NN Allgemeine Erdkunde. Mit Unterſtützung der Geſellſchaft für Erdkunde zu Berlin und unter beſonderer Mitwirkung von J. W. Dove, C. G. Ehrenberg, H. Kiepert und C. Ritter in Berlin, K. Andree in Bremen, A. Petermann in Gotha und J. E. Wappäus in Göttingen, Herausgegeben von Dr. T. E. Gumprecht. Vierter Band. Mit zwei Karten. Berlin. Verlag von Dietrich Reimer. 1855. a * a Ane 9er) Si Rochat) 100 Rum ü! g 5 ik u buntem e er | ö g nn „ ben b Lynn o St ie 2 7 dus 9 ee un a DR ee 15 Aa ls 5 N or 7 1 n 10 2 a ‚anne rnit m nt et e Januar 1855. 3eitfgrift Allgemeine Erdkunde. zu Verlin ; . atom der EWefelfchaft für Brdknde ei | | . “RR und unter ee ha 1 ER von a 4 w. Dove, C. G. Ehrenberg, 9. Auptet und € Ritter 5 in Berlin, u K. Andre in Bremen, A. Petermann in Gotha und 3 E. Wee in Göttingen, f Herausgegeben von Dr. T. E Gumprecht. Vierter Band. Erſtes Heft. Verlag von Dietrich Reimer. 1855. Inhalt. C. E. Meinicke: Ueberſicht der neueſten Entdeckungen in der Inſel Su⸗ matra. Zweiter Artikel. (Hierzu Tafel I.) Rink: Die productiven Erwerbsquellen und Bedingungen für den Lebens⸗ unterhalt der Bewohner Nordgrönlands. . Gumprecht: Heinrich Barth's Leben und Wirken Neuere Literatur. W. Koner: Edw. Thornton. A Gazetteer of India. 4 vol. London 1854. N W. Koner: Pallegoix, description du Röyanme Thai e ou En 2 Yol Paris 1854. 2 Miscellen. Gumprecht: Die Tſchippewäs und ihre neueſte Landabtretung ; Gumprecht: Sitzungsbericht der Berliner e EN Erdkunde am 2. December 1854. 93 95 Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 2 Thlr. 20 Sgr. — 1 Ueberſicht der neueſten Entdeckungen in der Inſel Sumatra. Zweiter Artikel !). (Hierzu Tafel J.) Da, wo das Thal von Alahanpanjang öſtlich vom Berge Telama auf ſeiner Nordſeite durch Berge geſchloſſen iſt, beginnt eine Bildung von einer in Sumatra einzigen Regelmäßigkeit; es ſind die intereſſanten Landſchaften Rau und Mandaheling, über die jedoch leider nur höchſt dürftige Quellen uns zu Gebote ſtehen. Ein Längenthal, wel— ches im Durchſchnitt auf ſeiner flachen Sohle 4, an der Spitze der es umſchließenden Bergzüge 12 engl. Meilen breit iſt, erſtreckt ſich in der Richtung von Südoſt nach Nordweſt über 100 engl. Meilen weit von 5“ bis 1° 20’ nördl. Breite und 10020“ bis 99° 15’ öſtl. Länge von Greenwich, auf beiden Seiten von Gebirgen eingefaßt, die mit wenigen Ausnahmen ſich nur 3 bis 4000 F. hoch. erheben, allein (na⸗ mentlich das weſtliche) überaus rauh und wild, mit dichten Wäldern bedeckt, unbewohnt und ſchwer zugänglich ſind. Daher iſt der Verkehr des Inneren auch hauptjächlich jederzeit nach der Oſtküſte der Inſel exichtet geweſen, und, wenn auch die Verbindung mit den europäiſchen Händelsplätzen an der Weſtküſte (Aierbangis, Natal) zur Folge ge— habt, daß einzelne Päſſe über die weſtlichen Berge von den Eingebore— nen benutzt wurden, ſo hat das doch, ſeitdem dieſe Provinzen unter holländiſche Herrſchaft gekommen ſind, ganz aufgehört, und alle dieſe Päſſe ſind bis auf einen, den die Holländer eigentlich erſt gangbar gemacht haben, außer Gebrauch gekommen. 1) Der erſte Artikel war in Bd. III S. 98 — 134 enthalten. G. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 1 1 * 2 C. E. Meinicke: Dieſes merkwürdige Längenthal wird in der Mitte durch einen beide Grenzgebirge verbindenden Bergzug in zwei hydrographiſche Ab— theilungen getheilt, von denen jede zwei einander entgegenfließende Flüſſe enthält, die ſich in der Mitte, wo zugleich die tiefſten Stellen der Thaͤ— ler find, vereinigen, worauf dann der ſüͤdliche gegen Oſten, der nördliche gegen Weſten die Grenzgebirge des Thales durchbricht. Das ſuͤdliche Thal bildet die ſchon in den Zeiten der portugieſiſchen Herrſchaft viel er— wähnte, ihres Goldreichthums halber ſtets hochgeprieſene Landſchaft Rau oder Rawa. Die flache Thalſohle dieſes überaus fruchtbaren Landſtrichs iſt gut angebaut und ſtark bevölkert; ſeine Bewohner ſind ein durch Muth, Energie und Talente ſehr ausgezeichneter Stamm der Malaien, der in den Padarikriegen eine große Rolle geſpielt, die ſüdlichen Battaländer unterworfen, verheert und ihre Einwohner zum Theil zum Islam bekehrt hat, wie denn die Männer dieſes Stam— mes durch die zahlreichen Kolonien von kräftigen Landbauern und ge— ſchickten Kaufleuten, die fie noch jetzt jährlich in das engliſche Gebiet von Malakka ausſenden, auch dort von großem Einfluſſe ſind. Das Thal beginnt im Süden an dem Gebirgsknoten, welcher öſtlich vom Berge Telama die beiden Grenzketten verbindet und über den in wahrſchein— lich 3000 F. Höhe ein Paß nach Alahanpanjang führt, der zwar auch beſchwerlich, jedoch nicht mit dem des weſtlichen Grenzgebirges zu ver— gleichen iſt und jetzt für den Verkehr von Rau mit der Weſtküſte der Inſel allein benutzt wird. Auf ihm erreicht man den nördlichen Ab— hang des waſſerſcheidenden Rückens bei dem Dorfe Kottatenga, das Horner ) 1592 F. hoch fand; hier iſt das Quellgebiet des Fluſſes Sumpur, der gegen Nord und Nordweſt das Thal durchfließt und ſeine Reisfelder bewäſſert, allein nirgends ſchiffbar iſt. Die Straße folgt dem Fluſſe über Lubuſikapeng 1418 F. nach Lunder 686 F. hoch; bald darauf wendet ſich der Sumpur gegen Oſten ſeinem Gebirgsdurch⸗ bruch zu, und hier nimmt er den den Nordtheil von Rau bewäſſernden, aus Nordweſten kommenden Sabinayer auf, in deſſen Thale das Dorf Kottarajarau, der Hauptort des Landes, 918 F. hoch liegt. Von da ) Alle in Rau, Mandaheling und Ankola angegebenen Höhen beruhen, wo es nicht ausdrücklich bemerkt iſt, auf Horner's Meſſungen. Obige Angabe für Kottatenga iſt die von Junghuhn aus Horner's Papieren mitgetheilte; Oſthoff, der dieſelben auch benutzt hat, weicht davon ab und giebt als die Höhe 1741 F. an. ; Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 3 ſteigt das Thal wieder noch weiter auf zu der Quelle des Sabinayer, die in dem die Gewäſſer von Rau und Mandaheling ſcheidenden Rücken liegt. Das Land nördlich von demſelben, der ſüdliche Theil der nördli— chen Abtheilung des Längenthals, heißt Mandaheling !). Die ſüd— lichſten Provinzen dieſer Landſchaft, Ulu und Pakantan, befinden ſich noch ganz in den Bergzügen, welche ſie von Rau trennen, und beſtehen aus hohen, meiſt mit Gras bedeckten Bergen, an deren ſteilen Abhängen die kleinen Dörfer der Eingeborenen zerſtreut liegen, und die von ſchmalen, aber ſehr fruchtbaren Thälern durchſchnitten ſind. Der Weg aus Rau über dieſe Berge erreicht beim Dorfe Panjanggei ?) auf der Waſſerſcheide, wo man in das Quellgebiet des von da nach Nordwe— ſten herabfließenden Gadis kommt, ſchwerlich eine größere Höhe als 2000 F.; weiter abwärts ſenkt ſich das Thal des Gadis anfangs nur ſehr allmälig, denn Kottanopan am Abhange dieſer Berge liegt am Ufer des Fluſſes 1350, Tambangang nordweſtlicher, aber auf einer Höhe über dem Fluſſe, 1380, Tanabatu in den weſtlichen Bergen am Fuße des Seretberapi 1621 F. hoch. Dieſer höher gelegene Theil des Thales des Gadis, den die Bewohner das Thal Singingu nennen, bildet die Provinz Kleinmandaheling. Sie wird von vielen Zwei— gen der beiden Grenzgebirgs-Ketten durchſchnitten, und das Haupt— thal, wie die Thäler der Zuflüſſe des Gadis, ſind gut angebaut und mit Dörfern und Feldern bedeckt; namentlich gilt das von dem nörd— lichſten Theile um das Dorf Saninggo. In dieſer Provinz liegen auch bei Menambin die reichen Goldgruben von Mandaheling, die nach Wil— ler zu den reichſten von Sumatra gehören. Nicht weit unterhalb Sa— ninggo öffnet ſich die breite, ganz flache und tief gelegene Ebene von Großmandaheling, in deren Mitte der Hauptort der Landſchaft, Payabunga mit dem holländiſchen Fort Elout, nur 657 F. hoch liegt. Dieſer Theil des Längenthals, augenſcheinlich das trockengelegte Bett eines früheren Sees, dehnt ſich 25 engl. Meilen gegen Nordweſten bei 10 Meilen Breite aus und iſt, obſchon die Pflanzenerdeſchicht, welche das den Grund bildende Lager von Kieſeln und Geſchieben bedeckt, ) Die beſte Schilderung dieſer Landſchaft giebt Willer im achten Theile der Tydschrift. M. ?) So bei Oſthoff; Junghuhn ſchreibt Ponjonggo. M. 1 * A C. E. Meinicke: nicht ſehr tief iſt, überaus fruchtbar und bildet mit ſeinen zahlreichen Reisfeldern und Dörfern jetzt einen der am ſchönſten bebauten Theile Sumatra's, deſſen Klima aber ſehr heiß und nicht geſund iſt. Im Norden wird die Ebene von einem Arm der öſtlichen Grenzkette be— grenzt, der gegen Weſten vorſpringt, und zwiſchen deſſen Ende und der weſtlichen Grenzkette der Gadis ſich hindurchwindet, bis er bald darauf, hier ſchon ganz nach Weſten fließend, unterhalb Siabu (537 F.), nachdem er kurz zuvor an der Mündung des Ankolafluſſes den Na— men Sinkuang angenommen hat, in einem engen Paſſe, wo ein Waſ— ſerfall der Schifffahrt des unteren Laufs eine Grenze ſetzt, die weſtli— chen Berge durchbricht und in die Küſtenebene eintritt. Bei dem oben erwähnten Bergzuge an der Nordgrenze von Man— daheling beginnt mit der Landſchaft Ankola ?) jetzt das von dem merkwürdigen Volksſtamme der Batta bewohnte Land, ſeitdem die frü— here Battabevölkerung von Mandaheling durch die Malaien von Rau unterworfen und (wenn auch nur in ſehr oberflaͤchlicher Weiſe) zur Annahme des Islam und der malaiiſchen Sitten und Kultur genöthigt iſt. Ankola iſt das nördlichſte Ende des großen Längenthals und hat in ſeiner Bildung mit Mandaheling große Aehnlichkeit. Wie dieſes zerfällt es in einen unteren und einen oberen Theil. Der erſte oder ſüdliche (Ankola mudik), beginnt an dem niedrigen Rücken, welcher Mandaheling im Norden begrenzt, und reicht bis zur Mündung des Baches von Paggerutang in den Ankolafluß; es iſt eine im Ganzen ebene Fläche von gegen 20 engl. Meilen Länge und 3 bis 4 Breite, die augenſcheinlich ganz, wie das untere Mandaheling, einſt von einem See eingenommen war, mit feuchtem, heißen, nicht geſunden Klima; der hier und da ſumpfige Boden iſt an manchen Stellen eine lockere, ſehr fruchtbare Pflanzenerde, an anderen ſchwer und thonig, allein das Land wurde durch die Verheerungen der Malaien in den letzten Kriegen verödet und iſt deshalb ſparſam angebaut und bevölkert, größtentheils mit Gebuͤſch und Graswildniß, in den ſuͤdlichen Theilen überwiegend mit Wäl- dern bedeckt, in denen Elephanten, Rehe und Tiger ſich aufhalten. Durch ) Mit Ankola beginnt die Schilderung von Junghuhn in feinem Werke: Die Battaländer auf Sumatra, dem ich von hier an ganz folge, da dies Buch, obſchon auch in einer deutſchen Ausgabe erſchienen, bisher keinerlei Berückſichtigung gefun— den hat. M. / Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 5 dieſe Ebene fließt der Batang ankola nach Süd und Südweſten bis zu ſeiner Vereinigung mit dem Gadis, in ſeinem Thale liegt auf der Weſtſeite am Abhang des Ankola von Mandaheling trennenden Rückens, das Dorf Rumatinggi 550 F., höher an demſelben Ufer Pichakoling mit dem holländiſchen Poſten 770 F. hoch !). Ganz anders ift das obere Ankola (Ankola jai) beſchaffen. Es beſteht aus mehreren ſchmalen, ebenen Thälern, die ſich von der Mündung des Baches von Paggerutang an ſtrahlenförmig ausbreiten und ſich ſanft nach Nord und Nordweſt hin erheben, bis ſie in die Abhänge des Berges Luburaja und des von dieſem ausgehenden Rücken des Paſſirtobing, an denen Ankola endet, übergehen. Das weſtlichſte dieſer Thäler iſt das des Batang ankola, der jedoch außerhalb der natürlichen Grenzen der Landſchaft auf der Nordſeite des Paſſirtobing entſpringt und zwiſchen dieſem und der weſtlichen Grenzkette des Längenthals durch einen ſchmalen Engpaß in Katarrakten hindurchbricht, um den ſüdlichen Theil des keſſelartigen, zum Theil an— gebauten Thales von Napa (950 F. nach Junghuhn), das im We— ſten vom Paſſirtobing begrenzt, im Süden durch den Dolok maleha, einen nach Oſten vorſpringenden Arm der weſtlichen Grenzkette, von Unterankola getrennt wird, gegen Oſten zu durchfließen. Oeſtlich von Napa befindet ſich das vom Sibogas durchfloſſene Thal, das in den Gehängen des Berges Tobing endet, auf deren oberſtem Theile das Dorf Tobing (1870 F. nach Junghuhn) liegt; dann folgt öſtlicher, durch einen Bergzug davon getrennt, ein drittes Thal, worin der Batang jumi, der ſpäter nach Aufnahme des Sibogas dem Ankola zufällt, von den Abhängen des Luburaja herabfließt; im tieferen Theile dieſes Thals liegt das Dorf Batanatua (970 F. nach Junghuhn). Eine andere, vom Luburaja ausgehende Bergkette, die am Wege von Bata— natua nach Paggerutang die Höhe von 2050 F. erreicht, trennt dies Thal von dem vierten, worin der Bach von Paggerutang bei dem Dorfe gleiches Namens vorbei nach Süd und Südweſten fließt, und das im Oſten von der öſtlichen Grenzkette des Längenthals ein— geſchloſſen wird. Alle dieſe Thäler ſind jetzt ſparſam bewohnt und dürf— tig angebaut, größtentheils mit Gras und Waldwildniß bedeckt, trotz ) So nach Horner; Junghuhn's Meſſung ergiebt nur 640 F. M. 6 C. E. Meinicke: der Fruchtbarkeit des Bodens, der guten Bewäſſerung und der Milde des Klima's in ähnlicher Art, wie Unterankola und aus ähnlichen Grün— den verödet !). Die dieſe Thäler von Rau an durchſchneidenden und begrenzen— den Bergzüge beſtehen überwiegend aus Trachyt und trachytiſchem Conglomerat, zwiſchen dem jedoch hier und da (wie bei Aierbangis) Granit auftritt. Zwei Hauptgebirgszuͤge, in gleichförmiger Richtung nach Nordweſten ziehend, begrenzen das Längenthal auf beiden Seiten. Der weſtliche, zugleich das Küſtengebirge, liegt hier weiter vom Meere entfernt, als dies bei ſeinen ſüdlichen Fortſetzungen der Fall iſt, da die Küſtenebene hier 15 bis 20 engl. Meilen breit wird und gegen Norden an Breite noch zunimmt. Sie iſt nur am Meere ganz flach, tiefer hin— ein wellig, hüglig und von einzelnen kleinen, iſolirten Bergen (wie dem Sikarbau im Süden von Aierbangis, dem Natalberg u. ſ. w.) unterbrochen, mit ſumpfigen Wäldern dicht bedeckt, wild und öde, ſehr ſparſam bewohnt. Das Gebirge, woran dieſe Küſtenebene en— det, und das gewöhnlich aus parallelen Ketten beſteht, iſt, wie ſchon oben erwähnt, ſeiner Wildheit und Schwerzugänglichkeit halber übel berüchtigt. Dies gilt namentlich von dem ſüdlichen Theil an der Weſt— grenze von Rau, in dem ſich der kegelförmige Berg Kalabu bis ge— gen 7000 F, erhebt; da, wo der dieſe Landſchaft und Mandaheling trennende Gebirgszug ſich mit ihm vereinigt, geht ein Seitenarm von dem Hauptgebirge in ſchräger Richtung gegen Weſten in die Küſten— ebene hinein, ohne jedoch das Meer zu erreichen, das Thal des Fluſ— ſes Paſſaman im unteren Laufe im Norden begrenzend, und in dieſem Thale geht von Aierbangis ein Weg hinauf, der zu dem Dorfe Chubadak (2076 F.) im oberen Thale eines hier nach Nordweſten fließenden Zu— fluſſes des Paſſaman führt, dann die Hauptkette da, wo ſich der Geiten-, arm von ihr trennt, in einem gegen 4000 F. hohen, ſeiner Beſchwerlichkeit halber jetzt faſt gar nicht gebrauchten Paſſe überſteigt und endlich bei Tambangang das Langenthal erreicht. Nördlich von dieſem Seitenarme trennt ſich eine zweite ganz ähnliche Kette bei Natal von dem Haupt— gebirge und geht ebenfalls gegen Weſten dem Meere zu; an ihrem ) Ganz Ankola, das wahrſcheinlich an 20 geogr. Quadratmeilen Flaͤcheninhalt hat, zählt jetzt noch nicht 4000 Einwohner. M. „„. ? Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 7 Nordabhange fließt der Tabuyong, am füdlichen der Natalfluß; in ihr erhebt ſich einer der höchſten Berge des ganzen Küſtengebirges, der Sidoadoa, deſſen zackige Gipfel den vulkaniſchen Urſprung anzuzei— gen ſcheinen, bis zu 6500 bis 7000 F. Höhe ). Auch am Südab— hange dieſes Seitenarmes geht ein Weg das Thal des Natalfluſſes hinauf von Natal nach Mandaheling, deſſen Beſchwerden Ennis, der ihn 1837 paſſirte, anſchaulich ſchildert, und der 1845 durch die hollän— diſche Regierung gangbar gemacht iſt; auf ihm erreicht man den Fuß des Gebirges bei dem Dorfe Aier nanali (1163 F.) und dann die Höhe des Paſſes (4915 F.), welche da, wo der Seitenarm ſich mit dem Hauptgebirge verbindet, Bukit ſitampa heißt; von da führt ein ſteiler Abhang nach Tanabatu in Mandaheling herab. In der Nähe dieſes Paſſes liegt in der Hauptkette der Berg Seret berapi ?) von gegen 5500 F. Höhe, faſt in der Parallele des Sidoadoa, wahrſchein— lich ein Vulkan mit einem Krater, weil die Eingeborenen auf ſeinem Gip— fel Schwefel ſammeln. Nördlich von ihm trennt ſich das Gebirge in zwei an dem ſchon erwähnten Durchbruche des Sinkuang endenden Ketten; die fernere Fortſetzung an der Weſtgrenze von Ankola zwiſchen den Durchbrüchen des Sinkuang und des Batangtoru, deren Nordende Junghuhn die Kette Perſariran nennt, iſt weniger hoch, als die ſüdlicheren Berge (höchſtens 2 bis 3000 F.), übrigens eben fo wild, ungangbar und dicht bewaldet; über ſie führt ein jetzt nicht mehr ge— brauchter Weg von den Dörfern am Fluſſe Sikunar und vom See Sumpun am Fluſſe Batumundam nach dem Dorfe Siſundung am Fuße des Luburaja. Die Gebirgszüge an der Oſtſeite des Längenthals, die noch we— niger bekannt ſind, als die weſtlichen, ſcheinen einen größeren Raum einzunehmen und ebenfalls aus mehreren parallelen Ketten zu beſtehen; ſie werden wohl eine ähnliche Beſchaffenheit, wie die Gebirge an der Oſtſeite von Limapulukotta ?) haben und find in gleicher Art, wie dieſe, unwegſam, unbewohnt und mit dichten Wäldern bedeckt. Doch ſind ſie ) So ſagt Oſthoff. Junghuhn's Angabe von 4500 F. iſt ohne Zweifel falſch. M. 2) Augenſcheinlich belegt nach dieſem Gipfel Willer alle Berge an der Weſtſeite von Mandaheling mit dem Namen Merapi, wie er die an der Oſtſeite aus ähnlichem Grunde Malea nennt. S. unten S. 8. M. ) S. dieſe Zeitſchrift III, 129. M. 8 C. E. Meinicke: an der Oſtgrenze des Thales Rau, wo ſie Oſthoff mit dem allgemei— nen Namen Bukit gedang bezeichnet, von mehr Päſſen durchſchnit— ten, als die weſtlichen Ketten, da der Verkehr dieſes Thallandes immer noch überwiegend nach der Oſtſeite der Inſel gerichtet iſt. So beſteht ein Weg von Rau nach den in dieſen Bergen liegenden Quellen des Siak und zum Dorfe Petapahan, wo der Siak ſchiffbar zu werden an— fängt; dieſen Weg benutzen die nach Malakka handelnden Einwohner von Rau noch jetzt häufig. Aber der Hauptverkehr des Thals mit der Oſtküſte geht durch das Thal des Fluſſes Sumpur, der die öſtli— chen Berge durchbricht und beim Eintritt in das Tiefland den Namen Rakan annimmt; dieſe Straße führt von Kottarajarau nach Batu— mundam (769 F. nach Oſthoff). Südlich davon erhebt ſich in dieſer Kette der kegelartige Berg Teliggi faſt gerade im Oſten vom Ka— labu, an dem ebenfalls ein Paß nach Kububaru hinüberzuführen ſcheint. Dagegen iſt das Grenzgebirge an der Oſtſeite der vorzugsweiſe mit der Weſtküſte der Inſel in Verbindung ſtehenden Landſchaft Man— daheling weniger wegſam; in ihm liegt nördlich vom Seret berapi der Kegelberg Malea und an ſeinem öſtlichen Abhange das Dorf Aiernabara. Ankola wird im Oſten von weniger hohen Bergzügen begrenzt, die nach Nordweſten entlang ziehen, bis ſie ſich nördlich vom Luburaja mit dem Gebirge Sibulaboali verbinden. Der Hauptpaß von Ankola nach Pertibi führt über den ſüdlichen Theil dieſer hier den allgemeinen Namen Gunong tua tragenden Bergzüge; er er— ſteigt von Rumatinggi im unteren Ankola die erſte noch mit dichtem Urwalde bedeckte Bergkette, während weiterhin das mehr und mehr von Wald entblößte Land nur langes Gras trägt, in einem 1602 F. hohen Paſſe '), und geht dann in das keſſelförmige, nur in den ſchmalen Bachthälern noch fruchtbare, ſonſt ſehr dürre Thalland von Batangunang (oder Gunong tua), wodurch ein Zufluß des Burumon nach Norden herabfließt, an dem das Dorf Batangu— nang 610 F. hoch liegt; öſtlicher erſteigt man die das Thal im Oſten begrenzende Kette in dem Paſſe Sipalpal (1557 F.) und kommt darauf am Oſtabhange derſelben zu dem am Eintritt in das noch ſpä— ) Junghuhn nennt ihn Simardona, Oſthoff Simandoren, Willer Adiana— gungan. M. Die neueften Entdeckungen auf Sumatra. 9 ter zu ſchildernde Tiefland von Padanglawas 351 F. hoch liegenden Dorfe Siunjam (oder Sungam). Am Nordende von Ankola erhebt ſich der Berg Luburaja !), der höchſte des Battalandes, deſſen Gipfel Junghuhn 1840 erreicht hat. Es iſt ein iſolirter Kegelberg von unregelmäßiger Form, deſſen allmälig ſich verflachende und in breite, ebene Rücken übergehende Joche ſich nach allen Seiten hin ausdehnen und in den unteren Thälern theil— weiſe von Wald gelichtet und angebaut find, während ſonſt alles mit dichter finſterer Waldung bedeckt iſt. Am zugänglichſten erſcheint der Berg an der Südoſtſeite, wo ihn Junghuhn auf dem das Thal des Siponter im Oſten begrenzenden Joche erſtieg. Der Gipfel, deſſen höchſten Punkt er 5850 F. hoch fand, beſteht aus einer äußerſt ſchma— len, faſt halbmondförmig gebogenen Firſte, welche in der Mitte von einer tiefen Kluft durchbrochen iſt und ſich nach außen, in viele Rippen ge— theilt, mäßig ſteil herabſenkt, nach innen aber überaus ſchroff abfällt. Im Südweſten davon erhebt ſich noch eine einzelne Kuppe bis faſt zu der— ſelben Höhe, und von ihrem Fuße führt ein ſchmales Joch zur Firſte, zwei unzugängliche Klüfte trennend, in deren einer der Siponter (der obere Lauf des Sibogas), in der anderen ein nach Weſten zum Per— ſariran abfließender Bach entſpringt. Bei dieſer Schilderung ergiebt ſich augenſcheinlich, daß der Luburaja ein alter, längſt erloſchener Vul— kan iſt; die beiden Klüfte nehmen die Stelle des Kraters ein, die Firſte und die einzelne Kuppe, beide bloß aus Lavaſchichten beſtehend, ſind die Ueberreſte der zerſtörten Kratermauer. Der ganze Berg, ſelbſt die ſteilſten Abhaͤnge und die höchften Spitzen, werden von hohen Bäu— men dicht bedeckt, die Wälder ſind erſtaunlich feucht, da Wolken und Nebel die oberen Theile des Berges faſt ununterbrochen einhül— len; nur wilde Thiere durchſtreifen dieſe von Menſchen gemiedene Wildniß, in den unteren Theilen fand Junghuhn noch Elephanten, in den höheren nur wenige Vögel, aber allenthalben Spuren der Ti— ger und Rhinozeros. Von den Jochen des Luburaja ſind die höchſten diejenigen, welche ſich, mit dichten Wäldern bedeckt, nach Nord herabſenken und da mit den Abhängen des Sibulaboali verbinden; ſie ſcheinen die Höhe von ) Bei Oſthoff Bukraja. M. 10 C. E. Meinicke: 3000 F. zu erreichen. Nach Oſten und Süden verflachen ſich die Joche in die bereits geſchilderten Thäler des oberen Ankola. Im Südweſt vom Luburaja erhebt ſich auf ſeinem Abhange der kegelförmige Berg Tobing, der von geringerer Höhe und wie der Luburaja dicht be— waldet iſt; von ſeinem Südabhange zieht ein breiter Bergrücken gegen Süd bis an die weſtliche Grenzkette von Ankola, von der ihn nur das tiefe Durchbruchsthal des Batang ankola ſcheidet; dieſer Bergzug bil— det geographiſch die Nordweſtgrenze der Landſchaft Ankola !), allein nicht die Waſſerſcheide zwiſchen dem Batangtoru und dem Ankola, da der letzte weſtlich von ihm entſpringt und ihn im Süden umfließt. Ueber ihn führt nahe ſüdlich von der kleinen Kuppe Paſſirtobing die Hauptſtraße von Tapanuli nach Tobing und Ankola in einem 2300 F. hohen Paſſe. Die weſtlichen Joche des Luburaja ſenken ſich, indem ſie ſich ſehr ſanft und allmälig verflachen, herab, bis ſie an den Abhang der weſtlichen Grenzkette von Ankola ſtoßen, von der ſie das tiefe Thal des an ihrem Fuße nach Nordweſten fließenden Fluſſes Per— ſariran (Paſyarigan bei Oſthoff) ſcheidet. Dieſe ganze Gegend iſt trotz der Fruchtbarkeit des Bodens jetzt ſeit der letzten Verheerung des Landes durch die Angriffe der Malaien von Rau eine mit Wald be— deckte, menſchenleere Wildniß, worin ſich nur die zwei kleinen Dörfer Sigomurru und Siſundung am oberen Ankola (Siſundung nach Oſt— hoff 1477 F. hoch, nahe an dem eben erwähnten Durchbruchthale des Fluſſes), erhalten haben; ſie reicht im Norden bis zu dem höheren, vom Luburaja nach Weſten ziehenden Berge Sigomurru, der weſt— licher mit ſteilem Abſturz an der Mündung des Perſariran in den Batangtoru endet und an deſſen ſüdlichem Fuße der holländiſche Po— ſten Huraba (585 F.) 2), wie am nördlichen das Battadorf gleiches Namens in etwa 1200 F. Höhe liegt. Den Boden aller dieſer Joche bildet eine aus der Auflöſung des ſie bildenden trachytiſchen Conglome— rats entſtandene, reiche Pflanzenerde. Alles was nördlich von Huraba liegt, iſt mit Ausnahme der Küſtenebene der holländiſchen Herrſchaft nicht mehr unterworfen; doch hat in neueſter Zeit Junghuhn dieſe Theile des Battalandes bis nach ) Denn ſtatiſtiſch reicht fie noch gegen Nordweſt bis Maranchar. M. ) Alle Höhen find von hier an von Junghuhn beſtimmt. M. Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 11 dem ſüdlichen Toba, wo ihn die Kriege unter den Eingeborenen am ferneren Vordringen hinderten, unterſucht und mit der ihm eigenthüm— lichen Genauigkeit geſchildert. Aus ſeinem Berichte erhellt, daß die Regelmäßigkeit, welche der Bau des Gebirgslandes von Alahanpan— jang bis zum Luburaja zeigte, aufhört, daß ſtatt eines Längenthals verſchiedene flache, von Bergzügen umgebene und einſt Seebecken ge— weſene Ebenen ſich finden, eine Bildung, welche an die von Menang— kabau erinnert, daß weiter nördlich die vulkaniſchen Geſteine von ſedi— mentären verdrängt oder bedeckt werden und zugleich die abſolute Höhe immer zunimmt, bis in Toba endlich die Naturform der Hochebene überwiegend auftritt, das einzige Beiſpiel der Art auf der Inſel Su— matra. Die Küſtenebene iſt nördlich vom Fluſſe Batangtoru noch breiter, als ſüdlicher, und die ſie begrenzenden Bergzüge ſind vom Meere aus nicht mehr ſichtbar, außer wo nördlicher die ſchöne, inſelreiche Bai Ta— panuli, der beſte Hafen der ganzen Inſel, ſo tief in das Land ein— dringt, daß ihr Grund den Abhang des Küſtengebirges ſelbſt beſpült. Nördlich von dieſer Bai, wo unſere Kenntniß des Inneren endet, iſt die Ebene noch breiter; hier beginnt der Küſtenſtrich, welcher in neue— rer Zeit durch die von achineſiſchen und malaiiſchen Coloniſten ange— legten Pfefferpflanzungen für den Verkehr der Inſel eine ſo hervor— ragende Bedeutung gewonnen hat. Im Süden der Tapanulibai liegt eine große Ebene, die an der Bai größtentheils von einem ſumpfigen und ungeſunden Urwalde eingenommen wird, wie in dieſer Ausdeh— nung an der Weſtküſte ſchwerlich ein ähnlicher gefunden wird, die aber füdlicher ſich höher bis zu 100 Fuß erhebt, jedoch auch hier größtentheils mit dichten Wäldern bedeckt und ſehr ſparſam bewohnt iſt. Der Fluß Lumut durchfließt dieſe Ebene nach Nordweſten. Nach dem Meere zu wird ſie von der Küſte durch einen Höhenzug getrennt, der in ſei— nen höchſten Punkten bis 450 F. aufſteigt und längs der Küſte nach Suüdoſt zieht, bis er zuletzt in die das Thal Tapollong im Weſten begrenzenden Hügel übergeht. Am Nordabhange dieſes Zuges führt die Hauptſtraße von Tapanuli nach Ankola, erſt auf dem Fluſſe Lu— mut einige deutſche Meilen bis zu dem auf einem Hügel in 175 F. Höhe liegenden holländiſchen Poſten Lumut, dann durch den höheren öſtlichen Theil der Ebene und über eine Reihe von Hügeln hinab in 12 C. E. Meinicke: die thalartige Ebene von Tapollong (mit dem holländiſchen Poſten gleiches Namens 97 F.), die ſich am gleichnamigen Bache zum Ba— tangtoru hinabſenkt und im oberen Theile bewohnt, im unteren eine Wildniß voll Urwald iſt. Hinter dieſer Küſtenebene erſtreckt ſich eine Reihe paralleler, durch Längenthäler getrennter Bergzüge, welche die Ebenen des Inneren von der Küſte trennen, und die Junghuhn das Hochland von Tapa— nuli nennt; es iſt einer der wildeſten, unwegſamſten und am ſchwer— ſten zugänglichen Theile des Battalandes. Die Ketten dieſes Berg— landes fallen ſtets ſehr ſteil, oft wandartig ab und erreichen im Allge— meinen 3 bis 4000 F. Höhe; zwiſchen ihnen ziehen ſich ſehr tiefe, ab— geſchloſſene Thäler hin, alles, ſelbſt die ſteilſten Abhänge, iſt mit hohen Bäumen bedeckt, nur hier und da liegen kleine Dörfchen, deren Be— wohner ihrer Wildheit halber verrufen ſind, gewöhnlich auf Vorſprün— gen der Bergabhänge zerſtreut. Im nördlichen Theile jedoch nach dem Inneren zu nehmen die Thäler an Tiefe ab, und das Bergland geht allmälig in eine Art hügeliger Hochfläche über. Die bekannteſten von dieſen Ketten ſind die beiden äußerſten, auf der Grenze der Küſtenebene gelegenen. Die ſüdlichſte erſtreckt ſich vom linken Ufer des Tapanulifluſſes bis zum Thale von Tapollong nach Südoſt; cha— rakteriſtiſch find für ſie die Seitenrücken, die ſich von ihr in die Küſten— ebenen herabziehen und Thäler umſchließen, welche die hauptſächlich angebauten und bewohnten Theile des Küftenlandes ausmachen. Sie geht zuerſt vom Tapanulifluſſe 10 engl. Meilen bis zu einer breiten Lücke; in dieſer erſten Strecke reichen mehrere ſolcher Rücken zur Küſte der Bai herab, und in dem größten der dadurch gebildeten Thaler liegt das Dorf Siboga, wohin jetzt der Mittelpunkt der holländiſchen Verwaltung der Provinz von der Inſel Ponchang Kichil verlegt iſt. Aus dem Grunde dieſes Thals führt ein Paß in 1500 F. Höhe nach dem Dorfe Bonnong dolok über die Kette fort, die ſüdlich davon ihren höchſten Gipfel (2300 F.) hat. Oeſtlicher iſt der Bergzug durch eine breite, von Hügelketten durchſchnittene Ebene, die ſich allmälig bis zum Fuße der zweiten Kette dahinter erhebt, ganz unterbrochen; durch dieſe Lücke fließen der Sibuluan aus dem Längenthal hinter der Kette und nahe bei ihm der kleinere Fluß Pituboſſi beide in die Bai, und die von ihnen bewäſſerten Diſtricte Sibuluan und Tuka find, nament- Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 13 lich der letzte, die am beſten bewohnten und angebauten Theile des ganzen Küftenlandes. Im Südoſten von Tuka erhebt ſich die Kette wieder und zieht gegen 20 engl. Meilen bis zu den Hügeln von Ta— pollong; ſie iſt hier viel höher und erreicht im Dolok nagala l!) hinter Borbor ihre höchſte Erhebung von vielleicht 3500 F. Von ihr gehen drei breite Seitenarme nach Süden in die Küſtenebene aus; über den erſten, der auf der Sſtgrenze von Tuka bis zur Bai reicht, führt näher am Meere ein 500 F. hoher Paß nach dem am Südufer der Bai in der Küſtenebene liegenden Dorfe Bediri, nördlicher ein zweiter, an dem die Kette in zwei durch ein 1100 F. hohes Thal ge— trennte parallele Züge von 1700 und 1800 F. getheilt iſt, hinüber in die Landſchaft Saidnahuta, welche eine Art keſſelförmigen Thales zwiſchen den beiden erſten Seitenarmen einnimmt, beſonders im obe— ren Theile bewohnt iſt und vom Fluſſe Bediri durchfloſſen wird. Der Weg paſſirt dieſen Fluß in 420 F. Höhe und erſteigt dann die zweite daſelbſt in vier ebene, durch kleine Thäler getrennte Joche getheilte Sei— tenkette; von den Jochen iſt das ſüdöſtliche das höchſte und erreicht am Wege die Höhe von 2150 F. Von da ſteigt man auf einem ſo ſteilen Abhange, daß deshalb weithin Treppen haben in den Wald— boden gehauen werden müſſen, tief herab in ein ſchönes und anmuthi— ges Thal, das die Landſchaft Borbor umſchließt und Saidnahuta ahnlich, nur noch viel abgeſchloſſener und keſſelförmiger und nur durch die Kluft, worin der Fluß dieſes Thales, der Pinangſore, ein Zu— fluß des Lumut, in die Küſtenebene eintritt, mit dieſer verbunden iſt. Der Weg überſchreitet den Pinangſore in 600 F. Höhe und führt dann den ſanft aufſteigenden dritten, hier 2000 F. hohen Seitenarm hinan, darauf einen eben ſo ſanften Abhang herab in ein drittes, nament— lich im oberen Theile bewohntes Thal zum Dorfe Tarik dibata (200 F.); dies Thal wird im Weſten von der ebenerwähnten Seiten— kette begrenzt, die im Süden mit einem 800 F. hohen Kegelberge en- det; ein Arm der Kette, welcher von dieſem Berge nach Oſt bis zum Hü— gel Manubong geht, ſcheidet das Thal im Süden von der Küftenebene, und zwiſchen dieſem Hügel und dem hier bereits zu Hügeln herabge— ſunkenen Ende der Hauptkette tritt der das Thal bewäfjernde Sima— ) Dolok iſt das Battawort für Berg. M. 14 C. E. Meinicke: wangon (der obere Lumut) in die Küſtenebene ein. Verzweigungen der Hauptkette ziehen ſich noch weiter gegen Südoſten bis zum Ba— tangtoru und bilden Hügelketten von höchſtens 350 F. Höhe, welche die Ebene von Tapollong in Weſten begrenzen, und die der Weg von Lumut nach Tapollong in 250 F. Höhe überſchreitet. Alle dieſe Berge ſcheinen aus Granit !) zu beſtehen, doch führen die in ihnen entſprin— genden Flüſſe Trachytgeſchiebe in großer Menge mit ſich, und die kleine, 750 F. hohe Felſeninſel Dungus naſſi am Südeingange in die Tapa— nulibai beſteht ganz aus Trachyt, während die übrigen Inſeln der Bai einen weißgrauen thonartigen Sandſtein haben. Zwiſchen der ſo eben geſchilderten Kette und der folgenden befin det ſich eine Reihe von faſt ganz mit öden Waldwildniſſen bedeckten Thaͤlern. In dem weſtlichſten, allein bewohnten Thale liegt an einem nach Nordweſt fließenden Bache das Dorf Bonnong dolok; öſtlich davon verbindet ein Querjoch beide Ketten, wie ein ähnliches auf der Nordſeite des Nagalaberges liegt; dadurch entſtehen in der Mitte zwei entgegengeſetzt fließende Bäche, woraus der Sibuluan ſich bildet. In dem Thal ſüdlich vom zweiten Querjoch fließt der Fluß Jandimaria (der obere Tapollong), in die Ebene dieſes Namens herab. Die hinter dieſen Thälern liegende Kette iſt zwiſchen den Flüſ— fen Tapanuli und Batangtoru 35 engl. Meilen weit ununterbrochen und erhebt ſich hinter der Landſchaft Sibuluan am höchſten (bis über 3500 F.); auch ſie beſteht aus Granit, dem hier und da Sandſtein aufgelagert erſcheint. Am ſüdöſtlichſten Ende theilt ſie ſich in mehrere Zweige, die ſich in die Ebene von Tapollong herabſenken, und deren bedeutendſter bis an den Batangtoru tritt und mit dem gegenüberlie— genden Trachytgebirge von Perſariran den Paß bildet, wodurch die— ſer Fluß aus ſeinem Mittel in den Unterlauf und das Küſtenland eintritt. Auf die eben geſchilderte Kette folgen nördlicher noch drei bis vier andere, im Ganzen von gleicher Höhe und ihr parallel ziehend, bis zu dem Längenthale des oberen Batangtoru, welche durch anfangs ſchmale und tief eingeſchnittene, ſpaͤter nach dem Inneren zu mehr plateauar— ) Saft aller Granit des Battalandes iſt ſyenitiſch, arm an Glimmer, dafür reich an Hornblende. Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 15 tige Thäler getrennt werden. Durch dieſe unwegſamen Berggegenden führen einige Pfade, von denen allein der von Siboga nach Silindong gehende durch Junghuhn's Schilderung bekannt geworden iſt, von den Dörfern des Küftenlandes in das Innere. Von Bonnong dolok aus erſteigt man den ſteilen Südabhang der zuletzt erwähnten Kette, deren breiter Kamm hier durch ein kleines Thal in zwei Rücken ge— theilt iſt, deren erſter am Paſſe 2270, der zweite aber 2470 F. Höhe erreicht; das Bett eines kleinen Gebirgsſtroms, hier wie oft in den Urwäldern des Battalandes die Stelle der Straße vertretend, führt an dem nördlichen Abhange hinab nach dem auf einem Vorſprunge liegenden Dorfe Lubuſikkam und von da noch 300 F. tiefer zum Thale des Fluſſes gleiches Namens, den die Straße in 1220 F. Höhe ſchnei— det. Hier tritt im Thale plotzlich Baſalt auf, welcher den Granit der um— liegenden Ketten durchbrochen zu haben ſcheint. Der Weg erſteigt dann wieder den fteilen Abhang der folgenden granitifchen Bergmaſſe, über— ſchreitet ihren breiten hügeligen Kamm in 2220 F. Höhe und führt von da in das Thal des Batubuſſur hinab, worin wieder der Ba— ſalt hervortritt. Noch breiter iſt die Kammhöhe der folgenden Kette, die ein Paß von 2220 F. Höhe durchſchneidet, und an deren Nord— ſeite man in das Thal des Sobohuhom kommt, der wie alle früheren Ströme nach Nordweſten zur Küſtenebene herabfließt, und den der Weg in 1370 F. Höhe trifft. Hier ändert ſich die Bildung des Berglan— des allmälig; die parallelen Ketten und tiefen Längenthäler verſchmel— zen in ein breiteres Hochland mit hügeliger unebener Oberfläche, das ebenfalls dichter Wald bedeckt, und worüber ſich noch am rechten Ufer des Sobohuhom die in der Hauptrichtung des Ganzen ziehende Kette Kinjang erhebt; die Vegetation dieſer Gegend iſt ſehr eigenthümlich und intereſſant, es erſcheinen neue Eichen und Caſuarinenarten, eine Pandanus von der Höhe einer Kokospalme und vor allem die merk— würdige Art Daerydium, die Junghuhn anfangs für ein baumartiges Lycopodium hielt; der Granit der Berge iſt in den Hochebenen immer mehr von Sandſtein bedeckt, die Umgegend des Kinjang im Ganzen auch etwas beſſer bewohnt, als die übrigen Theile dieſes Berglandes. Vom Subohuhom aus erreicht man das Dorf Godding am Südab- hange des Kinjang (2160 F.); weiter führt der Weg über das Süd— b oſtende dieſer Kette auf ihre Nordſeite, längs der ein Bach ebenfalls * 16 C. E. Meinicke: nach Nordweſten der Küſtenebene zufließt; ihn durchſchneidet man und kommt dann bei Panoaji auf die Abhaͤnge des Berges Mertimpang, mit dem das Gebirgsland an dem Längenthal des Batangtoru endet. Die Grenze gegen daſſelbe bildet eine lange Bergkette, die das Ufer des Batangtoru begleitet und ſüdlich dem Hochlande von Maranchar gegenüber Sit angurru, weiterhin an der Grenze von Sigopu— lang, wo ſie in mehrere Arme getheilt iſt, Sahur heißt, dann durch das Thal des vom Südabhange des Mertimpang kommenden, dem Batangtoru zufließenden Sibobahu unterbrochen wird und endlich nörd— lich davon unter dem Namen Chitonde an der Grenze von Silin dong fortzieht. Hier erhebt ſich zwiſchen ihr und dem Kinjang für fid ſtehend der trachytiſche Berg Mertimpang (5000 F.) mit ſtumpf glockenförmiger Kuppe, von der nach allen Seiten hin divergirende Rücken ſich herabziehen, wahrſcheinlich ein alter, längſt erloſchener Vul— kan; auf einem feiner ſüdlichen Rücken liegt Panoaji (3260 F.), von wo der Weg über die öſtlichen Arme des Mertimpang, da wo ſie mit dem Chitonde zufammenhängen, in das anmuthige, höher auf der Weſt— ſeite von einem vom Mertimpang gegen Nordweſten ſich ausdehnenden Bergzuge umſchloſſene Thalland Silindong hinabführt. Der Hauptfluß dieſes Theiles des Battalandes iſt der Batang— toru, deſſen Unterlauf im Küſtenlande, wie den Austritt aus dem Mit— tel- in den Unterlauf in der Durchbruchsſchlucht, welche die Straße von Tapollong nach Huraba oberhalb des Fluſſes, am Rande der ſüd— lichen Bergzüge von Perſariran ſich hinziehend, durchſchneidet, ich ſchon früher geſchildert habe. Oberhalb dieſes Durchbruchs fließt der hier von Oſthoff Salindong genannte Batangtoru reißend und zwiſchen Trachytblöcken hinbrauſend, nach Südweſten und Süden, im Weiten begrenzt von den ſteil aufſteigenden Bergen von Sitangurru; im Oſten dagegen erhebt ſich mit ſanften Abhängen ein hügeliges, von vielen kleinen Zuflüſſen des Batangtoru durchſchnittenes Hochland, das man nach dem in ſeiner Mitte liegenden Dorfe Maranchar (2340 F.) benennen kann, und das gegen Süden bis an den daſſelbe vom nördlichen Ankola trennenden Bergzug Sigomurru reicht, im Südoſten ſich zum Luburaja, im Oſten zum Sibulaboali erhebt, während es im Nor— den durch einen von dem letzten bis zum Batangtoru vorſpringenden Bergzug, den Dolok Pohi, bei dem 2300 F. hoch liegenden Dorfe Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 17 Aiernabara begrenzt wird. Der größte Theil dieſes allenthalben gut anbaubaren Landes, das jedoch bis auf die Umgebungen der wenigen Dörfer öde und uncultivirt daliegt, iſt mit Graswildniſſen, ſelten mit Wäldern bedeckt; von den es durchſchneidenden, meiſt vom Luburaja kommenden Bächen ſind zwei, der Malakkut ſüdlich und der Sirabon nördlich von Maranchar, durch die tiefen kanalartigen Klüfte ausge— zeichnet, in denen ſie fließen, und die wir ſpäter in Sipirok und Toba noch großartiger wiederfinden werden. Oberhalb des Pohi breitet ſich das bis dahin ſchmale Thal des Batangtoru plötzlich zu der Thalfläche von Sigopulang aus, die ſich 19 engliſche Meilen nach Nordweſten ausdehnt und im Durch— ſchnitt 4 bis 5 engl. Meilen breit iſt; im Weſten wird ſie vom Ge— birge Sahur, im Oſten von den nördlichen Fortſetzungen des Sibula— boali begrenzt, in der Mitte iſt ſie 2400 F. hoch. Die beiden Berg⸗ ketten fallen an beiden Seiten ſanft in gerundeten Hügeln in das vom Batangtoru in ſeiner ganzen Ausdehnung durchfloſſene Thal ab, deſ— ſen ſüdlicher breiteſter Theil ganz horizontal, ſehr ſumpfig und augen— ſcheinlich das Bett eines alten Sees, übrigens faſt ganz unbewohnt iſt; der nördliche Theil ſenkt ſich dagegen muldenartig ſanft herab und hat trockenen, fruchtbaren, großentheils mit Wald bedeckten Boden, in dem jedoch viele gelichtete Stellen die Dörfer und die ſie umgebenden Felder enthalten. Denn dieſer Theil des Landes gehört zu den ver— hältnißmäßig noch wohl bewohnten Theilen des Battalandes; in feinen 17 Dörfern leben über 4000 Menſchen. Im mittleren Theile von Sigopulang verbindet ſich der hier von Oſten her aus Sipirok in das Thal eintretende Batangtoru mit dem von Nordweſt aus Silindong kommenden Batumanti, welcher dem Hauptfluß an Größe wenigſtens gleichkommt 1). Der Batumanti fließt, ehe er in das Thal von Sigopulang ein— tritt, aus Nordweſten 8 engl. Meilen lang durch eine ſchmale Schlucht zwiſchen den Bergketten Chitonde und Simaninkir, dann erweitert ſich das Flußthal plötzlich zu einem länglichen, die Landſchaft Silindong N * bildenden Becken, das 15 engl. Meilen lang, 2 bis 4 breit und im ) Daher nennt Junghuhn den Batumanti geradezu Batangtoru und hat für den aus Sipirok kommenden Arm (den Batangtoru der Batta) den Namen Sipirok vorgeſchlagen. Z3ieeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 2 7 N 18 C. E. Meinicke: nördlichen Theile am breiteſten iſt. Zwei parallel nach Nordweſten zie— hende Ketten umſchließen das Becken, der Simaninkir im Oſten, der Chitonde und höher die nördlichen Fortſetzungen des Mertimpang, an deren Abhang hier eine heiße Quelle entſpringt, im Weſten; gegen Nordweſten ſteigt der Rand des Thales plötzlich in ſteilen Gehängen vontrachytiſchen Felſen 800 F. hoch auf, dann betritt man, ohne ein Randgebirge zu überſteigen, ſogleich die offene Hochebene von Toba. Zwiſchen den ſteilen Abfällen der beiden Seitenketten iſt der Boden des Thales ganz eben und horizontal, die Höhe beträgt (bei dem Dorfe Lumpen chanchang) 2950 F.; dieſe Ebenheit, die noch vorhandenen Seen im nördlichen Theile der Landſchaft und die Beſchaffenheit des Bodens beweiſen unwiderleglich, daß einſt ein großer See das ganze Becken anfüllte, das jetzt der Batumanti langſam im breiten Sandbett zwiſchen flachen Ufern durchſtrömt. Der Boden, trockener, nicht un— fruchtbarer Sand, der ganz aus vulkaniſchen Beſtandtheilen beſteht, iſt allenthalben ſehr ſumpfig, und dies, wie die Hitze in dem auf allen Seiten von Bergen umſchloſſenen Keſſel, ſcheint trotz der bedeutenden Meereshöhe des Thals den Reisbau ſehr zu begünſtigen. Von den umliegenden Höhen überſehen gewährt Silindong einen eben ſo liebli— chen und anmuthigen Anblick, als der Aufenthalt im Thale läſtig und unangenehm iſt. Denn in ihrem jetzigen Zuſtande ſteht die Landſchaft in auffallendem Widerſpruch mit allen Übrigen Theilen des Battalan— des; ſie iſt ganz und gar mit Reisfeldern bedeckt, die in dem ſumpfi— gen Boden oft kaum der künſtlichen Bewäſſerung bedürfen; dennoch durchſchneiden große, kunſtvoll gebaute Waſſerleitungen die ganze Ebene, und die ſie einſchließenden Dämme bilden die einzigen, die Dörfer verbindenden Pfade. Dieſe liegen kahl und ohne Fruchtbäume, nur von dürftigen Bambus umgeben, zwiſchen den Feldern; von Bäumen finden ſich nur hier und da einzelne große Weringin (Ficus reli— giosa), und allein die am Rande des Beckens höher liegenden Dör— fer ſind von Fruchtbäumen beſchattet und liegen angenehmer und ge— ſunder, als die in der heißen und ſumpfigen Ebene, welche jeden Mor— gen von einer dichten Nebelſchicht bedeckt iſt. Jetzt iſt (vielleicht mit Ausnahme des nördlichen Toba) kein von Batta bewohnter Diſtrict ſo gut angebaut und ſo ſtark bewohnt, als das in ſeinen 56 Dör— fern über 10000 Einwohner enthaltende Becken von Silindong; die Ver— Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 19 f heerungen der ſüdlichen Malaien hat dies Thal durch ſchleunige Un— terwerfung von ſich glücklich abgewendet. Die Thäler von Sigopulang und Silindong werden im Oſten von ausgedehnten, mit dichten Urwäldern bedeckten, unbewohnten und unwegſamen Gebirgszügen begrenzt und von anderen Hochebenen ge— ſchieden. Die ſüdliche Gebirgsmaſſe iſt das öſtlich von Maranchar und nördlich vom Luburaja gelegene große Waldgebirge Sibulaboali, das aus mehreren parallelen trachytiſchen Bergketten beſteht, die ſich im Nordoſten vom Luburaja, mit welchem ſie hier durch Rücken in Ver— bindung ſtehen, am höchſten zu einem, die nach beiden Küſten der Inſel abfließenden Gewäſſer trennenden und anſcheinend gegen 3700 F. Höhe erreichenden Waſſerſcheideknoten erheben. Kein Dorf liegt in den Wäldern, welche dieſe Bergzüge bedecken; kein Weg durchſchneidet ſie. Das Gebirge iſt aber deshalb beſonders merkwürdig, weil in ihm | 1 die einzigen mit Sicherheit bekannten Stellen vorkommen, wo die vulkaniſchen Kräfte, welche dies ganze Bergland gebildet haben, ſich noch jetzt thätig zeigen. Dies find zwei dampfende Solfataren im ſüd— öſtlichen Theile, die in jeder Hinſicht den zahlreichen Solfataren Java's ähnlich ſind, die eine von dem Bach Mandurana durchfloſſene unbe— deutendere, die andere bedeutendere im Südoſten von ihr (3340 F. hoch) am Bache Waliran (Schwefel), der ſpäter, mit dem Nanali verbunden, den Situmba, einen der Quellſtröme des Pane, bildet; die letzte beſteht aus offenen Stellen in dem den Bergabhang bedecken— den Walde mit weißgrauem, breiartigen, von Dämpfen durchwühlten Boden, dem aus vielen, mit Schwefelkryſtallen beſetzten Löchern heiße Waſſer- und Schwefeldämpfe entſteigen, während unterhalb kleine Pfützen mit kochendem Waſſer ſich bilden; das Waſſer der mit dieſer Solfatara in Verbindung ſtehenden Bäche iſt warm, trübe, von alaunartigem Geſchmack und färbt alle Geſteine röthlich-braun. Eine ähnliche Solfatara fand Junghuhn noch am Nordweſtende des Sibu— laboali oberhalb Aiernabara. Im Südoſten ziehen ſich die Bergketten des Sibulaboali weiter— hin, bis fie in die öſtlichen Grenzgebirge von Ankola übergehen, und trennen die nördlichſten Theile dieſer Provinz von Sipirok. Sie ſind uns hier durch Junghuhn's Schilderung des von Paggerutang in An— kola nach Sipirok führenden Weges bekannt geworden. Dieſer erſteigt . br 20 C. E. Meinicke: zuerſt den Bergzug, welcher Paggerutang im Nordoſten begrenzt und hier einen breiten Rücken von 2950 F. Höhe hat, und führt dann gegen Nordoſten durch mehrere bewaldete Thäler und über mit Graswild— niß bedeckete Rücken; in dieſen Thälern fließen die Quellarme des Kambiri, der tiefer unten Pane genannt wird. Nördlich von dem vom eigentlichen Kambiri durchfloſſenen Thale erſteigt man den höch- ſten dieſer im Weſten mit dem Sibulaboali zufammenhängenden Rücken und überſieht von dem 3000 F. hohen Paſſe die Hochebene von Si— pirok, zu der der Rücken nur 150 F. hoch abfällt. Eben ſo dehnen ſich die nördlichen Fortſetzungen des Sibulaboali auf der Oſtſeite von Sigopulang gegen Nordweſten aus und werden hier von einem von Maranchar nach Sipirok führenden Wege durch— ſchnitten. Der Weg ſteigt von Aiernabara aus, dem nördlich von Ma— ranchar gelegenen Dorfe, zu den gegen 3000 F. hohen, meiſt mit Gras— wildniß bedeckten, von tiefen Klüften unterbrochenen Ketten auf und führt gegen Nordoſten nach dem am Sitandian liegenden Dorfe Pulo ma— rio (3050 F.), dem einzigen in dieſem ganzen Gebirgslande; von da geht der Weg weiter anfangs gegen Nordoſten, ſpäter gegen Oſten durch ununterbrochenen Wald über Bergketten und durch Thäler, in denen die parallel nach Nordweſten fließenden Bäche anfangs noch zum mittleren Batangtoru in Sigopulang, ſpäter nach Oſten in die Ebene von Sipirok herabfließen, in welche man von der letzten dieſer Ket— ten zum Dorfe Sipirok hinabſteigt. Weiter im Nordweſten ſenken ſich die Bergzüge immer mehr herab und bilden am Thale des oberen Batangtoru, wo er zwiſchen ihnen und den Abhängen des Sahut hin— durchbricht, nur noch niedrige Hügelketten, die aber ebenfalls mit dich— ten Wäldern bedeckt ſind. Im Oſten und Norden vom Sibulaboali breitet ſich einer der ſchönſten Theile des Battalandes, das Hochland von Sipirok, aus, eine beckenartige Ebene, 19 engl. Meilen von Nord nach Süd lang, im ſüdlichen breiteſten Theile gegen 13 Meilen breit, während die Breite gegen Norden allmälig abnimmt. Im Norden reicht ſie bis an die Abhänge des Sahut und die Bergkette Gole, im Oſten begrenzen ſie die ſteil abfallenden Ränder der das ganze Gebirgsland der Inſel hier umſchließenden Bergzüge. Die Senkung dieſes fruchtbaren, aber jetzt Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 21 nur dürftig bebauten und bewohnten Landes “) iſt gegen Norden ge— richtet. Es zerfällt in zwei Theile. Der füpliche breitere beſteht aus ziemlich ſtark geneigten, vom Sibulaboali ſich gegen Nord und Oſt herabſenkenden Flächen, mit reicher Pflanzenerdedecke, unter der ein tra— chytiſches und Lavaconglomerat liegt, durchſchnitten von ziemlich flachen Thaͤlern mit allmälig geſenkten Rändern, deren haupt— ſaͤchlich vom Sibulaboali kommende Bäche erſt gegen Oft und Nord— oft, dann gegen Norden fließen, vorzugsweiſe mit Graswieſen, feltener mit Wald bedeckt; dies iſt der am ſtärkſten bewohnte und angebauteſte Theil von Sipirok. Hier liegt nahe dem Rande der ſüͤdlichen Grenz— gebirge das Dorf Saligundi (2860 F.), in deſſen Nähe wieder der Berg— zug gleiches Namens, ein Ausläufer des Sibulaboali, endet, welcher das Thal des Mandurana im Süden begleitet und an der Stelle, wo ihn Junghuhn übeſtieg, um die an ſeinem Südabhange liegende Solfatara des Waliran zu beſuchen, 3350 F. Höhe hat. Nordweſtlich von Saligundi liegt das Dorf Sipirok, in deſſen Nähe ein anderer Arm des Sibulaboali, auf deſſen äußerſter Spitze das Dorf Paggeran dolok (3300 F.) liegt, und an deſſen Abhange zwei warme Quellen entſprin— gen, ſich in die Ebene herabſenkt. Nördlich von Sipirok kommt der Hauptfluß des Beckens, der Gute, aus dem Sibulaboali und fließt gegen Nordoſten, ſpäter gegen Norden, bis er bei Punyaponter nahe an der öſtlichen Grenzkette des Beckens den zweiten nördlichen Theil des Landes erreicht. Dieſer hat eine ganz ebene, horizontale Ober— fläche, deren Pflanzendecke auf lehmiger und thoniger Unterlage ruht, und die namentlich im Weſten mit großen Graswildniſſen und nörd— licher mit dichten Wäldern bedeckt iſt. Eigenthümlich ſind dieſem Theile die tiefen, canalartigen Klüfte der Bäche, welche die Ebene plötzlich unterbrechen, und deren ſteile, hier in ſchmalen Terraſſen abfallende Ränder ein tiefliegendes, ebenes, häufig mit bewäſſerten Reisfeldern bedecktes Thal einſchließen, eine Bildung, die ganz der der Flüſſe von Agam 2) gleicht und unzweifelhaft eine Folge der Ausſpülung des Waſſers in dem lockeren Boden der Hochebene iſt. In einer ſolchen Kluft fließt der Gute gegen Norden; im Weſten von ihm iſt das Land ) Denn es enthält noch etwas weniger Bewohner, als das kaum halb fo große Sigopulang. M. 2) S. dieſe Zeitſchrift III, 119. M. 22 C. E. Meinicke: ganz unbewohnt, nur auf der Oſtſeite liegen einige Dörfer, und der von Punpyaponter über Warſe (2715 F.) und Lajat nach Silantom führende Weg durchſchneidet acht ſolche tiefe, von öſtlichen Zuflüſſen des Gute durchfloſſene Klüfte. Da, wo der Gute ſich den nördlichen Grenzgebirgen von Sipirok nähert, empfängt er bei der Vereinigung mit dem Bache von Silantom den Namen Batangtoru und fließt nun am ſüdlichen Rande der Bergzüge des Sahut durch ein ſchwer zu— gängliches, ganz mit dichtem Urwalde bedecktes Land, bis er auf die ſchon oben erwähnte Weiſe in Sigopulang eintritt. Auf der Nordſeite dieſes Theiles des Batangtoruthals breitet ſich der Dolok Sahut aus, ein großes Gebirgsland, eigentlich ein ein— ziger großer Berg mit flachkegelförmigem Mittelpunkte, von dem ſanft ſich herabſenkende Rücken divergirend nach allen Seiten hin ausge— hen und theils ganz unvermerkt in Ebenen übergehen, wie gegen Nor— den in die von Toba, theils durch Querthäler begrenzt werden, welche die zwiſchen dem Rücken herabfließenden Bäche aufnehmen, wie im Sü— den durch das Thal des Batangtoru und im Oſten durch das des Baches von Silantom, an deſſen weſtlichem Ufer die letzten Abhänge des Sa— hut den Namen Torſigamba führen; im Weſten enden die Rücken an der Kette Simaninkir. Schon dieſe Bildung und der alle Rücken bildende Trachyt läßt darauf ſchließen, daß der Sahut ein alter Vul— kan iſt, und ein ausgezackter und gebrochener Raum in der Mitte des kegelförmigen Mittelpunktes dürfte ſich wohl bei einer ſpäteren Erfor— ſchung als ein Krater ausweiſen; denn bis jetzt iſt der ganz menſchen— leere, ununterbrochen Berg und Thal bedeckende Urwald noch von kei— nem Europäer betreten worden. An gewiſſen Stellen am Weſtabhange des Sahut ſammeln die Batta unreinen Schwefel; vielleicht ſind dort noch rauchende Solfataren, wie am Sibulaboali, vorhanden. Südweſtlich von Sahut beginnt an der Grenze von Sigopulang und nördlich vom Durchbruch des Batangtoru die längs des Thals des Batumanti weit gegen Nordweſten ſich hinziehende, trachytiſche Kette Simaninkir, welche mit dichten Wäldern bedeckt iſt und erſt an der Nordgrenze von Silindong allmälig in die Ebene von Toba ſich herabſenkt, aus welcher vom Thale des Chitonkapa aus ein Paß nach Silindong über ſie hinüberführt. Von ihr trennt ſich etwas nörd— lich vom Sahut ein gerade nach Nord ziehender Arm, der aber ſchon Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 23 früher, als fie, in die Ebene von Toba ausläuft und mit dem ſtumpf— kegligen, nur in den oberen Theilen bewaldeten Dolok Sikottam (4450 F.) endet. Dieſer Arm erhebt ſich 400 bis 700 F. über die im Oſten daran ſtoßende Ebene; von ihm ſpringt in der Hälfte ſeiner Ausdehnung eine andere kenntliche Kuppe gegen Oſten vor, die nach einem naheliegenden Dorfe Dolok Najukang heißt. Ein Paß führt über dieſe Kette nicht weit ſüdlich von ihrem Ende, vom Dorfe Soſſor in Sikottam aus, in 4400 F. Höhe. Oeſtlich vom Sahut breitet ſich ein im Ganzen Sipirok ähnliches Hochland aus, das Junghuhn nach dem bedeutendſten, hier früher be— ſtandenen, jetzt aber zerſtörten Dorfe das Hochland Silantom nennt. Es wird im Oſten von den Gebirgszügen begrenzt, welche das Ge— birgsland der Inſel von der Küſtenebene trennen; im Süden ſcheidet es der Bergzug Gole von Sipirok, im Norden bildet erſt ein Arm des öſtlichen Grenzgebirges, der nach Weſten vorſpringt und mit der breiten, kegelförmigen Kuppe Kajorang (von 4000 F. relativer Höhe) endet, die Grenze; in den Räumen von da bis zum Sahut geht das Land, indem es ſich ganz allmälig gegen Nordweſten erhebt, ohne eine beſtimmte Grenze in das Hochland von Toba über. Es beſteht aus ausgedehnten, ſanft geneigten Flächen, die ſich von dem öſtlichen und weſtlichen Gebirge ſanft nach der Mitte zu einem tieferen Thale her— abſenken, in welchem der Hauptbach des Landes nach Südoſten und Süden, wohin die Richtungen der Hauptſenkung gehen, herabfließt. Al— les iſt mit einförmiger Graswildniß bedeckt, worin viele einzelne Wäld— chen zerſtreut liegen, und welche Hirſche in großen Haufen durchſtrei— fen, Elephanten fehlen dieſen Hochebenen ganz; alles iſt öde und men— ſchenleer und von der früheren Bevölkerung hat ſich nicht mehr, als ein Dorf mit 200 Einwohnern, Sumang ampat genannt, erhalten. Dies liegt in 2660 F. Höhe, im ſüdlichſten Theile am nördlichen Abhange des Do— lok Gole, eines von den öſtlichen Grenzgebirgen gegen Nordweſten vorſpringenden Bergzuges, der an ſeinem Weſtende die ſchmale Kluft vom Torſigamba trennt, in welcher der Bach von Silantom in die Ebene des nördlichen Sipirok eintritt, und über welchen die Straße von La— jat aus Sipirok her in das Hochland führt. Im ſüdlichen Theile deſ- ſelben fließen die Bäche in mehr ſanft geneigten Thälern hauptſächlich vom öſtlichen Gebirge gegen Nordweſten dem Bache von Silantom zu; 24 C. E. Meinicke: nördlicher, wo das Land ſich bedeutend gegen Toba hin erhebt, kom— men ſie meiſtens vom Sahut und fließen anfangs gegen Oſten, bis ſie in das Hauptthal eintreten; ſie haben hier die ſchon geſchilderten, tie— fen und canalartigen Klüfte, welche die Ebenheit des Landes unterbre— chen, und von geringerer Tiefe, als in Sipirok ſind, deren Wände aber ſich nicht in Terraſſen, ſondern ſchroff und Mauern ähnlich bis auf den flachen, ſumpfigen Grund herabſenken. So der Suha, der Quell- ſtrom des Baches von Silantom, und nördlicher ſein Zufluß Gon— dipabiat, an deſſen nördlichem Ufer die Ebene ſchon die Höhe von 3750 F. erreicht hat; bald darauf trifft man auf den ebenfalls nach Oſten fließenden Borotan, der aber ſchon dem Stromgebiet des Bila angehört, ſo daß hier an der Südgrenze von Toba die Waſſerſcheide zwiſchen den beiden Küſten der Inſel ganz in der Ebene liegt. Der ganze Südtheil von Silantom hat noch dieſelbe geologiſche Bildung, wie Sipirok; im nördlichen Theile tritt zuerſt die dem ganzen nördli— chen Battalande charakteriſtiſche Formation eines augenſcheinlich ſehr jungen, weißen, aus großen, durch ein feldſpathiges, thoniges Cement locker zuſammengehaltenen Quarzkörnern beſtehenden Sandſteins auf, über welchem in der Ebene eine dichte Schicht feinen weißen Thons liegt, den wieder eine mehrere Fuß tiefe Lage von reicher Pflanzenerde bedeckt. Der Sandſtein überlagert den Trachyt an den nördlichen Ab— hängen des Sahut und wird von einzelnen Trachytkuppen (wie dem Kajorang) durchbrochen; dies und die geologiſche Bildung der noch ſpäter zu ſchildernden Landſchaft Hurung macht Junghuhn's Hypo— theſe, daß trachytiſche Eruptionen in dieſem Theil des Landes ſtatt— fanden, als es vom Meere bedeckt war, und daß es dann erſt ſpäter erhoben worden iſt, ſehr wahrſcheinlich. In dieſer Sandſtein— region tritt zugleich ein ſehr merkwürdiger Baum auf, Pinus Merku— sii (der tussam der Batta, die ſein harziges Holz ſtatt Fackeln und Lichter brauchen), in Wäldern, deren von Unterholz freier, von Nadeln und Tannzapfen geglätteter Boden auffallend an die Coniferenwälder des nördlichen Europa erinnert, wie ein zugleich mit dieſer Fichte er— ſcheinender Baum, Casuarina sumatrana, dem Botaniker die Wälder des ſüdlichen Auſtraliens in das Gedächtniß zurückruft, eine Vermiſchung von Pflanzenformen der nördlichen und ſüdlichen gemäßigten Zonen, n ! Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 25 wie ſie auch ſonſt ſchon in den Gebirgen der indiſchen Inſeln beob— achtet iſt. Die berühmteſte und bedeutendſte aller Landſchaften der Batta iſt Toba, das am Nordende von Silantom beginnt und ſich gegen Nordweſten bis in noch unbekannte Fernen (nach Oſthoff bis A’ n. Br.) ausdehnt. Im Oſten begrenzt es ein vom Kajorang an nach Nordwe— ſten ſich hinziehender Bergzug, zu welchem die Berge Sitatuan und Ga— jagaja gehören, und der die Ebene nur um 200 bis 400 F. überragt; da wo er in 2° 30 n. Br. endet »), geht die Ebene unmittelbar in die von Oberbila über. Am ſchmalſten iſt der ſüdliche Theil von Toba, wo dieſe Landſchaft ohne beſtimmte Grenze allmälig mit Silantom in Zu— ſammenhang tritt, und die Rücken des Sahut weſtlicher ſich ſo ſanft in die Ebene herabziehen, daß nur der Rand der die Abhänge dieſes Berges bedeckenden Wälder eine Grenzſcheide bildet; hier iſt die Ebene zwiſchen der öſtlichen Kette und der des Berges Sikottam 5 bis 10, am Nordende der letzten bis zur Kette Simaninkir 12, nördlicher, wo auch dieſe Kette in die Ebene übergeht und die Ebene nördlich von Silindong faſt bis an die weſtlichen Küſtengebirge reicht, 20 bis 22, in den nördlichſten Theilen, bis wohin Junghuhn, der nur die füdlich- ſten Diſtricte beſuchen konnte, ſie überſehen hat, 35 engl. Meilen breit. Das ganze Land iſt eine vollſtändige, durchſchnittlich 4000 F. hohe Ebene. Obgleich dieſelbe ſich nach Nordweſten hin nicht unbedeu— tend erhebt, ſo iſt doch das Anſteigen ſo ſanft und unmerklich, daß es überall gleich eben erſcheint; kein Hügel und kein Stein, ja kaum ein Baum oder ein Strauch bis auf wenige in der Nähe der Dörfer angepflanzte unterbricht die Ebenheit; die einzige Ausnahme machen die in das gleichartige Niveau eingeſchnittenen Flußthäler, die aber ſtets nur ganz in der Nähe ſichtbar ſind. Faſt alle Flüſſe des Landes fließen in den uns ſchon bekannten canalartigen Klüften, deren 10 bis 70 F. hohe, in der Regel ſenkrechte, jedoch faſt ſtets mit Gebüſchen und Bäumchen beſetzte Seitenwände einen ebenen, grasbewachſe— nen und ſumpfigen, in der Nähe der Dörfer ſtets mit bewäſſerten Reisfeldern bedeckten und von Bächen in langſamem Lauf durchfloſſe— nen Thalgrund von 200 bis gegen 1000 F. Breite umſchließen; erſt wo ) Bei Junghuhn iſt (Battaländer S. 250) 1° 30’ offenbar ein Druckfehler M. 26 C. E. Meinicke: ſich dieſe, oft ganz wie durch Kunſt gebildeten Canäle dem Rande der Hochebene zu nähern anfangen, iſt der Fall bedeutender, das Bett tie— fer und ſchmaler, die Seitenwände weniger ſteil geneigt. Alles ſicht— bare Geſtein iſt ſelbſt in den tiefſten Klüften der weißliche Sandſtein von Silantom; die Felsart, welche er bedeckt, zeigt ſich nirgends, ſie wird jedoch aller Wahrſcheinlichkeit nach, wie die Bildung von Hurung beweiſet, Trachyt fein. Auf dem Sandſtein liegt eine Schicht mergel— artigen und halb zerſetzten Sandſteins, viel häufiger aber eine 10 bis gegen 50 F. dicke Lage eines blendend weißen Thons, darüber noch eine Schicht von einigen Fuß reicher Pflanzenerde, die nach Jungs huhn's Anſicht das Reſultat der Vermoderung vegetabiliſcher Subſtan— zen iſt, und woraus dieſer Forſcher ſchließt, daß in ſehr frühen Zeiten dieſe Ebenen lange mit Wälder bedeckt geweſen waren. In ihrem jetzigen Zuftande find fie aber mit einförmiger, ununterbrochener Graswildniß überzogen und deshalb beſonders zur Viehzucht geeignet; nur wenige Dörfer liegen jetzt, ſeitdem die Verheerungszüge der Malaien von Rau die ſüdlichen Theile wenigſtens entvölkert und verödet haben, auf der Ebene zerſtreut, kahl und offen, ohne von Fruchtbäumen beſchattet, von Feldern umgeben zu ſein; die Einwohner leben bloß von dem Ertrage der Reisfelder, die den Grund der Flußthäler bedecken, und ihre zahl: reichen Rinder- und Pferdeheerden beleben die ihre Dörfer umge— benden Grasfluren. Das Klima dieſer Hochebene iſt überaus geſund, milde und gemäßigt, die Hitze iſt bei Tage freilich ſehr groß, was eben das Gedeihen des Reiſes befördert, die Nächte dagegen ſehr kühl und friſch, und die Ebene deshalb jeden Morgen mit dichten Nebelſchichten bedeckt. Im Einzelnen ſind uns nur die ſüdlichſten Landſchaften von Toba durch Junghuhn's Beſuch bekannt geworden. Die zunächſt an Si— lantom ſtoßende heißt Bangaribuan und hat bei dem Hauptdorfe Bandernahor 3740 F. Höhe; ihre Bäche fließen gegen Oſt und Nord— oſt und bilden einen Theil des Stromſyſtems des Bila. Allein nur wenig im Nordweſten von Bandernahor ſtrömt bereits der Galagala, der ſpäter Tapanuli heißt, gegen Weſten, ſo daß auch hier die Scheide zwiſchen den Gewäſſern beider Küſten, wie an der Grenze von Silan— tom, ganz in der offenen Ebene liegt. Hier betritt man die Landſchaft Sikottam (mit dem Hauptdorfe Soſſor 3740 F.) am Fuße der mit Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 27 dem gleichnamigen Berge endenden Kette; zu ihr gehört auch das Thal zwiſchen dieſer Kette und dem Gebirge Simaninkir, welches ein Arm der Ebene von Toba iſt, und durch das der Chitonkapa, ein Zufluß des Tapanuli, nahe an der weſtlichen Kette gegen Nord fließt. Nörd— licher ſtürzt der Tapanuli in einer tiefen, ſchroffen Kluft nach Silin— dong herab zum Batumanti, deſſen Hauptquellſtrom er ohne Zwei— fel iſt. Im Nordoſten Sikottams liegt die Landſchaft Sipahuter nahe am Fuß der öſtlichen Grenzkette. Nördlicher ſteigt das Land, das hier von den Quellſtrömen des Bila bewäſſert wird, allmälig immer höher und höher auf, bis zu einer Höhe, die Junghuhn auf minde— ſtens 4500 F ſchätzen zu dürfen glaubte; hier verſchwinden alle Kup— pen, alle Ketten hören bei der bedeutenden Geſammterhebung des Lan— des auf, die Form der Hochebene tritt ganz rein und ununterbrochen hervor. So erreicht man zuletzt im Nordweſten eine Waſſerſcheide zwi— ſchen dem Bila und den nach Norden herabfließenden Gewäſſern, und in dieſem nur durch die Berichte der Eingeborenen uns bekannt ge— wordenen, noch von keinem Europäer betretenen Theile von Toba liegt der im ganzen nördlichen Sumatra wohl bekannte See Eik dvahu!), ein Plateauſee von 12 bis 15 engl. Meilen Länge und 4 bis 5 Breite, der von oben abgeflachten Bergen umſchloſſen iſt und alſo wohl eine Ver— tiefung der Hochebene ausfüllt, von großen Reisfeldern und zahlreichen Dörfern umgeben. Dieſer Theil des Battalandes wird zu den am beſten bewohnten gehören, denn die Batta haben in dieſer Gegend die malaiiſchen Raubbanden mit Erfolg zurückgewieſen und ihre Heimat vor ihren Verheerungen bewahrt. Uebrigens ſind ungenaue Nachrich— ten über dieſen See ſchon lange verbreitet, denn ſeine Umgegend iſt hoch berühmt als das eigentliche Stammland und der Mittelpunkt des Volks der Batta, wo ſich ihre eigenthümliche Kultur urſprünglich ent— wickelte, und von wo ſie ſich ſchon in alten Zeiten erobernd und colo— niſirend bis Ankola und Mandaheling verbreitet haben. Wie hiermit bis jetzt unſere Kenntniß des Innern aufhört, eben ſo iſt es auch mit den die weſtliche Küſte begleitenden Gebirgen. Carnbée giebt die Höhe dreier vom Meere aus gemeſſener Bergſpitzen an, die des Tampattuan in 3° 18 Br. 4686 F., des Lu ſe 3˙ 47 Br. ) Eik heißt in der Battaſprache Waſſer, dahu See. M. 28 C. E. Meinicke: 10318 F., und des Abongabong 416 Br. 9662 F.; allein dieſe Angaben ſind ſehr unzuverläſſig und ſcheinen keinen Glauben zu verdienen. Es bleibt uns jetzt noch die Schilderung der die eben dargeſtellten Hochebenen im Oſten begrenzenden und ſie von der großen öſtlichen Küſtenebene trennenden Bergzüge übrig. Im Süden ſind es die Gebirge, welche Mandaheling und Ankola im Oſten einſchließen, und zwiſchen denen ſich die Quellarme der Flüſſe Kubu und Burumon, die des letz— ten nördlich vom Malea, finden. Die Thäler zwiſchen dieſen Bergen bilden die Gebirgsdiſtricte Tambuſe und Burumon, die als im Ganzen anmuthige, abwechſelnd gebildete und fruchtbare Landſchaften geſchildert werden. Der nördlichſte Quellſtrom des Burumon iſt der ſchon oben erwähnte Bach von Batangunang. Im Nordweſten da— von ſenkt ſich dagegen die Kette an der Oſtſeite von Oberankola ganz ſanft und allmälig in das Tiefland, und über dieſen Abhang fließen die im öſtlichen Theile des Sibulaboali entſpringenden Quell— arme des Pane, namentlich der Kambiri, der ſpäter Sungi durian heißt, herab. Im Norden des Thales des mittleren Pane bilden die Gebirge, welche die öſtliche Grenze der Landſchaften Sipirok und Silantom aus— machen, und ihre öſtlichen Verzweigungen ein beſonderes Gebirgsland, das ſehr ſchwer zugänglich, daher im Einzelnen noch faſt ganz unbe— kannt iſt. Gegen Weſten fällt es in ſteilen Abhängen, die oft aus ganz kahlen, trachytiſchen Felswänden beſtehen, in die Hochebenen des Inneren ab; in dieſen Steilabfällen ſind beſonders einzelne, durch tiefere Rücken mit einander verbundene Felspyramiden durch ihre Höhe und Steilheit auffallend; ſo die Kuppe, womit ſich die Kette Simopujing am ſüdöſtlichen Ende von Sipirok endet, die Kuppe Achang gutang, von der die Grenzkette zwiſchen Silantom und Sipi— rok, die Kette Gole, ausgeht, nördlich von dieſer die Kuppen Tuſſam, Suwanon und noch nördlicher eine unbenannte, die alle als 700 bis 1000 F. hohe Felſenpfeiler über der Ebene von Silantom ſich erheben. Aber dieſe Kuppen, die aus Trachyt, nur im nördlichen Theile aus Sandſtein beſtehen, ſind zugleich die ſchroff abgeſchnittenen Endpfeiler von Ketten, die ſich von da gegen Südoſten durch das Gebirgsland hinziehen und immer mehr an Höhe abnehmen, bis ſie zuletzt in das Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 29 Tiefland ausgehen; die ſüdlichſte Kette an der Nordſeite des Thales des Pane heißt Simopujing. Das ganze Innere dieſes Abfalllan- des iſt unerforſcht; die Thäler, abgeſchloſſen und gefchüßt durch ihre Lage, ſcheinen nicht unfruchtbar zu ſein, allein die Dörfer liegen we— gen der ſteten Kämpfe unter den Bewohnern dieſer Berge auf den fteilen felfigen Firſten der Ketten an den ſchwer zugänglichſten Stellen. Die ſüdlichſten Theile dieſes Berglandes bilden die ſchon zu Padang— lawas gehörende Landſchaft Tanna dolok. Im Norden ſtößt dies Abfallland an die Landſchaft Hurung, die zu den merkwürdigſten und intereſſanteſten Theilen der von den Batta bewohnten Ländern gehört. Sie liegt nördlich vom öſtlichen Si— lantom und vom ſüdlichen Toba. Nördlich von der oben erwähnten unbenannten Kuppe am Oſtrande von Silantom zieht ein Bergzug nach Nord und Nordweſt, deſſen Höhe Junghuhn da, wo er ihn von We— ſten her erſtieg, zu 3870 F. beſtimmte; an ſeiner Oſtſeite findet man, ohne herabzuſteigen, eine verworrene Maſſe gleich hoher, beſchwerlich zu durch— ſchneidender und von vielen kleinen Thälern unterbrochener Sand— ſteinberge; die Gewäſſer fließen im ſüdlichen Theile anfangs nach We— ſten durch den Chikortang zum Bach von Silantom ab, während ſie öſtlicher das Quellgebiet des Sigalagala bilden. Dies Bergland dehnt ſich gegen Nordweſten 12 engl. Meilen weit aus bei einer Breite von 3 bis 4 engl. Meilen, nur am Nordrande ſinkt es in ein zu beiden Seiten von parallelen Ketten begrenztes Thal herab; es iſt übrigens mit dichter Graswildniß bedeckt und ganz unbewohnt. Seinen öſtli— chen Rand bildet die Kette Simurwoaſos, deren Höhe Junghuhn da, wo er hinabſtieg, zu 4500 F. maß, und von welcher man ganz Hurung und das öſtliche Tiefland, wie auf einer Karte, überſieht. Der Simur— woaſos beſteht nämlich aus ſenkrechten, unerſteiglichen Wänden, welche hier und da von ſchmalen, mit Fichten beſetzten Terraſſen unterbrochen, zuſammen etwa 1000 F. tief herabfallen; am Fuße dieſer auffallenden Wand entſtehen drei von da gegen Nordoſten hinziehende Bergketten, die ſich jpäter in das Thal des Hurungfluſſes hinabſtürzen, die nörd— lichſte die Kette Hurung, die mit dem Simurwoaſos das Thal des Chitoger einſchließt, die zweite kürzeſte die Kette Siallang, zwiſchen der und der Hurungkette das Thal des Fluſſes Siallang liegt, und welche ſelbſt wieder durch das Thal des Sigalagala von der dritten und läng— 30 C. E. Meinicke: ſten, mit der ſtumpf kegelförmigen Kuppe Batu goreng endenden Kette getrennt iſt. Während der Simurwoaſos aus Sandſtein be— ſteht, iſt alles Geſtein von ſeinem Fuße an Trachyt, der hier unter dem horizontal geſchichteten Sandſtein augenſcheinlich hervortritt; nur die ſüdliche der drei Ketten beſteht aus Kalkſtein und liefert den Be— wohnern dieſer Berge den Kalk, welchen ſie zum Betelkauen brauchen. Die Ketten, wie die von ihnen nach beiden Seiten hin ausgehenden Joche, haben außerordentlich ſchmale und ſcharfe, haufig nur einen Fuß breite Firſten, die von ſchrecklichen Abgründen umgeben und dadurch gewöhnlich unzugänglich ſind; hier und da erheben ſich dieſe Kämme zu ſcharfen Spitzen oder erweitern ſich in kleine Platten, auf denen die überdies noch ſtets befeſtigten Dörfer der kriegsluſtigen Gebirgs— bewohner liegen, während ihre kleinen Felder von Reis und Mais an den Abhängen der Rücken, wo ſich nur einzelne ſanfter geneigte Stellen finden, zerſtreut ſind. Die Vegetation iſt auf den trockenen Sandſteinbergen und den ſteil abſchüſſigen Wänden der trachytiſchen Ketten im Ganzen dürftig und nicht ausgezeichnet. Dennoch iſt das Land verhältnißmäßig viel beſſer bewohnt, als das weit größere und ſo fruchtbare Sipirok oder Toba, weil die Wildheit und Schwerzugäng— lichkeit der Berge ihre Bewohner bisher wirkſam beſchützt hat. Im Nordoſten löſen ſich die Ketten in eine Menge ſcharfer Joche und Rücken auf, die alle ſteil und ſchroff in das Thal des Hurung— fluſſes ſich herabſenken; nur an der ſüdlichſten dehnt ſich noch vom Batu goreng aus ein niedriger Höhenzug nach Norden hin. Junghuhn ſtieg den Simurwoaſas da, wo die Hurungkette be— ginnt, in einer den Steilabhang unterbrechenden Kluft, die weithin den einzigen Zugang von der Weſtſeite her bildet, herab, und erreichte am Abhange das Dorf Gudarimbaru (3080 F.). Von da aus beſuchte er das Dorf Najukang (3580 F.), das auf einem anderen Joche nur 2 engl. Meile von Gudarimbaru entfernt liegt, aber durch eine tiefe Kluft mit ſo ſteilen Wänden davon getrennt iſt, daß der Weg bis dahin drei Stunden Zeit koſtete. Von da zieht der ſchmale Kamm der Hurungkette nach Oſt und Nordoſt und bildet hier zwei ſcharfe Kup— pen, von denen die öſtliche (3500 F.) ſich 1400 F. über das tief un— ten liegende Thal des Siallang erhebt. Ganz im Oſten liegt das Hauptdorf des ganzen Landes Hurung; von ihm aus beſuchte Jung— Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 31 huhn noch das bereits am Abhange der Kette über dem Thal des Hu— rungfluſſes ſchon in einer weniger rauhen, fruchtbareren Gegend lie— gende Dorf Mananti (1830 F.), wo die erſten Fruchtbäume (Durio) wachſen. Von ganz verſchiedener Bildung iſt das nördlich von den Bergen von Hurung ausgebreitete Land; es iſt daſſelbe nämlich eine Art öftlichen Abfalllandes der Hochebene von Toba, welches der Bila im Mittellaufe durchſtrömt, und das Junghuhn nicht unpaſſend mit dem Namen Ober— bila bezeichnet. An der Oſtſeite wird die Hochebene von Toba von einem Bergzuge begrenzt, den im Süden eine Lücke vom Kajorang trennt, und der gegen Nordweſten bis 2° 30“ n. Br. reicht, wo er in die Ebene herabſinkt; er hat eine nur unbedeutende relative Erhebung und wird von einigen Klüften tief zerſchnitten; durch die eine derſelben nordöſtlich von Bandernahor zwiſchen den Bergen Gajagaja im Sü— den und Sitatuan im Norden *) führt ein bequemer Weg von Ban— dernahor herab nach Mananti. Von dieſem Randgebirge des Hoch— landes gehen nach Oſt und Nordoſt ſanft ſich ſenkende Rücken aus, von ſchmalen, anfangs tiefen Thälern durchſchnitten; nur einer dieſer Rücken bildet einen kettenartigen Bergzug, den das ganze öſtliche Ab— falland in zwei Theile theilenden Dolok Loboſonak. Am Süd— wie am Nordende des Randgebirges ſenkt ſich das Hochland von Toba ganz allmälig nach Oſten und Südoſten herab und geht in eine weite, unvermerkt an Höhe abnehmende Ebene zu beiden Seiten der eben ge— ſchilderten Abfallrücken über, welche ſich ſanft in dieſe Ebene verlau— fen. Durch den nördlichen Arm, der im Ganzen bei 10 bis 12 engl. Meilen Breite ſich 40 engl. Meilen nach Südoſten hinzieht, fließt der Mittellauf des im mittleren Toba entſpringenden Bila; auf der Nordſeite deſſelben wird ſein Thal von einem langen Bergzuge begrenzt, der ſich beim Austritt des Fluſſes aus den Hochebenen des Inneren 5 bis 6 engl. Meilen nördlich vom Nordende des öſtlichen Randgebirges aus der Ebene erhebt und dem Flußthale parallel nach Südoſten zieht, am Weſt— rande wohl gegen 4500 F. hoch iſt, im Oſten dagegen zuletzt zu blo— ßen Hügeln herabſinkt. Zahlreiche Seitenarme gehen von ihm zum Bilathal herab; — nur die höchſten Theile der Kette tragen Wälder, ) S. oben S. 25. 32 C. E. Meinicke: die unteren Theile und das Bilathal ſind mit Gras bedeckt, und dieſe Gegend iſt eine der am ſtärkſten bewohnten des Battalandes, dagegen iſt alles Land ſüdlich vom Bila bis zu den Hurungbergen großentheils bewaldet. Durch den ſüͤdlichen Theil dieſes Stufenlandes fließt der Fluß, welcher unter dem Namen Borotan auf der Grenze zwiſchen Toba und Silantom entſpringt, alle Gewäſſer des ſüdlichen Toba auf— nimmt und dann durch die Lücke nördlich vom Kajorang in das Stu— fenland hinaustritt, wo ihn Junghuhn den Hurungfluß nennt '); ſein Lauf geht hier nahe am nördlichen Abhange der Berge von Hu— rung nach Oſten, bis er in den Sigalagala fällt, der nun weiter ge— gen Oſten durch die Ebene zum Bila hinſtrömt. Dieſer unterſte Theil von Oberbila, deſſen Höhe am Oſtende des Landes Junghuhn (viel leicht noch zu hoch) auf 1500 F. ſchätzt, iſt wahrſcheinlich der reichſte und ergiebigſte des Landes und durch ſein wärmeres Klima begün— ſtigt; hier erſcheinen die Dörfer bereits von dichten Gruppen von Fruchtbäumen umgeben, die in den höheren Gegenden den Battadör— fern ganz fehlen, hier treten die Kokos- und Arengapalmen zuerſt auf. Die Landſchaft am Oſtufer des Sigalagala, welche Tanna rampe heißt, iſt die tiefſte des ganzen Landes; ſie geht im Oſten bis an den aus Kalkbergen beſtehenden Höhenzug, der vom Batu goreng gegen Norden zieht und am Bila, dem öſtlichen Ende des nördlichen Höhen— zuges gegenüber, endet. Zwiſchen beiden bricht der Bila in einer tie— fen Schlucht hindurch aus dem Stufenlande ſeines Mittellaufs in den Unterlauf und die Küſtenebene. An der Nordſeite der Oberbila im Norden begrenzenden Kette liegt das nur dem Namen nach bekannte, von ſtreitbaren und kriegs— luſtigen Batta bewohnte Gebirgsland Tanna hualu, welches von zwei zur Oſtküſte herabſtrömenden Flüſſen, dem Hualu und Ledong, bewäſſert wird. Die Gebirgsgegenden, welche der Engländer Ander— ſon vor 30 Jahren bei ſeiner Aufnahme der Oſtküſte am mittleren Aſ— ſahan erreichte, ſind wohl ein Theil oder die Fortſetzung der Berge dieſes Tauna hualu und ſcheinen feiner Schilderung zufolge mit den Bergen von Hurung große Aehnlichkeit zu haben. ) So ſagt Junghuhn ausdrücklich (Battaländer S. 236). Wahrſcheinlich hat der Fluß im Mittellauf einen anderen, dem Reiſenden unbekannt gebliebenen Namen. M. Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 33 Die Küftenebene öſtlich von dem hier geſchilderten Gebirgslande iſt in mancher Beziehung ſehr eigenthümlich gebildet. Der ſüdliche Theil an den Flüſſen Kubu und Burumon heißt Padanglawas ). Dieſe Provinz liegt nicht viel über dem Meere erhaben (Pertibi, der Mit— telpunkt der holländiſchen Verwaltung, nur 219 F. nach Oſthoff), und iſt eine ganz flache Ebene, welche von den hier allenthalben ſanft ſich herabſenkenden Bergabhängen im Weſten (an der Oſtgrenze von Man— daheling und Ankola) an ununterbrochen in trauriger Einförmigkeit einem küſtenloſen Meere gleich ſich ausdehnt. Die Ebene iſt dürr und trocken, Trinkwaſſer außer in den Flüſſen ſelten und nur ſchlecht; der Boden hat an gar wenigen Stellen dünne Lagen von fruchtbarerer Erde, ſonſt beſteht er faſt ganz aus einem weißlichen, kalkigen oder thonigen gegen die Bergabhänge hin in einen ſchweren, rothen Thon über— gehenden Mergel, welcher bei Regen ſich in einen breiartigen Sumpf verwandelt, bei der Dürre aber hart, wie Stein, iſt. Dieſen für alle Cultur gleich ungeeigneten Boden bedeckt eine einförmige Graswildniß, worin ſich ſehr ſelten ein einzelner Baum oder Strauch erhebt und die Einförmigkeit unterbricht; nur die Flußufer ſind von ſchmalen Wald— ſtreifen eingefaßt, und an ihnen liegen die Felder und Dörfer der ſpar— ſamen Bewohner dieſer eigenthümlichen Graswüſten, welche noch mit Bat— ta's, im Oſten gegen den Kubu hin aber ſchon mit Malaien gemiſcht ſind. Die Luft iſt über dieſen Ebenen von einer außerordentlichen Trockenheit (Schreibfedern können z. B. in Pertibi nur dadurch brauchbar erhalten werden, daß man ſie in Waſſer eintaucht); dabei iſt die Hitze unmä— ßig groß, und die Erhitzung des dürren, trockenen Bodens bewirkt dazu durch das Herzuſtrömen der Luft aus den kühleren Berggegenden ei— nen conſtanten, heftigen Weſt- und Nordweſtwind, der oft Wochen hin— durch ohne Unterbrechung weht und die Hitze doch nicht mildert. Wie weit ſich übrigens dieſe Bildung des Bodens an dem öſtlichen Rande des ſumatraniſchen Gebirgslandes ausdehnt, iſt zwar nicht bekannt, allein es iſt nicht unwahrſcheinlich, daß ſie überhaupt den Abhang der Gebirge durch die ganze Inſel hin begleitet. | Diefe Ebenen würden ganz unbrauchbar fein, wenn fie nicht von ) Das Wort bedeutet nach Marsden ausgedehnte Ebene; doch ſpricht man es in dem Dialekte, den Marsden bei feinem malaiiſchen Lexikon zu Grunde legte, Pa- dang luwas. M. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 3 . 3 4 34 C. E. Meinicke: ſchönen und großen Flüſſen durchſchnitten würden, die nicht bloß allein die Bewohnung und den Anbau des Landes möglich machen, ſondern auch dadurch, daß ſie bis zum Fuß der Berge für Boote, tiefer für größere Schiffe, fahrbar ſind, einſt, wenn dieſe Gegenden Sumatra's aus dem Zuſtande troſtloſer Verödung, worin ſie ſich jetzt befinden, zu höherer Bedeutung erhoben ſein werden, eine außerordentliche Wich— tigkeit für den Verkehr des Inneren mit der Oſtküſte erhalten müſſen. Der öſtliche Fluß, der Kubu, der bei dem Dorfe Daludalu im obe— ren Theil dieſer Ebene Soſſok heißt, der bedeutendſte Strom zwiſchen dem Rakan und dem Bila, fließt im Ganzen gegen Norden bis zu ſeiner breiten und tiefen Mündung. Wichtiger noch iſt der Burumon, der aus der Vereinigung zweier großen Quellſtröme entſteht, des aus den Bergen des öſtlichen Mandaheling kommenden und nach Nordoſten fließenden Burumon und des Pane, der unter dem Namen Kam— biri im Sibulaboali entſpringt und einen ſüdöſtlichen Lauf hat. Bald unterhalb des am Pane liegenden Orts Pertibi vereinigen ſich beide; der Fluß, den die Batta jetzt Burumon, die Malaien Pane nennen, fließt von da an faſt ſtets gegen Norden und bis zu ſeiner Mündung in gerader Linie gegen 90 engl. Meilen; allein fein Lauf iſt außerordent— lich gewunden. Bis Sikuriſtak!) am linken Ufer reichen an ihm die dürren Grasebenen von Padanglawas, dann treten allmälig Wälder auf, die nach der Küſte hin immer mehr zunehmen, bis zuletzt ein ununter— brochener, ganz unbewohnter Urwald alles bis an das Ufer des Mee— res bedeckt. Gegen die Küſte zu wird der Boden dieſer Wälder ſum— pfig und von der hier ſehr hoch ſteigenden Meeresfluth (16 bis 18 F. an der Mündung des Bila) oft überſchwemmt; hier werden alle übrigen Waldbäume durch Rhizophoren und noch mehr durch die ſol— chen Sumpfboden vorzugsweiſe liebende buſchige Nipapalme (Nipa fru- ticans) 2) verdrängt. Durch dieſe Wälder windet ſich der Burumon, deſſen Ufer ſehr ſchwach bewohnt find, von Sikuriſtak bis Kotta pi— nang (halbwegs zwiſchen der Mündung und Kotta Pertibi), wo er ſelbſt bei mäßigem Waſſerſtande 18 F. tief und für größere Handels— ſchiffe zu jeder Zeit fahrbar iſt, gegen Nordweſten, dann von Kotta pinang ) Bei Willer Oriſtak. M. 2) Zeitſchrift II, 91, 92. G Die neueſten Entdeckungen auf Sumatra. 35 an gegen Norden, bis er ſich 5 engl. Meilen von der Küfte mit dem Bila verbindet. Der Bila entſpringt im mittleren Toba, durchfließt das Stufen— land von Oberbila im Mittellauf und dann die Ebene des Küſtenlan— des, indem er einer nordöſtlichen Richtung folgt. Seine Ufer ſind beſſer bewohnt, als die des Burumon, die Dörfer zahlreicher; Reisbau wird namentlich um das große Dorf Banderbila ſo ausgedehnt getrieben, daß Reis nach Malakka ausgeführt werden kann. Ueberdies iſt der Bila eben ſo brauchbar für die Schifffahrt, als der Burumon; große Handelsſchiffe können auf ihm bis in die Nähe des Punkts vordringen, wo er ſei— nen Unterlauf beginnt, und ſein Thal gewährt ohne Zweifel den leich— teſten und bequemſten Zugang zur Hochebene von Toba von der Oſt— füfte her. Unter der Mündung des Burumon heißt der Fluß Bila; er geht noch einige engl. Meilen bis zu ſeinem breiten Ausfluß in das Meer und iſt bis oberhalb des Burumon bei jedem Waſſerſtande 12 F. tief und 5 bis 8000 F. breit. Auf der Spitze, welche die Mündung des Burumon bildet, liegt ganz einſam in dieſer menſchen— leeren Wildniß der holländiſche Poſten Bila, beſtimmt den Verkehr auf dieſen Flüſſen zu beherrſchen und den Handel Bila's mit Malakka zu verhindern, aber an einer Stelle, wo der Fluß ſo breit iſt, daß dieſer Zweck nicht erreicht werden kann. C. E. Meinicke. 3 * II. Die productiven Erwerbsquellen und Bedingungen für den Lebensunterhalt der Bewohner Nord- Groͤnland's ). a. Das Meer, deſſen Eis und ſein Reichthum an Thieren 2). Wir haben zu beweiſen geſucht, daß Nord-Grönland nur ſo weit zugänglich iſt, als die Verzweigungen des Meeres oder die Fjorde und Sunde reichen. Dieſe ſo vom Meer umgebenen oder durchſchnittenen Landſtriche würden dann als eigentliches Küſtenland zu betrachten ſein, und wir haben gezeigt, daß daſſelbe in einer ſolchen Bedeutung eine Breite von 10 bis 20 Meilen hat. Die hohen, das ſo beſtimmte Küſtenland bildenden Berge fallen nun in der Weiſe zuſammen und decken, wenn man die Küſte von der See aus betrachtet, einander fo, daß man die große dahinter verborgene Eiswüſte und die zahlreichen Wege, welche nach allen Richtungen mit Hilfe des Meeres durch die- ſelbe gelegt find, nicht entdeckt. Dächte man ſich die äußerſten Muͤn⸗ ) Dieſer Aufſatz von H. Rink, der ſich in dieſem Augenblick wieder in Grön— land als Königlich däniſcher Beamter befindet und den Auftrag von feiner Regierung erhalten hat, ſeine verdienſtvollen Forſchungen fortzuſetzen, iſt aus deſſen in dieſer Zeitſchrift Bd. II S. 177 erwähntem Werke entlehnt und ſchließt ſich an den früher mitgetheilten über die phyſikaliſch-geographiſchen Verhältniſſe Nord-Grönland's an. G. 2) Ueber den wunderbaren Reichthum des Nordpolarmeeres an Thieren man— nigfacher Art haben wir in neuerer Zeit eine intereſſante Zuſammenſtellung von A. Petermann erhalten im Journal of the Geogr. Soc. of London XXII, 118 — 127. G. Rink: Die productiven Erwerbsquellen Nord-Groͤnland's. 37 dungen dieſer Sunde und Fjorde geſchloſſen, ſo iſt es unzweifelhaft, daß der Ueberſchuß von Eis, welcher noch immer auf dem inneren Feſtlande erzeugt und durch die Eisfjorde herabgeſchoſſen wird, nach und nach ſich über einen großen Theil des Außenlandes ausbreiten und dies gleichfalls bedecken würde. f Aber das Meer hat nicht allein darin ſeine weſentliche Bedeutung für dieſe Landſtriche, daß es in einer ſolchen Art die Ableitungscanäle bildet, welche das Land davor ſchützen, unter dem Eiſe begraben zu wer— den, ſondern es giebt außerdem die unmittelbaren Bedingungen für die Eriſtenz der wenigen und armen Bewohner ab. Die Grönländer, wie überhaupt die Esquimeaur, ſchlagen ihre Wohnungen ausſchließlich an dem Meere auf und holen aus demſelben mühevoll ihr tägliches Brot und ihre erſten einfachen Lebensbedürfniſſe. Die in den Tiefen des Meeres das ganze Jahr hindurch herrſchende einförmige Temperatur und der dadurch bedingte Reichthum an vegetabiliſchen und thieriſchen Leben macht die Erde bis zu dem äußerſten Norden bewohnbar, ſo weit die Verzweigungen derſelben nur reichen. Im Gegenſatze hierzu iſt der in einer Tiefe von wenigen Zollen gefrorene oder aus felſigem Grunde beſtehende Erdboden nur im Stande, bis zu einem ganz ge— ringen Grade zur Ernährung und Kleidung der Bewohner beizu— tragen. Und doch wird Jedermann, welcher in einem ſchönen Som— mer Nord-Grönland zum erſten Male ſieht, über die Alpenvege— tation erſtaunt ſein, die der beſtändige Sonnenſchein und das Tages— licht mehrere Monate des Jahres hindurch hervorzurufen im Stande iſt und man kann wohl ſagen, daß die meiſten flachen Parthieen der Klip— pen, ſowie alle Ritzen und Vertiefungen ihres Geſteins, mit einem mehr oder weniger dicken Polſter von niederen Buſchgewächſen, Moo— ſen und Halbgräſern bedeckt ſind; da nun aber die niedrigen Berge in der Regel uneben find, fo findet ſich dieſer Vegetationsteppich faft überall in Nord-Grönland ausgebreitet, und ganz unfruchtbare Klip— pen, wie man ſie z. B. um die Colonie Upernivik herum ſieht, gehören zu den faſt ſeltenen Ausnahmen. Je nachdem nun die Buſchgewächſe in Verbindung mit den Grasarten oder die Halbgräſer in Verbin— ung mit den Lichenen die am meiſten vorherrſchenden Pflanzen ſind, giebt die Vegetation ſolchen Bergen entweder eine ſchwache grünliche der mehr graue und braune Farbe; aber die letzte Art von Vegeta— 38 Rink: tion iſt natürlicherweiſe die vorherrſchende, um fo mehr, als man doch nur die ſteilen und unfruchtbaren Seiten der Unebenheiten, nicht aber die zwiſchenliegenden flachen und vertieften Stellen ſehen kann; man wird daher überraſcht, wenn man das Land ſelbſt betritt und das Grün und die zahlreichen Blumen erblickt, welche ſich überall zwiſchen den hervorragenden Partieen des Klippengrundes entfalten. Unter den Buſchgewächſen ſind es namentlich Rauſchbeer- und Bickbeerbüſche und die mit ſchönen glockenförmigen Blüthen verſehene Andromeda, die ſich überwiegend zeigen; dieſe, und beſonders die letzt— erwähnte, bilden überall dichte und zuſammenhängende Polſter, welche man mit dem Namen Lyng (Haide) zu bezeichnen pflegt, und man könnte dreiſt ſagen, man entbehrt ſie nirgends, ſelbſt nicht auf den allerunfrucht— barſten Küſten; ja die Büſche ſind in dem Maaße vorhanden, daß ſie zum nöthigſten Brennmateriale genügen, falls man auf dem Lande eine Reiſe unternehmen oder einen Aufenthalt machen will. Hierzu treten ferner eine Weidenart und Zwergbirken als ſtark verbreitete Gewächſe. Aber eine Eigenſchaft iſt doch der ganzen hieſigen Vegetation gemeinſchaftlich; alle Gewächſe Nord-Grönland's verhalten ſich nämlich völlig niedrig an der Erde, von dem langen Winter gleichſam im Zaume gehalten; nichts darf ſich erheben und von den kalten Winden bewegt werden; die klei— neren Pflanzen werden hier am Boden zu einer dichten Bedeckung, woraus in dem kurzen Sommer ein blüthentragender Stengel ſchnell emporſchießt. Die Weiden und Birken kriechen gleichſam als Spaliere an den Klippen hin; erhebt man ſie, ſo zeigen ſie ſich 4 bis 5 El— len lang, aber nur in einzelnen beſchützten Thälern vermögen ſie ſich um ihren Stamm zu ſammeln, ſich ſelbſtſtändig aufzurichten und einen kleinen Buſch von 1 — 2 Ellen Höhe zu bilden. Als eine Folge dieſer allgemeinen Ausbreitung der Vegetation darf es uns nicht überraſchen, daß das Rennthier, welches von den niedrigſten und allgemeinſten Pflanzen lebt, überall reichliches Fut— ter findet, wenn nur die ſie im Winter deckende Schneedecke nicht zu hart wird. Aber auch eben nur mittelbar durch die Jagd auf dieſe Thiere, kann man ſagen, daß der Erdboden einen weſentlichen Beitrag ; von vielleicht einem achten oder gar nur zehnten Theil der nöthigen Ernährung und Bekleidung der Bevölkerung liefert. n Hat ſchon die Bewohnung des ſüdlichſten Punktes von Grönland Die productiven Erwerbsquellen Nord-Grönland's. 39 durch eine Viehzucht treibende Bevölkerung ihre Schwierigkeiten, fo ift dies hier, wo die Mitteltemperatur 4 bis 7“ geringer iſt, eine reine Unmöglichkeit. Hierzu kommt noch, daß das Zufrieren des Meeres im Winter und die dadurch bedingte Art des Seehundsfanges die Be— nutzung der Hunde als Zugthiere nöthig macht, wodurch das Halten von anderen Hausthieren ausgeſchloſſen wird. In einem ſo iſolirten Lande, deſſen ſparſame Bevölkerung ſeinen ganzen Fleiß darauf ver— wenden muß, um durch Jagd und Fiſcherei die täglichen Nahrungs— mittel herbeizuſchaffen, läßt ſich ein eigentlicher Bergwerksbetrieb nur unter ganz eigenen und durch Zufälle beſonders günſtigen Umſtän— den als möglich denken, wogegen der Vorrath von Brennmaterial, welcher ſich in den an fo vielen Stellen zu Tage tretenden Kohlen— lagern kund glebt, in einer ſpäteren Zeit ein nicht unweſentliches Mit— tel für die Bewohner zur Verbeſſerung ihrer Lebensart und häuslichen Einrichtungen abgeben dürfte, wenn nur erſt der Sinn für eine ſolche Verbeſſerung bei ihnen allgemein geworden ſein wird. Es liegt weder im Zwecke, noch in dem Plane des Verfaſſers, eine Schilderung des in den nördlichen Meeren herrſchenden Reich— thums an thieriſchem Leben zu liefern. Daß dieſer, wenn auch nicht gerade in Beziehung auf die Mannigfaltigkeit der Arten, ſo doch in Hinſicht auf die Zahl und Größe der Individuen die der wärmeren Meere übertrifft, ſcheint ſchon aus dem Maaßſtabe hervorzugehen, nach welchem die Fiſchereien in jenen dieſen gegenüber betrieben werden; ja die allergroßartigſte Unternehmung in dieſer Richtung, der Walfiſch— fang, wurde in einer früheren Periode nur in den äußerſten Theilen des nördlichſten Eismeeres betrieben. Sobald man ſich dem Striche nähert, worin Waste Treibeis vor— kommen kann, ſieht man das Meer, oft in einer Strecke von vielen Meilen, eine ſchmutzige grüne Farbe annehmen; bei näherer Beleuch— tung zeigt es ſich unklar und von feinen, glänzenden nadelförmigen Körpern wimmelnd, über deren Natur man noch nicht durch genügende Forſchungen auf's Reine gekommen iſt; nur iſt es offenbar, daß ſie entweder ſelbſt organiſche Weſen oder doch in allen Fällen weſentliche Theile von ſolchen ſind. Es iſt auch nicht gewiß, bis zu welcher Tiefe Br Färbung des Waſſers geht; Scoresby jedoch nimmt an, daß über 40 Rink: eintauſend Quadratmeilen des nördlichen Eismeeres im buchſtäblichen Verſtande des Wortes von organiſchen Körpern wimmeln. Einen nicht weniger überraſchenden Anblick bietet das Meer an den Stellen dar, wo es ſich unmittelbar längs der Küſte von Grönland ganz klar zeigt. Sein Grund iſt nämlich hier mit einem Walde von rieſenhaf— ten, Blätter von 6 bis 8 Ellen Länge und 4 Elle Breite beſitzenden Tang— arten, welche in Verbindung mit der ſich zwiſchendurch bewegenden Thierwelt an die Korallenriffe in den tropiſchen Meeren erinnern, be— deckt. Außerdem bekleiden korallige Rinden überall die auf dem Mee— resboden liegenden Steine und die Vertiefungen und Höhlungen der— ſelben, ſowie den Thon und Lehm, den man aus der Tiefe heraufholt. Alles wimmelt von lebenden Geſchöpfen. Wo auch immer todte Thiere in das Meer herabgeſenkt werden, wird man im Verlaufe von kurzer Zeit ſie zu Skeletten verwandelt und ihre weichen Theile durch krebs— artige, überall in einer ungeheuern Menge vorhandene Thiere, welche in dieſer Weiſe die Rolle der Ameiſen in den tropiſchen Ländern über— nehmen, verzehrt finden. Eine beſondere Fürſorge der Natur hat es zugleich möglich ge— macht, daß die hieſigen Hauptſäugethiere, die Seehunde und Wale, ein reichliches Material zu dem nothwendigen Schutzmittel gegen die Kälte des Waſſers erhalten. Es iſt nämlich bekannt, daß der Kör— per dieſer Thiere von einer unmittelbar unter der Haut liegenden und bei den größeren Walen eine Dicke von gegen 3 Ellen erreichen— den Fettſchicht umgeben iſt. Dieſe Fettſchicht erfüllt, als ſchlechter Wärmeleiter, dieſelbe Beſtimmung, wie die Fell- und Haarbedeckung bei den warmblütigen Thieren auf dem feſten Erdboden, und die Bil- dung derſelben wird hier in einem hohen Grade dadurch befördert, daß gerade die ganze niedere Thierwelt, die entweder direct oder wieder durch andere Thiere den Seehunden und Walen zur Nahrung dient ſich durch einen großen Reichthum an ölartigen oder ſogenannten fet— ten Stoffen auszeichnet; man bemerkt dies nicht allein an den Körpern der Fiſche, ſondern auch in außerordentlicher Menge an den kleinen krebsartigen Geſchöpfen und an einzelnen Gattungen der die nördlichen Meere bewohnenden Weichthiere. N Das Fett, oder, wie es genannt wird, der Speck, der den See— hunden, ſo wie auch den Walen zur Bedeckung dient, iſt aber nicht — Die productiven Erwerbsquellen Nord-Grönland's. 41 allein eins der weſentlichſten Stücke unter allen Lebensbedürfniſſen der Grönländer, ſondern es iſt auch bei Weitem die wichtigſte Quelle für den Reichthum dieſer Gegenden geweſen und lockte ſchon frühzeitig die europäiſchen Seefahrer zu dem gefährlichſten und verwegenſten aller Vorhaben auf dem Meere, dem Walfiſchfang. Aus der Klaſſe der Wale haben für den Augenblick nur zwei geringere Arten, die Be— luga oder der Weißfiſch (Hvidfisken; Delphinus leucas) und der Nar— wal, in Beziehung auf den Lebensunterhalt und den Erwerb der Ein— wohner Bedeutung für Nord-Grönland; ſie finden ſich zwei Mal im Jahre in großer Menge an der Küſte ein und liefern dann eine reiche Einnahmequelle. Aber die Seehunde ſind demungeachtet immer noch von weit größerer Bedeutung, und zwar nicht allein wegen ihrer grö— ßeren Ausbreitung und ihres Vorkommens zu jeder Zeit des Jahres, ſondern auch weil ſie außer der täglichen Nahrung den Einwohnern das weſentlichſte Mittel zur Verfertigung ihrer Kleidung, ihrer Boote, ihrer Sommerwohnungen und anderer am meiſten unentbehrlichen Be— dürfniſſe gewähren. Dies gilt vorzugsweiſe von einer Art derſelben, dem ſogenannten ſtinkenden oder gemeinen Seehunde (Netsiden, Schön— ſeite), Phoca foetida, welche vor der zweiten Art (Svartsiden, Schwarzſeite), Phoca groenlandica !), dadurch den Vorzug erhält, daß fie überall, und zwar die längſte Zeit des Jahres, unbeſchadet der allergrößten Kälte, gefangen wird. Dieſer Seehund verläßt die inneren Fahrwaſſer nämlich nicht, wenn ſich das Eis im Winter über dieſelben legt, ſondern bleibt in dem Innern der Fjorde, indem er, um Athem holen zu können, kleine Oeffnungen in dem Eiſe aufſucht oder auch ſelbſt bildet und offen erhält, wodurch dann den Grönländern Mittel in die Hände gegeben werden, ihm auf die Spur zu kommen und ihn zu fangen. Es iſt daher leicht einzuſehen, von welcher außer— ordentlichen Wichtigkeit der Fang dieſes Thieres für ein Volk iſt, welches Vorräthe ſammelt und allen Einflüſſen des langwierigen und ſtrengen Winters Preis gegeben iſt; und daß dieſes Thier in Nord-Grönland eine ſo große Ausbreitung gefunden hat, ſcheint vornehmlich in dem Umſtande zu beruhen, daß es ſeinen vorzüglichſten Aufenthaltsort in ) Phoca groenlandica wurde von O. Fabricius in der Nat. Hist. Selbskab Skr. Kiöbenh. 1790. 1,87. tab. 12 fig. 1 beſchrieben und abgebildet, dann in deſſelben Verfaſ— ſers Fauna Groenlandica die Ph. foetida u. groenlandica (S. 1115) beſchrieben. G. 42 Rink: den großen Eisfjorden nimmt, welche hier und vornehmlich an dem ſuͤdlichſten Theile der Küſte gefunden werden. In den inneren und am meiſten zugänglichen Theilen der Fahrwaſſer, wo das Landeis von dem Innenlande ſeine ungeheuern Bruchſtücke unter den gewaltſamſten Bewegungen in das Meer hinauswirft, und gerade vor dem Rande ſolches feſten Landeiſes verſammeln ſich die ſtinkenden Seehunde in größeſter Menge, haufenweiſe geſchaart, und hier ſcheint ihre Fortpflan— zung beſonders vor ſich zu gehen. Dies erinnert uns unwillkürlich an ein ähnliches Verhältniß, welches im Großen in dem Meere herrſcht, indem dies ſtets am thierreichſten in der Nähe ſolcher Gegenden iſt, wo es mit immerwährendem Eiſe bedeckt bleibt, ſo daß einer der un— bedingt am meiſten Lohn eintragenden Erwerbszweige auf dem Ocean gerade in deſſen alleräußerſten und unzugänglichſten Theilen getrie— ben wird. Ein alleinſtehendes und faſt unerklärliches Beiſpiel, welches dazu dient, jene, übrigens durch die Erfahrung hinreichend begründete Be— hauptung zu beglaubigen, kann in dem großen Eisfjorde bei Jakobs— havn beobachtet werden. Wir haben in dem früheren Abſchnitt dieſer Arbeit (Bd. II, S. 179 — 189) die Hauptſache über den Urſprung der Eisfjelde und die Beſchaffenheit der Eisfjorde mitgetheilt; wir erinnern hier nun daran, daß von der einförmigen, über das Innenland im Oſten ausgebreiteten Eishochebene ein Arm ausgeht, der durch das Thal, das die Fortſetzung des Fjords bilden würde, ſich mit einem ſteilen Ab— fall hinab zum Meere ſenkt und weit hinaus über die urſprüngliche Uferbreite tritt, zuletzt nur von der Oberfläche des Waſſers getragen, und welches auf dieſe Art den innerſten Theil des urſprünglichen Fjords bis zu dem Punkte, wo deſſen Rand abbricht, ausfüllt und die ſchwim— menden Eisfjelde verurſacht. Durch dieſe Ausfüllung wird ein kleiner Arm (Tirſarikſok) von dem urſprünglichen Fjord ganz abgeſchloſſen und von dem feſten Landeiſe geſperrt. Die Mündung, wodurch dieſe kleine Bucht ehedem in Verbindung mit dem Fjord ſtand, liegt wohl über eine Viertelmeile innerhalb des Randes dieſes feſten Landeiſes, welches ſich als eine unüberſteigliche Barre davorgelegt hat; und un— geachtet man annehmen kann, daß das Eis hier 800 Fuß tief im Waſ— ſer ſteckt, wenn es nicht gar auf dem Grunde ſteht, iſt doch eine Com— munication zwiſchen dem innern Fjorde und der kleinen Bucht unter Die productiven Erwerbsquellen Nord-Grönland's. 43 dem Eiſe beſtändig offen, was man mit Sicherheit daraus ſchließen kann, daß das Waſſer in dieſer Bucht ſteigt und fällt. Es iſt indeſ— ſen wahrſcheinlich, daß das feſte Eis auf dem Grunde in der Mün— dung der Tirſarikſok-Bucht ſteht, und daß das Waſſer nur durch die zahlreichen Spalten eindringen kann; ſei es aber ſo, oder nicht, unter allen Umſtänden kann die Oeffnung hier nur von ſehr geringer Breite ſein, und eine Paſſage unter dem 800 Fuß tief liegenden Eiſe hin— durch in den Fjord hinein iſt kaum für die Seehunde möglich. Nichts— deſtoweniger werden dieſe Thiere in dem abgeſchloſſenen, kaum eine Viertelmeile langen und ganz ſchmalen Arm des Meeres in großer Menge gefunden. Ich war ſo glücklich, im Mai 1851 zu dieſem in— tereſſanten Punkte zu gelangen, indem ich im Süden des Eisfjordes einen Weg über Land zu dem feſten Landeis ſuchte; ſonſt iſt derſelbe von Klaushavn aus ſehr leicht zu erreichen. Das Wintereis lag dies Mal noch ganz feſt auf dem kleinen Fjord und erſchien ſchon in eini— gem Abſtande von der Küſte mit ſchwarzen Flecken bedeckt. Bald ließ es ſich entdecken, daß die Punkte Seehunde waren, die ſich ſehr fett und groß zeigten und eine ungewöhnliche Trägheit und einen Mangel an Furcht erwieſen. So wurde es möglich, ſich ihnen bis auf 10 Schritte zu nähern, ehe ſie unter das Eis gingen, wonach fie auch ſogleich wieder heraufkamen, um ſich von Neuem ſtill hinzulegen und zu ſon— nen. Das eine Thier, welches getödtet wurde, hatte durchaus Nichts im Magen, war aber dennoch ſehr groß und fett und hatte gräuli— ches, ungewöhnlich grobes Haar. Es dürfte als wahrſcheinlich anzu— nehmen ſein, daß dieſe thieriſchen Bewohner des Fiords eine abge— ſchloſſene Geſellſchaft bilden, die ſich hier fortpflanzte und in einer außerordentlich langen Reihe von Jahren von dem Meere abgeſchnit— ten worden iſt. Früher wurde ſchon erwähnt, daß der Stand des Außen— randes des Landeiſes unbeſtändig iſt, ſo daß er bisweilen weit hin— auswachſen kann, ohne zu zerbrechen und ſchwimmende Eisfjelde zu er— zeugen, wohingegen er ſich dann zu anderen Zeiten in Folge dieſer Zerbrechung weit zurückzuziehen im Stande iſt. Nun wird aller dings für den Augenblick behauptet, daß er in den letzten Jahren ſich ſtark zurückgezogen habe, aber es iſt auch möglich, daß er vorher in einer länger verfloſſenen und uns dadurch unbekannten Zeit noch weiter zurück geweſen iſt, jo daß die Mündung der kleinen Bucht damals frei war, 44 Rink: was ſie unzweifelhaft unter allen Umſtänden einſt gänzlich geweſen iſt. In jener Zeit konnten dann die Seehunde durch ihr Aus- und Eingehen leicht abgeſchnitten werden; für alle Fälle beweiſt aber das Ganze, daß der innerſte Theil des Eisfjords, zunächſt dem Rande des feſten Landeiſes, ein dieſer Art Seehunde günſtiger Aufenthaltsort iſt. Die Urſache hierzu kann kaum in einem vorzugsweiſen Reichthum an Futter in dieſen Fahrwaſſern geſucht werden; von Fiſchen kennt man bei ſchaͤrfſter Beobachtung nämlich nur den Schell- oder Graufiſch (Graafisken, Gadus aeglefinus), als in außerordentlicher Menge in dem Eisfjorde von Jakobshavn, aber nicht in den anderen Eisfjorden vorkommend, und der Kalleraglik oder Heiligbutt (Hellefisken, Pleu- ronectes cynoglossus) iſt zwar für die Eisfjorde charakteriſtiſch, wird aber nicht von jenen Seehunden verzehrt. Im Gegentheil iſt be— kannt, daß die letzten, außer von kleineren Fiſchen, ſich vorzugsweiſe von krebsartigen Thieren ernähren, und dies kann wohl die größere Ausbreitung derſelben und ihre geringere Abhängigkeit von der Jah— reszeit gegenüber den anderen Seehunden, die ſich insbeſondere von Fiſchen nähren und dieſen nachziehen, erklären; aber man weiß es an— dererſeits doch nicht, daß ſolche krebsartige Thiere in größerer Menge in dem Waſſer der Eisfjorden, als irgend an anderen Orten vorkom— men ſollten. Es dürften daher eher die offenen Rinnen in dem durch die Kalbungen (Zeitſchr. II. 239. G.) den ganzen Winter hindurch ge— bildeten Fjordeiſe fein, welche dieſe abgelegenen und unzugänglichen Win— kel des Meeres zu günſtigen Zufluchtsſtellen und Zuchtplätzen für die Seehunde machen. Zugleich iſt es eigenthümlich, daß ſich beſonders die alten und größeren Seehunde hier zur Ruhe ſetzen und ihren be— ſtändigen Aufenthalt nehmen; in den zahlreichen, zwiſchen den einge— frorenen Eisfjelden und den Wällen von abgeſetztem Stückeneis geſam— melten Schneeanhäufungen bilden ſie Höhlen mit einem Zugange von unten durch ein Loch im Eiſe, und hier können ſie in der größeſten Sicherheit ihre Jungen im März, April und Mai aufziehen. Es iſt nämlich eine alte und den Grönländern wohlbekannte Erfahrung, daß nicht allein der Fang an dieſen Orten faſt niemals fehlſchlägt, ſondern daß die Seehunde an Größe zunehmen, ſchon wenn man ſich den in— neren Eisfjorden nur nähert, jo daß diejenigen, welche hier gefan— ui 5 2 2 ze Es IE u Zn Die productiven Erwerbsquellen Nord-Grönland's. 45 gen werden, im Durchſchnitt drei oder gar vier Mal ſo viel Speck oder Fleiſch, als die an den Außenküſten gefangenen, geben. Tritt im Laufe des Winters Mißfang ein, wenn das Meer über— all geſchloſſen iſt, und die Grönländer keinen anderen Weg ſehen, die ihnen nothwendigen Nahrungsmittel und den Speck für ihre Lampen her— zuſchaffen, fo dienen auch die Eisfjorde den in der Nähe wohnenden als eine Zuflucht in der Noth. Sie pflegen in ſolchen Fällen nämlich ſo weit hinauf unter das Feſteis zu fahren, bis ſie die offenen Rin— nen treffen, an denen ſie dann mit ihren Büchſen auf den empor— tauchenden Seehund, wie die Jäger auf dem Anſtande, warten. Aber ſolche Reiſen ſind mit vielen Gefahren verbunden. Man denke ſich erſtens den ganzen inneren Eisfjord mit eingefrornen Eisfjelden angefüllt, die theils von dem feſten Landeiſe im Laufe des Winters ausgehen, theils vermittelſt ihrer außerordentlichen Größe auf dem Grunde geſtanden haben und in einer Reihe von Jahren nicht in den Fjord hinaustrei— ben konnten; man bedenke, daß dieſe ſchwimmenden, aber jetzt ein— gefrorenen Bruchſtücke bis 1 oder 200 Fuß über das Meer emporra— gen, daß der über der Waſſerfläche liegende Theil ſich nur mit den größeſten Gebäuden und den höchſten Thürmen, die menſchliche Kühn— heit und Kunſt errichtet, meſſen kann, wohingegen, um der Wahrheit des Verhältniſſes einigermaßen nahe zu kommen, das ganze Eisfjeld in Bezug auf ſeine Größe mit einem Gebirge verglichen werden muß. Die Eisffelden find nun aber häufigen Veränderungen unterworfen; durch unbekannte oder unberechenbare Urſachen wird der Zuſammen— hang in dem Innern ihrer Maſſe aufgehoben; die bis dahin als feſt erſcheinenden Eiswände beginnen plötzlich zu erbeben, und mit gewal— tigem Knall ſpringen größere oder kleinere Stücke von ihnen ab. Hier— durch wird zugleich das Gleichgewicht in der Stellung der Eisfjelde im Waſſer aufgehoben, der ungeheuere Koloß beginnt ſich zu wälzen und hin und her zu wenden, wodurch häufig ein erneutes Zerbrechen oder eine Kalbung ſtattfindet; ja in einzelnen, aber allerdings ſeltenen Fällen kann ein ganzes Eisfjeld auf dieſe Art ſich mit raſender Schnelle ſpalten und ſogar in zahlreiche Bruchſtücke zerſplittert werden. Man denkt ſich nun die hieraus entſtehende Wirkung auf das Fjordeis am beſten, wenn man ſich vorſtellt, daß der Hergang fo iſt, als ob Thürme umftürzten 46 Rink: oder ganze Gebirge in Stücken geſprengt würden. Es iſt offenbar, daß das Eis in dem Fjorde bis in eine gewiſſe Entfernung rund um— her zerbrechen muß, und, wenn die Kalbung plötzlich, oder nur nach einer ein Paar Secunden vorhergehenden Warnung durch ein beginnen— des Knacken geſchieht, ſo iſt leicht einzuſehen, wie gefährlich es iſt, ſich längere Zeit hindurch an Stellen auf dem Eiſe aufzuhalten, wo man von allen Seiten von dieſen Maſſen umgeben iſt. Daſſelbe iſt im Sommer der Fall, wenn die Eisfjelde in dem offenen Waſſer ſchwim— men und in der milderen Luft der Kalbung mehr ausgeſetzt ſind; auch dann iſt es noch immer gefährlich in einem Boote, ſelbſt auf hundert Ellen Entfernung von ihnen, längere Zeit zu verweilen. Bei Ome— nak kann plötzlich in ganz windſtillem Wetter das Meer in hohen Wellen gehen, wenn auch das Eisfjeld, welches gekalbt hat, ſo weit entfernt iſt, daß man es durchaus nicht zu bemerken im Stande ge— weſen iſt, und nicht mit Beſtimmtheit angeben kann, wo der Seegang herkommt. Es iſt aber immer noch ein Geringes gegen die Zerſtörun— gen, welche angerichtet werden, wenn das feſte Landeis kalbt, und die Eisfjelde ſelbſt hinaus in das Meer ziehen, ein Phänomen, das gleich— falls zu jeder Zeit des Jahres vor ſich geht. In dem großen Ka— viaks-Eisfjord kommt das Meer dadurch in ſolche Bewegung, daß das Eis in einer Entfernung von 4 Meilen geknickt wird; mit dieſer Meeresbewegung wird aber allen den in dem inneren Eisfjorde aufgehäuft liegenden Eisfjelden die Bewegung ſelbſt mit— getheilt, wodurch möglicherweiſe wieder Kalbungen von dieſen veran— laßt werden und ſo die neue Wirkung immer wieder Urſache zur Fortpflanzung der Erſcheinung abgiebt. Geſchieht ſolches, während der Grönländer auf dem Eiſe reist, dann kann er leicht verunglücken und er muß ſehr häufig ſich ſelbſt landeinwärts zu retten ſuchen, die Hunde und den Schlitten natürlich in dieſem Falle im Stiche laſſen und ſo ſtatt des gehofften Gewinnes ſchweren Verluſt erleiden. Alle dieſe gewaltſamen, von den Kalbungen im Laufe des Winters in den inneren Eisfjorden angerichteten Zerſtörungen geben denſelben ein Anſehen, wovon man ſich ſchwerlich ein Bild entwerfen kann, ohne es geſehen zu haben; erſt ſtellen ſich dem Blicke ſchauererregend die thurmhohen Eisfjelde dar, welche die Ausſicht nach allen Seiten verſperren; zwiſchen dieſen das Fjordeis bis zu zwei Ellen Dicke, zer— Die productiven Erwerbsquellen Nord-Grönland's. 47 ſchlagen und gewaltſam auf einander geſchoben bis zu einer Höhe von 20 bis 30 Ellen, Eisſtücke von einer Länge von 10 Ellen, abgebrochen und auf die hohe Kante geſtellt oder auf das alte Eis hinausgewor— fen, dazwiſchen offene Rinnen, und kurz geſagt, Eis von allen Arten und Größen durcheinandergeworfen und in wildeſter chaotiſcher Ver— wirrung zuſammengethürmt. Solcher beſchriebenen unzugänglichen Eisfahrwaſſer giebt es übri— gens im Verhältniß zu der Ausdehnung der Küſte und der übrigen in— inneren Fahrwaſſer nur wenige; wir erinnern daran, daß auf der aus— gedehnten Strecke derſelben im Ganzen nur 5 große Eisfjorde gefun— den werden, und die inneren Theile derſelben völlig abſeits und hin— ter Inſeln und Halbinſeln vollkommen verborgen liegen, ſo daß viele Europäer, welche ſich in Grönland aufhielten, keine Gelegenheit gehabt haben, ſie oder das feſte, das Innere des Landes bedeckende Eis zu ſehen. Iſt aber im Monat Juni das Wintereis von den Fjorden weggegangen, ſo beginnen die in den inneren Fjorden angehäuften Eis— fjelde, ſich in Bewegung zu ſetzen, um mit Strom und Wind auf den auf ſolche Art eröffneten Wegen in's Meer hinausgeführt zu werden. Man nennt dieſes den Ausſchuß der Fjorde, und dieſe Eigen— thümlichkeit veranlaßt, daß gewiſſe innere Fahrwaſſer, gerade zur be— ſten Sommerszeit, von allen anderen durch das Eis zur beſchwer— lichſten Fahrt gemacht werden; da ſie großen Einfluß auf den in Grönland ſo nothwendigen Verkehr und die Communication mit dem Meere hat, welche dadurch mehr oder weniger gehindert und zum Still— ſtand gebracht wird, habe ich geſucht auf der Karte !) ein ungefähres Bild der inneren Fahrwaſſer, welche die Eisfjelde paſſiren, bevor fie ſich über das Meer zerſtreuen, wiederzugeben. Können nun auch manche Sunde oder Fjorde, beſonders diejenigen, die zunächſt bei dem feſten Landeiſe liegen, wovon die Eisfjelden herrühren, durch dieſe Nähe ſchon einem Boote, geſchweige denn Schiffen, zu ei— ner gefährlichen Paſſage werden, ſo muß man doch nicht glauben, daß die Hinderniſſe, welche dadurch in den Weg gelegt werden, auf irgend eine Art mit denen zu vergleichen find, die das flache * längs der Oſtküſte von Grönland und außerhalb vor die ſüd— ) Hiermit iſt die in Bd. II dieſer Zeitſchrift gelieferte Taf. I gemeint. G. 48 Rink: lichſten Colonieen Julianehaab und Frederikshaab feſtliegende Treibeis veranlaßt. In Nord-Grönland iſt es nur das vom Lande kommende Eis, welches die Beſeglung der Fahrwaſſer ſchwierig macht, und dies häuft ſich nur vorzugsweiſe in einzelnen Fahrwaſſern auf. Von dem übrigen Theile des Meeres könnte man behaupten, daß er einen eben ſo ſtar— ken Gegenſatz zu den Eisfjorden, wie das mit einer Vegetation bedeckte Küſtenland zu dem unter Eis begrabenen bildete; man darf ſich aber nicht vorſtellen, daß das Meer an der Küſte Grönland's unter ähnli— chen Bedingungen zufriert, wie es im Winter mit unſeren Fahrwaſſern geſchieht. Trotz dieſes kalten Klima's ſcheint das Meer in der Breite von Disko mitten in der Straße, ſelbſt in dem allerſtrengſten Winter offen zu ſein, ſo daß das Eis in der Diskobucht, zu welcher Zeit es auch immer ſei, im Unwetter brechen und plötzlich verſchwinden kann, und daß es mehr von dem beſtändigen Wetter, als von der Kälte ab— hängt, wenn das Eis in den größeren und offenen Buchten liegen bleibt. Die Theile des Meeres, welche faſt immerwährend Eis deckt, näm— lich ſolches, welches liegen bleibt und mehrere Winter hindurch wächſt, ſind weit nördlicher gelegen; die Maſſen von flachem Treib— eiſe, welche ſich periodiſch von demſelben losreißen oder ſüdwärts trei— ben, werden ſogar ſelten oder nie an der Küſte von Nord-Grönland ge— ſehen; in dem ſüdlichen Theile der Straße kommen ſie, wie bekannt, aus dem Meere von Spitzbergen, ziehen ſich dicht längs der Oſtküſte von Grönland hin, um das Cap Farvel und in die Davis-Straße hinein, jedoch ohne den 64“ n. Br. zu erreichen. Das aus dem nörd— lichſten Theile der Baffins-Bucht dagegen kommende und Weſt-Eis genannte Eis ſcheint ſich mehr nach Weſten zu halten, oder in der Breite von Egedesminde und Nifkol der Küſte von Grönland am näch— ſten zu kommen, wo es vor einigen Jahren der königlichen Handels— marine den Verluſt eines Schiffes koſtete; aber nur in einzelnen Jahren kommt es ganz an die Küfte oder in die Disko-Bucht hinein (1845 und 18482). Da das Eis auch auf den Landſeen, ſogar im kälteſten Winter, nicht liegen bleiben kann, darf es uns nicht wundern, daß ſelbſt die am meiſten geſchützten Winkel des Meeres oder inneren Fahrwaſſers einen Theil des Jahres hindurch von dem Eiſe des Winters befreit — — Die productiven Erwerbsquellen Nord » Grönland's. 49 find. Eine einzige, aber auch nur ſcheinbare Ausnahme hiervon iſt bekannt; wir haben bereits des kleinen Armes von dem Eisfjord von Jakobshavn Erwähnung gethan, der ganz geſchloſſen und von dem übri— gen Fjord durch das feſte Landeis abgeſchnitten iſt; auf der entgegen— geſetzten oder nördlichen Seite geht nun ein anderer und ſehr großer Arm, welcher halb durch das feſte Landeis abgeſperrt wird, und deſ— ſen Außenrand ungefähr bis zur Mitte von deſſen Mündung in den Hauptfiord vorgerückt iſt, ab; auf der anderen Seite biegt derſelbe ſich nach N O. und erreicht, ebenſo wie der Hauptfjord und Teſſiurſak, einen zweiten Arm des feſten Landeiſes. Von dieſem ganzen Fjord weiß ſich kein einziger Menſch zu entſinnen, daß er offen geweſen ſei, und, da das ihn bedeckende Eis auf beiden Seiten bis zu dem Landeiſe hinauf grenzt, ſo konnte man in dem erſten Augenblick geneigt ſein, es eher für eine Fortſetzung deſſelben zu halten, aber die Horizontali— tät deſſelben und ſein Steigen und Fallen bei hohem und niederem Waſſerſtand unterſcheidet es ſcharf von dem feſten Landeiſe, und der Grönländer, welcher mich an dieſen Ort begleitete, äußerte in Betreff deſſelben ſehr bezeichnend, daß es Meereis ſei, „gleichwie das Spitzbergeneis“, was fo viel ſagen will, als ſolches Eis, welches nicht in einem einzigen Winter gebildet wurde, ſondern manche Som— mer über gelegen hatte. Dieſe Bezeichnungsart war in ſoweit charak— teriſtiſch, als der Grönländer dadurch bezeugte, daß er an ſeinen eige— nen Küften nichts von einem zweiten entſprechenden wußte, ſondern ein Beiſpiel von anderen Stellen, welche er nur aus Erzählungen kannte, zu entlehnen gezwungen war. Das immerwährende Eis auf dieſem Fjord bildet ſich dadurch, daß derſelbe urſprünglich mit Eisfjelden und Kalbeis aus dem großen Eis— fiord zugeſtopft iſt; dieſe Maſſen haben umhertreiben können, durch Kalbung find die größeren Stücke zerbrochen und haben den Fjord noch mehr ausgefüllt, bis endlich das Ganze ausgeebnet, zuſammen— geſchmolzen und zu einer mehr einförmigen Eisdecke von außerordent- licher Dicke zuſammengefroren iſt, welche jedoch in Folge ihrer Natur, als in beſtändiger Abnahme begriffen, angenommen werden muß. In— zwiſchen iſt dieſes Fjordeis nur in ſoweit ausgeebnet, daß es ſich zwi— ſchen den umgebenden Höhen, wie ein ſchwach gewölbtes, wellenförmi— ges Meer ausnimmt und nicht in dem Wortverſtande, daß man mit Zieitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 4 50 Rink: Leichtigkeit auf demſelben wurde gehen oder fahren können; denn wenn man ſich auf ihm befindet, ſo zeigt es ſich voll von Vertiefungen und gähnenden Spalten, worin man bis zur Tiefe von mehreren Ellen auch nicht eine Spur von Salzwaſſer findet, und es würde viel— leicht ſehr ſchwierig ſein, über daſſelbe zu dem geradeüber liegenden Feſtlande, Nunatak, zu kommen, welches doch zufolge einer Sage frü— her einen günſtigen Zeltplatz gehabt haben und von den Grönländern, welche dort in der Gegend die nun ganz aus dem Diſtrict von Ja— kobshavn verſchwundenen Rennthiere jagten, beſucht worden ſein ſoll. Leider habe ich nicht viel Gelegenheit gehabt, Meſſungen der Mee— restemperatur in der Tiefe an der Küſte von Grönland anzuſtellen. Im Monat Juli wurde dieſelbe, 4 Meilen weſtlich von Disko, auf dem Grunde in der Tiefe von 70 Faden faſt nahe 0“ R. befun— den, während fie an der Oberfläche + 13° war. Näher an dem Lande iſt die Temperatur der Oberfläche höher, aber zugleich ſehr ver— änderlich. Mitten im Omenaks-Fjord war fie im Auguſt + 4°, und kurz darauf, bei Nourſoak, ſowohl an der Oberfläche, wie auf dem Grunde in der Tiefe von 3 Faden, + 2°. Südlicher in der Straße, uuter dem 61 n. Br., wurde die Temperatur in einer Tiefe von 169 Faden auf + 4,2“ ſtehend befunden, während fie auf der Ober— fläche nur + 2,8 war. Wie weit dieſe höhere Temperatur in die Straße hinaufgeht, kann ich nicht entſcheiden, eben ſo wenig, wie weit jene niedrigere Temperatur in der Tiefe, außerhalb Disko, noch für - größere Tiefen gilt. Im Winter gehört dann immer ein gewiſſer be— ö deutender Kältegrad von oben dazu, daß das Waſſer nicht von unten herauf das Eis aufthauen ſoll, ein Kältegrad, welcher um ſo viel größer ſein muß, je dicker das Eis und je ſtärker die Strömung iſt. Es ſcheint, als ob längs der Küſte von Grönland außer den mit dem Steigen und Fallen des Waſſers wechſelnden Strömungen noch ein vorherrſchender Strom von Süden nach Norden beſteht, welcher zugleich, allmälig wie er weiter nach Norden hinaufkommt, nach We⸗ ſten überſetzt und auf der anderen Seite der Straße längs der Küſte von Norden nach Süden zurückgeht. Außer durch die Beobachtungen der Seefahrenden ſcheint das Vorhandenſein dieſer Strömung aus der Ausbreitung des Treibholzes und der beſtändigen Erneuerung deſſelben hervorzugehen, ſowie auch aus dem merkwürdigen Umſtande, daß die i Die productiven Erwerbsquellen Nord-Groͤnland's. 51 im Winter aus den Eisfjorden von Nord- Grönland kommenden Eis— fielde im Herbſte verſchwinden und ohne Zweifel nach Weſten über— ſetzen, wo die heimkehrenden Schiffe während ihrer Ausſegelung aus der Davis-Straße ſelten etwas von ihnen ſehen. Es dürfte alfo wohl angenommen werden, daß eine Strömung aus dem atlantiſchen Meere circulirt!) und die Temperatur in der Davis-Straße mildert. Doch zeichnen ſich die Eisfjorde vor dem übrigen Meere durch die Kälte des Waſſers und durch die Leichtigkeit, womit ſie zufrieren, aus; es iſt leicht begreiflich, daß in dieſem Waſſer, welches den gan— zen Sommer hindurch mit tiefgehenden und hier und dort ſelbſt auf dem Grunde bis zu einer Tiefe von über 100 Faden reichenden Eis— maſſen gefüllt iſt, und wo ſich alſo zahlreiche Berührungspunkte zwi— ſchen dem Eiſe und dem Salzwaſſer finden, im Ganzen eine Tempe— ratur von ſogar ein wenig unter 0“ herrſchen muß. Wir können uns hieraus die ſonderbare Erſcheinung erklären, daß in den inneren Eisfjorden in ſtillen und klaren Nächten im Monat Juli, ohne daß die Luft unter 0“ ſinkt, ſich dünnes Eis auf dem Waſſer bilden kann; wir müſſen uns nämlich daran erinnern, daß dieſe oberſte Schicht des Waſſers mitten unter ſo vielen thauenden Eismaſſen ſo gut wie Süß— waſſer iſt, daß das Salzwaſſer unter 0“ Temperatur zeigt, und daß ſich die Luft nur darum 0“ nähern darf, während vielleicht gleichzeitig die Wärmeausſtrahlung wirkt, um es zuzulaſſen, daß ſich daran dün— nes Eis bildet, das im Grunde denſelben Urſprung, wie das künſt— liche, durch die Miſchung mit Salz erhaltene Eis hat. Ein ſolches neues Eis hatte ſich unter andern in dem inneren Eisfjord von Upernivik in der Nacht zwiſchen dem 23. und 24. Jult gebildet und war von einer ſolchen Dicke, daß man mit einem Boot nicht durch daſſelbe rudern konnte, ſondern es erſt aufbrechen mußte. In ande— ren Buchten oder Fjorden beginnt das Eis erſt in den letzten Tagen des September in klaren und ſtillen Nächten ſich zu bilden, und eine Decke, welche tragen kann, trifft man dann mitten im October in ſehr eingeſchloſſenen Fahrwaſſern. Nun tritt die Eisſchicht in den anderen Fahrwaſſern nach und nach erſt im Laufe des Winters ein, je nach— dem ſie mehr oder weniger geſchützt ſind, und in derſelben Weiſe, aber 1) Dieſe Folgerung des Herrn Verfaſſers ſtimmt mit den von mir in Bd. III, S. 410 — 432 geſammelten Thatſachen überein. G. 4 * 52 Rink: Die productiven Erwerbsquellen Nord-Groͤnland's. in umgekehrter Ordnung, verläßt das Eis, halb aufgethaut, halb zer— brochen, wieder die Fjorde im Frühjahr. Man könnte endlich vielleicht, trotz der hohen, in der Witterung der verſchiedenen Winter begründe— ten Veränderlichkeit, die Fahrwaſſer der Zeit nach, in welcher ſie im Durchſchnitt mit feſtem Eiſe belegt ſind, in drei Klaſſen theilen: 1) Die, welche im October und November mit Eis belegt wer— den und wohl bis in die letzten Tage des Juni oder bis in den Juli hinein feſtſtehen bleiben. Dazu gehören die allermeiſten Theile der Fjorde und alle dergeſtalt gebildete Buchten, daß ſie nur durch ſchmale Mündun— gen mit dem Meere in Verbindung ſtehen, weshalb das Eis am Orte thauen muß, um verſchwinden zu können. Von dieſer Art iſt Illurt— lek im Pakitſok-Fjord. 2) Die, welche im November und December mit Eis belegt werden, aber um die Neujahrszeit wieder aufzubrechen pflegen und erſt wohl von der Mitte des Januar bis in den Juni hinein feſt⸗ liegen. Dazu iſt der größeſte Theil der großen, Omenaks-Fjord ge nannten Bucht zu zählen. | 3) Die, welche nur im Januar, Februar und März mit Eis | belegt werden, und ſelbſt dieſe Monate find nur höchſt unficher. Die Disko-Bucht gehört hierher. 4) Stromſtellen, welche ſich entweder nie, oder nur in gewiſſen kurzen Zeiträumen der ſtrengſten Wintermonate mit Eis belegen. Aber es wird ſich während der Beſchreibung der einzelnen Di— ſtricte, eine beſſere Gelegenheit finden, die Fahrwaſſer mit Hinſicht auf den Grad, unter welchem ſie dem Zufrieren und der Bedeckung mit Eis ausgeſetzt ſind, und in Beziehung auf die Sicherheit des Eiſes, um darauf reiſen zu können, durchzugehen und zugleich darzuthun, welche Verhältniſſe von der größeſten Wichtigkeit für ein Volk find, das faſt alle ſeine Lebensbedürfniſſe in dem Meere ſuchen muß, indem dieſe Verhältniſſe mit allen den Arten und Weiſen, wodurch die Landesbe, wohner ihren Erwerb aufſuchen, im engſten Zuſammenhange ſtehen, ſowie ſie auch durch ſich ſelbſt verſchiedene mehr oder we niger günftige Be- dingungen zur Erträglichkeit eines Fanges erzeugen. — A. von Etzel. 1 i III. Heinrich Barth's Leben und Wirken. In dem Augenblicke, wo das 6. Heft des III. Bandes dieſer Zeit— ſchrift unſeren Leſern übergeben werden ſollte, und Barth's letztes Schreiben aus Timbuktu vom 23. März des verfloſſenen Jahres noch die freudige Hoffnung erweckte, daß es dem muthvollen und unermüd— lichen Forſcher endlich vergönnt ſein würde, die verhängnißvolle Stadt ganz zu verlaſſen und die lang erſehnte Heimreiſe in das Vaterland und in den Kreis der Seinigen zu vollenden, ging uns plötzlich die erſchütternde Nachricht zu, daß auch er dem unerbittlichen Schickſal. welches den überwiegenden Theil ſeiner Vorgänger, die Leben und Ge— fundheit dem großen Ziel der Erforſchung des centralen Nord-Afrika wil— ligſt gewidmet hatten, hinwegraffte, zum Opfer gefallen ſei. Vier Jahre find nunmehr verfloſſen, als die kleine heldenmüthige Schaar europäiſcher Forſcher, unbekümmert um die ihr wohl bekannten Gefahren, den ſchwe— ren Weg angetreten hatte, der fie in das Innere des Continents füh— ren ſollte. Die Augen der ganzen gebildeten Welt waren auf ihr Un— ternehmen gerichtet, und mit freudiger Theilnahme wurde jede Kunde begrüßt und angelegentlichſt weiter verbreitet, die von dem Fortgange der Forſchungen unſerer Reiſenden und von deren Befinden Zeugniß ablegte. Aber ſchon nach dem Verlauf kaum eines Jahres (am 3. März 1851), und nur 6 Tagereiſen von Kuka, der Hauptſtadt des Landes Born, zu Ungurutua, fiel als erſtes Opfer Richardſon (Monatsb. d. Berl. eogr. Geſellſch. N. F. IX, 338, 343 und A. Petermann An account f the progress of the expedition to Central Afrika. S. 6), der nominelle Führer der Expedition, deſſen überaus ftarfer und durch die 54 Gumprecht: Mühen ſeiner erſten Reiſe abgehärteter Körper völlig geeignet ſchien, den Eindrücken des afrikaniſchen Klima's und den Anſtren— gungen und Entbehrungen der gegenwärtigen Reiſe Widerſtand lei— ſten zu können, und zwar erfolgte des Reiſenden Tod, als er kaum aus den hohen, trockenen und verhältnißmäßig geſunden Regionen der Sahara in die, europäiſchen Naturen verderblichen, regen- und ſumpf— reichen Niederungen Central-Afrika's übergegangen war. Ein und ein halbes Jahr ſpäter, am 27. Sept. 1852, trat bekanntlich an den Ufern des Tſad-Sees auch Overweg's Tod ein, und nun ſtand Barth, wie es ſcheint, ohne irgend einen europäiſchen Begleiter um ſich zu haben, ganz allein in der Mitte des Continents, aber mit ungebrochener Gei— ſteskraft und mit unverrücktem Blick auf das große Ziel ſeines Unter— nehmens, dem er ſein Leben mit dem aufopferndſten Enthuſiasmus gewidmet hatte. „So iſt auch das zweite Opfer gefallen“, ſchrieb er faſt unmittelbar nach Overweg's Tode am 9. October 1852 aus Kuka an Herrn A. Petermann, „und nun bin ich allein da, aber ich bin, Gott ſei Dank! wieder bei Kraft und fühle mich erfriſchter und wohler, als je, obgleich alles um mich her krank iſt, Einheimiſche und Fremde“ (Zeitſchrift I, 205), und übereinſtimmend damit ſagte er in einem Briefe an Herrn Bun— ſen 2 Tage vorher: „Anſtatt mich durch den Tod meines Reiſegefährten niedergebeugt zu fühlen, fühle ich meine ganze Kraft verdoppelt; in dem Bewußtſein, daß nun ferner nichts hier geſchieht, was ich nicht thue, fühle ich eine Rieſenkraft in mir, allen Anſprüchen ſelbſt zu genü— gen (S. 205)“, und in der That, der treffliche Reiſende hat in vollſtem Maße ſein Wort gelöſt. Nachdem Barth's Plan, in ſüdöſtlicher Richtung durch die Quellenländer des Nils bis zu den Geſtaden des indiſchen Oceans zu gelangen (Monatsber. der Berl. geogr. Gef. N. F. IX, 362) der unüberſteiglichen Hinderniſſe wegen, die ſich dem eben fo beſonnenen, als muthigen Manne hier in den Weg geſtellt hätten, auf— gegeben werden mußte, war der eifrigſte Wunſch deſſelben dahin ge— richtet, die im Weſten und Südweſten Bornu's gelegenen Binnenlän— der zu erforſchen, namentlich aber das myſteriöſe Timbuktu, ſeit Jahr— hunderten das erſehnteſte Ziel der europäiſchen Forſcher im centralen Afrika, zu erreichen. Den Weg dahin wollte er den Europäern eröff— H. Barth's Leben und Wirken. 55 nen, jo wie er früher auch Adamaua (Fümbina), Käném und Bä— girmi als der erſte europäifche Weiße betreten hatte. Dann richtete er fein Augenmerk auf das große, an Adamaua gränzende Land Boſchi oder Pakoba, und in feinem letzten Briefe ſprach er endlich davon, Adamaua auf dem Rückwege von Timbuktu noch einmal zu beſuchen, | nachdem die Freundſchaft mit dem Fellanfultan zu Sokoto ihm einen beſſeren Empfang, als er früher dort gefunden, in Ausſicht geſtellt hatte (Zeitſchrift II, 70, 223). Denn nur einen Blick hatte er im Jahre 1851 nach Adamaua werfen können, wo aber doch die wenigen Tage ſeiner Forſchungen durch die wichtige Entdeckung des Benué— ſtroms belohnt worden waren. „Mein Schlachtfeld“, heißt es in dem Briefe an Herrn Bunſen, „wird der Weſten, und, ſo Gott will der Südweſten werden. Mein erſtes Ziel wird hier— bei die Erreichung Timbuktu's ſein, mein zweites Na— coba und die im Süden angrenzenden Lande mit dem Lauf des Benué.“ Das Schickſal hat es anders gewollt. Timbuktu er— reichte zwar der treffliche Forſcher, und es war ihm hier ſogar möglich, einen weit längeren Aufenthalt, als ſeine beiden nächſten europäiſchen Vorgänger, Laing und Caillié, und ſelbſt unter viel günſtigeren Umſtän⸗ den zu nehmen, aber gerade dieſer wider Willen lange Aufenthalt in der Stadt wurde faſt unzweifelhaft die Urſache zu ſeinem Tode, wenn wir auch die nächſten Umſtände deſſelben noch nicht genau kennen. Es läßt ſich nämlich mit Grund annehmen, daß die Kräfte unſeres Forſchers durch den langen Aufenthalt in den ungeſunden Bornu und Haüſſa zu er— ſchöpft waren, als daß es ihm möglich geweſen wäre, dem klimatiſchen Fieber noch einer Regenzeit zu widerſtehen. Er hatte leider wohl zu ſehr auf die Trefflichkeit ſeiner Körperconſtitution gebaut and nicht be— dacht, daß ein vierjähriger Aufenthalt in den ungeſunden Aequatorialre— gionen ſelbſt die ſtärkſte Natur endlich aufzureiben vermag. Deshalb konnte der Todesfall, ſo plötzlich er auch eintrat, den mit den Ver— hältniſſen des heißen Klima's von Afrika Bekannten wohl nicht überra— ſchen, ja jeder, der des Verſtorbenen Briefe bald nach ſeinem Eintritte in Timbuktu und die ſpäteren von daher mit Aufmerkſamkeit geleſen hatte, mußte darauf vorbereitet ſein. Die ununterbrochene Aufregung, wel— cher er während feines ſiebenmonatlichen Aufenthalts zu Timbuktu aus— j geſetzt geweſen war, und die beſtändige Furcht, von der fanatiſchen Partei * 56 Gumprecht: in der Stadt hingemordet zu werden (Zeitſchrift II, 328, 332, und III, 394, 517, 518), waren ſicherlich nicht geeignet, ihn wiederum zu ſtärken, und ſo mag er nach dem langen und ſelbſt im Winter durch die aus den ſumpfigen Umgebungen Cabra's kommenden miasmati— ſchen Dünſte für Fremde ungeſunden Aufenthalte zu Timbuktu (S. hier III, 395) mit völlig erſchöpften körperlichen Kräften ſeine Rückreiſe nach Bornu angetreten haben, wenn auch ſeine geiſtige Kraft ſich un— vermindert erhalten hatte. „Meine Zuverſicht iſt ungebeugt“, ſchrieb Barth noch am 2. October 1853, 4 Wochen nach erfolgter Ankunft in Timbuktu (Zeitſchrift II. 335); Wolke auf Wolke zieht über mich hin; ſelbſt meine Diener haben mich ver— laſſen wollen; krank, ſehr krank bin ich einige Tage ge— weſen, und man hatte ſich ſchon vorläufig in meine Habe getheilt. Aber ſeit geſtern, ſo Gott will, hat mich das Fieber verlaſſen und ich fühle mich ſogleich wieder kräf— tig und wohl. Der Allmächtige wird mich ferner beſchützen und durch alle Klippen hindurchführen“, und ſo erwähnte er auch am 29. September 1853 (Zeitſchrift II, 328) das ihn gänzlich abſchwächende Fieber. Wie ſehr überhaupt Barth zu Timbuktu erſchöpft geweſen ſein muß, ergeben ſeine ſämmtlichen uns von daher bekannt gewordenen Briefe, zu deren Abfaſſung er, ungeachtet ihrer geringen Länge, ſtets einen vollen Monat nöthig ge— habt zu haben ſcheint, indem er zwei in reſp. 2 und 3 Abſätzen zu verſchiedenen Zeiten der Monate September und October geſchrieben hatte (Zeitſchrift II. 327 — 330 und 334 — 336), ſowie auch bei den beiden anderen im December 1853 (Zeitſchrift III, 394 - 396) und März 1854 verfaßten Briefen (III, 517 — 519) Aehnliches geſchehen war. Selbſt die auf Kaffee und Milch beſchränkte Nahrung des Reiſenden (Zeitſchr. III, 518) in der letzten Zeit feines Aufenthalts zu Timbuktu dürfte auf eine gänzliche Erſchlaffung ſeiner Verdauungsorgane, die ihm eine kräftigere Nahrung nicht mehr geftattete, hinweiſen !). Die Nachrichten über Barth's Tod ſind uns bisher ſämmtlich aus Bornu zugegangen, und zwar liefen ſie zuerſt in einem Schreiben Dr. Vo— gels an feinen Vater, den Herrn Director Vogel zu Leipzig, dann in ) Eine andere Muthmaßung über Barth's Tod werde ich am Ae 0 Aufſatzes mittheilen. H. Barth's Leben und Wirken. 57 einem Briefe des Reiſenden an Lieut-Col. Herman, der hierüber Bericht an das engliſche Miniſterium abſtattete, ein. Herr Director Vogel theilt in einem Schreiben, Leipzig, den 12. Dec. v. J., Herrn Al. von Hum— boldt die ihm zugekommenen Nachrichten mit, und wir beeilen uns, daſ— ſelbe, deſſen Benutzung uns Herr von Humboldt gütigſt geſtattete, hier zuerſt folgen zu laſſen. Lieutenant-Colonel Herman's Bericht ſcheint nach den in der deutſchen zu London erſcheinenden lithographirten Cor— reſpondenz über Barth's Tod enthaltenen Notizen mit dem Inhalt des erſten nach Deutſchland gelangten Briefes Dr. Vogel's übereinzuſtim— men. Wenigſtens enthält die Correſpondenz nicht mehr, als noch eine Angabe über die Lage Meroda's oder Merade's, das als Todes— ort genannt wird. Um denſelben Gegenſtand nicht zwei Male zu wie— derholen, geben wir hier nachſtehend nur den Brief des Herrn Di— rector Vogel: „Da ich den innigen Antheil kenne, welchen Sie an dem Fortgange der engliſchen Expedition nach Central-Afrika ſtets genommen haben und noch nehmen, achte ich es für meine Pflicht, Sie von dem ſchweren Verluſte in Kenntniß zu ſetzen, welchen, nach einem heute hier eingegangenen Briefe meines Sohnes — d. d. Kuka, den 18. Juli c. — die Wiſſenſchaft und die Menſchheit durch den Tod des trefflichen Pr. Barth erlitten. Er ſtarb, nach ziemlich zuver— läſſigen Berichten, zu Merade, bei Socatu, auf ſeiner Rückreiſe von Timbuktu nach Bornu. Mein Sohn hat ſofort ſeinen treuen Die— ner Maſſand, auf welchen er ſich ganz verlaſſen zu können glaubt, unter Anempfehlung größeſter Eile dahin geſandt, um den Thatbe— ſtand zu erforſchen und, im ſchlimmſten Falle, die Papiere und ſon— ſtige Verlaſſenſchaft des theuern Mannes zu ſichern. Col. Herman in Tripolis fügt dem Berichte meines Sohnes in einem Schreiben an mich bei: „I much fear, that the report of poor B.'s death from the date of his last letter to me of the 28 (sic G.) March last four miles from Timbuctu, coupled with the spot, where his demise is reported to have taken place, will prove „an o'er true Tale.“ In Bezug auf den Inhalt dieſes Briefes habe ich zuvörderſt zu bemerken, daß der Name des Orts, wo Barth's Tod erfolgt ſein ſoll, meines Wiſſens bisher noch nie genannt worden iſt. Da aber nach 58 Gumprecht: der genannten Zeitungs-Correſpondenz Merade 100 engl. M. etwa oſt— nordöſtlich von Sokoto liegen ſoll, ſo iſt unmöglich darunter etwas an— deres zu verſtehen, als die große, 6 Tagereiſen von Sokoto gelegene Hauptſtadt des Landes Mariädi, in welchem Overweg ſich zwei Mo— nate lang im Frühjahre 1851 aufgehalten hatte, von der wir aber nichts durch ihn erfuhren, als was deſſen beide aus Zinder am 10. April an Herrn C. Ritter und deſſen Schweſter geſchriebenen Briefe (Berl. Mo⸗ natsber. N. F. IX, 337 — 342) und ferner der nicht mehr als 29 Zeilen umfaſſende, im Inhalt nicht weſentlich abweichende Auszug aus Over— weg's Papieren in Petermann's Account S. 7 liefert“). Selbſt den Na⸗ men der großen Hauptſtadt Mariädi's erfuhren wir durch Overweg an— fänglich nicht. Da aber die 6 Tagereiſen betragende Entfernung der gro— ßen Mariädi-Hauptadt von Sokoto mit 100 engliſchen Meilen in Cen— tral-Afrika übereinſtimmt und Herr Petermann die Capitale von Ma— riädi nach Overweg's Notizen gleichfalls Mariädi nennt und fie auch beſtimmt 100 engl. M. oſt-nordöſtlich von Sokoto verſetzt (a. a. O. S. 7), ſo konnte gleich kein Zweifel entſtehen, daß Barth's Todesort mit der Capitale identiſch ſei. Wirklich lieferten die demnächſt einge— gangenen Nachrichten die Beſtätigung der Vermuthung, indem ſie die richtige Lesart Mariädi brachten. Erreichte aber der Reiſende Mas riädi, jo war er ſchon über Sokoto, wohin er Ende April zu kommen gehofft hatte (Zeitſchr. III, 514) hinaus, und jo möchte fein Hinſchei— den am Ende des Mai anzunehmen fein, da es wahrſcheinlich iſt, daß er ſich bei Aliyu, dem Sultan von Sokoto, einen Theil des Maimonats aufgehalten hatte. Hätte er übrigens vor Eintritt der Regenzeit, deren Einfluß er gefürchtet haben mag, wenn er es auch mit beſtimmten Worten leugnet (Zeitſchrift II. 518), Timbuktu verlaſſen können, fo dürfte er uns vielleicht noch erhalten worden ſein, weil er ungeachtet ſeiner erſchöpf— ten Kräfte wahrſcheinlich dann doch eher die Beſchwerden der Reiſe aus— gehalten hätte. Bei der durch den betrübenden Todesfall unſeres Reiſenden ver— anlaßten Durchſicht ſeiner letzten Schreiben können wir nicht umhin, zwei bemerkenswerthe Punkte in denſelben zu berühren. Der eine betrifft nämlich Barth's abſolutes Schweigen über die beiden der ) Einzig die aſtronomiſche Beſtimmung der Länge der Capitale von Mariadi 13 45 n. Br. und 7° 40’ öſtl. L. von Gr. iſt neu und höchſt dankenswerth. H. Barth's Leben und Wirken. 59 Expedition auf ihren Wunſch von Malta aus nachgeſandten Engländer, einen Schiffszimmermeiſter und einen Matroſen (Berl. Monatsber. N. F. IX, 204, 344), von denen es früher hieß, daß ſie nach Richardſon's Tode Barth und Overweg zugeordnet worden ſeien (ebendort 345). Da indeſſen Overweg ausdrücklich bemerkte, daß er ſein zur Befahrung des Tſadſees beſtimmtes Boot mit Hilfe arabiſcher Zimmerleute in Stand geſetzt habe (ebendort 371; Petermann An account S. 8), und Barth auch ſpäter nicht mit einem Wort engliſcher Begleiter erwähnt, ſo ſcheint es faſt, daß die Nachſendung nach Richardſon's Dahinſcheiden ſiſtirt wurde, oder, was wahrſcheinlicher und ſchon von Barth ge— fürchtet wurde (Monatsber. 344), daß nach demſelben eine Zurückberufung der Engländer ſtattfand. Geſchah das letzte, ſo war die Maßregel für die beiden unter der Aegide und auf Koſten der engliſchen Regierung reiſenden Deutſchen eine höchſt harte, und wir können bei der bekann— ten ſonſtigen Humanität der engliſchen Regierung nicht anſtehen zu er— klären, ſogar eine völlig unbegreifliche und ungerechte. Wünſchenswerth wäre es deshalb, wenn wir aus zuverläſſigen Quellen befriedigende Aufklä— rung darüber erhielten. Der zweite Punkt betrifft die in Barth's ſpäteren Briefen oft, am meiſten aber ſeit Overweg's Tode, in ſeinen Schreiben kundgegebenen religiöſen Gefühle und der Ausdruck völliger Reſignation in ſeiner allerdings nicht beneidenswerthen Lage. Spricht ſich auch in den erſten Mittheilungen Barth's von der Reiſe immer ein ernſter männ— licher Sinn aus, welcher den Lauf der Dinge klar erfaßte, ſo findet ſich darin doch nirgends eine ſo häufige Wiederholung ſeiner Anſich— ten über den göttlichen Schutz, dem er vertraute, als es weiterhin der Fall war. Wir wären jedoch ſicherlich ungerecht gegen den Da— hingeſchiedenen, wollten wir dieſe Kundgebungen religiöſer Gefühle allein dem Einfluſſe des fataliſtiſchen Muhamedanismus zuſchreiben, mit deſſen ungebildetſten Bekennern er 4 Jahre hindurch ununterbrochen gelebt hatte, und wir halten uns eher zu der Annahme berechtigt, daß es der Ernſt und die geiſtige Abgeſchloſſenheit ſeiner Lage war, wodurch religiöſe Gefühle kräftiger in ihm erweckt und zum Ausdruck gebracht wur— den, gerade wie die Erfahrung aller Zeiten lehrt, daß großes Unglück, Gefangenſchaft, Noth faſt unausbleiblich in kräftigen, unverdorbenen männlichen Naturen die nämlichen Erſcheinungen zur Folge haben. Das reiche Wirken unſeres Forſchers in noch jugendlichem Alter 60 Gumprecht: macht es uns zur Pflicht, unſeren Leſern hier eine kurze Skizze ſei— nes Lebens mitzutheilen. N Heinrich Barth wurde am 18. April 1821 zu Hamburg geboren, wo ſein Vater früher ein anſehnliches bürgerliches Geſchäft betrieb und in vorgerücktem Alter noch jetzt lebt. Früh dem Schulunterricht über— geben, beſuchte er ſodann vom eilften Lebensjahre an das damals un— ter dem berühmten Latiniſten C. Krafft blühende Gymnaſium ſeiner Vaterſtadt, in welchem er ſich ſofort mit dem conſequenten, ihm in ſei— nem ganzen Leben hindurch gleich gebliebenen Eifer und begünſtigt durch ein ungewöhnliches Sprachtalent, dem Studium der alten Schrift— ſteller widmete. Schon hier faßte er den Plan und ſetzte ihn nach Möglichkeit conſequent durch, die alten Schriftſteller nach ihrer Folge durchzuleſen. Im Herbſt 1839 begab er ſich nach Berlin, um ſeine Univerſitätslaufbahn zu beginnen. Hier fand der ſtrebſame Jüng— ling ſofort bei dem berühmten Philologen und Alterthumsforſcher A. Böckh das freundliche Entgegenkommen, deſſen ſich ſeit Begründung der berliner Univerſität ſo viele junge talentvolle Männer zu ihrer Ausbil— dung zu erfreuen hatten, und das ſich namentlich bei Barth während ſeiner ganzen Univerſitätszeit und auch ſpäterhin unverändert erhielt. Mit dankbarem Gemüth gedachte er deshalb in ſeiner Böckh ge— widmeten Diſſertation der Verdienſte, welche ſich dieſer um ihn erwor— ben hatte, indem er mit nackten Worten erklärte, daß Alles, was Gu— tes in ihm läge, von Böckh herrühre, das Schlechte aber ihm von anders— her zugegangen ſei. Als Barth bald nach ſeiner Ankunft auf der Uni— verſität den Umfang und die Tiefen der Wiſſenſchaften klarer zu erken— nen begann, entſchloß er ſich, zu den Neigungen ſeiner Jugend zurück— zukehren und ſich dem Studium des Alterthums, namentlich des grie— chiſchen, zuzuwenden, indem er in dem Alterthum überhaupt nicht, wie es jetzt wieder bei denen Sitte wird, die ſelbſt von dem Geiſt und We— ſen des Alterthums keinen klaren Begriff haben, einen inhaltsleeren, todten Körper, ſondern die noch immer nachhaltend wirkende Baſis unſerer heu— tigen Zuſtände, ja ſelbſt ein Moment zu ihrer Förderung ſah, und worin er für ſich ſelbſt reiche Elemente zu ſeiner geiſtigen und Charakterausbil— dung zu finden glaubte. Von dieſem Geſichtspunkte aus beſchränkte er ſein Univerſitätsſtudium nicht auf die reine Philologie, ſondern er zog in den Kreis ſeiner Vorleſungen und ſeiner Privatthätigkeit Alles, was auf H. Barth's Leben und Wirken. 61 das Alterthum Bezug hatte und zn deſſen Aufklärung ihm dienen konnte, ja er vernachläſſigte es ſelbſt nicht, ſich mit wiſſenſchaftlichen Gegen— ſtänden bekannt zu machen, die das Mittelalter und die neuere Zeit betrafen. Folgte er demnach auch vorzüglich den philologiſchen und archäologiſchen Vorleſungen Böckh's, dann den Vorträgen gleichen Inhalts von Lachmann, Franz, Zumpt, Jacob Grimm, A. Benary und Curtius, ſowie zu ſeiner allgemeineren geiſtigen Ausbildung den philo— ſophiſchen Schelling's, Trendelenburg's und Werder's, ſo ſchenkte er doch aus den angegebenen Geſichtspunkten nicht geringere Aufmerk— ſamkeit den Vorleſungen C. Ritter's über Allgemeine Erdkunde, Ran— ke's über deutſche Geſchichte und Geſchichte des Mittelalters, und ſelbſt denen von Homeyer über deutſches Recht und Geſchichte des deutſchen Rechts, endlich der Vorleſung von Dirkſen über die Geſchichte des römi— ſchen Rechts, um ſich eine möglichſt umfaſſende und gründliche Kenntniß des Alterthums und ſeiner vielſeitigen Zuſtände zu erwerben. Des— halb trennte er nach Ritter's Beiſpiel nicht die Geographie von der Geſchichte, auch nicht die Archäologie von der Sprachforſchung, viel— mehr erkannte er richtig, daß alle dieſe wiſſenſchaftlichen Disciplinen zu ihrer gegenſeitigen Ergänzung und Erklärung nöthig ſeien. Das Studium der neueren hiſtoriſchen Zuſtände verabſäumte er ſchon des— halb nicht, weil es ihm, wie geſagt, klar war, daß ohne ihre Kennt— niß die Geſchichte und die Inſtitutionen der Völker des Alterthums nicht völlig zu verſtehen ſeien. Sofort nach dem Verlauf des erſten Jahres ſeiner Univerſi— tätszeit drängte es den wißbegierigen Jüngling, mit eigenen Augen den Boden zu ſehen, worauf ein Theil der alten Völker ſich bewegt hatte, und hier in den Reſten der Monumente des Alterthums eine klare Anſchauung deſſen zu gewinnen, was er bis dahin nur mit der Phantaſie zu erfaſſen im Stande geweſen war. Wohl vorbereitet für ſeine Zwecke begab er ſich zuvörderſt nach Italien, und namentlich nach Rom, wo er während eines viermonatlichen Aufenthalts mit dem reg— ſten Eifer die Geſchichte der einſtigen, nunmehr Jahrtauſende hindurch zugleich mit Konſtantinopel und Jeruſalem in die Geſchicke der Völker wunderbar eingreifenden Weltſtadt auf ihrem Boden und in ihren Denk— mälern ſtudirte. War es hier die Macht und Größe des Römerthums, welche den Reiſenden an ſeine Monumente feſſelten, ſo wurde deſ— 62 Gumprecht: ſen Sinn in Sicilien wieder durch die Denkmäler helleniſcher Kunſt und des einſt hier wunderbar reich entfalteten helleniſchen Völkerlebens auf das mannigfachſte angezogen und in höchſter Spannung erhalten. Inmitten Sieiliens Monumenten begann der ſcharfblickende Jüngling einzuſehen (Barth's Wanderungen I. S. I und II), wie auf den europäiſchen Geſtaden des Mittelmeeres alle Elemente einſt vorhanden waren, welche den menſchlichen Geiſt auf die höchſte Stufe ſeiner Ent— wickelung zu führen vermochten, denn hier ſtand ihm, wie er ſelbſt in ſeiner gleich anzuführenden Diſſertation (S. 55) erklärte, das ganze Alterthum wie aus dem Grabe auf, und hier bildete ſich auch in ihm der Plan aus, das Becken des Mittelmeeres wo möglich ſeinem gan— zen Umfange nach aus eigener Anſchauung kennen zu lernen, um ſpe— ciell das Leben der an ſeinen Rändern gegründeten helleniſchen Staa— ten des Alterthums, den regen Verkehr der alten Hellenen mit den einhei— miſchen Nationalitäten und endlich den Einfluß dieſes reichbegabten Volks auf die Geſittung und den Charakter der in minder von der Natur begünſtigten Strecken roher gebliebenen Eingeborenen gründlichſt zu ver— folgen. Die Reife nach Italien und Sieilien war deshalb für Barth nicht, wie für Andere, eine flüchtige Tour des Vergnügens, ſondern eine Unternehmung des ernſteſten Strebens; ſie entſchied das Schickſal ſeines Lebens, ja ſie wurde gewiſſermaßen auch die Veranlaſſung zu ſeinem frühen beklagenswerthen Tode. Nach ſeiner Rückkehr nach Berlin ſetzte Barth ſeine akademiſchen Studien in der begonnenen Weiſe fort und nach ihrer Beendigung, 3 Jahre ſpäter, am 31. Juli 1844, promovirte er, indem er, der Sprößling einer großen Handelsſtadt und der Sohn eines mit kauf— männiſchen Geſchäften vertrauten Vaters, auch einen den Verkehr des Alterthums betreffenden Gegenſtand, nämlich die Handelsthätigkeit der größten Handelsſtadt Griechenlands, Corinth, zum Inhalte ſeiner Diſ— ſertation machte, die den Titel: Corinthiorum commercii et mer- caturae historia particula. 8. 55 S. führt und ihren Gegenſtand mit einer ungemein umfaſſenden, gründlichen und für einen jungen Mann ausgezeichneten Kenntniß behandelte. Das nächſte halbe Jahr brachte er noch damit zu, ſeinen Kenntniſſen nach allen Richtungen hin die ſolideſte Baſis zu verleihen, beſonders aber dem in Italien und Sici— lien gefaßten Plan gemäß, ſich zu ſeiner erſten großen Reiſe vorzube— H. Barth's Leben und Wirken. 63 reiten, die zuvörderſt nach dem Erdtheile gerichtet werden ſollte, deſſen Küſten ihm bereits im Jahre 1841 von den grandioſen Tempelruinen von Selinus aus am fernen Horizonte in ſchwachen Umriſſen erſchie— nen waren (Wanderungen I, S. 1). Am letzten Januar 1845 verließ Barth ſeine Vaterſtadt, um ſich zunächſt nach London zu begeben, wo er einen zweimonatlichen Aufenthalt zum eifrigen Studium des an Kunſtwerken aller Nationen des Alterthums überaus reichen britiſchen Muſeums, der Münzſammlungen und ſeltener Werke benutzte, und das Erlernen der arabiſchen Sprache begann. Bei dem letzten Beſtreben unterſtützte ihn weſentlich ſein eminentes Sprachtalent, das ihn leicht über alle Schwierigkeiten fremder Sprachen hinweghob und ihm beſon— ders während ſeines zweiten Aufenthalts in Afrika mitten in dem dor— tigen Sprachgewirr überaus leicht überall Eingang und Freunde un— ter allen Schichten der Bevölkerung erwarb. Von London wandte ſich Barth nach Paris und nach kurzem Aufenhalte daſelbſt nach Marſeille, der alten, noch ewig jung blühenden phokäiſchen Handelsſtadt, wie er ſelbſt den Ort bezeichnete (a. a. O. VIII), dann durch Spanien und nach einigem Aufenthalte zu Madrid nach Gibraltar, endlich nach der ſchon auf afrikaniſchem Boden und Gibraltar gegenüberliegenden uralten See— ſtadt Tanger (Tandſcher) *), wo feine eigentliche Unterſuchungsreiſe be— gann. Indeſſen war der erſte Theil derſelben nicht glücklich, da der un— geordnete politiſche Zuſtand Marocco's, ſicher eines der ſchönſten, mit den Gaben der Natur am reichſten ausgeſtatteten Landes der Erde, in welchem aber ſeit vielen Jahrhunderten ununterbrochen eine über alle Maaßen ſchlechte und im äußerſten Grade despotiſche, willkürliche Re— gierung Alles gethan hat, die Bevölkerung zum Elende herabzubringen, dem Reiſenden ein Eindringen in das Innere nicht geſtattete. Glück— licher war er in Algerien, deſſen Aufblühen nach hergeſtellter äußerer Ruhe und innerer Sicherheit im Gegenſatze zu Marocco und Tuneſien, den benachbarten Staaten im Oſten und Weſten, am Beſten beweiſt, bis zu welcher Höhe ſich die ſchönen Länder an der Südſeite des Mit— telmeeres wieder erheben könnten, wenn ſie unter einer nur einigermaßen thätigen und gerechten Regierung ſtänden 2). Aber den reichſten Erfolg ) Barth ſelbſt ſchreibt Tandſchah (Wanderungen I, S. 1, 8 u. ſ. w.). ?) Zur Beurtheilung der Zuſtände Tuneſiens genügt einzig die Mittheilung uns ſeres Reiſenden, daß er nach dem Urtheile feiner europäiſchen Freunde einer Escorte 64 Gumprecht: ergaben Barth's Forſchungen in Tuneſien, deſſen Inneres bis dahin nur äußerſt wenig von Europäern betreten und deshalb der wiſſenſchaft⸗ lichen Welt faſt ganz unentdeckt geblieben war, ſowie in dem Innern Tripolitaniens und in der ſchon zu Aegypten gehörenden Landſchaft Mar— marica. In Tuneſien unterſuchte Barth zuvörderſt den nordöſtlichen Theil der Küſten von dem weſtlich von der Hauptſtadt Tunis gelegenen gro— ßen See von Benzart an bis Sfaäkes (Wanderungen I, 44 — 401), worauf er ſich längs der Oſtküſte über Leptis und Hadrumet nach Tunis zurückbegab, um am 13. Januar 1846 mit einem Schiffe nach Malta zu ſegeln und hier ſeine Schriften und Sammlungen der grö— ßeren Sicherheit wegen niederzulegen. Bei dieſer Gelegenheit gelang es ihm, die den Muhamedanern heilige Stadt Kiruan (Kairuän) zu betreten, in welche er unbeläſtigt einreiten konnte, ein großer Fort— ſchritt in der Toleranz der Muhamedaner, die ſich nur aus der gegen— wärtigen Anerkennung des Uebergewichts der Europäer über den Orient erklären läßt, während, wie der Reiſende bemerkt (Wanderungen I, 147), noch vor wenigen Jahren jeder Europäer vor den Thoren der Stadt von ſeinem Thiere abſteigen mußte und nur zu Fuß in dieſelbe eingehen durfte. Nach vierwöchentlichem Aufenthalt zu Malta ſchiffte ſich Barth am 11. Februar wieder nach Tunis ein, von wo aus er am 27. Februar ſeine zweite größere Tour in Tuneſien begann, die ihn tief in das Innere und über das Plateau des merkwürdigen Dſchebel Truzza abermals nach der Oſtküſte, und zwar zunächſt nach dem Hafenplatze Gäbs führte. Von Gabs folgte er der Küſte bis Tripoli (Taräbolus el Garb, d. h. das weſtliche Tripoli), wo er am 5. April eintraf, aber ſich wenig, näm— lich nur 6 Tage, aufhielt. Während ſeiner Anweſenheit in dieſer Stadt erwarb ſich der Reiſende ſchon die Freundſchaft des britiſchen Conſu— latarztes Dr. Dickſon, der ihm bei ſeiner zweiten ſpäteren Reiſe nach dem Inneren Nord-Afrika's ſo viele wichtige Dienſte zu deren För— derung leiſtete. Am 2. April verließ er die Stadt, und, indem er wiederum der Küſte folgte, durchzog er die grauenvolle Sand— wüſte am Südrande des bekanntlich ſchon im Alterthume unter dem Namen der großen Syrte erwähnten Meerbuſens von Sidra und er— reichte endlich nach einem 105 geogr. M. langen Wege am 4. Mai den von nicht weniger, als 70 Mann bedurft hätte, um von Sfäkes nach den Ruinen von Sbitla zu kommen (Wanderungen I, S. 179). H. Barth's Leben und Wirken. 65 durch den Seeverkehr mit Malta und den Landhandel mit dem Innern Afri— ka's, namentlich mit Uadar (Bull. de la soc. geogr. 3 we Sér. IX, 246 — 253; XI, 50—54; XIII, 86; Barth J. 384, 482) wieder aufblühenden Ort Bengaſi an der weſtlichen Grenze des alten Cyrenaica. Aber die Ungeduld, den klaſſiſchen Boden dieſes in neuerer Zeit durch die Italiener de la Cella und den P. Pacifico, den leider zu früh verſtorbenen verdienſtvollen fran— zöſiſchen Forſcher Pacho, durch den Engländer, Capitain Beechey, und neuer— dings wieder durch den franzöſiſchen Conſul Vattier de Bourville aus an— derthalbtauſendjähriger Vergeſſenheit hervorgezogenen Landes vom archäo— logiſchen Standpunkte aus genauer kennen zu lernen, trieb unſeren Rei— ſenden ſchon nach dreitägiger Raſt von Bengaſi fort, und es glückte ihm in der That, während eines Z wöchentlichen Aufenthalts (vom 8. bis 28. Mai) die wichtigſten Punkte der überaus intereſſanten Landſchaft zwiſchen ihrem weſtlichſten Anfangspunkte Bengaft und ihrem öſtlichſten Derne zu ſehen und ſogar ſo vollſtändig zu unterſuchen, daß deren Schil— derung in unſeres Forſchers Reiſewerke einen der vollſtändigſten und wich— tigſten Abſchnitte bildet, worin die Arbeiten ſeiner eben genannten Vor— gänger die mannigfachſten Erweiterungen und Berichtigungen erhielten. Am 29. Mai verlies der Reiſende das durch ſeine üppige Vegetation an— muthige Derne, um den letzten Abſchnitt ſeiner langen Wanderung bis zum ägyptiſchen Nilthale zurückzulegen. Er mußte die im Alterthum unter dem Namen der Marmarica bekannte Landſchaft durchziehen. Hier, wie auf der ganzen Tour am Südrande des Mittelmeeres traf er überall Spuren einer früheren fleißigen Ackerbau- Bevölkerung, hier fehlten nirgends die Reſte ehemaliger Ortſchaften, überall ſah er die Spuren einer einſtigen großartigen Thätigkeit inmitten wüſter verödeter Land— ſtriche und einer verwilderten, herabgekommenen Bevölkerung. Nirgends fand er überhaupt mehr, als in den alttürkiſchen, von ihm durch— zogenen Landſchaften die Wahrheit des Sprichworts beſtätigt, daß da, wohin der Osmanli ſeinen Fuß ſetzt, kein Grashalm mehr wächſt. Aber, ehe es dem Reiſenden möglich wurde, die Grenzen des gaſtlicheren Aegyptens zu betreten, traf ihn auf der unſicheren Grenze Tripolita— niens und Aegyptens, am ſogenannten Katabathmos, wo Verbrecher beider Länder geſammelt zu ſein pflegen, das Unglück, bei einem Anfalle von Räubern am 7. Juni 1846 faſt ſeine ganze Habe und namentlich ſeine Tagebücher und Skizzen zu verlieren, ja mit Mühe rettete er Zieitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 5 * A 66 Gumprecht: ſein Leben, indem er durch eine Kugel und durch Schrotkörner erheb— lich im Oberſchenkel verletzt wurde. Ueber den afrikaniſchen Theil ſei— ner Reiſe gab Barth bald nach ſeiner Rückkehr nach Europa einen ge— nauen und überaus reichhaltigen Bericht in ſeinem Werke: Wande— rungen durch die Küſtenländer des Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 1845, 1846 und 1847. Erſter Band: das nordafrikaniſche Geſtadeland, Berlin 1849, heraus. Unzweifelhaft hätte dieſe treffliche Arbeit aber eine noch viel vollkommenere Geſtalt erhalten, wäre es dem Verfaſſer möglich geweſen, dabei ſeine genau geführten Tagebü— cher zu benutzen. Aller angewandten Bemühungen ungeachtet, und obwohl die britiſchen Conſuln ſich bei den ägyptiſchen und tripolitani— ſchen Behörden eifrigſt verwandten (Wanderungen I, 543 — 545), um durch ernſthafte Maßregeln derſelben unſerem Reiſenden zur Wie— dererlangung ſeiner Papiere und übrigen geraubten Habe zu ver— helfen, war dies unmöglich, da die Beſchaffenheit des Terrains an der Beraubungsſtelle, beſonders aber die Machtloſigkeit ſelbſt der Be— hörden in jenen Gegenden bei deren beſtem Willen nicht zu einem erwünſchten Reſultat geführt haben würde. Ein Theil von Barth's Werk iſt deshalb nur aus den glücklicherweiſe ziemlich ausführlich von der Reiſe in die Heimat geſchriebenen Briefen, dann aus einem zu— fällig geretteten Brouillon und endlich mit Hilfe des trefflichen Gedächt— niſſes des Reiſenden verfaßt worden. Der Text des Werkes erſchien in 9 Abſchnitte getheilt; zu jedem Abſchnitt gehört ein anderer, beſte— hend aus einer Reihe überaus werthvoller Noten, die Erläuterungen ein— zelner Stellen des Textes ſind. Endlich enthält das Werk eine von H. Lange gezeichnete Karte von Nord-Afrika, worin Barth's Reiſeroute roth ein— getragen iſt. Dem Unglücksfalle iſt leider auch beizumeſſen, daß das Werk keine einzige von Barth's zahlreich gemachten Skizzen und von ſeinen Abſchriften der Inſchriften enthalten konnte, aber trotz dieſer von dem Verfaſſer nicht verſchuldeten Mängel wird ſeine Arbeit ſtets ein höchſt ehrenwerthes Monument deutſcher Gründlichkeit und deutſchen Forſchens und eine reiche Fundgrube zur Kenntniß der nordafrikani— ſchen Küſtenlaͤnder bleiben, da es kaum einen Vorgänger Barth's ge- geben haben dürfte, der mit gleich gründlicher Vorbereitung an die Ausführung ſeines Unternehmens gegangen wäre. Seinen Aufenthalt in Aegypten benutzte der Reiſende zuerſt zu H. Barth's Leben und Wirken. 67 einer Nilreiſe bis zur zweiten Katarakte von Uadi Halfa, dann zu einer Wüſtenreiſe von Afjuan nach den zuerſt bekanntlich durch Belzoni im Jahre 1819 aufgefundenen Ruinen der alten ptolemäiſchen Seehan— delsſtadt Berenice, worauf er ſeine Forſchungen durch die peträi— ſche Halbinſel und Paläſtina fortſetzte. In dem zweiten Theil feines Werkes, der aus den gleich anzuführenden Gründen nie erſchie— nen iſt, verſprach Barth eine Schilderung dieſer Touren, ferner einen Bericht über feine Reiſe von Berüt durch das nordſyriſche Küſtenland und Cilicien, ſowie durch Cypern, endlich einen Bericht über ſei— nen Zug durch die alten Landſchaften Pamphylien, Lycien mit Rhodos, Jonien, Lydien, Aeolien, Troas und Bithynien zu geben. Stambul war das endliche Ziel ſeiner faſt dreijährigen Wanderungen, indem er Griechenland nur auf der Heimreiſe berührte. Die namhaften, etwa 14000 Thlr. betragenden Koften feiner Reiſe hat Barth ganz aus eige— nen Mitteln getragen und dadurch einen ſchlagenden Beweis gegeben, welche Opfer nach allen Seiten hin der treffliche Mann den Wiſ— ſenſchaften zu bringen fähig war. Aber dieſe Reiſe hatte ihm auch die Frucht gebracht, daß fie ihn als einen frühgereiften, vielſeitig ges kannten und geachteten Mann mit einem ſeltenen Schatz von Erfah— rungen in die Heimat zurückbrachte, und daß ſich von nun an an ihn die Hoffnung knüpfte, die Wiſſenſchaft werde aus ſeiner unermüdlichen Thätigkeit und ſeiner verſtändigen Benutzung des Materials die man— nigfachſten Früchte gewinnen. Bald nach der Rückkehr gelangte Barth endlich zu der Ausfüh— rung ſeines Jugendplans, in das wiſſenſchaftliche Lehrverhältniß ein— zutreten, und er habilitirte ſich deshalb im Frühjahr 1848 an der hieſi— gen Univerſität als Privatdocent, aber die Erfolge der von ihm ange— kündigten Vorleſungen über die Geographie des nördlichen Afrika, die Geſchichte der griechiſchen Colonien und alte vergleichende Geographie entſprachen nicht ſeinen Erwartungen; deſto eifriger benutzte er ſeine Zeit zur Bearbeitung ſeines Reiſewerkes, wovon der erſte Band nur eben wenige Monate vor dem Antritte der zweiten Reiſe glückli— cher Weiſe beendet worden war. Aus dieſer Beſchäftigung wurde er plotzlich hinausgeriſſen, als der Plan der britiſchen Regierung, eine neue Unterſuchungs-Expedition nach dem Innern von Nord-Afrika 5.5 63 Gumprecht: durch den von einer früheren ähnlichen Reiſe ſchon bekannten Richard— ſon ausführen zu laſſen, nach langen Verzögerungen zur Reife gedieh. Der damalige Königliche Geſandte am britiſchen Hofe, Herr Bun— ſen, ſelbſt ein ausgezeichneter Gelehrter, der beſonders auch der älte— ren Geſchichte Afrika's langjährige Studien gewidmet hatte, wovon ſein bekanntes großes Werk über die Geſchichte des alten Aegypten ein treffliches Zeugniß giebt, ging bei dieſer Gelegenheit ſofort auf Herrn A. Petermann's Idee ein, daß dem britiſchen Reiſenden, deſ— ſen Kenntniſſe überhaupt höchſt mangelhaft geweſen zu ſein ſcheinen, ein junger Deutſcher als Naturforſcher mitgegeben werden möchte, weil man Reſultate für die Naturwiſſenſchaften am wenigſten von Richard— ſon erwarten durfte. Durch ſeine hohe amtliche Stellung, nament— lich aber durch langjährige befreundete Verhältniſſe mit den bri— tiſchen Staatsmännern aller Parteien wurde es Herrn Bunſen leicht, die Erlaubniß von der britiſchen Regierung zu erwirken, daß ein deutſcher Naturforſcher Richardſon begleiten dürfe, aber die finan— ciellen Mittel, dieſen Plan zur Ausführung zu bringen, waren in dem reichen England nicht ſofort zu erlangen. Herr Bunſen wurde genöthigt, ſich deshalb nach Deutſchland, und zunächſt nach Berlin zu wenden, ſo daß Deutſchland auch dieſes Mal nicht allein die Perſo— nen, ſondern auch die Mittel beſchaffen mußte, damit Richardſon's Er— pedition einen wiſſenſchaftlichen Charakter erhielt. In Berlin fand ſich eben zufällig Dr. Adolph Overweg, ein geborner Hamburger, vor, der ſich mit Geologie beſchäftigt hatte. Als an dieſen die Aufforde— rung erging, Richardſon als Naturforſcher zu begleiten, erklärte er ſich ſofort dazu bereit; die hieſige geographiſche Geſellſchaft hatte das Verdienſt, durch Bewilligung von 1000 Thalern zur vorläu— figen Beſtreitung der Reiſekoſten Overweg's Mitſendung zu ermög— lichen“). Aber viel wichtiger war bei dem Entſchluſſe Overweg's, ) Menatsber. VIII, 87. Später bewilligte die geographiſche Geſellſchaft aus ihren Mitteln einen weiteren Zuſchuß von 1000 Thalern zur gemeinfchaftlichen Unter— ſtützung Overweg's und Barth's, eine Summe, die durch die Gnade Sr. Majeſtät, des Königs Friedrich Wilhelm IV., mit 150, durch die phyſikaliſche Geſellſchaft in Königsberg mit 100 Liv. Sterl., und durch Private ferner um noch 300 Thaler verſtärkt wurde. Aber die fo auf etwa 3000 Thlr. Pr. Cour. angewachfene Summe gelangte nicht mehr an ihre Beſtimmung, da längere Zeit von den Reiſenden keine Nachricht eingegangen war, und man deshalb in London nicht wußte, wohin das Geld ge- H. Barth's Leben und Wirken. 69 daß durch denſelben ſein Freund und Landsmann, Barth, beſtimmt wurde, ſich der Expedition anzuſchließen, und zwar, wie er ausdrücklich erklärte, auf eigene Koſten. Da nach dem Schluſſe der langen Berathun— gen in England über das Stattfinden der Reiſe deren endliche Aus— führung ſehr beeilt wurde, ſo mußte der Entſchluß Barth's ſehr raſch gefaßt werden. Es geſchah dies in der That bei Barth's Ener— gie im Verlauf weniger Tage, und, da Herr Bunſen unſeren Reiſen— den von ſeinem früheren Aufenthalte in London perſönlich kannte, ſo verwandte er ſich auch für ihn bei der britiſchen Regierung bereitwil— ligſt, und zwar mit dem erwünſchteſten Erfolge. Man begriff näm— lich in England ſehr wohl, daß ein Mann von Barth's genauer Kennt— niß der afrikaniſchen Verhältniſſe und von ſeinem Sprachtalent, beſon— ders aber feiner Kenntniß des Arabiſchen und feinem abgehärteten Körper ein überaus nützliches Glied der Expedition ſein würde. Dennoch ließ man ſich nicht dazu beſtimmen, obwohl Richardſon's geiftige Kräfte und Kenntniſſe nur einigermaßen erhebliche Reſultate der Reiſe keineswe— ges in Ausſicht ſtellten, für Barth's und Overweg's Reiſe bis Fezzan mehr, als 100 Liv. Sterl, und nicht mehr, als weitere 100 Liv. Sterl. für die Reiſe von Fezzan nach Bornu (Monatsber. VIII, 87; IX, 343) als Beihilfe zu bewilligen, d. h. zuſammen gerade ſo viel, als M. Park zur Ausführung richtet werden ſollte, Overweg's Tod erfolgte und endlich Barth gewiſſermaßen in die Dienſte der britiſchen Regierung als Richardſon's Nachfolger trat. Ein Theil der Summe wurde demnach bei dem Abgange der Herren Vogel und Bleek nach Afrika zu deren Ausräftung verwandt. Es erſchien nicht unzweckmäßig, hier dieſe Opfer der beiden Geſellſchaften anzuführen, da wohl noch nie Privatvereine, ſoviel mir bekannt iſt, Opfer von dieſer Höhe für ähnliche Zwecke gebracht haben. Herr von Humboldt ſprach ſich bei der erſten Bewilligung der Berliner Geſellſchaft folgendermaßen hier— über aus: „Eine Unterſtützung von 1000 Thalern iſt allerdings eine beträchtliche Aufopferung für die geographiſche Geſellſchaft; es iſt aber eine ehrenvolle und ihrer würdige, und die kühne Hingebung des Mannes, der ſich zu einer gefahrvollen Reiſe anbietet, verdient ſolche aufmunternde Beihilfe.“ (Monatsber. VIII, 88.) Da dieſe Thatſachen auch dem größeren Publicum nicht unbekannt waren, fo iſt es nur der abſoluteſten Unwiſſenheit beizumeſſen, wenn ein deutſcher Correſpondent der Augsburger Allgemeinen Zeitung vor 4 Jahren bei Erwaͤhnung der Reiſe Barth's und Overweg's Gelegenheit nahm, den Engländern alles Verdienſt bei die— ſer Gelegenheit beizumeſſen und überhaupt das Verfahren der Engländer bei ſolchen Unternehmungen den Deutſchen zum Muſter vorzuſtellen. Und doch hatte keine ein— zige engliſche Geſellſchaft das mindeſte für Barth und Overweg hergegeben, und wie kärglich die Unterſtützung der Erpedition ſelbſt durch die britiſche Regierung war, werde ich gleich erwähnen. 70 Gumprecht: ſeiner erſten unſterblichen Reiſe auch nur von der engliſchen Regie— rung erhalten hatte!). Schon Mitte November 1849 verließen die beiden Freunde voll heiteren Muthes, unbekümmert um die ihnen wohl— bekannten Gefahren auf der weiten Reiſe, von welcher keiner von bei— den heimkehren ſollte, Berlin und begaben ſich nach kurzem Aufent— halte zu London und Paris nach Marſeille, von wo ſie ein Dampf— ſchiff nach Afrika führte, deſſen Boden ſie zuerſt zu Philippeville am 11. December erreichten. Mit dem Dampfer gelangten ſie weiter nach Bona, dann nach Tunis, wo noch viele Reiſebedurfniſſe angekauft werden mußten, welche in Tripoli, dem natürlichſten Eingangsthore in das Innere von Afrika, wo ſich die Glieder der Expedition verei— nigen ſollten, nicht zu beſchaffen waren, und endlich auf dem Land— wege längs der Meeresküſte über Suſa, Sfar und Dſcherbie nach Tri— poli ſelbſt. Ein geognoſtiſcher Bericht Overweg's über dieſen erſten Theil der Reiſe auf einem Wege, den, wie früher erwähnt, Barth bei ſeiner erſten afrikaniſchen Reiſe bereits zurückgelegt hatte, und über die Reiſe bis Murzük, findet ſich in den Monatsberichten VIII, S. 213 — 220. Die Herren G. Roſe und Beyrich erläuterten denſelben durch ſchätzbare Be— merkungen über die durch Overweg geſammelten Gebirgsarten und Verſteinerungen (S. 221 — 225). Durch das längere Ausbleiben Ri— chardſon's, ſowie einiger von London erwarteten Inſtrumente verzögerte ſich der Aufbruch der Expedition, und die beiden Forſcher benutzten ) Nur für den Fall, daß ſich die beiden Deutſchen von Richardſon trennen und im Oſten von Bornu Unterſuchungen vornehmen wollten, wurde zufolge des am 30. November 1849 zu London abgeſchloſſenen Vergleichs ihnen ein weiterer Vor— ſchuß von 200 Liv. Sterl. zugefichert, der fi) auf abermalige 200 ausdehnen ſollte, ſobald ſie dort tief in das Binnenland gelangten. Wie wenig aber faſt von Anfang an die der Expedition zu Gebot geſtandenen Mittel ausreichten, zeigte am beſten Richardſon's Beiſpiel, der, obgleich als Bevollmächtigter des großen und reichen Groß— britanniens reiſend, gleich nach dem erſten halben Jahre und noch zu einer Zeit, wo die Verbindung mit Tripoli völlig offen war, zur Beſtreitung der Directionskoſten ſich in die Noth verſetzt ſah, von Barth einen Vorſchuß zu entnehmen (Monatsber. IX, 235), dann die Thatſache, daß dieſer Reiſende 3 Jahre ſpäter mit Schulden gegen ſeinen Diener und Begleiter ſtarb, weshalb Barth, um die Ehre des britiſchen Gon— vernements aufrecht zu erhalten, ſich genöthigt ſah, mit Hilfe ſeiner eigenen Mittel Richardſon's Gläubiger zu befriedigen, obwohl ihm der Verſtorbene noch 91 Dol— lars ſchuldete. Siehe über dieſe und ähnliche Verhältniſſe neuerer britiſcher, im Auf— trage ihrer Regierung reiſender Agenten die Monatsberichte IX, 344, 345 — 346. nn H. Barth's Leben und Wirken. 71 deshalb ihr über zweimonatliches Verweilen, vom 18. Januar bis 23. März 1850, in Tripolitanien zu einigen Exeurfionen nach den intereſ— ſanteren Theilen des Landes, namentlich zu einer 21 tägigen (vom 3. bis 24. Februar) nach den höchſt intereſſanten und doch ſo wenig ge— kannten, im Süden von Tripoli gelegenen Ghariänbergen, über die der ſchwediſche Arzt Dr. Rothmann im vorigen Jahrhundert (Schlözer's Briefwechſel hiſt.-polit. Inhalts, 1776. 2. Aufl. H. VI, 326-342) und im Beginn dieſes Jahrhunderts der bekannte britiſche Forſcher in Fezzan, Lieut. (ſpäter Capitain) Lyon noch die ausführlichſten Nachrichten ge— geben hatten. Endlich am 23. März 1850 waren Richardſon und die Caravane, welche die Reiſenden nach dem Inneren Afrika's bringen ſollte, bereit. Ohne beſonderes Ungemach erreichte man den erſten be— deutenden Zielpunkt des Weges, die Hauptſtadt Fezzan's, Murzuk, wo die Europäer bei den türkiſchen Behörden, dem engliſchen Vice— conſul Gagliuffi und den Einwohnern das freundlichſte Entgegenkom— men fanden. Auf dem Wege dahin trafen die Reiſenden in jetzt völ— lig verödeten, einſt zu dem alten Garamantenlande gehörenden Gegen— den die mannigfachſten architectoniſchen Reſte, namentlich bei Mizda Säulen mit römiſchen Inſchriften und zu Tagidſche ein völlig erhal— tenes römiſches Grabmonument, deſſen Styl ganz an den berühmten Igelſtein bei Trier erinnert. Mit der Südgrenze des eigentlichen Tripolitaniens hörte unzweifelhaft im Alterthum das römiſche Reich oder wenigſtens der directe römiſche Einfluß auf, da in Fezzan ſelbſt nicht eine Spur mehr von römiſchen Reſten gefunden wird. Dieſe Gegend bildete alſo auch den Schluß für Barth's Thätigkeit als Ar— chäolog. Ueber die geognoſtiſche und paläontologiſche Ausbeute Over— weg's in Tripolitanien und auf dem Wege von Tripoli nach Murzuk und Ghät beſitzen wir eine ſehr bemerkenswerthe Arbeit von Herrn Beyrich in den Monatsberichten IX, 154 — 168. Nach 5 wöchentlichem Aufenthalt in dem letzt genannten intereſſanten, aber durch ſeine ungeſunden klimatiſchen Verhältniſſe, welchen die Reiſenden glücklich entgingen, übel berüchtigten Orte begann der weit ſchwierigere Theil des Zuges, nämlich der durch die Sahara, welcher für die Ca— ravane um ſo läſtiger wurde, als dieſelbe durch die Zeitverſäumniß zu Tripoli den Weg durch die große Wüſte in der heißen Jah— reszeit zurücklegen mußte, wo die wenigen Brunnen gewöhnlich ſchon 72 Gumprecht: verſiegt zu ſein pflegen. Dennoch wurden dieſe Hinderniſſe glücklich über— wunden. Trotz der Beſchleunigung der Reiſe, die dringend nothwen— dig wurde, weil den Caravanen, beſonders aber den europäiſchen Glie— dern derſelben, von den räuberiſchen und fanatiſchen Nomadenhorden der Tuaregs Gefahren drohten (Mon. IX, 233, 236), denen man ſich einzig durch Schnelligkeit entziehen konnte, litten die beiden deutſchen Forſcher viel weniger von den Beſchwerden der Reiſe, als ihr an Wüſten und afrikaniſches Klima gewöhnter engliſcher Begleiter; ja ſo wenig fand ſich namentlich Barth von den Anſtrengungen angegrif— fen, daß er im Lauf des Octobers von einem mitten in der Sahara ge— legenen Ort des Landes Ahir (Asben der Sudanneger), nämlich von Tin-Tellus aus, wo die Caravane einen unfreiwilligen 3 monatlichen Aufenthalt nehmen mußte, eine Excurſion nach dem 5 — 7 Tagereiſen weſtlich davon gelegenen und ſeit anderthalb Jahrhunderten durch kei— nen Europäer betretenen Lande Aghädez mit der wichtigen Hauptſtadt gleiches Namens unternehmen konnte. Hier fand unſer Forſcher die zuvorkommendſte Aufnahme, und es gelang ihm ſogar, einen Handelstractat mit dem Sultan des Landes abzuſchließen, wobei er in Vertretung Richardſon's als Agent der britiſchen Regierung auftrat. Freilich glauben wir nicht, daß durch ſolche inmitten Afrika's ab— geſchloſſene Verträge viel für engliſche und europäiſche Inter— eſſen gewonnen worden iſt. Ueber dieſen von den intereſſanteſten Re— ſultaten begleiteten Ausflug erhielten wir durch den Reiſenden eine Schilderung mit höchſt ſchätzbaren Beobachtungen, die uns mit einem bis dahin faſt völlig fremd geweſenen Theile Afrika's bekannt machte (Monatsber. IX, 271 — 291). Overweg verblieb während der ganzen Zeit in Tin-Tellus. Womit er hier ſeine Zeit ausfüllte, iſt un— bekannt, da die beiden einzigen von ihm aus jenem Orte zu uns gelangten Briefe, die vom 21. September und 17. October, an Herrn C. Ritter gerichtet, darüber keinen Aufſchluß geben. Erſt am 12. December vermochten die Reiſenden ihren Weg von Tin-Tellus aus fortzu— ſetzen, wobei ſie den ſüdlichſten Theil der Sahara durchzogen, bis ſie endlich am Schluſſe des Jahres an die Grenze der letzten gelangten. Schon am 1. Januar 1851 begannen ſie den ſanften Abhang des Sa— haraplateaus in das Land der Neger oder in den ſogenannten Sudan hinabzuſteigen, wo fie auch ſofort ftatt des dürren waſſer- und pflan— H. Barth's Leben und Wirken. 73 zenloſen Felsbodens des Plateau's, welchen ſie faſt von Tripoli an, das ſelbſt nur als eine Oaſe in der Wüſte gelten kann, bisher Mo— nate lang überſchritten waren, Waſſer- und Culturſtrecken mit einer im Allgemeinen ſeßhaften Bevölkerung, namentlich aber eine üppige Wald— vegetation antrafen. Nur wenige Tage darauf erreichten ſie Da— mergu, eine Grenzlandſchaft der Tuaregs, gegen das Reich Bornu, welche durch ihre Lage für den Handel dieſer Gegenden wichtig iſt; aber ſchon am 11. Januar trennten ſie ſich, indem Richardſon in öſtlicher Richtung zuvörderſt über Zinder, einen Ort von 10000 Ein- wohnern, nach der Hauptſtadt Bornu's, Kuka, zu ziehen beabſichtigte, Barth den Weg nach Südweſten nach dem Lande Haüſſa und deſſen beiden großen, durch Clapperton vor 31 Jahren beſuchten Handels— ſtädten Kaſchna und Kano wählte, Overweg aber ſich nach Weſten und zwar nach den nördlich von Sokoto gelegenen Landſchaften Güber und Mariädi wandte. Warum die Trennung geſchah, iſt unbekannt; ja es ſcheint faſt, daß ſie nicht aus richtigen Principien erfolgte, da die 3 Europäer zuſammen in den Augen der Eingeborenen ſicher— lich eine Art Macht gebildet hätten und ſie ſich nun durch die Trennung der gegenſeitigen Unterſtützung im Fall der Noth beraubten. Ueber— dies waren ſie einzeln bei ihrer mangelhaften Sprachkenntniß in einer ihnen völlig fremden Region viel mehr von der Willkür der Eingebo— renen abhängig, als wenn ſie alle drei vereinigt blieben. Wirk— lich fanden ſie ſich ſo auch nicht wieder zuſammen. Denn kaum 7 Wochen darauf ſtarb Richardſon in der Nacht vom 3. bis 4. März zu Ungürütua, einer Stadt Bornübs, nach kurzem Krankenlager, noch ehe er Kuka erreicht hatte. Seine Tagebücher rettete glücklicher Weiſe Barth, der ſie nach Europa ſandte, wo ſie bald darauf in zwei Bän— den durch Richardſon's Freund Bayle St. John in zwei Bänden un— ter dem Titel: Narrative of a mission to Central-Africa, perfor- med in the years 1850 — 1851 by the late James Richardson 8. London 1853 herausgegeben wurden und bei ihrer bewunderns— werthen Vollſtändigkeit (ſie waren von dem Reiſenden bis wenige Tage vor ſeinem Dahinſcheiden, nämlich bis zum 21. Februar, fort— geführt worden) einen ſehr genauen Bericht über die Ereigniſſe der gemeinſchaftlichen Reiſe, ſo wie mannigfache andere, ſehr ſchätzbare Notizen über die beſuchten Gegenden liefern. Dürfen wir auch er— 74 Gumprecht: warten, daß Barth's hinterlaſſene Tagebücher von viel höherem wiſſen— ſchaftlichem Werth, als die feines Gefährten, find, jo müſſen wir doch dankend anerkennen, daß der Verſtorbene es an Thätigkeit nicht hat fehlen laſſen, Nachrichten von den Eingeborenen zu erfragen und über die Begebenheiten der Reiſe einen möglichſt genauen Bericht zurückzu— laſſen. Glücklicher waren vorläufig feine beiden Gefährten, indem es Overweg gelang, Mariädi und Güber zu erreichen und hier, wo er bei den Landesbewohnern und ihrem Herrſcher die freundlichſte Aufnahme fand, faſt 2 Monate lang zu verweilen. Es iſt dies um ſo mehr rühmend zu erwähnen, als nach Mariädi bisher noch kein Weißer gekommen und auch Güber nur an ſeinem Südrande durch Clapperton, und zwar im Gefolge eines feindlichen Fellanheeres, betreten worden war (Clapper— ton Journal 186 — 189). Eben fo glücklich war Barth, der zuerſt Olaloal, Damergu's Hauptſtadt, paſſirte, dann nach Hauſſa gelangte und hier das Fellanreich von Sokoto betrat. Hinter Olaloal beſuchte derſelbe Kaſchna, und er erreichte endlich Anfangs Februar Kano, be— kanntlich mit Timbuktu die größte Handelsſtadt Central-Afrika's, über deren Handelsgröße ſchon Clapperton's höchſt intereſſante Schilderung (Denham II, 40— 66) belehrt hatte, und die ſogar von Barth, mit ſeines Vorgängers Darſtellung übereinſtimmend, das London des Sudan genannt wird. Hier verweilte Barth unter günſtigen Umſtän— den bis Anfang März, worauf er ſich nach Kuka auf den Weg machte, indem er vor der Trennung mit Richardſon die Verabredung getroffen hatte, daß ſie ſich am 1. April in dieſer Stadt zuſammentreffen ſollten, was aber des letzten Tod vereitelte. Overweg gelangte erſt 5 Wochen ſpäter, am 5. Mai, aber in beſter Geſundheit, nach Kuka, nachdem er zu Zinder Anfangs April Richardſon's Tod erfahren hatte. In Kuka und überhaupt in Bornü fanden beide Reiſenden bei dem früheren Be— herrſcher des Landes die nämliche wohlwollende Aufnahme, deren ſich hier einſt Denham, Oudney, Clapperton, Toole und Tyr— whit zu erfreuen gehabt hatten (Monatsberichte IX, 345), und die in der neueſten Zeit auch Vogel zu Theil geworden iſt. Der Vezier von Borna, muthmaßlich derſelbe, der zwei Jahre darauf bei einer Re— volution fein Leben verlor (Zeitſchr. III, 63) ſchoß Barth ſofort 100 Dol— lar's vor, da dieſer ganz von Mitteln entblößt war und wodurch es ihm möglich wurde, wenigſtens zum Theil Richardſon's Dienerſchaft zu be— H. Barth's Leben und Wirken. 75 zahlen. Bald fühlten ſich beide Freunde wie einheimiſch unter den gut— müthigen Bewohnern des Landes, die ganz dem Charakter der Fellans und noch mehr dem der Tuäregs und Wüſtenaraber entgegen, in hohem Grade tolerant und menſchenſreundlich bei fremden Leiden ſind. Aber lange vermochte unſer raſtloſer Forſcher nicht an einer Stelle zu ver— weilen. Während Overweg zu Kuka blieb und das zur Beſchiffung und Erforſchung des Tſadſeeis beſtimmte, in Malta gebaute und ſtück— weiſe bis Kuka mitgebrachte Boot zuſammenſetzen lies, verſuchte Barth eine Erxcurſion nach Süden in die große, ſchöne und reiche, gegenwär— tig den Fellans von Sokoto gehörende Landſchaft Adamäua, die bisher einzig nur dem Namen nach bekannt geweſen war. Am 29. Juni reiſte er ab; auf ſeinem Wege nach Adamaua's Hauptſtadt Pola hatte er am 18. Juni das Glück, zwei große Quellſtröme des Niger, den Be— nué und Faro, kurz vor ihrer Vereinigung an der Taepe genannten Stelle kennen zu lernen (Monatsber. IX, 368; Petermann Account. 8.) und die aſtronomiſche Lage dieſes wichtigen Punktes, deſſen Kenntniß zu den weſentlichſten Ergebniſſen der ganzen Reiſe-Unternehmung gehört, in 8% n. Br. und 1337 öſtl. L. von Gr. zu beſtimmen. Aber leider war es Barth nicht vergönnt, einen längeren Aufenthalt in Adamaua zu neh— men, indem der Fellanſtatthalter, der ſich wahrſcheinlich ohne Inſtruction über den verdächtigen, legitimationsloſen, weißen Fremdling befand, ihn ſchon nach dreitägigem Aufenthalt zu Pola auswies. So ging Barth gezwungen nach Kuka zurück, wo er am 22. Juli glücklich anlangte. In ſeiner Abweſenheit war es Overweg mit Hilfe arabiſcher Zimmerleute gelungen, das Boot aus ſeinen Stücken zuſammenzuſetzen und es zwiſchen dem 28. Juni und 8. Auguſt zur Befahrung des Tſad zu benutzen, indem er demſelben den Namen Lord Palmerſton beilegte. Dieſe Beſchiffung des Sees durch einen Europäer war die erſte ihrer Art und ein würdiges Seitenſtück zu der erſten Fahrt auf dem mittleren Niger, welche bekanntlich M. Park im Jahre 1805 in His Majestys Shooner Joliba unternommen hatte. Doch gelang es Overweg nicht, eine Rundfahrt längs den Rändern des ganzen Sees auszufüh— ren, und es blieben namentlich die von der früheren britiſchen Erpedi— tion unerforſcht gelaſſenen weſtlichen und nordöſtlichen Ränder auch jetzt ununterſucht, ſo daß Herrn Petermann's große Karte des öſtli— chen Central-Afrika bei der Darſtellung des Tſad deſſen Contouren 76 Gumprecht: nicht weſentlich abweichend von denjenigen giebt, welche ſich auf Denham's Skizze des Sees finden, obwohl Overweg ſelbſt verſicherte, daß die Di— menſionen des letzten viel kleiner ſeien, als Denham behauptet habe (Monatsber. IX, 371). Overweg's Verſicherung kann indeſſen neben Denham's Angaben ſehr wohl beſtehen, da es durch ſeine eigenen und Barth's Erkundigungen (ebendort IX, 345, 351), dann durch die neueren Vogel's (Zeitſchrift III, 70) feſtſteht, daß der Tſad eine ſehr veränderliche Größe hat, und daß er zuweilen nur ein Sumpf iſt, ja daß er periodiſch faſt völlig austrocknet, weshalb die Grenzen des Sees ſchwer zu firiren fein möchten und deſſen geographiſche Bedeutung ſich zu verſchiedenen Zeiten ſehr verſchieden den Reiſenden darſtellen muß. (S. über dieſe Verhältniſſe des Tſad Monatsber. IX, 351 — 352.) Nur ein aſtronomiſcher Punkt und die ſpeciellere Kenntniß der in dem See gelegenen großen Inſelgruppe des Biddumas wurde durch Overweg's eigene Beobachtungen für die Erdkunde gewonnen, da Den— ham und ſeine Gefährten nicht bis zu derſelben gelangt waren. Die nächſtfolgenden Monate bis zum November 1851 verblieben beide Reiſende zu Kuka, indem ſie wohl durch den Zuſtand ihrer financiellen Mittel an weiterer Thätigkeit gehindert waren. Ein Be— richt über den Verlauf ihrer ganzen bisherigen Reiſe nach den in Deutſchland und England eingegangenen Documenten wurde bereits früher in zwei größeren Aufſätzen veröffentlicht, indem den einen, die Reiſe von Tripoli nach Murzuk betreffend, Herr C. Ritter in den Monatsberichten VIII, 81 — 132, den anderen über die Reiſe von Murzuk bis zum 1. September 1851 ich ſelbſt (ebendort IX, 202 — 371) bearbeitet hatte. Namentlich bemühte ich mich, in meiner Zuſam— menſtellung durch einen fortlaufenden Commentar die Ausbeute der Reiſe mit den früher über Central-Afrika bekannt gewordenen Nachrich— ten in eine erklärende Verbindung zu bringen. Erſt vom September bis November unternahmen die Reiſenden, ver— eint mit dem aus Tripolitanien an die Grenze der Sahara und Bornü's gezogenen arabiſchen Stamm der Auelad Sliman, d. h. Kinder Soli— man's (S. über dieſelben die Monatsberichte IX, 363 u. |. w.), eine Ercurſion nach dem Nordoſtrande des Tſad, und zwar ſpeciell nach dem ſeit dem Mittelalter und beſonders durch Abulfeda bekannt gewordenen Reiche Känem (Geographie von Afrika 294 und Mo— * — H. Barth's Leben und Wirken. 77 natsberichte IX, 350 u. ſ. w.), um von da nach dem großen Thal des Bahr el Ghazal (Monatsberichte IX, 363; Geographie von Afrika 295) und dem Reiche Nadal zu gelangen. Doch das Unter— nehmen mißlang gänzlich, indem das aus Arabern und Bornuern beſte— hende Corps, welchem ſich die Reiſenden nach ihrem am 15. September aus Kuka erfolgten Abgange angeſchloſſen hatten, bald nach deſſen räuberiſchem Einbruche in Käném von einem überlegenen feindli— chen Corps überfallen und gänzlich in die Flucht geſchlagen wurde. So gering war der Widerſtand ihrer Genoſſen, daß Barth und Over— weg nur mit Mühe ihr Leben und ihre Inſtrumente retteten. Schon am 17. November waren beide wieder in Kuka. Unter dieſen Umſtän— den fiel auch die Ausbeute nach dem, was in den wenigen nach Eu— ropa gelangten Briefen enthalten iſt und Herr Petermann aus Overweg's hinterlaſſenen Papieren mittheilte (An account 9), überaus ſpärlich aus. Die Erpedition war übrigens eine Rauberpedition derſelben Art, wodurch das unglückliche Käném ſeit langer Zeit faſt beſtändig ſeitens feiner mächtigeren Nachbarn in Bornt und Uadal, ja ſogar von Fez— zan aus gepeinigt und verheert wird, und ſie glich völlig, ſelbſt in ihrem unglücklichen Ausfalle, dem nach den von Fellan's bewohnten Ber— gen im Süden von Kuka ausgeführten Zuge, woran Denham Theil ge— nommen hatte, das ihn begleitende Bornuheer aber geſchlagen wurde, und wobei Denham nur mit höchſter Mühe ſein Leben rettete (Denham 1, 131 — 141). Einen ſehr erfreulichen Erfolg hatte der Zug nach Kanem jedoch dadurch, daß in dieſem verhältnigmäßig gefunden Lande (Mo— natsber. IX, 361) ſich Barth's in Kuka ſehr angegriffene Geſundheit, wie er ſelbſt ſpäter rühmte, wiederherſtellte Vom 25. November 1851 bis zum 1. Februar 1852 begleiteten darauf beide Fremde eine andere ähnliche Expedition in Begleitung eines Bornuheeres nach Süden und zwar nach dem durch Denham zuerſt dem Namen nach bekannt gewordenen, im Süden Kuka's gelegenen Reiche Musgo. Die Reſultate ihres 200 engl. Meilen langen Zuges waren dies Mal viel reicher, indem wir durch Overweg eine Reihe von Ortsbeſtimmungen erhielten, welche der Geographie dieſes Theils von Afrika eine feſte Baſis geben, da Denham, der einem Theil deſſelben Weges auf ſeiner Expedition nach Mandara gefolgt war, keine aſtronomiſchen Beobachtungen ange— ſtellt hatte. Es iſt dieſer Mangel in der That höchſt auffallend, weil 78 Gumprecht: man wohl hätte vorausſetzen dürfen, daß ein gebildeter, zu Entdeckungen in ganz unbekannten Gegenden von einer Regierung ausgeſandter Reiſen— der die nöthigen aſtronomiſchen Inſtrumente und die nöthige Geſchicklich— keit in deren Gebrauch beſeſſen haben müßte. Freilich ſind ähnliche Fälle auch bei nicht engliſchen Reiſenden in Afrika noch in ganz neuerer Zeit vorgekommen. Overweg's Beſtimmungen nach den Berechnungen des Herrn Profeſſor Enke haben wir bereits in dieſer Zeitſchrift II. S. 372 mitgetheilt. Endlich erfolgte von Ende März bis 20. Auguſt 1852 Barth's überaus wichtige Reiſe nach dem im Südoſten des Tſad ge— legenen großen Reiche Bägirmi (Geographie von Afrika 294), das jo wenig, wie Adamäua, Musgo und Känem je von einem Europäer betreten geweſen war. In Bägirmi's Hauptſtadt, Mafena (oder Moeto, Moyeto und Muééto, wie in der Geographie von Afrika S. 295 nach Fresnel's Erkundigungen im Bull. de la soc. de Geogr. 3 0e Ser. XIV, 156, 159, 166 angegeben war) !), gelang es Barth, längere Zeit zu verweilen, indem er, empfohlen durch ein Schreiben des dem Beherrſcher des Landes befreundeten Scheikh von Bornu, hier eine eben jo freundliche Aufnahme fand, als ſich beide Reiſende nächſt Bornu über: haupt überall in den eigentlichen Negerländern zu erfreuen hatten. Die weitere Fortſetzung der Reiſe in öſtlicher Richtung wurde Barth je— doch nicht geſtattet. Seinen Aufenthalt zu Maſenña benutzte er deshalb, eine kartographiſche Arbeit über die öſtlichen Negerländer zu vervoll— ſtändigen und überhaupt ein reiches Material zur Kenntniß der letzten und ihrer ethnographiſchen und linguiſtiſchen Verhältniſſe zuſammen zu bringen. So verfaßte er hier noch einen ausführlichen Bericht über die Geſchichte, Geographie und Ethnologie von Bägirmi, Madai und die be— nachbarten Landſchaften, und er ſammelte zugleich reichhaltige Vocabu— lare der Loggene-, Bagirmi- und Uadaiſprachen nebſt einigen minder— reichen von noch acht in jenen Gegenden geredeten Sprachen, jedes von 200 Worten (Petermann An account 10), Arbeiten, die ſämmt— lich noch nicht veröffentlicht worden ſind. Während feines Aufenthalts zu Mafena ging unſerem Reiſenden die erfreuliche Kunde zu, daß am 24. Juni endlich zu Kuka ein Schrei— ben Lord Palmerſton's nebſt neuen Geldmitteln angelangt ſei. Er be— ) Schon Hornemann hatte einen ähnlichen Namen, namlich Meſua, als den der Capitale Bägirmi's kennen lernen (Ed. Langles I, 16) f. H. Barth's Leben und Wirken. 79 ſchleunigte deshalb ſeine Rückkehr nach Kuka, wo er am 20. Auguſt anlangte. Mittlerweile war auch Overweg nicht müßig geweſen, indem er vom 24. März bis 22. Mai eine Excurſion nach dem großen, tief im Süden Kuka's und in der Nähe Adamäua's ſowie des unteren Niger (Kowara) gelegenen Lande Yacoba unternahm »); indeſſen ge— langte er nicht in daſſelbe, ſondern er kehrte ſchon vor demſelben um. Ein ſehr reichhaltiger Bericht über dieſe Ercurſion findet ſich in Herrn Peter— mann's Werk (S. 10 — 11), der um ſo ſchätzbarer iſt, als wir in Deutſchland keine Originalmittheilungen des Reiſenden darüber erhal— ten haben. Doch iſt zu bedauern, daß Overweg hier keine aſtrono— miſchen Beobachtungen angeſtellt hat, ſo daß Herrn Petermann's Karte für dieſe Gegenden nur nach Overweg's hinterlaſſenen Bemerkungen hat conſtruirt werden können. | Nach feiner Rückkehr verweilte Overweg mehrere Monate wäh— rend der ungeſunden Regenzeit theils zu Kuka, theils in dem Land— ſtriche zwiſchen den Flüſſen Do (Peu) und Dutſchi, indem er ſich mit deſſen Unterſuchung beſchäftigte. Barth traf ihn zu Kuka an, aber bald darauf (am 27. September 1852) erlag er dem Klima und den Folgen der erlittenen Strapazen, die feine Geſundheit untergraben hat- ten, zunächſt aber einem Fieber, das Dr. Vogel in ſeinem neueſten in Europa eingegangenen Schreiben (es wird ſpäter folgen) das gelbe genannt hat, und welches alſo ein Gallenfieber war. Das Specielle über dieſen Tod wurde bereits früher in dieſer Zeitſchrift durch Herrn Petermann mitge— theilt (J. 194 247). Wenige Monate blieb Barth nur noch zu Kuka, und, da die Ausſicht ihm abgeſchnitten war, in ſüdöſtlicher Richtung Afrika zu durchziehen und an den indiſchen Ocean zu gelangen, ſo entſchloß er ſich, den Verſuch zu machen, nach Weſten vorzudringen. Schon ) Boſchi ſoll indeſſen der eigentliche Name dieſes Landes, Pakoba nur der der Hauptſtadt fein (the country of Yacoba is called by the Mahometaus Bous hy or country of infidels I Clapperton bei Denham II, 281). Overweg ſchien aber den Namen Boſchi nicht zu kennen und nennt das Land nur Yacoba. In einer neueren Schrift des Miſſionar Koelle (African native literature or proverbs, tales, fables and historical fragments in the Kanuri or Bornu language. London 1854. S 238) wird Pakoba Pakuba genannt und auch geſagt, daß den letzten Namen, der ſicherlich erſt durch die Muhamedaner eingeführt wurde, eine Stadt, die einer der Hauptſitze der Fulahs ſei, habe. Boſchi (S. über Boſchi Monatsber. IX, 385 bis 386 u. Geogr. von Afrika 299) kommt übrigens in einem der durch Barth geſammelten Itinerare gleichfalls als Name eines Landes und Pakoba als deſſen Hauptſtadt vor (Monatsber. IX, 376, 377). 80 Gumprecht: am 1. Januar 1853 ſchrieb er aus Zinder nach Europa, worauf er am 1. April mit Alliyu, dem Fellanſultan von Sokoto, zuſammentraf und von ihm auf das Freundlichſte empfangen wurde. Endlich am 7. September erreichte er Timbuktu, das er erſt 7 Monate ſpäter, gegen den 23. März d. I.,, verlaſſen zu haben ſcheint, indem fein letztes durch uns mitgetheiltes (Zeitſchr. Bd. III, S. 515) und von dem genannten Tage datirtes Schreiben ſeine unverzügliche Abreiſe in Abſicht ſtellte. Barth's langer Aufenthalt zu Timbuktu war ihm höchſt unerfreulich, in— dem ihn die Sehnſucht, ſeinen Aufenhalt abzukürzen, peinigte, die unge— ſunde, aus den unermeßlichen Sümpfen von Cabra kommende böſe Athmo— ſphäre ſeine Geſundheit, wie erwähnt, untergrub, und endlich der Argwohn der überaus fanatiſchen Bevölkerung von Timbuktu, welche in ihm einen Chriſten vermuthete, ſo daß er nicht einen Augenblick ſeines Lebens ſicher war, ihn in ſteter Aufregung erhielt. Aber trotz der gefährlichen Krank— heit, die ihn bald nach ſeiner Ankunft zu Timbuktu überfiel, und un— geachtet der äußerſten körperlichen Schwäche, worin er ſich hier be— fand und die ſich eben dadurch am beſten kund giebt, daß er zum Schrei— ben der wenigen Briefe, die wir von ihm aus jener Stadt beſitzen, ſtets einen vierwöchentlichen Zeitraum gebraucht hatte, und daß er ſie wohl nur in Abſätzen zu ſchreiben vermochte, beſaß der Reiſende doch noch Lebenskraft genug in ſich, daß er zu Timbuktu eine große Karte der weſtlichen Negerländer anfertigen und auch bald nach ſeinem Ein— tritte daſelbſt die erſten aſtronomiſchen Beobachtungen anſtellen konnte, die er zu der Feſtſtellung der Lage des Orts, früher ein Gegenſtand vielen Streits unter den Geographen (Zeitſchrift II. 329 und 354 bis 356), benutzte. Denn auch durch ſeine aſtronomiſchen Beſtimmungen hat ſich Barth ein großes Verdienſt erworben, das um ſo dankens— werther iſt, als dergleichen Arbeiten früher nicht in den Bereich ſeiner Thätigkeit gehört hatten. Ueberhaupt war Barth nie mit dem rei— chen Umfange ſeines Wiſſens befriedigt, ſondern er ſtrebte immer da— hin, daſſelbe zu vermehren und tiefer zu begründen. Hatten ihn auch ſeine früheren Studien nicht zu der Aſtronomie geführt, ſo benutzte er doch nun mit Eifer die Gelegenheit feiner Reiſe, ſich darin Kenntniſſe zu erwerben, und ſo raſch übte er ſich in dem Gebrauche aſtronomiſcher Inſtrumente und der Berechnung der Beobachtungen ein, daß wir ihm ſchon die S. 75 erwähnten und in den Monatsberichten IX, 368 aus— führlich mitgetheilten wichtigen Poſitionen in Adamäua verdanken. a acer . q H. Barth's Leben und Wirken. 81 Ueber den ganzen Umfang der Thätigkeit Barth's während der letzten drei Jahre ſeines Aufenthalts in Central-Afrika oder ſeit ſei— ner Ankunft zu Kuka ſind wir leider ſehr unvollſtändig unterrichtet, indem in England und Deutſchland nur ſehr ſpärliche und kurze Nach— richten darüber eingegangen ſind. Was ſeit Begründung unſerer Zeit— ſchrift in dieſer geſammelt wurde, mußte ſich auf wenige Briefe Barth's über ſeine Reiſe nach Timbuktu und den Aufenthalt daſelbſt beſchrän— ken. Außerdem finden ſich nur in Journalen und Zeitungen noch einige briefliche Mittheilungen des Reiſenden über feine Züge nach Kä- nem und Bagirmi vor; aber auch dieſe find bisher nirgends zuſammenge— ſtellt worden. Da ich indeſſen durch die Güte des Königlich ſächſiſchen Oberlieutenants Herrn Schubert noch im Beſitze einiger intereſſanten Schreiben Barth's über ſeine Reiſe nach den eben genannten Ländern bin, ſo werde ich nicht unterlaſſen, dieſelben in Gemeinſchaft mit deſſen übri— gen, ſonſt veröffentlichten Nachrichten gelegentlich mitzutheilen, weil ſich dadurch die im Oſten und Süden von Kuka gewonnenen Reſultate beſſer überſehen laſſen. Herrn Petermann verdanken wir indeſſen in ſeinem oft genannten trefflichen Werke ſchon einen allgemeinen Ueber— blick über die Reſultate beider deutſchen Reiſenden ſeit ihrer Ankunft in Bornu aus den in England vorhandenen Materialien; leider ſcheint ſich unter den letzten nicht die große Beſchreibung von Uadal und Bagirmi zu befinden, da dieſe, obwohl unſer Reiſender ſie noch vor ſeinem Ab— gange nach Timbuktu abgefertigt (An account S. 10) und die Abſendung nach ſeinen Angaben gleichzeitig mit der Kartenſkizze und der in Bezie— hung auf die erwähnten Länder geſammelten Routenverzeichniſſe, endlich mit den vergleichenden Vocabularen vieler centralafrikaniſchen Spra— chen erfolgen ſollte (Zeitſchrift I. 206), bis zum 13. en 1853 leider noch nicht in London eingegangen war Ca. a. O. 206), obgleich. man hier die ſchon von Herrn Petermann in 2 85 Werke benutzten Itinerare beſaß. Hätte ein Unglück Barth's große Arbeit betroffen, ſo wäre dies für lange Zeiten ein unerſetzlicher Verluſt für die Erdkunde. Was ſonſt von Aufſchlüſſen über Barth's wiſſenſchaftliche Thaͤtig— keit in Central⸗Afrika ſich erwarten läßt, werden unzweifelhaft ſeine hinterlaſſenen Tagebücher ergeben, denn es läßt ſich bei unſeres For— ſchers Gewiſſenhaftigkeit mit vollem Grund erwarten, daß er von ganz ent⸗ Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 6 82 Gumprecht: gegengeſetzten Anſichten, wie Overweg, ausgehend!) dergleichen hinterlaſ— ſen und für ihre Erhaltung möglichſt Sorge getragen hat. Glücklicherweiſe beſitzen wir darüber einige poſitive Daten. Denn ſchon faſt im Beginn der Reife berichtet er in einem Schreiben an Herrn Lepſius aus Tin-Telluſt vom 12. September 1850: Zu gleicher Zeit ſende ich ein kurz aus- geführtes Journal nach Tripoli und deponire kes auf dem dortigen Conſulate, damit im Falle mir ſelbſt etwas Ernſt— haftes zuſtoßen ſollte, was ich jedoch nicht hoffe, ſo wenig Vertrauen ich auch zu der Stabilität meines Gepäckes habe, das Gewonnene nicht verloren geht (Monatsber. IX, 239), und ein Jahr ſpäter, am 1. September 1851, meldet er aus Kuka an Herrn Beke (Monatsberichte IX, 361), daß er ſein Tagebuch von Kuka bis Pola in Ordnung gebracht habe. Läßt ſich bei der damals meiſt offenen Verbindung zwiſchen Bornu und Tripoli erwarten, daß dieſe wiſſenſchaftlichen Schätze in Sicherheit gekommen ſind, ſo iſt deren Herausgabe auch mit Zuverſicht bald entgegenzuſehen, und wir dürfen nur den Wunſch ausſprechen, daß auch die Übrigen ) Am 7. October 1852 ſchrieb Barth in dieſer Hinſicht an Herrn Bunſen Fol⸗ gendes: Overweg's literariſche Nachrichten ſchicke ich Ihnen vollſtändig zu, aber es wird ſchwer ſein, daraus etwas zu machen, da er ſtets der Anſicht war, ein Tagebuch auf der Reiſe niederzuſchreiben, ſei lächerlich, das müſſe erſt nach der Rückkehr geſchehen (Zeitſchrift 1, S. 207). Und ferner äußerte fi) Barth übereinſtimmend damit in einem Briefe vom 28. September 1852 an Fräu⸗ lein Wilhelmine Overweg: Ueber ſeinen literariſchen Nachlaß werde ich Ihnen in den nächſten Tagen einige Zeilen hinzufügen, aber nach ſeiner ganzen Weiſe zu ſchließen fürchte ich, daß das ſehr ungeordnet und unvollkommen ſein wird; bloße Noten. Wirklich erwieſen ſich die in Europa angelangten und von Herrn Petermann durchgeſehenen Papiere Overweg's nur aus der Epoche des erſten Jahres der Reiſe (1850) und aus kurzen ſpäteren Perioden zur Benutzung brauch— bar. So war aus dem ganzen Jahre 1851 einzig für die Periode vom 25. Juni bis 12. Juli ein kurzes Fragment, und aus dem Jahre 1852 gleichfalls nur ein Frag: ment vom 24. März bis 26. Juni 1852 nutzbar. Die übrige literariſche Verlaſſen⸗ ſchaft des Veſtorbenen beſtand in mit Bleiſtift geſchriebenen und größtentheils uns leſerlichen Noten (Zeitſchrift 1, 213), und die Unleſerlichkeit der letzten geht lei— der ſogar ſo weit, daß auch Herr Petermann nicht im Stande war, vieles daraus zu entziffern (An account 7). Durch dieſen unglücklichen Umſtand, der leicht hätte ver⸗ mieden werden können, wenn Overweg ſeinen langen Aufenthalt zu Tin-Telluſt, Ma⸗ risdi und Kuka benutzt hätte, feine Noten zu einem förmlichen Reiſeberichte auszuar⸗ beiten und nach Europa zu ſenden, wie es neuerlichſt Vogel gethan, iſt leider ein we⸗ ſentlicher Theil der Ergebniſſe der Reiſe völlig verloren gegangen. H. Barth's Leben und Wirken. 83 literariſchen Monumente des Verſtorbenen, namentlich fein Tagebuch über den zweiten Theil der erſten Reife von Aegypten durch Syrien und Kleinaſien zur Veröffentlichung gelangen möchte. Die Herausgabe kann bei Barth's deutlicher Handſchrift nicht ſchwierig fein, und ſicher⸗ lich finden ſich in dem Tagebuch und in den von der Reiſe in Aſien geſchriebenen Briefen zahlreiche ſchätzbare, der Erhaltung würdige Be— obachtungen vor. Dagegen iſt kaum eine Hoffnung vorhanden, daß es Vogel gelingen wird, Barth's Tagebücher über ſeinen Zug nach Timbuktu und über den dortigen Aufenthalt zu retten, wiewohl er zu dem Zwecke Maßregeln getroffen hat, indem er ſofort, als ſich die Nachricht von Barth's Ableben zu Kuka verbreitete, einen ſeiner getreue— ſten Diener unter Anempfehlung größter Eile nach Merade oder Marisdi, dem Orte, wo Barth geſtorben ſein ſoll, ſandte, um deſſen Papiere und übrige Verlaſſenſchaft in Sicherheit zu bringen (S. hier S. 57). Ueber Barth's Schickſale von ſeinem Abgange aus Timbuktu bis zu feinem Tode, ja ſelbſt über feinen Todestag, beſitzen weder wir, noch das engliſche Miniſterium auch nach Vogel's eben in Europa ein- gegangenen Berichten die mindeſte ſichere Kunde. Was wir darüber er— fuhren, beſchränkte ſich anfänglich auf den Inhalt des mitgetheilten Schrei- bens Vogel's aus Kuka vom 18. Juli 1854 an ſeinen Vater und auf eine Mittheilung Lieut.-Col. Herman's an den Herrn Director Vogel und das engliſche Miniſterium. So wenig dieſe und die neueſten Nachrichten auf ſicheren Quellen beruhen, ſo ſcheint ihr Inhalt doch kaum bezweifelt werden zu können. Die erſten Nachrichten ſetzten den Tod, wie erwähnt, nach dem etwa 100 engliſche Meilen von Sokoto gelegenen und bisher unbekannten Orte Merade, während der franzö— ſiſche Moniteur vom 17. December 1854, ungewiß nach welcher Quelle, ein 12 Tagereiſen weſtlich von Kuka gelegenes und bisher ebenfalls unbekanntes Negerdorf Zimaten (was wahrſcheinlich eine Verwechſelung mit dem hier vielgenannten, 7 Tagereiſen weſtlich von Kuka gelegenen Orte Zinder iſt) als Todesort angiebt. Hielten wir uns an die erſte Quelle als die ſichere, fo mußte Merade ſofort für identiſch mit Mariädi, der zu— erſt durch d'Anville als Maraſa auf ſeiner Karte von Afrika und ſpäter von Lyon und Lander genannten Landſchaft Mariädi gelten. Ob Barth nun hier körperlicher Erſchöpfung und klimatiſchen Einwirkungen in der ungefunden Regenzeit, die in Hauſſa nicht weniger böfe, als in Bornü 6 * Ful 84 Gumprecht: iſt, und die er ſchwerlich noch einmal ertragen konnte, erlag, oder ob er durch Gift oder eine andere gewaltſame Handlung ſei- nen Tod fand, iſt bisher völlig unbekannt geblieben. Jede dieſer Todesarten hat Wahrſcheinlichkeit für ſich, die erſte namentlich nach Allem, was darüber früher hier mitgetheilt wurde (S. 56). Eine Ermordung könnte von Barth's Dienern aus Habſucht oder ſelbſt von den Mariadiern ausgegangen ſein. Daß jene ihm das Leben aus Habſucht nahmen, iſt kaum denkbar, da, wie Barth unmittelbar vor ſeinem Abgange aus Timbuktu andeutet, fein Gepaͤck nach dem langen Aufenthalt daſelbſt ſehr leicht geworden war (III, 518) und da es ſcheint, daß er Rückſtände an Lohn ſeinen Dienern ſchuldete, welche dieſe, wenn die Nachricht von einer durch ſie vollzogenen Ermor— dung ſich bis Bornü verbreitet hätte, von Vogel natürlich nichts hof— fen konnten. Ueberdem befanden ſich unter der Dienerſchaft mehrere, die lange um den Reiſenden waren und von denen alſo eine in— nigere Anhänglichkeit an ſeine Perſon erwartet werden durfte. Frei— lich muß das Verhalten der Diener, deren erſter, Ali Lagran, nach Barth's Tode von Kano aus zwei ſeiner Gefährten nach Kuka geſandt und den angeblich zu Mariadi erfolgten Tod ſeinem dort lebenden Nef— fen gemeldet hatte, auffallen. Sie hatten ſich nämlich, wie Herr Peter mann nach einer ſpäteren Mittheilung Vogel's in einem lithographirten Schreiben, Gotha vom S Jan. 1855, berichtet, nach Barth's Ableben und muthmaßlich nach Vertheilung ſeiner Hinterlaſſenſchaft unter ſich zerſtreut; Ali Lagran ſelbſt aber war von Kano, wo er ſich eingefunden, wieder ver— ſchwunden, wahrſcheinlich, wie Vogel meinte, auf die Nachricht, daß er ſich zu Kuka aufhalte. Die Auslegung, daß Barth durch die Mariadier ermor— det wurde, hat endlich auch einige Wahrſcheinlichkeit für ſich, beſonders da die Central-Afrikaner im höchſten Grade eiferſüchtig find, wie ſchon Clap— perton zu erfahren Gelegenheit hatte (Monatsber. IX, 359). Die heid- niſchen Mariädier und die Guberaner, ihre Nachbarn, ſtehen nämlich in einem mehr, als 60 jährigen höchſt blutigen Kampfe gegen die muhame— daniſchen Fellans von Sokoto. Da nun Overweg im Frühjahre 1851 ſich 2 Monate lang bei den Mariädiern aufgehalten hatte, und von ihnen höchſt freundlich aufgenommen worden war, ſo durften ſie al— lerdings in den Weißen Gönner ihrer Sache erwarten. Sahen fie nun, daß Barth ſich zu ihrem Feinde, dem Sultan Aliyu begab, wo H. Barth's Leben und Wirken. 85 er gleichfalls freundliche Aufnahme fand, ſo mußten ſie natürlich mit mißtrauiſchen Blicken deſſen Bewegungen verfolgen, und, da bei den heidniſchen Negern die Weißen ihrer Waffen und geiſtigen Ueberlegen— heit wegen gewöhnlich als Zauberer gelten, von ihm durch ſeine anſchei— nende Parteinahme Nachtheil erwarten. Dürfte man ſich alſo wundern, daß ſie Barth, ſobald er in ihre Hände kam, aus dem Wege räumten? Jedenfalls war der Schritt des Reiſenden, unter dieſen Umſtänden durch das Land der Mariädier zu gehen, wenn er nur irgend einen anderen Weg wählen konnte, und ein ſolcher war wohl möglich, ſehr unpolitiſch. Wie groß das Mißtrauen der Central-Afrikaner gegen jede ihnen un— gewöhnliche Erſcheinung iſt, hatte Barth übrigens ſelbſt erfahren, als ihn der Fellanſtatthalter von Adamäua auswies, wobei freilich nicht außer Acht zu laſſen iſt, daß jede europäiſche Behörde in ähnlichen Fällen kaum anders gehandelt haben würde. Barth's myſteriöſes Verſchwinden hat in Europa und Afrika zum Theil einen Hoffnungsſchimmer, daß der Reiſende ſich noch am Leben be— finden möchte, rege erhalten. Es ſcheint aber ein ſolcher ſchwerlich ge— gründet zu ſein, um ſo mehr, als auch nach den Mittheilungen eines in Born im Lauf des vorigen Sommers aus Sokoto angelangten Geſandten dieſer in Hauffa gehört haben will, daß Barth zu Mariädi am Fieber geſtorben ſei. Welche Hoffnungen man ſelbſt zu Kuka nach den letz— ten aus Afrika eingegangenen Nachrichten in der Hinſicht noch hegte, er— giebt ein bei dem auswärtigen Amte zu London eingegangenes, an den Lieut.⸗Col. Herman gerichtetes und durch die londoner Blätter mitge— theiltes Schreiben eines in jener Stadt weilenden Engländers Church, deſſen Name bisher in keinem einzigen Berichte vorgekommen war und der erſt vor Kurzem mit dem unten weiter zu erwähnenden Mr. Henry Warrington !) nach Kuka gelangt zu fein ſcheint. Wir laſſen daſſelbe hier folgen: ) Auch von dieſem Mr. Henry Warrington war bisher nie in Vogel's oder an⸗ deren Berichten die Rede geweſen, ſo daß die Nachricht von ſeiner Reiſe nach dem Inneren von Nord -Afrika und feinem Tode uns faſt gleichzeitig in Europa zugegan- Fa iſt. Höchſt wahrſcheinlich war derſelbe gleich dem uns ſchon durch Barth und Dyverweg (Monatsber. N. F. VIII, 95), dann durch Vogel (Zeitfehrift I, 241) be⸗ f kannten Frederik W., ein Sohn des vieljahrigen britiſchen General-Conſuls dieſes Na⸗ } mens zu Tripoli, ein Schwager Laing's und alſo an das afrifanifche Klima von Ju— gend auf gewöhnt. Dennoch ſtarb er auf der Rückreiſe aus dem Innern zu El Dib- . 1 86 Gumprecht: Kuka, den 12. Auguſt. „Mein Herr! Da ich weiß, daß Dr. Vogel in einem durch Mr. Henry Warrington an Sie abgeſchickten Schreiben gemeldet hat, daß er die Nachricht von Dr. Barth's Tode erhalten habe, halte ich es für meine Pflicht, Ihnen folgende, mir heute Morgen zugekommene Mittheilungen zu machen, die, wie ich freudig glaube, uns ſehr hoffen laſſen dürfen, daß Dr. Barth in Sicherheit und die frühere Unglücksnachricht falſch geweſen ſei. Ein Sherif aus einem bei Timbuktu gelegenen Orte iſt hier angekommen; er verließ Timbuktu, wie er angiebt, vor ungefähr vier Monaten. Da⸗ mals war Dr. Barth noch dort und befand ſich vollkommen wohl; er wollte in kurzer Zeit nach Kuka aufbrechen und hatte ſich zu dieſem Zwecke vom Sultan von Timbuktu Briefe an die verſchiedenen Fella— tah-Häuptlinge, deren Gebiet er bei feiner Rückreiſe nach Kuka paſſi—⸗ ren mußte, zu verſchaffen gewußt, und er iſt, wie der Sherif meint, auf dem Wege dahin. — Ich bin geneigt, dieſem Berichte mehr Glau— ben, als den anderen beizumeſſen, da dieſer Sherif dafür kein Geſchenk erwartet und überdies ein ſolcher Fanatiker iſt, daß er uns Ungläubige gar nicht ſehen will, und Obiges einem arabiſchen Freunde Dr. Barth's in Kuka mitgetheilt hat. — Was mich aber die Todesnachricht noch mehr bezweifeln läßt, iſt der Umſtand, daß von einer großen Kara— vane, die hier aus Kauno (Kano. G.) angekommen iſt, kein Einziger davon gehört, oder einen der Diener geſehen hat, obwohl Einige dar— unter aus der Nachbarſchaft von Meroda kamen und dieſen Ort erſt 3 bis 4 Wochen, nachdem Dr. Barth geſtorben ſein ſoll, verlaſſen ha— ben. Da jedoch Maſſand, Dr. Vogel's Diener, von hier am 26. Juli nach Kauno abgereiſt iſt, um über Dr. Barth Erkundigungen einzuzie— hen, ſo habe ich große Hoffnungen, daß wir bald über ſein Wohlſein Bericht erhalten werden. — Von Dr. Vogel haben wir ſeit dem 19. Juli, an welchem Tage er uns verließ, nichts weiter gehört, und wir vermuthen ihn in Mandera. — Mr. Henry Warrington (ſein Tod beftätigt ſich) verläßt uns morgen. Wir find Gottlob Alle wohl.“ Bei genauerer Anſicht des Inhalts dieſes Briefes finde ich lei- lah in der Sahara, der uns durch Denham bekannt gewordenen (I, 30) und auf dem Wege von Bilma nach dem Tſad gelegenen Caravanenſtation. Ueber die Ver: anlaſſung zu feiner Reife in das Innere müfjen wir noch weitere Nachrichten abwarten. H. Barth's Leben und Wirken. 87 der nichts, was des Schreibers Hoffnungen beſtätigte. Daß ſich Barth noch am 23. Maͤrz zu Timbuktu befand, ſteht feſt; möglicher Weiſe hatte ſich ſeine Abreiſe um einige Tage verzögert; ſo konnte ihn alſo der am 9. Auguſt zu Kuka eingetroffene Sherif ſehr wohl 4 Mo— nate früher, was ziemlich genau auf das Ende des März oder den An— fang Aprils fällt, mit den Vorbereitungen zur Abreiſe nach Sokoto be— ſchaͤftigt gefunden haben. Daß Niemand von der aus Kano zu Kuka eingetroffenen großen Karavane etwas von Barth gehört hatte, iſt nicht unmöglich, ſelbſt wenn der Tod erfolgt war, da zwiſchen den heidni— ſchen Mariadiern und den ihnen feindlichen Fellans von Sokoto und Kano kein zu lebhafter Verkehr ſtattfinden mag; die aus Mariädi ſelbſt gekommenen Reiſenden mögen aber vielleicht ſich gar nicht um Barth gekümmert haben. Wurde Barth ermordet, ſo konnte leicht über dem Verbrechen in dem uncultivirten Afrika ein eben ſolcher Schleier verbreitet bleiben, wie er noch heute über Bathurſt's bekann— tem räthſelhaften, mitten im civiliſirteſten Europa und nur etwa 18 Mei— len von Nord-Deutſchland's Hauptſtadt im Jahre 1809 erfolgten Verſchwinden ruht. Hätte aber Barth noch im Juni oder Juli ge— lebt, ſo wäre es in der That höchſt auffallend, daß er bei ſeinem Wunſche, ſchon nach 3 Monaten zu Kuka zu fein (Zeitfchrift III, 518), hier bis Mitte Auguſts nicht eingetroffen war oder wenigſtens Kunde von ſeinem Befinden dahin gegeben hatte. Ein zweites, am 11. Januar durch die londoner Blätter mit- getheiltes, an Lord Clarendon aus Tripoli vom 28. November v. J. gerichtetes Schreiben des Lieut.-Col. Herman iſt faſt noch ärmer an Thatſachen und meines Erachtens nicht geeigneter, Hoffnung zu erwecken. Es lautet folgendermaßen: „My Lord! Ich habe die Ehre, Ew. Lordſchaft die Abſchrift eines mir geſtern zu Händen gekommenen Briefes von dem der afri— kaniſchen Expedition zugetheilten Mr. Church zu überſchicken, der die Nachricht von Dr. Barth's Tode ſehr ſtark in Zweifel ſtellt. Es iſt wahr, daß der Tod des unternehmenden Reiſenden, wie darüber Dr. Vo» gel in ſeinem Privatſchreiben vom 18. Juli berichtet, durch den Sul— tan von Bornu in einem Briefe an Ihre Majeſtät, den ich hier be— ſonders beilege, beſtimmt angekündigt wird, daß er mir dieſelbe Mit— theilung machte und daß dieſe durch die übereinſtimmenden Mittheilun— 88 Gumprecht: gen ſeines Verwandten Hadj Haſſem, welcher den Dr. Vogel von Mur— zuk nach Kuka begleitet hatte, beſtätigt wird. Aber man muß erwä— gen, daß der Sultan, Hadj und der Doctor ihre Nachricht alle aus derſelben Quelle ſchöpften. Die Wahrſcheinlichkeit der Sache dreht ſich um die Frage, ob Dr. Barth Socotu erreicht hat oder nicht. Ueber dieſen Punkt wiſſen wir nichts Beſtimmtes, doch ließe ſich aus dem Bericht des eben in Kuka eingetroffenen Sherifs auf den zweiten Fall ſchließen. Es wäre in der That unbegreiflich, daß ein ſo erfahrener Reiſender — der übrigens vor ſeiner Abreiſe von Timbuktu wiſſen mußte, daß Dr. Vogel in oder nahe bei Kuka angelangt war — So— cotu in Sicherheit erreicht haben ſollte, ohne ſofort einen Courier ab— geſchickt zu haben, um ſeine baldige Ankunft in Kuka anzuzeigen und dadurch die Vereinigung der beiden Parteien möglichſt ſicher zu ſtel— len. Eine fo einfache Vorſichtsmaßregel hätte wenigſtens Dr. Vogel abhalten können, einen unrichtigen Weg einzuſchlagen. Andererſeits müßte er, wenn er Socotu verlaſſen hat und in Meroda nicht vom Tode ereilt wurde, ſchon lange bei Zinder, der Baſis feiner Reiſemit- tel, angelangt ſein, von wo wir ebenfalls entweder über Murzuk oder Ghadames von ihm hätten hören müſſen. — Gegen dieſe letzte An— nahme ließe ſich allerdings einwenden, daß ſeine Depeſchen vielleicht von räuberiſchen Tuariken-Banden, die in der letzten Zeit zwiſchen Zinder und den genannten Orten ſtreiften, aufgefangen worden ſind. Jedenfalls iſt es auffallend, daß die Leute von der großen Karavane, die eben in Kuka angelangt iſt, und von denen Einige aus der un— mittelbaren Nachbarſchaft von Meroda, das ſie einen Monat nach der Zeit, wo Dr. Barth daſelbſt geſtorben ſein ſoll, verlaſſen hatten, von feinem Tode nichts gehört haben ſollten. Und noch auffallen der iſt es, daß keiner ſeiner Diener — vorausgeſetzt, daß dieſe ſeine Bagage nicht geplündert und ſich darauf zerſtreut haben — in Kuka angekommen iſt, um die ihnen gebührende rückſtändige Beſoldung zu erheben. Die Sendung von Dr. Vogel's Bedienten nach Meroda wird dieſes Räthſel löſen. Einſtweilen haben wir Hoffnung (wenn ſie auch ſchwach iſt), daß der Dr. Barth noch immer ſeinen Freunden und der Wiſſenſchaft erhalten ſein dürfte.“ Dem ſei, wie ihm wolle! Mit höchſter Spannung müſſen wir bei ſo höchſt unſicheren Berichten dem Eingange beſtimmterer Nachrich— 2 8 h 7 4 s — ‘2 H. Barth's Leben und Wirken. 89 ten über Barth's Verſchwinden, die in der That durch die Rückkehr von Vogel's Diener uns bald zukommen müſſen, entgegenſehen. H. Barth war von mittlerer Größe und feſtem gedrungenen Kör— perbau; man ſah ihm an, daß er gemacht war, Strapazen mit Leich— tigkeit zu ertragen. Als er ſich zu Berlin nach ſeiner erſten großen afrikaniſchen Reife aufhielt, hatte die afrikaniſche Sonne fein Geficht ſtark gebräunt, aber die vollen Züge erwieſen, daß die Mühen der Reiſe ſeine Geſundheit nicht untergraben, ſondern geſtärkt hatten In ſeinem Auge lag ein verſtändiger und zugleich lebhafter Ausdruck, der die Si— cherheit des Geiſtes bekundete, womit der Verſtorbene ſich zu bewe— gen gewöhnt war. Barth's äußere Haltung erſchien ſtets als die eines Mannes, der von Jugend auf ſich bewußt war, auf feſtem Boden zu ſtehen. Mit Freunden und Bekannten, ſo wie als Fremder in Geſellſchaften, wußte er ſtets ein richtiges Maß zu beobachten; trotz des Reichthums ſeines Wiſſens und der Mannigfaltigkeit ſeiner Erfahrungen trat bei ihm nie die Sucht zu glänzen hervor. So konnte es nicht fehlen, daß er bei feiner tuͤchtigen und anſpruchloſen Perſönlichkeit ſich in allen Ländern und bei Menſchen aller Farben und Nationen bald Freunde erwarb, und nur wenige Gelehrte dürfte es gegeben ha— ben, deren Tod in den Kreiſen der Gebildeten aller Nationen ein ſo allgemeines Bedauern, welches nicht allein der durch ihn vertrete— nen Sache, ſondern reichlich auch ſeiner Perſönlichkeit galt, erregt hat. Wenige Reiſende weiſt aber auch die Geſchichte der Erdkunde auf, die in ſolchem Maße, wie der Verſtorbene, gründliches und vielſeitiges Wiſſen, mit ſo klarer Einſicht, beſonnenem Muth, Regſamkeit, geiſtiger und körperlicher Ausdauer und paſſendem Benehmen in ſich vereinigten. Unter den nicht naturwiſſenſchaftlichen deutſchen Reiſenden iſt er unzwei— felhaft am beſten mit ſeinem halben Landsmann Karſten Niebuhr zu ver— gleichen. Aber wohl wäre dem verdienſtvollen Todten auch Niebuhr's glück— liches Loos zu gönnen geweſen, damit er, wie dieſer, nach dem Tode ſeiner Gefährten hätte in die Heimath zurückkehren und, geachtet und geehrt von ſeinen Zeitgenoſſen, die Früchte ſeiner Anſtrengungen bis in ein hohes Alter genießen können. Das Schickſal hat es leider an— ders mit ihm gewollt !). Gumprecht. ) Ein ganz ähnliches, nach einem Daguerrotyp gemachtes Portrait von Barth befindet ſich in den Händen einiger ſeiner Freunde. Nach ihm, wie es ſcheint, wurde das von Herrn Petermann in ſeinem Werk mitgetheilte Bild gemacht. Neuere Literatur. Edw. Thornton, A Gazetteer of the Territorie sunder the Gover- nement of the East-India Company and the Native States on the Continent of India. London (Allen) 1854. 4 volls. 8. (L 4.) Zur Kritik eines geographiſchen Lexicons, namentlich eines fo voluminö— ſen, wie das vorliegende iſt, bedarf es allerdings mehr, als eines bloßen Durch— blätterns und Durchfliegens einzelner Artikel. Erſt durch den längeren Ge— brauch kann ſich ein genügendes Urtheil über den Werth und Unwerth eines ſolchen Werkes herausſtellen. Da aber die kurzen Anzeigen der Zeitſchrift mehr dazu dienen ſollen, auf die neueſten und wichtigſten Erſcheinungen der geogra— phiſchen Literatur hinzuweiſen, als dieſe einer genaueren Kritik zu unterwerfen, ſo ſei es uns hier geftattet, mit wenigen Worten auf die durch Herrn E. Thornton gewonnene Bereicherung der Kenntniß der engliſchen Beſitzungen in Aſien die Aufmerkſamkeit zu lenken. Schon im Jahre 1815 wurde von Walter Hamilton ein Lexicon (The East-India Gazetteer, containing particular descriptions of Hindostan. London.) zur Orientirung in den oſtindiſchen Localitäten herausgegeben, ein Buch, welches den damaligen Verhältniſſen durchaus ent— ſprach und unſeres Wiſſens bis zur Neuzeit das einzige derartige Hilfsmittel für das Geſammtgebiet der Beſitzungen der oſtindiſchen Compagnie blieb. Ge— genwärtig hat Herr Thornton es unternommen, dem Bedürfniß nach einem möglichſt ausführlichen und genauen geographiſchen Lexicon über Oſtindien durch die Herausgabe eines vierbändigen Lexicons über dieſe Gegenden abzu— helfen. Mit dem größten Fleiße hat derſelbe, zwar nicht an Ort und Stelle, doch immer in London, das reiche Material, welches die Archive der oſtindiſchen Compagnie in London theils handſchriftlich, theils gedruckt darbieten, als Quelle für ſeine Studien benutzt. Dabei ſind demſelben, was beſonders her— vorgehoben zu werden verdient, die Forſchungen nicht-engliſcher Gelehrter, wie die eines Ritter, Hügel, Orlich, Jacquemont und Fontanier nicht unbe— kannt geblieben. Auch hat der Verfaſſer, was die Schreibart indiſcher Na— men betrifft, ſich einer größeren Correctheit bedient, als ſonſt die Engländer im Allgemeinen anzuwenden pflegen. Ein Mangel aber, der uns bei dem Gebrauch des Lexicons fühlbar entgegentritt, iſt das gänzliche Fehlen derje— nigen Ortſchaften, welche durch die neueſten Eroberungen der Engländer in Birmah und Pegu der engliſchen Krone einverleibt worden ſind. Auch wäre vielleicht in Beziehung auf die Ausarbeitung der einzelnen Artikel eine grö— ßere Gleichmäßigkeit wünſchenswerth geweſen. Jedenfalls aber begrüßen wir freudig dieſe neue Bereicherung der geographiſchen Lexricographie, und kön— nen nur den Wunſch ausſprechen, durch baldige Nachträge die angedeuteten Lücken ausgefüllt zu ſehen. W. Koner. Pallegoix: Description du Royaume Thai ou Siam. 91 Description du Royaume Thai ou Siam contenant la topographie, histoire naturelle, moeurs et coutumes, legislation, commerce, industrie, littérature, religion, annales des Thai et préeis histo- rique de la mission. Avec carte et gravures par Mgr. Palle- goix. T. I, II. 488 et 425 S. 12. Paris 1854. (10 Fr.). Herr Pallegoir, Biſchof und apoſtoliſcher Vicar zu Bangkok, der Haupt— ſtadt des Königreichs Thai oder Siam, welcher uns ſchon früher durch verſchie— dene Arbeiten über Hinterindien in dem Bulletin de la Société de Geographie (Notice sur le Laos. IIe Ser. V. 1836. p. 39; X, p. 100 — 102. Lettre sur le royaume de Siam et Tonkin. X, p. 102 — 118. Notice geogr. sur plusieurs provinces du royaume de Siam. Sur l’origine des Siamois. IIIle Ser. IX. 1848. p. 369. Itinéraire de Jouthia à Xai-Nat. IIe Ser. II. 1834. p. 41. Relation d'un voyage à Chanthaburi, suivi d'un apercu sur la tribu des Tchongs. IIe Ser. XII. 1839. p. 169) werthvolle Bei⸗ träge zur Erweiterung unſerer Kenntniſſe über die geographiſchen und ethno— graphiſchen Verhaältniſſe jener Länder geliefert hatte, benutzte feinen vierund— zwanzigjährigen Aufenthalt daſelbſt neben ſeiner Wirkſamkeit als Verbreiter des chriſtlichen Glaubens, zu den gründlichſten und umfaſſendſten Forſchun⸗ gen für die Geſchichte, Geographie, Ethnographie, Religion und Sprache von Siam. Seine geachtete Stellung, welche er der Bevölkerung gegenüber ein— nimmt, ſowie ſeine ausgedehnten Reiſen durch Gegenden, die den Euro— päern bis dahin wenig bekannt waren, namentlich aber die gründlichen Sprachſtudien, wofür die von ihm herausgegebene Grammatik, ſowie ſein in neueſter Zeit erſchienenes Lexicon der Thai-Sprache (Grammatica lin- guae Thai. Bangkok 1850. 4. Dictionarium linguae Thai sive Sia- mensis. Paris 1854. 4.) Zeugniß ablegen, ermöglichten das Erſcheinen eines ſolchen Werkes, wie das vorliegende. Der Verf. weicht in der Form, in welche er ſeine Beſchreibung einkleidet, von der jetzt üblichen Tagebuchform ab, indem er uns rein objectiv einen geographiſch-geſchichtlichen Abriß der ſiameſiſchen Verhältniſſe giebt, der durch die große Maſſe des darin in gedrängter Kürze niedergelegten Materials, die reichhaltige Literatur über Siam, welche die Beziehungen des Königs von Siam zu Ludwig XIV. von Frankreich zu Ende des 17. und zu Anfang des 18. Jahrhunderts her— vorgerufen hatten, ſowie die gründlichen Forſchungen eines Crawfurd, Fin— layſon, Gützlaff, Roberts und Neale weſentlich verbeſſert und ergänzt. — Das Buch beginnt mit einer Ueberſicht der allgemeinen geographiſchen Ver— hältniſſe des eigentlichen Siam, woran ſich Notizen über die dem Könige von Siam tributpflichtigen Völferfchaften anſchließen. Darauf folgt eine Beſchrei— bung der Hauptſtadt des Landes, Bangkok, einer Stadt, welche ihre Größe der Zerſtörung der früheren Hauptſtadt Juthia verdankt und gegenwärtig mehr, als 400000 Einwohner zählt. Skizzen über die Provinzen und Städte 92 Neuere Literatur. des eigentlichen Siam bilden den Schluß der geographiſchen Beſchreibung. Die folgenden zwei Capitel find der Naturgeſchichte gewidmet. Die geogno— ſtiſchen und mineralogiſchen Verhältniſſe, ſowie die Erzeugniffe der Flora und Fauna, lernen wir hier, freilich in etwas ungenügender Form, kennen. Wie bedauerlich iſt es, daß es den Bewohnern eines an edlen Metallen ſo über— aus reichen und an Eiſen, Zinn, Blei und Edelſteinen ſo ergiebigen Landes, das außerdem faſt alle wichtigen Nutzpflanzen der tropiſchen Zone erzeugt, end» lich Ueberfluß an nutzbaren Thieren hat, an Einſicht fehlt, dieſe Schätze uns dienſtbar zu machen! Hierauf folgen ethnographiſche Schilderungen über Cha— rakter, Kleidung, Wohnung, Erziehung, bürgerliches Leben, Feſte u. ſ. w. der Siameſen. Mit beſonderer Genauigkeit ſind die ſtaatlichen Verhältniſſe in den darauf folgenden Capiteln behandelt. Ueber die Stellung der Herrſchers und ſeines Beamtenſtaates, die Claſſificirung der Bewohner, über die Finanz— Kriegs- und Handelsverhältniſſe, die Geſetzgebung, ſowie über den Stand— punkt der Wiſſenſchaft, der Künſte und der Induſtrie finden wir reiche Beleh- rung. Von Intereſſe namentlich iſt der Abſchnitt über die Sprache und Li— teratur der Siameſen. Hiermit ſchließt der erſte Theil des Werkes. Der zweite, nicht minder wichtige Theil behandelt die religiöfen Verhältniſſe in Siam. In ſeiner Stellung als Miſſionar mußte es gerade die Hauptauf— gabe des Verfaſſers ſein, ſich tiefere Kenntniſſe der Buddha-Lehre aus den alten ſiameſiſchen Religionsbüchern, ſowie über die weitverzweigte Klaſſe der buddhiſtiſchen Religionsdiener anzueignen. Das Reſultat dieſer Forſchungen findet ſich in dem letzten Abſchnitt des erſten Bandes, ſowie in den erſten Ca⸗ piteln des zweiten Bandes niedergelegt. Daran ſchließt ſich endlich nach einer Einleitung über Landesgeſchichte, wofür die ſiameſiſchen Annalen ein reich— haltiges Material darbieten, eine Geſchichte der chriſtlichen Miſſionen des 17. Jahrhunderts bis auf die Gegenwart. Können wir auch nicht überall mit der Behandlungsweiſe des reichen, unſtreitig Herrn Pallegoix zu Gebote ſtehenden Materials, uns einver— ſtanden erklären, und müſſen wir namentlich, was den rein geographiſchen Theil der Arbeit betrifft, unſer Bedauern über den Mangel an Ausführlichkeit ausſprechen, fo wollen wir doch dieſe Mängel mit der Eile entſchuldigen, die den Verfaſſer zwang, ſeine Arbeit während ſeines kurzen Aufenthaltes in Paris herauszugeben. Zu beſonderem Dank ſind wir aber namentlich dem Verf. für die Bereicherung unſerer Kenntniß in der Rechtſchreibung ſiameſiſcher Namen, ſowie für die dem Werke beigefügte Karte von Siam im Maaßſtabe von 1: 500000 verpflichtet. Zahlreiche Holzſchnitte nebſt einem Plan von Bangkok bilden eine angenehme Zugabe. W. Koner. ltisceflflen. Die Tſchippewäs (Chippewas) und ihre neueſte Landabtretung. Von der Süd- und Oſtſeite des Oberen Sees (Lake Superior) bis jenſeits des in den Großen Winnipegſee mündenden Red River, dann von 26 » n. Br. bis weit nach Norden bewohnt einen beträchtlichen Theil der nord— amerikaniſchen, theils zu Canada, theils zu den Vereinigten Staaten gehören— den Wildniß das große Indianervolk der Tſchippewäs oder, wie ſie auch von Einigen genannt werden, der Odſchibways (Odjibwäs. Minnesota and its ressources by R. Wesland Bond 8. Redfield 1853. S. 209). Einſt mehr im Oſten lebend, wanderten die Tſchippewäs erſt im 16. Jahrhundert oder früh im Beginn des 17. in ihr jetziges Gebiet ein, indem ſie ſich an den St. Mariefällen des Miſſiſſippi niederließen, worauf fie gegen Nordwe— ſten vordrangen und aus dem ſeenreichen, von ihnen noch jetzt behaupteten Quellengebiete des ebengenannten Stromes den Stamm der Dakota oder Sioux verjagten. Bond 208). Wie weit ſie nach Norden reichen, dürfte noch nicht genau genug feſtgeſtellt ſein. Da aber Odſchibwäs noch jenſeits der unfern des Südrandes des Großen Winnipeg lebenden Aſſiboins-India— ner bekannt ſind (Bond 259), ſo wäre ihre Verbreitung im Norden bis wenigſtens zum 52. Grade n. Br. anzunehmen. Uebrigens ſind die— ſelben, die Aſſiboins und die wieder nördlich von jenen wohnenden Kni— ſtenaur oder Krees nur Glieder eines einzigen großen Volks. Die Tſchip— pewäs theilen ſich in 15 Familien, und jede Familie, die ſtets irgend ein Thier, einen Vogel, Fiſch oder Säugethier zum Totem oder Symbol hat, zerfällt wieder in 4 Unterabtheilungen. So ſcharf aber iſt die Trennung der Familien bei dieſer und anderen Indianernationen, daß Individuen eines Totems ſich nicht mit Individuen eines anderen verheirathen oder in Geſchlechtsverhältniſſe eingehen dürfen. Die Tſchippewäs ſind im Allgemeinen von niedrigem Wuchs, nur bei den Wald-Tſchippewäs ſoll dies nicht der Fall fein; ihre Phyſio— gnomie iſt ruhig und ſanft, obwohl die einzelnen Individuen einen vor keiner Gefahr zurückweichenden unbeugſamen Geiſt haben. In ihren Käm— pfen ziehen fie deshalb auch vor, auf dem Platze, worauf fie ſtehen, zu fal— len, als zu fliehen. Eine genaue Kenntniß des Volkes ſoll in einem vor Kurzem erſchienenen, uns aber nicht zugänglichen Werk eines gewiſſen W. W. Warren enthalten ſein (Bond 211); der Verfaſſer war allerdings im Stande, genaue Nachrichten darüber zu liefern, da ſeine Vorfahren zum Theil von den Tſchippewäs abſtammten. ) Die Dakota nennen ſich ſelbſt auch Sioux, unter welchem durch die franzö- ſiſchen Indianer in Umlauf gekommenen Namen fie bei den Weißen bekannt gewor⸗ den ſind, waͤhrend fie den erſten Namen vorziehen (Bond 208). 94 Miscellen: Innerhalb des Gebiets der Vereinigten Staaten finden ſich die Tſchippe— wäs in den Staaten Wisconfin und Michigan, dann im Territory Minne- ſota, aber in geringer Zahl, da man ihrer hier nicht mehr, als 8000, näm- lich 4500 in Minneſota, die übrigen in Wisconſin und Michigan (Bond 209), zaͤhlt. Viel bedeutender ſcheint jenſeits des 49. Grades n. Br., d. h. jenſeits der in dieſen Gegenden liegenden nördlichen Grenzlinien der Vereinig— ten Staaten die Menge der auf britiſchem Boden lebenden Tſchippewäs zu ſein. Einige der letzten, aber nur 60 Köpfe, giebt es endlich noch an dem oberen Oſage, bekanntlich einem ſüdlichen, im Staate Miſſouri in den Strom gleis ches Namens mündenden Fluſſe. Durch einen in dem Jahre 1837 abgeſchloſſenen Vertrag hatten ſich die Vereinigten Staaten bereits verpflichtet, gegen Abtretung eines Theils des Ge— biets der Tſchippewäs dieſe anſehnlich zu entſchädigen, nämlich ihnen 25 Jahre hindurch 22000 Dollars in baarem Gelde zu zahlen und ihnen 29500 D. in Manufacturwaaren, 5000 D. in Schmiedewaaren, 1200 D. zur Unterſtützung von Zimmerleuten (Carpenter), 6000 D. für Ackerbauer und einen Ackerbaufond, 4500 D. für Lebensmittel und Taback, 2000 D. für Schulen, 45000 D. für die halbblütigen Tſchippewäs, endlich 145000 D. zur Abmachung ihrer recht- lichen Schulden zu verabfolgen (Bond 210). Dieſe Regulirung des Kauf— preiſes geſchah von der Regierung und dem Congreſſe der Vereinigten Staa— ten zu dem Zwecke, das Volk an eine ſeßhafte Lebensart, alſo an Acker— bau und Handwerksbetrieb zu gewöhnen. Im Jahre 1847 erfolgte eine zweite Landabtretung Seitens der Tſchippewäs, wofür fie 45000 Dollars em- pfingen; für ihren Miſſiſſippi-Antheil wurden ihnen außerdem 46 Jahre hindurch 1000 Dolllars jährlich zugeſichert, die entweder in baarem Gelde gezahlt oder zur Unterhaltung von Schulen und zur Unterſtützung von Landbauern und Schmieden verwendet werden ſollten; zugleich garantirte man einer Abtheilung des Volkes Waaren im Werthe von 3600 Dol- lars 5 Jahre hindurch (Bond 210). Die neueſte Abtretung erfolgte endlich, nach einer durch den National Intelligencer mitgetheilten Notiz im vorigen Jahre zufolge einer am 30. September 1854 zu La Pointe abgeſchloſſenen Vertrags, welcher das bedeutende, an der Weſt (Oſt?) ſeite des Sees und zwiſchen den britiſchen Beſitzungen, Wisconſin, Minneſota und weſtlich (2 G.) vom Miſſiſſippi gelegenen Gebiet der Tſchippewäs an die Vereinigten Staa— ten brachte. Einige Agricultur-Diſtriete im Inneren bleiben nach dem Ver— gleiche den Tſchippewäs vorbehalten, und es machte ſich die Regierung der Vereinigten Staaten wiederum anheiſchig, jährlich bedeutende Summen auf die Civiliſirung und Anſiedlung des Volks mittelſt Schulen und Acker— bau-Anſtalten zu verwenden. Zu den Vortheilen dieſes Vertrages ſind Viele berechtigt, welche jetzt um den Oberen See zerſtreut wohnen, und man er— wartet, daß ſie ſich auf den vorbehaltenen Diſtrieten niederlaſſen und an den Wohlthaten des Vertrages Theil nehmen werden. a 4 * 7 Die Tſchippewaͤs und ihre neueſte Landabtretung. 95 Das neu abgetretene Territorium umfaßt ein Gebiet von ungefähr ſie— ben Millionen Aeres, einſchließlich bedeutender Mineral-Diſtricte in Wiscon— ſin und Minneſota. Einer der letzten hat allein mehr als hundert und funf— zig engliſche oder nordamerikaniſche Meilen (Miles) Länge, grenzt an den Oberen See und erſtreckt ſich vom Pigeon-Fluſſe im Norden bis zum St. Louis⸗Fluſſe im Süden. Er ſoll reich an Kupfer fein, und Leute, die ihr Glück zu machen ſuchen, forſchen darin ſchon umher. Der Vertrag wird dem Lande um den Oberen See große Vortheile bringen und den Unterneh— mungsgeiſt auf ihn lenken. Folgendes ſind nun die Grenzlinien zwiſchen den Tſchippewäs des Obe— ren Sees und den Tſchippewäs des Miſſiſſippi, wie ſolche der Vertrag be— ſtimmt. Art. 1. Die Tſchippewäs des Oberen Sees treten an die Vereinigten Staaten alles Land ab, welches fie ſeither gemeinſchaftlich mit den Tſchippe— wäs des Miſſiſſippi beſaßen, und das öſtlich von folgender Grenzlinie liegt, als: Anfangend von einem Punkte, wo der öſtliche Arm des Snake-Fluſſes die ſudliche Grenzlinie des Tſchippewäs-Landes durchſchneidet; dann dieſem Arm bis zu ſeiner Quelle folgend; von da faſt nördlich in einer geraden Li— nie bis zur Mündung des Eaſt Savannah-Fluſſes; von da den St. Louis hinauf zum Eaſt Swan⸗Fluſſe bis zu ſeiner Quelle; von da in einer ge— raden Linie bis zur weſtlichſten Krümmung des Vermillon-Fluſſes; von da den Vermillon-Fluß herunter bis zu ſeiner Mündung; von da in einer geraden Linie nach dem Caß-See; von da den Miſſiſſippi hinunter bis zu den durch den Vertrag von 1842 abgetretenen Ländern. Die Tſchippewäs des Miſſiſſippi willigen in die vorſtehende Abtretung ein, wogegen die Tſchippewäs des Oberen Sees an die Tſchippewäs des Miſ— ſiſſippi ihre Anſprüche auf die ſeither gemeinſchaftlich beſeſſenen, weſtlich von der genannten Grenzlinie belegenen Länder abtreten. Die Diſtricte, welche den Tſchippewäs, wie erwähnt, vorbehalten ſind, haben ungefähr die Hälfte des Flächenraumes des Staates New-Mork und umfaſſen die werthvolle Fichtenregion von Minneſota, die von den Einwan— derern ſo hoch geſchätzt wird. Gumprecht. Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 2. December 1854. Herr Ritter hielt einen ausführlichen Vortrag über das vor Kurzem erſt auf Koſten der K. K. Akademie der Wiſſenſchaften zu Wien unter dem Titel: Die Grotten und Höhlen von Adelsberg, Lueg, Planina und Laas. 8. Wien 1854 erſchienene und von einem Heft in Folio ſchön und anſchau— lich gezeichneter und gut geſtochener Kupfertafeln begleitete große und gründliche 96 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. Werk des Herrn Schmidl zu Wien, wobei er hervorhob, daß der Verfaſ— ſer durch ſeine mehrjährigen Unterſuchungen erſt das Material dazu ge— wonnen habe, und daß vor deſſen Forſchungen überhaupt wenig Zu— verläſſiges über die Natur des weitläufigen Höhlenſyſtems im Krain'ſchen Karſt bekannt geweſen ſei. Der Vortragende erwähnte ausführlich die in dem Werk behandelte Topographie der Grotten und Thäler, die berühmten Tropf— ſteinlager, die merkwürdigen und mannigfaltigen Verwickelungen der Ströme in ganzen Höhlenſyſtemen als Folge theils von Unterwaſchungen, theils von Erdbeben u. ſ. w., endlich die von dem Verfaſſer unter dem Beiſtande meh— rerer Naturforſcher gelieferten Tabellen der Temperatur-, Tiefen- und Hö— henverhältniſſe, die Angaben über die eigenthümliche, aber dürftige unterirdi— ſche Flora und endlich über die reichere, die mehrſten Thierklaſſen betreffende Fauna. Zugleich theilte Herr Ritter mit, daß, da der Verfaſſer bisher ſeine Unterſuchungen unter dem Schutz und mit Unterſtützung der Akademie und der Staatsbehörden ausgeführt habe, er dieſelbe ferner auf gleiche Weiſe fortſetzen werde, und daß ein künftig erſcheinendes Werk als Nachtrag des in Rede ſtehenden beſtimmt ſei, die Reſultate von des Verf. ſpäteren For— ſchungen zu veröffentlichen. (Einen ausführlicheren Bericht über das Werk wird eins der nächſten Hefte der Zeitſchrift liefern.) — Herr Candidat Pi— ſchon ſetzte den früheren Bericht über feine Reiſe nach dem Orient fort und ſchilderte zunächſt ſeine Erlebniſſe und Beobachtungen auf dem Wege von Cypern über Beyrut, wo er an das Land trat. Die genannte Stadt fand er als eine aufblühende, in welcher ſich die Einwohnerzahl in wenigen Jahren von 15000 auf 40000, die Hälfte Franken, erhoben hatte, und in deren Nähe ein bedeu— tendes Anwachſen der Dünen, für die Stadt bis jetzt jedoch noch ohne Gefahr, vor ſich geht. Ausführlich beſchrieb der Vortragende den Eindruck, den Jeru— ſalem auf ihn gemacht hatte; doch habe er die Stadt, trotz ihrer 70000 Einwoh— ner, öde und ſtill, ohne irgend ein Zeichen des Fortſchritts befunden. Endlich ſchilderte er das neue Kloſter auf dem Berge Karmel und die theils mit reizen— den Gartenanlagen verſehenen, theils aber auch ganz wüſten Landſtriche, welche er in Paläſtina durchwanderte. — Herr Wolfers berichtete hierauf bei Uebergabe der zweiten Auflage des Werks: Tabellariſche Ueberſicht der Geo— graphie und Statiſtik des preußiſchen Staats von D. Ludwig Borkenhagen. Berlin 1854 über dieſes Werk und deſſen Verhältniß zur zweiten Ausgabe. — Endlich zeigte Herr Ehrenberg ſein neues Werk: Mikrogeologie. Das Erden und Felſen ſchaffende Wirken des unſichtbar kleinen ſelbſtſtändigen Le— bens auf der Erde, von Chriſtian Gottlieb Ehrenberg, Leipzig 1854 vor und ſprach ausführlich über deſſen Entſtehung, Plan und höchſt reichen Inhalt, indem er bemerkte, daß er zum Theil durch eigene Sammlungen auf ſeinen Reiſen, zum Theil durch Einſendungen vieler anderen, namentlich aufgeführ— ten Reiſenden in den Stand geſetzt worden ſei, bei feinen 14jaͤhrigen Unter- ſuchungen den größten Theil der Erde zu umfaſſen. Gumprecht. — 9960 28 — „„ ee * 2 . 4 N N. 1 =. 1 3 e x n DAN Kat. EN —̃ — e Kan 12 u 5 3 EU WURDEN EI SUMATRA, — IN PADANG = S „ e N U 2 Thy Tag Tas | 4 u * = N Wied 1 7 Mu EN * 5 8 2 4 N 5 ns a x N Ah ER Are Re} 327 N KARTEN VON DER EUROPÄISCHEN UND. 5 ASIATISCHEN TÜRKEI, 3 VERLAG VON DIETRICH REIMER IN N 1 7 — m KIEPERT, Dr. H., GENERALKARTE DER EUROPÄISCHEN TÜRKEI in vier Blättern. Maafsstab 1:1,000000. 1853. 3 Thlr. 12 85 7 1854. 1 Thlr. 10 88 Cart. 1 Thi 15 55 „KARTE DER KAUKASUS-LÄNDER und der angränzenden. ß Türkischen en Persischen Provinzen Armenien, Kurdistan u beidjan. 4 Bl. Maafsstab 1:1,500000. 1854. 2 Thlr. Cart. 2T KOCH, Prof. K., KARTE VOM KAUKASISCHEN ISTHMUS UND ARMENIEN. Pier Blätter. Maafsstab 1:1 ‚000000. Nebst erläuternd Text. 1850. 5 Thlr. re Diese Karte ist in vier verschiedenartig colorirten Ausgaben zu haben: 1) Politische Karte 5 Thlr. 10 Sg 2) Ethnographische Karte ä 10 3) Botanische Karte 5 — 4) Geologische Karte 69 Ein Exemplar von allen vier Ausgaben kostet 20 Thlr. Aus dem ATLAS VON ASIEN zu C. Ritter's Erdkunde: KIEPERT, Dr. H., KARTE VON TURAN. 1852. | 2 Sgr. 4 „KARTE VON IRAN. 1852. 20 Sgr. „KARTE VON WEST-PERSIEN. 1852. 20 Sgr. „ DIE EUPHRAT-TIGRIS-LÄNDER, oder Armenien, Bu | distan und Mesopotamien. 4 Bl. 1854. In demselben Verlage erschien: KIEPERT, Dr. H., KARTE DER LÄNDER AN DER SÜDLICHEN 1 UND. 7 MITTLEREN OSTSEE. Maalsstab 1: 2,000000. 1854. Cart. 15 Sgr. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstraſe 18. REDE Allgemeine Erdkunde. 7 1 ANTRIEBE ni 13 W. ee der Geſellſchaft für Brökunde 1 zu Serlin 1 or unter befonderer Mitwirfung 8 een w. Done, C. G. Ehrenberg, H. Kiepert und € Ritter in Berlin, arme in Bremen, A. Petermann in Gotha und J. E. wan, in Göttingen, Herausgegeben von Dr. F. E. Gumprecht. Vierter Band. Zweites Heft. Februar 1655. 0 u Inhalt. Seite C. Brandes: Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin' s. 97 Gumprecht: Dr. Vogel's Forſchungen im Junten von Nord -Afrika und die neue Niger⸗ Expedition. 5 ; 1 Neuere Literatur. W. Koner: Skizzen aus dem Volksleben in Ungarn vom Freih. Gabr. nh ee 2 M. Willkomm: Cuadro orogräfico formado por la Seccion geogräfica meteorolögica de la Comision del Mapa geolögico 4 cargo del vo- cal de comision y ingeniero de caminos D. Jose Subercase. . 183 C. E. Meinicke: Auſtralien. Geſchichte und Beſchreibung der drei Auſtra⸗ liſchen Colonien Neuſüdwales, Victoria und Südauſtralien, von Sa⸗ Mürl Sto pte, led ge I SE Miscellen. J. Altmann: Ueber die Ausbeute von Metallen und N in ea 3 im Jahre 1852. B 188 Gumprecht: Die erſte Erſteigung des Mount Hood Sl a ge ae Von diefer Zeitfchrift erfcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt a 2 Thlr. 20 Sgr. V. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Sir John Franklin's und ſeiner Gefaͤhrten. 1. Die Fahrt des Capit. Inglefield nach der Beechey— Inſel, 1854. Nachdem Capt. Inglefield bereits im Jahre 1852 mit dem Dampf— boot Iſabel, und im Jahre 1853 von Neuem mit dem Dampfboot Phönix von England aus die Beechey-Inſel beſucht, und über den Stand der Nachforſchungen des unter dem Oberbefehl des Capt. Sir Eduard Belcher entſandten Geſchwaders die unſern Leſern bekannten Nachrichten überbracht hatte, wurde er im Jahre 1854, in den erſten Tagen des Monats Mai, von der britiſchen Admiralität zum dritten Male eben dahin abgeſchickt. Dieß Mal hatten die ihm übergebenen Aufträge einen ſehr beſtimmten Charakter. Die Zweifel an jeder Mög— lichkeit einer Rettung Franklin's und ſeiner Gefährten waren bei der Admiralität unter dem Eindrucke der letzten Kunde überwiegend gewor— den. Die Ueberzeugung, daß es ſchwerlich gelingen werde, ſelbſt auch nur die traurigen Ueberreſte der vermißten Expedition zu entdecken, hatte nach und nach die Oberhand gewonnen. In dieſem Sinne wurde jetzt dem Geſchwader des Capt. Belcher die Weiſung überſandt, nun— mehr ungeſäumt zurückzukehren, ſofern nicht die Berathung der älteren Offiziere von einem längeren Verweilen und von weiteren Nachfor— ſchungen zuverſichtliche Erfolge in Ausſicht zu ſtellen vermöchte. Selbſt die Schiffe ſollten, ſofern man ſie etwa nicht aus dem Eiſe befreien könnte, in den arktiſchen Gegenden zurückgelaſſen werden. Die Admi— ralität ſah es als erſte und dringendſte Pflicht an, ihre Mannſchaften Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 7 98 C. Brandes: zu retten und neuen Opfern an Menſchenleben vorzubeugen. Für den Fall, daß entweder Capt. Collinſon — der ſeit drei Jahren in dem nördlichen Eismeer verſchwunden ſchien — oder irgend vielleicht noch Abtheilungen der Vermißten nach der Beechey-Inſel gelangten, war Capt. Inglefield in Stand geſetzt, das Vorrathshaus, welches dort erbaut war, mit einer reichen Zufuhr von friſchen Lebensmitteln aus— zuſtatten. Die Reiſe des Capt. Inglefield ging anfangs nicht eben günftig von Statten. Als das eine der beiden Transportſchiffe, welche er mit ſich führte, von der Inſel Disco aus in der Mitte des Monats Au— guſt nach England zurückkehrte, überbrachte es ziemlich ſchlimme Nach— richten über die unerwarteten Hemmungen, Verzögerungen, ja ſelbſt über große Fährlichkeiten, mit welchen Inglefield an der grönländiſchen Küſte zu kämpfen hatte. Die Verhältniſſe des Eiſes erſchienen in die— ſem Jahre der arktiſchen Schifffahrt ſo ungünſtig, daß man wohl die Beſorgniß ausſprechen hörte, Capit. Inglefield werde möglicher Weiſe zurückkehren müſſen, ohne das Ziel feiner Reiſe erreicht zu haben !). Dieſe Beſorgniß ging indeß nicht in Erfüllung. Als mit dem Anfange des Auguſt der nördliche Theil der Baffins-Bai erreicht war, zeigte ſich die Schifffahrt verhältnißmäßig leichter; die Ueberfahrt zum Lan— caſter-Sund gelang ohne beſondere Schwierigkeiten. Es verdient erwähnt zu werden, daß Capit. Inglefield bei der Hinauffahrt am 10. Auguſt das Glück hatte, am Südrande des Lan— caſter-Sundes bei Navy-Board-Inlet den Ort aufzufinden, an wel— chem der Schiffsmeiſter Saunders auf der fruchtloſeſten aller Franklin— Erpeditionen die ihm anvertrauten reichen Vorräthe eingegraben ) Daß Beſorgniſſe und Befürchtungen dieſer Art nicht ganz unbegründet wa- ren, und daß ſie ſelbſt den arktiſchen Gewährsmännern nicht fern lagen, geht unter Anderm aus dem $. 6 der Inſtruction für Capitain Inglefield vom 11. Mai 1853 hervor (abgedr. Parliam. Papers 1852 — 53. Vol. LX). Denn dieſer $. enthält nicht blos eine nachdrückliche Warnung, ſich vor der Gefahr des Einfrierens im Nor— den der Baffins-Bai in Acht zu nehmen: ſondern auch für den Fall, daß namentlich die Ueberfahrt von der Melville-Bai zum Lancaſter-Sunde mit dieſer Gefahr ſich ver— knüpft zeige, die beſtimmte Weiſung, ohne Weiteres nach England umzukehren — Zudem lebte das Schickſal des Schiffes Nordſtern, welches im Jahre 1849 nur mit der größten Noth, oder vielmehr nur wie durch ein Wunder, nach einer zweimonatli— chen Gefangenſchaft aus dem Packeiſe der Baffins-Bai nach dem Wolſtenholme-Sunde entkommen war, noch in friſcher Erinnerung. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 99 hatte ). Seltſam genug war alles frühere Suchen nach dieſem De— pot vergebens geweſen. Selbſt Capt. Belcher hatte ſich bei ſeiner Hinauffahrt im Jahre 1852 ohne Erfolg bemüht, dieſe Vorräthe, auf welche er für den Nothfall bei feiner Rückkehr mit angewieſen war, und deren Beſtand unter Umſtänden ſehr wichtig ſein konnte, dort zu entdecken 2). Allein jetzt war eine Esquimaur-Schaar, welche bei ihren Sommerſtreifereien in jene Gegend gekommen ſein mochte, der Nie— derlage noch vor Capit. Inglefield auf die Spur gekommen, und man fand dieſelbe in dem klaͤglichſten Zuſtande. Denn jene wilden Einge— borenen hatten bei ihrem rohen Charakter keineswegs daran ſich genü— gen laſſen, von den Lebensmitteln und Kleidungsſtücken nach Bedürf— niß oder Gebrauch zu nehmen, ſondern ſie hatten auch den größten Theil deſſen, was ſie nicht mit ſich zu führen vermochten, in übermü— thiger Zerſtörungswuth geplündert oder weit und breit verſtreut. Von ſaͤmmtlichen 608 Gefäßen, welche Saunders 4 Jahre zuvor dort ge— borgen, wurden nur 114 unverſehrt angetroffen und mitgenommen 3). Als die beiden Schiffe hierauf am 26. Auguſt in die Nähe der Beechey-Inſel kamen, wurde plötzlich durch den düſtern Nebel das Schiff Nordſtern erblickt, welches ſo eben von ſeinem Ankerplatz aus die hohe See erreicht hatte und im Begriff ſtand, die dem Cap Riley vorgelagerte Landzunge zu umſegeln. Bald ergab ſich, daß die Mann— ſchaften der Schiffe Inveſtigator, Aſſiſtance, Pioneer, Reſolute und In— trepid am Bord des Nordſtern waren. Von ihnen wurden die aus England herbeikommenden Schiffe mit unausſprechlicher Freude begrüßt. 5 ) C. Brandes: Sir John Franklin, die Unternehmungen für feine Rettung u. ſ. w. (Berlin, Nicolai. 1854.). S. 60. 2) Belcher's Depeſche d. d. Beechey-Inſel 14. Aug. 1852 in Parliam. Papers 1852 — 53. Corresp. relating to tlie arctic expeditions p. 12 (F. 11). ) Der Miſſionar Miertſching, bekannt als Dolmetſcher des Capit. M'Clure auf ſeiner arktiſchen Expedition (S. Zeitſchrift I, 476. G.) hat nachher (30. Au: guſt) dieſe Stelle beſucht und ſchildert den Anblick folgendergeſtalt: „Die Faͤſſer wa— ren aufgeſchlagen, das Mehl, Fleiſch und Schiffsbrot lag auf dem Lande umherge— ſtreut. Die mehr als 3000 Büchſen eingemachten ungeſalzenen Fleiſches waren erbro— chen und ſogar die Säcke, in denen ſich die Steinkohlen befinden ſollten, zerriſſen und aufgeſchlitzt 24 Faͤſſer Rum wurden ganz vermißt“ (Einige Ueberbleibſel der letzten elen den Reiſenden ſpäter in ziemlicher Entfernung von dieſem Orte, an der Ponds— Bai, wieder in die Augen.) Vergl. „Miſſionsblatt aus der Brüdergemeine. Jahrg. 1855. Nr. 1. S. 19.0 b 100 C. Brandes: Bei einer kurzen Beſprechung verſtändigten ſich die Befehlshaber da— hin, gemeinſam ſich nach dem Hafen an der Beechey-Inſel zu wen— den, theils um eine anderweite Vertheilung der auf dem Nordſtern un— tergebrachten Mannſchaften anzuordnen, insbeſondere aber um die von Capit. Inglefield mitgebrachten Vorräthe auszuſchiffen. Die letzten wurden, nach Maaßgabe der Anordnungen des Capit. Belcher und des Lieut. Pullen, in dem auf der Beechey-Inſel errichteten Zufluchts— und Vorrathshauſe — dem ſo benannten Northumberland-Houſe — niedergelegt. N Neben dieſen Geſchäften, die in aller Eile, aber mit größter Sorg— falt ausgeführt wurden, vollzog die Mannſchaft noch einen Act dank— barer Pietät. Capit. Inglefield überbrachte nämlich auf ſeinem Schiffe die Gedächtnißtafeln zur Errichtung eines Denkmals für den im Dienfte der arktiſchen Expeditionen gefallenen Lieut. Bellot, welches auf der Beechey-Inſel errichtet werden ſollte. Kein Ort hätte paſſender für einen ſolchen Zweck erſehen werden können. Von dieſem letzten bis jetzt aufgefundenen Schauplatze der Thätigkeit Franklin's, der auch die Grabſteine von dreien ſeiner Männer umſchloß, war der Verewigte mit freier Aufopferung des gefahrvollen Weges gegangen, auf welchem er in dem Eismeer das Leben verlor. Das 9 Fuß hohe Monument, wel— ches am 26. Auguſt auf der Beechey-Inſel zur Verherrlichung ſeines Namens errichtet worden iſt, enthält eine kurze Bezeichnung ſeiner Ver— dienſte um die gemeinſame Sache und der Umſtände feines Todes !). 1) Vergl. die Nr. der Illustrated London News vom 28. Det. 1854, welche eine Abbildung des Denkmals enthält. Die beiden Inſchriften, welche daſſelbe trägt, find in engliſcher Sprache geſchrieben. Die erſte lautet: „Gewidmet dem Andenken des Lieut. Bellot, der zuerſt (1851 — 1852) Kennedy und hierauf (1853) den Lieut Inglefield in die arktiſchen Regionen begleitete. Als Mitglied der Mannſchaft des Schiffes J. Maj. Phönix erbot er ſich hochherzigen Sinnes, an den Capit. Belcher mit einer Schlittenmannſchaft von dem Schiffe J. Maj. Nordſtern aus Depeſchen zu überbrin- gen. Bei einem heftigen Sturme am 18. Auguſt 1853 fand er in Folge des plöß- lichen Zerreißens eines Eisfeldes am Vorgebirge Grinnell ſeinen Tod, tief betrauert von dem arktiſchen Geſchwader und von Allen, denen vergönnt geweſen iſt, ihn in ſeinem Werth und in ſeinem edlen Sinn kennen zu lernen.“ Die zweite Inſchrift geben wir im Originale wieder: In memory of Lieut. Bellot | in the Wellington Channel of the French Navy on the 18 August 1853. who lost his life whilst This tablet to record the sad event nobly aiding in search of | was erected by his friend J. Barrow Sir John Franklin | A. D. 1854. 4 F * fe Sehr paſſend wurden auch die Namen und kurze nekrologiſche Nach— richten über dreizehn Männer hinzugefügt, die im Dienſte derſelben Angelegenheit während der Jahre 1853 und 1854 in jenen arktiſchen Regionen dahingeſtorben waren. Unter ihnen gehörten fünf der Mann— ſchaft des Inveſtigator, acht dem Geſchwader unter Capt. Belcher an. Die Leichname dieſer Seefahrer ruhen theils im Eismeer, theils an un— wirthlichen arktiſchen Küſten: im Northhumberland-Sund, an der Dis— aſter⸗Bai, auf der Melville- und Baring, einer endlich auf der Bee— chey⸗Inſel. Sobald das Alles vollendet war, ließen die Befehlshaber keinen Augenblick verloren gehen, um ihre Rückreiſe möglichſt zu beſchleuni— gen. Dieß ſchien deſto dringender nothwendig, da die Jahreszeit ſchon ungewöhnlich weit vorgerückt war, ſo daß man auf der Beechey-In— ſel bereits jede Hoffnung aufgegeben hatte, in dieſem Jahre noch ein Schiff aus England herankommen zu ſehen. Indeß ging die Fahrt um Vieles günſtiger, als man erwartet hatte. In der Barrow-Straße wurden nur wenige Eisfelder erblickt; der Lancaſter-Sund zeigte ſich ſo— gar ganz frei vom Eiſe; ſelbſt in der Baffins-Bai waren alle Hem— mungen des Mitteleiſes verſchwunden. Am 8. September erreichte Capt. Inglefield, der zuletzt den an— deren Schiffen mit ſeinem Dampfer vorausgeeilt war, die Disco-In— ſel, und hier wurde es ihm in ſehr erheblicher Weiſe förderlich, daß die Waigatsſeite der Inſel ein neuentdecktes *), höchſt ergiebiges Lager von vortrefflichen und namentlich äußerſt gashaltigen Kohlen für die Maſchine ſeines Fahrzeuges darbot. Dazu kam noch der günſtige Um— ſtand, daß das Kohlenlager unmittelbar am Rande der Meeresſtraße ſich hinſtreckt. Durch dieſe Entdeckung gelang es mit geringer Mühe und ohne erheblichen Zeitaufwand 80 Tonnen Kohlen an Bord zu bringen; es mag als charakteriſtiſche Thatſache erwähnt werden, daß die See— männer und Matroſen während der Arbeiten des Losbrechens und Einladens lediglich über die Beläſtigungen zahlloſer Mücken- und Gnitzenſchwärme ſich zu beklagen Veranlaſſung fanden. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 101 9 Die Kunde von ſolchen Kohlenlagern auf der Inſel Disko iſt übrigens an ſich neu. Wenigſtens hat bereits der verſtorbene Sir Charles Gieſecke in der Edin- h Encyclopaedia erwähnt, daß dort Braunkohlen in Begleitung von Sandſtein und baſaltiſchen Maſſen vorkommen. Gött. gel. Anz. 1853. S. 1980. 102 C. Brandes: 2. Eindruck der von Capit. Inglefield bei ſeiner Rück— kehr überbrachten Nachrichten. Dieſen und den oben erwähnten Umſtänden iſt es zuzuſchreiben, daß Capt. Inglefield von ſeiner Sommerfahrt nach der Beechey-In— ſel ſchon am Ende des September, mithin früher zurückkehrte, als ir— gend Jemand erwartet hatte, und daß die von ihm überbrachte ent— ſcheidungsvolle Kunde auf einen Zeitpunkt traf, in welchem die Mei— ſten ſich auf eine ſo plötzliche und ſcheinbar unwiderrufliche Löſung noch nicht vorbereitet fühlten. Mit dem Erſcheinen des Dampfbootes Phönix im Hafen von Cork ſchien wie auf einen harten Schlag, im— mer noch viel zu früh für die Hoffnungen und Wuͤnſche vieler Tau- ſende, der letzte Act jener Nachſuchungen beendet zu ſein, die ſeit dem Jahre 1848 als eine Ehrenſache der Nation betrachtet, mit raſtloſem Eifer, mit flammender Begeiſterung erfolgt waren. Jetzt führte Capt. Inglefield am Bord ſeines Schiffes bereits einen Theil der Offiziere ſowohl des Inveſtigator, als auch des letzten im Frühjahr 1852 un— ter Belcher entſandten Geſchwaders; er verkündete, daß die übrigen Offiziere, Seemänner und Matroſen beider bis auf den letzten Mann mit ihm die arktiſchen Gegenden verlaſſen hätten und ſchon in den nächſten Tagen auf den Schiffen Nordſtern und Talbot im Hafen von Woolwich erwartet werden könnten: denn bis zu den Orkney-Inſeln wäre er an ihrer Seite geweſen und erſt von dort ab mit ſeinem Dampfboot ihnen voraufgeeilt. Die weiteren Nachrichten, wie nicht allein der Inveſtigator in der Mercy-Bai, ſondern auch die ſämmtli—⸗ chen dem Capt. Belcher anvertrauten Schiffe, mit alleiniger Ausnahme des Nordſtern, im Packeiſe eingefroren, und wie ſie in Folge der Un— möglichkeit, mit ihnen die offene See zu gewinnen, mitten im Eismeer verödet zurückgelaſſen waren, verbreiteten eine allgemeine dumpfe Nie— dergeſchlagenheit; ja ſie wurden von manchen Seiten bald mit ſtarrem Entſetzen, bald auch mit der tiefſten Entrüſtung aufgenommen. In England hatte ſich kaum Jemand auf einen ſo tragiſchen Ausgang gefaßt gehalten. Man hatte unter ſolchen Erfahrungen nicht blos die gänzliche Erfolgloſigkeit der aufgewendeten Anſtrengungen zu beklagen — denn nirgends war von Franklin und ſeinen Gefährten jenſeits der Beechey-Inſel und ihrer nächſten Umgebungen auch nur die ge— * 1 * Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 103 ringſte Spur entdeckt — ſondern auch, wie ſich nicht mehr verkennen ließ, die thatſächliche Unmöglichkeit jeder Wiederaufnahme ſolcher Ret— tungs-Expeditionen. Und doch würde es irrig ſein, wenn wir die Sache des Vermiß— ten als eine damals ſchon aufgegebene anſehen wollten. Bei Vielen Raus dem Volke zeigte ſich noch immer jene gemüthstiefe Zuverſicht des Hoffens, die auch bei der troſtloſeſten Wendung der Dinge nicht ganz unterliegt. Im Anfange des Jahres 1854 hatte der Beſchluß der Ad— miralität, die Namen der Vermißten aus den Schiffsliſten zu ſtreichen und ſie als im Dienſte des Vaterlandes geſtorben zu betrachten, die ernſteſte Mißbilligung hervorgerufen. In Amerika erhoben ſich gewicht— volle Stimmen der Zuverſicht für die Rettung eines Theils der Ge— fährten Franklin's. Selbſt unter den erfahrenſten Gewährsmännern verſagte die Anſicht der Möglichkeit der Rettung einzelner Ueberreſte der Vermißten zur Zeit noch nicht. Wenige Tage vor der Rückkehr des Capt. Inglefield mit dem letzten arktiſchen Geſchwader hatte noch Reiner der namhafteſten Kenner der arktiſchen Gegenden, Dr. Scoresby, in der geographiſchen Section der großen Jahresverſammlung britiſcher Naturforſcher zu Liverpool ſich mit voller Entſchiedenheit zu der da— mals ſehr verbreiteten Anſicht bekannt, daß Franklin im Norden des Wellington⸗Canals eine Zuflucht gefunden, daß ſich auch dort ihm Mittel dargeboten haben könnten, feinen Unterhalt zu friſten !). Wie dem auch ſei, nichts iſt leichter erklärlich, als daß angeſichts der unglücklichen Reſultate der letzten arktiſchen Expedition die Ge— ſchichte des Verlaufs derſelben das geſpannteſte Intereſſe erregte, und daß die Frage: ob in der That wohl Alles geſchehen ſei, um die ver— mißte Schaar oder doch die Spuren derſelben dort aufzufinden? jetzt auf die Spitze getrieben und auf's Lebhafteſte erörtert wurde. ) Den Anlaß zu dieſer Verhandlung gab ein Vortrag von A. G. Findlay: „on aretic and antaretie currents in connexion with the expedition of Sir John Franklin“, in welchem die beiden im April 1851 von der Brig Renovation bei Neufoundland erblickten Schiffe im Eisberge als wahrſcheinliche Ueberreſte des Erebus und Terror dargeſtellt werden. — Admiral Beechey hat bei dieſer Gelegenheit ausgeſprochen, daß er kaum noch irgend Hoffnung für die Rettung Franklin's zu hegen im Stande fei. 104 C. Brandes: 3. Plan und Ziel der Expedition unter Belcher 1852 — 1854. Indem wir uns jetzt zu den Erkundigungen und Erlebniſſen der heimgekehrten Geſchwader zurückwenden, werden wir uns zunächſt zu erinnern haben, daß die Aufgabe, für welche Capt. Belcher im Jahre 1852 ausging, in drei von einander abgeſonderte Operationen zerfällt. Dieſe waren: 1) das weitere Verfolgen und die gründliche Un— terſuchung der Entdeckungen des Capt. Penny im Wellington-Canal; — 2) die Anlage eines Depots von Vorräthen auf der Südſeite der Melville-Inſel und eine neue Auskundſchaftung beſonders des weſtli— lichen Theils der Inſel und der angrenzenden Gebiete; — 3) die Be— gründung eines Vorraths- und Zufluchthauſes auf der Beechey-In⸗ ſel, indem dieſe, — wie ſchon Sir John Franklin richtig erkannt zu ha— ben ſcheint — offenbar für weitere Operationen nach Nordweſten (ge— gen den Wellington-Canal hin) und Weſten (gegen die Melville-In— ſel hin) die paſſendſte Baſis darbot. Die Leitung der erſten dieſer Expeditionen übernahm Sir Edw. Belcher in eigener Perſon mit dem Schiffe Aſſiſtance und deſſen Dampf boot Pioneer; — die zweite wurde dem Capit Kellett überwieſen und für dieſen Zweck das Schiff Reſolute mit deſſen Dampftender Intre— pid zu ſeiner Verfügung geſtellt; — die dritte Aufgabe blieb dem Lieut. Bullen, der das Schiff Nordſtern zunächſt in der Eigenſchaft eines Stations- und Proviantſchiffes bei der Beechey-Inſel vor An— ker behielt. Es bedarf hiernach kaum noch der Bemerkung, daß der Einſicht und Kraft des Capt. Belcher unzweifelhaft das ſchwierigſte und wich— tigſte Feld auserſehen war. Denn die Melville-Inſel, deren Gebieten die Thätigkeit des Capit. Kellett gewidmet ſein ſollte, konnte ihrer Ober— flächenbildung und ihrem landſchaftlichen Charakter nach nicht mehr als ein unbekanntes Land angeſehen werden. Sie war bereits vor mehr als dreißig Jahren (1819) durch Parry entdeckt, während ſeines dor— tigen Winteraufenthalts einem großen Theile nach bereiſt und aufge— nommen, insbeſondere aber im Frühjahre 1851 durch den Schlitten— zug des Lieut. M'Clintock von Neuem durchforſcht und ausgekund— ſchaftet. Wie ganz anders war dies Alles bei der Aufgabe, die dem „ Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 105 Capt. Belcher zugewiefen war! Er nahte einem geheimnißvollen und mit dem geſpannteſten Intereſſe betrachteten Gebiete des höheren, po— laren Nordens; einem Gebiete, deſſen Entdeckung und Erkundung durch einen Anlauf der Schlitten- und Boot-Expeditionen von Penny im Jahre 1851 zwar angebahnt, aber wegen der Mangelhaftigkeit ſei— ner Mittel noch lange nicht zur Klarheit und Evidenz gebracht war. Es fehlte nicht an Stimmen, die den Berichten des Capt. Penny faſt allen Glauben verſagten, ſeine Entdeckungen als eine Reihe von lee— ren Muthmaßungen oder Täuſchungen verdächtigten. Belcher mußte Alles daran ſetzen, nach jenen Gegenden vorzudringen, die Penny nur aus dunkler Ferne geſehen; er ſollte den Verſuch wagen, jenes hohe Polarmeer zu befahren, auf einen verhängnißvollen Zugang (den Wel— lington-Canal), über welchen ſchon der alte Barrow, wie man ver— meinte, vorahnend, ſeinen Warnungsruf erhoben hatte. Von weſentli— cher Bedeutung waren bei dieſer Expedition zwei Punkte: 1) über das Vorhandenſein eines offenen Polarmeeres jenſeits der Mündung des Wellington-Canals, über ſeine Ausdehnung und ſeinen Charakter eine beſtimmte und authentiſche Auskunft zu erhalten; 2) die Angaben über das Eintreten einer milderen Temperatur im höheren Norden, welche tauſendfache Vermuthungen und Zweifel hervorgerufen hatten, durch thatſächliche und ausgedehntere Beobachtungen entweder zu beſeiti— gen oder aber zur Gewißheit zu bringen. An dieſen beiden Punkten hingen in der That damals alle für Franklin und ſeine Gefährten noch gehegten Hoffnungen. Die Nachforſchungen in den niederen Breiten hatten ſich ſämmtlich erfolglos erwieſen oder doch, mit der einzigen Ausnahme des Gebiets der Beechey-Inſel und ihrer Umgebungen, nur zu negativen Reſultaten geſührt. Verſuchen wir daher zunächſt die Ergebniſſe der bisherigen Un— ternehmungen und die aus denſelben abgeleiteten neuen Anſichten über die geographiſchen Verhältniſſe jener arktiſchen Regionen uns zu ver— gegenwärtigen. A Ergebniſſe der bisherigen Nachforſchungen. Ein zuſammenfaſſender Ueberblick der bis zum Ablauf des Jahres 1853 bekannt gewordenen Nachſuchungen wird zunächſt anſchaulich ma— 1 chen, wie es nicht anders kommen konnte, als daß zuletzt faſt Aller 106 C. Brandes: Hoffnungen ſich auf die Nordpolar-Gebiete und namentlich auf die unerforſchten Gegenden jenſeits des Wellington-Canals concentriren mußten. Die Nordküſte des amerikaniſchen Continents war im Jahre 1849 durch den Lieut. Pullen von der Behringsſtraße bis zum Mackenzie mit Walfiſchbooten, und im Jahre 1850 von Capt. M'Clure, der das erſte große Segelſchiff durch das angrenzende Meeresgebiet führte, bis zum Cap Parry befahren. Weiter oſtwärts war der Küſtenſtrich vom Mackenzie bis zum Kupferminenfluß ſchon früher, 1848 und 1849, von Richardſon und Rae nach den Vermißten ausgekundſchaftet. Somit war der weſtliche Nordrand von Amerika bis zum Kupferminenfluß nicht bloß unterſucht, ſondern auch ſo viel als möglich zur Unterkunft der Vermißten für den Fall, daß ſie etwa dahin verſchlagen werden ſoll— ten, gleichſam ausgeſtattet und geſchickt gemacht. Wo die Suchenden mit den dortigen Eingeborenen zuſammentrafen, waren ſie bemüht ge— weſen, nach Franklin und ſeinen Gefährten zu forſchen und die Theil— nahme und Freundſchaft der wilden Stämme für dieſelben zu gewin— nen. An den geeignetſten Stellen — namentlich im Norton-Sund, Grantley-Hafen, auf der Chamiſſo- und auf der Sea-Horſe-Inſel, an der Mündung des zweiten Fluſſes ſüdlich vom Cap Smith, bei Point Separation, an den Vorgebirgen Bathurſt, Parry, Kruſenſtern — waren Vorräthe mit Nachrichten eingegraben, außerdem noch an anderen Stellen Nachweiſungen der Plätze niedergelegt, an welchen ſich Vorräthe befanden. Vor der Behringsſtraße harrte ein im Januar 1848 ausgeſandtes Stationsſchiff, welches wahrend der Schifffahrts— Jahreszeit umherkreuzte und ſeine Boote nach verſchiedenen Gegenden ausſandte, unabläſſig der Ankunft der Vermißten, um ſie gaſtlich auf— zunehmen und ihnen die Rückkehr nach ihrem Vaterlande zu ſichern. In der Baffins-Bai waren die öſtlichen Ufer zuletzt von Ingle— field bis zum Smith-Sund hinauf, die weſtlichen wenigſtens von den Mündungen des Jones-Sund bis jenſeit der Ponds-Bai hinab ev- forſcht. Die arktiſche Meeresſtraße des Lancaſter-Sundes und der Barrowſtraße, welche den ſonſt fo verwickelten Archipelagus des nörd— lichen Eismeeres in faſt gerader Linie durchſchneidet, war wiederholt befahren, die Küſten waren an beiden Seiten zum öfteren unterſucht und an mehreren Punkten mit Niederlagen von Lebensmitteln verſehen. BETTER ET u Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 107 In dem eigentlichen Mittelpunkte jenes arktiſchen Archipelagus, welchen man längſt als den verhängnißvollen Knoten der nordweſtlichen Durch— fahrt anſah, — unweit der Stelle, wo die Barrow-Straße durch eine Anzahl kleiner gleichſam fragmentariſcher Inſelbildungen in das weite Becken des großen Melville-Sundes übergeht, — hatten die Geſchwader von Auſtin, Parry und Sir John Roß 1850 — 1851 ihren Winteraufenthalt genommen. Von dieſem Centralpunkt aus waren die Schlitten des Capit. Auſtin ſüdwärts nach dem Cap Walker und von dort theils im Peels-Sunde, theils längs der Küſte des Prinz Wales-Land bis zur Ommanney-Bucht vorgedrungen, während feine weſtwärts entſandten Schlittenzüge, die Küſten von Nord-Cornwallis, Bathurft-Land, die Byam-Martin und die große Melville-Inſel in ihren wichtigſten Theilen durchforſcht hatten. Eine weſentliche Ergän— zung dieſer Unternehmungen bilden einerſeits die Reiſen des uner— müdlichen Rae, der nach mehrfachen vergeblichen Verſuchen 1851 end— lich auch Wollaſton- und Victoria-Land zu erreichen wußte, — ande— rerſeits die mittelſt eines Schlittens 1852 ausgeführten Wanderungen von Kennedy und Bellot, auf welchen Prinz Regent Inlet bis zu der jetzt erſt entdeckten Bellot-Straße, der ſüdliche Theil von Nord-So— merſet, das öſtliche Prinz Wales-Land, ein Theil des Kents-Sundes und das Cap Walker von Neuem ausgekundſchaftet wurde. Waren ſchon angeſichts der Ergebniſſe dieſer Kundſchaftsreiſen die Blicke der Meiſten dem Wellington-Canal zugekehrt, an deſſen öſtli— chem Rande die Schlittenzüge der Vermißten von ihrem Winterlager auf der Beechey-Inſel aus ſich noch einige Meilen weit verfolgen ließe, ſo gewann dieſe Anſicht eine noch ungleich höhere Wahrſchein— lichkeit, ſeitdem M'Clure von den Küſten des amerikaniſchen Continents her das Banks-Land erreicht hatte, ohne auch nur die geringſte Spur einer Anweſenheit der Vermißten auf ſeinen vielfachen Kundſchaftszü— gen irgendwo entdeckt zu haben. Die angeſehenſten arktiſchen Gewährs— männer hielten es jetzt nicht mehr für zweifelhaft, daß Franklin nord— wärts der von der Behrings-Straße bis zur Baffinsbai erforſchten Linie entweder noch verweilen müßte oder ſeinen Untergang gefunden habe. In dieſen Tagen dachte Niemand mehr daran, das Nordgebiet 1 der Hudſons-Bai-Landſchaft zwiſchen dem Kupferminen-Fluß und der Ponds⸗Bai, in deſſen Mitte Rae ſchon in den Jahren 1846 — 1847 P * „ 108 C. Brandes: auf ſeiner verdienſtvollen geographiſchen Erkundigungsreiſe gelegentlich nach Franklin geforſcht hatte, in Erinnerung zu bringen. Dieſe Land— ſchaften, welche nach den letzten Nachrichten der Schauplatz des jam— mervollen Unterganges eines Reſtes der vermißten Mannſchaft geweſen ſind, blieben namentlich ſeit den Entdeckungen der Jahre 1850 und 1851 ganz unbeachtet, und man kann ſagen, daß fortan bis zum 22. Oct. 1854 (dem Tage der Ankunft Rae's in London) die Anſich— ten faſt einſtimmig in der Ueberzeugung zuſammentrafen, daß die weite— ren Spuren Franklin's jenſeits des nordweſtlichen Auslaufs des Wel— lington-Canals zu ſuchen ſeien ). 5. Vermuthungen über die unerforſchten Gegenden des nördlichen Eis- und Polar-Meeres. Aber über dieſen Gebieten war immer noch der Schleier eines undurchdringlichen Geheimniſſes, das Gewebe ſchwindelnder Hypotheſen ausgebreitet. Man ſprach von alten ſcandinaviſchen Sagen, die auf ein gedeihlicheres Land, wenn nicht ſogar auf ſelige Inſeln jenſeits der arktiſchen Eiszone hindeuteten. Die großen Stellen beſtändig of— fenen Waſſers über Neu-Sibirien im hohen Norden der aſiatiſchen Kü— ſten, von welchen die ruſſiſchen Reiſeberichte zuverläſſige Nachrichten geben, beſonders aber das mildere Klima und jenes geſteigerte anima— liſche Leben, welches angeſichts eines hellen Waſſerhimmels nach dem Norden zu im Wellington-Canal Penny ſo lebhaft überraſcht hat, — alles dieſes wurde von ſanguiniſch Hoffenden als Anzeichen des Wahr— heitsgehalts jener Sagen betrachtet. Manche glaubten, jetzt den Ein— gang jenes polaren Wunderlandes eröffnet zu ſehen 2). Es fehlte nicht an Menſchen, die für dieſe ercentrifchen Anſchauungen auf dem Gebiete ) Als Beiſpiel erlauben wir uns eine Stelle aus dem ſehr leſenswerthen Ar— tikel von Griſebach in den Götting. Gelehrten Anzeigen 1853. Bd. III. S. 1982 anzuführen: „Es iſt zweifellos ausgemittelt, daß Franklin nach jener Ueberwinterung (auf der Beechey-Inſel) in dieſes Meer (nämlich in das offene Polarmeer jenſeits der Wellingtonſtraße) hineingeſegelt und hier verſchwunden iſt, da alle Wege, die ſeine Schiffe in irgend einer Richtung hätten einſchlagen können, nunmehr auf das Voll— ſtändigſte und vergeblich durchforſcht ſind.“ ) Dublin Review October 1854 (Vol. 37) S. 44: „this is the region which the Scandinavian imagination has peopled with blissful isles, blooming with perennial ver- dure, whose inhabitants, exempt from toil and care, enjoy a prolonged and delightful existence in the haleyon abodes.“ m. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 109 der phpſikaliſchen Geographie nach Anhalts- und Stützpunkten ſuchten und durch fabelhafte Ausdeutungen gewiſſer Naturerſcheinungen und Beobachtungen mehr oder weniger Aufmerkſamkeit erregten 1). Genug, alle jene phantaſtiſchen Vorſtellungen, welche einſt von dem vermeint— lichen großen Suͤdlande gehegt waren, ſchienen jetzt auf einmal in un— ſerem lichtvollen Zeitalter ſich im arktiſchen Polarmeer wiederholen zu ſollen. Dieſe Ueberſpannungen führten unmittelbar zu mannichfachen Nach— theilen. Uebertriebener Zweifel und unbarmherziger Spott folgte ihnen gleichſam auf dem Fuße. Es wurde jetzt beinahe Parteiſache, nicht blos ſich dagegen zu erheben, ſondern auch die Vergeblichkeit aller wei— teren Nachforſchungen darzuthun. Aus dieſem Streben entſtand die Tendenz, ſelbſt das wirklich Beobachtete, ſofern es den Hoffnungen für die Vermißten günſtig war, durch die Vorwürfe leerer Träume eines „Capua im Eismeer“ oder von „Jagdgefilden am Nordpol“ ver— dächtig oder ſelbſt lächerlich zu machen 2). — Indeſſen dürfte es doch nicht ohne Intereſſe ſein, die verſchiedenen Thatſachen, welche als letzte thatſächliche Beiträge zur Geographie des nördlichen Eismeeres und der Polargegenden im Norden von Amerika anzuſehen ſind, kurz zu— ſammenzuſtellen. Als Capit. Kellett 1849 im Norden der Behrings-Straße (71° nr 1 ) Eines der abenteuerlichſten Beiſpiele dieſer Art f. in The Times vom 9 Febr. 1854. Ein „Gentleman“ Mr. Harrington, wollte aus der Richtung der Magnetnadel den Schluß ziehen, daß ſich unabläſſig große Quantitäten von Electricität nach den Polen zu bewegten, dadurch condenſirte Verbrennung entſtände, demnach die beiden Pole die heißeſten Gegenden der Erde ſein müßten. Das laute Krachen, welches in den arktiſchen und antarktiſchen Gegenden oft gehört werde, die Aurora borealis und die 7 Meeresſtrömung vom Norden herab beſtätigen ihm dieſe Anſicht. Nun aber, fährt H. f fort, ſei ein plötzlicher Uebergang von dieſer Gluthhitze an den Polen zu der Eiſes— F kälte ganz undenkbar, folglich müſſe zwifchen inne eine Zone mit gemäßigtem Klima liegen, und dieſe werde von den Zugvögeln aufgefucht, die von Polarreiſenden nord- wärts ziehend erblickt wurden. Hieraus leitet er die Behauptung her, daß Franklin mit den Seinen ſich in einem glücklichen Klima befinden könne; aber die Rückkehr ſei ihm abgeſchnitten; ein heſtiger Windzug, der beſtändig nach den Polen hin wehe, mache ihm die Rückfahrt nach Süden unmöglich!!! 2) Vergl. z. B. die leitenden Artikel in Times 25 Novbr. 1853 und 29. Oct. 1854. Es iſt überhaupt unleugbar, daß namentlich dieſe am meiſten verbreitete und geleſene Zeitung in ihren leitenden Artikeln über die Angelegenheit Franklin's bei als ler Affectation der Theilnahme oft die traurigſte Schwäche des Charakters zur Schau trägt. 110 C. Brandes: n. Br.) eine faſt unzugängliche und unwirthliche Inſel in Beſitz ge nommen hatte, ſah er dort von einer Anhöhe aus in weiter Ferne den Schimmer einer durch hohe Gipfel in den verſchiedenſten Formen und in großen Dimenſionen hervortretenden Gebirgsbildung. Dieſe Ent— deckung ſuchte man ſehr bald mit ähnlichen bis dahin theilweiſe als unſicher oder irrig vielfach angezweifelten Reiſeberichten in Zuſammen— hang zu ſetzen. Dahin gehört beſonders die Erzählung des ruſſiſchen Ser— geanten Andrejew 1). Dieſer behauptete nämlich, auf feiner Reiſe im J. 1764 von der letzten Bären-Inſel aus ein großes Land geſehen zu haben. Anfangs entſchloſſen, daſſelbe zu beſuchen, habe er ſich auf ſei— nem mit Hunden beſpannten Schlitten bis etwa 3 deutſche Meilen demſelben genähert; als er aber hier friſche Spuren einer zahlreichen Völkerſchaft erblickt, die mit Rennthieren dahin gefahren zu ſein ſchien, habe er aus Beſorgniß vor Feindſeligkeiten ſeinen Entſchluß ſchnell ge— ändert und ſei wieder an den Kolyma zurückgekehrt. Später haben ſich dieſer Erzählung noch manche unverbürgte Angaben angeſetzt, z. B. daß das Land von den Eingeborenen, die ſich Chraichaj nennen mit dem Namen Tikegen bezeichnet werde. — Eine andere Landbil— dung ſoll dem Berichte des ruſſiſchen Admirals Ferdinand von Wran— gel zufolge von den Eingeborenen des Cap Jakan bei hellem Wetter am nordöſtlichen Horizont erblickt worden fein, und der durch feine merkwürdigen Reiſen in Sibirien bekannte Lord Cochrane berichtet, daß einer volksmäßig herrſchenden Sage zufolge in jenen unerreichten Re— gionen ein bis jetzt völlig unbekanntes Volk ſeine Wohnſitze habe. Ob ſich aus dieſen Angaben die Annahme geftalten laſſe, daß vom nord— öſtlichen Aſien aus eine fortlaufende Landbildung gegen den Meridian der Behrings Straße ſich erſtrecke, bleibt dahingeſtellt; gewiß iſt, daß Kel— let von einer günſtigen Veränderung des Klima's nach dem hohen Nor— den zu keine Spur geſehen. Als Capt. Collinſon im Sommer 1850 einen Verſuch machte, ) Nur dieſer geringſchätzenden Anſicht iſt es zuzuſchreiben, daß ſelbſt ſpeziellere Werke, z. B. Will. Coxe Account of the Russian discoveries between Asia and America u. m. a. des Andrejew und feiner Erzählungen gar nicht gedenken. Man vergleiche über denſelben vorzüglich „Reiſe des K K. ruſſiſchen Flotten-Lieutenants von Wrangel längs der Nordküſte von Sibirien und auf dem Eismeere 1820 — 24. Bearb. von G. Engelhardt, herausg. von C. Ritter.“ Berlin 1839. Theil J. S. 79 flg. | Hr Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 111 von der Barrow-Spitze⸗ aus das weſtamerikaniſche Eismeer in der Richtung zum Banks-Lande hin zu durchſchneiden, ſahe er ſich durch undurchdringliche Packeis-Maſſen zurückgewieſen. Unabhängig von ihm, aber in ungleich ausgedehnterem Maaße, machte Capt. M'Clure gleich— zeitig dieſelbe Erfahrung. Durch ihn wurde augenſcheinlich ermittelt und feſtgeſtellt, daß von der Gegend der Barrow-Spitze bis gegen das Delta des Mackenzie hin nicht etwa die Fläche eines weiten Mee— res — ſelbſt auch nicht eines „Eis-Meeres“ — ſich öffnete, ſondern daß lediglich eine durchſchnittlich nur einige engliſche Meilen breite Meeresſtraße längs der Küſte ſich hinſchlängelt. An dem nördlichen Rande dieſer während des Sommers regelmäßig fahrbaren und von den Eingeborenen für ihre Wanderfahrten benutzten Meeresſtraßen wa— ren die angrenzenden Eismaſſen zwar mannigfach von ſchmalen Waſ— ſergäßchen durchbrochen, allein M'Clure erfuhr es wiederholt und im— mer wieder, daß dieſe zu nichts weniger, als einem anderweiten Mee— res⸗Baſſin ausliefen. Sein Streben, mitten durch alle Hinderniſſe ſchnurgerade auf ſein Ziel (das Banks-Land) hinzuſteuern, konnte hier kein Gelingen finden. Er ſah überall die Ausſagen der dortigen Ein— geborenen beſtätigt, daß dieſe verführeriſchen Seitengäßchen nach kur— zem Verlauf immerfort nur zu koloſſalen undurchdringlichen Eismaſſen führten. i Das Erſcheinen ſo maſſenhafter, dem Wechſel der Jahreszeit trotzender und weithin ausgedehnter Eisbildungen neben einer offenen Fahrſtraße laßt ſich kaum anders, als durch die Annahme einer Unter— brechung des freien Waſſers erklären. Es iſt wohl als ausgemacht anzuſehen, daß der ungehemmte Wellenſchlag oder eine Meeresſtrömung dem Zufrieren in jenen Breiten nachhaltig entgegenwirkt, daß umfang⸗ reiche ſtehende Eismaſſen eines Bodens bedürfen, auf welchem ſie ſich entwickeln, an welchem ſie ſich befeſtigen können. Dieß legt dann die Vermuthung nahe, daß auch in dieſem weſtlichen, nicht minder als in dem öſtlichen Theile des amerikaniſchen Eismeeres jenſeits des Cap Bathurſt, Inſel- und Landbildungen vorhanden ſein müſſen. i Ein ſolches Ergebniß iſt jedoch mit den früher gehegten Anſichten "a Vorſtellungen unvereinbar. An ſich lag es der allgemeinen An— ſchauung nahe, den auf unſeren Karten leer gelaſſenen Raum im Nord— x often von Aſien und im Norden von Amerika nicht etwa als terra * * * 112 C. Brandes: incognita, ſondern als nördliches Eismeer anzuſehen, und die Auffaſ— ſung der Kartographen begünſtigte dieſe Annahme. Dazu kam, daß die Entdecker des weſtlichen Theils der amerikaniſchen Nordkuͤſte bei ihren Reiſen längs derſelben und bei ihren Aufnahmen nirgends eines gegenüber ſich erhebenden Landes erwähnen. Man weiß, wie Sir John Franklin in ſeiner letzten, von der britiſchen Admiralität ertheil— ten Inſtruction vom 5. Mai 1848 noch ausdrücklich daran erinnert wurde, daß die Inſelbildungen des nordamerikaniſchen Eismeeres über den 120° weſtl. L. ſich nicht hinaus erſtreckten. Man ſah dieſes In- ſelmeer, welches bis zur Melville-Inſel von Parry erkundet und weſt— wärts des Cap Dundas durch eine mit furchtbaren und unerhört ge— waltigen Packeis-Maſſen bedeckte See begrenzt gefunden war, als den eigentlich und faſt einzigen kritiſchen Theil der nordweſtlichen Durch- fahrt an. Ueber ihn hinweg vermeinte man keinen Schwierigkeiten mehr zu begegnen. Allein jetzt brach ſich in Folge der Erkundungen und Beobachtungen von Kellett, M'Clure und Collinſon, wie unvoll- ſtändig ſie immerhin noch waren, die Folgerung Bahn, daß hinter den Mündungen des Wellington-Canals und den Parry-Inſeln weit aus- gedehnte Landzüge oder compacte Inſelbildungen über den Meridian der Behrings-Straße hinaus bis nach dem Cap Jakan oder gar nach Neu-Sibirien ſich erſtreckten, und daß auch unweit der amerikaniſchen Küſte, von der Barrow-Spitze bis gegen die Mündungen des Macken— zie hin, ein freies offenes Meer nicht vorhanden ſein konnte. Es ver⸗ dient hierbei bemerkt zu werden, wie die bekannte Erfahrung, daß in jener von Schnee und Eis ſtarrenden Zone Land- und Waſſergebiet ſelbſt in nächſter Nähe, geſchweige denn in der Ferne, nur ſchwer ſich unterſcheiden laſſen, den Uebergang zu den neu gewonnenen Anſchauun⸗ gen ſehr erleichterte. 6. Dermalige Anſichten über das endliche Schickſal der vermißten Expedition. Neben dieſen neuen geographiſchen Auffchlüffen iſt es ſehr erheb— lich, daß die oft und ſelbſt in den letzten Jahren immerfort noch viel— fach wiederholte Behauptung, Franklin ſei durch ſeine Inſtruction von dem Wege durch den Wellington-Canal abgemahnt worden, ſich als irrig nachweiſen ließ, ſeitdem dieſe Urkunde (zuerſt in den Parlaments- Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklins. 113 papieren des Jahres 1848) veröffentlicht worden war. Es blieb dem- nach nur ſo viel gewiß, daß beſonders der alte Sir John Barrow dieſe Straße mit unheimlichem Mißtrauen angeſehen, und ſowohl Franklin, als ſeine Gefährten mündlich und ſchriftlich dringend vor derſelben ge— warnt hatte. Allein daneben fehlte es nicht an den ſprechendſten Aeu— ßerungen der jüngeren Offiziere des Erebus und Terror und ſogar auch Franklin's, in welchen das Verlangen, gerade dieſen geheimnißvollen Weg zu verſuchen, ſehr lebhaft an den Tag trat. Unter dieſen Umſtänden kann es nicht überraſchen, daß die Wahr— ſcheinlichkeit der Annahme, Franklin habe mit den vermißten Schiffen den Wellington-Canal beſchritten und jenſeits der Parry-Inſeln die nordweſtliche Durchfahrt geſucht, ſeit 1851 immer mehr überwiegend wurde. Damit ſtand die Vermuthung, daß er das nördliche Polar— meer erreicht und auf demſelben immer weiter nach Weſten vorgedrun— gen ſei, im genaueſten Zuſammenhange. Denn die kühnen Reiſenden konnten keine Ahnung davon haben, daß die mit ewigen Eismaſſen eingefaßte Küſte, an welcher ſie nach Weſten dahin trieben, nirgends einen Ausgang nach Süden zu offen ließ, daß ſie ſich weit über den Längengrad der Behrings-Straße hinausdehnte. Ihnen war es zumal völlig neu, daß die Behrings-Straße nicht als ein unmittelbares Ein— gangsthor zur großen Polar-See, ſondern lediglich als Anfang eines Mittelmeeres zu betrachten iſt, aus welchem man erſt bei dem Cap Jakan in jenen das nördliche Aſien umgrenzenden polaren Ocean ge— langt. Bei dem Mangel an jedem ſicheren Anhaltspunkte über die geo- 0 graphiſche und phyſikaliſche Beſchaffenheit jener Gegenden konnte es nicht anders ſein, als daß die Meinungen über das Schickſal, welches die verlorene Expedition dort betroffen, ſehr weit aus einander gingen. In Vielen erwachte der troſtloſe Gedanke, daß ſie unter den Eis— blöcken jenes wilden Polarmeeres in fernen Einöden durch eine furcht— bare Kataſtrophe ſpurlos vernichtet ſein werde. Andere hegten die Hoffnung, daß auch bei einem ſolchen Unfall Einzelne, an jene un— wirthlichen Küſten verſchlagen, noch die Möglichkeit gefunden haben konnten, ihr Leben zu friſten. Wiederum Andere gaben ſich der Ver— thung hin, daß die beiden Schiffe dort rettungslos im Packeis ein- gefroren und von ihrer Mannſchaft verlaſſen, fpäter von der Polar- * Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 8 vr. * 5 Pr * n 114 C. Brandes: Strömung !) erfaßt, durch den Wellington-Canal, die Barrow-Straße, den Lancaſter-Sund und die Baffins-Bai — in derſelben Weiſe wie im Jahre 1849 die Schiffe des Capt. Roſſ und im Winter 1850 auf 1851 die beiden amerikaniſchen Brigantinen — nach und nach durch die Davis-Straße hinabgetrieben, in der Gegend von New-Foundland zuerſt mitten im Eisberge von den Führern und der Geſellſchaft der Brig Renovation, ein paar Wochen ſpäter aber in ihrem letzten Sta— dium, kurz vor dem Hinabſinken in die Tiefen des atlantiſchen Oceans, noch von dem Schiffsvolk des mecklenburgiſchen Fahrzeuges „Doctor Kneip“ erblickt ſeien, — während Franklin mit ſeinen Gefährten an den Küſten des Polarmeers auf ſeinen Böten eine Zuflucht geſucht und gefunden habe. Aber welch' eine Zuflucht! Nach Allem, was man ge— ſehen und beobachtet, war an eine Rettung aus dieſen Eiswüſten nicht zu denken. Capt. Kellett ſchildert die Polar-Landſchaften im Norden der Behrings-See nicht etwa als ebene Flächen, ſondern als unaufhörliche, vielfach zerſplitterte und durchbrochene Eismaſſen mit hoch emporſtei— genden, Thurmſpitzen-ähnlichen Stacheln 2). Wie hätte eine Schaar ) Ueber das Herabtreiben des Eiſes aus dem Polarmeere ſind einzelne eigen thümliche und ſeltſame Anſchauungen zum Vorſchein gekommen So finden wir in einem amerikaniſchen Blatte (Baltimore weekly Sun vom 9. Deebr. 1854) einen Aus⸗ zug aus einem Auffage oder Vortrage von „E. Meriam“ zu New-Pork die Meinung verfochten, daß ein ſolcher Proceß in größerem Maaßſtabe ſich innerhalb der letzten funfzehn Jahre nur drei Mal wiederholt habe: 1) im Jahre 1842 habe die Eisſtrömung im März den 50. Grad n. Br. erreicht und habe bis zum September fortgedauert; 2) den Beginn einer zweiten großen Eisſtrömung ſetzt er in den Monat Decem— ber 1850 und die Dauer deſſelben bis Auguſt 1851. Sie erſcheint als die merkwürdigſte, da fie faſt gleichzeitig mit den amerikaniſchen Schiffen Advance und Rescue die verlaſſenen Schiffe Franklin's dem atlantiſchen Meere ent— gegengeführt hätte; 3) die dritte dieſer ſüdlichen Eisſtrömungen habe ſich vom December 1853 bis October 1854 bemerkbar gemacht, ſie ſei bei weitem die andauerndſte unter allen von ihm beobachteten. ) In den franzöſiſchen Schweizeralpen iſt für ähnliche Bildungen der Ausdruck Kiguilles in Gebrauch gekommen. Kellett drückt ſich ſo aus: very much broken or rouglı with pinnacles of considerable height. Travelling over it for any distance is, I should say, impossible ... Siehe Parliam. Papers 1852 Vol 50. Papers relative to the Arctic expeditions p. 169. In Sibirien ſcheint für ſolche irregulaire N Eismaſſen, die über dem Niveau des Polar-Eiſes emporragen, der Name Torossy üblich zu ſein. Man ſ. Ferd. v. Wrangel Phyſikaliſche Beobachtungen während ſei— Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 115 von Seefahrern, deren Kräfte durch mehrjährige Beſchwerden, Entbeh— rungen und unfehlbar auch durch Krankheit und Seuchen aufgerieben waren, es unternehmen können, ein ſolches Terrain zu durchdringen? Und was konnte für die Unglücklichen gewonnen ſein, ſelbſt wenn ein Theil derſelben unter unfäglichen Beſchwerden etwa bis gegen die He— rald⸗Inſel oder bis zu einer entſprechenden Breite ſüdwärts gelangte? Sie hatten ſich hier, da ſie ihre Böte unmöglich über jene unabſehba— ren jähen Eiswüſten mit ſich tragen konnten, angeſichts eines neuen Meeres nur wiederum von jeder Rettung abgeſchnitten geſehen. Denn gerade im Meridian der Behrings-Straße dehnt ſich ein großes und verhaltnißmäßig eisfreies Seebecken weiter als an irgend einer ande— ren Stelle nach dem Norden aus !). Bei ſolcher Lage der Dinge hätte es als ein großes Glück angeſehen werden konnen, wenn es den Ueber— reſten der einſt mit ſo großen Hoffnungen ausgegangenen Schaar viel— leicht im Verlaufe mehrerer Jahre gelungen wäre, die ſibiriſche Halb— inſel zu erreichen. Combinationen dieſer oder ähnlicher Art lagen dem Vorhaben des Lieut. Pim zum Grunde, der im Jahre 1851 ſich anſchickte, von St. Petersburg aus in den äußerſten Nordoſten Aſiens nach Franklin zu forſchen. — Von entſprechenden Ahnungen bewegt, rüſtete Lady Franklin 1852 das Dampfboot Iſabel für jene mißlungene Fahrt durch die Beh— rings⸗ Straße nach dem Cap Jakan aus. — In demſelben Sinne er— Härte ſich Capt. Kellett vor der im Herbſt 1851 eingeſetzten arktiſchen Commiſſton für eine Expedition, die ſich von der Behrings-Straße ge— gen die Heralds-Inſel hin wenden, dann weſtlich das Cap Jakan um⸗ fahren und von dieſem Punkte aus längs der Nordküſte des von ihm am 13. Auguſt 1849 erblickten Landes in der Richtung nach Oſten, — gegen die Muͤndung des Wellington-Canals hin, den Vermiß— ner Reife auf dem Eismeere 1821 — 1823. Herausg. u. bearb. von G. F. Parrot. Berlin 1827. 8: „Dieſe Toroſſe erheben ſich mehr oder weniger und völlig regellos, uweilen zu 80 Fuß Höhe über der allgemeinen Eisfläche, welche dadurch den Anblick eines mit Gerölle von zahlloſen, großen und kleinen, kantigen und abgerundeten Stein— en überſäeten weiten Feldes gewährt. Lockerer Schnee lagert an der Seite die— n., dem Reiſenden beſchwerlich und gefährlich“. ) Kellett a. a. O. S. 169: „directly north, in u meridian of Behring’s . where the sea is clearer of ice for a greater extent northerly than in any 7 other direction.“ a 8* 7 3 a ! 116 C. Brandes: ten zu begegnen ſuchen ſollte!). — Die Stimmung der britiſchen Admira— lität zeigte ſich indeß ſo weit ausſehenden Unternehmungen nicht gün— ſtig. Es wurde oben bereits erwähnt, daß die ganze Kraft ihrer neuen Ausrüſtung auf die von der Beechey-Inſel aus nach dem Wollafton- Kanal und der Melville-Inſel hin gerichteten Expeditionen beſchränkt blieb. Neben dieſen Vermuthungen und Plänen machte ſich im Jahre 1853 faſt nur noch die eine Anſicht geltend, daß Franklin's Spuren möglicher Weiſe auch an dem dritten Eingangsthor zum Polarocean, am Smith⸗Sunde im Norden der Baffins-Bai gefunden werden könnten. Sie beruhte auf zwei ſehr verſchiedenen Vorausſetzungen. Denn einmal fehlte es noch immer nicht an Solchen, die ſich von der Meinung nicht zu trennen vermochten, daß Franklin von dem Winterlager auf der Bee chey⸗Inſel durch die Barrow-Straße und den Lancaſter-Sund nach dem Smith-Sund ſeinen Lauf genommen habe, während andererſeits die meiſten Vertreter dieſer Anſicht muthmaßten, daß Franklin durch die Strömungen der Polarſee oder durch die Unmöglichkeit feiner Rüd- kehr auf den Wegen der Wollaſton-Straße oder des Jones-Sundes oder endlich ſelbſt in Folge einer durch die Umſtände herbeigeführten Abänderung feines Planes oben im Polarmeere die Fahrt nach Oſten verfolgt und in dieſer Weiſe die Umgebungen jenes öſtlicheren Ein- gangsthores zu demſelben (des Smith-Sundes) erreicht habe. Dieſe Anſicht liegt dem kühnen Unternehmen des Dr. Kane zum Grunde, der am 31. Mai 1853 in Begleitung einer kleinen Schaar thatkräfti— ger Männer mit der Brigantine Advance aus dem Hafen von New— Pork abgeſegelt und im Sommer jenes Jahres am weſtlichen Rande der Baffins-Bai geſehen iſt ?). Die im Anfange des Monat Decem— ) I should recommend their (the Expedition's) making Herald Island, and then push westerly for the land seen by me, which may be a continuation of the land seen by the natives from Cape Jakan, and which we know, from Baron Wrangell’s voyage, is not connected with the coast of Asia. I would pass, if pos- sible, to the westward of this land, and then prosecute the search easterly along its northern face, ?) „Dr. Kane's Nordpolar-Expedition“ in dieſer Zeitſchrift Bd. III, S. 73 Juli 1854). Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 117 ber 1854 von Boſton und New-Pork aus verbreiteten Nachrichten !), daß es dieſer Expedition beſchieden geweſen ſei, die Leichname Franklin's und einer Anzahl ſeiner Gefährten zu entdecken ſind längſt als ein leichtfertiges, aus der trauervollen letzten Botſchaft des Dr. Rae er— wachſenes Mißverſtändniß erkannt. Vielmehr fehlte es ſeit Juli 1853 an allen Nachrichten über die ſogenannte zweite Grinnell-Expedition und die herrſchende Ungewißheit über das Schickſal derſelben hat, un— ter dem Eindrücke der allgemein gehegten Beſorgniſſe für ihre Gebor— genheit, bei dem jetzt verſammelten Congreß der Vereinigten Staaten zu lebhaften Berathungen über eine im Laufe des nächſten Jahres aus— zuführende Rettungs-Expedition Anlaß gegeben. Daher ſind die Erkundungen des polaren Oceans, welche Belcher auf dem Wege des Wellington-Canals gewonnen hat, zur Zeit noch die neueſten und letzten. Sie verdienen um ſo mehr Aufmerkſamkeit, da nach den ſchließlichen Ergebniſſen eine Wiederaufnahme derſelben ſobald nicht zu erwarten ſteht. 7. Ergebniſſe und Verlauf der Unternehmungen des Capt. Belcher 1852 — 18542). Die Anfänge der Fahrt des Capt. Belcher waren in ungewöhn— lichem Maaße glücklich und berechtigten zu den beſten Hoffnungen. Un terſtützt von dem Capt. Kellett und Comm. Pullen machte er auf der 1) Vgl. The Times 18. Dec. 1854 und The Globe von demſelben Datum. — Sonderbar genug wird dieſe handgreiflich unhaltbare Geſchichte noch in der New - York weekly Tribune vom 9. Dee. als vollkommen zuverläſſig erzählt! 2) Als Duelle find vorzugsweiſe benutzt die Depeſchen des Capt. Belcher vom 22. Sept. 1852, vom 26. Juli und 8. Aug. 1853 (letzte iſt kürzlich in The Times vom 7. Oct. 1854 veröffentlicht und außerdem die Ausſagen der verſchiedenen Offiziere vor dem Kriegsgericht auf dem Waterloo im Hafen von Sheerneſſ vom 17. bis 19. Oet. v. J. — Die uns zugänglichen Abdrücke dieſer Actenſtücke und Mittheilungen laſſen hinſichtlich der Vollſtändigkeit und Klarheit Vieles zu wünſchen übrig. Als Haupt⸗ 1 — 5 1 wird ſpäter der gegenwärtig erſt in der Vorbereitung begriffene Reiſebericht des Capt. Belcher anzuſehen ſein, welchen der Buchhändler Lovell Reeve in London unter folgendem Titel anfündigt: „The Last of the Arctic Voyages. Being a narrative olf the Expedition under the Command of Sir Edward Belcher, C. B., of H. Maj. 8. Assistance, in search of Sir John Franklin, up Wellington Channel. By Capt. Sir Edw. Belcher. “ 2.2 118 C. Brandes: Beechey-Inſel einen letzten Verſuch, namentlich in der Nähe der Grä— ü ber, ſchriftliche Nachrichten von den Vermißten zu entdecken. Dieſe Bemühungen blieben zwar ohne Erfolg; allein die unter dem Ein— drucke derſelben von Neuem während eines fünftägigen Aufenthalts ge— pflogenen Unterſuchungen und Berathungen hatten wenigſtens das Er— gebniß der beſtimmten Anſicht, daß die Abreiſe Franklin's von dieſer Inſel nicht, wie vermuthet war, in Haſt und Uebereilung, ſondern in aller Ruhe und Ordnung vor ſich gegangen ſei, und daß Franklin dieſe Station zum Niederlegen von Nachrichten als ungeeignet angeſe— hen habe. Die Fahrt von der Beechey-Inſel den Wellington-Canal hinauf geſchah bei offenem Waſſer und ohne alle Schwierigkeiten. Schon nach 3 bis 4 Tagen erreichten die Schiffe auf der Höhe von 76° 52’ einen zum Winterlager geeigneten Punkt in dem von Belcher kraft feines Entdeckungsrechts benannten Northumberland-Sunde. Von dieſem Punkte aus wurde eine Reihe intereſſanter geogra— phiſcher Entdeckungen gemacht 1). Belcher überzeugte ſich auf einer Schlittenreiſe im Frühjahre durch den Augenſchein von der Einmün— dung des Jones-Sundes in das Polar-Baſſin, deſſen Wellenſtrömun— gen auf eine Verbindung mit dem dort ſich einmündenden Smith— Sunde, im Norden der Baffins-Bai, nicht ohne ſcheinbare Sicherheit ſchließen ließ. Sein Comm. Richards erlangte auf einer weſtwärts gerich— teten Erkundungsreiſe das Ergebniß, daß auch der Byam-Martin⸗ Canal mit jenem Polarmeer in unmittelbarem Zuſammenhang ſtehe. Allein das Element dieſes „offenen“ Polarmeeres mit ſeinem furcht— baren Treiben, unter der Herrſchaft wild dahin jagender Eiskoloſſe, ein erſchütterndes Bild von Gefahren ohne Rettung und des unvermeidli— chen Verderbens, ſetzte allen weiteren Erkundungen nur zu bald ein Ziel. Den Schiffen des Capt. Belcher wäre es, auch wenn er hätte die Fahrt verſuchen wollen, unmöglich geweſen, dorthin zu gelangen; der Ausgang des Canals von Northumberland-Sund bis gegen das Cap Lady Franklin hin war mit einer feſten Eisdecke geſchloſſen. Eben fo wenig, wie M'Clure von der Mercy -Bai aus mit feinem Inveſti— gator das offene Fahrwaſſer des Melville-Sundes oder der Barrow⸗ ) Man vergl. C. Ritter Captain Belcher's Nordpolar-Entdeckungen im er⸗ ſten Bande unſerer Zeiſchrift S. 406 — 411 und Brandes: Sir John Franklin S. 296 f. 1 ® 0 Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 119 Straße zu erreichen vermochte, konnte Belcher — dieß iſt ſeine aus— drückliche Verſicherung — mit ſeiner durch die Kraft eines Dampfboo— tes unterſtützten Aſſiſtance zum Polar-Baſſin kommen. Beim Anblicke dieſer furchtbaren See wurde er auf's Stärkſte von der Ueberzeugung durchdrungen, daß Sir John Franklin, oder Collinſon, oder M'Clure, ſollten ſie ja einmal unter beſonderen Umſtänden in dieſe Polar-See gelangt ſein, kein anderes Schickſal erfahren haben konnten, als jen— ſeits der Ausgänge, welche ſich mit undurchdringlichen Eis-Barrieren hinter ihnen geſchloſſen, Jahre lang auf und ab geſchleudert zu wer— den, bis ſie früher oder ſpäter von einem Zuſammenſtoß der Eismaſ— ſen ereilt werden mochten, die binnen wenigen Secunden Alles mit aufgethürmten Bergesmaſſen bedeckten. „Je mehr ich“ — berichtet Bel— cher — „die Action dieſer Maſſen, das theilweiſe offene Waſſer und die trügeriſchen Zugänge zu den offenen Stellen im Eiſe (pools) “) beobachtet, deſto mehr bin ich gewiß geworden, daß mit höchſter Wahr— ſcheinlichkeit Jedermann verloren iſt, der ſich hier vom Lande entfernt.“ Ja er ſagt: ſeiner feſten Ueberzeugung nach ſtimmten die intelligenten Offiziere ſeines Geſchwaders in der Annahme überein, daß Franklin über den Breitengrad der Beechey-Inſel nicht hinausgegangen ſei. Bei dieſer Lage der Dinge ſetzte ſich in Belcher, nachdem die Schlitten⸗ und Bootreiſen im Frühjahre 1853 beendet waren, die Mei— nung feſt, daß hier nichts zu thun übrig geblieben, und da alles Land, welches von Franklin ſelbſt auch nur möglicher Weiſe erreicht ſein konnte, hinlänglich erkundet ſei. Daher beſchloß er, ſich nach der Beechey-In— ſel zurückzuwenden. Bei dieſer Rückfahrt hat er mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen gehabt. War das Jahr 1852 der Schiff fahrt ungemein günſtig geweſen, ſo hatten dagegen die beiden folgen— den Jahre einen ganz verſchiedenen Charakter. Alle Anſtrengungen, im Verlaufe derſelben den Weg zurückzulegen, den er damals in drei Ta— gen hinaufwärts vollendete, waren vergeblich. Es iſt zuletzt dahin ge— ) Dieſe Erſcheinung entſpricht deu „kleinen unbeftändigen Polinjen“, deren r ruſſiſche Capt. Ferdinand v. Wrangel in feinem Reiſebericht gedenkt. (Der Aus- ck Polynia, der neuerdings auch in engliſchen und franzöſiſchen Reiſebeſchreibungen r häufig vorkommt, iſt aus dem ſibiriſchen Sprachgebrauch herübergenommen. Po- lynjà, ein ruſſiſches Wort, in Reiff's ruſſ. Lexicon überſetzt durch endroit sur la 1 ce de Peau ou il n’y a pas de glace, kommt von dem Adj. „poly“ her, wel⸗ ches „offen, leer, hohl, frei“ bedeutet). 120 C. Brandes: kommen, daß er ſeine Schiffe im Eiſe zurücklaſſen und mit Schlitten und Böten eine Zuflucht auf der Beechey-Inſel ſuchen mußte. Den Leſern unſerer Zeitſchrift iſt bereits bekannt!), daß Comm. Pullen von feiner Station auf der Beechey-Inſel im Juli 1853 aus- gegangen war, den Capt. Belcher aufzuſuchen, daß er die Erpedition im Verlauf ſeiner Rückreiſe bei der Hogarth-Spitze in der Nähe des Cap Belcher getroffen und von dorther Belcher's Depeſchen überbracht hatte. Damals erſchien es keineswegs als unwahrſcheinlich, die beiden Schiffe des Capt. Belcher im Sommer, als während der Schifffahrts— zeit im Jahre 1853, an der Beechey-Inſel ankern zu ſehen. Lieut. Pullen fand bei ſeiner Rückkehr von jener Zuſammenkunft mit Belcher auf der Beechey-Inſel die Expedition des Phönix vor. Capt. Ingle⸗ field hatte ſich bereits auf den Weg gemacht, um dem Sir E. Belcher die neuen von der Admiralität ihm übergebenen Depeſchen zu bringen. Wenige Tage ſpäter kehrte Inglefield, der Pullen unterwegs verfehlt hatte, ebenfalls wieder an Bord des „Nordſtern“ zurück, ohne die Des peſchen abgegeben zu haben. Es iſt bekannt, daß auch ein zweiter Verſuch zur Beförderung der neuen Depeſchen auf die beklagenswer— theſte Weiſe mislang, indem Lieut. Bellot, der ſich zu dieſem Dienſte freiwillig erboten, unterwegs ſeinen Tod fand. Erſt nachdem Ingle— field längſt ſeine Rückreiſe nach England angetreten, gelang es gegen Ende des Monats September, dieſelben an den Capt. Belcher zu brin— gen, als feine Schiffe nur etwa 13 deutſche Meile von der Stelle, an welcher Bellot ertrunken war, unbeweglich im Packeiſe lagen. Je— ner furchtbare Orkan vom 18. Auguſt war von ihnen glücklich über— ſtanden. Allein bei einem abermaligen heftigen Sturm in der Mitte des Monats October (die Angaben des Datums variiren zwiſchen dem 11. und 16. October) wurden beide Schiffe in Folge des Drucks der aufgethürmten Eisblöcke gegen das Ufer geworfen. Das Dampfboot ging aus dieſer Fährlichkeit unverſehrt hervor, allein das Hauptſchiff zeigte ſich ſtark beſchädigt, ſo daß es zuletzt täglich ſieben Zoll leckte. Durch dieſes unerwartete Unwetter wurden die Schiffe verhält nißmäßig ſpät im Jahre noch in die Disaſter-Bai verſchlagen, ſo daß ) C. Ritter: Capt. Sir E. Belcher's Nordpolar- Entdeckungen Bd. J, S. 406 ff. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 121 fie von 76° 52“ bis 75° 33’ n. Br. ſüdwärts gelangten. Im folgen den Winter (1853 — 1854) und Frühjahr nahmen unter der Mann- ſchaft Krankheit und Seuche überhand. Der zweite Schiffsarzt, Ri— ckards, hat vor dem Kriegsgericht ausgeſagt, daß er bei nicht weniger als vier unter den zehn Offizieren des Geſchwaders Bedenken für ei— nen nochmaligen Winter in der arktiſchen Zone hegte, und daß von ſaͤmmtlichen vorhandenen Seeleuten nur zehn bis zwölf im Stande er— ſchienen, den Schiffsdienſt noch auf ein Jahr zu verſehen. Capt. Belcher, deſſen Geſundheitszuſtand ſchon längſt leidend ge— worden war, verließ am 23. Juli 1854 die Schiffe, theils um auf der Beechey-Inſel die erforderliche Kundſchaft einzuziehen und in Ger meinſchaft mit den dort vorhandenen Offizieren die nöthigen Anordnun— gen zur Heimkehr zu treffen, theils auch um die nunmehr täglich er— warteten neuen Depeſchen aus England ſogleich in Empfang nehmen zu können. Während dieſer Zeit gelang es ſeinen zurückgebliebenen Mannſchaften, am 6. und 7. Auguſt die beiden Fahrzeuge wiederum in Bewegung zu ſetzen. Allein nur auf kurze Zeit und auf die ge— ringe Strecke von zwei engliſchen Meilen. Als darnach der Comm. Ri- chards am 10. ſich entſchloß, durch Aufwendung von beinahe 800 Pfd. Schießpulver ſich einen Ausgang aus der Gefangenſchaft im Eiſe zu bahnen, hatte auch dieß nur ſehr geringen Erfolg; er erreichte kaum > einen Fortſchritt von etwa 4 engl. Meile. Es zeigte fich, daß das Jahr 1854 der arktiſchen Schifffahrt noch ungünſtiger war, als das vorher- gehende. Die Fahrzeuge fanden ſich inmitten granitfeſter Packeis-Maſ— ſen bei jeder weiteren Bewegung gehemmt. Die Nachricht dieſer ver— geblichen Anſtrengungen und Kämpfe wurden dem Capt. Belcher, der ſich noch immer auf der Beechey-Inſel aufhielt, durch Boten mitge— theilt; ſie war am wenigſten geeignet, die vorherrſchende gedrückte An— 5 ſicht über das Gelingen der Heimkehr mit den Schiffen zu heben. 8 Da auch jetzt die Ankunft des mit der lebhafteſten Sehnſucht er— warteten Schiffes aus England noch nicht erfolgt war, ſtand Belcher noch immer auf der Inſtruction aus dem Jahre 1853, in welcher er nachdrücklich von allen augenſcheinlich erfolgloſen Unternehmungen ab- Ben und erinnert wurde, 1 8 0 in dem Fal, daß irgendwie Spu⸗ 122 C. Brandes: Maßregeln weiter vorzugehen. Wiewohl längſt entſchloſſen, im Monat Auguſt, ſofern nicht anderweite Verhaltungsbefehle eingetroffen ſein würden, mit ſämmtlichen Mannſchaften nach England zurückzukehren, a hielt er es doch für räthlich, einen ſo entſcheidungsvollen Schritt bis auf den äußerſten Moment zu verſchieben. Und dieſer Moment gab ſich ihm ſehr beſtimmt. Er hatte nän⸗ lich berechnet, daß mit dem Neumond am 25. Auguſt der letzte in die— ſem Jahr zu hoffende Wendepunkt für die Befreiung ſeiner Schiffe herbeigekommen, und daß mit dem 26. Auguſt die höchſte Zeit zur Heim kehr eingetreten fein werde. Demzufolge begab er ſich am 23. Auguft mit Comm. M'Clintock und mehreren anderen Offizieren der Schiffe Reſolute und Inveſtigator von der Beechey-Inſel nach feinen Fahr— zeugen zurück, traf am folgenden Tage alle Vorbereitungen zum Ver— laſſen derſelben (er ließ die Anker und Steuer möglichſt geſichert nie— derlegen, die Schiffsluken ſorgfältig verſchließen u. ſ. w.) und verfün- dete ſodann in der vierten Frühſtunde des 25. Auguſt der Mannſchaft den Befehl zum ſofortigen Aufbruch zunächſt nach der Beechey-Inſel. Wie geheimnißvoll er hierbei zu Werke ging, oder vielleicht auch wie unſchlüffig er bis zum letzten Augenblicke noch geweſen iſt, läßt ſich unter anderm daraus abnehmen, daß Lieut. M'Clintock ſich bis zu der letzten Stunde noch darauf gefaßt hielt, als Befehlshaber der beiden Schiffe zurückzubleiben. Nicht ohne ſtillen Schmerz blickten die abziehenden Offiziere und Seeleute beim Scheiden nach den verödeten Schiffen zurück, wie ſie dort dicht neben einander ſtanden, umgeben von anſcheinend feſten und gewaltigen Eismaſſen, deren Auflöſung im Jahre 1854 unter allen Augenzeugen Niemand zu hoffen wagte; denn erſt in der Entfernung einiger engliſchen Meilen von ihrem Standort fing eine Reihe jener gewöhnlichen Eisfelder an, deren Beweglichkeit und Wechſel im Laufe der letzten Jahre ſo oft geſehen wurde. Der Rückblick auf alles das, was ſie erkundet und erlebt, die Erinnerungen an die Gefahren und Beſchwerden ihrer Kundſchaftsreiſen waren von der niederſchlagenden Stimmung getrübt, welche aus bitter getäuſchten Hoffnungen unab— wendbar hervorgeht. Sie hatten keine Spur der Vermißten gefunden, und waren in Bezug auf das Schickſal derſelben von der Ueberzeugung erfüllt, daß ſie dort in dem Elemente des Polarmeeres jenſeits der * 5 Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 123 Wellington⸗Straße dem Verderben nicht hätten entrinnen können. Einen ihrer Gefährten hatten ſie im Northumberland-Sunde, zwei an— dere in der Disaſter-Bai begraben. Jetzt mußten die Fahrzeuge, welche ihnen bis dahin ſo treu gedient, in welchen ſie ſich während der Winter— zeit ſo ſicher geborgen hatten, den Gewalten der arktiſchen Natur über— laſſen werden, während ſie unter der Laſt deſſen, was ſie mit ſich zu neh— men vermochten, gleichſam mit dem Wanderſtabe in der Hand, ſich der Heimath wieder zuwandten ). Capt. Belcher war nicht nur bei der Berechnung des Zeitpunktes ſei— ner Heimfahrt von der Beechey-Inſel mit Umſicht und Vorbedacht zu Werke gegangen, ſondern er hatte es ſich auch angelegen ſein laſſen, die Maaß— regeln zur Ausführung ſeiner Plaͤne auf's Zweckmäßigſte anzuordnen. In der That gelang ihm dies Mal trotz der entgegenſtehenden Schwie— rigkeiten Alles auf's Beſte. Nachdem die Mannſchaften der Schiffe Aſſiſtance und Pioneer den mindeſtens 10 deutſche Meilen weiten Weg nach der Beechey-Inſel mit Böten und Schlitten, welche die mitgenom⸗ menen Vorräthe enthielten, zurückgelegt hatten, wurden fie mit ſämmt⸗ lichen auf der Beechey-Inſel noch anweſenden Männern auf dem ein— zigen zur Fahrt nach England vorhandenen Schiffe Nordſtern unter— gebracht. Als Capt. Inglefield am 26. Auguſt dem Cap Riley na- hete, befanden fie ſich bereits auf hoher See. Die Ankunft ſeiner bei— den Schiffe (Phönix und Talbot) wurde mit unermeßlicher Freude ver— nommen. Alle ſehnten ſich nach neuen Nachrichten aus der Heimath. Daneben war es ſehr willkommen, daß die für den engen Raum des Nordſtern faſt zu zahlreiche Mannſchaft auf die beiden angekommenen Schiffe vertheilt werden konnte, ſo daß theils durch die Anwendung des Schraubendampfers Phönix, theils durch die erprobte Kundigfeit des Capt. Inglefield auf dieſem Wege die Rückfahrt, wie man es kaum beſſer wünſchen konnte, geſichert war. ) Ein paar anſchauliche Andeutungen jener Erlebniſſe giebt der Brief eines Bom⸗ bardiers auf dem Dampfboot Pioneer, am Cap Eden im Wellington-Canal 9. Sept. 1853 geſchrieben, mitgetheilt in Daily News vom 9. Oct. (abgedr. in Galign. Mes- senger vom 13. Oct.) 1854. Man ſieht aus dieſem Schreiben, daß während der 11 monatlichen Gefangenſchaft der Schiffe im Northumberland-Sund die üblichen Luſt⸗ eiten eines ſolchen Winterlagers, z. B. Theater, Concerte u. dgl. nicht fehlten. Die ' gkeit der Kälte und der unerträgliche Ungeſtüm des Wetters in den eigentlichen termonaten überſtieg alle Beſchreibung. 124 C. Brandes: 8. Abzug der letzten Mannſchaften des Inveſtigator. Wäre es ausſchließlich oder auch nur vorzugsweiſe die Aufgabe des Capt. Kellett geweſen, nach den beiden Schiffen Enterpriſe und Inveſtigator zu ſuchen, ſo würden wir ſeine Aufgabe als außerordent— lich glücklich gelöſt anſehen können. Durch die von ihm entſandten Streifpartieen wurde im Herbſt 1852 das Vorhandenſein des Inve— ſtigator ermittelt, im Frühjahre 1853 feine Zuflucht in der Mercy: Bai aufgefunden und ſo zuletzt die Rettung der Mannſchaft herbeige- führt. Außerdem gelang es, wie unten näher erzählt werden wird, einem feiner Lieutenants auf einer der merkwürdigſten arktiſchen Schlit- tenreiſen ſechs verſchiedene Berichte des Capt. Collinſon aus den Jah- ren 1851 und 1852 aufzufinden, aus welchen ſich die beruhigendſten Folgerungen über deſſen Verbleib ergaben. — Wenn wir indeſſen nicht zweifeln dürfen, daß es recht eigentlich die Stimme der engliſchen Re⸗ gierung war, als Admiral Hyde Parker den Offizieren unter Belcher als letztes Wort die Mahnung auf den Weg gab: „die Rettung Franklin's und ſeiner Gefährten vor Augen und im Herzen zu haben und nicht auf geographiſche Entdeckungen auszugehen“, ſo iſt dieſer Zweig der letzten großen Expedition ſeines Hauptzweckes gänzlich fehl gegangen. Die Nachrichten des vergangenen Jahres über das Geſchwader des Capt. Kellett bei der Dealy-Inſel gingen nicht über den 7. Mai 1853 hinaus. An dieſem Tage wurde Lieut. Creſſwell von ihm nach der Beechey-Inſel entſandt, damit er als erſter redender Zeuge der nunmehr entdeckten, wenn auch zur Zeit noch nicht vollſtändig ausge— führten nordweſtlichen Durchfahrt die Depeſchen von M'Clure der Ad— 5 miralität überreiche. Damals hegte M'Clure noch die Hoffnung, im Laufe des Jahres 1853 oder vielleicht ſelbſt des Jahres 1854 ſeinen Inveſtigator durch die Banks-Straße, den Melville-Sund, die Bar— row⸗Straße und die Baffins-Bai nach England zurückzuführen. Allein dieſe Hoffnungen ſollten nicht in Erfüllung gehen. M'Clure war ſchon am 7. April, dem Tage nach der Ankunft des Lieut. Pim bei dem Inveſtigator, nach der Dealy-Inſel aufgebrochen, da er es für dringend nothwendig erachtete, mit dem Capt. Kellett, als älterem Offizier, perſönlich über feine weiteren Pläne zu berathen. Er ſah ſich Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 125 am Bord der Reſolute mit der herzlichſten Freude empfangen; Kellett preiſ't den Tag dieſes Wiederſehens (19. April) als ein Feſt, deſſen Erinnerung in ſeiner Familie fortan heilig gehalten werden ſoll. Den— noch nahm er aber Anſtand, dem Wunſche M'Clure's nachzugeben. Als die Hälfte der Mannſchaft des Inveſtigator, welche am 2. Mai das Winterlager des Reſolute erreichte, von dem Schiffsarzte Dr. Dom— ville unterſucht wurde, ergab ſich, daß der Geſundheitszuſtand ein ſehr ungünftiger war. Faſt Alle waren von Krankheit und Siechthum er— griffen. M'Clure vermochte nicht zu verhehlen, daß feine Leute vor— zuͤglich in Folge der geſchmälerten Rationen (ſeit October 1851) durch Scorbut und allgemeine Schwäche ſehr heruntergekommen waren. Der Anordnung des Capt. Kellett zufolge begab ſich daher M'Clure mit dem Dr. Domville wieder nach der Merey-Bai, um das Befin⸗ den der zurückgelaſſenen Mannſchaft einer neuen Prüfung zu unter— werfen. Hatte er ſich mit der Erwartung getröſtet, daß die unverhoffte Ausſicht auf Rettung und die ermöglichte Verbeſſerung im Unterhalt die Geſundheit und den Muth der Seinen während der inzwiſchen ver— floſſenen 6 Wochen ſchon geſtählt haben würden, ſo ſah er ſich bitter getäuſcht. Domville fand faſt Alle in angegriffenem Zuſtande, und nur vier unter den Männern ſcheinen ſich freiwillig zum weiteren Aus harren auf dem Inveſtigator erboten zu haben, während doch minde— ſtens 20 Mann erforderlich geweſen wären, um den Schiffsdienſt zu ſichern. Demnach konnte die Entſcheidung nicht zweifelhaft fein. So⸗ bald die entſprechenden Anſtalten getroffen waren, wurde der Inveſti— gator, nachdem er gegen 3 Jahre in den Eisregionen und nunmehr 193 Monate in der Mercy-Bai eingeſchloſſen geweſen war, ohne daß ſein Körper bis dahin irgendwie Schaden genommen hätte, auch von dem Reſte der Mannſchaft verlaſſen und aufgegeben. Wie ſchwer auch dieſe Entſcheidung den kühnen Seefahrer getroffen haben mag, ſie war jetzt unvermeidlich. Nun erſt ward erkannt, wie glücklich die Fügung war, welche ihm in dem ſonſt fo ungünftigen Jahre 1851 den Eingang zu einem Hafen eröffnete, der auch in dem günftigen Jahre 1852 jo dicht verſchloſſen blieb, daß nur einige Wochen lang der Froſt ein wenig en ſchien, während undurchdringliche Eisſchranken auf eine g t ecke von mindeſtens 25 engl. Meilen ihn von dem Fahrwaſſer des großen Melville-Sundes trennten. * 126 C. Brandes: 9. Erkundungen des Capt. Kellett 1853 — 18545). Da die Gebiete im Süden der Melville-Inſel durch M'Clure in den Jahren 1851 und 1852 hinlänglich durchforſcht waren, konnte Capt. Kellett ſeine Schlittenzüge auf die Richtungen nach Südweſt, Nordweſt und Norden beſchränken. Die erſte dieſer Richtungen wurde dem Lieut. Mecham, die zweite dem Comm. M'Clintock, die dritte dem Lieut. Hamilton überwieſen. Da wir die Einrichtung und Anord— nung ſolcher Schlittenreiſen, die durch vorher niedergelegte Depots und durch Hilfs-Schlitten unterſtützt werden, als bekannt vorausſetzen kön— nen, ſo bleibt uns nur zu erwähnen, daß dieſe Züge, die am 4. April das Winterlager verließen, nach und nach ſämmtlich zurückgekehrt ſind, ohne Spuren von Franklin gefunden zu haben. Lieut. Hamilton, der den nordöſtlichen Theil des Sabine-Landes erkundet hatte, und der Verab— redung gemäß mit den von Capt. Belcher gleichzeitig ausgeſandten Schlitten zuſammengetroffen war, langte ſchon nach 54 Tagen (am N 27. Mai) wieder an, während Mecham am 7. Juli und M' Clintock ſogar erſt am 18. Juli das Schiff wieder erreichte. Es iſt immer- hin als ein wichtiges Ergebniß anzuſehen, daß Franklin auch die jetzt durchreiſ'ten Gebiete nicht betreten zu haben ſcheint (Hamilton hatte 585, Mecham 1006, M'Clintock 1148 Meilen ausgekundſchaftet), ob⸗ gleich manche ſehr auffallende Erfahrungen in den letzten Jahren die Zuverläſſigkeit ſolcher Erkundungen nachhaltig erſchüttert haben ). ) Neben den oben bezeichneten engliſchen Berichten iſt uns für dieſen Abſchnitt der unter andern im Journal des Debats abgedruckte Bericht des franzöſiſchen Marine⸗ Lieutenants de Bray zu Statten gekommen, der dem Beiſpiele Bellot's folgend, im Jahre 1852 fich der Mannſchaft des Schiffes Reſolute beigeſellt hatte, um bei den Unternehmungen für die Rettung Franklin's und ſeiner Gefährten mitzuwirken. — — Auch die Mittheilungen von Miertſching (im Miſſionsblatt aus der Brüdergemeine 1855, Januar, S. 10 — 20) enthalten namentlich anſchauliche Schilderungen der Erz lebniſſe bei der Rückkehr von der Dealy- nach der Beechey-Inſel. 2) Wir erinnern nur an die beiden merkwürdigen Thatſachen: 1) daß Ken- nedy und Bellot im Jahre 1851 nicht im Stande waren, die dort ſicher vermutheten Signalſtangen und Zeichen der Gegenwart der Auſtin'ſchen Mannſchaften aus dem vorhergehenden Jahr aufzufinden; 2) daß Capt. Belcher bei ſeiner Hinauffahrt zur Beechey-Inſel am Cap Warrender den von Capt. Auſtin's Expedition dort aufgebau⸗ ten Steinhaufen, deſſen Ort ihm genau bekannt ſein mußte, zwar aufgefunden hat, aber vergebens alle Mühe aufbot, um das niedergelegte Document wieder zu entdecken. ns K * ri \ Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 127 Zur Zeit der Rückkehr der ausgeſandten Schlitten war Kellett bereits damit fertig, der ihm ertheilten Vorſchrift gemäß ein feſtes Vorraths- und Zufluchtshaus auf der Dealy-Inſel zu errichten, wel chem die Benennung Seefahrers-Heimath (Sailor's Home) zu Theil geworden iſt. Die in demſelben niedergelegten Lebensmittel, zunächſt wohl hauptſächlich für Collinſon berechnet, gewährten für 66 Menſchen einen auf 200 Tage ausreichenden Unterhalt. Neben dieſem Gebäude war auf dem höchſten Gipfel der Inſel ein 20 Fuß hoher Steinhau— fen errichtet, deſſen Flagge von hier aus fernhin ſichtbar entflatterte. Eine blecherne Büchſe, die am Fuße deſſelben eingegraben war, ent— hielt nähere Nachrichten. Die Aufnahme der Mannſchaft des Inveſtigator auf den Schif— fen Reſolute und Pioneer erheiſchte mancherlei beſondere Maaßregeln für die Vertheilung der inneren Räume. Im Uebrigen waren beide Schiffe mit Vorräthen fo vollſtändig verſorgt, daß die geſammte Schiffs- geſellſchaft ungeachtet dieſes Anwachſens noch auf länger als ein Jahr ihr reichliches Auskommen hatten. Capt. Kellett glaubte nunmehr die ihm übertragene Aufgabe, ſo weit es möglich war, vollſtändig gelöſt zu haben, und ſah daher, be— ſonders aus Theilnahme für die Mannſchaft des Inveſtigator, mit Sehnſucht dem Augenblick entgegen, in welchem den noch immer mit— ten im Eiſe feſtgehaltenen Schiffen ſich die hohe See zur Hinabfahrt nach der Beechy-Inſel wieder öffnen möchte. Bis zur letzten Hälfte des Monats Auguſt harrte er vergebens, Am 18. Auguſt warf in⸗ deſſen derſelbe Nordweſt-Orkan, der den Tod des Lieut. Bellot herbei— führte und auch von dem Geſchwader des Capt. Belcher heftig ver— ſpürt worden war, plötzlich durch eine gewaltige Erſchütterung die der Melville⸗Inſel vorgelagerten Eis-Barrieren auseinander und änderte wie mit einem Zauberſchlage die ganze Anſicht der Dinge. Drei Stun— den nach dem Eintritt dieſes Wechſels konnten die Schiffe mit vollen Segeln gen Oſten ihren Lauf nehmen. Schon zählte man den Tag der Ankunft beim Winterlager des Nordſtern aus. Allein dieſe Rechnung er— von den Zähnen eines wilden Thieres zernagt, in der Nähe am Boden liegend. u) „Mais nous comptions sur les glaces“ fagt de Bray, deſſen Mittheilungen F. 128 C. Brandes: ſten der Melville-Inſel verlaſſen hatten, geriethen ſie auf's Neue zwi— ſchen die Eisfelder !) und wurden an der Griffith-Spitze, dem ſuͤd— öſtlichen Auslauf der Inſel, bis zum 10. September feſtgehalten. Da nun erkannte Capt. Kellett, wie ſehr bei der vorgerückten Jahreszeit Alles darauf ankomme, jede zum Weiterkommen ſich darbietende Gele— genheit ungeſäumt zu benutzen. Deshalb zögerte er nicht, mit dem jetzt eintretenden Nordwind einen Ausweg zu der ſüdwärts durch den Herbſtnebel erblickten offenen See zu ſuchen. Allein alle Anftrengun- gen und Kämpfe erlangten bloß einen verhältnißmäßig geringen Erfolg. Denn nur zu bald hatte das Winterwetter von Neuem eingeſetzt, ſchon begann das ſogenannte junge Eis, die Fahrt zu hemmen. Die Hoff— nung, das erſehnte Ziel noch zu erreichen, ſank von Tage zu Tage. Am 26. September ſahen die Mannſchaften ſich mitten in der Bar— row-Straße (74° A! n. Br.) eingefroren. Fortan blieben alle Ver— ſuche, vorwärts zu kommen, ohne Erfolg; zuletzt ſtanden die Schiffe 28 Meilen ſuͤdweſt-ſüdlich von Cap Cockburn (am Bathurſt-Lande) 7441“ n. Br. und 101 22’ weſtl. L. völlig unbeweglich im Eiſe. Damit war alle Ausſicht, weiter vorzudringen, mindeſtens auf 8 bis 9 Monate verſchwunden; es blieb nichts übrig, als die Schiffe zu Winterquartieren einzurichten, die Beſchwerden und Uebel des arktiſchen Winters ſo viel als möglich zu vermeiden, Krankheiten und Siech— thum, ſo weit es erreichbar war, fern zu halten. In dieſer Hinſicht kam das friſche Fleiſch des auf der Melville-Inſel, und ſelbſt noch während des Aufenthalts an der Griffith-Spitze, in großer Zahl erleg— wir hier zum Grunde legen, da ſie weſentlich mit den kurzen Berichten des Capt. Kellet übereinſtimmen. — Nach Miertſching (ſ. Miſſionsblatt der Brüdergemeinde 1855, S. 12) hatte der heftige Sturm erſt am 19. Auguſt die ganze Maſſe des 8 Fuß dicken Eiſes aufgebrochen und die Schiffe mit demſelben in ſüdöſtlicher Richtung fort— getrieben. „Die Schwellung des Meeres,“ fährt er fort, „war ſo hoch und gewaltig, daß zwei Schiffsboote in kleine Stücke zertrümmert wurden. Auch die großen Schiffe litten nicht wenig durch den Stoß der Eismaſſen, welche mit furchtbarer Gewalt ge— gen fie antrieben “. 1) Miertſching a. a. O. ſchildert die Situation als äußerſt gefahrvoll und ſieht die Rettung als ein Wunder der Vorſehung an: „Als nemlich die über einander ge— ſchobenen Eismaſſen unſere Schiffe zu begraben drohten, wurden letztere, ohne Darzu⸗ thuen menſchlicher Kraft und Hülfe, denn mit ſolcher war hier nichts auszurichten, von der Strömung an's Land getrieben, und zwar in einen kleinen Hafen bei Point Grif— fith hinein, wo wir ſie ſofort am Landeis durch die ausgeworfenen Anker befeſtigen konnten.“ Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 129 ten Wildes vortrefflich zu Statten. Endlich trug auch der durch Schlit— tenpartien angebahnte und unterhaltene Verkehr mit Capt. Belcher und deer Beechey-Inſel nicht wenig dazu bei, den Muth und die Lebens— kraft des Schiffsvolks aufrecht zu erhalten. Nach dem endlichen Empfang der von Inglefield aus England mitge— ; brachten Depeſchen hatte Capt. Belcher ſchon feit September 1853 es feine nächſte Sorge ſein laſſen, ſich von ſeinem damaligen Standorte in der Wellington⸗Straße her mit dem Capt. Kellett in Verbindung zu ſetzen. Die Schwierigkeiten und Gefahren dieſes Verſuchs waren anfangs nicht gering; ſie wurden indeß glücklich überwunden. In einer vom Monat October datirten Depeſche machte er Kellett, deſſen letzte Begegniſſe ihm zur Zeit noch nicht bekannt geworden waren, darauf aufmerkſam, wie wichtig es ſein müßte, die Männer des Inveſtigator bis zur Mitte des Monats Juni nach der Beechey-Inſel zu befördern. Zugleich ſprach er aus, daß ſeinerſeits auch der Ankunft der Mannſchaften der Schiffe Reſolute und Intrepid mit Beſtimmtheit entgegengeſehen werde, ſofern nicht etwa unverkennbare Spuren der Vermißten aufgefunden wären, und ſomit anderweite Unternehmungen ſich als unbedingt erfor— derlich ergeben hätten. Aehnliche Weiſungen wiederholte er in einer neuen Botſchaft vom 1. Februar 1854. Bald nach dem Eintreffen dieſer letzten Botſchaft, am 4. März, entſandte Capt. Kellett eine Schlittenpartie mit dem Auftrage, zunächſt die Station der Beechey-Inſel zu beſuchen, hernach aber mit Hilfe der dort eingezogenen Kunde ſich nach der Disaſter-Bai zu wenden, um den Capt. Belcher, der dort ſein Winterlager zu nehmen gezwungen war, über die Lage der Dinge genau zu unterrichten und feine defini- tive Entſcheidung einzuholen ). Dieſer Schlitten kehrte erſt am 11. April ) Die Ausſagen der verſchiedenen Offiziere vor dem Kriegsgericht (am 17. — 19. October 1854) laſſen es nicht zweifelhaft, daß die Stimmung der Mannſchaften Kellett's — trotz der Ueberwinterung mitten im Packeiſe, an einer Stelle, wo ſie nur bei beſonders günftigem Wetter den äußerſten Vorſprung des Bathurſt-Landes erblicken konnten — muthig und gehoben blieb. Dieß beſtätigen auch die Berichte des franzö⸗ ſiſchen Lieutenants de Bray. Dagegen iſt die Erzählung Miertſching's, der jetzt eben: falls zur Schiffsgeſellſchaft der Reſolute gehörte, düſterer gefärbt: „Daß der Muth der Mannſchaft ſehr geſunken war, läßt ſich denken. Zur Erheiterung derſelben wurden allerhand Spiele und Vergnügungen in Gang gebracht. Schauſpiele, Maskeraden und Taſchenſpielerkünſte kamen auf's Tapet, aber freilich ohne den beabſichtigten Zweck Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 9 130 C. Brandes: zurück und überbrachte für Kellett eine vom 2. April datirte Ermäch— tigung, den Befehl der Mannfchaften des Inveſtigator in feine Hand zu nehmen und für deren möglichſt baldige Ueberkunft zum Nordſtern auf der Beechey-Inſel Sorge zu tragen. In Folge dieſer Botſchaft brach Capt. M'Clure ſchon in den nächſten Tagen mit den ihm über— wieſenen Schlitten auf und erreichte „nach vielen und großen Mühfa- len“ am 27. April ſeinen Beſtimmungsort. Capt. Kellett hatte in jenem offiziellen Schreiben vom 2. April (welches, wie wir ſehen, ſchon nach 8 Tagen von der Disafter-Bai her an ihn gelangte) zugleich von Neuem die Aufforderung erhalten, feine beiden Schiffe zu räumen und die Mannſchaften ebenfalls nach der Beechey-Inſel hinüberzuführen. Daneben hatte ihm ſein Ober— Befehlshaber Belcher, wie es das Verhältniß der beiden perſönlich be— freundeten Offiziere mit ſich brachte, vertraulich in weniger entſchieden gehaltenen Ausdrücken geſchrieben. Darüber mußten denn allerlei Zweifel und Bedenken entſtehen, und Kellett nahm die ihm dadurch er— öffnete Gelegenheit wahr, um ſogleich am folgenden Tage (12. April) mittelſt eines amtlichen Erwiederungsſchreibens unverhalten anzuzeigen, daß er die Verantwortlichkeit nicht übernehmen könne, auf den Wort— laut dieſer Befehle hin ſeine Schiffe im Stiche zu laſſen und daher in der Lage ſei, runde, beſtimmte und unzweideutige Verhaltungsbefehle erbitten zu müſſen. Zugleich fügte er einen vertraulichen Brief bei, in welchem er ſeine Anſicht der Dinge zwar nicht ohne Rückhalt, aber doch vernehmlich ausgeſprochen zu haben ſcheint. Unter Anderem hob er hervor, daß nach der einſtimmigen Anſicht ſeiner Offiziere von dem Aufbruche des Froſtes keine Gefahr zu beſorgen ſtehe, da das Eis, welches die bis jetzt trefflich bewährten Schiffe zunächſt gefeſſelt halte, erſt im letzten Herbſt und Winter entſtanden ſei. zu erreichen.“ — „Der Sturm wüthete oft lange Zeit fo fürchterlich, daß es nicht möglich war, nur von einem Schiffe anf das andere (d. h. von der Reſolute zu deſſen Dampf- boot, dem Intrepid, der 200 Schritte von ihm entfernt ebenfalls eingefroren war) zu gelangen, und einmal verirrte ſich eine Geſellſchaft auf dem kurzen Wege bei dem dichten Stöberwetter. Da nun alle Communication unterbrochen war, wenn ſolches eintrat, ſo wurde mit gutem Glück und Erfolg ein elektriſcher Telegraph zwiſchen bei— den Schiffen hergeſtellt.“ — Jene Widerſprüche erklären ſich indeß leicht, wenn man annimmt, daß Miertſching ausſchließlich feine Gefährten vom Inveſtigator im Auge haben mochte, die faft ſämmtlich ſehr gelitten hatten. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 131 Auf alle dieſe Vorſtellungen und Einwände ging Capt. Sir Edw. Belcher indeß gar nicht ein. Vielmehr erließ er ſogleich am 21. April — man ſieht, daß die Boten wiederum in acht Tagen jene Strecke vom Winterquartier Kelletts bis zur Disaſter-Bai zurückgelegt haben — ſeine letzten Befehle in dieſer Angelegenheit, in welchen er die im October 1853 von ihm niedergeſchriebenen Beſtimmungen für maßge— bend erklärte. Von Neuem forderte er daher den Capt. Kellett auf, ſeine Fahrzeuge Reſolute und Intrepid alsbald aufzugeben und alle werthvollen und koſtbaren Gegenſtände mit ſich zu nehmen. Weiter empfahl er jedoch dringend, dieſelben jo viel als thunlich äußerlich zu verwahren und in einem ſolchen Zuſtande zurückzulaſſen, daß ſie er— forderlichen Falls von den Mannſchaften demnächſt wieder beſetzt wer— den könnten !). Dieſem Befehle durfte ſich Kellett nicht länger entziehen. Am 15. Mai?) ſchritt er, wiewohl mit Widerſtreben, zur Ausführung deſ— ſelben. Alle Thüren und Luken des Verdecks der beiden Schiffe wur— den feſt verſchloſſen, die Maſten und Raen möglichſt geſichert auf dem— ſelben niedergelegt, die Segel an den Stangen befeſtigt. Und ſo ſchied dieſe noch auf 14 Monate mit Lebensmitteln verſehene, kräftige und unternehmende Schaar nicht ohne ſchweren Unmuth von ihren beiden vortrefflichen Fahrzeugen, die ihnen und der Mannſchaft des Inveſti— gator während des letzten Winters mitten in der arktiſchen See Ob— dach und unterkunft gewährt und alle Fährlichkeiten der Stürme und des Eiſes bis dahin glücklich beſtanden hatte, ohne irgend einen ſicht— baren Schaden zu nehmen. 9. Die Erkundungsreiſe des Lieut. Mecham nach der Prinz-Wales-Straße (April — Juni 1854). Während im Winterquartier der Reſolute Alle mit lebhafter Spannung von Tag zu Tag der Rückkehr jener am 4. März an den ) „Directing Capt. Kellett to withdraw every thing valuable from the Re- solute and her tender the Intrepid and to batten them both down, so that nothing icht be disturbed that they might be ready for reoccupation.“ Vergl. Verhand- lungen des Kriegsgerichts zu Sheerneß 17. Oct. 1854. ) Die verſchiedenen Angaben über das Datum weichen wiederum ab. De Bray berichtet, daß er am 8. Mai mit den Kranken die Reſolute verließ und am 25. auf der Beechey⸗Inſel ankam. Kellett ſelbſt traf drei Tage ſpäter ein. 9 * 132 C. Brandes: Ober-Befehlshaber ausgeſchickten Boten harrten, hatte Capt. Kellett am 2. April zwei Schlittenpartien zu einer größeren Reiſe nach der ent— gegengeſetzten Seite abgefertigt. Der erſte dieſer Schlitten unter Lieut. Mecham, der zunächſt den Oberbefehl über beide Partien führte, war mit der Aufgabe betraut, die im Jahre zuvor vom Capt. M'Clure auf den Prinzeß-Inſeln in der Prinz-Wales-Straße angelegten De— pots noch einmal zu beſuchen und vor Allem ſich zu vergewiſſern, ob nicht Capt. Collinſon mit dem Schiff Enterpriſe inzwiſchen dort ange— kommen fein möchte. Der zweite Schlitten unter Leitung des Lieut. Krabbé erhielt den Auftrag, über den Zuſtand des Inveſtigator, der ſeit faſt einem Jahre verödet in der Merey-Bai lag, die letzte Kund— ſchaft zu bringen. Zuvörderſt aber ſollten beide Partien gemeinſam ihren Weg nach dem alten Winterlager nehmen, um ſich von der Wohl— behaltenheit der Niederlage auf der Dealy-Inſel zu überzeugen und etwa drohenden Beſchädigungen vorzubeugen. Dieſe Reiſen verdienen als eine der intereſſanteſten Epiſoden der letzten arktiſchen Expeditionen unſere Aufmerkſamkeit und nähere Beach— tung. — Die erſte Strecke des Schlittenzuges führte über gewaltige Packeismaſſen, deren Unebenheiten durch die Eisbildungen des letzten Winters noch vermehrt und geſteigert wurden. Indeß wurde ſchon nach drei Tagen (5. April) ein ziemlich glattes Eisfeld erreicht, ſo daß beide Schlitten ohne Unfall am 8. bei der Melville-Inſel anlang— ten. Hier ſahen fie ſich aber genöthigt, bei der Griffith-Spitze einen Tag lang zu raſten, indem einige der Männer an Schneeblindheit und wunden Füßen ſehr leidend waren. Am 12. wurde die Dealy-Inſel erreicht. Der Befund des hier angelegten Hauſes (Sailor's Home) entſprach den beſten Erwartungen; der Schnee, welcher ringsum maſſen— weis aufgehäuft worden war, hatte den innern Raum genügend gegen die zerſtörende Gewalt des Schneetreibens geſchützt. Auch die Vorräthe zeigten ſich unverſehrt; es erſchien unerheblich, daß die obere Lage des Schiffszwiebacks um ein Geringes bejchädigt und etwas Rum aus⸗ gelaufen war. Nachdem dieſe Schäden beſeitigt und die Schlitten aus den Vor— räthen von Neuem verproviantirt waren, nahmen ſie den Weg zu der a ſo merkwürdig gewordenen Stelle des Winterhafens, legten dort an dem berühmten Sandſteinfelſen, den Parry im Jahre 1820 zum Denk Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 133 mal ſeiner Unternehmung benutzt, an welchem M'Clure vor Jahr und Tag die erſten Spuren ſeiner Landsleute entdeckte und die bald nachher zur unverhofften Rettung feiner Gefährten leitende Urkunde über ſei— 5 nen dermaligen Aufenthalt eingrub, eine Nachricht über die letzten Tha— Ä ten und Erkundungen nieder. Von hier verfolgten fie über Port Hearne den Weg gegen das Cap Providence hin und wandten ſich am 18. April, indem fie nun allmählig die Nachtzeit zur Reiſe, den i Tag zum Raſten verwendeten, gegen das Cap Ruſſell, bei welchem der Prinz⸗Wales-Canal nach Nordoſten hin in den Melville-Sund mün— F det. Die Ueberfahrt auf der Banfs- Straße war mit den größten Müh— fſeligkeiten und Anſtrengungen verknüpft. Es koſtete unſägliche Kämpfe, die wild aufgethürmten Packeismaſſen und die höckerartig emporſtarren— den friſchen Eisbildungen an beiden Seiten zu überwinden. In der 7 Mitte der Straße trafen ſie auf ältere Eisfelder von beträchtlicherer Ausdehnung. . Als die beiden Schlitten dem Rande der Baring-Inſel näher kamen, wurden die Beſchwerden der Fahrt, welche bald über jähe Eis— blöcke, bald durch tiefen Schnee führte, noch durch dickes Nebelwetter geſteigert. Erſt am 24. April, als das Wetter einigermaßen ſich auf zuhellen anfing, erblickten ſie den emporragenden Streifen des jenſeiti— gen Küſtenzuges in einer Entfernung von 6 engliſchen Meilen. Zu 0 den erwähnten Unannehmlichkeiten geſellte ſich bald noch eine Täuſchung, die von den empfindlichſten Folgen war. Lieut. Mecham ſah ſich näm— lich am 25. April vor dem Ausgange eines Meerbuſens, den er un— bedenklich für die Mündung der Prinz-Wales-Straße bei Cap Ruſſell annahm. Er war feiner Sache fo gewiß, daß er kein Bedenken trug, an dieſer Stelle eilftägige Vorräthe für ſeine Rückreiſe niederzulegen, Hund den Lieut. Krabbe, deſſen Aufgabe doch dem Beſuch der Mercy— Bai und des Schiffs Inveſtigator galt, nach dieſem Beſtimmungsorte zu entſenden. Als er aber hiernach die in ſüdweſtlicher Richtung fort— laufende Küſte eine Strecke weiter verfolgte — indem er bereits inner— halb der Prinz-Wales-Straße zu gehen vermeinte, — wurde er theils durch die Richtung des Weges, insbeſondere aber durch die Beobach— tung der alten, mit hohem Schnee bedeckten Eismaſſen ſtutzig. Er konnte ſich nicht länger verbergen, daß alles dieß dem Capt. M'Clure ganz anders erſchienen war, daß eine im Sommer 1851 bis gegen die PE. 134 C. Brandes: Mündung hin offene und fahrbare Straße ſolche Eisbildungen nicht haben konnte. Alsbald wurde er bei der erſten freien Umſicht, welche ſich ihm eröffnete, zu feinem Höchften Mißmuth völlig enttäufcht. Denn er ſah ſich nun genöthigt, wieder umzukehren, das niedergelegte Depot wieder aufzunehmen und ſeine Mannſchaft vorläufig auf halbe Ratio— nen zu ſetzen, da die über alles Erwarten ſich hinausdehnende Weg— ſtrecke zur äußerſten Vorſicht mahnte. Sie hatten jetzt noch zwei Tage— reifen bis zum Cap Ruſſell zurückzulegen. Lieut. Mecham ») ſchiebt die Schuld dieſes Irrthums auf einen Fehler bei der früheren Auf— nahme dieſes Küſtentheils, der zu weit nach Oſten hin gezeichnet ge— weſen ſei. Nachdem nunmehr die zum Depot fuͤr die Rückreiſe beſtimmten Lebensmittel bei dem Cap Ruſſell von Neuem niedergelegt waren, nahm Lieut. Mecham den Weg auf dem Eiſe in der Mitte des Bettes der Prinz-Wales-Straße, da hier der hart gefrorene Schnee eine verhält— nißmäßig gute Bahn gewährte. Hin und wieder ſchickte er ſeine Män— ner an's Land, um Treibholz zuſammen zu leſen, welches beſonders an niedrigen Stellen vielfach vorhanden war. Endlich am 4. Mai lang- ten ſie gegen Mitternacht auf der Prinzeß-Inſel an und hatten hier die erfreuliche Ueberraſchung, neben der von M'Clure im Jahre 1850 errichteten Flaggenſtange auch mehrere vom Capt. Collinſon nieder gelegte Depeſchen aufzufinden, deren Inhalt wir ſogleich darzulegen verſuchen werden. 10. Entdeckung der vom Capt. Collinſon an der Prinz— Wales-Straße niedergelegten Nachrichten. Die früheſte dieſer Urkunden war am 30. Auguſt 1851 geſchrie— ben. Die ſpäteſte, vom 29. Mai 1852, verwies ausdrücklich auf die ausführlicheren Mittheilungen, welche an einer genau bezeichneten Stelle unter dem ſüdlichen Ausgange der Straße vorfindlich ſein ſollten, wo Capt. Collinſon fein Quartier für den Winter 1851 — 52 genommen hatte. Lieut. Mecham machte ſich daher unverweilt auf, um dieſe Stelle zu erforſchen; er nahm aus dem Depot Vorräthe auf 10 Tage ) In dem Berichte an Capt. Kellett d. d. H. M. S. Northstar, Beechey Is- land, June 14, 1854. * ” Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 135 und folgte in ſuͤdweſtlicher Richtung weiter dem Laufe der Prinz— Wales ⸗Straße, an deren Seiten ſchon vom Cap Hay an viele Spu— ren alter Eskimo-Lager ſich bemerklich machten ). Bereits mit dem Sten Tage war er am Ziele, und ermittelte in Folge der vorhandenen * Anzeichen ohne Schwierigkeit drei fernere, von Collinſon zurückgelaſſene Depeſchen, unter welchen die jüngſte, vom 27. Auguſt 1852 datirt, 2 augenſcheinlich kurz vor der Befreiung des Schiffes aus der langen Winterhaft geſchrieben war. 2 Aus dieſen Depeſchen, deren Wortlaut Lieut. Mecham ſeinem Be— richte einverleibt hat, gewinnen wir nicht blos die folgende Ueberſicht der Unternehmungen des Capt. Collinſon bis zum Zeitpunkt ſeiner Ab— reiſe aus der Walker-Bai, ſondern auch eine Anſchauung der damals | von ihm verfolgten Entwürfe. Nachdem Capt. Collinſon am 26. Juli 1851 von Hongkong aus zum zweiten Male die Barrow-Spitze erreicht und im Gedränge ſchwe— rer Packeismaſſen umſegelt, nahm er, in derſelben Weiſe wie ein Jahr zuvor Capt. M'Clure, auf dem offenen Fahrwaſſer ſeinen Weg längs der Nordküſte des amerikaniſchen Continents. Am 21. Auguſt entdeckte er oſtnordöſtlich der Pelly-Inſeln zwei bisher unbekannte kleine Inſeln, kam am 26. in Sicht des Cap Parry und richtete von hier aus, un— willkürlich immer noch dem Vorgange M'Clure's folgend, ſeinen Lauf gegen die zur Zeit nur der vereinſamten Schaar des Inveſtigator be— kannte Baring-Inſel hin. Wäre er acht oder höchſtens neun Tage früher bei der Nelſon-Höhe (dem ſüdlichen Vorſprunge der Baring— Inſel) angekommen, dann hatte eine Begegnung mit ſeinem Commander M'Clure gar nicht fehlen können. Es bedurfte nur eines Blickes auf die mannigfachen Vortheile, welche ein ſolches Zuſammentreffen beiden Theilen gebracht hätte, um aus menſchlicher Anſicht die Hand eines ungünſtigen Verhängniſſes, welches bei den letzten arktiſchen Fahrten feine Rechte fo oft geltend zu machen ſchien, auch bei dieſem ſcheinba— ren Mißgeſchick bitter zu beklagen ?). ) „After passing Cape Hay found the beach thickly strewed with Esquimaux encampments.“ Bericht des Lieut. Mecham. 9) Wir erinnern uns bei dieſer Gelegenheit an die unglücklichen Verwickelungen, die im Auguſt 1853 den Tod des Lieut. Bellot herbeiführten, während (wie ſich erſt neuerdings ergeben hat) Capt. Belcher mit ſeinen Schiffen nur wenige Meilen von 136 C. Brandes: Von der Nelſon-Kuppe aus erfreute ſich die Weiterfahrt der En— terpriſe anfangs eines glücklichen Anlaufs. Collinſon fand die Prinz— Wales-Straße für die Schifffahrt geöffnet; er hat in wenig mehr als einem Tage die Prinzeß-Inſeln erreicht, aus den dort niedergelegten Vorräthen ſeinen Bedarf an denjenigen Proviant-Artikeln, welche ihm fehlten, ergaͤnzt und war dann voll Muth und Hoffnung dem Ein— gange zum großen Melville-Sund entgegengeſteuert. Allein hier ſetz— ten unüberwindliche Eisbarrieren, welche die Mündung der Straße ver- ſperrten, ſeinen Ausſichten auf die Erreichung der Barrow-Straße plötzlich ein Ziel. So ſah Collinſon ſich auch an dieſem entſcheidenden Punkte, und dießmal mehr als je wider Willen, genöthigt, dem Beiſpiel ſeines Com— mander M'Clure zu folgen. Er ſegelte an den ſüdweſtlichen Ausgang der Prinz-Wales-Straße zurück, machte den Verſuch, von der Nelſon— Kuppe aus, der Weſtſeite der Baring-Inſel entlang, eine nördliche oder nordöſtliche Richtung zu gewinnen. Am 2. September kam er (72 55’) zu der Stelle, an welcher M'Clure 14 Tage vorher, ohne die Nähe ſeines Commodore-Schiffes zu ahnen, eine Zinnbüchſe mit Nachrichten über ſeine Erkundungen und weiteren Pläne niedergelegt hatte. Allein jetzt geſtalteten ſich die Verhältniſſe des Eiſes und der Witterung ſo bedenklich, daß alle Verſuche, in der nördlichen Richtung weiter vorzudringen, aufgegeben werden mußten. Vergebens ſpähete Collinſon nach einer zum Winterquartier geeigneten Stätte !). Zuletzt ihm entfernt war, — an das ſeltſame Ohngefähr, welches am 23. oder 24. Mai 1851 die Begegnung des vom Capt. Auſtin unter Lieut. Osborn entſandten Schlittenzuges mit der von Lieut. Wynniatt geleiteten Schaar des Inveſtigator fo nahe brachte und doch wieder im Moment der Vollziehung vereitelte; — an das gegenſeitige Verfeh— len des vom Cap Bathurſt zurückkehrenden Lieut. Pullen und des Comm. M'Clure auf der Höhe des Mackenzie-Delta in den letzten Tagen des Monats Auguſt 1850. ) Hierin weichen indeß, ſofern dieſe Nachrichten genau und vollſtändig find, die Beobachtungen von Collinſon und M'Clure in etwas von einander ab. Der Letztere erzählt in feinen Depeſchen, daß einer von feinen Männern am 18. Auguſt einen aus⸗ gezeichneten, hinlänglich tiefen und bequemen, von Nordweſt nach Süden zu geſchützten Hafen entdeckte, deſſen Randeinfaſſung aus kleinen flachen Steinen beſtand und ſich mit Treibholz überdeckt zeigte (The arctic dispatches, containing an account of the North- West passage u. ſ. w. London bei Potter, S. 77; oder: Captain M’Clure’s dispatches. London bei Bett's, S. 29). Sowohl dieſer am Point Kellett belegene Hafen (nach M’Clure 71 56“ n. Br. und 125° 29“ weſtl. L., mithin immer noch Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 137 entſchloß er ſich, nachdem er auf einer kleinen Inſel in der Nähe ein Depot von Vorräthen zurückgelaſſen, die Richtung nach Süden einzu— ſchlagen. Wenige Tage ſpäter war er ſo glücklich, nicht weit von der - Einmündung der Prinz-Wales-Straße, ganz nahe bei der Ramſay— Ignſel, in der Walker-Bai (71 35’ n. Br. 117° 397 weſtl. L.) eine zum Winterquartier geeignete Stelle auszufinden. Die Temperatur war ſo milde und die Lage des erſehenen Hafens ſo günſtig, daß das 3 Schiff erſt am 40ſten Tage nach ſeiner Ankunft (24. October) einfror. Bis zum 9. November beſuchten die Eingeborenen eines friedlichen und be— ſcheidenen, aber ſehr ärmlichen Völkchens, welches in einiger Entfer— nung ſeine Wohnſitze hatte, das Winterlager. Ihre Wünſche beſchränk— } ten ſich auf Nadeln, Meſſer und Sägen; Tabad begehrten fie nicht. 1 Ob ſie demſelben Stamme angehörten, welcher von M'Clure und Miiertſching beſucht worden war und auf Beide den Eindruck eines in der liebenswürdigſten Reinheit und Unſchuld lebenden Naturvolks machte, erfahren wir nicht, wiewohl ſie bald nach dem Scheiden des Winters ſſich wieder bei dem eingehauſeten Schiffe eingefunden und den Verkehr mit der Mannſchaft fortgeſetzt haben. 4 Auch im Laufe des Winters hielt ſich das Wetter verhältnißmäßig . milde; in keinem Monate ſtieg die Kälte durchſchnittlich über 20 Grad. Die Jagd auf Haſen und Schneehühner lieferte, wenn gleich unter großen Beſchwerden, faſt unausgeſetzt einen mäßigen Ertrag an friſchem Fleiſch. So blieben die Mannſchaften denn auch von ſchlimmen Krank— heiten und Seuchen, welche arktiſchen Reiſenden fo oft gefahrdrohend werden, glücklich verſchont; wenigſtens ſcheint die Geſundheit derſelben kaum irgend wie erheblich angefochten zu ſein. ö Mit dem Beginn des Monats April rüſtete Collinſon, dem von ihm vorbereiteten Plane gemäß, drei Schlittenzüge aus. Der erſte die— fer Züge erhielt den Auftrag, die Küſte des Prinz-Alberts-Landes !), eine beträchtliche Strecke nordwärts der Nelſon-Kuppe) als auch zwei andere von M'Clure am 19. April oſtwärts des Cap Prinz Alfred entdeckte Häfen ſcheinen von Collinſon nicht bemerkt worden zu fein. ) Durch ein eigenthümliches Zuſammentreffen hatte die arktiſche Expedition, welche im Jahre 1850 unter Auſtin und Penny ausgeſandt wurde, den Namen Prinz- Alberts⸗Land den im Norden und Nordoſten der Wellington-Straße neu entdeckten Ländern gegeben. Aus einer der letzten Nummern des Athenaeum (13. Jan. 1855) erfahren wir indeß, daß die Admiralität neuerdings doch den Anſprüchen der Grinnell— 138 C. Brandes: welchem der Hafen der Walker-Bai angehörte, nach Süden hinab auszukundſchaften; der zweite ſollte das Nordgebiet des Prinz-Alberts— Landes, längs der Prinz-Wales-Straße, beſuchen; die dritte endlich die Baring-Inſel in nördlicher Richtung durchſtreifen und bis zur Melville-Inſel vordringen. Alle dieſe Entwürfe ſcheinen nach beſten Kräften ausgeführt zu fein. Der erſten Schlittenpartie gelang es, im 70° 30“ n. Br. den Eingang eines, oſtwärts das Prinz-Alberts-Land durchſchneidenden, Canals zu entdecken, welcher dem Capt. M'Clure gänzlich unbekannt geblieben war. Das Bette dieſes Canals wurde auf 130 engl. Mei⸗ len landeinwärts verfolgt und unterſucht. Die Entdeckung dieſer Straße erſchien um ſo wichtiger, da Niemand mehr Zweifel hegte, daß ö auf derſelben in der ſchiffbaren Jahreszeit die Durchfahrt zum großen Melville-Sund zu erreichen ſei. Die zweite Schlittenpartie beſuchte unter Anderem auch das Depot auf den Prinzeß-Inſeln und legte dort jene Nachrichten über den Ort des Winterquartiers nieder, welche dem Lieut. Mecham die Auffindung deſſelben ſo leicht ausführbar gemacht haben. Am bemerkenswertheſten und ausgedehnteſten war jedoch die dritte Schlitten-Erpedition, welche erſt nach 74 Tagen zurückkehrte. Sie hat die Landſchaften der Barings-Inſel durchſtreift, die Banks-Straße überſchritten und bei Cap Hearne die Melville-Inſel erreicht. Da an dieſem Punkte Spuren von Schlitten und Fußreiſenden entdeckt wur— den, bleibt es unerklärlich, daß die Reiſenden den nur wenig entfern— ten Sandſteinfelſen des Winterhafens, der durch Parry's Reiſe und Winteraufenthalt 1819 — 20 fo merkwürdig geworden war und den MElure mit glücklichem Takt als Ziel feiner Schlittenreiſe in der letz— ten Hälfte des April 1852 auserſah, unbeſucht gelaſſen haben. Wie dieſes Verſäumniß auch entſtanden ſein mag, es erſcheint als eine aber— malige ungünſtige Fügung in dem Verlaufe dieſer arktiſchen Reifen, Welch eine folgenreiche Ueberraſchung würde es für dieſe Männer Collinſon's geweſen ſein, an dieſer berühmten Stätte, bei der unter Parry's Augen ausgeführten Inſchrift und neben den vom Lieut. Expedition auf die Priorität dieſer Entdeckungen nachgegeben und die Benennung Grinnell-Land für dieſelben zugeſtanden hat. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 139 M'Clintock 1851 zurückgelaſſenen Nachrichten, jene Depeſchen M'Clu— re's aufzufinden, welche ſie unfehlbar zu dem Zufluchtsorte ihrer ver— ſchlagenen Gefährten in der Mercy-Bai leiten konnten. Wie wenig wir auch zu überſehen vermögen, welche Ergebniſſe ein damaliges Zu— ſammentreffen der beiden Mannſchaften und ihrer Führer auf den Gang der Unternehmungen haben mußte, ſo erſcheint es doch unleugbar, daß dadurch mannichfaltige Ausſichten zu den günſtigſten Combinationen für die Erkundung jener Gegenden ſich dargeboten hätten, während tau— ſendfache Beſorgniſſe und Verlegenheiten, unzähliche Verwickelungen und vergebliche Rathſchläge vermieden worden wären! Wenn gleich alle dieſe durch Lieut. Mecham aufgefundenen Nach— richten noch vielfach fragmentariſch und lückenhaft blieben, ſo erregten fie doch die lebhafteſte Theilnahme. Ueber die Richtung und den Ver— lauf der Fahrten Collinſon's war jetzt mit einem Male der lange Zeit hindurch ſchmerzlich entbehrte Aufſchluß gewonnen. Denn da ſeit dem 10. Juli alle ſichern Nachrichten fehlten, mochte es kaum anders kom— men, als daß nach und nach die abweichendſten Vermuthungen in Um— lauf geſetzt wurden, und ſogar die Meinung zum Vorſchein kam, als ob Collinſon von der Behrings-Straße aus ſich an der aſiatiſchen Seite hin nordwärts gewandt, das Cap Jakan erreicht und, von dort in öſtlicher Richtung das Polar-Meer durchſegelnd, ſich mit den Mann- ſchuften Franklin's vereinigt haben könnte Dieſer und Hunderten an— derer Hypotheſen wurde jetzt durch die im Ganzen ſehr beruhigenden Nachrichten mit einem Male ein Ziel geſetzt. Man wußte, daß er mit den erforderlichen Vorräthen hinlänglich verſehen !), feinen Lauf dem neuentdeckten Canal des Albert-Landes, mithin niederen Breiten zuge— wandt hatte, in welchen den ſeitherigen Erfahrungen zufolge, kaum noch verderbenbringende Eventualitäten für ihn zu beſorgen waren. K * * „ * ) Ausſagen des Capt. M'Clure vor dem Kriegsgericht zu Sheerneß: Capt. Col⸗ linſon war mit mehr als dreijährigen Vorräthen verſorgt. Obgleich fein Schiff (En- terpriſe) viel größer war, führte es doch nur die gleiche Anzahl von Mannſchaften wie der Inveſtigator. Unter Anderem waren 25,000 Pfund Waizenmehl, die der Aus: rüſtung des letzteren Schiffes angehörten, von ihm an Bord behalten, da die beiden Schiffe ſeit ihrer Trennung bei der Magelhaens-Straße am 21. April 1850 nicht wieder gegenſeitig in Sicht gekommen waren. Abgeſehen von dem Allen läßt ſich an⸗ nehmen, daß Collinſon bei den Wallfiſchfahrern, mit welchen er zuſammentraf, Gele— genheit gefunden haben konnte, ſeine Vorräthe nöthigenfalls zu ergänzen. 140 C. Brandes: Dieſen Gang ſeiner Operationen hätte ihm an ſich ſicherlich Nie— mand zum Vorwurf machen können. Allein die gehegten Ahnungen oder Vermuthungen, welche ihm die kühnſten Entwürfe und ſo großartige Unternehmungen nach den geheimnißvollen Zonen des höheren Nordens zuſchrieben, waren doch in einer höchſt empfindlichen Weiſe getäuſcht. Wie Manche konnten ſich eines ungünſtigen Urtheils über dieſen Verlauf, zumal im erſten Augenblick, nicht erwehren! Nichts war daher ande— rerſeits natürlicher, als daß ſich auf der Stelle befreundete Stimmen erhoben, um Schatten ſolcher Art dem Ruhme Collinſons fern zu halten. Daher das ſichtliche Bemühen, die That des Capitains neben dem nun— mehr fo glänzenden Namen feines Commander M’Elure in einem er— höhten Lichte darzuſtellen. Es wurde mit Bedeutung hervorgehoben, daß Collinſon's Verdienſte um die Entdeckung der nordweſtlichen Durch— fahrt ſubſtantiell um nichts nachſtänden, ja daß ſie den Ruhm M'Clu— re's noch überſtrahlten: denn er habe mit geſchickter Hand das ihm anvertraute Schiff erhalten und gerettet), während der Inveſtigator an einer gewiß ſo bald nicht wieder erreichbaren Stelle den arktiſchen Elementen zur Zerſtörung preisgegeben, im Eiſe ſtecken geblieben ſei. Anſichten oder Urtheile dieſer Art werden unleugbar manchen Be— denken unterliegen, die Erinnerung der Thatſachen, durch welche M'Clure die erſte faktiſche Löſung einer durch lange Jahrhunderte vergeblich an— geſtrebten Aufgabe errungen hat, wird durch willkürliche Deutungen nicht verdunkelt werden. Dennoch würde es ungerecht ſein zu verkennen, daß ) Die Leſer haben aus der vom Hrn. Dr. Gumprecht im III. Bande S. 519 — 521 dieſer Zeitſchrift mitgetheilten Ueberſicht der weiteren Fahrten des Capt. Col⸗ linſon bereits erſehen, daß es demſelben nach mehrfachen vergeblichen Verſuchen zur Erreichung einer Durchfahrt zuletzt im Spätſommer 1854 wirklich noch gelungen iſt, ſein Schiff, nachdem er drei Winter an verſchiedenen Punkten im Eiſe verbracht, durch die Behrings-Straße in den Hafen von Clarence zu führen. Seitdem iſt er weiter am 1. November zu Hongkong angekommen (m. ſ. in The Globe vom 8. Januar d. J. den Brief d d. Hongkong, 1. Nov.) und hat am 18. November die Ruͤckreiſe nach England angetreten, wo ſeine Ankunft mit Nächſtem zu erwarten ſteht. Obgleich die Mannſchaft äußerlich wohlbehalten war, lauten doch die näheren Nachrichten nichts weniger als erfreulich, denn Zerwürfniſſe und Conflicte, deren Urſachen wir noch nicht erfahren, hatten einerſeits die bitterſte Mißſtimmung der Offiziere und eines großen Theils der Mannſchaft, andererſeits ſehr harte Maßregeln des Capt. Collinſon herbei— geführt. Die drei Lieutenants befanden ſich ſeit 15 Monaten (der erſte Lieutenant ſogar ſchon ſeit 2 Jahren) unter Arreſt und hatten ſeitdem das Schiff nicht verlaſſen dürfen. —— EEE EEE | Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 141 Collinſon ihm in ſofern überlegen bleibt, als er ſich zuletzt von einer > richtigeren Anſchauung von der Oberflächenbildung jener Gebiete leiten ließ. M'Clure ſah nämlich das Prinz-Alberts-Land als einen Theil des amerikaniſchen Continents an ), und er entſchloß ſich im Jahre 1851, die nördliche Richtung einzuſchlagen, weil er keinen Gedanken daran hatte, daß auch im Suden des PrinzF-Wales-Canals noch Durchfahrten nach der Barrow-Straße vorhanden ſein könnten. Allein wiederum drängt ſich doch weiter die Bemerkung auf, daß Collinſon 8 lediglich durch das Mißlingen ſeiner längs des Weſtrandes der Ba— ring-Inſel nach Norden hin gerichteten Fahrt und dazu beſonders durch das Verfehlen der von M'Clure dort entdeckten Hafenplätze, mithin durch Irrthum, dazu kam, fein Winterlager ſüdwarts der Ba— rring⸗Inſel aufzuſchlagen, und daß die Ergebniſſe einer von dieſem Winterlager aus angeftellten Kundſchaftsreiſe ihn erſt beſtimmt haben, „ fortan im Süden die Durchfahrt zu ſuchen, auf welcher er den Ueber— rreſten der Franklin'ſchen Expedition zu begegnen hoffte. . 11. Rückreiſe des Lieut. Mecham vom Prinz-Wales⸗ Canal. — Abſchied von der Beechey-Inſel. Nachdem Lieut. Mecham dieſe Nachrichten von Collinſon auf der 8 Ramſay⸗Inſel aufgefunden und von dem Inhalt derſelben Kenntniß genommen hatte, trat er ohne Zögerung die Rückreiſe zu den Schiffen an. Schon am 13. Mai erreichte er die Prinzeß-Inſeln wieder und nahm ſich erſt jetzt die Zeit, den Zuſtand des dortigen Depots näher zu unterſuchen. Hierbei ergab ſich, daß das von M'Clure zurückge— llaſſene Walfiſchboot noch in unbeſchädigtem Zuſtande war. Weniger gut ſtand es um die Vorräthe, unter welchen der Cacao und zwei Kiſten Kartoffeln von der eindringenden Näffe beſchädigt waren. Sobald dieſen Uebelſtänden oder doch dem weiteren Umſichgreifen derſelben abgeholfen war, wandte Mecham ſich weiter der Einmündung des Prinz-Wales-Canals in den großen Melville-Sund zu und ſchied ſeine Mannſchaften in zwei Abtheilungen, um gleichzeitig ſowohl die ) Er ſagt in feinen Depeſchen: „I am also of opinion that Prince Alberts Land is part of the continent of America, and that the land there is continuous to Cape Walker.“ Auch dieſe letztere Vermuthung hat ſich durch die verſchiedenen Ent— deckungen der Jahre 1851 und 1852 wenigſtens noch nicht entſchieden bewährt. 9 142 C. Brandes: N nördliche, als die jüdliche Seite dieſes Canals, den er auf dem Hin- wege blos in der Mitte beſchritten, nachträglich noch auszukundſchaften. Am Cap Ruſſell wurden die eingegrabenen Lebensmittel wieder aufge— N nommen und in der üblichen Weiſe Nachrichten für etwaige ſpätere Beſucher der Gegend niedergelegt. Bei der unverweilt weiter fortge— ſetzten Fahrt, die nun eine mehr nördliche Richtung nahm, hatte die Mannſchaft vom hohen Schneefall, von ſtarken Oſtwinden und nament— lich auch, in Folge des raſchen Zunehmens der Tage, von Schneeblind— heit viel auszuſtehen. Indeſſen wurde doch die Dealy-Inſel ſchon am 27. Mai glücklich erreicht. Hier fand ſich auf der wohlbekannten Anhöhe neben der Flaggen— ſtange eine vom Lieut. Hamilton am 21. Mai hinterlaſſene Depeſche vor, durch welche Lieut. Mecham angewieſen wurde, ſich nicht nach den Schiffen Reſolute und Intrepid zurück zu wenden, da dieſe inzwiſchen von allen Mannſchaften verlaſſen und verödet in ihrem Standorte im Eismeere zurückgeblieben waren, ſondern ſich geraden Weges nach der Beechey-Inſel zu begeben. Lieut. Krabbe war bei feiner Rückkehr von der Mercy-Bai erſt in der Frühe des vorhergehenden Tages von Sai— lor's Home aufgebrochen und vorangeeilt. In der That galt es auch, dieſe letzte Strecke mit möglichſter Vermeidung jedes Aufenthalts zu— rückzulegen; denn die vorgerückte Jahreszeit brachte bereits gelindes Wetter, Thauwinde und Regen. Bei der Roß-Spitze, an der Süd— küſte der Melville-Inſel, in geringer Entfernung von der Skene-Bai, belebten bereits, weit und breit, große Waſſerteiche den Anblick derſelben Eiswüſten, die kurz vorher in ewiger Starrheit zu liegen ſchienen. Lieut. Mecham bot daher alle Mittel auf, um die Fahrt ſeines Schlittens zu beſchleunigen. Schon am 30. Mai holte er bei der Grif— fith⸗Spitze den Zug des Lieut. Krabbe ein, und erreichte in Begleitung deſſelben auf dem Wege über Cap Gillman (im äußerſten Süden der Byam⸗Martin's-Inſel) am 5. Juni das Cap Cockburn am Bathurft- Lande. Von hier ab eilte er der Mannſchaft Krabbé's voraus, über⸗ holte bei Cap Capet den mit Hunden beſpannten Hamilton'ſchen Schlit- ten, indem dieſer durch die Ermüdung der Thiere ſtark aufgehalten wurde, überſchritt vom Cap Hotham her die ſüdliche Einmündung der Wellington-Straße und langte ſo am 12. Juni Nachmittags, einige Tage früher als die andern beiden Schlitten, wohlbehalten am Bord Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 143 des Nordſtern an. Er hatte auf dieſer merkwürdigen Reiſe in ſieben— zig Tagen, von welchen 37 auf die Hinreiſe, 33 auf die Rückreiſe ka— men, gegen 1107 engliſche geographiſche Meilen zurückgelegt. Die Fahrt war etwa 8 bis 9 Tage durch ſchlimmes Wetter oder Krankheiten ſei— ner Gefährten eingeſtellt geblieben; abgeſehen von dieſen Unterbrechun— gen kamen mithin auf jeden der übrigen 623 Tage mehr als 18 engli— ſche geographiſche Meilen. Die Zahl der an verſchiedenen Stellen niedergelegten Benachrichtigungen wird auf 7 angegeben. Vier Karten- ſkizzen enthielten die Umriſſe der neuen Entdeckungen. Die unterwegs gewonnene Ausbeute an friſchem Fleiſch ſtand hinter den gehegten Er— wartungen zurück. Es waren den Reiſenden überall nur 6 Rennthiere, 7 Biſamſtiere und einiges kleine Wildpret zu Geſicht gekommen und davon hatten ſie nur 1 Rennthier, 3 Haſen und 30 Schneehühner erlegen können. Der Willigkeit und Ausdauer ſeiner Gefährten hat Lieut. Mecham die glänzendſte Anerkennung gezollt. Auf der Beechey-Inſel fand Mecham die ſämmtlichen Mannſchaf— ten, ſo weit ſie nicht durch ihren Geſundheitszuſtand behindert waren, W 5 we * K in voller Thätigkeit, um einen Canal im Eiſe auszuhauen, auf welchem J der Nordſtern zur beſtimmten Zeit in die offene See geleitet werden konnte. Wie weitläuftig und beſchwerlich dieſe Arbeiten waren, ergiebt ſich ſchon daraus, daß die Länge des Canals auf 1100 Yards berech- net worden iſt, und daß 160 Seeleute und Matroſen nicht weniger als 72 Tage (vom 10. Juni bis zum 21. Auguſt) mit der Ausfüh⸗ rung des Werks beſchäftigt geweſen find 1). 7 Der Ausgang dieſer Operationen iſt bereits ſchon oben berührt. ) Uns liegen hierüber zwei etwas abweichende Angaben vor. Belcher hat dem Berichte der Times vom 20. October 1854 zufolge vor dem Kriegsgericht ausgeſagt: „To cut the North- Star out of winterquarters with open water outside, a distance . of about 1100 yards occupied 160 men and officers from June 10th to Aug. 21, 72 days, the ice varying from 3 to 7 feet.“ — Miertſching (a. a. O. S. 17) er⸗ zählt: „Im Monat Auguſt ſahen wir mit freudiger Hoffnung das uns umgebende Eis berſten und eine große Oeffnung in demſelben ſich bilden, welche ſich von Tag zu ag mehr erweiterte. Nun wurde, um unſer Auslaufen zu befördern, mit Aufbietung aller Kräfte, theils durch Sägen, theils durch Sprengung mit Pulver, ein 900 Schritt anger und 20 Schritt breiter Canal durch das Eis, welches noch gegen 15 Fuß dick war, zu Stande gebracht. Es war dieß eine harte und ſchwere Arbeit, die aber am 20. Auguſt vollendet war, worauf das Schiff bis zum offenen Waſſer gezogen und a zuerſt durch Anker am Gife befeftigt ward.“ 144 C. Brandes: Die geſammte Zahl Derjenigen, welche jetzt von der Beechey-Inſel heimwärts ſegelten, betrug nach Belcher's Angabe nicht weniger als 263 (Miertſching giebt ſogar 270 an); unter ihnen waren die Mann- ſchaften vom Inveſtigator ſeit beinahe fünf Jahren von England ent— fernt und über vier volle Jahre in den arktiſchen Gegenden geweſen. Die Mannſchaften von Belcher und Kellett waren vor etwas mehr als zwei Jahren von der Beechey-Inſel aus nach ihren weiteren Beſtim— mungsorten ausgefahren. Nur ein Theil der Männer des Lieut. Pullen war erſt im Jahre 1853 mit Capt. Inglefield eingetroffen. Seit ihrer Abfahrt am 27. Auguſt v. J. iſt jene kleine Inſel, de— ren Name im Monat Auguſt 1850 mit einem Male als Mittelpunkt der ergreifendſten Fragen und Forſchungen wie aus einem geheimnißvollen Dunkel hervortritt, der traurigen Verödung und Stille wiedergegeben, welche ſeit Jahrtauſenden auf ihren unwirthlichen Geſtaden lagen und nun fortan, vielleicht auf alle Zeiten, dorthin zurückkehren werden. Von Parry im Jahre 1819 entdeckt und benannt, aber nicht beſucht, wurde ſie von Franklin zum erſten Winterquartiere ſeiner letzten gro— ßen Unternehmung erſehen. Welche Pläne und Anſchauungen damals die Seelen des kühnen Seefahrers und ſeiner Gefährten erfüllt haben, ob irgend eine Nothwendigkeit oder freie Wahl ſie zu dieſen traurigen Einöden geleitet hat, welche Erfahrungen und Begegniſſe ihnen hier zu Theil wurden, mit welcher Stimmung und mit welchem Vorhaben fie wieder unter Segel gegangen find — das Alles iſt bis jetzt unauf-⸗ gehellt geblieben. Unzweifelhafte Spuren erzählen, daß damals zuerſt auf einige Monate die belebende Thätigkeit der Cultur und Wiſſen⸗ ſchaft unter den ſtarren Klippen Platz nahm, daß Schläge von Hammer und Art weithin die Luft erfüllten, während an mehreren Plätzen, wie ſich aus den aufgeſtellten Obſervatorien erkennen ließ, durch Beobach— tungen und angeſtrengte Arbeiten neue Aufſchlüſſe über die Natur unſeres Erdkörpers erſtrebt wurden. Es iſt bekannt, wie erſt im dritten Jahre der planmäßigen For— ſchungen nach den Vermißten — erſt im fünften Jahre, nachdem ſie von dort weiter gegangen waren — die Ueberreſte dieſes erſten Winter— lagers aufgefunden worden ſind, wie dann das ganze Erdreich der kleinen Inſel, die Höhen und Gründe, mit allem Fleiß und mit ver— zweifelten Anſtrengungen durchſucht, wie ſelbſt die Gräber der drei — 2 Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 145 Gefährten, welche ſie zurückließen, eröffnet wurden, um Nachrichten von Franklin zu entdecken oder über die Wege, welche er gegangen war, irgend eine beſtimmte Aufhellung zu erringen. Schon im Frühjahr 1851 ſandte Penny aus ſeinem Winterquartiere wieder einen Schlitten aus, um die Beechey-Inſel und ihre Umgebungen von Neuem auszukund— ſchaften. Und als die arktiſchen Geſchwader im Auguſt deſſelben Jahres zurückkehrten, vermochten ſie nicht an der denkwürdigen kleinen Inſel vor— uͤberzuſegeln, ohne abermals nach den Spuren Franklin's und feiner Ge— faͤhrten zu ſuchen. Im Jahre 1852 zum Stationsplatz und zur Baſis der neuen arktiſchen Erpeditionen erſehen, diente die Beechey-Inſel auf zwei Jahre zum Aufenthalt und Wohnplatz der Mannſchaft des Nordſtern. Der Eindruck der von Eis umſtarrten Geſtade und kahlen Felſen, ein Bild unförmlich übereinander geworfener Steinmaſſen, die Unfruchtbar— keit und Ungedeihlichkeit der Landſchaft, in welche ſich ſelbſt Bären, Wölfe und Füchſe nur ſelten verirrten oder doch nur ſehr vereinzelt geſehen wurden, traf beſonders die Männer des Inveſtigator, die aus den ungleich belebteren Gegenden der Baring- und der Melville-Inſel herzugekommen waren !). Denſelben abſchreckend duͤſteren, faſt unheim— lichen Charakter athmen auch die Darſtellungen der Landſchaft in Bil— dern oder Anſichten, welche neben den ſpeciellen Situationsplänen der nunmehr mit dem lebhafteſten Intereſſe betrachteten Inſel im Laufe der Expeditionen von 1850 — 51 aufgenommen wurden ?). * Daher trat in jenen Tagen, als das arktiſche Geſchwader ſich an— a ſchickte, von dieſem gemeinſamen Sammelpunkte aus füdwärts zu ſteuern, ein letztes Erforderniß in ſeiner ganzen Bedeutung hervor. Es war unerläßlich, an dieſem von allen natürlichen Hilfsquellen völlig ent— 0 ) Man vergleiche die Schilderung von Miertſching im Miſſionsblatt aus der Brüdergemeine, Januar 1855, S. 17: „Auf der Beechey-Inſel hatte die Mannſchaſt des Nordſtern in 2 Jahren gegen 4000 Stück Seevögel und 37 Eisbären erlegt, welche ſich aber nur im Sommer bis in dieſe Gegend verirren, im Winter kommt hiochſtens bisweilen ein Wolf oder ein weißer Fuchs vor.“ — „Erde findet man kaum noch irgend wo, und Gras und Moos ſind völlig verſchwunden. Von Wild iſt auch ſelten etwas zu ſehen.“ 9 3. B. in Kane The United States Grinnell Expedition p. 16263. Ken- ne dy Short narrative of the second voyage of the Prince Albert p. 188 — 189. Man wird nicht überſehen, daß dieſe beiden Anſichten in der zweiten Hälfte des Mo— nats Auguſt, mithin in der verhältnißmaͤßig günſtigſten Zeit des Jahres, aufgenommen ſind; die erſte 1850, die andere 1852. 5 Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 10 146 C. Brandes: blößten Geſtade den etwa ſpäter noch eintreffenden arktiſchen Reiſen— den eine Stätte zur Aufnahme zu bereiten und einen angemeſſenen Bedarf an Lebensmitteln zurückzulaſſen. Hierbei ſcheint der Gedanke, als ob Franklin oder ein Theil ſeiner Gefährten nach dieſem ſeinem erſten Winterquartiere zurückgelangen könnte, tief im Hintergrunde ge— blieben zu ſein, und noch weniger konnte die Ankunft des Dr. Kane und ſeiner Gefährten erwartet werden, die mit dem Plane ausgegangen waren, vom Smith-Sunde aus eine nördliche Richtung einzuſchlagen. Dagegen machte ſich um ſo dringender die Möglichkeit geltend, daß die Mannſchaften der Enterpriſe demnächſt im Zuſtande des Mangels ſich zu der Beechey-Inſel wenden könnten. Denn aus der vom Lieut. Mecham überbrachten Kundſchaft ging hervor, daß Collinſon genau zwei Jahre zuvor von ſeinem Winteraufenthalt in der Walker-Bai mit dem Vorhaben aufgebrochen war, in der durch ſeine Schlittenzüge neuentdeckten Straße (ſ. S. 138 u. 139) zwiſchen dem Prinz Alberts— und Wollaſton-Land eine Durchfahrt zu ſuchen, und man konnte nicht in Zweifel ſein, daß dieſe Straße mit dem von Rae entdeckten und benannten Ruſſell-Golf identiſch war ). Abgeſehen von dieſer Even— malität ließ ſich noch denken, daß er mit der Zeit entweder durch den Peels-Sund oder ſelbſt durch die Banks-Straße, wie M'Clure vor ihm, in dieſe Gegend gelangte. Und obgleich Collinſon bis dahin noch nicht die entfernteſte Kunde der überraſchenden Entdeckungen und Be— gegniſſe hatte, aus welchen ſeit dem Jahre 1850 die neuen Plaͤne der Unternehmungen für Franklin entſprungen waren, fo glaubte man rr 1) Rae kam am 8. Mai 1851 von der Dolphin- und Union-Straße herauf, dem weſtlichen Rande des Wollaſton-Landes folgend, an feinen „Ruſſell-Golf“. Wie es fo oft den Seefahrern in ähnlichen Fällen (3. B. beim Lancafter-Sund, Smith: Sund u. ſ. w.) begegnet iſt, blieb auch er damals darüber ungewiß, ob dieſer Einſchnitt eine „Bai“ oder eine „Straße“ ſei; er neigte jedoch, auf eine freilich nur dürftige Aus— kunft hin, die er von den dortigen Eingeborenen erfragt hatte, zu der letztern Anſicht (vit is difficult to determine, whether the water dividing these two shores is a bay or a strait, but from the little information I could obtain from the Esquimaux suspect it to be the latter.“ Parliam. Papers 1852. Vol. 50. „Further corre- spondence and proceedings connected with the arctic expedition“ X, p.21). Die verhältnißmäßig geringe Abweichung der Angaben von Collinfon und Rae in Ber ziehung auf die geographiſche Lage (der erſte beſtimmt dieſelbe auf 70° 00' 23”, der letzte auf 70° 30 nördl. Br.) erklärt ſich genügend aus dem Abſtande des nörd⸗ lichen und ſüdlichen Küſtenrandes an der Mündung. Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. 147 doch deſſen gewiß zu fein, daß er nach gelungener Durchfahrt mittelſt der zahlreichen Nachrichten, die an allen hervorragenden Küſtenpunkten des Melville-Sundes und der Barrow-Straße angezeigt waren, auf die Beechey⸗Inſel hingewieſen werden mußte. Endlich lag in Folge der Erfahrungen von Kennedy, M'Clintock und Belcher die Beſorgniß nahe, daß der Zugang zu jenem, Collinſon bereits bei ſeiner Abreiſe bekann— ten Depot, welches Capt. Sir James Roß im Jahre 1849 an der Südſeite der Barrow⸗Straße im Leopolds-Hafen errichtet hatte, durch die anerkannt ungünſtige Lage dieſes Hafens verfperrt, und demzufolge g das Depot der Beechey-Inſel von hoͤchſter Wichtigkeit fein konnte ). | So war es denn für die Heimkehrenden nach ſo manchen ſchwe— ren Schlägen des Mißgeſchicks und bei dem endlichen entſchiedenen . Mißlingen dieſer Expedition ein beruhigendes und gewiſſermaßen ſelbſt h verſöhnendes Bewußtſein, neben den Gräbern und Denkmalen ihrer hin— N geſchiedenen Gefährten für ſpätere Ankömmlinge auf der wüſten Inſel Obdach und Mittel der Rettung geſichert zu haben. Nicht ohne eine gewiſſe Erleichterung mochten ſie zuletzt auf die Flaggenſtange zurück— blicken, welche in der Ferne noch die Stelle des mit Lebensmitteln und Steinkohlen reichlich verſehenen Northumberland-Hauſes anzeigte, in deſſen Nähe auch mehrere kleine Ruderböte und ein größerer Schoner Cpahrſcheinlich die vom Admiral Sir John Roß im Jahre 1850 her⸗ beigeführte „Mary“) ſtehen blieben. Denn Niemand unter ihnen hatte die leiſeſte Ahnung, daß Collinſon faſt in denſelben Tagen (20. Aug. 1854) die Behrings-Straße wieder erreicht hatte, und daß Rae ſchon ſeit dem Anfang des Monats von der Repulſe-Bai her unterwegs war, um die letzten erſchütternden Zeugniſſe des Untergangs der Expedition > des Erebus und Terror nach England zu überbringen. Es iſt kaum zu bezweifeln, daß die Entdeckungen auf dem Ge— biete der höheren arktiſchen Zonen hiermit auf lange Zeit zum Still— ) Capt. Sir Edw. Belcher's Brief an die Admiralität vom 14. Auguſt 1852 arl Pap. 1853. Vol. 60. Arctic exped. p. 12) »Port Leopold is at present (d. h. dem ſonſt jo günſtigen Jahre 1852) equally inaccessible, as reported by Comm. M’Clintock ..... It is therefore a most serious drawback to any chances of re- lief that these depots should have been placed on the southern shores of the Sound, when it is well known that the northern are always easily and safely accessible.« 10 * 148 C. Brandes: Die letzten Unternehmungen zur Rettung Franklin's. ſtande, mithin zu einem gewiſſen Abſchluß gelangt ſind; denn der oben erzählte Ausgang der letzten Unternehmungen kann des abſchreckendſten Eindrucks nicht fehl gehen, und die Spuren des endlichen Schickſals der ſo lange vergebens Geſuchten verweiſen auf niedere Breiten. Eine vollſtändige, die letzten Forſchungs-Ergebniſſe zuſammenfaſſende karto— graphiſche Darſtellung des Nordpolarkreiſes war daher höchſt wün— ſchenswerth und zum richtigen Verſtändniß der letzten Kunde um ſo weniger zu entbehren, als unſere bisherigen Nordpolarkarten in dieſer Hinſicht als gänzlich antiquirt betrachtet werden müſſen. Allen Freun— den der geographiſchen Wiſſenſchaft und beſonders auch denjenigen, welche dem Verlauf der Franklin-Expeditionen folgen, den Schauplatz ihrer Thaten ſich vergegenwärtigen wollen, wird es daher in hohem Grade erfreulich ſein, daß ein auf dem Felde der Geographie und Kartenzeichnung glänzend bewährter Gelehrter, Herr Dr. Kiepert, ei— ner ſo wichtigen und ſchwierigen Aufgabe ſich unterzogen hat. Die von ihm entworfene und bearbeitete „Karte der Nordpolarländer“, welche durch die vom Herrn Prof. Dove eingetragenen Bezeichnungen der Wärmeverbreitung (für Januar, Juli und den Jahresdurchſchnitt) noch ein beſonderes Intereſſe gewinnt, wird in den nächſten Tagen von der Verlagshandlung unſerer Zeitſchrift ausgegeben werden. Gleichzeitig erſcheint, ebenfalls von Herrn Dr. Kiepert mit Be— nutzung der neueſten Forſchungen und Erkundungen entworfen und bearbeitet, eine Karte der nördlichen Hemiſphäre innerhalb des 40ſten Breitegrades, die den Freunden der Erdkunde in gleichem Maße empfoh— len zu werden verdient, vorzüglich aber auch Lehrenden und Lernenden ſehr willkommen ſein wird. C. Brandes. r n n 7 Dr. Vogel's Forſchungen im Innern von Nord— Afrika und die neue Niger-Expedition. Mit der reißendſten Schnelligkeit folgten in den letzten zehn Jahren die Entdeckungen im Innern von Afrika auf einander, und von allen Weltgegenden aus wurden mit Glück Verſuche gemacht, den Continent in jeder Richtung zu durchforſchen. Das Erreichen des Ngami-See's und die Auffindung eines ſehr großen Stromes, des Seſcheke, im Innern von Suͤd-Afrika durch Rev. Livingſton, Livingſton's Reiſe vom Ngami bis Loanda quer durch die Weſthälfte Süd⸗Afrika's, Galton's Unterſuchungen in den Landſtrichen ſüͤdlich von Angola, Krapfs und Rebmanns Züge in den ebenfalls noch nie von einem Europäer betreten geweſenen tropiſchen Landſchaften weſtlich von Mombaſa, die Forſchungen von Barth, Overweg und Vogel in der Sahara und in den Ländern rund um den Tſad, Barth's Ankunft und Aufenthalt in Timbuktu, Vaudey's, Bruno Rollet's und der katho— liſchen Miſſionare Unternehmungen in den oberen Nil-Ländern, endlich das Vordringen der franzöſiſchen Heere in Algerien bis zu den natürlichen Grenzen dieſes Landes im Süden bilden eine ſo dicht ge— drängte Reihe von Glanzpunkten in der Erforſchung unſeres Erdkör— pers, daß wohl keine Epoche in der Entdeckungsgeſchichte deſſelben, vielleicht ſelbſt nicht einmal die, in welche die Entdeckung Amerika's gefallen war, ſich im Reichthum von Reſultaten damit meſſen kann. Kaum find wenige Wochen verfloſſen, daß des unermüdlichen, nach allen Richtungen hin thätigen Vogel's Berichte uns eine Fülle der intereſſanteſten Thatſachen über noch faſt unerforſchte Landſtriche von 150 Gumprecht: Afrika brachten, und wieder eröffnet ſich uns eine neue Welt von Re— gionen, deren Erreichen nach den früher bei afrikaniſchen Entdeckungs— reiſen gemachten zahllofen bitteren Erfahrungen auch nicht im Entfern— teſten gehofft werden konnte. Ich meine damit die uns ſo eben durch Herrn Petermann zu Theil gewordene Kunde über das Eindringen der in unſerer Zeitſchrift (II. 71, 424) bereits erwähnten britiſchen Niger-Erpedition auf dem Dampfer „die Plejade“ bis in das Herz des Continents oder genauer bis zur Hauptſtadt Adamäua's, Yola, womit Barth's Angabe, daß der Benué der zweite große Quellſtrom des Niger iſt, eine höchſt erfreuliche Beſtätigung erhält. Aber nicht allein die fuͤr die Kunde Afrika's erworbenen ſpeciellen Reſultate machen dieſe neue Expedition ſo bedeutend, ſondern vor Allem wichtig iſt die durch ihr Gelingen gewonnene Gewißheit, daß ein leichter und ſicherer Weg bis in das Innere des Continents führt, auf dem es bei geſchickter Benutzung nicht fehlen kann, die ſeit Jahrtauſenden vergeblich erſtrebte Löſung der wichtigſten erdkundlichen Probleme endlich zu erreichen. Wir wollen zuerſt die von Vogel erhaltenen letzten Berichte unſeren Leſern mittheilen und darauf die über die Niger-Erpedition eingegan— genen folgen laſſen. 1. Vogel's Unterſuchungen in den Tſad-Landſchaften. Nach mehrmonatlichem Harren gelangten endlich am Schluſſe des vorigen Jahres neue Nachrichten von Dr. Vogel nach Europa (die letzten Schreiben Vogel's und anderweitige Mittheilungen über ihn finden ſich in unſerer Zeitſchr. Bd. III. S. 53 - 54, 69— 71 und 397), welche durch deſſen Vater in der deutſchen allg. Zeitung und durch Hrn. A. Petermann in einigen lithographirten Schreiben: Gotha, den 8. und 15. Januar und 9. Febr. d. J. veröffentlicht wurden, in unſerem letzten Hefte aber zum Theil nicht mehr mitgetheilt werden konnten. Mit ihnen empfing Herr Peter mann noch ein Schreiben des Reiſenden über die Vegetationsverhält— niſſe von Kuka und Musgo, das er erſt vor Kurzem in der Zeitſchrift Bonplandia Nr. 1 (15. Januar d. J.) zur Kenntniß des botaniſchen Publikums brachte. Die Berichte Vogel's erklären genügend das lange Ausbleiben jeder Kunde von dem Reiſenden, der theils durch ſeine Expedition nach dem im Süden des Tſad gelegenen und ſchon durch Barth und Overweg im Jahre 1851 beſucht geweſenen Lande Wr >= Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger» Expedition, 151 Mausgo, theils durch den beklagenswerthen Umſtand, daß auch ihn das böſe Klima von Kuka auf das Krankenlager geworfen hatte, an der Beförderung von Nachrichten nach Europa gehindert worden war. Die Krankheit, welche Vogel befiel, war eine der in den heißen und feuch— ten Küſtenſtrichen Amerika's ſo gewöhnlichen Gallenkrankheiten und zwar leider in der heftigen Form, die in Weſtindien und in den Vereinig— ten Staaten den Namen des gelben Fiebers führt und ſelbſt in Cen— tral⸗Afrika nicht ganz fehlt, wenn gleich fie hier nur ſporadiſch auf— tritt. Dem gelben Fieber erlag nämlich auch Overweg, wie Vogel erfuhr; ja nach einem weiterhin von uns mitzutheilenden, aus Vogel's Briefen gezogenen Berichte Petermann's wird Overweg's Krankheit ſogar das ſchwarze Erbrechen (black vomiting) genannt, welches bekanntlich die acuteſte Entwickelung des gelben Fiebers ift !) und beſonders zu Vera Cruz in jedem Sommer die fuͤrchterlichſten Verheerungen unter den hier gelandeten Europäern und unter den von den kühleren Hochebenen Mexico's nach der Küſte herabſteigenden Weißen, bei denen dieſe Art des gelben Fiebers das Vomito negro oder Vomito prieto heißt, anrichtet (Al. de Humboldt, Essai sur la Nouvelle Espagne. Aue edit. 1822. I, 343; IV, 157 158). Bei den trau⸗ rigen Beiſpielen aber, die unſer Reiſender zuvörderſt von der erſten britiſchen Expedition nach den Tſadgegenden her kannte, indem de— ren meiſte europäiſche Glieder, wie Clapperton, Oudney und der Schiffszimmermann Hillmann während ihres Aufenthalts zu Kuka in der Regenzeit mit der ſchwerſten Krankheit heimgeſucht, ja dem Tode wiederholt nahe gebracht wurden (Denham I, 186, 196, 199, 200 u. ſ. w.), und Denham's jugendliche Gefährten, die Lieutenants Toole und Thyrwit, ſogar bald nach ihrer Ankunft in Bornu den Krank— heiten erlagen; bei den Erfahrungen ferner, welche Vogel in dem un— glücklichen Todesfalle Overwegs, ſowie in der ſchon durch den mehr— monatlichen Aufenthalt zu Kuka im Sommer 1851 hervorgerufenen N Erſchütterung der Geſundheit Barth's, wodurch dieſer zur Herſtellung ſeiner Kräfte den Zug nach Känem zu unternehmen gezwungen wurde (S. . hier S. 74), vor ſich hatte, endlich bei der wohl begründeten Thatſache, daß —— * Clapperten litt während feines erſten Aufenthalts zu Sokoto ſchon an einem ähnlichen Uebel, wenigſtens an einem Gallerbrechen (Denham II, 99, 108 u. ſ. w.), und ſpäter noch einmal auf der Rückreiſe nach Kuka (II, 134). * * 152 Gumprecht: die Regenzeit ſelbſt auf die Eingeborenen zu Kuka in der verderblich— ſten Weiſe einwirkt, dieſelben mit ſchrecklichen Anfällen von Fieber und Kopfweh heimſucht (Denham I, 315; Barth in den Berl. Monatsber. N. F. IX, 366) und jedes Jahr eine große Menge davon hinweg— rafft, mußte es allerdings auffallen, daß der Reiſende ſeinen dortigen Aufenthalt ſo lange ausdehnte, und daß er nicht ſo bald als möglich ſeine Unterſuchungen ganz in die geſunderen, höher gelegenen und bis— her am wenigſten bekannten Diſtricte Central-Afrika's verlegte !). Nach ſeinen früheren Plaͤnen (Zeitſchrift III, 397) beabſichtigte Vogel zuvörderſt eine vollſtändige Erforſchung der Ränder des Tſad— See's vorzunehmen, wobei Overwegs Boot die beſte Hilfe gewähren konnte. Die Ausführung dieſes Planes mag an Hinderniſſen ge— ſcheitert ſein, die uns unbekannt ſind. Dagegen ſcheint Vogel ſein Augenmerk nun zunächſt dem Süden zuzuwenden, und das erſte Re— ſultat ſeiner dortigen Forſchungen finden wir bereits in dem nachfol— genden Berichte über ſeine Reiſe nach dem Lande Musgo niedergelegt. Wie der Reiſende ferner in einem feiner letzten Berichte (Zeitſchrift III, 63, 397) meldete, beabſichtigte er demnächſt Idamäua und Yacoba zu beſuchen und bis zum Benué vorzudringen. Ob er dahin glücklich gelangen wird oder vielleicht ſchon gelangt iſt, können uns frei— lich erſt weitere Nachrichten lehren. Hinderniſſe ſeitens des Terrains und der Eingeborenen ſcheinen nach Barth's Erfahrungen bis zu den Grenzen Adamäua's wenigſtens nicht vorzukommen, und da Barth's perſönliches Erſcheinen in der Reſidenz Aliyu's, des Fellanſultans von Sokoto und zugleich Beherrſchers von Adamaua, den Ruf der chriſtli— chen Weißen unzweifelhaft in ein beſſeres Licht bei den Fellans ge— bracht hat?), fo iſt mit Grund anzunehmen, daß Vogel in Adamaua ) So verderblich wirkt das Klima Bornu's und ſpeciell Kuka's, daß ſelbſt die nicht dort geborenen Thiere davon nicht verſchont bleiben. So verlor z. B. Denham's Expedition bald nach ihrer dortigen Ankunft alle ihre aus Tripolis mitgebrachten Pferde und Mauleſel (Denham I, 91, 92, 224). 2) In welchem Nufe die Chriſten bei den Central-Afrikanern ſtehen, erweiſen unter Anderen die Bewohner Mandära's, von denen Denham z. B. ſagt, daß fie von den Weißen nur als von dem ſchlechteſten Volke der Welt gehört hätten und wahrſcheinlich, fügt der Reiſende hinzu, haben ſie uns, bis ſie uns ſahen, kaum für menſchliche Weſen gehalten (J, 113). Aehnlich ift eine von demſelben Reiſenden an= geführte Aeußerung des oberſten Verſchnittenen im Serail des Bornuſcheikhs: Was, e Sa. Bl u, Zu Bau re esse P » N * 3 * „ wu * ur Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 153 eine freundlichere Aufnahme finden wird, als ſie ſeinem Vorgänger zu b Theil geworden war (S. hier S. 79). Muthmaßlich iſt ſogar die in dem hier folgenden Berichte über die Niger-Erpedition gerühmte freundliche Aufnahme derſelben in Adamäua ſchon eine günſtige Folge von Barth's Beſuch des Fellanhofes geweſen. Vogel's eigene Briefe reichen bis jetzt nur bis zum 18. Juli, und andere Mittheilungen, die wir aus Central-Afrika beſitzen, auch nur bis zum 12. Auguſt v. J. Nach ihnen hatte der Reiſende am 19. Juli bereits Kuka verlaſſen, um ſich nach Mandära zu begeben; ſeitdem beſaß man in der Hauptſtadt Bornu's keine Nachrichten von ihm. Beabſichtigte nun Vogel, von dem nicht weit aus dem Wege von Kuka nach Adamäàua gelegenen Man— dara nach dem letztgenannten Lande und zum Benus zu gehen, jo ſcheint er bis zur Ankunft der Niger-Expedition in Yola daſelbſt doch nicht eingetroffen geweſen zu ſein, da die Expedition wenig— ſtens von ſeinem dortigen Aufenthalte keine Nachrichten mitgebracht hat und noch weniger mit ihm ſelbſt zuſammengetroffen war. Und doch konnte beides leicht ſtattfinden, indem Barth zu ſeinem Zuge von Kuka nach Yöla etwa 3 Wochen bedurft hatte (nämlich vom 29. Mai bis 22. Juni 1851 nach Petermann's An account S. 7—8), Vo— gel alſo ſchon im Beginn des Auguſt's hätte zu Pöla fein können, während die Niger-Expedition wahrſcheinlich erſt im Anfange des Oc— tobers dahin gelangt war. Was nun des Reiſenden weitere Projecte, ſich von Bornu nach Uadar und Dar-Fur zu begeben, betrifft, fo dürfte deren Ausführung ungemein ſchwierig ſein, das Erreichen Dar⸗Fur's ſogar für ihn gefährlich werden, indem in Aegypten, Nubien und beſonders in dem nur wenige Tagereiſen von Dar-Fur entfernten Kordofan übereinſtimmend die allgemein und mir muͤnd— lich von dem durch ſeine Forſchungen in dieſen Gegenden und beſon— ders durch einen dreimaligen Aufenthalt in Kordofan wohlbekannten Wiener Naturforſcher Dr. Kotſchy beſtätigte Anſicht herrſcht, daß der Beherrſcher Dar-Furs keinem Weißen, Türken oder Europäer, der in ſein Land gelangt, den Austritt aus demſelben geſtattet (Pallme, Be— ſchreibung von Kordofan. Stuttgart 1843. S. 178, 218). So ſollen Weiße, was bedeutet das? Hunde, Heiden, Feinde, ſie verdienten in vier Stücke lebendig zerſchnitten zu werden und nun trinken ſie Kaffee, eſſen Zucker und bringen ihr ganzes Leben in einem Palaſt zu (II, 215). 154 Gumprecht: vor einigen Jahren in Dar-Fur in der That mehrere Weiße, die ſich über die Grenzen des Landes unvorſichtiger Weiſe gewagt hat— ten, dort gewaltſam von dem halsſtarrigen Sultan zurückgehalten worden ſein. — Ueberaus erfreulich iſt es aber, durch Herrn Peter— mann's Bericht vom 8. Januar d. J. zu erfahren, daß von Vogel Kartenſkizzen in großem Maßſtabe über die von ihm beſuchten oder er— kundeten Länder Central-Afrika's in Europa bereits eingegangen ſind, indem dadurch Petermann's ausgezeichnete kartographiſche Arbeiten neue und wichtige Zufüse und Berichtigungen erhalten werden. Das in Vogel's nachſtehendem Berichte vom 14. Juli 1854 geſchilderte Land Musgu oder wie Barth, Overweg und Denham ſchreiben: Müsgaw, Musgo und Musgow (Berliner Monatsbe— richte N. F. IX, 386; An account, 6; Denham I, 70, 116, 118), iſt uns zuerſt durch Denham, jedoch nur dem Namen nach, bekannt geworden, indem dieſer Reiſende es nicht ſelbſt betreten hatte. Bei ſeinem mit einem zum Sclavenfange beſtimmten Bornuheere unternom— menen Zuge nach den ſüdlich von Kuka gelegenen Ländern erfuhr näm— lich derſelbe nur, daß ſich ſudöſtlich von Mandara ein von Kerdy's bewohntes Land Musgow befinde (I, 70, 116). Unter Kerdy's ver— ſtehen die Bornuer indeſſen nicht ein beſtimmtes Volk, ſondern im All— gemeinen alle im Süden ihres Landes wohnenden heidniſchen Ne— ger, von denen ſie alljährlich durch Raubzüge oder durch einen freund— lichen Verkehr mit denſelben, die unter ſich in ewigen Fehden begriffen find und die gefangenen Feinde an ihre muhamedaniſchen Nachbarn zu verkaufen pflegen, die Mittel erhalten, die Sclavenmärkte mit ſol— cher Waare zu verſehen. So erklärt Denham Kird y ausdrücklich durch die Worte: ein allgemeiner Name für Ungläubige (a gene- ral term for unbelievers I, 111) und öfters gebraucht er, unzweifel— haft nach den von den muhamedaniſchen Eingeborenen erhaltenen Nach— richten, daſſelbe Wort im Gegenſatze zu den Moslems (J, 105, 111, 117, 145, 171). Aus der durch das ganze muhamedaniſche äquatoriale Afrika gehenden Sitte, die zum eigenen Gebrauch und für den weiteren Han— del nach Norden nöthigen Selaven aus den Ländern der heidniſchen Neger im Süden ſich zu beſchaffen, mag aber die zweite Bedeutung von Kerdy Scelave in Bornu ſtammen, indem nach Denham's Bornu-Vocabular Keir bei den Bornuern Selave heißt (Denham 9 1 ˙˙˙¹w ö W ee nn 1 Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 155 II, 175, 176). Der britiſche Reiſende hatte bei ſeinem Zuge nach Mandarı Gelegenheit, einen berittenen, vorzüglich aus Häuptlingen beſtehenden Trupp Musgoer, die damals mit Bornu im Frieden ſtan— den, zu ſehen und ſchilderte deren Aeußeres (I, 118 — 119) als überaus wild (a most strikingly wild and truly savage appea- rance). Die muhamedaniſchen Bornuer wollten ihm dabei ein— reden, daß die Musgoer Chriſten ſeien, was aber Denham bei dem unchriſtlichen Ausſehen und unchriſtlichen Weſen derſelben, ferner bei ihrer Gewohnheit, verendetes Vieh roh zu verzehren, mit Ent— rüſtung zurückwies. Dieſe von ihm damals geſehenen Individuen hatten ein langes wolliges oder gekräuſeltes (clotted) Haar, das ihnen vorn lang über die Augen herabfiel. Gleich den Bornuern ließen ſie drei ſtarke Flechten, eine größere in der Mitte, zwei von den Seiten, bis in den Nacken hinlangen. Von der Beſchaffen— heit der Geſichtszüge und der Hautfarbe des Volkes erſahren wir lei— der nichts; muthmaßlich iſt aber die letzte nicht heller, als die der Bornuer, weil der britiſche Reiſende ſonſt wohl etwas darüber ange— geben hatte. In ihren Haaren haben übrigens die Musgoer keinen rei— nen Negercharakter, vielmehr ſtehen ſie darin den Galla's nahe, von denen bekanntlich ein Theil gleichfalls langes gekräuſeltes und über die Schultern in Flechten herabhängendes Haar beſitzt (Geographie von Afrika 108). Deshalb wäre vielleicht Grund vorhanden, die Mus— goer von den Bornuern und den übrigen reinen Negerſtämmen dieſer Gegend abzuſondern und ſie den Galla's als ein ihnen verwandtes Volk anzuſchließen, ſelbſt wenn ſie eine ganz ſchwarze r Körperfarbe hätten, ſtände nicht dem die außerordentliche Häßlichkeit 4 der breiten Geſichter entgegen, wodurch die Musgoer allerdings eine entſchiedene Aehnlichkeit mit den Bornuern, eine deſto geringere aber mit den Galla's, deren Phyſiognomie ſich gerade durch eine 5 Regelmäßigkeit und Schönheit auszeichnet, haben. Eine 1 ſchwarze Hautfärbung wäre freilich kein Hinderniß, die Musgoer von den reinen Negern zu trennen und den Galla's anzureihen, da ſelbſt unter dem, vorzugsweiſe mit einer braunen Haut begabten, großen Volke der Galla's einzelne Stämme von dunkler und ſelbſt von ſchwar— . zer Farbe vorkommen, ſo wie daſſelbe auch bei den Kaffern der Fall iſt, unter denen En der Mehrzahl brauner Stämme ganz ſchwarze 0 en * E 4 156 Gumprecht: nicht fehlen. Die Häßlichkeit der Geſichtsbildung der Musgoer muß wirklich ſehr groß ſein, da keine weibliche Sklavin aus dieſem Volke nach Denham's ausdrücklicher Verſicherung (I, 187 — 188) von den fezzaniſchen und tripolitaniſchen Händlern gekauft wird. Freilich trägt zur Vermehrung der natürlichen Häßlichkeit (The females sla- ves from Musgow are particularly disagreeable in their appea- rance. Denham I, 70 und: The features of the female slaves from Musgow naturally large and ugly. Ebend. I, 188) die Sitte der Weiber weſentlich bei, daß dieſe nicht allein, wie es wohl noch viele andere heidniſche central-afrikaniſche Völker thun, ſich einige Vorderzähne ausbrechen !), ſondern daß fie auch den unteren Theil des Geſichts gerade unter der Unterlippe durchbohren und durch das Loch und die Zahnlücke einen Stift von der Größe eines engliſchen Schil— lings bis in den Mund hineinſtecken, worauf dann im Verlauf von 1 — 2 Jahren durch die Schwere des Stifts die Lippe bis zum Kinn hinuntergedrückt wird, was die Geſichter, wie Denham und Overweg übereinſtimmend verſichern, natürlich in einer wirklich fürch— terlichen Weiſe entſtellt (theire features are much diffigured by the silver stud, which they wear in the under lip. Denham I, 188; .. . . and gives a really frightful appearance to the face, ebend. I, 188; endlich: the face of the women is horribly disfi- gured. Overweg im Account 9). Wenn aber Denham den Stift einen ſilbernen nennt (I, 70, 188), ſo iſt dies ſchwerlich richtig, weil bei der ungemeinen Seltenheit und dem hohen Werthe des Silbers in Central-Afrika (Zeitſchrift II. 345) die Musgoweiber ſchwerlich viel davon auf ihren Putz verwenden könnten. Deshalb iſt Overweg's An— gabe, daß der Stift aus Elfenbein beſtehe, glaubhafter. In der Naſe ſollen die Musgoerinnen nach Denham ebenfalls einen ſilbernen Stift tragen (1, 70). Seine Zähne färbt das Volk roth (Denham I, 118), wie die Bornuer (Vogel in der Zeitſchr. III, 71 und Clapperton bei Denham (II, 1) Dies war ſchon im Mittelalter bei dem großen im öſtlichen Theile des heu— tigen Nubiens wohnenden Volke der Bedjahs üblich. Nach einer von Makrizi aus dem Werke des von Aſſuan an der Grenze Nubiens ſtammenden arabiſchen Hiſtorikers Solaim el Aſſuany entlehnten Angabe ſagten die Bedjahs, daß ſie dieſe Sitte ange— nommen hätten, um nicht Hunden ähnlich zu werden (Et. Quatremère: Mémoires geographiques et historiques sur l’Egypte. Paris 1812. U, 142). . »» FAA 7 Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 157 11, 63), doch giebt Vogel an, daß die Bornuer nur die Vorderzähne roth, die Eckzähne dagegen ſchwarz färben) und die Hauſſaner (Denham II. 63). Es bemalt ſich zugleich mit rothen Flecken, gleichwie noch andere heidni— ſche Völker im Süden Kuka's ihren Körper anzumalen und mit ver— ſchiedenfarbigen Flecken zu bedecken pflegen (Denham J. 121) ). Sonſt find die Musgoer ſtark und gut gebaut (Denham I, 188; An ac- count 9). Die von Denham geſehenen Individuen derſelben hat— ten als einzige Kleidung Ziegen- oder Leopardenfelle, deren Kopf den Trägern auf der Bruſt lag. In der Mitte des Leibes waren die Felle befeſtigt und reichten, da der Schwanz und die Beine daran ge— blieben waren, bis auf die Mitte der Schenkel herab. Auf dem Kopfe trugen die Häuptlinge eine Kappe von Thierfellen, um die Arme und Ohren anſcheinend einige aus Knochenmaſſe beſtehende Ringe und um den ) Das Anmalen mit Mineralſtoffen iſt bei den in heißen Regionen lebenden Völkern zum Theil weniger ein Putz, als ein Bedürfniß, indem die Haut durch das Anſtreichen des ganzen Körpers vor den nachtheiligen Einwirkungen der Sonnenſtrahlen bewahrt und dadurch zum Theil die Kleidung erſetzt wird. Ueberall jedoch, wo das Chriſten— thum Fortſchritte macht, wie bei den ſüdafrikaniſchen Kaffern, dem Hottentotenſtamme der Kora (Korana) und dem Betſchuanenſtamme von Lithako, oder der Muhameda— nismus, wie bei den heidniſchen Völkern des nördlichen Central-Afrika, und das Kleider— tragen beginnt, verliert ſich das Bemalen. Deshalb war dieſes auch früher in den hei— ßen Klimaten weit mehr verbreitet, als jetzt. In Afrika dienen dazu durch Eiſenoryd ſtark roth gefärbte Thone bei den ſüdlicheren Kaffern und den Kora oder ſelbſt pulver— förmiges Eiſenoryd (Rotheiſenrahm) bei den Betſchuanen. Die einſtige größere Ver— breitung des Rothanmalens erweiſen beſonders zwei bekannte Stellen bei Herodot (IV. c. 191) und Plinius (hist. nat. IV. c. 35), die beide Landſtriche betreffen, wo heute der Muhamedanismus herrſcht, und keine Spur des Rothfärbens der Haut mehr angetroffen wird. Herodot erwaͤhnt z B. die Sitte bei den Libyern, d. h. den damals noch im öſtlicheren Afrika wohnenden Berbern, Plinius bei Völkerſchaften, die in dem heutigen Nubien lebten. Wo in Nubien der Muhamedanismus noch jetzt nicht herrſcht, wie am höheren Weißen Nil, hat ſich die Sitte des Rothanmalens er— halten, wie Werne Gelegenheit hatte, zu beobachten (Expedition zur Entdeckung der Quellen des Weißen Nils. Berlin 1848. S. 415). Blaue Färbungen der Haut oder nur der Extremitäten mit Pflanzenſtoffen, wie einſt bei den alten Briten (Caerulei Britanni bei Martial Epigr. XI, 54, 1; Caesar Bell. Gall. V, 14; Plinius hist. nat. XXII, 1, wo die Worte: Kethiopum colorem imitantes, genau auf die Bornu- und Kanoweiber paſſen würden, hätten die alten Römer eine fo tief eindringende Kennt— niß von Central-Afrika beſeſſen; Mela III, 6) ſtattfanden und noch gegenwärtig bei den Weibern von Kano und Bornu im Gebrauch find (Clapperton bei Denham II, 17, 613 Vogel in der Zeitſchrift III, 71 — 72), dienen dagegen nur als Putz. In Amerika bedie— nen ſich endlich noch die am Orinoko wohnenden Indianer zum Rothanmalen des Orleans d. h. des rothen Farbeſtoffs aus den Schalen von Bixa orellana als Verſchönerungsmittel. 158 Gumprecht: Hals 1 — 6 Schnuren, die, wie der Reiſende hörte, aus den Zähnen getödteter Thiere beſtanden. Zähne und Knochen hingen endlich von den gekräuſelten Haaren herab. Trotz ihres äußerlich wilden und ab— ſchreckenden Anſehens hörte Denham die Musgoer aber doch ſelbſt von ihren muhamedaniſch bigotten Nachbarn als zuverläſſig, fleißig und zu größeren Arbeiten fähig rühmen (I, 70). Sind dieſelben wirklich wilder, als dieſe und beſonders gegen ſie unfreundlich, ſo rührt dies ſicher von den Verfolgungen und Gewaltthätigkeiten her, denen ſie fortwäh— rend von den Muhamedanern Bornu's und Mandära's ausgeſetzt ſind. Schon Denham berichtet, daß zu ſeiner Zeit bei der Verhei— rathung des Scheikhs von Bornu mit der Tochter des Sultans von Mandära ein durch die vereinigten Kräfte beider Länder anszufüh— render Zug nach Musgo verabredet worden ſei. Er fiel erfolgreich aus, indem 3000 Unglückliche, bei deren Einfangen aber noch die doppelte Zahl den Tod fand, der Heimath entriſſen wurden und in ewige Gefangenſchaft kamen. Die Uneinigkeit und die unaufhörlichen Kämpfe der Musgoer und überhaupt der Kerdy's unter ſich erleichtern es den Bornuern wie angegeben ſehr, ſich aus den heidniſchen Län— dern mit Sclaven zu verſehen und deshalb würden die Muhameda— ner in Bornu es nicht einmal gern ſehen, wenn die Musgoer ſich zum Islam bekehrten (Denham I, 119), da nach dem Koran kein Mu— hamedaner Sclave ſein darf. Ueber Musgo's Lage und Beſchaffenheit haben wir zuerſt durch Barth's und Overweg's perſönliche Anſchauungen beſtimmte Kunde erhalten und namentlich muͤſſen wir es Overweg danken, daß er die in Musgo angetroffenen Ortſchaften Barria, Bilia Malem Yimmabeh, und einige faft unterm 10° n. Br. und im Diſtrict Wulia, dem ſüd— lichſten des Landes, gelegene Lagerplätze aſtronomiſch beſtimmt hatte (Zeitſchrift II. 378). Doch wurde der ſüdlichſte, noch etwas ſuͤdlicher als 10“ nach Petermann's Karte gelegene, von unſeren Reiſenden erreichte Punkt nicht feſtgeſtellt, ſo wie dieſe auch nicht den öſtlich von dem Hauptfluſſe des Landes gelegenen Theil, und ebenſowenig die gleichnamige Hauptſtadt Musgo betraten. Leider ſind die Er— gebniſſe ihres Ausfluges nur ſpärlich und vorzugsweiſe nur durch den kurzen, von Herrn Petermann aus Overweg's Papieren zuſammenge— ſtellten Bericht bekannt geworden (An account 9), da uns in Europa . A re ee r * 1 d! - my... ˙ w. ̃ —.-. h U—ö mê— — m —˙ ²˙·A.A.. uU ul ne na r Vogels Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Cxpedition. 159 von Barth keine directe Nachrichten darüber zu Theil geworden ſind. In— deſſen dient ein bisher ungedruckter, an Herrn Bunſen gerichteter Brief Barth's, den derſelbe aus der Hauptſtadt Bägirmi's, Mafena, fchrieb, auf das Erfreulichſte dazu, Manches über die hydrographiſchen Ver— hältniſſe Musgo's zu ergänzen, fo wie er überhaupt das erſte Licht über das ſo wichtige Waſſerſyſtem des Schary nach Denham's mannig— fach mangelhaften und unrichtigen Darſtellungen verbreitete. Ich werde ihn deshalb hier mittheilen. Auch die in Barth's geſammelten Itine— raren vorkommenden Notizen, namentlich die in dem Itinerar von Pöla nach Löggene (Berl. Monatsber. N. F. IX, 384 — 385) enthaltenen, bieten Manches zur Erläuterung von Petermann's Karte, die uns das vollſtändigſte Bild dieſes Theils von Central-Afrika gewährt, wogegen auf Denham's Karte Musgo nicht einmal mit Namen vorkam. Die beiden deutſchen Reiſenden gelangten, wie neuerdings Vogel, in Geſellſchaft eines zum Sklavenfange ausgerüſteten Bornuheeres von Kuka aus nach Musgo und durchzogen den weſtlichen Theil dieſes Landes, wie es ſcheint, bis zu deſſen Südgrenze. Sie trafen die Nordgrenze in etwa 1055“ nördl. Br. (an account 9); die ſüd— liche Grenze ſcheint ungefähr in 9° 50’ zu liegen, was alſo für die ganze nordſüdliche Länge des Landes etwa 15 deutſche Meilen er— geben würde, eine Erſtreckung, die mit dem angeführten Itinerar (S. 385), wonach man 22 Tagemärſche bedarf, um Musgo von Sü— den nach Norden zu durchziehen, ſehr wohl übereinſtimmt. Im Süden oder vielleicht Südweſten grenzt Musgo an eine von Fellans bewohnte Landſchaft, wahrſcheinlich an die große Fellanprovinz Adamäua, und im Norden an das kleine Reich Löggene (Berl. Monatsber. IX, 384 — 385). Die Oſtgrenze iſt durch den gleich weiter zu erwähnenden großen öftlichen Quellſtrom des Schary, der Musgo von Bägirmi ſcheidet, beſtimmt, nur in Bezug auf die weſtliche Grenze ſind wir nicht genau unterrichtet. Auf ihrem ganzen 200 engl. Meilen langen Wege nach und in Musgo durchſchnitten Barth und Overweg eine einzige unermeßliche Ebene, die niedrig und völlig wagerecht zu ſein ſcheint, letztes aber nicht iſt, da der Hauptſtrom des Landes deſſen ganze Länge mit nördlicher Richtung durchzieht und ſich erſt weit jen- 8 gr ſeits der nördlichſten Grenzen Musgo's und ſchon in der Nähe des Tſad mit dem wahren Schary vereinigt. Von Musgo's Nordgrenze 160 Gumprecht: fand Overweg die Abdeckung nach dem Tſad ſchon viel merklicher; einige Granitkegel, meiner Anſicht nach unzweifelhaft Ausläufer der Granitberge von Mandara (Denham I, 117, 121, 131, 143) oder Adamaua (Barth Berl. Monatsber. IX, 385), boten ſich den Reiſen— den zu Waza und an einigen andern Stellen dar; ſonſt ſahen ſie außer in Mandära keinen Berg. Dieſe außerordentliche Ebene und Flach— heit des Landes wirkt natürlich ſehr auf die Waſſerläufe ein, ſo daß Overweg in keinem Theile Afrika's Waſſer von ſolcher Eigenthüm— lichkeit, wie hier, angetroffen zu haben verſichert; ſie findet ſich gleichfalls durch das Itinerar von Yöla nach Löggsns beſtätigt, indem dieſes wiederholt von flachen Strichen Musgo's redet (Berl. Monats- ber. IX, 385). Auch ſüdweſtlich von Musgo, gegen den Benue hin, muß die nämliche Oberflächenbeſchaffenheit vorhanden ſein, weil das Itinerar hier noch häufig von flachen Gegenden und zugleich vielen Waſſerpfuhlen ſpricht. Unter dieſen Umſtänden wird in der That Vo— gel's Anſicht, daß der ganze ebene von ihm durchzogene Landſtrich in der Vorzeit der Boden eines ungeheuren Süßwaſſerſee's geweſen war, wo— von der jetzige Tſad einen verhältnißmäßig kleinen Reſt bildet, höchſt wahrſcheinlich. Damit ſtimmt zugleich das dem Reiſenden in Musgo gelungene Auffinden tertiärer Kalkſtein-Ablagerungen mit Süßwaſſer— Conchylien vortrefflich überein. Wir müſſen dem eifrigen jugendlichen Forſcher für dieſe Beobachtung um ſo mehr Dank wiſſen, als geo— gnoſtiſche Unterſuchungen nicht eigentlich ſeines Faches ſind, und als Overweg, der außer den Granithügeln auf der Oberfläche dieſer Ge— genden nur Lehm bemerkt haben will, weder in Kuka, noch in Musgo etwas davon wahrgenommen zu haben ſcheint. Wenigſtens enthält Herrn Petermann's Werk nichts über dieſe tertiären Gebilde, was ſicher der Fall geweſen wäre, hätte der Herausgeber Bemerkungen dar— über in Overweg's Papieren angetroffen !). Musgo's Ebenheit veranlaßt, wie bemerkt, ſehr ſonderbare hydro— graphiſche Phänomene, indem die Oberfläche des Landes mit unzähligen ſeichten, von den Landesbewohnern Ingaljam, von den Arabern aber 1) Der Riesgau in Franken iſt ein ähnlicher Boden eines vorweltlichen Süß— waſſerſee's, da hier innerhalb eines Walles älterer Geſteine faſt nur Süßwaſſerkalfs ſteine die Oberfläche bilden. ‚FA ee a ch Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 161 Sil!) nach Overwegs Angabe genannten Waſſerpfuhlen?), welche nur in der Regenzeit eine Verbindung und ſelbſt dann einen ſo trägen Lauf haben, daß ihre Richtungen kaum erkennbar ſind, durchſchnitten iſt. Einige Ver— bindungs-⸗Canäle werden indeſſen in der naſſen Jahreszeit fo groß, daß fie mächtigen Strömen gleichen und Boote tragen. Alle dieſe Läufe ge— hören dem Becken des Schary an und führen auch in dem Schary ihre Waſſer dem Tſad zu. Erſt an der Südgrenze Musgo's ſcheint das Syſtem des Schary zu enden, indem wenige Meilen von dem ſchon genannten Diſtrict Wulia, zu Dawa, ein nach Südweſten ſtrömender Zufluß des Benué, der Kebbi, beginnt. Hier alſo findet ſich für dieſe Gegenden die Waſſerſcheide (divortia aquarum) zwiſchen dem Tſadbecken und dem Flußgebiete des Kowara oder Niger, was eine ſehr wichtige Erwerbung für die afrikaniſche Geographie iſt. Sie muß übrigens niedrig liegen, weil Overweg bemerkt, daß bei der eigenthümlichen Natur des Landes, feiner Flachheit und ebenen Be— ſchaffenheit, ſo wie bei der großen in der Regenzeit herabfallenden Waſſermaſſe es nicht auffallend wäre, wenn zwiſchen beiden Becken eine wirkliche, jedoch vielleicht nur für kleine Boote nutzbare Waſſer— verbindung periodiſch ſtattfände. Eine directe Beſtätigung für dieſe An— gabe ſcheinen Barth und Overweg nicht erkundet zu haben; daß die Verbindung aber zuweilen vorhanden iſt, laßt ſich vielleicht ſchon aus der weſentlich auf Denham's Erkundigungen bei den im Süden des Tſad wohnenden Eingeborenen beruhenden Zeichnung des Schary in den . 2 u. zu Denham's und Clapperton's Reiſewerken gehörenden Karten ſchlie— ) Sayl oder Syl bedeutet im Arabiſchen Gießbach (torrent), wie Jomard in dem Werk: Voyage au Darfour par le Cheykh Mohammed el Tounsy, publié par Jomard. Paris 1845. p. XXV fagt. Deshalb werden auch waſſerreiche Stellen mit dieſem Wort bezeichnet. So giebt es einen Ouady Seyl oder Syl (Se) in Aegypten (Jomard: Etudes ethno-géographiques sur l'Arabie. Paris 1830, p. 59, 73) und ein Djedyd el Sayl in Dar Fur (Mohammed el Tounsy p. XXV). 1 ) Die Ingaljam ſollen die Bornuer nach Barth (Zeitſchrift I, 201) und Over: Ei! von den Komadugu unterſcheiden und unter dem letzten Namen ſandige Flüſſe * © oder Seen verfichen. Nach Denham (II, 178) und Burkhardt (Travels in Nubia 492) ſcheint zwar Komadugu überhaupt Fluß in der Bornuſprache zu bedeuten; da aber der gelehrte Sprachforſcher Koelle in feinem Werke: African Native literature. London 1854. p. 337 angiebt, daß Kömodügu (sic! G.) das Meer, jeden See und größeren Fluß bezeichne, fo find dies ohne Zweifel die richtigſten Bedeutungen des Wortes. Das Wort Ingaljam kommt bei Koelle nicht vor. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 11 162 Gumprecht: ßen, indem hier der obere Schary in ununterbrochener Verbindung _ mit dem Tſchadda oder Benué ſteht. Auf einer periodiſch eintreten— den Verbindung mögen ferner die in neuerer Zeit öfters erhaltenen Angaben der Eingeborenen, daß man zu Waſſer in jeder Jahres— zeit ohne Hinderniſſe aus dem Tſad in den Niger mit Booten fah— ren könne, und daß der Schary aus dem Tſad komme, endlich R. Lander's Ueberzeugung von der Identität des Schary mit dem Tſchadda (Benué) !) zu beruhen. Hoffentlich wird uns über dieſen ungemein wichtigen Punkt der afrikaniſchen Geographie die neueſte Niger-Expe⸗ dition die vollſtändigſte Auskunft bringen. Musgo's Oberfläche iſt durchweg ſehr fruchtbar und durch den Fleiß der Bewohner zum Theil wohl cultivirt. Deshalb enthält das Land ſtellenweiſe eine ſehr ſtarke Bevölkerung, die noch viel anſehnli⸗ cher wäre, verlören nicht die Bewohner durch den Mangel an Einig— keit unter ſich, wie es bei allen heidniſchen Völkerſchaften Central— Afrika's im Süden der großen muhamedaniſchen Staaten der Fall iſt, die Mittel zur Gegenwehr gegen dieſe, und würden ſie nicht, indem ſie dadurch ſtets feindlichen Raubanfällen ausgeſetzt ſind, fortwährend decimirt. Man baut in Musgo vorzüglich Ghafüly, eine unter die— ſem Namen durch den größten Theil Central-Afrika's cultivirte Frucht- pflanze, die höchſt wahrſcheinlich unſer Mais iſt (Berl. Monatsber. IX. 251). Nächſtdem betreiben die Musgoer eine ſtarke Viehzucht, wozu das den Lehmboden bedeckende Grün (herbage) einladet. Doch find die gezogenen Rinder und Pferde klein (An account 9). Bezüglich der letzten bemerkte ſchon Denham (I, 118), daß fie nur 14 Hände hoch, dabei aber wohlgebildet und feurig ſind. Von ähnlicher Kleinheit und Güte ſind nach Clapperton die Pferde zum Theil im Sudan (Tr. 150). Die Arbeitſamkeit der Bewohner hat zur Folge, daß die Reiſenden, wie es auch Barth und Overweg ging, gleich von ihrem Betreten Mus— go's an überall durch erfreuliche Zeichen häuslichen Comforts und thätiger Induſtrie überraſcht werden. Ein Theil des Landes iſt noch j uncultivirt und unbewohnt, und es haufen dann in ſolchen Strichen große Heerden von Elephanten, Giraffen, Löwen und anderen Thieren. 2 findet * eine große Wildniß am Nordrande Musgo's, die nach Js 7 4 — — * { ') Die betreſſenden Stellen finden ſich in den Berl. Monatsber. IX, 356 — 357) geſammelt. 0 Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 163 Overweg Fili Obaja heißt (An account 9), ein Name, welcher in- deſſen bei Overweg nicht zuerſt vorkommt, da das von Barth mitge— theilte Itinerar eine zwei Tagereiſen ſüdlich von der Stadt Löggene ge— legene höchft unfruchtbare Wüſte, zu deren Durchziehen es zweier Tage— märſche bedarf, und die an dem erſten Marſchtage nicht einen einzigen Baum darbietet, auch mit dem ihr angeblich von den Fellans gegebenen Namen Fili Obaja belegt. Außer den Wäldern enthält Musgo zahlreiche Gruppen der ſchönſten Bäume. Solche Baumgruppen in Verbindung mit den Wäldern, Fruchtfeldern und menſchlichen Wohnungen ver— leihen dem Lande eine für das Auge ungemein angenehme Mannigfal- tigkeit. Unter den hieſigen Bäumen traf Overweg, für ihn zum erſten Male in Afrika, die Giginyapalme, die nach ihm eine für den Con— tinent eigenthümliche Palmenart ſein ſoll und, wie ſeine hinterlaſſenen Aufzeichnungen beſagen, bereits vorher durch Barth auf ſeinem Wege nach Adamäua geſehen worden war. Da jener Reiſende jedoch kei— nen Charakter der Palme angiebt und Barth's kurze Berichte über feine Excurſion nach Adamäua auch nichts über fie enthalten, fo wäre es kaum möglich, die Natur und muthmaßliche Identität des Giginya mit einer bekannten afrikaniſchen Palmenart zu errathen, gäbe nicht die in neuerer Zeit gewonnene Kenntniß der Verbreitung der Deleb- palme in den tropiſchen Regionen Central-Afrika's die natürlichſte Veranlaſſung, in dem Giginya nur dieſe letzte zu ſehen. Der De— leb, eine botaniſch noch nicht genau genug feſtgeſtellte Palme, und nach Martius Vermuthung (C. F. P. de Martius: Historia natu- ralis Palmarum. Monachi 1843 — 1850. III, 200) wohl dieſelbe mit Borassus Aethiopum, einer auch nicht hinlänglich gekannten Art der Gattung Borassus, welche ihrerſeits nur eine Varietät des durch das ganze tropiſche Afrika von Gorée und der Senegal- und Guineafüfte an verbreiteten Borassus Flabelliformis fein dürfte, bildet im öftlicheren tropiſchen Central-Afrika eine wahre Zierde der Wälder, und mußte, da er durch feine prächtige Krone, den 60 — 120 Fuß hohen aſt— * loſen Stamm, die merkwürdige Ausbildung deſſelben und der Früchte, die 10 Fuß langen ſtarken, mit Dornen beſetzten Blattſtiele u. ſ. w. als eines der ſtattlichſten, intereſſanteſten und zugleich auffallendſten Gemäachſe dieſer Gegenden erſcheint, von den beiden Reiſenden leicht be— merkt werden. Ruſſegger (Reiſen II. 2, 189) ſagt ſogar ausdrücklich, . 1 A gr 164 Gumprecht: der Deleb ſei die ſchönſte ihm in Central-Afrika vorgekommene Palme. Von dem indiſchen und afrikaniſchen Borassus Flabelliformis und den Individuen des ſogenannten B. Aethiopum unterſcheidet ſich derſelbe häufig durch die eigenthümliche, im zweiten Drittel ſeiner Höhe von unten auf gerechnet ſtattfindende Verdickung des Stammes. Beſonders intereſſant ſind noch ſeine traubenförmig an den langen Stielen herab— hängenden, kinderkopf großen, im reifen Zuſtande goldgelbe Früchte, deren fleiſchige, ananas-duftende Fruchthüllen (das Sarcocarpium) gegeſſen werden und nach Werne (Expedition zur Entdeckung des Weißen Nils, 459) einen ſüßlich bitteren, nach Ruſſegger (II, 2, 192) einen ſüßen duftenden Geſchmack beſitzen. Die Verſchiedenheit der An— gaben über den Geſchmack der Früchte rührt unzweifelhaft nur von dem halbreifen oder reifen Zuſtande her, worin dieſelben von den verſchie— denen Reiſenden angetroffen und genoſſen wurden. Die Palme iſt übrigens, ungeachtet ihrer bis jetzt noch nicht vollſtändigen botaniſchen Kenntniß, mehrfach von Nichtbotanikern, z. B. von Poncet, Werne und Ruſſegger recht genau beſchrieben worden und überhaupt verhältniß— mäßig lange gekannt. Der erſte Europäer, der bereits im Beginn des vorigen Jahrhunderts davon Kunde gab, war der franzöſiſche Chirurg Poncet (Lettres des Missions. Paris 1713. IV, 45 — 46, 50), wel: cher fie in Süd-Nubien bei Gieſim und dem ſüͤdlich davon gelegenen und danach genannten Orte Deleb am Rande der flachen, feuchten, erſtickend heißen, unter dem Namen Kolla bekannten und am Fuße des abeſſiniſchen Hochlandes gelegenen Waldregion antraf, ihren Wuchs höher, als bei jeder anderen in dieſen Gegenden vorkommenden Palme fand und dieſelbe nach den Mittheilungen der Eingeborenen ſchon Deleb nannte. Wie Ruſſegger, ſchilderte er den Geſchmack der ſüßduftenden Früchte als ſehr angenehm und ſüß, ja er ſetzt hinzu, daß er ſich nicht entfinne, etwas Schmackhafteres (déli— cieux) je gegeſſen zu haben. Abweichend von den neueren Bericht— erſtattern, bei denen ſich keine Spur einer ſolchen Angabe vorfindet, erwähnte Poncet fünf harter, die Frucht bedeckender Schuppen, die durch ihr Aneinanderſchlagen, ſobald die Früchte vom Winde bewegt werden, einen gewaltigen Lärm machten. Die Früchte fand Poncet ſo groß, daß er bemerkt, es möchte eine davon, wenn ſie auf das Haupt eines Menſchen fiele, dieſen unfehlbar tödten. Iſt dies in Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 165 richtig, ſo verlöre Gleim's bekannte ſchöne Fabel von dem klugen Mann, dem großen Eichbaum und ſeiner kleinen Frucht ihre praktiſche Mo— ral. Seit Poncet's Zeit verfloſſen über 100 Jahre, ehe Jemand wieder vom Deleb Kunde gab und namentlich iſt es auffallend, daß einem ſo ſcharfen Beobachter, wie Bruce, der unfern der Poncet— ſchen Route ſeinen Weg von Abeſſinien durch die Kolla nach Sennaar genommen hatte, der Deleb ganz entgangen fein konnte, da er ihn wenigſtens nirgends erwähnt. Erſt in der neueren Zeit, als man häu— figer in die äquatorialen Striche Central-Afrika's einzudringen begann, wurde die Aufmerkſamkeit wieder darauf gelenkt, indem Cailliaud die Palme im J. 1822 unter etwa dem 10° n. Br. in den ebenen Stri— chen am Fuße des ſüdlich von Kordofan im Nuberlande gelegenen Scheibunberges antraf und, wie das Blatt 17 ſeines Atlaſſes erweiſt, darſtellte; in der Beſchreibung ſeiner Reiſe erwähnte er, auffallend genug, wie ſchon Ruſſegger bemerkte, dieſelbe mit keinem Worte. Das häufige Vorkommen des Deleb in den Wäldern am Scheibun beſtätigte 16 Jahre darauf Ruſſegger, welcher auch eine empiriſche Beſchrei— bung des Baumes und ſeiner Früchte lieferte (Reiſen II, 2, S. 191, 204) und ausſprach, daß im Süden Sennaars und Kordofans die nördlichſte Grenze ſeiner natürlichen Verbreitungsſphäre, innerhalb welcher er als wildwachſender Waldbaum vorkommt, durch den 11. und 12. Grad nördl. Br. beſtimmt werde, weil alle jenſeits dieſer Grenze, z. B. bei Sennaar 1334 10“ n. Br. (Reiſen II, 2, S. 189 und 620) und noch etwas nördlicher an der Mündung des Dender in den blauen oder abeſſiniſchen Nil bei Saba Deleb (ebend. 189, 469) vorkommenden Exemplare verkümmerte und verfrüppelte ſeien, die nur durch den Nil oder die Kultur dahin gebracht ſein möchten. Aber die größte Fülle unſerer Palme in der prachtvollſten Entwickelung enthalten unzweifelhaft in dieſen Gegenden die Wälder an den flachen und feuch— ten Rändern des Weißen Nil, wo dergleichen im Gebiete der Kyks zuerſt durch die erſten ägyptiſchen Expeditionen zur Erforſchung des Stromes ( Dylb oder Delb im Bull. de la soc. de geogr. 2e Ser. XVIII, 85 1 — 87), dann durch die folgenden, woran Werne und Arnauld (ebend. XVII, 381) Antheil nahmen, aufgefunden wurden. Endlich gab noch Werne eine ſehr anſchauliche und vollſtändige Beſchreibung des Deleb (Erpedition zur Entdeckung der Quellen des Weißen Nils 458460). 166 Gumprecht: Während ſeines Aufenthalts in Central-Afrika hörte ſelbſt Barth von einem Vorkommen deſſelben in der etwa unter dem 6“ nördl. Br. gelegenen großen Landſchaft Andöma (Journ. of the Geogr. Soc. of London. XXIII, 121). Weniger ſicher iſt dagegen das waldliche Auftreten der Palme in Bägirmi, da der ebengenannte Reiſende nur von einem einzigen Exemplar, das er hier geſehen hatte, wahrſcheinlich als von etwas Abſonderlichem ſpricht, wobei es leicht möglich iſt, daß daſſelbe, wie die Individuen bei Sennaar und Saba Deleb, nur da— hin verpflanzt war, obwohl ſonſt Bägirmi's Oberflächenbeſchaffenheit, Klima und Feuchtigkeit dem Gedeihen des Deleb nicht entgegen ſein dürfte. Noch zweifelhafter iſt die Palme in Dar Fur, einem Lande, das ſchon wegen feiner Lage nördlich vom 12.“ n. Br. und feiner meift trockenen ſavannenartigen Oberfläche und zum Theil auch wegen ſei— ner gebirgigen Beſchaffenheit gar nicht für einen ſpontanen Wachs— thum des Deleb geeignet zu ſein ſcheint. Freilich giebt es einige Mittheilungen, die das Vorkommen in Dar Fur zu erweiſen ſchei— nen, aber bei genauerer Anſicht ſich ſo unſicher zeigen, daß man ihnen kein beſonderes Vertrauen ſchenken darf. So hörte Seetzen (v. Zach, Monatliche Correſpondenzen XIX, 459) einen Eingeborenen Dar Furs eine in feinem Lande vorkommende Frucht Delléb nennen, die nach ihrer Größe (ſie hatte einen Fuß Durchmeſſer) und ſonſtigen Be— ſchaffenheit (ſie war angeblich mit eßbarem Werg überzogen, eine An— gabe, die durch die grobe Faſer des Fruchtfleiſches des wahren Deleb, welches man auszuſaugen pflegt (Poncet IV, 36; Ruſſegger II, 2, S. 192) ſich erklären ließe) ziemlich gut auf die Frucht der Deleb- palme paßt und die Seetzen auch wirklich einer Palme zuſpricht; da aber der deutſche Forſcher die Frucht nicht in Aegypten geſehen hat, wo— hin ſie aus Dar Fur nicht gebracht wird, und er ſie noch weniger in Dar Fur ſelbſt beobachtet hatte, ſo iſt es möglich, daß ſein Be— richterſtatter irgend einer anderen baumartigen Fleiſchfrucht (Drupa) Dar Fur's den ungehörigen Namen Delleb gab oder daß dieſer, wenn er die ächten Deleĩbfrüchte meinte, ſich hinſichtlich ihrer Heimath geirrt hatte. Noch weniger ſpricht Brown's Mittheilung von dem Vorkommen eines Deleb in Dar Fur für das unſerer Palme, da der britiſche Rei— ſende denſelben für die orientaliſche Platane, d. h. für einen dicotyledo— niſchen Baum erklärte (Travels 307), deſſen natürliches Vorkommen in — —V— n BET A ar — — — 2 — U 4 j 4 i * = * 5 Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 167 dem temperirten Klima von Aſien, Kreta und Cypern ihn am wenigſten geeignet macht, in den trockenen und ſehr heißen ſalzreichen Steppen Dar Fur's zu eriſtiren !). Denn ausdrücklich ſagt Ruſſegger (II, 2, S. 189), daß die Delebpalme den dürren Sand nicht zu lieben ſcheine. Dagegen iſt Musgo's heißes Klima und ſeine durch ſeinen großen See, ſeine vielen ſtehenden Lachen und langſam fließenden Ge— wäſſer natürlich ſehr feuchte Luft für das Gedeihen des ächten Deleb ganz geeignet, und, wenn auch Vogels Angabe von dem Vorkommen dieſer Palme in Musgo die Annahme von der Identität des Giginya und des wahren Deleb nicht zur faſt unzweifelhaften Gewißheit macht, fo behält die Anſicht immer einen hohen Grad von Wahrſcheinlichkeit. Aufs fallend iſt bei alle dem, daß Vogel's und Barth's Berichte in Musgo und Bägirmi den Namen Deleb kennen, der alſo von hier aus bis an die Grenzen Nubiens und Abeſſiniens allgemein in Central-Afrika be⸗ kannt iſt, während der Name Giginya allein bei Overweg vorkommt. Eines der wichtigſten durch Barth's und Overweg's Reiſe nach Musgo für die Kunde des centralen Afrika erlangten und durch Barth's Zug nach Bägirmi erweiterten und beſtätigten Reſultate betrifft das Verhältniß der beiden großen Quellenarme des Schary, wor— über ſehr lange in Europa unſichere Vorſtellungen geherrſcht hatten, die darin ihren Grund fanden, daß in Afrika nicht ſo conſequent, wie in Europa, der Gebrauch herrſcht, dem bedeutendſten Quellenarme eines Fluſſes deſſen Namen beizulegen, ſondern daß hier oft mehrere Quellen— arme deſſelben Stromes ohne Rückſicht auf ihre Größe übereinſtim— mend mit dem ganzen aus ihrer Vereinigung hervorgegangenen Fluſſe heißen?). Die früheſte Erwähnung des Schary (YU!) finden wir be reits bei Burkhardt (Travels in Nubia, 477), der ihn nach dem Ber richte eines Eingebornen als einen großen, dem Nil an Bedeutung vergleichbaren und zwiſchen dem Lande Kataku (d. h. Löggene) und dem Ghazellenſtrom fließenden Strom aufführt, welcher von Nordoſt nach Südweſt gegen Bägirmi hin gehe und neben mehreren kleineren noch einen anſehnlichen Fluß, den Bahr Djad, aufnehme, deſſen Quellen ) Dr. Perron hält Brown's Deleb für Ficus vasta, Doulab. (Mohammed el Tounsy 465). 2) In Europa kommen freilich auch mitunter Fälle vor, daß ein kleinerer Quellen- 1 from dem vereinigten Strome ſeinen Namen giebt, wie es bekanntlich bei der Donau der Fall iſt, die conſequenter Weiſe Inn genannt werden müßte. 168 Gumprecht: aber unbekannt ſeien. Dieſe Angaben find nach unſerer jetzigen Kennt⸗ niß des Schary mehrfach irrig, und namentlich unrichtig iſt es, daß der Strom in der angegebenen Richtung geht, da wir nun wiſſen, daß ſeine beiden Quellenſtröme von Süden kommen, nämlich der eine, der weſtliche gerade von Süden, der andere öſtliche, Bägirmi berührende aber von Südoſten. Welcher von beiden der Bahr Djad ift, dürfte ſich jedoch ſchwer ermitteln laſſen, da Burkhardt nicht angiebt, ob derſelbe von Weſten oder Oſten ſeinem Schary zugeht; wahrſcheinlich bleibt es aber, daß der Djad der Fluß von Löggene oder der weſt— liche Quellenarm des Schary iſt, welcher Bägirmi nirgends trifft, wie es gerade mit Burkhardt's Schary der Fall ſein ſoll, und da außer dem Löggeneflufe andere Bägirmi nicht berührende Quellenſtröme des Schary bisher nicht bekannt worden find. Von einem anſehnlichen Fluſſe Bägirmi's, der ebenfalls nur der größere Quellenarm des Schary ſein kann, erhielten wir ferner im Jahre 1820 durch die Erkundigungen Ritchie's in Fezzan (Quarterly Rev. XXIII, 233, 234) und wenige Jahre ſpäter noch einmal durch den franzöſiſchen Philologen und nachherigen Erzieher Said Paſcha's, des gegenwärtigen Vicekönigs von Aegypten, König, in Folge von deſſen Aufenthalte in Kordofän Kunde (Bull. de la soc. de G&ogr. 1828. VI, 171). Aber bei beiden Berichterſtattern kommt der Name Schary nicht vor. Dagegen brachte die erſte britiſche Expedition nach Central-Afrika mannigfache genauere Kunde über den Strom, die um ſo ſchätzbarer war, als ſie ſich auf Denham's eigene Anſchauung von deſſen unterem Laufe ſtützte und mit Beſtimmtheit Burkhardt's Erkun— digungen über die Richtung des vereinigten Fluſſes berichtigte, indem Den— ham ihn befahren hatte. Danach ergab ſich zugleich, daß eine Recti— fication im Quarterly Review 1820, XIII. 235, wonach der Schary von Nordweſten nach Südweſten gehen ſoll, nicht minder irrig war!). Denham gelang es nicht, den Schary weit zu verfolgen, doch erhielt er von den Eingeborenen eine im Weſentlichen richtige Vorſtellung von deſſen Weſen. Zuvörderſt überzeugte er ſich durch den Augenſchein, ) Die Araber und Afrikaner ſind überhaupt ſehr unzuverläſſig in ihren Angaben über die Richtung der Flußläufe, indem z. B. der Tripolitaner Sidi Muſa, von dem Ritchie feine Nachrichten über den Strom von Bägirmi einzog, denſelben in einer der wahren gerade entgegengeſetzten Richtung, nämlich in der ſüdöſtlichen, fließen läßt (Quarterly Review XXIII, 233). “r Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger = Erpevition. 169 daß der Schary ſich oberhalb der Stadt Löggene nach Süden zu in einem geraden Strome von großer Schönheit und Majeſtät forter— ſtreckt“) und dann hörte er in der genannten Stadt und auch früher von der Eriftenz eines ſüdlicheren Zuſtroms des Schary, den er für bedeutend genug gehalten haben muß, weil er die ausdrückliche Verſicherung ausſprach, er würde denſelben, hätten ihn nicht menſch— liche Kräfte überſteigende Ereigniſſe gehindert, wohl bis nach Ada— mäua, alſo weit hin, haben verfolgen können. Demgemäß zeigte Denham's Karte einen namenloſen Strom, welcher der wirkliche Hauptſtrom des Schary ſein muß, dieſem als von Oſten her zugehend und durch Bägirmi feinen Lauf nehmend, aber fie irrte darin, daß ſie dieſen Zufluß von Nordoſten nach Südweſten gehen läßt und darin, daß ſie die Mündungsſtelle nicht in die Nähe des 30 engl. Mei— len unterhalb der Stadt Löggene gelegenen und dem Reiſenden aus eigener Anſchauung wohl bekannten Ortes Kuſſery, in deſſen Nähe Barth die Vereinigung der beiden Quellenarme legt, ſondern noch oberhalb Löggen& verſetzt. Iſt es aber Denham nicht gelungen, feine Auffaſſung des Schary fehlerfrei zu halten und das Verhältniß der Quellenarme deſſelben zu einander vollſtändig nachzuweiſen, worüber Barth, wie deſſen nachfolgender Brief aus Mafena erweiſt, ſich zu ſolcher Verwunderung veranlaßt fühlte, ſo verdiente er doch die vollſte Entſchuldigung, weil ſeine Aufmerkſamkeit bei dem Aufent— halte in dieſen Gegenden durch die fortwährende ſchwere Krankheit ſei— nes einzigen europäiſchen Begleiters nach Löggene, des Lieut. Toole, ganz gefeſſelt war, und weil deſſen bald darauf zu Angala erfolg— ter Tod ihn zur Abbrechung ſeiner Forſchungen und zur ſchleunigen Rückkehr nach Kuka nöthigte, Umſtände, worauf er zur Entſchul— digung der Mangelhaftigkeit ſeiner Angaben in einer von Barth, wie es ſcheint, unberückſichtigt gebliebenen Stelle ſeines Werks (I. 245) ſchon ſelbſt ausdrücklich hingewieſen hatte. Nicht minder wird Denham durch dieſe Umſtände entſchuldigt, daß er bei dem Man— gel eigener Terrainkenntniß im Oſten Löggene’8 und bei der ſchon anſehnlichen Entwickelung des angeblichen oberen Scharylaufs die— ) The river flows here with great beauty and majesty past the high walls of this capital of Loggun ſagt Denham ausdrücklich J. 235. 170 Gumprecht: fen in einer, wie wir jetzt wiſſen, nach europäiſchen Begriffen frei— lich unangemeſſenen Weiſe mit dem Namen Schary belegte. Er folgte darin, wie Fresnel's und Barth's geſammelte Itinerare be— ſtätigen (Bull. de la soc. de Geogr. XIV, 156, 163; Berl. Monats- ber. IX, 385), nur dem Sprachgebrauche der Eingeborenen, die den Strom von Löggsné gemeiniglich Schary, den Strom von Bägirmi aber Aſur, Aiſu (Barth's Itinerar. Berliner Monatsber. IX, 385), Aſchu oder Aſcha nennen, wenn ſie den letzten, wie eine Stelle in Den— ham's Werk zu erweiſen ſcheint (J 92), freilich auch zuweilen Schary heißen mögen. Bald darauf (im Jahre 1829) wurden dieſe Angaben durch Clapperton's zweite Reiſe beſtätigt und theilweiſe berichtigt, da dieſer Reiſende zu Sokoto von Eingeborenen, die auf ihrer Pilgerfahrt nach Mekka durch die hieſigen Gegenden gekommen waren, erfuhr, daß der Schary oberhalb Löggene, ehe er ſich mit einem von Südoſten her aus Bägirmi kommenden Strome vereinigt, nur wenige Fuß Waſſer⸗ tiefe habe, wogegen der Bägirmifluß, den das Werk des Reiſenden Aſcha (S. 230), die dazu gehörige Karte aber Aſu nennt, der einzige Strom zwiſchen dem Kowara und dem Ghaͤzellenſtrome ſei, den man nicht zu durchwaten vermöge. Deutlich ergiebt ſich hieraus die rich— tige Anſicht der Eingeborenen über das Größenverhältniß der beiden Quellenſtröme, nur iſt die Bedeutung des weſtlichen Armes nach den angeführten, durch Denham bei Löggöné gewonnenen Erfahrungen zu ſehr unterſchätzt worden. Auch der Lauf des Bägirmiſtroms findet ſich auf der Karte zu Clapperton's Werke richtiger, als bei Denham, darge— ftellt, indem er auf ihr, ſtatt von Nordoſten, aus Südoſten kommt und ſich nicht in einem ſtumpfen, ſondern in einem ziemlich ſcharfen Winkel mit dem anderen Quellenarme vereinigt; darin irrt aber noch Clapper— ton's Karte, daß fie die Vereinigung nicht bei Kuſſery, ſondern erſt oberhalb Löggene ſtattfinden läßt. Noch einmal kommt endlich der große Strom Bägirmi's in einem in Clapperton's Werke (S. 335) mitgetheilten geographiſchen Document eines Eingeborenen und zwar in der Benennung Aſur oder Aſcha vor. Daſſelbe nennt dieſen Aſur oder Aſcha einen großen und ausgedehnten Süßwaſſerſee Bägirmi's, doch iſt dies nach unſeren Erfahrungen unzweifelhaft unrichtig und einzig der falſchen Ueberſetzung des arabiſch geſchriebenen Originals beizumeſſen, worin der Aſur ein Bahar genannt wird, was bekanntlich im Ara— N ? Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger» Erpedition. 171 biſchen ſowohl See, als Fluß bedeutet. Die letzte Bedeutung von Ba— har iſt mit dem, was wir über den Bägirmifluß wiſſen, ſo in Ueber— einſtimmung, daß der Verfaſſer des Documents bei dem Bahar Afur unmöglich den ihm untergelegten Sinn gehabt haben kann. Barth's und Overweg's Ermittelungen über den Schary in Musgo und Bägirmi ſind nun nach Herrn Petermann's Karte und Werke (S. 9) folgende: Die Karte führt zuvörderſt den Lauf des weſtlichen Armes bis etwa zum 9° 45’ nördl. Br. ſüdwärts, aber hier ſcheint derſelbe nicht zu enden, ſondern ſich noch weiter ſüdwärts zu er— ſtrecken. Von da an, wo ſein Lauf verzeichnet iſt, geht er bis zur Hauptſtadt Musgo (etwas über 11° nördl. Br.) beinahe genau nach Nordnordweſten und weiter hin im Lande Löggene faſt genau nördlich bis unterhalb Kuſſery, wo ſeine endliche Vereinigung mit dem Bägirmi⸗ fluſſe bei der Localität Sina Fatſcha unter einem ſehr ſpitzen Winkel in der nämlichen Weiſe erfolgt, wie die beiden großen Quellenſtröme des Nils bei Chartäm in Nubien zuſammenſtoßen. Etwa in der Mitte dieſes Laufs lernte Barth den weſtlichen Arm an einer Stelle kennen, wo er aus zwei Aeſten, einem weſtlichen kleinen von nur 13 — 2 Fuß Tiefe, und einem ſchmäleren, aber tieferen und nicht paſſirbaren mit etwa 10 Fuß Waſſer beſtand. Er wurde von dem Bornuheere da— mals nicht überſchritten, da die Musgoer den Uebergang vertheidigten. Den weſtlichen Rand des nach der Karte im oberen Laufe Ba Gun oder Ba Bay, im mittleren Serbenel, im unteren von den Eingebore— nen gewöhnlich Strom von Löggene nach der von ihm beſpülten Stadt genannten Arms fanden die beiden Reiſenden ſteil. Bei der bedeu— tenden Größe, welche nach Denham's Angaben der Arm von Lög— gene beſitzt, muß man annehmen, daß er zwiſchen der von Barth be— ſuchten Stelle und dem kaum 13 Breitengrade davon entfernten Lög— gene zahlreiche Zugänge aufnimmt, weil feine Vergrößerung ſonſt uner— klärlich bliebe, wovon die Karte jedoch nichts aufweiſt. Auch iſt noch £ auffallend, daß derſelbe die angegebene Waſſerſcheide zwiſchen dem Tſad— und Kowarabecken durchbricht, obgleich feine Entfernung von Wulia : nach der Karte kaum 4 Grad beträgt. Das wäre ein fo eigenthümliches Verhältniß, daß die kartographiſche Darſtellung weiterer Beftätigung bedarf. Noch weniger ſicher dürfte Barth's Darſtellung des öſtlichen oder Bägirmiarmes fein, da dieſer bisher nur an zwei Stellen feines 172 Gumprecht: unteren Laufes von europäiſchen Augen, nämlich zu Msle und Aſu, zwei kleinen Orten im Oſten der Stadt Löggene, durch Barth auf ſei— nem Hin- und Rückwege nach und aus Bägirmi geſehen wurde. Den— noch ift Barth-Petermann's Darſtellung die erſte umfaſſende, welche wir von dieſem intereſſanten und wichtigen Arme erhalten haben und ſie bietet jedenfalls einen überaus dankenswerthen Beitrag zu der Kunde der hieſigen bisher fo dunkeln Gegenden. Der Lauf des Bägirmiarmes beginnt nach der Karte bei dem in etwa 9“ 40 nördl. Br. und 18° öftl. L. von Bägirmi gelegenen Orte Day, doch giebt die letzte von da an ſeinen Lauf bis zu den Orten Bolo und Milta nur punktirt, alſo als ſehr unſicher an. Bei Bolo theilt ſich der Strom, wie Barth's Brief aus Maſena ausführt, in zwei Aeſte, wovon der weſtliche erſt in ziemlich genau nordweſtlicher Richtung bis zum 10“, dann in nördlicher bis zu dem Orte Meſkin, wo ſich beide Aeſte wieder vereinigen, läuft. Derſelbe bildet die Grenze Bägirmi's gegen Musgo und ſeine grade Entfernung von dem öſtlichen Arm beträgt nach Barth's Itinerar (IX, 385) etwa eine Tagereiſe. Sein nach Nordweſten gehender Theil führt den Namen Ba Buſsß nach der großen von ihm beſpülten Stadt Bufo. Der zweite oder öſtliche Aſt geht bis zum Orte Ir in nordnordweſt— licher, dann in genau weſtlicher Richtung, ſo daß beide Aeſte einen gro— ßen Theil Bägirmi's inſelartig umſchließen; er heißt in jenem erſten Theile Ba-ir !), in feinem zweiten Batſchikäm. Es ſollen hier nun zunächſt die verſchiedenen Documente zur Kenntniß Musgo's und des Schary folgen. a) Schreiben Vogels an ſeine Familie. Kuka, den 14. Juli 1854. Ihr dachtet in Leipzig ſicherlich nicht, als ihr an meinem Geburts⸗ tage (am 7. März) auf mein Wohl trankt — was ihr doch hoffent— lich gethan habt! — daß ihr ſehr gegründete Urſache hattet, mir Ge— ſundheit zu wünſchen; kaum hatte ich nämlich am 20. Februar meinen Brief an die liebe Mutter vollendet, als ich, noch mit Abfertigung von 1) Ba iſt ſichtlich ein allgemeines in der Bägirmiſprache Fluß bedeutendes Wort, das ſich oft in den Flußnamen dieſer Gegenden wiederholt. Denham (I, 180) erklärt es deshalb auch in feinem Bägirmi-Vocabular geradezu durch Fluß (Bah). Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 173 Depeſchen beſchäftigt, urplötzlich vom Gelben Fieber, einer Krankeit, die ſporadiſch hier gar nicht ſelten und an welcher der arme Overweg ge— ſtorben iſt, befallen wurde !). Ueber eine Woche lag ich in fortwäh— rendem Delirium, und hatte keiner meiner Begleiter mediciniſche Kennt— niſſe genug, um mir irgend eine paſſende Arznei geben zu können. Als ich wieder zum Bewußtſein kam und an den gelben Flecken an meinen Armen ſah, was mein Uebel war, curirte ich mich, ſo gut ich konnte, ſelbſt, und mit Hülfe von Calomel und Chinin war ich denn bis zum 7. März ſo weit gekommen, daß ich wieder aufrecht ſitzen und etwas Suppe eſſen konnte, während bis dahin Reiswaſſer das Einzige ge— weſen, was mein Magen vertrug. Ende März war ich ſo ziemlich wieder hergeſtellt, daß ich den Sultan auf einem Kriegszuge nach Musgu begleiten konnte, von dem ich erſt Mitte Juni zurückgekehrt bin. Meine Conſtitution hat aber einen ſtarken Stoß erhalten, und eine tüchtige Mahlzeit von Fleiſch z. B. hat unfehlbar heftiges Erbrechen und Fieber mit furchtbarer Hitze zur Folge. Uebrigens habe ich ge— funden, daß kaltes Waſſer bei allen Fieberanfällen die beſte Cur iſt; ich wickele mich dabei ganz in naſſe Tücher ein, laſſe ſie anfeuchten, jo wie fie warm werden 2), und bin bei dieſem Verfahren gewöhnlich in zwei Stunden fieberfrei. Der Feldzug nach Musgu, den ich mitgemacht, war recht intereſ— ſant, da wir weiter ſüdlich gingen (9 30“), als irgend ein Euro— päer in dieſer Richtung vor mir gegangen, und ich dabei einen pracht— vollen großen Landſee ?) von wenigſtens 200 engliſche Meilen Länge und eine längs deſſelben von Norden nach Süden ſtreichende Granit— bergkette entdeckte und auch Gelegenheit hatte, den unteren Lauf des Scharri zu erforſchen, um mich zu überzeugen, daß auch dieſer Fluß mit dem Nigerſyſtem in durchaus keinem Zuſammenhange ſteht, womit denn die Hypotheſe, welche die Lieblingsidee fo vieler Geographen ge— weſen, daß die Gewaͤſſer des Tſad einen Zuſammenhang mit dem at— lantiſchen Ocean haben, zuſammenfallen würde, wenn ſie nicht ſchon durch die von mir bewieſene geringe Erhebung dieſes See's (840') hinreichend widerlegt wäre ). Das ganze Land ſüuͤdlich von hier, fo weit ich es beſucht habe, iſt, einzelne Granitkuppen und die Kette der Fellatahberge ausgenommen, die ſich 4 — 700“ über die Ebene erheben, eine einzige Tiefebene mit Thonboden, die ſelbſt unter 9° 30“ n. Br. 174 Gumprecht: nicht über 950“ hoch anſteigt. Ueberall zeigt eine Art von Kalkſtein, aus halbverwitterten Suͤßwaſſerconchylien beſtehend, die zwiſchen 6 und 20 Fuß unter der Erdoberfläche liegt, daß das ganze Baſſin früher ein Seebett geweſen '). Die Armee, welche ich auf ihrer Expedition be— gleitete, beſtand aus 22,000 Reitern, mit einem Troß von 10,000 Mann, 5000 Kameelen und ungefähr eben ſo viel Ochſen. Unſer La— ger war daher, wie du dir leicht denken kannſt, eine förmliche Stadt, außerhalb welcher die Zelte des Sultans und der Großen des Landes einzelne Dörfer bildeten, abgeſondert von den übrigen wegen der Wei— ber, die in großer Anzahl den Zug begleiteten; der Sultan (Scheich) hatte deren zwölf mit etwa 30 Sclavinnen bei ſich und jeder Vornehme etwa ſechs bis acht. Gefochten wurde nicht viel, da die Musgu kein gemeinſchaftliches Oberhaupt haben und ſich demnach nirgends in ent— ſprechender Anzahl der ungeheuern Uebermacht des Scheich entgegen— ſtellten; ſie lanerten aber in allen Büſchen den Nachzüglern ꝛc. auf, von denen fie auch 5 — 600 erſchlugen. Von den Gefangenen wur— den die Männer unverzüglich hingerichtet und leider oft mit vieler un— nöthiger Grauſamkeit; ſo mußte ich z. B. einmal anſehen, wie man 36 Gefangenen mit Meſſern die Beine am Knie und die Arme am Elnbogen abſchnitt und ſie dann verbluten ließ. Dreien hackte man die rechte Hand ab, damit ſie ihren Landsleuten das Schickſal ihrer Leidensgenoſſen mittheilen könnten; von dieſen ftarben zwei nach zwöͤlf— ſtündigen Qualen, der Dritte lebte aber noch am andern Tage. Die Weiber und Kinder wurden als Sclaven fortgeführt und wer auf dem Marſche nicht mehr weiter konnte, ohne Erbarmen niedergemacht. ... In der niedrigen Breite, in der wir herumzogen, hatte die Regenzeit mit Anfang Mai bereits begonnen, und ſo kam denn jeden Abend ein Gewitter, wie ich es in meinem Leben früher nicht geſehen, eingeleitet durch einen Wirbelwind, der alle Zelte niederwarf und auf den un— mittelbar eine wahre Sündflut von Regen folgte. So ging es etwa drei Wochen lang, während welcher Zeit ich keinen trockenen Faden auf dem Leibe hatte. Das Lager glich gewöhnlich am Morgen einem unendlichen Moraſt, in welchem man zu Fuß durchaus nicht fortkom— men konnte. Ich litt in Folge dieſes Wetters und der ſchlechten Nah— rung, faſt nur in Waſſer gekochtes Getreide, ſehr an Diarrhoe; unter den unglücklichen Sclaven aber brachen Ruhr und Blattern in ſo fürch— Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger= Expedition, 175 terlichem Maße aus, daß ich es für gerathen hielt, ſobald wir aus Feindesland hinaus waren, der Armee voraus nach Kuka zu eilen. Zehn Tage nach mir traf der Scheich ein, von 4000 Gefangenen nicht ganz 500 mit ſich bringend; über 3500 waren der Seuche und den Strapazen zum Opfer gefallen. Faſt alle Kinder waren unter zwölf Jahren, und man konnte einen ſieben- oder achtjährigen Knaben im Lager für 20 Sgr. kaufen. ... Das Land ſüdlich von hier iſt dicht bewaldet, meiſt mit koloſſalen Feigenbäumen “) von 24 — 30 Fuß Umfang und mit der prachtvollen Palme, die man in Sennaar „Deleb“ ) nennt, deren Früchte das ein— zige leidliche Obſt ſind, was ich bisher in Afrika angetroffen. Die Adansonia digitata (Baobab), von der Kuka eigentlich feinen Namen haben ſoll, denn Kuka iſt der Kamiri- (Kanuri G.) name dieſes Bau— mes, kommt hier nirgends mehr vor, und dieſelbe ſcheint nicht weiter weſt— lich als 12° 30 E. Greenw. zu gehen. Zum Sammeln von Pflanzen und Inſekten war die Zeit bisher ſehr ungünſtig; denn ich fand ſchon Alles verbrannt, als ich hier ankam, und der Regen fängt hier erſt Ende dieſes Monats (Juli) an. Keinen einzigen Käfer habe ich bis jetzt hier geſehen und nur einen einzigen Schmetterling. Einige gute Pflan— zen habe ich an Robert Brown geſchickt, etwa 100 Species; Ende dieſes Jahres hoffe ich eine größere Sammlung abſenden zu können, aus der auch meine Freunde in Deutſchland mitgetheilt erhalten ſollen. Sämereien zu ſammeln hinderte mich meine Krankheit im Februar und März; doch denke ich auch das bis Ende dieſes Jahres nachholen zu können. In dieſen Tagen gehe ich von hier nach den wenig bekann— 1 4 ten Landſchaften Mandra, Adamawa zum Tſchaddafluſſe und von da zurück nach dem gänzlich unbekannten Pakoba, bei welcher Gelegenheit ich mit der Niger-Erpedition zuſammenzutreffen hoffe. Ende dieſes Jahres gedenke ich mein Hauptquartier nach Wadai zu verlegen, von wo aus ich ſüdöſtlich zu gehen gedenke; ſollten ſich jedoch dabei un— überſteigliche Hinderniſſe in den Weg ſtellen, ſo würde ich mit Gottes Hülfe Ende nächſten Jahres (1855) durch Dar Fur, Kordofan, Nu— bien nach Aegypten gehen. Ich wäre dann der erſte Europäer, der den afrikaniſchen Continent durchſchnitten hätte ꝛc.“ ) Daß das gelbe Fieber, obgleich nur ſporadiſch zu Kuka und in Bornu auftre⸗ tend, Overweg und Vogel doch befiel, iſt ganz der Eigenthümlichkeit dieſer Krankheit 176 Gumprecht: gemäß, wie man fie aus Nord-Amerika kennt, wo namlich Neger nie, von den acclimatiſirten weißen Einwohnern aber Individuen nur ſelten vom gelben Fieber ergriffen werden, während Fremde gewöhnlich demſelben ausgeſetzt ſind. Nach den vieljährigen zu Charlestown (Süd-Carolina), einem von dem gelben Fieber überaus heimgeſuchten Orte, geſammelten Erfahrungen des Dr. Romſay ſollen die dortigen einheimiſchen Weißen ſogar ganz vom Fieber frei bleiben und nur die Fremden ausſchließlich davon befallen werden, indem die plötzliche Veränderung der Temperatur bei den aus kühleren Gegenden kommenden Fremden die Krankheit hervorrufe. Als Beweis für dieſe Behauptung führt Dr. Romſay an, daß zu Char⸗ lestown niemals ein Arzt oder eine Hebamme vom Fieber ergriffen worden ſei. Indeſſen ſtehen dieſen Angaben andere beſtimmte entgegen. So berichtete z. B. ein ſehr zuverläſſiger franzöſiſcher Naturforſcher, der jüngere Michaur, welcher ſelbſt zu Charlestown am Fieber erkrankt war, daß eingeborene, wie fremde Weiße gleich⸗ mäßig vom gelben Fieber ergriffen werden, und daß in der boͤſen Jahreszeit vom aften Juli bis Mitte November nicht weniger als SO Procent von der weißen Be— völkerung Charlestowns ſterben. Da die Erfahrung gelehrt hat, daß eine Stagnation des Luftzuges die Heftigkeit der Krankheit vermehrt, ſo pflegten ſchon damals die wohl— habenderen Bewohner der Stadt ſich nach der nur 7 engl. Meilen davon gelegenen kleinen, unfruchtbaren, trockenen und beftändig von Seewinden beſtrichenen Inſel Sul- livan zu begeben, um geſund zu bleiben (Michaux, Voyage à l' Ouest des monts Al- leghanys. Paris 1804. 8. Ueberf. Weimar 1805. S. 5 8). Hätte Overweg, ſtatt über 3 Monate der böfen Jahreszeit vom 22. Mai 1852 an, in Kuka zu verbleiben (An account 1), ſich mit ſeinem Boot auf dem See befunden, deſſen erfriſchende Winde er wohl kannte (Zeitſchrift I, 209), und dieſelben mit der Erforſchung der unbekannten nördlichen und öſtlichen Ränder des Tſad zugebracht, ſo wäre er muthmaßlich den Wiſſenſchaften und ſeiner Familie erhalten worden. G. 2) Einer Kaltwaſſerkur nach Art der Neueren bedienen ſich nach Bruce (Tra- vels Ed. 1790 III, 33) die Bewohner der ſehr ungeſunden Küſte des Rothen Mee- res und des Inſelchen Maſſowah bei den hier ſehr heftigen Fiebern, denen bekannt— lich Ehrenberg's Reiſegefährte Hemprich zu Maſſowah unterlag, indem die Fieber— kranken, ſobald fie den 5ten Tag überleben, ſich eine große Maſſe kaltes Waſſer ſtrom— weiſe auf den Leib und ſelbſt in das Bett gießen laſſen, ohne daß dieſes trocken wer— den darf, und wobei fie bloß Waſſer trinken. Bruce fest feinem Bericht ausdrücklich hinzu, daß eine ſolche Sündfluth zuweilen gewiß gut ſei. G. ) Von der Exiſtenz dieſes prachtvollen Landſees ſcheinen Barth und Overweg gar keine Kunde erhalten zu haben, da wenigſtens Petermann's Werk nicht davon ſpricht. Dies darf uns nicht ſehr wundern, da Vogel auf der von feinen Vor: gängern nicht betretenen öftlichen Seite Musgo's dem Bornuheere gefolgt zu fein ſcheint. G. 4) Zeitſchrift II, 426; III, 54. Mit der Vogel zu dankenden Kenntniß der Erhebung des Tſad über dem Meeresſpiegel fallen alle früheren Vermuthungen über eine ſehr tiefe Lage des See's, und fogar über deſſen Auftreten in einer bis unter den Meeresſpiegel gehenden Depreſſion eines großen Theils von Central-Afrika, wovon Ruſſegger noch im Jahre 1843 ſprach (Reiſen II, 1. S. 281), von ſelbſt weg. G. ) S. hier S. 160. Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger- Grpedition. 177 6) Das Vorkommen einer Feigenart, nämlich das von Ficus elastica, in Bornu hatte Vogel ſchon früher angegeben (Zeitſchriſt II, 65). Uebrigens find coloſſale Ficusarten bekanntlich eine ſehr gewöhnliche Erſcheinung in den tropiſchen Ländern Afrika's. Ruſſegger fand dergleichen unter andern in den Nubaländern (II, 2. S. 193, 571, 680). G. 7) S. hier S. 163 — 167. Daß Sennaar gar nicht ein natürlicher Stand⸗ punkt für den Deleb iſt, wurde bereits dort bemerkt. G. b) A. Petermann's Berichte über Dr. Vogel's Zug nach Musgo. 4) Gotha, den 8. Januar 1855. ) Ausführliche Nachrichten von Dr. Eduard Vogel, beſtehend aus Depeſchen und Kartenblättern in großem Maaßſtabe, aus geologiſchen und botaniſchen Sammlungen, nebſt reichlichen Privatbriefen, find end— lich eingelaufen und enthalten eine Ueberſicht ſeiner Forſchungen und Erlebniſſe während des Zeitraums vom 20. Februar bis zum 14. Juli 1854, ſowie einen Theil der während dieſer Zeit gewonnenen Reſul— tate ſeiner wichtigen Arbeiten. Durch verſchiedene Umſtände, beſonders aber durch einen ſehr heftigen und gefährlichen Fieberanfall, hatte ſeine Thätigkeit für eine kurze Zeit eine Unterbrechung erleiden müſſen; und die Abſendung ſeiner ausführlichen Berichte war dadurch verſpätet worden. Geerade als er die letzten Depeſchen abſchickte, im Februar 1854, wurde er plotzlich von der unter dem Namen des „black vomiting“ bekannten Gallenkrankheit heimgeſucht. „Der erſte Anfall“, ſo heißt es in ſeinem Schreiben an Se. Excellenz Ritter Bunſen, „nahm mich ſchon ſo mit, daß ich einen höchſt nothwendigen Geſchäftsbrief an Co— lonel Herman dictiren mußte, da ich nicht mehr aufrecht ſitzen konnte. Etwa zehn Tage lang lag ich in ununterbrochenem Delirium, und alle meine Begleiter erwarteten ſtündlich meinen Tod. Doch Gott der All— güͤtige erhielt mich wunderbarer Weiſe, mein Bewußtſein kehrte allmälig zurück, und mit Calomel und Chinin ſtellte ich mich in anderweiten zehn Tagen fo weit wieder her, daß ich ein paar Schritte gehen konnte. Doch dauerte es noch lange, ehe ich mich auf dem Pferde zu erhalten vermochte, und noch jetzt fuͤhle ich die Folgen jenes Stoßes, da ſich beim fleinſten Diätfehler heftiges Erbrechen und Fieber fogleich ein— ſtellen. Uebrigens habe ich gefunden, daß kaltes Waſſer bei allen Fieber- Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 12 178 Gumprecht: anfallen die beſte Cur iſt: ich wickele mich dabei ganz in naſſe Tücher ein, laſſe ſie anfeuchten, ſowie fie warm werden, und bin bei dieſem Verfahren gewöhnlich in zwei Stunden fieberfrei.“ ) Am 27. März war Dr. Vogel ſoweit hergeſtellt, daß er eine große Razzia der Bornueſen nach dem Suden begleiten konnte. Die Armee des Scheich, aus etwa 22,000 Reitern und 15,000 Kameel- und Ochſentreibern, nebſt 3000 Kameelen und 5000 Ochſen beſtehend, war die größte, die ſeit des Scheich El Kanemy's Zeit Kuka verlaſſen hatte. Dieſes einen ungeheuern Zug bildende Heer zog langſam von Kuka in ſüdöſtlicher Richtung gegen Musgo (oder Musgu) hin, ein Land, das in der ſchon bezeichneten Richtung ungefähr in einer Entfernung von 35 deutfchen Meilen von Kuka beginnt, und welches ſeit einiger Zeit den Raubzügen der Bornueſen, ſeiner muhamedaniſchen Nachbarn, beſonders ausgeſetzt geweſen iſt. Die armen Musgoer flüchteten ſich vor der anrückenden Armee ſüdwärts und nahmen, was ſie konnten von ihren Habſeligkeiten mit ſich, beſonders ihre zahlreichen Viehheer— den. In den verlaſſenen Dörfern wurde nichts vorgefunden als Ga— fuhli (eine Art Getreide) und Taback. Ein großer Theil des Landes, welches die Expedition durchzog, war etwa zwei Jahre vorher ſchon von Barth und Overweg bei einer ähnlichen Gelegenheit beſucht worden; dieſe Razzia indeß drang weiter im Süden vor, als alle früheren, und ſo gelangte Dr. Vogel bis in 9 30“ nördl. Breite, wo er einen großen See mit vielen dicht von Heiden bewohnten Inſeln entdeckte. Dieſer See wird nach dem an- wohnenden wilden Völkerſtamm See von Tubori ?) genannt, und er⸗ ſtreckte ſich nach Süden, ſo weit das Auge reichen konnte. Erſt am Nordende dieſes See's, welches unter dem 10. Grade nördl. Br. liegt, ſtieß die Armee auf die erſten Musgoer, die ſich mit zahlreichen Viehheerden hinter dem See und Moräften ganz ſicher glaubten, bis zu ihrem Entſetzen die Reiter des Scheich den See an einer ſchmalen Stelle überſchritten, obgleich mit großem Verluſte an Pferden und Menſchen, da das Waſſer 1 Meilen breit und wenigſtens 6 Fuß tief war. Bei dieſer Gelegenheit wurden gegen 1500 Sclaven, alles Weiber und Kinder unter 12 Jahren, und etwa 2000 Stück Vieh erbeutet. Die Männer wurden ſämmtlich niedergemacht, und wenn einer oder der andere gefangen in's Lager gebracht wurde, ſo ni Be i —— Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 179 war es nur, um ihn auf eine deſto grauſamere Weiſe umzubringen 9). Die Weiber find ſehr wenig geſchätzt als Sclavinnen und werden meift nur zum Waſſertragen und Holzholen verwendet, da ſie durch ein kreis— förmiges Stück Holz von oft 12 Zoll Durchmeſſer, welches ſie in der durchbohrten Unter- und Oberlippe tragen, ihr Geſicht auf das Ent— ſetzlichſte entſtellen ). Man kann daher ein Musgoweib für etwa 3 Thlr. erſtehen; die Kinder koſteten je nach dem Alter von 20 Sgr. bis 2 Thlr. das Stück. Vom See von Tubori zog die Armee oſtwärts bis zum Fluſſe Schary 6), indem ſie das Land weit und breit verwüſtete und die Ort— ſchaften in Brand ſteckte. Nach einem zweitägigen Marſche den Fluß abwärts ſetzte die Hälfte der Armee über denſelben und erreichte, ob— ſchon wieder mit einem großen Verluſte an Pferden, das öſtliche Ufer, da eine große Strecke des Fluſſes durchſchwommen werden mußte. Hier wurden nach wenigen Stunden über 2500 Sclaven und 4000 Ochſen geraubt. Man hatte auch 36 Männer gefangen eingebracht, und die— ſen Unglücklichen wurde mit den entſetzlich ſchlechten Bornu-Meſſern das linke Bein am Knie und der rechte Arm am Ellenbogen abge— ſchnitten; in dieſer fürchterlich grauſamen Weiſe ließ man ſie verbluten. Aber dies war noch nicht das Schrecklichſte. Die Musgo gehen voll— kommen nackt, haben aber ſehr gute waſſerdichte Häuſer und ſind ſehr empfindlich gegen Regen und kühles Wetter. Da die Regenzeit ſchon eingetreten war, ſo ereigneten ſich in jeder Nacht die fürchterlichſten Gewitterftürme und Regengüſſe. Das Lager war meiſt vollkommen überſchwemmt, und fo mußten die unglücklichen Gefangenen in 2 bis 3 Zoll tiefem Waſſer liegen, aller ſonſtigen Unbill des Wetters außer— dem preisgegeben, ohne daß man ihnen einen Lappen gegeben hätte, um die vor Kälte zitternden Glieder zu bedecken. In Folge davon brachen Ruhr und Blattern unter den Sclaven in ſo fürchterlichem Grade aus, daß von 4000 Sclaven nicht ganz 500 (“) lebendig in Kuka ankamen, alle übrigen waren der ſchlechten Behandlung zum er gefallen. „ Dr. Vogel war unbeſchadet nach der Hauptſtadt zurückgekehrt, der Expedition auf der letzten Strecke voran eilend. 7 Obgleich dieſer und der folgende Bericht Mehreres aus Vogel's anderweitig eingegangenen Briefen mittheilen, was ſchon in dem Vorhergehenden vorkommt, ſo habe 5 12 * * 4 Fi 180 Gumprecht: ich doch nicht angeſtanden, dieſelben vollſtaͤndig wiederzugeben, weil ihr Inhalt den des erwähnten Briefes beſtätigt und ergänzt. G. 2) S. hier S. 176. G. 3) Auffallender Weiſe kommt ein ähnlicher Name, nämlich Tubirih, als der des oberen Weißen Nils im Lande Anjan vor, das angeblich 30 Tagereiſen von der durch die ägyptiſche Niger-Expedition fo bekannt gewordenen Inſel Tſchenker liegt, wo der Nil ſich in 4 Arme theilt und fo ſeicht fein foll, daß das Waſſer den Durch— gehenden nur bis an die Kniee reicht (Werne, Erpedition zur Entdeckung der Quellen des Weißen Nils, 313). G. N 4) Auch bei den muhamedaniſchen Fellans, ſagt Clapperton (Trav. 224), herrſcht der feſte Glaube, daß alles Beſitzthum nebſt Weibern und Kindern derer, die nicht eines Glaubens mit ihnen ſind, ihnen zugehöre, und daß es ganz geſetzlich iſt, ſolche Ungläubige zu mißhandeln, zu berauben und zu tödten. G. ) S. hier S. 156. Es folgt aus dieſer Mittheilung, daß der Zweifel an der Richtigkeit von Denhams Angabe, der Stift ſei von Silber, richtig war; auffallend iſt dagegen, daß Vogel verſichert, die Oberlippe werde von den Musgoweibern gleich⸗ falls durchbohrt, da Denham und Overweg nichts davon melden. G. 6) Aus dieſer Stelle- und dem völligen Schweigen über ein Ueberſchreiten des Serbenel ergiebt ſich, daß das Bornuheer nur in das öſtliche Musgo eingefallen war. G. 8) Gotha, den 15. Januar 1855. Auf ſeiner letzten Reiſe, von Kuka in ſüdſüdöſtlicher Richtung bis zum 9“ 30“ nördl. Br., hat Dr. Vogel gefunden, daß die geographi⸗ ſche Länge dieſer Gegenden auf allen früheren Karten zwei volle Ae— quator-Grade zu weit öſtlich angegeben war. Genau da, wo der bes rühmte Berg Mindif ) niedergelegt war, fließt der Schary, der größte Zufluß des Tjad- Sees. Das ganze Land, von Kuka in ſüdſüdöſtli⸗ cher Richtung bis zum 9“ iſt eine weite, wohlbewaldete Alluvial-Ebene, die nirgends, mit Ausnahme einiger kleinen iſolirt ſtehenden ſchroff auf— ſteigenden Granit-Kegel, höher als 900 Fuß über das Meer ſich er— hebt. 30 deutſche Meilen ſüdlich von Kuka hatte Dr. Vogel Gelegen— heit, beim Brunnengraben etwa 20 Fuß unter dem Boden jene, von halbzerſetzten Süßwaſſermuſcheln beſtehende Kalkſchicht wiederzufinden, auf die er in der Hauptſtadt Bornu's ſchon in 6 Fuß geſtoßen war, und er hält dafür, daß dieſe große Alluvial-Ebene einſt vom Tſad— See erfüllt geweſen ſei. Dieſe Ebene beginnt ſchon bei der Oaſe Agadem ?), 65 deutſche Meilen nördlich von Kuka, und von da bis zu den Granitkegeln von Waſa, 25 deutſche Meilen ſüdlich von dem letzten Punkte, in einer Strecke von 90 deutſchen Meilen, iſt weit und breit kein Stein zu ſehen. Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 181 Der hauptſächlichſte Fluß, der dieſe Ebene durchſtrömt und in den Tſad⸗See ſich ergießt, iſt der Schary. Als ihn Dr. Vogel ſah (in etwa 10° nördl. Br.), gerade am Anfang der naſſen Jahreszeit, fand er ihn ſein ganzes, etwa 2000 Fuß breites, Flußbett ausfüllend und durchſchnittlich 15 Fuß tief. Nur an wenigen Stellen zogen ſich Sand— bänfe queer durch und verminderten die Tiefe bis auf 6 und 8 Fuß. Der Strom floß mit einer Geſchwindigkeit von etwa 4 Meilen die Stunde, und nach den Spuren, die an ſeinen ſteilen Ufern zu ſehen waren, mochte er in der beſten Jahreszeit eine Tiefe von durchſchnitt— lich mindeſtens 30 Fuß haben. Nach Vogel's Meſſungen wälzt er während der Regenzeit nicht weniger, als 140,000 Kubik-Fuß Waſſer in jeder Sekunde in den Tſad-See. Unter dem 10“ nördl. Br. und etwa 14° 35’ öſtl. Länge (Green— wich) ſah Dr. Vogel einen großen mächtigen Landſee vor ſich ausge— breitet, der nach Süden ſich viel weiter, als das Auge reichte, erſtreckte. Er nimmt in Breite und Tiefe nach Süden zu, und nach verſchiedenen Berichten der Eingeborenen ſchätzte Dr. Vogel ſeine Ausdehnung von Norden nach Süden auf mindeſtens 15 bis 20 deutſche Meilen. Bis 9° 30“ nördl. Br. oder 8 Meilen von feinem nördlichen Ende hatte er ſelbſt noch Gelegenheit, ihn zu verfolgen und wahrzunehmen, daß daſelbſt ſeine Breite eine deutſche Meile und ſeine Tiefe 18 bis 20 Fuß beträgt. Dieſer See zeichnet ſich durch viele langgeſtreckte, von Hei— den dicht bevölkerte Inſeln aus, und wird nach ſeinen Bewohnern See von Tubori genannt. Weder Dr. Barth noch Dr. Overweg erwähnen dieſen See, obgleich ſie bis ganz in ſeine Nähe vorgedrungen ſein müfjen, und auch der Name Tufuri (identiſch mit Tubori) auf Barth's Karte ſich findet. Sie ſprachen aber von ungeheuren Ueberſchwemmun— gen, denen das Land alljährlich ausgeſetzt ſei, und wir halten es des— halb nicht für unmöglich, daß dieſer See periodiſcher Natur ſei, und durch die Waſſerfluthen der Regenzeit zu ſeiner Größe anwachſe, oder wohl gar dadurch entſtände, wie es bei andern afrikaniſchen Seen der Fall iſt. — ueber die botaniſchen, geologiſchen und ethnographiſchen Verhältniſſe der neuerforſchten Gegenden werden wir im demnächſt er— ſcheinenden „Geographiſchen Jahrbuch“ Näheres mittheilen. 9) Der Mindif wird zuerſt durch Denham (Mendify 1, 146) als ein mit , beſonderer Kühnheit in die Luft auffteigender Berg erwähnt, den der Reiſende aber 182 Neuere Literatur. nur von weitem geſehen hatte. Auf der Karte zu ſeinem Werke verſetzt ihn Denham in etwa 9° 30“ n Br., alſo in den Süden von Mandära und den Oſten von Ada— mäua. In Barth's Itinerar erſcheint er auch und zwar mit der Bemerkung, daß man zu feiner Erſteigung 3 Tage nöthig habe. Nach derſelben Quelle (Berl. Monatsber. IX, 385) ſoll der Berg (Mindif) faſt in der Mitte zwiſchen Hola und Löggene, nämlich 13 Tagereiſen von Hola und 11 von Löggeng, liegen. S. auch dort S. 358. G. 2) Die Oaſe Agadem wurde zuerſt im Jahre 1822 durch Denham's und Clapper⸗ ton's Expedition beſucht, liegt 11 Tagereiſen vom Nordrande des Tſad und iſt ein ausgedehntes Thal, das einige Quellen des trefflichſten Waſſers, Weide und einige Bäume hat (Denham J, 31). G. (Schluß folgt.) Neuere Literatur. Skizzen aus dem Volksleben in Ungarn vom Freih. Gabr. v. Pron äy. Mit 25 gemalten bildlichen Darſtellungen von Barabäs, Sterio und Weber. Peſth (Geibel) 1855. 106 S. Text. Fol. (18 Thlr.) N Eigenthümliche Volkstrachten und Volksſitten weichen immer mehr und mehr der Alles uniformirenden Cultur, und wer weiß, wie bald die Zeit ein— treten mag, wo dieſe Theile ethnographiſcher Studien in unſerm Continent nicht mehr durch Autopſie, ſondern nur noch aus Büchern geſchöpft werden können. Giebt es doch in Deutſchland, mit Ausnahme etwa der Altenburger Bauerntracht und einiger in Süddeutſchland noch herrſchenden Trachten, welche in allen ethnographiſchen Bilderbüchern als Prototype deutſchen Nationalcoſtüms figuriren, kaum noch eine Gegend, in welcher nicht die Moden und Sitten der Städtebewohner maßgebend für die Bewohner des platten Landes geworden ſind. Ein ähnliches Schickſal droht unſerm Nachbarlande Ungarn. Auch hier beginnen ſeit den letzten blutigen Wirren, ſeitdem durch die Erleichterung der Communicationsmittel die Berührungspunkte mit den übrigen Theilen des öſterreichiſchen Kaiſerthums zahlreicher geworden ſind, und die Unterdrückung nationaler Elemente vielleicht wünſchenswerth erſcheint, deutſche Cultur und Sitte mehr und mehr einheimiſch zu werden und drohen jene eigenthümlichen Sitten und Trachten, das Erbtheil einer ehrwürdigen Vorzeit, zu verdrängen. Dank müſſen wir es deshalb Herrn v. Pronäy wiſſen, daß er noch vor dem Dahinſchwinden dieſes Theils ungariſcher Nationalität den ehrwürdigen Sitten und Trachten ſeines Vaterlandes durch die Herausgabe vorliegenden Werkes einen ſo herrlichen Abſchiedsgruß geweiht hat. Jedes Blatt giebt uns in ſei— ner meifterhaften Ausführung ein lebenswarmes, friſches Bild ungariſcher Subercase: Cuadro orogräfico ete. 183 Sitten, in jeder der dargeſtellten Scenen fühlen wir uns ſogleich heimiſch, denn fie zeugen in ihrer edlen Auffaſſungsweiſe für die Wahrheit des Dar— geſtellten. Dazu ein erklärender Text, welcher in einfacher und anſprechender Form die Darſtellungen erläutert. Kurz, das Werk entſpricht in jeder Be— ziehung den Anforderungen, welche wir an dergleichen Publicationen zu ſtellen berechtigt ſind, und können wir nur wünſchen, daß ähnlich ausgeſtattete Werke auch für uns näher liegende Gegenden noch vor dem Untergange der alten Zeit in's Leben gerufen würden. W. Koner. Cuadro orogräfico formado por la Seceion geogräfica meteorolögica de la Comision del Mapa geolögico à cargo del vocal de la comision y ingeniero de caminos D. Jose Subercase. Seit dem Jahre 1848 beſteht zu Madrid eine auf königlichen Befehl ges bildete Commiſſion, welche mit der Unterſuchung Spaniens hinſichtlich der Geſtaltung der Oberfläche, der Zuſammenſetzung des Bodens, der hydrographi⸗ ſchen, phyto- und zoographiſchen und klimatiſchen Verhältniſſe behufs der Anfertigung eines geologiſchen Atlas von Spanien beauftragt iſt. Dieſe in 5 Sectionen (für phyſikaliſche Geographie und Meteorologie, für Geologie und Mineralogie, für Geologie und Paläontologie, für Botanik und für Zoo— logie) zerfallende Commiſſion begann ihre Arbeiten mit der Erforſchung der Provinzen von Madrid und Segovia, und hat bereits zwei Berichte über die— ſelben veröffentlicht. Beigegeben find dieſen Berichten, aus denen Ref. viel- leicht ſpäter einen Auszug mittheilen wird, zwei ffizzirte geologiſche Karten der beiden genannten Provinzen und verſchiedene Pläne. Gleichzeitig mit dem zweiten Bericht (1853) wurde auch das in der Ueberſchrift genannte Cuadro orogräfico oder die Höhenkarte des zwiſchen dem Cerro de Cebollera im Somoſierragebirge und den Gipfeln Escuſa und Caſillas im Südweſten des Escurial befindlichen Theiles des caftilianifchen Scheidegebirges, d. h. eine Höhenfarte des Guadarramagebirges und der an feinem Fuß gelegenen Ge— genden, ausgegeben, welche die Reſultate der in den vorhergehenden Jahren durch die geographiſch-meteorologiſche Section daſelbſt ausgeführten Baro⸗ meter= Beobachtungen enthält. Die Section bediente ſich dreier Gefäß-Baro- meter von Ernſt, mehrerer Zenith-azimuthal-Zirkel von Dollond, und machte ſtets correſpondirende Beobachtungen. Die auf der Tafel in ſpaniſchem Fuß⸗ maaß angemerkten Höhen find folgende: a, Aranjuez 1698 F. abſ. Höhe, m. Obſervat. von Madrid (Mittel pi: aus ſehr vielen Beobacht.) . 22831 - - - * * Villa del Pradæ g 2000 = 184 Neuere Literatur: Colmenar vieio . . . . . 3000 F. abf. Höhe, Cerro de Cebollera .. . 7580 = = = Puerto de Somoſierra. . . 5072 = = = Penalacabra . . 46370 = Cancho Gorde . . 5526 - = Cerro de S. Pedro. 5166 - - Monaſterio del Baular . . 4000 = - 2 Pico de Penalara . . . . 8557 = Cabera de Hierro mayor . . 8510 - 2 ZW „ menor , 8487 Die = Puerta de Navacerrada . . 6200 = = = Telégrafo de Siete Picos. . 6800 = = = Cerro de Siete Picos ...7550 = = = us S. Bene oed T s = Puerto de Guadarrama . . 5379 = = = Cancho del Eitepyar. . . . 492 = = - Cerro de la Cieneaa . 6410 - Santa Maria la Laſtra . . 4940 = Cerro de Almenara . 2.4887 = = _ = =» Quenftia . 2.0.3463 = = = Pena de Cavalfo . . . 4190 = Cerro de Caſillas. 6264 = = = fa Escuſa. .6900 = = = M. Willkomm. Auſtralien. Geſchichte und Beſchreibung der drei Auſtraliſchen Colonien Neuſüdwales, Victoria und Südauſtralien, von Samuel Sidney. Nach der 2. Auflage des engliſchen Originals überſetzt von C. Volck⸗ hauſen. Hamburg bei O. Meißner 1854. 8. Das Werk, welches hier dem Publikum übergeben wird, iſt die Ueber⸗ ſetzung des in der erſten Auflage 1852 erſchienenen Buches von S. Sid⸗ ney: the three Colonies of Australia, Newsouthwales, Victoria, South- australia. N Der Verfaſſer deſſelben ſagt nirgends, daß er die auſtraliſchen Colonien ſelbſt beſucht habe, obſchon das nicht gerade unwahrſcheinlich und fein Bru— der Anſiedler geweſen iſt; jedenfalls hat er aber doch bei Abfaſſung ſeines Buches manche gute Quelle benutzt, wenn er ſte gleich (trotz der entgegen- ſtehenden Behauptung des Ueberſetzers in der Vorrede) nicht jederzeit genannt hat. Es kommt jedoch bei der Beurtheilung der Arbeit vor allen Dingen darauf an, was denn der Verfaſſer eigentlich gewollt hat. Sidney: Auſtralien. 185 Der Ueberſetzer hat es für zweckmäßig gehalten, ſtatt die Vorrede der zweiten Auflage zu überſetzen, lieber eine eigene zu liefern, die ſich darüber nicht klar ausſpricht. Aus der Vorrede zur erſten Auflage, welche dem Un— terzeichneten allein vorliegt, ergiebt ſich, daß das Buch vorzugsweiſe einen praftifch = politifchen Zweck hat, nämlich die Einwanderung einer gewiſſen Klaſſe von Einwanderern zu befördern, von Landbau oder Gewerbe treibenden Fa— milien mit geringen Mitteln, die jedoch hinreichen müſſen, um ihnen die Er— werbung von Grundeigenthum möglich zu machen, damit ſie ein Gegengewicht bilden weniger faſt gegen die rohen, geſetzloſen Haufen von Abenteurern, welche die auſtraliſchen Goldfelder herlocken, als gegen die Ariſtokratie der reichen Guts⸗ und Heerdenbeſitzer. Damit iſt eine oft herbe und bittere Kritik des Colonialſyſtems verbunden, das man gewöhnlich nach dem Namen des haupt— ſächlich aus der Coloniſirungsgeſchichte Neu-Seelands bekannten Obriſten Wakefield benennt und mit kurzem Ausdruck als das ariſtokratiſche Syſtem bezeichnen kann. Dieſer Zweck giebt dem Werke in nicht geringem Maaße den Charakter einer Parteiſchrift, in einzelnen Abſchnitten faſt den eines poli— tiſchen Pamphlets, und erklärt die Bitterkeit, mit der hier und da Verhältniſſe, Zuſtände und Perſonen beurtheilt werden; namentlich kommt auch die Staats- regierung nicht ſelten recht ſchlecht weg, vorzugsweiſe deshalb, weil ſie den Wakefield'ſchen Theorien auf die Leitung der Colonien (und man wird es wahrſcheinlich dem Verfaſſer zugeben können, nicht immer zum Vortheil der— ſelben) entſchiedenen Einfluß geſtattete. Aber dieſe Kritik, welche der Ueber— ſetzer als Gerechtigkeitsliebe und Unparteilichkeit ſo ſehr hervorhebt, iſt nicht jederzeit unbefangen; vor allen Dingen hat der Verfaſſer das öfter nicht er— wogen, ob denn die Handelnden im Augenblick des Handelns und unter den gegebenen Verhältniſſen nicht wohl Entſchuldigungsgründe für ſich anzuführen gehabt hätten, warum ſie gerade ſo handelten, wie es geſchah, ob ſie dann, wie jetzt der ſie beurtheilende Verfaſſer, Alles vorauswiſſen konnten, was ſich im Laufe der Zeit erſt ergeben hat. Vollſtändig lächerlich aber klingt das Urtheil über Cook (S. 12), er ſcheine bei der Erforſchung Auſtraliens von feiner ſonſtigen Umſicht und feinem guten Glück im Stich gelaffen worden zu ‚fein, wenn auch feine Beiträge für die Schifffahrtskunde wichtig genug gewe— ſen wären. Und das deshalb, weil er über Botanybai ſo günſtig geurtheilt, Port Jackſon nicht unterſucht hat! Was nun den poſitiven Inhalt des Werks betrifft, ſo zerfällt es in der Uoeberſetzung wenigſtens in zwei Theile, den geſchichtlichen und den beſchrei— benden; in der erſten Auflage findet ſich zwiſchen beiden noch ein dritter über die Emigration nach Auſtralien, der, wenn er nicht ſchon in der zweiten Auflage fortgelaſſen war, von dem Ueberſetzer übergangen iſt, wahrſcheinlich weil er ganz und gar praktiſcher Art und nur auf Engländer und engliſche Verhält— niſſe berechnet iſt. Die erſte Abtheilung, welche die Geſchichte der drei auf dem Titel genannten Colonien enthält, hat augenſcheinlich für den Verfaſſer 186 Neuere Literatur: den größten Werth gehabt und iſt mit einer entſchiedenen Vorliebe ausgear— beitet; man kann es auch nicht leugnen, daß er eine bedeutende Zahl von intereſſanten Thatſachen und wichtigen Angaben darin zuſammengetragen hat, die derjenige, welcher ſich in wiſſenſchaftlicher Weiſe mit auſtraliſcher Geſchichte beſchäftigen wird, nicht unberückſichtigt laſſen kann. Aber eine Geſchichte des Landes im wahren Sinne dieſes Wortes zu ſchreiben, dazu fehlt dem Ver— faſſer vor allen Dingen die gebührende Unbefangenheit und Unparteilichkeit, und für die älteren Zeiten auch die nöthigen Kenntniſſe und Vorarbeiten, wie denn z. B. das S. 10 über Will. Dampier Geſagte eine Maſſe von Fehlern iſt, S. 11 der Matroſe Jackſon, nach dem Cook den Hafen Jackſon benannt haben ſoll, und die den Eingang deſſelben bildenden Baſaltfelſen gleichartig der Phantaſte des Verfaſſers ihre Entſtehung verdanken, unter dem Capt. Tobias S. 9 Niemand den Begleiter Cook's auf der zweiten Reiſe, Capt. Fourneaux, erkennen wird, und dergleichen mehr. 1 Der zweite befchreibende Theil des Buches zeigt eben fo wenig, als der erſte von einer wiſſenſchaftlichen Auffaſſung und Durcharbeitung des Stoffes; aber er enthält eine Menge intereſſanter und brauchbarer Nachrichten und Beobachtungen, und einen ganz vorzüglichen Werth verleihen ihm die zahl— reichen Auszüge aus Briefen und in auſtraliſchen Zeitſchriften erſchienenen Abhandlungen, die der Verfaſſer darin aufgenommen und in ſeine Schilde— rungen verflochten hat, Beiträge für die Kenntniß des auſtraliſchen Landes, welche dem mit der Geographie Auſtraliens ſich Beſchäftigenden um ſo erfreu— licher ſein müſſen, da ſie ohne dieſe Mittheilung größtentheils wohl ganz un— bekannt geblieben ſein würden. Dahin gehört z. B. S. 260 ff. der Auszug aus einem von dem bekannten Reiſenden S. Thomas Mitchell zum Gebrauch in den Colonialſchulen herausgegebenen geographiſchen Handbuch, der eine Ueberſicht der jetzt in den Provinzen Neuſüdwales und Victoria eingerichte⸗ ten Counties mit den darin liegenden Städten, Bergen, Flüſſen und dem Flaͤcheninhalt eines jeden enthält; aus dieſem ergiebt ſich, daß die in der neueſten Arrowſmith'ſchen Charte angegebene Zahl der Counties von Neu— ſüdwales, wie fie der Unterzeichnete in feiner Geographie von Auſtralien mit getheilt hat n), ſeitdem durch die Aufnahme der von Heerdenbeſitzern (ſoge— nannten squatters) auf dem von der Regierung gepachteten Kronlande ange— legten Hirtenſtationen um 21 vermehrt iſt, nämlich im nördlichen Theile March, Lennox, Fitzroy nördlich vom Brisbanefluſſe, Aubigny und Merivale in den Darlingdowns, Drake am Glarencefluffe, Bentinck, Clive, Gough, Hardinge in Neu⸗England, Darling am Nammohyfluſſe, Napier und Gowen weſtlich von den Liverpoolebenen; im mittleren Theile Lincoln am unteren Macquarie, Gor⸗ don zwiſchen dieſem Fluſſe und dem Bogan, Aſhburnham an dem Nordufer, Monteagle am Südufer des Backlan; im ſüdlichen Theile Clarendon und ) In Wappäus Handbuch der Geographie und Statiſtik, II. 380. Sidney: Auſtralien. 187 Harden nördlich und Wynyard ſüdlich vom Morumbiji, Goulbourn am Mur— ray. Ferner gehören dahin die intereſſanten Abſchnitte über Religion, Er— ziehung und Geſetz (S. 316 ff.), die ſehr ſchätzbaren ſtatiſtiſchen Nachrichten über Neuſüdwales (S. 325 ff.), die neueſten und zuverläßigſten, die es dar— über giebt, endlich vor Allem die Mittheilungen über die Bergwerke von Suͤd— Auſtralien (S. 308 ff.) und über die neueſten Entdeckungen der Goldlager und deren Bearbeitung in Neuſüdwales und Victoria (S. 340 ff.). Alle dieſe Ab- theilungen des Buches ſind von entſchiedenem Werth und durfen von Denje— nigen, welche die Geſchichte und Geographie Auſtraliens bearbeiten wollen, nicht überſehen werden; ſie ſind unſerer Anſicht nach das Schätzbarſte in dem ganzen Werke. Die Frage, weshalb dieſes Buch eigentlich in das Deutſche übertragen iſt, möchte ſich nicht leicht beantworten laſſen. Für deutſche Auswanderer, deren Zahl in neueſter Zeit im Zunehmen begriffen iſt trotz der Ungeordnetheit der Verhältniſſe in den auſtraliſchen Colonien, welche die natürliche Folge der Entdeckung der großen Goldlager war, liefert es nichts Brauchbares; für den mit wiſſenſchaftlichen Forſchungen Beſchäftigten iſt die Benutzung des Originals durch die Ueberſetzung nicht entbehrlich geworden; für denjenigen Leſer, der bloß Unterhaltung ſucht, liefert es namentlich im hiſtoriſchen Theil Vieles, was gar kein Intereſſe einflößen kann. Fehler und Verſehen des Ueberſetzers fehlen nicht. S. 5 iſt es ſo dargeſtellt, als hätte Sidney geſagt, die Autoren, welche vor Cook's Reiſe über Auſtralien geſchrieben, hätten ihre Nachrichten aus Flinders entlehnt, was natürlich im Buche nicht geſagt iſt; S. 277 find habits der Ureinwohner durch Kleider überſetzt, S. 278 Cree- pers durch Zwerggewächſe, S. 278 findet ſich, daß der Hunterfluß im Pan— dorapaſſe die Liverpoolkette durchbreche, was im Buche nicht ſteht; das Wort bar iſt ſtets durch Riff, honeysuckle, womit die Koloniſten das auſtraliſche Pflanzengeſchlecht Banksia bezeichnen, durch Geisblatt überſetzt und dergl. mehr. C. E. Meinicke. ltiscellen. Ueber die Ausbeute von Metallen und Kochſalz in Rußland im Jahre 1852 mit einem Nebenblick auf die Ausbeute an legirtem Golde in Rußland vom Jahre 1823 bis zum Jahre 1848 incl. Nach dem vom Berg-Corps zu St. Petersburg herausgegebenen Jour⸗ nal betrug die im Jahre 1852 in Rußland gemachte Ausbeute an Gold aus den Kronwerken des Ural, und zwar: 1. aus den Bergwerken von Jekaterinburg 34 Pud 38 Pfd. 38 Sol. 60 Doli !), e = Bogoßlowsk 40 = A = 30 = — = Na = = Goroblagodat' 10 = 3 = 16 = — = 4. - - GSlatouft 49 = 2 = 63 =» —4ĩ im Ganzen 133 Pud 68 Pfd. 51 Sol. 60 Doli; ſie betrug ferner aus den Kronwerken in Sibirien, und namentlich: 5. aus den Bergwerken von Nertſchinsk . 72 Bud 19 Pfd. 44 Sol. 32 Doli, ee = DEB UA... ne HAN ee zuſammen 109 Bud 42 Pfd. 84 Sol. 32 Doli; überhaupt alſo aus den der Krone gehörigen Bergwerken 244 Pud 31 Pfund 39 Solotnik 92 Doli. Auf ſämmtlichen Privatbetrieben im Ural und Altai wurden dagegen ausgebeutet: 1122 Pud 39 Pfd. 18 Sol. 5 Doli, und ſtellte ſich demnach die geſammte Ausbeute an ruſſiſchem Golde für das Jahr 1852 auf 1367 Pud 30 Pfd. 58 Sol. 1 Doli. An goldhaltigem Silber beutete die Krone aus: im Ural und zwar auf dem Bergwerke zu Bogoßlowsk 65 Sol. 24 Dol.; zu Nertſchinsk 52 Pud 10 Pfd. 2 Sol. 35 Dol., und im Altai 1021 Pud 22 Pfd. — Sol. 62 Dol., zuſammen alſo 1073 Bud 32 Pfd. 68 Sol. 25 Dol., woneben die Privatbe— triebe noch 17 Sol. Ausbeute boten, jo daß der ganze Betrag an goldhalti— gem Silber ſich für das Jahr 1852 zu 1073 Pud 32 Pfd. 85 Sol. 25 Doli berechnen läßt. An rohem Platina wurden von der Krone auf dem uraliſchen Berg— werke zu Bogoßlowsk zu Tage gefördert 3 Pfd. 30 Sol., während die Privat- betriebe eine Ausbeute lieferten von 16 Bud 19 Pfd. 37 Sol., fo daß im Gan- zen produeirt wurden an rohem Platina: 16 Pud 22 Pfd. 67 Sol. Der Kupfer - Ertrag ftellte ſich, wie folgt. Die Krone gewann im Ural zu Bogoßlowsk 17,338 Pud 32 Pfd. und zu Slatouſt 19,108 Pud 8 Pfd., ) Ein Pud iſt gleich 40 ruſſiſchen Pfund, das Pfund gleich 96 Solotnik, das Solotnik gleich 96 Doli. A. Ausbeute von Metallen und Kochſalz in Rußland. 189 ferner im Altai 17,276 Pud 28 Pfd., im Ganzen alſo 53,723 Pud 28 Pfd., wogegen die Privatbergwerke einen Ertrag boten von 356,848 Pud 31 Pfd., ſo daß die Geſammt-Ausbeute ſich ſtellte auf 410,572 Pud 19 Pfd. Blei bezog die Krone aus den Bergwerken von Nertſchinsk 4879 Pud 4 Pfd., und vom Altai 35,436 Pud 9 Pfd., überhaupt alſo 40,315 Pud 13 Pfd., während die Privat-Betriebe in Hinſicht auf die Blei-Gewinnung ohne Er— gebniß blieben. An Gußeiſen ſtellen ſich die Erträge der Krone: zu Jekaterinburg auf 149,107 Pud 30 8 - Goroblagodat' - 703,210 = 7 - Glatouft „ 42,135 — 4 Olonez „ 64,625 — = ⸗Nertſchinsk 38,766 ͤ 12 im Altai 4 6000 ko zuſammen auf 1,093,853 Pud 9 Pfd., während die Privat-Bergwerke ergaben 12,065,906 Pud 28 Pfd., ſo daß die Geſammt- Ausbeute an Gußeiſen für das Jahr 1852 betrug: 13,159,759 Pud 37 Pfd. Die Ausbeute an Stahl lieferte folgendes Ergebniß. Es producirten die Kronbetriebe: e e E nn 3 -Saytie rr eee n EHEN On Eee in Summa 22,706 Pud 34 Pfd. wozu aus Privatbetrieben noch kommen .. 56,169 - 24 ſo daß die Geſammtausbeute an Stahl ſich ſtellt auf 78,876 Pud 18 Pfd. En Eiſen wurde ferner von der Krone gewonnen und zwar auf den Bergwerken zu Jekaterin bung 88,745 Pud 31 Pfd. Goroblago dat. 233,362 ñͤKKꝙ˙F28⸗ ae nee eee, lin ee 192908 1 Kama ⸗Wot ka 184,619 2 Nertſchinse n mne sang) SR ht A0 sg lt e e ee n eig I % ne zuſammen 776, 457 Pud 9 Pfd. wozu aus den Privat-Bergwerken traten 9,516,235 - 27 = 5 daß im Total⸗Ertrage br W eine Zahl von .. 10,292,692 Pud 36 Pfd. 190 Miscellen: An verſchiedenen anderen Metall-Producten wurden außerdem gewonnen auf den Kronbetrieben zu Jekaterinbu g.. „ 6,310 Bud 14 Pfd. Slatouſt . . e ee A445 — + * * N 5 Kama⸗Wotka. 1343 s Lugän⸗ NR TE EN I 27 Nertfchindt.. la CI a RER 15 und im Altai 42,043 = 38 = in Summa 85,664 Pud 19 Pfd. und daneben von Privaten 2,315,182 = 34 = überhanpt alſo . . 2,400,847 Pud 13 Pfd. Die ruſſiſchen Salinen liefern im Gegenſatz zu dieſen Erträgen des Bergwerks- und Hütten-Betriebs folgendes Ergebniß für das Jahr 1852. Es wurden ausgebeutet: I. Aus den Salinen der Krone: 1. aus der Elton'ſchen. . . 7,000,000 Pud — Pfd. ⸗Krim'ſchen . . 2,582,401! K⸗ — = Aſtrachan'ſchen . . 1,774,255 = Ilezkiſchen . . 1,001,170 — = Dedjuchin'ſchen . . 1,038,846 von Onega . .. 121,603 den Sibiriſchen . . 1,673,519 - Transkaukaſiſchen . 707,258 in Allem 15,899,052 Pud — Pfd. II. Aus Privat-Salinen . . 5,121,444 = 24 Im Ganzen 21,120,493 Pud 24 Pfd. * * u * * * * * rn en] wohn * * * In dem von der k. Academie der Wiſſenſchaften zu St. Petersburg redi⸗ girten Kalender, der die eben verzeichneten Zahlen-Ergebniſſe nach dem Jour— nale des St. Petersburgiſchen Berg-Corps ebenfalls mittheilt (vergl. Jahrg. 1854 S. 156—157), wird als Anſchluß an die Ueberſichts-Tabelle der Aus— beute an Metallen und Kochſalz für das Jahr 1852 noch eine ſehr intereſſante Zuſammenſtellung gegeben, welche die Geſammt- Ausbeute an legirtem Golde in Rußland vom Jahre 1823 ab bis zum Jahre 1848 incl. in Zahlen dar— legt. Wir können uns nicht enthalten, dieſe höchſt wichtige Tabelle zur Mit— theilung zu bringen, da ſie die ungewöhnliche Gradation im ruſſiſchen Gold— betriebe, beſonders auf den Hüttenwerken der Privaten, mit einem Blicke über— ſehen läßt. Ausbeute von Metallen und Kochſalz in Rußland. 191 59 3; Es ergab ſich eine Ausbeute an legirtem Golde: Auf den Hüttenwerken | Auf den Hüttenwerken Im und Betrieben der Kroneſund Betrieben der Privaten In Allem Jahre am Ural und in Sibirien] am Ural und in Sibirien Pud Pfd. Sol.] Dol.] Pud Pfd.] Sol. Dol.] Pud Pfd. Sol.] Dol. 1823 35 36 42 72 69 10 5 48 105 6 48 24 1824 52 488 — 152 15 82 — 204 20 74 — 1825 60 30 42 — | 171 27 56 — 2 2 1826 69 23 6 — 161 23 4 — 231 6 10 — 1827 89 20 25 — 192 10 49 — 281 30 74 — 1828 87 16 58 60 203 15 49 — 290 32 11 60 1829 100 28 24 48 187 20 53 24] ass | 8 77 72 1830 148 16 68 — | 204 15 82 72 352 32 54 72 1831 159 - 53 — I 205 27 7 87 364 27 60 87 1832 168 20 2 21] 216 4 224] 384 24 4 45 ies 230 136172 378 22 69 72 1834 150 3 68 — | 224 36 46 84 375 — 1884 1835 152 21 7 12] 233 4 94 12 385 26 5 24 1836 149 12 69 24 248 28 | 24 | 66 398 | — | 93 | 90 1837 157 2 48 63] 285 17 90 54 442 20 43 21 1838 | 159 32 77 24 333 20 54 — 493 13 35 24 1839 163 3159 — | 329 7 80 42 492 39 43 42 1840 173 5 23 84 380 34 64 — | 553 39 87 84 1841 | 168 39 49 | 24 | 486 12 74 90 655 12 28 18 1842 168 491 60] 740 8 23 12 908 13 18 72 1843 | 179 28 94 50] 1061 37 55 | 72 1241 26 | 54 26 1844 181 39 80 | 36 | 1094 24 49 | 47 | 1276 | 24 | 33 83 1845 | 182 | — 59 | 24 1122 13 | 95 | 66 | 1304 | 14 | 58 | 90 1846 | 187 16 | 13 | 72 | 1441 | 11 |95 | 2 1628 28 12 74 1847 185 7 25 — 1556 — 66 76] 17417 91 76 1848 | 197 8 68 24 1529 26 52 | 24 | 1726 35 24 48 In dem 26 jährigen Zeitraum von 1823 bis mit 1848 hat hiernach eine Ausbeute an legirtem Golde ſtattgefunden von 3676 Pud 22 Pfd. 5 Sol. 26 Dol. aus den Kronbetrieben und von 13062 = 30 = 77 14 = aus den Privatbetrieben, in Allem von 16739 Pud 12 Pfd. 82 Sol. 40 Doli aus ſämmtlichen Hüt— tenwerken und Betrieben am Ural und in Sibirien. Das Jahr 1847 ſteht als das Maximumjahr in der Reihe der genann— ten Jahre da. Die Erfahrung, die man ſchon im Jahre 1848 machen konnte, daß einmal ein Höhepunkt in Hinſicht der reichen Ausbeute eintreten würde, die der Ural und Altai bis dahin ſo verſchwenderiſch und in ſtets wachſen— dem Maaße geliefert hatte, haben auch die folgenden Jahre bewährt, und das Reſultat, welches wir oben im Hinblick auf die Gold-Ausbeute des Jahres F 1852 mitgetheilt haben, ift ein neuer Beleg dafür. J. Altmann. 192 Miscellen: Erſteigung des Mount Hood. Die erſte Erſteigung des Mount Hood. Es iſt bekannt, daß einige Spitzen des Gebirgszuges im nördlichen Theile des Gebiets von Oregon von großer Höhe ſind. Die neueſten Nachrichten aus Californien enthalten einen intereſſanten Bericht über die Erſteigung des bedeutendſten derſelben, nämlich des unfern des Columbia-Fluſſes ge— legenen Mount Hood, deſſen Höhe ſich auf Grund wirklicher Meſſungen zu 18,361 Fuß (?) ergeben hat. Sein Gipfel iſt die höchſte Spitze auf dem nordamerikaniſchen Feſtlande, und zugleich, wie der Bericht im National Intelligencer richtig meint, einer der höchſten der Erde. Die Er— ſteigung wurde von einem Herrn Dyer und dem Capt. Travaillet unternom- men, welche zu dem Zwecke am 4. Auguſt v. J. von Portland ausgingen. Später ſchloſſen ſich ihnen Andere an. Nach Erreichung der Schneelinie ward man vermittelſt eines Teleſeops gewahr, daß der Berg vulcaniſch ſei, indem Rauch aus ſeinem Gipfel hervorſtieg. Am 8. begann die Erſteigung der höheren Spitze auf der oſtſüdöſtlichen Seite. Nachdem mehrere tauſend Fuß immerwährender Schneefelder in einem Winkel von faſt 50 Graden erſtiegen waren, blieben drei Perſonen von der Geſellſchaft in Folge des durch die verdünnte Luft verurſachten Schwindel zurück. Von da aufwärts wurde der Abhang ſteiler, bis er einen Winkel von 704 Grad erreichte, und es lag der Weg längs eines ſenkrecht am Berge aufſteigenden Felſenrandes (the road lying along a ledge of rock perpendicular with the mountain). Um 24 Uhr Nachmittags am 8. wurde die Spitze erreicht; fie erwies fich, ähnlich der des Mount Helens »), als äußerſt ſchmal und halbmondförmig, und von ihr aus konnte man andere Spitzen in einer Entfernung von 100 Miles deutlich ſehen. Sie beſteht aus verwitterten vulcaniſchen Subſtanzen von hellrother Farbe, mit Kegeln von 20 bis 50 Fuß Höhe in Zwiſchenräumen weniger Ruthen. Die Kegel ſind voller Riſſe oder Spalten, als ob ſie durch eine Naturumwäl⸗ zung vor langer Zeit zerriſſen worden wären. Zwiſchen den Kegeln giebt es viele Löcher von der Größe eines gewöhnlichen Waſſereimers bis auf zwei oder drei Zoll im Durchmeſſer herab. Durch dieſe Athemlöcher (wie die Geſellſchaft ſie nannte) und durch die Riſſe in den Felſen ſtrömt fortwährend heißer Rauch oder Gas von ſtark ſchwefelichem Geruche aus. Die Löcher wurden auf eine Erſtreckung von faſt einer halben Meile Länge angetroffen; doch war die aus denſelben ſtrömende Hitze nicht bei allen gleich. Durch den Mangel eines Thermometers konnte der genaue Grad der Hitze nicht feſtgeſtellt werden; bei einigen Löchern war dieſelbe jo groß, daß der Thermometer zwei— felsohne „Siedehitze“ gezeigt haben würde. ) Der Mount Helens iſt einer der höchſten Berge in dem jetzt aus dem nörd— lichen Theile von Oregon gebildeten Waſhington-Territorium und liegt nördlich vom Columbia in derſelben Gebirgskette mit dem Mount Hood. Gumprecht. In der Nicolai’schen Buchhandlung in Berlin ist erschienen: SIR JOHN FRANKLIN, die Unternehmungen für seine Rettung, und die nordwestliche Durchfahrt, von Dr. Karl Brandes, Custos der königl. Bibliothek u Berlin. Nebst einer Tabelle der arktischen Temperaturen vom Prof. Dr. Dove, und einer Karte von H. Lange. Geheftet. Preis 1 Thlr. 20 Sgr. Alexander von Humboldt äufsert über das bezeichnete Buch: „Diese wichtige Schrift über die arktischen, unser Zeitalter moralisch und wissenschaftlich ehrenden, Expeditionen hat eine complicirte schwierige Aufgabe glücklich gelöst. Der Verfasser hat ein angenehmes, überaus lehr- reiches, gründliches Werk geliefert, voll dramatischen Interesses, auch für Meteorologie, nach den neuesten Untersuchungen von Dove, und für phy. sikalische Geographie im Allgemeinen beachtenswerth. Die Karte von Henry Lange ist so genau als geschmackvoll in der Anordnung und Benutzung der Materialien.“ Bei DIETRICH REIMER in Berlin erscheint in Kurzem: . I. \ Karte der Nordpolarländer. Entworfen und bearbeitet von Dr. HEINRICH KIEPERT. Nebst Darstellung der Wärmeverbreitung von H. W. Dove. II. 1 der BE. Nördlichen Hemisphäre innerhalb des 40. Breitengrades. Entworfen und gezeichnet von Dr. HEINRICH KIEPERT. Preis beider Karten in einer Mappe 1 Thlr. 10 Sgr. Preis jeder Karte einzeln 25 Sgr. Diese Karten gehören zugleich zu einer demnächst erscheinenden Abhand- 1 lung von Prof. Dove: über die Wärme verbreitung in den Nordpolarländern, welche ein Supplement zu dem im Jahre 1852 erschienenen Werk: „Die Ver breitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde“ bildet. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstrafse 18. zu Berlin 5 unter e Mitwirkung von von br 2 € Sumpreit Bieter Bam. Drittes Heft in Berlin, e A. . in Gotha und J. E. Wappäus in . 1 5 3 55 Bi Berausgegehen | 7 | Inhalt. Seite W. Koner: Der König von Siam und fein Hof. 193 Lazari: Die Javaneſen. 210 K. L. Biernatzki Beiträge zur barbie Kunde v von Japan und den Lutſchu⸗Inſeln. 225 Gumprecht: Dr. Vogel's Forschungen im Sein von 1 Nord: Nfrife und n die neue Niger⸗ Expedition. (Schluß.) 248 C. R. Wolff: Nivellements im Großherzogthum Mecklenburg⸗ Streliz. 261 Neuere Literatur. a Gumprecht: The Geographical and Commercial Gazette. New Vork 1884. lt Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 6. Sauuor 1855. RTL, Von diefer Zeitfchrift erfcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben ee iſt 2 Thlr. 20 Sgr. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünstrafse 18. 83 VI. Der Koͤnig von Siam und ſein Hof. In die Reihe der aſiatiſchen Reiche, deren gründliche Erforſchung der geographiſchen Thätigkeit ein noch reiches Feld darbietet, gehört unſtreitig jener Theil Hinterindiens, welcher, zwiſchen dem 4. und 22. Grad nördlicher Breite und dem 96. bis 102. Längengrad gelegen, von den Europäern Siam, von den Eingeborenen Muang-Thai (Kö— nigreich der Freien) genannt wird. Zwar beſitzen wir aus früheren Jahrhunderten eine ziemlich zahlreiche Literatur über dieſe Gegen— den ), doch iſt der Gewinn, den wir aus dieſen Nachrichten für den gegenwärtigen Standpunkt geographiſcher Forſchungen zu ziehen im Stande find, verhältnißmäßig nur unbedeutend. Geſandtſchaftsberichte, Miſſionsnachrichten und Berichte aus den portugieſiſchen und hollän— diſchen Factoreien, welche ſchon in früheren Jahrhunderten auf dem Siameſiſchen Küſtengebiet zahlreich begründet waren, bilden dieſe Lite— ratur, und hinreichend bekannt iſt es, mit welcher Vorſicht dergleichen Notizen früherer Zeiten, worin nur zu oft Wahres mit Falſchem und Abenteuerlichem vermiſcht iſt, aufgenommen werden dürfen. Erſt in der Neuzeit, wo die Handelsbeziehungen europäiſcher Nationen ein immer engeres Netz um jene oſtaſiatiſchen Reiche zu ziehen beginnen, die in ihrer Abgeſchloſſenheit der Wißbegierde des Fremden eine unüberſteigliche Mauer entgegenſetzten, iſt es gelungen, nähere und ithentiſchere Nachrichten über Siam einzuziehen. Zuerſt waren es 9 Man vergleiche die Literatur über Siam am Ende dieſes Aufſatzes. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 13 194 W. Koner: die in jeder Beziehung gründlichen Beobachtungen eines John Craw— furd und George Finlayſon, welche durch die Reſultate ihrer in den Jahren 1821 und 1822 in dieſe Theile Hinterindiens angeſtellten Reiſen unſere geographiſchen Kenntniſſe über jene Länder weſentlich er— weiterten, und vorzugsweiſe waren es auch die Berichte dieſer Männer, worauf Carl Ritter ſeine Beſchreibung von Siam (Erdkunde, Aſien III. 1834) baſirte. Ihnen ſchließen ſich die ſpäteren Forſchungen Gütz— laffs und Edmund Roberts in den Jahren 1832 — 34, ſowie in der neueſten Zeit die Unterſuchungen des britiſchen Reſidenten, Mr. Neale, zu Bangkok und des apoſtoliſchen Vicars daſelbſt, Mgr. Pallegoix, an. Die Beobachtungen des letztgenannten dieſer Männer, des Mgr. Palle— goir, die von ihm während eines vierundzwanzig-jährigen Aufent— halts unter den Siameſen geſammelt wurden, bieten, mit Ausnahme des rein geographiſchen und naturwiſſenſchaftlichen Theiles, wo eine größere Ausführlichkeit und Gründlichkeit im Intereſſe der Geographie wohl wünſchenswerth geweſen wäre, andrerſeits ſo viel des Intereſſan— ten für die ethnographiſchen Verhältniſſe dieſes Landes dar, daß wir es für zweckdienlich erachten, nach dieſen Notizen eine kleine Skizze zu— ſammenzuſtellen. Wir wählen dazu eine Schilderung des Königs und feines Hofes, da der Ausſpruch: Vetat c'est moi, ſich wohl nirgends mehr bewährt als in Siam, wo das ganze ſtaatliche und bürgerliche Leben gleichſam in der Perſon des Königs aufgeht, eine Schilderung des Hoflebens mithin die wichtigſten Lebenserſcheinungen in Siam charakteriſiren wird. Der Perſon des Königs, als unumſchränkten Herrſchers über Le— ben und Eigenthum der Unterthanen, wird eine faſt göttliche Verehrung gezollt. Nicht allein, daß er ſelbſt ſich die pomphafteſten Titel, wie „Herr des Lebens, Beherrſcher der Erde ꝛc.“ beilegt, iſt es ſogar bei ſchwerer Ahndung verboten, den König bei feinem Namen zu nennen, ſo daß dieſer meiſt erſt nach dem Tode des Herrſchers bekannt wird. Man umſchreibt deshalb bei Erwähnung des Königs den Namen des— ſelben durch Titulaturen, welche aſiatiſcher Despotismus und Sklaverei erfunden haben. So z. B. führt der gegenwärtige Herrſcher, der als Prinz Chao-Fa hieß und bei feiner im Jahre 1851 erfolgten Thronbeſteigung die Namen: Somdet-Phra-Paramander-Mahä-Mong⸗ kut ꝛc. 20. erhielt, die Titel „der Vollkommene, der Erhabene, die große 1 Der König von Siam und ſein Hof. 195 Krone, Fuß Gottes, Abkömmling der Engel, Nachkomme alter Könige u. ſ. w.“ Demgemäß wirft ſich auch der Siameſe, ſobald der Herr— ſcher erſcheint, mit dem Antlitz zur Erde gebeugt, ohne die Blicke zur geheiligten Perſon des Königs zu erheben, nieder, und dieſe abgötti— ſche Verehrung iſt ſogar ſo weit ausgedehnt, daß die bei dem Palaſt des Königs Vorübergehenden unbedeckten Herpes vorbei zu paſſiren gezwungen ſind. Selbſt die Staatsbeamten, denen der Gebrauch des einfachen Sonnenſchirms als Zeichen ihrer Würde erlaubt iſt, müſſen denſelben, ſobald ſie in die Nähe des Palaſtes kommen, zuſammenfal⸗ ten oder ihn wenigſtens nach der entgegengeſetzten Seite ſenken. Prü⸗ gel oder Geldſtrafe trifft die Uebertreter dieſer Vorſchrift, und die könig— lichen Bogenſchützen, welche in zahlreichen Schaaren die Eingänge des Palaſtes beſetzt halten, wiſſen geſchickt mit Lehmkügelchen, die ſie von ihren Bogen ſchnellen, die Augen der gegen das Geſetz Freveln— den zu treffen. Auch die Schiffer müſſen, ſobald ihr Fahrzeug in die Nahe des Palaſtes kommt, ihr Haupt entblößen und niederknien. Die Krone iſt erblich in der königlichen Familie, jedoch in der Art, daß der Herrſcher den Thronfolger aus der Zahl der Prinzen beſtimmt. Bei dem gegenwärtig regierenden Könige fand allerdings eine Aus— nahme von dieſer Regel ſtatt, indem die auf einen andern Prinzen ge— fallene Wahl zum Nachfolger noch bei Lebzeiten des verſtorbenen Kö— 1 nigs von den Großen des Reichs für ungiltig erklärt wurde. — Tritt ein Thronwechſel ein, ſo begiebt ſich der erwählte Nachfolger mit gro— ßem Pomp in den Palaſt, ſchwört den Eid der Treue und trinkt for dann mit ſeiner Umgebung aus einer mit Weihwaſſer gefüllten golde— nen Schale. Zugleich wird der Säbel des Königs mit dieſem geweih— ten Waſſer beſprengt. Der eigentliche Krönungstag ſelbſt beginnt damit, daß der Chef der Sterndeuter die Namen des neuen Königs auf einem goldenen Blatte verzeichnet, welches parfümirt und aufgerollt in eine goldene Kapſel gethan wird, die wiederum in einem vergoldeten ſilbernen Behälter ihren Platz findet. Neun Mandarinen, deren jeder eine drei— * e Wachskerze in den Händen ſchwingt, halten darauf einen neun— en Umzug um dieſe Kapſel. Nach Beendigung dieſer einleitenden Ceremonie betritt der König unter dem lärmenden Schall von Blaſe— Ä nen und Trommeln den Saal, vertheilt an 100 Talapoins 13 * 196 W. Koner: (Prieſter) gelbe Gewänder und übergiebt dem Vorſteher derſelben eine bren- nende Kerze. Nachdem er hierauf ſich vor dem Bilde der Siegesgöttin pro— ſternirt hat, erhebt er ſich und beſteigt, bekleidet mit einem weißſeidenen, goldgeſtickten Languti (ein um die Hüften und Schenkel geſchlungener Shawl), einen Thron, wo zwei Prinzen ihn mit Weihwaſſer beſpren— gen. Prieſter reichen ihm außerdem noch mit Weihwaſſer gefüllte Mu— ſcheln, um ſich ſelbſt daraus zu beſprengen. Darauf wechſelt der König abermals unter dem Schall einer lärmenden Muſik ſein Coſtüm, indem er ſich mit einem gelbſeidenen, golddurchwirkten Languti bekleidet und begiebt ſich in einen zweiten Saal, wo er mit dem Geſicht nach Oſten gewandt einen achteckigen Thron beſteigt, über welchem der ſiebenfache Sonnenſchirm, Savetraxat genannt), ausgeſpannt iſt. Einer der den Thron umgebenden Prieſter ſpricht darauf eine Weiheformel, gießt dem Herrſcher Weihwaſſer in die Hand, wovon derſelbe einige Tropfen trinkt, das Uebrige aber zur Waſchung des Geſichts benutzt. Hierauf wendet ſich der König gegen Süden, und wiederholt dieſe Ceremonie nach acht verſchiedenen Punkten des Horizonts. Endlich beſteigt der König, das Geſicht nach Norden gewandt, einen dritten vierſeitigen Thron, auf welchem ein Thronſeſſel in Geſtalt eines goldenen Löwen angebracht iſt. Jetzt beginnt der eigentliche Act der Krönung. Ein bejahrter Prieſter intonirt eine eigenthümliche Melodie, nach deren Be— endigung er ſich vor dem Throne niederwirft und dem Herrſcher das Reich darbietet. Pagen überreichen ſodann dem Könige die königlichen Inſignien, den ſiebenfachen Sonnenſchirm, jene obenerwähnte Kapſel mit dem Namen des Herrſchers, die Krone, den mit Edelſteinen ge— ſchmückten Halsſchmuck, den Herrſcherſtab, welchen der König auf das rechte Knie, und das Reichsſchwert, das er auf das linke Knie legt. Nachdem dem Könige noch ſieben verſchiedene Waffen, beſtehend in Wurfſpieß, Lanze, Bogen, Degen, Dolch, Säbel, Stockdegen und Flinte übergeben ſind, erhebt ſich derſelbe, und verkündet laut, daß er von nun an allen Unterthanen ſeines Reichs den freien Gebrauch von Bäumen, Früchten, Waſſer, Steinen und allen andern Naturerzeugniſſen, fo weit ) Dieſer Schirm beſteht aus ſieben, pyramidaliſch an einem Stiel übereinander angebrachten Sonnenſchirmen. Nur der König darf dieſes Inſigne führen; es bildet deshalb auch ein Hauptemblem der königlichen Inſiegel, wie ſolche in dem Werke des Herrn Pallegoir abgebildet find. 1 Der König von Siam und ſein Hof. 197 das Reich ſolche hervorbringt, geſtatte. Nach einigen anderen Cere— monien, die wir hier übergehen, begiebt ſich der König in einen Saal, worin die vornehmſten Talapoine verſammelt ſind; dort ernennt er ihr Oberhaupt, vertheilt Almoſen unter ſie und entläßt die Ver— ſammlung mit ſeinem Segen. Zuletzt tritt der König in den Audienz— ſaal, wo er auf einem mit Edelſteinen geſtickten Teppich ſich unter dem fortwährenden Gebet der verſammelten Prieſter niederläßt. Die erſten Würdenträger des Reichs nahen ſich hierauf dem Könige, um demſel— ben ihre Dienſte, je nach den Stellungen, die ſie im Reiche einneh— men, anzubieten. Nach Beendigung dieſer Ceremonie zieht ſich Se. Majeftät in die inneren Gemächer zurück, wo zwei Palaſtdamen ihm die Füße waſchen, und die Prinzeſſinnen ihm Geſchenke überreichen, theils in goldenen und ſilbernen Zweigen und Blumen beſtehend, theils in allerlei Toilettengegenftänden für den Privatgebrauch des Herrſchers. Darauf läßt ſich der König in ſeinem Palanquin, nach allen Seiten hin Geldſpenden auswerfend, nach dem Tempel des Buddha tragen, worin das Smaragdbild dieſes Gottes ſich befindet, um dort die durch den Cultus vorgeſchriebene Anbetung zu vollbringen. Hiermit endet das Krönungsfeſt. Am folgenden Tage überreichen ſämmtliche Prinzen und Manda— rinen dem Könige Geſchenke und erhalten als Gegengeſchenk rothſeidene Börſen mit 4 bis 24 Ticals (1 T. = 24 Sgr.) gefüllt. Einige Tage darauf hält der König ſeinen Umzug durch die Hauptſtadt und zwar einmal durch die Straßen, das andere Mal auf den Canälen, welche die Stadt in allen Richtungen durchſchneiden. Beide Umzüge gewäh— ren durch den dabei entwickelten Pomp ein eigenthümliches Bild. Die von dem Zuge berührten Straßen, ſind an beiden Seiten mit einer Un— zahl reich verzierter Altäre, Blumenvaſen und Weihrauchbecken, aus denen die feinſten Wohlgerüche emporſteigen, geſchmückt. Den Zug eröffnen die königlichen Bogenſchützen; ihnen folgt das Heer unter dem Befehl der Mandarinen, welche von Elephanten herab die verſchiedenen 2 Regimenter commandiren. Die Artillerie, nach europäiſcher Weiſe ge— kleidet und einerercirt, bildet die Arrieregarde. Darauf folgt das Muſik— corps und unmittelbar hinter demſelben der König, auf einem mit Gold und Edelſteinen geſchmückten Throne getragen. Eine von Bril- lanten und Diamanten blitzende Krone ſchmückt ſein Haupt, in ſeiner 198 W. Koner: einen Hand ruht das Schwert, während er mit der andern mittelft eines Bechers aus einem mit kleiner Münze gefüllten goldenen Gefäß Geld unter die zu beiden Seiten der Straße auf den Boden hinge— ſtreckte Volksmenge wirft. Eigenthümlich iſt es, daß der König auch ſtatt der Geldſpenden mitunter Anweiſungen auf den Werth eines Ele— phanten, Hauſes, Gartens oder einer Barke auswirft, und der Glück— liche, welcher eine ſolche Anweiſung erhaſcht, kann ſich von dem Schatz— meiſter ſogleich den Werth des auf derſelben bezeichneten Gegenſtandes auszahlen laſſen. Den Schluß des Zuges bilden die Prinzen mit ihrer zahlreichen Dienerſchaft. Einen nicht minder impoſanten Anblick ge— währt die Feſt-Proceſſion auf dem Fluſſe. In Begleitung einer Men— ſchenmaſſe von mehr als 60,000, welche in zierlichen Ruderſchiffen von 60 bis 100 Rudern vertheilt iſt, hält der Herrſcher ſeinen Umzug durch die Waſſerſtraßen der Hauptſtadt. Die ſeltene Form dieſer Fahr— zeuge, die abenteuerlichen Thiergeſtalten, in welchen die Schiffsſchnäbel endigen, die koſtbare Ausſchmückung der Barken und der Ruderer, der betäubende Schall der Blaſeinſtrumente und Trommeln und die un— zählige Volksmenge, die theils in Boten, theils am Ufer im bunten Feſtſtaate dieſem ſeltenen Schauſpiele beiwohnt, ſind gewiß für den Fremden von nicht geringem Intereſſe. Ueberhaupt zeigt ſich der Regent ſelten öffentlich und wählt als— dann für ſeine Ausflüge meiſtentheils das Ruderſchiff. Komiſch iſt es freilich, daß bei dieſen Luſtfahrten ſtets ein beſonderer Rettungsapparat für den König, beſtehend in einer Anzahl zuſammengebundener hohler Cocosnüſſe, bereit gehalten wird; denn da es verboten iſt, die gehei— ligte Perſon Sr. Majeſtät zu berühren, ſo iſt derſelbe, will es einmal das Unglück, daß er bei feinen Vergnügungsfahrten einen unfreiwilli- gen Sturz in's Waſſer macht, gezwungen, ſeine eigene Rettung mittelſt des ihm zugeworfenen Rettungsapparats zu verſuchen. In ſeiner Lebensweiſe iſt übrigens der König gezwungen, ſich nach einem gewiſſen Hofceremonial zu richten, welches in einem Buche: Phra: raxa: monthieraban, aufgezeichnet iſt. Dort finden ſich die be— ſtimmten Vorſchriften über die Zeit des Aufſtehens, der Bäder, der Mahlzeiten, der Reisſpenden an die Talapoins, über die Zahl der an die Mandarinen, Prinzen, die Königin und die Palaſt-Damen zu er— theilenden Audienzen, ſo wie über die Stunden, in welchen der Regent * a 2 74 2988 8 I * * — 2 Der König von Siam und ſein Hof. 199 ſich täglich dem Studium der Geſetze und Landesgeſchichte zu widmen hat. Bei den täglichen Audienzen iſt folgende Ordnung eingeführt. Um 10 Uhr früh verſammeln ſich die vortragenden Räthe, an Zahl 100 bis 150, mit ihren Secretären in einem vor dem Palaſte gele— genen Saale, um dort über die Mittheilungen, die ſie dem Könige zu machen haben, zu conferiren. Kurz vor 11 Uhr treten ſie in den Audienzſaal, wo ein jeder den ihm angewieſenen Platz einnimmt. So: bald die Pagen des Königs mit den königlichen Inſignien erſcheinen, wirft ſich die Verſammlung auf den Boden; beim Eintritt des Königs ge— ſchieht daſſelbe von ſämmtlichen Anweſenden mit aufgehobenen Händen, in welcher unbequemen Stellung ſie bis zum Schluß der Audienz ver— harren. Der König, unter einem Baldachin in bequemer Stellung hin— gelagert, kaut Betel, trinkt Thee, raucht ſeine Cigarre oder Pfeife und richtet während dieſer für eine Audienz nach unſeren Begriffen un— königlichen Beſchäftigung ſeine Worte bald an dieſen oder jenen der Räthe. Hauptſächlich aber unterhält er ſich mit den Miniſtern und zwei Mandarinen haben vorzugsweiſe die Pflicht, dem Könige die noth— wendigen Mittheilungen über die wichtigſten Angelegenheiten zu machen. Nach Beendigung der Audienz ziehen ſich die verſammelten Räthe wie— derum in den Vorſaal zurück, um dort die Befehle des Königs zu be— ſprechen. Abends um 6 oder 7 Uhr findet beim Könige Minifter- Conſeil ſtatt, zu welchem die erſten Prinzen des Hauſes zugezogen wer— den. Nicht ſelten währt dieſe Berathung bis Mitternacht. Geräth einmal der König bei einer ſolchen Sitzung gegen einen der Manda— rinen in Zorn und verlangt er, um den Schuldigen zu ſtrafen, von dem Pagen, welcher das königliche Schwert hält, daſſelbe, ſo hat dieſer das Recht, die Auslieferung der Waffe ſeinem Gebieter zu ver— weigern, da es ſtrafbar wäre, der blinden Wuth des Königs Vorſchub zu leiſten. Liefert dennoch der Page die Waffe aus, ſo trifft denſel— ben die Todesſtrafe. Eine Einrichtung des vor vier Jahren verſtorbe— nen Königs, nach welcher es jedem Siameſen, der eine Bittſchrift ein— zureichen hatte, geſtattet war, an eine im Vorſaal aufgehängte Trom— mel zu ſchlagen, worauf die Eingaben durch die Pagen ſogleich dem Könige überreicht wurden, iſt gegenwärtig abgeſchafft worden, da die Habgier der Pagen zu mannigfachen Klagen Anlaß gab. i Zum unmittelbaren Schutz des Königs gehört eine Wache von 200 W. Koner: mehreren tauſend Soldaten, die unter dem Commando des Palaſt— Gouverneurs an den Thoren, in den Gärten und verſchiedenen Ge— bäuden des Palaſt-Bezirks ſtationirt ſind. Außer dieſer Schloßwache eriftirt noch eine aus ſechs Regimentern beſtehende Leibgarde, welche die Befehle des Königs auszuführen hat und zugleich das Amt der erecutiven Polizei für die Hauptſtadt und ihre Umgebung verfieht. Zur unmittelbaren Dienſtleiſtung bei dem Könige ſind hundert Pagen be— ſtellt, meiſtens Söhne von Mandarinen, in einem Alter von 16 — 24 Jahren, welche theils die Kammerdiener-Geſchäfte bei dem Könige ver— ſehen, theils als Hof-Staats-Secretäre fungiren. Die Paläſte des Königs ſind von einer 1 Lieue langen Mauer eingeſchloſſen, und bieten den Anblick einer kleinen Stadt dar. Inmitten eines von vielen zier⸗ lichen Gebäuden umgebenen Hofes erhebt ſich majeſtätiſch ein ſtatt— licher Bau mit lackirtem Dache, Mahapraſat genannt. In demſelben wird nach dem Tode eines Königs der goldene Sarg mit dem könig— lichen Leichnam während eines Jahres ausgeſtellt, ehe derſelbe dem Scheiterhaufen übergeben wird. Sodann aber iſt dieſer Palaſt für die Empfangsfeierlichfeiten bei der Ankunft fremder Geſandten beſtimmt. Eine Beſchreibung dieſes Audienzſaales, fo wie einer ſolchen Empfangs- feierlichkeit theilt uns Herr Pallegoix bei der Darſtellung der Feier— lichkeit mit, welche bei Gelegenheit der Ratificirung eines Handelsver— trages zwiſchen Sr. ſiameſiſchen Majeſtät und dem Abgeſandten der vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Herrn Edm. Roberts, ſtatt— fand ). Der Saal hat von jeder Seite drei, mit reicher Ornamentik und buddhiſtiſchen Gottheiten verzierte Eingänge. Im Hintergrunde ſteht auf einer etwa 6 Fuß hohen Eſtrade der von Gold und Edel— ſteinen funkelnde Thron, überſchattet von dem ſiebenfachen Sonnenſchirm. Zwölf andere ähnliche Sonnenſchirme ſind zu beiden Seiten des Throns im Halbkreiſe angebracht, und bilden eine Grenzſcheide zwiſchen dem Könige und ſeinem Hofſtaat. Auf dem Boden des Saales lagern ge— gen dreihundert Würdenträger des Reichs in proſternirter Stellung. Auch die amerifanifche Geſandtſchaft war bei dieſer Audienz gezwun— gen, die etwas unbequeme Stellung der ſiameſiſchen Staatsbeamten nachzuahmen, da es für das königliche Auge beleidigend geweſen wäre, ) Eine ähnliche Beſchreibung leſen wir bei Crawfurd, Journal S. 83 — 88. 55 N * — %; . 0 ae * Nr Der König von Siam und ſein Hof. 201 hätten die Europäer ihre mit Stiefeln bekleideten Fuͤße dem Blicke des Königs preisgeben wollen. Der König ſelbſt ruhte mit untergeſchlage— nen Beinen auf dem Throne, und ſeine mit Diamanten beſäte Klei— dung ſtrahlte in eigenthümlichem Glanze durch das Halbdunkel des Saales. Nachdem der übliche dreimalige Gruß der Verſammelten, wel— cher in einem ziemlich unfanften Berühren des Fußbodens mit dem Kopfe beſteht, dargebracht war, und der König ſeine hohe Zufrieden— heit mit dem Empfange durch dreimaliges kräftiges Ausſpeien des Betel— krautes, das er ſtets zu kauen pflegt, zu erkennen gegeben hatte, begann die Unterhaltung mit den Geſandten mit Hilfe von drei Dolmetſchern. Der eine ſtand unmittelbar neben dem Throne, und wiederholte mit leiſer Stimme die Worte Sr. Majeſtät an den zweiten Dolmetſcher, der auf dem freien Raume zwiſchen dem Throne und der Geſandt— ſchaft ſeinen Platz hatte. In noch leiſerem Tone theilte dieſer dem dritten Dolmetſcher die königlichen Worte mit, welcher dieſelben endlich dem Geſandten in's Ohr flüſterte. Die Antwort des Geſandten machte denſelben Weg zum Throne zurück, und nach Verlauf von etwa drei Viertelſtunden war die Audienz beendet. Auf ein gegebenes Zeichen wurde ein Vorhang quer durch den Saal gezogen, wodurch der König den Blicken der Verſammlung entrückt wurde, die nach dreimaligem Abſchiedsgruße den Saal verließ. — Sonſt halten auch in dieſem Saale die Talapoins ihre Predigten, denen die Königin und die Pa— laſtdamen, hinter Gardinen verborgen, beizuwohnen pflegen. In geringer Entfernung von dieſem eben beſchriebenen Palaſt er— hebt ſich das für die täglichen Audienzen beſtimmte Gebäude, welches am Eingange mit rieſigen, aus China hierher gebrachten Granitſtatuen und im Innern mit Bildwerken und goldenen Verzierungen reich aus— geſchmückt iſt. Unmittelbar an dieſes Gebäude ſchließt ſich die Woh— nung des Königs an. Die nur matt beleuchteten Zimmer bieten den Anblick eines Raritäten-Magazins dar. Gefäße von edlen Metallen, Glas und Porzellan, Uhren, Statuen, muſikaliſche Inſtrumente, chine— ſiſche und japaneſiſche lackirte Vaſen, koſtbare Möbel aus Europa und tauſende von Raritäten ſtehen dort in genialer Unordnung nebenein— ander. Ein beſtimmtes Schlafgemach beſitzt der König nicht, indem derſelbe aus Furcht vor einem Ueberfall allnächtlich ſeine Ruheſtätte zu wechſeln pflegt. Die Wohnungen der Königin, der Beiſchläferinnen, 202 W. Koner: jo wie der Palaſtdamen befinden ſich ebenfalls in der Nähe, doch trennt eine dreifache hohe Mauer den Serail von dem übrigen Theile des Hoflagers. Um die gefangenen Schönen in ihrer Abgeſchiedenheit zu tröſten, iſt von kunſtreicher Hand dieſes Terrain in eine Miniatur- Nachahmung der Außenwelt umgeſchaffen. Inmitten duftender Gärten erheben ſich Berge und Felſen; Seen, Flüſſe und Teiche ſind künſtlich nachgebildet, an deren Ufern zierliche Pagoden, Thürmchen, Luſthäuſer und ſelbſt ein von Frauen gehaltener Bazar aufgebaut ſind. Mit der Oberaufſicht dieſes Serails iſt eine bejahrte Oberhofmeiſterin betraut, welcher hundert Dienerinnen beigegeben ſind, um die Aufführung der Königin, ſo wie der übrigen Bewohnerinnen dieſes Weiberſtaats, der gegen 3000 Seelen zählt, zu controlliren. Daß es an Liebes— Intriguen unter dieſen Damen nicht fehlt, iſt natürlich, aber der König hat für dergleichen Fehltritte ein abgekürztes Strafverfahren eingeführt, indem er die ſchuldigen Damen entweder mit Lanzenſtichen tödten, oder, in Säcke genäht, in den Fluß ſtürzen läßt. Prinzen, welche auf uner— laubter Verbindung mit den Damen des Serails ertappt werden, wer— den in eine Pagode geführt, dort zu Tode geprügelt und ſodann, in Säcke genäht, gleichfalls in den Fluß geworfen. Außer dieſen vorhererwähnten Baulichkeiten umſchließt die große Palaſtmauer noch die Arſenale, die Ställe für die Elephanten und Pferde, Magazine, ſo wie ein Theater und mehrere Pagoden. In einer dieſer Pagoden, deren Fußboden mit einem ſilbernen Flechtwerk bedeckt iſt, befinden ſich zwei Statuen des Buddha, die eine, 4 Fuß hoch, maſſiv von Gold, die andere, eine Elle hoch, aus einem einzigen Smaragd !) gearbeitet. Die Einkünfte, welche der König von Siam bezieht, beſtehen 1) aus dem Tribut der tributpflichtigen Könige. Dieſe haben alle drei Jahre dem Könige von Siam einen Tribut, beſtehend in goldenen und ſilbernen Baumzweigen oder Blumen, in Goldſtaub, Elfenbein, Teak— holz, Benzoe, Gummigutti, Lack, Kardamom und anderen Handels— artiktln zu entrichten, die in die königlichen Magazine wandern. 2) Jedes bebaute Feld iſt mit einer Abgabe von einem Tical pro Morgen beſteuert, welche Steuer zur Zeit der Reiserndte durch die ) Dieſe Angabe iſt ſicher unrichtig, da bisher noch nie ein Smaragd von ſol— cher Größe gefunden worden iſt. G. — Der König von Siam und fein Hof. 203 Beamten des Königs eingezogen und entweder baar oder in Na— turalien entrichtet wird. Bei jeder neuen Thronbeſteigung wird ein neuer Cataſter für die Ländereien, Gärten und fur die auf denſelben wachſenden Fruchtbäume entworfen. Jeder Fruchtbaum unterliegt einer beſonderen Abſchätzung, und die Beſitzer haben, ohne Rückſicht auf die Fruchtbarkeit der Jahre oder darauf, ob der eine oder andere Baum im Lauf der Zeit abſtirbt, die Steuer zu bezahlen. Jedoch ſteht es auch wiederum dem Eigenthuͤmer frei, Nachpflanzungen in beliebiger Anzahl vorzunehmen, ohne daß demſelben innerhalb der oben angege— benen Steuer-Periode eine höhere Beſteuerung erwachſen kann. 3) Eine Haupteinnahme für den Schatz bilden die ſeit etwa 40 Jahren einge— führten Monopole. Auf Arak, Thee, Tabak, Oel, Fackeln, Palmblättern, die zur Bedeckung der Häuſer benutzt werden, auf Kohlen, Brenn— holz, auf dem Fiſchfang, der Bearbeitung der Minen, dem Marktver— kehr, der Lotterie ꝛc. ruhen königliche Monopole. Faſt jeder Betriebs— zweig iſt mithin monopoliſirt, und leicht erklärlich iſt es, welche Miß— bräuche bei der Beſtechlichkeit der Beamten, und der Strenge, womit dieſe Abgaben eingezogen werden, aus dieſer Einrichtung entſtehen, und in welchem beklagenswerthen Zuſtande die ärmere Volksklaſſe ſich dadurch befindet. 4) Eine nicht minder drückende und den Verkehr hemmende Beſteuerung iſt diejenige, der die mit Waaren beladenen Fluß⸗Barken durch die Douaniers ausgeſetzt find. Von allen Seiten offene Wachthaͤuſer find an den Ufern der Flüſſe in kurzer Entfernung von einander errichtet. Jede beladene Barke wird von den Zollbeam— ten durch eine Glocke angerufen, durchſucht und doppelt beſteuert, ein— mal nach der von dem Könige beſtimmten Taxe, dann aber durch die Zollwächter ſelbſt, welche, da ſie keinen Sold beziehen, ſich mit dieſem oder jenem Theil der Fracht für ihre Mühewaltung ſchadlos halten. Die Beſteuerung der Junken und aller zur Meerfahrt geeigneten Schiffe bildet die 5. Klaſſe der Einkünfte des Königs. Die Segel-Barken find mit 8 — 40 Tical !), die kleinen Junken mit 40 — 60, und die 9. Das Silbergeld in Siam, in Geſtalt einer plattgedrückten Kugel, trägt zwei Stempel, welche das Wappen des Königs zeigen. Die größte Silbermünze hat das Gewicht und den Werth von 6 Francs; die darauf ſolgende Münze im Werth von 3 Francs heißt bat (Tical); die dritte, song -salüng genannt, gilt 30 Sous, die vierte, salung, hat den Werth von 15 Sous, die fünfte, fuang genannt, beträgt 74 Sous. 1200 Coris-Muſcheln gehen auf einen ſuang. In den entfernteren Provinzen geftattet der König den Gebrauch von Münzen aus Kupfer, Glasfluß oder Emaille. 204 W. Koner: großen Junken mit 80 — 200 Tical befteuert Was die Schiffe frem— der Nationen betrifft, ſo wird die Abgabe nach der Breite des Schiffs— gefäßes beſtimmt (die Toise zu 1000 Tical = 3000 Francs berech— net), eine Taxe, die früher, wo man den Ausländern, namentlich den Engländern, den Handel mit Siam erſchweren wollte, 1700 Tical pro Toise betrug, und erſt feit vier Jahren ermäßigt worden iſt. 6) End— lich erwächſt aus den Prozeßkoſten und Confiscationen eine erkleckliche Staatseinnahme, da in Siam Prozeſſe an der Tagesordnung find, und die ſiameſiſchen Advocaten, was die ſchnelle Führung der Prozeſſe betrifft, faſt ihre Amtsgenoſſen in manchem der deutſchen Gauen zu copiren ſcheinen. Confiscationen ſind im Ganzen ſelten, dann aber um ſo ſtrenger, da ſie ſich gewöhnlich nicht blos auf das Eigenthum einer Perſon, ſondern ganzer Familien erſtrecken. Um ſich einen Begriff von den Geſammteinkünften des jetzigen Regenten von Siam machen zu können, hat Herr Pallegoir die einzelnen Steuerſätze zuſammengeſtellt, woraus ſich die Summe von 80,892,000 Francs ergiebt. Rechnet man dazu die Geſchenke der tributären Könige, ſowie die Einnah— men von den Strafen, Confiscationen und außergewöhnlichen Auf— lagen, ſo wird man einſehen, daß die Einkünfte des Königs eben nicht unbedeutend ſind, zumal da eine Schuldenlaſt wohl ſchwerlich auf dem Lande haften dürfte. Freilich hat der König auch ſämmtliche Gehälter für ſeinen zahlreichen Hofſtaat, für die Beamten, das Heer und die Flotte aus ſeinen Einnahmen zu beſtreiten. Neben dem erſten Könige exiſtirt in Siam ein zweiter König, früher uparat, jetzt vagna genannt, entweder ein Bruder des erſten Königs, oder aus der Zahl naher Verwandter zu dieſer Würde erhoben. Sein Palaſt, ebenfalls in Bangkok gelegen, gleicht an Ausdehnung und Pracht dem des erſten Königs, und wird ihm von den Siameſen, da er mit den Inſignien der königlichen Würde bekleidet iſt, dieſelbe Verehrung gezollt, wie dem Könige ſelbſt. In Kriegszeiten der Oberfeldherr der Truppen, iſt er im Frieden bei allen wichtigen Regierungsgeſchäften der Beirath des erſten Königs. Selbſt die ſtrenge Etikette fällt zwi— ſchen beiden Königen weg, und nur durch Aufheben der beiden Hände bezeugt der Vagnz bei den Audienzen feine Ehrfurcht vor dem oberſten Herrſcher. Der Staatsſchatz fteht jederzeit dem Vagna offen, nur muß derſelbe, ſobald er eine Summe aus demſelben zu erheben wünſcht, | | | A Der Koͤnig von Siam und ſein Hof. 205 ſeine Forderung vom erſten Könige unterſiegeln laſſen, worauf der Schatzmeiſter die verlangten Gelder verabfolgt. In Würde nach dem Vagna folgt der Vanglang oder Vicekönig, jederzeit ein Prinz von königlichem Geblüt. Er verbindet das Amt eines oberſten Richters über Ausſchweifungen der Damen des Serails, der Prinzen und der Mandarinen mit dem eines Polizeidirectors für die Hauptſtadt und deren nächſte Umgebung. Ihm gleich an Rang ſtehen drei andere Prinzen, Krommaluäng genannt, hinter welchen eine zweite und dritte Rangſtufe von je vier Prinzen folgt, erſte Krommakhun, letzte Krom— mamun genannt. Sämmtliche hohen Hofämter ſind von dieſen zwölf Prinzen bekleidet: der 1. und 7. iſt der Oberſtallmeiſter für die könig— lichen Elephanten und Pferde, der 2. der Admiral der königlichen Cor— vetten, der 3. Chef der in Siam wohnenden fremden Nationalitäten, der 4. der Oberaufſeher des Ackerbau's, der 5. der Juſtizminiſter, der 6. der Chef des königlichen Obertribunals, der 8. der Chef des Me— dizinalweſens, der 9. der Feldzeugmeiſter, der 10. der Intendant der Bergwerke, der 11. der Chef der Maler und der 12. das Oberhaupt der Bonzen oder buddhiſtiſchen Prieſter, welche ſich Phra, d. h. die Großen, nennen, von den Europäern mit dem Namen Talapoine be— zeichnet werden, ein Name, der von dem Fächer, talapat (Palmbaum— blatt), den dieſe Prieſter tragen, entſtanden iſt. Sämmtliche andere Prinzen, deren Zahl ſich oft auf 2 — 300 beläuft, ſind ohne Amt, und erhalten eine ſo geringe Apanage, daß ſie ſich ihren Lebensunterhalt durch Betreibung bürgerlicher Gewerbe verſchaffen müſſen. Die übrigen Staatsaͤmter werden von den in fünf Klaſſen ge— theilten Mandarinen beſetzt. Für dreiunddreißig der bedeutendſten ſind die Mandarinen der erſten drei Klaſſen beſtimmt. Aus ihnen gehen die Gouverneure der Provinzen, die Chefs der in Siam wohnenden Peguanen und Malayen, die Palaſtgouverneure, der Schatzmeiſter, der Miniſter des Ackerbaues, die Befehlshaber der Leibgarden, die Pagen— aufſeher und die hoͤchſten Militär-Beamten hervor. Die Mandarinen der 4. und 5. Klaſſe, die bei weitem zahlreicheren, heißen Phra und Luang. Sie bilden die Bürgermeifter der Städte dritten und vierten Ranges, während die Städte zweiten Ranges, die Hauptſtädte der Provinzen, unter Mandarinen der erſten drei Klaſſen geſtellt ſind. Bangkok und jene Städte, in welchen tributpflichtige Könige ihren Sitz 206 W. Koner: haben, bilden die Städte erſter Klaſſe. Sämmtliche Aemter erben vom Vater auf den Sohn, wenn nicht etwa durch die allzugroße Jugend des letzten oder durch den Machtſpruch des Königs eine Ausnahme von dieſer Regel eintritt. Jeder Beamte iſt verpflichtet, zweimal im Jahre den Eidestrunk zu trinken, und jeden dawider Handelnden trifft unfehlbar Gefängnißſtrafe. Nur den zum Chriſtenthum übergetretenen Beamten iſt dieſe Ceremonie, als mit ihrem Glauben nicht vereinbar, erlaſſen worden. Ihr Gehalt empfangen die Beamten jährlich im No— vember vom Könige. Die Prinzen und Miniſter beziehen ein Ein— kommen von 1600 Tical (4800 Francs), die Mandarinen der erſten drei Klaſſen erhalten 160 bis 960 Tical (480 bis 2880 Francs), die Mandarinen der vierten und fünften Klaſſe 60 bis 120 Tical (180 bis 360 Francs), die unteren Beamten 16 bis 40 Tical (48 bis 120 Francs), und die Soldaten, Trabanten, Aerzte und Handwerker 10 bis 12 Tical (30 bis 36 Francs). Die ganze übrige Maſſe der Bevölkerung, welche, mit Ausnahme der nach Siam überſiedelten Chineſen, dem Könige dienſtpflichtig iſt, wird raxa-kan genannt und zerfällt in fünf Klaſſen. Die erſte Klaſſe bilden die Soldaten. Siam beſitzt gegenwärtig ein Heer von etwa 10,000 Mann regulairer Infanterie und Artillerie, das von engli— ſchen Offizieren auf europäiſche Art einerercirt iſt. Ihre Bekleidung beſteht in rothen, blauen oder grünen Tuchweſten, in bis zu den Knieen reichenden Beinkleidern, deren Farbe nach den verſchiedenen Compagnien verſchieden iſt und in einem Hut von Stroh oder Bambus. Ihre Be— waffnung iſt durchaus mangelhaft und ungleichmäßig. Die zweite Klaſſe bilden die khao-duen, Handwerker, welche während dreier Mo— nate im Jahre zu Frohndienſten bei Feſtungs-, Palaſt- und Pagoden- bauten, ſowie bei Canal- und Wegebauten verpflichtet ſind. Mit einer Summe von 16 Tical können ſie ſich aber von dieſer Verpflichtung befreien, und dieſes Löſegeld bildet eine nicht unbeträchtliche Einnahme für die gering beſoldeten Beamten, unter deren Leitung jene Bauten geſtellt ſind. Zur dritten Klaſſe werden die Einwohner gerechnet, welche zwar frei von Frohndienſten, doch dem Staate einen jährlichen Tribut von 8 bis 12 Tical zu entrichten haben, ein Tribut, den ſie ent— weder baar oder in Naturalien bezahlen. Diejenigen Leute, welche zu Dienſtleiſtungen der Prinzen und Mandarinen beſtellt ſind, bilden die Ze EEE F x 1 Der König von Siam und fein Hof. 207 4. Klaſſe, und werden LER genannt. Auch fie entrichten einen jährli— chen, wenn auch unbedeutenden Tribut an den Schatz, im unvermögen— den Falle aber bezahlen die Herren für ſie dieſe Abgabe, wodurch als— dann die Léks in das Verhältniß von Sklaven zu ihren Gebietern treten. Die letzte Klaſſe, welche faſt ein Drittheil der Bevölkerung aus— macht, beſteht aus Sklaven. Sie zerfallen wiederum in drei Klaſſen, in Kriegsgefangene, in Sklaven, die ſich nicht loskaufen dürfen, und in gewöhnliche Sklaven, welche ſich die Freiheit erkaufen können. Die Kriegsgefangenen werden von dem Könige an die Mandarinen je nach ihrem Range vertheilt, jedoch ſteht es ihnen frei, ihren Dienſt zu wechſeln, ſobald ihr erſter Herr für ſie ein Löſegeld von 48 Tical bezahlt. Ein ſchlimmeres Loos haben die Sklaven der zweiten Klaſſe. Von ihren Eltern in zartem Alter verkauft, können ſie ſich, da eine Befreiung aus ihrem Joche ihnen geſetzlich abgeſchnitten iſt, nur durch die Flucht der Willkühr ihrer Herren entziehen. Die Klaſſe der ge— wöhnlichen Sklaven endlich beſteht aus jenem ärmeren Theile der Be— völkerung, welche aus Armuth gezwungen iſt, ihre Perſon zu ver— kaufen. Nach 20 jähriger Dienſtzeit iſt es dieſen Sklaven geſtattet, ſich gegen Entrichtung der Kaufſumme loszukaufen. Uebrigens iſt mit ge— ringer Ausnahme das Loos dieſer Sklaven weniger ſchlimm, als das der afrikaniſchen Sklaven, da die ſiameſiſche Gutmüthigkeit ſich beſon— ders in der humanen Behandlung ihrer Dienſtleute zeigt. Schließlich geben wir hier eine Ueberſicht der gegenwärtigen Be— völkerung von Siam. Die Einwohnerzahl beträgt etwa 6,000,000, eine Zahl, die keinesweges mit dem Flächenraume von 12,330 ◻HJMei— len, welchen das ſiameſiſche Gebiet umfaßt, im Verhältniß ſteht. Nach den verſchiedenen Nationalitäten vertheilt ſich dieſe Bevölkerung folgender— maßen: 1,900,000 Siameſen, 1,500,000 Chineſen, 1,000,000 Malaien, 1,000,000 Einwohner von dem Volke der Laos, 500,000 Cambodgier, 50,000 Peguanen und 50,000 Kariang's, Kong's und Lava's, drei Bergvölker. Nach der politiſchen Eintheilung zerfällt Siam in das eigentliche Siam mit 41 Provinzen, die nach den einzelnen Haupt— ſtädten in ihnen benannt werden; ferner in das Königreich Ligor, die N vier malaiſchen Staaten Quedah, Patani, Calantan und Tringanu, einen Theil des Königreichs Cambodga (früher Kamphura, jetzt Khmer genannt), den Staat Muang Korat und in die Laos-Völkerſchaften: 208 W. Koner: Kieng-Mai, Laphün, Lakhon, Muang-Phre, M'uang-Nan, M'uang⸗ Lam und Luäng-Phrabang. Ueberſicht der Literatur über Siam. The voyage of Mr. Ralph Fitsch Merchant of London to Bengala, Pegu, Jamahey, Siam etc. (1583— 91), in Hackluyt Collection of Navigation. Vol II. Lon- don 1599. Jodoc. Schouten, Descriptio regni Siam serips. 1636, in B. Varenii descriptio regni Japoniae et Siam. Cantabrigae 1673. Delisle, Relation historique du royaume de Siam. Paris 1686. Relation de l’ambassade de Mr. le chevalier de Chaumont à la cour du Roy de Siam. Paris 1686. — — — Uoeberſetzt in's Holländiſche. Amſterdam 1687. Journal du voyage de l’abbe de Choisy à Siam. Paris 1687. — — — — — — Amsterdam 1687. — — —— — — Trévoux 1741. Premier voyage de Siam des PP. Jesuites envoyés par le Roy aux Indes et à la Chine, redigé par le P. Tachard. Paris 1686. Second voyage etc. ete. Paris 1689. — — — Middelbourg 1689. — — — Ueberſ. in's Holländiſche. Utrecht 1688. — —— — — — Amſterdam 1689 und 1700. Curieuſe und merkwürdige Reiſe nach Siam. Hamburg 1706. (Eine Ueberſetzung der Reiſe des P. Tachard.) Histoire naturelle et civile du royaume de Siam, divisee en quatre parties, par (Nic. Gervaise). Paris 1688. Marcel Leblanc, Histoire de la revolution de Siam, arrivee en l’annde 1688. Lyon 1692. Relation de plusieurs voyages de la Compagnie des Indes des Provinces-Unies à Siam et autres lieux. Leyden et Amsterdam 1692. 1735. 1761. Jerem. van Vliet, Description du royaume de Siam, contenant l'histoire de V’ori- gine, du gouvernement politique etc. Leyden 1692. de La Loubère, Description du royaume de Siam. Paris 1691. — — — Suivant la copie imprimée à Paris Amsterdam 1691. — — — — Paris 1700 und 1714. d’Orl&ans, de la Comp. de Jesus, Histoire de Mr. Constance, premier ministre du Roy de Siam. Tours (Paris) 1690. — —, Paris 1692. — — — Amsterdam 1756. Route par terre de Siam jusqu’ä la Chine tirde du mémoire de quelques Chinois qui ont fait le chemin; in Du Halde, Deser, de la Chine. Edit. à la Haye 1.736. P. I. 5 125 Turpin, Histoire civile et naturelle du royaume de Siam et des revolutions qui ont bouleversé cet royaume jusqu’en 1770. Paris 1771. F John Crawfurd, Envoy journal of an embassy from the Governor General of India to the courts of Siam and Cochin- China ete. London 1828. Thom. Stamford Raffles, The mission to Siam and Hué, the capital of Cochin- Chine, in the years 1821 —22 from the journal of the late George Finlayson. London 1826. — — — Aus dem Engl. überfegt. Weimar 1827. Mission to Siam and Gochin-China in 1822, in dem Asiatic Journal XIX. 1825. 1 12. 122. Expulsion of the French from Siam in 1688. — ibid. XIII. 1822. p. 459. Siam. — ibid. XXV. 1828. p. 9. Capt. Burney mission to Siam; in der Calcutta Gov. Gaz. Febr. 1825. Excursion in Siam, in dem Asiatic Journal XXIV. 1827. p. 55. British commerce with Siam. — ibid. XXIV. 1827. p. 570. Richardson, Visit to Laos. — ibid. III. 1830. p. 254. J. T(omlin), Journal kept during a voyage from Singapore to Siam and while residing 9 months in that country. Singapore 1829. SGätszlaff, Verslag van een driejarig verblifk in Siam, Rotterdam 1833. , Extract from the journal of a residence in Siam and voyage along the coast of China to Mantchou Tartary, in dem Journal of the R. Geograph. Society. III. 1834. p. 291. An account of the Karens, a race of people inhabiting the mountainous parts of the Burman empire and Siam, im Calcutta Christian Observer II. 1833. p. 517. Carl Ritter, Erdkunde von Aſien. Bd. III. Berlin 1834. Palle goix, Itinéraire de Jouthia à Xai- Nat, in dem Bullet. de la Soc. de Géogr. II ne Ser. II. 1834. p. 41. , Notice sur le Laos. — ibid. IIe Ser. V. 1836. p. 39. 59. . Low, On the government of Siam, in den Asiatic Researches. XX. 1836. p. 245. * Edmund Roberts, Embassy to the eastern coasts of Cochin- China, Siam and Munset, during the years 1832 — 34. New- Vork 1837. Pallegoix, Leure sur le royaume de Siam et de Tonkin, in dem Bullet. de la Soc. de Géogr. IIe Ser. X. 1838. p. 100. — , Notice géographique sur plusieurs provinces du royaume de Siam. — ibid. X. x p- 102. —, Relation d'un voyage ä Chanthaburi, suivi d'un apercu sur la tribu des Tehongs. — ibid. IIe Ser. XII. 1839. p. 169. Clemenceau, Note sur un voyage de Bangkok à Pak-Phreck. — ibid. II ue Ser. XIII. 1840. p. 35. Siam and Quedah, in dem Asiatic Journal. New Ser. XXXV. 1841. p. 144. 216. Journal of a mission from the Supreme Government of India to the court of Siam, in dem Journ. of the Asiat. Soc. of Bengal. VIII. 1840. p. 1037. IX. p. 1. 219. Grandjean, Voyage et sejour dans le royaume de Laos, in der Revue de l’Orient. IX. 1846. p. 57. Palle goix, Sur l’origine des Siamois, in dem Bullet. de la Soc. de Géogr. III e Ser. IX. 1848. p. 369. Gützlaff, The country of the Free-Laos, in dem Journ. of the R. Geogr. So- ciety. XIX. 1849. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 14 Ueberſicht der Literatur über Siam. 209 * 1212 3 210 Die Javaneſen. Analysis of the aneient annals of Siam, in dem Journ. of the Indian Archipel. III. 1849. p. 568. O’Riley, Notes on the f tracts of the country lying between the head of the Zimmi river and the source of the Kaundra, adjacent to the Siamese border province of Ryout Raung. — ibid. IV. 1850. p. 164. F. A. Neale, Narrative of a residence in Siam. London 1852. Miche, Excursion au pays des Laos, au mois de juillet 1853, in den Nouv. Annal. d. voyages. 1854. I. p. 331. Pallegoix, Description du royaume Thai ou Siam. Paris 1854. —, Meémoire sur la mission de Siam. Paris 1854. (Ein Auszug aus dem größe— ren Werke.) W. K . oner. VII. Die Javaneſen ). Künſte und Wiſſenſchaften ſind bis auf einige wenige Aus— nahmefälle den Javaneſen völlig fremd. Malerei war ihnen bis auf die neueſten Zeiten, wo der Radeen Aleh, ein überaus talentvoller junger Mann, durch Bevorwortung des dortigen holländiſchen Gou— verneurs auf Befehl der holländiſchen Regierung nach Europa geſchickt wurde und eine ſeinen hervorragenden Anlagen angemeſſene Aus— bildung erhalten hat, gänzlich unbekannt. Eben ſo wenig pflegen ſie Bildhauerei. Die Muſik befindet ſich, ſo beliebt ſie iſt, auch noch auf einer ſehr niederen Stufe. Die Kunſt, Gedanken durch Schriftzeichen Anderen mitzutheilen, hat gleichfalls erſt in dieſem Jahrhunderte eine etwas größere Ausdehnung gewonnen. Sie iſt jedoch trotzdem noch ausſchließlich in den Händen der Prieſter und der vornehmſten Fami— lien. Häuptlinge, ſowie Perſönlichkeiten, welche mit der holländiſchen Regierung in häufige Berührung kommen, fangen bereits an, ſich der holländiſchen Sprache und Schriftzeichen zu bedienen. Das einzige urſprünglich in javaniſcher Sprache geſchriebene Werk 1) Dieſer Auſſatz bildet die Fortſetzung des in den II. Band S. 81 — 125 dies fer Zeitſchrift aufgenommenen. Er iſt nach den Memoiren des königl. niederländiſchen Majors a. D. Dietrich durch den Herrn Dr. Lazari hierſelbſt verfaßt worden und, wo ſich in demſelben Bemerkungen und Anſichten ausgeſprochen finden, ſind es immer die des genannten Beobachters. Gumprecht. ·7EEEEENEi! — — -D u un ar Die Javaneſen. 211 iſt die Mythologie der Javaneſen, welche 1725 auf Befehl des Suſſu— hunan (Kaiſers) von Surakartä, Paku Buwono II., durch einen ge— wiſſen Kyahi Karto Moodſodko niedergeſchrieben worden iſt. Mathe— matik, Phyſik, Geographie und Geſchichte haben auf Java noch keine pflegende Hand gefunden. Die Aſtronomie wird äußerſt dürftig und in den roheſten Formen betrieben. Sie diente den Javaneſen bisher nur zur ohngefähren Beſtimmung der Tageszeit und zur Orientirung auf Reiſen und militäriſchen Märſchen. In Gegenden, wo der Javaneſe durch europäiſche Uhren das richtige Zeitmaaß einer Stunde zu erlangen im Stande iſt, haben ge— wiſſe Scharfſinn verrathende Vorkehrungen bereits Platz gegriffen. So z. B. habe ich Kokosnußſchalen mit einer unten am Boden angebrachten kleinen Oeffnung daſelbſt vorgefunden. Auf das Waſſer gethan, bedurfte es ungefähr einer vollen Stunde, bevor das zum Unterſinken der Schale erforderliche Waſſer durch die erwähnte Oeffnung eingedrungen war. Der geringe Beſitz zweckmäßiger Inſtrumente liefert den ſchlagend— ſten Beweis, auf welcher verhältnißmäßig niederen Stufe gewerblicher Bildung der Javaneſe ſich befindet. Er hat es in manchen Dingen, z. B. in Anfertigung goldener Schmuckſachen, in Schnitzereien von Kokosnußſchale und hartem Holz zu Trinkgeſchirren, Suppenkellen und Waffenklingen, ferner im Spinnen, Färben und Weben der Baumwolle und Seide, im Flechten von Decken aus Baſt und Rohr, im Schmie— den von Stich- und Hiebwaffen in gewiſſer Beziehung zwar recht weit * 1 1 gebracht, aber er bedarf zur Anfertigung dieſer Kunſtprodukte einer Geduld, die wahrhaft namenlos iſt und wohl nur dem Javaneſen eigen ſein dürfte. In Städten und Gegenden Java's, wo induſtriöſe Eu— ropäer oder Chineſen wohnen, werden zwar fremdländiſche Gewerbs— zweige, wie die Anfertigung von Schuhen und Stiefeln, zu Same— rang auch ſchon von Eingeborenen, betrieben; im Innern des Lan— des kennt man aber etwas derartiges noch nicht. Die Hauptthätigkeit der arbeitenden javaniſchen Bevölkerung erſtreckt ſich daher mit Aus— nahme der Städte- und Küſtenbewohner in Friedenszeiten faſt aus— ſchließlich auf den Reisbau und Tauſchhandel. In den Städten da— gegen und namentlich in Samerang giebt es weniger Landbebauer, * 8 \ 5 “ “ * als Leute, welche ein gelerntes Handwerk, wie das eines Zimmer— manns, Maurers, Ziegelſtreichers, Töpfers, Eiſen-, Kupfer-, Silber: 14 * 212 Die Javaneſen. und Goldſchmieds, eines Schuhmachers, Schneiders, Sattlers, Färbers, Webers und dergl. treiben. Die Küſtenbewohner legen ſich wiederum ausſchließlich auf den Fiſchfang, der ſehr bedeutend iſt, während noch andere meiſt der ärme— ren Klaſſe angehörende Javaneſen ſich mit Reinigung der Wäſche, mit Bedienung reicher Europäer, mit Laſttragen u. ſ. w. in den Städten und Hafenplätzen beſchäftigen. Was die Erziehung der Kinder anbelangt, ſo wird für dieſelbe in früheſter Jugend wenig Sorge getragen. Der herrſchenden Landes— ſitte gemäß läßt man die Kinder bis zum ſechſten Lebensjahre bei Re— gen und Sonnenſchein ganz nackt umherlaufen. Reiche Familien in den Städten pflegen höchſtens nach dem Vorbilde wohlhabender Chi— neſen dem nackten Kinde einige metallene Zierrathen umzuhängen. Mehr Sorgfalt, als der Körperbedeckung, widmet man dem Gedeihen der Haare, welche einerſeits in der Abſicht, das Wachsthum derſelben zu fördern, andererſeits um dem Ueberhandnehmen des darin ſich vor— findenden Ungeziefers einigermaßen zu wehren, von Zeit zu Zeit abge— ſchoren werden. Mit erſichtlicher Mühe gewöhnt man auf Java das Kind in frü— heſter Jugend ſchon daran, über alle Maßen viel zu eſſen. Der Säugling wird dieſer barbariſchen Sitte zufolge mit einem Brei von gekochtem Reis und reifen Piſangfrüchten derartig vollgeſtopft, daß er zuletzt nicht mehr weiß, wie er den ihm gewaltſam eingezwungenen Speiſebrei hinabwürgen ſoll. Aeltere Kinder ſieht man ſprichwörtlich den ganzen Tag hindurch eſſen oder, wenn es die Mittel der Eltern erlauben, an Naſchwerk ſich ergötzen. Sobald ſich das Kind dazu kräftig genug fühlt, folgt es ſeinen Eltern zur Arbeit und Thätigkeit. Reiche Familien dagegen, deren es ſelbſt in den Städten unverhältnißmäßig wenige giebt, ſchicken ihre Kinder wohl auch, wenn ſie ſich bereits dazu eignen, in die Schule, wo ſie, von Prieſtern unterrichtet, beten, ſchreiben und leſen lernen. Zu den techniſchen Fertigkeiten, für welche man bei Erziehung der Kinder beiderlei Geſchlechts wohl die meiſte Sorge zu tragen gewöhnt iſt, gehört vor Allem die Tanzkunſt. Mädchen ärmeren Standes bil— den ſich auf dieſem Wege, wie bereits erwähnt (Zeitfchrift II, 119), zu Bajaderen und Tanzlehrerinnen heran, während der Mann im Zwei— Die Javaneſen. 213 kampfe und als Vorkämpfer in der offenen Schlacht, der Landesſitte ge— mäß, dem Feinde tanzend entgegen zu gehen pflegt Zeitſchrift II, 121). Die auf Java herrſchende Standes- und Rangordnung zerfällt zunächſt: 1) In zwei unumfchränft herrſchende erbliche Fürſten: den Sul— tan von Djockjakarta und den Suſſuhunan (Kaiſer) von Surakarta. 2) In ehemals erbliche unbeſchränkte, jetzt aber gänzlich machtloſe Fürſten, welche ihr Land gegen ein Jahresgehalt an die Holländer abgetreten haben, wie dies mit dem Sultan zu Cheribon und dem Sultan zu Bantam der Fall iſt. 3) In Fürften, welche von der holländiſchen Regierung an die Stelle der vorigen als Reſidenten eingeſetzt wurden und aus Dank— barkeit für geleiſtete Dienſte den Fürſtentitel auf Lebenszeit erhielten. Außerdem befindet ſich noch am Hofe des Sultan von Djock— jakarta ſowohl, als an dem des Suſſuhunan von Surakarta ein von der holländiſchen Regierung beſtellter Reſident. Er vertritt die Stelle eines Geſandten, welcher ſeit der 1825 unter Dipo Nagoro ausge— brochenen Revolution den Regenten in ſeinen Plänen und kriegeriſchen Unternehmungen zu überwachen hat. 4) In Adi Patti. Iſt ein ſolcher, was meiſt der Fall zu ſein pflegt, von hohem Adel, ſo führt er vor ſeinem eigentlichen Titel Adi Patti noch den eines Radeen. Der Radeen Adi Patti am Hofe des Suſſuhunan von Sura— karta, ſowie der Radeen Adi Patti am Hofe des Sultan von Djockja— karta ſind im wahren Sinne des Wortes Reichsverweſer oder erſte Miniſter ihres Regenten. In den Gebietstheilen der holländiſchen Re— gierung dagegen ſteht der Radeen Adi Patti unter dem Reſidenten und führt den Titel „Regent“. 5) Unter dem holländiſchen Radeen Adi Patti ſteht wiederum der $ Tommongong (oder Radeen Tommongong, wenn er von Adel ift), 2 Alkalde in Spanien iſt. u a Diftriets- Oberhaupt. 6) Der einfache Patti (oder Radeen Patti) ift ohngefähr das, was der Buͤrgermeiſter in Deutſchland, der Maire in Frankreich, der 7) Das Oberhaupt eines großen Dorfes führt den Namen Demang. 8) Das Oberhaupt eines kleinen Dorfes endlich heißt Kuvu. 214 Die Japaneſen. Dies iſt die hauptſächlichſte Rangordnung des amtlichen und in ſtufenweiſer Unterordnung gebietenden Theiles der Bevölkerung auf Java. Wollte man die übrige Bevölkerung dieſes Landes noch claſſi— fiziren, ſo würde man im Allgemeinen nur drei Stände zu nennen ha— ben, nämlich: 1) den beſitzenden Stand, 2) den beſitzloſen Stand, deſſen Angehörige ſich gegen Löhnung zu Arbeit und Dienſten verdin— gen, und 3) Sclaven oder den eigentlich dienenden Stand, der ſich aus dem früheren hier üblichen Sclaventhume herausgebildet hat. Von dem beſitzenden Stande iſt zu bemerken, daß er ſich, je nach dem Werthe oder Umfange des zufälligen Beſitzthumes, ſtreng genom— men wieder in mehrere Unterabtheilungen bringen ließe, und zwar: 1) In Leute, welche die nöthigen Baulichkeiten, Land, Ackerge— räthſchaften und Vieh beſitzen. 2) In ſolche, welche wohl Baulichkeiten, Ackergeräthſchaften und Vieh beſitzen, das zum Reisbau erforderliche Land aber in Pacht nehmen. 3) In Perſonen, welche weder Vieh, noch Land beſitzen und höch— ſtens ein äußerſt dürftiges Obdach ihnen eigen nennen dürfen. Sie bilden den Uebergang zu dem ganz beſitzloſen, gegen Löhnung ſich zu allerlei Dienſten verdingenden Proletariat in den Städten und Hafenplätzen und unterſcheiden ſich von dem letzten eben nur durch den Beſitz eines armſeligen Obdachs und werden, wie die ganz Beſitzloſen, Kulie genannt. Sie unterſtützen, wie die beſitzloſen Kulie's, die wohlhabendere be— ſitzende Klaſſe in Ausübung der mannigfachſten Beſchäftigungen und werden namentlich zu Dienſtleiſtungen, die von größeren Häuptlingen aus freiem Antriebe oder auf Verlangen der holländiſchen Regierung einem Kampong (Dorfe) auferlegt werden, benutzt. Unter dieſen Kulie's ſelbſt herrſcht inſofern wieder eine gewiſſe Abſtufung, daß die den Pferden beigegebenen Kulie's, Djangol's (Pferde— jungen) genannt, die niederſte Abtheilung ausmachen. Ihre Anzahl iſt unter dem Dienſte thuenden Perſonale von Bedeutung. Es iſt hier nämlich Sitte, daß jedem gegen Lohn oder auf Befehl zum Reiten oder Laſttragen gelieferten Pferde ein ſolcher Kulie oder Djangol beigegeben wird. Derſelbe läuft neben dem Kuda allus, einem ſogenannten guten oder Herrenpferde, ſowohl, als neben dem Kuda gladack, dem gewöhn— lichen Pferde oder Klepper, ſelbſt beim ſchärfſten Trabe, ſtets zu Fuß einher und ſorgt für die nöthige Verpflegung des Thieres. u * 8988 „ Mer A Die Japaneſen. 215 Ueber die zweite Klaſſe des beſitzenden Standes, die ſich durch Fleiß und unermüdliche Strebſamkeit auszeichnet, finden wir in einem im Auguſt 1842 von Batavia aus der holländiſchen Regierung über— ſandten Berichte höchſt intereſſante Schilderungen, in welchen gleichzeitig die belehrendſte Auskunft über die auf Java übliche Art und Weiſe des Reisbaues enthalten iſt. Da uns bis jetzt über den Reisbau ſelbſt nur ſkizzenhafte Berichte zu Theil geworden find und jene Schilderungen, in denen unter anderem die große Mannigfaltigkeit der Reis-Sorten (es ſind deren an 50) beſprochen wird, einer eingehenderen Mittheilung werth erſcheinen, ſo behalten wir uns vor, ſpäter darauf zurückzukommen. Als dritter Stand der Bevölkerung auf Java können die mit dem Namen „Polyneſen“ ) belegten Sclaven, deren Anzahl ſich von Jahr zu Jahr vermindert, angeführt werden. Sie ſind aber keine wirklichen Java— neſen, ſondern wurden vor Jahrhunderten aus fernen Inſeln eingeführt und pflanzen ſich heute nur noch auf die Weiſe fort, daß die Kinder jeder Sclavin auch wieder Sclaven werden. Die meiſten Leute dieſes Standes bieten trotz aller Vermiſchung der Sclavinnen mit Europäern und Chi— neſen ſo wahrnehmbare charakteriſtiſche Merkmale dar, daß an ihrer fremdländiſchen Abkunft wohl nicht zu zweifeln iſt. Freigeborene kön— nen hier nie Sclaven werden. Die Zufuhr neuer Sclaven von aus— wärts her iſt ebenfalls ſtreng verboten. Die meiſten Leute dieſes Standes ſind dem muhamedaniſchen Glauben ergeben und haben, was Charakter und Lebensweiſe anbelangt, viel Aehnlichkeit mit den Java— neſen. Sie ſprechen malaiſch und javaneſiſch, bisweilen ſelbſt gebrochen holländifch. Die meiſten von ihnen verrichten die niederen Dienſt— leiſtungen in den Häuſern der Chriſten (Europäer); bei den Chineſen findet man ſie ſchon ſeltener, bei der einheimiſchen Bevölkerung aber gar nicht vor. Einzelne von ihnen treiben wohl ein Gewerbe; es ge— hört dieſes aber zu den großen Seltenheiten und pflegt nur dann vor— zukommen, wenn ein Sclave durch glückliche Zufälligkeiten ſeine Frei— heit erlangt hat. Der ſtete Umgang mit Europäern und Chineſen äußert ſich, was Bildung und feinere Manieren anbelangt, bei den Sclaven in einer ) Der Name Polyneſen ſoll von dem malaiſchen Worte Pulo, Inſel, hergelei⸗ tet fein. (Derſelbe Hätte hiernach alſo mit dem aus dem Griechiſchen gebildeten Worte Polyneſier (für Auſtralier) nichts zu thun. G.) 216 Die Javaneſen. ſo günſtigen Rückwirkung, daß ſie in dieſer Beziehung die Javaneſen im Allgemeinen übertreffen. Die Stellung, welche ſie in der menſch— lichen Geſellſchaft einnehmen, iſt allerdings eine ſehr gebundene, aber keineswegs eine ſolche, wie man es bei der gefürchteten Bezeichnung Selave anzunehmen geneigt iſt. Ihre Lage iſt vielmehr den Kulie's gegenüber in vielfacher Beziehung eine beneidenswerthe. Während der Kulie zum Tragen ſchwerer Laſten und zu anſtrengenden Märſchen in Anſpruch genommen wird, mit magerer Koſt und der nothdürftigſten Bekleidung vorliebnehmen muß und nicht ſelten obdachlos unter freiem Himmel oder unter einem Balkon ſein dürftiges Nachtlager aufſchlägt, wird der Sclave auf Java nie zu ſchweren Arbeiten außer dem Hauſe angehalten. Die Sorge um Kleidung und Nahrung iſt ihm gänzlich fremd, dies iſt ja Sache ſeines Herrn, der auch für das nöthige Ob— dach zu ſorgen verpflichtet iſt. Es kommt ſogar öfter vor, daß Scla— ven beiderlei Geſchlechts, wenn ſie im Dienſte einer milden Familie geboren und mit den Kindern des Hauſes aufgewachſen ſind, wie zur Familie gehörend betrachtet werden. Gleichzeitig überwacht die holländiſche Polizei dieſe Volksklaſſe mit einer ſo außerordentlichen väterlichen Sorgfalt, daß ihr Loos nach allen Richtungen hin ein erträgliches iſt. Jede ſelbſt noch fo geringe Miß— handlung iſt bei einer erheblichen Geldbuße und im Wiederbetretungs— falle bei Verluſt des Anrechts, ſich je wieder Sclaven halten zu dür— fen, unterſagt. Es darf ferner der Mann von der Frau, das uner— wachſene Kind von den Eltern nicht getrennt, ſondern nur in Gemein: ſchaft, wie es dieſe engen Familienbande gerade bedingen, verkauft werden. Der Generalgouverneur Baron van der Capellen ging im Jahre 1824 in der Beſchränkung der Sclaverei ſogar ſo weit, daß keinem Sclaven die Verpflichtung, ſeinem Herrn von Java nach einer anderen Inſel als Sclave zu folgen, mehr oblag. Wer Sclaven be— ſaß und Java verließ, mußte ſie bei ſeinem Abgange verkaufen oder freilaſſen. Als Ausnahmen von dieſer Regel galten nur ſolche Fälle, in welchen die Sclaven freiwillig die Erklärung, ihrem Herrn folgen zu wollen, abgaben. Die ganze Sclaverei auf Java beſchränkt ſich demnach nur dar— auf, daß die betreffenden Individuen an den Dienſt ihres Herrn ge— bunden ſind und vermöge deſſen Eigenthumsrechtes entweder im Wege 9 u u Die Javaneſen. 217 des freiwilligen Verkaufes oder des öffentlichen Meiſtgebotes an einen anderen Herrn abgetreten werden können. Die Erfahrungen, welche ich über die eigentliche Lage der Scla— ven auf Java während eines mehrjährigen Aufenthalts daſelbſt zu ſammeln Gelegenheit hatte, berechtigen mich zu der Behauptung, daß die gänzliche Aufhebung der Sclaverei vielen, wenn nicht ſelbſt den meiſten Sclaven auf Java unwillkommener ſein würde, als ihren Herren. Ungewöhnt an Sorge für den zum Lebensunterhalte erforderlichen Er— werb, würden ſich ſehr viele im Zuſtande der Freiheit nach ihrem frü— heren Looſe wieder zurückſehnen und die viel geprieſene Erhebung zur vollen Menſchenwürde gern mit der ehemaligen Gebundenheit vertau— ſchen. Mangel und Entbehrung, zwei Dinge, welche der Kulie mit einem wahrhaft ſtoiſchen Gleichmuth erträgt, würden dieſe Sclaven tiefer beugen, als der Verluſt völliger Ungebundenheit, an den ſie von früheſter Jugend an gewöhnt ſind. Daß einzelne Individuen dieſer Klaſſe ſich über ihr Loos beklagen mögen, will ich gern glauben. Sie mögen ſogar ein unbeſtreitbares Recht dazu haben; wer aber vorurtheilsfrei, ohne phantaſtiſche Schwär— merei das eigentliche Weſen der Sclaverei, wie es auf Java ſich all— gemein und offen kundgiebt, näher betrachtet, der wird zugeſtehen müſſen, daß der Sclave daſelbſt ein glücklicheres Loos hat, als Millio— nen armer Landleute und Dienſtboten in dem civiliſirten Europa, welche bei ihrer anſcheinend vollkommenen Ungebundenheit ſich oft mehr ge— fallen laſſen und mehr arbeiten müſſen, als der Sclave auf Java. Die Dienſtboten und armen Landleute Europa's werden zwar nicht verkauft und dürfen ſich freie Menſchen nennen, ſind aber durch Wechſelver— haͤltniſſe und Zufälligkeiten in Wirklichkeit oft eben jo gebunden, wie der javaneſiſche Sclave, ohne den Schutz, deſſen ſich der letzte unter Hollands milder Obhut erfreut, zu genießen. Ihre Freiheit iſt nur zu oft mit Kummer und drückenden Sorgen, wenn nicht ſelbſt mit Noth und Hunger verbunden, ein Preis, der etwas zu hoch iſt und von Vielen nur durch ein unverkennbares Siechthum des Körpers, wenn nicht ſelbſt durch eine erſichtliche Abkürzung der urſprünglichen, den Naturgeſetzen angemeſſenen Lebenszeit aufgewogen werden kann. Außerdem iſt aber noch zu bedenken, daß viele Menſchen, und zwar häufig ſolche, welche mit dem ihnen vom Geſchick zuertheilten 218 Die Javaneſen. Looſe wohl zufrieden ſein könnten, ſich ohne wirklichen Grund über die Härte ihrer Lage beklagen und, weil ſie bei mangelnder Genüg— ſamkeit ſich nach Unerreichbarem vergeblich ſehnen, das Vortheilhafte ihres Looſes unterfchägen. Es iſt dies eine Erſcheinung, die ſich auch auf dem Boden der javaneſiſchen Sclaverei vorfindet und mich zu der Behauptung führt, daß ſo mancher von den über Gebundenheit etwa klagenden Sclaven auf Java ganz anders denken und urtheilen lernen würde, wenn er nur wenige Wochen hindurch ſeine Sclaverei mit der Freiheit ſo manches darbenden, unter dem Uebermaß der Ar— beit hinſiechenden Europäers zu vertauſchen Gelegenheit hätte. Um nur eines einzigen dafür ſprechenden Beiſpiels zu gedenken, will ich folgendes thatſächlich von mir Erlebte wahrheitsgetreu mit— theilen. Einer meiner Freunde zu Samerang, welcher im Beſitze einer aus Mann, Frau und zwei Kindern beſtehenden Sclavenfamilie war, hatte längſt hinreichende Urſache gehabt, ſich über das jüngſte Sclavenkind zu beſchweren. Eine ihm angeborene Milde und aus reiner Gutmüthig- keit hervorgehende Nachſicht ließen ihn aber ſo manches Strafbare über— ſehen, bis endlich dieſes Kind, ein Mädchen von 10 Jahren und täg— licher Spielgenoſſe der Kinder ſeines Herrn, durch ſeine allbekannte Böswilligkeit doch einmal deſſen Unwillen dergeſtalt heraufbeſchwor, daß er eine kleine Strafe für angemeſſen fand. Das Sclavenkind ſuchte ſich aber laut aufſchreiend der wohlver— dienten Strafe durch die Flucht zu entziehen, verlor in dem Augen— blicke, wo es ſich nach meinem ihm nachfolgenden Freunde umſah, von einer Ohrfeige getroffen, das Gleichgewicht und fiel mit dem Kopfe an die Thürpfoſte. Unglücklicher Weiſe war die an ſich unbedeutende Ver— letzung, welche das Kind auf dieſe Weiſe erlitt, mit einer leichten Blu— tung verbunden, ein Umſtand, den die auf das Geſchrei des Kindes herbeieilende Mutter deſſelben inſofern auszubeuten bemüht war, daß ſie wo möglich noch lauter, als das Kind, aufſchrie, daſſelbe auf den Arm nahm und zornentbrannt nach der Polizeibehörde eilte. Mein Freund, ſelbſt erſchrocken über den unglücklichen Vorfall, der gar nicht ſeiner Abſicht entſprach, begab ſich, nachdem die Sclavin be— reits unter lautem Geſchrei die halbe Stadt durchlaufen und, um dem Vorfall eine ernſtere Deutung zu geben, das ganze Geſicht des Kindes 2.» 3 . u 2 Br In einem ungleich höheren Grade, als dies mit den Europäern der Fall iſt, hat die Anzahl der auf Java lebenden Chineſen zugenom— men und zwar bereits ſo mächtig, daß neue Ankömmlinge aus China ſich nicht mehr daſelbſt niederlaſſen dürfen. Abgeſehen davon, daß faſt 3 Die Javaneſen. 219 mit dem aus der Wunde hervortretenden Blute überſtrichen hatte, auch nach dem Polizeibureau. Vergebens erzählte er den wahren Hergang der Sache; er wurde, jo geringfügig auch das Refultat einer forgfäl- tigen Unterſuchung der Wunde ausfiel, zu einer Strafe von 10 Gul— den verurtheilt und mit der Warnung, im Wiederbetretungsfalle ſich nie mehr Sclaven halten zu dürfen, entlaſſen. Außer dieſen Fremdlingen, welche im Wege der Gewalt nach Java gelangten und ſich mit der Zeit hier dergeſtalt eingebürgert haben, daß ſie bei der Beſchreibung der Bewohner Java's unmittelbar nach der urſprünglichen Bevölkerung angeführt zu werden verdienen, leben auf Java noch viele Europäer und Chineſen. Die meiſten der hier lebenden Europäer ſtehen wohl in holländi— ſchen Dienſten und gehören, was Nationalität und Abkunft anbelangt, den verſchiedenſten Völkerſtämmen und Ständen Europa's an. Die größere Mehrzahl dieſer Leute kommt nur vorübergehend und in der Abſicht, in holländiſchen Staatsdienſten ihr Glück zu machen, nach Java. Klimatiſche Beſchwerden und Diätfehler raffen viele von ihnen un— glaublich ſchnell hinweg, während andere aus gejundheitlichen Rück— ſichten oder von unbezähmbarer Sehnſucht nach dem Heimathlande ge— trieben, früher nach Europa wieder zurückkehren, als ſie es urſprüng— lich ſich vorgenommen hatten. Noch andere kommen in Handelsbeziehungen nach Java, meiſt nur um hier einige Zeit zu verweilen und dann wieder abzureiſen. Der kleinere Theil dieſer letzten nur legt hier den Wanderſtab nieder, um ſich eine neue Heimath für die Lebenszeit zu gründen. Trotzdem hat ſich die Zahl der für die Dauer hier wohnenden Europäer im Wege der Fortpflanzung ſchon beträchtlich vermehrt und in den größeren Städten Java's den Typus der urſprünglichen Bevölkerung theilweiſe ganz verdrängt. Heimiſche Sitten und Gebräuche haben ſich mit ihnen hier eingebürgert und es iſt mit den Sitten und Gebräuchen der ur— ſprünglichen Bewohner des Landes eine mehr oder weniger große Ver— Änderung vorgegangen. 220 Die Javaneſen. alle früher nach Java gelangten Chineſen, ſobald ſie hier einigermaßen ihr Fortkommen fanden, ihre neue Heimath nicht mehr verließen, ſo nimmt auch die Zahl der hier weilenden Chineſen durch eine ſegens— reiche Fortpflanzung außerordentlich zu. Unter ſich durch Sitten, Ge— bräuche, Charakter, Religion und Bildung zu einem eigenen, von an— deren Nationen vollſtändig geſonderten Ganzen verbunden, leben ſie hier in Form geſchloſſener Gemeinden mit eigener, dem Oberhohheits— rechte der holländiſchen Regierung unterworfener Gerichtsbarkeit. Ihrer Strebſamkeit wegen für den Europäer in dieſen Gegenden faſt unent— behrlich, bilden ſie, was Zahl und Ueberlegenheit an kaufmänniſchem Geiſte anbelangt, bereits einen wichtigen Theil der Bevölkerung auf Java ſowohl, als in den übrigen holländiſch-oſtindiſchen Beſitzungen. Ungeachtet der alljährlich ſich erneuernden Zuzüge von Europäern und der früheren maſſenhaften Einwanderung von dem näher liegen— den China aus iſt Java verhältnißmäßig noch immer ſehr ſchwach be— völkert. In ſeinem Innern überaus reich an mächtigen Urwäldern, in denen die Dörfer der Javaneſen colonienartig zerſtreut daliegen, birgt es im Bereiche der Thier- und Pflanzenwelt den größten Reichthum. Großartige Treibjagden, welche zur Beluſtigung der holländiſchen Offi— ziere und Beamten durch die größeren Häuptlinge des Landes von Zeit zu Zeit veranſtaltet werden, wirken zwar ſehr verheerend auf den Wildſtand ein; letzte iſt hier jedoch ſo enorm, daß an eine Schonung des Wildes gar nicht gedacht wird. Jeder Jagdliebhaber, der Einge— borene ſo wie der Fremde, kann auf Java nach Herzensluſt ſchießen, wann er will und was ihm gerade zum Schuß kommt. Die einzige Gattung von Wild, welche am eheſten eine nachhal— tige Verminderung erleiden dürfte, iſt die der katzenartigen Raubthiere, die hier durch einen äußerſt kräftigen Schlag von Tigern vertreten iſt. Thieren und Menſchen durch ſeine Kühnheit und Stärke gleich gefähr— lich, gilt der Tiger allgemein für das ſchädlichſte Thier des Landes, zu deſſen allmäliger Ausrottung die holländiſche Regierung durch eine Preisausſetzung von 15 Gulden für jedes lebendig oder todt eingebrachte Stück das ihrige beizutragen bemüht iſt. Am Tage im Dickicht der Urwälder, in Reisfeldern und Schilf— rohr ſich verbergend, umſchleicht er des Nachts die Dörfer und Forts f Die Javaneſen. 221 und raubt mit ungeheurer Kühnheit, was er nur immer zu erreichen j vermag. Ja er geht im Binnenlande in feiner Verwegenheit oft fo weit, daß er ſogar die mit geladenen Schießwaffen und Seitenge— wehren verſehenen Schildwachen überfällt und entführt. Die einzigen Mittel, ſich in Gegenden, wo Tiger exiſtiren, vor einem unerwarteten Unfalle zu ſchützen, ſind bei Tage ſtarker Lärm, lautes Geſchrei und klapperndes Geräuſch, und des Nachts brennende Fackeln. Schuß- und Stichwaffen ſind, da der Tiger ſeine Beute unbemerkt zu beſchleichen und im ſchnellen Sprunge zu ergreifen weiß, äußerſt trügliche Schutzmittel. Bei all' ſeiner Kühnheit und Raubgier iſt der Tiger auch wieder in gewiſſer Beziehung furchtſam und leicht einzuſchüchtern. So z. B. habe ich nie bei einer Treibjagd, ſo viele ich deren auch mitgemacht habe, einen Tiger zum Vorſchein kommen ſehen. Dieſelbe Beobachtung hatten Jagdliebhaber von der hollaͤndiſchen Colonie gemacht und, fo wie ich, bei Treibjagden öfter den Wunſch, einige Tiger zum Schuſſe zu bekommen, in Gegenwart des die Jagd veranſtaltenden Häuptlings ausgeſprochen. Jedesmal aber lautete die Antwort: „Tida tuhan, matjang terlolu takot dia tida kaloar, (mein Herr, der Tiger iſt zu furchtſam, er kommt nicht heraus). Zur weiteren Beſtätigung dieſer Behauptung wurde uns dann noch mitgetheilt, daß der Tiger, ſobald das laute Geſchrei und Klap— pern der Treiber zu ſeinen Ohren dringt, zitternd vor Angſt im Dickicht ſich zu verbergen ſucht und ſo lange möglichſt ruhig verhält, bis die Gefahr vorüber iſt. Die Treiber pflegen deshalb auch die dichteſten Sträucher nicht mit Sorgfalt zu durchſuchen, erheben vielmehr, ſo oft ſie in deren Nähe gelangen, einen um ſo ſtärkeren Lärm. Bemerken die Treiber zufällig einen Tiger im Geſträuch, fo verlieren fie denſel— ben, ſo lange es angeht, nicht aus den Augen, beeilen ſich aber auch gleichzeitig, aus ſeiner gefährlichen Nähe zu kommen, weil derſelbe trotz aller Angſt doch, zu ſehr gereizt, einen gefährlichen Sprung wagen konnte. Die gebräuchlichſte Art, in den Beſitz eines Tigers zu gelangen, iſt auf Java die, ihn lebendig und unverſehrt zu fangen. Die Einge— borenen fertigen zu dieſem Zwecke einen tragbaren Käfig von Bambu mah, einer weniger ſtarken, als feſten Bambusart. Seine Form iſt die eines länglichen Vierecks, deſſen Höhe 6 Fuß, deſſen Breite auch 121 1 Ber ET ER 222 Die Javaneſen. 6 Fuß, deſſen Länge aber gewöhnlich 10 Fuß beträgt. Der innere Raum des Käfigs iſt vermittelſt einer Scheidewand in zwei ungleiche Hälften getheilt, von denen die eine 3 Fuß, die andere 7 Fuß in ihrer Länge mißt. Die kleinere iſt zur Aufnahme einer jungen Ziege, die größere dagegen für den zu fangenden Tiger beſtimmt. Der Käfig an und für ſich iſt aus feſt und dicht aneinander gebundenen Bambus— ſtangen gefertigt und mit zwei Thüren verſehen. Die eine befindet ſich in der Scheidewand des Käfigs, läßt ſich feſt verſchließen und dient zur Einbringung der jungen Ziege in den für fie beſtimmten Raum. Die zweite, ungleich größere, iſt eine von außen in die längere Hälfte des Käfigs führende Fallthüre, welche, ſobald der Tiger in den für ihn beſtimmten Raum eintritt, zuſchlägt und ſich, wie ſehr auch immer der Gefangene raſen und toben mag, ohne kundige Menſchenhände nicht mehr öffnet. Sobald man einen Tiger zu fangen wünſcht, — was tiefer im Binnenlande am häufigſten auf Befehl der Häuptlinge geſchieht, — wird ein ſolcher Käfig, mit einer jungen Ziege verſehen, vermittelſt der beiden außen an ſeinen Längenſeiten angebrachten Bambusſtangen in den Wald getragen oder auch bloß gegen Abend außerhalb des um das Dorf laufenden Zaunes mit geöffneter Fallthüre hingeſtellt. Kommt nun ein Tiger, durch das klägliche Geſchrei des Ziegenlämmchens an— gelockt, an den Käfig heran, ſo umſchleicht er denſelben zuerſt mit gro— ßer Vorſicht und ſieht zu, ob er nicht, ohne in den ihm verdächtigen offenen Raum des Käfigs treten zu müſſen, das Lämmchen erreichen kann. Erſt nachdem er ſich von deſſen Unmöglichkeit überzeugt hat, wagt er, beim Anblick des durch die weniger dichten Bambusſtäbe der Scheidewand deutlicher zu ſehenden Ziegenlammes, den Sprung nach dem inneren Raume des Käfigs, wobei er die Stütze der Fallthüre gleichzeitig umreißt und ſich, ohne die lockende Beute zu erreichen, ſelbſt fängt. Sobald der Tiger das Traurige ſeiner Lage gewahrt, denkt er an das Fangen des Ziegenlammes nicht mehr, fängt vielmehr an, fürchterlich zu brüllen und zu raſen, ſpringt mit namenloſer Wuth an den Wänden des Käfigs empor und ſucht dieſelben zu zerkratzen und zu zerbeißen. Dadurch aufmerkſam gemacht, eilen die Dorfbewohner, mit brennenden Fackeln und Lanzen bewaffnet, unter lautem Geſchrei Die Javaneſen. 223 herbei und ſehen zu, ob es ein ausgezeichnet großer Matjang radja, ein Königstiger iſt oder nicht. Im erſten Falle tragen ſie ihn ſammt dem Käfige und der Ziege zum Regenten, im letzten machen ſie eine kleine Oeffnung oben in den Käfig und tödten ihn durch einen Schuß oder auch durch Lanzenſtiche. Die einzige Möglichkeit, einen Tiger mit der Schußwaffe zu be— lauern und zu erlegen, ſoll darin beſtehen, daß man in einer tiger— reichen Gegend ein junges Schaf oder eine Ziege an einen Baum an— bindet und ſich ſelbſt in den Zweigen des Baumes verſteckt. In der Nähe von Mergalonju (auf Java), wo uns die Tiger ſo manche Schild— wache vom Poſten geraubt hatten, verſuchte ich in Begleitung einiger Kameraden, ohne zuvor eines der erwähnten Thiere in meiner Nähe befeſtigt zu haben, zu wiederholten Malen, von einem Baume herab den Tigern aufzulauern. Wir ſind jedoch ſtets ohne Erfolg, wohl aber von Mosgquito's tüchtig zerſtochen, nach Haufe zurückgekehrt. Es mag überhaupt ziemlich ſchwierig ſein, einen Tiger auf dieſe Weiſe zu über— lliſten, zumal derſelbe in ungereiztem Zuſtande, bevor er auf ſeine Beute losgeht, ſtets erſt umherſpaͤht, ob er auch wohl ohne Gefahr für feine Freiheit und ſein Leben den Sprung wagen darf. Wittert er Verrath, dann entfernt er ſich brüllend. . Eben ſo wenig, wie der Tiger, kommen Leoparden oder andere . katzenartige Thiere bei Treibjagden zum Vorſchein. Leoparden mögen * überhaupt hier zu den ſeltneren Erſcheinungen gehören, als die Tiger, E denn ich erinnere mich nicht, je etwas von einem erlegten oder gefan- genen Leoparden gehört zu haben. In um ſo größeren Schaaren kom— men dagegen bei ſolchen Jagden verſchiedene Arten von Hirſchen und Schweinen, ſowie Rehe zum Vorſchein. Sie brechen zu Hunderten aus dem Gebüſch hervor, verſchwinden aber mit derſelben Schnellig— keit, mit der ſie erſcheinen, wieder, ſo daß die wenigſten von ihnen von den für ſie beſtimmten Kugeln erreicht werden. Behend und ſchüchtern, wie ſie ſind, ſtürzen ſie pfeilſchnell und unaufhaltſam in mächtigen Sprüngen theils an den ſie erwartenden Jägern vorüber, theils über dieſelben hinweg, um ſpurlos im Dickicht des Waldes wieder zu ver— ſchwinden. 1 Auf Einzelnjagden, die gewöhnlich ſehr lohnend ausfallen, ſchießt man ſeltener Hochwild, weil man ſich der vielen Tiger wegen weniger i 22 „ 224 Die Javaneſen. in die dichteſten Stellen der Wälder hineinwagt. Um ſo häufiger ſchießt man mehrere Arten wilder Schweine, die hier ganz vorzüg— lich zu gedeihen ſcheinen. Sowohl Hirſche, als Schweine, werden auf der gewöhnlichen Einzelnjagd am häufigſten in den frühen Morgen— ſtunden, zu welcher Zeit ſie aus den Wäldern hervorzubrechen und Nahrung zu ſuchen pflegen, geſchoſſen. Gewöhnliche Schnepfen und Reisvögel, zwei ſchmackhafte Geflügel— gattungen, trifft man in der Nähe von Reisfeldern in Maſſe. Edel— ſchnepfen, Waldhühner, Pfauen und Bergam (eine eigene Art gro— ßer wilder Tauben) waren oft ſchon nach einer halben Stunde Gehens im Walde anzutreffen. Pfauen pflegt man, ſo wohlſchmeckend ſie auch hier ſind, mit einer gewiſſen Vorſicht zu ſchießen, denn hier zu Lande giebt es ein Sprüchwort, das ſich häufig bewahrheiten ſoll. Es lau— tet: „Wo ſich Pfauen zeigen, da iſt auch der Tiger nicht weit.“ Dieſe Thiere laſſen ſich überhaupt ſchwer erlegen; ſie ſind ſehr ſcheu und locken durch ihr öfteres Auffliegen und Wiederniederlaſſen leicht bis an gefährliche Stellen des Waldes. 5 Eichhörnchen ſind ein beliebtes Wildpret. Affen werden dagegen nur dann geſchoſſen, wenn man eine Einfaſſung um eine Scha- bracke oder einen Deckel zum Piſtolenhalter bedarf. Ich ſelbſt habe in Folge eines Ereigniſſes, das in mir einen unauslöſchlichen Eindruck zurückgelaſſen hat, nur wenige Affen geſchoſſen. Dr. Boerlage, mein treuer Jagdgefährte auf Java, ſchoß nämlich eines Tages nach Affen und traf bei dieſer Gelegenheit eine Affenmutter. Sie ſtürzte, tödtlich getroffen, ein Junges mit den Armen feſt umſchließend, vom Baume herab und ſtarb weinend. Es war dies für uns eine ſo erregende Scene, daß Dr. Boerlage den Schwur ablegte, nie wieder Affen zu ſchießen. Seinem Beiſpiele folgend, habe ich ſeitdem auch nie wieder Affen geſchoſſen ). 5 1) Einen ganz ähnlichen erſchütternden Eindruck machte der Anblick eines ſter— benden afrikaniſchen Affen auf einen der Offiziere der britiſchen Unterſuchungs-Expe— dition des Capt. Owen, der am Zaire denſelben tödtlich verwundet hatte, und ſo er— griffen wurde, daß er den feſten Vorſatz faßte, nie wieder auf Koften der Menſchlich— keit ein ſolches Vergnügen zu ſuchen (United Serv. Journal 1834, daraus in Berghaus Annalen 1832, VI, 70) G. (Schluß folgt.) ; VIII. g Beiträge zur geographiſchen Kunde von Japan und den Lutſchu-Inſeln. g Die im verfloſſenen Jahre unter dem Befehl des nordamerikani— x ſchen Commodore Matthew C. Perry ausgeführte Expedition hat nicht bloß durch die gelungene theilweiſe Eröffnung Japan's dem Handels— verkehr auf dem Großen Ocean einen weltgeſchichtlichen Dienſt gelei— ſtet, ſondern auch, wie es bei der anerkannten Tüchtigkeit der Marine— Offiziere Nord-Amerika's nicht anders zu erwarten war, die geographi— ſche Kunde über Japan weſentlich berichtigt, ergänzt und erweitert. Indem wir uns verſtatten, dieſe letzten Ergebniſſe des in jeder Hin⸗ be großartigen und von den glänzendſten Erfolgen begleiteten Unter— nehmens nach den darüber bis jetzt veröffentlichten authentiſchen Be— F richten der auf Befehl des Commodore mit Vermeſſungen u. ſ. w. be— trauten amerikaniſchen Marine-Offiziere ) hier zuſammen zu ſtellen, 5 ſchicken wir eine ganz kurze Mittheilung über die Fahrt des Geſchwa— ders voraus, welche zum Verſtändniß der nachfolgenden Urkunden noth— wendig erſcheint. Am 14. Januar 1854 verließ ein Theil des Geſchwaders die Rhede von Hongkong, fuhr nach den Lutſchu-Inſeln, wo er ſich mit den übrigen für die Erpedition beſtimmten Schiffen vereinigte, und * Schiffe erreichten dann faſt gleichzeitig in der zweiten Hälfte Na 9 Diefe Berichte find zuerſt in dem auf Hongkong erfcheinenden Hongkong Re- baren deſſen Redaction ſie unmittelbar von dem Commodore Perry zugeſchickt erhalten hat, veroffentlicht worden. (Vergl. Hongkong Register 1854 vom 25. Juli.) Wir .. ſie aus den Overland-Nummern deſſelben Blattes entlehnt. AZeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 15 45 226 K. L. Biernatzki: des Februars die Bucht von Jeddo. Hier nahmen die Dampfer die Segelſchiffe ins Schlepptau, und ungeachtet heftigen Gegenwindes ſegelte die Flottille bis oberhalb der Stadt Uraga, dem Eingangshafen für die mit der Reſidenz Jeddo Handel treibenden Fahrzeuge, wo ſie dann vor Anker ging. Nachdem eine gegenſeitige Begrüßung mit den japani— ſchen Behörden ſtattgefunden hatte, forderten dieſe den Commodore Perry auf, bis Uraga zurückzuſegeln und dort mit den kaiſerlichen Be vollmächtigten die beabſichtigten Unterhandlungen vorzunehmen. Da aber der Ankerplatz vor Uraga, namentlich in winterlicher Jahreszeit, einem größeren Geſchwader keine hinlängliche Sicherheit gewährt, jo verlangte der Commodore dagegen, daß die Unterhandlungen an dem Platze, wo er zu ankern für gut befunden hatte, ſtattfinden ſollten. Als dies die japaniſchen Behörden mit Entſchiedenheit ablehnten und mit unbeugſamer Halsſtarrigkeit auf ihrer Forderung beſtanden, er— theilte Commodore Perry nach einigen Tagen den Schiffen Befehl, die Anker aufzunehmen, und die geſammte Flotte ſegelte die Bai noch 12 engl. Meilen weiter hinauf, gerade in der Richtung nach der Re— ſidenz Jeddo. Hier ankerte ſie abermals und zwar der Reſidenz fo nahe, daß man am Bord der Schiffe die Glocken von Jeddo läuten hören konnte. Dieſe Entſchloſſenheit des nordamerikaniſchen Befehls— habers hatte den gewünſchten Erfolg, denn nun erklärten ſich die ja— paniſchen Beamten bereit, an jedem vom Commodore in der Nachbar— ſchaft feiner Schiffe zu beſtimmenden Orte die Unterhandlungen eröff— nen zu wollen. Das Dorf Pokuhama ward dazu auserſehen; im März fanden hier die Beſprechungen in einem eigens dazu errichteten und feſtlich geſchmückten Gebäude ſtatt, die wichtigſte und äußerlich unter beiderſeitigem großen Gepränge abgehaltene am 8. März, und der Vertrag wurde am 31. März unterzeichnet. Darauf beſuchte das Ge— ſchwader nach einander die beiden fortan den Amerikanern geöffneten Häfen Simoda und Hakodadi und lief auf der Rückkehr von letztem noch einmal Simoda an, von wo es endlich am 26. Juni über die Lutſchu— Inſeln nach China zurückkehrte. Ueber die in vorſtehendem kurzen Berichte erwähnten Ortſchaften ſehen wir uns jetzt in den Stand geſetzt, folgendes Nähere mitzu— theilen. Ein vom 4. September Hongkong am Bord der Unions-Dampf⸗ Japan und die Lutſchu-Inſeln. 227 Fregatte Miſſiſſippi datirter, vom Marine-Lieutenant Wm. L. Maury verfaßter Bericht!) — der, was wir hier ein für alle Male bemerken, 0 gleich den übrigen ähnlichen Actenſtücken, mit der am Bord des Miſ— ſiſſippi befindlichen Buchdruckerpreſſe gedruckt worden iſt — enthält die beim Einſegeln in die Bai von Jeddo zu beachtenden Anweiſungen in folgenden Worten: a Schiffe, welche vom Süden her in dieſe Bai einlaufen wollen, müſſen im Weſten der Kette von Inſeln, die den Golf von Jeddo ab— warts liegen, vorüberfahren und ſich hüten, den tiefen Schlupfhafen der Kawatſu-Bucht für die Einfahrt in den Uraga-Kanal zu halten, denn an der Nordoſtſeite dieſer Bai befindet ſich eine mehrere Miles vom Ufer entfernte Reihe von Klippen, welche vom Cap Sagami ab ungefähr W. N. W. in einer Entfernung von 10 Miles ſich erſtreckt; auf einer dieſer Klippen gerieth ein Schiff unſeres Geſchwaders auf den Grund. Jemand, der mit dem Fahrwaſſer hier nicht bekannt iſt und keine genaue Seekarte hat, kann natürlich leicht ſich irren, da man die Einfahrt in den Kanal von dieſer Stelle aus in einiger Entfer— nung nicht wahrnimmt, vielmehr die Küſte eine durch nichts unterbro— chene Linie zu ſein ſcheint. Die Einfahrt in den Kanal iſt von der Mitte von Oho-ſima an gerechnet N. O. zu N. etwa 20 Miles entfernt. Segelt man auf die— ſer Linie hinein, jo erblickt man gleich den ſattelförmigen Hügel im Norden vom Cap Sagami, ſowie die abgerundete ſchwarze Kuppe an der Oſtſeite des Kanals. Nähert man ſich dann Uraga, ſo kommen die Pluymouth⸗Felſen vollſtändig in Sicht; von dieſen muß man eine halbe Mile abhalten, um dem Ingerſoll Patch aus dem Wege zu gehen, einem verſunkenen Felſen, über dem nur ein Faden Waſſer ſteht, und welches die einzig bekannte gefährliche Stelle im Kanal iſt. 1 Zwiſchen den Plymouth-Felſen und dem Cap Kama Saki ?) iſt Per Grund klar und ein guter Ankerplatz, vorausgeſetzt, daß man vor— 1 ; er 9 Derſelbe ift zur Beglaubigung unterzeichnet: Auf Befehl des Commodore 0 „Silas Bent, Flaggenlieutenant, und findet ſich im Overl. Hongkong Register 11. Septbr., S. 73. * 2. Saki iſt die japaniſche Bezeichnung von Cap; es follte daher nur heißen Cap Kama. Wir ſchließen uns aber dem üblichen Sprachgebrauche hier und bei ähnlichen Ausdrücken an, wie dies auch im engliſchen Original geſchehen iſt. * 19” 228 K. L. Biernatzki: ſichtig dahin zu kommen Sorge trägt und die heftigen Brandungen vermeidet, welche mit reißender Geſchwindigkeit das Cap umtoſen. An der Südſpitze von Kama-Saki iſt ein kleiner Vorſprung, an der Nord— ſeite dagegen iſt die Küſte eben und das Waſſer tief. Umſchifft man das Cap Kama-Sali auf der Fahrt nach der Stadt Jeddo, ſo muß man N. W. zu N. ſteuern, bis die Perry-Inſel Süd zu Weſt 3 Weſt zu liegen kommt und die Saratoga-Spitze klar wird, welche ſich von der Oſtſeite her deutlich vorſtreckt. Dann muß man wenden und die Perry-Inſel in der angegebenen Lage in Sicht behalten, bis die Baake (Beacon Point) an der niedrigen Spitze, ſüdlich von Jeddo, in W. N. W. liegt. Damit wird die von der Spitze abwärts gelegene Sandbank klar, und man hat hier vortrefflichen Ankergrund von ungefähr 10 Faden Waſſer, gerade Angeſichts der Stadt Jeddo— Bei dieſer Spitze endigte unſere Unterſuchung; die Boote fanden übrigens noch freies Fahrwaſſer und für die größten Schiffe hinläng— liche Tiefe mehrere Miles weiter in der Richtung nach Norden und bis auf wenige Miles vor der Stadt. Wer nach dem amerikaniſchen Ankerplatz will, muß vom Cap Kama-Saki N. W. ſteuern und auf 8 bis 10 Faden Tiefe, die Perry- Inſel in S. S. O. und Webſter-Inſel in S. W. zu S., vor Anker gehen. Im Süden der Webſter-Inſel iſt auch ein guter Ankergrund mit 6 bis 7 Faden Waſſer. In der Nähe dieſes Ankerplatzes liegen zwei ſichere Buchten, die leicht zugänglich ſind, und in welchen Schiffe ſehr bequem ausgebeſſert und aufgetakelt werden können. Die Susquehannah-Bai, drei Miles W. N. W. vom Cap Kama⸗ Saki, iſt ſehr geſchützt, hat aber viele Riffe und Klippen, daher ſie nicht als Ankerplatz empfohlen werden kann. Die Miſſiſſippi⸗Bai liegt 4 Miles nördlich vom amerikaniſchen Ankerplatz und gut geſchützt gegen die vorherrſchenden Winde. Will man hier ankern, ſo muß man es ziemlich weit von der Küſte ab thun, um nicht auf eine Sandbank zu gerathen, die ſich eine halbe bis drei Viertel Mile weit ausdehnt. Das von hier aus ſichtbare Vorgebirge oder lange Pellow-Bluff auf der Nordſeite dieſer Bai iſt Treaty-Point genannt worden; eine Sandbank umgiebt dieſen Punkt in einem Hug kreiſe von zwei Drittel bis zu einer vollen Mile. a Japan und die Lutſchu-Inſeln. 229 Zwiſchen dem amerikaniſchen Ankerplatze und Treaty -Point iſt die Tiefe ſehr verſchieden, von 12 Faden vermindert ſie ſich plötzlich bis zu 5, oberhalb einer Bank von feſtem Sand. Nördlich von Treaty -Point und N. N. W. vom Cap Kama-Saki, in einer Entfernung von 14 Miles, liegt die Yofuhama-Bai. Um zu dieſem Ankerplatze zu gelangen, muß man die bewaldete Strecke, welche das hochgelegene Land an der Nordſeite der Bai begrenzt, N. zu W. EM. liegen laſſen und dann auf fie zuſteuern, bis Treaty-Point S. W. zu S. zu liegen kommt. Dadurch wird die Spitze von Treaty-Point klar; dann muß man ſich N. W. zu Nord nach dem Hügel, welcher der Stadt Kanagawa gegenüber liegt, wenden und in 53 bis 6 Fa— den Tiefe bei dem Heuhaufen gerade vor der Oſtſeite des Mandari— nen⸗Hügels vor Anker gehen. (Der Mandarinen-Hügel iſt eine ſteile, eine Mile nördlich von Treaty-Point gelegene Anhöhe.) Zwiſchen dem nördlichen Ufer dieſer Bai, von Kanagawa bis nach der Baake (Beacon Point), erſtreckt ſich eine Untiefe, welche 1 bis 2 Miles lang iſt; unterhalb des Mandarinen-Hügels dehnt ſich gleich— falls eine Sandbank eine Mile weit in nördlicher Richtung aus. Die Bai von Jeddo iſt ungefähr 12 Miles breit und 30 Mi— les lang; ſie hat trefflichen Ankergrund und könnte ſämmt— lichen Flotten der Welt Schutz gewähren. Unſere Unter— ſuchungen umfaßten indeſſen nur das weſtliche Ufer vom Cap Kama— Saki bis zur Baake ), und wir hatten keine Gelegenheit, auch das öſt— liche Geſtade zu unterſuchen. Die Sondirungen von Treaty-Point quer hinüber in oſt⸗ſüdöſtlicher Richtung ergaben eine regelmäßige Tiefe, und wir fanden noch 12 Miles vom entgegengeſetzten Ufer 3 Faden Waſſer. Am Uraga-Kanal konnte nur das weſtliche Ufer unterſucht werden. Maͤhrend unſeres Aufenthalts in der Bai vom 17. Februar bis zum 18. April war das Wetter faſt durchgängig ſchön, mitunter nur ſtellten ſich heftige Winde und ſtarke Regengüſſe ein. Dieſes Unwetter pflegte plötzlich vom Süden und Weſten heraufzukommen und zwar bei 5 r \ 9) Im Original ſteht Beacon Point. Es iſt damit die Stelle gemeint, wo die oben erwähnte „an der niedrigen Spitze ſüdlich von Jeddo gelegene Baake , ſich befindet. 230 K. L. Biernatzki: niedrigem Barometerſtande, doch hielt es nur kurze Zeit an, dann ſprang der Wind nach Norden und Weſten um und verlor an Stärke. Oeſt— liche Stürme hatten wir nicht; ſelten wehte es einmal aus dieſer Welt— gegend, ausgenommen dann, wenn der Nordwind, wie er das nie an— ders zu thun pflegte, durch Oſten nach Süden und Weſten umlief. Die Strömung iſt außerhalb der Bai ſehr heftig und von dem äußerſten Ende der Saratoga-Spitze abwärts, ſowie unterhalb der Perry-Inſel und des Cap Kama-Saki nimmt ſie an Stärke noch ſehr zu. Auf dem Ankerplatze in der Wokuhama-Bai ſpürt man ſie indeſſen kaum. In Vofuhama verfahen uns die japaniſchen Behörden mit Holz und Waſſer, auch mit einigen Gemüſen, Geflügel, Eiern und Auſtern. Cap Sagami liegt 35° 6° 30“ n. Br. und 13940 öſtl. L. ); Webſter-Inſel 35° 18“ 30“ n. Br. und 139° 40 34“ öſtl. L. Das Gebäude, in welchem der Vertrag abgeſchloſſen wurde, im Norden von Mokuhama, lag 35“ 26“ 44“ n. Br. und 13940“ 23“ öſtl. L. Die Abweichung des Compaſſes betrug 25 weſtlich, der Wechſel im Stei— gen und Fallen des Waſſers bei Pokuhama 6 Fuß. — Zur Ergänzung vorſtehender Angaben fügen wir noch aus dem Berichte eines Chineſen ?), welcher die Expedition begleitete, hinzu, daß die Fahrt von den Lutſchu-Inſeln bis nach Japan im Ganzen 6 Tage dauerte; man ſah nämlich während 4 Tagen, d. h. während 4 Mal 24 Stunden, kein Land. „Nach und nach“, fährt der Chineſe fort, „kamen wir an mehreren unbewohnten Inſeln vorüber und, nach Ver— lauf von noch zwei Tagen, warfen die Dampfer und Segelſchiffe, im Ganzen neun an der Zahl, bei Hwangpin oder, wie es die Japane— ſen nennen, Pokuhama die Anker.“ Landeinwärts von dieſem Orte ſah man einen hohen Berg, deſſen Gipfel mit Schnee bedeckt war, und von dem aus ſich eine ununterbrochene Bergkette bis nach Jeddo er— ſtreckte. Auf einem langen Spaziergange, den der Berichterſtatter machte, traf er nicht weit von der Stadt einen dem Drachengott geweihten ) Die Längenbeſtimmung iſt, da die Amerikaner geſetzlich zur See nach Green— wich rechnen, auch hier und weiter unten immer darnach angegeben. 2) Dieſer Bericht trägt die Ueberſchrift: Journal of a visit to Japan und ſteht im Overland Hongkong Register 1854 vom 11. Septbr. Die Redaction des genann- ten Blattes bemerkt dazu, daß es eine buchſtäbliche Ueberſetzung eines urſprünglich in 5 chineſiſcher Sprache niedergeſchriebenen Berichtes fei. Japan und die Lutſchu-Inſeln. 231 alten Tempel. „Derſelbe war von Holz erbaut und in feinem inneren Raume hingen ſehr viele in Rahmen eingefaßte Gemälde. In der Nähe war eine Fabrik von Backſteinen. Die Backſteine waren anders, als die, welche wir in China gebrauchen, nämlich hart, groß und aſchgrau von Farbe.“ Weiterhin ſah der Berichterſtatter viele Woh— 2 nungen der unteren Volksklaſſe; einige waren mit Ziegeln, andere mit Stroh gedeckt. Bei den meiſten waren buddhiſtiſche, auf Papier— ſtreifen geſchriebene Zauberſprüche an die Thüren geklebt. Von Poku— hama erreichten die Dampfſchiffe Simoda in einem Tage. Die Einfahrt in dieſen Hafen beſchreibt uns, neben den nöthigen Anweiſungen für ein gefahrloſes Einſegeln, der bereits vorhin erwähnte Marine-Lieutenant der Union, Maury, mit folgenden Worten !): Die nach dem Hafen von Simoda ) beſtimmten Schiffe, die vom Süden und Weſten kommen, muͤſſen an Cap Idzu fo vorüber ſteuern, daß ihnen die Felſen-Inſel zu O. S. O. z O. ungefahr 6 Miles ent— fernt liegt; wenn das Wetter völlig heiter iſt, ſo werden ſie zugleich die an der Einfahrt in den Golf von Jeddo gelegene Inſelreihe voll— ſtändig in Sicht haben. Zwiſchen der Felſen-Inſel und dem Feſtlande liegen eine Anzahl Felſen unter und über dem Waſſer, zwiſchen denen die japaniſchen Dſchunken ungehindert hindurchfahren; ein Schiff aber darf die Durch— 6 fahrt an der Binnenſeite der Felſen-Inſel nicht wagen, ausgenommen | im dringendſten Nothfalle, zumal die nordöſtliche Strömung, die an dieſer Küſte vorübergeht, gerade an dieſer Stelle, ſowohl ihrer Rich— tung, als ihrer Geſchwindigkeit wegen, gefährlich zu fein ſcheint. Hält W ͤauf 5 Miles Entfernung. Der Vandalia-Hügel auf der Oſtſeite der Einfahrt iſt durch einen Tannenwald, der auf dem Gipfel der Anhöhe ſteht, und durch das Dorf Suſaki, welches ungefähr auf dem dritten Theile des Weges zwiſchen ) Das nachſolgende Actenſtück iſt datirt: Unions⸗Dampffregatte Miſſiſſippi, Napa, Lutſchu, den 7. Juli 1854, und eben fo wie das vorige unterzeichnet. Es ſteht Overland Hongkong Register 1854, 6. Auguſt, ©. 61. Tas) S. über den Hafen von Simoda und den S. 236 erwähnten von Hakodadi dieſe Zeitſchriſt II. S. 500 — 501. G. 232 K. L. Biernatzki: jenem Hügel und dem Cap Diamond liegt, kenntlich. Letztes iſt ein ſcharfer, oſtwärts an der Einfahrt zum Hafen gelegener Vorſprung. Wer von der Felſen-Inſel her hineinkommt, wird wahrſcheinlich eine Anzahl Strömungen antreffen, aber mit dem Senkblei nicht eher Grund finden, als nahe am Eingange zum Hafen, wo das Waſſer 17 bis 24 Faden tief iſt. Weht der Wind aus Norden und friſch, ſo muß das Schiff an der Mündung des Hafens vor Anker gehen, bis der Wind ſich legt oder umſpringt, oder bis das Schiff bequem hineinwarpen kann, denn gewöhnlich iſt der Wind ſtürmiſch, immer aber ſchwankend. Wenn ein Schiff vom Norden oder Oſten heranſegelt, fo kann es an der einen oder anderen Seite von Oho Sima vorübergehen; von der Mitte von Oho Sima an gerechnet liegt Cap Diamond W. S. W. 1 W., ungefähr 20 Miles entfernt. Zwiſchen Oho Sima und Simoda iſt die Fahrt, ſo weit bekannt, gefahrlos, nur muß man beſtändig auf die nordöſtliche Strömung Acht haben, namentlich bei Nachtzeit und nebeligem Wetter. Ihre gewöhn— liche Geſchwindigkeit beträgt 2 bis 3 Miles die Stunde; da dieſelbe aber, ebenſo wie ihre Richtung, ſehr von den gerade wehenden Win— den, den Vorgebirgen, den Inſeln u. ſ. w. abhängig iſt, ſo kann man darüber nichts für alle Fälle Zuverläſſiges ſagen. Iſt Oho Sima, ehe man Cap Diamond erreicht, dunklen Wetters wegen nicht ſichtbar, ſo muß man ſich bemühen, die Felſen-Inſel zu Geſicht zu bekommen; denn am Feſtlande giebt es keine recht ſichtba— ren Gegenſtände, an denen ein Fremder in einiger Entfernung den Hafen wahrnehmen könnte, und das Ufer erſcheint wie eine ununter— brochene Linie. Im Weſten des Hafens befinden ſich mehrere flache Strecken und drei oder vier Sandbänke. Man kann dieſe ſehr deutlich auf 6 bis 8 Miles Entfernung ſehen, weshalb es gute Merkzeichen ſind. Kommt ein Schiff vom Süden und Oſten, ſo muß es weſtlich an der Inſel Meac Sima vorüber, die ſich durch eine in die Augen fallende ſchneeweiße, auf ihrer Weſtſeite liegende Klippe bemerklich macht. Auch zeigt ſich ein weißer Fleck auf ihrem Gipfel, an der Nordſeite der Klippe. Der Hafen iſt von dieſer Inſel (Meac Sima) in nord-nord—⸗ weſtlicher Richtung circa 25 Miles entfernt. * E . | ’ 2 ter unten. Japan und die Lutſchu-Inſeln. 233 Im Hafen ſelbſt giebt es nur zwei gefährliche Punkte; der eine iſt die Southampton-Klippe, welche mitten im Fahrwaſſer, N. 3 W. vom Vandalia-Hügel, liegt, etwa drei Viertel des Weges zwiſchen die— ſem und der Centrum-Inſel '). Die Klippe mißt faſt 25 Fuß im Durchmeſſer, und 2 Faden Waſſer ſtehen darüber; ſie iſt durch eine weiße Sparren-Boje bezeichnet. Der andere gefährliche Punkt iſt die Supply-Klippe, in kurzer Entfernung S. zu W. von dem Eiland Buiſako; ſie iſt ein ſcharfer, mit 11 Faden Waſſer bedeckter Felſen. Ihre Lage iſt durch eine rothe Sparren-Boje marfirt. a Dieſe beiden Bojen liegen an zuverläſſigen Ankern, und die Be— hörden von Simoda haben verſprochen, ſie ſtets wieder an ihre Stelle bringen zu laſſen, wenn ſie durch irgend ein Ereigniß entfernt werden ſollten. 7 Die Centrum-Inſel, welche deshalb ſo genannt worden, weil ſie den Mittelpunkt bildete, von dem aus die Grenzlinien für den Vertrag beſtimmt wurden, iſt hoch, kegelförmig und mit Bäumen bedeckt. Eine Höhle geht durch ſie hindurch von einem Ende zum andern. Außen vor dem Hafen an ſeiner Mündung geht bisweilen eine unangenehme Brandung; aber innerhalb der Southampton-Klippe und der Centrum-Inſel liegen die Schiffe ſehr geſchuͤtzt, und das Waſſer ift verhältnißmäßig ruhig. Man muß hier mit einer nach Süden und Weſten offenen Klüſe vor Anker gehen ). Für Boote giebt es in dem Hafen von Simoda und bei dem Dorfe Kakiſaki gute Landungsplätze. Ein Hafenmeiſter und drei Lootſen ſind angeſtellt worden; Holz, Waſſer, Fiſche, Geflügel und Eier, auch ſüße Kartoffeln und andere Gemüſe werden von den Behörden geliefert; nur muß man ihnen Fäſſer ſtellen, um darin das Waſſer herbeizuſchaffen. Die Centrum-Inſel liegt 34 39“ 49“ nördl. Br. und 138° 57 50“ öſtl. L. Die Abweichung des Compaſſes beträgt 52“ weſtlich. ) Im Original Centre island. S. über den Urſprung dieſer Benennung wei: 9 Da Klüſen die Locher am Bug des Schiffes find, durch welche die Ankertaue oder Ketten gehen, ſo heißt dies hier: man muß das Schiff ſo vor Anker legen, daß ſein Bugſpriet gerade nach der Mitte zwiſchen Süden und Weſten gewendet iſt. 234 K. L. Biernatzki: Die höchſte Fluth ſteigt 5 Fuß 7 Zoll, die mittlere Fluthhöhe beträgt 3 Fuß. Um die vorſtehenden Anweiſungen in leicht verſtändlicher Weiſe zu geben, ſind ſie ſo kurz, als möglich zuſammengeſtellt worden; um aber auch Denen, die nach dem Hafen ſelbſt fahren wollen oder auch nur vorüberſegeln, nähere Aufſchlüſſe mitzutheilen, folgen noch einige nachträgliche Bemerkungen. Der Hafen Simoda liegt nahe an der ſüdöſtlichen äußerſten Spitze der Halbinſel Idzu, welche in das Cap dieſes Namens ausläuft. Im Norden des Hafens durchſchneidet ein hoher Bergrücken die Halbinſel und ſüdlich von dieſem, auf der ganzen Strecke bis zum Cap, zeigen ſich unzaͤhlig viele Gipfel von geringerer Höhe. Der Hafen liegt S. W. zu Weſt circa 45 Miles vom Cap Sa— gami, an der Einfahrt in die Jeddo-Bai, entfernt. Die Felſen-Inſel iſt ungefähr 120 Fuß hoch und 4 Mile lang, mit jähen Ufern und unebenen Umriſſen. Sie hat eine dicke Narbe von Gras, Unkraut, Moos u. f. w. auf ihrer Oberfläche. Von der Spitze dieſer Inſel erblickt man in der Richtung N. 3 W. und eine Mile oder anderthalb entfernt Waſſerfälle, welche wahrſchein— lich von einem Felſen oder einem Riff herabſtürzen. Wir machten einen Verſuch, uns deſſen zu vergewiſſern, allein die heftige Strömung und der friſch wehende Wind verhinderten eine genügende Unterſuchung. Die japaniſchen Fiſcher leugnen indeß die Exiſtenz jeglicher Gefahr der Art. Nord zu Weſt von der Felſen-Inſel, auf 2 Miles Diſtance, ſind die Ukona-Felſen. Dies ſind zwei Felſen, die gewöhnlich nur wie einer ausſehen. Der größte hat 70 Fuß Höhe. Zwiſchen dieſen und der Felſen-Inſel fanden wir eine oſt-nordöſtliche Strömung, die volle 4 Miles in der Stunde zurücklegte. Die Centrum-Inſel iſt von der Felſen-Inſel N. 3 O. 52 Miles, und von den Ukona-Felſen N. zu O. 3 O. 34 Miles weit entfernt. Buiſako-Eiland liegt N. N. O. von der Centrum-Inſel; es iſt circa 40 Fuß hoch, mit Bäumen und Geſträuchen bewachſen. Sollte die auf der Southampton-Klippe ausgelegte Boje entfernt werden, ſo wird die Oſtſpitze der Centrum-Inſel nebſt der Weſtſpitze von Buiſako die Klippe im Weſten klar machen. aa F 8 Japan und die Lutſchu-Inſeln. 235 Von dem Dorfe Sufafi abwärts und z Mile vom Ufer entfernt iſt eine Felſenreihe, an der ſich fortwährend die Brandung bricht; man muß beim Vorüberſegeln auf zwei Kabellängen Diftance von derſelben abhalten. Genau im Weſten vom Vandalia-Hügel, ungefähr auf ein Dritt— theil Weges am entgegengeſetzten Ufer, iſt ein tiefes Loch mit gegen 30 Faden Waſſer. Kommt man von Oſten, ſo erreicht man die Einfahrt des Hafens nicht eher, als bis man ſich ganz auf der Binnenſeite von Cap Dia: mond befindet. Im Norden vom Cap Diamond iſt die Bai von Sirahama, welche ſehr tief iſt, und, da ſich dort auch mehrere ſandige Strecken finden, ſo kann man ſie irrthümlicher Weiſe für Simoda halten. Allein wenn man ſich der Sirahama-Bai nähert, ſo verdeckt Cap Diamond die Aus— ſicht auf die Ukona-Felſen und auf die Felſen-Inſel im Süden, wäh— rend dieſe auf der Rhede von Simoda von e Punkten her ſicht⸗ bar ſind. Cap Idzu liegt auf 34% 32“ nördl. Br. und 138° 51’ öſtl. L, die Felſen-Inſel auf 34° 33’ 50“ nördl. Br. und 138° 57’ 16“ öſtl. L. Im Süden und Welten von Meac Sima giebt es zwei gefähr— liche, 15 bis 20 Fuß hohe Klippen, die den Namen Redfield-Felſen haben. Davon liegt der eine auf 33° 56 13“ nördl. Br. und 138° 4831“ öſtl. L., der andere auf 3395731“ nördl. Br. und 1389 49’ 13“ oͤſtl. L. Dieſe Angaben find vielleicht nicht völlig correct, aber man darf ſie doch für annähernd richtig halten. — Auch über Simoda macht der oben erwähnte chineſiſche Bericht— erſtatter noch einige, die Oertlichkeit näher beſchreibende Bemerkungen. Die Chineſen nennen es Hea⸗-tihn, was fo viel heißt, als „niedriges Feld“ (Marſchland). „Dieſen Namen hat es daher, weil es am Fuße hoher Berge liegt, von denen Ströme herabfließen, die das Land um— her fett und fruchtbar machen. Mitten im Hafen liegt eine kleine fel— ſige Inſel, welche dieſelben Dienſte leiſtet, wie ein verſenktes Wrack. Auf der Binnenſeite dieſer Inſel nämlich liegen die Schiffe völlig ſicher, gleichſam in einem Amphitheater, in deſſen Front ſich hohe Berge, von denen der eine den andern überragt, erheben, und welches außen von dem Großen Ocean umſchloſſen iſt; ſo heftig dort außen auch die 236 K. L. Biernatzki: Stürme raſen, hier liegen ſie (die Schiffe) ruhig und ungefährdet. Die Dampfſchiffe ankerten dicht bei der felſigen Inſel; das Geſtade des Feſtlandes war jäh und abſchüſſig und beſtand aus Felſenklippen, an denen die Wogen unaufhörlich branden und nagen können, ohne einen Eindruck zurückzulaſſen. Die Anhöhen und die Hügel ſind gut bewaldet; Faſane, Habichte, Krähen und Füchſe in Menge vorhanden. In den niedrigen Gründen gab es viele Krickenten.“ Unſer Gewährsmann machte wiederholt Spaziergänge in die Stadt und in die Umgegend und beobachtete nicht nur die Natur, und was Menſchenhand geſchaffen hatte, ſondern auch die Menſchen ſelbſt, ihre Beſchäftigungen, Sitten und Lebensweiſe. Hören wir noch einige ſei— ner derartigen Mittheilungen. „An einem Tage,“ ſchreibt er, „ging ich durch die Straßen und beſah mir die Verkaufsläden und die Häu— ſer. Einige waren aus Backſteinen aufgeführt und mit Ziegeln ge— deckt, während andere nur armſelige Strohhütten waren. Sie la— gen meiſtens nahe bei einander, ſo daß man lange gehen konnte und dabei immer Häuſer zur Seite hatte. Die Frauen gingen eben ſo frei, wie die Männer in den Straßen umher. Sie kamen auf den Stra— ßen ſogleich zu mir, wenn ich ſie rief; viele von ihnen ſah ich bei der Arbeit, wobei ſie den Obertheil ihres Körpers unbekleidet trugen. Viele Männer waren gänzlich unbekleidet, mit Ausnahme eines Schurzes, und die Frauen denken nichts beim Anblick unſittlicher Bilder. Es giebt hier Badehäuſer, deren ſich beide Geſchlechter ohne Unterſchied bedienen. Die Frauen fanden ſich ſtets in großer Anzahl ein, um einen Fremden zu ſehen, liefen aber fort, ſobald ſich ein Angeſehener mit zwei Schwer— tern umgürtet einfand. — Die Straßen haben ſämmtlich Namen, z. B. große Arbeitsſtraße, neue Straße, Laden-Straße. Wenn man an dem Ufer entlang geht, eine Brücke überſchreitet und dann noch etwas wei— ter geht als eine Li, jo befindet man ſich in dem Diſtrict Tſze-Kee und kommt nach dem Tempel der Edelſteinquelle, welche von alten Föhren beſchattet iſt und gerade der felſigen Inſel im Hafen gegen— über liegt, von welcher ich geſprochen habe. Hier iſt ein Stückchen Lan— des für die Fremden aus den Vereinigten Staaten als Begräbnißplatz angewieſen worden.“ Der zweite, den Nord-Amerikanern fortan vertragsmäßig geöff— nete Hafen iſt Hakodadi, über den uns Lieutenant Maury noch * Japan und die Lutſchu-Inſeln. 237 folgende Nachrichten mittheilt. Unter der Ueberſchrift: Anweiſungen zum Segeln nach Hakodadi !), berichtet er: Dieſe geraͤumige und ſchöne Bai, die wegen ihrer Zugänglichkeit und Sicherheit ſogar eine der ſchönſten in der ganzen Welt iſt, liegt an der Nordſeite der Sangar-Straße, welche die japaniſchen Inſeln Nip— pon und Peſſo ſcheidet, und ungefähr in der Mitte zwiſchen Cap Si— riſa Saki 2) (der nordöſtlichen Spitze von Nippon) und der Stadt Matsmai. Sie iſt vom Cap ungefähr 45 Miles nach N. W. 2 W. entfernt, 4 Miles am Eingange breit und 5 Miles lang. | Den Hafen bildet der ſüdöſtliche Arm der Bai; er liegt vollkom— men geſchützt, und hat regelmäßige Tiefe nebſt vortrefflichem Ankergrund. Er wird durch ein flachgipfliges Vorgebirge gebildet, das von dem hochgelegenen Feſtlande ſich bedeutend vorſtreckt und mit dieſem durch eine niedrige ſandige Landenge verbunden iſt, weshalb es aus der Ferne eine Inſel zu ſein ſcheint und ſehr leicht kenntlich iſt. „ Die Stadt liegt am nordöſtlichen Abhange dieſes Vorgebirges, dem Hafen gerade gegenüber und zählt circa 6000 Einwohner. Nähert man ſich ihr von Oſten, nachdem man Cap Suwo Kubo, welches auf unſerer Karte Cap Blunt benannt iſt, eine in die Au— gen fallende, 12 Miles O. zu S. von der Stadt gelegene Landſpitze, Aumſegelt hat, jo gewahrt man über die niedrige Landenge hin die im nn ke 7 — “ Hafen anfernden Dſchunken. 5 Dieſen allgemeinen Beſtimmungen über die Lage von Hakodadi ſimd nun noch ausführlichere Rathſchläge für das „Einſegeln in den Hafen“ ) angeſchloſſen, die jo lauten: u Wenn man das Vorgebirge von Hakodadi umſchifft hat und eine Mile Diſtance davon abhält, um die unterhalb der hohen Küſte herr— ſchenden Windſtillen zu vermeiden, ſo muß man auf den ſpitzigen Gipfel ) Dieſe tragen folgende Orts- und Zeitbeſtimmung: Unions-Dampffregatte Miſſiſſippi, auf See, den 20. Juli 1854. Vergl. Overland Hongkong Register 1854, 6. Aug. S. 61. ) Es it hier daran zu erinnern, daß Saki das japaniſche Wort für Vorge— birge iſt, man alſo eigentlich nur Cap Sirija fagen ſollte. Vergl. die Anmerkung zu Cap Kama Saki S. 227. 9) Datirt vom 18. Juli 1854 auf See, Unions-Dampffregatte Miſſiſſippi, und, wie oben, auf Befehl des Commodore Perry vom Flaggen-Lieutenant Silas Bent be— glaubigt. 238 K. L. Bier natzki: von Komaga dali zuſteuern, welcher ungefähr im Norden liegt, bis die öſtliche Spitze des Bergſattels, der N. O. zu N. liegt, ſich im Weſten des runden Gipfels an der Seite des Berges zeigt; alsdann wende man nach Norden und nach Oſten und behalte ſie in Sicht, bis die Mitte der Sandhügel auf der Landenge in S. O. zu O. ! O. zu lie gen kommt. Dieſe Sandhügel ſind an ihren dunklen Spitzen zu er— kennen. Auf dieſe Weiſe wird ein Vorſprung, der von dem weſtlich— ſten Punkte der Stadt in nord-nordweſtlicher Richtung zwei Drittel einer Mile weit ſich erſtreckt, klar; dann muß man die Sandhügel einen Compaßſtrich auf Backbordſeite bringen und einſegeln, bis der weſtlichſte Punkt der Stadt S. W. 3 W. liegt, wenn man nämlich den beſten Raum zum Wenden mit 54 oder 6 Faden Waſſer haben will. Iſt es wünſchenswerth, noch weiter hineinzuſegeln, ſo muß man ein wenig nach Oſten, ſüdlich von dem niedrigen Felſen, welcher gerade über der abſchüſſigen, im Süden und Oſten der Stadt gelegenen Berg— kette ſichtbar iſt, wenden. Ein mäßig befrachtetes Schiff kann ſich Tſuki-Point, wo ſich eine Bauwerfte für Dſchunken befindet, bis auf 1 Meile nähern. Dieſer Theil des Hafens iſt übrigens gewöhnlich von Schiffen dieſer Art ſehr angefüllt; wenn daher nicht die Nothwendig— keit, das Schiff auszubeſſern, oder eine andere Urſache eine größere Annäherung erfordert, ſo iſt es beſſer, außen vor zu bleiben. Iſt der Bergſattel durch Wolken oder Nebel verhüllt, ſo ſteuere man, nachdem man das Vorgebirge umſegelt hat, N. zu O. 4 O. bis die Sandhügel in die oben erwähnte Lage zum Schiffe kommen und ſetze dann die Fahrt, wie vorher angedeutet iſt, fort. In kurzer Entfernung von dem äußerſten Ausläufer der Spitze iſt eine von der Küſte getrennte Sandbank, mit 33 Faden Waſſer. Ihre Außenecke iſt mit einer weißen Sparrenboje bezeichnet; zwiſchen dieſer und der Spitze befindet ſich ein enger Kanal mit 5 bis 6 Fa— den Waſſer. Schiffe können an jeder Seite der Boje paſſiren, doch iſt es am rathſamſten, die Nordſeite zu wählen. Tritt Windſtille ein, ehe man den Hafen erreicht, ſo giebt's auf der Außenrhede einen guten Ankergrund von 25 bis 10 Faden. Vortreffliches Holz und Waſſer können die Behörden der Stadt liefern, oder, ſollte man es vorziehen, ſo kann man Waſſer leicht aus Japan und die Lutſchu-Inſeln. 239 der in den Hafen im Norden und Oſten von der Stadt mündenden Kamida-Bucht erhalten. Die Jahreszeit war zur Zeit unſeres Beſuches für die Herbei— ſchaffung von Lebensmitteln ſehr ungünſtig — ſüße und irländiſche Kartoffeln, Eier und Geflügel konnten wir jedoch haben und ohne Zweifel ließen ſich dieſe Artikel in einer günſtigeren Jahreszeit in hinreichender Menge liefern, ſo daß alle Schiffe, welche in Zukunft dieſen Hafen beſuchen werden, damit verſorgt werden könnten. ; Unfer Schleppnetz verſah uns mit herrlichen Lachſen und vielen anderen Fiſchen; die Geſtade der Bai hatten Ueberfluß an trefflichen Schaalthieren. Während unſeres Verweilens in dieſem Hafen vom 17. Mai bis zum 3. Juni war das Wetter durchgehends ſchön bis zum 1. Juni, wo ſich Nebel einſtellte. Es war gewöhnlich ruhig am Morgen, aber um Mittag pflegte ein friſche Briſe aus S. W. aufzukommen. Die Mündung der Kamida-Bucht liegt 41 49 22“ nördl. Br. und 140 AT’ 45“ öſtl. L. Die Abweichung des Compaſſes betrug 4° 30“, das äußerſte Steigen und Fallen der Fluth 3 Fuß. — Vernehmen wir nun noch unſeren chineſiſchen Berichterſtatter. Er ſchreibt: „Am 16. Tage des 4. Monats (d. i. am 12. Mai) ſegelte der Commodore von Simoda ab und wir erreichten in 5 Tagen Ha— kodadi, den zweiten im Vertrage beſtimmten Hafen. Er liegt 41° 49’ nördl. Br. und 140% 47“ öſtl. L.; das Klima iſt dem von Mukden ſehr ähnlich. Es iſt ein abgelegener kleiner Ort, mitten in einer unfrucht— baren Gegend, welche wenig Bäume hat und an Gras Mangel leidet. Dadurch ſind die Bewohner ihrer Nahrung wegen auf die Vorräthe an— derer Ortſchaften angewieſen, und es fahren zur Beſchaffung derſelben be— ſtändig Schiffe hin und her. Deshalb hat der Ort im Chineſiſchen den Namen Seang-kwan d. h. Niederlage von Kiſten erhalten. Der Hafen iſt geräumig, eine völlig offene Bucht, die Hügel ſtehen ringsum an der Küſte, wie wenn ſie beim Meere Audienz hätten. Als wir dort waren, ö ſah man noch Schnee auf den Berggipfeln. Die Häuſer ſind größer als in Simoda, und die Kleidung, die Verzierungen und die Schiffe bezeugen, daß hier mehr Wohlhabenheit bei den Leuten ſich findet. Die Frauen hielten ſich in ihren Häuſern auf und ließen ſich nicht vor den * * * N 240 K. L. Biernatzki: Fremden ſehen. Die Sitten der Bewohner ſchienen lobenswerth zu fein, anſtößige Reden hörte man nirgends. — In der Nähe von Ha— kodadi liegt der „das Königreich ſchützende“ Hügel, wie er heißt, auf welchem ein Tempel ſteht, deſſen Pfeiler und Gebälk mit Bildhauer— arbeit verziert ſind. Alles, was ſich in dem Tempel befindet, iſt neu und ſchön, und viele Gemälde hängen an den Wänden. An beiden Seiten der Haupthalle befinden ſich viele Gräber. Der Commodore ließ mehrere von den Gemälden in dieſem Gebäude mit dem Daguer— reotyp-Apparat copiren und vertheilte dieſe Copien unter die japani— ſchen Beamten.“ Unſer Gewährsmann gedenkt dann noch der großen Unterwürfig— keit der Bewohner gegen die Fremden, und daß er keine einzige Frau geſehen habe. Anfangs hatte man aus Furcht die Läden geſchloſſen, bald aber wurden ſie wieder geöffnet. Die Lebensmittel wurden von Pferden und Eſeln getragen, die man in zahlreicher Menge auf den Straßen ſah. An den Häuſern waren die Fenſter meiſtens aus Pa pier, und an vielen Thüren ſtanden Inſchriften mit chineſiſchen Cha— racteren, wie „Haus der Wildniß“, „Schildkrötenhaus“ ꝛc. In den Läden lag viel Seidenzeug zum Verkauf, es war aber weniger gut, als chineſiſche Seide; dagegen wurden die lackirten Waaren ſehr ſchön gefunden, und die Fremden kauften die Läden ſehr bald leer. Hirſch— felle, Rochen und das zu mediciniſchem Gebrauch beſtimmte Meergras ſah man ſehr häufig. Die gewöhnlichen Lebensmittel der Leute waren beſſer, als in Simoda. Zufolge Art. II. des vom 31. März 1854 datirten Vertrages!) ſollte der Hafen Simoda ſofort nach Unterzeichnung der Urkunde er— öffnet werden. Derſelbe liegt beſonders bequem für die von der Weſt— küſte Nord-Amerika's ſegelnden Schiffe, und da auch dort ein Kohlen— depöt errichtet werden ſoll, jo wäre damit das letzte Hinderniß beſei— tigt, das noch der Einrichtung einer regelmäßigen Dampfſchifffahrt zwiſchen Nord-Amerika und China im Wege ſtand. Dagegen iſt der Hafen Hakodadi den nordamerikaniſchen Walfiſchfängern ſehr gelegen, die hier nun ihre Vorräthe ergänzen können und im Nothfall Schutz ) Die Urkunde des Vertrags iſt abgedruckt im Overland Hongkong Register 1854 vom 27. Septbr., S. 78. Sie beſteht aus 12 Artikeln. Japan und die Lutſchu-Inſeln. 241 und Hülfe finden. Hakodadi ſollte ein Jahr, nachdem der Vertrag 4 unterzeichnet worden, eröffnet werden. Simoda liegt im Fuͤrſtenthum 4 Idzu, Hakodadi im Fürſtenthum Matsmai. Außer, daß die vorſtehenden Anweiſungen des Marine-Lieutenant Maury für Seefahrer von höchſter Wichtigkeit find, enthalten dieſelben zugleich mit den Angaben des chineſiſchen Berichterſtatters manche fur Erweiterung unſerer geographiſchen Kenntniſſe von Japan ſehr beach— tenswerthe Notiz. Sie beſchreiben uns genauer, als wir bisher es wußten, die in der Bai von Jeddo liegenden Inſeln, welche ſie zum Theil mit einem Namen benennen, wovon bisher noch keiner bekannt war, ſowie die Küſten der Bai. Auch lernen wir dadurch den Ort Poku— hama, der durch den in ſeiner unmittelbaren Nähe erfolgten Abſchluß des Vertrages zwiſchen Japan und Nord-Amerika eine weltgeſchicht— liche Bedeutung gewonnen hat, nebſt deſſen Umgegend näher kennen. Aehnliche und noch ausführlichere Aufſchlüſſe erhalten wir über die beiden Ortſchaften Simoda und Hakodadi, welche fortan von Jahr zu Jahr eine immer größere Wichtigkeit für den Seeverkehr im ſtillen Ocean gewinnen und, wer weiß, wie bald ſchon, zu anſehnlichen Stapel— plätzen und Waarendepots erhoben werden. Es kann nicht allzu lange währen, daß Kaufleute der Union ſich zu dem Verſuche entſchließen möch— ten, ſich in Simoda anzukaufen, wo dann hier eine Factorei entſtehen muß. Dem Wortlaut nach iſt darüber freilich in dem Vertrage nichts ſtipulirt; es ſteht aber nicht zu bezweifeln, daß das kaufmänniſch ſpeculative Ta— lent ſich auch dieſen Vortheil zu verſchaffen wiſſen wird. 1 Die bisherige Kartographie von Japan muß aber eine weſentliche Bereicherung und Berichtigung erfahren, ſobald die laut Art. V des 1 Vertrags dem Originale deſſelben beigegebene Karte durch den Druck ziur allgemeinen Einſicht gelangt fein wird. Wir dürfen hoffen, daß damit zugleich ein ausführlicher Bericht des Commodore Perry über die Geſammtthätigkeit der feinen Befehlen anvertrauten Expedition er— folgen werde. Wie ſchon im Eingange bemerkt iſt, berührte das Geſchwader ſo— wohl auf ſeiner Hinfahrt nach Japan, wie auf ſeiner Rückfahrt die Lutſchu⸗Inſeln. Dies hat Veranlaſſung zu genaueren Unterſu— chungen und Beobachtungen einiger bis dahin nur ungenau bekannten Dertlichkeiten auf Groß-Lutſchu gegeben, welche wir in der Weiſe, wie Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 16 i 242 . K. L. Biernatzki: vorher geſchehen, ebenfalls den Leſern dieſer Zeitſchrift vorlegen wollen. Wir beginnen mit den „Anweiſungen zum Segeln nach Napha,“ da— tirt „Unions-Dampffregatte Powhattan, Hafen von Hakodadi, Inſel Jeſſo, Japan, den 27. Mai 1854.“ Dieſelben find vom Flaggen-Lieute— nant Silas Bent auf Befehl des Commodore Perry verfaßt worden!) und lauten: Dies (Napha) 2) iſt der vornehmſte Seehafen auf der Inſel (Groß⸗Lutſchu) und vielleicht der einzige, welcher die Privilegien eines Eingangshafens beſitzt. Der innere Hafen oder „Junk Harbour“ hat eine Tiefe von 2 bis 3 Faden und iſt, obwohl nicht groß, doch hinlänglich geräumig, um die 15 oder 20 Dſchunken mittlerer Größe, welche man gewöhn— lich dort ankernd antrifft, mit Bequemlichkeit aufzunehmen. Es ſind dies meiſtens japaniſche Fahrzeuge, nur wenige ſind chineſiſche und außerdem einige kleine Küſtenfahrer, welche einen ziemlich trägen Han— del mit den benachbarten Inſeln treiben. Der Außenhafen wird im Oſten und im Süden durch das Feſt— land geſchützt, während er an den anderen Seiten gänzlich von einer Kette von Korallenriffen umgeben iſt, welche zwar eine ziemlich gute Wehr gegen eine von Norden oder Weſten kommende Brandung ab— geben, aber doch keinen rechten Schutz vor dem Winde gewähren. Der Ankergrund iſt ſo vortrefflich, daß ein gut geankertes Schiff hier faſt jeden Sturm in Sicherheit aushalten kann. Man nähert ſich Napha am beſten vom Weſten her, wobei man im Norden an den Amakarima-Inſeln vorüberfährt und die Inſel Agenhu in Sicht behält, und ſteuert dann mit ſüdöſtlichem Cours nach dem Hafen, mitten zwiſchen inſelartigen Riffen hindurch, denen man aber nicht nach der Weſt- und Südſeite hin zu nahe kommen darf, da dieſe . Riffe unter dem Waſſer in dieſen Richtungen weit ausgedehnter ſein ſollen, als es auf den Karten angegeben iſt. Sobald man das inſelartige Riff klar gemacht hat, muß man Wood⸗Hill in S. S. D. bringen, dann darauf zuſteuern, bis man in die Richtung kommt, die nach der ſüdlichen Einfahrt (South Channel) ) Sie finden ſich im Overland Hongkong Register 1854, 6. Auguſt, ©. 61. ) Auf unſern Karten pflegt gewöhnlich Napakiang zu ſtehen. „ ͤ¹WWWw.ͤ ——QWA ² ee Me ee Japan und die Lutſchu-Inſeln. 243 führt. Dadurch wird man Bloſſom-Riff bequem paſſiren, doch nicht ſo weit, daß man nicht auch White Tomb und die Baum- oder Ge— ſträuch-Gruppen im Süden von Tumai-Head leicht unterſcheiden könnte. Ein Cours O. N. O. 1 O. oder O. N. DO. bringt den Seefah- rer außer aller Gefahr und führt zu einem guten Ankerplatz auf oder in der Nähe der Sieben-Faden-Bank, ungefähr eine halbe Meile im Norden und Weſten von Falſe-Capſtan-Head. Da dieſe Einfahrt völlig gerade iſt, ſo iſt es jedem mit dem Fahrwaſſer Unbekannten an— zurathen, dieſelbe der anderen, Oar-Channel genannt, vorzuziehen, welche, obwohl ſie breiter iſt, doch das Mißliche hat, daß ſie ein Schiff nöthigt, vier bis fünf Male, gerade wenn es ſich mitten zwiſchen den Riffen befindet, die faſt alle unter der Oberfläche des Waſſers liegen, ſeinen Lauf zu ändern. Um in den Oar-Channel einzulaufen, muß man den Mittelpunkt der Inſel in Junk Harbour (dem innern Hafen), welche an dem tief— dunklen Grün ihrer Vegetation kenntlich iſt, in eine ſolche Lage brin— gen, daß dadurch die Lücke zwiſchen den Forts am Eingang von Junk Harbour ausgefült wird, dann S. O. 2 O. ſteuern, bis Capſtan Head öſtlich liegt, endlich ſich nach O. N. O. wenden und, wie vorhin ange— geben iſt, vor Anker gehen. ; B ‚ 5 n 4 Die nördliche Einfahrt (North Channel) wird durch eine Reihe f unzuſammenhängender Felſen, die von dem Riff an der Weſtſeite aus— laufen, bedeutend verengt, und ein hier Unbekannter ſollte niemals, * wenn Alles gut geht, den Verſuch machen, hier einzuſegeln. Denn bei hohem Waſſer ſind die Riffe faſt gänzlich bedeckt, und es bleibt ſchwie— rig, ſich zurecht zu finden, wenn man mit den verſchiedenen Loca— llitäten und Merkzeichen am Feſtlande nicht vertraut iſt. Will man übrigens durch dieſe nördliche Einfahrt einſegeln, ſo muß man eine er— hebliche Wendung nach der ſüdlich gelegenen Hügelreihe machen in gerader Linie mit einer Anhöhe, welche im Oſten von Falſe-Capſtan— Head liegt und auf dieſe Hügelreihe S. zu O. 3 O. abhalten, bis Tu— 5 mai⸗Head O. z N. zu liegen kommt; dann ee man ein wenig fſüüdwärts, dauit das Riff ziemlich weit im Oſten liegen bleibe, und ſucht ſich einen guten Ankerplatz. 5 Eine ſchwarze Sparren-Boje iſt auf dem Bloſſom-Riff, halbweges zwiſchen feinen äußerſten Ausläufern im Oſten und Weſten, befeſtigt; 8 16 * 244 K. L. Biernatzki: eine rothe Sparren-Boje liegt auf dem Riff in W. N. W. von Abbey- Point und eine weiße auf dem ſüdöſtlichen Ausläufer von Oar-Riff. An ſämmtliche Bojen ſind Flaggen von den entſprechenden Farben be— feſtigt und dieſe dienen als gute Merkzeichen für die ſüdliche und die Einfahrt durch den Oar-Channel. Im Oſten und Weſten der nörd— lichen Einfahrt befinden ſich zwei große Stangen auf den Riffen, welche die Eingeborenen dort aufgerichtet haben, da dieſe Waſſerſtraße am meiſten von den Dſchunken, die nach Norden hin den Verkehr unter— halten, befahren wird. Waſſer kann man beſtändig reichlich an den Quellen im Fluſſe Junk erhalten, wo auch für Boote ein vortrefflicher Landungsplatz iſt. Eine gute Quelle findet ſich in der Nähe der Gräber am Tumai— Hügel, aber, wenn das Waſſer nicht vollkommen ruhig iſt, iſt das Landen unausführbar, und bei anderen Gelegenheiten iſt es aus Man— gel an hinreichender Tiefe, ausgenommen bei hohem Waſſerſtande, un— bequem. Es wurde vom Oberbefehlshaber angeordnet, daß die unter ſei— nem Commando ſtehenden Schiffe des Geſchwaders, wenn ſie ſich Napha näherten, beilegen und ein Signal wegen eines Lootſen machen ſollten, damit ein mit den Oertlichkeiten und Merkzeichen am Lande vertrauter Offizier von den im Hafen liegenden Schiffen abgeſandt würde, die Flotte hinein zu lootſen oder ihrem Befehlshaber die gefährlichen Stellen, die man vermeiden müſſe, zu bezeichnen. Würde ſich übrigens kein Schiff im Hafen befinden, ſo ſollte man Boote vorausſenden und an den äußerſten Spitzen der Riffe, zwiſchen welchen das Schiff hindurchzugehen beabſichtigt, Anker werfen. (Die oben beſchriebenen Sparren-Bojen, fügt der Flaggenlieutn. Bent hinzu, wurden damals, als ſie an ihre Plätze ausgelegt waren, auf Befehl des Commodore feſtgeankert; ſie ſind aber vielleicht ſeitdem in eine andere Lage gerathen oder gänzlich durch ſchweren Seegang oder von den Eingeborenen entfernt worden, daher man ſich auf ſie nicht ganz verlaſſen kann.) Ueber den wichtigſten Hafen auf Groß-Lutſchu, Port Melville oder Oonting, erhalten wir von dem Verfaſſer des vorſtehenden Actenſtücks noch folgende Angaben ): 9 Vergl. Overland Hongkong Register 1854, 6. August, S. 61. e u Ze u *7 nn Japan und die Lutſchu-Inſeln. 245 Der Hafen Oonting liegt an der Nordweſtſeite von Lutſchu, un— gefähr 35 Miles von Napha entfernt. Die Inſel Sugar Loaf, ein vortreffliches Merkzeichen für See— fahrer, liegt etwa 12 Miles in W. N. W. der Einfahrt. Sie iſt niedrig und flach, nur hat ſie eine ſcharfe kegelförmige Spitze nahe an ihrem oͤſtlichen Ende, welche circa 100 Fuß anſteigt. Segelt man im Norden von Sugar Loaf vorüber, ſo führt ein oſt⸗ſüdöſtlicher Cours das Schiff bis an die Mündung des Hafens und an die nördliche und weſtliche Seite der Inſel Kooi. Es iſt rath— ſam, hier beizulegen oder in 20 oder 25 Faden Waſſer zu ankern, bis Boote oder Bojen an den Spitzen der Riffe, welche die Einfahrt ſäu— men, ausgelegt werden können; denn ohne ſolche Hilfsmittel iſt es für ein größeres Schiff ſehr ſchwierig, ſeinen Weg zwiſchen den Riffen, die ſich an einigen Stellen bis auf Kabellänge einander nähern und zu allen Zeiten vom Waſſer bedeckt ſind, hindurch zu finden. Der Cours, den man bei der Einfahrt zu nehmen hat, beſteht zuerſt darin, daß der Hele-Felſen in einer Reihe mit dem doppelgipfli— gen Berge im Süden 37° öſtlich zu liegen kommt. Dann ſteuere man weiter, bis der Chimney-Felſen S. 1 O. liegt, halte darauf auf dieſen Felſen ab, bis Conde-Point ſüdlich liegt, 49“ nach Oſten und ſteuere endlich auf dieſen zu, bis man in das Hafenbaſſin von Oonting einläuft, wo man Anker wirft. Wendet man hier das Schiff ſo, daß das Riff klar wird, welches ſich im Norden von Conde-Point vorſtreckt, ſo liegt man ſo bequem, wie in einem Dock, auf gutem Ankergrund, völlig von Land eingeſchloſſen und faſt ganzlich vor jedem Winde geſchützt. — Gutes Waſſer iſt bei dem Dorfe Oonting zu haben !). Zum Schluß hören wir noch das Urtheil unſeres chineſiſchen Ge— währsmannes über die Lutſchu-Inſeln, und was er dort wahrgenom— men hat. Er ſchreibt: Liukiu oder, wie Europäer und Amerikaner ſagen, Lutſchu iſt eine kleine, ungefähr 100 Li lange und 30 oder 40 Li breite Inſel. Ihre Hauptſtadt liegt 26° 14 nördl. Br. und 127° 52. öſtl. L. Seit der Zeit der Ming-Dynaſtie hat das Oberhaupt ſeine Be— ) In den beiden oben angeführten Actenſtücken iſt mehrere Male einer ange- legten Karte erwähnt worden, deren Veröffentlichung wir daher auch erwarten dürfen. 246 K. L. Biernatzki: lehnung (investiture) von unſerem Kaiſer empfangen und führt den Titel „König“ 1). Es iſt ein armes Land, welches nur ſüße Kar— toffeln, einige Gemüſe, eine Art ſchwarzen Zuckers, Oel u. dergl. m. liefert. Die Bewohner binden ihr Haar in einem Knoten auf und tragen ſehr weite Aermel an ihren Kleidern. Ihre Schuhe ſind aus Baſt (grass) gemacht. Die Männer tragen zwei lange Nadeln in ihrem aufgebundenen Haar, die Frauen nur eine. Darin beſteht der einzige Unterſchied in der Kleidung der beiden Geſchlechter, ſo daß, wenn ſie jung ſind, es nicht leicht iſt, ſie von einander zu unterſchei— den, aber, ſobald ſie heranwachſen, macht der Bart, welcher nicht ge— ſchoren wird, die Männer hinlänglich kenntlich. Es kommt Einem ſon— derbar vor, wenn man auf den Straßen die Männer mittleren Alters alle mit langen Bärten einherſchreiten ſieht. Ich ging am erſten Tage unſeres Neujahrs (29. Januar 1854) an das Land, um einen Spaziergang zu machen, und traf eine Schaar Kinder auf der Straße, denen ich einige Münze gab, worüber ſie ſich ſehr freuten. Die Bewohner waren ſehr unterwürfig. Außen an den Hausthüren waren Glückwunſch-Adreſſen angeheftet, gerade wie das zu Neujahr in China der Fall iſt, ſonſt ſah man aber nirgends Be— wegung und Beluſtigung 2). In Napha fand ich einen Tempel und in dem dazu gehörenden Garten die Grabſtätten der vornehmen Fa— milien. Die Vor- und Nachnamen der Geſtorbenen, ſowie die Zeit, in welcher ſie gelebt hatten, waren auf den Grabſteinen eingegraben. Wie man mir ſagte, wuſchen die Prieſter ſie jeden Tag rein und ſtellten Blumen und Laubwerk daneben. Die Gräber der niederen Volksklaſſe ſind eben ſo, wie man ſie in China während der Zeit der Ming -⸗Dynaſtie zu machen pflegte. Die Anhöhen umher waren ſämmtlich mit Bäumen bedeckt. Die Bewohner lebten in Grashütten, welche innerhalb einer von rohen Steinen erbauten Einfriedigung aufgeführt waren. In ihren Woh— ) Nominell find demnach die Inſeln von China abhängig, in Wahrheit jedoch von Japan. Die Beſatzung iſt eine japaniſche und in Zeiten der Noth rufen die Be— wohner den Schutz von Japan an. So beſtätigen es wenigſtens der dort ſeit meh— reren Jahren anſäßige engliſche Miſſionar Dr. Bettelheim und der gegenwärtige Bi— ſchof von Vietoria auf Hongkong, der die Inſeln 1850 beſucht hat. 2) In China wird das Neujahr bekanntlich mit vielem Laͤrm und ausgelaſſener Fröhlichkeit gefeiert. Japan und die Lutſchu-Inſeln. 247 nungen fanden ſich keine Möbeln. Statt der Seſſel und Stühle bedie— nen ſie ſich der Matten von Gras, auf welchen ſie auf ihren Knien und Zehen hocken, und wobei ſie eine Pfanne mit Feuer vor ſich haben, um ihre Pfeifen daran anzuzünden. Nur wenige unter ihnen ſprechen und leſen chineſiſch. Sie haben keine Verkaufsläden, ſondern einen Markt— platz, wo eine Art Tauſchhandel von den Frauen betrieben wird. Des— halb brauchen fie kein Geld und geben daher wenig auf Geldmünzen fremder Länder. Die niedere Volksklaſſe hat eine große Ehrfurcht vor ihren Gebietern. Sie ſind in ihrer Lebensweiſe ſehr einfach und be— trügen einander ſelten. Die Thüren ihrer Häuſer beſtehen nur aus dünnen Brettern und ſtatt der Fenſter bedienen ſie ſich des Papiers, dennoch bringen ſie die Nacht ohne Furcht vor Dieben, hin und ich habe geſehen, daß, als Einer etwas fallen ließ, ein Anderer es auf— nahm und ihm wieder gab. Die Gerichte haben faſt nichts zu thun; Streitigkeiten zu entſcheiden und Rechtshändel auszumachen kommt nicht vor. Hinſichtlich ihrer Sitten herrſcht bei ihnen noch die alte goldene Zeit. Wenn wir Fremden etwas kaufen wollten, ſo mußten wir uns an die Obrigkeit wenden, die dann das Geſchäft beſorgte. Auch über dieſe Inſeln dürfen wir in dem zu erwartenden aus— führlichen Berichte des Commodore Perry wichtigen geographiſchen Auf— ſchlüſſen entgegenſehen, die nach den vorſtehend mitgetheilten Quellen nur angedeutet werden konnten. Jene fernen Länder Oſt-Aſiens ſind überhaupt die Länder der Zukunft, und die ganze gegenwärtige Welt— lage iſt geeignet, den Amerikanern den Schlüſſel in die Hand zu ge— ben, um die dort bis jetzt noch meiſt verborgenen Schätze aufzuſchlie— ßen. Sie werden ſich von keiner andern Nation der Welt dieſen Schlüſſel, mit welchem ſie bereits die erſten Thore Japans und der Lutſchu⸗Inſeln aufgethan haben, wieder entringen laſſen ). az x RE ) Auch mit dem Gouvernement der Lutſchu-Inſeln hat Commodore Perry be— kanntlich unterm 11. Juli v. J. einen Vertrag abgeſchloſſen, der den Amerikanern ähn- liche Vortheile gewährt, wie der Vertrag mit Japan. Das Actenſtück findet ſich ab⸗ gedruckt im Overland Hongkong Register 1854 vom 6. Auguſt, S. 61, und iſt un⸗ term 17. Juli 1854 zum erſten Male an Bord des Miſſiſſippi „auf der See“ ge: druckt worden. K. L. Biernatzki. IX. Dr. Vogel's Forſchungen im Innern von Nord— Afrika und die neue Niger-Expedition. (Schluß.) c) Schreiben Barth's an Herrn Bunſen. Mas ⸗eſia, den 21. Juni 1852. 1) Aus dieſer Hauptſtadt Bagirmi's 2), wo ich nun ſchon ſeit dem 28. April mich aufhalte, ſende ich Ihnen meinen ergebenſten Gruß. Intriguen und Anſchwärzungen eines aus Kuka, wo er ſich von Schach Omar und Haj Beſchir vernachläſſigt glaubte, zurückkehrenden Einge— borenen dieſes Landes haben mir bei meinem Betreten deſſelben einen ungaſtlichen Empfang bereitet. Nachdem ich an der Fähre der kleinen Stadt Aſu ?) „als ge— fährlicher Zauberer, der gekommen ſei, um dem auf Kriegszügen ab⸗ weſenden Sultan durch ſeine Zauberſchreiben Unheil zu bereiten und ſeinen Thron umzuſtoßen“ ), entſchieden abgewieſen war, und nach— dem es mir gelungen war, an der wenige Stunden abwärts gelegenen Fähre der Ortſchaft Mele glücklich den Fluß zu paſſiren, wurde ich hier ſieben Tage zurückgehalten, während die mir vom Schach Omar und von Haj Beſchir mitgegebenen Empfehlungsſchreiben nach Mas— ena an den Stellvertreter des abweſenden Sultans geſchickt wur— den. Ich fügte mich geduldig in mein Geſchick und neben manchen wichtigen Erkundigungen über den oberen Lauf des Fluſſes und die an ihm liegenden kleineren und größeren Ortſchaften, die es mir gelang einzuziehen, genoß ich den täglichen Anblick des majeſtätiſchen, auf ſei— ner Oſtſeite von einem hohen ſteilen Ufer, auf dem die Ortſchaft liegt, ö . . — . ͤ— K — Dee <_ Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 249 eingeſchloſſenen Fluſſes ), der hier, wo er eine langgeſtreckte Inſel bil— det, die jedoch zur Zeit der Flußſchnelle tief unter Waſſer geſetzt wird, an 600 Pard breit iſt und in ziemlich reißendem Strom von etwa 3 engliſche Meilen Schnelligkeit in der Stunde faſt gerade von Süden nach Norden dem Tſad zueilt. Dies iſt der wahre Schäri oder Aſu, welcher wenig unterhalb Kufjeri bei der kleinen, an feinem öſtlichen Ufer gelegenen Ortſchaft Scheggua den bei weitem kleineren Fluß von Lög— gene (den Lög⸗geme, Löggene) “), der in feinem oberen Laufe zwi— ſchen Musgo und Bay den Namen Serbeuel “) führt, und dem der Name Schäri ganz und gar nicht zukommt, aufnimmt, und dem ge— meinſamen Strome, der ſich bald wieder in mehrere Arme theilt, ſeinen Namen giebt. Daß Denham dieſes Sachverhältniß bei Kufferi ganz üö'berſehen, iſt faſt unglaublich '). Die ganze zu dem kleinen, auf der Weſt⸗ und Oſtſeite des Löggene gelegenen und zehn mit einem Erdwalle umgebene Städtchen “), außer der anſehnlichen, wohlbevölkerten und wohlhäbigen Hauptſtadt (Kärnak), begreifenden Gebiet von Löggsné, welches von ſeinen beiden mächtigen Nachbarn Bornu und Bagirmi ſchonungslos heimgeſucht wird, gehörige Landzunge liegt zwiſchen Kär— nak Löggene und dem zu Bagirmi gehörigen Städtchen Aſu an der Oſtſeite des gleichnamigen Fluſſes und iſt 124 englifche Meilen gegen ich ſolle in Bügöman 1), einer anſehnlichen Stadt an der Weitfeite des oberen Aſu, wo ich alles zu meinem Lebensunterhalt Nöthige fin— den würde, die Antwort des Sultans ſelbſt, den man von meiner An— kunft benachrichtigt hatte, abwarten. Wir begaben uns alſo gehorſam auf den Weg dorthin, und vom ſchlangengewundenen, zuweilen in mehrere Arme ſich theilenden Fluſſe landeinwärts abweichend, erreichten wir mit .. engl. M. ) über mehrere von Kanori's oder dem ſeit langen Zeiten in Bagirmi angeſiedelten Bornu— Volke bewohnte Ortſchaften abermals das Ufer des hier mehr eingeſchränk— ten Schäri, dem mit einem verfallenen Erdwalle umgebenen Bügöman gegenüber. Bugöman, das in früheren Zeiten ein beſonderes kleines Reich bildete, iſt ſtets die Zufluchtsſtätte der Sultane Bagirmi's (ich bemerke, daß Begarmi ein völlig unbekanntes, erſt noch zu entdeckendes Land iſt) 12) geweſen, jo oft ein mächtigerer Feind in das Land einfiel. Suüdoſten breit. 3 Nach 7tägigem Warten kam der Beſcheid aus der Hauptſtadt, 250 Gumprecht: Aber der gegenwärtige Gouverneur dieſer Stadt erwies den Leu⸗ ten und dem Siegel des Stellvertreters in der Hauptſtadt wenig Re— ſpect und verweigerte, mich in ſeine Stadt zu laſſen. Nachdem wir alſo den ganzen Tag vergebens auf dem nackten Sandufer in brennen— der Sonne gewartet, mußten wir wieder abziehen. Der Strom, heute, als am Markttage von Bügömän, mit einer Menge Ueberfahrender belebt, läuft hier von Süden nach Norden 5), hat aber in ſeinem oberen Laufe eine ganz verſchiedene Richtung, in— dem er oberhalb der nahen gleichfalls ummauerten Stadt Mesken den Batſchikäm oder den Ba-ir (identiſche Namen, die ich früher für die Benennungen verſchiedener Flüſſe gehalten) 1), einen Arm des Haupt- ſtromes ſelbſt, der ſich bei der überaus bedeutenden Stadt Miltu etwa . engl. Meilen ) 550 von Mas-eña von ihm abſondert und auf dieſe Weiſe den ganzen Südtheil des Landes Bagirmi zu einer Inſel macht, wieder aufnimmt 1%). Der Strom iſt in dieſem Theile feines Laufes den Einheimiſchen als Ba-büſo bekannter, ein Name, den er von der gleichfalls bedeutenden an ſeinem Nordufer gelegenen Stadt Buſo erhält, die, etwa . . engl. Meilen !“) von Mas -eña entfernt, ziemlich gegen Süden gelegen iſt. Von Miltu an windet ſich dieſer Strom in ſeiner Hauptrichtung von Oſten nach Nordweſten. (Er ſcheint oberhalb Miltu von O. S. O. zu kommen, fo daß er Runga !°) weit zur Seite läßt und, ſüdlich vom Kelaf !?) oder Jängs hinziehend, dem anderen Arme des Bahr il Abiadh, dem ſogenannten Bahr il adda 20) ſich nähert, mit dem er nach der fälſchlichen Anſicht der Gelehrten des Landes im Zuſammenhange ſteht.) Von Bügömän abgewieſen wollte ich bis auf die Ankunft der Antwort vom Sultane ſelbſt nach Löggene, wo ich überaus gaſtfreund— liche Aufnahme gefunden und vom Sultan ſelbſt auf das Dringendſte zu längerem Aufenthalte eingeladen war und, wo ich mich längere Zeit höchſt nützlich beſchäftigen konnte, zurückkehren, ſah mir jedoch die Rück— kehr abgeſchnitten und mich gezwungen, meinen Begleitern auf dem Wege nach der Hauptſtadt durch eine aus Mangel an Waſſer nur ſchwach bevölkerte und meiſt mit Wald bedeckte Landſchaft zu folgen. In Bäkäda, einer aus vier kleinen Weilern beſtehenden Ortſchaft, 11! engl. Meilen von Mas -eña, ließen mich meine Begleiter zurück, und anftatt, wie verſprochen, am folgenden oder nächſtfolgenden Tage Vogel's 1 0 im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 251 mir Bert Beſcheid vom Serma zu bringen, ließen ſie mich 17 Tage ohne Antwort in dem kleinen Orte ſitzen. Glücklicher Weiſe fand ich hier einen aufgeweckteren kundigen Mann, den Haj Sädik, der zu drei verſchiedenen Malen nach Mekka gepilgert war und mir manche Be— lehrung geben konnte. Daneben gab die Paſſage einige Unterhaltung; bald waren es durchziehende Handelsleute von Bornu, vorzüglich mit Pferden, oder Tebu 2), oder frohmüthige kleine Krämer aus Kano, meiſt ihr aus weni— gen Turkadien 2), etwas Kohol ??), Tabak, Perlen und dergleichen be— ſtehendes Gepäck ſelbſt auf dem Kopf tragend, um ſich für den erhal— tenen Preis vorzugsweiſe Eſel einzuhandeln, mit denen ſie dann ihre vornehmere Laufbahn als Sudan-Händler beginnen. a re ) Der Brief iſt ſichtlich in ſehr großer Eile geſchrieben, da er nicht allein einige Lücken, fondern auch mehrere Schreibfehler und verworrene Stellen enthält, die ganz unverſtändlich fein würden, ergäbe ſich nicht aus der Barth-Petermann'ſchen Karte eine Aufklärung der Meinung des Reiſenden. G. 2) Mas ena oder Maffegna, wie Fresnel nach der franzöſiſchen Orthographie ſchreibt (XIV, 156) oder auch Magania, wie der franzöſiſche Arzt Perron fegt (Voyage au Ouaday par le Cheyklı Mohammed Ibn Omar el Tounsy, publié par Perron et Jomard 1851, p. 24), die Hauptſtadt des großen Reichs Bägirmi, wurde zuerft im Beginn dieſes Jahrhunderts in der Form Mesna richtig als die in der Nähe eines zur Regenzeit groß werdenden Fluſſes gelegene Capitale von Bägirmi genannt. Unter dieſem Fluſſe iſt nach dem hier (S. 172) Geſagten entweder der Schary im Allgemei— nen oder deſſen öſtliche Abzweigung, der Batſchikäm, zu verſtehen. Mas⸗eña iſt übrigens nicht der wahre Name der Hauptſtadt, ſondern nur der ihrer Bewohner, wie Fresnel ausdrücklich verſichert (a. a. O. XIV, 155, 156, 159), Moöto dagegen der eigentliche Name. So ſagt auch Perron (a. a. O. S. 24) übereinſtimmend mit Fresnel: Maca- nia, das auch Meito genannt wird. Außer beiden Benennungen giebt es noch zwei bei den Bewohnern dieſer Gegenden übliche von ganz allgemeiner Art. So pflegt man die Hauptſtadt Bägirmi's häufig mit dem allgemeinen Wort Karnak, was jede Stadt oder Hauptſtadt bedeutet (Denham I, 72, 237; Voyage au Ouaday 24; Fresnel XIV, 156, 159), oder mit dem eine Reſidenz (Hauptſtadt) bedeutenden Bornuworte Birni (Voyage au Ouaday 24; Birnie means the capital in the Bornu language, Den— 4 ham I, 154) zu bezeichnen. G. ) Das Städtchen Aſu liegt mit Mele an dem Strom gleiches Namens, aber etwas tiefer, als Mele. Beide Ortſchaften fehlen in Barth's und Fresnel's älteren Itineraren. G. 9) S. hier S. 85. Aehnliche Beſorgniſſe vor der Zauberkraft der Weißen find durch das ganze centrale Nord-Afrika verbreitet. So war die Hauptſtadt des am 2 oberen Senegal gelegenen Neiches Kaarta (Geographie von Afrifa 234) in Folge des Aberglaubens ſeiner Bewohner, daß die Europäer neben vielen anderen böfen Eigen— 252 Gumprecht: ſchaften die Macht hätten, das Oberhaupt des Landes, wenn ſie es einmal erblickt hatten, ſterben zu laſſen, verſchloſſen (Raffenel, Bull. de la soc. de Géogr. Zue Ser. XII, 308). Ebenſo verſagte der Beherrſcher des am mittleren Niger (Joliba) gelegenen und durch M. Park's erſte Reiſe bekannt gewordenen Reiches Sego dem britiſchen Reiſen— den Dr. Dochard das weitere Vordringen von Bammaku am Niger aus in ſein Land und verweigerte ſogar, deſſen Geſchenke anzunehmen, weil er die Europäer im Beſitze von Zaubermitteln glaubte, die ſie in den Stand ſetzten, ihn mittelſt des Geruchs oder Blicks zu toͤdten (Quarterly Review 1820. XXIII, 241; Denham I, 281). Es war nämlich damals noch in guter Erinnerung, daß, als M. Park dieſe Gegenden paſſirte, mehrere Häuptlinge, die mit ihm zu thun gehabt, geſtorben waren. Auch das Ober— haupt von Bammaku war bei Dochard's Ankunft am Niger geſtorben; an dieſem Aber- glauben ſcheiterte Dochard's Unternehmung gänzlich. G. 5 Mit dieſer Schilderung der Größe des Stroms ſtimmt der Bericht überein, den Perron von ihm erhielt. Danach hat derſelbe ſchon eine außerordentliche Größe, ehe er Bägirmi erreicht, und zwar iſt dieſelbe ſo bedeutend, daß man ihn kaum mit dem Auge überſehen und eine Perſon am jenſeitigen Ufer erkennen kann; bei niedri— gem Waſſerſtande hat er noch eine Breite von 600 M. (a. a. O. 24). G. 6) Dieſer Name kommt ſehr verſchiedenartig vor. Denham nennt ihn ſtets Log— gun, was mit Fresnel's Schreibart Logoun übereinſtimmt (XIV, 155, 159, 163), indem die in Bornu wohnenden Schua-Araber, wie Barth in Erfahrung brachte, ſich dieſer Form bedienen, während die Urbewohner des Landes Löggene fagen (Berl. Monats⸗ ber. IX, 385). Perron ſchreibt dafür Logon (a. a. O. 14). Aber der gewöhnlichſte Name, womit die Landesbewohner ihre Capitale bezeichnen, iſt das ſchon erwähnte Wort Karna, Kärnak oder Kernuk (Fresnel XIV, 155, 159; Denham J, 237). So wiederholt ſich im centralen Afrika die ſchon im Alterthum bei den Athenienſern und Römern, welche auch unter den allgemeinen Worten ro cord und urbs ihre Hauptſtädte verſtanden, übliche Sitte, gleichwie man in England London heute ſehr gewöhnlich nur mit dem Worte the town bezeichnet. Der Staat Löggene führt endlich zuweilen noch den Namen Kotoko, womit die Fellans die Löggener benennen (Fresnel XIV, 158), woraus dann der zuerſt bei Burkhardt (Travels in Nubia, 478) vorkommende und in die geo⸗ graphiſchen Werke über Afrika übergegangene Name Dar (Land) Kataku entſtanden iſt. Perron ſchreibt für Kataku Katakau (a. a. O. 14). G. 7) Der Serbeuel iſt Overweg's Serbenel. (S. hier S. 171). G. 8) Daß dieſer ausgeſprochene Tadel ungerecht iſt, und wodurch Denham ver- hindert wurde, die hydrographiſchen Verhaͤltniſſe im Süden des Tſad gründlicher zu er— forſchen, habe ich bereits früher erörtert (S. 169). G. 2) Barth-Petermann's Karte nennt im Lande Löggene nur 7 Orte, nämlich im Nordweſten Hulluf und Kala (letztes muthmaßlich das arabiſche, Schloß oder Ka— ſtell bedeutende Wort Gala Gala), im Südweſten Waza, im Oſten Bata und Bu⸗ gari, im Innern Munhe und Jinna. G. 10) Bügömän iſt ein bisher nirgends genannter Ort, der aber nach Barth⸗ Petermann's Karte oberhalb Aſu an der linken Seite des Schary liegt. G. 11) Dieſe Stelle iſt im Original unausgefüllt. G. 12) Das geographiſche Document bei Clapperton (Journal 335) ſchreibt Ba— ghärmy; Perron hörte das Land Bäghuirmeh nennen (S. 24). G. 13) Daß der Schary feinen Lauf von Süden nach Norden nimmt, hörte auch ö Perron (S. 24). G. . N! a ee Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger» Expedition. 253 14) In dieſem Namen Ba⸗ ir, wie in Ba-Büfo und wahrſcheinlich in Vatſchi— kam, endlich vielleicht ſelbſt in dem Namen Bägirmi wiederholt ſich ſichtlich das Ba— girmiwort für Fluß (S. hier S. 172). Mit dem in neuerer Zeit beſonders durch Perron (Voyage à Ouaday 8) öfters genannten Fluß (Bahr) Iro ſcheint indeſſen der Ba⸗ir, trotz der faſt völligen Identität beider Namen, und, obwohl auch der Bahr Iro durch Bägirmi feinen Lauf nehmen ſoll, nicht zuſammen geworfen werden zu dürfen, indem Perron's Karte von Ouaday den letzten als einen ſelbſtſtändigen großen Fluß angiebt, der im Süden Bägirmi's, Ouaday's und Dar Fur's feinen Lauf nach Oſten nimmt.“ G. 15) Auch hier hat das Original eine Lücke. G. 16) S. die Auseinanderſetzung S. 172. Dieſe Spaltung des Stroms von Bä— girmi war übrigens früh bekannt, wurde aber wenig beachtet. Denn ſchon König in der hier S. 168 eitirten Stelle berichtete nach den Ausſagen eines Bagirmers, daß der von ihm Goula genannte Strom ſeines Landes ſich oberhalb des Ortes Bouſſa, womit nur Barth's Büſo gemeint ſein kann, in zwei Arme theile, von denen der eine nach Südoſt, der andere nach Nordoſt gehe. Letzter ſoll ſich weiterhin in der Höhe des Landes Runga auch nach Südoſten wenden und endlich, nachdem er die Länder des Dinka und Schilluk durchſtrömt, in den Nil fallen. Zugleich verſicherte Königs Referent, daß der Goula einen Fluß Namens Dagd aufnimmt, womit nur Burkhardt's Bahr Djad (S hier 171) oder der Fluß von Löggene gemeint fein kann. Uebrigens ſteht Königs Nachricht von dem Abfluſſe eines Zweiges des Bägirmiſtroms nach dem Wei— ßen Nil in merkwürdiger Uebereinſtimmung mit den angeführten Erkundigungen Per— ron's, wonach dieſer den Lauf des Iro in ſeiner Karte zeichnete, ſowie mit den ſchon durch die britiſche Erpedition von 1822 — 1824 erhaltenen Nachrichten, indem dieſe erfuhr, daß der Schary von Süden kommt und daß von dem Schary zu Buſſa (d.h. wohl wieder Büfo, und es Ht damit nicht Bouſſa, die am Niger gelegene und durch M. Park's Tod zu einer traurigen Berühmtheit gelangte Stadt gemeint) ein Arm abgeht, der ſüdlich von Dar Fur, Ouaday und Bägirmi ſtrömt und ſich bei Sennaar mit dem Nil vereinigt (Quarterly Review 1826. XXXIII, 546; dieſe intereſſante Stelle fehlt in Denham's Werk). ! 17) Abermals eine Lücke. 2 G. 15) Das ſüdöſtlich von Ouaday gelegene Land (Dar) Runga oder, wie es ſonſt noch genannt wird, Ruga (Brown, Darfur 560, 561 — auf Brown's Karte ſteht aber Runga — und in dem oft erwähnten geographiſchen Document bei Clapperton Travels 335), Ruka (Burkhardt Nubia 185) und Raunah (Voyage au Darfour p. 134 und auf Perron's Karte von Ouaday) erſcheint zuerſt im Beginn dieſes Jahrhunderts, aber fo oberflächlich erwähnt, daß es in die 2. Ausgabe von Ritter's Afrika noch nicht aufgenommen wurde. Auch jetzt wiſſen wir ſehr wenig davon, obwohl Pallme (a. a. O. 216), Fresnel (XIII, 89, 91) und Perron Manches darüber erkundeten. Sehr wün— ſchenswerth waͤre es übrigens, daß es einem Europäer gelänge, bis dahin vorzudrin— gen, da gerade in Runga der Schlüſſel zur Aufklärung der wichtigen Frage über die Grenzen der Waſſerſyſteme des Nil und Niger liegen dürfte. Beſonders auffallend iſt hierbei, daß Pallme in Kordofän von einem, durch die Landesbewohner geradezu als den Weißen Nil bezeichneten Fluſſe Runga's reden hörte (a. a. O. 216). G. ) Kelak, Kezilaf oder Ke-ilah iſt ein um das Jahr 1840 durch den franzö— ſiſchen Reiſenden Arnaud erkundeter Name eines großen, genau von Weſten kommen— den und unter 9 11’ nördl. Br. und 9° 14’ öſtl. L. von Paris in den Weißen Nil 254 Gumprecht: mündenden Fluſſes (Bull. de la soc., de Géogr. 2”° Ser. XVIII, 378; XIX, 90, und auf Arnaud's Karte des Weißen Nils), deſſen Kenntniß wir den ägyptiſchen Nil-Ex⸗ peditionen verdanken und der höchſt wahrſcheinlich mit dem großen Strom von Runga zufammenfällt. Da der untere Lauf dieſes Fluſſes das Jengäh-, Kek- und Dinfaland durchſtrömt, und hier kih oder kiti allgemein Waſſer bedeutet (Werne S. 124, 452; nach dieſem Reiſenden nennen die Jengäh, Kek und Dinka den Weißen Nil ſelbſt Kih oder Kidi S. 123, 202, 452), fo iſt Kelaf (Késilak) unzweifelhaft ein zuſammengeſetztes Wort und der fo benannte Strom mit dem Ildes oder Ileiß, den Fresnel als einen im Dinkalande in den Weißen Nil fallenden Strom nennen hörte (Bull. de la soc. de Géogr. Zme Ser. XIII, 91, 95), derſelbe. G. 20) Der Ada oder Adda (Bahr el Ada) kam zuerſt in den durch Brown ge— ſammelten Itineraren (571, 572) als ein im Süden von Dar Fur fließender Strom vor. Nach Fresnel (XIII, 91, 95) entſteht aus der Vereinigung deſſelben mit dem Zoum erſt der Jles. Auch der Kadada der Rungger (Fresnel XIII, 97) dürfte nur der Bahr el Ada fein, da in dem Namen Kadada fichtlic das Dinkawort für Waſſer enthalten iſt, obwohl Fresnel's Berichterſtatter davon keine Kenntniß hatte. G. 21) Die Tebu ſind das ſeit Hornemann wohlbekannte große Volk der Tibbo. G. 22) Turkadien ſind weibliche Kleidungsſtoffe (The Turkadies are articles of female dress, commonly of blue common cloth. Clapperton bei Denham II, 9). G. 23) Kobhol, d. h. im Arabiſchen ſchwarz, iſt der durch das ganze centrale Afrika, fo weit der Gebrauch der arabiſchen Sprache reicht, übliche Name für das aus Anti— mon bereitete und als Verſchönerungsmittel zum Schwärzen der Augenbraunen benutzte Pulver. Das rohe Antimon kommt theils aus Europa und zwar aus den öſterreichi— ſchen Staaten (Pallme 184), theils liefert es Afrika ſelbſt, namentlich Hauſſa (Clap— perton bei Denham II, 53), das ſüdliche Marocco und angeblich die Oaſe Tuat (Daumas Le Sahara Algerien 199, 285), letztes eine Angabe, die fehr wenig glaubhaft erſcheint. Bei dem ſo verbreiteten Gebrauch des Antimons darf man ſich nicht wun— dern, daß es oft als Waare in den afrikaniſchen Handelsorten genannt wird, wie zu Gadämes (Daumas 172) und zu Nefta in Tuneſien (Daumas 199). G. d) Vogel's Bemerkungen über die Vegetation der Ge— gend um Kuka und ſüdſüdöſtlich davon bis zum 9° 30) nördl. Br. (Bonplandia, 15. Januar 1855.) Man ſagt, „Kuka“ habe ſeinen Namen von dem in Ka— nuri ſo genannten Baum Adansonia digitati. Iſt das der Fall, dann heißt es ſo wie „lusus a non lucendo“, denn der Baobab kommt nirgends in Bornu vor und geht ſicher nicht weiter öſtlich, als bis zum 12. Grade !). Die einzigen Exemplare, die ich davon geſehen, ſtehen hier in einem Hofe und find nicht über 15’ hoch, noch mehr als 18“ dick. Man pflanzt ſie hin und wieder ihrer Blätter wegen an, die als Gemüſe gegeſſen werden. Ein prachtvoller Baum, der am See von Tuberi ungeheure Wäl— r Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Expedition. 255 der bildet, iſt die „Delebpalme“ (wie ſie in Nubien genannt wird). Das Laub iſt fächerförmig, ſehr ähnlich dem der Doompalme, nur grö- ßer und von lebhafterem Grün. Der Stamm iſt glatt 2) und ſpaltet ſich nie, die Früchte wiegen etwa 4 — 5 Pfd. find 8 — 9“ lang und 6—7“ dick, oval, dunkelgelb, beſtehend aus einem äußerſt dichten fa— ſerigen Gewebe, in welchem 3 Kerne eingehüllt ſind (es finden ſich ſolche in dek Kiſte mit Pflanzen und Steinen, die mit derſelben Gele— genheit, welche ihren Brief befördert, von Kuka abgehen wird, für Sir W. Hooker). In dieſem Gewebe iſt ein etwas bitterlich, aber ſonſt höchſt angenehm ſchmeckender dicker Saft, der an Geſchmack und Ge— ruch ſtark an Ananas erinnert. Die Bäume ſind gewöhnlich nicht hoͤher als 40“ mit einer überaus dichten und ſchönen Blätterkrone. (Wenn ich nicht irre, jagt Ruſſegger, der dieſe Palme in Senär fand, fo iſt fie noch nicht beſchrieben) ). Daß meine Pflanzenſammlung nicht ſehr reich iſt, liegt daran, daß ich 3 Monate nach der Regenzeit hier eintraf und meiſt nur ver— brannte Ueberreſte vorfand. Außerdem iſt die Umgegend von Kuka äußerſt arm an Pflanzen aller Art; fo weit das Auge reicht in der troſtloſen ſtaubigen Ebene nichts, als die ungeſchickten und ungraziöſen Büſche von Asclepias gigantea )). Während der Expedition war das Sammeln mit vielen Schwie— rigkeiten verknüpft; ohne Bedeckung konnte man ſich meiſtens nicht weit 8 vom Lager entfernen, da die Musgo hinter jedem Buſche lauerten, und mit Begleitung war man nicht viel ſicherer. So ritt ich z. B. einmal mit 30 Reitern aus, als mein Bedienter auf einmal 6 Musgo hinter den Bäumen erblickte. Mein Schwarzer rief den Leuten zu, auf die— ſelben einzureiten. Geht ihr voran, erwiederte man uns, ihr habt Flin— ten. Und in dem Augenblicke, als wir wirklich vorangingen, ergriff mein Gefolge eiligſt die Flucht und ich war mit meinem einzigen Be— gleiter allein den Feinden gegenüber, — ein Flintenſchuß reichte indeß hin, dieſelben zu zerſtreuen. Unter den von mir eingeſandten Pflanzen befindet ſich eine Ascle- piadea. Ich habe auf der Etiquette zu bemerken vergeſſen, daß die Frucht von den Bornavi 5) gegeſſen wird.“ ) Dieſer Ausſpruch iſt ſchwerlich richtig und beruht unzweifelhaft auf einer zu geringen Kenntniß des Bornulandes, denn wenn man auch zugeben kann, daß N ET = 256 Gumprecht: ſich die Adanſonia bei Kuka in geringer Menge und Entwicklung vorfindet, jo mag dies mehr auf localen Verhältniſſen beruhen, als zu der allgemeinen Folgerung be— rechtigen, daß das ganze Bornuland der Adanſonia entbehrt. Ein Baum, deſſen Verbreitung von der Weſtküſte des Continents an, wo ihn bekanntlich der Venetianer Ei da Moſto zuerſt am grünen Vorgebirge kennen lernte und der coloſſalen Entwickelung feines Stammes wegen ſchon anſtaunte (Ramuſio I, 109 a), aber erſt Adanſon wiſſen⸗ ſchaftlich hier zu unterſuchen Gelegenheit hatte, allmählig durch die ganze tropiſche Zone Afrika's bis zum Blauen (Cailliaud III, 292; Werne 115) und Weißen Nil (Werne 116, 117) erforſcht worden iſt, wird in Bornu nicht fehlen, und zwar um ſo weniger, als die Eriſtenz der Adanſonien noch am Weſtrande Bornu's mit Beſtimmtheit nachgewieſen worden iſt, und die klimatiſchen und Bodenverhältniſſe dieſes Landes keinen Grund ab— geben, deren Vorkommen darin zu bezweifeln. Clapperton fand nämlich bei ſeiner erſten afrikaniſchen Reiſe in dem nur wenige Tagereiſen weſtlich von Kuka etwa un— ter dem 11.— 12. Grade öſtl. Br. Gr. gelegenen Lande der Bediten oder, wie fie Koelle muthmaßlich richtiger nennt, der Bedo (African native literature p. 81, 210) einen von den Einwohnern Kuka genannten Baum, welcher nach ſeiner ziemlich um— ſtändlichen Beſchreibung (Denham II, 11— 12) nur die Adanſonia oder der Bao— bab (Adansonia digitata) fein konnte. Wirklich erklärte ihn auch der berühmte Bo— taniker Rob. Brown in dem botaniſchen Anhange zu Denham's Werk ausdrücklich dafür (II, 232). Da nun die Bédc's heidniſche Bornuer find (The Bedites, an ancient race of native Bornuese, who have not embraced islamism and who oc- cupy an adjoining country. Koelle a. a. O. 210) und die Bornuſprache reden, fo lag die Vermuthung allerdings ſehr nahe, daß der Name der Hauptſtadt Bornu's von dem Bornunamen der Adanſonia abzuleiten ſei. Clapperton that dies ſelbſt zwar nicht, dagegen habe ich nicht angeſtanden, eine ſolche Ableitung für wahrſcheinlich zu halten (Berl. Monatsber. IX, 345) und neuerdings iſt dies wieder durch Koelle, der viel Gelegenheit hatte, von Bornuern Kunde über ihr Land einzuziehen, geſchehen. (Kuka or Kugä a large kind of tree, often called monkey apple [d. h. Affenbrod⸗ baum] from which doubtless the town Küga or Kuügäwa on the lake Tsäde deri- ves its name a. a. O. 339). Was nun die von Vogel geleugnete Verbreitung des Baobabs in den öſtlich vom 12. Grade öſtl. Br. Gr. gelegenen Strichen des tropi- ſchen Afrika betrifft, ſo iſt dieſe Ableugnung völlig ungegründet und namentlich unzweifelhaft, daß der Baum ſehr häufig und in rieſenförmiger Größe in den Ebenen Kordofang und in den Thälern des Nuba vom 13. Grad n. Br. an vorkommt (Ruſſegger Reiſen II, 2. S. 125, 126, 199, 330). So führte ihn ebenfalls Fresnel in den Wüſten von Kordofan und Dar Fur an (XIII, 105; XIV, 157); am Weißen Nil traf ihn Werne (Expedition 379) und nochmals in Dar Fur der Scheikh Mohammed el Tounſy (Voyage au Darfour 330, 468), womit die neueren Erkundigungen des ſardiniſchen Conſuls zu Tripoli Gambarotta (Bull. de la soc. de Géogr. 4% Ser. IV, 538) übereinftimmen. Wird aber durch dieſe beſtimmten Beobachtungen die Ver— breitung der Adanſonie im Weſten bis zum 12° öftl. Br., im Oſten bis zum 14° 41’, d. h. bis zur Hauptſtadt Dar Furs, Kobeyh, erwieſen, fo wäre es in der That mehr, als auffallend, wenn es in dem zwiſchen beiden Punkten gelegenen ſchmalen Striche keine Adanſonien geben ſollte, und es iſt demnach nicht ſo unwahrſcheinlich, wie unſer Reiſende annimmt, daß die Hauptſtadt Bornu's danach genannt worden if. Ja es dürften für dieſe Namengebung noch einige analoge Fälle vorhanden ſein, da durch mehrere neuere Berichterſtatter, z. B. durch Fresnel (XIII, 347, P Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 257 347; XIV, 161, 163) und Perron (Voyage au Ouaday 22) in die weſtlich von Ouaday und nordoſtlich vom Fittrefee gelegene Landſchaft Modogo ein Volk der Kouka verſetzt wird, fo wie es auch ſuüdöſtlich von Ouaday eine von demſelben Volk bewohnte Landſchaft (Dar) Kouka giebt (Perron 22), beides Namen, die zu auffallend find, als daß man fie nicht mit dem Bornuworte für die Adanſonie in Verbindung bringen ſollte. Freilich führt die letzte im Oſten des Tſad nicht überall den ange⸗ führten Bornunamen, ſondern fie iſt hier allgemeiner unter dem Namen Tebeldy (Voyage au Darfour 330) bekannt, wonach unzweifelhaft die Stadt Tubaldie (Brown 573; Tebeldyeh KON Voyage au Darfour 481) im Süden Dar Fur's genannt E wird, wogegen Werne verſichert, daß nur die Frucht des Baums den Namen Tabeldi 7 führe (Erpedition 379). Der immer (meiſt? G.) hohle Stamm der Adanſonie dient, wenn er oben offen iſt und alſo das Regenwaſſer ſich darin ſammeln kann, als na— türliche Ciſterne (Fresnel XIV, 157; Voyage au Darfour 467), indem er oft Waſſer— maſſen von der Tragkraft von 2, 3 — 4 Menſchen enthält. Bei den Expeditionen | der ägyptiſchen Truppen in den Ebenen um Korbofan hatten dieſe oft ſogar kein | anderes Trinkwaſſer, als ſolches (Perron Voyage au Darfour 467). Die Benutzung der Adanſonienſtämme als Ciſternen iſt übrigens im tropiſchen Afrika ſehr allge— mein, und fie kommt namentlich auch in Angola vor, wenn nämlich, wie höchſt wahr— ſcheinlich, der Imbondeiro, ein ſehr nützlicher Baum dieſer Landſchaft, den Accurſto das Neves anführt (Consideracoes politicas e commercias sobre os descobrimentos e possessoes dos Portuguezes na Asia e na Africa. Lisboa 1830. p. 222) wirklich eine Adanſonie iſt. Unrichtig dürfte es aber fein, daß nur die als Ciſternen benutzten Stämme in Kordofan Tebaldi heißen, wie Fresnel hörte (Tobaldi oder Tembaldi XIV, 157). Die von Vogel endlich berichtete Verwendung der Adanſonienblätter in der Haus- haltung war früher ſchon Clapperton (Denham II, 10 — 11; Clapperton Travels 219) bekannt, indem dieſer anführt, daß man die Blätter im Bedolande nach dem Regen ſorgfältig ſammelt, an der Sonne trocknet und mannigfach in der Küche ver— wendet, weil ſie in Waſſer gekocht ein klebriges Gallert liefern, wodurch Fleiſch- und andere Saucen eine galatineuſe Conſiſtenz erhalten. Die mit Fleiſch geſottenen Blät— ter aßen die Bédöer als Gemüſe, und fie bilden fo eine gewöhnliche Speiſe der Eingeborenen, welcher der Reiſende jedoch keinen Geſchmack abgewinnen konnte. Sonſt glaubt man im Bedolande, daß die Blätter und Früchte der Adanſonie einige me— dieiniſche Kräfte beſitzen. G. ) Ueber die Delebpalme ſ. das hier S. 163 — 166 Zuſammengeſtellte. Auf: fallend iſt, daß unſer Reiſender nichts von der Verdickung der Stämme ſagt, die am Tuberiſee nicht ſtattzufinden ſcheint, weil er ſie ſonſt wohl nicht unerwähnt gelaſſen hätte; er ſtimmt darin mit Poncet überein, wogegen P. Kuoblecher gleich Ruſſegger (Reiſen II, 2. S. 192) am Weißen Nil die Verdickungen beobachtet hatte, ſowie auch die von dem Herzog Paul von Würtemberg am Blauen Nil zu Saba Deleb geſehenen Eremplare (Martius 201) dieſelbe Eigenthümlichkeit gehabt zu haben ſcheinen Endlich * nennt Arnaud den Delobſtamm ausdrücklich nach der Mitte der Höhe verdickt (bombe vers le centre, Bull. de la soc. de Geogr. 2e Ser. XVIII, 381). Knoblechers Schilderung . XIV, 170) ſtimmt ganz mit der von Ruſſegger und Werne überein. G. 9) Ruſſeggers Aeußerung ſteht in feinem Reiſewerke II, 2. S. 189; aber ſeit— dem hat allerdings v. Martius, wie ich früher anführte (S. 163), dem Deldb, fo weit er es vermochte, ſeine Aufmerkſamkeit gewidmet. G. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 17 r 258 Gumprecht: ) Das Häufige Vorkommen der Aseclepias wurde in den öſtlichen Strichen der Tropenregion oft bemerkt. So erwähnte Ruſſegger ausgedehnte Büſche davon, namentlich von Asclepias procera, welche die Ebenen ſüdlich von Kordofän bedecken (Reifen II, 2. S. 120, 127, 331), ferner ſagt Brown (311), daß der Uſchar oder Asclepias gigantea in Dar Fur große Striche erfülle, und endlich fand auch Werne Asclepias procera abermals am Weißen Nil vor (Expedition 262, 309). G. ) Bornavi iſt eine bisher nicht vorgekommene Form für den Namen der Bor- nuer, indem die bei den Arabern übliche Form Barnzoui ift (König im Bull. de la soc., de Géogr. 1 Ser. VI, 169; Bornowy bei Denham I, 81), und die Bornuer ſelbſt ſich bekanntlich Kanuri (Denham J. 147) oder auch Börnugei (Koelle a. a. O 271) nennen. G. 2. A. Petermann: Die neue Niger-Expedition. Gotha, den 9. Februar 1855. Als Dr. Barth im Sommer 1851 bei ſeiner bekannten Reiſe von Kuka nach Adamaua weit in das Innere Afrika's vordrang, entdeckte er einen großen mächtigen Strom, nach Weſten, anſcheinend dem Ko— wara zufließend. Dieſe Entdeckung ſchilderte er in ſeiner damaligen Depeſche an die engliſche Regierung in folgenden Worten: Aber der wichtigſte Tag in allen meinen langjährigen afri— kaniſchen Wanderungen war der 18. Juni, an welchem Tage ich den Fluß Benué erreichte, an dem Punkte, wo ſich ein anderer Fluß, der Faro, mit ihm vereinigt. Seit ich Europa verlaſſen, habe ich keinen fo großen und mächtigen Strom geſehen, denn der Benué, welches jo viel heißt, als die Mutter der Gewäſſer, iſt eine halbe engliſche Meile breit und 9 Fuß tief in der trocknen Jahreszeit 1c. ꝛc. Nach unſerem damaligen Erachten war es keinem Zweifel unter— worfen, daß dieſer neuentdeckte Fluß Benué der obere Lauf des in den Kowara abfließenden Tſchadda-Fluſſes ſein müſſe, und daß er, vermöge ſeiner unzweifelhaften Schiffbarkeit, einen natürlichen Pfad bilde, welcher das große Innere Afrika's der europäiſchen Civiliſation und Geſittung erſchließen und zum erſten Male zugänglich machen würde. Denn nur ein ſchiffbarer Fluß kann es ſein, der uns ſicher, raſch und leicht genug durch die klimatiſch ſo gefährlichen Küſtenländer in die großen, fruchtbaren und geſunden Länder Inner-Afrika's bringen wird. Ohne eine ſolche natürliche Waſſerſtraße würde uns der Kern dieſes Continents wohl ewig fern, und die Millionen ſeiner Einwohner dürften in dem Elend ihres Heidenthums und ihrer Sclaverei bleiben. Aber der 2 Vogel's Forſchungen im Innern Afrika's und die Niger-Erpedition. 259 Nil, der Kowara, der Congo und alle übrigen Flüſſe Afrika's haben die Schiffe der Europäer bisher durch ihre Cataracten und Untiefen zurückgeſchreckt. Schon vor länger als zwei Jahren brachten wir daher den Plan einer Dampfboot-Expedition in den erſten engliſchen Blättern öffentlich in Vorſchlag, in Folge deſſen auch eine ſolche von dem um Afrika jo verdienten Macgregor Laird organiſirt und von der engliſchen Regie— rung und dem Parlament genehmigt wurde. Ein Dampfboot wurde eigends zu dieſem Zwecke conſtruirt, und verließ Ende Mai des ver— gangenen Jahres England, auf das Sorgſamſte ausgerüſtet und mit Eingeborenen bemannt, die von 12 Europäern geleitet waren. — Am 3. dieſes Monats nun iſt die Erpedition glücklich nach England zurück— gekommen nach einer über alles Erwarten günſtigen Reiſe, deren Re— ſultate unſere Vermuthungen vollkommen beſtätigten. Die Plejade, ſo iſt der Name des Explorations-Schiffes, war, nachdem ſie auf der Inſel Fernando Po ihre Vorbereitungen getroffen, Anfangs Juli das Kowara-Delta hinauf gedampft, gelangte bis in die Nähe der unweit des Benué gelegenen Hauptſtadt Adamaua's, Jola genannt, und war am 7. November in Fernando Po wieder an— gelangt. Sie iſt demnach, nach einer Abweſenheit von Europa von 8 Monaten, im Ganzen 250 engliſche Meilen weiter in's Innere Afri— ka's vorgedrungen, als je zuvor ein europäiſches Schiff. Die von Barth gemachten Entdeckungen liegen weiter nach Weſten, als er ſie angege— ben hatte, was mit den bisherigen aſtronomiſchen Beobachtungen des Dr. Vogel genau übereinſtimmt. Die Eingeborenen zeigten ſich überall gutmüthig und zum freundlichen Verkehr geneigt. Das ungemein wichtige Reſultat dieſer Expedition beſtände alſo erſtens erſtens darin, daß es ſich durch die vollftändige Aufnahme des Frluſſes Tſchadda-Benué erwieſen hat, daß man nunmehr von einem engliſchen Hafen aus in etwa ſechs Wochen in das Herz Afrika's 1 gelangen kann. Zweitens, was noch unendlich viel wichtiger iſt, daß 4 man eine ſolche Reiſe ohne Gefahr, den verrufenen ſchädlichen klima— 1 1 tiſchen Einflüſſen des tropiſchen Afrika's zu erliegen, zurücklegen kann. Denn von der geſammten Mannſchaft, 66 an der Zahl, iſt auch nicht ein Einziger geſtorben, und Krankheit ift nur in geringem Maße vor— gekommen, obgleich der Aufenthalt in den Flüffen 118 Tage betrug, * 260 Gumprecht: Die neue Niger-Expedition. welches mehr als doppelt ſo viel Zeit iſt, als einige der früheren Niger— Erpeditionen gebrauchten, bei denen bekanntlich faſt die gefammte Mann— ſchaft dahin ſtarb. „Jetzt“, ſo ſchreibt unſer Berichterſtatter, der die meiſten Verdienſte um die Organiſation dieſer Expedition hat, „haben wir endlich einen practicablen Weg nach Inner-Afrika angebahnt, welcher die Gefahren und Schwierigkeiten afrikaniſcher Erforſchung und Regeneration unge— heuer vermindern und eine neue Aera bilden wird in der Geſchichte dieſes Erdtheils.“ Neuere Kunde von Dr. Barth und Vogel, als wir ſchon mitge— theilt haben, hat die Expedition nicht mitgebracht, aber es iſt erfreulich und intereſſant zu erfahren, daß, als die in dem jüngſt erſchienenen offiziellen Bericht der Erpedition enthaltenen Portraits der Reiſenden den Eingeborenen gezeigt wurden, dasjenige des Dr. Vogel von den— ſelben ſogleich erkannt wurde. Gumprecht. „ Bon. * * IE 5 a, > X Nivellements im Großherzogthum Mecklenburg- Strelitz )). Die Kenntniß der Höhenverhältniſſe der norddeutſchen Ebenen hat bis jetzt noch eine ſo geringe Aufmerkſamkeit gefunden, obgleich der Nutzen vielfach aner— kannt wurde, daß ich mich bewogen fühlte, das ſo reichlich über dieſen Gegen— ſtand vorhandene Material zu ſammeln, zu ordnen und auf einen Horizont zu bringen. Bei der Sammlung und Zuſammenſtellung des Materials für die Provinzen Brandenburg und Pommern ſtellte ſich mir nicht allein das Bedürfniß, ſondern auch die Nothwendigkeit heraus, eine Verbindung durch das Großherzogthum Mecklenburg-Strelitz zu erhalten. Durch ausgezeichnete Güte iſt es mir gelungen, dieſe Lücke auszufüllen und über jenes Land ein reiches Material von Nivellements zu erhalten. Ich verband dieſe mit denen von Pommern und der Mark Brandenburg; letzte wurden wieder an das trigonometriſche Nivellement von Berlin nach Swinemünde einerſeits, und andererſeits bei Stralſund unmittelbar an den Waſſerſtand der Oſtſee ange— ſchloſſen. Sie geben daher für jene Theile des Herzogthums Mecklenburg, die ſie berühren, eine ſehr ſichere und zuverläſſige Höhenüberſicht. Ich laſſe dieſe Nivellements in folgender Reihe folgen: 1. die Gewäſſer, 2. die Eifen- bahnen, 3. die Chauſſéen. 8 1. Die Gewaͤſſer. a) Das Hauptgewäſſer des Großherzogthums Mecklenburg iſt die Havel. Ich gebe ihr Nivellement nicht allein, ſo weit es innerhalb des Großherzog— thums fällt, ſondern auch das ihres Laufes, ſo weit ſie die Grenze mit Preu— ßen bildet. Das hier angegebene Hoͤhenmaß iſt preuß. Duodecimal-Fußmaß, die Entfernungen preuß. Ruthen. Fuß Zoll Der Zeiten-See, weſtlich von Loiffow . . . 209 4 Der Loiſſow-See, öftlih von Loiſſ Ww. . 19310 Der Jäthen-See bei Blankenförde . 190 4 nſeriner Seger. . 1487111 ) Wir verdanken dieſe Mittheilung dem Königl. Ingenieur » Geographen Herrn Lieutn. Wolff, der ſich bereits im Jahre 1830 im Verein mit dem Oberſt v. Sydow um die Kenntniß der hypſometriſchen Verhältniſſe der Beskiden, und ſpäter um die der baltiſchen Ebene ſo verdient gemacht hat. Gumprecht. 262 C. R. Wolff: Der Labus⸗See bei Klein-Quaſſow Der Woblitz-See . Unterwaſſer der Mühle bei Wesenberg Der Plättin-See . Der Flacken-See bei Strafen . Unterwaſſer der Mühle bei e Der Ellenbogen-See a Der Ziern:Ser . Der Menow- See Grundbalken der Steinfürder 9 Mühle bei Bürftenberg 170 Oberwaſſer der Mühle bei n Unterwaſſer = Der Himmelpfort'ſche See . Him mehre ſche Schleuſe, Oberdrempel l ) . Unterdrempel Nullpunkt des Pegele b 162 | Fuß Zoll 184 183 179 177 177 175 175 173 173 172 168 167 162 159 — — — — — 80 0 2 298988 8983800 „ 202, 8998882 Baden ſche Schleuſe, Oberwaſſer 161 s Oberdrempel . 155 = Unterdrempel . 151 | = Unterwaſſer . 155 370 Ruthen von letzterem rind Weſerſand 160 250 Ruthen weiter } eng 330 = ; 158 N 390 - 158 300 = 156 11 410 E 156 | 0 390 154 10 350 = 153 | 8 370 x 152| 5 370 15111 1 370 1516 0 290 Ruth. wetter Gamnentecgſche Schleuse am Tem⸗ | pliner Canal 151 Kannenberg' ſche Schleuse, Oberdrempel 148 : Uuterdrempel | 147 420 Ruthen weiter ‘ 390 = en RE NS) 680 = - Marienthaler Mühle, Oberwaſſer 150 Nivellement einiger See'n, zum Quellgebiet der Havel gehörig. | Buß el. Der Fitz⸗, Zotzow⸗ und Mirower See . 186 | 3 Der Räb-See bei Droſedow. : 185 | 2 Groß -Trebbow- See bei Strelitz 185 6 Der Fürſtenſee'ſche See 205 0 Der Zierker See bei Neu- Streitz 190 4 Der Glambecker See bei Neu-Strelitz 1210 8 b) Die Tollenſe: | Bei Andershagen 228 5 Bei Zahren 211| 0 Bei Groß- Dielen 190 0 Der Penzliner See . 1551 3 ) Drempel ift ein an der Sohle der Schleufen 1 0 0 150 10 8 6 angebrachter Balken. Nivellements in Mecklenburg - Strelig. 263 | Buß oll L e eee Bei Paſſentin . nenne Bei der Brand- Mühle 48 inte 88 0 Bei Weitin 62 0 Mündung des Gewäſſers aus dem Tollenſer See 50 0 Bei Woggerrin; unterhalb dieſes Ortes tritt ‚fe an die Arne; 1 RR, 45 0 Bei Lebbin . a l eddem , mon dune ee Preußiſche Grenze m ah ne e ee 2 0 e) Die Datze. Jenes Gewäſſer, das von Neu— Brandenburg nach Friedland fließt. 7 7 See bei Neu⸗ W eee e Bei KüſſowwW . Lek Et neee are a ee A e b lt, e eee AM Lane TEAIIES RE RR Bei Sutevland ı1%3 Jun Anm Urn 086. ut‘ d) Die Mühlenbecke: Bee Neßke e eee ee een eu eee Bei nee ET BE Bei Golm SL A et C y hr AST Bei Eofabroma . . RER re. he Bei Wittenborner Neue Mühle ua At ce 0 Galenbecker See an der preuß. Grenze 48 6 e) Die Schlawenke: r 2496 e een, a Balliner See. . Meer. eee Schlawenker See bei | Brebenfelne „ era 2Da Stolper See Derr 1838 Reſe⸗See 22% ö;ͥXàè5k¹˙ IR DR Haus ⸗See bei Möllenbeck e 638 See bei Friedrichsfelde 11440 See bei Rollenhagen .. N ne Wanzker Mühle, Unterwaſſer. Nen d OR Loh- Mühle, Unterwaſſer 3 ²˙ An der Strelitzer 1 Ne zn BE Tollenſer See 8 5 Man ſieht hieraus, wie ſich das Land aus der Mitte heraus gegen Oſten und Weſten erhebt und ein bedeutend Ä ſtarker Abfall nach Norden vorherrſcht. Im Oſten fin⸗ den wir nach trigonometriſchen e die 2 Helpter Berge mit. A a. ia * 2 An der preußiſchen Grenze im Oſten finden wir die Seen noch in ziemlich hoher Lage, z. B. Die Seen bei Fürftenwerder . . Nenn 24% Der Groß⸗Parmener See bei Parmen e 264 C. R. Wolff: 2. Eiſenbahnen. Nivellement einer projectirten Eiſen bahn von Berlin über Strelitz nach Stralſund. Dieſes Nivellement bezieht ſich nur auf das Terrain; ausgeführt iſt die Bahn nicht und wird wahrſcheinlich auch nie ausgeführt werden. Sie überſchrei— tet bei Alt-Tornow, N. O. von Granſee, die preußiſche Grenze, zieht bei Alt— Tornow, Blumenau weſtlich vorbei, dann öſtlich bei Fürſtenberg, überſchreitet hier abermals die preußiſche Grenze, indem ſie einen kleinen Theil des preußi— ſchen Gebiets noch einmal durchſchneidet. Nach abermaliger Ueberſchreitung der Grenze zieht ſie öſtlich bei Alt-Strelitz und Neu-Strelitz vorbei, ſteigt auf die Höhen zwiſchen Weisdin und Hohenzieritz, indem ſie erſteren Ort öſt— lich und letzteren weſtlich liegen läßt. Sie ſenkt ſich dann in das Thal bei Prillwitz auf deſſen Weſtſeite hinab, bleibt dann immer auf dem weſtlichen Ufer des Tollenſer See's; von deſſen Nordende biegt ſie ſich auf der Oſtſeite um Neu- Brandenburg herum und bleibt nun auf dem rechten Thalrande der Tollenſe bis zur preußiſchen Grenze ſüdlich von Treptow. Die Entfernungen ſind, wie oben, preußiſche Ruthen, die Höhen Duo— decimal-Fuß über der Oſtſee. Fuß Zoll Preußiſche Grenze bei Alt-Tornoaw 177 10 120 Ruthen weiter, Alt⸗- Torna 178 0 160 z z 2 MINI & „ 176 0 40 z z 22% 640 22 mne 20 . = 2 A ĩ²˙ mw 1000 = = e Se A 201 6 140 184 0 1020 z 150 6 160 217 0 40 = 210| 6 400 191| 6 270 E 185 0 160 = = „„ e 0. 020) |. (0) 60. 8% bei Fürſten beg 181 0 390 E @ RN rate Bl © 220 x : 148 0 600 E 158| 8 1340 E 188| 2 400 = E 197 2 500 = 218 0 40 E 224 1 560 = „232 6 160 z | 720 bei Alt⸗Strelitz 212 6 540 = - „„ Q NE N 40 E = 234 | 0 180 z ee ar RR nee 210 = 5 bei Neu⸗Strelitz 234 0 136 = = se een 0 Nivellements in Mecklenburg = Streliß. 265 Fuß Zoll 260 Ruthen weiter . 266 6 140 Lat = Höhen zwiſchen Weisdin und Vohenzieris 3 266 6 900 = 3 220 - E 82 10 180 = z 74| 6 160 - - e 7) SE ae 240 „ ei ei San ee 260 - . FFF ² N TC. 280 Ah: Linie längs des Tollenſer See's 73 9 4 1100 i en ee > | 5 900 E = 78 7 » 660 E = 65 6 67 166 E e Seren en - 656 180 -bei Neu-Brandenburg . . 65 6 1834 5 e c a TE 240 = E 53 6 60 = x ier e: ner en. 56 6 t 60 x Sul het Nedim un. .. . 1-56 176 % 480 =: = preußifche Grenze 56 6 3. Chauſſéen. 8 a) Von Berlin über Neu-Strelitz, Neu- Brandenburg nach Treptow an der Tollenſe. Die Entfernungen und Höhen, wie oben angegeben. Fuß Zoll Preußiſche Grenze bei Fiſcher wall . 166 6 1 Dannenwalde an der Kiche . . . . 22. 176 6 200 Ruthen weiter.. e 2 80 -: „ am großen Kölſch⸗ „See Are 177| 2 = Warferland 170 2 1 n 5 Straße nach Lychen. 175 0 50 - . ine € 200 17 - Strafe nach Buchholz ne 150 z rat Don Hass Hrn Ne } 300 Gramzow am Oſtende .. 186 0 200 : ST RN A) Ar lie, 200 - x = 264 6 300 z FFF I Be 3 300 anf ee = j 100 = Dfrögenſche Krun . 2226 0 250 x c | 1 BE ER N 1 11. 5 1 e 278| 6 1 e 245 0 300 an der Schleuſe bei Fürftenber; 3 188 6 100 an der Brücke 178 6 . 50 in Fürſtenberg an der Kirche 188 0 4 140 „preuß. Grenze hinter Fürſtenberg 175 6 920 E £ g Dieſer Theil 205 9 1 680 = 5 preuß. Grenze 600 liegt im 22 Düſterfurth ee 1787 N 110 - e EI RUE et 236 130 = E N RE nee 260 Brücke 188 0 440 bei Alt⸗ -Strelig am Chauſſce⸗ und Zuchthauſe .. . 1194| 6 60 in Alt⸗Strelitz an der Kirche 193/10 60 =: Brücke am Ende von Alt⸗ en 190 6. 80 = ee Ban 197| 6 300 E E „„ RITTER 160 an der Faſanerie ER ene ee 80 a See e elt fe. eee 60 = an der Radelander Ziegelei . . 211 2 100 am Vorwerk Marley . . . 1206 | 6 100° = „Südende von Neu⸗ Strelitz. 2490 1 140 : in Ren- Strelitz Mitte des Marktes 229 3 40 e - an der Stadtkirche 233 6 140 = Nordende von Neu⸗Strelitz, Ab- gang der Glambecker Straße 238 6 220 B ea 438 HE BEENIT MR eee 200 = E 251| 0 160 - = 295 0 140 yz N W e e eee 200 e am langen See 5 Nee 5 z Waſſerſtand „e 220 . in "Bein an der e 1 180 2 N) 160 = E N 80 = Teich bei Blumenholz „ [2A Das Gut in Blumenholz . . 256 10 130 „ ß N REIT! 130 = 250| 0 160 z 5 250| 1 170 = . „ a Ra A TEE 230 = Anfang des Waldes Zehow 199 0 120 07 „im Walde „ 100 Ende des Waldes Zechow „ 180 - = tieffter Punkt in Uſadel 156 0 72 . ee 240 + Nonnenbach, Brücke 115 0 = = Waffen 84 4 120 = = RT 174| 0 80 5 5 176| 2 60 e er Mn I Pe EEE 150857 Höhe bei Kridow . . .. 214 0 120 5 in a ER ee 170 = . 1190| 0 120 . 1160| 0 Nivellements in Mecklenburg - Streliß. 267 | Buß [Bolt 240 Ruthen weiter tn nt nt eee SUSE 170 en . 310 = Ar Mr. EMO. min ER. =. 1245| Ud 70 2 > Ne „ee, e 0 350 3 2 „ en 20 BR UNI . 278 UM 160 „ bhoöchſter Punkt der Strafe . - 276 0 240 Tannenkrug, Chauſſéehaus 244 0 100 3 2 be 200 = z 1 NE 149308 200 e e eee 40 0 200 x 2 eee 65 0 200 z E 59| 2 200 = - Neu: Brandenburg, Stargate 3 60 10 Waſſerſtand des Tollenfer Sees e Betrachten wir das Nivellement dieſer Straße, die nur in dem Abſtande von 4 Meile von dem rechten Ufer des Tollenſer See's zieht, jo finden wir, daß auf dieſer kurzen Strecke ſich die Höhen über dem See 218’ erheben. Ueberhaupt bleibt das Land von hier, öſtlich gegen die preußiſche Grenze, be— deutend hoch, wie ein ſpäteres Nivellement zeigen wird. Fuß Zoll Neu = Brandenburg, en 18 De RO 300 8 weiter „ 150 Ei sd er 350 = FTC 600 x z nnn 60 0 100 = = Meg nah Podwall 67 6 400 E : VER RR TER IS 58 0 1440 = „ ee een. BANG 360 in Neddemin an der Kirche.. 75 0 140 x E EUREN ER ER RT 5 250 = = preußiſche Grenze bei Treptow. 4310 b) Nivellement der Chauſſée von Neu- Brandenburg nach Friedland. Fuß Zoll Neu⸗ Brandenburg, am neuen Thore 61 4 230 Ruthen . alte NT ſche ra „67 0 N 270 . 132 9 140 5 CFC 160 5 E 2 117 5 100 2 rf 120 00 130 ı HE 2 von 3 iR RER, 105| 2 170 = 8 178 0 240 E 155 10 160 Chauſſe chaus bei Sponholz, Thei⸗ lung mit der Chaufjee nach Prenzlan . „129 6 100 f.. ti 268 C. R. Wolff: Fuß Zoll — Ruthen weiter N lee eee = 103 | 3 270 5 e Krug am Anfang des Dae Warlin. . 1189 70 = „ Marlin an der Kirche „ 4 40 Mühlgraben- Brücke 109 1 Waſſerſtand nee 976 320 8 z 112 9 440 Brücke bei der unermüble von Glienike 85 5 Waſſerſtand . 74 11 310 di Pfarrgehöft zwiſchen Glienike und Sadelkow .. 10700 290 = nördl. Ausgang aus Sadelkow. 81 6 360 = 5 2 0 70 6 300 - Weg nach Senpton le 400 f 2 FE I, RI 260 2 z i bricht. N 28 8 2 5 Shaufiechaus i 340 = E e 300 E = 81/10 140 z E Anfang der Scheunen bei Brie- Hans aM. 2 57 0 100 = „am Thore von Friedland. e 200 in Friedland auf dem Markte | 56 6 c) Nivellement der Chauſſée von Neu=- Brandenburg nach Prenzlau. Fuß Zoll Chauſſéehaus bei Sponholz, Theilung mit der e nach Prenzlau. 5 129 229 Ruthen weiter, Krug bei Sponholz ni ze 1106. 3, - - Srondelk an der * lg 150 = = 0 230 E e „490 30 : = Pragsdorf, an der Kirche 48 20.” 0% Brücke am Haus-See . . . 207 Waferftam' . . - . . 198 200 = ae ee ae ET = 160 „FE 290 Weg von Warlin nach Cölpin . 255 W So DOSSDSo css 9 oo 00090900, © 180 Cölpin, an der Kirche. . 268 200 - = EE BO 270 x CFPCPFCPPCPC ae et NT 20 = - Meg von Leppin nach Käblich . | 263 170 5 a ee ee ee on 100 = - Don Kenia Bora Ne 280 9% = am Anfange von Alt-Käblich . | 246 100 Nin Käblich an der Kirche . . 258 250 - 2 260 240 bei Petersdorf, weg nach Pafe now. 292 390 5 z e 323 1 8 1 Nivellements in Mecklenburg -Strelitz. 269 | Fuß Zoll ernennen ©. 13081 10 130 Imst: = Bei Cankow 2. .720.0.1337| 0 220 5 er ie ee 5 0 20 = „Weg von Woldegk nach Heinrichs= hagen und Paſenow . . 356 0 990 „Woldegk, am Thore. . 341 0 110 = 5 = an der Kirche.. 355 0 300 . = Brücke, am Wege nach Mildenitz am Woldegker See . . . 336 0 Waſſerſtand des Sees . . . 326 0 e „ höchſter Punkt der Straße 382 0 140 x ER EB RER NE a EI srl la 190 = e ̃ ͤ ... 250 5 a ER TE or] 2A 102 u. „preuß. Grenze bei Wolfshagen 290 2 Man ſieht aus den hier gegebenen Nivellements, wie ein ſo kleines Länd— chen auf kurze Entfernungen ſo bedeutende Höhenunterſchiede hat, daß es von. Höhen, die den Vorbergen des Harzes gleichkommen, plötzlich bis faſt zum Meeres-Niveau herabſinkt, und daß alſo dieſer nach Norden gerichtete Abfall wohl einen bedeutenden Einfluß auf Vegetation und Klima haben muß. C. N. Wolff. Dem Verfaſſer des vorſtehenden Aufſatzes müſſen wir für ſeine Arbeit beſonders dankbar fein, weil dieſelbe uns zum erſten Male über die hypſo— metriſchen Verhältniſſe von ganz Mecklenburg-Strelitz genauen Aufſchluß giebt, indem früher nur Beiträge beſchränkten Umfangs und nur für den ſüdlichen Theil des Landes, wie die barometriſchen Meſſungen von Meinicke (Berghaus Annalen, 3. Reihe, 1839, VIII, 445 — 454), Becker (ebendort 458 — 459) und Klöden (ebend. 2. R. 1831, IV, 243) vorhanden waren. Ein Vergleich des Nivellements und der trigonometriſchen Meſſungen mit dieſen barometri— ſchen ergiebt aber nicht unbedeutende Abweichungen. So iſt die Höhe von: Alt⸗Strelitz nach Meinicke (VIII, 448) 227 P. F., nach Herrn Wolff 19310“ Neu⸗Strelitz - 5 (VIII, 450) 268,5 = ') = = ir 283 6 des Woblitzſee's 2 (VIII, 444) 187. = 2) = z 2 14835 Fürſtenberg = e (VIII, 446) 200,9 = °?) = E „ 488 des Helpter Berges nach Becker (VIII, 466) 596 P. F., nach den trigonometriſchen Meſſungen 621’ 2”. Es ergiebt jich hieraus, daß die Zahlen des Nivellements groößtentheils niedriger, als die durch Hrn. Meinike erlangten, ausfallen, wogegen die Höhe ) Es wurden hier 15 Fuß von Herrn Meinicke's Zahl abgezogen, indem deren G. Beobachtungspunkt um ſo viel höher, als das Straßenpflaſter, lag. ) Aus ähnlichem Grunde wurden hier 3 Fuß abgezogen. G. ) Es wurden 34 Fuß abgezogen. G. 270 Neuere Literatur. des Helpter Berges, bekanntlich der höchſten Erhebung in ganz Mecklenburg, nach den trigonometriſchen Meſſungen des königlichen Generalſtabs etwas hoher iſt. Auch von den Klöden'ſchen Reſultaten weichen die Zahlen des Nivelle— ments ab, indem Kloͤden z. B. die Höhe von Fürſtenberg zu 109’, 20 fand (a. a. O IV, 243). Gumprecht. Neuere Literatur. Die ungemein rege wiſſenſchaftliche Thätigkeit, die ſich in neuerer Zeit in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika entwickelt hat, trägt auch bereits für die Erdkunde reiche Früchte. So begann mit dieſem Jahre zu New-Pork die Herausgabe einer neuen, zum Theil geographiſchen Zeitſchrift unter dem Titel: The Geographical and Commercial Gazette, von der monatlich ein Folioheft in 2 Bogen erſcheinen ſoll. Jedes der beiden erſten uns durch die Güte des Herrn Advocat Ludwig zu New-Pork zugegangenen Hefte iſt mit einer Kartenſkizze ausgeſtattet, wovon die des Januarhefts die Nordpolarländer nach den neueſten, bei der Aufſuchung Sir John Franklin's gewonnenen Re— ſultaten, die des 2. Hefts Neu-Mexico und das durch den Gadsden-Tractat von den Vereinigten Staaten von Mexico erworbene Gebiet darſtellt. Es iſt dies ein Unternehmen, welches ſicherlich in Amerika viel Anklang finden wird, da die Redaction es nicht an Eifer hat fehlen laſſen, die erſten Nummern mit einem reichen Inhalt auszuſtatten. So enthält das erſte Heft unter den wich— tigeren Aufſätzen Mittheilungen über die Reſultate der neueſten arktıfchen Ex— peditionen nebſt einem intereſſanten Bericht Dr. Rae's an Sir G. Simpſon von Pork Factory den 4. Auguſt 1854 und ähnliche über die von Dr. Kane geleitete zweite Grinnell'ſche Expedition, einen Bericht über Sitka, einen zwei— ten über die neue nordamerikaniſche Expedition nach Paraguay, Notizen über die Bergſyſteme im Staate New-Pork von Emmons, dergleichen über die Berg— höhen und Flußgefälle in den Vereinigten Staaten u. ſ. w.; das zweite Heft eine Darſtellung der Grenzverhältniſſe zwiſchen den Vereinigten Staaten und Mexico nebſt dem Wortlaute des am 30. December 1853 zu Mexico abge— ſchloſſenen Gadsden-Vertrages, eine Schilderung des PDang-tß-kiang-Fluſſes in China von Rev. Bridgman, eine Beſchreibung der japaneſiſchen Häfen, eine Notiz über die Beſchiffung des Amazonenfluſſes, endlich Notizen über die mexicaniſchen Landſchaften Sonora und Culiacan u. ſ. w. Wir werden Ver- anlaffung nehmen, in den nächſten Heften unſerer Zeitſchrift Einiges aus die— ſer reichen Zeitſchrift unſeren Leſern mitzutheilen. Gumprecht. | 7 4 5 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 271 Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 6. Januar 1855. Im Beginn der Sitzung theilte der Vorſitzende Herr Ritter der Geſell— ſchaft mit, daß Se. Majeſtät der König die Gnade gehabt habe, ihr ein ſehr werthvolles Geſchenk zu überſenden, begleitet von einem Cabinetsſchreiben an den Vorſitzenden folgenden Inhalts: „Ich glaube, daß das beifolgende Reliefbild des Monte Roſa nach den Angaben der Gebrüder Schlagintweit für die Sammlungen der geographiſchen Geſellſchaft einen nicht unwillkommenen Zuwachs bilden dürfte, und indem Ich daher daſſelbe der Geſellſchaft zum Geſchenk machen will, überlaſſe Ich Ihnen, als deren Vorſitzenden, ſie davon in Kenntniß zu ſetzen. Charlottenburg, den 27. December 1854. Friedrich Wilhelm.“ Dieſe wahrhaft Königliche Gabe wurde von dem Vorſitzenden zur Be— trachtung vorgelegt und im Namen der Geſellſchaft dafür der innigſte Dank ausgeſprochen mit der Bemerkung, daß dieſe Königliche Huld dem Vereine eine neue Aufforderung ſein müſſe, mit verjüngtem Eifer in ſeinen rein— wiſſenſchaftlichen Beſtrebungen auch fernerhin fortzufahren. — Herr Ritter erklärte dieſes Relief des Monte Roſa und ſeiner Umgebungen für das genaueſte und vollendetſte, das je von einer ſo abnormen Maſſe der Erd— rinde gemacht worden iſt. Daſſelbe war von Herrn Warnſtedt nach den Kar— ten, Profilen und landſchaftlichen Anſichten der Brüder Adolf und Hermann Schlagintweit im Verhältniß zur wahren Naturgröße von 150,000 und bei gleichem Maßſtabe für Kürze und Breite angefertigt worden. Zur Linken des Reliefs finden ſich 3 Rubriken, in welchen die geologiſchen Verhältniſſe, die Temperatur-Verhältniſſe und die Temperaturen der Quellen in ihren Haupt— momenten beigefügt, zur Rechten 4 Rubriken, worin die Höhenbeſtimmungen, die Päſſe, die bewohnten Orte und Alpenhütten vermerkt worden ſind. Unter— halb des Reliefs erſcheint endlich eine geologiſche Kartenſkizze nebſt einer Ueber— ſicht der wichtigſten Vegetations-Verhältniſſe und der Dimenſionen und Höhen— Verhaͤltniſſe der Gletſcher. — Ferner zeigte Herr Ritter die glückliche An— kunft der beiden genannten Brüder und ihres jüngeren Bruders Robert in Bombay an und machte zugleich Mittheilungen über den Plan, nach welchem alle drei ihre Unterſuchungen über die Geologie, Meteorologie und den Erd— Magnetismus im Himalaya anzuſtellen gedenken. — Herr Klenz gab einige Mittheilungen nach Briefen, welche er vom britiſchen Gouverneur von Hong— kong Sir John Bowring und deſſen Gemahlin Lady Bowring empfangen hat und worin Schilderungen ihrer Aufnahme und ihres Aufenthalts bei Said Paſcha von Egypten, ſowie ihrer Reiſe nach Hongkong und ihres bisherigen Aufenthalts daſelbſt enthalten find. — Nach einem ihm abſchriftlich zugegan— genen Berichte von Sir John Bowring an die ethnographiſche Geſellſchaft in London theilte Hr. Ritter endlich die Unterſuchungen mit, welche der General— 4 . 272 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. Conſul der Sandwich-Inſeln, William Willer, auf Honolulu über die Bildung der Bewohner der auſtraliſchen Inſeln und der Eingeborenen von Peru angeſtellt hat. (Der Inhalt der Mittheilungen von Sir John Bowring wird in das nächſte Heft dieſer Zeitſchrift aufgenommen werden). — Herr Walther hielt einen Vortrag über die Urbewohner Amerika's, die er für eine ſelbſtſtän— dige Race erklärte, und wofür er Gründe anführte; er verglich die ſtarke Sterblichkeit der Indianer in Nord-Amerika mit dem geſunden Zuſtande der in Süd-Amerika wohnenden, und verſuchte dieſe Erſcheinungen zu erklären. — Hr. H. Roſe legte zur Anſicht vor das Werk: The metallic wealth of the United States. By J. D. Withney. Philadelphia 1854, und berich— tete ausführlich nach demſelben über den Metall-Reichthum von Nord-Ame⸗ rika im Vergleich mit den übrigen Theilen der Erde. In der gegenwärtigen Sitzung beſprach er die vier Metalle Gold, Silber, Kupfer und Queckſilber und theilte mannigfache Zahlenangaben mit. Von den 55,622,000 Doll., welche im Jahre 1853 an Gold in den vereinigten Staaten gewonnen wor— den find, hat Californien allein 55,113,418 Doll, geliefert. Dem Gewichte nach verhielt ſich die Menge des auf der ganzen Erde gewonnenen Goldes zu der des Silbers im Jahre 1800 wie 1 & 43; im Jahre 1845 wie 1 à 17; im Jahre 1850 wie 1 à 8,8; im Jahre 1852 wie 1 à 4. Beim Schluſſe der Sitzung legte Herr Ritter die von dem foreign office in London erhalz tenen letzten Nachrichten über Barth vor und ein Schreiben des Dr. Bleek über ſeine bis Fernando Po gegangene, dann aber leider durch Krankheit rückgängig gewordene Reiſe an der afrikaniſchen Küſte, ſowie einige Nefultate der von demſelben während dieſer Zeit gemachten Beobachtungen in Hinſicht auf afrikaniſche Sprachen. — Es gingen für die Bibliothek der Geſellſchaft folgende Geſchenke ein: 1) Zeitſchrift für Allgemeine Erdkunde, herausgegeben von Dr. T. E. Gumprecht. Dritter Band. Sechſtes Heft. Berlin 1854, vom Verleger D. Reimer; 2) Carte geographique de la province de l’Alemtejo et du royaume de l’Algarve (Portugal) par Charles Bonnet, 1854, von dem auswärtigen Mitgliede Herrn General-Conſul von Minutoli; 3) Jahrbuch der K. K. geologiſchen Reichsanſtalt 1854. V. Jahrgang Nr. 2. April, Mai, Juni. Wien, von der Direction dieſer Anſtalt; 4) Archiv für wiſſenſchaftliche Kunde von Rußland. Herausgegeben von A. Erman. Drei- zehnter Band, viertes und vierzehnter Band, erſtes Heft. Berlin 1854, von Herrn v. Rennenkampf; 5) On some of the results obtained at the Bri- tish colonial Magnetic observatories. By Col. Edward Sabine. Vom Verfaſſer. Außerdem übergab Herr D. Jurke 23 verſchiedene ältere geo— graphiſche Werke als Geſchenke. Wolfers. gg N 1 * | N 1 ® trug der eta für Se. | 5 zu Verlin 1 und unter e Mig 5 u. n Don, C. G. Ehrenberg, 2. Segen und C. Ritter N in Berlin, 1 75 Andree in Bremen, A. Petermann in Gotha und J. E. Wappäus in Göttingen, eee en von Dr. 2. E. Sumprecht. Vierter Band. Viertes Heft. Beetin. ee. e Reimer, g * 4 N Inhalt. 0 - Seite C. Ritter: Die Schifffahrts⸗Expedition der Nordamerikaner L. Herndon, Lardner und Gibbon auf dem Amazonenſtrome in den Jahren 1852 und 18538. A en re" J. v. Minutoli: Die klümatiſchen Berhäftniffe bon Spanien n Gumprecht: Die Franzoſen in Süd- Algerien e Neuere Literatur. M. Willkomm: Pedro José Marques, Diccionario geogräfico abbre- viado das oito provincias dos reinos de Portugal e Algarves etc. Porto 1858. n Gumprecht: Zur Fei onde des Karſts von DR Adolf Schmidl. 8 Gumprecht: Mittheilungen aus Juſtus Perthes' geographiſcher Anſtalt über wichtige neue Erforſchungen auf dem ee der , von A. Petermann. Gotha e 331 Briefliche Mittheilungen. f Aus einem Schreiben von Herrn J. G. Kohl an Herrn C. Ritter. 334 Schreiben des Herrn Schlagintweit an Herrn A. v. Humboldt. . . . . 338 C. Ritter: Dr. W. Bleek und die Niger⸗ Expedition. 341 William Miller: Aus einigen Schreiben von Sir John Bowting, bri⸗ tiſchen Gouverneur von Hongkong, an Herrn Klentz. N 5 345 Sitzung Sr Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 10. Februar 1855. 350 Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 2 Thlr. 20 Sgr. Al. Die Schifffahrts-Expedition der Nordamerikaner L. Herndon, Lardner und Gibbon auf dem Ama— zonenſtrome in den Jahren 1852 und 1853. Der Amazonenſtrom, unter den Rieſenſtrömen des Erdballs der erſte, durchſtrömt in ſeinem gekrümmten Laufe von 700 bis 800 deutſchen Längenmeilen faſt die ganze größte Breite Südamerika's, von der Südſeeküſte in Weſt, wo ſein Quellſee, der Lauricocha, im Norden von Lima, kaum 10 geogr. Meilen fern von der Küſte, auf den hohen Kü— ſten⸗Cordilleren entſpringt, einem Süßwaſſermeere gleich, bis zu feiner Mündung bei Parä in den äthiopiſch-atlantiſchen Ocean, am öſtlichen braſiliſchen Geſtade! Er würde in der alten Welt nicht nur ganz Europa von Weſt nach Oſt durchziehen, ſondern erſt im caspiſchen und Aralſee ſein Ende finden, nachdem er faft die dreifache Länge der Donau erreicht und ein 20 Mal größeres Stromgebiet, als der Rhein, bewäſſert hat, d. h. eins von 88,000 deutſchen TMeilen, welches weit über die Hälfte von ganz Europa einnimmt und von einem Dutzend ſüdlicher, wie faſt ebenſo viel nördlicher, dem Rhein ebenbürtiger coloſſaler Zuflüſſe bis zu feiner mächtigen, centralen Waſſerader bereichert wird. 1 Noch liegt dieſe hydrographiſche Rieſengeſtalt, faſt ungebändigt ee Ber ae a Mitte der ſüdamerikaniſchen Tr Amen ausgeſtreckt, größtentheils gänz— lich unbekannt, unerforſcht, gleich dem Innern Afrika's, und darum 8 noch nicht zu einem lebendigen Gliede in die tauſendringige Kette des Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 18 7 m. * * — 274 C. Ritter: Weltverkehrs auf dem Erdenrund eingereihet! Durch das auf unſeren Karten gegebene Bild darf man ſich nicht über die ſcheinbare Sicher— ſtellung ſeiner Stromläufe täuſchen laſſen! Seit ein paar Jahrhunderten zwar angeſtaunt in einzelnen ſei— ner hier und da betretenen, durch ihre Naturwunder bezaubernden Stät— ten, aber ſeinem großartigen Syſteme, ſeinem Zuſammenhange und ſei— nem inneren Reichthume nach faſt unbeachtet geblieben, fängt dieſes erſt gegenwärtig an, nachdem ſeine Umgebungen neu belebt und mehr und mehr aus einem ſchlummernden Dunkel hervorgetreten ſind, die Aufmerkſamkeit der Weltpolitik auf ſich zu ziehen, wie denn eine Ge— gend der Erde nur nach der andern, zu einem ſolchen Ziele heranreift. Und daß ihm eine beſonders große Zukunft in dem Entwickelungs— gange der Erdenvölker vorbehalten geblieben, liegt ſchon heute unver— hüllt vor Augen! Das Werk des Schiffs-Lieutenants W. M. Lewis Herndon giebt einen lehrreichen Beitrag zu dieſer Erkenntniß. Sein Titel iſt: Exploration of the Amazon by Lieut. Wm. Lewis Hern- don. UL. S. N. Washington 1854. Daraus erlaube ich mir Einiges hervorzuheben, um auf deſſen Inhalt aufmerkſam zu machen, wenn auch derſelbe in poſitiv geogra— phiſcher Beziehung kein vollſtändig befriedigender genannt werden kann. Nach einer verjüngten Neubelebung der Vereinsſtaaten Nord-Ame— rika's, von New-Nork am atlantiſchen Ocean bis Californien und Dres gon am ſtillen Ocean, mit der lebendigen Schlagader des Miſſiſippi in der Mitte (auf dem gegenwärtig allein an 560 große Dampfſchiffe den Verkehr durch ſein ganzes Syſtem hin und her betreiben), mußte dem Nordamerikaner weit eher, als dem europäiſchen Völkerkreiſe, das Brach— liegen des herrlichen Amazonas in ſeiner ſüdlichen Erdhälfte vor die Seele treten und länger ſelbſt unerträglich erſcheinen! Wenn auch mit der Zeit die Barriere Central-Amerika's zwiſchen ſeinen Oſt- und Weſtgeſtaden in beiden Weltmeeren von Kanälen und Eiſenbahnen durchbrochen werden ſollte, ſo blieb in Süd-Amerika, das erſt im ſehr weiten ſüdpolaren Umfange vom Cap Horn zu umfreifen iſt, doch die viel nähere Land-Querſtraße, die direct-äquatoriſche, durch die breite Thalebene des Amazonas in ihrer bisherigen Wildniß | . | ot Die neuefte Unterſuchung des Amazonenſtroms. 27 und Unbenutztheit liegen, weil fie hydrographiſch, wie nautiſch, unbekannt und es zugleich politiſch durch braſiliſche Exeluſiv-Herrſchaft verpönt war, auf derſelben ſich hin und her zu bewegen! Daß dieſes nun durch Dampfſchifffahrt ab- und aufwärts mög— lich ſei, ſollte durch die Ausrüſtung der Herndon'ſchen Expedition und durch die politiſche Erwerbung der Kette republikaniſcher Grenzſtaaten, welche einen ſo großen Theil des Amazonenbaſſins umgeben und N ihre Hauptſtröme von allen Seiten als Zuflüſſe zuſenden, dargethan werden! — Auch die andere, ſüdliche braſiliſche Umgrenzung ſollte commerciell und politiſch dahin gedrängt werden, eine freiere Schifffahrt auf dem ganzen Stromſyſteme auf und ab zu geſtatten. Es ſollte dadurch eine Aufhebung des bisherigen exeluſiven Syſtems der braſiliſchen Monopoliſirung ermöglicht werden, indem daſſelbe feit den letzten Jahrhunderten die wildeſte Rohheit, Verdummung und Abſchwächung der einſt ſo zahlreichen und keineswegs unbegabten indianiſchen Bevölke— rung mit geringſtem Gewinn zu eigenſüchtiger Bereicherung zur trau— rrigſten Folge gehabt und den größten paradieſiſchen, von der Na— tur mit ganz unerſchöpflichen Gaben ausgeſtatteten Garten der Erde durch Jahrhunderte lange, unweiſe Beherrſchung und karge Bevormun— dung in eine wilde Einöde zurückſinken gemacht hatte. Was noch vor einem Vierteljahrhundert von peruaniſchen Reiſen— i den ein geträumtes Beſchiffungsſyſtem des Amazonas genannt worden und für eine Unmöglichkeit gehalten war, die civiliſirten Küſtenſtriche des Süd-Oceans in Peru und Chili über die Barriere der Anden hinweg, in commercielle Verbindung mit der Maynas- oder dem Nie— derlande der Amazonenebene zu ſetzen, hat durch den Fortſchritt der Zeit eeine Wirklichkeit erhalten, und der Beweis dafür liegt in Herndon's Werke vor. Nicht nur die Naturhemmungen, welche der Strom ſelbſt mit ſei— nen Zuflüſſen durch Waſſerfälle, Felsengen, Fluthungen, Waldinſeln dem Schiffenden entgegenzuſtellen ſchien, ſind durch die nicht unbedeutenden Anſtrengungen nautiſcher Vorgänger, wie Smith, Mawe, Pöppig und 3 Caſtelnau, und dann auch vom Lieut. Herndon und ſeinem Reiſegefährten, Gibbon, auf verſchiedenen neuen Fahrſtraßen des grandioſen Strom— ns überwunden worden, ſondern auch die hiſtoriſchen Verhältniſſe e N 276 C. Ritter: der dort neu entſtandenen oder weiter entwickelten, ſelbſtändig gewor— denen Staatenſyſteme mußten dazu beitragen, das ganze Naturſyſtem des Amazonas von ſeinen politiſchen Hemmungen zu befreien und es von der Schmach der früheren Feſſeln, in die es geſchlagen war, zu emancipiren. Es iſt die eigenthümliche politiſche Weltſtellung des Stromes, die zu feiner natürlichen Weltſtellung als Parallelſtrom mit dem Aequator innerhalb der Tropen, zwiſchen der äquatoriſchen Linie und dem 6“ ſüdl. Br. hinzukommt, wodurch feine Entfeſſelung von monopolifivender bra— ſiliſch ausſchließlicher Suprematie möglich werden konnte! Denn, obwohl der ganze untere und ein großer Theil des mitt— leren Laufes des Amazonas im Gebiete braſiliſcher Alleinherrſchaft liegt, und auch ſehr bedeutende ſüdliche Zuflüſſe dazu gehören, wie der Ta— pajos, der Tocantins und der mächtige Rio Kingu, den Se. Königliche Hoheit der Prinz Adalbert von Preußen im Jahre 1842 als Entdecker deſſelben bis zum 7ͤten Grade ſüdlicher Breite beſchifft und in feinem Reiſewerke!) beſchrieben hat, fo iſt doch das ganze Baſſin des oberen und ein Theil des mittleren Amazonas im Süden, Weſten und Nor— den von dem Kranze jetzt ſelbſtändig gewordener republicaniſcher Staa— ten umgeben, in denen auf dieſen Seiten alle großen Quellſtröme deſſelben entſpringen, welche in ihrer ganzen Schiffbarkeit bis zum Hauptbette des Amazonas von nach freier Entwickelung ſehnſüchtigen Regierungen beherrſcht werden. Dieſe Staaten ſind ſchon zum Selbſtbewußtſein gelangt, von welchem unausſprechlich hohen commerciellen und politiſchen Intereſſe ihnen eine freie Dampfſchifffahrt und ein nautiſcher Verkehr durch ihre zahlreichen Stromadern, aus ihren reichſten binnenländiſchen Provinzen gegen die atlantiſch-europäiſche Seite hin fein würde, da die binnenländiſchen Landſchaften in dem Reichthume ihrer zahlloſen rohen Productionen faſt erſticken, weil ihnen für die letzten jeder Marktort fehlt, und weil die hohe Doppelbarrière der Cordilleren ihren Transport zu den weit ärmeren Küſtenprovinzen längs der ganzen Südſee-Staaten ſo unge— mein erſchwert; denn nur lange Einzelreiſen von leicht belaſteten Maul— ) Adalbert Prinz von Preußen. Aus meinem Tagebuche 1842 — 43. Berlin 1847, S. 585. } Die neueſte Unterſuchung des Amazonenſtroms. 277 tthier- oder Lamazügen zwiſchen engen und ſteilen gefahrvollen Felſen— pfaden hindurch und an Steilgründen vorüber, konnten ſolche Gebirgs— wände überwinden! Außer den edlen Metallen und anderen Mineralien, deren Er— trag erſt an den Oſtabhängen der Cordilleren ſo überwiegend wird, macht der unerſchöpfliche Vegetationsreichthum ihrer Urwälder mit den edelſten Früchten und anderen Erzeugniſſen, die eben deshalb, weil ih— 1 nen jede Ausladung und jeder Abſatz fehlt, in ſich ſelbſt vermodern mußten, dieſe Länder für den Weltverkehr ſo überaus wichtig. f Jener große Kranz von umgebenden Republiken hat daher in ſei— nen Geſetzgebungen und diplomatiſchen Verhandlungen ſchon angefan— gen, friedliche Zwangsmaßregeln gegen ſeinen ſüdlichen, braſiliſchen An— tagoniſten in der freien Schifffahrt des mittleren Amazonas zu ergrei— fen, die auch das braſiliſche Gouvernement bei der mehr und mehr 9 erwachenden Einſicht in ſein alles lähmende Monopolſyſtem zu ſeinem großen Selbſtgewinn und aus eigenem Intereſſe nöthigen werden, den unteren Lauf des Stroms ebenfalls einer freieren Durchfahrt für den großen Welthandel zu öffnen, wie dies gegenwärtig auch in Europa an der pontiſchen Mündung unſeres Hauptſtromes, der Donau, bei Galacz ein ſo ernſtes Bedürfniß geworden iſt. Die große wichtige Folge davon dürfte für das nächſte Jahrhun— dert die Coloniſation und die Civiliſation des tropiſchen Süd-Ameri— ka's, die gegenwärtig ſchon einen wichtigen, wenn auch nur theilweiſen Aufſchwung genommen hat, ſein! Der Kranz der das Amazonen-Baſſin umgebenden Republiken und Staaten, aus welchen Quellſtröme der gemeinſamen Mitte des Amazonas zufließen, beſteht im Süden aus Bolivia, im Weſten aus Peru; dann folgen in NW. und N. die Republiken Ecuador, Neu-Granada, Ve— nezuela und weiter oſtwärts ſchließt ſich daran Guiana unter britiſcher, holländiſcher und franzöſiſcher Herrſchaft! Die Republik Bolivia (22,000 d. Meilen Areal) hat dieſelbe Größe, wie das Areal des franzöſiſchen Reiches ſamt ſeinen Colonial— ländern in den verſchiedenen Erdtheilen. h Die Republik Peru übertrifft ſogar ihren Nachbar der Größe nach 3 noch um einige 1000 Meilen und an reicherer Bevölkerung! 5 Aus Bolivia entquillt der größte Südſtrom zum Amazon, der 8 a 2 Aan 278 C. Ritter: Rio Madeira (Strom der Wälder), der nur an ſeiner Mündung zum Hauptſtrom, unterhalb Barra, eine Strecke aufwärts beſucht iſt, ſonſt aber in feinen oberen mächtigen Quellſtrömen (unter 18° |. Br.), dem Rio Beni vom Titicacaſee, dem Rio Mamoré von Cochabamba, an den Südgrenzen die La Plata-Staaten und an der Oſtgrenze Bra— ſilien berührend, mit anderen Nebenflüſſen noch völlig unbekannt ge— blieben war! Dieſe genannten Ströme Bolivia's, deren Schiffbarkeit man noch für zweifelhaft hielt, näher zu erforſchen, war die Aufgabe der zweiten Abtheilung der nord-amerikaniſchen Expedition, nämlich des Schiffs-Lieutenants Gibbon, der im Jahre 1852 ſich auf dem Ma— moré eingeſchifft und den ganzen Madeiraſtrom abwärts ſchiffbar be— funden haben ſoll. Sein Reiſebericht wird erſt im zweiten Theile von Herndon's Werk, wovon uns bis jetzt nur der erſte Theil vorliegt, erſcheinen. Aus Peru im Weſten, in den verſchiedenen Längenthälern der nord— wärts ſtreifenden Cordilleren-Ketten gegen Norden ſtrömend, ziehen die drei großen Längenbegleiter der coloſſalen Quellſtröme des Amazo— nas unter ſich ziemlich parallel. Der weſtlichſte davon, den Oſtabhängen der Küſten-Cordillere zunächſt, wird unter dem dort einheimiſchen Na— men Maranon als der eigentliche Quellſtrom des ganzen Syſtems betrachtet. Auch iſt er der wichtigſte und entſpringt der Südſee am nächſten. Seine beiden öſtlicheren Parallelſtröme, der Huallaga und der Ucayale, in einem zweiten und dritten Parallelen-Längenthale folgen ebenfalls als Längenbegleiter den Oſtſtabhängen der Cordilleren in glei— cher Richtung oſtwärts bis zum dritten Grade ſüdlicher Breite, wo ſich alle drei unterhalb der berühmten Felsenge (der Pongo, d. h. Stroms enge, de Manſeriche) zum großen Hauptſtrome des Amazonas vereinen. Sie find von gleicher Waſſerfülle, jeder aber größer, als alle europäi— ſchen Ströme, die Donau nicht ausgenommen, und der Ucayale ſogar noch größer, als der Maranon, da er aus dem metallreichen Ober-Peru bei Potoſi und Cusco (unter 14° ſ. Br.) entſpringt. Vom Maranon hat Alex. v. Humboldt ſchon frühzeitig die be— lehrendſten Nachrichten gegeben (ſ. Voy. 4. T. III. Esq. tabl. geolog.). Der zweite Parallelſtrom, der Huallaga, nächſt dem Maranon Die neueſte Unterſuchung des Amazonenſtroms. 279 der waſſerreichſte im öſtlicheren, aber erſt halbeiviliſirten Peru, wurde ſchon im Jahre 1832 ſeinem ganzen Stromlaufe entlang von Prof. Pöppig beſchifft, deſſen meiſterhafte naturhiſtoriſche, zumal botaniſche Beſchreibungen ſich in ſeinem berühmten Reiſewerke (Pöppig Reiſe, Leipzig 1836. 2 Bde. 4.) niedergelegt finden. Was Pöppig aber fehlte, waren aſtronomiſche Inſtrumente. Dieſem Mangel wurde leider durch Lieut. Herndon's Beſchiffung des Huallaga auch nicht abgeholfen, da Hern— don, obwohl mit den nöthigen nautiſchen Hülfsmitteln verſehen, doch 0 keine vollſtändigere aſtronomiſche, ſondern nur eine nautiſche Auf- nahme, freilich nicht allein dieſes Huallaga-Armes, ſondern auch des ganzen Amazonlaufes zu Stande brachte. Herndon haben wir alſo die nautiſch berichtigte Flußkarte des ganzen Amazonen-Syſtemes in ſeiner Hauptader zu verdanken, nachdem der Lauf des Stroms früher— hin vorzüglich nur durch v. Martius inhaltreiche Specialkarte von Süd— Amerika (1825) bekannt geworden war. Aber die aſtronomiſche Be— richtigung fehlt noch und es würde wohl einer neuen Expedition bedür— fen, zu welcher Lieut. Herndon nicht hinreichend vorbereitet war. Nicht nur etwa die Höhenmeſſungen der überſtiegenen Gebirgszüge ſammt den Uferhöhen, ſondern auch das ganze Gefälle des Stromes, die Breitenbeſtimmungen der Flußſpiegel und die Tiefen ihres Gewäſſers, die oft in einen erſtaunlich tief ausgewaſchenen, und in ſeiner Ausar— beitung das hohe Alter der Thätigkeit und die Gewalt der ungeheueren Waſſerſtrömungen des Stroms bekundenden Abgrund hinabreichen, ſind in ununterbrochener Aufeinanderfolge in Herndon's Aufnahme und Meſſungen, genauer, als zuvor, mitgetheilt. Und dies iſt immerhin dan— kenswerth anzuerkennen, weil es ſehr mühſame Anſtrengungen vor— ausſetzt, wenn auch in Hinſicht der aſtronomiſchen Poſitionen ſehr Vieles zu wünſchen übrig bleibt. Der dritte öſtlichſte der drei genannten parallelen Quellſtröme, der Ucayale, iſt der längſte von allen Dreien und entſpringt am ſüdlichſten in Ober-Peru, nahe dem Titicaca-See; auch er iſt, wie der Huallaga, von Anfang bis zu ſeinem Erguß bei Nauta in den Amazonas ſehr waſſerreich und großentheils ſchiffbar, aber nur fein oberes Drittheil liegt innerhalb der europäiſch-peruaniſchen Civiliſation; fein ganzer mittlerer und unterer Lauf dagegen nicht, obwohl an ihm früher in den Pampas del Sacramento ein ſchön angebahntes Feld der Miſ— * F 2 280 C. Ritter. ſionen zur Civiliſirung und Belehrung der Indianer lag, das aber, ſeit der Abſchüttelung des Joches der ſpaniſchen Oberherrſchaft durch die Re— publikaner gänzlich vernachläſſigt und wieder in Wildniß verſunken iſt! Lieut. Herndon hat nur das obere Quellgebiet des Ucayale bis in die Gegend von Tarma, und bis zum letzten öſtlichſten Schutzeaſtell des pe— ruaniſchen Gouvernements zu San Roman (unter 11° ſ. Br.), dem, oſt⸗ wärts, ſich das Urwaldgebiet eines unverſöhnlichen Volksſtammes der wildeſten Indianer vorlagert, berührt. Es ſind dies die gefürchteten Chun— chos am Oſtufer des Chancha-Mayo-Fluſſes, die ein eingewurzelter Haß gegen die Weißen auszeichnet, indeß die nördlichen Indianer am Amazonas zu den wohlwollenden, den Europäern zugethanen Völkern gehören. Nur mit Gewalt oder Liſt, wo ſie können, verfolgen die Chunchos die Weißen, zumal durch Inbrandſtecken und durch Blaſeröhre mit vergifteten Pfeilen, wodurch ſie, oft unwahrnehmbar, aus dem Dickicht ihrer Waldungen die Fremdlinge, wie ein Wild, das ſich in ihre Ge— biete wagt, tödten! Die Schifffahrt auf dem Ucayaleſtrome wurde daher, als zu ges gefährlich, unterlaſſen; doch hat Herndon von Nauta, der unteren Eins mündungsſtelle des Ucayale in den Amazonas, deſſen unteren Stromlauf noch 24 Tagereiſen aufwärts bis zur ſüdlichſten Miſſionsſtation an ihm, bis Sarayacu, beſchifft, und auch die Rückfahrt von da zum Ama— zonas, im October 1853, in ſeinem Werke beſchrieben. Die Lücke, welche hierdurch in der Geſammtbeſchiffung des Ucayale, zumal ſeines mittleren Stromlaufes, geblieben, hatte indeſſen ſchon ein paar Jahre zuvor der franzöſiſche Reiſende Comte Caſtelnau im Jahre 1846 ausgefüllt, indem derſelbe den ganzen Ucayale abwärts bereiſte und, vieler wilden Felſenſtellen und Cataracten ungeachtet, ihn doch noch 110 geographiſche Meilen weit ſchiffbar befand (Castelnau Voy. T. IV. p. 330—462). Aber fein Bericht iſt erſt ſpäter in Paris zum Druck ges langt, und dann erſt zu Lieut. Herndon's Kenntniß gekommen. Jene waſſerreichen, durch und durch beſchiff baren öſtlichen Provin— zen bolivianiſcher und peruaniſcher Staaten, die an den Oſtabhängen der Cordilleren faſt überall Waſchgold im Ueberfluß an allen Strömen zei— gen, beherbergen noch viele Schätze an Silber und anderen edlen Erzen; 1) S. dieſe Zeitſchrift Il, S. 41. G. 5 a Die neueſte Unterſuchung des Amazonenſtroms. 281 } j und nur Menſchenkräfte fehlen, fie zu gewinnen! Ganz vorzüglich aber ſind ſie durch ihre tropiſchen Vegetationen ausgezeichnet geſegnet; denn Zuckerrohr, Kaffee, Taback, Baumwolle, Cacao, Caſſawa oder Maniok, Mais, Bananen, Ananas und hundert andere edle nährende Produkte wachſen hier bei geringer Cultur im Ueberfluß; ſo wie die Wälder mit heilſamen Chinarinden, die Gummi- und Harzarten, die Gewürze und Medieinalkräuter, die Oelpflanzen, die köſtlichſten Farbſtoffe, die edelſten Holzgattungen aller Arten in der Wildniß wuchern. Von ihnen hatte der treffliche Botaniker, Prof. Pöppig, trotz feines mehrjährigen Aufenthaltes in dieſen Regionen der Urwaldungen (der ſogenannten La Montana) doch erſt den kleinſten Theil kennen lernen, und, wie er ſelbſt ſagt, nach Eu— ropa überſiedeln können, obwohl von ihnen auch v. Martius theilweiſe ſo lehrreiche Mittheilungen gemacht hatte. 7 Dieſe öſtlichen ſo naturreichen, aber an Civiliſation und Coloniſa— tion noch ſo dürftigen Provinzen werden durch Einrichtungen freier Segel- und Dampfſchifffahrt auf dem majeſtätiſchen Strom des Ama— zonas, in den ihre, wie ihrer Nachbarprovinzen Flußläufe, alle, wie in einen gemeinſamen Fluß-Ocean münden, eine ganz neue Phaſe der Entwickelung gewinnen. Und in Vorahnung ſolcher, dereinſt mögli— chen Zuſtände, haben ſich ihre Behörden ſchon enger unter ſich und an die Intereſſen der Gouvernements der Nordamerikaner, welche durch ihre Energie, wie durch ihre Macht, das Ziel der freien Beſchiffung des rieſigen Amazonas ſchon erreichen werden, angefchloffen, da für einen ernſter eintretenden Conflict die friedliche Marine der Nordamerikaner, wie ihre Handelsmacht, in dieſen Gewäſſern bereits eine gebietende geworden iſt! Aus der nordweſtlichen Republik Ecuador kommt aber der mäch— tige Rio Napo von Quito herab, den man früher, wegen ſeiner Waſ— ſerfülle und Schiffbarkeit, ſelbſt für den Urſprung des Amazonas ge— halten hatte. Aus Neu-Granäda und Venezuela, vom Norden her, fließen der Japurä und der durch A. v. Humboldt fo berühmte Zwitter- ſtrom, der Rio Negro, herab, welcher letzte wegen ſeiner nördlichen Verzwei— gung mit dem Orenoco und den Venezuela-Staaten, von noch erhöhter Wichtigkeit für die Zukunft erſcheint, wenn er erſt mit in das Netz der freien Dampfer der ſüdamerikaniſchen Binnenſchifffahrt, die gegenwärtig ſchon auf den bolivia -peruaniſchen und Amazonas-Gewäſſern ſich zu regen beginnt, verflochten werden ſollte! * 232 C. Ritter: Die neueſte Unterſuchung des Amazonenſtroms. Vielleicht daß der neueſte Tractat zwiſchen dem Kaiſer von Bra— ſilien und dem Staat von Venezuela, in welchem die Grenze am Rio Negro näher beſprochen wird, ſchon durch ſolche veränderte Zuſtände in Anregung gekommen iſt! Doch wir müſſen uns für jetzt nur begnügen, im Allgemeinen auf eine wahrſcheinlich neue Entwickelung für die Zukunft des Amazonas— Syſtems, die ſchon in der Gegenwart ihre erſten Keime entfaltet hat, hingewieſen zu haben. Der nautiſch-geographiſche Inhalt von L. Hern— don's Reiſewerk über die neueſten Zuſtände erhält dadurch ſeinen be— ſonderen Werth. Was bei deſſen Expedition zu wünſchen geweſen wäre, möchte eine genauere vorhergegangene Kenntniß deſſen ſein, was durch manche unſerer deutſchen Meiſterwerke ſchon vor ihm auf dem— ſelben Gebiete geleiſtet war, wovon ſich aber bei ihm keine Spur vorfindet. Auch iſt zu bedauern, daß Herndons etwaige originale aſtronomiſche Be— trachtungen, ſowie die, welche L. Gibbon angeſtellt hat, noch nicht mit— getheilt ſind, wodurch es zur Zeit noch unmöglich iſt, ein ſicheres Ur— theil über die Richtigkeit oder Verdienſtlichkeit ſeiner neuen, dem Werke beigegebenen Kartenconſtruetion vom Amazonas-Syſteme (Map of the Rivers Huallaga, Ucayali and Amazon ſrom the Observations of Lieut. Wm. L. Herndon U. S. N. drawn by John Tyssowski, Dr.) zu gewinnen, da fie, bei Vergleichung mit früheren aſtronomiſchen Be— obachtungen zu vielen Zweifeln Raum giebt. C. Ritter. XII. Die klimatiſchen Verhaͤltniſſe von Spanien '). Das wiſſenſchaftliche Intereſſe an meteorologiſchen Beobachtungen und barometriſchen Höhenmeſſungen hat ſich in Spanien erſt in neue— rer Zeit entwickelt. Es war eine Bedürfnißfrage geworden, durch ge— naue Aufnahmen und Meſſungen nicht allein die Oberfläche des Lan— des zu beſtimmen, ſondern auch durch regelmäßige und ſorgfältige Be— obachtungen das Klima deſſelben, die meteorologiſchen Einflüſſe und die phyſiſchen Wechſelwirkungen näher kennen zu lernen. Durch die Kennt— niß der letzten hoffte man die in den Südprovinzen der Halbinſel ſich als abnorm darſtellende Seltenheit der Regengüſſe und insbeſondere die auffallende Dürre und Productionsunfähigkeit der Provinzen Murcia und Almeria erklären zu können. Was die Höhenmeſſungen anbetrifft, jo gebührt eine beſondere Anerkennung dem General-Lieutenant Zarco del Valle, dem hochver— dienten Chef des Ingenieur-Corps und würdigen Präſidenten der Akademie der Wiſſenſchaften, welcher ſtets und überall bereit iſt, alle wiſſenſchaftlichen und künſtleriſchen Beſtrebungen kräftigſt zu unterſtützen, zu fördern und ihnen die praftifche Seite abzugewinnen. Auf Veran— laſſung des Generals find durch eine Ingenieur-Commiſſion bereits die Vermeſſungen von Aſturien, Arragon und den Basken ausgeführt, und es wurde dadurch eine Arbeit begonnen, deren weitere Förderung und dereinſtige Vollendung von großem wiſſenſchaftlichen Werthe iſt?). Die ) Von dem Königlichen General-Conſul in Spanien und Portugal, Herrn * Minutoli, mitgetheilt. G. 2) S. hier S. 183. G. 284 J. v. Minutoli: meteorologiſchen Beobachtungen wurden erſt in neueſter Zeit von der Regierung mit beſonderem Intereſſe wieder aufgenommen; ſie ſind den Provinzial-Gouvernements anempfohlen, den Univerſitäten zur Pflicht gemacht, und man ſchmeichelt ſich mit der Ausſicht, daraus noch einen beſonderen Nutzen für die waſſerarmen Provinzen ziehen zu können, indem man, von der Wirkung auf die Urſache zurückgehend, Mittel aufzufinden hofft, um jenem troſtloſen Zuſtande anhaltender Dürre auf irgend eine Weiſe Abhilfe zu verſchaffen Von der Regierung wurden deshalb mehrfach, und zuletzt im Jahre 1850, Preisaufgaben geſtellt, und der Preis iſt nach eingeholtem wiſſenſchaftlichen Gutachten der Aka— demie der Wiſſenſchaften vom Miniſterium dem Herrn Manuel Rico y Sinobas wirklich zuerkannt worden. Die erſten meteorologiſchen Beobachtungen wurden in Spanien im Jahre 1786 in Barcelona durch Talba angeſtellt und bis zum Jahre 1824 fortgeſetzt, von wo ab Bauri ſich faſt ausſchließlich damit be— ſchäftigte. In San Fernando begannen die diesfälligen Arbeiten gleich— falls im Jahre 1786. Sie dauerten bis 1802, von wo ab die amt⸗ lich angeordneten Beobachtungen vom königl. aſtronomiſchen Obſerva— torium daſelbſt geleitet wurden. In Madrid beſchäftigte ſich Sala— nova 1786 bis 1795 mit dieſen Aufnahmen; Penalver von 1800 bis 1804; Gonzalez Crespo von 1817 bis 1820. Von 1837 bis 1847 wurden die Beobachtungen durch das dortige meteorologiſche Obſerva— torium angeſtellt. Die Aufnahmen in Gibraltar begannen im Jahre 1791 durch die Offiziere der Garniſon und ſind ununterbrochen bis auf die neueſte Zeit fortgeſetzt worden. Im Norden Spaniens wurden derartige Beobach— tungen während drei Jahren in Coruna und Ferral angeſtellt und durch Madsoz veröffentlicht; an der Oſtküſte in Valencia publizirte dergleichen die Geſellſchaft naturforſchender Freunde. Die ab und zu auch an an— deren Punkten der Halbinſel unternommenen Beobachtungen ſind nicht in die Oeffentlichkeit gelangt. Im Allgemeinen wurden dieſe Arbeiten in Spanien mit großer Pünktlichkeit und Zuverläſſigkeit geführt. Man verfährt mit übereinſtimmender Gleichförmigkeit in derſelben Weiſe, wie Dove und Berghaus, welche hier in hoher Achtung ſtehen, und fan melt in den begonnenen Arbeiten ein ſchätzbares Material. Nicht allein h N. 3 Die klimatiſchen Verhältniſſe von Spanien. 285 die Staatszeitung, ſondern auch die Provinzialblätter bringen täglich die meteorologiſchen Beobachtungen. Im Allgemeinen betrachtet zeigt das Klima von Spanien an ſei— nen Küſten eine gewiſſe Analogie in der Natur und Ordnung, wie in dem Gang und der Wirkung ſeiner Lufterſcheinungen; allein nur we— nige Meilen nach dem Innern zu, beſonders auf den Hochebenen und in den höheren Gebirgsregionen, begegnet man den auffallendſten Ab— 4 weichungen und Gegenſätzen. Die Küſten-Temperatur, der atmoſphä— 7 riſche Druck, die allgemeine Strömung der Winde, die Menge und Ver— 7 theilung der Hydrometeore, ihre Wiederholung im Vergleich zur Electricität in der Luft, und das Pflanzenleben beobachten Geſetze, welche im Norden, Nordweſten und Südweſten Spaniens eine an den Ufern des großen Thales des atlantiſchen Oceans belegene und mit einem gleichförmigen 8 oceaniſchen Klima ausgeftattete Region bilden. An den ſüdöſtlichen und öſtlichen Küſten der Halbinſel erhöht ſich die Temperatur um einige Grade, bewahrt jedoch Jahr aus Jahr ein mit großer Gleichförmigkeit das Meer⸗Klima. Der atmoſphäriſche Druck verurſacht kaum Wechſel; die Hauptſtrömung der Winde, die Menge und Vertheilung der Hydro— meteore erinnern ſtets an die oceaniſchen; die Vegetation zeigt uns Zuckerrohr, Baumwolle, Palmen, Reis, Agaven, Oel- und Johannes- brod⸗Bäume, Mais, Mandeln, Meer-Pinien und andere Pflanzen, welche in ihrer Geſammtheit dazu dienen, die ſüdöſtliche und öſtliche Küſtenregion als ein mittelländiſches Klima zu claſſifiziren. ? Die Ebenen im Innern, welche ſich bis zu einer Höhe von 600 Varas über dem Meeresſpiegel erheben und den Namen Paramos führen, eine Bezeichnung, welche durch die älteren Geographen und Naturforſcher auf die Sabanas von Quito und Peru übertragen ward, haben ein Continental-Klima, bedingt durch den atmoſphäriſchen Druck, die häufigen Luftſtrömungen, die Hydrometeore, die Electricität und das Pflanzenleben, welches hauptſächlich den Weinſtock, Grami— n neen, Pinien, Nußbäume, Eichen und Buchen produzirt. Die Unregel— mi gte oder Ungleichartigkeit dieſes Klima's liegt in der Unebenheit des Bodens, in den Senkungen, Schluchten und Gebirgszügen, die ihn durchſchneiden. IJgn Betracht dieſer Verſchiedenartigkeit der klimatiſchen Verhält— 1 286 J. v. Minutoli: niſſe erſcheint es nicht als zufällig, wenn die phöniziſchen Colonien ſich zunächſt in Cadiz feſtſetzten, Cartagena von Nord-Afrika aus bevölkert wurde, die Römer dem Küſtenſtriche von Tarragona den Vorzug ga— ben, und die Gothen ſich hauptſächlich auf den Hochebenen von To— ledo, Leon, Oviedo und Burgos niederließen. D. Manuel Rico y Sinobas theilt nun Spanien in fünf klima⸗ tiſche Regionen. 1) Das cantabriſche Klima im Norden und Nordweſten. Es umfaßt den Strich vom Golfo de Gascuña, dem atlantifchen Ocean und dem Gebirgszuge ausgehend, der, von den Pyrenäen ſich abzweigend, in den galliziſchen Vorgebirgen ausläuft. Die mittlere Jahrestempe— ratur beträgt 1657, die mittlere Wintertemperatur 10°, 55, die des Sommers 21°, 77; die Ocillation zwiſchen dem December als kaͤlte— ſten und dem Juli als wärmſten Monate 1299. Regentage berechnete man auf 177, die Menge des geſammelten Waſſers auf 1981. Die dauerndſten Luftſtrömungen ſind nordöſtlich, man zählte deren 163 Tage; von Südweſten nach Nordweſten 140; von Süden nach Oſten 61. 2) Das bätiſche Klima im Süden, zwiſchen dem atlantiſchen Ocean, der marianiſchen Gebirgskette und den Senkungen im Norden von puniſch Bätica, umſchließt das große Thalbett des Guadalquivir mit einem Theil des Guadiana in den Provinzen von Huelva und Unter-Eſtremadura. Die mittlere Temperatur beträgt nach den in S. Fernando durch fünf Jahre angeſtellten Beobachtungen 19°, 8, die mittlere des kälteſten Monats 12°, 39, die mittlere des heißeſten 28% 05, die Oscillation 2452, nämlich zwiſchen der niedrigſten Tem | peratur im Januar 1842 von 0, 28, und der höchſten von 41, 3 im Auguſt 1839. Die Regenmenge betrug nach einer 33 jährigen Beobachtung des Pluviometers durchſchnittlich 0543; die Zahl der jährlichen Regentage 52. Von Weſten nach Oſten fortſchreitend findet ſich in Gibraltar eine mittlere Jahrestemperatur von 179,89, im Winter von 130, 8, im Frühling von 17 3, im Sommer von 22“, 7, im Herbſt von 17°,8. Die Oscillation zwiſchen dem kälteſten Monat Februar mit einer mittleren Temperatur von 13 7 und dem heißeſten Monat Juli mit einer mittleren Temperatur von 23°, 5 beträgt 9“, 8. Der Regen— tage rechnet man 72 und die Waſſermenge nach einer 58 jährigen Die klimatiſchen Verhaͤltniſſe von Spanien. 287 übereinſtimmenden Berechnung zu 0*, 750. Die Temperatur weicht nur ſehr gering ab, aber die Zahl der Regentage und die Quantität des Regenwaſſers nehmen in der Richtung der Meerenge zu. Hier— durch erklärt ſich gleichzeitig die Verminderung der Wärme in S. Fer— nando während des Winters und das Steigen des Thermometers während des Sommers, ſowie die dunſtige und bedeckte Atmoſphäre. N Wenn man, die Küfte verlaſſend, einen Punkt im Innern des Landes näher in's Auge faßt, und zwar beiſpielsweiſe Sevilla, am Guadalquivir belegen, fo finden wir dort nach einer 6 jährigen Beob— achtung die durchſchnittliche Jahrestemperatur von 22°, 75, die größte 4 tägliche Oscillation von 15° zu 17, 5, die größte Sonnenhitze von 310,2 bis 37%, und während des Levantewindes ſogar bis auf 40° ftei- gend, die niedrigſte Temperatur im Winter zu 3,7. Schnee fällt äußerſt ſelten. In naſſen Jahren zählt man 50 bis 60 Regentage, in trockenen nur 30. Die Regenwaſſermenge am Ausfluß des Guadalquivirs bei San Lucar beträgt nach einer 10jährigen Beobachtung 0% 789. Die herrſchenden Windſtrömungen in Sevilla gehen von Weſten nach Süd— weſten; häufig empfindet man die oceaniſche Briſe. In dem Hauptthalbett des Guadalquivir und im Nebenthale des Geenil fehlt es leider noch an Beobachtungen. Es ſteht aber unzweifel— haft feſt, daß in Ecija, Cordova, Jaen, Loja und Granada die Tem— peratur und das Pflanzenleben ſchon einen verſchiedenen Charakter an— nehmen. Die Produkte find reicher, die Regentage und die Maſſe f Reggenwaſſers geringer; die Hitze ſteigt, und die ſanften Meerbriſen im Gegenſatz zu den ſtrengen Luftſtrömungen von den Sierras find bis nach Guadiz und Baza hin durchzufühlen. Man braucht nur jene Thäler zu betreten, den Boden und die Atmoſphäre zu beobachten, um in dem erſten den Einfluß des atlantifchen Oceans in der Stärke und Ueppigkeit der Olivenbäume und Küſtenpflanzen zu erkennen und in der Färbung und Natur der letzten dieſelben Bedingungen wieder: zufinden, welche ſich in dem ganzen Thalbett des Guadalquivir wieder— holen, wo, von der Meeresküfte aufſteigend bis zur äußerſten Grenze de 3 vormaligen Königreiches Granada hin, den fruchtbarſten Jahren md überreichen Ernten Dürre, Mißwachs, Krankheiten der Pflanzen 4 und Nothſtände folgen, welche jenen Geſammtlandſtrich gleichartig be— * treffen, ohne daß man die phyſiſchen Urſachen erfannt Hätte. 288 J. v. Minutoli: Das bätiſche Klima umfaßt Loja und die Sierra von Antiquera— Von Guadiz ſteigt es die Abhänge der Sierra von Baza hinab bis zu den Schluchten von Almeria; es berührt den Strich von Huescar nach Velez und Rio-Lorca, und ſo fort bis zu den erſten Höhenzügen der Sierra Segura. Außerordentlich frappant und grell iſt der Ueber— gang zur 3) Puniſch-bätiſchen Region und deren Klima. Beide werden durch das mittelländiſche Meer und die Südabhänge der Cordilleras von Puni⸗Betica, Iberica (Bory de San Vincent) und Celtiberica begränzt. Von Algecyras oder Gibraltar ausgehend, die Punta de Europa doubli— rend, ändert ſich der Schauplatz. Ueberall gewahren wir den Contraſt. Jähe Abhänge, rauhe Schluchten, übergroße Fruchtbarkeit, Schneeluft, tropiſches Klima und erſtickende Dürre. Man ſchaue die Umgebungen von Malaga, die Zuckerrohr-Plantagen in Motril, die Cactus-(Tuna—) Gehege von Almeria, die Getreidefelder von Eulaila, Lorca und To— tana, das Thal von Ricote, die Huertas von Murcia und Orihuela, den Palmenwald von Elche und folge den Umgebungen von Valencia bis la Plana de Caſtellon. Verſetzt ſich der Beſchauer auf die Höhe der Sierra Nevada, ſo werden ihm die Gegenſätze in dieſem Rund— gemälde um ſo entſchiedener entgegentreten. In Malaga beobachtete man eine mittlere Temperatur von 15,5; im November von 19, im October von 2375, im September von 280,78. In Motril betrug die mittlere Temperatur im Frühjahr 19“, 2, im Som— mer 24, 1, im Herbſt 15, 5, im Winter 11, 6. In Almeria be— obachtete man die mittlere Sommerwärme von 27° bis zu 37 50, die Wintertemperatur von 15° bis zu 22,85, mithin eine Oscillation von 135,75. In Iviza ſchwankte das Thermometer in den 5 Wochen vom 12. November bis zum 18. Dezember von 15° bis zu 28°, im Januar von 7, 50 bis zu 20°, im Februar von 7, 50 bis zu 17,50. Die mittlere Temperatur in Valencia beträgt 18°,42, die des kälteſten Monats (Dezember) 8°, 9, die des heißeſten (Juli) 26°, 3, die des Winters überhaupt 11°, 4, die des Frühlings 11, 8, die des Sommers 24, 9, des Herbſtes 19°, 6, die äußerſte Monats-Abwei— chung 175 4. Regentage zählt man 56; die Regenwaſſermenge be— rechnet man zu 0% 497. Die Dauer, Stärke und Richtung der Winde des dritten Klima's Die Flimatifchen Verhältniſſe von Spanien. 289 ſind gleichfalls verſchieden. In der Meerenge von Gibraltar herrſchen die Levantewinde vor, in Malaga die Südoſt- und Südwinde. In Motril beobachtete man in einem Jahre 144 Tage Oſtwind, 116 Le— vantewind, 64 Nordwind und einen Tag Südwind. In Cartagena ſind die Weſt- und Südweſtwinde ziemlich regelmäßig; ſie wehen im Sommer von 10 Uhr Vormittags bis zum Sonnenuntergang, im Win— ter dagegen die ganze Nacht hindurch. Am Cap San Antonio wech— ſelt jederzeit die Richtung der Luftſtrömung, ſo daß es ſchwer hält, jenes Vorgebirge zu doubliren. Auf Iviza find Nord- und Nordweſt— winde beſtändig und bringen in der Regel hohe See mit ſich. Auf den Balearen wehen im Allgemeinen während des Winters Nordweſt— (Virazones) und während des Sommers Weſtwinde, Südweſtwinde und die regelmäßigen Meerbriſen. In Murcia herrſchen im Winter Nord- und Nordweſtwinde (Maestrales), im Frühjahr Nordweſt- und heftige Levantewinde, während im Sommer Weſtwinde (Terral) mit Suͤd— weſt⸗(Leveche) und Südoſtwinden (Jaloque) wechſeln. Der letzte und der Levantewind, ſowie Nordweſtwinde, ſtellen ſich im Herbſte ein. Die dauerndſten Luftſtrömungen in Valencia ſind nordöſtliche. Der Nord— wind weht in einem Jahre durchſchnittlich 61 Mal, Nordoſt 160 Mal, der Oſtwind 239 Mal, der Suͤdoſt 123 Mal, der Südwind 28 Mal, der Südweſt 79 Mal, der Weſtwind 103 Mal und der Nordweſtwind 41 Mal. Gefährlich find in dieſem Klima die überaus heftigen Wind— ſtöße in der Nähe der Kuͤſten von Malaga, Motril und Almeria, und weiter hinauf an der Oftfüfte bei Valencia bis zur Mündung des 1 Ebro zur Zeit, wenn die Weſt- oder Levantewinde wehen. Eigen- thümlich ſind die bei Valencia häufigen, mit Gewittern verbundenen Stürme, deren man etwa 40 jährlich rechnet. Von Afrika herüber weht endlich der ausdauernde und alles Le— ben erſtickende Sirocco oder Samoum, eine der größten Plagen für die Suüdoſtküſte Spaniens. g 4) Das Klima von Tarragona (Tarraconensis). Von Mur— viedro, Caſtellon und Ampoſta aus folgt man entweder der Küfte, um die Thäler des Francoli, Llobregat, Tordera und Ter bis zum Cap . Creus hinauf in's Auge zu faſſen, PURE man wendet fich ih die viel⸗ 4 b * . | an e Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 19 290 J. v. Minutoli: die Hochebenen des Maeſtrazgo und die von Albaracin, Teruel, Mo— lina de Aragon und Alcolea erheben. Weiter ſtromaufwärts verengt ſich nach dem Moncayo das Thal und verliert ſich in den Serranias von Cameros und Tolona in die Central-Hochebenen, auf welche die Py— renäen von weſentlichem Einfluſſe ſind. Merkwürdigerweiſe folgt dem Laufe des Ebro bis tief in das In— nere Spaniens der Einfluß des mittelländiſchen Klima's, wie dies in Lerida, Fraga, Seo de Urgel und überhaupt an den Ufern des Segre, Noguera Valareſa, Noguera Rivagorrana und Cinca ſich wahrnehmen läßt. Die mittlere Jahrestemperatur von Barcelona zeigt 17% 01, die des kälteſten Monats (Januar) 9°, 51, die des heißeſten (Auguſt) 26 05, die Oscillation zwiſchen dieſen beiden Monaten 16°, 54. Die jährliche Regenwaſſermenge beträgt 0, 510. 5) Das Continental- oder Central-Klima wird durch die an feinem Rande befindlichen Cordilleren begrenzt. Das Niveau dieſer — Hochebenen wechſelt und ſenkt ſich nach Leon, Burgos, Soria, Alcolea f und Albaracin bis gen Weſt-Süd-Weſten und bildet die Thalbetten } des Duero, Tajo und der Guadiana. Die Landftriche von den Pyrenäen herab: Aſturien, Palencia, Leon, Zamora, Salamanca und Eſtrema— dura, gen Süden bis an die Sierra Morena, gen Weſten bis zur Sierra Segura und dann zum Moncayo hinauf bilden die Hochebe— nen der iberiſchen Halbinſel, 160 bis 200 Varas über dem Spiegel ihrer eben genannten Hauptſtröme gelegen — je 6 bis zu 16 TMei- N len zählend, nach der Entfernung der ſie durchſchneidenden Höhen— : züge oder Thalſenkungen und Einſchnitte. 0 | j Die mittlere Temperatur der Tajoſenkung in Madrid ift 14°, 2, im Winter 5,6, im Frühling 14% 2, im Sommer 23°,4, im Herbſt 15, 7. Die Oscillation in den einzelnen Monaten ſteigt von 12° bis zu 26“. Die Beobachtung der Luftſtrömungen zeigte im er eines Jahres 14 Tage Süd, 93 Südweſt, 8 Welt, 27 Nordweſt, 13 Nord, 141 Nordoſt, 2 Oſt, 23 Südoſt, 50 abwechſelnd, 2 Windſtille. Außerdem beobachtete man 57 Regentage, 4 Tage Sturm, 5 Tage Sturm und Gewitter. Die Regenwaſſermenge berechnet man zu 279.5. Man hat ſolche zu 9 Zoll angegeben, jedoch iſt dieſelbe in Madrid bis j zu 12, 19 und 24 Zoll beobachtet worden. ] 4 j 3 9 Die klimatiſchen Verhältniſſe von Spanien. 291 Nachſtehende Vergleichung der Temperatur verſchiedener Punkte Spaniens wird nicht unintereſſant ſein. 17 Mittlere 2 g Oscillation Kälteſte Monate. Heißeſte Monate. bro Monat. 1 Valencia | Dezember + 8, 9 Juli + 26, 3 17 4 18 »„ 4 Barcelona Januar + 7 8 Aug. + 24 1 16 , 5 16 , 8 Madrid Dezember + 3 8] Aug. + 21% 6 20 , 8 13 », 8 An außergewöhnlichen Erſcheinungen waren die Jahre 1536, 1739, 1830 und 1835 bemerkenswerth, wo mehrere Flüſſe feſt zu— froren, und ſich ſelbſt bei Barcelona und Tarragona das Meer an . den Küſten mit Eis bedeckte. Es iſt von hohem Intereſſe, die Geſetze kennen zu lernen, denen die Hydrometeore in den verſchiedenen Klimaten Spaniens folgen. Ihr Urſprung, ihre Quantität, die Zeit ihres Eintrittes und die jährliche Gleichförmigkeit bilden weſentliche Momente, um die Trockenheit in eini— gen Provinzen zu erklären, in denen ſich notoriſch die Regenwaſſermenge vermindert, während andererſeits Ueberſchwemmungen und die Schä— den, welche die entfeſſelten Fluthen an Feldern und Gebäuden verur— ſachen, darthun, daß es auch an einem gewiſſen Ueberfluß des Waſſers nicht fehlt. Daß Spanien noch immer in ſeinen Boden- und klimati— ſchen Verhaͤltniſſen eine große Productionsfähigkeit zeigt, iſt bekannt, wie denn der Reichthum und die nachhaltige innere Kraft des Landes und ſeiner Bewohner überhaupt ſchon aus dem einzigen Umſtande dar— gethan wird, daß Inquifition, zwangsweiſe und freiwillige Entvölke— rung, äußere und innere Kriege, ſchwache und ſchlechte Regierungen, welche einzeln und gemeinſam an dem Unglück und der Auflöſung Spaniens dauernd gearbeitet haben, nicht im Stande geweſen ſind, die Kraft des Landes und Volkes zu erſchöpfen. In Uebereinſtimmung mit der Berghaus'ſchen Eintheilung in drei Zonen nimmt man für Spanien zwei Jahreszeiten der allgemeinen Hydrometeore an, deren Waſſer ſich im atlantiſchen Ocean erhebt; die eine, wenn im Herbſt gegen den Winter zu die Südweſtwinde ein— treten, die ſich weiter hinab bis zu den Canarien ausdehnen; die an— dere, wenn im Frühling die Nordoſtwinde bei ihrer Rückkehr mit jenen zuſammentreffen. Spanien hat hiernach ſeine Herbſt- und Frühlings— 19 * 292 J. v. Minutoli: regen, durch deren Regelmäßigkeit das Pflanzenleben bedingt iſt. Die wahrgenommenen Abweichungen finden ihre Erklärung in dem Umſtande, daß die iberiſche Halbinſel ſchon die Grenze der Zone bildet, welche durch Herbſt- oder Winterregen bezeichnet wird. Die nachfolgende Ueberſicht der Regenmenge (nach Procenten) an mehreren Punkten der Halbinſel zeigt ſolche Verſchiedenheiten: | San⸗ tiago. Liſſa⸗ bon. S. Fer⸗Gibral-⸗Valen⸗ nando. tar. cia. Mas drid. Valla⸗ dolid. Barce⸗ Mafra. lona. Winter 19,9 | 39,9 | 53,4 44,9 44 | 39,6 | 18,2 | 24,3 | 11,2 Frühling 22,8 | 33,9 | 27,5 | 27,6 | 24,2 | 19,8 | 25,7 | 27,6 | 34,2 Sommer 13,7 3,4 2,7 1,1 1,9 26,7 | 16,9 | 10,8 | 14 Herbſt 43,6 | 30,8 16,4 | 26,4 | 29,9 | 13,9 | 39,2 | 37,5 | 43,6 Giebt es auch Gegenden, wo die Winterregen verhältnigmäßig ſtark ſind, ſo vermindern ſich dagegen überall die Sommer-Hydrome— teore. Herbſt- und Frühlingsregen bleiben ſtets die weſentlichen Merk— male, und die ſchon oben erwähnten ungeheuren Ueberſchwemmungen, welche Spanien von Zeit zu Zeit heimſuchten und die Ströme bis zu 27 Fuß über ihren gewöhnlichen Waſſerſtand hoben, haben mit gerin— gen Ausnahmen immer im Herbſt ſtattgefunden. Daß hierauf die Formation der Thalſenkungen, die Höhe der Quellen über dem Spie— gel bei der Mündung, die geologiſche Beſchaffenheit des Flußbettes und der Küſten, ihre geringere oder größere Empfänglichkeit, das Waſſer einzuſaugen oder durchzulaſſen, weſentlich mitwirken, liegt in der Natur der Sache. Es giebt eine Menge von Wahrzeichen, welche bei auf— merkſamer Beobachtung das unerwartete Anwachſen der Flüſſe verkün— den und es möglich machen, ſich gegen die ſchnell wachſende Gefahr zu ſichern; allein Spanien iſt bis jetzt hinſichts der Einführung pluvio— metriſcher Beobachtungen hinter den meiſten Ländern Europa's zurück— geblieben. Nichts deſto weniger hat man zu verſchiedenen Zeiten, na— mentlich in den Jahren 1788 und 1843, mit großer Sorgfalt die Ur— ſachen zu den damals in der ganzen Halbinſel ſtattgefundenen über— reichlichen Regengüſſen zu ergründen fi) bemüht. Die diesfälligen Beobachtungen wurden an drei verſchiedenen Punkten angeſtellt, an der Küſte des mittelländiſchen Meeres, in Barcelona (1788) von Salva, am atlantiſchen Ocean in Cadiz von Buitrago, und auf der caſtiliſchen Central-Hochebene in Madrid von Salanava. Der Herbſt des Jahres Die klimatiſchen Verhältniſſe von Spanien. 293 1787 begann am mittelländiſchen Meere, wenigſtens vom Ebro auf waärts, mit einem fo naſſen September, daß die Regenwaſſermenge in— nerhalb 10 Tagen 6 Zoll und 11 Linien betrug. Während des Octo— bers betrug dieſelbe 1 Zoll 5 Linien, während des Novembers eben ſo viel, doch ſtieg dieſe dann im April wieder bis zu 5 Zoll 0,1 Linie. Die Luftſtrömungen zeigten vorzugsweiſe kalte und trockene Nordoſt— winde, während in der Regel Nordoſt-, Oſt-, Südoſt-, Süd- und Südweſtwinde auf der Oſtküſte Spaniens Feuchtigkeit mit ſich führen. Aehnliche Erſcheinungen wurden in Cadiz beobachtet, wo im Sep— tember unter Nord-, Weſt⸗ und Südwinden bereits heftige Regengüſſe eintraten. In Madrid wehten unter häufigem Regen 16 Mal Süd— weit- und 22 Mal Levantewinde. Der Winter an der Oſtküſte war trocken, ganz ohne Regen; es wechſelten Nord mit Südweſt und Nord— weſt im December; die letzten waren im Januar vorherrſchend, wäh— rend im Februar Nord-, Oſt⸗ und Südwinde wehten; die Regenmenge ſtieg nicht über 0,7. Dieſen Erſcheinungen entſprechend war das Re— ſultat der Beobachtungen in San Fernando. In Madrid zählte der neblige Dezember 12 Regentage und vorzugsweiſe Südweſtwinde. Der Januar hatte unter trocknen Nordwinden nur 2 Regentage. Heftige Süd⸗ und Südweſtwinde, Stürme und Gewitter bezeichneten den Fe— bruar, in welchem der Barometer in 5 Tagen um 11,5 fiel. { Die während des waſſerreichen Jahres 1842 in Madrid ange— ſtellten Beobachtungen zeigten, daß während des Septembermonats die Südoſt⸗ und Weſtwinde der naſſen Jahreszeit entſprachen. Im Octo— ber traten dann, unter beſonderen Lufterſcheinungen, mit Nordoſt- und Südweſtwinden anhaltende Regengüſſe ein, welche im Dezember bei dauerndem Südweſt alle Flüſſe weit aus ihren Ufern treten ließen, ſo daß alle Ebenen unter Waſſer ſtanden. Derſelbe Wind trat auch im folgenden Monate wieder ein und wechſelte im Februar mit Süd und Weſt unter heftigen Regenſtrömen. Der Ebro ſtieg um 272 Fuß über ſeinen gewöhnlichen Stand. Die in demſelben Jahre in San Fernando angeſtellten Beobach— 2 ‚tungen ergaben bis zur Hälfte des Januars keine erke en A iermenge en September bis Dezember betrug 9 Zoll 9 Linien und die vom Januar bis Auguſt 18 Zoll 4 Linien. 294 J. v. Minutoli: Die Unregelmäßigkeiten im Gefälle des Ebro haben bereits Strabo und Plinius erwähnt; der Duero, Tajo, Guadiana und Guadalqui— vir mit ihren felſigen Betten, den großen Kieſeln und Kies- und Sand— lagern zeigen uns, mit welcher ungeheuern Gewalt ſie dieſe Maſſen ſchieben, anhäufen oder in die Tiefe wühlen, und die Senkung der Thal— ebenen des Jucar, Cabriel, Guadalaviar, der Turia und Segura mit ihren Schluchten und Nebenflüſſen und Bächen machen uns ihre zer— ſtörende Gewalt bei ſtarken Regengüſſen deutlich, wahrend wir ſie im normalen Zuſtande ruhig dahingleiten und in dem trefflich ausgeführ— ten Berieſelungsſyſtem die fruchtbaren Umgebungen von Cartagena, Almeria und Malaga bewäſſern ſehen. Die meteorologiſchen Phänomene ſind zufällige oder regelmäßig wiederkehrende. Sie berühren und verändern ſich mit dem Wechſel der Zonen und Parallelen oft in demſelben Lande, da oft ein Fluß oder eine Bergkette die Scheide bildet. Dies findet auch in Spanien mit Bezug auf die Herbſt- und Frühlingsregen ſtatt, von deren vegelmäßi- gem Eintritt die Fruchtfolge der Gramineen und das Gedeihen der Pflanzen, Blumen und Früchte abhängt. Die Regengüſſe, welche in der heißen Zone eintreten und die Flüſſe an der nordafrikaniſchen Küfte anſchwellen und übertreten laſſen, zeigen in der iberiſchen Halbinſel weder in der Eintrittszeit, noch in der Waſſermenge dieſelbe Regel— mäßigkeit, ſo daß man das plötzliche Wachſen der ſpaniſchen Ströme als durch zufällige Wirkungen bedingt und in beſtimmten Perioden wiederkehrend beobachten muß. Der abſolute Mangel an Regen be— ſteht notoriſch im Innern von Afrika, Aſien und an einigen Küſten von Weſt- Amerika und bildet beſtimmte meteorologiſche Diſtriete. In Spanien beſteht ſtatt dieſes abſoluten Mangels eine Seltenheit der Regenzeit, welche dem zweiten und dritten Klima eigenthümlich iſt und ſich mitunter auch in dem vierten und fünften wahrnehmen läßt, wenn eine allgemeine Dürre eintritt, wie dies an der Küſte des mittelländi- ſchen Meeres mitunter vorkommt. Von 1770 bis 1850 zählte man 18 Jahre der vollen Dürre im dritten und vierten Klima. Das Jahr 1803, noch heute das Hungerjahr genannt, zeigte in ganz Spanien eine vollſtändige Mißerndte. Am meiſten leiden von der Alles verſen— genden Dürre Almeria, Murcia, Alicante und die Balearen. Die auch hier eingetretenen Jahre des Ueberfluſſes und des Waſſerreichthums Die klimatiſchen Verhältniſſe von Spanien. 295 4 können die Noth, den Jammer und die Entvölkerung nicht erſetzen, welche die gänzliche Trockenheit der Jahre 1815, 1816, 1827, 1828, 1847, 1848, 1849, 1850 und 1851 verurſachte. Das mittelländiſche Meer, der Mittelpunkt der alten Civiliſation, welches an feinen Küften die Briſen, den Sirokko und Sturmwinde vereinigt, ſchuf dort durch ſeinen Einfluß auf das Pflanzenleben eine Kraft und Mannigfaltigkeit, welche die Vegetation der übrigen Welt— theile in ſich vereinigen. In Verbindung mit denſelben ſtehen die Erdbeben auf der iberiſchen Halbinſel, die vulkaniſchen Formationen und Inſelbildungen, die von Zeit zu Zeit aus der Tiefe des mittel— ländiſchen Meeres auftauchen und wieder verſchwinden. Eigenthüm— liche Erſcheinungen darf man nicht außer Acht laſſen, wie das Zurüd- weichen von den früheren Ufern in Tarragona, weiter hinab an der Mündung des Ebro und demnächſt an der Huerta von Valencia, waͤh— rend auf den entgegengeſetzten Ufern von der Meerenge von Gibraltar ab nach Oſten zu in Algerien, Tripolis (Tuneſien? G.) bis nach Egypten 5 eine Menge Ströme ihre großen Waſſermaſſen in einer außerordentliche Geeſchwindigkeit in das Meer ſtürzen. Dabei fallen dem Meteorologen eine ſolche Menge von Abweichungen von dem Klima des europäiſchen Weſtens im Vergleiche mit den Erſcheinungen auf, welche ſich in der Atmoſphäre des inneren Meeres wahrnehmen laſſen, und dergleichen zwiſchen dieſen und dem Continental-Centrum, daß man die Klimate in continentale, marine und mittelländiſche theilen mußte. 7 Das mittelländiſche Meer folgt, was die phyſiſche Geographie an— betrifft, vom ſchwarzen Meere bis zur Meerenge von Gibraltar derſel— H ben Richtung von Nordoſt nach Südweſt, wie das europäiſche Feſt— land, unterbrochen durch die hier und dort vorſpringenden Küften und zerſtreut liegenden Inſeln, bis die Berge Calpe und Avila ſich nähern und durch ihre Lage und Höhe über dem Spiegel des Meeres, deſſen Strömungen ſie canaliſiren, weſentlich dazu beitragen, daß das Conti— nental-Klima ſich ändert und ungleichartig die Regenſchauer und die Feuchtigkeit der Briſen wechſeln, im Oſten und Weſten von Italien, E im Norden und Süden der Halbinfel, in den Meerbuſen von Liva und Valencia, in dem gebirgigen Mallorca und der flachen Inſel Menorca, im Norden und Süden des Cap San Martin, und an den Kuͤſten von Alicante, Cartagena, Almeria, Malaga und Algier. Jede einzelne 296 J. v. Minutoli: Die klimatiſchen Verhältniſſe von Spanien. dieſer Regionen zeigt geographiſche Abweichungen bezüglich des ent— ſprechenden Theiles des mittelländiſchen Meeres. Gleichzeitig und ver— eint werden ihre Wirkungen in der Meteorologie beobachtet, indem die Temperatur wechſelt, ſowie die herrſchenden Luftſtrömungen, die ſich über die angrenzenden Küſtenländer, als durch eingeſchloſſene Meere beſtimmt, erheben. Die wiſſenſchaftliche Prüfung und Feſtſtellung der Temperatur dieſes großen Meerbeckens, die Beſtimmung der Quantität der Verdunſtung und der Verminderung, welche es im Verlaufe der Zeit erfahren, iſt von großer Wichtigkeit — beſonders zur Erklärung der Trockenheit der ſpaniſchen ſüdöſtlichen Küſtenſtriche, da die meteoro- logiſchen Beobachtungen gewiſſe dauernde Erſcheinungen in der Atmo— ſphäre jener Regionen wahrnehmen laſſen, um die Richtung der auf— geſtiegenen Dünſte bis zu Punkten einer feſten Stellung als natürlich erſcheinen zu laſſen. J. v. Minutoli. (Schluß folgt.) XIII. Die Franzoſen in Suͤd-Algerien. Es iſt eine Thatſache, daß die genauere Kenntniß Algeriens erſt in Folge der vielen, zur Bekämpfung Abd el Kader's nothwendig ges wordenen Kriegszüge, wodurch die franzöſiſchen Heere in den größten Theil dieſes Landes gelangten, erworben wurde, ſowie daß durch die 3 faſt gleichzeitigen Beſtrebungen zahlreicher franzöfifcher Offiziere, vor Allem der von Daumas (Le Sahara Algerien. Etudes géographi- ques, statistiques et historiques sur la region au Sud des établis— sements francais en Algerie. Paris 1845.) und Carette (Explora- tion scientifique de l’Algerie. Sciences historiques et g&ographi- ques. Paris 1844. Vol. II.) viele nordafrikaniſche und ſpeciell algeriſche Landſtriche, welche die franzöſiſchen Heere bis zu Abd el Kader's Ge— fangennehmung im Jahre 1847 noch nicht erreicht hatten, in ein kla— reeres Licht traten, indem beharrliche Erkundigungen bei den Eingebore— nen zu poſitiven Reſultaten über die Beſchaffenheit der nicht unter⸗ worfenen Landſtriche und das Weſen ihrer Bevölkerungen führten. Beſonders war es Carette's Verdienſt, zuerſt den bis dahin allgemei- nen Irrthum, daß der unter dem Namen Sahara bekannte ungeheure Landſtrich Nord-Afrika's bis zu dem Südfuße der algeriſchen Atlaskette reiche, zu zerſtören, indem Carette darthat, daß es ſuͤdlich von dieſem Fuße noch eine breite, ebenere Zone eines größtentheils culturfähigen N und zum Theil cultivirten Landes giebt, und daß noch tiefer im Sü— den ein von Weſten nach Oſten gehender Oaſenzug erſt das nordafri— klaniſche Culturland begränzt und eine natürliche Grenze Algeriens gegen die große Sahara oder den Falät bildet (a. a. O. II. 29 — 298 Gumprecht: 41). Es iſt aber dieſer ſuͤdalgeriſche ebene Culturſtrich diejenige Zone, welche von Daumas unter dem Namen der Sahara Algerien beſchrieben wurde. Durch die Forſchungen eines anderen langjährigen franzöſiſchen Bewohners von Algerien, des gelehrten Bibliothekar Ber— brugger (Exploration scientifique. Sc. hist. et geogr. IX, p. XLIII — XLIV), wiffen wir zugleich, daß die Araber denſelben mit dem Na— men Kibla, d. h. Süden n), belegen. Berbrugger ſchilderte ihn als einen zwar vorherrſchend ebenen, aber auch von langen und ſchma— len Berg- und Hügelketten durchzogenen und in nord-ſüdlicher Nich- tung durchſchnittlich 700 Kilometer breiten Landſtrich (ebendort XXX), zwiſchen deſſen Terrainerhebungen die vielen waſſerreichen und frucht— baren Oaſen erſcheinen, welche den bei weitem wichtigſten Theil der Kibla bilden und ihr einen ganz eigenthümlichen Charakter verleihen. Außer durch ihre natürliche Fruchtbarkeit ſind die Kibla-Oaſen durch ihre Lage für die Beherrſcher Algeriens äußerſt wichtig, da ſie die natürlichen Vermittelungsplätze für den aus dem tiefſten Innern Nord-Afrika's mit der Küſte betriebenen Handel bilden. Bis in die neuere Zeit verſuchten nun die Franzoſen nicht, ihre Herrſchaft viel über das nördliche gebirgige Culturland Algeriens oder den ſoge— nannten Tell auszudehnen, indem ſie, was Carette beſonders hervor— hob, durch den Beſitz des Tells ſich ſchon als die natürlichen Gebieter der Kibla anſehen konnten. Die Bewohner der letzten produciren näm— lich nicht fo viel Getreide, als fie für ihre eigene Conſumtion und für ihren Handel mit den Nomaden der großen Sahara bedürfen. Gezwun— gen, das Fehlende ſich aus dem Tell zu beſchaffen, ſind ſie dadurch immer in einer Abhängigkeit von deſſen Gebietern (Carette II, 191) 2). Der früheſte Schritt zur Ausdehnung der franzöſiſchen Macht über den Tell hinaus geſchah erſt durch die am 4. März 1844 erfolgte Beſetzung des Zab oder Zibän 8), einer bei den Eingeborenen wohlbekannten, 2) Le Qeblah c'est le midi, fagte d'Avezae (Revue de deux mondes. Ame Ser. 1830. II, 124). 2) Sehr charakteriſtiſch äußern ſich deshalb die ſüdalgeriſchen Araber: La terre du rivage est notre mère, celui, qui l’a epousee, devient notre pere et notre maitre; und ferner: Nous ne sommes ni Musulmans, ni Juiſs, ni Chrétiens, mais ce que veulent les habitants du Tell, qui sont maitres de notre ventre. Dies ſagen auch Daumas 9 — 10 und F. Jacquot Expedition du General Cavaignac dans le Sahara Algerien. Paris 1849. p. 266. 3) Ziban iſt nur der Plural von Zab (Daumas 104). Die Franzoſen in Süd- Algerien. 299 iim Süden Conſtantine's gelegenen und 160 Kilometer davon entfern— ten Landſchaft, die eigentlich mehr ein Complex einzelner Culturſtellen iſt und Biskra zum Hauptort hat (Geographie von Afrika 49). Hier— auf folgte am 20. November 1849 die blutige Erſtürmung der Zat'— ſcha, einer der I Oaſen im nördlichen Ziban (Daumas 104), an welche ſich die Ergebung des ganzen Zibän anſchloß. Die völlige Unterwer— fung der Kibla war aber erſt das Reſultat dreier, in den drei letzten Jahren unternommenen Feldzüge, wobei die franzöſiſchen Generale Pe— liſſier und Jouſſouff zuerſt am 4. December 1849 den feſten gleichnami— gen Hauptort der großen und wichtigen Oaſe El Ar'ouat oder, wie fie jetzt gewöhnlich genannt wird, Laghuat (Geographie von Afrika 49) 1) eroberten und ihre dauernde Behauptung durch eine ſtehende Beſatzung ſicherten. Unmittelbar darauf unterwarf ſich die bedeutende Oaſe Ain Madhi (Geographie von Afrika 49), deren große Wichtig— keit der ſtaatskluge Abd el Kader ſchon richtig erkannte, und auf de— ren Unterwerfung, da ſie ihm lange muthvoll widerſtand, er ſo viele Mühe, Zeit und Mittel verwandt hatte; denn nicht allein politiſche Rückſichten leiteten ihn hierbei, ſondern auch religiöſe, weil der Haupt— ort Ain Madhi's in den Augen der Araber für einen heiligen gilt 2). Andere große Oaſen folgten dieſem Beiſpiele. Als der Leiter der in der Kibla den Franzoſen feindlichen Partei, der Scherif Mo— hammed ben Abd Allah, bei Laghuars Erſtürmung ſich wunderbarer Weiſe durch die Flucht dem Tode entzogen und nach der nicht minder wichtigen, 7 Tagereiſen ſuͤdöſtlich davon und bereits 52 Tagereiſen (199 Lieues) von Algier entfernten Oaſe Ouargla gewendet hatte und derſelbe von hier aus den großen Bund der Beni Mzab, eines friedlichen und durch die vielen, fortwährend von ihm nach Algier geſandten tüchtigen Arbeiter den Franzoſen höchſt nützlichen und zu— gleich äußerſt handelsthätigen Volksſtamms von Berberurſprung (Geo— ) In dem Namen El Ar'ouat ſollen die Beduinen das rain nicht ausſprechen können und deshalb El Akouät, woraus die Europäer Laghuät gemacht haben, ſagen Journal Asiatique. 4% Ser. XX, 507). Doch ſchreibt der durchweg ſehr gut unter k richtete und mit der Geographie Süd-Algeriens und der arabiſchen Sprache wohl— vertraute Daumas immer El Ar'ouat (a. a. O. 16). ) La population d' Ain el Mädi est en grande partie composde de tölba ou savants, fügte der Maroccaner Moula Ahmed in feinem Reiſebericht von 1709 (Ex- ploration scientiſique de P' Algerie. Sc. hist. et geogr. IX, 202). 300 Gumprecht: graphie von Afrika 49), beunruhigte, eben als dieſer mit dem franzö— ſiſchen Gouverneur wegen ſeiner Unterwerfung in Unterhandlung ſtand, ſchritten die den Franzoſen befreundeten Stämme der Kibla ſofort ſelbſt ein, den Ruheſtörer unſchädlich zu machen. Nach einer Mohammed ben Abd Allah hierbei zu Theil gewordenen Niederlage ſchloſſen Ouar— gla und zwei andere wichtige Orte dieſer Gegenden, Metlili und Ngouça !), demſelben ihre Thore; die Völkerſchaft der Beni Mzab rief die franzöſiſchen Colonnen zu Hilfe, und der geſchlagene und ver— folgte Häuptling wurde gezwungen, ſich bis in den äußerſten ſüdöſt— lichſten Winkel des Landes in die ſchon von Tunis abhängigen Oaſen in der Gegend von Nefta (Geographie von Afrika 53) zurückzuziehen. Durch dieſe glücklichen Ereigniſſe erfolgten ſofort die erſten Schritte zur Unterwerfung Tuggurts, des Hauptorts der großen, unter dem Namen des Ouad Rir' bekannten Oaſen-Complexes (Geographie von Afrika 49), wovon wir Shaw (Wad Reag ), Ausgabe von 1757, S. 67) die erſte neuere Kunde verdankten. Bis daß die Unterwerfung völlig erfolgt war, erachteten es die Franzoſen für zweckmäßig, die Bewohner des Ouad Rir' in ihrer Oaſe zu bloquiren und ſie namentlich daran zu hindern, ſich mit Getreide aus dem Tell zu verſehen. Alles dieß fand im Spätherbſt des Jahres 1853 ftatt. Noch war die Kibla damit nicht beruhigt; die in dieſen Gegenden zahlreichen Nomaden— ſtämme, ein freiheitsliebendes, fanatiſches Volk, das von Abd el Kader und ſeinen Agenten lange Jahre hindurch zum heiligen Kriege gegen die Franzoſen aufgereizt worden war, gaben fortwährend Unzufriedenen eine Zuflucht und nöthigten durch ihre Angriffe auf die franzöſiſch geſinnten Stämme und durch die Unſicherheit, in welche ſie den Ver— kehr aus dem Binnenlande Afrika's nach der Küſte brachten ), die 1) Ngouga iſt eine kleine, 6 Lieues NO. von Ouargla, mitten im Sande, gele— gene Stadt (Daumas 88), die mit Ouargla in ſtetem Kriege ſich befindet. 2) Beaucoup d’indigenes, qui ont voyagé dans ces contrées, prononcent Ouad Rig. On sait, que dans l’Orient le r'ain a presque la prononciation du gue et c'est meme pour cela, que les Orientalistes le transcrivent par gh. II est probable que cette prononciation existe du cöt de Tougourt (Berbrugger in Exploration scien- tüfique de l’Algerie. Sc. hist. et geogr. IX, 58). Dieſe Spracheigenthümlichkeit veran— laßte eben, aus El Ar'ouät El Akouet zu machen, und man ſchreibt deshalb häufig ftatt Ghadames R'adames, Gardaia und Ra'rdaia, Garian und R'arian, Mogreb und Mor'reb. ) Les tribus (de la Sahara Algerienne) exercent presque toutes une sorte de piraterie, oü les cavaliers montrent beaucoup d’intelligence, d’audace et de Die Franzoſen in Süd- Algerien. 301 Franzoſen zur Ausbreitung ihrer Macht bis jenſeits des Tells, während ſie, wie erwähnt, nur Willens geweſen waren, ihre Poſtenlinien längs des Suͤdrandes des Tell zu erhalten. Die blutigen Ereigniſſe bei der Einnahme der Zat'ſcha, dann bei der Unterwerfung des noch im Tell, aber ſchon an deſſen Südrande in der Provinz Conſtantine gelegenen wichtigen Handelsorts Bou Sada (Carette bezeichnet ihn als die wahre Haupt— ſtadt Süd-⸗Algeriens a. a. O. II. 194) hatte die turbulenten Stämme der Kibla!) nicht vor den franzöſiſchen Waffen geſchreckt. Daß in dieſen 5 Gegenden überhaupt nichts mit Güte und Milde, ſondern Alles nur mit Gewalt zu erreichen iſt, erwies namentlich Laghuat's Beiſpiel, in— dem in dieſer Oaſe erſt durch die definitive Beſatzung die franzöſiche Macht feſt gegründet wurde, obwohl die Laghuäter ſchon im J. 1841 ihre Unterwerfung förmlich erklärt hatten, und ſpäter durch die im Jahre 1844 von dem General Marey dahin unternommene Erpedition den Laghuatern gezeigt worden war, daß fie mit Leichtigkeit durch die franzöſi— ſchen Waffen zu erreichen ſeien. So war alſo auch die durch den augen— blicklichen Schrecken der Eroberung Laghuäts hervorgerufene Unterwer— fung Ouargla's nicht dauernd. Der Scheikh dieſer Oaſe und die überall in den Oaſen ſo einflußreichen Tolba's ruhten nicht, bis ſie 13 die Beni Mzabs den Franzoſen wieder abwendig gemacht hatten; ein— zig Arn Madhi blieb ruhig und den Franzoſen getreu. Die Anweſen— heit einer feſten Garniſon zu Laghuat geſtattete übrigens den Franzo— ſen, den Intriguen ihrer Bewohner ſofort kräftig zu begegnen, und eine glückliche, im März 1854 gegen den im Süden Metlili's hauſen— den großen und unbändigen Stamm der Schäanbah (Chamba) 2) force, pour résister au faim, à la soif et à la fatigue de courses enormes, ſagte der mit dem Charakter der Kiblaſtämme ſehr genau vertraute General Marey (Vivien St. Martin, Nouv. Annal. des Voyages, 1845, II, 72). 1 ) Die Saharier find leicht, unbeftändig, voll Enthuſiasmus und leicht über— gehend von der größten Exaltation zur vollendetſten Niedergeſchlagenheit, dabei ſtolz, liſtig und für einen Augenblick thätig, von Natur aber träge; fie find vortreffliche Reiter, geſchickt, muthig, gaſtfrei und ſtehen faſt immer unter einander im Kriege über den Beſitz von waſſerreichen Brunnen und beſſeren Weiden u. ſ. w., fo daß ihr W Land ſigürlich auch das Land des Gewehrs (le pays du fusil) una wird (G. de Chamberet, Bericht über den Zug des Generals Cavaignae nach den Gegenden ſüdlich von Tlemſen 1848 im Spectateur militaire LXVI, 130-131). ) Ueber die bei Ouargla, Metlili und Gulsa wohnenden Schäanbah ſ. den Ber N richt von Daumas 308 — 314, dann Richardſon, Tr. I, 221 222 u. ſ. w. 302 Gumprecht: unternommene Razzia brachte die Beni Mzabs bald zur Beſinnung. Sieben ihrer Dörfer beeilten ſich, ihre früher unbedingt angekündigte (Moniteur vom 11. Mai 1833), darauf aber faſt einmüthig wieder zu— rückgewieſene Unterwerfung von Neuem zu verſichern (Moniteur vom 5. und 11. Mai 1853). Aber der Scheikh von Tuggurt blieb fortwährend in einer ſehr verdächtigen Haltung, ja es gelang ſogar dem flüchtigen Mohammed ben Abd Allah von Neuem hier Macht und zu Ouargla Aufnahme zu erhalten. Die irreguläre Cavallerie aller drei algeri— ſchen Provinzen (des Goum) wurde deshalb aufgeboten, dieſen In— triguen, die um ſo nachtheiliger für die Intereſſen der franzöſiſchen Algierer waren, als die nomadiſchen Bewohner Biskra's und der Stamm der Ouled Moulett durch die Feinde gehindert wurden, ihre Dattel— erndte im Ouad Rir' !) zu machen, zu ſteuern. Dies war um ſo nöthi— ger, als der größte Theil der dortigen Dattelpalmpflanzungen den fran— zöſiſch Geſinnten zugehörte, und dieſe in den Datteln ihre Hauptſub— ſiſtenzmittel haben. Der Goum von Oran verjagte aus Ouargla ſehr bald den Scherif, der ſich nun mit dem Scheikh von Tuggurt nach deſſen Orte und bald darauf ſogar in die äußerſte algeriſche Oaſe Souf, hart an der tuneſiſchen Grenze (Moniteur vom 29. December 1854) begab. Die fortdauernden feindlichen Schritte des Beherrſchers von Tug— gurt und die große Wichtigkeit des an Hilfsquellen ſo reichen und durch ſeine bedeutende Bevölkerung, ſowie durch ſeine Lage ausgezeich— neten Oaſen-Complexes von Quad Rir' zwang die Franzoſen, endlich dahin ernſtlich ihre Aufmerkſamkeit zu richten ), indem auch einige Oaſen des Ouad Rir', z. B. die von Mrater (Merier bei Daumas 122) 9), ) Der Ouad Rir' oder Belad Rir' erſtreckt ſich 70 Lieues lang von Biskra bis Tuggurt und enthält unzählige Dattelbaumpflanzungen, deren Früchte für die Bevöl— kerung fo wichtig find, weil der Boden hier keinen Ackerbau geſtattet (Moniteur vom 29. Dezember 1854). Neuere Berichte über den Ouad Rir' und Tuggurt erhielten wir durch Daumas (121 — 142), Carette, Chancel (Revue de l'Orient 1845. VI, 154 — 163) und endlich durch Loir Montgazon (ebendort 1844. III, 339 — 342). 2) Wie wichtig Tuggurt's Beſitz für die Franzoſen werden wird, ergiebt ſich dar⸗ aus, daß es zur Türkenzeit eine jährliche Abgabe von 1 Million Franken Tribut nach Conſtantine zahlte (Daumas 134). 3) Merier iſt von Biskra 39, von der Stadt Tuggurt aber noch 76 Lieues ent= fernt (Daumas 121). a 5 Die Franzoſen in Süd-Algerien. 303 eine der bedeutendſten, wegen ihrer Anhänglichkeit an die Franzoſen von den Tuggurtern bedroht wurden. Die Stadt Tuggurt ſelbſt bot durch ihre Befeſtigungen, die in einer Mauer und einem ſtets mit Waſſer gefüllten, 2 M. tiefen und nicht weniger, als 15 M. breiten Graben beſtanden, ſowie durch ihre für Europäer von der Mitte des Sommers bis zum Herbſt äußerſt ungeſunde Atmoſphäre (Daumas 129) die beſten Mittel zum Widerſtande dar. Seit Laghuat's Erobe— rung und der Einnahme Ouargla's hatte indeſſen Tuggurt eine ganz beſondere Wichtigkeit gewonnen, indem es das letzte Bollwerk des hart— näckigen Widerſtandes war, welchen die Agitatoren in den ſüdöſt— lichſten Theilen Algeriens der franzöſiſchen Herrſchaft entgegenſtellten. Gleichzeitig war Tuggurt der große Vermittelungspunkt für den Han— del aus dem centralen Nord-Afrika nach Tuneſien und Marocco, paralyſirte aber durch ſeine feindſeligen Geſinnungen die Beſtrebungen der Franzoſen, die lange unterbrochenen Handelsverbindungen Algeriens mit dem innern Afrika wieder anzuknüpfen. Deshalb wurde eine Er— pedition nach Tuggurt zur Unterwerfung des Ortes unbedingt noth— wendig, und das algeriſche Gouvernement entſchloß ſich um ſo leichter dazu, als der Beſitz von Biskra den Weg dahin eigentlich ſchon eröff— net hatte (Daumas 121) Die Einnahme erfolgte am 2. December 1854, nachdem der Scherif Mohammed ben Abdallah und der Scheikh des Ortes Selman denſelben am Tage zuvor verlaſſen hatten. Dieſen Zweck zu erreichen, wurden mehrere Colonnen beſtimmt; die eine unter dem Commandanten Marmier erhielt den Auftrag, den nördlichen Theil des Ouad Rir' zu durchziehen und über die 3 Lieues nördlich von der Stadt Tuggurt gelegene Oaſe Meggarin “) vorzudringen, während der Obriſt Desvaur mit der ſeinigen zur Unterſtützung Marmiers in M’rater verblieb. Der Commandant Pein ſollte ferner ſeine Richtung nach dem oberen Ithelfluſſe 2) und Mengoub nehmen und bis zu den Höhen von Dzioua ) zu gelangen ſuchen. Am 20. November war dies erfolgt ) Meggarin kommt zwei Male bei Daumas (122) als Ort in dem Ouad Rir' vor, nämlich als Megarin Kedima, dann als Megarin Oſchedida. 2) Der Name rührt unzweifelhaft von der Haͤufigkeit der hier wachſenden Ta— marixart her, die auch Lethel heißt, und ſich oft in den ſandigen Strichen Afrika's findet (Berl. Monatsber. IX, 204, 207). ) Iſt wahrſcheinlich das Zaeuia von Daumas (122); Zaowia iſt übrigens ein 304 Gumprecht: und die Colonnen Marmier's und Pein's ſtanden am Quad Ithel zu Sethil und zu Mengoub; am 21. ging Marmier nach M’rater, Pein nach Dzioua. Am 26. befand ſich jener zu Meggarin, Desvaur zu M'rajer. Während dem hatten ſich die Bewohner der zu Tuggurt ges hörigen Dörfer nach der Stadt geflüchtet, wo ſich Selman vertheidigen zu wollen ſchien. Doch nahm dieſer ſeine Poſition vor der Stadt Tug— gurt in der mehr als 400 Häuſer zählenden und auf 3 Stunden Länge durch eine Dünenkette umgebenen Dafe des Duad Rir', der Taibet el Gueblia!). Da der Sand der Dünen hier ſo loſe iſt, daß die Pferde bis zur Bruſt einſinken 2, die Wirkſamkeit der Reiterei, woraus der größte Theil der franzöſiſchen Colonne beſtand, alſo ganz vereitelt worden wäre, ſo ging Marmier zurück, was die Tuggurter irrig für eine Flucht hielten. Sie folgten am 29. November unvorſichtiger Weiſe den Franzoſen, welche bald auf dem beſſeren Terrain von Meggarin den Kampf annahmen, der lebhaft geführt wurde, bald aber mit der voll— ſtändigen Niederlage der Tuggurter endigte. Dadurch wurde Tuggurts Schickſal entſchieden, und die Franzoſen beſetzten bereits am 2. Decem— ber am frühen Morgen den Ort. Eine weitere Folge des Sieges war die fofortige Unterwerfung des ganzen Quad Rir' und auch der Oaſe Souf, ſo daß die Franzoſen endlich in den Beſitz der ganzen alten Regentſchaft Algier, wie ſie zur Zeit der Türken begrenzt gewe— ſen, gelangten. Tuggurt's Einnahme bildete zugleich den Schluß der drei letzten, zur Unterwerfung der Kibla unternommenen Feldzüge (Moniteur vom 29. December 1854). in dieſen Gegenden ſehr häufig vorkommender Name, der das Daſein einer primairen und religiöſen Schule anzeigt. ) Der Name fehlt in der Liſte der 35 Ortſchaften des Ouad Rir' bei Daumas (122). 2) Solche Sande find oft fehr gefährlich; fo verſchlingt der Sand des Ouad Mzi oberhalb Teimout die Reiter, die darüber hinweggehen wollen und den Weg nicht kennen (Marey in den Nouv. Annales des Voyages 1845, II, 69). Ebenſo be⸗ richtet der franzöſiſche Capitain de Chamberet, daß im Süden der beiden großen Salzſeen der Provinz Oran die von General Cavaignae geführte franzöfifche Colonne Dünen fand, die wahre Berge bildeten, und daß es, um ſich in dieſem vom Winde leicht bewegten unermeßlichen daͤdaliſchen Gewirr zurechtzufinden, ſolcher Führer bedarf, welche die gewöhnlichen, durch den Wind hervorgebrachten Veränderungen kennen und in dem Sandmeere, gleich den Piloten im wahren Meere, dem Unkundigen als Leiter dienen (Spectateur militaire XLVI, 254). Die Franzoſen in Süd- Algerien. 305 Seit Laghuat's Eroberung geſchah von den Franzoſen ſehr viel, um dieſen Ort zu heben und ihn den neueren Zuſtänden Algeriens 2 anzupaſſen. Zuvörderſt wurde die Sicherheit der Communication dahin durch den am Südrande des Tell gelegenen franzöſiſchen Hauptpoſten 8 Boghar begründet, und man erhöhte und verſtärkte dann die alten Ringmauern des Platzes, um ſich vor etwaigen Aufſtänden zu ſichern. Taglich vermehrt ſich deshalb hier die Bevölkerung durch Ankunft von ingame beſonders aus dem Tell und von den Beni Mzabs, und ſie iſt ſchon beträchtlich, obwohl die urſprüngliche Einwohnerzahl ſchwach war und nur 700 — 800 Seelen betrug (Daumas 17). Auch die eu— ropäiſche Bevölkerung wurde bedeutender, beſtand aber bisher nur aus Handwerkern und Händlern, die einzig von der Garniſon leben. Ver— bindungen europäiſcher Kaufleute nach Laghuät gab es jedoch bis in die letzten Monate noch gar nicht, was freilich theilweiſe darin liegt, 5 daß das Land nichts, als Wolle und Getreide in den Handel zu brin- gen vermag. Sollte aber die Ruhe in der Kibla ſich erhalten, fo iſt nicht zu zweifeln, daß Laghuät ſich bald zu einem wichtigen Central⸗ punkt für den Binnenhandel erheben wird. Die Hitze im Orte iſt ziemlich groß; in der letzten Hälfte des März 1853 erreichte ſie des Morgens ſchon 18° (R.? G.), 14 Tage darauf um dieſelbe Zeit war ſie bis auf 26° geſtiegen. Doch klagte man nicht, daß fie dem m der Truppen nachtheilig ſei (Moniteur vom 5. Mai 1853), obwohl die nordafrikaniſchen Oaſen, ſowohl die ägyptiſchen, namentlich Siouah, wie ſchon den arabiſchen Schriftſtellern des Mittel— alters bekannt war (Abulfeda, Ueberſ. von Reinaud II, 1. S. 181; 17 Ebn Ayas bei Hornemann, Ueberſ. von Jaubert 385) und neuere Be⸗ richterſtatter uͤbereinſtimmend beſtätigten (Brown Darfur 25; Hornemann 403; Cailliaud J. 66; Bayle St. John, Adventures in the Lybian desert. London 1819. S. 4, 19, 154— 155), dann die kleine, Siouh benach⸗ barte Oaſe Garah (Bayle St. John 89), die ſogenannte Große ägyp— tiſche Oaſe (Wah el Chardſcheh), die Oaſe Faraͤfreh nebſt Dakhel (Cail— liaud J. 176, 214; Wilkinſon, Topography of Thebes 359, 362; Ed— 8 The journey to two of the Oases of Upper Egypt. London 1822. S. 153), als auch die atlantiſchen, vor Allen Fezzan (Richardſon, Sr, II, 313, 318, 323, 347, 397), Gadämes (ebend. I, 265), Duargla (Daumas 73) und das deshalb ſchon erwähnte Tuggurt (Calza, l’Algeria. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 20 > * 306 Gumprecht: Roma 1844. S. 140; Carette, Exploration scientifique de l’Al- gerie. Sc. hist. et géogr. II, 237) ſelbſt den dort Geborenen durch ihre Fieber ſehr gefährlich, den Fremden im Sommer aber meiſt tödt— lich ſind. Fezzan's Hauptſtadt iſt bei den Arabern Nord -Afrika's durch ihre Fieber ſogar ſo berüchtigt, daß ſie den Ort das Fieberland (Blad el hemmad) zu nennen pflegen (Richardſon, Tr. II, 318, 336). Uebereinſtimmend damit bezeichnete auch Barth Murzuk als die Fieber— ſtadt (Berl. Monatsber. N. F. IX, 209). In Algerien pflegen in Folge dieſer ſchlimmen Eigenſchaft die Franzoſen in den Oaſen des füdlichften Theiles des Landes von Obrigkeits wegen vor den Krank— heiten gewarnt zu werden (Carette II, 237) ). Nur die Oaſe Souf iſt ungeachtet ihres ſchwammigen Bodens, welcher das Regenwaſſer überaus leicht aufſaugt, und ungeachtet ihres dadurch gebildeten, der Oberfläche ganz nahen unterirdiſchen Waſſerbeckens (Carette a. a. O. II, 69, 75, 77, 224) merkwürdiger Weiſe eine der geſundeſten Algeriens (ebendort 237). N Der Boden um Laghuat iſt trotz ſeiner ſandigen Beſchaffenheit fruchtbar, und ſchon im Beginn des 18. Jahrhunderts beſaßen die Be⸗ wohner des Ortes nach dem Zeugniß des maroccaniſchen Reiſenden Mulah Ahmed auf demſelben Früchte aller Art (Exploration scienti- fique de l’Algerie. Sc. hist. et geogr. IX, 207). Aber die wich⸗ tigfte Angelegenheit bleibt hier immer die Beſchaffung und Regulirung des zur Bewäfjerung der Gärten nöthigen Waſſers, indem hier, wie in allen Oaſen des Continents, die Exiſtenz und das Gedeihen der Bewohner allein davon abhängt. Deshalb ſagte nicht mit Unrecht in Bezug auf Nord-Afrika ſchon der verftorbene Richardſon: Waſſer iſt das flüſſige Gold in dieſen durſtigen Regionen (Wa- ter is the liquid gold in these thirsty regions, Travels I, 186) und an einer anderen Stelle (II, 198): Bewäfferung iſt das große Mittel für die Bodencultur in der Sahara und ohne dieſelbe wären die Oaſen blos Halteplätze für die 1 Caravanen und würden den Menſchen nur dürftige Exi- ſtenzmittel gewähren; ſowie übereinſtimmend hiermit Ruſſegger aus— ) In Bezug auf Ungeſundheit hat man in den arabiſchen Oaſen ganz dieſelbe 1 Erfahrung gemacht (Wellſted, überſ. von Rödiger, I, 71). Die Franzoſen in Süd = Algerien. 307 ſprach: Denn nur, wo Waſſer iſt, ift in Afrika Leben, ein für heiße Klimate ſtehender Grundſatz (Reiſen II, 1. S. 283) und ferner: Waſſer iſt in dieſen Breiten der größte Feind der Wüſte (ebendort I, 262). In der Südhälfte des Continents fagte nach ſeinen daſelbſt gemachten Erfahrungen der ehemalige Miſſionar Kraut genau daſſelbe, ſo z. B.: Denn Waſſer iſt in Afrika das Car di— nale, der nervus rerum gerendarum; wo kein Waſſer 4 künſtlich hingebracht werden kann, iſt nichts anzufangen, 5 indem der Himmel zuweilen Jahre lang nichts von ſich 1 giebt (Berliner Miſſionsber. 1835, S. 45), womit die 50 Jahre älteren Erfahrungen John Barrow's im Caplande übereinſtimmen (An account of travels into the interior of South Africa I, 84). Bei den vielfachen Beobachtungen, die man in neuerer Zeit in Nord- und Süd-Afrifa in⸗ und außerhalb der Oaſen gemacht hat, iſt es aber nicht zu bezweifeln, daß es in Laghuät gelingen wird, dem Waſſer— mangel bei einer ſteigenden Bevölkerung zu begegnen, indem es wohl nur einiger Anſtrengungen mittelſt Brunnengrabungen und arteſiſchen Bohrungen bedarf, um in der Tiefe vorhandene reiche Waſſerbecken aufzuſchließen, ja ſo ſehr ſind die Franzoſen von der Exiſtenz der letz— ten durch die ganze algeriſche Sahara überzeugt, daß ſchon im Jahre 1843 der mit den dortigen Verhältniſſen ſehr genau bekannte General Lamoricière in einem offiziellen Berichte an den franzöſiſchen Kriegs— miniſter ſich wörtlich dahin ausſprach: Senden Sie mir Bohr— geräthe, und ich werde hier mehr mit der Sonde, als mit dem Degen ausrichten (Revue de Orient VI, 164). Schon im Alterthum kannten die Bewohner der ägyptiſchen Oaſen dieſe Eigen— thümlichkeit ihres Bodens und benutzten fie, wie die in Photius Biblio- theca historica (Ed. Becker 61) erhaltene Stelle aus einem Werke des in den ägyptiſchen Oaſen gebürtig geweſenen und nach eigener Kenntniß der Verhältniſſe berichtenden Schriftſtellers Olympiodorus er— weiſt. Olympiodorus ſchilderte nämlich darin ſehr klar, wie feine Lands— * leute durch etwa 200 — 300 wirkliche arteſiſche Brunnen ſich das . nöthige ſüße Waſſer aus den unterirdiſchen Waſſerbecken zur reichli— chen Bewäſſerung ihrer Felder beſchafften. Seine Angaben wur⸗ 8 den durch die neueren intereſſanten Unterſuchungen des ägyptiſchen Gouverneurs. in den Oaſen, des Franzoſen Ayme, namentlich in der 20 * * u % . 308 Gumprecht: Großen und der weſtlichen Oaſe (El Garb) vollſtändig beſtätigt. Beide Oaſen beſitzen nämlich aus dem Alterthum ſo zahlreiche Spuren arte— ſiſcher Brunnen, daß ihr Boden wie durchlöchert erſcheint (Annales de Chimie et Physique. LXXI, 201 — 205; Comptes rendus de Académie 1842. XIV, 917) ). In den atlantiſchen Oaſen wieder— holt ſich genau daſſelbe Verhältniß und ſicherlich waren auch hier die Bewohner ſeit uralten Zeiten bedacht, die ihnen gebotenen Gaben der Natur nicht unbenutzt zu laſſen, ganz verſchieden darin von den älte— ren Bewohnern holländiſcher Abkunft des Caplandes, denen es in ihrer Indolenz nie einfiel, einen ähnlichen Weg einzuſchlagen. Während nämlich die letzten vor der engliſchen Beſitznahme des Caplandes nie Brunnen gegraben hatten, was ſogar ganz rohe Völker außerhalb des Caplandes, namentlich die Bewohner der Kalliharywüſte oder der ſoge— nannten ſüdlichen Sahara (Geographie von Afrika 304) thun, die ſich durch Anlegung 20 Fuß tiefer Brunnen das nöthige ſüße Waſſer zu verſchaffen wiſſen (Lemue in dem Journal des Missions &vangeliques. Paris 1847. S. 28), gleiches ferner von den Ovahereré (Geographie von Afrika 128), beſonders aber von den nördlichen Bewohnern des Ovahererölandes geſchieht, die auch tiefe Brunnen graben und dadurch dem Waſſermangel ihres Bodens abhelfen (Rheiniſche Miſſions-Monats⸗ berichte 1845, 102) und während erſt die engliſchen Einwanderer ſeit dem J. 1820 in den öſtlichen Gebieten des Caplandes mit dem beſten Erfolge begannen, mittelſt arteſiſcher Bohrungen ſich Waſſer aus der Tiefe zu beſchaffen (nach Steedman, Wanderings and adventures in the interior of Africa. 8. London 1835. 2. Vol. im Quarterly Rev. LV, 96) ), waren ſolche Prozeſſe bei den Bewohnern der atlantiſchen ) Ayme fand, daß die Alten mit viereckigen Schächten 60 bis 80 Fuß tief ge— gangen waren, bis ſie den feſten Kalkſtein erreichten, worauf ſie dann deſſen 300 bis 400 Fuß ſtarke Maſſe mit dem Bohrer durchbrachen. Auf dieſe Weiſe erreichten die arteſiſchen Brunnen der Oaſen 360 bis 480 Fuß Tiefe, was freilich weni— ger wäre, als Olympiodorus ſagt, indem dieſer eine Tiefe von 200 bis 500 ägyp— tiſchen Ellen, d. h., da eine altägyptiſche Elle —= 0,541 M. iſt, eine Tiefe von 330 bis 800 P. F. angiebt. Das unter dem Kalkſtein erbohrte Waſſer findet ſich in einer Sandſchicht, die Ruſſegger nicht ohne Wahrſcheinlichkeit den Sandgebilden der Kreide— formation zurechnet (Reiſen II, 1. S. 339). 2) Dürch Brunnengrabungen und arteſiſche Brunnen gelang es bereits im öſt— lichen Caplande Localitäten für viele Menſchen wohnbar zu machen, wo früher nur einzelne Familien ſich mit Mühe hatten erhalten können. So war die Stelle, worauf Die Franzoſen in Sid» Algerien. 309 Oaſen feit gar langer Zeit in Gebrauch. Um die Mitte des vorigen Jahrhunderts erhielten wir die erſte Kunde hiervon durch den bekann— ten engliſchen Reiſenden Shaw, der nach ſeinen Erkundigungen in Al— gerien das Verfahren der Eingeborenen im Ouad Rir' (das Wad Reag bei Shaw) beſchrieb, mittelſt Steigbrunnen die unterirdiſchen Waſſer— becken aufzuſchließen !). In neuerer Zeit wurden durch mannigfache For— ſchungen und die Expeditionen der Franzoſen in Süd-Algerien Shaw's Nachrichten vollſtändig beſtätigt, und es ergab ſich, daß die unterirdi— ſchen Waſſerbecken ſich nicht auf den Ouad Rir' beſchränken, ſondern ſich ſüdlich vom Ouad Rir' in der kleinen Oaſe Temacin, in dem noch füdlicher gelegenen Duargla und endlich in der öſtlich davon befind— lichen Oaſe Souf wiederholen, da alle dieſe Localitäten einem einzigen großen Terrainbecken zugehören. In Souf ſteht, wie erwähnt, das unter— irdiſche Waſſer ſo wenig tief, daß man es mit den behufs der Anlegung von Dattelpflanzungen gegrabenen Löchern erreicht und dadurch das Be— wäſſern der Palmen erſpart (Carette II, 224). Aber unter dieſen Um⸗ jetzt die blühende Stadt Grahamstown mit ihrer 10,000 Köpfe ſtarken Bevölkerung ſteht, ehemals eine ſolche, und der letzte Beſitzer dieſer Localität, ein gewiſſer Cloete, war deshalb genöthigt, die Stelle feines Aufenthalts oft zu wechſeln, nur um das nöthige Waſſer für fein Vieh zu finden (Cenülivres Chase, The Cape of Good Hope and the Eastern Provinces of Algoabay. London 1843. p. 16). — Etwas Aehn⸗ liches fand bei der Localität ſtatt, worauf die jetzige Stadt Colesberg mit ihren 1000 Einwohnern ſteht, und dies iſt die Geſchichte ſogar der meiſten Städte des Caplandes, wie Chaſe verſichert. !) They have properly speaking never fountains, nor rivulets, but by digging wells to the depth of a hundred and sometimes 200 fathom, they never Want a plentiful stream. In order therefore to obtain it, they dig through different layers of sand and gravel, till hey come to a fleaky stone, like slate, which is known to lie immediately above the Bahar taht el Erd (Bahar el tahatani bei Daumas S. 123) or sea below ground, as they call the abyss. This is easely broken through and the flux of water, which follows the stroke, rises generally so suddenly and in such abundance, that the person let down for this purpose has sometimes though raised up with the greatest dexterity been overtaken and sulfocated by it (Ed. 1757. p. 67). Aber Shaw war gar nicht der erſte Schriftfteller, der die Exiſtenz arteſiſcher Brunnen in den atlantiſchen Dafen erwähnte, vielmehr geſchah dies ſchon im Beginn des 15. Jahrhunderts durch den trefflichen arabiſchen Schriftſteller Ibn Khalduͤn in feinem großen Werke: Geſchichte der Berbern, wovon Guckin de Slane in den Jahren 1852 und 1854 zu Algier große Stücke in 2 Bänden überſetzt herausgab (Histoire des Berbdres). Der Ueberſetzer erwähnt die angeführte intereſſante Notiz Ibn Khal— dün's (I, p. XVIII), doch findet fie ſich noch nicht in den erſchienenen Theilen der Ueberſetzung. 310 Gumprecht: ſtänden iſt es gerade um ſo auffallender, daß Souf eine der geſunde— ſten Oaſen Algeriens ſein ſoll. Uebereinſtimmend mit Shaw berichteten Carette (II, 76), Daumas (123 —124), Loir Montgazon (III, 339) und Chancel (VI, 155), daß, ſobald das unterirdiſche Waſſer im Ouad Air’ durch den Brunnenſchacht, deſſen Tiefe Daumas zu 50, 100, 200 bis 400 M. angiebt, erreicht iſt, es mit großer Geſchwindigkeit auffteigt !), dann bald den Rand des Schachts erreicht, ſich über denſelben ergießt und rund umher verbreitet. Es wird durch Canäle abgeleitet und hört nicht mehr auf zu fließen. Ja es ſoll hier unverändert fließende Waſſer geben, die noch aus Schächten mit römiſcher Conſtruction hervorkommen (Carette 76). Da das Ouad Rir' wenig natürliche Quellen und kei— nen beſtändigen Bach oder Fluß hat, ſo iſt das kuͤnſtlich erlangte Waſſer um ſo wichtiger, und nicht weniger, als 32 Ortſchaften des Oaſen⸗Complexes verdanken demſelben allein ihre Subſiſtenz. Daß es auch in Ouargla eben ſolche Steigbrunnen giebt, wurde ſchon vor dem Eindringen der Franzoſen in Süd-Algerien bekannt, indem der bereits öfters genannte Ebn el Dyn el Eghouaty berichtete (Bull. de la soc. de Géogr. 2e Ser. I, 284), daß man hier zahlreiche Waſſer habe, die aber nur durch bis 170 Edzra (Ellen? G.) tiefe Schächte erreicht würden 2). Sei man bis zu dem unterirdiſchen Waſſerbecken gelangt, ſo fülle ſich der Schacht unmittelbar, und das ſtrömende Waſſer komme in ſo außerordentlicher Maſſe an die Ober— fläche, daß es einen Bach bilde ?). Auch hier müſſen dieſe Brunnen ) Auch Daumas ſagt, daß, wenn die Arbeiter eine ſchwarze feuchte Schicht (Shaw's fleaky stone; Loir Montgazon vergleicht fie, wie Shaw, mit Thonſchiefer, ardoise) durchbohren, das Waſſer mit großer Gewalt empordringe. 2) Die früheſte und zwar noch immer genaueſte Nachricht über die Ouarglaer Steigbrunnen gab eigentlich der Maroccaner Ain-Aiaſchi in feinem Berichte über die von ihm in den Jahren 1662 — 1663 nach Süd-Algerien und Süd-Tuneſien aus⸗ geführte Reiſe, von dem wir aber erſt im Jahre 1846 durch Berbrugger's Ueberſetzung Kenntniß erhielten. Der Reiſende ſetzte die Tiefe des unterirdiſchen Waſſerbeckens zu etwa 50 Kama's (die Kama iſt genau gleich 1, 65) an und nennt die das Waſſer bedeckende ſchieferige Schicht Hadjera-mous-fah oder platten Stein. Seine Schil⸗ derung ſtimmt übrigens ganz mit der Ebn el Dyn's überein und er erfuhr auch ſchon, daß die Brunnen des Ouad Rir' denſelben Urſprung hätten (Exploration sc, de PAl- gerie. Sc. hist. et geogr. IX, 55). 3) In anderen Theilen der afrikaniſchen Wüſte zeigen fic ähnliche unterirdiſche Waſſeranſammlungen. So berichtete der franzöſiſche Schiffslieutenant de Beaufort, daß er auf ſeinem Wege von St. Louis am Senegal nach Barraconda am Gambia in der Die Franzoſen in Süd-Algerien. 311 zum Theil in ein ſehr hohes Alter zurückgehen, da man ihre Anlegung nach der gewöhnlichen Manier der Araber Alexander dem Großen (Skanderun) zuſchreibt (Boiſſonet in den Nouv. Annal. d. Voyages 1845. IV, 96). Unter dieſen Umſtänden iſt mit Grund zu erwar— ten, daß Süd-Algerien in den Händen der Franzoſen bald wieder in den Kreis der Civiliſation eintreten und zu der Höhe des Wohl— ſtandes ſich erheben wird, wovon die zahlreichen in den Oaſen zer— ſtreuten Monumente (Carette II, 54, 76, 77, 78 ꝛc.) ') volles Zeugniß ablegen. Denn auch hier, an einem der entfernteſten Punkte der römi- ſchen Herrſchaft, zeigen die Ruinen, mit welcher Energie und Umſicht das große Volk in den blühendſten Zeiten ſeiner Eriſtenz ſeine welthiſto⸗ riſche Aufgabe, die Civiliſation zu verbreiten, würdigſt verfolgt hat ). Wiüſte das Waſſer ziemlich nahe der Oberfläche gefunden habe, indem man nur 25 bis 28 M. tief danach zu graben hatte. Zu Ouarnso erreichte man es ſogar ſchon in 20 bis 25 F. Tiefe (Bull. de la soc., de Géogr. de Tr. 17e Ser. II, 173). In Ober⸗ Aegypten ermittelte Girard vor mehr, als 50 Jahren ein ſolches großes unterirdiſches Waſſerbecken bei Gelegenheit der franzöſiſchen Expedition (Memoires sur V’Egypte. Paris 1802. III, 19, 35) und in Tuneſien geſchah Gleiches in neuerer Zeit durch den franzöſiſchen Generalftabsoffizier Pricot de St. Marie (Bull. de la soc. de Géogr. de Tr. 3me Ser. VIII, 110) und zwar ſteht auch hier das Waſſer nahe der Oberfläche. Im Klein⸗Rama⸗ (Namaqua-) Lande Süd⸗Afrika's iſt endlich das unterirdiſche Waſſer fo nahe und häufig, daß die Pferde mit ihren Füßen zuweilen den Sand wegſcharren, um ſich ſelbſt Waſſer zu verſchaffen, und doch kann man in derſelben Gegend ohne Wegweiſer Be” 17 * * 8 in die Gefahr kommen, zu verdurſten (Rheiniſche Miſſionsberichte VIII, Beil. 91). ) Regardons ensuite la restitution des eaux vives aux landes les plus ingra- tes du Sahara, comme un bienfait reservé à l'intervention chretienne par l’opera- tion magique du sondage artesien. Carette II, 79. Berbrugger meint in der Hin— ſicht (a. a. O. IX, 56), daß, wenn es möglich wäre, eine Linie arteſiſcher Brunnen durch die ganze Sahara bis Timbuktu anzulegen, eine Reiſe nach dieſer Stadt eine ſehr gewöhnliche Unternehmung (expedition tr&s ordinaire) fein würde. 2) Zum Vergleiche iſt es nicht ohne Intereſſe, zu bemerken, daß die mit vie⸗ len wüſten Theilen Afrika's fo ſehr übereinſtimmende arabiſche Landſchaft Omän in ihren Oaſen gleichfalls zahlreiche Brunnen nebſt künſtlichen unterirdiſchen Waſſerſtollen beſitzt, die auf ein in der Tiefe liegendes Waſſerbecken hinweiſen (Wellſted I, 69— 71, 191) und ganz derſelben Art mit den 30 unterirdiſchen Waſſerleitungen zu fein fchei- nen, die Cailliaud in der ägyptiſchen ſogenannten kleinen Oaſe kennen lernte (T, 178). In der letzten find die Kanäle ſogar fo hoch, daß ein Menſch darin aufrecht gehen kann. Gumprecht. Neuere Literatur. Pedro José Marques, Diccionario geogräfico abbreviado das oito provincias dos reinos de Portugal e Algarves ete. Porto 1853. XIII und 291 S. 8. Wohl hat der Verfaſſer vollkommen Recht, wenn er in der Vorrede be— merkt, daß der Mangel eines neueren „vollſtändigen“ geographiſchen Wörter buchs in der portugieſiſchen Literatur ſchmerzlich empfunden werde !) und ein ſolches Werk daher zu den Bedürfniſſen der Gegenwart gehöre; allein ſein Buch kann dieſem Bedürfniſſe nicht abhelfen, indem daſſelbe weder geographi— ſche, noch ftatiftifche Nachweiſe enthält, wenn man nicht etwa die Angaben der Entfernungen der Ortſchaften von einander zu den erſten, die Angaben der Feuerſtellen, der Parochien, der Einkünfte des Clerus und eine oberfläch— liche Erwähnung der Erwerbszweige zu den letzten rechnen will. Denn dar— auf beſchränken ſich einzig und allein die Mittheilungen des Verfaſſers bei den einzelnen Ortſchaften; von ihrer geographiſchen Lage, von ihrer Geſchichte, von den Naturproducten ihrer Umgebungen, von der Beſchaffenheit der Com- municationen zwiſchen ihnen, iſt nicht die Rede. Eben ſo wenig findet man durch Zahlen erläuterte ſtatiſtiſche Angaben über die Bewegung der Bevölke— rung, über Handel und Induſtrie, über Ackerbau und Viehzucht, Bergbau, Fiſcherei, über Unterrichtsweſen u. ſ. w. Auch ſind in dieſem Wörterbuche blos die bewohnten Ortſchaften verzeichnet; auf die Gebirge, Flüſſe, überhaupt auf die phyſikaliſche Geographie iſt nicht die geringſte Rückſicht genommen. Wir ſind nicht in dem Falle, um beurtheilen zu können, in wie weit der Verfaſſer ähnliche bereits vorhandene Arbeiten benutzt hat, glauben aber, daß Vieles, z. B. die Angabe der Kirchſpiele und der Entfernungen, aus dem 1747 und 1751 zu Liſſabon erſchienenen Diccionario geografico von Luiz Car- doſo, einem für ſeine Zeit ſehr tüchtigen Werke, vielleicht auch aus einem 1839 erſchienenen geographiſchen Wörterbuche, deſſen der Verf. in der Vor- rede ohne Angabe des Autors erwähnt, abgeſchrieben worden iſt. Das ein— zige Brauchbare, was des Verfaſſers Werk enthält, iſt die ſpecielle Angabe ) Ein recht vollſtändiges und anſcheinend genaues neues geographiſches Wörter— buch über Portugal iſt jedoch das im Jahre 1850 zu Rio Janeiro in 2 DOctavbänden unter dem Titel: Diccionario geografico, historico, politico e litterario do Reino de Portugal e seus dominios etc. Obra colligida e composta durante muitos annos de residencia, conhecimentos locaes e bastantes investigacoes no Reino, bem como auxilio de numerosos manuscriptos e de obras publicadas em diversas linguas por escriptores tanto antigos como modernos e de muitos documentos officiaes por Paulo Perestrello de Camara, Autor da Descripgäo geral de Lisboa e seus Arredores, das Memorias sobre a Ilha de Madeira ete. I. Bd. 612 S. II. Bd. 405 S. erſchienene. G. Schmidl: Zur Höhlenkunde des Karſts. 313 aller gegenwärtig beſtehenden Gerichtskreiſe (comercas judiciaes), Verwal- tungsſprengel (concelhos) und deren Feuerſtellen (fogos) nach der neuen, aus dem Jahre 1836 ſtammenden Diſtricts-Eintheilung. Es giebt demzufolge gegenwärtig 17 Diſtriete, 10 Militair-Diviſionen (mit Inbegriff der Azoren und Madera's), 111 Comercas und 382 Concelhos. Die Anzahl ſämmtlicher Feuerſtellen belief ſich zu Anfange des Jahres 1853 auf 853,980 1). Indem man nun in Portugal gewöhnlich 47 Seelen auf je eine Feuerſtelle rechnet, würde dieſes Land zu der angegebenen Zeit 3,842,910 Seelen beſeſſen ha— ben. Da nach der durch den Obriſt Franzini 1838 veranſtalteten Zahlung Portugal blos 3,224,174 Seelen beſaß, ſo würde, wenn jener Multiplicator richtig iſt, die Bevölkerung Portugals in den letzten 15 Jahren um 618,736 Seelen zugenommen haben. Der Druck des Werkes iſt nicht ſcharf, die Aus— ſtattung ſehr mittelmäßig. M. Willkomm. Zur Höhlenkunde des Karſtes von Dr. Adolf Schmidl, Actuar der Kai— ſerlichen Akademie der Wiſſenſchaften u. ſ. w. Auf Koſten der Kaifer- lichen Akademie. 8. Wien 1854. VIII und 316 S., mit einem Hefte (von 15) Tafeln in Folio. (Auch unter dem Titel: Die Grot— ten und Höhlen von Adelsberg, Lueg, Plainina und Laas. Mit Bei- trägen von Dr. Alois Pokorny, Dr. J. Rud. Schiner und Wilhelm Zippe). Die erſtaunliche Häufigkeit von Höhlungen der mannigfachſten Art und Größe in dem unter dem Namen Karſt bekannten und durch ſeine furchtbare Oede berüchtigten Kalkſteingebiete Inner-Krains, das mit den Höhlenbildungen in der innigſten Verbindung ſtehende plötzliche Verſchwinden oder Hervor— brechen zahlreicher fließender Gewäſſer, das merkwürdige periodiſche Steigen und Verſchwinden des Zicknitzer See's, das wiederholte Vorkommen großer Felsbrücken, die colofjale Entwickelung von Tropfſteinmaſſen in den wun— derbarſten Formen, endlich das Erſcheinen eines der ſonderbarſten Thiere niederer Organiſation, des Proteus anguinus, in den unterirdiſchen Gewäſ— fern 2), alles zuſammen verleiht dem Karſt einen fo eigenthümlichen Charak— ter, daß ſich mit dieſem Landſtriche kein einziger in Deutſchland vergleichen ) Der Verfaſſer giebt bei jedem Concelho die Anzahl der Feuerſtellen an, hat ſich aber nicht die Mühe gegeben, ſaͤmmtliche Feuerſtellen zuſammenzuzählen, welcher ermüdenden Arbeit fich deshalb der Referent unterzogen hat, um wenigſtens ein Er⸗ W. gebniß von Werth aus dem Buche zu ziehen. 9) Man kennt bereits 7 Arten des Proteus, die an 31 Fundſtellen vorkommen. midl S. 245. Fitzinger in den Sitzungsberichten der K. K. Akademie der Wiſſen⸗ ſchaſten, mathem.⸗naturw. Kl. 1850. V, 293 — 294. 314 Neuere Literatur. läßt, und daß es ſelbſt außerhalb Deutſchland wenige Gegenden auf der Erde giebt, die ähnliche Eigenthümlichkeiten beſitzen. Denn in Deutſchland beſitzt nur etwa die ſchwäbiſche Alp in ihrem Bereiche einen Theil der er— wähnten Phänomene (G. v. Martens in Berghaus Hertha 1826, VI, 83), die jedoch in Größe und Zahl nicht im Mindeſten den grandioſen des Karſts gleichzuſtellen ſind, und außerhalb Deutſchland kommen dergleichen großartige Terrain-Eigenthümlichkeiten eigentlich nur noch in der nächſten Fortſetzung des innerkrain'ſchen Kalkgebirges in Friaul, Iſtrien und dem dal— matiniſchen Küftenlande (T. Gruber, Briefe hydrographiſchen und phyſikali— ſchen Inhalts aus Krain. Wien 1781. 8. S. 138), dann in Griechenland, in Klein-Aſien, deſſen Durchlöcherungen und verſchwindende, dann wieder hervorbrechende Flüſſe bereits Strabo (Ed. Cas. II, S. 536, 578, 614) wohlbekannt waren, und endlich in Louiſiana vor, indem die ähnlichen in den Kalkſteingebieten Süd- Frankreichs, namentlich der Provence, Aſturiens, Süd- Rußlands, Polens und des Neufchateler Jura denen des Karſts weit nach— geſetzt werden müſſen. Doch iſt es übertrieben, wenn ein einheimiſcher krainiſcher Berichterſtatter die meiſten Berge ſeiner Heimath ausdrücklich hohle Steine nennt (Schlözer's Briefwechſel. 4. Aufl. 1780. Bd. II, Heft XII, S. 337). Aber bei allem Intereſſe, welches Einheimiſche und Fremde ſeit vielen Jahrhunderten fortwährend an den wunderbaren Phäno— menen Krains nahmen, fehlte es immer an einer umfaſſenden und eindring— lichen Unterſuchung und Darſtellung derſelben, wovon der Umfang, die Koſt— ſpieligkeit und ſelbſt die Gefährlichkeit der Unterſuchung freilich die meiſte Schuld tragen mögen. Denn wenn auch die älteſten Werke über Krain, die von Schönleben (Carniola antiqua et nova. 2 Bde. Labaci 1704) und Valvaſor (Die Ehre des Herzogthums Krain) den in Rede ſtehenden Er— ſcheinungen ihre Aufmerkſamkeit gewidmet hatten, ſo geſchah dies theils zu oberflächlich oder, da man in der früheren Zeit an wiſſenſchaftliche Werke der Art geringere Anſprüche machte, nicht mit der Gründlichkeit und fehar= fen Auffaffung, wie fie jetzt bei ſolchen Arbeiten erfordert wird. Es be— gnügte ſich nämlich Schönleben (Bd. I, S. 135 — 146), nur im Allge- meinen das Phänomen der verſchwindenden Flüffe Krains zu erwähnen und einzig ſpeciell des Verſchwindens und Wiederhervorbrechens des ſeit dem Alterthum dieſerhalb wohlbekannten Timavus-Fluſſes zu gedenken (von den Höhlen ſchwieg Schönleben völlig), wogegen Valvaſor's Mittheilungen reicher waren, aber der Kritik zu wenig Rechte einräumten, weil der Au— tor den bei den Landesbewohnern über die Phänomene ihres Gebiets ver— breiteten Fabeln allzuviel Glauben ſchenkte. Aus dieſem Grunde verdiente derſelbe gewiß nicht den Namen des kraineriſchen Herodots, womit ihn Hacquet in feinem großen Werke: Oryctographica carniolica oder phyſika⸗ liſche Erdbeſchreibung des Herzogthums Krain, Iſtrien u. ſ. w. 4. Leipzig 1778 - 1789. Bd. III, 21 allzufreigebig beſchenkte, da der alte Vater der LE Schmidl: Zur Höhlenkunde des Karſts. 315 Geſchichte ein ſehr geſundes Urtheil beſaß und bekanntlich nicht unterließ, über die ihm gewordenen Mittheilungen, wenn fie feiner Einſicht nicht ent— ſprachen und von ihm nicht ſelbſt geprüft werden konnten, ſeine Zweifel aus— zuſprechen. Erſt als in der Mitte des 18. Jahrhunderts unter Maria The- reſta's und Joſeph II. Regierung die wiſſenſchaftliche Thätigkeit in Oeſterreich zu neuem Leben erwachte, erfreuten ſich auch die Phänomene Inner-Krains einer ernſteren Beachtung. Schon im Jahre 1749 verfaßte Floriantſchiſch eine ausführliche Karte von Krain in 12 Blättern (Ducatus Carniolae Ta- bula geographica), worin zum erſten Male das Verſchwinden und Hervor— brechen der kraineriſchen fließenden Gewäſſer mit mehr Richtigkeit und Be— ſtimmtheit, als je zuvor, eingetragen worden war. Bald darauf beſchäftigte ſich ein gewiſſer Nagel auf Befehl Kaiſer Franz J. viel mit der Unterfuchung Krains, aber deſſen weitläuftige, nach Herrn Schmidl's Urtheil ziemlich gute, und mit zahlreichen, zum Theil guten Abbildungen ausgeſtattete Beſchreibung Krains, worin derſelbe die Reſultate feiner Forſchungen niederlegte, und die auch die Karſthöͤhlen umfaßte, blieb dem größeren Publikum unbekannt, indem ſie noch auf der Kaiſerlichen Hofbibliothek zu Wien handſchriftlich ruht. Erſt in den 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts erſchienen zwei Krain betref— fende Werke, die auch über die Karſtphänomene ausführlich Licht verbreite ten, das ſchon genannte von Gruber und das von B. Hacquet, einem in der öſterreichiſchen Gelehrtengeſchichte rühmlichſt genannten Manne, welcher ſich um die genauere Kenntniß der öſterreichiſchen Alpen und ihrer Naturproducte ein hohes Verdienſt erwarb. Indeſſen ſo ſchätzbar der Inhalt dieſer Werke für ihre Zeit war, ſo vermochten deren Verfaſſer bei der Geringfügigkeit ihrer Mittel (Hacquet Bd. IV, Vorrede IX) und den ihren Unterſuchun— gen entgegenſtehenden mannigfachen Hinderniſſen den Stoff nicht zu er— ſchöpfen, indem erſt in neuerer Zeit viele Verhältniſſe Krains bekannt wor— den ſind, von denen ſelbſt die Eingeborenen früher keine Vorſtellung hatten. Doch wurde es eben durch Gruber und Hacquet erſt recht klar, daß Inner⸗Krain in allen Richtungen durch Spaltungen und Höhlungen durch— löchert iſt, indem ſtarke fließende Gewäſſer an ungemein vielen Stellen plötz— lich hervorbrechen oder eben ſo plötzlich verſchwinden; ja Gruber, der ein Verzeichniß dieſer Gewäſſer nach Floriantſchitſch Karte zuſammenſtellte (S. 107), ſagte ſogar ausdrücklich, daß die Zahl der verſiegenden Quellen Krains faſt unzählbar ſei, und übereinſtimmend damit berichtete Hacquet (I, 150 — 151), daß man ſüdlich von Laybach in der Umgebung des hohen Mokritzberges nicht eine Stunde gehen könne, ohne an einen Bach oder kleinen Fluß zu kommen, der, nachdem er längere oder kürzere Zeit an der Oberfläche ſichtbar gewe- 0 ſen, in einer Höhle ſich wieder verliere. Der Art ſeien unter Anderen die 2 Ach, Wiſterza, Globonza, Suſchnitza, Rubenza, der Loſchkibach (Loſchki Potok), die Rakiterzhezega, wozu Hacquet bemerkt, daß, wenn man dieſe Gegend mit allen ihren Saug- und Waſſerlöchern genau betrachtet und bei * w x - 316 Neuere Literatur: anhaltend regneriſchem Wetter in Thätigkeit gerathen ſieht, man vermuthen müſſe, daß ſie nicht allein hohl, ſondern daß auch ihre unterirdiſchen Höh— lungen mit Waſſer gefüllt ſeien, indem oft ſogar vor eintretendem Regen bei ungeſtümem Wetter Waſſer aus der Erde kommt, deſſen Stärke, wenn der Regen beginnt, ſich ſo vermehrt, daß Ueberſchwemmungen entſtehen. Außer den genannten und verſchiedenen anderen, in dem folgenden Bericht erwähnten hervorbrechenden Flüſſen und Bächen der Art bemerkte Gruber, daß die Iſchitza aus einer ſehr großen Oeffnung heraufwallt, daß die Biſtra bei Freudenthal aus vielen gemauerten Löchern heraustritt, der Laibachfluß bei Ober-Laibach ebenfalls plötzlich hervorkommt (Gruber fügt an einer andern Stelle [S. 3] hinzu: mit ſolcher Stärke, daß die Laibach gleich ſchiffbar wird), der Gurkfluß bei Zobelsberg im ſüdöſtlichen Krain ſich in der Erde verliert, um darauf bei Ober-Gurk wieder zum Vorſchein zu kommen, die Temenitz eben- falls bei Paniqua verſchwindet (Harquet III, 165 — 166 beſtätigt dies), bei Verchzezhio aber wieder zu Tage tritt, bei Goriskavas ſich nochmals verliert und endlich bei Lueg, wo fie den Namen des Prezhnafluſſes annimmt, ſicht— bar wird, endlich daß unweit des Zirknitzer See's Bäche bei Laas, Traunik, St. Margarethen, Weikerſtorf, ſowie die Lipenize, Merſla Vodiza, Stabliza, Rakounak genannten Bäche nebſt anderen bei Loitſch, Oblak, St. Görgen, Paniqua, Statenek, Gotſchee und Mitterburg ſich ganz in der Erde verlieren. Nach dieſen reichhaltigen Unterſuchungen Gruber's und Hacquet's dauerte es faſt 70 Jahre, bis ähnliche aufgenommen wurden, wenigſtens wird in dem literariſchen Theil des in dem Eingange dieſes Berichts genannten Werkes keine größere Arbeit über die Phänomene des Karſts aufgeführt. Es war deshalb ein höchſt dankenswerthes Unternehmen des Herrn Dr. A. Schmidl zu Wien, der ſich bereits ſeit einer Reihe von Jahren durch zahlreiche Schriften und Ab- handlungen n) um die geographiſche Kunde des öfterreichifchen Staats ſehr dankenswerthe Verdienſte erworben hat, und überhaupt einer der thätigſten Männer ſeines Fachs im Bereiche ſeines Vaterlandes iſt, daß er dem Karſt von Neuem Aufmerkſamkeit widmete, indem er ſeit dem Jahre 1849 eine Reihe überaus ſchwieriger und ſelbſt gefährlicher Forſchungen in der unter— irdiſchen Welt des Karſts begann und fie 5 Jahre hindurch in der beharr⸗ lichſten Weiſe fortſetzte. Durch dieſe Ausdauer erwarb ſich Herr Schmidl eine ſo genaue Kenntniß des kraineriſchen Höhlenſyſtems und der unterirdiſchen Gewäſſer des merkwürdigen Landes, wie ſchwerlich Jemand vor ihm beſeſſen hatte. Ueber die Veranlaſſung und Fortführung ſeiner Arbeiten ſpricht ſich ) Reiſehandbuch durch das Erzherzogthum Oeſtreich, Salzburg, Steiermark, Böh— men, Ungarn, Illyrien, Venedig und die Lombardei. 8. Wien 1834 — 1836. 4 Bde. — Wiens Umgebungen auf 20 Stunden im Umkreiſe. 8. Wien 1835 — 1839. 3 Bde. — Kunſt und Alterthum in Oeſtreich. Abbildungen und Beſchreibungen. Fol. Wien 1846. Heft I. — Oeſtreichiſche Vaterlandskunde. 8. Wien 1852. — Oeſtreichiſche Blätter für Literatur und Kunſt, Geographie, Statiſtik und Naturgeſchichte. 4. Wien 1844 — 1848. Hierzu treten noch die gleich weiterhin zu erwähnenden Abhandlungen des Verfaſſers. Schmidl: Zur Hoͤhlenkunde des Karſts. 317 derſelbe in der Vorrede zu ſeinem Werke ausführlich aus. Es war die geo— logiſche Reichsanſtalt, die unter der Leitung ihres Begründers, des kaiſer— lichen Sectionsraths Haidinger, ſchon fo außerordentlich viel für die Kennt— niß des dfterreichifchen Staats geleiſtet hat, die unſerem Forſcher die erſten Mittel zur Einleitung ſeines Unternehmens gewährte; ſpäter erfolgte eine ähnliche Unterſtützung Seitens des k. k. Finanzminiſteriums. Aber einen namhaften Theil der Koſten ſah ſich Herr Schmidl genöthigt, ſelbſt zu tra— gen. Eine Aushilfe an Mannſchaft und die Beiordnung eines wiſſenſchaftlichen Begleiters wurde ihm noch durch Verfügung des Miniſteriums für Landes— cultur, dann durch eine weitere des Handelsminiſteriums zu Theil. Auch der dem Verfaſſer zugetheilte Begleiter, der Bergpractikant J. Rudolf von Idria, erwarb ſich einen nicht unbedeutenden Antheil an dem Erfolge von deſſen Forſchungen, indem er die markſcheideriſchen Aufnahmen der Höhlen aus— führte, während Herr Schmidl die Zeichnungen entwarf, aus denen der ſchoͤne, das Werk zierende Atlas hervorgegangen iſt. Endlich hatte die Akade— mie der Wiſſenſchaften zu Wien das Verdienſt, die Herausgabe des äußer— lich ſehr anſprechend ausgeſtatteten koſtbaren Werkes durch Bewilligung der nöthigen Fonds möglich zu machen. So entſtand daſſelbe durch vereinigte Kräfte und, indem es eine große Lücke ausfüllt und überhaupt eine ſehr dankenswerthe Bereicherung der wiſſenſchaftlichen Erdkunde bildet, iſt es ein neues erfreuliches Zeichen der jetzt in Oeſterreich herrſchenden wiſſenſchaft— lichen Thätigkeit. Schon vor der Herausgabe des Werkes hatte Herr Schmidl einige vorläufige Reſultate ſeiner Forſchungen in der Wiener Zeitung 1850 — 1852 (und daraus in die Leipziger Illuſtrirte Zeitung übergegangen) und in den Sitzungsberichten der mathematiſch-naturwiſſenſchaftlichen Claſſe der Kkaiſerlichen Academie der Wiſſenſchaften mitgetheilt. Dahin gehörte nament⸗ lich im Jahre 1850 eine Darſtellung des unterirdiſchen Laufs der Poika zwi— ſchen Adelsberg und Planina (Sitzungsberichte Bd. V, Heft 10, S. 464 — 478), ſowie im Jahre 1851 der Aufſatz: Ueber den unterirdiſchen Lauf des Recca (ebendort VI, S. 655 - 682). > Was den Inhalt des Werks betrifft, ſo ift daſſelbe, wie der Verfaſſer anzeigt (Vorrede S. I), noch nicht als ein vollſtändiges, ſondern nur als Vorläufer zu einem umfaſſenden anzuſehen, indem es ſich auf eine genaue Topographie der Grotten und Höhlen von Adelsberg, Lueg, Planina und Laas und auf einige allgemeine Mittheilungen über die naturwiſſenſchaftli- chen Verhältniſſe der vier Punkte beſchränkt. Einer folgenden Schrift hat der Verfaſſer die Schilderung der Grotten von St. Kanzian, Corgnale, St. Servolo und des Abzugscanals des Zirknitzer See's vorbehalten, aber 1 dieſelbe ſoll erſt dann, wenn die Unterſuchungen abgeſchloſſen find, ver— e werden, worüber natürlich einige Jahre vergehen müſſen. Die Einleitung beginnt mit Notizen über die frühere Geſchichte des Karſts, woraus ſich ergiebt, daß in den Schriften des Alterthums nirgends Nach— 2 = * * 4 3 318 Neuere Literatur: richten über die hieſigen Höhlen und unterirdiſchen Flüſſe, mit Ausnahme des Timavusfluſſes der Alten, vorkommen, und daß, wenn man einige in der Planinahöhle gefundene römiſche Münzen ausnimmt, nicht einmal Monumente oder Inſchriften in den Höhlen von dem langen Aufenthalte der Römer in dieſen Gegenden, wodurch immer eine Haupthandelsſtraße ging, oder von der damaligen Kenntniß der Höhlen Zeugniß geben. Daß man aber bereits im Mittelalter einen Theil der Adelsberger Höhlen kannte und beſuchte, zei— gen die an den Wänden eines Zweiges derſelben vorkommenden und angeb— lich aus dem 13., 14. und 15. Jahrhunderte ſtammenden Jahreszahlen, deren älteſte von 1213 Herr Schmidl aber, wie er glaubt, mit Grund als richtig bezweifelt. Den Schluß der Einleitung des Werks bildet die Geſchichte des größten, jetzt bekannten Theils der Adelsberger Höhle, deſſen Entdeckung erſt im Jahre 1816 durch einen Zufall erfolgte, in den nächſten Jahren fortge- ſetzt wurde, und die zuerſt den Beweis lieferte, daß das Adelsberger Höhlen- ſyſtem in einer früher nicht im Mindeſten geahnten Erſtreckung fortſetzt. Die Schilderung des Ortes Adelsberg und feiner Höhlen füllt den erſten Haupt— theil (S. 35 — 106) und damit faſt den größten Theil des Werks und zwar mit Recht aus, weil ihr Gegenſtand unzweifelhaft das wichtigſte der Phänomene des Karſt's betrifft. Hierauf folgt (S. 106 — 111) die Schilderung der eine Stunde nördlich davon gelegenen Magdalenen- oder ſchwarzen Grotte (Czerna Jama), demnächſt (S. 111— 114) die Darſtellung der wieder + Stunde weiter gelegenen Poikhöhle (Piuka Jama), die Beſchreibung von Lueg und ſeinen Grotten (S. 114 — 119), endlich die von Planina und den Höhlen feiner Umgebungen (S. 124 — 167). Auf der außerordentlich ſchön gezeich- neten erſten Tafel des Atlaſſes, dem die Originalaufnahmen des k. k. General- Quartiermeiſterſtabs zum Grunde liegen, wird die Gegend zwiſchen Planina und Adelsberg dargeſtellt und es iſt hier die Lage der Höhlen nebſt dem unter— irdiſchen Verlauf der letzten und des Poikfluſſes ſehr anſchaulich verzeichnet. Den Schluß des Werks bildet ein Anhang: Meteorologiſches (S. 165-188) mit den Ergebniſſen ſtündlicher correſpondirender thermometriſcher und barometriſcher Beobachtungen in Adelsberg und in der Adelsberger Höhle, Angaben der Temperatur der ſtrömenden Waſſer in den Höhlen und des Waſſers in dem ſogenannten Tropfbrunnen, den Quellentemperaturen der Gegend, endlich den Seehöhen vieler Punkte u. ſ. w. Ein zweiter Anhang ſtellt die allgemeinen Ver— bältnifje des Karſts zuſammen (S. 189 — 209), ein dritter, von Herrn W. Zippe verfaßt, liefert geognoſtiſche und mineralogiſche Bemerkungen über den Höhlen- kalkſtein des Karſts im Allgemeinen (S. 209 — 218); ein vierter Beiträge ) Jama iſt ein faſt in allen flavifchen Sprachen vorkommendes Wort, das Grube oder Höhle bedeutet; in Krain werden aber, wie Herr Schmidl berichtet (S. 193), damit vorzugsweiſe die ſchachtartigen Terrainvertiefungen, die einen Durch— meſſer von wenigen Fuß bis 50 und mehr Klafter haben, von allen Seiten durch ſchroffe Felswände umgeben find und bis in 300 und 400 Fuß Tiefe reichen, benannt; ſo iſt die Jama von Briszhiek 384 Fuß tief. Schmidl: Zur Höhlenkunde des Karſts. 319 zur Flora subterranea der Karſthöhlen von A. Pokorny (S. 221 — 228), ein fünfter eine Fauna der Adelsberger, Lueger und Magdalenen-Grotte von Dr. J. ud. Schier (S. 231—272), endlich ein ſechſter die Ergebniſſe der letzten Unterſuchungen des Verfaſſers im Jahre 1853 über die Kreuzberger Höhle bei Laas, das Schneeberger Thal, die Nußdorfer Grotte bei Adelsberg, die Poikhoͤhle und eine neuentdeckte Felſenbrücke zu St. Kanzian bei Maunitz (S. 273 — 312), jo daß das Werk in der That Alles begreift, was nur irgend von wiſſenſchaftlicher Seite über die Karſthöhlen zwiſchen Ober-Lai— bach und Adelsberg zu ſagen war. Alle durch Herrn Schmidl beſchriebenen, in der Nähe des großen, 2218 Fuß über dem Meeresſpiegel gelegenen Marktes Adelsberg befindlichen Höhlen gehören dem bereits im Alterthum unter dem Namen der juliſchen Alpen (Alpes Juliae) bekannten Theil der hohen Alpengebirgskette an. Das vorherrſchende Geſtein in dieſen Gegenden iſt ein lichter und zuweilen hellgrauer, aausnahmsweiſe durch organiſche Reſte dunkelgefärbter, geſchichteter Kalkſtein, welcher ſich aber an den meiſten größeren Entblößungen von rothen Adern diurchzogen, oft ganz zerfreſſen, durchlöchert und mit fußlangen und zollweiten Canälen durchbohrt zeigt, letztes eine natürliche Folge der leichten Zerſetzbar— keit des Geſteins, wodurch auch bewirkt wird, daß viele abgeriſſene loſe Trümmer deſſelben Kalkſteins die Oberfläche der Gegend, ähnlich wie es in der höhlenreichen ſchwäbiſchen Alp der Fall iſt, bedecken. An einigen Stellen, z. B. bei St. Kanzian, iſt der Kalkſtein ſchiefrig und in mehrere Fuß große Platten geſpalten. Häufig erſcheinen darin Vertiefungen, ſowohl Jama's, wie Dolina's 1), unter welchem letzten Namen man hier trichterförmige Vertiefungen verſteht, deren Grund meiſt eine fruchtbare Erde oder Lehm, öfters auch nur Schutt bedeckt, und die im Karſt fo häufig find, daß nach des Verfaſſers Verſicherung vielleicht kein Ort ihrer entbehrt, ja im nordöſtlichen Theile des Karſts kommen dieſelben in unzähliger Menge vor. Schon wenn man Ober-Laibach, die erſte Karſtterraſſe, erſtiegen hat, gewahrt man zu beiden Seiten zahlreiche, den Reiſenden bis Obtſchina kurz vor Trieſt begleitende Vertiefungen, die noch an Menge zunehmen, wenn man von der Poſtſtraße abweicht. Da der ſüdliche Karſt nackt, der nördliche aber mit dichten Wäldern bedeckt iſt, ſo kennt man die nördlichen Dolinen und ſenkrechten Abgründe natürlich viel weniger, als die ſüdlichen. In einzelnen Dolinen, z. B. denen bei St. Kanzian und Corgnale, ONO. von Adels- berg, beträgt die Tiefe nicht weniger, als 300 bis 500 Fuß, und der obere Durchmeſſer eben ſo viel. Sind die Dolinen flach, ſo erſcheinen ſie als große Mulden, worin die fruchtbaren Oaſen dieſer Gegenden liegen, wie es #7 Be * 4 1 2. ) Dolina, gleich Jama ein flavifches Wort, bedeutet im Allgemeinen ebenfalls jede Vertiefung, beſonders aber Thäler. Sind die Bolina's groß und zugänglich Gg um bebaut zu werden, ſo geben ihnen die Krainer den Namen Ograda d. h. G ERBE 192). Außerdem bilden fie die Sauglöcher, worin das Waſſer alsbald verſinkt. 320 Neuere Literatur: mit den Mulden von Planina, Altenmarkt, Cleple der Fall ift, indem folche Localitäten ſehr waſſerreich ſind, während die eigentliche Oberfläche des Karſts, gleich der der ſchwäbiſchen Alp (v. Martens a. a. O. 89), an einem ungemeinen Waſſermangel leidet und höchſt dürr iſt, weil die Zerklüftung des Kalkſteins das Niederſinken des atmoſphäriſchen Waſſers in die Tiefe be— fördert, der Lehm auf dem Boden der Mulden aber umgekehrt das Nieder- ſinken des Waſſers hindert. Oft bilden ſich auf dem Boden der Mulden Lachen als eine große Wohlthat für die nächſtgelegenen Häuſer und Dörfer (Schmidl 193). Die rothe ſtellenweiſe Färbung an den entblößten Stel- len des Kalkſteins rührt unzweifelhaft von einem Gehalt deſſelben an koh— lenſaurem Eiſenorydul her, das ſich bei der Verwitterung in Eiſenoryd um— wandelt, gerade wie bei den naſſau'ſchen, kohlenſaures Manganorydul enthal⸗ tenden weißen Dolomiten von Weilburg eine graue Färbung der der Atmo— ſphäre ausgeſetzten Wände durch Zerſetzung des Dolomits und durch die Umwandlung des Gehalts deſſelben an kohlenſaurem Manganorydul in dun— kles Manganoryd erfolgt (Grandjean in Leonhard und Bronn, N. Jahrbuch für Mineralogie, Geognoſie u. ſ. w. 1844, S. 345). Leider giebt Hr. Zippe keine Analyſe des Karſtkalks. Iſt aber das Karſtgeſtein, wie von ihm ange— nommen zu werden ſcheint, Kalkſtein und nicht Dolomit, ſo fände ſich hier ein neues Beiſpiel zu den immer zahlreicher werdenden bekannten, daß aus⸗ gezeichnete Höhlenbildungen ſowohl dem Kalkſtein, als dem Dolomit eigen ſein können, eine Erfahrung, die ſich bekanntlich bei dem Korallenkalke der ſchwäbiſchen Alp, des franzöſiſchen und neufchateller Juragebirges ausge— zeichnet beſtätigt. Auch das geognoſtiſche Alter des Kalkſteins iſt bisher noch nicht genügend ermittelt worden, weil die große Seltenheit der Ver— ſteinerungen eine Feſtſtellung verhinderte. Wahrſcheinlich gehört der Kalk— ſtein ganz der Kreidegruppe an, wofür das durch Herrn Zippe erwähnte Vorkommen der Hippuriten nördlich von Corgnale ſpricht. Von den häu— ſiger ausgewitterten Korallen liefert unſer Forſcher leider gar keine Be— ſtimmung. Nächſt dem Kalkſtein beſteht die Oberfläche bei Adelsberg aus einem meiſt ſehr dunklen grünlich oder bräunlich gefärbten, oft dünn geſchich— teten oder ſchiefrigen und an einigen Orten dem böhmiſchen Grauwackenſchie⸗ fer ſogar äußerſt ähnlichen Sandſtein, der nicht ſelten allmählig in den Kalk— ſtein übergeht und an der Adelsberg-Trieſter Straße oft mit ihm wechſelt, fo daß er nur als ein dem Kalkſtein gleichartiges Gebilde gelten kann (S. 213). Beide herrſchenden Geſteine laſſen ſich ſchon an der Oberfläche des Ter⸗ rains durch ihre verſchiedene Vegetation erkennen, indem das erſte einen unge— mein ärmlichen, der Sandſtein hingegen einen üppigen Pflanzenwuchs trägt (S. 37, 114). Der Kalkſtein iſt nun beſonders durch feinen merfwür- digen Höhlenreichthum, der zu den ſonderbarſten orographiſchen Verhält- niſſen Veranlaſſung giebt, ausgezeichnet. Der Grund dieſer Hoͤhlenbildung hat ſich übrigens noch nicht genügend ermitteln laſſen, da den meiſten Kalk— 2 Schmidl: Zur Köhlenfunde des Karſts. 321 * gebirgen der Erde dieſe Eigenthümlichkeit wieder fehlt, ohne daß die höhlenloſen Kalkſteine eine beſondere äußere qualitative Verſchiedenheit von den höhlenreichen zeigten. Herrn Zippe's Anſicht (S. 214), daß dieſe verſchiedenen Eigenthümlich⸗ keiten ſich durch innere Verſchiedenheiten des Geſteins werden erklären laſſen, iſt aber ſicherlich richtig. Wie in vielen anderen Höhlen der Erde, fehlen in denen des Karſts Knochen von Thieren aus der Diluvialzeit nicht, doch ſind ſie viel we— niger häufig, als in den nngarifchen, fränkiſchen und weftphälifchen Höhlen, wes— halb ſie nicht als eigentliche Knochenhöhlen gelten können. Die meiſten Knochen, die ſich in der Adelsberger Höhle in der rothbraunen, von einer den Boden bil— denden Sinterkruſte bedeckten Erde finden (S. 218), gehörten Bären an. Ebenſo wurden in der Mokricahöhle auf der Kreuzeralpe Ober-Krains und in einer zweiten Höhle unter dem Heiligenkreuzberge nächſt Laas — an dem letzten Punkte beſonders reichlich und zum Theil im Lehm vorkommend (S. 219, 220, 285) — Hoöhlenbärknochen gefunden. Die Adelsberger Höhle, die wichtigſte des Karſts, iſt zugleich die ausge— Zeichnetſte in der öfterreichifchen Monarchie, indem nach Herrn Schmidl ihr nur die Baradlahöhle bei Aggtelek in Ungarn gleichkommt, ja ſie iſt ſelbſt eine der bedeutendſten auf Erden. Ihre vollſtändige Kenntniß erwarb man, wie erwähnt, erſt in neuerer Zeit durch die ausgedehnten, von dem Ritter v. Lö⸗ wengreif während der Jahre 1816 — 1823 und dann von einer im Jahre 1824 gebildeten eigenen Grottenverwaltungs-Commiſſion ausgeführten Ar- beiten. Durch dieſe Beſtrebungen wurde die Höhle zugänglicher, als jede an— dere des Karſts, was wieder die Folge hatte, daß jetzt bereits in jedem Jahre viele Tauſende ſie beſuchen. Dieſe Zahl wird durch die Vollendung der Trie— ſtiner Eiſenbahn vorausſichtlich noch anſehnlich wachſen, ſo daß der aus einem mäßigen Eintrittsgelde zur Erforſchung und Gangbarmachung der Höhle ge— ſchaffene Fond dann noch mehr, als gegenwärtig, Mittel zu Verbeſſerungen und Erforſchungen gewähren dürfte. l Die Adelsberger Höhle liegt nordweſtlich von Adelsberg und ſogar noch näher an dem Dorfe Ottok, öftlich von dieſem, an dem ſüdlichen Abhange des felſigen, von den flawiſchen Landesbewohnern oft einfach Gora d. h. Berg genannten Hügels Sovitſch. Amtliche Schriften nennen den Sovitſch die Alpe Gora, weil ſeine Oberfläche ganz mit Viehweiden bedeckt iſt. Die Höhle ſelbſt beſteht aus vier Abtheilungen, nämlich: 1) aus der am + tieſſten gegen das Thal der Poik gelegenen d. h. der Poikhöhle, 2) der ſo— genannten alten Grotte, 3) der neuen Kaiſer Ferdinands-Grotte, 4) der Erz— herzog Johanns-Grotte. Von der gegenſeitigen Lage der vier Abtheilungen und ihrer Verbreitung in dem Innern des Sovitſch liefert das zweite Blatt des Atlas nach Herrn Rudolfs Aufnahmen einen ſehr genauen Grundriß. Die erſte Abtheilung, die Poikhöhle (Piuka Jama) genannt, iſt dieje— nige, in welche der Poikfluß eintritt, um von da aus ſeinen weiteren Lauf unterirdiſch zu verfolgen. Etwa 400 Klafter weit kann man den Fluß be— Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. g 21 ** 7 * 322 Neuere Literatur: fahren, bis eine bis auf den Waſſerſpiegel herabreichende Felswand das Weiters kommen hindert. Nur wenn das Flußbette völlig trocken iſt, wäre eine Paſ— fage hier möglich. Aber ſeit Haequet, der im Jahre 1774 das Flußbette wirklich trocken fand (I, 123), ſcheint Niemand mehr dieſen Weg in das Innere verſucht zu haben. — Dreißig Fuß über der Eintrittsſtelle der Poik in die Höhle und 900 Fuß über dem Meeresſpiegel liegt der eigentliche Eingang in die eigentliche Adelsberger Höhle, hinter dem eine große, 17 Klafter lange, über dem Fluſſe gewölbte und aus nacktem Kalkfels beſtehende Brücke er— ſcheint, worauf endlich die Neptunsgrotte oder der große Dom, eine unge— heure, 24 Klafter hohe und im Maximum 16 Klafter breite Ausweitung, folgt. Dieſer Dom war mit der Poikhöhle und der ſogenannten alten Grotte (die eigentlich nur ein Seitengang auf der linken Seite des unterirdiſchen Poiklaufs iſt und nichts Bemerkenswerthes mit Ausnahme der früher (S. 318) erwähnten Inſchriften an den Wänden enthält) bis zu den im Jahre 1816 erfolgten Entdeckungen Alles, was man bis dahin von der Adelsberger Höhle kannte. Der Zufall eröffnete erſt in dem genannten Jahre in einer Wand des auf der rechten Seite der Poik gelegenen Doms den Eingang in den großen Zug unterirdiſcher Ausweitungen, indem ein Hoͤhlenführer, Lucas Tſchetſch, dieſen durch Stalactiten und herabgefallene Felsblöcke faſt ganz verſchloſſenen Eingang damals auffand. Der neu entdeckte Zug führt den Namen der Kaiſer Ferdinands-Grotte und folgt in ſeiner ganzen Erſtreckung einer nordöſtlichen Richtung. Es iſt ein zum Theil 30 Fuß hoher, trockener, ſtollenartiger Canal, der ſich mehrfach zu größeren Hallen erweitert. Unter den Hallen find der 60 Klafter lange, 24 Fuß hohe und 15 Klafter breite Tanzſaal und die ſogenannte Reitſchule die bedeutendſten. Stalactiten der koloſſalſten Dimenſionen und in den wunderbarſten Formen haben ſich hier an den Wänden gebildet. Eine Maſſe der Art, die ſogenannte Kanonen— ſäule, zeigt 18 Fuß Höhe, 194 Fuß Umfang und 6 Fuß 4 Zoll Durchmeſſer, eine andere, die Hieroglyphenſäule, von 2 Fuß Durchmeſſer und 24 Fuß Höhe, ſteht ganz frei, eine dritte iſt ein Pfeiler von nicht weniger, als 30 Fuß Um— fang; dicht dabei hängt noch von der Decke ein 18 Fuß langer Stalactit von 12 Fuß Durchmeſſer herab. Aber das größte aller dieſer Gebilde iſt ein 15 Fuß hoher Säulenkoloß, deſſen Durchmeſſer etwa 19 Fuß betragen muß, da ſeine Peripherie zu 60 Fuß gemeſſen wurde. Erwägt man bei dieſen ſtaunenswerthen Maſſen, wovon der Graf Hochenwarth in ſeinem: Wegweiſer für die Wanderer in die berühmte Kaiſer Ferdinands-Grotte bei Adelsberg in Krain, Laibach 1847, bereits mehrere, durch den Kreis-Ingenieur Schaffen— rath gezeichnete Anſichten liefert, und auch Herrn Schmidl's Atlas Vorſtel— lungen giebt, daß nach den Beobachtungen der Höhlenführer ſich durch den gewöhnlichen Tropfenfall in 15 Jahren ein kaum merkliches Kalkſediment bildet, oder daß, wie unſer Verfaſſer verſichert (S. 92), in 13 Jahren kaum eine Lage von Papierſtärke entſteht, fo ergiebt ſich, welche Kräfte und welche Schmidl: Zur Hoͤhlenkunde des Karſts. 323 Zeit zur Entſtehung der Koloſſe erforderlich waren. — 625 Klafter vom Eingange erſcheinen erſt die ſchönſten Tropfſteingebilde der Höhle in der Reitſchule, bis zu welcher die Beſucher der Höhle vor dem Jahre 1829 ge— wöhnlich nur zu gehen pflegten, weil erſt in dieſem Jahre durch den Ritter von Loͤwengreif und Schaffenrath ein Weg bis zu der 925 Klafter vom Eingange gelegenen letzten ungeheuren Halle des Calvarienberges angelegt wurde. Dieſe Halle iſt eine der größten unterirdiſchen Weitungen auf Erden, da ſie 108 Fuß ſenkrechter Höhe, eine weſtöſtliche Breite von 642 Fuß und eine Länge von 618 Fuß hat; nur die Dismal= Höhle, eine Weitung der Mammuth⸗Höhle in Kentucky, von 150 engl. Fuß Breite, 300 Fuß Länge und 100 Fuß Höhe nähert ſich ihr in den räumlichen Verhältniſſen. In- deſſen iſt es weniger der ungeheure Inhalt der Höhle, als der in ihr auf— tretende 30 Fuß hohe ſogenannte Calvarienberg, wodurch die Halle ſo merkwürdig wird. Der Berg beſteht nämlich aus Trümmern vieler Hun⸗ derte von Säulen in den koloſſalſten Dimenſionen und von Farbennüancen, die aus dem blendendſten Weiß bis in das Rothbraune übergehen, ſo daß ſich hier dem Auge ein großartiger Säulenwald darſtellt. Schwerlich möchte eine Grotte unſeres Continents, wie Herr Schmidl hinzufügt (S. 83), ein ähnliches ſtaunenswerthes Schauſpiel darbieten. Von dem Ein— gange in die Grotte zweigt ſich dann ein in weſtlicher Richtung nach der Poik hin gerichteter Gang ab, der den Fluß aber nicht erreicht, ſondern in 1243 Klafter Entfernung von dem Eingange in die Adelsberger Höhle mit der Wand des ſogenannten Tartarus, einem Abgrunde in dem hier nicht mit Stalactiten bekleideten, ſondern völlig nackten Felſen, endet. Hier iſt über— haupt das äußerſte Ende des Höhlencomplerxes. In dem eben erwähnten Gange giebt der ſogenannte Tropfbrunnen durch die Seenerien feiner Stalacti- ten einen der überraſchendſten Anblicke. Eine der bedeutendſten Abtheilungen des Adelsberger Höhlenſyſtems iſt endlich die 725 Klafter vom Eingange beginnende Erzherzog Johanns-Grotte, worin die kreisrunde ſogenannte gothiſche Halle wieder eine der fchönften Partien, ja ſogar des ganzen kraine— riſchen Hoͤhlenſyſtems bildet, da Stalactiten die Wände ganz bekleiden. Sie ſchließt zuletzt mit der ſogenannten rothen Grotte ab, welche von den ſchöͤnen rothen korallenähnlichen Röhren auf dem weißen Hintergrunde ihren Namen erhielt. Die Erzherzog Johanns-Grotte liegt übrigens dem Grund- riſſe auf Taf. II. nach in der geraden Verlängerung des größten Theils der Kaiſer Ferdinands-Grotte und iſt alfo wohl mehr die eigentliche Fortſetzung, ats eine Seitengrotte derſelben, wozu fie der Herr Verfaſſer macht (S. 100), zum nennen, während der von der Kaiſer Ferdinands-Grotte nach der Calva— en- Grotte führende Gang dies weniger iſt, da er eine viel ſeitlicher abwei— chende Richtung hat. Der unterirdiſche, im Ganzen einer nördlichen Richtung folgende Lauf der Poik innerhalb der Adelsberger Höhle iſt jetzt auf 400 Klafter Länge bekannt; die Breite des Canals, worin er fließt, beträgt durch— * 1 * 4 324 Neuere Literatur: ſchnittlich 30 Fuß; wie die Höhe, wechſelt die Tiefe des Waſſers von wenigen Zollen bis 20 Fuß. Eine bis auf den Waſſerſpiegel herabgeſenkte Felswand hindert am Ende des bekannten Laufes die weitere Unterſuchung des Fluſſes völlig. In feiner Weitererſtreckung muß die Poik ſehr nahe bei der gleich zu er= wähnenden Magdalenen-Grotte vorbeikommen, aber es iſt nach Herrn Schmidl's Erfahrungen irrig, daß der Fluß durch ſie ſelbſt ſeinen Lauf nimmt. Dagegen fand Herr Schmidl den Strom in der + Stunde von der Magdalenen-Grotte nördlich gelegenen Poikhöhle (Piuka Jama) wieder, und er verfolgte ihn hier 400 Klafter weit; aber er bezweifelt nicht, daß eine Verbindung der Poik— mit der Adelsberger Höhle bei günſtigem Waſſerſtande gefunden werden dürfte (S. 48). Eine Stunde nördlich von Adelsberg liegt die durch manche Eigenthüm— lichkeiten, namentlich aber durch den Aufenthalt der ſeltſamen Amphibie, des Proteus anguinus oder Hypochthon Laurentii Fitzinger ausgezeichnete ſchwarze oder Magdalenen-Grotte (Czerna Jama), die in der Aus⸗ dehnung und Mannigfaltigkeit ihrer Tropfſteinbildungen der Adelsberger ſehr nachſteht. Doch hat auch ſie einen impoſanten, auf mächtigen, jetzt aber leider durch muthwillige Hände meiſt zerſtörten Tropfſteinſäulen ruhenden Dom. In der Tiefe rauſcht ein bisher noch nicht unterſuchter und gewoͤhn— lich, nach Herrn Schmidl aber, wie erwähnt, irrig für die Poik ſelbſt gehal- tener Fluß (S. 110). Taf. VII des Atlas giebt den Grundriß der Höhlen— gänge. Der Proteus, deſſen erſte Kenntniß man einer Auffindung zu Vier bei Sittich in Ober-Krain verdankt, wurde hier ſchon im Jahre 1797 durch den Ritter von Löwengreif beobachtet, die Auffindung blieb unbeachtet, bis ſie im Jahre 1814 von Neuem erfolgte. Seitdem war das ſtagnirende Waſſer in der Tiefe des Doms der ergiebigſte Fundort des Thieres, welches, wenn der Fang nicht verboten wird, hier bald ausgerottet fein dürfte 1). Eine Viertelſtunde wieder nördlich von der Magdalenen-Grotte liegt die durch eine große Dolina von oben eröffnete Poifhöhle 2), die erſt durch die Herren Schmidl und Rudolf entdeckt und unterſucht worden iſt. Von dem oberen Rande der Dolina ſieht man auf den unterirdiſchen Lauf des Fluſſes hinab, gerade wie es bei den ſogenannten Oefen der Salza in Salzburg und in dem natürlichen Schachte bei St. Caſſian, in deſſen Tiefe die Recca rauſcht, der Fall iſt (S. 112). Indem Herr Schmidl ſich uber zeugte, daß die Tiefe der Dolina von dem bekannten Endpunkte der Poik in der Adelsberger Grotte nur etwa 7— 800 Klaftern entfernt liegt, erhält feine Anſicht von der Fortſetzung der Poik bis nach dieſer Poikhöhle allerdings einen hohen Grad von Wahrſcheinlichkeit. Erſt vor Kurzem, im Jahre 1853, ent⸗ ) Hacquet beſuchte dieſe Magdalenenhöhle ebenfalls (I, 127). \ ) Dieſe Poikhöhle ift alſo eine andere, als die S. 321 erwähnte, und darf mit ihr nicht verwechſelt werden. Schmidl: Zur Hoͤhlenkunde des Karſts. 325 deckte der Verfaſſer in derſelben Höhle noch einen 80 Fuß hohen Dom, deſſen Wände mit dem blendendſten Kalkſinter überzogen waren und wiederum einen prächtigen Anblick gewährten (S. 302). Nordweſtlich von Adelsberg liegt ferner bei dem nur einige Stunden entfernten Dorfe Lueg oder Predjama und den Ruinen einer zu Lueg gehö— renden und in der kraineriſchen Geſchichte wohlbekannten Felſenburg noch ein großer Höhleneomplex (Hacquet I, 128), wovon der Atlas auf Tafel VII einen Grund- und Aufriß liefert. Aus einer tiefen Wieſenſchlucht ſteigt hier eine 65 Fuß hohe Kalkwand äußerſt ſchroff auf; darin befinden ſich die Mündungen von nicht weniger, als 5 Grotten, eine Zahl, die in Inner— Krain nirgends weiter beobachtet worden iſt. In die unterſte, ſchon auf der Sohle des Thales liegende Höhle ſtürzt ſich der Lokvabach (Lokva heißt in dem Krainer Slaviſchen d. h. dem Sloveniſchen nach Schmidl S. 193 eigent- lich Lache), der jedoch nur 10 Klafter weit zu verfolgen iſt, indem das weitere Vordringen durch eine Felswand gehindert wird. Aber tiefer im Innern des Berges iſt durch eine von der ſogenannten großen Höhle aus— gehende gangförmige Abzweigung der unterirdiſche Lauf des Lokva noch ein— mal zu erreichen. Wohin ſich der Bach zuletzt wendet, iſt unbekannt, doch herrſcht eine alte Anſicht, daß er unter dem weſtlich von Lueg gelegenen hohen Nanosberge (Nanas- oder Dullberg bei Hacquet) weggeht und bei dem Schloſſe Wippach als Wippachfluß wieder zu Tage kommt. (Dies er— wähnten ſchon Gruber 139 — 140 und Hacquet I, 128 — 129; letzter giebt dem unterirdiſchen Wege des Fluſſes 4— 5 Stunden Länge.) Die 24 Klaf— ter über der unterſten befindliche große Grotte beſteht gleichfalls aus 5, theils über, theils neben einander liegenden Stockwerken oder Etagen. Rech— net man dazu die übrigen Grotten, fo durchſchneiden alſo den hieſigen Berg 9 verſchiedene Stockwerke, eine Zahl, die bei keinem anderen Höhlenſyſteme des Karſts bekannt iſt. Am höchſten an der Wand befindet ſich die ſogenannte Burggrotte mit den darin liegenden Ruinen der erwähnten, auf Taf. IX des Atlas dargeſtellten Burg. Sonſt haben die Lueger Höhlen nach Herrn Schmidl's Erfahrungen nichts Bemerkenswerthes. Das letzte beſchriebene Höhlenvorkommen erſcheint bei Planina, einem be— kannten, durch feinen Handel blühenden, an der Laibach-Trieſtiner Straße und im Nordoſten von Adelsberg gelegenen Orte. Taf. X des Atlas giebt den Grundriß der Höhlen, und Taf. XI eine Anſicht der an dem Fuße einer 35 Klaftern faſt ſenkrecht aufſteigenden Kalkſteinwand gelegenen Mün— 3 dung der von den Bewohnern der Gegend die Unz- oder Kleinhäusler, von dem Verfaſſer aber die Planinahöhle genannten Höhle. Dieſe Höhle unter— 9 ſcheidet ſich von der Adelsberger und Lueger weſentlich dadurch, daß in ſie kein größeres Waſſer hineingeht, wohl aber ein Fluß, wieder die Poik, daraus hervorkommt. Von dem Namen Unz, den die Poik erſt eine Viertelſtunde abwärts von der Höhle nach ihrer Vereinigung mit dem Mühlthal⸗ 326 Neuere Literatur: waſſer (S. 153) annimmt, erhielt die Höhle ihren gewöhnlichen Namen. Sie beſitzt unmittelbar hinter dem Eingange einen ausgezeichnet ſchönen, 12 Klaf- ter hohen und 10 Klafter langen Dom, worauf bald ein zweiter grandio— ſerer, der Chorinsky-Dom von 20 — 30 Klafter Höhe und 40 Klafter Länge, folgt. Beide Dome durchfließt die Poik, und jenſeits beider findet ſich ein von hohen und ſchroff aufſteigenden Felswänden umgebener, überaus pittoresker, unterirdiſcher, 210 Fuß langer und 150 Fuß breiter See, der aus dem Zuſammenfluſſe der Poik und eines zweiten Baches entſteht. In 260 Klafter Entfernung vom Eingange theilt ſich nämlich die Höhle in zwei Arme; der eine derſelben, der rechte oder weſtliche, wird durch Herrn Schmidl der Kaltenfelder Arm genannt, weil der darin fließende Bach ein unterirdiſcher Abfluß der Gewäſſer zwiſchen Planina und dem weſtſüdweſtlich davon gelegenen Marktflecken Kaltenfeld zu ſein ſcheint; der öſtliche aber Poikarm. Erſter hat 1080 Kl. Länge und durchſchnittlich 30 Fuß, ſtellenweiſe aber 20 Kl. Breite. Die Tiefe feines Baches beträgt gewöhnlich 9 Fuß, ſteigt aber zuweilen, beſonders in den Krümmungen, bis auf 20 Fuß und darüber (S. 142). Prachtvolle Kalf- ſintermaſſen verſchönern die Wände des Ganges, der in einem ſeitlichen Zweige, dem ſogenannten Tropfſtein-Paradies, eine der prachtvollſten Stalactiten= bildungen dieſer daran ſo überaus reichen Gegenden darbietet. In einem Dome dieſes Arms erſcheint endlich noch ein zweiter 43—50 Fuß tiefer See von 30 Klafter Durchmeſſer. Außerdem hat der Arm die beſondere Merkwür⸗ digkeit, daß in ſeinem Bache der Proteus in Menge lebt. Es iſt dies das erſte und einzige bekannte Vorkommen der Art, indem alle anderen Individuen des Proteus bisher nur in Lachen oder anderen, durch zurückgebliebene Hoch— waſſer gebildeten Anſammlungen ſtehender Gewäſſer, alſo in ſogenannter ſecun— därer Weiſe gefunden worden ſind. Der Cooperator Urbas beobachtete zuerſt dies intereſſante Vorkommen, das Herr Schmidl beſtätigte, indem dieſer da, wo der Bach die ſogenannte Proteusgrotte durchfließt, unter einem kleinen Waſſerfall von 3 Fuß Höhe eine ſehr große Menge von Proteus-Exemplaren antraf (S. 139). Herr Schmidl gab im J. 1850 in den Sitzungsberichten der K. K. Akademie der Wiſſenſchaften zu Wien, phyſik. Kl. 1849, V, 231 davon Nachricht. Der zweite oder linke (öftliche), 1450 Klafter lange Arm iſt viel großartiger, als der erſte; er läßt ſich in der Richtung gegen Adelsberg verfolgen, und ſeine Breite beträgt nach Hrn. Schmidl's Erfahrungen nicht unter 24 und nicht über 100 Fuß (S. 147). In ihm läßt ſich die Poik da, wo nicht natürliche Hinderniſſe, z. B. Waſſerfälle, die Paſſage hemmen, bei einer durchſchnittlich 18, ſtellenweiſe aber bis 30 Fuß und noch viel höher ſteigenden Waſſertiefe jederzeit mit einem Kahne befahren. Keine Beſchreibung ſoll den erhabenen Eindruck einer ſolchen unterirdiſchen Fahrt wiederzugeben vermögen. Freilich ſind die Wände des Canals hier meiſt nackter ſchwarzer Fels, doch hängen von denſelben koloſſale Stalacti- ten herab, und die Decke erſcheint mit den reichſten korallen- oder filigranarti⸗ gen weißen Tropfſteinbehängen verziert. An einer Stelle zeigt ſich eine 24 Fuß Schmidl: Zur Hoͤhlenkunde des Karſts. 327 hohe und 6 — 7 Fuß breite, bis unter den Waſſerſpiegel reichende Tropfſtein— ſäule. Rechnet man nun zu dem bekannten hieſigen unterirdiſchen Lauf der Poik von 1710 Kl. die entſprechenden Läufe in der Adelsberger und Poikhöhle mit reſp. 500 und 370 Kl. hinzu, ſo beträgt der geſammte verdeckte Lauf dieſes Fluſſes 2580 Klafter oder ? öſterreichiſche Meilen (S. 150). — Außer den Höhlen beſitzen Planina's Umgebungen noch einige andere intereſſante Eigen— thümlichkeiten, z. B. die, daß in der Mulde, worin der Ort liegt, eine Anzahl: Sauglöcher in dem Bette der Poik raſch 1 von ihrer Waſſermenge abſorbiren, wonach der Fluß ſich endlich + Stunde hinter Jacobovitz in einem neuen Saugloche vollends verliert. Schon Gruber (S. 101) und Hacquet (I, 126) kannten dies Verſchwinden in Sauglöchern ). Nach Anſicht der Bewohner dieſer Gegenden ſoll die Poik oder Unz als Laibachfluß bei Ober-Laibach wieder zu Tage treten (S. 157; Hacquet I, 156). An großen und tiefen Dolinen iſt hier eben ſo wenig Mangel; einige davon ſehr ſind bedeutend tief; ſo hat die von Koſchieluka, unter welcher der vorhin erwähnte See ſich ge— rade befindet, mindeſtens 25 Klafter Tiefe. Die Graſchniza oder Vrazna Jama d. i. das Teufelsloch nördlich von Planina fand ſich bei einer Meſſung mit dem Senkblei fogar 231 Fuß tief, ohne daß der Grund erreicht ſchien; aber als das großartigſte Phänomen dieſer Art gilt die etwa eine Stunde von der Vrazna Jama entfernte Uranja Jama 2) oder das Rabenloch, da deren Tiefe von der Sohle nach Meſſungen an 50 Klafter beträgt. Stollenartige Durchbohrungen ganzer Berge fehlen in dem durchlöcher— ten Terrain zwiſchen Adelsberg und Planina ebenfalls nicht, indem es Herrn Rudolf gelang, mittelſt einer ſolchen, die einen Canal von 150 Klaftern Länge bildete, aus der kleinen Grotte bei Jacobovitz in die Rabenhöhle oder Uranja Jama zu gelangen (S. 161). Ein ähnliches Phänomen dürfte die Jurjova Ograda eine ſchachtartige Kluft bei Planina bilden, in welche ein Hund hin— abſtürzte, der unter dem Wachthauſe an der nach Maunitz ablenkenden Straße aus einem die Perſekana ffala d. h. durchbohrter Fels genannten Loche wieder hervorgekommen ſein ſoll (S. 158). Als Eigenthümlichkeit der meiſten großen unterirdiſchen Weitungen in dem Karſt erwähnt der Verfaſſer zuletzt noch die darin vorkommenden Trümmerhügel, wovon der Calvarienberg in der Adelsberger Höhle und der Golgatahügel in der Planinahöhle beſon— ders bemerkenswerthe Beiſpiele liefern, und er glaubt, daß ſie Erdbeben, an denen Krain überhaupt viel reicher, als jede andere Provinz des öſterreichi— ſchen Staats iſt, ihren Urſprung verdanken. Al die geographiſche Wichtigkeit der größeren unterirdiſchen Ausweitungen > . 1 ) Im Schneeberger Thale Inner-Krains verſchwindet in ähnlicher Weiſe der Oberchbach in einem Saugloche bei Danne, nachdem er vorher ſchon in vielen Saug— 7 lochern einen großen Theil ſeines Waſſers verloren hatte (Schmidl S. 292). s) Uranja ſtammt von dem kraineriſch-ſlaviſchen Worte Urana oder Urän (pol⸗ niſch Wrona), das Rabe oder eigentlich Krähe bedeutet. 328 Neuere Literatur: in Krain zu zeigen, ſo weit deren Länge erforſcht iſt, liefert der Verfaſſer (S. 203) folgende Tabelle, welche ergiebt, daß die Länge der Höhlungen mehr, als 10,000 Klaftern oder 22 Meilen beträgt, denn es haben: 1) die Adelsberger Höhle mit allen ihren Verzweigungen. 3080 Kl. Länge, 2) die Magdalenenhöhle . 260K 3) die Piuka Jmma 500 = = 4) bie Lueger Höhle „570 = 5) die Höhlen von Planina . . .. 2980 6) die Höhlen von Haasberg und Jaeo— Boni bal: K eee RR 7) Die Maunitzer Rakhöhlen . 1035 = 8) die Laaſer Kreuzberghöhle . 600 = 995 die Trebicz⸗ Grotte / uns . 190 SHE 10) die bis jetzt gemeſſenen Recea-Höhlen von St. Kanzian 480 11) die Grotte von Corgnale . 145 = - Nimmt man die Breite eines Ganges nur zu 20 Fuß an, was, wie Herr Schmidl meint, ſicher unter der Wirklichkeit bleibt, ſo betrüge das Areal der bekannten Höhlenräume ſchon mehr, als 2 A Meilen. In einem Landſtriche, wo der Boden fo vielen Zerrüttungen einſt unter- worfen geweſen war, fehlt es auch an natürlichen Brücken nicht. Eine der Art, a N * * welche ſchon vor langer Zeit Valvaſor, Nagel und Gruber (S. 74) bekannt J war, und die von dem letzten abgebildet wurde (S. 80), liegt unfern der St. Kanzian-Kirche bei Maunitz, oſtnordöſtlich von Adelsberg, gegen den Zirknitzer See zu und iſt ein über den Rakbach, einen Abfluß des Zirknitzer See's durch die Karlouzahöhle, geſpanntes vollkommenes Gewölbe, das ſelbſt vor den beiden großartigſten bekannten Phänomenen der Art im öſterreichi⸗ ſchen Kaiſerſtaate, dem Prebiſchthore und der berühmten Vejabrücke im Ve— roneſiſchen, Vorzüge hat. Die ganze Felſenmaſſe der Brücke zeigt 126 Fuß Höhe und 156 Fuß Breite, das Gewölbe iſt aber nur 60 Fuß hoch und 150 Fuß tief. Nachdem der Bach den Bogen durchſtrömt hat, verliert er ſich bald in einer weiten Höhle (S. 163). Eine zweite natürliche Brücke in derſelben Gegend wurde erſt im Jahre 1850 durch Herrn Schmidl bekannt und übertrifft die erſte noch an Großartigkeit, da ſie mit 12 Fuß Breite über einen 22 Klafter tiefen, gegen 40 Klafter langen und endlich 12 Klaf— ter breiten Abgrund gezogen iſt (S. 307). So erſcheint ſie als ein wahrer Brückenbogen über einem Abgrunde, worin ein ſchäumender Bach fließt, wo— gegen die erſte, die St. Kanzian-Brücke, mehr ein coloſſaler Tunnel iſt. Von geringerer Wichtigkeit, als die Kenntniß der räumlichen Ausdehnung der Höhlen, iſt die in dieſen gewonnene naturhiſtoriſche Ausbeute, indem die Höhlenflora nach Herrn Pokorny nur die niedrigſten Pflanzenformen, na- 8 Schmidl: Zur Höhlenkunde des Karſts. 329 mentlich Pilze enthält, während die Höhlenfauna noch Repräſentanten aller Thierklaſſen und ſelbſt von Wirbelthieren beſitzt ), was erweiſt, daß die Pflanzen von dem Einfluß des Lichts im Allgemeinen viel abhängiger, als die Thiere, ſind. Die Fauna der Karſthöhlen hat übrigens manche intereſſante Aehnlichkeit mit der neuerlichſt erſt genauer erforſchten Höhlenfaung der Ken— tuckyhöͤhlen, indem dort, wie hier, Thiere höherer Klaſſen mit ſtark ver— kümmerten Sehorganen, Thiere aus niederen Klaſſen, wie Käfer, z. B. der Grottenkäfer (Sphodrus Schmidtii, Anophtalmus Schmidtii [eine Anoph— talme A. Tellkampfii kommt auch in der Mammuthhöhle Kentucky's vor] und Leptodirus Hochenwarti), eine Grottenorthoptere (Phalangopsis ca- vicola Kollar.), Cruſtaceen von weißer Farbe in der Piuka Jama (S. 305) und Spinnen (Cavicularia anophtalma) dagegen ganz augenlos leben. So wie der Proteus anguinus nur rudimentäre unter der Haut liegende Augen beſitzt, ſo hat auch die Kentuckyhöhle in dem Amblyopsis spelaeus Dekay einen halb blinden Fiſch. Die Inſekten der Karſthöhlen, wovon die Taf. XV des Schmidl'ſchen Atlas Abbildungen giebt, wurden ſchon vor Herrn Po— kornh, wie dieſer ſelbſt bemerkt, durch den däniſchen Naturforſcher Schiödte in feiner Arbeit über die unterirdiſche Fauna in den Kongl. Danske Videnskaber- nes Selbskabs Skrifter 1851, S. 1—39 zum Theil unterfucht und beſchrieben. Um die vorſtehenden Mittheilungen über die wunderbaren Phänomene des Karſts zu vervollſtändigen, wollen wir hier noch Einiges aus der früher (S. 317) erwähnten Arbeit Herrn Schmidls über den unterirdiſchen Lauf der Recca hinzufügen. Die Recca (Reka heißt im Slaviſchen Fluß, ein Name, der ſich bekanntlich in der Rega im altſlaviſchen Hinterpommern wiederholt) nimmt ihren offe— nen Lauf in nordnordweſtlicher Richtung längs der Grenze zwiſchen Krain und Iſtrien und übertrifft mit ihrer Waſſermaſſe, da wo ſie ſich bei St. Kanzian (einem von der S. 328 erwähnten St. Kanzian-Kirche verſchiedenen Orte) im Karſt verliert, die Poik um das Doppelte. Ihr weiterer Lauf iſt nicht bekannt, doch glaubt man im Lande allgemein, daß derſelbe in weſtlicher Richtung unter Corgnale und Lippiza bis zu einer großen unfern dem Dorfe Trebicz gelegenen Grotte geht und daß er zuletzt nordnordweſtlich von Trieſt unter dem Namen Timavo bei St. Giovanni di Duino in das Meer tritt. Da der ) Aus Gruber's Darſtellung geht bereits hervor, daß die unterirdiſchen Ge- wiäſſer Krains zum Theil ſehr fiſchreich fein müſſen, indem mehrere Höhlen, wie die OP[tteſchke Oberch und die Uranja Jama am Zirknitzer See in ihren Waſſern fo große und häufige Fiſche auswerfen, daß ſie den See damit bevölkern und den Grund zu der reichen Fiſcherei in demſelben geben (S. 49 und Erklärung der 5. Vignette). Pleiches iſt bei der Sucha dulza⸗Hoͤhle ebenfalls am Zirknitzer See der Fall (S. 62 und Erklärung der 9. Vignette). Die ſchwarzen blinden federloſen Eulen, die nach Balvaſor bei dem Ausbruche des Waſſers aus der Sucha dulza zum Vorſcheine kom⸗ men ſollen, find aber längit als Fabel erklart worden (Gruber 63). 330 Neuere Literatur: Timavo jedoch eine dreifach größere Waſſermaſſe, als die Recca hat, fo muß er der Abzugscanal für das ganze Plateau von dem Rande des Karſts bis zum Rande des Wippachthals fein ). Der Timavo war bereits im Alter— thum durch fein plötzliches Hervorbrechen bekannt und Virgil (Aeneis I. v. 244 — 246) und Strabo (Ed. Cas. II, 215) ſchenkten dieſem Phä- nomen ihre Aufmerkſamkeit 2). In neuerer Zeit waren es aber nicht die hydrographiſchen Verhältniſſe, welche die Fortſetzung der Recca erforſchen lie— ßen, ſondern man wollte von dem Fluſſe einen praktiſchen Nutzen ziehen und ſich ſeines ſehr guten Waſſers bedienen, um dem Mangel an Trinkwaſſer in Trieſt abzuhelfen. Bei dem außerordentlichen Steigen der Bevölkerung dieſer Stadt wurde nämlich das Bedürfniß daran von Jahr zu Jahr fühlbarer, ja es war vorauszuſehen, daß dieſe Angelegenheit zu einer Lebensfrage für Trieſt werden würde. Als alle anderen Pläne dem Mangel abzuhelfen ſich als unzureichend erwieſen, faßte ein Beamter der K. K. Producten-Verſchleiß-Factorei, Namens Lindner, die Recca in das Auge, um durch einen Ableitungscanal von dem Punkte, wo ſich dieſelbe Trieſt am meiſten nähert, deren Waſſer in die Stadt zu leiten. Lindner opferte der Unterſuchung und Ausführung feines Projects Vermögen und Geſundheit, indem er bald darauf in Folge der Anſtrengung bei den perſönlich von ihm ausgeführten Unterſuchungen ſtarb, aber er gelangte doch nicht zu einem genügenden Reſultate. Indeſſen wurde durch ihn im Jahre 1841 eine intereſſante Erſcheinung entdeckt, nämlich ein unterirdiſcher 12 Fuß tiefer Fluß gefunden, der unfern dem 1080 Fuß über dem Meereö- ſpiegel gelegenen Dorfe Trebiez und in 1022 Fuß Tiefe unter dem Terrain 2) Daß der Timavus nur der überirdiſche untere Lauf eines langen aus den Ge—⸗ birgsgegenden des inneren Landes kommenden Stroms iſt, der ſich in ſeiner weiteren Fortſetzung in einer Höhle ſtürzt und eine geraume Strecke weit unterirdiſch fließt, iſt eine Anſicht, die man ſchon im Alterthume hatte, wo ſie bei Plinius (Hist. nat. II, 106), am beſtimmteſten aber bei Poſidonius vorkommt, deſſen Angabe Strabo mit fol⸗ genden Worten wiederholt: IToosıdarıog dt prai, do Tiugovor . av ogW» pe- e mepi Erarov nal A oradtovg en vı) Haların ıyv !rßokv noiodeaı. (Ed. II. Cas. 215). Im 17. Jahr⸗ hundert ſprach ſich Cluver über die Natur des Timavus genau auf dieſelbe Weiſe und ausführlich aus (Italia antiqua I, c. 20) und endlich berichtete noch ein älterer tüchtiger und mit den Localitäten wohlvertrauter italieniſcher Schriftſteller, der P. Im⸗ perati in einem Briefe an den Aldrovandus: Es ſei von dem Grafen Raymund von Thurn durch viele Unterſuchungen ausgemacht worden, daß der Reccafluß, welcher un⸗ weit Fiume aus Felſenklüften kommt, als langer unterirdiſcher Lauf bei den Quellen des Timavus ausbricht. Auch der Umſtand, daß mehr Waſſer mit dem Timavus her⸗ vorkommt, als die Recca beſitzt, war Imperati wohl bekannt (Gruber 157), Hac⸗ quet führt dieſelbe Anſicht an (I, 69). 2) In neuerer Zeit enthielten noch Gruber's Briefe einige intereſſante Notizen über den Timavus, darauf folgte die Schrift: Indagine sulla stato dell Timavo o delle sue adjacenze al principio dell ’era christiana dell' M. Giuseppo Berini di Ronchi di Monfalconi. Udine 1810. 4. 2 Bde. und 1 K. und zuletzt ftellt der Archäolog Dr. Kand⸗ ler in feiner Zeitfchrift PIstria 1850. 14. Septbr. die claſſiſche Topographie an der Mündung des Timavo nach Herrn Schmidl's Urtheil mit ausgezeichneter Umſicht dar. A. Petermann: Mittheilungen aus Perthes' geograph. Inſtitut. 331 auf dem Grunde der Trebiezgrotte dahin floß. Man erkannte darin ſofort die Fortſetzung des Reccaſtroms, was ſpätere Beobachtungen beſtätigten. Im Jahre 1848, als das Trinkwaſſerbedürfniß zu Trieſt immer dringender wurde, nahm der Gemeinderath der Stadt Lindner's Pläne wieder auf; mehrere Pläne wurden entworfen, die aber alle an den Koſten des Unternehmens ſcheiterten, obwohl vorauszuſehen war, daß daſſelbe durch den Drang der Umſtände doch einmal zur Ausführung kommen werde. In Bezug auf das Project erhielt endlich Herr Schmidl im Jahre 1850 von dem K. K. Handelsminiſterium den Auftrag, den fünf Meilen langen unterirdiſchen Lauf der Recca zwiſchen St. Kanzian und Giovanni di Duino zu unterſuchen, doch geſtatteten die Kürze der Zeit und vielfache Hinderniſſe nicht, daß derſelbe das ſchwierige und gefährliche Unternehmen völlig zu Stande brachte. Er begann ſeine Unterſuchungen bei St. Kanzian, wo der verſchwindende Fluß den Bo— den mehrerer großen Dolinen, namentlich der eigentlich ſogenannten Dolina von St. Kanzian, eines der merkwürdigſten und großartigſten Phänomene ſeiner Art paſſirt und endlich eine 40 Fuß hohe reizende Cascade bildet, die ein 85 Fuß breites und 222 Fuß langes, ſchönes Baſſin füllt. Hier mußte der Ver— ſuch weiter zu gelangen aufgegeben werden, ſowie es auch nicht möglich war, von der Trebiczgrotte aus die Recca aufwärts zu befahren, indem der Weg ſich verſperrt zeigte. Eine zahlreiche Reihe von Schächten in einer Mulde, die ſich vor Seſſana parallel der Küſte im Nordweſten fortzieht, zeigt indeſſen auf die unterirdiſche Fortſetzung des Stroms in dieſer Richtung hin. Es be— darf demnach noch weiterer Verſuche, um über die ganze Länge des unter— irdiſchen Laufs der Recca in das Klare zu kommen. Die Gelegenheit dazu wird ſich unzweifelhaft bei der Fortſetzung von Herrn Schmidl's weiteren Forſchungen finden. Gumprecht. Mittheilungen aus Juſtus Perthes' geographiſchem Inſtitut über wichtige neue Forſchungen auf dem Geſammtgebiete der Geographie von A. Pe— termann. Gotha 1855. 1. Heft. 4. 28 S. und 3 cartographiſche Blätter. Das Erſcheinen einer neuen deutſchen, der Erdkunde ausſchließlich gewid- meten Zeitſchrift unter des Herrn Profeſſor Dr. Petermanns Leitung, deſſen Theilnahme an der unſrigen wir uns bisher zu erfreuen hatten, legt uns die Pflicht auf, unſeren Leſern über den Zweck des neuen Unternehmens und den Ignhalt des erſten bis jetzt erſchienenen Hefts Kenntniß zu geben. Nach dem von dem Herausgeber unterzeichneten Vorworte bezweckt die Zeitſchrift, ſich ihrem Weſen nach an das in den Jahren 1850 — 51 in 4 Heften erſchienene geographiſche Jahrbuch von Berghaus anzuſchließen und das geographiſche Publikum durch möglichſt zahlreiche zuſammengedrängte Notizen und kurzge— 332 Neuere Literatur: faßte Miscellen mit den neu gewonnenen erdkundlichen Thatſachen in dem Maße bekannt zu machen, daß dadurch die Vollſtändigkeit einer geographiſchen Zeitung erreicht werden ſoll; demnächſt werde ſich die Zeitſchrift beſtreben, auf ſorgfältig und ſauber ausgeführten Karten das Endreſultat neuer geographiſcher Forſchungen zuſammenzufaſſen und graphiſch darzuſtellen. Bei dieſem klar ausgeſprochenen Ziel des neuen Unternehmens dürften beide Zeitſchriften ſehr wohl einen friedlichen Weg neben einander zur Förderung der Wiſſenſchaft wandeln können, ohne eine Colliſtion und eine gegenſeitige Benachtheiligung befürchten zu müſſen. Denn wenn auch unſere ältere Zeitſchrift es nie verab- ſäumt hat, die neueſten wichtigeren Ereigniſſe in der Erdkunde fortwährend im Auge zu behalten und ihre Leſer damit bekannt zu machen, ſo geſtattet es ihr doch ſchon der größere Raum, manchen intereſſanteren Gegenſtänden mehr Ausführlichkeit zu ſchenken und beſonders in ausgedehnteren Darſtellungen die neu gewonnenen Reſultate mit dem länger bekannten Material in Verbin— dung zu bringen, Bekanntes durch das Neue zu beſtätigen, zu ergänzen und zu berichtigen, endlich auf noch zu Erforſchendes hinzuweiſen, kurz, die wiſſen— ſchaftliche Erdkunde durch umfaſſendere Behandlung ihrer einzelnen Theile nach Möglichkeit zu fördern. Das erſte Heft von Herrn Petermann's Zeitſchrift, abgeſchloſſen am 15. Februar d. J., enthält nun 3 größere Aufſätze (S. 3 — 27), eine Reihe kurzer Notizen (S. 27 — 28) und endlich einen noch kürzeren Abſchnitt (S. 28) über vier neuere geographiſche Schriften. Der erſte Aufſatz (S. 3 — 14) bringt eine weſentlich auf vollſtändig mitgetheilte Briefe an Herrn Bunſen und den Herausgeber ſelbſt geſtützte Darſtellung von Barth's Reiſe von Kuka nach Timbuktu. Mehrere Briefe ſind für die Geſchichte des Unter— nehmens des, wie wir fürchteten, nicht mehr unter die Lebenden zu zählenden, glücklicher Weiſe uns aber erhaltenen Forſchers und in Bezug auf die Begebniſſe während ſeines Zuges nach Timbuktu nicht ohne Intereſſe; weniger reich iſt der wiſſenſchaftliche Inhalt derſelben und zum Theil ſchon ſeit längerer Zeit in Deutſchland durch Herrn Petermann's Darſtellung im Londoner Athenäum vom 3. Juni 1854 und die danach von Herrn C. Ritter für unſere Zeitſchrift (III, 59 — 61) bearbeitete, ſowie durch Barth's gleichfalls von uns mitge— theilten Brief aus Wurno vom 4. April 1853 (III, 223—225) bekannt ge= weſen. Höchſt erfreulich iſt aber die in einem Schreiben des Reiſenden aus Kuka vom 20. November 1852 enthaltene Mittheilung, daß er, wie er es ſchon früher wiederholt gethan, eine neue Folge ſeiner Tagebücher nach Tripolis geſandt habe, um ſie hier im Conſulat ſicher deponiren zu laſſen (S. 7); drei folgende Hefte beabſichtigte er, da fie Lücken enthielten, während ſeines Zugs nach Timbuktu von Zinder aus ebenfalls dahin zu befördern. Leider erfahren wir aus Herrn Petermann's Darſtellung das Weſent— lichſte nicht, inwiefern nämlich der Erfolg des Reiſenden vorſorglichen Abſichten entſprochen hat und ob wirklich alle Tagebücher deſſelben bis Zinder zu Tripolis geborgen liegen, worüber man, wie wir glauben, in A. Petermann: Mittheilungen aus Perthes' geograph. Inſtitut. 333 England Kenntniß haben muß. Nach Barth's Beſtimmung (S. 7) ſollten dieſelben im Falle ſeines Todes an Herrn Bunſen geſandt werden. Da der Reiſende jedoch in den letzten Jahren in Dienſten der britiſchen Regierung ſtand und auf ihre Koften feine Unterſuchungen machte, fo müſſen wir an— nehmen, daß ſich außer dieſen Tagebüchern noch offizielle Berichte deſſel— ben über ſeine Arbeiten in den Händen der britiſchen Regierung befinden, welche, wie wir überzeugt find, nicht zögern wird, fie zu publiziren, in— dem die bis jetzt veröffentlichten Privatſchreiben Barth's große Lücken haben und über viele wichtige Gegenſtände unbefriedigt laſſen. Was in Barth's Briefen Intereſſantes enthalten iſt, werden wir demnächſt zur Vervollſtändi— gung unſerer früheren Berichte auszugsweiſe mittheilen. Der zweite län— gere Aufſatz der Zeitſchrift: Die Bevölkerung Rußlands von P. v. Köppen (S. 14— 22), iſt ein wenig veränderter Abdruck einer von dem Letztge— nannten im St. Petersburger Kalender veröffentlichten Arbeit; der dritte (S. 23 — 27): Die Geologie von Vorder-Indien, beruht auf einem Aus— zuge aus dem Memoir des Herrn G. B. Greenough, welches derſelbe im vorigen Jahre bei der Verſammlung der British Association zu Liverpool behufs Erläuterung der von ihm vorgelegten und von ihm auch verfaßten treff— lichen großen geologiſchen Karte von Vorder-Indien, die ſeitdem unter dem Titel: General Sketch of the Physical and Geological features of Bri- tish India erſchien, vortrug. Von den 5 Notizen des zweiten Abſchnitts be— treffen zwei die Telegraphennetze in Europa und Aſien im Beginn des Jahres 1855, die Zte die japaniſchen Häfen Simoda und Hakodadi, worüber unſere Zeitſchrift (III, 500 — 501 und IV, 225 — 247) bereits ausführlichere Mit— theilungen brachte, die Ate die neue Niger- und Tſchadda-Erpedition, die öte endlich eine angebliche Auffindung der Leiche Franklin's. Unter den 4 lite— rar⸗hiſtoriſchen Notizen berühren die zwei größeren das ſeit längerer Zeit erſchienene Werk von C. Brandes über die Aufſuchungen von Franklin und Ziegler's Reiſe nach dem Orient. Leipzig 1855. Von den drei dem Hefte beigegebenen Kartenblättern enthält das erſte eine Skizze des von Barth ſelbſt zwiſchen dem 1.— 5. September 1853 zwiſchen Saraijamo und Kabra befah— renen Theils des Niger oder Joliba (Zeitſchrift II, 331), dann eine Skizze in kleinerem Maßſtabe des Weges des Reiſenden zwiſchen Sokoto und Tim— buktu und endlich einen kleinen Plan der letzten Stadt; das zweite eine Skizze der Umgebungen von Sokoto und Wurno nebſt einem Kärtchen der auf der linken Nigerſeite gelegenen Landſchaften Kebbi und Zanfara, alles 1 nach Barth's Entwürfen. Beſonders die letzte Skizze iſt eine ſehr werthvolle % Ergänzung der früheren Karten zu den Werken über die beiden britiſchen Er— peditionen von Denham und Clapperton nach Central-Afrika. Das dritte kartographiſche Blatt des Heftes giebt endlich eine aus Greenough's Karte ge— zꝛxͤogene aber, wie es ſcheint, zu kleine geognoſtiſche Ueberſicht von Vorder-Indien. n Gumprecht. 4 Priefliche Mittheilungen. Aus einem Schreiben von Herrn J. G. Kohl an Herrn C. Ritter. London, den 20. Auguſt 1854. . . . In der Bodleyan'ſchen Bibliothek zu Oxford fand ich mehrere Por⸗ tulano's und alte Manuſkript-Atlaſſe, von denen mich zwei oder drei be= ſonders intereſſirten. Der eine aus dem Anfange des 15ten Jahrhunderts ſeiner äußeren Ausſtattung wegen. Er ſteckte in einer äußerſt hübſch verzier— ten und fein geſchnitzten Büchſe von Sandelholz. Auf den beiden erſten in den beiden letzten Blättern waren in feinen Gemälden die vier Apoſtel darge— ſtellt; eine treffliche Abſpiegelung einer frommen und religiöſen Weltanſchau— ung! — Die anderen ihres mannigfaltigen geographiſchen Inhalts wegen. Auf der einen war mit einem langen ſilbernen Striche (ſchon 40 Jahre vor Fro— biſher) die Nordweſtpaſſage, nördlich um Amerika herum, bezeichnet. Der ſilberne Faden beginnt in einem Hafen Frankreich's und endet an der Küſte China's. — Auch fand ich eine ſehr intereſſante Mappemonde in einem Ma⸗ nuſcripte des Buchs: Seereta fidelium Crucis (1321), eine Karte, die weder Jomard, noch Santarem ihren Sammlungen einverleibt haben. Eine der Merk— würdigkeiten dieſer Karte war ein doppeltes caspiſches Meer: ein „mare yr- canum“ und dann dahinter noch ein „mare caspium“ (der Aralſee). Im Oſten Aſien's und Afrika's lagen mehrere Inſeln, auf denen geſchrieben ſtand: „silva piperis, silva einnam.“ Von Oxford ging ich nach dem berühmten Middle Hill, dem Sitze des Herrn Thom. Philips Bt., des reichſten Beſitzers von Manuffripten und ſeltenen Büchern in England, der die Güte gehabt hatte, mich einzuladen. Sein Haus iſt von Anfang bis zu Ende eine Bücherkiſte. Alles, alle Ein— gänge und Ausgänge, alle Corridore und Treppen und innerſten Schlupfwin— kel ſind der Art mit Büchern verbarrikadirt, daß man Noth hat, durchzuſchlü— pfen. Die Betten der Gäſte ſind auch mit lauter hoch aufgeſtapelten Bücher— kaſten umgeben. Um Alles recht zu ſchildern, müßte ich einen langen Brief ſchreiben. Man kann der ſchlechten und unergründlichen Wege wegen zu dieſem in Büſchen verſteckten und einſamen Hauſe nie mit einem einſpännigen ſogenannten Dogcart gelangen. — Hier ſchwamm ich mit meinem ſtets zum Aufſuchen von allerlei Dingen bereitwilligen Wirthe ſechs Tage lang von Mor— gens früh bis Abends ſpät in lauter ſeltenen Manuffripten! Die Hauptſache, die ich dort copirt, war ein alter franzöſiſcher Atlas aus der Mitte des 15ten Jahrhunderts, der indeß mehr Gemälde, als Landkarte, war. In Südamerika Aus einem Schreiben von Herrn J G. Kohl an Herrn C. Ritter. 335 waren lauter Scenen gemalt, wie fie Amerigo Vespucci ſchildert. Ein ele- ganter Kaufmann (vielleicht Vespucci's Portrait) im ſpaniſchen Coſtüm ſtand mitten drin; den Wilden Spiegel und andere Dinge entgegenhaltend. Seine Diener ſchleppten Körbe mit Beilen und Perlenſchnüren herbei. Aus den Wäldern kamen die Wilden hervor, rothes Braſilienholz herbeiſchleppend. — Aehnliche, aber doch in Einzelheiten verſchiedene Gemälde der Neuen Welt aus der ſranzöͤſiſchen Malerſchule habe ich jetzt fünf copirt (nämlich alle aus derſel— ben Periode 1540 —1 548), von denen ſich zwei hier auf dem britiſchen Muſeum befinden. — Bei demſelben füllt die Entdeckungsgeſchichte Amerika's intereſſante Bücher und Traktätchen; von denen, die ich bei Sir Thomas ſah und las, konnte ich ein ganzes Verzeichniß machen. — Auch fand ich eine kleine Manuffript- Weltkarte bei ihm (in dem Manuffripte des Macrobius, somnium Seipionis), auf der Großbritannien der Name horcades insulae gegeben iſt und zwar ſo groß, daß dieſe orkadiſchen Inſeln die ganze eine Hälfte des nordweſt— lichen Welt⸗Quartals einnahm. Entweder mußte der Kartenzeichner auf den orkadiſchen Inſeln geboren, und dieſe ihm ſo bedeutend erſchienen ſein, oder er mußte in weiter Entfernung von ihnen fein Vaterland, und der Ruf ihm daher die Inſeln vergrößert haben. — Reich beladen kehrte ich von Sir Thomas heim, um mich hier wieder in die Labyrinthe des britiſchen Mu— ſeum's zu begeben, auf denen man nicht ſo leicht fertig wird. Ich habe hier heute ſchon wieder zwei ganz ausgezeichnete Weltgemälde copirt; ſie befinden ſich in der Grenvilleſchen Sammlung, die überhaupt, was Druck anlangt, die größten Edelſteine enthält, und namentlich cosmographiſche Drucke. — Die beiden Karten, von denen ich Sie einen Augenblick unterhalten möchte, ſind beide dem Novus Orbis des Grynaeus beigefügt, die eine der Ausgabe von 1532 (Pariſtis), die andere einer Ausgabe von 1555 (Baſ.). — „Beide,“ bemerkt Grenville, „ſind äußerſt ſelten, und nie habe ich ſie anderswo geſe— hen.“ — Ich ſelbſt ſah ſie auch noch nie zuvor. — Die erſte (1532) iſt der äußerſt merkwürdigen Verſchmelzung Amerika's und Nordoſt-Aſien's wegen merkwürdig; Tibet, China, Anian, Mexico, Quivira, Cuipangu vermiſchen ſich auf die ſonderbarſte Weiſe. Zur Beleuchtung der alten Vermiſchung Nordoſt— Aſien's und Nordweſt-Amerika's beſitze ich jetzt, außer dem Ptolemäus von 1508, mehr, als ein Dutzend intereſſante Karten, die ich in Deutſchland nie geſehen habe, und welche die allmälige Aufhellung jenes Problemes der Trennung America's und Aſien's ſchrittweiſe zeigen. — Auf einer jener Karten zeigt ſich Merico als Nachbarſtadt von Peking, auf einer anderen liegt Catigara (jener alte ptolemäi'ſche Hafen in Hinter-Indien) auf der Küſte von Chile. Dieſe # „Bizarrerien“ oder „groben Irrthümer“ erwuchſen ganz natürlich auf dem "Felde der damaligen geographiſchen Vorſtellung. Wenn man die Karten ſtu— dirt, hat man Gelegenheit genug zu erkennen, daß auch in der Narrheit, wie Sphakeſpeare ſagt, Methode iſt. Die zweite Karte (aus dem Grynäus von 1555) iſt hauptſächlich ihrer be— . 80 1 336 Briefliche Mittheilungen: deutungsvollen Einrahmung wegen intereſſant. Sie iſt von lauter oſt- und weſtindiſchen Scenen, Landſchaften und Naturprodukten umgeben, von Ele— phanten, Affen, Papageyen, Drachen und wilden Barbaren. Mitten zwiſchen dieſen Ungethümen hindurch ſetzt der alte tapfere Wartomanus ſeinen Wan— derſtab. Die Bäume: „Muscata,“ „Piper,“ „Gariofili,“ find alle äußerſt zierlich gezeichnet. In einem Winkel derſelben ſitzt eine Anthropophagen-Fami⸗ lie, ihre ſcheußliche Mahlzeit bereitend. Der Familienvater bringt neue Nah— rung herbei, einen Menſchen, der, wie ein Mehlſack, an den Sattel feines Pfer— des gebunden iſt. Und am Süd- und Nordpol ſind Schrauben angebracht mit Handgriffen, an denen mächtige Engel mit ſtarken Fittigen und in Wol- ken gehüllt, die ganze Weltkugel mit allen ihren Schönheiten und Gräueln umſchwingen! — Wie ſchön und richtig treten mitten in der Zeit der großen Entdeckungen dieſe geflügelten Engel und ihre Arbeit an die Stelle des un— beweglichen und unter ſeiner Laſt ſeufzenden Atlas. — Ich habe auch dieſen Rahmen bis auf das letzte Titelchen copirt. Wie gern ſchickte ich denſelben Ihnen, wenn er nur nicht ſo groß wäre, und, wenn ich nicht dächte, daß Sie das Kunſtwerk ſchon kennten. Ueberhaupt ſteckt in dieſer alten Landkarte nicht blos Vieles für die Wiſſenſchaft, ſondern auch für die Kunſt, ein gan— zes cosmographiſches Cinque cento. Und dieſes cosmographiſche Cinque cento iſt noch wenig ſtudirt und dargeſtellt. — Man faßte damals, ich denke, wie im Jubel über die neuentdeckten Welttheile, die Landkarten wie koſtbare Gemälde zierlich ein; man umſäumte die Küſten mit goldenen Rän⸗ dern und erſchöpfte ſich in mannigfach poetiſchen oder maleriſchen Darſtel— lungsweiſen der Gebirge, des Meeres, der Flüſſe ze. Wie um Schmuckſachen die Garnitur, ſo ſchlingen ſich um die Planigloben der Aequator und die andern Kreiſe mit allerlei Farbenpunkten, wie mit Edelſteinen, ausgelegt. Wie bei den Malern kann man auch bei den Kartenzeichnern gewiſſe Schulen und Zeit— epochen erkennen. Es giebt eine Zeit, wo das Meer punktirt, eine andere, wo es geſtrichelt oder gewellt dargeſtellt wurde. In einer Epoche wurde alles Land grün, wie eine Wieſe, gemalt, dann beſchränkt ſich die grüne Farbe blos auf die Küſten und macht endlich einer anderen Farbe Platz. Endlich hat auch jeder Künſtler ſeine Beſonderheiten; ſo z. B. kann ich Diego Homem, den trefflichen portugieſiſchen Kartenmaler (in Italien) ſchon immer an ſeinen Ungeheuern erkennen, die ihre eigene und von den Ungeheuern anderer Maler verſchiedene Phyſtognomie haben. Von den verſchiedenen Dingen, die ich noch vor meiner kleinen Reiſe nach Oxford im Brit. Muſeum fand, war auch eine ſeltene Portulano von dem Venetianer Coppo. Die erſte Ausgabe deſſelben (von 1489 oder 1490) hat keine Karte. Die zweite aber von 1528 hatte eine kleine Weltkarte, die höoͤchſt ſonderbar und namentlich für Amerika (die insulae nova) von Inter eſſe iſt. Auch das State paper Office hatte ich vor meiner Ausfahrt noch aus- Aus einem Schreiben von Herrn J. G. Kohl an Herrn C. Ritter. 337 gebeutet. Daſelbſt ſind jetzt alle Landkarten des Colonial Office und des 1 Board of trade vereinigt, die vor ein paar Jahren noch ſeparirt waren. Seit einem Jahre iſt daſelbſt auch über alle dieſe Karten ein Katalog angefertigt, der dem jetzigen Forſcher nun ſehr zu ſtatten kommt. Es ſind dort die in— tereſſanteſten Karten (Manuſkripte) über die alte engliſche Colonie in Ame— rika vorhanden. Auf mehreren von ihnen fand ich die Reiſeroute eines eng— liüſchen Colonel Welſh aus dem Jahre 1683 (alſo gleich nach der Entdek— kung des Miſſiſippi durch die Franzoſen) von Virginien über die Alleghany— Mountains zum Miſſiſippi angegeben! Doch habe ich ſonſt bis jetzt noch 7 nichts Näheres über dieſen Colonel Welſh in Erfahrung bringen können. Stevens, der große amerikaniſche Bücherkenner hier, weiß auch nichts von ihm. Auch viele von amerikaniſchen Indianern eingeſandte und angefertigte Kar— ten habe ich dort copirt. — Auf der Admirality habe ich durch die Güte des Admirals Beauford Zutritt erhalten. Ein Mal bin ich ſchon dageweſen, . und habe aus dem flüchtigen Anblick einiger Originalkarten geſehen, wie wich— a — tig es iſt, daß man nicht blos die in die Welt geſandten Copien kennt. Roß eigene große Karte der Baffins-Bay zeigt z. B., wie feſt und eigenfinnig derſelbe an die Ummauerung dieſes Gewäſſers glaubte. Es läuft ein gewaltiger dunkel- braun gefärbter Gebirgswall, wie eine eiſerne Klammer, mit dem Roß die Leute von allen weiteren Unternehmungen abſchrecken wollte, rings herum. Colonel Sabine hat mir mehreres über die Geſchichte dieſer Karte mitgetheilt. Ich hoffe auf der Admirality noch Manches zu finden und darf Ihnen viel- leicht ſpäter einmal darüber ſchreiben, auf die Gefahr hin, daß ich Vieles ſage, was Ihnen nicht neu iſt? Ich finde hier noch immer Neues zu thun, und weiß daher noch gar nicht, wann ich in's Schiff ſteigen werde. Ueberhaupt aber verlaſſe ich Eu- ropa ſehr ungern; denn die wahren Schätze ſind doch hier, und ich habe hier noch lange nicht Alles ausgebeutet. Nach Paris muß ich jedenfalls zu— rück. Und in Spanien vermuthe ich nach hieſigen Erkundigungen und Aus— künften noch viel, ſehr viel. — Auch Holland muß ich bereiſen und Italien. Ich denke mir, in der neuen Welt werden ſie die Sache doch nicht ſo wiſſenſchaftlich nehmen, wie man es in Europa thut, und die ſorgfältige Ausführung von Copien alter Karten würde dort auch nicht ſo möglich ſein. Es iſt jetzt mehr und mehr die Idee in mir gereift, daß ich einen Codex Americanus zu Stande bringen könnte, der ſowohl in wiſſenſchaftlicher, als künſtleriſcher Hinſicht Intereſſe hat und alle wichtigen cartographiſchen Doku— mente und Monumente der neuen Welt enthalten müßte; ein ſolches Werk könnte ſich ſehr ſchön an Santarem's Werk anſchließen. So viel dieſer Do— e ſind in der Welt verſtreut, und viele ſind vollkommen unbeachtet, ununterſucht, ja unbeſchaut. In einem Codex vereinigt, könnten ſie ſehr nütz⸗ lc werden. r * ee 5 Zeilſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 22 338 Briefliche Mittheilungen: Schreiben des Herrn A. Schlagintweit an Herrn A. v. Hum— boldt. Bombay, den 10. November 1854. wuchs Nach einer ſehr glücklichen Seereiſe kamen wir am 26. Oeto— ber hier in Bombay an, alle drei von der Seekrankheit faſt völlig unberührt, ſo daß wir uns ungeſtört unſeren Beobachtungen widmen konnten. Während der Reiſe von England nach Bombay zogen die verſchiedenen Bilder und Eindrücke ſo raſch an uns vorüber, daß uns jetzt das Ganze faſt wie ein großes herrliches Panorama erſcheint, welches ſich vor dem Reiſenden aufrollt. Dieſes Gefühl wird noch ganz beſonders dadurch erhöht, daß man die Küſten und Inſeln immer nur in einiger Entfernung unerreichbar vor ſich liegen ſieht und, wie auf einem Gemälde, ihre geologiſche Structur, die Natur der Felsarten nur aus den äußeren Formen annäherungsweiſe enträthſeln und nicht in der Nähe unterſuchen kann. Wir verließen Southampton am 20. September auf dem Dampfſchiffe Indus und nach einer ſehr ſchönen Anſicht der ſpaniſchen Küſte bei Cap Finisterra und Cintra kamen wir Abends am ... September in Gibraltar an. Bei dem ſchönſten Wetter durchfuhren wir das mittelländiſche Meer, ſahen die Inſeln Galita und Pantellaria und landeten in Malta den 30. Sep— tember Abends. Es blieb uns hier Sonntags Morgens gerade Zeit genug, um mit Hilfe einiger Freunde eine ziemlich charakteriſtiſche Sammlung der ſchönen Verſteinerungen aus dem tertiären Kalkſtein (miocen oder theilweiſe pliocen) der Inſel Malta zuſammenzubringen. Den 5. October Morgens kamen wir in Alexandria an. Es warteten unſerer am Ufer eine große Zahl ſchwarzer Laſtträger aus allen Theilen Ae— gyptens, Kameele u. ſ. w., die mit anerkennenswerther Energie die ungeheure Maſſe von Gepäck, von Brief- und Geldkiſten ſogleich weiter beförderten. Wir bedauerten unendlich, daß es uns nicht möglich war, in Aegypten an 14 Tage zu verweilen; aber da eben jetzt die gute Zeit für Reiſen in Indien beginnt, ſo konnten wir unſere Ankunft daſelbſt unmöglich verzögern. Wir verließen daher mit einem Zuge der neu eröffneten Eiſenbahn ſchon nach wenigen Stunden Alexandrien. Der Anblick der ägyptiſchen Delta-Ebene von der Eiſenbahn aus war ſehr charakteriſtiſch und intereſſant. Einer der ſchönſten Momente war bei dem großen Orte Damanhour, wo wir des Abends bei einer raſchen Wen— dung der Bahn eine herrliche ägyptiſche Abendlandſchaft mit niederen Hügel— zügen in der Ferne und den braunen elenden Häuſern und Kuppeln von Da- manhour im Vordergrunde vor uns hatten. In Chafralik begaben wir uns des Nachts auf den kleinen Nildampfer, und des andern Morgens 10 Uhr langten wir in Cairo an. Schreiben des Herrn A. Schlagintweit an Herrn A. v. Humboldt. 339 Wir hatten ſehr große Mühe, bei der raſchen Expedition durch Aegypten ö unſere ſchöͤnen Inſtrumente vor Unfällen zu ſchützen. Allein dadurch, daß wir einen eigenen Dragoman zur Begleitung und Ueberwachung des Gepäckes von Alexandria bis Suez nahmen, und durch die große Rückſicht, welche die Tranſit⸗Adminiſtration auf unſere Inſtrumente nahm, wurde es uns möglich, Alles ganz unverſehrt nach Suez zu ſchaffen. Nachts um 12 Uhr verließen wir nach 14 ſtündigem Aufenthalte Cairo in einem der zweirädrigen Karren mit ſechs Sitzen, in welchen man nach Suez expedirt wird. Wir hatten durch beſondere Güte einen eigenen Wagen für uns allein erhalten und konnten ihn nach Belieben zum Zwecke unſerer Beobachtungen einige Augenblicke anhalten laſſen. Bis zur mittleren Station iſt der Weg durch die Wüfte ziemlich gut hergeſtellt; erſt ſpäter fährt man über den bloßen Sand hinweg. Mit dem Sande ſind jedoch überall eine große Anzahl kleiner Geſchiebe und öfter ſelbſt Blöcke von 10,000 bis 20,000 Kubik ⸗Centimeter Inhalt vermiſcht, die dem Boden eine ungleich größere Feſtigkeit verleihen, als man anfangs vermuthet. 1 Es find 16 Poſtſtationen von Cairo bis Suez, auf denen jedesmal 4 Pferde vorgeſpannt werden, und 4 größere Stationen für Erfriſchungen. Nach 18 Stunden kamen wir in Suez an. Der eigenthümliche wirklich großartige Charakter der Wuͤſte mit den ganz kahlen Bergzügen im Süden hatte für uns etwas ſehr Anziehendes. Wir waren hier, ebenſo wie im Nildelta, öfter auf das Freudigſte überraſcht, Land— ſchaftsbilder zu finden, die uns auf das Lebhafteſte an die wirklich ganz cha— rakteriſtiſchen Anſichten in Lepſius Atlas erinnerten. Lepſius ſteht in Aegypten in ſehr friſchem guten Andenken; ich bitte, viele Grüße von uns zu melden. Wir ſahen in der Wüfte eine ſehr ſchöne Mirage, die wir auf einer uns ſerer Zeichnungen wiederzugeben ſuchten. Der größte Theil des Wuſtenſandes ſcheint wohl aus den leicht zerſtör— baren tertiären Bildungen zu ſtammen, welche am Saume der Wüſte in gro— ſen Maſſen entſtehen. Die Wüſte iſt eine entſchiedene Meeres bildung. Wir waren jo glücklich, etwas im Süden der Station 12, der letzten Er⸗ friſchungsſtation, eine Reihe ganz deutlicher Meeresſtrandlinien, circa 200 Fuß über dem Meere (ich kann die Höhe aus unſeren Beobachtungen im Augenblicke unmöglich genau berechnen) aufzufinden, mit zahlreichen Meer- muſcheln: Oſtrea, Cardium, Cidaris, Cypraea, die ſpecifiſch ſich von den ent— 1 ſprechenden Arten, die ich in Suez aus dem rothen Meere erhielt, nicht zu unterſcheiden ſcheinen. Wir verließen Suez am 8. October Nachmittags 3 Uhr mit dem Dampfer der Peninsular and Oriental Company: Oriental. Am rothen Meere war es in der That ſehr warm; das Maximum im Schatten betrug 35,7“ Celſ.; wir fühlten jedoch die Hitze nicht ſehr unangenehm. Das Meer war unge⸗ * Br Von Zeit zu Zeit erblickten wir einige Inſeln und Küſten⸗ 2er > 7 340 Briefliche Mittheilungen: ſtreifen aus weißen kahlen Felſenbergen gebildet, bis wir am 14. October Abends 9 Uhr in Aden ankamen. Wir mußten hier aus dem Oriental, der nach Ceylon ging, auf die Kriegsfregatte der oſtindiſchen Compagnie Auckland überſchiffen, auf welcher für 10 Paſſagiere in der That ungemein wenig Platz vorhanden war. Des folgenden Tages um 9 Uhr verließen wir Aden und nach einer intereſſanten aber etwas langſamen Fahrt kamen wir am 26. October Abends 11 Uhr hier in Bombay an. Wir wurden hier von allen Seiten auf das Freundſchaftlichſte auge nommen und hatten bereits Gelegenheit, von der Inſel und ihren Umgebun— gen ſehr viel zu ſehen. Wir werden uns erlauben, mit der nächſten Poſt (in 14 Tagen) Ihnen einige Reſultate unſerer Beobachtungen mitzutheilen. Wir wohnen hier in dem hübſchen Landhauſe des hamburgiſchen Con— fuls Herrn Venty (2), der wahrſcheinlich die Ehre haben wird, bei einer kur— zen Reiſe nach Deutſchland im Mai des nächſten Jahres Sie in Berlin zu beſuchen und Ihnen mündlich einige Nachrichten von uns mitzutheilen. Wir denken in ungefähr 14 Tagen von hier weg zu gehen, und auf zwei verſchiedenen Wegen über Mahabuleſhwar, einem der höchſten Punkte auf dieſer Seite Indiens, und Poonah die Kette der Ghats zu überſteigen, ein Weg, der für uns in geologiſcher Beziehung das höchſte Intereſſe bietet !). Gegenwärtig iſt es hier in der That nicht (2) ſehr unangenehm heiß, und wir ſehen jetzt der kühlen Saiſon entgegen, die uns für unſere Beobach— tungen während der Reiſe ſehr nützlich ſein wird. Wir haben während der Reiſe von England bis hierher verſucht „eine Reihe der intereſſanteſten Punkte zu zeichnen und ein kleines Album geht in dieſen Tagen an Col. Sykes und dann nach Berlin, um Sr. Majeſtät dem Könige vorgelegt und dann Herrn v. Olfers zur Aufbewahrung für ſpätere Benutzung übergeben zu werden. Für Ihren Brief an Lord Elphinſtone, der ſich ſehr darüber freute und nächſtens antworten wird, ſind wir Ihnen beſonders verbunden. Es weiß hier Jedermann eben ſo gut, wie in England, daß Ew. Ereellenz allein die Veranlaſſung unſerer Reiſe nach Indien geweſen ſind 2). ) Das inhaltsreiche und ſchöne, phyſikaliſch-geologiſche Werk, welches die Ge— brüder Schlagintweit, kurz vor ihrer Abreiſe nach Oſtindien, über die Erſteigung des Monte Roſa und die weſtlichen Schweizer Alpen herausgegeben (als Fortſetzung des wichtigen Werkes über die öſtlichen Alpen), giebt gerechte Hoffnung zu Erweiterung der Anſichten über das Himalaya-Gebirge, die wir der mühevollen Reiſe durch Eit- kim und Thibet (1848—1851) meines gelehrten und vortrefflichen Freundes Dr. Jo⸗ ſeph Hooker in Kew verdanken. Jede Reiſe traͤgt das Gepräge und den Charakter der Zeitepoche und des Zuſtandes der Wiſſenſchaft, in denen bs unternommen wird. A. v. Humboldt. 2) Die auf eine Dauer von 3 — 4 Jahren vorläufig feſtgeſetzte Reiſe der Ge— brüder Schlagintweit geſchieht auf Koften der oſtindiſchen Compagnie und Sr. Maje— ftät des Königs Friedrich Wilhelm IV. G. Dr. W. Bleek und die Niger-Erpedition. 341 „W. Bleek und die Niger-Expedition. Nach einem Schreiben Dr. Bleek's: Bonn, den 28. Januar 1855. Dr. Bleek wird den 21. Februar 1855 von Liverpool aus mit dem Biſchof von Natal, J. W. Colenſo, der durch ſeine mathematiſchen, in England ſehr verbreiteten Elementar-Lehrbücher literariſch bekannt iſt, zu ſei— ner Beſtimmung an die Oſtküſte Afrika's nach Natal abreiſen, um in dieſer Colonie der Engländer die Sprache der Zulu-Kaffern zu ſtudiren und eine Grammatik dieſer Sprache für den Gebrauch des Biſchofs anzufertigen, wozu für's Erſte ein Jahr Zeit beſtimmt iſt. Zu gleicher Zeit und nach Erfüllung dieſes Engagements hofft und wünſcht Dr. Bleek für weitere ethnographiſche und geographiſche Forſchungen in jenem Landesgebiete wirkſam werden zu können, Aus einem früheren Schreiben Dr. Bleek's vom 18. December 1854 * geht hervor, daß derſelbe mit der Niger-Erpedition des Dampfſchiffes Plejade, unter Capitain Becrofts Commando, beſtimmt war, ſich nach dem Innern des centralen Afrika's einzuſchiffen, um dort, wo möglich, den deutſchen Rei— ſenden Barth und Vogel zu begegnen und fie nach Europa zurück zu geleiten, aber er wurde bald durch Krankheit genöthigt, von der Theilnahme an der Expedition, wofür er von engliſcher Seite engagirt war, abzuſtehen, ehe ſie noch das Feſtland Afrika's erreicht hatte, und nach Europa zurückzukehren “). Bleek war ſchon der Plejade mit einem engliſchen Poſt-Dampfſchiffe, das an den Mündungen des Old Calabar und Cameroans vorüber am 25. Juni 1854 auf der Inſel Fernando Po die Anker auswarf, vorausgeeilt. Hier war auch der Capitain der Expedition, Becroft, der die Ankunft feines Schiffes erwartet hatte, geſtorben 2). e Erſt am 29. Juni traf das Expeditions-Schiff Plejade in Fernando Po ein, in welchem nun an Capt. Becroft's Stelle ein Mr. Backie, als der erſte Arzt des Schiffes, das Commando übernahm. f Obwohl Dr. Bleek ſich einigermaßen von ſeiner Krankheit erholt hatte und bereit war, der Expedition zu folgen, wurde ihm doch ſeiner Geſundheits— Umſtände wegen dies nicht geſtattet und er war zu feinem Leidweſen genöthigt, mit dem nächſten Poſt-Dampfſchiffe, dem Forerunner, noch an demſelben Tage, 29. Juni, Abends die Inſel wieder zu verlaſſen, um nach England zurückzukehren. ) ueber Dr. Bleek's wiſſenſchaftliche Thätigkeit und feinen nicht zur Ausfüh⸗ rung gekommenen Entſchluß, die jetzt fo glücklich beendete Niger-Erxpedition zu beglei— hatte dieſe Zeitſchriſt bereits früher berichtet (III, 55, 424). G. 5 ) Ueber Capt. Becroſt war bereits in dieſer Zeitſchriſt (III, 55 — 59) Mit⸗ 5 gemacht und dabei namentlich hervorgehoben worden, daß derſelbe ein über⸗ ſeltenes Beiſpiel von der Widerſtandsfähigkeit einer europäiſchen Koͤrperconſtitution e die zerftörenden Eindrücke des tropiſchen Klima's ſei. G. # * > 342 Briefliche Mittheilungen: Das Expeditions-Schiff Plejade hatte während der langſamen Fahrt an zwei Punkten der Weſtküſte Afrika's ſüdwärts Sierra Leone angelegt, um ſich an der Kruküſte mit 60 bis 70 ſchwarzen Matroſen zu bemannen, die es an Bord nahm. Der Weißen waren nur wenige: Capitain Dr. Taylor, Dr. Hutchinſon, nebſt zwei anderen Supercargo's und außer dieſen noch der erſte Maſchiniſt, der erſte Mate und der Stewart. Vom Poſtdampfſchiff gingen an Bord des Expeditionsſchiffes Dr. Backie und ſein Gehülfe Dalton über, ſowie der ſchwarze Schiffs-Caplan, der Rev. Samuel Crowther, Miſſtonar der Church-Miſſionary-Society unter den Po- ruba's, welcher ſchon die Niger-Expedition von 1842 mitgemacht hatte. Dr. Bleek nennt ihn in ſeinen Mittheilungen einen höchſt intelligenten, gebildeten und einnehmenden Mann. Er übergab ihm für ſeine Ausrüſtung, was ihm nöthig fein konnte, und vertraute ihm auch das Briefpacket nebſt Strümpfen, Schuhen u. ſ. w. an, die Dr. Barth's Vater ſeinem Sohne überſchickte. Ihn hatte das Schiff in Lagos aufgenommen. Von Sierra Leone, ſagt Dr. Bleek, hatten fie drei ſchwarze Dolmetſcher mitgenommen, einen Ibu, einen Poruba und einen Hauſſa, der zugleich die Bornuſprache verſtand. Von ihnen konnte Bleek einige Sprachkenntniß einziehen. Ein paar ſchwarze Handwerker hatte man von Freetown mitgenommen. Der zweite Mate des Kriegsſchiffs die Krone, ein Mr. May, bat ſich von feinem Capitain in der Bucht von Benin die Erlaubniß aus, die Expedition zu begleiten, und dies wurde ihm auch ges ſtattet. Da nach Capt. Becroft's Tode außer dem Schiffs-Caplan S. Crowther ſich Niemand an Bord befand, der den Nigerſtrom ſchon hinaufgefahren wäre, fo wurde in Fernando Po noch ein ſchwarzer Pilot engagirt. Indem der Führer der Plejade, Dr. Taylor, nicht eigentlich Seemann, ſondern nur Arzt war, jedoch in den dortigen Flüſſen ſchon Schiffe commandirt hatte, fo war das Expeditionsſchiff bis Fernando Po von Capt. Johnſtone gebracht worden, der von da als Paſſagier mit dem Poſtdampfer zurückkehrte. Die Plejade war vortrefflich ausgerüſtet, und man hatte auf alle Art für den Comfort der Weißen am Bord geſorgt. Spätere Briefe, die in London ankamen, melde— ten, daß das Expeditionsſchiff am 8. Juli von Fernando Po ſeine Fahrt zum Niger-Strome angetreten habe. Dr. Bleek kehrte mit dem Poſtdampfſchiff am 24. Auguſt nach England und durch die Seereiſe geſtärkt und geſund in ſeine Heimath nach Bonn zurück. Es folge hier noch Einiges aus ſeinem ſpäteren Schreiben als Ergebniß ſeiner allerdings durch Krankheit verunglückten Unternehmung, die man jedoch nicht ganz unfruchtbar für die Kenntniß Weſt-Afrika's nennen kann, obgleich überall der ſparſam geſtattete Aufenthalt am Lande nur auf ein paar Stun= den oder höchſtens auf ein paar Tage beſchränkt war, wie in Sierra Leone, Akra, Monrovia in Liberia, und die Küſte ſelbſt am wenigſten den Eindruck des originell afrikaniſchen Characters darbietet. Dr. W. Bleek und die Niger Expedition. 343 „Die Vegetation iſt größtentheild eine fremde, namentlich hat Bra— ben reichlich dazu beiſteuern müſſen. Auch die Menſchen ſind durcheinander gewürfelt. Die Bootsleute, die uns vor Lagos mit ihren hellen Geſängen empfin— gen, find von der Goldküſte, während ſonſt meiſtens die Candes mit Kru— leuten bemannt ſind. Groß iſt das Völkergemiſch in Sierra Leone, wo faſt ganz Afrika in mehr als hundert Variationen vertreten iſt. Gewiß iſt dieſes Zuſammendrängen und gegen einander Abreiben der verſchiedenen afrikaniſchen Naationalitäten ein für die Entwickelung dieſes Continents hoͤchſt erwünſchter Vorzug, wie ſehr er auch dem Ethnographen ſeine Aufgabe erſchwert. Es läßt ſich nicht verkennen, daß es mit der Civiliſation von Afrika wirklich vor— wärts geht, und daß die Beſtrebungen europäiſcher Philanthropie nicht frucht⸗ los geweſen ſind. Sierra Leone, Monrovia und Clarence auf Fernando Po ſind drei Beweiſe, die ich mit Augen geſehen habe. Ein vierter würde ſich wohl in Doruba zeigen. Vor Lagos, der bedeutendſten Handelsſtation an der Kuüſte, fanden wir 4 Hamburger Schiffe und nur ein engliſches. Außerdem ein ſpaniſches und zwei portugieſiſche, von denen das eine 227 ſchwarze Paſſa— giere von Bahia gebracht hatte, die ſich dort losgekauft und nun als Freie in ihre Heimath zurückkehrten. Gewiß hat auch der Sclavenhandel nicht blos ſchädliche Einwirkungen zum Endergebniß, doch eben ſo gewiß wäre auch die Civiliſation dieſes Continents eine bei weitem höhere, wenn nicht ſeit Jahr— tauſenden Arier und Semiten ihren Einfluß auf ihn faſt ganz darauf be— ſchränkt hätten, die urſprünglich ohne Zweifel hier nur feudalen Verhältniſſe in ſolcher Weiſe ausarten zu machen. Noch jetzt wird ohne Zweifel ein ſehr bedeutender Sclavenhandel an der Küſte betrieben. Wir hatten ſelbſt drei Sclavenhändler am Bord. Auf einem ſpaniſchen Sclavenſchiffe war, bevor es ſeine Ladung eingenommen hatte, Meuterei ausgebrochen, die der Bruder des Eigenthümers anführte. Dadurch wurde es gezwungen, in den Bonny River einzulaufen, wo es engliſche Kaufleute als gute Priſe wegnahmen, die Mannſchaft aber laufen ließen! Capitain, Eigenthümer und erſter Mate nebſt Einem von der Mannſchaft ſchifften ſich auf unſerem Poſtdampfer ein und fuhren bis Sierra Leone, Capitain und Mate dann bis Teneriffa, die anderen beiden noch weiter mit. In Akkra erzählte uns der dortige wesleyaniſche Miſ— ſionar, daß er ſechs Wochen zuvor im Dahome-Lande mehr als 1000 Neger in ein paar Tagen von den Portugieſen habe einſchiffen ſehen. Selbſt in der t Nähe von Sierra Leone wird dieſer ſchändliche Handel noch betrieben. Ein dort weggenommenes Sclavenſchiff ſahen wir vor Freetown liegen. Doch ſchlimmer wohl, als alles dies, iſt es für Afrika, daß gerade das einflußreichſte und den Neigungen ſeiner Bewohner günſtigſte Religions— ſoſtem nichts gegen Selavenhandel und Sclavenjagden einzuwenden hat. Was der Muhamedanismus für die geiſtige Erhebung ſchwarzer Völkerſchaften thun kann, zeigt namentlich zu deutlich die Geſchichte der Fulahs. Wie bildend er 344 Briefliche Mittheilungen: auf einzelne Individuen wirken kann, hatte ich ſchon genugſam Gelegenheit, an verſchiedenen Punkten der Küfte zu bemerken. Von Fulah's und Manz dingo's geſchriebene Stücke des Korans war ich ſelbſt ſo glücklich nach Hauſe zu bringen. Eine Reihe arabiſch gebildeter Perſonen, in Bathurſt und Sierra Leone namentlich, notirten mir ihre Namen in den Charakteren des afrikani- ſchen Arabiſch mit hinzugefügten Vocalen. Das Umſichgreifen des Muhame— danismus, im Porubalande fühlbar, wie in Sierra Leone, iſt aber eine der Haupturſachen des langſamen Fortſchritts chriſtlicher Miſſionen. Man konnte ſich bis jetzt kaum entſchließen, dieſen ſchwer zu überwältigenden Feind auch nur anzugreifen. So kam es, daß für das Hauptvolk des inneren Weft- Afrika's, die Fulah's, bis jetzt kaum etwas von dieſer Seite her geſchehen war. Ich darf wohl ſagen, daß unſere Expedition in dieſer Beziehung gerade anregend ſchon gewirkt hat. Man hat, was von der Fulahſprache bekannt war, in dieſem Sommer geſammelt, und die engliſche Admiralität hat auf Capt. Waſhington's Vorſchlag dieſe Arbeit meines gelehrten Freundes Mr. Edwin Norris (des erſten Sprachkenners in England) drucken laſſen. Auch ich konnte einen Beitrag hierzu in einem handſchriftlichen nicht unbedeuten— den Vocabular liefern, das ich aus Sierra Leone mitgebracht hatte. Ueber— haupt war die Sammlung gedruckter und handſchriftlicher Materialien für die Kenntniß der Sprachen längs der Küfte Weſt-Afrika's einer der realſten Ge- winne von meiner Reiſe. Hierzu muß ich noch die Verbindung mit ſolchen Perſönlichkeiten rechnen, die zu ethnographiſchen Mittheilungen am geeignet ſten find, namentlich Miſſtonare. Beſonders muß ich hier die Miſſionare der Church-Miſſionary-Society in Sierra Leone, die der Baſeler in Däniſch Akkra, die der United Presbyterian am Old Calabar-Fluſſe und die beiden Crowther's, Vater und Sohn, aufzählen. Letzter, der uns von Lagos bis Sierra Leone begleitete, verſprach mir, die ſehr merkwürdigen religiöſen Ge= bräuche und Anſchauungen, Sitten ꝛc. der Poruba's für mich daſelbſt mit genauer Ueberſetzung aufzunotiren. Von der mündlich überlieferten Literatur des Timneh-Volks 1) gab mir der Mifftonar Schlenker Stücke mit Ueberſetzung. Von dieſem alten deutſchen Miſſionar, der nach dreijährigem Ausruhen im heimathlichen Schwaben wieder auf feine alte Station Port Lokkoh zurück kehrte, lernte ich auf dem Wege von England nach Sierra Leone etwas von der Timneh-Sprache und gewann wenigſtens ein Bild ihrer Structur. — Soll ich das Reſultat meiner ſprachlichen Unterſuchungen in Betreff Weſt— Afrika's in einen Satz zuſammenfaſſen, fo iſt es der: daß die große Mannig⸗ faltigfeit der nahe der Küſte geſprochenen Idiome ſich auf einen großen Sprach- ſtamm zurückführen läßt, und zwar wahrſcheinlich mit wenigen oder keinen Ausnahmen; daß ferner dieſer Sprachſtamm derſelbe iſt, zu dem alle Spra⸗ chen Süd-Africa's mit Ausnahme des Hotentotiſchen (anerkanntermaßen) ge⸗ ) Das von anderen Berichterſtattern Timmani genannte Volk wohnt im Oſten von Sierra Leone (Geographie von Afrika n G. Aus einigen Schreiben von Sir John Bowring. 345 hören. Es laſſen ſich aber dann von dieſem, von mir großafrikaniſch genann- ten Sprachſtamme zwei Hauptzweige in Weſt-Afrika unterſcheiden, von denen der eine, das Bullom und Timneh um Sierra Leone und das Otſchi oder die Sprache der Aſchanti's umſchließend, in näherer Verwandtſchaft mit den ſüd— afrikaniſchen Sprachen ſteht. Ferner iſt ihnen unzweifelhaft verwandt die Gör— Sprachfamilie, zu der das Fulah, Wolof, Akkra u. a. zu rechnen ſind. Es iſt aber von den Sprachen dieſes ungeheuren großafrikaniſchen Sprach— ſtammes keine, die im Allgemeinen ſo ſehr den urſprünglichen Typus ſich be— 2 wahrt hat, als das Kafferſche. Zu ihm ſtehen die meiſten weſtafrikaniſchen Sprachen, wie etwa das Engliſche und Franzöſiſche zum Sanskrit und Grie— chiſchen. Auf gleiche Weiſe verhalten ſich aber auch die meiſten nordafrikani— ſchen Idiome zu dem ihnen anerkanntermaßen verwandten Hotentotiſchen. So muß uns die Erkenntniß des Südens, gewiß aber nicht blos in ſprachlicher Hinſicht, die ſicherſte Grundlage für die Erkenntniß des Entwickelungsganges der Zuſtände dieſes Continents darbieten. x Daß dies z. B. auch in Bezug auf Sitten und religiöfe Anſchauungen der Fall ſei, wage ich ſchon mit meiner geringen Kenntniß derſelben zu be— haupten, wie ſehr auch namentlich muhamedaniſcher Einfluß und gegenſeitige Einwirkung der afrikaniſchen Nationen die urſprünglichen Verhältniſſe hier umgeſtaltet haben.“ C. Ritter. Aus einigen Schreiben von Sir John Bowring, britiſchen Gouverneur von Hongkong, an Herrn Klentz. Schanghai (China) den 3. Juli 1854. „Ich kam vor 2 bis 3 Wochen hierher, in der Abſicht von hier aus meine Sendung nach Japan in's Werk zu ſetzen, aber die ungeheueren Summen, welche hier angelegt ſind, wo der britiſche Ein- und Ausfuhrhandel ſich im vorigen Jahre auf beinahe 10 Mill. Pfund Sterling belief und wo ich Al— les in der groͤßtmöglichſten Unordnung vorfand, nöthigten mich, den Beſuch in Jeddo um etwas Ungewiſſes, d. h. einen bedeutenden Handelsverkehr auf— zuſuchen, für dies Jahr aufzugeben, um große ſchon beſtehende Intereſſen zu beſchützen, die eine ſchleunige und wirkſame Hilfe und Löſung erforderten. So blieb ich mit dem Admiral hier, bald mit den Mandarinen bald mit den Rebellen unterhandelnd, welche letzten ſich in der ummauerten Stadt befin— den, und es iſt möglich, daß Sie bald von meinem Abgange nach Peking hören werden. — Meinen Privat- und meinen offiziellen Seeretair ſandte ich in zwei Kriegsdampfern nach Nanking und weiter, wenn es nöthig ſein ſollte, da wir noch etwas unvollkommen von der ganzen Bewegung unterrichtet ſind, welche hier den Augenblick als der bei weitem unverſchämt kühnſte religiöſe 346 Briefliche Mittheilungen: Betrug erſcheint, der ſeit Muhamed's Zeit die Welt aufgeregt hat. — Sie werden davon bald mehr hören.“ Nach einer nicht langen Abweſenheit kehrte Sir John nach demſelben chineſiſchen Hafen zurück und ſchreibt unterm 28. September, daß er daſelbſt habe bleiben müſſen, weil der Admiral der ruſſiſchen Flotte nachgeſegelt ſei. — Die ſo bedeutenden engliſchen Intereſſen daſelbſt zu beſchützen koſte ihm viele Mühe. Manche der ſchwebenden Fragen zwiſchen den Kaufleuten und Mandarinen ſeien noch nicht beſeitigt. Ueberdies rücke die Zeit einer Nevis ſion des Vertrages mit China heran, und er erwarte die Ankunft des ameri— kaniſchen Geſandten (der franzöſiſche Bevollmächtigte habe ihn dorthin beglei- tet), um die Unterhandlungen mit einer Regierung zu beginnen, die ſich ſehr ungern darauf einlaſſe. „Indeſſen, ſchreibt er, hoffe ich doch Etwas auszu— richten, und China ein wenig weiter zu öffnen. Wenn es mir gelingt, die hieſigen Angelegenheiten in leidlichen Gang zu bringen, jo beabjich- tige ich nach Siam zu gehen, bei deſſen Herrſcher ich auch beglaubigt bin. Er ſandte vor Kurzem einen Abgeordneten, der mir Gemälde ſeiner meiſten Elephanten brachte, um ſeine fürſtliche Größe zu zeigen, ſeines Buddha, da— mit ich wiſſe, wem er göttliche Verehrung erweiſe, und des Grabmals, das er zum Andenken ſeines Vorgängers errichten ließ, welches, wie er mir ſchreibt, 600 Goldſchmiede zehn Monate lang beſchäftigt, um die koſtbaren Verzierun⸗ gen zu vollenden. Dies ſcheint ein ſehr prächtiges Werk zu ſein. Er ſchreibt ungewöhnlich gut engliſch und ſeine Briefe ſind voll von Anfragen und ver— nünftigen Gedanken.“ In einem derſelben ſagt er: „daß indem man den wahren Gott ſuche, Niemand wiſſe, wer ſo glücklich fei, ihn zu finden. Wenn der Deinige der wahre Gott iſt, ſo bitte, daß er Segen auf mich herabſende, iſt der meinige der wahre Gott, ſo werde ich von ihm Segen für Dich er— flehen; und ſo werden wir Beide geſegnet ſein.“ In Wahrheit ein ſchöner Ausſpruch von einem heidniſchen Fürſten. Ich denke, die Hoffnungen, oder beſſer die Täuſchungen, welche bei der Empörung in China auf eine gute Regierung, eine fortſchreitende Civiliſation, und ein aufgeklärtes Chriſtenthum rechneten, find nun wohl nahezu verſchwun⸗ den. Jede Regierung iſt beſſer, als die mordende, zerſtörende Anarchie, welche die ſchönſten Provinzen dieſes wundervollen Landes zu Grunde richtet. In Verbindung mit dieſer Empörung ſteht kein einziger geachteter (reverend) Name. Je mehr wir davon hören, je näher wir den Aufſtändiſchen rücken, deſto niederträchtiger und unwürdiger erſcheinen fie. Ich ſandte eine Expedi⸗ tion nach Nanking, um über ſie gehörig Bericht erſtatten zu können. Mein Sohn, als mein Privatfeeretair, und mein Geſchäftsſeeretair waren die Abge— ordneten an den Hof „des himmliſchen Königs.“ Ich hoffe, Lord Cla— rendon wird ihren vortrefflichen Bericht bekannt machen, und dann wird kein Zweifel über den Charakter der Schürer dieſer ſehr mißverſtandenen Bewe— gung ſein. Aus einigen Schreiben von Sir John Bowring. 347 Ich ſende Ihnen, was Sie für eine Curioſität halten werden, die Hand— ſchrift des gegenwärtigen Königs von Siam. Sein Name und Buchſtabe (Name and letter are) ſind Phza Wat Somdeleh Phza Paramandi Maha Mungkurt Phza Chom Klan Chau yu Hua. Er iſt ein ſehr aufgeklärter Mann, mit dem ich ſchon früher Briefe wechſelte.“ In einem früheren Briefe ſchrieb noch Sir John: „Ich kann dem freund— ſchaftlichen Briefwechſel nicht viel Zeit widmen, da ſo viele öffentliche Ange— legenheiten meine Feder und mein Nachdenken in Anſpruch nehmen, allein ich denke die berliner geographiſche Geſellſchaft wird vielleicht gern die Abſchrift eines Briefes empfangen, den ich gerade an die ethnographiſche Geſellſchaft zu London abſende und welcher einige werthvolle Bemerkungen über die Ra⸗ cen Indiens und des ſtillen Oceans von einem unſerer befähigtſten Reiſenden, dem General Miller, General-Conſul zu Woahoo !) enthält.“ er Ein Schreiben der Lady Bowring, die mit zwei ihrer Töchter ihren Mann nach Hongkong begleitet hat, lobt ſehr die Aufmerkſamkeit, die ihnen von Sei— ten Said Paſcha's, des jetzigen Vicekönigs von Aegypten, der damals nur Admiral war, zu Theil ward. Er ſandte gleich bei ihrer Ankunft in Alexan— drien für die Damen einen bequemen Wagen, um ſie während ihres kurzen Aufenthaltes nach feinem Harem zu bringen, und als der Kutſcher aus Ver— ſehen vor des Prinzen Wohnung fuhr, kam er ſelbſt eine hohe Treppe herab, ſagte den Damen einige verbindliche Worte auf Franzöſiſch und gab dem Wa— genlenker die geeigneten Befehle. Sie fuhren nun nach ſeinem Harem, wo ſie von ſeiner Gemahlin, der Prinzeſſin Loulin, ſehr herzlich empfangen wurden, bei der ſie auch die letzte Frau und Wittwe Mehmed Ali's, eine unangenehme und mürriſche alte Frau trafen, wogegen Lady Bowring Said Paſcha's Frau, eine 25jährige Circaſſierin, als höchſt liebenswürdig und anmuthig ſchildert. Eine große Zahl reich gekleideter junger Sklavinnen in verſchiedenen Coſtümen kamen herein, um ſich, ihr Geſchmeide und ihre gleichfalls reich gekleideten angenom- menen Kinder zu zeigen. Die Frau ward mit Said Paſcha erzogen, der ſie im ſechszehnten Jahre heirathete. Bis jetzt iſt ſie ſeine einzige Frau und hängt ſehr an ihm. Sie hält Vielweiberei eigentlich nicht für recht, aber fe tadelt die Sitte auch nicht. Sie war gegen ein ihrem Manne von einer Circaſſie— rin gebornes Kind ſehr zärtlich, behandelte es, ganz wie ihr eigenes, und ſchien die Aufmerkſamkeit, die man ihm erwies, gern zu ſehen. Obgleich es im März d. J., als Lady Bowring durch Alexandrien reiſte, erſt zehn Monate alt war, hatte es doch mehr Geſchmeide an ſich, als viele reiche Frauen auf— zuweiſen haben, und ſeine Kleidung, die mit der Wärterin aus London ge— kommen war, hatte 300 Schill. gekoſtet. Den Damen wurden Pfeifen ange— boten, die auf ſilbernen Schüſſeln ruhten, auch wurden ſie mit Kaffee in klei— “ * — 9 1 ) Es iſt dieſer General Miller derſelbe, der in den peruaniſchen Unabhängig— ‘ ki kriegen ſich einen berühmten Namen gemacht hat. Sein Schreiben folgt weiterhin. = G. 348 Briefliche Mittheilungen: nen koſtbaren Taſſen bewirthet. Ein reiches Mahl war für ſie zu 1 Uhr beſtellt, aber da das Dampfboot um 12 Uhr abging, ſo mußte ſie es ableh— nen, und von ihrer lieben Wirthin nach dieſem höchſt intereſſanten Beſuch Abſchied nehmen. Von der Hitze litt Lady Bowring beſonders auf der Fahrt durchs rothe Meer. Ueber ihren Aufenthalt in Hongkong und beſonders über deſſen Be— wohner läßt ſie ſich wenig aus und ſagt blos, daß ſie den dortigen Familien durch Oeffnen ihrer Zimmer an einem beſtimmten Abende in der Woche Ge— legenheit zu geben ſuche, ſich in geſelliger Vereinigung zu ſehen. Bisweilen werde getanzt, was ſchon bei einer Hitze von 84° Fahrenh. oder 23° Reaum. geſchehen ſei. In der heißen Jahreszeit ſei den Herren geſtattet in weißen Jacken zu erſcheinen; nur bei feſtlichen Gelegenheiten kämen ſie in Uniform. Sie und ihre Töchter kleideten ſich abſichtlich möglichſt einfach, um keine Anregung zur Entfaltung großen Luxus zu geben. Indeſſen ſchienen die Damen dieſe Gelegenheit, ſich möglichſt geſchmückt zu zeigen, nicht vorüber— gehen zu laſſen. Dieſe Verſammlungen ſeien oft ſtark beſucht, bisweilen kä⸗ men aber nur Wenige oder Niemand. General Millers Schreiben iſt folgendes: Honololu (Sandwich-Inſeln), 31. Januar 1854. Vor vielen Jahren als Oberſt eines Negerregiments, das aus ſehr bra— ven Soldaten beſtand, überzeugte ich mich davon, daß die Lebensweiſe und Erziehung einen großen Einfluß bei jedem Individuum derſelben nicht nur auf deſſen Phyſiognomie, ſondern auch auf deſſen Schadelbildung ausübte. So wie ſein Ideenkreis ſich erweiterte oder die Verantwortlichkeit ſeines Berufs ſich, durch eine höhere Stellung ſteigerte, änderte ſich mit der Zeit auch die Bildung ſeines ganzen Kopfes. Ich hatte wohl bemerkt, daß zwiſchen den älteren, wie jüngeren, einges brachten Negern, wenn ſie eine zeitlang im Lande einheimiſch geweſen waren, und zwiſchen den afrikaniſchen Schwarzen und den von Creolen geborenen ſchwarzen Negerkindern (wie man ſie in Chili und den argentiniſchen Provin— zen gleichartig mit den Kindern ihrer Herrſchaft auferziehen ſieht) große Ver— ſchiedenheiten von dem afrikaniſchen Schwarzen, dem dort gewöhnlich ſogenann— ten Boual, der, wenn er ſich eine Bekanntſchaft ſuchen möchte, dieſe nur un— ter ſeiner eigenen niedrigſten Claſſe der Sclavenbevölkerung finden kann, ſtattfanden. Es iſt ferner gewiß, daß die amerikaniſchen Indianer Peru's phyſiſch und moraliſch ſeit der Inca-Zeit degenerirt find, und daß dies eine Folge der Unterjochung iſt! Die Südſee-Inſulaner ſind phyſiſch und geiſtig den Aboriginern von Süd-Amerika ſehr überlegen, denn, wenn ſie auch unter einer Feudalherrſchaft oder dem Abſolutismus ihrer Häuptlinge lebten, ſo war deren Herrſchaft doch immer eine milde, patriarchaliſche geblieben! Daher ſind ſie, wie ich ſie auf den Sandwich-Inſeln kennen lernte, ein Aus einigen Schreiben von Sir John Bowring. 340 munteres Vöͤlkchen geblieben und felten that ich eine Frage an fie, ohne eine muntere Antwort zu erhalten; dagegen die Nachkommen der Sonne, die In— cas, für den Weißen nie ihren Mund aufthun, und ihm nur mit Verachtung begegnen, was bei ihnen gleichſam zur andern Natur geworden iſt; während die Sandwich-Inſulaner den Weißen ſtets als ihren Freunden entgegen— kommen. Die Begrüßung der Indianer in Peru vor der Eroberung Pizarros, lautete: „Amä sua“ Du ſollſt nicht ftehlen! und die Antwort war: „Ama qualla“ Du ſollſt nicht Lügen! oder „Amä thella* Du ſollſt nicht müßig fein, Dieſe Art der Begrüßung wurde von den Spaniern ſtreng verboten, dagegen die Formel, welche bis heute in Gebrauch geblieben, geboten: „Ave Maria purissima!“ Die Antwort dagegen: 8 „Sin pecado concebida!* alſo im Sinne des Jeſuitendogma's, das jetzt vom Papſte zu einem Kanon der Kirche erhoben iſt. 5 Die Indios Bravos, welche das Land im Oſten der Andes bewohnen, das zwiſchen den civiliſirten Grenzlinien Perus und denen von Braſilien liegt, wurden niemals unterjocht und ſtanden in gar keinem Verkehr mit den In— cas, den Spaniern oder den Peruanern überhaupt aus dem einfachen Grunde, weil ihr Land eben, ſelbſt für den Fußgänger wegen ſeiner wüthenden Ge— birgsſtröme und ſeiner dichteſten Urwälder undurchdringlich iſt; doch verſuchte ich mit größter Anſtrengung im Jahre 1835 zu Fuß wandernd, jene Grenz- gebiete und die erſten vier Hütten dieſer primitiven Aboriginer zu erreichen. Ich fand fie heiter und vielmehr den Südſee-Inſulanern, als den unterjoch— & ten PBeru= Indianern, ihren nächſten Nachbarn, gleichend. * Ich beabſichtigte (als Commandeur der drei ſüdlichen Departements der Republik Peru) auf dem linken Ufer eines ſchiffbaren Zufluſſes, unweit des Huaſtaga, zum Amazonſtrom eine Militair-Colonie einzurichten. Eine Scla— ven⸗Revolution, die ausbrach, hinderte die Ausführung des Projects, und ich konnte fpäterhin den General Sta. Cruz nicht zur Wiederaufnahme deſſelben bringen. x Allerdings hatten wir zu viel andere Arbeit zu vollbringen, bis des Ge— nerals Sturz und meine Expatriation eintrat. a Die Indios Bravos gehen ganz nackt, ſelbſt ein Feigenblatt tragen ſie nicht vor ihrer Schaam. Polygamie iſt bei ihnen einheimiſch, und die Häuptlinge behandeln ihre Weiber mit großer Härte. Jede ihrer Hütten hatte an 120 Fuß Länge und 40 Fuß Breite, ein ſehr hohes, ſpitzes Dach, das aufrechtſtehenden Stangen aus der Mitte des inneren Raumes geſchützt war. In jedem dieſer Häuſer wohnten 18 bis 20 Familien 1). N ER % ) Es war alſo vielmehr ein ganzes Dorf, wie noch heute die Caſas Grandas 3 im Norden Amerika's dergleichen Doͤrſer ſind. C. Ritter. 155 * 2 350 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. Mein Thermometer, mein Fernglas, ein Titelblatt von Gibbons 1. Bande ſeiner Geſchichte des Verfalls des römiſchen Reichs, kurz Alles was ich bei mir hatte, war ihnen Gegenſtand der Neugier und Aufmerkſamkeit! Sie wollten mir aber nicht erlauben, bis an den Fluß vorwärts zu ſchreiten, der höchſtens nur 4 Meilen von dem Orte den ich erreicht hatte, entfernt ſein konnte; aber ſie begleiteten mich bis an den Ort zurück, wo ich mein Pferd und meine Maul— thiere hatte ſtehen laſſen, deren Anblick ſie in Schrecken ſetzte, da keiner von ihnen, ihr Häuptling ausgenommen, je ſolche Thiere geſehen hatte! William Miller. Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 10. Februar 1855. Herr H. Roſe ſetzte ſeinen in der letzten Sitzung begonnenen Vortrag über die Metall-Produktion auf der Erde fort und ſchilderte ausführlich das Zinn und das bisher nur beiläufig von ihm erwähnte Kupfer. Er ers wähnte die jährliche Ausbeute an den verſchiedenen Orten, wie auch den in den Jahren 1823 bis 1852 bedeutend ſchwaͤnkenden Preis deſſelben. Bei der Beſprechung des Kupfers gedachte er der bedeutenden Lager an dem Obern See, welche kleine Stücke gediegenen Silbers beigemengt enthalten, und deren Reichthum einige Jahre hindurch zu ſchwindelnden Aetien-Unternehmungen Anlaß gab. Der jährliche Gewinn des Kupfers auf der ganzen Erde war von 25,500 Tonnen im Jahre 1830 auf 55,700 Tonnen im Jahre 1853 geftie= gen. Ueber den Verlauf der Kupfer-Schmelzereien zu Swanſea in South⸗ Wales, welche zum Theil von den handelspolitiſchen Verhältniſſen abhängig waren, machte der Vortragende mannigfache Mittheilungen. Im Anſchluß an dieſen Vortrag legte Hr. Tamnau eine ausgezeichnete Reihe von Kupfer- und Silbermaffen aus den Gruben am Obern See vor und ſprach über das ſehr merkwürdige Vorkommen dieſer Metalle. — Herr Ritter hielt hierauf einen Vortrag über unſere gegenwärtige Kenntniß von dem Amazonenſtrome und ſeinen Nebenflüſſen, welche insbeſondere in der neueſten Zeit durch die Unter— ſuchungen Herndon's und ſeines Begleiters Gibbon, beide von der Marine der vereinigten Staaten, ſehr bereichert worden iſt. (Der Vortrag iſt bereits in dieſem Hefte S. 273 — 282 enthalten). Außerdem hatte Hr. Ritter die Zeichnung zu der Tabula geographica Brasiliae et terrarum adjacentium exhibens itinera Botanicorum und verſchiedene Anſichten von Landſchaften in dem Amazonenthale von Hrn. v. Martius vorgelegt. — Herr Dove ſprach Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 351 ſodann über Capitain Allen's Vorſchlag, behufs einer leichteren Waſſerver— bindung des mittelländiſchen und rothen Meeres den 1231 Fuß tieferen Waſſer— ſpiegel des todten Meeres, vermittelft eines Kanales von dem mittelländiſchen Meere aus, bis zum Niveau deſſelben auszufüllen; darauf über Lieut. Burton's am 19. October 1854 von Aden aus begonnene Reife nach Hurrur, über die Vertheilung der Wirbelſtürme in dem indiſchen Meere in der jährlichen Periode und den letzten Sturm vom 2. Novbr. in Bombay nach den in der Bombay Times vom 21. Nov. v. J. gegebenen Nachrichten, über die neue Sturmkarte von Redfield, New-Pork, März 1854, über die Anwendung durchſichtiger Hornſcheiben zur Beſtimmung der Richtung, in welcher das Schiff zu ſteuern hat, um von dem Mittelpunkte des Wirbelſturmes ſich zu entfernen, über die Temperatur der Oſtküſte Aſtens, nach neuen Beobachtun— gen in Hongkong, über das Klima von Cayenne nach 7 jährigen Beobach— tungen in Dalton's History of British Guyana 1855, über den wärmenden Einfluß eines Fluſſes auf die ihm zunächſt liegende Luft, beſonders wenn der— ſelbe bei ſtrenger Kälte noch nicht zugefroren iſt, über die Temperatur des preußiſchen Staats nach 7jährigen Beobachtungen des meteorologiſchen Inſti⸗ tuts, über die Erdwärme in Berlin bis 5 Fuß Tiefe nach mehrjährigen Be— obachtungen des Dr. Schneider und zuletzt über die auffallende Vertheilung der Kälte in dem verfloſſenen Januar von Memel bis Mannheim nach Sta— tionsbeobachtungen des meteorologiſchen Inſtituts. — Herr Ritter gab am Schluſſe der Sitzung eine ſummariſche Ueberſicht der bei ihm eingegangenen Briefe und Abhandlungen, die vorgelegt wurden: von Dr. Bowring, britiſchen Gouverneur von Hongkong, Schreiben an Herrn Conſul Klentz, datirt von der Bucht von Pecheli in China, den 7. November 1854, über Verhandlungen mit den kaiſerlichen Commiſſarien, welche den Namen des Fluſſes Pei-ho nicht kannten, ſondern ihn ſtets Trentſinko nannten; ein Bericht über die An— kunft der engliſchen Flotte in Japan und ihre Unterhandlung mit dem Kaiſer. Ein Schreiben Mess’oud Beys, Lieut.-Colonel d’etat major der Irak- Ar⸗ mee, aus Bagdad, vom 3. Dec. 1854 an C. Ritter, über feine Bereitwillig— keit, von dort aus Auskunft über geographiſche Gegenſtände zu geben. Von Dr. W. Bleek ein Bericht aus Bonn vom 28. Januar 1855 über feine afri— kaniſche Reiſe mit der Niger-Erpedition der Plejade bis Fernando Po und ſeine Ende Februar feſtgeſtellte Abreiſe von Liverpool mit dem Biſchof von Natal, J. W. Colenſo, zu den Zulu-Kaffern, um eine Grammatik ihrer Sprache für die dortige Miſſion auszuarbeiten (ebenfalls auszugsweiſe in dieſem Hefte mitgetheilt), ferner ein Schreiben des Dr. J. G. Kohl aus New-York an C. Ritter, vom 20. Nov. 1854, über feine Reiſen von da zu den Cana— chen Seen nach Torento, Quebeck, über den Erie- und Ontario-See bis Montreal am St. Lorenzo, und von da zurück durch die Blue Mountains und Penſylvanien. (Der Inhalt des Schreibens wird in dem nächſten Heſte die— ſer Zeitſchrift enthalten fein), endlich ein Schreiben des Profeſſor Göppert in 352 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Gefellfchaft. Breslau vom 4. Februar 1855 über Herrn Lothar Beckir's wiſſenſchaftliche und zumal botaniſche und antiquariſche Reiſe in Auſtralien und Indien 1849 und ſeine Rückkehr über Meſopotamien, Syrien und Paläſtina, mit reicher geographiſcher Ausbeute und neuer Erkenntniß in die ſchleſiſche Heimath 1854. Als Geſchenke für die Bibliothek der Geſellſchaft gingen ein: 1) Zeitſchrift für Allgemeine Erdkunde, herausgegeben von Dr. T. E. Gumprecht. Vierter Band. Erſtes Heft. Berlin 1855; von dem Verleger Herrn D. Reimer; 2) Magnetiſche und meteorologiſche Beobachtungen zu Prag, von Dr. Joſ. G. Böhm und Dr. Adalb. Kunes. 12. Jahrgang. 1851. Prag 1854; von den Herausgebern; 3) Beobachtungen von Sonnenflecken und Beſtimmung der Rotations-Elemente der Sonne, von Dr. J. G. Böhm. Wien 1852; von dem Verfaſſer; 4) Atlas vom preußiſchen Staat. Erſte Lieferung; von dem Verleger, Hrn. Juſtus Perthes in Gotha; 5) Topographiſche Karte von dem Canton St. Gallen nebſt Appenzell, in 6 Blättern, von Hrn. J. M. Ziegler in Zürich; 6) Bulletin de la société geographique Impériale de Russie pour 1854. NN. 1, 2, 3 et 4; 7) Recueil des recherches ethno- graphiques sur les peuples de la Russie. Tome 2. Dieſe zwei Werke von der ruſſiſchen geographiſchen Geſellſchaft; 8) Meine Reiſe im Orient. Von Alexander Ziegler. 2 Theile. Leipzig 1855, vom Verfaſſer. Ueber die per- ſönlichen Verhältniſſe des letzten, ſowie über den Inhalt des Werks, welches meiſtentheils landwirthſchaftliche Intereſſen beſpricht, machte Herr Ritter einige Bemerkungen; 9) Jahrbuch der k. k. geologiſchen Reichsanſtalt, 1854. V. Jahr⸗ gang. Nr. 3. Juli, Auguſt, September. Wien, von der Direction dieſer An- ſtalt. Endlich übergab Herr Dove als Geſchenk 3 Abhandlungen: 1) Ueber die Vertheilung der Regen in der gemäßigten Zone; 2) Darſtellung der Wärmeerſcheinungen durch §tägige Mittel; 3) On the chances of wind in a cyclone. Zur Anſicht wurde vorgezeigt: Flußkarte von Deutſchland und Mittel-Europa, von Dr. E. Schauenburg. Berlin 1855, wozu eine Anzahl Hefte mit gedruckten Erläuterungen ausgelegt waren; ferner: Panorama von Neapel von S. Martino aus geſehen, von G. F. Bolte. Berlin 1854. Dem⸗ ſelben war hinzugefügt: Eine Beigabe von G. Stier. Mit einem lithographir⸗ ten Plane. Im Verlage von F. A. Brockhaus in Leipzig ist erschienen und durch alle Buchhandlungen zu beziehen: 70 Geschrieben während einer auf Befehl Seiner Majestät des n Friedrich Wilhelm IV. von Preuſsen in den Jahren 1853 und 1854 unternommenen wissenschaftlichen Reise nach dem Nilthale. Mit einer Karte, drei Schrifttafeln und drei ber 8. Geh. 2 Thlr. 15 Sgr. Im Verlage von Dietrich Reimer in Berlin iſt fo eben tionen: 4 Schauenburg, Dr. E., Flußkarte von Europa, auf Wachs⸗ ö papier gedruckt, 6 große Blätter, nebſt 1 Bogen Tert. 85 Preis 4 Thlr. Dieſelbe auf Leinwand aufgezogen, zwiſchen Rollen zum Auf Se hängen. Preis 6 Thlr. 10 Sgr. und 20 Sgr. pr. Emballage. he — , Flußkarte von Deutſchland und Mittel⸗ i { Europa, auf Wachspapier gedruckt, 6 große Blätter, 1 = 1 Bogen Text. Preis 4 Thlr. 3 Dieſelbe auf Leinwand aufgezogen, zwiſchen Rollen zum 1 Auf hängen. Preis 6 Thlr. 10 Sgr. und 20 Sgr. pr. Emballage Dieſe Karten, welche nur das Flußnetz der betreffenden Länder ent⸗ Be halten, find mit blauer Oelfarbe auf ſchwarzes Wachspapier gedruckt und 1 können nach Art der gewöhnlichen Schulwandtafeln mit weißer Kreide und 1. Schwamm zu Zeichnungen des Lehrers und der Schüler beim geographi⸗ ſchen und geſchichtlichen Unterricht benutzt werden. — Der Stoff und Druck beſitzen die nöthige Dauerhaftigkeit, um Jahre lang keine nachtheilige 5 N Wirkung zu erleiden, ſo daß alſo die Karte beim Unterricht als paſſende 4 Grundlage für geographiſche Zeichnungen dient, und daß nach jedesmaligem 7 | Gebrauche durch bloßes Abwiſchen mit einem naſſen Schwamm das hydro⸗ graphiſche Netz des Landes unverſehrt und friſch wieder erſcheint. — Die mannigfache Anwendbarkeit dieſer neuen Art von Wandkarten für verſchiedene 1 Zwecke des geographiſchen und geſchichtlichen Unterrichts hat der Verfaſſer i in 4 den zu den Karten gehörenden Erläuterungen, auf welche hierdurch ren 3 wird, näher auseinandergeſetzt. 0 ü Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtr. 18 A 4 l 8 a Mai 1855. | || T Zeitſchrift * | | 5 g Ss ep der Gefecht für Srdkunde a zu Berlin und unter beſonderer Mitwirkung von w. Dow, C. G. Ehrenberg, 9. Kiel und C. Ritter. ? in Berlin, Aue in Bremen, A. Petermann in Getha und J. E. e Woppäus 2 5 in Göttingen, Senden N rt von, 9 Dr. T. E. Gumprecht. Vierter Band. Fünf tes Heft. | Verlin. Verlag von Dietrich Reimer. Br 1855. Inhalt. L. v. Orlich: Die neueſten Zuftände des Peng'ab unter britiſcher Herrſchaft. 358 C. Pieſchel: Die Vulkane von Mexico. Gumprecht: Barth's Schickſale und Untetſuchungen im centralen Re Mit, 400 N Neuere Literatur. M. Willkomm: Estadistica de Barcelona en 1849. Publicala D. Lau- reano Figuerola, professor de Economia politica etc. 8. Bar- celona 1849. r N N in Ve H. Lange und Gumprecht: Reife um die Welt von Weſten nach Oſten durch Sibirien und das ſtille und atlantiſche Meer. Mit einem Titel⸗ N blatte und einer Karte. Aſchaffenburg (bei Krebs) 1854. 8. 136 S. 428 Neuere Kartographie. C. Brandes: Discoveries in the Arctic Sea up to 1854. London. published according to Act of Parliament at the Hydrographie Office of the Admirality Jan. 20th 1855. 1 Blatt gr. Fol. 434 W. Koner: Neu erſchienene geographiſche Werke, Aufſätze, Karten und Pläne. 442 Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 3. März 1855. n Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 2 Thlr. 20 Sgr. 3 XIV. Die neueſten Zuftände des Weng’ab unter briti- ſcher Herrfchaft '). Es ift gewiß von dem höchſten Intereſſe, ſich von Zeit zu Zeit mit den Fortſchritten bekannt zu machen, welche die große Nation der Briten in der erhabenen Aufgabe, Civiliſation und Chriſtenthum über 0 Aſien zu verbreiten, ihrem indiſchen Reiche zu Theil werden läßt. Die | ſchwierige und ſeltene Gabe der Coloniſirung ift es, wodurch ſich dieſe Nation vor jeder anderen auszeichnet. Denn ſowie es nicht die Frucht— barkeit des Bodens iſt, welche ein Land zur Cultur erhebt ), ſondern die Freiheit, ſo kann auch das ſchwere Werk der Coloniſirung nur einem freien Volke gelingen. Dieſe Lehre wird uns recht augenſchein— lich in den Colonien Englands bewieſen, und beſonders in Indien, der Schule für Englands Staatsmänner und Generale. Beſorgliche, der Freiheit abgünſtige Gemüther haben der engliſchen Regierung die ) Wir haben hier außer einigen ſchriftlichen Mittheilungen das ſogenannte blaue Buch der oſtindiſchen Compagnie: „General Report on the Administration of the Punjab for the years 1849 — 50 and 1850 — 51“ zum Grunde gelegt. Es iſt dies ein großes Werk in Folio, von 333 Seiten mit Karten und Plänen. Daſſelbe umfaßt die Berichte aller höheren Beamten, welche in die Details ihres Wirkungskreiſes ein- y gehen, um vor dem Council in Calcutta, an deſſen Spitze der General-Gouverneur Duden ſteht, Nechenfchaft abzulegen. Ueber das Ganze erfolgt ein Bericht und ein Gutachten von dem General- Gouverneur an das Board of Control in Londen. Ein 1 umſaſſender Bericht, wie dieſer, erſcheint nur ſelten und nur nach fo außerordent— lichen Begebenheiten, wie die Beſitznahme des Peng' Ab. v. O. 9) Eine ganz damit übereinſtimmende Anſicht ſprach ein franzöſiſcher Autor in den ſehr beſtimmten Worten aus: La tendance de la civilisation est en raison in- verse de la fertilité du sol. Annal. marit, et colon. 1824. J, 103. G. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 2 354 L. v. Orlich: größten Gefahren vorgeſpiegelt, wenn ſie nicht in ihrem Fortſchreiten für Schulbildung und für die Verbreitung des Evangeliums unter den Hindu's einhalte. Aber die Erfolge der letzten zwanzig Jahre haben gerade in Indien von all den Befürchtungen das Gegentheil bewieſen. Man iſt ſich vollkommen bewußt, wie tief die religiöſen Vorurtheile der Hindu's mit ihrer Geſchichte, ihrem Leben, ihren Sitten und ihrer Denkweiſe verwachſen ſind; wer dieſe gewaltſam antaſten wollte, würde den ſanften, zum Dulden geborenen Hindu in einen kämpfen— den Fanatiker verwandeln. Es iſt weder Zwang, noch Bevormundung, wodurch jene Völker auf den Weg ewiger Wahrheit geführt werden ſollen, ſondern durch Selbſterkenntniß wird in ihnen die Kraft der Liebe geweckt, Gott im Geiſte und in der Wahrheit anzubeten und die Bahn des Fortſchritts zum Guten und Nützlichen zu verfolgen. Daß Mißgriffe zu Zeiten vorkommen, liegt in dem ungeheuren Umfange des Reichs und in der Schwierigkeit der Sache ſelbſt. Merkwürdig iſt ein ſo eben veröffentlichter Bericht eines Miſſionars Namens Mullens aus der Präſidentſchaft Madras: „Die Tempel“, heißt es darin, „gerathen überall in Verfall, Zeichen der Vernachläſſigung ſind jedem von ihnen aufgedrückt, Gewürm in unzähliger Anzahl beginnt ſich derſelben zu bemächtigen. Der einzige von mir im ganzen ſüͤdlichen Indien geſehene Tempel, der reinlich und in gutem Zuſtande erhalten wurde, war der im Fort von Tanjora, wo ein reicher Hindu-Rajah lebt. Der Ein— fluß des Chriſtenthums iſt überall ſichtbar, wo indiſches Leben und in— diſche Einrichtungen herrſchen. Die Unterſchiede des Kaſtenweſens, die Ehrfurcht vor den heiligen Büchern und die Verehrung der heidniſchen Prieſterſchaft ſchwinden mehr und mehr; die Hinneigung zur Anbetung der Götzen iſt weniger allgemein und die grauſamen Gebräuche, welche der Religion der Eingeborenen angehören, find geſchwunden ). Es ſei mir vergönnt, hier einen Theil des indiſchen Reiches, das 1) Wie wenig im Gegentheile europaͤiſche Sitten und Anſichten unter den Hin⸗ du's, die nicht der britiſchen Verwaltung untergeben ſind, durch einen faſt 400 jährigen Verkehr mit Europäern Platz gegriffen haben, geben die Hindu's von Goa Zeugniß, indem z. B. der britiſche Miſſionar Fairbank vor Kurzem berichtete, daß die Hindu⸗ chriſten in dieſer Stadt und zwar nicht allein die Neubekehrten, ſondern auch diejeni⸗ gen, deren Vorfahren ſeit drei Jahrhunderten eifrige römiſch-katholiſche Chriſten waren, noch ſo ſtreng auf Kaſtenunterſchiede halten, wie die reinen unbekehrten Hindu's ſelbſt (Missionary Herald 1853, 27). G. Die neueften Zuſtände des Peng'äb. 355 Peng'äb, ſpeciell zu beſprechen, und aus dem Bericht an die oſtindiſche Compagnie über die Verwaltung jenes Landes in den Jahren 1833 und 185% zu zeigen, welche bewundernswüͤrdigen Einrichtungen für die ſittliche Hebung des Volkes und für die Verbeſſerung des Landes ge— macht worden find. Wenn wir hören, daß außer großen Canal-Ar— beiten in zwei Jahren allein 1349 Meilen der beſten Kunſtſtraßen voll— endet und 852 Meilen !) in Arbeit waren, daß 2489 Meilen tracirt worden find und 5272 Meilen vermeſſen wurden, um ſpäter in Anz griff genommen zu werden, vieler Meilen kleiner Verbindungswege nicht zu gedenken, ſo werden wir der Verwaltung eines Landes, das über 50,000 Meilen umfaßt, unſere Anerkennung nicht verſagen können. Was für die Bildung einer Armee geſchehen iſt, wie das Schulweſen eingerichtet, Achtung vor dem Geſetz eingeflößt, und wie durch Errich— & tung von Banken die Cultur des Bodens gehoben und ſchneller Wohl— ſtand verbreitet wurde, wird uns in allen Details gezeigt. Aber um die Schwierigkeiten, mit denen man hierbei zu kämpfen hatte, ſowie das Geſchick und die Umſicht, mit welchen dieſe überwältigt wurden, richtig zu würdigen, iſt es unumgänglich nothwendig, das Land und deſſen Bewohner in ihren Eigenthümlichkeiten an ſich vorübergehen zu laſſen. Der Theil von Rundjit Sings Königreich, welcher im März 1849 mit dem britiſchen Reiche in Indien vereinigt wurde, wird ſeitdem mit dem Namen des Punjab Proper, oder des eigentlichen Peng'äb ) be- zeichnet. Es iſt ein Land von 50,400 U Meilen, deſſen größte Breite (vom 70 — 75° öſtlicher Lange) 293 Meilen und deſſen Länge (vom 34 — 29e nördlicher Breite) 344 Meilen beträgt. Es iſt einem wei— ten Dreieck zu vergleichen, deſſen ſpitzen Winkel im Süden der Punkt bildet, wo die das Land durchziehenden fünf Flüſſe, zu einem mächti— gen Strome vereinigt, ihre reichen Waſſer dem Weltmeere zuſenden. Nördlich von dieſem Punkte wird die öſtliche Seite durch den Seltletj und ſeinen Zufluß, der Beas, gebildet, und die weſtliche Seite begren— 7 ) Engliſche Meilen und Quadratmeilen find hier überall gemeint. v. O. ) Es findet in der Rechtſchreibung der Namen jener Länder und Volker eine ſo große Verſchiedenheit ftatt, daß wir es vorziehen, meiſt die der Engländer beizube⸗ halten, wobei nur noch bemerkt wird, daß das ü eine dem a ähnliche Ausſprache hat. Laſſen, deſſen Schreibart gewiß die zuverläffigfte iſt, ſchreibt Peng’äb, die Engländer Punſab. Herr v. Hügel weicht in der Schreibart indiſcher Namen von den meiſten ab, er ſchreibt Panjab und Siek, die Engländer Sith. v. O 23 *, 356 L. v. Orlich: zen die Sulimany-Berge und jene Bergkette, die ſich nordwärts dem Thale des Cabulfluſſes zuwendet. Am Nordweſtwinkel lehnt ſich die Baſis an die Hügel, welche das Thal von Peſhawür und Hüzara überragen, und, von dort öſtlich gehend, berührt ſie die untere Grenze des neu gegründeten Königreichs von Jammu und Caſhmir. Die vier Douabs, in welche das Land durch ſeine Flüſſe getheilt iſt, werden noch heute mit denſelben Namen benannt, die ihnen zur Zeit der Mon— golenherrſchaft gegeben waren. Der Bary liegt zwiſchen dem Beas und Ravy, die Rechnah zwiſchen dem Ravy und Chenab, zwiſchen dieſem und dem Jelum der Chuj, und der vom Jelum und Indus einge— ſchloſſene hat ſeinen Namen von dieſem und wird der Sindh Saugor, oder der „Ocean des Indus“ genannt. Der Bary-Douab iſt die Palme von allen, weil in ihm das Central-manjha oder die Heimath der Sikh-Nation und die drei größten Städte: Lahore, Umritſir !) und Multan liegen. Der Anblick des Landes zeigt die größte Mannigfaltigkeit, von der höchſten Fruchtbarkeit zur ſandigſten Wüſte oder den wildeſten Grasſteppen und undurchdringlichem Reiſſiggewächs. Ein Reiſender, der die Verbindungsſtraßen nach dem Norden verfolgt, wird das Pen— gab für den Garten Indiens halten; auf dem Wege zurückkehrend, welcher das Centrum durchſchneidet, wird er es dagegen des Beſitzes nicht werth finden. Die Cultur iſt von zwei Urſachen abhängig, den niederen Abfällen des Himälaya und den Flüſſen, denn von dem Fuße der ſüdlich gelegenen Berge zieht ſich eine Landſtrecke von 50 bis 80 Meilen Breite, die von Gebirgsbächen bewaͤſſert, an Fruchtbarkeit und Cultur im Norden von Indien unübertroffen iſt. Die herabkommenden Flüſſe verbreiten an beiden Ufern Reichthum und Wohlſtand, ihre Waſſer befruchten die anliegenden Länder mit einem Schlamme, auf dem ſich die höchſte Cultur entfaltet. Dieſer Landſtrich, den weder ' Baumſchlag, noch malerifche Formen zieren, wird von dicht bevölkerten Dörfern bedeckt und giebt einem kräftigen, geſchickten und arbeitſamen Menſchenſchlage jährlich zwei wogende Erndten. Inmitten dieſer frucht— baren Gefilde liegen die Hauptſtädte Lahore, Umritſir und die größten Städte des Peng’ab. | | Wie verſchieden ift dagegen der traurige und fremdartige Anblick, ) U in Umritſir wird ebenfalls wie A ausgeſprochen. v. O. | Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 357 welchem das Auge im Innern der Douabs begegnet. Da ſind unab— ſehbare Wildniſſe, dicht mit Gras und Gebüſch bewachſen, die nur ſpär— lich von den Fußtapfen der Rinder- oder Schafheerden unterbrochen werden. Die eigentlichen Bewohner dieſer Jangle's bilden wandernde Hirtenſtämme, die weder Geſetz noch Eigenthum anerkennen und ihre Viehheerden aus den benachbarten Ackerbaugegenden zuſammenſtehlen. Hin und wieder ſteht in dieſer Wildniß ein einzelnes Gehöft, welches von einem halb barbariſchen, recht eigentlich den Urbewohnern dieſer Länder angehörenden Menſchenſchlage bewohnt iſt. Schmale Striche, die von der größten Fruchtbarkeit zeugen, umgeben dieſe einſamen Woh— nungen; denn der Boden iſt reich und lohnt die Bewäͤſſerung, obgleich das Waſſer tief unter der Oberfläche liegt. Ueberall ſind Merkmale ſichtbar, daß dieſe Regionen einſt zu den bevorzugteſten gehörten, in— dem man fortwährend auf Ruinen von Städten, Dörfern, Tempeln, Waſſerbehältern, Brunnen und Ueberrieſelungs-Canälen trifft. Wun— derbar ſind die Wechſel, welche das Land betroffen haben! Aber ein großer Irrthum wäre es, dieſen Regionen nur ein wiſſenſchaftliches oder geſchichtliches Intereſſe beizumeſſen; ſie ſind von dem größten Nutzen. In ihnen liegt die einzige Quelle, aus welcher die Haupt— ſtadt, ja die meiſten Städte und die verſchiedenen Militair-Stationen mit Brennholz verſorgt werden, und hier gedeiht im Ueberfluß das Gras, deſſen man für den Unterhalt der Pferde bedarf, der unerſchöpf— lichen Heerden edler Rinder, Büffel, Schafe und Ziegen nicht zu ge— denken. Dieſe weiten Grasſteppen geben der ausgezeichneten Kameel— Race Nahrung, wodurch der Handel mit Cabul und Central-Aſien geführt wird. Das Peng'äàb kann dieſe Wildniſſe kaum entbehren; fie ſind beinahe eben ſo wichtig, als die cultivirten Strecken. Eine Ausnahme hiervon macht das Sindh Saugur-Douab; we— nig bewachſen und mehr einer Sandwüſte ähnlich, liegt in ihm als einziges Zeichen menſchlichen Lebens das berühmte Fort Münkhera. 5 Doch darf eine Charakteriſtik dieſes Douabs nicht unerwähnt bleiben. Es iſt durch eine Salz-Kette in zwei Theile getheilt, die von Oſten nach Weſten vom Jelum nach dem Indus läuft, unter dem Flußbette 15 rtgeht, an dem gegenüberliegenden Ufer noch einmal zu Tage kommt und ſich endlich den Sulimany-Bergen anſchließt. Dieſe Bergkette iſt von der höchſten Wichtigkeit, indem ſie von unerſchöpflichen Steinſalz— ER 358 L. v. Orlich: Adern angefüllt iſt. Unzählige Thäler und Schluchten winden ſich von dieſen felſigen Bergen in die Ebene, und geben dem ſonſt öden Lande eine Zierde von Cultur. Hier liegen die drei großen Orte: Rawul Pindy, Chüfawul und Pind Dadün Khan, letztes durch feine Salz minen berühmt. Die Blume der Bevölkerung ſind die Jäts; ſie bilden die Mehr— zahl der zur Religion des Nanüf Bekehrten und fie waren recht eigent— lich das Herz und der Kern der Sieh !) und ihrer Heere. Gleich groß im Frieden, wie im Kriege, verbreiten ſie Cultur und Wohlſtand vom Jamna bis zum Jelum und haben ſich zu einer politiſchen Macht von Bhurtpore bis nach Delhi erhoben. Durch Abſtammung und Ge— wohnheit ſind es Freiſaſſen-Bauern — und doch können ſie ſich zweier fürſtlichen Familien rühmen, der zu Lahore und zu Bhurtpore, welche in unſeren Tagen in der erſten Reihe indiſcher Mächte ſtanden. Im Peng'äb zeigen fie all die ihnen angeborenen Fähigkeiten für Krieg— führung und Ackerbau, und durch die Lehnverfaſſung der Khalſa iſt ihnen ein ritterliches und edles Weſen eingeimpft worden. Ihre eigent— liche Heimath iſt die Manjha oder das Centrum des Bary-Douab, deſſen Hauptſtadt Umritſir iſt. Aber außerdem finden ſich zahlreiche Colonien zu Gujeranwalla, in dem Rechnah-Douab, Gujerat, dem Chuj und um Rawul Pindy und in dem Sindh Saugur. Seit Jahrhun— derten iſt der Theil des ſüdlichen Peng' ab, worin Multan die Haupt⸗ ſtadt bildet, durch ſie bevölkert worden, aber ſie ſtehen daſelbſt nicht in ſo hohem Rufe, und ihr Leben iſt lediglich dem Ackerbau gewidmet. In vielen Gegenden, namentlich im Süden, gehören die Jäts dem muhamedaniſchen Glauben an, zu welchem ſich ihre Vorfahren zur Zeit Kaiſer Aurengzeb's bekehren ließen. Nächſt den Sikh's find die Gujur’s, die wahrſcheinlich dem frühe— ſten Alterthum angehören, der zahlreichſte Volksſtamm. Wenngleich die Mehrzahl derſelben dem Hirtenleben treu geblieben iſt, ſo haben doch auch Viele unter ihnen ſich dem Ackerbau gewidmet; auch ſind ſie mehr induftriös und weniger von Vorurtheilen befangen, als ihre Brü— der in Hindoſtan. In dem Norden haben ſich Rajputen heimiſch ge— ) Es iſt vielleicht nicht durchweg bekannt, daß der Name dieſes Volks nicht Seikhs, ſondern Sikhs, wie hier geſchrieben iſt, ausgeſprochen wird. v. O. Die neueſten Zuſtände des PBeng’äb. 359 macht, die von den Bergen herabkamen und ſich in der Ebene anſie— delten; in ihnen leben zwar die kriegeriſchen Eigenſchaften ihres Stam— mes, aber fie find duͤrftige Ackerbauer. Viele von ihnen gingen zur Zeit der Kaiſerherrſchaft zum Muhamedanismus über. Unter den rei— nen Secten der Muhamedaner haben die Pathans allein eine geſell— ſchaftliche Wichtigkeit erlangt. Sie find überall im Lande zerſtreut, le— ben aber hauptſächlich in Multan und Kaſſour; in der letzten Provinz erhielten ſie vom Kaiſer Shah Jehän eine große Landſtrecke als Eigen— thum, und hier gruben fie Canäle, verbeſſerten die Lage des Bauern— ſtandes und machten aus einer wüſten Gegend ein durch Wohlſtand blühendes Land. Sie vertheidigten ihr erbliches Eigenthum mit einer bewundernswürdigen Ausdauer und einer ſeltenen Tapferkeit gegen Rundſjit Sings eigenmächtiges Vordringen, und im letzten Kriege be— ſtanden aus ihnen die beſten Truppen in Major Edward's Corps. Noch müſſen wir eines Stammes unächter Muſelmänner gedenken, der Raens, welche in der Nähe aller großen Städte ſich als höchſt ge— ſchickte und betriebſame Frucht- und Gemüfegärtner auszeichnen; ein anderer Stamm find die Dogras — nicht mit den Dogürs, einem wichtigen Stamme an den Ufern des Setletj zu verwechſeln, — ver— miſchte Rajputen von den Jümmu-Bergen, von einem Rajputvater und einer einer niederen Kaſte angehörigen Mutter abſtammend. Ma— haraja Gülab Sing iſt ein Dogra und nennt ſich mit feinem Clan der wahre Rajput. Dies ſind die Stämme, woraus ſich der Soldat und der Land— mann ergänzen; der dritte Stand, der der Kaufleute und Gelehrten, beſteht aus den Khüttry's. Das Geſchäft eines Handeltreibenden und Gelehrten wird in Indien als ein unmännliches angeſehen, obgleich Gelehrte und Kaufleute an Muth und Entſchloſſenheit den roheren Stämmen wenig nachſtehen, während ſie dieſe in Bildung, feineren Sitten und in Fähigkeiten für weltliche Angelegenheiten überragen. Einige von Rundjit Sing's beſten Gouverneuren und Miniſtern wa— ren Khüttry's. Die Braminen ſind nicht zahlreich, doch haben ſie ſich politiſcher Stellungen zu bemächtigen verſtanden, und Wiſſen und Ge— lehrſamkeit ſind in ihnen vereinigt. Vom Beas zum Cheab iſt die Hindu-Race vorherrſchend, aber überall leben Muhamedaner zerſtreut unter ihnen, und im Süden bil— U ati 360 L. v. Orlich: den die letzten ſelbſt die Mehrzahl. Vom Chenab bis zum Indus be— ſteht die Bevölkerung hauptſächlich aus zum Muhamedanismus bekehr⸗ ten Hindu's, jenſeits des Indus iſt die rein muhamedaniſche Race vor- herrſchend. Unter ſämmtlichen Bewohnern find zwei Drittel Muſel— männer, und unter dem übrig bleibenden Drittel bilden Sikhs die Hälfte, Hindu's den Reſt. Es iſt merkwürdig, daß mit Ausnahme der Sikhs ſich ſämmtliche Hindu's, ſie mögen einem anderen Glauben angehören oder dem ihrer Väter treu geblieben ſein, als zum Gehor— ſam und zum Dienen geboren anſehen. Sie ſind immer bereit, ſich jeder herrſchenden Dynaſtie mit gleicher Hingebung und derſelben Gleich— gültigkeit zu unterwerfen; wogegen die rein muſelmänniſchen Stämme, Nachkommen der Araber und muhamedaniſchen Mongolen, die einſt Indien eroberten, dieſelbe Ungebundenheit, den Aberglauben und die Wildheit der früheren Zeiten in ſich tragen. Sie betrachten dies Reich als ihr Erbtheil und ſich als die Fremden, welche die Vorſehung be— rufen hat, daſſelbe zu beherrſchen. Sie haſſen jede Dynaſtie, ausge— nommen ihre eigene, und ſehen in den Briten die ſchlimmſten Eroberer von allen, weil es die mächtigſten ſind. Reich und mannigfaltig find die Produkte dieſes Landes. Zuder rohr gedeiht überall, Indigo im Süden, und beides wird nach dem Sindh und Cabul ausgeführt. Baumwolle wird zwar gebaut, dürfte aber immer wegen der Unſicherheit der Jahreszeiten ein untergeordne⸗ ter Artikel bleiben. Waizen, Mais und Gerſte ſind von vorzüglicher Qualität; desgleichen werden Reis, Bajra (Holcus spicatus), Tas wär (Holcus sorghum), Däl oder Pulſe, Taback, Sobiya (Dolichos sinensis, eine Art Erbſe) und Urvi (Arum colocasia), eine eßbare Wurzel, gewonnen. Es gedeihen Maulbeeren, Aprikoſen, Pfirſichen, Orangen, Citronen, Pomegranaten, Aepfel, Weintrauben, Datteln, Me— lonen und alle nur erdenklichen Gemüſe. Das Land iſt unglücklicher⸗ weiſe beinahe ganz baumlos, und nur allein die Provinz Multan, in der Dattel- und andere Palmen in wunderſchönen Hainen beiſammen— ſtehen oder viele Meilen lang in majeſtätiſchen Reihen ſich an den Wegen hinziehen, macht eine Ausnahme. Die Hauptſitze für Kunſt und Handel ſind Umritſir im Norden und Multan im Süden. Seidenſtoffe, Teppiche und wollene Tücher bilden die vorzüglichſten Artikel; desgleichen ſind die Eingeborenen ſehr ; * Die neueſten Zuſtände des Peng' Ab. 361 r geſchickt in allen Tiſchler- und Eiſen-Arbeiten und in Anfertigung von Waffen jeder Art. Die Einfuhrgegenſtände beſtehen aus engliſchen Baumwollen-⸗ und Tuchwaaren, Shawls und Wolle aus Caſhmir, trockenen Früchten und Pelzen aus Afghaniſtan. Die Kaufleute, welche aus dem Weſten kommen und das Peng’ab durchwandern, find eine merkwürdige Klaſſe. Sie reiſen in großen Karawanen und in langen Kameellinien, und da ſie durch von wilden und grauſamen Stämmen bewohnte Gebirgspäſſe ziehen müſſen, fo bewaffnen fie ſich bis zu den Zähnen und ſind in der That eben ſo ſehr Krieger, als Kaufleute. Die mancherlei Narben am Körper geben hinreichenden Beweis von den Kämpfen, die ſie auf ihren Reiſen erlebten. Mit einer bewun— dernswürdigen Ausdauer durchziehen dieſe merkwürdigen Menſchen das halbe Aſien und verhandeln die rohen Producte der Tatarei, Cabul's Hund Tibet's gegen die feineren Artikel Europa's auf den Märkten und an den Quai's von Calcutta. Als dieſe eben geſchilderten Länder in ein Königreich durch Run— dlit Sing vereinigt waren, können wir nicht überraſcht fein, zu hören, daß ſeine Regierungsweiſe eine rohe und höchſt einfache war. Fort— während in Kriege und in Politik verwickelt, hatte der Herrſcher wenig Zeit und Muße, ſich für das innere Staatsleben zu intereſſiren. Seine oe im Kriege und in der Politik, die Bildung ſeiner Armee, ſeine Lehns-Reiter und feine ſtandhafte Infanterie mit ihrer europäi— ſchen Disciplin gehören der Geſchichte an. Aber nächſt dieſen war es ein Gegenſtand, der des Monarchen ganze Aufmerkſamkeit in Anſpruch nahm, nämlich die Vertheilung der Auflagen; dieſem wichtigen Gegen— ſtande waren alle übrigen Zweige der Verwaltung untergeordnet. Män— ner von Macht und Einfluß, die ſich durch Muth und Fähigkeit aus— gezeichnet hatten, wurden nach den entfernteſten Provinzen als Pächter der Revenuen mit der unumſchränkteſten Vollmacht geſandt. So lange deren Einſendungen an den königlichen Schatz regelmäßig ſtattfanden, ieß man ihnen die Gewalt über Leben und Eigenthum. Unter dieſen ouverneuren war der geſchickteſte und berühmteſte Sawun Müll in ultan; ihm zunächſt ſtand Gulab Sing, der gegenwärtige Herrſcher von Caſhmir. Die beſten waren Dehſa Sing und ſein Sohn Lena Sing, welche Umritſir und die Manjha mit Umſicht und Milde regier— ten. Der härteſte war ein Europäer, der bekannte General Avitabile, 362 L. v. Orlich: der Peſchawür mit eiſerner Hand beherrſchte, und Hürry Sing, deſſen Tapferkeit und Grauſamkeiten Hüzara wider Willen in Unterwürfig- keit erhielten. Die Militair-Häuptlinge, denen Lehn-Jagirs verliehen wurden, beſaßen dieſe unter der Bedingung, daß ſie mit ihren Reiſi— gen im Felde erſcheinen mußten. In den weder vergebenen, noch ver— pachteten Diſtricten wurden die Local-Tar-Einnehmer Kardars oder Agenten genannt; aber deren Macht hing lediglich von dem Einfluß ab, deſſen ſie ſich bei Hofe erfreuten; ſie waren allein dem Könige und dem Rathe verantwortlich, und, wenngleich die Kardars auch zu Zeiten ganz unumſchränkt handelten, ſo blieben doch ihre wich— tigften Handlungen dem Urtheile des Miniſteriums zu Lahore unter— worfen. So waren im ganzen Staate nur zwei Klaſſen von Beamten: der militairiſche und der Schatzmeiſter, in denen ſich alle Pflichten der Civil-Verwaltung vereinigt fanden. Beſondere Beamte für Ausübung der Civil-Gerichtsbarkeit oder des Criminal-Geſetzes exiſtirten nirgends, als in Lahore, wo ſich ein Beamter für die Gerechtigkeit, Adaluty ge- nannt, aufhielt. Die Thanadars oder Polizeibeamte waren weniger Civilbeamte, als politiſche oder militairiſche Offiziere; ſie hatten zur Aufgabe, Unruhen zu hintertreiben und die Verpflegung der Truppen auf Märfchen zu ordnen. Die im Innern des Landes mit Truppen aufgeſtellten Militair-Führer beſaßen eine von den Civil-Behörden ganz unabhängige Stellung, welche oft dahin ausartete, daß ſie ſich die Macht der Entſcheidung in ſtreitigen Fällen anmaßten. Viele dieſer Commanz danten begingen die ärgſten Erceſſe, und den Marſch der Truppen be— zeichneten Plünderung und Drangſale für die anliegenden Ortſchaften. Die Beſoldung der Kardars und unteren Abgabenſammler war uns ſicher und zweifelhaft; man nahm ſtillſchweigend an, daß ſich dieſelben von Neben-Einkünften bezahlt machen ſollten. Die Finanzen befanden ſich ſeit Jahren ohne Controlle, und erſt am Ende der Regierung des Maharaja wurde eine Art Ueberwachung eingeführt. Rundjit Sing ſelbſt nahm und gab, wie es ihm ſein überaus zähes Gedächtniß ein— gab, oder er half ſich durch feinen Kerbſtock; aber er kannte ſehr gut den verwirrten Zuſtand und die Ehrloſigkeit feiner Beamten, daher ex denn auch, wenn die Umſtände es erforderten, ſich kein Gewiſſen machte, ſeine alten Diener oder deren Familien zu plündern. ; Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 363 | Ein geſchriebenes Geſetz exiſtirte nicht, die Juſtiz wurde in einer etwas rohen Weiſe ausgeübt. Perſönliches Eigenthum, die Rechte der Landbeſitzer und Landbauer, die Corporationen der Dorfgemeinden wur— den geachtet und geſchützt; aber unter der Leitung der Ortsbehörden, wo oft die ſchwierigſten Fragen über perſönliches Eigenthum verhandelt wurden, fielen Willkürlichkeiten vor, denen kaum vorgebeugt werden konnte. Der Maharaja hörte auf ſeinen vielen Wanderungen durch das Land immer willig die Beſchwerden an, empfing bei Hofe Jeder— mann, der ihm eine Klage vorbrachte, und ließ ſeinen Aerger denjeni— gen Gouverneur, über den beſonders viele Klagen eingingen, fühlen; aber dies war nur ein Palliativmittel. Der ungeſchriebene Strafcoder enthielt nur zwei Strafen, Geld— ſtrafen und Verſtümmelung; da war kaum ein Verbrechen vom Dieb— ſtahl bis zum Morde, von dem man ſich nicht loskaufen konnte. Eines Menſchen Leben wurde mit 1000 bis 10,000 Rupien beſtraft; aber es kamen Fälle vor, daß ein berüchtigter Mörder oder Straßenräuber mit hohem Lohne und ſelbſt als Offizier der Armee einverleibt wurde. Ver— ſtümmelung des Körpers wurde über den Ehebrecher, den Dieb oder Räuber verhängt; Gefängnißftrafe kannte man kaum, und eine Lebens— ſtrafe iſt von Rundjit Sing niemals vollzogen worden. Dagegen hatte er nichts einzuwenden, wenn in den entfernten und unruhigen Provin— zen von Peſhawür und Hüzara Avitabile ein drakoniſches Verfahren befolgte, und Hürry Sing Verbrecher in Menge enthauptete oder vor den Mündungen der Kanonen auffliegen ließ. Eine ſpecielle Schilderung des Grenzdiſtrictes Hüzara und der Provinz Peſhawür iſt nothwendig, wenn wir ein treues Bild von dem neuen Reiche und ſeiner hohen Bedeutung mit Bezug auf Cen— tral⸗Aſien gewinnen wollen. Jener Diſtrict von Hüzara liegt in dem äußerften Nordweſtwinkel des Sindh Saugur Douab, zwifchen den Flüſ— ſen Jelum und Indus, und beſteht aus einer Reihe, von Bergen eingeeng— ter, Thaler; unter dieſen Bergen find die merkwürdigſten der Dond und die Sütty⸗Berge — auf einem Vorſprunge derſelben iſt jetzt die Ge— undheits⸗Station von Mürry erbaut — desgleichen die Bhangri-Berge genüber dem hochgelegenen Mahaban, welches, obgleich am anderen r des zes. gelegen, die ee Gebirge überragt. Das 364 L. v. Orlich: von 2500 Meilen kaum mehr als der zehnte Theil eben iſt. Die einzige Ebene von Bedeutung iſt das eigentliche Hüzara, worin das Cantonement von Baru-Kote und die Hauptſtadt Hürripur liegen; dann verdient noch das Thal von Päkli, das noch kleinere von Khan— | por und der Landſtrich zwiſchen dem Indus und dem weit berühmten Berge von Gündgürh einer beſonderen Erwähnung. Dieſer Berg war, bevor britiſche Macht hier herrſchte, eine Feſte der ärgſten Banditen, welche die große Straße durch Haſſan Abdal nach Peſhawür beun— ruhigten; am Fuße eines ſeiner nördlichen Vorſprünge, gegenüber Hürripur, liegt das befeſtigte Dorf Narry, woſelbſt die Sikhs von den Gebirgsbewohnern mehrmals zurückgeſchlagen wurden, und in welchem Major Abbott während der letzten Inſurrection eine Zuflucht fand. Die Schlucht von Khagan, ſtellenweiſe das felſige Bett des Nyn- ſükh⸗Fluſſes, von beiden Seiten von ſteilen Gebirgen eingeſchloſſen, verdient nicht den Namen eines Thales, und wird nur feiner natür⸗ lichen feſten Lage und der daſſelbe bewohnenden gefährlichen kleinen Häuptlinge wegen erwähnt. Die Syuds von Khagan befanden ſich an der Spitze unter den Vertheidigern des Syud Ahmed, der ſeinen Tod am Ausgange dieſer Schlucht bei Balafote fand, wo er mit einigen Hunderten roher Gebirgsbewohner gegen die Bajonette von Tauſenden von Sikh-Soldaten unter Shyr Sing (damals Kour Sing) ſich ver— theidigte. Das Defilée verfolgt dann eine nordweſtliche Richtung nach den Grenzen von Hizara und Chilas und windet ſich zu dem Laufe des Nynſück-Fluſſes, in deſſen Thalbett es ausläuft. | Die Gukhyns, Gaggers und die anderen Hüzara bewohnenden Ureinwohner wurden meiſt von den Pathan-Eroberern, die von jenſeits des Indus herüberkamen, beherrſcht. Ihre Häuptlinge, welche ſich in ihren Burgen ſicher fühlten, waren durch Blutsverwandtſchaft und gleiches Intereſſe unter ſich verbunden, ſowie mit Stämmen von noch wilderer Natur, als ſie ſelbſt, und gewohnt, nicht nur jeder geſetzlichen Gewalt Hohn zu ſprechen, ſondern auch Löſungsgelder von den Be— herrſchern des Peng'äb zu erheben. Weder die Mongolen, noch die auf fie folgenden Duranis (Afghanen) konnten derſelben Herr wer den, und die Sikhs, nachdem ſie dieſelben oft bewältigt hatten, erreich— ten deren Unterwerfung durch mannigfache Handlungen von Grauſa l keit und Verrath nur dem Namen nach. Die Eroberer beſaßen wenig Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 365 mehr, als den Boden, den ihre Beſatzungen einnahmen, und die Folge war, daß die Gebirgsbewohner, die allein durch fortwährend bewegliche Colonnen in Ruhe erhalten werden konnten, den Krieg am Setletj benutzten, ſich in Maſſe erhoben und alle Forts wieder eroberten. Bei der Vertheilung des Sikh-Reiches fiel Hüzara zu Gulab Sing's Antheil, aber man erkannte bald, daß der Maharaja ganz un— fähig war, dies Land zu ſeinem eigenen Vortheil oder zum Wohle der Bevölkerung zu regieren, und da deſſen gänzliche Unterwerfung den unruhigſten Köpfen der aufgelöſten Sikh-Armee Gelegenheit zur Thä— tigkeit geben würde, fo wurde auf Sir Thomas Lawrence Rath Hü— zara gegen einen Landſtrich ausgetauſcht, der an die Jammu-Grenze anſtößt. Major Abbott, der mit dieſem Austauſche beauftragt wurde und die neuen Grenzen zwiſchen dem neuen Königreich Caſhmir und dem Peng’äb feſtſetzte, übernahm zugleich die Verwaltung von Hüzara. Er befindet ſich noch daſelbſt, und es iſt ihm gelungen, die wilden Stämme durch Güte und Verſöhnung zu gewinnen, indem er ſie ledig— lich durch moraliſchen Einfluß beherrſcht. Die ackerbauenden Klaſſen haben ſich einer kleinen Abgabe unterworfen, aber es ſind noch die Elemente einer unruhigen und müßigen Soldatenklaſſe vorhanden, die, von fanatiſchen Prieſtern geleitet, in einem ſo unwegſamen Lande ſtets Gelegenheit zum Angriff, zur Flucht und zur Vertheidigung finden. Das Gündgurh-Gebirge iſt von Räubern gereinigt worden, doch iſt ſtets Gefahr in den Bangry- und Khagan-Päſſen zu beſorgen, wo es in den feſten Burgen der Donds und Sütti's, welche auf hohen Fel— ſen von ſchäumenden Fluͤſſen umgeben liegen, wenigen kriegeriſchen Prieſtern mit ihren Anhängern möglich iſt, ſich gegen eine ſtarke An— zahl von Truppen auf längere Zeit zu halten. Ein ſolches Land kann durch keine Armee beherrſcht, ſondern nur durch eine kräftige Polizei, die weder beläſtigend, noch inquifitorifch iſt, und durch Verleihung von Gerechtſamen an die einflußreichen Klaſſen an die britiſche Herrſchaft und deren civiliſtirendes Syſtem gewöhnt werden; die Verſtärkung des rry⸗Forts und eine kleine, auf dem Kriegsfuß ſtehende und jeden Augenblick in's Feld zu rücken bereite Abtheilung werden im Nothfalle den gehörigen Nachdruck geben. In Nordweſten von Hüzara am rechten Ufer des Indus liegt die Provinz Peſhawür, die aus den vier Diſtricten: Euſufzye, Hüſht— 366 L. v. Orlich: nügger, Doaba und dem eigentlichen Peſhawür beſteht. Dieſes weit berühmte wunderſchöne Thal bildet den äußerſten Winkel des neuen Reiches und iſt an drei Seiten von den Kheiber-, den Mohmund- und den Swat- und Khuttük-Bergen eingeſchloſſen, und an der vierten von dem offenen Waſſerſpiegel des Indus beſpült. Der Kabulfluß und ſeine reichen Zuflüſſe, wovon der Swat und die Bara die haupt— ſächlichſten find, verbreiten durch ihre fruchtbringenden Waſſer Segen und Wohlſtand über dies Land, das einen Flächenraum von 2400 OJ Meilen umfaßt und von der großen Straße durchſchnitten wird, auf welcher alle Eroberer Indiens mit ihren Heeren zogen. Euſufzyie, ſüdlich vom Indus begrenzt, wird nördlich und öſtlich von den Swatbergen und weſtlich vom Kabul und der Mehra oder dem Wüſtenplateau zwiſchen dieſem Fluſſe und dem Häſhtnügger ein— geſchloſſen. Es iſt eine vollſtändige Ebene mit Ausnahme der öſtlich daſſelbe durchbrechenden Abfälle der Swatgebirge. Seine Einwohner, die Pathans, ſind ſtolz, kriegeriſch und über die Maßen empfindlich in allen durch Gebrauch und Sitte dem Familienleben angehörenden Dingen. Sie erhoben ſich gegen Syud Ahmed, dieſen Häuptling von prieſterlichem Charakter, weil er ihre angeborenen Gefühle und Vor— urtheile gewaltſam bekämpfen wollte. Eine ſolche leicht erregbare Em— pfindlichkeit charakteriſirt mehr oder weniger alle dieſe Gebirgsvölker, und auch die Sikhs konnten von den Pathans die Abgaben nur durch Waffengewalt erzwingen. Die wilden Häuptlinge vertheidigten ſich ſo lange in ihren befeſtigten Dörfern, bis Kanonen gegen ſie aufgefahren wurden, flohen dann in die Gebirge und überließen es ihren Feinden, zu plündern und die Dörfer in Brand zu ſtecken. Nachdem die Sikhs das wenige Vorgefundene zuſammengerafft und zerſtört hatten, zogen ſie ſich zurück und wiederholten daſſelbe Verfahren nach ein oder zwei Jahren. Oberſt Lawrence läßt dieſe Stämme durch ihre eigenen Häupt— linge oder Khans regieren, und hat es vermocht, daß ſie ſich jedes be— waffneten Widerſtandes enthalten und freiwillig eine kleine Abgabe ent richten. Seitdem ſieht man ſie nicht mehr bis zu den Zähnen bewaff— net ihre Felder bebauen, während ſie bisher mit dem Säbel zur Seit und die geladene Luntenflinte auf dem Rücken hinter dem Pfluge gin gen; ihrem kriegeriſchen Geiſte geben ſie dadurch Nahrung, daß ſie ſich Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 367 in den britiſchen Regimentern einreihen laſſen, wo ſie ſich als die beſten Soldaten Indiens auszeichnen. Zwiſchen Euſufzye und Hüſhtnügger liegt die „Mehra“, eine öde und wüſte, ſtellenweiſe von Hohlwegen unterbrochene Ebene, die lauern— den Banditen zum Aufenthaltsort dient. Meilenweit iſt kein Dorf zu ſehen; aber die Einöde wird von Zeit zu Zeit von rieſenhaften Tu— muli und Ziegelhaufen unterbrochen, den Ueberreſten einer untergegan— genen Civiliſation; denn der Boden iſt von guter Natur und kann ſehr ertragreich gemacht werden, wenn von dem Swätfluſſe aus ein Canal durch das Land gegraben würde. Hüſhtnügger, ein ſchmaler aber fruchtbarer Landſtrich, war meh— rere Jahre die Lehn-Domaine von Doſt Mohamed's Bruder, dem Sul— tan Mohamed, und hat ſeinen Namen von acht großen Dörfern, die an dem Stwätfluffe liegen. Das hauptſächlichſte derſelben iſt Jungi, nahe dem Punkte, wo der Fluß aus dem Gebirge heraustritt, und es war dieſer Ort, von welchem Argun Khan im Jahre 1852 in's Gebirge floh und von dort zurückkehrte, um den britiſchen Tehſildar zu ermorden. Eine Brücke über den Swätfluß, ſowie eine regelmäßige, durch Polizei bewachte Verbindung wird in Zukunft ſolchen Abſcheu— lichkeiten vorbeugen. Duba iſt von den Flüſſen Swät und Cabul eingeſchloſſen. Das Land iſt feucht und des reichſten Ertrages fähig und die Bewohner friedlich geſtimmt. Die Errichtung eines Militairpoſtens zu Shub Küd- der und Dubb gewährt Sicherheit gegen die Einfälle von Räubern aus den Mohmund-Gebirgen, von denen es früher oft heimgeſucht wurde. Das eigentliche Peſhawür ) zerfällt in zwei Theile, deren einer am rechten Ufer des Cabulfluſſes liegt und ſich bis zu den Khut— tük⸗ und Afriedie⸗Bergen, die in einem Punkte bei Attock zuſammen— treffen, erſtreckt; der andere Theil von der Form eines Dreiecks, deſſen zwei Seiten durch den Cabulfluß und die Bara und die Baſis von r Bergen gebildet ſind, iſt der am höchſten cultivirte Land— 755 Es wird Peſchauer ausgeſprochen; fo ſchreiben auch die Engländer Khyber, ir der Name wird Kheiber ausgeſprochen. v. O. 368 L. v. Orlich: ſtrich im ganzen Thale. Im Herzen deſſelben ſteht die Stadt Peſha- wür, 18 Meilen von dem berühmten Kheiberpaß. Unter dem harten Drucke der Sikhs, den dieſe glaubten ausüben zu müſſen, um ſich die Provinz zu erhalten, verſiegte der Handel beinahe gänzlich; aber ſeit— dem der Druck aufgehört hat und alle Einſchränkungen weggeräumt ſind, gewinnt der Handel täglich mehr an Ausdehnung. Die Ein— wohner des eigentlichen Peſhawür beſtehen aus gemiſchten Stämmen und ſind ohne politiſche Wichtigkeit; ſie ſind arbeitſam und friedlich, und ſeit Jahren an den Druck harter Herren und wilder Nachbarn gewöhnt. Unter den Sikhs war die Verwaltung dieſer Provinz in den Händen Avitabile's !), der ſich jo mit dem Volke, unter welchem er lebte, verbrüdert hatte, daß keine Spur europäiſcher Civiliſation in allen feinen Handlungen bemerkbar war. Avitabile's Criminal-Coder war Blut für Blut, beſonders wenn der Ermordete den Sikhs ange- hörte; ſeine Anſicht war, eher das Opfer eines Verbrechers, als die Beſtrafung der Schuld. In dieſer Beziehung verletzte er das Princip der Sikhs-Gerichtsbarkeit, die der Todesſtrafe abhold war. Seine Ver— beſſerungen im Lande wurden in rauher Weiſe vorgenommen, ſeine Truppen hielt er in Ordnung, wobei er ſich der ſonderbarſten Mittel bediente; denn als einſt eine Brigade eines Geldgeſchenks wegen ſich auflehnte, bewilligte er das Geſchenk, aber er rief die benachbarten Ge— birgsſtämme, um die mit Schätzen beladenen Rebellen zu plündern. ) Avitabile hatte unter Murat in der neapolitaniſchen Reiterei gedient. Er kam im Jahre 1823 nach Lahore und wurde unter ſehr vortheilhaften Bedingungen als General in Rundjit Sing's Heere angeftellt. Als er ſpäter mit dem Gouverne— ment von Peſhawür beauftragt wurde, wußte er ſich ein nicht unbedeutendes Vermö- gen zu erwerben, und da Peſhawür für die britiſche Armee in ihrem Kriege gegen Afghaniſtan von großer Wichtigkeit war, ſo hatte Avitabile Gelegenheit, ſich den Eng— ländern nützlich zu zeigen. Manche Beweiſe der Anerkennung und des Dankes ſind ihm deshalb von den engliſchen Offizieren geworden; aber wegen feines grauſamen und unmenſchlichen Verfahrens ſind ihm die Ehren verſagt worden, welche einem Manne ſeiner Stellung unter anderen Umſtänden zu Theil geworden wären. Sir William Nott erzählte mir, daß er, ſich auf ſeinem Rückmarſche aus Afghaniſtan eines frühen Morgens mit feinem Corps der Stadt Peſhawür nähernd, nicht weniger, als neun Afriedie's an den Dattelbäumen aufgehangen fand, die Avitabile ohne Urtheil und Recht, weil ſie von den Sikhs als Plünderer eingefangen waren, zum Hänge verurtheilt hatte. Avitabile kehrte mit Reichthümern beladen nach Europa zurück, ließ ſich in Neapel nieder, verſchwendete viel Geld in kindiſchen Bauten und ſtarb, mit ſich und der Welt zerfallen, vor wenig Jahren. v. O. N Die neueſten Zuſtände des Peng'äb. 369 1 Der letzte Gouverneur war Rajah Shere Sing Atarivalla, den der Reſident ſeiner Willkuͤrlichkeiten wegen entfernte und wofür er den Sirdar Gulab Sing Puvindea unter Oberſt Lawrence's Leitung einſetzte. Den gemeinſamen Anſtrengungen Beider gelang es, den Einfällen der Plün— derer vorzubeugen, die Taxen zu erleichtern, und im Militair- und Ver— waltungsweſen die nöthige Oeconomie einzuführen; die hier ſtehenden Regimenter blieben der Regierung noch ſechs Monate nach dem Auf— ſtande in Multan treu. Seitdem die Provinz unter britiſcher Hoheit iſt, befindet ſich hier ein regulaires Corps von 10,500 Mann, wozu 2 Regimenter europäifche Infanterie und 700 Mann europäiſche Ar— tillerie gehören. Ein Wacht-Fort iſt bei Jümmud errichtet, um den Ausgang des Kheiberpaſſes zu bewachen. Die Beſatzung der Stadt ſelbſt iſt ſtark genug, ſich unter gewöhnlichen Umſtänden zu halten und kann ohne Gefahr einen Tagemarſch in's Gebirge antreten. Die Po— lizei iſt vortrefflich eingerichtet, vom beſten Geiſte beſeelt, und wird, von guten irregulären Truppen unterſtützt, kräftig genug ſein, das Thal auf einige Zeit zu vertheidigen. Zwei Brücken über den Swät— und über den Cabulfluß ſind ihrer Vollendung nahe und werden die ungehinderte Verbindung mit den äußerſten Poſten ſicher ſtellen; aber bis nicht eine maſſive Brücke über den Indus bei Attock erbaut iſt, muß das Thal von Peſhawöür ſtets Beſorgniß einfloßen. 75 Südlich von Peſhawür liegt Kohat, ein von Bergen eingeſchloſſe— nes Thal von 35 Meilen Länge und durchſchnittlich 4 Meilen Breite; ſuͤdlich von Kohat befindet ſich Bünnu, weſtlich das Wuziri- und Bun— güſh⸗Land, und öſtlich begrenzen Kohat die den Indus einſchließenden Abhaͤnge. Es iſt dieſe Landſchaft eine koſtbare, aber politiſch der briti— ſchen Regierung nothwendige Laſt, weil Kohat Peſhawür mit den auf der anderen Seite des Indus liegenden Beſitzungen in Verbindung er— hält. Von Peſhawür aus kann man Kohat vermöge zweier Päſſe er— reichen; beide gehen durch die Afriedie-Gebirge; der kürzeſte und gang— barſte iſt ein gefährliches Defilde von 14 Meilen und führt durch eine beinahe ganz waſſerarme Gegend; der andere iſt ein ſchwieriger und einen Umweg bildender Paß, nach den hier lebenden Jauckel Afriedies ö be annt. Vom Indus kann das Thal gleichfalls vermöge zweier Päſſe, den von Kuſhalgürh und den von Kalabagh, erreicht werden; beide gehen durch das Khuttük-Gebirge. Zwei andere Päſſe verbinden es Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 24 Ft * * 370 L. v. Orlich: mit Bünnu: der Surdük⸗Paß von 7 Meilen Länge und direct zwi⸗ ſchen Bahadur Kheyl und Lüttümmer und der Kunk⸗i⸗gao, ein Um⸗ weg von Nurri nach Khurrük, der aber ſchwierig iſt. Die Abgaben ſind niedrig geſtellt, weil ſich die Dorfbewohner, di halsſtarrigen Charakters ſind, in die Gebirge flüchten würden, ſobald Zwangsmaßregeln ſtattfänden. Eine Ausnahme machen die Khuttüks, ein friedſamer Menſchenſchlag, der ſich ſtets treu und gehorſam zeigte, und deren Häuptling Khevaja Mahomed Khan, welcher den ſüdlichen Theil dieſes Bergdiſtricts in Pacht beſitzt, der Regierung bei mehreren Gelegenheiten treue Dienſte geleiſtet hat. Das Thal von Kohat iſt ſeiner Salzwerke wegen berühmt, von denen das größte, bei Bahadur Kheyl gelegene, durch ein Fort geſchützt wird. Als eine Fortſetzung des Kohat⸗Thales ſchließt ſich ein 20 Mei⸗ len langes und 2 bis 3 Meilen breites Thal, das Hurgu⸗Thal, an, welches in die quadratförmige Ebene von Myranzye ausläuft. Dieſe Ebene hat einen Umfang von 9 Meilen und iſt ſüdweſtlich vom Khu⸗ rünfluſſe begrenzt und wird von ſieben befeſtigten Dörfern beherrſcht. Jedes derſelben bildet eine ganz in ſich abgeſchloſſene Macht; aber lei⸗ der entſtand durch den Einfluß der Wuzeri's und anderer Stämn die ſich einiger der beſten Ländereien zu bemächtigen wußten, ei Parteigeiſt, der die frühere Einigkeit zu zerſtören droht. Kohat iſt von Peſhawür getrennt und wird vom Capitain Coke verwaltet. Suͤdlich von Kohat liegt das Thal von Bünnu, zu welchem man durch die bereits erwähnten zwei gefährlichen Päſſe von Surdük und Kunk⸗i⸗gao gelangen kann. Der Boden deſſelben iſt meiſt reich und fruchtbar, bewäſſert vom Khurün und durchzogen von Ueberrieſelungs⸗ Canälen; der einzige unbebaute Theil iſt der „Thül“ oder Weidegrund am Fuße der Berge. Während der Wintermonate weiden daſelbſt die Wuzeri's ihre Schaf- und Rinderheerden, wobei fie nebſt ihren Fami⸗ lien in patriarchaliſcher Weiſe unter Hütten von Holzgeſtell, mit Thier⸗ häuten bezogen, ſich niederlaſſen. In den Sommermonaten wandern fie mit ihren Heerden und ihrer Habe in die kühlen Gebirge. Dieſer Stamm hatte in früherer Zeit von den Beſitzungen der Bünnuchi's einen fruchtbaren Landſtrich geraubt, in deſſen Beſitz er von der brit ſchen Regierung beſtätigt wurde. Seine Dörfer find gut gebaut und waren vordem von Wällen eingeſchloſſen; aber alle dieſe Befeſti— Die neueſten Zuſtaͤnde des Peng’äb. 371 gungen ſind nun zerſtört. Bei dem Hauptorte Dulip Gürh liegt ein ziemlich ſtarkes Fort mit Baracken für die Armee; eine Militairſtraße führt dahin. Aller Anſtrengungen ungeachtet, dieſe Stämme für ein mehr civiliſirtes Leben zu gewinnen, laſſen ſich doch nur geringe Fort— ſchritte wahrnehmen, weil die Stämme ſich mißtrauiſch und einer beſſe— ren Exiſtenz abgeneigt zeigen. Es find dies die Folgen der treuloſen und willkürlichen Handlungsweiſe der Sikh-Regierung, welche bald urch Nachgiebigkeit und Schwäche, bald durch übermäßige Härte ihre Abſichten durchzuſetzen ſuchte. Dem Major Edwards gelang es in vier Monaten durch Umſicht, Wahrheit und Menſchenliebe die Bünnu— hs, fowie die Wuzeri's für die britifche Regierung zu gewinnen; fie unterwarfen ſich einer Taxe, ſchleiften ihre Forts und Wälle und erkannten die Gerichte an. Drei andere Thäler verdienen noch einer beſonderen Erwähnung. Das nächſte, das von Mürwüt mit feinem durſtigen Boden und feinen ſchoͤnen Menſchen, hat weder Brunnen, noch Canäle und iſt ungeach— tet der zwei kleinen Flüſſe (Khurün und Gumül), die es durchfließen, waſſerarm. Dennoch iſt der Boden des höchſten Ertrages fühig und giebt nach Regenſchauern den reichſten Segen. Die Bewohner ſind weder treulos, noch rachſüchtig; aber leicht erregbaren Geiſtes werden ſie ſich jedem Unrecht mit Gewalt widerſetzen. Sie erhoben ſich 1846 m Maſſe und verſuchten, ſich des Forts von Lukkie zu bemächtigen. Mit dieſem Thale in Verbindung ſteht das von Eſa Kheyl, ein länglicher Streifen Landes zwiſchen dem Indus und einer ſpitz aus— laufenden Vergkette des Khuttäk, welche ſüdlich dieſer Ebene vordringt. C liegen in letztgenanntem Thale 45 Dörfer, die früher wenige oder feine Abgaben zahlten, weil die Gebirgsſtämme des Khuttük fie perio— diſch ausplünderten; da ſie jedoch heute vor dergleichen Anfällen ſicher geſtellt find, fo müfjen fie den Tribut entrichten, dem ſich ihre Nach— n unterworfen haben. Südlich von Bünnu liegt das Jänk-Thal, erbunden mit dem von Mürwüt durch den Pyzu-Paß und mit Bünnu urch den von Mulizye; in Reichthum, Schönheit und politiſcher Lage iſt es dem Thal von Bünnu ſehr ähnlich. Es erheben ſich über dem— ben die Wuzeri- und Büttani-Berge; da jedoch mehrere Paͤſſe freien Eingang geſtatten, ſo waren die Bewohner den Einfällen eines der a Gebirgsvölker ausgeſetzt. Seitdem das Thal mit dem 24 * 6 372 L. v. Orlich: britiſch-indiſchen Reiche vereinigt iſt, haben indeſſen keine Einfälle mehr ſtattgefunden, was auch dem klugen und umſichtigen Benehmen des Häuptlings Shah Nowaz Khan zu danken iſt. Er war von den Sikhs vertrieben worden, aber weil er vom Volke geliebt iſt und einer alten Familie angehört, wurde er durch Major Edwards in ſeine Würden wieder eingeſetzt. | Wenn man von Jänk ſich dem Sindh zuwendet, fo find die merk— würdigſte Erſcheinung in der Gebirgskette die ſogenannten drei „Jockes“; es ſind dies enge, ſpitz zulaufende, die äußere Kette von der inneren trennende Defileen. An einigen Stellen find deren Kehlen fo verengt, daß ſie am Felſen, wie Spalten erſcheinen, nicht breiter, als zehn kleine Schritte. Der Durchgang iſt überaus ſchwierig, weil der Felſen quer darüber läuft, und da, wo er ſich etwas erweitert, haben die Winde hohe Sandmaſſen aufgethürmt. Dieſe dem Fremden beinahe ungang— bar erſcheinenden Schluchten werden von den Gebirgsbewohnern und deren Pferden leicht überſchritten und dienen den auf Raub Ausgehen— den zum Schutze und als Hinterhalt. Von dieſen Defileen laufen paralell mit der äußerſten Bergkette unzählige Ausgänge in die Ebene, Der Fuß des Gebirges zeigt ſich von einer „Mehra“ eingefaßt, einer offenen und wüſten Fläche von 10 bis 20 Meilen Breite, worin auf beiden Seiten nur einige Dörfer liegen; gegen Süden, nahe Dehra Gazi Khan, verkürzt ſich dieſelbe und iſt mit allerlei Gebüſch bewach— ſen, während ſie ſonſt kahl und ohne jedes Pflanzenleben iſt. Die an dieſen unfruchtbaren Landſtrich angrenzenden Dörfer liegen in weit Entfernungen von einander und ſind mehr oder weniger befeſtigt. Ge treidefelder liegen zerſtreut um dieſelben und werden durch Ueberwäſſe— rungen aus eingemauerten Teichen (nicht Brunnen), in welche di Bäche aus den Gebirgen mittelſt Terraſſen geleitet ſind, befruchtet. Dies Bewäſſerungs-Syſtem iſt ſo unvollkommen und unſicher, daß di Felder entweder von dem übermäßig zuſtrömenden Waſſer zerſtört wer— den oder fo ſpärlich bewäſſert find, daß die Erndte fehlſchlaͤgt. Bri— tiſche Ingenieur-Offiziere find jetzt damit befchäftigt, dieſe regelloſe Zuflüſſe in ein geſichertes Leitungsſyſtem zu bringen. f Der den Indus begleitende Alluvialboden iſt von dem ander Flüſſe wenig verſchieden, ausgenommen, daß die Ueberſchwemmungen ſich weiter erſtrecken und mit mehr Ungeſtüm verbreiten. Am rechte Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 373 ufer liegt der Derajüt oder der Lagergrund der Khans von Ismael, Futteh und Ghazi, alles Häuptlinge der großen Afghanen-Invaſion im vorigen Jahrhundert. Dera Ghazi Khan iſt ein wunderlieblicher Fleck, umgeben von den üppigſten Dattelpalmen-Hainen. Außer die— ſen find Kalabagh am Ausgange der Khuttükberge und Mithün-Kote am Zuſammenfluß der fünf Ströme Orte von Bedeutung, deren Handel außerordentlich zugenommen hat und von großer Wichtigkeit werden wird, wenn die Schifffahrt auf dem Indus vollſtändig geordnet iſt. Wenngleich in dem Vorhergehenden einige der weſentlichſten Cha— rakteriſtiken der Bewohner jener Länder hervorgehoben wurden, fo er— fordert doch die politiſche Bedeutung der Gebirgsvölker, daß wir den— ſelben noch eine allgemeine Betrachtung widmen. Die beiden vorherr— ſchenden Stämme ſind erſtens die aus Afghanen und Nachkommen der Türken vermiſchten Stämme und zweitens die Beludſchen-Stämme. Die erſten find im Beſitz der Gebirge von Hüzara und Peſhawür bis Dera Fatteh⸗ Khan, und beſtehen aus den Turnoulies, Momunds, Afriedies, Khuttuts, Pathans, Bungüſh, Orakzyes, Wuzeris, Sheranis und Bhut— tenis. Die Beludſchen leben in den Gebirgen von Dera Fatteh-Khan bis zu dem ſüdweſtlichen Ende des Derajat und bis zu den Grenzen des Sindh; zu ihnen gehören die Uſhteranis, die Bozdars, Ligharies, Bugtis, Murris und Ghurchanis. Die Turnoulies gehören haupt— is zu Hüzara, obgleich fie Ländereien auf beiden Ufern des Indus beſtzen Vereinigt mit den Jaduns, mit den Chugerzyes, Huſſünzyes und anderen Pathan-Stämmen waren ſie ſehr gefährliche Gegner der Sitte, und in ihrem Lande war es, wo vor drei Jahren der Abgaben- Einnehmer Carne ermordet wurde. Wieſtlich und ſüdweſtlich von Peſhawür iſt der mächtigfte Stamm der der Afriedies, welche ſich im Beſitze der Kheiber- und Kohat-Päſſe befinden. Die zahlloſen Zweige des Stammes (Kheyls genannt) ſind, jeder von ſeinem Häuptling geführt, in Parteien geſpalten und ver— einigen ſich nur, um den Fürſten des Peng' ab und Cabuls zu wider ſtehen oder, wenn es gilt, von Reiſenden und Kaufleuten Brand— ſchatzung zu erzwingen. Die größten Eroberer Indiens und die mäch— ligſten Herrſcher im Norden von Indien, wie Ghengiz, Timur, Babur, Nadir Shah, Ahmud Shah, die Barukzyes, die Sikhs und zuletzt die Briten haben die Afriedies in ihrem Solde gehabt. Gegen alle ſind 374 L. v. Orlich: die jeder Herrſchaft ſich widerſetzenden Gebirgsbewohner treulos gewe- ſen. In jedem Kheyl ſind Einige, welche von der Regierung Geld annehmen, während der Reſt die Convoys anhält, die Bagage plün- dert und die Nachzügler ermordet. Ihre Berge, nahe dem Kheiber, ſind für militairiſche Operationen ſehr ſchwierig; aber die hochgelege— nen Länder von Türi, die ſich bis in's Innere erſtrecken und in wel- chen die Afriedies, Orakzyes und Andere ihren Sommer-Aufenthalt nehmen, laſſen ſich von Kohat aus leicht erreichen und haben ein ganz europäiſches Klima. Ihre Niederlaſſungen ſind in der Ebene zerſtreut, wo der Boden durch das Schwert erobert iſt, und die Abgaben ſehr unregelmäßig und unwillig entrichtet werden. Die Stämme find je- doch der Landwirthſchaft nicht abgeneigt, denn Afriedies, welche nah Türrükbad gezogen ſind, bebauen die dortigen Pachtungen gleich den fruchtbarſten Gartenländereien. Die Afriedies ſind tapfer, ausdauernd und treffliche Schützen, ja fie gelten im Guide-Corps ſogar als die beſten der Schützen; ungefähr 200 wurden den Peng'äb-Regimen⸗ tern einverleibt. Als Escorten oder Schildwachen, um Gelder zu bewachen, kann man ihnen nicht trauen; im Kampfe ſind ſie dage— gen unermüdlich und demjenigen treu, dem ſie ihre Dienſte widmen, und fie würden ſelbſt gegen ihre eigenen Brüder den Kampf auf Le ben und Tod beſtehen. Daſſelbe Sonderbare zeigt ſich im Charakter der fanatiſchſten Muſelmänner, die im Dienſte von Hindu's, Sikhs oder Briten gegen die eigenen Glaubensgenoſſen gekämpft haben. Die Momund's erwieſen ſich vor nicht langer Zeit in einem Ge- fecht, wo ſie mit den britiſchen Truppen vereinigt in den Kampf tra- ten, als ſehr unzuverläſſig. Sie bewohnen die Berge nördlich vom Khei- ber und zu beiden Seiten des Cabulfluſſes; ihre Hauptſtadt Lalpurah liegt jenſeits des nordweſtlichen Auslaufs des Kheiber. Auch haben ſie ſich nach den Ebenen ausgedehnt und ſind bereits im Beſitze der 3 reichen Ländereien an der Duba, von Michni, wo der Cabul aus den Gebirgen heraustritt, bis Mutta am Swätfluſſe; desgleichen haben ſie ſich ſüdlich vom Cabul angeſiedelt. Obgleich ihr Charakter in vielen Punkten dem der Afriedies gleicht, ſo ſtehen ſie dieſen als Soldaten doch bei weitem nach. R Der kriegeriſchen Eigenſchaften der Euzufzye-Pathans, ſowie ihrer ſocialen Veränderungen geſchah bereits Erwähnung. In der Schlacht 0 Z Die neueften Zuftinde des Peng’äb. 375 von Türie, wo die Sikhs die Oberherrſchaft über Peſhawür erkämpf— ten, bildeten die Euzufzyes die eigentliche Stärke der aus 30,000 Mann beſtehenden Armee der Muhamedaner und leiſteten einem eben ſo ſtar⸗ ken Heere der Sikhs, das von Artillerie unterſtützt und von Rundſit Sing ſelbſt angeführt wurde, den hartnäckigſten Widerſtand. Bei einer anderen Gelegenheit umzingelten ſie ein Corps Sikhs von 8000 Mann Cavallerie, angeführt von Hürrie Sing Nulwä und anderen durch Tapferkeit berühmten Sirdars, welche in ihrer verzweifelten Lage kein anderes Mittel der Rettung ſahen, als ſich durch dieſen Haufen un— disciplinirter Fanatiker durchzuhauen. Die Khuttüks leben in den Bergen ſuͤdlich von Peſhawur und in der Ebene, welche ſich am Fuße derſelben bis zum Cabulfluſſe hin— zieht; desgleichen ſind ſie im Kohatthale der vorherrſchende Stamm. Sie ſind im Beſitze des Kuſhal gürh-Paſſes, der vom Indus nach Kohat führt; ihres feindlichen Weſens geſchah bereits Erwähnung. N Von dieſen vier großen Stämmen haben die Afriedies und Mo— munds ſeit ihrer Einverleibung mit dem britiſchen Reiche ſich mehrfach mit den Waffen in der Hand den Briten widerſetzt, wogegen die Eu— zufzyes und Khuttüks ſtets an deren Seite fochten und überhaupt an miäünnlichem Charakter und kriegeriſchem Geiſte jenen in keiner Art nach— ſtehen. Während Avitabile's Schreckensregierung widerſetzten ſich dieſe beiden Stämme ſtets der Sikhherrſchaft, und ſelbſt dieſer unbarmherzige Gewalthaber wagte es nicht, in das Khuttükthal oder in die Ebene der Euzufzyes vorzudringen. Die Orakzyes trifft man nordweſtlich von Kohat nahe dem Hüngu⸗Thale; der Bünguſh-Stamm bewohnt die eingeſchloſſene Ebene von Miranzye und das Khurüm-Thal, innerhalb der Grenzen von Cabul. Die Wuzeris leben in den ſüdweſtlich von Kohat gelegenen und das Bünnu-Thal überragenden Bergen und beſitzen verſchiedene Päſſe, die zu den Tank- und Bünnu-Thälern führen; das Gebirge, welches die weſtliche Seite des Surdükpaſſes einſchließt, iſt ausſchließ— 4 lich von ihnen eingenommen. Die britiſche Regierung intereſſirt ſich ganz beſonders für die Bewachung des Surdükpaſſes, der die directe Verbindung zwiſchen Bühadur-Kheyl und Bünnu bildet, denn durch denſelben führt die große Handelsſtraße von Cabul und Ghüzny nach dem Peng'äb und Hindoſtan. Die Wuzeri's, Nomaden und Räuber 376 L. v. Orlich: zugleich, je nachdem die Gelegenheit ſich darbietet, erheben hier von den Povindeah's, jenen kühnen und ausdauernden Kaufleuten, oft ſehr harte Beſteuerungen. Ein anderer raubſüchtiger, auf dem zwiſchen Tank und Binnu gelegenen Ghübbergebirge hauſender Stamm, die Mithanies, lebt in fortwährender Fehde mit den Wuzeri's. Auf der Gebirgsgrenze von Dera Ismael Khan iſt der mächtigſte Stamm der der Shierany's; ſie ſind oft von den Gebirgen herabge— kommen, um zu ſtehlen und zu morden. Bei einer Gelegenheit über— fielen ſie eine britiſche Feldwache, und bei einer anderen verfolgte ein braver Offizier der Polizei mit wenigen Leuten eine ſich zurückziehende Partei, tödtete den Häuptling und deſſen beide Söhne und verlor in dieſem Kampfe ſein Leben. Der einzige überlebende Sohn dieſes Räu— bers meldete ſich, um als Soldat in's britiſche Heer zu treten, und die Behörde war ſchon bereit, ihn anzuwerben, aber er zog ſein Anerbieten zurück; nicht unmöglich, daß er erſt verſuchen wird, das Blut des Vaters und der Brüder zu rächen. Vor der Vereinigung mit dem britiſchen Reiche hatten ſich dieſe Shierany's zum Schrecken der Grenz— bewohner gemacht, ſie trieben nicht allein das Vieh hinweg, ſondern bemächtigten ſich auch der Männer und Frauen, denen ſie nur gegen ein hohes Löſegeld die Freiheit wiedergaben. Selbſt der Ort Drabünd wurde, obgleich eine kleine Beſatzung Sikhs ihn vertheidigte, einſt von ihnen geplündert. Im Jahre 1848 wurde die Grenze von ihnen voll ſtändig verwüſtet, und die Bewohner flüchteten aus Furcht vor ihren Angriffen. Die Uſhterany's werden als der kriegeriſchſte Stamm in den Su— limany-Bergen angeſehen. In den letzten Jahren haben fie angefangen, — ſich am Abhange der Berge niederzulaſſen, woſelbſt an 20,000 Mor gen von ihnen cultivirt ſind. Sie ſtehen in fortwährender Fehde mit den Kusrany's, einem wenn auch nicht ſo kriegeriſchen, ſo doch an Kühn— heit und Unternehmungsgeiſt ihnen wenig nachſtehenden Stamme. An den Grenzen entſpann ſich oft ein heftiger Kampf, ſelbſt befeſtigte Dör— fer wurden belagert und kleine Schlachten im offenen Felde ausgefoch-— ten, wobei der Verluſt auf beiden Seiten nicht unbeträchtlich war. Die Uſhterany's befanden ſich unter der Verwaltung des Kardar von Dera Fütteh Khan, der die Abgaben nur mit Gewalt oder durch Ueberra— ſchung erzwingen konnte. Eine Handlung großer Kühnheit wurde vor Die neueſten Zuſtände des Peng'äb. 377 nicht langer Zeit von den Kusrany's ausgeübt. Ein flüchtiger Häupt— ling eines Dorfes kam in einer Nacht mit 600 Mann von den Ber— gen herab und plünderte die 20 Meilen entfernte Stadt Dera Fütteh Khan. Ein Trupp der Peng'äb-Cavallerie, 45 Pferde ſtark, von einem alten, aber tapfern Offizier der Polizei angeführt, verfolgte die Frei— beuter, denen es gelang, eine feſte Stellung hinter einem Erdwalle zu gewinnen. Die braven Reiter griffen ſie dennoch an, wurden aber mit Verluſt mehrerer Leute zurückgeſchlagen. Beludſchen-Stämme, die jedem Geſetz Hohn ſprechen, haben ſich in ſtarken Haufen in den Bergen, die Dera Ghazy Khan gegenüber— liegen, eingeniſtet; desgleichen erſcheinen im Süngurh-Diſtrict zu Zei— ten die Kusrany's, aber der mächtigſte Stamm ſind die Bozdars. Un— ter den Sikhs war die Feſte Mungrota gebaut worden, um den Ein— fällen der letzten vorzubeugen, indeſſen Sawun Mull und General Ventura zogen es vor, den Frieden von ihnen zu erkaufen. Hürründ wird von den Ghurchany's beunruhigt, welche vor vier Jahren einen Hindu ⸗Kardar ermordeten, weil Einer der Ihrigen von demſelben be— leidigt worden war; ſeitdem hat die Regierung ein Fort daſelbſt er— baut. Desgleichen drangen die Bugties und Murries noch vor wenig Jahren bis zu den Wällen von Rajhan vor und verwüſteten die ans liegenden Länder; ſeitdem die Briten ſich jedoch hier feſtgeſetzt, haben ſie ſich aller Einfälle begeben, und die verſtändigen Maßregeln des Herrn Cortland (Deputy Commissioner of Dera Ghazy Khan) ſöhn⸗ ö ten ſie mit der neuen Regierung aus; als Diebe ſind dieſelben außer— ordentlich ſchlau und unternehmend. Man kann die ſtreitbaren Männer aller den Briten feindſelig ge— ſinnten und vom Sind über Peſhawür nach Hüzara ausgebreiteten Stämme auf mehr als 100,000 Mann annehmen, wobei die Afriedies, die Khuttüks und die Wuzeri's, jeder Stamm zu 15,000 Mann, die Euzufzyes zu 30,000 Mann und die Beludſch-Stämme zu 25,000 ? Mann veranſchlagt find. Jene leben in Gegenden, die für militairiſche Bewegungen außerordentlich ſchwierig ſind, und viele unter ihnen ſind 3 prieſterliche Fanatiker oder ſchwärmeriſche Anhänger des Propheten; 7 obgleich ſie ganz ohne Disciplin ſind, ſind ſie doch gut bewaffnet und oft vortrefflich beritten. Von dieſer großen Zahl ſteht jetzt bei— nahe die Hälfte unter britiſcher Hoheit, aber da ſie früher niemals 378 L. v. Orlich: einen Herrn anerkannten und ſehr geringe oder keine Abgaben zahlten, fo iſt auf deren Treue und Anhänglichkeit wenig zu rechnen, wenn Umſtände eintreten ſollten, die Erfolg für eine Auflehnung verſprechen. Aus ihrer Geſchichte läßt ſich eine Lehre und Warnung für die Zukunft entnehmen. Wir wiſſen, daß dieſe wilden Stämme zu Zeiten den Han— del unterbrachen, den Ackerbau vernichteten, Städte und Dörfer plün— derten, Gouverneure ermordeten und ungeſtraft in ihre uneinnehmbaren Burgen ſich zurückzogen. Einige haben den Kampf in offener Schlacht verſucht und ſelbſt gewagt, britiſche Vorpoſten anzugreifen; aber ihre Angriffe werden ſtets in einzelnen, unausgeſetzt auf einander folgenden Kämpfen beſtehen, und ſie werden immer ohne Ueberlegung handeln. Die Forts und die Tumuli, welche noch heute in kurzen Unterbrechun— gen längs dem Derajat ſtehen, wurden ſchon vor 1500 Jahren ange— legt, um als Militairpoſten zu dienen, und zeigen, wie die früheren Herren dieſer Länder handeln mußten. Die britiſche Regierung hat es als das beſte Mittel erkannt, an den Grenzen jener Länder eine ſo ſtarke Macht zu halten, daß ſie im Stande iſt, den Einfällen dieſer Horden den nöthigen Widerſtand zu leiſten, denn, wollte man die Indus-Grenze unbewacht laſſen, ſo würde die Ebene zunächſt dem Strome der Verwuͤſtung ausgeſetzt und ſelbſt der Friede der jenſeits gelegenen Provinzen bedroht ſein. Die Regie— rung hat die jenſeits der Grenze wohnenden Stämme durch Verſöh— nung gewonnen und durch Vernunftgründe zur Unterwerfung bewo⸗ gen, wogegen die auf britiſchem Grund und Boden lebenden Stämme durch Nachſicht und Gerechtigkeit an die neue Herrſchaft gekettet wur— den. Aber in beiden Fällen iſt dennoch hin und wieder eine Aufleh— nung vorgekommen. Die Aufſtellung einer ſtarken Truppenmacht in kräftiger defenſiver Haltung, die keinen Act der Willkür von dieſen Ge— birgsvölkern ungeſtraft läßt, hat die beſten Erfolge gezeigt; Stämme, die es verſuchten, ſich aufzulehnen, wurden ihrer Dörfer und Lände— reien für verluſtig erklärt oder ihrer Heerden beraubt. Sie müſſen wiſſen, daß ſie vor Strafen nie ſicher ſind, und daß weder ihre öden Gebirge, noch ihre Waffen ſie vor der Ueberlegenheit britiſcher Truppen ſchützen können. Stämme auf Koſten anderer zu gewinnen, wird nur als eine ſehr ausnahmsweiſe Maßregel in Anwendung gebracht, indem ein ſolches Loskaufen und ein Vergeben von Gerechtſamen die nach— 1 Die neueſten Zuſtände des Peng'àb. 379 theiligſten Folgen herbeiführen und nur momentan Abhilfe gewähren würde. Dies war die abſcheuliche Politik der Sikh-Gouverneure. Ab— theilungen von 200 bis 300 Mann, unterſtützt von den Landbeſitzern der Ebene, ſind hinreichend für ſolche Unternehmungen und werden nach acht- bis zehntägigem Be im Gebirge ihren Zweck erreichen. L. v. Orlich. XV. Die Vulkane von Mexico ). In keinem Lande unterliegen die Beſucher bei dem Durchreiſen und näheren Kennenlernen deſſelben einer größeren Ueberraſchung und fortwährenden Enttäuſchung, als in der jetzigen mericanifchen Republik. Durch die verſchiedenen Reiſebeſchreibungen und Abhandlungen über dieſes Land, deren Verfaſſer oft nur einen kleinen Theil des Landes geſehen und nur eine befchränfte Kenntniß durch perſönliche Anſchauung ſich verſchafft haben, ja ſelbſt durch die verſchiedenen mündlichen Mit— theilungen ſeitens der Fremden, wie Einheimiſchen im Lande ſelbſt, wurden ſo mannigfache Irrthümer, ſo fabelhafte und übertriebene Er— zählungen über dieſes Land verbreitet, daß man ſtaunen muß, jo wenig davon bei perſönlicher Nachforſchung bewahrheitet zu finden. Dies mag einmal ſeinen Grund darin haben, daß daſſelbe im Allgemeinen noch zu wenig bekannt iſt und daß es zu ſelten in den Kreis wiſſenſchaft— licher Forſchungen gezogen wurde, ſodann aber hauptſächlich darin, daß Merico gerade hinſichtlich ſeiner phyſiſchen Beſchaffenheit noch großen Veränderungen unterworfen iſt. Einige kennen dies Land nur als einen eee arbeitenden Vulkan; Andere nur als ein Paradies En) Mitgetheilt von dem Königl. Legations-Seeretair a. D. Herrn C. Pieſchel, der ſich während der Jahre 1851 bis 1854 in dienſtlichen Berhältniffen in Mexico befand und dieſes Land in allen Richtungen durchreiſt hat. G. 380 C. Pieſchel: ri mit tropiſcher Vegetation; wieder Andere als einen Bezirk voller Gold- und Silberminen, und es mag wohl in der That kein zweites Land auf dem Erdkörper geben, in welchem die verſchiedenſten Zonen ſo dicht neben einander liegen, in welchem oft ſo ſchnell die entgegen— geſetzten Klimate wechſeln, und welches eben durch die mannigfache Verſchiedenheit ſeiner phyſiſchen Beſchaffenheit ſo viel Abwechſelung in der ganzen Natur darbietet, als die Republik Mexico. Man kann ohne Uebertreibung z. B. auf einer Reiſe von wenigen Stunden alle Zonen des Erdballes durchwandern, ja ſogar auf der Hochebene von Merico, in der Nähe der Hauptſtadt, behaupten, daß man an einem Tage alle Jahreszeiten Europa's durchlebt. Dies Alles findet ſeinen Grund in der noch jugendlichen Geſtaltung der hieſigen Erdoberfläche, in der faſt rein vulkaniſchen Bildung dieſes Landes, worin das innere feurige Element der Erde die ewige Schneezone ſo wunderbar dicht neben den glühenden Küſtenſand gelegt und die tropiſche Pflanzenwelt der Muſen und Farren bis zu dem dürftigen Knieholz und den Stein— mooſen hinaufgezogen hat, wo man oft die ſterilſte Wüſte dicht neben den üppigſten Fruchtgärten liegen ſieht. Als eine der vielen Thatſachen und Erſcheinungen, die auf eine neuere Bildung des amerikaniſchen Continents ſchließen laſſen, muß auch der plötzliche Wechſel, der ſich zwiſchen der noch vor kaum einem Jahrhundert ſo furchtbar und verheerend auftretenden Thätigkeit und dem jetzigen allmähligen Ausbrennen und Erlöſchen der mexicaniſchen Vulkane gezeigt hat, angeſehen werden. Alex. v. Humboldt nennt in ſeinem weltberühmten Werke: Essai politique sur le royaume de la Nouvelle Espagne. Sec. Ed. Paris 1825. T. J p. 284 in dem Reiche von Neu-Spanien, der jetzigen Republik Mexico, 5 brennende Vulkane, nämlich: den Pic von Orizäba, den Popocatepetl, das Gebirge von Turtla, den Jorullo und den Vulkan von Colima, von denen faſt alle jetzt, gleich ihren vielen übrigen Collegen, auf dieſem Erddiſtricte mehr oder weniger in tiefer Ruhe ſchlummern. Nur bei einigen zeigen ver— einzelte rauchende Spalten an dem Kraterrande noch eine innere Thä— tigkeit, ein Arbeiten des feurigen Elementes an. Ebenſo ſchwinden immer mehr die übrigen Zeichen der vulkaniſchen Beſchaffenheit dieſes Landestheiles. Vulkaniſche Ausbrüche kennt man ſeit länger, als einem halben Jahrhundert, hier nicht mehr, und nur die beiden letzten waren 2 5 Die Vulkane von Merico. 381 von einiger Bedeutung, der Ausbruch des Jorullo am 28. und 29. September 1759 und der des Vulkanes von Turtla am 22. März 1793, welcher letzte mit kurzen Unterbrechungen drei Jahre dauerte. Am 15. Januar 1664 fand der älteſte bekannte Ausbruch des Vul— kans von Turtla ſtatt, und in Folge deſſen ſchlummerte dieſer 129 Jahre lang unthätig. Der Pic von Orizäba war nach den hiſtoriſchen Angaben 1545 — 1565 thaͤtig, ſeitdem aber iſt er ſcheinbar völlig er— loſchen. Vom Popocatepetl, obgleich er noch an einzelnen Stellen des Kraterrandes Schwefeldämpfe ausſtößt, iſt ſeit 3 Jahrhunderten kein Ausbruch bekannt. Ebenſo ſcheinen die Erdbeben hier im Laufe dieſes Jahrhunderts immer ſeltener und von weniger erſchütternden und Verderben brin— genden Wirkungen geweſen zu fein, als früher. Selbſt E. Mühlen- pfordt in feinem „Verſuch einer getreuen Schilderung der Republik Mexico. Hannover 1844“ J, 77 nennt fie wegen ihrer nur leichten und horizontalen Erſchütterungen des Bodens von Südoſten nach Nord— weſten ſogenannte temblores, nicht eigentliche terramotos. Die Provinz Oajaca, ſowie der ſüdliche Theil der Republik an der Südſee wurden früher beſonders häufig von Erdbeben heimgeſucht. In dieſem Jahr— hundert weiß man nur von einem einzigen ſtarken, das im Jahre 1819 im Staate Michoacan angeblich ſo heftig war, daß es an mehreren Punkten den Boden aufgeriſſen hat. In der Hauptſtadt Mexico ſpürte man am 30. Juli 1831, Nachts 123 Uhr, einen heftigen, von dumpfem Getöſe begleiteten vertikalen Stoß, der mehrere Zimmerwände aus ihrer ſenkrechten Lage rückte und Mauern ſpaltete. Am 13. März 1833 fand Abends 104 Uhr eine Erderſchütterung ſtatt, die in der Haupt— ſtadt ſich durch langſame regelmäßige Schwingungen in der Richtung von Dften nach Weſten fühlbar machte und allmählig fo ſtark wurde, daß viele Perſonen dabei Schwindel und Uebelkeit, wie bei der Bewe— gung auf dem Schiffe, empfanden. Die Schwingungen verminderten ſich und hatten ungefähr 33 bis 4 Minuten gedauert. Viele Bogen der von Weſten nach Oſten zur Stadt führenden Waſſerleitungen wa— ren geborſten und mehrere Gebäude ſtark beſchädigt. Dies Erdbeben N dne man auf der ganzen Linie von Vera Cruz, Jalapa, Puebla nach Acapulco, in Oajaca und Morelia, merkwürdiger Weiſe aber nicht in dem Orte Huatusco, der zwiſchen den Vulkanen von Turtla und 382 C. Pieſchel: Orizäba liegt. Ebenſo bemerkte man 3 Stunden nördlich von dieſer vulkaniſchen Linie faſt gar keine Bewegung. Am 15. März 1834, Morgens 6 Uhr, fand ein ähnliches Erd— beben ſtatt, welches von gleicher Stärke wie jenes, jedoch von nicht ſo langer Dauer war. Die Schwingungen erfolgten von Südoſt nach Nordweſt, dauerten nur 24 Minuten und wurden auf derſelben vulka— niſchen Linie verſpürt. Einige Tage ſpäter folgten mehrere unbedeu— tende Erſchütterungen, namentlich am 21. März, halb 8 Uhr und 11 Uhr 10 Minuten Morgens, zwiſchen Nordoſt und Südweſt. Von anderen mehr oder weniger heftigen und zu wiederholten Malen an den einzelnen Punkten der Republik verſpürten Erderſchütte— rungen dürften nur die als von einiger Bedeutung zu erwähnen ſein, welche am 7. April 1845 in der Hauptſtadt Mexico von beſonders ſtarker Wirkung begleitet auftraten. Das Straßenpflaſter von der Acor— dada bis zum Kloſter San Francisco hatte ſich, vermuthlich durch eine Erdſpalte, geſenkt; außer vielen Häuſern und Dächern ſtürzte auch die Kirchenkuppel der Santa Tereſia zuſammen, und in dem kleinen, eine Stunde von Mexico entfernten Städtchen Tacubaya wurde ein großes Waſſerbaſſin im Garten ſo bewegt, daß das Waſſer überfloß. Das— ſelbe wiederholte ſich nach den bei Erdbeben gewöhnlichen Erſcheinun— gen in den nächſtfolgenden Tagen, jedoch mit weit gemäßigterer Stärke. Von den in der letzten Zeit und während meiner Anweſenheit vom Jahre 1851 bis 1854 ſtattgehabten Erdbeben war nur das am 4. December 1852, Abends zwiſchen 10 und 11 Uhr, verſpürte an der Weſtküſte der Republik mit beſonderer Heftigkeit aufgetreten und ganz beſonders für den kleinen Hafenort Acapulco von traurigen Folgen ge— weſen. Es hatte faſt alle Häuſer dieſes Ortes beſchädigt und großen— theils in Schutthaufen verwandelt, in mehreren Straßen ſogar den Erdboden geſpalten. Daſſelbe hat man auch auf dem Hochplateau von Mexico verſpürt, doch iſt die Erſchütterung hier bei weitem geringer geweſen und zeigte ſich nur in einer, wenige Secunden andauernden, wellenförmigen Bewegung. Ich ſelbſt befand mich an dem Tage auf dem Meere vor dem Hafen von Manzanillo an der Weſtküſte, und zwar zeichnete ſich der Tag gerade durch eine auffallende Windſtille und drückende Hitze aus, die ſelbſt die Abendkühle nur wenig zu mildern vermochte. Das Meer war an dieſem Abend, wie den ganzen Tag . Die Vulkane von Mexico. 383 über, ſpiegelglatt, aber auffallend ſtarke Strömungen des Waſſers war— fen unſeren kleinen Kuͤſtenfahrer noch während der Nacht ſo ſtark hin und her, daß ich fürchtete, wir würden bei dem Hinzutreten der hier herrſchenden ſtarken Brandung gegen die Uferfelſen geworfen werden. Ein noch weniger ſtarkes Erdbeben fühlte man zwiſchen 12 und 1 Uhr Mittags am 5. Auguſt 1853 in der Hauptſtadt Mexico, indem durch eine wellenförmige Bewegung die von der Decke herabhängenden Kronleuchter, ſowie leicht an der Wand aufgehängte Gegenftände in eine ſchwingende Bewegung verſetzt wurden. Ich ſelbſt befand mich im erſten Stockwerk eines Hauſes und war nebſt einem anderen Herrn mit dem Beſehen und Aufſtellen verſchiedener Kunſtgegenſtände beſchäf— tigt, ohne etwas zu bemerken, ſo daß wir Beide ganz erſtaunt waren, als wir kurz darauf gefragt wurden, ob wir nichts von dem Erdbeben verſpürt hätten. * Nach den neueſten Nachrichten hat im Mai 1854 ein ſtarkes Erd— beben in dem Staate Oajaca ſtattgefunden, das an den Gebäuden der Hauptſtadt gleiches Namens, wie in den benachbarten indiſchen Ort— ſchaften großen Schaden anrichtete. Die Hauptquelle aller Reiſebeſchreibungen über Merico bildet noch immer das Werk des weltberühmten A. v. Humboldt, des zweiten Ent— deckers dieſes neuen Welttheils, obgleich daſſelbe bereits ein halbes Jahr— hundert alt iſt, und auch ich bin durch den Verluſt meiner Reiſebaro— meter und anderen Inſtrumente in dem Schiffbruch, den ich bei meiner Ankunft an der Küſte erlitt, genöthigt, alle Angaben der Orts- und Hoöhenbeſtimmungen aus dieſem, wie anderen Werken über Merico zu entnehmen, da es mir in dieſem Lande unmöglich war, die eingebüßten Inſtrumente zu erſetzen und eigene Meſſungen und Beobachtungen an— zuſtellen. Die jetzige Republik Mexico wird faſt genau unter dem 19. Grade nördlicher Breite von einer vulkaniſchen Erdſpalte von Oſt-Süd-Oſt nach Weſt⸗Nord-Weſt !) durchſchnitten, die auf einer Länge von 146 ) Herr A. v. Humboldt giebt in feinem neueſten Werke: Kleinere Schriften. Stuttgart und Tübingen 1853, J, 469 die Richtung des Durchbrechens von NNO. nach SS W. an. G. 384 C. Pieſchel: Leguas, vom mericaniſchen Golf bis zum ſtillen Meere, die äußere Kruſte der porphyriſchen Felsmaſſe der Cordilleren quer durchbrechend, ſich erſtreckt. Ihre Eruptionskegel bilden eine Reihe von oft bis über die Linie des ewigen Schnee's hinausreichenden Berggipfeln, deren Streichen die Richtung der von Süden nach Norden liegenden Längenaxe der Cordilleren beinahe rechtwinklich durchſchneidet. Die Vulkane zeigen im recht eigentlichen Sinne des Wortes ſich als Reihenvulkane, und ihr linearer Verlauf liefert den Beweis einer wiederholten inneren vulkaniſchen Thätigkeit, die ſich an den verſchie— denen Stellen zu verſchiedenen Zeiten aus dieſer in der Erdkruſte be— ſtehenden langen Spalte erhoben hat, wie dies auch die äußeren gleich— artigen Erſcheinungen in dem durchbrochenen und ausgeworfenen Ge— ſtein auf das Deutlichſte darthun. Hiernach möchte ich die Vulkane der Republik rückſichtlich ihrer Entſtehungszeit in 3 Klaſſen theilen: 1) Die äͤlteſten und vollkommen ausgebrannten Vulkane, deren enorme Ueberreſte an weit ausgedehnten Kraterrändern und Lavaſtrö- men ſich als ſtumme Wahrzeichen ihres früheren ungeheuren Umfanges und ihrer großartigen Thätigkeit zeigen, und die oft von vielen kleinen vulkaniſchen, koniſchen Sandhügeln, gleich Trabanten, umgeben ſind. Dazu gehören: der Cofre de Peröte, die Malinche, der Irtaccihuatl, der Pic von Ajusco, der Nevado de Toluca, der Pic von Tancitaro, der Vulkan von Ahuacatlan und der von Tepic. 2) Die noch urſprünglichen vulkaniſchen Erhebungskrater, die ſich durch ihre kegelförmige Geſtalt und ihren trichterförmigen Schlund aus— zeichnen. Der Art ſind der Vulkan von Orizäba und der Popoca— tepetl. 3) Die neueren Vulkane, die ſich als Erhebungskrater in einem alten ausgebrannten und in ſich zuſammengeſtürzten Krater von gro— ßem Umfange gebildet haben und von den weiten umfangreichen Krater— rändern eines ehemaligen Kraters umſchloſſen werden. Zu dieſen iſt der Jorullo und der Vulkan von Colima, ſowie der von Tuxtla (nach der Beſchreibung) zu zählen. Weit entfernt bin ich jedoch, zu behaupten, daß das wirkliche Ent— ſtehen der Vulkane hiſtoriſch ſo auf einander gefolgt iſt, und es kann vielmehr ſehr wohl der Fall ſein, daß ein ſpäter genannter Vulkan früher entſtanden iſt, und umgekehrt, indem ich dieſe Eintheilung nur 9 —B: N Die Vulkane von Mexico. 385 als auf ihrer jetzigen Geſtalt und Formation beruhend anzuſehen wüünſche. Fi Mühlenpfordt, deſſen Werk eine der neueſten und forgfältigften Beſchreibungen der Republik Merico iſt, bezeichnet zwar einzelne dieſer Vulkane noch als brennende, doch ich vermag jetzt, im Jahre 1855, nach— dem es mir im Laufe der letztverfloſſenen Jahre verſtattet war, den größten Theil derſelben durch perſönliche Anſchauung ganz in der Nähe zu ſehen, ja viele ſelbſt bis zu ihrem Gipfel zu beſteigen und näher zu erforſchen, keinen einzigen als einen wirklich thätigen Vulkan zu be— zeichnen, indem nur bei einigen wenigen rauchende Spalten, die ſelbſt nach Ausſage der umwohnenden Landleute ſich von Jahr zu Jahr ver— mindern, noch eine vulkaniſche Thätigkeit verrathen. Selbſt aber dieſe be— ſchränkt ſich meiſt nur auf Ausſtoßen geringer Maſſen von Waſſerdampf, und bei keinem ſah ich eine nur einigermaßen ähnliche Auswurfs - Er- ſcheinung, wie ſie unſere europäiſchen Vulkane von Italien und Sici— lien noch täglich zeigen. Mag es ſein, daß der eine oder der andere Vulkan ſpäterhin vielleicht wieder zu einer größeren, Schrecken verbreiten— den Thätigfeit gelangt und das Ventil für das in der Erde arbeitende Clement wird; das lange Schweigen, ſowie die gegenwärtige Beſchaffen— heit der meiſten derſelben, namentlich ihre mehr oder weniger eingeſtürz— ten und in ſich zuſammengefallenen Krater laſſen jedenfalls zu einer ſolchen Annahme berechtigen. Verfolgt man die Reihe dieſer Vulkane von dem mericaniſchen Golfe in weſtlicher Richtung durch das Innere der Republik, ſo bildet den Anfang der Vulkan von Turtla, welcher der höchſte Berggipfel der Sierra de San Martin iſt 1) und ſich unter dem 18° 24’ nördlicher Breite und 9722“ weſtlicher Länge von Paris befindet. Derſelbe liegt 20 Meilen ſüdlich vom Hafen von Vera⸗Cruz, bei dem Dorfe San Andres Turtla, und zugleich 4 Le— guas von der Küſte. Seine Höhe wurde nach den neueren Beobach— tungen zu 5,118 Fuß über der Meeresfläche beſtimmt; ſeine letzte Eruption fand am 2. März 1793 2) ſtatt und ſoll ſo bedeutend ge— | ) Mühlenpfordt I, 25; II, 30. 6 G. 2) A. v. Humboldt Essai II, 205. G. Z3ieeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 25 386 C. Pieſchel: weſen ſein, daß die ausgeworfene Aſche die Dächer des 57 Stunden entfernten Perôte bedeckte. Ed. Mühlenpfordt giebt (II, 32) eine nähere Beſchreibung dieſes Ausbruches und ſagt unter Anderem Fol— gendes ): „In dem 57 Leguas vom Vulkan entfernten Perôte hörte man ein unterirdiſches Praſſeln, dem Donner ſchweren Geſchützes ähnlich. Der Aſchen-, Sand- und Steinregen dauerte ununterbrochen, zuweilen die Luft völlig verfinſternd, bis zum December gedachten Jahres fort. Ein gewiſſer Don Joſé Mozino wurde im Juni vom Vieekönige zu näherer Unterſuchung und Beobachtung dieſes furchtbaren Naturereig— niſſes von Mexico nach Turtla geſandt, kehrte aber, da die Beſteigung des Berges lebensgefährlich war, unverrichteter Sache zurück. Vom December bis Mai 1794, wo ein neuer Ausbruch ſich einen ande— ren Krater öffnete, blieb der Berg ruhig. In demſelben Monate kam Mozino zum zweiten Male; es gelang ihm, den Berg zu erſteigen, und er fand den alten, größeren Krater nur noch rauchend, während der neue kleinere unaufhörlich Flammen, Aſche, Sand und große glühende Steine emporſchleuderte. Ein Lavaſtrom ergoß ſich in nordöſtlicher Richtung dem Meere zu. Der Berg erzitterte unter heftigem unter— irdiſchen Getöſe bei jedem Ausbruche, und der Boden in der Nähe der Krater war ſo heiß, daß die Schuhe der Beobachter verbrannten. Zwei Jahre lang, mit kurzen Unterbrechungen, dauerte der Auswurf von Aſche und Lava. Viele Wieſen, Weiden und Aecker wurden zerſtört und mehrere Flüſſe und Bäche theils in ihrem Laufe gehemmt, theils völlig ausgetrocknet.“ Der ganze Gipfel des Vulkanes, ſowie die Abhänge deſſelben ſind in Folge deſſen jetzt von vulkaniſchem Sande und Gerölle bedeckt, uͤber welchen größtentheils eine üppige Vegetation bis circa 400 Fuß unter halb des Kraterrandes wuchert 2). Der Krater iſt länglich rund und hat in feinem größten Durchmeſſer ungefähr 4 Stunde. Sein äuße— ) Nach Mühlenpfordt fand der älteſte bekannte Ausbruch am 15. Januar 1664 ftatt, worauf der Vulkan 129 Jahre völlig ruhig blieb (f. auch daſelbſt I, 78). Der. Ausbruch von 1793 war der zweite, den man kennen lernte. G. 2) Da der Vulkan von Turtla in neuerer Zeit, wie es ſcheint, von keinem Geo— gnoften beſucht, wenigſtens nicht beſchrieben worden iſt, fo find wir auch über den ethnographiſchen Charakter ſeiner Geſteine nicht genau unterrichtet. G. Die Vulkane von Merico. 387 e 2 rer Rand iſt gegen 80 Fuß hoch, und in die trichterförmig ſich ver— tiefende Oeffnung kann man nur 30 Fuß hinabſehen. Heiße Schwefel— und Chlorwaſſerſtoffdampfe follen beftändig aus der Tiefe des Kraters * und aus den Ritzen und Spalten ſeines Randes aufſteigen. Ihre Hitze iſt angeblich ſo groß, daß Waſſer in kurzer Zeit durch ſie zum Kochen kommt. In dem Innern des Kraters ſelbſt haben ſich drei Kegel emporgehoben, wahrſcheinlich durch die letzte Thätigkeit des Vulkanes. Große Felsſtücke liegen wild durch einander geworfen umher, und durch— brochene mächtige Erdſchichten zeugen von der gewaltigen Wirkung die— ſes furchtbaren Ausbruches. Den Vulkan umgeben zahlreiche kegel— förmige Bergſpitzen, die deutliche Kennzeichen ausgebrannter Vulkane tragen, ſowie viele kleine Landſeen von kraterähnlicher Form und mit unterirdiſchem Abzuge. Die Ufer dieſer Seen beſtehen aus Lava und anderen vulkaniſchen Bildungen und an ihre wilde, abgeſchloſſene Lage knüpfen ſich manche alte indiſchen Sagen. So ſoll Malintzin, eine der maächtigſten und vornehmſten Zauberinnen der Indier in dem gelben Waſſer der Lagune von Nextämalapan den Mais für ihre Tortillas gewaſchen und im grünen Waſſer einer anderen ſich gebadet haben ). Zwiſchem dem Vulkan und der Küſte lag vor der Eroberung des Landes durch die Spanier der große berühmte Ort Caxäba, von wel— chem noch wenige Reſte zwiſchen Lavagerölle vorhanden ſind, die auf eine Zerſtörung des Ortes durch einen Ausbruch des Vulkans ſchlie— ßen laſſen. | Der zweite Vulkan in dieſer Reihe 2), nach Weſten gehend, ift der Pie von Orizäba, Gi oder mit ſeinem indiſchen Namen Citlaltepetl (Citlalin Stern und te— petl Berg) ), der ſich unter dem 19% 2’ 17“ nördlicher Breite und 1) Mühlenpfordt II, 32. G. 2) Nach A. v. Humboldt liegt der Turtlavulkan jedoch ſchon außerhalb des Pa— rallels der hoͤchſten merifanifchen Gipfel (kl. Schr. I, 469). G. * 3) A. v. Humboldt (Essai I, 265) erklärt Citlaltepetl durch „Berg, der wie ein Stern glänzt“, indem der Vulkan, wenn er Feuer auswirft, von weitem, wie ein Stern erſcheint. Ein anderer alter indiſcher Name für den Pie iſt Poyauhtecatl; ein dritter endlich Zeuctepetl oder, wie A. v. Humboldt meint, vielleicht richtiger Teuctepetl, d. h. Fürſten⸗ oder Kazikenberg von teuerli Kazik, Häuptling, wenn nicht, wie Herr v. Humboldt hinzufügt, der Name Teuctepetl durch Bergfürſt zu erklären iſt ele Schriften von A. v. Humboldt J, 470). G. 25 * 388 C. Pieſchel: 99° 24 15“ weſtlicher Länge von Paris ), 60 Stunden von der Hauptſtadt Mexico und 7 Stunden von der Stadt, die ihm den Na— men gegeben, in einer coniſchen Form bis zu 17,372 Fuß über dem Meeresſpiegel erhebt 2) und nach dem Popocatepetl die zweite höchſte vulkaniſche Bergſpitze der mericaniſchen Republik ift ?). Obgleich der— ſelbe über 30 Stunden von der Küſte des mericanifchen Golfs land— einwärts liegt, ſo iſt er doch der erſte Punkt, der ſich dem nach Vera— Cruz ſteuernden Schiffer auf dem Meere zeigt. Der Gipfel, ein ab— geſchnittener Kegel, iſt nach Südoſt geneigt und zeigt einen Ausſchnitt des Kraterrandes ſo ſtark markirt, daß man denſelben ſehr deutlich von dem Städtchen Jalapa in 12 Leguas directer Entfernung unterſchei— den kann ). Er ſoll bereits ſeit Ende des 16. Jahrhunderts erloſchen ſein, nachdem im Jahre 1565 ſein letzter Ausbruch, der angeblich 20 Jahre hindurch fortgedauert hatte, erfolgt war s). Die namentlich mit Cedern, Tannen, Eichen und anderen mächtigen Hölzern reich be— waldeten Gehänge des Berges zeigen keine Spuren von neueren Aus— brüchen und Lavaſtrömen mehr, dennoch wird der Pic von Orizäba von A. v. Humboldt), Mühlenpfordt und Anderen noch unter die thätigen Vulkane gezählt und Burmeiſter nennt ihn in ſeiner „Ge— ſchichte der Schöpfung.“ 4. Aufl. Leipzig 1851. S. 113 ſogar den thätigſten von allen mericaniſchen Vulkanen. Ich habe im Sommer ) Die wahre Poſition dieſes Berges iſt, wie Herr v. Humboldt bemerkt (Kleinere Schriften I, 464), für die Schifffahrt im mexicaniſchen Buſen und die Einfahrt in den Hafen von Vera-Cruz von großer Wichtigkeit, und doch war ſie bis zum J. 1803, wo ſie von dem berühmten Reiſenden feſtgeſtellt wurde, auf den Karten gewöhnlich falſch verzeichnet worden. Aber ältere ſpaniſche Seefahrer hatten ſie bereits richtig erkannt (Essai I, 55 — 56). G. 2) A. v. Humboldt giebt in feinem neueſten Werke J, 467 die Höhe zu 16,302 Pariſer Fuß an. G. 3) A. v. Humboldt Essai II, 204. G. ) A. v. Humboldt Essai II, 205. Eine Anſicht des Pie lieferte Herr v. Humboldt bereits in feinem Atlas géographique et physique de la Nouvelle Espagne Taf. XVII und neuerlichſt wieder in einem von Ed. Hildebrandt nach einem Oelgemälde des fran— zöſiſchen Geſchäftsträgers in Mexico Baron Gros entworfenen Bilde in dem Atlas zu ſeinen kleineren Schriften Tafel IX. G. ) Mühlenpfordt (I, 78) berichtet, daß der Vulkan von 1545 — 1565 thätig geweſen ſei. G. 6) A. v. Humboldt nennt ihn jedoch neuerlichſt in feinen klein. Schriften I, 469 nur einen der fünf, meiſt nur noch ſchwach entzündeten mericanifchen Vulkane. G. Die Vulkane von Mexico. 389 und Herbſt 1851 von Jalapa und im Frühjahr 1854 von Orizäba und deſſen Umgebung aus mehrere Wochen hindurch zu den verſchie— denſten Tageszeiten von allen Seiten den Berg mit ſeiner von ewigem Schnee bedeckten, ſchöngeformten Spitze im Glanze der tropiſchen Sonne, wie in mondhellen Nächten, erglänzend und majeſtätiſch in den blauen Aether ragend, beobachtet, aber niemals iſt es mir gelungen, auch nur eine Spur von Rauch oder Dampf, geſchweige von Feuer, oder auch nur einen Feuerſchein zu ſehen. Nach der früher allgemein im Lande herrſchenden Tradition war dieſer Vulkan unerſteiglich “). In dem Jahre 1851 aber wurde der— ſelbe durch einen Franzoſen Mr. Alexandre Doignon innerhalb 10 Ta— gen zweimal, am 26. März und 4. April erſtiegen, wobei der kühne Beenrgſteiger auf der Spitze einen Flaggenſtock auffand, welchen im Jahre 1848 Nordamerikaner bei ihrer Beſteigung des Pic aufgepflanzt ha— ben ſollen ). Die erſte Expedition des Mr. Doignon bildete eine Ger ſellſchaft von 18 Perſonen der verſchiedenſten Nationen, von denen er jedoch nur der einzige Glückliche war, der den Gipfel erreichte. Zwei ſeiner Begleiter, Majerus (?), ein Belgier, und D. Nicolas Contreras, ein Mexicaner aus San Andres Chalchicomula, gelangten nur bis 150 Fuß unter der Spitze, wo Entkräftung, mühevolles Athmen in der feinen Luft, ſowie das Sichöffnen der Blutgefäße in Naſe und Mund ſie zum ſchnellen Rückzug nöthigten, während 6 Andere mit aller Anſtrengung nur bis auf eine Felſenkette am Fuße des eigentlichen Kegels, ſpäter von ihnen „ſchöne Ausſicht“ genannt, gelangt waren. Doignon fand auf dem erſten Punkte mit Hilfe eines Thermo— meters durch das Kochen des Waſſers eine Höhe von 5,542 Metres oder 18,178 engl. Fuß über dem Meere und gab die Höhe des Pie auf 18,328 Fuß an. M. Ferrer hatte die Höhe auf 5,453 Moͤtres oder 17,885 F. beſtimmt, und die Nordamerikaner ermittelten ſie zu 17,819 Fuß. A ) Nach Mühlenpfordt, der den Anblick des ſchlanken, mit ewigem Schnee be— J deckten, ungeheuren Kegels von Jalapa aus im Glanz der Sonne unbeſchreiblich pracht⸗ * voll fand (II, 30), ſagte im Jahre 1844, daß der Berg, ſo viel er wiſſe, nie be— * fliegen worden fei. G. ) Vor Doignons Erſteigung erfolgte ſchon eine ſolche bei Gelegenheit des Krie— ges zwiſchen den Nordamerikanern und Mericanern, indem die nordamerikaniſchen Df- . figiere Lieut. Reynolds und Maynard im Mai des Jahres 1848 den Gipfel des Pics erreichten (A. v. Humboldt, Kl. Schriften I, 468). G. 390 C. Pieſchel: M. Doignon hält daher dieſen Vulkan für den höchſten in ganz Nord— Amerika !), indem er den bis jetzt als höchſten bekannten Popocatepetl nur zu 5403 Metres oder 17,721 Fuß über dem Meere gemeſſen hatte. Ich kann nach Doignon's eigener Angabe über die näheren Umſtände dabei nicht unterlaſſen, einige Zweifel in die Sorgfalt ſeiner Beobachtungsverſuche zu ſetzen. M. Doignon's Eigenliebe wurde bei ſeiner Rückkehr von der er— ſten Beſteigung des Vulkans nach San Andres Chalchicomula nicht wenig verletzt, als man trotz der Zeugniſſe Derer, die ihm bis uber die Hälfte bei ſeiner Beſteigung gefolgt waren, und trotz der Beweiſe, die er durch Vorzeigen von Schwefelſtücken aus dem Krater ſelbſt zu liefern verſuchte, bei der Unmöglichkeit der Ausführung eines ſolchen Unternehmens verharrte, indem man ſich namentlich auf den Ausſpruch A. v. Humboldt's, Ferrer's und Anderer, daß eine Beſteigung wegen der die Spitze des Pic umſchließenden Krone des ewigen Schnee's ſelbſt für den kühnſten Bergſteiger unmöglich ſei, ſtützte. Der franzö— ſiſche Reiſende beſchloß deshalb, ſofort eine neue Beſteigung des Pics zu unternehmen und, um die Ungläubigen zu überzeugen, auf deſſen höchſtem Punkte eine große mexicaniſche Flagge aufzupflanzen. Durch öffentliche Anſchläge forderte er zur Theilnahme an dieſer Excurſion auf und bat, am beſtimmten Tage ſich mit den nöthigen Fernröhren zu verſehen, um die mexicaniſche Flagge wehen zu ſehen. Begleitet von der ganzen Bevölkerung von San Andres und unter dem Schall der Muſik und dem Knallen des bei ſolcher Gelegenheit dort üblichen Feuerwerks, trat Doignon am 3. April 1851 ſeine zweite Beſteigung an, woran jedoch nur der oben erwähnte D. Nicolas Contreras und ein anderer junger Mexicaner, de la Huerta, Theil nahmen. Während er ſeine erſte Beſteigung von dem kleinen Bergwerksorte Fundicion del Paſo nacional de la Plata, am Fuße des Vulkanes gelegen, unter— nommen hatte, ging er diesmal direct durch die mit ſchöner Weide und Tannenwaldungen bedeckten Vorberge des weſtlichen Abhanges nach dem ſogenannten Paſo nacional, einem hohen Gebirgspaſſe, der die ) Nach dem in dieſer Zeitſchrift Bd. IV, S. 192 mitgetheilten Bericht über die erſte Erſteigung des Mount Hood in Oregon, der 18,361 Fuß hoch fein ſoll, wäre der Popocatepetl noch nicht der hoͤchſte vulkaniſche Berg Nord-Amerika's. G. EN fſheils kleine Brücken zum jenſeitigen Rande bildeten. Es blieb dem kühnen Reiſenden nichts übrig, als den Weg über eine ſolche Brücke Die Vulkane von Mexico. 391 nördlichen Abhänge des Vulkans von Oſten nach Weſten durchſchnei— det, und gelangte, überraſcht von einem Schneeungewitter und der ein— gebrochenen Nacht, nach mühevollen Anſtrengungen im hohen Schnee nach der kleinen Holzhütte, die er zum Uebernachten ſchon vor ſeiner erſten Beſteigung nahe der Vegetationsgrenze hatte aufſtellen laſſen. Bei Tagesanbruch am andern Morgen überſchritt er nach einer halben Stunde die Grenze der Baum-Vegetation und gelangte endlich nach einer Stunde Marſch über vulkaniſchen Sand, leichten Bimſtein und kleine Lavaſtücke um 6 Uhr früh an den Fuß des Vulkans, wo die Pferde zurückgelaſſen werden mußten. Beladen mit einem 15 Fuß langen Flaggenſtock, einem zweiten mit einer eiſernen Spitze zum Be— feſtigen des erſten in dem Eiſe auf dem Pic, mit einem Korbe voll Lebensmittel und der um ſeine Hüften gewickelten mexicaniſchen Flagge, gelangte er nach der Lava-Felswand „ſchöne Ausſicht“, die ſich in der halben Höhe des Berges hervorſtreckt. Schon von hier jah er- ſeine Begleiter bereits unten am Fuße des Schnee's, El Corte genannt, wo die Indier das Eis für die umliegenden Ortſchaften herabholen, zurückgeblieben, da Einer von ihnen durch einen Fehltritt in eine mit Schnee gefüllte Felsſpalte ſich verletzt hatte. Auf dem weiten Plateau der gegen Norden ſich neigenden Felswand „ſchöne Ausſicht“ ſchlug Doignon diesmal, ſtatt nach Weſten rechts, wie bei der erſten Beſtei— gung, ſich zu wenden, ſeinen Weg nach der Oſtſeite des Pic ein, um auch dieſe Seite des Vulkans kennen zu lernen. Das Steigen auf dieſer Seite war an ſich ſchon mit mehr Schwierigkeiten verbunden; dieſe waren aber durch den friſchgefallenen Schnee, der alle Fels— ſpalten bedeckte und den Reiſenden bei jedem Schritte bis zum Knie einſinken und Gefahr laufen ließen, alle Augenblicke in eine tiefe Fels— ſpalte hinabzuſtürzen, noch größer geworden. Nach einer Viertelſtunde mühevollen Steigens ſah Doignon ſich plötzlich an einem 300 bis 400 Fuß tiefen, eine halbe Stunde langen und 25 Fuß breiten Abgrunde, der den Pic in einem Halbkreiſe umſchloß und mit unzähligen Eis— zacken und Eiskanten gefüllt war, die theils Treppen in die Tiefe, zu ſuchen, was um ſo ſchwieriger war, als er in dem mit friſchem Schnee bedeckten Eiſe weder die Löcher ſehen, noch die Stärke des 392 C. Pieſchel: Eiſes prüfen konnte. Mit Hilfe ſeines Stabes ſchritt er über eine ſoche Brücke, als er plötzlich, ziemlich auf der Mitte des Abgrundes angekommen, in ein Loch bis zur Hüfte verſank, und ſich daraus nur dadurch rettete, daß ſein langer quer über das Loch gefallener Flaggen— ſtock ihn gegen weiteres Einſinken ſchützte. Zur Rückkehr auf den frü— heren Weg war jede Möglichkeit abgeſchnitten, und auch von dem Schreck und den Anſtrengungen ſich etwas zu erholen, hinderte Doig— non die empfindliche Kälte, die bereits ſein Beinkleid ſteif wie Glas und ſeinen zur Erfriſchung mitgenommenen Rothwein zu einer Eiskugel gefroren hatte. Auf Händen und Füßen zu größerer Sicherheit fort— kletternd, gelangte er an den Fuß eines ©letfchers, der ſich wie eine ſteile Eismauer vor ihm erhob. Auch dieſe Mauer erklimmte er, indem er mit Händen und Füßen ſich in die Eisſpalten einklammerte. So ſtand er bald vor hohen Felswänden, bald vor tiefen Spalten und Schluchten, bald vor ſenkrechten 600 Fuß hohen Schnee- und Eis— maſſen, die, wie Feſtungsmauern, ihm den Weg zum Krater zu verſagen ſchienen, bis er endlich nach einem 52-ſtündigen Marſche, auf dem er tauſend Gefahren glücklich entgangen war, erſchöpft vor Mattigkeit und kaum vermögend, die feine Luft zu athmen, an den Füßen erfro— ren und den übrigen Körper in einem kalten Schweiße gebadet, zum zweiten Male ſeinen Fuß glücklich auf den Gipfel des unerſteiglich ge— glaubten Pic ſetzte. Doignon war während feines 5 ſtündigen Aufent— halts auf der Spitze zuvörderſt bedacht, ſeinen Ehrgeiz zu befriedigen, indem er die mexicaniſche Flagge aufſtellte, die, nachdem am folgenden Tage die über die Bergabdachungen gelagerten dichten Wolkenſchichten zerſtreut waren, mit großem Staunen und Bewunderung von der Be— völkerung von San Andres begrüßt wurde. Seine Beobachtungen über die Formation des Vulkans reſp. Kraters beſchränken ſich auf folgende Bemerkungen: Der Kegelabhang gegen Nord iſt von Oſten nach Weſten bis zum Kraterrande hinauf mit Schnee bedeckt, von dem lange Spalten ſich nach der inneren Seite bis zu einer beträchtlichen Tiefe von Oſten nach Norden ziehen. In einer Entfernung von 15 bis 20 Schritt von der Krateröffnung abwärts befindet ſich ein Felsblock von unge— fähr 15 Fuß Durchmeſſer, aus dem fortwährend Dampf aufſteigt, wie von einem heißen, mit Waſſer übergoſſenen Steine, und deſſen Ober- Die Vulkane von Mexico, 393 fläche ſelbſt, ſowie der ganze Erdboden in ſeiner Nähe, einen hohen Grad von Hitze zeigt. Der Kraterrand und Abhang beſteht aus vulkaniſchem Aſchen— ſande, aus dem, ſobald man die Oberfläche auflockert, ſtarke Schwefel— dämpfe aufſteigen und den Beweis liefern, daß im Innern noch das feurige Element fortdauernd arbeitet. Die Oberfläche iſt von einer Menge Schwefelſtücke bedeckt, von denen einzelne aus reinem Schwefel beſtehen und das Ausſehen des ſchönſten gelben, gereinigten Schwefels haben. Der reinſte Schwefel befindet ſich namentlich auf dem nord— öſtlichen Theile des Kraterrandes, während die höchſten Punkte des Gipfels im Weſten und im Norden des Kraterrandes ganz beſonders reich daran find. Auf dem füdlichen Theile des Kraterrandes befinden ſich mehrere vollſtändig zerſetzte Steine, die beim Berühren zerfallen und deren innere Theile eine beſonders weiße Farbe haben. Die Krateröffnung ſelbſt iſt von ovaler Form und zeigt auf der füdlichen Seite gegen Orizäba und auf der öſtlichen gegen das Meer zwei ſtark markirte Neigungen. Sie wird auf 6500 Metres Umfang geſchätzt. Die inneren Kraterwände fallen ſenkrecht ab und beſtehen aus geſchwärzten Felsriffen und Steingerölle. Die größte Tiefe auf der öſtlichen Seite iſt auf 550 Fuß geſchätzt. Im Innern des Krater— keſſels ſieht man große geſchwärzte Felſen-Pyramiden, welche die ganze Krateröffnung in drei Vertiefungen theilen. Die beiden kleinen gegen Süden find von ungleicher Tiefe und zeigen eine Menge felſiger Un— 2 ebenheiten, die eine größere Tiefe, als die ſcheinbare, vermuthen laſſen. Die Hauptöffnung des Kraters befindet ſich im Oſten und ſchließt mit ihren Mauerwänden einen großen circa 400 Fuß hohen pyramidali— ſchen Felsblock von zerriſſener und geſchwärzter Oberfläche ein. An feinen Seiten und am Fuße der Felswände bemerkt man verfchievene. rauchende Oeffnungen und Spalten im Geſtein. Das Innere des Kraters iſt mehr oder weniger mit Schnee bedeckt. Das Schrecken dieſes unſichern Ortes ſoll durch ein fortwährendes unterirdiſches Ge— töſe vermehrt werden, in das ſich das Pfeifen des heftigen kalten Win— des geiſterhaft miſcht. Einen nicht geringen Lohn gewährt das erhabene Panorama, wel— ches ſich von hier aus von allen Seiten dem Auge darbietet und in der Natur nicht ſo leicht übertroffen werden möchte. In einer Ent— 394 C. Pieſchel: fernung von 30 Stunden ſieht man gegen Oſten den Hafen von Vera: Cruz und den weiten blauen Spiegel des Meeres; mehr gegen Süden die Städte Cördova, Orizaba, San Juan Coscomatepec, umſchloſſen von dem dunklen Grün der üppigſten tropiſchen Vegetation; mehr ge— gen Norden: Jalapa, Coatepec, Peröte, San Juan de los Llanos; gegen Weſten: San Andres Chochicomula, Gramentla und eine Menge anderer kleiner Ortſchaften. Außerdem die großartigſten Pfeiler des Panorama's gegen Norden und Nordweſten: den Cofre de Beröte, die Derumbada, die Malinche, und in weiter weſtlicher Ferne die bei— den Vulkane von Puebla, nebſt einer Menge kleiner vulkaniſcher Ger birge, die den Pie und ſeine Abhänge umſchließen. Das Herabſteigen auf der nordweſtlichen Seite des Kegels, welche Doignon bei ſeiner erſten Beſteigung gewählt hatte, war nicht weniger beſchwerlich und gefährlich, als ſein Hinaufſteigen, zumal ihn die Nacht überraſchte, und er erſt nach 4 Stunden, Abends 8 Uhr, feine Gefähr— ten wieder in der früh verlaſſenen Holzhütte fand. Die Spalten ſind auf dieſer Seite allerdings nicht ſo häufig und ſo breit, die Neigung des Kegels aber beträgt 45 Grad, ſo daß man faſt ſtets die Hände zur Sicherung mit zu Hilfe nehmen muß. Wie nach ſeiner erſten Beſteigung, litt Doignon auch nach dieſer mehrere Tage an einer ſehr ſchmerzhaften Irritation und Entzündung der Augen, wodurch ihm ſogar für mehrere Tage der Gebrauch der— ſelben entzogen wurde. Bei meinem Beſuche Orizäba's im Februar und März 1854, wo ich mich unter Anderem mit Sammeln verſchiedener Notizen über den Pic von Orizäba beſchäftigte, war ich überraſcht, ſo wenig genaue Aus— kunft über die mögliche Beſteigung deſſelben zu erhalten. Nachdem ich mehrere Ausflüge nach Cördova und in die öſtlichen Abhänge der Cor— dilleren dieſer Gegend gemacht hatte, faßte ich, da ich in zwei anderen deutſchen Landsleuten eine angenehme Reiſegeſellſchaft gefunden, den Entſchluß, vor meinem Scheiden aus der Republik auch dem Pic von Orizäba noch einen Beſuch abzuſtatten, und, wenn auch gerade nicht ſeinen Gipfel zu erklimmen, doch wenigſtens bis zur Schneelinie zu gehen, um mich nach ſeinen Steingebilden und ſeinem Pflanzenleben umzuſehen. In Folge der verſchiedenſten, oft widerſprechenden Mitthei— lungen brach ich, begleitet von meinen Landsleuten, Dr. B. aus Danzig Die Vulkane von Mexico. 395 und M. aus Straßburg gebürtig, am 21. März 1854 nach San An— dres Chalchicomula auf, um von hier, vereint mit einem dritten Lands— manne, R. aus Tehuacaàn, von Naumburg a. d. ©. gebürtig, die Be ſteigung des Pie zu unternehmen. Unſer Weg führte von Orizäba durch ein romantiſches, weites Gebirgsthal nach dem kleinen Indier— dorfe Igenio, von wo wir durch einen herrlichen Tannenwald ſteil auf— ſteigend auf die Hochebene von San Antonio gelangten, die unmittel— bar am Fuße des Pie ſich gegen Süden hinzieht und von demſelben nur durch einen Gebirgsrucken von ſchwarzem Lavageſtein, Sierra negra, getrennt iſt. Letzter iſt nach ſeiner coniſchen Form und dem gegen Süden geöffneten Kraterrande zu urtheilen, offenbar ein aus— gebrannter ehemaliger Auswurfskrater. In San Antonio, wo uns die bereits eingebrochene Nacht zu bleiben nöthigte, wurde uns geſagt, daß von hier aus, am Fuße der gedachten Sierra negra entlang, der 8 Leguas (eirca 6 deutſche Meilen) entfernte Pic am leichteſten zu erſteigen ſei, zumal auf der Südſeite der wenigſte Schnee liege, da er daſelbſt in den Monaten April und Mai, dicht vor der Regenzeit, oft ganz verſchwinde. Doch da uns ſelbſt hier keine ſicheren Führer nach— gewieſen werden konnten, ich auch gerade den ſchneeloſen, leicht beweg— lichen, vulkaniſchen Sand nicht als beſtes Terrain bei meinen früheren Bergbeſteigungen gefunden hatte und überdies unſere anderen Beglei— ter in San Andres bereits auf uns warteten, ſo ſetzten wir den fol— genden Tag in aller Frühe unſeren Weg nach San Andres fort, und ritten am ſelbigen Tage, begleitet von mehreren Landsleuten, aus die— ſem Orte durch die weiten bebauten Ackerflaͤchen der Hochebene von San Andres nach dem kleinen Minenorte Fondicion de la Plata, 7650 Fuß über dem Meere in den nordweſtlichen Vorbergen des Pie gelegen. Am anderen Tage, 23. März 1854, früh 6 Uhr, brachen wir, nachdem unſere Geſellſchaft auf 6 Deutſche angewachſen war, mit den nöthigen Führern und Dienern auf, ritten das ſich ſüdöſtlich gegen den Pic hinaufziehende Thal, Paſo nacional, über einen ſehr vulkani— ſchen ſandigen Thalgrund hinauf, der mit hohen Grasbüſcheln und Tannenwaldungen bedeckt war, und zwiſchen denen ſich hier und da kleine Holzhütten als Wohnungen der Holzſchläger, Kohlenbrenner und Zi.iegenhirten befanden. Gegen 9 Uhr erreichten wir den Weg, der von San Andres in öſtlicher Richtung über dieſe nördlichen Höhen des 396 C. Pieſchel: Pic, über den Rancho Jacäl nach San Juan Coscomatepec hinab⸗ führt und hauptſächlich von Schmugglern benutzt wird. Wir verließen denſelben bei einer in ſich zuſammengefallenen Bretterhütte, die dem kühnen Doignon bei ſeinem Beſteigen des Pic zum nächtlichen Auf— enthalte gedient hatte. Dieſelbe lag in einem kleinen Thale, in dem ſich ein ſchöner kleiner Waſſerfall 30 Fuß von einer ſchroffen Fels— wand herabſtürzte, unter den letzten Tannen, und wir überſchritten bald die Baumgrenze in einer Höhe von 11,463 Fuß, indem wir mit unſeren Pferden mühſam auf einem ſich von Südweſten nach Nord- oſten ziehenden und mit kleinen leichten vulkaniſchen Steinen und Sand bedeckten Bergrücken hinaufklimmten. Auf demſelben trafen wir den Weg, den die Indier zum Eisholen nach dem Gletſcher El Corte, der ſich hier am tiefſten in eine Schlucht hinabzieht und dem in den Golf von Merico fallenden Flüßchen Jamapan ſeinen Urſprung giebt, einſchlagen. Wir ſtiegen auf einem wenig geneigten Plateau bis zur Schneelinie, wo wir im Schutze großer aus Lava und blaſigem Do— lorit beſtehender Blöcke unſere Pferde zurückließen. Menſchen und Thiere waren theils durch den unſichern Gang auf dem lockeren vul— kaniſchen Stein- und Sandgerölle, theils durch das mühevolle Athmen in der dünnen Luft bereits ermattet. Hier an der Grenze des ewigen Schnee's, der ſich auf dem nörd- lichen Abhange bei weitem am tiefſten herabzieht, liegt die Grenze der Vegetation 12,000 Fuß hoch, während ſie am Popocatepetl nur bis auf 11,616 Fuß über das Meer hinaufſteigen ſoll. Als letzte Reprä— fentanten der Pflanzenwelt fand ich einige Grasarten und eine Art kleiner roth oder gelb blühender Immortellen, deren Farben eine auf— fallende Friſche zeigten. Nach einſtündigem mühevollen Steigen auf lockerem Steingerölle in der Schlucht des Jamapan neben Schnee und Eis hinauf gelang— ten wir an den eigentlichen Gletſcher, der an dem unteren Rande viel— leicht eine Dicke von 12 bis 15 Fuß hat und von welchem die Indier das Eis nach San Andres, Coscomatepec, Huatusco, ja ſelbſt nach Bera-Eruz hinabholen ſollen. Der Gletſcher zieht ſich auch hier bei weitem tiefer herab, als am Popocatepetl, und beginnt bereits auf der Höhe von 12,360 Fuß, ungefähr auf der Höhe des Gipfels vom Cofre de Perdte, was um jo wunderbarer erſcheint, als der Pic von Die Vulkane von Merico. 397 Orizäba mehr den heißen Winden der Antillen ausgeſetzt iſt, während der Popocatepetl ſich auf einem Hochplateau erhebt. Dies mag aber wohl mehr ſeinen Grund in der beſonderen Localität dieſes Gletſchers haben, indem derſelbe ſich gegen Norden in der Schlucht hinabzieht, die gegen Oſten durch eine Wand des Pic ſelbſt und gegen Weſten durch die ſteile hohe Baſaltwand, die von den Gefährten Doignon's „ſchöne Ausſicht“ getauft wurde, geſchützt iſt. Der Gletſcher zieht ſich aufwärts und bildet mit den ſich nament— lich auf der nördlichen Seite herumziehenden Schneefeldern eine faſt ununterbrochene weite, den Kegel umlagernde Schneefläche, deren große Ausdehnung überhaupt dieſen Vulkan auffallend von dem Popocatepetl unterſcheidet. Den Gletſcher durchziehen aufwärts lange Spalten von 150 bis 200 Fuß Tiefe und von 3 bis 5 Fuß Breite, die man von allen Seiten des Fußes als dunkle Linien um die weiße Spitze des Kegels ſich ziehen ſieht. Hier in der Schlucht laufen dieſelben mehr oder weniger paralell in ſchräger Richtung von oben herab, und ihre Lage und Richtung ſcheinen durch das ſehr ſteil geneigte Terrain, auf dem die Eismaſſen bei ſtärkerer Einwirkung der Sonnenſtrahlen all— mählig ſich herabſchieben, bedingt zu werden. Sie zeigen im Innern ein dunkles meergrünes feſtes Eis und bilden oft Abſätze und Eis— wände, die auf den weniger geneigten Abhängen mehr und mehr, na— mentlich auf dem benachbarten gewölbten weſtlichen Felsrüden, den eine glatte ununterbrochene Schneefläche bedeckt, verſchwinden. Die obere Schneelage war zu dieſer Zeit durch die Sonnenſtrahlen in eine firn— artige Eiskruſte verwandelt, auf welcher das Gehen durch Zuſammen— brechen derſelben ſehr mühſam war und bei friſchgefallenem Schnee vielleicht ſehr gefährlich ſein dürfte. Da wir uns weder mit den nöthigen Inſtrumenten zum Berg— ſteigen, noch mit Lebensmitteln verſehen hatten, auch die Zeit ſchon ziemlich vorgerückt war, ſo begnügten wir uns mit dem Erklimmen einer Strecke auf dem weiten Schneeplateau, von dem wir eine herrliche Ausſicht auf die Oſt- und Nord-Abhänge des Pic bis zu dem Golfe 5 von Merico mit ihren verſchiedenen Ortſchaften und den ſchönen dun— keln grünen Streifen der Barranco's, der tiefen Gebirgsſpalten, die ſich 0 zahlreich nach Oſten ſteil hinabziehen, hatten. Hier wurde uns, wie es gewöhnlich in dieſem Lande zu geſchehen 398 C. Pieſchel: pflegt, von den Führern, die nicht Luſt hatten, weiter zu ſteigen, ge— ſagt, daß die leichteſte Beſteigung des Vulkanes von Orizäba von Sü— den aus über den Rancho (Gehöft) La Perla, oder von Südweſten über San Antonio ſei, obgleich wir von dort nach hier gewieſen waren. An einem ſchwarzen Lavablocke am Fuße des Schnees fand ich die Buchſtaben F. G. eingehauen, womit wahrſcheinlich der Engländer Friedrich Glennie ſeine Beſteigung verewigt hatte. Das einzige Zeichen einer einſtigen furchtbaren Thätigkeit des Vulkans iſt auf dieſer Seite die gewaltige Felswand, welche die ge— dachte Schlucht El Corte gegen Weſten einſchließt. Sie beſteht aus ſchwarzer, feſter, baſaltiger Lava und zieht ſich in einer Höhe von 50 bis 100 Fuß vom Kegel herab. Es iſt dies ein ſeit langer Zeit erkal— teter Lavaſtrom, der durch die Einwirkung des geſchmolzenen Eiſes und Schnee's, ſowie der Sonnenſtrahlen im ſcharfkantigen glasartigen Sprunge verwitternd, große Blöcke abgelöſt und hinabgeſchleudert und ſo jetzt eine faſt ſenkrechte glatte Wand gebildet hat, deren Fuß von großen glattkantigen Felsmaſſen umlagert iſt. Andere vulkaniſche Pro- ducte ſieht man in dem leichten poröſen Bimſtein von den verſchieden— ſten Farben und in einer Art Trachyt, der kriſtalliſirte Hornblende und kleine ſchwarze glänzende Glimmerblättchen führt 1). Obſidian fand ich in ſehr großen Stücken blaſig und von ſtarkem Guſſe, ſo daß die Stücke einer Glasſchlacke glichen. Der Boden iſt übrigens von Schwe— felſtücken und ſchwarzem vulkaniſchen Sande gebildet, in welchem ich eine Art grauer olivenfarbiger poröſer Lava, auf deren graden Flächen kleine ſchwarze Pflanzenabdrücke ſichtbar ſind, antraf. Ob dies wirklich moosartige Gewächſe ſind, die in den Fugen des Geſteins ſich gebildet und daſſelbe ſpäter abgeſprengt haben, oder ob dies Pflanzen— abdrücke oder nur zufällige, durch die Verwitterung des Geſteins ent— ftandene Zeichnungen find, muß ich der genaueren Unterſuchung und dem Urtheile Sachverſtändiger überlaſſen. ) Nach den von dem Herrn Verfaſſer an dem Pie geſammelten Geſteinsfragmen— ten, die ich Gelegenheit hatte zu unterſuchen, findet ſich hier ein perlgrauer, etwas in das Röthliche ſchimmernder dichter Trachyt mit zahlreichen eingewachſenen ſchwarzen Horn— blende- und weißen Oligoklas-Kryſtallen. Das Geſtein gleicht ganz dem Trachyt des Koſtelniker Thales bei Schemnitz in Ober-Ungarn und iſt zum Theil mit 8 Tra⸗ chyten des Nevado von Toluca völlig identiſch. A 4 Er Die Vulkane von Merico. 399 Unſere Geſellſchaft trennte ſich am Fuße des Schnee's. Während ein Theil meiner Landsleute auf directem Wege wieder nach San Andres zurückging, ſtieg ich mit Dr. B. durch die enge wilde Schlucht des Jamapan gegen Nordoſten nach dem kleinen Rancho Jacäl hinab. Der Weg führte anfangs einen ſteilen Abhang auf leichtem vulkani— ſchen Sande hinab, wo wir bald in die Region der Pinien und Tan— nen einzogen. Wir klimmten ſodann an ſteilen Abhängen entlang, auf denen der Weg oft über lockeres, hellklingendes Steingerölle führte, während über uns eine ſteile, 1000 Fuß hohe Felswand mit ihren Schluchten und Abſtürzen drohte. Nach zwei Stunden fanden wir in Jaacäl eine freundliche Aufnahme bei dem Beſitzer, wo wir die Nacht blieben und den Pic in feiner Schneeumhüllung bei bläulicher Abend—, wie roſiger Morgenbeleuchtung bewunderten. Zu dieſem Rancho ge— hören die ſämmtlichen Abhänge des Vulkans dieſer Seite, und dürfte derſelbe wegen ſeiner hohen und nahen Lage am Fuße des Vulkans ſich ganz beſonders zum Anhaltepunkte eignen, um von hier aus eine bequeme und intereſſante Beſteigung des Pic zu unternehmen. Der Weg von Jacäl nach San Juan Coscomatepec bot uns am anderen Tage in jeder Hinſicht vieles Intereſſante und Großartige dar. Man reitet auf dem höchſten Rande eines ſich vom Vulkan gegen Oſten herabziehenden Bergruͤckens entlang und durchzieht alle Vegeta— tions⸗Zonen von der Tanne und Fichte bis zum Zuckerrohr und der Platanos. Zu beiden Seiten fällt der Bergrücken in tiefe Barranco's (Schluchten) ab, die ſteile Felsabhänge und wilde Abgründe mit der üppigſten Vegetation von mächtigen ſchlanken Baumſtämmen und uns durchdringlichen Schlingpflanzen zeigen; und während den Hintergrund dieſes Gemäldes ſtets die weiße Schneemaſſe des Pic bildet, ſchweift das Auge vor ſich gegen Oſten über die nach der See abfallenden Vorberge bis hin zum Golf von Mexico. Von San Juan Cosco— matepec aus betrachtet hat unſtreitig der Pie von Orizäba, — nachdem ich ihn nun von allen Seiten geſehen habe, — die erhabenſte, ſchönſte Form und es tritt hier ſein coniſcher Gipfel am impoſanteſten hervor. Itntereſſant iſt es, zu ſehen, wie man auf dieſem Wege in der kurzen Zeit von 6 Stunden von jener Höhe herabkommt, während auf den anderen Seiten verſchiedene Hochebenen, die in einzelnen Terraſſen aufſteigen und namentlich auf der Straße von Vera-Cruz über Ori— 400 Gumprecht: zäba nach der Hochebene von Puebla hinauf recht auffallend hervortre— ten, den Vulkan umziehen. So ſteigt man vom Meeresufer durch den Paß von Chihuitl nach der Ebene von Cordova hinauf, von hier durch die ſogenannte Puerta de S. Anna bei dem Dorfe Cuautlapan nach Orizäba und von hier nach der Ebene von Tehuacan und Puebla durch die Cumbres bei Aculzingo. Bis zu jedem dieſer Punkte läuft der Weg durch Thalebenen ohne merkliches großes Aufſteigen, worauf er dann im Zickzack und in Windungen die Gebirgskämme hinauf— klettert. (Fortſetzung folgt.) XVI. Barth's Schickſale und Unterſuchungen im cen— tralen Nord-Afrika. Als das Gerücht von Barth's Tode, das uns zu einer Schilde— rung des Lebens und Wirkens des trefflichen Reiſenden in dieſer Zeit— ſchrift (Bd. IV, S. 52 — 89) Veranlaſſung gab, vor einigen Monaten nach Europa gelangte, zweifelte man hin und wieder an ſeiner Wahr— heit, obgleich daſſelbe ſelbſt aus Bornu, alſo aus einer Gegend kam, wo man die ſicherſte Nachricht über des Reiſenden Schickſale haben konnte, ja man zweifelte gern daran in dem deutlichen Bewußtſein, daß mit der Beſtätigung des traurigen Ereigniſſes alle Hoffnungen, über eine der unbekannteſten und feit nahe einem Jahrhundert von wißbegieri— gen europäiſchen Forſchern faſt vergeblich erſtrebte Region der Erde end— lich zuverläſſige Kunde zu erhalten, vernichtet werden mußten. Mungo Park's, Hornemann's und Laing's Tod hatten leider nur zu deutlich gezeigt, daß mit ſolchen Todesfällen alle durch die eifrigſten und auf— opferndſten Beſtrebungen in jenen fernen Gegenden gewonnenen Re— ſultate fuͤr die Wiſſenſchaften völlig verloren gehen. So mochte man ſich nicht entſchließen, Hoffnungen zu entſagen, bis ungünſtige poſitive Barth's Schickſale und Unterſuchungen im centralen Nord-Afrika. 401 Nachrichten ihnen nothwendig ein Ziel ſetzten. Doch war nicht zu ver— kennen, daß der Hoffnungsſchimmer eine ziemlich ſchwache Baſis hatte, wenn man auch annehmen konnte, daß ein beſonnener Forſcher, wie Vogel, nicht ohne genügendes Vertrauen zu der Zuverläſſigkeit ſeiner Quelle die Nachricht von Barth's Tode nach Europa würde haben gelangen laſſen. Daß aber Vogel die ihm gewordenen Nachrichten für 2 mehr, als ein bloßes Gerücht hielt, und er konnte es wohl, da der damalige Beherrſcher Bornu's ſelbſt den angeblichen Todesfall der Königin Victoria in einem Schreiben angezeigt hatte (Zeitſchr. IV, 87), erweiſt ſchon der Umſtand, daß von ihm einer ſeiner ſicherſten Diener nach den Gegenden, wo das unglückliche Ereigniß angeblich ſtattfand, zur Rettung der Hinterlaſſenſchaft des Todtgeſagten geſandt worden war Zeitſchrift IV, 86). Bei ihm mußte die traurige Nachricht wohl einen Boden finden, indem er ſelbſt während ſeines mehr, als einjährigen Aufenthalts in Central-Afrika vergeblich auf Barth's Rückkehr nach Kuka oder auch nur auf eine Kunde von ihm geharrt, und er aus eige— nen Erfahrungen und dem Looſe faſt aller ſeiner Vorgänger in Cen— tral-⸗Afrika wußte, wie raſch hier dem europäiſchen Reiſenden das Le— bensziel inmitten der froheſten Hoffnungen, zum erſehnten Ziele zu ge— langen, abgeſchnitten wird. Mehrere Monate verfloſſen, ſeit wir die Kunde von Barth's Tode in Europa erhielten, ohne daß eine beſtimmte Beſtätigung oder Vernei— nung die Spannung löſte, in welche die traurige Kunde die Gemüther aller Regionen, wo für des Reiſenden aufopferndes Beſtreben Theilnahme 1 erweckt worden war, verſetzt hatte. Bei dem Ausbleiben aller Nach: richten in Bornu, wo man noch im September v. J. keine Kunde aus dem Weſten über Barth's Schickſal beſaß, obgleich der Reiſende bereits Ende April in dem befreundeten Sokoto hatte eintreffen und von hier Nachricht geben wollen (Zeitſchr. III. 519), mußte man dort und in Eu— ropa nur zu ſehr fürchten, daß ſein Schickſal die vermuthete traurige Wendung genommen, ja daß Barth vielleicht noch zu Timbuktu den Tod gefunden habe, indem die Bewohner dieſes Ortes trotz ſeiner ſoge— nannten Heiligkeit bei ihren afrikaniſchen Landsleuten in ſchlechtem Rufe ſtehen (Zeitſchr. II. 318, 357), und weil auch Richardſon bei ſeinem erſten Aufenthalt in Afrika zu Ghät von vielen Seiten durch Wohlwollende ge— 1 warnt worden war, nach Timbuktu zu gehen, weil der Aufenthalt daſelbſt Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 26 402 Gumprecht: nur einige Zeit für Europäer ſicher ſei, es aber große Schwierigkeiten für fie habe, ſich ungefährdet hinaus zu retten ). Glücklicher Weiſe ergaben ſich nun alle dieſe Beſorgniſſe als irrig, und Vogel's Berichte ſowohl, als Barth's eigene, nach Europa gelangte Briefe von ziemlich neuem Datum laſſen die begründete Hoffnung zu, daß der kühne Rei— ſende feine große Aufgabe glücklich zu Ende führen und die Heimath zur Freude aller ſeiner zahlreichen Freunde erreichen wird. Wir be— eilen uns deshalb, die in den letzten 4 Wochen darüber nach Europa gelangten Nachrichten zuſammenzuſtellen und denſelben den früher ver— heißenen Auszug (Bd. IV, 333) aus Barth's Briefen uber feinen Zug nach Timbuktu, wie wir ſie in Herrn Petermann's Zeitſchrift vor— finden, zur Erläuterung der central-afrikaniſchen Geographie folgen zu laſſen. Selbſt noch im October v. J. fehlten zu Kuka alle Nachrichten von Barth, indem Vogel's letzter Brief an den britiſchen General-Conſul zu Tripolis, Lieut. Col. Herman, vom 15. September nebſt einem Poſt⸗ ſcript vom 11. October ausdrücklich anzeigte, daß ihm jede ſolche Nach— richt abgehe. Indeſſen ſprach Vogel damals ſchon die Vermuthung aus, daß dies nur den Intriguen des Scheikhs von Bornu beizumeſſen ſei, der wahrſcheinlich auch die Nachricht von Barth's Tode ausgeſprengt habe. In ſteter Erwartung des Eingangs einer beſtimmten Kunde hatte Vogel, welcher durch die von ihm ſehr beklagte Armuth der Flora der Umgebungen Kuka's ?) hier nicht genügende Beſchäftigung ) The Timbouctoo people have every where a bad caracter, Richardſon Tra- vels II, 10 und: The residence of an European at Timbouctoo may be perhaps considered secure for a short time, but the grand difficulty is to get there and when you get there, to get safe back again. Ebendort II, 193. 2) In einem ſpäter öfters zu erwähnenden Schreiben an den britiſchen Ge— neral⸗Conſul Lieut. Col. Herman zu Tripoli ſagt Vogel ſogar, daß die Flora von Kuka noch ärmer ſei, als die der Wüſten um Berlin (that the Flora around Kouka was even poorer, than that of the deserts around Berlin), eine Aeußerung, die überaus voreilig iſt und wünſchen läßt, daß ſich ähnliche Fehler nicht in Vogel's afrifanifche Beobachtungen einſchleichen möchten. Sie erweiſt, daß Vogel während feiner Studienzeit hierſelbſt ſich wenig um die botauiſchen Verhältniſſe feines Wohn— orts bekümmert hat, abgeſehen davon, daß einige Spaziergaͤnge in den Umgebungen ihn leicht belehrt haben würden, daß die letzten nicht Wüſten genannt werden können, wenn die Hälfte derſelben im Weſten und Oſten der Stadt aus Lehmboden beſteht. Der verſtorbene Profeſſor Kunth, ein mit der Flora Berlins bekanntlich ſehr ver— Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord-Afrika. 403 fand, die Zeit zur Ausführung einer zweiten größeren Expedition be— nutzt, die, wie die nach Musgo, ihn ebenfalls nach dem Suͤden, nämlich nach dem durch Denham's Expedition zuerſt genauer bekannt gewordenen intereſſanten Berglande Mandära führte. Indeſſen war das Unternehmen nicht ohne große Gefahr für den jugendlichen For— ſcher, der ſich nur durch ſeinen ſichern Takt und ſeine Entſchloſſenheit aus einer ihm durch die Feindſeligkeit des dortigen Machthabers be— reiteten Todesgefahr rettete. In Mandära nahm man ihm nämlich feine Laſtthiere fort; alle ſeine Effecten entzog man ſeiner Dispoſition; ſeine Perſon ſelbſt bewachte man ſcharf und ließ ihn nicht aus dem ihm ange— wieſenen Hauſe; ja man bedrohte ihn geradezu mit dem Tode. Aus den von dem Vater des Reiſenden und Herrn Petermann mitgetheilten Nachrichten ergiebt ſich noch nicht, in wie weit der Uſurpator der Scheikhs— würde von Bornu, Abd el Rahman, in die Intriguen zu Vogel's Ver— derben verwickelt war oder nicht ). Bis dahin hatte ſich der Uſurpator freilich, wie wir früher gemeldet (Zeitfcehrift II. 427; III, 54, 63), ſehr freundlich gegen den Reiſenden gezeigt, ſo daß dieſer, wie es ſchien, den Regentenwechſel eigentlich nicht zu beklagen hatte 2). Als Vogel endlich Kuka erreichte, fand er die politiſchen Verhältniſſe völlig ver— ändert, indem nur wenige Tage vor ſeiner Zurückkunft Abd el Rah— man wieder geſtürzt, und deſſen erſt vor zwei Jahren von ihm ab— trauter Botaniker, verſicherte Häufig auf botaniſchen Excurſionen, daß die der Flora Berlins von Unkundigen gemachten Vorwürfe der Armuth unbegründet ſeien, und in der That erſcheint dies Urtheil gerechtfertigt, wenn man aus L. v. Buch's vor mehr, als 30 Jahren angeſtellter Zählung der Pflanzenſpecies erſieht, daß damals ſchon 874 Phanerogamenarten, wozu in neuerer Zeit manche damals unbekannte hinzugekommen find, in den Umgebungen Berlins bekannt waren. v. Schlechtendal zählte zwar in ſeiner Flora Berolinensis, Berolini 1823, 1024 Phanerogamen auf, indeſſen muß dieſe Zahl reducirt werden, da ſich darunter viele erſt durch die Cultur einheimiſch gewordene Arten befinden. 1 ) Das weiterhin zu erwähnende feindliche Verfahren gegen Barth und die Hab- gier des Scheikhs, ſich der Vorräthe des Reiſenden zu bemächtigen, macht es jedoch hoͤchſt wahrſcheinlich, daß derſelbe den Gefahren Vogel's nicht fremd war. 2) Die Mittheilung in der deutſchen allgemeinen Zeitung vom 9. April über dieſe Begebenheiten in Bornu nennt den Abd el Rahman ſehr irrig Sultan. Dies itt ſicherlich nicht von Dr. Vogel ſelbſt geſchehen, da der Sultan von Bornu aus der alten Herrſcherfamilie des Landes bekanntlich eine völlig bedeutungs- und machtlofe Perſon iſt, wie früher erwähnt wurde (Zeitſchrift J. 320). * 26 * 404 Gumprecht: geſetzter Bruder Amur (Omar) in ſeine frühere Würde eingeſetzt worden war!). Aus Vogel's neueſten Briefen erfahren wir, daß die Ruhe des Landes nach dieſer Cataſtrophe ganz wieder hergeſtellt worden iſt und für die Zukunft als hinlänglich geſichert gelten konnte, nachdem Amur den Uſurpator hatte hinrichten laſſen. Vogel ſagt, daß dies durch Hängen geſchah, alſo durch eine Todesſtrafe, die wir in den Neger— ſtaaten nicht als gewöhnlich kennen, indem Enthauptung hier das üb— liche Mittel iſt, Verbrecher oder andere dem Herrſcher mißliebige Per— ſonen aus der Welt zu ſchaffen. Indeſſen ſcheinen die Scheikhs von Bornu von dieſer Sitte der Negerländer eine Ausnahme zu machen, da wir durch Denham (J, 277) wiſſen, daß auch der frühere Scheikh weibliche Individuen, die er für des Todes ſchuldig hielt, zur Stran— gulirung verurtheilte. Jedenfalls iſt der Regierungswechſel von kei— nem Nachtheil für die Unternehmungen der beiden Reiſenden, weil der jetzige Scheifh und fein früherer Vezier, der Hadſch Beſchir, ſtets un— gemein eifrige Beſchützer Barth's und Overweg's geweſen waren (Berl. Monatsberichte N. F. IX, 344, 348, 349, 361, 362) und deren Unternehmungen angelegentlichſt befördert hatten. Nach einem von dem Oberſtlieut. Herman am 3. März zu Tri⸗ poli geſchriebenen Briefe ging aus Vogel's Mittheilungen an ihn her— vor, daß es dieſes Reiſenden Abſicht war, einen ſeiner früheſten Plaͤne (Zeitſchrift III, 397) in Ausführung zu bringen, nämlich die noch ganz unbekannten öſtlichen Ränder des Tſad und den eben ſo unbekannten, in den letzten 50 Jahren ſeit Hornemann's (Ed. Langles 251) und Brown's (571) erſten Nachrichten davon aber oft beſprochenen Fittre- See (Geographie von Afrika 270) zu unterſuchen und dann nach Uära (Wara, Geographie von Afrika 296), der Hauptſtadt des gro— ßen Reiches Uadai zu gehen, doch fürchtete er, daß der Plan durch die mittlerweile ausgebrochenen Feindſeligkeiten der ſtets auf einan- der eiferfüchtigen Mächte Bornu und Madai vereitelt werden würde, Sollte die Ausführung unmöglich werden, ſo gedachte Vogel damals, ſich ſüͤdweſtlich nach dem großen, am untern Niger (Kowara) gelege— nen Lande Noufi, Tappy oder Tappa (Geographie von Afrika 300) zu wenden, um auf dieſem Fluſſe, wie es einſt die Gebrüder Lander ) Ueber dieſe Revolution in Bornu f. Zeitſchrift II, 427; III, 53, 63. Barth's Schickſale und Unterfuchungen im centralen Nord- Afrika. 405 gethan, die Bai von Benin zu erreichen und von da nach Europa zurückzukehren. Dieſe Plaͤne haben nur durch Barth's Wiedererſcheinen und die glückliche Vereinigung der beiden deutſchen Forſcher einen vor— . laͤufigen Aufſchub erhalten. 7 Noch im Beginn des Monats März d. J., wo zwei durch den General-Conſul Herman geſchriebene Briefe, der eine vom 3. März an Vogel's Vater, welcher dieſem den vorhin erwähnten Brief ſei— nes Sohnes aus Kuka vom 15. September v. J. brachte, der an— dere vom 6. März an Herrn Profeſſor Ehrenberg, in Deutſchland eingingen, war man in Tripoli über Barth's Schickſal völlig im Un⸗ klaren, und Mr. Herman konnte nur nach den von Vogel erwähnten Intriguen hoffen, daß das allgemein und von ihm ſelbſt früher als ein überwahres (o'er true tale, Zeitſchrift IV, 57) bezeichnete Ge— rücht ſich nicht beſtätigen würde. „Ein dunkles Geheimniß ruht ſtets auf dem Schickſale des armen Barth“ ſagte der wackere Mann in dem letzten der beiden erwähnten Schreiben '). Aber ſchon am 13. März vermochte derſelbe an Profeſſor Ehrenberg Folgendes zu melden: 4 „Glücklicher Weiſe habe ich nicht umſonſt gehofft! Das Ge— rücht vom Tode des Dr. Barth hat ſich als unbegründet erwieſen! Dieſe erfreuliche Nachricht war von einem Briefe des Doctors ſelbſt an Herrn Gagliuffi, Vice-Conſul in Murzuk, begleitet, den ich geſtern erhielt, — datirt Kano, den 15. November, zu welcher Zeit er ſich zur Abreiſe nach Kuka vorbereitete, und ſogar vorhatte, in 3 Monaten Murzuk zu erreichen. Indeſſen glaube ich nicht, daß er dies zu er— füllen im Stande ſein wird. Mit dem größten Vergnügen ſehe ich mich hiermit in den Stand geſetzt, Ihnen eine Thatſache mitzutheilen, die durch ganz Europa mit Freuden aufgenommen werden wird. G. F. Herman.“ 8 An demſelben Tage ſandte Mr. Herman die frohe Kunde auch nach Malta. Ein in den Times vom 4. April enthaltener Artikel meldete nämlich nach einem am 26. März auf der Inſel geſchriebenen Briefe, * daß man hier einen von Mr. Herman zu Tripoli am 13. März ger ) A mystery still hang over the fate of poor Dr. Barth. 406 Gumprecht: ſchriebenen Brief mit der Anzeige erhalten habe, daß das Gerücht von Barth's Tode ſich glücklicher Weiſe unbegründet erweiſe, indem Mr. Herman ein Brief d. d. Kano, 15. November, zugekommen ſei, worin ihm der Reiſende die Abſicht kund gebe, in 3 Monaten zu Mur zuk einzutreffen. Indeſſen bezweifelte Mr. Herman ſtark die Mög— lichkeit der Ausführung des Planes, da Barth beabſichtige, noch den weiten Umweg über Kuka zu nehmen. Das Gerücht von deſſen Tode, wiederholt der General-Conſul, ſei von dem früheren Beherrſcher Bor— nu's ausgegangen, um ſich der für die etwaige Rückkehr des Reiſen— den in jene Gegenden zu Zejhan, einem uns unbekannten Orte, für ihn niedergelegten Vorräthe !) zu bemächtigen, was ihm auch gelang. Den Sturz Abd el Rahman's ſah übrigens Mr. Herman mit Grund als ein überaus glückliches Ereigniß an, weil nach den Gewalt— thaten des Uſurpators zu befürchten ſtand, daß das bisher falſche Gerücht zu einer ernſten Wahrheit werden konnte. Eine Beſtätigung dieſer erfreulichen Kunde ließ nicht lange auf ſich warten. Schon am 26. April brachte die deutſche allgemeine Zeitung eine Mittheilung von Vogel's Vater nach einem von deſſen Sohn am 7. December geſchriebenen, durch einen Courier über Ghadames nach Tripolis gelangten und von hier aus am 4. April nach Leipzig beförderten Briefe, daß Vogel am 1. December zu Bundi, einem klei— nen, zwiſchen Kano und Kuka, ungefähr 120 engliſche Meilen weſt— lich von der letzten Stadt gelegenen Orte, ſich mit Barth getroffen habe. Dieſer war damals wohl und gedachte nach einem kurzen Auf— enthalte in Bornu, wie Lieut. Col. Herman aus Barth's directem Schreiben gefolgert hatte, über Murzuk nach Europa zurückzukehren, wo— gegen Vogel Willens war, zunächſt die Stadt Pacoba zu beſuchen und das Königreich Adamaua zu erforſchen, alſo ſtatt des vorhin (S. 404) ) In den Times wird dieſer Depötort Zejhan genannt, was wahrſcheinlich ein Druck- oder Schreibfehler iſt, indem in früheren Berichten Barth's Zinder wieder⸗ holt als derjenige Punkt genannt wird, wo die für ihn beſtimmten Sendungen nieder⸗ gelegt werden ſollten (Zeitſchrift I, 79; III, 63). Ueber Zinder, das große Thor und die Eingangspforte in den Sudan ſ. Berliner Monatsberichte N. F. VIII, 128; IX, 198, 219, 338, 347). Overweg ſchrieb den Namen in feinen deutſchen Berich— ten theils Sinder (a. a. O. IX, 347), theils Zinder (IX, 341). Die ausführlich⸗ ſten Nachrichten über den Ort finden wir in Richardſon's nachgelaſſenen Tagebüchern (Narrative of a mission to Central Africa. 8. 2 Vol. London 1853. II, 179 — 287). h 1 7 Barth's Schickſale und Unterſuchungen im centralen Nord-Afrika. 407 angeführten Theils ſeiner Pläne einen anderen zur Ausführung zu bringen, was aber ein Verluſt für die wiſſenſchaftliche Kunde Afrika's wäre, weil dadurch die wichtige Frage über die Geſtaltung der öſt— lichen Ränder des Tſad und über die hier in denſelben mündenden Flüſſe abermals in den Hintergrund rücken und vielleicht für eine lange Reihe von Jahren ungelöſt bleiben würde, während hier gerade Unterſuchungen durch einen wiſſenſchaftlichen Forſcher wünſchenswerth find, indem in dieſe Gegenden bisher noch kein europäiſcher Fuß ein— gedrungen iſt. Zuletzt war Vogel in Zinder, von wo aus er ſeine Nachricht über das Zuſammentreffen mit Barth wahrſcheinlich auch da— tirte, beſchäftigt geweſen, die bis dahin noch nicht beſtimmte, für die Geographie Mittel-Afrika's aber wichtige Lage des Ortes feſtzuſtellen, worauf er nach Kuka zurückkehren und mit Barth das Weitere verab— reden wollte. Dieſe Nachrichten wurden endlich in der Berliner Spener'ſchen Zeitung vom 26. April nach einer brieflichen an Herrn von Hum— boldt gerichteten Mittheilung des Director Vogel beſtätigt, deren In— halt im Weſentlichen mit den erſten Nachrichten übereinſtimmt; nur erfahren wir noch daraus, daß Dr. Vogel's Anzeige vom 7. De— cember mit Bleiſtift geſchrieben war, um einem (wahrſcheinlich durch Zinder) nach Ghadämes durchgehenden Courier zur ſchnellen Be— förderung mitgegeben zu werden, ſo daß der Brief kein weiteres De— tail enthielt, ferner, daß Barth nicht einen kurzen, ſondern, wie aus— drücklich geſagt wird, einen längeren Aufenthalt mit Vogel zu Kuka zu machen beabſichtigte. Findet in dieſen Plänen keine Abänderung ſtatt, ſo haben wir allerdings noch keine Ausſicht, in dem Monat Mai den trefflichen Reiſenden in Europa zu begrüßen. War nach dieſen überaus erfreulichen Nachrichten über Barth's Rettung eine ausführlichere Kunde über die Umſtände, welche defien . und Vogel's Zuſammentreffen im Herzen von Nord-Afrika veran- laßten, in hohem Grade wünſchenswerth, ſo wurde dieſer Wunſch 5 durch eine lithographirte Mittheilung Petermann's, d. d. Gotha, den 25. April, bald erreicht. Aus ihr erfahren wir, daß Vogel, ganz gegen ſeine früheren Pläne, Ende November von Kuka abgereiſt war, um in weſtlicher Richtung vorzudringen und bis Zinder das Netz ſeiner aſtronomiſchen und phyſikaliſchen Beobachtungen auszudehnen. 408 Gumprecht: Unterwegs erreichte ihn glücklicher Weiſe ein Brief Barth's aus Kano vom 24. October, und dies war die erſte Nachricht, die er von dieſem Reiſenden erhalten hatte, nachdem alle früheren aus dem Weſten an— gelangten Nachrichten auf deſſen Tod gedeutet hatten. Aus demſelben ergab ſich, daß Barth von Kano abgereiſt war ) und feine Schritte ungefähr in derſelben Zeit nach Oſten wandte, in welcher Vogel Kuka verlaſſen hatte, um nach Weſten in der Richtung des genannten Or— tes auf demſelben Wege vorzudringen. Beide Reiſende waren ſich alſo, ihrer unbewußt, entgegen gekommen. In der That, das feſte rührende Gottvertrauen, das ſich in den letzten Jahren in jeglichen Briefe Dr. Barth's in hervortretender Weiſe ausgeſprochen, hat den wackern Mann nicht zu Schanden werden laſſen! Auf die uner— wartete Nachricht ging Vogel natürlich weiter, und zu Bundi, etwa 30 deutſche Meilen nordöſtlich von Kano, und 50 Meilen grade weſt— lich von Kuka, trafen beide Reiſende zuſammen. Von welchen Ge— fühlen Barth bei dem Zuſammentreffen mit Vogel erfüllt geweſen ſein muß, mag man am beſten daraus abnehmen, daß derſelbe ſeit Over— weg's Tode, alſo mehr als 2 Jahre hindurch, nicht bloß allen euro— päiſchen Verkehrs entbehrt hatte, ſondern daß er von der ganzen civi— liſirten Welt abgeſchnitten 2) und zugleich den größten Gefahren, Müh— ſeligkeiten und Drangſalen aller Art ausgeſetzt geweſen war. — Das Zuſammentreffen mit Barth vermochte jedoch nicht, Vogel's jugend— lichen Feuereifer zu verringern und ihn zu veranlaſſen, ſeine Schritte der Heimath zuzuwenden, ſondern derſelbe beſchloß, ſeine Forſchungen weiter nach Süden und Weſten, in die Reiche der Fellata's auszudeh— nen, wozu er ſich von Barth die Empfehlungsſchreiben geben ließ, die derſelbe von dem großen Fellata-Herrſcher in Sokoto erhalten hatte ). Ehe wir endlich zu der letzten uns durch Herrn Petermann geworde— nen Mittheilung über Barth's Schickſale übergehen, dürfte es den meiſten unſerer Leſer nicht unerwünſcht ſein, über den in der Geſchichte geographi— ſcher Entdeckungen jetzt ſo wichtig gewordenen Ort Bundi und das Volk der Mungo, dem Bundi angehört, etwas Weiteres zu erfahren, ſo kurz auch ) Dieſe Angabe muß unrichtig fein, da, wie das Folgende zeigt, Barth ſich noch am 15. November zu Kano befand (f. weiterhin S. 413). G. ) S. Zeitſchrift III, 224. ) S. Zeitſchrift III, 60. Barth's Schickſale und Unterſuchungen im centralen Nord-Afrika. 409 dieſe Nachrichten bei dem Mangel vollſtändiger Berichte ausfallen müſſen. Der Name Mungo kommt zuerſt bei Denham vor, welcher in Geſell— ſchaft Dr. Oudney's Gelegenheit hatte, den Scheifh von Bornu im Mai 1823 auf einem Kriegszuge gegen das Volk dieſes Namens zu begleiten (I, 481). Der britiſche Reiſende verſetzt dafjelbe ") ſchon in den We— ſten von Kuka und an den oberen Lauf des Peu-Fluſſes (Zeitſchrift I, 201; II, 427) und ſchilderte es als ein mächtiges und zahlreiches Volk, das 12,000 mit Bogen und vergifteten Pfeilen bewaffnete Krie— ger, die zu Fuß fechten, aufzuſtellen vermochte (Denham J, 148, 173). Tributair dem Beherrſcher Bornu's, ſind die Mungo durch ihre Lage an der Weſtgrenze dieſes Landes ſehr unſichere Unterthanen deſſelben. Bei Denham's Anweſenheit zu Kuka hatten ſie nicht allein den Tribut ver— weigert, ſondern waren auch ſo weit gegangen, 120 im Dienſte des Bornuherrſchers ſtehende Schaoua-Araber zu tödten, die in ihrer Nähe gelegenen Städte des eigentlichen Bornureichs zu plündern und zu ver— brennen und ſich endlich völlig zu empören, indem ſie den legitimen Sultan aus der alten Herrſcherfamilie Bornu's zu ihrem Oberhaupt erklärten. Dies gab dem Scheikh Veranlaſſung zu ſeinem Kriegszuge, deſſen günſtiger Erfolg bei der Macht und dem kriegeriſchen Sinne) der Mungo's zweifelhaft erſcheinen konnte, bei der großen Mäßigung des Scheikhs aber höchſt glücklich ausfiel, indem die Mungo ſich bei dem Anmarſch des Bornuheeres ſofort unterwarfen (Denham I, 170 — 174). Dieſe Mäßigung war ein um ſo bemerkenswertherer Act der Staatsklugheit des Scheikhs, als es ſonſt in Afrika allgemein Sitte iſt, rebelliſche Stämme hart zu ſtrafen und ſelbſt auszurotten. Die Mungo hatten aber noch weniger Hoffnung auf Gnade, da ſie Heiden ſind (Koran c. IX, v. 53; C. XLVII, v. 4). Statt deſſen zog der Scheikh vor, ſie durch Milde zu verſöhnen. Ueber das Weſen der Mungo und ihr Land erfahren wir durch Denham leider wenig, doch geht ſchon aus deſſen Berichte hervor (I, 174), daß dieſelben mit den Bornuern zu einem einzigen großen Volke gehören, weil ihr phyſiſcher und geiſtiger ) Denham nennt die Mungo ſtets Mungowy, was wohl die arabiſche Form des Namens iſt und Mungaoui in der Analogie mit Burnaoui, Baghermaoui auszu⸗ ſprechen fein möchte. 9) Derſelbe wird beſonders dadurch genährt, daß die Mungo auch Nachbarn der kriegeriſchen Fellans und Tuaregs und deren Angriffen ſtets ausgeſetzt ſind (Denham 1, 173). 410 Gumprecht: Charakter mit dem der eigentlichen Bornuer ganz übereinſtimmt. Sie find alſo mit ihren Nachbarn, den Bede (Clapperton bei Denham U, 16 Zeitſchrift IV, 256) in eine Kategorie zu ſtellen und, wie dieſe, nur eine heidniſch gebliebene Abzweigung des Bornuvolks. Beide Stämme haben merkwürdiger Weiſe, obwohl von allen Seiten von eifrig muhamedaniſchen Völkern umgeben, gleich den Mariadiern (Berliner Monatsber. N. F. IV, 341), ihr altes Heidenthum erhalten, was ſie zum Theil ihrer kriegeriſchen Tüchtigkeit, zum Theil aber auch den mil— den Geſinnungen der Bornuherrſcher zu danken haben mögen, die nicht, wie die Fellans, ihre Religion zugleich mit ihrer Herrſchaft den ur— ſprünglichen Bewohnern der central-afrikaniſchen Regionen aufzudrin⸗ gen pflegen. Nach dieſen älteren Nachrichten kommt das Mungoland erſt wie— der in neueren Berichten vor, indem Barth daſſelbe auf ſeinem Wege von Kano nach Kuka im März 1851 durchzog (Berliner Monatsberichte N. F. IX, 333), da der grade Weg zwiſchen beiden Städten quer durch das Land geht. Weil aber Barth es ſehr raſch durchreiſte und über ſeine hieſigen Unterſuchungen faſt nichts nach Eu— ropa berichtet hat, ſo iſt zu den früheren Mittheilungen hier faſt nichts hinzuzuſetzen. Die von Petermann in die große von ihm conſtruirte Karte der Tſchadländer aufgenommene Reiſeroute Barth's führt jedoch den Ort Bundi auf, der dadurch zum erſten Male bekannt wurde. Nur das finden wir aus Barth's Berichten zur Beſtätigung der Vermuthung, daß die Mungo ein Zweig des Bornuvolkes ſind, hervorzuheben, daß der Reiſende ſchon zu Gummel, einem weſtlich von Bundi und alſo zwiſchen Bundi und Kano gelegenen Orte, die Bornuſprache als Sprache der Landesbewohner vorfand (Berliner Monatsberichte N. F. IX, 333). Der Mungoſtamm ſcheint ſich übrigens ſehr weit zu ver— breiten, indem Petermann's Karte den Namen 3 Mal aufführt, zu— vörderſt auf der linken Seite des unteren Peu oder ſogenannten Koma— dugu (f. Zeitſchrift I, 201), wo ſich die Notiz findet: Neuere Sitze der Manga (Recent seats of the Manga), weiter hinauf nordweſt⸗ lich von Bundi: heidniſche Manga (Manga Karda, oder wohl rich— tiger Manga Kerdy, da Kerdy in Bornu nichts weiter als Heide be— deutet, wie hier IV, S. 154 erwieſen wurde), endlich noch weiter nörd— lich und oſtſüdöſtlich von Zinder das Land Manga oder Minyo, das — Barth's Schickſale und Unterſuchungen im centralen Nord-Afrika. 411 bei Barth früher unter der Form Müngu (Berl. Monatsber. N. F. IX, 334), bei Overweg unter der von Minho (ebendort IX, 347) vorkam. Richardſon war auf ſeinem letzten Wege von Zinder nach Kuka, kurz vor ſeinem Tode, durch dieſes Minyo gezogen und nennt es die bedeutendſte Bornu-Provinz (A mission II, 307; Petermann, An account S. 6), deren Hauptort einſt die Stadt Bunai geweſen fei. Damals regierte in Minyo als Statthalter der jetzt hingerichtete Abd el Rahman (Richardſon a. a. O. II, 217). Eben im Begriffe, dieſes Heft abzuſchließen und, als das Vorher— gehende ſchon geſetzt war, erhalte ich nachſtehende höchſt intereſſante Mit— theilungen unſeres Reiſenden an ſeine Familie durch die Güte ſeines Schwagers, des Herrn Oberlieutenant Schubert zu Dresden, der unſere Zeitſchrift ſchon öfters mit ähnlichen Beiträgen bereichert hat. Nach Barth's Wunſch, im Monat Mai bei ſeiner Familie einzutreffen, dürfen wir doch jeden Tag Hoffnung haben, von der glücklichen Rückkehr deſſelben nach Europa Kunde zu erhalten. Der Inhalt des Nachſtehenden wird aber dadurch um ſo intereſſanter, daß er über die Veranlaſſung zu der Verzögerung von Barth's Zuſammentreffen mit Vogel Aufſchluß giebt, und wir können uns nur glücklich ſchätzen, daß Krankheit, Entbehrun— gen und Erſchöpfung den trefflichen Forſcher nicht noch in den letzten Stadien ſeines Aufenthalts in Central-Afrika hinweggerafft haben. Wurno bei Sokoto, den 3. September 1854. Innigſt Geliebte! So bin ich wieder hier am wohlbefreundeten Hofe Alid's, des mächtigen Fürſten der Hauſſa-Fellan !), und habe jetzt, jo Gott will, überwunden, und ſehe die Rückkehr in die Heimath als vom Barm— herzigen mir geſichert an. Ich bin hier den vorletzten Auguſt ange— kommen, aber dieſe Tage von der Anſtrengung, Sonne und Regen fo ſchwach geweſen, daß ich mich kaum vom Lager zu erheben vermochte. Gao oder Gogo :), von wo aus ich Euch mit einem ruͤckkehrenden Freunde des Schach El Bakay ) geſchrieben habe )), verließen wir end- lich den 8. Juli und nahmen den folgenden Tag Abſchied von unſe— rem noblen Wirth, der uns nicht eher verließ, bis wir in Sicherheit den ſchoͤnen Fluß paſſirt »), an deſſen ſüdweſtlicher Seite es unſere 412 Gumprecht: Abſicht war, uns entlang zu halten. Einen ganz anſehnlichen Trupp von etwa 20 Mann bildend, zogen wir wohlgemuth und rüſtig vor— wärts, ſtets dicht am Flußufer, gewöhnlich von früh Morgens bis ge— gen Mittag, bald mit, bald ohne Dorf lagernd, und erreichten in 14 Tagen glücklich Sinder, eine anſehnliche an Korn reiche Ortſchaft auf einer Inſel im Fluſſe, wo wir einen Tag Raſt machten ). Von hier erreichten wir in 8 Tagen Say ), wo ich voriges Jahr den Fluß paſ— ſirte, und von wo an ich faſt ganz meiner alten Straße folgte, außer daß ich Tamkala s) beſuchte. All dieſer Marſch war von ſtarken Regen— güſſen begleitet und im Ganzen ſtarben uns 5 Kameele; auch mein früher nobles Roß iſt jetzt faſt nur noch ein Gerippe. Ich preiſe Gott von ganzem Herzen, daß er mich aus ſo unſicheren Gegenden, wo ich ſo viel erduldete und wo ich ſo lange geſchmachtet, glücklich zurückge— führt hat; alle Welt hier preiſ't mich meines Muthes und meines Glückes wegen, und ich hoffe, auch daheim wird man ſich freuen. Nur in Einem habe ich mich getäuſcht, ich hoffte hier Briefe und einen Bo— ten Dr. Vogel's zu finden. Es war urſprünglich meine Abſicht, hier nur 10 Tage zu raſten; ich muß aber jetzt die Regenzeit hier erſt zu Ende gehen laſſen, da die Wege vor uns zu ſchlecht ſind. Bis dahin kommt auch der Herr von Kano ſelbſt?), mit dem ich nach feiner Stadt zurückkehren werde. Von da geht es nach Kuka und von da, ſo Gott will, ohne langen Aufenthalt geraden Weges nach Norden, Europa und der Heimath, von der ich faſt 5 Jahre abweſend bin, wieder zu. Gebe der gute Gott recht frohes Wiederſehen! Kano, den 5. November. So vergeht die Zeit und ſo zieht ſich hier wenigſtens Alles weit mehr in die Länge, als der Menſch glaubt. Nachdem ich Euch von Wurno geſchrieben, wurde ich noch recht ſchwer krank an Dyſſenterie, dabei faſt ohne Medicin und ohne Alles, aber Gott, der wie es ſcheint mich noch zu etwas Weiterem aufbewahrt, hat mich auch aus dieſer Gefahr glücklich gerettet. Endlich den 5. October verließ ich die Stadt Alit's, der mir ein leidliches Pferd und ein Kameel ſchenkte, nicht mit dem Herrn von Kano, der gar nicht kam, ſondern mit dem Galadima “e), der auch voriges Jahr mich von Katſchna nach Sokoto gebracht, und nachdem wir diesmal auf anderem Wege über Gandi und Kanimare ) Barth's Schickſale und Unterſuchungen im centralen Nord-Afrika. 413 * glücklich die ſo unſichern Feindeslande paſſirt, erreichte ich in 13 Ta— gen dieſe Stadt, wo ich nur 10 Tage zu bleiben und dann meinen Marſch nach Kuka fortzuſetzen dachte; aber anſtatt Alles zu finden, was ich bedurfte, fand ich nicht einen Heller und nicht eine Zeile; ich mußte daher geduldig nach dem 7 Tage entfernten Zinder ſchicken, wo mein Gepaͤck ſein ſollte. Aber ich Unglücklicher! die Welt hat mich ſchon begraben und, als das Vermögen eines Todten hat man mein Gepäck in Beſchlag genommen und meinem treuen, mit einem verſiegel— ten Briefe kommenden Diener zu überliefern verweigert. Einige Briefe hat er mir geſtern gebracht, auch von England, aber nichts von Euch Lieben. Möge nur das falſche Gerücht meines Todes Euch nicht be— ängſtigt haben! So iſt meine Lage hier ganz ungewiß, voll Schulden, ohne werth— volle Gegenſtände, ohne gute Pferde und Kameele, Bornu im Bürger— kriege und die Straße ganz unterbrochen, auf den Straßen nach As— ben blutige Gefechte der Kelui und Kelgeres 12). Gott weiß, ob ich mein Euch gegebenes Verſprechen halten kann, bis zum Mai nächſten Jahres zurück zu ſein. Den 15. November. Geprieſen ſei Gott! Ich hoffe, endlich in einigen Tagen fortzu— kommen, da ich Geldmittel aufgetrieben habe. Zugleich find Gefandte von Bornu angekommen an den Sultan von Sokoto mit der Nach— richt, daß Schach Omar, der vor 70 Tagen ſeinen aufſetzigen Bruder Abd el Rahman beſiegt hat, die Herrſchaft in ſicheren Händen hält, und daß Alles in Ruhe iſt. Fur mich natürlich, den Todten, den Be— grabenen, in deſſen Hab und Gut man ſich ſchon getheilt, keinen Gruß von dort. . So lebt denn wohl, herzlich Geliebte; wenn nur dieſer Brief Euch ſicher zugeht, ich folge ihm, ſo Gott will, ſchnell nach. ) Erſt im Verlauf des vorigen Jahrhunderts wurde die Fellanherrſchaft und mit ihr der Muhamedanismus in der ſehr großen Landſchaft Hauffa durch den tapfern und ſtaatsklugen Danfodio gegründet, nachdem die eingewanderten Fellans dort lange 25 Zeit als friedliche Landbauer, beſonders aber als Viehzüchter, unter den eingeborenen Fürſten gelebt hatten. Dieſelben empörten ſich damals und vernichteten die verſchiedenen in Haaſſa beſtandenen kleinen Staaten, welche jetzt eben fo viele Provinzen des nördli- chen Fellanreichs bilden, und wozu einſt auch der von Kano gehörte (Geogr. von Afrika * 414 Gumprecht: Barth's Schickſale ꝛc. im centralen Nord = Afrika. S. 279). Aliyu iſt der vierte Fellanherrſcher in Hauſſa. Die erſt von Danfodio ge— gründete Stadt Sokoto wurde die Hauptſtadt des neuen Reichs. G. 2) Gao oder Gogo iſt ein bisher unbekannt geweſener Ort, unzweifelhaft aber derſelbe, den Barth früher (Zeitſchrift II, 328) als eine berühmte Inſelſtadt und als die ehemalige glänzende Hauptſtadt des Sonr'ayreichs unter dem Namen Garo an— führt, und endlich wohl auch derſelbe, der auf Barth's Skizze ſeines Weges von So— foto nach Timbuktu unter dem Namen Garo oder Gago gleichfalls als alte Hauptſtadt des Sonr'ayreiches (Petermann's Mittheilungen I, Taf. VII) verzeichnet iſt, nur daß die Skizze den Ort auf das linke Ufer des Niger, Joliba, Goulbi, Iſſa oder Kowara ſetzt. Iſt dies richtig, ſo hat Barth das Glück gehabt, einen Ort wieder zu entdecken, den einzig Leo Africanus (Ramuſio Ed. 1613. J. Fol. 78, b) kannte, und den er un⸗ ter dem Namen Gago als eine 400 Miglien von Timbuktu gelegene große und reiche Stadt ſchilderte, die aber merkwürdiger Weiſe ſeit faſt 34 Jahrhunderten bei keinem einzigen Berichterſtatter über Central-Afrika mehr vorkam. G. 3) Ueber den Scheikh El Bakay von Timbuktu ſ. Zeitſchrift II, 328, 329, 332, G. 334. 4) Iſt bis jetzt bei uns nicht angekommen. Sch. 5) D. h. den Niger, Joliba oder Kowara. G. 6) Dieſes Sinder iſt verſchieden von dem hier früher öfters erwähnten zu Bornu gehörenden Orte gleiches Namens; es kommt ſonſt nirgends weiter vor. G. 7) Ueber Say f. Zeitſchrift IT, 328, 331, 359. G. ) Tamfala ift ein bisher unbekannt geweſener Name, den Barth zuerſt nannte (Zeitſchr. II, 67). x °) D. h. der Statthalter von Kano, da die Provinz dieſes Namens, wie erwähnt, zum Fellanreiche gehört. G. 10) Ueber den Galadima ſ. Zeitſchrift II, 69; III, 60, 67. G. 1) Ueber Gandi oder Gando f. Zeitſchrift II, 67; III, 62, 68, 224, 225. Ka⸗ nimare iſt unbekannt. G. 12) Ueber Asben oder Ahir, ſowie über die Stämme der Kelui und Kelgeres |. Berl. Monatsber. N. F. IX, 241, 254, 255, 260, 270 u. ſ. w. G. (Schluß folgt.) Gumprecht. Neuere Literatur. Estadistica de Barcelona en 1849. Publicala D. Laureano Fig ue- rola, professor de Economia politica ete. 8. Barcelona 1849. Dieſes uns leider nicht vollſtändig vorliegende Werk zeugt von einem außerordentlichen Fleiße und bedeutender Gewandtheit in der Auffaſſung und Behandlung ſtatiſtiſcher Aufgaben und liefert ein ziemlich anſchauliches Bild von der Statiſtik der induſtriellſten und commerciellſten Stadt Spaniens und des geſammten Catalonien für das angegebene Jahr. Aus der Vorrede er— ſieht man, daß das Werk das Ergebniß eines ununterbrochenen dreijährigen Studiums iſt, daß der Verfaſſer aus faſt lauter officiellen Documenten ge— ſchöpft hat, was ſeiner Arbeit einen beſonderen Werth verleiht, und daß das Werk in fünf Theile zerfällt, nämlich in phyſtſche, induſtrielle, moraliſche, wiſſenſchaftliche und adminiſtrative Statiftif. Wir wollen uns bei dieſer Ein— theilung, gegen welche Mancherlei zu erinnern wäre, nicht aufhalten, ſondern lieber einen ausführlichen Bericht über den Inhalt der verſchiedenen Abthei— lungen geben. Leider liegen uns blos die erſten beiden Abtheilungen vor, und ſelbſt die zweite (jedenfalls die wichtigſte) nicht vollſtändig. In der phy— . . 4 2 * * 5 * E „ N ſiſchen Statiſtik befinden ſich nicht allein die geographiſche Lage, das Klima und die übrigen phyſikaliſchen Verhältniſſe Barcelona's abgehandelt, ſondern auch die Bevölkerungsverhältniſſe, die Bauart und Einrichtung der Häuſer, Spitäler u. ſ. w. und der Verbrauch von Lebensmitteln. Im erſten Kapitel ſpricht der Verfaſſer von der geographiſchen Lage Barcelona's, von den Höhen und Entfernungen der Berge, welche dieſe Stadt umringen, von der Geſtal— tung der Ebene und den oberflächlichen Dimenſionen und geognoftifchen Ver— hältniſſen des Gerichtsbezirks von Barcelona. Die wichtigſten Reſultate der hier niedergelegten Unterſuchungen ſind folgende. Die Breite von Barcelona beträgt im nautiſchen Saale der Börſe nach den Meſſungen des Paters Ca— nellas, welcher Mechain unterftüßte, 41° 22 53“, die Länge vom aſtro— nomifchen Obſervatorium zu Madrid 5° 49’ 20“ O., von dem Obſervato— rium zu S. Fernando auf der Isla de Leon bei Cadiz 8° 20“ 32“ O., von Greenwich 2° 8742“ O. und von der Pariſer Sternwarte 0 1143“ W. Nach den von Delambre berechneten Meſſungen von Mechain beträgt die Breite von Barcelona 4122“ 48”, 38, diejenige des Forts Monjuich 41° 2144“, 90. Der längſte Tag dauert in Barcelona 14 Stunden 54 Min., über die Dauer des kürzeſten finden ſich keine Angaben. Die Ebene (Pla) von Barcelona hat ungefähr die Form eines Trapezoids, deſſen längere Seite von der Küſte gebildet wird, und iſt von einer Bergkette umgeben, deren End— punkte die an der Küſte gelegenen, 0° 6’ 6“ von einander entfernten Berge 6 den al * “4 416 Neuere Literatur: Monjuich und Mongat find. Die bemerkenswertheſten und gemeſſenen Höhen- punkte dieſer Kette find: Mongat (der nördliche Endpunkt) — 198’ ); Matas, im NNO. von Barcelona, = 16871, 59; Pico Matagalls, der nörd⸗ liche Gipfel des in NNO. von Barcelona in weiterer Entfernung gelegenen Monſeny —= 6096’, 36; Vallvidrera, im NW. von Barcelona, = 1687859 und Monjuich im SW. = 735',26. Die zuerſt angegebene Höhe iſt von Tofino, die andern find von Mechain gemeſſen worden. Das Areal des Gerichts bezirkes von Barcelona beträgt 29,300,000 Quadratvaras, wovon ungefähr ein Dritttheil auf die Stadt mit ihren Vorſtädten und Feſtungswer⸗ ken kommen. Das Areal der innern Stadt beträgt 2,900,299 Quadratvaras, ihr Umfang 7239 Varas. Das Areal von Madrid iſt 4 Mal größer, als dasjenige von Barcelona. Da aber die Bevölkerung von Madrid die von Barcelona keineswegs vier Mal, nicht einmal um das Doppelte überſteigt, fo folgt daraus, daß die Bevölkerung in Barcelona viel dichter zuſammenge⸗ drängt iſt, als in Madrid. Barcelona ſteht größtentheils auf einem Sand— lager. Darunter befindet ſich Thon mit Kreideconeretionen und auf dieſen folgen tertiairer Mergel und Kalk. — Im zweiten Kapitel werden die klima— tiſchen Verhältniſſe erörtert. Unter denſelben iſt den Temperaturverhältniſſen eine beſondere Aufmerkſamkeit geſchenkt worden. Barcelona hat nämlich das Glück, im Beſitz forgfältiger und continuirlicher meteorologiſcher, namentlich thermometriſcher Beobachtungen zu ſein. Dieſelben präſentiren eine Reihe von 63 Jahren. Von 1780 bis 1824 wurden die Beobachtungen vom Dr. Fran- cisco Salva, von da an bis 1842 von D. Pedro Vieta und dem Dr. Aguſtin Daner angeftellt. Letzter hat die Reſultate aller dieſer Beobach— tungen bereits früher in verſchiedenen Aufſätzen in dem Boletin de la Aca- demia de ciencias naturales de Barcelona publieirt, welche der Verfaſſer im Auszuge mittheilt. Aus den 63 jährigen Beobachtungen haben ſich 17013 C. als mittlere Jahrestemperatur für Barcelona ergeben. Folglich beſitzt Bar- celona eine höhere Jahrestemperatur, als das unter gleicher Breite gelegene Rom (15°, 48), ja ſelbſt als Liſſabon (16 32) und Palermo (16°, 77), zwei viel ſüdlicher gelegene Punkte. Ueber die wahrſcheinlichen Urſachen dieſer auffallenden Erſcheinung hat ſich Ref. bereits an einem anderen Orte ausgeſprochen 2). Für jeden Monat ergiebt ſich nach dem Durchſchnitt die- fer 63 Jahre folgende Mitteltemperatur: Januar 9% 5, Februar 10%, März 12% 4, April 14% 8, Mai 18% 5, Juni 22°,6, Juli 25, 5, Auguſt 26°, 0, September 22, 5, October 18% 1, November 13°,7, December 9°,9, alles Centgrade. Aus einer vergleichenden Tabelle über die mittleren Monatstem— peraturen von Barcelona und Madrid, welche jedoch blos die Jahre von 1840 bis 1843 umfaßt, ergiebt ſich, gemäß dem Unterſchiede des Küſten- und ) Es find hier ſpaniſche Fuß gemeint. 7 ſpan. Fuß find = 6 pariſer Fuß. 2) Die Strand- und Steppengebiete der iberiſchen Halbinſel S. 184. 88 . W Figuerola: Estadistica de Barcelona. 417 Plateau-Klima's, daß Barcelona einen bedeutend wärmeren Winter, Früh— ling und Herbſt, dagegen einen minder warmen Sommer beſitzt, als Madrid. Aus zwei Tabellen der von 1780 bis 1842 incl. beobachteten Maxima und Minima der Temperatur ergeben ſich als mittlerer Werth das Marimum + 32% 5 C. und der 29. Juli als derjenige Tag, auf den das Marimum am haͤufigſten fallt. Die höchfte Temperatur, 35%, wurde am 21. Juli 1825 beobachtet. Das durchſchnittliche Minimum beträgt + 2, 2 und fällt am häufigſten auf den 19. oder 20. Januar. Die niedrigſte Temperatur, — 4°,5, wurde am 29. Dec. 1829 beobachtet. Noch findet ſich eine Tabelle über die Tage jenes langen Zeitraums, an denen die mittlere Tagestemperatur der mitt— leren Jahrestemperatur gleich war, vor. Aus derſelben erhellt, daß die mittlere Jahrestemperatur durchſchnittlich am 18. April und 17. October mit der mitt— leren Tagestemperatur zuſammentrifft. Ueber die hypſometriſchen und baro— metriſchen Verhältniſſe hat der Dr. D. Juan Agell theils ſelbſtſtändige Beobachtungen angeſtellt, theils frühere berechnet. Aus denſelben folgt als mittlere Jahresmenge des Waſſerdampfes: 48“ 92, des Regens: 212% 7, des Luftdruckes: 32“ 7¼ 72. Die Zolle und Linien find fpanifche, die Baro— meterwerthe wurden ſtets auf 0 Grad reducirt. Der meiſte Regen fällt im Herbſt, der wenigſte im Februar und Juli. Dagegen iſt der Dampfgehalt der Atmoſphäre im Sommer am bedeutendſten. Die höchſten mittleren Barometer— ſtände wurden im Februar und Juni beobachtet, die niedrigſten im November und December. Nach einem Durchſchnitt von 20 Jahren giebt es jährlich 143 Tage mit heiterem, 75 mit bedecktem, 147 mit theilweiſe bewölktem Him— mel und 69 Regentage. Am heiterſten iſt der Himmel im Juli und Decem— ber, am meiſten bewölkt im April. Unter den Winden herrſchen der Nordoſt (Gregal), Oft (Llevant) und Südweſt (Llevetx, garbi) vor. Der erſte wohl am häufigſten vom Februar bis zum Juni; er iſt feucht, lau und im Frühlinge, beſonders im Mai, von kalten Nebeln begleitet, welche den Weizen- und Erbſenſaaten oft großen Schaden zufügen. Wenn er im Juni zur Zeit der Olivenblüthe weht, bringt er den Bäumen, ſowie den Wein— ſtöcken, oft bedeutenden Nachtheil und compromittirt die Oliven- und Wein— ernte. Der Oſtwind weht am häufigſten vom Ende des Septembers bis zum Mai, iſt feucht und warm und pflegt Regen herbeizuführen. Der Suͤdweſt herrſcht von Mitte Februar bis Ende Auguſt vor; er iſt wenig feucht und kühlt, da er beſonders während des Tages zu wehen pflegt, die Tempe— ratur angenehm ab. Alle übrigen Winde wehen blos vorübergehend. Der Nordwind (Tramontana) iſt kalt und trocken, der Suͤdoſt (Xaloch, vent de fora) feucht und warm, der Südwind (Mitjorn) im Sommer feucht und warm, im Winter kalt und, wenn es auf den Gebirgen der Balearen geſchneit hat, oft Vorläufer von Schneewetter, der Weſtwind (Ponent) im Sommer, weil er über die dürren glühenden Hochebenen Central-Spaniens hinweggeht, ſo heiß, daß er die Vegetation verſengt, im Winter warm und in Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 27 418 Neuere Literatur: beiden Jahreszeiten trocken, der Nordweſt (Mestral, mistral, sagaorench ) im Winter kalt, im Sommer kühl oder warm, im Herbſt Vorläufer von Schneewetter. Der Weſtwind pflegt im Sommer das Maximum, der Süd— wind im Winter das Minimum der Temperatur herbeizuführen, der Südoſt— wind im Sommer einen gleichen Einfluß auf Menſchen und Thiere zu üben, wie der Scirocco der Italiener. — Im dritten Kapitel handelt der Verfaſſer von der Seelenzahl Barcelona's. Er giebt hier eine tabellariſche Ueberſicht der Reſultate der verſchiedenen Schätzungen der Bevölkerung, deren früheſte aus dem Jahre 1359 ſtammt. Damals zählte Barcelona 7651 Bürger (ve- einos; auf einen vecino pflegt man 4 bis 5 Seelen zu rechnen), 1847 da— gegen 38,478. Später nahm die Bevölkerung etwas ab, denn 1849 gab es nur 36,558 Bürger. Als Urſache dieſer Abnahme erklärt der Verf. das im Jahre 1845 eingeführte Beſteuerungsſyſtem und die Theurung der Lebensmittel in den beiden folgenden Jahren. Im Jahre 1849 betrug die Zahl der ein— heimiſchen anſäſſigen oder eingebürgerten Bewohner (personas avecindadas) Barcelona's 150,619. Dazu kamen 9303 Dienſtboten, 11,874 nicht einge- bürgerte, ſondern blos zeitweilig ſich aufhaltende Catalonier (transeuntes), 3535 in Barcelona reſidirende Ausländer, 2518 in den Wohlthätigkeitsanſtal— ten befindliche Perſonen, 270 Nonnen, 795 Sträflinge, 5000 Mann Garni ſon und 2300 Matroſen, Seeleute, Fiſcher und Hafenperſonal. Folglich be— trug die Geſammteinwohnerzahl 186,214. Mit Ausſchluß der in den Nonnen— klöſtern, Wohlthätigkeits- und Strafanſtalten lebenden Perſonen, der Gewerke und des Hafenperſonals vertheilte ſich die Bevölkerung nach den Geſchlechtern auf die einzelnen Stadttheile, wie folgt: in der inneren Stadt lebten 70,103 männliche und 76,219 weibliche Perſonen, in der äußern 14,673 männliche und 14,336 weibliche, und zwar in Barceloneta (der Hafenvorſtadt) 6367 männliche und 6371 weibliche, in Gracia 6276 männliche und 6699 weib— liche, in San Beltran 1970 männliche und 1210 weibliche, in Puerta nueva 60 männliche und 56 weibliche Perſonen. Unter den Ausländern gab es 2332 männliche und 1203 weibliche Perſonen. Die meiſten Ausländer wa— ren Franzoſen, nämlich 2186; nächſt dieſen waren die Italiener (702), die Engländer (197), die Deutſchen (146, darunter 34 Preußen, 58 Oeſterreicher, 54 aus andern deutſchen Staaten) und die Schweizer (99) am ſtärkſten re= präſentirt. Den Ständen nach gab es 38,816 ledige männliche und 36,521 weibliche, 25,150 verheirathete männliche und 25,599 weibliche Perſonen, 2880 Wittwer und 8695 Wittwen, 552 männliche und 2751 weibliche Dienſt— boten. Ueber die Statiſtik der Gewerbe fehlt es leider an Angaben. Als, Merkwürdigkeit und zugleich als ein Beweis für die große Mangelhaftigkeit des Polizeiweſens wird am Schluſſe dieſes Kapitels bemerkt, daß die Zahl der Nachtwächter im Jahre 1849 blos 10 betrug! — Im vierten Kapitel ſpricht der Verf. von der Beſchaffenheit der Wohnungen und der Bauart der Häuſer. 1849 gab es in der innern Stadt, welche in 5 Diſtricte und 10 Quartiere u "Rn, Te a Ze „ — Figuerola: Estadistica de Barcelona. 419 (barrios) zerfällt, 5998, in Barceloneta 846, in Puerta nueva 3, in Gracia 1270, in San Beltran 387 Häuſer. In der innern Stadt kommen durch— ſchnittlich 24,39, in Barceloneta 15,05, in Puerta nueva 38,57, in Gracia 9,77, in San Beltran 8,21 Seelen auf 1 Haus. Da die Häuſer faſt alle mehrſtöckig find, fo iſt Barcelona folglich keineswegs übervölkert. — Das fünfte Kapitel handelt von den Geburten. Nach den Taufregiſtern der Pa— rochieen wird hier die Zahl der Geborenen von 1787 bis 1847 nach dem Unterſchied der Geſchlechter, der ehelichen und unehelichen Geburt, der Aus— geſetzten in tabellariſcher Form mitgetheilt, ferner Tabellen über die monat— liche und tägliche Fruchtbarkeit, über die Geburtszeiten, über Zwillings- und Drillingsgeburten u. ſ. w. Im Jahre 1836 wurden in ganz Barcelona 3571, 1840 dagegen 3653, 1844 bereits 4068, 1847 ſogar 4747 Kinder geboren. Nach einem Durchſchnitt von 11 Jahren (von 1836 bis 1847) kommen auf je 100 Geburten 11,27 uneheliche. Folglich ſteht die Moralität in Barce— lona auf einer weniger tiefen Stufe, als in anderen gleich großen Handels- und Seeſtädten ). Ein zweiter Beweis für dieſen erfreulichen Zuſtand iſt der Umſtand, daß ſeit 1836 bis 1847 die Zahl der unehelichen Geburten im Verhältniß zu den ehelichen keineswegs zugenommen hat. Denn 1836 kamen 11,14, in den folgenden 4 Jahren über 12, 1841 blos 11,84, 1842 ſogar nur 10,52, 1843 wieder 11,32, in den folgenden Jahren aber nur über 10 uneheliche Geburten auf je hundert. Im Ganzen wurden mehr Knaben, als Mädchen geboren. — Das ſechste Kapitel behandelt die ehelichen Verhältniſſe. In dem 11 jährigen Zeitraum von 1836 bis 1847 wurden in den 17 Pfarr- kirchen Barcelona's im Ganzen 16,247 Paare getraut. Der Verfaſſer theilt zahlreiche Tabellen über das Verhältniß der Zahl der Ehebündniſſe zu den Monaten und Jahreszeiten, über die Zahl der ledigen und verwittweten Per— ſonen, welche ſich ehelich verbunden haben, über die Zahl der Eheleute nach der Altersverſchiedenheit u. ſ. w. mit. — Das ſiebente Kapitel enthält eine ausführliche, durch zahlreiche Tabellen erläuterte Darſtellung der Sterblichkeits— verhältniſſe. 1847 ſtarben mit Ausſchluß der Spitäler im Ganzen 4110 Per⸗ ſonen, alſo 637 weniger, als geboren wurden, und ein ähnliches günſtiges Verhältniß ſtellt ſich für die vorhergehenden Jahre heraus. Es ſterben durch— ſchnittlich mehr weibliche, als männliche Perſonen; die meiſten Todesfälle kommen im Winter, die wenigſten im Frühlinge vor. Von 1838 bis 1847 inel. ſtarben im Ganzen 16,404 männliche und 16,647 weibliche Perſonen. Unter den männlichen befanden ſich 8970 Kinder, 2022 ledige und 4079 ver- heirathete Männer und 1333 Wittwer, unter den weiblichen 7982 Kinder, 2036 ledige und 3335 verheirathete Frauen und 3294 Wittwen. Hieraus ergiebt ſich, daß durchſchnittlich mehr Knaben, als Mädchen ſterben. Aus— führliche Tabellen liefern das Verhältniß der Sterblichkeit nach den verſchiede— ) In Liſſabon verhalten ſich die unehelichen Geburten zu den ehelichen wie 4:3! * 420 Neuere Literatur: nen Profeſſionen, Altersſtufen u. ſ. w., die Zahl der an Krankheiten und durch Gewalt Geſtorbenen und durchſchnittlich Sterbenden, die Verſchiedenheit der Sterblichkeit nach der Art der Krankheit, das Verhältniß der Sterblichkeit in Privathäuſern zu derjenigen in den Hoſpitälern und Strafanſtalten u. ſ. w. an. Aus der Tabelle über die gewaltſam herbeigeführten Todesfälle wahrend des Zeitraums von 1836 bis 1847, deren Totalſumme 575 (darunter 232 männ— liche und 343 weibliche Perſonen) beträgt, ergiebt ſich, daß die Mehrzahl der⸗ ſelben durch Unglücksfälle herbeigeführt wurde, nämlich 158. Die Zahl der Selbſtmorde betrug 79 (es hatten ſich 51 männliche und 28 weibliche Per— ſonen entleibt), die der Mordthaten 70 (darunter 17 Kindermorde). 36 ‘Per- ſonen (darunter 35 männliche) wurden hingerichtet (darunter 24 Männer friegsrechtlich erſchoſſen). — Im achten Kapitel ſpricht der Verfaſſer von dem Verbrauch an Fleiſch, Wein, Waſſer, Weizen, Seife, Oel, Stroh, Salz, Ta— bak u. ſ. w. Dieſes Kapitel bietet viel Intereſſantes dar, indem es ein an— ſchauliches Bild von der Lebensweiſe der Barceloneſen und der Catalonier überhaupt, welche von der unſrigen ſehr verſchieden ift, liefert. Aus den Ta— bellen über den Fleiſcheonſum ergiebt ſich, daß die Barcelonefen vorzugsweiſe Schöpſenfleiſch eſſen (daſſelbe gilt von der Mehrzahl der Spanier), denn die Zahl der in Barcelona und Barceloneta geſchlachteten Schöpſe belief ſich ſeit 1841 alljährlich durchſchnittlich auf mehr, als 70,000 Stück, wozu noch un— gefähr 4000 in Gracia geſchlachtete kommen. Nächſt dem Schöpſenfleiſch wird Rindfleiſch und Schweinefleiſch am häufigſten gegeſſen; ſeit 1846 belief ſich die Zahl der in Barcelona und Barceloneta gefchlachteten Rinder jährlich im Durchſchnitt auf 7300 (4800 Ochſen und 2500 Kühe), die der Schweine auf 14,000. Auch Bock- und Zickleinfleiſch wird viel gegeſſen, dagegen (wie faſt in ganz Spanien) wenig Kalbfleiſch. Seit 1841 betrug die Zahl der in Barcelona und Bareeloneta geſchlachteten Ziegenböcke durchſchnittlich 4500, die der Zicklein über 4000 (1848 und 1849 fogar über 7000), die der Käl- ber dagegen von 1846 an kaum 2200, vorher 1500. Der jährliche Conſum an Schöpſen- und Rindfleiſch betrug in Barcelona ſeit 1845 über 7 Mill. caſtilian. Pfund (1846 ſogar 7,968,168, 7), in Gracia gegen 500,000, der tägliche in Barcelona ungefähr 20,000, in Gracia 1300 Pfund. Leider ſagt der Verfaſſer nicht ein Wort über die Fleiſchpreiſe. Dieſelben müſſen aber doch zu hoch ſein, als daß die ärmeren Klaſſen der Bevölkerung regelmäßig Fleiſch eſſen könnten. Sonſt würden in Barcelona nicht ſo enorme Maſſen von Stockfiſch (bacalao), den man dort „Armenfleiſch“ (carne de pobre) nennt, conſumirt werden, nämlich jährlich 62,000 Centner! Der jährliche Weinconſum betrug in Barcelona, mit Ausſchluß von Gracia, feit 1837 un— gefähr 1,150,000 Arroben (Viertel-Centner), der tägliche 3200 Arroben, jo daß auf ein Individuum jährlich etwa 7 Arroben kommen. Seit 1846 hatte der Verbrauch in Folge höherer Beſteuerung des Weines abgenommen, doch kamen auch dann noch über 6 Arroben auf das Individuum. Die Barcelo— Figuerola: Estadistica de Barcelona. 421 neſen ſind alſo ziemlich ſtarke Weintrinker! Ja, in Gracia, wo auf dem Weine eine viel geringere Conſumtionsſteuer laſtet, verbraucht jedes Indivi— duum jährlich über 10 Arroben! In Cadiz dagegen kam in derſelben Zeit blos 1 Arrobe auf das Individuum, wobei freilich zu bedenken iſt, daß dort eine fünfmal fo hohe Conſumtionsſteuer auf dem Weine laſtete, als in Bar— celona. Dennoch ergiebt ſich ſchon hieraus, daß die Gaditaner (und die An— daluſter überhaupt) dem Weine und den geiſtigen Getränken im Allgemeinen weniger ergeben ſind, als die Barceloneſen (und überhaupt die Catalonier). Von Branntwein wurden 1846 über 23,000, in den beiden folgenden Jah: ren über 13,000 Arroben conſumirt. Das gewöhnliche Brod iſt in Barce— lona, wie in ganz Spanien, das Weizenbrod. Die ärmeren Volksklaſſen eſſen ein billigeres, aus einem Gemenge von Mais- und Roggenmehl beſtehendes Brod. Von 1846 bis 1848 inel. betrug die jährliche durchſchnittliche Con— ſumtion an Weizen über 370,000 Scheffel, an Weizenmehl gegen 1,400,000 Arroben, an Mais dagegen nur 40,000, an Roggen ſogar blos 11,000 Schef— fel. Von Gerſte wurden in den beiden letzten Jahren durchſchnittlich 57,000 Scheffel conſumirt. Dieſe bedeutende Quantität erklärt ſich aus dem Umſtande, daß in Barcelona, wie im größten Theile Spaniens, die Gerſte das gewöhn— liche Futter der Pferde und Maulthiere bildet und dort die Stelle des Hafers welcher in ganz Spanien nur in ſehr geringer Menge angebaut wird, vertritt. Zu den gewöhnlichſten Lebensmitteln der Bevölkerung gehört in Barcelona, wie in Valencia und überhaupt einem großen Theile Spaniens, der Reis, der gewiſſermaßen die in Spanien noch immer wenig angebaute und von dem ge— meinen Manne verſchmähte Kartoffel vertritt. Von 1846 bis 1848 wurden in Barcelona jährlich im Durchſchnitte über 286,000 Arroben verbraucht. Der größte Theil deſſelben iſt valencianiſcher Einen wichtigen Conſumsarti— kel bildet in Barcelona (wie in der ganzen ſüdlichen Hälfte Spaniens) der Schnee, indem Eislimonade und Gefrorenes während der heißen Jahreszeit dort zu den unentbehrlichſten Bedürfniſſen aller Volksklaſſen gehören. Daher kann es nicht befremden, daß von 1846 bis 1848 in Barcelona jährlich im Durchſchnitt über 15,000 Arroben Schnee verbraucht wurden. Der Conſum an Salz belief ſich in denſelben Jahren durchſchnittlich auf 17,000 Scheffel, derjenige des Tabaks im Jahre 1847 auf 112,251,9, im Jahre 1848 aber auf 188,830, Pfund. Der zweite, die induſtrielle Statiſtik enthaltende Theil zerfällt in zwei Abtheilungen, nämlich in die commercielle Induſtrie (industria comercial) und in das Fabrikweſen (industria manufacturer). Blos die erſte iſt in dem uns vorliegenden Bande vollſtändig enthalten. Dieſelbe zerfällt in drei Kapitel. Im erſten Kapitel ſpricht der Verfaſſer von der Hafenthätigkeit (movimiento del puerto) und zwar zuerſt von der Küſtenſchifffahrt (cabo- tage), ſodann von der auswärtigen Schifffahrt (navegacion de largo curso). Der Verf. beſchränkt ſich hier nicht auf den Hafen von Barcelona, ſondern 422 Neuere Literatur: giebt die Statiſtik aller Häfen Cataloniens, was gewiß nur dankbar anzuer⸗ kennen iſt. Die berechtigten Häfen (puertos habilitados) Cataloniens find außer dem von Barcelona: Palamöôs, Roſas, Blanes, Cadaqués, La Escala, Lloret, Palafurgell, San Feliu de Guixols, Selva de Mar (alle in der Provinz von Gerona), Arens de Mar, Matarö, Sitges, Villanueva (in der Provinz von Barcelona), Tarragona, Salou, Cambrils, S. Carlos de la Räpita, Torredembarra, Tortoſa und Vendrell (in der Provinz von Tarra— gona). In den Jahren 1843 bis 1848 incl. liefen in den Hafen von Bar- celona durſchnittlich 4517 beladene Küſtenfahrzeuge mit 169,822 Tonnen Laſt ein, 2592 mit 98,791 Tonnen aus. Dazu geſellten ſich 52 Schiffe mit Bal- laſt (buques en lastre) und 2498 Tonnen, welche ein-, und 1903 mit 57,446 Tonnen, welche ausliefen. In allen Häfen der Provinz von Barce— lona gingen durchſchnittlich 5893 beladene Küſtenfahrzeuge mit 210,109 Ton- nen, ſowie 852 Ballaſtſchiffe mit 21,199 Tonnen ein und 3780 beladene Küſtenſchiffe mit 131,518 Tonnen, ſowie 2495 Ballaſtſchiffe mit 75,686 Ton- nen aus. In den Häfen der Provinz von Tarragona liefen durchſchnittlich 2111 beladene Küſtenfahrzeuge mit 72,466 Tonnen, ſowie 1575 Ballaſtſchiffe mit 42,708 Tonnen ein, und 2810 beladene Fahrzeuge mit 89,441 Tonnen, ſowie 556 Ballaſtſchiffe mit 15,805 Tonnen aus. In den Häfen der Pro— vinz von Gerona gingen 2476 beladene Küſtenfahrzeuge mit 40,018 Tonnen ein und 2353 mit 34,328 Tonnen aus. Ueber die Ballaſtſchiffe fehlen hier die Angaben. Im Ganzen liefen alſo während des angegebenen Zeitraums in allen Häfen Cataloniens alljährlich im Durchſchnitt 10,480 beladene Fahr zeuge mit 322,593 Tonnen, ſowie 2427 Ballaftfahrzeuge mit 63,907 Tonnen ein und 8943 beladene Fahrzeuge mit 255,287 Tonnen, ſowie 3051 Ballaſt⸗ ſchiffe mit 91,491 Tonnen aus. Was die auswärtige Schifffahrt anbelangt, ſo liefen in den drei Jahren 1845, 1846 und 1847 zuſammen 2372 beladene Schiffe mit 310,579 Tonnen im Hafen von Barcelona ein und 1250 bela= dene Schiffe mit 208,147 Tonnen aus dieſem Hafen aus. Zu denſelben ge— ſellen ſich 464 Ballaſtſchiffe mit 83,958 Tonnen, welche ausgingen, und 107 Ballaſtſchiffe mit 15,174 Tonnen, welche eingingen. Schon hieraus ergiebt ſich, daß der Importhandel viel bedeutender iſt, als der Exporthandel. Die überwiegende Mehrheit der Schiffe ſegelte unter fpanifcher Flagge. Die Einfuhr geſchah außerdem am meiſten durch engliſche, franzöſiſche, norwe— giſch-ſchwediſche, toscaniſche, däniſche, ruſſiſche und nordamerikaniſche, die Ausfuhr vorzüglich durch toscaniſche und franzöſiſche Schiffe. Die Küſten— und auswärtige Schifffahrt, die befrachteten und Ballaſtſchiffe zuſammenge— nommen, liefen in jenen Jahren im Hafen von Barcelona allein durchſchnitt— lich 5396 Schiffe mit 280,956 Tonnen ein und 4763 Schiffe mit 253,605 Tonnen aus. Aus dieſen Zahlen ergiebt ſich, daß Barcelona nicht nur der bedeutendſte Hafen Spaniens iſt, ſondern auch zu den bedeutenderen Häfen von ganz Europa gehört. Freilich mit den erſten Hafenplätzen Europa's kann nz i = in ln wu * „ 7 Figuerola: Estadistica de Barcelona. 423 ſich Barcelona nicht meſſen »). Die Hafenmatrikel wies im Jahre 1849 in der Provinz von Barcelona 902 Fahrzeuge mit 47,450 Tonnen nach, dar— unter 304 Fiſcherbarken und 7 Dampfſchiffe mit 983 Pferdekraft, welche den Packetdienſt zwiſchen Barcelona, Marſeille, Cadiz und den Balearen (Palma) beſorgen. Das Perſonal der Handelsmarine der Provinz von Barcelona be— lief ſich in demſelben Jahre auf 2823 Mann. — Das zweite Kapitel handelt von der Zahl der zu Barcelona eintreffenden und durchpaſſtrenden Reiſenden, von dem Poſtweſen und dem Geldmarkte. In dieſen Hinſichten übertrifft Barcelona ebenfalls alle übrigen großen Städte Spaniens, Madrid nicht aus— genommen. Aus den auf die officiellen Thorzettel baſirten Berechnungen des Verfaſſers ergiebt ſich, daß in Barcelona täglich im Durchſchnitte 6470 Paſ— fagiere in Fuhrwerken eintreffen, ſowie 5470 Centner Laſt. Die Zahl der durch die Poſtadminiſtration von Barcelona eunehärten) Briefſchaften und Packe⸗ reien belief ſich im Jahre 1846 auf 1,363,214, im J. 1847 auf 1,421,960, im J. 1848 auf 1,437,104 Stück. In dem Abſchnitte über den Geldmarkt ſpricht der Verfaſſer zunächſt höchſt ausführlich von der Bank von Barcelona und deren Operationen, ſeine Darſtellung durch zahlreiche Tabellen erläuternd, ſodann von dem in Barcelona cireulivenden Gelde. Er theilt zuerſt einen Abriß der Geſchichte der Bank mit, deren erſter Urſprung bis in's 15. Jahr- hundert zurückgeht. Die gegenwärtige Verfaſſung derſelben datirt aus dem J. 1845, wo fie am 1. September von Neuem auf Actien gegründet wurde. In dem Winterſemeſter von 1849 zu 1850 betrugen die Activa der Bank 33 48,048,038, die Paſſiva 333 2,492,211, der Nettogewinn 12,500,000 Rea= len. Die Banknoten ſind ſehr geachtet; im Jahre 1848 erlitten ſie blos einen Verluſt von 2 Procent, während die Noten der S. Ferdinandsbank zu Mas drid 14 Procent verloren. Auch war die Bank von Barcelona nicht genö— thigt, ihre Zahlungen einzuſtellen. Ueber die Zahl und den Werth der cir— culirenden Banknoten finden ſich keine Angaben. Was die Geldeirculation anlangt, ſo findet man blos Angaben über die zu Barcelona geprägten Kupfer— münzen. Zu den wenigen Privilegien, welche Catalonien nach dem Succeſ— ſionskriege geblieben ſind, gehört nämlich das Recht, Kupfermünzen prägen zu dürfen. Die Münze befindet ſich in Barcelona. Dieſelbe hat von 1808 bis 1847 inel. Kupfermünzen zu 1, 2, 3, 4 und 6 Cuartos im Werthe von 41 Millionen Realen geprägt. — Das dritte Kapitel enthält eine ausführliche Darſtellung der Handelsbilanz nach den Regiſtern der Douane. Im erſten Abſchnitt iſt vom Cabotagehandel die Rede. Derſelbe beſteht in 32 Einfuhr— artikeln, unter denen Rothwein, Weizenmehl, Weizen, Reis, Johannisbrod, ) 1844 betrug der Tonnengehalt ſämmtlicher zu Trieſt ein- und ausgelaufener Schiffe 741,100. Noch weniger kann ſich Barcelona mit Marſeille meſſen. Dort be⸗ lief ſich die Geſammttonnenzahl in demſelben Jahre auf 2,046,842, in Liverpool fo: a — Der Geſammthandel Spaniens kommt noch nicht dem von Liver⸗ pool gleich! 424 Neuere Literatur: Oel, Branntwein, Gerſte, Mais, Mandeln, Bohnen, Seide, Cochenille (von Malaga und Valencia), Schaafwolle, Roggen, Holzkohlen und lebende Schöpfe die Hauptrolle ſpielen, ſowie aus eben fo vielen Ausfuhrartikeln, worunter Baumwollenſtoffe, Baumwollenbänder, Baumwollengarn, Wollen- und Leinen⸗ gewebe, Lederwaaren, Mehl, Spielkarten, Velpelhüte und Steinkohlen die wich— tigften find. Der Totalwerth der Einfuhrartikel betrug im Zeitraum von 1845 bis 1847 incl. alljährlich im Durchſchnitt 136,084,907, derjenige der Aus— fuhrartikel 133,160,528 Realen. Bei dem Cabotagehandel balancirt ſich alſo die Importation und Grportation fo ziemlich. Anders verhält es ſich mit dem auswärtigen Seehandel, welcher im zweiten Abſchnitte erörtert wird. Hier überſteigt die Einfuhr die Ausfuhr ſehr bedeutend. Der Geſammtwerth je— ner beträgt nämlich durchſchnittlich 140,594,587, derjenige der Exportation dagegen nur 41,208,870 Realen, folglich das Kapital, welches der aus— wärtige Seehandel Barcelona's alljährlich umſetzt, 181,803,457 Realen ). Die wichtigſten Artikel des auswärtigen Importhandels von Barcelona ſind: rohe Baumwolle, Maſchinen, Wollen- und Seidengewebe, Bauholz, Stein— kohlen, Felle, Gold- und Silberwaaren, Cacao, Zucker, Blech, Stahl, Alaun, pharmaceutiſche Stoffe, Gummi, Kalbsfelle, Wein und Kurzewaaren aller Art; die wichtigſten Exportartikel: Korkſtöpſel, Wein, Branntwein, Lederwaaren, Schuhwerk, Queckſilber, Oel, Reis, Papier, Seife, Wollengewebe, geſalzene Fiſche u. dgl. m. Der Verf. benutzt die Gelegenheit der Darſtellung des aus— wärtigen Seehandels, um eine ziemlich detaillirte Geſchichte des Handels von Barcelona überhaupt zu geben, welche viel Intereſſe darbietet. Den meiſten Handel treibt Barcelona gegenwärtig in Europa mit Frankreich, England, Toscana, Rom, Neapel, Piemont, Schweden, Norwegen, Dänemark, Oeſter— reich, Preußen und Rußland, in Amerika mit den Vereinigten Staaten, Bra= ſilien, Venezuela, Mejico, Ecuador, Central-Amerika, Uruguay, Santo Do— mingo, Chile, Nieder-Peru, Neu-Granada, Rio de la Plata, dem engliſchen Amerika, Cuba und Puertorico. Den Beſchluß dieſes Artikels und der gan— zen commerciellen Statiſtik bilden Betrachtungen über den Schmuggelhandel und die Mittel, denſelben aufhören zu machen. Dieſer war allerdings zur Zeit, wo der Verf. ſchrieb, in Folge des übermäßigen Prohibitivſyſtems und des hohen Tarifs ſehr bedeutend, beſonders längs der Pyrenäengrenze. Aus dem officiellen Bericht der General-Adminiſtration der franzöſiſchen Douanen über den Handel Frankreichs im Jahre 1846 geht hervor, daß in jenem Jahre allein Baumwollengewebe im Werthe von 27 Millionen Franken auf dem Wege der Contrebande aus Frankreich nach Spanien eingeführt wurden. Die Contrebande in Wollenwaaren belief ſich auf 22,700,000 Realen, in Seiden— waaren auf 10 Millionen Realen. Der Verf. findet, wohl ſehr richtig, das ) Der Geſammtwerth des auswärtigen Seeimports für ganz Spanien wird von Figuerola zu 555,227,571, derjenige des Exports zu 468,130,255 Realen berechnet, re 3 un 9 u nz zu — je 2 we r Figuerola: Estadistica de Barcelona. 425 einzige Mittel gegen dieſen, den Staatseinkünften wie der Moralität des Vol— kes (die Contrebandiſten find faſt ausnahmslos Spanier) jo verderblichen Uebelſtand in der Ermäßigung des Tarifs und der gänzlichen Aufhebung ge— wiſſer Zölle. — Im erſten Kapitel der zweiten, dem Fabrikweſen gewidmeten Abtheilung der induſtriellen Statiſtik ſpricht der Verf. von den mechaniſchen Agentien und giebt zunächſt eine Ueberſicht der 1849 in ganz Catalonien vor— handenen Dampfmaſchinen. Die Zahl derſelben belief ſich damals auf 135, die der Pferdekrafte auf 2414. 69 Dampfmaſchinen mit 1138 Pferdekraft befanden ſich in den Fabriken von Barcelona ſelbſt, 25 mit 586 Pferdekraft in den Umgebungen der Stadt, 31 mit 538 Pferdekraft in den übrigen Fa— briken der Provinz von Barcelona, 5 mit 92 Pferdekraft in der Provinz von Tarragona, 5 mit 60 Pferdekraft in derjenigen von Gerona. Schon hieraus ergiebt ſich, daß die Provinz von Barcelona, beſonders aber Barcelona ſelbſt, das Centrum der gegenwärtig ſo blühenden Induſtrie Cataloniens iſt. Unter dieſen Dampfmaſchinen waren 12 in Barcelona ſelbſt gebaut, die übrigen im Auslande, meiſt in England. Von den 135 Dampfmaſchinen Cataloniens waren 5 (in Barcelona) in Eiſen- und Kupferhämmern und in Maſchinen— Fabriken thätig, 89 (davon 48 in Barcelona und 18 in deſſen Umgebungen) dienten der Baumwollen⸗Induſtrie, 3 (davon 2 in, 1 außerhalb Barcelona) der Darſtellung von Kammwolle-(estambres) ſtoffen, 8 (in der Provinz von Bar— celona) der Fabrikation von Tuch, 4 (davon 2 in Barcelona) derjenigen von Seidenſtoffen, 2 (davon 1 in, 1 außerhalb Barcelona) der Leinengarnfabrikation, eine in Barcelona befindliche Maſchine arbeitete in einer chemiſchen Fabrik, eine andere in einer Färberei, eine dritte in einer Spitzenfabrik. 2 (davon 1 in, 1 außerhalb der Stadt) befanden ſich in Kerzenfabriken, 2 (außerhalb Barcelona's) in Papierfabriken, 1 zu Barcelona in einer Chocolatenfabrik, 4 zu Barcelona in Schneidemühlen, 9 (darunter 2 in, 1 außerhalb Barce— lona) in Mehlmühlen. Eine Maſchine diente zu Barcelona der Bewäſſerung, und von 2 in der Provinz befindlichen wußte man nicht, für welchen Zweck ſie arbeiteten. Den Werth ſämmtlicher Dampfmaſchinen berechnete man zu 816,000 Piaſter (1 Piaſter = 20 Realen). Da damals (und auch zum Theil jetzt noch) die reichen Steinkohlenplätze Cataloniens noch nicht gehörig ausgebeutet wurden, ſo mußten die Dampffabriken ihren Bedarf an dieſem Brennmaterial größtentheils aus dem Auslande beziehen. Die Einfuhr von Steinkohlen hat ſeit 1841 ununterbrochen zugenommen; 1847 belief ſich die Totalſumme der in Barcelona eingeführten Steinkohlen auf 340,246 Centner. Durch Waſſerkraft wurden in ganz Catalonien 74 Fabriken getrieben, wovon 62 auf die Provinz von Barcelona, 2 auf die von Tarragona, 10 auf die von Gerona kamen. 50 derſelben, meiſt Wollen- und Baumwollen-Fabriken, befanden fi) am Llobregat und deſſen beiden Hauptzuflüffen, am Cardener und Noya. Zu denſelben geſellen ſich eine Unzahl von Papiermühlen. So giebt es allein im Thale des Noya zwiſchen Martorell und Igualada 25 Papier— 426 Neuere Literatur: mühlen. — Das zweite Kapitel handelt von den Eiſen- und Kupferhaͤmmern (fabricas de fundieion) und Maſchinenfabriken (fabricas de construccion). Es gab deren in Barcelona im Ganzen 52, nämlich 4 durch Dampf getrie— bene Gußeiſen- und Maſchinenfabriken, 7 Gußeiſenfabriken, 4 Maſchinen— fabriken (1 mit Dampf arbeitend), 1 Maſchinen- und Keſſel-, 1 Keſſelfabrik, 3 Kupferhämmer, 21 Werkſtätten für Anfertigung eiſerner Maſchinenſtücke (talleres de cerrajeros mecänicos) und 9 Werkſtätten für Anfertigung höl— zerner Maſchinenſtücke (talleres de carpinteros mecänicos). Dieſe Fabriken beſchäftigten zuſammen ein Perſonal von 1048 Mann. Die Eiſen- und Kupferhämmer verbrauchten jährlich 10 Millionen Centner Roheiſen und 800 Centner Rohkupfer; die erſteren lieferten 23,000 Centner Gußeiſen. — Im dritten, in dem uns vorliegenden Bande leider nicht vollſtändigen Kapitel giebt der Verf. eine höchſt ausführliche Darſtellung der cataloniſchen und insbeſon— dere der barceloneſiſchen Baumwollen-Induſtrie, dieſes wichtigſten Induſtrie— zweiges Cataloniens, begleitet von einer vollſtändigen Geſchichte deſſelben. Der erſte Abſchnitt handelt von der Baumwollengarn-Fabrikation oder Baumwollen⸗ ſpinnerei. Dieſelbe hat beſonders ſeit der Erfindung der Mull-Jenny-Ma⸗ ſchine mit 120 Stacheln, vermittelſt welcher alle Sorten Baumwolle geſponnen werden können, einen außerordentlichen Aufſchwung genommen. Die Zahl der Spindeln betrug 1833 in ganz Catalonien 810,000, 1841 dagegen 1,159,977, 1846 ſogar 1,238,440. Später ſank dieſer Induſtriezweig wieder, ſo daß 1850 blos 805,993 Spindeln vorhanden waren, von denen ſich blos 622,162 in Thätigkeit befanden, und zwar 80,400 Bergadanas oder Jennys, 401,710 Mull⸗-Jennys, 48,584 Throſtles und 91,468 Selfactings. Davon kamen auf Barcelona ſelbſt 251,276, von denen 236,756 in Thätigkeit waren ). In den 7 Jahren von 1834 bis 1840 incl. wurden in den Häfen Cataloniens 693,650 Centner rohe Baumwolle (darunter 80,425 ſpaniſche! von Motril in Andaluften) eingeführt, von 1841 bis 1845 incl. dagegen 879,000 Cent⸗ ner. 1841 wurden in Catalonien 19 Millionen, in Barcelona 7,543,176, 1846 dagegen nicht weniger, als 33 Millionen, 1849 ſogar 36,805,000 Pfund Baumwollengarn (davon 17,108,000 in Barcelona) geſponnen. Die Zahl der bei der Baumwollenſpinnerei Cataloniens beſchäftigten Perſonen belief ſich 1841 auf 31,284, 1846 auf 49,039, 1849 dagegen in Folge der verbeſſer— ten Maſchinen nur auf 13,316. Davon wurden 5311, und zwar 1226 Män⸗ ner, 2803 Frauen und 1277 Kinder, in Barcelona allein beſchäftigt. Hier— mit endet der uns vorliegende Band. Wir erlauben uns, im Intereſſe unſe— 2) In demſelben Jahre gab es in Großbritannien 17,500,000, in Frankreich 4,298,000, in den vereinigten Staaten 2,500,000, in Oeſterreich 14 Millionen, in ganz Spanien 842,000, im deutſchen Zollverein 815,000, in der Schweiz 700,000, in Belgien 500,000 Baumwollenſpindeln. Die ſpaniſche Baumwollenſpinnerei con= currirt folglich ſehr bedeutend mit der deutſchen. nnn r r * Figuerola: Estadistica de Barcelona. 427 rer Leſer dieſes Kapitel aus A. Ziegler's Reife in Spanien zu ergänzen, woſelbſt ſich ebenfalls ein Auszug aus des Verf. Werk in Betreff der cata— loniſchen Induſtrie befindet. In dem Zeitraume von 1836 bis 1840 wurden bei den Douanen Cataloniens 1229 Maſchinen und 10,802 Maſchinentheile im Werthe von 4,524,383 Realen eingeführt und dafür 179,649 R. Zölle entrichtet. Unter den Maſchinen befanden ſich 33 Dampfmaſchinen zu 200 Pferdekraft, 17 Kümpel- und 92 Spinnmaſchinen. Das bewegliche Kapital in Gebäuden, Webſtühlen und Betrieb wurde 1849 zu 267,302,811 Realen berechnet. Man webte glatte Kattune, dicke baumwollene Stoffe, Ineas, Lam- buks, glatte weiße und gemuſterte baumwollene und halbwollene Stoffe und bunte Kleiderſtoffe u. ſ. w. Auch die Leinen-, Wollen- und Seidenmanufac— tur iſt nicht unbedeutend. Bis zum Jahre 1849 ergab die jährliche Leinen production 2,932,200 Varas (ſpan. Ellen) gebleichte und ungebleichte Lein— wand, 123,000 Varas Tiſchzeug, 7000 Dutzend gebleichte Ueberzuͤge und 16,000 Dutzend Taſchentücher, zuſammen Leinenſtoffe im Werthe zu 19,944,000 Realen. Die Zahl der Webmaſchinen, einfacher, mehrſchäftiger und Jaquard— ſtühle, betrug in jenem Jahre 1582 im Werthe zu 1,529,000 Realen, und es waren durch die Leineninduſtrie außer den Bleichern, Preſſern u. a. 3200 Arbeiter beſchäftigt, welche einen jährlichen Lohn von 528,000 Realen bezo= gen. Außerdem waren längs der Küſte 30,000 Frauen und Mädchen mit Klöppeln von Blonden und Spitzen beſchäftigt. In ganz Catalonien waren gegen 3000 Seidenwebſtühle (davon in Barcelona 1400) und 2000 Wollen- webſtühle im Gange. Die Tuchfabriken in Manreſa, Tarraſa, Sabadell, Igua— lada, Olera, Roda und an anderen Orten liefern nach Ziegler Tuche von ſolcher Güte und Feinheit, daß fie die Concurrenz der franzöſiſchen Tuche nicht zu fürchten brauchen. Mit dieſem Kapitel ſcheint das Werk Figuerola's zu ſchließen und folglich nicht vollendet worden zu ſein, denn Ziegler erwähnt weiter nichts mehr daraus. Es wäre nicht allein zu wünſchen, daß der Verf. in den Stand geſetzt würde, ſein Werk zu vollenden, ſondern auch, daß ſeine Arbeit in andern Städten Spaniens Nachahmung finden möge, damit man endlich etwas Sicheres über die Statiſtik von ganz Spanien, beſonders über die ſpaniſche Induſtrie erfahre, welche gar nicht ſo unbedeutend iſt, als man in Deutſchland im Allgemeinen anzunehmen geneigt iſt. In den letzten zehn Jahren hat die ſpaniſche Induſtrie einen höchſt erfreulichen Aufſchwung ge— nommen, wie die 1850 zu Madrid veranſtaltete Induſtrie-Ausſtellung, welche nichts weniger, als reichlich beſchickt war, zur Genüge bewies. Es wäre da— her ſehr zu wünſchen, daß in anderen Gegenden Spaniens ähnliche, mit ſol— cher Gründlichkeit und Wahrheitsliebe abgefaßte Werke, wie das des Verf., erſchienen. Höchſt ſchmerzlich vermißt man namentlich eine gründliche Dar— ſtellung des Handels und der Induſtrie der baskiſchen Provinzen, welche nächft Catalonien den gewerbthätigſten Theil Spaniens bilden. Das Werk des Ver⸗ 428 Neuere Literatur: faſſers iſt correct gedruckt und recht hübſch ausgeſtattet, dagegen in einem etwas ſchwerfälligen Style geſchrieben. M. Willkomm. Reiſe um die Welt von Weſten nach Oſten durch Sibirien und das ſtille und atlantiſche Meer. Mit einem Titelblatte und einer Karte. Aſchaf⸗ fenburg (bei Krebs) 1854. 8. 136 S. Dieſes Werkchen eines jungen deutſchen Arztes, welcher darin weder ſei— nen Familiennamen (er führt ſich ſtets nur in der dritten Perſon als Theodor ein), noch ſeine Heimath nennt, bildet ungeachtet ſeines geringen Umfangs und ſeines anſpruchsloſen Charakters einen ſehr wünſchenswerthen Beitrag zur Kunde von Sibirien, indem der Verfaſſer durch ſeine 6jährige Stellung (von 1846 bis 1851) als Arzt der ruſſiſch-amerikaniſchen Compagnie zu Ajan, einem füdlich von Ochotzk am ochotzkiſchen Meere und in 56 27“ nördl. Br. und 138° 27’ öſtl. L. Gr. gelegenen, erſt im Jahre 1845 gegründeten Han— delspoſten der Compagnie, Gelegenheit hatte, einen bisher faſt ganz unbekann— ten Theil der fernſten Gebiete von Sibirien kennen zu lernen. Da in neue— rer Zeit die Aufmerkſamkeit auf die öſtlichſten Gegenden Aſiens in Folge der Beſtrebungen der Ruſſen, am großen Amürſtrome feſten Fuß zu faſſen ), dann der Nord- Amerikaner, ſich den Zugang nach Japan zu erwirken, end— lich in Folge der glücklichen Verſuche, in den angrenzenden Meeren den Wal- fiſchfang zu betreiben, und der neueſten Operationen der vereinigten engliſch— franzöſiſchen Flotten gegen Kamtſchatka ſehr geftiegen ift, fo müſſen wir in der That bedauern, daß der Verfaſſer, der ſich als ein aufmerkſamer Beob- achter in ſeiner Schrift kundgiebt, dieſe nicht zu einem ausführlichen Werke verarbeitet hat, indem ihn ſein langer Aufenthalt in jenen, bisher faſt nur in den nächſten Umgebungen von Ochotzk und auf dem gewöhnlichen Wege nach dieſer Stadt hin und wieder wiſſenſchaftlichen Reiſenden bekannt gewordenen Gegenden Sibiriens ſicher zu einer viel reicheren Summe von Er— fahrungen geführt hat, als er uns in ſeiner Schrift bietet, die, wie er in der Vorrede viel zu beſcheiden ſagt, nur zur Belehrung von Kindern beſtimmt ſei. Namentlich müſſen wir bedauern, in dem Werkchen nicht noch mehr Auf— ſchlüſſe über die naturhiſtoriſchen Verhältniſſe der Umgebungen ſeines Wohn— ortes zu finden, weil dieſe uns ganz fremd ſind. Dagegen verdanken wir dem ) Die Abtretung des Amur an China wird von den ſibiriſchen Kaufleuten als ein großer Verluſt für Sibirien angeſehen, weil ohne dieſelbe eine unmittelbare Waſſer⸗ verbindung des Innern des Landes mit dem Meere möglich wäre (A. Erman, Reife um die Erde. Berlin 1833. J, 2, 240). r 4 Reiſe um die Welt, durch Sibirien sc. 429 Eifer des Verfaſſers, wenn auch nicht hier, fo doch an einem anderen Orte (Tiling im Correſpondenzblatt des naturforſch. Vereins zu Riga. IV. Jahrg. S. 134) eine genaue Kenntniß der meteorologiſchen Verhältniſſe Ajan's, deſſen Name bisher ſo unbekannt in Europa war, daß er, ſo viel wir wiſſen, ſich noch auf keiner Karte von Aſien vorfand, indem faſt nur europäiſche und nord— amerikaniſche Walfifchfänger davon Kenntniß hatten. Die dem Werkchen bei— gegebene Kartenſkizze ſcheint wirklich die erſte zu ſein, die Ajan aufgenommen hat, und doch ſind die Vorzüge des neuen Etabliſſements ſo groß, daß man ſich wundern muß, daß es nicht ſchon früher die Aufmerkſamkeit wiſſenſchaft⸗ licher Europäer auf ſich gezogen hat. Der Ort beſitzt nämlich einen ſo guten Hafen, daß der dortige Gouverneur ſich noch im verfloſſenen Herbſte veran— laßt fühlte, die jetzt ſehr häufig die angrenzenden Meere beſuchenden euro— päiſchen und nordamerikaniſchen Walfiſchfänger officiell einzuladen, ihre ſchad— haften Schiffe in demſelben repariren zu laſſen; ſelbſt ein franzöſiſches Schiff hatte kurz vorher, ehe die Nachricht von dem Ausbruche des gegenwärtigen Krieges in jene fernen Gegenden gelangte, von der Einladung Gebrauch ge— macht (Galignani’s Messenger vom 10. November 1854). In der Einleitung berichtet der Verfaſſer zuvörderſt, daß er nach Voll— endung ſeiner Univerſitätsſtudien, und nachdem er ſich noch einige Zeit mit verſchiedenen Zweigen der medieiniſchen Wiſſenſchaft ſpeciell befchäftigt hatte, von der ruſſiſch-amerikaniſchen Compagnie unter ſehr günſtigen Bedingungen den Antrag erhielt, für einige Zeit in ihrem Dienſte die ärztlichen Functionen zu Ajan, das eben gegründet wurde, zu übernehmen, worauf er ſofort ein— ging. Nachdem ihn in der Eile ein eheliches Bündniß mit ſeiner Braut ver— einigt, trat er im Frühlinge des Jahres 1845 in Begleitung der jungen küh— nen Frau die Landreiſe nach ſeinem künftigen, etwa 1500 deutſche Mei— len entfernten Wohnſitze Ajan an. Die Rückkehr erfolgte in Geſellſchaft x A, von vier blühenden hier geborenen Kindern über Kamtſchatka, die Sandwich— Inſeln und um das Cap Horn. Am 18. Juni 1852 gelangte er glücklich nach Kronſtadt. Die Erlebniſſe des Verfaſſers finden ſich nun in 15 Kapi— teln ſeiner Schrift einfach und anſprechend geſchildert, doch iſt der Inhalt keineswegs von der Art, daß er nur zur Unterhaltung und Belehrung von Kindern dient, vielmehr wird auch das wiſſenſchaftliche Publikum durch viele intereſſante und neue Bemerkungen an die Arbeit des Verfaſſers gefeſſelt. Die Hinreiſe ging zunächſt raſch über Petersburg, Waldai, Moskau, Niſchnij Nowgorod, Kaſan, Perm, durch den Ural, nach Jekaterinburg, Tju— men, Jalutorowsk, Iſchim und Tomsk. In Tjumen beſonders fand er das freundlichſte Entgegenkommen ſeitens eines Apothekers, den er aufſuchte, natür— eines Deutſchen, denn ſchon hatte die Erfahrung ihn belehrt, daß die otheker in Rußland faſt ausſchließlich Deutſche find. Zur Erganzung die— 2 fer Beobachtung g können wir aus eigener Erfahrung hinzufügen, daß Aehnli⸗ ches auch in den weſtſlawiſchen Ländern der Fall iſt, namentlich in Polen, 430 Neuere Literatur: wo unter den Gewerbetreibenden nicht allein Apotheker, ſondern auch Muller und Schmiede faſt ausſchließlich Deutſche ſind. In Tjumen hörte der Rei— ſende zu ſeiner Verwunderung, daß in einem großen Theile Sibiriens nicht wegen leichter Verbrechen dahin Verbannte, ſondern gerade ſchwere Verbre— cher, ſelbſt Mörder, die geſuchteſten und brauchbarſten Dienſtboten ſind, ja daß dieſe ſogar allmählig die anſtelligſten und nützlichſten Glieder der Bevöl— kerung werden ), während die Verbrecher der erſten Art faſt nie arbeit ſam und fleißig ſind (S. 6), ſondern häufig genug ihr Stehlen fortſetzen. Ein großer Theil Sibiriens iſt bekanntlich jetzt von Abkömmlingen dahin ver— bannt geweſener Verbrecher bevölkert 2). — Von Tjumen wählte der Reiſende nicht die gewöhnliche große Poſtſtraße über Tobolsk und Omsk nach Tomsk, ſondern den bequemeren und näheren Weg über Jalutorowsk und Iſchim, wobei die barabinskiſche Steppe durchzogen wurde, die ſeit der Zeit, wo ſie Pallas im zweiten Drittel des vorigen Jahrhunderts durchreiſte (Reiſe durch ver— ſchiedene Provinzen des ruſſiſchen Reichs. Petersburg 1773. III, 1. S. 4615), faſt noch fo wild und uncultivirt daliegt, wie damals, obgleich ihre Ober— fläche mit einer ſchwarzen und überaus fruchtbaren Erde bedeckt iſt und eine den ſchönſten Graswuchs unſerer Wieſen übertreffende Vegetation erzeugt. Oft iſt dieſe während der trockenen Jahreszeit auf große Strecken völlig waſſerloſe Landſchaft ſo eben, daß man ſeinen Weg nach Belieben durch den üppigen Graswuchs wählen kann. Hin und wieder trifft man jedoch größere und kleinere Landſeen (Pallas hörte beſonders den ſehr großen und ſehr fiſchreichen Tſchany-See nennen, III, 1. S. 462), doch ſehr wenig Wald, da nur vereinzelte kleine, aus Birken beſtehende Waldinſeln darin auftreten. Die menſchlichen Wohnungen beſchränken ſich auf die in Entfernungen von 25 bis 30 Werften (34 bis 74 deutſche Meilen) aus einander liegenden Dörfer, worin zugleich die Poſtſtationen ſich befinden. Von der meiſt völlig unbe— nutzt bleibenden großartigen Wieſenfläche ſucht man ſich einzig die allerüppig⸗ ) Uebereinſtimmend hiermit äußerte ſich bereits früher ein ruſſiſcher Schriftſteller Martinoff, der Gelegenheit hatte, die Verbrecher-Colonien im Selengathale jenſeits des Baikalſee's zu ſehen, in folgender Weiſe: Il sembleroit, que l’effroi de la Si- berie exhale une espèce de chaleur morale. (Voyage pittoresque de Moscou aux frontieres de la Chine, St. Petersbourg 1819, in Ritters Aften. 2. Aufl. II, 136), wogegen Erman (I, 2. S. 25) ein Tomsker Bürger verficherte, daß Beraubungen und Mordthaten in Sibirien gerade von europäiſchen Verbannten verübt würden. 2) Die transbaikaliſchen Ortſchaften wurden zum Theil von Verbannten und ihren Nachkommen gegründet und auch zwiſchen Krasnojarsk und Kainsk ſind die Dorfer ausſchließlich von Verbannten bewohnt. Deshalb konnte der ſibiriſche Dichter Rajews⸗ fi, wie Erman angiebt (1, 2. S. 50 — 51), mit Recht ſagen, jedes Haus hier ſei ein Buch der Leiden. Nach der Verſicherung des Gouverneurs von Krasnofarsk Ste⸗ panow wurden in der 9 jährigen Epoche vor 1829 nicht weniger als 12,500 Menſchen alljährlich nach Sibirien verbannt, ſo daß die raſche Zunahme der Bewohner fremden Urſprungs hier ſehr wohl erklärlich wird. 3) Pallas ſchildert dieſe Steppe aber nur in wenigen Zeilen. 6 — 1 Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 431 ſten Fluren zum Heumachen aus, das übrige Gras wächſt und verdorrt un— geſtört; nur muthige kräftige Pferde einer halbgebändigten Race weiden im Sommer auf den Grasflächen. Noch jenſeits des von den Landesbewohnern als wüſte Grenze Sibiriens angeſehenen Irtiſch, ja ſelbſt noch jenſeits des majeſtätiſchen Obi, eines der ſchönſten unter den großen ſibiriſchen Strömen, ſetzt der mit baumreichen Oaſen und kleinen Waldinſeln gezierte, von Wild belebte üppige ebene Grasgrund fort. Wenigſtens war dies bei Tomsk, wo der Reiſende über den Strom ging, der Fall, während der Irtiſch, ein ſchmutzig trüber Fluß, eine höchſt öde, menſchen- und heerdenloſe Gegend durchzog. Zu Tomsk fand der Reiſende ein reges ſchwelgeriſches Leben, da hier die im Jahre 1830 entdeckte Goldregion beginnt und hierher alles in Sibirien gewonnene Gold gebracht werden muß, um dann weiter nach Barnaul in die Münze zu wandern. In Tomsk verſammeln ſich nämlich im Herbſt die Gold— ſucher und beeilen ſich, durch Spielen und Trinken ihren in den eben ver— floſſenen Monaten erlangten Gewinn auf das Raſcheſte durchzubringen, worauf ſie im Winter und beſonders gegen das Ende des Winters zu hungern pfle— gen. Ein von einem ſpeculativen Engländer angelegtes Gaſthaus unterſtützt ſie in dem ſchwelgeriſchen Leben auf das Beſte und es iſt in der That kein Wunder, daß die Goldſucher ſo bald ihres Verdienſtes ledig ſind, wenn man von unſerem Verfaſſer hört, daß der Champagner allein 7 Silberrubel (7 Thlr. 14 Sgr.) koſtet. In dieſen fernen Gegenden iſt die Champag— ner-Conſumtion überhaupt ſehr groß, ja in Ochotzk und Kamtſchatka, wo die Flaſche ſogar mit 10 Silberrubeln bezahlt wird, trinkt man verhältniß— mäßig am meiſten, denn, ſetzt der Verfaſſer hinzu, es ſei eine alte Erfahrung, daß, je theurer etwas iſt, es auch um ſo beſſer ſchmeckt. Aehnliche Erfah— rungen in gleich entlegenen Gegenden machten auch neuere wiſſenſchaftliche Forſcher während ihres Aufenthalts in Island, wo ſie bei den wohlhaben— den, mit Fiſchen in den Hafenplätzen der Inſel handelnden Kaufleuten unge— mein große Maſſen Champagner conſumiren fahen. Das Recht, den goldhaltigen Boden auszubeuten, haben übrigens in Si— birien nur Wenige, die ihre Arbeiter dingen und das Gold dann dem Staate gegen einen feſten Preis abzuliefern gezwungen ſind. Einzelne dürfen ſich auf eigene Hand gar nicht damit befaſſen und könnten es nicht einmal im Gehei— men, wenn ſie es wollten, da ſie, ohne entdeckt zu werden, das Gold nirgends in klingende Münze umzuſetzen im Stande wären. Erſt jenſeits Tomsk beginnt eine waldreiche Gegend mit häufigen Lär— chen und ſibiriſchen Cedern, aber der ebene Charakter des Bodens überwiegt längs dem über Krasnojarsk und Niſchne-Udinsk zurückgelegten Wege noch bis Irkutsk, wo man ſchon einige Gipfel des Gebirges am Baikalſee bei hei— terem Wetter zu ſehen bekommt; man befindet ſich bis dahin in keiner eigent⸗ lichen Gebirgsgegend. Irkutsk ſelbſt erſcheint als eine anſehnliche Stadt, wo neuere petersburger Moden und weſteuropäiſche Sitten mehr als irgendwo in 432 . Neuere Literatur: Sibirien Eingang gefunden haben ), ja es iſt ſogar die bedeutendſte Stadt, des Landes. Die unmittelbar bei der Stadt vorüberfließende Angar& erſchien unſerem Reiſenden ausgezeichnet durch die außerordentliche Cryſtallhelligkeit ihres Waſſers, indem man auf den Booten bis tief in das Innere des Fluſſes die darin ſich bewegenden Gegenſtände erkennt. Nur noch bis Katſchuga an der Lena, 240 Werſt abwärts, ging die Reiſe in der bisherigen Weiſe; von da wurde ſie 2500 Werſt weit oder eine Strecke, wie die von Paris bis Petersburg, auf der Lena in einer bedeckten, wohnlich eingerichteten Barke fortgeſetzt. Die Poſt nimmt alle 14 Tage denſelben Weg, im Sommer zu Waſſer, doch ſo, daß ſie an den großen Windungen des Stromes die Strecke dadurch abkürzt, daß ſie den Landweg benutzt, der frei— lich zuweilen zu einer Art Fußſteig zuſammenſchrumpft; im Winter geht ſie ausſchließlich auf dem Eiſe des Stromes, an dem ſich in 25 bis 30 Werft Entfernung ſtets Poſtſtationen finden und in deſſen Umgebungen Buräten wohnen, ein Volk mongoliſcher Race, die zwar (meiſt) Heiden ſind, ſich aber von anderen ſibiriſchen Stämmen durch eine ihnen eigene ausgebildete Schrift für ihre Sprache unterſcheiden, eine Angabe, die übrigens ſchon bei den älte— ren Reiſenden in dieſen Gegenden vorkommt 2). Von Katſchuga laufen im Frühjahr, ſobald das Eis ſchmilzt, eine Menge Flöße und Boote nach Ja— kuͤtks aus; dieſelben bringen auf der Rückfahrt, wobei die Fahrzeuge durch Pferde gezogen werden, Pelzwerk nach Irkuͤtsk. Die unfern des Baikal und oberhalb Katſchuga in der den Weſtrand des See's begleitenden Gebirgskette entſpringende Lena fand der Reiſende ganz allmählig erſt aus einem kleinen ſeichten Flüßchen mit reinlichem Kiesgrunde in einen gewaltigen Strom übergehend, der bei Jakuͤtsk bis eine deutſche Meile Breite hat. Die Inſeln des Stromes nehmen abwärts zugleich in Zahl und Länge zu und verurſachen dadurch, daß ſie dem Waſſer parallel gehen und 50 und mehr Werſt Länge haben, daß der Strom den Reiſenden nicht ſo breit vorkommt, als er in der That iſt. Die Inſeln ſind mit ſtattlichen Bäumen bedeckt, die nicht wenig zur Zierde der Gegend beitragen. Die Ufer des Stromes bilden impoſante, oben mit Baumwerk geſchmückte Felswände, die ſteil, ja oft ſelbſt ſenkrecht abfallen. Zwiſchen Katſchuga und Jakuͤtsk liegen auf der rechten Seite des Stroms noch 2 ziemlich dorfähnliche Städtchen, nämlich Kirensk im Gub. Irkuͤtsk und Olekminsk (Olekma) im Gub. Jakuͤtsk. ) Irkatsk hat ſich ſeit feiner Gründung, die mit einer ärmlichen Weilerhütte und Poſtſtation begann, allmählig ſo weit hinaufgeſchwungen, daß es im Jahre 1853 bereits 14,454 Einwohner (Zeitſchrift III, 449) ohne die ſtarke Beſatzung hatte. Die früheren Zuſtände der Stadt bis zum Jahre 1820 etwa ſchilderte ausführlich Ritter (Erdkunde. Aſien. 2. Aufl. II, 128 — 137). Die Hilfsquellen, welche Irkutsk hat, ſagte damals der britiſche Fußtouriſt Capt. J. D. Cochrane (Narrative of an pedestrian Journey through Russia and Sibirian Tartary. London 1825. 3ıh edit. II, 123), wären groß genug für die Capitale eines großen unabhängigen Königreichs. 2) Ritter's Erdkunde, Aſien II, 115, 126. R — — EZ Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 433 Das letzte iſt einer der kleinſten Orte des Reiches *) und erſcheint ſogar äußerft unanſehnlich, wie überhaupt alle kleineren ſibiriſchen Städte in höͤchſt ärmlichem Charakter auftreten. So hat Tjumen trotz feiner 14,337 Ein— wohner 2) nur 2 — 3 ſteinerne Gebäude 3), ſelbſt Tomsk wenig mehr ) und allein Irkuͤtsk zeichnete ſich darin, wie in jeder anderen Hinſicht vortheil— haft aus ) (S. 12 — 15). Zu Jakuͤtsk, wo die Reiſenden erſt am 3. September anlangten, muß— ten ſie wegen des Austretens der Flüſſe längere Zeit verweilen. Der Ort liegt nicht unmittelbar an dem Hauptſtrom, ſondern an einem kleineren, im Sommer und Herbſte nur Lachen ſtehenden Waſſers bildenden Arme der Lena und zugleich in einer eine deutſche Meile breiten Ebene, die früher das große Flußbett der Lena geweſen ſein mag. Es fehlt hier an Trinkwaſſer, weshalb die Bewohner des Ortes im Winter ſich hinlänglich mit Lengeis ver— ſorgen, das in Gruben aufbewahrt und geſchmolzen wird, wenn man Waſſer gebraucht. Dieſer Mangel veranlaßte endlich den Kaufmann Schergin zur Anlage ſeines für die phyſiſche Geographie bedeutungsvoll gewordenen und ſo oft beſprochenen Brunnens, der den beabſichtigten Zweck aber nicht erfüllte, indem der Boden noch in 370 Fuß Rh. Tiefe gefroren war °). Die Kälte bleibt in dem Brunnenſchacht in 50 Fuß Tiefe bei 6 — 7 R. das ganze Jahr hindurch gleich, und nur am oberen Ende übt die bis 20“ ſteigende Sommerwärme Einfluß aus 7). Auch unſer Reiſende ließ ſich in den Schacht hinab und beobachtete an dem auf dem Boden angebrachten Thermometer un— gefahr + 24°. Die Ueberzeugung, daß man noch ſehr tief zu graben habe, um ungefrorenes Erdreich zu erreichen, bewog den Unternehmer, das Tiefer— arbeiten aufzugeben. Wäre aber auch der Verſuch fortgeſetzt worden, ſo iſt noch ſehr zweifelhaft, ob er ſeinen Zweck erreicht und man in dem unge⸗ frorenen Erdreich Waſſer entdeckt hätte. Gelang er, fo wurde dadurch eine Waſſeranſammlung erreicht, die ſchon vor Ausbildung der jetzigen Tempera— ) Olekminsk hatte im Jahre 1849 nur 209 (Zeitſchrift III, 472), Kirensk im Jahre 1853 aber 723 Einwohner (ebendort III, 470). Selbſt Kirensk nannte v. Wran⸗ gel, der im Jahre 1820 dieſelbe Lenafahrt machte, ein ziemlich elendes Dorf (Reiſe des K. ruſſiſchen Flottenlieutenants F. v. Wrangell längs der Nordküſte von Sibirien. Berlin 1839. J, 132). 2) Zeitſchrift III, 459. ) Dies war ſchon im Jahre 1828 bei Erman's Durchreiſe der Fall, fo daß 10 in u ze während faſt 20 Jahren nichts zu Tjumdn geändert hat (Erman I, 1. S. 441). ) Tomsk hatte im Jahre 1850 3349 Einwohner (Zeitſchrift III, 450). ) Doch berichtet Erman (J. 2. S. 69), daß es unter den 1000 Häuſern die⸗ ſer Stadt nur 50 aus Backſteinen erbaute gebe. ) Erman I, 2. S. 250 — 251. v. Middendorff in Poggendorff's Annalen der gr Phyſik und Chemie LXII, 404; LXXX, 242, und in f. Reife in den äußerſten Nor- den und Oſten von Sibirien. St. Petersburg 1848. I, 92 — 112. ) Bekanntlich iſt die Winterkälte in Jakütsk ungemein ſtreng, indem fie im De— cember auf 40 und 50 R. ſteigt. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 28 434 Neuere Kartographie. turverhältniſſe der Erde, alfo wohl während der ſogenannten Diluvialepoche der Geognoſten ſich gebildet haben mußte, indem das beſtändige jetzige Ge— frorenſein des Bodens bis in ſo große Tiefen, als Schergin's Brunnen ge— graben wurde, ein ſpäteres Hinabdringen oberer Waſſer zur abſoluten Un— möglichkeit gemacht hätte. H. Lange und Gumprecht. (Schluß folgt.) Neuere Rartographie. Discoveries in the Arctic Sea up to 1854. London, published ac- eording to Act of Parliament at the Hydrographie Office of the Admirality Jan. 20th 1855. 1 Blatt gr. Fol. Diefe in dem bekannten großen Foemat nach Merfator=Projection be⸗ arbeitete Karte umfaßt vorzugsweiſe den Theil der arktiſchen Zone, welcher in neueſter Zeit das beſondere Intereſſe der Mitwelt auf ſich gezogen hat: die Gegenden von der Baffins-Bai und dem Cumberland-Sund im Oſten — bis zu den jenſeits der Melville-Inſel in den letzten Jahren entdeckten Land- bildungen, ſowie den weſtlichen Küſten des Banks-Landes (oder der Baring⸗ Inſel), des Prinz-Albert- und Wollaſton-Landes im Weſten. Innerhalb dieſer Grenzen ſtellt das vorliegende Blatt, außer den früher erforfchten Land ſchaften und Küſten, die geographiſchen Reſultate einer Reihe von Erkundun⸗ gen und Entdeckungen dar, über deren Hergang und Verlauf im Einzelnen wir bis auf dieſen Augenblick nur ſehr unvollkommen unterrichtet ſind. Die officiellen Berichte, Correſpondenzen und Aufzeichnungen jener letzten arkti⸗ ſchen Expeditionen, über deren nunmehrige Veröffentlichung mittelft der Par- liamentary Papers in der Sitzung des Hauſes der Gemeinen vom 20. De— cember v. J. verhandelt und beſchloſſen wurde, — die mannigfachen Unter— ſuchungen und Arbeiten, welche dadurch im Schoße dieſer Behörde hervorge— rufen und veranlaßt ſind, — haben neben allen den reichen Hilfsmitteln und Materialien des dortigen hydrographiſchen Depots bei dem Entwurf und der Ausführung dieſer Karte im umfaſſendſten Maße zu Gebote geſtanden. Da— her haben manche Gebiete jetzt wie auf einen Zauberſchlag eine ganz andere Geſtalt gewonnen. Einzelne Küſtenzüge, die bisher nur nach dunkeln und unter einander abweichenden Vermuthungen angedeutet werden konnten, treten in ſicherer Beſtimmtheit hervor. Das bisherige Bild dieſer arktiſchen Gebiete wird nicht blos durch neuentdeckte Vorgebirge, Buchten, Höhenzüge und Berge — allzumal mit wohlbekannten klangvollen Namen, die ihnen bald von den Entdeckern an Ort und Stelle, bald auch nachträglich ertheilt ſind, — ſon— dern auch durch ganz neue Inſeln, Inſelgruppen und Meeresſtraßen vervoll— ſtändigt. Die neueſte arktiſche Admiralitäts-Karte. 435 Für dieſe ſehr weſentlichen Bereicherungen unſerer geographiſchen Kunde des arktiſchen Nordens treten folgende vier Kreiſe von Entdeckungsreiſen mit Bedeutung in den Vordergrund: 1) Die Erkundungen des Capt. Sir Edw. Belcher und feiner Offiziere Commander Richards, Lieutn. Osborn u. A. in den Gegenden an der Ein— mündung des Wellington-Canals in die arktiſche Polar-See 1853 — 54. 2) Die unter Capt. Kellett's Leitung in denſelben Jahren ausgeführten Nachſuchungs-Reiſen des Commander M'Clintock und der Lieutenants Me— ham, Hamilton, Pim, de Bray u. A. auf der Melville-Inſel und den bes nachbarten Gegenden im Südweſten, Weſten und Norden. 3) Die Fahrten und Erkundungs-Unternehmungen des Capt. Collinſon und ſeiner Offiziere, namentlich im Prinz Alberts-, Prinz Wales -, Wolla⸗ ſton⸗ und Victoria-Lande 1851 — 531). 4) Die von der Hudſonsbai-Geſellſchaft veranlaßten Entdeckungsreiſen des Dr. John Rae im Boothia-Lande. Ueber alle dieſe Erkundungen ſind bisher nur ſehr mangelhafte, unvoll— ſtaͤndige und daher oft unklare Nachrichten zu uns gelangt. Indem wir zu unſerer lebhafteſten Ueberraſchung hier auf einmal die Ergebniſſe derſelben in anſchaulicher Zuſammenſtellung überblicken, liegt nichts näher, als ein Verſuch, uns die Einzelnheiten der Reihe nach zu vergegenwärtigen. I. Wir beginnen, im Süd-Oſten der Karte, mit dem von Rae im ver— gangenen Jahre aufgenommenen Terrain zwiſchen dem nach ihm benannten Rae⸗ und dem Boothia-Iſthmus, deſſen Küſten nach mehrfachen vergeblichen Anſtrengungen im Jahre 1839 von Deaſe und Simpſon zuerſt erreicht wor- den ſind. Dieſen beiden von der Hudſons-Bai-Geſellſchaft ausgerüſteten Rei⸗ ſenden gelang es auf ihrer Boot-Expedition, von der Mündung des Kupfer- minen ⸗Fluſſes aus an dem Nordrande des amerikaniſchen Continents bis zu dem tief einſchneidenden Fjord vorzudringen, in welchen der Große Fiſch-Fluß 5 (oder Back-Fluß) einmündet. Von der Inſel Montreal aus festen fie, an— geſichts des im fernen Süden emporragenden, vom Capt. Back entdeckten und ; benannten Victoria-Landes, nach der Oftfeite jenes Mittelmeeres hinüber und nahmen auf der dort entdeckten Küſte den Strich vom Cap Britannia bis zu 3 dem nach ihren Böten benannten Kaſtor- und Pollux-Fluſſe auf. Allein viel fehlte, daß dieſe Reiſenden über den Charakter jener Landbildungen und der von ihnen durchſegelten See eine richtige Vorſtellung gewonnen hätten. Dies war dem unermüdlichen Dr. John Rae vorbehalten, der 1847 — eben⸗ falls im Auftrage der Hudſons-Bai-Geſellſchaft — die Oftküften jener Iſth— mus⸗Landſchaften (den Weſtrand der Committee-Bai) bis nahe an die Lord D Die Depeſchen Collinſons müfjen mithin (wahrſcheinlich über Panama) laͤngſt nach England gelangt ſein, während ſeine Rückkehr von Hongkong her (1. November 1854) über das Vorgebirge der guten Hoffnung (18. Februar 1855) und St. Helena (̃.2. März) erſt am 6. Mai erfolgt iſt. 7 28* 436 Neuere Kartographie. Mayor's-Bucht erforscht, ſchon damals den Zuſammenhang des Boothia— Landes mit dem amerikaniſchen Continent unzweifelhaft ermittelt, und im Jahre 1854, von der Pelly-Bai aus, den weſtlichen Küſtenzug vom Kaſtor- und Pollur-Fluſſe bis zum Cap Porter verfolgt hat. Durch dieſe unter großen Beſchwerden mit anerkanntem Geſchick unternommenen Erkundungen ſind jetzt endlich die Grundzüge der Küſtenbildung eines Landgebietes, über deſſen Ober- flächenbildung — da es ſich auch hier um das Vorhandenſein einer nordweſt— lichen Durchfahrt handelte — ſeit dem Jahre 1834 mannigfache Irrthümer gehegt und unter bitteren Meinungskämpfen verfochten worden waren, voll— ſtändig und ſicher aus dem Dunkel hervorgetreten. Auf dieſer neu erkunde— ten Strecke erſcheint nunmehr das von Simpſon, dem Eindrucke des Fern— blicks zufolge, gezeichnete „Cap Roß“ als „Roß-Hügel“ (Ross Hills) und die von jener Expedition vermeintlich erblickten Committee-Inſeln haben ſich ebenfalls in Berge verwandelt. Die bezeichnendſten Punkte dieſer jetzt genau erforſchten Küſte find folgende: Zunächſt am Kaſtor- und Pollux-Fluſſe die Shepherd-Bai, welche in nordöſtlicher Richtung, von den ſo eben genannten Bergen umgürtet, ſich bis gegen den 69° nördl. Br. hinzieht; Cap Colville im Südweſten dieſer Bucht; die Balfour-Bai gleich jenſeit des 69%. — Weiter nach Norden hin iſt die Weſtküſte von Boothia-Land nur bis zum Cap Nicolai (nahe der Stelle, über welcher Capt. Sir James Roß im Jahre 1831 als Sitz des magnetiſchen Poles die engliſche Fahne einpflanzte) ange— geben. Von einer weiteren Ausdehnung der See von der James Roß-Straße bis zur Bellot-Straße, welche die natürliche Grenze zwiſchen Boothia und Nord-Somerſet bildet, giebt die vorliegende Karte keine Andeutung. Hier liegt in der That noch ein unerforſchtes Gebiet, deſſen Durchſuchung der Bar— row-Straßen-Expedition des Jahres 1848 zwar aufgetragen war, aber von ihr verfehlt oder wenigſtens nicht erreicht wurde. Wie wahrſcheinlich es auch iſt, daß der vom Cap Walker her ſüdwärts ſich hinziehende Peel-Sund mit der James Roß-Straße zuſammenhängt: die Verfaſſer vorliegender Karte ſehen dies doch noch nicht als hinlänglich ſicher an. II. Bei den Zeichnungen der äußeren Küſte von Wollaſton- und Vie— toria-Land ſind, wie wir ausdrücklich bemerkt finden, die Ermittelungen und Beſtimmungen des Capt. Collinſon zum Grunde gelegt. Dieſe weichen indeß von der Aufnahme des Dr. John Rae, wie fie feine vortreffliche Karte“) aus dem Jahre 1851 darſtellt, keineswegs beträchtlich ab. Man kann in der That ſagen, daß dieſer Arbeit des Dr. Rae, wiewohl ſie mit unverhältnißmäßig ge— ringeren Mitteln zu Stande gebracht wurde, kaum eine glänzendere Rechtfertigung hätte zu Theil werden können, als durch die neue Aufnahme von Collinſon, welche ganz unabhängig von der erſten unternommen wurde und dennoch im Ganzen ſo übereinſtimmend mit derſelben ausgefallen iſt. Indeſſen iſt Dr. 8 ) Dieſe Karte iſt den Parliamentary Papers aus dem Jahre 1852, im Vol. 50, beigefügt. Die neueſte arftifche Apmiralitäts - Karte. 437 Rae bei der Zeichnung dieſer Partie nicht unbetheiligt geblieben; einer weite ren, immerhin etwas auffallenden Notiz zufolge wird ihm das Verdienſt zu— erkannt, die Seen und das Innere der Buchten an dieſen Küftenumriffen HFeadaptirt“ zu haben. ; Im Nordoſten des Victoria-Landes ift Collinſon nur um ein ſehr Ge— ringes weiter hinauf gekommen, als Rae 1851; er fügt noch eine Inſel mit dem Namen Gateshead hinzu, deren Weſtgrenze unbeſtimmt bleibt, fo daß 3 dieſer Strich Landes möglicher Weiſe auch nur eine Halbinſel fein konnte. Ungleich erheblicher ſind dagegen zwei andere Abweichungen von der bis— herigen Darſtellung. * 1) Rae erblickte im Jahre 1851 auf ſeiner zur Durchſuchung des Kü— ſtenrandes von Victoria-Land unternommenen Boot-Expedition in nordöftli= cher Richtung von der Jenny Lind-Inſel die Umriſſe eines fernhin aus der See emporſteigenden Landſtriches, den wir nunmehr als den weſtlichſten Vor- ſprung der Inſel King Williams-Land bezeichnet ſehen. Dieſe Inſel gewährt ein merkwürdiges Beiſpiel der Wechſel und Umgeſtaltungen in der Auffaſſung der arktiſchen Gegenden. Als Capt. John Roß im Jahre 1833 von ſeiner vierjährigen Nordpolar-Expedition zurückkehrte, fand die Annahme Eingang, daß das von ſeinem Neffen, dem damaligen Commander James Roß, entdeckte Kuͤſtengebiet, dem der Name King Williams-Land beigelegt war, dem ameri— kaniſchen Continent angehören müſſe, und dieſer Name wurde demzufolge nicht blos von John Roß auf die Landſchaften zwiſchen dem Rae- und Boothia- Iſthmus, ſondern auch vom Capt. Back auf die Gegenden am Delta des 4 Großen Fiſch⸗Fluſſes ausgedehnt. Daher waren Deaſe und Simpſon auf's 7 Freudigſte überrafcht, als fie im Norden der in neuefter Zeit ſo verhängniß— voll genannten Halbinſel Adelaide eine Meeresſtraße oſtwärts hin ſich öffnen ſahen, auf welcher fie im Süden des King Williams-Landes, deſſen Küſten hier von ihnen aufgenommen wurden, weiter vordringen konnten, ohne zum ö Cap Felir hinaufzugehen. So iſt dann nach und nach der wahre Charakter von King Williams-Land an's Licht getreten und der früher für weite Ge— genden geltend gemachte Name auf das Gebiet dieſer Inſel beſchränkt worden. „ 2) Der große Meerbuſen, welcher ſich im Nordoſten des Wollaſton— Landes zwiſchen dem 70. und 71. Grade nördl. Breite und vom 117. bis 111. Grade weſtl. Länge landeinwärts erſtreckt, iſt genau genommen zuerſt vom Lieutn. Haswell entdeckt, der vom Winterlager des Inveſtigator in der Prinz Wales- Strafe am 14. Mai 1851 mit feiner Schlittenparthie von Norden herab bei demſelben ankam. Etwa zehn Tage ſpäter erreichte dann Rae auf feiner berühmten Frühjahrs-Schlittenreiſe an der Wollaſtonküſte von Süden her bei dem Cap Back denſelben Buſen und gab ihm — da er un— gewiß war, ob es eine Straße ſei — den Namen Ruſſell-Golf ). Jetzt iſt vr. n.1 „ * ) Vergl. hier S. 146 Anmerkung. u 438 Neuere Kartographie. dieſem Fjord — wahrſcheinlich von Collinſon, der ihn 1852 näher erkundete und eine Durchfahrt zum Melville-Sund mittelſt deſſelben nicht gewährt ſah — der Name Prinz Albert-Sund ertheilt. — Bemerkenswerth iſt, daß die Be— zeichnung Vietoria-Land auf der vorliegenden Karte dem Gebiete öftlich vom Wollaſton-Lande nicht beigeſchrieben iſt. Im Norden des Prinz Alberts-Landes treffen die bereits ſeit October 1853 bekannten Erkundungen der Offiziere des Inveſtigator abermals mit den ſpäteren Entdeckungen unter den Offizieren der Entrepriſe zuſammen; neu ſind auf der vorliegenden Karte wenigſtens die Namen Collinſon-Bai und Gle— nelg-Bai (letztere identiſch mit der 1851 von Lieut. Wynniatt aufgenomme⸗ nen Beaufort-Bai). Ein kleiner Theil der Küſten an der Grenze des Prinz Wales- und des Prinz Alberts-Landes iſt noch nicht erkundet, daher auch die Scheidelinie zwiſchen beiden Gebieten noch nicht beſtimmt werden konnte, — eine Aufgabe, die bei der unwirthlichen und ungedeihlichen Natur dieſer Ges genden freilich auch wenig praktiſches Intereſſe darbietet. Der großen im Nordweſten der Prinz Wales- und im Süden der Banks⸗ Straße belegenen Inſel iſt nunmehr der Name „Banks-Land“ beigelegt und dadurch dem Admiral Parry der Ruhm der erſten Entdeckung geſichert. Denn bekanntlich hatte dieſer auf feiner erſten großen arktiſchen Reife 1819 — 20 von der Melville-Inſel aus in ſüdweſtlicher Richtung einen Küſtenſtreif ent⸗ deckt, welchem er, ohne den Charakter oder die Ausdehnung deſſelben erfor— ſchen oder auch nur ahnen zu können, damals den Namen Banks-Land gab. Erſt im Jahre 1850 fügte es ſich, daß M'Clure der von ihm am Cap Nel- ſon zuerſt entdeckten, ſpäter größtentheils im Innern erforſchten und bis auf eine unbedeutende Strecke umſegelten Inſel den Namen „Baring-Island“ er⸗ theilte, ohne anfangs den Zuſammenhang mit dem Parry'ſchen Küſtenſtreif Banksland zu vermuthen. Die engliſche Admiralität hält jetzt — wir wer— den dies bald an einem zweiten bemerkenswerthen Beiſpiel ſehen — offenbar den Grundſatz feſt, daß demjenigen, der ein Land zuerſt erblickt und deſſen Exiſtenz durch ein paar Striche auf der Karte bezeichnet hat, das Ehrenrecht des erſten Entdeckers zuſteht. Im Uebrigen finden wir an der Inſel „Banks⸗ Land“ die vom Capt. M'Clure gegebene Nomenclatur meiſt wieder; auch der von ihm ertheilte Name lebt in der für die ſüdliche Spitze beibehaltenen Be— zeichnung „Baring-Land“ fort. Aufgefallen iſt uns jedoch, daß das nörd— lichſte Vorgebirge, von M'Clure „Cap Auſtin“ genannt, jetzt unter dem Na= men „Cap M'Clure“ erſcheint. III. Die impoſanteſten und erheblichſten Bereicherungen unſerer geo— graphiſchen Kunde ſtellt der nordweſtliche Theil dieſer Karte dar. Zunächſt iſt der Küſtenſaum der Melville-Inſel jetzt nach allen Seiten hin, auch im Norden, Oſten und Weſten vollſtändig ermittelt und aufgenommen. Dieſe merkwürdige Inſel, zuerſt von Parry entdeckt, der den Winter 1819 — 20 in dem Winterhafen daſelbſt zubrachte, — hierauf durch die Schlittenzüge des Die neuefte arktiſche Admiralitäts-Karte. 439 4 MElintor von der Griffith-Inſel her im Früh jahr 1851 bei den Nach- > ſuchungen nach Franklin dem größten Theile nach ausgekundſchaftet, — dann im April 1852 durch M'Clure von feinem Aufenthalte in der Mercy-Bai aus beſucht, — endlich von den Offizieren und Mannſchaften des Capt. Kel⸗ lett, der im September 1852 bei der Dealy-Inſel ſein Winterlager aufſchlug, von Neuem nach allen Richtungen hin vollſtändig durchſucht und vermeſſen, ö liegt jetzt in ihrer eigenthümlichen Geſtaltung vor uns ausgebreitet. Sie wird diurch die beiden Einſchnitte des Heela- und Griper-Golf im Norden und des Liddon⸗Golf vom Süden her, deren gegenſeitige Annäherung eine Art von Iſthmus bildet, in zwei dem Umfange nach ziemlich gleiche Theile, in eine oͤſtliche und weſtliche Hälfte zerlegt. Die öftliche Hälfte — durch den Byam⸗ 1 Canal von der Byam-Martin-Inſel und weiter nördlich durch die Byam⸗ Martin ⸗Straße von der Inſel Cornwallis geſchieden — läuft nach Norden zu in die Halbinſel Sabine, nach Süden zu in die Halbinſel Dundas aus, an deren Baſis ſich die Bucht des Winterhafens eindrängt. Als äußerſte nördliche Spitze der Halbinſel Sabine, jenſeit deren nur noch ein paar Infel= bildungen entdeckt ſind, ſtreckt ſich in 76° 45’ nördl. Br. das Cap Richards empor, an welchem im Frühjahr 1853 der durch Capt. Belcher vom Nord— humberland⸗Sund aus entſandte Commander Richards ſich mit dem, verabre= deter Maßen durch Capt. Kellett von der Dealy-Inſel entſandten, Lieut. Ha⸗ milton zuſammenfand. In Folge dieſer Begegnung konnte die vom Lieut. J Hamilton überbrachte freudig überraſchende Botſchaft von der Auffindung f Me Clure'ſcher Depeſchen im Winterhafen und von der Ankunft des Invefti- gator in der Mercy-Bai ſchon im Frühſommer 1853 an Capt. Belcher und ſeine Gefährten gelangen. Die Exiſtenz der weſtlichen Hälfte der Melville-Inſel iſt erſt durch die Schlittenſtreifzuge im Frühjahr und Sommer 1853 erkundet. Dieſer Gebiets- theil erſtreckt ſich nicht ſo hoch nordwärts hinauf und geht nicht fo weit ſuͤd— lich hinab, als die öftliche Hälfte. Im Innern erſcheint das Land, im Gegen— ſatze der Banks-Land-Inſel, öde, unfruchtbar und uneben. Dagegen ſind längs der Südküſte auf beiden Hälften der Melville-Inſel faſt durchgängig Biſamſtiere, an manchen Punkten auch Rennthiere und Polarhaſen geſehen worden. Am Weſtrande erheben ſich Bergbildungen; wir erblicken hier das Cap Terrace mit Klippen von 500 Fuß Höhe. Die äußerſte Südweſtſpitze hat den Namen Cap Ruſſell erhalten. Merkwürdig iſt, daß in nördlicher und oͤſtlicher Richtung von dieſem Cap an der Küfte (bei Point Kelly und Cap Smith) Koblenlager entdeckt find. Die Namen, welche den Bergen auf der Inſel Melville offenbar erſt nachträglich beigelegt find — Canrobert-Hügel * im Nordweſten, Raglan-Kette mehr ſüdöſtlich, St. Arnaud-Mountains etwas 5 h . dbſtlicher, Edmund Lyons-Hügel weiter nach Süden hin — verſetzen uns 5 unwillkührlich auf den Kriegsſchauplatz in der Krim. 7 440 Neuere Kartographie. Im Jahre 1851 forſchte M’Elinto bei dem Iſthmus am Livdon - Golf vergebens nach einem von dem Polar-Meer gegen die Banks-Straße hin führenden Verbindungs-Canal, auf welchem Franklin den Weg nach der Behrings-Straße geſucht haben könnte. Die neueſten Entdeckungen haben gezeigt, daß ein ſolcher Canal erſt um 6 Längengrade weiter weſtlich in der Fitz-Williams-Straße ſich öffnet, welche weiter unten durch die keilförmig ſich eindrängende Inſel Eglinton in den Kellett- und Crozier-Canal ausein— andergetheilt wird. Auch an den Küſten dieſer Straße haben die Reiſenden vergebens nach einer Spur der Mannfchaften des Erebus und Terror geforſcht. Jenſeit derſelben liegt, ſo weit bis jetzt bekannt, die ultima Thule der Infeln des Polarmeeres, die Prince-Patrick-Inſel von 75° 45’ bis 77° 30’ nördl. Breite und 115° 30’ bis 124° 10“ weſtl. Länge. Und auch dieſe iſt ihrem Küſtenzuge nach von Lieut. Mecham im Süden und vom Commander M'Clin⸗ tock im Norden auf Schlittenpartien planmäßig ausgekundſchaftet. Die nörd- liche dachförmig auslaufende Spitze (77° 30“) trägt den Namen ihres Ent— deckers: „Cap M'Clintock“. Nordwärts derſelben ſind noch ein paar kleinere Inſeln beobachtet, welchen der bezeichnungsvolle Name Polynia-Inſeln beige- legt wurde. An den ſüdlichen Küſten dieſer im Innern nicht erforſchten Inſel hat Lieut. Mecham ſtellenweiſe zahlreiche Schneehühner und Rennthiere ge— ſehen. Auch ein Kohlenlager wurde von ihm beobachtet. IV. Die Küſtenumriſſe der Cornwallis-Inſel im Weſten und Norden wurden unter Anordnung des Capt. Belcher im Jahre 1853 faſt vollſtändig aus gekundſchaftet und aufgenommen. Nur das Innere einiger Meeres-Einſchnitte, z. B. Erskine- und May-Inlet im Norden, Pelly-Inlet und Bracebridge— Inlet im Weſten bleibt noch näher zu ermitteln. Da dieſe Gegenden in der Jahreszeit des herrſchenden Schnee's und Eiſes beſucht ſind — die hier nur auf wenige Wochen dem Einfluſſe der Sonnenwärme weichen, — hatte es, wie jo oft in den arktiſchen Gegenden, die größte Schwierigkeit, Land uud Waſſer zu unterſcheiden. Der Ausmündung des May-Inlet iſt die Berkeley— Inſel vorgelagert und mehrere in der Nähe, unweit des 77° nördl. Breite, zerſtreute kleine Inſeln haben den Namen Berkeley-Gruppe erhalten. Auch im Oſten der Penny- und der Victoria-Straße, durch welche der Wellington-Canal in das arktiſche Polarmeer einmündet, treten noch einige Entdeckungsreſultate hervor, die dem Capt. Belcher verdankt werden. Bekannt⸗ lich war es der amerikaniſchen Preſſe auf's Aeußerſte anſtößig, den dort zu— erſt von der Grinnell-Expedition erblickten und, wenngleich nicht einmal be— tretenen, doch ohne Anſtand „Grinnell-Land“ benannten Gebieten in Eng— land den Namen „Prinz Albert-Land“ zuerkannt zu ſehen, der denſelben vom Capt. Penny in Folge ſeiner vermeintlichen erſten Entdeckung einige Monate ſpäter beigelegt worden war. Die britiſche Admiralität hat jedoch jetzt die Anſprüche der Amerikaner, wenigſtens gewiſſermaßen, beſtätigt und auf der vorliegenden Karte jene durch Lieut. de Haven ertheilte Bezeichnung „Grin— . * Die neueſte arktiſche Admiralitäts-Karte. 441 nell-Land“ auf die im Nordweſten des Nord-Devon-Landes erforſchte, durch die Prinz Alfreds-Straße von dem letzten geſchiedene Inſel übertragen. Als eine der bedeutendſten Entdeckungen in dieſen Gegenden iſt hervor— zuheben, daß neben dem Wellington-Canal auch die Byam-Martins-Straße im Weſten und der Jones-Sund im Oſten in das arktiſche Polarmeer ein— münden. Die Küften des Jones-Sundes find noch nicht überall erkundet; indeß läßt die vorliegende Karte erkennen, daß dieſer Meeresarm im 85 v weſtl. Länge eine ſehr bedeutende Breite gewinnt, weiterhin ſüdwärts eines Inſel— meeres (Victoria- Archipel) vorüberzieht und hier im Norden der größeren Inſel den Namen „Belcher-Canal“ erhalten hat. Die weiter im Norden und Oſten liegenden Partien der nördlichen Baf— fins-Bai, des Smith-Sundes und ihrer Umgebungen ſtimmen mit den von Capt. Inglefield 1852 veröffentlichten Aufnahmen überein. Die Entdeckungen des Dr. Kane, der im Jahre 1853 auf die Auskundſchaftung jener Gegenden ausgezogen iſt, laſſen für dieſen Theil eine ſehr bedeutende Erweiterung un— ſerer geographiſchen Kenntniß erwarten, wenn anders der kühne Plan des Reiſenden gelungen und derſelbe nicht ein Opfer ſeiner edlen Begeiſterung für das Rettungswerk und für die wiſſenſchaftliche Erkundung geworden iſt. Ge— ben wir uns vorläufig noch der Hoffnung hin, daß die erwachten Beſorgniſſe für die muthvolle Mannſchaft durch eine glückliche Rückkehr widerlegt werden mögen! Schließlich erlauben wir uns noch die Bemerkung, daß dieſe neueſte ark— tiſche Admiralitäts-Karte für die ſo eben im Verlage von D. Reimer er— ſchienenen, höchſt empfehlenswerthen Arbeiten des Herrn Dr. Kiepert: 1) Karte der nördlichen Hemiſphäre, innerhalb des 40. Breitengrades, nebſt Darſtellung der Wärmeverbreitung für Januar, Juli und das Jahr von H. W. Dove, 2) Karte der Nordpolar-Länder, nebſt Darſtellung der Wärmeverbreitung für Januar, Juli und das Jahr von H. W. Dove, bereits benutzt und ſomit der weſentliche Inhalt derſelben auch den Freunden der geographiſchen Wiſſenſchaften in Deutſchland zugänglich gemacht iſt. C. Brandes. 442 W. Koner: Neu erſchienene geographiſche Werke, Aufſätze, Karten und Pläne. 1) Selbſtſtändig erſchienene Werke und Aufſätze. Enciclopedia geografica ossia gran dizionario contenente di tutti i luoghi del globo interessanti ete., da una societä di dotti colla direzione di A. F. Falconetti. Vol. IX. p. 913-1224. Vol. X. p. 1—816. Venezia (Antonelli). gr. 8. Zeitſchrift für allgemeine Erdkunde ꝛc. ꝛc, herausgegeben von T. E. Gumprecht. Bd. IV. Heft 1—5. Berlin (D. Reimer) 1855. gr. 8. Mittheilungen aus J. Perthes' geographiſcher Anſtalt über wichtige neue Erforſchun⸗ gen auf dem Geſammtgebiete der Geographie, von A. Petermann. Gotha (Perthes) 1855. Heft 1 u. 2. gr. 4. (à 3 Thlr.) Bulletin de la Société de Geographie etc. IVe Ser. T. VIII. 1854. Novembre et Decembre. T. IX. 1855. Janvier et Fevrier. Paris. 8. Nouvelles annales des voyages et des sciences géographiques etc. Nouvelle Ser. 1855. Jan. — Avril. Paris. 8. Revue de l’Orient, de PAlgérie et des colonies etc. 1855. XIII” Année. Janvier — Avril. Paris. gr. 8. Tijdschrift voor Nederlandsch Indie etc. 1854. Octob. — Decemb. 1855. Jan. — April. Zalt-Bommel. gr. 8. The Journal of the Indian Archipelago and Eastern Asia. 1854. Jan. — Juni. Singapore. 8. Journal of the Statistical Society of London. Vol. XVIII. Januar — März. London 1855. 8. Arrowsmith (A.), A geographical dictionary of the Holy Scriptures. London (Longman) 1855. 340 S. 8. (15 S.) Goldsmith (J.), Grammar of Geography, by G. N. Wright. New edition. Lon- don 1855. 252 S. 12. (3 S. 6 d.) Hoffmann (W.), Eneyelopaͤdie der Erd-, Völker- und Staatenkunde. 1. — 4. Lief. Leipzig (Arnold) 1855. 4. (à 4 Sgr.) Butler, The e of the globe. 10ch edit. London (Simpkin) 1855. 8. 4 S. 6 d. a (K. L.), Lehrbuch der Geographie für die dritte Klaſſe der Unter-Realſchulen. Wien 1854. 186 S. 8. (24 Kr.) Bellinger (G.), Primi elementi di geografia. Vienna (Pichler) 1854. (12 Car.) Maury (M. E.), The physical geography of the Sea. With illustrative charts and diagrams. New York 1855. 274 S. 8 (8 S. 6 d.) Prime (S. J.), Travels in Europa and the East: a year in England, Scotland, Ireland, Wales, France, Belgium, Holland, Germany, Austria, Italy, Greece, Turkey, Syria, Palestine, and Egypt. New Vork 1855. 2 vols. 845 S. 8. (16 S.) Taylor (B.), Pictures of Palestine, Asia Minor, Sicily and Spain; or the lands of the Saracen. London (Low) 1855. 451 S. 8. (7 S. 6 d.) a) Europa. Der Rhein und die Rheinlande, dargeſtellt in maleriſchen Original-Anſichten von L. Rohbock und W. J. Cooke. Abtheil. 4 — 9. Darmſtadt (Lange) 1854. 55. (à 4 Thlr.) Dietrich (E. V.), Das Elbthal, oder Panorama der Elbe und ihrer Ufer von Dres⸗ den bis Leitmeritz. 5. verb. Aufl. Mit 1 Karte und 4 Anſichten. XII u. 126 S. Leitmeritz (Medau) 1854. 12. Neu erfchienene geographiſche Werke, Aufſätze, Karten und Pläne. 443 Brandſtätter, Die Weichſel, hiſtoriſch, topographiſch, maleriſch beſchrieben. Lief. 13 — 17. Marienwerder 1854. 55. Lex. 8. (à 4 Thlr.) Berghaus (), Geographiſch-hiſtoriſch⸗ſtatiſtiſches Landbuch der Provinz Branden⸗ burg. 7. — 9. Heft. Brandenburg (Müller) 1855. 4. (4 Thlr.) Album der Schlöffer und Rittergüter im Königreich Sachſen. Herausgegeben von . A. Poenicke. 18. Heft. Leipzig 1854. 55. qu. Fol. (a 1 Thlr.) Weiland (C. F.), Das Herzogthum Naſſau. Weimar (Landes-Induſtrie-Compt.). Imp. Fol. (4 Thlr.) Württembergiſche Jahrbücher für vaterländiſche Geſchichte, Geographie, Statiſtik und Topographie. Jahrg. 1853. 1. Heft. 1854. Stuttgart (Hallberger) 8. (27 Sgr.) Be Trigonometriſche Höhenbeſtimmungen. — Württemberg. Jahrb. 1853 (1854). 234 v. Herrmann (F. B. W.), Beiträge zur Statiſtik des Königreichs Bayern. IV. München (Lit. artiſt. Anſtalt) 1855. gr. Fol. (23 Thlr.) Hall (J. N.), Der Hausberg und ſeine Umgebungen. Salzburg (Oberer) 1854. 48 S. 8. Schmidl (A.), Guide du voyageur dans la grotte d' Adelsberg et les cavernes voi- sines du 22 Trad. par P. E. Obermayer. Vienne (Braumüller) 1855. 16. (12 Sgr. Die Gränzen Oeſterreichs von Cattaro nach Krakau. Landſchaftliches Skizzenbuch und Aufzeichnungen eines vaterländiſchen Reiſenden ꝛc. Wien (Sollinger) 1854. IV und 116 S. 8. Fay (A.), Adatok magyarorszag Bövebb Ismertetésére. (Daten zur vollſtändigen Kenntniß Ungarns). Pesth 1854. 88 S. 8. HBaeufler (J V.), Buda-Peſth, hiſtoriſch-topographiſche Skizzen von Ofen und Peſth und deren Umgebung. Peſth (Emich) 1854. 322 S. 8. Cheever and Headley (J. T.), Travels among Alpine Scenery. With 6 illustr. N y p y J London (J. Blackwood) 1855. 8. (3 S. 6 d.) Lefevre, Deroy et Beaujoint, Eure-et-Loire pittoresque. Vues et monu- ments du département. Chartres 1854. Gregorovius (F.), Wanderings in Corsica: its history and its Heroes. Transl. from the German by A. Muir. 2 vols. London (Hamilton) 1855. 8. (7 S.) Phillips C), The Rivers, Mountains and Sea- Coast of Yorkshire; with essays on the climate, scenery, and ancient inhabitants of the country. 22d edition. With 36 plates. London (Murray) 1855. 316 S. 8. (15 S.) Voͤlter (D.), Das Kaiſerhum Rußland in Europa, Aſien und Amerika. Eine geo— graphiſch⸗ ſtatiſtiſche Skizze. Mit einer Karte des europäiſchen Rußlands im Jahre 1854. Eßlingen 1855. 88 S. 8. Geisler (A.), Geographiſch-ſtatiſtiſche Ueberſicht und Weltſtellung des ruſſiſchen Reichs. Riga (v. Bötticher) 1855. gr. 8. (9 Gr.) Koch, The Crimea and Odessa etc. Translated by Joanna B. Horner. London (Murray) 1855. 323 S. 8. (10 S. 6 d.) Schnitzler, Description de la Crimée. Strasbourg (Berger-Levrault) 1855. gr. 8. (26 Sgr.) Reiſe⸗Erinnerungen aus der Krim. — Archiv f. wiſſenſchaftl. Kunde Rußlands. XIV. 1855. S. 113. Baligot de Beyne, Excursion en Crimée. — Rev. de l’Orient. 1855. p. 131. Abrinzkij, Ausbruch des Schlamm-Vulkans auf der Tamanifchen Halbinſel. — Archiv f. wiſſenſchaftl. Kunde Rußlands. XIV. 1855. S. 68. . Fabi (M.), Corografia d'Italia. Gran dizionario storico -geografico - statistico della cittz, borghi, villaggi, castelli etc. della Peninsola, 3 Voll. Milano (Pagnoni) 1854. gr. 8. 444 W. Koner: Dizionario corografico universale dell' Italia sistematicamente subdiviso seconda l’at- tuale partizione politica d’ogni singolo stato Italiano compilato da parecchi dotti italiani e pubblicato da Civelle G. e C. di Milano. Ducato di Modena (p. 65 — 94 u. LXIV S. Novellara — Zocca). Reame di Napoli. Sicilia al di qua del Faro (S. 441 — 632 u. LXXII - LXXXVIII. Geta — Monte-Casino). Stato Pontiſicio (S. 1— 256. Acetosa — Civita-Vecchia). Veneto (S. 129 — 1024. Caldogno. Vicenza). Stati Sardi di Terra ferma (S. 1131 — 1402 u. I — CXII. Torino [Citià di —] — Voghera). Lombardia (S. 673 — 1008 u. I— XLII. Passo dello Stelvio — Zurli) Schluß. II Trentino (XXXIII - CXII). Toscana (S. 1553 — 1578. Vogognano — Zucca) Schluß. Milano 1854. gr. 8. Curtius (E.), Zur Geſchichte des Wegebaus bei den Griechen. Berlin (Beſſer) 1855. gr. 4. (1 Thlr.) b) Aſien. Huc (M.), The Chinese Empire; forming a sequel to the work entitled: Recol- lections of a journey through Tartary and Thibet. London (Longman) 1855. 2 Vol. 860 S. 8. (24 S.) Putjatin: Ein Beſuch der Ruſſen in Japan. — Archiv f. wiſſenſchaftl. Kunde Ruß⸗ lands. XIV. 1855. ©. 105. Hommaire de Hell, Percement d’un canal entre le lac de Sabandja et le golfe de Nicomedie. — Rev. de l’Orient. 1855. p. 192. Lynch, Expedition to the River Jordan and the Dead Sea. New edit. London (Blackwood) 1855. 8. (3 S. 6 d.) Logan, Ethnology of the Indo-Pacifie Islands. — Journ. of the Indian Archipel. 1854. p. 200. Journal kept on board of a Cruiser in the Indian Archipelago in 1846. — ibid. 1854. p. 175. Fraissinet (E.), Les pirats de Parchipel Indien. — Nouv. Annal. des Voyages. 1855. I. p. 190. Political and commercial considerations relative to the Malayan Peninsula and the British settlements in the Straits of Malacca. — Journ. of the Indian Archipel. 1854. p. 134. 266. Kruseman, Het stelsel van kultuur en handel voor rekening van den staat, ver- geleken met een stelsel van vrijen arbeid en vrijen handel op Java. 's Haye 1854. De Karimon-Eilanden. — Tijdschr. voor Nederlandsch Indie. 1855. p. 146. c) Afrika. Linant, Canalisation de l'ishme de Suez. — Bullet. de la Soc. de Géogr. IV”® Ser. VIII. 1854. p. 398. Trémaux, Note sur le percement de P'isthme de Suez. — ibid. IVue Ser. VIII. 1854. p. 418. Malte- Brun, Notice historique sur la canalisation de l'isthme de Suez, depuis les temps reculés jusqu’& nos jours. — Nouv. Annal. d. Voy. 1855. I. p. 145. Trémaux, Percement de l'isthme de Suez. — Rev. de l’Orient. 1855. p. 125. Taylor (B), Life and landscapes from Egypt. 2d edit. London (Low) 1855. 8. (7 S. 6 d.) Fenzl, Bericht über die von Herrn Dr. C. Reitz auf feiner Reiſe von Chartum nach Gondar in Abyſſinien geſammelten geographiſch-ſtatiſtiſchen Notizen. Wien (Braumüller) 1855. gr. 4. (16 Sgr.) Aucapitaine, Etudes sur le sud de l’Algerie. — Revue de Orient. XIII. 1855. b. 144. Bard (J.), L' Algerie en 1854. Itineraire general de Tunis à Tanger. Paris 1854. Pharaon, D’Alger à Lar'ouat. — Revue de l’Orient. 1855. p. 237. Neu erſchienene geographiſche Werke, Aufſätze, Karten und Pläne. 445 Darſtellung der national=öfonomifchen Zuftände Marokko's mit beſonderer Rückſicht auf den Verkehr mit Oeſterreich. — Wiener Mittheil, aus dem Gebiete der Sta— tiftif. 1854. Heft 6. Burry (L.), De Algeriae incolis eorumque situ, origine et moribus. Berolini 1855. 8. d) Amerika. Welton, Statisties of the United States of America. — Journ. of the Statist. Soc. of London. XVII. 1854. p. 326. Schooleraft (R.), Summary narrative of an exploratory expedition to the sour- ces of the Mississippi River, in 1820; resumed and completed by the disco- very of its origin in Itasca Lake, in 1834. By authority of the United Sta- Ä tes. With appendices. Philadelphia 1854. 600 S. 8. (16 S.) Kanzas and Nebraska. — The North American Review. 1855. Jan. p. 91. Shall Utah be admitted into the Union — Putnam’s Monthly. 1855. p. 225. Cornette, Lettres inedites sur la Nouvelle- Grenade. — Nouv. Annal. d. Voy. 1855. I. p. 156. Pichardo (E.), Geografia de la Isla de Cuba. Publicase bajo los auspicios de la real Junta de Tomento. Havanna 1854. 2 voll. 8. e) Auſtralien. Young, The Southern World: a journal of a deputation from the Wesleyan Conference to Australia and Polynesia, including a visit to the Gold Fields. 2d edit. London (Hamilton) 1855. 456 S. 8. (6 S. 6 d.) Campbell (W.), Crown Lands of Australia. London (Blackwood) 1855. 8. 58. 2 Hargraves (E. H.), Australia and its Gold Fields described. London (Ingram) 1855. 240 S. 8. (5 S.) Australian Keepsake: Scenery in New South Wales. London (Sands) 1855. Ob- long 4. (21 S.) Grey, Polynesian mythology, and ancient traditional history of the New Zealand race, as furnished by their priests and chiefs. London (Murray) 1855. 334 S. 8. (10 S. 6 d) Farmes (S. S.), Tonga, and the Friendly Islands, with a sketch of their mission and history. London (Hamilton) 1855. 427 S. 12. (5 S.) The Hawaian Islands. — Putnam's Monthly. 1855. p. 241. 2) Karten und Pläne. Weiland (C. F.), Bibel-Atlas, nach den neueſten und beſten Hilfsmitteln, gezeich- net und erläutert von C. Ackermann. 3. Ausgabe. Weimar (Landes-Induſtrie⸗ Compt.) 1855. 4. (4 Thlr.) Meyer, Großer und vollftändiger Hand-Atlas. 157 Lieferungen. Hildburghausen (Bibliogr. Inſtit.) gr. Fol. e, Großer und vollſtändiger Kriegs- und Friedens-Atlas. 45 Lieff. Hildburghau⸗ fen (Bibliogr. Inſtit.) gr. Fol. Collection des cartes hydrographiques publiées par le Depöt general de la marine pendant l'année 1854: Nr. 1438. Plan de la baie et du mouillage de Tourane. Nr. 1439 et 1449. Plan de la rade de Cherbourg, 2 feuilles. Nr. 1441. Carte dde la partie septentrionale de Madagascar, de la baie d’Antongil au cap Saint- André. Nr. 1442. Carte de la partie occidentale de Madagascar, du cap Saint- * Vincent au cap Saint-André. Nr. 1443. Plan de Vile et du mouillage de Cod- Roy (cöte sud-ouest de Terre-Neuve). Nr. 1444. Plan du havre des Roches situes ä l'entrée de Bonne - Baie (cöte ouest de Terre-Neuve). Nr. 1445. 446 W. Koner: Neu erſchienene geographiſche Karten und Pläne.“ Plan des havres de Kirpon et de la baie aux Mauves, situés au nord de lle de Terre: Neuve. Nr. 1446. Carte des cötes de lle de Terre-Neuve, partie orientale, du cap Saint-Jean au cap Bonavista. Nr. 1447. Carte partieuliere des cötes d’Italie (granduché de Toscane), partie comprenant les les Pianosa et Monte-Christo. Nr. 1448. Plan de l'ile Pianosa. Nr. 1449. Plan de V’ile Monte-Christo. Nr. 1450. Plan du port de Leven (cöte N.-E de Madagas- car). Nr. 1451. Plan de la baie de Passandava (cöte N. E. de Madagascar). Nr. 1452. Plan du mouillage de Bararata, situé dans la baie de Passandava. Nr. 1453. Carte particulitre de la cöte nord de Terre-Neuve. Nr. 1454. Carte particulière des cötes d'Italie (grand duché de Toscane), partie compre- nant le mont Argentaro et les iles Giglio et Giannutri. Nr. 1455. Carte par- tieuliere des cötes d’Italie; partie occidentale de V’ile d’Elbe et ile Pianosa. Nr. 1456. 1457. Cartes de la partie septentrionale et meridionale de l’Archi- pel. Nr. 1458. Carte partieuliöre des cötes d’Italie; canal de Piombino. Nr. 1459. Carte partie. des cötes d’Italie, comprenant le mont Argentario, ile de Giannutri et la partie occidentale des Etats Romains. Nr. 1460. Carte partie. des cötes d’Italie, partie comprise entre Montalto et la tour Linaro. Nr. 1461. Plan de Vile Capraja. Nr. 1462. Plan de l'ile de Giglio. Nr 1463. Plan de Vile de Giannutri. Nr. 1464. Carte de l’Ocean Atlantique arctique. Nr. 1465, Carte de l'Océan Atlantique septentrional. Nr. 1466. Carte de l'Océan At- lantique méridional. Nr. 1467. Reconnaissance hydrograph. de la cöte orientale de Corée et d'une partie de la Tartarie chinoise. Nr. 1468. Plan du golf d’Anville (cöte de Tartarie). Bonnet (C.), Mappa geographico da Provincia do Alemtejo e do Reino do Al- garve (Portugal). Reduzido do grande mappa fetio pelo mesmo Engenheiro e que serva de base aos trabalhos geologicos. Lisboa 1851. Lang (H.), Wandkarte von Deutſchland für Schulen. 2. Aufl. Nürnberg (Beyer: lein) 1855. 6 Bl gr. Fol. (1 Thlr.) Haeberlin, Special-Karte der Eiſenbahnen Deutſchlands und der angrenzenden Län— der. Braunſchweig (Ramdohr) 1855. Imp. Fol. (4 Thlr.) Schmidt (J M. F.), Poſt⸗Karte von Deutſchland und den angrenzenden Ländern. Berlin (Schropp u. Co.). 4 Bl. gr. Fol. (2 Thlr.) v. Reden (F. W.) und v. Sydow (E.), Eiſenbahn-Karte von Deutſchland und den angrenzenden Ländern. Berlin (Schropp u. Co.). gr. Fol. (3 Thlr.) Weiland (C. F.), General-Karte von dem Preußiſchen Staate. Weimar (Landes⸗ Induſtrie-Compt.). 2 Bl. Imp. Fol. (à 3 Thlr.) Wolff (C. 0 Höhen: Karte vom Kyffhaͤuſer-Gebirge. Berlin (Schropp u. Co.). r. Fol. (2 Thlr.) Großer topographiſcher Atlas von Bayern in 100 Blättern. Sect.: Speyer. Muͤn⸗ chen (Mey u. Widmayer) 1855. Imp. Fol. (1 Thlr. 114 Gr.) Plan der Umgebung der K. Haupt- und Reſidenzſtadt München. München (Mey u. Widmayer) 1855. 2 Bl. Imp. Fol. (3 Thlr.) v. Boſe, Special-Karte der Umgegend von Dresden nebſt einem Orientirungs-Orts⸗ verzeichniß. Dresden (Meyſel). Fol. in 8.-Carton. (4 Thlr.) Viquesnel (), Carte de la Thrace, d'une partie de la Macédoine et de la Moesie. Paris 1854. 1 Bl. Brun-Rollet, Esquisse d’une carte des pays compris dans la region du Nil Blanc, dessinde d'après la carte de M. d’Arnaud et autres cartes recentes. 1 feuille. Paris 1854. Eiſenbahn⸗, Poſt- und Canal-Karte für Neifende in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika, Canada ꝛc. Bamberg (Buchner). In 8.- Carton. (12 Sgr., mit Tert 18 Sgr., auf Leinw. 1 Thlr. 2 Sgr.) Discoveries in the Arctic Sca up to 1854. Published according to Act of Parlia- ment at the Hydrographic Office at the Admirality. London 1855. 1 Bl. Fol. BE W. Koner. Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. 447 Sitzung der Berliner Geſellſchaft für Erdkunde am 3. März 1855. Herr H. Roſe ſetzte ſeine Mittheilungen über die Metallproduction auf der Erde fort, und gab zuerſt nach dem früher erwähnten Werke von Whit- ney folgende Ueberſicht der Production in den einzelnen Ländern: Ver- einigte Staaten von Nordamerika 100, Großbritannien ohne Colonien 120,5, Aruſtralien 49,4, Mexico 38,2, Rußland 31,6, Frankreich 19,1, Chili 16,5, das übrige Südamerika 20,3, Oeſterreich 14,7, Preußen 12,1, Belgien 11,8, Spanien 10,0, Skandinavien 6,8, Sachſen 1,8, Hannover und Braunſchweig 1,4, Italien 1,0 und die Schweiz 0,5. In Betreff der Eiſenproduction be— merkte der Vortragende, daß nach dem Werthe des gewonnenen Metalles fol— gende Reihe der Länder ſtattfindet: England, vereinigte Staaten, Frankreich, Belgien, Oeſterreich, Rußland, Skandinavien, Preußen, das übrige Deutſch— land, Spanien, Italien und die Schweiz. Dann beſprach der Redner das Zink und bemerkte, daß man dieſes Metall jetzt hauptſächlich aus dem Gal— mei gewinnt. In den Vereinigten Staaten, und zwar in New-Jerſey, findet man zwar reines Zinkoryd, allein man benutzt daſſelbe mehr zur Bereitung von Zinkweiß, dem Vertreter des Bleiweißes, als zur Herſtellung von reinem Zink. Bei der größten Fertigkeit in der Bereitung ſteht Preußen im Pro— ductionsquantum allen Ländern voran mit 58,2 Procent, es folgt Belgien mit 27,3, Rußland mit 7,3, Oeſterreich mit 2,7, die vereinigten Staaten mit 2,7 und Großbritannien mit 1,8 Procent. — Herr Ritter zeigte im Hinblick auf die weiterhin angeführte Karte des Herrn v. Sydow deſſen forgfältigere Dar— ſtellung des großen Tieflandes in der Mitte von Europa und Aſien, wovon wieder die tiefſten Punkte der caspiſche und Aralſee ſind. An Hypotheſen zur 4 Erklärung dieſer Erſcheinung hat es von früh an nicht gefehlt, allein erſt nachdem in der neueren Zeit Grewingk in ſeinem Werke: „Geographiſche und orographiſche Verhältniſſe von Nord-Perſien, Petersburg 1853,“ über die Höhen der dieſe beiden Seen umgebenden Berggipfel beſtimmte Auskunft er— theilt hatte, konnte eine wahrfcheinliche Erklärung dieſer Erſcheinung gegeben werden. Der Vortragende erwähnte die von Arago (de Humboldt, Asie Centrale) gegebene Erklärung, wonach die Vertiefung als eine Folge der noch heute wirkenden telluriſchen Kräfte angeſehen werden muß, welche in der Umgebung beider Gewäfler die Erdrinde bedeutend gehoben haben, in deren Folge daneben jene Einſenkung entſtanden iſt. — Herr v. Klöden d. J. hielt einen Vortrag über den Namen des Weißen Nils und denjenigen 8 uß, welchem dieſe Benennung zukommt. Indem er erwähnte, daß dieſer Name bereits länger als 400 Jahre dort üblich geweſen ſei, ſuchte er nach den namentlich angeführten Reiſenden und Geſchichtsſchreibern zu zeigen, wel⸗ en Lauf der ſo benannte Fluß habe. — Zum Schluſſe machte Herr Ritter 2 448 Sitzungsbericht der Berliner geographiſchen Geſellſchaft. einige Mittheilungen nach einem Briefe, welchen er von dem gegenwärtig in Nord-Amerika befindlichen bekannten Reiſenden Herrn Kohl erhalten hat. (Der Inhalt des Briefes wird in dem nächſten Hefte der Zeitſchrift ent⸗ halten ſein). — Als Geſchenke für die Bibliothek der Geſellſchaft gingen ein: 1) v. Sydow, Wandkarte von Aſien, vom Verleger Herrn Juſtus Perthes in Gotha, mit einem Begleitſchreiben; 2) Begleitworte zum Wand-Atlas über alle Theile der Erde von E. v. Sydow, Gotha, von demſelben Geber; 3) Lettre sur les antiquites de l’Asie mineure, adressée a M. Mohl par P. de Tehichatchef. Paris 1854, vom Verfaſſer; 4) Zur Geſchichte des Wegebaues bei den Griechen. Ein Beitrag zur Alterthumswiſſenſchaft von Ernſt Curtius. Berlin 1855, vom Verfaſſer. Dieſes Werk iſt ein Ergebniß des 5 jährigen Aufenthalts des letzten in Griechenland, und es bemerkte Herr Ritter, welcher den Verfaſſer auf einem Theile ſeiner Wanderungen begleitet hat, daß dieſer auch aus der Auffindung der Reſte von Tempeln auf die Richtung der alten gebahnten, oft in den Boden eingehenden Wege zurückge— ſchloſſen habe. 5) Höhen-Karte vom Kyffhäuſer-Gebirge von C. R. Wolff. Berlin bei Simon Schropp und Co. 1855, von den Verlegern; 6) De Al- geriae incolis eorumque situ, origine et moribus. Scripsit Leop. Buvry, Berolini 1855, vom Verfaſſer; 7) Carte de la Thrace, d'une partie de la Macedoine et de la Moesie. Par Mr. A. Viquesnel. Paris 1854. Herr Kiepert, welcher dieſes Geſchenk übergab, beſprach zugleich die bedeutend erweiterte Kenntniß des dargeſtellten Landes, welche man der Reife des Ver⸗ faſſers verdankt, und machte dieſe namentlich dadurch anſchaulich, daß er zwei Exemplare ſeiner eigenen Karte der europäiſchen Türkei vorlegte, von denen das eine nach den bis zum Jahre 1848 vorhandenen noch mangelhaften, das andere nach den bis zum Jahre 1852 durch Herrn Viquesnel bedeutend erweiterten Kenntniſſen eine Darſtellung des Rhodope-Gebirges enthielt. 8) Jutzſchmann's Atlas zur Geſchichte der ſächſiſchen Länder ꝛc. Dresden 1854, Geſchenk des Herrn Archivrathes Dr. Märker. Im Verlage von GEORG REIMER in Berlin erschien: Die norddeutsche Ebene insbesondere zwischen Elbe und Weichsel geologisch dargestellt von H. Girard, Phil. Dr., ord. Professor der Mineralogie in Halle. Nebst einer geologischen Harte der Gegend zwischen Magdeburg und ' Frankfurt a. O. und zwei Tafeln Profilen. Geh. 1 Thlr. 25 Sgr. Beitrag medizinischen Topographie ö von Jerusalem. Von Dr. Titus Tobler. Geh. 10 Sgr. Archiv für wis senschaftliche Kunde von Russland. Herausgegeben von A. Erman. g 14r Band in 4 Heften. 5 Thlr. 10 Sgr. ü Pr Alle bisher erschienenen Bände sind noch vollständig zu haben, i 1 ee Verlag von DIETRICH REIMER in Berlin. e DOVE, H. W., Die Verbreitung der Wärme auf der Oberfläche der Erde. Erläutert et Isothermen, thermische Isanomalen und Temperaturcurven. Mit 7 Karten und 2 Tea Cart. 1852. 4 a Er 85 So eben erscheint: DOVE, H. W., Die Verbreitung der ar aan: Heng näre ; innerhalb des 40. Breitengrades: “Mit 2 Kartön ! I) Kurte der Nord- polarländer, 2) Karte der Nördlichen ‚Hemisphäre; entworfen Be zeichnet von Dr, H. Sieker, Hoch 45 Cart, 9 1 Thlr. 10 g grades nd Karte der Nordpolarländer. 2 Bl. Color. In Mappe . 1 8 1 Thlr. 10 Sgr. 5 Einzeln: Fe: Karte, der Nördlichen u Benisptäre, 25 8 ‚ Karte‘ der Nordpölarfänder. de ET 25 Sgr. Be 23 kind” dies dieselben Karten, die auen 103 mi 5 595 b. Wärme in der Nördlichen Hemisphäre innerhalb des 40, ft grades gehören, von denen sie sich nur dadurch unterscheiden, dafs ie pol tischen Grenzen colorirt, dagegen die blauen und rothen Isothermenlinien f Januar und für Juli fortgelassen sind. Im Verlage von Dietrich Heimer in Berlin. ift ſo eben erſchienen: Schauenburg, Dr. E., Flußkarte von Europa, auf Wachs 8 papier N 6 e Blätter nebſt 1 au, Tert f 5 uor. 8 1 Preis 4 Thlr. Dieſ elbe auf Aged e e zwischen Rollen zum Auf 1 hängen. Preis 6 Thlr. 10 Sgr. und 20 Sgr. pr. Emballage. — — Flußkarte von i und Mittel⸗ Europa, auf Wachspapier gedruckt, 6 große DIEBE, Suhl. 1 Bogen Text. Preis 4 Thlr. Dieſelbe auf Leinwand aufgezogen, zwiſchen Rollen zum Auf- A hängen. Preis 6 Thlr. 10 Sgr. und 20 Sgr. pr. Emballage, * 4 Dieſe Karten, welche nur das Flußnetz der betreffenden Länder ent⸗ halten, ſind mit blauer Oelfarbe auf ſchwarzes Wachspapier gedruckt und können nach Art der gewöhnlichen Schulwandtafeln mit weißer Kreide und Schwamm zu Zeichnungen des Lehrers und der Schüler beim geographi⸗ 4 ſchen und geſchichtlichen Unterricht benutzt werden. — Der Stoff und Druck beſitzen die nöthige Dauerhaftigkeit, um Jahre lang keine nachtbeitige, Wirkung zu erleiden, jo daß alſo die Karte beim Unterricht als paſſende Grundlage für geographiſche Zeichnungen dient, und daß nach jedesmaligem Gebrauche durch bloßes Abwiſchen mit einem naſſen Schwamm das hydro⸗ graphiſche Netz des Landes unverfehrt und friſch wieder erſcheint. — Die mannigfache Anwen keit dieſer neuen Art von Wandkarten für verſchiedene Zwecke des geographif en und geſchichtlichen Unterrichts hat der Verfaſſer in den zu den Karten gehörenden Arien auf Beide: 1 Bi wird, näher auseinandergeſetzt. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtr. 18. 1 Bit der ee für Sie zu Berlin und unter beſonderer en von in Welt N A. Petermann in Gotha und 3 € wies in . 5 a von Dr. T. E. Gumprecht. Vierter Band. Sechstes Heft. Beelin. e werte van Dietrich Reimer. Inhalt. L. v. Orlich: Die neueften 1 des 2 5 ab unter britiſcher Herrſchaft. (Zweiter Artikel.) „ ER Neuere Literatur. H. Lange und Gumprecht: Reiſe um die Welt von Weſten nach Oſten durch Sibirien und das ſtille und atlantifche Meer. Mit einem Titel⸗ blatte und einer Karte. Aſchaffenburg (bei Krebs) 1854. 8. 136 S. Neuere Kartographie. H. Kiepert: Ueberſichtskarte des Großherzogthums Baden nebſt Theilen der angrenzenden Länder, bearbeitet in 6 Blättern (von 15% 15’, Maßſtab von 1: 200000) von der RR es des ask herzoglichen Generalſtabs. * Briefliche Mittheilungen. Aus einem Schreiben von Herrn J. G. Kohl an C. Ritter. New: Mork, 20. November 1854 I Miscellen. Gumprecht: Die Verwendung der Zwergpalme in Algerien. C. Ritter und H. Kiepert: Die Karavanenſtraße vom Nil zum arabi⸗ ſchen Meerbuſen (von Keneh nach Koßeir) in Ober: e nn ben von Ed. Gottberg. (Hierzu eine Karte) Von dieſer Zeitſchrift erſcheint jeden Monat ein Heft von 4 Seite 40 481 497 499 505 507 bis 5 Bogen mit Karten und Abbildungen. Der Preis eines Bandes von 6 Heften, welche nicht getrennt abgegeben werden, iſt 2 Thlr. 20 Sgr. XVII. Die neueſten Zuſtaͤnde des Peng’ab unter briti— ſcher Herrſchaft. Zweiter Artikel. nd u So war der Zuftand und die Verfaſſung des Landes, welches laut der Proclamation des General-Gouverneurs im März 1849 dem britiſchen Reiche in Indien einverleibt wurde. Zuerſt wurde in einem Präſidenten und zwei Mitgliedern eine obere Verwaltungsbehörde ein- geſetzt, unter welcher als erecutiver Stab: Commiſſionaire, Deputy \ Commissioners, Assistant Commissioners und extra Assistant Com- missioners mit der Criminal», der Civil- und fiscalifchen Gewalt : bekleidet, die Verwaltung übernahmen; hierbei wurde beſonders berück— 1 ſichtigt, daß die niederen Grade durch Eingeborene beſetzt werden ſoll— ten. Mit dieſen Würden wurden 84 erfahrene Männer aus dem Ci— vil⸗ und Militairſtande bekleidet, welche, nach Lahore berufen, dort mit ihrem Wirkungskreiſe bekannt gemacht wurden und ſofort in die ihnen überwieſenen Diſtricte abgingen ). Jeder dieſer Beamten mußte den ihm anvertrauten Landestheil bereiſen, eine Polizei organiſiren, von den e 5 ) Die Commiſſionaire mit einem monatlichen Gehalt von 280 Liv. St. find die Superintendanten der Revenuen und der Polizei, in Civilſachen kann an dieſelben appel⸗ lirt werden, und in Criminalſachen beſitzen fie die Gewalt eines präfivivenden Richters. Die Deputy Commissioners, mit einem monatlichen Gehalt von 100 bis 160 L., find Magiſtrate und Einnehmer der Revenuen und können alle Klagen, die nicht 100 L. (1000 Rupien) überfteigen, entſcheiden. Die Assistant Commissioners, mit 50 bis 70 L. Gehalt monatlich, ſind deren Beiſtand, und üben die Gewalt aus, je nachdem Bähigteit und Erfahrung fie dazu berechtigt. Die extra Assistant Commissioners, mit 2 bis 50 L. monatlichem Gehalt, find Eingeborene, welche die untergeordneten Ge- A ſchäſte beſorgen und die kleinen Streitigkeiten entſcheiden. v. O. SZ3Zieeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 29 450 L. Orlich: Forts und öffentlichen Gebäuden Beſitz nehmen, und da die Erndte bereits in den Feldern zur Reife gediehen war, die Einſammlung der Frühjahrs-Revenue einleiten. Nächftvem wurde eine Proclamation überall angeſchlagen, welche die Ablieferung der Waffen und jedweder Kriegsmunition auf's Strengſte befahl. Die Reſte der Sikhs-Armee verſammelten ſich zu Lahore, erhielten ihren rückſtändigen Sold, und wurden, je nachdem die Gerechtigkeit es gebot, mit Penſion in die Hei— math entlaſſen; die Ruhe und Ordnung, mit welcher man dieſe ſtrenge Maßregel in Ausführung brachte, war beſonders merkwürdig. Die beſten der entlaſſenen Sikhs-Truppen nahm die Regierung in ihren Dienſt; wobei jedoch als Norm feſtgeſetzt wurde, daß bei Bildung der neuen Regimenter zu einem aus 588 Pferden beſtehenden Cavallerie-Regi— ment nicht mehr, als 100 Sikhs, und zu einem Infanterie-Regiment mit 4 europäiſchen und 16 eingeborenen Offizieren, 96 Unteroffizieren und 800 Gemeinen nicht mehr, als 200 Sikhs angeworben werden ſollten. Es wurden ſofort 5 Cavallerie-Regimenter, 5 Infanterie-Re— gimenter, 3 Batterien reitender Artillerie und 2 Compagnien Sappeure und Mineure errichtet. Zugleich errichtete man ein Kameel-Corps in Dera Ismael Khan, das ſo vortrefflich geordnet iſt, daß ein Regiment nach den dortigen offenen und wüſten Ebenen an der Grenze nach Verlauf einer Stunde in einem Tage 60 Meilen weit geſandt werden kann. Außerdem wurde ein Guide-Corps, 840 Mann ſtark, errichtet, worin ſich beinahe aus jedem der kriegeriſchen Stämme Indiens Leute befinden; Gewandtheit, Ausdauer, Muth und ein ſchlaues Weſen, mit ſoldatiſchem Geiſte verbunden, ſind die dieſe Truppe auszeichnenden Eigenſchaften; weshalb ſie auch beſſer bezahlt werden. Mit Bildung dieſer neuen, im Ganzen beinahe 12,000 Mann ſtarken Militairmacht ging die Errichtung einer bewaffneten Polizei zu Fuß und zu Pferde Hand in Hand. Die eigentliche Verwaltung des Landes kam nun in Ausübung, Civil- und Criminalhöfe wurden ge— bildet, dem Rechte verſchaffte man Achtung und die Sicherheit der Perſonen und des Eigenthums erhob ſich, wobei freilich im Laufe des erſten Jahres nicht weniger, als 8000 Verbrecher in's Gefängniß ge— ſetzt werden mußten. Bei Feſtſtellung der Land-Revenuen führte man ein neues Auflage- und Zoll-Syſtem ein, und die vielen fremden Münzen, deren Werth unbeſtimmt war, wurden nach und nach einge— — — Die neueſten Zuſtände des Peng'äb. 451 zogen; beinahe 50 Lack Rupien an Werth erhielt die Münze in Cal— ceutta zum Umprägen. Es ſei uns vergönnt, in die einzelnen Zweige der Verwaltung einzugehen, wodurch am beſten einſichtlich ſein wird, wie die ſchlum— . mernden Kräfte eines unciviliſirten Volkes und eines verwahrloſten N Landes der Civiliſation und Cultur zugeführt werden. Die Einrichtung der Criminal-Juſtiz und der Polizei als der nothwendigſten Maßregeln, das Verbrechen zu verhindern, zu ent— decken und den Verbrecher der gerechten Strafe zu übergeben, war nächſt der Militair⸗Verfaſſung der weſentlichſte Act der Thätigkeit der Regierung. „ Es wurde eine Sicherheits-Polizei mit einer militairiſchen, und eine Ent— deckungs⸗Polizei mit einer Civil-Verfaſſung gebildet; erſte beſteht aus N 6 Regimentern zu Fuß, 7,100 Mann ſtark, und 27 Schwadronen zu Pferde (2700 Mann), letzte bilden die Stadt-Wächter und die Con— ſtabler auf dem Lande, welche die Bewohner ſelbſt bezahlen müſſen. Das Peng'äb iſt in 228 Polizei-Diſtricte getheilt, in deren jedem ein f Offizier mit ein oder zwei Aſſiſtenten und gegen 30 Mann ſtationirt * ſind, und dieſe Civil-Polizei umfaßt ein Corps von 6,900 Mann aller Grade. Zur Controlle dieſes wichtigen Verwaltungszweiges bedient ſich die Regierung der Tehſildars, d. h. der Eingeborenen, welche mit Einziehung der Revenuen vom Lande beauftragt ſind. Daher iſt jeder Tehſildar im Umfange feines Diſtricts mit polizeilicher Gewalt beklei— det; die Polizeibeamten müſſen ſich ſeinen Anordnungen fügen, doch hat er nicht das Recht, dieſelben abzuſetzen; er muß zur Thätigkeit anre— 8 gen, wenn ſich Vernachlaͤſſigung zeigt, und Beſtechung verhuͤten; er iſt für deren Treue verantwortlich und auch dafür, daß keine Bedrückungen ſtattfinden. Zu dieſem Zwecke ſind Beſtimmungen feſtgeſetzt, die den polizeilichen Einfluß des Tehſildars genau beſtimmen, damit ſeine fis— caliſchen und richterlichen Pflichten nicht darunter leiden. Die Polizei— und Revenuen-Gerichtsbezirke ſind deshalb ſo eingetheilt, daß zwei oder mehrere Polizei-Bezirke unter einem Tehſildar ſtehen, indem nur 75 Fiscal⸗Bezirke vorhanden find. Andere Einrichtungen haben in Peſhawür ftattfinden müffen, wie ſolche dieſem Thale am beſten anpaſſen. In dieſem Diſtrict ſind alle Straßen fo angelegt, daß fie in Radien von der Stadt Peſhawür aus- 5 ehen und an geeigneten Punkten von befeſtigten Polizeipoſten beſetzt 29 * 452 L. v. Orlich: 1 find; desgleichen iſt eine Poſtenlinie im Umkreiſe am Fuße des Ge— birges errichtet. Unmittelbar außerhalb des Centrums befindet ſich eine Poſtenlinie zum Schutze der Vorſtädte der Stadt Peſhawür und der Cantonnements, und der früher von tiefen Schluchten und Höhlen durchzogene Boden, wo Räuber und Mörder ſich aufhielten, iſt geebnet und in eine überſichtliche Fläche umgeſchaffen worden. Die eine pa— triarchaliſche Gewalt ausübenden Häuptlinge der Stämme und der Dörfer ſind nicht allein für ihre Leute verantwortlich, ſondern auch für alle Diejenigen, die ſich in ihrem Bezirke gaſtlich oder reiſend aufhal— ten. Niemandem iſt erlaubt, zwiſchen Sonnenuntergang und Sonnen— aufgang außerhalb der Dörfer umher zu wandern, und alle Perſonen, die nicht als Tagelöhner oder als dem Lager angehörig verzeichnet ſind und ſich innerhalb der Cantonnements aufhalten, werden beſtraft; be— ſonders ſtreng werden Bewaffnete beaufſichtigt. Reiſende müſſen ihre Waffen bei dem Polizeipoſten des Defilèes abgeben, worauf ihnen die— ſelben bei der Rückkehr wieder ausgehändigt werden. Als die wichtigſte Klaſſe der Polizei erſcheint diejenige, welche die Verbindung zwiſchen dem Volke und der executiven Behörde bildet und von jenem ſelbſt beſoldet wird. Die Stadtwächter nehmen die erſte Stelle ein; man bezahlt ſie aus einer von allen durch den Ort gehen— den Handelsartikeln (beſonders von Lurusgegenftänden) erhobenen Ab— gabe, denn die Haustaxe, die ſich in der Theorie als die geeignetſte zeigte, iſt verworfen, und an ihrer Stelle ſind Thorabgaben, welche ſich durch die Praxis als weniger drückend bewährten, eingeführt worden. So giebt Lahore einen jährlichen Ertrag von 2 Lacks und das geſchäfts— reiche Umritſir ſelbſt 4 Lacks Rupien). Was die Stadtwächter in den größeren Orten, das find die Land-Conſtabler in den Dörfern. Ihren Wirkungskreis mit den Inſtitutionen des Dorflebens in Einklang zu bringen, ihre Exiſtenz dem Volke als etwas Nothwendiges begreiflich 1) Es gab früher vorzüglich drei Steuern: 1) den Dhurut, eine Taxe, die der Kaufmann von dem auf den Markt der Städte und großen Dörfer geführten Korne bezahlt, und die ſich auf 1 Procent des Marktpreiſes beläuft; 2) die Wäͤzuküſhie oder Gewichtstare; dieſe wird ohne Unterſchied von allem zur Wage gebrachten Korne er⸗ hoben und betragt 2 Procent; 3) den Chungie, welcher von allen Kaufmannswaaren erhoben wird, gleichviel, ob ſie durch den Ort gehen oder auf dem Markte zum Ver⸗ kauf kommen. Die beiden letzten Taxen ſind beibehalten, die erſte iſt abgeſchafft worden. wi Die neueſten Zuſtände des Peng'äb. 453 * zu machen, iſt deshalb ſo wichtig, weil die Bewohner in Bezug auf dieſe Ueberwachungen ſehr empfindlich und eiferſüchtig ſind. Die Land— Conſtabler erhalten wenigſtens 3 Rupien monatlich oder ein Stück Land, deſſen Ertrag die Höhe dieſer Summe erreicht. Mit Hilfe dieſer Po— lizeibeamten erfolgte bald die Entwaffnung des Landes, und beinahe 120,000 Stück aller Waffen wurden nach und nach an die Depöts abgeliefert. Eine Klaſſe von Eingeborenen, welche die Regierung zur Auf— ſuchung von Verbrechern benutzt, verdient noch Erwähnung. Es ſind dies die ſogenannten Spürer, Leute, die mit allen Gewohnheiten, Schlupfwinkeln, Kunſtgriffen und Verbindungen der beiden vorherr— ſchenden Verbrecher Indiens, der Däcoitie und Thüggie, bekannt ſind oder die Gaben beſitzen, ſolche auszufpüren. Die Däcoitie find eine militairiſch geordnete, aus Stadt- und Landbewohnern beſtehende r * WE de * Räuberbande, deren Verwegenheit ſo groß iſt, daß ſie in ſtarken Trupps ganze Ortſchaften ausplündern und ſelbſt bei Tagesanbruch die Häuſer der Reichen angreifen. Die großen Landſtraßen werden oft von ihnen unſicher gemacht, und, wenn der Raub vollbracht iſt, wobei meiſt Mord— ; thaten vorfallen, begiebt ſich Jeder der Bande wieder in feine Heimath. Das Thüggieweſen müſſen wir als bekannt vorausſetzen; aber man hatte bisher geglaubt, daß ſeine ſcheußlichen Verbrechen ſich nicht über den Set— lletj erſtrecken. Die Peng'äb-Thüggs gehören ausſchließlich der niedrigſten Klaſſe der Sikhs an und beſitzen nicht die ſchlauen und hinterliſtigen Eigenſchaften der eigentlichen Thüggs, ſondern ſind mehr kühne und verzweifelte Straßenräuber. In Bezug auf Verfolgung und Beſtrafung der Verbrecher ſind die Prinzipien des Criminalgeſetzes der Art, wie ſie in weiſer Berück— ſichtigung der Gemuͤths- und Körper-Beſchaffenheit des Volkes ans wendbar ſind; Verbrechen, welche keine große Verderbtheit bekunden, nicht zerſtörend auf die menſchliche Geſellſchaft einwirken und von dem 5 Volke als verzeihlich angeſehen werden, ſind mit ungewöhnlicher Nach— ſicht behandelt worden. Dagegen verfolgten die Behörden alle zerſtörend auf die Moralität und Geſellſchaft wirkende und von dem Volke mit Abſcheu angeſehene Verbrechen mit unerbittlicher Strenge; desgleichen beſtrafte man ruͤckſichtslos alle dem öffentlichen Wohle und der Ordnung Hohn ſprechende Verbrechen. Das Däcoitieweſen iſt im Peng'äb ein dr 7 * e an at 454 L. v. Orlich: nationales Verbrechen; es iſt mit geſchichtlichen Erinnerungen verbunden und nicht ohne Tugenden, wenngleich von ſehr roher Natur, die ſelbſt in civiliſirten Ländern dem Verbrecher Theilnahme erwecken würden. In den Tagen, als ſich die Sikhs zur Macht erhoben, waren die Däcoitie die Condottieri des nördlichen Indiens; der größte Häuptling war der ärgfte Bandit, und derjenige, der heute als Räuber auftrat, konnte morgen Führer einer Armee ſein. Unter dieſen Umſtänden und da gleich nach der Beſitznahme des Peng'äb namentlich Umritſir und deſſen Umgegend von Däcoitiebanden heimgeſucht wurden, hielten die Behörden es für geboten, gegen die Verbrecher, beſonders wenn Mord oder gefährliche Verwundung ſtattgefunden hatte, die ganze Strenge des Geſetzes ein— treten zu laſſen, und alle Führer ſolcher Räuberhorden wurden mit dem Tode beſtraft. Ein ſolches Verfahren hat die beſten Reſultate gegeben, denn das Däcoitieweſen gehört im Peng'äb nur noch zu den ſeltenen Verbrechen und auch die Straßenräuberei hat in Folge der polizeilichen Anordnungen beinahe ganz nachgelaſſen. Mord und Todtſchlag, welche mehrfach unter den Indiern aus Neid oder Rachſucht ſtattfinden, ſind Verbrechen, die eigentlich nur an der Grenze ſich ereignen und von jenen wilden Muſelmännern verübt werden, die jeder Ordnung Hohn ſprechen. Streitigkeiten wegen Ländereien oder anderem Beſitze, die ſich mehrfach in anderen Theilen Indiens, wo eingeborene Fürſten noch die Herrſchaft ausüben, ereignen und in blutige Kämpfe ausarten, kommen im Peng'äb nicht mehr vor. Dagegen iſt es tief zu beklagen, daß das Peng’äb von dem fo manche der edelſten Stämme in Ober— Indien entwürdigenden Verbrechen des Kindermordes nicht ganz freizu— ſprechen iſt, einem Verbrechen, das ſonſt mit dem Rajput-Namen eng verbunden iſt, deſſen Ausübung die Najputen des Peng'äb aber vergeſſen haben. Dieſe abſcheuliche Auszeichnung iſt hier vielmehr den Bedies oder der Prieſterkaſte der Sikhs eigen, mit denen einige muſelmänniſche Secten und Abzweigungen der Khüttrie-Kaſte die Schande theilen. Angeborener Stolz und widerſinnige Begriffe von Heiligkeit verbieten den Bedies, Verbindungen ihrer Töchter mit anderen Stämmen einzu— gehen, daher ſie einem frühen Tode geopfert werden; wogegen die Raj— puten von Hindoſtan und Central-Indien ihre Töchter ermorden, weil ſie ihnen die gebräuchliche Ausſtattung und Hochzeits-Feſtlichkeiten nicht geben können. In dieſem Falle kann der Antrieb zu dem Verbrechen vg . * > Die neueſten Zuſtände des Veng’äb. 455 durch Lurusgeſetze vernichtet werden, wie ſolche bereits in den Nord— weſt⸗ Provinzen in's Werk geſetzt und vom Volke beifällig aufgenommen worden find; aber ſo ſchwierig es iſt, ein Geſetz aufzufinden, wodurch der unbarmherzige Stolz der Geburt, der Stellung und die eingebildete J Heiligkeit gedemüthigt werden, ſo hat die Regierung doch den Ent— ſchluß gefaßt, den geſunden Sinn des Volkes dagegen zu erwecken. Es hofft die Gründe des Verbrechens dadurch zu zerſtören, daß es deſſen Ausübung nutzlos und widerlich macht, indem es auf die Mo— ralität der Betheiligten wirkt und deſſen ganze Scheußlichkeit dem Volke recht augenſcheinlich darſtellt. Der Diebſtahl hat im Peng'äb außerordentlich nachgelaſſen, was außer den ſtreng polizeilichen Bewachungen auch darin ſeinen Grund hat, daß ſeit den letzten Jahren alle Lebensbedürfniſſe billiger beſchafft werden konnten, als es früher je möglich war, und daß die vielen öffentlichen Werke Jedermann die Gelegenheit geben, ſich ſeinen Unter— halt zu verdienen. Viehdiebſtahl und nächtlicher Einbruch ſind mannig— fach vorgekommen; weil jedoch der erſte in einigen Gegenden als etwas Erlaubtes angeſehen wird, jo hat man die ganze Strenge des Geſetzes nicht für zweckmäßig erachtet und den Verbrecher meiſt mit körperlicher Züchtigung beſtraft. Dagegen ereignet ſich Kindesraub noch hin und wieder; denn häusliche Sclaverei herrſchte im Peng'äb und die Kinder beider Geſchlechter, beſonders Mädchen, wurden öffentlich gekauft und verkauft. Dies Verbrechen iſt mit 10 bis 15 Jahren Gefängniß be— ſtraft worden. 8 Eine merkwürdige Erſcheinung im Sittenleben der Eingeborenen iſt es, daß Ehebruch, den alte Ueberlieferung nur durch Tod oder Verſtümmelung zu rächen weiß, ſo häufig vorkommt, und es iſt viel— leicht kein Land in der Welt, in welchem das weibliche Geſchlecht ſo verderbt und der Untreue ergeben iſt, als im Peng'äb. Da der belei— digte Theil unter der früheren Herrſchaft jedes Geſetz haßte, das ihm nicht geſtattete, den Ehebrecher durch Mord zu beſtrafen, ſo hat man ſich dahin beſtrebt, ſolche Wege aufzufinden, welche der Sittlich— keit Achtung verſchaffen und dem Ehebruch Einhalt thun. Man ent— alt ſich gänzlich der Einmiſchung, wo der Ehebruch offen zu Tage liegt; wo dagegen Verführung die Urſache iſt, werden die ſchuldigen Theile vor Gericht gebracht und auf's Strengſte beſtraft. Verheirathete A vr Se 456 L. v. Orlich: Frauen oder eigentlich verheirathete Kinder, die ſich noch nicht im Alter der Mannbarkeit befinden, werden, wenn ſie ihren Gatten entflohen ſind, dem elterlichen Hauſe oder den Verwandten zurückgegeben; aber wenn der Ehebruch feſtgeſtellt werden kann, ſo ſteht es dem beleidigten Theile frei, die Koſten der Ausſtattung und die der Hochzeit zurückzu— fordern. Einige nicht unerhebliche Fälle von Falſchmünzerei ſind vorge— kommen, wobei ſich ein ſeltenes Geſchick und eine langjährige Erfah— rung kund gab, und welche zur Kunde brachten, daß dies verbrecheriſche Gewerbe unter der Sikhs-Regierung von den Local-Kardars, die ſich von den Falſchmünzern eine Taxe zahlen ließen, im Geheimen beguͤn— ſtigt wurde. Auch das Anfertigen falſcher Documente über den Rechts⸗ beſitz von Ländereien hat Anklang bei einem Theile der Bevölkerung gefunden, weil die britiſche Regierung dergleichen authentiſche Docu— mente in ihren Nachforſchungen zum Grunde legte; aber die Peng’äbie ſind in dieſer Kunſt ſo wenig geübt, daß der Betrüger ſtets entdeckt wurde. Meineid iſt dagegen ein öfter vorkommendes Uebel, bei wel— chem die bis jetzt herrſchenden Geſetze über Beſtrafung deſſelben ſich nicht als hinreichend erwieſen haben. Es haben ſich in den erſten beiden Jahren folgende ſtatiſtiſche Erfahrungen ergeben: S —|.- | - Jorsr | — - — Pon | 029° — — — 6987 SRG — — | — 82˙867 = — — Fer“ fr | gave = * — 681 UıgSraugogong — — — 978g — — — eie? | 020’ = — — 6781 Pialıg=vaßg — — — 997987 — — — fegg'r 21 — er — 6778 pan #7 | 2907 161 [986701 | 19'26# 91˙8 e | 208 | 186 062˙ 080% geg 0481 eypiu way | schu . n gandungygluvgg "OS == 6 leis 8 |29'0987 282968 | IV’cE | 2670 989 e20'7 | Tes 819 6581 D (puqpon 8 Ga ppleß) obi Apr 081 . 0000 0% an uugy g C) v3 an | 0'717 pr | 18'782 6798 oss 08˙29 892“ Fo! 916˙%0 088€ 19 — 0887 3 86˙N 208 |grreze |esrzor | Eros Tire geg“ | 290'€ 922° 7 589˙̊ 09 — 6781 5 (pqplob) = 00000 gg uvynzq m Br 22˙8 zer pose Flap 198 2122 | 620% 9% 965˙⁵⁸ ge! 19 — 0681 = > — — — — — — — — — “= 08 — 6781 = 980˙%9 117 „ . unge = 88 es | ver fo'ggr |zrıeHr | vers | 2929 | ezr’c | 866'6 868˙⁰ 886˙2 19 — 0881 19981 | 28€ e087 81˙319 2129 | 1219 fr | 600'6 ves’v 918˙ 08 — 6781 2 21870 Tr „„ dogg Ju 1 zungogaag;aag qutug Huna -J009R5 uakpaagaagts undog 299 Jqvkuxz Bunge nog objag un usain! een UapagıaT 19} paggua ach gvkugg and wopoploga Pu BLUEENEERFINHTLECHG eee 00 ne Bunasyyoaag een 2900 wr peng; pense a0 0 jgveuzz uepoagaogß uf eg 299 ee An eee eee ne 7 Hunzayyanag amt ualpsagaagz ups Ang 299 Huppgaag zu 299 Hunygaag zp9agug a0 ojusdoagßz uauolaag a0 igen un zanay 9ylogaaa api egen a auaoagk "quıl ehen eee usbungiS ond a 4 * * uusuolasgß 40% I4vtuyg 458 L. v. Orlich: Für die Unterbringung und Beſſerung dieſer verſchiedenen Ver— brecher wurde die Einrichtung guter Gefängniſſe, verbunden mit einer dem Zwecke entſprechenden Disciplin, in's Werk geſetzt. In zwanzig Diſtricten ſind neue Gefängniſſe erbaut worden, und in den anderen fünf Diſtricten ließ die Regierung die bis dahin benutzten Gebäude auf's Zweckmäßigſte in Stand ſetzen. Es exiſtiren drei Klaſſen von Gefängniſſen: Zu der erſten gehört allein das große Central-Ge— fängniß zu Lahore, welches aus zwei getrennten, aber in ſich verbun— denen Gebäuden, worin 2000 Verbrecher untergebracht werden, beſteht; zur zweiten Klaſſe gehören die drei Provinzial-Gefängniſſe zu Multan, Rawül Pindie und Umballah, in deren jedem 800 Gefangene Raum haben und worin allein Verbrecher aus den umliegenden Diſtricten Obdach finden. Die dritte Gefängnißklaſſe beſteht aus 21 Gebäuden, in jedem Diſtricte eines gelegen, mit Ausnahme der vier eben erwähn— ten, und wovon jedes für das Unterkommen von 258 Gefangenen ein— gerichtet iſt, jedoch bis für 330 Mann erweitert werden kann. Im Gan— zen ſind die Einrichtungen für 9,800 Verbrecher vollendet. Das große Gefängniß zu Lahore beſteht aus zwei kreisförmigen Gebäuden, wovon jedes mit eiſernen Palliſaden umgeben iſt und im Innern aus mehre— ren, durch Wälle geſonderten und vom Mittelpunkte nach der Umfangs— linie ſich hinziehenden Abtheilungen beſteht; darin liegen die Gefäng— niſſe für die männlichen und weiblichen Gefangenen, Räume für die Arbeitswerkſtätten und für die einſamen Zellen. Aus der Mitte erhebt ſich ein Wachtthurm, der einen freien Blick über alle Abtheilungen ge— währt. In der Einſchließung zwiſchen dem Kreiswalle und der äu— ßeren ein Viereck bildenden Mauer befinden ſich das Hospital und die Wohnungen für den Gouverneur des Gefängniſſes und für die Beam— ten. Die Gefängniſſe zweiter Klaſſe ſind nach denſelben Principien gebaut, ausgenommen, daß es hier nur einen anſtatt zweier Kreiſe giebt. In den Häuſern dritter Klaſſe, die von Wällen in viereckiger Form umſchloſſen ſind, ſtehen die Gefängniſſe in zwei Reihen und ha— ben eine unmittelbare Verbindung mit den Arbeitsräumen; jedoch ſind das Hospital, die Zellen für die Frauen und die Wohnungen der Be— amten davon geſondert. Die Koften zur Erbauung und Einrichtung all dieſer Gefängniſſe beliefen ſich auf 4 Lack 73,000 Rupien. Die größte Aufmerkſamkeit und Fürſorge wurde dem Central— 1 4 5 Die neueſten Zuftände des Peng'äb. 459 1 Gefängniß zu Lahore gewidmet; nicht nur ließ ſich hier mit größe— reer Leichtigkeit eine erlaubte Oeconomie einführen, ſondern auch die Vertheilung der Arbeit, die Einrichtungen für die Gefundheitspflege, für die moraliſche Ausbildung und für die geſicherte Abſchließung der Verbrecher konnten hier im weiteſten Umfange in's Werk geſetzt werden. N Das Syſtem, die Gefangenen außerhalb des Gefängniſſes zu beſchäf— tigen, hat ſich als unzweckmäßig erwieſen und war die Urſache, daß ſich im erſten Jahre unter den Arbeitern anſteckende Krankheiten zeig— F ten, die eine Sterblichkeit von 8 Procent herbeiführten. Außerdem find die Koſten und Mühen, die über weite Strecken beſchaͤftigten Arbeiter zu bewachen, nicht unbedeutend, und dennoch kam es nur zu oft vor, . daß Verbrecher entliefen. Endlich ließ ſich die Arbeit nicht fo verthei— len, daß man auf die körperliche Befähigung jedes Einzelnen Rückſicht nehmen konnte, denn was dem Einen leicht war, konnte einem Anderen ſehr ſchwer ſein. Dagegen läßt ſich die Arbeit in den Werkſtätten des Gefängniſſes ſo einrichten, daß dem hartnäckigen Verbrecher durch här— tere Arbeit größere Strafe gegeben werden kann, wogegen dem von Reue Durchdrungenen, der das Gefuͤhl der Scham zeigt, die Demora— liſation öffentlicher Schande erſpart wird. Nicht zu vergeſſen iſt, daß man in den Werkſtätten jedem Gefangenen eine ſeinen Körperkräften, ſeiner Befähigung und ſeinem Geſchick anpaſſende Beſchäftigung zu ge— ben vermag. Das Princip der einſamen Abſperrung hat man in ein— zelnen Fällen beibehalten, weshalb ſich auch in jedem Gefängniſſe dazu dienende Zellen befinden. Der Gebrauch, einzelne Verbrecher während der Nacht anzuketten oder in Ketten zu legen, wurde nur in der erſten Zeit angewendet, iſt aber jetzt gänzlich verworfen worden. Die Verwaltung der Civil-Juſtiz ergab in den erſten zwei Jahren von 1849 bis 1851 nicht ſehr erfreuliche Reſultate; denn die Anzahl der Rechtsfälle, welche in dieſer Zeit zur Entſcheidung kamen, erreichte die bedeutende Höhe von 23,378 bei einer Bevölkerung von 5,086,825 Seelen “), ein Fall alſo auf je 21,751 Perſonen. Aber wenn man die phyſiſche, ſociale und politiſche Verſchiedenheit, welche 4 „ der Diſtricte des Peng'äb charakteriſirt, in Betracht 2) 68 And hier Ihelum mit 1,116 035 Einwohnern, Lahore mit 2,470,817 Gin: wol nern, Leia mit 1,500,000 Einw. und Multan mit 500,000 Einw. einbegriffen; von Peſhawür fehlen die Berichte. v. O. 460 L. v. Orlich: zieht, ſo muß man dies Uebermaaß einigermaßen entſchuldigen. So kamen im Diſtrict von Umritſir gerade doppelt ſo viel Fälle vor, als in dem von Ihelum, und achtmal mehr, als in dem von Leia. Die größte Zahl derſelben betraf Rechtsſtreitigkeiten über den Werth von 300 Rupien; die Mehrheit der ſtreitenden Parteien beſtand jedoch nicht aus wohlhabenden und intelligenten Leuten, die ſich ſelbſt helfen könn— ten, ſondern aus ſolchen, die in Bildung und Vermögen dem Mittel— ſtande angehören. Dieſe kleinen Streitfälle wurden meiſt von den mit Einziehung der Revenuen beauftragten Local-Offizieren entſchieden, und die Erfahrung ergiebt, daß deren Entſcheidung beinahe überall im Lande mit Befriedigung aufgenommen worden iſt. Die Regierung geht von dem Grundſatze aus, daß bei einem ſo natürlichen Volke alle Schwie— rigkeiten, ſein Recht zu verfolgen, vermieden werden müſſen, daß alle techniſchen, gewitzten und in Finſterniß gehüllten Formen eines Tribu— nals nur Unheil bringen würden. Daher werden die Verhandlungen | in einer Einfachheit und Klarheit geführt, die es dem Ungebildetſten möglich machen, ſeine eigene Sache zu vertheidigen, wenn er ſeinem Ankläger gegenüberſteht, und wo ein Dolmetſcher nöthig iſt, muß es ein Richter ſein, der mit den Geſetzen vollkommen vertraut iſt. Die Anwendung von Advokaten oder Vertheidigern zeigte ſich in vielen Fällen als höchſt verderblich, aber obgleich dieſem Verfahren Schwierig— keiten in den Weg geſetzt ſind, ſo ſteht es doch jeder Partei frei, ſich einen Anwalt zu wählen. Die Entſcheidung durch Schiedsrichter iſt eine beliebte Rechtsweiſe; das Attribut göttlicher Beurtheilungskraft, welches die Indier ihrem geiftlichen Orden zuſchreiben, lebt nicht min⸗ der ſtark in den Herzen der Bewohner des Peng’äb. Die eingebore— nen Schiedsrichter ſind in Schlichtung von Privatſtreitigkeiten von gro— ßem Nutzen, aber ganz beſonders nützlich haben ſie ſich in Ausfindung der Wahrheit, in Fragen, die ſich auf Forderungen beziehen, und in localen und geſellſchaftlichen Angelegenheiten erwieſen. Die Erfahrung hat jedoch gelehrt, daß dieſe Leute ſcharf beobachtet und bewacht wer— den müſſen, um Mißbräuchen vorzubeugen, damit dies Syſtem der „Pünchayets“, in welches das Volk ein großes Vertrauen ſetzt und das eine ſeiner beſten Inſtitutionen iſt, nicht in Mißcredit komme. Zu dieſem Zwecke ſind folgende Beſtimmungen feſtgeſetzt worden: Der vor— figende Offizier muß prüfen, ob die Klage ſich für eine Jury eignet r Die neueften Zuſtände des Peng'äb. 461 und dem Kläger den richtigen Weg, ſeine Sache zu führen, angeben; jeder Theil hat das Recht, irgend einen Schiedsrichter herauszufordern; die Schiedsrichter werden von den ſtreitenden Parteien ſelbſt gewählt und nur Perſonen von Rang oder Frauen können ſolche durch ihre Angehörigen oder Privat-Agenten beſtimmen laſſen; die Schiedsrichter müſſen die Ausſagen zu Protokoll nehmen, desgleichen müſſen dieſelben ihr Urtheil belegen, und jedes Mitglied, welches von der Majorität ab— weicht, hat auch ſeine Gründe dafür anzugeben. Alle dieſe Verhand— lungen und Entſcheidungen müſſen im Gerichtshofe vorgenommen wer— den, woſelbſt die Documente darüber verbleiben. Das Urtheil ge— ſchieht in Gegenwart beider Theile, aber es erhält erſt ſeine endliche Beſtätigung, wenn der präſidirende Offizier die Gerechtigkeit deſſelben geprüft hat. Die jüngeren Offiziere, welche ſich mit den Geſetzen, den Sitten und Gewohnheiten der Eingeborenen und mit deren Sprache noch nicht ſo genau vertraut gemacht haben, wie es zu wünſchen iſt, haben den Befehl, alle Monate über die ſtattgehabten Fälle und Ent— ſcheidungen an ihre Oberen Bericht zu erſtatten. Die Revenuen des Landes fallen unter die 5 Rubriken: 1) der Bodentare, 2) der Acciſe, Stempel- und Canalwaſſer-Abgabe, 3) des Tributes, 4) der Poſt und 5) der verſchiedenen Abgaben. Es ſoll hier nur der beiden erſten ſpeciell gedacht werden, indem der Tribut eine unbedeutende Einnahme iſt, welche die Feudal-Jagirdars dem Staate anſtatt der Dienſtleiſtungen zu leiſten haben. Die Einnahmen der Poſt ſind noch nicht überſichtlich genug, und die mit der Rubrik „verſchie— dene Abgaben“ bezeichnete Einnahme iſt zu vielfachen Veränderungen unterworfen. Die zur Bodentare gehörigen Einnahmen find folgende: die Weidetaxe, die Revenuen aus den Gärten und Wäldern, die Gold— wäſchereien aus dem Sande des Indus, die Eiſenbergwerke im Sind Saugor-Douab und die Renten von Ländereien, die entweder durch Alluvial-Abſetzungen der Flüffe entſtehen oder unter der letzten Herr— ſchaft ererbt wurden oder endlich von den Eigenthümern verlaſſen, dem Staate anheimfielen. Es iſt die Politik des Staats, ſich jeder Selbſt— bewirthſchaftung ſolcher Ländereien zu enthalten, weshalb dieſelben ver— pachtet werden. Die Weidetare beſteht aus Abgaben, die man von * 0 . * * 7 5 . denjenigen Beſitzern der Kameele und Viehheerden erhebt, welche von 462 L. v. Orlich: den Weiden im Innern der Douabs Gebrauch machen; ſie iſt in den Multan- und Leia-Bezirken fo ergiebig, daß jährlich über 130,000 Ru- pien daſelbſt einkommen ). Unter der Sikhs-Regierung wurde es als ein ſich von ſelbſt ver— ſtehendes Recht angeſehen, daß dem Herrſcher die Hälfte aller aus dem Boden gewonnenen Producte zukomme, und in ſehr fruchtbaren Ge— genden wurde ſogar noch mehr von den Eigenthümern entnommen. Beim Einſammeln der Bodenerzeugniſſe verlor die Regierung durch Be— trug, ſchlechte oder verſchwenderiſche Verwaltung 10 bis 15 Procente. Wo die Abgaben ſtatt der Producte in Geld geleiſtet wurden, wechſelte die Einnahme von; bis 4 des Werthes derſelben. Jenſeits des In⸗ dus, ſowie in der Provinz Multan, war dies Syſtem weniger drückend in Vollzug geſetzt worden, und der Antheil der Regierung betrug nie mehr als 4 und fiel bis auf 4 des Ertrages. Für Zuckerrohr, Baum— wolle, Indigo, Tabak und Gemüſe wurde nur Geld genommen ?). Als die Engländer in den Beſitz des Landes kamen, wurden die mit Feſtſtellung der Abgaben beauftragten Offiziere in die Diſtricte ge— ſchickt, um dieſelben zu bereiſen und ſich von dem Zuſtande der Län— dereien und des Volkes durch eigene Anſchauung zu überzeugen. Hier— auf wurden die Häupter der Dörfer nach Central-Punkten berufen und daſelbſt nach Maßgabe der letzten drei, fünf oder zehn Jahre die Abgaben für die nächſte Zeit feſtgeſtellt und zwar nur in Geld. Dies Verfahren erfolgte in zu großer Eile und durch Offiziere, denen noch die erforderliche Erfahrung fehlte; daher war die Einnahme ſo redu— cirt, daß allein von den vier Douabs, welche bisher 743 Lack gezahlt hatten, nur nahe an 54 Lack einkamen. Im erſten Jahre der Beſitz— nahme des Peng’ab betrugen die ſämmtlichen Revenuen 98 Lack 12,425 Rupien, dieſelbe ſtieg jedoch im folgenden Jahre 1881 auf 101 Lad und 85,043 Rupien und im Jahre 183% erreichte die Einnahme die ) Es wird für das Kameel nur wenig über eine Rupie gezahlt, für hundert Schafe oder Ziegen drei Rupien, und für das Stück Rindvieh 7 Rupie. v. O. 2) Im Jahre 1846 betrug die Einnahme der Sikhs-Regierung nach Angabe des Finanz-Miniſters Raja Diena Nath 133 Lack und 18,087 Rupien, und zwar: Von den Kardar-Pächtern 25 Lack 49,873 Rupien, Abgaben durch die Häuptlinge der Dorfgemeinden nach Uebereinkunft geleiftet 18 Lack 23,556 Rupien, und die Re— venue vom Getreide ꝛc. 89 Lack 44,658 Rupien. (Ein Lack hat 10,000 Rupien, und da die Rupie etwa = 202 Silbergr. iſt, jo beträgt der Werth des Lack ungefähr 6800 Thlr. Pr. C.) v. O. > 2 * 3 Die neueſten Zuftände des Peng'äb. 463 7 Summe von 106 Lack 9,757 Rupien, alſo verglichen mit dem erften Jahre einen Mehrbetrag von 23 Lack 89,757 Rupien. Aber trotz der beträchtlichen Herabſetzung der Abgaben, wodurch die Landtare auf 205 Procent herabfiel, find im Jahre 1853 unter den Landbeſitzern N Klagen über zu hohe Beſteuerung, die in mancher Beziehung drückend geweſen fein mag, laut geworden. Es waren nämlich in den erſten drei Jahren nach der britiſchen Beſitznahme ſo außerordentlich ergiebige Eerndten, namentlich in Weizen und Gerſte, eingetreten, wie folche feit £ Menſchengedenken nicht ftattgefunden hatten; ſelbſt ſeit Jahren nicht N bebaut geweſene Ländereien gaben einen ungewöhnlich reichen Ertrag, und dieſem glücklichen Umſtande mußte man es verdanken, daß die vielen Hunderte der entlaſſenen Soldateska und anderer Beamten ſich dem Aacakerbau widmeten. So kam es, daß der Bodenertrag die Conſumtion bei weitem überſtieg und bei dem Ueberfluß an Lebensmitteln die Preiſe derſelben übermäßig fielen, denn die das Peng’ab umgebenden Länder eignen ſich nicht zur Ausfuhr, Afghaniſtan iſt in einem zu unſichern Zuſtande und der Transport dahin zu koſtſpielig, der Sind erzeugt viel mehr, als er bedarf, und Bhawülpür iſt arm und dünn bevölkert, das Ihüllündhür-Douab zwar dicht bevölkert, aber fo fruchtbar, daß es hinreichenden Ertrag für ſeine Bewohner giebt, und endlich die im Norden wohnenden Gebirgsſtämme haben nicht die Mittel, Getreide kau— fen zu können. Der Verbrauch von Lebensmitteln hat zwar zugenommen, denn zwiſchen dem Setletj und dem Kheiber ſtehen mehr, als 60,000 Mann ſtreitbare Truppen und über 300,000 Mann dazu gehörige Die— 1 ner und Lagergehilfen, nicht zu vergeſſen, daß die umfangreichen öffent— lichen Bauten, welche ununterbrochen fortgeſetzt werden, die Circula— ; tion des Geldes und das Verlangen nach Nahrung vermehrten. An die im Lande ſtehende Armee werden ferner jährlich 165 Lack gezahlt, und, wenn man die Koſten der verſchiedenen Civil-Niederlaſſungen und ſon— ſtigen Ausgaben in Rechnung bringt, ſo wird gegenwärtig das Dop— pelte der Revenuen des Landes in demſelben verausgabt. All dieſer Vortheile ungeachtet erkennt doch die Regierung, daß dem gegenwär— tigen Uebel, obgleich es ein vorübergehendes iſt, nur durch die liberal— ſten Maßregeln geſteuert werden kann; daher denn ſelbſt ein gänzli— ’ ches Erlaſſen der Steuern in einzelnen Fällen verfügt worden iſt, und überall, wo es als gerecht erkannt wurde, eine Reduction eintrat. Die 464 L. v. Orlich: Folgen dieſes verſtändigen Verfahrens machen ſich bereits geltend, in- dem die Landbauer ſich zur Pachtung und Urbarmachung ſolcher Län— dereien melden, die der Fruchtbarkeit des Bodens wegen einen geſegne— ten Ertrag verſprechen. In dem größeren Theile des Peng’ab find die Landbeſitzer in der— ſelben Berechtigung, als die in den Nordweſt-Provinzen des indiſchen Reiches. Verjährter Beſitz und Eroberung haben den Lehn- und Land— beſitzer zum Herrn gemacht, und die Bewohner des Peng'äb lieben es, ſich auf die von dem alten Geſetzgeber Menou aufgeſtellten Rechte, die mit dieſem Urſprung von Beſitz im Einklang ſtehen, zu berufen. Das Freimachen des Landes von dem Jangle — dem dichten Unterwuchs aller nur erdenklichen Strauch- und verkrüppelten Baumgattungen — galt als ein berechtigter und unantaſtbarer Beweis vom Befige deſſel— ben. Im Beginn des vorigen Jahrhunderts, als das mongoliſche Reich zu fallen anfing und die Sikhs durch Raub und Plünderung ſich Macht und Anſehen verſchafften, entſtanden in vielen Theilen des Landes wüſte Strecken, und ſelbſt Gegenden, wie die in der Nähe von Lahore und Um— ritſir, bedeckten ſich mit undurchdringlichem Unterholze und Geſträuch. Die heutigen Beſitzer des Bodens laſſen ſich unter vier Klaſſen bringen. Zur erſten gehören die Nachkommen der alten Beſitzer, welche nach und nach den Beſitz der Dorfländereien und der mit dieſem Beſitz verbundenen Privilegien verloren; ihr hauptſächlicher, wenn nicht allei— niger Beſitz beſteht in einer Kopfrente, die unter verſchiedenen Bezeich— nungen erhoben wird und unſicher im Werthe, wie in der richtigen Einzahlung iſt. Dieſe Klaſſe hat unter den Sikhs fortwährend abge— nommen und wird in wenig Jahren ganz verſchwunden ſein, denn die Sikhs verlangten eine ſichere und ergiebige Einnahme, und die mehr arbeitſamen und einfachen Stämme maßten ſich die Rechte Der— jenigen an, deren Länder zu bebauen ſie ſich anfänglich glücklich ge— ſchätzt hatten. Einige dieſer urſprünglichen Beſitzer haben noch ſo viel Land in Händen, als ſie zu cultiviren im Stande geweſen ſind, und wo ihr Beſitzrecht feſtgeſtellt werden konnte, iſt demſelben Genugthuung gegeben worden. Die zweite Klaſſe ſind die gegenwärtigen Beſitzer des Bodens, entweder Individuen oder Corporationen. Wo das Land einer einzel nen Perſon oder einer aus mehreren Perſonen beſtehenden Familie RENT Die neueften Zuſtände des Peng’äb. 465 gehört, iſt ein Theil der Ländereien durch deren eigenen Pflug bebaut und der Ueberreſt von Landleuten cultivirt, die entweder mit den Rech— ten als Pächter oder mit erblichem Beſitzrechte darauf leben und eine beſtimmte Rente zahlen. Bei der Art, wie die Sikhs-Regierung die Taren feſtſtellte, ging der größte Theil der Rente verloren, und die Einnahmen der Beſitzer veränderten ſich mit jedem Pächter und beſtanden ſehr oft nur in einer unbedeutenden Abgabe in Korn oder Geld. Die Bodenrente iſt fo verſchieden, daß ſolche von 14 Procent bis zu 25 Procent des rohen Products ſteigt; den höchſten Ertrag gewährt das Land in Multan und Derajat. Die Miterbſchaft der Gemeinden, die Brüderſchaft deſſelben Stammes, welche oft von einem und demſel— ben Stammvater entſpringt, iſt im Peng'äb überall noch in voller Aechtheit erhalten und herrſcht ganz beſonders in den Theilen, wo die Hindu ⸗Racen ihre Abſtammung in Reinheit bewahrt haben. Dieſe Art von Lehnbeſitz findet ſich vorzüglich unter der Jätkaſte. Jeder Theil: nehmer cultivirt ſein Land nach eigenem Ermeſſen und zahlt ſeinen Theil der Dorfabgabe, wie ihn die Brüderſchaft feſtgeſtellt hat; jedoch wird bei ſolchen Lehen der größere Theil des Landes gewöhnlich von der Gemeinde bewirthſchaftet; aber wo Pächter ſind, verwalten dieſe den Boden entweder unter der Aufſicht des betreffenden Eigenthümers oder halten das Land als ein gemeinſames Eigenthum der Gemeinde. Die erblichen Anbauer bilden die dritte Klaſſe und ſind in vielen Gegenden ſehr bedeutend. Ihr Lehnsrecht iſt ſehr oft kaum von dem der wirklichen Beſitzer zu unterſcheiden, und wo ihr Stamm mächtig und arbeitſam iſt, hat er nach und nach das Recht des wirklichen Eigenthums uſurpirt. Auch wo Land im Ueberfluß, dagegen nur we— nige Anbauer vorhanden ſind, eriſtirt der Unterſchied zwiſchen dieſen und den eigentlichen Beſitzern nur dem Namen nach. Der hauptſäch— lichſte Unterſchied zwiſchen dem Anbauer und dem Eigenthümer iſt, daß der letzte keine Ueberrieſelungsbrunnen graben darf, den Grund weder veräußern, noch belaften oder Anderen überlaſſen kann; dagegen iſt der erbliche Anbauer nicht ermächtigt, das Land wieder an Andere zu verpachten; die Bäume, die er oder ſeine Vorfahren gepflanzt haben, verbleiben ſein Eigenthum. Mit dem Rechte, einen Brunnen zu graben, 3 iſt zugleich der Beſitztitel gegründet, weshalb über dieſe Frage oft ſehr eifri— — 4 N u * * 8 * ger Streit entſteht. In der Provinz Multan iſt endlich ein eigenthümliches Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 30 2 466 L. v. Orlich: Lehnsrecht entſtanden, indem die regierende Macht die meiſten Lände— reien in Anſpruch nahm. Wo uncultivirtes Land ſich vorfand, ertheil— ten die damaligen Herrſcher Sawün Müll und Mulraj Patente an Individuen zur Anlage von Brunnen, und dieſe Anbauer zahlen nur eine höchſt unbedeutende Kopfrente an den wirklichen Beſitzer. Die Ei— genthümer dieſer Brunnen werden Chückdars, von Chück oder dem den Brunnen umgebenden Holzrahmen, genannt. In einigen wenigen Fällen erhält der wirkliche Beſitzer den vierten Theil der Erndte. Zur vierten Klaſſe gehören die Pächter, denen der Gutsherr nach Belieben aufſagen kann; ihre Pacht iſt eine geſicherte, wenn ſie im Dorfe wohnen, aber zweifelhaft, wenn ſie in der Nachbarſchaft ſich auf— halten. Dieſe Pächter cultiviren das Land unter der Bedingung, daß die Hälfte des Ertrages dem Eigenthümer zufällt. Das große und wichtige Werk der Landbeſteuerung, welches ſta— tiſtiſch, fiscaliſch und gerichtlich gehandhabt werden muß, wird in fol— gender Art geleitet. Die Grenzen der Dörfer werden feſtgeſtellt, deren Ländereien vermeſſen und die Karten ſo entworfen, daß die cultivirten, die culturfähigen und die wüſten Strecken, ſowie die Brunnen genau angegeben ſind; eine zweite, die ſogenannte Aufnahme der Felder, ge— ſchieht allein durch Eingeborene, und es werden in derſelben der Name jedes Beſitzers und Anbauers, der Werth des Bodens und die darauf wachſende Getreidegattung verzeichnet. Die Abſchätzungen geſchehen jetzt allein durch Mitglieder der Gemeinden ſelbſt, und die großen und reichen Landbeſitzer ſind für die Einzahlungen der kleinen Pächter ver— antwortlich gemacht. Von der höchſten Wichtigkeit iſt hierbei, daß die Fragen über das Beſitzrecht ſo geordnet ſind, daß der Comfort und das Wohlbefinden des Volkes, ſowie eine keiner Veränderung unter— worfene Schätzung Berückſichtigung finden, wodurch allein Vertrauen und Anhänglichkeit begründet werden konnten. Bei einfachen, dem Civilrechte angehörenden Sachen ſind einzig die ſtreitenden Theile oder deren nächſte Verwandte, dagegen bei Streit— fällen, die das Recht des Lehnbeſitzes in Frage ſtellen, ganze Gemein— den betheiligt. Die Sikhs-Regierung hatte dieſe Rechte nie beachtet; die Kardars ſowie die einflußreichen Lehnbeſitzer verfuhren mit den Landbebauern, wie es ihnen genehm war. Dies war die Urſache, daß beinahe in jedem Dorfe ein Streitfall zur Sprache kam; dem geſchickten vr Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. 467 und weiſen Verfahren der neuen Herrſcher iſt es jedoch gelungen, tauſende von Fällen der Art ſchnell und zur Befriedigung aller ſtreiten— den Theile zu entſcheiden ). Wer 12 Jahre in ungehindertem Beſitze ſich befand, dem wurde das Recht des Beſitztitels zuerkannt. Nächſt der Bodenrente gewähren die Acciſe, die Stempel— Abgabe und die Canal-Waſſer-Rente die größte Einnahme. Die Waſſerrente wird von denjenigen Pächtern erhoben, die ihre Län— dereien mit dem Waſſer der der Regierung angehörenden Canäle berie— ſeln; dies iſt augenblicklich nur bei dem Hüsli-Canal der Fall, wo der Pächter pro Acre 2 Rupien 6 Annen und 8 Peis ) zahlt. Außerdem gewähren dieſe großen Canäle — des in der Anlage begriffenen neuen Canals wird ſpäter Erwähnung geſchehen — eine Einnahme durch die Schifffahrt und die Waſſermühlen. Der Hüsli-Canal giebt jährlich 76,000 Rupien. Die Acciſe und der Eingangszoll waren unter Rundjit Sing ſehr beläſtigende Abgaben, indem derſelbe das ganze Land mit Wachtpoſten, u + O9 - * „ Ze. u au ul gleich einem Netzwerk, überzogen hatte, und auf dieſen unzähligen Li- nien jede Art Tare, directe, wie indirecte, erhob. Es war Prinzip, von jedem Producte ohne Unterſchied Abgaben zu nehmen, und ohne Rück— ſicht, ob es der inländiſchen oder der fremden Induſtrie angehörte; die Fabrikate von Lahore und Umritſir wurden eben ſo beſteuert, wie die Gold- oder Eiſen-Arbeiten aus Cabul. Salz, Ghy ), Tabak, Gemüſe, ja jedes Bedürfniß des armen Mannes war der Tare unterworfen. Artikel, welche durch das Reich geführt werden mußten, konnten ihren Markt nicht erreichen, ohne ein Dutzend Mal Abgaben entrichtet zu haben. Unter den dem Zolle, der Acciſe ꝛc. unterworfenen Artikeln verdient das Salz einer beſonderen Erwähnung. Die berühmte Salz— kette, ſo rauh, wüſt und uneinladend ſie auch erſcheint, indem auf ihr weder Baum-, noch Graswuchs zu ſehen iſt, birgt unter ihrer Oberfläche die reichſten Mineralſchätze in Eiſen, Schiefer, Kohlen, Gips, Kalkſtein und Steinſalz. Das Salz iſt entweder in allen Richtungen ) Es find allein in dem Diſtrict von Jüllündür im Laufe von fünf Jahren über 28,000 ſolcher Beſitzſtreitigkeiten ausgeglichen worden. v. O 2) Eine Rupie hat 20 Annen, die Anne 10 Peis. v. O. ) Ghy iſt geſchmolzene Butter, ein beinahe nothwendiges Lebensbedürfniß der Indier. v. O. 30 * 468 L. v. Orlich: zerſtreut oder liegt in Schichten, die an der Oberfläche anfangen und in undurchdringlichen dichten Maſſen ſich bis in eine unabſehbare Tiefe hinabſenken. Das Maünd (80 Pfund) kann für 2 Anna's bis an die Oberfläche der Mine herausgeſchafft werden. Es iſt ſo reiner Natur, daß es für den Gebrauch nur geſtoßen zu werden braucht, von höchſt angenehmen Geſchmack und kryſtallreiner Durchſichtigkeit; denn der röthliche Schimmer, den einzelne Theile zu Zeiten zeigen, iſt nur dann ſichtbar, wenn die Salzlager in zu nahe Berührung mit den Eiſenadern kommen. Das Salz, welches in dem jenſeits des Indus liegenden Theile der Bergkette vorkommt, unterſcheidet ſich von dem aus den diesſeits des Fluſſes befindlichen Lagern weſentlich dadurch, daß es von dunklerer Farbe und von geringerer Güte iſt. In den Salzberg— werken werden ſieben Minen bearbeitet, die einen jährlichen Ertrag von 791,000 Maunds geben; die Bearbeitung der diesſeitigen oder Trans— Indus-Minen iſt erſt ſeit Kurzem in den Händen der Regierung, wes— halb deren jährlicher Ertrag noch nicht feſtzuſtellen iſt. Das gewöhnliche Salz könnte in einigen Localitäten, wo der Boden mit einem dem Sal— peter ähnlichen Salze angefüllt iſt, gewonnen werden, aber dies wäre nicht ſo billig und nur mit großer Mühe zu erreichen. Das Hochge— birge in der Nachbarſchaft von Mündie enthält ein unreines, ſtark mit erdigen Subſtanzen vermiſchtes Salz, wovon nur die für den Gebrauch der Bewohner jener Gegenden nöthige Quantität gewonnen wird. Unter der Sikhs-Regierung beſtand in Rückſicht auf die Salz⸗ Einnahme kein Syſtem, weder ein beſtimmter Zoll, noch eine geord— nete Minen-Bearbeitung. Die diesſeits gelegenen Minen wurden an einzelne Individuen von Rang und Einfluß verpachtet, die das Salz— Monopol ſo lange genoſſen, als ſie ihren Contract erfüllten; im Uebri— gen waren ſie in Bezug auf die Zeit, den Ort und den Preis des Salzes keinen Beſchränkungen unterworfen und konnten den Verkauf im Großen oder Kleinen einleiten und Depöts anlegen, wo es ihnen beliebte. Gulab Sing, gegenwärtig Maharajah von Caſhmir, iſt auf dieſe Weiſe zum reichen Manne geworden. Die jenſeits des Indus gelegenen Minen konnten nicht verpachtet werden, weil die wilden Bergbewohner von Kohat den Beſitz derſelben ſtreitig machten; daher zog die Sikhs-Regierung es vor, ſie irgend einem Häuptling gegen einen kleinen Tribut zu überlaſſen. 1 Die neueſten Zuſtände des Peng’äb, 469 Die britiſche Regierung machte dem verhaßten und drückenden Beſteuerungs-Syſtem ein Ende. Den Handel im Innern des Landes gab ſie völlig frei, und die Produkte deſſelben werden nun ohne jede Zollbeläftigung verkauft; desgleichen können die Eingeborenen Han— del und Gewerbe treiben, ohne dafür mit beſonderen Abgaben belaftet zu werden. Allein von 29 Artikeln wurde der Zoll aufgehoben, und nur die Grenzlinien längs des Indus und am Fuße des Himälaya behielt die Regierung bei. Seit dem Jahre 1850 gewähren die vier Artikel: Salz (12 Lack), Spirituoſa und Arzneiwaaren (2 Lack), Stempel (1 Lack) und Fährzoll (1 Lack 25,000 Rupien) eine jährliche Einnahme von 164 Lack Rupien; aber es iſt zu erwarten, daß der Ertrag aus den Salzwerken ſich von Jahr zu Jahr vermehren wird, indem deren Bearbeitung gegenwärtig nach einem beſtimmten Syſtem und nach allen Regeln der Kunſt ſtattfindet. Die beiden wichtigſten Zweige zur Hebung der Cultur eines Lan— des, der Straßenbau und die Anlage von Canälen, wurden einer Com— miſſion von Ingenieur-Offizieren anvertraut, an deren Spitze der Obriſtlieutenant Napier ſtand, und die durch Geſchick, Umſicht und un— ermüdliche Thätigfeit den Charakter dieſes merkwürdigen Landes fo vollſtändig veränderte, daß frühere Reiſende viele Gegenden kaum wie— der erkennen würden. Beſtimmte, zu allen Jahreszeiten gleich gangbare Straßen eriſtirten im Peng'äb eigentlich nicht, ſelbſt die Verbindungs— wege zwiſchen den größten Orten wechſelten ſtellenweiſe, je nachdem der Landmann ſeinen anliegenden Anbau ausdehnte; ich ſelbſt fand auf der großen Straße zwiſchen Lahore und Ferospur nach kaum 3 Wo— chen einen Theil des Weges, den ich vorher betreten hatte, beackert; der Wanderer ſuchte ſich feinen Pfad, wo er ihm am bequemften ſchien. 5 Die ſeit dem Jahre 1849 in Angriff genommenen Straßen ſind nach den damit verbundenen Zwecken in Militairſtraßen, in Wege für den äußeren und in Wege für den inneren Handel claſſificirt worden, natürlich können die für den Handel gebauten Straßen auch militairi— * Zwecken dienen und umgekehrt. 7 Zu den Militairſtraßen gehört erſtens die große Hauptſtraße von Lahore nach Peſhawür. Mittelſt einer Schiffbrücke paſſirt der Reiſende nördlich von Ferospur den Setletj und verfolgt den Weg 470 L. v. Orlich: auf einer guten Kunſtſtraße über Kaſſur nach Lahore. Von hier an wird die Straße breiter; man überſchreitet den Ravi ebenfalls mittelſt einer Schiffbrücke und kommt darauf in eine flache, den Ueberſchwem⸗ mungen ausgeſetzte Gegend, in welcher die Straße auf einem 4 bis 5 Fuß hohen Damme fortläuft. Ueber den Bedh und den Bagh Büccha, zwei Nebenflüſſe des Ravi, führen Bogenbrücken, über den erſten eine ſolche von einem Bogen mit 30 Fuß Spannung, über den letzten eine Brücke von drei Bogen zu je 30 Fuß Spannung. Nachdem man die Straße etwas über 50 Meilen nördlich verfolgt hat, überfchreitet man unweit Wuzirabad die drei ſumpfartigen Zweige des von Sealkote herabkommenden Gebirgsbaches auf drei ſtarken Holzbrücken, wovon jede 65 Fuß lang iſt. Von Wuzirabad führt eine Schiffbrücke über den ſorgfältig eingedaͤmmten Chenab nach Gujrat und dann eine aus einem Bogen von 120 Fuß Spannung beſtehende Holzbrücke über den ſchlammigen Bhimbarbach. Nachdem 36 Meilen von Wuzirabad zu— rückgelegt ſind, betritt man das Gebirge unweit Kharrian, durch wel— ches die Straße geſprengt werden mußte, und in dieſem Paſſe von 12 Meilen Länge ſind mehrere kleine maſſive Brücken gebaut, um den Abfluß des Waſſers zu bewerkſtelligen. Der Theil der Straße, welcher von Ihelum über Nagail, Rawül-Pindy nach Burhan, Sidhu und Attok durch das Sind Saugor-Douab führt, hat die größten Schwie— rigkeiten und Koſten veranlaßt. In der Richtung von Ihelum nach Nagail (344 Meilen) verur⸗ ſachten der Rothas und die Backralla, beides plötzlichen und heftigen Anſchwellungen unterworfene und einen gefährlichen Treibſand mit ſich führende Gebirgsſtröme, deren ſteile Uferränder von unzähligen Schluch— ten durchzogen werden, fo große Schwierigkeiten, daß man ſich veran— laßt ſah, die Straße nördlich vom Rothas auf das Dorf Diena zu führen, wodurch es möglich wurde, die Backralla nur einmal bei dem Dorfe gleiches Namens zu paſſiren. Es führt eine Holzbrücke von zwei Oeffnungen mit je 120 Fuß Spannung über die Diena und eine maſſive Brücke aus vier Bogen, jeder zu 50 Fuß Spannung, über den von der Backralla gebildeten Paß. Zwiſchen Ihelum und Schawa gehen zwei maſſive Brücken, die eine aus drei Bogen zu je 50 Fuß Spannung über die Biſhendour-Nalla !) und die andere aus vier 1) Nalla bedeutet Fluß. v. O. Die neueften Zuſtände des Peng’ab. 471 Bogen von derſelben Spannung über die Har nalla. Die 35 Meilen lange Strecke zwiſchen Nagail und Rawül Pindie geht durch ein ſchlüpfriges, wellenförmiges Tafelland, welches von Felſen durchſchnitten wird, die theils dicht unter der Oberfläche liegen, theils zu Tage kom— men. Hier führt eine hölzerne, aus vier Bogen zu je 150 Fuß Span— nung beſtehende Gitterbrücke über den Sohan oder Sawan, einen klei— nen Nebenfluß des Indus. Auf dem Wege von Rawäl Pindie nach Burhan (31 Meilen) tritt die Straße nach 15 Meilen in die Mar- galla-Berge (durch welche bereits Kaiſer Schah Jehan einen mit gro— ßen Kalkſteinblöcken gepflaſterten Weg gebahnt hatte, wie eine Inſchrift in den Felſen anzeigt); dort wurde die alte Straße aufgegeben und ein neuer breiterer und in einer mehr directen Richtung gehender Weg durch die Felſen geſprengt. Für eine leichte Beſchaffung des zu den Bauten nöthigen Holzes, welches aus den Huzärabergen bezogen wer— den mußte, machte man den Harrufluß durch Wegſprengung der Felſen flößbar. Zi Die Strecke des Weges von Burhan nach Sidhu oder Attod (28 Meilen lang) iſt durch die Ueberbrückung des in einem tiefen Thale fließenden Harrufluſſes ganz beſonders intereſſant. Das heftig ſtrömende Waſſer dieſes maleriſch ſchönen Gebirgsfluſſes windet ſich in einem Bette, deſſen Uferränder von fchlangenartigen Schluchten zer— riſſen ſind und ſich unaufhaltſam in die hochgelegenen Länder hinein— ziehen, welche die Ebenen von Chüch begrenzen, wodurch dem Harru ein weites angeſchwemmtes Thal geöffnet iſt. Mittelſt einer hölzernen Brücke von 130 Fuß Länge überſchreitet man dieſen Nebenfluß des Indus, dann geht die Straße bis wenige Meilen vor Attok durch ein ebenes Land, wird allmählig anſteigend und ſenkt ſich in leichten Win⸗ dungen längs den hier den Indus umgebenden Kalkfelsbergen in das Bett dieſes Fluſſes, den man vermöge einer ſtehenden Schiffbrücke an der Stelle überſchreitet, wo ſich der Cabulfluß in ihn ergießt. Man hat dieſen Punkt als Uebergang gewählt, um die ſteilen Abhänge des Gidargülla-Paſſes zu vermeiden; deshalb windet ſich die Straße in leichten Biegungen, welche auf in den Kalffelfen gebauten Gallerien ruhen, längs den beiden rechten Ufern des Indus und des Cabul, und der Weg um den Gidargülla-Paß wurde durch eine aus drei Bogen zu je 20 Fuß Spannung beſtehende Brücke bewerkſtellige. Der Weg 472 L. v. Orlich: von Attok nach Peſhawür führt durch ein von vielen Gebirgsbächen durchſchnittenes Land, und nicht weniger als eilf verſchiedene Brücken, worunter die Bogenbrücke über die Bara die bedeutendſte iſt, mußten gebaut werden. Dieſe merkwürdige Straße von 275 Meilen Länge, welche in dem Berichte als noch in der Ausführung begriffen angegeben wird, iſt gegenwärtig vollendet !); an derſelben entlang zieht ſich auch bereits bis Peſhawür die große Telegraphenlinie, wodurch Calcutta mit der äußerſten Station des Nordens über Benares, Canpure, Allaha— bad, Agra, Delhi und Lahore in eine momentane Verbindung gebracht iſt. An der Straße ſind in geeigneten Entfernungen Bangalow's ge— baut, in denen der Reiſende gegen eine kleine Vergütigung Wohnung und Bedienung findet. Die Anpflanzung von Bäumen zu beiden Sei— ten der Straße wird in wenig Jahren der baumloſen Gegend einen hohen Reiz verleihen und dem Wanderer den in dieſem heißen Klima ſo erwünſchten Schatten gewähren. Die zweite große Militairſtraße von Lahore über Um— ritſir nach Wüzier Ghat iſt eigentlich eine Fortſetzung der vori— gen und gewährt zugleich eine mehr directe Verbindung mit Delhi über Jallündhür und Ludiana. Dieſe 62 Meilen lange Straße (35 Meilen von Lahore bis Umritſir) führt durch das der Ueber— ſchwemmung ausgeſetzte Barie-Douab in einer ganz flachen Gegend über drei ſchlammige Flüßchen, den Bhoperai, den Maonwala und den Pattie oder Pallie. Es war daher ein Damm erforderlich und außer der Erbauung einiger Brücken die Eindämmung des Bhoperai, des Maonwala und des Pattie zu bewerkſtelligen; über den letzten mußte eine auf zehn maſſiven Bogen ruhende Kunſtſtraße gebaut werden. Auch an dieſer Straße ließ die Regierung von 5 zu 5 Meilen Baum— ſchulen anlegen. Ueber die Beas führt bei Wizier Ghat eine Schiff— brücke. Die Straße iſt bereits ſeit einem Jahre vollendet und der all— gemeinen Benutzung übergeben. ) Das Holz zu den Brückenbauten, ſowie das zum Anfertigen der nöthigen Anzahl von Booten für die Schiffbrücken, war nur aus den entfernteſten Gegenden herbeizuſchaffen. Die Boote für den Chenab und Ihelum mußten zu Lahore gebaut und heruntergeflößt werden; dieſelben find von ſolcher Form, daß fie im Nothfalle als Fährboote dienen können. v. O. * % Die neueſten Zuſtände des Peng'äb. 473 Zu den neu angelegten Straßen zweiter Klaſſe, um den Handel des Landes und deſſen Verbindungen mit den Nordweſt-Pro— vinzen Bombay und Alfghaniſtan zu erleichtern, gehören ſechs Straßen von großer Wichtigkeit. Die bedeutendſte iſt die Straße von Multan nach Lahore, welche von Umritſir über Botallo, Dienanüggür, Pathan— kote und Shapur führt. Von Multan bis Tolümba iſt dieſe Straße getheilt; ein Weg geht längs des Ihelum und Ravie in einem großen Bogen, während eine grade Straße nach Tolümba die Entfernung um 22 Meilen verringert. Von Tolümba läuft die Straße nach Chücka— watny, läßt Hürrapa am Ravie links liegen und führt über Fatteh— pur und Manga nach Lahore. Dieſelbe wurde dem Handel bereits im Jahre 1851 geöffnet; da jedoch dieſelbe durch einen ſehr ſchweren Boden führt und an mehreren Stellen, namentlich unweit Hürrapa und an dem Ondyarafluß, ſteter Ausbeſſerungen bedarf, fo hat man angefangen, ſie in eine Kunſtſtraße zu verwandeln, und benutzt dabei die Fels- und Backſteine der Ruinen von Hürrapa. Auf dieſer Straße wird die Brief- und Gepäckpoſt befördert, wobei man ſich theils der von Ochſen gezogenen Wagen, theils der Träger bedient. Die zweite Straße geht von Multan nach Serai Sülhu. Hier überſchreitet man den Ravie auf einer Fähre, dann führt die Straße in grader Linie auf Ihüng, und über Chüpeot auf Ramnüggür, Wü— zierabad und Sealkote. Sie iſt ebenfalls der Vollendung nahe und wird ſchon größtentheils benutzt. F > x * 8 * 1 Eine dritte Straße führt, an die letzte anſchließend, von Ihüng über den Chenab vermöge einer Fähre nach Kartarpur, auf Shahpur und Pindadün Khan, über den Ihelum auf einer Fähre, und dann längs dem rechten Ufer des Fluſſes nach Ihelum. Dieſe Straße iſt nur ſtellenweiſe vollendet und noch in der Arbeit. Wichtiger, ſowohl für den Handel mit Afghaniſtan, als für mili— tairiſche Zwecke, iſt die große Straße von Lahore über den Ravie, den man auf einer Schiffbrücke paſſirt, nach Sheikhapura; zwiſchen dieſem Orte und dem Fluſſe mußten mehrere Eindämmungen, hölzerne und maſſive Ueberbrückungen vorgenommen werden. Dann geht die Straße in gerader Linie nach Pindie, wo man den Chenab auf einer Schiffbrücke paſſirt, und windet ſich weiter in weſtlicher Richtung auf Shapur; fünf Meilen hinter dieſem Orte ſetzt der Reiſende über den Ihelum 474 L. v. Orlich: und geht auf den kleinen Flecken Kabru am Indus, wo eine Faͤhre nach dem gegenüber liegenden Dera Ismael Khan führt. Dieſe Straße, welche einen Theil des Landes, der bisher jeder Verbindung entbehrte, durchſchneidet, iſt vollendet, und ihre große Benutzung hat weſentlich zur Hebung von Dera Ismael Khan beigetragen. Eine fünfte Straße von Dera Ismael Khan auf Ihüng, über den Ravie nach dem gegenüber liegenden Flecken Gogairah oder Cu— gaira, auf Depalpur, nach Rohilla, über den Setletj nach Abohür, iſt für den Handel mit Delhi in Angriff genommen worden, um damit den drückenden Durchgangszöllen, namentlich dem auf Pferde, durch das Bawalpur-Land vorzubeugen. An allen dieſen Straßen ſind die nöthigen Brunnen angelegt, ſo daß es nie an Waſſer fehlen kann, und bedachte Räume wurden erbaut, um Reiſenden ein Unterkommen zu gewähren. Ihüng iſt für den Handel ein Hauptpunkt, indem in den letzten Jahren jährlich für mehr, als 2 Lack engliſche baumwollene Waa— ren von dort nach Afghaniſtan ausgeführt wurden, und vom Novem— ber 1851 bis Ende Januar 1852 3052 ſchwer beladene Kameele und 440 belaftete Ochſen den Chenab auf der dortigen Fähre paflirten. Eine ſechſte Straße von Attok durch die Gebirge nach Futtehjhang über Chuckowal, Pind Dadan Khan und Ramnüggür auf Karmukie in die große Straße zwiſchen Lahore und Peſhawür ſoll zur Erleich— terung des Salzhandels in Angriff kommen. Auch auf eine directe Verbindung zwiſchen Kalabagh und Rotas für militairiſche Zwecke hat man die Aufmerkſamkeit gerichtet; ob aber dieſelbe bereits in Angriff genommen iſt, darüber fehlen uns alle Nachrichten. Unter den Straßen dritter Klaſſe wollen wir der 834 Mei- len langen Verbindung von Kalabagh und Marry über Fattehjhang nach Rawül Pindie, welche für Fuhrwerk eingerichtet und vollſtändig fertig iſt, gedenken. Hiermit in Verbindung ſoll eine Straße längs dem Indus von Kalabagh nach Attok (102 Meilen lang) gebaut wer— den; ungeachtet des ſchwierigen Felsbodens und der Nothwendigkeit einiger maſſiven Ueberbrückungen, iſt ſie doch in Angriff genommen worden, um dem Schmuggelhandel und den Plünderungen der jenſeits wohnenden Stämme vorzubeugen. Schließlich bemerken wir noch, daß es die Abſicht der Regierung ift, ſämmtliche Fähren nach und nach eingehen zu laſſen und ſtatt deren u Die neueſten Zuftände des Peng’äb. 475 Schiffbrücken aufzuſchlagen; nur bei Attok fol über den Indus eine maſſive Brücke gebaut werden ). Mit dieſen Straßenbauten nahm man zu gleicher Zeit ein nicht minder bedeutendes und für den ganzen ſüdlichen Theil des Landes ſegensreiches Werk in Angriff, nämlich die Anlage des großen Bary— Douab⸗Canals. Derſelbe beſteht aus einer Hauptlinie von 247 Mei— len Länge, welche 6 Meilen unterhalb des alten Forts von Shahpure den Ravie verläßt, iſt 120 Fuß breit, 54 Fuß tief und führt 3000 Ku— bikfuß Waſſer in der Secunde mit ſich. Nachdem dieſer Canal in einem leichten Bogen nach dem Innern des Douab 30 Meilen weit geführt iſt, geht ein Zweig öſtlich 7 Meilen lang, theilt ſich dann in zwei Ströme, wovon der eine (54 Meilen lang) noch mehr öſtlich, längs dem hohen, den Beas begrenzenden Tafellande gegen Sabraon, und der mehr weſtliche Zweig (84 Meilen lang) bei Tibrie durch das Herz der Manjha zum Kaſſur-Felſen führt. Der Haupt-Canal windet ſich in leichten Biegungen durch die Mitte des Douab weiter und entſen— det nach 50 Meilen abermals einen Zweig von 74 Meilen Länge nach Lahore. Dieſer Canal nebſt ſeinen Zweigcanälen erfordert 2 große maſſive Dämme, 4 Hemmungs-Dämme, 9 Regulirungs-Brücken, 12 maſſive Stromſchnellen, 27 maſſive Waſſerfälle mit Schlußſchleuſen, 93 Brücken, 41 große Schleuſen, 68 kleine Schleuſen, 17 Einlaß- und Ableitungs-Canäle und 136 maſſive Bewäſſerungs-Einſchnitte für Ausgangscanäle. 1) Die Eiſenbahn-Anlagen in Indien werden gegenwärtig mit dem größten Eifer betrieben. Aller Wahrſcheinlichkeit nach wird die Eiſenbahn von Caleutta bis Delhi in 10 Jahren vollendet fein, und, wenn nicht unvorhergeſehene Hinderniſſe ein— treten, wird man im Jahre 1870 bis Attok auf der Eiſenbahn fahren. Die Strecke von Calcutta bis Burdwan iſt dem Verkehr eröffnet und, wie der Friend of India den 21. December 1854 ſagt: „Zu aller Welt Erſtaunen haben wir bereits 350,000 Paſſagiere jährlich von den niederen Klaſſen allein; in einem Monat beliefen ſich auf der Entfernung von 40 Meilen die Beiträge der 3. Klaſſe allein auf 9320 Rupien.“ Heute koſtet die Reiſe von Calcutta nach Benares (428 Meilen) bei einem Zeitauf— wande von 5 Tagen 25 Liv. St.; per Eiſenbahn wird dieſe Strecke in 30 Stunden zurückgelegt werden und in der 1. Klaſſe 6 bis 7 Liv., in der 2. Klaſſe 2 L. 15 Sh. und in der 3. Klaſſe 25 Sh. koſten. Ein im März bei W. H. Allen erſchienenes Pamphlet: On Railways in India, enthält eine Karte über die projectirten und in Angriff genommenen Eiſenbahnen, und giebt die erforderliche Auskunft über alles die— ſelben Betreffende. v. O. 476 L. v. Orlich: Der Canal iſt ſeiner Vollendung nahe, wenn nicht in gegenwär— tigem Augenblicke bereits vollſtändig eröffnet. Nicht nur, daß durch eine geſchickte Leitung ſeiner Waſſer ein unbeſchreiblicher Segen für die Cultur des Landes herbeigeführt wird, ſondern es ſind auch auf dieſe Weiſe Verbindungsſtraßen erzielt worden, die nach wenig Jahren den Charakter dieſes Landes verändern müſſen. Denn es führen längs den Ufern dieſes Canals und ſeiner Arme treffliche Kunſtſtraßen, alle Rän— der ſind von Baum-Alleen eingefaßt, und von Ort zu Ort hat man Baumſchulen angelegt, welche gleich lieblichen Hainen erſcheinen. Auch an Häuſern fehlt es nicht, wo der Reiſende ein Unterkommen finden kann. Ein alter Canal, der ſchon erwähnte Husli-Canal bei Lahore, welcher ſehr vernachläſſigt war, iſt wieder hergeſtellt worden und gewährt der Regierung eine jährliche reine Einnahme von 46,797 Rupien. Der Geiſt des Fortſchritts, einer Civiliſation, welche auf die wah— ren Glücksgüter der Menſchen gerichtet iſt und deren zeitliches und ewiges Wohl befördert, charakteriſirt alle Maßregeln der britiſchen Re— gierung in Indien ſeit den letzten dreißig Jahren. Aber in keinem Theile dieſes weiten Reiches hat ſich dieſes Streben, der Menſchheit Wohl zu fördern, mehr gezeigt und in ſo kurzer Zeit größere Reſultate geliefert, als in der Verwaltung des Peng'äb. Wo ſonſt keines Men— ſchen Fuß den Boden betrat, beugen heute unabſehbare Kornfelder ihre ſchweren Aehren unter dem Drucke des Windes. So wie der Anblick des Landes mit jedem Jahre ein erfreulicherer wird, ſo auch der der Städte. Lahore und Umritſir werden bald neu erſtanden ſein; in dem erſten Orte iſt durch Major Macgregor's umſichtiges Verfahren eine Straße nach der andern niedergeriſſen, erweitert, gepflaſtert und mit neuen ſchönen Gebäuden geziert worden, an denen man die mit ſo viel Geſchmack und Mannigfaltigkeit der Muſter angebrachten hölzernen Balkone und in durchbrochener Arbeit gefertigten Fenſtergitter nicht genug bewundern kann. Ein Gleiches iſt bei derſelben Bereitwilligkeit der Einwohner, die ſich in dieſem Schönheitsſinne gefallen, durch Herrn Saunders in Umritſir geſchehen. Während Lahore durch ſeine Geld— wechsler ſich Bedeutung in der Handelswelt erwarb, zeichneten Um— ritſir's Kaufleute ſich durch ihren Handel mit allen nur erdenklichen 1 Die neueſten Zuſtände des Peng'Ab. 477 Waaren aus !). Umritſir's Kaufleute find die älteſten und reichſten des Landes, ſie beſitzen Commanditen beinahe in allen großen Städten Indiens, in Afghaniſtan, Bokhara und Caſhmir. Die bedeutendſten unter ihnen ſind die Nowreahs, welche einſt aus Bikanier und Sodh— pur einwanderten, und funfzig der größten Häufer gehören ihnen an. Wo die Engländer in Indien erobernd vordrangen, machten ſie einer verhaßten, nur von einzelnen Häuptlingen unterſtützten Dynaſtie ein Ende, und brachten dem Volke in ſeiner Maſſe Erleichterung von ſeinen Laſten; aber hier im Peng’ab wurde nicht nur eine Dyna— ſtie, ſondern eine Nationalität vernichtet, und die Herrſchaft der Eng— länder iſt nicht blos den Häuptlingen ein Dorn im Auge, ſondern auch der Maſſe der Sikhs und den Hindu's. Das weiſe Verfahren der Engländer hat jedoch in wenig Jahren ſo viel bewirkt, daß dieſelben als Herrſcher, wenn auch nicht geliebt, ſo doch geachtet werden, daß die Maſſen ſich glücklich fühlen und überall ihre Anhänglichkeit an den Tag legen und den Wechfel der Dinge preiſen. Der Muſelmann, den die Sikhs ſeit Jahren in ſeiner Religion auf's Härteſte bedrückten, ſteht jetzt mit dieſen in gleichem Rechte. Selbſt die Tödtung des auch von den Sikhs für heilig gehaltenen Rindes iſt nicht mehr behindert, ſowie jede religiöfe Bevorzugung oder Bedrückung verbannt wurde. Es war ein ſehr richtiger Beſchluß, die Tödtung des Rindes zu geſtatten, ja zu befördern, und zwar gerade in dem Momente, als die Macht der Sikhs vollſtändig gebrochen war. Wo das Bedürfniß es gebietet, wird ihm ſelbſt in beinahe ausſchließlich von Sikhs bewohnten Ortſchaften Ge— A nüge geleiftet, ohne die geringſte Unruhe zu veranlaſſen. Einen ſolchen Wechſel der Dinge in dieſem Lande in friedlicher Weiſe herbeigeführt zu haben, iſt der größte Triumph der Civiliſation! Dias weſentlichſte, ja das wahre Mittel zur ſittlichen Hebung des Volkes, ſowie ſich deſſen Liebe zu erwerben, iſt ein verſtändiges Er— ziehungs⸗Syſtem. Die Erfahrung hat leider gezeigt, daß in Leia und in Peſhawür wenig Reſultate für jetzt auf dieſem Wege zu erwarten ſind. Dagegen geben die übrigen Theile des Peng'äͤb, verglichen mit % ) Es find feit zwei Jahren zwei große Handelsmefjen im Sind angeordnet worden; die erſte beginnt in Kurachie am 1. December und dauert 60 Tage, die zweite zu Sakkar am 1. Januar und dauert 45 Tage. Auf dieſem Wege allein werden jährlich 4 11 Mill. fd. Sterling engliſche Waaren nach Perſien eingeführt. v. O. 478 L. v. Orlich: der Präſidentſchaft Agra, bereits ein ſehr erfreuliches Reſultat ). Es giebt drei Arten von Schulen, nämlich für Hindu's, Muſelmänner und Sikhs; in den erſten lernen die Zöglinge Schreiben und die Anfangs— gründe der Arithmetik in Hindu-Charakteren; in den Schulen der Muſelmänner wird der Koran im Arabiſchen und die Didactik und die poetiſchen Werke des Jadi im Perſiſchen (Guliſtan und Boſtan) gele— ſen; und in den Sikhsſchulen endlich lehrt man den confuſen Grunth im Gurmüffie oder die Glaubenslehren von Nanſick und Garu Go— vind. In den die Mehrzahl bildenden perſiſchen, arabiſchen und Gur— mükkie⸗Schulen find die Studien hauptſächlich heiligen Büchern, die durch ihre claſſiſche Wortſpielerei dem Lehrer, wie dem Schüler, gleich unverſtändlich ſind, gewidmet. Sehr merkwürdig iſt es, daß eine Erziehung des weiblichen Geſchlechts in allen Theilen des Peng'äb zu finden iſt. Die Lehrenden ſind Frauen, und ſie ſelbſt, wie ihre Schü— lerinnen, gehören zu den drei großen Stämmen des Landes ?). Die Erfahrungen, welche ſich in andern Theilen Indiens zeigen, daß die Erziehung ſich immer nur auf beſtimmte Kaſten, als Brami— nen, Banjas und Kaynths erſtreckt, während die großen Grundbeſitzer und kleinen Ackerbautreibenden unwiſſend bleiben, ergeben ſich auch im Peng'äb. Jedoch haben hier die Anregungen der Briten unter allen Klaſſen das Verlangen nach Belehrung hervorgebracht, der Andrang zu den Schulen hat zugenommen und in allen Theilen des Landes ſind neue Schulen entſtanden. Die Regierung errichtete zugleich zu Umritſir ein Collegium, worin die Zahl der täglichen Schüler bereits über 200, von denen der vierte Theil ſich dem Studium der engliſchen Sprache widmet, beträgt. Leſen, Schreiben, Arithmetik, Elementar-Geo— 7 District (1850 — 51) Eine Schule Ein Schüler auf auf Sahore . . - 2.2.2. 1783.98 Ew. 214.85 Ew. ee e FIRE ION: 193.10 = Multanı „0 20.98 212) 1666.66 ⸗ 210.88 = Agra, Präſidentſchaft . - | 2912.20 = 32614 = 2) Die Schulhäufer find ſehr urſprünglich, entweder eine Privatwohnung, oder das öffentliche Dorfgebäude, der Schatten eines Baumes, oder der Hof eines Tempels; die Schulen der Muſelmänner ſtehen beinahe immer in Verbindung mit der Moſchee. v. O WR Die neueften Zuſtände des Peng’äb. 479 metrie und Geographie werden daſelbſt hauptſächlich gelehrt. Aber es iſt höchſt merkwürdig, daß ſowohl in Umritſir, als in Lahore, alle Welt ſich beſtrebt, die engliſche Sprache zu lernen; viele Edle laſſen ihren Söhnen Privatſtunden geben und ſcheuen weder Koſten, noch Mühe. Außerdem werden in Umritſir Hindu, Perſiſch, Arabiſch, San— ſkrit und Gürmükkie gelehrt; 4 der Schüler find Sikhs (Jnts) und unter den Hindu's ſind die Khatrie's und Braminen die vorherrſchen— den Kaſten. Zu Lahore iſt zugleich eine mediciniſche Schule errichtet worden, um Aerzte unter den Eingeborenen zu bilden. Desgleichen iſt es im Werke, eine Civil-Ingenieurſchule, ähnlich der zu Rurkie, zu er— richten, um unter den Eingeborenen junge Leute zu erziehen, welche bei den ſtattfindenden Bauten hilfreiche Hand leiſten können. Lord Dalhouſie ſagt in ſeinem Berichte die eines großen Staats— mannes würdigen Worte: „Die Regierung muß höhere Zwecke im 2 Auge haben, als den der Vermehrung der Revenuen, — denn wenn jenen Geltung gegeben wird, werden dieſe von ſelbſt zunehmen.“ Und dieſe Anſicht hat ſich hier bewahrheitet. Die Einnahmen der letzten drei Jahre ſind in ſteter Zunahme begriffen geweſen, erreichten bereits 130 Lack und werden nach ſicherer Veranſchlagung mit dem Jahre 1863 die bedeutende Summe von 148 oder 150 Lack ergeben, woge— gen die Ausgaben von da an auf jährlich 90 Lack veranſchlagt ſind, mithin ein Ueberſchuß von mehr, als 50 Lack, jährlich verbleiben wird. Schließlich ſei es uns erlaubt, noch einige Worte in Bezug auf die geographiſche und politiſche Lage des indiſch-britiſchen Reiches zu ſagen. Von Zeit zu Zeit erheben ſich Stimmen und oft ſolche, von denen man eine richtigere Auffaſſung über Indiens Grenzen erwarten ſollte, welche in prophetiſcher Weiſe verkünden, daß die Engländer Peſha— wür und alles Land jenſeits des Indus aufgeben und ſich auf dieſen Fluß allein als Grenze beſchränken müſſen. Allen dieſen möchten wir ein für allemal wünſchen, es ſich begreiflich zu machen, daß der In— dus allein keine politiſche Grenze bildet, ſondern die Bergkette jen— ſeits deſſelben. So ſagt auch Lord Dalhouſie: „Unſer indiſches Reich hat erſt jetzt ſeine natürliche und am beſten zu vertheidigende Grenzlinie erreicht, nämlich die Gebirgskette jenſeits des Indus und Peſhawür.“ “) N ) Ich ſprach dieſelbe Anſicht beinahe wörtlich in meinem Werke: Reife in Oſt⸗ Indien x. 2. Thl. S. 41 im Jahre 1844 aus, ſowie, daß die britiſch-indiſche Regie— 480 L. v. Orlich: Die neueſten Zuſtände des Peng’äb. An dieſer Grenze, namentlich bei Peſhawür und am Fuße der Sulimani- oder Soliman-Berge, wird der kleine Krieg mit den dorti— gen Räuberhorden nie aufhören. Doch von dieſen iſt ſo wenig zu beſorgen, wie von den Bedrohungen des Königs von Cabul. Doſt Mohamed und ſeine Afghanenhäuptlinge haben die Ueberzeugung ge— wonnen, daß ſie nur im innigſten Anſchluſſe an die Engländer mächtig und geſchützt ſind, und der Doſt hat in den letzten Jahren den Ge— neral-Gouverneur mit Botſchaften der Freundſchaft und Ergebenheit überhäuft. Man wünſcht ihn nicht zum Feinde, bewirbt ſich aber auch nicht um ſeine Freundſchaft, ſondern läßt ihn um die der Briten werben. Auch iſt die ſo oft hingeworfene Anſicht unſerer Tage, daß Eng— lands Reich in Indien durch Rußland bedroht ſei, eine ganz müßige, und wir haben nie begreifen können, daß ſelbſt ein Mann, wie der Oberſt Chesney, die Möglichkeit aufſtellen konnte. Es iſt dies nur von einem Wege aus zu bewerkſtelligen, und auf dieſem ſind es von der äußerſten Grenze Rußlands bis zum Indus beinahe 1500 Meilen durch Länder, welche, beinahe ganz Wüſte, von wilden kriegeriſchen und treuloſen Stämmen bewohnt ſind, und wo oft Tage lang kein Waſſer zu finden iſt. Alle Bedürfniſſe für Menſchen und Thiere müſſen mit geſchleppt werden. Als Alexander der Große ſeinen Marſch nach In— dien antrat, waren jene Länder bevölkert und bebaut und gewährten einem Heere Alles, was es bedurfte; — doch wo damals volkreiche Städte und Gefilde blühten, find heute Ruinen und Wüſten. Ruß— land hat ohne Zweifel in den letzten Jahren den Engländern Ungele— genheiten in Central-Aſien bereitet, und dieſen Weg wird es auch fer— ö ner verfolgen, aber damit kein erhebliches Reſultat erzielen. rung ſehr bald durch Ereigniſſe gezwungen werden würde, ſich des Peng’äbs zu be— mächtigen. Dieſe Anſicht wurde damals von einigen der Directoren der Oſtindiſchen Compagnie ſehr ungern gehört und belächelt. L. v. Orlich. 1 Neuere Literatur. Reiſe um die Welt von Weſten nach Oſten durch Sibirien und das ſtille | und atlantiſche Meer. Mit einem Titelblatte und einer Karte. Afchaf- 5 fenburg (bei Krebs) 1854. 8. 136 S. ) Die 5000 Individuen ſtarke Bevölkerung von Jakuͤtsk 2) beſteht größten— theils aus Ruſſen und deren Abkömmlingen, zum kleineren Theil nur aus Jaku— ten. Die ruſſiſchen Abkömmlinge bilden ein 500 Mann ſtarkes unregelmäßi— ges Koſakencorps, find aber durch ihre Vermiſchung mit den Eingeborenen ihren ruſſiſchen Vorfahren ſehr unähnlich geworden und reden ein ſehr un— reines Ruſſiſch 2). Die ächten hieſigen Jakuten unterſcheiden ſich von ih- ren nomadiſchen Nachbarn, die vorzugsweiſe Tunguſen find, ſehr beſtimmt und haben mit ihnen durchaus keine Verwandtſchaft; fie bewohnen bis zu die— ſem Augenblicke nur die Umgebungen von Jakuͤtsk im Umkreiſe von eini— gen hundert Werft 4) und ſollen eine dem Türkiſchen verwandte Sprache 3 . ) Es bildet dieſer Artikel den Schluß des in dieſem Bande S. 428 — 434 mitgetheilten Referats. 5 2) v. Köppen giebt für das Jahr 1849 nur eine Bevölkerung von 2960 Indi⸗ viduen (Zeitſchrift III, 461). Häuſer rechnet v. Wrangel 500 nebſt 6 Kirchen und Klöftern (a. a. O. J, 136). 5 ) Die Jakutiſirung der Bewohner ruſſiſcher Abkunft zu Jakuütsk fiel ſchon v. Wrangel auf; ſie hat darin ihren Grund, daß die Kinder bald nach ihrer Geburt irgend einer Jakutin übergeben werden, welche fie, fo gut fie es vermag, auffüttert und nach 2 bis 3 Jahren etwas jakutiſirt, wie der Berichterſtatter ausdrücklich ſagt, den Aeltern wiedergiebt. Aus dieſer erſten Grundlage der Jugendbildung erklärt ſich die Anfangs dem Fremden ſonderbare Erſcheinung, daß ſelbſt in den etwas höheren geſellſchaftlichen Zirkeln das Jakutiſche hier eine beinahe eben ſo weſentliche Rolle, als das Franzöſiſche in den beiden ruſſiſchen Hauptſtädten, ſpielt. Dies fiel v. Wran— gel beſonders in einer anſehnlichen, aus Honoratioren der Stadt und ſelbſt dem Gou— verneur beſtehenden Geſellſchaft auf, wobei ein großer Theil der Unterhaltung ſo mit jakutiſchen Brocken durchwebt war, daß Wrangel, der Sprache der Eingeborenen unkundig, nur wenig Antheil daran nehmen konnte (a. a. O. J, 139 — 140). Ganz ähnliche Erfahrungen machte Erman an anderen Punkten dieſer Gegenden mit der— ſelben Sprache (1, 2. S. 226). ) Hiernach würden die Jakutsfer Jakuten eine Art ethnographiſcher Inſel bil— den. Dies iſt wohl nicht richtig, indem nach v. Wrangel noch eine große Abtheilung des Volkes höher im Norden Sibiriens zwiſchen den in das Eismeer fallenden Flüf— ſen Indigirka und Omolon wohnt, von welcher es bisher nicht unterſucht iſt, ob fie nicht wirklich mit ihren Stammesgenoſſen bei Jakütsk unmittelbar zufammenhängt. Dies ſcheint in der That der Fall zu ſein, da nach v. Wrangel auch das Wercho— janskiſche Gebirge zwiſchen Jakütsk und der Indigirka von Jakuten bewohnt iſt (a. a. O. 165, 168) und dieſer Forſcher noch an anderen Punkten des zwiſchenliegenden Ge— biets häufiger Jakuten angetroffen hat (a. a. O. I, 147, 154, 171— 173). Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 31 — 482 Neuere Literatur: reden 1). Ihren Sagen nad) find fie Einwanderer 2). Neben vielen fchlim- men Eigenſchaften, wozu beſonders Gefräßigkeit, Schmutz, Lügenhaftigkeit und Hang zum Stehlen gehören 5), beſitzt dies Volk auch einige gute. Es iſt nämlich arbeitſam und in vielen Dingen, namentlich in Schnitzereien, im Zu— bereiten und Nähen des Leders, in Zimmermanns- und kleinen Schmiede— arbeiten ſehr geſchickt und übt dieſe Geſchicklichkeit aus 2). Bei der Ver— 1) Dies iſt eine durch viele neuere Reiſende und ſprachliche Forſcher behaup- tete und nachgewieſene intereſſante Thatſache. So ſprach v. Wrangel die nämliche Anficht aus (J, 148) und verficherte, daß die Geſichtsbildung der Jakuten voll— kommen die Tradition über die Abſtammung des Volks von den Tataren beſtätige (f. auch Erman J. 2. S. 280). Mit nicht minderer Beſtimmtheit behauptete Erman die Verwandtſchaft des Jakutiſchen mit der Sprache der Tobolsker Tataren (J, 2. 280 — 294), und endlich begründete daſſelbe in den letzten Jahren O. Boethlingk nach den von v. Middendorff geſammelten Materialien in ſeinen umfaſſenden Arbeiten über dieſe Sprache (v. Middendorff, Reife in Sibirien III, 2. Abth. 1. S. XXIX). Wenn aber Erman annimmt, es ſei nicht zu bezweifeln, daß ein an der Lena oder am Aldan geborener Jakute ſich mit den Bewohnern Conſtantinopels würde verſtän— digen und fie für Verwandte anſehen können (I, 2. S. 295), fo läugnet dies Boethlingk in den entſchiedenſten Ausdrücken. 2) Erman hörte (I, 2. S. 233), daß ſchon im Anfange des 17. Jahrhun⸗ derts, als die Bekanntſchaft der Ruſſen mit den Jakuten begann, ſich bei den letzten die Sage gefunden habe, daß ſie ehemals an der oberen Lena dicht neben Buräten und Mongolen gewohnt hätten, und daß ſie erſt in Folge eines Krieges von denſel— ben getrennt und nach Norden weggedrängt worden ſeien. 3) Rachgier, Prozeßſucht, Ungeſelligkeit und Verſchloſſenheit bilden Hauptzüge in dem Charakter des Jakuten. Eine erlittene Beleidigung vergißt der Jakute nie, und, wenn er ſelbſt nicht dazu gelangt, ſich zu rächen, ſo überträgt er dies unfehlbar feinem Sohne und nächſten Verwandten (v. Wrangel, I, 152). — Querelleur, pro- cessif, insociable, il est contenr comme un Arabe, vindicatif comme un Corse, mais hospitalier comme un ancien Gaulois, ſagt ſehr kurz und bezeichnend ein anderer Berichterſtatter von dem Volke (F. B. in der Revue de l’Orient VI, 139). ) Die Gaſtfreiheit der Jakuten und das gutmüthige Entgegenkommen derſelben gegen Fremde erwähnt v. Wrangel als einen merkwürdigen Contraſt in dem Cha⸗ rakter des auch von ihm, wie eben erwähnt, verſchloſſen und ungeſellig genann— ten Volks. Aber beſonders merkwürdig, namentlich bei den ungünſtigen äußeren Ber- hältniſſen, unter denen ſie vor ſich ging, iſt die Ausbildung der Jakuten in Bezug auf mechaniſche Geſchicklichkeit, indem ſie darin nicht allein alle übrigen oſtſibiriſchen Völkerſchaften, ſondern ſelbſt die bekanntlich durch ihre mechaniſchen Talente ausge— zeichneten Ruſſen übertreffen. Erman und v. Middendorff (J, 139) ſtimmen mit unſe⸗ rem Reiſenden in dem Rühmen dieſer Geſchicklichkeit ganz überein. So werden durch die Jakuten Teppiche aus weißen und farbigen, in feine Streifen zerſchnittenen und nach Art der Moſaik ſymmetriſch und geſchmackvoll zuſammengenähten Fellen, verfertigt und ſelbſt nach Europa verkauft. In der Volksſchule zu Jakütsk zei⸗ gen die jakutiſchen Kuaben viel Anlage für mechaniſche Fertigkeiten, aber wenig Sprachtalent und wenig Sinn für techniſche Leiſtungen (Erman I. 2. S. 278, 279 und 298). „In jeglicher Hinſicht begabt, ſagt z. B. v. Middendorff (Bull. de Acad. Imper. d. sciene. de St. Pétersbourg. Cl. phys. - math. 1846. IV, 31) von den Jaku⸗ ten, zu allen Handwerken geſchickt, die ſie raſch ihren Meiſtern abgeſehen, üben ſie, nomadiſch genügſam, an dieſen das Vergeltungsrecht, deſſen der zünftige Ruſſe ſie anklagt. In ihren Neigungen, ihrer ſchlauen Gewandtheit, ihrer Unverſchämtheit erinnern ſie, beſonders die ſtädtiſchen, noch oft an die Juden.“ Zu Jakuͤtsk giebt es jetzt unter den Ruſſen keine Handwerker mehr; dieſe find nur Jakuten (Wrangel J, 139). Zus gleich ſind die Jakuten ein äußerſt abgehärtetes Volk, welches von den Sibiriern ſelbſt u 2 Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 483 N arbeitung des Eiſens wiſſen die Jakuten demſelben eine ſolche Reinheit und Geſchmeidigkeit zu geben, daß ihre eiſernen Meſſer zum Raſiren tauglich find und ſogar die beſten europäifchen Stahlmeſſer übertreffen. Doch ken— nen ſie auch die Stahlbereitung und fertigen einen ſehr guten Feuerſtahl an (S. 44). Die Jakuten ſind übrigens zwar alle getauft, hängen aber noch ſehr ihren früheren heidniſchen Zaubereien und Hexereien an. Obgleich Ackerbau zu Jakuͤtsk nicht mehr getrieben wird !), jo ſind die Lebensmittel hier ausnehmend billig, weil ſie mit Leichtigkeit auf der Lena herbeigeſchafft werden können 2). Die Bewohner der Stadt leben deshalb bequem, und faſt Niemand hat ein zu ſtrenges Geſchäft. Schlitten und Pferde . hält faſt Jeder, weil der Aufwand dafür nicht zu groß iſt, und Spazierenfah— ren iſt deshalb eine ganz allgemeine Beſchäftigung. Im Winter giebt es Bälle, wo die Jugend tanzt. Die Männer ſpielen Karten, das Hauptvergnü— gen der Frauen iſt dagegen das Aufknacken von Zirbelnüſſen (der Nüſſe von Pinus Cembra), was fie ſehr geſchickt mit den Vorderzähnen zu thun ver— ſtehen. Dies unterhält ſie nach ihren Begriffen angenehm, ohne ſie zum Re— Menſchen von Eiſen genannt wird, bei einer Kälte von 20 bis 30 Grad leicht be— kleidet im Freien auf dem Schnee ſchläft und den Hunger mit einer unglaublichen Ausdauer zu ertragen vermag (Revue de l’Orient VI, 138). 1) Dies iſt nach Erman's beſtimmter Angabe (I, 2. S. 253 — 254) irrig, ja ö den zu nöthigen, indem jedes Geſchäft ihnen unbequem und beſchwerlich ift 3). 4 5 . man erndtet hier durchſchnittlich das 15., in einigen Fällen ſogar das 40. Samen— korn, und zwar auf in 3 Fuß Tiefe ewig gefrorenem Boden, grade wie v. Midden— dorff das Getreide noch zwiſchen Jakuͤtsk und dem gleich zu erwähnenden und öſtlich davon gelegenen Oertchen Amginsk auf ewigem Eiſe und angeblich beſſer als in den Oſtſeeprovinzen gedeihend fand (Bull. IV, 19). Sonſt gilt Kirensk in 5747“ nördl. Br. den Landesbewohnern als der nördlichſte Punkt dieſer Gegenden, wo Acker— bau möglich fei, wie Erman (I, 2. S. 233) berichtet. 2) Wäre, wie v. Wrangel ſchon im Jahre 1820, aber, wie es ſcheint, vergeb— lich wünſchte, auf der ganz dazu geeigneten Lena eine Dampfſchifffahrt von Kirensk nach Jakuͤtsk eingerichtet worden (1, 128 — 129), fo hätte nicht allein Jakuͤtsk, ſon— dern das ganze nordöſtliche Sibirien außerordentliche Vortheile davon gezogen; durch die über 4000 Werſt weit mögliche Beſchiffung der Lena mittelſt Dampfern wäre der zu kurze Sommer durch zweckmäßige Zeitbenutzung verlängert worden, und die Be— wohner hätten die unentbehrlichſten Bedürfniſſe immer ſicher und zu billigen Preiſen erhalten. 3) Auch Erman (T, 2. S. 264 — 265) war die Schweigſamkeit der Jakuͤtsker Frauenzimmer, wie das Nußknacken als ihre Hauptbeſchäftigung in Geſellſchaften, auf— gefallen, doch meint er, daß dies allein bei den jüngeren der Fall ſei, indem nur von dieſen verlangt werde, daß ſie in den Verſammlungen der älteren ſchweigen. Sie ſitzen alſo in feſtlichen Kleidern zur Zierde und als Schau an den Wänden des Ge— ſellſchaftszimmers und beſchäftigen ihren Mund mit den Zirbelnüſſen (Kedrowija orjechi), ftatt mit Geſprächen, weshalb die Nüſſe ſcherzhafter Weiſe den Namen Ge- ſpräche (rusgowörki) führen. Dies ſei ein paſſendes Mittel, fügt Erman hinzu, die Unterhaltung zu erſetzen, denn es erfordere eine eigene Geſchicklichkeit, die kleinen men aufzubeißen, und ohne einige Geſchicklichkeit halte man es geeigneter für * ichhörnchen, als für Menſchen. Die Vorliebe für die Zirbeluüſſe ſcheint ſich übri⸗ gens durch ganz Sibirien zu verbreiten, denn noch zu Tobolsk, dieſem Capua des 5 Fa f 484 Neuere Literatur: Bei Jakuͤtsk ſetzten die Reiſenden endlich am 30. September über die Lena, nachdem ſie in die hier übliche ſchwere Pelzbekleidung für die folgende Reiſe in der kälteſten Jahreszeit eingehüllt worden waren. Bis zu dem Amgafluſſe, einem Zufluſſe des Aldanſtromes, und der Amginskiſchen Slobode (Amginsk, Amginskaja Sloboda), folgten fie zuvörderſt zu Pferde 200 Werft weit einer oſtſüdöſtlichen Richtung auf einem zum Theil fahrbar gemachten ausge— hauenen Wege, der zugleich Poſtſtraße, verſehen mit jakutiſchen Jurten, iſt. Doch wird der Weg ſchon ſo undeutlich, daß er nur durch das von den Landesbe— wohnern vorgenommene Aushauen der Rinde an den Bäumen kenntlich iſt. Man benutzt, ihn zurückzulegen, jakutiſche Pferde, die, wenn auch nicht groß und meiſt häßlich, doch eine erſtaunliche Ausdauer und Sicherheit des Ganges auf den glatten Eisflächen beſitzen, Eigenſchaften, die man um ſo mehr be— wundern muß, als die Pferde gar nicht beſchlagen ſind und höchſt dürftig genährt werden, indem ſie ihren Unterhalt, gleich den Rennthieren, ſich zum Theil ſelbſt ſuchen und mit ihren Hufen unter dem Schnee hervorkratzen müſſen “). Erſt dann, wenn wegen des zu tiefen Schnee's im ſpäten Win— ter das Pferd nicht mehr zu nutzen iſt, werden Rennthiere unentbehrlich, und nimmt endlich der Schnee zu ſehr zu und wird er zu locker, daß ſelbſt die Renn— thiere den Dienſt verſagen, fo. vertreten Hunde, die an der Meeresküſte und in Kamtſchatka überhaupt die wichtigſten Hausthiere ſind, die Stelle. Amginsk iſt ein dorfähnliches, an dem Amgafluſſe gelegenes Oertchen mit einer Kirche und einigem Handel 2). Von hier aus wandten ſich die Reiſenden immer noch in oſtſüdöſtlicher Richtung nach dem Aldan, einem ſehr großen, von Oſten der Lena zugehenden Strome 3), der, ehe er ſich mit der Lena vereinigt, die Amga aufnimmt. Weiterhin trifft man bis Ajan nur noch zwei Stationen mit einigen feſten Bewohnern, nämlich Chanduka und Nelkan an, Namen, die gleich Ajan, ſo viel bekannt, bisher noch nirgends genannt wor— den waren. Durch Amginsk, den Aldan, Chanduka und Nelkan zerfällt übrigens Landes, wie ein neuerer Autor die Stadt nennt (F. B. in der Revue de l’Orient VI, 137), bewirthet man bei feſtlichen Gelegenheiten die Gäſte außer mit Wein und Thee mit den Nüſſen (Erman I, 1. S. 520). ) v. Middendorff ſpricht ſich eben fo rühmend über die jakutiſchen Pferde aus (Bullet. IV, 20): „Mit einem Worte, wer an eine bedeutende Verbeſſerung der jakutiſchen Pferdezucht denkt, hat ſein Augenmerk auf etwas dem Vollkommenen ſehr Nahes gewandt. Dieſe Pferde klimmen mit einer Laſt von 24 Centnern von Felsblock zu Felsblock, gleich Ziegen, nähren ſich von Schachtelhalm, Lärchenrinde, Weidenzweigen und verjährten Grasſtengeln, laufen bis 40 Werſt im Rennen, ohne zu verſchnaufen, und ſtehen dann draußen ſtill, in Schweiß und Schaum gebadet und ohne Decke, bei 40 Grad Kälte.“ 2) Erman J, 2. S. 309. 3) Den Aldan nennt v. Middendorff (Bulletin IV, 19) einen Strom, der für den Staatswirth und alle hieſigen Verhältniſſe eine ſehr hohe Bedeutung habe, in- dem jenſeits deſſelben das der Anſiedelung unzugängliche ſibiriſche Gebiet der Pelz— thiere beginnt. Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc— 485 der Weg von Jakuͤtsk nach Ajan in fünf ziemlich gleiche Theile zu je 200 bis 250 Werſt Länge. Den ganzen im Oſten von dem ochotskiſchen Meere, im Norden von der Jakuͤtsk-Ochotsker Landſtraße, im Weſten von der Amga, im Süden von der chineſiſchen Grenze eingeſchloſſenen Landſtrich ſcheint, mit Ausnahme Middendorffs, bisher kein einziger unterrichteter Reiſender durch— zogen zu haben und namentlich war, da Middendorff ſich von Amginsk gleich nach Südoſten gewandt hatte, um das ſüdlich von Ajan, am ochotskiſchen . ˙—Ü 1 ee ee en Meere gelegene Etabliſſement Üdſkoj Oſtrog zu beſuchen, die zwiſchen der Ochotsker Straße und Middendorffs Wege liegende Region eine völlige Terra incognita geblieben. Wir haben demnach die Reiſe des jungen Ehepaares für dieſe Gegenden wirklich als eine Entdeckungsreiſe anzuſehen, wodurch die Kenntniß Sibiriens eine weſentliche Bereicherung erhält. Aber der Zug war mit den allergrößten Beſchwerden verknüpft und hätte den Reiſenden beinahe den Tod gebracht. Denn abgeſehen davon, daß das ganze Land von Jakuͤtsk bis zum Meere nur ein einziger ungeheurer öder Wald iſt, wurden die Muͤhſeligkeiten durch die fürchterliche, bis 28 R. geſtiegene Kälte, die Schwierigkeit des Paſſirens in dem tiefen Schnee, der beſonders das von Nelkan an beginnende gebirgige Terrain bedeckt, endlich auch durch den Mangel an Lebensmitteln außerordentlich erhöht. Die hier bald niedriger, bald höher und großartiger auftretenden Wälder ) beſtehen meiſt aus Pärchen, dann aus Kiefern, und vom Al— dan an zugleich aus Tannen; Birken und Erlen kommen ſeltener vor; die Berge bedecken Cedern 2), die jedoch ganz verkrüppelt und niedrig ) Von den ſibiriſchen Waldbäumen gehören nicht alle, wie ſchon unſer Be— richterſtatter bemerkt (S. 69), den in Europa unter den aufgeführten Namen bekann— ten Arten an. Von den europäifchen Waldbäumen ſcheinen nur noch unſere ge— meine Kiefer (Pinus silvestris) und die gewöhnliche Lärche (Pinus oder Abies la- rix) in Sibirien vorzukommen (v. Middendorff im Bullet. III, 254-256). Nächſt ihnen find die ſibiriſche Lärche (Larix sibirica) und die dauriſche Lärche (Larix daurica), die ſibiriſche Tanne (Abies sibirica), von Erlen Alnaster fructicosa, von Birken Betula Ermani ſehr verbreitet. Bei Ajan kommt endlich eine, wie es ſcheint, neu beſtimmte Conifere, die Picea Ajanensis, vor, die vielleicht mit der Pichta der Ruſſen (naxra v. Middendorff IV, 29) identiſch iſt. 2) Die Zirbelſichte (Kedr oder Sibirskji Kedr von den Ruſſen genannt), die von den öſtlichen Seiten des Ural an, wo ſie Erman zuerſt zwiſchen Newjansk und Niſchnei Tagilsk antraf (T, 2. S. 331) mit gleichbleibender Häufigkeit durch ganz Sibirien bis Ochotsk im Oſten fortſetzt, iſt meiſt ein ſtattlicher, große Wälder bildender Baum, der nicht allein durch ſeine, ſchon erwähnten, ſchmackhaften Samen— kerne, ſondern auch durch ſein treffliches leichtes, zum Nutzen und Bauen vielfach ver— wandtes Holz ſehr geſchätzt wird. Faſt durchweg iſt dieſe Conifere hier ein Gebirgs— baum, der ſich am Baikal bis zur Schneeregion erhebt, wie Georgi zu beobachten Gelegenheit hatte (Bemerkungen auf einer Reiſe im ruſſiſchen Reiche im Jahre 1773. St. Petersburg 1775. I, 235), wogegen die Lärche im Allgemeinen tiefere Regionen zu lieben ſcheint, weil Erman ſie nur bis zu einer gewiſſen freilich an einzelnen Punkten weit überſchrittenen Höhenregion antraf. Daß endlich die Ver— breitung der Zirbelfichte die merkwürdige Eigenthümlichkeit hat, daß fie weſtlich 486 Neuere Literatur: find !). Offene Stellen giebt es nur hin und wieder zwiſchen dem Aldan und dem unter dem Namen des Stanowoi (St. Chrebet) bekannten, längs dem ochots⸗ kiſchen Meere hinziehenden Küſtengebirge. In dem von Jakuͤtsk bis zum Aldan gelegenen Landſtriche erfcheinen dergleichen in den Thälern als Wieſen von 10 bis 20 Werſt Länge, aber ſehr geringer Breite. Vom Aldan an hört die Eben— heit des Terrains immer mehr auf, je mehr man ſich Nelkan nähert, indem die Ausläufer des Stanowoj ſich mehren, und endlich wird in dem 200 Werſt langen Striche vor Nelkan das Land geradezu ein Gebirgsland, worin die einzelnen Höhen, die meiſt dicht, wie das übrige Land, bewachſen ſind, ſelten über das übrige Terrain aufſteigen. Der Charakter der Gebirgszüge iſt dann ſehr mannigfaltig, und Ketten mit einzelnen Kuppen zeigen ſich beſtän— dig am Horizont. Von Nelkan an gegen Oſten werden die Berge ſogar noch höher, und zuletzt herrſcht im Stanowoj eine verworrene wilde Alpennatur. Erreichen hier die Höhen der Berge auch nicht, wie es unſerem Berichterſtatter erſchien, die der Schweizeralpen, ſo ſind ſie dagegen um ſo dichter aneinander gereiht und öder. Todt iſt dies ganze Land, namentlich im Winter; menfch- liche Wohnungen giebt es überaus ſelten, am häufigſten noch zwiſchen Ja— kuͤtsk und dem Aldan, aber zwiſchen Chanduka und dem Meere, eine Strecke von 500 Werft (714 Meilen) wohnt ſogar Niemand, mit Ausnahme einiger we= nigen Anſiedler zu Nelkan, das unfern des weſtlichen Fußes des Stanowoj und zugleich an dem oberen Laufe eines öſtlichen Zuſtroms des Aldan, der hier einen gewaltigen nach Suden gerichteten Bogen bildenden Maja, gelegen iſt. Alles erſcheint als eine vollkommene Wildniß und Einöde, Todtenſtille herrſcht im Walde, wo ſich nicht einmal ein Thier, mit Ausnahme eines verirrten Raben, blicken läßt. Vom Aldan hörte ſchon der ausgehauene Weg auf, und ein ſchmaler ungebahnter Fußpfad vertritt deſſen Stelle. Muß Sibi- rien im Allgemeinen dünn bevölkert genannt werden, ſo gehört dieſer Theil des ungeheuren Landes ſogar zu deſſen menſchenleerſten Regionen, und man vom Ural im Norden Europa's nirgends vorkommt und erſt wieder nach Ueberſchrei⸗ tung eines ungeheuern Zwiſchenraums in den höheren Theilen der Alpen von Defter- reich bis Tyrol erſcheint, iſt hier als bekannt anzunehmen. ) Die Zirbelfichte nimmt in dieſen kalten Gegenden, dann in den ähnlich Fal- ten in der Nähe des Polarkreiſes am untern Obi bis zur Lena, endlich auf Kamt⸗ ſchatka (Steller, Beſchreibung von dem Lande Kamtſchatka. Frankfurt und Leipzig 1774. S. 76) ein ganz verkrüppeltes Weſen an, das mit dem der Krummholzfichte (Pinus Pumilio) auf dem Rieſengebirge und den höheren Alpen einigermaßen verz gleichbar iſt und von den Ruſſen mit dem Namen Slanez d. h. niedergeſtreckt (groge, stratum) bezeichnet wird. Dieſe Zwergzirbelfichte hat einen bis 3 Zoll im Durchmeſſer ſtarken und 10 — 12 Zoll langen graden Stamm, welcher ſich im Winter unter dem Schnee verbirgt, ſo daß ſie wie ein auf den Boden gedrücktes Geſträuch erſcheint. Im Frühlinge erheben ſich die Sträucher in wenig Tagen. Aehnliche nie⸗ dergelegte ſtrauchartige Varietäten kommen bei der Birke vor, was die Botaniker veranlaßte, fie humistrata zu nennen. Indeſſen ſcheint nach neueren Beobachtun— gen die niedergelegte Ceder (Keaposumkn der Ruſſen) nicht eine wahre Zir⸗ belſichte zu ſein (v. Middendorff IV, 27). 3 * Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 487 möchte hier leicht ein zuſammenhängendes Stück von einer Million Quadrat— meilen abſtecken können, worin nur eine Bevölkerung von wenigen Hundert Menſchen ſich erhält (S. 28) 1). Durch ſolche grauenvolle Einöden mußten die Reiſenden ihren Weg nehmen, der zuletzt im Stanowoj im höchſten Grade lebensgefährlich wurde, da ſie gezwungen waren, ohne Obdach in der ſtrengſten Kälte eine große Zahl von Nächten zuzubringen, ihre Nahrung höchſt unzulänglich wurde und endlich ſelbſt jo ausging, daß fie ſich genöthigt ſahen, einen Theil der Rennthiere zu ſchlachten und ſich von dem Fleiſch, zu deſſen Würze fie nicht einmal Salz beſaßen, zu nähren, ferner die lebend erhaltenen Rennthiere bei dem 5 — 7 Fuß hohen Schnee keine Nahrung fanden und den Dienſt ver- ſagten, endlich ſelbſt die eingeborene, aus Jakuten und Tunguſen beſte— hende Begleitung den Muth verlor, indem Niemand derſelben jemals den nur zur Sommerzeit benutzten Weg zwiſchen dem Aldan und Ajan im Winter zurückgelegt hatte. Nur ein glücklicher Umſtand rettete die Reiſenden mitten in der Gebirgswüſte des Stanowoj von dem faſt ſicheren Tode, und es iſt in der That die heldenmüthige Ausdauer der jungen Gattin des Verfaſſers zu bewundern, womit dieſelbe die fürchterlichen Beſchwerden ihrer Reiſe in dieſen Gegenden, ohne der Erſchöpfung oder Verzweiflung zum Opfer zu fallen, aushielt 2). Nahe der Stelle, wo die Maja in den Aldan fällt, überfchritten die Nei- ſenden erſt am 16. October den Aldan, worauf fie 8 Tage zubrachten, um auf dem durch große zuſammengeworfene Schollen gebildeten Eiſe der Maja Chanduka zu erreichen. Von Chanduka nach Nelkan (245 Werſt oder 35 deutſche Meilen) dauerte die Reiſe abermals 7 Tage. Trotz der ſtrengen winterlichen Kälte, welche am 27. November, wo Nelkan verlaſſen wurde, 27 Grad erreichte, iſt die Baum— vegetation in dieſen Gegenden ſo ungemein kräftig, daß ſich in der Nähe des Iljapafluſſes noch der ſtattlichſte, aus ſchnurgraden, ungeheuer dicken, und nach ihrem Abſterben ungenutzt vermodernden Stämme beſtehende Lärchenwald dar— bot. Von Nelkan begann aber erſt bei der großen Kälte (S. 46), die im Anfang des December bis auf 35 Grad zu ſteigen pflegt, der ſchwierigſte Theil der Reiſe, der ſelbſt in günſtigeren Epochen des Jahres ſo gefährlich iſt, daß, als Ajan's Gouverneur im September deſſelben Jahres nach ſeinem Wohnorte zurückkehren wollte und ihn ein Schneegeſtöber auf dem Gebirge überfiel, deſſen Lage ſo ) Nach P. v. Köppen's neueſter Zuſammenſtellung der Bevölkerung der ruſſi— a ſchen Gubernien hat das von Jakuͤtsk trotz feines ungeheuren Umfangs nur eine Be— völferung von 207,030 Seelen. 9) Welcher Art die Beſchwerden einer Reiſe in dieſen Gegenden find, läßt ſich auch daraus abnehmen, daß v. Middendorff in einer viel günſtigeren Jahreszeit zwei volle Monate (vom 23. April bis 21. Juli) bedurfte, um den Weg von Amginsk « 7 durch den Stanowoj nach Üdſkoj oſtrog zurückzulegen. 488 Neuere Literatur: verzweiflungsvoll wurde, daß einige feiner Begleiter, wie Kinder, zu weinen begannen. Unſeren Reiſenden wurde das Vorwärtskommen endlich eben ſo unmöglich, wie die Umkehr nach Nelkan. Sie mußten ſich entſchließen, mitten in dem Stanowoj Halt zu machen und bei — 30» Temperatur einige Tage zu verweilen, bis einige auf Schneeſchuhen nach Ajan, Hilfe zu holen, geſandte Eingeborene aus der Begleitung dieſelbe brachten. Die Ab— geſandten konnten in 6 Tagen den Weg hin und zurück machen, kehrten aber erſt am 11. Tage, als die Noth der Verlaſſenen den höchſten Grad erreicht hatte, mit einer genügenden Zahl von Hundeſchlitten zuruck. So erreichte man am 11. December Ajan, nachdem der höchſte Theil des Gebirges und deſſen öſtlicher, aus rieſigen Felsmaſſen gebildete Abfall glücklich paſſirt wor⸗ den war. Ajan's Gründung durch die ruſſiſch-amerikaniſche Compagnie wurde da- durch veranlaßt, daß die ſeit langer Zeit fühlbare unbequeme Lage, die Un— ſicherheit und ſchwere Zugänglichkeit des Hafens von Ochotsk die Geſellſchaft zwang, ſich nach einem beſſeren Hafenplatz umzuſehen, indem Ochotsk bisher der einzige Verbindungspunkt der ruſſiſchen Continentalbeſitzungen mit den ruſſiſchen Niederlaſſungen im weſtlichen Nord-Amerika geweſen war. Schon zu Erman's Zeit (a. a. O. I, 2. S. 266) hatte man dazu die ſüdlich von Ochotsk an der Mündung des Adaflüßchens in den ochotskiſchen Meerbuſen, etwa im 55 nördl. Br. gelegene Bai in Vorſchlag gebracht, aber der Vor- ſchlag kam nicht in Ausführung, obgleich die Bai bei der angeordneten Unterſuchung für den beabſichtigten Zweck tauglich befunden worden war. Erſt im Jahre 1845 erfolgte zwiſchen der Adabucht und Ochotsk die Begrün— dung der Factorei von Ajan auf einer etwa 5 Werft in das Meer hinaus- gehenden und vorzugsweiſe aus Thon und Kieſelſchiefer 1), dann auch aus Granit gebildeten Landzunge, die zugleich einen etwas über 2000 Fuß anftei= genden Berg, den Londor Negodni, trägt. Zu beiden Seiten der Land— zunge liegen Meerbuſen, wovon der ſuͤdliche als Compagniehafen benutzt und durch eine Batterie von Kanonen geſchützt wird und in dem kurzen Sommer Schauplatz einer ungemein regen Thätigkeit iſt, während im Winter umgekehrt eine große Dede eintritt. Im Sommer kommen nämlich aus Ja— kuͤtsk zahlreiche Transporte von Packpferden an, die Mehl, Grütze, Erbfen und andere für das Leben der europäiſchen Bewohner in den amerikaniſchen Colonien erforderliche Dinge herbeiführen, und auch aus Amerika laufen dann ) Grauwacke und Thonſchiefer ſcheinen in dieſen weſtlichſten Theilen Sibiriens überhaupt ſehr verbreitet zu ſein, indem nach Erman das durch den Lauf der oberen Maja und der Judoma, eines von Oſten kommenden Zufluſſes der Maja, durchbro⸗ chene Aldangebirge daraus beſteht. Zugleich machte Erman hier die intereſſante Beobachtung, daß das Thal der Allachjuna, eines Zufluſſes des Aldan, eine ſehr be— ſtimmte Scheide der beiden das Aldangebirge zuſammenſetzenden Hauptgeſteinmaſſen, nämlich einer Art von Kalkſtein im Weſten und des Thonfchiefers im Oſten, bildet, ähnlich wie es mit dem Innthale in Tyrol der Fall iſt (I, 2. S. 359). Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 489 2 bis 3 Schiffe mit Pelzwerk ein, welches nach Kiaka und Irkuͤtsk befördert werden muß, um als Tauſchmittel gegen chineſiſchen Thee zu dienen, der be— kanntlich einen Haupthandelszweig der ruſſiſch-amerikaniſchen Compagnie bil- det und vorzugsweiſe nach dem großen Jahrmarkte von Niſchnij Nowgorod gebracht wird, von wo aus er ſich erſt nach allen Richtungen des Reichs verbreitet. Zur Beförderung der großen Theetransporte und der von Peters— burg und Moskau für die Colonien in Amerika bezogenen Waaren unterhält die Compagnie in den wichtigſten Städten Sibiriens, zu Moskau und Kaſan Commiſſionäre. Eine Menge Menſchen werden durch dieſe großen Geſchäfte in den beiden Sommermonaten nach Ajan geführt, ſowie auch blos Durchrei— ſende dann den Ort berühren, in ihm aber oft Wochen lang verharren müſſen. Rechnet man dazu das Schlachten des von Jakuͤtsk hergetriebenen Viehes, das Einpöckeln des zum Verſenden beſtimmten Fleiſches, die Ver— proviantirung der Compagnie- und auch anderer Schiffe, die in die an— grenzenden Meere zum Fange der an den Küſten heerdenweiſe ſchwärmenden Walfiſche !) kommen, ſo begreift man, daß Ajan bei feinem guten Ha— fen in kurzer Zeit und zwar auf Koſten von Ochotsk zu einer verhältnißmäßi⸗ gen Bedeutung ſich emporgeſchwungen hat. So beſaß der Ort im J. 1853 nach der früher hier (Bd. III, 472) mitgetheilten officiellen Ueberſicht der ſtädti⸗ ſchen Bevölkerung Rußlands 102 anſäßige Bewohner, im J. 1854 aber nach einer in Galignani's Messenger vom 10. November v. J. und einer damit übereinſtimmenden Notiz im New Tork Herald ſogar 250 Einwohner, was jedoch übertrieben ſein dürfte. Zu einer ſehr zahlreichen Bevölkerung dürfte ſich indeſſen Ajan nicht erheben, indem die Natur hier dem menſchli⸗ chen Leben zu viele Hinderniſſe entgegengeſetzt und noch weniger etwas dafür gethan hat, um dem Menſchen Freude an ſeiner Exiſtenz zu erwecken. Ueberall hemmen Berge, ſteile nackte Felſen und undurchdringliche Gebüſche zwerg— artiger Erlen und Cedern den Fuß des Wanderers, ja ſogar rings um die Wohnungen des Orts zieht ſich ſchon ein Kranz von Bergen, die ein nicht unbeträchtliches Stück des Himmels verdecken und im Winter die Sonne oft nur auf eine halbe Stunde, zu einigen Häuſern ſogar niemals gelangen laſſen. Rechnet man dazu, daß keiner der ſchöneren Bäume, keine Erle, Ulme, Linde oder Eiche, kein Ahorn in dem unfruchtbaren Boden gedeiht, daß erſt im Juli die Blüthen häufiger werden, das Laub Ende Auguſt ab- fällt und im September alle Pflanzen raſch verdorrt ſind, endlich daß der Winter, wenn auch nicht ſo ungeheuer kalt, wie in Jafütsf, intenſiv genug iſt, indem das Thermometer wochenlang 20 — 25° zeigt, daß eine tiefe, nur mit Schneeſchuhen zu paſſirende Schneedecke dann Alles einhuͤllt und jede freie Bewegung fo unmöglich macht, daß ſich die Bevölkerung, wie in einem ) v. Middendorff ſchätzte einen 44 Stunden langen, bei Udſkoj Oſtrog vorüber⸗ gehenden Zug von Walfifchen allein auf 800 Individuen (Bullet. IV, S. 29). 490 Neuere Literatur: Gefängniſſe eingeſchloſſen findet, fo begreift man, daß Ajan kein Ort iſt, der Nichteingeborene auf die Dauer zur Niederlaſſung bewegen könnte. In manchen Jahren iſt es noch ſchlimmer, indem im Jahre 1846 Nachtfröſte bis in den Juni eintraten und die Schneedecke erhielten, man am 28. Juni noch über das Eis fahren konnte, und die Bäume ſogar am 1. Juli noch nicht ausgeſchlagen waren. Nach des Verfaſſers 34 jährigen, früher bereits (S. 429) erwähnten Thermometer-Beobachtungen hat Ajan eine mittlere Temperatur im Winter von — 14% 95, im Frühlinge von — 3% 53, im Sommer von 8% 62, im Herbſte von — 1%60, im ganzen Jahre von — 2% 87 R., oder, wie der Verfaſſer in ſeiner Schrift angiebt, in den beiden Monaten Juli und Auguſt durchſchnittlich eine von 9 — 10. In der Gewitterſchwüle einzelner Tage ſtieg das Thermometer zuweilen über 20°. Die Kühle des Sommers wird durch häufige Regenſchauer noch vermehrt, da nach des Berichterſtat⸗ ters 2jährigen Beobachtungen der Regenfall im Sommer 15,4 engliſche Zoll beträgt ?). Unter ſolchen Umſtänden iſt das thierifche und pflanzliche Leben zu Ajan und in ſeinen Umgebungen ſehr dürftig, doch ſoll es manches Anziehende und Eigenthümliche beſitzen. Die Flora zeichnen beſonders Alpenroſen und die ſchöne durch den Verfaſſer zuerſt in Europa bekannt gewordene Weigelia Middendorffiana, ein ftrauchartiges, mit großen weißen Blumen prangendes Gewächs aus. Außerdem hat dieſelbe einige ſchöne Lilien, eine die Hyaeinthe an Schönheit übertreffende Dicentra und eine einfache Mitolla, deren Blumen⸗ blätter, wie kleine Kämmchen, auf dem Kelche ſitzen. Dem Mangel an Garten- gemüſen helfen einige wildwachſende Pflanzen, beſonders Lauch und Rhabarber, ab, die eine wohlſchmeckende und geſunde Nahrung, für die im Winter am Scorbut Leidenden aber ein beſonders kräftiges Geneſungsmittel liefern. Gär— ten wurden in Ajan zwar angelegt, geben aber nur einen überaus ſpär— lichen Ertrag; einzig Rüben und Rettige gedeihen gut 2). Mit den Pflan⸗ zen beſchäftigte ſich der Verfaſſer am meiſten, und er ſammelte fo viel Erem- plare, als ihm irgend möglich war. Deshalb iſt zu wünſchen, daß ſeine Sammlungen beſchrieben würden, um dadurch vielleicht eine Ergänzung der durch Middendorff zu Üdſkoj Oſtrog zuſammengebrachten Pflanzen zu er= ) Im Winter beträgt der Regenfall 1,65, im Frühlinge 3,65, im Herbſte 15,14, im ganzen Jahre alſo 35,48 Zoll. - 2) Ganz ebenſo iſt es auf Kamtſchatka, wo Rüben und Rettige, alſo Gewächſe, deren Wurzeln viel Feuchtigkeit vertragen können, wie ſchon Steller bemerkte (a. a. O. S. 54), unvergleichlich gedeihen. Bei einer während unſeres Berichterſtatters Anweſenheit zu Peter-Paulshafen veranſtalteten Ausſtellung ſah derſelbe z. B. ei⸗ nen 2 Fuß langen Rettig von 53 Zoll Durchmeſſer und 14 Pfd. Schwere, eine Schnittkohlknolle von 11 Pfd., einen Kohlkopf und eine Rübe von 7 Pfd., endlich eine Kartoffel von über 1 Pfd. Schwere. Dies war um ſo bewundernswerther, ſetzt der Verfaſſer hinzu, als die Gartencultur hier keinesweges ſehr entwickelt und gar nicht auf die künſtliche Erzeugung rieſenhafter Gemüſearten gerichtet iſt (S. 90). Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 491 halten. Unter den wild lebenden Säugethieren kommen in den Umgebungen Alfan's außer den gewöhnlichen oſtſibiriſchen, Bären, Wölfen, Füchſen, Her— melinen, Zobeln, Elen- und wilden Rennthieren, das intereſſante Argali oder das wilde ſibiriſche Schaf (Ovis Ammon) vor, welches in Sibirien jetzt nur noch in den unbewohnteſten Felsregionen hauſt, ſtatt der Wolle Haare, wie die hirſchartigen Thiere und das Rennthier, trägt und ein wohl— ſchmeckendes Fleiſch liefert. Das Argali wird aber nur ſelten erlegt, in— dem einzig Tunguſen es vermögen, in den Wildniſſen rings um den Ort die Jagd darauf zu betreiben. Viel häufiger ſind Bären und zwar von ſol— cher Dreiſtigkeit, daß fie mitunter bis in die nächſte Nähe des Ortes kommen und die Gärten verwüſten. Die hieſigen Tunguſen ſind übrigens vorzügliche Beärenjäger, welche das Thier mit ihren kleinen, kaum erbſengroße Kugeln ſchießenden Gewehren angreifen; da aber ſolche Kugeln ſelten hinreichen, das Thier zu tödten, fo müſſen fie den Kampf mit dem Spieße beendigen. Neben den Walfiſchen bevölkern Delphine das angrenzende Meer. Waſſervögel ſind in Bezug auf Arten und Individuen zahlreich vorhanden, wogegen es wenige Landvögel, namentlich nur wenige Singvögel, in den Wäldern giebt. Finken, Lerchen und Nachtigalen fehlen ganz, ſelbſt dem Sperlinge iſt das Klima zu rauh. Die meiſten Vögel ziehen im Winter, mit Ausnahme einiger wenigen, fort, mehr giebt es Fiſche, deren mageres trockenes Fleiſch aber nicht ſchmack— haft iſt. Nach der Armuth der Natur iſt die Nahrung von Ajan's Bewohnern, ſowie die der umwohnenden Tunguſen, ſehr einfach und dürftig, indem jene ſich 3 Monate lang vom April an mit geſalzenem Fleiſch begnügen müſſen. Das von Jakuͤtsk herbeigeſchaffte Schlachtvieh kommt nämlich nur einmal im Jahre und in ziemlich abgemagertem Zuſtande an, weil es zu ſeinem weiten Wege zweier ganzen Monate bedarf, und, da ſein Fleiſch überdies nicht eingeſal— zen, ſondern gefroren aufbewahrt wird, fängt es im April an zu faulen und ſpäter iſt es ſogar ganz ungenießbar. Oft mangelt es ſelbſt daran; die Zeit der Noth tritt ein, und Thee und Brod müſſen das Mittagsbrod vertreten. Noch ſchlimmer ergeht es den Tunguſen, die bei ihrer Sorgloſigkeit, Vorräthe zur geeigneten Zeit einzuſammeln, im Winter und Frühlinge dem bitterſten Elende ausgeſetzt ſind und durch Krankheiten, namentlich durch Scorbut und Bruſt— leiden hinweggerafft werden. Die Aermeren dieſes Volks hungern namentlich im Frühjahr, wo nichts zu jagen iſt, Tage und Wochen lang mit dem bewun— dernswertheſten Gleichmuthe. Durch ſolche Drangſale iſt die Zahl der hie— 1 ſigen Tunguſen natürlich ſehr gering und beläuft ſich auf kaum 200 Köpfe 2). Ihre Hauptplätze haben fie an der Mündung des Lantan, 60 Werſt ſüdlich, 1) v. Middendorff (Bulletin IV, 245) bemerkte, daß die Tunguſen durch ihre Verſchmelzung mit den Jakuten äußerſt ſteril geworden find, und beftätigte dadurch die in andern Gegenden oft beobachtete Unfruchtbarkeit der Ehen von Individuen aus verſchiedenen Racen. 492 Neuere Literatur: und an der Mündung der Aldama, 60 Werſt nördlich von Ajan, endlich bei Nelkan. Oft vergingen Monate, ehe man zu Ajan einen Tunguſen zu ſehen bekam. Es find die Tunguſen ſonſt ein ehrliches, gutmüthiges Volk von un— überwindlichem Unabhängigkeitsſinn, dadurch aber mißtrauiſch und ſcheu vor jedem Fremden, endlich von der größten Faulheit und Arbeitsſcheu. Sie no— madiſtren fortwährend und ziehen oft aus einer Gegend, worin ſie ſich lange im Kreiſe bewegt haben, weit fort, wenn man ſie zu einem ſtetigen Leben oder zur Uebernahme eines Gefchäfts bewegen will. Das weibliche Geſchlecht hat, wie bei allen Nomaden, den ſchwierigeren Theil der Haushaltung zu be— ſorgen; die Männer gehen anf die Jagd oder faullenzen. Die Ehen ſind ſehr locker. Die deſignirte Braut wird von ihrem Vater verhandelt, und die Hoch— zeit erfolgt nach gezahltem Kaufpreiſe. Zuweilen vereinbart man ſich über Ratenzahlungen, und der Bräutigam nimmt die Braut ſchon nach der erſten Zahlung zu ſich. Gefällt ſie ihm nach einiger Zeit nicht mehr, ſo ſchickt er ſie dem Vater zurück. Ebenſo holt der Vater die Tochter, wenn der beſtimmte Schwiegerſohn ein ſchlechter Zahler iſt. Dem Namen nach ſind die Ajaner Tunguſen, gleichwie die Jakuten von Jakuͤtsk Chriſten, aber nicht weiter, als daß ſie wiſſen, ein Kreuz zu ſchlagen, und wohl in die Kirche gehen. Nach 6jährigem Aufenthalte zu Ajan endete des Berichterſtatters eon— tractliches Dienſtverhältniß, und er erhielt die Ermächtigung zur Heimkehr, die er in Erinnerung an die auf der Hinreiſe erlittenen Drangſale zur See zu machen beſchloß. Che er dieſe Gegenden ganz verließ, hatte er Gele— genheit, die ſüdlichſten Theile der Ränder des ochotskiſchen Buſens in der Nähe der Amuͤrmündung und der Inſel Sahalin, nebſt dem dort hauſenden ichthyophagiſchen Volk der Giläken kennen zu lernen. Es iſt dies eine Re⸗ gion, die bis zum Jahre 1845, wo Middendorff einige ſchätzbare Notizen nach eigenen Erfahrungen über fie veröffentlichte (Bull. IV, 231 — 250) und be⸗ ſonders nachwies, das ein etwa 50,000 Q Werſt großer, von den ruſſiſchen Behörden bisher völlig unbeachtet gebliebener, nach den Verträgen mit China und den von den Chineſen ſelbſt geſetzten Grenzmarken aber zu Sibirien gehöriger Landſtrich faſt ganz unbekannt geblieben war ). Doch find die Giläken nicht erſt jetzt bekannt geworden, indem ſchon der bekannte Hiſtoriker G. F. Müller fie im Jahre 1737 (Giljacken in ſ. Geographie und Verfaſ— ſung vom Kamtſchatka im Anhange zu Steller S. 57) genannt hatte, ohne Weiteres über ſie zu berichten. Unſer Reiſender glaubt ſie nach ſeinen Beob— achtungen nicht zur mongoliſchen Race zählen zu können, wofür auch der Bart ) v. Middendorff's Entdeckung, die einigermaßen an die Rob. Schomburgk's im Innern von Guiana erinnert, mag vielleicht zu dem neueren Beſtreben der ruſſiſchen Regierung, ihr Gebiet bis zum unteren Amur ſelbſt auszudehnen (S. hier S. 428), beigetragen haben; dies Beſtreben wird unterſtützt durch die äußerſt dünne Bevölke— rung, die derſelbe Forſcher in dem auf dem linken Ufer des Amur gelegenen chine⸗ ſiſchen Gebietsantheil nur auf etwa 500 tributpflichtige Individuen ſchätzte (S. 244). Reife um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 493 4 ſpricht, der bei ihnen viel ſtärker, als ſonſt bei den Mongolen, iſt. Möglich, . ‚—— daß die Giläken ein Miſchlingsvolk ſind, da wenigſtens Middendorff bei ihnen zwei verſchiedene Geſichtstypen vorfand, wovon der eine auf kaukaſiſchen, der andere auf japaniſchen Urſprung hindeutet (a. a. O. IV, 234). Sie behaup- ten unabhängig zu ſein, was nach deſſelben Forſchers Beobachtungen und Er— kundigungen allerdings möglich iſt (a. a. O. IV, 236). — Unſer Reiſen⸗ der ſah bei ſeiner Weiterfahrt noch den bekannten zu den Kurilen gehörenden und vereinzelt kegelförmig aus dem Meere angeblich bis 18,000 Fuß Höhe aufſteigenden Alaidvulkan in Thätigkeit, was, wie man ihm mittheilte, un— unterbrochen der Fall ſein ſoll. Kamtſchatka, wo ſich der Berichterſtatter nur kurze Zeit aufhielt, iſt in neuerer Zeit durch Erman ſo vollſtändig geſchildert worden, daß ſich zu dem Bekannten wenig aus unſerem Werkchen hinzufügen läßt. Noch im Jahre 1852, wie früher, war die Hauptſtadt Kamtſchatka's Peter-Paulshafen (Petro— Pawlowskji Port) einer der armſeligſten Orte im ganzen ruſſiſchen Reiche, der faſt gar keine anſäßigen Bewohner hat, indem das Militair und die Be— amten, der Haupttheil derſelben, alle 5 — 10 Jahre wechſeln ). Walfiſch— fänger, die hier öfters, wie zu Ajan, einlaufen, beleben ihn noch am meiſten. Den Waldwuchs fand der Reiſende, wie alle ſeine Vorgänger in dieſer Ge— gend, kümmerlich, obwohl die übrige Vegetation bei dem überaus fruchtbaren Boden ſehr üppig iſt. Die Kräuter und Gräſer erreichen eine rieſenhafte Größe, Senecio und Heracleum 12 bis 13 Fuß Höhe und ſogar ein faſt baum— artiges Anſehen, endlich wogte das Gras der Wieſen am unteren Kamt— ſchatkafluſſe, wie dichte, vom Winde bewegte Kornfelder 2). Sitka oder Neu-Archangelsk 5), der Hauptort der ruſſiſchen Colonien “) ) Die Geſammtbevölkerung von Petro-Pawlowsk oder Awatſcha betrug im Jahre 1850 975 Köpfe (Zeitſchrift III, 478). 2) Schon Steller ſagte (S. 54), daß Kamtſchatka einen ſolchen Ueberfluß an Gras- und Wieſenwuchs habe, daß Gräſer von ähnlicher Höhe und Saftigkeit nir- Er weiter im ruſſiſchen Reiche anzutreffen ſeien. Sie erreichen hier bis 2 Klaf— ter Höhe. 3) Die ausführlichſten Nachrichten über Sitka und die ruſſiſch-amerikaniſchen Beſitzungen liefern Admiral Lütke's Voyage autour du monde. Paris 1835. I, 97 — 222, O. v. Kotzebue's neue Reiſe um die Welt. Weimar 1830. II, 14-37, und Admiral v. Wrangel's Berichte in v. Baer und v. Helmerſen, Beiträge zur Kenntniß des Ruſſiſchen Reichs und der angrenzenden Länder Aſiens. St. Petersburg 1839, J. Beſonders gründlich ſind die letzten, da ihr Verfaſſer längere Zeit (von 1830 — 1835) Gouverneur der Colonie geweſen war. Berichte aus der neueſten Zeit fehlen ſehr und wären wünſchenswerth, da das Aufblühen Californiens auch auf Sitka man⸗ nigfach eingewirkt hat. N ) Sitka liegt bekanntlich auf der Inſel gleiches Namens, welche, wie der Ver- faſſer angiebt, den Namen Baranoff erhalten hat. Der Gebrauch dieſes letzten Nas mens iſt, ſo viel bekannt, bisher nicht üblich geweſen, und wahrſcheinlich erſt in neuerer Zeit nach dem thatkräftigen erſten Director der ruſſiſch-amerikaniſchen Com— pagnie, dem Commerzienrathe Baranoff, der im Jahre 1804 auch Neu-Archangelsk gründete, gewählt worden. 494 Neuere Literatur: auf der Weſtſeite Nord-Amerika's, wohin ſich der Berichterſtatter von Kamt⸗ ſchatka zunächſt begab, iſt ein freundliches Städtchen, überragt von einem über 100 Fuß hohen in das Meer vorſpringenden Felſen und einem auf dem Fel- ſen gegründeten Caſtell, das zugleich als Wohnung des Gouverneurs dient. Den Hafen ſichern hinlänglich mehrere vorliegende Inſeln. Die 700 Köpfe ſtarke Bevölkerung des Orts !) von europäifcher Abkunft ſcheint viel ange⸗ nehmer und geſelliger, als die von Peter-Paulshafen und Kamtſchatka, zu leben 2), wozu freilich tritt, daß das Klima viel milder iſt, als dort 3). Deshalb erreichen hier die Stämme der Waldbäume einen ſo rieſenhaften Umfang, daß ſie Bretter von der Breite einer Stubenthüre oder eines Tiſches liefern. Doch iſt deren Holz porös, weich und zum Faulen geneigt. Als eines der ſchönſten und höchſten hieſigen Nadelhölzer erſcheint Pinus canadensis, eine Art, die mehr als jeder andere Baum zur Zier der Landſchaft beiträgt. In der Fauna iſt ein in Bezug auf Größe zwiſchen dem Edelhirſche und Reh ſtehender, aber nur in den unwegſamſten Verſtecken lebender Hirſch, Jeman genannt *), für die Bewohner des Ortes das intereſſanteſte Säugethier, indem er ihnen bei dem Mangel aller Viehzucht das einzige friſche Fleiſch liefert). Unter den Vögeln giebt es zahlreiche eigenthümliche See- und Waſſervögel, worunter nach des Berichterſtatters Anſicht viele unbeſchrieben ſein mögen. So ſah er eine ihm fremde ſchöne Dohle, die über den ganzen Körper laſur— blau gefärbt war und einen ſchwarzen Schwanz nebſt einem Federbuſche auf dem Kopfe hatte. Ebenſo hatte der Reiſende Gelegenheit, einen braunen Co— libri mit feuerrother ſchön metalliſch glänzender Kehle zu ſehen, der als Zugvogel aus dem Süden in dieſe Gegenden kommt, bis über Sitka nach Norden hinauszieht und im Herbſte heimkehrt ). Auch das Meer fol ſehr fiſchreich ſein. Unter den Mollusken zeichnet ſich durch ſeine Größe ein Tin— tenfiſch aus, der mit ſeinen ausgebreiteten Armen eine Ausdehnung von 2 — 3 Faden erreicht. Bei den Eingeborenen iſt dieſer Polyp ein gefuchter Leckerbiſſen. Sitka's Umgebungen bewohnt ein eingeborener Volsſtamm, die Ko— ) v. Wrangel berechnete fie in den Jahren 1830 — 1835 ſchon zu 847 Seelen (v. Baer und v. Helmerſen, Beiträge I, 9). 2) Selbſt einen proteſtantiſchen Prediger fanden unſere Reiſenden vor (S. 94), was jedenfalls ein ſehr ehrenvolles Zeugniß für die Toleranz und Vorſorge der Compagnie giebt. 3) In den Jahren 1830 — 1835 war nach v. Wrangel's Beobachtungen die mittlere Jahreswärme 7,39 C. (Beiträge 295, 296), dennoch ſieht man hier keine grüne Wieſe, keinen freundlichen Hain (ebend. 9). 4) Dieſes Thier, das v. Baer Jaman nennt, ſoll nach ihm das Anſehen eines Rehes haben (Beiträge 167) und ſcheint nirgends beſchrieben zu ſein, wenn es nicht Cervus virginianus iſt (Eſchholz bei Kotzebue II, Anh. 22). ) v. Wrangel, der hierüber am Genaueſten unterrichtet fein konnte, ſagt aber, daß auch das Fleiſch von ſogenannten wilden Schafen (höchſt wahrſcheinlich von Capra americana Richardson,), Schweinen und von mannigfachem zahmen Geflügel zur Nahrung dient (S. 13). 6) Es iſt dies Trochilus Rufus Gmelin. Reiſe um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 495. Wildheit ganz bewahrt und europäifche Civiliſation ſich nicht angeeignet hat, weshalb ſtete Vorſicht gegen denſelben Seitens der Ruſſen nöthig iſt 2). Sonſt ſind die Koloſchen als äußerſt abgehärtete und geſchickte Jäger, welche die Colonie mit Seeottern (Lutra marina) und Wildpret verſehen, derſelben von weſentlichem Nutzen. Die meiſten von ihnen färben ſich das Geſicht ſchwarz und roth, einige durchbohren auch die Unterlippe. Da fie nicht haben unterworfen werden können, ſo führen ſie unter einander ſtets Kriege. F Ueber die noch ſehr unbekannten geognoftifchen Verhältniſſe dieſes Theils von Amerika erfahren wir durch den Verfaſſer leider nichts, mit Ausnahme der Bemerkung, daß der 20 Seemeilen ſüdlich von Sitka gelegene Edgecombe vulkaniſch ſei, ohne daß wir erfahren, ob derſelbe jetzt thätig iſt s). In der Nähe dieſes Berges iſt der Küſtenrand des amerikaniſchen Continents fteil | und ſelbſt ſenkrecht in das Meer abfallend. Da die tofende Brandung an die Felswände ſchlägt und kein Flecken für ein Boot zum Landen ſichtbar iſt, ſo hat die Schifffahrt hier manche Gefahr. N Zu Honolulu, der bekannten Hafenſtadt der Sandwich-Inſel Oahu, fand | b * loſchen“), der trotz feiner langen Berührungen mit Europäern die alte j | der Reiſende einen überaus lebhaften Verkehr vor, indem bei feiner Ankunft gegen 60 Schiffe verſchiedener Nationen 3) vor Anker lagen, und zahlreiche Amerikaner und Europäer als Kaufleute, Aerzte, Handwerker und Gaſtwirthe ſich hier niedergelaſſen haben und überhaupt alle Geſchäftszweige betreiben. Unter den Deutſchen traf er viele Hamburger und Bremer. Demnächſt giebt es zahlreiche Chineſen, deren nationale Induſtrie in den ſehr reichen und mit den kunſtvollſten Gegenſtänden ausgeſtatteten Läden beſonders ſtark vertreten iſt. Doch iſt zu Honolulu Alles, was den Handel und das Leben betrifft, erftaunlich theuer ). Die Europäer und Amerikaner haben ſich in dem Orte freundliche Häuſer in europäiſchem Style mit den durch das Klima gebotenen Veränderungen erbaut; dies giebt Honolulu einen freundlichen Anblick, obwohl die Straßen nicht gepflaſtert find. Die Sitten des Volks ändern ſich übri- ) Ueber die Koliuſchen (Ro nozen) oder, wie die Ruſſen fie jetzt gewöhn— lich nennen, Koloſchen giebt v. Wrangel einige Nachrichten (a. a. O. S. 13, 58, 64, 99). ) v. Wrangel ſchilderte dagegen das Vernehmen der Ruſſen und der Ko⸗ luoſchen als freundlich, ſeitdem ſich dieſe an jene gewöhnt haben (S. 13), womit wieder das faſt aus derſelben Zeit ſtammende Zeugniß des bekannten ruſſiſchen Geo— gnoſten E. Hofman in entſchiedenem Widerſpruch ſteht (Karſten Archiv für Mineralo- logie ꝛc. Berlin 1829. I, 287); nicht minder das von O. v. Kotzebue (II, 34). 3) Den Edgecombe beſtieg Hofman und fand ihn erloſchen (a. a. O. 286 — 287), im J 1796 warf er noch Feuer aus (Lütke I, 101.) Uebrigens wünſchte ſchon v. . daß ein Geognoſt dieſe fernen Gegenden unterſuchen möchte, wo derſelbe ch feinem Ausdruck unverwelkliche Lorbeeren mit Sicherheit zu erwerben hoffen d rfte (171). ) Nach dem Berichte eines engliſchen Reiſenden Bryant liefen im J. 1843 zu Soneleh 109 engliſche und 7 franzöſiſche Schiffe, aber nur 1 amerikaniſches ein. ) Die Verhältniſſe müſſen ſich zu Jon in wenigen Jahren ſehr verändert haben, indem man nach Bryant im J. 1843 zu Honolulu noch für 1 Cent d. h. für 54 Pf. Pr. pro Tag leben konnte. 496 Neuere Literatur: gens auf der Inſel und ſpeciell in Honolulu, wo es unter der etwa 13 — 17,000 Köpfe ſtarken Bevölkerung allein 1000 Ausländer giebt, immer mehr; europäiſche treten mit dem Gebrauche der engliſchen Sprache an deren Stelle. Schon iſt es dahin gekommen, daß unſer Berichterſtatter eine engliſche Schau— ſpielergeſellſchaft zu Honolulu antraf, die Vorſtellungen gab, wobei die könig— liche Capelle in den Zwiſchenräumen ſpielte, und daß bei ſeiner Anweſenheit Bälle im europäiſchen Styl gegeben wurden, woran einige angeſehene Fa— milien der Eingeborenen Theil nahmen. Da das Klima lebhafte Bewegun— gen verbietet, ſo werden Walzer, Gallopaden u. ſ. w. freilich im Tacte des feierlichſten Tempo's ausgeführt. Unſer Reiſende berührt noch das in neuerer Zeit öfters behandelte Thema von der Verminderung der alten Eingeborenen der Sandwich-Inſeln, welche, fand dieſelbe wirklich in dem Maße fortdauernd ſtatt, wie dies in der von dem Verfaſſer eitirten Schrift „The Island World of the Pacific, by H. T. Cheever. New York 1851“ behauptet wird, im Laufe eines Jahrhun⸗ derts verſchwunden ſein müßten. Die Geſammtzahl der Bewohner der ſieben Hauptinſeln ſoll nämlich im Jahre 1849 nicht mehr, als 79,000, im Jahre 1842 aber noch 142,000 Seelen betragen haben, ja Cook ſchätzte fie bei fei= ner Anweſenheit in den Jahren 1778 und 1779, nach dem Urtheile von Sachkennern aber übertrieben, gar auf 400,000 Köpfe n). Die Veran⸗ laſſung zu der ſeit einer Reihe von Jahren allerdings ſtattfindenden Ab— nahme, welche weder durch eine fortdauernde Bösartigkeit des Klima's, das hier, wie auf allen auſtraliſchen Inſeln, vortrefflich iſt, noch durch Kriege, Sclavenausfuhr oder beſonders blutgierige Gewohnheiten der Bevölkerung vor der völligen Einführung des Chriſtenthums ſich erklären läßt, liegt nach den um das Jahr 1844 beſonders von katholiſchen Mifftonairen angeſtellten Unterſuchungen theils in der großen Epidemie von 1802, theils in der häu— figen Abweſenheit einer großen Zahl von Männern und in den durch den jährlichen Zufluß von etwa 4000 fremden Männern veranlaßten Ausſchwei⸗ fungen der eingeborenen Frauen, in der veränderten Lebensweiſe nach eu— ropäiſcher Art, in dem Genuſſe von Spirituoſen, und endlich in der durch die beiden letzten Urſachen veranlaßten Zunahme von Krankheiten 2) fo wie in den häufigen Geburten kranker Kinder (Revue de I'Orient V, 363 — 364). Auf Oahu wäre die Abnahme noch fühlbarer, würde ſie nicht hier durch die von anderen Inſeln kommende Einwanderung einigermaßen gedeckt. Nach ) Wie wenig alle dieſe Zahlen und Folgerungen daraus zuverläſſig find, er⸗ giebt ſich z. B. dadurch, daß der Gouvernements-Cenſus vom Jahre 1843 ſelbſt nur 108,000 Seelen ermittelt haben ſoll (Revue de P'Orient V, 363). 2) Gleiche Verhältniſſe bringen überall gleiche Erſcheinungen hervor. So haben ſich auch in den ruſſiſchen Beſitzungen in Nordamerika die Krankheiten vervielfältigt und in einigen Gegenden iſt ihr nachtheiliger Einfluß auf die jüngere Bevölkerung bereits ſichtbar. Aus manchen Dörfern find die Bewohner ſogar ganz verſchwunden (v. Wrangel a. a. O. 28). Reife um die Welt, durch Sibirien ꝛc. 497 der Anſicht der katholiſchen Miſſionaire iſt indeſſen anzunehmen, daß die Ab— nahme künftig nicht mehr fo ſtark fein wird, wie ſie es im erſten Drittel die— ſes Jahrhunderts war, da im Jahre 1843 die Zahl der Geborenen auf den beiden Inſeln Nihoa und Molokai, ja ſelbſt in einigen Diſtricten der Inſeln Hawaiu und Maoui die der Geſtorbenen überſchritten hatte (a. a. O. V, 364). Der zweite von unſeren Reiſenden berührte auſtraliſche Punkt war das reizende Eymeo, eine der Freundſchafts-Inſeln, die jetzt unter franzöſiſchem Schutz ſteht, worauf in 102 Tagen, ohne anzuhalten eine 12000 See- meilen weite Seefahrt um das Cap Horn herum bis England glücklich zurück— gelegt wurde. Bei dem Eintritte in den atlantiſchen Ocean fiel auch dem Verfaſſer und mit Grund, wie es ſcheint, der größere Reichthum dieſes Oceans an Thieren und Pflanzen gegen das Stille Meer auf. 1400 Seemeilen von der afrikaniſchen Küſte, da wo die Sahara an das Meer grenzt, beobachtete derſelbe endlich ein dieſen Regionen eigenthümliches und von Herrn Prof. Chrenberg vielfach unterſuchtes Phänomen, nämlich das Erſcheinen eines röthlichen feinen Staubes, der ſich auf die Segel ſetzt. f Durch den vorſtehenden ausführlichen Auszug glauben wir die Empfeh— lung dieſer kleinen Schrift, die inhaltsreicher, als manche mehrbändige Reiſe— beſchreibung iſt, genügend gerechtfertigt zu haben. Die beigegebene Kupfer— tafel liefert ein Bild von Talen auf Eymeo, die Karte eine etwas dürftige Skizze des Landes zwiſchen der Lena und dem ochotskiſchen Buſen. 3 H. Lange und Gumprecht. 1 EN h 1 Neuere Rartographie. Ueberſichts-Karte des Großherzogthums Baden, nebſt Theilen b der angrenzenden Länder, bearbeitet in 6 Blättern (von 15 x 15”, Maf- ſtab von 1: 200000) von der topographiſchen Abtheilung des Groß— herzoglichen Generalſtabs. Die ſchöne Specialaufnahme des badiſchen Landes, wie die aller Staaten des ſüdweſtlichen Deutſchlands im Maßſtab von 1: 50000 publieirt, erfor- derte zum bequemen Studium auf weniger umfangreichem Raume noch eine etwas ausführlichere Reduction, als die bereits vor längeren Jahren vom ba— diſchen Generalſtab veranſtaltete auf einem einzigen großen Blatte im Maßſtab von 1400000, wobei doch zu viel topographiſches Detail verloren ging und ſelbſt von den Ortsnamen nur eine Auswahl der wichtigeren gegeben werden konnte. Nach dem Vorgange Baierns und Würtembergs (Ueberſichtskarten in 1: 250000 und 1: 200000, in reſp. 15 und 4 Blatt) wird jetzt dieſem Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 32 498 Neuere Kartographie. Bedürfniſſe abgeholfen durch die Herausgabe der oben benannten Karte, wo— von uns die ſo eben erſchienene erſte Section (ſie reicht von Carlsruhe und Weißenburg im N. bis etwas ſüdlich von Lahr) durch gütige Mittheilung ſeitens des großherzogl. Generalſtabs an die Redaction d. Z. vorliegt, und die Fortſetzung als in nächſter Zeit bevorſtehend zugeſagt wird. Die Art der Ausführung des Stiches auf Stein iſt von der großen Generalſtabskarte her als vortrefflich bekannt, und kann jeder ähnlich ausgeſtatteten Karte, wie der Mittnacht'ſchen von Würtemberg — an die fie ſich auch durch Gleichheit des Maßſtabs anſchließt — oder der bairiſchen Gen.-St.⸗Karte der Rheinpfalz (in 4 Bl. 1: 150000) mit Recht an die Seite geſtellt werden; ſie übertrifft die Andree'ſche Karte von Sachſen (in 9 Bl.) bei weitem an Deutlichkeit und Zierlichkeit der Schrift und Klarheit der Terraindarſtellung, wozu nicht we— nig beiträgt, daß wie in der Mittnacht'ſchen Karte der Wald nur durch eine äußerſt zarte, die Bergſtriche durchaus nicht verdeckende Punktirung, nicht durch Bäumchen oder Strichelchen, die immer plump und unverhältnißmäßig groß erſcheinen, ausgedrückt iſt. Sie unterſcheidet ſich von der Mittnacht'ſchen Karte, — deren erſte Section den größten Theil des hier dargeſtellten Raumes auch enthält, — durch Aufnahme einer weit größern Menge kleiner Verbindungswege und durch Berückſichtigung der flachſten Terrainböſchungen, die in jener meiſt ganz übergangen, in der vorliegenden ſtellenweiſe — z. B. in dem öſtlich dem Schwarzwalde anliegenden Plateau auf würtembergiſcher Seite, — vielleicht etwas zu ſcharf ausgedrückt ſind. Ein Hauptvorzug, der die Karte ſelbſt vor ihrem größeren Original, der 50000theiligen Generalſtabskarte auszeichnet, iſt die Benutzung der neueſten, bis 1852 gemachten Aufnahmen über das theilweiſe veränderte und corrigirte Bett des Rheinſtromes; ſehr angenehm iſt auch die Aufnahme einer ſehr großen Anzahl von Höhenbeſtimmungen. Der Preis iſt ſo außerordentlich niedrig geſtellt — die Section der Originalplatte 1 fl. Rh., wenn aber weniger ſcharf gedruckte Exemplare von übergedruckten Steinen verlangt werden, nur 20 Kr., alſo die ganze Karte reſp. 6 fl. oder 2 fl. = 34 Thlr. oder 1 Thlr. 5 Sgr. — daß man dieſem treuen und ſchönen Abbilde des ſchönen allemanniſchen Landes wohl die allgemeinſte Verbreitung vorausſagen kann. H. Kiepert. Priefſiche Mittheilungen. Aus einem Schreiben von Herrn J. G. Kohl an C. Ritter. New-Mork, den 20. November 1854. . Am Bord unſeres Steamers City of Manchester befanden ſich mehr als 800 Paſſagiere, darunter 30 Juden, 150 Deutſche, meiſtens aus Bayern und Würtemberg, Holländer, Norweger, Schweden, Franzoſen und Briten aller Art, auch 20 Zigeuner. Der Capitain ſagte mir, daß er faſt bei jeder Reiſe einige Zigeuner am Bord habe, und ſo muß denn auch die— fer aſiatiſche Stamm ſchon ziemlich in der Neuen Welt verbreitet fein. Unter den Franzoſen zeichneten ſich 6 Miſſionare von dem neuen in Marſeille ge— ſtifteten Orden der Oblaten (les Oblats) aus, deſſen Miſſionen ſich ſowohl unter den Chriſten, als Heiden in Canada, Californien, Texas u. ſ. w. ſchon ſehr ausgebreitet haben. . . .. Keinen Tag während unſerer Ueberfahrt, ſelbſt mitten auf dem Meere, waren wir ohne Vögel, und es muß da wohl irgend wo einen Punkt geben, wo die Vögel von Island, Irland und Newfound— land ſich begegnen .... Von Philadelphia machte ich einen intereſſanten kleinen Ausflug in Berks— County (gegen Nordweſten), um die alten deutſchen Coloniſten zu beſuchen (ſeit 1734 dort angeſiedelt); ich lernte dort bei ihnen zum erſten Male den eigenthümlichen Dialeet des ſogenannten Bush-Dutch (Wald -Deutſch) Fen- nen. . ... Die New-Porker haben nicht ganz unrecht, wenn fie Philadelphia ein großes Dorf nennen. Von da ging ich, meiſtens durch Pfirſichbaum— Gärten und Maisfelder nach New-Pork, das mir als die merkwürdigſte Zu— ſammenſtellung von Häuſern erſchien, die ich je geſehen. Es iſt eine wahre Exhibition oder Schauſtellung von Häuſern in allem möglichen Materiale und Style in Marmor, Granit, Sandſtein, Seifenſtein, Ziegeln; äußerſt mannig= faltig und faſt immer überraſchend geſchmackvoll. Auf dem breiten, tiefen, ruhigen Hudſon ſchiffte ich nach Weſt Point, der ſeit 1802 durch einen Con- greß⸗Act gegründeten Militair-Akademie (aus ihr gingen Frémont, Abert, Emory und andere berühmte Ingenieur-Geographen hervor) in einer über- aus reizenden Gegend. Die dortigen Offiziere hatten die Güte, mir ihr merk— würdiges Erziehungs-Inſtitut für Cadetten, das einzige ſeiner Art in den Vereinsſtaaten, in allen Details zu zeigen. In der erſten Zeit der Exiſtenz deſſelben (bis auf Napoleon) war hier Alles mehr auf preußiſchem Fuß, be— ſonders durch den Einfluß Steubens und anderer deutſchen Offiziere, einge richtet; jetzt hat man mehr franzöfifche Muſter vor Augen. In Albany hatte ich das Vergnügen, den trefflichen Prof. Hall, den New⸗Norker Staats-Geologen (jeder Staat hat feinen eigenen States Geo- logist) kennen zu lernen. Von ſeinem großen Prachtwerke über die Geolo— gie des Terrains von New-Vork find jetzt 2 Bände fertig. Er arbeitet nun am dritten. 32 * 500 Briefliche Mittheilungen: Man findet im Hudſonfluß ſehr viele Seethiere, die in Menge bis Weſt Point, manche bis Albany hinaufſteigen. Von der Nordſeite dagegen kommen durch den St. Lorenzo Seehunde ſogar in den Lake Champlain und zwar bis zu ſeiner ſüdlichſten Spitze gegen Albany hinauf. Dies Factum konnte ich durch eine Menge eingezogener Erkundigungen und Zeugniſſe von Schiffern und anderen Leuten außer Zweifel feſtſtellen. Es wird mir dadurch erklär— lich, daß die alten Geographen und Karten hier (wo jetzt der Champlain— Canal durchzieht) einen Seearm angaben und eintrugen und ganz Neu— England als Inſel darſtellten. In Burlington (Vermont) am Champlain-See wurde ich unter Ande— deren mit dem vortrefflichen Profeſſor Thompſon, dem Geſchichtsſchreiber Ver— monts, bekannt. Er iſt leider jetzt ſehr leidend. Sein Werk über Vermont iſt aber wohl eins der nützlichſten und beſten Werke, die je über ein fo klei— nes Land geſchrieben ſind. Die Geſchichte dieſes Staats erinnert vielfach an die Geſchichte der Schweizer Ur-Cantone. Von Vermont ging ich nach Montreal, welches ſchon jetzt die größte und wichtigſte Stadt von Canada iſt, und ſich durch eine Menge großartiger Unter— nehmungen und merkwürdiger, ſtets fortſchreitender Canal- und Eiſenbahn⸗ Arbeiten anſchickt, in noch höherem Grade die commercielle Metropole des St. Lorenzo-Gebiets zu werden. Wir hatten dort unter den Breitengraden des ſüdlichen Frankreichs am 12. October ein förmliches Schneegeſtöber und 3 Zoll hoch Schnee. Zwar nannte man dies eine große unerhörte Aus— nahme, die ſich jedoch im Verlauf der Jahrhunderte öfter wiederholt. Man ſchreibt ſolche Zufälle den in der ſüdlichſten Bucht der Hudſonsbay, der Ja— mesbay, oft ſehr ſtark aufgehäuften Eismaſſen zu, die von Einfluß auf das Klima von Canada ſein ſollen. In Montreal lernte ich unter Anderen auch den liebenswürdigen Gelehrten Herrn Logan, den canadiſchen Staats- Geologen, kennen und reiſte in ſeiner und vieler anderen Herren Geſellſchaft nach Quebec, den Lorenzo abwärts. In Quebec fand eine Verſammlung mehrerer canadiſcher und amerifani- ſcher Geologen ſtatt, um über die Publicirung von Logan's großer geologi— ſcher Karte des Lorenzo-Gebiets mit den Regierungs-Organen zu berathen. Die Angelegenheit wurde noch während meiner Anweſenheit ziemlich glücklich beendigt und eine Bewilligung des Gouvernements von 5000 Pfd. Sterl. zu dieſem Zwecke in nahe und beinahe gewiſſe Ausſicht geſtellt. Wahrſcheinlich iſt die Bewilligung ſeitdem geſchehen, und Logan's wichtiges Werk, für das er ſchon ſeit mehr als 20 Jahren gereiſt iſt und gearbeitet hat (ich ſah bei ihm das reiche Material), wird daher wohl bald erſcheinen. Logan hat auch in Canada Gold entdeckt; ein Stück deſſelben wog ein halbes Pfund. Er weiſt einen goldhaltigen Serpentinſtein-Strich nach, der von Canada (von Gaſpe Peninſula an der Südoſtmündung des Lorenzo— Stromes unter dem 48 » nördl. Br.) an ſich durch das ganze Alleghanyg - \ Pf» nn Aus einem Schreiben von J. G. Kohl an C. Ritter. 501 Berggebiet bis weit nach Süden hinzieht. Es iſt derſelbe Strich, in deſſen Fortſetzung man in Süd-Carolina täglich Gold und Silber gewinnt. Für die lange Höhenkette im Norden von Canada (nordwärts des Lorenzolaufes), die in Labrador beginnt und ſich weit nach Weſten hinzieht und um das Südende der Hudſonsbah ſich herumſchwingt (fie iſt bisher auf den Karten theilweiſe mit dem Namen Algonkin oder Woltſchiſch-Gebirge belegt, im Sü— den der Hudſons bay nur als Height of Land angegeben), aber im Ganzen namenlos geblieben, und doch großentheils als Waſſerſcheidezug zwiſchen dem Lorenzo und Hudſons-Syſtem größere Beachtung verdient, hat der franzö— ſiſch⸗canadiſche Hiſtoriker Garneau den Namen „Les Laurentines“ (vom Lorenzo-Fluſſe) erfunden, ein Name, der von den Gelehrten in Canada ziem⸗ lich allgemein adoptirt worden iſt. Quebec's Situation und Umgegend iſt wundervoll großartig und ſchön, und feine alte und neue, theils franzöͤſiſche, theils engliſche Einrichtung äußerſt intereſſant. Am ganzen Lorenzo von Quebec abwärts bis zum Meere giebt es nur zwei Dörfer oder vielmehr blos zuſammenhängende Häuſerreihen, eine auf dem Südufer, die andere an dem Nordufer des Stromes. Dieſe Häuſerreihen ſind von den alten liebenswürdigen, gaſtfreundlichen, ſittſamen, ordentlichen, reinlichen, ich möchte jagen, tugendhaften franzöſiſchen Coloniſten bewohnt. Des Umgangs mit den franzöſiſchen Canadiern konnte ich ungeachtet ihres etwas rauhen „Conodo“-Dialectes gar nicht ſatt werden. Sie bleiben auf ihrem alten Terrain und beiſammen unter ihren Brüdern, fo nahe als möglich um ſich herum, wie Einer von ihnen mir einmal ſelbſt ſagte: „comme une poule parmi ses petits“. Hinter ihnen dringen iriſche und ſchottiſche jüngere An— ſiedlungen in zweiter Richtung immer weiter nach Norden vor. „Wir hoffen mit unſern Dörfern und Städten nach einiger Zeit noch die Hudſons bay zu erreichen“, ſagte mir einmal einer dieſer Briten. Nach Montreal zurückgekehrt beſuchte ich dort in dem bekannten Dorfe La Chine (bekannt durch den Canal La Chine, der die letzten Waſſerfälle von St. Louis für die Beſchiffung des St. Lorenzo umgeht) den Gouverneur der Hudſonsbay-Länder, bei dem ich zum erſten Male den bejammernswerthen Ausgang des armen Franklin mit Betrübniß vernahm. . . .. Es gehen jetzt zwar äußerſt wenige Pelzwaaren des Nordweſtens auf dem Wege des St. Lorenzo hinab. Selbſt die vom Oberen See und zum Theil auch aus der Nachbarſchaft des Huron-See werden zur Hudſons— Bay geſchafft und von da aus weiter ausgeführt. Dennoch zieht es der Gou— verneur jener weiten Länderſtriche vor, in La Chine zu reſidiren, weil er da— ſelbſt Europa näher iſt. Ich ſah bei ihm eine ſehr intereſſante Sammlung von Birkenrinden-Candes, und fand auch dieſes merkwürdige Vehikel des Nordweſtens in Silber nachgeahmt auf ſeinem Tiſche. Von La Chine ging ich den Ottawa-Fluß theils auf Dampfbooten, 502 Briefliche Mittheilungen: dann aber im Wagen auf rauhen Pfaden bis Bytown hinauf, eine ſehr merk— würdige Urwald-Stadt, voll von Häuſern, untermiſcht mit Baumſtumpfen, Felsbloͤcken und hohen Urwald-Reſten. Die Waſſerfälle des Ottawa (la Chaudiere) laſſen ſich mit denen des Niagara vergleichen. Sie find zwar bei weitem nicht jo hoch, aber die Waſſermaſſe iſt beinahe dieſelbe; die Zer— klüftung und mannigfaltige Bearbeitung des Terrains iſt viel bunter als am Niagara. Leider konnte ich den Ottawa nicht weiter hinauf verfolgen; es iſt einer der intereſſanteſten Fluſſe, die ich je geſehen habe, und der ein ganz neues und hoffnungsvolles Land durchzieht, worin der Unternehmungsgeiſt un- gemein rege iſt und täglich Neues producirt. Allein die Bäume waren ſchon täglich mit dickem Reife bedeckt, was freilich längs des Ufers und auf den bewaldeten Inſeln reizende Scenen hervorrief, mir aber wegen der Ausfüh— rung meines ferneren Reiſeplanes Bangigkeit verurſachte. Nach Montreal zurückgekehrt ging ich dann den Lorenzo hinauf bis zum See Ontario, zum Theil durch Canäle, die in ihrem jetzigen Zuſtande Schiffe von 10 Fuß Tiefgang zulaſſen. Man hat ſchon mehrere Schiffe am Ontario⸗ See gebaut und von dort direct nach Auſtralien geſchickt. In Montreal ſind ſchon beladene Schiffe direct aus China angekommen. Man hofft aber, die Canalarbeiten im Lorenzogebiete noch ſo zu erweitern, daß nach einiger Zeit jedes Seeſchiff von beliebiger Größe bis tief in das Innere Amerika's, ja bis zum Obern See hineinſegeln kann. Die reizende Scenerie der „Thouſand Islands“ hatte noch ſo viel Laub— ſchmuck und Laubfärbung, daß ſie uns entzückte. In einer wunderherrlichen Nacht, bei dem ruhigſten Waſſer, unter dem Schimmer eines ſchönen Nord— lichts, und von vielen hundert Feuern der Salmon-Trout-Fiſcher des See's umgeben, ſchiffte ich über den Ontario-See nach Toronto. Hier in Toronto gefiel mir nichts mehr, als die großartige Normal- School. Unter anderen Dingen beſitzt dieſes merkwürdige Inſtitut folgende intereſſante Einrichtung. Indem es wünſcht nützliche Bücher im Lande zu verbreiten und die Etablirung öffentlicher Bibliotheken in Städten und Dör— fern zu befördern, hat es eine große Bücherſammlung von etwa 100,000 Bänden begründet, in welcher ſich eine Menge belehrender hiſtoriſcher, geo— graphiſcher, naturgeſchichtlicher, aſtronomiſcher und anderer Werke befinden. Will eine Commune im Innern eine öffentliche Bibliothek haben, ſo ſchießt fie 200 bis 300 Pfd. Sterl. zuſammen und thut dies der Normalſchule zu= gleich mit einer Liſte der Bücher, die man ſich im Dorfe wünſcht, kund. Ein großer, dicker, gedruckter Catalog der in dem Central-Inſtitut vorräthigen Bücher hilft dabei. Die Normalſchule giebt nun die Bücher um 25 Pro- cent billiger, als der Buchhandel. Außerdem aber unterſchreibt ſie aus ihren eigenen Mitteln noch eine gleiche Summe, wie die, welche im Dorfe zuſammen kam, 200 bis 300 Pfd. Sterl., je nachdem, behält ſich dann aber hierfür die Wahl der Bücher ſelbſt vor und ſchickt ſolche Bücher, wie ſie dergleichen von Aus einem Schreiben von J. G. Kohl an C. Ritter. 503 den Leuten geleſen zu wiſſen wünſcht. Auf dieſe Weiſe ſind in den letzten Jahren beinahe 300 neue Dorf- und Stadt-Bibliotheken gegründet worden. Ich habe alle Documente und Berichte über dieſes merkwürdige Inſtitut er— halten und kann ſie mittheilen. Von Toronto machte ich noch einen intereſſanten Ausflug durch lauter Waldung zu den Seen Simcoe und Kutſchitſching, nur eine Tagereiſe nord- lich von Toronto. Den letzten See befuhr ich in einem winzig kleinen Bir— kenrinden⸗Canoe mit einem Indianer und einem engliſchen Geiſtlichen. Wir beſuchten eine Anſiedlung der Tſchippeway-Indianer, die eben von ihrer Sommerfiſcherei und ihrer Herbſtjagd mit reicher Ausbeute zurückgekehrt wa- ren. Auch die Inſeln des Simeoe-See's find noch von Indianern bewohnt, und ihnen von der Regierung als ihre „Reſerve“ zugeſtanden worden. Dieſe armen Leute bilden ſich ein, daß das Leben in den Häuſern, welche ihnen die engliſche Regierung erbaut, ſie krank macht und ihnen die Schwindſucht ver⸗ urſacht, an der fie raſch dahinſterben. So ganz unrecht mögen fie nicht ha— ben; denn da fie doch noch die Hälfte des Jahres im Walde umher ſchwei⸗ fen, und dann wieder im Hauſe neben dem Ofen liegen, ſo mag dieſer un— gewohnte Wechſel, dieſes Zwitterleben zwiſchen Wildniß und Cultur ſie ſchwächen. .... Beide Seen überziehen ſich im Winter mit einer 2 Fuß dicken Eisdecke, ſo daß die Leute mit vierſpännigen Wagen hinüberfahren konnen (unter dem Breitengrade von Montpellier). Dort, wie überhaupt in ganz Canada, ſind dieſes Jahr die wilden Thiere, die Eichhörnchen, die Bären und andere auf einer großen Wanderung be— griffen geweſen und häufiger zu den menſchlichen Wohnungen und Städten herangekommen, als je zuvor. Am See Kutſchitſching bei einer einzigen Säge— mühle hatte man dieſes Jahr im Umkreiſe weniger Meilen 30 Bären ge— ſchoſſen, wo man ſonſt jährlich nur 2 oder höchſtens 3 erlegte. Aehnliches horte ich nachher auch in Penſylvanien. Man meinte, die außerordentliche Trockniß dieſes Sommers, welche überall die Nüſſe, die wilden Früchte, die Wurzeln und Erdknollen, den wilden Bienenhonig u. ſ. w. in den Wäldern zerſtört und ausgetrocknet habe, ſei davon die Urſache. Von Toronto ging ich nach dem Niagara und genoß und umwanderte die dortigen unvergleichlichen Naturſcenen während 4 Tagen. So viel Zeit gebraucht man wenigſtens, um Alles gehörig wahrzunehmen, was ſich hier darbietet. Ich ſah die herrlichſten Waſſerfälle im ſchönſten Sonnenſchein, 2 Nachts im klarſten Mondſchimmer, im Sturme, und war natürlich auch hin— ter dem „Sheet“. Die Eiſenbahn, eine breite Kette, 200 Fuß hoch über dem ſchäumenden Waſſer ſchwebend, iſt jetzt beinahe fertig; ein wundervolles Menſchenwerk. Wie die Schwärme von Tauben und anderen Wandervögeln, benutzen ſeit dem abſcheulichen Fugitive law auch die armen Neger-Flüchtlinge hauptſäch⸗ lich die beiden Landengen bei dem Niagara und bei Detroit zu ihren Wan— 504 Briefliche Mittheilungen: derungen, gleichſam als Brücken, nach dem Norden zum freien Canada. Ca- nada iſt jetzt voll von Negerflüchtlingen; die meiſten kommen über Detroit. Den Erie-See ſah ich im Sturme, höchſt maleriſch. In Buffalo, einer Stadt an ſeinem Oſtende, die alle meine Erwartungen übertraf, bekam ich einen kleinen Vorſchmack des Weſten. Die freie Bewegung in dieſer Stadt und ihr Verkehr leiden etwas durch die Eismaſſen, die im öſtlichen Winkel des Erie-See's theils daſelbſt gebildet, theils von den herrſchenden Weſtwinden zuſammengeführt werden. Der Exie-Canal bleibt dadurch lange verſtopft. Der Ontario-See friert blos in kleinen Baien am Ufer zu; der Erie-See dagegen, obwohl ſüdlicher liegend, auf größeren Strecken, ſo daß man bei Buffalo an 10 bis 12 Meilen quer über ſein öſtliches Ende fahren kann. Man ſagt, weil er nicht ſo tief ſei, als der Ontario. Von Buffalo ging ich zu den intereſſanten Geneſee-Catargeten (der Geneſee-Fluß entſpringt in den Alleghany's und fließt von Süden nach Norden in den Ontario), die zwiſchen 400 Fuß hohen engen Felſenmauern ſich hinabſtürzen. .... Dann von Eiſenbahn zu Eiſenbahn durch viele zum Theil noch ſehr un— angebaute waldige und gebirgige Landſchaften kam ich im innern Penſylva— nien zu den merkwürdigen Anthracit-Kohlen-Baſſins am Susquehanna, um Lehigh. Ich erreichte erſt Seranton, eine ganz junge Stadt (doch ſchon mit 1000 Einwohnern) im nördlichen Baſſin. Herr Seranton, der Begründer dieſer Stadt, ein noch jugendlicher Mann, führte mich ſelbſt hinein. Eiſen und Kohle liegen hier in ſchöner Fülle dicht bei einander. Deutſche Farmer waren bis vor 10 Jahren die einzigen Bewohner des Thales, früher Lacka— wanna genannt, das jetzt nach der Stadt genannt wird. Unter anderen Din- gen ſah ich einen Blaſebalg durch eine Dampfmaſchine von 1500 Pferdekraft getrieben Durch eine ſehr intereſſante Waldwildniß über zahlloſe Vorſprünge der Alleghany-Berge (dieſer Name iſt aber an Ort und Stelle kaum bekannt) kam ich nach Mauch Chunk, einem Hauptkohlenorte des ſüdlichen Baſſins. Hier brachte ich einen Tag auf dem überaus merkwürdigen Berge Piscan zu, der mit Eiſenbahnen umſponnen und bis zu ſeinem Gipfel mit Kohlen erfüllt iſt. Oben ſtehen 60 Fuß dicke Kohlenmaſſen der ſchönſten reinſten Anthracit⸗ kohle wie Felſen umher. Ich war im Innern der Minen und ſah die ganz eigenthümliche Weiſe der Löſung und Herausförderung der Kohlen. Die Ausſicht vom Berge Piscan, zu dem man an einer Kette an 1000 Fuß hoch hinaufgezogen wird, über eine Menge paraleller Bergzüge, iſt äu— ßerſt lehrreich. 5 Durch das ſogenannte Lehigh-Gap kam ich dann aus dem wilden Innern Penſylvaniens in das Paradies der ſchön angebauten German Coun— ties (Northhampton, Lehigh, Lancaſter, Bucks, Berks ꝛc.) hinaus. Wie ſehr freute ich mich über dieſen Anblick, über die reichen und ſchoͤn gehaltenen 3 7 Aus einem Schreiben von J. G. Kohl an C. Ritter. 505 Aemter, die wohnlichen ſoliden Häuſer, die großen Stallungen und Scheunen, die kräftige und verſtändige Bevölkerung. Die Deutſchen haben hier ihre eigene geographiſche Nomenclatur, fie nennen z. B. den Fluß Lehigh „die Lecha“; die verſchiedenen Gaps (Päſſe) der Blue Mountains nennen ſie, Kafts“, z. B. Lehigh-Water-Gap iſt bei ihnen Lecha-Waſſer-Kaft. So die Dela⸗ ware⸗Waſſer⸗Kaft, die Wind-Kaft, die Fuchs-Kaft u. ſ. w. Kaft, nicht nach dem engliſchen Gap gebildet, heißt urſprünglich ein mit dem Beil in den Baum gemachter Schnitt (von kappen). Lecha, der ältere Name des Fluſſes, wurde erſt von den Engländern in Lehigh verwandelt, denn deutſche Anſiedler waren hier die erſten und empfingen manchen Namen unmittelbar aus dem Munde der Indianer. In dem lieblichen Bethlehem blieb ich mehrere Tage, lernte manche vor— treffliche Menſchen kennen und beſuchte auch einige Gipfel der Blue Ridge (verſchieden von den Blue Mountains). Wie überall in Amerika, ſo ſucht man auch hier die alten indianiſchen Namen wieder hervor und nennt z. B. die Blue Mountains häufiger „Kitatinai-Mountains“ oder kurzweg „Kita— tinai“. Wenigſtens thun dies die gebildeten Geographen des Landes in ihren Karten und Werken. Durch eine äußerſt angenehme und intereſſante Gegend kam ich dann vor wenig Tagen hierher nach New-Mork zurück.. ... Hier habe ich die geographiſche Geſellſchaft beſucht, bei der ein deutſcher Landsmann, Herr Schroeter (ein Enkel des bekannten Aſtronomen Schroeter in Lilienthal bei Bremen), Secretair iſt. Die Geſellſchaft beſteht ſeit 3 Jah- ren; Bancroft, Maury, Silliman find Mitglieder und geben ein Bulletin her aus. Herr Schroeter arbeitet dort jetzt an einer großen Karte der Vereinig— ten Staaten, die beinahe fertig iſt und ſehr viel Neues enthält. Hier fließen, bemerkte Herr Schroeter, eine Menge geographiſcher und hiſtoriſcher Quellen, die in Deutſchland wenig bekannt und benutzt zu ſein ſcheinen, zuſammen. Miscellen. Die Verwendung der Zwergpalme in Algerien. Es iſt bekannt, daß in Algerien die überall in größter Ueppigkeit wu— chernde Zwergpalme (Chamaerops humilis) den Ackerbauer oft faſt zur Ver⸗ zweiflung bringt, indem ihre Ausrottung wegen der tief gehenden, zähen Wur— zeln im höchſten Grade koſtbar und beſchwerlich iſt, ja man erachtete bisher die Palme bis zu dem Grade für nutzlos, daß die Regierung den Coloni— ſten Soldaten behufs Ausrottung der Pflanze gern zur Hilfe gab und fogar ſtarke Prämien, wenn dieſer Zweck erreicht wurde, ertheilte. Es iſt deshalb für die franzöſiſchen Beſitzungen in Nord-Afrika von höoͤchſter Wichtigkeit, 506 Miscellen: daß man endlich mannigfache und nützliche Anwendungen von der Zwergpalme zu machen gelernt hat. Hierauf leitete zunächſt die Erfahrung über den Ge— brauch der Faſer bei den Eingeborenen; einige arabiſche Stämme bedienten ſich nämlich früher ſchon der Faſer aus dem Stengel der Blätter, um ihre Zeltlein— wand daraus anzufertigen !), indem fie dieſelben mit Kameelhaaren mengten. Andere Stämme flochten aus den Blättern Körbe, und endlich bedienten ſich Alle der groben, aus der ganzen geflochtenen Pflanze gemachten Stricke. So lag die Idee nahe, die Zwergpalme zur Papierfabrication zu benutzen, und wirklich krönte ein vollſtändiger Erfolg die Verſuche. Da man aber in Afrika viele Millionen von Centnern der grünen Blätter der Pflanze ſammeln kann, und der Centner auf nicht höher, als 2 Franes zu ſtehen kommt, die ge— wöhnlichen Lumpen zur Papierfabrication in Frankreich immer theurer werden, fo daß man den Centner ſchon mit 20 — 50 Franes bezahlt, wovon noch 20 bis 30 Proc. Abfall zu rechnen iſt, fo wird die Induſtrie aus der Zwerg— palme künftig unzweifelhaft einen ſehr nützlichen Gewinn ziehen. Demnächſt dient die ſehr feſte und zugleich ſehr elaſtiſche Palmfaſer bereits in ausge— dehntem Maaße zu Tapezierarbeiten, weshalb man ihr neuerlichſt wegen ihrer Aehnlichkeit mit Thierhaaren den Namen des vegetabiliſchen oder afri— kaniſchen Haares gegeben hat, ja die Benutzung derſelben in den fran— zöſiſchen Häfen zur Darſtellung von Seilen für die Marine iſt ſogar in ſol— chem Maße ſteigend, daß man hier bald das aus Spanien ſeewärts bezo— gene und in den Häfen des Mittelmeeres, beſonders aber in Italien, ſeit den früheſten Zeiten zur Anfertigung von Tauen (Strabo Ed. II. Cas. 160) von der Marine viel gebrauchte Espartogras (Macrochloa oder Stipa tenacissima) zu entbehren und Frankreich in der Hinſicht von Spa—⸗ nien unabhängig zu machen Hoffnung hat. Aber das iſt noch nicht Alles, da man neuerlichſt erſt entdeckte, daß die vom Pflanzenleim befreite Palmen⸗ faſer auch der größten Theilbarkeit fähig iſt, und daß dieſelbe, ungeachtet ihrer geringen, nur 25 — 40 Centimeter betragenden Länge eine nützliche Verwen⸗ dung in der Weberei finden und den Flachs erſetzen kann. Auf dieſe Weiſe ver- mögen alſo Papierfabrikanten, Seiler, Tapezirer und Weber die Zwergpalme, die einſt mit Recht für eine Geißel Nord-Afrika's gehalten wurde, gleichmäßig nützlich zu verwenden, und ſchon jetzt beginnt die Pflanze den Colonien zu einer einträglichen Quelle von Producten zu werden, für die ſie ſtets einen fiche- ren und vortheilhaften Abzug finden. (Journal de Pinstruction publique. 1854. S. 279.) Gumprecht. ) Schon Strabo (Ed. II. Cas. 175) erwähnt, daß man aus einem baſttreiben⸗ den Dornbaum bei Karthago in Spanien die ſchönſten Zeuge webe; Prof. E. Meyer in Königsberg vermuthet wohl mit Grund, daß der griechiſche Autor darunter die Zwergpalme verſtanden habe (Botaniſche Erläuterungen zu Strabon's Geographie. Königsberg 1852. S. 13). Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabiſchen Meerbufen. 507 4 3 Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabifchen Meerbufen 5 4 (von Keneh nach Koßeir) in Ober-Aegypten. N Aufgenommen und beſchrieben von Eduard Gottberg, k Ingenieur in Dienſten des Paſcha von Aegypten 1). 2 Hierzu eine Karte (Tafel II.). N Vorbemerkung. Y Die Verbindung zwiſchen den beiden großen natürlichen Handelsſtraßen Aegyptens, dem Nil und dem arabiſchen Meerbuſen, iſt außer den mannig— % fachen, in unſern Tagen wieder erneuten Verſuchen eines Canal-Durchſtichs diurch den Iſthmus, von älteſter Zeit her weſentlich auf zwei, für den Hans delsverkehr allein practicable Landwege beſchränkt geblieben: den allbekannten nördlichen zwiſchen dem Delta und der Nordſpitze des Meerbuſens (Cairo und Sués) längs dem nördlichen Fuße der arabiſchen Gebirgswüſte, — und einen weniger frequenten im Süden, der das Gebirge an ſeiner ſchmalſten Stelle im Parallel der großen öſtlichen Ausbiegung des Nils quer durchſchneidet, > da wo tiefe Thaleinſchnitte in weſentlich weſtöſtlicher Richtung ſchon eine na— türliche Straße vorgezeichnet haben. Dieſer Naturform allein verdankt die N dem öftlichen Ausgange jener Thalwege vorliegende ſchlechte und unfichere f Rhede des heutigen Kußer (Qſer, franzöſiſch und engliſch gewöhnlich Coſſeyr geſchrieben) des „weißen Hafens“ (Asvxog vu der Alten, ihren Vorzug vor manchen beſſeren Hafenplätzen jener ſo wenig wirthlichen Küſte und ihre Bedeutung für den Verkehr Ober-Aegyptens mit den ſüdlicher gegenüberlie— * genden Küſten Arabiens. Namentlich wählt die große Maſſe der Pilger zu i den heiligen Stätten von Hidſchäz aus dem africaniſchen Weſten am liebſten oft zu vielen Tauſenden in große Karawanenzüge vereint dieſen für fie kür⸗ zeren Weg über Kußer, von wo aus fie die Ueberfahrt nach Muélih oder gleich direct bis Dſchidda, der Hafenſtadt Mecca's, machen. Daß aber die E Benutzung dieſer Straße bis in die älteſten Zeiten ägyptiſcher Macht zurück— reicht, beweiſen noch heutigen Tages die in den Granitmauern der Thalſchluch— ten eingehauenen Namensſchilder von Königen der 18ten Dynaſtie (15 Jahr— hundert v. Chr.). N Eine Straße von ſolcher Bedeutung durfte man eigentlich erwarten, in dem großen Atlas der franzöſiſchen Expedition nicht ganz übergangen zu finden, zumal in der That ein vom General Deſaix abgeſchicktes Streif— corps ſie zurückgelegt und nach mehreren Gefechten mit den in die Bergwüſte zurückgewichenen arabiſchen Reiterhaufen (am 26. und 27. Mai 1799) den Hafenort Kußer vorübergehend beſetzt hatte. Aber ſei es nun daß die Noth— * ) Gütigſt mitgetheilt von Herrn A. v. Humboldt. 508 Miscellen: wendigkeit vor plötzlichen Ueberfällen auf der Hut zu fein jede andre Rück— ſicht überwog und an eine militäriſche Recognoſeirung des Weges nicht denken ließ, ſei es daß den jenes Streifcorps führenden Officieren die Fähigkeit zu einer ſolchen Arbeit abging — die als Frucht des Streifzugs auf Bl. 5, 6, 7, 8 der großen franzöſiſchen Karte eingetragene und daraus in alle ſeither erſchienenen Karten von Aegypten übergegangene Route zeigt, bis auf die paar beigeſchriebenen Namen, auch nicht die entfernteſte Aehnlichkeit mit den wirklichen Lagen der Orte und Formen des Bodens und iſt als gänzlich un— brauchbar zu verwerfen. Zu dieſer Einſicht war der Unterzeichnete bereits gelangt, nachdem er die ebenſo ausführlichen, als genauen topographiſchen No— tizen, welche Hr. Profeſſor Lepſius im Jahre 1845 von zweimaliger Be— reiſung dieſer Strecke (im Nilthal ſowohl nördlich an Keneh, als ſüdlich an Lukſor anknüpfend) zurückgebracht hat, zur Conſtruction einer ausführlichen Routenkarte — die demnächſt in dem großen Denkmälerwerke des Hrn. Lepſius erſcheinen wird — benutzt und daraus eine ſchon ziemlich correcte Zeichnung dieſes Terrains gewonnen hatte, welche jetzt durch die vortreffliche Arbeit des Hrn. Gottberg in ihren allgemeinen Zügen die vollſte Beſtätigung, überdieß aber in den Details noch eine ungemein reiche Vervollſtändigung erhält. Die nähere Veranlaſſung zu dieſer Arbeit gab, wie Hr. Gottberg in dem Vor— bericht zu ſeiner Wegebeſchreibung an Hrn. A. v. Humboldt (d. d. Cairo, 11. April 1854) meldet, das im Frühjahr 1850 in Aegypten allgemein vers breitete Gerücht von einer beabſichtigten Landung eines anglo-indiſchen Er⸗ oberungsheeres an der ägyptiſchen Küſte und der in Folge deſſen vom Pa— ſcha gefaßte Beſchluß der Errichtung einer Linie optiſcher Telegraphen zwi— ſchen der Küſte und dem nächſten Punkte des Nillaufs. Mit dieſer Arbeit beauftragt und von der Unbrauchbarkeit der franzöſiſchen Karte als Grund— lage beim erſten Eintritt in das bezeichnete Terrain überzeugt, mußte Hr. Gottberg nothwendig eine vollſtändige Triangulation längs den verſchiede— nen möglichen Verbindungslinien zwiſchen dem Nil und Kußér vornehmen — denn die große Handelsſtraße wählt nicht die nächſte, ſondern die be— quemſte Linie — und damit einen anſehnlichen Raum der Gebirgsmaſſen zu beiden Seiten der Straße überſpannen. Dieſe ſchon bei der erſten Bereiſung zeitraubende und bei der Nothwendigkeit der Erſteigung aller eine weitere Ausſicht gewährenden Felsſpitzen in der ſengenden Junihitze äußerſt mühevolle Arbeit wurde in den folgenden Jahren durch drei wiederholte Bereiſungen controllirt und vervollſtändigt, ſo daß der Autor jetzt für die Genauigkeit ſei— ner Arbeit — etwa bis auf die nur nach entfernterer Anſicht beigefügten Randpartien — einſtehen zu können verſichert. Daß ſeiner Verſicherung voller Glaube gebührt, hat die bis auf die kleinern Krümmungen des Weges hinab durchgängig ſichtbare Uebereinſtimmung mit der nach Prof. Lepſius Anga⸗ ben conſtruirten Wegelinie zur Genüge erwieſen; erhebliche Abweichungen zeig— ten ſich nur bei einem Paar Nebenthälern (Wady Adalla von der Mitte des Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabiſchen Meerbuſen. 509 Weges aus gerade gegen Norden führend, und in der ſüdweſtlichen Wüſte, in der Richtung von Leketa um die Südecke des Gebel Kurün), die Hr. Lepſius ſelbſt durchzogen, alſo genauer recognoscirt, Hr. Gottberg aber offenbar nur nach der Anſicht von benachbarten Höhenpunkten aus ſkizzirt hat. Gleichwohl iſt in der Reduction der Gottberg'ſchen Zeichnung zum Stich auf > einen Längenmaßſtab von 2 des Originals durchaus nichts geändert worden!), um eben von einer fo werthvollen Originalarbeit, deren Bekanntmachung in der urſprünglichen Größe die Koſtenrückſicht wohl nie zulaſſen wird, auch in der vorliegenden Verkleinerung, fo weit der Maßſtab und die im Aus- druck des Terrains immer etwas unvollkommene Lithographie es zuließ, ein authentiſches Abbild zu geben. Aus demſelben Grunde find die Namen, welche der Autor in franzöſiſcher Form eingetragen hatte, nur der deutſchen Schreibart angepaßt, ſonſt nicht verändert worden, obwohl einzelne derſelben ſicher unrichtig ſind und nach der von Hrn. Lepſius mitgetheilten arabiſchen Schreibart berichtigt werden könnten; für viele Namen aber, die ausſchließlich in Hrn. G.'s Zeichnung erſcheinen, war die correcte Schreibart ohnehin nicht feſtzuſtellen. Wir verweiſen daher lieber diejenigen, welche ſich auch für die Sſpecialitäten einer fremden Nomenclatur intereſſiren, auf Vergleichung der betreffenden, jedenfalls noch im Laufe dieſes Jahres erſcheinenden Karte Nr. 4. im Lepſius'ſchen Denkmälerwerke. Wohl aber hielt ich es für unverfänglich, durch diejenigen Ortsnamen, welche durch Lepſtus's Erforſchung geſichert find, aber in Gottberg's Zeichnung fehlen, die beiliegende reducirte Karte zu vervoll— ſtändigen; doch find dieſelben, um jedem Autor fein Recht zu laſſen, durch unver⸗ ſtärkten Schriftſtich von den übrigen unterſchieden worden. Ebenſo wird es keiner Entſchuldigung bedürfen, daß ich, mit Rückſicht auf bequemeres Format, wie auf übliche Anordnung der Karten, die Stellung des Blattes gegen das Ori— ginal etwas verändert und nach dem aſtronomiſchen Norden orientirt und die dadurch entſtehende leere Ecke im N W. ausgefüllt habe durch Zufügung der Strecke von Bir Ambar bis Keneh nach Linant und der großen franzoͤſiſchen Karte, jo daß nunmehr beſſer, als im Original die Anknüpfung der nach We— fen hin auseinander gehenden Wüſtenſtraßen an die drei von S. nach N. I) Die alleinige Ausnahme bildet das Küſtenſtückchen des arabiſchen Meerbuſens, das ich nach der engliſchen Küſtenaufnahme von Moresby und Carleſſ berichtigt ein⸗ getragen habe, während der Autor, wahrſcheinlich in Unkenntniß dieſes Materials, die ganz falſche Küſtenzeichnung der großen franzöſiſchen Karte, deren Unrichtigkeit er doch im übrigen anerkennt, beibehalten hat. — Das Reductionsverhältniß von 2 des Ori⸗ ginals ſollte den Maßſtab unſerer Copie = 1: 250000 machen, da der Originalzeich⸗ nung ſtatt des fehlenden Maßſtabs die Angabe des Reductionsverhältniſſes 12100000 beigefügt war: es zeigte ſich aber nachher daß dieſe Angabe nicht richtig, ſondern der Maßſtab des Originals höchſtens = 1: 114000 fein kann, da die beiden Endpunkte der Triangulation, Kufjer und Kuft, jenes direct aſtronomiſch, dieſes durch ſeine Lage auf der von Deſair und Linant vermeſſenen Linie zwiſchen den Beobachtungspunkten Keneh und Lukſor, völlig firirt find; aus dem Abſtande derſelben iſt der von mir bei- gefügte Maßſtab abgenommen. H. K. 510 Miscellen: folgenden Stationen des Nilthals: Küs, Kuft und Keneh (Apollonopolis, Koptos und Kaenepolis der Alten) überſehen werden kann. Nach dieſen Vorbemerkungen laſſen wir die Schilderung der Wüſten— ſtraße ſelbſt in Hrn. C. Ritter's Auszuge aus Hrn. Gottberg's franzöſiſch geſchriebener Erläuterung folgen. H. Kiepert. Die Stadt Keneh liegt zwiſchen der arabiſchen Wüſte und dem Culturlande an Nilarmen, welche jedoch nur zur Ueberſchwemmungszeit, da das Fluß— bett + Stunde von der Stadt entfernt liegt, die Mauern der Stadt befpülen, die an 6000 Ew. und als Hauptort der Provinz 2 Batterien zu ihrer Ver— theidigung hat: — das letzte am obern Laufe des Nils eine Garniſon bildende Corps regulärer Truppen. Der Durchzug der Mecca- Pilger auf dem Hin- und Rückwege nach und von Arabien verleiht während dieſer Jahresperiode der Stadt reges Leben und Wohlſtand, da ſie dann als Raſtort zu der Er— holung von den Reiſebeſchwerden auf längere Zeit zu dienen pflegt. Auch ſehr große Kornvorräthe, welche Aegypten nach Arabien ſendet, werden von hier, das ganze Jahr hindurch, durch lange Reihen der Kameelzüge dem ro— then Meere zugeführt, und geben dem Gewerbbetrieb der Stadt einen eigen— thümlichen Charakter. Kommt man vom Norden her, ſo iſt Keneh der erſte Ort, wo man den wilden Tribus der Ababdeh begegnet, die durch ihre Sprache wie durch ihr ganzes Aeußere ſich von den Araberſtämmen unterſcheiden. Ein ſehr ſtar⸗ kes, ſchwarzes, mit Butter geſalbtes Haar, auf dem Schädel emporgerichtet und zur Seite, wie auf dem Rücken in krauſen Locken herab hängend, ein ſchwarzer dünner Bart, ein wildes, doch nicht eben unangenehmes Aeußere, die braune Haut des bis auf ein einfach umgeſchlagenes weißes Zeug faſt nackten Körpers, die Tracht: auf Sandalen einhergehend, mit dem Schild aus Hippopotamushaut, mit dem zweiſchneidigen langen Schwert an der Seite, der Lanze, der Keule, und zuweilen ſelbſt mit einer Flinte bewaffnet, alles dieſes zeichnet dieſe frei und kühn einherſchreitenden Geſtalten vor allen andern aus. Oft begegnet man ihnen auf dieſer Wegſtrecke vom Nil zum Meer bei Ko— ßeir, da ſie auf ihr als Wächter beſtellt ſind, und grade um die Brunnen herum ihre Hütten bauen; denn als Verächter der Fellahs (Ackerbauer) und aller Beduinen haben ſie ſich die beſchwerlichſte und am wenigſten beſuchte Karawanenroute zu ihrem einſamen Aſyle in der großen Wüfte auserſehen, um deſto unabhängiger zu ſein. Die Vorbereitungen für die Kameeltreiber zu ihrer Wanderung durch die Wüſte ſind bald abgemacht; ein kleiner Schlauch mit Mehl, ein Schlauch mit Waſſer, etwas Salz, ein gegerbtes Ziegenfell, ein Feuerſtahl und eine Holz— ſchüſſel ſind Alles, was ſie brauchen, und lächerlich iſt ihnen das Gepäcke der Touriſten, mit dem gewöhnlich ein paar Kameele belaſtet zu werden e Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabiſchen Meerbuſen. 511 pflegen. Die gewöhnlichen Reitkameele gehören zwei Arten an, der arabi— ſchen und der von Senaar. Der Weg aus der Stadt führt gegen Süd, verläßt bald die Palmwäl— der und die Ackerfluren des reichen Culturthales des Nil, und führt in zwei Stunden durch noch einzeln zerſtreute ärmliche Dörfchen (wie el-Biadieh, Kafr Esma, Schech-el-Charab und Köm Abu Amrän), dann zwiſchen enger zu— ſammentretenden Hügeln, mit denen die wilde Gebirgsmauer auf dem Oſtufer des Nilſtroms ſich erhebt. An einem Lager der Aſſaſſiheis Araber vom gro— ßen Stamme der Ma⸗aſis vorüber, trifft man gewöhnlich bald auf eine Schaar Aasgeier, die unter wildem Geſchrei ein gefallnes Kameel verzehren und ſich durch Flintenſchüſſe in ihrem Fraße nicht ſtören laſſen, wenn auch einzelne neben ihnen fallen. Nach den erſten zwei Stunden Weges erreicht man Bir Amber, wo Ibra— him Paſcha ein Karawanſerai und eine ſchattige Pflanzung von Mimoſen und Acacien, für die zahlreich durchziehenden Mecca-Pilger der Negervöl- ker vom Senegal und Atlas bis zum Niger- und Nilſtrom, hat anlegen laſſen. Eine Viertelſtunde weiter verläßt man das Culturland gänzlich und tritt in die volle Wuͤſte ein, wo jedes Grün des Nilthales auf lange Zeit ver— ſchwindet. Vier Stunden lang ſteigt man immer niedrige Höhen auf und ab, bis nach Alam el Gräb. Hier fängt eine neue traurige Wüſtenebene an, die im Nord von ſenkrechten Felſen, im Süd vom Thal Matule begrenzt wird, worin Wüſtenpflanzen zwiſchen den heißen Felswänden wachſen, wo der zurückprallende leuchtende Sonnenſtrahl das an dieſes Licht ungewöhnte Auge leicht blendet. Bald trifft man mit der andern Route von Kuft (Koptos) zuſammen (daher der Ort el-Mofarek — „die Scheide“ heißt), und kommt zum (erſten) Telegraphen, der am Tell el Kheat errichtet iſt. Mit 8 Stunden von Bir el⸗Amber erreicht man el-Lagita (Leketa nach Lepſius), wo mehrere Brun- nen mit etwas ſalzigem Waſſer und einige Backſteinhütten für die Reiſenden erbaut ſind, aber viel zu klein und zu ſchmutzig, um viel beſucht zu werden. Daneben liegt ein Lager der Ababdeh-Araber. Da von hier auf 3 — 4 Tagemärſche kein Waſſer gefunden wird, muß man bier die Kameele vollſtändig tränken, die ohnedieß auch im Vorgefühl des folgenden Waſſermangels nicht weiter fortzubringen ſein würden. Für die Beduinen fängt hier die wahre Wüſte erſt an; weshalb auch eine Art Markt ge halten wird, auf dem man ſich mit einigen Lebensmitteln verſehen kann, mit Hammeln, Hühnern, Tauben, Ziegenmilch, zuweilen auch mit Waſſermelonen und andern Vorräthen, welche die Fellahs für die Pilgerdurchzüge herbeizu— Schaffen pflegen. Auch ein Barbier bietet den Mecca-Pilgern feine Dienfte an. In Lagita trifft auch die Straße von Küs und Lukſor mit der von Kenneh zuſammen, und zwei andere gehen von da nach Koßeir aus; eine gerade oſtwärts über Sikket-el-Roſſafa, die einzige, welche die Karawanen verfolgen, und die andere ſüdwarts, el-Sikkeh genannt, die aber zu beſchwer— ne r 512 Miscellen: lich iſt, um von andern Reiſenden, als den Ababdeh, betreten zu werden. Auf der Roſſafa-Straße hat man noch weithin ebenen Weg. Nach einer halben Stunde bleiben links die Hügel Um Salet mit einem zweiten Telegraphen nud einigen alten Reſten von Mauerpfeilern von 4 bis 5 Fuß Höhe und 2 Fuß Dicke, die ſich von Stunde zu Stunde auf der ganzen Wegſtrecke bis Koßeir wiederfinden und nach der Meinung der Araber meiſt zu Feuerſignalen haben dienen ſollen, was auch nicht unwahrſcheinlich iſt. Jenſeit Um Salet iſt die Ebene, auf welcher der Weg hinzieht, von nie= drigen, ganz röthlich-ſchwarzen Felshügeln eingeſchloſſen; im Nord ſteigt ein hoher Berg empor, und im Süd erheben ſich die Hügel el-Meſchrif, el-Vereh, Gurn-Abu Seraig und Rod-Aid; auf dem letzten iſt ein Telegraph errichtet. Nach 4 — 5 Stunden Weges von Lagita erreicht man den Berg Gebel-el- Meauhet. Hier ändert ſich die Landſchaft; aus der Ebene, deren Boden und Hügel nur ein Conglomerat von Sand und Kies waren, tritt man hier in eine von Sandſtein gebildete, zu beiden Seiten von niedern Plateaus be= gleitete Engſchlucht ein mit einem Gießbach, an deſſen Ufer eine Menge Colo— quinten wächſt und die Ruine einer alten Station — von den Arabern Okaleh genannt — liegt. Auf der Route von Koptos bis Koßeir findet man 8 dieſer Ruinen, die alle von gleicher Conſtruction und von gleicher Form ſind, alle aus Luftbackſtein und aus derſelben Zeit, wie die erwähnten Feuerſignale. Durch die Thür tritt man in einen Hofraum von 30 Fuß im Geviert, aus wel— chem Thüren in kleine Kammern von 9 Fuß Tiefe und Breite führen. In meh- rern dieſer Okaleh findet ſich in der Mitte des Hofraums ein Brunnen, oder man trifft auf Ciſternen. Hier trafen wir die letzte Hyäne, die ſich nicht weiter als da, wo es noch Waſſer giebt, aufzuhalten pflegen; die Jagd nach dieſer Beſtie führte uns vom Wege ab in gräuliche Wildniß und Verirrung. Von Gebel-el-Meauhet paſſirt man nach der erſten halben Stunde, Gebel Koßür-el-Benat, wo ein vierter Telegraph errichtet iſt; dann tritt man wieder in Ebenen ein bis zu den Hügeln Matrak-el-Salam, auf welche Gebel-el-Schams und el-Kamar (d. i. Sonne- und Mond-Berg) folgen. Jenſeit dieſer mehr plateauartigen Flächen erhebt ſich das Terrain am Gebel Raſchraſch; durch eine enge Schlucht tritt man ein in die auf allen Sei— ten von hohen Bergen umringte Ebene Abu Kuah. Hier ſteht eine Okaleh, gleich den oben genannten. Die Berge links heißen Gebel Abu Kuah, wei— terhin Gebel Gef und Egul, denen gegenüber ein alter, jetzt verſandeter Brunnen liegt. Hier wendet ſich die Route im Knie gegen Nord und überſteigt den Berg Gurés⸗-el⸗Ramleè, auf dem ein feuerrother Sandſtein ſeltſame Geſtalten bildet. Es iſt der letzte Sandſteinberg auf der ganzen Route, und das jenſeitige Fel— ſenbette des Gießbaches Sel Tilla-el-Sidd bezeichnet einen andern geognofti- ſchen Gebirgsabſchnitt. Alle bisherigen Berge waren dunkelgelb, mit fchwärze P * 2 1 . Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabiſchen Meerbuſen. 513 lichen Flecken; von hier an wird die Thalſchlucht viel enger, die höhern, ſehr zerriſſenen ſteilen Seitenberge haben eine mehr graugrüne Farbe und ſchiefri— ges Gefüge. Der Geſang der Kameeltreiber tönt viel lauter von dieſen mehr glatten, ganz nackten Felswänden zurück, und ihre dunkeln, hoch emporſteigen den, dicht gedrängten Maſſen erfüllen beim erſten Eintritt in dieſe Labyrinthe die Bruſt mit Beklommenheit und ſeltſamer Bangigkeit. Zur Linken, 2 Stunde vom Wege, im Gebel-el-Memauad, find die Spuren einer alten von den Aegyptern bebauten Kupfergrube: das Erz iſt nicht gehaltreich, voll Antimon; in der Nähe fehlt alles Holz. Eine halbe Stunde hinter Sͤl-el-Sidd fällt das Bette des Gießbachs Chaſchm⸗Mohad in das Thal, welchem die Straße folgt; 3 Stunden weiter erreicht man Bir-el-Hammamat. Hier liegt der Reſt einer Okaleh, und ein 90 Fuß tiefer jetzt waſſerloſer Brunnen, zu dem früher Treppenſtufen in einer Spirale hinabführten, die aber nun zerbrochen find. Die Araber er- zaͤhlen: Mehemed Ali Paſcha habe den Brunnen reinigen laſſen, dann aber die Arbeiter nicht dafür bezahlen wollen; dieſe hätten ſich einen Zauberſpruch verſchafft und ihn in den Brunnen geworfen, worauf die einſt reichlich flie— ßende Quelle verſiegt ſei. Eine Viertelſtunde weiter ſteht auf dem behauenen Felſen eine Hierogly— phen⸗Inſchrift; es iſt die Cartouche eines der Könige aus Ramſes Dynaſtie (der 18ten). Eine halbe Viertelſtunde weiter iſt ein antiker Steinbruch von grünem Jaspis, in dem viele Basreliefs und Inſchriften erſcheinen, darunter vor— züglich die Cartouche des Königs Amyrtäus aus der 28ſten Dynaſtie. Hinter dieſem Steinbruche ſteigen die Berge noch viel höher auf; das Bette eines Gießbachs Miſſak-el-Bakra, vom Gebel Meeſch !) kommend, ver— eint ſich hier mit der Karawanenſtraße; durch das Thal des Bachs kann man nach Gebel Duchan, Wadi Asgar und Wadi Arabat kommen; aber ſelbſt Beduinen nehmen nur ſelten einmal dieſe Straße. Jenſeit des Miſſak-el-Bakra paſſirt man die Berge von Chaſchm-At— tala; jenſeits pflegt man Gazellenheerden zu begegnen, die aber ſchwer zu er— jagen find. Dann erreicht man den Gebel-el-Foachir, d. i. den Töpferberg, vielleicht ſo genannt, weil man in den hier gelegenen Reſten des einſt von den Arbeitern der nahen Granitſteinbrüche bewohnten Dorfs viele Topfſcherben findet. Der Weg ſpaltet ſich hier in zwei Arme, die ſich nach 6 — 7 Stun- den wieder vereinen. — Der Weg zur Linken, welcher el-Mehadem heißt, führt vorbei an dem Granitbruche, in dem zum Transport ganz fertig behauene Granitblöcke bereit lagen. Dann trifft man den Gebel Magarat-Hamdun und ) Auf der Karte Um Eſch geſchrieben. Die hier erwähnte wenig begangene Straße, welche weſentlich zuſammenfällt mit der durch das folgende Thal Wadi Adälla (ſo die richtige Schreibart) führenden, iſt dieſelbe, welche Prof. Lepſius 1845 nach Gebel Fatireh und Duchaͤn einſchlug. Zeitſchr. f. allg. Erdkunde. Bd. IV. 33 514 Miscellen: fteigt an deſſen Oftfeite wieder zur Hauptroute hinab, welche ſich von Foachir ſüdwärts durch hohe Berge windet, bis zu der Stelle, die el-Sidd (der Damm) genannt wird, weil ſie faſt ganz von Felſen verſperrt iſt. Hier iſt ein Lager der Ababdeh und ein Brunnen mit eben trinkbarem Waſſer, das nur zu ſparſam für die Tränke der Kameele, kaum aber für die Pilger und Ka= meeltreiber den Durſt zu ſtillen hinreicht. Ein anderer Brunnen, auch verſchüttet, Bir-el-Atayat, folgt 2 Stun⸗ den weiter zur Seite der Straße — Wieder 1 Stunde weiter erreicht man im Gebel Mograch Abu Fanani den Culminationspunkt der ganzen Gebirgs⸗ paſſage, der in einer Meereshöhe von etwa 1800 Fuß die Waſſerſcheide zwi⸗ ſchen dem Nil und dem rothen Meere bildet. Darüber ſteigt links vom Wege die ungeheuere roſenfarbene Gebirgsmaſſe des Gebel-el-Mehetik, des höchſten zur Seite der ganzen Route, gewiß zu 3000 Fuß Meereshöhe an. Der jenſeitige Hinabſtieg iſt zu ſteil für das Reiten und muß zu Fuß zurückgelegt werden. Die die Straße einſchließenden mehrfach abgeſtuften Talkſchiefer-Gebirge fal⸗ len ſchnell ab; ihre größte Erhebung in Süd heißt Gebel-el-Burg. Bald kommt man über die Okalet-el-Sarg zu den niedern Hügeln von Abu-Ziran, die in ihrer Form denen von Foachir gleichen. Dieſe find, wäh rend ſonſt in der ganzen Strecke die verſchiedenen Gebirgsarten nach Hori— zontal-Gruppen geſondert neben einander erſcheinen, eins der wenigen Bei- ſpiele über einander gelegter Gebirgsarten; Quarzzüge, welche alle Schiefer— gebirge durchdringen, ſind hier häufig. Die hohen Berge im Süden von Abu-Ziran heißen Abu-Humbus; im Nord erheben ſich die Porphyrmaſſen des Gebel Marada faſt eben ſo hoch, aber noch ſteiler, als die des Mehetik. Nach einſtündigem Wege durch niedere Höhen tritt man in eine Thal— ebene, die vom Bette des Söl-el-Ganäm durchriſſen, im Süden durch den hohen zuckerhutförmigen Berg Um Schagher begrenzt wird. Hier iſt etwas Weide, und die Kameeltreiber können hier nicht vorüber ziehen, ohne ihre Thiere ſich wenigſtens ein Stündchen erholen zu laſſen; meiſt bringen ſie hier die Nacht zu. Hier trifft auch der ſüdliche Weg von Lagita, den aber nur etwa Ababdeh zu nehmen pflegen, wieder mit der Hauptroute zuſammen. + Stunde jenſeit Sél⸗el⸗Ganäm kommt man zur Okaleh Mograch-el-Ahmer, dann zum Brunnen Aidet-Soliman, der ziemlich tief im Hofe eines andern Okaleh liegt. Sein ſehr ſparſames Waſſer reicht nicht einmal für das nahe Lager der Abab— deh hin, und hat abführende Eigenſchaften. So wie man aus dem Berge von Aidet-Soliman heraustritt, hat man vor ſich die hohe und weiße Gebirgsmauer des Gebel-el-Beder, mit zackigem Rückgrat. Der Weg nähert ſich ihr bei der Ruine Okalet-el-Dulh und biegt dann um zum Bir⸗el-Inglis. Schon von der Okaleh beginnen die durſti⸗ gen Kameele mit ihren Klagetönen und beſchleunigen ihre Schritte, um das ſeit drei Tagemärſchen entbehrte Waſſer an dieſem „Brunnen der Engländer“ Pr 4 f » f „ WE . Die Karawanenſtraße vom Nil zum arabiſchen Meerbuſen. 515 zu ſchlürfen. Hier iſt ein Ababdeh-Lager, wo die letzte Route von el-Lagita ſich wieder mit der Hauptſtraße vereinigt. Von da führt die vereinte Straße durch einen Engpaß der Kalkſteinkette el-Beder. Weiterhin zweigt ſich die Straße nach der verlaſſenen Ruine von Alt-Koßeir gegen Nord ab, die Hauptſtraße geht über Ambegi zu einem Lager der Ababdeh, unter dem Schutz eines ſehr hoch emporſteigenden ſchwarzen Berges. In dem ſalzigen Waſſer eines dortigen Ge- birgsbaches wächſt ſehr viel von der Schilfart, die man in Aegypten Nuch nennt. Große Ziegen- und Schaafheerden und unzählige Schaaren von wil— den Tauben und Rabenflügen beleben die bis dahin ganz todt gebliebenen Wüſteneien. Nach wenigen Schritten von da hört man ſchon das Rauſchen der Meereswogen; man hat ſchnellen Schrittes den Gebel Meſchacht-el-Hamir zu umreiten, und es zeigt ſich die tiefe Bläue des rothen Meeres mit den ſchwankenden weißen Segeln auf den hin und her ziehenden Schiffen! Da die Häuſer der Stadt ſehr niedrig und flach liegen, und man noch ziemlich hoch über denſelben ſtehend den Blick auf das Meer hat, ſo ſcheint dieſes weit höher über die Stadt ſich zu erheben; ein zwar bekannter, aber immer wieder überraſchender optiſcher Effect. Von zahlloſen Flügen der rothen Rebhühner umſchwärmt, reitet man eiligſt und ermüdet zum Hafen von Koßeir. Ein altes verfallenes Fort mit Kanonen ohne Kanoniere iſt ganz außer Stand, den Ort und ſeine 2000 Einwohner zu ſchützen, die einen aus allen Küſtenländern des rothen und indiſchen Oceans zuſammengekehrten Haufen bilden. Außer der arabiſchen Landesſprache hört man die Sprachen Abyſſinien's, des Hedſchaz, Perſien's und Indiens; denn aus dieſen entfernteſten Gegenden iſt die Einwohnerſchaft, die nur vom Korntransport nach Arabien und von den Mecca-Pilgern lebt, -gemifcht. Der Hafen, von Korallen- und Madreporenklippen umſäumt, iſt ſchwierig zu erreichen, zumal für die dortigen elenden Schiffe, welche nur Küͤ⸗ ſtenfahrt treiben und den Wogen und Stürmen des offenen indiſchen Oceans zu widerſtehen nicht im Stande ſind 1). 1) Ich habe auch im Terte die Schreibart der Namen nur fo weit abgeändert, als fie ausſchließlich der franzöſiſchen Orthographie entſpricht; alſo auch g der ägyptiſchen Ausſprache, an die der Vf. gewöhnt war, entſprechend überall gelaſſen, ſtatt der von den Ababdeh der Wüſte befolgten arabiſchen Ausſprache wie engl. j (dsch); z. B. gebel, burg wie in Aegypten geſprochen wird, gegenüber dem dschebel, burdsch der eigentlichen Araber. Ebenſo iſt der Artikel el nach der Orthographie des Vf. überall unverändert gelaſſen, auch vor folgenden Solarbuchſtaben (d, t, s, 2, n, r) H. K. denen das! bekanntlich in der Ausſprache affimilirt wird. Gedruckt bei A. W. Schade in Berlin, Grünſtraße 18. Druckfehler und Verbeſſerungen. Im dritten Bande: Seite 432 Zeile 16 v. o. Es iſt die weſtſchleswigſche Inſel Sylt, auf der viele, Bims- ſtein zwar von den Einwohnern genannte, aber aus ächter Lava beſtehende Bruchſtücke vorkommen, die ſicher einſt hier angetrieben wurden, nun aber in dieſem Terrain eingefchlof- ſen ſind (Forchhammer in Poggendorf's Annalen der 8 1843. LVIII, 627). 481 17 v. u. lies fachgemäß ſtatt ſachmäßig. 9 v. u. = der Gefundheit ſtatt die Geſundheit. „ 483 12 v. o. = reale ſtatt viele. = 487 = 14» o. = in ſtereometriſchem Sinne ſtatt in peremptoriſchem Sinne. 492 5 v. o. = eingeführt ſtatt angeführt. Im vierten Bande: Seite 88 Zeile 16 v. u. lies Tuariks ſtatt Tuariken. 172 = 990. ⸗öſtl. L. von Green wich ſtatt öſtl. L. von Bägirmi. - ee Zen! In einer zweiten Stelle von Werne's Werke, wo dieſes Nachrichten über die Delebpalme giebt (S. 460), ift, wie ich nachträglich ſehe, von einem den dritten Theil der Frucht einſchließenden Schuppendeckel allerdings die Rede. G. 167 15 v. o. Die Angabe, daß der Name Giginya der Delebpalme allein bei Overweg vorkommt, iſt nicht richtig, indem ich denſelben nachträglich auch in J. Richardſon's nachgelaſſenem Reiſewerke (Narrative of a Mission to Central Africa II, 295) als den einer durch dieſen Reiſenden in der Landſchaft Manga oder Minyo angetroffenen Palme erwähnt finde. Hiernach iſt der Name unzweifelhaft ein Wort der Bornu⸗ ſprache. G. 345 1-4 v. o. Die durch Dr. Bleek behauptete Verwandſchaft des Bullom und Timneh mit dem großen ſüdafrikaniſchen Sprachſtamm ſtimmt auch mit den neuerlichſt in England angeſtellten Forſchungen, die ſich auf die von dem Linguiſten W. Thomp⸗ ſon und dem Miſſionar D. H. Schmidt zu Sierra Leona geſammelten Sprachproben ſtützen, überein (Missionary In- telligencer 1852 III, 116). G. 349 1 v. u. lies Casas grandes ſtatt Casas grandas. = ...... > Inhalt. C. E. Meinicke: Ueberſicht der neueſten Entdeckungen in der Inſel Su⸗ 1 matra. Zweiter Artikel. (Hierzu Tafel I.) - II. A. v. Etzel: Rink, Die productiven Erwerbsguellen usb Bringungen für den Lebensunterhalt der Bewohner Nord-Grönlands III. Gumprecht: Heinrich Barth's Leben und Wirken IV. C. Brandes: Die letzten Unternehmungen zur Rettung Sie John Franklin's und ſeiner Gefährten . V. Gumprecht: Dr. Vogel's Forſchungen im Suntm von Rord⸗ ie. * die neue Niger-Expedition. b F J VI. W. Koner: Der König von Siam N fein Hof sa Lazari: Die Javaneſen. (Fortſetzung) K. L. Biernatzki: Beiträge zur e Kunde von u Japan und den Lutſchu⸗Inſeln Gumprecht: Dr. Vogel's een im Innern u bon Nord⸗Aftika ind die neue Niger⸗Expedition. (Schluß) a X. C. R. Wolff: Nivellements im Großherzogthum Mecklenburg⸗ Strelit C. Ritter: Die Schifffahrts⸗Expedition der Nord-Amerikaner L. Hern⸗ don, Lardner und Gibbon auf dem 5 in den Jahren 1852 und 1853 J. v. Minutoli: Die klimatiſchen Verhältniſſe Kon Spanien Gumprecht: Die Franzoſen in Süd-Algerien . . L. v. Orlich: Die neueften ee des Fe unter dane Sur Schaft. Erſter Artikel h . C. Pieſchel: Die Vulkane von Merico 9 Gumprecht: Barth's Schickſale und unterſuchungen im n Nord⸗ Afrika . L. v. Orlich: Die ehe guten 15 dee ab de Sie Ser ſchaft. Zweiter Artikel . Neuere Literatur. 3 W. Koner: Edw. Thornton — Gazetteer of India. 4 Vol. London 1854 W. Koner: Description du Royaume Thai ou Siam, par Ace 2 Vol, Paris 1854 . . - W. Koner: Skizzen aus dem Voltsleben aus nden vom Freih. Gabr. v. Pronäy. Peſth 1855 . . M. Willkomm: Cuadro orogräfico ade por la Sacckan PER N me- teorolögica de la Comision del Mapa geolögico ä cargo del vocal de la comision y ingeniero de caminos D. José Subercase 182 183 9 Seite C. R. Meinicke: Auſtralien. Geſchichte und Beſchreibung der drei auſtra— liſchen Colonien Neuſüdwales, Victoria und Südauſtralien von Samuel Sidney. Hamburg 1854 184 Gumprecht: The Geographical and Sn RT New York 1854 270 M. Willkomm: Pedro Jose Marques, Diccionario geogräfico abbreviado das oito provincias dos reinos de Portugal e Algarves etc. Porto 1853 312 Gumprecht: Zur Höhlenkunde des Karſts von Dr. Adolf Schmidl ꝛc. Wien o 313 Gumprecht: Mittheilungen 15 Justus Perthes' Ne Anſtalt über wichtige neue Erforſchungen auf dem 1 der Geographie von A. Petermann. Gotha 185. 331 M. Willkomm: Estadistica de Barcelona en 1849. Publicala D. Tan reano Figuerola . . 415 H. Lange und Gumprecht; Reife u um ie Welt wo Weſten ku Oſten durch Sibirien und das ſtille und atlantiſche Meer. Aſchaffenburg 1854 428 W. Koner: Neu erſchienene geographiſche Werke, Aufſätze, Karten und Pläne 442 H. Lange und Gumprecht: Reiſe um die Welt von Bee BR a durch Sibirien ꝛc. (Schlußßß . 481 Neuere Kartographie. C. Brandes: Discoveries in the Arctic Sea up to 1854. London 1855 434 H. Kiepert: Neue Karte des Großherzogthums Baden .. . 497 Briefliche Mittheilungen. Aus einem Schreiben des Herrn J. G. Kohl an Herrn C. Ritter. London, den 20. Auguft 1854 . . . 334 Schreiben des Herrn A. Schlagintweit an Ge A. v. Humboldt. Bombay den 10. November 1814 . 5 338 Aus einem Schreiben des Dr. Bleek an Ge C. Ritter ae 341 Aus einigen Schreiben von Sir John Bowring, britiſchem Gonverurur von Hongkong, an Herrn Klentz, nebſt brieflichen Mittheilungen General Mil⸗ ler's zu Honolulu an Sir John Bowring . . 345 Aus einem Schreiben des Herrn J. G. 1 an Sr C. Ritter. Rew⸗Pork, den 20. November 18544 8 I 499 Miscellen. u Die Tſchippewäs und ihre neueſte Landabtrefung . . 93 . Altmann: Ueber die Ausbeute von Metallen und en in wales im Jahre 1852 188 Gumprecht: Die erſte Erſeigung des Mount 1 5 „„ „ e ee Gumprecht: Die Anwendung der Zwergpalme in Algerien. 505 C. Ritter und H. Kiepert: Die Karawanenſtraße vom Nil zum bräbiſchen Meerbuſen (von Keneh nach Koßeir), beſchrieben von E. Gottberg. (Hierzu Tafel II.) 507 Bericht über die ce; der cr fi Erdkunde u Berlin a am 2. Der. 1854 95 ieee „ „„ „ . San Desgl. 10. Febr. 350 eee / / . = DER KARAWANEI zwischen dem ypten und dem arabi Aufgenommen i Sommer 18 E. SOLPBZR! * 1 Ingenieur in ägyptischen Dienst. 2 2 2 8 . f N \ Auf 5 der Orisinalzeichnung redueirt vo — 8 | Zeitschrift L allgem. Erdkunde, Bay gkenneh Er N Dr 30° 10.5 ee = a e boi, . 5 Deutsche geegraph.Meilm 15-1 Grad. — eic Hokiit g f 7 7 5 70 Kuramanmstundm Brunnen. aud ‚Hogenbach._ Wadi , Thal Okuleh, Natiensgebäude der alten Drasse g v - N y Ren ’ N \ UL 7 7 9 f tehm „sind durch unverstärkte Schrift an 51 aue Emmen, \ — Dee, dv. lle Inu, NE „ A \ ** ZU rr. ee, Ze \ f Ln, un ihr £ . 4 x = * 1 z 85 . r , 0 , DIR N KARTE DER KARAWANENSTRASSE art ans e, 2 K 25 5 1 1 4 } SE 8 N zwischen dem 5 i n , Nil » Oberägypten una dem arabischen Meerbusen. 2. Tab Ingenienr in ägyptischen Diensten. Uu, „ 3 W 3 uu, Kup el Die, Aufgenommen im Sommer Ilia, von Auf der Originalzeichnung vensiet von M Kinpert Mea 8 5 * f ’ 74 - ! H N 1 —ͤ — Lith-Aust.v.L.Kraatz mn Berlin. Derlin, bei BD Renner 'uopıom 28 funefüdoseg donsgur sf des os pufs eee o en LOYOS eneüf uess ons umz pun uoyrıd I ene W eee Iop [UBZIYEM ee enen wepur “prm ente M uezuvg sop gunpueflo ed 18g 91 Ist oprey woujezugs 1opol sterdsmeyroy 0 sff˙Vv uss push uep 07 er os un zes eure ıny 189 81 N 1 uoA esfeaꝗg-suohdpiosqug wep nz ‘wIeyeig ö uon opol ‘“uedungsfor] OT ur 33[0F1e sry sep oqeösny org — neee Funpyajdurg anz sppuzuaga oyroyy wop ayınp Ysı uop -I0M JpuUBAIOA eee pun Yonıcy yaysaaydny ur usptey ep dun; -issuy ojuBdops pun ougtos ne oo ao g orapuosag 0 ode Zunjoyıopory uodıssnpaogn anz dopo donpig ouepesqos e un een eee eee ep Funftoiſ , anz 3Jonzıe uney uoaayyugigosog Yoanp en oyos.ıyog pun Htos,10[01g Juueyog op arm oıp “uodruolusp pun eee uomonbagun aoyep pun uss) -oadnzjje dp UOLOSIMZ RU app ap so sjep Yun mod os Syonvıg -oapuejj sep NENNT ee Jne gyorsyyony Yu gst (osjoadıoıdeg o en F61) TORI e yeuıo,g self 'uopıom eee "para ayasyu sepy uopuoyajsog eee e Sne op Ieıuf aop oled n eee eee eee eee nz en uodunpuegyong olle yoanp “usyyonıpo3 Sıopuosag uap jur Zungarzag] aasaıp ur sjnur so pun “uOZJOSNZIOPLENIOSNE weg n e eee eee pun ede ee 08 404 uoqjpsuop oIp pun azyyspunig uouosomo3 puagodsjeu Sey uonau sop Fumpqassny ap sog op Yyoru Joyejsog adtozuy dsf wmey a es uompoıdszuo eee gyuyosuossıAy dop uodungopıoJuy wop pun ossimuuoy uogosiydeı3oo5 ap opurysnz uodnnay mob 10p *sepy eee pum eee bee eonon uoaunges -yoanp FIPuyjsjIoa unte dern ee eee wmz %o ary umdog uassop oe M wap uf wogjoswap rag ene uanaıyıa nz Osjepy eee Jyoyu ur eee eee sop Junuuoyao -uy UOHOIHRT dop eee ‘aasjgar) eee uss 1ap IIe sop abel n se eee ur eee Hes aden 19p opfe up June ehen es uassop sh 4 188 81 m I S5 nes eee ese "uaısjagg pun pepe ee ee ene en nz eee dop ormopeyy een ep porpdgrm ja Lungau HOIUNIIH Id POqIWaAg pun U9OMJIUTT 3043 410 3113HL 31V Ian SVILVONVH YanaN 5 uuauerqosde usqe os gsf ullageg ur 10 x * 7 RE engl O7 u 2 4 a en Bd o A D . 9 m — — — 8 8 Den; Inhalt 3 e eonon Projection 5 . n | er der re: Westlicher ee 2 ER NE Deutschland en Preufsen und Pommem . » . 2. 2 202.» 4 Schlesien und FPoseee ns ee Brandenburg, Sachsen und Thüringen Hannover, Braunschweig, Oldenburg, Mecklenburg e a ee te, Meze Westphalen, Rheinprovinz, Hessen und Nassau . Baiern, Würtemberg und Baden Böhmen, Mähren und Oesterreich . Tyrol, Salzburg, Steiermark, Kärnthen, Krain und Istrien Ungarn, Siebenbürgen, Croatien und Galizien Oesterreichischer Gesammt staat Schweiz nebst Savoyen und Lombardei. . . . Italien und DalmatiWeee 8 . Spanien und Portugal .» . . 2. 0. 0 Frankreich nebst Niederlanden und Belgien . . Niederlande und Belgien den a 2 7 2 | 1 7 4 7 FEN ü eh. ien folgend EINEN e N 5 — — — — — 2 — — e ae bilden - Dünemark, südliches Schweden u. Norwegen Seandinavische Halbinsel, Finnland u. Russische Ostseeprovin zen Europäisches Russland . e Europäische Turkei und Griechenland BEE) RE ß NE RA . Klein-Asien, Syrien und Armenie Vorder-Asien (Türkei, Persien, 9 nördliches Arabien) J a Fe en > Vordersindien. Dr ar Dar et Hinter-Indien, Sunda-Inseln, China und Japan * » Australien (der Welttheil) in Mercators Projection. Austral-Continent und Neu-Seeland gd 117 wN ¾ĩͤ ß ee Die Nillznd e 8 Tunis, Algerien und Marocco N NE Nord-America a Vereinigte Staaten, östlicher Theil . . . » . Vereinigte Staaten, westlicher Theil und Mexico . West-Indien und Central-America . » . . . » fa "re "Here 2 Mill. REN 5 e. . BAHT BG en * * y 2 ee re