzen Raum zwi- schen den Darmschenkeln einnehmen, unmittelbar an Hoden und Ovarium. herandrängend. Frei von ihnen ist nur der Raum vor dem Ovar (innerhalb der Darmschenkel) und derjenige zwischen Hoden und Ovar. Die Verteilung der Dotterfollikel ist bei meiner Art eine etwas andre als bei E. hensdorffii; hier liegen sie, nach v. Linstow, in zwei voneinander getrennten Ebenen, an der Rücken- und der Bauchfläche, zwischen denen die Fig. 21 und 22 einen mittleren von Dotterfollikeln freien Raum zeigen, — bei E. steingröveri füllen sie das Parenchym 486 Ludwig Cohn, innerhalb des Hautmuskelschlauches in der Querschnittebene vollstän- dig aus. Die einzelnen Follikel messen 0.12 : 0,9 mm. Jeder ist von einer eignen Membran umgeben; Kerne, die dieser Membran stellen- weise anliegen, gehören aber, wie ich glaube, nicht zu dieser, sondern zu Parenchymmuskelfasern, die in dichtem Gewirr zwischen den Dotter- f ollikeln hindurchziehen. Bei jungen Tieren enthält nur erst der vordere Teil des Rumpfes Dotterfollikel ; ihre Ausbildung schreitet also von vorn nach hinten fort. Der Inhalt an Dotterelementen ist in den Follikeln stets gleich- zeitig auf verschiedenen Entwicklungsstufen zu sehen, indem nur ein Teil der Follikel, auch bei dem erwachsenen Tiere, reife Dotterzellen enthält. Bei den andern Epibdelliden ist ein aus Epithelzellen gebil- deter Wandbelag der Follikel beschrieben worden, dessen einzelne Zellen sich zu Dotterzellen umbilden sollen. Bei meinem Material hat sich der ganze Inhalt infolge von Schrumpfung von der umhüllenden Membran abgehoben; am Rande besteht er im allgemeinen aus kleineren Zellen als in der Mitte, wo Zellen von typischer Größe der Dotterzellen liegen. Die Follikel sind stets ganz gefüllt, so daß für die ausgestoßenen reifen Dotterzellen augenscheinlich sogleich durch Teilung der peri- pheren Zellen Ersatz geschaffen wird. Erst wenn die Zellen annähernd die volle Größe erreicht haben, treten in ihnen die glänzenden Dotter- körnchen auf, die sich zunächst in weitem Kreise um den Kern grup- pieren. Die reifen Zellen endlich, in denen der Kern unter den die ganze Zelle anfüllenden Dotterkörnern nicht mehr zu erkennen ist, treten aus dem Follikel in den engen Ausführungsgang, dessen Wandung eine direkte Fortsetzung der Follikelmembran ist, wobei sie sich, dem engen Lumen entsprechend, sehr in die Länge ziehen. Durch die stark verzweigten Sammelgänge gelangen sie in die beiden seitlichen Haupt- dottergänge, die den Wassergefäßlängsstämmen direkt aufliegen. Jederseits geht von den seitlichen Dotterhauptstämmen ein Quer- stamm kurz vor dem Ovarium nach innen und mündet in das quer- liegende, an den Vorderrand des Ovars grenzende Dotterreservoir. Vom medianen Ende dieses geht dann ein kurzer Gang nach dem Oviduct ab, fast auf der gleichen Höhe wie der Ausführungsgang des Recepta- culum seminis in den Oviduct einmündend. Ein Zerfallen der Dotter- zellen auf dem Wege zum Reservoir oder in demselben findet bei meiner Species nur in geringem Umfange statt, so daß sich im Reservoir neben unveränderten Dotterzellen nur wenig Detritus findet. Dasselbe wird wohl, entgegen anders lautenden Angaben der Autoren, auch für die andern Epibdelliden gelten, da nach der Abbildung von van Beneden Epibdella steingröveri n. sp. 487 das fertig gebildete Ei neben der Eizelle eine große Zahl dichtgepackter, wohlerhaltener Dotterzellen enthält. Zum Schluß noch einiges über die Ausführungsgänge der Genital- organe. Die »Samenleiter gehen an den Innenrändern der Hoden nächst deren Vorderenden ab, sind nur kurz und vereinigen sich alsbald zum gemeinsamen Vas deferens. In recht steilen Windungen zieht dieses nach vorn, indem es seitlich ausbiegt und außen am Ovarium und am Dotterreservoir vorüberzieht, also auf der dem Eeceptaculum seminis entgegengesetzten Seite. In den Raum vor das Ovar gelangt, legt es sich nun in starke quergerichtete Schlingen, die sich mit der Vagina überkreuzen; bei Besprechung der letzteren hatte ich bereits Gelegen- heit, darauf hinzuweisen, wie sich aus diesem Umstände die bisherigen unrichtigen Auffassungen über den Befruchtungsapparat ergaben. Nachdem das Vas deferens noch eine lange, nach vorn längs des Ootyps (zwischen diesem und der Vagina) gelegene Schlinge gebildet hat, tritt es von hinten her in den Cirrusbeutel ein. Der Cirrusbeutel besteht aus zwei hintereinander gelegenen Teilen, wie aus Fig. 1 ersichtlich. In dem hinteren, rundlichen Teile erweitert sich das Vas deferens zu einer Samenblase; von dieser geht wieder ein Kanal ab, der am hinteren Ende der vorderen Erweiterung einige Schlingen bildet. Davor befindet sich dann der sehr muskulöse Cirrus, der augenscheinlich herausgestülpt werden kann; da das Vorderende meiner Exemplare stark gekrümmt ist, konnte ich über den Bau des Cirrus im einzelnen nicht klar werden. Der lange Gang vom Cirrus- beutel bis zur äußeren Öffnung ist mit starker Ring- und Längsmusku- latur versehen, so daß er wohl beim Hervorstülpen des Cirrus auch eine Rolle zu spielen haben wird. Die Länge des Cirrus steht wohl mit der Lagerung der Vaginaöffnung am Grunde des tiefen trichterförmigen Genitalatriums in Zusammenhang. Was endlich den Ootyp anbelangt, so hat es langgestreckt birn- förmige Gestalt und sitzt, ebenso wie der Cirrusbeutel, am Ende eines langen, muskulösen Ausführungsganges. Innerhalb des mit lockerem, faserigem Parenchym ausgefüllten birnförmigen Apparates zieht der Oviduct, der am hintersten Ende einmündet, zunächst gewunden bis in den mittleren, breitesten Teil; dieser Teil des Oviducts ist wieder mit kräftiger Muskulatur ausgestattet, unter der besonders Ringfasern zu überwiegen scheinen, die die Weiterbeförderung des Eies besorgen. Dann erweitert sich der Oviduct zum eigenthchen Hohlraum des Ootyps, dessen Wandung sehr starke Muskulatur aufweist, — der Längsschnitt zeigt ein ovales Lumen, das von einem einzelnen Ei fast vollständig 488 Ludwig Colin, Ejiibdella steingrövcri n. sp. ausgefüllt wird. Die Eier werden also auch hier, wie bei andern Epibdel- liden, einzeln in das Ootyp gelangen und ausgestoßen werden. Der lange Schwanzanhang des Eies liegt, während das Ei selbst in der Höh- lung des Ootyps sich befindet, in den letzten Schlingen des Oviductes (innerhalb des Ootyps) unregelmäßig aufgerollt. Über die Schalendrüse kann ich keine bestimmten Angaben machen. Um das hintere Ende des Ootyps sah ich dicht gedrängt liegende Zellen, die sich mir von den gewöhnlichen Parenchymzellen zu unterscheiden schienen, doch sah ich sie nicht von so typischer Form, wie v. Linstow sie bei E. hensdorffü beschreibt; jedenfalls erstrecken sie sich bei meiner Form nicht so weit nach vorn, wie bei der ebengenannten, da vorn ganz typische Parenchymzellen liegen. Die Einmündung der Schalen- drüsenzellen erfolgt sicher in den hintersten Teil des Ootyps, wo der Oviduct noch, nicht verbreitert. Schlingen bildet, oder gar in den Ovi- duct selbst vor Eintritt in das Ootyp, da, wie oben bemerkt, der lange, aus Schalensubstanz bestehende Schwanzanhang noch hinter dem er- weiterten Hohlraum des Ootyps in den Windungen des Oviductes liegt.. Aus dem Vorstehenden würde sich die folgende Diagnose der vori mir aufgestellten Species Epidbella steingröveri ergeben: Mittelgroßer Epibdellide mit vier Augen, zwei vorderen Haft- scheiben und hinterem großem, mit drei Hakenpaaren versehenem Saugnapf. Darm mit zahlreichen, dichotomisch stark ver- zweigten Divertikeln. Vagina vorhanden, Mündungen von Va- gina, Ootyp und Cirrusbeutel nebeneinander seitlich vorn, neben, der linken Haftscheibe. Mündungen des Wassergefäßsystems beiderseits seitlich vorn und außerdem in der Mitte der hinteren Haftscheibe. Dotterstöcke über den ganzen Körper und in der ganzen Dicke des Körpers verbreitet. Im übrigen die Charaktere der andern Epibdelliden. Das Vorhandensein einer Vagina und deren Zusammenhang mit dem vor dem Ovarium gelegenen Receptaculum seminis ist wohl nicht als Eigentümlichkeit dieser Species aufzufassen, sondern kommt wahr- scheinlich allen Epibdelliden in gleicher Weise zu. Bremen, den 4. Juni 1915. Die Muskulatur von Helix pomatia L Zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Locomotion unserer einheimischen Pulmonaten. Von Walther Trappmaim. (Aus dem Zoologischen Listitut der Universität Marburg.) Mit 42 Figuren im Text Inhalt. Seite Einleitung 490 Material und Methoden 490 Muskulatur von Helix pomatia 492 A. Pharynx 492 1. Makroskopische Untersuchungen 492 a. Mundöffnung 492 b. Äußere Gestalt des Pharynx 493 c. Pharynxwände 494 d. Äußere Pharynxmuskeln 500 e. Innere Pharynxmuslceln 503 2. Mikroskopische Untersuchungen 509 3. Physiologische Betrachtungen 513 4. Zusammenfassung der Pharynxmuskulatur 516 5. Literatur über den Pharynx 517 B. Columellarmuskel 522 C. Körperwand 525 D. Fuß 530 1. Fußmuskulatur gezeigt an Schemata 531 2. Fußmuskulatur gezeigt an Schnitten 539 3. Betrachtung der Muskulatur als System 543 4. Zusammenfassung der Muskulatur 545 5. Vergleich mit Arion empiricorum 547 E. Mantel und Eingeweidesack 540 F. Literatur über die Muskulatur der Körperwand und des Fußes . . 554 Locomotion bei Helix pomatia mit Berücksichtigung anderer einheimischer Pulmonaten 559 1. Einziehen der Schnecke in die Schale 559 Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. B;l. 33 490 Walther Trappmann, Seite 2. Austreten der Schnecke aus der Schale 561 3. Anheftung der Sohle auf einer Unterlage 562 4. Locomotion der Schnecke 563 5. Literatur über Locomotion der Gastropoden 572 Literaturverzeichnis 581 Erklärung der Abkürzungen 584 Einleitung. Vorliegende Bearbeitung der Muskulatur von Helix pomatia L. in morphologischer Hinsicht schließt sich den im Marburger Zoologischen Institut entstandenen und teilweise schon erschienenen Arbeiten über die Weinbergschnecke an. Es wird die gesamte Körpermuskulatur mit Ausnahme der Muskulatur der Eingeweideorgane berücksichtigt; somit zerfällt die Arbeit in einzelne Abschnitte, die den Colu- mellarmuskel, die Körperwände, den Fuß und den Mantel mit der Haut des Eingeweidesacks behandeln. Da der Pharynx einen stark muskulösen Aufbau hat und eng mit dem Fuße und den vorderen Körperwänden in Verbindung steht, wurde er ebenfalls in Betracht gezogen und der übrigen behandelten Muskulatur vorweg genommen. Jedem morphologischen Abschnitt wurde ein physiologischer ange- schlossen; nach der Besprechung des Fußes folgt demnach ein physio- logischer Abschnitt über die Locomotion bei unsern einheimischen Landschnecken. Im Texte sind die Nummern der betreffenden Figuren mit den Buchstabenbezeichnungen der Muskeln in Klammern eingefügt. Die Literatur ist bei den einzelnen Abschnitten nach den eigenen Befunden angeführt und besprochen, hier finden sich auch diejenigen Muskel- bezeichnungen aus früheren Arbeiten, die mit meinen Namen und Be- zeichnungen nicht übereinstimmen. Ein Literaturverzeichnis und die Erklärung der Abkürzungen sind der ganzen Arbeit angeschlossen. Material und Methoden. Zur Bearbeitung gelangten im Anfang ausschließlich Schnecken aus der Umgebung von Marburg, siiäter ließ ich mir solche von einer Schneckenzucht- anstalt in Baden kommen; prinzipielle Unterschiede hinsichtlich der Morphologie der Muskeln waren bei diesen Tieren nicht festzustellen. Da die Orientierung nach Mikrotomschnitten meist recht schwierig ist, Die Muskulatur von Helix pomatia L. 491 benutzte ich Sclmittpräparate nur zur Nachprüfung des auf makroskopischem Wege oder mit Hilfe von Binocular und Rasiermesserschnitten Gefundenen. Zu den makroskopischen Untersuchungen dienten in erster Linie nur erwachsene Schnecken, da bei den aufpräparierten jungen Schnecken keine Abweichungen in den in Betracht kommenden Körperteilen von den älteren Tieren gefunden wurden. Gewöhnlich wurden die im abgekochten Wasser erstickten Tiere auf- geschnitten, in Präparierschalen festgesteckt und 1^2 Tage lang zur Maceration des zarten Bindegewebes mit Wasser bedeckt. Sodann wurde eine 4 — 5% Lösung von Formaldehyd aufgefüllt, in der die Tiere bis zum Ende der Untersuchungen blieben; aus gesundheitlichen Gründen wurde nur beim Arbeiten das Formol durch Wasser wieder ersetzt. Je länger das Formol einwirkte, um so fester und geschlossener traten die einzelnen Muskellagen, ohne zu schrumpfen, zutage; die größeren Muskelbündel traten scharf hervor, da die einzelnen Fasern ein helles, oft silbern blinkendes Aussehen bekommen hatten. So war ein leichtes Anfärben mit Boraxkarmin, wie es Beck (1912) zum Studium des Pharynx empfiehlt, unnötig. Große Schwierigkeiten bereitete der Fuß; sowohl das Arbeiten am Total- präparat als auch Mikrotomschnitte durch ihn führten infolge seines fast unent- wirrbaren Muskelgeflechtes nicht zum Ziel. Ich zerlegte daher die in Formol gehärteten Tiere mit Hilfe des Rasiermessers in Serienschnitte; ein Bestreichen der Schnittfläche mit heiß eingedickter Gelatinelösung, die bald erkaltete und hart wurde, ließ auch dünnere Schnitte zu. Um ein Einfallen der Körperhöhle und ein Auseinanderfallen von Mantel und Fuß zu verhüten, wurden die Körper- höhle und die Fugen zwischen Mantelrand und Fuß ebenfalls mit stark einge- kochter Gelatine ausgegossen. Klemmleber eignete sich nicht so gut zum Schneiden, weil der Druck der Leber die Form des Fußes zu sehr veränderte, bei geringem Druck aber der Fuß keinen Halt in der Leber fand. • — So konnte ich mit Hilfe der Gelatinemethode schnell und leicht Serienschnitte durch alle Ebenen des Fußes erlangen, die trockenen Schnitte wurden zur leichteren Aufbewahrung mit Gelatine auf Glasplatten aufgeklebt, 1 — 2 Tage in 10 — 15% Formollösung gehärtet, so dann in einer 4 — 5% Formollösung aufgehoben. Ich benutzte zum Aufkleben der Schnitte alte jjhotographische Platten (9 : 12), die sowohl sehr bequem in größeren Glasgefäßen zusammen aufgehoben als auch einzeln in kleinen Präparierschalen zur Durchsicht der Schnitte verwandt werden konnten. Schwarz ausgegossene Präparierschalen eigneten sich sehr gut zur Durchsicht, da die durch die Formolbehandlung weißlich schimmernden zarten MuskeKasern sich dann gut vom schwarzen Untergrund abhoben. Eine Injection der Blutgefäße, der Blutlacunen und des Fußes mit Karmin konnte noch zum Hervorheben der glän- zenden feinen Muskelfasern des Fußes dienen. Gearbeitet wurde mit dem Binocular von ZEiss-Jena: Ocular 1 und 2, Objektiv ao und ag. Zu den mikroskopischen Untersuchungen wurden sowohl eben ausgeschlüpfte und einjährige Tiere ganz in Paraffin eingebettet und geschnitten, als auch ein- zelne Teile, wie Pharynx, Fuß, Mantelrand und Tentakeln, von erwachsenen Schnecken zu Schnitten verarbeitet. Da die Schnitte ausschließlich morpholo- gischen Zwecken dienen sollten, wurden sie in Dicke von 10 — 25 ^ angefertigt. Die zu schneidenden Tiere wurden durch Injection mit 10% Cocainlösung getötet, mit Zenker konserviert und mit Delafields oder Heidenhains Haematoxylin, Eosin oder van Gieson gefärbt. 33* 492 Walther Trappmann, Muskulatur von Helix pomatia. A. Pharynx. 1. Makroskopische Untersuchungen. a. Mniidöffnnug:. ^ Der beweglichste Teil einer Weinbergschnecke ist der der vorderen, aus der Schale hervorstreckbaren Körperhälfte zugehörige Kopf (Fig. 1 u. 2). Er trägt die zwei mit Augen versehenen großen Tentakeln, die beiden kleinen Tentakeln und die Mundöffnung (m.ö.), die im Innern /en^. mai. tenh mm. aJ. Flg. 1. Kopf von Uelix pomatia von der ventralen Seite normale Stellung tler Lippen. J:dr- Fig. 2. Kopf von Helix pomatia von der ventralen Seitt gesehen; Lippen in Freust eilung. des Kopfes direkt in einen wohlausgebildeten und stark muskulösen Phar3^nx führt. Caudalwärts von der Mundöffnung befindet sich die breite, spaltförmige Öffnung der Fußdrüse (F.dr.). Unterhalb der kleinen Tentakeln ist die Mundöffnung, die Fußdrüsenöffnung und zum Teil auch die vordere Kante der Fußsohle von den mächtigen, lappenförmigen »äußeren Lippen« bedeckt (Fig. 1 u. 2, a.l.). Ihre Bezeichnung schwankte bei den einzelnen Autoren : Plate (1894) nannte sie »Mundsegel«, Babor (1895) »Mundlappen«, Meisenheimer (1912) »drittes Fühlerpaar« und Beck (1912) »äußere Lippen«. Beim Fressen und häufig auch im Tode treten diese beiden äußeren Lippen zur Seite, durch Vorstoßen des Pharynx wird die von den Die Muskulatur von Helix ]3omatia L. 493 »inneren Lippen« (Beck, 1912) (Fig. 2, i.l.) seitlich und von einer den chitinigen Kiefer tragenden Leiste oben begrenzte T-förmige Spalt- öffnung des Mundes sichtbar (Fig. 2, K.l. und m ö.). Über dieser »Kieferleiste«, auch »Oberhppe« genannt (Loisel, 1893), hegen fünf warzenartige Gebilde, die Sinnesorgane haben und »Mundpapillen« oder »SEMPERSche Organe« (Fig. 2, S.o.) genannt werden (Babor, 1895: »Tastpapillen«; Meisenheimer, 1912: »Mund- papillen«). Fig. 2 wurde nach einer im Wasser erstickten Schnecke, die diese Verhältnisse in auffallender Weise schön zeigte, hergestellt. Der Kiefer wurde, um die T-förmige Mundöffnung ganz frei zu legen, entfernt. b. Äußere Gestalt des Pharynx. Nach dem Aufpräparieren des Tieres findet man den Pharynx als eine blasige Auftreibung des vorderen Verdauungstractus (Fig. 19). Besonders die hintere Phaiynxhälfte ist durch Auftreten und Aus- bildung eines im Bulbusinnern liegenden, beweglichen Zungenapparates sehr in die Höhe und Breite getrieben, so daß an beiden Seiten zwei förmliche »Backen« (Plate, 1891, 1894; Beutler, 1901) entstanden (Fig. 3 u. 4). Ein ausgewachsener Pharynx ist ungefähr 8 mm hoch und 11 mm lang. Über den Pharynxrücken läuft ein breiter Wulst, die zur Stütze des Kiefers dienende »Kieferplatte« {¥ig. 3 u. 4:, K.fl.). Nach hinten setzt sich die Rückendecke im Oesophagus (oe.) fort, auf dessen beiden Seiten die beiden Ausführungsgänge der Speicheldrüsen (sp.) münden, die von den dem Magen aufliegenden Speicheldrüsen herkommend den Oesophagus bis zum Pharynx begleitet haben. Unter dem Oesophagus liegen die Buccalganglien {g.h.), die, durch eine starke Commissur verbunden, den Pharynx mit ihren Nerven versorgen. An den hinteren Seitenwänden des Pharynx, den beiden »Backen«, sieht man je eine Linie {K.n.), die von der Unterseite herkommt und etwa in 1/2 — 1/3 Höhe des Pharynx endet. Sie rührt von den im Innern des Schlundkopfes liegenden sog. Zungenknorpeln her, die den meisten Muskeln des Pharynx als Ansatzstellen dienen; ich will sie als »Knorpelnaht« bezeichnen (Amaudrut, 1898, »hgne«). An diesen Knorpeln setzt auch der größte Pharynxmuskel, der Pharynxretractor (retr.phar.) an; in zwei breiten Bändern umschließt er die hintere, untere Bulbusseite, verschmilzt bald zu einem breiten Bande, geht mit dem Oesophagus durch den Schlundring und setzt sich, mit einigen Fuß- und den Tentakelretractoren vereinigt, an der Columella der Schale an (Fig. 19). 494 Wulther Trappniann, Unter dem Oesophagus und von den beiden Retractorarmen ein- geschlossen befindet sich als kleine blasige Austreibung des Pharynx die Radulapapille oder -scheide, die den Bildungsherd der chitinigen Zunge oder Radula in sich schließt (pa.). Der gesamte Pharynx ist von einer dünnen, bindegewebigen Hülle umschlossen, die beson- ders zum Schutze der Papille starke Bindegewebsfasern aufweist (Fig. 4, hi.). j Zuerst betrachten wir nun die Bulbuswände, versuchen dann die- jenigen Muskelbündel und -bänder zu deuten, die den Pharynx in der /eK /3Ö. ext. lev.pharr ^sp. p. ak:i_ p.l. P-^^' k.n. Fig. 3. Pharynx von Helix pomatia in der Körperhöhle liegend; Seitonansicht. Leibeshöhle verankern, und sehen uns zuletzt die Muskeln an, die im Innern liegen und ausschließlich den Zungenapparat bedienen und so Hauptfaktoren der Nahrungsaufnahme sind. Es sei hier schon erwähnt, daß die gesamte Muskulatur des Pharynx zur Mittellinie symmetrisch angeordnet ist. c. PharynxwSnde. Bei Betrachtung der Pharynxwände geht man am besten von der Seitenansicht aus, wie sie Fig. 3 darstellt. Die Knorpelnaht (K.n.) bildet für die meisten umhüllenden Muskeln den Ausgangspunkt. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 495 a) Vorderer Gurt. Als äußerste Muskellage läuft eine breite Schicht von feinen, eng aneinander gelagerten Muskelfasern von der Naht aus schräg nach vorne und oben, um auf dem Pharynxrücken an der Bildung der massiven Kieferplatte beizutragen. Auf der rechten Seite des Bulbus läuft diese oberste Schicht, den Pharynxrücken wie ein Gurt umspannend, wieder nach hinten herab und setzt an der dort befindlichen rechtsseitigen, der linksseitigen entsprechenden Knorpel- naht an. Auf Fig. 4, die die Aufsicht auf den Schlundkopf zeigt, sind p.dr.l. p. vn.s. lev lab.ext rp phar Fig. 4. Pharynx von Belix pomatia, Aufsicht; die Wände der Körpeihöhle zur Seite geschlagen. die beiden Nähte mit dem breiten Gurt zu sehen. Trotz des festen, dichten Gewebes der Kieferplatte ist ein Abpräparieren dieser Schicht möglich. Die Präparation zeigt, daß es eine dichte, mächtige Muskel- lage ist, die den vorderen Teil des Pharynx gegen die Körperhöhle ab- zuschließen und die Kieferplatte mit zu bilden hat. Je tiefer die Muskel- bündel der Knorpelnaht entspringen, um so mehr nähern sie sich in ihrem Verlaufe der Mundöffnung; den in der Mitte der Pharynxunter- seite entspringenden Bündeln gelingt es schließlich nicht mehr, den 496 Walthcr Trappmann, ugposf- Pharynxrücken zu überspannen, sie laufen parallel zur Medianebene von jeder Naht zum unteren Rande der Mundöffnung. Ich bezeichne diese Schicht als »vorderen Gurt« (M. iugalis anterior = iug.ant. in Fig. 3 u. 4). ß) Hinterer Gurt. In der nächstfolgenden Schicht finden wir ebenfalls einen Gurt, den ich nach seiner Lage als »hinteren Gurt« (M. iugalis posterior = iug. post. in Fig. 3 u. 4) bezeichnen will. Seine Bündel entspringen wieder den auf beiden Seiten liegenden Knorpel- nähten (Ä'.w.), sie steigen bald zu zwei breiten, symmetrisch zur Median- linie angelegten Bändern zusammengeschlossen nach oben, umfassen gurtartig die beiden Pharynxbacken und wenden sich, nachdem sie die Höhe des Schlundkopfes zu beiden Seiten des Oesophagus (oe) erreicht haben, nach vorne und nach unten. Vor der Einmündung des Oeso- phagus in den Pharynx, also auf der dorsalen Seite des Schlundkopfes, treten diese beiden Mus- kelbänder durch abge- zweigte kleinere Bündel miteinander in Verbin- dung (Fig. 4, b), die Bän- der selbst aber laufen unter dem >> vorderen Gurt« in zarte Muskel- bündel zerfasert über den Rücken und die Seiten des Pharynx zur Mundöffnung. Einige Fasern durchbrechen den »vorderen Gurt«, treten aus den Bulbuswänden heraus und sind somit zu den später noch zu besprechenden »äußeren Muskeln« zu rechnen. Bei Fig. 5 ist der »vordere Gurt« abgehoben, und der M. iugalis posterior ist in seinem ganzen Verlaufe sichtbar. Auf der Hinterseite der Bulbusbacken sind die aufwärts steigenden Muskelbündel durch- setzt und überzogen von einer feinen, durchscheinenden Schicht von diagonal sich kreuzenden Bindegewebsfasern (Fig. 4, bi.). Diese laufen von Knorpelnaht zu Knorpelnaht und hüllen die Radulapapille mit ihren Muskeln und die Buccalganglien ein; sie dienen ebenso wie die verbindenden Muskelfasern der »hinteren Gurtbänder« auf dem Pha- rynxrücken augenscheinlich dazu, den beiden Gurtbändern eine feste Lage zu geben und sie vor einem Abgleiten von den Pharynxbacken und vom Pharynxrücken zu bewahren. fi^r, /{ n. pa. Fig. 5. Pharynx in Seitenansicht, der M. iugalis anterior ist entfernt. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 497 y) Riiigmuskelschicht. Die innerste und letzte Schicht der Bulbiiswände, die wir wegen ihrer ringförmigen Anlage auch als »Ring- muskelschicht« benennen wollen, sieht man schon beim unversehrten Pharynx über den Knorpelnähten von dem »vorderen« und »hinteren« Gurt umschlossen als tiefer liegende Schicht der Pharynxbacken in den Fig. 3 u. 4 (Rgm.). Wegen der gemeinsamen Insertion am Knorpel und wegen der gleichen Richtung nach oben des »hinteren Gurtes« und dieser Ringmuskelschicht (Fig. 5) ist ein Abpräparieren des oben be- findlichen M. iugalis posterior ohne Verletzung der tiefer liegenden Ringmuskelschicht nicht möglich, man muß, um sie ganz zu sehen, schon von innen betrachten. Fig. 5 läßt den größten Teil der Ring- muskelschicht von außen erkennen, Fig. 6 zeigt sie ganz von der Innen- seite, nachdem der Zungenknorpel fast bis zum Grunde fortgeschnitten und die Radula mit den ansitzenden Membranen und Muskeln entfernt ist. Die Zeichnungen zeigen, daß die Ringmuskel- schicht als letzte Muskel- schicht das Pharynxin- nere umschließt, natür- lich noch überzogen von einer zarten Binde- gewebslage und dem Schlundkopfepithel, die bei mikroskopischen Bil- dern erst zutage treten. Die Ringmuskelschicht wird von vielen, eng aneinander gelagerten Muskelbündeln gebildet, die an der Mundöffnung einen kräftigen Sphincter bilden, immer in fast der gleichen Richtung streichen und so die Pharynxhöhle ringförmig umschheßen. Fig. 6 zeigt, wie durch blasige Auftreibung der Pharynxbacken die Ringmuskelschicht ihre Richtung ändert, an einer Falte unter dem Oesophagus ansetzt und auch in die Papille eindringt, hier aber zur Längsrichtung übergeht. d) Deutung der Schichten. Wie können wir nun diese Muskel- lagen deuten? Die Entwicklungsgeschichte (v. Jhering, 1875; H. Fol, 1879 — 80) zeigt, daß der Schlundkopf als eine blindsackförmige Ein- stülpung des Ectoderms gebildet wird. Wenn nun auch diese Ein- stülpung sehr früh vor sich ging, wahrscheinhch schon in einem Stadium, in dem Muskel- und Bindegewebe sich noch in keiner Weise gebildet /ei^phar. Fig. 6. riiarynx duicli einen Medianschnitt geöffnet, Innenansicht; der Radulaapparat ist entfernt. 498 Walther Trappmann, und aus Mesenchymelementen heraus differenziert haben, so überrascht doch die Tatsache, daß die Muskelsysteme der Körperwand in um- gekehrter Keihenfolge sich im Pharynx vorfinden, als ob jene Systeme selbst, sei es noch als Anlagen, sei es als schon weiter entwickeltere Muskellagen, die Einstülpung mitgemacht hätten. In den Körper- wandungen werden wir in einem späteren Kapitel einen Hautmuskel- schlauch von Eingmuskulatur außen und Längsmuskulatur innen vor- finden, es muß sich nach dem oben Gesagten also die Kingmuskulatur im Pharynx als innere, die Längsmuskulatur als äußere Schicht zeigen. Unsere letzte Schicht, die wir nach ihrer Anlage schon als »Eingmuskel- schicht« bezeichneten, stellt nun, wie die Fig. 5 und 6 zeigen, die innen gelegene Ringmuskulatur dar. Sie ist durch Auftreten des Kiefers (Fig. 6, Ki.) im Pharynxrücken aus ihrer ursprünglichen Lage zurück- gedrängt und steht daher nicht mehr senkrecht zur Pharynxachse. Ebenfalls mußten Muskelbündel hinter dem Knorpel durch Auf- bauschung der beiden Pharynxbacken und durch die Papillenbildung ihre zur Längsachse des Vorderdarmes senkrecht stehende Richtung aufgeben. Daß auch das Auftreten der Zungenknorpel einige Unord- nung in das einst regelmäßige System hereinbrachte, zeigen ebenfalls die Außen- und Innenansichten in den Fig. 5 und 6. Über der Ringmuskelschicht muß die Längsmuskelschicht liegen; wir finden sie in unseren beiden Gurten. Sie hat noch viel mehr ihre ursprüngliche Lage ändern müssen. Außer den beiden Backen trat infolge der Knorpelbildung auch eine recht starke Dehnung des Pharynx in vertikaler Richtung ein (Fig. 3, 5 u. 6), so daß die Höhe der hinteren Bulbushälfte zuweilen zwei Drittel der ganzen Länge ausmacht. Fig. 7, die an eine Zeichnung von Amaudkut (1898) sich anlehnt, zeigt schematisch, wie die der Ringmuskelschicht aufsitzende Längs- muskulatur, die noch die Mundregion (M.) völlig umgeben konnte, über dem aufgetriebenen Bulbushinterende auseinanderweichen und die tiefer liegende Ringmuskelschicht (Rgm.) durchblicken lassen mußte' (Fig. 3, 4 und 7). Eine zweite Änderung wurde durch die Bildung der Knorpelnähte gebracht : auch die Längsmuskulatur mußte neben der Ringmuskulatur als Stützpunkt des Zungenapparates dienen; sie nahm Anteil an der Bildung der Knorpelnaht (Fig. 3, 4, 5 u. 7: K.n.), wurde durch diese in ihrem Verlaufe unterbrochen und in zwei getrennte Muskelbündel geteilt. Das hintere Bündel bildet der die Pharynxbacken umspannende M. iugalis posterior (Fig. 3, 4 u. 7), das vordere zieht zum Munde, um später den M. iugalis anterior zu bilden. Die größte Verschiebung erlitt Die Muskulatur von Helix poraatia L. 499 jedoch die Längsmuskiilatur durch das Auftreten des kräftigen Kiefers. Um letzterem durch feste Stützpunkte eine wirksame Arbeit zu ermög- lichen, kam es zur Bildung einer Kieferplatte. Außer blasigen Binde- gewebszellen stützte zuerst die nach rückwärts verschobene King- muskelschicht (Fig. 5 und 6) gegen den Druck nach oben, bald aber wird, um den Druck nach vorne aufzuhalten, auch die Längsmuskulatur zu Hilfe gezogen, die als »vorderer Gurt« die Insertionsstelle am Munde zum größten Teil aufgibt, um sich gurtartig über den Pharynxrücken zu spannen und an der auf der anderen Pharynxseite gelegenen Naht neue Insertionspunkte zu finden (Fig. 7, punktierte Linie a; Fig. 3 u. 4). Da das gleiche Überspannen des Kückens von den Muskelbündeln der zweiten Naht zur ersten ebenfalls stattfindet, die von den beiden Nähten oralwärts ziehenden zwei Muskellagen sich also zu einer Muskelschicht zusammenlegen, ist die außer- ordenthche Stärke des M. " "^ '"^^^ ^e. iugalis anterior wohl zu er- klären. Eine zweite Verschie- bung aus der ursprünglichen Lage erfährt die Längsmus- kulatur noch im »hinteren Gurt<<, indem eine Zerfase- rung der zum Munde führen- den beiden Bündel eintritt. Die Insertionspunkte am Munde sind auseinander ge- rückt, so daß die einzelnen Fasern bis zum unteren Rande der Mundöffnung heruntersteigen (Fig. 5), sogar in 2 — 3 Bündeln den »vorderen Gurt« durchbrechen und als »äußere Muskeln« zur Verankerung des Pharynx beitragen (Fig. 3, 4 und 5, in Fig. 7 punktierte Linie b). Die Ringmuskelschicht wechselt also ihre Lage nicht, ihre Richtung ändert sie durch Kiefer-, Knorpel- und Backenbildung nur etwas. Die Längsmuskulatur jedoch erleidet große Veränderungen: durch Dehnung des Pharynx findet ein Auseinanderweichen, durch die Knorpelnähte eine Teilung in zwei Systeme statt. Das vordere System bildet durch Überspannen des Pharynxrückens den »vorderen Gurt« und beteihgt sich an der Bildung der Kieferplatte; das zweite System bildet den »hinteren Gurt«, zerfasert sich und läuft infolge Durchbruchs einiger Fasern durch den vorderen »Gurt« teils außerhalb, teils innerhalb der Fig. 7. Schema der Muskelschichten der Pharynxwände, Seiten- ansicht. Die punlitierten Linien a und b geben die Lage- veränderungen der beiden Gurte an. 500 Walther Trappmann, Bulbuswände. Eine große Lageveränderung findet also statt, indem ein Teil der Längsmuskelschicht sich über einen anderen Teil derselben Schicht legt. Ihre ursprüngliche Richtung hat die Längsmuskulatur nur in den auf der Pharynxunterseite direkt zum Munde führenden Bündeln des »vorderen Gurtes« und in den obersten Fasern des über den Pharynxrücken ebenfalls zum Munde verlaufenden »hinteren Gurtes«. Die zapfenförmige Aussackung der Pharynxwand, die Radula- scheide, wird ebenfalls von Ring- und Längsmuskulatur gebildet; da beide Systeme aber auf den Pharynxbacken gleichen Verlauf haben und nicht mehr zu erkennen und zu trennen sind, so finden wir in der festgebauten Zungenscheide auch nur die in der Längsrichtung ange- legte Muskulatur vor (Fig. 6). d. Äußere Pharynxnmskeln. Mit den Bulbuswänden eng verknüpft sind die Muskelbündel, die von den Muskelschichten der Bulbuswände ausgehen und die Ver- ankerung und Bewegung des Pharynx in der Körperhöhle zur Aufgabe haben. Ich möchte sie als »äußere Muskeln« im Gegensatz zu den »inneren Muskeln« bezeichnen, die innerhalb des Pharynx von den muskulösen Wänden ausgehen und dort den Zungenapparat be- dienen. In Fig. 8 ist die dorsale Körperwand einer Weinbergschnecke in der Medianebene aufgeschnitten, auseinandergelegt, und der Pharynx ist nach Durchschneiden des Oesophagus nach vorne herausgeklappt, so daß man seine Unterseite mit allen ihn verankernden Muskeln sieht. Um eine bessere Übersicht zu geben, wollen wir die »äußeren Muskeln« in Gruppen behandeln, wie sie sich vom »vorderen Gurt«, vom »hinteren Gurt« und von der »Ringmuskelschicht« ableiten lassen. Die zum »vorderen Gurt«, also zu einem Teile der Längsmuskulatur gehörigen Muskeln entspringen alle den beiden Knorpelnähten, sie sind also paarig zur Medianebene angelegt; hierher gehören der M. protractor ventralis superior (Fig. 3, 4 u. 8, f.vn.s.) und die M. protractoies ventrales inferiores {p.vn.i.). Der Protractor ventralis superior zieht paarig an beiden Seiten des Pharynx von jeder Knorpelnaht nach vorne und inseriert seitlich von der Mundöffnung an der Kopfwand; er ist ein breites, zartes und durch- scheinendes, leicht in 3 Bündel sich spaltendes Band (Fig. 3, 4 u. 8). Viel zarter und durchscheinender sind aber noch die Protractores ven- trales inferiores (Fig. 3 u. 8: p.vn.i.), die am Treffpunkt der beiden Knorpelnähte entspringen, nach vorne ziehen und hinter der Mund- Die Muskulatur von Helix poiuatia 501 Öffnung in die Fußsohle eindringen. Es sind auf jeder Seite drei bis vier zarte, dünne Bündel, die sich gewöhnlich ein oder mehrere Male spalten und so verästelt sich im Fuße verankern. Sie zerfasern sich noch leichter als der Protractor ventralis superior, besonders im oberen Teil aber legen sie sich häufig zu einem stärkeren Bündel aneinander. Vom »hinteren Gurt<< läßt sich der größte »äußere Muskel«, der Pharynxretractor (Fig. 3, 4 und 8: retr.phar.) durch seine Insertion am Pharynx und durch seine gleiche Eichtung mit der übrigen, hinter den Nähten liegenden Längsmuskulatur ableiten. Er entspringt, wie schon oben erwähnt, in zwei breiten, durch die Formaldehydbehandlung retr.phar. ^^ Pharynx aus der Körperhühle orahvärts herausgeklappt., Ansicht von de glänzend gewordenen Bändern den beiden Knorpelnähten, umhüllt, da er die ganze Länge der Knorpelnähte als Insertionspunkt hat, den hinteren, unteren Teil des Bulbus und bildet mit anderen Retractor- muskeln einen Teil des Collumelarmuskels (Fig. 19). In den Fig. 3, 4 und 8 ist das eine der beiden Ansatzbänder entfernt, um andere Teile des Bulbus nicht zu verdecken. Bei der Zerfaserung des »hinteren Gurtes« auf der Höhe des Bulbus- rückens ziehen, wie wir oben schon sahen, zwei oder drei Längsmuskel- fasern nicht mit den übrigen Fasern des M. iugalis posterior unter dem »vorderen Gurt« zum Munde, sondern durchbrechen den »vorderen 502 Waltlier Trappmann, Gurt« und inserieren außerhalb des Schlundköpfes an der Körperwand und im Fuß. Als stärkster und höchstgelegener kommt der M. pro- tractor dorsalis lateralis (Fig. 3, 4 und 8: p.dr.l.) in Betracht, der als ein paariges dünnes Bändehen schon recht früh aus den Bulbuswänden austritt und rechts und links vom Munde an der Körperwand sich an- heftet. Noch viel dünner und zarter sind die später den »vorderen Gurt« durchbrechenden M. protractores laterales (Fig. 3 und 4: p.l.), meist zwei auf jeder Seite, die in der Fußkante und im Fuße enden. Sie sind oft so zart und durchsichtig, daß man sie auch mit Hilfe des Bin- oculares kaum erkennt. Sowohl dem » vorderen << als auch dem » hinteren Gurt << gehören die M. protractores anteriores (Fig. 3 und 4: p.a.) an, feine, dünne Muskel- bündel, die den Mund sternförmig umgeben, in die umliegende Kopf- wand führen und dem Munde nach allen Richtungen genügende Be- wegungsmöglichkeit geben. Als einziger Muskel der Ringmuskelschicht ist der M. levator pha- ryngis (Fig. 3, 4 u. 8: lev.pliar.) anzusehen. Er entspringt, wie Fig. 8 zeigt, einer von der Pharynxarfcerie {ab.) verdeckten und von Fasern der äußeren Längsmuskelschicht gebildeten Furche, die vom Treffpunkt der beiden Knorpelnähte in der Medianhnie der Pharynxunterseite oral- wärts zieht. Ungefähr in der Mitte dieser Furche verläßt der Levator pharyngis als breites, infolge der Formolbehandlung meist silbern glänzendes Band das Pharynxinnere und verläuft, stets gleich breit bleibend — bei einer ausgewachsenen Helix pomatia 1 mm breit — nach vorn oben, um unterhalb der Ansätze der großen Tentakeln an der vorderen Kopfwandung zu inserieren. Ich rechne ihn zur Ringmusku- latur, da er im Pharynx am äulk^ren Rande der Ringmuskelschicht auf- tritt, gerade an seiner Ursprungsstelle sehr von der Richtung der unter ihm gelagerten Längsmuskulatur abweicht und sich der Richtung der Ringmuskelschicht nähert. Daß er mit dem unter ihm liegenden obersten Muskelbündel der Längsmuskulatur, dem M. anterior (Fig. 6 und 13: m.a.) fest verbunden ist, spricht nicht für seine Zugehörigkeit zur Längsmuskelschicht, da einerseits die beiden Schichten des Bulbus- bodens sich verflechten und überhaupt nicht mehr zu trennen sind, andrerseits aber eine sichere, feste Lage nur durch Verankerung an einem stärkeren Längsmuskel erlangt werden konnte. Einige Male gelang es mir, ihn sogar in festem Zusammenhang mit der über ihm liegenden Ringmuskelschicht zu finden. Die Fig. 3 und 4 zeigen außer diesen Muskeln noch ein sehr dünnes Muskelband, das direkt nichts mit dem Pharynx zu tun hat, jedoch Die Muskulatur von Helix pomalia L. 503 dicht in der Nähe des Schhmdkopfes verläuft, bei der Nahrungsauf- nahme eine Rolle spielt und daher mit den Pharynxmuskeln betrachtet werden soll. Ich habe es als M. levator labii externi (lev.lab.ext.) be- zeichnet. Es beginnt ebenfalls paarig hinter den Insertionsstellen des paarigen Protractor dorsalis lateralis, steigt nach oben divergierend in die Höhe und setzt in der Nähe der Endigung des Levator pharyngis an der vorderen Kopfwand an. Wie sein Name schon sagt, dient es zum Heben, besser gesagt zum Zurückziehen der äußeren Lippen (Fig. 2:«.^.). Die gesamten Figuren vom Pharynx sind, um seinen Bau in klarer Form darzustellen, etwas schematisiert. Natürlich zeigen sich z. B. die Streichrichtungen der einzelnen Muskellagen durchaus nicht so klar, die Faserung ist, wenn sie überhaupt am unverletzten Pharynx zu sehen ist, in der Natur viel feiner, und ebenso sind die aus dem »Schlundkopf austretenden zarten und durchscheinenden Muskelbänder stärker her- vorgehoben. In Fig. 3 sind auch die auf der rechten Seite des Schlund- kopfes gelegenen Arme des Levator pharyngis und des Levator labii externi sowie auch der rechte große Tentakelretractor nicht einge- zeichnet. e. Innere Pliarjnxiuuskeln. a) Allgemeine Anatomie: Wenden wir uns dem Pharynx- innern zu, so führt Fig. 9 schnell in seine innere Anatomie ein. Fig. 9 zeigt einen Schlundkopf, der durch den Medianschnitt vertikal in zwei symmetrisch gleiche Hälften zerlegt ist. Hinter dem quer durchschnittenen Kiefer (Ki.) beginnt die innere Pharynxhöhle. Zuerst setzt sich das schon in Fig. 2 von außen sichtbare zweite Lippenpaar (i.l.) weit ins Innere fort, mit der Pharynxdecke eine Rille bildend, so daß im Querschnitt auch die ganze vordere Partie der Pharynxhöhle eine T-förmige Öffnung darstellen würde. Diese von beiden Seiten weit ins Innere wulstartig vorspringenden Lippen werden von der Ringmuskelschicht und von Bindegewebe gebildet. Dort, wo man von außen am Schlundkopf die Knorpelnähte beobachtet, findet man im Innern den schon oft erwähnten Zungenstützapparat, meist Zungen- knorpel genannt (K.). Er ist ein besonders auf seiner Schnittfläche stark weiß glänzender, fester, knorpelähnlicher Körper, der an seiner Spitze und an den beiden Seiten stark zurückgeschlagen die Gestalt eines Löffels hat. Dieser Knorpel dient der Zunge oder Radula (r.) als Stützapparat. Die Radula selbst ist ein feines, mit kleinen schar- fen Zähnchen bewehrtes, chitiniges Häutchen, das auf einer Mem- 504 Walther Trappmann, bran, der sog. Basalmembran (Eössler, 1885) oder Grundmembraii (Rücker, 1889) aufsitzt. Die Radula ist selbst nicht Angriffspunkt der sie spannenden Muskeln, sie muß infolge der beim steten Ge- brauch eintretenden starken Abnutzung zu schnell erneuert werden und läßt daher die Muskeln an einer Umbildung eines Teiles des inneren Mundepithels, der sog. »elastischen Membran« (Rücker, 1889: Subradularmembran; Amaudrut, 1898: lame elastique) an- setzen, mit der sie sich auch über den Knorpel legt und hinter dem Knorpel zu ihrer Bildungsstätte, der Radulapapille, herabsteigt {e.M.). -pa.s. /. p.vn.i. P^i- Fig. 9. Pharynx durch einen Medianschnitt geöffnet, Innenansicht. In der Papille finden wir ebenfalls einen Stützapparat, den Papillen- zapfen (P.z.), der als fester gallertiger Pfropfen der Radulascheide Festigkeit verleiht und den Bildungsherd der Radula und die junge, eben gebildete Radula selbst vor Zerren und Reißen zu schützen hat. ß) Der Zungenknorpel mit den ansetzenden Muskeln: Da der Zungenknorpel der Ansatzpunkt für alle inneren Muskeln ist, so müssen wir ihn noch näher betrachten. Fig. 10 stellt ihn völlig heraus- präpariert von vorne, Fig. 11 seine Rückenansicht dar. Der Knorpel einer ausgewachsenen Weinbergschnecke ist ungefähr 6 mm breit und 7 — 8 mm lang. Er besteht aus zwei symmetrisch zueinander liegenden Stücken, die sich in der Medianhnie fest aneinander legen und hier durch den M. horizontalis {m.h) verankert sind. Die Rückenseite zeigt noch Die Muskulatur von Helix pomatia L. 505 ein stärkeres Muskelbändchen des M. horizontalis, das die caudalwärts gebogenen Knorpelränder verbindet und durch Kontraktion einander nähern kann. Das zurückgeschlagene obere Drittel des Zungenknorpels ist von Muskelansätzen frei, es bildet die Kuppe, über die sich die Kadula mit der »elastischen Membran« spannt, während das untere Stück, also zwei Drittel des gesamten Knorpels, alle Muskelbündel aufnimmt. Als stärkster Muskel setzt der M. flexor (fl.) am Knorpel an, der wie zwei mächtige Arme an den höchsten Stellen der von den Muskeln besetzten Knorpelseite seinen Ursprung nimmt. Fig. 6, auf der beim Ausschneiden des gesamten Zungenapparates noch ein Stückchen vom Knorpel stehen p3 m.h \/.s. Fig. 10. Zungenknorpel herauspräpariert und von der oralen Seite gesehen. t.s.m. Fig. 11. Zungenknorpel herauspräpariert und von der aboralen Seite gesehen, die Tensores nach außen und unten zurückgeschlagen. geblieben war, zeigt diesen Flexor, wie er nach vorne zieht und bald in der Ringmuskelschicht verschwindet; seine einzelnen Fasern lassen sich jedoch bei sorgfältigem Präparieren noch gut bis zum Munde ver- folgen. Er ist kein einheitlich geschlossenes Muskelband, sondern nur ein oft lockeres, wenn auch starkes Bündel von einzelnen Muskelfasern, das sich in der Pharynx wand bald verliert. An den Flexor schließen sich zu beiden Seiten noch viel lockerere Muskelzüge an, die Tensores laterales (Fig. 6, 10 u. 11: t.l.). Sie ziehen am ganzen Knorpelrand hinunter und heften sich somit an der von den Muskelschichten der Bulbuswände gebildeten Knorpelnaht an. Durch die Naht werden die Tensores laterales gespalten in »vordere« und Zeitsclirift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 34 506 Walther Trappmann, »hintere«, oder, weil der Knorpel selbst meist schräg nach vorne ge- neigt ist, in eine »untere« und »obere« Partie. Die vom Knorpel nach vorne und unten laufenden Fasern will ich Tensores laterales inferiores {t.l.i.) nennen; sie vereinigen sich, wie es Fig. 6 zeigt, am Boden der Pharynxhöhle mit der Ringmuskelschicht und gewinnen so einen festen Stützpunkt. Die hinter der Knorpelnaht entspringenden Tensores ziehen nach oben und setzen sich nahe der Knorpelspitze an der »ela- stischen Membran« an; im Gegensatz zum vorigen Muskel bezeichnen wir seine Bündel als Tensores laterales superiores (t.l.s.). Die untersten Fasern des Tensor lateralis superior, die schon an der Basis des Stütz- apparates entspringen, schließen sich zu zwei breiteren Armen zu- sammen, die sich ihrerseits wieder zu einem kräftigen, bei erwachsenen Tieren 1 mm breiten Muskelbande vereinigen, das als Tensor superior medius in der Medianlinie nach oben steigt, um an der elastischen Membran anzusetzen (Fig. 9). Seine Fasern sind in der Membran bis zur Zungenspitze zu verfolgen. Die Bündel des Tensor lateralis superior sind ihm dachziegelförmig von innen nach außen und von vorne nach hinten angelagert (Fig. 11). Dem Tensor superior medius arbeiten als Antagonisten entgegen die Tensores inferiores (t.i.), zwei zarte, stark 1/2 mm breite, durch- sichtige Bänder, die gleichfalls an der Basis der beiden Knorpelstücke ihren Ursprung nehmen und vor dem Knorpel nach vorne oben steigen (Fig. 9 und 10). Ungefähr in der Höhe des Flexor setzen sie an der das freie Knorpelende überspannenden elastischen Membran an, ihre Fasern sind jedoch bis zu den Fasern des Tensor superior medius in der Mem- bran zu verfolgen. Wie alle Pharynxmuskeln, so spaltet sich der Tensor inferior auch sehr leicht, was in Fig. 10 gezeigt sein möge. y) Die Muskeln der Radulapapille: Neben diesen eigentlichen Muskeln des Zungenapparates gibt es als »innere Pharynxmuskeln« noch Muskeln der Radulapapille. Wie Fig. 11 zeigt, gabelt sich der auf der Zeichnung nach unten umgelegte Tensor superior medius, bevor er an der Basis der Knorpelstücke ansetzt, in zwei Arme. Durch diese Gabel läuft nun der M. papillaris inferior (Fig. 5, 9, 10 u. 11: pa.i.). Er entspringt (Fig. 11) zu beiden Seiten der Medianhnie, in der die beiden Knorpelstücke aneinander gelegt sind, auf der Knorpelrückseite in einer ganzen Anzahl von kleinen, paarig zur Medianhnie angeordneten Muskelbündelchen, die sich zu zwei stärkeren Armen zusammenlegen. Die beiden Arme vereinigen sich, ihrerseits also auch eine Gabel bildend, zu einem Muskel (Fig. 10: 'pa.i.), der durch die Gabel des Tensor superior medius zum unteren und hinteren Rande der Papille läuft. Die Fig. 3, Die Muskulatur von Helix pomatia L. 507 4, 5, 8, und 9 zeigen deutlich, wie er sich bald verbreitert und die Pa- pille mit einer handschuhfingerförmigen, feinen und durchscheinenden Hülle umgibt. Seine Fortsetzung findet er in dem zweiten Muskel der Radulascheide, der als M. papillaris superior (Fig. 3, 4 und 9: pa.s.) die Fasern des ersteren Muskels in der handschuhfingerförmigen Hülle auf- nimmt und fast senkrecht nach oben zum Oesophagus läuft, an dessen unterem Rande er ansetzt. Die beiden Papillarmuskeln sind also im Grunde genommen ein einziger Muskel, der als breites Band die Papille umgibt und sich in zwei dünne Arme verjüngt, von denen der obere zum Oesophagus, der untere zum Knorpel verläuft. Einer ganz feinen, durchscheinenden Hülle, die von zarten Bindegewebsfasern von Knorpel- naht zu Knorpelnaht läuft und die Radulapapille mit ihren Muskeln einhüllt, haben wir schon bei der Beschreibung der Bulbuswände Er- wähnung getan (Fig. 4: hi.). Fig. 12 zeigt einen Längsschnitt durch einen Pharynx, bei dem die Schnittfläche um ungefähr 30° von der Frontalebene nach vorne geneigt ist, so daß der Schnitt senkrecht zur Achse des Zungenknorpels steht und die Mundöffnung und den Papillenzapfen in seinem oberen Drittel trifft. Die Zeichnung ist etwas mehr schematisiert als die übrigen , da der Papillenzapfen aus der von den Knorpelhälften gebildeten Rinne, in der er liegt, caudalwärts fortgerückt ist, um die zwischen Knorpel und Zapfen gelegenen, ebenfalls auseinandergerückten Muskeln und Membranen klarer zeigen zu können. Da auf der Zeichnung alle Muskeln außer dem Tensor lateralis inferior zu sehen sind, wollen wir an ihr kurz die Muskeln des inneren Pharynx noch einmal aufzählen. Orientieren wir uns zuerst, so sehen wir den Kiefer zweimal angeschnitten {Ki.), die beiden inneren Lippen sich ins Innere wulstartig vorwölben {i.l.), vor und hinter dem quer- geschnittenen Knorpel (/i.) sind innen die Schnittflächen der elastischen Membran {e.M.), außen die der Radula (r.); die Papille wird vom quer- getroffenen Papillenzapfen {P.z.) ausgefüllt. Der M. horizontalis {m.h.) kettet die beiden Knorpelteile fest an- einander, an den beiden äußeren Knorpelenden setzen die mächtigen Arme des Flexor (/Z.) an, dessen Fasern sich in den Bulbus wänden bis zum Munde verfolgen lassen; vor dem Knorpel sind die an der elasti- schen Membran ansetzenden dünnen Arme des Tensor inferior {t.i.), hinter dem Knorpel der Tensor superior medius {t.s.m.) quergetroffen. Letzterem seitlich und dachziegelförmig angeordnet zeigen sich die Querschnitte der einzelnen Bündel des Tensor lateralis superior {t.l.s.). Von den Papillenmuskeln sieht man den »unteren« {fa.i.) vom Knorpel 34* 508 Walther Trappmann, gabelförmig nach hinten ziehen, während der »obere« hinter der Papille angeschnitten ist {pa.s.). Wenn ich versucht habe, die Muskulatur des Pharynx auf ein System zurückzuführen, so ist es, um es nochmals ausdrücklich zu /T/. Mr rl.s. e.M. refrphar. Fig. 12. Pharynx durch einen Frontalschnitt geöffnet, Innenansicht. betonen, aus rein didaktischen Gründen geschehen. Gewiß bestehen ja, wie ich zeigte, sehr viele in die Augen springende Anzeichen einer wirklichen Umkehr des Hautmuskelschlauches, aber auch die in einem solchen Falle eintreten müssenden Veränderungen, die in Änderung von Richtunji und Lage, im Ablösen von Bündeln und Finden neuer Die Muskulatur von Helix pomatia L. 509 Insertionspunkte bestehen würden, glaube ich deutUch gezeigt zu haben. Viel schwieriger ist es nun, die »inneren« Pharynxmuskeln auch viel- leicht als abgespaltene Muskelbänder des Hautmuskelschlauches auf- zufassen. Wahrscheinlicher ist es aber, daß mit der Bildung des binde- gewebigen Knorpels sich ebenfalls die den Knorpelapparat bedienenden »inneren« Muskeln als Mesopleura sekundär gebildet haben. 2. Mikroskopische Untersuchungen. a) Orientierung am Schnitt: Den Beweis für die Eichtigkeit der makroskopischen Untersuchungen zeigen die Mikrotomschnitte. Die Serienschnitte durch den Pharynx müssen natürlich die einzelnen Muskelschichten in derselben Reihenfolge und in der gleichen Richtung aufweisen, wie sie die makroskopischen Untersuchungen ergaben. Ich begnüge mich hier damit, einen Medianschnitt, der mit Delafields Haematoxylin und van GiESONscher Lösung gefärbt war, in Fig. 13 wiederzugeben. Ein hohes Cyhnderepithel kleidet fast den ganzen Mund aus; es wird auf der der Pharynxhöhle abgewendeten Seite ständig von fs m Fig. 13. Pharynx, Mikrotoinschnitt in der Medianlinie. gr F einer feinen Lage von faserigem Bindegewebe begleitet, das sich durch die VAN GriESON-Färbung sehr schön herausdifferenzierte. An der Pharynxdecke wird die dem Epithel aufsitzende Cuticula nach vornehin immer dicker und bildet endHch den starken Kiefer; die verstärkte Cuticula an der Rückendecke hat das Epithel und die Muskelschichten vor den zerstörenden Wirkungen der Radulazähnchen zu schützen. Im Pharynxboden steigt das Cyhnderepithel von einer 510 Walther Trappmann, normal dicken Cuticula überzogen schräg nach oben an, wird immer niedriger und übersteigt als an manchen Stellen fast strukturlose, nur mit Kernen versehene »elastische Membran« den Zungenknorpel. Hinter dem Knorpel bildet die zum Cylinderepithel bald wieder stärker werdende » elastische Membran « eine Falte, die bis zum Ende der Radula- papille reicht (Fig. 13 : gr.F.). Während die Membran beim Übersteigen des Zungenstützapparates sich der Oberfläche desselben anschmiegen muß, also ihre seitlichen Ränder nach unten schlägt und so ein löffel- artiges Gebilde darstellt, dessen Höhlung nach unten liegt, muß sie sich bei der Bildung der großen Falte dem Stützapparat der Papille anlegen. Sie umfaßt daher den Papillenzapfen und bildet so eine fast geschlossene Röhre, die dorsal nur durch einen Spalt offen bleibt. Fig. 14 zeigt sie uns im Querschnitt, wo sie einen fast geschlossenen Kreis darstellt. Die Radula, die sich in allen Teilen der elastischen Membran anschließt, macht natürlich sowohl die nach unten geöffnete Löffel- als auch die oben geschlitzte Röhrenbildung mit; sie steigt in die große Epi- thelfalte herunter und wird an ihrem Ende von einem Kranze von fünf Zellreihen, deren Zellen schon durch ihre außergewöhnliche Größe auffallen, den Odontoblasten, ge- uerschnitt eine solche Reihe von Odonto- Fig. U. Eadulascheide, Querschnitt. bildet. In Fig. 14 ist im . blasten {od.) angeschnitten. Unter dem Oesophagus wird vom Epithel noch eine kleine Falte gebildet, in der eine dem Kiefer ähnliche cuticulare Chitinablagerung, die sogenannte Gaumenplatte (Bergh, 1884: palatal plates) statt- findet, die als Verschluß die große Falte vor dem Eindringen von Fremd- körpern zu schützen hat. Die Falte selbst dient als Ansatzpunkt für die Ringmuskelschicht (Fig. 13: M.F.). b) Muskulatur der Pharynxwände: Die in Fig. 13 ange- schnittene Muskulatur ist nun folgende: Im Pharynxboden ist das reiche Polster der quergetroffenen, inneren Ringmuskulatur zum Knorpel hin verstärlct durch die Bündel des Tensor lateralis inferior zu sehen, unter diesen befindet sich die in der Schnittrichtung verlaufende Längsmuskel- schicht, deren oberes und stärkeres Bündel als M. anterior (m.a.) unter m. fcph. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 511 der Ringniuskelschicht nach vorne verläuft und, wie Fig. 9 schon zeigte, dem Levator pharyngis als Stützpunkt dient. Die Pharynx- decke, die stärker vergrößert in Fig. 15 dargestellt ist, zeigt drei Muskel- lagen. Über einer starken Cuticula (c.) liegt hohes Cylinderepithel (£'), das von der schon erwähnten dünnen Bindegewebslage {hin.) bedeckt ist. Hierauf folgen drei Muskellagen und zwar zu unterst die Ring- muskelschicht (Rgm.) natürlich quergetroffen, sodann der längsge- troffene »hintere Gurt« (iug.post.) und darüber wieder quergetroffen der »vordere Gurt<< {iug.ant.). Letzterer stellt auch hier wieder die stärkste Muskellage dar, die bedeckt wird von einer Lage ebenfalls quergetroffener, noch zu ihr gehöriger, feinerer Muskelfasern, die zwi- schen blasigen Bindegewebszel- len eingebettet sind. Diese drei Muskelsysteme machen, wie ich schon früher erwähnte, die feste Kieferplatte aus, sie wer- den aber von zarten Muskel- fasern noch zusammengehalten, die bei den makroskopischen Untersuchungen noch nicht zu sehen waren, deren Bestehen aber schon beim Abtrennen der einzelnen Schichten der Kieferplatte Schwierigkeiten bereitete. Es sind dieses dünne Muskelbündel, die zum Epithel senkrecht stehen, die ganze Höhe der Kieferplatte durch- ziehen und ein Auseinanderfallen der den drei Schichten zugehörigen Muskelbündel verhindern und so erst für die Festigkeit der Kiefer- platte sorgen. Da diese Muskeln sowohl zur Längs- als auch zur Ringmuskulatur senkrecht stehen und die ganze Pharynxdecke der Höhe nach durchqueren, will ich sie als »M. transversales pharyngis« {m.tr.ph.) bezeichnen. Auf den Pharynxbacken war die Richtung der Längs- und Ring- muskeln gleich, der mikroskopische Schnitt (Fig. 13) zeigt daher auch über dem faserig-bindegewebigen Papillenpfropfen nur Muskeln in einer Richtung, die an der vom Epithel gebildeten kleinen Falte ansetzen. c) Innere Pharynxmuskeln: Von den eigentlichen Muskeln des Radulaapparates kann in Fig. 13 nur der in der Medianlinie liegende Tensor superior medius zu sehen sein, da alle anderen paarig auftreten; ebenso sind die beiden Arme des M. papillaris im Schnitt vorhanden. d) Knorpel: Welche Muskulatur befindet sich nun in den Stütz- apparaten? Kiefer und Gaumenplatte sind cuticulare Abscheidungen, Fig. 15. Rikki-iKlecke des Pharynx, Medianschnitt. 512 Walther Trappmann, mh. Zungenknorpel, schematischer Quer- schnitt. Muskeln können also zu ihrem Aufbau nicht beitragen. Der Zungen- knorpel verhält sich jedoch anders i. Querschnitte vom Knorpel zeigen (Fig. 16), daß die beiden Knorpelhälften in ihrem gewebigen Aufbau zwei fast völlig in sich abgeschlossene Gebilde sind, die durch den M. horizontalis fest miteinander verbunden werden und nur durch die an den Knorpelnähten in den Stützapparat eindringenden Muskeln mit anderen Geweben in nähere Verbindung treten (Fig. 12: a.). Eine faserige, sich durch van Gieson sehr schön herausdifferenzierende bindegewebige Hülle grenzt den Knorpel nach außen ab, ohne in ihn einzudringen. Quer durch die beiden Knorpelhälften spannen sich von vorne nach hinten feine Muskelfasern (Fig. 16 u. 17). Sie gehen von der vorderen bindegewebigen Hülle zur hinteren, sind beim erwachsenen Tier ungefähr 1 mm lang, stehen zu den bindegewebigen Hüllen senkrecht und konvergieren infolge der löffeiförmigen, hinten ausgehöhlten Gestalt des Knorpels von vorne nach hinten zu. In der Mitte schmaler, breitet sich jede einzelne Muskel- faser nach beiden Enden konisch aus — ich konnte zuweilen auch Verästelungen wahrnehmen — und setzt an der Hülle an. Die von diesen »Knorpelmuskeln« ge- bildeten Hohlräume füllt zelhges Binde- gewebe aus. In der Mitte des Stütz- apparates bei den Ansatzstellen des M. horizontalis überwiegen noch die Muskel- fasern, bald aber treten diese an Zahl vor der bindegewebigen Füllmasse zurück. Während das zellige Bindegewebe dem Knorpel die nötige Steifheit gibt, sorgen die durchquerenden Muskeln für ein festes Zusammen- halten des ganzen Stützapparates. Daß die Autoren das blasige Bindegewebe bald für quergetroffene Muskelfasern, bald für echte Knorpelzellen, bald aber für einfache Bindegewebszellen hielten, werde ich in der Literaturbesprechung noch anführen. Das Eindringen des 1 Fig. 16 zeigt schematisch einen Knorpelquerschnitt, Fig. 17 einen nahe der Medianlinie geführten Längsschnitt; die beiden Schemata zeigen die in den Schnittebenen Verlaufenden Muskelfasern. Fig. 17. Zungenknorpel, schematischer Längs- schnitt. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 513 Flexor und der übrigen an den Nähten ansetzenden Muskeln zeigt (Fig. 12: a.), daß wahrscheinlich die im Knorpel befindlichen Muskel- fasern von außen her in den Stützapparat eingedrungen sind und sich in der Knorpelgrundsubstanz, dem zelligen Bindegewebe, in der in den Fig. 16 u. 17 angegebenen Weise angeordnet haben. e) Papillenzapfen: Als Stützapparat der Papille kommt der Papillenzapfen in Betracht (Fig. 13 und 14). Die dem röhrenförmig gebogenen Epithel außen aufsitzende faserige Bindegewebshülle dringt (Fig. 14) durch den Schlitz der Epithelröhre in das Innere der Röhre ein, zerteilt sich hier in feine Fasern in einer die ganze Röhre ausfüllen- den, homogenen Grundmasse, mit der sie den Papillenzapfen bildet. Die VAN GiESON-Färbung zeigt, daß die auftretenden Fasern keine Muskelfasern, sondern nur bindegewebiger Natur sind. Der Papillen- zapfen besitzt eine ziemlich große Elastizität und Widerstandsfähigkeit, letztere ist natürlich bei dem mit festen Zellen aufgebauten und durch Muskelbänder fest zusammengehaltenen Zungenknorpel größer. Der Zapfen hat einen bläulicheren Schein als der Zungenstützapparat und ähnelt daher in seinem Aussehen sehr dem hyalinen Knorpel. 3. Physiologische Betrachtungen. Am Schlüsse unserer morphologischen Betrachtungen über den Pharynx hegt es nahe, auch die physiologische Seite zu berühren. Be- trachten wir also eine fressende Helix pomatial Hat sie mit Hilfe ihrer Tentakeln Nahrung gefunden, so beginnt sie bei der allgemein großen Gefräßigkeit der Schnecken sofort mit der Nahrungsaufnahme. Durch Kontraktion der Protractoren und des Levator pharyngis wird der Pharynx in der Kopfhöhle nach vorne gezogen. Der besonders starke Levator pharyngis bewirkt dabei eine fast senkrechte Stellung des ganzen Pharynx zur Fußsohle, so daß der Kopf der Schnecke an Höhe sehr zunimmt (Fig. 18, a). Der Levator labii externi zieht das »äußere Lippenpaar« oder die Lippententakeln zur Seite, damit der Kiefer mit den über der Kieferleiste befindhchen Mundpapillen und der unter ihr sitzenden T-förmigen Mundöffnung frei wird (Fig. 2). Während die nach vorne gesenkten Fühler die Nahrung in weitem Umkreise prüfen, wird die sofort aufzunehmende Nahrung seitlich von den äußeren Lippen und vor der Mundöffnung von den fünf Mundpapillen vor der Aufnahme aufs genaueste untersucht. Hält man einer fressenden Schnecke einen nicht genießbaren Gegenstand unter die Papillen, so stellt sie sofort die Nahrungsaufnahme ein. Den Hauptfaktor beim Fressen bildet natürhch der Zungenknorpel 514 Walther Trappmann, mit der ihn überspannenden Radula. Durch die zwischen den beiden Knorpelstücken auf der Pharynxunterseite in den Schlundkopf ein- mündende Pharynxarterie (Fig. 8u. 9: a.h.) wird Blut in den zwischen Knorpel und elastischer Membran befindlichen Hohlraum gepreßt. Die elastische Membran und die ihr aufsitzende Radula werden so durch Blutdruck prall gespannt; ein Zurückfließen des Blutes wird wahr- Fig. 18 a— rf. Stellungen des riiarynx und des Radulaapparates beim Fressen, a) Freßstolliing des Pharynx in der Körperhöhle, b— d) verschiedene Stellungen des Zungenknorpels und derKaduhi im Pharynx. scheinlich durch Kontraktion der muskulösen Wände der zuführenden Blutbahnen ventilartig verhindert (G. Schmidt, 1915). — Eine Be- wegung des so gespannten Zungenapparates geschieht durch die Be- wegung des Knorpels. Der Knorpel arbeitet als einarmiger Hebel; sein Drehpunkt ist .seine untere Kante, die Knorpelbasis, die infolge des Zusammenarbeitens des Protractor ventralis superior (Zug oral- wärts), des Protractor ventralis inferior (Zug ventralwärts) und des Die Muskulatui" von Helix pomatia L. 515 Retractor pharyngis (Zug caudalwärts) festgelegt ist (Fig. 18a). Die Angriffspunkte der Kraft sind die Ansatzstellen der den Knorpel bewegenden Muskeln; am freien Knorpelende greift die Last an. Als Muskeln kommen die am Knorpel ansetzenden Muskeln in Betracht, weniger die an der elastischen Membran inserierenden Tensores infe- riores, der Tensor superior medius und die Tensores laterales superio- res — sie sorgen besonders für ein straffes Gespanntsein der »elastischen Membran« und der dieser aufsitzenden Radula auf dem Knorpel — als vielmehr der Flexor, die Tensores laterales inferiores und die zur kleinen Epithelfalte aufsteigenden Ringmuskelfasern (Fig. 18b— d). Unter Kontraktion der Längsmuskeln, die die Längsachse des Pharynx verkürzt, beugen der Flexor und die Tensores laterales in- feriores die Zunge nach vorne, die der scharfen Kante des zurück- geschlagenen Knorpels aufsitzende Zähnchenreihe der Radula ergreift die Nahrung und reißt ein Stück derselben bei der Rückdrehung der Zunge durch Pressen gegen den nur passiv wirkenden Kiefer ab. Bei der Rückdrehung erschlafft die Längsmuskulatur mit den vorwärts beugenden Muskeln, die Ringmuskulatur schließt als Mundsphincter den Mund, und ihre Kontraktion läuft vom Munde nach hinten weiter, immer den Zungenknorpel mit der durch den allseitigen Druck zu- sammengeballten Nahrung vor sich hertreibend. Aber der Knorpel hat auch eine selbständige Rückwärtsbewegungsmöglichkeit durch Zug: Die von der Knorpelnaht nach hinten und oben steigenden Fasern der Ringmuskelschicht (Fig. 18b: retr.c.) haben, da sie durch die Vorwärtsdrehung des Knorpels sich der Richtung der Pharynxachse nähern, eine sehr große Kraft, mit der sie den Knorpel zurückziehen; sie können daher wohl als »Knorpelretractoren« bezeichnet werden. Der Tensor superior medius und die Tensores laterales superiores haben nur eine spannende Tätigkeit, ihre aktive Zugkraft, mit der sie an der elastischen Membran ziehen, kann für die Rückwärtsbewegung des Knorpels durchaus nicht in Betracht kommen, da diese Muskeln am Knorpel selbst ihre Insertionspunkte haben. Daß sie wesentlich stärker sind als ihre Antagonisten, die Tensores inferiores, ist erklärhch, haben sie doch bei der Rückdrehung der einen großen Nahrungsballen vor sich herschiebenden Radula die nötige Festigkeit zu verleihen. Die »elastische Membran« und die Radula bilden in ihrem ganzen Verlauf ein festes Gefüge, so daß beim Vorwärtsgleiten des Zungenappa- rates die Papille sich dem Oesophagus nähert, beim Zurückdrehen des Knorpels die Radulascheide aber wieder nach unten geht (Fig. 18, b-d). 516 Walther Trapp mann. Außerdem kontrahieren sich bei der letzteren Bewegung der Zungen- scheide die Papillarnmskeln, und zwar zieht der »untere« die Papille samt dem M. papillaris superior zum Knorpel, während der »obere« seinerseits durch Kontraktion auch noch an der unteren Wand des Oesophagus zieht und dessen Öffnung zum Munde hin erweitert; die Öffnung des Oesophagus wird also sowohl durch die Drehung der Radula als auch durch Kontraktion beider Papillarmuskeln er- reicht. Der geöffnete Oesophagus wird von den von der Pharynxdecke zum Oesophagus ziehenden Längsmuskeln durch Kontraktion nach vorne gezogen, so daß die Radula, wenn sie ihre ganze Drehung vollendet hat, gerade vor die Öffnung des Oesophagus stößt und den Nahrungsballen in ihn hineinschieben kann, wo er darm durch die peristaltischen Be- wegungen der Ring- und Längsmuskulatur des Verdauungstractus weiter befördert wird. Die Gaumenplatte schützt die große zur Radula- papille führende Epithelfalte vor eindringenden Fremdkörpern. Ein Gleiten der Radula (gegen Huxley, 1853, und Geddes, 1879) ist wegen der allseitigen Ansatzpunkte der Tensoren an der elastischen Membran und wegen des straffen Aufsitzens der Radula auf dieser Membran ana- tomisch undenkbar, ebenso findet ein Zerkleinern der Nahrung (gegen Semper, 1857/58, Hanitsch, 1888) im Pharynx nicht statt. 4. Zusammenfassung der Pharynxmuskulatur. Nach den morphologischen und physiologischen Beobachtungen läßt sich also die Muskulatur des Pharynx in die muskulösen »Pharynx- wände«, in »äußere« und »innere Pharynxmuskeln« einteilen. Die Bulbuswände bestehen aus zwei Schichten, der äußeren »Längs- muskelschicht « und der inneren »Ringmuskelschicht«. Die Längs- muskelschicht bildet durch Dehnung des Pharynx und durch Ent- stehung der Knorpelnähte den »vorderen« und »hinteren Gurt«. Außer dem Levator pharyngis bildet die Längsmuskulatur alle »äußeren Mus- keln«, die Ringmuskelschicht außer den Papillarmuskeln alle »inneren Muskeln«. Zu den »äußeren Muskeln« gehören die den Pharynx in der Leibeshöhle verankernden Muskeln, die ein Vorstülpen und Auf- richten des Schlundkopfes ermöglichen: die zahlreichen Protractoren, der Levator und der Pharynxretractor. Alle setzen außer dem Levator, dem Protractor dorsalis lateralis und den Protractores laterales am Knorpel an und geben somit dem Zungenstützapparat bei seiner Arbeit als einarmigem Hebel einen festen Stützpunkt. Bei den »inneren Muskeln« haben wir drei Gruppen zu unter- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 517 scheiden: die die »elastische Membran« und die Radula »spannenden«, die den Zungenknorpel mit der Radula »bewegenden« Muskeln und die »Papillarmuskeln«. Zu den »spannenden« gehören die zarten Ten- sores inferiores auf der einen und der Tensor superior medius mit den seitHch ihm anliegenden Tensores laterales superiores auf der anderen Knorpelseite; letztere sind stärker, da sie den ganzen Zug beim Ab- reißen und Transport der Nahrung auszuhalten haben. Von den »be- wegenden« Muskeln ziehen die Fasern des Flexor und des Tensor lateralis inferior nach vorne. Das Zurückbringen des Radulaapparates in die alte Lage besorgt allein die Ringmuskulatur und zwar vor dem Knorpel durch Druck, hinter dem Knorpel durch Zu^ der als »Knorpel- retractoren« wirkenden Fasern; eine gänzlich untergeordnete Rolle beim Zurückziehen spielen die an der herabsteigenden »elastischen Membran« ansetzenden Tensoren. Die dritte Gruppe bilden die »Pa- pillarmuskeln«, die die Öffnung des Oesophagus im Pharynx er- weitern und der Papille festen Halt geben. 5. Literatur über den Pharynx. Die Schlundköpfe der Gastropoden sind alle nach einem und dem- selben Schema gebaut, es müssen also bei der Literaturdurchsicht auch Arbeiten berücksichtigt werden, die gerade nicht den Pharynx von Helix pomatia behandeln. Prinzipielle Unterschiede kommen bei den »inneren Pharynxmuskeln « nicht vor, es treten nur Variationen durch die ungleiche Entwicklung und die inkonstante Anzahl der Knorpel auf. Die »äußeren Pharynxmuskeln« variieren allerdings sehr stark, da bald ein vorstülpbarer Rüssel, bald ein blasig aufgetriebener Pharynx ge- bildet wird. Die erste größere Arbeit ist die 1817 erschienene von Cuvier; er fand bei Limax »äußere« und »innere« Pharynxmuskeln; die »inneren« besorgen den Zungenapparat, jedoch sieht er für den Hauptfaktor der gesamten Pharynxbewegung den Radulasack an. Die gleichen An- sichten teilen Rössler (1885) und Yung und Garnauld (1887). Ihnen gegenüber stehen Troschel (1849), Geddes (1879) und Hanitsch (1888), die den »äußeren Pharynxmuskeln« die Hauptarbeit bei der Schlund- kopfbewegung zusprechen. Schon 1853 vermutete jedoch Huxley, daß die »äußeren« Muskeln nur die Bewegung des gesamten Schlund- kopfes in der Leibeshöhle, die »inneren« dagegen das Arbeiten des Zungenknorpels besorgen, wie es ja auch die späteren Arbeiten von Paravicini (1896), Amaudrut (1897 u. 1898) und Beck (1912) durch die anatomischen Befunde beweisen. 518 Walther Trapj)mann, Infolge der Unkenntnis über den Verlauf der einzelnen Muskel- stränge kamen die älteren Autoren zu sonderbaren Resultaten ; so nahmen Huxley (1853) und Geddes (1879) ein Gleiten der Radula auf dem Zungenknorpel an, während Semper (1857, 1858) und Hanitsch (1888) der Radula eine kauende und die Nahrung zerkleinernde Arbeit zuschrieben. Für die Bildungsstätte der Radula hielten Joyeüx-Laffuie (1882) und Semper (1857, 1858) den Papillenzapfen ; Joyeux-Laffuie bezeichnet ihn als »cartilage producteur«, und Semper nennt ihn »Zungen matrix«; letzterer hält die Bindegewebsfasern in seiner »Zungenmatrix« für muskulös und beschreibt sie als Muskelfasern, er hält außerdem ein allmähliches Vorschieben der Radula für unmöglich und nimmt eine periodische Häutung derselben an. Erst durch die Arbeiten von Rössler (1885) und Rücker (1889) wird die Bildungs- weise der Radula durch die Odontoblasten beobachtet und eingehend beschrieben. Semper (1857, 1858) hält den Zungenknorpel bei Afhjsia für völlig muskulös, indem er die Bindegewebszellen für quergeschnittene Muskelbündel hält, de Lacaze-Duthiers (1887) sieht bei Testacella die Zellen des Zungenstützapparates für echte Knorpelzellen an, während LoiSEL (1893), Beutler (1901) und Plate (1891) ihnen bindegewebigen Charakter zuschreiben. Erst Schaffer (1906) scheint die Frage gelöst zu haben, indem er durch Farbreaktionen zeigt, daß sie ein Mittelding zwischen beiden Gewebsarten darstellen; er behält jedoch den einmal gebräuchlichen Namen »Zungenknorpel« bei. Die bindegewebige Hülle, die die Knorpel umgibt, wurde von Beutler (1901) für eine dünne Schicht von Muskelfasern gehalten. Ganz besonders feine Muskel- stränge glaubten Yung (1887) und Paravicini (1896) vom Pharynx- retractor zum Schlundring gehend gesehen zu haben; beide Autoren nennen sie Retractoren des Schlundringes, Yung beschreibt sie bei Cydostoma elegans, Paravicini bei Helix. Es kann sich hierbei, wie auch schon Amaudrut (1898) zeigt, nur um zarte Stränge der binde- gewebigen Hülle handeln, die den Retractormuskel und den ganzen Schlundring umhüllen. Wir sehen, daß bei allen Forschern schon eine Aufteilung des ge- samten muskulösen Pharynx in »äußere« und »innere« Muskeln sich vorfand. Die Begriffe und Grenzen bei den beiden Gruppen schwankten jedoch sehr, da einerseits die einzelnen Muskeln noch gar nicht ein- deutig festgelegt und einheitlich bestimmt waren, andrerseits die musku- lösen Bulbuswände stets als Muskeln der einen oder anderen Gruppe zugeteilt wurden. Eine klare Darstellung vom Pharynx gibt zuerst de Lacaze-Duthiers (1887), er beschreibt Testacella. Zu den » äußeren Die Muskulatur von Helix pomatia L. 519 Muskeln« rechnet er die von ihm gesehenen Protractoren und Retrac- toren, die den Bulbus in der Leibeshöhle hin- und herbewegen und den Rüssel ausstülpen, zu den »inneren« zählt er die Muskeln, die im Pha- rynx einzelne Partien bewegen, und zwar beschreibt er als »muscles superficiels« die äußere Hülle und die Längsmuskulatur, als »fibres circulaires« die Ringmuskelschicht und als Radulamuskeln den Knorpel mit den ansitzenden Muskeln. Mit diesem Prinzip, die Muskulatur in »äußere« und »innere« Muskeln zu scheiden, bricht Loisel in seiner Arbeit über Helix pomatia (1892), er zerlegt den ganzen Schlundkopf in den »vorderen«, »mittle- ren« und »hinteren« Radulamuskel und in die Papillenmuskeln. Zu dem »vorderen« rechnet er die ganze Mundhöhle — d. h. den Raum vor dem Knorpel — , den Levator pharyngis und den Tensor lateralis inferior, den er vorne im Boden der Pharynxhöhle sich kreuzen läßt; der »mittlere« Radulamuskel umfaßt die Längs- und Ringmuskulatur der mittleren Bulbuswände, den Flexor und den Tensor superior medius; als »hinterer« Radularmuskel ist der Pharynxretractor gedacht, und die »Papillenmuskeln« fassen die hintere Pharynxwand und unsere M. papilläres zusammen. Mit dieser Einteilung hat Loisel keinen glück- lichen Griff getan, die Darstellung ist weniger klar als bei den früheren Pharynxbeschreibungen, und mit dem besten Willen kann man sich schwerlich eine Vorstellung machen von der Tätigkeit der einzelnen Muskelsysteme, die durch diese grobe Trennung auseinandergerissen und zu vier Muskeln willkürlich vereinigt sind. So geht die nächste Arbeit von Paravicini (1896) über den Helix- pharynx auch wieder auf die alte Einteilung zurück. Paravicini be- schreibt als »extrinseke Muskeln« diejenigen Muskelbänder, die den Pharynx in der Leibeshöhle befestigen. Die »intrinseken«, teilt er ein in Muskeln, die zum Knorpel keine Beziehung haben — M. tri angu- laris ( = Protractor dorsahs lateralis und Protractor ventrahs superior in unserer Aufzeichnung) und M. papillaris anterior (= M. papil- läres) — und in Muskeln, die zum Knorpel Beziehung haben. Zu letz- teren zählt er a) die »Papillarmembran « (= bindegewebige Hülle mit unterliegender Muskelschicht), b) den »Horizontalmuskel« (auch in unserer Aufzählung als M. horizontalis bezeichnet), c) den »M. papil- laris posterior« (= wahrscheinUch die Fibrillen des Tensor lateralis superior), d) den »M. radularis medius« (= »mittlerer Radula- muskel« nach Loisel, = Tensor lateralis + Flexor -f- Bulbuswand nach unserer Aufzählung), e) Constrictor pharyngis (= Ringmuskulatur der Mundhöhle), f) M. radularis anterior (= Loisels »vorderer 520 Walther Trappmann, Radulamuskel« ohne Levator pharyngis) und g) M. protractor ra- dulae (= Tensor inferior). Wenn auch die Beschreibung, die Paravicini vom Schlundkopf der Weinbergschnecke gibt, wesenthch klarer ist als die von Loisel, so findet doch auch hier wieder eine Aufteilung der Bulbuswände und somit eine unübersichtliche Verquickung derselben mit den »äußeren« und »inneren« Muskeln statt. Bis zum Jahre 1896 ist somit der Pharynx von Helix pomatia von Loisel und Paravicini in seinen Hauptzügen gesehen und beschrieben worden, eine klare Beschreibung seiner Morphologie bis ins Kleinste und seiner Physiologie gibt aber erst Amaudrut in seinen Arbeiten von 1897 und 1898. Er scheidet die inneren Muskeln von den musku- lösen Pharynxwänden und erhält somit die Bulbuswände mit den außerhalb liegenden, den Pharynx verankernden Muskeln und die im Innern des Schlundkopfes gelegenen »inneren« Muskeln. Allerdings findet sich auch in diesen neuesten Arbeiten über den Pharynx von Helix pomatia noch keine klare Trennung zwischen den Wänden und den »äußeren«, zur Leibeshöhlenwand führenden Muskeln, wie ich sie stets bei meinen Präparationen beobachtete. So behandelt auch Amaudrut die »äußeren« Muskeln mit den Bulbuswänden zusammen. Den äußeren Pharynx teilt er ein in »muscles longitudinaux de la •face inferieure«, in »muscles longitudinaux des faces late- rales« und »fibres circulaires«. Bei den Seitenwänden unter- scheidet er »extrinseke« und »intrinseke« Muskeln, wobei natürlich die etwas freier liegenden Fasern der Längsmuskelschicht, die in Wirk- lichkeit noch die Bulbuswand mitbilden, als selbständige Bündel zu den »intrinseken« freien Muskeln gerechnet werden. Die »extrinseken« Fasern bezeichnet er als faisce au buccal lateral superieur(= Pro- tractor dorsalis lateralis), faisce au buccal lateral inferieur ( = Pro- tractor lateralis, den ich in zwei dünnen Bändchen auf jeder Pharynx- seite beobachtete), faisceaux extrinseques (= Protractor ventralis superior). Zu den »intrinseken« gehören die faisceaux sagittals, faisceaux oesophagiens und faisceaux buccals superieurs ( = Bündel, die zusammen unsern »hinteren Gurt« bilden) und die fais- ceaux intrinseques (= den untersten Fasern des »vorderen Gurtes«). Auch im Verlauf dieser Muskelbündel nmß ich von dem von mir Ge- sehenen Unterschiede konstatieren : Amaudrut läßt die Fasern des »vor- deren Gurtes « nicht den Pharynxrücken überspannen, er nimmt vielmehr als oberste Fasern der Kieferplatte längsgerichtete Muskulatur an. Der »hintere Gurt« hingegen setzt bei Amaudrut quer über den Pha- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 521 ryrLxrücken hinweg, nachdem er an seinem oralwärts gelegenen Rande die Buccalganglien bedeckt hat, die doch in Wirklichkeit ganz außer- halb der Bulbuswände und weiter caudalwärts unter dem Oesophagus liegen. Von den »äußeren Muskeln« beschreibt er nicht die Protractores ventrales inferiores, den Levator pharyngis, den Levator labii externi und den zweiten Protractor lateralis, bei den Bulbus wänden fehlen die die Kieferplatte zusammenhaltenden Transversalmuskeln und der dem Levator pharyngis festen Ansatzpunkt bietende M. anterior. Als Muskelschichten beschreibt Amaudrut die beiden bindegewebigen Hüllen, von denen die innere dem Epithel des Schlundkopfes aufsitzt, während die äußere, wie ich ja schon feststellte, die Radulascheide mit der hinteren Pharynxhälfte von außen umgibt und die Papillarmuskeln imd die Buccalganghen einhüllt. Einerseits zeigte jedoch schon die VAN GiESON-Färbung ihren bindegewebigen Charakter, andererseits muß ihre zarte, durchsichtige Konsistenz ihr jeden Anspruch, eine Muskelschicht zu sein, nehmen. Die »innere« Muskulatur hat Amaudrut sehr gut von den Bulbus- wänden zu trennen gewußt; ich habe somit die von ihm angeführte Nomenklatur übernommen, nur bei der Benennung des die beiden Knorpel verbindenden Muskels bin ich auf den älteren Autor Loisel (1893) zurückgegangen und habe ihn »M. horizontalis « anstatt »muscle transverse« genannt. Außer den von ihm beschriebenen »inneren Muskeln« habe ich noch den Tensor lateralis inferior und den Knorpel- retractor angeführt, da sie, obwohl sie meistens mit der Ringmuskel- schicht zusammen verlaufen, ja selbst ein Stück derselben bilden, doch durch ihre spezialisierte Funktion als einzelnes Muskelbündel angeführt werden müssen. Amaudrut spricht nämlich dem Knorpel außer durch den Flexor jede Eigenbewegung ab und überträgt sie den Tensoren, die die »elastische Membran« vorwärts- und rückwärtsziehen und, da ein Gleiten der Membran auf dem Knorpel unmöglich ist, ebenfalls den Knorpel bewegen sollen. Ich halte die Tensoren nur für »spannende« Muskeln, da sie dem Stützapparat eine solch schnelle und kräftige Bewegung nicht erteilen können, liegen sie doch nicht in der Zugrich- tung, sondern setzen sogar am Knorpel selbst an und könnten ihn höch- stens zusammendrücken. Ich gebe nach meinen Befunden dem Knorpel Eigenbewegung: der Flexor und der Tensor lateralis inferior beugt ihn nach vorne, die Ringmuskulatur drückt bei der Rückdrehung vorne als Sphincter und zieht hinten als Knorpelretractor. Auf Amaudrut stützt sich Karl Beck (1912), der die den Heli- ciden nahestehende Buliminusgruppe untersuchte und die gleichen Zeitschrift f. wissenscii. Zoologie. CXV. Bd. 35 522 Walther Trappmann, »inneren Muskeln« fand. Auch die »äußeren Muskeln« von Buliminus ähneln sehr den Pro- und Retractoren bei Helix 'pomatia, ich habe daher die Nomenklatur zum Teil bei Helix wieder anwenden können. B. Columellarmuskel. Nach Aufpräparieren einer Helix pomatia zeigt sich als größter, frei in der Körperhöhle verlaufender Muskel der Columellar- oder Spindel- rig. 19. M. retractor externus in der Körperhöhle verlaufend, die lateralen Körperwändc sind abgeschnittcr: ; Ansicht von der dorsalen Seite. muskel, auch Retractormuskel genannt. Er verbindet das Tier mit der Schale und dient zum Zurückziehen des gesamten Tierkörpers in Die Muskulatur von Helix pomatia L. 523 die Schale. Fig. 19 zeigt den Muskel in der Körperhöhle verlaufend, nachdem die Geschlechtsorgane und der Darm entfernt sind, in Fig. 20 ist der Retractor herauspräpariert und auseinandergebreitet. Von der Spindel oder Columella der Schale löst sich der Columellar- muskel als breites, weißlich glänzendes Band ab, zieht oralwärts und spaltet sich bald nach Verlassen der letzten Columellawindung in zwei ungleiche Arme (Fig. 19 u. 20). Der rechte Retractorarm ist der schwächere, er teilt sich seinerseits wieder in drei Fasermassen, die die beiden rechten Tentakeln und die rechte vordere Fußhälfte versorgen. Zuerst setzt sich ein breites Band (retr.t.mai.) von der Rückenlage des Muskels ab, zieht oralwärts, um als Rückziehmuskel für den großen Tentakel zu wirken. In seinem vorderen Teil gestaltet sich dieses Band zu einer Röhre um, in deren Lumen der den großen Tentakel versor- gende Nerv eintritt und bis zur Spitze des Tentakels verläuft, um hier das Augenganglion zu bilden. Die röhrenförmige Gestalt mit dem in der Muskelröhre verlaufenden Nerven zeigen die Schnittflächen des M. retractor tentaculi maioris in der Fig. 21 {retr.t.mai.), in der die dorsale Körperwand der Schnecke in der Medianlinie aufgeschnitten und zur Seite geschlagen, das frei in der Körperhöhle verlaufende Re- tractorbündel entfernt ist. Weiterhin zweigt sich vom großen rechten Retractorarm (Fig. 19 u. 20) medianwärts ein breites Muskelband ab, welches unter dem M. retractor tentaculi maioris oralwärts verläuft, um als M. retractor tenta- culi minoris (retr.t.min.) den kleinen Tentakel zu versorgen. Auch er bildet sich in seinem vorderen Abschnitt zu einer Muskelröhre um und nimmt gleich dem großen Tentakel den für sich bestimmten Nerven auf. Bq^r dieser Retractor in den kleinen Tentakel eintritt, setzen sich von ihm vier feine Muskelbündel ab (Fig. 20, 21: 1 — 4). Das kräftigste (1) verläuft oralwärts zur Medianlinie hin und inseriert in der Nähe des Pharynx an der vorderen Kopfwand. Gleichfalls auf der Innenseite des M. retractor tentac. minoris entspringt an der gleichen Stelle ein langes, sehr zartes Bändchen (Fig. 20: 2), das caudalwärts verläuft und sich in der Nähe der vordersten Insertionspunkte des noch zu besprechenden Fußretractors im Fuße verliert (Fig. 21). An der Außenseite des Retractor tent. minoris setzen sich die beiden letzten Muskelbündel {3 n. 4) ab, die nahe beieinander liegend nach kurzem, oralwärts gerichteten Verlauf an der vorderen Kopfwand inserieren (Fig. 20, 21). Das nach Abtrennung der Tentakelretractoren vom rechten Re- tractorarm noch übrig bleibende Muskelbündel zieht oralwärts ver- 35* 524 Walther Trappmann, laufend und sich vielfach spaltend zum Fuße und verliert sich dort in dem dichten Muskelgewebe (Fig. 19, 20 u. 21: retr .pedis .) . Die Zer- faserung ist bei den einzelnen Individuen sehr variabel, bald teilt sich der Fußretractor in mehrere breite Bänder, bald findet Spaltung in viele feine Fasern statt. Die Insertionspunkte der einzelnen Fasern ziehen, wie die Fig. 19 und 21 zeigen, in zwei zur Medianlinie parallelen Linien oralwärts bis kurz vor den Pharynx. Der linke Retractorarm ist wesentlich stärker, da hier außer den Retractoren für die Tentakeln und die linke Fußhälfte noch der Pha- phar. retr. f. min. retr t. mai\ \ retr.pedis Fig. 20. M. retractor externus herausgeschnitten und ausgebreitet; etwas schematisiert. rynxretractor (Fig. 19, 20: retr.'phar.) hinzukommt. Letzterer trennt sich jedoch frühzeitig vom linken Retractorarm, läuft sich immer mehr der Medianlinie nähernd oralwärts, spaltet sich in seinem vorderen Drittel in zwei breite Bänder, zieht mit dem Oesophagus durch den 8chlundring (Fig. 19: fj.c.) und setzt, wie schon oben erwähnt, an den beiden Knorpelnähten des Pharynx als Pharynxretractor an. Nach Abzweigung des Pharynxretractors verläuft der linke Re- tractorarm gleich dem rechten. Der Columellarmuskel ist also bilateral symmetrisch gebaut, nur ist durch die rechtsseitige Drehung des Ein- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 525 geweidesackes die Muskelinsertion an der Spindel aus der Medianlinie nach rechts verschoben (Fig. 19), während der median verlaufende Pharynxretractor sich dem linken Retractorarm auf kürzere Zeit an- schließt (Fig. 19 und 20). Nach Loslösung des frei in der Körperhöhle verlaufenden Eetrac- tors von der Spindel zeigen sich aber noch weitere kräftige Muskel- fasern, die gleichfalls von der Columella der Schale ausgehen, auch retractorische Funktion haben, jedoch im Gewebe der Körperwände und des Fußes verbleiben. Sie sind also auch als Fasern des Columellarmuskels anzusehen. Da sie sogar starke Lagen im Fuße bilden, möchte ich den soeben beschriebenen außerhalb des Fußes und der Körperwände und frei in der Körperhöhle verlaufenden Retractor- muskel als M. retractor externus dem im Fußgewebe befindlichen M. retractor internus, der sich, wie wir sehen werden, in den M. retractor anterior und M. retractor posterior teilt, gegenüber- stellen. Fig. 20 deutet schon schematisch die Ansätze des vorderen und hinteren inneren Retractors an {retr.a. und retr.p.). Im Interesse einer klaren Darstellung ist es allerdings wünschenswert, vor der Be- schreibung des M. retractor internus und der übrigen Fußmuskulatur sich der Körperwand zuzuwenden. C. Körperwand. Die Muskulatur der Körperwand ist in der Fig. 21 gezeigt. Der Schnecke wurde der Eingeweidesack hinter dem Mantelwulst abge- schnitten, so daß nach dem Aufschneiden der vorderen Körperhöhle durch einen dorsalen Medianschnitt der Mantelrand gleichfalls median durchschnitten war; nachdem die Körperwände nach beiden Seiten ausgebreitet waren, zeigten sich auch die beiden Schnittflächen der Mantelränder {M.r.). Der Pharynx wurde nach Abschneiden des Pharynxretractors {retr. phar.) und des Oesophagus (oe.) vorne heraus- geklappt. Seithch vom Pharynx treten in Fig. 21 die beiden Tentakel- retractorpaare {retr.t.mai. und retr.t.min.) in die hohlen Tentakel ein; m der Nähe des rechten M. retractor tentacuh minoris liegt der Aus- führungsgang der Geschlechtsorgane {g.a.), zu dem vom Fuß her ein zartes Muskelbündel hinaufsteigt und ungefähr 1 mm von der Körper- wand auf der oralen Seite des Ausführungsganges inseriert. Beim An- setzen des Ausführungsganges an die Körperwand treten sodann noch nach allen Seiten ausstrahlende Muskelfasern auf, die die Mündung stern- förmig umgeben. In der Medianhnie des Fußes zeigt sich die breite Fußdrüse (F.d.) 526 Walther Trappmann, mit der über ihr verlaufenden starken Arteria pedalis oder Arteria re- currens (a.p.). Zu beiden Seiten der Fußdrüse sind die abgeschnittenen Bündel des M. retractor pedis zu sehen, die in zwei zur Medianlinie re/r / ma/ refr. 3. Fig. 21. Muskulatur der Körjierwand. Körper durcli Medianschnitt geöffnet, die lateralen Wände der Körperhöhle zur Seite geschlagen, der Pharynx oralwärts herausgeklappt. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 527 symmetrisch liegenden Linien angeordnet sind. Diese beiden Insertions- linien liegen auf der Grenze zwischen Fuß und den seitlich aufsteigen- den, in Fig. 21 zur Seite gelegten Körperwänden. a) Musculi transversales. Die Fußdrüse und die Fußarterie werden von senkrecht zur Körperachse stehenden Muskeln, die ich als M. transversales bezeichnen möchte, überspannt, so daß sowohl über der Arterie als auch zwischen der Arterie und der Fußdrüse diese Mus- keln von der seitlichen Körperwand zur seitlichen Körperwand ver- laufen {m.tr.). Sie sind die einzigen Muskelfasern der Körperwände und des Fußes — zu beiden können sie gerechnet werden — , die sich zu kleineren Bündeln zusammenlegen und für längere Zeit völlig frei dem kompakten Fußgewebe aufliegend verlaufen. Bei den einzelnen Individuen schwankt ihre Stärke, bald sind sie nur als feine Fasern zu sehen, bald legen sich jedoch mehrere Fasern zu breiteren, durch die Formolbehandlung glänzenden Bändchen zusammen. Wahrscheinlich dienen sie, wie auch Simroth (1878) sagt, in erster Linie dazu, die unter ihnen liegende Fußdrüse durch Druck auf den Ausführungsgang zu entleeren, da ihre Kontraktion Verengimg des Drüsenvolumens be- dingt (Simroth, 1878, S. 186). Caudalwärts steigen die M. transversales in einer von den beiden seitlichen Körperwänden gebildeten tiefen Delle als starke Bündel herauf, setzen sich auch noch im Schwanz fort und können hier wahrscheinlich durch Kontraktion die von der Körperhöhle in den Schwanz eintretende große Blutlacune, die mediane Fußvene, mit schließen und den Blutdruck im Fuße mit regulieren helfen. b) Musculus retractor anterior. Wie schon oben erwähnt, stelle ich dem frei in der Körperhöhle verlaufenden M. retractor externus die im Fuß und in den Körperwänden liegenden Eetractor- fasern gegenüber und fasse letztere zum M. retractor internus zu- sammen. Dieser »innere Retractormuskel << spaltet sich wiederum in zwei Muskelsysteme, von denen das eine als >>M. retractor anterior« die vorderen Körperwände und den Fuß versorgt, während das andere als »M. retractor posterior« in den die Verlängerung des Fußes bildenden Schwanz eintritt. Ich darf hier wohl schon auf Fig. 30 ver- weisen, die schematisch den Verlauf des gesamten Columellarmuskels zeigt. Der in der Fig. 21 von der Körperhöhle aus gesehene Fuß zeigt sich in Gestalt eines schmalen Schiffchens, dessen stumpfere Spitze zum Pharynx führt, während das spitzere Ende caudalwärts zur Colu- mella zeigt. Die Schalenspindel selbst ist in der Fig. 21 entfernt, doch zeigen sich die von der Spindel ausstrahlenden Muskelfasern des in den 528 Walther Trappmann, Körperwänden verlaufenden und die vordere Körperhälfte versorgenden M. retractor anterior {retr.a.) als regelmäßig nebeneinander angeord- nete, oralwärts verlaufende Fasern, die sich oft zu breiteren Muskel- bündeln zusammenlegen. Als eine ziemlich starke Muskellage ver- läßt der »vordere innere Retractormuskel« die Columella, gabelt sich bald in eine rechte und linke Muskelhälfte {retr.a.), deren Haupt- muskellagen zu beiden Seiten der Insertionslinien des Fußretractors {retr.pedis.) an der Grenze zwischen dem Fuß und den Körperwänden im übrigen Muskelgewebe oralwärts verlaufen. Am oralen Ende der beiden Insertionslinien des Fußretractors konvergieren die beiden Muskellagen des M. retractor anterior so stark, daß sie sich unter dem Pharynx schneiden, wobei die Fasern der rechtseitigen Lage meist über der linken Lage verlaufen. Nach dem Kreuzen verlieren sich die ein- zelnen Fasern im vorderen Fußgewebe unter den dort inserierenden, kleinen Protractores anteriores des Pharynx. Bevor das Kreuzen der beiden Stränge des M. retractor anterior zustande kommt, treten bei einzelnen Tieren schon zwei kleine Muskelbänder aus den Strängen heraus, schneiden sich ihrerseits auch über der Fußdrüse und dringen in den Fuß ein (Fig. 21 : x ). Während ihres Verlaufes zu beiden Seiten der Insertionshnien des Fußretractors senden die beiden Haupt lagen des M. retractor anterior zur Fußdrüse hin immerzu Fasern ab, die sich im dichten Muskel- geflecht des Fußes zwischen den Bündeln des M. retractor pedis ver- lieren. Jedoch auch außerhalb der beiden starken Muskellagen des M. retractor anterior verlaufen Muskelfasern dieses Retractors. Schon bei seinem Eintritt in die vordere Körperhälfte strahlen Retractor- fasern in die seitlichen Körperwände aus und verlaufen, wiederum zu breiteren Muskelbündeln vereinigt und bald die Längsrichtung des Körpers einnehmend in den Seitenwänden und der Rückendecke der Körperhöhle zum Kopfe, wo sie in der Nähe der Tentakeln in der Kopf- wand sich verlieren. c) Musculi longitudinales. Mit den Fasern des M. retractor anterior haben ähnlichen Verlauf feine Muskelfasern, die gleichfalls oralwärts in den Körperwänden verlaufen. Sie gehen nicht, wie der Columellarmuskel, von der Schalenspindel ab, sondern halten in ihrem ganzen Verlauf stets die Längsrichtung des Körpers ein. So kommt es, daß sie in der Nähe der Ausstrahlung der Retractorfasern von der Colu- mella sich mit diesen unter einem spitzen Winkel schneiden; erst wenn die Retractorfasern auch die Längsrichtung des Körpers erreicht haben, verlaufen die beiden Systeme zusammen und sind nicht mehr von- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 529 einander zu unterscheiden. Bevor diese Muskelfasern sich mit den R..etractorfasern kreuzen, legen sie sich unter dem Mantelwulst zu stärkeren Bündeln zusammen und lockern sich etwas von der Körper- wand ab. — Nach ihrem Verlauf in der Längsrichtung des Tieres will ich sie als M. longitudinales bezeichnen {m.l. in Fig. 21). d) Musculi circulares. Als drittes Muskelsystem kommen Muskelfasern in Betracht, die zu den beiden letzten Systemen fast senkrecht stehen. Sie verlaufen transversal in den beiden seithchen Körperwänden und in der dorsalen Wand, finden jedoch nicht, wie wohl anzunehmen wäre, in den schon oben besprochenen, die Fußdrüse überspannenden Transversalmuskeln ihre Fortsetzung, sondern dringen nach Durchquerung der Stränge des M. retractor anterior noch vor den Insertionslinien des M. retractor pedis in den Fuß ein. Da sie die Körperhöhle lateral und dorsal umspannen und einen nur nach der ventralen Seite nicht geschlossenen Kreis bilden, möchte ich sie als M. circulares bezeichnen (m.c). e) Musculi obliqui. Außer diesen längs und quer verlaufenden Muskelsystemen treten in den Körperwänden aber noch zwei Arten diagonal gerichteter Fasern auf, die sich mit den Längsfasern unter einem Winkel von 45° schneiden und selbst aufeinander senkrecht stehen. Sie sind sehr zart und fein und nur an einigen Stellen zu sehen, deutlicher zeigen sie sich, wenn man an erstickten, einige Tage lang macerierten Schnecken mit einer feinen Pinzette die Epithelschicht mit den äußeren Muskellagen der seithchen Körperwände vom Schwanz her abzieht. Da die von der caudal-ventralen Seite des Tieres schräg nach vorne unter einem Winkel von etwa 45° ansteigenden Muskeln, die in Fig. 21 z. B. in der rechtseitigen Körperwand von links-unten nach rechts-oben ziehen, in der vorderen Körperpartie von Helix fomatia überwiegen, bezeichne ich sie als M. obliqui anteriores {m.o.a.) im Gegensatz zu den anderen, zu ihnen senkrecht stehenden M. obliqui posteriores (m.o.'p.), die im hinteren Fußabschnitt vorherrschen und in den Körperwänden von der oral-ventralen Seite zum Schwanz hin dorsalwärts ansteigen, in der rechten Körperwand der Fig. 21 also von links-oben nach rechts-unten verlaufen. Beide Diagonalrichtungen sind wegen der außerordentlichen Feinheit und des spärhchen Auftretens ihrer Fasern sehr schwer in den Körperwänden zu verfolgen. Alle Systeme der Körper wände lassen ihre Muskelfasern sich mit- einander eng verflechten, so daß voneinander gesonderte Lagen ein- zelner Muskelsysteme, die eventuell durch Präparation voneinander zu trennen wären, nicht bestehen. Höchstens läßt sich von den stärkeren 630 Walther Trappmann, Systemen nach Mikrotomschnitten angeben, daß die M. circulares die äußeren Partien, die M. longitudinales, besonders aber der M. retractor anterior die inneren Partien der Körperwandungen bevor- zugen. D. Fuß. Durch stärkere Ausbildung der Bauchseite entsteht bei unsern Schnecken ein unpaares, bauchständiges Locomotionsorgan, das als Fuß bezeichnet wird. Bei Helix pomatia setzt sich der Fuß durch je eine tiefe Einbuchtung auf beiden Seiten des Tieres von den Körper- wänden ab, so daß die Ränder der auf der Unterseite des Fußes aus- gebildeten breiten Kriechsohle leistenartig zu beiden Seiten vorspringen. Eine Verlängerung des Fußes bildet der sogenannte Schwanz, der als massiver Keil die Kriechsohle caudalwärts auf seiner Ventralseite noch fortsetzt. Unter dem einschichtigen Epithel befindet sich eine starke Lederhaut, die aus lockerem Bindegewebe mit zahlreich eingestreuten Kalk- und Schleimdrüsen besteht. Das gesamte Innere des Fußes wird in erster Linie von Muskulatur ausgefüllt, die sich außer den Retractor- fasern nie in größeren Lagen oder stärkeren Bündeln zusammenlegt, vielmehr stets als einzelne Fasern in allen möglichen Richtungen den Fuß durchkreuzt und so ein enges, schwammartiges Gew^ebe darstellt, das auf den ersten Blick ohne jede regelmäßige Anordnung der Fasern aufgebaut zu sein scheint. Das Fußgewebe ist derart dicht und filzig, daß Untersuchungen auf makroskopischem Wege nicht zum Ziel führten, die einzelnen Fasern sind wiederum so zart und in ihrem Verlauf so mannigfaltig, daß auch mit Mikrotomschnitten nichts zu erreichen w^ar. Es war erst möglich, Klarheit über den Verlauf der einzelnen Systeme zu erhalten, als dickere, mit dem Rasiermesser in vielen Ebenen geführte Schnitte durch den Fuß angefertigt wurden und durch die in dem Ab- schnitt über Methoden erwähnte Formolbehandlung einzelne Muskel- fasern der Muskelsysteme deutlich hervortreten konnten. Zwar treten nur die in der Schnittfläche verlaufenden oder gerade -günstig ange- schnittenen stärkeren Muskelfasern durch ihr glänzendes Aussehen hervor, und in jedem einzelnen Schnitt zeigen sich auch nicht alle wirklich in der Schnittebene verlaufenden Systeme, wie ich sie zum Beispiel in den Schnittbildern der Fig. 25 — 28 idealisiert und etwas schematisiert angeben werde; die Bearbeitung des Fußes war und bheb daher noch ziemHch schwierig und es mußten stets die Rasier- messer- und Mikrotomschnitte miteinander verglichen und kombiniert werden. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 531 1. Fußmuskulatur gezeigt an Schemata. Die Hauptrichtungeii der duich Formolbehandlung gefundenen Muskelfasern habe ich in neun Systeme aufgeteilt, die wegen ihrer mannigfachen Lagen im Fuße am besten an Schemata gezeigt werden können. Da die Körperwände eng mit dem Fuß verbunden sind, alle Muskelfasern derselben in das dichte Fußgewebe eindringen, müssen natürlich bei Besprechung des Fußes die Körperwände noch einmal in Betracht gezogen werden, um den weiteren Lauf der in den Körper- wänden gefundenen Muskelsysteme im Fuße zu zeigen. Die Schemata (Fig. 22, 23 und 24) sind so gezeichnet, daß in der Mitte der drei oberen Zeichnungen ein Frontalschnitt, der einige Milli- meter über der Fußsohle gelegt ist, sich befindet, zu beiden Seiten von ihm ist je ein Transversalschnitt. Der links liegende Transversalschnitt ist als durch den vorderen Tierkörper geführt gedacht, wo die Körper- höhle sich noch vorfindet; die Körperhöhlenwände sind also auch ge- zeichnet. Rechts vom Frontalschnitt ist ein Transversalschnitt durch den Schwanz schematisch angegeben. Das unter dem Frontalschnitt befindliche Schema stellt einen sagittalen Längsschnitt durch den Fuß dar, der fast in der Medianlinie verläuft. Im vorderen Transversalschnitt ist unter der Körperhöhle die quergeschnittene Fußdrüse schematisch angegeben, die als ein langer, von vielen Drüsen allseitig umgebener, schlauchartiger Ausführungsgang in der Medianlinie durch den ganzen Fuß verläuft und einerseits, wie wir schon sahen, unter dem Munde, andrerseits im Schwanz endet. — Der Sagittalschnitt zeigt in der Mitte der dorsalen Seite die Stelle des abgeschnittenen, beim lebenden Tier in der Schale befindlichen Eingeweidesacks (Fig. 22 a: E.s.), links von der Schnittfläche ist ein Stück des vorderen Fußes, rechts von ihr der Schwanz im Längsschnitt schematisch gezeichnet. Alle Muskelsysteme sind als auf diese drei Ebenen projizierte Linien dargestellt, ihr wirklicher Verlauf ergibt sich also erst durch Kombi- nation der in den drei Ebenen angegebenen Richtungen. Bei der Aufzählung der Muskelsysteme habe ich mich von ihrer Stärke leiten lassen, so daß diejenigen mit zahlreichen Fasern zuerst, die weniger stark auffallenden Faserrichtungen zuletzt angegeben sind. a) Musculi transversales. Unter den stärksten und daher auch wichtigsten Systemen sind die Transversalmuskeln zu nennen (Fig. 22a). Sie bilden die ersten direkt über dem Epithel der Fußsohle verlaufenden Muskeln, sind überall im Fuß wenn auch nicht mehr so dicht wie über der Fußsohle vorhanden und treten erst wieder über der 532 Walther Trappmann, Fußdrüse zahlreicher auf und schheßen sich hier meist, wie wir ja schon bei der Besprechung der Körperwand gesehen haben, zu stärkeren Bündeln zusammen, um wahrscheinlich das Entleeren des schlauch- artigen Fußdrüsenausführungsganges zu beschleunigen (Fig. 21: wir.). Fig. 22 a— c. Muskelsystcme im Fuße und in der Körperwand von Helix pomatia. Der Verlauf der Fasern auf die drei Ebenen des Raumes (2 Transversalsclinitte, 1 Frontal- und 1 Medianschnitt) projiziert und schematisch dargestellt, a) M. transversales; b) M. circulares; c) M. longitudinales. Sie verlaufen stets in der Transversalebene parallel zur Fußsohle, in der Frontal- und Transversalebene sind sie daher längs, im sagittalen Longi- tudinalschnitt quer getroffen. b) Musculi circulares. Als zweites System möchte ich die M. circulares anführen (Fig. 22b), stärkere und dichter beieinander Die Muskulatur von Helix pomatia L. 533 liegende Muskelfasern, die halbkreisförmig die Körperhöhle umlaufen. Ich zeigte sie schon bei Besprechung der Körperwände, wo sie sich zur Körperhöhle hin zu kleineren Bündeln zusammenlegen (Fig. 21: m.c). Aus den Körperwänden dringen sie in den Fuß ein, divergieren etwas und inserieren an der Fußsohle (Fig. 22 b). Auch im massiven Schwanz treten Fasern ähnlicher Richtung auf, trotzdem dort keine Körperhöhle zu umspannen ist, die allerdings dort sehr spärlich und nahe der Leder- haut verlaufen. Es ist, wie ich schon bei den Körperwänden anführte, bei den M. circulares wichtig, daß sie in erster Linie die äußeren, zum Epithel gelegenen Muskellagen in den Körperwänden bilden. Ihr halbkreisförmiger Verlauf ist nur in den Transversalschnitten zu sehen. Der Transversalschnitt durch den Schwanz ist direkt hinter dem Ansatz des Eingeweidesacks am Fuß gedacht, wo die musculi circulares noch in größerer Anzahl auftreten; ihre Projektionen auf die Frontal-und Longitudinalebene zeigen sich nur als Linien. Muskelfasern von glei- chem Verlauf werden wir in der Wand des Eingeweidesacks wieder- finden. c) Musculi longitudinales. An dritter Stelle müssen die M. longitudinales genannt werden. Sie verlaufen in der Längsrichtung des Körpers, verflechten sich mit den beiden ersten Systemen, ziehen aber nicht so sehr die äußeren Randpartien der Körpeiwände und des Fußes vor, sondern verlaufen mehr im Innern der Gewebe. Bei den eng verflochtenen Körperwänden fällt dieser Unterschied weniger auf, an der Fußsohle zeigen jedoch Frontalserienschnitte deutlich, daß über dem Sohlenepithel zuerst eine Lage von Transversalmuskeln verläuft, über die sich dann eine starke Lage von M. longitudinales legt. Mit der Verjüngung des Schwanzes nähern sich auch die Längsfasern ein- ander und verlassen so etwas die strenge Längsrichtung. Auch sie finden in der Muskulatur des Eingeweidesacks ihre Fortsetzung. Im Schema der Fig. 22c sind sie im Frontal- und sagittalen Longitudinal- schnitt längs, in den Transversalschnitten quer getroffen. In Fig. 21 wurden sie schon in der Muskulatur der Körperwände gezeigt (Fig. 21: 7n.l.). d) Musculus retractor. Das stärkste und für unsere beschälten Schnecken wichtigste Muskelsystem im Fuß macht der Columellar- oder Retractormuskel aus, dessen im Fuß verlaufende Fasern und Bündel Fig. 23a wiederum Bchematisch auf die drei Ebenen projiziert zeigt. Nach dem Verlauf der einzelnen Fasergruppen teile ich den Columellarmuskel, wie schon oben erwähnt (s. S. 527), ein in den M. retractor externus und den M. retractor internus {retr.i.). Letzterer 534 Walther Trappmann, versorgt als M. retractor anterior (retr.a.) die vordere Fußhälfte, als M. retractor posterior (retr.p.) die hintere Fußhälfte, den Schwanz. a) Musculus retractor externus. Vom frei in der Körperhöhle verlaufenden M. retractor externus verfolgten wir die Bündel des M. retractor pedis in den Fig. 19 und 21 bis zum Eintritt in den Fuß, der weitere Verlauf dieser Bündel ist makroskopisch durch Präparation nicht zu verfolgen, da die kleinen Muskelbündel sich sofort nach ihrem Eintritt in das filzige Gewebe des Fußes in zarte Fasern auflösen und sich im dichten Maschen werk sofort verlieren. Die Mikrotomschnitte geben in dem großen Durcheinander von angeschnittenen, in allen Richtungen verlaufenden Muskelfasern gleichfalls keine Auskunft über den Verbleib dieser zarten Muskelfasern im Fuß. Allein die stärkeren mit dem Rasiermesser geschnittenen und mit Formol behandelten Schnitte zeigen, daß die Bündel des M. retractor pedis sich in viele zarte Fasern aufteilen, die, wie es im vorderen Querschnitt der Fig. 23 a {retr.pedis) schematisch dargestellt ist, ihrerseits divergierend lateral- ventralwärts hinabsteigen und an den Seitenwänden des Fußes über den Fußkanten inserieren. Sie verlaufen jedoch nicht in der Transversal- ebene, sondern halten einen etwas oralwärts gerichteten Verlauf bei, wie es der Frontal- und der Longitudinalschnitt zeigen (Fig. 23 a: retr.'pedis) . ß) Musculus retractor anterior. Der im Verbände mit den Körperwänden und dem Fuße verbleibende Arm des Columellarmuskels, der M. retractor internus, zeigt sich im Frontal- und Medianschnitt der Fig. 23 a als eine durch Abschneiden des Eingeweidesacks gleich- falls durchschnittene starke Muskellage (retr.i.), die sich beim Eintritt in den Fuß sofort in den M. retractor anterior (retr.a.) und den M. re- tractor posterior (retr.p.) spaltet. Der vordere Retractorarm verläuft, wie es schon die Körperwände zeigten, an der Grenze zwischen dem Fuß und den seitlichen Körperwänden in zwei zur Medianlinie symme- trisch liegenden Muskellagen. In die Körperwände und in den Fuß strahlen (Fig. 21) von diesen Lagen Muskelbündel aus; die in den Körperwänden verlaufenden nahmen bald die Längsrichtung des Tieres an, sind also im vorderen Transversalschnitt der Fig. 23 a fast quer getroffen. Die medianwärts zur Fußdrüse hin abgegebenen Fasern verloren sich in Fig. 21 im Fußgewebe, der vordere Querschnitt in der Fig. 23 a zeigt, wie sie im Fuße als feine Fasern ventralwärts diver- gierend ausstrahlen und an der Fußsohle ansetzen. Sie verlaufen nicht direkt im Transversalschnitt, sondern haben, wie der Sagittalschnitt zeigt, ihren oralwärts gerichteten Verlauf zum Teil noch beibehalten. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 535 Die innersten Fasern nähern sich derart, daß sie sich in der Medianhnie unter der Fußdrüse schneiden. Außerdem gehen von den beiden Muskel- lagen noch lateralwärts Fasern zu den Fußkanten hin, die noch an der Fußsohle inserieren. retr. pedis retr.p. refr.p. Fig. 23 a— c. Muskelsysteme im Fuße und in der Körperwand von Tlelijc pomatia. Darstellung wie in Fig. 22. a) M. retractor; b) M. diagonales frontales; c) M. diagonales transversales. y) Musculus retractor posterior. Das die hintere Fußhälfte und den Schwanz versorgende Retractorbündel zieht als M. retractor posterior vom M. retractor interior (Fig. 23 a: Frontal- und Longitudinal- schnitt: retr.p.) caudalwärts und bildet eine starke Rückenlage an der 636 Walther Trappmann, dorsalen Wand des Schwanzes. Je mehr diese Lage sich dem Schwanz- ende nähert, um so mehr fasert sie sich aus und verläuft fächerförmig zu beiden Seiten caudal-ventralwärts zu den Fußkanten hinab, wo ihre Fasern an der Fußsohle inserieren. In Fig. 23 a ist der Transversal- schnitt durch den Schwanz direkt hinter dem Eintritt des M. retractor posterior geführt, in der Rückenlage des Schwanzes sei schematisch der hier noch in einer festen Muskellage verlaufende hintere Retractor- muskel angedeutet, aus dem seitlich Fasern zur Fußsohle ausstrahlen. Der Frontal- und der Longitudinalschnitt in Fig. 23 a zeigen, daß noch weitere zu den Fußkanten hin verlaufende Fasern vom M. retractor internus abgehen, sie lassen sich sowohl dem vorderen als auch dem hinteren Retractorarm zuweisen und bilden den Übergang von den Fasern des hinteren Retractors zu den gleichfalls nahe bei den Fußkan- ten ander Sohle inserierenden Muskelfasern des M. retractor anterior. Die im Fuß verlaufenden Retractor fasern zeigen sich also in mehreren, verhältnismäßig starken Muskellagen, die schon durch ihre Stärke Anspruch erheben können, als gleichwertige Muskelarme dem M. retractor externus gegenübergestellt zu werden. Doch auch die Physiologie gibt ihnen das Recht auf diesen Platz, da der M. retractor externus nur den Kopf und zum Teil die vordere Fußhälfte versorgt und für Pharynx- und Tentakelbewegung natürlich sehr wichtig ist; aber für das Einziehen des gesamten Tieres in die Schale durchaus nicht ausreichen kann. Zum völligen Zurückziehen des Tieres ist der M. retractor internus unbedingt wichtig, da er allein den ganzen Fuß vom Kopf bis zur Schwanzspitze beherrscht. e) Musculi diagonales frontales. Als fünftes System von Muskelfasern im HelixiwSt seien hier die M. diagonales frontales genannt (Fig. 23b). Sie verlaufen, wie ihr Name schon sagt, in der Frontal- ebene, sind jedoch nicht transversal, sondern diagonal gerichtet, stehen aufeinander senkrecht und bilden mit der Transversalebene ungefähr einen Winkel von 45°. Sie kommen nur im Fuß, nicht in den Körper- wänden vor, sind in der vorderen Fußhälfte bis zur Fußdrüse hinauf, im Schwanz fast in allen Frontalebenen zu finden. Sie sind feine und spärlicher als die vorigen Muskelsysteme auftretende Fasern, die sich nie zu Lagen oder Schichten zusammenlegen. Nur im Frontalschnitt der Fig. 23b schneiden sie sich, ihre Projektionen auf die Transversal- und Longitudinalebene ergeben nur in einer Richtung verlaufende gerade Linien. f) Musculi diagonales transversales. Zum nächsten System schließen sich wiederum diagonal verlaufende Muskelfasern zusammen, Die Muskulatur von Helix pomatia L. 537 die aber nicht in der Frontal-, sondern in der Transversalebene liegen. Sie verlaufen, wie die Transversalschnitte der Fig. 23 c zeigen, im ganzen Fuß von der Sohle schräg nach außen und oben und schneiden sich im vorderen Fußabschnitt unter der Fußdrüse. Es sind sehr zarte Muskelfasern, die sich gleichfalls niemals zu Muskellagen vereinigen. g) Musculi dorsoventrales. Noch viel feiner sind die M, dorsoventrales, die von der Sohle zur dorsalen Wand des Fußes ver- laufen (Fig. 24a). Sie stehen oft sehr dicht besonders über dem Sohlen- epithel beieinander und sind auf dünnen Längsschnitten durch den ganzen Fuß und auf Querschnitten durch den Schwanz gut zu sehen. In der vorderen Körperhälfte sind sie sehr schwer in ihrem Verlauf zu verfolgen, da sie mit den M. circulares und sehr vielen Fasern des »inne- ren Retractors« gleiche Richtung haben und sich in ihnen verlieren. Sie sind in der Fig. 24a auf den Transversalschnitten und dem Längs- schnitt längs, auf dem Frontalschnitt quer getroffen. h) Musculi obliqui. Zum Schluß kommen noch zwei Muskel- systeme in Betracht, die aus stärkeren, meist aber in geringer Anzahl auftretenden Muskelfasern bestehen (Fig. 24b und c). Da die Fasern auch zugleich in den Körperwänden verlaufen, wurden sie schon bei Besprechung derselben erwähnt. Es sind dieses die M. obhqui anteriores und posteriores. (Fig. 21: m.o.a. und m.o.f.). Da sie mit den gleich- falls meist schräg verlaufenden Retractorbündeln oft gemeinsame Rich- tung haben, ist ihr genauer Verlauf sehr schwer festzustellen. Nach den Rasiermesserschnitten und nach makroskopischen Präparationen verlaufen die »vorderen Schrägfasern« (Fig. 24b) von den Sohlen- kanten oral- und dorsalwärts und setzen an der Rückenwand an, die M. obliqui posteriores haben den entgegengesetzten Verlauf von den Fußkanten caudal- und dorsalwärts. Bei beiden Systemen kreuzen sich die einzelnen Fasern in der Rückendecke und verlaufen meist in den äußeren Muskellagen der Körperwände, so daß sie beim Abziehen dieser äußeren Lagen an lange macerierten Tieren zu sehen sind. Die caudalwärts ansteigenden Fasern der M. obliqui posteriores haben in der vorderen Fußhälfte mit vielen Fasern des M. retractor anterior gleiche, im Schwänze mit den Fasern des »hinteren« Retractors ent- gegengesetzte Richtung; umgekehrt verhält es sich mit den M. ob- liqui anteriores. So kommt es, daß immer die zu den starken Retractor- fasern senkrecht stehenden Schrägfasern gut zu sehen sind, daß aber die Schrägfasern, die gleichen Verlauf mit den Retractorfasern haben, in letzteren verschwinden. Es zeigen sich also die oralwärts aufsteigen- den Fasern in der vorderen Fußhälfte gut, während die caudalwärts Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. GXV. Bd. 36 538 Walther Trappjnann, ansteigenden Fasern im Schwänze hervortreten; ich habe sie daher als »anteriores« und »posteriores« unterscheiden können. Vielleicht lassen sich diese beiden Muskelsysteme mit den M. dia- gonales horizontales zusammen auf ein einziges System zurückführen, Kg. 24 a— C-. Muskelsy.stcme im Fuße und in der Körperwaiid von Helix poniatia. Darstellung wie in Fig. 22. a) M. dorsoventrales; b) M. obliqui anteriores; e) M. obliqui posteriores. das den spiralig um die Körperhöhle verlaufenden Systemen ähnlich ist, welches Kalide (1889) bei den Pteropoden imd Heteropoden be- schreibt. Durch Ausbildung des breiten, fleischigen Fußes würde dann bei Flelix das System in seinem spiraligen Verlaufe unterbrochen sein, indem die in den Körperwänden verlaufenden Schrägfasern an der Die Muskulatur von Helix pomatia 539 Sohle, die im Fuß befindlichen Diagonalfasern an den Seitenwänden des Fußes Insertionspunkte gefunden hätten. Bei den in den Fig. 22 — 24 gegebenen Schemata habe ich alle Muskelsysteme als gleichstarke Linien eingezeichnet, da die Stärke und das jeweihge Auftreten einzelner Fasern in diesem oder jenem System nicht berücksichtigt werden können, ohne die Klarheit der Schemata zu beeinträchtigen; die in den drei Ebenen gezeichneten Linien geben also in erster Linie nur die Hauptrichtungen der im Fuße sich kreuzenden Muskelsysteme an. 2. Fußmuskulatur gezeigt an Schnitten. a) Transversalschnitt durch die vordere Körperhälfte: Um für die in den Schemata der Figuren 22, 23 und 24 angeführten Muskelsysteme einen realen Untergrund zu haben, wollen wir noch m. fr. m.d]/. ■ m.c. Fig. 2.5. Transversalsclinitt durch die vordere Körperhälfte von Relix pomatia. (Kasierraesserschnitt.) einige Rasiermesserschnitte betrachten, auf denen die größeren dieser Muskelsysteme zu sehen sind. Fig. 25 stellt einen Transversalschnitt durch die vordere Körperhälfte einer Helix pomatia dar. Das Bild ist etwas ideahsiert, indem mehrere aufeinanderfolgende Schnitte zur Zeichnung kombiniert wurden, die Fasern also weiter in ihrem Verlauf zu sehen sind, als sie in Wirklichkeit ein einziger Schnitt zeigt. In der Mitte des Schnittes ist als hellere Masse die Fußdrüse (F.d.) zu sehen, 36* 540 Walther Trappmann, Über der Drüse ist die Arteria pedalis (a.p.) quergetroffen. Zu beiden Seiten der Fußdrüse liegen je zwei große Blutlacunen (lac), von denen das größere Paar als »laterale Fußvenenstämme << den ganzen Fuß bis in den Schwanz hinein durchläuft. Der Fuß und die Körperwände werden von der ziemlich dicken, bindegewebigen Lederhaut nach außen hin abgeschlossen, das Innere zeigt sich von vielen Muskelfasern durch- zogen. In der Transversalebene verlaufen als starke Muskellage dieM. circu- lares {m.c. auf Fig. 25, 21 und 22b), die die Körperhöhle umschheßen, in den Fuß an beiden Seiten ausstrahlen und an der Sohle inserieren. Dieselbe Faserrichtung, die die innersten, der Fußdrüse zunächst liegen- den Fasern der M. circulares haben, besitzen auch die M. diagonales m. d. tr„ )m tr. -V77. fr. Fig. 26. Transversalschnitt durch den Schwanz von Helix pomatia. (Rasiermesserschnitt.) Die Zeichnung ist insoweit scliematisiert, als die Muskelfasern in ilirem ganzen Verlauf gezeichnet sind. transversales {m.d.tr. auf Fig. 25 und 23c), die an der Sohle inserieren, jedoch nicht die Körperhöhle umschließen, sondern an den Seitenwän- den ansetzen. Sie setzen sich, immer den gleichen Winkel mit der Fußsohle bildend, bis in die Fußkanten fort. Als drittes System sind die M. transversales {m.tr. auf Fig. 25, 22 a und 21) zu sehen, deren Fasern über der Fußsohle dichter liegen und sich zwischen der Fußdrüse und der Arterie und über der Arterie zu kleineren Bündeln zusammenlegen. Sie durchqueren, der Fußsohle parallel verlaufend, den Fuß und inserieren an den beiden seitlichen Körperwänden. Zwi- schen den in denFuß ausstrahlenden Fasern der M. circulares befinden sich die zarten, sich bald in ihnen verherenden M. dorsoventrales {m.dv. auf Fig. 25 und 24a), die jedoch besser im folgenden Schnitt, einem Transversalschnitt durch den Schwanz, zu sehen sind. b) Transversalschnitt durch den Schwanz (Fig. 26). Wieder Die Muskulatur von Helix pomatia L. 541 liegt in der Mitte des Schnittes die Fußdrüse seitlich von den zwei >> lateralen Fußvenenästen << umgeben, zu denen sich hier noch die dorsal im Schwanz verlaufende »mediane Fußvene« zugesellt hat. Die Be- zeichnungen der Venenäste sind von G. Söhmidt (1915). Die Zeichnung ist insoweit schematisiert, daß die Fasern in ihrem ganzen Verlauf ausgezogen und die zarten Dorsoventralfasern stärker eingezeichnet sind. Die Muskelsysteme sind die gleichen wie im Transversalschnitt durch die vordere Körperhälfte, nur ist hier durch das Fehlen der Körper- höhle der Verlauf der Systeme vereinfacht und klarer. Die M. circulares treten im Schwanz sehr spärlich auf und inserieren an den' Fußkanten m.op. m.cfK Fig. 27 Fast median verlaulender Sagittalschnitt durch den Fuß von Kelix pomatia. (ßasiermesser- schnitt.) (m.c), gut zu sehen sind die im ganzen Schwanz auftretenden M. trans- versales {mir.) und M. diagonales transversales (m.d.tr.), deutUcher als in Fig. 25 zeigen sich die M. dorsoventrales {m.dv.), die ebenso schön auch im folgenden Schnitt, einem Medianschnitt, sich abheben. c) Sagittalschnitt. In Fig. 27 ist ein nahe der Medianlinie geführter Längsschnitt durch den größeren Teil des Fußes wiedergege- ben. Der M. retractor internus {retr. i. auf Fig. 23 a) tritt als starkes Bündel dorsal in den Fuß ein und schickt oralwärts den M. retractor anterior {retr.a.), caudalwärts den M. retractor posterior (retr.j).), der die starke dorsale Muskellage des Schwanzes bildet, zur Schwanzspitze allmähUch ausfasert und immerzu Fasern zur Sohle abbiegen läßt. In die Querschnittsbilder der Fig. 25 u. 26 wurde das Retractorsystem, das hier im Längsschnitt sich deutlich zeigt, nicht eingezeichnet, da 542 Waltlier Trai)pinann, seine Fasern fast stets quer angeschnitten und wegen ihrer Zartheit daher nur sehr schwer zu erkennen sind. Über der Sohle in Fig. 27 sieht man ferner noch eine Lage von stärkeren Längsmuskelfasern {m.l; Fig. 22 c), die, wie wir sehen werden, für die Locomotion wichtig sind; doch auch dorsal dieser starken Schicht treten noch M. longitudinales als zarte Fasern auf. Zu den Fasern des »vorderen Re- tractors« senkrecht stehen die M. obliqui anteriores {m.o.a.; Fig. 24 b), im Schwanz fallen die M. obhqui posteriores {m.o.p.; Fig. 24c) durch die gleiche Stellung zum M. retractor posterior auf, die als feine Fasern von der Sohle zur Rückendecke verlaufen. Das letzte System bilden m.d tr. Fig. 28. Diagonalschnitt (unter >in einzelne, an die Borsten- follikel herantretende oder in die Parapodien einstrahlende Faserbündel aufgelöst«. Die zu den Fußkanten von Ilelix hinstrebenden M. circulares könnten sich nun weiter ausgefasert haben und inserierten bald an der Fig. 29 a— f/. Schema zur Ableitung der M. circulares und M. trans- versales vom typischen Hautmuskelschlaueh. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 545 ganzen Fußsohle. Durch das Ausfasern würden schon in den Körper- wänden die Grenzen zwischen den in zwei getrennten Schichten ur- sprünglich gelagerten Ring- und Längsmuskeln verwischt, da sich ihre Fasern miteinander verflechten. Die Transversalmuskeln wären bald im ganzen Fuß aufgetreten und hätten sich über der Fußdrüse zu kleinen Muskelbündeln zusammengelegt. Weit davon entfernt, ontogenetische Gebiete durch diese Aus- einanderlegungen berühren zu wollen, sollen diese theoretischen Er- wägungen zeigen, wie die auf den ersten Blick scheinbar so unentwirrbar aufgebaute Muskulatur von Helix pomatia zum Teil auf den typischen Haut muskelschlauch der Anneliden zurückgeführt werden kann und wie sie sich durch physiologische Anpassung an eine bestimmte Funk- tion aus ihm vielleicht hat entwickeln können. Bei Betrachtung der Locomotion werden wir sehen, daß die Kriechbewegung von Helix pomatia ganz unabhängig von irgendwelcher Rücksicht auf einen etwa früher bestehenden typischen Hautmuskelschlauch auf wurmförmige Fortbewegung, bedingt durch das Zusammenarbeiten von Längs- und Quermuskeln, zurückgeführt werden muß. Mit einigem Recht kann man also wohl die Physiologie zur Stütze der obigen vergleichend- anatomischen Betrachtungen anführen. Auch am Schluß der Literatur- besprechung der Muskulatur des Fußes werde ich auf den Hautmuskel- schlauch noch einmal zurückkommen müssen (S. 558). Mit der Bildung des Fußes sind auch die anderen Muskelsysteme aufgetreten, die sich entweder von einer der beiden Hautmuskelschichten ableiteten oder völHg unabhängig von diesen sekundär sich bildeten. Vom Columellarmuskei ist der kräftige im Fuß und in den Körper- wänden verlaufende M. retractor internus von der Längsmuskulatur abzuleiten, da er in seinem ganzen Verlauf fast stets ungefähr Richtung und Lage mit den Längsmuskelfasern gemeinsam hat; auch der M. retractor pedis kann durch Abspaltung von der Längsmuskulatur ent- standen sein. Ob aber Tentakel- und Pharynxretractoren gleichfalls von der Längsmuskulatur abzuleiten sind, erscheint mir sehr zweifel- haft; wahrscheinlicher ist es, in ihnen sekundäre Bildungen zu er- blicken. 4. Zusammenfassung der Muskulatur. Unter dem Gesichtspunkt des Hautmuskelschlauches habe ich die Fuß- und Hautmuskulatur und die noch später zu besprechende Musku- latur des Eingeweidesacks in den Fig. 30 und 31 noch einmal schematisch zusammengefaßt. Schema 30 gibt einen der Medianlinie nahe geführten 546 Walther Trappmann, Sagittalschnitt durch Helix fomatia wieder. Die Körperwände be- stehen aus Kingmuskulatur außen und Längsmuskulatur innen, die beiden Muskellagen liegen zwar in natura nicht voneinander abgegrenzt übereinander, sondern sie verflechten sich, doch bilden die M. circulares mehr die äußeren, die M. longitudinales mehr die inneren Muskellagen. Nur in den Tentakeln kann man infolge ihrer dünnen "Wände auf Mi- krotomschnitten deutlich die beiden Schichten voneinander getrennt sehen. In der Figur hat sich der große Tentakel zum Teil eingezogen; der Pharynx zeigt die gleiche Anordnung der Muskellagen, die ich bei /n.ot/. m.o.a ^OP Fig. 30. Scheraatischer Sagittalschnitt durch Helix pomatia unter Berücksichtigung des Hautmuskel- schlauchsclicmas. der Pharynxbesprechung schon erwähnt habe (phar.). Im Fuß be- finden sich über der Fußsohle die zur Ringmuskulatur gehörigen, in der Figur quer getroffenen M. transversales (m.tr.), dorsal von dieser Lage haben sich die M. longitudinales (m.l.) zu einer stärkeren Lage zusammengelegt, um für die Locomotion Verwendung zu finden. Der von der Längsmuskulatur sich abspaltende Coluraellarmuskel zeigt sich in der Fig. 30 in seinen starken, von der Columella ausgehenden Muskellagen, die zum Teil außerhalb, zum Teil innerhalb des Fußes verlaufen und die ursprüngliche Längsrichtung im großen und ganzen b?ibehalten. Zur Erhöhung der Beweglichkeit des fleischigen Fußes Die Muskulatur von Helix pomatia L. 547 treten zuletzt noch die übrigen schon beschriebenen und zum Teil in das Schema eingezeichneten Muskelsysteme {m.o.a., m.o.p., m.dv.) auf, die den Fuß in vielen Kichtungen gleichmäßig durchziehen und so das dichte, filzige Schwammgewebe bilden. Fig. 31 zeigt das Schema der Muskelanlagen im Querschnitt. In den äußeren Partien der seitlichen Körperwände tritt in erster Linie die Ringmuskelschicht als M. circulares {m.c.) auf, die sich in den Fuß )>M.r rnd fr m. fr. m.di^. m.c. Fig. 31. Schematischer Transversalsclmitt durch B.elix pomatia unter Berücksichtigung des Hautmuskel- schlauchschemas. jedoch ausfasert und an der ganzen Sohle ansetzt. Die gleichfalls zur Ringmuskulatur gehörigen M. transversales {m.tr.) erfüllen den ganzen Fuß. Die hier quer getroffene Längsmuskulatur findet sich mehr im Innern der Gewebe vor. Außerdem zeigt das Schema noch die M. diagonales transversales (m.d.tr.) und dorsoventrales (m.dv.). 5. Vergleich mit Arion empiricorum. Es ist nach diesen Erörterungen nun interessant, wie sich die An- ordnung der Muskulatur bei den nichtbeschalten Schnecken verhält. 548 Walther Trappmann, Da mir Ärion empiricorum in größeren Mengen zur Verfügung stand, zerlegte ich. einige dieser Tiere mit dem Rasiermesser in Sagittal-, Transversal- und Frontalschnitte und wendete wiederum die Formol- behandlung an. Die Sagittalschnitte zeigten, daß innen eine starke Ringmuskellage die Körperhöhle umschließt. Sie läßt sich abpräparie- ren; unter ihr dem Körperepithel zu verläuft eine starke Längsmuskel- lage; zu äußerst folgen endlich wieder ganz feine Ringmuskelfasern. Es ist zuerst also der bedeutende Unterschied von Helix pomatia zu konstatieren, daß die Muskulatur derart in sich geschlossene Lagen bildet, daß sie voneinander zu trennen sind, und daß die Körperhöhle von einer starken Ringmuskellao-e umschlossen wird. In den äußeren Fig. 32. Transversalschnitt durch Arion empiricorum. {llasiermesserschnitt. Partien der Körperwände treten bei Arion noch Diagonalfasern auf, die besonders mit den feinen äußeren Ringfasern ein zartes Netzwerk bilden, spiralig die Körperhöhle zu umlaufen scheinen und am oralen Ende des Tieres größere Lagen für die Mundbewegung bilden. Fig. 32 zeigt einen Querschnitt von Arion. Unter einer stark pigmentierten Lederhaut ist eine helle bindegewebige Zone, unter welcher wieder die Muskellagen liegen. Von dem die Körperhöhle umschließenden Muskelring strahlen stets in der Transversalebene ver- laufend viele feine Fasern aus und setzen am Körperepithel und an der Fußsohle an. Die Fasern verlassen nach beiden Seiten wie Tangenten den Ring, schneiden sich also und bilden ein enges Netzwerk (Fig. 32, m.tang.) ; man könnte sie als M. tangentiales bezeichnen. Die Äluskulatur von Helix pomatia L. 549 So ist die Muskulatur von Ärion viel einfacher gebaut, bei Helix muß also die Ausbildung der Schale und des großen Eingeweidesacks die Umwälzungen in erster Linie bewirkt haben. Zur Verbindung des Tieres mit der Schale lösten sich Längsmuskelfasern als kompliziert verlaufende Retractorfasern von der übrigen Längsmuskulatur ab und inserierten an der Columella. Dann aber hatte die Schnecke die schwere Schale und den großen Eingeweidesack zu tragen, der Fuß, der bei Ärion nur als eine Abplattung der Ventralseite mit seithchen Kanten zu sehen ist, bekam eine viel größere Ausgestaltung, und neue Muskel- fasern in allen Richtungen traten auf, um den Fuß zu einem kompliziert gebauten Locomotionsorgan umzugestalten. E. Mantel und Eingeweidesack. Unter der Schale einer Helix pomatia befindet sich der größte Teil der Eingeweide, vom Eingeweidesack zur Schale hin abgeschlossen. Fig. 33. Eingeweidesack und Mantel von Hdix pomatia. Scliale entfernt. Fig. 33 zeigt nach Entfernung der Schale den spiralig auf die Columella der Schale aufgerollten Eingeweidesack; die Schemata in den Fig. 30 und 31 geben ihn im Median- und im Querschnitt wieder. Der Ein- geweidesack zeigt auf seiner dorsalen Seite die Lungen- oder Atemhöhle (Fig. 30 und 31: Ä.h.), über deren ontogenetische Bildung Lang (1900) in seinem Lehrbuch für vergleichende Anatomie folgendes sagt: »Als Einstülpung des Ectoderms tritt in der Gegend, wo sich die Schalen- drüse gebildet hat, die Lungenhöhle auf, und es grenzt sich nun das Mantelfeld deuthch ab, indem sich der Rand rollt und abhebt.« Die 550 Walther Trappniann, Decke der so gebildeten Lungenhöhle wird als Dach der Lungenhöhle, kürzer und im Vergleich mit den übrigen Mollusken als Mantel be- zeichnet (Fig. 30 und 31: M.). Der Mantel setzt sich oral- und lateral- wärts in den Mantelrand oder Mantelwulst fort, der weit über die vordere Körperhälfte wulstartig hinausragt (Fig. 30 u. 31: M.r.). In Fig. 34 ist der Mantel entfernt und der Boden der Lungenhöhle, der allgemein als Diaphragma bezeichnet wird, wird sichtbar (Fig. 30, 31 und 34: Diaphr.). Von der Ventralseite des Diaphragmas entspringt ein dünner, langer Muskel, der frei in der Körperhöhle oralwärts ver- läuft und am hinteren Ende des Penis inseriert; es ist der Penisretractor (Fig. 30: retr.penis). m.l. rr).c. ^^ Y. Fig. 34. Eingeweidesack von Helix pomatia. Mantel und kleinere Windungen des Eingeweidesacks sind entfernt. Nachdem in Fig. 34 die kleineren Windungen des Eingeweidesacks entfernt sind und somit auch die Unterseite der ersten Eingeweide- sackswindung sichtbar wird, zeigt sich, daß durch die Aufrollung auf die Spindel sich die Oberseite des Eingeweidesacks durch eine scharfe Leiste von seiner Unterseite abgrenzt (Fig. 33 und 34: L). Die Leiste liegt unter den Schalennähten; ich möchte sie als »Leiste des Einge- weidesacks« bezeichnen. Die in der Fig. 34 abgeschnittenen kleineren Windungen des Eingeweidesacks sind in Fig. 35 in der dorsalen Ansicht (a) und in der linken Seitenansicht (b) noch einmal wiederge- geben. Die Muskulatur im Eingeweidesack und im Mantel ist sehr fein und zart, wenn ich sie also in den Fig. 33, 34 und 35 darzustellen ver- Die Muskulatui- von Helix pomatia L. 551 suchte, so mußte ich. die Richtung der Fasern schon durch kräftigere Striche schematisch andeuten. Haben wir in der übrigen Körpermuskulatur eine Anordnung der Muskelschichten vorgefunden, die sich auf den Hautmuskelschlauch leicht zurückführen läßt, so liegen die Verhältnisse beim Diaphragma und beim Mantel nicht so einfach vor. Wohl finden sich auch hier wieder längs und quer verlaufende Muskelfasern, die, wie die Schemata in den Fig. 30 und 31 zeigen, die Fortsetzung der M. longitudinales und M. circulares des Fußes und der Körperwände darstellen, aber die Lagerungen der Schichten entsprechen nicht mehr dem Hautmuskel- schlauch, wie wir es auch trotz der Einstülpung noch erwarten sollten. Die Muskulatur des Mantels besteht aus zwei Schichten; außen be- findet sich eine ziemUch dicht gelagerte, quer zur Längsachse des Tieres verlaufende Schicht (Fig. 30 und 31). Da sie, wie es das Schema in Fig. 31 zeigt, in den Circularmuskeln der seithchen Körperwände und des Fußes ihre Verlängerung finden, sind s'e wahrscheinhch zur Ring- muskulatur zu rechnen. Einige Muskelfasern dieser Schicht strahlen auch in die seithchen Mantelwülste aus (Fig. 31: M.r.). Unter dieser Ringnmskulatur liegt im Mantel eine lockere Längs- muskelschicht (Fig. 30 und 31). Sie tritt, wie Fig. 30 schematisch zeigt, in den Mantelwulst (M.r.) ein und fasert sich hier im bindegewebigen, drüsenreichen Gewebe aus. Ihre Fortsetzung findet die Läugsmuskel- schicht in der Längsmuskulatur der Körperhaut und des Eingeweide- sacks. Wir haben es also beim Mantel, wenn als Grundschema für die hauptsächlichste Musloilatur von Helix pomatia der Hautmuskel- schlauch angenommen wird, mit starken sekundären Veränderungen zu tun, da man eigentlich infolge der Einstülpung bei Bildung der Lungenhöhle eine doppelte Schichtung des Hautmuskelschlauches im Mantel vorfinden sollte. Im Eingeweidesack (Fig. 30: E.s.), in dessen Wandung sich die Fasern des Mantels (M.) ohne weiteres fortsetzen, finden wir wieder regelmäßige Lagerung der Ring- (außen) und Längsmuskulatur (innen), wie es der typische Hautmuskelschlauch fordert. Jedoch werden von beiden Muskelschichten die ursprünghchen Richtungen nicht lange bei- behalten. Es finden nämlich zweierlei Drehungen des Eingeweidesacks statt: einmal wird der ganze Sack auf die Columella aufgewunden, zweitens führt der aufgewundene Sack noch eine zweite Drehung um seine eigene Achse aus. Diese letzte Drehung bewirkt nun, daß sich die Longitudinalfasern immer mehr der Leiste nähern (Fig. 33), eine 552 Walther Trappmann, schräge Eiclitung annehmen und sich so zu einer in der Leiste ver- laufenden Längsmuskellage zusammenlegen. Ähnhch verschieben sich auch die Ringmuskeln, welche, da sie stets zu den Längsmuskeln senk- recht stehen, gleichfalls eine schräge Richtung einnehmen müssen und die Leiste zu fhehen scheinen. Es entsteht so ein Netzwerk von diagonal sich kreuzenden Muskelfasern, das in den Fig. 33, 34 und 35 darge- stellt ist. Auch auf der Unterseite der ersten Eingeweidesackswindung sieht man in der Fig. 34 wieder eine größere Lage von Längsmuskelfasern die Leiste des Eingeweidesacks verstärken. Unter ihr verläuft zur Columella (col.) hin die Ringmuskulatur, die auch hier durch die Drehung des Eingeweidesacks um seine eigene Achse eine schräge Richtung Fig. 35 a und b. Die kleineren Windungen des Eingeweidesacks von Heliz pomatia in dorsaler (a) und linker Seiten- ansicht (b). eingenommen hat. Von der Spindel (col.) sieht man zuweilen fßine Fasern zur Leiste und zum Mantelrand verlaufen, die vielleicht retrac- torische Funktion haben, aber sehr zart sind und spärhch auftreten. Die Muskulatur des Diaphragmas besteht aus drei Schichten: zwei Längsmuskelschichten, die eine quer verlaufende Schicht zwischen sich einschheßen. Von den Längsmuskelschichten ist die zur Lungenhöhle die weitaus stärkere, sie kreuzt zum Teil die vom Mantel zur Rücken- decke des vorderen Tierkörpers hinziehende Längsmuskulatur und strahlt im Mantelwulste aus (Fig. 30). Die Mehrzahl ihrer Fasern jedoch schließt sich, wie auch die Fasern der unteren Längsmuskel- schicht des Diaphragmas den längs verlaufenden Fasern der Körper- wände und des Eingeweidesacks an. Von der oberen Längsmuskelschicht des Diaphragmas löst sich der Penisretractor ab, der nach Durchbre- chung der unteren Schichten frei in der Körperhöhle oralwärts verläuft Die Muskulatur von Helix pomatia L. 553 und am hinteren Ende des Penis ansetzt (Fig. 30: retr.penis). — Die zwischen den beiden Längsmuskellagen verlaufende, quer zur Körper- achse gerichtete Schicht findet ihre Fortsetzung in den Eingmuskeln der Körperwandungen und des Mantels, wie dies Fig. 31 {m.c.) zeigt. , retr.penis. ml. Fig. 36. Stück vom Diaphragma mit Penis retractor (retr.penis) vod Helix pomatia (mit Zeichenlupe ge- zeichnet). vorne ^,retrpeni3. Fig. 37. Diaphragma von Helix pomatia, total, ausgebreitet und etwas scliematisiert. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 37 554 Walther Trappmann, Die Anordnung der Längs- und Querfasern im Diaphragma zeigen die Fig. 34, 36 und 37. Fig. 36 zeigt von der Ventralseite gesehen die Stelle des Diaphragmas, an der der Penisretractor ansetzt. Die Zeich- nung wurde mit der Zeichenlupe angefertigt, sie gibt also ein genaues Bild vom Verkuf der längs und quer verlaufenden Muskeln im Dia- phragma. In Fig. 37 ist das ganze Diaphragma, gleichfalls von der Ventralseite gesehen, in der Zeichenebene ausgebreitet gedacht; um es ausbreiten zu können, mußte es natürhch wegen seiner Krümmung an beiden Seiten angeschnitten werden. i Die M. longitudinales {m.l.) zeigen sich als nur über den Rücken des Diaphragmas verlaufende starke Fasern (Fig. 34 und 37), lateral- wärts treten sie nicht mehr auf. Die M. circulares {m.c.) treten jedoch wie im Mantel gleichmäßig verteilt auf und schließen sich nur zu beiden Seiten beim Ansatz an den Mantel zu kleineren Bündeln zusammen, die aber nicht aus dem Diaphragma heraustreten (Fig. 34 und 37). An der Ansatzstelle des Diaphragmas an den Mantelrand legen sich die M. circulares zu einem starken Muskelring zusammen (Fig. 34). Wir sehen also, daß im Eingeweidesack zum größten Teil die gleiche Lagerung der Schichten sich vorfindet, wie sie im typischen Hautmuskel- schlauch besteht, nur sind durch Drehung des Eingeweidesacks die Faserrichtungen etwas geändert worden. Im Mantel und Diaphragma ist jedoch die Muskulatur ganz abweichend von der übrigen Haut- muskulatur zu finden, was wahrscheinlich durch sekundäre Umge- staltungen und Neuanlagen zu erklären ist. F. Literatur über die Muskulatur der Körperwand und des Fußes. Über die Muskulatur des Eingeweidesacks habe ich keine Auf- zeichnungen in der Literatur gefunden, auch sind die Körperwände wenig berücksichtigt, so daß für unsere Literaturbesprechung in erster Linie nur der Fuß in Betracht kommt. In seiner Arbeit über die Hautdecke der Gastropoden sagt F. Leydig (1876): »Die Muskeln der Leibeswand halten zwei Haupt- richtungen ein : nach außen und oben liegen die Ringmuskeln, nach ein- wärts oder unten die Längsmuskeln, beidemal wegen der Menge der Bluträume in Gruppen oder Bündel aufgelöst. — Im übrigen sind die Muskelfasern noch in mannigfaltiger Weise verflochten und bilden einen guten Teil des Schwammwerkes.« Speziell die Fußmuskulatur von Helix pomatia wurde eingehend 1878 von H. Simroth beschrieben. Simroth machte durch den Helix- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 555 fuß Frontal-, Sagittal- und Transversalschnitte und fand ein regel- mäßig aufgebautes Geflecht, das er, wie ich schon oben erwähnte, als Rohrstuhlgeflecht bezeichnete. Dieses Rohrstuhlgeflecht setzte er aus Längs-, Quer- und Schrägfasern zusammen. Er vermutete schon, daß viele von den von ihm gesehenen Muskelfasern vom Retractor ab- zuleiten seien, da er aber nur die Richtung der Fasern im Fußgewebe betrachtete und den weiteren Verlauf in den lateralen Körperwänden und zur Columella hin nicht verfolgte, konnte er die Retractorfasern nicht von den übrigen Muskelfasern unterscheiden und die Retractor- fasern zu bestimmten Retractorsystemen nicht zusammenfassen. So kommt es, daß er z. B. die starke dorsale Rückenlage des Schwanzes nicht als Retractorarm, sondern als einfache Längsmuskelfasern ansah. Die Kreuzung der Muskelfasern des >> vorderen Retractors<< (Fig. 21: retr.a.) unter dem Pharynx schrieb er den vorderen Bündeln des M. retractor pedis zu, die nach meinen Befunden in den Fuß eindringen und zu den lateralen Körperwänden ausstrahlen (Fig. 28: retr.ped.). Ein Aufsteigen der Längsmuskelfasern zur Fußdrüse im oralen Teil des Fußes fand ich auch nicht, wohl aber steigt die Fußdrüse zu ihrem tief- gelegenen Ausführungsgang hinunter und nähert sich ihrerseits so den Längsmuskelfasern. Direkt über dem Sohlenepithel fand Simroth Längsmuskelfasern, die noch unter ihnen verlaufenden feinen Trans- versalfasern scheint er nicht beobachtet oder für jene Bogenfasern ge- halten zu haben, die von Hautpapille zu Hautpapille sich um die diese Erhöhungen trennende Vertiefungen herumwinden und in Körperhaut und Fuß Hautkontraktionen bewirken sollen. Trotzdem Simroth Re- tractorsysteme nicht beschreibt, glaubt er doch, daß sich alle Muskel- fasern außer den Längsmuskelfasern über der Fußsohle von einem Retractorsystem ableiten, das als eine Ablösung der inneren Haut- muskulatur anzusehen ist. Das Retractorsystem und die übrige Haut- muskulatur bilden also ein einheitliches Ganzes, dem er normale kon- traktile Eigenschaften zuschreibt. Ihm gegenüber stellt er allein die über der Fußsohle verlaufenden Längsmuskeln, denen er eine ganz, eigentümliche, sonst im ganzen Tierreich nicht wieder anzutreffende, >> extensile << Eigenschaft zuweist. Auf den Begriff der >> extensilen << Muskelfasern kann ich hier aus Raummangel noch nicht eingehen, ich muß daher vorläufig auf das Kapitel über Locomotion verweisen. Aber schon nach unsern morphologischen Befunden haben die betreffenden Längsfasern diesen eigentümhchen Vorrang, extensil zu sein, vor der übrigen Muskulatur gar nicht verdient, in dem der Muskulatur zugrunde liegenden Schema des Hautmuskelschlauches verlaufen vielmehr bei 37* 556 Walther Trappinann, Helix fomatia diese Längsfasern normalerweise als gewöhnUche kon- traktile Muskelfasern unter der sie nach außen hin schützenden Ring- muskelschicht. Im Jahre 1879 gab H. Simkoth einen Transversalschnitt durch die Sohle von Limax cinereoniger wieder, der dieselbe Anordnung der Muskelfasern zeigt, wie sie in Fig. 32 von Arion angegeben ist; den Transversalschnitt hat Simroth auch im Bronn, Abteilung: Pulmo- naten (1908 bis 1912) wieder aufgenommen. Simroth führt die Muskelfasern, die in den drei Ebenen des Raumes verlaufen, an und findet longitudinale, vertikale und transversale Muskelfasern. Diago- nal verlaufende, besonders am oralen Körperabschnitt zur Bewegung der Mundgegend stärker auftretende und außerhalb der drei Ebenen des Raumes befindliche Muskelsysteme, wie sie bei Arion vorkommen (s. S. 548), beschreibt er bei Limax nicht. Einen wichtigen Beitrag zur Morphologie des Molluskenfußes gab Gr. Kalide (1889) in seinen Untersuchungen über Heteropoden und Pteropoden. Er fand auch hier den typischen Hautmuskelschlauch mit äußerer Ring- und innen liegender Längsmuskellage. Unter diesen Systemen befand sich ein Diagonalmuskelsystem, bestehend aus zwei Schichten : die obere Schicht von der oral-dorsalen Seite caudal-ventral- wärts, die untere von der oral-ventralen Seite caudal-dorsalwärts ver- laufend; das System verläuft in zwei großen Spiralen unter dem eigent- lichen Hautmuskelschlauch um die Körperhöhle herum. Diese spiralig verlaufenden Diagonalfasern scheinen auch bei Arion aufzutreten; bei Helix pomatia haben ähnhchen Verlauf die M. obliqui und M. diagonales frontales, die sich vielleicht von einem solchen spiraligen System ab- leiten lassen, allerdings durch breite Ausbildung des Fußes in mehrere Systeme aufgeteilt sind. Auch bei den Heteropoden imd Ptero- poden liegen, wie bei Helix, in der Rücken- und Bauchhnie des Schwan- zes stärker verlaufende Längsmuskellagen. Hinsichthch der Morphologie des Schneckenfußes speziell bei Limnaea sagt L. Car (1897) in seiner Arbeit über die Locomotion der Pulmonaten folgendes: »Die Muskelfasern kreuzen sich in allen mög- lichen Richtungen, sind ganz wirr in dem centralen Bindegewebe zer- streut. Von einer Schicht von Längsnmskelfasern kann man kaum reden. Man sieht zwar stellenweise parallel der Längsoberfläche des Fußes ganze Bündel, doch eine zusammenhängende Schicht kommt auf einem Schnitt nicht zustande. Die dorso ventralen Fasern heben sich noch am meisten als solche hervor, namenthch an der Basis des Fußes, von wo sie sich radiär in den Fuß ausbreiten, — Retractor. Es fehlt Die Muskulatur von Helix pomatia L. 557 jedoch auch nicht an Diagonalfasern und quergestellten . . . Doch es gibt auch sehr viele isohert dastehende Muskelfasern, welche über die ganze Sohle in dorsoventraler Richtung hinziehen.« In seinem Beitrag zur Anatomie über Haliotis tuherculata beschreibt H. J. Fleure (1904) die Muskulatur des Fußes von Haliotis. Er findet unter dem Epithel der Körperwand Ringmuskulatur, darunter längs- und radiärgelagerte Fasern. >>Der subepitheliale Teil der centralen muskulösen Masse besteht hauptsächlich aus bestimmt gruppierten Muskelfasern, die sich durch regelmäßige, mit Blut erfüllte Lücken erstrecken. « Eingehender untersuchte 1908 Vles den Fuß von Haliotis. Er führte aber auch nur Schnitte durch die drei Ebenen des Raumes und findet im Fuße von Haliotis Bilder, die sehr an die Schemata Simroths vom HelixivtS) erinnern. So finden wir im Frontalschnitt schönes Rohr- stuhlgeflecht wieder, bestehend aus >>f ihres longitudinales«, >>f ihres tr ans Verses« und »f ihres obliques«. Im Transversalschnitt ist die Anordnung der Fasern ähnlich so, wie wir sie bei Helix fanden, Vles bezeichnet die einzelnen Systeme als »fibres transverses«, »fibres dorsoventrales« und »fibres du muscle coquillier«; es fehlen nach diesen Angaben bei Haliotis die M. diagonales trans- versales und die M. circulares. Da Vles nur die drei Ebenen des Raumes beachtet, beschreibt er keine außerhalb dieser Ebenen verlaufenden Systeme; den Verlauf der von ihm gesehenen Fasern verfolgt er auch nicht bis in die Körperwände. Also auch die Literatur über die Morphologie des Fußes der Mol- lusken ist infolge des großen Durcheinander von feinsten Muskel- fasern sehr klein, die SiMROTn'sche Arbeit von 1878 ist die einzige, die Helix pomatia ausführlicher behandelt. Wie schwierig es ist, in dieses filzige Muskelgewebe ohne besonders geeignete Methoden Ordnung zu bringen und zu welch geringem Endergebnis manche Beobachter infolge- dessen kommen können, zeigt die jüngste über die Morphologie des Molluskenfußes erschienene Arbeit von Jousseaume (1909). Jous- seaume versuchte der noch sehr unklaren Morphologie des Mollusken- fußes näher zu treten; er kam zu folgendem Ergebnis: >>Lorsque j'ai voulu faire l'anatomie d'un pied de Mollusque, je me suis perdu dans l'inextricable entrelacement de fibres musculaires, les unes longitudi- nales, transversales, perpendiculaires, et les autres obliques dans tous les sens; toutes ces fibres serrees, tassees, comme des poils de Lapin dans un feutre, avec plus d'ordre certainement, mais aussi difficiles ä separer. Tout ce que j'ai pu retirer, de mes essais, c'est de m'etre 558 Walther Trappmann, rendu compte de la grande mobilite, dont jouit le pied d'un Gasteropode. ... je n'ai vu que du brouillard dans Fenchevetrement des faisceaux miisculaires.« Zum Schluß wollen wir noch im Anschluß an die Literatur auf die Muskulatur von Helix fomatia in bezug auf den typischen Haut- muskelschlauch, wie er bei den Anneliden zu finden ist, eingehen. K. C. Schneider schreibt in seinem »Lehrbuch der vergleichenden Histologie der Tiere« (1902) auf S. 563 über die Muskulatur von Helix fomatia : » Die Muskulatur ist nicht als Ectopleura (Hautmuskelschlauch) zu bezeichnen, sondern gehört zur Mesopleura. Sie wird von den ven- tralen Endabschnitten des mächtigen sog. Spindelmuskels gebildet, der dorsal an der Schalenspindel beginnt und ventral in den Fuß aus- strahlt. Er bildet hier Faserbündel, die zum Teil längs, zum Teil parallel und schräg zur Oberfläche verlaufen. Die tangentialen und schräg verlaufenden Bündel stehen in mannigfacher Wechselbeziehung zu- einander und senden auch steil aufsteigende Fasern zur Epidermis empor, die mit ihren pinselartigen Endverzweigungen bis zwischen die Deckzellen vordringen. Im näheren Bereiche unter dem Epiderm fehlen gröbere Bündel, und die vorhandenen schwächeren und die ein- zelnen Fasern sind lose verteilt, wie es sich aus der Anwesenheit der Drüsenzellen ergibt; auch sind auf diese Region, die ferner durch reiche Anhäufung der Bindesubstanz charakterisiert ist, die radialen Fasern vorwiegend beschränkt. Alle Faserbündel verschiedenen Verlaufs sind durcheinander gemischt ; besondere Richtungen treten nirgends hervor. << K. C. Schneider deutet also die gesamte Muskulatur der Mollusken als Mesopleura und läßt sie, ohne den Verlauf der Faserrichtungen auch nur einigermaßen zu verfolgen und so in dem von ihm flüchtig skizzier- ten Durcheinander von Muskelfasern Ordnung zu bringen und ohne auf anatomische Arbeiten früherer Autoren zurückzugehen, aus dem Spin- delmuskel entstehen. Aber schon 1878 zeigte Simroth, daß z. B. die sehr starken, über der Sohle verlaufenden Längsmuskelfasern unmöglich mit dem Retractorsystem sich vereinigen lassen. Leydig (1876) fand bei Gastropoden, Kalide (1889) bei Heteropoden imd Ptero- poden und Fleure (1904) bei Haliotis eine Hautmuskulatur, die außen eine Ring- und innen eine Längsmuskelschicht zeigte. Die gleiche An- ordnung der stärkeren Hautnmskelsysteme fanden wir aber auch bei Helix pomatia; die Annahme liegt daher nahe, das System des Haut- muskelschlauches nicht allein als didaktisches Mittel bei der Aufführung der Muskulatur benutzen zu können, sondern die betreffenden Muskel- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 559 Systeme zum Hautmuskelschlauch zusammenzusetzen, der, wie wir auf S. 544 und in Fig. 29 sahen, sich trotz seiner Umänderungen mit dem typischen Haut muskelschlauch der Anneliden vergleichen läßt. Ob nun, wie H. Simroth 1878 es für wahrscheinlich hält, der gesamte Columellarmuskel von der inneren Hautmuskulatur abzuleiten ist, lasse ich dahingestellt. Wahrscheinlich ist es, daß der M. retractor internus (Fig. 30: retr.a. und retr.p.) von der Längsnmskulatur des Hautmuskel- schlauches gebildet ist, vielleicht trifft dieses auch noch für den M. retractor pedis (Fig. 30: retr.ped.) zu. Jedoch ist die Ableitung schwie- rig für den Pharynxretractor und die Tentakelretractoren (Fig. 30: retr.phar., retr.t.mai. und retr.t.min.), letztere werden wahrscheinhch mesopleuritischen Ursprungs sein. Gleichfalls zur Mesopleura würden dann die verschiedensten schräg- und die dorsoventral verlaufenden Muskelfasern und der Penisretractor (Fig. 30: refr.pewis) zu rechnen sein. Die Locomotion bei Helix pomatia mit Berücksichtigung anderer einheimischer Pulmonateu. 1. Einziehen der Schnecke in die Schale. Um sich vor äußeren Feinden und vor Kälte und Trockenheit zu schützen, ziehen sich unsere beschälten Schnecken mit Hilfe des an der ganzen Sohle inserierenden Eetractors ins Gehäuse zurück. Nur der Retractor bewirkt die Einziehung, durchschneidet man seine Arme, so kann sich der Fuß wohl stark kontrahieren, jedoch sich nicht mehr in die Schale zurückziehen. Der Fuß einer kriechenden Helix befindet sich in geschwelltem Zustande, beim Einziehen in die Schale muß daher, um das gesamte Tier in dem Gehäuse bergen zu können, die schwellende Flüssigkeit durch Kontraktion aller Muskeln aus dem Schwellgewebe des Fußes entfernt werden. Da das sich ins Gehäuse zurückziehende Tier kein Wasser ausscheidet, beim Anschneiden von kriechenden Schnecken aber oft so viel Blut austritt, daß das Tier verblutet, kann nur Blut zur Schwellung verwandt werden. Das beim Einziehen in die Schale durch Kontraktion des gesamten muskulösen Fußes aus demselben ausgepreßte Blut sammelt sich in dem geräumigen Teil der Leibeshöhle unter dem stark muskulösen Diaphragma. Zerlegt man eine fast ganz ins Gehäuse zurückgezogene, von der Leibeshöhle aus mit Karmin injizierte und mit Cocain abgetötete Helix pomatia in Rasier- messerschnitte, so zeigt sich die Injektionsmasse, aus dem Fuße und der vorderen Körperhöhle herausgepreßt, in erster Linie unter dem Dia- 560 Walther Trappmann, phragma, kleinere Mengen auch noch im Eingeweidesack die Leber und die übrigen Organe umgebend. Der von Blut entleerte Fuß löst sich, da die Adhäsion des Fußes an der Unterlage infolge der Schlaffheit des Schwellgewebes verringert oder sogar aufgehoben ist, leicht von der Unterlage ab, die Schnecke legt sich während des Einziehens infolge der Schwerpunktsverschiebung auf eine Schalenseite, die in der Sohlenmitte ansetzenden Fasern des Musculus retractor anterior kontrahieren sich, so daß eine Längsfalte entsteht und sich die beiden Fußkanten, durch Kontraktion der Trans- versal- und der transversalen Diagonalmuskeln eine Rille bildend, an- einander legen. Nun beginnt der Retractor, das gesamte Tier in die Schale einzuziehen. Zuerst wird der Musculus retractor externus kon- trahiert, um die empfindlichsten Teile der Schnecke, den Kopf mit den die Hauptsinnesorgane tragenden Tentakeln, zu bergen, sodann zieht der Musculus retractor anterior, unterstützt vom Musculus retractor pedis, den gesamten vorderen Körper des Tieres in die Schale, seine Spuren sind als leichte Kerbe vom Sohlenrand zur Sohlenmitte gehend an frei gehaltenen Tieren oft zu sehen (Fig. 38 links) ; zuletzt arbeitet der Musculus retractor posterior, der den Schwanz einzieht und ihn zum Schutze des vorderen Körpers nach vorne herüberschlägt. Der Mantel- rand wölbt sich über das ganze Tier, und zwei am Mantel befindliche Lappen bilden den letzten Verschluß und sorgen durch ihren drüsen- reichen Aufbau für genügende Feuchtigkeit und Schleimabsonderung. — Da das ganze Tier im Gehäuse Platz finden muß, müssen sich, wie ich schon oben sagte, alle Muskelsysteme der vorderen Körperhälfte und besonders des Fußes kontrahieren. Daß während des Verharrens in der Schale die ganze Muskulatur in starker Kontraktion bleiben muß, er- scheint mir unwahrscheinhch ; zuerst ist es schwer denkbar, wie während großer Trockenheit im Sommer und während der oft halbjährigen Winterruhe bei stark herabgesetztem Stoffwechsel die Muskeln an- dauernd derart arbeiten könnten, dann aber ist auch keine Muskel- kraft vorhanden, die das Blut wieder in den Fuß treiben und den Fuß wieder zum Schwellen bringen könnte. Die Weinbergschnecke zeigt sogar, daß selbst im Tode, wo doch die Muskeln meist nicht in Kontraktion verbleiben, sie fast völhg im Gehäuse zurückgezogen ist, sie also in dieser Stellung ihre Ruhelage hat. Einige Muskehi müssen bei dem in die Schale zurückgezogenen lebenden Tiere jedoch noch immer in Kontraktion bleiben, um der Kapillarität des lockeren Schwellgewebes des Fußes, das Blut begierig aufnimmt, entgegenzu- arbeiten. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 561 2. Austreten der Schnecke aus der Schale. Das Austreten der Schnecke aus dem Gehäuse geschieht durch Schwellung. Nachdem alle Muskeln der austretenden Körperteile und besonders des Fußes erschlafft sind, saugt das lockere Schwammgewebe des Fußes schon durch seine Kapillarität ziemlich viel Blut auf. Daß diese Kapillarität ziemlich groß ist, zeigt deutlich eine im Erstickungs- tode völlig aufgetriebene und in Formol gehärtete Helix fomatia. Schneidet man sie vom Rücken her auf, so kann man leicht den ganzen Fuß wie einen Schwamm ausdrücken, wobei das Wasser nie durch die Sohle oder durch die Körperwand, stets aber durch die in die Körper- höhle mündenden Blutlacunen austritt. Legt man nun den zu einer formlosen, kleinen und runzeligen Masse zusammengedrückten Fuß so in Wasser, daß letzteres durch die Blutlacunen eindringen kann, so saugt das schwammartige Maschenwerk das Wasser im Augenblick wieder auf und nimmt die alte geschwellte Form wieder an. Möglich ist es, daß das tote Schwellgewebe durch die Formolbehandlung an Elastizität und daher auch an Kapillarität noch zugenommen hat, doch auch an lebendem Gewebe zeigt sich ein Aufsaugen von Flüssigkeit bei Schnecken, die durch längeres Verweilen in abgekochtem Wasser ihren Fuß zum Schwellen gebracht haben, jedoch noch nicht abgestorben sind. Das Aufsaugen kann hier nur an kleinen Sohlenpartien beobachtet werden, da die Tiere sich noch immer kontrahieren und so den Fuß schrumpfen lassen können. — Die Schwellung des Fußes wird von den Pedalganglien beherrscht, zerstört man einige den Fuß von diesen GangUen aus versorgende Nerven oder entfernt man die Pedalganglien selbst, so werden bestimmte Teile des Fußes bzw. der ganze Fuß in dauernde, starke Kontraktion versetzt. Doch genügt die Kapillarität durchaus nicht, um die zur Adhäsion und Locomotion genügende Schwellung des Fußes zu bewirken, es muß eine Muskelkraft hinzukommen, die die schwellende Flüssigkeit mit Macht in den Fuß hineintreibt. Das Herz ist hierzu zu schwach und durch den offenen Blutkreislauf ungeeignet; Biedermann (1905) zeigte sogar, daß Schnecken mit ausgeschnittenem Herzen noch kriechen können. Ein schnelles und vöUiges Geschwelltwerden des Fußes be- sorgt vielmehr das muskulöse Diaphragma, welches das unter ihm reich- lich wie in einem Reservoir angesammelte Blut mit aller Macht durch Kontraktion seiner Muskeln in die vordere Körperhöhle und den Kopf drückt und diese aus der Schale heraustreibt. Aus der Körperhöhle wird die Schwellflüssigkeit durch den Druck des Diaphragmas, ver- 562 Walthcr Trappmann, stärkt vom Druck der dorsalen und lateralen Wände der vorderen Körper- höhle, in zwei große, den ganzen Fuß durchziehende und an beiden Seiten der Fußdrüse verlaufende, starke Blutlacunen (Fig. 25 und 26: lac.) und in eine unpaare, den Schwanz des Tieres versorgende Lacune (Fig. 26) gepreßt, von wo aus das Blut das ganze Schwammgewebe des Fußes zum Schwellen bringt. Wahrscheinhch ist es, daß durch Kon- traktion der die Lacunenwände bildenden Muskelfasern ein regelrechter Druck entsteht, der seinerseits auch wieder das Blut in einer bestimmten Richtung noch in die feinsten Maschen hineintreibt, doch läßt sich dieses durch die Kleinheit der Lacunen und durch die Feinheit der Muskelfasern schwer nachweisen. Ebenso ist es wahrscheinhch, daß die Einführungsgänge zu den Lacunen von der Leibeshöhle aus kontraktil sind und sphincterartig den Ein- und Austritt des Blutes in den Fuß und aus demselben regulieren können. Bei Vaginula- Arten will H. SiMROTH (1891) in den Lacunen solche sphincterartige Verenge- rungen der Öffnungen durch die anliegenden Muskelfasern gefunden haben, G. Schmidt (1915) sah und erwähnte sie bei Helix fomatia. So wird der ganze vordere Schneckenkörper mit dem Fuße und dem Schwänze durch Erschlaffen der gesamten Fußmuskulatur, durch die Kapillarität des Schwellgewebes und besonders durch Druck des Diaphragmas, der Körperhöhlenwände und wahrscheinhch auch der Blutlacunen auf größere Blutmengen aus der Schale herausgetrieben und geschwellt. 3. Anheftung der Sohle auf einer Unterlage. Nach dem Austritt aus der Schale und nach der Sclnvellung des Fußes wird eine Unterlage für die Anheftung gesucht. Zuerst heftet sich meist der beweglichste Teil, der Kopf, an, bald folgt die ganze Sohle mit dem Schwanz. Die Anheftung besteht in erster Linie nur in Adhäsion, die durch starke Schleimabsonderung der Fußdrüse noch wesentlich erhöht wird. Saugwirkung kommt bei gewöhnhcher Anhef- tung, besonders aber beim Kriechen, wie das Kriechvermögen unserer Land- und Süßwasserschnecken auf zarten Schleimbändern zeigt, nicht vor, sie kann aber leicht bei irgendwelchen Störungen, wie Beschweren der Schale oder Ziehen an derselben, durch Kontraktion der in der Sohlenmitte inserierenden Retractorbündel und der zahlreichen Dorso- ventralfasern bewirkt werden. Äußerlich ändert sich bei einer saugen- den Anheftung auch die Gestalt der Sohle, indem sie kürzer und breiter wird und so die Funktionen eines regelrechten Saugnapfes bpsser aus- führen kann. Die MuskuLatur von Helix pomatia L. 563 4. Locomotion der Schnecke. Grundbedingung für die Fortbewegung unserer Landschnecken ist Adhäsion eines genügend großen Teiles der Fußsohle. Ist die Adhäsion durch rauhe oder durchlöcherte Unterlage, wie zum Beispiel Sand oder grobes Leinen, erschwert, so wird von der Fußdrüse so viel Schleim abgesondert, daß das Tier die Unterlage mit einer Schleinlamelle über- ziehen und auf diesem an der Luft bald hart werdenden Schleimbande adhärierend kriechen kann. So konnte eine kräftige Helix fomatia bei einem horizontal gestellten Drahtgitter, bei dem die dünnen Eisenstäbe 7 qmm weite Öffnungen ließen, eine ganze Reihe von diesen großen Quadraten mit Schleim ausfüllen und so eine kurze Strecke über das Drahtgitter weiterkriechen; einer Helix Jiortensis war es unmöglich, zum Ausfüllen der großen Löcher genügende Mengen Schleim abzu- scheiden, jede Locomotion war also ausgeschlossen. Anwendung findet diese unbedingte Abhängigkeit der Locomotion von genügend großer Adhäsion bei Anlage von sogenannten »Schneckengärten«. Ähtilich ist auch das Kriechen unserer Süßwasserpulmonaten an der Wasseroberfläche. Bei Limnaea oder Planorhis sieht man in reflek- tiertem Licht meist ganz gut ein am Wasserspiegel hängendes Schleim- häutchen, das die Schnecke absondert und zum Kriechen als Unterlage benutzt. Das Schleimhäutchen fand ich bei Planorhis oft so fest, daß ich das Tier mit einer Nadel daran an der Wasseroberfläche herumziehen konnte. Die Locomotion auf diesen zarten Schleimbändern zeigt übrigens wieder, daß nur Adhäsion zur Fortbewegung notwendig ist, da Saug Wirkung die zarten Lamellen sofort zerstören würde. Locomotion findet bei Helix pomatia nur nach vorne statt. Einer auf einer Glasscheibe kriechenden Schnecke sieht man oberflächhch betrachtet durchaus keine anderen Bewegungen an, als daß das ganze Tier in allen Teilen gleichmäßig schnell nach vorne gleitet, ohne span- nende, schreitende oder wurmförmige Bewegungen zu zeigen. Die Sohlenunterseite zeigt dabei ein überaus charakteristisches Bild: Fast über die ganze Sohle gleiten von hinten nach vorne Wellen hin; hinten schwach und unbestimmt anfangend werden sie oralwärts immer schärfer und deuthcher. Da nur beim Auftreten dieser Wellen Ortsveränderung vorkommt, sie also Faktoren der Locomotion sind, bezeichnet man sie als »Locomotions wellen«. — Fig. 38 gibt Photographien von drei Weinbergschnecken, die, an einer vertikal aufgestellten Glasscheibe kriechend, von der Sohle her aufgenommen wurden, wieder. Fig. 39 zeigt die Locomotionswellen auf der Sohle von Arion empiricorum 564 Walther Trappmann, (links) und Limax cinereus (rechts); bei Arion sind die Wellen dunkler, bei Limax heller als der Grundton des betreffenden Sohlenteiles. In Fig. 40 ist die Sohle einer Helix 'pomatia schematisch wiedergegeben, die gerade eine Wendung nach links ausführt. < Fig. 38. Locomotionswellen auf der Sohle von Helix pomatia (Photographien) Fig. 39. Locomotionswellen auf der Sohle von Arion empiricorum (links) und Limax cinereus (rechts). (Photographien.) Die Locomotionswellen durchlaufen das bei Helix pomatia sehr breite »loco moto- rische Mittelfeld« (Fig. 38, 39 und 40, I.M.), in dem bei alten Weinbergschnecken mit dunkler Sohle in der Kopfgegend die Fußdrüse als weißgelbhche Masse durch- schimmert. Die bei Arion und Limax ebenfalls breiten und bei Arion dunkler als das Mittelfeld gezeichneten »Seitenfel- der« (Fig. 39) sind bei Helix pomatia nur als schmale, nur bei älteren Tieren mit dunkler Sohle durch hellere Färbung vom Mittelfeld unterscheidbare, durch Qiier- furchen leicht eingekerbte Seitenränder zu sehen (Fig. 38, Fig. 40: S.). Sehr schön heben sich die Seitenfelder auch bei Helix pomatia vom Mittelfeld ab, wenn man einer lebenden Schnecke ungefähr 1 ccm Die ]\Iusknlatur von Helix pomatia L. 565 EiNGER-LocKEsche Lösung, der im Verhältnis von 1 : 200 Methylenblau zugesetzt ist, in die Körperhöhle injiziert. Mit dem Blut wandert der blaue Farbstoff in die großen Lacunen des Mittelfeldes, von wo er sich nach allen Seiten verteilt; bald hat das Mittelfeld ein grünlichblaues, die darüber hinweggleitenden Wellen haben ein dunkelblaues Aussehen erhalten, während die weniger schwammartigen Seitenfelder die Farbe nicht so leicht aufnehmen und blaugrün, zuweilen direkt grün aus- sehen. Da nur das Mittelfeld Wellen zeigt, allein also die Locomotion besorgt, heben sich oft die Seitenfelder von der Unterlage an ihren Rän- dern ab (Fig. 38, links), so daß bei einer kriechenden Sohle oft nur das locomotorische Mittelfeld mit den Wellen zu sehen ist. Die physiologische Bedeu- tung der Seitenfelder besteht darin, daß sie das Mittelfeld völlig mit der Unter- lage in Berührung und damit in Funktion bringen und durch ihr festes, durch keine Wellenbewegung gestörtes Anliegen an der Unterlage die Adhäsion zwischen der ganzen Sohle und der Unterlage stark vergrößern. Bei einer an einer Glasscheibe völlig anhaftenden Helix pomatia von 6 cm Länge und 3 cm Breite waren die j^j„ 4q Seitenfelder 1/2 cm breit. Schema der Sohle von Helix pomatia. Wie schon erwähnt, verlaufen die ^^^ '^''' ™^''^* *''"'' Wendung nach links. Wellen bei Helix pomatia sowie auch bei den meisten Landpulmonaten von hinten nach vorne. Aber nicht nur beim Berühren einer Unterlage, sondern auch an völlig freige- haltener Sohle ist das Wellenspiel zu sehen (gegen Biedermann, 1905). Mit Hilfe einer Lupe zeigen sich die dunklen Wellen deutlich als aus der Sohlenoberfläche heraustretende, konvexe Querbänder, wobei ihr vorderer Rand scharf abgegrenzt ist, während sie hinten allmählich in der Sohle verschwinden. Ihre Konvexität zeigt sich auch, wenn kleinere Luftblasen unter einer kriechenden Sohle eingeschlossen sind, was durch schnelles, allseitiges Auflegen der geschwellten Sohle auf Glas leicht zu erreichen ist. Jedes Luftbläschen wird durch die ankommende Welle infolge des konvexen Aufbaues vor der Welle her ein Stückchen oralwärts getrieben, wenn die Welle darüber fortgegangen ist, wird das Bläschen jedoch wieder zurückgedrückt, so daß es ungefähr seine alte Lage wieder bekommt. 566 Walther Trappmann, Die Wellen sind selten gerade Linien, vielmehr meist gebogen, indem die mittleren Teile den seitlichen immer etwas voraus sind (Fig. 38). Weitere Unterschiede bei der Geschwindigkeit einzelner Wellenpunkte treten bei Änderungen der Kriechrichtung ein; so kommt z. B. bei einer kriechenden Schnecke eine nach links ausgeführte Wendung so zustande (Fig. 40), daß die an der linken Fußhälfte inserierenden Eetractor- bündel sich anspannen und die linken Flügel der Locomotionswellen fast still stehen, während die rechten Flügel der Wellen bei lockeren rechten Retractorbündeln schneller vorwärts eilen und alle Wellen so wie mehrere Reihen Soldaten eine Schwenkung nach links ausführen. Die SchnelHgkeit und die Anzahl der Locomotionswellen hängen von der Lebhaftigkeit der Kriechbewegung ab, gewöhnlich schwankt bei Helix fomatia die Zahl der Wellen zwischen 7 und 12, die eine Sohlen- länge von ungefähr 7 cm in 22 Sekunden durchlaufen. Wenn man eine an einer Glasscheibe kriechende Weinbergschnecke durch plötzlichen Zug am Gehäuse in der Fortbewegung stört, stellen sofort die Wellen ihre Bewegung ein und werden zu »stehenden« oder »stabilen« Wellen (SiMroth, 1879). Diese sind schwächer als die Locomotionswellen und werden von den unabhängig von ihnen bald wieder auftretenden Locomotionswellen wieder aufgehoben, das heißt: sie geben ihren stehenden Charakter auf und vereinigen sich mit der nächsten auf sie stoßenden Locomotionswelle. Bei genauerem Studium der kriechenden Schneckensohle mit der Lupe zeigt es sich, daß Teile der Sohle nur in dem Augenblick vor- wärts gleiten, in dem eine Welle über sie hinwegläuft. Zum Beispiel werden durchscheinende Ganghenknötchen oder Tuschezeichen auf der Sohle von jeder Welle ein Stückchen oralwärts verschoben, sie ruhen sodann, bis eine neue Welle ihnen wieder Locomotion gibt. So ruht, da jede Welle ungefähr ein Drittel der Breite der benachbarten Wellen- zwischenräume ausmacht, von dem locomotorischen Mittelfeld stets ungefähr drei Viertel, während nur ein Viertel fortwährend in Bewegung ist. Trotzdem stehen die Seitenfelder und der gesamte übrige Körper in steter Bewegung, was besonders Schnecken mit breiten Seitenfeldern, wie Arion und Limax, deuthch zeigen. Parker (1911) führte als Er- klärung für diese Erscheinung den menschhchen Gang an, wo ja auch stets ein Bein ruht, während der Kopf in steter Bewegung ist. Sind die Tuschezeichen breiter oder liegen mehrere kleine, durch- scheinende Ganglienknötchen hintereinander, so sieht man, daß bei jeder Welle sich die Tuschezeichen in der Längsrichtung der Sohle ver- schmälern, die Ganglienknötchen sich ebenso nähern. Dieses Zusannnen- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 567 ziehen der betreffenden Sohlenstelle und die Konvexität der einzelnen Wellen zeigen, daß es sich um Kontraktionswellen in der Längs- richtung der Fußachse handelt. Es können für solche Kontraktionen nur die im Fuße zahlreich sich befindhchen Längsmuskelfasern in Betracht kommen, die in besonders starker Schicht über der Fußsohle liegen. Die Kontraktionen dieser Längsfasern treten in Querlinien nebeneinander angeordnet auf, rufen eine longitudinale Verkürzung und somit eine Konvexität eines kleinen Teiles der Schneckensohle hervor und ziehen dadurch die kleinen, gerade betroffenen Teilchen der Sohle nach vorne, während der übrige wellen- und kontraktionslose Teil des locomotorischen Mittelfeldes ruht. Machen wir uns die Bewegimg an I. I. 1. W. 1. H. /? ß C D E F A B c DE F A ß c D E F A B C 'v. D £ F AB C D E F ABC D E F !• Aß CD t F !■ A B C 0 E F '^ ^ — - n- AB CD E F '^— 'v ■' 's_^' ff. A B C DE F ' L^' 'w' ■■ ■• Y. /Iß CD E F ■v-^' O' '^ H. A B C DE F -t;' 1^ H, A B C D E F M. AB CD E F I 1 ' • 1 1 '^ ü ^3? Fig. 41a und b. Schemata der Fortbewegung der Locomotionswellen auf der Sohle von Helix pomatia. a) auf der Sohle eine Welle, b) auf der Sohle drei Wellen. I — VII. Einzelne Stadien im Verlauf der Wellen. dem in Fig. 41a gegebenen Schema klar: AF sei ein Teil einer von rechts nach links kriechenden Schneckensohle im Medianschnitt. Die im Stadium I in Ruhe befindhche Sohle ist in kleine, gleichgroße Teil- stückchen eingeteilt, die wir als »Einheiten« der Sohle bezeichnen wollen. Die Locomotionswelle beginnt in II am hinteren Ende der Sohle bei F durch Kontraktion der letzten Sohleneinheit EF. EF wird auf die Hälfte der normalen Länge kontrahiert, indem F auf E zu gezogen wird. Beim dritten Stadium (III) geht die AVelle nach DE über, E rückt auf D zu, DE wird gleich der halben normalen Länge, EF hingegen er- schlafft und erhält durch Vorrücken von E die alte normale Länge wieder. So treten oralwärts nacheinander DE, CD, BC und AB in Kontraktion, während sich die Kontraktionen der hinter den sich kontrahierenden Teilchen liegenden Einheiten sofort wieder aufheben, 568 Walther Traiipmann, und sich diese Einheiten oralwärts verlängern. — In Fig. 41b ist ein Schema gezeichnet, in welchem drei "Wellen zugleich die Sohle be- streichen. Die Bewegung ist hier wesenthch schneller als im Schema mit nur einer Welle (Fig. 41a), kommt doch das Tier hier um I1/2 Ein- heiten vorwärts, während bei einer Welle die Locomotion nur eine halbe Einheit ausmacht. Jedoch können die Längsmuskeln wohl nicht allein zur Locomotion genügen; sie ziehen alle caudalwärts gelegenen Teilchen nach vorne, bewirken aber keine Verlängerung der vorderen Sohlenpartie. Warum wird bei Kontraktion von AB nun B nach Ä gezogen und wer gibt dem kontrahierten AB die Kraft, sich in seiner normalen Länge vor- zustrecken? Zuerst könnte man bei dem von Blut geschwellten Fuße an einen oralwärts gerichteten Blutdruck in den Lacunen und im Schwellgewebe denken, und dieser Faktor ist auch von vielen Autoren, wie ich in der Literaturbesprechung noch bemerken werde, angeführt worden. Ich möchte hier schon Versuche von einigen Autoren an- führen: Vles und DuBOis (1907) schnitten einer Fissurella neglecta 1 — 2 mm von der Sohle durch einen Frontalschnitt ab, ein größerer, ventral gerichteter Blutdruck war durch das Fehlen der Sohle also aufgehoben. »On constate que cette Fissurelle ainsi mutilee continue ä se deplacer, sans que les characteres de sa locomotion paraissent modifies, pendant plusieurs heures et meme plusieurs jours apres la section du pied. L'animal a repris son adherence au verre par toute la surface de section etalee, comme il adherait auparavant par la sole pedieuse.« — Den zweiten hier in Betracht kommenden Versuch teilt Robert in seiner Arbeit von 1907 mit, daß sogar Querscheiben vom Fuß noch Kriechbewegungen ausführen; trotzdem nimmt der Autor Blutdruck zur Locomotion an, da in dem engen Maschenwerk sich das Blut wie in einem Schwamm hält und der geringste Blutdruck nach seiner Meinung für die Verlängerung der Sohle genügt. Die Ansicht kann ich nicht vertreten, das Gewicht des Körpers und der Schale, das eine Schnecke, noch oft durch äußere Hindernisse beschwert, an senkrecht stehenden Unterlagen heraufzuziehen hat, müßte schon einen ziemlich großen Blutdruck erfordern. Die einzigen Organe, die einen genügend großen, oralwärts gerichteten Blutdruck bewirken könnten, wären die beiden großen Blutlacunen zu beiden Seiten der Fußdrüse; sie hegen zu hoch über der Sohle, und die noch Kriech- bewegungen ausführenden Transversalscheiben Robeets zeigen ihre Impotenz. Das tiefer und über der Sohle liegende Schwellgewebe ist meiner Ansicht nach für einen genügend großen Blutdruck zu dicht Die Muskulatur von Helix pomatia L. 569 und entbehrt jeglicher größerer, oralwärts gerichteter Bkitbahnen, auch zeigt doch wohl das Abschneiden der Sohle, daß das Blut infolge der Kapillarität wohl gehalten wird, jedoch ein Blutdruck speziell für Fis- surella neglecta zur Locomotion nicht verwandt wird, da die der Sohle völlig beraubten Tiere noch mehrere Tage nach der Sektion normale Locomotion zeigten. Auf Grund ihres Versuches nehmen auch Vles und DuBOis keinen Blutdruck, sondern nur Muskelarbeit zur Loco- motion an. Welche Muskeln die Locomotion unserer einheimischen Land- schnecken bewirken, zeigen zarte Schnecken mit sehr schmalen Seiten- feldern, etwa eine junge Helix hortensis. Beim Kriechen sieht man mit Hilfe einer Lupe die Känder der auf der Glasscheibe völlig auf- liegenden Seitenfelder leichte transversale wellenförmige Bewegungen ausführen. Diese Wellen stimmen mit den Locomotionswellen derart überein, daß bei jeder Locomotionswelle eine Verbreiterung der Schneckensohle, nach dem Vorübergleiten der Welle eine Ver- schmälerung der Sohle eintritt. Die Konturveränderungen sind nur bei schmalen und völlig anliegenden Seitenfeldern sichtbar, bei Arion und Limax sind sie gar nicht, bei Helix 'pomatia nur bei jungen Tieren schwach und auch nur selten zu sehen. Die Be- wegung ähnelt der Locomotion der Würmer, besonders der Tur- bellarien. Zwar tritt zum Beispiel bei Dendrocoeleum lacteum die Kontraktion der Längsmuskulatur nicht so deuthch in scharf gezeichneter Wellenlinie auf, jedoch ist auch hier besonders bei be- schleunigter Locomotion wie bei manchem anderen Wurm, z. B. Lumbricus, bei jeder Kontraktion der Längsmuskeln eine Verbreite- rung der Sohle, bei erschlaffter Längsmuskulatur eine Verjüngung der Sohle zu sehen. Solche wurmförmigen Bewegungen sind also auch für unsere Land- schnecken, in erster Linie aber für unsere He Heiden in Betracht zu ziehen; es kommen bei beiden Tiergruppen mit den Kontraktionen der Längsmuskelfasern alternierende Kontraktionen der starken Ring- muskulatur vor, die Längsmuskelfasern ziehen die caudalen Teile nach vorne, die Ringmuskulatur treibt die betreffenden Sohlenteile durch Verschmälerung und Verlängerung des Fußes oralwärts. Speziell bei Helix fomatia sind es die sich von der Ringmuskulatur ableitenden und den ganzen Fuß durchziehenden, besonders aber direkt über dem Sohlenepithel liegenden, starken Trans versalmuskelfasern, die, auf die feste Anheftung der caudalwärts von ihnen gelegenen Locomotions- wellen an der Unterlage fußend, die oralwärts von ihnen sich befind- Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 38 570 Walther Trappmann, liehen, eben erschlafften Sohleneinheiten durch transversale Kontrak- tion des Fußabschnittes oralwärts strecken. In Fig. 42 ist ein Schema gezeichnet, das einen durch eine kriechende Fußsohle gemachten Frontalschnitt zeigt: m.l. seien die Längsmuskel- fasern, m.tr. seien die Transversalmuskeln; der Pfeil gibt die Kriech- richtung an. Bei c^, Cg ^^d Cg kontrahieren sich die Längsfasern, führen Verbreiterungen und Verdickungen der Sohle mit sich und rufen in erster Linie Longitudinalwellen hervor; dieses sind unsere Locomo- tionswellen. Bei e^ und eg kontra- hieren sich die Transversalmuskel- fasern, verschmälern und verlängern die Sohle oralwärts und rufen an den Sohlenrändern Konturverände- rungen hervor, die sich als Trans- versalwellen zeigen. Die Transver- salwellen verlaufen natürlich, mit den Longitudinalwellen abwechselnd, gleichfalls oralwärts. Bei Beginn der Locomotion läßt sich diese Eich- tung genau feststellen, während der Locomotion aber scheinen sie oft caudalwärts zu verlaufen, indem die einzelnen Punkte der Konturlinien die ihnen von hinten zulaufenden Wellenberge zu übersteigen und sich so zum Schwänze hin zu bewegen scheinen. Die Täuschung ist gleich dem Phänomen, welches sich bei einer Eisenbahnfahrt zeigt, wo die Landschaft in der der Fahrrichtung entgegengesetzten Richtung sich zu bewegen scheint. Genau die gleiche Erscheinung zeigt auch die Wellenmaschine von Mach, führt man den Schlitten von rechts nach links, so scheinen oft, wenn man den Schütten selbst nicht verfolgt hat, die Transversalwellen von links nach rechts zu laufen. Diese Täuschung hat viele Autoren veranlaßt, ein neues, völlig von den Loconiotionswellen zu trennendes und caudalwärts ver- laufendes Wellensystem anzunehmen; ich werde in der Literaturbe- sprechung noch hierauf zurückkommen. Dieses neue, scheinbar caudalwärts streichende Wellensystem zeigt sich auch am oralen Ende der frei gehaltenen Helixsohh, besonders bei v/ir'/^ Fig. 42. Schema der locoinotorischen Muskulatur des Fußes von Helix pomatia während der Loco- motion. Der Pfeil gibt die Kriechrichtung an. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 571 mit Zigarrendampf gereizten oder plötzlich verletzten Tieren. Nach genauer Beobachtung kann man jedoch seine feste Zugehörigkeit zu den normalen Locomotionswellen sehen, und besonders bei neu ein- tretender Locomotion zeigt sich auch hier der oralwärts gerichtete Ver- lauf der beiden eng zusammenhängenden Wellensysteme. Einen Versuch muß ich hier erwähnen, bei welchem Robert (1908) ein zweites, caudalwärts gerichtetes Wellensystem stets beobachtet haben will. Einer völhg frei gehaltenen Helix pomatia wurde mit einem größeren Kotbande die Atemöffnung verstopft. Nachdem das Tier durch Ausstoßen von Luft mehrere Male versucht hatte, den Schmutz zu entfernen, zog es den ganzen vorderen Körper in die Schale zurück und schob die bald wieder anschwellende vordere Fußkante zwischen Kotballeu und Atemöffnung. Infolge großer Schleimsekretion der Fußdrüse haftete das Kotband bald am vorderen Rande der Fußsohle und glitt bei lebhaftem Auftreten der Locomotionswellen allmählich an der frei gehaltenen Sohle ganz hinunter, bis es, von großen Schleim- mengen umgeben, an der Schwanzspitze ankam. Daß nur die gewöhn- lichen, oralwärts gerichteten Locomotionswellen, nicht aber besondere caudalwärts verlaufende Wellen (Simroth, 1910; Robert, 1908) oder etwa der Druck des von der Fußdrüse ständig ausgeschiedenen Schleimes den Transport bewirkten, zeigte sich durch starkes Auftreten der Loco- motionswellen und durch gleichmäßiges Weitergleiten des Bandes auf der hinteren Sohlenhälfte, nachdem die vordere Hälfte vom Schleim gereinigt war. Bei kleineren an freigehaltener Sohle hinunter gleitenden Fremdkörpern konnte ich sogar feststellen, daß der Fremdkörper nur in Bewegung war, sobald eine Locomotionswelle über ihn hinwegging, daß er aber ruhte, sobald die Welle ihn verlassen hatte. Es war also bei diesen Versuchen durchaus die normale Kriechbewegung durch Locomotionswellen vorhanden, nur stand hier der Fuß fest, während das von Schleim eingehüllte Kotband als Unterlage die Bewegung aus- führte; ein besonderes, caudalwärts gerichtetes Wellensystem be- stand nicht. Leicht erklärlich ist es, daß bei Arion, Limax und zum Teil auch bei Helix pomatia die breiten elastisch wirkenden und stark an der Unterlage adhärierenden Seitenfelder die Transversal wellen des loco- motorischen Mittelfeldes so abschwächen können, daß sie als Kontur- veränderungen der Sohlenränder nicht mehr wahrzunehmen sind. Helix hortensis hingegen hat sehr schmale Seitenfelder, und es finden sich bei ihr auf der Sohle auch verhältnismäßig wenige Wellen, die dann natürhch umso schärfer hervortreten. 38* 572 Walther Traiipmann, Die Locomotion bei unsern Schnecken beruht also ausschließlich auf Arbeit von kontraktiler Muskulatur, die als longitu- dinal und transversal gerichtete Fasern die Sohle über- spannt. Die Muscuh longitudinales und transversales rufen Longi- tudinal- oder Locomotionswellen und als Konturverände- rungen sichtbare Transversalwellen hervor. Beide Arten von Wellen verlaufen oralwärts, alternieren miteinander und hängen voneinander ab. Ich nehme an, daß auch unsere S üß w asser pulmonaten, trotz- dem sie keine der beiden Wellenbewegungen zu zeigen scheinen, dieselbe Locomotion haben. Da sie in einem Medium leben, das ungefähr das gleiche spezifische Gewicht hat wie ihr Körper — sie können nach Be- lieben im Wasser auf- und niedersteigen — , hat sich eine in scharfen Wellen verlaufende Kontraktionsbewegung nicht ausgebildet, die Kon- traktionen verlaufen diffus. Die Landschnecken hingegen haben eine verhältnismäßig viel schwerere Last auf rauheren Wegen zu tragen, ihre Bewegung hat sich schärfer differenziert, und zwar begnügen sich unsere Nacktschnecken noch mit schmalem locomotorischen Mittelfeld und ziemlich breiten Seitenfeldern, während bei unseren Gehäuse- schnecken durch die Schwere der Schale und des Eingeweidesacks der Fuß sich vergrößert und das Mittelfeld sich verbreitert hat und die Seitenfelder verhältnismäßig sehr schmal sind. Die Würmer endUch haben als Turbellarien (z. B. Dendrocoeleum lacteum) die Mollusken nur wenig überholt, sie haben aber als Anneliden (z. B. Lumbr.icus) die höchste Vollkommenheit einer wurmförmigen Bewegung erreicht, indem hier nicht nur die ventrale Körperseite oder ein besonderes Loco- motionsorgan, etwa ein Fuß, sondern der ganze Tierkörper die Loco- motion besorgt. 5. Literatur über Locomotion der Gastropoden. Vorbedingung zur Locomotion war, wie wir sahen, Adliäsion, die Uirerseits ein genügendes Geschwelltsein des Fußes verlangte. Die Schwellung des Mollusken- fußes — bei Lamellibranchiaten herrschen ähnliche Umstände vor — beruht bei unsern Muscheln nach den Ansichten von Nalkpa (1883), Gbiesbach (1885) und ScHiEMENZ (1884) auf Wasseraufnahme durch Lücken in der Haut, die eine Verbindung der Außenwelt mit den im Fuße befindlichen Lacunen darstellen sollten und von Griesbach als »Pori aquiferi« bezeichnet wurden; ein Wieder- austreten des Wassers sollte durch besondere an den Poren befindliche Schließ- muskeln verhindert werden. Fleischmann (1885) findet bei Anodonta solche Poren nicht, vielmehr große Blutreservoirs im IMantel der Muschel. Auch bei Helix 'pomcUia sind, wie meine Mikrotomschnitte und das Schwellenlassen der unverletzten, in Formol gehärteten Sohle einer in Wasser erstickten und auf- Die Muskulatur von Helix pomatia L. 573 getriebenen Schnecke zeigen, derartige Poren nicht vorhanden; die Sohle dehnt sich nur infolge Blutdrucks, und der unter dem Diaphragma liegende Teil der Körperhöhle dient dem Blute als Reservoir. Ebenso gehen die Ansichten der Autoren betreffs der Locomotion der G astro - poden auseinander. Über die ersten Ansichten sagt H. Simroth in Bronns Klassen und Ordnungen des Tierreichs (Abteilung: Molluska III. Band 1896/97, p. 45) folgendes: »Solches Gleiten kann auf mehrfache Weise zustande kommen, einmal durch eine nach hinten gerichtete kontinuierliche Secretion, wobei das Secret die Stütze abgibt, welche den Oragnismus nach vorne schiebt, sodann durch Cilien. Der erste Modus kommt wohl bei kleinen Geschöpfen vor wie Diatomeen und Gregarinen, der zweite bei Turbellarien. Jener schließt sich von selbst aus wegen der Größe der meisten Gastropoden, der zweite aus demselben Grunde bei allen Formen von größerem Umfange. Aber auch bei Turbellarien dürfte die Wimperung nicht durchweg genügen, sondern die Muskulatur greift ein, wie bei den Schnecken, und da es sich um die gleiche morphologische und demnach gleiche ökologische Grundlage handelt, zeigt wahr- scheinlich auch bei den Platoden, namentlich bei den unter den schwierigen Verhältnissen der freien Luft lebenden Landplanarien, die Muskulatur die ent- sprechende Modifikation.« — Vles und Dubois (1907) bewiesen zudem auch die Nichtigkeit der Cilientheorie, indem die der ganzen Sohle beraubte Fissurella neglecta, wie schon oben erwähnt, normale Locomotion zeigte. Nach der Ansicht der zweiten Gruppe von Forschern beruhen die Wellen auf Circulation irgendeiner Flüssigkeit, von Wasser, das von außen aufge- nommen wird, oder von Blut. Der Verfechter dieser Theorie ist Sochaczewer (1880), sodann nahm auch H. Simroth (1885) für Pomatias in erster Linie Blut- wellen zur Locomotion an. Die dritte Grui)pe von Forschern beschrieb die Locomotion als einfaclie Muskelarbeit. Von diesen ist H. Simroth mit seinen zahlreichen Arbeiten (1878, 1879, 1880, 1882, 1910, 1914) vorwegzunehmen, da er die Theorie der extensilen Muskelfaser vertritt. Wie ich schon bei Besprechung der morpho- logischen Arbeiten über den Schneckenfuß sagte, leitet Simroth alle Muskel- fasern des Fußes bei Helix pomatia mit Ausnahme der untersten, über der Sohle verlaufenden Längsmuskelschicht vom Retractorsystem ab. Dieses Retractor- system ist willkürlich und kontraktil und dient besonders zum Zurückziehen des Tieres in die Schale, die Locomotion wird nach seiner Meinung allein von jenen über der Sohle verlaufenden, automatisch arbeitenden und extensilen Längsfasern besorgt. Die Pedalganglien haben nur insoweit auf die Bewegung Einfluß, als sie Beginn, Ende und Grad der Schnelligkeit der Locomotion bestimmen. Die Hauptrolle bei der Fortbewegung spielt einerseits die Verlängerung der Sohle durch locomotorische Wellen, erzeugt durch Extension der Längsfasern, und andrerseits die Verkürzung, das heißt das Nachziehen der hinteren Partien durch den Retractor. Der Fuß muß sich oralwärts ausdehnen, also dürfen die einzig in Betracht kommenden Längsfasern nicht kontraktil sein, sondern müssen die Dehnung des Fußes durch eigene Verlängerung hervorrufen, die Fasern müssen extensil sein. Den extensilen Charakter verleiht ihnen eine im flüssigen Inhalt der MuskeKaser entstehende Gerinnung des Myosins, indem eine feste Scheibe entsteht, die sich hinten beständig löst, vorne um die gleiche Myosingerinnung wächst und so wie ein Pfropfen den gesamten Muskelinhalt nach vorne schiebt. 574 Walther Trappmann, Die Epithelzellen, an denen die einzelnen Muskelfasern inserieren, erleiden dadurch gleichfalls eine oralwärts gerichtete Bewegung — »eine theoretische Konstruktion, die auf die Analyse der beteiligten Gewebe verzichtet «. Denn nach meinen mor- phologischen Befunden liegen über dem Sohlenepithel Transversalmuskeln, die Längsmuskelfasern aber erstrecken sich, erst über den Transversalfasern ver- laufend, bald durch die ganze Länge des Tieres und können daher schon nicht den einzelnen Epithelzellen der mittleren Sohlenpartie diesen oralwärts gerichteten Stoß erteilen. Sodann wird man bei der der Sohle beraubten und trotzdem noch kriechenden Fissurella neglecta sich wohl schwerlich vorstellen können, daß die Gerinnung eines flüssigen Muskelinhalts bei Fehlen der Epithelzellen und bei angeschnittenen Muskelfasern noch diesen Zweck erfüllen könnte. Weitere Anhänger als sich selbst scheint Simroth für seine problematische Theorie der extensilen Muskelfaser nicht gefunden zu haben. Unter den Beweisen für die Theorie führte er ] 882 besonders die Konvexität und den festen Aggregat- zustand der Wellen an. Dieselbe Eigenschaft, daß nämlich die Locomotionswellen bei Limax cinereoniger deutlich wegen ihres festen Aufbaues konvex sind und Schatten werfen, benutzt Biederüann (1905), um das Gegenteil zu zeigen, daß nämlich die Fasern nicht extensil, sondern wie jede normale Muskelfaser kontraktil sein müssen, denn eine Myosingerinnung würde eine Volumverminderung hervor- rufen, d. h. die Fasern nähmen an Querschnitt und an Länge ab. So nehmen alle übrigen Autoren normale kontraktile Fasern an. Von den- jenigen, die die Fortbewegung nur auf Muskelarbeit zurückführen, sind zu nennen: KÜNKEL (1903), Uexküll (1909), Robert (1908), Parker (1911), Carlson (1905) und Vles und Dubois (1907). Bald wurde nur Kontraktion der Längsmuskeln, bald aber dazukommend noch Kontraktion von Dorsoventral- und Transversal- muskelfasern angenommen. Zur nächsten Gruppe möchte ich diejenigen Forscher rechnen, die Blut- druck und Muskelarbeit zur Locomotion zu Hilfe nehmen. Hierher gehören Biedermann (1905), Jordan (1901), Carlson (1905) und Robert (1907). Neben dem vorwärts treibenden und die Sohle verlängernden Blutdruck werden bald wieder die Längsmuskeln, bald dazu noch Dorsoventral- und Transversalmuskel- fasern angeführt. Eine besondere Stellung nimmt Uexküll (1909) ein, indem er eventuell vorhandene Parapodien ähnlich denen der Würmer berücksichtigt. Er glaubt, ihr Vorhandensein aus der Annahme schließen zu können, daß sich Helix pomatia besser von vorne nach hinten als von hinten nach vorne über eine Unterlage ziehen lasse. Dahingehende Versuche und Mikrotomschnitte zeigten mir die Hinfälligkeit dieser Annahme. Zieht man den Blutdruck zur Locomotion zu Hilfe, so fragt es sich, ob der Blutdruck der Schwellung dos Fußes der gleiche wäre, wie der der Locomotion. Carlson (1905) meint, daß der Blutdruck der Locomotion und der der Schwellung nur an Intensität verschieden seien, es sei stets derselbe Druck der dorsalen und lateralen Körpeinvändc auf das in der Körperhöhle befindliche Blut; bei der Loco- motion bestehe also gesteigerte einfache Schwellung. Anders steht Jordan (1905), nach ihm geht bei Fußschwellung der Druck von den Wänden der Körperhöhle aus, während die Locomotion durch Blutdruck der niuskulösen Blutlacunen besorgt wird; so muß bei der Locomotion zur Kontraktion der Längsnauskeln noch der das Tier nach vorne verlängernde Blutdruck der Lacunen hinzukommen. Die Muskulatur von Helix pomatia L. 575 Die Gründe, die nach meiner Ansicht gegen den zur Locomotion notwendigen Blutdruck bei Helix pomatia sprechen, habe ich im vorigen Abschnitt über Loco- motion angeführt. Vorliegende Arbeit wurde im Juli 1914 abgeschlossen; da ich infolge der ungewöhnlichen Zeitumstände zu einer Veröffentlichung nicht schreiten konnte, sei es mir erlaubt, hier noch eine Besprechung der im Laufe des vergangenen Jahres erschienenen Arbeit von Kimakowicz-Winnxcki (1914) einzuschieben. Leider erwähnt der Autor dieser neuesten Arbeit nichts von der so reichhaltigen neueren Literatur, und so kommt es, daß er ziemlich eigene Wege gewandelt und zu eigenartigen Resultaten gelangt ist. Mit ihm können wir eine neue Ansicht über die Locomotion der Gastropoden anführen, da er außer Blutdruck noch Luftdruck annimmt. Die Versuche, daß einmal Fremdkörper an freigehaltener Schneckensohle caudalwärts weitergeschoben werden und daß ferner eine Pom. pomatia eine 35 g schwere und mit 250 g belastete Glasscheibe von einem Glasgefäß abheben kann, zeigen nach seiner Meinung, »daß die locomotorische Funktion nicht, wie allgemein angenommen wird, darin besteht, daß die Sohle nach vorn gedehnt werde, es wird vielmehr durch die Funktion die Kriechfläche nach hinten ge- stoßen und auf diese Weise der Schneckenkörper nach vorn geschoben. « Weiter sagt Kimakowicz-Winnicki : >>Nach zahlreichen Experimenten, Untersuchungen und Beobachtungen, nach unzähligen Quer- und Fehlgängen gelangte ich schließlich zur Überzeugung, daß die sogenannten locomotorischen Wellen mit irgendwelcher Muskelfunktion in keinerlei direktem Zusammenhang stehen, daß sie also keinesfalls durch Muskeltätigkeit zustande kommen können. « Als Beweis führt er Pom. pomatia an, die nur Wellenspiel beim Aufwärtskriechen, nicht aber beim Abwärtskriechen an einer senkrecht stehenden Glasscheibe zeigen soll. Da auch er die »stehenden Wellen« nicht durch Simroths Myosingerinnung sich erklären kann, nimmt er an, »daß die Wellen als Reflexe aufzufassen seien, die durch das die Sohle durchströmende Blut entstünden. . . . Die zahlreichen Stöße, die durch das Einströmen des Blutes in die Hohlräume entstünden, würden unbedingt ausreichen, die Kriechfläche nach hinten, bzw. den Körper nach vorn zu stoßen. Es würde gich somit nur darum handeln, eine Kraft zu finden, die geeignet wäre, die Blutströmung in entsprechender Weise zu regeln. « Diese regulierende Kraft glaubt der Autor nun bei folgenden Beobachtungen gefunden zu haben: Landschnecken haben bei Ruhe das Atemloch meist geschlossen oder nur halb geöffnet; »kurz vor Beginn der Locomotion hingegen wird es weit ge- öffnet, dann wieder geschlossen, und diese Tätigkeit währt an, solange die Loco- motion fortdauert. « Sodann beobachtet er, daß Landschnecken im Wasser lang- samer kriechen als auf dem Lande, und daß Wasserschnecken überhaupt lang- samer sind als Landschnecken. »All dies deutet darauf, daß die während des Kriechens in erhöhtem Maße aufgenommene Luft für die Locomotion ein Er- fordernis sei und daß höchstwahrscheinlich durch Luftdruck das Blut aus den Lacunen in die Hohlräume der Sohle hineingepreßt wird, sobald die Erschlaffung der Längsmuskelfasern nach ihrer Kontraktion erfolgt. «... »Die Beteiligung des Luftdrucks an der Locomotion findet ferner in der großartigen muskulösen Entwicklung der Leibeswand eine wesentliche Stütze, während andrerseits die Entwicklung der Leibeswand infolge des zu leistenden Widerstandes leicht erklärt werden kann, was sonst nicht möglich wäre, « 576 Walthcr Trappmann, Von den zur Erforschung des pneumatischen Apparates der Gastropoden durchgeführten Experimenten erwähnt der Autor folgende. Eine kriechende Landschnecke wurde durch einen Fremdkörper gezwungen, ihr Atemloch ge- schlossen zu lassen; die Locomotion verlangsamte sich und wurde erst wieder normal, als das Atemloch sich öffnen konnte. Ferner wurde einer Landschnecke eine gesättigte Karmin-Wassermischung injiziert; die Karminkörnchen verstopften das Capillarsystem des Fußes, so daß Blutcirkulation unmöglich war. »Mit diesen Exj)erimenten war nachgewiesen, daß die durch Luftdruck zustande kommende Blutschwellung allein die motorische Kraft ist, die die Locomotion veranlaßt, während sich die Muskeltätigkeit nur indirekt daran beteiligt. « Daß bei kleineren Wunden trotzdem noch Locomotion bei Schnecken auftritt, erklärt der Autor damit, daß die starke Muskulatur die Wunde völlig schließt, so daß »im Körper- sinus immerhin eine Luftpressung zustande kommen« kann. Die entschiedenste Konstruktion aber bringt Kimakowicz-Winnicki bei der Beschreibung des Vorgangs dieser Luftpressung: »Der größte Teil der Pallialorgane liegt während des Kriechens unter dem Mantel zusammengedrängt und scheidet sejitenartig den Körpersinus in zwei Räume. Dies läuft offenbar auf die Konstruktion eines Doppelgebläses hinaus, wie dies in erhöhter Voll- kommenheit bei den Gehäuseschnecken erhalten blieb. Hier funktioniert der Intestinalsack als Luftsauger, der Körpersinus als Windsammler und der Nackenkanal, der beide verbindet, als Ventil. Bei den Nacktschnecken bildet der Kopfsinus den Windsammler, . . . dem Hinterleibssinus fällt die Rolle eines Luftsaugers zu, während eines der Pallialorgane als Verbindungsventil funktioniert. Durch diese Doppelgebläseeinrichtung wird der Druck auf das die locomotorische Sohle schwellende Blut ein kontinuierlicher, während er im andern Falle in rhyth- mischer Folge wirken mußte. . . . Durch das Einpressen der Luft in den Wind- sammler kommen oft rhythmische Schwellungen bei jungen und anderen Schnecken mit dünnwandigem Integument in der Nähe des Kopfes vor. Diese Erscheinung hat Biedermann (1905) irrtümlich' als Verdickung'swellen gedeutet.« Bei der Untersuchung des Pneumostoms glaubt Kimakowicz-Winnicki endlich mit Sicherheit feststellen zu können, daß die auf dem Lande lebenden Gehäuseschnecken auch für den Austritt aus der Schale ihren Preßluftapparat verwenden müssen, während die wasserbewohnenden Gehäuseschnecken über einen genau so gebauten Wasserdruckapparat verfügen. Zum Schluß sei noch erwähnt, daß dem Autor durch seine Doppelgebläseeinrichtung das Mittel gegeben ist, »die Gastropodenasymmetrie einfach und in jeder Richtung befriedigend sowie auch manch andere Erscheinung aufzxiklären. « Die nicht so zahlreich angeführten Versuche von Kimakowicz-Winnicki lassen die von ihm aufgestellte Theorie der Luftpressung wenig wahrscheinlich erscheinen. Zuerst ist es durchaus nichts Neues, daß die Sohle nur oralwärts gedehnt werden kann, wenn sie hinten an irgendeiner Stelle an der Unterlage fixiert ist; dieser Ansicht sind schon die meisten Autoren, die nur Muskelarbeit zur Locomotion annehmen. Dreht man eine senkrecht stehende Glasscheibe, an der eine unserer Land- schnecken, z. B. Helix pomatia oder Arion, herauf kriecht, so daß das Tier ab- wärts kriecht, so stockt wohl bei langsamer Drehung der Scheibe das Wellenspiel, wird aber bald in der vorderen Sohlenhälfte wieder aufgenommen, während die Die Muskulatur von Helix poniatia L. 577 hintere Sohlenhälfte meist nur der sicheren Anlieftung dient. Das Stocken tritt ein, weil durch die Änderung des Gleichgewichts der Eingeweidesack oralwärts schießt und das Tier kopfüber herabzureißen droht. Dieser Zug des Eingeweide- sacks ist so stark, daß er an mit wenig Wasser benetzten Glasscheiben das Tier zum Gleiten bringt: eine Ortsveränderung, die natürlich ein Wellensystem unnötig macht. Eine regelrechte Locomotion hingegen tritt nur beim Auftreten des Wellenspiels ein. Das durch Verstopfung des Capillarsystems des Fußes mit Karminpartikel- chen hervorgerufene Aufhören der Locomotion ist noch kein Beweis, daß das Blut direkt zur Locomotion verwandt wird. Durch die Verstopfung ist eine völlige Schwellung des Fußes ausgeschlossen, die Schwellung bewirkt aber die Adhäsion der Sohle an der Unterlage, und diese ist wieder, wie wir früher sahen, Grundbedingung für die Locomotion; kann also der Fuß die Schwellung nicht mehr regulieren, so ist auch eine allein auf Muskelarbeit beruhende Locomotion ausgeschlossen. Was ferner die Aufnahme von Luft bei der Locomotion betrifft, so habe ich das regelmäßige, periodische Öffnen und Schließen des Atemloches bei Helix ■pomatia und Arion vergebens gesucht. Sollte eine solch auffallende Erscheinung, wenn sie bestände, nicht auch schon früher den vielen, aufmerksam beobachtenden Forschern aufgefallen sein müssen? Auch konnten die von mir beobachteten Schnecken, wenn sie wegen fremder Reize ihr Atemloch geschlossen hielten, sehr lange ohne erneute Luftaufnahme kriechen. Wenn schheßlich die Locomotion eingestellt wird, so geschieht das wohl aus demselben Grunde, wie Menschen vom Gehen und Bergsteigen bald ablassen, sobald ihnen längere Zeit Nase und Mund verschlossen werden und ihnen »die Luft ausgeht«. Daß ferner kleine Wunden, z. B. am Schwanz, infolge des dichten und stark muskulösen Aufbaus des Fußes auf Luftdruck beruhender Locomotion nicht im Wege stehen, gebe ich zu; aber die der Sohle beraubte und dennoch kriechende Fissurella neglecta läßt meiner Ansicht nach weder Blut- noch Luftdruck zu. Aber auf welchem Wege gelangt die Luft von der Lungenhöhle in den Luft- sauger oder Intestinalsack? Seine eigenen Injektionsversuche der Lungenhöhle durch das Atemloch mit Methylenblau zeigten dem Autor, daß direkte Verbin- dungen zwischen beiden nicht bestehen. L^nd eine allein auf Diffusion durch den Lungenboden, das stark muskulöse Diaphragma, beruhende, schnelle Auf- nahme derartig großer Luftmengen ist doch wohl sehr unwahrscheinlich, zumal auch auf demselben Wege bei Wasserschnecken nach Ansicht des Autors Wasser eindringen soll. Nach der Theorie müssen fortwährend neue Luft- oder Wasser- mengen aufgenommen werden, was sich an dem steten Öffnen und Schließen des Atemloches zeigen soll; wo aber die alten Luft- oder Wassermengen bleiben und wie trotz seiner Doppelgebläseeinrichtung eine gleichmäßige Locomotion zu- stande kommt, verrät uns der Autor nicht. Auch wird man sich sehr schwer vorstellen können, wie bei Wasserschnecken das aufgenommene Wasser das Blut treiben kann, ohne eine Verdünnung des Blutes zu bewirken. Sodann findet die muskulöse Leibeswand bei Carlson (1905) und Joedan (1905) eine bessere Erklärung, als sie Kimakowicz-Winnicki allein geben zu können meint. Endlich ist es interessant, daß Kimakowicz-Winnicke die bei der Loco- motion auftretenden, von vielen Forschern als zweites Wellensystem beschriebe- 578 Walther Trappmann, nen und häufig durch Blutdruck erklärten Transversalwellen (unsere Kontur- veränderungen) auch durch seine Luftpressungstheorie erklärt. Nicht alle im Molluskenreiche auftretende Locomotionswellen verlaufen in der Kriechrichtung von hinten nach vorne. Vles teilt die bisher gefun- denen Wellen ein in »ondes directes« — Wellen laufen oralwärts — und »ondes retrogrades« — Wellen laufen caudahvärts. — In jeder der beiden Gruppen macht er drei Unterabteilungen: 1. »type monotaxique« — auf der ganzen Sohle ist nur ein Wellensystem — ,2. »type ditaxique« — die Sohle ist funktionell eingeteilt durch eine Medianlinie in zwei seitliche Hälften, deren jede ein besonderes Wellenspiel zeigt — , und 3. »type tetrataxique« — jede der beiden vorigen Sohlenhälften zeigt wiederum zwei verschiedene, die ganze Sohle demnach vier verschiedene Wellensysteme. Vles rechnet Helix, Arion und Limax zum »type monotaxique« der Gruppe der »ondes directes«. Außer diesen »ondes directes« sind aber von einigen Autoren auch bei Helix noch besondere, von den normalen Locomotionswellen zu trennende »ondes retrogrades« gesehen und beschrieben worden. So beobachteten Robert (1908) bei Helix und Simroth (1910) bei Helix und Limax an freigehaltener und mit Zigarrendampf gereizter Sohle die bekannten oralwärts gerichteten Locomotionswellen und außerdem noch ein caudalwärts gerichtetes zweites Wellensystem. Nach Simroth dient letz- teres dazu, das Blut und die Haemolymphe vor sich hertreibend, zur Ernährung der Fußgewebe; sie werden bei höherer Herztätigkeit von Muskeln verschiedener Richtung hervorgerufen, es sind also Blutwellen. Simroth stellt 1910 folgende Hypothese auf, daß ein Durchschneiden des Prosobranchenfußes in mehr als zwei Teile Stücke ergibt, von denen das eine locomotorische Wellen zeigt, während ein benachbartes nur zum Transport des Blutes dient und Pulsationswcllen zeigt. In seiner Arbeit von 1901 beschreibt H. Jordan bei Aphjsia, die nach An- gaben von Vles (1907) ebenfalls »ondes directes« hat, von vorne nach hinten ver- laufende Wellen, in denen » die Berge durch gedehnte, die Täler durch kontra- hierte Partien gebildet werden, und die erst durch zweckmäßiges Haften zur Locoiuotion verwandt weixlen können«. Bei Helix hortensis Müll, fand Robert 1908, daß das Tier nicht mit der ganzen Sohle die L^nterlage berührte. • Es wurden nur einige oralwärts verlaufende Wellen zur Anheftung benutzt, während die übrige Sohle frei nach Art der Spann- raupen funktionierte. Die Stützpunkte selbst lösten sich vorne allmählich, legten sich caudalwärts weiter an die Unterlage und riefen so ein den normalen Loco- motionswellen entgegen gerichtetes Wellensystem hervor, das sich über das nor- male legte. Daß diese »ondes inverses«, wie er sie nannte, Pulsationswellen (Simroth, 1910) wären, nimmt Robert nicht an, was sie aber sind, sagt er nicht. Der Autor sah sie selten, beobachtete sie aber stets, wenn der Kopf gegen das Pneumostoma gedreht wurde und durch Wellenspiel ein Kotband ergriffen und entfernt wurde. Sowohl er als auch Carlson (1905) bezeichnen diese spannende Fortbewegung als »Galopp der Helix«. Während aber Carlson (1905) diesen Helixgalopp für *eine lebhaft beschleunigte, sonst aber normale Locomotion hält, glauben Jordan (1901), Robert (1908), Simroth (1910) und Parker (1911) ein besonderes Wellensystem vor sich zu haben. Auch Biedermann beschrieb 1905 an jugendlichen Gehäuseschnecken (Helix hortensis) zwei Wellensysteme. Er beobachtete bei der Locomotion schon Die Muskulatur von Helix pojnatia L. 579 C onturveränderungen und sagt: »Ganz wie bei einem kriechenden Regenwurm streckt sich zunächst unter bedeutender Verschmälerung der unmittelbar hinter dem Kopf gelegene Teil des Fußes nach vorne, worauf nach kurzer Zeit dieselbe Partie sich verdickt, während unterdessen die »Verdünnungswelle« sich nach hinten fortpflanzt, gefolgt von einer in gleicher Richtung peristaltisch fortschreiten- den »Verdickungswelle «. Inzwischen laufen ganz ungestört, aber in entgegen- gesetzter Richtung, die bekannten dunklen Wellen über die Sohlenfläche. Daß wie bei einem Wurm die Verdünnung und Streckung durch eine peristaltisch {rechtläufig) von vorn nach hinten fortschreitende Kontraktion von Quer- muskeln (Ringmuskeln), die darauffolgende Verdickung aber ebenso durch Verkürzung von Längsmuskeln bewirkt wird, lehrt die unmittelbare Anschau- ung. « Biedermann sieht also in den Konturveränderungen das Prinzip einer wurmförmigen Bewegung, nimmt aber noch zwei verschiedene Wellensysteme an, einmal die normalen oralwärts verlaufenden und durch Kontraktion der Längsmuskeln entstandenen Locomotionswellen, sodann die entgegengesetzt von vorn nach hinten fortschreitenden Kontraktionen der Längs- und Quermuskeln. Anders steht Vles (1908); er beschreibt die Locomotion bei Haliotis, be- stehend aus longitudinalen Kontraktionen und gleichzeitigen transversalen Ver- breiterungen als Locomotionswellen und transversalen Kontraktionen mit Ver- jüngung des Sohlenteils als Wellenzwischenräume. Seine Verdickungs- und Ver- dünnungswellen sind also eng mit den Locomotionswellen verbunden und laufen oralwärts. Nach meinen Befunden muß ich mich den Ansichten von Vles (1908) über Locomotion anschließen (s. auch S. 570ff.). Das scheinbar caudalwärts verlaufende Wellensystem tritt nur auf, wenn die normalen Locomotionswellen nach vorne eilen, sie sind schwer und daher selten zu sehen. Bei genauer Beobachtung zeigt sich, daß jede durch Kontraktion der Längsmuskeln hervorgerufene Locomotionswelle als Verbreiterung und Verdickung der Sohle oralwärts läuft, und daß jeder dieser » Verdickungswellen « eine »Verdünnungswelle«, hervorgerufen durch Erschlaffen der Längsmuskeln und Kontraktion der Transversalmuskeln, folgt. Diese Ver- dickungswellen laufen also nicht, wie Biedermann, Simroth und andere Autoren annehmen, caudalwärts, sondern oralwärts, sie rufen aber Konturveränderungen hervor, die scheinbar nach hinten gerichtete Transversalwellen zeigen. Gerade die Bemerkung Roberts, daß er dieses neue Wellensystem selten gesehen hätte, daß es aber regelmäßig aufgetreten sei, wenn ein Kotband an der Sohle hinunter befördert werden mußte, bestärkt mich in der Annahme, daß auch diese von Robert gesehenen Wellen normale Locomotionswellen waren. Das Kotband gleitet, wie ich auf S. 571 schon zeigte, nur caudalwärts, wenn Loco- motionswellen auftreten, es gleitet mit derselben Schnelligkeit vorwärts, mit der das Tier kriechen würde, wenn es auf einer Unterlage adhärierte. Ist der an- haftende Fremdkörper ziemlich klein, so sieht man sogar, daß er nur dann bewegt wird, wenn gerade eine Locomotionswelle über ihn hinwegstreicht. Er macht also dieselben rhythmisch pulsierenden Bewegungen, die kleine Sohlenteilchen beim Kriechen auf einer Unterlage machen, seine Bewegung kann demnach nur von oralwärts verlaufenden Locomotionswellen hervorgerufen sein. Die Schnecke kriecht also, wie ich schon oben erwähnte, über das Kotband hinweg, da aber in diesem Falle der Fuß still steht, muß das die Unterlage darstellende Kotband eine nach hinten gerichtete Bewegung ausführen. 580 Walther Trappmann, Was den von Caklson (1905) und Robert (1908) beschriebenen »Helix- galopp« betrifft, so bedauere ich, ihn trotz vieler angewandter Mühe nicht habe beobachten zu können. Wohl sieht man zuweilen ein Ablösen der vorderen Sohlen- hälfte von der Unterlage und ein Anheften auf einer anderen Unterlage, auch werden dabei größere Brücken zwischen diesen beiden Unterlagen gespannt, aber eine regelmäßige spannende Fortbewegung zeigte sich nie. Inwieweit diese schein- bar sehr seltene Locomotion mit den normalen Locomotionswellen und den schein- bar caudalwärts verlaufenden transversalen Konturveränderungen zusammen- hängt, kann ich nicht sagen, doch sind theoretisch die beiden Faktoren wohl zu vereinigen, ohne ein neues Wellenspiel annehmen zu müssen; auch Caelson (1905) hält den »Helixgalopp « für eine lebhaft gesteigerte, sonst aber normale Loco- motion. Einer Nebenerscheinung der Locomotion muß ich noch Erwähnung tun. 1909 beschreibt Jousseaume dumpfe Geräusche, die von kriechenden Schnecken hervorgerufen wurden. Er ist geneigt, sie vielleicht als Vorspiel der Copulation annehmen zu können; welche Organe diese Töne hervorriefen, konnte Jousseaume nicht angeben. Aufschluß hierüber gibt auch hier wieder Vles (1909). Die Geräusche, die er als »bruits de grincement« bezeichnet, hängen mit der Bewegung der Schale zusammen, die sich infolge des Ein- und Ausatmens der Lungenhöhle beim Kriechen periodisch vorwärts bewegt und sich der Unterlage nähert. Wenn nun bei einer auf horizontaler Glasscheibe kriechenden Helix pomatia die Schale die Unterlage berührt, entstehen Geräusche, die den Tönen analog sind, welche man mit einem mit Kolophonium bestrichenen Finger auf einer Glasscheibe reibend hervorrufen kann. Dieses Vibrieren einer geringen Anzahl hoher Töne entsteht daher auch nur, wenn die Schale an der berührenden Stelle mit etwas Staub und Schleim bedeckt ist. Die Töne waren auf 7 — 8 ra Entfernung gut hörbar. Haben wir bei Besprechung der Locomotion der Gastropoden die Wür mer, speziell die Planarien zum Vergleich herangezogen, so sei es mir erlaubt, hier auf die Locomotion eines Tieres noch hinzuweisen, das weder zu den Mollusken noch zu den Ver nies gehört. Es ist Microdon (Meigen), ein Dipter , dessen Larve früher stets für ein MoUusk gehalten wurde. Andeies (1912) sagt von der Loco- niotion der Larve folgendes: »Nur das mittlere, ventrale Feld, die eigentliche Kriechfläche, gleitet über die L^nterlage, während die Randimrtie diese kaum berührt. Die Bewegung der Kriechfläche verläuft wellenförmig von hinten nach vorn und zwar so, daß im letzten Segment beginnend und nach vorn kontinuier- lich fortschreitend, immer eine Strecke sich kontrahiert und von der Unterlage abgehoben wird. Erst wenn die Welle vorn angekomjnen ist, erfolgt ein kleiner Ruck vorwärts. Fast zu gleicher Zeit, ein wenig früher, hat am Hinterende die Wellenbewegung wieder begonnen. Bei der Rückwärtsbewegung geht die Welle in entgegengesetzter Richtung. . . . Aiißerdem sieht man von Zeit zu Zeit eine Flüssigkeitswelle aus der Mundöffnung treten und sich über die ganze Bauch- fläche ergießen. . . . Diese klebrige Flüssigkeit . . . dient wohl dazu, einerseits die Kriechfläche feucht zu halten, damit sie nicht eintrocknet, andrerseits sie durch seine Klebrigkeit an der Unterlage festzuhalten. « Es überrascht die auffallende Ähnlichkeit zwischen diesen in der Systematik so entfernt voneinander stehenden Tieren: Auch Microdon hat also eine Sohleneinteilung in locomotorisches Mittel- feld und Seitenfclder, es laufen Wellen in der Kriechrichtung, die hier wie bei Die Muskulatur von Helix poir.atia L. 581 einigen marinen Mollusken auch caudalwärts gerichtet sein kann; die Wellen sind, wie sie auch bei manchen Mollusken sich vorfinden, konkav. Ähnliche Funktion, wie bei den Heliciden die Fußdrüse hat, besitzen bei Microdon die Speicheldrüsen, die hier gleichfalls zum Haften des Tieres an der Unterlage einen klebrigen Schleim absondern. Andries nimmt für die Locomotion bei Microdon kontraktile Längs- und Dorsoventralmuskeln zu Hilfe, auf dieselben Muskelsysteme wird auch bei Mollusken mit konkaven Locomotionswellen, z. B. bei Rhipido- glosstis von Robkrt (1908), die Fortbewegung zurückgeführt. Zum Schlüsse sei es mir gestattet, meinem hochverehrten Lehrer, Herrn Geh. Reg. -Rat Professor Dr. E. Korschelt, auf dessen Anregung die Arbeit entstand, für sein gütiges Interesse und seine jederzeit bereite Unterstützung meinen herzlichen Danlt auszusprechen. Auch danke ich Herrn Privatdozenten Dr. W. Harms für seine mir gütigst erteilten, wertvollen Ratschläge. Marburg i. H., im August 1914. Literaturverzeichnis. L Amaudrut, Al. : Structure et mecanisme du bulbe chez les Mollusques. Comptes Rend. Acad. sc. Bd. 124, 1897. 2. Amaudrut, Al. : Sur les allongements de la partie anterieure du corps des Prosobranches et leur influence sur la region correspondante du tube digestif. Ibid. Bd. 126, 1898. 3. 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SiMROTH, H. : Über einige Vaginula- Arten. Zool. Jahrbücher (System.) Bd. 5, 1891. 62. SiMROTH, H. : Quelques remarques sur la locomotion des Gasteropodes. Bull. Soc. zool. France. Bd. 35, 1910. 63. SiMROTH, H. : Untersuchungen an marinen Gastropoden. Pigment, Loco- motion, Phylogenetisches. Arch. für Entwicklungs-Mechanik. Bd. 39, 1914. 64. Sochaczewer: Das Riechorgan der Pulmonaten. Zeitschr. f. w. Zool. Bd. 35, 1880. 65. Troschel, f. H. : Über die Mundteile einiger Heliciden. Arch. für Naturgesch. Bd. 15 (I), 1849. 66. Uexküll: Umwelt und Innenwelt der Tiere. Berlin 1909. 67. Vles, Fr. : Remarques divers sur la reptation des Gasteropodes. Bull. Soc. zool. France. Bd. 31, 1906. 68. Vles, Fr. et DubOis, R. : Locomotion des Gasteropodes. C. R. Acad. Sc. Paris. Bd. 144, 1907. 69. Vles, Fr. : Sur les ondes pedieuses des MoUusques reptateurs. C. R. Acad. Sc. Paris. Bd. 145, 1907. 70. Vles, Fr. et Dubois, R. : Sur la reptation des Fissurelles. Bull. Soc. zool. France. Bd. 32, 1907. 71. Vles, Fr.: Remarques divers sur la reptation des Gasteropodes. Ibid. Bd. 33,- 1908. 72. Vles, Fr. : Sur les bruits emis par les Helix pendant leur progression. Ibid. Bd. 34, 1909. 73. Vles, Fr.: Observation sur la locomotion d'Otina otis. Remarques sur la progression des Gasteropodes. Ibid. Bd. 38, 1913. 74. Wkstterstein, H. : Handbuch der vergleichenden Physiologie. Jena 1912 bis 1914. 75. YuNG et Garnault: Recherches anatomiques et histologiques sur le Cyclo- stoma elegans. Act. Soc. Ginn. Bordeaux. 1887. 76. YuNG, E. : Anatomie et malformations du grand tentacule de l'Escargot. Revue Suisse de Zool. et Ann. Mus. Geneve. Bd. 19, 1911. Erklärung der Abkürzungen. a., Ansatzstelle des M. flexor am Knor- a.b., Arteria pharyngis; pel (Fig. 12); a.j)., Ai-teria pedalis; A.IL, Atemhöhle; b., Muskelbündel zwischen den beiden a.l, äußere Lippen; Armen des M. iug. posterior (Fig. 4); Die Muskulatur von Helix pomatia L. 585 bi., bindegewebige Hülle, die die Ra- dulapapille umhüllt (Fig. 4); bin., Bindegewebe in der Pharynx- decke ; c, Cuticula; Ci, C2 und C3, Locomotionswellen im Schemader Schneckensohle(Fig, 42); coL, Columella; Diaphr., Diaphragma = Boden der Lungenhöhle; E, Epithel; ßi und 62» Wellenzwischenräume im Schema der Schneckensohle (Fig. 42 ) ; e.M., elastische Membran; E.S., Eingeweidesack (in Fig. 22 — 24: Stelle, wo er abgeschnitten ist); F.d. = F.dr., Fußdrüse; fl., M. flexor; g.a., Geschlechtsatrium; fj.h., Ganglion buccale; g.c, Ganglion cerebrale; gr.F., große EpitheKalte des Pharynx; i.l., innere Lippen; iug.ant., M. iugalis anterior; iug.post., M. iugalis posterior; K., Knorpel; KL, Kiefer; K.I., Kieferleiste; kl.F., kleine Epithelfalte des Pharynx; K.n., Knorpelnaht; L., Leiste des Eingeweidesacks; lac, Blutlacunen (Fußvenenstämme); lev.lab.exL, M. levator labii externi; lev.'phar., M. levator pharyngis; I.M., locomotorisches MitteKeld; 31., Mantel; m., Mund; m.a., Musculus anterior; m.c, M. circulares; m.d.tr., M. diagonales transversales; m.dv., M. dorsoventrales ; m.h., M. horizontalis ; m.l., M. longitudinales ; m. ö. , Älundöf f nu ng ; m.o.a., M. obliqui anteriores; m.o.p., M. obliqui posteriores; M. r. , Mantelrand ; m.r., Muskelring (Fig. 32); m.tang., M. tangentiales; m.tr., M. transversales; m.tr.ph., M. transversales pharyngis; od., Odontoblasten; oe., Oesophagus; pa., Papille der Radula; 2J.a., M. protractores anteriores; pa.i., M. jjapillaris inferior; pa.s., M. papillaris superior; p.dr.L, M. protractor dorsalis lateralis; pliar., Pharynx; p.l., M. protractores laterales; p.vn.i., M. protractores ventrales infe- riores ; p.vn.s., M. protractor ventralis supe- rior; P.Z., Papillenzapf en ; r., Radula; retr.a., M. retractor anterior; retr.c, Knorpelretractor ; retr.ext., M. retractor externus; retr.i., M. retractor internus; retr.p., M. retractor posterior; retr.ped., M. retractor pedis; retr.penis, M. retractor peius ; retr.phar., M. retractor pharyngis; rctr.t.mai., M. retractor tentaculi maio- ris; retr.t.min., M. retractor tentaculi mi- noris ; Bgm., Ringmuskelschicht; S., Seitenfeld; S.o., SEMPEEsche Organe; sp. , Au sf ührungsgang der Speicheldrüse ; tent.mai., Tentaculum malus; tent.min., Tentaculum minus; t.i., M. tensores inferiores; t.l., M. tensores laterales; t.l.i., M. tensores laterales inferiores; t.l.s., M. tensores laterales superiores: t.s.m., M. tensor superior medius; X , 2 sich kreuzende Muskelbändchen des M. retractor anterior (Fig. 21). Zeitsclirift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. Die Niere von Helix pomatia. Von Carl Freitag. (Aus dem Zoologischen Institut in Marburg.) Mit 31 Figuren im Text. Inhalt. g^.^^ Einleitung 586 I. Teil. Der Bau der Niere und ihrer Ausführungsgänge 587 1. Lage im Köri^er 587 2. Der Nierensack 592 3. Der Renopericardialkanal 600 4. Der innere Nierenporus 605 5. Der primäre Harnleiter 607 6. Der sekundäre Harnleiter 616 II. Teil. Die Physiologie des Nierensackepithels 622 1. Vorbemerkung 622 2. Die Aufnahme der Excrete aus dem Blut 625 3. Die Condensatiou der Harnstoffe in den Vaeuolen 633 4. Die Ausscheidung der Excrete 643 Literaturverzeichnis 647 Erklärung der Abkürzungen 648 Einleitung. Die vorliegende Arbeit schließt sich einer Keihe von Untersuchun- gen über Helix pomatia an, die im hiesigen Institut angestellt worden sind. Sie soll, unter Berücksichtigung der bisher über den Gegenstand erschienenen Veröffentlichungen, eine gleichmäßige Beschreibung sämt- licher Abschnitte des exkretorischen Apparates geben. Der Stoff wurde in zwei Teilen angeordnet. Der erste enthält eine Darstellung des Baues aller Abschnitte des Organes und bringt auch Angaben über die Funktion dieser Teile mit Ausnahme des Nieren- sacks. Diesem wichtigsten und voluminösesten Abschnitte des ex- Die Niere von Helix pomatia. 587 cretorischen Apparates soll in dem zweiten Teile eine ausführlichere Abhandlung gewidmet sein. Die Literatur über die Niere von Helix beschäftigt sich meist ein- gehender mit den im 2. Teil zu erörternden Fragen der Nephrocyten- tätigkeit. Der gröbere Bau des Organs wird meist nur kurz bei Gelegenheit besonderer Untersuchungen gestreift, so von Nüsslin, der dem Renopericardialkanal und von G-irod, der der Durchblutung sein besonderes Interesse zugewandt hat; speziell damit beschäftigt sich die kurze Arbeit Stiasnys: »Die Niere der Weinbergschnecke«. Die besonders für die histologischen und physiologischen Ver- hältnisse in Frage kommenden Abhandlungen sind, abgesehen von der alten Arbeit Meckels >> Mikrographie einiger Drüsenapparate der niederen Tiere« vom Jahre 3846, diejenigen von Schöpfe »Die Harn- kügelchen bei Wirbellosen und Wirbeltieren« von 1897 und ganz be- sonders die jüngste und eingehendste von Krahelska, die 1910 unter dem Titel »Über den Einfluß der Winterruhe auf den histologi- schen Bau einiger Landpulmonaten « erschienen ist. Die angewandten Untersuchungsmethoden sind je nach den zu beantwortenden Fragen verschieden. Zur Untersuchung des Baues wurden die Schnecken meist in ausgekochtem Wasser erstickt und dann entweder in diesem Zustand präpariert oder in toto in 10% Formol zur Wahrung der natürlichen Lagebeziehungen gehärtet. Die so prä- parierten Organe und Organteile wurden mit der Lupe oder Doppel- lupe untersucht. Für feinere morphologische Untersuchungen wurde die übliche Technik des Zerlegens in Schnitte angewandt. Als Konser- vierungsmittel bewährte sich Sublimat, als Färbemittel Hämatoxylin nach Heidenhain oder Del afield, als bestes Überführungsmittel war- mes Cedernöl. Die Methoden des zweiten Teils finden in dessen Vorbemerkung eine eingehendere Besprechung. I. Teil. Der Bau der Niere und ihrer Ausführungsgänge. 1. Lage im Körper. Nach dem Entfernen des Gehäuses hebt sich die unter der Schale gelegene, äußere oder dorsale Fläche der Niere durch ihre weißliche Färbung scharf von allen angrenzenden, dunkler gezeichneten Geweben des Schneckenkörpers ab. Sie bildet ein etwa rechtwinkliges, sphärisches Dreieck, das in der hinteren Hälfte des äußersten Schalenumgangs liegt und seinen spitzesten Winkel nach vorn kehrt. Die Hypotenuse dieses Dreiecks ist der Schalennaht zugewandt und läuft ihr in einigem .39* 588 Carl Freitag, Abstand parallel. Die kürzere Kathete bildet die Begrenzung nach hinten gegen die Leber, die längere weist eine starke Einbuchtung auf, in der man bei lebenden Tieren die Pulsationen des Herzens bemerken kann. Körperlich tritt uns das Organ erst entgegen, wenn wir eine Prä- paration vornehmen, wie sie Fig. 1 veranschaulicht. Es ist hier mit einer Schere dicht hinter dem Atemloch das Dach der Lungenhöhle durchstochen und dann von hier aus eine Schnittlinie nach hinten geführt, die das Lungendach längs seiner vorderen und linken Seite lostrennt. Am hinteren, linken Ende des Lungendaches biegt die Schnittlinie fast im rechten Winkel um und läuft auf die hintere, linke Ecke des Nierendreiecks los. Hier trifft sie auf die aus der Herzkammer austretende Körperarterie, welche zu durchschneiden ist. Von dieser Stelle ab ist es notwendig, eine doppelte Schnittlinie zu führen, von denen die eine parallel der hinteren kurzen Seite des Nierendreiecks über die Leber läuft und das die Leber bedeckende Epithel bis zur Schalennaht durchschneidet. Die andere durchtrennt in der Tiefe die Wand, die den hintersten Teil der Lungenhöhle von dem Eingeweide- sack scheidet. Gleichzeitig mit der Führung dieser letzten Schnitt- linien müssen noch vorsichtig zarte Bindegewebsfasern zwischen Leber und Niere durchschnitten werden. Durch die letzte Präparation ist ein ovales Stück des Eingeweidesackes freigelegt worden, das die Leber, den hindurchziehenden Darm und das Receptaculum seminis enthält, dem die Niere mit ihrer gleichfalls freigelegten und ebenso großen, ovalen, hinteren Fläche aufgesessen hatte. Man kann jetzt das gesamte Dach der Lungenhöhle mit der daranhängenden Niere nach rechts hinüberklappen und hat das Bild vor sich, das Fig. 1 zeigt und das uns volle Klarheit über die Lagebeziehungen des Excretionsorgans zu den angrenzenden Körperteilen verschafft: Die Niere liegt als ein gelbUchweiß gefärbter Sack, dessen Form man am besten mit einem nicht ganz spitzen Kegel vergleichen kann, im hinteren Teil der Lungenhöhle und hängt, mit ihrer dorsalen Fläche am Lungendach befestigt, frei in diese herab. Die Basis des etwas flachgedrückten Kegels ist die schon erwähnte, ovale, hintere Fläche, mit der die Niere, der Leber und dem Darm aufsitzend, den Abschluß der Lungenhöhle gegen den Eingeweidekomplex bildet. Eechts an der Niere entlang läuft das spindelförmige, durch- sichtige Pericard und buchtet sich mit seinem breiten, mittleren Teil tief gegen sie ein. Nach vorn geht das Pericard, bzw. die Herzvorkammer in die Lungenvene über, die das gesamte Blut der Lunge und Niere auf- nimmt und dem Herzen zuführt. Niere und Pericard zusammen teilen Die Niere von Helis pomatia. 589 den hinteren Teil des Lungendaches in zwei Divertikel. Der eine liegt von der Niere aus betrachtet jenseits des Pericards; er enthält nur rec.se —z \9 / \ \ . ^ IV. 'Id. le pu. M "pe. nö. Fig. 1. Schnecke mit lo.-;setrenntem und aufgeklapptem Lungendach, Vergr. etwa 2 x . al, Atemloch; d, Darm; ed., Enddarm; hl; Herzkammer; Jtv, Herzvorkammer; Z(Z, Lungendach ;';e, Leber; Ihb, Lungenhöhlenboden; Zy, Lungenvene; «s, Nierensack; ?)e,!Pericard; p.u, primärer Ureter; rec.se, Eeceptaculura seminis; s.u, sekundärer Ureter. {Buchstabenverzeichnis s. S. 648 u. 049.) 590 Carl Freitag, wenige Gefäße, die infolge ihrer geringen Stärke nicht, oder nur wenio- aus dem Lungendach heraustreten, so daß dieses hier ein glattes Aus- sehen bekommt. Der andere ist dem Enddarm zugewandt, der hier im Grunde der Lungenhöhle aus dem Eingeweideknäuel heraustritt und, am Lungendach befestigt, zum Atemloch hinzieht. Dieser Diver- tikel macht einen großen Teil der respiratorischen Fläche der Lunge aus und zeigt sehr schön die Lungengefäßverästelungen. Es wechselt stets ein, von der Seite des Rectums herkommendes und zur Lunge hinführendes Gefäß mit einem aus der Lunge abführenden ab. Den abführenden stellt sich auf ihrem Wege zur Lungenvene die Niere ihrer ganzen Länge nach entgegen und empfängt aus ihnen das zu reinigende Blut. (Man vgl. hierzu auch die von G. Schmidt für das Blutgefäß- system von Helix gegebene Darstellung und seine Übersichtsbilder Fig. 3, 4 und 16, Zsitschr. f. wiss. Zool., CXV. Bd. 1915.) Bei aufmerksamer Beobachtung läßt sich schon an der äußeren Wandstruktur erkennen, daß der Kegel, den wir bisher kurzweg als Niere bezeichnet haben, kein einheitliches Organ vorstellt, sondern durch eine etwas zackige Linie, die dem nach der Seite des Kectums liegenden Kegelrande parallel läuft, der Länge nach in zwei Teile zerlegt wird (Fig. 1 u. 3). Der nach dem Pericard zu gelegene, voluminösere Teil ist der Nierensack oder die Nierenkammer (Fig. 3, ws). Er ent- hält allein die charakteristischen, kristallinischen Harnconcremente, die dem gesamten Organ die gelblichweiße Färbung verleihen. Der andere am Nierensack entlang ziehende Teil ist der primäre Ureter (Fig, 3, fu). Seine Wandung ist durchscheinend, mit einer netzartigen Zeichnung versehen und verdeckt etwas die weiße Farbe des Nieren- sackes. Der Anteil des primären Ureters am Gesamtvolumen des Kegels ist nicht so groß, als man nach der Betrachtung der ventralen Kegelwand annehmen sollte. Auf einem Querschnitt durch den Kegel (Fig. 2) zeigt sich, daß der primäre Ureter {-pu.) den Nierensack {ns.) sichelförmig umgreift, so daß die ventrale Spitze der Sichel oft weit auf die ventrale Seite des Nierensackes vorspringt. Diese Form eines Rohres von sichelartigem Querschnitt behält der primäre Harnleiter auf seinem ganzen Verlaufe bei. Im hinteren Bereiche des Kegels schlägt er sich nur etwas mehr dorsalwärts, so daß er zum größten Teil vom Nierensack verdeckt wird. An der hinteren, dem Rectum zugewandten Nierenecke biegt der primäre Harnleiter im Winkel von 180° um und geht in den am Rectum entlang laufenden secundären über (Fig. 1 u. 3, s.u.). In normaler Lage, bei nicht aufgeklapptem Lungendach, muß er sich an der Um- Die Niere von Helix pomatia. 591 biegungssteile über den Enddarm hinüberschlagen. Er findet dann in seinem weiteren Verlauf zwischen dem Lungendach und dem End- darm Platz, wie aus Fig. 2 zu ersehen ist, und zieht in dieser Lage bis zum Atemloch, um hier in einer noch später zu. besprechenden Weise auszumünden. Die Bezeichnungen secundärer und primärer Ureter sind die am meisten gebräuchlichen; sie sind von Behme entwicklungsgeschichtlich begründet. Behme wies nach, daß der primäre Harnleiter schon sehr früh, gleichzeitig mit dem Nierensack angelegt wird. Der sekundäre bildet sich dagegen erst viel später durch allmählichen Verschluß einer am Darm verlaufenden offenen Harnrinne. Ebenso berechtigt PU Ig Fig. 2. Querschnitt durch die vordere Hälfte der Niere und durch die Ausführgänge, hlg, Blutgefäße; lg, Lungengefäß; Ih, Lungenhöhle; ms/, Nierensackfalten ; nsl, Nierensacklumen ; rv, Randvene. Im übrigen wie Fig. 1, und Buchstabenverzeichnis S. 648 u. 649. Vergr. 10 x . sind die Ausdrücke rücklaufender und vorlaufender Schenkel, die sich gleichfalls in der Literatur finden, v. Jhering nannte den, am Nieren- sack verlaufenden Schenkel »Nebenniere* und reservierte für den am Darm verlaufenden den Ausdruck » Harnleiter <<. Semper be- zeichnete den letzteren als »Darmharnleiter«. Der Querschnitt (Fig. 2) im Verein mit den körperlichen Zeich- nungen 1 oder 3 läßt die Bedeutung der bisher besprochenen Lage- beziehungen für das Excretionsorgan mit seinen ausführenden Kanälen erkennen: Die Randvene (ru., Fig. 2) führt das venöse Blut, das aus dem Eingeweidekomplex kommt und bestimmt ist, in der Lunge und Niere verarbeitet zu werden. Um aus der Randvene in den zwischen Enddarm und Niere gelegenen Lungendivertikel zu gelangen, muß das 592 Carl Freitag, Blut den sekundären Harnleiter passieren. Nachdem es sich in den Capillaren der zuführenden Lungengefäße verteilt hat und arteriell gemacht worden ist, nachdem es sich dann wieder in den abführenden Gefäßen des Lungendivertikels gesammelt hat, stellt sich ihm auf seinem weiteren Weg zur Niere und Pulmonalvene auch der sekundäre Harnleiter seiner ganzen Länge nach entgegen; auch er muß passiert werden. Für die Niere ist diese Blutversorgung von vornherein ver- ständlich; sie erhält dadurch das zu reinigende Blut. Jedoch auch für das Verständnis des Baues und der Physiologie der beiden Harnleiter ist dieses Passieren nicht ohne Bedeutung, und es wird bei der ge- naueren Betrachtung dieser Kanälchen darauf zurückzukommen sein. 2. Der Nierensack. Auf Querschnitten durch den Nierensack lassen sich, wie sich ja aus den besprochenen Lagebeziehungen von selbst ergibt, vier gut ausgeprägte Wände erkennen: die dorsale gegen die Schale gelegene, die ventrale gegen die Lungenhöhle und die beiden seitlichen gegen den Harnleiter und das Pericard, bzw. die Pulmonalvene. Seine hintere Wand ist jene ovale Fläche, die dem Eingeweidesack auf Hegt. Diese hintere Fläche stellt nur eine dünne Membran dar, die wie ein Deckel dem Nierensack hinten aufsitzt und deshalb auch als »Nierendeckel << bezeichnet worden ist. Schneidet man diesen ovalen Deckel längs seines Randes los, so kann man ihn, da er nur mit diesem Rand verwachsen ist, nach unten klappen und, wie es Fig. 3 gestattet, in den hinteren Teil des Nierensackes, wie in eine Trichteröffnung, hineinsehen. Rings von den Seiten dieser Öffnung springen Lamellen, die Drüsen- substanz vorstellend, gegen die Mitte vor und lassen nur ein schmales spaltförmiges Lumen frei, das nicht genau centrisch liegt, sondern nach der Pericardseite hin verschoben ist. Der Eindruck eines Trichters befestigt sich in uns bei Betrachtung eines sagittalen Längsschnittes durch den Nierensack (Fig. 4). Der im Trichtereingang verhältnismäßig mächtige Lamellenbesatz der ventralen Nierensackfläche nimmt schnell nach vorn an Höhe ab, das Nierensacklumen rückt infolgedessen immer mehr auf die ventrale Fläche. Durch die Abnahme ihres Lamellen- besatzes erfährt die ventrale Wand des Nierensackes beim Übergang aus dem hinteren in das mittlere Drittel eine Einknickung. Diese ist da gelegen, wo die Pericardialbucht am weitesten auf die ventrale Nierenfläche vorspringt und sich anschickt, in den Renopericardial- gang überzugehen. Von dieser Stelle ab nach vorn ist die Ventral- fläche gleichmäßig von einem nur hin und wieder eine Falte bildenden Die Niere von Helix pomatia. 593 Drüsenepithel bekleidet; das Nierensacklumen zieht dicht über der ventralen Wand nach vorn und stößt an der vorderen Spitze des Nieren- sacks auf den Nierenporus, der die Kommunikation mit dem Anfangs- ed- I- .SU dFlg ^rc^TT^Tf; - '^^'^''n%%\ 1 r^r- ^.Y».. «---V //. p.u -nsF Fig. 3. Die Niere bei stärkerer Vergrößerung von der ventralen Seite gesellen. Der Xierensackdeckel und ein Stück der vorderen ventralen jS^ierensackwand sind aufpräpariert, ebenso die ventrale Peri- cardialwand. Vergr. etwa 5 x . af.lg, abführendes Lungengefäß; nsd, Nierensackdeckel; rylc, Reno- pericardialkanal; zf.lg, zuführendes Lungengefäß. Im übrigen wie in Fig. 1 u. 2 und^Buchstaben- verzeichnis S. 648 u. 649. 594 Carl Freitag, teil des primären Harnleiters herstellt. Nach alledem ist der Nieren- sack als ein Trichter zu bezeichnen, der mit seiner Mündung dem vor- gelagerten Anfangsteil des primären Ureters aufsitzt. Gegen das Lumen ist der Nierensack durchgehends von dem homocellulären, cilienlosen, secretorischen Epithel ausgekleidet. Er unterscheidet sich dadurch von dem der Monotokardier, bei denen nach Perrier eine Differenzierung eingetreten ist in cilienlose, excre- Die Niere von Helix pomatia. 595 torische Elemente und cilientragende, die mit der Excretion nichts zu tun haben, sondern nur der Beförderung der ausgeschiedenen Excrete gegen das Ureterlumen dienen. Daraus geht hervor, daß bei den Pul- monaten diese Beförderung in anderer Weise bewerkstelligt werden muß. Die Nephrocyten von Helix haben Cylindergestalt, einen basalen Zellkern und eine distale Vacuole, in der die Harnconcremente gebildet werden. Wenn sie fertiggestellt sind, werden sie periodenweise durch Platzen der Vacuolenwand in das Nierensacklumen entleert. Der Physiologie der Nephrocyte soll eine ausführlichere Darstellung in einem besonderen Kapitel ge- widmet w^erden. Mit ihrer Basis sitzen die Nephrocyten einer mehr oder weniger dünnen Basalmembran auf, die bindegewebiger Natur ist (Fig. 24, &m.), wie aus den, zuweilen darin nachweisbaren, kleinen Kernen und ihrer Blau- färbung durch MalloryscIic Lö- sung geschlossen werden kann. Bei der fortschreitenden Einfal- tung des Nierenepithels drin- gen diese bindegewebigen Ele- mente mit in die Lamellen hin- ein und bilden ihre Stützleisten (Fig.5,S/Z.). Der zwischen ihnen Querschnitt durch drei uebeneinanderstehencle ^ P ' Is lerensackfalten der Pencardialwand. afng, ab- frei bleibende lacunöse Raum fülireades Nierengefäß ;&?, Bindegewebe ;nfl',Nieren- Steht dem Blut zur Verfügung, gefäß; pe.Pericardialepithel;s« stützleiste; 3A^^^ ° P zuführendes Nierengefaß, Vergr. 80 x . Dieser Raum ist zumeist ein außerordentlich enger Spalt; so eng, daß Amöbocyten, wenn sie sich hindurchzwängen, eine lange spindelförmige Gestalt anzunehmen pflegen. Nur an einigen Stellen innerhalb der Lamellen weichen die Basalmembranen weiter auseinander und lassen so Lacunen zwischen sich entstehen, in denen das Blut leichter zirkulieren kann (Fig. 5). Regelmäßig finden sich derartig erweiterte Lacunen in den Falten da, wo sie sich von der Wand, der sie aufsitzen, entfernen und ferner in den Faltenscheiteln. Fig. 5 zeigt einige Falten der Pericardialwand im Querschnitt. Die der Wand angelegene Lacune hat auf diesen Schnit- ten stets ein dreieckiges Lumen. Girod, der die Helixniere mit ver- -sti. 596 Carl Freitag, schiedenen Farbstoffen injizierte, stellte fest, daß diese dreieckigen Räume die letzten Endigungen der zur Niere hinführenden Blutbahnen darstellen. Die Faltenscheitel enthalten Lacunen von mehr rund- lichem Querschnitt; diese sind, gleichfalls nach Girod, die Endzweige der abführenden Stämme. Das zu reinigende Blut muß demnach auf seinem "Wege von der Basis zum Scheitel einer Lamelle langsam durch den engen centralen Spalt hindurchsickern und ist dabei der Tätigkeit der Nephrocyten ausgesetzt. Außerdem sind erweiterte Lacunen noch regelmäßig an Verzweigungsstellen von Falten zu finden. Diese können mae Fig. 6. Querschnitt durch ein Stück der dorsalen jS'ierensaclif lache mit ansitzenden Nierensackfalten. Vergr. 80 x . hg, Bindegewebe; hgj, Bindegewebsfaser; 6^s<)-, Bindegewebsstrang; mae, Mantel- epithel; nsf, Nierensackfaltc. natürlich, ebenso wie die, an beliebigen Stellen des centralen Lamellen- spaltes sich findenden, sowohl zuführender wie abführender Natur sein. Wie schon erwähnt wurde, haben die einzelnen Nierensackwände einen ganz verschieden starken Lamellenbesatz. Den bei Aveitem mächtigsten weist die dorsale, unter der Schale gelegene, auf. Die Falten hängen von ihr oft bis auf die ventrale Wand herab. Die dorsale Wand dient jedoch nicht nur als Träger dieses Drüsenbelags, sie gibt auch für die Befestigung des primären Ureters und teilweise auch des Pericards die Grundlage ab. Dieser Aufgabe ist sie durch eine, unter dem dorsalen Epithel hinziehende, dicke und kontinuierliche Binde- gewebsschicht angepaßt, die zahlreiche contractile und elastische Fasern enthält. Diese Fasern sind sämtlich in einer Richtung orientiert und Die Niere von Helix pomatia. 597 werden nur auf Nierenquerschnitten längs getroffen. Aus dieser Binde- gewebsschicht nehmen Fäserchen ihren Ursprung, an denen die Drüsen- lamellen mit ihrer Basis aufgehängt sind. Außerdem entspringen aus ihr noch dicke Bindegewebsstränge (Fig. 6), die innerhalb einzelner Lamellen verlaufen und sozusagen das Skelett für die Befestigung des Organes bilden. Wenn man die locker befestigte Drüsensubstanz mit einem Pinsel von den Wänden abbürstet, so bleiben diese dicken Stränge allein zurück und hängen wie Taue in die leere Nierensackhöhlung von der dorsalen Wand herab. Mit ihren Enden setzen diese herabhängenden Taue sehr häufig an den Wänden des Pericards und des primären Harnleiters an und befestigen so diese Organe am Lungendach. Fig. 14 u. 17 zeigen den Ansatz solcher Stränge am Epithel des primären Ureters. An jeder Ansatzstelle ist das Harnleiterepithel gegen die Niere eingebuchtet und zeigt dadurch an, daß ein Zug hier ausgeübt wird. Das dorsale Epithel im Bereich der Niere ist das gleiche, welches das Lungendach längs seiner gesamten Ausdehnung gegen die Schale hin überzieht. Es liegt der Schale durch Adhäsion an, ist jedoch be- fähigt, unter ihr, innerhalb gewisser Grenzen, dahinzugleiten. So kommt es, daß auch die Niere unter der Schale ihren Ort verändern kann. Sie gleitet zuweilen aus der äußersten Schalenwindung in den Anfang der zweiten hinüber. Man kann sich hiervon leicht überzeugen, wenn man die Schale durch Behandlung mit Salpetersäure durch- sichtig macht. In der Bindegewebsschicht unter dem dorsalen Epithel finden sich auch zumeist pigmentführende Zellen, bald in geringerer, bald in größerer Anzahl. Sie verleihen der, durch den Inhalt an Harnconcrementen verursachten, weißen Farbe der Nierenaußenseite einen grauen Unter- ton. Zuweilen drängen sich die Pigmentzellen an einzelnen Stellen zusammen; dann erscheint die Niere gefleckt. Die ventrale Nierensackwand hat, wie schon bemerkt wurde, in ihrem hinteren Bereich einen verhältnismäßig starken, in ihrem vor- deren einen sehr spärlichen Lamellenbesatz. Fig. 7 zeigt ein Stück eines Längsschnittes durch diesen vorderen Bereich. Das, die Be- grenzung gegen die Lungenhöhle bildende Epithel ist ein sehr flaches Plattenepithel. Es überzieht nach den Seiten hin kontinuierlich den primären Ureter und das Pericard und geht dann in das, den Gas- austausch vollziehende Lungenepithel über. Das secretorische Epithel ist auch hier durch einzelne Bindegewebsfäserchen an dem Platten- epithel befestigt. Dem Blut stehen zwischen den beiden Epithelien 598 Carl Freitag, zusammenhängende, ziemlich mächtige Eäume zur Circulation zur Verfügung. Das, die contractilen Fasern enthaltende Bindegewebe ist nicht, wie auf der dorsalen Fläche in einer kontinuierlichen Schicht angeordnet, sondern bildet einzelne Stränge. Diese sind auch hier in öFng. nsf. 9- m. Fig. 7. Längsschnitt durch ein Stiiclc der vorderen ventralen Nierensackfläche mit spärlichem Faltenbesatz. Ml, Blutlacune; llie, Liingenhöhlenopithel; nse, Nierensackepithel; q.m, quergeschnittene Musku- latur. Im übrigen Buchstabenverzeichnis S. 648 u. 649. Vergr. 80 x . einer Richtung und zwar in der Querrichtung orientiert und deshalb auf diesem Längsschnitt quer getroffen. An den seitlichen Wänden der Pericardialwand und der primären Ureterwand ziehen diese Stränge hinauf und gehen in den dorsalen, vorher beschriebenen Bindegewebs- i^ÄL:iÄMÄL ^'^X' de. sz. Fig. 8. Schnitt durch den Nierensackdeckel mit glattem Epithelüberzug. hg, Bindegewebe; de, Darm- cpithel; nse, Nierensackepithel; sz, Schleimzellc. Vergr. 295 x . belag über. Es kommt auf diese Weise zur Bildung geschlossener, um den Nierensack rings herumlaufender Ringe, die contractile Elemente enthalten und das Nierensacklumen verengern und erweitern können. Es ist, da im Nierensack Flimmerzellen fehlen, anzunehmen, daß durch diese Ringe der Transport der breiigen Harnmassen gegen den inneren Nierenporus hin bcwerksteUigt wird. Die Niere von Helix pomatia. 599 Die seitlichen, pericardialen und uretralen Wände des Nierensackes weisen einen Lamellenbesatz auf, der einen allmählichen Übergang von dem dorsalen hohen zu dem ventralen niederen vollzieht. Die hintere ovale Wand des Nierensacks, der sogenannte Nieren- deckel, wird ganz glatt, ohne jede Faltenbildung, von dem secretorischen Epithel überzogen. Fig. 8 zeigt den, dem Darm anliegenden Teil dieses Deckels im Schnitt. Zwischen Darmepithel und secretorischem Epithel befindet sich nur eine Schicht von teils faserigem, teils blasigem Binde- gewebe. Das, was wir als Deckel bei der makroskopischen Präparation bezeichnet haben, wäre dem- nach secretorisches Epithel + Bindegewebsschicht. Der »Nie- rendeckel« stellt somit wohl einen Abschluß des Nierensack- lumens, nicht jedoch der Blut- bahnen des Nierensackes gegen den Eingeweideknäuel her. Es ist dies deshalb von besonderem Interesse, weil daraus hervor- geht, daß Blut, das im Einge- weidesack circuHert und noch nicht die Lunge passiert hat und arteriell gemacht worden ist, zur Nierenexcretion heran- gezogen werden kann. Von den Richtungen der Drüsenlamellen läßt sich im großen und ganzen die Längs- richtung (im Hinblick auf den Nierensack) als die vorherrschende festlegen. Besonders die frei in das Lumen vorragenden Scheitel der Lamellen folgen dieser Richtung und tragen dadurch wohl dazu bei, den Harnconcrementen den Weg zum Nierenporus zu weisen. Fertigt man jedoch Schnitte an, die der dor- salen Wand in einigem Abstand parallel laufen und deshalb die dorsalen Lamellen im Grundriß zeigen (Fig. 9), so läßt sich an ihnen sehen, daß die Längsrichtung infolge der zahlreichen Queranastomosen sehr ver- wischt sein kann. Der Pfeil deutet in der Figur die Längsrichtung des Nierensacks an. In dem vordersten Teil des Nierensacks konvergieren die Lamellen gegen den Nierenporus hin (Fig. 3). Außer mit dem Harnleiter steht der Nierensack durch den Reno- Fig. 9. Lamellenbesatz der dorsalen Nierensackwand im Grundriß. Schnitt durch das Drüsengewebe parallel der dorsalen Nierensackwand, Vergr. 80 x . ng, Xierengefäß; nsf, Xierensackfalte ; 7isl, Xierensack- lumen. 600 Carl Freitag, pericardialkanal in Verbindung mit dem Pericard. Diesem sei zuerst unsere Aufmerksamkeit zugelenkt. 3. Der Renopericardialkanal. Bei scharfem Hinsehen ist das Kanälchen mit bloßem Auge sicht- bar. Es liegt als ein weißes Hörnchen auf der ventralen Nierenfläche, da, wo die Pericardialbucht am tiefsten gegen die Niere vorspringt (Fig. 3). Die Richtung des Kanälchens ist nicht genau senkrecht zur Längsachse des Nierensackes, sondern bildet mit der Senkrechten mae Ihe. nsl. rpk. Fig. 10. Schnitt durch das Pericard, den Renopericardialkanal und den angrenzenden Teil des Kierensacks. Der Renopericardialkanal ist sagittal der Länge nach getroffen, Vergr. 16 x , hk, Herzkammer; Ihe, Lungcnhöhlenepithel; mae, Mantelepithel; nsl, Nierensacklumen; pe, Pericard; rpk, Renoperi- cardialkanal, Vergr. 16 x . einen Winkel von etwa 30° nach hinten. Daraus folgt, daß es sowohl auf Längs- wie Querschnitten immer schräg getroffen wird. Fig. 10 zeigt den Gang der Länge nach getroffen mit den natürlichen Größen- verhältnissen zu Pericard und Niere. Die Pericardialbucht spitzt sich ganz allmählich zu und greift an dieser Stelle weit auf die ventrale Nierenfläche hinüber. Die Weite des Ganges ist im Vergleich zu Niere und Pericard als eine sehr geringe zu bezeichnen. Auf der Nierenseite mündet der Kanal in dem Faltenbesatz der ventralen Wand, der an dieser Stelle, wie schon erwähnt war, einen Übergangszustand aufweist Die Niere von Helis pomatia. 601 von dem hohen hinteren zu dem spärlichen vorderen Belag der ventralen Nierensackf lache. II 2 [^ -2 ~ oJ ■3 s i c3 S, o ^ 2 61) O 5 13 tu ."S vi o Das Epithel des Kanälchens (Fig. 11) ist ein hochcylindrisches mit dichtem homogenem Plasma und basal- bis mittelständigen Kernen. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 40 602 Carl Freitag, An der Oberfläche trägt es einen gleichmäßigen, starken Flimmerbesatz. Die Richtung der Flimmern weist nach dem Nierenlumen hin. Das pericardiale Plattenepithel geht mit wenigen, höher werdenden, noch flimmerlosen Zellen in das typische Epithel des Ganges über. Das Kanälchen ist seiner ganzen Länge nach von fast gleicher Weite. Die Mündung in das Nierenlumen liegt im Grunde zwischen zwei Falten; das Gangepithel macht dem secretorischen ohne jeden Übergang Platz. Auf der unteren Gangseite reicht das flimmernde Epithel weiter renal- wärts und biegt etwas nach oben um. Die Gangmündung zeigt infolge- dessen nach oben. Der Querschnitt des Kanälchens (Fig. 12) ist flach oval. Bei Kg. 12. Querschnitt durch den mittleren Teil des Renopericardialkanals und den Eeualuervcn, Vergr. 141x . Bezeichnung wie Fig. 11. einer ausgewachsenen »Schnecke maß ich das Lumen des Ganges in horizontaler Richtung zu 300 /<, in vertikaler zu etwa 30 /<. Der Renopericardialgang ist in dem Bindegewebe der ventralen Nierenwand zwischen dem Platten- und dem secretorischen Epithel eingebettet. In diesem Bindegewebe, entweder direkt am Gang oder in seiner nächsten Umgebung, trifft man stets den Renalnerven (Fig. 11 u. 12, n.r.) an. Auf Gangquerschnitten ist er fast quer, auf Längsschnitten schräg oder längs getroffen. Dieser Nerv entstammt dem Eingeweideganglion und tritt am >> Nierendeckel«, von der Leber herkommend, in die Niere über. Er zieht dann unter dem ventralen Plasmaepithel als eine mit bloßem Auge sichtbare, dünne, weiße Linie dahin und schlägt sich stets zum Die ]^iere von Helix pomatia. 603 Renopericardialkanal. Diesen kreuzt er auf seiner Unterseite und verläuft dann weiterhin an der Grenze zwischen Pericard und Nieren- sack, sich in zahlreiche Äste aufteilend, die sowohl das Pericard als die ventrale Nierensackwand versorgen. An nervösen Elementen findet man außer diesen peripheren Nerven im Bereich der Drüse nur noch isolierte Ganglienzellen. Auch diese sind in dem Bindegewebe der Wände gelegen; in die Drüsenfalten sah ich sie nie eindringen. Der Renopericardialkanal wurde bei Helix fomatia, und damit bei den Pulmonaten überhaupt, zum erstenmal 1879 von Nüsslin nachgewiesen. Er hat sich dann bei näherer Untersuchung bei allen Pulmonaten finden lassen. 8ein, allen Mollusken gemeinsames Vor- kommen weist schon von vornherein auf seine große Bedeutung sowohl in entwicklungsgeschichtlicher als auch physiologischer Hinsicht hin und hat wohl am meisten dazu beigetragen, die heute allgemein an- erkannte Ansicht zu befestigen, daß das Pericard das echte Cölom der Mollusken vorstelle. Die große funktionelle Bedeutung jedoch, die man dem Pericard als ausscheidendes Organ und dem Renopericardialgang als Ableitungs- kanal dieser Ausscheidungen bei allen übrigen Mollusken zusprechen nuiß, besitzt er bei den Pulmonaten nicht mehr. Das geht schon aus dem Fehlen einer Pericardialdrüse und aus der verhältnismäßigen Enge des Ganges hervor. Bei den Cephalopoden sind diese Drüsenbildungcn im Pericard unter dem Namen »Kiemenanhänge« schon von jeher bekannt, sie konnten hier infolge ihrer Größe sich nicht den Augen der Untersucher verbergen. Auch ihre allgemeine Verbreitung bei den Lamellibran- chiern ist schon früh durch Grobben nachgewiesen. 1890 beschrieb sie dann Grobben bei einer großen Reihe von Prosobranchiern und Opisthobranchiern. Es sind hier Falten-, Lappen- und Fransenbildun- gen, die in bezug auf Lage und Aussehen ein wechselndes Verhalten zeigen. Bei den Prosobranchiern sitzen sie dem Vorhof, bei den Opistho- branchiern bald dem Vorhof, bald den Pericardialwänden und bald den Aortenursprüngen an. Hieraus schloß Grobben, daß sie wohl nicht als homologe Gebilde aufzufassen sind, sondern sich bei den einzelnen Formen unabhängig voneinander, je nach dem Ausscheidungsbedürfnis entwickelt haben. 1907 beschrieb Rolle eine Pericardialdrüse am Vorhof von Lymnäus stagnalis. Dieser Basommatophor setzt sich da- durch in Gegensatz zu allen übrigen Pulmonaten, bei denen keinerlei Einfaltungen des Pericardialepithels mehr nachgewiesen wurden. 40* 604 Carl Freitag, Nach den Beschreibungen Grobbens und Eolles werden die Pericardialdrüsen der Gastropoden mit wenigen Ausnahmen von dem- selben Plattenepithel überzogen, das das Pericard ringsherum aus- kleidet. Man muß daher diesem Plattenepithel excretorische Funktion zusprechen, obwohl sie in der Zellgestalt nicht zum Ausdruck kommt, und es verursacht keine Schwierigkeiten, auch dem nicht faltenbilden- den Pericardialepithel bei Helix eine gleiche Fähigkeit zuzuerkennen. Grobben erinnert mit Recht in dieser Beziehung an das plattenförmige Epithel in den Glomerulis der Wirbeltierniere; auch in denEndsäckchen der Excretionsorgane von Crustaceen, Peripatus und Arachnoiden ist ja ein Epithel von plattenförmiger Gestalt die Regel. Als Abscheidungsprodukte des Pericardialdrüsenepithels kommen nach den Ansichten Grobbens und Rolles nur Wasser oder wässrige Lösungen in Betracht. Grobben glaubt, daß die flache Gestalt der Zellen einer Abscheidung von Flüssigkeit günstig sei und daß sie in ihrer Tätigkeit durch den Wimpertrichter unterstützt würden, der einen kräftigen Strom zu erzeugen imstande sei und deshalb stark an- saugend auf die Pericardialflüssigkeit wirke. Nach Rolle spielt bei dem Abscheidungsprozeß Diffusion mit; dem Plattenepithel kommt gewissermaßen nur die Rolle einer semipermeablen Membran zu. Diese Ansicht ist jedoch zurückzuweisen, da Diffusion nur dort wirken kann, wo ein Concentrationsgefälle vorhanden ist; man muß diesen Zellen trotz ihrer Plattengestalt wirkliche excretorische Tätigkeit, verbunden mit Arbeitsaufwand zusprechen. Das Pericard bei Helix ist mit einer Flüssigkeit angefüllt, die, unter dem Mikroskop betrachtet, keine festen Bestandteile erkennen läßt. Der ausführende Strom ist, wie es ja die renalwärts gerichteten Cilien von vornherein vermuten lassen, ein starker. Das kann man leicht durch physiologische Injektion von Farbstoff lösungen in das Pericard feststellen. Die Farbe erscheint sogleich im Nierensack und Harnleiter, und nach wenigen Minuten enthält der Herzbeutel über- haupt keinen Farbstoff mehr. Für eine immerhin noch lebhafte Ausscheidungstätigkeit scheint mir auch die reiche Blutversorgung der Pericardialwand zu sprechen. Sowohl unter dem, dem Herzbeutellumen zugekehrten, pericardialen Plattenepithel, als auch unter dem, die Lungenhöhle begrenzenden, äußeren Plattenepithel der Pericardialwand befindet sich eine Binde- gewebsschicht, welche die kreuz und quer verlaufenden, elastischen Fasern enthält, die der Herzbeutelwand eine gewisse Dehnungsfähig- keit verleihen. Zwischen diesen beiden Bindegewebsschichten bleibt Die Niere von Helix pomatia, 605 ein einziger, großer, lacunärer Kaum für das Blut frei, der nur hin und wieder von dünnen Bindegewebsfasern durchsetzt wird (Fig. 11). 4. Der innere Nierenporus. Die zweite Öffnung, die aus dem Nierensackkimen nach außen und zwar, wie schon erwähnt war, in den Anfangsteil des primären Ureters führt, ist der innere Nierenporus; als »innerer« im Gegensatz zum »äußeren« bezeichnet, der die Ausmündung des sekundären Harn- leiters in das Atemloch vorstellt. Am besten kann man makroskopisch die Mündungsstelle zu Gesicht bekommen, wenn man bei mit Formol angehärteten Nieren die dem Nierensaclv nach vorn aufsitzende Harn- ,p.ul. lg- --ns. Fig. 13. Die Spitze des Nierensackkegels mit dem inneren Nierenporus nach Entfernung der vorgelagerten Harnleiterkappe von vorn gesehen. ///, Flimmerfeld; i.np. Innerer Nierenporus; lg, Lungengefäße; Iv, LuDgenvene; nv, Netzpolster (Faltenbesatz der Wände des pr. Ur.); ns, Nierensack; v-ul, Lumen des pr. Ureters, Yergr. 16 x . leiterkappe durch einen Querschnitt entfernt (Fig. 13). Man kann dann gegen die Spitze des Nierensackes blicken und entdeckt bald den Porus als ein kleines, rundes bis ovales, auf einer niedrigen Papille gelegenes Loch. Fig. 14 und 15 zeigen das kurze Kanälchen {i.np.) auf sagittalem Längsschnitt, Fig. 14 bei schwächerer, Fig. 15 bei stärkerer Vergröße- rung. Die Scheidewand, die Nierensack und Harnleiterkappe von- einander trennt, ist an der Stelle, wo sie durchbrochen wird, stark ver- dickt. Sowohl Länge wie Weite des Verbindungsganges sind starken Schwankungen unterworfen. Diese werden vornehmlich durch eine Blutlacune (Fig. 14, bll.) verursacht, die in dem dichten Bindegewebe 606 Carl Freitag, der Scheidewand gelegen ist und das Kanälchen ringförmig umschließt. Bei praller Füllung dieser Lacune ist das Lumen des Porus länger und enger, seine Wandungen sind glatt (Fig. 14), bei vollständig blutleerem Zustand dagegen legt sich die Wandung des Kanälchens in Falten, sein Lumen wird bedeutend kürzer und breiter; man kann dann mehr von einem Loch als von einem Gang reden (Fig. 15), so daß der Ausdruck >> Porus« ganz angemessen erscheint. bll. q. m. Fig. u. Sagittaler Lcängsschnitt durch den vorderen Teil des Nierensacks, den inneren Nierenporus und die vorgelagerte Harnleiterkap])e. hlg, Blutgefäß; hll, Blutlacune; ///, Flimmerf eld ; i.np, innerer Nieren- porus; i.npe. Epithel d. inn. Nierenporus; Id, Lungendach; Ihe, Epithel der Lungenhöhle; mite, Mantelepithel; «p, Netzpolster; nsj, Nierensackfalte; nsl, Niercnsacklumen; vmI, Lumen d. pr. Ureters; q.m, quergeschnittene Muskulatur, Vergr. 16 x. Das Epithel des inneren Nierenporus ist ein flimmerloses, außer- ordentlich dichtes Deckepithel mit homogenem, stark färbbarem Plasma. Die Zellen haben kubische bis flachcylindrische Gestalt und lassen meist die seitlichen Wände nicht deutlich hervortreten. Ich kann demnach die Anoabe Stiasnys von einem »nichtdrüsigen, nicht flimmernden« Epithel unterstützen. Krahelska hat diese Angabe Stiasnys in Zweifel gezogen. Nach ihr trägt die Oberfläche des Kanäl- chens einen »kurzen, dichten Cilienbesatz, der nicht so schön ent- wickelt ist wie im Eenopericardialgang, aber doch ganz deutlich zum Die Niere von Helix pomatia. 607 i.npe: Vorschein kommt«; es liegt ferner nach ihr »vor der Einmündung in der ventralen Nierenfläche eine ziemlich lange Strecke flimmernden Epithels.« Beide Angaben entsprechen nicht den Tatsachen und die Beschreibung Krahelskas nicht ihrer Zeichnung, denn diese zeigt nur in der dem Harnleiter zu- liegenden Kanalhälfte einen dichten Flimmerbesatz, in der anderen sind nur einige, wenige Flimmern einge- zeichnet, die off enbar durch schlechte Konservierung vorgetäuscht sind. Der Übergang vom secretorischen Nierenepi- thel in das des Kanälchens ist ein auffallend plötz- licher und liegt noch im Nierensack, ein wenig vom Porus entfernt. Auf der Harnleiterseite geht das Gangepithel in ein Flimmerepithel über, das körperlich ein um den Nierenporus herumgelege- nes Flimmerfeld darstellt. Dieses Flimmerfeld gehört jedoch seiner Lage nach schon zum primären Ureter. hgz. Fig. 15. Sagittaler Längsschnitt durch den inneren Nierenporus, i.np, Vergr. 192 x . bg, Bindegewebe; l-gz, Kugelzelle; nse, Xiereusackepithel. Im übrigen wie Fig. 14 und Buch- stabenverzeichnis S. 648 u. 649. 5. Der primäre Harnleiter. Krahelska hat den primären Harnleiter in zwei Teile zerlegt: den dem Nierensack vorgelagerten Anfangsteil, »die Anfangstasche«, und den rücklaufenden Schenkel. Durch die Lagebeziehungen mag diese Unterscheidung ja gerechtfertigt sein; ich vermag jedoch nicht Krahelskas Ansicht zu unterstützen, daß sich die Anfangstasche ganz erhebhch durch ihre epitheliale Auskleidung und damit auch durch ihre Funktion von dem rückläufigen Schenkel unterscheide. Vielmehr bildet der primäre Harnleiter während seines gesamten Ver- laufs sowohl in morphologischer als funktioneller Hinsicht eine Einheit. Der Bhck in die Anfangstasche (Fig. 13) und der Sagittalschnitt 608 Carl Treitag, der Fig. 14 zeigen, daß die Wände dieses vorgelagerten Harnleiterteils, mit Ausnahme der dem Nierensack zugekehrten, von einem Falten- polster ausgekleidet sind. Dieses Faltenpolster ist es, das dem primären Ureter sein charakteristisches Gepräge verleiht und ihn auf seinem gesamten Verlauf begleitet. Seine typische Anordnung in dem rück- läufigen Teil ist in Fig. 16 dargestellt. Es ist hier in die Wand dieses Teils ein viereckiges Fenster eingeschnitten und dieses nach unten geklappt, so daß man von der Seite des Lungendivertikels aus in den Fig. 16. Das Netzpolster {np) der Wand des rückläufigen Ureterschenkels, Vergr. 16 x . af.lg, abführendes Lungengefäß; np. Netzpolster; nsw, Wandung d. pr. Ur. gegen den Nierensack; p.ul, Lumen d. pr. Ur.; zf.lg, zuführendes Lungengefäß. Harnleiter hineinblicken kann, der hier, wie schon erwähnt wurde, dem Nierensack als ein Rohr von sichelförmigem Querschnitt angelagert ist. Die nach unten geklappte Wand ist mit einem dichten Gefäßpolster besetzt, das einen netzartigen Bau aufweist. Man kann nicht sagen, daß die Maschen dieses Netzes in einer bestimmten Richtung orientiert sind; sie geben daher auf Längs- und Querschnitten das gleiche Bild ab. Die Wand gegen den Nierensack hin zeigt nicht diesen ausgeprägten Netzcharakter; nur in der oberen und unteren Ecke des Harnleiters greifen die Falten etwas auf diese Wand über und verlaufen nach ihrer Mitte hin allmählich, so daß sie hier im wesentlichen glatt ist, wenn man Die Niere von Helix pomatia. 609 von jenen Einbuchtungen gegen den Nierensack absieht, die, wie die Fig. 17 zeigte, durch den Ansatz von Bindegewebssträngen verursacht werden. Die Höhe des Wandpolsters nimmt von hinten nach vorn ab und scheint auch starken individuellen Schwankungen zu unterliegen. Zu- weilen sah ich den Polsterbelag im Anfangsteil des Harnleiters so mächtig werden, daß er den Drüsenlamellen im vordersten Teil des Nierensackes an Höhe kaum nachstand und nur ein ganz schmales Ureterlumen frei ließ. — bgstr. Fig. 17. Sagittalschnitt durch ein Stück des rückläufigen Uretersclienkels, Vergr. 40 x . })gsir, Bindegewebs- strang; -pMe, Epithel d. pr. Ureters. Im übrigen wie Fig. 14. Infolge der Durchsichtigkeit der Ureterwand schimmert das Wand- polster nach außen durch und verleiht dem Harnleiter die netzartige Struktur, die ihn schon äußerlich von dem angrenzenden Nierensack unterscheiden läßt. Der Zweck dieses Gefäßpolsters ergibt sich schon aus der makroskopischen Betrachtung; es ist der der Bhitüberführung aus dem Lungendivertikel in den Nierensack. Sowohl die abführenden Stämme des Lungendivertikels als auch viele Endzweige der zuführenden Lungengefäße münden einfach in die Wand des primären Harnleiters ein, und es stehen dem Blut von da ab nur noch diese anastomosierenden Gefäße des Wandpolsters als Bahnen zur Verfügung. Fig. 10 zeigt, daß diese Netzfalten nur mit dünnen Bindegewebsfasern an dem Platten- epithel, das den Ureter gegen die Lungenhühle hin überzieht, befestigt sind und daß sie, auch in ihrem Innern nur wenig Bindegewebe enthaltend, einen einzigen großen lacunären Blutraum vorstellen. Schon Girod, der Injektionen zur Unter- 610 Carl Freitag, guclnmg des Lungeiilireislaufs an die Randvene vornahm, stellte fest, »daß die »Harnblase« (primärer Ureter) mit Büscheln von Gefäßzweigen besetzt sei, die durch einen stärkeren Injektionsdruck in einer zusammenhängenden Injektion verschwänden. « Diese Funktion der Blutüberführung schließt jedoch nicht eine andere aus, nämlich die der Secretion von selten des die Netzfalten überziehenden Epithels, dessen Beschreibung ich mich nunmehr zuwende. Das Epithel des primären Harnleiters setzt sich aus zwei Zellelementen zusammen, flimmcrlosen und mit Flimmern besetzten (Fig. 18), von denen die ersten an Zahl bedeutend überwiegen. Was ihnen vor allem ihr charakteristisches Gepräge verleiht, ist eine zur Längsachse parallel gerichtete Plasmastreifung, die das gesamte Zellvolumen ausfüllt und die seitlichen ZcUgrenzen vollkommen verschwinden läßt. Aus der Anzahl der eingestreuten Kerne läßt sich jedoch schließen, daß das Epithel ein kubisches bis flach cylindrisches ist. Gegen das Ureterlumen tragen die Zellen einen deutlichen Bürstensaum, dessen Höhe etwa den achten Teil der Zellhühe y$<^. ä^^ kz Fig. 18. Epithel des primären Harnleiters, Vergr. 832 x . im, Basalmembran; hs, Bürstensaum; fo, Ka- lottenzelle; plstr, Plasmastreifung. ausmacht. Die Längsfasern inserieren sowohl an der Basalmembran als auch an der distalen Zellwand und zeigen zuweilen einen leicht welligen Verlauf. Ob jedes Stäbchen des Bürstensaumes einen Fortsatz einer Längsfaser vorstellt, vermochte ich auch bei stärkster Vergrößerung nicht zu entscheiden. Die großen Kerne sind rund bis oval und mittelständig, ihr Chromatin ist in Körnchen an- geordnet, die durch ein schwächer färbbares Maschenwerk verbunden sind; ein Kernkörperchen ließ sich nicht unterscheiden. Dieses Aussehen zeigten die Zellen nur an FLEMMiNG-Präparaten und auch da nur an solchen Stellen, wo das Epithel den Eindruck einer gleichmäßigen, guten Konservierun^g machte. Hieraus mag sich erklären, daß es trotz mehrerer Untersuchungen noch nicht in dieser Weise beschrieben worden ist. Der Bürsten- saum wurde überhaupt noch nicht erwähnt. Krahelska fand an seiner Stelle eine » vacuolärgebaute Cuticula«. Die Längsfaserung wird zwar seit Plate, der das Harnleiterepithel von Janella untersuchte, von allen Autoren angeführt, bei Limax und Arion von Rolle; die Fasern sollen jedoch vielfach nicht die er- wähnte, gleichmäßige Anordnung zeigen, sondern nach Krahelska »circum- nucleäre Gebiete von wabcnfönniger Struktur zwischen sich frei lassen«, denen dann eine besondere, funktionelle Bedeutung zugesprochen wird. Ich halte dies. Die Niere von Helix pomatia. 611 wie gesagt, für einen Irrtum, der sich leicht aus der angegebenen Sublimatkonser- vierung erklärt. Daß die Zellen um den Kern etwas heller erscheinen, leuchtet ein, da durch ihn die Längsfasern spindeKörmig auseinandergedrückt werden. Als ein weiteres Merkmal dieser Zellen, die Plate als »Deckzellen« den eingestreuten, flimmernden »Kalottenzellen« gegenüberstellt, wird ihr zahnrad- artiges Aussehen angeführt, das sie in Flächenansicht zeigen sollen. Die Zellen greifen darnach mit rings ausstrahlenden, fingerförmigen Fortsätzen mit den Kachbarzellen wie Zahnräder ineinander und werden durch eine Kittsubstanz zusammengehalten. Ich konnte ein derartiges Verhalten auch an Schnitten, die die Zellen im Grundriß zeigten, nicht feststellen. Sie besaßen hier infolge der quergeschnittenen Längsfasern ein granuliertes Aussehen; Zellgrenzen waren auch so nicht wahrzunehmen. Trotzdem scheint mir die Angabe Plates nicht unwahrscheinlich und deshalb von besonderem Interesse, weil ein gleiches Ver- halten auch bei den Epithelzellen der Tubuli contorti der Wirbeltiernieren be- obachtet und diskutiert worden ist, Zellen, die auch sonst noch durch den Besitz eines Bürstensaumes und einer ähnHchen Plasmastreifung Analogien zu den Harn- leiterepithelien der Pulmonaten bieten und geradezu zu einem Vergleich mit ihnen herausfordern. Heidenhain hat in »Plasma und Zelle« eine Übersicht über das Vorkommen der erwähnten Plasmadifferenzierungen gegeben. Bürstensäume weisen darnach vielfach Darmepithelien auf, und man sah sich deshalb veranlaßt, ihnen eine Be- deutung für die Eesorptionstätigkeit zuzuschreiben. Bürstensäume und streifiges Plasma zugleich sind besonders solchen Organen eigen, bei denen Secretion als die vorherrschende Tätigkeit angesehen werden muß: Speicheldi'üsen, Segmental- organen der Anneliden und ganz besonders Harnkanälchen von Wirbeltiernieren. Die Plasmastreifung dieser Epithelien unterscheidet sich von der bei Helix be- schriebenen übereinstimmend nur in einem Punkte: während sie hier die ganze Zelle einnahm, findet sie sich bei jenen nur im basalen Teil der Zelle und läßt eine distale, sogenannte »supranucleäre Region« frei. Hinsichtlich der Funktion dieser Zellen der gewundenen Harn- kanälchen herrscht in der Literatur keine Übereinstimmung der An- schauungen. Die ältere, jetzt nicht mehr vorherrschende Theorie der Harnausscheidung nahm an, daß der Harn mit allen seinen Bestand- teilen in den Glomernlis in starker Verdünnung secerniert werde und daß dann von jenen streifigen und mit Bürstensäumen versehenen Zellen der Tubuli eine Eückresorption von Wasser stattfände. Ich erwähne sie deshalb, weil Simroth eine gleiche Aufsaugungstätigkeit seitens der ähnhch gebauten Harnleiterzellen der Pulmonaten ver- mutet hat und demnach annimmt, daß im Nierensack außer den festen Harnconcrementen noch Flüssigkeit ausgeschieden wird. Mir erscheint dies unwahrscheinlich und es wird bei der Beschreibung der Nephro- €ytentätigkeit darauf zurückzukommen sein. Heidenhain bringt dagegen die streifige Plasmastruktur der Wirbeltiernierenzellen ebenso wie die der Speicheldrüsen und Segmental- 612 Carl Freitag, Organe mit excretorischer Funktion in Zusammenhang. Diese Zellen haben nach seiner Auffassung eine Doppelaufgabe: die der Kondensa- tion des Secretmaterials und der Wasserabsonderung. »Beide Funktionen sind voneinander unabhängig und in verschiedenem Grade miteinander kombinierbar. Eine Nierendrüsenzelle der Wirbeltiere muß beide Apparate in sich enthalten.« Die Wasserabsonderung findet in der Stäbchenstruktur ihren histologischen Ausdruck. Heidenhain be- gründet darauf seine Theorie der motorischen Funktion der Wasser- absonderung: »Die Wasserabsonderung ist eine motorische Funktion mit fibrillärer Struktur verbunden.« Längs dieser Fibrillen sollen Kontractionswellen verlaufen, die kleinste Wassertröpfchen vor sich hertreiben. Die Kondensation hat mit dieser streifigen Struktur nichts zu schaffen, sie geht in Vacuolen vor sich. Das zeigen am deutlichsten Pflanzenzellen, bei denen ja die Kondensation der Stärke zu Sphäro- kristallen in den Chromatophoren eine ganz allgemeine Verbreitung besitzt, aber auch viele tierische Zellen, wie etwa die Nephrocyten von Helix, welche die harnfähigen Substanzen in Vacuolen bis zum Aus- kristallisieren kondensieren und als Sphärolithe ablagern, ohne daß eine Spur einer Plasmastreifung vorhanden wäre. Es ist demnach von vornherein nicht die Ansicht von der Hand zu weisen, die schon Plate für Janella ausgesprochen hat, daß der Nierensack von Helix und der der Pulmonaten überhaupt feste, der Harnleiter flüssige Abscheidungsprodukte liefern, und im Weiter- verfolgen der Theorie von Heidenhain wäre somit ein Anhaltspunkt für das Fehlen der supranucleären Kegion der Harnleiterzellen gegeben: Die Harnleiterzellen haben nur die Aufgabe der Wasserabsonderung, infolgedessen nimmt der Apparat dieser Aufgabe, die Stäbchenstruktur, die ganze Zelle ein. Die Kontraktionswellen können so von der Basis- bis zum distalen Zellrand verlaufen und die Wassermoleküle vor sich her treiben. Bei dieser Auffassung gewinnt der Bürstensaum die Eolle eines Mechanismus, der die Abgabe der Flüssigkeit in das Ureterlumen erleichtert. Krahelska hat die Stäbchenstruktur der Ureterzellen nicht für den Ausdruck einer secretorischen Tätigkeit gehalten. Sie glaubt, die hier vorhandene Plasmastreifung nicht mit der an zahlreichen Drüsen- zellen beobachteten, ergastoplasmatischen, streifigen Differenzierung identifizieren zu können. »Deutliche Insertion der Fasern an der Basalmembran einer-, an der äußeren Zellhaut andererseits, ihre leicht geschlängelte aber im ganzen Verlauf gleich dick bleibende Contur, Die Xiere von Helix pomatia. 613 scharfe Individualisierung gegen das umgebende Plasma, wie auch, der Mangel jeglicher Beziehungen zum Nucleus« lassen sie nicht daran zweifeln, daß sie es »mit mechanischer Plasmadifferenzierung, Stütz- f ibrillen zu tun hat, wie sie auch sonst in Epithelien zahlreicher Leitungs- wege vorkommen.« Aus einem anderen Grunde glaubt Krahelska jedoch eine Aus- scheidung flüssiger Stoffe nicht ganz ablehnen zu müssen. Sie findet zuweilen am distalen Ende der Zellen zahlreiche, »winzige Bläschen, die stellenweise die epitheliale Fläche im Kanallumen dicht bedecken. << Das Vorkommen derartiger, von einem Protoplasmasaum umgebener Tröpfchen ist auch in den Nierenkanälchen der Wirbeltiere und auch sonst an zahlreichen Epithelien beobachtet und diskutiert worden und ist wohl endgültig als Kunstprodukt abgelehnt worden. Auch mir kamen sie im Harnleiter von Helix zu Gesicht, und ich führe sie eben- falls auf ungeeignete Konservierung zurück. Von den angeführten Meinungen, ob Absorption, Secretion oder nur mechanische Wandbefestigung die Aufgabe der bisher geschilder- ten, streifigen Zelle des primären Ureters ausmache, scheint mir die der Secretion die wahrscheinlichste zu sein. Ich wurde darin durch die Beobachtung bestärkt, daß der primäre Harnleiter einen ganz ver- schiedenen Füllungszustand aufweisen kann. Bei Tieren, die sich im Winterschlaf befinden und eine längere Trockenperiode durchgemacht haben, liegt die Harnleiterwandung dem Nierensack eng an, das Lumen ist infolgedessen sehr reduziert; bei Tieren dagegen, die an feuchten Orten gefunden wurden, war der Kanal meist prall mit Flüssigkeit gefüllt. ^Es konnten mehrere Tropfen herausgepumpt werden, worauf die Wandung zusammenfiel. Die Flüssigkeit zeigte unter dem Mikro- skop keine festen Bestandteile. Nalepa, der eine Kanüle in die Mün- dung des sekundären Ureters einführte, gelang es, mehrere Flüssig- keitstropfen aufzufangen. Da jedoch diese Flüssigkeit Eiweißreaktion ergab, halte ich es nicht für ausgeschlossen, daß durch die Kanüle die Falten des sekundären Harnleiters, von denen unten noch die Rede sein wird, verletzt wurden und Blutflüssigkeit zum Austritt kam. Nalepa läßt übrigens die Frage nach dem Ort der Flüssigkeitsaus- scheidung offen. Es kommen für ihn nur Nierensack oder Pericard in Betracht. In das bis jetzt besprochene, secernierende Epithel der Netzfalten sind die Flimmer- oder Kalottenzellen Plates einzeln oder zu mehreren vereinigt eingestreut. Ihre distale Fläche ragt kuppenförmig in das Ureterlumen vor und trägt zahlreiche Cilien, die an Basalkörperchen 614 Carl Freitag, befestigt sind. Der basale Zellteil ist in einen Stiel ausgezogen, mit dem die Zelle der Membrana propria der Falten aufsitzt. Das Plasma ist homogen; der Kern unterscheidet sich nicht wesentlich von denen der secernierenden Zellen, er ist meist nur etwas schmäler. Nach Plates Beschreibung strahlen die Cihen sonnenförmig nach allen Seiten aus und sind starr. Ich kann diese Ansicht nicht teilen, da mir die Flimmern in allen Schwingungsphasen zu Gesicht kamen, oft sämt- lich in einem fast rechten Winkel zur Längsachse der Zelle umgebogen, so daß sich daraus auf ihre fluktuierende Bewegung schließen läßt. Zuweilen treten mehrere, ja viele dieser Flimmerzellen zusammen und bilden dann kürzere oder längere Strecken von Flimmerepithelien; dies geschieht vorzugsweise auf den in das Lumen vorragenden Falten- scheiteln. Ob das oben erwähnte, um den Nierenporus herum gelegene FHmmerfeld sich aus solchen Kalottenzellen zusammensetzt oder aus einer besonderen Art Fhmmerzellen, konnte ich nicht sicher entscheiden. In der Beschaffenheit des Plasmas und der Kerne stimmen sie überein, im allgemeinen entbehren jedoch (he Zellen des Flimmerfeldes der kuppenförmigen Vorwölbung und des basalen Zellstieles. Nur wenn das Epithel nicht wie gewöhnlich ganz glatt verlief, sondern infolge des kollabierten Zustandes der um den Nierenporus herumgelegenen Blutlacune eine leichte Einfaltung zeigte, traten an einigen Stellen jene Charakteristika auf. Es ist daher nicht ausgeschlossen, daß den Kalottenzellen ihre eigentümliche Form nur durch die benachbarten streifigen Zellen aufoktroyiert wird, so daß die Einheit des primären Harnleiters auch in histologischer Hinsicht vollkommen gewahrt wäre. Nach Krahelska kommen einzelne und zu Gruppen vereinigte Schleimzellen im primären Ureter bei Helix vor, und zwar sollen sie auf den, dem Nierensack vorgelagerten, Anfangsteil beschränkt sein. Ich mußte dagegen feststellen, daß Schleimzellen nur im sekundären Harnleiter zu finden sind, und kann mir nur denken, daß eine Verwechs- lung vorliegt mit eigentümlichen Zellelementen, die durch ihren Bau zweifellos ihren Drüsencharakter verraten, jedoch als zum Bindegewebe gehörig angesehen werden müssen. Sie finden sich innerhalb der Falten der beiden Harnleiter, in dem Anfangsteil des primären Harn- leiters besonders häufig und geben stets das gleiche Bild. Ihre Größe und die ihrer Kerne ist im Vergleich mit den Epithelzellen eine ganz außerordentliche (Fig. 19). Im Innern enthalten sie eine kreisrunde und stets wasserklare Vacuole, die den größten Teil des Zellvolumens ausmacht und das Plasma auf einen dünnen Wandbelag reduziert. So machen sie den Eindruck eines mit Flüssigkeit oefüllten Bläschens, Die Niere von Helix pomatia. 615 und, wenn sie, wie dies häufig der Fall ist, zu Komplexen zusammen- treten und ihre Kerne nicht im Schnitt getroffen zeigen, wird dem Beobachter blasiges Bindegewebe vorgetäuscht. Da sich ein Aus- führungsgang in das Ureter lumen niemals sehen ließ, muß man sie wohl als Drüsen innerer Secretion ansehen, über deren genauere Funk- tion nichts ausgesagt werden kann. Infolge des Fehlens von Schleimzellen müssen die kristallinischen Harnmassen den primären Harnleiter unverhüllt passieren. Da die Aus- scheidung der Concremente aus den Nephrocyten des Nierensackes nur periodenweise in Abständen von zwei und mehreren Wochen erfolgt, so trifft man die Harnleiter nur in den seltensten Fällen mit dem breiigen Harn gefüllt an. Dies hat wohl , früher die Veranlassung gegeben, he. eine Ausscheidung der Concremente als solche nach außen überhaupt in ' '' i^':^y' '" , Abrede zu stellen und, wie es GiROD p^^ .. ^ fvV' '^• getan hat, anzunehmen, daß die /^■' ^y. Sphärokristalle von der im Harnlei- h-y^-^- "~ ' '■ ' ter produzierten Flüssigkeit, welcher ~ x ^ I \ alkalinische Natur zugeschrieben wird, "^ /' I f^^ ^' aufgelöst würden. Cuenot hat die- ^'l- • sen Irrtum durch den Hinweis auf ^ig- 19. die nur zeitweise erfolgende Abson- p>^üsenzelle ohne Ausführgang in den Blut. '- _ lacuneu des Nctzpolsters, Veigr. 384 x . hll, derung beseitigt, und man kann sich Blutlacune; Ice, Kern der Drüsenzeile; V-ue, leicht bei Tieren, welche aus dem ^'^p^"^»^! '^^ '''• ^!''^'''' ^«' Vacuoie. Sonst wie ni Flg. 18. Winterschlaf geweckt wurden, und bei denen man die Schale durch Behandlung mit Säure durchsichtig gemacht hat, von der Eichtigkeit der CuENOTschen Ansicht überzeugen: Die durch die Harnleiterwände durchschimmernden, weißen Harn- massen gleiten langsam durch die beiden Ureter und erscheinen etwa 2 Tage nach dem Aufwachen am Atemloch. Ob die Fhmmerzellen der Harnleiter mehr der Bewegung der Concremente oder derjenigen der in ihnen erzeugten Flüssigkeiten dienen, läßt sich nicht entscheiden. Mir scheint das letztere das wahr- scheinhchere zu sein, da der Transport der Harnmassen im Nierensack und durch den Nierenporus auch ohne Flimmerzellen bewerkstelhgt wird. Ich glaube nicht, daß diese zarten Cilien etwas gegen die zäh- flüssigen, kristallinischen Breimengen ausrichten können. Im hintersten Teil der Lungenhöhle biegt der primäre Harnleiter um und geht in den sekundären über. 616 Carl Freitag, 6. Der sekundäre Harnleiter. Am sekundären Harnleiter lassen sich morphologisch zwei Ab- schnitte unterscheiden, von denen der eine als der schon erwähnte, vorläufige Schenkel zum Atemloch hinzieht. Er stellt ein geschlossenes Rohr dar und setzt sich dadurch in Gegensatz zu dem letzten Teil des ausführenden Apparates, der eine offene Rinne im Atemloch bildet. „S P -äfjg Blick in den 82 X . af.lo, Fig. 20. sekundären Harnleiter nach Enfeinung eines Stückes seiner ventralen Wand, Vergr. abführendes Lnngcngefäß; s.w/, Falten im sekundären Harnleiter; zf.lg, zuführendes Gefäß der Lunge. Der vorläufige Schenkel ist in dem Bindegewebe zwischen Darm und Lungendach eingebettet. Infolgedessen bekommt man ihn, wenn man das Lungendach mit anhängendem Darm in seiner natürlichen Lage abhebt und von der ventralen Seite betrachtet, nicht sogleich zu Gesicht, sondern es ist nötig, den verdeckenden Enddarm erst etwas beiseite zu ziehen. Er bietet sich dann, wie ihn die Fig. 1 und 3 zeigen, dar. Während seines gesamten Verlaufes behält er im großen und ganzen dieselbe Stärke bei, die auch jetzt noch nicht ganz zum Vorschein Die Niere von Helix pomati 617 kommt, da immerhin noch ein Teil vom Darm verdeckt wird. An Querschnitten läßt sich erkennen, daß er an Weite dem Rectum nur wenig nachsteht. Seine Oberfläche ist nicht glatt, sondern weist vielfach Einbuch- tungen auf; diese werden von den ein- und austretenden Lungengefäßen verursacht. Man hat den Eindruck, als ob die zuführenden Gefäße der Lunge in ihn einmündeten, die abführenden mit ihren feinsten End- zweigen aus ihm ihren Ursprung nähmen. SZ-- Fig. 21. Sagittaler Längsschnitt durch ein Stück des seli. Harnleiters, Vergr. 80 x . 6^/, Blutlacune; de, Darmepithel; mae, Mantelepithel; s.ue, Epithel-; s.uf, Falten-, s.ul, Lumen des sekundären Ureters; sz, Schleiiuzelle im Harnleiterepithel. Im übrigen Buchstaben Verzeichnis S. 648 u. 649. Avifschluß Über den Gefäß verlauf erhält man, wenn man ein Fenster- chen in die in den Figuren nach oben gelegene Wand einschneidet und aufklappt, wie es Fig. 20 zeigt. Man sieht dann in der Tiefe des Harn- leiters zahlreiche Falten, die den Ureter in querer Richtung durch- ziehen. Im wesentlichen laufen die Falten einander parallel, nur nach der Lunge zu bilden sie Anastomosen, so daß hier ein Netzwerk entsteht, welches an dasjenige des primären Harnleiters erinnert. Da die Falten vorzugsweise quer verlaufen, tritt ihre regelmäßige Anordnung nur auf sagittalem Längsschnitt (Fig. 21) durch den Harnleiter hervor. Sie sind ähnlich den Nierenlamellen mit Bindegewebsfäserchen an der Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 41 618 Carl Freitag, Muskel- und Bindegewebsschicht des Lungendaches befestigt und hängen weit in das Lumen des Harnleiters, zuweilen bis auf die Darm- Avand, herab. Im Innern enthalten die Falten in Bindegewebe eingebettet eine einzige große Blutlacune, die nur von wenigen Bindegewebsfäden durchsetzt wird. Durch »Sondierung von der Lunge her kann man fest- stellen, daß diese Hohlräume der Ureterfalten mit den Lumina der Lungengefäße in direkter Verbindung stehen. Die Lungengefäße er- halten ihr Blut aus den Harnleiterfalten. Die Harnleiterfalten ihrer- seits empfangen das sie passierende Blut aus der neben dem Harnleiter längsziehenden Randvene, aber nicht direkt, da die Faltenlumina mit dem Lumen der Randvene nirgends in direkter Kommunikation stehen. Zwischen beiden befindet sich noch ein kurzes Stück lacunäres Gewebe, das zuvor vom Blut passiert werden ^'^ muß, ehe es in die Harnleiterfalten ein- treten kann, d. h. die Randvene ist in einem lacunären Gewebe eingebettet, welches von dem zur Lunge strömenden Blut passiert werden muß, bevor es in ^ ^'^r'^^ -^Jll" '^ die Lumina der Harnleiterfalten eintre- J ten kann. Die ventrale Wand des sekundären ^^' Harnleiterrohres, die nach dem Darm Epithelzellen des sek. Harnleiters. Be- , . , , . , t ..^. ■ .. o- Zeichnung wie in Fig. 18, Vergr. 832 x . ZU gelegen ist, erscheint verhältnismäßig glatt. Auf ihr gleiten die Harnconcre- mente, ihrer Schwere folgend, dahin. Da den Wänden des Ureters die Ringmuskulatur, wie man sie etwa am Enddarm sieht, fehlt, muß die Beförderung des Harnes anderswie gewährleistet werden, sei es durch FHmmerzellen, von denen sogleich bei Besprechung des Epithels noch die Rede sein soll, oder außerdem noch durch inneren Secretionsdruck, wie dies auch sonst bei ausführenden Apparaten geschieht. Das Epithel des sekundären Harnleiters, sowohl das der Falten als auch der anderen Wände, ist durchaus einheitlich gebaut. Es enthält drei Zellelemente: FUmmerzellen, flimmerlose Zellen und Schleimzellen. Die flimmerlosen (Fig. 22) sind die bei weitem zahlreichsten und lassen sich am besten mit den streifigen Zellen des primären Ureters ver- gleichen, da ihnen eine ähnliche, gleichfalls der Längsachse der Zelle parallele Streif ung des Plasmas zukommt. Die Streifung nimmt jedoch im Gegensatz zu jenen nur den basalen Teil der Zelle ein; die distale Zellhälfte ist davon vollkommen frei und zeiot ein feingranuhertes Die Niere von Helix pomatia. 619 Plasma. Die Zellen sitzen einer ziemlich dicken Basalmembran auf, die meist stark gekräuselt ist. An der distalen Zellf lache tragen diese Zellen gleichfalls einen Bürstensaum, dessen Vorhandensein an Safranin- präparaten festgestellt wurde. An Höhe steht er allerdings dem im primären Ureter beschriebenen ganz bedeutend nach. Plate und Krahelska beschreiben statt des Bürstensaumes eine homogene, Rolle sah eine gestrichelte Cuticula. Die Zellgrenzen sind an diesen Zellen im Gegensatz zu denen des primären Ureters vollkommen sichtbar. Ob diesen Zellen nur die Bedeutung von Deckzellen oder aber von secretorischen, wie es der Bürstensaum und die Plasmastreifung andeu- tet, zukommt, läßt sich nicht entscheiden, da der von Nalepa beobachtete Flüssigkeitsaustritt aus der Mündung des sekundären Harnleiters auch von einem anderen Teile des Excretionsapparates verursacht sein kann. Im ersten Fall wäre den Harnleiterfalten nur die Funktion der Blut- überführung zuzusprechen, im letzten deutete die Einfaltung auf eine Vergrößerung der secretorischen Fläche hin. Da, wie gleich zu er- wähnen sein wird, der sekundäre Harnleiter sich erst sekundär aus der Lunge abgesondert hat, indem sich zuerst eine offene Harnrinne aus- bildete, die dann erst nach und nach sich schloß, so läßt sich vermuten, daß die Falten ursprünglich nichts anderes waren als Lungengefäße und als solche auch der Respiration dienten. Sie haben dann nach Abschluß des Harnleiters einen Funktionswechsel vorgenommen und eine andere epitheliale Bekleidung erhalten. Diese Annahme geschieht unter der Voraussetzung, daß der ursprüngliche Zustand durch ein einfaches Münden der Niere mittels eines Porus in die Lungenhöhle repräsentiert wurde, und daß die Lunge primär, der sekundäre Harn- leiter aber sekundär entstanden sind. Die Flimmerzellen des sekundären Harnleiters haben nicht die auffallende Form der Kalottenzellen des primären. .Sie treten meist zu größeren flimmernden Bezirken zusammen. Die Basalkörperchen der Flimmern lassen sie gut erkennen. Merkwürdigerweise unter- scheiden sie sich, wenn man von dem Flimmerbesatz absieht, nicht von den soeben beschriebenen flimmerlosen Zellen: sie weisen in ihrem basalen Teil die gleiche Plasmastreifung auf, so daß man vermuten könnte, daß beide Zellarten identisch wären, und daß die Flimmern periodenweise abgestoßen und wieder regeneriert würden. Die Schleimzellen endlich weisen den gewöhnlichen Bau auf, sie sind epi- thelial oder subepithelial (mit allen Übergängen dazwischen) angeordnet. Gegen die Mündung des Harnleiterschenkels nehmen sie an Menge bedeutend zu. Rolle beschreibt im Epithel des sekundären Harnleiters von Limax große »wasser- 41* 620 Carl Freitag, klare Vacuolen, die inter- oder intracellulärer Natur« seien. Es läßt sich mit Sicherheit annehmen, daß dies eine Verwechslung ist, und daß es sich um secret- leere Schleimzellen handelt. Die Mündung des geschlossenen Harnleiterrohres in den letzten Teil des ausführenden Systems, die offene Mündungsriune, liegt ein kurzes Stück vor dem After. Fig. 23 zeigt das Atemloch durch einen sagittalen Schnitt auf der ventralen Seite geöffnet und in eine Ebene auseinandergebreitet. Die Mündungsrinne (mr) zieht von der Öffnung des Harnleiters schräg vorwärts durch das Atem- loch und begrenzt die Lunge nach vorn. Ihre Wandungen, die im Gegensatz zu r?7^ r an mr d.np ^' / tc P Z'- fh A ff jff /^ Ig s.u. Fig. 23. Die Mündung des sek. Harnleiters im Ateinlocli. Das Ateinloeli ist durcli einen Schnitt an der ventralen Seite geöffnet und in eine Ebene auseinandergebreitet, Vergr. 7x. a/<, After; a.np, äußerer Nierenporus; ed, Enddarm; flr, Elimmerrinne; lg, Lungengefäß; Iv, Lungenvene; mr, Mün- dungsrinne; miv, Mantelwulst; s.u, sekundärer Ureter. den anderen ausleitenden Abschnitten vollkommen glatt sind, werden von zwei Lippen gebildet, die sich oft eng aneinander legen, so daß der Grund der Rinne gegen das Atemloch abgeschlossen ist. Die Stelle, an der die Ausmündung er- folgt, wird durch zwei Wülste verengt, die ein Zurücktreten des Harnes verhindern mögen. Das Epithel der Rinne ist ein nicht flimmerndes Deckepithel mit sehr dichten, kleinen Zellen, die im Grunde mehr kubische, an den Seiten cylindrische Form haben. Im darunterliegenden Bindegewebe befinden sich außerordentlich große Schleimzellen, die ihr Seeret in die Rinne entleeren, so daß man diese gewöhnlich mit Schleim angefüllt findet. Die Niere von Helix pomatia. 621 Außer dieser Rinne läuft noch eine andere, kürzere und weniger tiefe, von der gleichen Stelle, von der die ehen betrachtete ihren Ursprung nahm, zum After. Beide Rinnen sind durch ein dreieckiges Feld, das von erhöhten Wülsten ein- gefaßt wird, voneinander getrennt. Die hintere, kantige Spitze dieses Dreiecks liegt der Öffnung des Harnleiterrohres gegenüber. Die neben dem Enddarm zum After ziehende Rinne besitzt ein cylindrisches Flimmerepithel, wie man es auch sonst am Eingang des Atemloches findet. Für die Ausleitung der Harnconcremente kommt nur die zuerst betrachtete Rinne in Frage, wenigstens fand ich nur sie zuweilen mit Concremcnten ange- füllt. Diese Rinne läuft in normaler Lage als eine halbe Schraubenwindung von der Decke des Atemloches auf dessen Boden herab, so daß die Harnmassen ge- wissermaßen hindurchgeschraubt Averden. Ob die Ausleitung der flüssigen Excrete durch die kürzere, zum After ziehende Flimmerrinne bewerkstelligt wird, oder ob auch diese durch die andere ihren Weg nehmen, bleibt dahingestellt. Der Flimmerbesatz spricht für die erstcre Möglichkeit. Nachdem so der Harnleiterverlauf bei Helix fomatia in seinen Einzelheiten beschrieben ist, sei noch kurz ein Blick auf die Verhältnisse bei den Pulnionaten im allgemeinen geworfen. Bekanntlich ist bei ihnen in dieser Hinsicht ein ganz außerordenthch wechselvolles Ver- halten zu konstatieren, über das Simroth eine übersichtliche Darstellung gegeben hat. Im einfachsten Falle öffnet sich die hinten in der Atemhöhle ge- legene Niere durch einen Porus, den man dem inneren Nierenporus von Helix gleichsetzen würde, in den Lungenraum, oder die langge- streckte Niere mündet mit ihrem verjüngten Teil in der Nähe des Atem- lochs. Als nächsthöhere Stufe wäre der Fall anzusehen, bei dem ein Zurückschlagen des Harnleiters auf das Excretionsorgan zu konstatieren ist, wie dies der primäre Ureter von Helix tut ; der sekundäre ist dann meist als Rinne neben dem Enddarm angelegt und kann alle Stadien des sukzessiven Verschlusses zeigen, wie dies bei der Gattung Helix zuerst von Beaun und Behme festgestellt wurde und bei der südameri- kanischen Gattung Bulimulus von v. Jhering, wodurch sich dieser zu der längst aufgegebenen Nephropneustentheorie veranlaßt sah. Drei Harnleiterschenkel besitzt die Basommatophorengattung An- cylus, und ebenso sind sie bei den Vaginuliden vorhanden. Die höchste Komphkation endlich erreicht der Ureterverlauf bei den Tracheo- pulmonaten (Janella), bei denen vier Schenkel vorhanden sind, die an den Umbiegungsstellen noch Bhndschläuche, Divertikel und auch sonst noch Verästelungen entsenden, so daß ein fast labyrinthisch zu bezeichnendes ausführendes System zustande kommt. Dazu kommt noch, daß die hier angeführten Etappen sprungartig 622 Carl Freitag, wechselnd auf die einzelnen Pulmonatenabteilungen verteilt sind und man ganz natürliche Verwandtschaftsgruppen auseinanderreißen würde, wenn man nach dem obigen System die Pulmonaten in eine aufsteigende Reihe bringen wollte. >>Es ist«, sagt Simroth, »als wenn zwischen Lunge und Niere noch kein rechtes morphologisches Gleichgewicht hergestellt wäre und das eine das andere noch fortgesetzt in seiner Aus- bildung beeinflußte.« Die oben bei Helix fomatia geschilderte enge Verbindung zwischen Lungengefäßen und lacunären Wandungen des Ureters, des primären sowohl wie des sekundären, lassen mich vermuten, daß derartige Ver- hältnisse auch bei anderen Pulmonaten voi:handen sind und bei der Ausgestaltung der Harnleiter ein wichtiges Wort mitgesprochen haben. II. Teil. Die Physiologie des Nierensackepithels. 1. Vorbemerkung. Wie schon bei der Besprechung des gröberen Baues des Nieren- sackes erwähnt wurde, wird dieser ringsum von einem einheithchen Epithel ausgekleidet, dem Nephrocytenepithel, das für die Bedeutung dieses wichtigsten und voluminösesten Teiles des excretorischen Appa- rates allein maßgebend ist. In der distalen Vacuole der Nephrocyten werden die meist kugeligen Concremente gebildet, die in ihrer Gesamt- heit den »Harn« darstellen und als breiige Massen zur Ausscheidung gelangen. Es wird sich empfehlen, schon hier, vor der Beschreibung der Konservierungs- und Färbungsmethode einen Einblick in die chemi- sche Natur der Harnconcremente zu tun, da die Kenntnis der Löslich- keitsverhältnisse dieser Gebilde für die mikroskopische Technik voraus- gesetzt werden muß. Daß SwAMMERDAM und CuviER sich durch die weiße Farbe des Organs täuschen ließen und die Niere von Helix als »Kalkdrüse« an- sprachen, hat für uns nur noch historisches Interesse. Alle späteren Untersuchungen, als erste die von Jacobson 1820, haben die Nieren- natur des Organs unzweifelhaft festgestellt, indem sie Harnsäure, meist durch die Murexidreaktion, als den wichtigsten Bestandteil der Con- cremente nachwiesen. Es fragt sich nur, ob die Harnsäure frei oder gebunden auftritt. Nach Meckel bestehen die Concretionen aus harn- saurem Ammonium. Dies ist nach Nalepa, der sich etwas eingehender äußert und dessen Angabe daher hier wiedergegeben sei, nur teilweise richtig: »Kocht man nämlich die Harnconcretionen wiederholt aus, so wird man endlich auf einen Punkt kommen, wo sich aus dem Koch- wasser nach dem Erkalten keine Urate mehr ausscheiden, und trotzdem Die Niere von Helix pomatia. 623 sind die Concretionen noch nicht vollkommen gelöst. Dieser ungelöste Rückstand ist zumeist reine Harnsäure und löst sich in verdünnter Kalilauge vollkommen. Neutralisiert man mit verdünnter Salzsäure, so erhält man einen Niederschlag, der sich nur zum Teil in concentrierter Salzsäure löst. Der Rückstand ist natürlich Harnsäure. Der in Lösung gegangene Stoff hingegen fällt auf Zusatz von Ammon wieder heraus. Löst man einen Teil des Niederschlages in Salpetersäure und dampft am Wasserbad vorsichtig ein, so erhält man einen gelben Rückstand, der sich in Kahlauge mit gelbroter Farbe löst. Diese Reaktion läßt vermuten, daß Guanin in den Harnconcretionen unserer Heliciden auftritt. Die Harnsäure tritt also, wie wir sahen, teils frei, teils ge- bunden auf. In letzterem Fall ist sie hauptsächlich an Amnion und nur in Spuren an Kalk gebunden. « Außer freier und gebundener Harnsäure kommen noch von Stick- stoffverbindungen Guanin und Xanthin in Betracht, das von Cuenot für Helix und von Bial für Arion empiricorum angeführt wird. Nach Lambertenghi dürften sich jedoch diese letzten Angaben als Irrtümer der Untersuchungsmethode herausstellen, in dem Sinne, daß zur Unter- suchung nicht immer der Harn, sondern das Nierengewebe heran- gezogen wurde. Lambertenghi erhielt die positive Murexidreaktion nur bei Extraction des Nephridialgewebes mit 5%iger Natriumcarbonat- lösung, dagegen nicht beim übhchen Abrauchen mit Salpetersäure. Beim Kochen mit dieser Säure soll sich die Nucleinsäure der Zelle, die für Xanthinbasen allein in Betracht kommt, zersetzen und die Murexid- reaction verdecken. Bei der Extraction des Nierengewebes mit Natrium- carbonatlösung dagegen bleibt die Spaltung der Nucleinsäure und die Entstehung von Xanthin aus, und die reine Harnsäurereaction kommt zustande. Aus der chemischen Natur der Harnkügelchen, der Löslichkeit der Harnsäure und harnsauren Salze in Wasser, Säuren und Basen geht schon hervor, daß es sehr schwierig ist, Konservierungs- und Fär- bungsmethoden ausfindig zu machen, die den an sie zu stellenden An- forderungen gerecht werden und die Nephrocyten mit ihren Einschlüssen in unversehrtem Zustand aufweisen. Bei allen gebräuchhchen Fixie- rungs- und Färbungsmitteln lösen sich die Harnkügelchen teilweise oder vollständig auf, und es werden falsche Bilder erzeugt, aus denen sich zahlreiche, irrtümliche Literaturangaben erklären lassen. Ich mußte in dieser Hinsicht dieselben Erfahrungen wie Schöpfe machen. Ganz abgesehen davon, daß absoluter Alkohol, der die Gon- cremente allein vöUi«: intakt läßt, ein sehr schlechtes Konservierungs- 624 Carl Freitag, mittel darstellt, nahmen die Schnitte (mit Ausnahme des Eosins) Anilin- farben in alkohohscher Lösung, selbst nach tagelanger Einwirkung, nicht auf. Schöpfe bediente sich schließlich zur Konservierung eines Gemisches von Alk. abs. 60 Teile — Chloroform 30 T. — Eisessig 10 T. und zum Färben der Hämatoxyhnfärbung nach Heidenhain. Er verfuhr hierbei so, daß er die Schnitte vom absoluten Alkohol abwärts zur Beize und Farbe und dann wieder zurück zum absoluten Alkohol in jede Flüssigkeit nur eben eintauchte, so daß die ganze Prozedur nur etwa 30 Sekunden dauerte. Auch ich bediente mich dieser Methode mit gutem Erfolge, fand jedoch die Sublimatkonservierung bedeutend besser, die, wenn sie nicht länger als 3 Stunden dauerte, die Harn- kügelchen mit Ausnahme derjenigen in den periphersten Teilen des Objektes vollständig intakt Heß. Zur Färbung kann außer Hämato- xyhn nach Heidenhain auch die nach Delafield mit Eosin verwandt werden, nur muß man darauf achten, daß auch hier die Schnitte nicht lange in den verschiedenen Flüssigkeiten, besonders nicht in Salzsäure- und Ammoniakalkohol belassen werden. Zuweilen, wenn es mir auf die Entscheidung der wichtigen Frage ankam, wo die Excretkörnchen entstehen, im basalen Plasma oder in der distalen Vacuole, färbte ich die Schnitte nur in alkohohscher Eosin- lösung, um jede Möglichkeit einer Auflösung auszuschließen. Für Fragen, die nicht die Concremente betrafen, sondern sonstige Zelldifferenzierungen wie Bürstensäume verwandte ich die Flemming- sche Konservierung mit nachfolgender Färbung mit Hämatoxylin nach Heidenhain oder Safranin. Daneben wurde stets das Nierengewebe, frisch in Blutflüssigkeit zerzupft, unter dem Mikroskop betrachtet. Da sich beim Zerzupfen des Gewebes die distalen Vacuolen samt ihren Einschlüssen leicht und unversehrt vom Zellkörper ablösen, so ist die Untersuchung des frischen Gewebes zum Studium des Kondensations- vorganges in den Vacuolen ganz besonders zu empfehlen. Es wird noch später ausführhcher zu erörtern sein, daß die Niere periodisch arbeitet und ausscheidet; es befinden sich daher die Zellen eines Organs immer annähernd auf einem gleichen Secretionsstadium, und man kann infolgedessen nicht an einer Niere sämtliche Fragen des Geschehens in der Zelle studieren, sondern immer nur eine oder wenige. Es bedarf daher zur Erlangung eines richtigen Bildes der Excretionstätigkeit zahlreicher und durch ein ganzes Jahr fortgesetzter Beobachtungen. Um eine möglichst vollständige Beschreibung der Nephrocyten- tätigkeit zu geben, seien die Prozesse, wie sie sich in natürhcher Eeihen- Die Niere von Helix pomatia. 625 folge an der Nierenzelle abspielen müssen, verfolgt und nacheinander unser Interesse folgenden drei Fragen zugewendet: I) Wie gelangen die Excrete aus dem Blute in die Nieren- zelle? II) Welche Umwandlungen machen die Excretstoffe in der Zelle durch? III) Wie werden die Harnkügelchen ausgeschieden? 2. Die Aufnahme der Excrete aus dem Blut. Wie schon im ersten Teil dieser Arbeit erwähnt wurde, sitzen die Nephrocyten mit ihrer Basis einer mehr oder weniger dicken, binde- gewebigen Basalmembran auf, die eine meist sehr schmale Blutlacune begrenzt (Fig. 24 u. 25). Die Ex- cretstoffe müssen daher auf ihrem '^■,^^- W^ege in die Zelle zuerst diese ' -^---v^ Basalmembran passieren und \^^-, dann weiterhin eine mehr oder gr- ~^^-^ • ^ ^' *r . ~_v weniger große Strecke des basa- '^«^^ len Plasmas, ehe sie in die '- , .^^'"^ ' distale Vacuole gelangen. Die "r <$^^- ■ -^' '~ Länge der zu durchwandernden ' ,'r---i;' i ., Strecke richtet sich in erster ' ' / ^^ 9^ Linie nach der Form der Zelle und dann natürlich auch nach Fig. 24. Xieiensacke])it.liel vom Scheitel einer Nierensacl;- der Menge des vorhandenen Pias- talte, Vergr. 832 x. hm, Basalmembran; gr, Gra- mas. Man kann in ein und der- nula;Ä.s homogener Zellsaum; i-. Kem; erst, organische ßuckstande der Harnkugelchen; va, Va- selben Niere Zellen von kubi- cuoie. scher bis hochcylindrischer Ge- stalt mit allen Übergängen dazwischen antreffen (Fig. 25, 26, 28). Die kubische Form findet sich gewöhnlich mehr nach der Basis der Falten zu, gegen den Scheitel hin werden die Zellen mehr und mehr höher. Diese Formverschiedenheit drückt jedoch keinen Entwicklungs- zustand aus, sondern ergibt sich meist aus den Raumverhältnissen: basalwärts stehen die Falten so dicht, daß sie, oft überhaupt kein Lumen zwischen sich frei lassend, sich gegenseitig abplatten, distal- wärts dagegen können die Zellen frei in das Drüsenlumen hineinragen. Daneben scheinen die Zellen speziell am Scheitel um die abführende, runde Blutlacune herum (Fig. 5, af.ng.) einen stärkeren Seitendruck aufeinander auszuüben. Einen noch weiteren Weg müssen die Excretstoffe zurücklegen. 626 Carl Freitag, wenn von einer einzigen Zelle nicht eine, sondern mehrere, oft zwei und drei Vacuolen gebildet Averden, wie dies bei enormen Füllungs- ^^ ''K öm. bll. biz. Fig. 25. Querschnitt durch ein Stück einer Nlerensacldamelle. Die Harnconcremente sind gelöst, Vergr. 832 X. hll, Blutlacune; Uz, Blutzelle; kgz, Kugelzelle. Im übrigen wie Fig. 24. zuständen, z. B. während der Winterruhe, zu geschehen pflegt. Fig. 29, die in derselben Vergrößerung wie die bisher besprochenen Epithelien gezeichnet ist, entstammt einer Niere, die gegen Ende Februar, nach etwa 4 — 5 Monate lang dauerndem Winterschlafe kon- serviert wurde. Der Plasmaleib der Zellen ist durch die großen Harnkugeln zu einem weiten Maschenwerk auseinander ge- zogen, die Nephrocyten besitzen daher etwa die doppelte Höhe gegen die, welche sie unter ge- wöhnlichen Umständen einzu- nehmen pflegen. Infolge dieser Volumenvergrößerung ist das Nierensacklumen der Winter- schlaftiere im Vergleich mit den im Sommer konservierten ganz außerordentlich reduziert. Die seitlichen Zellgrenzen, die man bei den mit einer Vacuole ver- sehenen Zellen stets wahrnimmt, sind verschwunden, das Epithel ist zu einem Syncytium geworden. Vermutlich sind die Zellgrenzen deshalb Fig. 26. Nierensackepithel mit eingedrungener Blutzelle hlz. Harnconcremente gelöst. Bezeichnung wie Fig. 24, Vergr. 832 x . Die Niere von Helix pomatia. 627 nicht zu sehen, weil das Plasma in den Maschen und Knoten des Netzwerkes dicht zusammengepreßt ist. Die Kerne der Nephrocyten liegen gewöhnlich basal, vermutlich deshalb, weil dort das Protoplasma am reichlichsten ist. Nur selten trifft man einen Kern, der von der Blutlacune aus betrachtet, jenseits der distalen Vacuole gelegen ist, wie es z. B. die in Fig. 24 rechts gelegene Zelle zeigt. Bei den syncytialen Epithelien dagegen kann man schon öfter Kerne finden, die ein größeres Stück von der Basalmembran entfernt liegen. Es läßt sich vermuten, daß die Kerne hier von den großen Vacuolen, welche die Basalmembran oft unmittel- C^' drbk. ^köch. (dr.bh.) und konzentrischen Schalen (k.sch), Vergr. 832 x . Fig. 27. Harnconcrenient bestehend bar berühren, aus ihrer normalen Lage verdrängt aus dmsigem Biidungskem worden sind (Fig. 29, ke.). Das Plasma weist zumeist eine mehr oder weniger wabige Struktur auf; bei den mit FLEMMiNGscher Lösung kon- servierten Objekten sah ich es auch oft granuliert. Die Kerne sind, wenn sie nicht gerade passiv durch Concremente oder Granula eingeschnürt werden, rund. Ihre Größe im Verhältnis zum gesamten Zellvolumen ist oft als gering zu bezeichnen nach Abzug der Vacuolen jedoch, mit der Plasmamenge verglichen, ver- schiebt sich das Größenver- hältnis zugunsten des Kerns. In dem Plasma der Nephrocyten finden sich fast stets Körnchen, in den Figu- ren mit cjr. bezeichnet, die in bezug auf Lage, Zahl und Form großen Schwankungen unterworfen sind. Oft füllen sie das gesamte basale Plasma aus und verdecken seine Struk- Nierensackepithel, m den Vacuolen viele Einzelsphäro- tur, wie Z. B. in der zweiten ^'^^"^ ^''^"-^ enthaltend, cdr, Konkretionsdruse. Be- Zeichnung wie Fig. 24, Vergr. 832 x , Zelle von rechts in Fig. 24. Die Größe, die hier einzelne von ihnen erreichen können, bleibt oft nicht viel hinter der Kerngröße zurück. Meist sind sie kleiner, von nicht so abgerundeter Gestalt (Fig. 26 u. 28, gr.) und bedecken nicht das gesamte basale Protoplasma, sondern nur Teile desselben, oft solche, die in der Nähe des Kernes liegen. Nur selten und dann in geringer Zahl sah ich sie in den Protoplasmasträngen beiderseits der Vacuole C{/r- 628 Carl Freitag, hinauftreten (Fig. 25) oder gar distalwärts der Vacuolen gelegen (2. Zelle von links der Fig. 24). Die Körnchen sind stets unmittelbar vom Protoplasma eingeschlossen, nie sah ich sie von Vacuolen um- geben. Sehr eigenartig ist das Verhalten dieser Körnchen Farbstoffen gegenüber, aus dem man einige Schlüsse über ihre chemische Natur ziehen kann, nur wenige jedoch, denn zu einer genauen Bestimmung bedürfte es mikrochemischer Keaktionen, die ich nicht anstellen konnte. In den vitalen Zupfpräparaten besitzen die Körnchen eine hell- bis K.sch. drbk '7^ ksch drbk )P) ke g/ Fig. 2ü. Nierensackepithel in extremem FüUungsstadiuin aus den letzten Wochen der Winterruhe, Vergr. 832 X . MqI, Harnliügelclien. Bezeichnung wie Fig. 24 und 27. braungelbe Farbe, meist Kugelgestalt und ein glänzendes, homogenes Aussehen. Durch dieses homogene Aussehen kann man sie sofort von kleinen, oft ebenso großen Harnkügelchen unterscheiden; Harnkügel- chen von der Größe wie sie etwa Fig. 28, esyh. in den distalen Vacuolen zeigt. An diesen kann man nämlich bei gewisser Mikroskopeinstellung eine Andeutung von radiärer Streifung bemerken, ein Umstand, der auf ihre Sphärokristallnatur schließen läßt. Schöpfe, dem die oben be- sprochenen Körnchen schon bei der mikroskopischen Betrachtung von frischen Schneckennieren aufgefallen waren, äußert sich darüber folgen- dermaßen: »Außer den kleinsten Harnküjrelchen finden sich in dem Die Niere von Helix pomatia. 629 Protoplasma der Nierenzellen noch andre ebensolche Granula in großer Anzahl, die ihnen sehr ähnlich sehen; man könnte sie miteinander ver- wechseln. Aber die Untersuchung im polarisierten Licht zeigt, daß es keine Harnkügelchen sind; sie werden zu den Protoplasmabestand- teilen der Zelle gehören. « Geht schon hieraus zur Genüge hervor, daß diese Plasniagebilde mit den Harnkügelchen nichts zu tun haben, so wird dies noch unzweifelhafter durch die Lösungserscheinungen. In allen Fällen nämlich, in denen die Harnconcremente teilweise oder vollständig aufgelöst waren, lagen die Granula unversehrt im Plasma (Fig. 25 u. 26). Selbst in Präparaten, die nach den von Nalepa ge- gebenen Lösungsanweisungen ausgekocht und nacheinander mit Salz- säure, verdünnter Kalilauge und Ammoniakalkohol behandelt wurden, waren sie noch vorhanden. Man könnte nach dem Gesagten auf die Vermutung kommen, daß die Körnchen Eiweißgranula seien, wie dies anscheinend Schöpfe annimmt, der sie zu den »Protoplasmabestandteilen der Zelle« gehörig anspricht. Ich glaube dies jedoch nicht, denn wenn man von Biweiß- granula gewohnt ist, daß sie Farbstoffe in intensiver Weise annehmen, so läßt sich von den Granula der Nephrocyte von Helix das Gegenteil konstatieren. Am intensivsten wurde Hämatoxylin nach Heidenhain nach FLEMMiNGscher Konservierung aufgenommen. Die Granula hoben sich dann als schwarze Gebilde recht deutlich vom Protoplasma ab. Nach der gleichen Konservierung jedoch und nachfolgender Fär- bung mit Safranin hatten die Körnchen nur einen schwachroten Schim- mer; sie traten jedenfalls gar nicht mehr durch ihre Färbung vor dem Protoplasma hervor, während das Chromatin des Kerns hochrot gefärbt war. Nach Sublimatkonservierung und Hämatoxylin Del.- Eosinfärbung zeigten die Granula weder die blaue Hämatoxylin- noch die rote Eosinfarbe, sondern hoben sich durch ihre natürliche gelbe Farbe scharf von dem Protoplasma ab. Ferner wurde Anilinblau in MALLOKYscher Lösung, ein Farbstoff, den gerade die Kerne und das Plasma nicht annehmen, intensiv von den Granulis absorbiert. Nach alledem glaube ich mich berechtigt, zu schließen^ daß die Körnchen keine Eiweißnatur besitzen; doch möchte ich deshalb den Namen Granula für diese Gebilde nicht ablehnen, vornehmlich deshalb nicht, weil sie in bezug auf ihr Vorkommen streng an das Protoplasma ge- bunden sind und nie in die distale Vacuole hineingelangen. Doch hiervon wird erst später die Kede sein, wenn uns die zweite oben gestellte Frage beschäftigt. Wenn ich schon jetzt den Granulis das Interesse zuwandte, so oeschah es deshalb, weil sie eben in der 630 Carl Freitag, Regel im basalen Plasma zwischeii Blutlacune und distaler Vacuole zu sehen sind und deshalb als >>Excretkörnchen<< angesehen werden könnten, eine Anschauung, die in Krahelska ihre Vertreterin gefunden hat und die im folgenden noch weiter zu widerlegen sein wird. Krahelska beschreibt die »Excretstof fe « im Plasma folgender- maßen: >>Die Excretkörnchen und Excrettröpfchen treten zuerst basal im Protoplasma auf, erst später kommt es zur Bildung der terminalen Vacuole und Anhäufung größerer Mengen von geformten Excreten in derselben. Unter den primären Excretkörnchen sind zu unterscheiden die natürlich gelb gefärbten und die farblosen hämatophilen. Die ersten werden an der Stelle im basalen Plasma aufgelöst und umge- arbeitet, die hämatophilen gelangen direkt — d h. ohne eine Verände- rung zu erfahren — in die terminale Vacuole, durch Verschmelzung die strukturlosen Harnkörperchen bildend.« An einer anderen Stelle äußert sich Krahelska über die Körnchen des Plasmas noch in folgen- der Weise: »Außerhalb der großen excretorischen Vacuolen sieht man mehr basal liegende, entweder direkt in das Protoplasma eingebettete oder von kleinen Vacuolen eingeschlossene Excretkörnchen. Auf Grund ihres Aussehens und des Verhaltens den Farbstoffen gegenüber kann man zwei Arten von Excretkörnchen unterscheiden: 1) Die in den Herbstpräparaten in weitaus überwiegender Mehrzahl vorhandenen Körnchen einer gelbbraunen, stark lichtbrechenden Substanz, welche sich mit keinen von den angewandten Farbstoffen tingiert, und 2) die viel selteneren, matten, hämatophilen, also aus organischer Substanz bestehenden Körnchen. « Es ist in der Tat schwer, wenn man sich das oben über die Granula Ausgesagte vergegenwärtigt, zu entscheiden, was Krahelska mit der einen oder andern Art von »Excretkörnchen« meint. Es wäre möglich, daß sie die Granula infolge ihres wechselnden Verhaltens Farbstoffen gegenüber, ein Verhalten, das wahrscheinlich in der wechselnden che- mischen Zusammensetzung dieser Gebilde seine Erklärung findet, nicht identifiziert hat, oder aber, es haben ihr kleine Harnkügelchen vor- geschwebt, die sie als »stark lichtbrechende, sich mit keinen Farb- stoffen tingierende Körnchen« beschrieben hat. Diese Harnkügelchen haben dann jedoch nicht an ihrem normalen Platze gelegen, sondern waren durch das Mikrotommesser aus der distalen Vacuole verschleppt, wie dies bei kristallinischer Substanz natürlich vorkommen kann. Wenn ich jetzt, nach diesen Vorbemerkungen über die »Granula«, die Körnchen des basalen Plasmas, auf die eingangs gestellte Frage des Importes der Excretstoffe aus dem Blute in die Nephrocyten zurück- Die Niere von Helis pomatia. ' 631 komme, so ergeben sich hinsichtlich dieser Körnchen zwei Möglichkeiten: Entweder sie entstehen im Protoplasma, oder sie gelangen als bereits geformte Gebilde von den Blutlacunen aus in die Zellen. Dieser letzte Prozeß müßte dann einer mikroskopischen Untersuchung zugängig sein. Krahels^a hat sich für die letzte Möglichkeit entschieden und unterscheidet zwei Arten des Importes: 1) die direkte Aufnahme der geformten Excretstoffe und 2) die indirekte durch Vermittlung von Wanderzellen, durch Diapedese. Dem ersten Modus kommt die größere Bedeutung zu, während der zweite nur eine Art Hilfsmittel darstellt. Krahelska hat dieselben Körnchen, die sie im Plasma vorfand, in den Blutlacunen wieder gefunden: >>Sie liegen in den Stützleisten entweder frei in den Blutlacunen, oder aber in größerer Menge im Zelleibe der amöboiden Wanderzellen aufgespeichert. Im ersten wie im zweiten Falle müssen sie durch die Basalmembran hindurch, um in die Epithel- zelle zu gelangen. Für die frei im Lumen der Lacune liegenden Körn- chen geschieht es dadurch, daß die Basalmembran sich stellenweise in das Epithelplasma vorwölbt bis zur Bildung eines mit Excretkörnchen gefüllten Bläschens. Nach Abschnürung desselben liegt die so ent- standene Excretvacuole bereits im Plasma der Nephrocyten. Ihre aus der Basalmembran gebildete Wand verliert alsbald den spezifischen tinktoriellen Charakter und wird wahrscheinlich ebenso wie auch die braunen Körnchen aufgelöst.« Zur Kritik dieser Anschauung kann ich auch hier nur anführen, daß Krahelska in den Blutlacunen, ebenso wie vorher im Plasma durch das Messer verschleppte Harnkügelchen beobachtet haben muß ; ich habe von freien Körnchen in den Blutbahnen nie etwas bemerkt. Daß die Harnsubstanzen, die doch gewöhnlich stark giftig wirken, schon im Blute in so starker Konzentration vorkommen, daß sie dort auskristallisieren, wäre ein ganz ungewöhnliches Verhalten; beruht ja doch gerade die spezifische Tätigkeit der Nierenorgane darauf, die Harnstoffe, die im Blute in verhältnismäßig starker Verdünnung kreisen, zu kondensieren und kondensiert als Harn zur Ausscheidung zu bringen. Auch die Frage der Diapedese, wenigstens ihre Bedeutung für den Ausscheidungsprozeß, muß ich verneinend beantworten. Krahelska unterscheidet in den Blutbahnen der Niere kleine runde Blutzellen und typische Amöbocyten, deren Körper allein formveränderlich ist. Nur diese letzteren sollen Excretkörnchen — auch hier die braunen licht- brechenden — enthalten und der Diapedese fähig sein. Mir scheint diese Unterscheidung nicht gerechtfertigt zu sein, da ich in den Blut- 632 * Carl Freitag, bahnen alle Übergänge zwischen runden und sehr lang gestreckten, oft spindelförmigen Blutzellen vorfand, die sich der Größe und dem Aus- sehen nach vollkommen glichen. Ihre runde Gestalt wiesen die Blut- elemente nur in Blutbahnen auf, die breit waren, und in denen sie daher frei in der Blutflüssigkeit schwebten, die längliche und spindelförmige Form dagegen in den engen spaltförmlgen Lumina der Nierenfalten (Fig. 25, blz.). Man könnte daher annehmen, daß die Blutzellen beim Passieren des Spaltes passiv infolge der Heftigkeit des Blutstromes plattgedrückt würden; mir scheint dies jedoch nicht wahrscheinlich zu sein, denn ich sah Blutzellen auch häufig längliche Form annehmen, wenn sie sich in breiten Blutlacunen einseitig der Basalmembran der Nephrocyten anlegten. Die Blutzellen besitzen um den Kern herum einen dünnen Plasmasaum, der ein homogenes Aussehen aufweist. Daß diese Blutelemente Körnchen in ihrem wenigen Plasma führen, konnte ich in keinem Falle beobachten. Die lichtbrechenden kristalli- nischen scheiden für mich von vornherein aus, aber auch solche, die mit den Granula des Plasmas zu identifizieren wären, kamen mir nicht zu Gesicht. Dagegen sah ich Bilder, welche die MögUchkeit eines Eindringens der nicht mit Excreten beladenen Blutzellen in das Nierensackepithel nicht von der Hand w^eisen lassen. Ein solches Bild zeigt Fig. 26. Die Blutzelle (blz.), deren Kern sich vor den Kernen der Nephrocyten durch eine stärkere Färbbarkeit auszeichnet, hat bereits die Basal- membran durchdrungen und steht noch mit ihr in Verbindung. Gegen das Plasma der Nephrocyte ist die Blutzelle durch eine deutliche Kontur abgegrenzt. Aus der Seltenheit derartiger Bilder glaube ich jedoch schheßen zu müssen, daß dem Eindringen von Blutelementen keine Bedeutung für die Excretion beizumessen ist. Es käme vielleicht Phagocytose in Frage, wie sie auch bei anderen Epithelien vielfach beschrieben ist. Nur ein Zellelement traf ich zuweilen in den Blutbahnen der Nieie an, das Körnchen in großer Zahl in seinem Plasma enthielt und deshalb stets sofort in die Augen fiel. Ein solches ist in Fig. 25, Jcgz. dargestellt. Der Plasmaleib ist zu einem dünnwandigen Maschenwerk ausgedehnt; in jeder Masche steckt ein Körnchen, das oft kugelrund erscheint, oft jedoch auch durch das benachbarte Körnchen leicht abgeplattet ist. Der Kern, der etwa die Größe eines Nephrocytenkernes besitzt, ist meist wandständig und zeigt sich durch die zunächstliegenden Körnchen vielfach eingebuchtet. Diese Zellen, die ich auch sonst im Bindegewebe antraf, so be- Die Niere von Helix pomatia. 633 sonders regelmäßig in dem Bindegewebe der Scheidewand zwischen Nierensack und der vorgelagerten Spitze des primären Harnleiters, sind von Krahelska nach einer Bezeichnung von Kollmann als Kugel- zellen beschrieben worden. Mit dieser Beschreibung stimme ich bis auf den Punkt überein, daß ich das Plasma nicht auf eine »ectoplas- matische Membran« reduziert fand, sondern, wie ich oben erwähnte, zu einem Maschenwerk ausgedehnt. Die Frage nach der Bedeutung dieser Zellen, ob ihnen excreto- rische oder speichernde Funktion zuzuschreiben sei, wird von Cuenot, Semper, Kollmann und Krahelska mehr im zweiten Sinne beant- wortet. Cuenot nennt sie »Mast-«, Semper »Fettzellen«, Krahelska und Kollmann knüpfen daran die Bemerkung, daß sie im Gewebe fastender Tiere verschwinden. Der Name »Fettzellen« dürfte nicht zu Recht bestehen, da die Einschlüsse nach Osmiumkonservierung und nachfolgender Safraninfärbung nicht schwarze, sondern eine schwach rote Farbe aufweisen. Eine Einwanderung dieser Zellen in das Nierenepithel habe ich niemals feststellen können; auch ihr seltenes und wie es scheint nicht stetes Vorkommen deutet darauf hin, daß sie für den Nierenexcretions- prozeß keinerlei Bedeutung haben. Nach Ausscheidung der beiden von Krahelska vertretenen Arten des Importes der Excretstoffe als geformte Elemente bleibt von selbst als einzige Möglichkeit die molekulare Aufnahme der Harnstoffe aus dem Blute bestehen. Sie werden nicht nur molekular aufgenommen, sondern passieren auch molekular das Plasma und werden erst in den distalen Vacuolen zu geformten Gebilden, den Harnkügelchen, konden- siert, ein Vorgang, dem nunmehr unsere Aufmerksamkeit zugewandt sei. 3. Die Kondensation des Harns in den Vacuolen. Krahelska hat sich von der funktionellen Entwicklung der Harn- concremente folgende Vorstellung gemacht: Die »hämatophilen, aus organischer Substanz« bestehenden Körnchen, die Krahelska im basalen Plasma beobachtet hat, gelangen als solche in die distale Vacuole und verschmelzen hier zu einem organischen Bildungskern. Um diesen Kern sollen sich dann nach und nach Schichten einer gelben, licht- brechenden Substanz anlagern, wodurch schließlich die typischen kri- stallinischen Harnkügelchen entstehen. So ist der Prozeß jedoch nur im Winter. »In der Herbstniere kommt es nur zur Ablagerung erster glänzender Schichten, welche einen unregelmäßigen Umriß besaßen, ganz durchsichtig und farblos, selten hellgelb gefärbt waren.« Es Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 42 634 Carl Freitag, trat auch diese Öchichtenbildung nur an seltenen Harnkörperchen auf. »Die meisten kamen als strukturlose Excretklumpen von sehr ver- schiedener Größe zur Ausscheidung. << Auch im Sommer sollen die fertigen Concremente organischer Natur sein, wenigstens enthalten die »geräumigen Excretvacuolen einer im Juli getöteten Schnecke cyano- phile Excretkörnchen, die zu großen Klumpen verschmolzen sind.« Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß die Angaben Krahelskas nicht den Tatsachen entsprechen. Man kann sich im Sommer durch mikroskopische Untersuchung jeder Schneckenniere überzeugen, daß sie nur kristallinische Harnconcremente enthält, die, wenn sie unver- sehrt sind, keinen Farbstoff aufnehmen. Die Täuschung, die zur Annahme eines organischen Bildungs- kernes führte, rührt in erster Linie von Beobachtungen der Harn- kügelchen im polarisierten Licht her, die von Schöpfe an Helix und von Nalepa an Zokites angestellt wurden. Sie sahen, daß das Achsen- kreuz, das viele Harnkügelchen bei gekreuzten Nicols zeigten, nicht im Centrum des Kügelchens geschlossen w^ar, sondern mehr oder weniger offen blieb, und schlössen daraus mit Kecht auf eine >> abweichende Be- schaffenheit des centralen Kornes.« Damit sollte jedoch nicht, nach der Meinung beider Forscher, die organische Natur des Centrums fest- gestellt sein. Man kann sich im Gegenteil schon durch den bloßen Blick von der kristallinischen Natur des centralen Kernes überzeugen. Besonders deutlich an solchen Sphärolithen, die durch das Mikrotommesser hal- biert wurden; die unverletzten sind meist zu wenig durchsichtig. Ein solches Concrement zeigt Fig. 27. Man überzeugt sich daran leicht, daß hier der centrale Kern durch ein Conglomerat von vielen kleinen Sphärokristallen gebildet worden ist. Diese kleinen Kristalle zeigen meist ganz deutlich radiäre Strichelung, einzelne auch concentrische Schichtung, Eigenschaften, die an ihrer Sphärokristallnatur nicht zweifeln lassen. Umgeben ist der durch Verschmelzung entstandene Drusenkern {(Ir.bk.) von drei Schichten, die sich zwiebelschalenartig um ihn herum- legen. Die innersten beiden Schichten sind besonders stark licht- brechend und lassen daher eine fein radiäre Streifung nicht erkennen, im Gegensatz zur äußeren, welche die radiäre Strichelung sehr schön aufweist. Von innen nach außen gleichen die Schalen die Unebenhei- ten des centralen Verschmelzungskornes allmählich aus und bewirken dadurch, daß die Oberfläche des fertigen Sphärolithen glatt und ab- gerundet erscheint. Die Niere von Helix pomatia. 635 Der Aufbau eines solchen Concrementes läßt von vornherein seine Entstehungsweise vermuten: Es müssen sich zuerst die kleinen Sphäro- lithen des Kernes gebildet haben, die dann zu der Sphärokristalldruse verschmolzen sind. Die drei Schalen, die natürlich in chemischer Hin- sicht dem Kern gleich sind, haben sich nach und nach um die Druse her umgelegt. Wenn man längere Zeit das Gewebe einer Schneckenniere mikro- skopisch betrachtet, kann man sich von der Kichtigkeit dieser Ent- stehungsweise leicht überzeugen. Man kann sie, wie gesagt, nur nicht an einer einzigen Niere verfolgen, weil eben das Organ periodisch funk- tioniert. Fig. 28 zeigt drei nebeneinander liegende Nephrocyten einer Niere, die etwa 8 Tage vor der Konservierung ihre alten Harnconcre- mente entleert hatte. Die Nierenzellen enthalten in den Vacuolen eine größere Anzahl von Einzelkristallen, deren Sphärolithennatur nicht angezweifelt werden kann. Sie sind stark lichtbrechend, vollkommen rund, haben eine hellgelbe Sandfarbe, bei bestimmter Mikroskop- einstellung radiäre Streifung und weisen auch, wenn sie genügend groß sind, um diese Verhältnisse erkennen zu lassen, bei gekreuzten Nicols das Polarisationskreuz auf und zwar das im Centrum geschlossene. In der mittleren Zelle der Fig. 28 sind die kleinen Sphärokristalle noch sämtlich frei, in der linken bemerkt man außer einzelnen freien ein größeres Verschmelzungsprodukt, in der rechten deren zwei kleinere. Die Sphärolithe liegen sämtlich in der Vacuole, die außerdem noch eine größere Menge Flüssigkeit, die Mutterlauge, enthält. Wie ich schon erwähnte, läßt sich dieser Kondensationsprozeß ganz besonders schön an frisch in Blutflüssigkeit zerzupften Nierenepithelien beobachten. Es lösen sich dabei die Vacuolen vielfach von den Zellen los, bleiben jedoch unversehrt und lassen als kleine Bläschen mit dünner Wandung ihren teils flüssigen teils festen Inhalt erkennen. Die kleinen Sphärokristalle zeigen darin dann in der Regel eine außerordentlich lebhafte, zitternde Bewegung, die BROWNSche Molekularbewegung, so daß man glauben möchte, kleine Lebewesen, Ciliaten, vor sich zu haben. Das Verschmelzen der Kristalle selbst läßt sich natürlich unter dem Mikroskop nicht sehen; aus dem massenhaften Auftreten jedoch der freien Kristalle sowohl, wie der Kristalldrusen muß man auf das ganz allgemeine Vorkommen dieses Prozesses schließen. Im Prinzip unterscheidet sich diese Verschmelzung der kleinen Kriställchen nicht von derjenigen, wie sie größere Sphärolithe eingehen. Fig. 31, b, c und d zeigt die Verschmelzungsprodukte von 2, 3 und mehreren verwach- senen Sphärolithen, welche einfach so erklärt werden müssen, daß die 42* 636 Carl Freitag, Kristalle, welche anfangs frei in ein und derselben Mutterlauge heran- wuchsen, sich von einem bestimmten Zeitpunkt ab mit ihren Peripherien berührten und am Weiterwachsen an der berührten Stelle hinderten. Es entstanden daher an diesen Stellen gerade Flächen. Vergleicht man diese Prozesse mit den bei Pflanzen ganz allgemein verbreiteten, der Entstehung der Stärkekörner, wie sie A. Meyer ge- schildert hat, so ergibt sich ein prinzipieller Unterschied: Während der Stärkekristall stets dicht von der lebendigen Chromatophorensubstanz umschlossen ist, die die Mutterlauge erzeugt, bilden sich bei Helix die Harnkristalle, und zwar meist viele, von Anfang an in einer gemein- samen Mutterlauge. Eine Verschmelzung zweier benachbarter, in einem Chromatophor liegender Stärkekörner kommt erst dann zustande, wenn die Chromatophorensubstanz zwischen ihnen durch das zu- nehmende Wachstum der Stärkekörner verdrängt wird. Ich vermute, daß bei dem Verschmelzungsprozeß bei Helix der schwankende Flüssigkeitsgehalt der Vacuolen eine Rolle spielt. Man kann sich an Nieren, die im Sommer zu verschiedenen Zeiten konser- viert wurden, leicht von derartigen Schwankungen überzeugen: bald liegt das Harnconcrement direkt im Protoplasma eingeschlossen, bald enthält die Vacuole noch eine mehr oder weniger große Menge Flüssig- keit. Schöpfe scheint nicht dieser Meinung gewesen zu sein; ich schließe dies daraus, daß er sich nie des Ausdrucks »Vacuole« bedient, er zeichnet auch die Harnkügelchen stets dicht vom Protoplasma um- schlossen. »Das Harnkügelchen wird in dem Protoplasma der Zelle gebildet, und zwar fast ausschließlich an dem freien (gemeint ist das distale) Ende der Zelle.« Durch diese letzte Anmerkung zeigt jedoch Schöpfe, daß er den Ort der Bildung richtig erkannt hat, er unter- scheidet sich dadurch von Krahelska, die ja, wie gesagt, das basale Plasma für den ersten Entstehungsort erklärt. Wenn ich mich des Wortes »Vacuole« bediene, so nehme ich des- halb nicht an, daß dieser Raum in der Zelle von einer besonderen Proto- plasmadifferenzierung, einer Vacuolenhaut, umgeben ist, wie etwa das Chromatophor eine Differenzierung des pflanzlichen Protoplasmas darstellt. Von einer solch differenzierten Wandung ist selbst bei stärk- sten Vergrößerungen nichts zu sehen : die Vacuole ist eine Höhlung im Plasma, angefüllt mit einer mehr oder weniger großen Menge Mutter- lauge und Sphärokristallen. CuENOT hat den wechselnden Flüssigkeitsgehalt der Vacuole mit dem Feuchtigkeitsgehalt der Tiere in Zusammenhang gebracht. Wenn das Concrement direkt vom Sarc eingeschlossen ist, so erklärt sich das Die Niere von Helix pomatia. 637 aus Wassermangel im Organismus. Durch Injektion von wässrigen Lösungen gelang es Cuenot jedesmal größeren Flüssigkeitsgehalt der Vacuolen hervorzurufen. \- @ sch.Hr -kps. sch. kr- Fig. 30. Oewebekapsel (kps.) aus dem Xierensack mit darin eingeschlossenen scharfkantigen Kristallen {sch.hr.), ke, Kerne, Vergr. 384 x. Haben sich in einer mit einer größeren Menge Flüssigkeit ange- füllten Vacuole eine Anzahl kleiner freischwebender Sphärokristalle gebildet, so werden bei darauf folgender Trockenheit diese Kri- stalle in der kleiner werdenden Vacuole eng aneinandergedrängt und dadurch die Bedingungen der Verwachsung hergestellt. Nach der Verwachsung würden dann bei weiter anhaltender Trockenheit sich die konzentrischen Schalen um den Drusenkern herum an- lagern. Die Tatsache der Verschmel- zung der kleinen primären Sphäro- kristalle, des drusigen Bildungs- kernes und der konzentrischen Schalen liefert den Schlüssel zum Verständnis des Baues aller bei Helix vorkommender Harnconcremente. Zuweilen sind die zuerst entstandenen Sphärokriställchen so klein, daß man ihren sphäritischen Bau auch bei stärksten Vergrößerungen nicht erkennen kann. Man hat jedoch, um sich den gesamten Kondensations- prozeß einheitlich zu erklären, keinen Grund, an ihrer Sphärokristallnatur zu zweifeln. Durch Verwachsung derartig kleiner Kriställchen entsteht dann ein >> granuUerter Bildungskern«, eine Be- zeichnung, die man bei der Beschrei- bung der Harnconcremente von Pul- monaten in der Literatur häufig antreffen kann. Im Sommer unterbleibt häufig das Anlagern konzentrischer Schich- ten, die Druse kommt als solche zur Ausscheidung und kann dann be- Fig. 31. Concremente, die ein und derselben Niere entnommen sind, Vergr. 832 x . a) monar- ches, b) diarehes c) triarches, d) polyar- ches Harnconcrement. 638 Carl Freitag, deutende Größe erreichen, oder aber es kommt nur zur Bildung einiger, weniger konzentrischer Schichten. Im Winter dagegen geht der Prozeß im allgemeinen weiter, die Schalen werden zahlreicher angelagert (Fig. 29, k. seh.). Auf dieser größeren Dicke beruhen meiner Ansicht nach Unterschiede in der Färbung, die beispielsweise Nalepa von Zonites anführt : >> während des Sommers sind sie sehr durchsichtig und blaßgelblich gefärbt, im Winter hingegen nehmen sie eine schmutzig- gelbe Farbe an«. Daneben kann man, wenn auch nicht besonders häufig, große Concremente beobachten, die bis in ihr Inneres konzentrisch geschichtet sind und bis in das innerste Centrum die radiäre Strichelung aufweisen (Fig. 31a). Diese Harnkügelchen haben vollkommen runden Bau und zeigen im polarisierten Licht ein geschlossenes Achsenkreuz. In diesem Falle wurde eben von Anfang her in seiner Vacuole nur dieser einzige Sphärokristall gebildet. Bemerkt sei noch, daß auch Krahelska vollständig kristallinische Harnconcremente beobachtet hat. Diese sollen nach ihrer Meinung erst sekundär aus solchen mit organischem Bildungskern entstanden sein und, nur in den letzten Stadien der Winterruhe vorkommend, eine höchste Entwicklungsstufe darstellen: »Der organische Bildungskern dieser kristallinischen Harnkügelchen ist verschwunden, seine Stelle nimmt eine strukturlose dichte Anhäufung derselben lichtbrechenden Substanz ein, aus welcher das ganze Körperchen aufgebaut ist. Letzte Spuren von Cyanophilin, welche sich an diesen centralen Teilen noch stellenweise bemerken lassen, deuten darauf hin, daß sich hier eine allmähliche Umwandlung der cyanophilen in die lichtbrechende Sub- stanz vollzieht.« Eine gleichfalls noch vorkommende letzte Entwicklungsstufe sollen nach Krahelska solche Harnkügelchen vorstellen, die »central einen leeren Raum enthalten, gegen welchen sich eine innere lamellöse Schicht scharf abhebt. << Diese Schicht und die innere Höhlung sollen sekundär zustande kommen, indem »auf Kosten des organischen Kernes von innen her Schichten der lichtbrechenden Substanz zur Ablagerung kommen.« Bedenkt man, daß die restlose Umwandlung einer orga- nischen Masse, die nicht mehr in Zusammenhang mit der lebendigen Muttersubstanz des Protoplasmas steht, in eine anorganische sehr schwer zu erklären sein würde, so kann man nicht im Zweifel sein, daß die Erklärung, die Krahelska für die Entstehung der kristallinischen Harnconcremente gibt, den Tatsachen nicht gerecht wird. Die hohlen Harnkügelchen, die Krahelska gesehen und abgebildet hat, sind als Die Niere von Helix pomatia. 639 Kunstprodukte aufzufassen. Aus ihnen ist der kristallinische, drusige Kern, sei es durch das Messer beim Mikrotoniieren, sei es durch die lösende Einwirkung der Fixierungs- und Färbeflüssigkeiten entfernt. Nach dem, was ich bisher über den Bau der Harnconcremente bei Helix gesagt habe, kann man leicht verstehen, daß die vielen Literatur- angaben, wonach bei verschiedenen Pulmonatenformen die Harn- concremente verschiedenes Aussehen, verschiedene Größe und Struktur zeigen sollen, zwar auf richtigen Beobachtungen beruhen, jedoch nicht als Beweis dafür gelten können, daß der Bildungsprozeß bei ihnen ver- schieden verläuft. Derartige Harnkörperchen, bald rund, bald oval, bald drusig usf., wie sie in der Literatur beschrieben werden, können bei ein und demselben Tier vorkommen, wie ich an Helix pomatia gezeigt habe (Fig. 31). Nach weiteren Literaturangaben soll nicht ein organischer Kern in den Harnconcrementen zu finden sein, sondern organische Substanz soll eine Art Gerüst, eine organische Grundlage oder ein Stroma bilden. Als Beispiel sei die Schilderung der Concremente in Camillo Schnei- der angeführt: »Jedes Harnconcrement besteht aus einer organischen Grundlage und enthält Harnsäure. Die organische Grundlage wird von konzentrisch geschichteten zarten Häuten und einem dichteren Kern gebildet; beide dürften sich wohl vom Zellgerüst ableiten.« Es wäre hier noch besonders Schöpfe zu erwähnen, der nach Auf- lösung organische Rückstände beobachtet hat: »Nachdem vom Rande her nach der Mitte zu das Harnkügelchen durch den Auflösungsprozeß sein dunkles Aussehen verloren hat, sieht man noch den blassen zarten Rückstand von der Größe und der äußeren Form des früheren Kügel- chens. Am Rande ist die vorher beschriebene konzentrische Schichtung noch sichtbar, die jedoch mit dem Vorschreiten der Auflösung immer zarter geworden ist; in der Mitte ist kein bestimmter Bau zu erkennen. << Derartige Rückstände sollen sich nach Schöpfe sehr deutlich blau- violett mit Haematoxylin nach Benda färben. Schöpfe schließt gleichfalls daraus, »daß das Stroma aus protoplasmatischer Substanz besteht. << Wenn ich zu der Meinung übergehe, die ich mir über derartige Rückstände gebildet habe, so muß ich zuerst die Tatsache anführen, daß Schnitte, die von mit Sublimat konservierten Nieren entstammten und vor der Behandlung in den Farbflüssigkeiten nachweislich sehr schöne, große Harnconcremente enthielten, nach der Färbung in Haema- toxylin Del. keine Spur eines Rückstandes zeigten. In der Vacuole war nichts mehr vorhanden, man konnte die Stelle, an der das Concrement, 640 Carl Freitag, gelegen hatte, nicht mehr unterscheiden. Auch bei den mit Eisenhaema- toxyhn behandelten Schnitten waren die Vacuolen zumeist vollkommen leer. Ich finde eine Bestätigung hierfür bei Schöpfe, der nach Auf- lösungsversuchen an Stelle der früheren Kügelchen einen Hohlraum vorfand; der Hohlraum ist nur nicht »in allen Fällen leer«, sondern oft enthält er jenes oben beschriebene Stroma. Aus der Tatsache des nicht notwendigen, nicht in allen Fällen im Harnkügelchen vorhandenen, organischen Kückstandes schließe ich, daß. man dem Rückstand, wenn er einmal vorkommt, nicht die Bedeutung eines Gerüstes zuschreiben kann, weil sich eben typische Harnkörper- chen auch ohne einen solchen organischen Inhalt aufbauen können. Andererseits muß ich zugeben, daß zuweilen ein organischer Rück- stand nach Auflösung der Harnkügelchen zurückbleibt. Ich fand diesen Rückstand sehr schön blau gefärbt an Präparaten, die mit Mallory- scher Lösung gefärbt waren, aber auch an den in FLEMMiNGscher Lö- sung konservierten und mit Eisenhaematoxylin gefärbten Präparaten konnte der Rückstand nachgewiesen werden. Die Beobachtung war folgende: Solange die Harnkügelchen intakt waren und ihren kristal- linischen Gehalt sehr deutlich zu erkennen gaben, hatten sie keinen Farbstoff angenommen ; nachdem darauf die Lösung einsetzte und suk- zessive konzentrische Schichten von der Peripherie aus nach innen hinweglöste, nahmen diese hinweggelösten Schichten eine schöne blaue Färbung an. Nach vollständiger Lösung des kristallinischen Bestand- teils — um ganz sicher zu gehen, hatte ich derartige Schnitte ausge- kocht, mit verdünnter Kalilauge, Salzsäure und Ammoniakalkohol behandelt — , lag an Stelle des Harnkügelchens ein Bläschen von der gleichen Größe, mit außerordentlich zarter Wandung. In vielen Zellen war das Bläschen, wohl infolge der wirkenden Flüssigkeiten, zu- sammengeknittert, als wenn seine Wandung etwa aus Pergamentpapier bestünde. Fig. 24 zeigt in der linken Zelle ein unversehrtes, in den mittleren zusammengeknitterte Bläschen. Über die Herkunft und Entstehung dieser organischen Gebilde kann ich nichts Sicheres aussagen, sondern bin vollkommen auf Ver- mutungen angewiesen. Entweder müßte die organische Substanz ihren Ursprung aus der colloidalen Lösung der Vacuole, auf deren Vorhanden- sein man ja aus der Bildung der Sphärokristalle schließen muß, nehmen, oder aber aus dem Protoplasma. Im letzteren Falle vielleicht so, daß, nachdem das Protoplasma infolge Flüssigkeitsmangel der Vacuole den Sphärolithen fest umschlossen hatte, bei neuer Flüssigkeitszufuhr und Die Niere von Helix poinatia. 641 Füllung der Vacuole ein Protoplasmasaum am Sphärolithen hängen blieb. Jedenfalls vermag mich das gelegenthche Vorkommen derartiger organischer Rückstände nicht an der Meinung irre zu machen, daß der Vorgang in den Vacuolen im wesentlichen ein einfacher Kristallisations- prozeß ist. Die organische Substanz hat für die Bildung der Harn- kügelchen keine Bedeutung, sie ist nur eine zufällige und nicht stets vorkommende Einlagerung in dieselben. Am Schlüsse dieses Abschnittes sei noch einmal ein Blick auf die Granula des basalen Plasmas geworfen. Da jetzt gezeigt worden ist, daß die geformten Gebilde in der Vacuole zuerst stets als kleine Sphäro- kriställchen auftreten, während an den Körnchen des Plasmas nie die Eigenschaften von solchen nachzuweisen waren, da ferner bereits im vorigen'Abschnitt auf das stets verschiedene Verhalten (in chemischer Hinsicht) der beiden Arten von Gebilden hingewiesen worden ist, so kann kein Zweifel mehr bestehen, daß die Körnchen des Plasmas keine »Excretkörnchen« darstellen, die direkt, als solche, in die Vacuole ge- langen. Sie entstehen im Plasma und machen dort ihre Veränderungen durch. Sie sind Stoffwechselprodukte der Nephrocyten, über deren genauere Bedeutung so leicht nichts ausgesagt werden kann. Da diese Körnchen sich nie in den Flüssigkeiten lösten, in denen die Harnkügel- chen gelöst wurden, so enthalten sie niemals die Excretstoffe Harn- säure, harnsaure Salze usw., von denen anfangs die Rede war. Es muß daher angenommen werden, daß die Harnstoffe das basale Plasma molekular passieren. Ich vermute, daß die im Plasma liegenden Körper- chen Granula sind, die mit den spezifischen Fähigkeiten des nephridialen Plasmas, dem Auswahl- und Kondensationsvermögen, in enger Be- ziehung stehen. Im Anschluß an den normalen Kondensationsprozeß in den Vacuolen sei noch eine Erscheinung erwähnt, die ich in vielen Nieren beobachtete. Da sie jedoch nur als Ausnahme vorkommt, halte ich sie für patho- logisch. Es kamen mir scharfkantige Kristalle zu Gesicht, die an Größe die Harnconcremente meist weit übertrafen. Diese Kristalle waren stets dicht von Gewebe umgeben, in das zahlreiche Kerne von verschiedener Form eingestreut waren; sie waren wie von einer Kapsel umschlossen. Fig. 30 zeigt eine solche Kapsel mit zwei darinsteckenden Kristallen. Der größere von ihnen läßt seine Kristallnatur nur an der Scharfkantig- keit seiner Umrisse erkennen, der kleinere, der an der einen Ecke anscheinend durch das Mikrotommesser verletzt ist, außerdem noch durch eine feine Schichtung, die den äußeren Umrissen parallel läuft. 642 Carl Freitog, Welchem System die Kristalle angehören, vermochte ich nicht festzustellen. Im polarisierten Licht sah ich an ihnen nie ein Achsen- kreuz, beim Drehen des Nicol löschten sie einfach aus. Umgeben wurden derartige Kapseln von normalem Nierengewebe, sie saßen einer Lamelle seitlich etwa wie eine Geschwulst an. Da ich diese Gebilde an einer in Schnittserien zerlegten Niere in jedem zweiten bis dritten Schnitte beobachten konnte, so würden nach Anzahl der Schnitte in dem gesamten Nierensack über hundert solcher Kapseln liegen. In Schnitten, in denen nach längerer Einwirkung von Färbeflüssig- keiten die runden Harnkügelchen gelöst waren, zeigten sich auch die scharfkantigen Kristalle gelöst; die Kapseln ließen jedoch noch durch die Scharfkantigkeit der Umrisse der in ihnen enthaltenen Höhlungen die Stellen erkennen, an denen die Kristalle gelegen waren. Aus den Löslichkeitsverhältnissen kann man vielleicht schließen, daß die besprochenen Kristalle aus denselben Substanzen bestehen wie die Harnconcremente und aus der Lage der Kapseln im Nierengewebe, daß das Gewebe derselben ein Syncytium darstellt, das aus Nephrocyten hervorgegangen ist. Es sei hier eine Beobachtung Schopfes erwähnt, die er bei seinen Lösungsversuchen mit Schneckenharn machte: »Wenn das Lösungswasser auf dem Objektträger erwärmt wurde und ver- dampfte, traten in spärlicher Anzahl Kristalle auf, meist rechteckige Plättchen, daneben auch Sechsecke und Wetzsteinformen. Die Kristalle, die häufig eine beträchtliche Größe erreichen, sind doppeltbrechend.« Ich habe mir nach dem Erwähnten folgende Vorstellung der Er- scheinung gebildet: Die zu dem Syncytium der Kapsel verschmolzenen Nephrocyten sind ebenso wie normale Nierenzellen befähigt, die Harn- substanzen zu kondensieren. Die Auskristallisierung des Harns erfolgt nicht, wie normal, intracellulär in einer Vacuole, sondern in einem gemeinsamen Hohlraum. Dieser Hohlraum enthält, eben weil er nicht intracellulär ist, keine kolloidale Lösung und die Kristallisation erfolgt nicht in Form von Sphäro-, sondern von scharfkantigen Kristallen. Unter i)athologisclien Verhältnissen können Harnsedinicnte schon in den Harnwegen ausfallen und zur Bildung von Harnconcrementen Veranlassung geben. (Harnsäurekristalle in Drusen oder Wetzsteinform, oxalsaurer Kalk ( Brief kuvertforni) bei saurer Reaktion. Bei alkalischer Reaction harnsaures Ammonium in Gestalt von braunen Kugeln oder morgensternartig, Ammonium- magnesiumphosphat in Sargdeckelform.) Man könnte den Vorgang gewissermaßen mit der in der menschlichen Patho- logie vorkommenden Erscheinung des Auskristallisierens von Harnsubstanzen innerhalb der Nierenkanälchen vergleichen. In den Nierenlianälchen liegen Die Niere von Helix pomatia. 643 dann scharfkantige Kristalle von Harnsäure, Phosphaten u. dgl. Das Lumen des Kanälchens, das von den kondensierenden Nephrocyten umschlossen wird, •entspräche der Höhlung der oben besprochenen Kapseln. Nach der Fertigstellung der Harnkügelclien, werden sie in das Nierensacklumen entleert. 4. Ausscheidung der Excrete (Entleerung der Nephrocyte). Es wurde schon bei der Besprechung der Funktion der Harnleiter erwähnt, daß der Nierensack seine Concremente nicht kontinuierlich entleert, sondern periodenweise. Dies lehrt schon die Beobachtung, daß im Winterschlaf befindliche Tiere in ihren durchsichtigen Harn- leitern keinen Harn enthalten, aber auch bei Sommertieren trifft man nur äußerst selten solchen in den ausführenden Kanälen an. Nach der schon erwähnten Angabe Cuenots erfolgt die Entleerung im Sommer, je nach der Lebhaftigkeit des Stoffwechsels, alle 2 — 4 Wochen. Die Niere von Helix ist demnach nicht nur während des Winters ein Speicher- organ, sondern auch im Sommer. Der Unterschied zwischen Sommer- und Winternieren ist daher nur ein gradueller. Ihre Erklärung findet diese Tatsache darin, daß die Schnecke sich auch im Sommer bei un- günstigen Lebensbedingungen, z. B. anhaltender Trockenheit, in ihr Gehäuse zurückzieht und eine Art Ruhezustand durchmacht. Aus der Periodizität folgt, daß man den Ausscheidungsprozeß nicht an beliebigen Nieren beobachten kann, sondern nur an solchen, die durch den Austritt der ersten Harnmengen aus dem Atemloch an- gezeigt haben, daß sie im Stadium der Ausscheidung stehen. Um der- artige Tiere zu erhalten, verfuhr ich meist so, daß Tiere in den letzten Wochen des Winterschlafes aufgeweckt und bei feuchter Nahrung ge- halten wurden. Die ersten Harnmassen erschienen dann 2^3 Tage darauf am Atemloch. Die beiden Harnleiter, die oft prall gefüllt waren, zeigten an, daß große Mengen von Harn den Nierensack bereits ver- lassen hatten. Auch im Nierensacklumen, sowohl in dem centralen Raum als auch zwischen den Lamellen waren zahlreiche freie Harn- kügelchen zu sehen. Der Rest steckte entweder noch in den unver- sehrten Zellen oder war gerade im Begriff, die Zelle, die an der distalen Seite aufgerissen war, zu verlassen. Eine solche Niere im Stadium der Ausscheidung macht den Eindruck, als ob sie schlecht konserviert wäre, denn das Nierensacklumen enthält außer Harnconcrementen noch Zell- trümmer, die fast ausnahmslos keine Kerne enthaltend, der distalen Zellregion entstammen; sie verfallen der Degeneration. Die basalen Zellteile mit den Kernen bleiben erhalten. Es kann deshalb kein 644 Carl Freitag, Zweifel bestehen, daß die Ausscheidung in der Regel keine holokrine ist, als die sie Girod folgendermaßen beschrieben hat: »La cellule excretrice tombe avec sa vacuole chargee des substances excretees, eile ne peut pas persister ä la reconstitution de son protoplasme et jouer de nouveau un role excreteur. Elle est rejetee, poussee par les cellules jeunes qui se multiplient du point ou les trabecules s'inserent sur la paroi. << In einer ausscheidenden Niere findet man auch stets schon wieder Nephrocyten, die ihren distalen Zellteil ergänzt haben. Die distale, neue Zellwand, die dann die wiederhergestellte Nephrocyte gegen das Lumen abschließt, trägt noch zuweilen einen Saum von altem Plasma, das Spuren der Degeneration zeigt. Manche Nephrocyten, die am Beginn einer neuen Secretionsphase stehen, besitzen bereits eine kleine, distale Vacuole, die jedoch noch keine Harnkügelchen enthält. Diese mit dem Ausscheidungsprozeß von neuem beginnenden Nephrocyten nehmen naturgemäß infolge des Fehlens der großen distalen Vacuolen einen bedeutend geringeren Raum ein als vor der Ausscheidung. Die Folge davon ist die, daß die gesamte Nierensubstanz in demselben Maße an Raum abnimmt, in dem das Nierenlumen solchen gewinnt. Ich traf jedoch im Harnleiter, wenn auch in sehr geringer Zahl, Harnkügelchen, die von einer Hülle umgeben waren. Diese Hülle wies dasselbe färberische Verhalten wie das Zellplasma auf und kann deshalb nur der abgeschnürte, distale Zellteil sein. Auch bei dem beschriebenen Ausscheidungsprozeß spielt, w4e ich glaube, der Flüssigkeitsgehalt der Tiere mit. Ich überzeugte mich näm- lich, daß nur solche Schnecken nach dem "Winterschlafe auszuscheiden begannen, die Wasser in genügender Menge aufgenommen hatten. Es erklärt sich diese Erscheinung höchstwahrscheinlich so, daß die Wände der Excretvacuolen, sowieso durch die Größe der Harnkügelchen schon bedeutend ausgedehnt (Fig. 29), einem weiteren Druck infolge Flüssig- keitsaufnahme in die Vacuole nicht mehr standzuhalten vermögen und deshalb an der Stelle geringsten Widerstandes an der distalen Zellwand aufreißen. Krahelska hat außer der angeführten Ausscheidungsweise noch die Abschnürung von mit Flüssigkeit gefüllten Bläschen und die Bildung nackter Tröpfchen, die die distale Zellwand durchbrechen, beschrieben. Nach ihrer Meinung soll es eine kontinuierliche Ausscheidung sein, wenigstens ist von einer Periodizität nirgendwo die Rede. Ich habe Die Niere von Helix pomatia. 645 niemals Bilder gefunden, die eine solche Ausscheidungsweise recht- fertigen könnten. Auch das Ergebnis eines physiologischen Versuchs scheint mir dagegen zu sprechen. Ich injizierte Schnecken eine Lösung von Indigokarmin in Kochsalzlösung in 2 Dosen zu je 1 ccm. Indigo- karmin wird nach Cuenot ganz speziell von den Nephrocyten aufge- nommen und gespeichert. Der Farbstoff, der zuerst das ganze Tier blau färbte, konzentrierte sich innerhalb weniger Stunden vollständig auf den Nierensack. Wurden die Nieren solcher Tiere zerzupft unter dem Mikroskop betrachtet, so zeigte sich der flüssige Inhalt der Vacuolen blau gefärbt. Von den injizierten Schnecken wurde nach der Injektion Flüssigkeit ausgeschieden, die farblos war. Wäre die Flüssigkeit nach der von Krahedska beschriebenen Weise von den Nephrocyten secer- niert, so hätte sie gefärbt sein müssen. Es wäre jedoch noch die Frage aufzuwerfen, die schon bei der Be- sprechung der streifigen Zelle des primären Ureters auftauchte, ob nicht von Seiten der Nephrocyten eine molekulare Flüssigkeitsausscheidung stattfände. Ich kann diese Frage nicht mit Sicherheit entscheiden, da sie einer mikroskopischen Untersuchung nicht zugänglich ist. Bürstensäume, die verschiedentlich in der Literatur von Helix erwähnt werden, konnte ich nicht beobachten. Entweder trug die distale Zellwand überhaupt keine Plasmadifferenzierung oder einen homogenen Saum (Fig. 24, h.zs.). Den homogenen Saum fand ich be- sonders an den Nephrocyten, die sich am Scheitel der Nierenfalten be- fanden; ich halte den Saum für eine Plasmaausscheidung, die zur Be- festigung der distalen Zellwand beiträgt. Die am Scheitel befmdlichen Zellen bedürfen ganz besonders einer solchen Befestigung, weil ihre dem Lumen zugewandten Zellwände einen viel größeren Druck von innen her aushalten müssen. An denselben Präparaten, an denen die Bürstensäume des primären Harnleiters auf das schönste zu sehen waren, zeigte sich der oben besprochene Saum vollkommen homogen. Das Fehlen von Bürstensäumen an den Nephrocyten läßt mich annehmen, daß eine molekulare Flüssigkeitsausscheidung von selten derselben nicht stattfindet. Auf Grund der gemachten Beobachtungen kam ich zu folgender Vorstellung von der Tätigkeit der Nierenzelle bei Helix. Die Harnstoffe werden molekular aus den Blutlacunen von den Nephrocyten aufgenommen und molekular bis in die distale Vacuole gebracht. Die Körnchen des basalen Plasmas sind keine »Excret- körnchen«, sondern Granula, die im Plasma entstehen und stets an 646 Carl Freitag, dasselbe gebunden bleiben. Sie enthalten nicht die löslichen Harnstoffe der Concremente. Der Kristallisationsprozeß geht ausschließlich in den distalen Vacuolen von statten. Die geformten Excrete entstehen darin zuerst in wechselnder Zahl als kleine, vollkommen runde Sphärokristalle. Diese kleinen Kristalle verwachsen späterhin zu einer Sphärokristall- druse, die als solche zur Ausscheidung kommen kann. Meist jedoch bildet sie ihrerseits ein Kristallisationscentrum, um das sich mehr oder weniger zahlreiche Schichten derselben kristallinischen Substanz zwiebel- schalenartig herumlegen. Die Concremente sind zumeist nicht eigenthch organischer Natur,^ nur zuweilen enthalten sie wenig organische, d. h. organisierte Sub- stanz, der nicht die Bedeutung eines Gerüstes, sondern einer Ein- lagerung zukommt. Die Ausscheidung erfolgt in der Kegel durch Zerreißen der distalen Zell wand, ausnahmsweise durch Abschnürung der gesamten Vacuolen. Während der Winterruhe unterbleibt die Ausscheidung gänzlich, die Harnkügelchen verbleiben bis nach Beendigung derselben in den Nephrocyten. Im Sommer erfolgt die Ausscheidung perioden weise; die Niere kann auch während dieser Jahreszeit als Speicherorgan funktionieren. Diese Funktion erklärt sich als Anpassung an die Lebensweise der Schnecke, die während ungünstiger Lebensbedingungen sich in ihr Ge- häuse zurückzieht und einen Kuhezustand durchmacht. Marburg i. H., im Juli 1914. Der Verfasser der vorstehenden Arbeit wurde am 17. August 1888 in Borken» Kreis Homberg, geboren, besuchte dort die Vollvsschulc und nachher das Real- gymnasium in Cassel, das er Ostern 1908 verließ, um sich in Marburg und München dem Studium der Naturwissenschaften zu widmen. Dies tat er mit großem Eifer und regem Interesse. Die Ergebnisse seiner selbständigen zoologischen Unter- suchungen sind in der vorstehenden sorgfältigen Arbeit niedergelegt, die er zur Promotion benutzen wollte. Dazu sollte es jedoch leider nicht kommen. Mit Beginn des Krieges trat Carl Freitag, wie die meisten seiner Kommilitonen in das Heer ein, wurde bei dem Marburger Jägerbataillon ausgebildet, dann aber dem Gardeschützenbataillon zugeteilt. Voll Begeisterung zog auch er in den Kampf, dessen Anstrengungen und Entbehrungen er mit größter Ausdauer und bestem Humor ertrug, wie denn sein Mut und die vor dem Feind bewiesene Tapferkeit von seinen Vorgesetzten besonders gerühmt wurden. Am 31. Dezember 1914 bei einem Sturmangriff im Westen durch einen Arm- und Oberschenkelschuß Die Kiere von Helix pomatia. 647 schwer verwundet, starb er am nächsten Tage im Feldlazarett. Die Nachricht von seinem Tode hat uns, wie die Seinigen, schwer getroffen; wir werden den von ernstem wissenschaftlichem Streben erfüllten, lieben Kommilitonen und treuen Mitarbeiter stets in ehrendem Andenken behalten. E. KORSCHELT. Literaturverzeichnis. Das Verzeichnis der benutzten Literatur war das einzige, was an der Ai'beit fehlte; Herr cand. rer. nat. H. Lüderikg hat sich als ein dem Verstorbenen Nahestehender der Mühe unterzogen, es zusammenzustellen. 1. Behme, Th., Beiträge zur Anatomie und Entwicklungsgeschichte des Harn- apparates der Lungenschnecken. Arch. f. Naturgesch. Jahrg. 55. 1889. 2. Bräun, M., Über die Entwicklung des Harnleiters bei Helix pomatia L. Nachrichtsbl. d. Deutsch. Malakozool. Gesellschaft. Jahrg. 20. 1888. 3. BiAL, M., Ein Beitrag zur Physiologie der Niere. Arch. ges. Physiol. XLVII. Bd. 1890. 4. Cu:enot, L., Etudes physiol. sur les Gast, pulmones. Arch. de Biol. T. XII. 1892. 5. — , L'excretion chez les Mollusques. Ibid. T. XVI. 6. — , Sur le fonctionnement du rein des Helix. Comjjt. Rend. Acad. Scienc. Paris. T. CXIX. 1894. 7. CüViER, Memoire sur la Limax et le Linia9on. Paris 1817. 8. GiROD, P., Observ. physiol. sur le rein de la Escargot. Compt. Rend. T. CXVIIL 1894. 9. Grobben, C, Die Pericardialdrüse der Gastropoden. Arb. a. d. Zool. Inst. Wien. IX. Bd. 10. Heidenhain, Plasma und Zelle. Jena. Bd. L 1907. Bd. IL 1911. 11. InERiNG, H. v., über den uropneustischen Apparat der Heliceen. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. XLI. 1884. 12. Jacobson, L. L., Sur l'existence des Reins dans les animaux MoUusques. Journ. de Phys. XCL 1820. 13. Kollmann, M., Rech, sur les leucocytes et le tissu lymphoide des Inverte- bres. Ann. de Sc. nat. (Zool.) 9. Serie. T. VIII. 1908. 14. Krahelska, M., Über den Einfluß der Winterruhe auf den histologischen Bau einiger Landpulmonaten. Jen. Zeitschr. Naturwiss. XLVI. Bd. 1910. 15. Lambertenghi, A., Contributo allo studio delle cellule renali dell' Helix pomatia L. e dell Limax variegatus Drap. In: Atti Soc. Ital. Sc. N. Milano. Vol. XLVII. 1908. 16. Meckel, H., Mikrographie einiger Drüsenapparate der niederen Tiere. Arch. f. Anat. u. Physiol. 1846. 17. Meisenheimer, J., Die Weinbergschnecke. Leipzig 1912. 18. Nalepa, A., Die Intercellularräume des Epithels und ihre physiologische Bedeutung bei den Pulmonaten. Sitzungsber. kais. Akad. Wiss. Wien. LXXXVIIL Bd. I. Abt. 1883. 648 Carl Freitag, 19. NüssLiN, O., Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten. Habilitationsschrift. Tübingen 1879. 20. Pekeier, R., Recherch. sur l'anat. et l'histol. du rein des Gast er. prosobr. Ann. Sc. nat. (Zool.) 7. Serie. T. VIII. 1890. 21. PlAte, L., Beiträge zur Anatomie und Syst. der Jafielliden. Zool. Jahrb. Abt. Morphol. Bd. IV. 22. Rolle, G., Die Renopericardialverbindung bei den Nacktschnecken. Jen. Zeitschr. Bd. XLIII, Heft 2. 1907. 23. Sauer, Neue Untersuchungen über das Nierenepithel. Arch. f. mikr. Anat. 1895. 24. Schneider, K. C, Lehrbuch der vergleichenden Histologie der Tiere. Jena 1902. 25. Schöpfe, Die Harnkügelchen bei Wirbellosen. Anat. Hefte. Abt. I. Bd. VII. 1897. 26. Semper, C, Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Pulmonaten. Zeitschr. f. wiss. Zool. Bd. IX. 1858. 27. Semroth, H., Mullusca (Pulmonata) in Bronns Klas.sen und Ordnungen. III. Bd. 1909. 28. Stiäsny, G., Die Niere der Weinbergschnecke. Zool. Anz. 1903. 29. SwAMMERDAM, J., Biblia naturae. Leydae 1737. Für alle Textfiguren geltende Bezeichnungen. af.lg., abführendes Lungengefäß. Itkgl., Harnkügelchen. af.ng., abführendes Nierengefäß. hv., Herz Vorkammer. ajt, After. h.zs., homogener Zellsaum. al, Atemloch. Lnp., innerer Nierenporus. aMf., äußerer Nierenporus. i.npe.. Epithel d. inneren Nierenpor bg., Bindegewebe. ke.. Kern. hg f., Bindegewebsfaser. kgz., Kugelzelle. hgstr., Bindegewebsstrang. kps., Kapsel. hlg., Blutgefäß. k.sch., konzentrische Schalen. hll., Blutlacune. kz., Kalottenzellen. Uz., Blutzelle. Id., Lungendach. hm., Basalmembran. h., Leber. hs., Bürstensaum. lg., Lungengefäß. cdr., Konkretionsdruse. Ih., Lungenhühle. d., Darm. Ihb., Lungenhöhlenboden. de., Darmepithel. Ihe., Lungenhühlenepithel. dr.hk., drusiger Bildungskern. Iv., Lungenvene. ed., Enddarm. mne., Mantelepithel. esph., Einzelsphärolithe. mr., Mündungsrinne. jlf., Flimmerfeld. viu\, Mantelwulst. flr., Flimmerrinne. ng., Nierengefäß. gr., Granula. np., Netzpolster d. gr. Urcterwand lih, Herzkammer. nr., Nervus renalis. Die Niere von Helix pomatia. 649 ns., Nierensack. nsd., Nierensackdeckel. nse., Nierensackepithel. nsf., Nierensacldalten. nsL, Nierensacklumen. nsw., Nierensackwand. o.rst., organischer Rückstand. pe., Pericard. 2}ee., Pericardialepithel. plstr., Plasmastreifung. p.u., primärer Ureter. pue. Epithel des primären Ureters. p.ul., Lumen d. pr. Ureter. (/.m., quergeschnittene Muskulatur. rec.se., Receptaculum seminis. rpk., Renopericardialkanal. rpke.. Epithel d. Renopericardialkanals. rpH., Lumen d. Renopericardialkanals. rv., Randvene. seh. kr., scharfkantiger Kristall sU., Stützleiste. s.u., sekundärer Ureter. • s.ue.. Epithel d. sek. Ureter. s.uf., Falten d. sek. Ureter. s.ul, Lumen d. sek. Ureter. sz., Schleimzelle. va., Vacuole. zf.lg., zuführendes Lungengefäß. zf.ng., zuführendes Nierengefäß. Zeitschrift f. wissensch. Zoologie. CXV. Bd. 43 Die Schnauzenorgane der Mormyriden. Von Dr. W. Stendell, Assistent am neurologischen Institut in Frankfurt a. M. (Aus dem Neurolog. Institute zu Frankfurt a. M. [Direktor Prof. Dr. L. Edinger]. ) Mit 15 Figuren im Text und Tafel VII. Die Mormyriden besitzen in ihrer vorderen Kopfregion merkwür- dige Organe, die als Sinnesapparate vermutlich höchst lebenswichtige Receptionen vermitteln und dadurch vielleicht nicht zuletzt den An- stoß zu den einzigartigen Umbildungen des Gehirns dieser Fische ge- geben haben. Es ist auch wahrscheinlich, daß damit die rüsselartige Verlängerung der Schnauze, wie sie Textfig. 1 bei Gnaihonemus zeigt, und welche viele Mormyriden auszeichnet, in ursächhchem Zu- sammenhang steht. Gerade in der Spitze der Schnauze nämlich finden sich die frag- lichen Organe konzentriert. Speziell liegen sie in der Unterlippe gehäuft. Textfig. 2 zeigt, wie dicht die Haut der Unterlippe von diesen Körpern durchsetzt ist. Dort ziehen sie sich TextfV 1 ^^^ ^^^ Lippenrändern tief in die Schnauzen- Kopf von Gnathonemm. Öffnung hinein. Sehr vereinzelt stecken eben- solche Apparate in der Oberlippe, während sie caudalwärts sowohl auf der Oberseite des Kopfes wie auch an der Kehle bald gänzlich verschwinden. Die Schnauzenorgane der Mormyriden gehören dem Integument an und werden von der Epidermis und dem Corium aufgebaut. Dabei bildet allein die Epidermis das eigentliche spezifische Organ, während das Corium nur insofern daran beteiligt ist, als es dasselbe in Form einer hohen Papille umgibt. Derartige Papillen sind in den dickeren Hautpartien vieler Fische häufig, werden also vielfach auch in der Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 651 Schnauze gefunden. Dabei herrschen die mannigfaltigsten Unter- schiede. So fand ich z. B. in der Schnauzenhaut des Aales, die sehr dick ist, aber zahllose Schleimzellen enthält, kaum nennensAverte Pa- pillen in das Epithel hineinragen. Höher werden die Papillen in den schleimzellenarmen oder -losen Epithelien, welche beispielsweise die Haut von Labrus und Malapterurus auszeichnen. Diese Papillen sind einfache, kurzzipfelförmige Gebilde, die nur selten von der Epidermis- seite her etwas flachgedrückt erscheinen. Ebensolche Papillen hat auch das Corium in der Haut des Mormyridenkopfes gebildet, aber nur da, wo dieser keine spezifischen Schnauzenorgane trägt. Diese einfachen zipfelförmigen Papillen liegen bei vielen Fischen an den dicken Hautstellen unter den gewöhnlichen Geschmacksknospen, Textfig. 2. Unterlippe einer Mormyridenschnauze, deren Haut von Schnauzenorganen durchsetzt ist. indem die diese versorgenden Nervenstämmchen in der Papille durch die hohe Epidermis peripheriewärts zur Knospe ziehen. Das ist auch bei demjenigen Mormyriden der Fall, der an Stelle der komplizierten Organe vorwiegend einfache Endknospen hat, bei 31ormyrops. In der- selben Weise sind die Papillen auch bei den Schnauzenorganen zu be- werten. Sie sollen in der sehr dicken Epidermis den Herantritt von Nerven und Blutgefäßen an die Organe ermöghchen. Um diesen Zweck weitgehend zu erfüllen, sind die Papillen becherartig um die Organe herumgestülpt. Ebenso könnte man sagen, die Organe haben sich in die Papille hineingedrückt. Wir sehen diese Verhältnisse gut in den Textfigg. 2 und 3. Die eigentlichen Organe werden von der Epidermis konstituiert, doch ist nicht zu erkennen, inwieweit einzelne Elemente des höchst 43* 652 W. Stendell, komplizierten Gebildes etwa entodermaler Natur sind, wie das John- ston für Geschmacksknospen angegeben hat. Die fertigen Organe bilden einen einheitlichen Komplex. Von vornherein können zwei verschiedene Arten von Schnauzen- organen unterschieden werden. Die eine Art findet sich bei Mormyrus und Gnathonemus (vielleicht auch vereinzelt bei Mormyrojps zwischen den Geschmacksknospen), die andre bei Gymnarchus. Im Prinzip sind beide Arten gleich aufgebaut, doch sind gewisse funktionell homologe Elemente morphologisch wesentlich different gebildet. So mögen denn nach einigen Worten über den beiden zukommenden allgemeinen Bau- typus die zwei Arten getrennt behandelt werden i. Die Schnauzenorgane der Mormyriden repräsentieren die Kombi- nation eines Sinnesapparates mit einem Drüsensystem. Dabei kann, wie später dargelegt werden soll, der Sinnesapparat auf den Typus der Geschmacksknospen zurückgeführt werden, indem er aber gleichzeitig ein Organ darstellt, das in die Reihe der Lateralorgane, also der Kopf- kanäle, SAVischen Bläschen, LoRRENZiNischen Ampullen usw. gestellt werden kann. Die Schnauzenorgane stehen also etwa zwischen Ge- schmacksknospen und Endhügeln und werden am besten als ein Typus für sich aufgefaßt. Mit dem Sinnesapparat, der im allgemeinen bei beiden Arten von Schnauzenorganen übereinstimmend gebaut ist, ist ein Drüsensystem verbunden, welches ganz besondere Verschieden- heiten in der Bildung aufweist, in beiden Fällen jedoch dem Zwecke dient, ein Sekret für das Schnauzenorgan zu liefern, in dem Körper der Mormyriden also offenbar keine andere Bedeutung haben dürfte. "Wir besprechen zunächst das Organ von Mormyrus, mit welchem dasjenige von Gnathonemus wesentlich übereinstimmt. Der Sinnes- apparat wird seinerseits aus verschiedenen Komponenten aufgebaut. Ich unterscheide die Sinneskapsel, die Sinneszellen und den Nervenendap parat. Die Sinneskapsel, die in der Norm in der Einzahl, bisweilen aber auch doppelt, noch seltener in der Mehrzahl in einem Organ gefunden wird, liegt stets nach der äußeren Oberfläche zu, während sich die stets in größerer Anzahl befindlichen übrigen Elemente nach innen um sie gruppieren. Die Sinneskapsel stellt einen runden, meist ovalen Hohl- raum von etwa 80 /< langer Achse dar. Sie liegt im eigentlichen Epithel, so, daß nach außen von ihr sich die Hauptmasse desselben ausbreitet 1 Die Absicht des Verf., die Schnauzeiiorgane von Gymnarchus getrennt zu behandeln, ist unausgeführt geblieben. Es liegen nur einige Zeichnungen über deren Bau vor, ein dieselben erläuternder Text ist nicht vorhanden. M. S. Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 653 und daß sie, wie das Textfig. 3 zeigt, fast ganz oder doch mit dem über- wiegenden Teile in der Papille steckt. Distal und seitlich wird die Kapsel darnach von dünnem Epithel bekleidet. Die die Kapsel begren- zenden Epithelzellen gehen ganz allmählich in die allgemeine Epidermis ?s»^., _ über. In den tieferen {;:>:v\::, \:Y\\— - ,,. ^ Lagen der Epidermis c > t:Yf >'^t'^^ cp Textfig. 3. Textfig. 4. SchnauzeQorgan von Mormyrus easchive. cup, Cutispapille; Stück aus der Epidermis von drz, Drüsenzelle; ep, Epidermis; flo, flaschenförmiges Organ; Mormyrus easchive bei Elsen- se, Secret; ska, Sinneskapsel. Zwischen den flo liegen noch hämatoxylinfärbung. plbr, Sinneszellen. Plasmabrücken. stellen die Zellen durchweg sehr platte und fast spindelförmige Elemente dar. Derartige Zellen haben sich zwiebelschalenartig um den Hohl- raum der Kapsel geordnet (Textfig. 3). Nur an der oberen Fläche der Kapsel ist die Struktur der Wand, die hier in die Epidermis übergeht, eine andre, worauf weiter unten 654 W. Stendell, noch eingegangen werden wird. Die konzentrisch geschichteten Epi- thelzellen scheinen eine sehr feste, vielleicht elastische Wand herzustel- len, die einem gewissen vom Kapselhohlraum her ausgehenden Druck entgegenwirkt. Durch zahlreiche fadenartige Plasmabrücken sind die Zellen noch dichter zusammengesponnen. Solche Plasmabrücken, die in Form von festen Stütz- und Verbindungsfasern ausgebildet sind, finden wir auch in Textfig. 4 aus einem Epidermisstück von Mormyrus bei Eisenhämatoxyhnfärbung. Ihre Kerne sind langgestreckt und zwar immer parallel der Kapselwand. Dabei sind sie, wie vermutlich die schwer gegeneinander abgrenzbaren Zellen selbst, am plattesten, je näher sie dem Hohlraum gelegen sind, d. h. je tiefer sie in der gespann- ten Kapselwand stecken. Am Rande der Papille biegen die Zellschich- ten deuthch horizontal um, senken sich in dem nächsten Organ wieder eine Kapsel umschließend in eine Papille hinein, und so allenthalben. Es macht das Ganze den Eindruck, als wenn durch Eröffnung, bzw. Erweiterung eines Hohlraumes im Epithel, der über einer Papille ge- legen ist, die Epithelzellen zu flachen Elementen ausgereckt und gleich- zeitig die den Hohlraum einschließenden Teile in die Papille hinein- gedrückt worden wären. In der Regel ist die Kapsel, außer nach den Drüsen zu, rings geschlossen. Eine Öffnung nach außen ist bei den meisten Kapseln nicht zu entdecken. Nur bei wenigen Organen, unter hunderten hie und da, führt aus der Kapsel nach der Oberfläche ein Kanal, der aber, wie mir scheint, nicht als ein präformiertes Gebilde anzusehen ist. Es war mir nämlich, wie gesagt, nur bei wenigen Kapseln möglich, den Kanal zu finden, obwohl ich sehr viele daraufhin durch- mustert und durch Serien verfolgt habe. Nirgends aber hatten diese Kanäle eine besondere Wandung, nirgends waren sie wenigstens gut und glatt begrenzt. Überhaupt hatten sie sehr selten einen geraden Verlauf. Die in Textfig. 5 abgebildeten sind die einzigen der Art, die ich habe finden können. Gerade hier wollte ich an Stelle der Zeichnung ein Photogramm treten lassen. Dieses Photogramm ist bei schärfster Einstellung hergestellt, so daß das verschwommene Aussehen der Ka- näle nicht etwa dem photographischen Verfahren zugeschrieben werden kann. Auch darf man nicht annehmen, daß die Kanäle zu eng seien, um in einem Schnitt geöffnet dazuhegen. Auch bei den dünnsten Schnitten und bei lebhaftem Drehen der Mikrometerschraube erhält man niemals den Eindruck eines wohlbegrenzten Kanales. Am meisten zeigt sich solche Begrenztheit vielleicht noch am untersten Ende des Kanales, wo sich dieser an die Kapsel anschließt, wie das aus Textfig. 5 hervorgeht. Besonders nach der Oberfläche zu jedoch erscheint das Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 655 Lumen einfach wie durch das Epithel durchgestoßen, so daß wir die äußere Öffnung aufgeweitet finden. Nirgends zeigt sich ein deuthcher, etwa gar trichterförmiger Eingang. Immerhin aber sind doch, wenn - kn Textfig. 5. Schnauzenorgan von Mormyrus caschive. kn, Kanal; kp, Kapsel. auch in wenigen Fällen, Gänge von der Kapsel zur Außenwelt vorhan- den. Ich kann aber nicht umhin, in ihnen nur jeweihg durch einen Druck des Kapsehnhaltes (?) eröffnete Poren zu sehen, die sich nach 656 W. Stendell, Gebrauch wieder schließen. Dabei wird das Epithel durchlocht und erscheint wie aufgeplatzt. Später aber wird möglicherweise die Öffnung wieder geschlossen, indem die Wände zusammenfallen und das Lumen auch durch Zellmaterial verstopft wird. Man sieht daher sehr oft gerade über der Kapsel lichte, durch lockeres Gewebe gebildete Stellen, wie es auch Textfig. 3 zeigt. Unmittelbar als Begrenzung des Kapsel- lumens aber liegt gerade an dieser Außenfläche meistens ein Epithel von dicht geschlossenen, dunklen Zellen mit kleinen dunklen Kernen, wie das in Textfig. 3 wiedergegeben ist. Vielleicht ist ihm eine beson- dere Bedeutung beizumessen. Eine andere Erklärung, die indessen die erste nicht ausschheßt, sondern eher ergänzt, wäre die, daß bei der tiefen Einstülpung des ursprünghch oberflächhchen Organs, ein langer Hohlkanal resultierte, der sich nicht bei allen Organen völhg schheßt und hie und da wieder bei solchen oben vermuteten Secretemissionen aufgeweitet wird. Darüber wird weiter unten bei der theoretischen Deutung der Schnauzenorgane noch geschrieben werden. Sehr bedeutungsvoll ist die Innenwand der Kapsel. Sie ist nämlich hier verhältnismäßig am dünnsten und wird von mehreren Öffnungen durchbohrt, welche in die flaschenförmigen Drüsen (siehe unten) mün- den. Die Öffnungen scheinen von verschiedener Form zu sein, indem sie entweder einfache Löcher oder enge, in Gänge führende Poren dar- stellen. Ehe wir die anderen Teile des Sinnesapparates besprechen, ist es zweckmäßig, erst die Drüsen kennen zu lernen, da die Sinneszellen und Nervenendigungen mit ihnen im engsten Zusammenhang stehen. Die Drüsen sind ebenfalls Abkömmlinge des Epithels, ohne jedoch noch irgendwie strukturell an dasselbe zu erinnern. Ich unterscheide an ihnen die Drüsenzellen und deren Träger. Diese stellen sich dar als weite Maschen von 50 — 60 f.i Weite, die von den ganz dünn und platt ausgezogenen ventralsten Epithelzellen gebildet werden. Es kommt nämhch an der Grenze zwischen Epithel und Papille rings zu einer merkwürdigen Auflockerung der oberflächlichsten Epithelzellen. Sie bilden dann, wie das Textfig. 3 zeigt, auf dem Schnitt bogenförmige Maschen, die sich sowohl an der Peripherie der Papille wie an der ein- gestülpten Kapselwand finden. Dort aber werden die Maschen nach unten immer besonders weit und bilden dann die Hohlkörper, indem die nach der Kapsel zu Jvonvergierenden Wände rosettenförmig um die untere Kapselwand geordnete Räume umschließen. Die Wände sind sehr dünn, derart, daß die Kerne als Auftreibungen erscheinen. Die Kerne selbst sind besonders an den großen Maschen kleiner und dunkler, Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 657 also vermutlich dichter kontrahiert als in den übrigen Epithelzellen. Am oberen Ende der Maschen gehen die Wände in die Kapselwand über. Dabei aber bleiben öffnmigen bestehen, welche den Hohlraum der Masche mit dem der Kapsel verbinden. Diese Öffnungen sind von zweierlei Art, indem sich solche mit einfachem von solchen mit komph- ziertem Bau unterscheiden. Im einfachsten Falle nämlich erscheint die Wand, welche Kapsel und Masche trennt, von einem kreisrunden Loch durchbohrt, das ge- wissermaßen Sphinkter artig gebaut ist. Textfig. 6 und 7 zeigt es im Längsschnitt und in der Aufsicht. Es zeigt sich, daß es von circulären epithelialen Plasmamaschen um- schlossen wird. Der innere Eand ist dünn, indem sich die Kapselwand dort merklich verjüngt. Ob diese Textfig. 6. Textfig. 7. Mormyrus caschive. Öffnung zwischen Kapsel Mormyrm caschive. Öffnung zwischen Kapsel und Masche im Längsschnitt. und Masche in der Aufsicht, a, einfache Öffnung ; b, Öffnung des flasciienförmigen Organs. blendenartige Öffnung aktiv erweiterungsfähig ist, kann nicht gesagt werden. Da Muskeln nicht zu finden sind, erscheint es unwahrschein- lich. Dagegen ist die Öffnung sicherhch passiv dehnbar, was bei einem Passieren von Secretballen von Wichtigkeit wäre. Die elastische Wand könnte dann immer wieder in die Ruhelage zurückkehren. Komphzierter werden die Verhältnisse dann, wenn sich in eine solche einfache Masche mit einfacher Öffnung noch eine zweite Masche von der Öffnung her eingestülpt hat. Diese hat dann an der Mündung einen langen, von dicht stehenden Zellen zusammengesetzten Kanal ausgebildet, der gewissermaßen einen engen Flaschenhals bildet. Die diesen Kanal bildenden Zellen färben sich dunkler, ebenso erscheinen 658 W. StendeU, die Kerne dicht zusammengezogen, fast pyknotisch. Die Textfigg. 7 und 8 zeigen solche doppelten Maschen, deren Wände fast im ganzen Umfang isoliert voneinander bleiben. Die Mündung in die Kapsel be- steht in diesem Falle aus einem engen Porus, den wir in Textfig. 7 in der Aufsicht wiedergegeben finden. Ich nenne~ diese komplizierten Ge- bilde die flaschenfÖrmigen Organe. Alle diese Epithelmaschen nun enthalten große Zellen, die als Drüsenzellen angesprochen werden dürfen. Man trifft in einer flaschen- fÖrmigen Masche ein bis vier, wohl selten mehr solche Elemente. Die Regel bilden eine oder zwei Zellen. \ ^Ä^ i Diese Zellen sind durchschnittlich 10 — J^ ^^ «H^ M' ^^ ^* groß, von Gestalt polygonal uud -i^^^^fl^ ^^^F mit einem Kern, der kaum größer ist ^^^^'fÄ^^' als der der meisten Epidermiszellen. «I %\ Dadurch erscheint der Zelleib ziemlich \% gl groß. Die Zellkörper liegen sehr oft ^, frei im Lumen der Maschen, doch be- /P* \\ merkt man nicht selten, daß sie mit Xj^r \ V feinen Plasmafäden an der Maschenwand i] angesponnen sind (Textfig. 8). Diese n - Zellen machen den Eindruck, als wären M^^^^|k '1^ ^ sie ganz secretdurchtränkt und ver- *' ^ quollen. Sie färben sich fast immer ^ schmutzig acidophil. Das Plasma ist vielfach vacuolendurchsetzt. Die Kerne sind stets ganz unklar gefärbt und er- scheinen mehr wie schlecht begrenzte schwärzliche Flecken in den Zelleibern. Mit Eisenhämatoxyhn lassen sich in dem Zellsack vielfach Secretgranula in verschiedener Größe und Verteilung darstellen, wie das aus Text- fig. 9 erkennbar ist. Diese Zellen liefern ein gewisses Produkt in die »Sinneskapsel. Man findet nämlich zunächst in der Kapsel colloidale Ballen, die sich durchaus ebenso färben wie jene Zellen. Dann zei- gen sich ebensolche Gerinnsel gerade auch in den Öffnungen, die in die Kapsel führen (Textfig. 8). Schließlich aber liegen sogar ganze derartige, freilich schon sehr verquollene Zellen in der Kap- sel. Kurzum, es liegt ohne Zweifel ein Secretionsprozeß vor, bei dem aus den flaschenfÖrmigen Organen das Produkt eigenartiger Drüsen- zellen in die Sinneskapsel entleert wird. Der Kapselinhalt ist jedoch Textfig. 8. Flaschenförmiges Organ von Mormyrus Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 659 bisweilen weniger konzentriert, vielmehr leicht flockig und in diesem Falle gut basophil, schleimartig gefärbt. Es ist gut möglich, daß dabei eine nachträghche Degeneration der colloidalen Substanz in der Art, wie ich es früher bei der Hypophyse beschrieben habe, vorliegt. Mög- licherweise darf man nun mit diesem Secretionsprozeß auch jene zeit- weilige Eröffnung der Kapsel nach außen in Zusammenhang bringen, die vielleicht bei einer besonders prallen Füllung der Kapsel stattfin- den kann. Diese ganze Secretionseinrichtung scheint wohl in folgender Hin- sicht bedeutungsvoll zu sein. Wie ich weiterhin dartun werde, ist die- sem ganzen Organ, und zwar speziell der Kapsel, die Funktion eines Sinnesoro;anes zuzuschreiben. Ich stelle es, obwohl hier ein durchaus ^^^ w/;y^ 4 A f Textfig. 9. Mit Eisenhämatoxylin gefärbte Drüsenzellen aus den Epithelmaschen von Mormyms caschive. spezifisches und eigenartiges Organ vorliegt, in die Reihe der Seiten- organbildungen, also der Schleimkanäle, LoRENzmischen Ampullen, SAVischen Bläschen usw., jener Organe des sechsten Sinnes von Leydig. Auch dort finden wir ja vielfach in den Hohlräumen der Organe einer Endolymphe vergleichbare, schleimige Secrete, die ebenfalls nicht die Bedeutung von andernorts wirksamen Drüsensubstanzen haben. So glaube ich denn, daß auch hier der Inhalt der Sinneskapsel eine solche Binnensubstanz darstellt. Eigenartig ist aber gerade, daß diese Sub- stanz von besonderen Drüsenapparaten geüefert wird. Die Sinneszellen, die mir lange verborgen gebheben, aber für die ganze Deutung des Organs von höchster Wichtigkeit sind, ent- sprechen in der Form fast ganz den aus den Endknospen bekannten. Ich konnte sie allein in mit WEiGERTscher Markscheidenmethode be- handelten Schnitten unterscheiden. Dabei boten sie Bilder, wie es in 660 W. Stendcll, Textfig. 10 dargestellt worden ist. Die Zellen sind zwischen den Drüsen- maschen um die Sinneskapsel geordnet und erreichen deren Wand- oberfläche mit ihrem peripheren Sinnesfortsatz. Mit ihrem meist etwas verbreiterten Basalende sitzen sie der innersten Epidermisgrenze auf, erreichen also die Papille und sind mit ihrer Längsachse ebenso hoch wie die Drüsenmaschen. Sie sind fadenartig dünn und haben einen spindelförmig verdickten kernhaltigen Teil, der in verschiedener Höhe, 52 \ Textfig. 10. Sinneszellen aus nach WElGERTschcr Markscheidenmethode behandelten Schnitten von Mormyrus caschive. sz, Sinneszellen. meist ziemlich in der Mitte hegt. Irgendwelche Feinheiten konnte ich an diesen Sinneszellen nicht unterscheiden. Sie fanden sich in jedem Organ in reichlicher Anzahl, überall die Räume zwischen den Drüsen- maschen erfüllend. Besonders interessant sind auch die Nervenendigungen in den Schnauzenorganen. Sie sind sehr stark entwickelt und stellen eine eigene charakteristische Bildung vor, wie sie sonst in derartigen Organen nicht anzutreffen ist. Textfig. 11, die mit dem Zeichenapparat genau entworfen ist und an der nur die Tönung schematisch ist, zeigt die Ver- sorgung der Schnauzenhaut durch den Nervus lateralis. Es handelt sich um viele und kräftige Stämme, die überall ein Bindegewebe herbei- Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 661 ziehen. In den oberen Schichten des Coriums lösen sich diese Stämme in viele Äste auf. Diese treten dann in Papillen ein und zwar in jede Papille ein ziemlich starkes Ästchen. Bis dahin sind die Fasern mark- haltig. Innerhalb der Papille verlieren sie bald die Myelinscheide und ziehen an der Papillenwand hinauf bis in die Nähe der Kapsel. Dort dringen sie in die Epidermis ein und zwar stets in die Wandung des Organs. Sie teilen sich bald nach dem Eintritt in feinere Äste, welche die Kapselwand durchsetzen (Textfigg. 12 und 13). Charakteristisch aber sind erst die Endigungen dieser Nervenfasern. Die Ästchen schwellen unter Lockerung des Fibrillengefüges kolbig bis kugelförmig an. Aus dieser Verdickung aber brechen dann zahlreiche feine End- fäserchen hervor, die sich noch mehrmals teilen können. Die ganze Textfig. 11. Verzweigung des Kervus lateralis in der Schnauzenhaut von Mormyrus caschive; Teilbild mit Zeichenapparat gezeichnet. Schwarz: Epidermis. Anordnung nimmt dadurch etwa die Form einer Kopfweide oder eines Kandelabers an. Die letzten Enden der Fäserchen, die fast die Innenfläche der Kapselwand erreichen, laufen in echte End- apparate aus. Wir haben es also mit einem Sinnesapparat zu tun, und zwar handelt es sich wohl um eine Art von Tastorganen. Doch ist es nicht möglich, in dieser Richtung etwas Entscheidendes zu sagen. Diese Endapparate waren natürlich nicht überall darstellbar, da das Material lange in Formol gewesen war und von Silbermethoden somit, nachdem die KopscHsche Modifikation von Golgi versagt hatte, eigent- lich nur die von Bielschowsky übrig blieb. Wie schwer es ist und von wieviel Nebenumständen es abhängt, mit dieser Methode Endapparate darzustellen, weiß jeder, der sich mit ihr beschäftigt hat. In den Text- figg. 12 und 13 habe ich eine Auswahl der besten Stellen aus meinen Präparaten genau wiedergegeben. Sie zeigen zur Genüge, daß über die Natur dieser Organe als Sinnesorgane kein Zweifel aufkommen 662 W. Stendell, kann. Die Form der Endapparate ist, wie die Textfig. 14 zeigt, die eines rundlichen Gebildes, an welchem ein zartes Endbäumchen oder Endschleifen unterscheidbar sind. Ob diese Endanschwellung mehr Scheiben- oder mehr kugelförmig ist, kann ich nicht sagen, doch habe ich keine andre Form als die annähernd kreisrunde beobachtet, glaube also, daß es sich nicht um Endplatten oder Menisken handeln kann, t^ ^00 ^9 0 Textfig. 12. Schnauzenorgaa von Mormyrus caschive mit Nervenendbäumchen. sondern vielmehr kugelige Gebilde vorliegen. Durch diese Anordnung des Apparates ist es zu verstehen, warum man in der Sinneskapsel ein echtes Sinnesepithel ganz vermißt. Die Endapparate liegen nicht auf der Epitheloberfläche, es gibt keine Stiftchen- oder Flimmerzellen usw., sondern die Endapparate stecken in dem Epithel in der Art von ein- fachen Tastkörperchen, ähnlich denen, wie sie verschiedentlich bei Vertebraten beschrieben worden sind. Die Schnauzenorgane der IMormyriden. 663 Alles in allem haben wir es also in den Schnauzenorganen mit höchst eigentümlichen Sinneswerkzeugen zu tun. Da die Mormyriden Schlammbewohner sind und die typischsten unter ihnen, bei denen ich die merkwürdigen Organe finden konnte, lange, rüsselartige Schnauzen haben, so ist die Annahme, daß hier Tastorgane vorliegen, nicht von der Hand zu weisen. In welche Kategorie die Organe einzureihen sind, erscheint dennoch fraghch. Ich glaube nicht fehl zu gehen, wenn ich ihre Innervation dem vorderen Lateralisast zuschreibe (Taf. VII). Daß Textfig. 13. Schnauzenorgan von Mormyrus cascMve mit iS'ervenendbäumchen. allerdings diese immerhin doch eng lokalisierten, wenngleich zahlreichen Organe allein die Hypertrophie des Laterahs und von da weiter der eigen- artigen Umbildungen im Gehirn haben bedingen können, halte ich für zu weit gegangen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß ja ein neuer Sinn hinzugekommen ist, der wohl mehr Associationen im Gehirn er- möglichen und somit neue Konstellationen und Erweiterungen gewisser Centren mit sich bringen kann. Die Schnauzenorgane der Mormyriden 664 W. Stendell, gehören also wohl in das System der Seitenorgane. Unter diesen aber stellen sie einen ganz neuen Typus dar. Anklänge an dieselben wären höchstens in der Erfüllung des Binnenraumes mit einer plasmatischen Masse zu sehen. Diese Apparate aber sind von jenen schon dadurch unterschieden, daß sie von der Außenwelt wenigstens meistens ab- geschlossen sind und daß ihre Sinnesendapparate zu einer anderen Art gehören. Allerdings entbehren auch die SAVischen Bläschen der offenen Verbindung mit der Epitheloberfläche. Vielleicht erinnert auch einiges an die LoRENziNischen Ampullen, doch kann es sich immer nur um Konvergenzerscheinungen handeln. So ist es auch eine Konvergenz, wenn manches an dem Organ an integumentale Bildungen bei Säugern erinnert. Ich meine unter anderem die einer Haarzwiebel ähnliche Bildung, ferner die zuweilen dem Ausführgang einer Schweißdrüse ver- a h Textfig. 14. Nervenendbäumchen mit Endplatten aus dem Schnauzenorgan eines Mormyrus caschive. gleichbaren Kanäle. Sogar sehr auffällig erschien mir diese Konvergenz bei Orniiliorhynchus, von dem ich durch Wilson eine Kombination von Schweißdrüse, modifiziertem Haar und Nervenendapparaten beschrieben fand. Auch da ist die Zwiebel des modifizierten Haares in eine becher- förmige Papille des Coriums eingesenkt. Unten schließt sich eine Drüse an, deren unregelmäßiger Ausführgang die >)Haarzwiebel « durchsetzt und nach außen führt. An diese Zwiebel aber treten Nerven mit Tast- körperchen heran. Es ist interessant, daß Leydig bereits darauf hin- wies, daß die Schweißdrüsen der Säugetiere keineswegs allein als Drüsen sondern wohl auch als Sinnesapparate aufzufassen seien. Bei den Mor- myriden sehen wir, daß ein Sinnesapparat mit einer Drüse aufs engste funktionell verbunden ist. Die Mormyriden haben ein Gehirn, das sich von dem der andern Fische und aller Wirbeltiere überhaupt erheblich unterscheidet, indem Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 665 es in gewissen Teilen, besonders im Kleinhirn, in gewaltiger Weise hypertrophiert ist. Wie ich in einer früheren Arbeit über das Mormy- ridengehirn betonte, muß diesen Umbildungen ein Anstoß zugrunde liegen, der von außen her wirksam ist und in gewissen biologischen Eigentümlichkeiten dieser Fische seine Ursache hat. Dieser Einfluß mußte offenbar durch einen sensiblen Nerv vermittelt werden. Ich habe, was sehr nahe lag, den Nervus lateralis dafür verantwortlich gemacht. Von allen Nerven ist allein dieser besonders stark hyper- trophiert, sowohl sein hinterer wie sein vorderer Ast. W^eiterhin konnte ich zeigen, daß gerade alle mit ihm in Zusammenhang stehenden Centren, auch das Kleinhirn natürlich, von diesem besonders starken Wachstum ergriffen worden sind. Auf der Suche nach den eigentlichen spezifischen Mormyridenbildungen mußte ich also die Haut mit ihren Sinnesorganen zuerst in Angriff nehmen. Das ist also für den Lateralnerven die Seiten- linie und die Endorgane des Kopf lateralis. Franz, der gewisse Eigen- arten des Mormyridengehirns zum erstenmal aufklärte, bezeichnete den hypertrophierten Nerven irrigerweise als Facialis, war aber auf der richtigen Fährte, als er in der Schnauze nach besonderen Sinnes- organen suchte. Er glaubt wohl solche auch gefunden zu haben. Seine Abbildungen aber erweisen allein schon, daß er ganz unzureichendes Material gehabt hat. Ich konnte die von ihm benutzten Präparate durchsehen, fand jedoch, daß die ganzen Schnauzenpartien des betref- fenden Objektes, auch die, nach welchen seine Figur entworfen wurde, nur noch von Corium bedeckt waren und allenthalben der Epidermis entbehrten. Was Franz als Sinnespapillen beschreibt, die der Haut ein sammtartiges Aussehen verleihen sollen, sind nur die Zipfel des zerrissenen Coriums, allenfalls hier und da stehengebliebene und aus der Epidermis herausgezogene bindegewebige Papillen. Auch mich veranlaßte der hypertrophierte Kopflateralis, die Schnauze zu unter- suchen, die zudem bei vielen Mormyriden rüsselartig verlängert ist. Dort fand ich denn in der Epidermis steckend in der Tat echte Sinnes- organe von höchst eigentümlicher Form. Auffallend ist aber zunächst, daß ich diese Schnauzenorgane nur bei der Gattung Mormyrus finden konnte. Mormyrops, auch Gymnarchus, Petrocephalus haben sie nicht. Dabei kann man behaupten, daß Mormyrops im Gehirn einen durch- aus übereinstimmenden Bau mit Mormyrus hat. Allein Mormyrus ist die einzige Art, welche eine so lange, gebogene Schnauze von Rüssel- form hat. Ich hielt es für wert, diese merkwürdigen Organe eingehender für sich zu beschreiben, obgleich ich über ihre eigentUche Funktion nur Vermutungen aufstellen kann. Wir stehen in bezug auf die Mormyriden Zeitsclirift f. wissenscli. Zoologie. CXV. Bil. 44 666 W. Stendell, noch heute vor manchem Rätsel. Diese Familie, deren Repräsentanten sich äußerlich von dem Typus der Knochenfische gar nicht unterschei- den, haben mehrere höchst auffällige Bildungen, die sie als eine ganz besondere Gruppe charakterisieren müßten. Abgesehen von dem be- kannten schwach elektrischen Organ ist es besonders das excessive Gehirn. Obwohl dieses in der Tat seit dem Jahre 1846 bekannt, 1854 bereits näher beschrieben ist, hat es nur ganz selten Untersucher ge- funden. Ja, diese Tatsache der außerordentlichen Entwicklung ist nicht einmal in Lehr- oder Handbücher übergegangen. Das ist auch der größte Fehler der Systematiker, daß sie bei Einteilungen und Publi- zierungen nicht jedes morphologische Element berücksichtigen, und das Gehirn ist doch wohl ein wichtiges Organ! Dabei kann man wohl sagen, daß der Mormyride unter den Knochenfischen dasteht wie der Mensch unter den Säugern. Bei einer Gattung habe ich nun auch noch die merkwürdigen Schnauzenorgane gefunden. Wahrlich, es verlohnte sich, diese in jeder Richtung merkwürdigen Tiere einmal gründlich an Ort und Stelle untersuchen zu lassen, zumal in Khartoum ein gut aus- gerüstetes Institut, das dem betreffenden Forscher bereitwilligstes Entgegenkommen erzeigen würde, vorhanden ist. Dem Direktor des dortigen Institutes, Herrn Dr. Chalmers verdanken wir das Material, an dem diese Untersuchung vorgenommen wurde. Wir sind in letzter Zeit mehrere Male mit ausgezeichnet frischem, in Formol eingelegtem Material bedacht worden. Frankfurt a. M., 1. August 1914. Anhangt Es fragt sich, ob diese Organe Sinnesknospen oder Endhügel oder etwa einen eigenen Typus vielleicht zwischen beiden vermittelnd darstel- len. Ausschlaggebend müßte ja die Art der Innervation sein, d. h. welcher Nerv die Organe versorgt, nicht wie er endet. Umgekehrt aber müßten auch die Organe in ihrer ganzen Anlage zur Deutung des Nerven, ob Lateralis oder Facialis, herangezogen werden. Alles in allem erscheint mir ja die völlige Scheidung von Lateralis und Facialis außerordentlich 1 Vorliegende Aufzeichnungen haben sich in dem Kriegstagebuch des Ver- fassers vorgefunden. Verfasser wiederholt darin zunächst noch einmal, was be- reits in den Abhandlungen der Deutschen Zool. Ges. 1914 und in dieser Arbeit niedergelegt ist, und geht dann dazu über, die Deutung der merkwürdigen Sinnnesorgane zu diskutieren. M. 8. Die Schnauzenorgane der Mormyridcn. 667 schwer, wenn nicht gar gänzlich undurchführbar. Herrick uiid John- ston, ich selbst schHeße mich ihnen im Prinzip absolut ohne Abwei- chung an, unterscheiden beide Systeme streng als visceral und soma- tisch. Wir wissen aber, daß die auf der Hautoberfläche vom Faciahs innervierten Endknospen eigentlich als somatisch bezeichnet zu werden verdienten, obwohl sie aber nach ihrem völligen Übergang in die Knos- pen des Vorderdarmes visceraler Natur sind. Man möchte etwa sagen, daß der Facialis, indem er bei Fischen sein sensibles Verbreitungs- gebiet über den Körper verteilt und dabei in seiner centralen Endstätet einen gewaltigen Endkern erhält, zu einem somatisch-sensiblen Nerven Textfig. 15. Schciua tische Darstellung einer Uniformungsreihe. von einer Knospe in ein Momiyrideuorgan. wird. Damit aber träte er in ein Gebiet, das dem Lateralis gehört. Diesen aber kann man fast stets gut vom Facialis trennen, wiewohl sie phylogenetisch ein System bilden. Wir sollten also auch hier bei den Mormyriden nicht beide Nerven ohne weiteres verquicken. Es war mir ja obendrein niöghch, außer dem von mir als Lateralis an- gesprochenen Riesennerven ein andres recht schwaches Bündel, das in einen viel ventraleren Endkern, der der Vagus - Grlossopharyngeus- Säule angehört, ausläuft, zu finden. Dieses Bündel läuft eine Strecke weit, immer gut unterscheidbar, in dem »Lateralis«, um dann die Mundschleimhaut, also wohl deren Endknospen, und die Zähne zu innervieren, ein typischer Ramus palatinus nervi faciahs. Dieser also ist außer dem Laterahs wirklich vorhanden, es gibt central und peripher 44* 668 W. Stcndell, zwei verschiedene Nerven, einen visceralen und einen somatischen. Nun aber sind ja die Sinnesorgane in ihrem Bau gleichfalls ausschlag- gebend. Dazu läßt sich sagen, daß ihr Bau, besonders ihre Sinnes- zellen, sie eher den Endknospen (visceral) als den Endhügeln (soma- tisch) zuweist. Siehe dazu das Schema, welches eine Umformungsreihe von einer Knospe in ein Mormyridenorgan darstellt. (Textfig. 15.) Außerdem hat Mormyrops wenigstens vorwiegend in der Schnauze nur echte Sinnesendknospen. Das gibt zu denken und möchte dazu be- stimmen, in dem Nerven bestimmt einen Facialis zu sehen. Ich glaube indessen, daß hier wirklich ein guter Übergang von einem System in das andere aufgezeigt werden kann, daß nämlich die Mormyriden- organe ein eigner Typus von somatischer Natur sind. Man sollte nach allem, wie auch Maueer das tat, Endknospen und Endhügel nicht strikte trennen, es gibt Übergänge, doch liegen somatische Apparate vor, wenn sie auf der Körperoberfläche lokalisiert sind und sich von den Sinnesknospen unterscheiden. ^Is Nerven kommen entweder der Facialis oder der Lateralis in Betracht, der erstere für knospenartige, der andere für hügelartige. Die Übergangsformen der Mormyriden werden vom Lateralis versorgt, da der Nerv central alle Bedingungen erfüllt, die einem echten Lateralis zukommen, und auch der hintere Ast ein Seitenhniennerv ist. Geschrieben im Felde, August 1914. Nachwort. Vorliegende Ai'beit ist vom Verfasser im Frühjahr 1914 begonnen worden. Als am 1. August der große Tag für die Geschichte Deutschlands anbrach, der alle wehrpflichtigen Söhne des Vaterlandes zu den Fahnen rief, mußte auch er die ihm liebgewordene Arbeit niederlegen, um als Soldat Größeres und Wich- tigeres zu leisten. Noch am Vorabend seines Auszuges ins Feld nahm er das unvollendete Manuskript zum letztenmal vor, um hier und da Änderungen, Er- läutei'ungen und Ergänzungen anzubringen. Auch im Felde hat er einige we- nige Mußestunden dazu benutzt, um in sein Kriegstagebuch noch manches niederzuschreiben, was zum besseren Verständnis beitragen könnte, immer in der Hoffnung und Zuversicht, es werde ihm vergönnt sein, die Arbeit bei seiner Wiederkehr in die Heimat zu vollenden. Es ist anders gekommen. Nach schweren Gefechten in Belgien und Frankreich und einem entbehrungsreichen Ausharren im Schützengraben wurde er als Führer der Kompagnie am Morgen des 2(i. Se])tember in einem Gefecht im Bois de Ville sur Tourbe von der töd- lichen Kugel getroffen und erlag seiner schweren Verletzung in der Nacht vom 26. auf den 27. September. Mir ist nun die ehrenvolle Aufgabe geworden, deren Die Schnauzenorgane der Mormyriden. 669 Lösung zugleich eine heilige Pflicht bedeutet, das zurückgelassene Manuskript und den Nachtrag aus dem mir aus dem Felde zugesandten Kriegstagebuche als Vermächtnis meines Mannes zu einer mehr oder weniger abgeschlossenen Arbeit zusammenzufügen. Bei der Herausgabe der Arbeit bin ich auf einige Mängel gestoßen, habe aber nicht gewagt, irgend etwas Wesentliches daran zu ändern. Einiges, was bereits in den Verhandlungen der Deutschen Zoologischen Gesell- schaft 1914 niedergelegt ist und was ich hier und da wiederholt fand, habe ich fortgelassen, sonst aber bis auf stilistische Kleinigkeiten am Text nichts geän- dert, sondern die Fragmente, die wertvolle Befunde enthalten und bei deren Unzulänglichkeiten jeder die Umstände, unter denen sie nicht zur Reife gelangen konnten, in Betracht ziehen wird, für sich selbst sprechen lassen. Es sei mir vergönnt, im Namen meines Mannes seinem hochverehrten Lehrer und Chef, Herrn Professor Dr. Edinger, den tiefempfundenen Dank für die Anregung zu dieser Arbeit und für das stete Literesse an derselben auszu- sprechen, den Dank, den selbst darzubringen ihm von einer höheren Macht ver- wehrt worden ist. Zugleich erfülle ich einen oft geäußerten Wunsch des Toten, wenn ich Herrn Professor Edinger bitte, ilim diese Arbeit zum 60. Geburtstage widmen zu dürfen. Berlin, März 1915. MarGARITA ScHÜLER-SteNDELL. Erklärung der Abbildungen. Tafel VII. Verteilung des Lateraüs-, Facialis- ixnd Trigeminussystems im Kopf von Mormyrus caschive. Blau; nl, Nervus laterahs. Punktstrich: rps, Ramus palatinus superior nervi faciaKs. Schraffiert: zm, zur Zungen- und Mundschleimhaut ziehender Ast. Rot: ntr, Nervus trigeminus. Grau: gh, Gehirn; Ggl, Ganglion des Ramus anterior nervi lateralis, des Nervus facialis und des Nervus Irige- Druck von Breitkopf & Härtel in Leipzig. 'scliri/t f.MJss. Zoologie Bd. CXI''. f% ®ÄÄ " .^-•ii?l#,*fc ' 6' J .^^.:(?.--^ Slauf fachen nach iniJcrosc Praparphotogr / Wilhelm Enqelmann i: L-ui^zj Zcäsdirifl t:inss.Zonhi(iir Bd.CXX r„r.![. .31. :>:?. 33 ■?*■ -y^. ■iG. 37. .0',. .7.9. »1(1 u>rtT.'% -i \ ^tauffacher nach nukrosc Fra w ''•■*■ i r>v^. ...-. \ \ '■'■ Ä?. \ / rWllhrlrii Kn(jt;iniann in-LeipzH^ Iiih Ani'. fF-^imKi Injinii Zeitschrift f. n-iss. Zoologie. Bd. CXV. I Tafel III. Fig. Fig. 6. Fig. 7. Fig. 3. Fig. Verlag von Wilhelm Cngtina, Zeitschrift /'. iviss. Zoologie. Bd. CXV. Tafel JV. Fig. 9. Zeitschrift f. iviss. Zoologie. Bd. CXV. Tafel V. Fig. 19. Fig. 17. Verlag von Wilhelm ^etlmann in Leipzie ZeUsdlirift f.mss. Zuologic Bd.CXV. Tafel VI. OEr^atr u H Sic^mann fec.L Rnirmbler Verlag v\MiebiiEngelmann m Leipzig lith-Anst.vZAFimkeleipflg ■Ai'iiirlirip f.mss.Zooloßir Bd. C.\] Verldij V WIl]Tp]mEni]elmanTimIei])i]ri lith Ans t -vX./JimktT ni I i i WHSE 01860