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FÜR

KIRCHENGESCHICHTE

BAND ai 1901

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ZEITSCHRIFT

KIRGHENGESGHICHTE.

BEBAUSaEflEBEN

B. THEODOR BRIE6ER m Lic. 6ERHBARI) BESS.

XXII. Band.

eOTUA.

FRIEDRICH ANDREAS PERTHES. 190].

Reprinied wjih the permission of Ehrenfried Klolz Verlag Slutlgart

By arrangement with the original publishers, pages

containing advertisements in the original edition have

either been left blank in this reprint or entirely omitted.

First reprinting, 1968, Johnson Reprint Corporation Printed in the United States of America

1

IntLalt.

Erstes Heft.

(Ausgegeben den 1. März 1901.)

Seit«

Untersuchungen und Essays:

1. Erbes, Petras nicht in Rom^ sondern in Jerusalem ge- storben 1

2. Beß, Die Annatenverhandlung der „natio gallicana^' des Koostaozer Konzils 48

3. Köhler, Lutherana 71

4. Ribbeck, Die Herzöge von Brieg und die geistlichen Patronatsherren. 1 84

5. Brosch, Die Ermordung der Veltliner Protestanten im Jahre 1620 .... 106

Analekten :

1. Bärge, Neue Akteostücke zur Geschichte der Witten- berger Unruhen von 1521/22 120

2. Giemen, Zwei Gutachten Franz Lamberts you Avignon 129

3. Köster, Beiträge zur Reformationsgeschichte Naumburgs

von 1525 bis 1545. 1 145

4. Goetz, Ein ungedruckter Brief Calvins 159

VI INHALT.

Zweites Heft.

(Ausgegeben den 1. Juni 1901.)

Seite

Untersuchungen und Essays:

1. Erbes, Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem ge- storben (Schlufs) 161

2. Flack, Deutsches InquisitioDSYerfahren um 1400. . . 232

3. Ribbeck, Die Herzöge von Brieg und die geistlichen Patronatsherren (Schlufs) 245

Analekten :

1. Köster, Beiträge zur Reformationsgeschichte Naumburgs

von 1525 bis 1545 (Schlufs) 278

2. Miscelle Ton Luther 330

Drittes Heft.

(Ausgegeben den 15. September 1901.)

Untersuchungen und Essays:

1. Ficker, Bemerkungen zu einer Inschrift des Papstes DamasuB 333

2. Schott, Joachim, der Abt von Floris 343

3. Goetz, Die Quellen zur Geschichte des hl. Franz von Assisi (Erster Teil) 362

4. Gottschick, Studien zur Versöhnungslehre des Mittelalters 378

5. Dielü, Neue Funde zur Geschichte der Kastonordnungen

des Landgrafen Phih'pp von Hessen 439

Analekten :

1. Sommer feldt, Zu Matthäus de CracoTias kanzelredneri- schen Schriften 465

2. Miscelle von Goeiz 485

INHALT. Vn

Viertes Heft.

(Ausgegeben den 14. Dezember 1901.)

Seite

ITiiiersnchnngen und Essays:

1. Markgraf, Clemens von Alexandrien als asketischer Schriftsteller in seiner Stellung zu den natürlichen Lebensgütem 487

2. Sessel, Cluny und Macon. Ein Beitrag zur Geschichte

der päpstlichen Exemtionsprivilegien 516

3. GoeUi, Die Quellen zur Geschichte des hl. Franz von Assisi. (Erster Teil.) (Schlufs) 525

4. Pflagk'Harttung, Die Wahl des letzten kaiserlichen Gegenpapstes (Nikolaus V. 1328) 566

5. Waterstraat, Der Caminer Bistumsstreit im Reformations- zeitalt«r (Erster TeiO 586

Analekten :

1. Giemen, Ein interessanter Ablafsbrief 603

2. Eichhorn, Amsdorfiana aus dem Codex chartaceus

Nr. 43 der Dorpater Universitätsbibliothek 605

3. Mi 8 Celle von Schmidt 646

Register:

I. Verzeichnis der abgedruckten Quellenstücke .... 648

11. Verzeichnis der besprochenen Schriften 649

III. Sach- und Namenregister 649

Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben.

Von

Lic. C. Erbes,

Pfarrer in CaitollAun.

I.

Nichts in der ganzen Eirchengeschichte sei berühmter, nichts gewisser und bezeugter, als dafs Petrus nach Rom gekommen, hat Eusebs verdienter Erklärer H. Valesius ge- nieini Zwar diese Berühmtheit hängt mehr zusammen mit den eigenen Interessen, Vorteilen und Ansprüchen Roms, ^iner Bischöfe und Parteigänger, als mit einer genauen Untersuchung und sorgfaltigen Forschung. Der Grad der Oewifsheit aber und der Wert der Zeugnisse beraifst sich ^Jcht nach der Zahl der Nachsprecher einer in Umlauf ge- atzten Formel, sondern nach ihrem Alter, ihren Quellen und ihrer Glaubwürdigkeit. Um diese Dinge zu ergründen, können ^^^ von denselben Zeugen ausgehen, die Euseb, Kirchen- Schichte II, 25 schon beizubringen hatte.

Da überbietet also der in Rom selbst unter Bischof

^phyrinus (l99 216) schreibende Gajus die Berufung seines

^^taphrygischcn Gegners Proclus auf die in Asien ruhenden

^^ toritäten (Kirchengeschichte III, 31), indem er entgegnet:

^y^^ di rd TQO/cata tQv äjcoozdhtov tyjo deJSai ' (äv yaQ

^^-^/yCJijg d/teXd^eiv Irti xbv Bazr/.avbv ); Im r/)r ööbv t/Jv

^^^liav evQtjaetg ZQoycata röv rcrrrtjr 'tdgvaaitiinov r/yv

^'^xAr^ex/av. Unter den Aposteln sind hier ohne Zweifel Petrus

^^d Paulus gemeint, und unter ihren Tropäen am Vatikan

^^d an der ostiensischen Strafse die ehrwürdigen Stätten,

ZeiUchr. f. K.-G. XXIT, 1. 1

2 ERBESy

WO sie den Sieg über den letzten Feind und die Märtyrer- krone davongetragen haben , nicht die Oräber, die nach- weislich erst später von der appischen Gräberstrafse dorthin verlegt worden sind ^

Diese Angabe des Gajus findet in derselben Zeit eiu& Ergänzung bei Tertullian^ der nicht blofs in den um 2i;V geschriebenen Schriften gegen Marcion IV^ 5 und Scorp. IS sagt, dafs Petrus und Paulus von Nero in Rom getötet wordeii. seien, sondern schon um das Jahr 200 in de praescript. cap. 3&- genauer weifs (vgl.* Scorp. 1. c), dafs Petrus dort an da»- Kreuz geschlagen, Paulus aber mit dem Schwerte hingerichtet worden sei, um so die ganze Lehre mit ihrem Blute über die römische Kirche auszugielsen, zum besonderen Hort wider die bösen Ketzer.

Ganz im selben Geiste läfst sich an 20 Jahre früher der noch unter Bischof Eleutherus (174 189) und Kaiser Kommodus, also zwischen 181 und 189 schriftstellernde Irenäus vernehmen. Weil es ihm fiir sein Werk gegen die Ketzer III, 3, 2 ff. zu umständlich scheinen mU, aller aposto- lischen Kirchen Successionen aufzuzählen, beschränkt er sich auf die zu Rom als die gröfste und älteste und allen bekannte, und bezeichnet diese als von beiden Aposteln Petrus und Paulus gegründet und konstituiert. Obgleich er selbst Ge- legenheit hatte, in Rom mündliche und schriftliche Kunde einzuziehen, verrät er doch über die Thätigkeit der Apostel daselbst nichts weiter als dafs sie nach Gründung und Or- ganisierung der Gemeinde das Bischofsamt dem Linus über- tragen haben, und reiht daran, mit gehöriger Hervorhebung einzelner, ein Verzeichnis der zwölf ersten römischen Bischöfe bis auf seinen Zeitgenossen Eleutherus, ohne Angabe der Amtsjahre.

Durch Vergleichung mit Irenäus möchte uns aber noch einiger Gewinn erwachsen aus Mitteilungen, die Epiphanius im Panarion Haer. 27, 6 aufbewahrt, wo er nach Schilderung der Karpokratianer fortfahrt: HX(>€ fiiv elg fj^äg ?Jdij jtiog

1) Vgl. meinen eingebenden Nachweis in „Die Todestage der Apostel Paulus und Petrus und ihre i5mischen Denkmäler^' (Texte uod Unter- suchungen, N. F. 4, 1), S. 67 ff.

PETRUS KICHT IN ROM GESTORBEN. 3

MagiulXiva jig in avTQv äncnrid^äaa^ tuxI Ttolloig klv^i^yato ev XQoyoig ^vitli^ov imoy^dTtov Ttt/iijg, toi) TLOvä xip^ diadoxtp^ niov TLat T(öv ävcjTeQO). Ev Bätfirj yoQ yeydvaat nftüTOi IlejQog xal UafiXog oi dnöazoXoL avzot tloI ima'MTtoif elva ^Ivog, elta Klfjvog, elva Kli^firjg, aiyxqovog Ibv Uitqov nat Ilavlovj oi eTtifivrifioveieL IlaClog ev jfj ftgög ^Pü)fiaiovg [Philipper vielmehr] iTciaTokfj, Lesen wir nun bei Irenäus I, 25, 6: Unde et MarceUina, quae Romam sub Aniceto venu, quum esset hujas doctrinae, mtdtos exterminavit , so kann man bei aller sonstigen Verwandtschaft doch nicht annehmen, das Epiphanius auf seinem Cjpem ein von ihm bei Irenäus vorgefundenes elg ^Pio^riv für das Kommen der Marcellina in tig ij^äg thöricht geändert habe. Daher ist mit Lightfoot und Harnack zu schliefsen, dafs die Notiz mit dem von Epiphanius beim Abschreiben beibehaltenen Ausdruck aus einer römischen Quelle stammt. Dafs dieses im Grunde die- selbe Quelle ist^ aus der auch Irenäus schöpfte^ beweist nicht blofs die sichtbare Verwandtschaft der Angaben über die MarceUina, sondern auch die ähnlich bei Irenäus wieder- kehrende Mitteilung über des Klemens Verhältnis zu den Aposteln. Wie an der Notiz über Marcellina noch ein Stück der römischen Bischofsliste hängt^ so weist alles darauf, dafs die von beiden Ketzerbestreitem benutzte Quelle ein Ver- zeichnis der alten römischen Bischöfe war, in welchem zu einzelnen Namen historische Notizen eingetragen und damit für die Folgezeit fixiert waren.

Hat nun Epiphanius die Aufzählung der Bischöfe bei Klemens unterbrochen, um verschiedene Erklärungsversuche zu geben für den Umstand, dafs Linus und Kletus jenem noch vorangingen, so fährt er darauf fort: „Jedenfalls hat die Reihe der Bischöfe von Rom diese Folge: Petrus und Paulus, Linus und Kletus, Klemens, Euarestus, Alexander, Xystus, Telesphorus, Euarestus, Hyginus, Pius, Anicetus." Hierin widerstrebt doch Verschiedenes, diese Liste mit Lightfoot einfach fiir die von jener (dann bis Anicetus reichenden) Quelle gegebene hinzunehmen. Ist auch Kletus nur eine andere Form für den von Irenäus gebotenen Anenkletus, so entspricht doch das ^^Linus und Kletus" so sehr dem „P^Xivä

4 ERDESy

und Paulus" und der von Epiphanius vorgebrachten Er- klärung^ beide seien zu Lebzeiten der Apostel, während diese noch allerlei Reisen zu machen hatten, mit je zwölf Jahren Bischof gewesen, und nach dem Tode der Apostel im zwölften Jahre Neros sei (67) Riemens gefolgt: dafs man in dieser Aus- flucht nur ein späteres Eunstprodukt sehen kann. Dazu kommt, dals Euarestus nicht blofs an seinem rechten Platz, sondern nachher, vier Stellen weiter, nochmals aufgeführt wird. Das könnte ja einfach ein später in den Text des Epiphanias gekommener Schreibfehler sein ; bedenkt man aber, dafs bei jener Erklärung Klemens schon 67 begonnen haben soll-y 80 war eben dabei, die gewöhnlichen Zahlen der Amtsjahr^ vorausgesetzt, ein Lückenbüfser nötig, um die nötige Sumti^^ und das rechte Ende zu erreichen, ähnlich wie in dem \et' wandten Katalog in der Chronik vom Jahre 354, wo KlcmeO^ auf 68 gesetzt ist und nur Linus vorausgeht, zu dem nach' folgenden Kletus noch die schon zu Cjprians Zeit nach- weisliche Doublette Anakletus angereiht ist, um auszukommen. Denn dafs die Wiederholung des Euarestus kein blofs nach- trägliches Versehen ist, beweist Epiphanius z. B. auch 42, 1, wo er den Hyginus den neunten Bischof von den Aposteln Petrus und Paulus an nennt, und nicht diese beiden mitgezählt haben kann, vielleicht aber nur den aui jene andere Doublette korrigierten Irenäus ^ I, 27, 1 oder 111, 4, 3 abgeschrieben bat. Diese Dinge als Änderungen aus einer späteren Zeit anzusehen voran lafst noch der weitere Umstand, dafs Petrus und Paulus hier selbst als die ersten römischen Bischöfe aufgezählt werden. Denn das hat ja Irenäus noch nicht vorgefunden, der beide Apostel nur die römische Gemeinde gründen und organiöicrcn, das Bischofsamt aber dem Linus übertragen liefs. Wie Irenäus' die Apostel noch nicht zu Bischöfen Roms macht, sondern die Reihenfolge mit Linus als erstem zählt, so halten es auch andere in der nächsten Folgezeit. Vom Jahr 255 an aber wird Petrus, der Apostel- fürst, als erster römischer Bischof eingeführt mit den bekannten 25 Regierungsjahren, und Paulus hat daneben keinen Platz

1) Vgl. hierübor in. Toilestago, a. a. 0. S. 97 f.

^■■H PETHVS MCUT IN ROM OESTOHBEN. 5

mehr und bleibt aus den Verzeiclinisaen weg. Dafs er aber bei Kpiphäoius neben Petrus als Bischof auf'gel'ührt wird, rührt einlach lier aus Modifizierung einer alten Urkunde, in der Petrus und Paulus als Gründer der römischen Gemeinde ebeoBO vor der Biachofsliste Blanden, wie eie Irenäus dort vorgefunden und bewahrt hat, ohne sie selbst zu Bischöfen zu kreieren, und wie sie noch bei Epiphanius 42, 1 selbst wiederkehi'en ohne als Bischöfe gezählt zu werden.

Fragt sich nun, aus welcher Zeit jene beiderseits benutzte rtiiaische Urkunde ursprünglich stammte, bis zu welchem Bischof sie reichte, so kann man wohl meinen, Epiphanius liabe Bciu Verzeichnis nur bis Anicetus mitgeteilt, weil die Veranlassung in dessen Zeit gehörte. Aber warum hat er dann, wenn die Quelle auch noch Nachfolger bot, den Anicetua öxir durch Hinweis auf seinen Vorgänger Pius, nicht auch auf seinen Nachfolger Soter fixiert? So bleibt es doch 'Wahrscheinlich, ilafs die Quelle nur so weit reichte, als Epiphanius die Reihenfolge wiedergiebt: bis Anicetus. Wenn nun auch die alten Chronisten mit dem Todesjahr des zuletzt gestorbenen Kaisers zu schliefsen pflegen, so haben im Unter- ichiede davon die Bischofs Verzeichnisse den Zweck, die apostolische Successton grade des lebenden Bischofs darzuthun wio denn z. B. Irenäus selbst die Reihenfolge bis auf den „jetzt" (vPv) regierenden Eleulherus, und die Chronik von 364 sie bis in den Anfang des Liberiua fortführt. Bleibt ■0 die Abfassung unler dem 1G4— 173 nachfolgenden tf an den Harnack denkt, immerhin möglich, so haben rir doch schon mit der Möglichkeit zu rechnen, dafs bereits in einer unter Anicetus 15'2^164 aufgestellten Urkunde Petrus und Paulus als Gründer und Organisatoren der rö- mischen Gemeinde bezeichnet waren, von denen Linus zum ersten Bisehof eingesetzt worden sei und damit alle Nach- folger ihre Autorität herleiten sollten.

Wenigstens für die Zeit Soters wird dies durchaus be- stätigt durch die von Euseb, Kirchengeschichte II, 25, 1; IV, 23 aufbewahrten Bruchstücke aus einem verbindlichen l>ankschreiben des Bischofs Dionysius von Korinth eben an Soter für die aus Rom mit einem Brief gesandte Unterstützung

6 ERBE8;

korinthischer y in den Bergwerken schmachtender Bekennen Indem er das alte, auch durch den ersten Klemensbrief do- kumentierte Freundschaftsband zwischen beiden Gemeinden rühmt; schreibt er (1. c. 11, 25): ,,80 habt ihr denn durch soviel Ermunterung die von Petrus und Paulus angelegte Pflanzung der Römer sowohl als der Korinther mit einander verbunden: Kai yag H^iq^ia nai elg xfjv fifietegav KÖQiv&oy <pvT€^vavT€g (g>onn^aayveg bei Syncellus) i)f4äg öfioicjg edidafcrr, öfioiwg di ymI eig ji^ ^ IvaXiav 6fi6oe didd^avreg ifÄOQTijQfjaay y,ata töv avzöv %aiQ6v. Man braucht wohl nicht anzunehmen, dal« Dionjsius die Apostel in handgreiflichem Widerspruch mit der Erzählung der Apostelgeschichte von Eorinth direkt und zusammen nach Rom habe reisen lassen. Er wollte nur bemerklich machen, dafs beide auch ,,in unserem Eorinth'' gewirkt hätten, wie sie nachher in Italien zusammen lehrend gleichzeitig den Zeugentod erlitten haben sollten. Nun war aber Korinth die eigenste Pflanzung des Paulus, sodafs dieser nach 1 Kor. 3 , 6 erklären konnte : Ich habe gepflanzt, Apollos hat gegossen , 4, 15: ich habe euch gezeuget in Christo, und 2 Kor. 3, 2 : unser Brief seid ihr ! Woher hat Dionysius die Mitarbeit des Petrus? Zum gröfseren Ruhm des eigenen Bischofstuhls hat er sie erhoben aus Aufserungen Pauli in seinen so fleifsig gelesenen Briefen , wie 1 Kor. 1, 12; 9, 5. 2 Kor. 11, 4, wo ol toü Krjcpdy die erwähnten Missionsreisen desselben in Begleitung seines Weibes und der in Aussicht genommene (6 eQx<i^^^'og) Widerpart Pauli den Fehlschlufs auf eine thatsächliche frühere oder spätere Anwesenheit Petri in Korinth dem gestatteten, der ihn gern dort haben wollte. Was aber die weiteren Angaben betrifft, so ist doch nicht gut denkbar, dafs der korinthische Bischof zuerst den Römern Mitteilung gemacht habe von der gemein- samen Wirksamkeit und dem gleichzeitigen Tod beider Apostel in Rom. Von diesen Dingen haben die Römer jedenfalls schon vor ihm gerühmt oder doch Andeutungen gemacht. Und dafs Dionysius hier darauf zu sprechen kommt imd dabei auch sein Korinth geziemend ins Licht setzt, hängt wohl gerade mit römischen Aufserungen über Petrus und Paulus zusammen, die entweder in dem dankend und doch

PETnrS SICHT IN KOM OESTORHEN, 7

unter Wahrung völliger Gleichberechtigung zu beantwortenden .'schreiben Soters eich f&ndcn, oder noch zu leBCn stehen im 6- Kapitel jencB Klemcnsbriefs, der nach Mitteilung uuBcres Autors so fleifsig in der Kirche zu Künnth verlesen wurde und uns darum später noch beschäftigen wird.

Keiner früheren Zeit als der des Soter (164 173) wird die genaue Erzählung über Petri Ende in Rom angehören, welche die HpäSti^ UiTgov viai flarlou boten. Da wir diese Urkunde wie die etwas jüngeren Actus Petri nachher im Zu- aummenhang untersuchen werden, braueben wir hier eicht weiter dabei zu verweilen.

Dringen wir nun von der zweifellos gewordenen Ansicht aus Soters Zeit vor in die Zeit des vorangehenden Anicetus, *■! haben wir nicbl blofs zu beachten, dafa unter diesem Ilegcsipp in Itum anlangte und Über die apostolische Lehre daselbst sich vergewisserte und nach der gegenwärtigen Les- art bei Euseb, Kirchengeschichte IV, 22 sich wohl gar eine Bischofslistc bis auf Anicetus anlegte '. Viel beachtenswerter ist, dafa unter demselben Bischof kein geringerer als Polykarp Von Ömyma persünlich nach Rom kam, um jedenfalls über "nichtige Dinge mit dem römischen Kollegen sich auszusprechen

I 1) 'Steh Mitteilung aeines Befundes in Korinth unter Bischof Primus

fort: ytroftiros it /r'fiifii) itttdox'l*' taoitjaä/iijv fifxft

lirtx^fov, ov Stäxovot },v ' EltiJ9fgoi. xai naga '.^vuuiroii äiaifj("'"

Äairijp, fn9' Kf ' Eitii^ifHK. Unter Ittiterem schrieb also erst Hegesipp

^«ine DenkKÜrdigkeiten, und Euscb, Kirch«ni;escLicb[c IV, 11, 7 läTst

Im (daher?) sogar erzäbleu, er spi vom Episkopat des Anicetus bis zu

4em des Eleutherus in Rnm geblieben. FalU ilerselbe also eine rütniscbc

Kiwhofslisic in seinem Wetke veröffentlicht hat wovon sich aber

monsl keine Spur findet , so hat er sie nicht bis Anicetus. sondern bis

^uf «eine Zeit, bis auf Eleulberus fortgesetzt darin gegeben. D& für

unsere Frage nichts weiter daraus zu lernen ist, brauchen wir nicht viel

danuf «inxugehen, zumal A. Harnack in seiner Chronologie I, 1697,

S. 180ff. die langst gefahlten Schwierigkeiten des Ausdrucks und der

Deutung auf Anfertigung einer römischen BiscbofGliste seitens des

litUBtinensiscben Hcgesippus ausführlich dargelegt hat. In Aufstellung

itirer sposUiliseben Succesaioa licfscD eich doch die Rämer von dem

Fremdling nicht zuvoikonirocn, die macbten sie doch jedenfalls mit

Fläg seibat, soilafi Fremde sie höchstens einzusehen und zu kopieren

brtuchtcn.

8 EBBESy

und zu verständigen. Einzige Ursache oder Hauptgegenstand war kaum die Differenz über die Osterfeier, die nicht ein- mal ausgeglichen wurde und nur von Irenäus bei Euseb, Kirchengeschichte V, 24 in seinem Warnungsbrief an den späteren römischen Bischof Victor wegen dessen schroffem Auftreten gegen die Asiaten im zweiten Stadium jener Streit- frage besonders erwähnt wird, um die gegenseitige Duld- samkeit der früheren Männer zur Nachahmung vor Augen zu stellen. Wie Poljkarp in Rom mit Marcion zusammen- getroffen sein und viele Ketzer bekehrt haben soll, Iren. III; 3; Euseb; KircheDgeschichte IV, 14; Hieron. vir. ill. 17, so wird man wohl auch über Abwehr der Ketzer und Irrlehren und gemeinsamen Zusammenschlufs zu einer katholischen Kirche, Aufstellung und Abschlufs des neutestamentlichen Kanons verhandelt haben. Findet sich doch in dem nach dem bald folgenden Tod Polykarps geschriebenen Brief von Smyrna zum erstenmale die Bezeichnung „katholische Kirche", da man wohl abzusehen hat von Ign. ad Smyrn. 8, 2. Doch wenn es sich auch nur um die bezeugte Passahfrage handelte, so mufste der römische Bischof Anicet, um vor Polykarp und den von diesem geltend gemachten Autoritäten, Johannes und den übrigen Aposteln sich nicht zu beugen und den Brauch seiner Vorgänger in Rom zu wahren, eine ebenso gute Autorität für sich geltend zu machen wissen. Grade in dieser Frage aber mufste Petrus eine bessere Autorität bieten als Paulus, der bei alier Erleuchtung doch nicht wie jener das Passahmahl mit Jesus gefeiert hatte und darüber Gewissestes wufste. Petrus aber brauchte gegen Johannes in dieser Frage nicht zurückzustehen, und trug zudem eine Märtyrerkrone und hatte auch Paulus zur Seite ^

Nun ist längst bemerkt, dafs im 21. Kapitel des 4. Evan- geliums Petrus und Johannes so auflällig neben einander gestellt werden. „Darin spiegelt sich die Zeit, in der die Bedeutung des Petrus und des Johannes in der werdenden katholischen Kirche Gegenstand der Erörterung und des

1) Sokratcs, Kirchonj^pschiclitc V, '22: o/ cTi xaiü itiv^lHttfAr^v xiik (an^Qttt fJi^Qri Tovg anoaroXovg JTköXov xaX flirgov rrjv (xii nana" SiStaxivai aivr^&iiav Kyovaiv.

PETBU8 NICHT IN KOM OESTOliBEN. 9

kbh&ßestea IntereeeeB wurde", sagt W. Brückner in den Proteat Monatsheften, 1899, S. 102 sehr richtig. Dabei aber ist äie ganze Stellung und Bedeutung beider Koryphäen eo giugeglichen , dafs keiner gegen den :inderen herabgesetzt ood jeder von beiden ausgezeichnet und erhoben wird '. J«, da die ZuBammenkuni't wegen Antritts des Anicetus nicht Tor dem von Euaebs Chronik (Armen.) gegebenen und sich glSoiend bewährenden' Jahr 152, und wegen Todes des

1) Vgl. Keim, OeBchicliie Jesu voo Naza 4 Eb bandelt sich um folgeade Ausätze ij

. III, seaf.

Eiistba Kircheng. IV, 10. IL 19; Tel. ann. XI f Ant. Pii l [138]

Hyg. 1

. IV tulgt [138] XV [? 142— 156?]

m. XI t M. Aiirel. 8(l6(i

Soter onn. VHI fclgt [16G]

Chronik (Armpn.l; tMl«p]ioruBanii.Xl2U0abAbr.

Hadrinni 8 [- 124] t ÜTginus ann. IV 2150 ab Abr.

= Hadfiani IS [= 134) t. tm ann. XV 31G4 nb Abi-.

= Ant. Pii 1 [— 136] 4. Anicetus bon. XI 2IGS ab Abr.

Ant. rii 16 l~- 152] i. Soter aim. VIII 2180 ab Abv.

M. Aurel. 4 [- 102] \ Du liberiaiiilchc fibcbofäverzeicbnis des ChronngTHpbeD rain Jabie 354 in gerade in dieser Partie zu lllckcnbaft, rerdorben und verwirrt, als i*b es uns bier in der Kürze nützen könnte. Zur Kaiitrullc bieten siel) aber {hroniilo|i;iscbe Machrichten Ober Manlou.

Nach Tertull. adr. Marc. 1, 19 rechneten die Marciuiiitco von ChriUi flenbkuDft vom Rinmel im 15. Jahr des Tibcriiis 29 u. Z bis zu Harcions Auftreten als Kirclienstifler 115 Jahie G Monate, lixiei'Ieu aU» jffl* That noch auf 144, Nun war aber Marcion schon einige Jjhi'e in ttom, Mhrend deren er sieb noch zur Kirche biult, ehe er an Cerdo ticb anachlors und dann selbst als Stktenbaupt auftrat. Zum Gluck bben wir fOr seine Ankunft in Itom nuch folgende Zeugnisse;

1. Sowohl Epipbanius, Ilaer. 42, 1 als Fhitastriu!>, Ilaer. 45 sagen *t>a ihm: äniair il( ti)v 'Au/iigr aütfiv (Itomain derenit) ^fiii ttiiiT^m» 'Yyipor löi' tnlaxonov 'lüfiiji. Wegen der nngewJJhnliGheii Alt der Zeitbeitininiune bat man darin keine S|)ätere Reflexion, sonde' d nii Harnack, Chrono! S. 301 eine alte Quelle, vermutlicb llippoljts üfutagina iii ei kenneu.

2. Der dnicb gute Notizen Qber alte Kciaer ausgeEeicbnete Fihti^t, iMiG. Flagel, Mani, ie(>2, S. 85, berichtet nach Muhamined beii Ishak: Uarcion ist c. 100 Jabie vor Mani aufgetreten unter der Itegierung des T. Aotournus, und zwar im I. Jahre seiner Herrschaft.

Sind beide Angaben aus älteren Quelleu fieblig, so fallt der Ti'd

10 ERBES,

Poljkarp am 23. Februar 155 nicht nach 154 u. Z. statt- gefunden haben kann, möchte ich unbeschadet noch eines zweiten Sinnes der aufs Land gezogenen 153 Fische v. 11 annehmen, dafs damit 153 Jahre nach Christi Geburt fixiert wurden ^ als der Zeitpunkt, wo die Eifersucht beider Jünger bezw. ihrer ehrgeizigen „Nachfolger" zu beiderseitiger Zu- friedenheit 80 beigelegt wurde, dafs das Netz der Eorche keinen Rifs, kein Schisma erlitt Vgl. Joh. 21, 11: xcri ToaoTjfoJv bvviov ov/, iox^o^ti mit Irenäus' Bericht, bei Euseb , Kircbengeschichte V, 24, in seinem Brief negl axloftarog -

des Bischofs Hyginus bezw. der Antritt seines Nachfolgers zusammecB- mit dem 1. Jahre des Antoninus Pius «« 138 u. Z.: Ganz genau wie di9 Chronik Eusebs angiebt, ohne dafs sie als Quelle fttr jene Angaben. gedient haben kann. Erweist sich so der Ansatz des Pius auf 138 als nchtig, so erhellt von selbst, dafs nach Ablauf seiner ann. XV unser Anicetus im Jahre 152 ebenso richtig folgte, als die Chronik Eusebs angiebt.

Dafs der in der Kirchengeschichte nicht angegebene, aber resultierende Ansatz des Anicetus auf 156 falsch ist, wenn Polykarp schon 155 starb, liegt auf der Hand. Da in der Kirchengeschichte der Anfang Hygins auf das- selbe Jahr 138 gesetzt ist, in dem er nach der Chronik endete, so könnte der Fehler in der Kirchengeschichte durch einfache Verwechslung ent- standen sein, wie solche auch bei Kallistus vorzuliegen scheint

Auch dafs K4qS(ov 6 teqö MaQxlwvog xai ninbg (wie Valcntinus) in\ * YyCvov auftrat, Iren. III, 4, 2. Euseb, Kirchengeschichte 1 V, 1 1 , ebenso dafs Klemens Alex. Strom. VII, 17, 106 f. (Col. 1688, p. 764) auch den Valentinus zur Zeit des Kaisers Hadrian auftreten läfst, verweist die Zeit des Hyginus noch unter die Regierung Hadrians. Daher ist der Ansatz Aniccts in der Chronik auf 152 u. Z. korrekt. Die Handschriften der Bearbeitung derselben bei Hieronymus variieren so, dafi 2169 ab Abr. == Ant. Pii 16 [=> 153] im Cod. Leidensis Freherianus den alten Ansatz bis auf ein Jahr wahrt, während 2175 ab Abr. mit Kirchen- geschichte konformiert ist, wie so mancher andere Ansatz, und 2173 ab Abr. eine andere Abirrung darstellt.

1) In Sibyll. VllI, 146 ff., die nach 148 und vor 194, also in gleicher Zeit wie Joh. 21 verfafst sind, wiid in ähnlicher Weise der Zahlenwert von ^Ptüfxri auf 948 Jahre gedeutet, ähnlich ep. Barnabae c. 9 die 318 Knechte Abrahams auf Jesus und sein Kreuz. Wenn in den 153 Fischen die Zahl der Jahre angegeben ist, kann eine zweite Deutung daneben schon so geistlos ausfallen wie die Volkmars auf Simon Bar Jona Kepha, oder die Hengstenbergs auf Abkürzung der 2 Chron. 2, 17 stehenden 153 600 als Fülle der Heiden.

PETKOS MICHT IK ROM GEBTORBEN. 11

m TOt^ti»' oi^ütg i%6vniiv exoiv^yrflov iavtoXs- Denn die Abfassung des 31. Kapitels des Johannes , das Irenäus bei seiner Vorliebe für alle Handschriften noch nicht kennt, wird man kaum vor 155 ansetzen dürfen. Doch von solchen beilbafigen Nebensachen abgesehen, macht der ganze bisherige Befund es wahrscheinlich, dafa man sich schon unter Bischof Asicelus 152 163 auf die Autorität des Peti-us wie Paulus berief, damit büder Wirksamkeit (und Tod?J in Rom be- boptetfi *.

Kam nun „Petrus in Rom" bei der aufserordentlichen Gelegenheit unter Anicetua zum erstenmale deutlich zum Vorschein und fortan in Schriftstucke, Erzählungen und Fabeln, oder ist er nicht schon früher verspürbar? Keine Spur davon findet sich in dem umfangreichen „Hirt des Ilennas", den dieser nach dem alten Zeugnis Tertullians und des muratorischen Kanons unter dem Episkopat seines Bruders Pius in Rom geschrieben hat. Ebenso wenig wird freilich des Paulus darin gedacht, obgleich dieser zweifellos in Rom gestorben ist. Doch wird darin die Erbauung der Kirche als die Erbauung eines Tburmes auf einem Felsen mit einer Thür veranschaulicht. Auch in der altlateinischen Übersetzung steht äim. IX, i. 5. 12. la immer noch jxira. Man weifs nun, wie bald römische Bischöfe und Schriftsteller den Ausspruch Christi zu Petrus Matth. 16, 18 f im eigenen IniercHse verwerteten ; und auch in häretischen Schriften wie EpisL Clement ad Jac. und Homil. XVII, 19 heifst Petrus

1} Die Begegnung mit Anicetus im Jahre 1G3 wird selbst dann ■iclit wesentlich in Frage geftellt, wenn Poljkarp erst in dem besonders von Keim, Aus dem ürchilstentum I. 02ff. verfnchtenen , neuerdings ««der möglich erscheinenden Jahre I6G am Samstag den 23. Februar miler einem Prokonsul Quadratua geliitet worden sein aollte. Immer i\abl es wahrscheinlich , dnfä Poljkarp den Bischnfswechsel in Rom bcDuttte, um gleich nach dem Antritt des Anicetus sich mit diesem zu ttrst&niligen. Auch beim Wiederaufleben der Oaterfrage erhob sich der Etreii gleich in der ersten Zeit Viktors. Über das Todesjahr Poljkarps 1(1. <üe AnsfUhrungen hei Hsrnack, Cbrnnologie, S. 334 IT. Es ist sogar ■6(lich, dafs Anicetus, suh quo Polfcarpus Romam veniens mnltna ei Wreticii confertit, darum zu 1&2— 153 angeseilt worden ist, weil diese ^eilbestimmuDg ursprQnglicb Cur Polfkarps Itomrcise gegeben war.

12 KKni:s_,

der feste Fels und das Fundament der Kirche. Bei llerraa* * L c. IXy 12 lautet die Erklärung hingegen noch einfach: Peira haec et porta filitis dei est (cf. Joh. 10, 7. 9 und 1 Kor. 10, 4)! Das beweist doch, wie wenig man danuds^ noch in Rom selbst gewöhnt war, jene Ehre fUr Petrus und sich selbst zu beanspruchen!

In die Zeit desselben Bischofs Pius gehört auch die I. Apologie des Justin, der darin K. 46 seit Geburt Christi unter Landpfieger Quirinius (Luk. 2, 2), also wohl nach Luk. 3, 1 bis zum 15. Regierungsjahre des Tiberius «=^ 29 u. Z. 30 Jahre rechnend, 150 Jahre angiebt, ohne dieso als runde Zahl zu meinen. So wird man höchstens ein ode^ zwei Jahre Spielraum um 149, also 147 151 u. Z. als Al>' fassungszeit annehmen können. In der an Kaiser Antonina^ Pius gerichteten Schrift K. 26 und 56 erzählt nun Justin^ Simon der Samariter aus dem Dorfe Gitton habe unter Kaiser Claudius durch dämonische Kraft in der Kaiserstadt Rom Wunder verrichtend Senat und Volk so entzückt, dafs er durch eine Statue als ein Gott wie die anderen Götter geehrt worden sei, und diese Statue befinde sich auf der Tiberinsel zwischen den zwei Brücken mit der lateinischen Inschrift SIMONI DEO SANCTO. Es ist ein wahres Glück für die Geschichtsforschung, dafs die kleine Basis dieser Statue seit 1574 an der angegebenen Stelle aufgefunden ist, denn nun kann sich jeder überzeugen, dafs die einen Sex. Pompejus Mussianus als Stifter nennende Inschrift ^ ein wenig anders lautete, als sie Justin durch seine Simonsbrille las und wiedergab. Sie galt SEMONI SANCO DEO FIDIO, einem altsabinischen Gott^ bei dem heilige Eide wie bei Herkules geleistet wurden. Auf Grund eines ganz all- gemeinen Räsonnements fordert nun aber der eifrige Apologet K. 56 Senat und Volk auf, die Statue des Simon zu stürzen. Hätte er schon gewufst, was Spätere zu erzählen wufsten dafs Petrus dem von ihm in Samaria bekämpften Simon Magus auch nach Rom folgte „wie das Licht der Finsternis,

1) Zuerst bei Gruter, Inscript. 96, 5. Eine andere Inschrift vou demselben Stifter bei Wilmanns, Exempla inscript. lat. I, Nr. 1300, aus der indessen auch keine Jahreszahl erbellt

I'ETRUS NICnT IN HOM ÜESTOIIBEX. 13

wie die Erkenntnis der U n wiesen hei t, wie die Heilung der Krankheit", Homil. II, 17, und dafe der Betrüger von Petrus vor Neros Augen besiegt worden und bei einem zauberischen Flug;verBuch zur Erde gestürzt und auf vier Steinen elend lerEchellt sei: so hätte der findige Justin dieses sich nieht «nlgehen lassen, den Sturz der Statue des längst gestürzten Gauklers damit trefflich zu begründen. Sein Schweigen über diesen Punkt ist also ein beredtes Zeugnis, dafs der in Rom selbst lebende Apologet, der zudem bereits in einem früheren Syntagma wider nlle Ketzereien fApol. I, 26) auch über den Magier gehandelt hatte, vom Kampf des Petrus mit demselben in Rom und Siog dort nichts wufste Diese lind erst nachher aus der von Justin selbst auf den Simon gedeuteten und ihm so gläubig nachgeschriebenen und so eifrig verwerteten Statue luid Inschrift erachlossen worden und haben sich aufgedrängt. Denn dafs der doch von Petrus in Samarien bekämpfte und verfluchte Zauberer nachher in Rom solche Ehre ungestraft erlangt und behalten habe, war unerträglich, unglaublich, dafs also Petrus ihn auch in Koni aufs Haupt geschlagen und dadurch das in Samaria be- gonnene Werk vollendet habe, war alsbald das Postulat der praktischen römischen Vernunft. Wenn die Statue nicht wlbat Beweis genug dafür war, so bedurfte es höchstens nocb eines kleinen Anhaltes und älteren Scheines für Pctri Kommen nach Rom, wie wir ihm noch im ersten Brief des Klemens und ersten Petri begegnen werden. So konnte die lilötiüche Entdeckung des Simon in Rom, zumal unter pasaender Deutung der Grüfse 1 Petr. 5, ] 3 aus Babylon, IQ der ebenso plötzlichen des Petrus in Rom führen, wenn man was noch näher zu untersuchen ist vorher von ilim dort noch nichts zu erzählen wufste. Wenigstens wird 10 den um 19ü verfafaten Actus Petri dieser ausdrückhch mr Bekämpfung des Magiers nach Rom geschickt, und nach Enseb, KJrchergeschicIite II, 14 noch bei Hicronymus de vir. ill. 1 Petrus daher ad expugnanduin Simortcm MagHm ^mam pergit.

Da neuerdings auch Lipsius in seinen Apokrj'phen Apostel- gfGchichten 11, S. 40f., entgegen seinen früheren Aufstellungen,

14 EKBES, '

es unwidersprechlich findet, dafs die Klementinische Erzählang über die Kämpie des Petrus mit Simon in Rom ^^erst auf Grund der Angaben Justins entstanden sein kann" *, so brauchen wir auf die Frage nach den Quellen und Schichte jener Lilteratur gar nicht einzugehen und können scho konstatieren, dafs die Sage, welche Petrus in Verbindun. mit Simon Magus nach Rom bringt, erst nach dem Jahre 14 entstanden sein kann ^, also irühestens in der letzten i des Pius oder der ersten des Anicetus, die sich uns schon mehrfach als epochemachend gezeigt hat. Und natürlidi. konnte man fortan sich auf Anwesenheit und Thätigkeit des Petrus in Rom berufen, ohne zugleich des verhafsten Menschen zu erwähnen, durch den er hingekommen war. Frappiert dabei noch die genaue Angabe Justins, der Magier sei so unter Kaiser Claudius geehrt worden, so kann man diese doch nicht ableiten wollen aus Bekanntschaft mit der Ankunft des Petrus eben unter derselben Regierung, in deren zweites Jahr

1) Grisar, Geschiebte Roms und der Päpste im Mittelalter, Frei- burg 1899, S. 233 setzt bei Lipsius noch das Gegenteil voraus, um Un- wissende mit einem jesuitiscben Grablied über dessen Kritik zu bethören. Ganz falsch ist auch seine Gegenbehauptung, dafs die apokryphischen Berichte über den Streit des Petrus und Simon Magus in Rom erst seit dem vierten Jahrhundert auftreten. Doch giebt auch er S. 179 f. zu, dafs die Angaben über einen Aufenthalt des Simon Magus in Rom Ober- haupt keineswegs gesichert sind und auf das Mifsgeschick Justins zu- rückgehen. Ist aber das „Zeugnis'^ der Irenäus, Tertullian, Hippolyt u. s. w. über diesen Mann nur wertloses Nachschreiben, warum nicht auch derselben Männer Zeugnis über Petrus??

2) Sollte Justin die Statue und Inschrift bereits in dem Apol. I, 26 erwähnten Syntagma wider alle Häresien publiziert haben, so konnte jener Aneignungsprozefs entsprechend früher beginnen, jedoch nicht vor 144, da in diesem Jahre erst der im Syntagma besonders bekämpfte Marcion in Rom als Sektenhaupt sich aufwaif (vgl. S. 9 f. Anm. 2) und auch Justins Arger in Rom erregte. Die Beweisführung Harnacks a. a. O. S. 276 ff., dafs „Justins Apologie ein paar Jahre nach 150 geschrieben^' sei, hat mich nicht überzeugt. Mehr für sich zu haben scheint mir das Jahr 147/148, in dem man das 900jährige Jubiläum der Stadt Rom feierte und besondere Gelegenheit für solche Aussprachen und Bittschriften war. Dem Marcion konnte er damals schon Apol. I, 26 nachreden, er habe xara näv yivoq äv&gtintav durch der Dämonen Hilfe viele su Blasphemien und Ketzerei verführt.

PETHUS NICHT IN ROM GESTOßBEN. 15

(li u. Z.^ sie freilich von eiDem Teil der Späteren gesetzt wird entsprechend der schon um 180 bezeugten Legende, KonacU die Apostel allgemein erat 12 Jahre nach der Ilimmel- i'ihrt Christi Jerusalem verlassen und ihre Mission antreten sollten Abgesehen davon, dafs Justin selbst von einer Tliätigkeit l'etri in Rom gar nichts verrät, nichts weifs, läfst die von ihm entdeckte Ehrung des Simon durch Volk und ^nat unter Claudius, nach Irenäus I, 23, 1 schon durch Claudius selbst, eine dem Unfug sofort sicgwich entgegen- irelende Anwesenheit des Petrua nicht schon unter Claudius, soodem erst unter Nero zu, um dann auch bald unter dem- selben zum Martyrium zu führen, zusammen mit Paulus. Die Zeit des Nero nimmt offenbar auch jener Dionysiua von Kürinlh an Tür die Heise, die er den Petrus zusammen mit Piiulus nach Italien und zum Martyrium machen läfst (S- 6). Wie man dabei auf das Jahr 55 geriet, habe ich a. a. O. S. 16 IF. nachgewiesen aus einem Veraehen bei Datierung des Königs Agrippa II. und daiuvch des Festus, der den Paulus vor Agrippa vernahm und nach Rom schickte.

Dafs zunächst Petrus allein mit der liekämprung und BcsiegUDg des Magiers in Rom betraut wurde, so z. U. auch in den Actus Petri Vercell., während doch auch Paulus dort {^langen safa und wirkte, war ziemlich unschuldige Konsequenz davun, dafs nach Act. S, 20f. der Aposteltnrst den Simon »uch bereits in Samarin bekämpft hatte und darum zum (legner desselben prädestiniert schien. Auch konnten chro- nologische Gründe mitwirken bei solchen Autoren, denen die Üekämpfung des unter Claudius so triumphierenden Betrügers bnldigst nötig schien und bekannt war, dafs Paulus erst im Jahie 60 nach Rom gelangte. Sollten aber beide Apostel wJiIiefslich zusammen unter Nero Märtyrer geworden sein, M mufsten sie auch noch einige Zeit zusammen in Rom irewesen sein und endlich eine geraeinsame Todesursache gehabt haben, um nicht ganz getrennt von einander dort zu "irken und zu sterben. So kam denn schlielslich Paulus noch gerade rechtzeitig nach Rom, um dem Petrus bei Be- wegung des Magiers und Verantwortung vor Nero zu assistieren "od darum nur den leichteren Tod durch das ehrcnvoUeve

1 6 ERBES,

Schwert zu erleiden, während Petrus als der Hauptschuldige am Tode des Magiers ans Kreuz geschlagen worden, wie z B. in den erhaltenen „Akten Petri und Pauli" (Marcellus- text) zu lesen ist.

Haben wir so bei Justin um 147 151 viel Anlafs m späterer Dichtung, aber noch keine Kenntnis von der bald nachher hervortretenden Wirksamkeit Petri in Rom gefunden, so haben wir nun noch die Kenntnis und Meinung der ältesten Zeit zu erheben aus verschiedenen uns erhaltenen Urkunden, die schon für die interessierte Zeit unter Anicetus hohen Quellenwert haben konnten. Es sind dies der erste Brief des Petrus, der Brief unter Klemens' Namen und PauW Röraerbrief, wovon zumal die beiden ersten in dem Brief des Polykarp fleifsig benutzt sind, dem Autor also sehr bekannt und beweiskräftig waren.

Der erste Brief des Petrus spielt hier eine Rolle wegen der Grüfse 5, 13 der in Babylon Miterwähllen, woraus zu schliefsen ist, dafs der Apostel damals oder vorher an demselben Orte geweilt hatte. Allerdings wird in den jedenfalls nach dem Jahre 69 verfafsten Stücken der Offenbarung Johannis 14, 8; 16, 19; 17, 5; 18, 2. 10. 21, ebenso in der deutlich um 75 geschriebenen jüdischen Sibylle 5, 143. 159 in apokalyp- tischer Bildersprache unter Babylon unzweifelhaft Rom ge- meint, und zwar nicht sowohl wegen seiner allfälligen Gröfse imd Lasterhaftigkeit, sondern weil Rom wie einst Babel den göttlichen Tempel zerstört und das lieilige Volk abgeschlachtet hatte, vgl. Sib. 5, 149 f 160 f So erklärt auch TertuUian adv. Marc. 3, l.i richtig: Ilahyhm apud Joamiem iwstrum liomanae urbis figura est, 2>^'oin(1e et magnae et rcgno superbae et sawiortim Del debcUatricis, Schon Euseb, Kirchen- geschichte II, 25 berichtet darum, man sage ((paaiv), dafs auch 1 Petr. 5, 13 Rom xQOTziAibieQOv Babylon genannt sei, und ebenso meinen darnach Spätere, für die Petri Anwesen- heit in Rom feststand. Den Namen 1. c. so zu fassen lag auch bei der Verhandlung unter Anicetus um 153 im rö- mischen Interesse, verwehrt uns aber die kritische Betrachtung.

Wie der bereits alte Ansatz des Todes des Petrus und Paulus auf das Jahr 57 oder gar schon 55 ein jetzt seiner

PETRUS NICHT IN ROM aE9T0RBEN. 17

VeranlaBBimg nacb aufgeklärter Fehler ist, so beruht auch dieDaliening auf das ja drei Jahre über die neroni sehe Christen- Verfolgung hinauBÜegende Jahr 67 odei gar 68 auf einer in ihren Spuren noch deutlich sichtbaren Verschiebung der Chronologie bei Euseb, wobei eben auch die neronische Ver- folgung entsprechend mit verschoben ist. In dieser soll auch Petrus selbst umgekommen sein '. Auch abgesehen davon, dafi nach dem Mord der ittgens muÜitudo eine Christen- gemeinde in Rom in der ersten Folgezeit kaum noch vor- handen war oder sich wieder sammelte, ist es ein verwerf- licher Gewaltatreich , den Petrus in Rom die Verfolgung mehrere Jahre überleben zu lassen, nur um auf das neronische Blutbad zurückblickend von Babylon sprechen zu können. SqII er aber schon vor der Verfolgung und seinem darin erfüllten Tod Rom so genannt haben, in einer Zeit, wo Rom uüd Nero den Christen noch nichts zu Leide gethan, viel- mehr nach der Apostelgeschichte mehrfach gegen andere Feinde Schutz gewährt hatte, so sieht man gar keinen Grund tu solcher bösen Benennung, dazu ohne die geringste An- deutung für die Leser, dafs es eine ganz andere Stadt sei, die nur ■nvEv^iaTi-n.a^ Babylon genannt werde, wie doch Apuc. II, 8 ausdrücklich bemerkt wird. Während sowohl die Apokalypse als die Sibylle in ihrer Bildersprache Babylon mit der Rückkehr des scheufslichen Nero in Verbindung bringen und voll Zorn sind über die Zerstörung des Tempels, die Ermordung vieler und des gerechten Volkes, ist im Petrus- brief von solchen Dingen keine Rede und werden vielmehr die Christen 2, i:jf in aller Foim gemahnt, unterthan zu sein dem Kaiser und seinen Stalthaltern als den Rächern der TJbelthätor und Beschützern der Rechtschaffenen. Wie seit- ■»m, wenn erat der Überbringer des Briefes denen in Asien hätte sagen müssen, dafs die Grüfse aus Babylon nicht aus ™bylon kämen, sondern aus Rom!

So wird mit einer stattlichen Reihe unbefangener Forscher nur Babyion selbst zu verstehen sein, was auch um natüriichsten

1) Vgl. die aiiaflllii liehe Naihivcisung in mciiiou Tiidcätayen der MmA, 8. 1 ff.

»•Italir. f. E.-G. 1111, I. a

1 8 EUBBS;

ist. Dagegen berufe man sich doch nicht darauf, dafs bei Strabo (f 24 n. Chr.) 16; p. 738 die alte Kiesenstadt grolsen- teils verödet (t) de tQrjfAog fj noXkij) heifst und Plinius um 75 n. Chr. H. N. 6, 30 von Babylon schreibt: ad solitudinem rediü, exhausta viciniiate Selenciae ob id condiiae a NiccUore- Denn das besagt doch, wie ähnliche Ausdrücke vom Zustande Roms im Mittelalter , besonders in der avignonschen Zeit^ durchaus nicht, dafs die Stadt nicht mehr bewohnt war, sondern nur, dafs innerhalb des alten grofsen Umfangs ganze Quartiere verödet waren. Dafs noch Trajan bei Dio Cassiu» 68, 26 bis Babylon vordringt und Sept. Severus ibid. 75, ^ die von ihren Einwohnern nur ad Iwc verlassenen Städte Seleucia und Babylon in Besitz nahm, beweist doch auch, dafs Babylon damals noch eine wohnliche Stadt und keine völlige Wüstenei war. Dazu wissen wir aus Josephua Arch. 15, 2, 2, dafs in Babylon {ev Baßvltovi) eine Menge Juden sich befanden, und es ist nicht anzunehmen, dafs sie mit den beiden übermütigen Brüdern Anilaus und Asinaus um 40 alle umgekommen seien, da die babylonischen Juden nachher noch eine grofse Rolle im Talmud spielen K Dabei kommt es auch gar nicht allein auf* den Fortbestand der Stadt an. Denn Josephus z. B. redet Arch. 18, 9, 4 vom damaligen „Lande Babylon^', im ausdrücklichen Sinne von ganz Mesopotamien, wie denn auch im A. T., vgl. Ps. 137, 1 iftl t6>v TCOTOfAtüv BaßvX(bvogy Esr. 5, 13, Nehem. 13, 6, der Name dieselbe Landschaft bedeutet. Weil gerade dort die zehn Stämme noch immer schmachteten, denen es doch, wie Rabbi Elieser sagte, auch einst wieder Licht werden sollte, so war es just die rechte Aufgabe für den nach Gal. 2, 7 mit dem Evangelium an die Beschneidung betrauten Petrus, die Auserwählten in Babylon zu sammeln. Mögen auch die erhaltenen Nachrichten über seine Wirksamkeit dort, soweit sie nicht durch die aufgekommene Deutung auf Rom absorbiert, sondern trotzdem, wie z. B. in der syrischen Kirche, festgehalten wurden, es zweifelhaft lassen, ob sie noch eine andere Quelle als 1 Petr. 5, 13 haben, und „mag

1) Vgl. Schürer, Geschichte des jüd. Volkes II, S. 496 f.

PITBD8 NICHT IN ROM GESTORBEN. 19

der Brief von Petrus selbst oder nur unter der Ägide seinea NttmenB geschrieben sein ; wahrscheinlich erfahren wir durch die QrÜlse aus Babylon etwas über den HauptBchauplatz der Thätigkeit des PetruB seit dein Vorfall in Antiochien"*, wenn nicht schon seit der Errettung aua Herodes' Geiangnis. "Wie sollte man auch später dazu gekommen sein, den wie Ersatzmann für den von Rom beschlagnahmten Simon Petrus aussehenden Simon Kananites ' nach Babylon zu bringen Tiad den Äbdias der Histor, Apoatolicae 6, 20 zum ersten Bijchof in ririhäe Bahylanis ordinieren zu lassen, wenn keine in apostolischer Zeit dort gesammelte Christen vorauszusetzen gewesen wären? Hat man doch auch längst schon beobachtet, itSu die Reihenfolge der Grüfae an die Landschaften in Vorderasien den Standpunkt des Autors üstlich davon vorans- Ktxt , wobei indes noch weiter zu beachten ist , dals bei Tscitus, Ann. 15, G Ponlim cf Galatarum Kupiiridoctimqw: luailia für das Jahr 62 genau dieselbe Reihenfolge haben wie dieselben Landschaften 1 Petr. 1, 1, wo ihnen nur noch Asiea und Bilhynien angelugt ist.

Wer aber Babylon an unserer Stelle durchaus mystisch »erstehen will, der möge nach dem gänzlichen Abfalle Roms nelmchr an die Stadt denken, deren Bewohner schon in Jct Rede des Stephanus Act. 7, 51 halsstarrig und unbeschnitten an den Herzen heifsen und allezeit dem heiligen Geiste wider- streben, nach I Thess, 2, 14 ff. nicht blofs den Herrn ge- mordet haben, sondern auch die Ajiostel und Christen ver- folgen, allen Menschen zuwider und bereits dem Endzorn verfallen sbd, die Apoc. 11, 8 „geistig" Sodom und Ägypten genannt wird und bereits das stehende Beiwort Babels „die grofse Stadt" erhält. Denn nimmt man zu dieser Charakteristik noch, dafs die Christen laut Euseb, Kirchengeschichte IH, 5 nach Ausbrach des jüdisclieu Kriegs die Sladt verliefsen und didarch die Mahnung des Propl-eten Jer. 51, 6. 9, vgl. Apoc. 18, 4: ifit'yErE h. luaof Baßv)M))og /.tL, i^üi^atB

') Maiig>iM in ßlcelcs Eiul. in Jas Neue Testament, 3. ÄtitI , S. GGU. ^J Vgl, Lipsiuf. Apnkr. Apost'lgeacliiohle I, S. 117ft'.

20 KKBES,

aivf^i; /Ml 6/. liüv ckqyiüv airr^g h'a /.ir^ XdßrizE^ so sieht man leicht, wie bereits nach Ermordung Jacobus' des Gerechten und seiner Genossen im Jahre 62 1 ein Christ dazu fort- schreiten konnte, in der die Heiligen und den geistigen Tempd zerstörenden Stadt ,, Babylon '' selbst zu sehen. Dals auch der grüfsende Markus und Silvanus, als angesehene Jerusalemer (Act. 12; 12. 15, 22), gut nach Jerusalem passen, hat schon Hamack ' gefunden, soviel Schwierigkeit er aucb sonst in dem ersten Brief des Petrus sah und durch eine unsere Frage nicht wesentlich berührende Radikalkur zu beseitigen^ suchte.

Auch was wir sonst über Markus erfahren, hilft denB- Petrus nicht nach Rom, zeigt vielmehr lehrreich, wie schnelX die Väter im Kombinieren und Weiterspinnen waren. Nacls- Euseb, Kirchengeschichte VI, 14 erzählte Klemens voik. Alexandrien in den um 210 verfafsten Hypotyposen: „A1& Petrus öffentlich zu Rom gepredigt und durch den Geist das> Evangelium bekannt gemacht, so hätten die zahlreichen Zu- hörer den Markus, sintemal er den Petrus seit langer Zicit begleitet und die Vorträge in Erinnerung hatte, gebeten, das Gesagte niederzuschreiben. Markus habe nun hierauf sein Evangelium verfafst und den Bittstellern mitgeteilt. Wie Petrus dies erfahren, habe er ihn geflissentlich weder ab- gehalten noch ermuntert." Dieser Bericht des Klemens wird in der Hauptsache widerlegt durch den über 30 Jahre früher und Rom näher schreibenden Irenäus, der III, 1 (bei Euseb, Kirchengeschichte V, 8) sagt: Nach dem Ausgang des Petrus und Paulus hat Markus, der Schüler und Hermeneut des Petrus, das von diesem Gepredigte uns niedergeschrieben. Diese und andere Angaben gehen aber zurück auf den alten Papias, der bei Euseb, Kirchengeschichte III, 39, 15 mit Berufung auf den Presbyter Johannes noch lediglich weifs: MaQ'Ao^ uev egftrjvevTr^g THtqov yevofievog ooa efxvrii.i6v€vaev aKQißijig l'yQailfev, Mit Nichts wird hier angedeutet, dafs Markus in R o m der Hermeneut des Petrus gewesen sei, wie Spätere, vielleicht unter Mifsdeutung Babylons 1 Petr. 5, 13,

1) Chronologie der altchristliclien Litteratur I, 1897, S. 463 ff.

PETKUS KICHT IN ROH OESTOKBEl«. 21

hlmugedicLtet haben '). Im Gegenteil iat wohl mit SchUtter ') ijarnn zu denken, dafs jeder paläatinenaiache Rabbi einen l'berBetzer (lasiTa ^ fQfirjyEvr/^t;) zur Übersetzung der vor- gelesenen liebräiechen Schriitworte in die aramiiiacbe Landes- •prache brauchte, weil der Rabbi nicht abwechselnd in zwei Spmchen reden konnte. Daher werden die Vorträge dea FetniB, nach denen der als llermeneut t'ungirende Markus bein Evangelium nachher geschrieben haben soll, in Jeni- lalem und Palästina und in der babylonischen Judendiaspora gehalten worden sein. Wären sie in Rom gehalten worden, so hätte ja fast jeder Christ in Rom so gut wie Markus Ibnen ein Evangelium darnach achreiben können. Auch n«m also das Markusevangelium für römische Leser be- rechnet erscheint, so folgt daraus allenfalls eine Anwesenheit det Autors, wenn nicht des späteren Redaktors, aber nicht dea Petrus in Rom. Dabei ist es noch sehr bezeichnend fur rümische Verhältnisse, daf« Mc. H, 29ff. bei der Scene zu Ciaarea nichts davon steht , dafs Jesus den Petrus ao ge- [irie&en und als Fels der Kirche bezeichnet habe. Offenbar bkute man damals in Rom noch nicht auf ihn, da an blofse Betclieidenheit nicht zu denken ist.

Wie flelfsig das als erster Clemenährlef bekannte, nach ge- ttübaUcber Annahme um 95 verfafste Schreiben der römischen

1} Eine grf-be Textfiklscliung bpgelit W. Esser, Des li, Petriia AiifHithull, Epitknpat und Tod zu Rom, Breslau 1689, S. SO. wo er die Angibe des Clemena einfach dem Papias uiitcrscliiebt. um sagen ku tenoea; „ts war äUo dem Papias im ferneu Phi'yt,nen bereits ku An- ^t de« iweiicn Jalirhuadei'U «olil bekannt, iad Petrus kii ßnni ge- *nen." Euscb, Kirchen geschiebte II, 15 bemerkt zwar zu der Angabc des Clemens: oiviTii/tafTv^l Ji «i't^J xal llaniitt. Aber was Papias ■ellnl uft, worauf sich sein Mitzeusnia beschi&nkt, dus lehrt eben die lU, SH ■ftrtlich angefahrte Stelle, worin gelegentlich der Frage Über das Hatkutcvoniiclium von Born und ItBniern gar keine Bede ist. Esser hillc sicli als» die weitere Verteidigung der Auturilüt de» Papias uud »ritece Veninslnltnnßen sparen künnen. Übrigens schrieb Papias BichlTor 140. Vgl. iUrnack, a. a. 0. S. 366f.

S) Die Kirche Jerusalems vnm Juhie 70— t3Ü, in Beitrage zur KOrileruDg chiistl. TbcDli>gic, 3. lieft, 1809, ü.üli. Vgl. auch Scharer, »■ »■ 0. II, S. 3&0f.

22 ERBES,

Gemeinde an die korinthische schon im zweiten Jahrhundert gelesen wurde, beweist aufser dem schon erwähnten Zeugnis des Dionysius auch der Umstand, dafs ganze Stücke daraus in den Poiykarpbrief, das Ganze aber in manche Codices des N. T. aufgenommen worden. Schon die allgemeine An- gabe E. 42, dafs die Apostel durch Länder und Städte predigend ihre Erstlinge zu Bischöfen und Diakonen ein- setzten, zeigt, was man damals in Rom von apostolischem Ursprung hielt. Läfst dies noch den Anspruch auf einen oder mehrere Apostel offen, so wird ja in K. 44 „von unseren Aposteln^', und in K. 5 vom Martyrium der guten Apostel Petrus und Paulus in einer Weise erzählt, dafs ein römischer Autor imd Bischof um 153 auch daraus geschwind passen- des ersehen und darthun konnte. Wir müssen genauer zu- sehen.

Wie der ganze 65 Elapitel umfassende Brief nach der Einleitung durch KfjXog und ardaig der Korinther gegen ein- ander und ihre kirchlichen Oberen veranlafst ist, so schildert er grade im Übergang zu K. 5 die unglückseligen Folgen, die jene bösen Dinge allenthalben in der Welt gezeitigt haben. Nachdem er eine Reihe alttestamentlicher Exempel von Kain und Abel an bis auf Saul und David aufgezählt, fährt er fort: „Doch damit wir mit den alten Beispielen auf- hören, lafst uns zu den uns nächst gekommenen Athleten übergehen ^), lafst uns vornehmen rfjg yeveßg f^fiQv yiwaia iTtodeiyfxara, lafst uns vor Augen nehmen die guten Apostel: Den Petrus, welcher durch ungerechten Eifer (^^Aog) nicht eine oder zwei, sondern mehrere Mühseligkeiten (jtXelovag

1) Man traut seinen Augen nicht, wenn man bei Esser, a. a. O. S. 164 diese Unterscheidung zwischen den „älteren Beispielen" und den „jüngsten Athleten'* gedeutet findet als Unterscheidung „zwischen denen, welche im Anfange der neronischen Verfolgung starben und denen, die erst später [a. 671] gemartert wurden". Wenn aber also die Alten von Kain und Abel bis Saul und David im Anfang der neronischen Ver- folgung starben, in welcher Zeit blieb denn nur die grofse Menge, die Clemens K. 6 auf die Apostel folgen läfst? Und so ein Doktor der Theologie und Philosophie will Lipsius abkanzeln, dessen Hauptarbeiten zur Frage er nicht einmal kennt, während er sogar Ploetz* Geschichts- auszug in seinem Quellenverzeichnis aufführt.

PETRUS NICHT IN ROH GESTOBBEN. 23

ftiiwc;) erduldete und so (dui'ch Erduldung der MühBelig- leiten) fiagwpijaas an den gebührenden Ort der Ehre ge- kommen ist. Wegen Eifer und Streit zeigte Paulus der Ceduld Lohn. Sieben Male Fesseln tragend, verbannt, ge- öeinigt, Herold geworden in Ost und West, erlangte er des Clsubens köstlichen Preis ; nachdem fr die ganze Welt Ge- TMhligkeit gelehrt hatte und an die Grenze des Westens gekommen und vor den Machthabern Zeuge geworden war, wurde er so von der Welt genommen und zog an den heiligen Ort, der Geduld grofstes Muster geworden!"

Ganz augenfällig weifs dieser alte römische Autor über Paalus viel mehr zu sagen als über Petrus. Während er bei dem Heidenapostel verschiedene zum Teil uns sonst un- bekannte Besonderheiten anführt, berichtet er von Petrus nur »llgenieine rtovorg, die er, um im Vergleich zu Paulus etwas zu sagen und eine Lücke zu füllen, rhetorisch ausschlachtet lu „nicht einem oder zwei, sondern mehreren rtövovg" '). Dazu aber genügten die Fakta, die jeder aus unserer Apostel- geschichte zusammenlesen kann. Den ersten vrövos erduldete aIm Petrus, da er Act. 4 ins Gefängnis geworfen ward. &^aim 5, 17 hcifat es ausdrücklich, dafa die Hohenpriester i:iiJ_a!triaar ti;^!, und die Apostel, zumal den Petrus ins Ge- &n|nia warfen: zweiter növog. AU dritter mag die nach Ste- pbanus' Tod entstandene Verfolgung angesehen werden; einen weiteren rröfOi; erduldete Petrus offenbar, als er von Herodes naeh Ermordung des Jakobus Act. 12, '6 ff. ina Getängnia ge- worfen und mit zwei Ketten gebunden wurde, bis ihn der Engel des Herrn befreite. Wenn der sogenannte Clemens nichts nelir als diese Dinge aus der Apostelgeschichte bczw. deren Quelle im Sinne hatte, und dazu vielleicht noch eine Ahnung vom Tod, konnte er über Petrus so schreiben, wie er gethan h»t Beachtet man dazu noch, dafa es nach jener Befreiung tut dem Gefängnis Act. 12, IT vom Apostel heifst: xai tiofev&H ^'^ f-Vepov lÖTtov, so scheint ja eben die Wendung

1) Wohl iini JiMoya; neben eiuä und swei beweisk luftiger für Rom » muhen, referiert Hagemauo, Rümiscbe Kirche, I8G1, S. 674 I^en „in der grörtten Z&hl".

24 ERBES;

wiedensuklingen in der des Elemens: xort ... iitOQeö&rj dg xbv dg^Mfisvov td/rov Tfjg dö^rig. Denn dafs Petrus schliefs- lich an den Ort der Herrlichkeit gekommen, verstand sich ja von selbst, auch wenn der Autor gar keine Ahnung von Ort und Art des Todes gehabt hätte. Warum sagt der Brief| der den Paulus wie die Sonne vom Aufgang bis zum Niedergang die Welt erhellen läfst, nichts ähnliches über Petrus, wenn dieser doch dieselbe Mission, gar noch vor jenem, erflült und in Rom seinen Lauf am Kreuze vollendet hat? Rühmt doch in dieser Voraussetzung nachher Euseb^ Kirchengeschichte U, 14 von ihm, er habe als wackerer Feldherr Gottes, angethan mit göttlichen Waffen, das Licht des Verstandes vom Aufgang nach dem Niedergang gebracht f Warum sagt Clemens nur von Paulus, dafs er vor den fffoiifABvot ^) Zeugnis abgelegt habe, wenn doch auch Petrus vor Nero gestanden (vor ihm gar den Kampf mit dem Magier gefuhrt!) und von ihm sein Todesurteil wie sein Mit- apostel empfangen gehabt hätte? Das Schweigen bei Petrus neben dem Reden bei Paulus beweist klar, dafs der Autor über Petri Anwesenheit, Schicksal und Kreuzestod in Rom noch nichts gewulst hat, dafs er über ihn nur allgemein ge- wufst hat, was jeder aus den in der Apostelgeschichte be- wahrten Angaben über jerusalemische Begegnisse ersehen kann. Kein Gedanke an einen gemeinsamen Tod beider!

Dafs bei der ganzen Auseinandersetzung über die Schänd- lichkeit des tfjXog und die Notwendigkeit der {ynof-iovii es gar nicht besonders auf den Tod, und zwar in Rom, an- kommt, sondern nur auf die mannichfache Vergällung des Lebens, beweisen sowohl die vielen bei den Aposteln selbst aufgezählten Widerwärtigkeiten als auch vorangehende und nachfolgende Beispiele solcher, meist alttestamentlicher Per- sonen, die mit dem Leben davon kommen. Dafs aber Petrus und sein Tod in Rom vorausgesetzt sei, kann man doch nicht daraus folgern, dafs es nach Vorführung des Paulus und also

1) Vgl. meine Erklärung, a. a. 0. S. 59 f., die auch die Landpfleger Felix und Festus und den König Agrippa hierfür in Eiinnerung bringt, gegen die Phantasieen von einer Fixierung zweier oder dreier Kaiser in Rom, die die Köpfe müfsten zusammengesteckt haben. Vgl. Akt. 9, 16 f.

PETR08 NICHT IN ROM GESTORBEN. 25

vrobl im Rückblick nicht blofs auf beide Apostel, Bondern Äuf alle bisherigen Beispiele weiter heifat : Tot'roig tolg äydQ^ai v üaiwg TroXtievaafitvoig atvT^if^oiaihj Ttolv 7rXfj&os txAtKTiSe, O^rtfES noXlaJg alxtaig -Aal ßaaävotg diä lTjXov Tcalfärzi'^ i-nodeiytta nälliaTov tyti-ovro iv »J/iTk Dafs damit auf viele Opfer der ChriBtenverfolguQg geblickt wird, ist klar, aber äafs diese als spezifisch römische Opfer charakterisiert und damit auch beider Apostel Tud in Rom vorausgesetzt werde, ist nicht einzusehen. Denn von allenthalben wurdeu doch die Märtyrer an den Ort der Ehre zu ihren Vorgängen ver- sammelt '), und dafs in jenem avyrjdQoi'a9jj nicht einmal die Gleichheit der Zeit, geschweige des Orts liegt, beweist z. B. der Ausdruck des Apostels Rom. 6, 4 aweräfiifiev oh aiiip (Aßioi^) diä tofj ßaTTtiaz-tato^. Wenn der Verfasser auch Beispiele aus Rom am nächsten hatte, so konnte er doch unter *'»■ ^fü» dieselben Leute inbegreifen, wie wenn er K. h sagt: „Lafst uns die Beispiele unseres Zeitalters vornehmen"^ oder wenn er K. 44 von „unsern Aposteln" spricht und K. 4 von „unaerm Vater Jakob".

Dafs der Autor aber vorher gerade Petrus und Paulus and nur diese aus den Aposteln herausgegriffen und vor- gelührt hat, kommt nicht von einer besonderen peraönhchen Beziehung beider zu Rom her, sondern von beider Bedeutung fSr die zu mahnenden Korinther, insbesondere und für die Chrislenheit im allgemeinen, einerlei, wo jeder Tod und Grab geiucden. „Die Briefe eines kitigen Mannes enthalten imm<.-r den Charakter der Leute, an die er sclireibt", bat schon G. Chr. Lichtenberg gesagt. Unser „Clemens" war auch so klug, den Korintbern grade die Apostel als Beispiele vor Augen zu stellen, deren Namen sie wenige Jahrzehnte früher »of ihren Schild geschrieben hatten, indem sie nach ) Cor. 1, 12 sagten: ^j-w fuv eifii Slai-Xov, iyü 6i fltt^ov 'J. Dafs

1} Vgl. im Bericht der Qemeiade von Lugduaura bei Euaeb, utcbengesehichte V, I : äfioloyoOviif nQuanCSitJo i^ iShr ^o^Tti^wn-

2) VaCs die Leute zu Koiintli so sagten iiud nicht Kfj-rd. wie Paulus "Mh leiner Gewohnlieit fluch hier den Mann ncunt, haben die Ausleger ilogn bemerkt Der Apollos, an den sieb andcie einst gleichfalls gi.'*

J

26 ERBES,

er hieran gedacht hat, ist so klar als möglich, da er K. 47 diese Losungsworte im früheren Parteitreiben selbst ausdrück- lich in Erinnerung bringt. Doch zudem, was den Namen beider Apostel gerade für die Korinther besondere Bedeutung vor allen andern gab, kommt als weiterer Grund ihrer An* führung deren hervorragende, repräsentierende Stellung im Kreise der Apostel seit der Zeit, wo (Gal. 2, 7) dem einen das Evangelium der Beschneidung, dem andern das unter den Heiden anvertraut war. Dafs nach Irenäus I, 25, 2 cf. IV, 35, 2 die Karpokratianer Petrum et Patdum et rdiqtios apostolos anführten, dafs nach dem Zeugnis des Dionysius von Alexandrien bei Euseb, Kirchengeschichte VII, 25 die Namen Paulus und Petrus bei den Kindern der Gläubigen (im Orient) um 263 häufig vorkamen, dafs sich viele alten Bilder von „Paulus und Petrus '' bis auf Eusebs (Kirchen- geschichte VII, 18) Zeit erhalten hatten ^), hing doch auch nicht im mindesten mit persönlichen Beziehungen beider zu Rom zusammen. So brauchen wir noch kaum darauf hinzu- weisen, dafs auch der Gegensatz, in den beide Häupter hin und wieder gebracht und, wie von Marcion und schon früher, zu Parteibäuptem gemacht worden waren, ein katholisches einträchtiges Nebeneinander beider Autoritäten erforderte und mundgerecht werden liefs. Anstöfsig wäre es sogar gewesen, wenn der Clemensbrief etwa nur des Paulus gedacht hätte, nicht zugleich auch des Petrus.

Schreibt nun noch Ignatius ad Romanos K. 4: oux ^S nirQog xai Iladlog öiaTaaaofiac ipiiv^ so will er damit nur in aller Bescheidenheit sich kein hohes apostolisches Ansehen

halten hatten, konnte in der Folgezeit natürlich nicht mehr konkurriereD, abgesehen davon, dafs über seinen Lebensgang und Ausgang nichts be- kannt sein mochte.

1) Von der um 155 in Rom auftretenden Earpokratianerin Mar- cellina wird zuerst erzählt, dafs sie auch Bilder gehabt habe. Während Irenäus I, 25, 6 von Bildern Christi neben solchen des Pythagoras, Plato und Aristoteles spricht, erwähnt Epiphanius adv. haercs. Lib. I, Tom. II, c. 7 auch Bilder Pauli. Dafs grade in Rom sich besonders viele Ab- bildungen von beiden Aposteln fanden und zum Teil bis auf unsere Zeit gekommen sind, hatte natürlich seinen besondern Grund. Die Bilder, die Euseb selbst sah, befanden sich aber nicht in Rom.

PBTßCS NICnT IN KOM QESTOBBEH. 27

«imafaen, nicht aber eine historische Anspielung machen '). Jeoe Wendung ist offenbar gleichwertig mit der an die Epbeser K, 3: ov dtaTÜaaofiai Ifilv ibg i'iv tig. Sie lag aber dem Autor noch darum besonders nahe, weil Petrus und Paulus bekanntlich nach Glal. 2 einat in der Stadt des Ignatiua gewesen waren und deshalb einem Antiochener mundgerecht sein uder zu sein scheinen mochten. Vergl. fwudo-Ignat. ad Magnes. K. 10. Wie der Autor die An- wewoheit eines Apostels erwähnt und verwertet, zeigt er ad Ephcs. K. VJ. Vergl. Polykarp ad Philipp. K. 3. Für eine Anwesenheit Petri in Rom ist nach Allem rein nichts zu ' profitieren! Da es sich nur um ein Anschreiben ans der Feme handelt, ist die Unterscheidung von einem diatäaataOai in Briefen der Apostel, cf. Rom erb rief, am nächsten liegend und ausreichend. Vgl. 1 Cor. 7, 17. 11, 34. IC, 1. Tit. I, 5, vo Paulus sogar den Ausdruck von sich braucht.

Dem im Jahre 58 geschriebenen Briet' Pauli an die Römer einverleibt sind K. 16, 3 15. Grüfse an eine grofse ßeilie namhaft geraachter Leute, aber den Petrus finden wir nicbl darunter, den doch der Apostel vor allen hätte grufsen miifMn, wenn er dort gewesen wäre, gar schon seit Jahr und Tag die Gemeinde gegründet und geleitet hätte. Schliefst dieses Schweigen Pauli eine damalige Anwesenheit Petri in Itom aus, so konnte man aus Riim. 1 h, 20 tf. für eine frühere Zeil folgern wollen. Dort sagt nämlich Paulus, er habe nun von Jerusalem im Kreise bis Illyricum gewirkt, und zwar (»ie 2 Kor. 10, IC) eine Ehre darein setzend, das Evan- gelium Cliristi da zu verkünden, wo Christi Name noch nicht gepredigt war, damit er nicht auf fremden {äXXötQto*) Grund "»ue, sondern wie Jes. 52, 15 geschrieben stehe; „Welchen »wh nicht über ihn verkündigt ist, sollen sehen, und welche "wh nicht gehört haben, sollen hören." „Darum bin ich «Imn öfter abgehalten worden, zu euch zu kommen", fährt *r fort, „nun ich aber nicht mehr Kaum habe in diesen

1) Vj"!. Igii. epist. ad AiitiochenBPS c. U : jaCia oix tu« iijidaroJ.o,- "fmllüefiai, all' liii aOvioulot iftStv vnofitfivijiixiii ifiOi- Bei- '*^ gesagt, erscbeint mir die Echtheit sämtlicher Ignatianen lehr

38 ERBES,

Gegenden, aber schon seit vielen Jahren Verlangen hege zu euch zu kommen, so hoffe ich, euch auf meiner Durchreise nach Spanien zu sehen (auf dafs ich euch eine geistliche Gabe erteile, euch zu befestigen 1, 11) und dann das Ge- leite zu erhalten, wenn ich mich erst an euch einigermafseu gesättigt habe/' Hieraus folgt freilich, was auch sonsther bekannt genug ist, dafs das Evangelium in Rom schon ver- breitet war vor Pauli Brief und nachfolgender Ankunft, wie denn nach I, 8 der Glaube der Römer bereits in der ganzen Welt gerühmt wurde.

Es wird freilich nicht ausdrücklich berichtet, auf welchem Wege das Evangelium zuerst nach Rom gelangt ist. Es ist wohl möglich, dafs schon an jenem Pfingstfest, wo Act. 2, 10, vgl. 6, 9 die Ausländer von Rom (libertini) namentlich angeführt werden, durch Petri Predigt Bekehrte den christ- lichen Glauben baldigst nach Rom gebracht und daher auch den Ruhm des Petrus verbreitet haben. Aber ein gröfserer Flufs hat sich aus verschiedenen Quellen und Zuflüssen ge- bildet. Wir müssen daran denken, wie grade in Rom nach Tacit. Ann. 15, 44 „alles Scheufsliche und Schändliche von überall her zusammenströmte und gepflegt wurde«', wie Juvenal Sat. 3, 22 unter Trajan insbesondere klagt, der ganze syrische Orontes habe sich längst in den Tiber er- gossen, wie also gerade aus Syrien und Antiochien mit seinen Christengemeinden viel Volks des Erwerbs wegen nach Rom strömte und mit „Sprache und Sitten" auch seinen Glauben

1) Weil Rom. IG, 7 Paulus deu Andronikus und Junias giüfscu läfst als seine Mitgefangenen oXxtvig eiaiv iniarjfAot Iv jo(g AnoatöXotg und die schon vor ihm gläubig geworden, so hat bereits Spanheim diese beiden für die Gründer der römischen Gemeinde gehalten, unter den Neueren noch Volkmar. Aber als Paulus den Römerbrief schrieb, war er kein Gefangener, um jene leicht seine Mitgefangenen nennen zu können, und die Gelegenheit, dieses zu werden, konnten sie nur im Orient gehabt haben. Sonst nennt der Apostel Col. 4, 10 auch den Aristarch seinen Mitgefangenen, ebenso Philem. 23 den Ei)aphras, obgleich diese nur freiwillig seine Gefangenschaft teilten. Dafs wenigstens ein Teil der Grüfse ursprünglich nach Ephesus gelichtet war, vermuten bekanntlich einige Gelehrten, bleibt aber eine schlechte Auskunft. Die vorhandenen Schwierigkeiten werden ihie Lösung finden.

PETRUS NICHT IN HOM GESTORBEN. 29

mitbrachte. Sollte doch selbst Petrus van Autiocbien nach Rom gekommen sein, so dafs er im Papstbuch geradezu AntiochenuB heifst. So mögen früher auch manche christ- liehen Syrer und Antiochener eingewandert sein und unter Sklaven und Freigelassenen jüdischer wie heidnischer Ah- BtammuDg Propaganda gemacht haben. So mögen unter den in Rom gegrüfsten einige sein, die Paulus von Antiochien her kannte, während andere aus derselben Veranlassung wie Aquila und Priscilla ihm in Korinth begegnet und später nach Rom zurückgegangen sein mochten.

Auch abgesehen von der grofaen Bedeutung, die Rom «Is Hauptstadt und als Sitz einer zahlreichen jüdischen Kolonie flir die Ausbreitung dos Christentums hatte, läfat die "Wendung Rom. 15, 20 vermuten, dafs bei allen sonstigen zufälligen Quellen und ZuHüssen doch schon ein apostolischer ^lann Rom betreten und zum Orte einiger Wirksamkeit ge- Knacht hatte, auf den dann als einen nunmehr fremden Grund Taulus nicht mehr Tollen An^ipruch nach seinem Grundsatz S.M haben schien , aber trotzdem noch ein grofses Recht zur Tredigt und Befestigimg hatte und ausüben wollte, 1, 13 "SVo Tirä xoQTLOP a^G) /.al iv ifilv v.a^iag /.ui ev Toig loirtoig -xSrEOiv. „Da kann denn wenigstens für Hagemann, Rüraiache Xirche, S. 659, kein Zweifel sein, dafs Peti'us vielleicht in Gesellschaft mit Johannes es war, der den Grund gelegt liatte." Aber davon wissen unsere ältesten Gewährsmänner Dionysius von Korinth und Irenäus nicht hlofs nichts, son- dern das Bchhefeen sie aus, indem sie den Petrus vielmehr erst zusammen mit Paulus nach Rom bringen und diese beiden gleichmäfsig die Gemeinde gründen lassen. Wenn auch die alten Petrusakten (um 190) den Petrus zwölf Jahre nach Christi Himmelfahrt nach Rom reisen lassen, dort den Magier zu bekämpfen, so setzen sie doch ausdrücklich voraus, dafs Paulus noch vor Petrus in Rom gewirkt (also noch früher seinen Brief dorthin geschrieben) habe, und haben dabei die Übel genug damit stimmende Jahreszahl aus einer Quelle entliehen, wo die Jünger allgemein so lange in Jeru- salem verbleiben und dann erst die Ileidenmission beginnen Rollten, und wo gar nicht besonders an Petrus und Rom ge-

30 £UU£S,

dacht war. Wäre Petrus selbst schon seit Jahren oder vor Jahren in Rom gewesen ^ dann hätte Paulus am wenigsten schon ,,seit vielen Jahren '^ noch begehren können nach Rom zu kommen, um dort die Predigt des Evangeliums an- zuheben oder denn den Leuten zu ihrer Vervollkommnung im Christentum noch seine geistige Qabe zu bringen^ Rom. 1. c.^ dann hätte er nicht so Act. 19, 21; 23; 11 sprechen und träumen können, er müsse und werde auch Rom sehen, als ob damit erst das Werk seines Lebens vollendet und ge- krönt werde, noch Rom. 1, 13 sich die Reise oft vornehmen!

Als Paulus wirklich Rom sich nähei*te, gingen ihm nach dem Wirbericht Act. 28, 15 „die Brüder" bis Forum Appii und Tres Tabernä entgegen. Wie darauf aber Paulus die Vornehmsten der Juden berief, um ihnen zu sagen, dafs er nichts gethan habe „wider unser Volk noch wider väterliche Sitten 'S wollen diese noch in unschuldiger Unwissenheit be- findlichen Leute erfahren, was er von der Sekte hält, von der ihnen (nur) bekannt ist, dafs ihr allenthalben wider- sprochen wird. Die wahrscheinlich in Domitians Zeit, noch vor dem Clemensbrief, verfafste Apostelgeschichte schildert dann die Predigt Pauli in Rom in einer Weise, dafs er da- mit deutlich hingestellt wird als der Apostel, der das Evan- gelium zuerst in Rom ausbreitet, die dortige Gemeinde sammelt und damit seinem Herzenswunsch gemäfs seine ganze apostolische Thätigkeit krönt und zum Abschlufs bringt. Wie hätte die Apostelgeschichte ihre Darstellung so geben können, wenn längst vor Paulus der Apostelfürst Petrus in Rom gewesen und dann natürlich mit grofsem und bleibendem Erfolg dort gewirkt hätte? Jeder Gedanke an Petrus ist offenbar ausgeschlossen, und unter dem andern Orte, an den Petrus Act. 12, 17 nach seiner Befreiung aus dem Gefängnisse ging, kann die Apostelgeschichte nicht Rom gemeint haben.

Aller Beachtung wert erscheint nunmehr eine in den clementinischen Rekognitionen 1, 7 vorliegende Angabe, wo- nach „der Apostel '^ Barnabas sehr früh, angeblich noch zu Lebzeiten Jesu, nach Rom gekommen war und durch die erste apostolische Verkündigimg des Evangeliums viele ge-

PETRUS NICHT IN ROM QESTl,)RBEN.

vonnen hatte, selbst aber im Eelbeo Jabre wieder in den Orient zu Petrus zurückgegangen war '). Denn in UbGreinatimmuDg damit und unabhängig davon wissen auch die, wie wir sehen werden um 190 verfafaten, Actus Petri Vercellenses, dafs Barnabas in Rom gewesen war. Dafs aie diesen wie Timotbeus mit Paulus in Verbindung bringen '), versteht sich ja von selbst, weil sie auch den Paulus noch Tor AnkunA des Petrus im 12. Jahre nach Christi Himmel- iahrt, in Rüm vorauasetzten und inzwieclien weiter, nach Spanien, reisen liefsen. Während aber eine Anwesenheit des Tiraotheus in Rom sich ohne viele Hübe aus Phil. 1, I, Cui. 1, I, Hebr. la, 23t'., und die Boabsicbtigung seiner Sen- dung nach Pbiiippi in Macedonien aus Phil, 2, 19 ersehen liefa, war in keiner neuteslamenthcben Schrift von Barnabas' Xommen nach Rom ein Wort erwäbnt. Jene in den Re- kognitionen sowohl als in den Actus Petri bewahrte Kunde geht also auf eine andere Quelle zurück, die kaum einer spätem Zeit als der Mitte des 2. Jahrhunderts angehörte, sich mit der Legende über Petri Anwesenheit in Rom an Alter mesaeu konnte und durch den Mangel an besonderer Absicht sich besonders hätte empfehlen müssen, aber anderen Interessen zu sehr im Wege stand, als dafa sie dagegen hätte aufkommen können ^).

Nach dem Bericht Gal. 2, 9 war in Übereinkunft mit

1) Die llomiliea verlegen 1, 9; 2, 4 die Zusammenkunft des Clemens mit Bamsbas nacli Alesandrien. wi> nach anderen Nachrichten Markus 20 Jahre Bischof Bewesen sein snll und auch sein GcRihrte und Oheim liesucht werden konnte, zumal die Reise von Rum nach PaUstina oft aber Alexandiicn ging. Weil Petri Verdieost und Natne in Rum nicht liui ch frühere Thäti|>keit eines apostulischen Mannes daselbst beeintiäcb- tigt werden sollte, lassen die Honiilien den frUheni Prediger in Rom lieber nniieDauntl Offenbar spätere RUckGichlen und Änderungen!

2] Utn das Aufkommen des Simon Magus in Korn begreiflich zu macien, beifst es nach Erzfthlung von Pauli Abreise nach Spanien : et GOD minime fratres scandalizabautur ad invicem, propterca quod nun esset Romae Paulus neque Timotheua neque Barnabas, qiioniam in Uacedouiam misfl erant a Paulo.

S) Über Barnabas und weitere Zeugnisse für Rom Tgl. Lipsius, Apokrjrpbe Aposteicescbichten III, S. 271 f. und die dort erwäkuten Äuljeruageii Uamacks.

32 ERBES;

den Säulenaposteln grade dem Barnabas neben Paulus die Mission unter den Heiden wie dem Petrus die unter den Juden überlassen worden. Nach Act. 4, 36 dem ältesten Stamme der Urgemeinde angehörig, hatte Barnabas den be- kehrten Saulus dort eingeführt^ 9, 27, und später 11, 25 in Tai*sus abgeholt und war dann mit Paulus zusammen in die Heidenmission eingetreten. Weil er aber offenbar den An- schauungen der Urgemeinde näher stand und den von Paulus zurückgewiesenen Johannes Markus mitnehmen wollte, war er nach Act. 15, 36 ff. in Antiochien mit Paulus scharf an- einander geraten, worauf er sich von ihm trennte und mit seinem Vetter Markus seine eigenen Wege zog. Die Apostel- geschichte, die den Reisen Pauli folgt, sagt von den beiden andern nur noch 15, 39, dafs sie von Antiochien nach Cypem, der Heimat des Barnabas, fuhren, und berichtet über deren weitere Thätigkeit gar nichts, obwohl diese selbstverständlich doch noch weiter wirkten und nicht immer auf Cypem blieben. So liegt es im Bereiche der Wahrscheinlichkeit, dafs Barnabas mit seinem Begleiter damals bis nach Rom gekommen ist und die Angabe der Rekognitionen und Petrus- akten eine gute alte Kunde bewahrt, die bald durch die dem Petrus zugewiesene Rolle verdeckt und aufser Kurs gesetzt wurde. Dafs thatsächlich um dieselbe Zeit, wo nur die beiden dort zu suchen sind, die Predigt von Christus mit neuem Eifer in Rom geschah, beweist die bekannte Angabe des Sueton, wonach Kaiser Claudius (K. 25) Jiulaeos impül- sore Chresto assidue tunuätuantes Roma expulit. Diese Aus- treibung aus Rom brachte ja jenes Ehepaar Aquila und Priscilla Act. 18, 2 nach Korinth (TtQogrpdcwg), kurz bevor Paulus unter dem Prokonsul Gallio, wahrscheinlich im Jahre 50, dorthin gelangte im Verlaufe der langen, bereits 1 2 Jahre dauernden Missionsreise, vor deren Beginn sich Barnabas samt Johannes mit dem Zunamen Markus von ihm getrennt hatten (Act. 12, 12. 25; 15, 37). Beachtet man dazu noch, dafs jener uns mit dem Zunamen geläufigere Be- gleiter von Haus aus und so noch, wohl nach besonderer Quelle, Act. 13, 5. 13 einfach Johannes hiefs, so scheint mit einem Schlag ein zwiefaches Licht zu fallen, sowohl auf

PETRUS NICHT IN ROM GESTORBEN. 33

den Markus, der das Evangelium für die Römer nach den Vorträgen des Petrus (vgl. S. 20) geschrieben haben soll, und auch Philem. 24, Col. 4, 10 (wieder) in Rom erscheint, als auf den Johannes, der merkwürdiger Weise auch in Rom gewesen und dort schon nach Tertullian de praescripi 36 dem glühenden Ole entronnen, wohl nur wegen Apoc. 1, 9 nach Patmos verbannt worden sein sollte. Dafs man ftir den Mann des römischen Olmartyriums später den Apostel J^ohannes ansaht hätte seine Analogie nicht blofs an der frühen, schon bei Polykrates von Ephesus um 190 vorliegen- den, Verwandlung des Evangelisten Philippus samt seinen ^weissagenden Töchtern in den Apostel Philippus, sondern «uch daran, dafs spätere die „dormitio Mariae^' auf Zion 2um Teil für das Haus des Johannes Markus und seiner ^Mutter Maria Act. 12, 12, zum Teil aber fiir das^Haus des Apostels Johannes ansahen ^ Während andere von der Offenbarung Johannis und ihrer vermeintlichen Abfassungs- zeit ausgehend das Martyrium des Johannes deshalb unter Domitian setzten, sagt Epiphanius Haer. öl, 5. 12 und 33 beharrlich, also wohl auf Grund einer älteren Quelle, iv Xqdvoig Klavdiov Kaiaaqog sei Johannes verbannt worden, was unwillkürlich mit jener, von Orosius unter Berufung auf eine nicht mehr vorhandene Stelle des Josephus jeden- falls nicht sehr fehlgreifend in das neunte Jahr des Clau- dius := 49/50 u. Z. gesetzten, Vertreibung aus Rom sich kombiniert *.

Wie viel hat man schon geschrieben über Charakter und Eigenarten der römischen Gemeinde, wie sie der Brief Pauli

1) Vgl. Zahn, Dormitio Mariae, 1898. S. 36 f.

2) Paulus schreibt an den Timotheus II, 4, II : Den Markus nimm zu dir und bringe ihn mit, denn er ist mir lö/Qtjarog ttg diaxovtav. Bei der sichtlich erschwerten Stellung des Paulus zur römischen Gemeinde konnte ihm freilich Markus die besten Dienste leisten, wenn dieser schon vor c. zehn Jahren einmal in Rom gewesen war, längst die dortigen Leute kannte und Vertrauen und Ansehen bei ihnen besafs. Zum Jahre und sonstigem Anlafs der Austie.bung aus Rom unter Claudius, Tgl. auch meinen „Antichrist in den Schriften des N. T.'\ in den Arbeiten des rhein. wissensch. Predigervereins, Neue Folge I, 1697, S, 32 f.

Z^ilaehr. f. K.-O. IUI, 1 ^

34 ERBES,

im Jahre 58 voraussetzt! Ob nicht manches sofort plao und klar wird; sobald man die durch eine ganze Reihe von Umständen empfohlenen Vorarbeiter Bamabas und Johanne»^ Markus annimmt? Diese Vermutung einer sorgfältigen Prü- fung überlassend darf ich vom Römerbrief Abschied nehmen mit dem sicheren Ergebnis, dafs er bis zur Zeit seiner Ab- fassung eine Thätigkeit des Petrus in Rom nicht blofs nicht kennt; sondern gradezu ausschliefst Daran können wir gleich fügen; dafs bei der Ankunft Pauli in Rom im Jahre 61; wie sie die Apostelgeschichte erzählt; uns keine Spur von Petrus daselbst begegnet; und in den Gefangenschaftsbriefen aus Rom wieder nichts an ihn erinnert; keine Erwähnung; noch Anspielung; noch Qrufs. Auch das dunkle Jahr zwischen Pauli Tod am 22. Februar 63 imd der neronischen Verfolgimg seit Ende Juli 64 bietet keinen Anhalt für Petrus in Rom.

Aber wenn alles andere versagt; besitzt Rom nicht von Alters her Grab und Reliquien des ApostelfUrsteU; über die sich die Kuppel der Peterskirche im Vatikan majestätisch wölbt? Zeugen nicht für seinen Aufenthalt und Tod in Rom; mit Esser; a. a. 0. S. 123 zu reden; ;; unzählige Monumente aus Stein und Erz, Monumente der Plastik und Malerei, gleichfalls aus dem 1.; 2. und 3. Jahrhundert ''? Sehen wir denn zU; was solchem Rühmen Thatsächliches zu Grunde liegt

Zunächst das Aufgebot der Goldgläser und Sarkophage mit Bildern des Petrus und Paulus kann darum nichts helfen; weil beide Dinge auch nach dem jetzigen Urteil römischer Autoritäten überhaupt erst dem 4. und 5. Jahi*- hundert angehören; abgesehen von einzelnen Exemplaren;^ die aus dem 3. Jahrhundert stammen mögen, hier aber nicht in Betracht kommen. Auf der grofsen Medaille aber, welche man dem Anfang des 3. oder dem Ausgang des 2. Jahr- hunderts; wenn nicht gar der Zeit der Flavier zuweisen möchte; sehen nach der vortrefflichen Abbildung bei Grisar; S. 230; die Köpfe des Petrus und Paulus denen auf der ebendaselbst S. 256 abgebildeten kunstvollen Holzthüre von S. Sabina aus dem 5. Jahrhundert so durchaus ähnlich, dafs

PETRUS NICHT IN KOM GESTOKBEN. 35

zziaa sie in eben diese Zeit setzen darl, in der ja auch die t»erühmte Statue des Petrus mit dem gleichen Eopf und die prächtigen Mosaikbilder in der alten liberianischen Basilika entstanden sind, also die christliche Kunst blühte '. Frilhestens -Enag das schöne Medaillon zu der noch zu erwähnenden -Apostelfeier im Jahre 258 geprägt worden sein. Stammt <3uch auch die erhaltene schöne Marmorstatue des römischen ^lippolytus gest 251 aus der gleichen Zeit. DaCs man aber in !Kom, wie in keiner anderen Stadt, einen bestimmten Typus «der Apoatelbilder festhielt, versteht sich von selbst bei den Ansprüchen, die Rom schon seit 200 machte. Da im Ubi-igen Ttereits die unter Bischof Anicetus um 152 in Rom auf- tretende Ketzerin Marcellina nach Praedest I, 7 (ed, Oehler y. 234) Bilder Christi und Pauli zur Verehrung (?) aufstellte, würde es nicht weiter merkwürdig sein, wenn man in den- selben Kreisen und Tagen gedacht hätte, was dem Paulus recht, sei dem Petrus billig. Jene Bilder beweisen nur VoraoBsetzuDgen fUr ihre Zeit, die wir längst sattsam kennen. Dafs der Mamertinische Kerker und seine noch heute sichtbare Quelle uns nicht mehr „ein gewaltiger Dorn im Auge" sein kann, dalur hat schon Giisar gesorgt, der S. 196 ff. mit Lipsius und allen Archäologen darin über- einatimmt, dafs der unterste Teil ursprünglich ein Brunnen- baus war, TuUiannm genannt, und durch noch nachweisliche Kanäle mit der cloaca maxima in Verbindung stand, und der sogar wahrscheinlich macht, dafs man noch um 368 liier nicht den Kerker des Petrus suchte. Der Mamertinische Kerker wird auch noch nicht von den ältesten Akten lür Petms beansprucht, sondern erst die jüngeren Akten des Processus und Martinianus und die unter dem Namen (pBeudo-)Linus bekannte, spät redigierte lateinische Passio f*etri machen ihn zum Gelangnis des Petrus. Man sieht s^ber an diesem Beispiel, wie die fortwuchemde Legende, die ^Ale» gern genau lokalisiert und benamset, sich des bekannten ^taatagefängnisses und des Quells darin bemächtigte, um ^^eseo erst auf des Petrus Gebet wunderbar hervorsprudeln

1) Vgl. Tudestii}ic der Apostel, S. 105.

36 ERBES,

und gleich zur Taufe von 49 Personen verwerten zu lassen.

Ahnlich ging es zu mit der erstmals auf dem Olverzeich- nis aus der Zeit Gregors d. Qr. und der Königin Theudelinde auftretenden Benennung des ostrianischen Kömeteriums (id nymphas bzw. foniem Petri tibi haptifsabat und der dort ebenfalls seit dem 6. Jahrhundert verehrten sedes tibi prius sedü sandtts Petttis. Da das Kömeterium altehrwürdig genug schien und der ^^Nachfolger Petri '^ gelegentlich den in den Tuff gehauenen Stuhl bei einer Feier benutzen mochte, so mufste natürlich schon Petrus selbst darauf gesessen und den Quell zu unvermeidlichen Taufen verwertet und geweiht haben. Denn wie Grisar S. 202 sehr richtig sagt, ,,die Legende, welche überall die Wahrheit mit ihren Gebilden über- wuchert hat, ist die Poesie der Ruinen", und (S. 227) „wo einmal die Andacht des Volkes sich eines Gegenstandes [wie des Petrus!] lebhaft bemächtigt, da wird der Flufs histo- rischer Traditionen der Gefahr des Hinzutritts von ent- stellenden Schlacken ausgesetzt sein'^ Voraussichtlich wird sich selbst an den Lutherbrunnen in Berlin binnen 500 Jahren allerlei Fabelei von Luther hängen. Der Gedanke aber, dafs Petrus in der abgelegenen Katakombe auf der Kathedra gesessen und ebendort getauft habe, konnte erst in einer Zeit auftauchen, wo man bereits wähnte, die ältesten Christen Roms hätten nur im Dunkel der Katakomben sich zu versammeln gewagt ^ Dabei besagt das „prius '^ gar nicht, dafs Petrus zuerst auf dieser, nachher auf einer zweiten Kathedra in Rom gesessen habe, also zweimal nach Rom gekommen sei, sondern analog der an der appischen Stralsc angebrachten damasischen Inschrift Idc habitasse prit4S sanetot cognoscere dcbes [apodolos] besagt der Ausdruck hier, daß einst oder vordem Petrus auf dem Stuhle gesessen habe wenn er auch jetzt nicht mehr darauf sitze.

1) Charakteristisch schreibt Esser, a. a. 0. S. 131: ., Wahrlich wer je einmal diesen in den dunkeln Tuffstein gehauenen, einfachei und äimlichen Apostel thron mit eigenen Augen gesehen und mit Bändet betastet hat, dem schwindet jeder Zweifel, ob Petrus zu Rom un( Bischof von Rom gewesen ist!**

l'ETRÜS SICHT IN UOU GESTORBEN. 37

Danach biaucben wir uns gar Dicht lange aufzuhalten bei der anderen Kathedra Petri, jenem als Reliquie in der Apsis der Peterskirche in eherner Umhüllung verborgenen «ntiken Tragstuhl mit den eingelegten zwölf Arbeiten des Herkules, dessen morsche Stempel trotz höchsten Alters für Petras nichts beweisen künnen, es sei denn, dafs die gegen- wirtigen, modernere Möbel benutzenden Päpste nicht mehr ilen Anspruch machten, auf dem Stuhle Petri zu sitzen.

Kommen wir nun zu dem alten Titulus Pudentis auf dem li^uilin und was sich daran gehängt hat. Da diese zwischen JilO— 398 von den Presbytern Ihcius und Leopardus er- neuerte Kirche bereits auf einer Inschrift vom Jahre 384 und auch sonst adjektivisch Pudentiana basihca heifst, so ist ilaniit vorab die aus dem Namen irrig abgeleitete Herkunft "■on einer heiligen Pudentiana und die daraus gesponnene hegende gerichtet. Ein Pudens freilich wird 2 Tim. 4, 21 nach Eubulus, vor Linus und Claudia in Rom erwähnt. So- bald also Linus zum (Sohn der Claudia und) Nachfolger Peti-i wurde, ergab sich der vorher stehende, leicht als älter Wzusehende Pudens auch als Freund, als Gastfreund des Petrus. Merkwürdigerweise lüfst aber die Sage, die des Pudens' Tochter „Pudentiana" zu dem Zwecke des Vermächt- oiBsee, wie schon Ugonio bemerkt hat, deshalb überaus lange konserviert, die Kii-che erst von Bischof Pius weihen. Eben in diese Zeit der Antonine weist auch nach Hübsch, Alt- chrisUiche Kirchen, S. 7, „die mit dünnen und ganz fein getugten Backsteinen aufgeführte, aui'serhaib der Apsi» noch besiehende Fa^adenmauer des Palastes des Senators Pudens". Dieser konnte etwas gemein haben mit jenem Christen- Ircundllchen Slatlhnlter Pudens, der von Tertullian ad Scap. ^- i erwähnt wird und wohl der Zeit Mark Aurels ange- ''"rte. Das Haus konnte also frühestens in der Zeit des 'ius zu kirchhchen Zwecken verwandt werden. Zumal wenn •"e daraus entstandene Kirche, wie vielfach angenommen *"'*!, eine Zeit lang die Kathedrale Koma war, ergab sich ^'^ Identifizierung des späteren Pudens mit dem Apostel- *<^^»Üler noch leichter als die ebenfalls vorliegende von Pius' B'uder Hermas mit dem Rom. l(j, U genannten und die

38

des römischen Qemens mit dem PhiL 4, 3 doch in Philipp! vorausgesetzten Namensvetter, und einer viel späteren Rö- merin mit der Priscilla der Apostelgeschichte.

Alter und beachtenswerter ist das schon von Ghijos am 210 hervorgehobene TQÖTtaiop des Petras im Vatikan wie das des Paolos an der ostiensischen Stndse, die Euseb; Kirchengeschichte III, 31 nor aos Mangd an genaoerer Kenntnis mit den celebrierten Gräbern derselben identifizierte. Da ich über diese Dinge an anderen Orten 1884 S. iff., 1899 S. 67 138 aosföhrlich gehandelt habe, genügt hier die korze Hervorhebong einiger Ponkte.

Die wichtigste Notiz bietet das Depositionsverzeichnis des Chronographen vom Jahre 354 also:

HL Kai. Jtd. Petri in Catacumbas

et Pauli Ostense, Ttisco et Basso cans. [a. J2o8]. Wie die bekannte Inschrift des Damasus in und mit der alten basilica apostolorum ad Catacumbas an der appischen Strafse besagte, rohten vordem (prius) beide Apostel dort, und wie noch das Papstbuch vom Jahre 530 in unabhän- giger ÜbereinstimmoDg mit obiger Notiz bewahrt, hat die- selbe Lucina, welche den 253 in der Verbannung gestorbenen Bischof Cornelius nachträglich heimholte und auf ihrem Grund- stück neben der gememsamen Bischofscrypta an der appi- sehen Strafse beisetzte, den Leib des Paulus, unter Über- führung aus den Katakomben, auf ihrem anderen Prädiom an der ostiensischen Strafee beigesetzt juxta locutn ubi de- collatus est ^ Diese durch zusammenstimmende Zeugnisse beurkundete Überführung des Paulus im Jahre 258 und die damit verbundene Feier auch des am alten Platz in der Katakombe zurückbleibenden Petrus hing, nach dem Datum zu schliefsen, zusammen mit dem in diesen Tagen bevor- stehenden Neuausbruch der schon am 6. August dem Bischof

1) „Wann die Erinnerung an den Ort der Hinrichtung an der ostiensischen Strafse verloren gegangen ist** und man denselben eine Meile weiter an die drei Quellen an einer andern Strafse verlegte, in- dem mau das Grab am alten Orte zurückliefs, habe ich a. a. O S. 89 bis 92 sehr deutlich auseinandergesetzt. Erst nach 630, zu Narses' Zdtl

PETRlia NICHT IK BOM GESTORBEN. 39

SixtuB vcrhäDgntsTollea valerianischen Verfolgung, welche Dunmelir den Besuch der gemeinBamen Kömeterieu bedrolite und eine Bergung uDler dem Schutze des Privateigentums ^vünschenswert machte. Da Bischof 8ixtu9 noch die Pflicht hatte (vgl. Dionysius bei Euseb, KirchengeBchichte VII, 11 und Cyprian im vorletzten Brief), die Gemeindeglieder nach dem Brauehe zur Treue und Geduld in Verfolgung:8zeit zu tnnahnen, verband er eine dahin zielende wirkungsvolle Feier beider MartyrerapoBtel mit der Translation des Paulus am 29, Juni, der bisher ein Feiertag des Quirinus ge- »eBen war, fortan aber die Feier der Gründer der rö- mischen Kirche sich wiederholen Bah und schliefslich für den Todestag beider Apostel angesehen wurde. Dafs aber frülier lii» dahin vielmehr am i'2. Februar, VIII. Kai. Marl, de- positio sancli Petri et Pauli in Rom gefeiert worden, ist licht nur bei Silvius Polemius im Jahre 448 ausdrücklich tewahrt, sondern auch anderweitig erhärtet '.

Dafs Petrus am alten Orte verblieb, während Paulus im Jahre 25S durch besondere Gelegenheit übergeführt und neben dem Orte seines Mart^-riums geborgen wurde, dafa er »och im Jahre 354 ad Catacumbas vorauszusetzen sei und nicht im ungesunden Vatikan, pafst gewissen Leuten zu •chlecht zu ihrem Vorurteil, als ob das TßÖTraiov im Munde des Qajus schon um 210 das Grab des Petrus im Vatikan Bezeichnete und nicht die glorreiche Siegesstätte. Daher o&ben sie sich nicht gescheut, den vortrefflich erhaltenen ^ext des Depositions Verzeichnisses gerade an unserer, den frommen Abschreibern doch besonders wichtigen Stelle lUr *>ii vollständig zu erklären, um ihn nach Herzenslust zu er- C&Dzen und viel späteren Verhältnissen und Voraussetzungen *Ö2ubequemen. Wie verkehrt und unmöglich solche Ver- S^waltigung des Textes ist, soll hier nicht noch einmal ge- zeigt werden *.

Wollte man aber gerade umgekehrt als wir oben er- klären, im Jahre 258 sei vielmehr Petrus aus dem Vatikan,

\\ Vgl. dirQber Die Todestage, S. : 3) VgL a. a. 0. S. 81 f.

\

40 ERBES;

WO er bis dahin geruht habe, ad Catacumbas gebracht wor- den, Paulus hingegen an der ostiensischen Straise am alten Platz geblieben und gefeiert worden, so fehlt nicht nur jede sonstige Bezeugung einer damaUgen Überführung des Petrus aus dem V^atikan an die appische Strafse, während im Gegen- teil eine Überführung des Paulus von dort weg an die ostiensische Strafse um eben die Zeit durch das Papstbucb bezeugt ist, sondern müfste auch Paulus doch noch einmal an die appische Strafse gebracht werden, weil ja nach der dama- sischen Inschrift und dem alten Namen der basilica aposto- lorum beide einst ad Catacumbas geruht haben sollten. Die entgegenstehenden Hindernisse und Unmöglichkeiten ander- weitiger Auswege lassen es immer wieder als die richtige, natürliche und einfache Erklärung erscheinen, dafs man die angeblich an ein und demselben Tage, wenn auch an ver- schiedenen Stätten in Rom, gestorbenen Apostelftirsten neben- einander an der appischen Gräberstrafse begrub oder be- graben glaubte, und bei der besonderen Veranlassung und Abzweckung im Jahre 258 den Leib des Paulus erhob und an die Stätte seines ruhmvollen Todes an der ostiensischen Strafse brachte, während die Reliquien des Petrus noch in den Katakomben blieben, bis sie nach dem Bau der vati- kanischen Prachtkirche dort eine zeitgemäfsere Ruhestätte fanden. Lassen wir nun die Ortlichkeit hier selbst sprechen. Wie längst bekannt ist und der von G r i s a r , a. a. O. S. 2 1 7 wiederholte Plan veranschaulicht, war die alte Peterskirche so neben den neronischen Cirkus gebaut, dafs ihre linke Seitenmauer sowie die zwei zugehörigen Säulenreihen auf den rechtsseitigen langen Sitzraauern des Cirkus standen und das Grab des Apostels in der Mitte des Hauptschiffes 50 rö- mische Fufs von der äufsersten Umfassung des Cirkus ent- fernt lag. Mit dem gelehrten Jesuiten S. 225 zu reden, ist nach den topographisclien Angaben und Beobachtungen „als genauer Platz der , Memoria' am Vatikan die rechte Seite der Via Cornelia an dem Punkte zu bezeichnen, wo sie, unter der nördlichen [rechten] Langmauer des neronischen Cirkus hinziehend, an der Mitte des letzteren vorüber- gekommen isf . Wenn nun Petrus wie bekanntlich nach

I JKTRüS SiaiT IN ROM GESTOHDEM.

Tac Aon. XV, 44 die vielen Opfer der neroniGcheii Ver- folgimg in jenem Cirkue umgekommen sein soll: welcher seltsame Zufall müfate es gewesen sein, dafs einer der über- lebenden Christen gerade unmittelbar neben der Mitte des Cirku«, nur auf der einzig möglichen anderen Seite der Strafae, einen Platz zum Grab des Petrus besessen und her- gegeben hätte! Welche Verwegenheit wiire es gewesen von den allgemein geächteten Christen, hier in unmittelbarster Nabe des Nero und seines blutigen Gartens das Grab ihres Häuptlings zu bauen und zu besuchen ! Wie z. B. die Kar- thager nach dem Martyrium Cyprians dessen Leichnam vor- Iliu6g auf einige Stunden propter gentiliiim curiosttatem in der Nähe bargen, dann aber gleich in der Nacht weit weg zur Bestattung trugen, so mufate es auch die Römer drän- gen, die teuren Reliquien von der Stätte des Schreckens weit ■weg, an die appische Strafse, in Sicherheit und Kühe zu Iringen. Denn was konnte sie an die Nähe Neros und seines Cirkus fesseln?

Schon diese Lage der Memoria bekundet vielmehr, d&k die Christen im Laufe der Jahrzelmtc erst, wo sie die Stätte der vielen Martyrien, den in kaiaerUchcm Besitz befindlichen Cirkus selbst, nicht erlangen und zur Feier benutzen konn- ten, diesen nächsten und neben der Mitte des Cirkus pas- sendat gelegenen kleinen Platz auf der anderen Seile der Strafse erwarben, um hier das Gedächtnis der nebenan ge- storbenen Märtyrer zu begehen und festzuhalten. Je länger man an dem Orte das Martyrium neroniacher Zeit feierte, und je mehr der gekreuzigte Petrus alle anderen namen- losen Märtyrer dea Orts an Bedeutung und Verehrung in den Schatten stellte, desto mehr mufste der Natur der Sache nach die Feier an dem Orte mit der Feier des Petrus ver- wachsen und eben der herkömmliche Ort der Feier als die Stelle angesehen werden, die durch Petri Tod und Blut ge- weiht und ausgezeichnet eei, zumal die Römer die Kreuze gewöhnlich an Strafsen, des Exempets wegen, aufrichteten. In diesem Sinne mochte sie schon jener Presbyter Gajus (S. l) um 210 zeigen wollen '. Wie dann über der Stelle, IJ Mau mulj eigen lUiu lieb lokaJ blind '' seui , um UDt\i mtcci \)c-

42 ERBES,

an der Cjprian getötet worden war, sich bald, im Unter- schied von seiner Qrabeskirche, die besuchteste Kirche der Karthager erhob *, so hat über jenem Ort als Mittelpunkt der Kaiser Konstantin in seinen letzten Lebensjahren die Peterskirche im Vatikan begonnen und sein Sohn Konstan- tius sie vollendet; unter Überführung der bis dahin (c. 357) in der Basilika der Apostel an der appischen Strafse ruhen- den ;,Gebeine des Petrus '^ in den nun würdig geschmückten, vordem verrufenen Vatikan.

Da das Tropäum des Petrus schon von Gajus um 210 im Vatikan gezeigt wurde, brauchten die Reliquien nur einige Zeit dorthin übergeführt zu sein, um bei solchen, die es nicht genauer wufsten, die Meinung aufkommen zu lassen, der Apostelfurst sei von Anfang an im Vatikan begraben gewesen. Dann aber konnte, ja mufste man die Todesstätte wieder nebenan (im Cirkus?) suchen, also sagen, Petrus sei begraben worden juxta locum, tibi crucifixtiS est

Wie man eingesehen hat, läfst sich aus dem Umstand, dafs das Grab in der alten Basilika nicht genau in der Mitte, sondern einige Fufs nach dem Cirkus zu lag, nicht schliefsen, dafs eben diese Lage fiir den Bau und besonders die Breite der Basilika mafsgebend gewesen sei. Sollte aber nicht die kleine jedoch auffällige Unregelmäfsigkeit daher rühren, dafs man als idealen Mittelpunkt gerade die Stelle annahm, an dem das Kreuz gestanden haben sollte, und des- wegen das Grab daneben legte? Dafs darauf bald Grab und Reliquien die Hauptsache wurden und anderes zurück- stellen und vergessen liefsen, versteht sich ja für die Folge- zeit von selbst.

Wenn aber erstmals der Autor des Papstbuches vom Jahre 530 zu zwölf von den vierzehn ersten Nachfolgern Petri, von Linus bis Viktor, gest. 199, jedesmal schrieb: sepülttis est juxta corpus beati Petri [in VcUicand] , so that

haupten zu können: „Das ixto ^ci^m des Gajus mufs einen sichtbaren Gegenstand zur Voraussetzung haben. Hieraus folgt, dafs um jene Zeit beide Apostel am Orte ihres Sieges begraben lagen/' Macht denn erst ein Grab einen Gedenkplatz zu einem sichtbaren Gegenstande? 1) Näheres in meinen Todestagen der Apostel, S. 96 f.

l'ETBUS NICHT IN ROM GESTOHBE.V. 43

er das durchaus nicht „vermutlich aus Augenschsin, weil er noch diese Gräber sehen konnte", wie Grisar, S. 324 meint. Violmehr weil er von diesen ältesten Bischöfen gar Dichte sah noch wufste, und sie doch einmal begraben sein mufsten, suchte er ihr Grab neben Petrus aus reiner Un- wissenheit. Bezeichnend siud schon die beiden Ausnahmen des Clemens und Alexander, die nur darum nicht in den Vatikan versetzt wurden , weil jener nacli später Fabel in der Verbannung in Griechenland gestorben und begraben Bein sollte, dieser aber am siebenten Meilenstein der nomen- tanischen Strafse verehrt wurde, und zwar nur durch eine arge Verwechselung mit einem Märtyrer Alexander, dem der Bischof Ursus von Nomentum 401 417 eine Kirche daselbst gebaut hatte. Sodann hat schon Duchesne, der Her- ausgeber des Martyrologium Hicronymianum [j. L. zur Em- pfehlung desselben darauf hingewiesen , dafs hierin ebenso wie im Deposidons Verzeichnis der Chronik vom Jahre 354 noch das 2, Jahrhundert nicht berührt und selbst die Biichöfe bis Zephyrinus [oder vielmehr nur bis Soter, gest, 174] mit Vergessenheit bedeckt sind, und zwar weil in jener ältesten Zeit in Rom noch nicht die Sitte aufgekommen war, ''113 Andenken der Toten durch jährliche Feier zu ehren. Kodlich will es das Unglück, dafs das Martyrologium nach "Uem früheren Schweigen die Gedächtnistage der Bischöfe Eleutherus VIII Id. Sept. und Viktor ' XII. Kai. Maß ■Romae bringt, und zwar den ersteren mit der ausdrücklichen Ortsangabe; Via Salaria, inilia ab urbe, d, h. in der alten Katakombe der Priscilla. I.st so durch diese alte vorziig- "clie Quelle die grundlose Angabe des Papstbuches an der Kontrollierbaren Stelle ausdrücklich widerlegt, so kommt dazu noch, dafs die nächstfolgenden Bischöfe Zephyrinus gest. 317, Callistus gest. 221, Urbanus gest. 230 noch an verfichiedenen Orten begraben lagen und nachweislich erst gelegentlich der gleichzeitig ntitigen Beisetzung d:a am 3. Ja-

I) In inciaeii TodeEtagon der Apostel S. 109 habe ich bei Viktor 'n Cod. EpL mifaverstandlich eineo Vakanistrich gemacht, «fthrend ""i-h CT XII. Kai. MBJi Romap Vkl'iris cpiscopi bietet,

44 ERBES;

naar 236 gestorbenen Anteros und des noch seit 30. Ok- tober 235 von Sardinien aus der Verbannung heimzuholen- den Pontianus der Qedanke einer gemeinsamen Ruhekammer der Bischöfe von Fabianus gefafst und ausgeführt wurde ^ Ist auch daraus zu schliefsen, dafs die ältesten Bischöfe noch keine gemeinsame Ruhestätte hatten^ so haben auch die erst vor einigen Jahren veröffentlichten Berichte über die unter Urban VIII. im Jahre 1626 zur Fundamentierung^der vier ehernen Riesensäulen des Baldachins in unmittelbarer Nähe der vier Seiten des Apostelgrabes vorgenommenen Aus- grabungen dargethaU; dafs dort wohl heidnische, nach Münzen in der Asche zu schliefsen; noch um 160 bis 275 angelegte Qräber in unmittelbarer Nähe lagen, für die Gräber der zwölf Bischöfe aber kein Raum vorhanden war.

Die auf LINVS oder S. LINVS lautende Inschrift aber, die bei den Ausgrabungen im Jahre 1615 vor der Konfes- sion gefunden worden sein soU^, hat vor der z. B. von Justin auf den Simon Magus bezogenen, vielleicht mit Ab- sicht, das voraus, dafs sie nicht mehr vorhanden ist, die Angabe also nicht mehr durch den Augenschein des Steines selbst abgethan wird. Dafs man einen Grabstein mit dem Namen gerade des ersten Nachfolgers Petri aufgefunden abei* nicht als wichtige Reliquie aufbewahrt, sondern spurlos be- seitigt hat, ist 80 sehr zu verwundern, dafs man die Sache nur für sehr faul ansehen kann und schon gleich angesehen zu haben scheint. £ntweder waren jene Buchstaben auf einem Steinfragment nur die Endung eines der vielen aui . . . linus endenden Eigennamen , oder die Inschrift war eine mit Fleifs dort eingegrabene Fälschung, wie solche in Menge in Rom vorgekommen und zahlreich z. B in Bosios Roma

1) Vgl. darüber die Ausführungen in dieser Zeitschi ift, Jahrg. IX, S. 23fif.

2) Vgl. darüber aufser Jahrg. VII, S. 20 noch Viktor Sc hultzc, Archäolog. Studien über aitchristliche Monumente (1880), S. 236 ff. mit den Auszügen aus den ältesten Berichten, und de Rossi, Inscript Christ, urbis Romae II, 1, 236. Woher Grisar S. 220 die verdäch- tige Angabe von ,,einer sonst unleserlichen Inschrift" hat, weifs ich nicht.

l'ETKUS KICHT IK ROM GESTORIIEN. 45

äolterraoea aufgenommon worden sind , oder sie galt deut- lich einem anderen Linus, etwa dem wiederholt von Mar- tial, Epigr. VII, 10. 95; XI, 25 besungenen Zunftgenoasen jeies Flaviua Agrippa, dessen Statue und Grabachrift in derselben Zeit am selben Orte gefunden, wegen ihres arg miterialistisclien Inbalts aber ebenfalls vernichtet wurden. Im gunstigsten Falle hatte man bei Ausräumung der Kata- komben alte Qebeine hierber gebracht und damals mit der iDschrit't versehen, die später zum Vorscbein kam. Aus nileni erbellt, wie es wohlgethan ist, von diesem Steine ganz abzusehen.

Was sollen denn nun noch die zwei bis drei Inschriften «inr Sarkophage ', die zwar noch in vatikanischem Gebiet, über weit hinter der Peterakirche gefunden worden sind und für einen oberirdischen Friedhof daselbst in voi'konstanti- nisiiher Zeit reklamiert werden? Ob die Christen vor Kon- lUatins Zeit einen oberirdischen Begräbnisplatz in Rom liaiten, ist sehr fraglich, gewifs aber ist, dafs eine dort hinter der Basilika gefundene Verschlufsplatte eines Grabes die Jilireszahl 352 trägt, und wahrscheinlich bleibt, dafs die ßuliGstitte dort erst angelegt wurde, nachdem der Bau der Basilika begonnen war. Die fraglichen Gebilde der Figuren, Buchstaben und Abzeichen passen vortrefflich in diese Zeit und ei-fordem nicht den Luxus einer früheren, obwohl es \6At denkbar wäre, dafs man dem im Cirkus vergossenen vielen Slartyrerblute schon frühe möglichst nahe zu ruhen gewünscht hätte. Aber auch wenn schon alle Opfer der "Wonisfben Verfolgung hierhin bestattet worden wäj-en, so *iirde das für Petrus und sein Grab gar nichts beweisen.

Ehe wir aus allem Bisherigen unseren Schlufs ziehen, *yllen wir noch daran denken, dafs nach der ErzHhIung der jetzigen Akten des Petrus und Paulus und der verwandten •jrtgora d. Gr. Ep, IV, 30 beim Tode des Petrus plötzlich

I| Durch SchreiUrebler ist in nicioer fiilhcreji Abhandlung in dieser ^iKhrift Vir, S. IG, lind danach in meinen Todestagen (IBOU), S. 104 °'^ Lidnia Amias zu einer Livia Ainias geworden. Die Bedchtlgiing ""»tlit an letzterer Strlle den vurangeh enden Satz überflüssig.

46 ERBES;

heilige Männer von Jerusalem, die vorher und nachher nie- mand gesehen habo; unter seinem Kreuze standen und offen erklärten, sie seien des Petrus wegen gekommen ^ Da(s sie in der jetzigen Darstellung den Apostel erst begraben helfen, darauf bei Nacht den Leichnam aus dem Grabe erheben, um ihn nach Jerusalem heimzuführen; aber durch ein Wun- der daran verhindert und genötigt worden seien, die Re- liquien in Rom zu lassen, ergiebt sich leicht als künstliche Zurechtlegung aus einer Zeit, wo man die Reliquien in Rom selbst zu besitzen glaubte. Darunter guckt eine alte Dar- stellung hervor, wonach diese heiligen Männer den Petrus am hellen Tage und ungehindert als den ihren nach Jeru- salem heimgeführt haben sollten, wie auch andere Männer nach ihrem Tode vom fremden Orte in ihre Heimat über- geführt wurden und werden. So stellte man in Rom die Sache dar in einer Zeit, wo man Grab und Reliquien des Petrus noch nicht in Rom besafs und zeigen konnte, aber schon seinen Tod und seine mit Martyrerblut besiegelte Autorität für Rom beanspruchte. Erst später fanden sich dann die Reliquien selbst neben denen des Paulus an der appischen Strafse, und mufsten also die Orientalen sie dort- hin geworfen haben als Diebe, deren Raub versuch vereitelt worden, und zwar durch ein Wunder. Während die Todes- stätte Pauli an der ostiensischen Strafse eine eigene histo- rische Kunde verrät, bedurfte es beim völligen Mangel an irgendeiner alten Kunde über die Stätte des Petrus keines Wunders, um dieselbe im Vatikan zu entdecken, sondern nur der Kenntnis oder Erinnerung, dafs Neros Opfer dort im Cirkus geblutet und gesiegt hatten. Nicht minder be- zeichnend ist es, dafs man in Rom keine besondere Über- lieferung über den Todestag Petri hatte, sondern sich damit helfen mufste, dafs man ihn mit Paulus zusammen am 22. Februar (S. 39) feierte. Denn dafs Paulus an jenem Tage im Jahre 63 gestorben, ist an einem anderen Orte nachgewiesen, während der 18. Januar, an dem man schon um 255 Petri Stuhlbesteigung in Rom feierte, aus einer Zeit

1) Vgl Jahrg. VII, S. 29 ff. Die Todestage, S. 125 ff.

PETRUS NICHT IN ROM GESTORBEN. 47

ZU stammen scheint , wo Christi Geburt noch am 6. oder 10. Januar gefeiert wurde und Petrus mit Jakobus und Jo- hannes oder schon mit Paulus am 18. Januar folgte, wie die Nestorianer ^ noch jetzt am zweiten Freitag nach Epiphanias Petrus und Paulus feiern.

Übrig bleibt nur noch die schon oft erhobene, aber noch nicht beantwortete Frage: Wo ist denn Petrus sonst ge- storben, wenn nicht in Rom? Welche andere Stadt hat ihn je für sich beansprucht? Sollte der Apostelfurst an einem anderen Orte gestorben und davon gar keine Kunde auf die Nachwelt gekommen sein??

1) Vgl £g 11 in Zeitschrift für wissenschaftl. Theol., Jahrg. 1891, 8. 277.

[Fortsetzung folgt im nächsten Heft.]

Die Annatenverhandlung der ,,natio galli- cana^^ des Konstanzer Konzils.

Von

Bernhard Bers.

Das Protokoll der Verhandlangen, welche vom 15. Ok- tober bis zum 2. Dezember 1415 in der französischen Nation des Konstanzer Konzils über die Annaten gepflogen wurden, ist eins der wenigen Aktenstücke, die uns einmal einen Blick hinter die Kulissen der pomphaften Sitzungen jenes merk- würdigen Völkerkongresses thun lassen. Es ist zum ersten- mal von Bourgeois du Chastenet in seiner „Nouvelle histoire du Concile de Constance . . ." (Paris 1718) unter den Preuves (S. 409 479) nach einer Handschrift, welche aus dem Klo- ster S. Viktor stammte, abgedruckt worden. Von da hat sie Mansi übernommen: Conciliorum CoUectio, T. XXVIII, p. 161 221. Hardt kannte nur die Denkschrift, die schon öfter herausgegeben worden war. (Vgl. seine praefatio, T. I, p. VIII, p. 758 sqq.) Er benutzt zu seiner Ausgabe (ib. p. 761 791) einen angeblich von Ulrich von Hütten ver- anstalteten Druck von 1519. Dieser stimmt mit dem bei Mansi völlig überein. Eine in mehreren Punkten abwei- chende und offenbar ursprünglichere Rezension bieten die von P. Pithou veranstalteten Preuves des libertez de FB^li Gallicane (Paris 1653, p. 445—457) Im folgenden wird! nach Mansi citiert, wo beides, Protokoll und Denkschrifl-: am zugänglichsten geboten wird.

Am eingehendsten hat wohl noch Lenfant (Histoire d"^ Concile de Constance [Amsterdam 1727], T. I, p. 466 sqq^-]

DtE ASNATEKVEnnANDI.rNO DER „KATIO OALLICAKA". 49

dieten Oegecstand behandelt. Alleia er giebt auch hier nichts vuter als einen Auszug iius den Akten, und da er es unter- bot auf die wichtigsten Punkte auch nur aufmerksam zu Dichcn, so entsteht geradezu ein falsches Bild. Dazu fehlt « hier, wie überhaupt in seinem nur als Kompilation ver- dicnstÜcben Werk, an jedem Versuch, den tieferen Zusammen- «mmenhang der Ereignisse aufzudecken. J. B. Schwab (Johannes Gerson [Wurzburg 185«], S. 659f.) giebt, ohne acb in Details einzulassen, nur eine smnmariso.bc Darstellung mit Auszügen ruh der Appellation und der Denkschrift. Wenn er diese eine „geachichllich wie rechtlich achwach b^ündete Entgegnung nennt, eo hat er offenbar einen mo- ienit-n Mafsslab angelegt. Nachdrücklicher aufmerksam gemacht hat auf diese Vorgänge zuerst B. Htibler {Die Kon- «anier Reformation . , . [Leipzig 1867], S. 85f). Allein da er wceenllicb kirchenrecbtiicb interessiert ist , so kommt nstiirlich die historische Bedeutung der Verhandlungen nicht »11" Geltung. Nur den Verlauf im grofscn und ganzen bat Hübler sich klar gemacht, sunat hätte ihm nicht die radi- talc Haltung der Pariser entgehen können , und er wäre *ohi davor bewahrt worden, diese zu einem festen Hestand- teil der ullramontanen Partei zu machen, ja hieraus den l'b«rgang der französischen Nation zu den Kardinälen im '•esentlicben abzuleiten (vgl. S 30 iF. und 8Üf.), wovon so lii'inlich das Gegenteil der Wahrheit entspricht. Hefeles "»rstellung erhebt sich wenig über die Lenfants. Tschackert iPcler von AilH [Gotha 1877], S 275) berücksichtigt diese ' erbandlung nur insoweit, als sie in Aillis Schritt von der "irelilichcn Gewalt bekämpft wird. Somit ist es notwendig, ■liosen Vorgängen einmal eine genauere Betrachtung zu wid- "len. Es bietet sich hier nicht nur die einzige Gelegenheit, "1 die politische Zusammensetzung der französischen Konzils- "ätioD einen Blick zu thun^ sondern wir erhalten hier auch ein zQvcrläsBigcs Bild der entscheidenden Vorgänge, welche "ch in jeder Nation vor den üffentlichen lediglich zeremo- liellen Sitzungen abspielten '.

1) Über den BegrilT der AtinatPii za bandeln Ut hier nicht der lilliihr. f K.-o. int, 1. 4

50 BESSy

Die Klage über diese Abgaben war eine alte. Durch das Schisma hatten sie stellenweise, besonders aber in Frank- reich eine unerträgliche Steigerung erfahren. Es hatte sieb gerade an diesem Punkt ein gewaltiger Zündstoff angehäuft, der bei der ersten besten Gelegenheit explodieren mufste.

Allein so einleuchtend die Klagen waren, so in die Augen fallend die Zerrüttung von Kirchen und Klöstern, für die gerade das römische Steuersystem verantwortlich gemacht werden mufäte so schwierig war es, hier eine Abhilfe zu schaffen, bei der sich beide Teile beruhigen konnten. Denn das liefs sich bei einiger Objektivität nicht leugnen: die Kurie, sollte sie ihre Stellung behaupten und ihre gemein- kirchlichen Aufgaben erfüllen, konnte jener Hilfsmittel nicht entbehren. Die Zeiten, wo sie von dem Kirchenstaat ihren Unterhalt bestreiten konnte, waren vorbei. Selbst wenn sie völlig Herr im eigenen Hause gewesen wäre, die Unsicher- heit dieses Besitztums war und blieb doch zunächst noch eine so grofse, dafs sie darauf ihren Etat nicht aufbauen konnte. Es war ein sehr billiger Rat, wenn den Kardinälen auf ihre Frage, wovon sie denn leben sollten, wenn die An- naten aufhörten, entgegnet wurde, sie sollten die Herrschaft im Kirchenstaat wiederherstellen und diesen besser bewii*!- schaften.

Trotz dieser Schwierigkeiten waren es gerade die Kar- dinäle, welche zuerst die heikele Frage anschnitten wohl in der Hoffnung, so am ehesten eine Verständigung zu er- zielen. In die Keformkommission, welche bald nach König Sigmunds Abreise im Juli 1415 aufgestellt wurde, waren auch drei Kardinäle aufgenommen worden : Ailli, Zabarella und Ale- man Ademar von Pisa. Am 25. August reichte der letztere

Platz. Vgl. (laiüber besonders Hüb 1er a. a. 0. S. 82 f. Es sei nur darauf hingewiesen, dafs in dem hier in Betracht kommenden Dokument annata, vaccautiae, communia servitia völlig promiscne gebraucht wer- den, während davon die fructus medii temporis unterschieden werden. Hinsichtlich der kircbenrechtlichen Begründung der Annaten sind die Ansichten geteilt: nach Ansicht der Kurialen haften sie an den Stellen, nach Ansicht der Franzosen sind sie eine persönliche mit der collatio verbundene Belastung.

DIE ANNATESVKIIHAN'DLUNG DER „NATIO OALLICANa". 51

HU. Antrag „de gratiis et provisionibus " ein, in welchem kln «ngehenden Bestimmungen über Berückaiclitigiing der [ Aunierten bei der Besetzung geistlicher Amter aucii eine Ennäiaigung und bessere Verteilung der „communia ser- i" vorgeschlagen wurde. Kaum war aber die Kom- mission iu die Beratung über diesen Gegenstand eingetreten, j) ergaben sich su tiefgreifende Differenzen, dafa an eine VmtSndigiing nicht zu denken war. Die Mehrzahl der De- putierten waren der Meinung, dafs die Annaten imrecht- mifsig seien, und das war wohl auch die vorherrschende Meinung unter den Nationen aufser der italienischen. Aber libor allgemeine Kundgebungen ist man nicht hinausgekommen. die Kardinäle sahen, dafs hier vorläufig auf kein Eiit- gejj'enkomnien zu rechnen sei, zogen sie zurück und wui'sten « durch entschiedene Verweigerung aller Konzessionen dahin »II bringen, dal's dieser Teil ihres Antrags vorläufig wieder Von der Tagesordnung abgesetzt wurde '. Aliein die fuhren-

1) Ober diu bei Hardt 1, p. s— sn aliKPiliucl'ti'n RpfnnnpinKiamiiip ^l die Irrfriiulien DarleKiinpen bei HübUr (a. a. 0. S. 6— lli imU ^ 20~35). lUu Eatstehimg det Kluburatc dea oiätoii Itcfuiiiiuliiuiuiis (Hirdl I, b&i-Ui) bat man sieb Lcüicb etwas utuk^a vi>r/iisiL'll('ii, Als a Unblc:- tbiit. Zunäcbst ettzou diese Akten ein offizielli's Pro- tokoll der Sitzungen der Refonnkommission Torans. Die ItBiidbciner- kiinran verweisen ja unzweifelhaft darauf. Daraus möchte ifli aber vdterbin roleern, daC) wir es in Hardt nicht mit dnor offiziellen, son- <i*n mit einer prifaten Sammlung zu thun bubcn. Der Sammler, jedi-u- ^lls eiu Mitglied der Kummissiun, bat zuuäclist die Vorlogen ;rcEam- uelt, dann liAt er ilieae nach dem Prolukoll mit IlELudbcmei künden vi'r- ^i^lmi, uuJ schlipfslich hat er, was tou IJeachlllssen der Kommission *>>rl«|t, xusammcnces teilt und, da die Verliandliinifon ins Stni-ki'ii ■:•)- •Jettn, niit ik-n noch vorhandenen AntrUcea xa einem Gauai-n vereiiiijrt. U«rulc hier ist aher eine Kontrolle lUrdts an den IlandschiirtiiL nut- ^tiHlig. Tic]lcil^ht da/s dann aurli noch manches über die i\h^ U'iili^i' ^ giDZ «erschloEscnen VcrhiLudliinüen der Kommission Kieli rr-^t^tclleu lidsiic. Für die Verhandlungen des ersten Reform» torii uns olii-r dji'SM ^'nfc ist die Denknchrifl (Mauai a. a. U. S. lO'Jf.) hfi ilic einxi^'c ^le. Denn ans den Elaboraten (bei llardt 1, ÜäilfT.; vjil. duzii '^GKf.) ist nui zu craehcu, dals iu dem Anliag des Kardlniils v»ii l'i», ilbvv dessen liiizi'tuu Piiithte man beraten hat, auch eine die Zuli- Uii uiliidilimde Vcit<iliiM(! dpi Annalcn vi.igpsi-blucen war, (iber die 'in llmlil^r, n..tb nic^lit slult'.'.'f.iiidni luvt. lU-m »ericlit dei I>nik-

52 BESS;

den Elemente in der fransösischen Nation, vor allen die Bischöfe und Abte, die infolge der Annaten der Kurie noch tief verschuldet waren, liefsen sich mit diesem Manöver nicht abspeisen. Sie waren gerade nach dieser Richtung hin mit den gröfsten Hoffnungen zum Konzil gekommen. Die Ent- täuschung, die sie erfuhren, steigerte ihre Stimmung bis zur Leidenschaftlichkeit.

Vielleicht schon bei dem ersten Widerstand, den sie in ilieser Angelegenheit erfahren hatten, war in der franzö- sischen Nation ein Beschlufs zu Stande gekommen, wonach unter allen Umständen, auch wenn sie von den übrigen im Stich gelassen würde, Abhilfe geschaffen werden sollte. Es fehlte auch nicht an Anzeichen dafür, dafs neuerdings die französische Regierung solchen Bestrebungen wieder Raum liefs.

Am 15. Oktober wurde die französische Nation von ihrem derzeitigen Präsidenten, dem Patriarchen von Antiochien, in das gewohnte Sitzungslokal, den Konvent der Prediger, berufen. Der Patriarch Johannes von Konstantinopel legte

schritt stehcu eutgegeii die Behauptungen der Appellanten (Mansi a. a. 0. S. 182, Nr. 190 f.). Nach dem crsteren ist die Behandlung der Frage in der französischen Nation durch die vorausgehende der Deputierten gerechtfertigt, es sei sogar hierüber von den Deputierten eine ccdula aufgesetzt und an die einzelnen Nationen verteilt worden; nach den letzteren i-^t der Antrag in der französischen Nation ein ganz selbstäudiger gewesen. Das wird durch das Protokoll bestätigt, und \vider ihren Willen bezeugt das auch die Denkschrift Was sie von der ccdula der Deputiciteu sagt, ist demnach als übertreibende Entstellung zu beurteilen. Alk in ein Keclit der französischen Nation, auf eigene Faust in dieser Sache Stellung zu nehmen, wie es die Appellanten be- streiten, wird schwerlich durch die Geschäftsordnung ausdrücklich versagt gewesen sein. Die Nation hat sich wenigstens ein solches zu wahren gesucht. Vgl. darüber Denkschrift (Mansi a. a. 0. S. 223 f.): „Conclusio est natioiiis quoad nationem, quae respectu aliarum nationum est consul- tiva et quoad totum Concilium est querelosa, quam Concilio intendunt et apud ipsum prosequi, ut remedietur in eis, ut redeuntes ad propria suis principibus, praelatis et clero, qui ibi remanent et ceteris de po- pulo possint referre diligentiam quaui fccerunt, ne videantur consensum praebuisse nee acquievisse tolerationi abusivae in praedictarurn vacan- tiarum praestatione.*'

^!^U^ DÜR „ÜATiÖ QÄüicÄA*V ^

hier den von ihm und einigen anderen ausgearbeiteten Ent- wurf zu einem Konzilabeachlufa vor, wonach nicht nur bis auf weiteres alle Zahlungen aus den erstjährigen Einkünften geistlicher Stellen an Kurie oder Kardinäle verboten, sondern auch alle Rückst ünde erlassen und die damit zusammen- hängenden Prozesse, Exkommunikationen etc. aufgehoben werden sollten; Zuwiderhandelnde aoUteu ohne weiteres ihrer Stelle verlustig gehen. Dann liefs der Pariser Magister iler Theologe Pontius äimoneti einen Erlafs vom 18. Februar UOT verlesen, in welchem der König von Frankreich alle kirchlichen Abgaben an die Kurie suspendierte '. Das sei noch immer der Wille des Königs; dahin gingen auch die In- Btruktionen, die er seinen Gesandten mitgegeben so ver- sichert der Professor, und Elias, Bischof von Puy-en-Velai, der älteste der anwesenden Prälaten, der aicli im Laufe der Verhandlungen als Gesandter des Königs und des Reiches ausgab, sekundiert ihm.

Die Meinungen in der Vei-sammlung waren geteilt. Viele ""ÄUen am liebsten sofort einen Beachlufs gefafst. Aber an- «**i"c wiesen auf die ychwierigkeiten hin und verlangten teils Weitere Beratung, teils Verständigung mit den anderen Na- tionen. Ein Teil es war, wie sich im weiteren Verlaut' kerausslellt, die ultraraontane Minorität verlangte geheime Abstimmung, wofür man sich auf einen älteren Geschäfts- ordnungsbeschlufs berufen konnte, der eine solche bei allen schwierigen Fragen forderte. Über diesem Hin und Her War es spät geworden, und man trennte sich. Erst Diens- h*g, den 22- Oktober, ist man wieder zusammengekommen. Pontius Siraoneti wiederholte den Antrag unter ausdrück- lichem Appell an das National bcwul'stscin. Aber die Oppo- Bilion trat hier schon stärker auf, und offenbar mit Rück- sicht auf sie wurde nun zur Abstimmung nur die Frage gestellt, ob man in eine Verhandlung über die Itlaterie ein- treten oder sie aufgeben solle. Das scheint freilich nur ein Kunstgriff gewesen zu sein, bestimmt, Jenen Antrag auf ge- ueinie Abstimmung zu umgehen.

1) Vi:l. ui.-iiic StiidiPM ziiui K..ii5Uu7.(r K.>i.zü I, 11. ib.

54 B£SS;

Allerdings der erste Antragsteller selbst, der Patriarch von Konstantinopel, der die Abstimmung eröffnete, hielt sich an jene Fragestellung und sprach sich rundweg für Aufschub der Beratung aus. Aber die weitaus überwiegende Majorität seiner Nachfolger liefs es sich nicht nehmen, zugleich und vorzugsweise über die Haupt&age, die Abschaffung der An- naten zu sprechen ^.

Am 2. November es hatten inzwischen schon sechs Versammlungen in dieser Angelegenheit stattgefunden falste der Patriarch von Antiochien das Resultat der Ab- stimmung dahin zusammen: Die Vaccantien (= Annaten) samt den Servitien sollen nicht nur in Zukunft wegfallen, sondern auch alle noch nicht erledigten Verpflichtungen dieser Art sind aufgehoben. Aber es ist der Kurie und den Kar- dinälen ein Ersatz zu schaffen, und dazu sollen aus jedem Stand Deputierte ernannt werden.

Dies Endurteil war noch nicht gefällt, da hatte sich schon Widerspruch erhoben. Und die Versammlung am 2. sowie die folgenden am 4. November waren im wesentlichen aus- gefüllt mit Protesterklärungen. Einzelne, die sich vorher fiir die Aufhebung ausgesprochen hatten, waren bedenklich ge- worden: was den Bischöfen und Abtcn abgenommen sei, möchte nun auf den niederen Klerus fallen. Andere gingen erst jetzt mit ihrer Meinung heraus. Auch die Orden der Benediktiner, Cluniacenser und Cistercienser fühlten sich nicht sicher und liefsen durch ihre Vertreter nachti*äglicfae Verwahrung einlegen. Schliefslich mischten sich noch dy- nastische Interessen ein : Bischof Alanus von S. Pol de Leon protestierte namens des Herzogs der Bretagne, und der Archi-

1) An der Abstimmung haben sieb im ganzen 94 Personen be- teiligt: ein Patriarch, 16 Bischöfe bzw. Bischofsvertreter, 28 Vertreter von Kapiteln etc., 29 Äbte, Prioren etc., sieben fürstliche Gesandte und, soweit sie nicht schon unter die vorstehenden Eategorieen gehören, zwölf Professoren der Theologie, sieben Dckrctisten, fünf Magister der Künste bzw. Medizin, je ein Gesandter der Universitäten Angers, Avignon, Montpellier, Orleans, Toulouse, vier ohne Titel. Entschieden gegen eine Aufhebung der Annaten haben nur gestimmt: zwei Bischöfe, sechs Ka- pitelvertreter, fünf Äbte, drei fürstliche Gesandte und vier Theologen.

DIE ANNATEXVEKHANDLUNO DE11 „NATIO RALLICANA". B5

diAkoti Quiblet von Ohälon-sur-Saöne namens des Grafen von K.ivoyen. Vor allom aber achritt die Kurie in ihren verschiedenen Vertretern zu iormlicher Appellation Schon am 2. November reichte Joliannes Ponceti aus Besan^on, Clerikus des heiligen Eullegs, zugleich Vertreter des Kapitels von Besan^on , des Abtea von öanct Paul daselbst und des Bischofs Lumba- vensis eine ausfuhrliche Appellation ein , worin er die Not- wendigkeit der Annaten darzuthun suchte. Am 10. folgte mit einer fast gleichlautenden der Prokurator des aposto- lischen Fiskus, Johannes do Scribanis Am 12. fugte Pon- ceti der ersten eine zweite hinzu, in der ausschlierslich das eingeschlagene Abstimraungs verfahren einer scharfen Kritik unterzogen wurde, und ihm schlössen sich in einem wiederum fast gleichlautenden Dokument Johannes de Heate und Jo- hannes Nikolai namens des heiligen Kollegs selbst an.

Abgesehen von den allgemeinen Erwägungen über Not- wendigkeit der Annaten wurden in diesen Aktenstücken be- fiondera Fehler der Geschäftsordnung moniert: nur Fragen, die auch den anderen Nationen vorliegen, dürften verhandelt werden, und nur der Präsident dürfe sie vorlegen; unter seinem stän- «ligen Vorsitz habe die Abstimmung stattzufinden, und diese müsse, da es sich um eine Frage von ^röfserer Bedeutung handele, geheim sein. Vor allem aber hob die Opposition hervor, dafs nicht nur die Fragestellung eine andere gewesen sei, als sie schliefslich im Endurteil vorausgesetzt werde, sondern dafs auch das thatsöchliche Resultat der Abstimmung ganz anders lauten müsse: die überwiegende Majorität habe nämlich für vorherige oder gleichzeitige Schaffung eines Er- satzes sich ausgesprochen, also gerade gegen die sofortige Aufhebung der Annaten.

Diese Vorwürfe waren nicht unberechtigt. Die Geschäfts- ordnung, wie sie gerade von der französischen Nation aus- gebildet worden war, streng genommen fehlten jener Be- ratung die notwendigen Voraussetzungen. Indessen konnte man einwenden, und das ist auch geschehen , dafs ja durch die Beratungen der Reform kommisaion thatsäc blich diese Voraussetzungen geschaffen seien. Ein formeller Mangel aber blieb bestehen. Und ein solcher lag auch vor hinsichtlich

^

56 HESS,

der Präsidentschaft Abgesehen davon, dafs nicht der Piü- sident; sondern der an geistlichem Rang ihm zwar gleich- stehende Patriarch von Konstantinopel den Antrag gestellt hatte, so hatte auch Johannes Maurosii in der siebenten Sitzung gefehlt. Diese Gelegenheit hatte dann einer der königlichen Gesandten, Johannes Morini, benutzt, um an die Ungültigkeit seiner Präsidentschaft, die nun schon zwei Mo« nate dauere, zu erinnern. Obgleich er also nicht mehr Prä- sident war, hatte er aber in der folgenden Sitzung, am 2. November, das Fazit der Abstimmung kundgegeben ; erst darauf war er in aller Form wiedergewählt worden. Ein wesentliches Stück der Verhandlung, die eigentliche Beschlufs- fassung, war also erfolgt ohne einen rechtmäfsigen Präsi- denten, denn der Bischof Vitalis von Toulon, der am 31. Ok- tober den Patriarchen zu vertreten hatte, hatte sich mit aus- drücklichem Hinweis auf diesen Thatbestand geweigert jene zu vollziehen. Lag hier auch nm* ein Formfehler vor, so bleibt doch als sehr gewichtiger sachlicher Einwurf der bestehen, dafs die Beschlufsfassung selbst weder der Frage- stellung noch der Abstimmung entspreche. Die Fragestel- lung hatte ja gelautet: ob man überhaupt in eine Beratung eintreten oder sie aufschieben solle, und die Beschlufsfassung verkündete sofortige Aufhebung der Annaten mit allen recht- lichen Konsequenzen. Aber schliefslich war das auch noch nicht das Schlimmste. Schlimmer war, dafs in der That das Resultat der Abstimmung gar nicht getroffen war. Bei richtiger Abwägung hätte dies lauten müssen : prinzipiell be- trachtet, entbehren die Annaten einer rechtlichen Begründung, aber sie abzuschaffen ist nur möglich, wenn zugleich für die Kurie ein Ersatz geschaffen wird, und dazu sind ein- gehende Recherchen notwendig. Dabei aber gab es noch eine beträchtliche Anzahl von Stimmen, die in der Theorie derselben Ansicht, doch zunächst jede Beschäftigung mit dieser Frage ausgesetzt wissen wollten.

Man kann sich unter diesen Umständen des Eindrucks nicht erwehren, dafs hier mehr als eine Vergewaltigung statt- gefunden hat, und dafs weniger sachliche Erwägungen als persönliche Stimmungen und Leidenschaften den Ausschlag

DIE .ASNATEKVEBUANDLUNQ DBB „NATIO OALUCANA". 57

gegeben haben. Und es wird hier in Anschlag zu briogea ■ein, data in diese Verhandlungen die Kunde von dem er- ■chültemden Tag bei Azincourt eingeschlagen hat, duroli welchen die gegenwärtige Regierung Frankreichs, das Regime Orltfana- Armagnac , mit einem Male völlig in Frage gestellt wurde. War schon vorher die politische Konstellation in Frankreich eine unsichere ; jetzt konnte von heute auf morgen eine völlige Umwälzung eintreten. Das mufste auf unsichere Naturen beklemmend wirken , die Klugen zum Abwarten mabaen, diejenigen aber, welche auf einen Wurf alles gesetzt hatten, zu verdoppelter Anstrengung reizen,

Die Vorsichtigsten der Vorsichtigen waren die Prälaten, tie, die ohne Zweifel den ganzen Teich angerührt hatten. Auffallend war es bereits, dafs der Patriarch von Konstantinopel un 16. Oktober sich als Verfasser des radikalen Anirages bekennt and ihn selbst einbringt, am 22. aber bereits, ohne auf die Sache sich einzulassen, für Aufschub sprach. Von den 16 Bischöfen (bezw. Bischofs Vertretern) aber, welche im Protokoll vorkommen, ist nur einer, der Bischof Elias von Pny-en-Velay, für unbedingte Aufhebung der Annaten ein- getreten. Neun waren für Aufschub. Der Bischof von Senlis, iisr als Haupt der Pariser Universitätsgesandtschaft hier er- scteint, bezeichnete sogar einen Termin dafür; eine Woche solle man noch die Beratung aussetzen. Peter Cauchon, der Vizedom von Reims und burgundischer Gesandter, der sich im PKnzip gegen die Annaten aussprach, empfahl denselben Termin. Olaubten sie, dafa in einer Woche Klarheit eintreten '•'tirde über die politische Konstellation? Die Entscheidung lät allerdings in dieser Woche gefallen, aber sie schuf zunächst nar noch gröfsere Unklarheit. Ein Aufschub von acht Tagen *>r in der That wenig nütz. Bei den übrigen Ständen aber find der Gedanke an Aufschub überhaupt wenig Anklang: "■on 21 Kapitel -Vertretern, die gegen die Annaten stimmten, tsten nur zwei ihn empfohlen, von 27 Äbten, bezw. Prioren "'"' neun und von 25 mit akademischen Graden Bezeichneten ""'■ vier, nur einer von acht Professoren der Theologie.

In diesen drei Ständen dürften demnach diejenigen zu '"^^hen sein, die, als sich Widerstand erhob, gereizt wurden

58 BESS;

und nun über das Ziel hinausschössen, indem sie eine Be- schlufsfassung erzwangen, die dem eigentlichen Resultat der Abstimmung gar nicht entsprach und so erst recht anfecht- bar wurde.

Dafs auf diesen Kreis zunächst die hier angezogenen materiellen Interessen wirkten, kann keinem Zweifel unter- liegen. Allein wie wenig durchschlagend diese doch gewesen sind, kann die weitere Entwickelung der französischen Konzils- nation zeigen. Ein Stand war jedenfalls hier beteiligt, den hier direkt kein materielles Interesse fesselte, die Uni- versitätsleute, vor allem die Pariser. Lief nicht die Auf- hebung der Annaten auf eine Stärkung des Prälatenregimentes in der Kirche hinaus? und hatten sie nicht, als man in Frank- reich schon einmal den Oallicanismus etablierte, die schlechtesten Erfahrungen gemacht ? Hatte nicht auf dem Konzil schon bei dem ersten Gedanken an einen Einflufs der Prälaten auf die Stellenbesetzung die Universität Paris dagegen protestieren lassen? so energisch, dafs damals der Patriarch von An- tiochien es glaubte riskieren zu müssen, diesen Protest ohne die Kationen zu fragen einem Konzilsbeschlufs anzuhängen ^

Wir stehen hier in der That vor einem Problem. Zunächst kommt es nur darauf es an aufzudecken, und zu konstatieren, dafs bei jener gewallthätigen Beschlufsfassung am 2. November materielle Interessen nicht eigentlich den Ausschlag gegeben haben. Aber was dann?

Der Weg zur richtigen Erklärung wird uns gezeigt, wenn wir diese Oesellschaft uns ansehen auf ihre Stellung zu der Parteifrage, von der damals keine französische An- gelegenheit sich frei machen konnte zu

Orleans und ßurgund.

Die beiden Führer dieser beiden Parteien im Konzil, Gerson und der Bischof Martin von Arras, haben freilich an der Abstimmung nicht teilgenommen; Gerson wird in dem Protokoll überhaupt nicht erwähnt. Der Bischof be- gegnet uns wenigstens einmal.

Es handelte sich um eine Antwort der Nation auf jene Appellationen. Sie war ziemlich eilig entworfen. Zu guter-

1) Vgl. meine Studien I, 205.

DIE ANN ATES VERHANDLUNG DEli „NATIO GALL[CANA", 59

letzt war bei einem, der sie noch redigieren sollte, darüber

aber eingeschlafen war, ein Stück verbrannt. Im letzten

Allgenblick hatte man dann aus den Vorarbeiten das Fehlende

ergänzt. Aber so hatten nur wenige Gelegenheit gehabt das

fertige Dokument einzusehen. Ein Teil der Versammlung

es war am 24. November wünschte daher Aufschub.

Auch der Präsident, dem erst in der letzten Nacht das

SchriilstUck zu Gesicht gekommen war, neigte dem zu. Die

königlichen Gesandten Jordan Morini, Wilhelm Beauneveu

und Peter von Versailles rügten ebenfalls, dafs sie noch

nicht einmal von aufsen die Akte gesehen hätten, geschweige

denn von innen, aber sie scheinen doch schliefslich nichts

gegen eine sofortige Erteilung der Antwort gehabt zu haben.

Der hurgundiaclic Bischof hingegen meldete sich hier zum

erstenmal um das Wort, beklagte sich im Namen der bur-

gundisclien Gesandtschaft, dafs sie Überhaupt keine Ladung

erhalten hätten, imd befürwortete ausdrücklich den Aufschub'.

Damit schlofs er sich ohne Zweifel der Opposition an.

^Vie er über die Abschaffung der Annaten an sieb dachte,

orffthren wir nicht. Als Bischof wird er ihr nicht abgeneigt

ßsweaen sein. Auch Peter Cauchon hatte sich ja im Prinzip

flafür ausgesprochen. Aber er hatte zugleich Tiir Aufschub

der ganzen Verhandlung gestimmt. Ein anderer, Peter Sa-

lomonis, Minorit und Professor der Theologie, der uns erst

seit dem September als burgundischer Gesandter begegnet,

lialle zwar auch nichts gegen Abschaffung der Annafen,

aber zuvor müsse ein Ersatz geschalFen werden, und das

«' dem Papst zu überlassen. Damit wären ja nun die

Annaien so sieher als möglich gestellt worden; und das wird

auch die wahre Meinung dieses Mannes gewesen sein, denn

1) Uer DUcboF von Airus winl niii' erwühnt m der Sitzuiie vom

^t. NnvemlHtr (Maiisi a. a. 0. S. 197), l'cter Coiiclioii in der vom

^.Oklnber (Mansi a. a. U. S. IGR), Petius Salomnnis iu der am 29.0k-

liiber(Hansi a. &■ 0. S. 171), Johaanes de Koclia in der atii 28. Oktober

'Manii a. a. O. S. 17o), der Abt v'>n Clairvaun in der am 23. Oktober

Wausi B. a. 0. S. 166), Jordan Mnriii unii Pctcr von Versttilles in der

I 21 Okiober (Mnnai a. a, 0. S. I6C), der letztere noch einmal in

I ''« an 2. Knvcmber (Mansi a. a, 0. S. 179). Wilhelm Ueanneven in

I *!" m 2e. Okiober (Mansi a. a. 0. S, 170).

60 HESS;

sein Ordensbruder Johannes de Rocha^ der zwar ganz auf Seiten Burgunds stand; aber doch durch Instruktionen nicht gebunden war^ sprach sich unverhohlen gegen die Auf- hebung aus.

So gewinnt man den Eindruck^ als habe die burgundische Gesandtschaft es zwar nicht gewagt sich offen und geschlossen gegen die Majorität ihrer Nation zu stellen hatten doch burgundische Parteigänger wie der Äbt von Clairvaux rund- weg für Aufhebung gestimmt als habe sie aber that- sächlich doch nur die ultramontane Opposition unterstützt.

Anderseits finden wir die Genossen Gersons^ Jordan Morin^ Peter von Versailles und Wilhelm Beauneveu, auf der Gegenseite. Der letzte stimmte fiir unbedingte Aufhebung der Annaten^ die ersteren beide für bedingte. Dafs Peter von Versailles in der Sorge, es möchte seinem Orden eine Gefahr aus dem Beschlufs entstehen; zugleich mit anderen Ordens- vertretern eine förmliche Verwahrung einlegte^ fällt wohl für seine Parteistellung nicht ins Gewicht.

Damit dürfte schon angezeigt sein, dafs mit der Annaten- frage die politische Parteifrage eine Verbindung eingegangen hatte.

Noch im Mai und Juni des Jahres bei den Verhand- lungen über Petits Lehre hatten die Orl^anisten nicht auf eine Majorität in der Nation rechnen können. Eine solche ist jetzt mit einem Male vorhanden. Ohne Zweifel hat sie sich während der Annatendebatte erst gebildet.

Neben dem materiellen Interesse war ja von vornherein ein nationales Interesse mit dieser Frage verknüpft. Es mufste sich aber vei*stärken in dem Mafse, als die Franzosen sich bei dieser Angelegenheit isoliert sahen.

Wie viel daran übertrieben war, wenn in der Antwort der Nation auf die ultramontanen Appellationen von der Gefahr eines allgemeinen durch die Kardinäle angezettelten Anschlages auf die Franzosen am Konzil die Rede ist, läfst sich nicht mehr feststellen. Es heifst dann weiter: man habe aber nicht gewagt zur Ausführung zu schreiten, da nun auch von der englischen Nation und ihrem erlauchten König diese Abgaben für ihr Reich verboten worden seien.

DIE ANNATEKVEnHANDLÜNO DEE „NATIO QALLICANA". 61

Auch darüber ist sonst nichts bekannt, und eine Verständigung der franzüsiaclien und englischen KonziUnation ist gerade damals bo völlig auageachloBsen , dafa man zu diesem merk- würdigen Passus des franzusischen Dokunientea ein Frage- tciciien wird machen müssen. Tbatsache ist, dafa die tran- tösiache Nation sich in der Annatenfrage ganzlich isoliert iah '. Als nun aber die erschütternde Kunde von der icfarecklichen Niederlage bei Azincourt eintraf sie wird mit Windeseile durch die Lande geflogen sein , da bäumte vollends das echte iranzüsische Nationalgefühl auf; und un- willkürlich wird die Losung ausgegeben worden sein: Jetzt, nicht zurück, sondern vorwärts!

Diejenigen freilich, die am meisten an der Abschaffung der Annaten interessiert waren, die Bischöfe, wurden unsicher. Aber die Abte, Kapitel Vertreter und die Universitätslehrer

I) Die Isolierung lier französischen Nation illustiiercn folgende zu-

gliicli fQr die Ausbildung der Kiinstiinzcr Geschäft surdnuug interessanten

Stellfii der Deakschiift (Mansi a. a. 0. S. 208f.): !□ ijrimis . . dicit ideni

<Ie Scribauia fuiese deliberatum in aatinne, procedeodum esse io aiduii

Vf' Kcretum Bcrutinium, et ita fiiisse hie prnctlcatiim, etc. ßespondetiir:

Quoll in aetibtis particularihus , de qnibus actum est quod per secretiim

scrutiaium lieret deliberaUn, itu obaeiTatiim est. In a1iis vero, in qulbus

*l«dilit«r actum oon est, aequaiiuuni, quia repiignat honestnti concilü

<:i picaariae UbertatL Et quaiidu ita otdinatuni fiiisset, nun esset aub-

^tuiude foriaae, nee dccroliini irritans in contrarium. Et quia nationea

^'ngiilie deliberant apiid se qune «idcntnr eis ittilia vpI neceasaria sine

''ionim eoDvenientia , sicut factum fuit de procedendo in causis prae-

'cdentibus et comuiittendts superrenieniibus in Curia sede vacantc, quod

"oa est de Jure, in quo deliberatum fuit et ctiam uimcluBUm iu quibus-

''4« D»tivDibus, antequam fuissct datuui verbum iu tiulioue Uallicana.

Vuie quidem natio constrtngi uon debet nee plus nnt^illari ceteiis nn'

'■rmibus. Ferner (Hansi a. a. 0. S. 211): Quando oiunes Italien,

^•«rmanica, Hispnniia et Anglica nationcs tantum focercnt eis {sc. den

'^Virdioaleo) , essent ad minus trecenta et quinquaginta annis singnlis.

'^Kraliuat eiiim et nbiuqunntnr venera bili nationi Qallicauae qnae sola

%*lus dicit quam totum residuum et sustiuct puudus et aestus dici. ^

-*Jie durch die Kardinäle angezettelte Erregung gegen die franzl^sisehe

^'atinn wird t^eschUdert ibid. 212f. Es heifst am Schltir^: ,,Et fuit

*)iibiuTii et etiam periculum de magna commoliooc contra uutos de Gallis.''

Xnmitiolbar daran schliefst sich der aufUleade Passus: „^vc tuba

«Oentaveruat, quando natio Angiicaua et eorum rex illustris intcrdixlt

talet esactiones nulle pIns sustiaere in icguu suo Anglide.

62 »Ess,

bildeten eine um so festere Phalanx. Und in dieser wird nun zugleich das orlöanistische Interesse die Führung ge- wonnen haben. Ein tüchtiges Land zeigt erst im Unglück seine ganze Kraft. Die Steigerung des Nationalgefühls aber, welche die Kehrseite jenes Unglückstages war, mufste dem Ilausc Orleans zufallen, das hier am meisten getroflFen wurde, der Partei, welche schon längst seit 1413 als der Träger des nationalen Gedankens angesehen werden mufste.

So scheint also der merkwürdige Beschlufs über die Annaten, der der eigentlichen Meinung der Majorität gar nicht entsprach, der aber doch von einer Majorität erzwungen wurde, seine Entstehung einem Moment nationaler Erhebung zu verdanken; er scheint zugleich ein Übergewicht der orleanistischen Sache in der französischen Konzilsnation be- siegelt zu haben.

Wenn dem so ist, dann mufs es aber um so mehr auf- fallen, dafs bei allen diesen Verhandlungen der Mann so völlig zurückgetreten ist, der sich recht eigentlich zum Anwalt der nationalen Sache am Konzil aufgeworfen hatte, der Kanzler Gerson. Wir suchen seinen Namen vergebens in dem Protokoll. Es wird damit aber nur bestätigt, was sich bereits ergeben hat, dafs die Verbindung der beiden Faktoren, der orleanistischen Partei und der Bestrebungen fiir Ab- schaffung der Annaten eine zufallige war, im wesentlichen erst ein Produkt der durch den 25. Oktober geschaffenen Situation.

Dies Urteil aber gewinnt an Sicherheit, wenn wir die Haltung des damaligen Hauptes der französischen Nation, des Patriarchen Johannes Maurosii von Antiochien, und sein Verhältnis zu den einzelnen Gruppen näher betrachten ^

Er war schon seit dem 1. September Präsident der Nation. Wie etwas Selbstverständliches hatte er, ohne eine Neuwahl vornehmen zu lassen, die Präsidentschaft, die fiir jeden Monat erneuert werden mufste, im Oktober beibehalten. Das An- sehen, das er hier genofs, beruhte auf dem hervorragenden

1) Über den Patriarchen von Antiochien vgl. aucli meine Studien Bd. I, 145 f. Aus dem Protokoll vgl. besonders Mansi a. a. 0. S. 161. 16G. 1G7. 172. 175. 176. 177. 180. 184. 189. 191 f. 19G. 197.

DIK ASNATENVEBiiANDLtJKQ DER „NATIO UALLtCANA". 63

.Alllei], den er an der gunzen Leitung des Konzils hatte, es beruhte auf der engen Verbiodung, io die er mit deiu deut- sclien Reichaoberfaaupt getreten war. Aber er könnte nament- L'ch jetzt, wu Sigmund fiir längere Zeit weg war, jenen ADsehen niclit behaupten ohne einen festen Rückhalt an der tranzösisetien Nation. Die MitgliedscLaft bei ihr bildete Ja die einzige verfassungsmäraigc Grundlage füi' seine .Stellung. So sehen wir ihn denn bestrebt nach beiden Seiten bin sich zu behaupten und je nach der Situation bald dieser, bald jener Rechnung zu tragen.

Er war zum Konzil gekommen in der Absicht, um jeden Pr«is eine Rolle zu spielen und damit etwas zu verdienen. So hatte er sich anfangs an den Papst herangemacht. Als »bcr in Sigmund eine neue Sonne über der Versammlung aufgegangen war, hatte er sich uhen'aschend schnell (lieber zugewendet, denn er war scharf bhckend genug, um »ofort zu sehen, welcher der beiden GrÖfaen die Zukunft geboren würde. Aus einem Verteidiger päpstlicher Hoheit ^^'ar er zum schneidigsten Vertreter der vom Papste loa- geiüsten Konzilainteressen geworden, zum Führer der Radikalen \ini] zur rechten Hand Sigmunds. Mit den Kardinülen »»alle er sich gleich anfangs, als er noch päpstlich gesinnt 'War, nicht vertragen, vor allem nicht mit Ailh. Der Grund ibrer Feindschaft lag wohl weiter zurück in der Zeit, wo "«ide zti dem ermordeten Orleans und zu Peter von Luna '""elten, und bestand allein in dem Jitreben, sich einander den Vorrang abzulaulen. Auf dem Konzil setzte sich dieser "ettlauf in gesteigertem Mafse fort, denn hier winkte ja '"^^ hüchste Ziel geistlichen Ehrgeizes, die päpstliche Krone. ijtix- Weg zu diesem Ziel iülirte für beide durch die fran- zösische Nation, denn in ihr bot sich der naturgemäfae An- •Äog^ dessen sie bedurften. Und so bildete der EinHufs auf ttleae den nächsten Zankapfel.

Der Patriarch aber hatte hier einen bedeutenden Vor- «pKTing. Um die Organisation der französischen Nation hatte , hervorragendes Verdienst; die Pariser Universitäta- tdtschaft hatte er in ihrem eigensten Interesse unterstützt, ibeinlich war jene erste Glauben akommiasion, deren

64 BESS;

Zusammensetzung im wesentlichen eine orlöanistische war, nicht ohne seine Mitwirkung entstanden ^ Dann kam die Reformfrage auf, und Johann warf sich sofort zum Anwalt der liberalen Forderungen auf, indem er zugleich den schärfsten Gegensatz auch hierbei zu den Kardinälen schuf. Der Ge- fahr, dafs Ailli mit seinen gemäfsigten und weit rationelleren Reformplänen einen raafsgebenden Einflufs wieder in der französischen Nation gewinnen könnte, sollte damit vorgebeugt werden.

Die Rechnung erwies sich als richtig, die Konsequenz <ler Thatsachen allein sorgte nun schon dafiir, dafs die Nation in einen immer schärferen Gegensatz zu den Kardinälen geriet.

Aber darin und in der Isolierung der französischen Nation, die sich dabei wohl gegen die Rechnung des Patriarchen ergab, lag eine Gefahr für ihn. Er mufste zurückzulenken suchen. Hatte er schon den Antrag auf Abschaffung der Annaten nicht selbst eingebracht, so enthielt <*r sich auch jeder Meinungsäufserung in der Abstimmung; und an dem Tag, wo eigentlich die Beschlufsfassung erfolgen niufste, am 31. Oktober, fehlte er ganz. Durch wichtige Geschäfte sei er verhindert, hiefs es. Es spielte damals ein Streit zwischen den Kardinälen von Ostia und von Ragusa über das Amt eines Grofspönitentiars ; in der National- versammlung am 2. November berichtete der Patriarch von seinem Ausgleich. Ob es dies war, was ihn ferngehalten von der Sitzung am 31 Oktober, sei dahingestellt; sonst läfst sich in dieser Zeit keine „wichtige" Konzilsangelegen- heit feststellen Aber fest steht, dafs der Patriarch aus seiner Abwesenheit Kapital zu schlagen verstanden hat.

Nach Johannes Poncetis zweiter Appellation ist er näm- lich unschuldig an der Beschlufsfassung; ja diese ist sogar fast gegen ihn erfolgt. Zwar hat der Verfasser ein Interesse an dieser Darstellung, indem er nun daraus einen Formfehler folgert. Aber er hätte sich das leichter machen können, wenn er einfach dem Protokoll selbst gefolgt wäre. Hiernach hat der Patriarch selbst, und zwar zweimal, die Beschlufs-

1) Vgl. meine Studien I, 221 f.

DIE ANNATENVEKH4NDLUNG DER „NATIO GALLICANA". 66

lAseuDg vollzogen, allerdings uater einem gewissen Druck der Veraamrolung, aber obne diesem irgend welchen Wider- stand entgegen zu setzen, zu einer Zeit, wo er e ingestand ener- malBen nicht melir Präsident der Nation war, und mit Über- gebung der notwendigen Stimmcnzählung und -prüfung.

Warum hielt sich PoLCcti nicht an diesen, doch gewifa tuverlässigen Bericht? warum suchte er den Patriarchen weifs zu waschen? Der Einfluls seiner Persönlichkeit allvin wird zur Erklärung nicht ausreiclien : eine Annäherung des Patriarchen an die Kardinäle, wenigstens eine Partei unter ihnen mufs vorausgegangen sein ; möglicherivcise hängt lie zusammen mit jenem Streit zwischen Orsini und Ragusa.

Aber andererseits mufste der ehrgeizige Mann wieder be- dacht sein, seine Stellung in der französischen Nation zu erlialten. Hier fehlte es nicht an einer gefährlichen Gcgner- «kit. Man halte sofort seine Abwesenheit benutzt, um Mine Stellung zu untergraben.

Jordan Morini hat, wie schon gesagt, am 31. Oktober gegeo die Weiterführung der Präsidentschaft des Patriarchen prulestiert. Und ebenso machte ihm ein andci'es Mitglied küniglicheu Gesandtschaft, der Bischof Elias von Puy, fortgesetzt Oppossition.

Zwischen dem Patriarchen und der königlichen Gesandt- ■cliaft hatte schon in dem ersten Monat ihres Zusammenseins in Konstanz eine Reibung bestanden '. Damals hundeile es ''eil um eine prinzipiell verschiedene Politik. Das war jetzt lii^ht mehr der Fall. Zwar hatte tlcr Dauphin ja die Nach- ' rieht von der Absetzung Johanns XXllI. sehr übel auf- genommen *. Aber anläfHÜch der Reise Sigmunds war von l'aris ein« Einladung an diesen erfolgt ', und trotz allerlei lliolcrgedanken bestand hier der Wunscli, mit dem deutschen Kiinig sich gut zu stellen. Allein ein anderes war es ja, ob "lan fortgesetzt an der Spitze der französischen Nation eine Kreatur Sigmunds denn das war der Patriarch ^ dulden «>llte, an ?iner Stelle, die doch eigentlich einem Mitglied

I) Vgl. meine Studien I, 14B und 153ff. I) Ebtmdft I, 206 f. 3) Ebenda I, 206 f- und 228. itiimkr. r. K.-a. Jiii, i. 5

66 BESS;

der königlichen Gesandtschaft zukam. Im übrigen war man geneigt Sigmunds Reformprogramm zu unterstutzen; ja es wurde vielleicht von der Regierung selbst zur Zeit ein mög- lichst radikales Vorgehen gebilligt. Einerseits konnte es ihr gerade damals ^ wo alle Hilfskräfte des Landes angespannt werden mufsten^ wünschenswert erscheinen, die Prälaten sich zu verpflichten; anderseits bot sich hier Gelegenheit an den Kardinälen, besonders Ailli und Fillastre, Rache zu nehmen für ihren Abfall von der früheren Regierungspolitik.

Dafs von Paris im Laufe des Sommers nach Ronstanz neue Instruktionen gekommen sind, dafür spricht die Stellung des Bischofs Elias von Puy, dem wir in diesen Verhandlungen zum erstenmal als königlichem Gesandten und, wie es scheint, sogar als Haupt der Gesandtschaft begegnen. Er war offen- bar der Ersatz für Renaud von Reims. Gleichzeitig mit ihm mag dann an die Spitze der Pariser Universitätsgesandt- schaft der Bischof Johannes von Senlis getreten sein '. Vor- her ist er wenigstens nicht in dieser nachweisbar, und ohne einen Druck von oben wird die Universität schwerlich da- rauf gekommen sein einen Bischof mit ihrer Vertretung zu beauftragen. Dies wird vielmehr die Antwort der Regierung gewesen sein auf den Widerstand, den die Pariser in Konstanz der königlichen Gesandtschaft geleistet haben.

Damit stimmt es, dafs in der Annatenverhandlung auch Johann von Senlis in einem Gegensatz zu dem Patriarchen erscheint. Zwar hatte er, wie gesagt, für einen siebentägigen Aufschub gestimmt; als es sich dann aber um die Antwort der Nation auf die Appellation handelte, am 24. November, also zu einer Zeit, wo die politische Situation schon wieder etwas sich geklärt hatte, da war er es, der zusammen mit Elias von Puy gegen den Patriarchen die sofortige Erteilung der Antwort durchdrückte, indem er erklärte, die Universität wünsche das.

Es kann keinem Zweifel unterliegen, dafs die anwesenden Universitätsgenossen mit dem Votum des Bischofs von Senlis

1) Über Elias von Puy vgl. Mansi a. a. 0. S. 166. 174. 176. 177. 180 185. 195. 197; über Johannes von Senlis 168. 176. 190. 19G. 197.

DIB AMNÄTENVEHHANDLÜNG DEK „NATIO GALLICAKA". 67

eiDTerBtauden waren. Hatteu aie doch zum gröfaten Teil ichun im Anfang für sofortige, wenn auch bedingte Auf- hebung der Anraten gestimmt. Diese Abweichung von ihrem Haupt verdient bemerkt zu werden. Sie zeigt, dafs es keines- wegs der Druck von oben war, welcher diese iilr die Uni- Ter»ilät allerdingä auffallende Abstimmung zu Wege gebracht hat; es haben hier selbständige Motive gewirkt. Aber welche? Ein Blick in die Verhandhmgen des ei-sten Reform» toriums, wie ihn uns das erste Elaborat gewährt, wird die Erklärung geben. Hinsichtlich der Versorgung der Universitätsmitglieder waren hier so weitgehende Vorächläge gemacht, dala Pulka am 26. September seiner Universität achreibt, er habe ihren Vorschlag nicht überreicht, weil mnn in der Kommission sclmn viel mehr vorgesehen habe ', Die Wiener hatten von den Präbenden an Kathedralkircbea nur zwei ftii' Graduierte ■»erlangt; dort war bereits der vierte Teil solcher Stellen für Doktoren oder Licientiaten der Theologie, des Rechts, der Jhleilizin und für Baccalaureon der Theologie in Vorschlag gebracht woi-den ; aufscrdem sollte auch der vierte Teil aller btellen au Kollegiatkircben und der Pfarreien für Graduierte Wservleit werden Es sollten ferner diejenigen Stellen, welche SBadrücklich für Doktoren der Theologie und des Rechts gegründet seien, nur mit solchen besetzt werden. Dazu kam <äann noch der Antrag, dafs alle Bischöfe nnd Abte Doktoren der Thetlogie oder des Rechts sein sollten. ^ Selbst die *rilgehcndsten Ansprüche der Universitäten wären damit Wriedigt worden. Die Pariser hatten noch am 24. Juli einen Brief ihrer Universität verlesen Insscu, worin gebeten wurde, die Verhandlung über die Kollation der BenefizicQ bis nach «er Papstwalil auszusetzen *. Nach diesen Vorschlügen waren "Ich sie stille geworden. Aber dann waren die Verhand- lungen ins Stocken geraten; das Wichtigste war vertagt «ier überhaupt noch nicht zur Beratung gekommen. Zum Bescblufs war nur wenig erhoben worden. Die zu den

II llrief Paers viiii Ptilka vom 2C, Septeiiibpr H15 im .\idiiv ftu- I K. faicrr. G.-y. XV, 31 f.

21 Üer Uiirf der Pmiser üuiTevsiliit tlbei' diu Ki>llatii>nenfiat'c hA i'ulka toio 2C. Juli (a. a. 0. 25 ff.).

68 BE8S,

kühnsten Hoffnungen sich versteigenden Universitätsgenossen sahen sich bitter enttäuscht und warfen all ihren Hals auf die, denen man die Schuld gab. Als solche wurden aber das geht aus der Denkschrift der französischen Nation hervor die beteiligten Kardinäle hingestellt, dieselben, von denen alle jene Vorschläge ausgegangen waren. Sie entstammen nämlich alle einem Programm, welches der Kardinal von Pisa eingereicht hatte. Die begehrlichen Herren von der Pariser Universität aber waren mit Blind- heit geschlagen. Sonst hätten sie sich doch sagen müssen, dafs sie bei den Kardinälen, die solche Vorschläge gemacht hätten, eher ihre Rechnung finden würden, als bei den Prälaten, die ja nur durch ihre übertriebene, eigennützige Forderung der gänzlichen Abstellung der Annaten jene von ihrem Reformprogramm zurückgetrieben hatten. Aber es hatte sich seit den März- und Apriltagen ein Mifstrauen gegen die Kardinäle, besonders die eigenen Landsleute Ailli und Fillastre bei ihnen festgesetzt. Dieses Mifstrauen dehnte sich naturgemäfs auch aus auf die königliche Gesandtschaft von Frankreich. Damals hatten sich die Pariser ganz Sigmund angeschlossen ; er war und blieb ihre Hoffnung. Demzufolge waren sie nun auch mit dem Patriarchen von Antiochien in immer engere Verbindung gekommen. Wahrscheinlich ist er es gewesen, der sie gerade jetzt mit allerlei Vor- spiegelungen umsponnen hatte, denn ihm mufste ja alles darauf ankommen, eine Spannung zwischen den Parisem und den Kardinälen zu erhalten. Unter seinem Einfiufs sind die Pariser auf die Aunatenfrage eingegangen. Die nationale Erregung kam nun dazu, und so sind sie völlig blind geworden gegen ihr eigenes Interesse. Sie haben sich ohne Zweifel in der Annntent'rage verrannt; und so bemerkten sie auch nicht, dafs diejenigen, deren Sache sie eigentlich lührten, lange nicht so weit gegangen waren wie sie selbst, ja dafs der, welcher sie im eigentlichen Sinne geködert hatte, in der bedenklichsten Weise schwankte. Die königlichen Gesandten hatten den richtigen Namen daiiir; sie bezichtigten ihn der Heuchelei. Aber bei seinen fanatischen Anhängern verschlug das nichts; imd er verstand es, sie rasch wieder

sicher zu machen, falU sie Überhaupt an ihm gezweifelt hatten. iVacbdem er am 'J. November ohne Znuderu in jener Be- whlufsfasaung die Wünsche der Majorität befriedigt hatte, wurde er aufs neue zum Präsidenten gewählt.

Er hat es zwar nicht unterlassen wieder mit der Gegen- pftrtei zu liebäugeln und versucht die Antwort der Nation auf die Appellationen zurückzuhalten. Allein dem entschiedenen Drängen der Hauptschreier hat er auch jetzt nicht gewagt einen ernstlichen Widersland entgegenzusetzen.

So wurde denn zunächst mUndlich am 24. November den Appellanten auf Grund des bereits vorliegenden aus IT doppelt beschriebenen Blättern beatehenden Manuskriptes die Antwort erteilt, und am 2. Dezember kam dieses selbst iv extenso zur Verlesung.

Unter allen Kundgebungen des Konzils gegen die Kurie vxnd die Kardinäle ist diese ohne Zweifel die gewichtigste twid darum auch schärfste. Eine „dispendiosissima et in- J «riosissima scriptura" nannte sie Ailli in seiner Schrift über «3ie kirchliche Gewalt '. Die Eile der Anfertigung merkt *»an ihr an, aber sie bietet trotzdem eine Fülle von Material übersichtlicher Anordnung. Berücksichtigt wird nur die -=^ppellation dos Johannes de Scribanis; die drei anderen ^wheiDBn noch nicht in beglaubigten Abschriften vorgelegen ^u haben. Voran geht ein allgemeiner Teil: zunächst Fest- stellung der den Verhandlungen in der französischen Nation "Vorausgehenden Vorgänge in der Reformkommission, dann ^ne Darstellung des Ursprungs, der weiteren Entwickelung «Jod der Folgen dieser Abgaben. Darauf folgt im zweiten Teil eine Widerlegung der Appellation im einzelnen, wobei natürlich manches aus dem ersten Teil wiederkehrt.

Noch während der Verhandlungen waren Versuche ge- wacht worden, die übrigen Nationen mitzuziehen. Aber swäerseits hatten diese schon am 23. Oktober abmahnen Ussen, indem sie durch besondere Deputierte, die sie in die ^»Dzüsiscbe Nation absandten, das Gerücht dcmentiei'en liefsen, ^ bitten sie schon Ahnliches besehlossen. Nur die deutsche

1) AUlis Charftkterütik der Deukschrift s. HarJt VI, 51.

70 BESS, DIE ANNATENVERHANDLUKG ETC.

Nation bekannte, dafs bereits über die Sache bei ihr ver- handelt worden sei, zu einem Beschlufs aber sei es nicht gekommen. Am 8. November hatte dann der Bischof von Puy, der zugleich mit einigen anderen zu den übrigen Nationen gesandt war, um sie zum Änschlufs zu bewegen , berichtet, dafs wenigstens für die deutsche und englische Nation Hoff- nung auf einen solchen bestände. Aber am 12. November erschienen Vertreter dieser beiden Nationen und mahnten von weiteren Schritten ab. Sie schlugen vor, die Nation möge mit den übrigen zusammen Deputierte ernennen zur Beratung über die Materie, aber auch zu dem Zweck, die Appellationen aus der Welt zu schaffen. Ohne dafs die Nation von ihrem Beschlufs zurücktrat, würde das nicht möglich gewesen sein. Indessen ganz abschlagen konnte man das Anerbieten nicht. So erhielt der Patriarch de] Auftrag mit jenen zu verhandeln, zugleich die Befugnis nocl drei andere Deputierte hierfür zu ernennen. Er wählt( das ist wiederum bezeichnend für seine Taktik di( Bischöfe von Lavour und von Senlis und Jordan Morini. denselben, der ihm opponiert hatte. Allein auch bei diesen^ Einigungsversuch ist nichts herausgekommen. Die französisch« Nation aber licfs sich nun nicht mehr aufhalten in dei einmal beschrittenen Weg. Sie, die, wie es in der Denkschrit heifst, in den Annaten die Last und Hitze des Tages zu trager hatte, wollte nicht mehr „sich binden lassen und den andere Nationen Magdsdienste leisten ^^ So isolierte sie sich und naho^ ^i allein den Kampf mit der Kurie und den Kardinälen auf.

In einer Zeit, wo über der Heimat ein schweres Unwetti^ ^e sich entladen hatte, wo von hier aus keinerlei Unterstützunz^BD^ zu erwarten war, hatten die Franzosen in Konstanz zu ein^^Kiej bedeutenden Aktion sich ermannt und fast dem ganzen Kon=i ~^l Trotz geboten. Frankreich erzitterte unter dem Tritt des en^zzag- lischen Eroberers, und was ihm noch übrig war an StrtL -it- kräften, lag gebannt durch den inneren Zwist zu dersell]^^eii Zeit wurde in kühnem Stolz zu Konstanz die kirchliche Fir^^A heit des Landes proklamiert.

Lutherana.

Von W. Köhler in Giefsen.

I.

War Luther als Novize im Erfurter Kloster Laienbruder oder von Anfang an Kleriker?

Diese Frage zur Diskussion gebracht zu haben ist das

Verdienst der kleinen trotz mancher Fehlgriffe in Luthers

tagend- und Studienzeit neues Licht hineinwerfenden Schrift

Von Georg Oergel: „Vom jungen Luther" (Erfurt, J. G.

Gramer, 1899). Oergel behauptete an zwei Stellen (S. 81

^nd 88), Luther sei „von Anfang an Kleriker gewesen, trug

^ie Tonsur und das geistliche Gewand, nahm daher auch

^m Officium der Kleriker teil". Einen Beweis für seine

Behauptung erbrachte Oergel nicht, unterliefs es auch, die

l)eti-. Bestimmungen aus Staupitz' Augustinerregel für jene

Unterscheidung der Laienbrüder und Kleriker im Noviziate

^^zufiihren bei der Seltenheit der Drucke der Regel ge-

^fs bedauerlich! Dieses Versäumnis Oergels holte Drews

in einem Referate der Theologischen Rundschau (1900,

S. 2 1 1 ff.) nach und entschied sich für Oergels Auffassung.

Darin hat Oergel zweifellos Recht, dafs unter den Novizen

zwischen fratres laici und clerici zu unterscheiden ist (s. den

Nachweis bei Drews). Eine andere Frage aber ist, ob

I'Uther nun zur Klasse der ersteren oder von Anfang an

^er letzteren gehörte. Eine endgültige Entscheidung hat

deines Erachtens hier auch Drews noch nicht gebracht.

Fragen wir zunächst: welches sind nach Staupitz' ^ege\

72 RÖHLERy

die Rechte und Pflichten der Laienbrüder und Kleriker im Noviziate?

Kap. 2 der Ordensregel: de officio frati*um illiteratorum et operibus manuum eorundem bestimmt ' : fratres laici prae- misso patre nostro (quod dicere debent sicut clerici ad onmes horas vel flexis genibus vel inclinati profunde et reyerenter) incipiant matutinas de beata virgine hoc modo . . . (folgen genaue Gebetsvorschriften, die wir hier übergehen können) Totum autem officium suum fratres laici ubique sub silentio dicant. Ipsis quoque fratribus laicis inhibemus^ ut nisi psal- terium distincto legere sdyerint, in eo vel alio libro legere non praesumant; et si [so ist zu lesen, nicht mit der Ordens- regel und Drews etsi] contrafecerint, tribus diebus pro qua- libet vice poenae gravis culpae subiaceant, et qui docuerit eos eandem poenam portet. Nee alicui fratri laico, quantum- cunque legere sciverit, concedatur habere coronam . . . Kap. 3 bestimmt allgemein; dafs die Novizen beim sogen. Schuldkapitel nach den fratres hospites an die Reihe kom- men; nach Bekenntnis ihrer Schuld sollen sie den Saal ver- lassen. Poterit tamen Prior ; si quando ei videbitur tam conversos quam novicios in finem usque capituli retinere. In Kap. 6; der Bestimmung über die Messen, wird bestimmt, dafs der firater clericus fUr die verstorbenen Brüder, Schwe- stern, Wohlthäter u. dgl. einen Psalm, den er beliebig wählen kann, der frater laicus 50 Paternoster sprechen soU, jeweils mit dem Schlufsrefrain : Requiem aetemam. Desgleichen pro vivis mit dem Refrain : Gloria patri. Beim Tode des Papstes oder eines Bruders nostrae unionis, sit etiam novitius vel conversus ab his qui in nostra congregatione sunt fratribus soll dieselbe Pflichtübung erfolgen. Kap. 8 verfugt, quod novicius sacerdos nee fratres quidem audire [seil, in der Beichte] praesumat extra necessitatis casum. Nach Kap. 9 steht die Strafe einjährigen Stillschweigens auf ungebühr- lichem Heden des frater clericus vel laicus mit den Frauen. Die Novizen sind verpflichtet, an bestimmten Festtagen zu

1) Ich eitlere nach einem Exemplare der Münchencr Hof- und Staatsbibliothek, auf welches Nie. Paulus (Casp. Schatzgeyer S. 10, Anm. 8) hinwies.

LUTH£RAMA. 73

kommunizieren (Kap, 10). Legatque ipsis magister eoruni aut ipeimet, sive quilibet eonina, per se regulam et cousti- tutioDes seorsum ab aliia, pluries in anno, ut discant, ai se ordini professionis voto astrinxerint sub qua lege militaie debebunt (Kap. 15). Für den Rlerikernovizen bestimmt Kap. 1 6 besonders : pro cierico non recipiatur nesciens legere et cantare, nisi forte ad discendum pliirimum reperiatur abi- lis, vel de gratia apeciali, si genere nobilis extiterit, aut alias conditione notabilis. . . . Novicius autem ctericus receptua infra tempus probationis psalmodie cantui et aUia divinis officüa duntaxat applicctur, nee conferantur eidem ordines BBcri, nee extra locum mittatur, praesertim si teneltus fuerit et imberbis absque cogente necesaitate. Die einzelnen Pflich- ten, welche der Novizenmcist^r seinen Schutzbefohlenen ein- scbärfea soll, können wir übergehen. Damit wären Rechte und Pflichten der Novizen erschöpft.

Worauf stützt sich nun die Annahme, dafs Luther von Anfang an novicius clericus war? Drewe giebt iolgende Begründung der Aufstellung Oergels: „Die ersteren (fratres laici) sind nach Kap. 2 einfach als Mönche zweiter Ordnung anzuBehen. Sie dürfen weder lesen noch die Tonsur tragen" (folgt das oben angegebene Citat aus Kap. 2). Luthers Bil- duDgBstand aber so dürfen wir wohl den Beweis er- gänzen — und seine Lektüre im Kloster, von der wir wissen, widerstreiten einer Einrangierung auf die Stufe des Laieii- bruders

Das wäre durchschlagend, wenn die Voraussetzung richtig wäre, d. h. wenn die Laienbrüder thatsächlich nicht lesen durften. Davon aber steht nichts in der Regel; es wird wie die Bestimmung der Regel erwarten läl'st that- sächlich bei den Laienbrüdern mit der Leaekunst nicht weit her gewesen sein, aber von einem Verbot wird nichts gesagt £h wird nur verfügt: wenn sie den Psalter niciit ordnungsmäfsig genau lesen können, dann dürfen sie darin und in einem anderen Buche überhaupt nicht lesen; verstehen sie aber den Psalter zu lesen so darf man er- gänzen ' , so ist ihnen auch sonstige Lektüre erlaubt Die

I) Vgl. üben das quBDtumcuoqiie lege:c iciTeiit.

74 KÖHLER,

Bestimmung von Kap. 11 : in dormitorio bene poterunt fratres lectioni vacare wird auch für die (jene Bedingung erfüllen- den) fratres laici gelten. In Kap. 17 heifst es ganz allge- mein vom Novizen: sacram scripturam avide legat. Jene Bedingung wird sich erklären aus der Bedeutung , welche dem Psalter in der Liturgik und bei der Lektüre über Tisch im Refektorium zukam. Aus Kap. 2 der Augustinerregel läfst sich somit kein Beweis für Oergcls These erbringen; nach den Bestimmungen dieses Kapitels kann Luther auch Laienbruder gewesen sein.

Mufs er es auch gewesen sein? Ich glaube, ja. Aller- dings ist die Beweisfühning nicht ganz von Schwierigkeiten frei. Die Zeugnisse sind verschiedener Deutungen fähig. Gehen wir aus von den den Laienbrüdern zugewiesenen Thätigkeiten. Drews sagt sachgemäfs: „die Laienbrüder sollten ... bei ihrer Arbeit in Küche und Keller und im Wirtschaftsbetrieb festgehalten werden. . . . Sie waren Mönche zweiter Ordnung". Aber werden uns nicht von Luther Thätigkeiten aus seiner Klosterzeit berichtet, die nach Art dieser Laienbruderarbeit waren? Hat er nicht „die niedrig- sten Arbeiten, wie Fegen und Kehren*' (Kolde, Martin Luther I, 53) verrichten müssen? Konnten derartige Haus- arbeiten einem novicius clericus zugemutet werden? Wohl kaum (vgl. die Bestimmungen von Kap. 16 oben). Und hat man einen Grund, die Berichte über diese Demütigungen Luthers sie stammen von Mathesius und Ratzeberger anzuzweifeln? Ich wüfste nicht, die Lutherbiographen ver- werten sie sämtlich (vgl. Köstlin*, S. 63; Kolde S. 53; Berger S. 64^. DerSchlufs: hat Luther derartige niedrige Arbeiten verrichtet, so mufs er Laienbruder gewesen sein, da der Kierikemovize für die Hausarbeit zu gut war, ist meines Erachtens zwingend.

Aber ehe wir ihn mit aller Sicherheit aussprechen, gilt es ein Bedenken zu erledigen, welches aus dem Berichte des Mathesius sich erheben läfst. Mathesius erzählt in seiner „ersten predig von der Historien des Herrn D. Martini Lu- thers" (herausgegeben von Loesche S. 20; auch bei Bür- ger, Histor. Nachricht von des Seligen Herrn D. M. Lu-

LUTHEUÄKA. 75

theri UUachsBtaud, 2. Aufl., S. 148): „Eb balten ihn (Lather) aber die Klosterleut sehr lege (^ niedrig, verächtlich) und seilen ihm viel auf, dafs er Cuatos und Kirchner sein inufste und die unflätigsten Gemach a ussäubern." Auffallend ist hier die Mitteilung, iah Luther „Castus und Kirchner" gewesen sein solle Beides ist identisch (Grimm, Wörterbuch V, 822f.), das „und" also explikativ. Der Kirchner ist der Mefsner ^ dpf OBtiflrier (Wetzer- Weite, KL.*, IX, 1033), dieser aber gehört bekanntlich zu den ordinea minores; war Luther im Kloster Oatiarius, so war er iioviciua clericus, seine Thätigkeit hätle sich genau nach Kap. 18 der Regel voll- zogen: Noviciua . . . clericus aliis divinis ofGciis duntaxat y Applicetur, nur die ordincs saori (= ordiuea inaiores) sollen |, älim nicht übertragen werden. Mathesius würde also ein |bSSeuge für die These von Ocrgel und Drews sein. I Aber ich glaube, Mathesius Irrt; seine Aussage enthält

^"Steines Kracht ens einen Widerspruch in sich selbst. Das l^st erklürhch, wenn mau wcifs, dafs Mathesius „öfter un- l^^enau berichtet und von den Ordensverhält- I^Kiissen wenig weifs" (s. den Nachweis bei Kolde ' -Si. 365 f.). Verträgt sich mit dem Ofttiarierdienat das Aus- i säubern der unflätigsten Geniächer"? mit dem divinum offi- ■*iuni (Kap. IS) die Ilauskneclitaarbeit? Liest man Kap. 18 I ^er Regel unbefangen durch, so soll der iiovicius clericus offenbar aus dem Scliwarm nud Treiben der Brüder heraua- I gehoben werden, psahnodic eantui et aliis divinis ol'ticiis dun- I taxat appHcetur zur Vorbereitung auf die ordines sacri. I Eine derartige allertiefste Demütigung wie die Reinigung I des Abortes scheint mir dem gegenüber iür den Kleriker- I uövizen unmöglich; die Ausfludit, man werde es mit den Vorschriften der Hegel nicht so genau genommen haben, ist loirslich. Steines Erachtens ist überhaupt der Gedanke an ein Gedemutigtsein Luthers mit der Vorstellung, er sei no- vicius clericus gewesen, nicht vereinbai-. Dar novicius clericus I nahm eine Sonderstellung ein , er gehörte zu den ordines minorea, man hätte eher von einer Auszeichnung Luthers sprechen müssen, wenn er von vornherein Kleiiker geworden

76 KÖHLERy

wäre. Mathesius will aber offenbar auch durch die Bezeich- nung y^Ejrchner'' eine Demütigung aussprechen der That- Sachlichkeit entgegen. Und wenn Luther selbst erzählt (op. exeg. rV, 112): cum ego ingrederer monasterium (d. h. als er Novize wurde), dicebant ad me: sicut mihi factum est^ ita fiat tibi, so ist auch das am einfachsten von Demüti- gungen zu verstehen, die den Laienbruder betrafen. Dem Kleriker gegenüber pafst die hämische Bemerkung: ,fWie mir, so dir^' nicht, weil er sich aus der Menge heraushob. Endlich: Ratzeberger erzählt von dem Kirchner- Amte Luthers nichts. Er schreibt (S. 46 der Ausgabe von Neudecker): „Weil er nun am neulichsten unter den Brüdern ins Kloster kommen war, legete man ihm die aller- verächtlichste und schwerste Bürde auf, die er durch täg- liche Arbeit im Auskehren und Ausfegen verrichten mufste und sonsten des Hausknechten ^ zu thun und zu verrichten gebühret . . .'^ Beide, Mathesius wie Ratzeberger, stimmen darin überein, dafs Luther die niedrigsten Dienstleistungen als Novize hat verrichten müssen. Das ist das Entschei- dende; denn dann mufs er nach Drews' eigener De- finition der Funktionen des Laienbruders Laienbruder gewesen sein.

Ein weiteres kommt hinzu: Luther erzählt und Ma- thesius wie Ratzeberger erzählen ihm nach von höhnischem Spott der Klosterbrüder, wie sie ihm den Bettelsack auf- geladen und saccum per naccum per civitatem geschickt haben. (Tischreden, hrsg. von Förstemann- Bindseil III, 336; Mathesius a. a. O.; Ratzeberger a. a. O.; CoUoquia ed. Bind seil I, 122.) Wann ist das gewesen? Nach gewöhnlicher Annahme, die einmal die natürlichste ist und sodann sich auf Ratzeberger berufen kann, in seiner Novizenzeit. Hält man aber daran fest, so mufs Luther wiederum Laienbruder gewesen sein. Denn unter den Be-

1) Sollte vielleicht Luther von custos im Sinn des Haushüters, Hausknechts gesprochen haben, und Mathesius es im landläufigen Sinne ▼cm Küster, Meisner verstanden haben? Dann wäre sein Irrtum er- klärt! Das epexegctisch beigefügte „und Kirchner*' deutet darauf hin.

LilTHEkANA. 77

ttinunungen fUr den novicius clericus in Kap. 16 ÖDdet sich iQch die: nee extra locum ' niittatui' (s. oben). Er hatte also im Kloster zu bleiben und wurde nicht zum Ter- minieren ausgeeandt.

Jedoch gilt es auch hier zunächst noch ein Bedenken zu erledigen, ehe der Schlufs mit Sicherheit ausgesprochen Verden kann. Nach den von Bindseil herausgegebenen col- luquia (a. a. O.) ist Luther noch als Priester in pagum ter- minatum ausgesandt worden. Könnten nicht die Neckereien der Brüder in diese Zeit fallen? Schwerlich. Darauf soll iwar kein Gewicht gelegt werden, dafs bei der Aussendung ila Priester das Messelesen auf den Dörfern die Hauptsache war (s. den Bericht) und das Betteln dem Luther begleiten- den Bruder zugefallen sein wird, vielmehr ist das meines Ernchtens entscheidend, dafs dem Priesler gegenüber jener Hohn und Spott nahezu undenkbar ist. Wenn schon der noviciuB clericus auszeichnend behandelt wurde, um wieviel mehr der Priester!? Schon in seiner Eigenschaft als Beicht- vater war er Respektsperson (vgl Kap. 8 der Hegel und Kolde S. 52). Das „lose Volk" unter den Mönchen wagte ■ich an ihn sicherlich nicht heran.

So war also Luther Laienbruder im Erfurter Kloster. Wann ist er Kleriker geworden? Wir wissen ** nicht. Ansprechend ist die Lösung, welche Mathesius giebt, und der auch Berger zu lolgen geneigt ist: „Nach dem '^'" aber ein löblich glied der Erfurdischen Schulen und ein pfomovirter Magister wäre, nimntct sich die löbliche Universitet jres gliedcs an und verbit jo bey seinem Prior und Con- Wot, das man jn der unfletigen beschwerung zum theyl nl>erheben mufste" (a. a. 0. S 2l). Vielleicht hat auch °^upitz eingegriffen. Ein genauer Zeitpunkt läfst sich nicht '»eeben.

Anmerkungsweise sei notiert, dafs die Auslegung "*n Kap. 18 der Regel: de modo professionis faciendae: öUacepto osculo ad iussum prioris in loco, quem sibi as-

I 1) DaTs unter locus das Kloster zu verstehen ist, lehrt Kap. 20:

L A^luinus, ne uUus nostri ordiuis frater extra septa loci sotiis vadat.

78 K<")!ILKU,

signaverit stabil als auf die eigene Wohnzelle gehend (so Ocrgcl S. 87) sicher nicht richtig ist. Gemeint ist, wie Oergel selbst aufwirft, der Platz im Chordienst u. a. Es wurde scharf darauf geachtet, dafs derselbe richtig einge- nommen wurde. Vgl. Kap. 1: vadant stare in locis suis Ordinate. Kap. 3: intrantes vero bini et bini . . . vadat (juisqne ad locum suum. Kap. 5: nee ad locum suum vadat, donec prior ei signum det . . . ad locum sibi de- p Uta tum sedeat. Kap. 17: der Novizenmeister soll den Novizen lehren: quod locum sibi assignatum teneat.

IL

Zum Ausdruck: „einen rüstigen Hering essen".

Über die Bedeutung dieser Formel besteht eine kleine Kontroverse zwischen Adolf Hausrath und dem f Theodor Elze. Luther erzählt von seinem Besuche in der Kirche S. Johannis in Laterano während der Romreise, dafs er wegen des Andrangs anderer Priester dort keine der heil- spendenden Messen habe halten können „und afs einen rüstigen faulen verdorbenen Hering dafür". Hausrath (Lu- thers Romfahrt, S. 49) erklärte diese Worte von einer leib- lichen Stärkung Luthers, deren er nach der Ermüdung bedurft hätte, Elze (Luthers Reise nach Rom, S. 45) als sprichwörtliche Redensart: „ich hatte nichts davon, zog un- verrichtet ab". Loesche (im Theol. Jahresber. 1899, S. 316) ist geneigt, Elze zuzustimmen. Meines Erachtens hat Haus- rath den richtigen Sinn der Worte getroffen. Nicht bedeu- tungslos ist schon Elze selbst führt es an , dafs nach Ratzeberger Hering eine Lieblingsspeise Luthers war. We- sentlich aber ist, dafs ein Beleg für die sprichwörtliche Be- deutung von Elze nicht erbracht ist. Es giebt zwar eine ganze Reihe Sprichwörter, die sich mit dem Hering beschäf- tigen (s. Wanders Lexikon sub voce: Hering), aber die gesuchte Redensart ist nicht darunter. Grimm (Wörterbuch IV, 1105) zählt allerdings die in Frage stehende Stelle aus den Tischreden ohne weiteres zu den sprichwörtlichen Wen- dungen, aber den Beweis dafür ist er schuldig geblieben. Die weitere Belegstelle für den Ausdruck „rüstiger Hering",

LUTHERANA. 79

welche Grimm bietet^ kann nicht sprichwörtlich genommen werden. Aus einer Belegstelle^ die mir bei Staupitz auf- stiefsy läfst sich hingegen zeigen, daCs das Essen eines rüstigen Herings thatsächlich ein Stärkungsmittel gewesen ist. Staupitz erzählt (op. cd. Knaake I, 48): ,;Ich hab gehört, . . . wann Haubult Pflug, der Herzog Ernsts von Sachsen Kui*fursten Hofmeister und gar ein treffenlich Mann ge west ist, etwo lang und viel reden wollen, hat er zuvor einen rostigen hering geessen und gesagt, das er gar ein gute, bestendige Stimme davon behalten.'^ Warum soll nun Luther nicht, ermüdet vom Stehen und Gehen in den Kirchen zur leiblichen Stärkung einen „rüstigen Hering gegessen " haben, der zufallig faul " und verdorben " war ?

in.

Maria, stilla nicht Stella maris.

In seiner eingehenden Monographie über „den Namen Maria. Geschichte der Deutung desselben" (Biblische Stu- dien I, 1 [1895]) hat Bardenhewer den Nachweis erbracht, dafs die vielgepriesene Bezeichnung der Maria als „Stern des Meeres" (stella maris) auf einem alten Schreibfehler be- ruhe, der aus dem ursprünglichen bei Hieronymus ü. a. zu lesenden stilla maris wann und wie? ist unbekannt ^ hervorgegangen sei (S. 53 ff). Als Vorgänger für seine These nannte Bardenhewer Klöden (1840), Grünbaum (1877) und Steininger (1880), citierte dann als ersten, der den That- bestand geahnt habe, eine Schrift des Guilelmus Estius, der bereits 1621 schrieb: „cum ,raar' nusquam inveniatur pro , Stella', suspicio est pro , Stella' ,stillam' legendam, alioqui (quod absit) imperitiae erit culpandus in lingua hebraea Hieronymus" (a. a. O. S. 57).

Wir können noch weitere 100 Jahre hinter Estius zu- rückgehen: kein anderer als Luther ist der erste gewesen, der die Unmöglichkeit der Ableitung von Stella maris aus dem Hebräischen mar iam erkannt und als ursprüngliche Lesart stilla maris

1) Vgl. a. a. 0. S. 71 ff

60 KÖHLER;

nicht nur vermutet^ sondern mit aller Bestimmt- heit behauptet hat. In einer Predigt an Maria Em- pfängnis (8. Dezember), vielleicht im Jahre 1516 gehalten, giebt Luther eine genaue Analyse der Bedeutung des Na- mens Maria; diese Analyse vertritt die sonst bei ihm an Heiligenfesten der Sitte entsprechend häufig sich findenden Besprechung der Geschichte des Heiligen. Luther sagt ^ : „Nomen virginis Mariae alii interpretati ,amaram maris', alii yStellam maris% et utrique probant eo ipso, quod in Hebraeo Mirjam sit vocata virgo ... quia ,Mara' significat araarum et ,Jam' mare. Qui vero ,stellam maris' dicunt, hi corruperunt quod invenerunt. In- venerunt autem ,stillam maris': nam ,Mar' etiam stillam significat sive guttara, unde et M}Trha ali- quando gutta vocatur. Somniarunt scilicet, quod Stella maris aptius quam stilla vocetur.'' Mit aller wünschens- werten Deutliclikeit ist hier gesagt, dafs, wenn man eine Er- klärung des Namens Maria aus der hebräischen Urform des Namens versucht, die Deutung: stilla, nicht Stella maris sich ergeben mufs. Trotz seiner Verwahrung: non autem hoc dico, quod nunc velim tantam ecclesiae consuetudinem despici, quasi non sit ideo dicendum . . . „Stella maris'', sed „stilla maris'' originem tantummodo nominis quaesivimus, non calumniam pietatis geht Luther persönUch nur auf die Deutung stilla maris ein, die er ein vortreflFlicher Beleg für Bardenhewers Argument : hätte man damals noch stilla maris gelesen, das Mittelalter hätte irgend einen symbo- lischen Zusammenhang zwischen der Gottesmutter und dem Meerestropfen . . . leicht gefunden" ansprechend symboli- siert: „quod Bcilicet sit ex omni mari totius massae generis humani unica praeservata stilla". Im weiteren Verlauf der Predigt sagt er dann noch: est et alia nominis interpretatio ad dignitatem, quod est stilla seu gutta, quae graece stacte vocatur, h. e. Myrrha illa pura et electa, spontanea, quae ex arbore Myrrha (quae ab amaritudine sie ex Arabica lingua nominatur) incisa fluit et erumpit.

1) Weim. Ausgabe I, lOGf.

LUTHEltANA. 81

Wie ist Luther zu seiner von der Gegenwart als richtig erwiesenen Deutung gekommen? Zweifellos geht er in der Anftihrung der verschiedenen Deutungen auf Hieronymus zurück, dessen Onomastikon für das ganze Abendland bis ins 16. Jahrhundert hinein mittelbar oder unmittelbar Quelle für die Mariendeutungen gewesen ist (Bardenhewer S. 50 ff.)* 1^1* wird aber kaum den Hieronymus bei der Vorbereitung aufgeschlagen haben ^ ist vielmehr den Re- miniscenzen, die er an ihn hatte, selbständig nachgegangen. Nicht nur, dafs er einige Deutungen des Hieronymus, wie domina, illuminans vel illuminata nicht angiebt, die aus- drückliche Rückbeziehung auf das Hebräische ist aus Hie- ronvmus allein nicht zu erklären. Dieselbe wai* unter dem Einflufs des Humanismus von neuem aufgekommen (Bar- •denhewer S. 123 ff.). Nach humanistischer Methode hat Luther das Wort Maria analysiert, und ähnlich wie in der komplutensischen Polyglotte unter der neuen Einsicht in das Hebräische eine ganze Anzahl beliebter Deutungen hiniUllig wurden (a a. O. S. 123 ff.), kommen für Luther nur die- jenigen Auslegungen in Betracht, die mit „mara" und „iam" zusammengebracht werden können Dafs er durchweg vom Hebräischen ausgeht, zeigt schon, dafs er wiedergiebt „amara maris", nicht, wie es üblich war, „amarum mare"; ihm ist bewufst gewesen, dafs im Hebräischen das Adjek- tivum nach dem Substantivum zu stehen pflegt, dafs dem- nach im vorliegenden Falle eine Genetivkonstruktion vor- liegen müsse.

Aber wir können noch einen Schritt weiter gehen: Lu- thers hebräische Kenntnisse standen damals noch in den ersten Anfangen. Wenn es bei der Auslegung des Psalters, über den er in den Jahren 1513 1516 Vorlesungen ge- halten hat, hebräische Vokabeln zu erklären gab, so hat er gerne und oft auf Reuchlins rudinienta hebraica, das erste Lehrbuch des Hebräischen, sich bezogen (vgl. die dictata super psalterium in Bd. HI und IV der Weimarer Luther- iiusgabe passim). So hat er auch, als es die Erklärung des Namens Maria aus dem Hebräischen galt, bei Reuchlin nachgeschlagen, und sein Urteil über die Deutung Stella ist

ZaitsGhr. f. K.-O. XXII, 1, 0

82 KÖHLEK,

ein genialer Scblufs aus Aufklärungen; die ihm Reuchlins Wörterbuch bot Daran ist nicht zu zweifeln. Reuchlin schreibt sub voce ia (S. 293 der Aus- gabe von 1506 von Thomas Anshelm): ,;Stilla. Isaiae 40. Ecce gentes quasi stilla situle'^. Aus dieser Notiz hat Luther das^ macht seiner humanistischen Schulung alle Ehre kon- jekturiert, dafs die Lesart Stella „korrupt" (corruperunt) sei. Dafs die Sache so liegt, beweist noch Folgendes: Un- mittelbar hinter der vox mar folgt bei Reuchlin nnw und es heifst: inde aroarum et alia derivata. Unter den Be- legen wird nun die Stelle aus Ruth (l, 20) citiert und er- klärt: vocate memara id est amaram. Luther nun geht nicht von ^n aus, was doch das Nächstliegende gewesen wäre und auch das Übliche war (s. Bardenhewer S. 27 ff.),, wenn er Maria mit „Bitterkeit" in Beziehung bringt, son- dern von n'ia ^ und bezieht sich auf I7a nur für die Deutung stilla weil er Reuchlin folgt Die Interpretation „amaram maris", die aus Reuchlin wohl verständlich wird, ist selten (s. Bardenhewer S. 101, Anm. l), Hieronymus bietet sie zwar, aber nicht s. v. mara sondern marath (ebda.). Mara deutet er dort als amaritudo vel merra*, eine Deutung, die bei Luther nacliklingt, wenn er weiterhin sagt: Maria . . . est . . . Myrrha ... ex arbore Myrrha, quae ab amaritudine sie ex Arabica lingua nominatur. Bei den geringen hebräischen Kenntnissen Luthers ist darauf zu achten, unter welcher vox seine Deutung etwa ander- weitig sich findet Ferner: wenn Luther am Schlüsse seine* symbolischen Spieles ausdrücklich auf Jes. 40 (Vers 15) zu- rückgreift: gessit figuram ecclesiae in suo nomine quae sicut stilla situlae describitur apud Isaiam so liegt es doch auf der Hand, dafs er durch Reuchlin auf dieses^ Citat gestofsen worden ist

1) S. oben.

2) Ebenda nach La gar de, Onomastica sacra, p. 14. Die Glei» chung gutta -myrrha hat Luther entweder yollzogen auf Gruud einer Kombination von '^'?- stilla, gutta und ti'p^-merra oder daraus', da(s myrrha auch den Safttropfen der Myrrhe bedeutet. Letzteres ist das Wahrscheinliche; Tgl. seine Worte: quod myrrha aliquando gutta yocatur.

LUTHERANA.

83

Luther hat weiterhin die Deutung ,, bitter Meer'' und „Meerestropfen'' beibehalten (vgl. Erl. Ausg.', X, 284 und Bardenhewer S. 127, Anm. 1). Er hat auch nicht unterlassen, dabei ausdrücklich auf das Hebräische zurück- zugreifen, ohne uns freilich so deutlich in die Karten gucken zu lassen, wie bei seiner ersten Predigt de nomine Maria.

i\*

Die Herzoge von Brieg und die geisl

liehen Patronatsherren.

Von

t Dr. Walther Ribbeck,

Archivar in Breslau.

Der Konvent zu Strehlen (15. September 1534) bezeichnet den Moment^ da die neue Lehre nicht gerade unter Zu- grundelegung der A. C. ^ im Herzogtum Brieg allgemein eingeführt wurde. Die innere Organisation der Brieger Kirche wurde durch die Kirchenordnung Herzog Friedrichs vom 7. Oktober 1542 festgesetzt^. In derselben hiefs es^ dafs den Lehnsherren nicht das Recht genommen werden solle, Pfarrer zu berufen, nur sollten diese sich vor den Supe^ intendenten und Senioren einer Prüfung hinsichtlich ihrer Lehre und ihres Lebens unterziehen. Entfernt werden sollten sie nicht dürfen ohne redliche; richtige Ursache, welche der Herzog sowie seine Senioren und Superattendenten für ge- nügend befinden müfsten '. Diese Bestimmungen wurden am 28. Januar 1568 von Herzog Georg von neuem ein- geschärft *. Bei den Lehnsherren ist wohl in erster Reihe an die Herren vom Adel zu denken, die der Mehrzahl nach dem Beispiel ihrer Landesfürsten folgend, schon damals zu< neuen Lehre tibergetreten waren. Indessen sind doch wob

1) Scliimmelpfeiinig in der Zeitschrift des Vereins für Geschieht und Altertum Schlesiens Bd. IX, S. 1.

2) Ebenda S. 9.

3) B n c k i s c h , Religionsaktcn, Buch I Caput VI membrum 14, p, l7^

4) Fürstentum Brieg III, 17% 344 »>. Die Citate aus Archivali« beziehen sich sämtlich auf das Bieslauer Staatsarchiv.

DIE HERZOGE VUX BlilEG. 85

«uth die religiösen Eorportitionen , die Klöster und Kitter- oriea daliin zu rechnen. Diese behaupteten wolil, sie seien dem Herzoge nicht unterworfen, sonder« nur ihren geistlichen Oberen, dem Bischöfe von Breslau und dem Papste, oder alleofallB dem Kaiser. Aber die Herzoge liefsen das nicht gelten, nötigten sie ol't auf recht gewaltsame Weise zur Huldigung und zogen sie wie ihre übrigen Unterthanen w Landtagen und Steuerleiatungen heran.

S" verleitete Herzog Friedrich den Abt Christoph von Si Vincenz zu Breslau, der ihm die Huldigung verweigerte, »rii 4. April 1546 zu einer gemeinsamen Wagenfahrt, brachte ilin Dach Ühlau, hielt ihn dort fünf Tage lang gefangen und £wang ihm die Huldigung nb '.

Es war von jenen Korporationen freilieh ein wenig viel verlangt, dals sie die von ihnen abhängigen Stellen mit F.TBDgeÜBchen besetzen sollten. Aber sie haben sich dieser j^iimutung zum Teil gefügt, zuweilen allerdings ihr auch liettig widerstrebt.

Den Prämonatratensern von St. Vincenz zu Breslau ge- hürten die Dörfer Würben und Zottwitz, beide bei "hlau. Der Pfarrer von Würben hatte zwar die konstituierende Versammlung zu Strehlen besucht (1534), sie aber eine Müncherei und ein Miinchskapitel gescholten merkwürdige 'Schmähworte im Munde eines Katholiken und war zornig ilin weggegan gen. Auf dem ersten Partikulartage der Kon- vention des Weichbildes <Jhlau ' war er nicht erschienen lind hatte dadurch an den Tag gelegt, dals er mit der Neu- ordnung der Dinge nichts zu schafTeu haben wolle. Gegen finen Amtsbruder, den evangelischen Pfarrer zu Wiistebriese, 'erfuhr er recht gewaltsam. Er trieb ilm aus seinem Hause, liihrte ihm sein angetrautes Weib weg und drohte, ihn zu '■'"morden.

Über alle diese Dinge erstattete der jiolniEche Prediger

1) Akten des Viuccnutiftes III, 2>'.

ij Die AlihaltuD^ solcher Pailikulartagc alle Vi(M tetjabr in ilen 'lOHlnen WnchbiUeia wurde durch Mandat von 1Ö5S angeordnet ''-^eg lU, 17* 80), nach dieser Stelle haben sie aber schon fiuher

86 RIBBECK;

ZU Ohlau, BlasiuB Simonis^, dem Herzoge Beriebt (1543) ^ Er that dies in seiner Eigenschaft als Senior des Ohlauischen WeichbUdes, da es, wie er sagt, damals nocb keine Super- attendenten gab \

Der Pfarrer von Würben verfuhr unzweifelhaft im Sinne seines Patrons, des Abtes Johann zu St Vincenz. Wenigstens klagte, wie derselbe Berichterstatter meldet, der Pfarrer von Zottwitz um die gleiche Zeit, der Abt woUe ihn vertreiben, weil er sich weigere, die päpstliche Messe zu halten.

Bei der Gemeinde zu Würben mufs dagegen eine Hin- neigung zur neuen Lehre vorhanden gewesen sein, denn ini Jahre 1589 richteten die Altesten und Oeschworenen daselbst eine Bittschrift an den Herzog Joachim Friedrich, in der sie sich als Seelentrost erbaten, dafs ihnen die Sakramente unter beiderlei Oestalt gespendet werden durften, was übrigens an vielen Orten Schlesiens auch den Katholischen gestattet war. Der Abt liefs die Bittsteller ge&nglich einziehen, und der Herzog verwandte sich bei ihm für ihre Loslassung *.

Es mufs damals eine gütliche Einigung zwischen beiden stattgeftmden haben. Wenigstens beruft sich der Herzog bald nachher in einer Instruktion vom 16. Juni 1590 darauf, dafs er die Unterthanen des Vincenzstiftes in ihrem katho- lischen Kultus nie beeinträchtigt habe ^.

Einige Jahre später, am 19. November 1593, forderte der Herzog den Abt Johannes auf, die Pfarrer zu Würben und Zottwitz, die ein liederliches Leben fährten, abzusetzen.

1) Nach Ehrhardt: Presbyterologie des evaugelischen Schlesiens Bd. II, S. 210 war der erste polnische Prediger zu Ohlau, Simon Francisci von 1534—1580 im Amte. Er giebt für diese Zahlen keine weitere Beglaubigung an, als die Notiz, dafs Francisci 46 Jahre im Pfarramt war und dafs ihm ein Sohn 1566 zu Ohlau geboren wurde.

2) Ortsakten Würben.

3) Ihre Existenz wird also durch das Mandat von 1542 keineswegs bewiesen. Vgl. Schimmelpfennig a. a«0. S. 12 ff. Dafs Schimmel- pfennig in der Zeitschrift Bd. XI, S. 416 diese Ansicht widerrufen habe, wie Eberlein in den Silesiaca S. 223, A. 1 meint, kann ich nicht finden.

4) Schreiben des Herzogs an den Abt vom 11. Januar 1589 (Orts- akten Warben).

5) Ortsakten Lossen.

DIE HERZOGE VON BRIEG. 87

Da er an beiden Orten die Obergerichte ^ habe , so schrieb er sich ein gewisses Aufsichtsrecht zu -.

Eigentümliche Verhältnisse herrschten in Mollwitz bei Bri^. Dieses Dorf gehörte ebenfalls dem Vincenzstifte, die Kirche aber war schon im Jahre 1309 durch Herzog Boles- laus den Dominikanerinnen von St. Rattern oder Katharina zu Breslau geschenkt worden '. Trotz dieses geistlichen Patronates fand die Reformation hier ziemlich frühzeitig Eingang. Wir haben noch einen Bericht, den der Brieger Kanonikus und Pfarrer zu Mollwitz, Ladislaus Bitschen ^y am 5. Februar 1526 den Nonnen erstattet hat \ Er giebt darin ein Inventar der dort befindlichen Kostbarkeiten und spricht sein Bedauern darüber aus, dafs die lutherische Sekte über- hand nehme und Herzog Friedrich lutherische Prediger und ausgelaufene Mönche sich in die Kirchlehen eindrängen lasse. Er erwähnte, dafs auch in Mollwitz Schulze nnd Gemeinde den Herzog gebeten hätten, ihm alten Manne einen evan- gelischen Prädikanten als Qehilfen an die Seite zu stellen, und gab der Hoffnung Ausdruck, dafs die Nonnen und das Vincenzstift sich das Kirchlehen nicht aus den Händen winden lassen würden.

Der erwähnte evangelische Prädikant ist wohl Franz Helwig, von dem berichtet wird, dafs er am Frohnleichnams- tage (31. Mai) des Jahres 1526 ein Weib heimgeführt habe^. Im Frühling 1547 war er aber verstorben '. Einer seiner nächsten Nachfolger war Araandus Renfftel, welcher am 28. September 1552 starb. Er war verheiratet, also ebenfalls evangelisch *. Bereits am Tage nach seinem Tode empfahl Herzog Georg zu seinem Nachfolger den Daniel Bemt, der auf des Herzogs Kosten studiert hatte, einen Sohn des

1) Die höhere Gerich tsbatkeit namentlich in peinlichen Sachen.

2) Ortsakten Zottwitz.

3) Schlesische Regesten Nr. 8065.

4) Codex diplomaticus Silesiae Bd. IX, Nr. 1207 zeigt, dafs Bitschen schon 1504 dort Pfarrer war. 6) Ortsakten.

6) Codex diplomaticus Silesiae Bd. IX, Nr. 1558. Ehrhardt 11,173 kennt ihn nicht. 7) F. Brie g III, 18 A. 83»>.

8) Todestag und Verheiratung sind sichergestellt durch das Ton Ehrhardt II, 173 erwähnte Epitaph.

88 KIKBECK,

briegischen Pfarrers Simon Bemt ^ Er war also doch wohl eyangelisch. Die Nonnen nahmen ihn an, weil er ein ge- weihter Priester und unbeweibt sei, verlangten aber den Nachweis, von wem er die Weihe empfangen , femer dafs er sich vom Bischof investieren lassen und der heiligen christlichen Kirche Gehorsam beweisen solle '. Wenn Daniel Bernt unter diesen Umständen die Stelle angenommen hat; so hat er sie jedenfalls nicht lange bekleidet Am 27. Januar des folgenden Jahres (1553) teilen die Nonnen dem Herzoge mit; nach dem Tode des bisherigen Pfarrers hätten sie auf Bitten des Abtes von St Vincenz als Herrn des Dorfes einen ordentlich geweihten Priester dort eingesetzt; der dort auch schon gepredigt und gefallen habe. Der Abt bestätigte am nächsten Tage diesen Sachverhalt \ Es bleibt zweifelhaft; ob dieser neue Pfarrer Katholik war oder ob die Nonnen nur Wert auf die ununterbrochene priesterliche Succession legten. Wenn eine spätere Bemerkung; dafs Stanislaus oder Stenzel Drimel das MoUwitzer Pfarramt über 50 Jahre lang versehen habe *, buchstäblich zu nehmen ist; so mufs er dieses Amt im Jahre 1553 angetreten haben und ist vielleicht mit jenem Priester identisch. Jedenfalls war er später verheiratet und wird vom Herzoge im Jahre 1563 in einer evangelischen Kirchensache zu Rate gezogen ^.

Im April 1603 war Drimel gestorben ^. Das Katharinen- Stift nahm als unzweifelhaft an, dafs das Kirchlehen ihm zustehe und liefs durch seinen Schaifer den Ornat der Kirche inventarisch aufnehmen '. Anna Maria von Brieg aber; die Witwe des Herzogs Joachim Friedrich und Vormtinderin seiner Söhne, sandte sofort ihren Hauptmann zu Brieg; sowie ihren Hofprediger und Superintendenten Joachim Laurentius

1) Ortsakteu.

2) Die Nonnen an den Herzog am 6. Oktober 1552.

3) Ortsakten.

4) Schreiben der Herzogin Anna Maria vom 10. Juni 1603.

5) Schlesische Provinzialblätter, Neue Folge, Jahrgang XII, S. 439. Die von Ehrhardt II, 173 angeführten evangelischen Geistlichen, die zwischen 1553 und 1614 amtiert haben sollen, schweben völlig in der Luft.

6) Bittschrift seiner Witwe Agnes, präsentiert am 3. November 1603.

7) Schreiben des Bischofs vom 6. Juni 1603.

DIE HEItZOOE VOK BRIE». 8^

nach Mollwitz, die dort die Einsetzung eines der A. C. zu- gehörigen Geistlichen ankündigten. Dieser hielt «m Sonntag den '27. April seine Probepredigt '. Die Gemeinde bat darauf den Abt Georg von St. Vincenz, diesen GeiBtlichen zum Predigtamte befördern zu helfen '. Die Nonnen erhoben jedoch in einem am 'i. Mai an den Abt gerichteten Schreiben Widerspruch. Die Herzogin Uefa ihnen sagen, sie wolle ihnen das Recht der Kollatur nicht nehmen, sofern sie nur finen der A. C, zugehörigen Geistlichen einsetzen wollten '. Diese wollten indes der Gemeinde einen Münch als Pfarrer aufnötigen, die aber dagegen Protest erhob*. Der Abt '" wie der Bischof* traten für die Nonnen ein. In einem an den Bischof gerichteten Schreiben vom lU. Juni 1603 bestritt die Herzogin rundweg das Patronatsreclit des Katharinen- atüles. Die Pfarrer in Mollwitz seien seit 50 Jahren und li^nger immer evangelisch gewesen und durch herzogliche .Abgeaiuidle, den Hauptmann und den Pfarrer zu Brieg, ein- gesetzt worden. Aber selbst wenn die Nonnen das Patronats- recht besärsen, so wären sie doch nicht befugt, einen anderen CftJs der A. C. zugehörigen Geistliehen einzusetzen.

Ais der eben erwähnte katholische Mönch sich zu Mollwilz eingefunden, hatten ein Kirchenvater und ein Bauer des <l>rtes die Schlüssel zur Kirche an sich genommen und '^^eigerten sich, den fremden Prediger zu hören. Sie wurden clamuf von dem Abte zu St. Vincenz nach Breslau be- scbieden, gingen aber nicht hin, aus Furcht, dort gefänglich

i eingezogen zu werden. Die Herzogin ermahnte den Abt »0 einem Schreiben vom 13. Juni, ihnen nichts zu thun und die Gemeinde bei der Ausübung der A, C. verharren zu 'asBen.

Der Bischof behauptete ihr gegenüber in einem Schreiben

I It Eingabe der Gemeinde (iindaiicrt), die Nonnen an den Abt am

I ^ >4ai 1603.

1 2) Undatierte Eingabe.

I 3) Schreiben des Biscbofa vom G. Jui)i.

I 1) Ebenda und Scbreiben der Herzogin vom ID. Juni.

I b) Der Alt an die Herzogin am 15. Juni 1C03.

I 6) Der Bischof au die Hcrzneio am 6. Jtmi.

90 UIBBECK,

vom 26. Juni wiederum das Patronatsrecht der Nonnen ' und leitete daraus die Berechtigung ihres Anspruches her, Geist- liche ihres Glaubens in MoUwitz einzusetzen. Die Herzogin wies nicht nur diesen Anspruch zurück, was ihr gutes Recht war, sondern bestritt auch das Patronatsrecht selber, was sich nicht ebenso begründen liefs ^.

Der von ihr eingesetzte Pfarrer, Matthäus Thomas', wurde aufrecht erhalten. Der Abt hatte die Kirche, bis die Sache entschieden wäre, weder einem katholischen noch einem lutherischen Geistlichen öffnen wollen, aber die Evangelischen hatten sie aufbrechen lassen *. Es wurde zwischen den Parteien noch viel hin und her geschrieben. Der Abt ver- langte, der sektische Prädikant solle bis zum Austi*ag der Sache abgeschafft werden, darauf wollte aber die Herzogin nicht eingehen ^. Am 28. Juni 1604 wandte sich der Bischof beschwerdeführend an Kaiser Rudolf H. Dieser entschied durch Mandat vom 17. August des Jahres, dais nach den alten Urkunden allein das Katharinenstift berechtigt sei, die Pfarre zu Mollwitz mit einem ordentlichen katholischen Priester zu versehen, und dafs es in der Ausübung dieses Rechtes nicht gestört werden dürfe. Hat die Herzogin sich dem kaiserlichen Mandate gefugt? Am 18. Oktober 1604 war der sektische ^^ Prädikant in Mollwitz noch nicht abgeschafft^.

Weniger schwierig lagen die Verhältnisse in Michelau bei Brieg. Hier hatten die Grundherren, die Herren von Michelau und Pogarell, im Jahre 1276 die Patronatsi*echte dem Kloster Camenz abgetreten ^. Einen Streit, der hin- sichtlich dieser Rechte zwischen Hans von Pogarell und dem Stifte ausgebrochen war, schlichtete Herzog Friedrich L

1) Am 11. Oktober 1603 liefsen diese zwei auf das Patronatsrecht bezügliche ältere Urkunden durch den Abt des Sandstiftes transsumieren (Urkunden des Katharinenstiftes Nr. 1166).

2) Die Herzogin an den Abt am 9. Juli und öfters.

3) Schreiben des Thomas an die Amtleute des Yincenzstiftes vom 30. November 1603.

4) Schreiben des Abtes vom 8. Juli 1603. 6) Ortsakten.

6) Schreiben des Bischofs an die Äbtissin und den Abt von St. Vincenz,

7) Schlesische Regesten Nr. 1499.

IME IIER!SOG£ VOK BRIEIt. 91

am 17. Februar 1528 '. Der Abt von Camenz sollte die Pfarre zurückerhalten, aber sie nicht völlig nach Gutdünken besetzen dürfen. Er sollte dort einen Piarrer einführen, „der eines frommen, uiivertadellen Lebens und in der heiligen Scbril't gelernt sei , dafs er dem Hans Pogarell und den Seinen Gottes Wort und das heilige Evangelium lauter und klar nach dem Befehle unseres Herrn Jesu Christi zu ihrer S^eele Seligkeit wüfste vorzutragen, wo es aber nicht geschehe, eolleo wir als der Landesfiirst seihest, einen tauglichen ein- 2U&ctxen, Macht haben". Wir kennen auch kein Beispiel, clafs die Abte in Michelau katholische Propaganda getrieben bätlen, doch gerieten sie aus anderen Gründen wegen Besetzung <3er Plan-BtcUe zuweilen in Streit mit den adeligen Grund- berrcn.

Im Juni 1&40 hatte der Abt darüber zu klagen, dafs der dortige Pfarrer unter der Ungebühr der Frau seines <lvTundherrn, des Erasnius von Kittlitz, viel zu leiden habe «i-iid die titetle zu Martini" verlassen solle.

Im Jahre 1551 war die Stelle überhaupt nicht besetzt, *ind der Herr des eingcpfarrten Dorfes Pogarell, der ^on R«tiikirch, nahm dies zum Vorwand, mit der Zehntleislung im ÜUckstand zu bleiben. Indes war die Pfarre durch den l*liirver des benachbarten Biihniischdorf oder Bimsdorf ver-

k^*bcu worden ^. Im Frühjahr 1555 führte der Pfarrer Jobannes Gendaw, ndannt Bogener, darüber Klage, dafs die Pfarre zwei Jahre lang vor seiner Ankuntl wüst gelegen habe. Er habe sie in |] Oürrcn Jahren bezogen, viel daran gebessert und gedacht, ■^ <'ort längere Zeit zu bleiben. Der neue Erbberr Jörg Hirsch '■On Kaldenbrunn dränge aber sehr auf ihn und wolle ihn ^'* Georgi (23. April) weghaben '. Der Abt bestätigte diese "^Hguben \ An Stelle des Bogener hatte Georg Hirsch dem "*rili<domäus Haugwitz die Pfarre übertragen, während die

1) Orts«kten.

2'j Der Abt an den Kcizog Friedlich (Ortsaktep).

3) Det Abt an Herzog Ocorg am 1^9. Febniai- 1552.

4] Der Pfarrer an den Herzog, prüsenticrt am 0. März 1665.

5) Der Abt an den Heraoi; am 10. März.

92 lüBBECK^

Besetzung doch dem Abte zustand. Dieser hatte die Stelle dem Georg Hain^ Pfarrer zu Grottkau, zugesagt ^ Der Herzog lieis diesen von seinen Theologen prüfen^ da er aber untüchtig befunden wurde war Hain etwa im Punkte der Lehre nicht zuverlässig? , so wurde die Pfarre doch dem Haugwitz gegeben '. Hain scheint die Stelle schon angetreten zu haben, aber der Grundherr liefs ihm die Kirchenschlüssel wegnehmen^. Haugwitz scheint nicht lange auf dieser Stelle geblieben zu sein. Im Dezember 1556 ist sie bereits wieder erledigt. Der Abt hatte sie dem Jakob Sporiesch, Pfarrer zu Töppliwoda, zugesagt. Der Erbherr und dessen Bruder Easpai* Hirsch wollten ihn aber nicht in Michelau haben ^. Indessen der Herzog bat den Abt trotzdem am 17. Januar 1557; den Sporiesch einzuweisen ^. Sporiesch ist auch jener alte Pfarrer, von dem in einem Schreiben des Abtes an den Herzog vom 6. Januar 1564 die Rede ist. Der Herzog hatte ihm den Jakob Schultz als Pfarrer vorgeschlagen, der Abt wendet aber ein, dafs der alte Pfarrer noch lebe'*. Am 4. Mäi*z dieses Jahres forderte der Herzog den Abt auf, an Stelle des kürzlich verstorbenen Sporiesch einen neuen Pfänder ein- zusetzen, der sich mit seinem Superintendenten vergleichen solle, wie bisher geschehen sei '. Bereits am 10. Februar hatte die Witwe des Sporiesch an Thomas Tanholtzer, Pfarrer und Superintendenten, und Esaias Tribauer, Seelsorger zu Brieg, betreffend gewisse Zehntansprüche geschrieben, die Herr Samuel etwa der Pfarrer Samuel Hörn zu Kudels- dorf? ihr gegenüber geltend gemacht, während ihr ver- storbener Mann den Zehnten durch seine Arbeit vei'dient habe ^ Am 23. Mai 1565 finden wir dann Georg Hempel als Pfarrer^. Vielleicht ist Hempel dann derjenige, nach dessen Tode Johann Lang am 4. Mai 1568 installiert wird*^

1) Der Abt au den Herzog am 10. März.

2) Der Uerzog an den Abt am 25. März. F. Brieg III, 16 B. 351. 357.

3) Der Abt an den Herzog am 31. Mai.

4) Kaspar Hirsch an Sporiesch am 18. Dezember 1556, der Abt an den Herzog am 5. Januar 1557. 5) F. Brieg III, 16 C. 279.

6) Ortsakten. 7) F. Brieg III. 16 E. 204.

8) Ortsakten, F. Brieg III. 16 E. 193". 9) Ortsakten.

10) Ebenda.

^^^^^M v\E tiKKzixii:: von iiitiii:!;. 93

Johann Lang kam im Jnlire 1573 nacli I'antlienau. Die Angabe Ehrhardts', der ihn seit 1573 als Pfarrer zu Paattienau kennt, wird diesmal beBtätigt durch ein Schreiben des Haupt- moiins Heinrich von Öenitz an Herzog Georg vom 25. Sep- tember 1573, in dem er berichtet, dafa der Pfarrer von Uichelau zu Martini nach Panthenau übersiedeln werde '. Ad seine Stelle wünschte nach deraelben Quelle der Pfarrer Hieronymus Rosiiua zu Strehlen seinen Sohn zu bringen. IKeser Sohn ist offenbar jener Ambrosius (Koeäus) ", der Schwiegersohn des Pfarrers Samuel Hoin zu Rudelsdorf, den «ir am :*6. November 15S5 als Pfarrer zu Michelau finden,

IEr war ein Säufer gewesen imd Rollte die Stelle räumen ; «in Schwiegei-vater verwendet sich fiir ihn beim Herzog Joachim Friedrich. Seine Fürbitte ist auch wirksam gewesen, denn Ambrosius begegnet uns noch am 31. (!) September löUO iiDtl 4. Juli 1592 zu Michelau. I Sein Sohn war wohl jener Samuel Hosäus, der am 30. De-

Mmber 1618 zu Michelau als Pfarrer starb*. Sein Tod eiilleaselte einen Streit um die Neubesetzung der Stelle. Der Abt Fabian ' von Camenz sandle dem Grundherrn Adam Gnitsclireiber nacheinander zwei Bewerber zu, die er flir ilieses Amt In Aussicht genommen und die beide sich zur A. C. bekannten, den Jeremins Tritschaid ans Keichenbach und den Diakon Kaspar Stubner aus Munaterberg. Indea Gnitschreiber hatte schon den Pfarrer zu Zessel, Sebastian Jscobi, ins Auge gelnl'st '' und liel'a diesen am 20. März 16IS mit Zustimmung des Herzogs Johann Christian durch den Sriegischen Superintendenten Johann Neomenius einsetzen, Die» rief einen Protest von seiteil des Abtes und einen Streit ""it deü Grutschreibcra hervor, der im Jahre 1623 noch nicht

Ij 11, 414. 2) Uilsukleii Paiitheiiuu,

3| Ehrhardt II, 148 keimt als ersten Pfarrer zu Michelau einen Aolun Roaius (1533—1586). Diese Datco sind jedor.h ToUkommen aus ^•^ Luft gegriffen.

4) UekunduDg lies SuperinteiidenCea Neomeuiiia vom 20, M^rz 1G19. ^Kii Ehrhurdt II. 148 war Samuel Hosäna tob 1591—1619 Pfarrer <"») ein Solin des Anton Ri-sim.

5) Schreiben des Abtes Ton) 16. April 1619.

6) Sthrdben des Abtes vom 16. April 1619.

1

94 RIBHKCK;

beendet war ^ Doch hat sich Jacobi in seiner Stelle be- hauptet ^. Später ist das Patronatsrecht des Abtes besser geachtet worden ^. Trotz des katholischen Patronates ist also der evangelische Charakter von Michelaa durchaus und ohne Kampf gewahrt worden, kraft jener unzweideutigen Bestimmung von 1528. Erst in der österreichischen Zeit, im Jahre 1690, gelang es den Katholiken, von der dortigen Pfarre Besitz zu ergreifen, die dann durch den Altranstädter Frieden (1707) den Evangelischen zurückgegeben wurde*.

Heifse Kämpfe mufsten die Brieger Herzoge um die Be- setzung der Pfarrstelle zu Naselwitz und Wilschkowitz bestehen, die dem Patronat des Breslauer ELlarenklosters unterstand.

Von evangelischen Geistlichen begegnen uns hier 1557 Kaspar Hubener ^ und 1574 Benedikt Bucher, der damals die Heidersdorfer Vereinigungsformel mit unterschrieb *.

Der letztere soll nach Ehrhardt II, 393 von 1573 bis zum 26. November 1586 im Amte gewesen und nach Schimmel- pfennig ' 1579 nach Wohlau gekommen sein. Dies kann indes beides nicht richtig sein ; denn der Inhaber der Nasel- wilzer Pfarrstelle starb am 22. April 1579 ®. Die Äbtissin setzte darauf den katholischen Valentin Schwaragh ein mit Unterstützung des bischöflichen Officials, der ihn auch in- vestierte ®.

Als Heinrich von Senitz, der fürstliche Hauptmann der Weichbilder Strehlen und Nimptsch, hiervon hörte, begab er sich nach Naselwitz, um herauszubekommen, von wem der neue Pfarrer seine Berufung habe, traf ihn aber nicht an. Darauf teilte der Pfarrer dem Samuel Hom, Pfarrer zu Rudelsdorf und Senior des Kreises, am 18. November 1579

1) O.tsakten. 2) Vgl. Ehrhardt II, 148.

3) Ein Fall aus dem Jahre 1669 in den Ortsakten.

4) Ehrhardt 11, 148.

5) Zeitschrift IX, S. 15. Er war der letzte Vorgänger des Bücher (der Hauptmann an Herzog Georg am 3. Januar 1580, Ortsakten Naselwitz).

6) Ehrhardt II, 23. 7) Provinzialblätter a. a. 0. S. 487.

8) Schreiben vom 23. April 1579 (Ortsakten).

9) Die Äbtissin an den Bischof am 4. Dezember 1579.

DIE HERZOGE VON BK1E6 95

mit, der Bischof habe ihn berufen, er halte sich aber zur A. C. Er habe seine Berufung dem Senior nicht mitgeteilt^ weil er zur Investitur nicht geschickt sei, indem er nicht Heller noch Pfennig habe, diese zu bezahlen ^ Indessen schrieb Herzog Georg am 27. November an den Hauptmann, der Pfaffe, der sich in Naselwitz eingedrängt, müsse von dort weg'. Der Hauptmann hatte sich schon vorher' wiederum nach Naselwitz begeben und den Pfarrer aufgefordert, das Land zu räumen, da er der alten Lehre anhänge. Der Herzog wollte aber noch einen Versuch mit ihm machen und ihn von dem Brieger Superintendenten prüfen lassen K Da sich Schwaragh indessen nicht stellte, so trug der Herzog am 19. Dezember dem Hauptmann auf, an seiner Stelle einen anderen Pfarrer einzusetzen. Inzwischen hatte am 1. Dezember ein gewisser Michel Schuller von Breslau aus an den Kanzler Hans von Tschetschau geschrieben und ihn um Einweisung in die Pfarre von Naselwitz gebeten, die ihm schon seit dreiviertel Jahren vei*sprochen sei ^. Der Herzog beauftragte nun am 21. Dezember den Hauptmann, den Schuller mit Unterstützung der Herren von Stertz einzusetzen ^. Am 24. Dezember, einem Donnerstag, führte denn auch der Haupt- mann, der in Begleitung der Herren Jochen und Friedrich von Gellhorn, sowie der Pastoren von Nimptsch, Rudelsdorf und 01s erschienen war, mit Hilfe des Friedrich von Stertz den Schwaragh auf einen Wagen über die Grenze des Nasel- witzer Gebiets bis Canth und setzten einen anderen wohl den Schuller ein ®.

1) Ortsaktcu. An das Examen vor dem Superattendenten schlols sich eine Kollation, davon Kosten der Geprüfte tragen mufste (Ortsakten Grünhartau 1551).

2) F. Brieg III, 14* 157.

3) „Vor neun Tagen** schieibt die Äbtissin am 4. Dezember.

4) Der Herzog an den Hauptmann am 7. Dezember (Ortsakten).

5) F. Brieg III, 14» 193.

6) Ortsakten. Am 23. April hatte man ihn vom Tode des Bucher benachrichtigt.

7) F. Brieg III, 14» 195.

8) Der Herzog an den Hauptmann am 26. Dezember (F. Brieg III, 14^ 206). Der Hauptmann an den Herzog am 24. Dezember (Orts-

96 KIBBECK,

Über diese gewaltsame Wegführ ung erhob der Bischof wiederholte Beschwerden ^ Die Äbtissin aber bereitete Schritte vor, die dem Herzog bedenklich erschienen ^ Am 3. Januar 1580 berichtet der Hauptmann an den Herzog, sein Schreiber sei in Naselwitz gewesen , der Pfarrer aber mit dem Herrn von Stertz über die Grenze gegangen, er habe vergeblich auf ihn gewartet. Doch habe ihm der Pfarrer sagen lassen, dafs er nicht von der Äbtissin selber, sondern von deren Amtmann ein Berufungschreiben habe ^. Dazu stimmte nicht eine frühere Aufserung des Pfarrers, die er gegenüber dem Kanzler gethan, dafs ihn die Äbtissin berufen habe '. Offenbar wollte sich aber die Äbtissin dem an sie gestellten Verlangen, den von den Beamten des Herzogs eingesetzten Beamten nun ihrerseits zu berufen, entziehen. Der Herzog forderte den Pfarrer hierauf am 4. Januar auf, ihm alles Schriftliche, das er hinsichtlich seiner Berufung besäfse, auszuhändigen, damit es der Instruktion für die herzoglichen Gesandten, die zum Bischof nach Neifse gehen sollten, beigefugt würde ^. Einen Monat später, am 5. Februar, teilte indessen der Herzog dem Bischof ^ und seinem Hauptmann ^ mit, dafs er sich ent- schlössen habe, den Schuller fallen zu lassen. Die Äbtissin solle einen anderen Pfarrer berufen, der aber der A. C. an- gehören und ihm, dem Herzoge, präsentiert werden müsse. Vergeblich verwendeten sich die Herren Friedrich Stertz zu Naselwitz und Hans von Kreischelwitz zu Jakobsdorf am 11. Februar für Schuller, wobei sie betonten, dafs sie nun ein ganzes Jahr lang keinen beständigen Pfarrer gehabt'. Der Herzog liefs der Äbtissin den Pfarrer zu Giersdorf,

akten). Der Bischof an den Hauptmann am 27. Dezember (Ortsakten). Der Bischof spricht von Mittwoch und nennt Friedrich Scnitz als Be- gleiter des Hauptmanns.

1) Am 27. Dezember 1579 und 2. Januar 1580.

2) Ortsakten.

3) Der Herzog an den Hauptmann am 4. Januar 1580 (F. Brieg Hl, 14* 225).

4) Ebenda.

5) Ortsakten.

6) F. Brieg III, 14» 277.

7) Ortsakten.

liIE nEÜZOGE VOX nillEG,

Adam Felwinger ' als Pfarrer für Nnselwitz empfelilen *. Ah aber die damalige Äbtissin, Gertrud Beicrio, bald darauf starb, machte er bei der Nachfolgerin, Christine Glinzkin ", noch einen Versuch, Schuller zu halten. Er bat sie, den jetzigen Plarrer noch in Nasclwitz zu Inssen und auch künftig die Stelle nur mit einem Evangelischen zu besetzen, un- beschadet ihres Patronatsrechtes *. Als ihn aber der Bischof -sm I.Juli an Bein früheres Versprechen erinnerte, den jetzigen Pfiirrer bis Martini zu entfernen *, kam der Herzog wieder auf Felwinger zurück. Am 28. Juli 1580 empfahl er ihn dem Friedrich Stertz, da er am nächsten Sonntag in Nasel- witz predigen aolle *. Felwinger blieb dann in der Stelle, -wie ea scheint, unangefochten '', bis er im Anfang des Jahres 1607 starb*.

Kurz nach seinem Tode, im Januar 1607, erteilte der Uischuf dem katholischen Pfarrer von Gleinitz den Befehl, sich der Naselwitzer Pfarre anzunehnieti. Diesen Versuch, in Naaelwitz den Katholizismus wieder zur Geltung zu bringen, wies indessen Herzog Karl von Münsterberg-Ola, der Vornumd der Söhne des im Jahre 1602 verstorbenen Herzogs Joachim Friedrich von Brieg, sofort energisch zurück. Indem er ain

1) Ebrhardt 11, 393 iicant ibii Adam lldwiii!;er und Xihi ihn von IfiBS bis 1607 Bniticrcn

3) Der Herzog an den Wirl Paul Wagener in Breslau am 21. Fc- bTur l&eo (F. Brieg 111. 14> 291} und an Dr. Andreas Heugel am 36. Februar [». a. 0. S. 297).

ä) Sie wuTde am U. Mira diu'cli den Bischof bestäligt. (Urkunden des Ktarenstirts Nr. G80 )

4| Der Herzog an die Äbtissin am 29. Aprit 1660 (F. Brieg III. U> 391). 5) Ortsakten.

S) F. Brieg III, U' 491.

7) Eia Sclireiben des DomsCiftcs an den Bischof rom 24. März 160S »priclit allerdings von Streiiigk eilen der Äbtissin wegen des Patronols-

rechts. Und am 10. April 1609 meint ein heriogliclier Beamter, es sei »ört»^ilhaft, wenn das Stift da! Gut Teikaufe, da dann i°ne Streitigkeilen *^f«llen worden,

8) Kaub dem bei Ebrhardl II, 393 Anm. 'S. mitgeteilten Epitaph ^•~l^ er am Tage Banhulumäi (24. August 160TJ. In dieser Angabe

"r« jedoch ein Irrtum stecken, wie sieb aus den im Teit mitgeteilten **-**o ergiebt.

S^ilmhi. t. K.-a. im. I. n

98 KIBBECK;

10. Januar den Hauptmann zu Strehlen beauftragte; zu er- klären ^ dafs Naselwitz bereits wieder einen Pfarrer habe ^ Am 16. Januar empfahl er dann der Äbtissin des Klaren- Stifts den Hieronymus Sieghard *. Sieghard war angeblich bis zum Jahre 1610; wo er nach Qrofs Lauden übersiedelte, Pfarrer zu Naselwitz ^.

Einer seiner nächsten Nachfolger vielleicht der nächste war Magister Petrus Böhm (Bohemus). Das Datum seiner Berufung ist nicht festzustellen. Er selbst erwähnt einmal \ er sei 1606; während der fürstlichen Vormundschaft; durch Herzog Karl berufen worden. Das Jahr kann nach den oben angegebenen Daten nicht richtig sein. Ist er wirklich noch unter der vormundschaftlichen Regierung berufen wor- den; so hat er sein Amt vor dem Herbst 1509 angetreten *. Im Mai 1617 verfugte die Äbtissin die Entlassung des Petrus Böhm wegen mannichfacher Beschwerden, die aber mit der Religion nichts zu thun hatten, sondern sich auf sein unordentliches Leben; Nachlässigkeiten im Amte; schmähende Reden und dergleichen bezogen. Der Herzog Johann Chri- stian von Bricg erhob Protest gegen diese Entlassung; weil sie ohne sein Vorwissen erfolgt sei *. Es fand eine Unter-

1) Ortsakten Gleinitz.

2) Ortsakten Naselwitz.

3) Ebrhardt setzt seine Amtszeit von 1608—1610, Bd. I, S. 676. 677, Bd. II, S. 393.

4) Schreiben vom 12. Mai 1617.

5) In dem Konzept des herzoglichen Präsentationschreibens für Hieronymus Sieghard vom 16. Januar 1607 ist der Name des Präsen- tierten später durchstrichen und durch den des Bohemus ersetzt worden nebst einigen anderen sinngeroäfsen Änderungen (der bisherige Pfarrer ist nicht verstorben, sondern verzogen). Der Name des Präsentierenden ist nicht geändert, freilich auch das Datum nicht, was doch hätte ge- schehen müssen. In seiner Verantwortungsschrift vom 27. Juli 1617 erwähnt Petrus Böhm, er sei direkt von der Universität nach Naselwitz gekommen und berichtet Dinge aus seiner Amtszeit, die fünf Jahre zu- rückliegen. Er ist nicht, wie Ebrhardt I, 1620 1621 annimmt, identisch mit dem gleichnamigen Sohne des Laubaner Pastors, dem früheren Pfarrer zu Senkwitz.

6) Schreiben vom 21. Mai 1617.

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DIE nEHZOGE VON BKIEG. 99

euchung stalt, deren Ergebnis war, dafs der Herzog die Ent- lagsttng zii Jlartini genehmigte '.

An selnor Stelle berief die Äbtissin den Martin Böhm, der in den Jahren 1011 1015 die Universitäten Leipzig lind Wittenberg besucht halte, den Sohn des gleichnamigen Pastors zu Lauban. Der Herzog liatte an dem Berufungs- achreiben auszusetzen, dafa es keine ausdrückliche Beziehung auf die A. C enthalte ", und war auch sonst in bezug auf die Person des Berufenen nicht ohne Bedenken ^. Er ge- währte dem Petrus Böhm einen neuen Termin zu seiner Verantwortung und gestattete ihm infolge desselben noch in Naselwitz zu bleiben, bis er eine andere Stelle für ihn habe *. Indes ist Böhm, wie aus einem Schreiben vom 6. JuH 1620 hervoi^ht, auf seiner jetzigen Stelle und im Amte ge- storben *. An seiner Statt lief« der Herzog durch die Ab- tisBin den Melchior Gryphius berufen ''. Die Gemeinde wider- strebte aber, da ihr dessen Person fremd sei, und begehrte den Michael Schmidt aus Lüwenberg zum Pfarrer '. Der Herzog, der darin einen Eingriff in seine Präsentationsrechte sah, schlug diese Forderung indessen rundweg ab *.

Mollwitz und Naaelwitz haben trotz verschiedener An- stürme von katholischer Seite für die neue Lehre behauptet werden können. Nicht so glücklich war man mit Thomas- kirch bei Ohlau, das unter dem Patronate der Äbtissin von Trebnitz stand. Bis zum Jahre 1550 erfahren wir über- haupt nichts über die kirchlichen Verhältnisse dort. Am 23. September dieses Jahres beklagt sich die Gemeinde bei

1) Schrcibea vom 30. Juli 1617.

S) Uemerkimgcn auf der Rückseite des Uenifiiu^^scli:'cibciis 3) Schreiben vom 12. Oktober 1G17. i) Ebenda.

5) Das letzte Schreiben , das wir von ihm habeii , ist vom 4. No- 'euibcr 1617. Er ist also nicht am 16. Oktober dieses Jahres ge- »torlieD, wie Ehrhardt I, 621 angiebt.

GJ Der Herzog an den Hauptmann Heinrich vou Senilz am 36. Juni 1620.

7) Die Gemeinde an den Herzo;^ am 6. Juli 1620. B) Der Herzog an die Gemeinde am 9. Juli 1620. Xach Ehv- **rilt n, 394 bat Gryphius von IGI8-1623 amtietl.

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100 KIBBECK,

der Äbtissin über den nicht genannten Pfarrer, der sich keinen Kirchendiener halte, die Kerzen in der Kirche auch aufserhalb des Gottesdienstes brennen lasse und über- haupt unordentlich sei ^ Er wurde darauf entfernt Sein Nachfolger sollte, wie die Äbtissin, Elatbarina von Stosch, am 5. Oktober 1550 dem Herzog Georg schrieb, sich vor den Senioren zur Prüfung stellen, da es einmal Gebrauch sei und auch fürstliche Karamergüter wie Weifsdorf, Kretschwitz, Kochern zur dortigen Kirche gehörten.

Ob es damals zur Einsetzung eines evangelischen Geist- lichen gekommen ist, wissen wir nicht. Der im Jahre 1556 dort befindliche Pfarrer Namens Stenzel scheint der alten Kirche angehört zu haben ^. Der Herzog verlangte seine Entfernung, weil er mit der Frau eines anderen ein unordentliches Leben geführt, und die Einsetzung eines an- deren, der sich wegen der Lehre „mit seinem Lande ver- gleichen'' sollte. Der Bischof teilte hierauf am 6. Oktober 1556 der Äbtissin mit, er habe den Pfarrer mit Gef&ngnis in Neifse bestraft, wolle ihn aber im Amte lassen. Die Äbtissin berichtete dies dem Herzog am 9. Oktober. Indessen scheint der Geistliche dennoch entlassen worden zu sein; denn am 21. November teilte die Äbtissin dem Herzoge mit, sie habe die Pfarre nach Abgang des letzten Pfarrers einem Priester, Valentin Kegel, übertragen.

Zwei Jahre später scheint doch ein Evangelischer in die Pfarre zu Thomaskirch eingezogen zu sein. Denn die Äb- tissin — es war immer noch Katharina von Stosch schrieb am 17. Oktober 1558 dem Herzoge, sie wolle auf sein Ver- langen den Pfarrer beibelialten, da er von den Senioren ge- prüft und itir tauglich befunden sei und die armen Leute ihn gern hätten. Docli müsse der Herzog sie bei dem Bischof und dem Domkapitel vertreten, da der Pfarrer nicht ordiniert sei.

Von Katharina von Stosch ist sonst nicht bekannt, dafs sie der neuen Lehre zuneigte, ihr Verhalten in zwei von

1) Ortsakten.

2) Er erscheint am 24. Mai und U. Oktober 1555 (F. Brieg III, •'^'B. 391. 438).

DIE IIEUZOCE VOS nRIEG. 101

den an gef 11)11*160 Fällen zeigt aber eine gewisse Konnivenz gegen die staatlichen Anforderungen.

Von ihrer Nachfolgerin , Katharina von Motschelnitz 1^1560^1574 September 7), wissen wir, dafa sie eine Schwenk- teldianerin war. Daher erklärt es sich wohl, dafs sich die neue Lehre etwa 13 Jahre lang in Thomaskirch gehalten zu haben scheint Aber im Mai 1572 beschweren sich Georg Tachesch ' von Dammelwitz, einem zu Thomaskirch ^huren- den Kirchdode, sowie die Kirchdörfer Weifadorf, Chui-aang- witz, Kochern, Kontachwitz und Kadlowitz ^ bei dem Her- zoge, dafs schon ein ganzes Jahr lang ein Papist in Thomas- kirch sei, den Bischof und Kapitel eingesetzt hätten. Es ist vielleicht derselbe Pfarrer, von dem der Bischof am ■2b. Juli 1573 dem Herzoge schreibt, er wolle sich erkun- digen, wie es mit ihm stehe, vielleicht auch derselbe, von dem es in einem Schreiben aus dem Jahre 1574 heifst, er sei nicht durch die Tbiir, sondern durch das Dach in den .Schafstall gekommen, er könne weder deutsch nocii recht polnisch ". Jedenfalls sonderten sich infolge dessen, dafa die Thomaskircher Pfarre in dieser Weise besetzt war, die Kirch- dörfer Weifsdorf, Kontschwitz, Kochern und ßadlowitz von ihr ab und iJefsen sich von Martini 1573 bis Pfingsten 1574 von Melchior Fabritius von Sitzmannsdorf versehen *. Die Äbtissin Katharina von Motschelnitz (sie starb am 7. Sejj- teniber 1574) sagte zu, in Thomaakirch einen neuen Pfarrer zu bestellen, nämlich jenen Melchior Fabritius, den die Senioren geprüft hätten und der das Kirchspiel d. h. wohl jene Gemeinden zwöli Wochen (?) lang versehen

habe. Der verstorbene Bischof Kaspar von Logau er starb am 4. Juni 1574 habe ihn seiner Zeit ordiniert. Dies berichteten jene Gemeinden im Verein mit der Ge- »leinde Dammelwitz dem Herzoge und baten ihn, ihnen den I^'abritiuG zum Pfarrer zu geben ''. Die neue Äbtissin, Mar-

I) Sclirciben vom 16. Mai.

r 2] ScbreibcQ, präBentiert am 2^. Mai.

I 3j Undatierlcs Schreiben der Gemeinden.

I 4) Uailaüeites Scbreiben des Fal>riiiiis &□ den Herzu^. 1

I i] Undatiertes Scbreibeo der Gemeinden. ^^^|

102 niBBECK,

garethe von Lüttwitz ^ erklärte indessen dem Herzoge, sie könne aus Rücksicht gegen das Domkapitel nichts thun, er müsse sich schon selber an den Bischof wenden ^ Fabritiiis erhielt auch die Stelle. Im Januar 1579 sprach er dem Herzoge seinen Dank aus, dafs er ihm die Beteiligung au den Konventen, die zu Brieg abgehalten wurden, gestattet habe und äufserte den Wunsch, dafs die Kirchdörfer Konisch- witz und Kochern, die noch immer eine abgesonderte Stel- lung eingenommen zu haben scheinen, wieder an die Kirche zu Thomaskirch gewiesen werden möchten ^. Am 5. Sep- tember 1581 verlangte dann die Äbtissin, dafs die Gemeinden Weifsdorf, Kontschwitz und Kochern zum Kirchenbau in Thomaskirch beisteuern müfsten.

Nicht lange darauf hatte Fabritius einen unangenehmen Zusammenstofs mit dem Bischof Martin von Gei'stmann. Der Bischof forderte ihn auf, sich vor ihm am 23. Januar 1582 in Neifse zu stellen. Es hiefs nämHch, dafs sein Vor- gänger, der Bischof Kaspar von Logau, dem Pfarrer auf zehn Jahre den Aufenthalt im Bistum Breslau und auf seinen (des Bischofs) Gütern verboten habe etwa, weil er vom katholischen Glauben abgefallen ? , und doch habe er sich auf diesen Gütern befunden ^. Gehörte etwa Thomaskirch dazu? Jedenfalls nahm der Bischof dort Jurisdiktion und Obergericht in Anspruch.

Am bestimmten Termin erschien Fabritius nicht. Am 24. Januar kam der Bischof auf der Reise nach Breslau durch Thomaskirch. Er hörte dort, dafs der Pfarrer am selben Morgen nach Dammelwitz gereist sei. Zornig ti*ug er der Gemeinde seine Beschwerden wider den Pfarrer vor. In Breslau erfuhr er aber, dals dieser schon am Sonntag den 21. morgens nach der Predigt sich heimlich davon- gemacht habe und zum Kaiser nach Wien gereist sei. Der Bischof forderte die Äbtissin nun auf, ihm binnen zehn Tagen einen katholischen Pfarrer zu präsentieren *. In-

1) Schreiben vom 16. Oktober 1574.

2) Schreiben, präsentiert am 27. Januar 1579.

3) Uudatiertes Schreiben der Gemeinde an die xVbtissiii.

4) Der Bischof an die Äbtissin am 28. Januar.

DIE I1£UZ06K VON BRIEG. 103

zwischen hatten sich aber schon die Gemeinden an die Äb- tissin mit der Bitte gewendet, ihnen diesen Pfarrer, um den sie wohl funfzigmal gebeten, zu lassen ^ Der Schaffer der Äbtissin sandte diese Bittschriften an den Herzog weiter. Die

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Äbtissin könne gegen den Bischof nichts ausrichten, aber der Herzog möge für Fabritius eintreten, damit den armen Leuten der christUche Pfarrer nicht genommen werde und sie bei der reinen Lehre bleiben könnten ^. Der Herzog wandte sich darauf an den bischöflichen Kanzler Johann Reyman. Dieser schrieb ihm am 8. Februar, der Bischof wolle den Pfarrer wegen Ungehorsams strafen, aber wegen der Religion nichts Gefahrliches anstellen oder verändern, zumal weil die Lehre der A. C. an jenen Orten nun lange Zeit gewesen sei ( Ein wichtiges Zugeständnis ). Der Herzog möge doch mit Wissen der Äbtissin einen Pfarrer von anderswoher nach Thomaskirch berufen und Fabritius an dessen Stelle bringen.

Für dieses Mal blieb indessen Fabritius noch in Thomas- kirch und wurde nur von Bischof und Herzog, weil er sich in Neifse nicht gestellt, wegen Ungehorsams ernstlich ge- straft ^

Damals war er noch so davongekommen, aber einige Jahre später, als Bischof Martin (gest. 1585) und Herzog Georg (gest. 1586) gestorben waren, sollte es ihm schlimmer ergehen.

Er wurde nach Breslau citiert, um sich vor dem bischöf- lichen Hofrichter zu verantworten, traf diesen aber nicht, und die Herren vom Domkapitel liefsen ihn gefiinglich ein- ziehen. Zum Vorwurf machte man ihm einmal einen an- geblich von ihm begangenen Ehebruch, und dann behauptete man, er habe einem der früheren Bischöfe geschworen, bei der römischen Kirche zu bleiben, und diesen Eid nicht ge- halten. In dem Schreiben an Herzog Joachim Friedrich, Georgs Sohn, in dem Fabritius sich über seine Gefangen-

1) Undatierte Schreiben der Gemeinde Thomaskirch . sowie der Kirchdörfer.

2) Schreiben vom 26. Januar.

3) Fabritius an Herzog Joachim Friedrich (undatiert).

104 KIBBECK^

nehmuDg beschwert, behauptet er^ wenn er jenen Eid wirk- lich geleistet, so habe er es aus Unvernunft und unwissentlich gethan und er wolle von der A. C. nicht lassen. Er sei regel- recht von der Äbtissin zu Trebnitz mit Wissen des Bischofs Martin berufen worden. In einem späteren gleichfalls nicht datierten Briefe klagt er, der bischöfliche Official nament- lich setze ihm hart zu. Seine Frau und seine Kinder ver- wendeten sich eifrig um seine Befreiung. Sie meinten, die Anklagen gegen Fabritius beruhten auf Angaben des Glöck- ners zu Thomaskirch, der ihn aus Neid und Hafs angeschul- digt, und baten um Intercession des Herzogs bei Herzog Karl ^, dem obersten Amtsadministrator des Bischofs '.

Am 11. September 1591 erging ein Mandat des bischöf- lichen Officials, Michel Heibrandt, das die EinHihrung eines neuen katholischen Pfarrers in die Pfarre zu Thomaskirck verordnete. Infolge dessen sonderten sich die oben erwähntea Kirchdörfer wieder davon ab. Der Pfarrer Simon Thudichius, der sich auf seine Einsetzung durch Äbtissin und Kapitel beruft, bat das Kapitel am 30. August 1591, dals jene Dörfer angewiesen werden möchten, sich wieder zu seiner Kirche zu halten und den Zehnten zu zahlen. Das gleiche An- sinnen richtete er am 1. Oktober und 7. November an die beiden briegischen Hei'^oge, Joachim Friedrich und Johann Georg, wobei er die Dörfer Weifsdorf, Kochern und Konsch- witz, die fürstliche Kammergüter waren, namhaft macht. Aber er drang mit diesem Verlangen nicht durch. Noch seinem Nachfolger, Simon Verula, wurde der Zehnte ver- weigert, wie wir aus Schreiben des Bischofs Andreas an Herzog Joachim Friedrich vom 7. und 16. Oktober 159^ sehend Am 25. Juni 1594 fragte der Herzog bei den Earchspielsangehörigen an, ob es wahr sei, was der Bischof behaupte, dafs vor Fabritius immer nur „Mefspfaffen'' in Thomaskirch gewesen seien *. Wir wissen, dafs sich dies nicht so verhielt. Aber ob der Herzog nun diese Thatsache

1) Karl II. von MüDsterberg-Öls.

2) Alle diese Schriftstücke sind undatiert

3) Ortsakten.

4) F. Brieg UI, Ue, 279.

DIE HERZOGE VON BKIEQ. 105

geltend gemacht hat oder nicht: Thomaskirch war und blieb katholisch.

Von den Kitterorden besafsen die Kreuzherren vom roten Stern zu Breslau das Patronat in der einst von ihnen zu deutschem Recht ausgesetzten Stadt Kreuzburg und den benachbarten Ortschaften. An dieses Patronat scheint unter Herzog Friedrich II. trotz verschiedentlicher Anläufe dazu nicht ernstlich gerührt worden zu sein. Erst sein Nachfolger Georg U. ging hier energisch vor. Bei seiner ersten An- wesenheit in Kreuzburg sollen die dortigen Heiligenbilder gewaltsam vernichtet worden sein. Die Pfarrer in Kreuz- burg selbst wurden mindestens seit dem Beginn der 50er Jahre vom Herzoge berufen und entlassen ohne Berücksich- tigong der Rechte des Ordens. Die Orte Kunzendorf, Loft- kowitz und Kuhnau wurden dagegen trotz aller entgegen- gesetzten Bemühungen der herzoglichen Hauptleute nach wie vor von katholischen Pfarrern versehen^ und der Katholizis- mus hat sich infolge dessen hier dauernd erhalten ^

l) Näheres hierüber enthält mein Aufsatz über die Anfänge der Reformation in den Weichbildern Ereuzburg, Pitschen und Konstadt in der Zeitschrift des Vereins fQr Geschichte und Altertum Schlesiens^ Bd. XXXIV.

(Schlufs folgt.)

Ermordung: der Veltliiier Protestanten

im Jahre 1620.

Von

Moritz Brosch.

Man sollte glauben, dafs die übereifrigen Anhänger der Gegenreformation ein Aufserstes an verbrecherischem Können und Vollbringen in der Pariser Bartholomäusnacht geleistet hätten. Dies wäre aber in doppelter Hinsicht ein Irrtum. Erstlich war es nicht einzig und allein der von der Gegen- reformation entfesselte Fanatismus, was die Greuel dieser Nacht hervorgerufen hat: die Herrschsucht der Kathai*ina von Medici, der wilde, von Gier nach Geld und Macht ge- nährte Hafs, der die französischen Hof- und Adelsparteien gegeneinander hetzte sie haben in gleichem Grade wie die niedrigsten, unter der Maske der Religiosität verborgenen Instinkte des Pariser Pöbels auf den entsetzlichen Ausbruch hingewirkt. Sodann ist unleugbar, dafs die Zahl der in der Bartholomäusnacht erschlagenen Hugenotten, so grofs sie an sich war, doch nur einen Teil der französischen Bekenner des Evangeliums ausmachte. Und wenngleich es auch in der Provinz, dem Beispiele der Hauptstadt folgend, zu Metze- leien von Hugenotten gekommen ist die so schwer ge- troffene Partei war damit alles eher denn vernichtet ; sie war soweit bei Kräften geblieben, dafs sie nach verhäitnismäfsig kurzer Frist in ernsten Kämpfen mit dem Gegner es auf- nehmen konnte.

Gründlicher als in Frankreich wurde, nicht ganz fünfzig

4

DIE EUMOKDUXG DER VELTLINEK PiioTEST ANTEN. 107

Jahre nach der Bartholomäusnacht, die Ausrottung der Pro- testanten auf dem Gebiete der Veltliner Landschaft unter- nommen und zu dem gewünschten Ende geführt Es ge- schah hier, längs dem Laufe der Adda, mit der gleichen Ruchlosigkeit wie an der Seine ; aufserdem geht ein gemein- samer Zug durch die zwei grauenhaften Ereignisse , denen beiden kirchliche Motive zwar nicht ferne, aber weltliche Strebungen so eigentlich zum Grunde lagen. Auch fehlte es beidemal nicht an der Ausflucht: gegen die Evangelischen sei nur das Prä venire gespielt worden ; sie hätten in Frank- reich eine furchtbare Verschwörung gegen das königliche Haus angezettelt und ausfuhren wollen, im Veltlin Anstalt getroffen, alle dort weilenden Katholiken umzubringen. In einer die vorgekommenen Greuel beschönigenden, von der spanischen Regierung Mailands ergangenen oder wenigstens gutgeheifsenen Dai-stellung ward behauptet ' : die Grau- bündner seien mit Zürichern, Bernern, Venezianern und dem Markgrafen von Baden einigen Willens entschlossen gewesen, den katholischen Veltlinern das Leben zu nehmen Die gleiche Behauptung kehrt später verstärkt wieder in der Eingabe, die an Papst Gregor XV. von Veltliner Ka- tholikon gerichtet wurde. Allein wie hohl und nichtig diese Ausflucht sei, ist aus dem Zahlenverhältnis ersichtlich. Die Bevölkerung Veitlins schätzten der bei den Bünden beglau- bigte venezianische Geschäftsträger Padavino Anfang des 17. Jahrhunderts auf 80000, der päpstliche Nuntius Scotti um dieselbe Zeit, unter Hinzurechnung der Grafschaft Bormio und Chiavennas, auf 150000, der Kardinal Richelieu im Jahre 1G30, nachdem ein zehnjähriger Krieg das Land verwüstet hatte, auf blofs 40000^. Nimmt man fürs Jahr 1620 die eher zu niedrig gegriffene Ziffer von GOOOO an imd erwägt

1) Diese Darstellung liegt volliubaltlich der Depesche bei, die der venezianische Geschäftsträger in Mailand, Giac. Vendramin, 29. Juli 1620 an die Signorie richtete (Ven. Arch.). Seine einleitende Bemerkung: dies von ihm eingesandte Aktenstück sei voll „di falsissimi concetti", kann man füglich unterschreiben.

2) Vgl. Ed. 11 Ott, Henri IV, les Suisses et la Haute Italie. La Lutte pour les Alpes (Paris 1882), p. 22.

108 BROSCH,

dabei, dafs nachweisbar nur ein Prozent dieser Zahl pro* testantisch war, so gelangte man zu der schreienden Absur- dität, dafs diese 600, selbst durch Zuzug aus den Bünden verstärkt, sich die Kraft zugetraut hätten, den übrigen 99 Prozent, d. i. über 59 000 Katholiken, nicht nur Gesetze vorzuschreiben, sondern auch den Garaus zu machen.

Von einem Stande der Notwehr, in dem die Katholiken zur Ermordung ihrer protestantischen Mitbürger geschritten wären, kann demnach ebenso wenig die Rede sein \ wie von Motivierung des mörderischen Entschlusses durch Glaubens- hafs allein. Es läfst sich vielmehr in Evidenz stellen, dafs Spanien dabei die Hand im Spiele gehabt hat, und dies weit mehr, um seine eigene, als um die kirchliche Sache zu fördern.

Die drei kleinen rätischen Republiken, die im Jahre 1471 zu einer Föderation unter dem Namen Graubündner oder Bündner schlechtweg sich vereinigt hatten, waren im Laufe der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Besitz des Veltlin gelangt. Dieser Besitz kam den über Mailand ge- bietenden Spaniern sehr in die Quere; denn er hinderte sie, mit Tirol und anderen Ländern des deutschen Zweiges Habs- burg eine für alle Fälle gesicheiie Verbindung herzustellen. Bei den Bündnern überwog das protestantische Bekenntnis, auch neigten sie zu Frankreich und den Venezianern, denen beiden man sie spanischerseits abtrünnig machen wollte. Die Versuche, solches zu erreichen, näherten sich oft dem Er- folge, um schliefslich ebenso oft zu mifslingen. Noch im Jahre 1614, als der unaufhörliche österreichisch- venezianische Streit wegen der Uskoken wieder einmal akut geworden war^ erschien aus Mailand ein spanischer Sendung in Chur, der durch längere Zeit 150 Dublonen täglich in Bestechungen und Gastereien verausgabte ', um die Bündner für Spanien

1) Selbst der streng katholische Ces. Cantü, Eretici d'Italia (Torino 1866), III, 239, hat zugestanden, dafä die angebliche Ver- schwörung der protestantischen Veltliner nur ersonnen ward, um das begangene Verbrechen zu bemänteln.

2) Bericht an die Signorie vom 15. März 1621: In materia della Valtellina, unter den Consulti Fra Paolo Sarpi'a, vol. 15 im Ven. Arcb.

DIK KKlIOUnCKG DEU Vlil.TI.lNE» PKnTtSTANlKK. 1G9

ZU gewinnen. Es war lediglich Vci'sch Wendung, die ihren Zweck verfehlte.

Nach sechs Jahren aber winkte dem spanischen Statt- halter im Mailändischen, Herzog von Feria, die erwünschte Qele-genheit , sich des Veltliii zu bemächtigen. Dieses war mit seinen btindnerischen HeiTen, welche das von wütigen Parteifehdeu erfüllte Land mit dem verderblichen Heilmittel der Gewalt behandelt hatten, durchaus nicht zufrieden. Und die Unzufriedenheit wurde zur Zeit von der des Landes ver- wiesenen Partei der Planta aufs eifrigste geschürt. Mit den Planta nun, von denen der eine, Pompeius, katholisch, der andere, Rudolf, jj rötest an tisch war, vereinharte Feria einen Handstreich, der die bündnerische Herrschaft Ubers Veltlin ins Herz treffen und dort der spanischen die Wege ebnen »oUte. Um den geplanten Streich vor der Welt in ein besseres Licht zu stellen, ward ein reiigiüses Interesse vor- geschützt Von Seiten der Katiioliken fehlte es nicht an lauten Klagen über den Druck, der auf ihnen laste. Es war jedoch ein Druck, der mit Religionsbedrängnia niciits gemein hatte. Denn unter den Amtsleuten, die von Grau- büuden zur Verwaltung des Landes bestellt worden, herrachte ^war niedrige Habsucht vor, und bei den Strafgerichten über Aufruhr und Landesverrat wurden nicht selten Urteile gc- ("iflt, die der rechthchen Begründung, nicht der grausamen Vollstreckung entbehrten. Allein die gottesdienstlichen Ver- richtungen der Anhänger Roms, wie auch die pekuniäre •erwaltung ihrer Kirche wurden bündnerischerseits niemals ■^hindert; selbst dem Bischof von Como, dessen Diözese "ch über das Veltlin erstreckte, blieb es immerdar uu- "^nommen, ein jährliches Einkommen von 500 Skudi aus "^tn Lande zu ziehen. Von einer Glaubens Verfolgung wider •^-atholiken , die auch nur entfernt derjenigen ähnlich sähe, Welche damals in katholischen Ländern den Proteslanteii ^»derl'uhr, läfst sich im Veltlin, so lange es den Bündnern '**iterworfen war, nicht die Spui' aufweisen.

Kurz nach Beginn des Jahres 1620 konnten Feria und *>e Planta mit aller Sicherheit ihre Vorbereitungen für da* '*-' «Hernehmen treffen, das sie im Sinne führten. Die aavn«

1 1 0 nitoscii,

internationale Sachlage lud sie förmlich dazu ein. Seit Hein- richs IV. Tode und vor Richelieus Emporkommen schwankte die französische Regierung unstät hin und her. Mit ihren Schwankungen hielt sie gerade im Augenblicke auf dem Punkte, sich von Spanien in die Kreise seiner Politik hinein- ziehen zu lassen. Der bei den schweizerischen Kantonen be- glaubigte spanische Geschäftsträger Casati hatte es verstanden ' den französischen Gesandten Gouffier zu gewinnen, und ihren beiderseitigen Verabredungen ward an Frankreichs Hofe nicht widersprochen. Man kam zuerst überein, durch die katho- lischen Kantone in die Bündner dringen zu lassen, dafs sie den aus Veltlin Verbannten die Rückkehr gestatten *. Sehr bald jedoch gelangte man zu viel weitergehenden Beschlüssen. Frankreich ward von der geschickten spanischen Diplomatie so wirksam umgarnt, dafs es gegen die Anstiftung von Ge- waltsamkeiten im Veltlin nichts einzuwenden fand. Und die Spanier waren nicht blöde, das Eisen zu schmieden, so lange es ihnen von den Franzosen warm gehalten wurde.

Der zunächst beabsichtigte und in Scene gesetzte Velt- liner Massenmord war nur ein Glied in der Kette von Mafs- regeln, die Feria, mit nachträglich erfolgter Gutheifsung des Madrider Hofes ^ behufs einer Besitzergreifung der bünd-

1) Über die Thätigkeit der zwei Casati in der Schweiz ist zu ver- gleichen: II. Reinhardt, Die Korrespondenz von Alfr. und Giro!. Casati, spanischen Gesandten in der Eidgenossenschaft, mit Erzherzog Leopold 1620 23, 1. Heft der Collectanea Friburgensia (Freiburg 1894). Ich lese in den Depeschen des venezianischen Geschäftsträgers in der Schweiz: ,.Alla dieta delli 7 Cantoni cattolici tenuta in Lucerna comparsero li banditi Grisoni suppHcando aiuti ... et mi vien afifermato che li ambasciatori francese e Spagnolo consultano con li detti cantoni come poter sollevare quelli suoi fazionarij." Pietro Vico, Zürich, 18. April 1620. Derselbe von ebenda, 9. Mai: „Mi vien avisato da confidente, « che machinano ministri delle due corone mettere, se gli sar& possibile, ^ in confusione quel paese (Valtellina) sotto pretesto di religione." Weiterem Bestätigung des französisch-spanischen Einverständnisses findet sich ii Vicos Depeschen vom 16. Mai und 9. Juni. Alle, auch des weiteren Dep. im Ven. Arch. 2) P. Vico, Zürich, 8. März.

3) Giac. Vendramin, Mailand, 10. Juni: „Ho inteso per cosa cei esser venuto di Spagna l'ordine della protezione dei banditi Grisoni, di publicarlo quando sia tempo, ma sotto noroe di Cattolici/^

UIE tliMORDUKG DER VELTLlNEli niOri-;sTANTEX.

Deri&cIieD Alpenpässe angeordnet hat. Er hatte die Be- satzung des i\n der nördlichen Spitze des Coraeraees ge- legenen Forts Fuenfes erheblich verstärkt ', halte ins Schwei- zerische nach Altdorf, wo er auch Werbungen vornehmen liefe, tmppweise fremde, aber spunischerseits in Dienst ge- nommene Soldkrieger entsendet, die allmählich bis auf 3000 Mann gebracht, über Bergpfade von kundigen Führern ge- leitet, sich nach Feldkirch durchschleichen und den Streit- kräften Erzherzog Leopolds anachliefsen sollten '. So glaubte er, nicht ohne guten Grund, vorgesnrgt zu haben, dafs die Bündner, im eigenen Lande angegriffen, aufseratande wären, ins Veltlin herabzusteigen und dem spanischen Einbruch sich entgegeuzu werfen. Von Geldern, die teils nach Altdorf über- seadet, teils im Moiländischen an verbannte Veltliner gezahlt wurden, um sie zum grofsen Morden aufzustacheln, wird uns ebenl'alla berichtet: unter anderen hat der Meuchler, der sich erbot, den Herkules von Salls, einen Todfeind der Planta, Ulis dem Wege zu räumen, 300 Skudi als Lohn begehrt, was Feriiv zu hoch fand und anfangs verweigerte. Indessen War schon Ende Juni alles zur Ausführung des Mord- *Bschlag8 bereitgestellt, so dafs in eingeweihten Mailänder Kreisen die Rede ging: binnen kurzem würden die Veltliner Ketzer und ihre Prediger und Herkules von Salis insbesondere iiiedergcmacht werden *.

Wenn dennoch eine Zögening von ungefähr drei Wochen

1) Tendramin, Mailand, 3. Jiuii.

2) Coutiauano a passar aoldati per Altorf cspeJiti da Milaoo . . . *^pw> da guide coodotti iiel Tirolo dove si trattengono . . . sino che intietne il nitinf ro dessigiiato di 3000 biiomiui, et doTcraano moversi *<wtra Grisoni da quella partn, quanJo gU vcnirä orJinato," Vico, Zoricb, 20. Jiini.

3) „Per dimaiii, mi vicii detto hor'bora, cbc sia poEto ordioe fermo d'iaiadere l'Agnaditia (Engadiu) bassa . . . oiide fra poco si possa sen- ^*nie l'effetto con ti-iicidazlone d<?i predicauti et degli heretici tutti, ma ^> Hercole Salis in particolare." Dcpescbc Vcudramin, Uailand, 27. Juni. f^rMlbf, 1. Juli: „Chi nffcriva di amazzare Ercole Salice dimandaya 300 gtuiJi per ricogoizione, ma Gua Excelleuza t andalo nel Dcgozio cou 'ni tarda risoliitioae , che coloro sono partitl mal sodisfatci, et il uc' c^üo j restato iraperfelto."

ie- 1

112 »UOSCII;

€ingeti*eten ist; so ist dies vielleicht aus dem Grunde ge- schehen ^ weil die Spanier auch den Papst dahin bringen wollten, dafs er zu ihrem Vorhaben ihnen seinen Segen gebe. Sie werden ihm nicht gleich mit der Thür ins Haus ge- fallen sein, nicht eingestanden haben, dafs sie mit Meuchel- mord beginnen, mit Eroberung enden wollen. Es galt ihnen nur den religiösen Verwand fiir den Kampf mit den Bünd- nern durch Einsetzen der päpstlichen Autorität zu verstärken. Allein sie kamen bei Paul V. nicht an den rechten Mann. Dieser Papst war seit Ausgang des unerquicklichen Streites, den er vor 14 Jahren mit der Republik Venedig vom Zaun gebrochen hatte, einigermafsen zur Besinnung und mit sich ins klare gekommen, dafs eine kriegerische Verwickelung in Italien oder an Italiens Alpengrenze den Interessen von Papsttum und Kirchenstaat durchaus nicht entspräche. Die Spanier mochten noch so sehr beteuern, dafs sie nur den ketzerischen Bündnern auf den Leib rücken, nur die Ka- tholiken des Veltlin befreien wollen; Paul V. konnte sich nicht verhehlen, dafs es ihnen um Erhöhung ihrer Macht, um Steigerung ihrer Aktionskraft zu thun war. Zwischen <lcm spanischen Besitz von Mailand und Neapel war der Kirchenstaat eingeklemmt. Diesen Besitz noch vermehren hiefs für das Papsttum die eigene Zwangslage verschlimmem. In Rom schwankte man wohl zwischen brennender Liebe zu den rechtgläubigen Spaniern und blasser Furcht vor dem unbändigen Stolz, der mafslosen Herrschsucht, von denen Spaniens Volk und Regierung oft genug handgreifliche Proben abgelegt hatten. Als Paul V. eröffnet wurde, was gegen Graubünden geplant werde, hielt er sich den spa- nischen Forderungen gegenüber rundweg ablehnend '. Zu tiefstem Bedauern empfing der Herzog von Feria in der-

1) Depesche des venezianischen Botschafters Hieronymo Soranzcczz ans Rom, 25. Juli 1620: ,,SpagnuoIi han fatto tutto il lor sforzo pei^ iuteressare il Pontefice in questi affari de Grisoni et tuttavia lo Tai^a combattendo; nia s. Santitä niostra ferma Yolontä di non ne Toler sapc -^ altro . . . Essi , per allettarlo dicono , che basta che assisti col cod^b siglio . . . A che risponde il Pont, che al Re non mancano buonl con^c: sultori, che in cio nulla se vi vuol ingerire.^*

DiK e&uobdi;ng DEU VELTLIKEK PROTESTANTKN. 113

ersten Juliwoche dio Meldung aus Itoiu, dafa der Papst nicht nur jede Mithilfe bei dem Untern elimeu verweigere, sondern nucJi nicht einmal seine Meinung über dasselbe aussprechen wolle '. Dies war Pnuls V. erstes Wort in der Sache, und es blieb, wie sieh uns zeigen wird, auch sein letztes.

Feria scheint die betrübende Nachricht aus Rom bald verwunden zu haben ; er liefa den von ihm und den Planta eingeleiteten Dingen ihren Lauf. Zu seiner Ernuitigung brachte ein von C'asati ans der Schweiz gesandter Kurier die Meldung : alles sei gerüstet, der Vorinai-Bch der von Alt- dorf abgerückten Truppen begegne keinem Hindernisse, su dafs man nur auf das in VeltHn zu gebende Signal warte und dann losschlagen werde *.

Dieses grauenhafte Signal erfolgte denn auch in der Nacht vom 19. Juli 1620. Da erschien Jakob Robuatelli, ein Verwandter Plantas, mit einer Schar von Verbannten und Wegelagerern, die er im Mailändisehen aufgelesen hatte, im Vcltlin und erteilte das Losungswort zum Morden. Die knlholisclicn Einwohner von Tirano eröffneten den blutigen iieigen, fielen über die im Orte ansässigen Protestanten her wnd machten ihrer 8i nieder. Bald folgte weiteres Ge- "neteel längs dem Laufe der Adda: in Toglio wurden GO, '" Sondrio, wu das Wüten drei Tage währte, 180 Pro- testanten ermordet. Hierzu kommen noch die an kleineren '-'rien des Thaies gefallenen Opfer. Man schätzt die Ge- ^^mtzahl der ums Leben Gebracblen insgemein auf nahe 60i>. Nur wenige der auf den Tod Verfolgten wufaten *i entkommen: unter diesen Georg Jeuatsch, nachmals der Retter Graubündens aus der Umklammerung durch fremde Mächte. Die Morder verstanden es übrigens, das ihnen Au- S^oebme ihrer blutigen Verrichtung mit dem Nützlichen zu

1) „Si dimoEtra rEccelleoza siia (Fem) oiolto disgustala del Pou- ^^^cp, perchi: nel negoxio coutra aiisntii aoa pure nuu ha voliitn puiger

ti, toA Don dire ne anco 1a Bua opinioue,'' VeudramiD, Mailand, 6. Juli.

2) ritimameQte capitö un corriero del Casati con uciva che da ogni t*«tidi i'avviaTano le gcoti alla iropresa dctermiiiata, et cbc si asppcttava ^ micndere la morte ttei Predicauti et d«l Saliee, e\

'^udiii.-" Vendramin, ul supra.

MlHbi I. K-0. XIII. I.

114 HKOSCH,

verbinden. Sie bemächtigten sich der hinterlassenen Habe der Gefallenen und verteilten dieselbe untereinander. Der Protestantismus im Veltlin war ausgetilgt: Robustelli und sein Anhang und seine Auftraggeber in Mailand konnten sich rühmen, das Thal der Adda von ketzerischen Elementen gesäubert zu haben.

Am 22. Juli gelangte Nachricht von diesen Vorgängen nach Mailand, wo Feria den Überbringer der frohen Kunde umarmte und küfste. Ohne Säumen wurde verfugt, dafs Robustelli und seiner Schar 6000 Skudi gezahlt werden, ihnen auch Musketen nebst Pulvervorrat und Lunten zu senden seien. Nach Como erging Befehl, 300 Mann ins Veltlin rücken zu lassen ^ : alles solches unter dem Vor- geben, einzig den katholischen Veltlinem beizustehen, nichts fiir Spanien zu begehren. Was Robustelli und seine Spiefs- gesellen verübt hatten, das feierte man spanischerseits als förmlichen Sieg mit einem Tedeum in der Mailänder Fran- ziskanerkirche 2. So ward der sehr schlechten Sache ein religiöser Anstrich gegeben, und so hoffte man den Papst zu überzeugen, dafs er dem augenfälligen Bemühen der Spanier um Eindämmung der Ketzerei und Erhöhung des wahren Glaubens seine huldreiche Anerkennung nicht länger versagen dürfe.

Doch Paul V. hütete sich vor jeder Aufserung, die man auf seine Gutheifsung der jüngsten Veltliner Ereignisse hätte hinausdeiiten können. Von den Spaniern bedrängt, wenigstens mit seiner Meinung in dem Falle nicht zurückzuhalten, wei- gerte er sich standhaft, sein Schweigen zu brechen ; von den Venezianern wiederholt mit der Vorstellung bestürmt, er

1) „Ho ioteso, che subito avuto Pawiso di tale successo (uella Valtellina) hanno mandato a quelli che Phanno commesso . . . 6000 scudi, 800 moschetti et quantit^ bastante di poWere et corda ... et che a Como si siano messi in ordine 300 fanti levati iu quella citta con se- cretezza, perche spingano iu loro (dei banditi) aiuto.*^ Vendramin, 23. Juli.

2) ,,NelIa chiesa di S. Francesco da un frate di quell' ordine, fa- miliäre di sua Eccellenza, si e fatto cantare il Te Deum et messa solenne, pro gratiarum actione della vittoria passata." Vendramin, 30. Juli.

DIE ERMORDUNG DER VET.TLINER PROTESTANTEN. 115

möge diesmal gegen Spanien Partei ergreifen, verharrte er in strenger Neutralität. Selbst als namens der Veltliner Ka- tholiken ein Kapuziner in Rom erschien und um Übersen- dung von 2000 bis 3000 Scudi flehte, die zur Anschaffung von Kelchen, Mcfsgewändern und sonstigen Kirchenparamenten dringlich erforderlich seien, konnte er zwar Indulgenzen und geistliche Gnaden die Fülle, aber nicht einen Heller Geldes erhalten *. Der gleichen Weigerung begegneten die katho- lischen Schweizer Kantone, die sich bereit erklärten^ den zur Unterstützung der Bündner vorrückenden Protestanten die Pässe zu verlegen, wenn nur der Papst zu dem Ende mit Geld aushelfen wolle *. Immer wieder äufserte Paul gegen den Botschafter Soranzo, wie ich aus dessen Depeschen vom 1. August bis Schlufs des Jahres 1620 ersehe, dafs er weder mit Meinung noch mit Rat, geschweige denn mit Geld bei dem bösen Handel beteiligt sei; dafs er das Eingreifen der Spanier beklage, aber nichts dagegen thun könne, weil es sonst den Anschein gewänne, als wolle der heilige Stuhl die ketzerischen Bündner in Schutz nehmen. Diese auch vom geschäftsfuhrenden Nepoten Scipio Borghese bestätigten und bekräftigten Erklärungen des Papstes machten auf Soranzo den Eindruck, dafs sie anfrichtig gemeint seien. Und heut- zutage fallt für die Annahme solch päpstlicher Aufrichtig- keit der Umstand ins Gewicht, dafs Paul V., um jene Zeit emsig bemüht, Geld für die Seinigen aufzuhäufen ^, nicht entfernt geneigt sein konnte, es an Spanier und Veltliner

1) Depesche Hier. Soranzo, Rom, 3. Oktober: „K partito quel pailre Capuccino, che capito qua per nonio dei Cattolici ilella Valtellina. IIa conseguito imUilgenze, giubilei et diverse prazie spirituali, mii wow ha rjpoitato danaro. Et havendo per ultimo richiesto al Pontefice 3000 8c. per comprar calici et paramenti per le chiese della Valtellina . . . s. San- tita li ha lisposto, che acquietati che siino H rumori fara poi qualche

co?a.*'

2) „Li Cantoni cattolici hanno fatto islanza a s. Santi.sa, col mezzo del nunzio in Svizzeri, di esser soccorsi di denaro, offoremdosi di tener chiusi et impediti i passi a*Svizzeri protestanti, accio non caliuo nella Valtellina; mk il Pontefice non ne faru altro." Soranzo, Rom, 22. August.

8) Vgl. des Verfassers Geschichte des Kirchenstaates (Ge*^« 1880) I, 369 ff.

c*

116 BKOSCH,

ZU verzetteln. Bis zu seinem , Januar 1621, erfolgten Tode hat der Papst auf die Zudringlichkeiten des Madrider Hofes nichts Verbindliches zu erwidern gehabt und seinen welschen Schrein verschlossen gehalten , wie sehr auch die in Geldnot stöhnenden Spanier nach Öffnung desselben ver- langten ^

Ganz andei*s hielten es die Venezianer. Sie hatten es freilich um vieles dringlicher; denn sie standen mit Oster- reich; das den Uskoken, einem Seeräuberstamme , Schonung einräumte, auf gespanntem Fufse. Und die Uskoken be- reiteten dem Handelsverkehr im Golfe der Adria schwere Verluste; auch brachten sie Venedig oftmals in sehr un- angenehme Irrungen mit dem Sultan , der die Signorie als Herrin des Golfes für den an osmanischen Schiffen von Us- koken begangenen Seeraub verantwortlich machte. Nebst- dem war die Lagunenstadt bei Verteidigung ihres festlän- dischen Besitzstandes auf die in Graubünden und der Schweiz angeworbenen Söldner angewiesen; wie konnten aber diese über die Berge kommen, wenn Spauien-Oäterreich die bünd- nerischen Pässe in seiner Gewalt behielte? Die Signorie zögerte nicht, gegen die ihr drohende Eventualität nach Sicherung zu suchen, selbst mit Geld herauszurücken, auf dafs die Schweizer mit wuchtiger Hand dreinfuhren, um den Spaniern das Konzept zu verderben. Dem Proveditore des venezianischen Gebiets jenseits des Mincio ward auf-

1) Die mailündisclie Kninnicr, auf welche die Last des Yeltliner Abeuteuers fiel, war franz auf doni Trockenen. Man lese nachstehende Mitteilungen Vendraniins: ,.Si piucura denari, ma non ne ritrovauo. Vorrebbono vender feudi; hainn» nicsso in vendita un luoco detto il giardino del castello, dal (inulo dicono che si cavi 9000 sc di entrata nclPanno. Et trattano partim con Cotta e RiTarola di 300000 sc. ma non concludono, per non vi osser da assicurarli." Depesche vom 9. Sep- tember. — Ferner am lö. September die Meldung: nicht einmal 4000 Scudi konnte die Kammer auszahlen, sie sei ,,al presente in tutto esausta''. Depesche vom 16. September: „Si e andato vociferando, che s^habbino a sospender li pagamenti a tutti quelli, che hanno in- vestito sopra li rcdditi di camera cosa che farä strillar roolti et perder il credito per altre occasioni, sarä bastante per Teffetto che si desidera."

DIE EnMifflDÜKG DKH VKI.TIJNK« PH "TK ST ANTEN.

getragen, er inüge den Bündnern, deren Vordringen ins Veltlin man erhoffte, mit Munition, Kriegabedttrf und 2(100 bis 300fi Uuksten nnslielfeii '. Zwei Tage darauf erging an den Ge- schäftsträger in der Schweiz Befehl: er habe den Zürichern als Beitrag zu ihrem Auszug gegen die Spanier 8000 Du- liaten zu zahlen, 4000 der Summe sogleich. Es fulgten im raschen Laufe weitere Ermächtigungen zur Gel dem us schüttung an Hemer und Züricher: erst auf aberraals 4000 lautend, wenn nur der Auszug bald erfolge, dann auf 1600U und ilsrüber gehend; auch sei Venedig sich zu verpflichten bereit, lür jedes gegen die Spanier ins Feld gestellte acliweizerische Infanterieregiment monatlich 4000 Dukaten Subsidien zu /jihlen und für je 500 Reiter, gleichfalls monatlich, 3000 Du- katen '. Miin sieht deutlich, die Venezianer verstanden sehr gilt, was für sie auf dem Spiele stand.

Mit Geld und diplomatischen Vorkehrungen konnten sie ^'llcrdings nicht verhindern, dafs Spanien zähe an dem Pro- gramme festhielt, dessen erster Punkt mit Ermordung der ^eltliner Protestanten erledigt war. Es fuhr mit der Be- "^teuDg des Veltlin, der Errichtung von Befestigungen dn- ^Ibst unentwegt fort. Bald war ea bis Bormio vorgedrungen, Während von Tirol aus die < 'stör reicher Erzherzog Leopolds 11 Gi'aubündeti einfielen, Chur brandschatzten, das Engadin ^"ei'l leerten. Die Sache der Bundner schien verloren zu sein, -^icht minder schienen eine Zurlickführung der Niederländer ''nier spanische Herrschaft * und eine entscheidende Wendung "es deutschen Krieges zu der Kaiserlichen Gunsten im Be- "^ich der Möglichkeit zu liegen. Spanien und Österi-eicli •tonnten jetzt im Bedarfsfälle einander Hilfe bringen, um Veranigt über ihre Gegner herzufallen.

1) Rpg. Seiiulu Sucrctn, Ven. .\id\.: bcliieiWii an ik'ti Pn>vcditoi*(.- Andr. Firuta, 6. August 1G20.

3) Geg. t?eo. Secr.; Schreiben au Vicn vom 8. Aiij^iist; an Vjco und l-ioDeiln, ifa anderen üeschüftsti agei', vom 13, und 28. Äueust.

3) Dip Sieileriändcr cnhcn sich über Bedeulung dieser Kriegs- "•irrtn keiner TfLUsdiunj; bin; hatten sie doch in Ileinricha IV. Zeit »ich bereit erklärt , auf einen THl der ihnen von Frankreich gewührtca Gelilunierstutiung m Gnnstpn der Granbüntlnpr Verzicht zu leisten. Ä«llL f., p. 304.

f

118 BKOSCH,

Nuu aber fafsten sich die&c zur Abwendung der ihnen dräuenden 6efahi\ Es kam zu heftigen^ durch 16 Jahre sich hinziehenden Kämpfen um den Besitz des Veltiin Kämpfe, bei denen Richelieu die Waffenmacht Frankreichs schliefslich mit gutem Erfolge einsetzte. Doch es war ihm das Schicksal der bündnerischeu Protestanten im Grunde genommen so gleichgültig wie das der deutschen: er wollte Graubünden als Tauschobjekt im Besitze haben, um es bei einem künftigen Friedensschlufs auf den Markt zu bringen und dem Meistbietenden preiszugeben.

Den listigen französischen Kardinal hat ein bündnerischcr Held und Staatsmann überlistet. Es war Georg Jenatsch, der den Franzosen aus den Händen wand, was sie unter Rohans Führung im Vereine mit den Bündnern errungen hatten und für sich allein zu verwerten gedachten. An der Ai't, wie er früher die Ermordung des Pompeius Planta be- schlossen und ausgeführt hatte, und wie er jetzt den Verrat an Rohan beging, Bündens Volk in diesen Verrat mit sicli reifsend, ist etwas Dämonisches nicht zu verkennen. DücL unter den Motiven, die bei all seinem Thun den Ausschlag- gegeben haben, war eine mit tiefer Bercclnumg gepaarte, glühende Vaterlandsliebe, die ihn einmal zum Morde irre- führte, ein andermal die Schlangen Windungen der Politik Richelieus durchschauen liefs. Ebenso durchschaute er die Absichten, die Neigungen und Abneigungen des Madrider Hofs, der das Veltiin lieber den Bändern als den Fran- zosen gönnen wollte. Dies in Betracht gezogen, suchte und erzielte Jenatsch eine Übereinkunft mit Spanien, der zu- folge die Gewalt der Bündner über das Veltiin unter der Bedingung wiederhergestellt wurde, dafs sich durt weder Protestanten, noch auch Kapuziner oder Jesuiten nieder- lassen dürften. Das Land ward also zu einem unter pro- testantischer Oberherrschaft stehenden, ausscliliefslich kathu- lischen, das nur zwei Sorten von römischen Klostergeistlichen den Zugang verweigern mufste.

Massenmord und Kiieg hatten Tausende von Menschen- leben weggerafft. Das Endergebnis der langen Kämpfe und des ihnen vorausgeschickten grofscn Verbrechens war ein

DIE EUM< »KDÜNG DEU VELTLINEK PKOTESTANTEN. 119

^Iches; dafs keine der streitenden Parteien sich als Sieger betrachten konnte, dafs eine jede in Bedingungen ge- willigt hat^ die ihr mehr oder weniger bittere Enttäuschung brachten. Das Streitobjekt verblieb in bündnerischem Besitz und war dem Katholizismus gewonnen aber nicht den Spaniern, die es imter ihre Botmäfsigkeit zu bringen ver- sucht und bei dem Versuche auch mit den verwerflichsten Mitteln nicht gespart hatten.

ANALEKTEN.

Neue Akteiistiicke zur Geschichte der Wittenberger Unruhen von 1521/22.

Mitgeteilt von

Dr. Hermann Bärge in Leipzig.

I.

Anfang 1522 erschien, nach den Lettern zu urteilen bei Joh. Grnnenberg, in Wittenberg eine kleine Flugschrift: Sendtbrieff. D. Andree Boden: | von Carolstadt meldende seiner | Wirt- schafft/* II etc. (Original in Wolfenbfittel und Dresden). Sie ent- hält drei Stücke: einen Sendbrief Karlstadts, in welchem er seine bevorstehende Verehelichnng mit Anna von Mochau ankündigt (s. Jäger, Andreas Bodenstein von Carlstadt, S. 257/258), sechs Beschlüsse der Wittenberger Augustiner und Sequenzen zum Preis Luthers.

Ein seltener Nachdruck dieser Schrift befindet sich in der königlichen Bibliothek zu Dresden: „Sendtbrif. d w ^ | Andree Boden. | von Caralstat meldende j seinner wirtschaat [sie!]. || Nftwe gschicht von pfaffen | vnd mfinche zu | Wittenberg | Witten- berg." II Kleines Blattornament. 4 Bl. Sign, fehlt. Titelbordare: Dommer Nr. 156 (Panzer, Annalen der alt. deutsch. Litt. II, Nr. 1451). Die Titelbordure ergiebt, dafs der Nachdruck in der Offizin Thomas Ans heims in Hagenau hergestellt ist ^. Er

1) Ried er er, Nüzliche und aDger.emc Abhandlungen IV, S. 492 erklärt das .,d w" mit „des würdigen** (?).

2) Die Bordüre ist nicht der Nachschnitt von Joh. Prüfs in

BÄRGE, AVlTTi:>sBl£RGEK UNRUHEN 152122. 121

enthält zunächst die drei Stücke des Originals. Hinzu kommt aber noch der Abdruck interessanter Mitteilungen über Witten- berger Zustände zu Anfang des Jahres 1522.

Der Bericht ist uach dem 16. Februar 1522 abgefafst wor- den, da Vorgänge dieses Tages in ihm erwähnt werden. Da femer eine ^r „Mittfasten", d. i. den 30. März als spätesten Termin vom Wittenberger Rate angeordnete Mafsregel noch nicht als durchgeführt erscheint, so ist die Abfassung unseres Berichtes yor diesem Datum erfolgt. Ja, es ist wohl zweifellos, dafs er vor dem 6. März, dem Tage der Bückkehr Luthers nach Witten- berg, niedergeschrieben ist, da ein Ereignis von dieser Bedeutung nicht unerwähnt bleiben konnte. So ergeben sich als zeitliche Grenzen der Abfassung der 16. Februar und der 6. März 1522.

Der Dialekt unseres Berichtes ist der elsässische. Besonders charakteristisch ist die Form Pfarrkilch' " für „Pfarrkirche** ^ Nimmt man an, dafs Thomas Anshelm diesen Bericht einem ihm von einem Bekannten aus Wittenberg zugesandten Briefe entnommen hat, so läge es nahe, an den ihm verwandtschaftlich nahestehenden ' Johann Setzer als Verfasser zu denken. Setzer, der bisher als Korrektor in Anshelms Druckerei thätig gewesen war, kam zu jener Zeit nach Wittenberg, um daselbst Medizin za studieren ^.

Der kurze Bericht mag im Wortlaut folgen:

„Item der probst zu Wyttemburg hat eiu volckju zu dor Ee genommen * (\ Ein barfusser munch ist ein scliustre worden vud eines burgers dochter genomen.

Ein and* barfusser ist ein beck worden vnd ein fraw gnomen. n Ein augustiner ist ein schriuer worden vnd ein frawe genomen. Q Docter veltkjrch hat syn köchin gnomen^ (| Der Rott zu

Strafsburg, den Domnier Ö. 2ü8 erwähnt. Übrigens vermutet schon Ried er er a. a. 0., dafs der Druck „im Elsä?sischen " liei uus«reknmnion s^oi.

1) Vgl. Grimms Deutsches Wörteibuch, s. v. „Kirche**.

2) Vgl. darüber K. Steiff, Johannes Setzer (Seceiius), der jjeiehite Buchdrucker in Hagenau. Centralblatt für Bibliothekswesen l.K (1802^ S. 305.

3) Th. Kohle, Aualccta Lutherana, p. 38. Aus dieser Stelle folgt nicht, wie Stciff S. 304 annimmt, dafs Setzer eist Ende Juli 1522 nach "Wittenberg gekommen sei.

4) Justus Jonas heiratete eine Wittcnbei perin Katharina F a 1 k , Tgl. G. Kaworau, Briefwechsel des Justus Jonas II, S. xvii

5) Dafs der Kemberjjer Probst Bartholomäus Bcinhaidi vc^n VM- kirch seine Köchin geheiratet hat, war bisher nicht bekannt. Spa- latiu sagt in seinen Annalcn bei Mencken II, G07 nur: Maj?. Bar- tholomaeus Bernhardus Feldkyrchius, sacerdos alioquin inleger, duxit uxorein puellam virgincm. J. H. Feustkinjr, das Leben des ersten v#»rehrlicbten Predigers, Bartholomäus Bernhardi etc. (Wittenberg 1705) schiiibt S. 50: „Ich kan nicht leugnen, dafs ich, meine curiositilt zu

122 ANALEKTEN.

Witteuburg hat den barfussern vnd augusÜDern gsagt, Sy sollen die closter vor mit fasten [d. i. 30. März] ruineo vnd haben alle dinodt jn klostern vff gzeychnet All gemein franwon sin vertriben^; sitz einer in der vneer, der muß sj elichen oder faren lassen (\ Der ratt hat viiij menner gesetzt oder geordnet die sollen alle arme leut ^ de in der wejsseu den gidt der ratt von den gischlichen [? ? Von den geistlichen Einkünften?] oinem yegklichen noch siner notdorffc, einem alten prister vj gülden, ein junger sol ein hanwurt leren [= ein Handwerk erlernen].

d Eyner ist ein saltzfurer worden noch (== nah) by der stat Item her diu rat meyns gnedigen heren senger hat all sin lehen verlossen. (\ Her paulus, Dumherr zu Wyttemburg senger gewest, hat alle sin lehen verlossen. Q Die pfarhern vnd ander trefflich herren die mir vnbekant syn.

(I Die pfarkilch stet alle tag zu ^, on am sontag helt man ein tutsche meß dar jn vnd prediget, vnd das volck godt ser zum hochwirdigen sacrament vnd nements selbs vff dem altar vnd nement den kelch selbs ja die handt, vnd trincken dz blut christj. Zu der lach helt vnser bischoff'' ju der pfarhcn tutsche

stillen, ein ehrliches darum geben weite, wenn ich erfahren künte, wer diese Kembergeriu und erste Mutter der Lutherischeu Priester Kinder gewesen? wie sie peheissen? und aus welchem Geschlecht sie ent- sprossen? allein ich habe, nach vielfältigem Forschen und Nachschlagen, gar keine Nachricht davon einziehen können.*^

1) Diese Mafsrcgel wird in dem Briefe des F. Ulscenius an Capito vom 24. Januar 1522 als bevorstehend erwähnt. Th. Koldo in dieser Zeitschrift V, 331.

2) Die Stelle ist offenbar verderbt. Sie beweist aber, dafs eine neue Armenordnung vom Wittenberger Rate angenommen und in Kraft getreten ist,

3) Diese Mafsregel blieb auch nach Luthers Rückkehr bestehen. Vgl. Th. Kolde, Martin Luther II, 53.

4) Gemeint ist Franz Günther, seit 1520 Pfarrer von Lochau. Siehe Litteratur über ihn bei Seidemann- de Wette VI, 501 und bei Enders II, 162. Wegen der im Kultus vorgenommenen Neue- rungen hatte er am 3. April (wie der Pfarrer von Herzberg schon am 2. und der Pfarrer von Schmiedeberg am 5. April) sich einem Verhör vor dem Bischöfe von Meifsen, Johann von Schleinitz, zu unterziehen. Vgl. Seckendorf, commentarius de Lutheranismo Hb. I, sect. 54, § CXXX additio I (Ausgabe von 1692, 8. 220 f). Fortgesetzte Samm- lung von Alten und Neuen Theologischen Sachen 1721, S. 553 f. Auffällig ist, dafs in den zeitgenössischen Quellen der Pfarrer von Lo- chau regelmäfsig Bischof genannt wird. So aufser au unserer Stelle in Flugschriften, die sein Verhör vor dem Bischof von Meifsen schildern <S. Panzer, Annalen II, S. 89, Nr. 1447 uud 1448 „des neweu Bischoffs zu der Lochaw Disputation mit Doctor Ochsenfart vor dem Bischoff von Meyssen etc.^^ Eine dritte Ausgabe hiervon in Dresden und Zwickau); ferner Justus Jonas an Job. Lang 8. Januar 1522 Epis- copus Lochanus bei G. Kawerau, der Briefwechsel des Justus Jonas

BAUGE, WITTEKÜEKOEU INKUIIEX ir>21 22. 123

meli vüd üz volck Communiciert uuch sub vtraque specie Ne- ments anch beider gestalt Yom altar. Q Des glichen bat man 7U gessen zu stundlberg * , Eclenburg * , zu hertzberg am sontag nach valentini [=» 16. Februar 1522] angefangen.

Am sontag nach valentini ist ein fremder prister zu den bar- fusern ji (!) der predich gewesen, bat mit lutter stim gesachtt her domine, sagtt vns von dem Euangelio. Dz ist zum andern mall gescbebn. darnoch ist der münch vom predig stul gangen.

0 Zu Schlehen^ hat der pfarrer gpredisrt do sagt ein Stu- dent von Wirtenburg (!) liebes volck herlucht [= erlügt] vnd legt dy heyig geschrifft falsch vß. Do ist er in gefenguis gesetzt wordenu vnd hat sich herbotten, mit dem pfarrer zu disputieren. Da hat der stiident recht behalteu vnd den pfarrer vberwunde Q Mynch vnd pfaffe« lassen blatten vnd wasser vnd nemmen ewib.**

11.

Während sich Herzog Georg der Bärtige Anfj^ng des Jahres 1522 zu Nürnherg aufhielt, liefs er sich über die kirchlichen

I, 83. Trotz der von H. Haupt, IJeitrüpe zur Ueformationsgeschichtc iler Reichsstadt Worms (üicfssen 1897) S. 27, Anui. 1 angeführten Stellen ist ciue solche Bezeichnung für einen Dorfpfarror durchaus un- gewöhnlich. — Eine Erklärung orgiebt sich daraus, dafs Franz Günther sich selbst in seinen Briefen als Episcopus lochanus unter- schrieb. Siehe seinen Brief vom 25. Januar 1522 hol J. K. Sei de- in an u, Thomas Münzer, S. 126. Er wollte offenbar Eorderungen, wie sie Luther schon früher theoretisch aufgestellt hatte, dafs jede Ge- meinde ihren eigenen Bischof haben sollte (siehe die Stellen bei Haupt a. a. U.). in die Praxis überführen und legte sich darum selbst das Prädikat eines Bischofs bei. Diese Bezeichnung ward dann auch von anderen zum Teil vielleicht nicht ohne leise Ironie angenommen. Dagegen nennt Luther (an Spalatiu 12. April 1522) ihn Pastor Lo- thensis Enders H, 327). Franz Günther blieb bis zu seinem im Jahre 1528 erfolgten Tode Pfarrer in Lnchau, siehe Enders 11, 328, Anm. 2.

1) Gemeint ist SchmieJebcrg, wo Nicolaus Clajiis Pfarrer war. Alles Wesentliche über ihn stellt Enders II, 270, Anm. 7 zusammen. Schon in einem Schreiben dos Kurfürsten Friedrich des Weisen an den Bischof von Meifsen in Luthers Werken, Altenburger Ausgabe II, S. 132 erscheint der Name Schmiedeberg verstümmelt (in „Sonder- berg"), was Sechendorf am oben angeführten Orte richtig stellt. Zur Sache siehe auch obige Anm.

2) == Eilenburg. Über die Umtriebe Gabriel Zwillings daselbst vgl. J. K. Seidemann, Erläuterungen zur Reformationsgeschichto (Dresden 1844), S. 35— 42. Th. Kolde in dieser Zeitschrift V, 327 bis 329, Vgl. noch das zweite der hier abgedruckten Aktenstücke.

3) Gemeint ist das Kirchdorf Schleesen, ungefähr zwei Meilen südwestlich von Wittenberg. Die Stelle zeigt, dafs Studenten die Agi- tation auch in die Dörfer der Umgegend Wittenbergs trugen.

124 ANALEKTEN.

Vorgänge in den albertinischen und ernestinischen Landen genaue Berichte von seinen Räten schicken. Drei solcher Berichte Qber Gabriel Zwillings Umtriebe in Eilenburg sind bereits gedruckt ^ Sie müssen nach Nürnberg vor dem 14. Januar 1522 gelangt sein, da Hans von der Planitz ihren Inhalt am 16. Januar an den Kurfürsten Friedrich mit dem Bemerken berichtet, dafs Her- zog Georg zwei Tage vorher über die Vorgänge in Eilenburg Klage gefQhrt hätte K

Etwas später mufs der unten abgedruckte Bericht bei Georg eingetroffen sein. Denn erst am 28. Januar 1522 thut von der Planitz seiner Erwähnung '. Die Abfassungszeit des Schriftstücks fällt in die Zeit nach dem 1. Januar 1522, da Ereignisse „an des newen Jharestag" erwähnt werden, und vor den 19. Januar, da die fOr diesen Tag angesetzte Hochzeit Karlstadts („Suntaga nach prisce virginis") als noch nicht geschehen erwähnt wird.

Die in unserem Bericht gegebene Mitteilung, dafs Luther in Leipzig sich aufgehalten habe, veranlafste Herzog Georg dazu, seinen Söhnen am 5. Februar u. a. die Weisung zu geben, den Leipziger Rat zu strengen Nachforschungen über Luth'^rs Aufent- halt in Leipzig zu veranlassen ^ Über das sehr unbestimmte Ergebnis seiner Nachforschungen berichtete der Leipziger Rat be- reits am 16. Februar 1522 an die Prinzen \

Der Bericht, welcher sich im Königl. Hauptstaatsarchiv zu Dresden Lokat 10 297 findet, lautet:

„Newe zeituiig Martin Lutter hat die kappe außgezogen, die platt vorwachsen lassen, eyn langen hart gezogen, gehet in ganz wertlichen kleydern, reyt mit dreyen pferden im hämisch, ist kurzlich also zu wittenbergk gewesen, solhes haben mir glaubhaft Edel vnd andre leut, die yn also gesehn, für ganze warheit angesagct.

Er soll auch am tag Thomä Apostoli ® heimlich zu leiptzk gewesen sein.

1) Bei Sei dem an n, ErläuteriiUKCU, S. 36 42.

2) Virck, Des kurfürstlichen Rates Hans von der Planitz Be- richte etc., S. 67/68.

3) Virck, S. 73. „Man hatt seiner G. auch geschriben wie Mar- tinus in Wittenberg mit dreien pferden gewest und hämisch gefurt, die cappen von sich t^eworfen, die blatt vorwachsen lassen und einen laugen part gehabt/' Vgl. damit den Anfang unseres Schriftstücks: ,, Martin Lutter hat die kappe außgezogen, die platt vorwachssen lassen, eyn langen hart getzogen . . . reyt mit dreyen pferden im hämisch, Ist kurtz- lich also zu wittenbergk gewesen."

4) Dieser Brief Georgs gedruckt bei Seidemanu, Leipziger Dis- putation, S. 96—99.

5) Gedruckt bei Sei de mann, Leipziger Disputation, S. 99 103.

6) Das wäre 21. Dezember. Auch der Anonymus bei Strubel, Misiell. V, 124 berichtet merkwürdigerweise, Luther sei „in Advent

BAUOK; AVITTENBEUGEU UNUUJIEK 1551 2-2. 125

Docior KarUtat hat am Cristage zu wittenbergk iu der Pfarrkirchen ^ ejo messe, die sie evangelisch nennen, in werlt- lichen kloydem, ane alle Ornat, anch snnder Cerimonien gehalten, da biß in zweitaasend menschen vnder bejderley gestalt bericht, ist ime auch eyn partickel an die Erde gefallen, des er gar nicht geacht vnd gesaget hat: Es liege wo es wolle, sag es eben gleich, das man nur mit fuessen nit darvff trete.

Karlstatt dem ist am S:inct Steffanstage eyno erbare Junck- fraw, doch nit fast hübsch vnd arm, des geschlechts von Mochaw, Cristoffen von Mochaw zu Segrenen, eyn meyl von wittenbergk, gesessen muheme, zu der Ehe vortrawet, wirdet Suntags nach prisce virginis schirst seyn ehelich beylager haben.

Er hat auch die platt verwachsen lassen vnd lest sich hören, wo das furnhemen mit der ewangelisch messe nit furgang haben wirdt, well er keyn andre messe mehr halten vnd zu wittenbergk eyn haus kanffen, sich da mit brauen vnd schenken gleich ein ander pauer ernehren.

Es ist eyn ausgelauffner Augustiner monch kegen Eyle- bergk kommen, hat eyn hart, keyn platten vnd wertlich kleydor an, heyst Gabriel, wirt daselbst vffm Schloß enthalten. Der predigt daselbst wunderliche ding, hat vnder anderm gesaget, welcher mensch vil messen hört ader bettet, der ist des teuffels mit leib vnd Sehel.

Item es sol auch keyuer flrchten, das er von gott vmb seyuer sund gestrafft werd, dan als bald sunden gescheen, so werden sie von got weg genomen, dan ehr ist allain das lemlin gottes, das die sunde hin weg nymet.

Item man darff nicht beychten, fasten, noch mehr wan den Suntag feyren, auch kein gut werk mehr thun anders dan predig hören.

Er hat an des newen Jhares tag bis in dreihundert menscheu vnder beyder gestalt zu Eylbergk vffm Schlofs bericht. Ist Tauben- heim der erste, der kuchenmayster der ander, der Glaitzman von Borne der dritt vnd andere mehr hoffgesinde darvnder gewesen. Item er hat eynem jeglichen menschen das hoylige Sacrament in seyn hant gegeben, der es selbest hat mögen in den niunt stecken. Man sagt, etliche haben es in die taschen geschoben vnd mit sich hinweg getragen. Es hat auch ejn frau gleich von

letzt drei tag" (= 22. 24. Dezember) in Wittenberfr ircwescn. I)'>r]j schreibt Luther schon am 20. Dezember 1521 an Link Kx Kremo*", ,,Eram Wittenbergae." Siehe Enders III, 258.

1) Bisher nahm man meist an, dafs Karlstadt die Abendmalilsfei''*- am Christtage in der Stiftskirche, an der er Archidiakunus war, vor- genommen hätte. Vgl. Th. Koldc, Martin Luther II, 34 u. CGS (gegen Ranke II, lo).

12G AKALKKTEN.

cyaer oblaten davon gebissen, das fraginenta davon vfF die Erde pefallen sindt, des nymants geacht hat.

Es hat auch ein iglichcr den kelch selb genomen vnd guihe ^tarcke trüncke daraus gethan.

Die lenthe sindt auch alle vngebeicht zu dem Sacrament ^'luiü^en.

Gabriel hat auch offenlich gesagt, welchen die tzen zu langk wnrdten, der solt heym gehn, eyn Suppen essen vnd darnach Hiddeikv^men, wolt er yn eben wol comunicieren.

p]r hat auch selbst am Cristabend fleisch gessen vnd lest sich lioreu, soUicii i^eyn glaub müsse noch in kui*ze durch aller herren von Sachsscn land mit lieb oder leyde angenomen werden/'

II l.

In dem auf der Hamburger Stadtbibliothek befindlichen wert- vollen codex Bychardi, der den Briefwechsel des ülmer Arztes Wolfgang Rychardus abschriftlich enthftlt, befinden sich mehrere Schreiben, die von einem Wittenberger Studenten der Medizin, Johannes Magenbuch, an diesen gerichtet sind ^ Einer dieser Briefe Magenbuchs, der etwa zwei Monate nach Luthers Rückkehr nach Wittenberg geschrieben ist, behandelt die Zustände in Witten- berg während Luthers Abwesenheit auf der Wartburg und den ^urch seine Rückkehr hervorgerufeneu Umschwung in deu An- schauungen. Enthält der Brief auch kaum etwas, wodurch unsere Kenntnis des Thatsächlichen bereichert würde, so fesselt doch die Frische und Anschaulichkeit, in der uns die Ereignisse von einem Augenzeugen geschildert werden. Auch der persönliche Stand- punkt, den Magenbuch in religiösen Fragen einnimmt, ist von Interesse. Er gehörte offenbar zu den Schwachen, für die Luther Schonung heischte. Klebt nur die Verbrennung der Bilder und die Übertretung der Fastengebote sind ihm Werke des Tenfels, sondern auch die Erteilung des Abendmahls unter beiderlei Ge- stalt. Und so begeistert er sich über Luthers Auftreten üufsert, bedauert er doch, dafs auch nach seiner Rückkehr die Ohrenbeichte, die Magenbucli lebhaft zu rechtfertigen sucht, in Wegfall blieb.

Der Brief ist von Leipzig ans geschrieben, wo sich Magen- buch vorübergehend zur Messe aufhielt, und datiert vom 16. Mai („die Veneris post jubilate'Oi ^^ ^s Jahr der Abfassung natürlich nur 1522 in Betracht kommen kann.

1) Über Rychardus vgl. Veeseumeyer, Sammlung von Aufsätzen, S. 185. Über Magenbuch vgl. Kolde, Analecta, p. 50, Anm. 2. Im Jahre 1536 erscheint er wieder als Leibarzt des Landgrafen Philipp von Hessen. Ebend. S. 230.

TlARQEj WlTTi:XIlEI!GER fNULIIEX 15^1, 39. 127

' Johannes Magenbuchius.

Mira voloptute adfoceritnt me litenie tiiae plnncqne fy/Xucm

<fi}.i,r xi^(i Uaürvov, concijiiens non parvara amiciciae spem eu.

i|Oud qnum ptiinum ii,q ifih'ug yiip/tov ostendelmnt, id eat meiiin

iilfutium connivebant, oimsamqne addebant /»"; ['npooK/opioj.

Q':am ob cauaum orlmfin/lai;, quanto copiosior es in igaosceD'H

nipia, lantn düigentior loannes erit, ne nmplius peccet tacendn,

(Tratissimum antem (acio) amiuo est id, quo ipse delectatur im-

primie. tractaie, oe sdliuet liibens ujthuram Rudiea^, ego liatiilii

cdnam. Du evangeiiu igitur, quod apud iiua reflorescero ornue;

ilicunt (nlinam verius) certiores vod faciam quibuaque diaboli pru-

tdlis niiper obruti Eimus dpqiie eins vario tcutandi genere:

•la {.'tiani CbriEtiiini sint, qui abrogant leges pontificias, hoc est

comednnt ova, carnes, non ronfitpntur ote. De hiü oronibus fif-

üodtxtüg et breviter scribaiu, et quid nobiscum hucufi(|ua actnm

mL Lvangelion est media qaaedam via inter dexterani et äinia-

Nam, nnde etiam lege cautum eat, ne duclinemi^s nvs ad lutna

aliquod. lu parte sini^tra sunt omnla ceromouialia, lege^ ponti-

fici^e etc. In altera autem parte sunt libertatis et evangelii opera.

Vera et media via est ßdes ipsa et <.'haritaa: in qua ambulantes

OixiDes Cbristiani vocantur neu Gdem eine cbaritite babere licet,

sicat Paulus dixit, qiiod si haberem tantam ßduciBm, qua monte»

tran^ferre p^issim, neu teneus pru&teiitium Cbristi amurom, nibil

SI.!!!!. Ut autcm iam ipsam pinguiore Minerva aperiam, sed tarnen

Pl«riHs, dioo quod ainiatrum iter, quo diu ambulavimns, iumdudnm

«l>latnm fnit, quamvis Satan totis viribus contra digladiaverit, ita

«>t; eliara Martin um delitescute oportnerit propter eiua furorem.

^2ui) lacto detractor eo ad ultenim latus coutulit (quem non putest

raiJlere diaholusl) toto Macte uus impellens iam ad (ipera deitra

*- e. libertatis sou evangelii: ut ad combarendum imaginos, ad

»»OD cnntitendum , ad cnrnea comedendum, nd utrasqne Christi

species, ita nt etiara mnnes uredebant se Christianos esse, qui

*^«-mB vescercDtnr, qui communicarent sub ambabus fotmis, qui

»•on ubservarent liumaoa instituta, Sic enim Carolosladius

*^t Dionacbus qnidam Gabriel dictus et alii plures instituebant

Valium, quod facilo mobile est, ut amnia praecipiti animo faciant.

*^<]i omnino inculcabant populo ßdein sine charitate: quo etiam

ima^ines concreraatae sunt, evangeliua miasa coepta, in summa

^''aditiunea omoes abrogatae. Sic lapsi fuimus Uartinn non aliter

^liiaiQ Ualatbe Paulo Quo facto Martinus noa revisit omniuque,

<|Doi| [gif,t| DQg deposnimuG, ipse iternm instituit: non ut impie

<

128 AhALKKIES.

fecarimus in nun udoranüo imagines, in communiuiiitJo , ta ivetU tuendo evungelicum missam: sed quud infiiini fratriü ( habuOTJmug, hoc est churitatem. Sermonum autem eiiig t täte fuit posuitque fundamcntiim , ut siipra fidem ot. charitalem, soüicet imum siuo altero nihil esse. Secundn Cliristiano ho- mini omuia lihera esse, hoc est: er mugs lussen oder Ihon omne iiuod nun beat. Teruiü pcnes nos e^se ot iirediuemna lidsm, üed nun nt cn^Mmus, sie ut dicore possim sacerdnth Tua misft papitlis est f.iba, in celebrandn peccas, sed nnn coguin nt desi^tnt. I'rimn ergo de inmginibns quae n«n iustjficant: hii<; est, man mags haben oder nit haben; uDde nihil nobis aliu''. ruciandum est, nisi ul dicam seil Joceam: sualptitia noii sunt luloraudu, noa est li;ibenda fidueiu in Bunctob, Bt sie prioiü cur trabondum est: quod si quia tredident, nihil refert, sive vide;it idoln, si^e non: et sie iTodens non coufidet, inRrtnna nrni si-andalizibitiir; kan ich diuh a'ia leliendisch menach sehen, i:t tacnim de pintin. Quod dixi de inniginibus. intelligendae sunt i''mnes res aliae: als nichts von fiistoii lialten, kes, butter, (iaisch essen, ein kapjien an oder iLuli ziehen, lluec omnia Hb^ra sunt. Dils ist, ich thies oder tliies nit, so macht es miüb nit selig. Ergo si habuoro ßdem cum cliaritate, utiir libertate roea sii', ut mm sira scandalo fratri meo. qui non intelli^it adhn« Hberlatem.

Quod confcssioauricularis (ut tni» verbis ntur] interierit, iloleo. Omnino entm nun ubicienda est. Sic eniin misericors pat«r abuudiLDter dcdit nobis prumissiones , quibus poüsurnua nos niuuii'e contra diaboltim, ut in uratione domintca etiam habemus cuufesäionem , lioc est: wen wir vergebend, so ist vns auch »er- t'eben. Solt ich darum sprechen: Hab ich doch iu dum pat«r M noster die Vergebung der sund, wiis darff ich dann der beie.ht, I

der promission in dem i-acramont etc. Non, sed dicum : nt atu- ^

bilior tiat conscientia mea, acuipiam promissionem in oratione «

dominica. Itetn in saciamento cum dixit: hie est tiiingnis mens, _

qui pro vobis effiisus ett in remissionem peccatorum. Item diiit ..^ Giilvator: quod conclndunt duo fratres, sit cnnclusum. so will fi g')n ain brnder nemen, sive sit sucerdos sive non, et audiam .xin etiam absolutionem, hoc est: was wir b esc h liessend, das wirt be- ^ schlössen sein etc.

Habeas hoc breviter, doctor egregie: alio tempore copiosior^K^ ero, non enim potui solus esse, ut praemeditatius seu elegantins^ ü»- i srriberem (Nipsiae onim fui). Hoc autem l'hiüppn dicsm tuoo*-^^ u'imine, et si fuissem WlMenbergue, hoc est dumi, misissem tjbr<:f «.^ eius xf'puypufi'y- Cnntinuus enim convictns est mihi cum eoa:»^»i I'ruximo redditac sunt eins literao magistro Francisco Sta- .«« i diano, sed nescio an acceperit vel non. Omnia, qnae nobiäcuim sjll eicuduntur de Martino, de Melanchthone, nccipies niB»ff»iW

CLEXES, ZWEI OUTAaiTEK FRANZ LAHBEItTS. 129

tnoDere. Non babiij tempna, nt rescripsissem Mancho Daniel, item fitio Zenoni ', sei in brevi fsciam. Dabatnr mihi non locng in hoepitio Lipaiae, nt Golna fnifsem, atqne vii potni baec breiiter comprehendeie. Vale. KaXmg et nnice triampbaris ipw^ TiüricDv tfiXjaxoy et ne aia turdus mihi scribendo, hoc idem et egf) faciam. Iteram vale in nundinis LipsetiBibua. Datum raptim die Venetis post jubilate. Magjatrum Martinum apotheca- linm meo nomine saiates plurimas dicas.

' 1) Zeno Rj-rliardus, der Sohn Ana Adressaten. Sein reicher Brier-

tmit dem Vater findet sieb im codex ßfchardi. Zwei Gutachten Franz Lamberts von Avi^non.

Mitgeteilt

TOD

Otto C lernen in Zwickao.

Im NoTember 1522 kam Frani Lambert von Ävignon nacb ^iseoacb '. Schon Anfang Deiember wandte er eich an Luther ''^It der Bitte, ihm zur Obersiedelang nach Witteuberg behilflich ^U Bein; dieser zeigte sich aber zunächst aufßiliig mifstraniech t^Qgen den ihm wohl gar zn geflissentlich und flberscbwenglicll ^»gepriesenen fremden „ßvangeliaten" '. Am 21. Dezember, am ^age des Apostels Thomas, wollte Lambert in Tiffentlicher Dis< Polation zu Eisenach 139 Thesen über den Cülibat, die Obren- b«ichte, Taufe, Bufiie und Rechtfertigung verteidigen, es erBchien &ber kein Qegner ^. Mitte Januar 1523 kam er in Wittenberg An, TOD Lotber, der jetzt erklärte, der Mann gefalle ihm in allen beiiehnugen, gastfreundlich aufgenommen *. Am 30. April n-nrde

1) Spalatini DiaHum bei Schelhom, Amoenitates lilerariaelV (17251. p. 327.

2) Enders, Luthers üi iefweclisel IV, Nr. 595. 602.

3) Baum, Lambert von Avipnon (1840), S, 31. Kiuige dieser 1>teo bei Scbelhorn IV, 32Sfr. Am 12. Januar 1523 schickte l>ulheT die poEiCionea Serranas an Spalatin zurück (Enders, Nr. Gl^.

i) Herminjard, cnrrespondance des reformateurs I, Nr. 60. 61. anders IV, Nr. 6IG. 627,

biuchr. t. I -Q. iiir. I. 9

130 ANALEKTEN.

er nebst zwei Landslenten, dem ehemaligen Bhodiserritier Anö^ mond de Coct und einem anderen jungen französischen Edelmann Clandius a Tauro immatrikuliert ^. Am Pfingstsonnabend, den 23. Hai, gewährte Kurfürst Friedrich den dreien auf seiner Be* sidenz zu Lochan eine Audienz ^ Am 24. Juni Te richte sich Lambert mit Christine» der Tochter eines Herzberger Bäckers, die im Hause des Arztes Augustinus Schürf diente; am Mar- garethentage sollte die Hochzeit stattfinden \ Schon im August tmg er sich mit dem Gedanken, Wittenberg zu verlassen^; er schied jedoch erst Mitte Februar 1524 ^

Über seine Dozententhätigkeit sind wir gut unterrichtet: im Februar 1523 begann er über Hosea zu lesen*, im Mai fiber das Lukasevangelium, im November erklärte er das Hohelied und den Propheten Ezechiel ^. Von allen diesen Kollegs und aufser-

1) Album aeademiae Vitebergensis ed. Foerstemann, p. 117.

2) SpalatiniDiariuinbeiSchelhornlV,S33f. Ender8lV,Nr.660.

3) Herminjard I, Nr. 71; diesen Brief schlofs Luther seinem eigenen an Spalatin an demselben Tage bei (Enders IV, Nr. 676). Schelhorn IV, 352. Zum ,dies Margaritae' (Herminjard:, 15. Juli,. Enders: 13.) vgl. Grotefend. Herminjard, Nr. 72. Über Au- gustin Schürf, den Bruder des Juristen, vgl. Enders lY, S. 88, Anm. 10.

4) Enders IV, Nr. 690. 696. 736.

5) IN PRI- I MVM DVODECIM PRO | phetarum, nempe OSEAM, Fran | cisci Lamberti Auenionensis | Commentarü . . . Strafsburg, Job. Herwagen, März 1525 (Baum, S. 171; Ex. Zwickauer Ratsschulbiblio- thek I, X, 7, 1 und XVII, XII, 10, 1; Nachdruck von Job. Petrejus in Nürnberg 1526, XX, XI, 26), Vorwort an Friedrich den Weisen A 2*: moleste lorsan tulisti, quod ante ferme annum abierim a terris imperij tui . . . non expectato beneplacito illustiiss. D. tuae, quae tum erat Nurembergae aut in uia ab ea Kurfürst Friedrich reiste am 14. Fe- bruar von Nürnberg ab (Enders IV, S. 300, Anm. 1). Spalatin bei Schelhorn IV, 360: in Quadragesima abiit ex Saxonibus.

6) Spalatin bei Schelhorn IV, 332: [MOXXIII, mens. Feb- ruar.] Hoseam Prophetam praelegit, salis frequcnti auditorio. Vorrede an Friedrich den Weisen (s. Anm. 5) A 6 *: Is Osea liber prior est ex Omnibus, quos apud tuam felicissimam Vuittembergam enarrauimus. Be- richt der Universität an den Kurfürsten vom 19. März 1523 (bei Ka- wer au, Justus Jonas' Briefwechsel I, S. 85, Anm. 1): der Francofs [liest] Minores Prophetas.

7) Lambert an Friedrich den Weisen 2. November 1523 (Schel- horn X [1779], p. 1236): Ecce! novissime Lucae Evangelium sex mensibus interpretatus sum, et ab omnibus simul, qui nie audierunt, XV tantum grossos accepi. Et nunc consilio revereudissiml Tuae Aulae Episcopi Georgii Spalatini Cantica Canticorum Salomonis non sine mag* nis pro summa libri difficultate laboribus enarro; nihiloininus ab uni- versis, qui me audiunt, nee minimum quidem auxilium habeo nee me habitunim spero. FRANCI | SCI LAMBERTI AVE | nionensis, in Diui Lucae Euange | lium commentarij, nunc se- | cundo recogniti ac | locupletati. | (Blättchen) | AR6ENT0RATI. | (Job. Herwagen, 2. Januar 1525; Baum, S. 171, Zw. R. S. B. XIX, XII, 25, 1) Vorwort an Spa-« latin, Wittenberg, November 1523, A 3 b: Gommentarium in Actorum

CliMEN, ZWEI GUTACHTEN FRANZ LAMBERTS. 131

dem Doch einem Qber den BOmerbrief siod uns Nachschriften von der Hand Stephan Bntba erbalten ', der zwsr erst zu Beginn des WiDtersemeeters 1523 in Wittenberg immatrikuliert wurde, aber eben schon einige Zeit vorher dort studiert haben murd *. Die Kolleghefte über Lukas und das Hohelied lieb er Spalatin, der sie mit vielem Danke zurückschickte ^ Zugleich achriftstellerte Lambert damals mit gröfatem Eifer. Äulser den Vorarbeiten zu seinen epäter sämtlich bei Johann Herwagen in StraTsburg erschie- nenen amfangreicben Kommentaren entstanden damals die .Rationea, propter quas Minoritarnm conversationem habitumqne reiecit' * und die .Efangelici in Hinoritarum regulam Commentarii' ^

Ubrum nondum conscripsimus. ^imirum tarn ob Canticorum Salo- monia et Ezechiclis cnarrationeni , quam ob alia pleraqiie hactmius occupatior fui. Vgl. nach [Daniel Gerdes] Florile^ium historico-criti- CDin librorum tarianim, ed. II, 1747, p. lT5f.

1) Hosea im Bandschriften band Nr. XXXIV dt^r Zw. R. S. B., lUm. u. Lukas [aber nur bis mit Kap. 11-, Scblursbemerkung: Hactenus libuit trauscribere, quajidoquidem totum commentarium in Lucam fareui, n spero, lypis «oeia Imprimetur] in Nr. XXXIX, CaDticum u, Ezeehlel (nur bis mit Kap. 17, dann: Hactenus interpretatus est Oalliis] in Nr. XIXVII, aufacrdem in Nr. XL ein Stück: Franciecus Lampertua de Knealogia Christi.

2) Oeorg Mflller, Mag. Stephan Rntb, Beiträge zur sächsischen Kii-chendeschicbte I (1882), S. 57.

3) Vgl. die vier in der Beilage mitgeteilten Spalatjub riefe.

4) Die Originalausgabe erschien jedenfalls vor dem 22. Juni ^gl die bei Hermiujard I, p. 116, a. 3 citjerte Stelle aus dem JBi-iefc des Basilius Amerbacb in Basel an seinen in Avienon studieren- den Bruder [vgl. Keller, Die Reforoiation und die alleren Reform- V>aiteien 1886, S. 328]) bei Johann GrunenberK in Wittenberg: t'EANCISCl LAMBERTI | ÄVENIONENSIS THEOLOGl | RATIONES, X*ßOFTER I quas Uinoritarum coniiersatio - | nem habitumq^ reiecit | ^.BlÄttcheu) 4ff. 4'", 4 >| weifs. Zw. R. S B. XVI, XI, 13, 9. Schel- ki«rn druckt (IV, 312— 324) die Schrift ab cum [scriptum) breve sit tftmque rarum, iit fere pro inedito haberi mereal ; danach giebt Her- vvinjard 1, Nr. 64 eine f ranz Qsiscbe Ültcisetzung; Baum, 8. 168 kennt uur die sweite (Oktav-) Ausgabe.

5) Die Oiiginalaussabe ist die bei Baum, S. 169, Dommcr, Latbcö^rucke auf der Hamburger titadlbibliothek 1G16— 1S23, Leipzig 1B88, Nr. 363 u. Gh. Schmidt, R6peiloire Bibliographique Strasbour- tetiia jusquc vers 1G30 VII (Jean Knnbloch 1600—1538), Strafsburg 1895, Nr. 272 verzeichnete Strafeburger; Ex. Zw. R. S. B. I. XI, 3, ö. A. E. Berger, Weimarer Lulherausgabe U. 467 (ich konnte seine Ausßlhrangen 8. 46Gff. n, 4881. erst bei der Korrektur benutzen) ver- malet einen (verschollenen) Willenbercier Urdruck, Die Vorrede Lam- berts bl datieitWittenbergae, Mense Martio 1523. Am U. Juni schrieb er an Spalatin (Uerminjard I, Nr. 70): Expecto ab Ulis (= lypo- fTapbis) iu dies /f^oiv in Miooritaruni regulam. Die Ernpfehlungen Luthers und Cocts liünnen frühestens Eude Juli verfafst sein, sind also erst eingegangen, ata Lamberts Manuskript schon in der Druckerei war. Enders IV, Nr. 686, Uerminjard I, Nr. 65. 75, Es erschien «ne französische [Herminjard 1, p. 123, n, ]; Bevger a. a. 0.

132 ANALEKTEK.

In die Zeit seines Wittenberger Aufenthaltes fallen nnn anch die folgenden beiden interessanten Gutachten^, Ton denen das •ine, undatierte, an einen mir unbekannten ' Henricos Elslingtus, das andere, vom 26. Dezember 1523 ^ an den Zwickaoer Stephan Both gerichtet ist Diesem hatte sein Oheim, der am 18. No- yember 1518 verstorbene ^ Pfarrer zu St Margarethen * und Stifter der Zwickauer Schulbrüderschaft * Mag. Peter Drechsel, genannt Schmidt ^ , die Zinsen eines dem Stadtrat Obergebenen

8. 469 f. bezweifelt die Existenz dieser Ausgabe, sie steht aber auch im Pariser Index, vgl. Reu seh. Der Index der yerbotenen Bücher I [1893] 164") und eine niederländische (J. O. de Hoop- Scheffer, Geschichte der Reformation in den Niederlanden, deutsche Originalausgabe von P. Ger lach, Leipzig 1886, S. 364 und Keller a. a. 0., S. 385) Übersetzung, sowie eine deutsche gekürzte Bearbeitung ▼cm 8. März 1524 (Baum, S. 170; genauer Titel bei Well er, reper- torium typographicum , Nr. 2938; Strafsburger Druck; Ex. Zw. R. S. IB. XX, Yll, 35, 19), über die Lambert in der Zuschrift an den christ- lichen Leser, die seiner im Mai 1524 bei Herwagen erschienenen Ab* handlung de sacro coniugio (Baum, S. 172; £x. (, X, 10, 3) angefügt ist (fol. 103), sich sehr ungehalten äufsert: Sunt autem quidam eosdem libros in uemaculum transferentes, tantum id facto ostendentes, quod non nisi pecunias inde uelint, sicut nouissime transtulerunt 0)mmen- tarios meos in Regulam Minorum, sie tarnen, vt librum ipsum magna ex parte truncauerint et aliter omnino scripseriut quam uelim. Ybi autem, quare id factum fuerit, inquisiui, dixerunt se festinasse, ut liber excusus esset ante ultimas nundinas Francofordienses. Melius certe fuisset librum tantum medium iropressisse quam multa capita muti- lasse . . . Qui est in causa, ut id factum sit, reddet rationem domino Jesu Christo . . . Ego optarim hunc librum iterum perfecte transferri.

1) Aus Handschrift Nr. XXXIX (Abschriften Roths).

2) Unter den Führern der reformatorischen Bewegung in Efslingen findet sich keiner dieses Namens (Keim, Reformationsblatter der Reidis- stadt Efslingen 1860; vgl. neuestens 0. Mayer, Blätter fQr württem- bergische Kirchengescbichte III, 178 und Württembergische Vierteljahrs- hefte für Landesgeschicbte N. F. IX Iff., 311 ff). Er gehörte gewifo mit zu den „Freunden und Gesellen^', die Michael Stiefel am Schlüsse seiner im Sommer 1523 zu Wittenberg verfafsten, .,Dero frummen Euan- gelischen Clausen En | gelfrid, burger zu Efslingen" gewidmeten „Ant- wort ... TU doctor Thoman Minnars murnarrische | phantasey, | . . .*' (Panzer, Annaleu Nr. 1997; Strafsburger Druck; Ex. XVI, XI, 11, 21) grüfsen lafst. Vgl. Keim, S. 11 und W. Kawerau, Thomas Murner und die deutsche Reformation. Halle 1891, S. 60f. 106.

5) Nach dem Jahresanfanpr mit Weihnachten.

4) Peter Schumanns handschriftliche Zwickauer Annalen: „1618 am Abeut Elisabct Donnerstag nach Ottmarij ist rorstorben der wir- dige her Magister Petrus Drechsel sonst Scbmit genant, ein Yicarius zu TDser lieben frauen vnd pfarrer zu S. Margreten, auch lange Zeit jegirer der schneien alhie*'.

6) Herzog, Chronik der Kreisstadt Zwickau II, 227.

6) Ebend. I, 184, II, 187. Derselbe, Geschichte des Zwickauer Gymnasiums (1869), S. 10. Fabian in den Mitteilungen des Altertums- Tereins für Zwickau und Umgegend III (1891), S. 52.

7) Sommer 1477 in Leipzig immatrikuliert, 13. September 1480

CLEMEN, ZWEI GUTACHTEN FRANZ LAMBERTS. 188

Kapitals Ton 1000 fl. Termacht ^ ; Both aber war in seinem Ge- wissen zweifelhaft geworden, ob or diese Zinsen annehmen dOrfte, und hatte Lambert um Bat gefragt Das Judicium desselben ]verr&t deutlich die Einwirkung der »yHaubtstuck vli artickel Christenlicher leer wider den vnchristlichen wucher" des D. Jacob StranTs, der ja £nde 1522 Prediger in Eisenach geworden war K

Francisci Lamperti Galli theologi Juditium de ministris ecclesi^ dei, de decimis, primitijs et oblationibus, an scilicet per Euangelium sint ob-

rogatQ, et de excommunicatione Papistica.

Franciscns Lampertus Auenionensis inutilis Jesu Christi seruus Henrico Esslin'gio suo.

Gratia et pax a Deo patre nostro et domino Jesu Christo! Placet mihi vehementer et eorum, de quibus ad me scripsisti, et tous ardens veritatis zelus, quod Bomanistarum vulpium, quae altissimi Tineam demoliri non cessant, calliditatem odio habeatis quodque puram Euangelij veritatem simplicissime requiratis.

Petis, quid sit de decimis Christiane sentiendum Et an vera

bacc, 28. Dezember 1489 mag. artiura (Matrikel der Universität Leip- zig, herausgegeben von Er 1er J, 309; II, 269. 313). Die Zwickauer Bibliothek besitzt ein Exemplar (XVII, X, 11, 1) der Schrift Caspar Güttels „Ein fast fruchtbar buchlein von Adams i wercken, vnd gottes genade ..." (Panzer, Annalcn Nr. 697, G. Kawcrau, Caspar üüttel, Halle 1882, S. 77, Nr. II), welches auf der letzten Seite die eigenbändige Widmung des Verfassers aufweist: D Magistro Petro fabri. Güttel von 1511 (1510?) bis Pfingsten 1514 Prediger und Mefspriester an St. Marien in Zwickau (Kawerau, S. 15 und dazu meine Bemer- kungen, Harzzeitschrift XXXI, S. 317).

1) Herzog, Chronik 11, S. 240 und fiymnasium, S. 16.

2) Haubtstuck i artickel Christenlicher leer | wider den vnchrist- lichen I Wucher, daiab etlich | pfafife zu Eysnach | so gar vnruwig | vnd bemuct | seind. | Gepredigt zu Eyseuach nurch | D. Jacob Straussen. | 1523. I Titelbordüre: Dommer, S. 240, Nr. 80. 4ff. 4*o. 4 weifs. Augsburger Druck. Exemplar XVI, XI, 8, 21. Panzer, Annalen, Nr. 1995, abgedruckt bei Strobel, MiscuUaneou Literarischen In- halts 111 (1780), S. 11 16. Giebel iu Züfich an Vadiau, 13. Juli 1523: Advehitur huc ad nos Jacobi Striissii libellus sive articuli evan- pelicissimi, quibus coloie suo depiuxit ccnsus (EndersIV, S. 249). Ausführlicher behandelte Straufs das Thema im uächsteu Jahre: Das Wucher zu uemen vnd gebe. | vnserm Christlichen glauben, vnd | bruder- licher lieb (als zu ewiger verdamuyß reich- | end) entgegen yst, vnuber- wiutlich leer, vnnd ge- | schrifTt . . . D. Ja. Strauß Ecclesiastes | zu Isenuach. | M. D. XXiiij. | 28flf. 4*0. 28 ^ weifs. Druck von Ludwig Trutebul in Erfurt. Exemplar XVil, XH, 4, 10 und XX, VIII, 18, 29 Panzer, Nr. 2484. Enders IV, Nr. 804 und V, Nr. 863 zu datieren: 4. Juli 1524 und Anm. 2 zu korrigieren nach AI brecht, Bcitiäge zum Verständnis des Biiefwechsels Luthers im Jahre 1524, in den „Beitiägen zur Reformationsgescbichte, Köstlin gewidmet'', Gotha 1895, S. 5 f.).

134 AKALEKTEN.

sint, qnae impis psendosacerdotum tarba de huinsmodi sentit Igitur non tantam de decimis, sed etiam de primitijs et oblationi- bns paucis accipe.

PrimaiDy qaod ministros in lege plurimos institaerat dens, nempe sacerdotes et leuitas, quorom fere non erat numerus, qui- bus Yoluit primitiaSy decimas et oblationes dari atque per hec illorum necessitatibus pronideri ^. De primitgs et decimis habes Exo. 22: Decimas et primitias tuas non tardabis offerre. Et LenL Yltimo: Omnes decime etc. Borsumque Nu. 18 toto capite, Item Den. 14: Decimam partem etc. et 26 quasi per totum. De ob- lationibus autem Exo. 23 et 34 : Non apparebis in conspectu meo Tacuus, Et Deu. 16: Non apparebis ante dominum vacuus» sed offeret unusquisque secundum quod habuerit iuxta benedictionem domini Dei sui, quam dederit ei. Nunc autem euacuatum est sacerdotium Aaron et ministeria Leuitarum obliterata sunt, quibus successit sempitemum Christi sacerdotium, cum quo, per quem et in quo omnes fideles sunt in sacerdotes consecrati. hincdiciturlPe. 2: Yos autem genus electum, Regale sacerdotium. Etapoca. 5 : fecisti nos deo nostro reges et sacerdotes, et regnabimus super terram.

Abrogatum igitur est, vt liquido carnis, ministerium sacer- dotum et leuitarum veteris instrumenti. Igitur etiam, qu^ pro eorum vita fuerunt instituta. cessant ergo decim^, primitiv et oblationes prescript^, quas ad id Deus constituerat.

Otitendant nobis legis sacerdotes atque leuitas, pro quorum vita premissa largiri opus sit, certe non poterunt, nisi Judaisare velint et se quod non sunt esse mentiantnr. Vere post Christi Euangelium publicatum decimas, primitias siue oblationes a fideli- bus exigere furtum execrabile est. Sed quid aliud fecerunt vnquam faciuntque vltim^ ill^ orbis terrQ feces, pseudoepiscopi , canonici, pseudo Christi, papistici scilicet sacerdotes et monachi, quam furari, mactare, perdere? Nam in veritate non plus iuris habent in de- cimis quam ego in regno Uispani^ aut Portugali^

Hinc liquet, quod nihil minus sunt quam Pontifices, Episcopi, sacerdotes, Leuit^ ac ministri ecclesi^, sed tantum sunt lupi ra- pacissimi et depopulatores fidelium, animalia ventris, venenataque reptilia terrQ ac c^ci miserrimi ac cecorum duces, quos deus illu- minet et ad se conuertat, Amen.

1) Von dem Pfaffen Zehen | den, Hundert vnnd i zwen vnd fyer- ( tzig I Schlussrcden. | Durch Othonem Brunfelß. | Über und unter diesem Titel zwei [Seitenjleisten. 16 ff. 4*o. 16 *> weifs. Druck von Johann Schott in Strafsburp:; Ch. Schmidt II (1893) Nr. 92; Exemplar XX, VII, 35, 22; vgl. zuletzt K c 1 1 e r , Otto Brunfels, Monatshefte der Comeniuseescllschaft VllI (1899), S. 273. fol. 3 »: Der Zehend ist aliein dem alten Testament. Ferner z. B. Eherlein im letzten Ausschreiben der 15 Bundesj^enossen: Radlkofer, Johann Eberlin von Günzburg, Nördlingen 1887, S. 70ff.

CLEHEN, ZWEI ODTACHTEN FRANZ LAUBERTS. 135

Sit ergo cnnctie persiiiLaissimum omnes Cbristianos sacerdotea ^sae ac Christi spiritn ynctos, consortes enira et partioipes eins «UDt, quia de pleoitDiline eiua accipiunt Gratiam pro gratia -Juannis 1. sie sunt membra, fratrea et amiti eins, qni pro illis TDctua est. ps. 44: vniit te deus etc.

Porro tametsi EAcerdotes sint et, vbi quempiam aberrantem videriat, veritittem quam nouerant gyucere proHteri teneantur, non tarnen omnibus imblicum inter reliquos fideles verbi ministerium Gonceditar, sod ijs tantum, qui ab ipsia tldelibas commuDiter ad hoc electi sunt.

Saut autem nunc in ecciesia duo tantum genera ministrorum, Primi episcopi, eecundi diaconi, non Pnptstici, eed Eaangelici. Episcopi sunt, qui ab ipsa fidelium communitate etigantar, vt super se aduigilent verl)umque Dei syncere et diligentissime annuDcient ac mensam domini et baptismum adrainistrent. iii sunt episcopi illi et idem presbiteri. ß quibus vnam, duos, vel plures in Bin* gulia locis secundum oorum qnantitatem et populi necessitatcni eligere necessum fuit, non illa c^ca mundi idola pictorum qui nunc sunt episcoporum.

Apeitam deinde est eosdem per seniores vel presbiteros qui per epiECopoB intelli^i. Propterea actis 20 omnea maiores natu ecclesi^ Epbosin^, quos Paulus vocauit Miletum, episcopos vocat.

Quod ei quispiam obijciat plerosque (;tate eenioros minime esse, BeapoDdemua, quod venerabilia fidelium aenectus dod ait a carne, sed s spiritu motlendu, sapienti^ 4: Senectus enim venera- bilis est non diuturna neqne numero annorum computata, cani enim sont senaua hominis, et ^las sonectutis vita immaculata.

Reliqui ecclesi^ miniatii sunt diaconi, quorum mtniaterium est ei communibus eleemosynis Puuperum fidelium necessitatibus, quantam licet, prouidere, qualia erant illi Septem ab apoatolis electi Actia 6. E qaihua erant Stephanus martyr et Philippua ille, qui Eunuchum Candacis, regin^ I^tbjopnm, instruiit et bapti- Eaait actis 8. Tales certo oportuit esse diaconos, Sed Papa im- pius, vt suos antichristianoa ministros conatitueret regnumqae suam impijssimum slabiliret, sicut alia compluria, sie et hoc Euan- gelicum ministerium abolenit.

Essent prorecto in omnibus fidelium locis abolenda penitus vninersa bominum inuenta, vt aola castissima eloquia dei eyn- cerius ac liberius obseruareuL quam laudabile foret, ai reiectis tot atultis confratemitatibus, sacellis, missarum impijs fundationlbos et bniamodi, abnegatisque praedictis Anticbristianis snccrdotibus decimia, primitijs ac oblatiooibus cunctis commune er&rinm ' in qnolibet fidelium loco inatitnereti ' ab

I) Tgl. Weimarer Luther ausgäbe

136 ANALEKTEir.

nütieret secundom facultaiem snam» Tnde egentimn necesdtatt prouideretur. super hoc autem opus eligendi easent a fidelibua Yiri aliquot boni tesümoDij, et hi sant diaconi EaangelicL

Vides duo tantum esse ministeria in ecclesia Christi, Epi* scoporum scilicet et diaconorum , neque plaribos indigemns, nam cum omne ministerium aut pro anima aut pro corpore sit. In bis, qnae ad animam attinent, episcopi, in bis vero, quae ad cor* pns» diaconi sunt institnti. Preter hos antem nullos alios minis- tros Dei ecclesia habet. Nam tota illa Papistica cobors Cardi* nalimn, Patriarcbarnm, Archiepiscopomm, episcopornm, Sacerdotum^ Diaconomm, Archidiaconorom , Archipresbyterornm, Decanorom^ praepositorum, Canonicorum, Snbdiaconorum, Accolitonxm, Lectomm, Hostiariomm, Ezorcistamm, monachoram omniam et aliaram hnins farinQ vnlpium absque Dei verbo, quod est testimoniom spiritus^ institata sunt, sine quo nnllum ministerium in ecclesia intro- dacere licet

Nunc tandem annotaueris decimas, primitias et oblationes credentium nullas esse ; quQ enim olim ad ministrorum legis vitam instituerat Dens, et ijsdem ministris cessautibus et lege verQ liber- tatis 6uperneniente sunt abrogata. Tantum id necesse est, vt fideles sibi mutuo inseruiant et alter alter i auxilio sit, vt omni petenti se tribuant, vt mutuum dent, nihil inde sperantes» vt Omnibus etiam, que possident, abrenuncient et, ne illis adficiantur, vt vadant et vendant omuia, quQ habent, et proponant, si opus est, vendere, vt pauperibus distribuant Breuiter tales oportet esse Cbristianos, vt magis sint proximorum quam sui illisqne ita snbueniant in omnibus, sicut vellent sibi fieri. Enimuero tales oportuerat esse credentes , vt nullus inter eos indigens essct> quemadmodum inter credentes apostolorum tempore Hierosolymis fuit. Sed heu vnusquisque, quQ sua sunt, querit, non, quao Jhesu Christi!

H^c vnioersi Christi sacerdotes, credentes scilicet, sibi inuicem debent. Porro de veris episcopis special! ter praecipitur, ut eisdem ab ijs, quibus euangelizant, pronideatur. Idee enim, cnm ad prae- cipna illa regni Christi negotia, nempe ad verbi ministerium pro- ficiscuntur, non vult illos deus pro sibi necessarijs plus Qquo foro sollicitos, sed a populis quos docent vult bospitari, foueri et enu* triri Matt. 10: Dignus est operarius mercede sua. Item ITi. 5: Qui bene praesunt presbitcri, duplici bonore et necessariorum pro- nisione digni habeantur, maxime hi, qui laborant in verbo et doctrina. Dicit enim scriptura: Boui trituranti non obligabis os. De diaconis vero enutriendis nullum spetiale mandatum traditum est. Est tarnen illis prouidendum, si pauperes sint, sicut reliquis fidelibus egenis.

Jam ex praescriptis apertissime vides, quod, quaecumque impij

CLEHEN, ZWEI ÖIITACHTEN FRANZ I.AUREltTS. 137

pseodosaceidotes et papist^ pretextu decimarum , primitiaram et oblatioDum a fidelibus exjgunt, furta et rapin^ sint. Ädsamunt inBJgnea ilH predooes, vt euam rapacitat^m stabiliaDt, id qood Saloator de decimis Uattb. 23 et Luc^ 11 pbariseis dixit: Hec oportoit facere et iUa dod omittere. Verum, vt ceci sunt, non obseruant Cbrietura de praeteritia fnisse tocutum. Alt enim: oportnit h^c facere, vt sciaa, quod ante publicatum Cbriati Euau- gelinm illa trudero necessariuni erat, At posteaquam publicatum fait, eunindem tradendarum Dulla est necessitas, imo nee con- groit quidem, cum Jud^ürum hoc magis eit quam Chrietiauorum. Locos «eio ktos: Tollenti tunicaai tuam dimitte et pallium, Ssto benevoluB adversario tuo, et eimiles dum pro se addurunt, nihil magiä contra ee allegare posaent, Nam eliam ipsis verbis scrip- tuTQ se raptores et adaorsarios pi>pu1i Christiani esse fatetitur. Denique tametai aüjs raptoribus iioa beneuulos esse oporteat, ija tarnen nulla ratione adsentire licet, quoniam factis suia verbi Dei simpljcissimam ventatem aduUerant et CbTistianoruni populoa- Jndaisare compellunt

Quod se decimaa pretio mercatos fuisse quidam adärmant, pro- ftcto se cuBctis Tsurarioa eEsa manifttetimt, Suntqna aimües Ulis, gai decem aureoa aemel tradunt, vt iode quolibet anno vnum recipiant, donec iterum simul decom Uli reddnntur, et, ne vsuranj djcADtur, interea contractns auos impijssimoa pensiones vocant. -tVoni, quod malta Canonicorum prostibuJa inde ditentor, scio quo- ^ae eorundem collegium vnum habetitem in sinjilibua vanris libras Argenti Gailicas octo mille.

Jrngla deinde, quod id iuris olim a Ceearibus sibi datum SMssim iactitent. Preter id, quod mendatium est, petinina: quid liabent Ctaristiani in similibus commune cum C^sare? non eniiu C^suris est Christi prouidore ministris. Cum omniputcns prouisor C^hristns sA nee egeat C^saria prueccpto, quo sni regni ministris yronideatuT. Summa summarum: niliil iiisi mendatia et per- .Xiitiosissima figmenta allfgure possunt.

Ecce liabes summam rci quam postulasti. sie ergo respon-

^caa ijs, qui te rogaruot, sicut in bis ütteris babes. Non ex-

< jiauescant comminationes saciiHculorum Synagoge aathani;. sciant

' «ca Don Dei, vt ainut, scd diaboü vicem gereie, ideo uitiil sgcud-

dum Dei eloqnia agunt. Hi tametsi a domino sint proiaiia alieni,

slorianlur verumtamen detestabili mendatio ee ab eo non tantam

in Corpora, sed et in animaa tantam accepisüo putenliam, vt sibi

quiduis in ßdeles agere licitum puteut. losaniunt id«o suis censuris

Luciferinie et in Cbristi oues crudeliusime deseuiunt, sed in veritate

lii lupi rapoces nihil minua possunt, quam quod ee possfl gloriantur.

Admoae igitur couciucs tuns, ne eorum miiias, censuras et

»Mes expauescant, cum adueiens Dei verbum omnia sint et non

138 ANALEKTEN.

Christi virtns» sed diaboli tyrannis sit apertissima. si eas iiimnerint, mors illis ernnt, non qaod sint vel in minimo efficaces, sed propter conscientiam. arbitrantor enim seducti, quod a Deo sint, et ob id etiam in animas aliquid posse, quo fit, Tt pereant, si illas contempserint. Nimirom ipsum Deam spemnnt, dum eam SathanQ tjrannidem, quam errantes a Deo esse autamaut, nihili dacunt, et contra conscientiam agunt; qai autem facit contra conscientiam, edificat ad gebennam. Illis ergo alteram e doobns eligendnm est: aat vt eas nihil aliad quam Sathan^ esse portenta simplicissime credant, cum neo minimum quidem iota in vnioersis scriptaris tam noui quam veteris instrumenti inueniatur, quo ^orum tyrannis firmari possit, Christianos vero solis eisdem scriptis, qu^ verba Dei sunt, regi oporteat; Aut necesse est, vt permaneant in prauissimis illis spiritibus erroris et inde crncientur horumque filiorum diaboli perferant insaniam. Verum si Christiani sunt, solo dei verbo duci volent, oues namque suq vocem eins audiunt, alienorum vero nequaquam Joannis 10. Credant mihi, imo ipsi veritati, omnem hanc Luciferi altitudinem in prescriptis idolis fidutialiter aspementur, Neque enim prius in Christo vere üben erunt, quam omne hoc diaboli fastigium pro nihilo habuerint

Non abnego ecclesiam Christi suam habere excommunicationem, sed h^c nihil aliad est quam errantes et impios ab aliorum con- uersatione seiungere, ne illos inficiant et vt tandem confusi meliores fiant.

Bene facis, dilectissime Henrice, quod tuos syncerum Dei ver- bum edocere cupis, bene facinnt et illi, quod veritatem querunt Et solo Dei verbo regi desiderant, vnde et in te et in illis Deum meum glorifico, cuius nomen sacrosanctum ab omnibus sanctificari cupio. Gratia domini nostri Jesu Christi et tecum et cum illis sit! Amen. Vale et pro nobis ora, vt in doctrina fidei et chari- tatis proficiamnsl ^

Franciscus Lambertus Auenionensis inutilis

Jesu Christi seruus Stephane Bottho Zwickauiensi,

fratri in domino amicissimo, Gratia

et pax a Deo patre nostro.

Quid times mihi quantumlibet varijs longo occupatissimo esse molestior, mi Stophane Rotte, frater in domino charissime, vbi maxime in te video, quod toti orbi, vniuersis potissimum, quos faucusque titulo ementito Ecclesiasticos appellarunt, ab annis pluri- bus nunquam non concupiui, pectus videlicet Christianum, quo

1) Mancher Gedanke kehrt wieder in Lamberts im Januar 1525 (Baum, S. 81. 373) beendigter FARRAGO | OMNIVM FERE RERVM [ Theologicarum, . . . Kap. 5 u. bes. Kap. 9: De abrogationc piimitiarum, decimarum et oblationum etc.

CLEMEN, ZWEI QUTACHTEX FRANZ LAMBERTS. 139

impiam Ysurarnm voraginem detestaris et omnia hominom inaenta snspecta habes. Salutis a me consilia postulas, quibos ec üben- uns respondebo, quo omni petenti est tribaendam, et pro veritate etiam, si id voluerit Oominas, cupiam superimpendere memetipsnm.

Verom nanc ideo tecum paacis agam, qaod de bis latius Cbristo propitio allquando tractare intendam. Sed ad rem tuam veniam. Attonculus tous testatus est aureos mille, quibus ad vnam pre- bendam censas aureoram quinquaginta emerentur, institatum profecto Tsorarium, quicqoid sedactas orbis tot sQculis aliter senserit is copiens tibi gratificari et fore auxilio deceptus et sibi et tibi admodum obfuit, dam te Ysuris immersit. Constitait •enim, vt eadem prebenda cQteris omnibas prior ipse potireris, modo faceres, quQ sedulo expedienda reliqait Concessit qaoqae tibi id, qaicqaid est priuilegij, vt sex annis et eo amplius a syco- pbanticis illis ordioibns vel, vt concinnius loquar, confosionibus liber esses, curanda nihilominus interim per alios curaturas.

Porro, vbi baue vsurariam prebendam suscepisti, eins in- stitntionem noluisti (et id qaidem recte, verum rectius facturus, si eam aboleueris) tyrannica pseudoepiscopi auctoritate firmari, qaam etiam si totus orbis confirmasset, constat esse iniustissi- mam et propterea irritandam.

Denique, vt reiectis impijs buius prebendQ curis liberiore con- scientia vbilibet viueres (quod non satis est ad veram animi liber- tatem), consensu Senatus ac familie tue aureos viginti ex annua quinquaginta aureorum summa remisisti, triginta solnm nunc recipiens. At nunc dubitas, an hoc sit acceptum coram domino, •et ideo bunc scrupulum tibi explanari deposcis. Ergo nunc, quid Sernator Opt. Max. velit, paucis accipe!

Primo: Omnes fideles solo Dei verbo regi necesse est. Pre- terea id nos summe obseruaro oportet, vt, que Deus precipit, diligentissime faciamus, que vero interdicit, quasi venena aspidnm deuitemus et reijciamus.

Secundo: NuUus princeps aut Senatus siue communitas, immo nee totus mundus pariter congregatus potest aliquid constituere, quod sit contra verbum Dei, quod dinin^ voluntatis est certissi- mum testimonium. Immo omnis constitutio, quae eidem verbo non per omnia Concors est, impia et iniusta est ideoque irri- tanda.

Tertio: praecipit Deus, vt mutuum petentibus tribuamus. Iccirco ei, qui habet et potest, mutuum postulanti et eo indigenti abnegare est illicitum. Seruator non expressit indigentiam petentis, nam presupponitur. Ad quid enim mutuum bis, qui abnndant? Sed ideo non expressit, quia non vult nos iudicare, quod absqde indigentia quis postulet. Non enim omnes, qui videntur abnn- 4are, abundant. Non licet ergo abnegare petenti. Quod si inioste

140 AKALEKTEK.

et absqae indigentia petit, Dei iaditio relinquendos est. Nihil tarnen dabitauerim hie fore abneganda, qaae petunt, qui non nisi ad impietatem et lasciaiam petnnt, modo notnm sit, eicat hie, qui mutunm petont, vt ipsi dent alijs ad vsoram, vt ladant, scorten- tnr, choreas ducant, commessationibus et ebrietatibus vacent etc. alioqoi dandum est, quod petitur. Qoi antem non dat, grauissimo apud Deum iuditio rens erit Vult enim Dens, vt pro confiratrnm necessitate etiam commodis vsibas nostris aliquid decidat Ergo non licet postulata fratribus egentibus recusare, vt interea ditior fias. Secus est, si pro te et familia tna re, quam abs te petunt^ ipse tum indiges.

Quarto: tametsi omni petenti dandum sit, eomm Temmtamen maior est habenda ratio, et bis magis tenemur, qaorum indigentia est manifesta. de quibas specialiter in scriptoris mandata reperi- mos, quales sunt peregrini, orpbani, viduQ, pnpilli, panperes, et inter hos computantur Bespublicae sen commanitates.

Quinto: Christas omnibns interdicit, ne pro mutno quicqnam sperent ant exigant, vnde ne obulnm quidem exigere licet. Pro- inde totom illud cahos exceptionum a Canonistis et Sophistis in» uentarum de Interesse sine damno lucro cessante et reliqaa id genas non nisi mendatia et commenta diaboli sunt. Quibas Omni- bus si per otium liceret apertissime et sigillatim responderemus, sed forsan id donabit quandoque altissimus. Noui, quid impia caro alleget, vt h^c sua figmenta stabiliat et certa fore ostendat, sed Dei veritate palam factum est, quod iniustissima sint.

Fui ego sepenumero (vt semel in Christi passionibus glorier) in grauissimis atque etiam mortis periculis, quod aduersum me eiusmodi predicantem insanirent foedissima illa Canonicorum ac Monachorum, quos possidentes vocant, prostibula, qu^ non nisi vsuris ditantur et impie viuunt. Vere, quemadmodum ceiuus. desiderat ad fontes aquarum, ita ego, qui, quantum h^c nocen-- tissima pestis inualuerit et quidem in omni statu, certo experi^ mento agnoui, ad Dei gloriam animarumque salutem eins venena.. retegere concupisco.

Sexto: ex premissis consequitor has censuum siue pensionuna constitutiones veras vsuras esse, quantumlibet emptionis nomine pallientur. Non dubito te nosse, quantum in bis impie sentiant et quibus mendatijs innitantur Primum Antichristiana illa sedes cum omnibns principibus et clientibus suis, nempe beneficiatis et Canonistis, dcinde c^ca illa Sopbistarum cohors, quibus nunc haud- quaquam respondeo. quantum, sicut predixi, diem oportunum ad id exspecto, tantum id contra ea, quae dicunt, adsumpseris, quod toties inculcauimus, videlicet sacra eloquia fore simplicissime ca- pienda Et quicquid non per omnia eidem verbo consentit fore reijciendum. Vitandum ergo est, quicquid venenatus ille anguia

CLEMEX, ZWEI GUTACHTEN FRANZ LAMBKUTS. 141

sensus humani suggerit. Nonnulla enim contra Dei verbum semper machinatur et defioire praesomit.

Septimo: qaia sont manifesüssime tbiit^ aut non nbi per Tauram finnt, sDpradict^ praebendarum fandationes et reliqoa bniosmodi eunt prorsns irritand^. omnia etiam onera illis ad- neeta ennt caiois fideli illicita. Diraenda sunt ergo primom fanda- menta» id est, praemissQ fondationes, Tt simol com eis omnia ^ormaat. Est antem sie procedendam, Tt dimantar: Primo ob* senenty an bis, quQ annne reddiderint, totam sommam siue vt Tocant capitale compleaerint. Si vsaris totum redditum est, nibil ampliuB triboant; omnia enim reddiderant et nihil amplius debent. 8i yero pars tantum reddita est, qaod tarn superest, creditoribos largiantnr; Enimnero boc tantam debent Qaod si non possant totam simnl reddere, id paulatim efficere nitantar. Porro, si cre- ditor totum repetere velit, definiat ecclesia sine Senatus aut com- munitas credentium de caussa bac, sicut praedizimus. Quod si ^bstinato corde ea repetere velit, ab eadem ecclesia sicut etbnicus s fidelium communione est separandus, Bapaz enim est, Bapaces Tero Paulus vult ezcommunioari ICor. 5. Interdicit enim, ne quis cum eis communicet aut cibum capiat

Ezempli caussa Senatus vrbis tuQ accepit centum aureos, redditurus annue quinque, si ex bis iam per decem annos quin- qua dedit, tantum quinquaginta est redditurus. Verum in funda- tionibns missarum et similium, quQ preteztu pietatis, tametsi impie, testamento constituta sunt, ad vsus vere pios et secundnm Terbum Dei sunt conuertenda. Nee sunt reddenda heredibus, nisi pauperes essent, tunc enim ipsius famili^, a qua egressa est fundatio, indigentibus, quod superest e summa, est largiendum. hoc autem ad ecciesiam credentium spectat, vt scilicet secundum h^ definiant et fieri praecipiant.

Quod autem ad caussam tuam attinet, quia auuncnlus tuus bac fnndatione voluit et tibi primum et alijs post te esse auzilio, omne, quod superest e summa, pauperibus distribui necesse est, <)uod facere debet ipsa tuQ vrbis communitas. Verum idem tuus anunculus voluit primum inde tibi proaideri. Iccirco tibi primum prouideant necesse est, Denique reliquis famili^ ta^ de pau- peribus tantum loquor, nam diuitibus hQc largiri est illicitnm. Quodsi omnes diuites sint, alijs pauperibus sunt largienda. Ego tum huius sententiQ fuerim, vt, posteaquam tibi nonnihil tradi- derint aut saltem tibi laboranti pro illis aliqua conditione, qua viuere valeas, proniderint, omne, quod reliquum fuerit, in com- munem egenorum cistam poneret, ipsis egenis a diacouis diuidenda. Onera autem, quQ testator reliquit, tuipse cum diaconis exequeris, ut ipse laborem et curam puerorum, illi vero, si quid pecuniarum dandum est, e communi cista tribuant.

142 ANALKKTEN.

Si familia tua a praescriptis disseDtit, impie atqae ethnice aguut, ideo sinendi sunt. Qaod si obstinato animo hQc per- sequerentur, sunt ab e^clesia et congregatione fidel ium per eos- demmet, sicüt praediximns, excommunicandi. Pergat etiam ipsis noleutibus ipsa commuBitas , vt praescripta compleat, et tu ips» ad id omni diligentia nitere, vt nihil negligatnr.

Verum, si eadem communitas aut Senatus camis consilijs magis quam Dei verbo acquiescens vellet aut vsurasy sicnt hac- tenus fecit, reddere aut aliquid contra praedicta agere, reijce^ quos suscipis, aureos triginta et Tide, ne amplius vsurarias sis. Nam vere et illi et tu ignorantes Ysurarij fuistis. tum fuge eorum conuersationem, quod ethnici facti siut et Dei verbo ad- uersaria velint! Yide etiam, ne quidquam dubites aut diffidasf Prouidebit enim tibi Dens, Neque arbitreris te fore tntam in conscientia, si manente impia fundatione aureos triginta receperis et pro eis senatui operam tuam obtuleris. Primum namque om- nium illa fundatio est dirimenda, ne post te maneat Nam sie aliorum vt tuum bonum volle debes, vt sicut nee teipsum, ita neque alios, qui te sequentur, velis vsurarios esse.

Queris veram animi pacem, quam eo tantum medio habere quis potest, cum Dei verbo simplicissime acquiescit Vides enim, quam nihil tibi ad eam pacem adsequendam profnerint, qnecun- que hactenus contra idem verbum admisisti. Ecce, quod e censa annuo 50 aureorum viginti remisisti, et pacem non habes, quod omnes prorsns remittere debueras. Habuisti etiam ad id Senatus et familiQ tu^ consensum, Sed neque eorum neque totius mundi consensus aliquid facit ad ea, quae non sunt secundum verbum Dei. Nee quicquam facit, quod onera testamenti suscepisti; Illi- cita enim sunt, eo quod super vsurario contractu fundentur. Dissi- petur ergo contractus, et de oneribus, si sunt alioqui pia, fiat, sicut paulo ante diximus. Yanum qnoque est, quod te qnidam tutum ideo arbitrantor, quod te quasi hereditario iure id accepisse dicunt. Nam inter credentes inualida est omnis heredum con- stitutio, quae contra verbum Dei facta est. Ideo per ecclesiam credentium est irritanda, fidelium enim est de omnibus iudicare.

Neque hqc perinde atque rem quandam mediam esse putas^ quam scilicet licite possis teuere vel non teuere etc. Nimimm aut cum Christo aut contra Christum est. Non enim cum eo et contra eum esse potest. Indubie quoque aduersus illum est» quicquid ab eins verbo dissentit, sie et cum eo est, qoicquid est secundum verbum eins.

Si prescripta fnerint obseruata, quidam multis timent intran* quillitatem et detrimentum, verum is timor non nisi ab infidelitate procedit.

Aggredere ergo, mi f rater in Christo dilectissime, rem hanc

CLEMEN, ZWEI GUTACHTEN FKANZ LAMBERTS. 143

et tais conciaibus ac famili^ da Tera salutia consilia, ne dis- pereuDt teirenorum mjm affectu, sed plene in Deam fidant, nihil dubiUotes, quod, ai eius sacratissimis i'issionibus toto corde ac qnieuerint, omnia eis commodius snccedent, tuntum abeat, vt detrimentuin iade putiantur, H^c sunt, qu^ te facere necease e^t, vt ver&m, quam optus, aoimi tranquilHtatem babeas.

Dominas autem Jesus Cbiistus omnia dirigat ad sui sanctiBsimi Dominis gloriaml Amon, Vale in eo semper nostri memor apud dominam. Vuitteobergt; die Stephaui prothomartyris 1524.

Tuus Fraociscus Lambertus '.

Beilage-

Vler Briefe Spalatina an SIephaa Roth.

(Orifioale in der Zwickaiicr B. S. li. N U, 11 251, N 15, N 120.)

I.

Dei GraUam et Facem t Ego vero, nii amantissime Stepbaoe, tibi, at par est, gratiam faabeo multam, quod ineae Liimilitatis tandin tarn pie memor uecuni Doc. Francisci Lamberti nostri Qalli Commentaiium in Lncam communicaü-, probe ne dubita reditanim ad te, et, vt epero, etiam propediem. Interim autem velim tibi persuadeas me non miuus tibi hodio BnbacTibpro quam olim eoque nomine te in ulbo, quando ita via, meorum nnnquam non futurum. Atque adeo etiam Deo autore daturum operam, Tt Ooc. Franciacua Lambertus non obscure inteltegat sui mo apud Piincipem Clementissimum non esse obütum. Tantum in enar- randa fideliter Dei Ecriptura probe pergat. Bene vale et Deum pro nobis ora. Curaim, qnum plara occapatua non possem. Fer. Uli poet Assumptionis Diem [20. Maij M. D. XXIJI.

G. Spalatiuua ".

Adresse; Sud in Domino Fratri Carissimo Stepbano Bote Cyg- DftM. Ei , qui nobia Adnotationea Fr. Lambertum (!) in Lucam mint.

II.»

Bemitto tibi iam, mi Stepbane, priores Commenturij in Lucam Mitetiiionea, vt antea conspectoa, remiseurus Deo adiuuaute breui

1) Die Litlcrotur über den Wucher findet man in der Weimarer Liitheraus^abe 15, 2B3.

2) Damals in Lochau.

3) NiirdieseneiDeoBiiefbatBuchwald, St adts direi ber M. Stephan Roth in Zwickau in läiier Utterktisrh-buchhäDdlerischeo Bedeutung fQr

144 AKALEKTEK.

etiam reliqnos. Qood si seqnentes qaoqae posthac meoum com- maDicaris et tantam Georgio Blochingero ^^ cnstodi Edis omninia Dioomm, dederis ad me mittendos, magno me tibi deninxeris beneficio. Qood etiam vt facias oro.

m.

Dei Gratiam et Pacem! Ecce tibi, mi Amicissime Stephan < toos sexterniones. Quod si etiam reliquos mihi transmiseris, re: mnlto gratissimam amico feceris. Bene Tale com Doctore Fras^. xisco Lamberto et reliquis et Denm pro nobis ora. Kam, si qo^^d Ticissim vnquam a nobis praestari poterit, prios vires deem-Kit perpetuo qnam animus Deo adiotore testificandi gratitadinexaEi. Baptissime ex Hertzbergo. Die IIL Septembr. M. D. XKIIL

G. Spalatinua. Adresse: Sao Carissimo in Christo Fratri Stephane Bote Cygna^^o.

IV.

Dei Gratiam et Pacem! Eximie mihi placet tarn eximia &«ia in me beneuolentia, mi amicissime Stephane, Tt mecam Lamboxü nostri Cantica commnnicaneris. Pergratum et hoc est, qaod synceriter diligis hominem. Qaod enim reliquom est, non sol probe remittam tibi Cantica, sed etiam Deo adiotore dabo opera^n« f t non sim ingratus erga te tam egregie amionm nobis. Intex'<0<^ bene valeas et, vt coepisti, perge in vtroqoe nostrom diligen^o et Deom pro nobis ora. Corsim Dominica Antony [17. Jammar] M. D. XXIIII.

G. Spalatinua.

Princeps noster Pientissimos optime adhoc, Deo sit laos, yale^ Adresse: Sao in Christo Amicissime Stephane Botto Cygns^^^

die Reformationszeit, Archiv für Geschichte des deutschen Buchhandels XVI (1893), S. 241, Nr. 817 veröffentlicht

1) Buch wald liest f&lschlich: Blocburgero. Georg .BlochinffC finde ich nur einmal erwähnt: Spal. ap. Mcnck. II, 645: üb^ Luthers Verheiratung am 13. Juni 1525 habe Justus Jonas ihm Tags daraw, am 14., geschrieben (Ka werau I, Nr. 90). Idem scripsit nobis Fer. I^» Vigilia Corporis et Sanguinis Domini (14.) Georgius Blochingenis ^^ Fer. VI postTiinit (16. Juni, Vogt, Bugenhagens Briefwechsel Nr. '*•'*' Pomeranus noster.

KÖ8TER, ZUR REFORMATIONSQESCHICHTE NAUMBURGS. 145

3.

Beiträge zur ßeformationsgeschichte Naumburgs von 1525 bis 1545.

Gesammelt ans Urkunden und Originalbriefen des städtischen Archivs

von

Dr. Felix Köster,

Geheimem Sanit&tarat and Stidtrat.

Wahrend des Bauernaufruhrs im Jahre 1525 erliefs der in Freisingen verweilende Bischof des Stifts Naumburg, Philippus, in der Besorgnis ^ dafs auch hier in seiner Stifisstadt alles drüber und drunter gehen würde, durch seinen Statthalter und seine £äte von Zeitz folgendes Ausschreiben (Frivilegienbuch f. 155):

Des hochwirdigen in got durchlauchten vnd hochgebomen fflrsten vnd hem, hern philipsen Bischöfen zu Freisingen, Administratorn des Stifts zu Naumburgk, pfaltzgrauen bei Bein vnd Herzogen in Beiern etc. vnsers gnedigen hern, Wir Stadthalter vnnd Bethe zu Zeitz entpieten allen hochgenants vnsers gn. hern vnd des Naumburgischen Stiefts vnderthanen vnd vorwanthen, Sie sein geistlich ader Edel, Bürgere ador Bauersmann, vnd sonst mennig- lichen vnser freuntwyllig dinst vnd wyllen, Gonstige hern, liben freunde und gonner, Nochdem sieb itzo in diser schwinden zeytt hin vnd widere vjlfeldige aufruhr vnd entporung eraigen, Vnd als wir hören, das des gemeinen mannes grundt sey, Wie sie vorgeben, etliche beschwerungen abezubrengen, domit ir aber vrissen haben müget. Was wir abewesens V. g. li. in solchen feilen gesinnet vnd neigigk, wie wir dann von eynes teyls an- gelanget worden scyn, Fügen wir euch kraft dis briues freuntlich vnnd gonstigk wissen, Ob ymandes wehre, der do vnbillich ader vbermeßiger Weise von vnnserm gnedigon hern von Freisingk vnnd Naumburgk etc. Ader an Stadt irer fürstlichen gnaden von vnns vnnd derselben Amptleuthen etc. dis stiefts wie die genannt seyn ader nahmen haben, beschwerdt worden, das wir

1) Sixt. Braun, Naumbuigcr Annalen, herausgegeben von Dr. Köster, Naumburg, Sieling, 1892. S. 193.

ZeiUchr. f. K.-O. XIII, l. 10

146 ANALEKTEK.

solche beschweronge nach Kaiserlicher Maiestat erkenntDos adcr Beformation , Aüch mit hfilf vond Bathe der duchlauchtigsten durchlanchten hochgeborenen fürsten vnnd herren, Hans Friderichs des heyligen Bemischen Beichs ertzmarschalcks vnnd Churförsten vnnd herren Johannsen gebrüdem, hertzogen zu Sachsen, Landt- grauen in Doringen vnd Marggrauen zu Meißen, vnnser gnedigsten vnnd gnedigen hern, Als des Naumbargischen Stiefts Schutz- fürsten abethnn, Beformiren vnnd andem wollen, Vnnd wo diselben ire Chnr- und fürstliche gnaden alberejt eine Ordenunge anf- gericht ynnd gemacht ader neben andem angenehmen betten Ader nochmols in zokunfb annehmen würden, wie wir doch noch zor Zeit nicht wißen. Das wir diselben auch Trewlichen wie vnns gezimet, aufrichten vnd halten wollen. Derwegen begern anstadt vnnsers gnedigen hern von Freisingk vnd Naumburgk etc. Wier vor vnns dinstlich freuntlich vnd gonstig bytthent, das ynns nimands vber solch vnser gleichmesig erpithen, beweldigen ader dringen. Sondern sich iren pflichten vnnd der Bilh'gkeytt noch fridesam halten vnd erzeigen, das wir dann auch kegen Jdermann wie gebort vnnsers vormügens vnnd inwaßen wir hoch- genannthe vnser vnd des Naumbargischen Stiefts Lobliche Schutz- fürstenthuen wollen, des zu warem bekenntnus stedter vnnd yhestet haldung haben wir hochgemelts vnsers gnedigen hern von Frei- singen vnd Naumburgk etc. Secret zurück aufdrucken lasen» Datum Sonnabents noch Fhiiippi vnd Jacobi der heyligen Zwelf- poten [6. Mai] anno domini 1525.

Auch der Bischof selbst schrieb an den Bat und ermahnte ihn* (Privilegienbuch f. 158):

Philips, von Gotsgnaden, Bischof zu Freisingen, Administrator des Stiefts zu Naumburgk etc. phaltzgraue bey Bein vnd herzogk in Boiern etc. den Weysen vnseru liben getrawen N. dem Bathe vnser Stadt Naumburgk etc.

ÜURem grus zuvorn, Weysen lieben getrawen, Wir vorhoffen vnnd sein Zweifel an, Ir traget gut wissen vnnd sejt auch deß in scheinlichem entpfinden, das wir vns von Anfange vnsers ein- komens in vnserm stiefft Naumburgk vnnd ynnser fürstlichen Be- girung desselben kegen euch, in allem euerm Obligen, so vyl an vns gewesen, fürstlichen vnd gnediglichon erzeigt vnd gehalten haben vnd des noch forthyn, die tagelangk vnsers Begiments gnediglichen zutbuen geneiget sein vnnd thun wollen,

Entkegen haben wir auch bei Euch nichts anders dan gehorsamen vnd underthenigen wyllen, als bei vnsern getrawen erspurt vnnd befunden, vnnd wollen vns des noch allewegen zu Euch gnediglichen vorsehen, Dieweyl aber euch vnd menniglich bewust, vnd scheyn-

1) Sixt. Braun, S. 194.

KÖSTER, ZITR REFORMATIONSGESCHICHTE NAt:MBUBGS. 147 '

lieh vor «Igen sey, die itzo schwebenden schweren lawfte Tod KV&ürigen entpornngen, so sich an ril ortlien Tnnd in den fdrsteii' thumben Deutzscber Nation, Eondcrlichen bei dem gemeinea Pauers- Bumne erheben vnd was anch denselben snfrflriscben personen vnnd versamlangen, Landen vnd leutben in gemein vnd Sonderheit mei^klichs nochteyis, schaden vund Torderbnus an iren Ebren, leiben vnd güttern bishero eraolget ist, vnnd zn besorgen (wo aolchs die gotliche almecbtekejtt mit veterlicber begnadung vnd BumherzikeTt nicht vorVompt). das aus solchen aurruThn vnd twitrochten nichts anders dann zunvüstung der fQrstenthumben Torodung der Stedten vnd flecken , Zuracbleiffung der güttere vnnd todtschlege der menschen, noch teglichen eruolgen werde. Wie dann solches dermasen bei Kurtzen ze;ten vnd Jaren menscb- licbs gedenckens an vil Orthen, Kenigreicben vnd Landen Hunge- TiBchtn, Dentzschen, Wallischen vnd andern Nationen, die wir nmb kflitE wyllen anzuzeigen vnderlaßen, auch ^escheen, Vnd sonder- lichen der vrsacbern vnd nnbengern solcher Zwitrucht vnd auf- iQhren, Voriagung irer heirawesen ader vylmehr abtitligung vnd eifodtnng irer Ehrben ontstunnden ist, das (ane Zweifel) ane son- der voThencknaa gottes des almocbtigcn, Wo disolbe irer Obrykeit schuldige pflicht vnd gehorsam geleint vnd bewisen betten, nicht gescheen were, Uierwidervmb anch habt ir zuerwegcn vnd wollen euch sülchs zu erinnern gnediglicben ermantt haben, Was frucht, •rhaltung vnd aufnehmen an Eher, leib vnd gotbe, gemeinen vnd sonderlichen nutz eraolgett, was eher vnd lobs auch gotlicbor Al- mechtikeit doran beschicht, vnd wie vaterlich vnd barmhertzigüch sich dieselbe kegen den menseben in geistlichem vnd zeitlichen thun vnd allen menschlichen Obligen vnd notturften erzeiget. Wo fride vnd Einikejt, Brüderliche libe, trew vnd gehorsam ist, wie dann an vnser Aller voreldern v;l hundert jhar hero ersehenen, Demnoch in bedenckung solcher nutzbarke;t, frucbtlicbs vnd Ei- siges go^efelliges wesens, So ist vnser gnedigoa begeren an Euch alle vnd iden besondern. Oh sieb indert in vnser Stadt Naum- hnrgk ader andern vnsern forstlichen herschauen, Flecken vnd gebithen, desselben vaaers Stiefts e;nicbe aufhrubr, entporung, vorbunthnas ader vberfbal entstehen, ader ir zugoscheen orfharen wOrdet, des wir uns doch keynes weges vorsehen, Daß ir dann in solchem vns als Enerm fürsten vnd Erbherren getrawen, ge- horsamen vnd schuldigen beistant hülf vnd kegenwehr, wie ir euren pflichten nocb zutbun schuldig seyt, vns vorhero vnsern Torfharren vnd vns selbst als die getrawen gethan habt, noch rnderthcnig thuet, beweiset. Auch Euch kegen van, vnser geist- lichkeyt noch andern vnsern vorwant vnd vndertbanen zu keyner kufruhr, erporung, vorbunthnns ader vneynikeyt bewegen laset. Wie wir vns gentzlichen vnd gnedigea vortrauena zu euch

M

148 ANALEKTEN.

sehen, Entkegen wollen wir ench auch als vnsern getrawen vnder- thanen mit allen gnaden erscheynen vnd allen gnedigen WjUen in allen Euern obligeu als Euer gnediger farst vnd herre er- zeigen vnd beweisen vnd solcbs kegen Euch allen in gemein vnd ein iden insonderheyt mit sondern gnaden erkennen. Datum Freisingen am pfintztage der Aufifart Christi Jbesu [8. Juni] anno 1525.

Darauf erbot sieb der Rat zu treuem Gehorsam, und der Bischof versprach ^ gnädige Gewährung aller Übelstände , sobald er nacli dem Frieden nach Naumburg kommen würde. Privilegien- buch f. 161:

Philips von Gots gnaden An Bath zu Naumburgk.

Vnsern gonstigen Grus zuuor, Weisen, lieben, getrawen, wir haben euer schreiben vnd vndertheuigs erpithen, euer getrawen pflichte vnd gehorsame vns in demselben angezeigt, inhalts boren lesen, vnd tragen des von Euch als vnsern getrawen bei denen wir vns aller trow vnd gute vorsehen, ein sonder gnediges vnd guts gefallen. Mit gnedigen erpiten solcbs kegen euch mit allen gnaden zu bedencken vnd zuerkennen. Und wollen vns auch zu euch nichts anders dann aller traw vnd gehorsame, wie wir euch eishieher befanden, noch furthin alle zeit vorsehen vnd entkegen buch allen gnedigen wyllen, als Euer gnediger Fürst vnd herre erzeigen vnd beweisen. Vnd so es die gotliche almechtikeyt wiederumb zu fride vnd eynikeyt schicket, vns mit dem fürder- lichsten hineyn in vnsern stieft thun vnd alsdan in andern vnd Euern obligen gnediges einsehen, noch gelegenheyt einer iden sach haben, Solcbs wollen wir euch als vnsern getrauen vnan- gezeigt nicht lassen, Vnd thut in allem, wie wir euch gentzlichen vortrauen, Datum Freisingen am Freitage nach Petri vnd Pauli Apostolorum [30. Juni] 1525.

Cedula.

Wir begeren auch gnediglich an Euch, das ir diesen vnsern brieff, noch vornehmunge desselben, von Stundt an vnd mit dem furderlichsten (wie den andern) in vnser Stadt Naumburgk auf der Cantzell allenthalben in den Kirchen bei vorsamlnnge des Yolcks öffentlichen aus Euerm selbst befhele vorlesen laset, domit sein das gemeine Volck aucli innen werde vnd einer gantzen ge- moyno zn vorsamlen nicht nott geschee. Datum ut supra.

Angesichts dieser schriftlichen Zusagen des Bischofs ver- warnte der Bat die Bürgerschaft aufs energischste, sich jedes Aufruhrs zu enthalten und erreichte auch, abgesehen von einige Ausschreitungen, sowohl wider die romische Kirchenordnung al

1) Sixt. Braun, S. 194.

SÖ8TER, ZUR REFORHATtONBGESCHICnTIC NAUHRDRQS. 149

auch gegen die Obrigkeit, dais die Ruhe im ganzen und grofaen in Nacnibnrg nicLt gestört wurde ',

Von Dan aber fufste der Rat in allen sp.lteren StreitigkeiteD fiber Keligione- und andere Suchen auf den Versprechungen des Biäcbofä, seiner Mte und auf den, nie es scheint, noch besonders lerheifsenen VergOnstignngen des Domkapitels '. Denn wir finden in der ganzen folgenden Zeit, dafs der Bat immer wieder betont, der Bischof habe trotz seiner Verlröst langen das Stift und die Stadt noch nicht besucht, um die £eit lange vorgebrachten Be- schwerden abzuändern, so dufs er eich endlich veranlafst sehe, beim Landes- und Schutzfürtten , dem Kurfürsten von Sachsen, Hilfe zu HQctieD. Mit dem Itiit ging die Bürgerschaft dann Hand in Hand, als es sieb darum handelte, die neue, schnell sieb ver- breitende lutherische Lehre gegen den papistisühen Schlendrian Dnd die Trägheit der Pfaffen in AnaObuDg der kirchlichen Ob- liegenbeiten in ihrer Stadtkirche zu schützen. Zum beseeren Tecständnis der ganzen Streitigkeiten mag hier angeführt werden, dafa dRmikls noch das Jus patronatus Über die Wenzelspfarrkirche in der Stadt dem Domkapitel zustand. Meinberns, Kpisc. KnmburgenMS, incorporavit Canonicis et Capitulo Ecciesiam paro- cbialem S. Wenceslai in civilate Naumburg Anno 1270. Ulri- cns tüpiec. confirmafit Meinheri Kpiscopi inuorporalioncm Anno 1301. Heinrici I. Epiecopi consensu et volnntate auneia est ecclesia S. Wenceslai prucpositurae Numburgensi ".

Es wurde nun, nach Beendigung des Aufruhrs, Magister Jo- bano Langer von Bolckenhiiin, der schon ungefähr fünf Jahre im Domstift auf der Freiheit zu Naumburg Prediger gewesen war, mit Wissen und Verwillignng des Statthalters nnd der Rate zu Zeitz und des Domkapitels zu Naumburg vom Rate veranlafst, in der Stadt an der Wenzelspfarrkirche an Sonntagen und Feiertagen vormittags und im Domstift nachmittags im Sinne der neuen Lehre zu predigen, bis er nach einigen Wochen mit Krlaubnts HDd Vergünstigung des Statthalters ganz in die Stadt zog, und vom Rat am Dienstag nach Dionysii (10. Oktober) 1525 als eraier evangelischer Prediger mit einer jahrlichen Besoldung von 1^0 ü. angestellt wurde.

Dieses Ereigtia meldete der Rat Freitags nach Clemens iS4. November) dem Bischof Philipp nach Freisingeu , ent«chui- 'wt« sich aber zugleich, dafs diese Anstellung nur erfolgt sei, *•*■! die Conventores oder gemieteten Pfarrer zu S. Wenzel dem

t

1) Sixi. biaun. S. 191 ff.

2) Ehend. S. 197.

31 Zader, llandacbriftlirhe StifisL'hrouik, Bd. H, 4) Sixl. Braun, S. 197.

150 ANALEKTEN.

Dompropst und Domkapitel, dem die Kirche inkorporiert w&re, die Pension nnd jährlichen Zinsen von den Alt&ren nicht hätten geben können. Die Kirche habe daher eine Zeit lang keinen P&rrer» sondern nur einen Kaplan gehabt, der die Sakramente gereicht, Messe gehalten nnd christliches Begräbnis besorgt habe. Nach der Empörung aber sei die Gemeinde von dem heftigsten Verlangen nach göttlicher und christlicher Lehre durchdmngen und habe den Bat um einen Prediger ersucht, der das Wort Gottes rein und lauter verkünde. Deshalb habe er, jedoch mit Vorwissen des Statthalters und seiner Bäte, einen eigenen Pfarrer auf seine Koston angenommen, nicht zum Nachteil der Obrigkeit, die ja die Pfarre sonst mit einem Pfarrer zu bestellen hätte. Kopialbuch, f. 97 K

Wiederholte Anträge und Gesuche an den Bischof, die kirch- lichen Zustände, namentlich die Besoldung der Kirchendiener zu bessern, wurden nicht berücksichtigt, so dafs der Bat, auf Selbst- hilfe bedacht, schon zu dieser Zeit mit den Gelehrten von Witten- berg'' in Beratung trat, was zu thun sei. Denn im Jahre 1526 war Philipp Melanchthon hier ', ohne Zweifel, um mit dem Bäte Unterredungen zu halten, wie die Beformation der kirchlichen Zu- stände in Naumburg Torzunehmen wäre ^. Denn der Bat „schickte Herrn Philippe Melanctoni von Wittenberg in des Claus Brand Gasthove vor 11 gr. 6 ^ ein Stobichen Bheinischen Wein, dye kanne umb 12 ^, Vs St. Met, dje kanne umb iVs fiT-t 1 Stob. Landtwein, dje Kanne umb 6 ^ und ejn Stob. Bir zuvorehrung, gescheen am Sonntage nach Cantate [6. Mai]. Batsrechnungen 1526, f. 142."

Die Sachen spitzten sich immer mehr zu. Im Jahre 1527 forderte der Naumburger Dompropst, Graf Wolfgang zu Stolberg, den Bat auf, dem Pfarrer zu S. Wenzel eine genügende Ver- sorgung zu geben ^. Er erwiderte, nicht ihm, sondern dem Dom- propst stände es zu, die Kirche mit Seelsorgern, Pfarrern etc. zu Yorseben, denn dieser habe die Einnahmen derselben. Auch dieses liefs der Bat an den Bischof gelangen mit der Meldung, der Dompropst habe jährlich 60 fi. von der Pfarrkirche, er aber erbiete sich, die Bestallung und Besoldung des Pfarrers gänzlich auf sich zu nehmen, wenn der Dompropst ihm das Einkommen der Pfarre übergeben wolle. Geschehen am Tage Thomae [21. De- zember]. Kopialbuch 1527, f. 37.

Der Bischof wiederum warf dem Bat vor, dafs dieser die

1) Sixt. Braun, S. 198.

2) Ebend. S. 203. 8) Zader, S. 55.

4) Sixt. Braun, S. 205.

KÖSTEH, ZDB REKOnMATlONaOESCHICIITE NAUMBURGS. 151

erledigten Lehen in der Rirche nicht mehr verleihe, dafs er die Messe deutsch singen lasse etc. ' Der Bat dagegen entschuldigte eich und berichtete , er habe die Lehen wieder verliehen und wolie aocb nach dea Dompropstes Willen handeln, aber wahr sei, <ja£s die Bargerscbaft etliche deutsche Psalmen in der Kirche sänge, was d^irum geschehe, damit mehr Volk in der Messe bleibe. Zngleich schickte er die ganze Kirchen Ordnung mit ein, wie die Hesse gehalten wQrde. Kopialbuch, f. 370. 377 '.

Aach der Statthalter und die bischöflichen Bäte zu Zeitz

erklärten sich nun mit einem Male gegen den Mag. Langer und

verwiesen 1528 dem Naumburger Bäte, dafs einzelne Bürger, der

christlichen Kirche und Kaiser Karls Edikt entgegen, nicht wie ber-

kümrolich beichteten und das Abendmahl in beiderlei Gestalt nehmen

wollten, woran der Prediger Schuld habe, weshalb dieser zurecht

lu weisen wäre. Der Rat antwortete, ihn ginge es nicht an,

wer da beichte, denn das sei Sache des Seelsorgers, der aber

predige dos Wort Gottes lauter und rein und ermahne zu Friede

und Einigkeit^. Mag. Langer ging nun plötzlich eine BerufuDg

nach S. Jnachimsthal zu *, worauf der Rat seinen Schreiber am

16. Jnli mit Kredenz an die Theolugen nach Wittenberg schickte,

Kopiaibnch. f. 26. In der Ratsr. f. 396'' heifst es: 1 Schogck

16 gr. 3 ^ hat der Stadtschreyber zu Notturfftiger zerung auB-

geben, do er selbander mit zwey pferden die Wochen Margarethe

«echs tag anßgewebet bey doctori Martine Lauther vnd Philippe

Uelanctont zu Wittenbergb, des predigers vnd Ceremonien vnd

andern Baths erholt, das der prediger erhalten mecht werden,

Vnd wes wir za Naumburg vns in diseo schwinden zeytten mochten

ibalten. Die Berufung wendete der Bat ab, indem er zur Er-

t&altung des Predigers mit Bewilligung der Gemeinde auf jedes

Viertel Bier 1 gr Übermafs legte. Am Tage Jacobi [25. Jnli]

a. 528.

Seine Dankbarkeit für erteilten Eat bezeugte der Bat dann ^con dsrauf, am Sonntag nach Ass. Mariae [16. August], denn ^r schickt« „dem doctori Johnas vnd Mag. Pbilippo Melanctoni 'OQ Wittenbergk, als sie nach Jhene zur Wirtschaft gezogen vnd iurch Naumburg kamen, laut der Batsr. fol. 384 für 13 gr. 3 ^ tubichen Beinwein, die kanne vor 12 ^, 1 St. Landtweyn, die ^Eanne vor 6 ^ vnd 1 St. Bier in Claus Brande Haoß zuvor- ■^ drang."

1) SixL Braun, S. 205 und 206.

21 Abnedruckt in der „Monaisschrifl für Qottesdiengt und kirchliche ''UQst" von Dr. Spitta und Dr. Soiend in Strafaburg. 2. Jahrgang, "«■. 11.

3) Sixt. Braun, S. 307.

4) Ebend. S. 207.

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152 ANALEKTEK.

Wiederholt worde nun an den Bischof geschriehen und, mit Hinweis auf die vor Jahren gegebenen Versprechungen die mlTs- lichen Znstande zn ändern, dringend gebeten, dem Rate zu ge- statten, dafs es in der Kirche zu Naumburg gehalten werden möge, wie im Lande des Schutz- und Landesherrn ^ Aber um- sonst. Der Streit wogte hin und her mit Anschuldigungen von Seiten der papistischen Pfaffen auf der Domfreiheit und mit Entschuldigungen von Seiten des Bats, bis endlich die Gemeinde selbst bei der Huldigung des neuen Kats im Jahre 1529 diesen ersuchte, sie bei dem jetzigen Prediger zu erhalten und ihr die Ceremonien frei zu lassen. Und nun schrieb der Bat an den Bischof, Sonnabends in der Osterwoche [3. April], daüs er, weil man Gott mehr gehorchen müsse, als den Menschen, vom Em- pfang des heiligen Sakraments und von Haltung der Ceremonien nicht länger abstehen könne und wolle, und berief sich auf des Kurfürsteii von Sachsen gnädige Weisung. Kopialbnch, f. 96. Der Bischof aber, der dieses Streites halber schon 1528 ii\ München ein Konzilium im Augustinerhause hatte anstellen lassen, wollte den Prediger Langer durchaus entfernt wissen und befahl dem Bat, zufolge eines vom Kaiser Karl V. ihm speziell in dieser Sache zugegangenen Mandats, Datum Speyer, 3. Juni 1529, den lutherischen Pfarrer, bei Verlust aller Privilegien, den Peter- Paulsmarkt eingeschlossen, sofort abzuschaffen, und beharrte auf. dieser Forderung trotz der Verwendung des Kurfürsten und trotz der Vorstellungen des Domkapitels, dafs eine grofse Gefahr da- durch heraufbeschworen würde. Er versprach aber, dem Bäte einen andern Prädikanten zu schicken, der das Wort Gottes auch klar und lauter predige. Mag. Langer aber, „der nicht länger in dem Gebeifse und Gezanke bleiben v^ollte*', fordorte seinen Abschied und ging nach Coburg (vgl. Luther an den Kurfürsten Johann, 29. Oktober 1529, de Wette III, 521).

Die Kirchenväter von S. Wenzel gingen nun auf der einmal betretenen Bahn energisch weiter vor, sie verkauften einen Teil der Kirchenkleinodien, Kreuze, Patenen, Gewänder etc. und er- richteten einen eigenen Gotteskusten am Sonntag Trinitatis [23. Mai] 1529, um daraus die Kirchendiener zu besolden. Der B<it behalf sich aber wieder mit einem von ihm angestellten Kaplan, Martin Schumann, denn der von den bischöflichen Bäten versprochene Prediger, der in der Person eines M. Wolfgang Beschütz er- schien, pafste der Bürgerschaft ganz und gar nicht. Auch schrieb der Bat im Jahre 1531 wieder an den Bischof und beklagte sich, dafs in der Wenzelskirche kein Pfarrer sei. Der Dompropst, Graf Stolberg, hingegen erhob Beschwerde, dafs der Bat Kirchenkleinode

1) Sixt. Braun, S. 207.

KÖSTEH, ZUR KEFORtUTIONSaESCHICUTlf NAUUBCRGS. 153

Terk&nft babe and sich an<Iere UDgehürigkeiten zu Sdiulden kommen lasse. D&ber verglichen die biscliSflichcii Büte die Sache schliefa- lieh durch folgeuden Vertrag:

Der Kirchen vnd des Raths schiedt vnd vertnigk (Frivilegieu- buch, r. 163), wie es mit derselben Clinodien, Schulden vud Uech- nimg auch beutellung der Gnipter darin sol gehaiden nerdeti. Anno Domiui 1531. Nachdem sich ein ßath »u Naumburgk an den hochwirdigen in got durdilauobten hochgeborenen Fürsten vnd bern, hern Pbilipsen Bischöfen zu li* reisin gen, Ädministratorn dos stierts Naumburgk, Pfaltzgrauen bei ßeyn vnd Herzogen in Beiern etc. vnserm guedigen hern, vuderthenigk hecluget, daa b'M vnd ire gemejn eines pfurnera vnd seelsorgora in Sanct Wenczelskirchen maiigel betten, vnd bynwiderumb der Erwirdigk Tod Wolgeborene herre, Wolff, Graue vou Ötolwergk elc. vnd Thumbbrobst, beschwerlichen batt anzeigen laden. Wie di pfar zu Sanct Wenzel irea opfers entsatzt, auch derselben pfarkirchen Clinodia ane seiner gnaden wissen vnd wjllen vorkawft vnd dis- trabirt seyn sollen, Derwegen wir Hans 7on Adelschawfen, Hans Ljnhart Üockstejner vnd Jorge von Breitenbach, Ordinarius etc. Bede doctores, auf sonderlichen befheel, als htrzn geschickte vnd vorordentlie Eethe hocbgedacbta vnsers gnedigen herren hei dorne Vorweser der Tbnmhbrostey alhier, welcher abewesena vnsers gnedigen hem, des Thumbbroatea birzn anch befheel gebäht, ge- scbafl, das genanter her Thumbhrost, nochdeme genanthe pfar der Tbnmbbrobstei eingeileibt, die l'far zu Sauet VVeiizell zum forder- üchÄten mit einem frolimen gelerthcn manne, welcher den Ein- wonern zur Naumburgk mit vorkbundigimg des wurt Gottes dar vnd lautber auch mit dem Seclsorge Ampt noch Ordeuung der beyligen Cbristlicbea Kirchen vnd andern Ceremonieu ttewlich vud vleyßigk vorstQnde, vorsehen soll.

Welchem ein Rat zur der Naumburgk das gebQrlich opfer, fünfmael im Jhar aol vnd wyll volgen lasen. Also das allewege der Ratb einem defa Pfarners diner zu geben, das opfer von banse zu Uawse einzufordoru. Ab sich aber imandes dorwider fetzen würde, das der uder diselben alsbaldt durch des Kaths dinere vor den Ratb gefordert vnd alsdann imo der gehorsam nofgelegt, bis solch Opfer entriebt, Vnd vber da» sot vnd nyl der Biitb demselben pfarner atsbaldt das Geistlich leben so itzo Magister Roscbitz besitzt, ime zukomen lallen, vnd des von der Pension der achtt gülden befreyen. Und «her das von Ruths wegen jeilich zweltf gülden demselben pfarner reichn, Vber alle andere zugenge, die sonst albereit in Sanct Wenzels kirdien gestifft, vnd künftig dem pfar ampt zukomen mochten, Nacbdcme aber ein pfamer genanthe kirchen mit predigen, Uottesdinston vnd andern Ceremonien »Heyne nicht vorwaltben bhann, So sol derselbig

154 ANALEKTEN.

Pfarner Ejnen Caplan ynd Chorschüler zu sich ziben, welche drei Personen yber ebene angezeigte ynderhaldnng der her Brobst mit essen vnnd Trincken vnd andern allenthalb sol Vorsorgen, Aber der Clinodien halb dieweyl die geringeschetzigsten durch die Kirchnneter zu Sanct Wenzel mit vorbewust eines Baths vor- kawffty ynd das Kawfgelt irem anzeigen noch, zu abelegong des yorgestrackten geldes, zum Kirchengebeude der Kirchen gewani. So sol der Bath zur Nanmburgk die hinderstelligen Clinodien, so er noch bei sich in yorwarung hat, yormüge Eines yorzeich- nuTs, so yns derwegen zngestalt, alsbaldt genanther Kirchen, ynd anstatt derselben den Kirchuetem, dieselbe zu Ehre des Al- mechtigen ynd Zier der Kyrchen zu gebrauchen vberantworten. Es sol aber hinfurt wider der Bath noch Kirchueter, semptlich ader sonderlichen ane hochgemelts ynsers gnedigen hem ader seiner fürstlichen gnaden nochkomen Bischoffen zur Naumburgk, yorbewust ynd wyllen, so der Kirchen zustendig, yorsetzen, yor- pfenden ader yorkawffen, Sonder Es sol auf der Kirchen Güter ynd derselben einkhomen ynd ausgeben guthe achtunge gethan werden, domit der Kirchen güttern allenthalben trewlichen yor- gestanden, derwegen dan ein Bath yon den Kirchuetem ier- lichen guthe bestendige Bechnunge nehmen sol, Domit auf eyne zeit der Visitation dem geistlichen Bechten gemefs ob Eyniche yorgenohmen, solche Bechnungen konnden yorgelegt werden. Ynd auf das bemelte Kirche, so yil eher wider in yorrath khomen müge, so hat der Bath sich yorzihen ynd abgesagt aller Obli- gation domit dieselbe Kirche einem Bathe yon wegen eigens ynd frembden yorgestrackten geldes, yorhafft gewesen, Also das ein Bath yon wegen seines eigen geldes ader anders, nuhe hinfüro die Kirchen gar ymb nichts mahnen sol noch wjl, noch auch yorstatten. Das sie yon andern ime ethwas anders, so der Kirchen bilsher vorgestrackt sein solde, gemanet würde. Zw yrknnde ist diser Schiedt gezwifocht, ynder ynsem petschafften ider parthei yndergeben, Bescheen zur Naumburgk am tage Sancts Wenzeslai [28. Sept.] Anno domini 1531.

Der Vergleich wurde hingenommen, aber in der Lage der Dinge nichts geändert. Im Gegenteil; der yon Statthalter und B&ten geschickte M. Pistoris griff yon der Kanzel herab den Stadtrat heftig an ^ und yerlas nur den Text des Eyangelii.

Daher erhob sich im folgenden Jahre 1532 ein neuer groDser Zwiespalt Denn die Kirche war yerwaist: zwei Kaplftne, einer, Herr Jagenteuffel, der andere, Herr Georg Freytag, ein be- schränkter Mensch, der weder deutsch noch lateinisch lesen konnte, teilten bisweilen auf Bitten frommer Leute dem Volke die Sakra-

1) Sixt Braun, S. 215 u. 219.

KÜSTER, ZtR HEKORMATIONSOeSCHICHTE NAUMBURGS. 155

menU bds, ohne Besoldung zu empfangen. Der Dompropst be- schwerte sieb wiederholt, dafa maa üjm das zuständige Opfer von <ieD Altären Dicht reiche, und er deshalb keine Veranlassung habe, für die Besetzung der Kirche fernere Mühe und Kosten aufzuwenden und, als die üossenme ister auf des Rats Befehl von Hans lu Haus Umgang gebalten und von jedem vier Pfennige gefordert hatten, wies der Dompropst dieses ibm Überreichte Geld als lu goringfllgig znrflck. Kurz, die Kirche blieb verlassen, so daJs, wenn der Kirchner zur Messe und Vesper gelflutet, weder Vikar noch Kaplan erschien und der Gottesdienst eigentlich nur mit Läuten verrichtet wurde. Das gemeine Volk aber ging in Scbaren auf die Dörfer nach ßoblas, Flemmingen and anders- wobin, um Gottes Wort zu hören und in beiderlei Gestalt zu komninniziereu '.

Die Bürgerschaft wurde daher wiederholt beim Ritte in der heftigsten Weise vorstellig und drohte, wenn der Rat kein Ende der Verwirrung herbeifahren kSnoe, so würde sie direkt an den Kurfürsten geben und selbst um einen Seelsorger bitten, der der neuen evangelischen Lehre anbange. Deshalb sah sich der Rat ver- anlafst, Herrn Wolf Caspar und den Stadtsuhreiber des Evangelii wegen nach Nürnberg abzufertigen, um beim dort weilenden Kur- füreten von Sachsen Bericht zu erstutlon und ihn zu bitten, ihm, wenn der Bischof nicht nachgeben wolle, die Erlaubnis zu er- teilen, einen eigenen Prediger anzunehmen. Sich selbst stelle er aber in des Kurfürsten Schutz und Handhabimg '. Die Abge- schickten blieben drei Wochen aus und verzehrten 41 fl. 4 gr, (Eatsrechnung.)

Die nächste Folge war, dafs im Namen des Kurfürsten U. Gallus Gründling von Bäckerswalde vom Su-bosser zu Eisen- berg hergebracht nnd zum Predigen angenommen wurde zu Mi- chaelis 1533.

Am Freitag nach Oculi (21. März) 1533 aber wurde in dieser Religionssache zwischen Bischof Philippus und seinen ß&ten und iwiscben der Stadt Naumburg in Weimar Handlung vorge- nommen vor dem Kurfürsten und seinen ICHten. Die Stadt Naum- burg brauchte dabei zu ihrem Advokaten den Dr. Hieronymus ScbnilT, den sie nach dem Absterben ihres Beraters Dr. Matthias Ueyer, im Jahre JöÖO angenommen hatte ', nnd klagte, dafs die bischöflichen Bäte das heilige Evangelium nnd Wort Gottes ICfitItif; verbindert haben und zwar folgenderweise*:

1) Zftder, Ud. II, Buch 3, S. &b. 2} Sixt. Brftun, S. 220.

3) Ebeiid. S. 213.

4) Zader, Handscbriniiche Stirtschrenik. Bd. II, Unch 3, S. SS

156 ANALEKTEN.

1) Hätten sie ihren Prädikanten M. Bolkenhain, den der Rat im Banernaufruhr angenommen, nnd der der Gemeine das Wort Gottes rein und lauter gepredigt, aufs heftigste verfolgt und, ob- wohl er eine Apologiam in öffentlichem Druck verfertigt, so wäre dieselbe doch durch den bischöflichen Statthalter mit einer ge- schwinden Schrift angetastet.

2) Hätten die Räte im Bauemaufruhr Mandate ausgehen lassen, darin sie sich verpflichtet, die Ordnung des KurfQrsten von Sachsen, die in seinen kurfürstlichen Landen gehalten wurde, bis auf ein gemein Concilium zu halten, das aber wäre nie ge- schehen.

3) Hätten die Räte obgemeldeten Pfarrer enturlaubt, und die Naumburger wären drei Jahre ohne Prediger gewesen.

4) Hätten sie den Propst zu Naumburg ersucht, ihnen die Sakramente in beiderlei Gestalt nach Christi Ordnung zu geben, das wäre ihnen abgeschlagen.

5) Unterdessen wäre das Sterben mit eingefallen, und viele Leute ohne das Sakrament dahin gestorben wie das Vieh.

6) Hätten die Leute wegen Mangels eines evangelischen Pre- digers nach Boblas laufen müssen.

7) Die Räte hätten zwar nach Naumburg den M. Wolschen* dorff und M. Roscbütz ^ geschickt, der hätte aber die Kirche gar wüste gepredigt.

8) Wäre ein bayerischer Prediger vorgeschlagen, der zu Zeitz einen Sermon zu versuchen gethan, und hätte derselbe die Predigt dermafsen augefangen: „liebe Brüder, höret das Evangelium, wel- ches beschreibet der Heilige St. Paulus'*.

9) Hätten die bischöflichen Rate weiter nach Naumburg bübische Prädikanten geschickt wie Pistorium aus Ochsenfurt, haben aber die Gemeine nicht erbaut.

10) Wäre zu Flemmingen * ein evangelischer Prediger auf- gestanden, zu dem wären die Bürger von Naumburg häufig hin- ausgelaufen, und wie sie auf Sonntag Quasimodogeniti (7. April) 1532 in der Kirciie zu Flemmingen gewesen, und niemand zu- hause geblieben , wäre in der Freiheit ein Feuer aufgegangen, dadurch diese jämmerlich in Asche gelegt sei ^

11) Hätte man auch einen Mönch aufgestellt zu predigen, so ein Medicus gewesen, der hätte sich unverschämt auf der Kanzel gebalten, dufs es auch nicht weit vom Aufruhr gewesen.

12) So wollten auch die Räte den jetzigen Prädikanten Herrn

1) Map. Wolffranp Roscbütz, Canonicus Nuraburgensis, ist zuletzt Pfarrer zu St. Maiia Magdalena in Naumburg und zugleich Prediger im St. Georgenkloster gewesen. Zader, Bd. II, Buch 3, S. 107.

2) Dort, Vi Stunden entfernt.

3) Sixt. Braun, S. 220.

KÖBTBR, ZUR RKFORHilTIONSQESCHICHTB NAUMBURGS. 157

4aUiu& Tertreiben, für den sie gebeten und den KutfQraten um migHten Schulz angernfen Laben wollton. BolchQ Klagen aber wollten sich die bi&chOflicheD Ab- id Unte und die vom Kupitel nicbt ein) i«T Kurfüist einen Abschied geben lassen, protestierten 4te doch dawider coram Notario Gall. Tbamm, der dazumal des BUchofd Notariua und Selcretiriua war.

Hierauf herichtoten die biäelwfiiuhen Bäte dem Bisubof, was n Weimar vorgefallen »ei, mit dem Vorschlag, weil die Goist- licben im Stift jetzt beim KiirfQreten und sonst wenig Beifall hätten, so hätten sie, die Küte, mit Heirn Georg von Breitonbacb, Doktor und Ordinario zu Leipzig, als des Bischofs Uat und Lebnmaiia Beben Herrn Julio Pflugi deliheriert, dafs der Bischof dem her- gebrachten Brauch nach etliche aua den Stifteständen erfordern ■nd niedersetzen solle. Wollten nun die von Naumburg darein nilligen, wäre es gut, wo nicht, so sollte der Bischof sie mit dem Kammergericht vornehmen, und wOrden die die Beligion be- treffenden Sachen suspendiert, so könnte der Bischof solches der weltlichen Punkte halber IhuD.

Nach diesem schrieb Kaspar Schippchen, der biscbüfliche Richter zn Naumburg, am Osterabend (12. April) an die bischöf- lieben Bäte nach Zeitz nnd berichtete, wie die von Naumburg 4en Tanfstein zugeschlossen und den Herrgott nicht haben in das Grab wollen legen lasser. (Am Osterfest pflegten die Papisten daa Tanfwasser zu honsekrieren und das Begräbnis nud die Auf- erstehang Christi ZQ reprflsentieren.) Er erklärte dabei, er wolle mit den geistlichen Sachen niclits zu thun haben, da ihm, weil die Naumburger freie Friesen wären und vor niemand Fnrcht bitten, etwas Schimptlicbes begegnen möchte '.

Die Eäte aber liefsen hiergegen wiederum ein Schreiben an 'len Rat zu Naumburg abgeben und legten ihm bei Strafe auf, er Bi>lle in der Heligton nichts ändern, sondern es bei der ka- ihnlischen Lehre bleiben lassen und sich endlich zufrieden gehen. 1d diesem Streit hatten auch die Herren des Domkapitels als Gesandten Heinrich von Bünau zu Bischof Philipp nach Frei- fingen geschickt, der ihn wegen Krankheit nicht empfing, ihm *ber einen scbriftliclien Bescheid geben lie/s mit folgenden Punkten :

1) Weil er bereits wegen des Predigers zu Naumburg An- ordunng getroffen, nnd das Domkapitel trotzdem für die Nanm- bnigBr beim Bischof intercedieren wolle, so scheine es, dafs sie im Naumbargem beistehen uiüfsten; diese Beschickung würde im Domkapitel bei ehrlichen hohen und fürstlichen Standes- perionen nicht zum besten gedeutet

1| Zader, Handschtiftliche Stifts chronik, Bd. II, Buch 3, S. 67.

1

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158 AKALEKTEN.

2) Weil er befunden, dafs der Prediger zu Naumburg sich unterstanden, alte löbliche Ceremonien der Kirche abzuthun, so sollten sie ihn abschaffen.

3) Wäre der Bischof über den Dompropst und das Dom- kapitel aufs höchste aufgebracht, weil sie die Yerleihang des Predigtstuhls in S. Wenzels Pfarrkirche also von sich an die Nanmburger geschoben und kommen lassen, ohne sein, des Biscboft, Wissen, da in der Wenzelskirche keine gestiftete Prädikatur sei,^ in welche die von Naumburg einen Prädikanten anzunehmen hätten, sondern diese Pfarre gehöre zur Dompropstei und dem Kapitel zu Naumburg ^.

Durch all diese Vorgänge liefs der Bat sich nicht irre machen, sondern stellte 1534 den bereits 1532 zum Prediger angenom- menen Mag. Gallus Gründling definitiv an, den Predigtstuhl zn- nächst wieder drei Jahre lang zu versorgen, wof&r ihm jährlich 90 fl. und zwei Fuder Scheitholz gegeben wurden (Batsrechnnng f. 118).

Auch hier waren die Wittenberger wieder beteiligt und An- wesend gewesen, denn es wurden 15 gr. 3 ^ für 1^ St Bejn- nischen Wein, je eine Kanne vor 16 ^ vnnd anderthalb St Most, je eyne Kanne vor ejn groschen vnnd 1 St. Byr Philippns Me- lanthonn sampt andern Herrn in Claus Brandes Behawsang ZQ geschengke gepracht Sexta post Simonis vnnd Jude (30. Oktober) 1534. Ratsrechnung f. 22. Ferner führte der Rat 1535 die Neuerung ein, dafs bei der Best-ätigung des neuen Rats, vor der seit ewigen Zeiten eine Messe gehalten wurde, jetzt „der Fre- diger das Volk ermahnte, Gott zu bitten, dem Radt Gnad zu Tor- leiben , Rec]it und wol zu regiren '* ^ (Sonnabents Noch Jodica [20. März] 1535), wofür er 3 gr. 4| ^ erhielt. (Ratsrechnang f. 136.) Auch wurde die Messe in des Rats Kapelle auf dem Rathause abgeschafft.

Die Lehen aber, die der Rat sonst in der Wenzelskirche tn verleihen gehabt, wurden zur Kräftigung des 1529 errichteten Gotteskastens angewendet und aus diesem die Kirchendiener be- zahlt. Auch einzelne Bürger, wie z. B. Jakob Gartmann, der Besitzer des Hauses zum roten Hirsch, der an einigen Lehen das jus patronatus hatte, übereignete laut Urkunde, die Einkflnfte derselben dem Gotteskasten 1536 ' (Kopialbuch f. 34), der doreh^tf eine freiwillige Biersteuer, durch Geschenke des Kurfürsten, dnrclb^ Personal- und Gesindesteuer erheblich vermehrt wurde.

Wegen all dieser Dinge beklagte sich im Jahre 1537

1) Zadci\ Handschriftliche Stiftschronik, Bd. II, Buch 8, S. 57.

2) Sixt. Braun, S. 224.

3) Ebend. S. 230.

QOETZ^ EIN UNGEDRUCKTER BRIEF CALVINS. 159

Bischof beim Kaiser und dem Kammergericht, nnd heftige Pro- zesse waren die Folge, in denen der Kurfürst und die Gelehrten von Wittenberg wiederholt den Rat unterstützten und mit In- struktionen versahen, weil sowohl weltliche als kirchliche Fragen und Beschwerden zur Erörterung kamen \

Die Haltung des Rates wurde dadurch nicht geändert, im Gegenteil, er ging immer schärfer und energischer vor und, was die Hauptsache war, er unternahm von nun an in Religioussachen nichts, ohne mit den Wittenberger Theologen oder dem Kurfürsten darüber verhandelt zu haben.

1) Sixt. Braun, S. 234—260.

[Fortsetzung im uächsten Heft]

4.

Ein ungedruckter Brief Calvins.

Mitgeteilt

von

Walter Goetz in Leipzig.

Herr Bibliothekar Dr. P. Hohenemser in Frankfurt a. M. übergab mir den nachfolgenden, noch unbekannten eigenhändigen ^alviubrief zur Veröffentlichung. Der Brief befindet sich im Be- sitze des Herrn Lehrers P. J. Schneider in Frankfurt a. M.

Die Echtheit des Briefes ist nicht zu bezweifeln; Calvins ^^briftzüge sind besonders in der Datierung und in der Namens- '^^terschrifb unverkennbar. Der Brief ist auf dem gewöhnlichen J^'^ben Brief- und Aktenpapier des 16. Jahrhunderts geschrieben; ^ Siegel ist abgelöst und ein Wort des Textes dadurch so be- sch^^jgl;^ dafs es nicht vollkommen sicher zu lesen ist.

t)er Inhalt ist nicht von hervorragender Bedeutung, aber *^Oaerhin interessant schliefslich ist doch jeder Brief Calvins ^^^ Abdrucks wert. Dafs Calvin Anfang Juni 1558 bei der ^y^e für Arme und evangelische Flüchtlinge in Geldverlegen- heit war, ist sonst nicht belegt; auch die in dem Briefe er- ^^hnten Persönlichkeiten treten in der Korrespondenz Calvins ^^cht hervor.

160 AN ALERTEN.

Der Text lautet:

Adresse : A noble damoyselle Jehanne de la Bi?e ^ e& Satigniez *."

Dieselben Worte werden dann als Anrede wiederholt

„Je menpresse de vous remercjer et tesmoigner ma re- congnoissance ponr les XV fior' que vous mavez baillez pour mes panpvres par lentremise de Öenin ^ Je vous assenre quill «ont bien venus a propos ; car yrajement iestoye a beut de toute ressoarce, sj que ne scavoje que devenir. Estant harcelle ch^ .cang iour par voyaigeurs et foraius a tel poinct que cest a toqs dire * que ie uy peux quasi mayntenir. Bref vous estes assenre« davoir faict une oeuvre pie de?ant W S' quil vous en tiendra conte.

Je demeure doncques tont en vous saluant on Christ nostre esperance uniqne, noble damoyselle, vostre plus humble, submis, obeissant serviteur et frere

Geneve 3. iuing 1558.

Jehan Calvin."

1) Sonst nicht bekannt, aber jedenfalls ein Mitglied der Genfer Ratsherrenfaroilie de la Rive.

2) Satigny, Pfarrdorf im Kanton Genf.

3) Sonst nicht bekannt. Ein £. Genin wird als französischer Be- amter erwähnt (Op. Calvini XllI, 603).

4) Unsicher zu lesen, weil durch das Siegel zerstört

Druck TOS Fritdrieh AiarMu Perthes in Ooth«.

Petrus nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben.

Von

Lic C. Erbes,

Pfarrer in Ga«t«llaaa.

IL

(Schlufs V)

Es ist nun Zeit^ die Akten genauer anzusehen^ welche über Thaten und Tod des Petrus berichten. Wir besitzen im wesentlichen zwei Darstellungen, die miteinander ebenso merkwürdig verwandt sind, als sie auffällig auseinander gehen. Nach der einen, die von dem Petrusschüler Mar- cellus herrühren will und nach Alteren von Thilo 1837 f. bearbeitet, nachher von Tischendorf, zuletzt auch von Lip- sius ^ herausgegeben worden und im griechischen Texte meist üqa^eig tOv äyliov drcoaidhav IHtqov xat üavXoVy im la- teinischen Passio SS, apost Petri et Pauli überschrieben ist, findet der Apostel Paulus bei seiner Ankunft in Rom den Petrus schon dort vor, und zwar im Kampfe mit dem Simon Magus. Als sie sich sehen, umarmen sie sich unter Freuden- thränen, erzählen einander ihre Erlebnisse und führen nun beide den Elampf gegen den Magier vor Nero und bringen

1) S. oben S. 1—47.

2) Acta apostolorum apocrypha, denuo edd. R. A, Lipsius et M. Bonnet, Pars I. Lips. 1891.

162 ERB£S^

ihn zum Storz, doch so, dafs Petrus dabei die Haupiarbat yerrichtet und Paulus nur assistiert, weshalb der Stadtpräfekt Agrippa unter voller Billigung Neros den Paulus als fistst unschuldig nur mit dem ehrbaren Schwerte hinrichten, den Petrus aber als viel schuldiger ans Kreuz schlagen lälst Da hierin Petrus gleich im Vatikan begraben wird, während er dorthin erst nach Vollendung der Basilika unter Kaiser Konstantius um 357 aus dem Grabmal an der appischen Strafse übergefUhrt worden, da femer die im Widerspruch mit der Angabe des Papstbuchs vom Jahre 530 gemachte Angabe, Paulus sei an dem, von der Paulsbasilika an der ostiensischen Strafse verschiedenen, Orte ad Aquas Salvias enthauptet worden, erst nach der Erbauung des dortigen Klosters durch Narses sich erklärt, so können diese Akten in ihrer gegenwärtigen Gestalt erst aus dem Ende des 6. Jahrhunderts stammen ^. Ihre Grundlage kann natürlich in ältere Zeit zurückreichen, vorläufig aber dahingestellt bleiben.

Denn interessanter erscheint zunächst die andere Version, die früher nur durch den Linustext (bei Lipsius p. 1 22) vertreten war, bis vor wenigen Jahren Lipsius der Wissen- schaft einen grofsen Dienst erwiesen hat durch Veröffent- lichung lateinischer Actus Petri apostoli, 1. c. p. 45 103, aus einem Codex Vercellensis Saec. V. oder VL, denen er gleichzeitig parallele griechische Stücke aus einem Codex von Patmos ' aus dem Anfang des 9. und einem vom Athos aus dem 10. 11. Jahrhundert über das Martyrium des Petrus p. 78 102 zur Seite stellen konnte. Hiemach unter- liegt es keinem Zweifel mehr, dafs bei jenem Pseudo-Linus wie in diesen griechischen Stücken das Martyrium oder die Passio Petri nur abgetrennt ist von einem gröfseren Ganzen, das in den Actus Petri apostoli als ein Ganzes aus einem Gufs vorliegt und ohne Bedenken identifiziert werden kann

1) Vgl. die ausführliche Nachweisung in meinen Todestagen der Apostel Paulus und Petrus u. s. w., S. 67 138.

2) Dieser ist erstmals in den Jahrbüchern für prot. Theologie 1886* S. 90flf. veröflfentlicht.

PETRCS IN JERUSALEM QESTOHBEH. 163

mit den von Eueeb, KirchengescUchte III, 3, 2 erwühnten n^ä^eis niiQov, die Photius wie die verwandten Akten des Johannes und Andreas dem Leucias Charintis zuschrieb und in denen Nikephorus 2750 Stichen zählte.

Es bleibt für unsere Zwecke eine nebensächliche Frage, ob man nach Zahns und Hamacka Beweis die Actus Ver- cellenses für eine vom lateinischen Pseudo-Linus ganz unab- tüngige Übersetzung eines mit den erhaltenen griechischen Stücken wesentlich identischen griechischen Textes, den nach seiner eigenen Angabo aus dem Griechischen über- ■etzten Pseudo-Linus aber nur für eine spätere, stilistisch ver- schönernde Übersetzung desselben griechischen Textes mit Verwertung einiger anderen Angaben ansieht, oder oh man mit Lipaius noch die Möglichkeit läfst, dafs Pseudo-Linus aus einer noch aualübrlichereu Darstellung eines in den Actus bereits zusammengezogenen Ganzen übersetzt und ausge- hoben sei. Zunächst aber ist es uns wichtig, die Ent- stehungszeit dieser Petrusakten fesizustellen, in deren Anfiang zwar Pauli Thätigkeit in Rom erwähnt und seine Reise nach Spanien berichtet wird, wo darauf der Magier nach Rom kommt und die von Paulus dort Bekehrten fast alle zum Abfall bringt, alsdann zwölf Jahre nach Christi Himmel- fahrt, auf besondere Offenbarung hin, zur Bekämpfung des Magiers Petrus nacii Rom reist, dort in völliger Abwesen- I heit des Paulus den siegreichen Kampf allein führt, grofsen ' Anbang findet, aber auch Feinde, wie den vornehmen Römer Albinus und den Stadtpräfekten Agrippa, die ihn aus per- Bi>nlicber Rachsucht ans Kreuz bringen, sehr zum Leidwesen Neros, der noch Schlimmeres mit ihm vorhatte. , Indem Zahn, Geschichte des Neutestamen tli et len Kanons

I (1892) II, 2, S. SJOff. diese Akten ähnlich wie Lipsius auf gnostischen Ursprung zurückführt, meint er, sie seien schon ' um 160, schwerlich nach 170 geschrieben. Havnack a.a.O. S- 553 f}'. stellt dem die Behauptung entgegen, dafs sie katho- ÜBchen Ursprungs und gewifs nicht vor J70, sondern wahr- I scUeinlich erst 230—250 verfafst seien, obwohl bereits das I letzte Jahrzehnt des 2. Jahrhunderts nicht ausgeschlossen j »ei. So viel ich sehe, darf man mit Harnack der Schrift

L

164 ERBES,

einen katholischen Charakter und Ursprung zuschreiben, da die fUr Gnosticismut geltend gemachten Dinge nichts be- weisen, ihr römischer Eatholicismus aber durch die richtige Chronologie noch deutlicher hervortritt

Die Abfassung fällt jedenfEills längere Zeit vor Com- modian, der um 250 zwei in den Akten stehende Qeschichten von dem zum Simon sprechenden Hunde und dem gleich- falls sprechenden fünf bezw. sieben Monate alten Wickel- kinde ebenso als Wahrheit hinnimmt wie die in der Bibel stehende Geschichte von Bileams Esel, die er im Carm. Apol. V. 625 630 zugleich damit besingt K Das beweist doch, dafs diese Actus Petri um 250 in kirchlichen Kreisen bereits bekannt waren und gläubig hingenommen wurden. Dafs das Christentum in Rom unter den Senatoren und Rit- tern soweit verbreitet gewesen sei, wie diese Akten [schon für die apostolische Zeit!] voraussetzen, ist anderseits vor der Mitte des 2. Jahrhunderts nicht denkbar, wie Hamack S. 553 treffend erinnert. Doch bezeugt Euseb, Kirchen- geschichte V, 21 ausdrücklich, dafs in der 2^it des Com- modus viele angesehene Römer, auch Senatoren dem Christen- tum zufielen, und eben das bezeugen für dieselbe Zeit die gelegentlichen Angaben bei Irenäus ed. Stieren IV, 30, 1 und in den Fbilosophumena IX, 12. In dieser Zeit konnte man also dieselben Verhältnisse schon auf die apostolische Zeit zurückverlegcn. Ist es nun, wie Hamack S. 553 fort- fährt, ein Hauptzweck der Schrift, zu zeigen, dafs Qottes Barmherzigkeit schrankenlos ist und dafs ebensowohl Ehe- brecher als lapsi auf Grund der Reue wieder zugelassen werden und den Frieden erhalten können, zieht sich das Interesse hierfür durch die ganze Schrift: so zieht sich das- selbe Interesse fUr eben diese Dinge und Menschen auch

1) Coromodiani carm. apolog. ed. Dombart p. 155 sq. : 626 Balaam sedeoti asinam suam conloqoi fecit et canem, ut SimoDi diceret: Clamaris a Petrol Paulo praedicanti dicerent ut multi de illo, leonem populo fecit loqui voce divina. Deiude, quod ipsa non patitur nostra natura, 6 so infantem fecit quinto mense proloqui yulgo.

PETKUS IN JERUSALEM GESTORBEN.

durch den Hirten des Hci-mas, der andere laxere Ansichten bekämpft und einmalige Reue zuläfst ' , und ist also schon riel früher als 230 250 eine solche Haltung in den Akten rerstfindlich. Eben an die Vorstellungen und Bilder des Pastor Hermä und aeiner Zeit bezw. nächsten Folgezeit ge- mahnt aber auch der Zug, welcher für Harnacks Empfinden allerdings an den Grenzen der kirchlichen Eraählungs weise liegt, nämlich dafs in K. 21 von den Weibern in der Vision «lie einen Christus als senior, die anderen als jurenis, die dritten aU jnier gesehen haben. Denn das hat seine Parallele 'und vielleicbt Quelle in Hermae Visio UI, 10, wo die Kirche in Gestalt eines Weibes das erste Mal als salis SCtüor, nach- lier mit einer fades juvenis, endlich als tota juvents erscheint, was in den später angefügten Simil. IX, l erklärt wird, der heilige Geist habe mit dem Seber in Gestalt der Kirche ge- sprochen, e/.elro yäp zo nvEüfia 6 v'idg roü ittoB iaitv, so dafs die dreifache Gestalt auch direkt von Christus gilt und sich in den Akten bald verstehen I&fat.

Während die Benutzung der vier Evangelien, der pauli- nischen Briefe , auch der Apostelgeschichte und anderer Schriften (Agypterevangeliuni) vortrefflich mit dem sonstigen Gebrauch in der Zeit des Commodus stimmt, kommt eine Benutzung von Johannes K. 21 noch nicht vor. Wo Petrus von seiner dreimaligen V^erleugnung redet, sagt er K. 7, p. 54: et non mihi impuiavit dominus et conaersus ad wie el misertue est inßrmitafem camis meae, ut wie poatea plmi- gerem amarilcr, r.t lugebam fidcm iam infirmem meam. Wenn er schon aus Joh. 21 gewulst hätte, dafs er vor an- deren dazu bestellt worden sei, die Schafe Christi zu wei- den, so war liier rechte Gelegenheit, das zu sagen. Das Schweigen darüber beweist also dieselbe Un bekann tsc ha ft tbit Jenem Kapitel, wie sie noch bei Ircnäus vorliegt, wo-

1) TgL ZafaD, Hirt des Ilermas (1868), S. 356. Laneen, Ge- ■chicliie der r&misclico Kirclie I (1861), S. 117. Übrigens m&hot auch der sur Zeit des römischen Soler um 170 schreibende Bischof Dio- tijsiiis TUQ KotiDtb bei Euseb, KiicheageGchicble IV, 23, loi; ü

sTv; i'ovir änoTiTiiatois itti nl^fiftiliCas iTti algitiiiijs jililvii! ZurQck-

kehr enden wieder aMfiuuehmeu.

J

166 ERBES,

g^gen bekanntlich schon Tertullian dasselbe kennt und be- nutzt. Eben in der so umgrenzten Zeit findet eine Ge- schichte ihre Erklärung, deren Erzählung oder Erdichtung so gewifs einen bestimmten praktischen Zweck hat, i^ sie sonst mehr ak kurios ist Hat doch deren laxe Moral Har- nack das Wort entlockt: „So hat man in der Kirche vor der Mitte des 3. Jahrhunderts schwerlich einen Apostel schreiben [?] lassen dürfen I'' Es wird nämlich K. 30 p. 79 erzählt, wie viele dem Petrus viel Geld zu frommen Zwecken bringen, zum Besten der Jungfrauen, die Christo dienen. Da erscheint also auch eine reiche Frau ', die den Beinamen Chryse hatte, weil sie nur Qefäfse aus Gold und Silber be- safs, und bringt dem Petrus angeblich auf göttliche Ein- gebung hin 10000 Dukaten. Während Petrus sich freut, dafs die d-lißdfÄevoi damit erquickt werden können, verargen andere ihm die Annahme der Qt)ld8tücke aus der Hand einer Frau, die in der ganzen Stadt Rom wegen Hurerei berühmt sei und nicht blofs zu einem Manne halte, sondern auch mit eigenen Sklaven sich einlasse. Da er aber solche Grundsätze hörte, lächelte Petrus und sagte: „Wer diese sonst im Leben ist, weifs ich nicht [d. h. kümmert mich nicht], ihr Geld aber giebt sie fUr die Diener Christi.'' Um so auffälliger ist diese Geschichte, als doch in derselben Schrift erzählt wird, dafs die Predigt desselben Petrus nicht nur die Konkubinen des Agrippa, sondern auch die Ehefrau des Albinus und andere Frauen bewogen habe, sich den Männern zu entziehen und ihren Leib der Keuschheit zu weihen, und dafs daher die Männer ihm so todfeindlich ge- worden seien. Sieht das schon aus wie eine Verbindung strenger alter Theorie mit moderner Nützlichkeitspraxis, so findet diese absonderliche Geschichte ihre einfache Erklärung in der Zeit, wo die Kirche in Rom von den guten Diensten und Gaben der Marcia grofsen Vorteil zog. Nach Herodian

1) Der Lateiner bat sie zu einer Hebamme gemacbt, indem er bei dem griecbiscben Satze /ti/a ric iv^a ovaa ywii ndvv nlova(a irrig (Aotd tig verstand und übersetzte, wie sebon Qundermann und Lip- sius p. 79 saben.

PETBÜS IN JEltUaALEU GESTORBEN. 167

I, 16f. hielt Commoiius sie zwar vor allen Konkubinea fast wie eine ordeDtliche Kaiserin, aber sie war eben docb nur <ftl6Stos naXXa/iti Kofifiödov, Philoa. IX, 12, der man nebenbei auch Umgang mit Eklektus nachsagte. Dio Caasius- Xiphilinus 1. 72, 4 berichtet, dafs sie den Christen viele Dienste leistete durch ihren Einäufs bei Commodus, und die Philosoph umena 1. c. erzählen, wie sie einmal wieder „ein gutes Werk thnn wollte " und sich vom Bischof Viktor eine Liste der verbannten Märtyrer zum Zweck ihrer Befreiung geben liefe, und wie mit den Verbannten auch Callistus losgegeben wurde, weil der Presbyter Hyacintbus sich dem Statthalter Sardiniens als den Päegevater der Marcia vorgestellt hatte. Diese voroehme Gönnerin wird auch, um noch mehr gute Werke zu thun, viel Gold der Gemeinde zu Händen des Bischofs geschenkt liaben. Natürlich also, dafs starre Rigo- risten dem damaligen „Nachfolger des Petrus" sagten: oi xaAiSi £(J*'|ij XQf^^la loVco Ttaq' adtf^g; Der Bischof nahm von einer Marcia natürlich solche Geschenke an, durfte und mochte sie nicht zurückweisen. Sein praktisches Verhalten gegenüber den so brauchbaren guten Werken der kaiserlichen Konkubine wird durch die Erfindung der Qe- echichte von der Chryse, die doch noch unzUchtiger als Marcia war, aus dem Jilunde des Petrus selbst glänzend ge- rechtfertigt Dabei wurde diese Laxheit nach der entgegen- gesetzten Seite aufgewogen durch die Darstellung von dem Keusch li ei tserfolg der Predigt des Petrus, zum Beweise, wie Heiligkeit und Nachsicht sich vereinigen liefsen. Doch haben schon andere bemerkt, dafs jene Enthaltung liir die erhabene apostolische Zeit reklamiert, aber nicht von der Gegen- wart gefordert wurde. Hat doch schon der geschäftige Bischof Di onysi US von Korintb um 170 nach Euseb, Kirchen- geschichte IV, 23 in einem Briefe an die Knosaier den Bischof Pinytus ermahnt, er möge den Brüdern in betreff der Keusch- heit keine zu schwere Last mit Gewalt auflegen, sondern die Schwachheit der Mehrzahl berücksichtigen. Natürlich durfte der Autor zum Zwecke jener Geschichte nicht mit der ThUre ins Haus fallen und das so freigebige und doch anstöfsige Weib zu Petrus' Zeit geradezu Marcia nennen,

168 BRBES^

noch ihm einen etwa geläufigen Beinamen derselben geben. So banal aber der Name Ghryse von ihren goldenen de- fiÜBen abgeleitet wird, so durfte nach einem alten Gesetz niemand Privates in Rom goldene Gefäfse haben \ und also auiser dem Kaiser nur eine Marcia sich solchen Luxus ge- statten.

Werden wir so durch jene praktische Episode für die Actus Fetri genauer in die Jahre 183 192 gewiesen, wo Marcia, gesi 193, aus den Händen des Quadratus im Besitz des Commodus dem römischen Bischof und seiner Gemeinde viel Gutes zuwandte, so wollen wir zunächst kein Gewicht darauf legen, dafs der in den Akten auftretende Albinus amicisaimiM Cctesaris so leicht identifiziert werden könnte mit jenem Elodius Albinus, der nach der Vita bei Capito- linus K. 2 dem Kaiser Commodus so befreundet war, denn die Hereinzerrung dieses Namens aus der Gegenwart in die 24eit des Petrus ist schon an sich ganz unmotiviert und un- wahrscheinlich. Erinnert man sich ferner, dafs nach Euseb, Kirchengeschichte V, 28, vgl. Philosoph. VU, 35, gerade unter Bischof Viktor jener Theodot der Gerber von Byzanz exkommuniziert wurde, weil er nicht gelten lassen wollte, dafs Christus Gott sei, und ihn nur ipildg Uv&qwjtog genannt wissen wollte, so glaubt man eben diese neueste Ketzerei herauszuhören aus den Fragen, die dem Ketzervater Simon in den Mund gelegt werden, der p. 71, K. 23, Jesum mit Fleifs fahri filium et ipsum fabrum nennt und ausruft : Viri Romani, Deus nascitur? crucifigitur? qui dominum habet, non est deus! Cf. K 32, p. 83: deus tuus, quem Judaei oceiderunt. Wogegen K. 2: Jesics deus vivus, primogenitus totius creaturae genannt und eine interessante Ausführung in K. 24 gegeben wird. Dafs der Sohn der Witwe, welchen Petrus auferweckt, ihm später dienen soll ab Diakon und Bischof, verrät eine alte Tradition, die sich die spätere Le- gende hat entgehen lassen. War nicht Linus gemeint, der Constit Apost VU, 46, 1 6 tfjg KXavdiag heifst, dort frei-

1) Vgl. Friedl ander, Darstellungen aus der Sittengeschichte Roms III« (1881), S. 106 f.

PETRINS IN JERUSALEM GESTORBEN. 169

Heb von Paulus ordiniert wird, dann nur Anacletus oder Clemens. Dafs aber an dieser Stelle nur von jenen beiden Amtern die Rede ist, während der Verfasser doch anderseits TOQ einem Presbyter in Rom erzählt, ist nach Zahn S. 840 jedenfalls bezeichnend. Thatsächlicb bezeichnet das nur eine Zeit, in der der Diakonus als bisherige rechte Hand des Bischofa zu seinem KHchfolger gewählt zu werden pflegte, wie z. B. nach Hegesipp bei Euseb, KircLengeschichte IV, 11. 22 Eleutherua der Diakon des Anicetua und nach Philo- soph. IX Calltstus der Diakon des Zephyrinus gewesen war, "«ind also auch in unserer dazwischen liegenden Zeit als üb- liches Avancement galt '.

£s war aber auch die Zeit des kleinasiatischen Passah- ^itreites, dessen Echo aus Rom wiederhallte, wo die ver- ^biedenen Gemeinden und ihre titiinmfübrer für ihre ver- ^tchiedenen Bräuche und Herkommen mit Fleifs apostolische -Autoritäten hervorsuchten und t^r sich ins Licht setzten. £uaeb, Kirchengeschichte V, 23. 24 bewahrt noch das Schriftstück, welches die Asiaten um 190 an den Bischof Viktor von Rom (169 199) schickten, worin sie ihre grofsen Autoritäten und Kirchenlichter anführen und deren geschicht- lichen Besitz mit ihren noch erhaltenen Gräbern gern be- legen. Das war die Zeit, als die Autorität Roms den AposteUurslen Petrus recht hervorzuheben und sein Grab auszuschmücken. Während der nur wenig l'rüher schrei- bende Irenäus noch in gleicher Weise Petrus und Paulus als Grlinder der römischen Gemeinde hinstellt und von bei- den ohne Unterschied die nachfolgenden Bischöfe einsetzen Ififst, ist es auffallend, wie in unseren Akten Paulus schon sur Seite geschoben wird, um Verdienst und Ehre auf Petrus EU häufen und nachher von ihm abzuleiten, auf den nach dem sehr brauchbaren Worte Jesu seine Gemeinde gebaut werden sollte. Zwar lassen diese Akten den Paulus noch vor Petrus nach Rom kommen, aber sie lassen diesen nicht

1) Vgl. Iguatii ep. ad Trallianoa c. 7: li Ji iiiixovoi; ... üf SUifitaof 6 äyio; 'laxiaßip rrp fiitiiaQli[i, xal Tl^li^toc Mal AirOf IIavl({i,

170 BRBESy

nor bald wieder w^gehen, sondern auch p. 49 , 14 ff. alle dorch Paulus gläubig gewordenen durch Simon wieder völlig irre gemacht werden, aufser dem Presbyter Narcissus, zwei Wei- bern in hospitio Bjtinorum und vieren, die nicht mehr aus dem Hause gehen konnten. Da mufs also Petrus die Gte- meinde wieder gewinnen, unter Besiegung des Magiers be- festigen und organisieren, ohne dafs der ferne Paulus mit- helfen kann, und jener auferweckte Jüngling wird später nicht beiden Aposteln, sondern dem Petrus dienen als Diakon und nachfolgender Bischof Zwar mit der Chronologie kommt man etwas in die Enge, da der zwölf Jahre nach Christi Himmelfahrt nach Rom gereiste Petrus zwei Monate (p. 52, K. 6) nach dem Weggang Pauli dort angelangt, selbst kaum ein Jahr lang wirken konnte, weil Paulus nach einem Jahre aus Spanien zurückkehren sollte, vorher aber schon Petrus am Kreuze sterben musfte. So erreichte er eigentlich noch lange nicht die Regierungszeit des Nero, unter dem er doch gestorben sein sollte, und wurde also die ganze dazwischen liegende Regierungszeit des Claudius ein- fach übersehen. Allein genau so hat auch sein Zeitgenosse Tertullian in der um 195 geschriebenen Abhandlung contra Judaeos c. 8, dazu in einer regelrechten Aufzählung der römischen Kaiser, denselben armen Claudius mit seinen 13 Jahren einfach übergangen. Bei jener Konfusion sieht man aber deutlich, dafs die Akten noch ganz wie Irenäus den Petrus nicht zum eigentlichen Bischof von Rom machen, geschweige ihm schon die 25 Regierungsjahre beilegen, die ihm bald, um 255, zugeschrieben wurden K Die Akten gehen aber doch über Irenäus schon hinaus auf dem Elnt- wickelungsweg des Primats, auf dem alsbald in der gegen Artemon gerichteten Schrift (Hippolyts?) bei Euseb, Kirchen- -**

geschichte V, 28, 3 Viktor der 13. Bischof seit Petrus ge ^"

nannt wird und nach Tertullian de pudic. K. 21 Callistus^^^ oder sein Vorgänger sich als Inhaber des Stuhles Petri

l) Vgl. hierüber meine Ausführungen in den Todestagen der Paulus und Petrus, Texte und Untersuchungen, Neue Folge IT, (1899), S. 4 ff.

PETRUS IM JERUSALEM GESTORBEN. 171

zeichnete. So paTst alles in die dargelegte Zeit 188 193 und weist die Akten dahin, und werden wir ca. 190 ak ihre AbfEUunngazeit annehmen können ^

Dafs dieselben in Rom selbst verfertigt worden sind, er- giebt sich schon aus der erwähnten speziell römischen Ab- zweckung, bestätigt sich aber auch völlig durch eine Be- trachtung der örtlichen Andeutungen, die ziemlich zahlreich und lehrreich sind. „Dafs von den alten Traditionen über die Todes- und Begräbnisstätte des Petrus hier keine Spur zu finden isf , konnte Zahn a. a. O. S. 841 nur darum meinen, weil ihm die wirklich alten Traditionen noch nicht bekannt waren. Da ich über diese Dinge an einem an- deren Ort ausführlich und dem Vernehmen nach auch ein- leuchtend gehandelt habe, sei hier nur noch erinnert, dafs auch die alten Akten des Polykarpus E. 8 nicht näher den Ort angeben, wo dieser Märtyrer in Smjma begraben wurde, so nahe es auch die Erzählung legte. An welcher Strafse diese Gräber seien, brauchte kein Schriftsteller den Leuten in Rom oder Smyrna zu erzählen, und für die Auswärtigen genügte leicht der Name der Stadt. Die Actus Fetri wissen nicht blofs, dafs man auf dem Tiber und auf der Land- strafse zum Hafen (Ostia) gelangt, sondern auch, dafs die Strafse von Puteoli nach Rom silice strato den Pilgern ad-

1) Beachtenswert ist noch die Angabe Actus Yercell. p. 67, 26, wonach Marcellus vom Magier sich hatte überreden lassen, ihm eine Statue zu setzen mit der Inschrift: Simon! juveni deo. Dieser Autor hat also nicht einfach den Justin (vgl. S. 2) abgeschrieben, wie Iren&ua I, 23, 1 (ed. Stieren) und Tertullian, Apol. 13, De anima 84, Praescript. 10. SS, De Idololatr. 9, thun, läfst die Statue also nicht von Senat und Volk noch von Claudius selbst errichten, auch die Inschrift anders lauten. Unser Autor wird in Rom kundig genug ge* wesen sein, dafs die von Justin zwischen den beiden Brücken auf der Tiberinsel angegebene Statue und Inschrift nur irrtümlich für die Statue des Simon Magus angesehen wurde. Da dieser aber nun einmal eine Statue erhalten haben sollte, und auch Irenäus I, 28, 4 von an- deren Bildern desselben ad figuram Jovis weifs, liefs er den Marcellus sie passend errichten: nicht als ob er selbst solche gesehen hätte, son- dern weil er gedeckt war durch die Umkehr des Mannes, der nach Durchschauung des Betrügers natürlich auch seine Statue stillschweigend kassierte und beseitigte.

172 ERBES,

eoncussio verursacht p. 53 , E. 6. Ist auch die via saera p. 82, 5 fast so geläufig wie die Tempel und Berge Borns, über denen Simon emporschwebt, so ist es doch um so be- zeichnender, dafs die Streitverhandlung des Petrus mit dem- selben auf das forum Julium p. 62, 8; 65, 31 cf. p. 70, 26; 73, 20; 75, 8 verlegt ist, ab dieser von Julius Cäsar angelegte, daher forum Caesaris oder Julii genannte Platz nach dem um 160 n. Chr. in Rom selbst schreibenden Ap- pian de hello civil. II, 102 ausdrücklich nicht zu Eauf- zwecken, sondern zur Ausfechtung von Streitfragen dienen sollte ^ Und wenn der Magier in den Akten sich von hier aus in die Lüfle erhob, war das Pflaster der Via sacra nahe, denselben darauf niederstürzen zu lassen.

Am merkwürdigsten ist die Erwähnung eines sonst nicht vorkommenden hospitium Bytinorum p. 49, 16, als in wel- chem ein kleiner Stamm von paulinischen Gläubigen zurück- blieb, der von Simon Magus nicht wie die anderen sich verfuhren liefs. Dieser Name wird keine spätere Erdichtung sein, sondern eine alte Erinnerung bewahren, möchte man gleich sagen. Beachtet man, dafs unter den wenigen alten Getreuen, die Petrus noch aufserdem von Paulus her vor- findet, der Presbyter Narcissus namhaft gemacht wird und man dabei denken mufs an die von Paulus Rom. 16, 3 ge- grüfsten rovg i/, xdv NaQ7,iaaov Tovg oi'zag iv xr^/^i, so möchte man auch jenes von Paulus * her noch im Glauben

1) Appiani Historia Romana, ed. L. Mendelssohn (Lips. 1881), Vol. U, p. 786: xtd tifiivog r^ va^ (der Venus) nfQi^&fpctv , 8 *Au- fidioig lrcr|cv ayoQav i7vaif oit tOv dw^atv äXk* inl ngd^fCi awidvrw ig &kXi]lovs,

2) Es ist ja möglich, dafs auch der Quartus a praeclusionibus (Eerkerbeschliefser), der Actus Verc. K. 1 , p. 45 dem Paulus erlauben will, aus dem Gefängnis zu gehen und Rom zu verlassen, aus Rom. 16, 23 stammt, und gedankenloserweise von Korinth her nach Rom ver- setzt worden ist. Doch war der Name fast so häufig wie Gajus, mit welchem doch verschiedene Männer im Neuen Testament auftreten, und kann ebenso wie der ihm beigesellte Candidus einen besseren römischen Ursprung gehabt haben. Sollten denn die altrömischen Friedhöfe, in denen jetzt noch so viele christliche Grabschriften und Namen gefunden werden, den Schriftstellern und Romanschreibern am Ende des 2. Jahr- hunderts kein Namenmaterial geliefert haben?

PETRUS IN JBRCSALEH OESTOBBEM. 173

bebatTGDde hospitium am liebsten mit einem ebenfalls von Paulus schon rühmlich erwähnten Hause in der ältesten Ge- raeinde Roms identifizieren. Uod da richtet sich der Blick zu allererst auf das ebendort 16, 3 zuerst gcgrUfste, um Paulus und die Verbreitung des christlichen Glaubens be- tosders verdiente Ehepaar Aquila und Prisca y.ai zfjv -/.at' otxav aitQv tyLx).rjaiav. Um ihr Haus ohne weiteres dar- unter zu verstehen, fehlt nur, dafs das hospitium Ponticorum hieke, da nach Act. 18, 2 Aquila novny.bg t^ yivu war. Wir wollen nun nicht auf die Frau rekurrieren, die ja ge- wöhnlich vor ihrem Manne genannt wird und aus dem be- xsacbbarlen Bithynien gestammt haben könnte, jedoch be- £«.chten, dafs der Pontus mit Bithynien eine Provinz bildete '), «äie auch Bithynia et Pontus, gewöhnlich aber kurzweg Bi- ^Inynia hiefa, wie ihre Bewohner Bitliyni, cf. Tacit. Ann. I, -1; XII, 22; XIV, 46; XVI, 18. Ähnlich also wie z B. «3. ie Lykaonier, als zur raXait/.fi iicoQX'a g^börig, auch als ^33alaler und PfUlzer als Bayern, zumal in der Ferne, be- ^c«ichnet werden können, konnte das aus der Landschaft I^ontuB stammende Eliepaar nach der Provinz Bithynien ge- »iannt werden. Wurde doch sogar der Pontus, das Ponti- ^^~v.vi mare bei Tacit. Ann. H, CO Bilhynum genannt! So ist "^-anter dem hospitium BUhynorum das Haus der Prisca und <ies Aquila zu verstehen, in dem (zur Zeit s. den Exkurs) ^«hon eine christliche Gemeinde zusammenkam und später "Vwohnend gedacht werden konnte. Dann aber üegt hier ge- *~*ie so wie über Narcissus eine Angabe vor, die bei aller Verwandtschaft mit den Andeutungen des Römerhriefs doch ^iine gewisse Selbständigkeit und darum hohes Altertum K«gt, was bei einer Urkunde aus ca. 190 nicht wundern "Wann.

Dieses chronologische Ergebnis unserer Untersuchung *wd nicht dadurch in Frage gestellt, dafs man sagt, dem ■Autor der Philosophumena seien noch um 230 die Akten

^ 1) Vgl Marquardt. aömiache Staats» er waltung III, 1, S. U8f.

.^1 ^riedlSader, DarstellungeQ aus der rOm. Sitteogescbichte II* (166T),

1

S' 126 Aun.

174 ERBES,

nicht bekannt, weil er den Ausgang des Magiers VI, 20 etwas anders erzählt. Dazu brauchte er doch nur anderwdte, ältere oder bereits jüngere Fabeleien über den viel om- fabelten Erzketzer zu bevorzugen. Ganz wie in unseren Akten läfst er den Magier nach seiner Besiegung durch die Apostel in Samaria gleich, also ohne die langen demen- tinischen Kämpfe in Syrien und Phönizien, nach Rom kom- men. Dort gerät er auf die Apostel ^, und dem viele Ver- fuhrenden widersteht Petrus nachdrücklich. Zuletzt lehrte er unter einer Platane sitzend; als aber endlich sein Ansehen bald völlig geschwunden ist, heifst er seine Jünger ihn lebendig begraben, um am dritten Tage aufzuerstehen. „Die nun thaten das Geheifsene, der aber blieb weg bis heute, denn er war nicht der Christus/' Dieser Zug, dafs Simon sich lebendig begraben liefs, um nach drei Tagen aus dem Grabe aufzuerstehen, kehrt sonst nirgends wieder, dabei ist er so albern und widersinnig, dafs er sich von selbst als eine Entstellung imd Vermischung einer Erzählung giebt, wie sie noch in dem Marcellustext vorliegt. Während näm- lich in unseren Actus Vercell. und Parallelen der Magier bei seinem Flugversuch auf dem Pflaster der Via sacra sich auf Fürbitte des Petrus nur einige Beinbrüche holt, dann sich mit seinen zerbrochenen Knochen baldigst von Rom nach Aricia und weiter zu einem gewissen Kastor nach Terracina bringen läfst und dort unter den Händen zweier Chirurgen seine Seele aushaucht, war nach dem Marcellus- text sein Sturz auf der Via sacra derart, dafs er selbst in

1) Nach Auffindung der Petrusakten ist es besonders deutlich, wie irerkehrt Uagemann, Die römische Kirche (1864), S. 668 £f. behauptete, dafs nach Hippolytus nicht Petrus dem Simon nachzog, um ihn zu bekämpfen, sondern umgekehrt der Magier nach Rom kam, um als Pseudomessias dem Apostel entgegen zu wirken, und dafs unter den Aposteln in Rom nicht Petrus und Paulus, sondern Petrus und Johannes verstanden werden müfstcn, weil dieselben Apostel, die den Magier auch in Samarien bekämpft hätten. Umgekehrt gingen die Alten so weit, zu sagen, auch in Palästina sei der Magier yon Petrus und Paulus be- kämpft worden. Nach jener Meinung Hagemanns mufste dann Petras „wenigstens noch ein zweites Mal*^, nunmehr wohl mit Paulus, nach Rom kommen, um in der neronischen Verfolgung den Tod zu erleiden.

PETRUS IK JERUSALEM GESTORBEN. 175

vier Teile zerschellte und vier Pflastersteine zusammengeleimt wurden K Da aber der Betrüger vordem bei Nero sich er- boten hatte, an einem dunkeln Orte, wo er statt seiner einen Bock unterschob, sich den Kopf abschlagen zu lassen und nach drei Tagen lebendig wiederzukommen, so liefs Nero Bchlielfllich den Leichnam des Simon bewachen, vofii^wy iytQ9llpai avvdv Tg ^9<^ tf^^QV (^^- Lipsius p. 211 sq., K. 18). Diese verschiedenen Dinge werden in dem Gedächt- nis und der Feder des Autors der Philosophumena zu seiner üyyAMiing zusammengelaufen sein '. Stimmt doch auch seine Angabe, dafs Simon in Rom dvTineaev xdiq dnoaxd- ijoiQf also dem Petrus und Paulus widersprach, imd dafs doch Petrus vorzugsweise den Feind bekämpft, durchaus noit der im Marcellustexte aufbewahrten Erzählung.

Jedenfalls also benutzte Hippolytus schon um 230 eine Quelle, nach der Petrus und Paulus wenigstens eine 2^it lang zusammen in Rom waren und den Magier bestritten, doch so, dafs Petrus die Hauptarbeit that und Paulus da- neben zurücktrat. Dieselbe Darstellung bezeugt auch Lak- tantius, der Instit. Divin. IV, 21 davon spricht quae Pe- trus et Paulus Bomae praedicaverunt und ausdrücklich fortfährt, et ea praedicatio in memariam scripta per- mansit, der de mort. K. 2 den Petrus unter Nero nach Rom konmien, daselbst durch mehrere Wunder, jedenfalls im Kampfe gegen den Magier, viele zur Gerechtigkeit bekehren und endlich zusammen mit Paulus dort getötet werden läfst. Damit stimmt aber auch jene „Predigt Pauli'' überein.

1) Diesen silez (seice) zeigte man später in der via sacra juxta templum Romuli. Da dieser nach dem Sohne des Maxentius genannte und auf die Gegenwart gekommene Tempel nächst neben dem des An- toninus Pius und der Faustina steht, so ist das just dieselbe Stelle, wo jener Petronius von Caracalla (vit, c. 4) ermordet wurde, worauf Ter- tullian als Zeitgenosse Scorp. c. 8 wohl anspielt, indem er vom Blute auf silicibus spricht. So könnte der vom Blute des Petronius gerötete Stein später gezeigt worden sein für den, auf welchem nach den einen Simon Magus zerschellt war, nach den anderen Petrus auf den Knieen gelegen und gebetet hatte.

2) Vgl. Lipsius, Die Apokryphen Apostelgeschichten II, 1 (1887) S. 29 f.

176 ERBE8|

welche der um 255 schreibende Verfasser des mit CTprians Werken erhaltenen Traktats de baptismo haeretieorum nur darum fiir ein Werk der Häretiker ausgab, weil ihm ver- schiedene andere Angaben, besonders über die Taufe Jesu, so wenig in den Kram pafsten als dafs post tanta tempora Petrum et Paulum post canlatianem evangelii in Hierusalem et mtUuam aUercationem et rerum agendarum disposüionem postremo in urbe quasi tunc primum invicem sibi esse cognitos.

Alle diese zusammenstimmenden Züge, die also schon um 230 benutzten Darstellung angehören, treffei durchaus zusammen mit dem bereits S. 161 erwähntet katholischen Marcellustext, unter dem gegenwärtigen Titelnd ITgä^eig JlizQOv vmI Ilaijlov (bei Lipsius p. 118 und 119 ff—T griechisch und lateinisch), die sehr im Unterschiede von dei neuen Petrusakten nicht erst nach der Abreise des Paulus aus Rom nach Spanien den Petrus in die Weltstadt bringen, sondern den Petrus zuerst dorthin kommen, den Paulus später hinzukommen und alsdann beide Apostel sich und mit Freuden thränen einander umarmen und ihre bis -^ herigen Jlgd^eig erzählen, darauf zusammen mit den Judeic^^^ sich auseinandersetzen, gegen den Magier so kämpfen un< vor Nero gleichzeitig prozessieren und hinrichten lassen, dafs Paulus als beinahe unschuldig am Tode des Magiers mit dem Schwerte, Petrus aber als der Haupttbäter an schmerzvollen Kreuze den Tod erleidet Obgleich Akten in ihrer gegenwärtigen Gestalt die Actus Petri schoi voraussetzen und durch die S. 162 erwähnten späten AngabeiK:==^ das Ende des 6. Jahrhunderts verraten, so gehört doch dit=-^ ° Grundlage des Textes einer viel älteren Zeit an und atmet:^==^ wie Lipsius a. a. 0. S. 352 ff. ausführlich nachgewiesen hat^===^ „die geistige Atmosphäre" der zweiten Hälfte des 2. Jahr '^^ hunderts. Dabei erinnere man sich, dafs auch Dionysiu! von Korinth um 170 und Irenäus 181 189 (S. 2. 6) beid< Apostel zusammen in Rom wirken und sterben lassen, wird man es natürlich finden, dafs die gleiche Voraussetzunj im Marcellustext auf älterer Grundlage beruht als die er^t um 190 gegebene Darstellung der Petrusakten, die offenbar

PETRUS m JERUSALEM GESTORBEN.

ent aus beeonderen Qründen eine Sonderstellung des Petrus Zur die Zeit und Ansprüche Viktors bevorzugte und den Paulus bei Seite setzte. Dafs die Petrusakten aber scbon jene Darstellung zur Vorraussetzung baben, in der Petrus Boauamen mit Paulus den Magier bekämpft, beweisen sie ■tllwt durcb den Ausweg', in Jerusalem den Paulus zu- nammiiii mit Petrus wider den Magier kämpfen zu lassen, um auf diese Art dem Paulus einen Anteil an der fie- Icämpfung des Erzkclzers, dem Petrus aber die Ehre seiner ^ndgilHgen Besiegung in Rom allein zu wahren. Denn wenn sie dabei auch Jerusalem mit Saniaria verwechseln, so erklärt ^icli dies aus dem Nebeneinander beider Namen Act. 8, 14ff., .ak.ber dafs Paulus für Johannes auftritt, bat einen anderen Orund. Bekämpft doch auch in den älteren Pautusakten f Qulus schon den Magier in Korinth!

Ehe wir weitere Nachweise für die gröfsere Ursprüng- lichkett einzelner Züge und Eingliederungen der Im Mar- «iellustext bewahrten Grundlage vor den entsprechenden in «3cD Petrusakten voriübren , wollen wir sagen , welche in- =1 wischen erschienene neue Urkunde den Autor um 190 ^urcb ihren, die römische Kombination beider Apostel nicht Itennenden rücksichtalosen Vorgang zu seiner äonderbehand- luiig des Petrus und der dadurch gebotenen Abweichung von <3er älteren Vorlage mit bewog und der Anerkennung wegen a'asl zwang. Es waren die „frühestens 160— 17U", wahr- »5cheiulicli erst um IHO von einem Presbyter in Asien (zu Jkonium?) verfafsten, bald begierig aulgenommenen pban- tasiereichen, auch von Ilippolyt in tlom um 202 im Uaniel- kommentar HI, ü'J ed. Bonwetsch p. 176 sq. benutzten llfä$eiS flailov, von denen wir erst seit Karl Schmidts glücklicher Auffindung der koptischen Bruchstücke ' näheres

1) K. 33: Dil' Simon, non tu llierosolymis prociilisti ad ]icäcs mihi tl PkuIo, Tidens per luaniit nostras reinedin, qiiuc f^cta suut, diceas: Kogo TOS, accipite n me mercedem quantiim rultis, ut pasEim manum imponere et tales tirtutes facere?

2) Vgl. darüber Schmidts Beiicbt in den Neiiea Heidelberger Jalir- Ittchern VU (1807), 8. 117—121. Dazu ferner Th. Zalin in der Neuen KircW. Zeilstbrift VIJI (1897), 8. 933—9*0: X (18991, S. 216—218.

Ztitickr. r. K.-o. iiu, t. 12

4

178 ERBES,

wissen. Zu ihrem 3560 Stichen füllenden Inhalt gehörte sowohl die nach TertulUan de baptismo K. 17 in Pauli perperam in- scripta („Paulusakten*') gelesene und dem Verfasser Verhängnis- ToU gewordene Geschichte der Thekla^ als auch der schon längst bekannte dritte Brief Pauli an die Korinther und das zugehörige Anschreiben an den Apostel ', wonach Simon Magus mit Kleobius schon gegen die paulinische Lehre in Korinth auftrat , also zumal nach Justins Entdeckung der vermeintlichen Statue des Ketzers auch in Itom selbst auf- treten und die paulinische Gemeinde so ruinieren konnte, wie daraufhin der Autor der Petrusakten in Abwesenheit des Paulus geschehen läfst, um den Petrus grade rechtzeitig hinzuzubringen. Denn wie wir jetzt femer wissen, ent- spricht der Ausgang des Paulus in den Paulusakten dem bereits von Lipsius S. 104 117 griechisch veröffentlichten, auch in einigen Übersetzungen vorhandenen, zum Zweck kirchlicher Lektion vom Ganzen losgetrennten Martyrium, in dem der in Asien lebende Verfasser den Petrus in Rom und den Magier daselbst gar nicht erwähnt, den Paulus aber nach seiner von Lukas und Titus erwarteten Ankunft * (Rück- kehr aus Spanien??) in einer gemieteten Scheune aufserhalb der Stadt lehren und infolge der Wunderthat am kaiserlichen Mundschenk Patroklus dem Nero vorführen und auf dessen Befehl hinrichten läfst. Der nachfolgende Autor der Petrus- akten knüpft also ausdrücklich an die Thätigkeit Pauli in

Dazu desselben Ausführungen in seiner Geschichte des Kanons 11, die sich zum Teil glänzend bestätigt haben, auch Harnacks Hinweis auf die Citateim pseudocypiianischen Cento „Caena", welche die Zusammen- gehörigkeit des koptischen Textes beweisen, in Texte und Unters., X. F., IV, 3»> (1899).

1) Bei Fabricius, Cod. N. Test. Apocr., pars III, 1719, p. G68f. Neuerdings separat herausgegeben von Vetter, Der apokryphe dritte Korintherbiief, Tübinger Univeisitätsprogramm 1694. Vgl. Ilarnack, Altchristi. Litteraturgesch. 1, 1, S. 37flf. Chronologie S. 506 ff. Zahn, Gesch. des Neutest. Kanons 11, S. 592 ff. hatte den Zusammenhang bereits richtig vermutet.

2) Düfs die ältesten griechischen Väter von der spanischen Reise Pauli nichts wissen, wäre schwer begreiflich, wenn sie schon in den viel gelesenen Akten gestanden hätte.

PETRUS ns JEBUULEH OESTORDEN. 179

Rom und seine (sonstwo entnümmene?) Reise nach Spa- nien (K. 1 3) an, und bringt in dessen Abwesenheit den Petrus auf den Schauplatz seiner Tliaten nach Rom und nocli ans Kreuz, ehe jener zurückkehrt '. Durch diese ge- Khickte Entfernung des Paulus auf ein Jahr bringt er die Apostel in Rom glatt aneinander vorbei und machte er den Petrus 80 zum Meister von Rum, dafs seine neuen „Akten des Petnia" mit den beliebten älteren des Paulus bequem barmonierten , in keinem Widerspruch standen, dabei nach Alöglichkeit auch die frühere Darstellung der römischen Kampfe und Leiden verwerteten, soweit es die jetzige, zeit- Igemäfsere Sonderstellung des Petrus vertrug. Wie der Autor a^uf diese Weise den Paulus mindestens ein Jahr später als Tetrus in Rum sterben läfst, tbut es auch der Zeitgenoase Klemens von Alexandrien, der den Tod Petri in Rom nach Euseb, Kirchengeschichte VI, 14, 6 (vgl. S. 20) ausdrück- lich voraussetzte, aber im VII. Slromateus (Opp. ed. Sylburg, Colon. 1688, p. 764) um 200 schreibt: Die persönliche Lehre des Herrn begann unter Augustus und Tiberius und schlofs in der mittleren Zeit des Tiberius, t) di xGv ä!Toazö)MV aiioü M^X?' ye r*'i,- YlaiKov XEtzoi'Qyi'ag iiti Nt^covog relttoücai.

I) Origeiies in Joann. XX, J, ojip. cd. de la Rue, IV, 332 nennt 'Is Quelle lies bekannten Woitcs zu Petrus ävioSiv fitXlio oTat'QaBa^ai ''■e iiQtiins /ZntUoi', die man scbon lüii^st in n^riSfts TTdqav verbessern *<>lltp. Auf letztere pafaC nllerdinps die mit jenem Worte nnhe ver- ''UiidciiC Uescliiclite von der atif besonderen Wunsch erfolgten iim- E'^kehrien Kreuzigung des Petrus in Ri>in, die derselbe Oiigcncs nach ''Useb, KirchcDgescbichte III, 1 im dritten Buche der Auslegung der Ge- iftis anfahrte, aber der Wottiaiit des Anssprncba findet sieh uieht in "Cn Petrusakten. Da narh nnserer neuen Kenntnis d""- Paiiliisakteii '^re AofQhrung bei Oiigencs allerdinirs ein Versehen odei- Veiderbnia '■t, die PetrusahteD aber auch nicht g»uz entsprechen, su haben wir vielleicht au dasselbe Kit^vyfia Ilitvkov [xai n(t^v\ zu ileiiken, di'ssea in» Uleinisch ii Traktat vom Jahre 255 (S. 175f.) erwillinl wird und Lak- '«atius lu K^denken scheint. Daf-i die Giicchcn oft. Kuseb z. B. ge- •■ölinlieh, den Paulus vor Petrus neniipn, itit ja bekannt. Wenn auch die Pftulusakteii irrttlmlicli fur jenen Ausspruch aticefiihrt werden, so **>ufs darum doch nicht derselbe Irrtum voiliegen bei jenem Ausspruch Uic eit verbuni, aniinul vivens, der nach Oii^enes opp. ), 54 (de piiac. *^ 1. 3) ebenfalls in Actibus Pauli geschrieben stund.

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180 ERBES;

Wenden wir uns nun wieder zu den parallelen Zügen zwischen den um 190 entstandenen Petrusakten und der älteren Grundlage des Marcellustextes, so macht grade die Verwandtschaft folgende Verschiedenheit auffällig. Im gegen- wärtigen Marcellustext findet Nero es ganz angemessen^ dafs der Stadtpräfekt den Paulus zum geschichtlichen Tode mit dem Schwerte ; als am Tode des Magiers fast unschuldig, den Petrus aber gleichzeitige als den Hauptschuldigen , zunr Kreuze verurteilt, und er erklärt dem Agrippa in Bezug au diese Verschiedenheit der Bestrafung: optime judicasti. Daru wendet sich die Erbitterung der Menge über die IlinrichtuD hier gegen Nero. Dagegen in unseren Petrusakten groll

Nero dem Agrippa, weil dieser ohne seinen Befehl aus per-

sönUchen Motiven den Petrus ans Kreuz geschlagen hat, dr:s=- ^ er ihm aus eigenen Gründen einen schlimmeren Tod zuge- ^s- dacht hatte , als ob das Kreuz nicht schon schlimm genu^3^ g gewesen wäre! Und als ob das Volk das wüfste, wcnder -^=2^ es hier seine Erbitterung gegen Agrippa, nicht gegen Nero^cz» Lesen wir dabei die dunkle Angabe über Nero: volehat enm ^^ Petrum variis cruciatibus perdcrc, etenim Nero ad inanum habebat qui crediderant in Christo qui recesserant a later^ Keronis et vdldc furicbatur Nero, so können wir noch ausr dem Marcellustext entnehmen, um was für Personen es siel 9 -' hierbei handelte. Danach hatte Petrus auch Neros WeitÄ' t Livia (OktaviiiV ') bczw. zwei Konkubinen desselben zum- -^^ Keuschheit bekehrt: was in den Petrusakten zur Zeit de«>"^' kaiserlichen Konkubine Marcia am besten nur so angedeuter -^^^ wurde, um der Giinnerin keinen Anstofs und der römischeir'^^ "

1) Statt an die judoiifiniullidio Popi^äa, die zum Tode eines Aposteln in Rom böclistcns in anderer Weise l)eitjagen mochte, wird man diese im Jaluc G2 von Nero jrctotote unglückliche Tochter des Elaudiu^ ^^ zu denken haben, deren Keuscliheit ihre Kammeifrau dem Tijrellinus -^^ gegenüber so drastiscli bezeupt liat, wie Taeitun, Ann. 14, 60 berichte Dazu kommt auch der weitere Zug in der Legende, dafs die Kaiseri aus dem Hause Neros ging und darauf von diesem getutet wurde, wi^ ^ das von Thenu in der Zeitschrift fiir wissenschaftiche Theologie 1886^^^» S. 442 ff. zuerst lierau.^gegchcne griechische Synaxarium zum 30. Jui^^-' bewahrt hat. Vgl. dazu noeli Lipsius, Krgünzungsheft, S. 60.

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PETRUS IN JEHUSALEM GESTORBEN. 181

Kirche keinen Verlust zu Itereiten. Zudem verrät die geführte Erklärung, wie action Lipsius, Apokr. Apostelg. II, S. 114 bemerkte, dafa auch Nero den Peti'us hatte gefangen setzen lassen, was Marcellus nuadrückiich berichtet, liier aber EurUcktrilt hinler dem ätieben, den Albinus und Agrippa als die Attentäter hinzustellen und auch die berühmte Flucht Petri zu erleichtern.

Sehen wir noch einen Augenblick ab von der Wiirdigunt^ dieser in den Petrusakten vorliegenden merkwürdig anderen Begründung von Petri Tod durcli jene anderen Männer und ihre eigentümlichen Beweggründe, wodurch die Motivierung mit Simons tüdÜchem Sturz nebst peraonlicher Feindschaft Nero8 durchbrochen und nebenhin geschoben wird, aber auch eine besondere (Quelle dafür angezeigt erscheint: so ist schon ersichtlich geworden, ditfs der gegenwärtige Marcellus- test trotz späterer Überarbeitung und Ergänzung ' in Einzel- heilen der von ihm ausgohubenen Passion beider Apostel die Darstellung seiner Grundlage, mag diese ITQii^£ig oder Ki'j- IPYfia ilai)Mv [/.ui nii^ov'f] oder sonstwie geheifsen haben, formell u ■■sprünglicher bewahrt hat, als sie die Parallelen der Feti'usakten bieten. Dasselbe zeigt sich noch in einem funkte, der besondere Bedeutung für uns haben wird.

In den Petrusuktcn (ed. Lipsius p. m) wird Petri Flucht OUs Kom und Begegnung mit Christus im Laufe der Ereig- 'Usse an ihrem Orte bcricJitet, dagegen im Maieellustext Erzählt Petrus selbst dieses Erlebnis erst am Kreuze, um 4er Leute Erbitterung gegen Nero zu besänftigen. Zwar '^«ipsius, Apokr. Apostelg. II, S. :].i9 Hndet es schon un-

1) Diecer geliöit wohl auch der von Nero hervorgehullc Beliebt iIps ]^iiatuB an Kaiser Klaiidiiis an. Lipdiis hat diesen b63eii Anachronia- i daducrh cikilircii wullcu, ilafä iler Mugi er Simon nach JuslId unter l^laudius in Rom aufgctretL'n sei. Dus habe es nahe gelegt, auch den l^etrus unter Klaudiiis nach Rom reisen unil Jesus aelhät unter Ekudius fkterbcn xii lassen! Viel wahrscheinlicher ist doch, dafs der FiLlscber Kedacbt: wenn Petrus nach den .\kten zvrOlf Jabre nach Christi Tod land llinimciruhit gm Renn gekommen und hinnen Jahresfiiat daselbst Mnler Kcru (a. 65 oder 57, vgl. Todestage S. 47.) geitdihen ist, so hliTc-n 13—13 Jahre fiülier d<-n Tod Chiisli eben in die Regievungszrit Am Klaudiua, die ja Qber 13 Jahi'e nach Ausweis der Listen dauerte,

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182 ERBES;

passend; dafs diese ganze Geschichte von der Flucht 1 episodisch vom Kreuze herab erzählt wird. Doch so kon schon ein Alterer meinen und darum bei der Wiedergi in den Petrusakten durch Einreihung am historischen Q die Sache besser machen wollen. Denn freilich, wenn ! Geschichte dem Petrus in Rom begegnet und er daraii£ zu denselben Brüdern zurückgekehrt ist, die ihn fulkfli zur Flucht aufgefordert hatten, dann hätte er diesen^ Sache gleich zur Erklärung seiner Rückkehr erzählen und konnte er die Erzählung nicht am Kreuze wieder: werten. Aber hätte er sie dann dort auch noch nötig sollen? Dafs die episodische Erzählung am Kreuze sächlich die ursprüngliche war, bezeugen die Peti selbst noch, indem sie den Petrus p. 90. 91 noch am angeben lassen: vmI ndvzojg roüro ylveuai tov vxqiov oavvdg (aoi avf.tßaiyoVj hoc aufcm quod factum est jj dominus mens ante mihi ostendit. Der Autor hat Flucht und Begegnung mit Christus von dem vorgefi episodischen Platz weg gleich in den vermeintliche sammenhang eingereiht und hatte dabei den Petnuii am Kreuze noch zu viel Neues sowohl über das Gel des Kreuzes als über die umgekehrte Kreuzigung saj^ lassen, als dafs ihm hier noch die alte Erzählung bil ' gewesen wäre. f ^

Koramen wir nach dieser Beleuchtung der Urkuaj^ dem Punkte, der uns am beachtenswertesten erscheint unseren Akten wird also Petrus nicht von Nero zum verurteilt und getötet, sondern als seine Feinde, die Gefilngnis und ans Kreuz bringen, ei*scheinen hier (p.?^ der Stadtpräfekt Agrippa und Albinus. Über deren -^ie sei Nero sogar aufgebracht worden, weil er eine schlimmere Bestrafung aus eigenem Grunde beabsid. Was also Nero sonst selbst gethan haben sollte, wi^,^' künstlich genug mit dem Beginnen des Agrippa und kombiniert! Wie kam der Autor trotz aller Mordlust des Nero auf diese zwei anderen Männer Namen? Wenn auch der jetzige Marcellustext , ( Spur von Albinus hat. den unvermeidlichen Stai

PETRUS IN JEBOSALEM GESTORBEX. 183

ebenfalls Ägrippa nennt, so erscheint dieser Name hier nur als eine späte EnÜehnung aus den Petrusakten, zwecks Übereinstimmung damit, und hatte die Grundlage dem Prä- fekten entweder gar keinen oder einen anderen Namen bei- gel^t Thatsäcblich wird in der von Lipaius, Acta p. 223 bis 234 veröffentlichten Passio apostolo)'um Petri ei Pauli, welche eine noch altertümliche Stücke enthaltende Kom- pilation ist; der Stadtpräfekt Riemens genannt. Daher hat schon LipsiuS; Apokr. Apostelg. 11, S. 378 es fiir möglich gehalten ; dafs er ursprünglich diesen Namen gehabt habe. Dann könnte damit aber derselbe Salienus Klemens gemeint gewesen sein, der im Jahre 65 im Senate als eifriger Partei- mann Neros auf den Junius Gallio, jenen einstigen Beschützer Pauli und der Christen zu Eorinth, Act 18, 12ff.; so bös einschiropftc; wie Tacitus Ann. XV, 73 erzählt^ und der also vorzüglich geeignet war, durch die Verurteilung beider Apostel im Marcellustext Neros völligen Beifall zu erlangen. Sind auch sonst Namen von nebensächlichen Männern und Frauen leicht ersonnen und so wohlfeil als wertlos, so darf man doch schon nach dem Bisherigen fiir jene beiden in den Petrusakten so merkwürdig auftretenden Todfeinde des Petrus grade so gut einen geschichtlichen Anhalt suchen, wie z. B. für jenen Marcellus, der den Apostel in seinem Monument zu Rom begraben haben soll und dessen Name einfach aus einer Inschrift ad Catacumbas ersichtlich war *. Dazu kommt die Auffälligkeit des persönlichen Motivs jener Männer, die dem Petrus ans Leben gehen, weil er dem Agrippa seine (4?;^ Konkubinen, dem Albinus aber sein schönes Eheweib so zur Keuschheit bekehrt hat, dafs sie

1) Vgl. meine Todestage der Apostel u. s. w. S. 124 f.

2) Cod. Vcrcell. giebt weder die Zahl vier noch die Namen der Konkubinen, auch A giebt die Namen nicht. Wäre die Vierzahl ur- sprünglich, dann wären bei der Einsetzung des Nero an Stelle des Agrippa wohl auch ihm eben so viele beigelegt worden. Aber be diesem wird, der Mehrzahl wegen, nur auf zwei geraten. Also wird auch erst nur allgemein von Konkubinen des Agrippa die Rede gewesen sein; später wurden die Namen dafür erfunden: Agrippina, Nikaria (Var. Daria), Euphemia, Doris.

184 ERBES,

sich jedem weiteren Verkehr entziehen. Solche Keuschheit des Eheweibes gegenüber ihrem Ehemanne forderte doch die Kirche Roms um 190 nicht mehr. Hatte doch schon der um 170 schreibende Bischof Dionysius von Korinth bei Euseb; Kirchengeschichte IV, 23 gemahnt, den Leuten in betreff der Keuschheit keine zu schwere Last mit Gewalt aufzulegen, sondern die Schwachheit der Mehrzahl zu be- rücksichtigen. So ist die weder in die gnostische noch in die katholische Schablone passende Erzählung von solcher Bekehrung der Frauen und der daher rührenden tödlichen Feindschaft der beiden vornehmen Männer als eine Dber- Ueferung anzusehen, die der Autor unserer Akten um 190 recipiert und mit der sonsther bekannten Rolle des Nero kombiniert hat, und die sogar älter ist als die Erzählung des Dionysius von Korinth bei Euseb, Kirchengeschichte II, 25 vom gemeinsamen Tode beider Apostel in Rom, älter als die verwandten Erzählungen bei Irenäus und Tertullian. Und gesetzt selbst, dafs die Weibergeschichten den Männern nur ganz grundlos angehängt worden wären, um zu ihrem Thun das niedrige Motiv zu ergänzen, so müfsten doch die Männer als die Feinde schon gegeben gewesen sein, ehe sie so von der Legende umsponnen werden konnten.

Je mehr diese Überlieferung von der vulgären, auf Nero bauenden, abweicht, desto beachtenswerter erscheint sie. Sehen wir uns also nach beiden Männern etwas genauer um, ob wir ihnen auf geschichtlichem Boden begegnen und damit vielleicht selbst auf geschichtlichen Boden kommen.

Sollen wir mit Lipsius, Apokr. Apostelg. II, S. 277 einen so argen Anachronismus voraussetzen, dafs wir in dem Stadtpräfekten Agrippa jenen M. Vipsanius Agrippa suchen, der schon im Jahre 31 v. Chr. bei Actium seine Lorbeeren pflückte und 12 v. Chr. starb und des Augustus Tochter Julia zur Frau hatte, die bis zu ihrem im Jahre 14 n. Chr. erfolgten Tode bekanntlich von niemand zur Keuschheit sich bekehren liefs? Während jener Seeheld freilich der Vertraute seines Kaisers und Schwiegervaters Augustus war, hat der angebliche Stadtpräfekt Agrippa mit keiner Silbe diese Ehre, und wird hingegen Albinus amicissitmis Caesaris genannt

PETBUS IN JEKUSALEM GESTOHBEN. 185

t^chon bei Ermittelung der AbfaasungBzeit S. 1 68 halten wil- des Zeitgenossen Klodius Albious gedacht, der nach Julius <Z^apiloliDU8 K. II uxori odiosifsimits fuit, zuglcicli jedoch ^n muUerarius intcr primos amatorcs aveistte Veneri^i sem- ^HT igtiarus. So ein Don Juan war der in unseren Akten ■^"fegen der Abwendung seines schonen Weibes zürnende Ai- liinus doch nicht, und wir hüben bereits oben S. 183 t'. Grunde gesehen, ihn für eine alte Überlieferung zu halten. Im "*i'orBU8 aber verdient die Erklärung den Vorzug, welche sowohl dem einen als dem anderen Namen gerecht wird, Iwide gleichzeitig nebeneinander nachweist samt dem merk- würdigen, der katholischen und der gnostisclien öubublone gleichzeitig widerstrebenden Unterschied, dafa dem einen inehrere Konkubinen, dem anderen aber ein eheiiches Weib l^igelegt und bekehrt wird.

Nun denn! In Albinus, nach dem Lipsius sich gar nicht umgesehen hat, finden wir jeneu Landpfleger Albiims, der nach der von Josephus erzählten Tötung des Jakobu» durch den Hohenpriester Ananus im Herbst des Jahres 62 als Nachfolger des Fesfus nach Judäa kam, und Agrippa ist derselbe Konig Agrippa, vor dem Paulus sieb verantwortet hatte und der den vom neuen Landpfleger bedrohten Ananus >o schnell absetzte. Hier haben wir also geschichtlich beide Grijfsen, wenn auch in Judäa und nicht in Rom, neben ^*Hander, und dafs eben Konig Agrippa unserer Überlieie- '"Ung zu Grunde liegt, wird sogar dadurch beBtäligt, dal* ••ei- angebliche Stadtprälekt Agrippa in der kirchensla vi sehen "Hd in der koptischen tiberaetzung ' der Akten noch Kiinig Ernannt wird. Nun erhellt, warum im Unterschied von •»■grippa, der als Stadtpräfekt Roms doch aucli ein vornehmer *^*imer hätte sein müssen, Albinus ein vornehmer Komer,

1) Vgl. Lipsius, Apukr. Apostel^. II, S. 382. 138, Eifänzunpis- ('«ft, S. 91f. Die Auszüge sus der sahiiliacheu Ubersetzuug, die LJp- ^iiis II, S. 137, Anm. 1 mitteilt, ciitnprcchcu dem Liiiiistext: Frtro Romaa Iirac-diraiite multae muliercs ([tia vitam ugsiit saiictnm puramqiie a viris ■« s<tIiaraveiuDt In hh pdlices Agrippae praefccti, qui et reu dici- tiir, Mquc Xanthippe, uior Albiui kücü legis. (Juare Albiiius et Agrippa cousiliun incunt, ut Fftrum peritatit.

186 ERBES^

to€ KaiaaQog q)ikog p. 86, amicus Caesaris, clarissimus vir heifst. Wie auch Paulys Realencyklopädie und Schiirer ^ annehmen, war jener Landpfleger identisch mit jenem Luc- cejus AlbinuB, den Nero bald zum Statthalter Mauretaniens machte und der dort von den Vitellianern im Jahre 69 getötet wurde und wirklich eine Frau hatte, deren der grofse Historiker Tacitus, Hist. II, 59 rühmlich gedenkt, die sich den Mördern ihres Gatten entgegenstellte und wirklich auf omne vitae hujus delectamentum in Treue verzichtete: wert eine bekehrte Christin gewesen zu sein. Dagegen von einer Ehe Ägrippas, des Liebhabers seiner Schwester, wird nichts berichtet, ^ie schon Keim in Schenkels Bibellexikon III, S. 65 erklärt hat. Zumal seit Berenike mit Titus angebändelt hatte im Jahre 67, und bis dieser 81 invitus invitam fort- schickte, wird der König sich einige Konkubinen beigelegt haben ^.

Erwägt man dabei aber noch, dafs Petrus schon zwölf Jahre nach Christi Himmelfahrt nach Rom kommt und der Apostel Paulus früher daselbst vorausgesetzt wird, also noch früher vor König Agrippa sich verantwortet haben mufste, so leuchtet alsbald ein, dafs dieser Herodes Agrippa II. dem Autor der Akten und seinem Gewährsmann zusammenfiel mit demselben Herodes, der nach Act. 12 den Zebedaiden

1) Geschichte des Jüdischen Volkes im Zeitalter Jesu I*, S. 488, Anm. 47.

2) Zur Verherrlich uDg des Segens, welchen die Ketten des Paulus gebracht haben, weifs Chrysostomus, in Autiochen. hom. XVI, 5 (Opp. ed. Montfaucon [Paris 1718] II, p. 168) neben dem Kerkermeister und vielen anderen Jüngern, die Paulus dadurch gewonnen habe, auch dafs derselbe tdv ^AyQCnnav ineanaaato. Man mufs sich wirklich wundern, wie Lipsius 11, 8. 246 f. und Zahn a. a. 0. S. 886 hier die Angaben später apokrypher Akten suchen und sie in Widerspruch setzen mit den Angaben unserer Petrusakten, in denen doch der Stadtpräfekt Agrippa nicht bekehrt werde. Wie der bekehrte Kerkermeister einfach der von unserer kanonischen Apostelgeschichte 16, 23 zu Philippi erwähnte ist, so ist eben jener Agrippa gemeint, dem Paulus ibid. 26, 28 sagt: o?<fa Sri niartvtig und der erwidert: (v dUyto fie mC&Hg X^artavöv not^aai. Endlich die vielen, die noch später von Paulus in Banden ge- wonnen worden sein sollen, sind aus den Angaben des Apostels im Brief an die Philipper 1, 12—14 geschlossen.

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 187

Jakobus um 42 44 getötet, den Petrus aber darauf ins Gefängnis geworfen hatte und bei Josephus und auf den lUünzen, auch bei Euseb und seinen Quellen stets Ägrippa heilst *. Wie nach den Akten der Kaiser im Zorn dem -Agrippa eine Zeit lang verbietet, ihm unter die Augen zu kommen, so hatte laut Josephus, Arch. XVIII, 6. 1 ff., Kaiser Tiberius im Jahre 23 nach dem Tode seines Sohnes Drusus dem späteren König Agrippa in Rom befohlen, ihm nicht unter die Augen zu treten, und hatte ihn gegen Ende seiner Eegierung sogar ins Gefängnis geworfen, wie nach dem LiDustext, bei Lipsius p. 21, mit dem Stadtpräfekten Agrippa ebenfalls geschehen sein sollte, zu dem, dafs in der kirchen- slavischen Übersetzung Tiberius der Kaiser heilst, unter dem Petrus getütet wird.

Es wird nun interessant sein zunächst zu sehen, wie der König Agrippa als Todfeind des Petrus in der Legende nach Rom versetzt und dort zum Stadtpräfekten gemacht ^vorden ist, dem dann Albinus nachfolgen mufste. Da der König Agrippa also, bekanntlich um 42 44, den Petrus in Jerusalem in das Geiangnis geworfen hat, aus dem er ent- "^vichen ist, und der Stadtpräfekt Agrippa denselben Petrus lim genau dieselbe Zeit, 13 Jahre nach Christi Himmelfahrt in Rom in das Gefängnis geworfen haben soll, aus dem Petrus entwichen, so tritt uns gleich hier ein springender Punkt entgegen, bei dem sich eine genauere Prüfung zu be- lohnen verspricht. Da die episodische Erzählung am Kreuze bereits S. 181 f als die ursprüngliche erschienen ist, vinkt schon die Vermutung, dafs Petrus dort erzählte, was ilim bei der Flucht aus dem Gefängnis, vor kaum einem Jnhr, in Jerusalem begegnet und gesagt war, und dafs «lieses Begegnis später nach Rom verlegt, in den Gang dor- tiger Ereignisse eingereiht und entsprechend moditiziert "forden ist. Je genauer man zusieht, desto mehr fordert

1) Auch Schiirer boinerkt a. a. O. I. S. 4G0, .\nm. 1: „Das neue lostamout (Act. 12) nenut ihn schlochtwocr Ilerodos. r»oi Josephus und *"f Münzen hcifst er aber stets Agrippa.** Viil. ebenda S. 4G7, Aüm. 41.

188 KRBES;

die anziehende Geschichte die Kritik über die Wandlungen

der Überlieferung heraus.

4: 4:

Nach dem bisherigen Linustext (ed. Lipsius p. 6 sq), nach Ambrosius und dem um 370 schreibenden Pseudo-Hegesipp safs Petrus in Rom schon im Gefängnis, custodia sqtiali- dissima, und war gar mit Fufsfesseln (iompedibus) gebunden, als er auf Bitten seiner ihn dort besuchenden Freunde ent- floh. Nach den von Lipsius neu herausgegebenen Petrus- akten war Petrus noch nicht ergriffen; sondern der Stadt- präfekt beabsichtigte erst seine Ergreifung, und der Apostel wurde hiervon benachrichtigt und entfloh auf Bitten seiner Freunde, um sich ihnen noch länger zu erhalten, und ver- wandelte trotz Nacht und Nebel noch sein Angesicht, um nicht erkannt zu werden. Die episodische Erzählung im Marcellustext hingegen spricht sich nicht genauer aus. Am natürlichsten erscheint die Flucht aus dem Gefängnis. Aber war denn Petrus ein passionierter Ausbrecher, dafs er zwei- mal aus dem Gefängnis in Jerusalem, Act. 5, 19 ff. 12, 7 ff. und jetzt wieder aus dem in Rom entrinnt? Ein Paulus weigert sich doch Act. 16, 37, heimlich aus dem Gefängnis zu gehen, auch wo er amtlich geheifsen wird; und um der Moral willen wird wohl Act. 1 2, 9 gesagt, dafs Petrus selbst nicht wufste, wie ihm geschah, als er auf einmal sich aufserhalb des Gefängnisses befand. Wenn dort in Jerusalem ihn ein Engel herausführt, so begreift sich alles dadurch, aber wenn er in Rom durch Christus auf seiner Flucht ge- stellt und zurückgetrieben wird, so hatte ihn offenbar kein Engel befreit. Wie hatte er aber eigenmächtig dann nur loskommen und fliehen können? Solche Erwägung war es wohl, was zu der anderen Darstellung führte, wonach Petrus noch rechtzeitig Mitteilung erhielt, dafs Agrippa ihn greifen wolle, und zur Ehre des Apostels war überhaupt anzunehmen, dafs er nur auf inständiges Bitten der Freunde sich zur Flucht entschlossen habe.

Nun aber stehen wir vor einer auffälligen Verschieden- heit der Angaben über den Zweck der Begegnung und der Worte des Auferstandenen. Während die Actus Petri Ver-

PETRUS IN JEtoSALEM GESTORBEN. 189

cell, hier leider eine Lücke haben, lautet der griechische Text; bei Lipsius p. 88, also: dg de i^iei t^jv Ttvk'qvy elöev töv 'ÄtLQiov tiaeQx6f,ievov etg rr^v Patfj'qv, Kai Idwv avrdv eirtev* Yjvquy Ttof) &ÖB; Yjai 6 '/.vQiog avv(p elrrev' elafQxo^ai elg rijv ^Fio^riv atavQio^jvai. Kai 6 IleTQog ehcev avr(^' Riqu^ 7tA}uv aravQotaai; EItccv avv(p' rat, JlevQe, TtdXiv OTovQod- ^ai. Kai Ik^wv elg iavrdv 6 TlirQog xat &€aaafievog xbv y.i'Qiov Big ovqavbv cn'skd^dvra, iictatQeif'ev eig Ti)v ^Ro/n^v äyakkiwfteyog 'Aal do^äCcov xbv yciqiovy Sri avtdg elTtev* acav- Qot'ftai' o elg rov THxqov ]]f.iekksv yivea^ai. 'Avaßag oiv Tiaktv TTQÖg Tovg ddekq^otg ef^yev avxdig ÖQO&iv avi^p' vA'Aeivoi erriv^ovv r?J i/'^XV ^^® ^^® Erscheinung hier gegeben wird und den Petrus hoch erfreut, hat sie den Zweck, ihm zu offenbaren, dafs er in Rom des Meisters Nachfolger am Kreuze sein werde. Anderwärts aber hat die Erscheinung zum Zweck, den kreuzesflüchtigen Jünger zu beschämen, und ihm zu sagen, dafs Christus auf dem Wege sei, sich an Stelle des Feiglings (abermals) kreuzigen zu lassen. Angesichts der versuchten Flucht aus Rom kann man die letztere Fassung für die natürliche und ein- fachere ansehen, wie Lipsius, Quellen der Petrussage, S. 127, Apokr. Apostelg. II, S. 338 f. thut. Aber ursprünglicher ist doch die in den Petrusakten schon 190 vorliegende Fassung. Denn einerseits konnte ja Christus, wie Ambrosius sehr richtig sagt, nicht selbst wiederum gekreuzigt werden, da er das Fleisch nach seiner ersten Kreuzigung abgelegt hatte, und ist darum dieses Eintreten wollen für Petrus ein ge- suchtes Unding. Andererseits ist aber der Gedanke eines mystischen Leidens Jesu in seinen Jüngern im Neuen Testa- ment, Gal. 6, 17. 2 Kor. 1, 5; 4, 10. Kol. 1,24, wiederholt ausgesprochen und findet sich auch im Briefe der Gemeinde von Lyon vom Jahre 177 bei Euseb, Kirchengeschichte V, 1, 23. Sodann aber kehrt eben diese Darstellung und Auffassung der Begegnung in den ältesten Zeugnissen der Kirchenväter wieder, sowohl bei Athanasius im Jahre 357, als auch bei Pseudo-Ilegesippus 367 375 ^ und Ambrosius.

1) Über diese Zeitbestimmung und das Verbiiltnis zu Ambrosiu?

190 ERBES;

Endlich setzt diese Darstellung ursprünglich noch keine Be- kanntschaft des Autors mit dem Schlufskapitel des vierten Evangeliums voraus. Denn wenn Petrus schon aus der Joh. 21 gegebenen Geschichte gewufst hätte ^ mit welchem Tode er Gott preisen würde, dann hätte er nicht erst dort am Thore so grofse Freude haben können, dasselbe noch einmal mit nur wenig anderen Worten aus dem Munde des erhöhten Herrn zu hören. Es ist also nicht, wie Lipsius a. a. O. S. 339 meint, eine „Verballhornung des einfach er- greifenden Gedankens der katholischen Akten'', dafs hier Petrus, „ohne eine Spur von Demut und Reue", nachdem sein Herr wieder in des Himmels Wolken verschwunden ist, in „fröhlicher dankerfüllter Stimmung'' nach Rom hingeht, wo er nun bald gekreuzigt wird. Es ist aber ein Finger- zeig, dafs Spätere eine ältere Erzählung sich passend gemacht haben.

Sind wir schon oben hingelenkt worden auf die Flucht des Petrus aus dem Gefängnis, in das ihn König (Herodes) Agrippa in Jerusalem geworfen hatte, so heifst es darauf Act. 12, 17 vmI e^ekdcüv ertogev&ri eig yvegov ro/tov. Wie ich in den „Todestagen der Apostel " S. 14 ff. näher gezeigt, war dafür die Zeitbestimmung auf 42 44 leicht zu ge- winnen, und zumal die Petrusakten (bei Lipsius p. 49) selbst berichten, dafs Petrus auf besondere Vision Christi hin zwölf Jahre nach der Auferstehung nach Rom gegangen sei, so ist eben schon hier unter jenem anderen Ort, wohin Petrus gegangen, Rom selbst verstanden worden. Gleich-

vgl. Zahn a. a. 0. S. 847, 1. Die Worte des Pseudo-Hegesippus, de excidio Hierosol. III, 2 lauten: Ubi Ventura est ad portam, videt [Petrus] sibi Christum occurrere et adorans eum dixit: Domine, quo vadis? Dicit ei Christus: iterum venio crucifigi. Intellexit Petrus de sua dictum passione, quod in ea Christus passurus videretur, qui patitur in singulis, non uti- que corporis dolore, sed quadam misericordiae compassione aut gloriae celcbritate. Et conversus in urbem redit captusque a persecutoribus cruci adjudicatus poposcit, ut inversis vestigiis cruci affigeretur. Bei Ambrosius contra Auxentium de basilicis tradendis, tom. II, p. 867 ed. Bened. , heifst es: Nocte muros egredi coepit, et videns sibi in porta Christum occurrere urbemque ingredi, ait: Domine, quo vadis? Respondit Christus: venio (al. add. Romam) iterum crucifigi.

PETKÜS IN JERUSALEM GESTORBEN. 191

zeitig ist es wahrscheinlich, dafs an der Stelle der jetzigen Yipion in Jerusalem, worin Christus im zwölften Jahre nach seiner Himmelfahrt den Petrus zur Bekämpfung des Magiers nach Rom schickt, in der Quelle vordem die (jetzt nach Rom selbst verlegte) Christuserscheinung mit dem Hinweis aufRom und das Kreuz gestanden hat, da beide Visionen nur als verschieden lokalisierte Varianten bezw. Momente einer und derselben erscheinen. Wenn dem aus dem Ge- fängnis des Agrippa befreiten Petrus sein verklärster Meister b^egnete und sagte: „ich gehe nach Rom, mich kreuzigen zu lassen'', so wird klar, warum Petrus keine Ursache zur Scham und Reue hatte, sondern freudig vernahm, welche Aufgabe und Ehre seiner in der Welthauptstadt harrte, und darum fröhlich von Jerusalem nach Rom ging, um dort seinen Herrn durch den Kreuzestod zu verherrlichen. Zu allem, was dabei seine genetische Erklärung findet, erhalten wir auch noch „das Thor der Stadt", in dem Christus dem Petrus begegnet sein soll, im selben Zusammenhang Act. 12, 10 yrvlr^v xr^v Oi^T^qäv xr^v fpif)Ovaav elg tt/v 7c6Xiv,

Diese unsere Erklärung bestätigt der Vater der Ortho- doxie Athanasius, der in der ^yivtoXoyla neqi tf^g (pvyTjg ai'Toü im Jahre 357 schreibt * : Utxqog de ö diä tÖv fpoftov ttov 'lovdauüv y.Qviczu/nevog ymI Uatkog & d/coaTolog Iv aagyrny Xcclaa^elg xat cpvywv d/Mvoavz^g (Sri) elg ^Fut^riv del i(,ißg fiaQvvQfjoaif oi'A aj/-(Var. d7c-)eßd)^ovto zr^v dnodrii.uav ^ai- Qovteg di /nä)J^oy drcf^lD-oy xat 6 iniv tbg 7CQdg Tovg idlovg (Var. lovöatovg) OTteidiov lydvvvto acpa^ö^tevog y 6 de xai TtaqovTa tov vmiqov od /ar^VrTijfjev d).Xä vmI e'A.avxäzOy Xtywv 2 Tim. 4, 6. Wie hier für Paulus gedacht ist an Act. 23, 11, wo der Herr dem Paulus in Jerusalem nachts erscheint und zur Beruhigung, dafs er nicht jetzt in Jerusalem umkommen soll, sagt: ^aQoeif tbg ydg diejuaQvvQio tu neqi ifnod elg /c- QOvaaXrjfi, oVicü ae del Aal elg PdffAYiv uagvvQf^aaiy so ist die ein Gegenstück dazu bildende Erscheinung und Ermunterung an Petrus ebenfalls in Jerusalem gedacht, ob auch die Apostelgeschichte darüber nichts sagt *''. Das bestätigen auch

1) Athanasü Opp. cd. Benedict. (Paris 1698), tom. I, p. 713.

2) Ohne Ahnung des rechten Zusammenhanges hat schon S. Bas-

192 ERBES,

in den katholischen Marcellusakten erhaltene Reste , wo der Herr noch zu Petrus sagt (p. 170): eldSv ae (feiyovra tov y^avaxov Y.ai &iXio ineq aod atavQiod^fjvaij und der Jünger dennoch entgegnet: vAQie, lyw noQevof^iaiy TTQÖaray^ia^ aov 7rXriQ6i. Y,ai UQriY.i (.101 [analog dem Paulus in Korinth, Act 18, 9] (.iri q'oßot', Sri /nerä aoC €lf,u\ Vwg 0? elaayayio ae eig rdv o}'/.ov rod TratQÖg /loi'. Das setzt doch ursprüng- lich nicht nur noch einen Tag im Gefängnis bis zum Kreuzes- tod voraus, wie diese Akten bei der Verlegung der Geschichte nach Rom jetzt bieten, sondern eine viel längere Zeit und gröfsere Thätigkeit und Ausdauer des Apostels, eben von Jerusalem bis nach Rom.

Ist somit das mittelalterliche Kirchlein Domine quo vadis eine Miglie vor dem Appischen Thor Roms, obgleich es zum Andenken und Beweis der Begegnung mit Petrus einen Stein mit einem Fufsstapfen Christi aufbewahrt, auf Sand gebaut, so erhebt sich nun auch noch die Frage, ob der Hinweis auF Rom nicht selbst schon eine zwar kluge aber sekundäre Zu- spitzung ist eines Herrn wortes, das, auf jüdischem Boden ge- fallen, gar keine Beziehung auf Rom und dortige Kreu- zigung Petri enthielt.

Lautet doch bei Origenes, obwohl er um 217 selbst ia Rom gewesen war, der ganze Ausspruch Christi nur: aiw- d^ev ftillio aravQoCa^ai! Wenn auch die dabei ausdrücklich genannte Quelle nach S. 179, Anm. 1 nicht genauer festzustellen ist, haben wir in diesem Wortlaut die älteste Bezeugung des Spruches vor uns, wie er denn auch noch bei Pseudo-Hegesippus und Ambrosius, vgl. S. 189, Anm. 1, ohne Hinweis auf Rom einfach lautet: ve^iio Herum crucifigi, obgleich er hier be- reits ins Thor Roms verlegt ist. Im Blick auf Hebr. 6, 6 (jcagarreoüVTag . . . dvaaravQoriTag lavvoig rdv vidv toü

nage, Annales liist.-pol. I, p. 735 richtig kritisiert: Petro quidem in I>orta urbis [Romac] constituto verba Atbanasii aptari non possunt „non abjecerunt eam profectionem ".

1) Die lateinische Version p. 171 bietet noch: Et dixit mihi, sequere me, quia vado Romam iterum crucifigi. Ebenso die andere griechische p. 215, wo dann aber ebensowenig von einer Beschämung Petri und einem Leidcuwollen Christi filr ihn die Rede ist und sein kann.

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 193

^€00 xat TtaQadetyfiaTi^ovTag) philosophiert Origenes zunächst von solchen, die von der empfangenen Wahrheit wieder ab- fidlen und dadurch Christum verleugpen und kreuzigen. Wie nach der Erscheinung Christi von einem dvaaravQoCv, so könne in alttestamentlicher Zeit von einem TtQOCTavQOfh^ Christi die Rede sein. Doch nimmt er darauf das Wort auch im guten Sinn von Gal. 2^ 19 Xqiax^ avveavaiqia^ai^ kommt also auch darauf, dafs Christus in seinem Zeugen wieder gekreuzigt wird, wie die alte Auffassung in den Petrusakten, bei Pseudo-Hegesipp und Ambrosius ist und ako gewifs keine „Verballhomung^' des von Lipsius irrig als älter vorausgesetzten Leidenwollens Christi an Stelle des feigen Flüchtlings war. Ich kann nun aber doch nicht mit Zahn a. a. O. S. 879 es wenig wahrscheinlich finden, dafs jenes Wort Jesu in den von Origenes citierten Akten den Sinn einer an einen einzelnen Apostel gerichteten Weissagung seines bevorstehenden Kreuzestodes hatte, kann nicht mit demselben sagen, es scheine vielmehr dort ein weissagendes Wort von allgemeinerer Anwendbarkeit gewesen zu sein. Dafs Ori- genes sonst auch vom Tode des Petrus in Rom weifs, könnte zwar auf andere und spätere Quellen zurückgehen; aber da er auch von der Kreuzigung des Petrus, gar der von ihm selbst erbetenen umgekehrten xarä x£qraA^^, nach Euseb, Kirchengeschichte IIl, 1, schon weifs, und da diese Dinge im gegenwärtigen Marcellustext der TlQa^eig TlezQOv xat Ilaij' Xov unmittelbar vor der episodischen Erzählung des Petrus von seiner Begegnung mit dem Auferstandenen und von dessen Ausspruch zu lesen sind, so ist es wahrscheinlich, dafs auch Origenes beides schon in jenen TlQüc^etg (S. 179, Anm. l) ebenso nebeneinander gelesen hat. Dafs aber schon um 160 das Wort an Petrus gerichtet galt, bezeugt vor der späteren Geschichte desselben auch Job. 21 , 19 bezw. 18 bis 22 , wo ebenfalls auf solch ein die Kreu- zigung Petri ankündigendes Wort Christi geblickt wird, mag auch ein anders gemeinter Ausspruch (Vers 18) dazu ge- prefst sein, ihm denselben Sinn zu entlocken. Ja wie Christus in den Akten zu Petrus in Verbindung mit jener Ankün- digung sagt: d/,oXov^€i fioij so sagt er auch Job. 21, ^"

IsiUehr. f. K.-O, XXII, 2. \^

194 ERBES,

demselben: av fioi dxoloij&eif wobei der ohnehin unklare Seitenblick auf den ^^anderen Jünger^' nur die Tendenz des Evangelisten bezeichnet Auch 2 Petr. 1, 14 scheint daraui zu blicken ^.

Nehmen wir zum bisherigen noch, daTs auch die Sage »

von der umgekehrten Kreuzigung des Petrus sich unschwer

als Ausdeutung des ürud-ev (da capo) ptllXui aravQOtkr&at -^ erklären läTst, so blicken wir zurück auf eine viel bew^te ^ Geschichte des Ausspruches, der spätestens schon um 19< der gröfseren Ehre Roms dienstbar wurde, in ursprünglicher Qestalt aber einen Hinweis darauf nicht enthielt, sondern nur den ehrenvollen Kreuzestod dem Jünger in Aussicht stellte.

Diesen Ausspruch konnte der Auferstandene auch bei einer anderen, früheren Gelegenheit als bei der Flucht auf dem Gefängnis des Königs Agrippa (Act. 12) zu Petrus than haben, vgl. Joh. 21; nachher aber wurde er an jen< Begebnis, nach welchem Petrus elg izegov tötcov g^angen ^n war und (anno 42) nach Rom gebracht wurde, angereiht all Befehl Christi, nach Rom zu gehen und dort ihm nachzu- folgen bis zum Tode am Kreuze. Und eben bei dem Kreuzes- tod wurde dem Petrus die Erzählung episodisch in deik- Mund gelegt, und was ursprünglich in Jerusalem ihm ge- schehen und gesagt war, wurde dann nach der Erzählung^ in Rom auch nach Rom selbst verlegt und in den Gang^ dortiger Ereignisse, z. B. schon in den Petrusakten um 190, eingereiht Zu allem weiteren brauchte es in der episodischen Erzählung nur ähnlich zu lauten wie der Codex Marcianus

1) Zahn a. a. 0., S. 854 ist jedenfalls sehr im Irrtum mit der Meinung, dafs 2 Petr. 1 , 14 {d^tag Sri rax^v^ lanv 4 änö&eaig toO axrjvwfXttTÖs fxov, xa&ü)s xal d xvQiog ijfjiQv *IriaoOg Xgiajög (d^kwfiv fxoi) den Anstofs zur Ausdeutung und Anwendung jenes Herrnwortes auf Petrus gegeben habe. Wenn umgekehrt der späte Autor des Briefes auf jenes Hermwort an Petrus hinblickt , konnte es ihm unmöglich be- reits in der Überlieferung vorliegen , wonach es erst am vorletzten Lebenstage zu Petrus in Rom gesprochen sein sollte, sondern erst in der älteren Fassung, die ihn damit zur Wirksamkeit nach Rom führte, um dann binnen Jahresfrist etwa seine Wirksamkeit mit dem Kreuzestod zu besiegeln.

PETBCS IN JERUSALEM GESTORBEK. 195

(bei Lipdus p. LXIII, p. 170) noch bewahrt: rtgö öktyiav ^ yöp Töv ^fjegtüy Toiiiov tnayaazäaiiaii ycrafiivT^g ftoi iind toC ^y^iiina, naqaxXi]!>£}s, l.rd T(3v ädthf&v e^f/l^ov rfjg n6lctijg Aal tnr^vTrfli ftoi 6 xr^iSg ftOL -ArX. Da zur Zeit des Coinmodus der Sladtprüfekt die Christen aburteilte, während zur Zeit des Nero der Praefectua praetorio Tigel- linua dies besorgte, wurde auf diesem Wege der nach Rom versetzte Verfolger Petri zum Stadtpräfekten " Agrippa. Da dieser so einmal der Todfeind war, der den Pelrua ins Gefängnis geworfen hatte, so wäre das eigentlich schon genug zum Verständnis, dafs er dann auch mit dem Tode des Petrus in enge Verbindung gebracht worden. An mehr Kunde denken läfst jedenfalls der Umstand, dafs bei der (S. 185 ff.) vorliegenden Vermischung der Könige Herodes Agrippa I. und II. so viel Züge auf Agrippa II. weisen, ebenso wie die Verbindung mit Albinus in dessen Zeit weist. Doch begreift sich so schon, wie neben dem also, auch durch die Apostelgeschichte, bezeugten Agrippa sein Mitfeind Al- binus zurücktritt, auch wenn er geschichtlich mehr gethan hat, als nur den Agrippa zum Vorgelien gegen Petrus er- muntert, auch wenn er ihn selbst ans Kreuz gebracht hat. Denkt man daran, wie Jesus von Pilatus nach Luk. '2'3, 7 dem König Herodes von Galiläa, Paulus von Festus dem König Agrippa vorgeführt worden, so wird man es für mög- lich halten , dafs ähnlich Petrus sowohl vom Landpfleger Albinus ergriffen als auch vor den mit der Aufsicht über den Tempel betrauten König Agrippa gestellt und darauf des Kreuzestodes würdig gefunden worden sei. Und da schon bei Matth. 27, 19 auch des Pilatus Weib als halbe Christin hervortiitt, Landpfleger Felix mit seinem Weib Drusilla Act. 24, 24 bei Paulus auftritt, ebenso Agrippa und Bernike, wie femer schon bis zur Abfassungszeit unserer Petrusakten der Statthalter Kappadokicns Klaudius Lucius Herminlanua nach Tertnllianus ad Scap. c. 3 beinahe eine Verfolgung der

1} Mun braucht nur ila.s für Rom berechnete üUyiav we^^zulassen, D htt mau wieder dieselbe Verbindung wie Act. S, 3G: ,-r()ü yät; r

196 ERBES,

Christen yeranstaltete, weil seine Frau zu ihrer Sekte über- getreten war, und weiter nach Hippolytus IV. in Dan. ed. Bratke p. 15 ein Statthalter von Syrien vor auch nicht langer Zeit die Christen verfolgt hätte, wenn sein gläubig gewordenes Weib ihn nicht davon abgehalten hätte: ebenso mochte man nach so vielen älteren und neueren Analogien schon um 170 neben dem feindseligen Albinus seiner edelen Frau (S. 186) rühmlich zu gedenken Veranlassung genommen und noch einige Kunde gehabt haben ^.

Doch ehe wir uns von den Akten trennen und uns nach Albinus, seiner Zeit und seinen Thaten sonst umsehen, wollen wir noch einen anderen Zug ins Licht setzen, was um so leichter und unbefangener geschehen kann, als ich bereits im Jahre 1884 darauf hingewiesen habe, noch ohne Ahnung der Hauptsache, die uns jetzt beschäftigt. In dem Mar- cellustext heifst es nach Schilderung von Petri Kreuzigung im Vatikan, bei Lipsius p. 172. 173, vgl. 216: Statun ibi apparuerunt viri sandi, quos unquam nemo viderat ante nee postea videre poterat Isti dicebant, se propter ipsum (Petrum) de Hierosolymis advenisse! Sie helfen nunmehr zunächst dem Marcellus (S. 183), den Petrus vom Kreuz nehmen und begraben {in'd Tt]v Teqißivd^ov 7tXriaiov to0 rav/naxiov eig tÖttov yMlovfiei'Ov BavrAavov p. 216). Wie

1) Es ist fast zu verwundern, dafs die bekannten Ketten Petri trotz der Tiel späteren Zeit ihres Auftauchens denselben Gang gingen wie die Gefängnisse desselben. Denn die Ketten, welche die Kaiserin Eudoxia um 455 nach Rom brachte und in die von ihr restaurierte, in der Folge S. Petri ad yincula genannte Kirche schenkte, sollen diejenigen sein, welche Petrus im Keiker zu Jerusalem getragen hat und von denen er nach der Apostelg. 12, 3 ff. auf wunderbare Weise befreit worden war. Auch die Ketten, welche nach den frühestens aus der zweiten H&lfte des 5. Jahrhunderts stammenden Akten Alexanders die Balbina zu ihrer Heilung findet, sind noch immer die jerusalemischen, sogar noch bei Beda. Erst bei Petrus de Natalibus werden daraus verschiedene Ketten, jerusalemische, von Eudoxia, uud römische, von Balbina aufgefunden, welche dann durch ein Wunder zu einem untrennbaren Ganzen vereinigt werden, um nach wie vor doch nur ein und dieselbe Kette zu sein. Übrigens konnte schon Papst Hormisda im Jahre 519 nicht nur von Petn, sondern auch von Pauli Kette Feilspäne verschenken. Vgl. die näheren Ausführungen bei Lipsius, Apokr. Apostelg. II, S. 411 ff.

TETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 197

kommen sie grade zur rechten Zeit so urplötzlich von Jeru- salem unter das Elreuz Petri nach Rom? Sie sagen es ja selbst, sie seien des Petrus wegen gekommen! Was sollten sie denn eigentlich bei ihm^ mit ihm thon? Ihre kleine Mithilfe beim Begräbnis war doch nicht so nötig. Erklären sie jetzt allem Volk Roms: gaudete et eocultate, quoniam paironas magnos meruistis habere y so thun sie das nur im späten Hinblick auf die grofse Inschrift über den Apostel- gräbem ad Catacumbas, auf welcher Bischof Damasus 366 bis 384 mit seinen fast stehenden Verswendungen hervor- gehoben, dafs Rom es verdient habe, die zwar vom Orient gesandten Apostel als seine Mitbürger sich zu vindicieren ^. Wie stimmt nun aber damit, dafs diese selben, die viri sancti, äyd^eg fiyioij evXaßeig, tvdo^oi genannt werden und die wie Engel vom Himmel plötzlich unter dem Kreuze erscheinen und weder vorher noch nachher mehr von jemand gesehen werden, wie Diebe in der Nacht daran gehen und den dann anter ihrer heuchlerischen Mithilfe bestatteten Apostel Petrus exhumieren und expoi*tieren, Rom um seinen gröfsten Schatz und Schutzpatron bringen, um damit in den Orient zu ver- schwinden, wenn sie nicht nachgerade auf ihrer Ausreifse durch ein Donnerwetter entsetzt den Raub von sich ge- worfen hätten dort ad Catacumbas an der appischen Strafse, wo Petrus bis zum Jahre 258 neben Paulus, darauf noch bis zu seiner Überführung in die Vatikanische Basilika um 357 allein lag? Dazu mufs man noch andere Dinge ver- gleichen, die im Zusammenhang mit den verschiedenen Apostelstätten in meinen „Todestagen der Apostel'' beleuchtet sind. Täuscht nicht alles, schrieb ich schon 1884, so haben

1) Die in der ehemaligen ., Basilika der Apostel*', jetzt S. Sebastiano, an der appischen Strafse angebrachte Inschrift lautet so, dafs schon de Rossi darin eine Abwehr orientalischer Ansprüche fand: Hie habitasse prius sanctos cognoscere debes Nomina quisque Petri pariter Paulique requiris Dlscipulos Oriens misit quod sponte fatemur Sanguinis ob meritum Cbristumque per astra secuti Aetherios petiere sinus et regna piorum Roma suos potius meruit defendere civcs. Haec Damasus vestras referat nova sidera landes.

198 ERBES,

wir hier noch die Spuren der älteren Darstellung, wonach beim Tode des Petrus heilige, engelhafte Männer von Jeru- salem plötzlich da waren, seinen Leib nahmen und damit aus Rom verschwanden. Der Autor jener älteren ngd^eig, bezw. die von ihm wiedergegebene Volksmeinung besagte^ dann aber und trug mit der Wendung dem Umstände Rech— nung, dafs man noch bis zur zweiten Hälfte des 2. Jahr- hunderts das Grab des Petrus in Rom nicht zeigte noch zeigen konnte. Denn nur des Petrus wegen waren jene^ Leute erschienen, nicht des Paulus w^en, dessen LeichnanL- nicht verschwunden war und darum das Fehlen des anderen einer besonderen Erklärung bedürftiger machte. Sobald aber später die Reliquien des Petrus in Rom auftauchten, und damit bewiesen war, dafs sie von den Orientalen nichts ausgeftihrt sein konnten und nach Rom gehörten, konnte nui* noch von einem vereitelten Raubversuch die Rede sein K Wäh- rend im Marcellustext, der auch in anderen Stücken der ursprünglichen Lesart näher blieb, die Leute aus Jerusalem in angegebener Weise zweideutig engagiert werden, bewahren, auch die Petrusakten, zu deren Zeit der Leichnam des Petrus in einem Sarkophag, ^crxr^a Xi&ivri p. 100, von Mar- cellus beigesetzt sein sollte, also wohl schon in Rom gezeigt wurde, die Kunde von Leuten, die p. 90, 6 unter das Kreuz Petri folgen, ßovXöfievot äq^aqrtdöai xbv JleTQOv^ deutet sie indes auf die ganze Menge Brüder, Reiche und Arme, Wit- wen und Waisen, Schwache und Starke, und im jüngeren Cod. A ist noch -/mI ideiv ihrer Absicht zugeftLgt, um das sonderbare „Rauben^' planer zu machen. Danach heifsen sie im umschreibenden Linustext p. 10: molientes illaesum rapere et conservare Petrum, Das sind also nur verschie- dene Umbiegungen einer älteren Angabe, die durch alsbal- dige Heimholung der Leiche nach Jerusalem zu reimen suchte, dafs Petrus in Rom gestorben sei und doch daselbst sein Grab nicht gezeigt werden konnte.

Während Lipsius, Apokr. Apostelg. II, 335 f. meine Er- klärung als richtig anerkannt und sich durchaus angeeignet

1) Siebe Die Todestage der Apostel, S. 121— 13S.

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 199

lat, suchte der Römer de Waal ' sie abzuweisen durch den Ctnwand: Allem Anschein nach müssen die Orientalen auf 1er Überfahrt Schiffbruch geiitten haben, denn es fehlt jede chriftliche Nacliricht und jede Tradition über das Qrab 'etri in Jerusalem." Allein was brauchte den Autor aon- tiges Dunkel zu kümmern, wenn es ihm nur auf Erklärung les NichtvorbandeDseina des in Rom vermifsten Grabes Petri inkam! Nachdem aber inzwischen sich gezeigt hat, dafs lach einer über 170 hinaufreichenden, in unseren Petrus- .kten mit anderen Angaben kombinierten alten Quelle Agrippa iDd Albinus, als solche in Jemaaleni, Gefängnis und Tod 'etri herbeigeführt haben, so wird man in jener von uns ruierten Erzählung von Heimholung der Peti'usleiche durch •rusalemieche Männer geradezu eine Erinnerung sehen können D ein Vorhandensein des Grabes Petri eben in Jerusalem od eine einfache Abfindung damit durch eine Darstellung, urcb die zwar das Grab gelassen wurde wo es war, aber ie Ehre des Martyriums Rom selbst gerettet wurde. Dort aulste also das T^örcatoy, die Siegesstätte des Petrus wie Lea Paulus sein, nur dafs die Orientalen den Leichnam gleich n Rom abgeholt und heimgeführt haben als seine Lands- «Ute.

Noch und wir in der Lage, eine lehrreiche Parallele bei- zubringen, Bekanntlich soll der Bischof Ignatius von An- tiochien unter Kaiser Trajan im Amphitheater zu Rom den Märtyrertod gestorben sein. Wie das Martyrium des Ignatius ^- 6 und Chrysostomus in der Homilie über Ignatius K. 5 (ed. *fontfaucon II, 600), vgl. Euseb, Kirchengeschichto III, 36, '«richten, wurden die Überreste des Heiligen alsbald ge- 'nimelt und nach Antiochien heimgeführt. Entsprechend Szn Gebet desselben, dafs seine Bestattung niemand viele ^ühe mache, liefsen nach dem älteren Bericht die Löwen ^*~t einige Knochen von ihm übrig, die in ein Taschentuch ^sammelt und leicht übers Meer gebracht werden konnten. t^fiter aber wollte man das Grab des Ignatius in Rom

1} Die Apostelgruft ad Caiacumbus ao Jer via Appia, Rom 1 P'rtiburg, Herder), S. U,

200 ERBES,

haben. Daher wurde nun erzählt; die Löwen hätten diesen nur erwürgt; aber nicht zerfleischt und verzehrt, Hva %d lelipavov adtod ijv fpvXaxvi^Qiov zfj 'Pußfiaiwv nölu \ So geht es in der Sage. Ist nun der Tod des Ignatius in Rom und die aisbaldige Überführung seiner Überreste nach An- tiochien geschichtUch , so konnte man bei Petrus ganz den gleichen Hergang zu Ehren Roms und Jerusalems voraus- setzen und erzählen. Ist aber Ignatius gar nicht in Rom, sondern in Antiochien gestorben, so hatte er und Petrus doch nachher dasselbe Geschick nach derselben schrittweisen Aneignungsmethode, nur dafs es mit dem apostolischen Vater nicht so bequem, wichtig und eilig war als mit dem Apostel- ftirsten.

Bei der grofsen Bedeutung, die Rom bald hatte und bei der es durch viele und einflufsreiche Hierarchen und Schrift- steller seine Ansprüche und Sätze erfolgreich geltend machte und durchsetzte, und bei der Ohnmacht und Verlassenheit Jerusalems, das wiederholt vom Erdboden vertilgt und uro seine lokalen und geschichtlichen Erinnerungen gebracht wurde, ist es nicht zu verwundem, wenn ihm nicht viel Erinnerung an Petrus übrig blieb und um so mehr ihm gegenüber in Rom sie ins Kraut schofs und alles andere überwucherte und üb-^rdeckte. Doch scheint noch eine weitere Spur erhalten in dem vor Jahren in einer Hand- schrift vom Jahre 412 aufgefundenen syrischen Martjro- logium ', welches nach dem gelehrten Nachweis seines neue- sten Herausgebers Duchesne, Acta SS. mensis Novembris, T. II, 1 (Bruxellis 1894), p. LXVI, eher in der Zeit des Valens, 364 378, als des Theodosius, 379—- 395, entstanden ist. Dieses Martyrologium beginnt mit dem 26. Dezember, offenbar im Anschlufs an eine griechische Quelle, die anhob

1) Vgl. die Abdrücke in Patres Apostolici ed. Dressel (Lips. 1863), p, 214 sq. 864 sq. Das spätere Machwerk p. 874 sq. oder in der neuen Ausgabe II (Ignatii epistulae, martyria etc. ed. Zahn), p. 305. 314 sq. cf. 824, woselbst p. 346 auch die Homilie des Chrysostomus wieder- gegeben ist. Dazu Zahn, Ignatius von Antiochien (1873), S. 26 ff.

2) Zuerst herausgegeben von dem Engländer Wright 1865 f. Deutsch Ton £. Egli in seinen Altchristlichen Studien (Zarich 1887), S. Iff.

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN.

201

26. Dezember

mit dem Weihnachtsfest am 25. Dezember, welches Chrj- sostomos 386 in einer Weihnachtsrede den ZugfUhrer und die Metropole aller Feste nennt, obgleich es erst seit kaum zehn Jahren aus dem Abendland eingebürgert sei. Der Syrer hat jedoch das Weihnachtsfest zum 25. Dezember weggelassen, weil er dem Gebrauche seiner Kirche treu statt dessen am 6. Januar das Epiphanienfest hat. Indem wir die interessierende Partie daraus nach Duchesnes Rücküber- setzung in die griechische Vorlage geben, fugen wir gleich die Parallele aus dem armenischen Martjrologium ^ bei, welches zudem wie der Syrer die Geburt Jesu auf den 6. Ja- nuar setzt und die begleitenden Feste doch auch so voraus- schickt, als wenn Weihnachten schon am 25. Dezember ge- feiert worden wäre.

Syrer:

0 JtQdxog ^iiqxvQ iv ^ItQOOoXv^i Ol g 2ii(pavog 6 drtdazolog, 6 tloqv- q>aiog vdov ^laqzvqtov,

Iiüäwrig xat lä'Atjßog 6i dTtdoToXoi iv leQO- ooXijfioig.

Ev P(of.trj zfj 7c6ket, JlaOkog dndaToXog 'Aal 2vfi€iJV Kricfäg 6 xo^t- (palog Ttüv dnoözdXtJv. Beide Aufzählungen der Apostel sind merkwürdig ver- schieden, weisen aber auf ein und dieselbe ältere Ordnung der Festtage, die noch Gregor von Nyssa, De Basilio magno, opp. III (Paris 1638), p. 479 bezeugt, indem er sagt: Zu- erst kommt die Geburt Christi [am 25. Dezember], danach gedenkt man der Apostel und Propheten, dal di oixor

^zi(favog^ nizQogy ^Id'Awßogj 'iwdvvi^gy TlaOkog, die ebenso Chrysostomus bezeugt, indem er, Opp. ed. Mont-

27.

f}

28.

}}

Armenier:

Stephanus proto- martyr.

Festum principa- lium apostolorum Petri et Pauli.

Festum sanctorum filiorum tonitrus Ja- cobi et Joannis.

1) Die Mitteilungen hieraus entnehme ich, da mir anderes Material schwer zugänglich ist, Eglis Abhandlung in Hilgenfelds Zeitschrift für wissenschaftl. TheoL, Jahrg. 1891, S. 279.

202 ERBES,

faucoD I, 2, p. 854, in der Homilie in Ealendas Jan. er- wähnt, dafB man neulich, rtqi^riv^ also am 28. Dezember, das Fest des Paulus [also noch nicht zugleich auch des Petrus] gefeiert habe. S. auch Morelli, Kalend. Constant I, p. 293. Die ältere Ordnung lautete folglich:

26. Dezember. Stephanus der Apostel und Proto-

martyr zu Jerusalem.

27. Petrus, Jakobus und Johannes die

Apostel zu Jerusalem.

28. Paulus der Apostel zu Rom.

In beiden obigen Martyrologien ist diese ältere Festfolge dadurch geändert, dafs man „die Apostelftirsten ^' Petrus und Paulus rücksichtsvoller nebeneinander gestellt hat, und zwar auf entgegengesetzte Weise. Im Syrer ist Petrus von seinem alten Platz genommen und zu Paulus am 28. De- zember, im Armenier hingegen ist Paulus von seinem alten Platz genommen und zu Petrus am 27. Dezember ge- stellt worden. Während so im Syrer Johannes und Jakobus im Alleinbesitz des 27. Dezember verblieben, mufsten sie im Armenier vor den Apostelfürsten auf den vakant ge- wordenen 28. Dezember zurückweichen, worauf noch So- phronius von Jerusalem, gest. 639, reflektiert, da er in semer Festhomilie auf die heiligen Petrus und Paulus (ed. Joann. Franc. Albanus, Romae 1666) sagt: r^iVijv yäq juera r^v ToC Xqi0toü Ciov/iQiov ytvvriciv 2ice(pdvfif dtdu'Ajdve^ Ttavi^- yvQiv, TBtaQTtiv eavtdig naQevriQrjaavzo.

Man könnte nun vermuten, die drei Säulenapostel hätten nicht früher zum 27. Dezember gestanden als ihr Meister zum 25. gesetzt ward: was in Rom um 330, im Orient später, in Antiochien nach dem Zeugnis des Chrysostomus erst um 375 geschah. Indessen wird solche Vermutung schon fraglich durch den Umstand, dafs zum zwischenstehen- den 26. Dezember Stephanus gesetzt und zu diesem Zwecke, im Syrer wie bei Gregor von Nyssa, auffällig „Apostel" genannt ist. Dieser erscheint hier doch nur wie ein Lückenbüfser. Denn dafs er der erste christliche Märtyrer geworden, quali- fizierte ihn doch nicht dazu, unmittelbar auf den Herrn zu folgen und den Ehrenplatz vor den drei ersten Aposteln

PETKUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 203

und Autoritäten zu erhalten. Aber wenn jene bereits zum

27. Dezember standen und nach Versetzung der Geburt Jesu auf den 25. Dezember noch jemand fiir den dazwischen un- besetzten 26. zur Wahl stand, so erklärt sich die Wahl des Stephanus, ,,de8 Apostels '^ Ähnlich wurde ja auch bald auf den nachträglich frei gemachten 28. Dezember das Festum ss. Innocentium Infantum gelegt, das nach Pseudo- Origenes Hom. 3 de diversis schon auf alter Tradition be- ruhend wohl im Syrer vorliegt unter den am 23. September (zu Ancyra) gefeierten Kindern, die Bekenner wurden von ihrer Mütter Brüsten weg ^). Paulus aber ist ohne histo- rischen Anlafs, nur um auf die anderen zu folgen, auf den

28. Januar gesetzt. Man kann doch nicht annehmen, dafs die drei Säulenapostel erst um 375 im Orient zum ersten- mal gefeiert und in den Festkalender gesetzt worden seien. Allenfalls liefse sich denken, dafs sie früher zu einem anderen Tage gestanden, nach Einführung des Weihnachtsfestes am 25. Dezember jedoch in dessen Nähe nachträglich gebracht worden seien. Doch auf den Tag kommt es uns weniger an als auf den Ort ^. Schade, dafs beim Armenier die Ortsangabe abgestreift ist.

1) Cyprian. ep. 58, 6 schreibt: Christi nativitas a martyriis iafaa- tium statim coepit, ut ob nomen ejus a bimatu et infra qui fuerunt necarentur. TertuUian. adv. Valent. c. 2: infantes testimonium Christi san^ine litaTerunt. Ähnlich bei Tielen nachfolgenden griechischen wie lateinischen Vätern.

2) Gleichwohl ist es für unseren Zweck lehrreich, zu sehen, wie es mit dem Besitz des 27. bezw. 28. Dezember in der Weiterentwicke- lung ging. Vermöge des Einflusses Roms und des dortigen Ansatzes erst zum 22. Februar, seit dem Jahre 258 zum 29. Juni (vgl. S. 38 f.) treten Petrus und Paulus natürlich nicht länger zu jenen Tagen auf, die daher den beiden anderen Aposteln zur Verfügung bleiben. Aber da war bei Johannes auf seine Reklamation für Ephesus Rücksicht zu nehmen, und bei Jakobus erinnerten sich einzelne, dafs er nach dem freilich fabelhaften Bericht des Hegesippus am Osterfest von den Ju- den die Zinne des Tempels hinabgestürzt worden sei. Danach heifst es im Martyrologium Hieronymianum, gleichmäfsig in Codd. Bern., Fragm. Lauresh., Ept., Wissenb.:

VI. Kai. Jan. Adsumptio s. Johannis evangelistae apud Ephesnm et Hierosolymis ordinatio episcopatus s. Jacobi fratris Domini,

204 ERBES,

Eb fragt sich also noch, ob auch schon in der Quelle die drei als ^^die Apostel zu Jerusalem '^ aufgeführt waren Auf die Verwechselungen und irrigen Identifizierungen, die mit den verschiedenen Jakobus nachweislich stattgefunden haben, brauchen wir hierzu nicht näher einzugehen, da so- wohl der Zebedaide, gest. 44, als auch der Bruder des Herrn, gest. 62, in Jerusalem den Märtyrertod gestorben sind und da schon aus Gal. 2, 9 und aus Clemens Alex, im siebenten Buch der Hypotyposen, bei Euseb, Kirchengeschichte II, 1 erhellt, dafs der jüngere Jakobus an die Stelle des frohe abgetretenen älteren gerückt ist zur Bewahrung der alten Trias Petrus, Jakobus und Johannes, wie sie Matth. 17, 1; 26, 37. Mark. 5, 37; 13, 3. Luk. 5, 10 u. s. w. auftritt*, weshalb auch in unserem Martyrologium (vgl S. 201) unter Jakobus der Bruder des Herrn zu suchen ist. Der Apostel Johannes sollte zwar nach der zuerst von Polykrates von Ephesus um 190 vorgebrachten Angabe, bei Easeb, Kirchen- geschieh te V, 24, in Ephesus gestorben und begraben, oder

qui ab apostolis primus ex Judaeis Hierosolymis est cpiscopos

ordinatus. (Var. et in medio paschae martyrio coronator.]

Vgl. dazu Lipsius, Apokr. Apostelgesch. 111, S. 253, AniD.1.

Daneben bietet die Notitia de locis ss. apostolorum in Cod. Ept (Cod.

Paris, lat 10837, saec. VUI):

VI. Kai. Jan. Natalis apostoli sancti Jacobi fratris DominL In den Konsularfasten vom Jahre 494 fif., welche gute chronologische Eintragungen haben, lesen wir hingegen zum Jahre 62: Mario et Gallo bis consulibus Jacobus apostolus in Hierosolymis de pinna templi de- jectus est a Judaeis V. Kai. Jan. In dem karthagischen Kalendarium, das bis Bischof Eulogius im Jahre 505 reicht, lautet es: VI. Kai. Jan. sancti Johannis Baptistae et Jacobi apostoli, qoen Herodes occidit. liier sind aus beiden andere Männer desselben Namens geworden: bei Johannes wohl so wenig als bei Jakobus durch Schreibfehler. Wie weit entfernt ist das Ton der ursprünglichen Fassung, die mm 27. De- zember lautete: Petrus, Jakobus, Johannes, die Apostel ru Jerusalem. Und sie allein bringt Licht!

1) Clemens sagt 1. c.: 7cofcü/?w rtp ducaita xal ^Jümrrrf mak Hit^ tA€ra irp^ av€caTaatv na^duuef rrjv ^'vüiaiv 6 xvQto^' ovtoi to*"» lotMoii anocToloii na^dtojtap. Vgl. auch Lipsius, Apokr. Apostelgesch. lUt S. 239 f.

PETttUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 205

vielmehr nicht geBtorben und begraben sein. Denn das Grab des Johannes, das man zeigte, enthielt keine Gebeine, so dafs die Sage aufkam, er sei daraus entrückt worden, während spätere sagten, er schlafe darin, und den Staub sammelten, den die Atemzüge des Schlafenden aus dem unerschöpflichen Grabe aufwirbelten ^ Noch wo der jedenfalls ältere Ignatius im Brief an die Epheser selbst E. 12 diesen alles Lob er- teilen will, nennt er sie nur Tlaijkov av/aiaijarai und verherr- licht diesen; dals er dabei von ihrer engen Verbindung mit dem Apostel Johannes gänzlich schweigt, ist ein deutlicher Beweis, dafs er von einem langen Aufenthalt und endlichen Tod des Johannes in Ephesus und seiner besonderen Ver- ehrung daselbst noch gar nichts gewufst hat. Wie aber jener Polykrates den Evangelisten Philippus so deutlich als irrig für den Apostel desselben Namens genommen hat und von seinem fiOQTvg xcrt diddavialog genannten Johannes fabelt, er sei Priester gewesen, so spricht vieles, von mir an anderem Ort ' ausführlicher Beleuchtetes, dafiir, dafs der Zebedaide nur kurze Zeit in Ephesus verweilt und dann sich nach Judäa zurückbegeben hatte, nachträglich aber von den auf apostolische Autorität versessenen Kleinasiaten mit einem anderen Jünger Jesu desselben Namens, sonst ttqb- cßvteQog zubenannt, im Leben und Sterben verwechselt und an dessen Stelle nach Ephesus versetzt worden ist. Gegen- über den für Asien, besonders Ephesus und dessen Autorität zu interessierten Angaben verdient mehr Beachtung, dafs sowohl nach der Chronik des Georgios Hamartolos aus dem 9. Jahrhundert als auch nach den aus dem Geschichtswerk des Philippus von Sidc (Sidetes, gest. 430) veröflFentlichten Fragmenten kein Geringerer als der die anderen Gewährs- männer an Alter übertreflFende, aus der Nachbarschaft gebür- tige Papias von Hierapolis im zweiten Buche der Herren- worte, um 140-160, berichtet habe, 6'rt ^Iwdvvrig 6 &£0'

1) Vgl. Lipsius a. a. 0. I, 348—542.

2) VgL meine kritische Untersuchung der Offenbarung Johannis (Gotha 1891), S. 156. Mit meiner dort begründeten Auffassung stimmt zu meiner Freude Harnack a. a. 0. S. 666 ff. in der Hauptsache aberein.

206 ERBES,

hiyog vmI M/4oßog 6 ddelffdg avtofj inb ^lovdaiiov dyjjQi- drflav '. Wie richtig schon der Herausgeber der Fragmente deBoor (a. a. O. S. 177) erklärte: ,,e8 kann in Zukunft kein Zweifel mehr darüber walten, dafs Papias wirklich überliefert hat, dafs der Apostel Johannes von den Juden erschlagen worden sei'', wie wenig an die Möglichkeit eines mittelalterlichen Mifsverständnisses zu denken ist, bestätigt unser altes syrisches Martyrologium von ca. 375 mit seinem Zeugnis zum 27. Dezember: „Johannes und Jakobus, die Apostel zu Jerusalem '' '. Papias berichtete deren Tod durch die Juden daselbst wahrscheinlich im Anschluls an den Aus-

1) Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristl. Litte- ratur, herausg. Ton 0. Ton Gebhardt und A. Harnack Y, 2 (1888), S. 169 ff. Bei Georgius wird noch weiter gesagt: nlft^iaaag driXad^ fi(Tu toö adiXifoO jrjv roö XQtaroO negl avxGiv ngd^oriaiv xal r^ iavrOv dfiokoyCav ntQi tovrov xal avyxtttdd'(a$y.

2) Dieses Zeugnis, das schon für ca. 375, spätestens für 412 den Tod des Johannes und Jakobus ebenso nach Jerusalem verlegt, wie den des Petrus und Paulus nach Rom, bat Harnack a. a. 0. S. 666 leider übersehen, als er sich um die Erklärung der später auftretenden ent- sprechenden Angaben bemühte. So kann man schon eher glauben, dafs eine solche Nachricht über Johannes aus dem 2. Jahrhundert her- rührt und in einem Werke des Papias gestanden hat, das Ire- näus, Eusebius und viele anderen gelesen haben, ohne jene Angabe dort- her wiederzugeben. Wie obei fiächlich Ircnäus des Papias Mitteilungen im Proömium seines Werkes gelesen, hat schon Euscb festgestellt, die- sem aber heifst Kirchengeschichte III, 89 Papias atpö^Qa yÜQ tcm. a^iXQOi &v Tov voOVf und die kleinasiatischen Angaben über Johannes waren so einschmeichelnd, dafs die Besonderheit des Papias auf sich beruhen blieb, wenn man beim Lesen nicht überhaupt darüber wegglitt. Zudem bestand die Kenntnisnahme Ton manchen alten Sachen bei den Vätern daiin, dafs einer die Mitteilungen seines Vorgängers darüber las und ausschrieb. Dafs Job. 21 für Johannes im Unterschied Ton Petrus langes Leben und einen natürlichen Tod Torauszusetzen scheint, beweist in diesem späten Anhang schon dieselbe Verwechselung des Apostels mit dem in Ephesus alt gewordenen Presbyter Johannes, wie sie Harnack selbst ebend. S. 666 f. auch bei Irenäus und den Asiaten um 190 fiodet und nachweist, indem auch er es für sehr fraglich hält, ob der Zebedaide je nach Asien gekommen und dort länger als eine kurze Zeit geweilt habe. Auch Bousset, Kommentar zur Offen- barung Johannis (1896), S. 33 ff. kommt zum Schlufs, dafs es in Asien nur einen Johannes gegeben, den Presbyter, dafs hingegen der Apostel Johannes von den Juden in Palästina getötet worden sei.

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 207

Bpruch Jesu Marc 10, 39- Matth. 20, 23, welcher aber eben selbst ein blutiges Martyrium des Brüderpaarea ankündigte. So ergiebt sieb, dafs der vordem neben Johannes und Ja- kobus stehende Petrus wie dieses Märtyrerpaar zu Jerusalem notiert und dort als Märtyrer vorausgesetzt war, nicht zu Rom, wohin er unter Einflufa der röraiachen Zusammen- stellung erst nachträglich, nach der Zeit des Gregor Nyss. and Chrysostomus S. 2U1 f., neben Paulus eingetragen worden ist. Mochte die Feier der drei Säulen nicht eher zum 27. Dezember gesetzt seiu als Christi Geburt zum 25-, so war dafür ihr Martyrium längst, bis zu des Papiaa Zeit, beisammen in Jerusalem vorausgesetzt und gegeben.

Welches anderen Apostels Kreuzigung sollte man aber auch zu Jerusalem suchen als zweifellose Erfüllung der An- kündigung in den Worten Jesu zu den Juden Matth. 23, 34ff.: 6iä rofro i6oC iyai ärtooTtl-hit ^rgog tfiäg n^offifjXag vjxi oo- yoi>5 xai ygafifjareig- i§'_ariüiv aTtOAievEije (cf. Jaeobus) xa( OtavQbiOfie, üoi t's aiztüv fiaajtywoBXB iv Toig avvayiayaig stai ditli^ere dnö 7c6)~Ei>ig ug n6?.tvf ' Kann man bei dem letzten besonders an Paulus denken, der nach 2 Kor. 11, 24 fF, bekanntlich 5X39 Streiche von den Juden empfangen hat and aus einer Stadt in die andere getrieben wurde, so wissen wir, abgesehen von jenem Siraeon Klopas', der unter Trajan in Jerusalem gekreuzigt wurde hier aber wegen seiner späten Zeit nicht in Betracht kommen kann, von keines anderen apostoliaclicn Mannes Kreuzigung etwas so sicher als von des Petrus *, an den darum auch schon Hieronymus

1) Daü diese allertiimlithe Fassung ursprdiiglieher ist sts die ab- geglättete bei Luk. II, 49ff, habe ich mir aehon vor Jahren klar gc- macht und bt leicht einzusehen, Dafs die Vera 37 fo]|,'eDde Apostrophe an JerDsalem, das die Pro]>]ietcn änoirivii und steinigt, die zu ihm ge- undt sind, scbon ursprOnglich mit Vers 34ff. zusammenhing, ist nicbt iratirscfaeiDlicb . dafs aber iler Ausdruck änomfuiv auch KreuEigung bezeichnen kann, beweist er selbst Act S, 15. IThess, 3, 15 durch idne Dezeicboung de« Toilea Jesu.

2) Allerdings soll auch des Petrus Urudcr Andreas gekreuzigt vorden sein, aber in Patras in Griechenland. Die Angaben hierüber treten jedoch so spät auf, dafs dies „Martyrium" gar nicht aU alte bekunie Geschieht P, sondern nur als spilte Gleich mach ung des seit 357

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208 ERBK8,

bei der Auslegung von Matth. 23, 34 gedacht hat, obgleich er dessen Tod in Rom voraussetzte, den wir nun vielmehr unter den Juden in Jerusalem erfolgt sehen ^. Und wie Jesus vom römischen Landpfleger Pontius Pilatus gekreuzigt worden ist und doch mit gutem Rechte z. B. Act. 4, 10 gesagt wird; er sei von den Obersten der Juden genommen und ans Kreuz geschlagen, Act. 3, 15; 7, 52. iThess. 2, 15, vom Volk getötet worden, so konnte auch Petrus vom Land- pfleger Albinus zum Ereuzestode verurteilt und doch hin- gestellt und angesehen werden als eins der Opfer jüdischen Hasses und Verstocktheit, zumal wenn König Agrippa ü. auch noch dazu mithalf.

Sehen wir uns nun genauer nach der Zeit des Albinus und nach seinem Beginnen um, besonders bei dem zeit- genössischen Geschichtschreiber Josephus. Wie bereits er- wähnt, hatte der Hohepriester Ananus nach der gegenwärtig bei Josephus, Arch. XX, 9, 1, vgl. Euseb, Kirchengeschichte n, 23, 21 24, zu lesenden Erzählung die Zeit zwischen dem Tode des Festus und der Ankunft seines Nachfolgers Albinus benutzt, Jakobus den Gerechten und mit ihm riwir^

in Konstantinopel importierten und verehrten Apostels mit seinem in Rom Terehrten Bruder Petrus erscheint. Dafs der unter den Gedichten des Damasus stehende Hymnus auf denselben nicht Ton jenem Papst, sondern aus späterer Zeit herrührt, haben schon längst die Herausgeber gemerkt Vgl. noch Lipsius, Apokr. Apostelgesch. I.

1) Ehre, dem Ehre gebührt. Wie ich in Mamachis Ausführungen über Petrus (Neudruck, Roma 1872, p. 186) finde, hat im Hinweis auf eben die Stelle Matth. 23, 34 ff. kombiniert mit Job. 21 schon der Je- suit Harduinus in Comment. in Matth. ed. Amstel 1741, p. 81 be- hauptet, Petrus sei in Jerusalem gestorben und wenigstens sein Kopf sei später nach Rom gebracht worden. Diese Stellen allein waren frei- lich zum Beweise unzureichend. Bei der römischen Disputation im . Jahre 1872 hat sie Gavazzi gegen Rom geltend gemacht, zu Gunsten - lylons. Esser aber S. 167 f. meinte dieses Argument als „blenden Scheinwerk** darzuthuu durch Hinweis darauf, dals Cicero eini . einer Rede Torgab, er müsse leise sprechen, um nicht von den an- essenden Juden gehört und überschrieen zu werden, und dafs JuUus die Juden einmal wegen ruhestörenden Tumultes aus Rom wi< durch dergleichen eine Kreuzigung durch die Juden in Rom ei irde!

PETKUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 209

hiQOvg (bg 7caQ(xvo^i^avrag zu ergreifen, und hatte jenen, das anerkannte Haupt der Christengemeinde zu Jerusalem, schnell bereits getötet, als er von dem noch auf der Reise befindlichen Albinus auf diesem gewordene Vorstellungen hin nachdrücklich zur Ruhe verwiesen und von König Herodes Agrippa als dem Tempelaufseher eilig, nach nur neunmonatlicher Amtsführung, abgesetzt wurde und zwar im Jahre 62. Ist es nun natürlich, unter den anderen Ge- setzesübertretern, die mit dem Haupte der Christengemeinde zu Jerusalem ergriffen worden, angesehene und öffentlich hervortretende Glieder derselben Gemeinde zu verstehen, so liegt die Vermutung nahe, dafs darunter auch Petrus (und Johannes?) gewesen sei und Albinus ihn noch als Gefan- genen vorgefunden, ihn im Gefängnis gehalten und nachher zum Tode verurteilt habe ^ Ahnlich geschah es ja auch mit Paulus unter Felix und Festus.

War jedoch Petrus nicht gleich mit Jakobus ergriffen worden, ja befand er sich damals gar nicht in Jerusalem, so war nachher noch eine besondere Veranlassung für ihn, nach Jerusalem zu kommen, von Albinus ergriffen und ge- kreuzigt zu werden. Wie nach Euseb, Kirchengeschichte 111, 11 (loyog TLoreyei) die Überlieferung* berichtet, kamen nach dem wahrscheinlich im Herbst 62 erfolgten Mär- tyrertode des Jakobus alle noch lebenden Apostel, wie beim Apostelkonzil um 47, von überall her nach Jerusalem, um der ihres Hauptes plötzlich beraubten Muttergemeinde sich anzunehmen und ihr ein neues Haupt zu geben, wozu

1) Hierbei ist noch beachtenswert, dafs nach Hegesippus bei Euseb, Kirchongeschichte II, 23 Jakobus fifTä tCHv änoarolcjv, zu- sammen mit den Aposteln, unter denen nach Kircbengeschichte II, I zuerst Petrus und Johannes zu suchen sind, die Geinciude von Jer- rusalem leitete.

2) Nach J. Friedrich, Zur ältesten Geschichte des Primates in der Kirche (Bonn 1879), S. 21 hat Euseb diese wichtige Nachricht, welche sich im einzelnen wörtlich an eine Stelle des Hegesippus, Kirchen- geschichte IV, 22, anschliefse, offenbar aus diesem genommen. Wenn derselbe darin Recht hat, dafs Jakobus nicht nur Bischof von Jeru- salem, sondern der Universalkirche gewesen sei, so war die Wahl seines Nachfolgers nicht minder dringend.

Zeitschr. f. K.*a XXU, S, V4

310 ERBES;

denn einBtimmig Simeon Elopas' gewählt worden sei. Zwar setzt Euseb das selbst fievä %ipf lavuoßov ^aQtvqiar yuai t^ aitiyux yevofievriy äXioaiy rfjg ^leQOvaaXi^fÄ. Da der Tod de» Jakobus im Jahre 62, die Zerstörung Jerusalems erst im Jahre 70 erfolgte, kann man doch nicht annehmen, dafs in der Reihe kritischster Jahre dazwischen, wo die jerusalemische Gemeinde eines festen Haltes und Führers am meisten bedurfte, sie einen solchen nicht erhalten habe, nachher ohne solchen nach Pella (Euseb, Kirchengeschichte HI, 5) übergesiedelt sei, dafs die Apostel noch lange auf den Ausbruch des Krieges und sein schliefsliches Ende gewartet hätten, um der längst in Pella geborgenen Gemeinde endlich in jenem Simeon Klopas*^ einen Ersatz für den bereits vor mindestens acht Jahren ihr entrissenen Jakobus zu geben. Die Anhängung der Zerstörong Jerusalems an den Tod des Jakobus ist eine Epexegese, zu der Euseb verführt worden ist durch die Teleologie des Hegesippus, der bei ihm II, 23 an die fabelhafte Erzählung vom Tode des Jakobus anreiht: xal evMg OvBajtaaiavbg noXioqyuu xfjv lovdaiav alxf^aixotiaag avTOvg. Fällt so die zusätzliche Erklärung bei Euseb als irrig dahin, so ist es nur natürlich, dafs alsbald nach dem im Jahre 62 erfolgten Tode des Jakobus die Apostel und sonstigen Notabein zu- sammenkamen, um für die hart getroffene Muttergemeinde zu sorgen und zu beraten. Damals also mufste vor allen auch Petrus nach Jerusalem kommen, wenn er sich nicht schon dort, sondern vielleicht auf einer der von Gal. 2, 7 f. iKor. 9, 5. Act. 9, 32. 36; 10, 24 f. bezeugten Reisen in Syrien oder sonstwo, etwa in Babylon (S. 16 ff.), befand. Diese Zusammenkunft der Apostel ist kaum vor Mitte 63 zu setzen ^

Dazu kommt noch etwas besonderes. Nach Josephus, Arch. XX, 11. 1, war es im zweiten Jahre von Albinus' Nachfolger Qessius Florus, als im Mai 66 der Krieg ausbrach. Also war Gessius nicht vor Mai 64, nicht nach

1) Auch Weizsäcker, Das Apostolische Zeitalter, 2. Aufl. (1892), 8. 856 f. lä&t den Simeon gleich nach dem 62 erfolgten Tode des Ja- iDobus wählen, ebenso Wuttig, Das Johanneische Evangelium und seine VbfjRSSUDgszeit (Leipzig 1897), S. 119f.

PETRUS IN JESUSALKM GESTORBEN. 211

April 65, mithin wohl in herkömmlicher Weise um Eade 64 oder AnfaDg 65 nach Palästina gekommen. So wird der am 19. Juni 64 ausgebrochene Brand Roms und die daran etwa im August anech liefsende Verfolgung der Christen noch in die Zeit des Albinus gefallen sein. Mit Unrecht hat man aber gemeint, da die neronische Verfolgung wegen der Brand- Btiftang eine lokale Ursache gehabt habe, könne sie sich nicht über Rom hinaus ei-streckt haben. Zumal die Christen nicht wegen Brandstiftung, sondern nach Tacitua, Ann. 15, 44, odio generis humani conndi sunt, ist es nur zu natürlich, wenn dieses allen Christen gemeinsame „Verbrechen" auch aoTserhalb Roms von eifrigen Statthaltern oder fanatischem Pöbel nach Neros Vorgang „gerficht" und zu Chi-istenmorden benutzt wurde. Selbst wenn man die Christen in Asien und Griechenland ganz unbehelligt gelassen haben sollte, ist es an sich schon wahrscheinlich, dafs per Judaeam, originon ^us mall (Tac. 1. c.) in Verfolg der Resultate des römischen Chriatenprozeases ebenfalls eine Untersuchung , und zwar natürlich von dem mit Nero befreundeten und von ihm bald beförderten Landpäeger Albinus angestellt und als ein be- kanntes Chriatenliaupt auch Petrus festgenommen, inquiriert und nicht wieder freigelassen, sondern nach dem in Rom go- g«beneii allgemeinen Vorgang ebenfalls ans Kreuz geschlagen worden ist, Hierbei darf man noch daran denken, wie nach dem bei Sulpicius Severus Hiat. II, 30 aufbewahrten, wohl auf Tacitus und dessen Gewährsmann Antonius Julianua zurückgehenden, Bericht Titus den Tempel verbrennen wollte, um zugleich mit der jüdischen Wurzel auch den christlichen Schöfsling auszurotten. Bei dem Aufsehen der römischen Christen vei-folgung wäre es fast unbegreiflich, wenn man im Jahre 64 am Ursprung der todeswürdig befundenen Sekte keine Nachforschungen angestellt und nach ihren Häuptern in Jerusalem nicht gefragt hätte. In genauer zeitlicher Übereinstimmung damit berichtet Josephus Arch. XX, 9, 5: „Als aber Albinus horte, dafs Gessius Florus an seine Statt komme, wollte er das Ansehen haben, als hätte er denen zu Jerusalem auch etwas ge&lliges erwiesen. Er liefs daher e Oelaugenen vorführen, diejenigen, welche den Tod offent-

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212 ERBES,

lieh verschuldet, hinrichteD/' Unter den Ende 64 gefallenen Opfern des Albinus wird sich auch Petrus befunden haben, durch dessen Tod am Kreuze er ebenso denen zu Jerusalem als dem Nero zu Rom sich gefUUig erweisen konnte ^.

Am Tage ist also der historische Orund der Überlieferungi welche in den bereits um 190 verfafsten Petrusakten bereits entstellt und umgebogen vorliegt, wonach nicht Nero selbst sondern Agrippa und Albinus die waren, welche den Petrus in das Gefängnis und an das Kreuz gebracht haben. Da das Gciangnis Agrippas sowohl durch das Zeugnis der ka- nonischen Apostelgeschichte als durch die Flucht Petri mit der Erscheinung eines Engels des Herrn oder des Herrn selbst berühmt war, begreift sich leicht, dafs Agrippa in der Überlieferung noch amtlicher thätig erscheint als Albinus und diesen nur als beigeordneten Mithelfer zur Geltung kommen läfst. Da die Kreuzigung Petri zu Jerusalem Aus- gangs 64 der Zeit nach an die neronische Christenverfolgung sich anschlofs und wahrscheinlich in ursächlichem Zusammen- hange damit stand, so begreift sich femer, dafs Petrus auch als Opfer des Nero angesehen wurde. Und da die neronische Verfolgung in Rom unvergefslich blieb, so begreift sich end- lich, dafs Petrus als Opfer der neronischen Verfolgung in Rom gesucht, von Jerusalem dorthin versetzt wurde. In Rom aber, wo Nero der Kaiser (ßaaikevg) war, konnte Agrippa nicht König bleiben; nach den Rechtsverhältnissen von 190 mufste er bei der Übertragung als Stadtpräfekt mit Gefängnis und Hinrichtung zu thun gehabt haben, wo- nach für Albinus nur Stellung und Arger eines angesehenen Römers und Vertrauten des Kaisers übrig blieb (vgl. S. 184flF.) Dabei aber spielen noch aiuleie Verhältnisse mit, die fiir

1) Dafs ursprünglich Petrus, Jakobus, Johannes die Apostel zu Jerusalem zum 27. Dezember gesetzt waren, schien uns oben (S. 202 ff.) noch einen anderen Grund zu haben als das Vorausgehen tod Christi Geburt zum 25. Dezember. Der Todestag des Jakobus kann es nicht gewesen sein, wenn dieser im Jahre 62 vor Ankunft des Landpflegers Albinus vor dem Laubhüttenfest getötet worden ist Gar wohl aber pafst der Tag für deu Tod des Petrus kurz ror Abgang des Albinos, der spätestens vor Mai 65 erfolgte.

TETRUB IN JERUSALEM UKSTORBEN. 21

Jeniealem und Kom besonders hervorzuheben für unsere Zwecke dienlich ist.

Wie erklärt es sich denn also, dafa die Erinnerung an Petri Kreuz sich nicht völliger an seinem ursprünglich en Orte bewahrt hat?

i. Dort hatte Petrus unzweifelhaft so bedeutsam und so lange gen-irkt, so vieles erlebt als Apostel Jesu Christi und als Gefangener, dafs Tod und Grab des Jüngers daselbst nur untergeordnete Momente sein konnten, zumal noch vor- nehmere Männer dort starben.

2. In der Zeit, wo das alte Jerusalem noch stand, hatlen die Gräber solcher Männer überhaupt noch keine oder nur geringe Bedeutung und Autorität, zumal an dem Orte, wo das Kreuz und Grab Christi alles andere in den Schatten »teilte und Jakobus der Gerechte die anderen Junger über- ragte (Recogn. 1, 44), und zwar ao sehr, dafs er Recogn. 1, 68 episcoporiim jirinceps, 1, 7:( archiep'wropus heifst.

'S. Es geschah erst gegen Ende des '2. Jahrhunderts, vgl. Euscb, Kirchongeschichte V, 23. 24; 111, 31; II, 25, dafs man auf die noch an einem Orte vorhandenen Gräber apo- stolischer Autoritäten hinwies zur Bekräftigung, dafs sie dort wirklich gelebt und gewirkt hallen, was bei Petrus in Jera- salem durch das klare /eugnis des Neuen Testamentes tiber- fiUasig war, abgesehen davon, dafs die bischöfliche Reiben- folge nicht auf ihn, sondern auf jenen angesehenen Jakobiis, den Bruder des Herrn, zurückgefürt wurde.

4. Inzwischen war aber Jerusalem erst im Jahre 70 durch Titus, nachher im Jahre 135 unter Iladrinn noch einmal dem Erdboden gleich gemacht, die mit den lokalen fjnzelerinnerungen bekannte Generation entweder getötet oder nach Pella und sonsthin zerstreut worden, also wieder- holt ein blutgetränkter .Schwamm über alle Erinnerung an dnzelne Orte und Gräber gegangen. Wie Ilegesippus bei Euseb, Kirehengeschichte II, 2;J sagt, wurde wohl noch das Grabmal Jakubus' des Gerechten zu seiner Zeit beim Tempel gezeigt, aber dieser Jakobus hatte inzwischen ganz besondere Bedeutung als erster Bischof Jerusalems und zugleich Bruder Jesu und grofser Heiliger erlangt. Dazu ist mir bei aller

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314 ERBES,

Beschäftigung mit solchen alten Monumenten mehr als wahr- scheinlich, dafs dieses angebliche Grabmal des Jakobos nahe dem Tempel nicht auf Gh-und einer über 135 und 70 zurück- reichenden Ilrinnerung; sondern neuer Vermutung und Kom- bination dort gezeigt wurde, worauf denn die Späteren weiter phantasierten, nicht ohne sich über die Stätte zu ent- zweien, wie man bei Lipsius, Apokr. Apostelg. III, S. 248 ff. näher nachlesen kann ^

5. Nach der Zerstörung unter Hadrian gab es kein Jerusalem mehr; die kleine Kolonie, die sich auf seinen Trümmern erhob, verzichtete auf den alten Namen, die daran hängenden Erinnerungen und Ansprüche, und nannte sich Aelia, und die christlichen Bischöfe der Folgezeit nannten sich selbst Bischöfe von Aelia ' , also mit Verzicht auf die Prärogative Jerusalems. Während die alten Chronographen eine fixierte Reihenfolge der Bischöfe von Rom, Antiochien und Alexandrien zu geben wufsten, konnten sie für Jeru- salem nur einen wüsten Haufen Namen (bei Euseb, Kirchen- geschichte IV, 5. 6; Epiphanius, Haer. 66, K 20) geben, mit einigen Haltpunkten, die nicht viel Ordnung schaffen lassen ^ ! Wie von Hadrians Zeit an Juden das Betreten der Stätte Jerusalems strenge verboten war, so bezeichnet auch der christliche Geschichtschreiber Euseb, Kirchen- geschichte IV, G die Bischöfe von Hadrians Zeit an aus- drücklich als Heidenchristen im Unterschied von den voran- gegangenen Judenchristen. Es war dort ein neues Geschlecht hingezogen, das wufste nichts mehr von Petrus, und fühlte sich wohl mehr zu Paulus hingezogen, wenn es aufser dem Jakobus noch eine sonstige apostolische Autorität nötig hatte *.

1) Vgl. Schlatter, Der Chronograph aus dem zehnten Jahre Antonios, Texte und Untersuchungen XII. 1 (1894), S. 28 ff.

2) Euseb, Kirchengeschichte IV, I und dazu die Anmerkung des Valesius, ed. Heinichen (1827), I p. 300sqq. Vgl. auch A. Ilarnack, Die Zeit des Ignatius, S. 36.

3) Vgl. meine Besprechung von Schlatters erwähnter Schrift in der Theolog. Literaturzeitung 1895, S. 415 ff.

4) Die Kirche „Petri de galli cantu'* zu Jerusalem sUnd nahe bei

PETRUS IN JERUSALEM GESTORBEN. 215

Das ÜDgliick Jerusalema kam in mehr ala einer Be- z/ehuDg Rom trefflich zu statten. Da Paulus und Petrus als Häupter der Apostel nebeneinander zu stellen schon in apoBtolJBcher Zeit geläufig war (S. 25f), brauchte über Todes- ort und Grab des Petrus in Jerusalem nur wenig Dunkel und Schweigen hereinzubrechen, um in Rom zu behaupten, -w-o Paulus hingekommen sei, sei auch Petrus hingekommen, .ola Opfer der neronischen Verfolgung sei er in Rom ge- ^t:«rben, und zwar natürlich im Vatikan, wo bekanntlich die OTliristen meist am Kreuze geendet hatten.

Diese Reklamation für Rom tritt auch bezeichnender- * weise erst auf, nachdem das Schicksal Jerusalems sich volt- ^sxidet und etwaige lokale Erinnerungen und Ansprüche mit l>lutiger Hand weggewischt hatle, und sein Erbe anderen <I^rten zufallen mufste. Wie wir unter Beleuchtung der für i"Com noch nicht zeugenden Stelle des Klemensbriefes K. 5 ^^«seheQ haben {S. 13 f.), tritt erst nach der Zeit, wo Justin <lie auf der Tiberinsel aufgefundene Inschrift des altsabini- «chen Gottes Semo rSnncus auf den samaritanischen Simon ^laguB mifsdeutet, jedoch von einem Sturz desselben durch Petrus in Rom noch nichts weifs, also erst nach 147, in der ^^'t des Bischofs Anicet und des nachfolgenden Soter die Fortbildung auf, dafs Petrus den Magier nach Rom verfolgt »od dort besiegt und dabei dann naturlich mit dem doch ^uch in Rom befindlichen Paulus zusammen für die römische Gemeinde gesorgt habe. Dieses war tur Rom zu glorreich "ad nach den neuen Verhältnissen auch zu vorteilhaft, als •fafs es nicht baldigst mehrfach verwertet und verbreitet * Orden wäre. So wurde Petrus wie Paulus bald an die '''pitze der römischen Bischofsliste gestellt, um diese als 'PoBtolische Succcssion katholischer Observanz zu bekunden. •^ geschieht es in dem von Epiphanius Haer. 27, 6 auf- genommenen bis Anicetus reichenden alten Bischofsverzeichnis

i ugeblicheo Grab des Jukobus, und so könnte der Ort ursprllng* ''ch einem anderen Andenken an Petrus gegolten haben. Vgl. Lip- II. Apokr. Apostelg. 111, S. 249; A. Zahn, Dormiüo Mari» (1B99),

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216 ERBES,

(S. 2 ff.), 80 vermutlich auch in der Diadoche, die sich Hege- sipp bei Euseb, Earchengescbichte IV, 22 bis in die Zeit des Eleutherus machte, so auch in der Liste bei Irenäas, der III, 3, 2 f. ausdrücklich sagt, nachdem die Apostel Petrus und Paulus die römische Qemeinde gegründet und befestigt, hätten sie die Leitung zunächst dem Linus übertragen. Die- selben Leute, nachweislich Irenäus, Tertullian, Hippoljt und Andere, die seit Justin die Fabel von des Magiers Anwesen- heit und Verehrung in Rom gläubig weiter erzählten, über- nahmen ebenso bereitwillig den Petrus neben Paulus in Rom, wie er ihnen einmal im römischen Bischofsverzeichnis ge- boten wurde. Dafs beide Stifter in Rom gestorben und be- graben seien, sagt Irenäus nicht, und jene geschichtswidrige Angabe des Dionysius von Eorinth von ca. 170, der beide Apostel zusammen die korinthische Gemeinde gründen, dann gleicherweise in Italien lehren und zur selben Zeit den Mär- tyrertod sterben läfst (Euseb, Eirchengeschichte U, 25), schliefst jene Abfindung mit Jerusalem durch Heimholung der Leiche des Petrus nicht aus.

Das erste Auftreten Petri in Rom im Bischofsverzeichnis wird aber noch eigentümlich beleuchtet durch eine Notiz, die Epiphanius in der Form offenbar aus einer alten Quelle herübergenommen hat, da er sonst sich dem wohlbekannten römischen Sprachgebrauch anschliefst. Er schreibt Haer. 41, 1 von dem in Rom auftretenden Häretiker: S K^qöcov iv XQ^^^^S ^Yyivov yiyoiev f.7naA.6jcov voC ewatov * zX^^ov üyovvog dnö zT^g iCjv tzbqI ^Id'Acoßov v,al IlivQOv Aal IlaC' lov aTtoavoktüP öiaöoxfjg^ Hier wird zu Petrus und Paulus

1) Entsprechend lesen wir jetzt auch bei Irenäus I, 27, 1 (ed. Stieren p. 256): K^q^ojp <f^ rig . . . IjudrifAriattg iv rj 'Putftr^ inl ^Yyivov, twarov xXfjQov jfjg iniaxonixfjg ^ittSo/fjs and tCüv anoajokfav t^ovrog. Dafs hier die neunte Stelle für Hyginus, der in der zusammenhängenden Aufzählung bei demselben Irenäus III, 3 an achter Stelle itnb xBv änoaroXwv steht, eine vorcyprianische Korrektur ist und mit der in- zwischen erfolgten Einschiebung eines Anacletus nach CIctus zusammen- hängt, ist in m. Todestagen S. 9 ff. noch einmal dargethan. Auch 42, 1 sagt Epiphanius bei der Zeitbestimmung von Marcions Ankunft in Rom von Hyginus: ovxog <fi Iwaxog rjv änd Uitgov xal ITavXov Tfi)v äno-

PBTBrS IN JERUSALEM OESTORBEN. 217

als Mitbaupt der römischen Diadoche sogar auch Jakobua angeführt, der doch nie in Rom gewesen , gescLweige dort gestorben und begraben ist. Valesius bemerkt bei An- Tührung dieser Stelle zu Euaeb, Kirchengeschichte III, 21 zwecks Hochhaltung des einzigen Petrus: Si quis ex hoc hco cotitenderel, Jacobum fuisse episcopum urbis lioniae una cum Petro, IS profccto riäiculus haherelui: Idcm quoque puian- dutn est ile PauJo. Läcbeilich ist nur diese Sorge für Wah- rung einer Sonderslellung des Petrus im Unterschied so- wohl von Paulus als von Jakobus. Denn während bei £pipbaniuB selbst Haer. 27, 6 iv 'lÜf-ii] yeyövaai tiqüioi JltTpog ».ai UaTlog oi drröatoXoi avtoi xai irria/.orcoi, liegt in den alteren Urkunden aus der Zeit der Marcellina und «iöB Irenäus nur die Ansicht vor, dals die Apostel Petrus und .faulua die römische Gemeinde gegründet und organisiert und «len Linus zum ersten Bischof eingesetzt haben und nicht bleibst Bischöfe waren (S. 2 ff.). In unserer Epiphaniusstelle 3kOmmt nun durch EinbegrifT des Jakobus sozusagen der dog- 3iiatische Pferdefufs der Theorie zum Vorschein, die sich ein Üiistorisches Aussehen zu geben suchte. Nachtritglich ist denn .^uch dem Valesius ein Licht aufgegangen, dafs er hinzufügte : ^Ua qttoque ejus rci antsn a/fcrri polest, (^iiocl enim n/i uno ^timtolo ijcsUim est, kl ah oumibns apontolls simxd gestum esse ^icitur, ob collegütitt li consortium apostolorunt . . . Ecclesia plaque ab nno aposlolo furulnla ah omnibits simul apostoli's recie dicitur consHtiUa. Wo also eine Gemeinde von einem ■Apostel gegründet war, konnte sie sich eine apostolische Gründung nennen und ihren Ursprung und ihre Lelu'e auf ''ie Apostel generell zurückführen, und der Schüler eines Apostels wurde zum ApostelschUier ^ fia!)'TjTt]'g iiüv d/ro- '^^tiJUov. So zählen auch die Bischöfe von Jerusalem ä.rö *"**>» u!ToaiäXojv bei Euseb, Kirchengeschichte IV, 5; V, 12, otfcgleicb nur Jakobus dort ihr Vorgänger gewesen ist. •^'ährend noch Ilcgesippus bei Euseb, Kirchengeschichte ^*, 2'.i sagt: öiaäixf-toi r»)i' l/./.h\a!av fictä tOv ä.-toot6lwp " äüü.tfiis toü Y.VQI01- 'luMoßog, macht daraus Hieronymus ^e vir. ill. c. 2: sus'^epit ecclesiam Hkrosolywae }iont apo- ^otos frtUer Domini Jacobtts, macht er also aus „mit" ein

218 ERBESy

,,nach'' den Aposteln; so heifst z. B. auch Polykarp bei Irenäos III, 3, 4 ov fudvov ijtb äjtoatdhav fia^vev&eig . . . ^kXa TLal inö ärtoavdhav yuxzaaza&elg elg tijy Aaionf ev z^ JSfiVQVTj E'A'/Xrialff imaycoTcog. Sagt ähnlich der Klemensbrief K. 44 : Ol dndüxoXoi fnidv . . . yiaviatrflav robg nqoBiqri^ivovg^ iMxl ju£ra|^ BTtivo^^v kdwyuxv, S^ttog iäv "Mi^r^&CkJiv diadi^arv- Tat VceQOL dedo'Aifiaafiiyoi ävdgeg xi/v iBiTOVQyiav adrOy^ so konnte an einzelnen Orten nur Ein Apostel gemeint sein und schliefslich doch mehrere gesucht werden. Wollte man nun die dogmatische Autorität der Apostel und der StAccessio apostolica durch Namen bezeichnen ^, so gaben sich als Re- präsentanten der Apostel naturgemäfs die hervorragenden, Paulus und Petrus, Jakobus und Johannes. Alle diese vier finden sich thatsächlich för Rom reklamiert, und von des Johannes Olmartjrium in Rom hat noch Tertullian so viel zu erzählen gewufst, dafs man sich nur wundem kann, diese Autorität nicht mehr fär die apostolische Succession Roms festgehalten und ausgebeutet zu treffen. Doch „in der Be- schränkung zeigt sich der Meister ^^ So durfte man auch in Rom nicht alle apostolischen Berühmtheiten fiir sich belegen, sondern war zufrieden, neben Paulus noch Petrus als Grün- der, den Romulus und Remus entsprechend, sich zu sichern. Dies waren ja nachgerade die Häupter der katholischen Christenheit und eine doppelte Schnur, die zunächst doppelte Dienste leistete und um so besser hielt. Aber nachdem sie ihre Dienste gethan hatte und man nicht blofs eine aposto- lische Succession, sondern etwas Besonderes, den Primat des Petrus für sich begehrte, so mufste dieser Eindringling als eigentlicher Gründer und erster Bischof Roms mit möglichst langer Amtszeit aufgeführt werden, und war fUr den doch besser bezeugten Paulus neben ihm kein gleichberechtigter Platz mehr. Bereits in der Zeit Viktors und seines Streites mit den Asiaten um 190, spätestens des Zephjrinus, 199

1) Vgl. auch die Mitteilung des Epiphanius 27, 2 über die Prä- teoBion der Häretiker: äkXoi dl l( airtOv oiix Vijaod (paa$v, Alka IHtqov xaX ^AvdQiov xa\ JTavXov xal tOv XoinQv itnoaröktov iavrovg vnt^

PETRUS IN JERl'SALEM QESTOBBEK. 219

bis 215 (vgl. S. 170), hat die Dogmalik und Herrschsucht 60 sehr über die Geschichte gesiegt, dafa Paulus „in Be- ziehung auf das rümische Bistum eliminiert und das Amt an Petrus geheftet worden ist", mit Harnack a. a, O, ö. 705 tu reden.

Ftir den entwickelten Lauf der römischen Dinge sei noch einmal (vgl. S. 7 (F.) aufmerksam gemacht auf die wich- tige Verhandlung mit Anicet, zu der der bochbetagto Poly- karp von Smyma kurz vor dem Ende seines Lebens im Interesse der Einheit der weidenden katholischen Kirche um 153 sich nach Rom bemüht hatte, wobei zwar in betreff der Passahfeier keiner den anderen von der Überlieferung und dem Brauch seiner Vorgänger zu sich herüberzog, sie aber sich Bruderhand und Kufs nicht vorenthielten und ein Schisma der Kirche vermieden '. Da Rom fortan den Apostel Petrus und Asien den Apostel Johannes für sich in Beschlag nahmen , die beide ursprünglich nach Jerusalem gehorten, und diese zwei auch im Nachtrag zu dem in Asien eulstiin denen Johannesevangeliuni ao zweckvoll (S. 8 f.) neben- ei!:andcrgestcllt sind, su scheint es fast, als habe man sich damals auch über die Teilung der Erbschaft des verflossenen Jerusalem verständigt, so dafs Rom die Autorität d&j Petrus wie Paulus zugestanden cihiclt, hingegen Johannes in Asien auerkaunte und dessen von TertiilÜan de praescript. c. 3G auch für Roms Ansehen geltend gemachtes Olmartyrium da- selbst nicht weiter verwertete.

Versuchen wir nun eine Zusammenstellung der Umstände, durch die bereits in derselben Zeit, wo der Hirt des Herraas über nfbizoxaUEdßliat und über Streitigkeiten 7itßi rtQiu- uiag klagt ', Petrus nachgerade neben Paulus iu Rom an- gezeigt scheinen und sich Bahn brechen konnte, obgleich «r ursprünglich nach Jerusalem gehörte.

Vorab ist der allgemeinen Thatsache zu gedenken, dafs

1) FQr die ^. tO RFi/ebeue Deutun<r des Netzes, dus niol tei noch erioncrt, iah Mütth. 13, 47 schon das Htminetreich i Neue verglichen wird.

2) Vi«. III, 9. Sim. VIII, T; IX, 23.

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220 ERBES,

noch bevor ein Polykarp, Hegesipp, Justin unter Anicet oder schon semem Vorgänger nach Rom kamen; wie die registrierten Ketzer Valentinus, KerdO; Marcion, Marcellina, so auch viele rechtgläubige und darum nicht so notierte Qröfsen in Rom erschienen, ihre Kanzel aufschlugen oder sich sonst umthaten und bestimmte Zwecke verfolgten : dafs alle strebsamen Qeister, alle höheren Kräfte der Christenheit in der Hauptstadt der Welt zusammenströmten, „als ob Rom das Feld der Entscheidung wäre über den Glauben der ganzen römischen Welt'^ In einer solchen Zeit war natürlich zu meinen, der Zug der christlichen Geister sei schon vordem so auf Rom gerichtet gewesen, mufste es un- glaublich erscheinen, dafs das Haupt der Apostel nicht nach der Hauptstadt der Welt sollte gefragt und sich hinbemüht haben. Zumal unter den ältesten Christen Roms manche gewesen sein mochten, die (unter den Libertinern in Jeru- salem) den Petrus gesehen und gehört und wohl gar von seinem Kreuzestod erzählt haben mochten, ergab sich so schon a priori der Schlufs, dafs auch der Apostelfürst wie so viele anderen in die Weltstadt gekommen sei. War doch der Beweis des Gegenteils nicht leicht zu führen und in niemandes Interesse. Wie man später sonstigen Mangel an Nachrichten leicht erklären konnte mit dem Hinweis auf die Verfolgungen und ihre Vernichtung von Zeugen und Ur- kunden, 80 konnte auch schon die neronische Verfolgung und Vernichtung der römischen Gemeinde herhalten. Zu- nächst brauchte auch Petrus nur einmal selbst kurze Zeit in Rom gewesen zu sein, so war damit niemand zum Wider- spruch gereizt und schon genug gesichert: Tod und Grab fand sich dann später fast von selbst. Crescü fama eimdo!

Doch boten sich bei der allgemeinen Tendenz noch be- sondere Handhaben genug.

1. Da Petrus im Briefe 5, 13 aus Babylon Grüfse an die Kleinasiaten bestellt hatte und nach der Zei-störung Je- rusalems und der neronischen Christenverfolgung Babels Name auf Rom übertragen und gedeutet wurde , schon Apoc. 17, 5; 18, 2. 10. 21, so ergab sich hieraus, daf&^ Petrus in Rom, weil in Babylon, gewesen sein mufste.

PETRt'8 IN JEKU8ALEM GESTORBEN. 321

Da Petrua zugleich eineii Orufs von seinem Sohn Markus bestellt bat, so macMe es sich gut, dafs derselbe vielleicht vordem mit Barnabaa in Rom gewesen war {S. 32 f.), dafs schon Paulus 2 Tim. 4, 11 den TiraotheuB gebeten hatte oder gebeten haben sollte, den Markus mit nach Rom zu bringen, wo er also für die spätere Verbindung mit Petrus nur vor- ausgesetzt zu werden brauchte.

2. Die Aufzählung der Schicksale des Petrus wie der des Paulus in dem nachher in Korinth, Rom und sonst so deifsig gelesenen und verwerteten romischen Briefe unter Clemens' Namen K. 5, und die ebenda K. 4^ stehende Be- anerkung, dafs „unsere Apostel" zukünftige Streitigkeiten Toraussahen und deshalb anordneten, dafs nach ihrem Tode ihnen andere bewährte Männer im Amte folgten, beides kom- liiniert IJefs folgern, dafs Petrus so gut wie Paulus in Rom gewesen und dort gestorben seien und die Nachfolger so- wohl den Linus als den Kleraens selbst ! eingesetzt hätten.

,"). Die so falsche Deutung der Inschrift des Semo Sancus auf den nach Act. 8, 9 ff. von Petrus in Öamaria bekämpften Simon Magus ergab die Notwendigkeit, dafs dieser Erzketzer nicht zuletzt in Rom ungestraft triumphiert haben durfte, sondern von Petrus zur Vollendung seines in Samaria be- gonnenen Werkes nachgerade endgültig dort geschlagen und gestürzt worden sein müsse. Dies wies den Petius nach Rom auf den Schauplatz der Thaten, die die Späteren fleifsig ausmalten und retouchierten.

4- Da Ketzer wie Marcion einen Widerstreit zwischen Paulus und Petrus nach Gal. 2 , 1 1 if. selzlen und hervor- hoben ', führte auch dieses dazu, kathohscherseits seit Mitte des 2. Jahrhunderts den Einklang beider , gemeinsames Reisen , Wirken und Sterben zu erschllefsen und zu kon- statieren, in ähnlicher Weise, wie die Apostelgeschichte die beiden Apostel in durchgreifender Parallele und geistiger Verwandtschaft und Einmütigkeit geschildert hat.

5. Dazu half nicht blofs die sonst schon (Gal. 2, 7- 1 Kor.

1) Vgl. Orerbeck, Über die Auffusung des Streits des Paulus mit PetTUB in Antiochien bei den Kirchenvätern (Basel 18TT), S. 7.

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222 ERBES,

3; 22) übliche NebeneinanderstelluDg der Häupter der MissioD unter den Heiden und Juden , sondern auch der Umstand^ dafs Paulus von Nero, Petrus aber zur Zeit der neronischea Verfolgung und wohl im Zusammenhang mit ihr im Jahre 64 getötet worden war, mithin als ein vornehmes Opfer der- selben erschien, danach unwillkürlich an den bekannten Ort der neronischen Christenverfolgung nach Rom auf den Va- tikan mit seinem Kreuze versetzt wurde '. Wie dabei die Erinnerung an die wirklichen Feinde und Mörder des Petrus^ an Agrippa und Albinus, übertragen und mit Nero kom- biniert wurde, ist hinlänglich deutlich geworden.

1) Es ist kein so übler Kunstgriff Essers, a. a. 0. S. 39, Lipsius vorzuschlagen, einmal eine „Grundschrift'' zu veröffentlichen, etwa des Inhalts : Napoleon I. sei zu Berh'n gestorben und zwar vor des Königs und einer ungeheuren Menge Augen unter den Linden an einen Galgen gehangen worden l" und zu fragen: „Würden ihm die Berliner wohl ein Wörtlein hiervon glauben?" Aber sind die hellen Berliner auch Römer? und ist nicht Napoleon I. in ganz anderer Weise eine weltbekannte Persönlichkeit, als es der bei seinem Tode nur den wenigen Christen etwas bekannte Fischer aus Galiläa war? Um jener neuen Mär ana- logen Eingang zu verschaffen, müfsten billigerweise aber erst noch fol- gende Bedingungen erfüllt sein. 1) Müfste Napoleon auch wirklich an einen Galgen „gehangen'' worden sein, so dafs dies Faktum nur nach Berlin zu verlegen wäre, 2) müfsten in Berlin im selben Jahre wirklich mehrere tausend Franzosen und darunter möglichst auch ein Bonaparte unter den Linden also umgebracht worden sein, um den Napoleon leicht ebendarunter setzen zu können, 3) müfste nicht Lipsius, sondern in Ermangelung eines Berliner Bischofs der Papst den Inhalt der „Grund- schrift" urbi et orbi bekannt geben, 4) müfsten die Berliner durch den intendierten Tod eine derartige Acquisition machen, dafs sie mit den Römern um die Wette sängen: 0 felix Berolinum fundatum tali sanguine! 5) müfste Esser nach 500 Jahren einmal wiederkommen und sehen, wie viele die neue Kunde gläubig aufgenommen hätten und nach- sprächen und ausschmückten.

Der Jesuitenpater Cornoldi (Tre conferenze sopra . . . S. Pietro in Roma [Roma 1872], p. 8 sq.) schiefst den Vogel schon ab mit dem „lo- gischen'* Argument: „In diesem Jahre 1872 behauptet die katholische Kirche, dafs S. Petrus nach Rom gekommen ist und die Kirche dort gegründet hat: also kam er in der That nach Rom und gründete dort die römische Kirche". Denn dann habe man dasselbe auch schon im Jahre 1800, 1700 ... 100 behauptet Nach derselben blinden „Logik" müfste der Rhein schon an seiner Quelle ebenso viel Wasser haben als bei Düsseldorf. Denn die Nebenflüsse sieht diese Logik nicht.

PETKL'S ly JERrSALEM GESTORBEN. 223

6. Da lür den Todestag des Paulus der 22. Februar be- kannt war, und von einem andern Tage für den Tod des Petrus in Rom nichts bekannt war, ei^ab sich von selbst der Schlufs, dafa beide von Nero getötete Apostel an jenem Tage im Tode vereint worden seien.

7. Da Leichnam und Grab Pauli in Rom vorhanden waren, von Petrus aber beides daselbst merkwürdigerweise bis 170^180 noch unbekannt war, und wohl noch in Je- rusalem vorausgesetzt wurde, half man sich erst mit der Erklärung, bei dem Kreuzestode Petri in Korn seien plötz- hch Männer aus Jerusalem aufgetaucht, welche seinetwegen gekommen seien und seinen Leichnam heimgeführt hätten, wie Ähnliches auch sonst geschah.

8. Doch schon um 190 war man fortgeschritten zur Ent- deckung eines marmornen Sarges mit den Gebeinen des Petrus, neben der Ruhestätte des Paulus an der appischen Strafse, so dafs fortan nichts hinderte, ihn von Anfang an dort begraben zu lassen, unter Vereitelung jenes „Raub Versuchs".

9. AU aber im Jahre 258 die valerianische Verfolgung die Gemeinde schärfer bedrohte und es galt, die Leute für die bevorstehende Priifungszeit zur Geduld und Treue zu ermahnen, wählte der Bischof Sixtus in der ihm noch zur Verfdgung stehenden Frist den 29. Juni, einen alten Feier- tag des Quirinus, um an der Ruhestätte der Apostel diese als Vorbild der Geduld und Treue bis in den Tod vor Augen zustellen und zur Nacheiferung anzufeuern (S. 38 f). An diesem Tage wurde fortan die Feier wiederholt und bald der Tod der Apostel gedacht, der bisherige Todestag der Apostel, der 22. Februar, aber wurde der Tag, an welchem die Cathedra Pctri als Erbteil den Nachfolgern zugefallen sein sollte, während der vermutlich sonsther (S. 46 f) stammende IH. Ja- nnar nachweislich schon um 255 als der Tag galt, an dem Petrus selbst zum erstenmal von dem römischen Stuhle Be- sitz ergriffen habe. Nachdem die konstantinische BasiUka an der Stätte des neronischen Scliauspiela im Vatikan voll- endet und die Reliquien von der appischen Strafse um 357 dorthin übergeführt waren und die Bischöfe seit Leo dort beigesetzt wurden, tauchte bereits im Papstbuche vom Jahre

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224 ERBES;

530 die Angabe auf, Petrus sei von Anfang an der Sieges- stätte im Vatikan bestattet gewesen, und seine nirgends sonst mehr auffindbaren ersten Nachfolger neben ihm.

Solche Wandlungen weist die Qeschichte des Petrus auf, 80 ist eins aus dem andern geworden, eins zum andern ge- kommen. So hat die Legende ihre mitunter recht absichts- vollen Fäden weiter gesponnen und damit die wirkliche Ge- schichte überdeckt und entstellt. Die Aufgabe der Qe- schichtsforschung aber ist es, die ursprüngliche Wirklichkeit und Wahrheit hervorzuziehen und zur Geltung zu bringen '.

Exkurs zu S. 27 f. 173.

Die Bestimmung der ron Paulus aufgetragenen OrQlj^e

B»m. 16, 3-15.

Im 16. Kapitel des Bömerbriefes liegt offenbar „musivische Arbeit" vor *, wie jeder zugestehen wird , der die befremdliche Zusammenstellnng Qberblickt. An die Empfehlung der Schwester Phöbe Vers 1 2 reiht sich Vers 3 15ein langes Verzeichnis vieler Personen, die von den Lesern gegrüfst werden sollen, und darauf heifst es Vers 16: ,,es grüfsen euch allo Gemeinden Christi". Hieran würde sich gleich gut schliefsen Vers 21 ff. „es grQfst euch Timotheus und Lukas" u. s. w. Statt dessen folgt Vers 17 20 eine kräftige Verwarnung vor Irrlehrern, an die Vers 20 der Segens- wunsch gefügt isty darauf kommen erst die Grüfse des Timotheus

1) Da Petri Anwesenheit und Tod in Rom katholisches Dogma ist, so weifs ich im voraus, was von dieser Seite zu erwarten ist Gegen die genauen Nachweise in meinen „Todestagen der Apostel" wenig* stens hat der römische, de Waal offenbar fern stehende und mit den Fragen selbst wenig vertraute Rezensent in der „Litterarischen Rund- schau für das katholische Deutschland** 1900, Nr. 3, S. 80 f. nichts vorzubringen gewufst als einige Behauptungen, die längst widerlegt, und einige Fragen, die im voraus beantwortet waren, dazu einfältige Redens- arten und die beste Bestätigung meiner sehr begründeten Bemerkung über römische Archäologen (vgl. oben S. 38, 1 ; 41, 1).

2) Vgl. Mangold, Der Römerbrief und seine geschichtlichen Vor- aussetzungen (Marburg 1884), S. 136 ff. Ferner Hans Luchts scharf- sinnige Untersuchung „Über die beiden letzten Kapitel des Römerbriefs*', Berlin 1871.

EXKlTtS CbEB RftM. Ifi, 3-lJ. 225

und seiner Genoasen Vers 21 2 3 und Vers 24 nochmals der Segens- wunsch, nnd schlieralicb die Doiolngie Vera 25 27, welche ohnehin fast allgemeia aJB spaterer Zasatz angesehen wird. „So schlecht geordnet hat Paalus auf keinen Fall die SchlnrsausfOhrnngen seines Kömerbriefes aneinander gereiht", sagt Mangold mit Recht

Uns interessiert hier besonders das lange Verzeichnis der auf- getragenen GrOfse, das eingefügt ist zwischen die Empfehlung der Pböbe und die auch 1 Kor. 16, 20; 2 Kor. 13, 12 wieder- kelirende Aufforderung: GrDfEet einander mit dem heiligen Kufs.

Da der Apostel mich 1, 7 den Brief ausdrücklich iillen (nJaiv) Gläubigen ta Rom echreiht, ist es schon logisch ganz unbegreiflich, wie er also allen Römern auftragen kann: GrQfaet mir die 25 Personen nebst den Gemeinden in ihren Hfiasem und alle Heiligen mit ihnen. Diese zu grüf^enden I<eute waren doch ebenso Em- pränger des Briefs wie alle anderen. Ja da ihre Zahl auf minde- stens 50—100 zu schätzen ist, erscheint es sogar fraglich, ob nnch andere, gar namhaftere Leute außer ihnen zur rümiachen Christengemeinde gehörten. Weder den Galatern, noch den Eo- rintbern, nnch den Tbea^alonichern trägt Paulus auf, einzelne Glieder ihrer Gemeinden namentlich zu grüfsen. Dafs die Ko- losser 4, 15 geheir^en werden die Brüder in Laodicöa zu grüfi-en, und Timolheus andere Leute, hat ebenso gnten Sinn, als wenn die Pliilipper 4, 21 aufgefordert werden, jeden Heiligen in Christo lu grOräen. Sehen wir auch davon ab, dnfs der Apostel die Glieder der römischen Gemeinde weniger kannte, als die jeder anderen, an die er geschrioheD, so bleibt die Frage, wer von allen Empfängern dos ß>'>merb tiefes tibrig blieb, die namhaft gemachten Leute von Punlus zu giüfsen, ohne selbst von ihm gleichfalls ge- grUfi^t lu werden.

Es war darum ein gnter Gedanke Semlars, in denjenigen, welchen Paulus die Gröfne Vers 3 ff. auftrügt {iianüiraaltt), nicht die Römer tu sehen, sondern die Überbringer des Biiefs. Nun hefrind sich aber das zuerst ta grUfsende, wohl verdiente Ehe- paar Aqiiila und Priaka noch in Ephesns, als Paulus den ersten Ko- liotherbricf 16, ID schrieb. Ist es auch nicht unmöglich, dafs sie in weniger als Jahresfrist bis zur Abfassung des ROmerbriefes nach Bom zurflckgekehrt waren und auch dott in ihrem Hause eine Gemeinde versammelten, so folgt doch Vera 5 Epünetus, welcher der Erstling Asiens heifst und nicht ohne Not sonstwo zu sucheu i,L So führte Semlers Annahme zu dem Kuriosum. dafs die Cherbringer des Briefs auf ihrer Heise von Koriuth niicU Rom in Rpbesus erste Station gemacht haben sollten, um die dri^i ersten Grüfte dort anzub:ingon. Ein zn grofser Umweg zum Ziel!

Wie weiland der PcrserkOnig den llerg Athos, an dem seine Flotte gescheitert war, zur Vermeidung der immer noch drohenden

ZriUckr. r. K-O, Xllt. y. U

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226 ERBES;

Widerwärtigkeit durchstechen liefs, so haben neuere Gelehrte Ven 3 6 bezw. 1—6 ausschneiden wollen als hierher geratenes Frag- ment eines ursprünglich nach Epbesus geschriebenen Briefs; an- dere haben gleich das ganze Stück Vers 1 20 dorthin versetzen wollen. Indes folgen zunächst dieselben Schwierigkeiten nach Epbesus, die wir oben bei der römischen Gemeinde fühlbar gemacht haben. Sodann mag Bom sich manchen Banb angeeignet haben, aber warum sollte es bis spätestens ca. 160 so begierig sich GrOfse an einen fremden Ort aneignen, zu einer Zeit, wo man über die genannten Personen und ihren wirklichen Wohnort doch noch ge- naueres wissen konnte? War das nach Bom selbst gerichtete Verzeichnis noch nicht lang genug, so konnten ja mit Leichtig- keit noch ein paar vermifste römische Berühmtheiten wie die 2. Tim. 4, 21 aufgezählten Eubulus, Pudens, Linus, Claudia einge- reiht und gegrüfst werden. Warum liefs man dann auch bei Epänetus das verräterische „Erstling Asiens *' stehen, statt es zu streichen oder zum „Erstling Italiens" zu emendieren? Dafs man nichts änderte, beweist, dafs man in Bom der ursprünglichen Be- stimmung für Bom sicher war. Auch ist ja von dem postulierten Brief an die Epkeser sonst keine Spur zu entdecken, auch nicht in Vers 17 20. Ein Knoten aber will nicht zerhauen, sondern gelöst werden.

Angesichts der berührten Schwierigkeiten ist es nicht zu wundern , dafs Baur und Volkmar ^ zum Schluls gekommen sind, aus einem alten Verzeichnis der ersten römischen Gemeinde seien die Grüfse später herausgearbeitet worden, um den Schein zu erwecken, als sei Paulus mit den Leuten allen bekannt und befreundet gewesen. Trefflich zu statten kommt dabei der Um- stand, dafs man Vers 11 joig ix xtiv NuQxioaov joifg ortag ir xvgiiü längst für gläubige Sklaven oder Freigelassenen jenes Nar- cissus ansah, der des Kaisers Klaudius mächtiger Minister war, aber seit 54 nicht mehr unter den Lebenden weilte und keinen Hausstand mehr hatte. Dazu will ich noch fQgen, daß es sehr nahe liegt, Vers 10 rovg ix jujy !/4gtaToßotXov für Leute jenes Herodäers Aristobulus anzusehen, der ebenfalls im Jahre 54 aus Bom schied, weil er von Nero zum König von Kleinarmenien ge- macht worden war ^. Da der Vater desselben jener Herodes von Chalkis (gest. 48) war, so ist es sogar möglich, dafs der Christ- glaube der Leute zusammenhing mit jener Luc. 8,3 bereits Jesu selbst nachfolgenden Johanna, der Frau des Chuza, des Verwalters des Herodes. Damit könnte man auch den Namen des Vers 11 folgenden jüdischen Herodion in Zusammenhang bringen.

1) Baur, Paulus, 2. Aufl., II, S. 404ff. Volkmar, Paulus' Bömerbrief (Zürich 1875), S. 55 ff.

2) Vgl. Tacitus Ann. 13, 7, Josephus Arcb. 20, 8, 4, vgL 14, 26.

EXKURS t'BER ROM. 16. 8-15. 227

Es will DDD Dicht viel beirsen, iah nach dem Corpua Inscrip-

tioDum der Name Aristobulus und Narcigsus auch norh andere Trftger, Dud dazu auch Kn anderen Orten, geliabt habe. Man mOfste solche andere Träger der Namen nachweisen, die nicht blora um dieselbe Zeit gelebt, sondern auch einen grofsen Haua- stand gehabt. Thabiächlich gab es nach einen zweiten kaiserlichen FreigelasGenen Natciitsas, der nach Dio Casstus 64, 3 nie Helios, Patrobiua und die Locusta bei Nero viel galt, also auch ein reicher Mann und Besitzer eines grorsen Hausstandes war, und erst im Jahre 69 von Galba hingerichtet wurde K Fällt so die von diesem Namen druheude Schwierigkeit we^, so bleibt ea aebr denkbar, dufs jener im Jahre 54 zum Känig beförderte Aristobulns ans Freude Ober sein GlQck einen Teil seiner Sklaven frei und so in Eom zurück liefe, (.der dafe er im Jahre 60/61, wo der parthische Krieg unter Korbulo kiaflig vorbereitet urd die Verwaltung Asiens neu geordnet wrrde, wieder mit Gefolge in Rom weilte.

Von den verschiedenen Prädikaten, die den verschiedenen Personen beigelegt werden, erscheint am schwierigaten, daß Paulas Ters 7 den Andronikus und Junia seine Mitgefangenen (ui'i'nipfjKaXu!- lovjl nennt. Da die früheren <fv7.axui in Ephesus Act 19, 2Kor. 1, SIT. oder in Philippi Act. 16. 23fr. oder sonst immer nur kurze Zeit dauerten, ist eigentlich nur an die Gefangenschaft Pauli in Casarea oder Rom selbst zu denken. Aber als Paulus den Gdmer* brief schrieb, kennte er ja von dieser Gefangenschaft noch keine Ahnung haben! Will man daher hier nicht einen Späteren einen Anachronismus begehen lass^eD, so weist auch dieser Ausdruck wie die vorausgesetzte Anwesenheit des Aquila und der Priska nnd des Erstlings Asiens in Bom die GrOfiie in eine spStere Zeit, wo Paulus selbst schon ein Gefangener war und eine besondere Veranlassung hutte, so viele Leute in ßom namentlich grQfsen lU lassen. Oberblicken wir also die Geschichte.

Als Paulus Act. 25, 11 in Cäsarea an den Kaiser appellierte, erklärte ihm Festns: zum Kaiser sollst du reisen. Gleichwohl hielt der Landptleger ihn noch einige Zeit zurück und führte ihn auch noch dem KOnig Agrippa vor. So konnte also die Kunde, dafs Pauli Prozefa in ßom zur Verhandlung komme, von Cäsaiea eher uach Jerusalem und Ephesna gelangen, als er selbst die Fahrt antrat Nun beachte man, dafs es speziell Juden aus Asien und gerade Epbesus waren, die den Apostel Act. 21, 27 ff. in Jerusalem beschuldigten und seine Gefangennahme ver- Uilußten, und dafs er selbst Act. 24, 19 deren Gegenwart for- derte, und denke auch an die Auftritte in Ephesus, Act. 19, a3ff., die vergUcben mit den Andeutungen 2 Kor. I, 8B. sehr

1) Wotu die rCmische Tradition den Narcissus machte, vgl. S. 172,

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328 ERBES;

unklar erzählt werden, aber erkennen lassen, dab besonders die Jaden dort gegen ihn agitierten und ihn in die grofse Lebensge- fahr brachten. Da die Ankläger Act. 24, 5 ff. den Paulus be- schuldigen, er errege allen Juden auf der ganzen Erde Aufruhr, 60 war zu gewärtigen, dafs auch dessen Thätigkeit und jene Vor- kommnisse in Ephesus dabei eine wichtige Bolle spielen würden. Das macht es begreiflich, dafs Aquila und Priska mit dem Erst- ling Asiens nach Rom eilten, dort dem Apostel als Zeug'en bei der Hand zu sein. Dort konnten sie also schon eintreffen, noch ehe Paulus selbst eingeschifft wurde. Aber auch das adramjt- tenische Schiff, auf das Paulus Act. 27, 2 zunächst gebracht wurde, war ja gerade auf der Fahrt eig xoig xaia rr^v Idolav Tonovg. Als dann der Hauptmann Julius bereits zu Myra in Ljcien ein anderes, alexandrinisches, Schiff fand Act 27, 5, welches nach Italien fuhr und von ihm daher benutzt wurde, konnte Paulus aufs Bequemste eben mit jenem nach Asien weiter gehenden Schiffe Nachricht an seine Freunde nach Asien und Ephesus schicken, schleunigst nach Bom zu eilen und ihm dort zur Hand zu sein. Während das Schiff, auf dem Paulus nach Bom fahren sollte, durch widrige Winde zurückgehalten wurde und bei Malta zerschellte, Paulus dort drei Monate bis Ende Januar überwintern muTste und erst ca. 11. Februar 61 in Bom anlangte, konnten jene Leute von Asien, wenn sie nicht schon auf früher mögliche Nachricht sich aufgemacht hatten, noch im Herbste 60, noch einige Monate vor Paulus in Bom eintreffen und daselbst für ihn thätig sein.

Wie Paulus Act. 28, 17 ff. 21 befürchtete, dafs bereits vor seiner Ankunft in Bom jüdische Nachrichten und Sendlinge angelangt wären und sein Verhalten zu dem Judentum und die Angelegenheit seines Prozesses in ein uugünstiges Licht bei den römibchen Juden und Judenebristen gestellt hätten, so lag es in seinem Literesse, dafs möglichst frühe, schon vor seiner eigenen Arikunft die Bömer über ihn und seine Sache in geeigneter Weise aufgeklärt wurden. Und dazu war Niemand geeig eter als Aquila und Priscilla, die von Korinth und Ephesus Bescheid wufsten, in Bom bekannt waren und mit dem Erstling Asiens und sonstigen Freunden (wie Andronikus und Junia) für Paulus selbst als Zeugen eintreten konnten.

Als Paulus endlich auf italischem Boden landete, durfte er Act 28, 14 in Puteoli nicht weniger als sieben Tage rasten, die er auf Bitten der Brüder bei ihnen zubrachte. Nun ist zu bedenken, dafs Puteoli die Hafenstadt Borns war, wo man daher in reger Verbin- dung mit Bom stand und die Landung des Paulus erwarten durfte. Bei den Brüdern hier konnte Paulus nicht blofs genaue Auskunft über die Mitglieder und Verhältnisse der römischen Gemeinde er- halten, sondern auch schon Mitteilungen von dort vorfinden.

Weiter lesen wir Act. 28, 15, dafs ein Teil der römischen

EXKURS ÜBER UOM. 16, 3- i:i

BrQder bis Forum Appii, eio uoderer bis Tree Taliernä dem l'aulus und seiner Begleiton^ entgegengekommen ist. Um das zu JidoneD, morsten sie vorher genau über die Landong dea Apostels iD Pateoli nnd den Tag seiner Abreise von doit nnterricbtct worden sein. Daraus ergiebt sich nicbt blofs mit Wabuscheinlicbkeit, sondern mit Gowirsheit, dufa der eine cnd andere Begleiter des Paulns, die ja freie Leute waren, ninbt die sieben Tage in Pn- teoli ansgebslten hatten , sondern sifort nach Rom geeilt waren, die dortigen BrQder persönlich interessiert und also auf die Beine gebracht hatten. Dann aber erscheint es natürlich, dak sie Ton Panlus zwar nicht einen langen Brief nach Rom mitbekamen, denn das war angesichts seiner bevoistehenden Ankunft unnötig, aber eben Qrüfse in Verbindung mit einem Verzeichnis der Per- sonen, die sie gleich uafsucben sollten. Diese GrQfso an die Seihe ?on Personen hatten in diesem Augenblick ihre grofse praktische Bedeutung, und dafs sie ihren Zweck erfüllten, ersehen wir aus dem Entgegenkommen dieser Brüder teils bis Forum Appii, teils bis Tres TabernU. Die Charakteristiken gaben Handhaben.

Dafs diejenigen, welche die OrOr^e Pauli bestellen sollen, nicht die Mitglieder der rOmiscben Gemeinde sind, Eondern die getreuen Geehrten und Gehilfen, welche ihm dorthin schnell vorauseilten, •rhelit noch aus dem Verzeichnis selbst. Während der Apostel bei den Prädikaten, die er den einzelnen Leuten beilegt, zehn Uale von „meinen" Mitarbeitern, Geliebten, Volksgenossen u. s. w. ifioi) spricht, sagt er ausnahmsweise Vera 9: dnnäauo^f Ov^pariy toy avtpyiir j^fiiär ir A'pioiiö, obgleich er auch hier alsbald xal lü/v»- iiV üyanriTÖr fiuv nennt. Da hier weder an einen Pluralis majestaticus zu denken ist, noch Paulus anter ijic^f eich und die Kümer verstehen und den Urbanus als beider Mitar- beiter bezeichnen kann, so kann er darunter nur sich und seine 2nm Teil vorausgeeilten treuen Begleiter und Gehilfen verstehen und den Orbiinus sls einen weitem Mitarbeiter bezeichnen. Den Titel nv¥i^o<; legt aber Paulus ROm. Iti, 3 dem Aquila und der Pri&ka bei, die Act. XÜ, 26 den Apollos unterwiesen hatten, IG, 21 dem Timothcus, Phil. 2. Üb dem Epaphroditus, 4, 3 dem Klemens, Pbilem. Ü4 dem Markus, Aristarchus, Demas und Lukas.

Leider sagt uns der Verfasser des Wirberichts nicht deutlich, wer aufser ihm selbst, Paulus und dem Act. 27, 2 genannten Aristarcb sonst euch unter dem „Wir" inbegriffen ist. Wissen wir (loch nicht einmal sicher, ob Lukas oder Tiinotheus oder Silus oder Titus der Verfasser ist, geschweige dufs wir wüßten, ob uufser Arietarch noch der eine oder andere der früheren statt- lichen Begleitung Act 20, 4 sich wieder bei Paulus eingefunden und ihn nach Born begleitet habe, obwohl noch besonders an Trophimus aus Ephesus zu denken ist wegen Act. 21, 29, vgl. 20, 4. W&h-

230 £RB£S,

rend mindestens der Verfasser des Wirberichts bei Paulus zorfick- blieb und mit ihm nachkam, waren es wenigstens zwei Gefährten, die ihm mit den Grflfsen vorauseilten und die BrQder über sein Kommen benachrichtigten. (In dem S. 178 erwähnten Fragment der freilich unzuverlässigen Paulusakten wird der Apostel von Lukas und Titus in Born erwartet.)

Überblickt man nunmehr das Verzeichnis der GrflDBe, so findet man weder im ganzen noch im einzelnen irgendwelche Schwierig- keiten mehr. Wie billig heifst der Apostel die zuerst grüDsen, die ihm für seine jetzige Lage am wertvollsten waren und das meiste fQr ihn gethan hatten. Dafs Aquila und Priska in ihrer Wohnung zu Rom ebenso wie vordem in Korinth und Ephesus eine kleine Gemeinde versammelten, versteht sich von selbst Auch die spätere römische Tradition hat dies Hans bewahrt ^ DaCs aber 2 Tim. 4, 19 das Ehepaar wieder in Ephesus voraus- setzt, gehört zu den Rätseln der Pastoralbriefe, läfst aber daran denken, dafs seither mindestens ein Jahr verflossen war und wäh- rend der Zeit jene beiden ihre Aufgabe in Rom erfüllen und nach Asien zurückgehen konnten, so gut wie Timotheus selbst (vergl. S. 31) dasselbe gekonnt haben muß, der erst mit Paulus in Rom erscheint und in den Briefen an ihn schon in Asien ge- sucht wird. Wie Paulus Kol. 4, 10 den Aristarcb, Philem 23 den Epaphras seine Mitgefangenen nennt, weil sie während seiner Gefangenschaft freiwillig bei ihm blieben, sie also mit ihm teilten, so konnte er auch den Andronikus und Junia seine Mitgefangenen nennen, weil sie, die nun ebenfalls für ihn nach Rom geeilt waren, seine Gefangenschaft in Cäsarea mit ihm geteilt hsitten. Ohnehin läfst ja ihre Bezeichnung als avyytyerg des Paulus und die Bemerkung, sie seien imatjjnoi iy roig anoaroXotg und vor ihm gläubig gewesen, an Leute aus Palästina oder Syrien denken. Da die Maria Vers 6, tjig noXXa ixoniuaey ifg r^^ug (Var. vfiäg *) noch vor jenen beiden, unmittelbar nach dem Erstling aus Asien steht, liegt es nahe, sie auch für eine der nach Rom geeilten Freunde anzusehen. Auch im Orient, in Ephesus besonders, konnte sie sich ebenso verdient um Paulus und seine Gefährten machen wie in Rom, etwa durch Gewährung von Herberge oder sonstige Förderung und Bemühung. In dem Mitarbeiter Urbanus ist ein Mann zu vermuten, der irgendwo einmal bei Paulus ge- wesen und dann in Rom sich verdient gemacht. Da Rufus Vers 13

1) Vgl. S. 172 f. über die römische Tradition.

2) Für das Billet selbst macht die Variante nur fraglich, ob sich die Bemühungen der Maria nur auf die Begleiter des Paulus oder auch auf diesen mit erstreckt haben. Aber im Zusammenhang des Römer- briefes konnte man Vermuten, sie habe bisher in Rom sich eher um die Römer als um Paulus verdient zu machen Gelegenheit gehabt.

EXKURS t'BEK ROM. IG, 3-lS. 231

troti der Häufigkeit des Namena identisch ist mit jeDem Mc. 15, 31 mit Fleifd für die Körner erwähnten Sohne des Simon von Kjrene, der Jesu dus Kreuz getragen, 80 wird auch die Mutter des Rofus wie ihr Uana wenigstens zeitweise in Jerusalem nnter dea Libertinern von Rom gelebt und Gelegeuheit gehabt haben, sicli nm PuuIüb so verdient zu macben, dafa er sie auch seine Mutter nennen konnte, zo einer Zeit, wo sein Herz bOber schlug tind ihm auch entfernt Ueltannto willkommene Freunde waren. Ditld die Tr;|jbaua mit der (geschichtlicheD) Königin des Nameoa in den Akten der Theklu ebenso wonig identisch ist als mit der Bnbleriu desselben Namens im Bomun des Potronins, dafd Hermas Vera H als Zeitgenosse des rftmischen Klemens und NereuB Vera 16 als glänbiger Kunucb der Murtyiin Flavia Domitilla (gest. nach 95) «onat aiift'erübrt wird and eine Anzahl der anderen Namen ai^ altchristlichen Grabsteinen Borns wiederkehren, sei nur kurz er-

Die Aufforderung Vers 16 üanünuaSt «ij.jjlouf iy tpiX^fiaii ttyiw, dam Hanut^arzai v/iüs ui iy.xi.tjoiai -näaai laZ Xpiatov, stand nicht mehr auf jenem Gillet, stand aber im alten ß(tmer- brief, wie die Wiederkehr ganz derselben Aufforderung SKni. 13, 12 und 1 Kor. 16, 19f. nebst einem Grufa von allen Hei- ligen beiw. von den Kirclien Asiens beweist '). Gerade das gleich- jautende üannaaaät wurde dnnn die Veranlassung, dafs man später die von Paulus aus Puteoli eigens nach Kom bestellten Grüfae vor 16, 16 einreihte, so diifj dieser Vers mit seinen stereo- typen Wendungen sich leidlich anschliefat.

bt es nur natürlich, dufs man das kostbare Billet des Paulus mit der ehrenvollen Aufzählung so vieler Mitglieder der ältesten römischen Gemeinde nicht zu Grunde geben liof:4, sondern dadurch bewahrte, dufs man es an geeigneter Stelle dessen grofsem Römer- brief einverleibte, so sind nunmehr die Schwierigkeiten, die da- durch entstanden, hinlänglich aufgeklärt. Schliefslich bestätigt sich fio, dafa noch bei Pauli Ankunft in Hom keine Spur von Petrus dort vorhanden war, die nachmals berQhmlen Klemens, Linus, Pudens a. s. w. noch von Paulus zu bekehren waren.

I) 3Kor. 13, 13: lioniiaRoai Ulijloff tv iiyl:p ifiX^fiatr ntfniiiov jiu iifiät ol äyioi n«vjt(, 1 Kor. IS, ]9f.'. äanilCoi^ai Vfiüt al Ix- xltjoiai tijf 'j4o(a(' äanrlaaox^t ä.l.l.iji.o('« Iv uilijurcit Ayli;!. Dih bei der Schliifsredaklion des Römerbiiefs der Ausdruck (vgl. „alle Kirchen Christi") modifiziert worden, ist nicht ausgesc blossen. S. die Anfech- tiiiigen bei Baut, Lucht, Volkmar a. s. 0. und bei Ililgcnfeld, ZtJMMh t iri»«ewch. Theol. 1893, B. 431 f. ,

Deutsches Inquisitionsverfahren um 1400.

Von Pfarrer Lac. theol. Flade in Dresden.

In seinem Aufsatz ^yDie Winkeler in StraTsburg samt den Verhörakten um 1400 '^ (Mitteilungen aus der G^eschichte der evangelischen Kirche des Elsasses 1855) geht Röhrich zunächst den Spuren der Waldensergeschichte im Elsafs nach und erweitert dann auf Grund der vorgelegten Prozels- akten die zu seiner Zeit noch ziemlich im argen liegende Kenntnis des Waldensertums. Vollständig aber geht er dabei an den Aufschlüssen vorüber, die uns der von ihm veröffent- lichte Prozefs über das damals geübte Inquisitionsverfahren giebt. Es lohnt sich darum, das Protokoll unter diesem Ge- sichtspunkt einer genaueren Betrachtung zu unterziehen.

Der von Röhrich klargelegte Sachbestand ist folgender: Jahrzehntelang hatten die Winkeler in

bürg ungestört ihres Glaubens gelebt Die Gefahr der Ent deckung, die ihnen durch den zur Kirche zurückgekehrte Johann Weidenhofer drohte, hatten sie durch dessen Er mordung beseitigt, den Inquisitor Amoldi durch Drohongec^^ im Beichtstuhl zum Rückzug bewogen. Als man furchtet^^^ durch den Inquisitor Johann Böckeier aufgespürt zu wer- den, hatte sich das angesehenste Mitglied der Sekte, JohanKi von Blumstein, von seinen Glaubensgenossen zurückgezogen^ hatte dem Inquisitor sogar Wohnung in seinem Hause ein- geräumt, dabei aber die Winkeler wohl foiigesetzt beschirmt ^ond in beholfen zu allen iren Eachen'^ Trotzdem waren sid

^^^1 DEUTSCHES IKgllSlTIOKSVEIlFAHHEK L'U IICO. 233

entdeckt worden und hatten vor Böckeier Bufse getbao. X>iefl war vor ca. acht Jahren geschehen (66. 48) '.

Jetzt ward der Prozefa aufs neue gegen sie eröffnet. Die "Ursache hierzu lag nicht, wie Rührich will (30), in Spaltung innerhiilb der Gemeinde; denn Hermann zur Birken, den er nennt, hatle sich schon vor fünf bis sechs Jahren (66) von der Sekte zurückgezogen und Bückeier gebeichtet. Dagegen wird allerdings durch Ötraui's von Basel, ,.der Si, vnd die andern vnglöbigen Intte geaworen bette, zu rügende" (40) und Johann Helffant, den Begharden, die Sache „ufabrocbt" sein (46), und zwar wohl im Zusammenhang mit der Ketzer- predigt des Cursors von Basel (45. 67. 72). Wenn man weife, wie die Dominikaner es verstanden, alle Leidenschaften gegen die von ihnen verfolgte Sekte zu wecken, ao erklärt es sich leicht, dafs der Cursor, der wiifste, daCs von Augs- burg geflüchtete Waldenser " (68) sich in Strafaburg auf- hielten, derartig predigte, dafa in dem Begharden, der ein NefiJe des schon früher von der Sekte zurückgetretenen Her- mann zur Birken war, sich ein Verräter fand.

tjber die Zusammensetzung des lnquisitionsgt;richtes giebt uns das Protokoll leider keine Auskunft. Da nach Speklia der bischöfliche Üfflzial beim Urteilsspruch wesentlich beteiligt war, haben wir in ihm den vom Bischof abgeordneten Bei- sitzer des Gerichtsholes zu sehen , der auf unserer Frauen Hause in des Btschofa Hofe tagte (34 f.) ^. Die Dominikaner,

1) VnlUe Haderer bat vor acbt, Jungfrau Else vor aclit bis sehn Jafaren Widerruf geleistet (55. 48), Hermaiin zur Biiken will vor raof oder sechs Jahren gebuTät, dabei zwölf Jahre den Ungluubeu oiclit ge- halten, Tur Bcbtiehn bis «wanzig Jubren aber gar ihn verlassen hftben (66). Die in den Text und die Aunieikungen eingelUgten Zahlen sind die Seitenzahlen bei Kühriob.

2) Die Verfolgung in Augsburg fand 1393 statt (Hau pt, Rel. Sekt. in Fraulien, S. 27); gd werden die BüfaunKen vor Bücklcr in dieses oder da« folgende Jahr fallen.

3) Den Vorsitz führte demnach ein Inquifittor ; mjjgl ich erweise war dies Uartin von Prag, der 1399 in Franken Ibfitig war (Haupt, Rel. Sekt, S. 21). Schon einmal war ein „Herr Martin" in StraFsburg ak Inquisitor tbiUig gewesen, der aber inzwischen verstorben war. v, Dül- linger, Beitrfige Eur deutacheo Sektengescb. II, 376, vgl. Ilcre Martia selige; So han ich van herr Martin ... gebort (70. 71).

1

234 FLADE,

die auf besonders strenge Strafe drangen , haben wir uns gleichfalls bei den Verhandlungen anwesend zu denken und zwar als Mitglieder des Inquisitionsgerichts.

Verhört werden 32 Personen , und es liegt dem Inqui- sitor zum Verhör die Liste der Verdächtigen schriftlich vor. Sie wird verschiedentlich erwähnt und bestimmt die Reihen- folge der zu Verhörenden, wie sich daraus ergiebig dafs Adelheid, die Frau Hartmanns, als Schwester der nach- genannten und wirklich nach ihr verhörten Eumber Else bezeichnet wird (62). Als Quellen für diese Liste haben gewifs auch die Aussagen der vorgenannten Angeber ge- dient, die natürlich vor allem nach den Namen der Ketzer gefragt worden sind. Doch hören wir vor allem, dafs der alte Leutpriester Claus von Brumat „het disc hie noch geschriebenen personen geschriben geben das ime die vour- kommen sien, daz si mit den geschribenen ketzerien vmbe sien gegangen'' und finden auch den Anfang des dem In- quisitionsgericht von ihm eingereichten Verzeichnisses. Wenn aber unmittelbar nach demselben eine völlige Wiederholung der allerersten Verhörsaussagen folgt, so ergiebt sich, dafs die Liste nicht dahin gehört, wo sie steht, nämlich ganz an den Schlufs des Verhörsprotokolls, sondern vielmehr an den Beginn desselben; die im ersten Verhör ganz unvermittelt auftretenden Worte: „Item her Claus von Brumat der alte lutpriester zum alten sante peter het dise nach . . /' sind demnach einfach zu ergänzen: nachgeschriben personen geruget '', und die folgende leere Seite ist bestimmt gewesen, die schwarze Liste des Bruder Claus aufzunehmen, was aber im Eifer der Protokollftihrung unterlassen wurde und auch nicht nötig war, da dem Gericht die Liste ja schon vorlag. Wenn aber alle von Claus als Ketzer bezeichneten Personen flieh auch unter den Verhörten befinden und auch nicht eine von ihnen freigesprochen wird, so sieht man, wie durcha mafsgebend seine Liste ftxr das Inquisitionsgericht war.

Dafs im Verhör selbst nach Mitschuldigen gefragt wurde zeigt das Protokoll und ist natürlich. Es geschah, wie au den oben genannten Erwähnungen des Ketzerverzeichnisse^ hervorgeht, öfter in der Form, dafs die Verhörten gefragt

DEUTSCHES INQUISITIONSVERFAHREN UM 1400. 235

wurden ; ob die Personen , deren Namen ihnen mitgeteilt werden, mit ihnen Ketzer gewesen seien. Auf diese Frage sagt die Alte zum Hirze^ ;;da8 etviel ander personen^ der nammen verschriben stant^ den vngloben mit Ir hieltent'^ Schwester Petersche giebt an, ,,da8 so vil der nammen ver- schriben stant, mit Ir die schulen hielten^ ; ebenso lautet die Aussage der Kunigunt und Hetze Straufs bei ihrem zweiten Verhör. Dabei aber haben es die Verhörten sicht- lich vermieden, selbst Genossen namhaft zu machen. Zwar wird Blumstein, der sich ja von ihnen getrennt hatte, immer wieder erwähnt, auch die Häuser derer, bei denen Versamm- lungen gehalten wurden und die schon durch die ersten Ver- höre den Richtern bekannt geworden waren. Dafs aber Voltze Haderer Frau zur Birken als Qeldsammlerin angiebt, erklärt sich wohl nu>*.aus einer entsprechend an ihn gerich- teten Frage; ebenso würde sich Hermann zur Birken, ohne „fleifsig'' danach gefragt zu sein, wie der Kunstausdruck in anderen Inquisitionsprozessen heifst, schwerlich dazu ver- standen haben, sich selbst als den Verführer seines Sohnes zur Ketzerei anzugeben. Nur die Erwähnung der Hüterin Ellekint beim Verhör Ellins von Weifsenburg erscheint als beiläufig (64). Sonst haben die Inquisitoren von den aller- meisten Verhörten keine Mitschuldigen erfahren, denn die von Hermann zur Birken am Sehlufs seines Verhörs Er- wähnten werden weder als Ketzer bezeichnet (67), noch offenbar vom Gerichtshof als solche betrachtet.

In völligem Gegensatz zu den Übrigen haben, wie das Protokoll zeigt, nur die zuerst verhörten fünf Frauen die Namen von Mitgliedern der Sekte ohne Scheu angegeben. Dies zeigt nicht nur ihre erste Aussage, in der sie nicht weniger denn neun Winkeler namhaft machen ', sondern vor allem ihr letztes Verhör, in dem sie ihre früheren Aussagen aufrecht erhalten und teilweis ergänzen, für ihre Namennennung aber Ge- währsmänner anführen, und zwar insonderheit die Inqui-

1) Hartmann der Biermann, der zum Hirze, Blumstein, Jecklin der Tuchscherer, Hermann zur Birken, Heinrich Borschön, Strufs von Basel, Ilellfant der Blotzbruder, der zu Solothurn.

236 FLADE,

flitoren Martin und Böckler (70 f.). Schon dies Verhalten kennzeichnet diese fUnf Frauen als Angeberinnen. Als solche werden sie auch nach Abschlufs der übrigen Verhöre noch- mals vor das Inquisitionsgericht gefordert^ als solche dürfen sie, eine vrider das Inquisitionsrecht völlig verstofsende Form ', ihre Aussagen beidemal gemeinsam thun, als solche suchen wir sie auch vergeblich unter den Verurteilten, obgleich sie ebenso zur Sekte gehört haben, wie die anderen, und die anderen ebenso, wie sie es von sich behaupten, die Sekte verlassen haben. Auch der Name von Kunigunt StrauTs, die mit ihren Töchtern Kunigunt und Metze (vor Else Berolff und ihrer Mutter) zu allererst verhört wird, erinnert uns daran, dafs Straufs von Basel die Sache ruchbar gemacht hatte, imd wir werden wohl nicht irren, wenn wir in Kunigunt seine Frau vermuten^. Dafs er als „von Basel '^ und sie als „von

1) Nur bei dem Verhör 1458 gegen die Waldenser in Kerkow und Klein Ziethen kommt und zwar wegen der grofsen Menge ein gemein- sames Verhör Tor (Wattenba cb, Abb. d. Ak. d. W. [Berlin 1886], S' 86); sonst ist das Inquisitionsverhör stets EinzeWerhör gewesen.

2) Schon im Verzeichnis der gefangenen Waldensermeister bei V. Döllinger II, 831 kommt ein Hermann Straufs vor, der als Schuh- macherssohn bezeichnet wird. Dieser ist mit dem 1400 Genannten natflrlich nicht gleichzusetzen. Dagegen wird im Augsburger Prozefs 1893 unter den Verurteilten an erster Stelle Friedrich Straufs genannt (Gassarus Ann. Augsb. bei Menken, Script rer. Germ. I, 1588; Cru- sius, Schwäbische Chronik II, 9). Wenn nun die Wanderung von vertriebenen Waldensern aus Strafsburg nach Freiburg nachgewiesen ist (Karl Maller, Die Waldenser etc., S. 165), so ist ebenso gut denkbar, dafs Straufs von Augsburg zunächst nach Basel flQchtete und sich von da nach Strafsburg wandte, wie uns ja im Prozefs auch vier Waldenser aus Bern begegnen (Berner Cunzelin, Ulin von Bern, der Alte und Junge und dessen Frau). Wenn es ferner im Bericht Ober die Augsburger Verfolgung heifst, dafs ein Dominikaner, Magister der Theologie, der sich zu Augsburg aufhielt, Peter Engerlin, stark wider die Waldenser disputiert habe, doch ohne diese Weber und gemeinen Leute widerlegen zu können, so entspricht dies so völlig dem Vorgehen des Cursors von Basel in Strafsbuig, so dafs der Gedanke nahe liegt, Peter Engcilin erscheine hier unter dieser Bezeichnung wieder. Die von Rührich (S. 31 Anm. 3) als möglich angenommene Gleichsetzung des Kursors von Basel mit Johann Mühlberg, dürfte sich jedenfalls deshalb nicht empfehlen, weil Mühlberg gerade 1400 gegen die Beghinen in Basel eiferte, sich überhaupt viel entschiedener gegen Mifsbr&uche

DEUTSCHES INQUISITIONSVERFAHREN UM 1400. 237

Nördlingen^' stammend bezeichnet wird, widerspricht dem nicht; wie bei Blumsteins Mutter ^^von Speier ^', der Alten zum Hirze „von Hagenau'^ u. s. f. ist eben der wirkliche Geburtsort auch bei ihr angegeben. Jedenfalls erkennen wir wir in Kunigunt und ihren Genossinnen klar die Belastungs- zeugen der Verdächtigten.

Aufser diesen fünf Frauen und Bruder Claus sollte auch der Cursor von Basel als Belastungszeuge dienen. Er weifs freilich aufser Gerüchten, die er von den Augsburgern hat, nichts anzugeben, insonderheit keine Namen zu nennen (68). Vor allem ist auch in der Stadt eifrig nach Stoff wider die Verdächtigen gefahndet worden. Werden doch der Erz- priester, vier Lieutpriester und acht Vikare, sowie vier an- dere angesehene Männer (daher ,,herren^' genannt) vorge- fordert (74 f). Das Ergebnis dieses Verhörs war freilich mehr als kärglich: 17 Vorgeforderte, darunter der merk- würdigerweise hier und nicht unter den Beklagten verhörte Blumstein, geben an, überhaupt nichts zu wissen, drei er- bitten sich Bedenkzeit, nur drei stellen eine schriftliche Auskunft in Aussicht. Mit wirklicher Bestimmtheit thut freilich auch dies nur der alte Leutpriester Claus, und so werden wohl die Namen der zehn Personen, die nur im Ur- teil, nicht aber im Protokoll vorkommen, durch ihn zur Kenntnis des Gerichtshofs gekommen sein.

Zweck der Inquisition überhaupt war, die Ketzerei aus- zurotten; Zweck des einzelnen Verhörs, den Verdächtigen durch sein eigenes Geständnis der Ketzerei zu übert'Uhren und so seine Verurteilung zu ermöglichen ^ Die Voraus- setzung eines erfolgreichen Verhörs bildeten daher „Artikel", welche die Eigentümlichkeiten der betreffenden Sekte zu- sammenfafsten , und auf Grund deren es möglich war, des Verdächtigen Zugehörigkeit zur Sekte durch dessen Geständnis festzustellen und so seine Verurteilung herbei-

des Kleru8, als gegen Häretiker gewandt hat (Haupt, Job. Malkaw etc. in Zeitschr. f. K.-G. VI, 364).

1) Selbst wenn der Verhörte durch Zeugen überführt war, sollte der Inquisitor den Beklagten foltern, um ein Geständnis zu erzielen. Eymericus, Dir. Inqu. III, 480. 591. 614.

238 FLAOE;

zufuhren. Während nun sonst vielfach Artikel aus anderen In- quisitionsprozessen dem Verhör zu Grunde gelegt werden ^, sind es in unserem Verhör die fünf Angeberinnen; die dem Inqui- sitionsgerichtshof die Möglichkeit eines erfolgreichen Vorgehens verschaffen. Ihre Aussagen bilden die Verhörsartikel und wer- den als solche wiederholt ausdrücklich bezeichnet *, Der mit dem Waldensertum von den Augsburger Verfolgungen her wohlvertraute Cursor von Basel aber mufs dann am Ende des Verhörs den Inhalt der Artikel als den diesen Ketzern eigentümlichen Glauben ausdrücklich bestätigen. So war die Rechtsunterlage für die Verurteilung gegeben. Bei alledem kam es viel weniger darauf an^ die eigentlichen Glaubenslehren der Winkeler festzustellen; als vielmehr diejenigen Punkte ihres religiösen Lebens herauszuheben; durch die sie sich äufser- lich von der Kirche unterschieden. So werden gleich aus dem ersten Artikel; der noch am meisten den Charakter einer Lehrangabe trägt ;; das in (ihnen) gotte alleine gehelffen möhte und das ine (ihnen) weder vnser frowe noch die hei- ligen nit gehelffen möhtent^S vor allem die Folgerungen gezogen: sie feierten keine Marien- und Heiligen tage und gäben nur drei Opfer. Wenn der zweite Artikel besagt; dafs sie keine Seelenmessen halten; weil sie nur den Weg in den Himmel und in die HölIC; aber kein Fegefeuer kennen, so wird wiederum diese Lehre nur benutzt, um dai*aus ein äufseres Erkennungszeichen ihrer Ketzerei abzuleiten. Da es aber so den Inquisitoren schon beim Verhör der Angebe- rinnen wesentlich darauf ankam; die äufseren Merkmale des Waldensertums festzustellen; ist es erklärlich; dafs die

1) So ioquiriert Petrus Zwicker im Brandenburgischen auf Grund des Verhörsformulars, das sich als Anhang des Traktats Petrus von Pilichendorfs findet Wattenbach a. a. 0. S. 82.

2) So von Voltze Haderer, Jecklin dem Tuchscherer, Schwester Petersche, Hermann zur Birken, insbesondere von Eunigunt und Metze Straufs beim zweiten Verhör (49. 56. G4. 69). Wenn letztere dabei die Zahl der Artikel auf „drie** angeben, so wird, da das Protokoll deut- lich 13 iuhaltlich unterscheidbare Absätze macht, wohl die „zehn** Ter* sehentlich weggelassen sein. Die Korrekturen und Zusätze am Rand der Handschrift Röhrich S. 17 Anm. 8 beweisen, dals solche Ver- sehen im Protokoll nicht selten sind.

DEUTSCHES I^'QUISITIONS VERFAHREN UM 1400. 239

Reihenfolge der Artikel als ganz zufUlIig erscheint und sich auch verschiedene Wiederholungen finden. So folgt auf den Artikel vom Ave Maria; das sie nur lernen, um dem Arg- wohn zu entgehen (41), die Aussage, dafs sie das Pater- noster und den Glauben halten, hierauf aber nochmals die schon im ersten Artikel erwähnte Lehre von den zwei Wegen und der Verwerfung der Seelenmessen.

Den grölsten Wert legten die Inquisitoren offenbar auf die Eeichtpraxis der Winkeler. Davon zeugt nicht nur die Aus- führhchkeit, mit der in den Artikeln von ihr die Rede ist^ sondern vor allem der Umstand, dafs der Cursor von Basel wörtUch wiederholt, was die Angeberinnen darüber ausgesagt haben, und somit diese Übung der Winkeler ausdrücklich als Beichtpraxis der Waldenser bestätigt, dafs sie nämlich „die deinen upigen stucke dem priester sagen, vnd was do ernest- licher stucke werent, die soltent zu ihrem bihter, dem win- keler, dem leyen sagen'' (39. 68). Auch bei der Alten zum Hirze, Voltze, Haderer, und Hartmann dem Biermann, den einzigen Verhörten, die überhaupt mehr oder weniger aus- führlich nach den Artikeln im einzelnen gefragt worden sind, finden wir die entsprechende Antwort auf die Frage nach dieser doppelten Beichte (48. 54).

Nach ihren Aussagen über den Glauben der Winkeler ^ machen die fünf Frauen noch solche über die Meister- bezw. Meisterinnenwahl der Waldenser und über Weidenhofers Er- mordung; zuletzt berichten sie über Einzelvorkommnisse innerhalb der Sekte, insbesondere über diejenigen, welche zur Entdeckung der Sekte führten.

Auf das Verhör der Angeberinnen folgt dasjenige der Verdächtigen. An erster Stelle sind nach der Mutter Blum- steins diejenigen vor das Inquisitionsgericht gefordert wor- den, in deren Häusern Schulen waren: Voltze Haderer, die Alte zum Hirze, Hartmann der Biermann und Eilse zum

1) Was die eigentlichen Glaubenslehren der Winkeler anlangt, wie sie sich aus den Angaben der fünf Frauen ergeben, so verweisen wir, da es uns nur auf das Inquisitionsverfahren ankommt, einfach auf Röh- rich 8. 17f.

240 FLADE,

schwarzen Bachstaben ; hierauf folgen ohne ersichtliche Ord- nung die Verhöre der übrigen Angeklagten, unter denen sich vier Ehepaare befinden. Im einzelnen sind vorgefordert: siebzehn Männer, elf Frauen und drei Kinder, doch werden die Kinder, zwei Frauen und ein Mann wieder entlassen ', so dafs nur 25 wirkliche Verhörsprotokolle vorhanden sind. Fast Alle werden nur einmal verhört; Ulins von Bern wird kurz nach beendetem Verhör nochmals gerufen und über Biumstein und den Tod Johann Weidenhofers befragt Ganz zuletzt finden wir noch ein kurzes zweites Verhör der Alten zum Hirze, die über die Ermordung Weidenhofers und die Beteiligung ihres Bruders dabei, sowie ohne Namensnennting über ihre Mitwirkung bei der Verführung anderer Angaben macht, zum Schlufs aber nachdrücklich betont, dafs sie nichts mehr mit den Winkelern zu schaffen habe „vnd lebe ouch nu fürbas also andere cristen menschen'^.

Da bei allen Verhörten gleich bei der ersten Erwähnung der Geburtsort angegeben ist, hat das Verhör mit den auch sonst in Inquisitionsprozessen üblichen Fragen nach den Pe^ sonalien begonnen; dazu gehörte auch die Frage nach dem Gewerbe, vgl. die Bezeichnung Hartmann der Biermann, Jeckelin der tuchscherer, Eilekint, die hüterin u. s. f. Hiebt ersichtlich ist aus dem Protokoll, ob auch nach den Eitern gefragt worden ist. Auffallender als dies erscheint, dafs das Protokoll nicht die geringste Andeutung darüber giebt, ob die Verhörten, wie dies in allen Inquisitionsprozessen Vorschrift und bei dem Vorgehen gerade gegen die Waldenser ganz selbstverständlich ist, vorher vereidigt worden sind. Trotz dieses Schweigens des Protokolls ist aber nicht anzunehmen, dafs die Vereidigung unterlassen worden wäre, zumal aus dem Protokoll hervorgeht, dafs auftallenderweise die Strafs- burger Winkeler den Eid nicht als verboten ansahen^.

1) Anne Peter Starkens Frau und Hermann Erlebachs Tochter, Ahasverus der Weber.

2) Jeder neugewäblte Meister leistete bei ihnen einen Eid auf Glaubenstreue und scheint ein ebensolcher Eid auch von den andereo Sekteugliedern gefordert worden zu sein. Biumstein sagt: Weil die Leute halten, dafs sie nicht sagen „daz se von der materie gesworen

DEUTSCHES INQUISITIOKSVERFAHREN UM IfOO. 241

Die erste an die Verklagten gerichtete Artikelfrage ist; Tfie der Anfang der Protokolle zeigt, die gewesen, ob sie den Glauben der Winkeler geteilt, insbesondere ob sie durch Teil- nahme am Gottesdienst und Beichte vor den Laienpriestem die Zugehörigkeit zar Sekte bethätigt haben. Die Befragung nach dem Glauben geschieht unter Vorlesung der Frage- artikel im einzelnen, vrie es gleich bei Voltze Haderer heifst: „Item so ist er des vnglobens gantz geständig gewesen also der eigentlich verschriben stot, der Ime euch eigentlich von stücke zu stücken vorgelesen ist'^ (48). Doch zeigt sich gleich bei den ersten Verhören, dafs dabei auf die Reihen- folge der Artikel weiter kein Wert gelegt worden ist. Wenn Aber schon die ersten Protokolle immer kürzer werden, ja wenn sie von dem fünften an, dem der Jungfrau Else, in deren Haus doch die Winkeler zusammenkamen, nur noch ganz summarisch sind und trotz wiederholter Erwähnung des Vor- lesens der Artikel doch auf den Inhalt derselben im einzelnen fast nicht mehr eingehen, so erkennt man, dafs es eben den Inquisitoren nicht daraaf ankam, die Lehren der Strafsburger Waldenser näher kennen zu lernen, sondern einfach darauf, die Verdächtigen der Ketzerei zu überführen. Deshalb be- schränkte man sich denn auch darauf, im Bezug auf den Glauben einfach zu bemerken, dafs er von den Verhörten gehalten wurde „also der verschrieben stat In den artikeln alse Ime vorgelesen" (56), „die hie vor und nachgeschriben stanf (60), oder auch ohne derartige nähere Bezeichnung.

Auf die Frage, wie lange sie dem Glauben der Sekte an-

hant'*, so sind sie nicht Ketzer, weno sie es aber sagten und ,, mein- eidig darumbe werdent *\ so sind sie Ketzer (46). Vor Blumstein mufste Straufs „liplich an den heiligen vor dem münster*^ schwören, seine Ge- nossen nicht zu verraten. Dem Berner Cuntzelin aber wird vorgeworfen, dafs er, als Metze Straufi die Winkeler anzeigen wollte, ihr gesagt habe, „er wolte ir zwen stücke wisen, das ir der eit nit schatte, den SU gesworen hette, die lute zu rügende" (58. 69). Die Wiukeler schworen also, doch offenbar nur, wo es den Schutz der Sekte galt. Dies war allerdings auch vor dem Inquisitionsgericht der Fall; so wer- den sie auch hier den Eid nicht verweigert haben, wie sie ja Alle nicht den Eindruck besonderer Charakterfestigkeit machen. Vgl. Müller S. 122.

Zeitiicbr. f. K.-O. Xni, i. \0

242 FLADEy

hingen, hat die Mehrzahl allgemein geantwortet ,; lange'' (56), ,;gar lange'' (55), ;;Va8te lange" (63). Doch machen auch einige nähere Angaben: Cunz Erlenbach von Dischingen hat ,,den vnglouben von kindes of gehalten" (56), Hartmann der Biermann „von jungen of von XVI joren har" (54); ähnlich sagt Heintzemann Erlebach „er were do zii mole ein Junger knecht, vnd namme der artikel des ynglouben,. den si bredigetent, nit war", will sich also offenbar damit entschuldigen; 30, 40, ja 50 oder 60 Jahre der Sekte an- gehört zu haben, bekennen Blumsteins Mutter, Voltze Ha- derer und die Schwester Petersche (48. 64), während Hart- manns Frau „der Winkeler Sachen vnd bredigen wol vir Jor gehalten" haben will (62). Wenn aber Schwester Pe- tersche dabei angiebt, durch einen Bruder der Sekte zu- geführt worden zu sein, so steht neben diesem Fall, wo ein Winkeler seinen Verführer nennt, im Protokoll nur noch der andere, dafs Claus, Hermanns zur Birken Sohn, seine Eltern als diejenigen bezeichnet, die ihn zur Sekte führten, was sein Vater offenbar auf direkte Frage hin auch eingesteht (65. 66) >.

An das Geständnis der Glaubenszugehörigkeit zur Sekte schliefst sich in der Regel unmittelbar das andere, daCs der Verhörte den waldensischen Laienpriestem gebeichtet hat^ ein Geständnis, das wir als das allerwichtigste in allen Proto- kollen finden. Im einzelnen sind die Beklagten hierauf weiter gefragt worden, wo, wem und wie oft sie gebeichtet haben. Als Ort der Beichte werden die bekannten vier Häuser angegeben, wo Schulen waren; Margarete „von sante Eyser'^ nennt aufserdem noch das Haus „zum aleffier vnder kursener'', Hermann zur Birken femer „Claus seligen Hans zur Birken" (66). Die Beichtiger werden in der Regel ein- fach als „die Winkler", „die leyen", „die priester" be- zeichnet; Hartmann nennt mit Namen Eberhart von Weilaoi-

1) Bei Kumber EQse, die sagt, dals sie zwei Jahre bei Volt« Ha- derer diente und „die iwey'* sich auch lum Uuglaaben hielt (62), Ucgi im zwar sehr nahe, an die Diaistherrschaft als die Yerflüirer za deakea. dl hat es die Verhörte offenbar nicht auagesprodien.

DEUTSCHES INQUISITIONSVERFAHBEN UM UOO. 243

bürg, Hermann zur Birken aufser diesem noch Konrad von Sachsen (54. 66) ^ Johann Weidenhofer und Salomo von Solothum werden nur von den Angeberinnen genannt und als Meister und Beichtiger bezeichnet (43. 46). Bemer Cuntzelin giebt an, dafs er nur einmal gebeichtet hat; die Frau Voltze Haderers will es nur zweimal gethan haben, die anderen sagen, sofern sie überhaupt eine nähere An- gabe machen, sie hätten dicke '^, „etwie dicke'' (48. 55. 56. 59. 61) gebeichtet; die Beichte hat also öfters statt- gefunden. Ziemlich häufig finden wir auch Aussagen dar- über, dafs die Winkeler ihre Meister und Glaubensgenossen bei sich auinahmen und beherbergten. Dies war fast selbst- verständlich bei denen, in deren Häusern gepredigt und ge- beichtet wurde. So giebt Voltze Haderer an, er „habe den winkelem dicke zeessen vnd zedrinken geben'', und die Aussage Hartmanns des Biermanns, „es worent dieselben winkeler XV die Alten on die Jungen vnd haben euch den dicke geessen vnd drinken geben Im sine huse vnd haut In wol C Pfund Pfennigen kostet", wird durch die seiner Frau ergänzt, „wol drie mole hant In euch In Irem huse dicke geessen vnd getrunken danne XIIII tag danne III wochen" (48. 54. 62). Aber auch in anderen Häusern fanden die wandernden Waldenser freundliche Aufnahme. Blumsteins Mutter hatte einst vier Winkeler in ihrem Hause beher- bergt, Cunze Erlebach und Hermann zur Birken hatten zwei zu sich geladen „vnd in zeessen geben", wie dies aufser den Genannten auch des letzteren Frau bekennt (48. 56. 61. 67).

1) Konrad von Erfurt ist nach v. DöUinger II, 331 1391 durch Martin von Prag und Petrus Zwicker bekehrt worden; da Hermann zur Birken vor zwölf Jahren zum letztenmal gebeichtet haben will, könnte sein Beichtiger recht wohl der Genannte sein. Doch führt das andere Verzeichnis bei v. DöUinger II, 867 noch einen Konrad der Saxonia au, so dafs uns zumal bei den Widersprüchen in den Zahlenangaben Hermanns zur Birken die Wahl zwischen beiden Konraden bleibt. Jedenfalls haben wir hier einen Beweis dafür, wie die Waldensermeister ganz Deutschland durchzogen, besonders da Conradus de Saxonia quem audiverit eUam conversum^* uns auch im Pommerschen Prozefs 1393 f. begegnet. Wattenbach a. a. 0. S. 42.

IG*

244 FLADE,

So genau sich die Inquisitoren aber nach den persön- lichen Beziehungen der Waldenser zu ihren Meistern er- kundigt haben; so wenig haben sie auf die Art, wie die Meister und Meisterinnen gewählt wurden ; Wert gelegt; finden wir doch nur im Verhör der Alten zum Hirze eine mit der ausführlichen Schilderung der Angeberinnen über- einstimmende Beschreibung einer solchen Wahl, die aber sonst nirgends auch nur erwähnt wird. Viel leichter als die Kenntnis der Wahlpraxis waldensischer Meister konnte den Inquisitoren eben bei anderen Prozessen die Kenntnis der Beziehungen der Waldenser zu ihren Meistern von praktischem Nutzen sein. Noch wertvoller aber war es ihnen zweifellos; aus dem Verhör zu erfahren; dafs die Win- keler Glaubensgenossen in Nördlingeu; Regensburg , Augs- burg; Tischingeu; Solothurn, Bern, Weifsenburg; Hagenau, Speier; Holzhausen ; Schwäbisch Wörth; Friedberg; Mainz und selbst Wien hatten (25). Und wenn die Alte zum Hirze von Häusern und Herbergen redet; ;;die si hant zu offen- bürg; zu lore" (Lahr); desgleichen; wenn Schwester Peter- sche Schulen in Hagenau und Mainz nennt; so setzen der- artige Aussagen zweifellos entsprechende Fragen seitens der Inquisitoren voraus.

Eine FragC; deren Beantwortung uns im Protokoll nicht weniger als 16 Mal entgegentritt; ist die Frage danach; was denn die Winkeler von ihren Predigern und Priestern ge- halten hätten. Die Antwort lautet regelmäfsig; sie hätten ge- meint; die Beichtiger und Prediger seien rechte Priester und heilige; selige ; ehrbare Leute. Wo sich an dieses Ehren- zeugnis der Winkeler für ihre Meister nicht unmittelbar das Bekenntnis anschlierst; dafs sie sich doch schliefslich von ihnen getäuscht sahen; finden wir bei acht Verhören noch eine Aussage über die Ermordung des früheren Waldenser- sisters Johann Weidenhofcr. Vier der Verhörten behaupten

lei überhaupt von der Sache nichts zu wissen, darunter Alte zum Hirze, die freilich bei ihrer zweiten Vemeh- ang zugeben mufs, dafs ihr Bruder in der Nacht des Tot- eres in der Stadt war ,;Vnd mähte sich des mordens zu ^^'', ferner auch gesteht; Kenntnis zu haben von

DEUTSCHES INQUISITIONSVERFAHREN UM HOO. 245

dem Gerüchty dafs Knecht Küntzelin bei dem Mord beteiligt gewesen seL Cünze Elrlebach giebt an, er habe gehört, dafs der Bruder der Alten zum Hirze einer der Mörder gewesen sei, Bemer Cuntzelin und Ulin von Bern der Alte und der Junge gestehen ein, der Mord solle „von den drien, die ver- schriben stonf , verübt worden sein, besonders habe der Bruder der Alten vom Hirze dabei mitgewirkt (öO. 56. 60. 62. 57. 58. 59). Dabei aber leugnen alle, dafs sie, wie die anzeigenden Frauen behauptet hatten, zu der unter den Win- kelem ftür diesen Mord gesammelten Bufse beigetragen hätten (43). Sehr gern hätten die Inquisitoren etwas Näheres über das Verhältnis des von den Angeberinnen so schwer belasteten Johann von Blumstein zur Sekte erfahren. Doch sind sie hierbei nicht so glücklich gewesen, wie bei der Frage nach den Mördern Weidenhofers. Vielmehr wird nicht weniger als 16 Mal ausdrückUch erwähnt, dafs es gerade in Blumsteins Haus war „vnd was ouch Blumstein zugegene'^ (49), wo die Verhörten ihren früheren Widerruf vor dem Inquisitor Böckeier leisteten. Wenn Ulin von Bern bei seinem zweiten Verhör, in dem er offenbar, um erst Versäumtes nachzuholen, nur nach Blumsteins und Weidenhofers Ermordung gefragt wird, sagt, er wisse nichts, dafs Blumstein mit den Sachen umgegangen sei, „Er habe es vast zu getriben, daz su ge- busset sint'' (61); so ist das offenbar die klare Entgegnung auf die Beschuldigung der Angeberinnen, Blumstein habe die Ketzer beschirmt und ihnen bei allen ihren Angelegenheiten geholfen. Ebenso sagt Schwester Petersche ausdrücklich, am Gottesdienst hätten alle teilgenommen, „ufs genommen blumenstein, den geaehe sy nit nie byin'* (65). Nur die Alte zum Hirze stellt ihn als Beschützer der Winkeler dar (50). Den Schlufs aller Verhöre bildet die Aussage der Be- klagten über ihren schon längst vollzogenen Rücktritt zur Kirche. Sie hätten erkannt, dafs der Glaube der Winkeler unrecht sei; deshalb haben sie vor 5 G, 8, ja 15 20 Jahren dem damaligen Inquisitor gebeichtet (66. 48) * und die ihnen auferlegte Bufse auf sich genommen.

1) Da HartmaDn der Biermann Tor 15 Jahren dem Inquisitor Ar-

246 FLADE,

Unterrichtet uns unser Protokoll ziemlich auBführlich über das sachliche Ergebnis des damaligen Verhörs, so teilt es leider die Eigentümlichkeit anderer Inquisitionsprotokolle in der Beziehung; dafs es uns die formale Seite des Ver- hörs fast völlig verhüllt '. So möchte man auf Grund des Protokolls meinen ; dafs die betreffenden Aussagen ohne weiteres gemacht worden sind, und doch berichtet uns der mit dem Prozefs völlig vertraute Specklin, dafs die Winkeler gefoltert und zwar gedäumelt worden sind. Darauf, dalis den Beklagten die Artikel und die Namen der Mitschuldigen zur Erleichterung ihres Geständnisses vorgelesen wurden, wurde schon hingewiesen ; die angeführte Aussage Ulins von Bern bei der Befragung über Blumstein bildet hierfür ein Beispiel im einzelnen; gleicherweise wendet sich Bemer Cuntzelin gegen eine Anschuldigung seitens der Klägerin Straufs, die ihm also vom Inquisitionsgericht mitgeteilt wor- den sein mufs (58). Wenn aber hier, wie die Antwort be- weist, dem Angeklagten sogar der Belastungszeuge genannt worden ist, so ist dies ein in Inquisitionsprozessen aufser- ordentlich seltener Fall; denn im allgemeinen wurden um der sonst für den Zeugen leicht entstehenden Gefahr willen ihre Namen verschwiegen *.

Einige vor das Inquisitionsgericht Geführte sind ohne weiteres entlassen worden. Das Protokoll über das Verhör

noldi gebeichtet haben will, müssen wir dessen Amtstbätigkeit um 1385 ansetzen, in welchem Jahre er uns auch in Ulm begegnet (29 Anm. 3). Böckler, der schon 1390 in Strafsburg gegen Job. Malkow Torging, Haupt, Zeitttchr. f. K.-G. VI, 375, hat ca. 1394 die angeführten Büfsungen verhängt, vgl. S. 162, Anm. 2. Da sich die Augeberinnen auf ihn neben Böckler berufen (70), ist zwischen Arnoldi und Böcklers Thätigkeit Martin von Prag in Strafsburg gewesen und hat die Beichte der Augeberinnen entgegengenommen. Eymericus S. 628.

1) Die Inquisitionsprotokolle verzeichnen überhaupt durchaus nicht alle Angaben, die bei den Verhören gemacht werden, sondern nur die- jenigen, welche zur Feststellung des Charakters eines Häretikers not- wendig erscheinen. E. Müller S. 164.

2) Im Pommerschen Prozefs 1393 f. erwähnt eine gefänglich ein- bezogene Frau gleichfalls , dafs sie seinerzeit in Angermünde nicht ver-

nt worden sei, weil sie schwanger war. Wattenbach S. 17.

DEUTSCHES IN Q VISITIONS VERFAHREN UM HO?.

217

des Webers AhaBverus ist durchgestrichen; dem Inhalt nach könnte es dabei dem Verhör Cuntzelins entsprechend heifsen: „Do dunket die herren, das Ahasverus nit gar wiae sie" (55. 66). Bei Henselin Huter und Hermann, dem Sohne Hermanns zur Birken sind den Inquisitoren wegen der Jugend der Genannten Bedenken gekommen, weshalb sie den Hat befragen wollen. Hermann Erlebachs Tochter entläfst man wegen Kchwangerschaft (66) '. Handelt es sich hier um Entlassungen, die offenbar mitten aus dem Verhör heraus ohne besonderen Urteilsspruch erfolgt sind, so finden ■wir den Namen der Frau Peler Starkes, deren Entlassung mit der allerdings völlig nichtssagenden Bemerkung b&- gründetwird: „wandt die Herren meindent, si were vnschul- dig" (64), auch im Verzeichnis der Freigesprochenen. Dies «ber tührt uns zur näheren Betrachtung des Urteils.

Der eigentliche Urteilsspruch, der bei Inquisitionsprozesaen ^n sehr langatmiges Schriftstück zu sein pflegt, ist in unseren Prozpfsakten leider nicht erhalten, vielmehr nur ein Verzeich- «is der Verurteilten bezw. Freigesprochenen, das aber auch -noch an talscher Stelle steht. Ist doch klar, dafs ein der- artiges Verzeichnis ursprünglich nicht vor dem Verzeichnis von 17 Belastungszeugen und dem daran sich anschliefsen- den zweiten Verhör der Alten zum Hirze gestanden haben kann- Vielmehr gehört die Angabe der Belastungszeugen «nd dieses kurze zweite Verhör der Alten zum Hirze offen- bar dorthin, wo am Schlufs des Ilauptverhürs jetzt an un- richtiger Stelle die Namenliste des Bruder Claus und die Wiederholung der Aussagen der fünf Angeberinnen zu fin- den ist. Die vorhandene Handschrift stellt sich eben als eine etwas wirre Abschrift des ursprünglichen Protokolls ; dar. Doch wird ihre Glaubwürdigkeit durch diese zwei Umstellungen von Protokollen nicht entfernt beeinträchtigt. Was das Urteil, für das auf den unbeschriebenen Blättern 3B— 50 des Manuskriptes vollauf Raum gewesen wäre, im «nzelnen in grofser Ausführlichkeit enthalten hat, zeigt die cummarische Angabe auf Blatt 51, inhaltlich übereinstimmend

1) Siehe Anrn. 2 S. 34G.

248 FLADE,

mit derjenigen im Strafsburger heimlichen Buch (35. 77). Das vorhandene und ursprünglich den Schlufs des ganzea Protokolls bildende Verzeichnis der Verurteilten und Frei- gesprochenen aber erweist sich dadurch als authentisch^ dab es die in jenen Angaben angeführte Strafe gleichfalls nennt: yydis sint die . . . die man besenden soll'' ^

Verbannung also und zwar je nach den VerhältnisseD auf kürzere oder längere Zeit (85) war die Strafe der Verurteilten und haben diese , wie es im heimlichen Buch heilst; ;,uss dem bystum gesworen, vnd wo man ir eines in dem bystum ergriffet, do es uns in unser gerichten gevolgen macht, das soll man verbumen'' (verbrennen). Die Bran- dung spricht aus, dafs dies Urteil geschah, weil die Winkeler durch ihren bösen Glauben Schmach und Unehre über ihre Stadt gebracht hatten und weil sie „verlumef' (verleumdet) waren, bei der EIrmordung Weidenhofers durch Geld und Bufse mitgeholfen zu haben, „das sie aber nit verichen woi- tent vnd doch kundig ist, daz Weidenhofer do von ermordet wart, daz er sich von der Irrigkeit des bösen glöben kerte, vnd die wamete dovon ze kerende, die des gloubcn werent vnd die Irrer vorhtent, daz Weidenhofer sie verrügete, vnd in darum be ermordet''. Obgleich also ein Geständnis, auch von der Alten zum Hirze, nicht zu erzielen gewesen war, wird die von den Angebern behauptete Thatsache doch als erwiesen angesehen. Obgleich keinem Beklagten die Be- hauptung widerlegt wird, er habe seinen Irrtum abgeschworen und Bufse dafür geleistet, werden sie nach Jahren um dieses früheren Unglaubens willen gefänglich eingezogen, verurteilt und vertrieben. Ja obgleich diese Strafe selbst für ein be- wiesenes, aber doch soviel später ruchbar gewordenes Ver- gehen wahrlich schon schwer genug gewesen wäre, haben die Dominikaner sogar noch den Feuertod verlangt

1) Die ursprüngliche Anordnung war also: I. Verhör der An- geberinnen; II. Liste des Bruder Claus; 111. Verhör der Angeklagten; IV. zweites Verhör der Alten zum Hirze, Bl. XXXVII ; V. Bl. XXXVI, Verzeichnis der Belastungszeugen und Verhör derselben, einschliefslich Bruder Claus bis: „villihte geseit hettent" (73); VI. Verzeichnis der Verurteilten bezw. Freigesprochenen, Bl. XXXV.

DEUTSCHES IKQt'ISITlONavERFAHKEN UM UOO. 249

So hart aber demnach dies Urteil an sich iat, so aaiTallend erscheint es auch im einzelnen und zwar zunächst dadurch, dafa nicht weniger als 23 Personen, von deren Verhör wir gar nichts wissen, verurteilt bezw, freigesprochen werden. Beläul't sich doch die Zahl der namentlich angeführten Ver- urteitteu auf 90, und die der cbcnlalts mit Namen genannten Freigesprochenen auf 10, während sich, wie auch Specklin angiebt, nur 26 im Verhör als ehemalige Winkeler bekannt hatten (32). Unter den 23 Personen, deren Namen dem- nach im VerhürsprotokoU fehlen, befinden sich allerdings einige, die o&bnbar überhaupt nicht verhört worden sind. Wie Hermann, der Sohn Hermanns zur Birken, als zu jung entlassen , dann aber doch mit seinem Vater zugleich ver- urteilt wird, so verfallen gleicherweise die Kinder Hartmanns und Kunz Erlebachs ohne weiteres dem gleichen Urteil, wie ihre Eltern. Wie aber sogar der verstorbene (selige 72) (!) Alle zum Hirzen mitverurteilt wird, so hat das Inquisitions- gericht ohne besonderes Verhör auch die Frau Kunze Erle- bachs, die Sühne Jecklins des Tuclischerera und Hermanns »ur Birken, die drei Schwestern Heinrich Wasens und die- jenigen Jecklins des Schuchsuters zugleich mit dem Familien- haupte verurteilt. Es galt eben durch die Häresie des Familienoberhauptes das ganze Haus als von der Ketzerei angesteckt, die Häresie machte Alle rechtlos, und der ganze Besitz verfiel dem Staat und der Kirche '. Auch der Toch- termann Fritze Hartmanns und Heine Tochter mögen als Verwandte so ohne weiteres in das Urteil über den Bier- mann, seinen Schwiegervater, mit eingeschlossen worden •ein, und dasselbe liefse sich vielleicht auch von der Magd der Jungfer Else annehmen, dio ja deren Hausgenossin war lind auch eine Wallfahrt für ihre Herrin that.

1) Vgl. die Kelzcrgesetze Friciliicbs II, und Karls IV., die den Ver- urteilten und damit seine (lanze Familie all' seiner Gater und Lehen beraubeo und rechtloB tnacbeii. Nudi die Nachkomnpnschart eines Ketzers bedurfte besonderer Rehabiliiierun)i, «eaa sie wieder fabig «erden wollte, Ämter und Ehren zu eilaiigen, DafOr ein Beispiel in Böbmen bei Haupt, WaldenserCiim und Inquiution, in Qujdtles Zeit- ■chr. f. Gescbichtswissensoliaft 1890, S. 319. Haupt, Rd. Sekt, in Franken, 8. 1 f.

<.t» 9

I

250 FLADB;

Bei diesen 16 Personen brauchen wir also das Verhön- protokoll nicht unbedingt zu vermissen. Aber wo ist das Verhör über die verurteilte Schwester Adelheid von St. Gallen und über den freigesprochenen Claus von Solothum, deren Namen von den Angeberinnen zwar genannt werden (71)| im Verhör aber gar nicht wieder vorkommen? Woher kommen die Freigesprochenen KüUein der Schuchsuter, Küssen Dilin, Motze Miltenbergerin und Buschheim Katha- rein und die Verurteilten Fritze Dinlin und Jeckelin der Schuchsuter? Wo ist vor allem das Verhör über Blum- stein? Etliche Verhörsprotokolle können ja vielleicht ver- loren gegangen sein, zeigt doch das Manuskript eine Anzahl leerer Blätter. Dafs aber insonderheit gerade Blumsteins Verhör fehlt , nach dessen Verhältnis zu den Winkelem die Inquisitoren immer wieder fragen , und der auch mit seiner Mutter zugleich verurteilt wird, ist in hohem Mafse auf- fallend. Aber auch betreffs der Personen, deren Verhörs- protokoU wir besitzen, erscheint das Urteil als höchst merk- würdig. Wie kann Blumstein verurteilt werden, der nur als Belastungszeuge vorgeladen war, und der der Inquisition doch zweifellos gute Dienste geleistet hatte, etwas, was man, wie wir gleich sehen werden, sonst auch zu würdigen ver- stand? Warum wird Ellekint, die Hüterin, freigesprochen; deren Aussagen sich völlig mit denen der anderen Ver- hörten, aber Verurteilten, decken (64), warum Schwe- ster Petersche, die 50 60 Jahre zur Sekte gehörte? Warum fehlen unter den Verurteilten Motze Waserin von Solothum und die Magd Voltze Haderers (62), die doch nicht nur zu dessen Hause gehörte, wie die unverhört verurteilte Magd der Jungfrau zum schwarzen Buchstaben, sondern nach ihrem eigenen Qeständnis auch zur Sekte? Warum wird Bo^ schön, der Weber, nicht verurteilt, der als rückfallig hätte sogar verbrannt werden müssen? Warum werden vor allem die fünf Angeberinnen nicht bestraft, die doch gerade so gut zur Sekte gehört hatten, wie alle Anderen? So müssen wir das Ui*teii im einzelnen als sehr willkürlich und teilweise sogar offenbar ungerecht bezeichnen. Denn wenn wir in Be- tracht ziehen, wie wichtig die Aussagen der freigesprochenen

DEUTSCHES IKQUISITIONSVEiirAllüKN UM MOO. 251 I

Schwester Peterache für den Gericlitahof sein mufsten, und bedenken, dafs sich auf die Aussagen der fünf Frauen über- haupt der ganze Prüzefs aufbaute, so erkennen wir, dafs die Inquisitoren vornehmlich solche Schuldige freigesprochen haben, die durch ihre Angaben dem Inquisitionsgericht sich nützlich erwiesen hatten; insonderheit aber hat die Angeberei straffrei gemacht. So ist das ganze Verfahren iu Strafaburg, wie es auf Angeberei hin plötzlich über solche hereinbricht, die sich schon vor Jahren mit der Kirche wieder ausgesöhnt hatten und wie es ohne Geständnis oder Überführung neuer Schuld schliefshch zur Vertreibung einer grofsen Zahl von ehemaligen Winkelern führt, während andere Gleichschuldige, insbesondere die Angeberinnen, straflos ausgeben, ein typi- sches Beispiel des Inquisitions Verfahrens überhaupt mit seiner Willkür und seinem blinden Eifer für die äufsere Einheit einer innerlich dem Verfall entgegengehenden Kirche. For- mal läfat sich freilich gegen die ganze Prozel'sführung, soweit wir sie kennen , um so weniger etwas einwenden , als die Inquisitoren völlige Freiheit hatten, je nach den Umständen sich Ausnahmen zu gestatten und schärfer oder milder zu verfahren '.

Aufser den Aufschlüssen, die uns unser Protokoll über das Verfahren von 1400 giebt, erfahren wir aus den An- gaben der Verhörten noch so mancherlei aus früheren In- Cjuisitionsprozessen. Ho besafs der Neffe Hermanns zur Birken einen Brief {4G) darüber, dafs er in Wien abgeschworen hatte. Borschün berichtet von der Wal dona er Verfolgung Martins von Prag, bei der in Uegensburg viele seiner Genossen gefäng- lich eingezogen und verbrannt worden waren, ein ächicksal, dem er nur durch die Flucht entgangen ist (63) Ziem- lich genau werden wir über das Verhalten der früheren Strafsburgcr Inquisitoren Johann Arnold und Bockler den Winkelern gegenüber unterrichtet. Ähnlich wie Prozefs der alte Leutpriester Claus als Hauptbelastuni erscheint, so waren es zu ihrer Zeit Geistliche, durch welche die Inquisitoren von der Sekte erfuhren, und zwar schickten

252 FLADE,

die Qeistlichen von Einstatt und Bloofelden^ sowie der Au- gustinerprovinzial; diejenigen^ von deren Ketzerei sie in der Beichte Kenntnis erhielten ; einfeich unmittelbar zu den In- quisitoren hin (53 f. 66); und es ist bezeichnend fiir die Macht der Earche, dafs die Betreffenden auch wirklich zam Inquisitor gingen. Die Haupttriebfeder mag freilich die Furcht vor sonst härterer Bestrafung gewesen sein. Dies zeigt am besten der Umstand, dafs sich Blumstein damals vorsichtig von der Sekte zurückzog imd alles Unheil von ihr abzuwenden suchte. Zu einem eigentlichen Inquisitions- verfahren war es freilich damals infolge jener Selbstanzeigen nicht gekommen; Arnold hatte offenbar Furcht vor der Rache der Waldenser, und wenn Böckler sich wirklich nicht hat gleichfalls einschüchtern, so hat er sich doch durch Blom- stein täuschen lassen; jedenfalls unterliels er es, die Fäden, die sich ihm ganz von selbst in die Hand gaben, weiter zu verfolgen. Die Winkeler büfsten also heimlich, was Böckler bei Hartmann dem Biermann damit begründet, dafs die Ketzerei auch eine heimliche sei. Die Strafen, die dabei verhängt wurden, sind die auch sonst üblichen. Sechsmal verlangt der Inquisitor Wallfahrten, wobei sogar Stellver- tretung gestattet wird, fünf Winkeler müssen Bufskrenze tragen; einige Male ist nur allgemein von Bulse, Almosen, Fasten und Beten die Rede, im einzelnen wird als Bufse ge- nannt : 1 5 Mal brennende Kerzen, brennende Lichter sonntäglicL opfern, sodann Fasten bei Wasser und Brot, alle Tage 10(K Vaterunser beten und dabei am Freitag Wasser und Brat^ Als eigenartige Straie begegnet uns, dafs Schwester Peterscb^ das hiirene Seil, das sie als Selbstkasteiung in der Sekt^^ getragen hatte, noch ein Jahr auf dem blofsen Leibe traget:^ mufste. Neben diesen kirchlichen Bufsen werden den Winke- - lern noch Geldstrafen auferlegt, und zwar geben die ^ hörten an: 12 fl., 30 Schilling, 30 Schillingpf<Minig SU haben, während die Sammlerin des Geldes 24 25 BOmt Jedentialls war die Summe tiir die kleinen Leu- aus denen die Sekte bestand ^ hoch genug. Freilich tL dabei Blicke in eine recht eigentümliche Praxis

Auferlegen der Bufsen, wenn Cunz Erlebach zu Bccl

DEUTSCHES INQUISITIONSVERFAHREN UM 1400. 253

ht und sagt; er solle doch die Wallfahrt für ihn über- hmen, die Füfse thäten ihm weh, und wirklich mit ihm ereinkommty dafs Böckler für 3 fl. (!) die Wall&hrt halten 11; 99 ob er abr die varte dete oder nit; dez weis er nit'^ ^ Cunz bezeichnend bei. Und wenn sich Böckler der se zum schwarzen Buchstaben gegenüber, die ihn um Er- 8 einer Wallfahrt bittet, dazu bereit erklärt, dieselbe selbst

übernehmen, „wollte sie Ime das vertte kleit vermachen eh Irem tode'% so erkennen wir auch hieraus, dafs der qoisitor sein Amt als Mittel zur Bereicherung benützt hat.

War aber Böckler sonach ein habsüchtiger Inquisitor, so ir Ämoldi, der sein Amt aus Furcht vor der Rache der ^inkeler niederlegte, furchtsam und feige, so dafs uns beide iqoisitoren im Sinne ihrer Kirche keineswegs als Muster ires Berufs erscheinen.

Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Pro- 8tanten V; Wattenbach, Über Ketzergeschichte in Pom- sm und der Mark, in Abh. d. Ak. d. W., Berlin 1886; Haupt, Joh. Malkow etc., in Zeitschr. f. K.-G. VI, 1884; rs., Religiöse Sekten in Franken; Ders., Waldensertum 1 Inquisition, in Quiddes bist. Zeitschr., 1889; Ders., Zur schichte der Waldenser in Böhmen, in Zeitschr. £ K.-G. ^I; V. DöUinger, Beiträge zur Sektengeschichte des ttelalters IL

Die Herzoge von Brieg und die geist- lichen Patronatslierren.

Von

t Dr. WaKher Ribbeck,

ArebiTar in Breslau.

(Schlufs \)

Der Johanniter- oder Malteserorden^ welcher im Fürstentum vier Kommenden besafs, zu Brieg, Lossen, E[lein- 01s und Grofs-TinZy bereitete der Einführung der neuen Lehre weniger Schwierigkeiten. Zu den ersten, welche sich ihr anschlössen, gehörte der Komtur und Pfarrer zu Brieg, Wolfgang Heinrich, der 1526, Sonntag nach drei Könige, in der Pfarre anhub, die deutsche Messe zu singend 1526, in der Woche nach Himmelfahrt, nahm er Elisabeth, die Schwester des Hans von Pogrell, zum Weibe und nach deren frühem Tode (1529) ' vermählte er sich bald zum zweiten Male ^. Aus dem Orden scheint er darum nicht getreten zu sein, wenigstens heifst er noch zu Beginn der dreifsiger Jahre sowohl Komtur als Pfarrer ^. 1534 heifst er nur Pfarrer* und 1536, Montag nach Trinitatis, finden wir ihn als Pfarrer zu Heidau ', und in der Würde des Komturs war ihm zur selben Zeit Hans Getschler von Khun- wald gefolgt ®.

1) Siehe oben S. 84.

2) Schönw&lder, Die Piasten zum Briege II, 40.

3) Ebenda nach dem Brieger Stadtbuch.

4) F. Brieg IIT, 19 J. 18. 19. 5) Ebenda S. 8ff. 18. 19.

6) Schönwälder II, 41.

7) F. Brieg III, 19 J. 51. 8) Schönw&Ider a 67.

DIE HERZOGE VON BRIEG. 265

Auf den einzelnen Kommenden soll das Luthertum zur gleichen Zeit wie im übrigen Fürstentum (ca. 1523) seinen Einzug gehalten haben ^ Von der Kommende Lossen er- fahren wir aus Schriftstücken^ die den letzten Decennien des Jahrhunderts entstammen^ dafs doi*t das Evangelium seit 50 bis 60 Jahren gelehrt worden sei '.

Des Patronates über die von dem Orden zu besetzenden Pfarrstellen scheint sich Herzog Friedrich einfach angenommen zu haben. Von der Pfarrkirche zu Brieg wissen wir das be- stimmt ^. Das wollte sich der Orden auf die Dauer denn doch nicht gefallen lassen. Am 24. Januar 1552 bestätigte König Ferdinand einen Vertrag, den Herzog Georg mit dem Orofsprior des Ordens, der zu Strakonitz in Böhmen seinen Sitz hatte, abgeschlossen. Qeorg verzichtete darin auf alle Gerechtigkeiten des Ordens in den Kommenden Brieg, Lossen and Grofs-Tinz, deren er sich zu Unrecht angemafst, die Pati'onatsrechte mit einbegriffen. Dafs der Orden die ihm zustehenden Pfarrstellen nur mit evangelischen Geistlichen zu besetzen habe, war nicht ausdrücklich ausgemacht, dies schien aber auch nicht erforderlich. Denn die Kirchenordnung Her- zog Friedrichs I. von 1542 bestimmte ausdrücklich, dafs zwar die Lehnherren nach wie vor das Recht haben sollten, die ihnen zustehenden Pfarrstelleu zu besetzen, dafs aber die be- treffenden Pfarrer sich vor den Superintendenten und Senioren zu stellen und einer Prüfung auf ihre Zugehörigkeit zur A. C. zu unterziehen hätten. Auch sollte niemand einen Pfarrer entsetzen ohne genügende Ursache, über die der Herzog und seine Superintendenten zu befinden hätten. Nur die Patro- natsrechte des Ordens in der Stadt Brieg selbst wurden durch einen Vertrag, den Herzog Georg am 20. Januar 1573 zu Strehlen mit dem Grofsprior Wenzel Haase von Haasen- burg und dem Lossener Komtur Friedrich von Pannwitz abschlofs, dem Herzoge abgetreten, wogegen er seine Rechte an den Dörfern Lossen, Rosenthal, Jeschen und Buchaus der Kommende Lossen überliefs ^, wodurch natürlich an der

1) Henel VII, 710. 2) Ortsakten Lossen.

8) Schönwälder S. 59. 4) Bukisch, Caput X member 13

256 RIBBECKy

VerpflichtuDgy dafs die Geistlichen der betreffenden Orte sich zur A. C. bekennen mufsten^ nichts geändert wurde.

Der erwähnte Friedrich von Pannwitz war, wenn kein Protestant, so doch jedenfalls kein strenger Katholik, sondern «her ein Freigeist und Skeptiker K Freilich scheint er darum seinen Pfarrern das Leben nicht weniger schwer gemacht zu Jbaben. Als im Jahre 1564 Paul Hubener, der Pfarrer zu Zindel, von dem Komtur nach Lossen, Rosenthal und Buchaus berufen wurde, ei klärte er sich in einem Schreiben an den Herzog Georg, da die Verhältnisse in Zindel sehr unerquick- lich seien, bereit, die Stelle anzunehmen, doch müsse er zu- vor bezüglich sieben des Näheren aufgezählter Punkte sicher gestellt werden. Unter diesen befand sich auch die Be- dingung, dafs der Komtur nichts gegen die im Briegischen geltenden, kirchlichen Ordnungen thun dürfe, in welcher B^ Ziehung einer von Hubeners Vorgängern, den er nur mit dem Vornamen Valton bezeichnet, sehr geklagt habe *.

Hubener mufs beruhigende Zusicherungen erhalten haben; denn er hat den Ruf angenommen und ist fünf Jahre lang bis 1565, wo er nach Ohiau berufen wurde, in Lossen ge- blieben ^. Zu seinem Nachfolger wurde Michel Strigelius, Pfarrer zu Schreibersdorf, ausersehen, der sich auch dem Herzoge gegenüber nicht abgeneigt zeigte, die Berufung anzunehmen. Sie war erfolgt durch den Herzog selbst, mit Bewilligung des Komturs, nach Lossen und den benach- barten Dörfern, damit „dieselben wie zuvor mit dem reinen Wort Gottes und rechten Brauch der hochwirdigen Sacra- mente versorgt würden".

Ob Strigelius die Stelle in Lossen wirklieh angetreten hat, ist dennoch zweifelhaft, denn am 17. September 1571 wird er durch den Herzog mit Bewilligung des Komturs auf die Pfarre zu Rosenthal berufen, deren bisheriger In- haber seine Stelle zu Martini verlassen sollte, und wenigstens in der Überschrift des abschriftlich erhaltenen Berufungs-

1) Eingabe des Pohunek vom 19. Juni 1579 (Ortsakten Lossen).

2) Schreiben des Hubener vom November 1564 (Ortsakten Ziiidel).

3) Michael Strigelius an den Herzog am 20. September 1569 (Orts- akten Schreibersdorf).

DIE H£HZOQ£ VON BRIEO. 257

Schreibens heilst er Pfarrer zu Schreibersdorfs Rosenthal, wo wir am 27. Oktober 1557 einen eigenen Pfarrer namens Martin Welles finden'^ hat 1564 einen solchen mit Lossen gemeinsam, später mufs es dann wieder davon abgetrennt worden sein. Im Juli 1570 fährt der dortige Pfarrer, Martin Schulz oder Scholz, über das launische und höhnische Be- nehmen des Komturs lebhafte Klage'. Am 21. September 1571 wird er dann als Diakon nach Brieg berufen ^. Strigel scheint den Ruf nach Rosenthal, zunächst wenigstens, ab- gelehnt zu haben, denn am 3. Oktober 1571 ergeht dieser an den Kantor beim Brieger Hedwigsstift, Johann Gelbrig *. Als Pfarrer zu Rosenthal begegnet uns im Jahre 1583 der Pfarrer Daniel Bauer (Colon us), der in den Jahren 1577 bis 1579 Pfarrer zu Zülzendorf gewesen ®.

Zu Lossen finden wir im September 1573 Fabian Langner als Pfarrer. Er konnte sich, wie nach seiner Behauptung verschiedene seiner Vorgänger, trotz der Vermittelungsver- suche des Herzogs mit dem Komtur nicht stellen und bat den Herzog, ihn auf eine andere Stelle zu berufen ^. Auch Johann Pohuneck, der Sohn des fürstlichen Sekretärs zu Brieg, der von 1778—1779 in Lossen amtierte®, hatte von dem Sarkasmus seines Patrons viel zu leiden. Zu Ostern des Jahres 1579 hatte er in seiner Predigt die Kürze des

1) F. Brieg III, 17 B. 350. Im Mai 1571 ist ein Pfarrer zu Schreibersdorf durch die Senioren entfernt worden. Dies kann nicht wohl Striegel gewesen sein; denn dann würde ihn der Herzog schwer- lich in eine neue Stelle haben berufen lassen.

2) F. Brieg III, 16 C. 527. 3) Ortsakten Rosenthal.

4) F. Brieg lll, 17 C. 19.

5) Ebenda S. 22. Nach Ehrhardt, Prcsbyterologie II, 195 war Strigel bis 1575 in Rosenthal, dann bis 1579 in Bankau (ebenda S. 167) und von 1579—1584 als Diakon in Biieg (ebenda S. 104). Wir wissen indes, dafs er am 12. Januar 1582 nach Sandewalde im Wohlauischen berufen wurde (F. Brieg III, 17 C. 20).

6) Ortsakten Zülzendorf.

7) Schreiben, präsentiert den 1. Oktober 1573 (Ortsakten Lossen).

8) 1564 erhielt er eine Pfarrstelle im Briegischen Weichbilde (F. Brieg III, 18 E. 179). Am 19. Juli 1577 ist er Pfarrer zu Diers- dorf (Ortsakten). Nach Ehrhardt II, 341 war er vom 10. Novembft'^ 1676—1578, weher am 27. Mai 1577 dort.

Zeitiebr. f. K.-O. Xlll, 2. Y\

258 KIBBECK;

menschlichen Lebens berührt und der Flüchtigkeit unsere» Daseins das hohe Alter gewisser Tiere^ wie der Hirsche und Ejrähen, gegenüber gestellt. Seitdem konnte er sich vor dem Spotte des Komturs über diese Hirsch- und Krähenpredigt nicht retten. Vergeblich wandte er ein^ ebenso gut müsse dann David wegen des 42. Psalms gleichfalls ein Hirsch- Prediger, Christus wegen des Gleichnisses von den thörichten und klugen Jungfrauen (Matth. 25) ein Ol- und Lampen- prediger, Lukas wegen Kapitel 14 ein Ochsen- und Mast- viehprediger heiisen. Auch warf man ihm vor, er sei nach Löwen (?) (Lewen) gegangen , sich um die dortige Pfarr- stelle zu bewerben, während er behauptete, er habe nur den dortigen Pfarrer, der 43 Jahre im Weinberge des Herrn thätig gewesen sei, die Leichenpredigt gehalten ^ Dem Po- huneck wiederum war der Komtur nicht fromm genug. Er verachte das heilige Sakrament, besuche die Kirche nicht und habe sich, als ihm die Quellen Warmbrunns keine Linde- rung seiner Leiden brachten, in den gotteslästerlichsten Redensarten ergangen. Dieser Zwiespalt fährte dazu, dafs dem Pohuneck die Stelle aufgesagt wurde (Juni 1579)*. So lange Pannwitz Komtur war (bis Anfang 1580)^, war von katholischer Propaganda keine Rede. Als aber nach seinem Tode der Komtur zu Klein-Ols, Hans von Tschetschau, genannt Mettich, die Verwaltung der Kommende Lossen über- nahm, wurde es bald anders. Wenigstens klagt der Pfarrer Martin Zimmermann, den Herzog Georg im Frühjahr 1581 von Lossen nach Nimptsch berief*, in zwei Schreiben an

1) Auf keinen der von Ehrhardt II, 127 angeführten Löweuer Geistlichen passen diese Angaben.

2) Schreiben des Pohuneck vom 5. und 19. Juni 1579 (Ortsakten). Am 7. Juli 1679 empfiehlt ihn der Herzog fQr Lorenzberg (F. Brieg 111, 14* 9). Indes soll ihn Hans Gzirn am 14. September 1579 nach Krommendorf berufen haben. (Schimmelpfennig, der hier seine Quelle nicht angiebt, in den schlesischen Provinzialblättern, N. F., Jahr- gang XII, S. 528.) Sicher ist, dafs er von 1580 ab Pfarrer in Krom- mendorf war (Ortsakten Krommendorf.)

8) Er lebte noch, obschon schwerkrank, am 27. Januar 1580 (F. Brieg 111, 14» 256) und ist tot am 2. Februar.

4) Schreiben vom 17. MfiLrz und 7. April (F. B r i e g III, 14» 740 u. 771).

DIE HERZOGE VON BRIEG. 259

Herzog und Herzogin über Elend und Trübsal; die er dort erlitten, und freut sich; seinen Feierabend unter den Adler- flügeln des Herzogs verleben zu dürfen ^ Auch wissen wir aus dem Jahre 1582 von einer Beschwerde der dortigen Lutheraner beim Kaiser ^. Im Juli dieses Jahres mufste Mettich die Kommende nach anfänglichem Widerstreben ^ dem OktaviuB Spinola einräumen ^. Unter diesem ^ der am 20. Januar 1585 verzichtete^ um eine andere Kommende zu übernehmen^ scheint nichts Widriges vorgekommen zu sein. Unter seinen nächsten Nachfolgern aber^ eben jenem Hans Mettich und Ferdinand Trautson^ ändert sich die Sache, zu- mal am 7. Mai 1586 auch Herzog Qeorg gestorben war.

Am 15. Februar 1588 schrieb Georgs Witwe Barbara an ihre Söhne , die Herzöge Joachim Friedrich und Johann Oeoi^, Kaspar von Danwitz auf Giersdorf habe ihr bei seiner Anherkunft erzählt; dafs Erasmus Michaelis ^ der In- haber oder Amtmann der Kommende Lossen^ nach dem Tode des evangelischen Predigers einen papistischen eingesetzt habe. Dies sei durchaus gegen die kirchlichen Ordnungen des Herzogtums^ und sie ermahnte daher die Söhne bei dem Andenken ihres verstorbenen Vaters, dagegen einzuschreiten \ Diese beschwerten sich denn auch durch ein Schreiben vom 24. Februar 1588 bei dem Kaiser^ und erhoben bei dem Amtmann Michaelis wie dem Komtur Ferdinand Trautson Vorstellungen. Sie setzten dem Komtur einen Termin an, bis zu welchem er den katholischen Prediger abgeschafft haben müsse ^.

Indes der Orden war keineswegs gewillt sich zu fügen. Wir werden noch sehen, dafs er im September 1588 eine Visitation der Kommende Klein-Ols anordnete zu dem Zwecke, die dort etwa vorhandenen nichtkatholischen Geistlichen zu

1) Ortsakten Lossen, undatiert.

2) A. A. III, 6c 147 (1582, Juli 10).

8) Schriftstncke vom 8. und 21. Mai 1582 (ebenda S. 129).

4) Schriftstücke vom 21. Juni und 10. Juli 1582 (ebenda S. 138. 147.

5) Ortsakten Lossen.

6) Instruktion für Specht vom 28. Juni 1690.

7) Schreiben des Kaisers vom 18 Januar 1589.

260 RIBBECK,

beseitigen. Dies deutet darauf hin, dafs in dieser Richtung ein planmäfsiges Vorgehen auf allen Kommenden beabsich- tigt war. In der Lossener Sache wandte sich der Orden beschwerdeführend an den Kaiser, und dieser crUefs am 18. Januar 1589 ein Abmahnungsschreiben an die Herzoge. Diese reichten am 15. Februar einen Gegenbericht ein \ worauf aber der Kaiser sie wiederum anwies, das Patronats- recht des Ordens zu achten (14. April 1589).

Übrigens scheint es eine eigene Art von Katholicismos gewesen zu sein, die jetzt in der Pfarre zu Lossen vertreten war. Wenigstens berichtet der Lossener Komtur Ferdinand Trautson, der fiir gewöhnlich nicht dort residierte, er habe zu Lossen einen PfaiTcr gefunden, den er freilich selber ein- gesetzt, dessen Lehre sich aber von der evangelischen nicht viel unterscheide. Zur Rede gestellt, behaupte der Pfarrer, die Messe sei dort eben nicht gebräuchlich, im übrigen müsse er sich nach den Wünschen seiner Gemeinde richten und werde sich hüten, diese gegen sich aufzureizen. Einen solchen Pfarrer könne er, der Komtur, nicht gebrauchen, er bittet den Bischof von Breslau, jenen zu bestrafen und ihm einen anderen Pfarrer zu verschaffen. Als Ersatz fafstc der Bischof den Martin Schneider oder Sartorius zu Neifse ins Auge^ Dieser sollte seine Stelle eigentUch ei*st zu Martini antreten, wo der andere Pfarrer abziehen sollte, er hatte sich aber schon früher auf den Weg gemacht ^. Der Empfang, den er fand, war kein freundlicher. Am 2. November 1589 sclirieb er, dafs ihm seine GemeindegUeder Steine ins Fenster würfen und er zu Martini wieder fort wolle, welchen Vor- satz er indessen nicht ausiuhrte. Am 26. oder 27. November, als er im Ganzen etwa zwölf Wochen dort gewesen, er- schienen der Hauptmann Heinrich von Waldau und Fried- rich Heusler als bnegischc Kommissare, hoben den Pfarrer auf einen Wagen, iuhrten ihn ins Gi'ottkauische und setzten einen Lutheraner ein *,

1) Einpibe des Ordens tod 1590.

2) Der Bischof an Tmutson den 21. Juli 15S9.

3) Schreiben des Sartorius Tom 5. Aujrust 1589.

4) Der Amtmaim Michaelis an den Bischof den 28. NoTember 1589.

DIE HKItZOOE VON BKIEO.

I Hierüber erhob der Orden bei dem Kaiser Beschwerde. Er führte aus, dafs in dem Vertrage von 1552 dem Orden, der auf die katholische Religion und nicht auf die A. C. fundiert Bei, das Patro na tsrecht auf seinen Kommenden aus- driicklicK zugestandeu sei. Die Richtigkeit der Behauptung, dafs es in Losseu seit ßO Jahren evangelische Prädikanten gegeben habe, zog er in Zweifel, wenigstens in den Kommen- den Klein-Ols und Grofs-Tinz hatten aich bei einer Visitation lim Jahre 1561 nur katholische Pfarrer vorgefunden '. 1 Der Kaiser liefs denn auch demenisprechende Befehle Ivgehen und ordnete an, den evangelischen Prädikanten zu iMttfemen ^. Dadurch sahen sich die zum Füistentnge in |;Breelau vereinigten Fürsten und Stünde von Ober- und I Mieder Schlesien veranlafst, für die Brioger ilerzoge einzutreten !(1590, Juni -1). Sie beriefen sich darauf, dafs diu Pfarrer

ELosseu immer der A. (J. angehört und dafs keiner der iheren Komture etwas gegen diesen Zustand unternommen be».

I' Inzwischen dachte man auf Seiten der Gegenpartei daran, die Stelle wieder mit einem katholischen Geistlichen zu be-

rWtKen, und richtete sein Augenmerk zunächst wieder auf Sartorius in Neifse. Sein Pfarrer Nicoiaus Heintzmann wollte ihn aber dringender Geschälte lialbei' nicht gern von sich lassen *. Andererseits wunsciite ihn Erasmus Michaelis, der unterdes Amtmann auf der Kommende Gröbing im Oppeln- ■chen geworden war, den Sartorius nach Leifanitz zu haben, und dieser, der die Unabhängigkeit liebte, willfahrte ihm ^ Der Fürstentag scheint seine Supplik vom 4. Juni am 12. wiederholt zu haben ". Die Brieger Herzoge sandten den Rat Joachim Specht an den Kaiser nach Prag, um eine bessere Entscheidung zu erzielen. Sie protestierten gegen die ihnen untergeschobene Absicht, die katholische Religion

1) Undatierte Siipiitik (von 1690).

3) Mandate von 18, Januar und 14. Apiil 15'JO.

3) Oitsakten Losscn.

4) lleintzniann an den Biscliof den 4. Juni 1590. 6) Korreipondenüen vom 5, bis 8. Juni 1G90.

J Koaiejit bei deu Oitsaklea.

262 RIBBECK,

ausrotten zu wollen, beriefen sich zum Beweise auf ihr Ver- halten gegen das Vincenzstift in Breslau^ auf dessen Gütern Würben und Zottwitz die katholische Lehre unbehelligt ge- blieben sei; betonten aber den evangelischen Charakter der Lossener Unterthanen ^ Der Gesandte erlangte aber nur den früheren ungünstigen Bescheid '.

Die Einweisung eines neuen, katholischen Pfarrers schob sich immer wieder hinaus, da der Bischof, der sie gern persönlich vornehmen woUte, stets verhindert war^ Die Herzogin Barbara fragte sogar bei ihren Söhnen an, ob diese einen ihr durch Erasmus ELradel von Omberg, Amt- mann der Kommende Elein-Ols, empfohlenen protestantischen Geistlichen, Valentin Titz, der aus seiner Stelle in einem der Malteser Kommende Klein -Ols zustehenden Doi*fe hatte weichen müssen, nicht nach Lossen bringen wollten ^, aber dies war doch nicht thunlich.

Am 18. Mai 1591 berichteten endlich die bischöflichen Kommissare, dafs sie am heutigen Tage den neuen Pfarrer, Magister Michael Maier, eingesetzt hätten. Sie stiefsen dabei freilich auf den ausdrücklichen Widerspruch der Gemeinde Lossen und der anderen zur Lossener Kirche gehörigen Ge- meinden. Auch die Versicherung, dafs der neue Pfarrer ihnen keine neue Lehre predigen und das Sakrament unter beiderlei Gestalt reichen werde solche Konzessionen hielt man doch für rätlich machte keinen Eindruck.

Was aber der Widerstand dieser Leute zu bedeuten hatte, sollte der Pfarrer bald mit Schmerzen erfahren. Er wurde einfach boykottiert. Kein Frauenzimmer wollte ftir ihn waschen, ihm das Bett machen oder die Wohnung reinigen, kein Handwerker ihm neue Sachen anfertigen oder die alten ausbessern. In die Kirche gingen die Leute nicht An einem Sonntage im Oktober machte sich ein gröfserer Zudrang bemerkbar. Der Pfarrer eilt freudig in die Kirche

1) Instruktion vom 18. Juni 1590. Eingabe vom 10. Oktober 1590 (F. Brieg III, 16 1 652), 4. und 16. Januar 1591 (F. Brieg III, 16^).

2) Am 30. Juli 1590.

3) Schreiben vom 22. Oktober 1590 und 4. Januar 1591.

4) Schreiben vom 23. März 1591.

DIE HERZOGE VON BRIEG. 263

xind findet seinen eigenen Küster (aedituus), der den Bauern aus Luthers Postille vorliest und darüber predigt An dem Hauptmann (capitaneus) hatte er keinen Halt. Dessen Schwiegermutter, die zu den Lutheranern hielt, hetzte die Weiber gegen ihn auf. Er selber nötigte ihn, die Pfarr- wohnung zu verlassen und sich an einem schmutzigen, «tinkenden Orte einzuquartieren, ja er sprach es offen aus, dafs er seine Entfernung wünsche. Als am 27. Juli ein fürstlicher Reiter eintraf, um die bevorstehende Ankunft des Herzogs Johann Georg anzukündigen, mufste der Pfarrer, um nicht in Lebensgefahr zu geraten, zu seinem Amtsgenossen nach Leippau flüchten. Unter diesen Umständen mufste er wohl einsehen, dafs seine Thätigkeit hier keine Frucht bringen könne, und bat wiederholt um seine Abberufung ^ Er stellte sich darauf dem Erzbischof von Gnesen für eine Sendung nach Polen zur VerfUgung ^. An seiner Stelle beauftragte der Bischof von Breslau den Balthasar Henen, Pfarrer zu Friedewalde im Neifsischen, den Gottesdienst in Lossen bis auf weiteres zu versehen *.

Am 23. April 1593 schreibt der Komtur Trautson an den Bischof, der Kaiser habe ihm befohlen, einen katholischen Pfarrer einzusetzen, er habe nun zwei Pfarren (zu Lossen und Rosenthal), die eine für einen Pfarrer, die andere für einen Kaplan und bitte den Bischof, die Einsetzung vorzu- nehmen ^.

Dennoch scheint es fürs erste nicht dazu gekommen zu sein. In den nächsten Jahren wenden sich die schlesischen Fürsten wiederholt an den Kaiser mit Beschwerden über die religiösen Bedrückungen, welche die evangelischen Unter- thanen der Kommende Klein-Ols erfahren ^, von Lossen ist dabei nicht die Rede. Unterdessen war der Orden auf an- deren Kommenden mit seinen Reaktionsbestrebungen nicht viel glücklicher gewesen. Im September 1588 fand, wie

1) Schreiben Tom 16. und 22. September und 15. Oktober 1691.

2) Schriftstücke vom 17. und 22. Oktober 1591.

8) Der Bischof an Erasmus Michaelis den 27. Oktober. 4) Ortsakten Lossen. 6) S. unten.

264 RIBBECK;

8chon erwähnt ^y auf VerordnuDg des Grofsmeisters und des Grofspriors Christoph von Wartenberg auf Strachonits (1578 1590) eine Generalvisitation der Ordenskommenden statt >.

Auf der Kommende Elein-OIs sollten bei der Visitation von 1561 sich nur katholische Priester befinden haben'. Jetzt berichtete der dortige Amtsverwalter, Erasmus Kradel von Omberg; am 17. September 1588, dafs auf den zu dieser gehörigen Dörfern die Pfarrer sich zur A. C. bekannten, ge- mäfs der von dem früheren Komtur Kaspar von Hohberg (seit ca. 1559) 1570 im Einverständnis mit dem Grofsprior Haase von Haasenburg (1555 1578) erlassenen Kirchen- ordnung ^. Die Visitatoren zogen darauf auf die Dörfer und befragten die Bauern, ob sie Beschwerden gegen ihre Pfarrer vorzubringen hätten, diese erklärten sich jedoch mit ihnen zufrieden ^. Trotzdem wurde sämtlichen Pfarrern auf Georgi 1589 aufgesagt und ihre Ersetzung durch katholische" Priester in Aussicht genommen, trotz der von dem Amtmann dagegen erhobenen Bedenken ^. Die Scholzen von iiinf zur Kommende gehörigen Dörfern erhoben Einspruch, wurden aber dahin beschieden, dafs jeder, dem diese neue Einrich- tung nicht gefiele, sein Hab und Gut verkaufen und weg- ziehen könne ^.

In Klein- 01s selbst wurde als katholischer Pfarrer Jakob Steinborn eingesetzt ®, aber die Leute weigerten sich, in seine Kirche zu gehen und liefen lieber auf die Dörfer ^. Auf den Dörfern Jauer und Brosewitz hatten die lutherischen Pfarrer ihren Abschied genommen *®, der Amtmann berief

1) S. oben S. 188.

2) Stehr, Chronik der Kommende Klein-ÖIs, S. 125.

3) Siehe oben.

4) In dem zur Kommende gehörigen Jauer kommt 1564 der erste evangelische Pfarrer Tor (St ehr, S. 13).

5) Stehr, S. 83.

6) Ebenda S. 84 (15. April 1589).

7) Ebenda. 8) Ebenda.

9) Berichte des Steinborn yom 12. und 26. September (Stebr, S. 86. 87).

10) In Jauer war es wohl Valentin Titz, der 18 Jahre lang erst tu

DIE HERZOGE VOK BHIEG. 265

aber zwei Evangdkche an ibre Stelle auf Martini, nach Jauer den Samuel Harn von Bolkenhain, Sohn des gleich- namigen Seniors zu Rudolsdorf, nach Brosewitz den Jakob Bagst, Diakon zu Strehlen '. Der Komtur Mettich, der sich als kaiserhcher Sil bcrk am nierer zu Prag aulhielt, untersagte indes dem Samuel Hörn (und auch dem andern Berufenen) die Stelle anzunehmen *. Nach Jauer sollte vielmehr Bal- thasar Hefa oder Hofs, der Pfarrer der gleichfalls zu Kleiu- Oia gehörigen Dörfer Niemen, Kalten und Güntheredorf, kommen und diese einen katholischen Geisthchen erhalten '. Als dies aber der Komtur Heinrich von Logau zu Troppau den drei Gemeinden mitteilte, erhoben sie Widerspruch (1589, November 23)*. Sie behaupteten, der Grofsprior Haase habe ihnen bei der Huldigung zugesagt, sie bei ihrem Glauben zu lassen, und selbst ihr jetziger Komtur Mettich habe ihnen durch seine Brüder erklären lassen, er wolle sie nicht nötigen, andere Priester zu haben, nur dafs sie nicht Schuster oder Schneider, sondern von den ersten Superinten- deoten oder Universitäten ordiniert wären. Die gleichen Forderungen wiederholten sie in Suppliken vom 29. No- vember und 3. Dezember*. Der Komtur Mettich verhielt sich jedoch völlig ablehnend (Schreiben vom 2. Dezember) '*. Nach dem (Augsburger) Ileligionsfricden stehe nicht den Unterthanen, sondern der Obrigkeit das Recht zu, Kirchen- diener ein- und abzusetzen.

Doch zeigte der zum Piarrer in Niemen ausersehene Jakob Steinbom keine grofse Lust, dorthin zu gehen, zumal der Prädikant Hefs von dort nicht weichen wollte '. An seiner Statt wurde am 17. Dezember 1591 sein Bruder Mat- thäus Steinbom der Gemeinde Niemen vorgestellt. Die mit der Vorstellung betrauten Kommissare gestanden den Bauern

Niemen, dann in Jauer gewesen war (siebe in den Oilsakten Losrcu das Zeugnis des Aratmanna Kradel vom 6. Dezember 1589).

1) Slchr, S. 87. 88.

2) Ebenda S. 67. 89. 3) Ebenda S. 90. 4) Ebenda. 5) Ebenda S. !)0 und !<2.

6) Ebenda S. 91.

7) Schreiben dea Steinbom vom 6. Januar 1590 (Siehr S. 94).

266 RIBB&CK;

ZU; dafs sie das Abendmahl unter beiderlei Gestalt empfangen könnten ; sowie dafs bei Taufen , Begräbnissen und dem Kirchengesang die deutsche statt der lateinischen Sprache zur Anwendung gelangen solle ^ Trotzdem baten die drd Gemeinden um einen evangelischen Geistlichen. Sie liefaen sogar einen Prädikanten aus Strehlen zu Tempelfeld eine Probepredigt thun und hernach die Kirche und Pfarrei Nie- men besehen *, Vergeblich war es aber; dafs die Herzogin Barbara, sowie die Adeligen Kaspar von Pannwitz auf Meeh- witZ; Kaspar von Sebottendorf auf Lorenzdorf und Nikolaus und Hans Bilitscher auf Jacobine ihr Fürwort für sie ein- legten, Mettich wies es von Prag aus zurück (16. Juli 1592) * und befahl seinem Amtmann Georg Pückler, gegen die widerspenstigen Bauern und den Pfarrer Hefs zu Jauer, der bei den letzten Vorgängen beteiligt gewesen, einzuschrei- ten ^. Auch in materieller Hinsicht sollten die Einwohner zu Niemen für ihren Widerstand zu büfsen haben, indem ihnen mit der Aufkündigung gewisser bisher genossener Rechte, wie Gräserei und Hutung, gedroht wurde '. Sie und ihre Nachbarn behalfen sich in Ermangelung eines Pfarren unterdes mit einem Schreiber aus Ohlau, der ihre Kinder unterrichtete und zuweilen predigte ^. Der Glatzer Komtar bedrohte sie hart ^. Ja, sie sollten, als ihnen wirklich ein katholischer Priester aufgenötigt wurde, diesen gewaltsam entfernt und den Balthasar Hefs, jetzt P&rrer zu Jaaer, wieder zu ihrem Pfarrer angenommen haben ^. Aber der Komtur selbst, der nun endlich persönlich in diese G^enden kam, nahm den Hefs in Haft und entliefs ihn nur gegen das Versprechen, binnen acht Tagen die Pfarre zu räumen ^

1) St ehr S. 97. 2) Ebenda S. 99.

3) Ebenda S. 98. 99.

4) Ebenda. Vgl. Zeitschrift XIY, 404.

5) Stehr S. 110.

6) Bericht Tom 25. August 1593 (Stehr S. 132).

7) Schreiben vom 27. September 1593 (Stehr S. 133).

8) Stehr S. 135.

9) Undatierte Bittschrift des Hefs bei Stehr S. 136. Back! ^^^ Vol. I, cap. 13, membr. 7 setzt diese Vorg&nge ins Jahr 1594.

DIE HERZOGE VON BBIEQ. 267

Ähnlichem Widerstände begegnete der Komtur bei den Bewohnern des Dorfes Brosewitz oder Brositz. Hier war bis Martini 1589 ein lutherischer Pfarrer gewesen, an dessen Stelle der Amtmann Jakob Bapst aus Strehlen berufen hatte. Diesem hatte jedoch der Komtur verboten, die Stelle anzu- nehmen ^. Der Pfarrer Steinbom hatte damals der Ansicht Ausdruck gegeben, die Einwohner selber wünschten einen katholischen Pfarrer, auch werde das Breslauer Domkapitel, dessen Dörfer Graduschwitz und Birkkretscham in Brosewitz eingepfarrt seien, dort keinen Lutheraner zulassen ^. Trotz- dem hören wir später von einem lutherischen Pfarrer * dort, Melchior Mathias oder Mathäus, der am 5. November 1591 starb ^. Nach seinem Tode versah sein Diakon Lorenz Wottke aus Strehlen angeblich mit Zustimmung des Kom- turs die Stelle, aber zum Nachfolger wollte ihn dieser nicht habend Am 16. Juli 1592 bat er den Bischof, einen katho- lischen Pfarrer daselbst einzusetzen. Der Bischof bestimmte den Simon Verula, Pfarrer zu Tbomaskirch, hierzu, aber dieser wollte sich trotz der Bitten des Hauptmanns Georg Pückler und des Balthasar von Metticb, des Bruders des Komturs, nicht nach Brosewitz begeben, weil am Neujahrs- tage 1593 die Edelleute aus der Umgegend mit Büchsen und Gewehr dort erschienen waren und ihm nachgefragt hatten ^. Ja, die Bauern gingen so weit, auf dem Pfarrhofe zu Brositz sich einen lutherischen Prädikanten zu halten ^, Sic beriefen sich auf den Zustand, wie er unter dem Komtur von Hochberg und dem Grofsprior von Haase (1555 1578) gewesen, und auf die Versprechungen, die ihnen noch bei

1) Stehr S. 87.

2) Schreiben vom 26. September 1589 (ebenda).

3) Der Komtur bezeichnet ihn als ersten *\ Vielleicht ist es derselbe, der 1589 hatte abgehen wollen. Sein Vorgänger soll ein Ea- tholik, von Borsnitz, gewesen sein (Stehr S. 134).

4) Schreiben des Komturs vom 16. Juli 1592 (Stehr S. 100).

5) Schreiben der Herren von Sebottendorf vom 17. November 1592 (Ortsakten).

6) Schreiben vom 11. und 26. Januar 1593 (Stehr S. 100. 101).

7) Stehr S. 102 (Schreiben vom 5. Februar 1593). Er ging dann nach Strehlen (S. 104, Schreiben vom 26. Februar).

268 RIBBECK;

der letzten Huldigung gemacht worden seien K Als Adelige, die sich der Einfuhrung des katholischen Pfarrers wider- setzteu; werden die Brüder Valentin und Sebastian Sebottendorf genannt ', auch entwickelte der Amtmann (Georg Pückler?) geringen Eifer in der Sache ^. Merkwürdigerweise scheinen die polnischen Bauern im Gegensatze zu den deutschen für den katholischen Pfarrer gewesen zu sein K Wegen der drohenden Haltung der deutschen Bauern und des übeln Willens des Amtmanns traute sich Verula nicht nach Brose- witZy sondern ging nach Breslau, um sich dort zu be- schweren (17. März 1593)*. Die widerspenstigen Bauern beriefen sich auf den Herzog Johann Friedrich, wurden aber von diesem in einem am 3. April an den Komtur gerich- teten Schreiben schnöde verleugnet ^. Sie seien nur ihrer Obrigkeit, der die Kirchenlehen zuständen, und nicht ihm verpflichtet.

Inzwischen hatte man den Priester Sebastian Nowag zum Pfarrer von Brosewitz ausersehen. Dieser wurde am 16. Juni von den bischöflichen Kommissaren daselbst eingeführt unter Spott und Widerstreben der Bauern, aber schon am folgen- den Sonntage von diesen gewaltsam auf einen Wagen gesetzt und nach Wansen gefuhrt '. In Brosewitz aber begann ein polnischer Prädikant aus Schwenka zu predigen, der sich beim Pfarrer von Peiskerau aufhielt *. Auf Andrängen des Ordens bestellte der Kaiser am 16. Dezember 1593 eine Kommission, zu der unter anderen der Bischof von Breslau und Herzog Joachim Friedrich von Brieg gehörten *•*. Diese hielt am 20. Juni einen Tag zu Klein-Ols ab und verfugte die Festnahme von drei Rädelsführern, Scherhansens aus Brosewitz und der beiden Scholzen zu Niemen und Günthers- dorf, Wilde und Weinrich ^^. Herzog Joachim Friedrich aber trat in einer Eingabe vom 22. Juni für das Kecht der Kommende-

1) St ehr S. lOl. 2) Ebenda S. 104.

3) Ebenda S. 100. 109. 4) Ebenda S. 104. 106.

5) Ebenda S. 105 ff. 6) Ebenda S. 107.

7) Bericht vom lö. (25.?) und 27. Juni (Stehr S. 111. 124).

8) Schreiben vom 20. und 25. August 1593 (Stehr S 132).

9) Ebenda S. 134. 10) Ebenda S. 140.

DIE HERZOGE VON BRIEG. 269

Unterthanen, evangelische Geistliche zu haben , ein. Nur die Gemeinde Brosewitz nahm er aus, weil dort immer ka- tholische Pfarrer gewesen seien ^ Der Pfarrer von Wansen machte am 29. Juni einen neuen Versuch, den Sebastian Nowag in Brosewitz einzusetzen , stiefs aber wieder auf den Widerstand der Bauern ^. In der nächsten Zeit drehten sich die Verhandlungen hauptsächlich um die Loslassung der drei Gefangenen. So bemühte sich der zu Breslau versam- melte Fürstentag in einer Supplik vom 5. Oktober 1594 darum, in der er ausführte, dieselben seien schon fünfviertel Jahr gefangen^, sowie in einer Eingabe vom 12. März 1595^. Sie erwähnten darin, dafs bei Uberantwortung der Kommende die Beibehaltung der evangelischen Geistlichen durch die kaiserlichen Kommissare, unter denen sich auch der Vater und ein Bruder des jetzigen Komturs befanden, zugesichert worden sei. Am 12. Juli 1595 schlug merk- würdigerweise der Herzog dem Komtur den Brieger Diakon Johann Hosius zum Pfarrer von Niemen vor ^ , natürlich vergeblich.

Nachdem verschiedene Tagfahrten, auf denen die Sache verhandelt werden sollte, nicht zu Stande gekommen waren, verfugte der Herzog am 22. März 1596 auf Beti*eiben des Fürstentages die Loslassung der genannten drei Rädelsführer und 17 anderer Bauern, die wegen der letzten Brositzer Un- ruhen gefänglich eingezogen worden waren, doch unter der Verpflichtung, sich auf Erfordern vor Gericht zu stellen ^.

Sie sollten vor dem Oberamt und dem Komtur einen öffentlichen Fufsfall thun, ihre Güter verkaufen und das Gebiet der Kommende verlassen '. Dafs der Orden aber doch bis zu einem gewissen Grade eingeschüchtert war, be- weist folgender Umstand. Die zur Kommende Klein -01s gehörige Pfarrei Marienau wurde am 9. März 1596 durch

1) St ehr S. 142. 2) Ebenda S. 144.

3) Ebenda S. 145. In Wahrheit war es erst ein Vierteljahr.

4) Ebenda S. 150.

5) F. Brieg III, 17 M.

6) Stehr S. 156. 7) Ebenda S. 158.

270 KIBBECK,

den Tod des bisherigen lutherischen Prädikanten erledigte Der Grofsprior riet nun dem Komtur ab, die Stelle mit einem Katholiken zu besetzen; weil das sonst wieder Tumult geben und die benachbarten Herzoge von Münsterberg sich in die Sache mischen könnten. Er solle nur einen Prädi- kanten, der nicht viel tauge, dorthin setzen, bei Gel^:enheit könne man ihn dann fortbringen und ihm einen Katholiken zum Nachfolger geben ^. Ob dieser Ratschlag befolgt wor- den ist, wissen wir nicht. Im Jahre 1598 wurde dort ein katholischer Geistlicher, Johann Teschel, eingesetzte Den Unterthanen in Marienau und dem benachbarten Hermsdorf wurde bei Androhung von Leibesstrafen und der Verweige- rung christlichen Begräbnisses untersagt, auswärtige Earchen zu besuchen *. Sie wandten sich infolge dessen auf Rat des Pfarrers zu Bankau, Bartholomäus Schwarz *, in einer Bitt- Schrift an Herzog Karl von Münsterberg- 01s, der damals die Stelle eines Oberlandeshauptmanns von Ober- und Nieder- schlesien verwaltete ^. An dem Pfarrer hatten sie haupt- sächlich auszusetzen, dafs er die Messe in lateinischer Sprache abhielte '. Gegen die Unterzeichner der Bittschriilb schritt der Komtur ein, was nun auch in Marienau und Hermsdorf Unruhen hervorrief. Den Pfarrer zu Bankau nahm sein Landesherr, Herzog Joachim Friedrich, in Schutz ^

Am 28. Oktober 1597 war endlich die Pfarre zu Niemen besetzt worden mit Jakob Steinborn, der seine bisherige Stelle zu Köppernick noch eine Zeit lang daneben behalten sollte ^. Zu Weihnachten 1598 siedelte er nach Jauer über wo Balthasar Hefs also hatte weichen müssen und in Niemen folgte ihm Bartholomäus Ulrici ".

Länger dauerte es mit Brosewitz. Noch am 2. April

1) Stehr S. 156. 2) Ebenda S. 157.

3) Ebenda S. 168. 179. 4) Ebenda S. 168.

5) Nach Ehrhardt II, 166 war Schwarz 1580—1620 in Bankau, er wurde aber erst Ende 1587 berufen (Ortsakten, Stehr S. 170).

6) Schreiben des Herzogs vom 27. April 1599 (Ebenda S. 167).

7) Ebenda S. 169. 8) Ebenda S. 170. 9) Ortsakten Lossen. 10) Ebenda.

11) Stehr S. 179.

DIE HERZOGE VON BRIEG. 271

1597 baten yerschiedene Adeligö aus der Umgegend^ Fried- rich von Stosch und andere^ den Herzog von Brieg; dahin zu wirken, dafs ihnen der lutheriische Prädikant gelassen werde, sonst seien sie gezwungen, sich zu anderen Kirchen zu halten ^ Sogar der Herzog fühlte sich veranlafst, auch für seine dortigen Unterthanen einzutreten. Er verwies den Orofsprior, der wegen dieser Sache an ihn geschrieben, auf die Beschlüsse des letzten Fürstentages und protestierte gegen die in Schlesien unerhörte Beschwerung seiner Brosewitzer Unterthanen. Er warnte den Orofsprior, es könne leicht aus geringer Ursache ein solch Feuer aufgehen, welches der kaiserlichen Majestät zu höchstem Nachteil gelangen, und wie dies in anderen Gegenden der Fall gewesen, nur schwer zu stillen sein möchte ^.

Indessen wurde am 25. November 1599 Hieronymus Porka, bisher Prediger am Breslauer Sandstift, als Pfarrer zu Brosewitz eingesetzt ^, Die Verfolgung der an den dor- tigen Unruhen beteiligt gewesenen Bauern ging noch Jahre hindurch fort *.

Im Jahre 1598 ist auch zuerst wieder die Rede von der Lossener Kommende. Der damals noch vorhandene '^ evan- gelische Prädikant zu Lossen wurde angewiesen, die Pfarre bis Georgi zu räumen. Hiergegen erhoben die vier Ge- meinden Lossen, Rosenthal, Buches und Jeschen Protest beim Breslauer Fürstentage am 26. April 1598 *. An denselben wendeten sich gleichzeitig eine Reihe Adeliger, die über die Vertreibung ihrer Prediger durch den Komtur zu Lossen, Grofs-Tinz und Klein-Ols Beschwerde führten '. Der Fürsten-

1) Ortsakten Brosewitz.

2) F. Brieg III, 16 N. 1598 Juni 15.

3) Stehr S. 177. 179.

4) Stehr S. 192 unter dem Jahre 1602.

5) Die bei Grün ha gen, Schlesische Geschichte II, 122 von Buckisch übernommene Angabe, der die Vertreibung schon ins Jahr 1594 setzt, ist also nicht ganz zutreffend. Nach Ehrhardt II, 194 war der letzte eyangelische Pfarrer Barth. Zimmermann seit 1590 im Amte.

6) Buckisch I^ cap. XIII, membr. 15, p. 381.

7) Ibid. p. 383-385.

272 RIBBECK;

tag gab diese Beschwerden an den Kaiser weiter, indem er sich auf den Passauer Vertrag und den Augsburger Re- ligionsfrieden berieft Der Orofsprior wandte hiergegen ein, dafs der Orden als immediater Stand des Reiches berechtigt sei, die Religion seiner Unterthanen von sich aus zu be- stimmen '. In den Kommenden Lossen und Orofs-Tinz yer- mochte er indes seinen Willen noch nicht so bald durch- zusetzen. Wenigstens hören wir nach zwei Jahren, dafs er sich wegen Besetzung der dortigen Pfarreien an den Bischof von Breslau gewandt habe '. Die schlesischen Fürsten riefen infolge dessen wieder den Kaiser an (am 10. April 1601^ und 'iO. Februar 1603). Die vier Gemeinden wandten sich An Herzog Karl von Münsterberg in einer (undatierten) Bitt- schrift, in der sie erwähnten, dafs sie die Intervention des Kurfürsten Christians IL von Sachsen angerufen. Eine vom Kaiser am 5. Juli 1601 bestellte Kommission, welcher der Bischof, der Herzog von Brieg und Georg von Oppersdorf angehörten, sollte auch gegen die ungehorsamen Unterthanen zu Lossen einschreiten *.

Faktisch ist der evangelische Pfarrer zu Lossen erst im Jahre 1602 oder 1603, also nach dem Tode des Herzogs Joachim Friedrich, der am 25. März 1602 erfolgte, abgesetzt worden **. Die Einwohner Lossens und der anderen Dörfer weigerten sich indessen hartnäckig, den Gottesdienst des ka- tholischen Pfarrers zu besuchen und drei Jahre hindurch Äueh den Zehnten zu zahlen, trotzdem ihr W^ortführer, der Schulze von Lossen, Martin Schmidt, sie darauf hinwies, dafs die Leistung des Zehnten nicht gegen Gottes Gebot sein würde. Sie stellten ihm einen Revers aus, am 28. Mai 1605, in dem sie ihn für allen Nachteil, den er in dieser Sache erleiden würde, schadlos zu halten versprachen. Er wurde

1) Buckisch I, cap. XIII, membr. 16.

2) Ibid. p. 165.

3) Erwähnt in dem Schreiben des Komturs vom 10. Februar 1600 (Stehr S. 180).

4) Stehr S. 184. 5) Ebenda S. 189.

6) In der Eingabe des Fürstentages Tom 29. Oktober 1620 heiTst es, dies sei vor 17 Jahren geschehen.

DIE UERZOGE VON BRIEG. 273

auch ins Gteftognis geworfen und verurteilt; binnen eines halben Jahres sein Gut zu verkaufen und das Land zu räu- men, widrigenfalls er eine hohe Geldstrafe zu zahlen haben werde ^ In der That mufste er sein Gut unter dem Preise losschlagen und erlitt auf diese Weise erheblichen pekuniären Schaden.

So hatte der Orden denn auf sämtlichen drei Kommen- den * seine Absichten durchgesetzt. Die Gemeinden hatten mit heldenmütiger Zähigkeit am Evangelium festgehalten, aber sie war^n von ihren Landesherren nicht genügend unter- stützt worden. Diese mufsten es geschehen lassen, dafs hier die Kirchenordnung von 1547 durchbrochen wurde. Der Orden berief sich ihnen gegenüber darauf, daÜB er ein im- mediater Stand des Keiches sei, dem es nach dem Religions- frieden zustehe, die Religion seiner Unterthanen zu bestim- men. Dazu stimmte freilich nicht recht, dafs er sich in dem "Vertrage von 1552 gegen Herzog Georg zu Leistungen ver- pflichtet hatte, die, wie der Besuch der Landtage und die Entrichtung gewisser Steuern, sonst nur Unterthanen ange- Bonnen zu werden pflegen. Aber sei dem, wie ihm wolle, der Orden erfreute sich der Unterstützung Kaiser Rudolfs 11., der damals selber in seinen Erblanden gegen die neue Lehre vorging.

Ein Umschwung trat für diese erst ein, als dem Kaiser die MajeSiätsbriefe für Böhmen und Schlesien abgenötigt wurden (1609). Dieser Vorgang übte auch auf die Ver- hältnisse in der Kommende Lossen seine Wirkung aus.

Von katholischen Pfarrern im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts werden uns hier genannt: Thomas Weyfs, später zu Larabsdorf (bei Falkenberg), und Heinrich Som- mer. Letzterer war als katholischer Priester geweiht, etliche Jahre zu Köchendorf, einem katholischen Orte bei Wansen,

1) Eingaben des Schulzen vom 5. April 1611 und 1612.

2) Über Grofs-Tiuz sind die Nachrichten sehr spärlich. In den Oi-tsakten findet sich nur ein Schreiben des Amtmanns Georg Brauchitsch vom 12. Januar 1573 an den Superintendenten zu Strehleu, in welc^

CT bittet, ihm einen neuen lutherischen, der polnischen Sprache digen Geistlichen für Grofs-Tinz zu verschaffen.

Zeitdclir. f. K.-O. XXII, 8. IB

274 RIBBECKy

der unter dem Domstift zu Breslau stand, Pfarrer und hatte auch zu Elein-Ols öfter die Messe celebrieri 1610 wurde er zu Lossen installiert. Hier soll er allerdings nach Be* fragung der Gemeinde lutherischen und nicht katholischen Gottesdienst abgehalten habend Als er 161 1, Mitte März, gestorben war, wurde von dem Ghrofsprior Johann Reimer auf zehn Jahre nach Lossen berufen; fand aber die dortige Pfarre durch zwei evangelische Prädikanten besetzt, die man briegischerseits hingeschickt hatte. Herzog Johann Christian hatte schon vorher die Kirchen zu Buchaus und Rosenthal eingezogen und mit lutherischen Prädikanten besetzt und liefs jetzt die Earche zu Lossen, die verschlossen war, ge- waltsam aufbrechen.

Ein abmahnendes Mandat des gerade damals (1611) in Schlesien anwesenden Königs Matthias half nichts ^. Man berief sich auf den Majestätsbrief und behauptete, dafs zur Zeit, als dieser erlassen wurde, die Gemeinde Lossen evan- gelisch gewesen sei und den Pfarrer Heinrich Sommer auf ihrer Seite gehabt habe.

Der Orden betonte dem gegenüber, dafs Sommer katho- lischer Geistlicher gewesen sei und dafs nicht die Gemeinde, sondern der Orden das Patronat habe ^.

Aufser Lossen sollten auch die Kommenden Klein -01s und Grofs-Tinz eingezogen werden. Schon am 8. September 1612 hatte der Herzog den Johann Miller als Diakon nach Grofs-Tinz auf ein Jahr berufen, damit er dem dortigen Pfarrer Christoph Closius zur Seite stehen sollte, mit aus- drücklicher Verpflichtung auf die A. C. *.

Im Jahre 1613 machte der Orden verzweifelte Anstren- gungen, die sequestrierten Kommenden wiederzuerlangen.

1) GraTamiiia des Ordens (undatiert) Ton ca. 1613. Die Wegnahme von Lossen ist zwei Jahre her.

2) Eingabe des Reimer vom 14. Februar 1619. Nicht Bndolf II., sondern sein Bruder Matthias war damals in Schlesien (GrQnhageD U, 149).

3) Gravamina. Am 20. M&rz 1619 ist Christoph Nigrinus Pfarrer zu Lossen (Ortsakten Michelau).

4) F. Brieg III, 17 F 70.

DIE HERZOGE VON BRIEO. 275

"Wir haben zwei auf diese Sache bezüglichen Eingaben vona

10. und vom 24. November 1619 '. Sein Verlangen fiel aber in eine für ihn sehr ungünstige Zeit. Die Böhmen hatten »ich damals von dem Hause Habsburg losgesagt und Friedrich von der Pfalz zum König von Böhmen erhoben. Die evan- gelischen Schleeier standen dieser Bewegung sympathisch gegenüber. So schrieb denn Herzog Jobann Christian am

11. November 1619 an den Hauptmann Heinrieb Senitz zu Strehlen, Fürsten und Stände hätten beschlossen, in diesen schweren Zeiten , da auch das Grofspriorat vakant sei *, einige Kommenden einzuziehen, insbesondere die Kommende Grofs-Tinz, deren Kommendator * sich öffentlich zu den Feinden des Landes gestellt habe*. Und am 28. April 1620 teilte er demselben mit, Fürsten und Stände hätten der Ge- meinde Tinz den evangelischen Gottesdienst erlaubt, und Matthias Buchwalder sei zum Pfarrer dort hinberufen ^

Zu der Kommende Grofs-Tinz gehörte auch das Dorf Gleinitz bei Zobten. Die dortige Gemeinde richtete im Juni 1630 eine Bittschrift an den Herzog Johann Christian von Brieg in seiner Eigenschaft als Oberlandeshauptmann. Darin wurde geklagt, sie hätten bisher in der ägyptischen Finster- nis gesessen und seien mit etlichen „widerheurischen" Geist- lichen versehen gewesen ". Besonders ihr jetziger Pfarrer, der immer foU und voll und nur im Kretscham zu ändeo Bei, errege durch sein ärgerÜches Leben vielen Anstofs. Sie bitten nun den Herzog, ihnen statt seiner einen evangelischen Geistlichen, Bartholomäus Martin, Pfarrer zu Zulzendorf',

1) Von dem Komtur zu Gröbnig iinil Kezcptor im bulimischen Friorat Christoph von Noetitz (F'. Brie»; X, Ob).

2) Durch den Tod des Msttbikus Lenpold von l«bkowitz 1591 bis 1619.

3) Rudolf Kollvido, geb. IG66, gest. 1667, seit 1G91 Komtur zu Grofg-TiiiE, später Grofsprior. 4) Oitsakten Grofs-Tinz.

5) Ebenda. Buchwalder wurde am 19. September 1622 nach Strehleu als Diakon berufen (F. Brieg JIl. IT H}.

6] Am PßagsttBge 1601 war der ..Pfaffe" zu Gleioilz In JordaQS- raUhl mit Steioen geworfen worden (F. Brieg III, 14 h 357),

7) Ehrbardt II, 356 kennt ihn niclit. Bei ihm ist iwisrhon 1599 und 1620 eine Lücke.

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276 UlBBEOK,

ZU schicken, ein Verlangen, das ihnen auch gewährt wurde \ Wegen der Gemeinde Lossen verfügte der Fürstentag am 29. Oktober 1620, dafs ihr das freie Religionsexercitium augsburgischer Eonfession ungestört verbleiben solle '. Ein gegenteiliges Ersuchen des Komturs Ladislaus von Zedlitz zu Strigau- Löwenberg und Qoldberg (Buckisch IV, cap. XVI, membr. 3, p. 154) wurde zurückgewiesen und auch sein Verlangen, eine von der Kommende Klein-Ols iaUige Pension von 500 Thalern zu erhalten, abgeschlagen, da dem Grofs- meister von Malta bei den schlesischen Kommenden kein Recht mehr zustehe ^. Als nun die Schlacht am weifsen Berge verloren gegangen war, erfolgte auch für Schlesien der Rückschlag. Am 8. Juni 1621 mufste der Fürstentag die Wiederauslieferung der drei Kommenden an Friedrich von Nostitz beschliefsen *. Die evangelischen Pfarrer, dar- unter Buchwalder zu Grofs-Tinz ^ und Bartholomäus Martin zu Zulzendorf ^, mufsten ihre Stelle räumen.

Die damals einsetzende kirchliche Reaktion zeigte sich überhaupt bestrebt, durch Einwirkung auf die katholischen Patronatsherren die Wiederherstellung der alten Lehre an den ihnen untergebenen Orten zu bewirken. So verbot der päpstliche Nuntius Caraffa durch ein Mandat vom 23. August 1628 den Klöstern und Orden, in die unter ihrem Patronat stehenden Pfarrer Geistliche zu berufen oder berufen zu lassen, welche die Sakramente unter beiderlei Gestalt spendeten ^. Eine Folge davon war es, dafs der Abt des Klosters Leubus es unternahm, in den seinem Pa- tronat unterstellten briegischen Orten Heidersdorf und Langen- öls die evangelischen Geistlichen David Raussendorf^ und

1) Ortsakten Gleinitz.

2) Acta publica T. III, p. 224.

3) Ibid. p. 222.

4) Ibid. T. IV, p. 135; T. V, p. 122 Note.

5) Er wurde am 19. September 1622 als Diakon nach Brieg be- rufen (F. Brieg lil, 17 H).

6) Schreiben desselben Tom 2. April 1622 (Ortsakten Gleinitz).

7) Buckisch T. V, cap. X, membr. 1.

8) Nach Ehrhardt II, 428 war er von 1607—1633 im Amte.

DIE BEBZOOE VON BRIEO. 277

Valentin Hedtwiger ^ zu verdrängen und durch Katholiken zu ersetzen. Er fand aber energischen Widerstand bei dem Brieger Herzog Johann Christian und dessen Bruder , dem Herzog Georg Rudolf von Liegnitz und Wohlau^ der damals Oberlandeshauptmann von Schlesien war ^. Ihr Widerstand war auch von Erfolg, und es gelang der neuen Lehre, sich an beiden Orten zu behaupten*. Erst im Jahre 1669 ver- mochte man in Heidersdorf nach dem Tode des bisherigen evangelischen Pfarrers die Einsetzung eines Nachfolgers so lange zu verhindern, bis in österreichischer Zeit 1677 die- jenige eines Katholiken möglich wurde. Erst der Altran- städter Friede (1707) stellte hier den früheren Zustand wie- der her.

Fassen wir unsere Ergebnisse kurz zusammen! Unter den Herzogen Friedrich H. und Georg H. wurden auch die- jenigen Pfarrstellen, die unter geistlichem Patronat standen, durchweg vielleicht mit Ausnahme von Wörben und Zott- witz — mit Evangelischen besetzt. Die Versuche, die ka- tholischerseits unternommen wurden, dort Anhänger des alten Glaubens einzuschieben, wurden zurückgewiesen. Nach Georgs Tode versuchten verschiedene geistliche Patrone, dieses Herkommen zu gunsten der alten Lehre zu ändern, mit Er- folg in Thomaskirch und mit einer kurzen Unterbrechung in den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts auf den Johanniterkommenden, allerdings unter hartnäckigem Wider- streben der Gemeinden.

1) Schreiben des Herzogs Johann Christian von Brieg vom 6. Ja- nuar 1629. Ehrhardt II, 408 läTst ihn nur bis 1607 Pfarrer in Langenöls sein und von da ab David Raufsendorf auch diese Stelle be- kleiden. Vielleicht hatte Hedtwiger, als er 1607 nach Parchwitz ging (Ehrhardt II, 409), einen gleichnamigen Sohn in Langenöls zum Nachfolger.

2) Schreiben des Georg Rudolf vom 28. Dezember 1628 und Johann Christians vom 6. Januar 1610 (Oitsakten Langenöls), Buckisch T. V, cap. X, membr. 6.

3) Vgl. Ehrhardt a. a. 0.

ANALEKTEN.

1,

Beiträge zur Reformationsgeschichte Naumburgs von 1525 bis 1545.

Gesammelt aas Urkanden und Originalbriefen des städtischen Archivs

von

Dr. Felix KSster,

Otlieiniem SanitiUrat and Stadtrat. (Schlufs 1).

Im Jahre 1536, Mittwoch vor Matthias (23. Februar) war der Prediger M. Gallus gestorben ^ , und sofort meldete der Bat diesen Todesfall an Dr. Brück nach Wittenberg (Kopialbocb, 1534—1536, f. 263):

Dem hochgelarten vnd Achtbarn Herrn Gregorio BrückeD, der Rechte doctori vnd Cburf. Sechsiscben Bathe etc. vnsern insooder großgonstigen Hern vnd Fürderer, Vnser gantzwyllige dinste zuüor, hochgelarther und achtbar insonder grosgonstiger her vnd Fürderer, E. A. geben wir clageweis zuerkennen, das der almecbtige got td- sern prediger noch seinem rötlichen wyllen gnedig von hinne abge- federt, Also das er Nechten vor dato vmb zelien hora zu Nacht seinen letzten tagk beschloßeu, got, Seine almecbtickeyt wolle der Selen gnedigk geruhen, Wie dan aber es vns wol hoch vonuoten sein wyl, aufs förderlichste bei v. g. h. dem Churf. zu Sachsen etc. liinder des vorwissen wir vns mit keinem andern einlasen, noch ausgang diser fasenachtfreide voderthenigk ansuchen zuthuen, das ire Charf. 0-

1) S. obfii S. 145.

2) Sixt. Braun, S. 228.

KÜäTER, ZUK HEF'ORHATIONSOESCmCHTE NACMBÜBGS. 379

TQg mit einem andern ^eierten manne, äo eins guten Wundels etc. gneiligk wider vorsehen, ader was sonst dorzo behülfliek seio wolä». So haben wir danaust aus soDdcrlichenn vortraueo, so wir tu E, A. Imben, derselben üolcbs fbUr das uttuormeldet nicht laßen vollen, Gantz dinstliülis vleis Bittende, E. A. wolle, wo derselben was vorfliile, armer gemeiner Stadt zum Besten, domit sie irer Nottorft noch mit einem solchen manne, wi gemelt, widersehen Werden mecUte, gonstigk indenck sein, vnd wo E. A. was fhür- stoßen wOrde, es vna auf vnser vncost vormeldsn, vordinen vmb dieselbe, wie binwider mit vnsem gantzwylligen vnd schul- digen Dinsten alzeyt wilügk etc.

L'atum Durnstags am tag Matbio [24. Febr.] Anno 153G. Der Rat za Naumburg.

Trutz der Versichernng, dafs er sieb ohne Wissen des Eur- fflrstcn mit keinem nndem einlassen wolle, schrieb aber der Rat zugleich (Kopialbuch 1534 1536, f. 264''— 265):

Dem erwirdigen vnd acbtbarn bern Johansen Langer von Wolckennbain, Magister vnd pfamer zu Cobnrgk etc. vnaerm in- gonder gitr gonstigea palron, bern vnd fürderer.

Vnnser gantzwylligk dinst vnd was wir guts vormdgen aizeit iDuor, Erwirdiger vnd Ac-htbar, insonder grosgonstiger her vnd FürUerer, E. A. wissen wir aus vnuormeidlicber vnser Nottorfft c]agende iiiuiit zuuoihallen, das vus der Almecbtige gut vosern Prediger Mag ster Gallen Noch seinem gotlichen Wjlleu am nogst lorscbinen mitwocb den Abent vor Matbie vogeferlicb vmb zeben bora in der nacht von disem Jbamertbal gefudect, got der Al- nechlige wolle der seien, wi wir gebeten vnd glauben, gnedigk geruhen, vns auch mit einem andern, wi wir ferner biten, der vns das wort gots wider predige, noch seinem wyllea wider vor- fiehen, wi wir vngezwuifelter zu ime holnung stehen, er werde Tns seiner tröstlichen zusage noch mit disor vnser anligenden bit gnedigk erboren. Diewejl wir aber in dem fbal negst got nicht vnsern Miusten trust auff Euere person gestalt, haben Wir Euch Erstlich dis vnser anligen vnuormeldet nicht bißen wollen, Tnd doneben euch euerer trostlichen vns gegebenen scbiifftlichen vnd mündtlichen vortrO^tung za erinnern, die sich vngeferlicli dohin erstrecket, Wo es gots wjl, vnd das wirs an vnserem gnedigsten beiu, dem ChurfQrsten zu Sachsen etc. in des vnd zufoderst gots «yllen, ir Eueren wyllen auch gesatzt gehaben konden, das ir nicht vbel geneygt, Euch widerumb zu vns zu begeben vnd die Einmal Erkauthe waihojt gots wert vns ferner zu predigen vnd lernen, Demnoch so ist au E. Ebrw. vnd Acht. Als dises vnsers anligen wie gemelt, einicbeD negst got trost vnnd patron, vnsere von wegen vnser vnd gemeiner Stadt Ganttdinstliclie vnd frennt-

280 ANALEKTEN.

liehe bit, ir wollet vns durch Euer schlifft Tormelden, wo m an ▼. gsten. h. hochgemelt gehaben konnden» Ab ir auch lod- mals geneigt, Euch dergestalt wiedemmb zu vns snbegebn, Wi es aber bei Iren Cburf. g. ynd Euch nicht zaerhalden. Wie vir noch angezweifelter zu got hofnnng stehen. So biten wir ftnv anfs allerfreuntlichst, ir als einer so vnaer gelegenheit zu tql weis, wollet vns mit einem andern, domit wir Tersorget^ fftidcdich erscheinen, Ader doch zum minsten Enam Bat Tnd gatdfinda hirin vormelden, Tordinen wir nmb E. Ehrw. t. Acht, als tdmii insonder grosgonstigen hem et«*.

Dat Freitags nach Mathie. [25. Febr.] 1536.

Der rat zur Naumbnrgk.

Wahrscheinlich erfolgte eine ablehnende Antwoit, denn id 5. April, Mittwoch nach Judica, schrieb der Bat (EcpitÜNKh 1534—1536, f. 8*):

Dem erwirdigen Hochgelarten YndAchtbarn Hernn Martin Luther, der Heiligen schrifft Doctorn etc. ynserm insonder grofigenstigei hern.

Vnnsern gantzwyllige vnd schuldige dienste zunor, Erwirdigir, Hochgelarter vnd Achtbar, insonder großgonstiger Her. Wir hzbeoz nach Abestcrben vnscrs predigers Mgr. Gallon Bflckerswalda seligen Tnsern gnädigsten Hern den Churf. zu Sachsen etc. ii aller Vnderthenikeyt angesucht Tnd gebeten« das Ire Chnrf. Qn- vns zu einem andern , der eines gnthen Wandels Tnd tos du Wort gütä dar rein vud lautLer wider predigte, gnedigk behülfigk sein wolde, Als hüben Ire Churf. Gn. derwegen gnedige Tertros- tung getlian vnd zu Antwort geben, das sie solcbs E. E. md Achtb. lieben andern iren gelerten in Wittenbergk holten zoge- schriben, dem würde ane Zweifel also nochkommen werden, ib sicbs aber vorzihen, würden wir derwegen bei denselben wol er- innerung zuthun wissen. Weyl dann Tuser Tnd gemeiner Stadt hohe Kotturfft solcbs, das wir anregen, erfordert, aus Trsacheo, das wir sidor seinem Abesterbenn, welche Tngeferlich lenger dan sechs Wochen mit keinem andern vorsehen gewesen, außerhalb das vns der probst zu S. Mauritz den seinen ^ etliche tage in dir Wochenn vnd am Sontage gelihen, doch ansuchung getbin« das er seiner dise österliche Zeit nicht entraten konde, daraob das dem andern seiuem prediger das gesiebt obeliget, vod also den Leuten mit Reichung der Sacramente vnd predigen nicht mehr versein konde , mit Bit diser seiner snchnng kein vngefiÜB zu tragen, 'So ist an E. vnd A. als vnsem insondem großgonstigen hem vnser gantzdinstlich Bit, wo vns der almechtige got einen andern, der vns die Einmal erkanthe warheyt das heilwertige Wort

1) Thomas. Prediger zu S. Moritz, vpl. Sixt. Braun, S. 228.

KÖBTER, ZUR REFORHATIONSGESCHICHTE NACMRURQS. 281

{ots (dOTDinb wir bis anher vnd noch getreulich ^ebetfln vnd 'beten) wider beschert, daa ir mit demselben gonstiph so vyl vor- fOgen vnd beoeben den aDdern hern fQrderlir.b seiD woldet, das ■r anf Ostern itzo künftigk, Eraenther vrBachen bnlb ader sonst aufs fOrderlicbBt es ime mügticb, anziehenn vnd seiner gelegeuheyt 'liach auf vQ.ser vncoeten fbaren aJer reiten wolde, das woln iVinb E. E. vnd 'Acht, auch die undern liern, so deTbulb befbeel, wir mit vnserm gantiwflligen vnd schuldigen dinsten etc. vordinen.

Datum Mittwochs nach Judica [5. April] 1536.

der Rat zu Nmtmbnrg.

Auf dieses Qesuch wurden Dr. Justus Jonas vnd Dr. Hieronjmus Weller von Wittenberg abgeschickt; der Naumburger Ausreitor Clans Wolf hulte sie ein (15 gr, Claws, der Außreutter vnnert, do er bemelten beiden predigern ist entgegen geriten noch Witten- bergk, B.-B. f. 126), der Bat empfing sie mit einem Ebrentrunk (1 1 gr. vor 3 kannen Eeinfall , dje kanne vor 4 gr. 2 kannen RejDDisclien wejn, die kanne vor 18 gr. vnd soli:hes bat mau Doctcr Jonus, desgleichen Doctor Weller Ids Licent. berffer Haws gescbenckt in OaterfeyerLigeu (R. R. 18.) und sie predigten und veisorgteu daa Amt vom grijnen Donnerstag (13. April) bis anf den Sonulug QnasimodogoiiJti ', Sie bekamen dafür „daß sie dj isterliube Zeit vber geprediget, 12 Schock, ECint 30 Thaier gewebt", der Her Licent. Ambrosius DOifer aber 5 Scbock 18 gr. pf. 1 heller „Kostgelt, do Dr. Justiis Jonas vnd Dr. Hieron- "Weller von Wittenbergk mit jren dyuern bey yroe gelegen vnd albie geprediget (G.-R. f. 126) I Weil aber nach ibrer Abreiße kein Piädikmit vtiibauden war.

£0 verHorgte der l'rediger Tbomus von S. Uorilz wieder di& Kirche von Oslein bis rfingsten (4. Juni) und erhielt dafür 2 Schock 24 gr. verel.rt (B.-B. f. 127.)

Aber schon war zugleich vom Bäte folgendes Schreiben aus- ^egungen (Kopialbucb 1Ö34 1536, f. 25):

Ann Churf. zu Buchsen, Tit. et Salut, ut supra.

E. Churf. ÜD. bithenn wir in aller vndorthenigkeyt wißen, daa wir derselben gnedigen befheel noch zu Witlenberg bei den heru doctorjbns vmh vnsern prediger ansucbung getbann, Nachdem sie aber in solcher eyl nicht haben konuen dorzu kommen, das sii? ▼ns auf vnser nncott den erwirdigen vnd bocbgclartcu hern Justum Jimam doctorn vnd Probst elc. indes gO£cbickt vnd vor- Docht, das heilig Osterfest vber den predigstuel ^uunrsorgen, wie er dan mit treuem vleis getban. [Vnd vber das den hocbge- , larten Bern Hieroniroum Weller, auch djfinrn sich zunorsuchen

1

282 ANALEKTEN.

mit sich bracht. Sintemal aber gedachter her doctor in vnser so hohe ynd weithe kirche zu einem prediger ethwas Tndinstlich be- funden, nicht allein von wegen seiner deinen stim, sondern auch der onera der kirchen halb, nemlich Sacramentreichen, Krangken besnchen, Beichthoren vnd Taoffen, welches Alles er neben einem Diacon, der wir nohr einen halden, than müste, idoch ime seinem Stande nach nicht wol thnlich sein wolde. Zudem das wir tds vber das Alles befhareten, wo er sich auch zu vns begeben bette wollen (wi wir ine dan auch gerne gehabt, so ferne wir ine seinem stände noch allein erlich besolden betten können) das er ime mit dem ybermeßigen vber sein yormögen reden, wie vnser negster prediger zeliger, selbst schaden an seinem leibe vnd gesinde würde zugefügt haben, inmasen wirs inen beden dan also anch vormeldet], Als haben wir auf sein gegebene Yortrostnng, das nemlich vnser predigkstnel biß vns got einen eigen prediger be- scherte, von Wittenbergk ans Lehenweis solde vorsorget werden, ine den hern Doctor Jonas betlich angelanget, das er solchs ein Virtel ader halb Jhar lang selbst thuen wolde, welchs er vns nicht abegeschlagen, sofern wirs anch an E. Churf. 6. gehaben konden, nicht vbel dorzn getröstet, mit anzeignng, das es ime fürderlich auch za erhaldung seines gesundes nicht vngelegen. Weyl dann gnedigster Churfürst vnd Herre, wie aus allerlei be- dencken nicht gerne wolden, das vnsere kirche sonderlich in disen ferlichen Zeyten mit eim prediger vnuorsorget lange stehen solde, domit vns nicht von vnser obrikeyt ethwan Einer mochte einge- drungen werden wollen, So ist an E. Churf. G. vnsere gantz vnder- thenige schuldige bit, E. Churf. G. wollen obgedachten Hern Doctori Jone gnedigk erlaiben, das er sich ein Zeit langk, bis got gnade geben mochte, alher begeben vnd den predigkstuel also versorgen mochte, wie wir vngezweifelter hofnung stehen, E. Churf. G. gnedigk thun werden, Das wollen vmb dieselbe wir mit etc. etc.

Datum Montags nach Misericord. Domini [1. Mai] 1536.

Der Bat zu Naumburgk.

Auch den Dr. Brück ersuchte der Bat, an die dauernde Be- setzung der Predigerstelle zu denken, denn es heilst in einem, andere Sachen enthaltenden Schreiben:

An D. Brücken, Tit. et Salutatio. (Kopialbuch 1534—1536 f. 45.) zum Scblufs: Wir biten auch gar dinstlichen, E. A. wolle vnser mit dem Magistro Bulckenhain indenk sein, wie wir nicht zweifeln.

Datum Mitwochs noch Cantate 1536. [17. Mai.] Der Kurfürst hatte des Bats Gesuch vom 1. Mai genehmigt, und Dr. Jonas darauf seine bevorstehende Ankunft in Naumburg

KÖSTEB, 7.ÜH ItEFOltHATIONSQESCHlCBTE NAUMBL'RQS. 283

melden lasseD. Am 17. wurde ihm daher folgendes Schreibea geschickt (Kopialbuch 1534—1536, f. 44):

Dem Erw. Acbtb. vnd houhgelarten Herrn Justo Jbone, der b. Schrifft Doctorn vnd Tliumbprobste zu Wittenberg Tusern groß- goDstigen hero, Tnaer etc. E. E. v. A. Schreiben haben wir darch vnsern Stadtschreiber neben fernem mündtlicbea bericht ent- pfangen vnd vomobmen, GantzdinsUichs vieis bittende. Wo E. Erw. Tsd Achtb. wie wir hoffen, wiederumb auägotlicher vorleibung vor- mOgent worden, Sie wolln sich ^nedige erlaubnis vnd derselben erpiten noch axife förderlichst Erheben vnd alher begeben, das ir ungeferliuh auf den Freilag noch Vocem jncundit. (26. Mai.) eures gefallens albie einkomen mecbtet vnd alsdan in Euer be- stall bauü euer gelegenbejt nou)i ziehen , Tnd haben E. Ehrw. vnd Achtb der wir zu dinen wylügk zur Antwort nicht wollen verhalten.

Datum Miltwochs nach Cuntate [17. Mai] I53ti-

Der Rat zur Naninburgk.

Der in diesem Schreiben erwähnte Stadtechreiber war per- süulicb in Wittenberg gewesen, nm einen Prediger zu erlangen, denn: 1 Schock 15 gr. hat der her Stadtschreiber mit Wolf deme Aoareuter zu Wittenbergk voriert, do er vmb eyn prediger an- fiucbuDg getbnn [ßata-Ii. f. 34 )

Dr. JoDHü, der also von Ür. Luther auf Befehl des Kurfürsten Ijierber geschickt war, wurde vom Ausreiter Wolf, der ihm bis LDtzen entgegenritt, am 3ten Juni eingebracht und verborgte hier das Tredit^tamt bia auf Nativit. Mariae (8. Sept.), bis der neue, von Luther Torgesrhlagene l'rediger Dr. Nicol. Medler angenommen wurde. Dem Dr. Joniis wurde, „do ehr wiederumb von Witten- bergk auf Ftingsten gegen Naumburg T.a predigen kommen", zu- nächst öS gr. Zehrung gegeben, dann zog er in der Groilenburgerin Haus, nachdem es durch Maurer und Tischler wohnlich berge- richtet war. (48 gr. vor 4 Malder kallich inn der grclSenburgerin Uaws vorbaut. :i gr. zweyenii Tageiobnnern, welche inn der Ur. Haufl zur neuen stuben delS prcdigers Sandt geworfen, 20 gr. Jörgen Halme dem Tischer vor ein spunnbeth dem berrn boctor in der Ur. Bawß gemacht, 10 gr. Haiinsen Totaler, deme Tisuher jnn der Gr. Hawß dem Prediger Bennck vnd anders zugericht;. Die Wittin selbst erhielt „12 gr. vor Stro und daß Mann dem Herrn Doctori .lustu Jone seynne Bethe zugericht hat". (R.-B. f. 128)

Spütcr zog Dr. Jonas lu Liceat, Ambr. Dijifer, der „von wegen Ür. Jonas, der elf Tage lanng bey yme gelegen, von dem Sonnabend vor Jucundilatis (•il. Mai) bis auf l'fingstmithwoob (31. Mai) H Schock 3U gr. belibim.

284 ANALEKTEN.

Nach diesem Aufenthalte wohnte er hei Glöckner (42 Schock Veit Gleckenner vor Kostgelt, daß er Doctor Jonas mit sampt seynnen Weib, kindern ?nd gesinde dyeweil er alhie prediger ge- west, 14 Wochen von Pfingsten an bis auf Nativit Mariae [8. Sep- tember] den Peters Margk außgenomen, mit Essen vnd Trincken noch aller Notturft vorsehenn, dy geste, dy ehr gepeten vnd za gast geladenn, eingezogen, vorgnQget. Auch gab man 50 gr. bemelts Veit Glockeners Weib zuuorehrung (B.-B. f. 128).

Wahrscheinlich weil der Gasthof Glöckners während des P. P. Marktes mit Fremden zu sehr angefüllt war, mußte Dr. Jonas zum Schulmeister Ant Nicolaus, „der 1 Schock 40 gr. empfing, do Dr. Jonas bey yme ynn dy Kost gegangen ist'' (B.>R. i. 127}.

Als dann sein Urlaub abgelaufen und Dr. Medier angezogen war, wurde Dr. Jonas auf Ratskosten wieder nach Wittenberg gefahren (4 Schock 20 gr. 6 Pf. hat der Herr Chemerer Jacob Garthman [der Wirt vom roten Hirsch] 3 Tage vnd 4 Nacht mit 8 Pferden vorzert, do er Doctor Jonas, sein Weib, Kinde und ge- sinde wiedernmb hinab gegen Wittenbergk beleitet, domals alhie der neue prediger Doctor Nicolaus Meidler angetzogen, un Soq- tags nach Nativ. Mariae [10. September]) (E-R. f. 127).

Nach Pfingsten schon war mit Dr. Luther wegen Dr. Mediers verhandelt worden, der Rat hatte sich seiner versichert, war mit ihm der Besoldung wegen einig geworden und in Briefwechsel ge- treten (Kopialbuch 1534—1536, f. 59):

Dem Erwirdigen vnd hocbgelarten Hern Nicolas Medier, der heiligen sciirifi't Doctorn, vnsern großgonstigen Hern,

Vnser gantzwyllig dinst zuuor, Erwirdiger etc. Her Doctor, Wir haben hie zuuor vorlangst vnsern gnedigsten Hern den Chnrf. zu Sachsen et<:. vnderthenigst angelangt, das ire Churf. Gn. vns mit Einem christlichen Euangelischen prediger gnedigk wolde helfen vorsehen. Auf welch vnser anlangen vns E. Erw. vnd Achtb. vor- geschlagen. Weyl wir dan auch von dem Hern Doctori Jonae so vyl vnderrichts haben, das Ir darzu euch alher auch zubegeben nicht Bonderlichen vor Euer person geneigt sein sollet, So haben wir ine vmb fürdcrungs derhalb an Euch schrift angelauget, n^ daneben E. A. ferner zuuormelden geboten, was dye Besoldung noch zur Zeyt ein Jhiir lang sein solt, welchs alles er vns zu- gesagt, Wo es nuhe an dem wie wir hoffen, das E. A. sich aof solche Besoldung, wie gedachts Hern Doctoris schriflft ausweisen wird, Ein Jhar lang alher zu vns zubegeben, wyllens, darumb wir auch aufs allerfreuntlicbst biten vnd gebeten haben wollen, So ist an E. A. vnser gantz fr. vnd dinstlich femer bit, Sie wolle es vns also zuschreiben vnd doneben vormelden, Wan dieselbe sich alher zu begeben wyllens, vngeferlich vmb dise zeyt,

KÖSTERy ZUR REF0RMAT10NSGESCHICHT£ NAUMBURGS. 285

wan der Her doctor Jonas wider von hier abreisen würde, welchs in X Wochen ader ethwas wenigem ader mehr gescheen sol, dan so lang sol sich sein Erlaubnus von Cbnrf. Durchlaachtikeyt er- strecken. Das wolln wir hinwider vmb E. Ehrw. vnd Achtb. als vnserm insonder großgonstigen hem vnd freondt fr. vnd dinstlich vordinen.

Datam Montags nach Trinitatis [12. Juni] 1536.

Der Rat zur Naumburgk.

Ferner einen zweiten Brief (Kopialbuch 1534 1536, f. 69):

An Doctor Medier.

Wier haben Ewr. Er. schreiben Endtpfangen vnnd wehrenn woU geneigt, Euch fhur zuschickenn, weil wier aber andder ge- scheffb halbenn dortzue nicht kommen konnten, vnnd vber daß den Tack, wan Ir auf sein wollet, nicht wißen, So wollet Solche fhur auf vnser vncost bestellen, Aisdan wier denn fburlewten lobnenn vnd vns der zerung halb mit Euch auch vorgleichenn vnnd dieselbie Widder gebenn wollenn. Welches wyr Ewr. Er. der wyr zudienen willigk, hiuwidder zu Andtwort nicht haben wolln vorhalten.

Datum Freittags nach Petri Pauli [30. Juni] 1536.

Der Badt zue Naumburgk.

Darauf erschien Dr. Medier selbst zum Besuch und wurde mit dem üblichen Ehreutrunk begrQßt. (6 gr. 3 Pf. vor 11 Stob. Lanndtwein, dje Ranne vor 8 Pf. vnd 1 Stob. Bier Doctor Meidler, Freitag noch Jacobi [28. Juli].) (B-R. f. 25.) und als er dann später angezogen war, bezahlte der Rat 3 Seh. 20 gr. „der Michel Poppen Kostgelt vonn wegen Doctor Meidlers, des newen Predigers vor ynen, Weib vnd Kind virzebn tage lang." {R..R. f. 127.)

Nach der Abreise des Dr. Jonas bedankte sich der Rat noch ausdrücklich bei Dr. Luther (Kopialbuch 1534^1536, f. 118):

An Doctor Martinus. Tit. et salutatio.

Euer ehrwird, vnd achtb. fügenn wir gantz dinstlichen wissen, das wir den Erwirdigen hochgel arten vnd achtbarn Hern Justum Jhonam, der heiligen schrifft Doctor vnd Thumbbrost etc., der vns Ein virtel Jars auf gnedig erlauben vnsers gstn. Hern des Ohurf. zu Sachsen etc. Treulich vnd mit allem vleis in vnser Kirche mit predigenn vnd sonst gedinet, nochdem die Zeit seines befheels sich geendet, mit gepQrlicher Dancksagung abegefertigt, Wann wir vns dan schnldigk erkennen, Ew. Ehrw. vnd Acht, als denjenigen, der solch werck neben den Andern so es befheel ge- habt, hat helfen fQrdern, derhalb schuldige dancksagung zu thun, Auch vor das, das Ir neben Inen vns auf weitern befheel hoch- gemelts v. gsten. Hem mit Einem andern ordentlichen prediger vnd Seelsorger, doran wir got lob auch guthe genüge habenn,

286 AN ALERTEN.

gODRtigk habt bel£feii fürdern ynd yorseben, So tbnn wir vns solcbs alles auffs allerdinstlicbst vnd freuntlicbst kegen E. E. Tnd Acbtb. aucb Allen andern bem so es auf entfangen befheel gonstig baben helffen fQrdern, Bedancken, Myt erpitung, das, wo wir solcbs neben vnsem bürgern vnd gemeiner Stadt vmb diselben hinwider werden können, vordinen, das wirs mit ynserm gantzwylligen etc. Datum Donnerstag nach Egidi [7. Sepi] 1536.

Ein Brief desselben Inhalts, in etwas anderer Fassung ging zugleich an den Kurfürsten (Eopialbuch f. 118).

Melanchthon war im Oktober wieder in Naumburg. (13 gr. Tor 3 stob. Most, die kanne vor 1 gr. vnd 1 stob. Bier doctor Philippo in des Predigers Haus Freitag noch Ursula. 27./10. R.-B. f. 19.)

An Dr. Jonas, der sich, wie es scheint, auch noch weiter um die inneren Angelegenheiten der Kirche bekümmerte, schrieb der Bat später Folgendes (Kopialbuch 1534—1536, f. 187):

Dem Erwirdigen vnd Achtbam Hern Justo Jhone, der beyligen Schrift Doctorn, Thumbbrobst zu Wittenbergk, vnd Kectom der Yniuersitet doselbst, vnsem insonder großgonstigen Hern vnd fürderer.

Vnnser gantzwjllig Dinst zuuor etc. Es hat vns der Achtbar Her Ambrosius Dörfer, vnser Sindicus, von wegen E. A. vor et- lichen Wochen die locos communes, durch dieselbe £. A. vor- teutzscht, als wir 3 reth weis versamlet gewesen, zugestelt vnd geschanckt. Welche wyr also von Ime anstadt E. A zu sonderlichem Dancke angenohmen. Mit befheel deßelben von vns solcher Vorehrung schuldige Dancksagung zuthuen, Also thuen wir vns ir hiemit auch gantzdinstlicbes bedancken, mit erpitnng, das wirs hinwider gantz dinstlich vordinen vnd solcbs in kein vor- geßen stellen wollen. Sontags nach Lucio [17. Dezember] A^ 36.

Als Dr. Medier nun einige Zeit in Naumburg amtiert hatte, fand er eine so grofse Thätigkeit, dafs er das seelsorgerische Amt allein nicht bewältigen konnte. Deshalb wandte sich der Rat wieder nach Wittenberg (Kopialbuch 1534—1536, f. 198):

Den Erwirdigen, Achtbaren vnnd hochgelarten Hern Martino Luther, Justo Jhone, Pomerano vnd Philippo Melanchtoni, Doctax^ vnd Visitatorn der Khur zu Wittenbergk etc. vnsem insoik^^t großgonstigen hern,

Vnser etc. Nachdem wir durch gnedigen wyllen gots ^^^ fürderung vnsers gnedigsten Hern des Churf. zu Sachsen etc. '^^ euch mit Einem Seelsorger ader prediger in vnser Kirchen, ^^

erwirdigen vnd hochgelarten Hern Nicoiao Medier, der h. scf^-^::^^ Doctorn vorsehen worden, doran wir guthe genüge haben, finden wir, das ime die Bürden vnser got lob stadtlichen C^^ C mune vnd Kirchen halb (die an dem gebew ethwas hoch weytläuftigk vmbfangen) alleine alle zn tragen, die lenge

KÖ8TKR, ZUR BEFORMATIONSGESCHICBTE NAUMBURGS. 287

1«;1 iD t;I seiD wyl. Also Aas wir derbalben, sofern wira alles nott&rftigk vnd beBteudigk werden ausgericht faaben wollea, ime Ein Diacon iDioordnen vorursacht, innaseii wirs dan auch mit ime geredet vnd sein bedencken deshalb allenthalben eingenohmea, Wan er vns den Einen vorgescblagen mit nabmeii magistrum Benedictum Schumann, mit dem daTbür ers heldt, er vnd wir vor- eehen sein seiden, Ro ist an E. E. vnd A. vnaer gantzdinatlicb bit, mit ime gonstigk zu reden, Ob tr Tordocht, sich alhieher zu vns zu Einem Diacon gehrauchen zu laßen, vnd wo er solcher Neigung, mit ime weiter so vyl zn handeln, das er sich nmb ader noch der fasenacht, doch seiner gelegonlicyt noch, ader wie wir liber woltao, eher, ant vnaer vncusten alber begeben, Aldo wir, wsn wir ine gehert, vmb die beiJülduDg vns mit dem vorgleichen wolden vnd vns hirin ener vnd seinem gemüthe in Euer wider- Bcbrift durch disen vnsern potben vormelden, Das woln vmb £. Kbrn. vnd Acht, wir mit vnsern dinsten etc.

Datum, Naumburg, DjnstagB nach dem Kanen Jarstag [2. Ja- nuar] im 1037 Jbar.

Der Rtit zu Naumbnrg. Uagister SchumaoD erschien von Wittenberg, hielt zwei Probe- jiredigten und wurde vom Rat Dienstag nach Dorotheae (13. Febrnar) angenommen. „2 Seh. 25 gr. dem uewen Diacon vonn Witer.berg H. Scbuman zuuorebrnog, Do man }'n zum Kirchen- d;ner nngenomen Dienstag nach Dorothea, vnd 25 gr. dem Pre- diger Uocter Hedler, daß er berürten Diacon etzlicbe tage mit Kost versorget vnd beherbriget bat." Satsrechn. f. 1*28. Die Herren von Wittenberg wurden um Bestätigung dos neuen Dia- Conus ersucht (Kopialbuch 1537 1539, f. 18):

An die Visitatores zu Wittenbflrgk. Tit. et salutatio. Groß- günstige Hern, E. Ebrw. vnd acht tragen ane ZweilTel gonstigk Wissen, welcher gestalt wir an dieselben vmb ein diacon, den wirdigen vnd aehtbam magistrum Benedictum Schumann ge- Bchriben VDd gebeten, das vns denelbige zu solchem ampt alhieher volgen mochte, auff welche eure gonstige forderuDg er zu vns kommen, also das wir ine zu dem mal, do wir dreyer Betb weis voraamelt gewesen, vnd seine predigton -iiiuorn zwei- mol gebort, zu solchem ampt angenommen, dorann wir d.tn auch vnser gantzen gemein, der wirs bernoch voigehalden, zn gefallen gethan. Derbalben wir vns eures hirinne angewanten vleis vnd tQrdernng von wegen vnser vnd vnser gemein gar dinstlicheu noch- mots bedancken, Vnd ist deshalb an diselben Euer Ehrn. vnd acht. vDsern gehorter vrsach halb vnd vnsera pfarners, des hocbgelarten TDd acht. Hern Nicolai Medlere, Doctors etc. weitter gantz dinst- liche bit, sie wollen obgcdacbten hern magistpr zu solchem beniff

i

288 ANALEKTEN.

ader vocacion irer geburlicher ynd gewonlicber weise noch, kra£ft ires von got vnd der obrickeyt entpfaDgenen befheels be- Btetigen vnd ime solche ordenung zum prieterampt mitteilen, das wollen wir etc. yordinen. Datum Mitwochs nach Misericord. Domini [18. April] 1537.

Der Rat vnd pfamer zur Naumbnrgk.

FQr die yielfacbe Beihilfe von Seiten der Wittenberger er- zeigte sich der Rat dankbar und schickte 6 Tonnen Bier ,,f&r 2 Schock 18 gr. ye eine Tonne vor 23 gr. welche mann den gelerten gegen Wittenberg, nemlich Dr. Martinas ejne, Doctor Jonas Eine, Dr. Schurff eine, Dr. Clinger eine ?nd Dr. Brock zwu zunorehrung geschencket, Domsta^ nach Qaasimodogeniti. Michel Rostock, einem furmann vor solch 6 thonnen Bjr furlonn gegen Wittenberg*', R.-R. f. 141. Das Begleitschreiben dazu lautete (Kopialbuch 1537 1539, f. 18):

An Doctor Jonas, tit. et salutatio.

Großgonstiger her, Nochdem wir vns noch manchfeldigen ent- pfangene von der vniuersiteth wolthaten schuldigk erkennen, die- selbigen wo allein das vormogen vorhanden, zuuordinen wan es vns aber nicht allein an selben mangelt, sondern auch es vmb solche woltaten also gelegenn, das wir bej vns leicbtlich erachten können, das es in vnserm vormogen nicht stehenn wyl, deshalb wollenn wirs got bef helenn, Domit wir vns aber noch gelegenheit vnser Uandelstadt ein wenigk danckbar erzeigen, als thun wir auch biemit sechs tiionnen Ein gebrauens Birs vbersendenn, Gantz- dinsilich^ vleis bittende, eine vnserm herrn Doctori Martine Lutter etc. zweie Doctoris Brücken Haußehr, eine Doctori Hyeronimo schorff, die fünffte Doctor Melchior Klinger, die sechste vnd beste euer Haußehr zuu heran tworten vnd zu biten, daa sie von allen teilen (dergleichen ir) vnsern gutenn willenn der tath vorsetzen wollenn, vnd euch diser au£fgelegten mühe ader wie wirs nennen sollen, vactorei, nicht schwerenn, Des wollen wir vmb E. Ehrw. vnd achtb. als vnserm großgonstigen hern etc. vordinen. Datum Mitwochs noch Misericord. Dom. [18. April] 1537.

Cedula (von anderer Hand).

Nochdem das Bier alles noch Jungk vnd derhalb zu trincken nicht taglich, So werdet Jrs Jnen wol wissen zuuormelden sich haben, mit dem auffstoßen znlaßen, Dornach zu Achten.

Dr. Medier hatte übrigens einen schweren Stand und zog sich, weil er von der Kanzel herab die Bürger nicht schonte, allerhand Feinde und Schmähungen zu, die dann Anlaß zu Straf- verhandlungen gaben.

Aus dem Buch sign. ^^ Manuscr. No. 93. ürpheden de Anno 1509 1551, f. 183:

KÖSTEK, ZtTl BEFOnUATIOKSQESCHICHTE NAUMBURGS. 289

Anno Dotnini 1&37. Qreger Woys.

Greger Weya ist auf Freittags Noch Corporis Cbristi [1. Jani] Anno nt supra vmb vesper Zeit gefenklich eingetzogeoD, darnmb das ehr aaff denn Herren prediger Doctor Meideier abewertig jnn der Salzgas gesc holden vnd vnder andern Worten gesaget, Er hette auff ihn vnd d; Becken das Sie cleynDe Semeln bacbenn, geprediget, Dacumb, nan Er hawssen bey yme auff der gaß wehre, So wolde ehr sich mit yme palgen, das ein stück hy liegen solde vnd das ander dort. Also iut bemelter Weya auf Dtnatags nach Corporis Christi [5. Juni] seina frefenknus auf ein widereynstellen jn »irzen tagen bey 500 fl. Erlediget, vndt hat also fernner hewte freittags noch Bonifacii [8. Juni] daß er sich mit dem Badt vortragen, Seyn gepurlichen vnfriede geschwomn, Gescbeea Wy oben etc. S«ynne BOrgeu Jobann Uocb, Haus Weidhofen, NicI. Caniler ',

Eine der ersten Arbeiten des Seelsorgers an der Pfarikirche war die Ausarbeitung einer neuen Ordnung für den Qotteakasten, die der Hut den Wittenherger Theologen zur Prüfung und Ge- nebmiguDg Überschiolde (üopialbdcb 1537—1539, f. 170):

Den Erwirdigen Aclitb:trn vniid Hochgelarten Uerren Martine Latber, Juato Jone, Pomerano vnd Philippo Melantboni Doctoren vnd Visitaturen der Chur zu Wittenberg vnsern besundern groß- günstigen Herrn, Vnnaere gantzwillige vnnd unuordrußonne dinste noch bestem vnnserem vormogen zauorn. Erwirdige Achtbare vnnd bocbgelarte besunder großgünslige Üerrenn, Ea hat der Erwirdige, Achtbare vnnd hocbgelerte her Nicolaus Meidler, der heilligena Bcbriefft Doctor vnnser itiiger pfamer ader prediger zu ferdening gotlicher eher vnnd vnderhaldung der Armen vnns eynne Orde- nuDge vber vnnseru gemeynen gotteskostenn , wy mit Erbal- diing deraelben vund sunst allentbalbenn Mit denn Kirchen vnd scbulenndynerubinfQrosoll gehalten werden, gestellet, Mit bit vnd be- gehr diesdlbie kaatenordenuuge Ew. Er. vund A. zu beradUchlagenn, gunstllcbenn zu vberachickeD etc. Demnach vnnd diewoill wier dann in diaer käste nordenunge nichtes anders, dan was dy gotliche efaer, Versorgung armer lewdt belangen thndt, vnsers Einfalls finden thun, vnd darnebenn gedachts vnaers Herrn Predigers Christ- lich gemuth vormercken, Als thun Ew. Er. vnd A. wier Ernendte Ord- Dunge seynner bit, wuß Euer bedencken, vnns bierinneD auch günstig mitzuteilen, wie wier nicht zweifeln, ir günstig thnn werdet. DuB wollen vmb Eu. Er. vnd A. wir noch bestem vn- s<«nn vormogen ganz willig vordinen. Datum Donnerstag nach Hauricit [27. September] 1537.

Die Snntraa der Kirchen -Ordnung war folgende':

2) Bürger, llandschriftl. Annalen. . Z'ilMkr r. K.-O. Iltl. j. \^ J

290

ANALEKTEN.

1. Die Ordnung des ge- meinen Kastens der Kirchen zn S. Wentzel, darinne wird gehandelt ?on den

Diegantze

Kirchen

Ordnung

ist abge-

theillt in'

dreyTheil

vnd be-

grei£ft in

sich das

2. Die

Ceremo- 1 meine nien.

1. In der Kirche durchs gantze Jahr.

2. Die Ordnung des hohen Ampts am Feiertage, Wenn man das Abendmal Christi in der Ge-

ZQ halten pfleget, durchs gantze Jahr.

3. Der Confir- mation Catecbume- norum.

4. Dea Officii quod celebrat Epi- scopus sive Pastor ordinans circa im- positionem mini- strorum Yerbi.

5. Pro initiando Cemiterio zn ge- brauchen.

6. Des Actus circa sepulturam Christianorum.

7. Zu halten pro instituenda proces- sione tempore pesti- litatis in den Kir- chen zu S. Wentzel, zu S. Othmar vnd zu S. Moritz.

3. Den Bericht de institu- tione Scholastica.

Emptem in der Kirchen.

Pfarrampt

Predigampt

Besoldung der Kirchen-

vnd Schuldiener. Organisten. Kirchner. Inspection vber solche

Personen, obersten zweyen Gasten*

herm. Spitallherm.

Auffnemnng der armen leutt in die Spittal vnd zur Allmosen. Bittherren. Brodtkasten. Frembden Bettiem. Spittaln.

Armen leutten, welche man

in die Spittel nehmen

oder denen man sonsten

das Allmosen geben soll.

Testamenten vnd dona-

tionibus. Innungen vnd Znnfften der

Handwerge. Besoldung der Kirchen vnd Schuldiener, wovon sie soll gegeben werden. Schulherrn. Vbermasgroschen. Rechnung E. E. Rath zu-

thun. Kirch V&ttem zo St Wen- tzel. zu Maria Magd, y, zu Othmar. Allen Personen, so der Kir- chen dienen vnd wie die- selben gewehlt vnd au£f- genommen werden sollen. Einnahme. Ausgabe. Beschlus.

t9

W

SÖSTER, ZUR REFORUATIOMSGESCHICHTE NAUUBURGS. 291

Diese Kiruhen Ordnung wnrde 1537 vom Herrn D. Maitino Luthero, Domino Ptiüippo vnd andern Tbeologia za Witteubergk approbirt vnd subscribiret, auch von dem lüblichen Churfflrsten ta Sachsen, Uertzogen Johann Friderichen confirmirt, wie die vidi- mirte praefatiou vnd der Beschlus des ersten theila derselben aasneiset. Wir wollen aber Tmb nachrichtung willen nur die praefation hieber setzen, die also lauttet:

Den Erbam, Achtbarn vnd Weisen, dorn Bath zur Naombargk Tnsern besondern lieben herren vnd freunden.

Qnade rnd friede Gottes in Christo. Bibare, Achtbare vnd Weise besonders lieba herren vnd Freunde, Nachdem Ihr die Achtbaren, WJrdigen vnd bocbgelarten Ehm Nicolaum Medeier, der h. SchrifTt Doctotn vnd den Herrn Licentiatum vnd Phjsicum, Euer Stadt Bürgermeistern ', zn vns abgefertiget, vns eure Kirchen- ordnung, so in SchrifTt mit vorgehender deliberation vnd sondern fleis verfaßet, zu zeigen, vnd derbalben vnser bedencken vnd Hath darinne anzuhören; haben wir gemelte ordniing mit Qeis verlesen, Wünschen euch zu solchen nützlichen. Christlichen, gött- lichen vorgenommenen Werck Gottes gnade, laßen vns auch alles, so duicb euch trowlich, fleißig, gantz christlich berath achlagen, vnd bedacht, vnd in seihigen Schrifften verfaßet, auch beschloßen, wolgefallen, vnd vnser weiter bedencken werden euch gemelte eore geschickte müntlicb anzeigen. Wollen Gott bitten, daß Er in der Kirchen Naumburgk weiter täglich seine göttliche Qnade vnd Beichen Segen verlege, Wissen auch, das Vnser gnedigster Herr auch in solche Kirchen vnd Religion Sachen Gottes heilig Wort vnd Ehr belangend, uuff vnterthenig ansuchen gnedige förderung zn erzeigen nicht vnterlaßen wirdt. Vnd worinne wir alle sämptlich vnd itzlicher in Sonderheit Gemeiner Stadt vnd kirchen Naumburgk freundliche vnd fQrderÜclie dienste znerzeigea wißen, sind wir gellißen vnd gantz willig. Datum Sontags nach Bnrcbardi [14. Oktober] 1537.

Martinus Luther D. Jnstus Jonas D. Philippns Melanchthon *.

Leider ist diese Kirchenordming aus dem Nanmburger Archiv verschwunden, dagegen ist eine andere, aber ohne die letzten Punkte noch vorhanden und herausgegeben in den Neuen Mitteil, d. ThOr.-Saoha. Ver. zu Halle von Geh. San -Bat Dr. Eöster mit Erläuterungen von P. Dr. Albrecht in Nanmburg. Bd. XIX, 1898.

Der Bat gab darauf auch wieder der Universität Wittenberg seinen Dank zu erkennen, denn er schickte „4 Schock 10 gr. abnn

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292 ANALEKTEN.

10 Thaler guldengroscben, den Thaler vor 25 Kewgr. der Yni- uersitet gegen Wittenberg beneben dreyen Silbern Bechern, jedenn mit dreien füßen gemacht, welche becher alhie dye Kirchfeter za St. Wenzel nnd die Kirchveter zn St Othmar zaien sollen zQQorehrung, vmb manicher guthat willen, dy eye deme Bat md gemeyner Stadt mit fardernng des Wordt Gothes erczeigt haben. Freitags noch Ocoli [29. März] 1538 ^ B.-B. f. 271 K

Im Jahre 1539 nahm der Bischof Philippos den im Jahre 1536 verschleppten Prozeß mit dem Rat wieder anf nnd ver- lilagte ihn wieder beim Kammergericht Znletzt schlagen sich aber die Stiftsst&nde darein und verglichen die Sachen. Die Stände, die diese Yergleichung aufrichtete, waren : Wolfgang, Abt zu Bosau, Günther von Bflnau und Bernhard von Draschwiti, Domherr zu Naumburg (wegen des Kapitels zu Naumburg), Julius Pflug, Domdechant zn Meißen und Probst, Balthasar Zschack, Domprobst (wegen des Kapitels zu Zeitz), Heinrich von B&nio, Bitter zu Gröbitz, Friedrich von Burkersroda zu Költzen, Hans von Land wüst zu Gestewitz, Conrad von Ende zu Kayn, Bastian Haieck, Bürgermeister, Brosius Weilse, Kämmerer (wegen des Eats zu Zeitz). Bischöfliche Bäte, die der Yergleichung beige- wohnt, sind gewesen Nickel von Kanifs, Statthalter, Wolf von Ende, Bitter, Basilius Wilde, Dechant der Stiftskirche in Zeitz, des Bischöfe geistlicher Vicarius, Friedrich Cantoris, alter, und Johann Peg, neuer Kanzler, alle drei der Bechte Doctores. Der Vertrag ist geschehen und datiert Montags nach Lätare (17. März) 1539. Und hat also der Bat das jus patronatus über die Stadtkirche zu Naumburg erlangt ^.

Auch in diesem Jahre ging wieder eine Bierfnhre nach Wittenberg (Kopialbuch 1539—1541, f. 140):

Ann Doctor Brücken.

Vnser etc. Wir haben vorruckter weil vnnserer gnedigsten vzd gnedigen hem etc. Cantzley ein fhas Birs zu irer gel^^heit zuschencken zusagen laßen. Weil es aber bis anhero solch Bier xn federn Ire gelegenheit nicht geweßen, Als ist vnserm Stadtschreiber von ferne eine anzeige gescbeen, Nochdeme E. A. das Naumbor- gische Bier auff itzige alby tage wolgeschmackt vnd bekomes sein Eolde, das es bey gedachter Cantzley, so solch fhas bir E. A. kegen Boda geschickt würde, nuhe wol zuuorantworten seio würde. Weil wirs dann auch nicht vor vngelegenn angesehen, vnnd vns vber das von wegen K A. manchfeldiger bezeigten wohlthaten vnd fürderung derselben wilferige vnnd dinstliche

1) Sixt. Braun, S. 262.

2) Zader, S. 59. Sixt Braun, S. 258.

KÖSTBR, ZUK REFORMATI 0NSQE8CHICHTE MAL'UBURGS. 3&3

Dinat« zubeieig^n vdb scholdig erkennen, Als schicken wir euch ror eure angestalto hausbaldang gegen Eoila mit vnaerm pferde eine fhur sovil man in itzigen bösen wege hat füren knnnen, als zwey fhus Biera, ganti d instlich a Tleis bittende, weil wir tds dy manchfeldigen an vds vnnd gemeiner stadt wobltbaten zuuordinen ta wenig wißen, E. A. wolle allein vnsern guten willen, den wir za derselben tragen, dodurch günstig vormercken, Das wollen wir etc. Datum Sounabent nach Michaelis {4. Oct.] 1539.

Der Bath zu Natimburgk. '_ Cedula.

p&s gezeicbnethe vbas mit rotlie ist jünger dan das amleie Gleita- brinelein.

Hit den Finanzun und dem Inhalt des Gotteskastens aber ■tuid es mittlerweile schlecht, desbalb schrieb der Rat ' de- und imhmatig (Kopialbnch 1539 1541, f. 50):

An di Chur vnd forsten zn Sachsen Gnedigst vnd gnedig bem, E, Chnr vnd f, g. fügen wir gantz vnderthenig wißen, das Gonder allen Zweifel diselben gnedigs wißen tragen, welcher ge- stillt wir durch gots gnade tnit E. Chur vnd f. g. gnedigen schiiti Tnd Schirm das heilige gotliche Wurt in vnser Stadt vnd gemein rein cnd Lauter haben, welcher wohlthat wir zufederst got vnd E. Chur TDd f. g. in ewigkeit nicht genugsam vordancken können, doch vnd derhalb so vil an vns 7um wenigsten kegen gut dem Almechtigen in gotlichen, wi kegen E. Chui vnd f g. in äuser- lichem Wandel vns gerne mit weiter anrichtung Ti>ser kirchen vnd Schulen seiner gotlichen almetbigkeit vnd seinen allein seligmacbenden worthe zu ohrn danckbar stellen wolden. Weil aber enlcbs ethwna vber vnser vnd gemeiner stat vormflgen in Zukunfft greifen will, vmi aber gleichwnl vrser pfaikirch zu S. Wenzel, so der Thumbbrobslei eingcleibt, durch vnter vorfarn gotlob also vorsehen, das, do diselben gDtter, Lehen vnd Zinse, Ei> darein gestifft, vnd gedachter Thumbbrost itzo dem Erwtrdigen Wolgebornen vnd Edlen Hern Hern Woltfgangk grafen vnd hern zu Stolbergk vnd hern zu Wernigerode vnd Thumbbrobst zu Magde- burgk etc. v. g. h. volgen vnd gereicht werden, als sonderliche alle gütter in der stat auf einem sondern ort, iti pfar genant, mit leben vnd Zinsen vnd sonderlich auch von Etlichen leheu, die vns leimgefallen, das Restaner, desgleichen di andern leben vnd Zinse di wir vnder Einander meisteilig selbst geben mDßen, etlichen papistischeu priestein in das Stift hie, zu Mersenburgk Zeitz vnd Freisingeu, di doch sonxt tegliche vnilerhaldnng von ken presentzen vnd MeshaUien ane das haben vnd dofhQr in

1) Sixt. Braun, S. 271.

i

294 ANALEKTEN.

TDser kirch gar nichts thun, Das wir gedachte fiisere kirche fad Schalen ane einiche TiüBer vnd gemeiner Stadt weiter beschwerde reichlich vnd bestendig von solchem irem Einkomen anrichten fad bestellen konden, Als haben wirs nicht ynderlasen wollen, E. Char ynd f. g. solchs vnderthenig zunormelden ynd anfe Tnder« thenigst zubiten, Das, weil es an dem, das wir jerlich Ton dem Tnsern was statlichs zn vnderhaldang der kirchen ynd Scholen nottürftig gegeben vnd gereicht, vnd domit das vnser gethan Tod fürder gerne thuen wollen, vnd aber daßelbe, das wir thnen xa bestendiger weiter vnd beßer ansrichtong nicht genug sein noch reichen will, gedachter her Thnmbbrobst aber der kirchen gfitter vnd etliche Restaner, desgleichen andere papistische pfaifen dy andern Lehn, so in vnser kirch geboren, an gedachten orthen haben, vnd doch Alle dofhür in vnser kirchen vnd schulen gar nichts thun, Das doch E. Chur vnd f. g. vns gnedig behfilfig sein wolden. Das wir diselben in vnsere kirche gestiften gfitter vnd lehen aus angezeigten vrsachen, vnd das es ya, das si di- selben brauchen vnd nichts dofb&r in vnser Kirch thuen sollen, vnrecht, zu weiter vnd bestendiger anrichtung derselben vnser kirchen vnd schulen. Wo nicht vor vol, doch Ethwas douon be- komen, dorein gevolget vnd zu dem rechten gotsdinste dozu si geboren, geneigt vnd gereicht werden mochten, domit also dodarch vnsere kirch vnd schul volkomlich voUent, got dem almechtigen zn Ehre vnd ffirderung seines rechten waren gotsdinst angericht, vnd wir der beschwerung, di wir auf vns gelegt, vnder Einander selbst zum tejl ein wonig loß vnd gelindert werden mochten, wie wir der vndertbenigen zuuorsicbt stehen; E. Chur vnd f. g. gnedig thnen vnd dise vnsere suchung vor nottig, christlich vnd billich erachten, vns gnedigk dobei vnd dorzu, das si ins Wergk bracht, vorhelffen werden, das woln wir etc. Freitag nach Pfingsten [21. Mai] 1540.

Zugleich ging ein Bericht mit ab über die geistlichen Gfiter and Lehen, die zur Pfarrkirche St. Wenzel gehörten ^

Zu dieser Zeit wurde der in Kircbensachen streitsfichtige Dr. Medier in einen unangenehmen Handel mit dem Domkapitel verwickelt. Der Domherr Wolfgang von Rotschitz nämlich hatte seine Köchin zur Ebegenommen und dadurch die mit ihr erzeugten Kinder legitimieren wollen. Der Bischof hatte ihm deshalb seine Pfründe entzogen ^. Botschitz starb, und Dr. Medier hielt ihm die Leicbenpredigt , worüber das Domkapitel eine Anklage erhob und an den Bat schrieb (Kopialbuch 1539 1541, f. 58):

Antrag so ein Erwirdig Capittel an die geschickten des Radts

1) Sixt. Braun, S. 271.

2) Ebend. S. 273.

KÖSTEB, zun HEFORMATIONSQESCHICHTE NAUMBUHQS. 295

vnnd Bothe freitags nach Misericordias Domini [16. April] hat gelangen laßen nnd wi es diüelbe desselben tages, souil ai douon faebaldeo, an Batb vnd Retbe nidergebrai^ht,

Bretlich hat der ber Tecbanndt in beisein des seniors uIb Hern Caspars von WiHzbnrg, hern Bernharta von Draschnltzs vnnd irea Sindici uocb vorgehender Dancksagung der Schickung angezeigt, Das si der vormehrte votfitrlicbo mabno, welcher sich doctor Madler nennetbe, vorganga dinstags [13. April] zuuor auff Set Marien MagdalsDen KircboIT in der predig vber der leicbe des selign magiatri WolfTgange Kotschitz, als ime di schritt entpfallen geweßen, an iren Ebrn vnd wolfhart angegriffen, auffrQriach ge- predigt vnnd den gemeinen mabnn domit wider si erregen wolleun, ires Torboffena, das si es in gemeiner Stadt anligen vmb diselbe anoders vordinet betten, vnd vorstünden derbalb aus bemelter predigt souil, das er zu keinem fride luat hette. Di Wort aber, domit er ai angegriffen, neren dise; Do läge der arme man vnnd were todt, das würden sich sonder Zweiffel die vorretherischenn «Hosten posenicht im atifft, di im das seine wider got, ehr vnd recht genuhmen, vnd aich doch großes adels rampten, freuen, aber «r Golde inen am tode mehr dan am leben zu schafTen m;ichen,

Auff dise wort sagten si prestando loqiiendo, das er si domit anlüge, als ein F lei sc bpose wicht vnd vorreterisch dip, dofQr si ine bilden, vnd das ine der Badt vnd Retbe vnd menniglich auch du/Qr wider recht haldenn wolden, piten theten, vnnd wüsten auch birzQ nicht zu schweigen, sonnder wnlden disen handel got vnnd iren freunden clugen vnnd leip, ehr vnnd gut dubei zn- setzen, Dan eratlich, das si sich ires adels rumpten, das wero wiihr, si würden auch vor menniglich dofflr gebulden, so weren aucb ire fhurfarn von vns vnd vnsern furfaren dofür gehalden worden. Vnnd derhalb bett si der leichtfertige mabnn domit billich vorschonnen, vnnd das si dem Botschitz, den er mit clage beweinet, etwas genohmen, nicht belegen sollen, Unnd bilde sich desselben Bothscbitz hanndel also: Ea were ime, eim Er wird igen Capittcl, ein kejßerlicb mandat von irem g. h. dem bischoff za- komenn, vnnder andern dia Inhalts, das si sich der alden KeligioD vnnd gotsdinstes halden soldenn , dis manndat hette er als ir glttmaa hetfft-n beliben, vnnd hernoch wider solch sein belibea sieb irer Ceremonien geeußert, vnd nicht mehr za cbor gebenn wollen, vnnd inen domit vrsach gegeben, daa ai innen auch nicht weitter zd Capittel erfordert Dis, das er aich irer Ceremonien geeußert, bette ir gnediger her erfarenn, inen ein befbel herein geschickt, das si ine darnmb in straff nehmen soldenn, si betten aber solchen straff halben nichts gegen ime furnehmen wollenn, sonndem ime allein den befhel auff dem Eirchoff, dohin, vnnd nicbt dt gawonnlicbe Capittelsatelle si ine erfodert, vorf^hkldenn,

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1

396 ANALEKTEN.

KU welcher stelle Er, der ber Tecbaandt, vor seioe persona ätk weitter mit voiten freundlich gegen ime eiugelaßen bette, vn- geferlich aoff dise meinung, da er je but freien wollenn, woramb er nicht eine vom adel genohmeD. Dorauff er ime dise antnort ^ebenn, das ers dorumb gethann, domit er di Eindei di er für der ehe mit ir erzeugt, ehelich machen mochte; Doranff er der her tecbanndt im weitter gesagt bette, Er konnde mit ir doTomb das si vorhin ein mahn, welcher man mit ir kinder erzengt ge- hapt, ader (nelchs wir vns Wandel nehmen wollen) noch bett« keine ehe beeitzenn, anff welche wort er inen wider diüe antwoct geben haben solde. Er eebe, das si gütlicher Werck Yod in enaogelü Bpotten vnd were domit douoa ganngen.

Noch disem allem bette er das weip 7U der ehe genobnieD vnd eich also ipso facto lormQge der recbt Tnnd irer statuteii, di er selbst geschworn, sich seiner prebenda, welche des von BD- nau zn Troigiga sohnn ordine bekomenn, seihet ent^atzt, doiaus Eratlich souil erscbinne, das ei ine seiner prebenda nicht ent- setzt, weniger etwas genehmen betten, sonndor wi hernoch gebort werden» sol, er inen.

Auff dise seine selbst der prebenda enlsetziing helle gedacbttr der von BQnau zu traißig ansuchung gethann, das Eeinem sohnn solche TOrledigte prebenda eingereumpt werden mechte. Mit sH' zeige, das Er ime zu recbt vorlegen vnnd di acta seins ge- fatlenns gegen Wittenberg zunorepiechtn schicken lußen woide. Er hett aber solcbs nicht annehmen, sonndern sich auff ein flBi Concillinm bernffen vnd nppellJit, die appellation in peisein zweier burger vnd eines notarien insinairet, vnnd oh im wol anf solche insinnuation dise antwort gefallen, das ei dieer appellation nicbt sehr erschrecken vrsacb, si eeßen in concllliie patrum vnd ir ding were gcgrQndet, vnnd weitter, d<ts si sich mit gebung der appustel unuorweißelich zueizoigen wißen wolden, Dorzu ime auch ungever- lich ein Termin preägiret, So bette er doch solche appostel nicht geholt, sonndern di appellatio desert werden laßenn, sich diMr seiner Sach halb ann Churfäretljche Duicblaucbtigkeit etc. ge- bangen, vnnd noch manchfeldigen scbiifTten vnnd widerschriffUn anch banndelung vor icer churf. g. Selben alhi uuff dem B»>li- bause, vngeacht ires erpitens, das si ine auch zum rechten vor- legen woldenn, befhel ina ampt Eißenberg ausbracht, irer Kirchen eiukomen vnnd eonnderlich armer Vicarien der Sache nichts zuthun gehapt, weren gehemet vnd ine aulTiii- heben vorstattet worden, di er auch vnd vil mehr gestanden, auffgehohen, vnnd das getreide vil mehi golden, gegeben, vnnd also, domit der Kirche dos di Kirche im das seine geuobmen hette. ^ eine große beschwerung mit zweitaußent gülden haupti

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KÖBTER, ZUR REF0RMATI0SS0E8C RICHTE NAUMBURGS. 897

inbalt di geschickten nicht haben belialden können, vnd noch mer angelogen, Vnnd dorauff schließliclien gebeten, dsB, weil sieb der hanndel im gründe ulso bilde, als das wi gemelt, ei dem Rot- schiti seiner prebenda nicht entsetzt, sonnder ei sieb selbst ir flntaetzt bette, Tnd das vber das er ei ime nichts, sonnder wi ucta gebort, er inen vnd lier Kirche genehmen, vnd idoch gleich- wol also si ime etwas genolimen angegeben worden weren , das wir inen alder loblicher brauch noch, der zwischen einem Er- Virdigen Cspittel vnd gemeiner Stadt gehalden worden were, als Bemlicb, wo der Badt vnd gemeine Stadt was angangen, das ein Srwirdig capittol dem Badt, vnnd widerumb etc. gerathenn, inen WiB si ilisBi Sach tbnen, unsernn Rath vnnd bedencken mittheileik »oldenn etc.

Die weiteren Veihandlungen in dieser Angelegenheit finden ■ich Kopialbuch f. 62 und lauten:

Djrs fQrtragen Eynnes Erwirdigen Cupittela haben rns vnnser» gwchickten. souil ei douon, weil es inen in schrifften zu geben gewegert wordenn, haben bebalden vnd autTzeichnen können, an- biaclit vnd leferirt, welchs wir gedachtem vnserm prodiger für- gebaldenn, welcher Erstlich der obgedachtcn worth, der si sich tngenobmen vnd angezogen, abschrifTt begeret, sonderlich weil ime durch vns vormeldet, das si der her techanndt ans einem Zed- Ikhen geleßenn. Weil aber wir ime angezeigt, das Kin Erwirdig upittel Tnsernn geschickten des gantzen anlregens vnnd also der- Wlbigen wott mit abschrifft zu geben gewegert, haben wir aufl' seins Uenchung eine sonderliche schii'kung zum hemn tocbannde sol- eher wort halb gethann, welcher vnsern geschickten dif^e antwort Ksgebcn, das er den Zedcl vorleget, vnd weitter, das er iti wort abgeschnbcnn, wie vnsere geschickten aufgezeignet vnd ime vor- geleßen worden sein weren. AulT diaes fQrtragpn hut mer- gedacbter her doctor vnns dise heriinch vorleipte schrilTclichft SDtwort zugestallt vnd gebeten si einem Erwirdigen C<ipittel für- BoluildeD,

Volget des bernn Doctors antwort, tHse antwort ist durch vns, Radt vnd Betbe beratücliluget vnnd im Badtscblage funden worden, das wir diselbe schriffllich einem Erwirdigen Capittel von wegen vngeferlich etlicher worter nicht tberanlwerten , sonnder di summa daraus zu seinem glimpf wi gMcbeen Beferiren laßen woldenn,

Vnnd ist also erstlich einem Erwirdigen Capittel mit vor- gehender des Badts glimpfs scbepl'ung, als das ai dise Irrung vor In person nicht gerne eifaren auch domit nicht zn tiiun, weniger Iva in seinem piedigerampt ein mas zu setzen wüsten, vnd do- nnff diser zuorsicht stünden, das si vns hirin gonstig entschuldigt iri&en würden, dise des berrn Doctors antwort ans seinem Brieff,

298 AMALEKTEN.

wi gemelt, gegebenn, sein erpiten inen angezeigt rnnd des Btdti pit mit andernn weittern Ymbstenden» das si es bei demselbeB seinem erpiten pleiben laßen wolden, auch dohin gericht word«.

Aber souil belangen thete, das wir bierinnen Ton einem e^ wirdigen Capittel ymb ratb vnd vnser bedencken angesncht wflr- den, wolden wir inen daßelb anch nicht vorhalden ynd bedeehtn also inen zam besten, Das, weil dise angezogene Irrung von Spal- dnng des glaabens rad zwifaldigem ader widerwärtigen fifEv, den wir beiderseits zu got trflgen, Welcher eifer di gemftthe der menschen anfis höchste scheidete, dorflber anch itzo die gantn chrystenheit vnnd alle höchste vnd niderichste potentaten fand stende rege werenn, herfliße, bescheidentlich also, do es an den«, das es ane solchen eiffer, das solchs vnd anders in den predigtsa hie vnnd anch anderswo vorplibe, Vnnd aber diser Tond andern gebrechen annders dann durch ein frei vnd gemein cristlich Gon> «ilinm vnd Torhoffte einigang des glanbens nicht mas gefunden werden mochte, noch konnde, si diser sache, so anch das doher, wi gebort, iren vrspmng bette, so lange bis got hierinnen, wi wir allerseits zn biten schuldig, seine gotliche gnade geben mochte, in Buhe stellen wolden, wi wir dan der znnorsicht stflnden, ein «rwirdig Capittel, di es peßer dann wir verstfinden, ?mb fride ?nnd einickeit willen, dorzu si geneiget weren, thnen wftrdea. Das wflrde vns von allen theilen za gut vnd einigkeit gereichen, 80 wolden wirs der Radt etc. es anch vordinen,

Aaff dise des Badts antwort haben sich di hem des Capittels ▼nser des Badts mitgetheilte bedencken geburlich bedannckt Mit anzeige, das si solchs ans mehrgehorten vrsachen irenn frenna- den anzuzeigen ynd zu clagen nicht zu nmbgehenn wüßten. Das si auch der zuuorsicht stünden, do si ader Ire frennde bei ins, dem Badte, zu seiner personn als Tnserm bQrger recht sochea ▼nd biten, das wir inen dasselb nicht wegemn würden, Daraoif inen denn wider angezeigt worden, das wir, der Badt, tos hiria ▼nuorweißelich erzeigen, doch inen doneben angezeigt haben wol- denn, das er (Dr. Medier) in gewinnunge seines bürgerrechts zwei stück, als sjine person vnd Yolgent das ampt, das aae das frei, ▼orbehalden bette etc. Dorauff sich ein Erwirdig Capittel dis er- piten bedancken thete.

Diese ganzen Schriftstücke wurden dem Knrfllrsten ftbenandt (Kopialbuch f. 56) und er gebeten, seinen gnftdigea Bai ra ertdlen, wie sich der Bat der Stadt dem Kapitel gegenüber YerhaÜeo solle, (Datum Dienstag nach Trinitatis [25. Mai] 1540X und rer aOea Dingen, ob er einen Termin wahrnehmen solle, den das Ki^pitel anberaumt habe, um die Sache mündlich zn verhandeln. iMr Bat weigerte sich zu diesem Termine zu erscheinen, w«l er nicht wisse, um welche Personen und Dinge es sieh handdn aoUe.

KÖSTER, ZUK IIEFORMATIONSQESCniCHTE NAUMBURGS.

.Tennutlicb hat der Kurfürst dies geraten, denn in einem späteren iBiiefe, Kopialbneb f. 106, duDkt der B»t ihm fQr die gnädige I .Antwort in der Sache der „Ttiumbbern PfuffenfrernitschafTt vod [Bero Mag. Kotschita betreffend." Ober deo weiteren Verlauf aohweigeu die Akten. Wiederholt waren die Wittenberger Theologen auch in diesem Jahre bier, denn in den Ratsrechnungen wnd „für J6 gr. 6 ^ Doctori M. Luthero, Philippa und Jonae Dienstag nauh Viti ('iZ. Juni) geschenkt an Muskatel, '/* Stdb. Sbeinwein vnd andern Getränk vnd ebenso 17 gr. 3 ^ den Ge- lebiten yon Wittenberg an Gelrank zu Jaoobi (25. Juli) 1540". Das Wohlwollen des EurrQreten für die Stadt und das per- >süDliche Interesse desselben an der Ausbreitung der eruugeliscben Seligion iu Naumburg, veranlaf^te den Uat nun wieder, sich bei ihm wegen der den Dompfaffen zufallenden Zinsen und Lehen «da der Weuzelskircbe zu beschweren (Kopialbuch 1539 1541, \t 111):

Äo die Cbur- und fürsten zu Sacheen.

Gnedigst vnd gnedig hern, E. Cbur und f. g. werden sich

[t jondei allen Zweifel gnedigk Erinnern, Wae wir an diselben vnser

Lehen vnd Kirchen einkhemen halb vndertheuig buhen gelangen

laßen. Als nemlicb, weyl wir der Leben, Zinse vnd Einkbomen

den mehrein teyl pupistiscben pfaffen reichen müßen, das nir von

dem übrigen vnserer Kirchen vnd derselben diner nicht vnder-

lialden, Sonder von dem Uathaus etbtvas durzu erlegen vnd eine

■ondtTliche jerliche anläge auf di bürger dorzu betten legen

.QUen, Und dorauf vnderthenig gebeten, das E. Churf. vnd f. g.

|>.aus dem gnedigen bedenckun, das si vur solch gelt nichts theten,

Iaondern dußdb gelt wider vns in der papisterei vnd zu irem Tormeinten gotsdinste branchten, vns gnedigk dobei schützen wol- len, das wir einem iden halben teyl seines einkbomeos vor vnder- l^haldung vnd noltorlt vnser Kirchen vnd Kircliendiner innebehal- [den mochten. Dorauf dan E. Churf. vnd f. g. sich gnedig in I Iran Ecbrifteu hüben vernehmen litßen, das sich diselben noch Tbeischickung vnsrer Kirchen oinkomen, birin gnedigk kegen vns vorbulden ivolden. Wejl dun, gnedigst vnd gnedig hern, es sich j iUo ebenn zugetragen, das vüsere Kircbendiner als di Erwirdigen L bochgelarteu her Nicoluos Medier. Doctor, vnd Benedictus Schu- \ mann, Magister, vnns angezeigt, das si in disen schwinden Zeiten aicb mit irer besoldung, als der Doctor 150 fl. vnd der her Mo- IjCÜter 100 tl. ferner nicht erbalden, sondern de wir si einem idem mit 50 fl. niclit bcßarn. Das si sich allein deshalb, das si iren enthalt, nachdem si bederseits mit Kindern verfallen, nicht i famer haben konden, von vns wider iren willen wenden vnd noch , anderer irer gelegenheit trachten müsten. Als vberschicken E. Cbnr. vnd f. g. wir hiemit vnser Kirchen Einkhomen vnd biten

i

300 AKALEKTEN.

r 30

H noch wi vor, in aller iBdertbenikeit, E. Churf. Tod f. g, wolla

H aaa vorezalteu Trsacben gnedig das geringe vnd wenig einkhomm

H TDser Kirchen, Aach was gemeiner anner Stadt auff di Reli^in

H gangen, vnd was jerlich vir vom Rathaus vnd ynsero bQrgen

H zu Erbaldnng derselben vnd Eircbeadiner haben contribuim

W mäßen, vnd noch, vnd eonderlicb, das diae der papistischen pfatTw

I einkomen in Tnaere Kirch gewidmet, bedencken, vnd was fürnam*

lieh aucb darnmb, das wir ane das cocb ein Hebrerä auff ^nser»

B bOrgere vnd lathaus schlagen vnd vns vnder Einander weiter SA*

H greiffeu mQßen, gnedig bei Bolcbn vnserm vorhaben schOtzen nid

V Yns befbelen , das wir inen nicht mehr dan iedem der balbeit

teyl (so ferne si in vnser Kirch nicht Ethwas dofhfir ihnen woIIm»)^

seines Einkbomena volgeo laßen mßgen vnd sollen, Gnedig El-'

wegen, das wir dannost noch zur Zeit mit diser helfft nicht Boi-'

eben, sondern weyl nocb 2 Caplan dannost noch ein mebrers i

irer aller vnderbaldung haben vnd daßelbe ferner jberlich vndw.

vns zu wege bringen mflßen, Ew. Cbur. vnd f. g. wollen i '

hirin gnedigk gegen vns erzeigen. Daa wollen etc. Datum fehlt

Aber wahrscheinlich Dienstag nach Vincnla Petri (3. August) 1540.

Der Rat.

Der Kurfürst schickte dem Bat einen an den Dompropst g»> richteten Brief in dieser Sache, der aach befördert wurde, dafa dem Bat ein Bescheid werde, deshalb folgte ein zweit« Scbreilien (Kopialbucb 1539—1641, f. 140):

An di Chur vnd fUrston zu Sachsen, Gnedigste vnd gnedigk heinn, E. Chnr vnd f. g. fügen wir vndortbeoig wißen, das sich.sond« allen Zweifel dibelben gnedig erinnern werden, was wir vnser armen Pfarkirclien halb zu S. Wenzel an diselben vnderthenig gelangtt vnd gebeten , das , wejl diselbe kirch der thumbbrobt^tei alhil eingeleibel, vnd ethwan durch Ein tbumbbrobst het bcsttilt werdn müßen , der dan die Emnlumeiita vnd Bestauer noch douon hst, das doth ein tbumbbrobst gnedig dobin mochte vermocht werdeiv das Er Ethwas von solcher einkhomen, in erwegui^, .^

kirchen beslellung itzn allein auf vns gewachsen, vnd das Er nicbta| dofhOr thut, in gedachte vnser hircbe volgen lasen wolde. Doraof dan K. Chur und f. g. wolgednchtem thumbbrost gnedigk geschribei^ denselben brief wir un gebUrliche orter bestalt haben. Sinteoil ea aber an dem, das wir dorauf vnbeantwort bliben vnd deibA' aucb nicht willen mügen, ab in E. Chur vnd f. g. Cantzley solche antwort einkhomen, Als bähen wirs nii-ht vor vngelegen ange- sehen, R. Cbur V. f. stdcber aniwort halb vndertbenig zuersuchen, Uit gar vndertheniger bil, do sy einkomen, vns derselben Inhalt gnedigk vns haben dornacb zu achten , zunnrmelden, Ane das gnedige ausucliung dornmb zutbun, vnd weyl itzo E. Chur v. f. g. Bethe alhie sein, denselben gnedig inbefhelei

KÖSTERy ZUR REFORMATION80E8CHICHTE NAUMBURGS. 301

^escheen E. Chor y. f. g. derhalb berichts, wi ydcI welcher ge- stalt solche vnsere pfarkirche der thumbbrobstei eingeleibet, vnd was Yor gütter viid Einkomen dorza gehen» an Einem Ehrwir- digen Capittel alhie erktknden wollen, domit hirin durch gots Tnd E. Chur y. f. g. gnedige hfllf desto stadtlicher za billicher Weisung Ynd Ynser kirchendiner Ynderhaldang gekomeu werden mochte, das wolln etc.

Ohne Datum, aber jedenfalls in der Woche Yom 10. 16. Oktober 1540.

Im NoYomber fand eine Zusammenkunft des KurfQrsten zu Sachsen mit dem Landgrafen Yon Hessen und anderen christlichen Beligionsst&nden in Naumburg statt ^. Der Bat wurde davon be- nachrichtigt und veranlafst, fOr Lebensmittel etc. Sorge zu tragen <Kopialbuch 1539—1541, f. 167):

An den Churf. zu Sachsen.

Gnedigster ChurfÜrst Ynd Herre, E. Churf. G. gnediges schreiben, belangende das Einkohmen der christlichen Beligionsstende, haben wir Yorgangenes Sontags [28. Nov.] zwischen Yier vnd 5 hör des abents vnderthenig Endtpfangen Ynd Yolgents tags hören lesen, vnd wollen dorauf E. Churf. zu Yudertheniger Antwort nicht vorhalten, Das wir vor vnsere person, so vil mtlglich mit bestellung nottfirfbiger Yictalien, auch aller ander nottorfft zu solchem tage dinstlich anbegerten möglichen vleis nichts wollen lasen erwinden, Das wir auch bereit an mit vnsern bfirgem so vil geschafft, das si sich Ein ider zu seinem hanß mit aller not- torft noch eines iden vormOgen domit, auch mit futter vnd an- 4erm ane zweifei auch gefaßt machen werden, vnd bei den wirten f Order diso billiche vorfOgung wir thuen wollen, das si solche lobliche stende vnd potschafften aufs gütlichst kegeu gleicher vnd billicher zalung bewirten sollen, domit sich vnsers vorsehens nimants hirin vnbillicher vbernehmung, sonderlich in diser gemeiner Christenheit geschefften beclagen sol. Ane das wir vns auf An- suchen dorin vnuorweislich erzeigen wollen. Vnd haben wir etc. Datum Dinstags nach Catharine [30. Nov.] 1540.

Auf das Schreiben des Rats vom 16. Oktober ging durch den Kurfürsten die Antwort des Dompropstes ein. Es war nicht mehr der Graf von Stolberg, sondern der Graf zu Beinstein und Blanken- burg, der die Antwort gegeben hatte.

Der Bat erwiderte darauf dem Kurfürsten (Kopialbuch 1539 bis 1541, f. 168):

An di Chur vnd fürsten zu Sachsen etc.

Gnedigst vnd gnedig hern, E. Chur vnd f. g. gnedige scbrift vnd di inligende antwort des Wolgebomen vnd Edlen grafen

1) Sizt. Braun, 8. 280.

302 AKALEKTEN.

▼Bd hern, hern Vlrichn Grafen rad bern za Beinstein Tnd Blanken- ber^k, belangende di bestellnng Tnser pfarkirchn zo S. Weniel, baben wir ynderthenig entpfangen vnd bom lesen, Tbnen tus ancb derselben gnedigen vberscbicknng anfis Tndertbenigsi be- dancken, Vnd wollen doranf E. Chnr Ynd t zn ▼nderthenigcr widerantwort nicbt yorbalden, das wir di vrsacb anfenglieb. Wo- rumb gedachter kircben zugenge mit Vigilien ?nd andern gefelleii, in seinem Wert mhen laßen wollen, desgleichen so yU di anf- lasung den»elben kircben belanget, so der ancb wolgebonie mi Edle her, her graf za Stolwergk vnd her zn Wernigerode, Tnser gnediger her ethwan thumbbrobst, dem hochwirdigen in got Tnser darchlaucbten hochgebomen ffirsten vnd bern, bem philipseD Bischofen zu Freising ?nd Nanmbnrgk etc. ancb ynsem gnedigen bem getban haben sol. In gleicbens auch was di bestellini; derselben, so durch irer f. g. bochgedacht Stadthalter ynd Betbe bescheen sein sol, Welcher bestellung daß si ein Zeitlang doch mit Personen, so vnser Beligion nicht gleichförmig gewesen, gescbeeo, wir nicht aberedig, hinwider aber nihe gehört, das diselbe jhr mit dem Einkomen irer f. g. bestendigk wehre resignirt worden, Vnd derbalb auch noch nicht anders wißen, dan das di znge- borung derselben, auch jüngst das Bestauer Ynd anders wolge- dachtem vnd itzigem hern Thumbbrobst nocbvolgen. Ynd doromb weil dem also, wir ?ns auch der bestellnng solcher pfar nicht yorsetzlicb vnd vmb derselben cleinether willen villeicht derselben in ynsem Nutz zubrauchen, sondern aus dringener Not Tnser seel ynd gewißen f bar, so ferne wir vnd ynsere ahrme gemein nicht ane alle Sacramenta Tnd gotlicb wort baben sein wollen, Tnder- fangen vnd diselben mit christlichen lehrem vnd dinem Torsehen vnd si bißbero mehr dan ein Jbar von dem ynsem Tnd der armen gemein jerlichen anläge haben bestellen mOßen, Ynd es aber ye auch yor got eine yorantworthung geberen wolde, do solche bestellung lenger auf ynser gemein ynd yns, weil das ordentliche einkbomen dorzu got lob yorhanden, ligen solde, Als ist an K. Chur. ynd f. ynsere gantz yndertbenige bit, Si wollen wolgedachten grafen Vlricben yon Beinstein etc. v. g. h. gnedig nochmals dohin Tormflgen, das s. g. sich der billichkeit hirin selbst weigen Tnd gnedigk zu solcher pfar bestellnng tus Ein zulage mit Ethwis stadtlicbs ader ongeferlichs thuen laßen wolle. Das wollen wir etc. (Datum zwischen 30. NoTomber und 6. Dezember) 1540.

Am 20. Januar 1541 starb der Bischof Philipp und der Bit meldete diesen Todesfall sofort (Kopialbncb 1539—1541, f. 191):

An di Chur und f.

Gnedigst ynd gnedig bern. E. Chnr ynd f. fügen wir Tnderthenig wißen, das, nochdem Tns diselbe biuor befheel zugeschickt, es auch itzo mflndtlicben yomauen laßen, derselben den leitlichen

KÖSTEIt, ZUK REFOBMATIONSGESCmCHTE NAl'HBÜKÖS. 303

ftbegangl; v. g'. b. des Bischöfen zu Freisingen vnd Naumburg tarn fnrOerlichsten, do wir ina erfarn würden, zuaormelden. Dem- selben zuuotge fügen wir E. Chur rnd f. g. Tndertbenigk wißen, das heut dato, vmb Neun bora, ein Krwirdjgk Cupittel tds zu sich erfoidert Tund vns solcben Irer f. g. zeitlichen abegangk, got wol diaclben gnedigk geruhen, angezeigt, welcbs wir E. Cbur Tcd f. g. vnderthenigk nicht haben woln vorhalten. Datum Uorn- stag am tage Fabinni [20. Januar] 1541 vmb 10 bora frü.

Und weiter am folgenden Tage (Kopialbnch f. 191 und 192):

An die Chur vnd fflrsten zn Sacliaen, Nochdem von E. Chur Tnd f. g. wir ein befbeÜ des datum Brannscliwiglt , freitag noch Letare [5. April) 1538 bekomen, vnder andern des vormUgens, das do wir in konde komen würden, das Ein Ehrwirdigk Cuplttet alhis noch abesterben des itzigen hoch lob lieber gedeclitnus bischofs, einen andern welen würde, das wir dorein nicht willigen solden, sondern Es E. Chur »nd f. g. anzeigen. Weil wir dan bericht, dos si albereit aus irem mittel gewclt haben Eollen, vnd doch gleichwo! solcher whal halb an vns nicbts gelanget, Als baben wirs E. Cbur vnd f. g. iils vnsern gnedigsten vnd g. h. den wir in aller vnderthenigkeit vnuorsparts vormügens zu dinen bereit, in vnderthenigkeit nicht woln voxhaiten. Datum Naumburgk, frei- tag noch Fabiani [ül. JanuarJ 1541.

Der Bat war am 20. Januar vom Domkapitel aufgefordert, bei ibm zu erecheinen. Hier wurde den abgeschickten Bürger- meistern die Nachriebt vom Tole des Bischofs mitgeteilt und sie ersucht, eich sede vacante wie gebQbrlich zu bezeigen '. Am 21. früh 6 Dbr beratschlagte der Rat, was zu tbnn sei, und gab die Antwort, sie worden sich wie treue Unterthanen zu verbalten wiseen. Eine spatere Aufforderung, sich am Leicbenbegangnis des Bischofs zu beteiligen, lehnte der Rat auf Befebl des Kurfürsten ab, der von nun an in allen diesen Obliegenheiten seine Verhaltungs- maßregeln gab. Unterdessen hatte der Rat das Dumkapitel Diens- tage, den 1. Febr. um Beatätigung der neuen Ratspersonen ge- beten, diese Bitte aber wurde unbeachtet gelassen. Auch forderte der Di^mpropst Graf Reinstein wieder die ihm zuständige Steuer, worauf ihm der Bat antwortete, dafs er das Schreiben den zu den Kirchenämtern verordneten Personen überwiesen habe, die nicht verfehlen würden, ihm die richtige Antwort darauf zu geben.

Wie schon in früheren Zeiten, so hatte Dr. Uedler auch jetzt wieder grofso Anfechtungen zu erfahren, namentlich von einem auf der Domfreiheit wohnenden Baccalnureus Sebastian Schwebinger. Die darauf bezüglichen Schritten und Widerscbriften floden sich angeheftet an den Bericht Über die Wahl nnd Einführung

S. 2800,

304 AKALEKTEK.

des Bischofs NicoL y. Amsdorf und sind bereits abgedruckt in: Dr. Förstemann, Neae Mitteilungen des Thflring.- Sachs. Vereins vom Jahre 1836» worauf ich hinweise. Das Domkapitel hatte Julius von Pflug zum Bischof gewählt, der Kurf&rst war nicht damit einverstanden und verbot dem Bat, diesem zu huldigen, forderte ihn auch auf, die Bestätigung des neuen Bats nicht eher vollziehen und den alten sitzen zu lassen, bis das Stift auf sein Betreiben mit einem neuen Haupte versehen sei \ Die daraus entstandenen Irrungen brachten es schlie&lich dahin, daß der Bit ein kaiserliches Mandat empfing, dafs er sich an niemand als an den neuerwählten Bischof Julius halten solle, der Kurfücst dagegen beschied den Bat nach Zeitz und bestellte das Stift mit «inem Hauptmann Melchior von Kreutz, b'is ein neuer chrisüicber Bischof gewählt würde.

Welchen Buf aber die Naumburger evangelischen Gkistlicben in der Nachbarschaft erlangt hatten, geht daraus hervor, daü) die Stadt Halle den hiesigen Bat bat, ihr den Diakonus M. Schu- mann auf ein Jahr zu leihen. Es erfolgte die Antwort (Kopial- buch 1541 und 1542, f. 38):

Dem Erbaren Ersamen vnd wol weisen hem Bürgermeister md Bahtmannen der Innung vnd gemeinheit der Stadt Halle vnsern groß^. freunden.

Vnnser gantzwilligk vnd freuntlich dinst zuuorn, Erbare, Er- same vnd wolweise gonstige hem vnd freunde. Wir haben im Vorgängen vnserm Petri Paul margkte von Euern Geschickten eine Credentz vnd mfintlicbe dorauf Werbung, den Erwirdigen vnd Achtbarn bein Mag. Benedictum Schumann, vnsern diacon belangent, entpfangen vnd angehört. Auf di meinung kürtzlich, das wir Euch vnd Euer gemein zu erbauung vnd ferneren er- pflantzung gotlichs alleine seligmachenden gottes worts, welchs Ir durch voriejhung gotlicher gnade erlanget vnd angenehmen bettet, Ein Jhar lang leiben wolden, aus vrsachen, di wir dasmol Ton Euern geschickten weiter eingenohmen vnd vns femer angezeiget worden sein. Weil es dan an dem ist, das wir solchs, das Ir so dem Erkentnus gotlichs Worts khomen seit, vnd dafselb ange- nohmen vnd predigen, auch di heiligen Sacramente noch ordenang vnd einsetznng vnsers hern Jhesu Christi reichen last, gerne Er- faren, dafselb Euch auch als vnsern Üben Nachbarn Christliek vnd wol gönnen, Euch auch dorzu glück, heil vnd Seligkeit wünschen vnd freulich vor Euch vnd Euer gemein in vnser kirch vnd ge- mein vmb bestandt biten lasen, Vns auch schuldigk ErkenneUi Solche Nawe kirchen mit vnser Hülf zuerpflanczen hilff, vnd So vil müglich hirin an vnserm darthuen vnd vleis, domit das Beich

1) Sixt. Braun, S. 283flf. 289.

KÖ8TER, ZOB REFORMATIONSGESCHICHTE KAUMBÜBOS, 305

gottes Erweitert, nichts BnniDdeti zulaßec. Als notleo wir Euch dennoch aaf solche der Eoem Werbaog freantl icher Meinang nicht vorhaldeo, das wir anfangs diselbe an den auch EhrwirdigeQ bocbgelarten vnd achtbarn bern NicoUnm Medier, der heiligea schritt doctor, vnsern prediger »nd seelsorger (So itio got wolle jme noch seinem gotlicben willen gnedigk helff, mit einem Schweren feber, doran Er in di dritte woche gelegen vnd noch wenig beßerung Torhanden) haben gelangen laßen, der ei dan fUrder an gedachten Hern magiater gleich vns auch bracht, vnd das er doranff seinn bedoncken etlicba tage (nochdem es ime durch fns den merern teil auf eine zeit beimgestalt ist) ge- nobmen, das wir auch aobalde er vna dalSelb eröffnen wlrdt, Ea «ucU ferner Tniingezeigt nicht lasen woln, dann Euch in solchen cbriatlichen vnd sonat andere billicbe eachen freuntlicbe dinste sn beteigen, sein wir rnuorspart« vleia gantiwilligk vnd bereit. Datum Hontags nach S. Kiliani [11. Jnli] 1511.

Nach der Genesung des Dr. Medier ging dann Schumann be- OTlanbt nach Halle (Enpialbuch lbil~lbi2, f. 102):

An Bath zu Hall. Wir haben Euer schreiben entpfdugen vnd boren vnd lesen vnd wolln Euch doranff zu freuntlicher wider- antwort nicht verbalden, das wir beut dato daf^elb dem Ebrwir- digen vnd acbtbarn Hern Benedicto Schuman Magistern vorge- halden, vnd das wir dorauf so vil von ime vormargkt, das er eich in kQrtz erheben zu euch begeben vnd sich seiner nottorfft nach mit Euch vorgleichen wirdet. Welchs wir Euch etc. zur antwort nicht haben woln vorhalden. Datum Freitag post Nativit. Marie Virginia gloriosifsime (9. Sept.) 1541.

Jm September aber hatte Dr. Medier, der als nunmehriger Superintendent mit grofser RObrigkeit das gesamte Kirchenwesoa sieb angeeignet und überall, auch in der Marienkirche wOcbentlicb piedigte und ihre Kircbeokleinodien zum Besten des tioCteskastens verkanfte, jedenfalls auf höheren Befehl die erste Predigt im Dom gethan und, weil er die ThQr verriegelt gefunden, Gewalt ge- braucht. E^ war aai S:inntage nach NrttivJt. Marias (11. Sep- tember) und der R;it scbickte sofort seine Gesandten nach Torgau zum Kurfürsten und meldete die Tbat ecbriftiicb dem kurrürstlichen Hauptmann Ewald von Brandenstein nach Weimir (Kopialbuch 1541 nnd 1542, f. 105):

Dem Edlen Ernvesten Gn. hern Ewald von Brandestein etc. Vnser etc. dinst lannr. E. ü. schreiben haben wir entpfangen, Wollen rua daßelbe vndertheniglich vorhalden vnd haben Eylends vnaere geschickten gen Thorgaw abgeferiiget, Chur. u. f. Durch- lauchtigVeit, »nserni gnedigsten vnd gn. hera, den gantien Handel vndertheniglicbst lunormelden, Wollen auch G. Q. vnderth. nicht <rorbalden, das der Doctor heut dato die erste predigt im Thum

Ziltiohr. I. K.-a. XILI, I. 20

M

d06 ANALEKTEN.

gethaiiy Tüd nocbdeme di thumhern ader kircheiidiiier di tliiir Yerigelt rad nicht wollen einlaßen, hat man diaelben mit Axto» Ynd anderem erefnet» vnd dem volgk eingang gemaeht. Welcbea wir K G. ▼ndertheniglich nicht gewnlt zoTorhalden ete. Dato» Sontagk noch TPser Mariae [11. September] 1541.

Das Domkapitel beschwerte sich natfirlich darüber bw Stiftshanptmann von Krentz, dem der Rat dagegen schrieb (Ko* pialbnch 1541 nnd 1542, f. 106):

Dem Edlen gestrengen vnd achU>am hem Melchior von Krentno^ der Rechte Doctor, Chorf&rstl. Hanptmany des stifts Nanmb» ▼nd Amptman zw Koldltz etc.

Vnser etc. Dinst zunor grcßgnnstiger her Tnd hanptmaa,.

Tns haben ?nsere itzo gegen Zeitz geschickte in irer widen»-

knnft berichtet» das allenthalb in des stifts Amptsnerwaltonge ein

verandemnge bis auff eins zukünftigen Christlichen bischofii fürdere

Erwelunge ader deßelben einesetznnge durch ynser gnedigstn

vnd gnedig hem di Chur ▼. f. zu Sachsen etc. gemacht sdn solde.

Derhalb wir dan bedencken gehabt, das yiUeicht snlches mit den

Richterampt albie zu bestellen diso wege auch mecht erreichen.

Weil dan gemeiner Stadt biran etwas gelegen. Als ist vnser gar

dinstlich bitt, do E. G. sulcbs yorzunemen einigen befhel hettea,

mit demselbien ein kleine zeit stillzustehen. Dan wir in Ktirts

derhalb an di Chur y. f. g. Tusere schriftliche notturfl zu gelangen

laßen bedacht sein. Nochdem wir aber auch dem Erwirdigen hocb-

gelarten ynd acbtbarn hem Nicoiao Medier pfamer Tnd Superattendent

dasjenige, wes sich ein Capitel bei vus vormeintlich ob ime einer auf-

rühr halb beclagt, haben fhfirbalden lassen, vnd aber wir vor Tusere

person solchs kein wißen tragen, es auch nicht glauben können, Ton

wegen des, das wir ine ir vnd alle awge anders Tormargkt, Als woUen

wir in kein zweifei stellen, Er werde solche ynbilliche auflagt

mit gutem bestände, wir wir mercken, füglich vnd wol abesa-

leinen wißen, wi wir dan vor ynsere person vns solchs, do wir

was mercken würden, zuuorkomen scbuldigk erkenten Tnd nichts

desto minder gut aufacbt doneben haben woln. Etc. Datcm

Montag post Mattbei [26. Sept.] 1541.

Man siebt aus diesen Briefen, wie diplomatisch sich der Sat nach allen Seiten den Rücken frei zu halten suchte, aber immer auf seinen Vorteil bedacht war. Dies erhellt auch wieder ans dem folgenden Schreiben, wo der Rat sich um die Zahlung schul- diger Zinsen drücken will (Eopialbuch 1541 und 1542, f. 141):

An di Chur Tnd f. zu Sachsen.

Gnedigst Tnd gnedig bern, E. Chur Tud f. g. wollen wir Tudertb. nicht Torhalden, das wir einem papistischen pfaffen mit Nahmen Henning Frech zu einem Lehen in Tusere Kirch gestifft, auff Tusern Rathaus ierlich 30 fi. Torschriben, das wir Tusem

KÖ6TES, ZUR HEFORHATI0N8OE&CHICHTE MAUUBUROS. 307

Csstenheni Solche Ztose gereicht, die tus di ?oriDabnuDg gethan, ins derselben bei ime zuentDehmen , Wi si das der zauorsioht gestanden, das ei bei ime ethwaa erbalden wolden, das er inen doQon begen dem, das er in vnaere kirch nichts dafhOr thut, het volgen lasen sollen. Weyl si aber bey ime nichts haben erbalden können, Dringtt er hart vnd schwinde auff vna, als bilden wir ime Tnsere gegebene brieff vnd sigil nicht, vil anch mit 1 Castenhem , di dn ime zuschreiben , das si di zinse von vns ent- pfangen, nichts, sonder allein mit vns zn than haben, vnd gebildet Tns doneben kegen menniglich obgemelter gestalt Weil wir dan «neern gotakasten vnd kirch, so ane das wenig einkomen hat, gerne bei disen Zinsen, das inen was douon geuolget werden mochte, erbalden wolden, vnd aber gedachte Tnsere Castenhern auf E. Chur. Ynd f. gn. befheel hirin vber möglichen angewanten »leia bei ime bißanhero in der gOtbe nichts haben erbalden können, Sich gleichwol auch wegem, ime di entpfangene zinse, bis er inen was donon innelest zuzustellen, bei vns auch Sachen thuen, daa wir ime vor daa kein zins sonder inen geben wolden, Tnd aber gleicbwol anch der Nochrede vnd schreibens, als bilden wir brieff vnd Sigil nicht, dergleicben femer fbart gerne vberigk weren. Sich aber gleichwol anch vnaere Castenhern, als hetten si solcbs von Euren Chor vnd f. g. znm teil befheel, vornehmen laßen, (nochdem wir ime vorschriben, das vns anch kein hem- gebot noch vorbot etc. der zalung schützen soIde), Als ist an E, Chur V. f. g. vnsere gantz vnderth. byt, E. Chnr v. f. g. wollen gelegenheit des handeis gnedigk erwegen, wi doch solcher papiatiacber pffaff durch gebdrliche mittel dobin bracht werden mochte, wi di andern gethan, ethwas von solchen zinsen in vn- sere kirch volgen zu lasen, angesehen, das er verpflicht ist, dofhür etliche Meß wöchentlich zubalden, Ader zum wenigsten vns, dy wir vnsere zins von vns reichen, nicht dergestalt in Leiptzk, do er sich entheldet, in die leuthe zu blicken, ane das vnd da der sach füglich in undere wege nicht abezuhelffen, wir vorüber nicht konden, sonder ime solche vorschribene Zinnse mit Nocbteil vnser kirchen vnd gemeinen gotekasten reichen möaten. E. Chur V. f. g. wolden sich hirin noch gelegenheit gnedigat und gnedigk erzeigen vnd vns dise öftere ansnchung nicht vordencken. Das wollen etc. Datnm am tage Stephan! [26. Dez. 1541].

Die Universität Leipzig befaßte sich nun auch mit dieser Freoh'achen Angelegenheit, Kopialbuch, f. 148, nnd der Kurfürst befahl, daa Leben einzuziehen, wenn Frech sich mit dem Gottes- kasten nicht verglichen habe '.

Am 1 6. Januar nun schrieb der Stiftshauptmann Dr. Melchior von

308 ANALEKTEK

KreutZy der Bat Ton Nanmborg solle sich den 18. bereit halten« den Knrf&ursten Johann Friedrich und seinen Bruder Johann Ernst n empfangen, die nach Naumburg kommen würden, um mit den Stifti- ständen, der Bitterschaft und den Städten zu beraten, wie dem löb- lichen Stift ein gottgefälliger Bischof vorgesetzt werden könne. Am 15. schickte dagegen Herr Julius Pflug ein Schreiben an den Ba^ to Inhalts, dafs ein ehrwürdiges Domkapitel ihn zum Bisehof einstimmig gewählt habe und er erwarte, der Bat werde ihm Gehorsam und Treue bezeigen ^. Bin an die Kirchthür angeschlagenes Maodit desselben Inhalts wurde auf Befehl der Obrigkeit sofort abgeriasH und den am 18. versammelten Stiftsständen durch den Stifte- hauptmann erklärt, daß der Kurfürst nach innegehabtem geistlidm und weltlichen, staatlichen und zeitlichen Becht als des StilU Erb-, Schutz- und Landesfürst und oberster Patron einen christ- lichen Bischof in das Stift einsetzen und ihn des folgenden Tages, Donnerstag, den 19. Januar , nominieren würde. An demselbes Yersammlungstage erschienen nachmittags Dr. Luther, Dr. fon Amsdorf, M. Melanchthon und Dr. Ourio in Naumburg, und gegen Abend die sächsischen Fürsten mit dem Herzog Ernst von Braim- schweig. Noch denselben Abend wurde mit dem schwere Be- denken tragenden Bat, und von diesem mit dem Domkapitel ver- handelt Donnerstag früh aber erklärte der Bat, dais -er dem Kurfürsten mit Leib und Leben ergeben sdin wolle , aber nicht verhehlen könne, dafs er dem Domkapitel neben dem geistliehen Begiment auch im weltlichen zugethan sei und ihm geschworen habe; darum bitte er um Bat, was in diesem Falle zu thun sei Die Antwort darauf erteilte des Kurfürsten Kanzler Dr. v. Ofsi dahin, dafa in dieser Sache nicht darauf zu sehen wäre, wis ununterrichtete und leichtfertige Leute reden möchten, sondern man müsse darauf acht haben, was Gott und nicht den Menschen angenehm wäre, und wies auf den Kurfürsten selbst und seine löblichen Vorfahren hin. Femer hätte das Domkapitel die Eide nicht mehr, sondern dieselben bei der von ihm erfolgten Wahl dem Herrn Pflug übergeben. Da dieser aber des bischöflichen Amts nicht fähig sein könnte, wäre der Bat seiner Eide ledig. Aufserdem wurde ihm eröffnet, dafs, weun Herr Julius als Bischof in das Stift kommen würde, dann nicht allein die alten Streitig- keiten wieder aufgerührt würden, soDdem dafs auch die neue lu- therische Lehre wieder genommen würde, denn man wütste, dafs die papistischen Pfaffen und der Teufel nicht feierten. Daneben versicherte der Kurfürst den Bat seines Schutzes, und schlug ihm noch aufserdem vor, der anwesenden Heligionsräte von Wittenberg Bat und Bedenken zu vernehmen. Nach längerem Hin- und

1) Sixt. Braun, S. 294ff.

KOSTEB, ZUB REFORMATIONSGESCBICHTE NADUBURGS. 309

' Herach wanken, nach Beratuagen auch mit der Ritterschaft und den Stifts standen, denen als neuer Biacbof Herr Nicolnns Ton Amsdorf genannt worden war, wurde Luther und Melaocbtbon nebst Spalatin nieder gefragt, ob die Gemeinde sich dem Domkapitel gegenüber nicbt meineidig machen wOrde. Luther setzte ibnen auseinander, der KarfCrst, ala ein Glied des heil. rCm. Reichs, habe dem Papst nnd seiner Kirche dergleichen aach geschworen, hielt« sich aber nicht daran, weit es wider Gottes Wrrt wäre, „inmaf^en denn ge- dachter Herr Dr. Luther dieses mit schOnen Anmerkungen aus göttlicher heiliger Schrift, auch geistlichen und weltlichen Rechten ond derselben Lehren nach der Länge ausgestrichen, probiert nnd dednciert, und dafs dergleichen Pflicht, die wider Gntt und sein hei- liges Wort, snrh wider gute Sitten wäre, weder vor Gott noch der Welt binden kannte" etc. '. Kurz, das Resultat war, dafs sich der Rat mit der Gemeinde dahin verglich, in dieses christliche Werk zu willigen und bis Ina Grab daran zu halten, es mOgs nur des gemeinen Hannes wegen des Herrn Dr. Luthers Bedenken nnd Ratschlag in Druck erscheinen.

Am Freitag Fabian nnd Sebastion, den 20. Januar wurde demnach Nicolaus von Amsdorf als erwählter christlicher Bischof zu N&umbnrg bestätigt und eingeweiht. Das Nähere Aber den eben knrz gegebenen Bericht Gndet man in den bereits oben er- wähnten Hitteilungeu des Tbßring.' Säcbsiscben Vereine vom Jahre 1836: Geschichte von der Wahl nnd Einsetzung Bischofs Nicolai von Amsdotf (Naumbarger Handschrift No. 61) und im Sixtus Braun (Nanmburger Handschrift No. 13), herausgegeben von Dr. KOater. Am folgenden Tage, Sonnabend, den 21. Januar, wnrde dann dem neuen Biscbof v. Amsdorf auf dem Rathanse frOb zwischen 7 und 8 Uhr gehuldigt und ibm vom Rate der Eid ge- leistet '. Alle durch diese Feier entstandenen Kosten, das folgende Festmahl, die neue Bekleidung des Bischofs etc. trug der KurfQrst.

Der Rat aber insinuierte sich sofort bei dem neuen Bischof (Kopialbuch 1^41 und 1542, f. 187): Dem bochwirdigen in got hem, hern Niclasen BischolTen zu Naumburgk vnserm gnedig- sten Hern.

Hochnirdiger in got Gnediger herre. E. G. sein vnser vuder- thenige gantzwillige vnd gehorsame Dinste in aller vnderthenig- keit zuoor. Gnediger her. Alder löblichen gewonbeit vnd brauch noch Schicken wir E. G. vudertbenigk IG schelfell SalU vnd 2 vhas biers, G. G. gehotigk, mit gitr vndertheniger bit, E. G. woll solch SBJtz vnd hier also gnedig von vns, wi es betbiacht, annehmen, vnd vnser gnediger her wi wir vndertbenigk biten.

310 ANALEKTEK.

BSio, des woln Tmb E. 0. nir mit Tnaerm radertbenigen |

vi 11 igen md gehorsamen dinat vordineti. Datuin Naambargk,

MitfFochs am tag CoDTersionis PsdH ['2b. Jan] 1542.

E. 0. vDoderthane vnd gehorsame, der Bat za Naumbtu^li.

Mittwoch, den 1. Februar bat dann der Bat, die neu erwählten Ratspersonen zu bestätigen und niederholte diese Bitte nach Judica, wegen der mancherlei Zerrüttung, die der lange Venn^r der Stadt und allen Handwerken gebracht. Darauf erfolgte die Bestätigung. „Auff Heuthe, montag post Exaudi [23. Mai] ist d«i Nawe Kath bestetigt vnd auff dem mitwoch noch penthecosten [31. Mai] durch denn aldenn Batb dem Nauen gsTecboet tdikI sein zwn Bochnung gehalden worden de anno 40 & 41 ni solche beetetignng ist in Sanct Wenzelskirchen dorch den Ämpt- man Schelnwergk (Schelleoberg) vnnd her WolGT Prisen gescheen" '. (Batsarchir, Handschrift H. f. 215) Es war dabei niemand rom Domkapitel zugegen.

Eine interessante Skandalgeschiclite gab dem Dr. Hedt«T, wabracheinlicb auf Einwirken des neuen Bischofs, wieder Oelegfli- faeit, Ton der Kanzel herab seinem Unmute Lnft tu macbeu. Der Abt von Pegau, Simon Flick hatte geheiratet, der Bischof davon gehurt und beim Bäte Erkundigungen eingezogen. Üieset antwortete (Kopialbnch 1541 und 1542. f. 238):

An BischofT. Gnädiger her, AnfT vnser ^osterichs gesche^n id- achreiben wollen wir E. G. vnderthenig nicht vorhalten, das "ir des alden Apts von pegaw Wirtschaft halb fernere vieißige heim- liche erkundung vnd nochforschong genohmen, das es au d*iii Tnd gewis wabr ist. Das gedachter apt am Vorgängen Sontagt [7. Mail alhie zur Naumburgk Ehelich beilader vnd Wirtschaft g*- halden. Welche wir E. G. in Eyl auf derselben begehr vndtr- thenigk nicht haben woln vorhalten. Datum sonnabent nach Cantate [13. Mai] 1542.

Am folgenden Tage aber meldete der Rat femer (Kopialbucb 1541 und 1542, f. 240):

An Bischoff. Gnediger her, E. G. fügen wir rodertbenig wissen, das heut in der Nocbpredigt vnser Doclor vnd prediget Ein lange .inzeige getbann, Wi er sich im eingange erclett, Ergernus abezuleihnen, vnd das Ergernus dos ime in seiner KircbtD gemacht were, were das, dns ime der monch, den man den ipt Ton pegaw nennett, het laßen eine Jungfraw, Margareth B>^ genant, auff einem dorif meucblischs, heimlich vnd dibischs geben lasen vnd hinne in der Stadt ann Vorgängen Sontag [7. U&i] Wirtschaft gehapt, vnd solcbs doriimb, das er ime seine Estimatio« domit het nehmen wollen, als nochdem er nahe ins sechste Hat

1) SiEt Braun, S. 331.

EÖSTER, ZUR REFORUATIONSGESCHICHTE NAUHBl'RGä. 311

Prediger gewesen, das mans dofbür halden Bolde, Er were ein solcher Esell ader Narr, liet Eolcbs diogs Tber seine Kirchenord- nung *Dd Ampt zu halden kein vorutand ader grnnt etc. Nuhe were ea an dem, er bet nicht allein ime in seiner Kircben diß Ergemus domit angericht. Sonder dodnrch Erstlich K. G. den Biachoff, bernoch Cburf. durchlauchtikeit, zum dritten das recht derselbigen Consiatorinm vnd angefangene Eecbtfertigung domit Tor- Bcbt, vnd bat dorauff noch referining der gantzen handelung wi si an ine Tod von ime an unseren gnedigsten h. den Churf. etc. vnd an Doctornn des Consistorii zu Wittenberg gewachsen, angezeigt, 4as er zu soluhom Ergemus nicht stil Hcbweigen konde noch «aide, sonderlich wejl er solchs Ampts halb nicht ombgehen konde etc. vnd dorumb wejl er ime solche brauth als heimlich Tcd wider den gantzen Landesbrauch bet geben laßen, Vnd domit aeine Eirchenordnung vnd Ine, E. G. Cburf. durchlauchtikeit vnd den gantzen Landesbraucb voracbt, So wQste er auch solche ehe vor kein ehe, sonder eine TQrckiscbe vnd mit Zucht Hurnehe zu halden etc. Vnd woldo doranff, weyl er der Apt ine, sein Ampt, kircben vnd ordennng also vher seine traue wolmeinung vnd ge- scheene lange vor diser Zeit vorwamang also voracbt vnd ime ein solch gros Ergernuß in der kirch angericht bette, ine vnd seine brautb hinwider vor Sein pfarkinder nicht halden. Sondern dorauff ime vnd ir, weyl er Solch ergernus so offontliob gemacht, Seiner kirch vnd Christlich gemein auch olfentlich varboten haben. Tnd nicht allein ir vnd ime. Sonder allen den, dl rat ader that dorzn geben, Vnd sonderlich denen, so auf der Wirtaobafft gewesen, Tnd so er si dorin sehen wOrde, das er dorans gehen vnd ako in diaer öffentlichen Ergernus öffentlich Inierdict legen wolde. Uit andern vnd mehrern vmbstenden auch gründen auß der hei- ligen scbrifFt, vnd vurmahnung, äaa wir di obrikeit des vnser mit strafen auch dabei tbun solden, so vmb kDrlz willen nicht können itzo geschriben werden. Das doraulf der Apt in der kirch öffentlich roden vnd villeicht vber solche injuria protestireu wollen, vnd nochdem der her doctor gesagt, ime gebort an dem ort nicht zu predigen, Das dorüber ein groser tumult, murmeln und au&itehen, doch durch ine, den bern doctor auff der Cantzel von Stundt an wider gestilt worden, mit der Anzeige, das Ideimann fitil sein vnd sitzen solde, Dan solchs ginge Nimant an vnd gehört derhalb ime zu vorantworten. Er wolde es auch vor K Q. ader 80 er auffs rathns gefordert wQrde, vorantworteu etc. Dorauff dan, obwol durch vnsern Stadtschreiber dem Bichter solchs von Btnndt an vnd von seiner peraon vormeldet vnd in seinem Hauß angezeigt worden, eher wyr aus der kirch kbamen, das er Ampts- halber dobei tbun vnd ine bestricken solde, Dorauff dan er der Bichter, sein Schreiber Eilents auffs Bathns geschickt mit anzeige. Das ers

d

312 ANALEKTEN.

tlmii wolde, Wir aüeh balt di thor bestalt, So ist er doch ber^ u weyl ei bingaiigeiiy xum thor hinaiis geweseiiy md wejl der Biehtor mit 2 knechten hinweg geeebickt, haben wyr bei ime dormf flneb Sinnen laßen, das man di fhflmembeten gemach im baoM Torpitschiren ynd Torsigeln wolde, donn wir dan mach neben im Torordnet Weil es aber nnhe, gnediger her an dem, das wir hinor ?on den Dingen, di sieh beot so Tnoorsehentlich zogetngeii,. kein wiften gehapt ynd aber wi inen sonderlich noch gestaltder itarigen lauft, fnd das wir Ton seinem bmder Doctor Plick, binor anch trefTentlieh Instantias gehapt, luthnen sein mochte, Bieht wol wißen mflgen ynd Tnß Ton ime Tnd seinem Anhange daa» noet, weil er daaon kbomen, allerlei zn bef baren. Als bibm wir nicht ynderlasen wollen, E. G. solche geschieht filende so* ttormelden Mit yndertheniger bit, wejl wir hinor je vnd alle weg» anch E. O. negst gescbriben yrsacb halb mit ime nichts gerne tnschaffen gehapt, E. O. wolle den Dingen neben derselben bem Bethen gnedigk nochdencken Tnd Batben helfen wi inen sathm, Domit Tormotliche Weitemng hirin Torhttt ynd das dobei geeebeea mochte, das hirin Tonnothen ynd sonderlich, ob wir auch da» bans des nachts, nochdem es weitlanfligk bewaren laßen soliir domit Er nicht ein behelff zu suchen, wi hinor Ton seinen Tor» fam gescheen. Als were ime das seine dorans gestoUen ider Tilleicht durch yns Torwarloset worden, Wi wir dan E. O. gne* dige bedencken hirin ynderthenigk Torfolgen woln md sein S. 6. ynderthenigk zu dinen gantzwilligk. Datum gants eilent am Sontig Yocem Jocanditatis [14. Mai] 1542.

Citol

Zugleich schrieb der Bat (Kopialbuch, f. 243) : Dem erbam Tsd Thesten Hern Simon Plick, fiiserm gonstigen freunde.

Ynser willigk Dinst zuuor Erbar vud fhester günstiger fireoodt AufT Euer an yns schreiben woln wir Euch zur Antwort nicht Torhalten, Das wir Euem handell, wi sich der gestern in der Kirch noch der lenge zugetragen, an Tnsem g. h. den BischolT haben gelangen laßen , das wir Euch deßhalb, biß wir Ton 8. 6. antwort bekomen, Euch nicht beantworten können, das wir aber sobalde solchs gescheen, auff Euer anregen Euch ferner beantworten wollen. Ynd haben es Euch zur Antwortnicht wollen yoihalteo» Datum Montag post Yocem Jocunditatis [15. Mai].

Ebenso wieder an den Bischof (Kopialbucb, f. 244):

G. H. was yns yom Apt zw pegaw zageschriben, haben E. G- aus inligender Copien zanormercken. Wiwol wir E. g. ynder* theniglich nichts yorhalden wollen, das wir seine pferde zur arbeit zu fertigen nicht yorboten, sunder allein aufachtunge zn haben yorfügt, das nichts heraus gethragen, enthwant ader yorandert werde. Mit yndertheniger bit, E. G. wolle yns wes wir yns jetzt

KÖSTEB, ZUR RIFORMATIOKBGESCHICHTE NAtTMBÜBGS. 818

im» sobald Torhalten, ^adiglicb TormeldeQ. Das wolln Tns B. 0. wir lo aller TndertheDigkeit vordioeQ. Dat. Montagk noch Vocem jocuDdit [16. Hai] 1542.

Freitags poet Ascens. Domini |19. Ual] Sein erBchinnea der Apt von Joeigk, Baltzar von Scbeding, Teit vnd Gregor glockner, burgermeistere , Jehan hoch, fraotz vnd Cbristoff Nipell, Veit Siber, Paol Hegis, Man thain, Jobst Berbtgk Tnd Hans Wacker, baben angetragen vor dem Rat Tnd Eidesten, uocbden si der Doctor iri ai boflen, nnucrschalter aach in pan getban, bei ime gfltlich lu erb&lden, das er si dorans lasen vnd solchen relaiiren wolde. (Kopialbucb, f. 214 ond Siit. Braun, f. ^16.)

Der Abt von Pegau aber wandte sich wiederholt an den Bat und bat diesen um Geleit, wurde aber an den Biscbof selbst ge- niecen (Kopialboch 1541 und 1542, f. 44):

Dem Apt zu pegaw. Günstiger freundt, euer abermals schreiben das gleidt belangendt, haben wir boren lesen vnd wolln Buch dorauff nicht vorhalten, das wir ewern handei an v. g. h. von Naumburg haben gelangen laßen, von deme wir aber bis dober Ute entliehe anthwort vorbliben. Da es nubn Ewer geiegenhett, ■naget ir bei S. Q. selbst anregen. Stehen wir dißer, so ench Ton denselben zu anthwort gefallen meclit, auch woll zufriden, Tsd seindt eacb zu dinen «illii;k. Datum fieitag post Vocem Jocundit. fl9. Mai].

Der Bischof Torderte nun in der Flick'scheD Sache einen aus- führlichen Beriebt, den Bat und Bichter abschickte» (Kopial- bucb, f. 9.): Uochwirdiger in got; E. 0. sein vnsere vnderthane gantzwillige vnd gehorsame dinste in vnderthenikeit zuuor. Gne- diger her, E. G. schreiben in sachen den erwirdigen vnd hoch- gelarten bem Niclasen Medier vnd Simon plick belangende, darin £. Q. vna vmb semptlicben bericht schreiben, haben wir vnder- thenig entpfungen. Vnd nochdom wir der Bat E. G. hiuor vnd balde deßelben tages beriebt, eo vil wir vun derselben geschieh! haben bebalden mOgen, Uaben wir gedachts PHcks clageschrift keg«n demselben vnsenn bericht, als wir drei rethe weiß beisam gewesen, halden vnd lesen laßen vnd finden doraus, das er fast mit derselben vbereinzeubet. Alleine, was di Sinonima der Schelt- worter anlangen vnd das er vorgibt. Er hab von der Cantzel herab firacchioin seculare anruffen vnd biten solu, ine einezazihen. Welcbs wir also gescheen sein nicht zu berichten wißen. Es «ich anders dau wir hiuor bericht, nicht gebort haben. Wol nagk aber sein, das er di scheltwerther, di ptick so vor be- schwerlichen anieuhet, braacht haben müge, Ausgeschloßen, das W ine einvn Hurder geheißen haben solde, das haben wir nicht gebort. (Wi wir dsn auch gehart, das er sich Entschaldigt, das weder er noch Sein weip kein gelipnus hirin von ime ader

314 ANALEKTEN.

ir entpf&ngen, Tnd das er sieb gleicbwol, Sooderlich ab iai^ plick eingeredet, Ethwas erhitzet) Außerhalb disen, vni daa it- aach gesagt haben magk, das di Braut Sonst kein man het bt" komen mOgen, md das er hirin vnd in solchem seioem Arnj/i. auch di freuDtscbafft Dicht ansehen, Sooder was dißelb erfod«^ thneo wolde, haben wir ferner kein wißeo, das lu berichtNj notigk eein mochte. Allein was sich auch mitlerwe;l tagetngilf, als das di bürgere Eins teils so er in Bau getban bei tds tbI' relaiining deßelbigen angesncht, di wir domit an E. Q. md int gewisen, Tnd das si sich eins tejla der kircben Entbalden, mit ToiwendoDg, das der Bao dorumb, das er ane Torgehende Tor* manuEg gescheen, inen sonderlich beschwerlich, Wi ich du Bichter auch kein ferneren bericht weis. Vnd haben aolabi K 0. mit Widervbersendnng der beden Sapplicationen rndec- thenigk nicht wollen vorhalten vnd sein E. 0. etc. Datum Frei- tag post Horcelli [23. Juni] 1642.

Der Badt Tnd Richter inr Naumburgk.

Über den weiteren Verlauf dieses Handels sobweigen di« Akten. Aber auch in andere Streitigkeiten wurde Dr. Hedler wiederholt verwickelt nnd hatte bald schriftliche, bald mflndlicbe ErOrternngen zn gewärtigen, die ihm sein Amt erschwerten. Auch iraren die Finanzen der Kirche wieder in sehr schlechtem Zo- Stande. Zwar hatte Dr. Medier mit dem Bäte beim Kur^rst«» «rwirkt, Aals tod allen Personen, die in der Kirche zn S. Wen»! «cclesiastica mnnera gehabt, aber nichts dafQr leisteten, dii H&lfte ihrer EinkQnfte von den Lehen in den Gotteäkasten fliefMii sollte bei Verlust des Lehens K Auch hatte der KurfQrst dam Ootteskasten die 37 fl. 11 gr. 6 ■% Zinsen, die in die Wenmla- kirche vom früheren Stadtschreiber gestiftet waren nnd auf dtm Tambacher Zoll verschrieben gewesen, samt der Hauptsnmme von 630 fl. ablegen lassen, nachdem heim Bischof um Ausliefenmg der bezQglichen Urkunde gebeten wurde. Kopialbncb 1513, f. 3- 4. 5. 12, Um aber die EinkQnfte der Kirche noch weiter zu Tir- «t&rken, die sieh auf 250 fl. beliefen, während die Ausgaben 600 E. betrugen, so dafd die Besoldungen der Kirchen- und Scbutdiener nicM geleistet werden konnten, und Dr. Hedler fortziehen wollte, wandt« Mch der Bat wieder nach Wittenberg (Eopialbuch 1&43, f. 6):

Den erwirdigen Uocbgelarten vnd Achtbarn bern Marino Lntter, Jobao Bugenbagen, der heiligen schrifft doctom vnd Phi- lippe Helanchton etc. vnsern iasander grosgnnstigen bem.

Vnsere gantzwillige vnd beolißene dinst zuuor Erwird igt tochgelart vnd achtbare insondere grosgunstige bem. Wir biben kegenvertige vnsere geschickten an B. Ehrw. vnd acht

1) Sixt. Braun, S. 332.

em. Wir biben J acht mit eiut J

KÖSTER, ZVR REFORHATIONSGESCIIICHTE NAirUBURGS. 315

werbuDg abgsfertiget in sacben raserer kirchen Balif^eo, mit gar dinstlicher bit, 8i gonatig zohoren vod inen irer encbang vnd weiterberichta halb als ob wir personÜcb Torbanden, Btadt vnd ^laaben zu geben vnd ist vmb merer beglaubang willen kOrtzlicb das: Vds bat Tor wenig tagen der aucb erwirdig bocbgelart vnod Achtbar her Nicolaus medler, der b. schrifft doctor voser über pfarner vnd eeelsorgor ah wir drei Betba weise beisam gewesen, angezeigt vnd fQrgetragen, das ime einn ander beruff des predig amptfi kegen Brunscbwigk Torgefatlen, mit bericht aucb wes er mit Eurem als seiner bern Tnd obersten Kat bereit an birin ge- than habe, wi wir dan solchs aus den vns fbQrgelegten scbriften, sonderlich Euer des bern Philipp! noch der lengst vnd di vraach, worumb er sieb wegbegeben mochte, befunden. Wan wir aber solche vreacben eeines we^w^mluns dohin Tormargkt, das diselben siebt von vns noch vnsor kirch ader auch vnserm Üben BischoS aonder sonderen personen im Stifft, so di vorwaltbung haben, lierflißen golden , Wir auch aus solchem seinem antragen ferner «0 vil funden, das, wo solche vrsacben weggethan ader denselben aoDst rat geschafft ader aber maß gefunden werden mochte, das ar sieb von vnser kirch, di ine vnd er si wider IIb hat, nicht «enden würde, deshalb wir dan itzo gedachte vnsere geschickten an vnsern gnedigsten hern den Churf. etc. za Sachsen fürder abegefertigt, mit befheel, solch sein vnd so vil ee mugÜcb vnser anligen mit an ire Churf. G. zu bringen vnd aufs vnderthenigat vmb gnedigst einsehen, schütz vnd rat vnd abewendung zu biten. Wir aber ine mit Euerm gonstigen vnd fDrder vnsers g, h. zu- thun alber zu vns in vnser kirch bekomen, auch vnsers vor- huffens also kegen ime vorbalden, das er vbor vns vnd wir vber ine nicht clagen werden noch können. Als haben wir bewogen, das wir birin auffs aller vleißigst vnd emsigest bei Euch von wegen vnser vnd vnser gehorsamen gemein ansuchen vnd bithen wolden, das ir vor Euer peraon so vil muglich in solche kegen Braunscbweigk vocation nicht willigen noch ime dorzu rathen, auch solcbs bei Churf. Durchlaucbtikeit aufs vndertbenigst, das s. Cburf. G. ime ancb gnediget nicht erlauben, Sonder seiner be- ficbwerong halb ine boren, ime dorin gnedigston rat schaffen, ir abehelffen vnd fordern woldet, Vnd weiter bei Euch aufs aller embsigost zubiten, Das, weyl ir vnüer armen vorlasen kirchen einkomen so gar gering, das wir dauon di diner gotliclis worts vnd schulen nicht erhalden können. Sonder JQngst sein, des hern doctors vnsers pfamers besoldung jerlich auff vnsere bürgere haben schlaben vnd jerlicb noch was stuttlichs dorzu zu büßen inüßen, Vnd aber zwei closter vmb vns, als eines zu S. Moritz, das ander zu S. Jörgen, des Vorsteher itzo mit tode abegangen, Wir aber bericht sein, das der Lantschafft vorhaben seyn sol^

31 C ANALEKTEK.

disalben so wi andere in einen andern Standt zn bringen, Ynd gemeinlieh alle Stedt im Ffirstentbnmb , di anch mehr daa wir zu Tnser Kirch einkhomena haben, zn iren Kirchen Gasten Tnd schulen ethwas donon bekomen, Ala sonderlich im Stift di Ton Zeitzs ir jangfrawkloster mit seiner ingehomng, Das ir Tmb gottes ynd seines heiligen gottlichen Worts willen, Ench ynser armen Kirch hirin annehmen md diselbe Tmb seines heiligen Nahmen willen, bei irer Chorf. O. Dnrchlaochtikeit Torbithen woldet, dss doch ire Chorf. On. in gnedigster solcher erwegang, ynd das wir sonder rhnm weit yber 2000 fl. gemeiner armer Stadt yormfigena allein auff selche der Religion Sachen bei ynser yorigen Obrikeit haben wenden mfißen , Ynd das ja ynser einkomen yon wegen der Manchfeldigen bei menschen gedencken erliden Brantscheden,. deßhalb wir noch jerlich mit grosen Zinsen yorhaffi, solchs weiter nicht ertragen khan, Vns solcher closter einkomen eines mit seiner zogehorong zu solcher ynser Kirch, Schulen ynd Castens gnedigst yolgen lasen ynd ymb gots willen yns schencken wolde, domit doch dodnrch solche ynser kirch, schalen ynd kästen Ein wenig in aufnehmen khomen ynd dj jerliche auff ynsere bflrgere gelegte der Diner ynd ynser beschwerung aufhören mochte, Ynd euch hirin gonstigk kegen ynser armen yorlasen Kirch erzeigen ynd des lohn yon vnsenn liben hem got ynd seinem liben söhne ge» warten. So woln wirs etc.

Dazu folgendes Anschreiben an den Kurfftrsten (Kopialbneh 1543, t 19):

An Chorf.

Qnedigster ChurfQrst ynd herre. Kegenwertige ynsere g»» schickten haben zu E. Churf. G. wir, in ynser Kirchen ynd ynsem anligen Mit einer Instruction ynderthenigst abegefertigt, Mit yndertheniger bit, E. Churf. Qn. wolden inen do derselbfn mehr dan in solcher Instruction yorleibet, berichts yonnoteo, deßelben halb auch gnedigst stadt ynd gleuben geben ynd td» auff solchs alles gnedigst Antwort, wi wir auffs Allerynderthenikst biten, in solchem ynserm anligen widerfaren ynd zukhomen lasen. Das woln etc. Freitags noch Misericordias [13. April] 1543.

Die Instruktion lautet, Kopialbuch 1543, 1 8 und nochmals f. 13:

Instructio wes di geschickten des Raths zur Naumburg an den durchlauchtigsten hochgebomen fürsten ynd hern Jobaos Friedrichen etc. etc. gantz yndertheniglichen yortragen gelangen laßen vnd bittestellen.

Dornoch Iren Churf. aufs ynderthenigst fhflrtragenn, das yor wenig tagen der erwirdig ynd hochgelart her Nicolaus medier, der h. schrift D. ynser pfarner ynd Seelsorger an yns bette mflntp lieh gelangeu laßen, Das, nochdem ime ein ander beruff des pre*

KÖSTEB, ZUR REF01tllATION3O£84.:fnCHTE NAUHBUBaS. 317

dig Ampts als kegen Braunschnigk vorgestoßen, wi er vus dan deßelben schein, schriFUQ vnd widerschriften vorgeleget, mit be- riebt, das, ob er wol voser Kirch znorlasen des hochwirdigen in got vatern vnd hem bero Niclaeen Bischöfen zu Naomburgk Tiisers g. b. fbQmemlich auch vnser md voser gehoraameo gemein hal- ben niclit Trsach hette. Das er doch solchs etlicher beschwernng halb Tnsers behalten» aoa der Cantzlei zu Zeitzs beriQreDt, Do ime diselben itzo vnd zukunfft nicht gewant werden soldflo, notticb wöide thuQ müßen. Mit erclerung was solche beschnerung zum tejl weren, di wir Ire Churf. G. Kürtz halb vndertheoigät zu be- Tichten dorumb vnderlaaen wolden, das an vns gelanget vrere, Als solde diselbe biuon gnedigst zanor bericht haben. Vnd do- rauff gebeten betten, das, da wir dorzu, das solche beacbwerung xnm wenigsten in Kunft aufboren mochten, nicht Bat wOsten, sieb auch vnser vnd seiner Kirchen nicht mehr dan bishero ge- Bcheen angenohmen werden solde, wir ime gonstlg erlauben wol- den, Sich an solch ort ni dobin er ordentlichen bernffen were, XU begeben, w; era dan mit gnedigster Irer Cburf. Q. erlaubnus thnn noide vnd bereit an der gelerten zu Wittenbergk bedencken auch bette, zu begeben.

Das wir aber seiner Ehrwirde dise vorwehnung gethan, das, wo Bolcbe seine gebrechen, di wir nicht gerne erfaren, zu wan- deln in vnser macht ader an vns stünden, das wir seiner als vn^era Üben pfurners vnd treuen Seelsorgers bit biiin gerne Stadt geben vnd alles das doneben, so an vns were, thuen wolden, Wej! aber solcba in vnser macht nicht atQnde, Das wir von ivegen VD^er vnd vnaer gemein nicbte desto minder bei irer Churf. Dnrcblaucbtilceit als vnserm gnedigsten Landes- vnd scbutzfürsten vnderthenigste vorwendnng tbnen vnd an vnserm mfiglichen vleys gar nichts erwynden lasen wolden, domit ime deshalb seine bil- licbe in seinem Ampte beacbwerung mocht gewant vnd er also Irer Churf. G. gnedigates Schutzes wi wir empfinden.

Vnd Süllen derbalb dorauf di geschickten vnderthonigst wi bei den gelerten zu Wittenberg suchen, flehen vnd biten, das Ire Churf. G. ir solche der von Braunschwtg gescheene vocation zu nochteil vnser Kirchen ane sondere vnd wichtige bedencken aua nocbfoigenden vraacbon nicht gefallen laaen noch beliben wolden, Als do wir ine ane solche vrsacben itziger Zeit wegk können lasen solden, das wir solcbs bei vnser gemein, di seine labr, Wandel, mObe vnd treuen vleis, bedes bei der Kirch, schulen Tod Kasten, so vil Jbar nahe vnd sonderlich in den ilzigen des vor- gangen Winthers schwinden lauften erfaren. niclit wol würden vorantworten können. Sonderlich do si orfuren solden, das wirs betten wenden mOgen, es nicht gethan ader an vnserm müglichen vleis was mangeln lasen, weyl fQinemlich gedachte vnsere gemein,

318 AIVALEKTBN.

di ine libet» binnen 14 tagen als wir si breuchlieh Torsamlet ge* hapt, anf solch ausgegangen gerflcht durch ire gaßen- ader Virtel- meister solcbs emsigk Ton yns gesonnen Tnd begeret, Ynd femer yndertbenigst bjten, das Ire Chnrt G. solchem seim ynd andern fbürstehenden Anligen ader yrsachen dommb er sieh weginwen^ den in willens, mit zeitigen rathe Tnd genohinen nottorfligen be- rieht gnedigst abhelffen wolde, dormit wir sonderlich za den ferlichen zeiten ynder Irer Chnrt O. gnedigstem Schnts, weil es gleichwol ane gemeine zarfittnng ader Ergemns ynser Nach» bauer nicht wol würde gescheen können, in dieser seiner trauen ynd rechten lahr femer erhalden werden ynd bleiben mocht

Zum Andern sollen die geschickten Irer Churt anfii ynder- tbenigst fhflrtragen, das gerttchtweise an yns gelange, das Ire Churf. G. mit Zuthun der Lantschafft, der Closter ynnd irer zn- gehorung halb der Lande, gnedigste andemng yorznnehmen und zumachen in Willens ader fhOrhaben sein soln. Do nuhe dem also, in aller ynderthenikeit biten. Das wejl es am tage, das ynser Kirch so gantz arm ynd ynuormfigent als eine im gantaen förstenthnmb , dorin auch eine geringere commun gehorigk sein magk ynd also arm, das wir auch jüngst yon dem ordentlichen derselben armen einkhomen, ynsere Kirchen ynd Schulendiner nicht Erhalden können. Sonder ire besoldnng so lang wir di predig des allein heilwertigen gotlichen worts gehapt, yff ynsere bOrger habsn schlahen ynd was gemangelt, yon ynserm Bathaus erlegen mflftea, yber das, das auch di Kirch ader SteinhaufT an ir selbst des einkhomens halb so ynuormügent, das man si douon im beolichen wesen allein nicht erhalden khan, Also do got der almechtige gnedigst yor sein wolle, das si noch Ein feuerschade ybergehen solde, es ynser yormfigen nicht wehr, si ynd ire zugehörige geben in den standt wider zu bringen dorin si itzo ynd wir si got lob mit grosen vncosten, fronen vnd schaden bracht, ynd yber das so arm, das si keine eigene wohnung weder yor pfamer, Caplan, Schullndiner noch Güster hat, Sonder das wir, der Bat, diselben yon dem gemeinen der Stadt geringen einkhomen erbauen, er- kauffen ynd einem idem ein besonders auch jüngst mithewei^ fhürhalden ynd gewis auff ein solch haus weit yber 1500 fL in erbauen itzo yollent wenden mfißen.

Solcbs aber alles ynserer armen gemein ynd yns di lenge ynd das in zukunft der Belligion an ir selbst, das si deshalb fallen ader je so stattlich wi itzo goUob, nicht erhalden werden ynd in abfal kommen mochte, schwehr fallen würde, zu dem, das es ynser selbst gering einkhomen nicht wol mehr yormagk, yon welchem ynserem einkhomen wir noch jerlich in 6000 fl. ge- borgter ynd ynabegelegether yon der manchfeldigen erledenen bei Menschen gedencken Alleine drei brantscheden, yorzinsen müfien.

BÖSTER, ZUR KEFORMATIOKSGESCHICHTE NAÜMBfEGS. 319

iber dos, das wit alleiu weil vber 2000 Q. Etne solche der kir- chen Tnd schulen diner so lange besoldaug vnd widerergentEDng der Kirchen ynd iien zugehorygen gebauen, allein solche ynsere Cbriatlicbe Beiligion wider »nsere Aide ObriVeit zuerhalden Tocoat koe di anderen weltlichen Beder, di rns derhalben zugeschoben woiden vnd nicht minder gestanden, haben wenden tnüßen, Welche alles ane di widerergentzung der gemeinen vordorbenen Stadt gebew vns biß daher also hinunder geworffen vnd noch jorlicli, das wir Tor solchon der kirchen vnd irer zugehorange vnd anderen Tocoaten. wi wir treulich gehofft, vnd noch, Boicher gestalt in kein nfnebmen komen konnden, Vber das, das TDser gotakasten an ime selbst so gar arm, das er gar kein ordentlich einkbomen ftder Zinae bat, dorzu wir derhalb jerlich haoßarmen leaten vnd sonet ethwas auch mildiglicb, so ferne wir ine erbalden woiden, nicben roOsten vnd gerne.

Das ire Cburf. als ein sonder libhaber vnd fhQr allen des nichs löblichen fürsten Schützer gotlicha Worts vnd armer gots- keoser solche alles vnd vnser armen vorlasen Kirchen vnd Tnser Ulligen vnd vnuormDgen gnedigst zu gemüthe fhdren, sich ir Tmb gots vnd seins allein seligh machen den Worts Willen annehmen VBd erbarmen vnd vmb mehrer auffrecbnung , fOrderung vnd in Znhunit etadtlicher erhaldung desselben vnd der Beinen lahr irich solcher vnser verwüsten Kirchen, der einkomen sich vber 860 ä. vngeferlich nicht erstreckt, dokegen wir aber dorauff vnd tre Eugeborung ierlich vber 600 fl. wenden, vnd so es im schwänge •rb&lden werden aol, in Zukunft domit nicht reichen können, •tbwas douon ader vil mehr von dem einkomen der Tumhbrobstei, der solche vusere pFar incorporirt ader dem ierlichcn einkbomen ^8 Stißs, das ttzo di pfaffen vnder sich teilen vnd nichts dothür Ihnen, aus lauther gQthe vnd bannhertzikeit znkbomen lasen wolde. nd do Ire Cburf. G. solche vorandernng mit dea clostern vor- nehmeo vnd ei villeicht, wi das gerDcbt gehet, vokanfTt ader ans- yethan werden solden, das Ire Churf. 0. domit vnaerer gemeiner Armer Stadt gnedigst indenck sein wolde, Ob di bede vor Nanm- bnrg Closter vnd ire zugeborige gütter der Bat vor eich vnd ge- sein bargerschafft solcher gestalt, vmb vorbütung frembder Nach- bacer zukünfftiges vormutlicbs zancks, Widerwillen vnd anders, an ■ich bringen vnd dodurch gemeine arme Stadt vnd Bürgerschaft irer Churf. G. gnedigsten vortrostung noch, in auffnehmeu vnd reicberung gebracht vnd vor solchem vermutbenden schaden vnd sannck Torhütet werden mochte, Wi wir der vnzweifelichen hof- ■nng standen, ir Churf. G. auch gnedigst sich hirin kegen vns .'tia deraelben getrauen vnd gehorsamen Vnderthanen erzeigen wflr- htfes, Daa woiden wir in aller vnderth. mit höchstem vleis vor-

I

^20 ANALEKTEN.

Da die Oeschickten nur Yertröstuiigen mit^nach Hause brachten, und auch nach einem halben Jahre noch kein Bescheid einge- kommen, anch der Propst lo 8. Moritx mit Tode abgegangen war, 4ichrieb der Bat wieder an den KorfQrsten (Kopialbach 1543, f. 110):

An Chnrf.

Gnedigster ChorfQret ynd Herre. E. Churt O. werden sieh uns allen Zweifel gnedigst Erinnern, welcher geetalt diselbe im forgangen Sommer ?ff ynsere ynderthenigste ansnchung der beder closter halb Moritx ynd Jörgen, yor der Stadt gelegen, Als do K Churf. O. mit denselben andemng yorzonehmen ader si raaor- kaufen bedacht, ynser ynd gemeiner Stadt aus ynsem yorgewantes yrsachen dormit gnedigst indenck sein wolden, yortrostnng gethaa, dergleichen auch ynseren Qotshaus Castenhem, ynsers Castena anligen ynd not halb. Wan sichs aber itzo noch dem Wiln gots lugetragen. Das der Ler probist zu S. Moritz des Sele got ge- ruhen wolle, mit tode abegangen, Als haben wir nicht yor ya« flogen angesehen. Solche ynsere ansuchuug zuuemanen, Mit ynderthanigster bit, E. Churf. G. wolle yns wes diselbe mit sol- chem yorledigten closter ynd seinen zugehörigen gflttem yorzo- nehmen yordacht, gnedigst yorstendigen, domit wir yns domoeh SU achten, ob wir yilleicht gemeiner Stadt zum besten yns hirin mit E. Churf. G. yorgleichen ader ja zum wenigsten etliche acker ynd andere zugehorunge douon yor yns ynd ynsere bürger kegn billichen werth bekomen mechien. Wi wir dan auch avfii aÜer Tnderthenigst ynsers armen gotscasten halb auch wider aogwogt ynd deßelben ymb gots, seiner eher ynd armen wilen nochmals auch nicht zuuorgeßen gebeten haben wollen, Das alles wirdt got E. Churf. G. ah ein christlich reich werg ane allen zweifei reich- lich belohnen. So woln wirs etc. Datum Sonabeni post Leoa- hardi [10. Noyember] 1543.

Und wieder, als der in 14 Tagen zugesagte Bescheid ai<^t eingetroffen war, in gröfster Eile (Kopialbuch 1543, 1. 116):

An Churf.

Qnedigster ChurfQrst vnd herre. E. Ch. Q. haben yns yor- gangener 14 tag auf ynser yndertbenigst Supplicim das Moritasr Closter eiiDuenmg ader wideranregung ynser arm gotsbaaa yad casten belangent, gnedigst zur Antwort geben lasen, das wir aiff solch yutier yndertb. Suppliciren binnen 14 tagen wider anregea solden. Dem znuolge ynd ynderthenig zugehorsamen, ist an R Churf. G. ynsere fuderth. bit, E. Churf. G. wolle yns anh^Mhr mit gnedigster antwort dorauff yorsehen. Das woln etc. Datia Sonnabent noch S. Andreae S. Apost [1. Dezember] 1543.

Zur Antwort wurde dem Rat, wie aus einem yon ihm an dia Kurfürsten auf f. 134 befindlichen Briefe zu ersehen ist» der yer-

EiJSTER, ZUR BEFORMATIONSGESCniCHTE KArMBDRGS. 321

■ebiedene Bitten vorträgt, dafs „die dosier Buchung bia nacb tollenduDg des ßejcbstags weiter rnangeregt bleiben sollte". Dieses Schreiben datiert von Sonntag cder Montag nach Convera. fftuli [27. oder 28. Januar] 1544.

Kaue Zeit darauf wurde Dr. Medier wiederum nach Braua- sebweig berufen ', und er wäre dieser Vokation bestimmt gefolgt, wenn sich der Rat nicht aufs neue an die Gelehrten nach Witten- berg gewandt hatte (Kopiulbuch 1544. f. 12):

Denn Kiwirdigen, hocbgelartbenn vnd achtbamn Uernu Martino lulhero der heiligen schtifft Dootori vnd Hernn phUippo melanch- thoni Tnaem großguustigen bem vnd patronen. Tnser gantz- willige vnd beSißene dingte alzeit zuuor, großgonstjge Hernn vod pfttronen. Vnü der auch Brwirdigo vnd hocbgelarthe Her Nicolas nedler der Heiligen schrift doctor vnnser prediger rnd Selesorger TU« vormeldet etc. Dann f. 13 von anderer Hund:

Es halt Doctor lledler vna vormeldet, wie im aber ein mal •in berufT nach Braunscliweig färfiel, so wir im derbalben frennt- lieh erlauben würden , wollt er sich aunderlich anff euer herIJg- kcjtt erfordemng daselbst bin vermugen laßen, welches vns von beitien beschwerlich Ennornemen geweßeu vnd im zaerlauben nnoraoB itziger Zeit vna in keinen wege zimen noch zuthnn sein will, Derwegen wir vmb gottes vnd seiner armen Kirchen willen, ■0 alhie bey vns ist euer herligkeit pitten , ir wollet so vbel an Tub armen leuteu nicht thun, das ir diesen mann an andere ortt nrscbaffen woltt, dan so wir in mit vnaern willen faren laßea ■ölten, wQsteu wir es weder fflr gott, vnser hohen obrigkeit noch niser gantzen gemein nicht zuuorantworten zw dem, daa wir in ftr vnser persun auch hertzHcb gern haben,

Dan noch dem keine viäiUicion alhie bißber gebalten worden, TOd derwegen vnsere Kirchen noch gar ntt bestendig angericht Hin worden, müsten wir vns gentilioh vnd aller ding befaren, ■ÖMS alles, so er mit grcßem vleiß mOe vnd arbeit nun in das ftcbte jar bey vna angericht hatt, auff ein plutz wiederumb fallen rad zw ])oden gehen mocbt,

Vnd doa sunderlicb die arme jogeut, ao ein sondere neigung sw diesem mann tregtt , ala der er auch gantz treulich inn 'Bchnlen vnd Kjroben fürstehett, darnach verlaßen, verseumet vnd igeergertt werden mocht, zu dem so batt er dieses angehen bei vnser gantzen gemein, mannen vnd Weibspersonen, das sich menig- li^ souiel muglicb mit vleiß nacb seiner lar vnd vormannng zw ■im idennal richtett, vnd jm alles volck mit solchem vleis inn ■mnen predigten hortt, das wir nicht leicbtlich aeins gleichen ■der eisen zw dem du volck solche gunst vnd neigung haben

I

322 ANALERTEN.

mocbty vnd der den feinden des hejligen Eaangelii so ernstn willerstand thun kundt, wider zubekomen wüsten.

Vnd wiewol wir für vnser person auch je nicht gern etwu wider gottes willen vnd ear herligkeit Badt thun oder fCLmemen wollen, so yerhofifen wir doch auch gentzlich, es soll nicht allein gott ynserm herrn vnd euch vnsem lieben patronen nicht ent> gegen, besundern wolgefellig sein, so wir diesen man bei tu zuerhalten begeren, So wollen wir vns auch gegen jm dergestalt Torhalten, das er ob gotwil, keine vrsach sich von vns znwendn haben soll, vnd es gegen euch, so jr vns diesen man la^n werdet^ wie wir vleißig pitten, mit idlem freuntlichen willen alzeit gmti willig verschulden. [Mit anderer Tinte und anderer Hand]: Mit- woch post Misericordias [30. April] 1544.

Weiter: Obbescbribener tittel ist hernach verändert wi folget, vnd das erste exemplar dem Hern doctor Medier auff sein bitt mit vorwißen des burgermeisters pro copia zugestalt wordei. Diser begriffener jnligender Concept aber ist mir vom Hm Burgenneister bohendiget vud zwschreiben befoUen worden mit vormeldunge, das es di bede Hern doctores Medier vnd Stehh hofen gestellet betten.

Nun folgt f, 14 die richtige Anrede: Denn Erwirdigen hocb- gelerten vnd Achtbarnn Hern theologen vnd Visitatoribus zw Wittenbergk, Hern doctori Martine Luthero, Joanni Bngehagta pomerano, Caspare Creuzinger vnd philippo melanchthoni vnnsan großgünstigeu üben Herren vnd patronen.

Um weitere Einnahmen für den Gotteskasten zn erzielen, waren schon im vorigen Jahre zwei Monstranzen aus der Wenzels- kirche für 731 fl. verkauft worden, wovon die Pfarre „Zorn schwarzen Böcken'' erbaut wurdet In diesem Jahre nun wurde vom Rat beim Bischof um die Schliefsung der Maria-Magdalen^i- Kirche gebeten, die bisher dem Qeorgenkloster inkorporiert wir, und um die Erlaubnis angehalten, eine daneben befindliche Mauer, die den Strafsenverkehr hemmte, abzubrechen (Kopialbuch 1544, f. 15):

An Bischoff.

G. H. euer g. wollen wir vnderthenigk nicht bergen, dis alhie in der stadt Nicht weith von dem einen thor ein kirchleii gelegen, zw Sanct Maria magdalena genant, darinne, als in eio engen vnberheumpte Capellen, auch suuderlich. Weil got lob di gemeine in der Heuptfar zw sanct Wentzel, mit predigenn got- lichs worths vnd reichung der heiligen Sacramender gunck^a Tersorget, etc. etlich Jhar her, keine sunderliche kirchen ader gütliche Empter gehalten werden, sunder also zwgesperret ge*

1) Sixt. Braun, S. 325.

KÖSTER, ZUR REFORSATIONSOESCHICIITE NAUMBURGS 323

;«tani]en vnd noch. Bey welcher kirohen der fisch, fleisch, flax mi TDzelicher anderen wliar margke, vnd fast dar große bnndel 'fan petri puuli gehalden, vnd ans allermeistü voick vnd faien im [Aarmark nubn manch Jhar langk mit großem Drangeali ist. Vnd dietveil daeolbst zwo gußen zwsammen stoßen , kreatzneise, ^welche bedea mit fischbuder, Speck, Haneff, flai vnd andern wu- cgenn geroilet, der kiichoff auch daselbst mitten in der fharstrußen 'TOD alters her , mit einem nideringen als vngouerrlich in zvo sallen bochem, baufolligcm alten Meurlen befridet, da docli ni- ■i&ndt nuhe etliche Jhar hier begruben wurde, daselbst die straße lim Margk gontzlich gcengert, dl leuth vnd forwergk oft mit l^oßer fhnr gehindert, vnd gemeiner stndt allein diaer Tnbequemi' fkeit halb, weil di kleine Woge zw nhao an demselbigen kirchlein ttiget, zimlicher schaden vnd Nochteil zugefuget, Weil dan, gne- Hdiger her, solch kircblein aoe das znr Keiigion vngehrauch sein, der kiichoff (weil gotlob ein stadtücher gots acker aafgericht) tDm hegrebnis vnnutz vnd vnnotigk, di Woge aber vnd Straßen twrenmpt zw seio, der Jbarmarkt auch zw Erhaltung gemeiner -Ktadt fast das einige vnd große kleinodt ist. Als wollen E). g. wir vmb gemeiner stadt wolfart willen gautz vndertheniglich ge- 'beten haben, ea wollen vns diaelben geditcbt Meurlein nider- enlegen vnd zw fardoiunge gemeiDOs nutzes di Straßen dia orts «w erweitern genediglich vorgOnnen. Ader, da ea E. G. vor ibesser vnd Notiger ansehen, weil daßelbo kirchlein dem kloster ^nr Sanvt Gorgen bishero inuorporirt geweßen, vns an den durch- [ilancbtigeten hochgeborenen fürsten vnd hern, hem Johansfride- l^eheu, Herzogen zu Sachsen Ch. f. vnd liurgkgrauen zw Magde- llbnrgk etc. Tnsern genedigsten hern geneiiiger Vorschrift vorhilten, Idas doch Ir Ch. f. g. gemeiner armen stadt zw fürderaug snlchs llpiedigst wollen erlauben. Damit es vtiuoiiger anfechtuug deste Ifridlicher mochte gescheen. Sulchs wollen wir etc. Datum Mitli- 'wocii post Jubilate [7. Maij 1544.

Die Erlauhais zum Abbruch der Mauer und zur Erweiterung "des Fischmaikts wurde vom Bischof gegeben, der auch noch die 'Steine, die er sich anßngüoh ausgebeten hatte, auf weiteres An- rHichen, „do es nichts als Morber Suntstein ist", dem Rata Ikehcnkte (Koptalbuch f. 27). Schtiefslich schenkte der Bischof Vmcb die ganze Marieukircbe an den ICat (Kopiaibuch 1544, f. 29): ,' An Bischoff.

Gnediger her, von £. G. haben wir 2 schreiben entpfangen itfoes das eiukhomen der vns gescbenckten kirch S. Marien Uagda- Senen vnd Versorgung der pf^rlent dotein etc. vnd so vil di ildrcb betrifft, wollen E. ö. wir vnderthenig nicht verhalden, das dises der kirchen einkhomen bereit an vorlangst in vnseru gots- ijDuten di pfarleutb aber derselben alles mit darthuen rnseres

d

324 AKALEKTEN.

pfarners des hem Dociors in ynsere p£ar genohmen worden, Tnd ir pfarrecht ferner wi auch Tor diser Torordenung gescheen, fhfir nnd fhür dorin haben ynd haben sollen, welcbs wir yns, das es gedachter her Doctor E. G. mit bericht haben werde, Tersehei wollen. So yil aber di answechselnng der pfar belangt, wollea wir E. G. bedencken ynderthenig verfolgen ynd sein E. G. etc. etc. Die „Pfarre^ aber war eine ganze Gasse in der Stadt, mit Lehen, Zinsen nnd Erbgerichten nnd der Dompropstei inständig K Sie blieb daher seit Menschengedenken mit ihren Bewohnern ein Gegenstand fortwährenden Streites, denn jeder, der dort bfirger« liehe Nahrung suchte, wurde Tom Bäte bestraft ^ weil die Tom Dome in der Stadt keine Gerechtsame dazu hatten. Schon im Jahre 1525 knüpfte der Bat mit dem damaligen Dompropst Gnf Stolberg Verhandlungen wegen der Pfarre selbst' nnd seiner dort wohnenden IJntersassen an, damit sie ihm ansgewechsdt würden. Im Jahre 1540 wurden die Kur- nnd Fürsten in Sachsen ersucht, weil nunmehr das Wort Gottes lauter und rein in der Stadt gepredigt würde, daüs die Lehen und Zinsen zu d«n Alt&ren, besonders aber der Ort in der St-adt, die Pfarre genaun^ die vordem der Dompropstei einverleibt wären, der Wenzelskirehe verbleiben sollten K Auch im Jahre 1541 verschrieb wieder der KnrfQrst zu Sachsen, als des Stifts Erbschutzfürst den Bat an den Bischof, dafs er die Weichbildsgerichte erblich erlangen und die Leute auf der Pfarre ausgewechselt bekommen möchte, „da- mit das Gemeng ans der Stadt gebracht würde und sie bürger« liehe Nahruug betreiben könnten''^ (Kopialbuch 1541, f. 210). Ebenso wurden 1544 auf kurfürstlichen Befehl und Anordnung vom Bischöfe vielfaltige Tagfahrten mit dem Dompropst wegen Auswechselung der Pfarre angestellt. Dieser aber machte dieselben alle Zeit wendig, so dafs der Bat wiederholt beim Kurfürsten und Bischof lange Zeit einkam, die Pfarre auszuwechseln oder ihm die Gerichte daran erblich zu überlassen ^. Und so blieb die Pfarre, trotz der mannigfaltigsten Petitionen und Bechts- streitigkeiten, vom Dompropst abhängig, der die Gasse sogar am 8. Juni 1559 zum erstenmal pflastern liefs, wobei die Dom- und Batsherren sich dermafsen betranken, dals keiner den andern mehr gekannt. Egreginm faciuus!^ Im Jahre 1596 endlich wurde am 2. November vom Bäte beschlossen, daüs alle auf der Pfarre Bürger werden, ihren Geschofs begreifen und brauen könnten ^

1) Sixt. Braun, S. 222.

2) Ebend. S. 96. 3) Ebend. S. 199. 4) Ebend. S. 275. 5) Ebend. S. 316. 6) Ebend. S. 329. 7) Ebend. S. 398. 8) Ebend. S. 526.

KÖSTER, ZUE REFORMÄTIONSGESCHICHTE NAUUBCKQS. 325

Ein besonderes Dankeclireiben an den Bischof fQr die ihm f^esclienkte Marienkirche sandte der Rat mit einem wiederholten Anliegen (Kopiiiltmch 1544, f. 31):

An BischolT.

Gnediger her, Vnsere geschickten haben rns jQngst E. G. goedig gemüthe, so diselbe lu vns vnd gemeiner Stadt treget, noch der lenge vormeldet vnd gerümet, vnd sonderlich wi gnedig £. Q. vns di Kirche zu S. Mergen mit irer zugehorung diselbe Tod di Steine zn gemeiner Stadt gebeuden (wi gescheen boI) so gebrauchen geschenckt betten, Welcher gnade si sich kegen £. G. bedanckt haben solu. Demzuuolge sagen E. 0. wir vor solche gnade semptlich von negen vnser vnd gemeiner Stadt, aacb vnderthenig Dannck. Woln vnä auch obgotwi) dokegen in allem gehorsam vnd andern mit dem wergk also erzeigen, Das £. G. ein sonderes gefallen doran haben sola. Mit gantz vnder- tbeniger bit, Wejii wir E. G. voa vnserm gnedigsten hern, dem Cburf. zu Sachsen etc. vnd Buiggrafen zu Magdoburgk vnsorm gnedigsten hern Vorschrift ausbracht, Das E. G. zwüschen dem kern thnmbbroste vnd vns der vornechselung Laib, des orts in iler Stadt, die pfur genant, handlung vornehmen solle. B. G. di ll«gste tagesatzung vns aber domit abegeschriben, das E. G. das- Bol eUicIie Irrung mit wolgedachtem tumhbrobste hette, vnd der- halb vor vns gesonnen, dag wir ein Zeitlang domit still stehen colden, Als haben wir nicht vor vngelegen angesehen, weyl nnhe nehr ein Jhar vorschinnen, vnß aber an solcher vorwechselung gleichivol gelegen, bei E. G. dorumb wider vndertbenig anzuregen, domit tag birin angesetzt vnd dodnrch den dingen abegebolfTen «erden mochte. K. G. wolle sich birin auch gnedigk kegen vns «neigen. Das woln wir etc. Datum Dinstags post Vocem [SO- Mai] 1544,

In einem f 33 Mgenden Schreiben bat auch der Bat noch, ihm die Glocken der Marienkirche zu schenken, die der Bischof dem Richter zn geben befohlen hatte. Der Bat war willens, aus den nicht mehr als 20 Centuer wiegenden Glocken neue Ge- wichte zum he vorstehen den Markte giefsen zu lassen '.

Der Kurfürst hatte mittlerweile eingewilligt, dem Rate die Ofiter des Moritzklosters für 4000 fl. zn veikanfen. Dieser •cbrieb (Kopialbuch 1544, f. 35):

An Chutf.

Gnedigster CburfOrst vnd herre. Vnsere geschickten haben »ns in irer widerankunnft beriebt, wes gnade E. Ch. G. vns vnd gemeiner Stadt der Moritzer gutter halb gnedigst bewjsen, Mit ferner anzeige, wes gnedigsten Willen E. Churf. G. zu vns trüge,

, S. 331.

J

326 ANALEKTEN.

YDS auch den schrifftlichen abeschidt derselben gütter halb zu- gestalt, Welchs Alles wyr beratschlaget ynd in solchem ynserm rathschlage fanden, Das wir schnldigk E. Churf. G. Tor solchs alles Ynderthenigste Danksagung zuthun, wi wir himit Ton wegen Ynser ynd gemeiner Stadt ynderthenigst gethan vnd gebeten haben woln, das E. Churf. G. vns mit solcher gnade femer zugethan blei- ben ¥nd da E. Churf. G. einlebe andere nochdencken gemacht wer- den solden, vns gnedigst bis aufif vnsere Torantwortung entschul- digt zu halten. Was aber gnedigstor Churffirst vnd harre, den handel an ime selbst anlangt, haben wir noch gescheen eintrech- tigen beschlus vnd belibung des abschides ader kaufifs Ynsere kegenwertige geschickten wider abegefertigt, solchen kauff also zuublge dem abschiede zuuolzihen vnd ins werg zu bringen. Vnd kegen Zustellung der hauptuorschreibung vber solch 4000 fl. hauptsum, di si E. Churf. G. gnedigsten gefallens volzihen selten, Ein lehenbrieff auch kegen Vorstellung eines lehenmans di be- lehnung vnd volgent di Einweisung zu biten, Auch femer vnder- thenigst zu suchen, ob si sich der Wisen vnd Acker halb, an der Säle ligent, dorumb das si keine Irrung haben, mit E. Churf. G. vorgleichen konden, E. Churf. G. wolle Inen in den allen gnedig^ femer stadt vnd glauben geben. Auch sich hirin völlig kegen vn8 vnd allen andern gnedigst erzeigen vnd vnser gnedigster her bleiben. Das woln etc. Datum Montug nach Trinitatis [9. Juni] 1544.

Ferner, nachdem der Kurfürst aus den Einkünften des Ge- orgenklosters 100 fl. jahrlich für den Gotteskasten geschenkt, (Kopialbuch f. 37):

An Churfürsten.

Gnedigster Churfürst vnd herre. E. Churf. G. gnedigste ant- wort vif vnser vnd vnser geschickten an E. Churf. G. schreiben in Sachen di erkauften Moritzer gütter belangent, haben wir vnder- thenigst entpfangen, bedancken vns deßelben anfauges vnd haben ime zuuolge bei derselben Bentmeister vmb di Einweisuug ange- sucht, vnß auch einer stunde, wan si gescheen sol, mit ime ver- glichen. Wollen auch der hinderstellung als mit Volzihung der brieue etc. wan wir von E. Churf. G. dorzu beschriben, vnder- thenigst nochsetzen. Vnd noch dem der Verwalthcr auf S. Jorgen- berge N. Renschs auff E. Churf. G. befhell, denn er von ge- dachtem Rentmeister fürder bekomen, Vns angezeiget» das E. Churf. G. vns gnedigst aus gedachtem Jorgenberge biß auff Wider- ruif Ein hundert f. jerlich in vnsern gotskasten geben vnd schencken wolden, welches wir also von wegen deßelben vnderthenigst an- genehmen, Als bedancken wir vns auffs aller vnderthenigst, solcher grose gnaden vnd gnedigsten willen, domit E. Churf. G. vns vnd vnserer armen Kirch zugethan, stehen auch in der vnderthenigsteu zuuorsicht, das wir, so vil an vns, solch rechte wahre Religion

KÖSTER, ZUR HEFOHMATIONSOESCaiCHTE NAUMBURGS. 327

iD dem Staude, bedes, aucb di schulen (wiwot vns itzo ein weit mehrers dan Torliin duracfT, al9 Tiidorhaldung der ditier vnd geben, gehet) vormittelst gotliciier liQlff, bis seine ulmechtikeit ein mebrers bescheren wirdt, vollent oriialden, vud noch gelegen- heit »nsers dorzu orJentlicben, noch zur Zeit geringen Einltoinens ea nicht mit dorn Weuigaten fallen lasen woln, Wi wir dan disea Jhar allein vnserm pfarner, ane der andern Diner Zulage, Domit wir ine erbaldon vnd er eich kcgen Braunschwig nicht begeben nechte, auDf sein begeren 50 fl. zu den vorigen 200 an der geltbesnldung vnd frei brathiing vnd holtz zugelegt , auch seinem itzigen Weibe 11*0 fl. zweien liiiidem aber idem fiinffiig, vff den fhall, so er mit tode bei vns abogeben icürde, dorzu vorachriben, Tnd der geiitzlicbeu zuaorsicht stehen, Das wir eolchs alles er- schwingen, vnd ob was doran mangeln mochte, daßelbe von dem Tnsern vnd der gemein gut wi bißhero gescheen, widererfüllen wollen, Domit also dcrhalb bei vns, so vil wir thun kennen, kein mange! befunden werden sül. Welcba alles E. Cburf. G. als vn- aonn gucdigston hcrn wir vuderthenigst nicht haben woln Vor- hallen. Vnd sein E. Churf. U. vnderthenigst vnuorsparts leibs «nd gnts etc. zudinen ganz williglt. Datum Sonnabent post Tri- nitat. lib. Juni] 1544.

Trotz atler Aufbosäerung der Einnahmen fQr die Kirche so- wohl als ihrer Diener, besonders des Superintendenten Dr. Medler, fand dieser infolge der ihm wiederholt bereiteten Schwierigkeiten im Amte sich bewogen, Naumburg plötzlich bei Nacht und Nebel in verlassen und nach Braauschweig zu gehen (Kopialbuch 1544, f. 58):

An Churf.

Unedigster Churfürst vnd Herre. K. ChurF. G. biten wir Toderthenigst wißen, das di^elben atio Zweifel sich gnedigst er- innert werdet, welcher gestalt wir den hochgolarten vnd Eiwirdigen hem Nicnlaen Medier, vnsern predigor, mit darthuen vnd sondern gnaden E. Churf. G. auch der gelerten zn Wittenberg zu vns iu VDsere bestellung bracht, Gleicher gestalt, wi mit mehr dan einem Vncosten, als wan er von andern lenten anfechtang gehapt, ader am andern ort vocirt hat werden woln, wir ino bei E. Churf. G. erhalden, vnd so vil an vns vnd vnser gemeine gestanden, ine auQ allen seinen boschwerungen haben erretten helffen. In gleich- nus wi erüch vnd stadtlich wir ine ane das mit besoldung vnd sonst vndethalden, vnd zu dem allen vmb seiner lahr vnd auch K. Cbnrf. G. wilo zum mebrem mal anff der Cantzell mit ander leuth ergemas vns vbel auszurichten nachgehenget, das vns von vilsD gelerten vnd ungelerten entlich vorkerlich doch fhQrnemlich ime ist aufgelegt worden.

Vnd wiwol wi E. Chnrf. G. gnedigsb auch wissen tragen, wir

327 1

weit l

328 ANALEKTEH.

bei derselben, di negst Tocaüon kegen Bminschwig, dobin er Todrt, abegescbaflft, wi dan £. Cbnrf. ime sonderlich auch ge- scbhben vnd Tnder andern, das es E. Chnrl G. ime itzo ans dem Stift ader Lande zn eilaiben bedencken fidlen wolde, 80 haben wir ime doch daßelbe mol 50 fl. in seiner Torigen besol- dong zollen mößen, Tnd ob er wol gewußt, das es ynser Kirchen einkhomen nicht ertragen, gerne in hofiinng der sach het sola geraten sein, wi er ms dan auch ingesagt, hinf&ro an derselben besoldung begenflgig zn sein. So hat sich's doch in Nenlikeit zu- getragen, als freitag nach Qnasimodogeniti (25. April) das er Tns eine Mißioe des hem philippi melanchtonis gewisen, doiia Tormeldet, das er anderweit dohin Tocirt sein solde, Wiwol wir ine aber -solcher seiner zosage anch E. Churf. O. gnedigst TorgemelteB schrifft erinnert. So haben wir doch aber Tmb erlangong femer zusage, wi gescheen, ime Montags noch Misericord. Dom. (28. April) hemoch noch freie Beholtzung md freie £rothung ansagen müAen, Tnd ?ber das £rieff Tnd Sygil, so ferne er mit tode abegehen würde, seinem itzigen Weibe 100 fl. zugeben Tnd zweien hindern idem 50 fl. Viid ob wir wol solche Nauw zusage wider Ton ime sol- cher gestalt Tnd teuer genung eramtt Tnd erlangtt, das er doch derselben zuwider tus Tubegrflßet Tnd Tuwißent sich erhoben Tud am Tor^angen Mitwoch noch Marie Magdal. (23. Juli) zn nacht vmb VJI schlegen aus der Stadt gangen, Tnd wi wir be- hebt, auf einen Karn di nicht Tber kegen i^aiben Tnd toI- gents auf einem bestellen Wagen kegen Braunschwigk Torrugkt Tnd sich doselbst hab bestellen lasen soln, mit was fuge, dts woln £. Cburf. 6. vnd menniglich wir Tuderthenigst heimgeben. Mit ?nderthenigster bit hirin disem Tnserm warem bericht gne- digst Stadt zu geben, vnd do sicbs also zutragen solde, Tuß gne- digst mit andern gelerten, rechtschaffen predigem goüichs Worte in vnsere kirch vnd gemein noch gestalt der itzigen laflfft mit darthuen des hochwirdigen in 60t v. g. h. des Bischoffis Tnd der gelerten zu Wittenberg wider fürderlich zu sein. Angesehen das wi E. Churf. 6. boren, wir ine zu erbalden an gar nichts es haben Erwinden lasen, vns auch vber vnser vormfigen angriffen, das woln etc. Datum freitag post Oswaldi [8. August] 1544.

Diesem folgte bald ein zweites Schreiben (Kopialbuch 1544 l 64):

An Churfürsten. Credentz.

6. H. Nachdeme E. Churf. G. wir jüngst ein Schreiben, des datum zeltet Freitagk post Oswaldi Tuderthenigst zugeschickt, darinne wir derselben auf vorgehent genohmenen rat des hoch- wirdigen vnsers g. H. des Bischoffs zur Naumburg Tuderthenigst vormeldet, wi es sich vmb das abereisen des hem Doctor Med- iers vnsers pfamers kegen Braunschwig bilde, doranif wyr von

KÖBTER, ZDB REFORKATIOUBGESCHICÜTE NAUMBURGS. 329

£. Cbuif. G. zwei schmbeii bekhomen, der wir vns vndertbenigst Toriialden, We;l aber di^elben scbreibcii vnder iindein dises ge- nedigaten Inbalts, das E. Cburf. (J. vnserer warer Kelib'ion zd ehren vnd vd» zd gouden di dinge in vorboer aehmeii wolden, das wir vds vndertlienigst bedanuken, Als baben wir erEtüub di ftnff Personen gebürliub vorbescbeydcn, ans zweifei si werden Bich Tudertbenigst erzeigen vnd denselben noch ausgericbten solchen iren eigen Sachen befheel geben, solchen vorbeachidt, so vil vna rad gemeine studt belanget, neben den andern vnsern geschickten such mit zu besuchen vnd vor als noch treulich anszurichten, Doch solche vusere Oescbickten inen binwider zu beystand zuge- ordenet, mit diser malS, so ferne die Sachen von iren ampten berrüren würden, vnd sonderlich so vil Ire befbolene »on ?ns einmütige Werbung an V. g. h. den BiscIiofT bocbgedacht betrift, nemlich Seine g. solche doctor Mediers vorgedachte iSraunschwei- gische handelnng, als vnsern B;scboff wi E. Cburf. auch vnder- tbenig zu berichten, Uit vndertbenigster bit, B. Cbnrf. Q. wolle si ullerseits guedigst boren lesen vnd noch solcher gnedigsten Torbor solchen beschwerlichen dingen domit Weiterung vnd ferner ergernne ullerseits vorbQtet, kegen vnserm vndertbenigsten er- bithen, das wir ferner gehorsamen vnd vorsehen wollen, gnedigst nochdenken. Insonderheit aber dolhür sein, do er lenger bey VD8 bleiben, dorumb wir betben, das er hinfüro in etlichen din- gen, dorin di geschickten befheel haben, ime selbst, seiner labr Tnd ?n8 zum beaten mafs haldeu vnd v. g. h. den Biachoff der gestalt mit vnser aller nocbrede weiter nicht hiudansetzen vnd solcher gestalt ane vrsach nicht wider weg streben walle, Do- kegen wir ine femer also vorhalden wollen, das er wy bisbero, vber vns vnd vnsere gemeine mit bestände nichts zuclagen haben solle. Vnd vds gleichwol diser vnser wolgemeinten deinen snchung gnodigst nicht zuuordencken. Im fball aber, do E. Cburf. G. ime erlaiben würden woln, vns gnedigst neben V. g. b. dem BiscboCT mit einem andern domit wider vorsorget, zuuorseben, vnd Toa zum teyl das hirin gnedigst genißen laßen. Das wir ime bis- weilen seine gebrecblikeit zu gut gehaldeu, Vnd aus eonderen bedencken mit dem wenigsten do wirs doch wol vrsach gebapt, kegea ime mit clagen oder andern bißhero nicht eingelaßen, Bonder vber das was er von vns gesonnen , Do es auch was atadtlicbs, vnd in sachen, di in sein Ampt nicht gehörig gewesen, tum mehrem mol ime gewilfaret babenu. Das woln etc. Datum Uontagk Egidi [1. September] 1544.

Dr, Medlor blieb fort, trotzdem noch Schriften und Wider- Bchriften zwischen ihm, dem Bischof und dem KurfQrsten vom Bäte ausgingen und auch noch Verhöre verschiedener Personen TorgeDonuoen wnrden, die den Herrn Superintendenten beleidigt

330 ANAL£KT£N.

und ihm Nanmburg verleidet haben sollten. An seine Stelle wurde M. Sebastian Stauder berufen. Mit dem Weggange Dr. Med- lers aber schliefst die Zeit des Schwankens und der Unsicherheit hinsichtlich der kirchlichen Verhältnisse, wie sie zu Anfang dieser Blätter geschildert wurden, denn Zader Bd. II, Buch 3, S. 59 erwähnt darüber: Es hatt Naumburg für andern das Lob, daß noch S. Pauli Vermahnung das Wort Gottes reichlich in dem« selben wohnet, da durch die Wochen vber alle Tage frühe, im Sommer vmb 5, im Winter vmb 6 Uhr, vnd noch dorzn am Dinstag ynd Donnerstag im Sommer ymb 7, im Winter ?mb 8 Uhr gepredigett wirdt. Sontags wirdt 3 mahl gepredigt, macht also wöchentlich 11 Predigten, ohne Leichpredigt.

Die Entwickeluug der Beformation in Naumburg aber erhielt ihr besonderes Gepräge durch das Verhalten des Rats, der wäh- rend dieser ganzen Episode mit aufserordentlicher Gewandtheit, immer seinen Vorteil im Auge, sich der jeweiligen Situation Yor- trefiflich anzupassen verstand und, durch alle Fährlichkeit sich aalglatt wiudend und wendend, es zu Wege bracht«, zwei Herren zu dienen, bis über ihn der Schmalkaldische Krieg strafend her- einbrach.

2.

Miscelle.

Nicht Druokerzeiohen, sondern von AnfserssohM

IVappen.

Im 20. Bande dieser Zeitschrift S. 21 ist unter den Drucken einer „Auslegung des Vaterunsers aus dem Jahre 1522" ein Druck erwähnt, der aufser der Jahresbestimmung 1523 auch das Drucker-

zeichen L2J trage. Der Druck befindet sich im Germanischen

Museum zu Nürnberg. Ein anderer Druck auf der Münchener Hof- und Staatsbibliothek, der das gleiche Titelbild führt, auch „in orthographischer Hinsicht eine auffallende Übereinstimmung*' mit dem erstgenannten Drucke zeigt und als „eine spätere Auf- lage dieses Abdrucks aus derselben Offizin'' bezeichnet wird, trägt das Zeichen nicht.

Dieses yermeintliche Druckerzeichen ist indessen gar kein

MIBCELLE. 331

^Iclißs, es ist vielmehr dus Wappen der Familie von Aufsera, das in Siebmacliera Wappenbuch (Neue Ausgabe II, 1. Adel in Bayern. Nürnberg- 1856. S. 26 lu Tafel 21) als „in Ulan ein ülberner, mit einer Rose belegter Balken" angesprochen wivd, Hto Freiherr von und zu Aufsera (Geschichte des uradelicben ^befssuhen Geschlechtes in Franken. Berlin 1888. S. 23) iMclireiht es folgendermafsen: das Wappen besteht ans einem Bit einer fünf blätterigen roten Kose belegten silbernen Quer- nlken im blanen Felde.

Hans Freiherr von Aufaefs, der Begründer des Germaniacbea Rationalmuseums in NOrnberg, überliefs diesem hei der UegrQn- tong im Jahre 1852 anfser seinen Sammlungen an Knnstgegen- lUnden und AltcrtOcaem auch seine wertvolle BOcherBammlung bentgeltlich zur Benutzung. Nach seinem wegen Kränklichkeit bm Jahre 1862 erfolgten Ausscheiden aus dem Vorstände wurden ■eine Sammlungen für das Museum angekauft, allerdings erst all- Bablicb (bis 1886) vollständig bezahlt.

Hans von Aufsefs hatte alle seine Bücher, sowohl auf dem ^t«lblatt als am Ende, mit einem Stempel versehen, der sein Wappen darstellte und dem oben wie d ergegebenen Bilde ent- spricht; nnr ist die Kose im Querbalken nicht als Kreis, sondern sls fünf blätterige Blüte mit Kern gegeben.

Bücher mit diesem Stempel ßnden sich, nie natürlich, in der Bibliothek des Germanischen Museums, dem j:i auch der eingangs •rwäbnle Druck entstammt, in grofser Anzahl, und es werden nch dort solchergestalt gestempelte Drucke des sechzehnten Jahr-

Eanderts mit den Impressis der verschiedensten Druckereien mit eicbtigkeit feststellen lassen. Manche Bücher der Aufsefsschen Bibliothek gelangten in andere Sammlungen, wie z. B. in die [ Freiberrn von Meusebacli, von da in den Besitz der KSnigl. Bibliothek zu Berlin. Von diesen letzteren stehen mir einige zu 'Gebote, in deren keinem allerdings sich der Drucker nennt. Ober deren Zuweisung au bestimmte verschiedene Druckorte und Drucker indessen kein Zweifel besteht. Es sind folgende:

Ein kurtze vnterwey | sung wie man beichten soll, Auß 1 Doctor Martinns Luther | Augustiners wolmeyn | nung gezogen. || Weim. Ausg. 2, 68 C. Druck von Jobst Gutknecht in Nürnberg. Berlin Lutb. ö96.

Ejn knrtze | vnterrichtflg, war- \ auff Christus seine | Kirchen,

' oder I Gemein ge- | bawet | hab. || Martinus Luther. || Wittenberg. \

, Sf.D.XXiiij. [| [Titel in Einfassung.] Druck von Jobst Gutknecht

in NDraberg. Berlin Lnth. 3746. Ein zweites Enemplar Berlin

' Ifuth. 3746'"'' hat die Aufsefsschen Stempel nicht.

Ain gute nützliche ser { mon Doctor tlartini Luthers t Augu- ' »tiner zd Wittenberg [ gepredigt am Oberisten l Anno M.D.XXl.

J

332 ANALEKTEN.

YDd I durch ainS seiner di- | scipel fieyssigklich | gesam- | lei 1 [Titel in Einfassung.] Weim. Ausg. 7, 247 B. Druck von Jörg Nadler in Augsburg. Berlin Luth. 1873.

Dj Bulle Des Ecclesiasten : tzu | Wittenbergk Wider Dje { PebstischenBischofir. Die da | gibt Gottes genade Zu | Ion all6 Den, dy Sj | haltS, vnd Tn | Yollgen. || D. Martinus. Lutter: {| Anderer Druck als Weller 2501. Erfurter Druck. Berlin Luth. 2466.

Berlin. Dr. Johannes Luther.

Druck Ton Friedrich Andreas Perthes in Goth»

Bemerkungen zu einer Inschrift; des

Papstes Damasus'.

Von

Gerhard Ficker.

Die Ehreninschrift auf Petrus und Paulus * , die Papst Damasus (366 384) setzen liefs, ist hochberühmt und oft besprochen, aber in ihrer historischen Stellung , so viel sich sehen läfst, noch nicht erkannt '. Der Grund dafür ist der, dafs man aus ihr historische Kenntnisse für die früheren Jahr- hundeiie hat herauslesen wollen, die sie nicht enthält, dafs man sie aber als ein Dokument für die Zeit ihrer Entstehung noch nicht gewürdigt hat. Dies soll im folgenden versucht werden.

Der Originalstein ist nicht erhalten, oder noch nicht ge- funden, weil man vielleicht nicht an der richtigen Stelle gesucht hat; eine Kopie auf Stein ist im 13. Jahrhundei*t begonnen worden, aber nur bis in die dritte Zeile gekommen

' 1) Vortrag, gehalten im Kaiserlich - Deutschen archäologischen In- stitut zu Rom am 8. Februar 1901.

2) Damasi epigrammata, recensuit Max. Ihm (Leipzig, Teubner, 1895). Nr. 26, p. 31.

3) Litteratur bei Ihm a. a. 0. Ferner C. Erbes, Die Todestage der Apostel Paulus und Petrus und ihre römischen Denkmäler. Kritische Untersuchungen. Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchrist- lichen Litteratur; Neue Folge, 4. Band (1899), 1. Heft, S. 71 f. 79 ff. H. Grisar, Geschichte Roms und der Päpste im Mittelalter; 1. Band (Freibuig, Herder, 1901), S. 229 f., Nr. 188.

Zeltsehr. f. K.-Q. XXH. S. 22

334 FICKER,

und befindet sich noch in S. Sebastiano an der Appischen Strafse ^. Der Text ist in alten Inschriftensanunlungen , die zuletzt de Bossi im zweiten Bande seiner Inscriptiones christianae herausgegeben hat, erhalten geblieben. Dals er auf keinen anderen als Damasus zurückgehen könne, bedarf keines Beweises. Der Text lautet: Hie habitasse prius sanctos cognoscere debes, Nomina quisque Petri pariter Paulique requiris. Discipulos oriens misit; quod sponte fatemur: Sanguinis ob meritum Christumque per astra secuti Aetherios petiere sinus regnaque piorum Roma suos potius meruit defendere ciues. Haec Damasus vestras referat noua sidera laudes. Er läfst sich etwa folgendermafsen übersetzen: Dafs hier früher die Heiligen gewohnt haben, mofst

du erkennen, Wer du auch immer die Namen des Petrus und Paulos

zusammen aufsuchst; Als Schüler (Übersetzung von fiad^vai = Jünger, Tod TLVQiov, des Herrn) sandte sie der Orient (hier- her), was wir aus freien Stücken zugeben: (Aber) wegen des Verdienstes ihres Blutes (d. h. w^en ihres blutigen Märtjrertodes) und Christum über die Sterne folgend Erreichten sie den himmlischen Schofs (etwa: die himm- lische Heimat) und das Reich der Fronmien; (Und darum) hat es Rom viel mehr verdient, sie ab seine Bürger zu verteidigen (die Übersetzung: in Anspruch nehmen, schwächt ab, wie aus dem folgenden hervorgehen wird). Das möge Damasus, ihr neuen Gestirne, als euer Lob verkündigen. Die Inschrift ist verschieden erklärt worden. Allgemein geht man von der Voraussetzung aus, dafs sie rede von den

1) Eine Abbildimg der Kopie in Inscriptiones christianae orbb Bomae septimo saeculo antiquiores. 2. Band, 1. Teil (Rom, 1888), p. 800.

BEHERKCNGEN ZUR rNSCHRIFT DES PAPSTES DAMASUS. 335

totea Leibern der beiden Apostel, die früher in S. Sebastiano ihre Ruhesliltte gehabt hätten. Das steht aber eigeotlicb nicht in der Inachril't, und wenn Damasua von den Leibern hätte sprechen wollen, ao ist nicht einzusehen, warum er nicht statt des „nomina" in der zweiten Zeile das metrisch gleichwertige corpora eingesetzt hätte. Mir will es wahr- scheinlicher vorkommen, dafs Damaaus an eine Vorstellung seiner Zeit anknüpft, die wir sonst nicht kennen: nach der an der Stelle, wo er die Inschrift setzen Hefa, nicht die toten liCiber der Apostel, sondern die lebenden Apostel gewohnt hätten. Vielleicht kann jemand, der in der Rechtsgeschichte des römischen Reiches erfahren ist, aus dem Worte habitasae in der ersten und dem Worte cives in der aechsten Zeile zur Begründung dieser Vermutung etwas beibringen. Wie dem auch sein möge, ich bemerke ausdrücklich, dafs ich diese Erklärung nur als eine Vermutung ausspreche, für die Deutung der Inschrift ist es verhängnisvoll geworden , dafs man von der Voraussetzung ausging, Damasus rede von den toten Leibern der Apostel. Die ülieBte Erklärung, denn als solche ist sie zu beurteilen, hat greifbare Gestalt ge- funden in dem Schreiben Gregors des Grofsen an die Kaiserin KoDstantina vom Juni 594. Die Kaiserin hatte um Reliquien des heiligen Paulus gebeten; der Papst verweigert sie und erzählt zur Begründung seiner Absage wunderbare Geschichten von der dämonischen Kraft der Reliquien, die nicht berührt oder entfernt werden wollten. So erzählt er: Zur Zeit des Märtyrertodes der Apostel seien aus dem Oriente Gläubige gekommen, die ihre Leiber zurückbringen sollten {nach dem Oriente), weil sie ihre Mitbürger wären. Die Leiber wurden bis an den zweiten Meilenstein der Stadt gebracht und dort an einem Orte, der Catacumbas heifst, deponiert. Als aber die ganze Menge (der orientalischen Gläubigen) zusammenkam und sie von da zu erheben sich anschickte, da eriiillte sie die Macht des Donners und Blitzes mit kolossaler Furcht Bo und zerstreute sie so, dafs sie derartiges von neuem in keiner Weise zu versuchen sich herausoahmen. Da aber gingen die Römer, die dies nach Gottes Gnade (zu thun) verdienten, hentu und erhoben ihre Leiber und legten sie nieder an 22'

]

336 FICRER,

den Orten, an denen sie jetzt beigesetzt sind (d. h. im Vatikan und an der Ostiensischen Strafse) '.

Es ist keine Frage, (und bedarf eines Beweises jetzt nicht mehr)', dafs diese ganze schöne Geschichte aus der Inschrift des Damasus herausgesponnen worden ist, als man sie in ihrem ursprünglichen Sinne nicht mehr zu verstehen vermochte. Ob Papst Gregor selber die falsche Erklärung gefunden hat, oder jemand anders für dieses Erzeugnis einer auf Abwege geratenen Phantasie und einer Materiali- sierung der Glaubensvorstellungen, denen die toten Leiber der Apostel mehr wert waren als ihr Geist, verantwortlich zu machen ist, ist ganz gleichgültig. Bedauerlich ist nur die imgeheure Menge von Fleifs und Scharfeinn, die angewendet worden ist, um diese (fingierte) Translation in Zusammenhang zu bringen mit anderen Notizen über Deposition und Trans- lation der Körper der Apostel Bedauerlich ist ferner die Aufstellung von Hypothesen, die die Annahme der geschicht- lichen Glaubwürdigkeit des Raubversuches durch die Orien- talen im Gefolge gehabt hat. Die interessanteste ist vielleicht die, welche „in dem Streite der Orientalen und der Römer um die Leiche Petri . . . einen Nachklang der Kämpfe er- blickt, welche gerade in Rom die juden- und heidenchrist- liche Partei in der Kirche spaltete", „. . . den Versuch der Judenebristen , . . . sich in den Besitz der Gebeine Petri zu setzen, . . . und damit ihrer Partei ein Palladium zu erhalten, auf das sie, angesichts des bereits sieghaft werdenden Heiden- christentums, den höchsten Wert legen mufsten^" Die Er-

1) Moniimenta Germaniae Histoiica; Epistolae Gregorii I, p. 265, 266 (IV, 30) : De corpoi ibus vero bcatorum apostolonim quid ego dicturus sum, dum constet, quia eo tempore quo passi sunt ex Oriente fideles veneiunt, qui corum coipora sicut civium suorum repetereut? Qnae ducta usque ad secundum uibis milliarium, in loco, qui dicitur Catt* cumbas, conlocata sunt. Sed dum ea exinde levare omnis eorum multi* tudo conveniens niteretur, ita cos vis tonitrui atque fulgiuis nimio metu terruit ac dispersit, ut talia deuuo nuUateuus tcraptare praesumerent. Tunc autem exeuntes Romani eorum corpora, qui hoc ex Domini j-ietate meruerunt, Icvaverunt, et in locis quibus nunc sunt condita posueruLt

2) Vgl. Erbes a. a. 0.

3) F. X, Kr aufs, Roma sotterranea, 2. Aufl., p. 692. Ähnlicli

BEMEKKUKGES ZUK IKSCRBIIT DES PAPSTES DAMASrS. 337

klärung mag geistreich sein; leider giebt die Inschrift dafür keinen Anhalt, und es ist immerhin eine starke Zumutung, uns glauben zu machen, Papst Damasus, der im 4. Jahr- hundert lebte, habe über die Zustände in der apoEtoIischen Zeit noch seine spezielle Kenntnis gehabt. InteresBant ist die Erklärung deswegen, weil sie uns zeigt, wie die Fehler unserer grofsen Historiker immer am nachhaltigsten wirken. Doch lassen wir diese Erklärungsversuche, die, auch wenn sie historische Thatsachen brächten, von historischem Stand- punkte aus so unwichtig wie müglich wären , und wenden wir uns einer Erklärung zu, die die Geschichte des 4. Jahr- hunderts zur Grundlage zu nehmen versucht.

Deutlich tritt in der Inschrift die Antithese: Orient und Kom, hervor. Wir geben iVeimiitig zu, sagt Damasus, dafs dio Apostel Petrus und Paulus aas dem Oriente gekommen sind, also Orientalen sind; aber wir Römer haben wegen ihres Mürtyrertodes in Rom viel mehr das Recht, sie als unsere Mitbürger zu verteidigen. Deutlich tritt auch die Uber- orduung Roms über den Orient hervor. Weswegen rekla- miert der Papst ein gicifseres Recht für Rom, als es der (.trient in Anspruch nehmen küuute ? Giebt uns die Kirchen- geschichte des 4. Jahrhunderts die Handhabe zum Verständnis dieses Anspruches V Wir müssen hier etwas weiter aus- holen '.

Als unter dem Einflüsse des Abendlandes, der Kaiser KuQätantinus war Abendländer, und die überragende Gestalt des Bischofs Hosius von Corduba in .Spanien tritt deuthch hervor , die Synode von Nicaea im Jahre 325 der Kirche des Reiches eine Lehreinbeit gegeben hatte, damit eine ein- heitliche Kirche ein poHtischoa Werkzeug in der Hand des Kaisers sein könnte, stellte es sich bald heraus, dal's die Ent-

A. de Waal, Die Apostdüruft ail Cataciimbas an der Vk Appm (Rnn, 18941, S. Gl.

1) Die Darstelliinfi des arionisclien Streites iat zum giofsen Teile «w'.tlich gcgebeo nach F. Louts, Anikel Aiianisiuiis in der Real- eoryklopÄdie für protMla mische Tlieulogie und Kiiebe, 3. Aufl 2. Band; A- Harnack, Lehrbuch der Dogmengeacliichte, 3, Band; M. Rade, Damasus, Bischof von Rom (Freibarg, Mutir, 1682).

1

338 FICKER,

Scheidung eine voreilige gewesen war, und statt der Kirche den Frieden zu geben, stürzte sie sie in die ärgste Verwir- rung. Ich brauche diese Kämpfe hier nicht vorzuführen, die in mancher Beziehung nur wie eine grobe Illustration mensch- licher Leidenschaften und Rechthabereien erscheinen und ein Hohn waren auf den Sieg des Christentums über das Heidentum, der sich gleichzeitig zu verwirklichen begann. Zwar in Rom verstand man den politischen Oedanken Kon- stantins des Gh:*or8en ausgezeichnet. Aber im Orient erhob sich, man kann fast sagen eine einmütige Opposition gegen das Nicänum. Doch war die Opposition gegen das Nicänom zunächst noch keine Opposition gegen das Abendland. Das wurde sie erst, als nach dem Tode Konstantins des Grolsen 337 Rom und das Abendland in den theologischen Streit hineingezogen wurden, und die im Osten bedrängten Nicäoer sich an den Bischof von Rom wendeten, als Athana»us (nach Ostern 339) imd andere Bischöfe nach Rom flohen, als die Kirchweihsynode von Antiochien 341 Formulierungen der fides gab, wie wenn das Nicänum nicht existierte. Da- mals stand Orient und Occident in fast schismatischer Stel- lung einander gegenüber. Und da haben denn auch die in einer sonst nicht bekannten antiochienischen Synode ver- sammelten Bischöfe nach Rom geschrieben : vom Orient seien die gekommen, die das Dogma nach Rom gebracht hätten; und wenn sie auch nicht an Menge und Zahl mit der römi- schen Kirche wetteifern könnten, so seien sie ihr doch an Kraft und Geist überlegen. Eine einmal im Orient ent- schiedene dogmatische Frage dürfe Rom nicht entscheiden, wie denn auch die orientalischen Bischöfe Rom nicht wider- sprochen hätten, als Novatian aus der römischen Eürche ausgeschlossen worden wäre ^ . . ., mit anderen Worten : der

1) Sozomenus, Historia ecclesiastica III, 8 (ed. Valesius-Reading), p. 103: (f^QHv fAtv yaQ näai (f*loTifi£av tijv Ptofxa^ojp ixxXriatav Iv tci; ygü^Afiaaiv tüfjLoXoyoi'Vf üjg^AnoaTÖlofv if-QovTiarilQiov, xoü ivaeßiiag fifiTQo- noltv i$ «QX^i yeytvfjfi^vrjv' €l xal Ix r^f €(o Ivhdr^fjinaav avrj oi rw Joy/üttTog ttgy}yy}Ta£' ov naQcc toOto dt devrtQfta (f4Qiiv t^^/oi^v, 5t» fjLti ^iyi&H fi nli^&H Ixxlfjaiag nUovtxroCatv , wf ^Qit^ xal nQoaiQ^ait vtxQvteg etc.

BEMERKl'Nr.EN Zl'R INSCFIRIFT DKS PAISTKS DAMA>rS. 339

Orient ist Rom mindestens gleicligestellt, denn er hat die Glaubensboten geliefert, und braucht eine Entscheidung Roms nicht zu acceptieren. In seinem Antwortschreiben hat Bischof Julius von Rom schon auf die Apostel Petrus und Paulus hingewiesen, um die Orientalen zu widerlegen K Derartige Stimmen sind in der Kirche des Orients nicht wieder ver- klungen; sie sind gewifs öfter erschollen, als wir Kunde davon haben. Zunächst schien auch der Orient den Sieg davon tragen zu sollen.

Neu loderte die Zwietracht auf, als Konstans im Früh- jahr 350 unter der Hand der Mörder gefallen war; als Konstantius Alleinherrscher im ganzen Reiche geworden war, genügten wenige Jahre, um der orientalischen Oppositions- partei zum Siege auch im Occidente zu verhelfen. Im Jahre 356 waren alle Bischöfe, welche dem kaiserlichen Willen sich nicht fügen und unverrückt an der nicänischen Formel nach ihrem ursprünglichen Verständnis festhalten wollten, verbannt Die Synoden von Rimini und Seleucia im Jahre 359 acceptierten eine Formel, unter die die ganze Kirche gebeugt wurde, die aber doch nur der Denkweise des Arius entgegenkam. Neu gestalteten sich die Parteiverhältnisse, als mit dem Regierungsantritte Julians 361 die vertriebenen Bischöfe zurückkehren durften. Der Kaiser überliefs die kirchlichen Parteien sich selbst und ihrem Gezänk. So traten denn nun auch die alten kirchlichen Parteien wieder hervor und der Kampf begann aufs neue. Er wäre nicht zu Ende gekommen, wenn die Kaiser nicht eingegriffen hätten. Und bald machte sich wieder bemerkbar, dafs der Orient und der Occident verschiedene Wege wandelten. Wäh- rend im Orient eine grofse Partei sich bilden konnte, die wir als die jungnicänische Orthodoxie bezeichnen, hielt der Occident (zusammen mit der Kirche von Alexandrien) an der altnicänischen Orthodoxie fest. Nirgends zeigt sich diese Differenz deutlicher, als in dem meletianischen Schisma, das die Kirche von Antiochien spaltete. Während hier die Jung- nicäner des Orients (und mit ihnen der Hof von Konstanti-

1) Athanasius, apologia contra Arianos, c. 85.

840 FICKER,

nopel) mit der Partei des Meletius, der zu ihnen gehörte^ Kirchengemeinschaft hielten , hatte der Occident seinen alt- nicänischen Gegner Paulinus anerkannt. Und wenn auch Theodosius in seinem berühmten Edikte vom 27. Februar 380 verlangte, dafs alle Unterthanen den Glauben hätten, dem Damasus von Rom zugethan sei und Petrus von Ale* xandrien, so war er doch klug genug einzusehen, dafs er mit einer strengen Durchführung dieses Edikts im Oriente nur die ärgste Verwirrung angerichtet hätte. Wenn er aucb Abendländer war und persönlich dem Glauben des Abend- landes zugethan sein mochte, hat er doch den Verhältnissen des Orients Rechnung getragen. Darum hat er auch nicht dem Drängen der Occidentalen nachgegeben, eine ökumenische Synode in dem auf abendländischer Seite stehenden Ale- xandrien abzuhalten, sondern hat die Bischöfe seiner Reichs- hälfte im Jahre 381 zu einer orientalischen Partikularsynode zusammenberufen, die später sehr mit Unrecht als ökumenisch gerechnet worden ist So lückenhaft das Bild ist, das wir uns von den Verhandlungen dieser Synode machen könneo; so tritt doch deutlich hervor, dafs eine gereizte Stimmung gegen den Occident bei der Mehrzahl der Synodalmitglieder vorhanden war. Unter keinen Umständen wollten sie eine Entscheidung lUllen, wie sie der Occident begehrte. Gregor von Nazianz, der nach dem Tode des Meletius wohl den Vorsitz führte, redete zum Frieden. Da kam er schön an. Wie er selbst in seinem Gedichte De vita sua erzählt, er- hoben zuerst die jungen Bischöfe Einspruch, und ihnen schlössen sich die älteren an. Sie sagten: vom Osten gehe die Sonne auf, vom Osten her sei der ins Fleisch gekommene Gott aufgeleuchtet . . . ^ Mit anderen Worten, der Orient

1) Migne, Patrologia Graeca, tom. 37, coli. 1146. 1147. V. 1680 ... ol J'fxQwCov ^aXog äXlo»tv,

^rjfxog xoXoiQv dg \'v laxfvaofÄ^vog, 'fvQßrj v^uiv Tig, xaivov iQyaariJQioVf lK(Xa\p xöviv avQovatCf nviv^dttov atdatg, oig orJ* ßv tf^itoae tQv ng ivnXQv (46ßo> T€ d-fOi) x(tl dQÖv(p öoüvat Xoyov üxuxja 71 tt(f XdCovaiv, ij atfrjxQv d(xrjv AiTOiaw (i&v tdv 7iQoata7Z(üv a&Qocjg'

BEKERKUNOEN ZUR INSCHRIFT DES PAPSTES DAHASUS. Sil

hohe sich dem Occidente in keiner Weise unterzuordnen. Und wie hier im Verlauf der Verbandlungen der Gegensatz zwischen Orient und Occident zu Tage trat, so hat dann auch BchlierslJch der dritte Kanon der Synode Konstantinopel, ä. h. Neu-Rona an Hang nnd Anaehen dem alten Rom fast gleichgestellt, eine Entscheidung, die für Rom gänzlich unannehmbar war. Die Entfremdung zwischen Orient und Occident war nur gröfser geworden. Wir verfolgen diese Geechichte nicht weiter; auch der bisherige Verlauf sagt uns genug.

Wollte man mehr zu wissen versuchen, als wir wissen können, so könnte man schliefsen, die Worte, die Damasus in seiner Inschrift auf Petrus und Paulus geschrieben hat, wären ein Protest gegen die Verhandlungen und den Aus- gang des Konzils von Konstantinojiel. Der Forderung der Orientalen, ihrerseits die kirchlichen Fragen zu entscheiden ein Recht zu haben, weil das Christentum aus dem Orient gekommen sei, oder wenigstens nicht durch Rom und den Occident sich hiueiDreden lassen zu brauchen, stellt er eein Recht entgegen, kirchliche Fragen zu entscheiden und tiir seine Entscheidungen Gültigkeit auch von Seiten der Orientalen zu verlangen, sein Recht ist gegründet auf die beiden Apostel, die zwar aus dem Orient gekommen sind, aber in Rom ihre wahre Heimat haben. Da aber eine spezielle Bezugnahme auf das Konstantinopolitaner Konzil fehlt, ist es richtiger, nur im allgemeinen zu sagen, dafs die Worte des Damasus durch die Opposition der Orientalen gegen Rom hervorgerufen worden sind, und dadurch erhalten seine Worte, wie, denke ich, nach dem vorher Ausgeführten keinem Zweifel unterliegen kann, ihre wahre Bedeutung '.

loi; J' iJjioiloi'Siiii' i) atfirii ytQoiola ' toatcCi Aniijc* aioifQia'l^Hi' loi-g vioi't ' xnl tV loyiUfiör, sif ininHJÖc, ox6nn' tiJv j'Bp awtiXlta^' ijUifi 1(1 Tiqiiyiittia, tMti9fv Aqx'i" Iffißdvovy SSfv 3fä( iXcinl/fv tifiiv naQuixi/i nifßX^umi .

Dazu Rsile a. a. 0., S. 121.

l^Koc^auf ein BDdem Fioblem sei bier kurz Bufmeiksam ge-

342 FICKER; BEMERKUNGEN ZUR INSCHRIFT.

Fassen wir nun unsere Inschrift so, wie wir es geihan haben, so erhält sie Geist und Leben, während sie sonst nur Dinge bezeugen würde, von denen Damasus auch keine bessere Kunde haben konnte, als wir; sie reiht sich dann würdig den verhältnismärsig wenigen altchristlichen Inschriften an, die, wenn sie auch keine neuen und überraschenden Er- kenntnisse bringen, doch das Bekannte auf das Glücklichste bestätigen und ergänzen. Und so wird sie auf der einen Seite ein bedeutsames Denkmal ftlr das Eraftbewufstsein der römischen Kirche, das, gestützt auf die beiden Apostel Petrus und Paulus, in kirchlichen Dingen auch den Orientalen seine bindende Entscheidung zu geben beansprucht; auf der anderen Seite, ftir das Auseinandergehen von Orient und Occiden^ das sich im Laufe der Zeit immer mehr bemerkbar machen wird. Das griechische Element löste sich los von dem latei- nischen. Oftmals wurde noch eine Vereinigung versucht; endlich wurde die Kluft unüberbrückbar. Der Lauf der Kirchen- und Dogmengeschichte ist nur ein einzelner Zug m diesem allgemeinen welthistorischen Prozesse.

macht: In dem Schreiben gegen den Apollinaristen Timotheos (Theodoret, äistoria ecclesiastica 5, 10), das vielleicht in die Zeit 382—884 gehört (Rade, Damasus, S. 136; Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte^ 2. Aufl., S. 101, Anm. 1), gründet Damasus die Autorität seines apostolischen Stuhles allein auf Petrus, nicht auch auf Paulus. Wie kommt es, dafs er in unserer Inschrift, wie es scheint, besonderen Wert darauf I^ das beweist das pariter in der zweiten Zeile , dafs Petras und Paulus in Rom den Märtyrertod erlitten haben? Vielleicht wechselt DamasuB aber nur den Gesichtspunkt.

Joachim, der Abt you Floris<

Von

Lic. E. Schott.

Überblickt man die Reihe der Veröffentlichungen^ welche sich mit den Ideeen des Abtes Joachim von Floris beschäf- tigen^ von Kichard Simon an bis zu H. Haupt \ so ergiebt sich die auffallende ThatsachC; däfs die Forschung fast aus- schliefslich in der Geschichte des Joachimismus eingesetzt hat, und zwar meist bei der Frage nach dem ewigen Evan- gelium, bei der Veröffentlichung des Introductorius in evan- gelium aetemum durch den Franziskaner Gerhard von Borgo San Donnino in Paris im Jahre 1254. Die Geschichte des Abtes selbst aufzuhellen ist fast noch nicht in Angriff ge- nommen worden. Begreiflich genug; denn der Joachimis-

1) Richard Simon, Critique ou examendes prcjug^s de Msr. Jurieu contre l'^glise Romaine etc. 1690. Mosbeim, Institut, bist, eccles.*, p. 466 sqq. Gieseler, Lehrbuch der Kirchengesch. II, 2^ S. 353 ff. Engelhardt, Der Abt Joachim und das ewige Evangelium in: Kirchengeschichtliche Abhandlungen 1832 (I—XII u. 1—150). Re- nan, Joachim de Flore et PEvangile ^ternel in: Revue des deux mondes 1866 Juillet, p. 94—142. P reger. Das Evangelium aetemum und Joachim von Floris in: Abhandlungen der III. Klasse der Akad. der Wissensch. , 12. Band, 3. Abtl., S. 1—41. Neander, Allgem. Gesch. der cbristl. Religion und Kirche*, Bd. VII, S. 283ff. H. Reu- ter, Gesch. der relig. Aufklärung im Mittelalter, 7. Buch, I XL Denifle, Das Evangelium aeternum und die Kommission zu Anagni in: Archiv für Litteratur und Kirchengesch. des Mittelalters I, 49 142. H. Haupt, Zur Geschichte des Joachimismus, in Zeitschr. für K.-G. VII, 372—425.

344 SCHOTT,

mu8 ist in dem genaDnten Jahr ins geschichtliche Tageslicht getreten, Joachims Leben selbst scheint nicht aus dem Kebd der Sage herausgestellt werden zu können. Und sodann ist zweifellos der Joachimismus, die Bew^ung, die vom Abt von Floris ihren Ausgang nahm, die bedeutendere Erschein nung gegenüber seiner Persönlichkeit Die letztere hat wohl den Anstofs gegeben, ihr Erbe ist aber bald in grofse Ver- wirrung geraten, Joachim hat das Los aller Propheten er- litten, dafs ihre Schriften gefklscht werden, ihre Autorität zum Deckmantel für andere Gedanken dienen muTs. Eine andere, mächtigere Bewegung hat den Joachimismus auf- genommen, das Franziskanertum ; er hat so sein Teil be- kommen an bedeutenden Männern und spannenden Episoden, aber seine Geschichte ist nichts anderes geworden, als die Geschichte seiner Entartung, seines Untergangs. Die Vor- aussetzung fiir das richtige Verständnis ist aber, dafs Meister und Jünger, der Schöpfer des Gedankens und die Verkün- diger desselben auseinandergehalten und fUr sich genommen werden. Als ein kleiner Beitrag dazu möge die folgende Skizze des Lebens Joachims angesehen werden.

H. Reuter scheint recht zu haben^ wenn er meint ^, dafs es kaum möglich sei, die historische Gestalt des Abtes Joachim scharf zu zeichnen. Der Quellen sind wenige und die wenigen sind meist getrübt. Die urkundlichen Doku- mente, die sich auf ihn beziehen, beschäftigen sich nicht mit seiner Person, sondern entweder mit seinen litterarischen Produkten oder mit seiner Klostergründung. Die Aufzeich- nungen über sein Leben aber, deren eine sich als auf per- sönlicher Erinnerung beruhend einführt, sind einesteils z^ schablonenhaft gehalten und tragen anderseits so ausgesprochen legendarischen Charakter an sich, dafs eine Verwertung der* selben für die Kenntnis des Lebens und Wirkens des Mann^^ fast ganz ausgeschlossen ist. Die Gestalt Joachims hat si<^^^ der Geschichte nicht eingeprägt; als man anfing, sei

1) a. a. 0. II, 191.

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS.

345

Schriften interessant zu finden und nach ihm zu fragen, fand man nur eine ungenaue Erinnerung an ihn. Als Propheten wiesen ihn seine Schriften aus; anders denn als Heiligen und Wunderthäter konnte sich ihn die Zeit nicht denken ; das Andenken des Abtes und Ordensstifters blieb auf den kleinen Elreis seiner Genossen beschränkt Die joachimitische Be- wegung hat ihm eine Menge Schriften zugeschrieben, die er sicher nicht geschrieben hat, die überlieferte joachimische Autorschaft derselben ist mehr nur ein Beweis für das jener apokalyptischen Richtung eigene Streben nach starker Au- torität fiir ihre Gedanken und für den Mangel des geschicht- lichen Sinnes, der die ganze Zeit auszeichnet. Dsm Legenden- wesen beherrscht die verfallende kirchliche Geschichtschrei- bung, bis eine neuen Impulsen folgende weltliche aufkam.

I.

Wenden wir uns zu den Quellen der Geschichte Joachims.

1. Es ist vielleicht nicht überflüssig, die Dokumente, deren Kenntnis auf uns gekommen ist, kurz zu registrieren ; ein Versuch, der allerdings auf Vollständigkeit keinen An- spruch machen kann.

1

Guilielmus rex Siciliae Gualterio de Moac

praecipit, ut de divisis ^ terra- rum monasterio de Curatio olim concessis, seda camerariis fractis et terminatis, secundum concessionem regiam ex sua parte faciat Privilegium fieri; supplicante abbate Joachim.

gedruckt in Acta Sanctor. Maii T. VII, p. 100.

pridie IduS; 1178 Decembr.

Panormi

1) Divisa dicuntur sententiae breves quas scutariis tessoris sub- 3C! ibendas nobiles familiae eligebant. Papebroch. Acta Sanct. Maii, T. TU, p. 101.

346

SCHOTT,

a.d.VI.Idus Junli

1188

Laterani Clemens episcopus s. s. D. di- lecto filio Joachim abbati de Curatio. Monet ut laboribus suis v. Apo- calypsis expositioni et Con- i cordiae inchoatis hortantibas praedecessoribus Lucio et Ur- bano optatum et debitum finem imponat et discussioni apo- stolicae sedis et judicio se praesentet. JaflK, Reg. Pont. 10085, gedruckt in der Ausgabe der Concordia Joachims 1519.

Pridie Nonas Martii

1195

apud S. Maurum

3

Henricus VI Komanorum im- perator.

Monasterio S. Joannis de Flore L aureos Byzantinos de red- ditibus salinae de Netho annis singulis persolvendos consti- tuit.

gedruckt in Acta Sanct. 1. c p. 108.

a. d. VIII. ;1196i Romae Cal. Sept. i

Coelestinus episcopus s. s. D.

Joachime abbati et conventui

de Flore. Constitutiones ab abbate factas

auctoritate apostolica conär-

mat. Jaffe, Reg. Pont. 1D608, gedruckt in Acta Sanct. 1. c.

p. 125.

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS.

347

Mense Ja- nuar.

1198

Messanae

CoQstantia Romanorum impera- trix.

confirmat in perpetuum abbati Joachimo et successoribus at- que monasterio S. Joannis de Flore omnes possessiones et libertates a Henrico Imp. factas, monasterium de Flore et alia ab abbate fundata sub special! protectione suscipit.

gedruckt in Acta Sanct. 1. c. p. 126 sq.

CaL Jun.

Monast Florens.

Joachim abbas Constantiae ira-

peratrici. mittit Cherubinum contuberna-

lern, ut Majestas ei tradat re-

liquias quas spopondit. gedruckt in Acta Sanct. 1. c.

p. 126.

Siense Mart.

1200

1200

Centius S. Laurentii in Lucina presbyter cardinalis Joachim abbati de Flore.

liberam dat potestatem aedi- ficandi abbatiam in loco qui dicitur Albanetum aut vicino Caputalbum dicto.

gedruckt in Acta Sanct. 1. c. p. 128.

8

Universis quibus litterae istae ostensae fuerint Joachim ab- bas.

rogat ut scripta pro testamento

348

SCHOTT,

habeant et si quid de novo scripdtet, sedis apost examini praesentent

Mense Sept. 1201 ? Symeon de Mamistra et Cayte-

grina uxor Joachim abbati Florensi.

rogant ut ordinationem mona- stcrii quod aedificaverunt et monasterium ipsam in manus suas accipiat.

gedruckt in Acta Sanct. 1. c. p. 92.

Überblickt man das Vorstehende, so wenig es auch ist, so ist damit doch die Persönlichkeit des Abtes historiscli gesichert; sowie die Thatsache, dafs er in engen Beziehungen wie snim Papste, so zu den Königen von Sicilien und Kaiser Heinrichs Haus gestanden hat. Dadurch fällt ein Licht auf die Bedeutung des Mannes. Wenn die Sage Joachim als Vertrauten des Kaiserhauses hinstellt, so hat sie damit nicht falsch gesehen, für die Auffassung jedoch, als hätte er sich an der politischen Geschichte Süditaliens aktiv beteiligt, fehlt der gesicherte Nachweis. Keines der aufgeführten Akten- stücke läfst erkennen, dafs er eine wesentlich andere Stel- lung einnahm, als sie jeder Klosterabt oder Vorsteher einer Kongregation einnehmen konnte.

2. Papebroche, dem wir die obigen Akten meist ver- danken, hat auch die übrigen Quellen über Joachims Leben aufbewahrt *. Seinen Studien über die Scriptores Vitae et miraculorum B. Joachimi ist zu entnehmen, dafs im Stamm- kloster des Florenser Ordens bald das Leben des Gründers dargestellt und im Sinne jener Zeit bearbeitet worden ist. So erwähnt er die Arbeit eines Joannes de Bouatio, der über die Prophetieen seiner Zeit schrieb und von Joachim dabei die Wendung gebrauchte: mitto vos ad volumen

1) S. Acta Sanct. 1. c. p. 69—143.

JOACniH, DER ABT VON FLOBIS. 3i9

nostrum in quo Beati hujus vita longe lateque enarratur'; fraglich bleibt, ob er an ein Werk aua seiner Feder oder nur aua der Bibliothek von Flona denkt; erhalten ist die Schrift nicht.

Es bleiben zwei Werke, ungleich an Umfang, noch un- gleicher an Wert. Das eine ist die Virtutum B. Joaehimi Synopsis per Lucam Archiepiscopura Consenti' n u m '. Dieselbe ist nach den Schlufsworten von einem Anonymus nach Angaben des Lukas niedergeschrieben ; der dabei gebrauchte Ausdruck: haec retuHt vir bonae memoriae D. Lucas ' läfst nur mündliche Mitteilung vermuten und setKt damit den Wert der Schrift bedeutend herunter.

Immerhin scheint sie den Stempel persönlicher Erinne- rung zu tragen. Lukas, der ums Jahr 1206 apostolischer Visitalor aller Klöster florensisclier Observanz war, befand »ich um 1183 als Mönch im Kloster Casa Marii. Dort, giebt er an, habe er den Abt Joachim von Curatium gesehen; derselbe habe eben begonnen, den Sinn der heiligen Schriften zu enthüllen und die Konkordie beider Testamente zu schreiben. Sein Abt Gerald habe ihn Joachim als Schreiber beigegeben, so habe er lange mit zwei Mönchen von Cura- tium für ihn geschrieben, Tag und Nacht, in Casa Marii wie im NachbarkloBtcr S. Angeli de Corneto. Geht nun auch Lukas nicht naher auf die literarische Thätigkeit Joachims ein, so um so mehr auf sein Verhalten als Priester und Mönch. Er weifs sein vergilbtes Gesicht zu schildern, aber nur um anzufügen, wie es bei der Messe gleich dem eines Engels zu werden pflegte. Der Abt predigt häufig im Kapitel, anfangs mit leiser Stimme, dann mit immer steigen- der Lebendigkeit. AusiXihrhch werden seine mönchischen Tugenden gepriesen: alte abgetragene Kleider, an den Fransen verbrannt; ungemeine Mäfsigkeit, Reinheit und Keuschheit, Demut und Woblthätigkeit , Fleifs in körperlicher Arbeit. Der Priester tritt uns entgegen in der bekannten Geschichte,

1) Acta Saact I. c. p. 91,

2) Acta Saact. 1. c. p. 03-91.

3) Acta Sanct. 1. c p. 91.

350 SCHOTT,

da er die Kaiserin, die ihm beichten will, zu seinen Füfsen knieen läfst. Vom Abte wird gesagt, dafs er genauen Ge- horsam verlangte, seine Verwandten nicht mehr kannte, den Gästen sich milde erzeigte. Das Ansehen Joachims bei den Säkularen wird damit illustriert, dafs es heifst, seine An- wesenheit habe in einer Stadt mehr beruhigt als bewaffnete Scharen. Eine nicht wunderbare, aber doch rasche Heilung hat Lukas selbst erlebt, als er einmal krank nach Floris ge- kommen war.

Die Frage, ob die gegebenen Ausfuhrungen Lukas' wirk- lich auf persönliche Erinnerungen zurückgehen, läfst sich wohl auf kritischem Wege nicht lösen, auch die pragmatische Reflexion führt nicht zum Ziele. Erinnerungen scheinen allerdings zu Grunde zu liegen und man kann aus ihnen das Bild eines geistesmächtigen Mannes gewinnen. Aber einmal läfst sich an dem Umstand nicht vorbeigehen, dafs die Synopsis nur Aufzeichnung eines Anonymus nach An- gaben des Lukas ist, und dazu kommt die vielleicht damit zusammenhängende Erscheinung, dafs bestimmte Angaben, welche das Skelett der Darstellung bilden könnten, durchaus fehlen. Es mangelt allerdings nicht ganz an chronologischen Angaben; die Zuverlässigkeit derselben unterliegt aber be- rechtigten Bedenken. Ein l^J jähriger Aufenthalt Joachims in fremden Klöstern, wie ihn Lukas angiebt, läfst sich nicht leicht denken. Immerhin sind jedoch die Anfangsabschnitte der „Erinnerungen" wertvoller als ihre Hauptmasse. Dafs Lukas Joachim Schreiberdienste gethan hat, kann nicht ganz nur erfunden sein; aber auch hier bleibt das Fehlen jedes Hinweises auf den Inhalt der joachimischen Schriftstellerei ein kritisches Bedenken. Oder sollten darin vielleicht die Einflüsse späterer Zeit zu erkennen sein, in der es unan- gebracht war, von demselben etwas verlauten zu lassen? Durch spätere Überarbeitung und Umformung ist jedenfalls die Hauptmasse des Aufgezeichneten gegangen, das den Abt und Mönch zu verherrlichen hat. Hier haben wir die Schablone der Heiligenlegenden, die kein Charakterbild giebt, sondern alles in kirchlicher Ubermalung. Ob sich aus der Synopsis ein Kern echter Überlieferung herausschälen

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS. 351

liefse, kann dahingestellt bleiben; denn selbst wenn es ge- länge, fehlten die Mittel das Resultat zu erproben. Das Dunkel über Joachim vermag die genannte Schrift nicht zu lichten.

3. Noch weniger, so umfangreich es auch ist, das Werk des Jacobus Graecus Syllenaeus ^, eines Florenser Mön- ches im 16. Jahrhundert, 1612 von ihm herausgegeben, Leben und Wunderthaten des Abtes umfassend. Es ist die Erinnerung des Ordens an den Stifter, aber schon die Jahreszahl zeigt, was von der Treue zu halten. Papebroche selbst unterzieht das Werk einer vernichtenden Kritik ^. An Bestimmtheit der Angaben mangelt es nicht; Vater, Mutter, Heimat, Jugendunterricht, Hofdienst, Wallfahrt und Eintritt ins Kloster wird mit behaglicher Breite vorgeführt. Der Vater war aus gutem Geschlecht, a Maurus mit Namen, seine Mutter Gemma; Geburtsort ist Caelicum, ein Flecken vier Meilen von Cosenza. Bis zum 14. Jahre wird der begabte Knabe in der Grammatik unterrichtet, dann verschafft ihm der Vater eine gute Stelle am Hofe des Königs wer der- selbe gewesen, weifs Jakobus nicht. Der Sohn verläfst aber die damit gewiesene Laufbahn, wallt zum heiligen Lande, wo er schon den Plan zu seinen drei Schriften entwirft; zurück- gekehrt wird er Einsiedler im Grattithaie, weist die Ver- suche der Seinen, ihn dem weltlichen Leben zurückzuge- winnen, energisch ab, ein Zug, der fast in jedes Heiligen Leben vorkommt; dann tritt er als Mönch in Sambucina ein, dem Stammkloster von Curatium. Seine Hauptwerke verfafst Joachim noch als Abt von Curatium, nicht weniger als 22 bezw. 28 weifs Jakobus aufzuzählen. Die Sehnsucht nach gröfserer Weltabgeschiedenheit bestimmt ihn zur Grün- dung von Floris, die ihm von den Genossen als secessio verübelt wird. Das Kloster erblüht jedoch, Kaiser Heinrich besucht selbst dort den Abt, der ihm Erfolg vorhergesagt hat. Die Wunderthaten Joachims erheben auf Beachtung keinen Anspruch.

1) Acta Sanct. 1. c. p. 94—124 ex M. S. Ferd. Ughelli ed.

2) 1. c. p. 91.

2^*

352 SCHOTT,

Die Aufzeichnungen des Jakobus sind als Erinnerungen der Ordensgenossen Joachims zu denken, und es begegnet keinem Anstand, ihnen hinsichtlich persönlicher Notizen bis zu gewissem Grade Glaubwürdigkeit einzuräumen. Auch was sich auf die Gründung von Floris bezieht, mag gute Überlieferung sein. Aber schon das Schriftenverzeichnis ^ zeigt, wie weit man von kritischer Auffassung entfernt, die fehlerhafte Datierung von Geburts- und Todesjahr (1145 und 1214), wie die Erinnerung an die geschichtliche Wirk- lichkeit verfallen war. In die Reihe beachtenswerter Quellen tritt die Schrift des Jakobus aber insofern, als sie indirekt ein Zeugnis für die Bedeutung des Mannes abgiebt; dafs die spätere Zeit dieselbe vor allem auf das Gebiet des Wunder- haften und Mönchischen verlegt hat, kann nicht wunder nehmen, dafs sie aber eine solche Verlegung nur mit einer älteren ÜberUeferung vornehmen konnte, leidet keinen Zweifel.

Es darf noch angeftigt werden, dafs die Schriften Joachims selbst auch als Quellen ftir die DarsteUung seines Lebens zu gelten haben; so sehr darin in allem die Persönlichkeit des Verfassers zurücktritt, so findet sich doch wenigstens eine Bemerkung, welche biographische Verwertung zuläfst ^.

IL

Hinsichtlich des Geburtsjahrs Joachims wird man sich für 1130 entscheiden dürfen; die Datierung Jakobus' auf 1145 ist schon von Papebroche * mit Grund abgewiesen worden. Das Todesjahr ist 1201 oder 1202; im September

1201 war Joachim noch am Leben, wie aus der neunten oben registrierten Urkunde hervorgeht; in einer vom Juni

1202 datierten Urkunde des Bischofs Richard von Tro- paeum ^ wird als Abt von Floris schon Matthaeus erwähnt: so fallt Joachims Tod zwischen September 1201 und Juni 1202.

1) Acta Sanct. 1. c. p. 103. 105.

2) Conc. lib. I, cap. 2, Bl. 3a.

3) 1. c. p. 92.

4) Acta Sanct. 1. c. p. 92.

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS. 353

Data er schon in der Jugend eine gute Bildung genosseQ haben mufs, erweiaen die Schriften des Mannes; ihr Latein gehört zu den besseren des Mittelalters. Spuren besonderer Belesenheit treten «üerdingä nicht zu Tage, die naturwissen- BchaftUchen Kenntnisse gehen über das Mafs des Gewöhn- lichen nicht hinaus '. Dafs Joachim in Jungeren Jahren im beiligeu Lande war, beweist Conc. BI. 3a; videtis loca ista, o tibi, in stagnum sulpburoum nunc redacta; ego illa quon- dam Horida et instar paradisi irrigari perspexi ^.

DaTs Joachim Abt von Curatiuni war, ist urkundhch sattsam belegt; dafa er Abt von Floris war, bedarf keines Beweises. Dafa letzteres nicht vor 1188 gegründet worden ist, ergiebt das Schreiben dee Papstes Clemens aus diesem Jahr.

Wichtiger als die einfaclien Daten des Lebeus siud einige Fragen, die sich von seihst dabei aufdrängen. Es ist die Frage nach dem Verhältnis Joachims zu Kaiser und Welt, zu Papst und Kirche und die Frage nach dem Zweck seiner Ordensgvündiing.

1. Vielseitig genug hat sich die Sage zum ersten Punkt geäufaert, dem Verhältnis zu Kaiser und Welt. Schon die Synopsis des Lukas von Cosenza enthält die Ge- schichte, wie er die beichtende Kaiserin zu seinen Füfsen knieen läfst: aliter enim nun debeo te audire ". In Palermo im Kloster des heihgen Geistes um Pfingsten soll sich das KUgetragen haben; die Jahreszahl weifa auch Jacobus Graecus nicht zu geben *. Dafür einiges andere hierher Gehörige. ächon zur Zeit Wilhelms des Guten, im tiefen Frieden, liabe der Abt Unheil und Heimsuchung prophezeit^; es habe sich erfüllt, als Clemens III. beide Siciüen mit Krieg überzog. Die zweite Erzählung fUllt ins Jahr 1191, als Heinrich VI. Neapel einnahm. Joachim geht den König au und straft ihn wegen der grausigen Ungerechtigkeit gegen die Völker

1) Apncai. Bl. 51b.

2) Teit wolil vcrdorbeu.

3) ÄcU Sand. I c. p. 94.

354 SCHOTT,

Gottes; weil er andere vernichtet, habe sich nun die Ver- nichtung gegen ihn selbst gewendet (Seuchen im Heere); wenn sie nicht ablassen, werden sie bald alle also umkommen. Heinrich habe den Abt trotzdem sicher bis Palermo geleiten lassen, obgleich man unter seinen Kriegern hier und da den Ruf gehört: quanta mala latent sub cucuUa illa ^. Von jener anderen Weissagung Joachims, zu welcher er durch den Kaiser selbst aufgefordert wurde, als die Geburt des Erben in Aus- sicht stand, brauchen wir weiter nicht Notiz zu nehmen, da Papebroche selbst den Zusammenhang mit den in den letzten Jahren des Kaisers nach dem sicilischen Strafgericht auf- gekommenen Verlästerungen der Kaiserin als der von der Sache ihres Volkes Abgefallenen nachgewiesen hat *.

Aber auch die übrigen Prophezeiungen verfallen der Kritik, so gläubig sie z. B. auch von Toeche ^ angenommen worden sind. Historisch ist allerdings der Zug des Kaisers gegen Neapel 1191, sowie die unglückliche Wendung der unter den günstigsten Umständen unternommenen Fahrt ins Normannenreich. Aber wenn auf Grausamkeiten des Kaisers hingewiesen wird, welche den verdienten Lohn gefunden haben, so liegt darin ein starker Anachronismus; denn erst von der Niederwerfung des sicilischen Aufstandes datieren die Klagen über Härte des Kaisers, welche einen Tadel des- selben durch Joachim motivieren könnten.

Was sich an den Zug des Papstes gegen Sicilien au- schliefsen soll, ist so unbestimmt gehalten, dafs von irgend- welcher geschichtlichen Erinnerung dabei nicht die Rede sein kann.

Noch mehr ins Gewicht fallen dürfte jedoch folgende Erwägung. Die genannten Erzählungen, die sich aus an- deren Stellen leicht noch vermehren liefsen, ruhen alle auf der Annahme der Echtheit gewisser Schriften Joachims, welche allerdings die politische Tendenz seiner Prophetie er- härten, wie z. B. des Jeremias- und Jesaiaskommentars ; aber

1) Acta Sanct. 1. c. p. 108.

2) 1. c. p. 93.

3) Toeche, Kaiser Heinrich VI. (1867), S. 197. 846. 467. 506 etc.

JOACHIM, DER ABT VOS FLORIS. 35!»

-wie sie mit derselben stehen, so fallen sie auch mit ihr. Die Uneclitheit geunnnter Schriften sieht über jedem Zweifel. Sie weisen allerdings Joachim dem Kaisertum gegenüber eine oit feindUche Stellung zu; so sehr der Joachimismus nach 1200 dieselbe eingenommen hat, so wenig ist das liir Joachim selbst nachzuweisen. Dafä Heinrich VI. sein Gönner war, beweisen seine und seiner GemahUn Urkunden (s. o.); der Gedanke aber, als hätte er seine Zuneigung einem Manne geschenkt, der sich ihm an irgend einem Punkte «einer Staatsaktionen entgegenstellte, ist bei dem Charakter dieses Kaisers unbedingt ausgeschlossen. So fallen also jene Erzählungen, weil sie nicht den Zusammenhang mit dem liistorisuh bezeugten freundhuhen Verhältnis von Kaiser und Abt festhalten, vielmehr mit der späteren Auffassung Ver- bindung zeigen, welche davon nichts mehr gewufst hat. Uazu Iritt eine Erwägung noch allgemeinerer Natur. Wir haben zu fragen, ob die Prophetie Joachims überhaupt eine derartige gewesen ist, dafs sie in die Berührung der Politik treten konnte. Nach den unechten Schriften ist die Frage bejaht, nach den echten jedoch zu verneinen. Man mag die Schriften des Abtes noch so sorglaltig durchgehen , Be- Ziehungen auf reale Politik findet man darin so gut wie nicht. Wo er von der Zukunft redet, giebt er nicht An- «chauungsbilder, die von der Gegenwart genommen in jene projiziert werden, sondern es geschieht immer mit Worten der biblischen Propheten, und nicht nur die Form, sondern auch der Inhalt der Zukunftsbilder ist von ihnen entnommen. Diese Art ist dabei nicht etwa Joachim im Unterscliiede von anderen Apokalyptikern eigen, sie findet sich vielmehr auch sonst. Wo sie sich aber zeigt, ist sie ein Beweis dafür, dnfs die apokalyptischen Gedanken letztHch in etwas anderem wurzeln als in der Betrachtung ungewöhnlicher Zeitereig- nisse; wie sie für die Person des betr. Autors auch zugleich den Beweis ergiebt, dafs er ohne besondere Anteilnahme den Zeitereignissen gegenüberstand.

Derartiges scheint in der That bei Joachim der Fall ge- wesen zu sein. Er war wohl ein Mönch vom alten Schlage, der es mit der Weltäucbt ernst genommen hat, dem nichts

356 SCHOTT,

femer lag, als eine politische Rolle spielen zu wollen. In diese Richtung weist uns die Erzählung Lukas' von der Beichte der Kaiserin. Eine spätere Zeit konnte aber eine solche Haltung nicht mehr verstehen, um so weniger, je mehr die Joachiroisten sich der Erkundung der Zeichen der Zeit zuwandten ; so sah sie auch keine Fälschung, wenn man den Propheten '^ Joachim wie die israelitischen Propheten gegen Könige und Tyrannen seinen Spruch sagen liefs.

2; Wesentlich einfacher gestaltet sich die Untersuchung des Verhältnisses zwischen Abt und Papst. Wohl hat sich die Sage derselben auch bemächtigt und Joachim zum Richter und Gewissen einer entarteten Hierarchie ge- macht. Doch hat sie dabei eine gewisse Zurückhaltung nicht abzulegen vermocht. Begreiflich genug. Denn ganz abge- sehen von den späteren Verwickelungen der Hierarchie mit den Joachimiten ist in das Bewufstsein der Tradition einge- drungen, dafs Joachim selbst schon hinsichtlich seiner Lehre Anlafs zum Anstofs gegeben hat ; so sagt sie nur wenig über das Verhältnis von Abt und Papst Bezeichnend ist es aber immerhin, dafs eine Erscheinung wie der calabresische Abt mit Kaiser und Fürsten näher zusammengerückt werden konnte, als mit dem kirchlichen Oberhaupt ; darin liegt nicht nur ein Urteil über Joachim, sondern auch über die Päpste selbst. Und zwar ein scharfes; läfst man sie doch einer bedeutenden Erscheinung der Kirche gleichgültig gegenüber- stehen, weil sie nichts an sich hat, das sie für die Zwecke der Hierarchie verwendbar machte. Ohne es zu wollen, ist die Überlieferung zum Zeugen dafür geworden, wie einseitig das Papsttum im 12. Jahrhundert in der Wahrung der welt- lichen Interessen, im Kampf gegen die rivalisierende Kaiser- macht aufgegangen ist.

Es sind zwei Urkunden von hohem Wert, welche das Verhältnis Joachims zum Papste klarstellen. Die erste das Schreiben Clemens' HI. vom 6. Juni 1188; die zweite das Schreiben Joachims an seine Leser von 1200; beide zeitlich so weit auseinander, dafs sie einen nicht unbedeutenden Zeit- raum erleuchten.

Clemens weist darauf hin, wie Joachim auf Befehl und

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS. 357

KrmahnuDg des Papstes Lucius die Auslegung der Apoka- lypse und daa Werk der Konkordie begonnen und mit Er- laubnis seines Nachfolgers Urbanus verlafst habe. Er schliefst daran die Ermahnung, er möge nun seine Arbeiten zu Ende fuhren, sodann iu Rom sich der Untersuchung und dem Ur- teil des römischen ätuliles stellen.

Die Bedeutung dieses Schreibens ist in der Hauptsache klar. Man erkennt die warme Wertschätzung, die der Papst für Joachim hegt; eigentümlich aber berührt der tichlufa- satz '. der eine gewisse Schüchternheit des Verfassers, seia Werk zu veröffentlichen, überwinden soll, daneben aber doch den Mann und seine Bücher nicht sich selbst überlassen will. Klarzulegen sind die Motive dieses Vorgehens aus dem Schreiben selbst nicht; nur so viel läfst sich sagen, dafs der Zweifel an der Orthodoxie Joachims nicht der Grund ge- wesen sein kann. Denn derselbe bat sich an das Psalterium decem chordarum angeschlossen, dessen das püpsl liehe Schreiben gar nicht erwähnt und wobi auch nicht erwähnen kann, da es erst nach 1188 verfafst ist.

Joachims Schreiben selbst ist geeignet, das Angeführte zu bestätigen. Einleitend nimmt er darin Bezug auf die Mandate der oben genannten Päpste; er hat nun die Kon- kordie, Apokalypse, das Psalterium und einige kleinere Schriften wie die Traktate gegen die Juden und gegen die Feinde des katholischen Glaubens fertiggea teilt. Es ist ihm aber wegen der Ungunst der Zeiten nur möglich gewesen, die erste seiner Schriften der Korrektur des apostolischen Stuhles vorzulegen. Sollte er nun sterben, ehe er der päpst- lichen Aufforderung nachgekommen sei, eo mögen seine Mit- ftbte, Prioren und Bruder diese Worte als sein Testament ansehen und seine vollendeten Werke oder was er noch vor ■einem Ende schreibe, dem Examen des Papstes unterwerfen und ihn seiner Treue nochmals versichern.

Dem Schriftstücke läfst eich einmal der Katalog der

1

1) Si eiiim Telia in abscondito rctioere, diligenti cura pcrspiriss, qoa posgis Bummi pitris familias offeusam de taleato scientiae tibi com- müso sttiaftctione placare.

358 SCHOTT;

Hauptwerke Joachims entnehmen ; aus der Vergleichung mit dem Schreiben Clemens' geht hervor, dafs das Psalterium und die beiden Traktate erst nach 1188 verfafst sind. Auf- &Ilig ist die starke Versicherung der Devotion gegen den heiligen Stuhl und der Rechtgläubigkeit; in einer Form, dafs man sich des Verdachtes nicht erwehren kann, sie müsse von irgend einer Seite her angezweifelt worden sein. OflFen- bar hat sich an das Psalterium damals schon der Vorwurf angeheftet; den die Lateransynode 1215 Can. 2 gegen einen Punkt der Trinitätslehre Joachims erhoben hat; dafs die Synode auf sein Schreiben Bezug nimmt, beweist die Echt- heit desselben; sowie die Beachtung; die es an mafsgebender Stelle gefunden hat. Weiter aber geht aus ihm hervor, wie viel dem Manne daran gelegen war; seine Genossen in der gleichen Stellung gegen Rom zu erhalten. Offenbar begann unter ihnen; verursacht durch die Gedanken des Meisters ; eine kritische Tendenz gegen die höchste Stelle sich anzubahnen, und wir haben wohl hier den Beweis da- für, dafs die über Joachim hinausgehende Bewegung, welche im Joachimismus später hervortritt; schon zu seinen Leb- zeiten ihren Anfang genommen hat.

3. Schon Papebroche hat ^ eine historische Untersuchung über den Florenserorden angestellt. Die Hauptdaten der Gründung und Geschichte sind darin in zuverlässiger Weise gegeben.

Vom Papste von der Administration von Curatium ent- bunden ; sucht sich Joachim mit seinem Genossen Rayner im Sylagebirge bei Cosenza den Ort, eine Zelle zu gründen; am 18. Juli 1189 ersteht sie. Andere schliefsen sich an, so entsteht Kloster Floris; dem Evangelisten S. Johannes geweiht. Obenan steht als Gönner Kaiser Heinrich VI. Papst Cölestin bestätigt unter dem 25. August 1196 die Kon- stitutionen des Klosters; leider sind dieselben nicht erhalten^ Jacobus Graecus hat vergeblich nach ihnen gesucht. Reiche Reliquienstiftungen treten ein; ein Billet Joachims an Kai-- serin Constanze in diesem BetreflF hat Papebroche abge-

1) Acta Sanct. 1. c. p. 125 sqq.

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS. 359

druckt ^ Das Klosterleben ist streng ; der Cistercienser- orden erscheint dem Florenser gegenüber lax, urteilt der- selbe Autor ^. Die Reihe der Abte ist folgende : Joachim, Matthaeus 1202—1234; Sannes, Orlandus, Bernardus 1249, Gerardus, Guilielmus 1. 1290, Nicolaus I. 1315; Guiliel- mus IL, Marinus 1331, Joannes I. 1348, Petrus 1356, Jo- annes IL 1371, Nicolaus IL 1391, Hieronymus 1451, Ca- rolas, Hippolytus, Joannes IIL, Evangelista 1470. In der Geschichte des Klosters fehlt es nicht an kritischen Ereig- nissen. Frühe äufsert sich der Neid griechischer Mönche in Prozessen und Gewaltthaten *. Von 1470 an beginnt der Niedergang, bis 1570 die Mönche entfliehen, ein neues Klo- ster S. Maria de succursu gründen und sich dem Cister- cienserorden wieder anschliefsen.

Nicht so lange, nur gegen 300 Jahre, meint unser Autor, habe der Florenserorden geblüht. Die Bemerkung, dafs er in Kalabrien sich sehr ausgebreitet habe, wird durch Gre- gorius de Lauro bestätigt, der 35 Klöster aufzählt, ohne ihre Zahl damit erschöpft haben zu wollen ^.

Von Interesse ist die Frage nach dem Zweck dieser Kloster- und Ordensgründung. Dafs Joachim Floris ge- gründet habe, um für seine litterarischen Arbeiten Zeit zu gewinnen, ist eine schon von der Tradition abgelehnte An- nahme; eo sind innere Gründe mafsgebend gewesen. Die Konstitutionen, die Joachim dem Papste vorlegt, sind, wie aus diesem Umstand hervorgeht, von der Benediktinerregel verschieden gewesen. Die Cistercienser haben die Nieder- legung der Abtstelle in Curatium als Pflichtvergessenheit be- urteilt ^, das Generalkapitel von 1192 bestimmte, dafs, wenn Joachim und Rayner bis zum Feste S. Johannis nicht zu- rückgekehrt seien, sie als Abgefallene angesehen werden sollen ®. Erst 1570 erfolgt der Wiederanschlufs der Florenser.

1) Acta Sanct. 1. c. p. 126.

2) 1. c p. 125. 8) 1. c. p. 127.

4) 1. c. p. 125.

5) S. Engelhardt 1. c. p. 88.

6) Statuta capituli gen. ord. Cisterc. 1192 bei Martine et Durand thes. IV, 1272.

360 SCHOTT,

Hai sich demnach Joachim absichtlich vom Matterorden getrennt, so geben über die Gründe seine Schriften annähernd Aufschlufs. In ihnen begegnen häufige Klagen über das Mönchtum seiner Zeit. In Conc. lib. IV, cap. 27 widmet er ihm im Anschluls an eine scharfe Rüge des Klerus ein Kapitel, das mit den Worten beginnt: quibus ne forte aliqui monachorum, quasi vel ipsi justi sint, insultare praesumant, audiant quid de eis in sequentibus. Dann wendet er Thren. 4, 7 8 auf sie an: non est differentia inter eos et homines saeculares . . . se ipsos non reficiunt lectionibus divinis, nihil se ostendunt habere de vita monastica praeter quam habitum exteriorem, et in modum ligni aridi desiccantur ab humore spirituali, non referunt fructum. Ebenso enthält cap. 39 des- selben Buches schwere Vorwürfe. Sicut tunc pharisaei jacta- bant se coram hominibus de justitia sua, ita non nulli mo- nachorum arbitrantes in reUgioso habitu et non poüus in humilitate et charitate esse perfectionem justitiae etc. Darum mufs auch das Mönchtum in der erwarteten Zukunft eine völlige Änderung durchmachen, ehe es der Träger des spiri- tualis intellectus sein kann. Necesse est, ut succedat simili- tudo Vera apostolicae vitae (lib. IV, cap. 39). Es ist nun aber durchaus die Meinung Joachims, dafs der neue Zustand der Welt aus dem Bestehenden sich heraus entwickelt, auch das Mönchtum der Zukunft ist nicht ohne Verbindung mit dem der Gegenwart. Dabei fällt sein Blick von selbst auf den Cistercienserorden ; so sagt er von den fünf Cistercienser- klösteru: in quibus status ipse tertius inchoatus esse videtur, licet processerit initiatio ipsius a beato Benedicto et secundum alteram rationem ab Helisaeo propheta ^. Namentlich der hei- lige Bernhard ist sein Mann, er wird alter Levi und alter Moyses genannt. Die fünf Hauptklöster des Ordens haben den Primat unter den anderen, wie die fünf ersten Stämme Israels vor den andern das Erbe empfingen. Damit ist ihnen offenbar eine bleibende Bedeutung zugesprochen.

So scheint sich zu ergeben, dafs Joachim bei aller Klage über das weltlich gewordene Mönchtum doch dem Cister-

1) Conc. lib. IV, cap. 37.

JOACHIM, DER ABT VON FLORIS. 361

cienserorden zugethan blieb ^ ja er hat ihn fiir den Orden der Zukunft gehalten; der heilige Bernhard ist der grofse Prophet, der kommen mufs, ehe die Zeit der geistlichen Er- kenntnis anhebt. So hat er mit seiner Neugriindung auch nicht die Absicht verfolgt, den Orden der Zukunft zu grün- den, vielmehr ist sein Schritt nur als Rückkehr zur strengen Observanz im Sinne und Geiste Bernhards zu beurteilen.

Es ist nicht viel, was sich an Material f\ir das Leben des merkwürdigen Mannes hat zusammenstellen lassen, nicht genügend ein zusammenhängendes Lebensbild zu geben. Immerhin ergiebt sich aber, dafs Joachim ein angesehener, in seiner Art auch bedeutender Mann war. Über den Kreis seines Ordens ist aber seine Bedeutung zu seinen Lebzeiten nicht hinausgegangen. Vielmehr ist das erst so geworden, als seine Schriften zu wirken begannen; diese haben ihm rasch eine Gemeinde gewonnen, die seine Gedanken ausbaute. Dabei ist er aber von dem Lose aller Prophetie nicht ver- schont geblieben, dafs Fälschungen an dieselbe ansetzen und dafs diese in der Regel stärker wirken als die ursprünglichen Gedanken der Propheten.

Die Quellen zur Geschichte des liL Franz von Assisi.

(Erster Teil.)

Von

Walter Goetz.

Einleitung.

Drei wichtige Abschnitte lassen sich in der fortschreiten- den Forschung über Franz von Assisi feststellen. Je nach der Sichtung und Erweiterung des Quellenkreises entstanden dreimal neue Auffassungen von wissenschaftlicher Bedeutung. Seitwärts davon ging freilich immer ein breiter Strom der Erbauungslitteratur, die auf strenge Quellenforschung ver- zichtete und allein dem Ruhme des Heiligen zu dienen be- müht war; für die Wissenschaft haben diese zahlreichen Schriften keinen Wert.

Die erste kritische Sichtung der Quellen unternahm 1768 Konstantin Suysken, als er die Lebensbeschreibungen des Heiligen für die Acta Sanctorum zusammenstellte; er schuf die erste wissenschaftliche Grundlage, indem er wenn auch etwas ängstlich die wertvollen Bestandteile aus der Masse der Überlieferung auszuscheiden begann und nach ihrer Glaubwürdigkeit prüfte.

Karl von Hase that den nächsten Schritt , als er 1656 das kleine Büchlein über Franz von Assisi schrieb: mit un- erbittlicher Kritik untersuchte er die Quellen und führte Franz aus dem Bereiche der Heiligenverehrung zurück auf den Boden der Geschichte. Die Grundlagen seiner Schilde- rung waren die erste Lebensbeschreibung des Thomas von

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 363

Üelano (die er auf etwa 1229 richtig ansetzte), die sogen. Legende der drei Genossen (von 1247) und die Erzäh- lung Bonaventuras (1263), dazu noch die Ordensregeln und ,, einige Briefe und fromme Ergiefsungen '' des Heih'gen selber.

Auf diesem von Hase bereiteten Boden blieb die For- schung im wesentlichen ein halbes Jahrhundert, nur dafs von Georg Voigt (1870) S Franz Ehrle (1883) ^ Ruggiero Bonghi (1884)3, Henry Thode (1885)* und Karl Müller (1885) ^ die zweite Lebensbeschreibung des Thomas von Ce- lano entdeckt, untersucht und als wertvoll erkannt und den grundlegenden Quellen hinzugefügt wurde und dafs Bonaventura an Wertschätzung verlor. So viel Neues die Forschung der nächsten 40 Jahre nach Hase auch ergab, so viel Hervor- ragendes Bonghi und Thode, Karl Müller und Paul Sabatier in ihren Werken über Franz geleistet haben sie gingen in der Quellenbetrachtung alle auf dem Wege, den Hase gewiesen hatte und nur Sabatier blickte schliefslich mit Vermutungen darüber hinaus, als er 1894 seine „Vie de S. Fran9ois" erscheinen liefs. Und ihm, dem protestantischen französischen Theologen, der sich in eine schwärmerische Verehrung für den Heiligen des 13. Jahrhunderts hineingelebt hat, dankt die Wissenschaft die Anregung zu neuen Fortschritten. Er glaubte ursprünglichere Quellen, als man sie bisher besessen hatte, erschliefsen und für die Forschung über Franz von Assisi eine neue Grundlage schaffen zu können. Er selber brachte als Ergebnis dieser Studien 1898 des Speculum Perfectionis als älteste, aus der nächsten Nähe des Heiligen stammende Quelle ^, und mehr oder minder von Sabatier angeregt, liefsen

1) Die Denkwürdigkeiten des Minoiiten Jordanus von Giano. Ahh, d. k. s. Ges. der Wiss. 1870.

2) Zeitschrift für kath. Theolojrie 1883.

3) Francesco d' Assisi. Cittä di Gastello 1884.

4) Franz von Assisi und die Anfänge der Kunst der Renaissance in Italien. Berlin 1885.

5) Die Anfange des Minoritenordens und der Bufsbruderschaften. Freiburg i. B. 1886.

6) Speculum Perfectionis seu S. Francisd Assisiensi Legenda antiquissima auctore fratre Leone. Paris 1898.

364 GOETZ,

zwei italienische Franziskaner Marcellino da Civezza und Teofilo Domenichelli 1899 eine neue Legenda trium So- ciorum ^, eine Rekonstruktion , die mehr als den doppelten Umfang der bisher bekannten Legende der drei Genossen besafs; erscheinen. Beide Veröffentlichungen haben, sich e^ gänzend und gegenseitig ihre Ergebnisse unterstützend, den Anspruch erhoben, die älteste aus dem vertrauten Jünger- kreise stammende Überlieferung zu sein.

Die Frage war zu wichtig für dies ganze Forschungs- gebiets, ids dafs nicht sogleich die lebhafteste Bewegung ent- standen wäre schon liegt eine kleine Litieratur darüber vor. Neben bedingungsloser oder begrenzter Zustimmung kamen auch Angriffe, die das kunstvolle Gebäude au& ärgste zu erschüttern drohten: nach dem Willen der An- greifenden sollte bei den neuen Quellen kaum ein Stein auf dem andern bleiben '.

Die Parteien und ihre Gegensätze. Die Aufgabe.

Der litterarische Streit, der seit dem Erscheinen des Spe- culum Perfectionis (1898) ausgebrochen ist, erhält sein Ge- präge nicht nur durch wissenschaftliche Meinungsverschieden-

1) La Lcggenda di San Francesco scritta da Ire suoi Gompagni (Legenda trium sociorum), pubblicata per la prima volta uella vera sua integritk. Rom 1899.

2) Von der für die beiden Rekonstruktionen mebr oder minder günstigen Litteratur ist zu nennen: Cosmo, Riv. stör. ital. III (1896); Tocco im Arcbivio storico italiano, 5. Serie XXIII (1899); Minocchi, ebd. XXIV (1899); Karl Müller in der Theol. Litt-Zeitung 1899; Goetz, Neue Jahrb. f. d. klass. Altert., Gesch. und Litt. 1900. Sammelpunkt der Gegner sind die Miscellanca Franciscana. Im Bd. VII (Foligno 1898/1899) hat vor allem der Herausgeber dieser Zeitschrift! Faloci-Puliguani, den Kampf geführt; neben ihm P. Edouard d'AlcnQon, der Generalarchivar der Kappuziner, und P. Man- donnet alle freilich doch mit mancherlei Zugeständnissen an Sa- batiers Anschauungen. Lebhaften Widerspruch erhob Della Gio- vanna im Giornale stör. d. lett. ital. XXIII (1898). Den schärfsten Angriff gegen die Leg. tr. Soc. (und indirekt auch schon gegen das Speculum Perfectionis) führte van Ortroy aus im Bd. XIX der Ana- lecta Bollandiana (1900). Sabatier hat darauf geantwortet in der Revue historique, T. LXXV (1901).

qUELXEN ZUR OESCHICHTE DES HL FKANZ VON ASSISI. 3G5

heiten. Es spielen Tendenzen hinein, die den alten Gegen- sätzen innerhalb des FranziskanerordenB entsprechen und aui'aerdem durch den religiösen Gegensatz zu dem freien Protestanten Sabatier hervorgerufen worden sind. Je grofser der Einäufa Sabatiers auf katholische Priester, Gelehrte und Laien Italiens und Frankreichs in diesen Fragen wurde, um so lauter haben seine Gegner vor seinen der katholischen Kirche gefiibriichen Anschauungen gewarnt

Die GruppieriiDg der Parteien ist folgende : an Sabatier, den Fuhrer bei der Wiederauffindung alter Quellen, den unermüdlichen Vorkämpfer lür eine von katholiscber Tra- dition unabhängige Wertung des Heiligen, haben sich die heutigen Nachfolger der ehemaligen Spiritualen " des Fran- zi skanerordens angeschlossen ; die Gelehrten dieser Richtung und ihre Organe L'Oriente serafico di S. Maria degli Angeli, Mater Amabilis (di Koma) stehen zwar den mo- dern religiösen Idealen Sabatiers fern , aber sie billigen aua Her zensinter esse das Bemühen, den Heiligen strenger auf- zufassen, als die Kirche und der gröfsere Teil des Ordens ea von Anfang an gethan hat. Blif Eifer gehen sie deshalb allen Zeugnissen nach , die noch vor der kirchlich beeinflufsten Überlieferung zu liegen scheinen und den Heiligen im Gegen- satz zu der schon zu seinen Lebzeiten einreifsenden laxeren Praxis schildern. Machte Sabatier mit der Herausgabe des Speculum Perfectionis den Anfang, so folgten Minoriten dieser strengeren Richtung mit der Rekonstruktion der Le- genda trium Sociorum, die sich enge mit dem Inhalt dea Speculum Perfectionis berührt.

Der rastlose Gegner der ganzen Richtung Sabatiera und seiner Anhänger ist Faloci - Pullgnani in Foligno mit seiner Zeitschrift Miscellanea Franceacana unzweifelhaft ein gewandter Kämpfer und bei seiner Anlage zur höflichsten Grobheit und zur Ironie kein angenehmer Gegner, Neben seiner wissen sc haftlichen Kritik steht sein verletztes kirch- liches Gefühl: Sabatiers „antikatholische" Anschauungen und der an tiki rebliche Radikahsmus einzelner italienischer Nach- folger Sabatiers haben mehr als einmal das abwehrende Ur- teil Fuloci-Puliguanis auf eine falsche Bahn gedrängt. Ivii

Xtii-ciir f. E.-o. ii;r, s. 14

:1

L

366 GOETZ,

wesentlichen schreibt und kämpft er in seiner kleinen Zeit- schrift ganz allein, aber er steht in enger Fühlung mit den italienischen, deutschen, französischen, belgischen geistlichen Gegnern Sabatiers. An wissenschaftlicher Schulung und kri- tischer Begabung sind Männer wie Faloci-Pulignani und der Jesuit van Ortroy den Herausgebern der rekonstruierten Le- genda trium Sociorum und des Oriente Serafico gewifs über- legen und es ist ganz unbestreitbar, dafs sie mit ihren Kri- tiken und Untersuchungen der Franzforschung wertvolle Dienste geleistet haben. Bei dem Kampf für seine An- schauungen mufs sich Sabatier vor allem auf die eigenen Kräfte verlassen, denn ganz ohne Einschränkung hat sich bisher von den kompetentesten Beurteilem, nämlich den kirchlich vollkommen Unabhängigen, doch niemand auf seine Seite gestellt: dafs er den Heiligen allzusehr vom Stand- punkt moderner Religiosität auffasse und seinen Gegensatz gegen die Kirche übertreibe, ist schon früher gegen Sabatier eingewendet worden und ganz so glatt, wie er möchte, liegen die Zweifelsfragen beim Speculum Perfectionis jedenfalls nicht Die sachlichen Gegensätze, wie sie bisher aus der ver- schiedenen Wertung der Quellen entstanden sind, beziehen sich um das für die Quellenforschung Wichtigste herauszugreifen auf folgende Punkte. Sabatier und seine Anhänger nehmen an, dafs bereits zu Lebzeiten des Heiligen eine Spaltung des Ordens in eine strengere und eine laxere Richtung eingetreten sei und dafs der Ordensprotektor Kar- dinal Hugolin von Ostia damals und später als Papst Gregor IX. (1227 1241) die laxere Richtung begünstigt habe. Die auf Veranlassung Gregors IX. um 1228/29 von Thomas von Celano geschriebene Vita prima des Heiligen gilt ihnen deshalb als einseitig und ebenso auch, wenngleich in geringerem Grade, die zweite Vita, die Thomas 1247 verfafste. Sabatiers Gegner weisen jeden Vorwurf gegen Gregor IX. zurück und sehen in ihm den aufrichtigsten Freund des Heiligen, den Förderer seiner Ideeen; sie halten infolgedessen die Berichte des Thomas von Celano für die getreueste Schilderung des Heiligen und wollen von Spal- tungen innerhalb des Ordens zu Lebzeiten des Heiligen nichts

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 367

wissen. Und während Sabatier und seine Freunde Bona- venturas Legende für eine schönfärbende, den geschichtlichen Hergang verwischende Erzählung ansehen, beurteilen die anderen Bonaventura als einen Spiegel der Wahrheit: Fa- loci-Pulignani will * Franz auch fernerhin auffassen, „come ce lo presentö Gregorio IX. e come lo dipinse S. Bonaven- tura" — wie ihn uns Gregor IX. dargestellt und wie ihn der hl. Bonaventura gezeichnet hat.

Für Sabatier hat jetzt das nach seiner Meinung von Bru- der Leo 1227 geschriebene Speculum Perfectionis aufs klarste gezeigt, wie wenig zuverlässig Thomas von Celano und Bona- ventura gearbeitet haben, und die rekonstruierte Legenda trium Sociorum verstärkte Sabatiers Beweise; die Gegner lehnten aber die Echtheit oder doch die Autorität der beiden neuen Quellen ab und setzten ihre Entstehung in eine viel spätere Zeit, so dafs sie keinesfalls an Wert mit Thomas von Celano oder Bonaventura konkurrieren könnten.

Diese Meinungsverschiedenheiten fordern zu einer be- stimmten Entscheidung heraus; die Geschichte des Heiligen mufs der vollkommenen Unsicherheit, in der sie sich infolge dieser Gegensätze befindet, wieder entrissen werden.

Der Versuch, einige annehmbare Ergebnisse festzustellen, soll hiermit gemacht werden ; vielleicht ist das Wagnis einer Klärung der strittigen Fragen geeignet, voller Zersplitterung der Meinungen vorzubeugen. Denn aussichtslos erscheint ein solcher Versuch nicht.

Das Schlimmste bei solchem Unternehmen ist, dafs kri- tische Ausgaben der wichtigsten Quellen noch fehlen : einzig das Speculum Perfectionis Sabatiers ist ein vortreflfliches unschätzbares Hilfsmittel für vergleichende Quellenarbeit. Weit weniger bietet in dieser Hinsicht die rekonstruierte Legenda trium Sociorum, und die Legenden des Thomas von Celano liegen bisher nur in Ausgaben, die zu Er- bauungszwecken bestimmt sind, vor ausgenommen den über die Wunder handelnden Teil der Vita secunda, der in den Analecta BoUandiana XVIII (1899) durch van

1) Miscellanea Francescana VII, p. 172.

24*

368 QOETZ,

Ortroy zum ersten Male gedruckt und aufs sorgfältigste kommentiert worden ist Aber diesen einen Abschnitt aus- genommen fehlt es für die beiden Lebensbeschreibungen des Thomas noch an einem gesicherten Texte P. d'AIen9on bereitet y wie man hört, eine kritische Ausgabe vor. Für Bonaventura giebt die sonst vortreffliche neue Ausgabe in den Opera Bd. VIII (Quaracchi 1898) nicht ganz, was man für unsere Untersuchungen haben möchte: es wird im einzelnen (und das ist das Notwendige) nicht angegeben, welche Vor- lagen Bonaventura jeweilig benutzt hat.

Das sind Schwierigkeiten, die eine volle Lösung der Auf- gabe verzögern; aber zu warten, bis sie alle beseitigt sind, hiefse das mögliche Gute um des Besten willen versäumen und das Urteil über Franz von Assisi noch für eine gute Weile im Unsichem lassen. Die Aufgabe, die durch die nachfolgen- den Untersuchungen zu lösen versucht wird, ist die Wertung der vorhandenen Quellen: die Feststellung vor allem der ältesten und der Abhängigkeitsverhältnisse der späteren.

Giebt es Aufzeichnungen von Franz selber ? Ist das Specu- lum Perfectionis der früheste und intimste Bericht über den Heiligen ? Ist die Legenda trium Sociorum in der alten Form und in der Rekonstruktion eine wertlose Kompilation? Ist die erste Vita des Thomas von Celano ganz unparteiisch und zu- verlässig, ist die zweite die selbständige Ergänzung der ersten und von der gleichen Zuverlässigkeit? Schreibt Bonaventura als wahrheitsuchender Geschichtsforscher oder als Vertreter einer Partei, die die Lebensideale des Heiligen abschwächen wollte? diese Fragen geben die Gliederung der nach- folgenden Untersuchungen.

L Eigne Aufzeichnungen des hL Franz.

Von dem, was Franz selber geschrieben hat, mufs bei der Beurteilung der späteren Überlieferung ausgegangen wer- den. Was er selber geschrieben, ist der einzige zuverlässige Mafsstab für die Treue dieser Überlieferung. Es ist ein schwerer Fehler der Gegner Sabatiers, dafs sie wie z. B. Faloci - Pulignani ^ den Wert der Legenden Ce-

1) Miscell. Franc. VII, p. 145 sqq.

QUEIXEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 369

lanos und Bonaventuras bestimmen wollen, ohne auf die eigenen Aufzeichnungen des Heiligen irgend welche Rücksicht Bu nehmen. Es genügt nicht nachzuweisen^ dafs Bonaventura in guter Absicht schrieb; wichtiger ist zu zeigen, dafs seine Auffassung die geschichtlich richtige ist; diese Richtigkeit läfst sich zum guten Teile nur an demjenigen, was wir von Franz selber besitzen, prüfen.

Lange 2^it sind diese Selbstzeugnisse Franzens von der gelehrten Forschung nicht hoch eingeschätzt und kaum ver- wertet worden; Sabatier hat zuerst ihre Bedeutung betont und einiges davon genauer untersucht Aber was als „Werke" des hl. Franz überliefert ist, entbehrt von der Ordens- regel abgesehen noch einer zusammenhängenden kriti- schen Untersuchung.

Wadding hat zuerst zusammengestellt, was unter Franzens Namen ging, ohne eine Sichtung dieser Überlieferung vor- zunehmen. Alle späteren Ausgaben der „Werke" beruhen auf Wadding und sind noch genau so unzuverlässig, wie es diese erste Ausgabe leider ist \ Nur für das Testament, für einige Briefe und den Sonnengesang liegen Einzelunter- suchungen und Einzelausgaben vor: das meiste dankt man auch hierbei Sabatier, manches Faloci - Pulignani und P. Ed. d'Alen9on.

Die Ausgaben der Werke des Heiligen enthalten alle gleichmäfsig folgendes: 17 Briefe, 27 Admonitiones, einige kleinere Stücke verwandten Inhalts und Gebete, das Testament, die sogen, erste (1221) und zweite (1223) Regel, die Regel für die Klarissen, die 28 Collationes monasticae, die Dich- tungen, die Apophthegmata, Colloquia, Prophetiae, Parabolae und Exempla, die Benedictiones und die Oracula et sententiae communes.

Durch die älteste Überlieferung beglaubigt ist davon nur das allerwenigste. Dafs Franz Regeln aufgeschrieben hat, dafs es Briefe von ihm gab, dafs er geistliche Lieder (Laudes)

1) Opuscula b. Francisci Assisiatis, ed. Wadding, Antwerpen 1623. Die übrigen Ausgaben sind zusammengestellt bei Thode S Sabatier, Vie de S. Fran^ois (1894), p. XXX VI.

370 GOETZ,

verfafst hat, dafs er ein Testament hinterliefs; berichten die Quellen ; aber die echte Form dieser Aufzeichnungen oder wie bei den Regeln Franzens Anteil an der endgültigen Fassung ist nicht so leicht zu bestimmen. Für die anderen angeblichen Werke des Heiligen fehlt es fast durchgängig an einer Beglaubigung aus früher Zeit. So heifst es Schritt für Schritt vorzugehen, um im kleinsten zunächst einmal festen Boden zu gewinnen und damit einen Ausgangspunkt für alles Weitere.

1. Autographen des Heiligen.

Was sicher festgestellt werden könnte als von Franz mit eigener Hand geschrieben, wäre, falls ein wertvoller Inhalt hinzukäme, gewifs das kostbarste Zeugnis für die An- schauungen des Heiligen. Thatsächlich werden drei Schrift- stücke als Autographen bezeichnet : die sog. Benedictio Leonis, die auf der Rückseite derselben geschriebenen Landes Dei (Assisi, im Sacro Convento), und ein kurzer Brief an Bruder Leo (seit 1895 im Vatikan).

Die Echtheit dieser Autographen ist nicht unbestritten geblieben * ; aber seit sich hinsichtlich der Benedictio hervor- ragende deutsche und französische Palaeographen (Watten- bach, W. Meyer, Dziatzko, Borger) bei einer neuerlichen Anfechtung 1895 und 1896 für die Echtheit ausgesprochen haben ein Urteil, das auch Prof. Seeliger-Leipzig mir be- stätigt hat erscheint an diesem Punkte ein Zweifel doch wohl ausgeschlossen : die Schriftzüge passen durchaus in die fragliche Zeit. Damit werden auch die Landes Domini der Rückseite, die Bruder Leo als zugehörig beglaubigt hat und die schon Thomas von Celano in seiner 2. Vita (H c. 18) 1247 in diesem Zusammenhange mit der Benedictio erwähnt, als eigenhändig bestätigt sie sind freilich in arg verderbtem

1) Vgl. Faloci-Pulignani, Gli autografi di S. Francesco (Mise. Franc. VI, p. 33—39, mit Faksimile- Abbildungen, 1895); Ders , La Calligrafia di S. Francesco (ebd. Vil, S. 67—71, 1898. Dabei weitere Litteraturangaben !). Sabatier, Speculum Perfectionis , p. LXVIUsq. LXXlIIsqq.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES IIL. FRANZ VON ASSISI. 371

Zustande. Das Urteil über den dritten Autographen, den Brief an Leo, ist viel weniger gesichert. Zwar haben sich sowohl Faloci-Pulignani wie Sabatier mit vielerlei Gründen fiir die Echtheit ausgesprochen; aber paläographische Bedenken nicht gegen den zeitlichen Charakter, wohl aber gegen den Duktus der Handschrift, der mit der Benedictio nicht über- einzustimmen scheint müssen erwogen werden. Auf den ersten Blick erscheinen die beiden Handschriften der Benedictio und des Briefes ganz verschieden: die Benedictio ist mit monumentalen, ganz vertikal und einzeln stehenden Buch- staben geschrieben, der Brief an I^eo hat etwas schräg ge- stellte , vielfach miteinander verbundene und viel weniger bestimmte Buchstaben. Die Laudes stehen in der Mitte zwischen beiden: sie haben keine so monumentalen Züge und in den unteren Zeilen etwas schräg gestellte Buchstaben. Nun zeigen aber die Buchstaben im einzelnen auf allen drei Schriftstücken in ihrer Bildung eine starke Ähnlichkeit: vor allem das e, das t, das d, das r, das a, das s, femer die Abkürzung für et, so dafs ich mich doch dem Glauben an die Echtheit auch des dritten Autographs zuneigen möchte lassen doch auch innere Gründe den Brief als echt erscheinen (vgl. darüber unten). Der verschiedene Duktus der Hand- schrift ist vielleicht erklärbar: die Benedictio war eine feierliche Kundgebung des Heiligen für seinen vertrautesten Jünger daher die monumentale Form. Auch die Laudes Domini tragen aus natürUchen Gründen ein ähnliches, wenn auch längst nicht so monumentales Aussehen: die Aufzeichnung dieses Gedichtes geschah, bei Franzens Natur, jedenfalls auch in einer gehobenen Stimmung, wie die Beischrift Leos zu- dem beweist. Der Brief an Bruder Leo ist dagegen, wie sein Inhalt zeigt, rasch hingeworfen; ob sich dadurch nicht die Verschiedenheit der Züge erklären liefse? *

Eine vollkommene Gewifsheit wird niemand zu geben

1) Sabatiers Vermutung (Speculum Perfectionis , p. LXXIV Note), dafs die Handschrift des Briefes später vielleicht nochmals übergangen worden sei, will mir nicht recht einleuchten; ich vermag an dem Fak- simile keine Spuren davon zu erkennen.

372 GOETZy

Termögen, aber die Echtheit ist aus den angeführten Gründen doch recht wahrscheinlich ^

Sind nun auch diese drei Autographen echt, und bieten sie auch für drei Einzelfälle wertvollen Aufschlufs die Benedictio fiir die Stigmatisation^ die Laudes für den Dichter Franz, der Brief an Leo fiir eine Episode aus der letzten Zeit des Heiligen so reichen sie doch keineswegs aus, einen Mafsstab abzugeben zur Beurteilung der Überlieferung. Was sie enthalten, ist viel zu. dürftig, als dafs wir Allge- meineres daraus lernen könnten. Sie bleiben lediglich in einem begrenzteren Sinne die ursprünglichsten Stücke der Überlieferung.

2. Das Testament

Von allen anderen Aufzeichnungen, die auf Franz zurück- geführt werden und fiir die eine autographische B^laubi- gung nicht vorliegt, stelle ich das Testament an die Spitze der weiteren Untersuchungen: es ist wichtiger als alle anderen Stücke und seine Echtheit erscheint am besten b^laubigt K

Dafs Franz in einem Testamente seine Anschauungen aufzeichnete, ist sicher merkwürdig, denn es handelt sich bei solcher Kundgebung persönlicher Meinungen um etwas für die damalige Zeit noch Ungewöhnliches die letzten Staufer stellten wohl zuletzt in Testamenten ihre politischen Pro- gramme auf.

Es kann dennoch kein Zweifel bestehen, dafs Franz ein Testament hinterliefs ^. Auch wenn man das Zeugnis des Speculum Perfectionis ganz bei Seite läfst, so giebt doch den

1) Ich verdanke auch in dieser Frage Herrn Prof. Seeliger-Leipzig paläographisch - fachmännischen Rat und die Zustimmung zu dem End- ergebnis der obigen Ausführungen.

2) Untersuchungen über das Testament bei Sabatier, Speculum Perfecti^ois (vgl. das Register!). Wertvoll sind die Aufsätze von Loofs, Das Testament des Franz von Assisi. Chiistl. Welt 1894, Nr. 27, 28, 29.

8) Bezweifelt wurde es von Hase, Franz von Assisi, S. 136 und Renan, Nouvelles £tudes d'hist. relig., p. 247; verteidigt von K. Mül- ler, Anfänge, S. 109 und von Sabatier. Vgl. auch Ehrle, Arcb. f. Litt. u. K.-G. 111, S. 571.

QDELLEB ZL'B QEBCHICHTE DES HL. FRANK VON ASSISl. 373

ersten Beweis schon 1229 ThomaB von Celano in der Vila prima I c. 7: „sicut ipae [FraiizJ in teBtamenCa suo loqui- tur . . . ," (iolgt ein Citat aus dem Testamente) ; den zweiten die Bulle Giegors IX. „Quoelongati" vom 28. September 12^0, wo das Testament zweimal ausdrücklich erwähnt wird '.

Aber zugegeben, dafs Franz ein Testament hinter- liefs ist das uns überlieferte auch wirklich das echte V*

Folgendes spricht dafür. Die soeben erwähnte Stelle au» der ersten Lebeosbesehreibung des Thomas von Celano I c. 7 giebt ein Citat nus dem Testamente, Am genau so am An- fang des uns überlieferten steht. Ein anderes wörtliches Citat aus dem Testamente jedoch ohne dafs Thomas ea nennt steht in I, c. 5 („sola tunica erant contenti, repe- tiata quandoque intua et foris." Vgl. dazu die gleichlautenden Worte beiäabatier, Speculura Perfectionis, p. 310). Und in I, c. 6 wird der Anfang des Gebetes citiert, das Franz den Brüdern gelehrt hatte; es stimmt mit dem Gebete am Anfang des Testamentes überein.

In der zweiten Vita des Thomas von Celano III c. 99 heifst es von Franz : fecit enim quandoque gencraliter ecribi " nod dann folgt fast wörtlich ein Satz, der auch itn Testamente steht (Sabatier a. a. O. S. 310, Z. 17—19).

Julian von Speier, der im AnBchlufB an die erste Vita

1] Sabatier, S|>eculum Perfeclionis, p. 315.

2) HaDi]sch[ift»i; Codex Muzarinus 989 von 1459/60; Bologna, UaiT.-Bibl. Cutl. :;!6'I7 vou 1G03; Cod. VatJcanus 4354 uud 7650; Aa< ■isi. Ha. 338 (danach der Abdruck bei Sabatier, Speculum Peifpclio- nis, p. 309—313); Florenz, Cod. Magliab. XXXVUI, 52; Cod. RiccariL 140T TOD 1503; Florenz, Hb. des Klosters Ognissanti. Die Handschrift von Assisj mOchte Sabatier, ohne dalä doch palüograpfaische Gründe flber- seugeod dafOr zu sprechen scbeinen. in die Zeit um U40 setzen [Vie de S. Frani^is. 1S91, S. XLl u. STOJi Ebrle, Arohit I, S. 434 setzt sia ins 14. Jahrhundert. In jeder der genannten Handschrifien sieht das Testament neben zahlreichen früheren und späteren Quellen zur Ge- ichichte des Heiligen. Über die vorhandenen Drucke und die Lesarten Tgl. Sabatier, Speculum Perfecljonis, p 309, Note 1 und p. 313, Kote 2. Die Abweichungen der eiazeliien Handschriften und Drucke sind filr den Inhalt ohue Bedeutung. Auf Grund der handacbriftlicben Cber- lieleruag ist aber die Ecbtheit kaum etwas zu sagen.

374 GOETZ,

des Thomas zwischen 1233 und 1235 eine Legende des Heiligen schrieb^ erwähnt Franzens Grufs ;,Dominus det tibi pacem", den ihm der Herr gelehrt habe („Domino relevante"), und fugt hinzu: ,^icut postmodum ipse testatus est'' (Acta Sanctorum^ Oct. II, p. 579, n. 182); dabei hat Julian wohl sicher das Testament im Auge gehabt, denn es enthält die Worte: „Salutationem mihi Dominus revelavit, ut diceremus: Dominus det tibi pacem" (Sabatier S. 311) ^

Es spricht weiterhin für die Echtheit des vorhandenen Testamentes, dafs die päpstliche Bulle von 1230 zwei SteUen desselben in indirekter Rede wiedergiebt, die mit zwei wich- tigen Punkten des vorliegenden genau übereinstimmen (vgl. Sabatier S. 315 mit S. 311 und 312)*.

Es sind mit Absicht zunächst die Erwähnungen des Testamentes im Speculum Perfectionis und in der Legenda trium Sociorum nicht zum Belege herangezogen der Wert dieser beiden Quellen soll erst in den nachfolgenden Untersuchungen festgestellt werden und so mögen sie hier bei Seite bleiben. Die angeführten sechs Citate, von denen sich die zwei letzten auf die beiden um ihrer strengen Ten- denz willen wichtigsten Stellen des Testamentes beziehen (Ab- lehnung päpstlicher Privilegien für den Orden und Verbot jeder Glossierung der Regel) erscheinen ausreichend für den Schlufs, dafs wir in dem vorhandenen Testamente das echte zu sehen haben das echte wenigstens dem wesentlichen Inhalte nach ^.

1) Fast wörtlich nach Julian von Speier giebt Bonaventura, Vita major c. III, n. 2 diese Stelle (Opera VIII, p. 510, ed. Quaracchi, 1897); er kann deshalb als selbständiger Zeuge für das Testament, das er ganz ignoriert, nicht in Betracht kommen. Die Worte „sicut pere- grinae et advenae*\ die Bonaventura c. VII, n. 2 hat, klingen ebenfalls an das Testament an (Sabatier, Spec. Perf., p. 311).

2) Zugleich weist die Bulle noch allgemein auf andere Bestim- mungen des Testamentes hin, quae non possent sine multa difficultate

servari '*.

3) Dafs von den fünf Citaten des Speculum Perfectionis nur drei mit dem Testamente übereinstimmen, während die zwei anderen (c. 9 und c. 55) nicht darin stehen, ist eine Schwierigkeit, gleichviel ob man die Abfassung des Speculum Perfectionis in frühere oder spätere Zeit

QUELLEN ZUß GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 375

Diese AufTassung wird verstärkt durch innere Gründe. Die Ausdrucksweise des Testamentes ist ungekünstelt , ja unbeholfen sowohl der Ausdruck im einzelnen als die Verbindung der einzelnen Sätze ^ die fast durchgängig mit „Et" geschieht, so dafs die ungefeilte Niederschrift des ge- sprochenen Wortes vorzuliegen scheint. Das elegantere Lateinisch der Gelehrten ist es nicht, sondern die ungeschickte Sprache des Ungelehrten. Ob eine spätere Fälschung den Heiligen nicht in besserem Lateinisch hätte schreiben lassen?

Ungekünstelt ist auch die Disposition des Testamentes: lose sind eine Reihe von Gedanken nebeneinander gestellt, die mit einem Rückblick auf den Anfang seiner Thätigkeit beginnen, dann ein Gebet bringen, die Verehrung für die Priester der römischen Kirche und für den Leib des Herrn, auch für die Theologen, dann erst die Ordensideale mit mahnenden Erläuterungen dazu und dem Grufs „Der Herr gebe dir Frieden" dazwischen; vor den letzten stärksten Mahnungen zur Einhaltung der unveränderten und unge- deuteten Regel und des Testamentes noch eine längere Abschweifung über die Pflicht des Gehorsams und die Be- strafung des Ungehorsams. Diese Anordnung des Testamentes ist vergleichbar mit seiner Sprache : wie Franz die Gedanken im Augenblick aussprach, sind sie aufgezeichnet worden.

setzt. Das erste Citat (c. 9) enthält allerdinnfs nur eine Erläuterung zu <»iner Stelle des Testamentes über die Ausiedlun<ien der Brüder, und die zweite (c. 55), die Ermahnung zur Verehrung der Portiuncula, kann infolge der verschiedenen Lesarten auch als unausgeführte Absicht, etwas darüber in das Testament zu setzen, gedeutet werden. Sabatier nimmt an, dafs Franz mehrfach in entscheidenden Krisen seines Lebens ein Testament gemacht habe (Speculum Perfectionis, p. XXXIII, Note 2); dafs er aufser dem vorhandenen noch einmal ein anderes diktiert hat, beweist Speculum Perfectionis, c. 87 ein Testament, das mit dem vor- handenen und dem in der Bulle von 1230 genannten nicht übereingestimmt haben kann. Lediglich an verschiedene Lesarten desselben Testa- mentes zu denken, wird durch die vorhandenen, nur in einzelnen Aus- drücken voneinander abweichenden Handschriften (s. oben S. 373, Anm. 4) nicht unterstützt. Auch für die hl. Klara und ihre Schwestern soll Franz testamentarische Aufzeichnungen hinterlassen haben (Sabatier

376 QOKTZy

Auch hier darf man behaupten, dafs eine spätere Fälschung bestimmter disponiert haben würde.

Vor allem aber enthält das Testament Qedanken, die bei einer späteren tendenziösen Zusammenstellung wohl kaum nebeneinander gestellt worden wären: die so stark betonte Verehrung für jeden, auch den geringsten Priester der Kirche und die Warnung vor jeglichem Privileg der Kurie. Auch das Betonen der Handarbeit pafst nicht mehr in eine spätere Zeit.

Es vereinen sich äufsere und innere Gründe, das Testa- ment als ein echtes Dokument des Heiligen zu kennzeichnen.

Es ist damit eine feste Grundlage gewonnen. Denn so wenig ausführlich dieses Testament auch ist, so fafst es doch gedrängt zusammen, auf was es Franz für die Zukunft seines Ordens ankam und an welchen Idealen seine Seele felsen- fest hing. Auf das, was er gewollt, aber auch auf einzelnes, was er gethan hat, und auf anderes, wofiir er offenbar kämpfen mufste, fallen helle Lichter, und ich nehme an, dafs jede andere Überlieferung über Franz an diesem gesicherten und sein Innerstes aufschliefsenden Dokumente geprüft werden mufs. Es fallt ins Gewicht, dafs die zweite Vita des Thomas von Celano das Testament nur einmal streift (s. o. S. 374) und dafs Bonaventura es gar nicht mehr zu kennen scheint, obwohl er doch aus der ersten Vita des Thomas von seinem Vorhanden- sein wissen mufste ganz abgesehen von der Rolle, die das Testament bei den inneren Streitigkeiten des Ordens gespielt hatte * die strengen Forderungen des Testamentes sind eben später und vor allem zur Zeit der Spiritualenkämpfe bei der Mehrheit des Ordens nicht mehr populär gewesen.

Die Datierung des Testamentes ist nicht bestimmt zu geben. Dafs es erst in den lezten Jahren seines Lebens auf- gesetzt ist, liegt in der Natur der Sache; aber ich wage doch nicht, wie Sabatier thut *, es in die allerletzte Zeit

1) ArchiT f. Litt. u. K.-G. III, S. 168.

2) Vie de S. Fran^ois (1894), p. 384. Die Stellen im Speculum Perfectionis sprechen zum Teil von der Zeit „circa mortem**. Diese Zeit dehnte sich über Jahre hin die Auflösung des ganz zerstörten Körpers vollzog sich nur langsam.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 377

Tor seinem Tode zu setzen. Es liegt noch nicht die Ab- schiedsstimmung über diesen Gedanken verspricht doch Franz darin, dem Generahninister und dem Guardian ; den man über ihn (Franz) setze , streng zu gehorchen und stets einen Kleriker f)ir das officium bei sich zu haben; er schärft den Brüdern die Handarbeit ein, wie er selber noch arbeiten wolle. Man kann nicht mehr sagen, als dafs im Testament ein Zeugnis seiner letzten Jahre vorliegt K

1) So auch Loofs, Christi Welt (1894), S. 689 mit dem Hinweis auf die Bulle Quo elongati: „Franciscus . . . mandavit circa ultimum yitae suae, cuius mandatum dicitur Testamentum . . .'^ (Sabatier, Speculum Perfectionis, p. 315).

Studien zur Yersöhnungslehre des

Mittelalters.

Von

J. Gottschick,

Professor der Theologie In Tübingen.

In der Zeitschrift für Theologie und Kirche 1901, S. 97 bis 213 habe ich eine Untersuchung über ^^Augustins An- schauung von den Erlöserwirkungen Christi'^ yeröffentUcht, welche aus dem Bestreben erwachsen war^ ein deutliches Bild von den geschichtlichen Voraussetzungen für Luthers Auflassung der Versöhnung zu gewinnen. Da Luther sich in Bezug auf das ^^Werk Christi '^ keines Gegensatzes zu der mittelalterlichen Theologie bewufst ist, sondern in der Haupt- sache nur neue praktische Folgerungen aus dem allgemein Geltenden zieht; so ist ein solches Bild der ,; Kirchenlehre'' die Voraussetzung des richtigen Verständnisses Luthers. Im Gegensatz zu der bei den protestantischen Dogmenhistorikem überwiegenden Anschauung ^ dafs es vor Anselm keine zu- sammenhängende Anschauung von der Versöhnung durch Christus gegeben ; dafs insbesondere Augustin eine solche nicht besessen und dafs sich auch fiir eine solche keine organische Stelle in seiner Gesamtanschauung finde , hatte sich mir ergeben ^ dafs er in verschiedenen Formen und in enger Verbindung mit seinen sonstigen Gedanken eine An- schauung über die Versöhnung Gottes durch Christus bekundet, die ganz in der Linie Anselms liegt und an die Anselm seine Gedanken direkt anknüpft. Hier kommt es mir nun darauf an, die begonnene Vorarbeit fiir das Verständnis

STUDIEN ZDK V KBSÖHNUNH8LEHRE DES MITTELALTERS. 379

Luthei-B ZU Ende zu fuhren. Auch fdr das Mittelalter fehlt es an einem Gesamtbilde der Voraussetzungen Luthers. So- dann bin ich ira einzelnen au manchen Punkten zu Ergeb- nissen gekommen, die von den gangbaren abweichen. Zu- nächst soll an Bernhard von Clairveaux, Wilhelm von Thierry, Abälard, Hugo von St. Viktor, Robert Pullua das Fortwirken der von mir bei Augustin aufgewiesenen Anschauungen unter BerUckflitihtigung des Verhältnisses zu Anselm aufgezeigt werden. Bei der Bedeutung, die Bernhard Tür Luther hat, steht auch dieser Abschnitt zu dem letzten Ziel dieser Studien nicht aufser Beziehung. Sodann soll nach Erörterung der Meinung des Lombarden und im Anschlufa an die von ihm dargebotenen und für die Folgezeit mafagebend gewordenen Schemata ein Durchschnittsbild der Versöhnungslebre der Scholastik gezeichnet werden.

L Ich rekapituliere in der Kürze die Gedanken August ins',

wie ich sie in dem oben angeführten Aufsatz dargestellt habe '. Christus der Gottmensch vollbringt als Mittler die Versöhnung zwischen dem gerechten Gott und den durch die Sünde von ihm getrennten und deshalb todverfallenen Menschen. Zwar liebt Gott die in Christus Erwählten schon

I) Das Kolgeniie war längst geschrieben, als mir das ((kichzeiüf; mit meinem Augustinaufsatz erschienene Buch von Otto Scheel: Die Anscbauung Au^uslins über Christi Persoa und Werk (Tftbingen und Leipzig, 1901) zukam. Scheel ist nicht zu den gleichen Ergebnissen gelangt wie ich. In Übereinstimmung mit Loofs und Huruitck urteilt er haiiptsächlicb auf Grund der Wertung des NeupUtnniscIien als des Ausschlag gebenden Elementes inAuguelin, dafs „anselmisrhe Gedanken- gänge Augualin fernlagen", S. 33G. Da er die vnn mir versuchten Be- weise nicht im Toraus widerlegt, auch manche Tbatsachen, auf die ich mich stütze, nicht in Betracht gezi'gea hat, so hat die durch sein Werk Teranlafste Nachprüfung meiner Ergebnisse mich an diesen nicht irre gemacht. Im übrigen ist seine und meine Untersuchung tcu sehr ver- schiedenen Gesichtspunkten aus unlernommea; Die seine im Interesse, den Gang der Entwickelung Augustins und den Wert, den die ver- schiedenen Gedanken für das eigentlich Augustinischc in Augustin haben, festzustellen; die meine in dem Interesse, zu erkennen, was die SpJiteren, denen er Autorität und Fahrer war, bei ihm finden keimten.

380 GOTTSCHICK,

Ton Ewigkeit her und von einer Gemütsbewegung des Zornes in ihm ist keine Rede. Aber die^ welche er von jeher liebt, sofern er sie in ihrer von ihm geschaffenen Natur und nach ihrer Bestimmung anschaut, „hafsf er, sofern sie böse ge- worden sind, und verhängt wegen dieses Hasses oder MUb- fallens als der gerechte Ordner des Weltalls die Strafe des zeitlichen und ewigen Todes über sie. So kann er zwar nicht in seiner Gesinnung, wohl aber in seinem Verhalten anfangen, sie zu lieben. Nun hat er als der Allmächtige un- endlich viele Wege zur Herstellung des Menschengeschlechtes. Den von ihm gewählten Weg aber, den durch Menschwerdung und Tod des Gottessohnes, hat er eingeschlagen um seiner besonderen Zweckmäfsigkeit willen. Derselbe ist zweck- mäfsig einmal, weil er der Gerechtigkeit Gottes besonders ziemt, sodann sofern er auf uns vielfach heilsam wirkt, in uns Hoffnung und Gottesliebe, Erkenntnis der Gröfse der Sünde und Demut zu erwecken, uns ein Vorbild zu geben besonders geeignet ist In Gott gehören Barmherzigkeit^ die umsonst giebt, und Gerechtigkeit, die nach den Ver- diensten vergilt, so untrennbar zusammen, dafs keine von ihnen sich bethätigt, ohne dafs zugleich die andere in irgend welchem Mafse auch wirksam würde. An dieser Regel hat Augustin thatsächlich auch sein Verständnis der ge- schichtlichen Erlösung orientiert. Der Tod Christi hat die Bedeutung, Gott, den durch die Sünde Adams, die ein Ve^ such seine Gottheit zu rauben war. Beleidigten und im ge- nannten Sinne allen Nachkommen Adams Zürnenden, za versöhnen, d. h. die Vergebung der Sünden oder die Auf- hebung des Verdammungsspruches, des reatus poenae, iur diejenigen zu erwirken, die durch die Taufe bezw. Glaube, Liebe, Hoffnung, Glieder des Leibes Christi sind und durch die Bufse für die erneute Sünde sich als solche erhaltend Die Vergebung ist aber immer als Wiedergeburt, als ein Mafs realer Tilgung der Sünde, als der Anfang der Gerecht- machung gedacht und giebt die Gewähr, dafs die Bitte um

1) Synonym ist die bildliche Bezeichnung der Kirche und ihrer Glieder als der Braut Christi und als der Verwandten und Brüder Christi.

BTDDIEIf ZUR VKRSÖHNLINGSI,EIIBE DES MITTELALTEBS. 381

immer neue gnadenweise Inspiration von Gerechtigkeit er- füllt werde Versöhnende Kraft hat der Tod Christi, sofern er als der freiwillige Märtyrertod, welchen der kraft seiner Geburt aus der Jungfrau makellos Gerechte und deshalb von der Verbindlichkeit zu sterben Freie im vorbildlichen Gehorsam gegen Gott freiwillig übernahm, merito die Er- lösung der Glieder seines Leibes von Sünde, culpa, und ewigem Tod, reatus poenac, nach sich zieht. Diesen der Ge- rechtigkeit entsprechenden Zusammenhang drückt Augustin in verschiedenen, untereinander synonymen, auch ineinander übergehenden Daratellungsl'ormen aus. Christus hat Gott das zu unserer Versöhnung oder Reinigung erforderliche Opfer gebracht. Er hat unsere f^chuld (debitiini) bezahlt: quae non rapuit, exsolvit Pa. 68, 9. Suscipiendo poenam et non sua- cipiendo culpnm ' et culpam deJevit et poenam. Diese drei Formeln besagen dasselbe. Augustin versteht die versöhnende Wirkung des stellvertretenden Todes Christi nach Analogie der Bufse, die ihm als Upfer, Selbstdarbringung, speziell öelbst- demütigung und Selbstbeatrafung und insofern als satisi'actio, aktive Ersatzleistung für die Gott zugefügte Kränkung, den i^tralertafs verdient. Zwar redet er nach Jea. 53, 4 ; 1 Petr. 2, 24 davon, dafa Christus unsere Sünde oder die Strafe derselben getragen; aber dabei denkt er io keiner Weise an ein Leiden, das lür ihn Erleiden eines Gerichtes Gottea gewesen wiire. Gott hat Christus in keiner Weise verlassen. Der Tod kommt als aktive, wenn auch poenale, schmerzliche Leistung an Gott, als Zahlung in Betracht. Die Analogie der Geld- strafe beherrscht den Gedankcnzuaamnienliang, den Bestim- mungen des römischen Rechtes bei Beleidigungen entsprechend. Der zeitliche Tod Christi ist es, der die Seinen vom ewigen befreit. Obwohl Augustin den Ausdruck satisfactio noch

1) Das Verständnis der UeeritTe culpa imJ delülin ciiliJac Aiipustiu lind in der mittel altei liehen Theologe wird uns durch die Kin- mischunii unseres Beiiiifies vun Schuld erschwert. In diesem steckt stets eine ideelle RFlation: Schuld bedeutet uns StrafwÜrdigkeit, und die damit Gott peijenüber dedcbene Verfallenheit an die Strafe, dort bedeutet culpa die Süude selbst und ihre realen Folgen im Subjekt, Schuld in uuseieu Sinnig ist roeritum, dtbituin, leatus, obligatio.

z,it,cbr(. K..0 IXH, ä, ab

382 GOTTSCHICK,

nicht asor Bezeichnung des Heilswertes des Todes Christi braucht, versteht er diesen doch bereits in ganz demselben Sinne wie Ansehn. Indem dieser den Ausdruck satis&ctio auf Christi Tod anwendet, führt er als Synonyma zu satis- factio pro nobis die beiden Augustinischen Formeln „quae non rapuit, exsolyif' und „solvit quod non debebaf fort Das wirk- lich Neue bei ihm ist nur die Steigerung der convenientia dieses Weges der Erlösung zur necessitas und die Bestim- mung des erforderlichen und bei Christus vorhandenen Wertes der satisfaktorischen Leistung als eines unendlichen ^. Im unklaren bleibt es bei Augustin, inwiefern der Tod Christi neben der Aufhebung des reatus auch die der culpa, die reale Entsündigung, die sich durch die Taufe vollzieht, be- wirkt habe. Verständlich hat er nur gemacht, dafs der Tod Christi ein Erkenntnisgrund für die Absicht Christi ist, uns seine Güter, also auch die Gerechtigkeit zu schenken (Quomodo nobis non dabit bona sua, qui passus est mala nostra). Neben der Versöhnung mit Gott oder der Befreiung von Sünde und ewigem Tode spielt bei Augustin die Er- lösung von der Gewalt des Teufels eine Rolle. Es waltet aber grofse Mannigfaltigkeit der Darstellung und deshalb Unklarheit ob. Das eine Mal vollzieht sich fUr Augustin jene Erlösung unmittelbar mit der von Sünde und Tod. Die innere Gewalt des Teufels über den Willen des Sünders ist mit der Vergebung oder Wiedergeburt gebrochen: er kann nur noch von aufsen versuchen. Die Gewalt aber, die er als praepositus mortis oder supplicii exactor hat, fallt mit der Versöhnung mit Gott; denn sie haftet an der Sünde. Daneben aber führt Augustin die alte Vorstellung von einer pseudorechtlichen Befreiung aus der Gewalt des Teufels fort,

1) Die Ansicht Cremers, dafs Anselm durch das germanische Recht grundlegend heeinflufst ist, wird hierdurch hinfällig. Die AltematiTe „aut satisfactio aut poena*^ liegt schon hei Tertullian vor (vgl. Ztschr. f. Th. u. K., 1901, S. 140). Auch für die Brüder und Verwandten Christi als die, denen seine Leistung zu gute kommt, hedarf es der ger- manischen Idee der Sippe nicht zur Erklärung. Schon für Augustin ist die Solidarität Christi mit diesen ein Synonym der Solidarität, die zwischen Christus, als dem Haupt, und seinen Gliedern besteht (ebd. S. 169.)

STUDIEN ZUR VEBSÖHNUMOSLEHRE DES UITTELALTEKS. 383

aber in unsicheren Begriffen. Er wagt nicht zu behaupten, dals der Teufel ein Recht auf den Menschen habe, sondern nur, dafa die Knechtschaft unter ihm für den Menschen ein gerechtes Geschick, eine Folge gerechten Zornes Gottes sei. DaTs der Teufel das Blut Christi als Lösegeld empfangen habe, sagt er nur einmal; sonst knüpft er die Vergebung oder die Befreiung aus der Gefangenschaft an das Vergiefaen des Blutes Christi als Lösepreis, ohne den Emptanger zu □ennen. Er braucht das Bild von dem Eöder des Fleisches Christi, durch den der Teufel getäuscht ihn in den Tod ge- bracht, bezieht es aber nicht auf einen ihm mit dem Löse- geld gespielten Betrug. Die feste Formel, die sich bei ihm findet, lautet, dafs Christus, ehe er den Teufel, wie er gleich konnte, in der Auferstehung mit Gewalt überwand, ihn mit Recht hat überwinden wollen, um nicht den Sinn der Menschen für die Gerechtigkeit zu schwächen; und er hat dies gethan, indem er sich töten liefs; denn der Rechts- überschreitung des Teufels, der sich an dem Unschuldigen vergriff, entapincht die Entziehung seines Rechtes als Exekutor gegenüber den zu Christus Gehörigen. Das ist nur eine Dublette der Idee der Versöhnung mit Gott durch das Opfer des Todes Christi: hier wie dort ist die Meinung, die Ge- rechtigkeit fordere, dafs der unverdiente Tod Christi die Be- freiung der Seinen vom verdienten zur Folge habe.

Daftlr, wie in der Erlösung durch Christi Tod neben der Gerechtigkeit Gottes auch die Barmherzigkeit wirksam iat, bietet die Analogie der Bufslehre Augustins die Formel dar: donat unde sibi sacrificetur, ipse tribuit unde placetur. Augustiu ist aber wie für Anselm, so auch für Abälard der Vorläufer, indem er nach Rom. 5, 8 und 8, 32 die Hin- gabe Christi in den Tod liir uns als den grofaen Beweis der Liebe Gottes darstellt, der im stände iat in uns (Hoffnung und) Gegenliehe zu erwecken. Aber er hat Christi Tod als solchen Lieheserweis nur gedacht, indem er ihn als Opfer, als Zahlung oder Slrafleistung au unserer Statt, also als etwas der vergeltenden Gerechtigkeit Gottes Genüge Leisten- des verstanden hat. Und die spezifische Gnadenwirkung der Gerech tmachung sieht er nicht in jener psychologisch

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384 GOTTSCHICK,

verständlichen Erweckung der Liebe zu Gott durch den In- halt des Evangeliums, sondern in der geheimen, letztlich unvermittelten Inspiration der charitas, obwohl er durch die Art, wie er das Entstehen von Demut, Hoffnung und Liebe als Reflexbewegung gegen die erfahrene Liebesthat Gottes versteht, thatsächlich die Alternative zwischen Belehrung und Aufforderung des selbständigen Willens und zwischen der mechanischen und magischen Eingiefsung der Gnade über- wunden hat.

Beim hl. Bernhard nun empfiehlt es sich, von seinem Traktat über die Irrtümer Abälards zunächst abzusehen. Man ist dann sicher, dafs man das ihm wirklich religiös Wertvolle trifft, während die fanatische Gehässigkeit jenes Traktates den Zweifel erweckt, ob er seine Antithesen nicht nur aufstellt, um den Gegner ins Unrecht zu setzen. Eine zusammenhängende, auf theologischem Denken beruhende Ausfuhrung über die Heilsbedeutung des Todes Christi findet sich in seiner Schrift De laude novao militiae ad milites templi liber cp. XI ^ Unter den Orten des heiligen Landes, an die er Anleitung zu religiösen Meditationen knüpft, ist ihm das Grab Christi von besonderer Wichtigkeit. Denn vita Christi vivendi mihi regula, mors a morte redemptio. Wir brauchen beides, das pie vivere und das secure mori. Et vivendo vivere docuit et mortem raoriendo securam reddidit. Aber er hat noch eine dritte Wohlthat hinzugefügt, ohne die die beiden anderen nichts helfen: peccata donavit. Von Gott durch die Sünde getrennt und durch die Sünde dem Tode verfallen, unterliegen wir einem zweifachen Tode, dem geistlichen und freiwilligen, dem leiblichen und zwangs- weisen. Durch den einen leiblichen und freiwilligen Tod Christi sind beide das fordert die Gerechtigkeit für uns aufgehüben. Denn war unser einer Tod Fehl, der Strafe verdiente (culpae meritum), der andere gebührende Strafe (poenae debitum), so hat Christus, indem er, ohne von Fehl zu wissen, freiwillig die Strafe übernahm, uns Leben

1) Migne, P. L. t. 182 col. 932 ff.

STIDIEN ZLIK VEI{a)lJNL'NGSLEIIR[£ DES MITTELALTEHS. 385

und Gerechtigkeit verdient. Indem er die Sünde erläfst, giebt es nictilB mehr, was Strafe verdient, indem er für die Sünder stirbt, ist die Schuld bezahlt '.

Dieser Gedanke erfährt im folgenden eine tiirmlich syste- matische Begründung. E-i handelt sich um zwei Dinge, um die „Sündenvergebung" und die Aufhebung der TodesBtrafe, Sündenvergebung ist als eine reale Wirkung gemeint, als Wegnahme der Sünde oder Mitteilung der Gereehtigkeit, der StraferlafB als eine rechtliche 'Wirkung. Dadurch, dal's die sündige Bescbaffeniieit mit der realen Gerechtigkeit ver- tauscht wird, ist der Grund zu immer neuen scUimmen merita aufgehüben; und durch den Tüd Chiisti uns zu gut ist die immer schon verdiente Strafe aufgehoben *.

Die Sünde vergeben oder aufheben kann Christus; denn er ist Gott, der kann, was er will Er will es; denn er ist uns zu gut Mensch geworden und gestorben, sollte er uns da seine Gerechtigkeit versagen'? Damit iat nun freilich nicht gezeigt, inwiefern Christus uns durcli seinen Tod Ge- rechtigkeit verdient hat, wie doch behauptet war. Denn Subjekt von Verdienst ist Christus aU Mensch; sein Tod iet ein Verdienst als freiwillige, gotigelallige Handlung; die Vergebung aber ist eine Macbttbat der Gottheit, Gezeigt hat Bernliard nur, dafs die Inkarnation und der Tod Christi

1) Nr. 20. Cum Lac t'eininii nioi in . . . hninn ilamnatua fuisset, altera qiiidem spiiituali et vuluntarm, aUera c(ir|inrali et neccssaria; iitique Deua liiiiun iina suk cnrparali itc vuliintaiia benigne et potenter uccuirit iUaqiiF luia sua nostram utramque ilamnavit. Mcrilo quidein: nam ex duabiis rnnrliltiis niistiia, eum altera nnliis ia culpae nientum, altera in pnenae liebiium repiilarettir, siisd|>icns pcenam et neecieiis ciilpani. dum Bp<>nle et tantiim in corpore morilur, et Titam nobia et jiietitiam promeietur. Alioqiiiii si ciirporoliter non psterctur , debiturn non Biilvissc'i; si uou vuluntaiie inurcietur, mcTitum mors ilta non habuisset. Nunc uuifrui El, iit dictum eal, mortis iiieritiim est peccatum et peccati dibitiim mors: Christo rcmittentc peccatum et rouiieotc pro peccatoribus, profecto iam nulluni est meritum et solutum est debiturn.

2) Sr. -11. Ex deilalis polcotia peccati jugum jiiliendo submovit , - . e% tariiis infirmjtate nuntis jura mwiendo coneussit, Nr, 22, Peccati meritum tuUt Buam nobis dunando jusiinam ,.. ablato peccato redit juslilia Vgl. die letzteu Zeilen von Anm. 1.

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386 GOTTSCHICK,

Erkenntnisgrund fUr Christi Willen sind, uns seine G^ rechtigkeit zu schenken ^

Um so eingehender hat Bernhard es begründet, dafs durch Christi Tod unser Tod überwunden ist, genauer, dals die Rechte des Todes auf uns erschüttert sind. Dies Recht stellt er nach Analogie des Rechtes auf eine Geldzahlung dar (debitum solvere). Wie sollte da diese Zahlung zum zweiten Male von uns verlangt werden können, nachdem sie Christus für uns geleistet? Sein Tod hatte nämlich für andere Geltung, da Christus als Gerechter nicht zu sterben brauchte. Die Gerechtigkeit fordeite, dafs diese seine Leistung; die Gehorsam gegen Gott ist, nicht fruchtlos blieb, sondern dem zu gute kam, für den er sie vollbracht, dafs er ex- solvendo quae non rapuit, den verlorenen Menschen wieder- gewann '. Dafs der Unschuldige für den Gottlosen stirbt und so für ihn „genugthut^^, ist zwar kein Akt der Gerechtig- keit, sondern der Barmherzigkeit, aber doch nicht wider die Gerechtigkeit. Sonst könnten Barmherzigkeit und Gerechtig- keit nicht, wie es doch erforderlich ist, zugleich statthaben '.

1) Nr. 21. Unde scimus quod Christus possit peccata dimittere? Hinc procul dubio, quia Deus est et, quidquid Yult, potest. . . . Si peccaU remittere et possit, omnipotens, et solus possit, cui soll peccatur, beatus profecto, cui non imputabit ipse peccatum; itaque cognonmus, quod peccata Christus divioitatis suae potentia valuit relaxare. Nr. 22. Porro iam de Yoluntate quis dubitet? Qui enim nostram et induit carnem et subiit mortem; putas suam nobis negabit justitiam? . . . Quod ergo ex deitate constat illum potuisse, ex humanitate innotuit et yoloisse. Nr. 26. Non metuendum quod donandis peccatis aut potestaa Deo aut Yoluntas passo et tanta passo pro peccatoribus dedt

2) Nr. 22. Quo pacto mors hominis illius pro altero yaluit? Qaia et justus erat. Profecto namque cum homo esset, potuit mori; cum Justus, non debuit gratis. Non quidem peccator mortis safficit soWere debitum pro altero peccatore, cum quisque moriatur pro se. Qui autem mori pro se non habet, numquld pro alio frustra debet? Quaato sane indignius moritur qui mortem non meruit, tanto is justius pro quo moritur, yiyit. Nr. 27. Et quidem mors per justitiam suam peregit Tictoriam: quia justus exsoWendo quae non rapuit, jureomnia quae amiserat recepit.

3) Nr. 23. Ut innocens moriatur pro impio . . . non est justitia sed misericordia ... non tamen contra justitiam est Alioquin et jostos

8TDDIEN ZUR VERSÖHNUNGSLEHRE DE3 MITTELALTERS. 387

Für viele aber gilt der Gehorsam des Eineii nach Rom. 5, 18. 19, 1 Kor. 15, 21. 22, so gewifs, als Adams Ungehorsam fiir alle bedeutsam gewesen ist. Sollte Gottes Gerechtigkeit mehr zum Verdammen als zum Wiederherstellen wirksam sein? Christus im Guten weniger vermögen als Adam im Bösen? Dieser Eine „genügt" fiir alle zu Gerechtigkeit und Leben '. Der Zustand, dafs Adams Sünde mit Recht fUr alle gilt, weil wir alle in ihm gesündigt, aus seinem Fleisch fleisciilich gezeugt sind und an unserer Begierde diesen Zu- sammenhang erleben, begegnet der Hinweis darauf, dafs wir als in Christus Erwählte nach dem Geist früher in Christus als in Adam waren, dafs wir nach dem Geist aus Gott ge- boren sind und in unserer Liebe das innere Zeugnis des Geistes spuren. So kann über den reus, den die Qerechtig- keit freigesprochen, der Tod nicht mehr dauernd herrschen, wenn auch, um Gotles Wahrhaftigkeit (Gen. 3) zu bewähren, jener zeitweilig noch sterben mufs *.

Das ist ein geschlossener Zusammenhang. Derselbe lehnt sich zunächst eng an Augustin an. Es ist eine augustinische Formel, dafs unserem zweifachen Tode durch den einen Tod Christi geholfen sei ^ Es sind Augustins zwei Formeln für die Kraft des Todes Christi, die Strafe unserer Sünden abzuwenden „sustinendo sine culpa poenam et culpam solWt et poenam" und „quae non rapuit, exsolvit", die für Bernhards Ausfiihrung die Stichworte bilden nnd ihr auch sachlich zu Grunde Hegen. Hier wie dort bedeutet die Losung der culpa die Vergebung = effektive Tilgung der

s esse uoo passet Sei si justus dod injiiate pro peccatore satiafacere raleat, quo tamea pacto etiam unus pro pluribua?

1) Nr. 23. ICane Dei justitia nagis ad condemnanduin quam ad restaurandum vuluit? . . . Ad&e peccatum imputabitur mihi et Cbrjati justitia DOD pertiuebit ad me? Nr. 26. Chrislus potuit ... et mortis moriendo soivere debitum quia justug; et omnibug udub ad juBÜtiam vitamque sufficere, quandoquidem et peccatum et mors uno ia omnes proceaaeriL

2] Nr. 24. 25. 28.

3) de Tria. IV, 3, 6. Huic duplae morti aostrae Salrator noBter ünpeudit aimpkm auam . . . Una mars nostri SalTatoria duabua mortibus noBtria saluti fuit.

388 GOTTSCHICK;

Sünde und den Gewinn des Anteils an der Gerechtigkeit Christi. Hier wie dort bleibt es im unklaren , inwiefern dieser Elrfolg gerade an den Tod Christi geknüpft ist Hier wie dort wird behauptet , dafs der Tod Christi die Tilgung der Sünde bewirkt; aber nur gezeigt, dafs er die Ab- sicht Christi sicherstellt , uns seine Güter zu geben. Und hier wie dort wird zugleich die umwandelnde Gabe als Ge- schenk Christi; sofern er Gott ist, hingestellt (Vgl. Z. TL K. a. a. O., S. 190. 191. 268 *.) Hier wie dort ist die Ver- pflichtung zur Strafe des Todes und die stellvertretende Leistung Christi nach Analogie des Verfahrens bei Geld- verpflichtungen gedacht (debitum solvere). Hier wie dort ist es Christi Gerechtigkeit oder Nichtverpflichtung zum Tode, was die Geltung seines Todes für andere ermöglicht Hier wie dort sind es die mit Christus zur Einheit eines Leibes geistig Zusammengehörigen, denen Christi Tod zu gute ge- rechnet werden kann. Euer wie dort wird die Gerechtigkeit der Aufhebung der Strafe für die, welche durch Christus wiedergeboren sind; auf die Analogie der Übertragung der Strafe von Adam auf die aus ihm Gezeugten begründet '.

Aber auch An sei ms Einflufs ist nicht zu verkennen. Er zeigt sich darin; dafs Bernhard die Frage ausdrücklich aufwirft; worauf die Zulänglichkeit der Leistung Christi für alle beruht; während die Antwort, der Hinweis auf die Ana- logie Adams ; eine Ablehnung der anseimischen Lösung be- deutet. Weiter ist er darin zu bemerken; dafs Bernhard mit Anselm zur Formulierung von Gedanken; die auch bei Augustin schon zu finden sind; die beiden Ausdrücke Ver- dienst und Genugthuung vom Gebiet des Lebens des einzelnen

1) Vgl. auch die Addition der Gerechtmachung = Vergebung durch Christus und der Auf hebun<? des ewigen Todes durch Christi Tod de Trin. XIII, cp. 16. Nr. 21. Peccata nostra diabolus tenebat et per illa nos merito figebat in mörte. Dimisit ea ille qui sua non habebat et ab ilio immerito est perductus ad mortem. Tanti valuit sanguis ille, ut neminem Chiisto indutum in aeterna moite debita detinere debuerit

2) deTiin. XIII, cp. 16, Nr. 21. Quoniam propter unum illum tenebat diabolus omnes per eius vitiatam carnaiem concupiscentiam generatos, justum est, ut propter hunc unum dimittat omnes per ipsius imma- culatam gratiam spiritualem regeneratos.

STUDIEN ZfR VE!tS(ilINUNGSLEIIim DliS MlTTEI.ALTKItS- 389

Christen auf den geschicbtliclien Vorgang der Erlösung über- trägt. Bei ÄuguEtin entspricht dem Begriffe einea uns zu g:ute kommenden Verdienstes Christi aachlich der Gedanke, dals Christus durch das Opfer seiner freiwilligen Selbst- darbringuug im Tode mit Hecht unsere Befreiung erlangt bat '. Auf Anselm aber weist der Satz Bernhards hin: cum homu esset, putuit niori, cum justus, non debuit gratis . . .*. Bei Augustiu entspricht dem Begriff der für uns geleisteten Genugthuung Christi die aus Ps. 6ti, !f entnommene Formet quae non rapuit, exaolvit, die Anselin als Synonym des satia- fecit pro nobia braucht. Auch Bernhard wechselt hier mit beiden. Aber nicht nur in den Ausdrücken trifft er mit Anselm zusammen, auch in dem Sinne, in welchem er sie in der Anwendung auf Christus braucht. Während Kitschi und noch Ilarnack das VerLältnis beider Begriffe bei Anselm wie ein sehr kompliziertes auffassen, darf nach H. Schultz' UutersucLungen ^ wolil als sicher gelten, dafs wie in Bezug auf das sittliiihe Leben überhaupt, so auch in der Anwendung auf Christus Verdienst und Gcnugthuung sich wie Gattunga- und Artbegriff zu einander verhalten. Verdienst ist dio Handlung, die Belohnung von Gott erwarten darf, Gcnug- thuung diejenige verdienstliche Handlung, die wegen ihrer Nichtpäichtmäfeigkeit und des Mafses ihres Wertes die Kom- pensation, die Ersatzleistung lur eine Kechts Verbindlichkeit darstellt, und die, weun sie Ersatz für eine Strafe sein soll, noch das Merkmal der Schmerzlichkeit, poenalitas, haben mub *. Der aligemeinere Ausdruck kann natürlich tiir den

1) Z. Th. K. 1901, S. 173. 174. Vgl. x. B.f Merito quippe mors pcccatoris Teniens ex dautDaiioms necesEitaCe soluta est per moitem justi venientem ex misericordiuc Toliinute.

-2) Vgl, Cur Deus homo II, 20. Kam eutem, qui Uutum douum (jrotite dat Deo, sine retributione debeie esse non judicabis.

a) H. Schultz, Der sittliche Begriff des Verdieostes und seine Au- wendung »uf das Vereländnii des Werkes Christi, Tlienl. Studien und Kritiken 1894, S. 250 ff.

4) Vgl. z. B. Bonaventura Sem. 1. III dist. lö, A. 1, qu. 9 videtur qued sie ad 4 : nihil est satisfactoiium Diei quod est meritoiium; sed passio Christi fuit salisfactOTJa, sicut dicunt Saiicti, ergo fuit merltoria. qu. 3 sol. objpct. 3: est meritum adeplionis ntae aetcrnae et est meTitum

390 GOTTSCHICK,

BpezieÜeren jederzeit eiotreten '. So hräTst es bei Bernhard wie bei Anselra von ChriatuB, dafs er durch seinen Tod, alao durch satisfaktorischeB Haudeln uns die Befreiung von der Strafe verdient hat. Endlich hebt auch Bernhard die spezifische Harmonie zwischen Barmherzigkeit und Gerechtig- keit Gottes hervor, die Anaelni, Auguatin folgend, in der Erlösung durch den Tod Christi bewährt sieht. Gott ist immer zugleich barmherzig und gerecht. Dafs der Un- schuldige llir die Sünder stirbt, ist Barmherzigkeit, aber nicht wider die Gerechtigkeit; diese kommt darin zur Geltung, dafs der Straferlafs nicht ohne Verdienst oder Satisfaktion geschieht und bei deren genügendem Yorhandensein anch wirklich geschieht (taato ts justius pro quo moritur vivit).

Die hier zusammenhängend vorgetragenen Gedanken begegnen uns auch in gelegentlicher Anwendung in Bern- hards Predigten. Zunächst der Gedanke eines von Christus durch sein Leiden erworbenen und uns zu gute kommenden

remisBionis poeoae. Meritam Titae Bet«niae conaiatit in radice cariuljs, meritum autem remissionia poenae Hon tautiim coDsistit in c&ritate, Bed etiam ia pasBionia aceililtate . . Satisfaclio &t maxime per opera poeiulii- 1) Auch Anaelm hat faktisch den Tod Christi, auch wenn tt den Ausdruck Verdieoat ers{ II. 20 auf ihn anwendet, von Toroebereii ala Terdienstlicbe Handlung gedacht, ehe er iho um smner besoBdeten Merkmale willen als zur Satisfaktion für uns geeignet nachgewiesen. Schon 1, 9 erscheint er als eine verdienstliche Handlung, sofern er in retributio der ErhQbuug wflrdig iat, neil er ein freiwilliger Qber- pflichtmäreiger M&rtjrertod fOr die Wahrheit und Gerechtigkeit isL Das Gleiche ist der Fall, wenn er 11, IQ mit einem serritium regi Talde pUciturum Tergllcben wird, wenn sein Märtjrenod um der Gerechtigkeit willen II, 19 als Hingabe des Lebens zur Ehre Gottes und als iuso^ra werlToll, nach II, 14 als bonum amabile, bezeichnet wird. Überall da handelt es sieb um Merkmale, die der Todesleistung Cbriiti anbalin, wie aie ror allem eine über das pflichtmäTsige Msfs hinausgehenll gottgefällige und der Belohnung werte Leistung Christi an Gott ii der ihre Bestimmung den Meoachea stel Vertretend eu gute zu komnca. | noch gar nicht in Betracht gezogen ist, das ist aber un dienst, das sich Christus um Gott erworben bat. Dafs Christus d Lohn fQr dasselbe nicht braucht und ihn deshalb den Reinen zuwendi^ I und dals sein Tod besondere Merkmale hat, die ihn bei solcher Zu« duDg zur stellvertretenden Genugtbuung geeignet machen, sind Moment^. 1 die seinen Charakter ala Verdienst zur logischen Voraussettaag halM|>a

STDDIEN ZCR VEKSÖHNUNöSLEHRE DES MITTELALTERS. 391

Verdienstes, Da heifat es von den getauften Kindern, dafs sie der Verdienste nicht entbehren, weil sie die VeHienste Christi besitzen (Mabill. p 1506). Das Verdienst Christi ist also für Bernhard der Grund der Kraft der Taufe, Sünden- vergebung und Wiedergeburt zu gewähren. Da nimmt die Seele in der Gewissensnot ihre Zuflucht zu den Wunden Christi und tröstet sich damit, dafs sie ihre Mängel durch die Verdienste Christi ergänzen darf, die ihr als einem Gliede des Leibes Christi gehören '. Inabesondere ist S. 23, 3. 4 de div. zu nennen, ein Sermon, der, ohne den Terminus Verdienst zu brauchen, sich in der Sache und im Ausdruck mit Anselros c. Deus h. II, 20, dem Kapitel, in welchem vom Verdienste Christi die Rede ist, auf das engste berührt. Bei Anselm heifst es : Christus gebührt Belohnung für die Leistung seines Todes. Sein ist aber bereits alles, was der Vater hat. Wenn nun der gebührende Lohn weder ihm noch einem utderen gegeben wird, in vanum Filius tantam rem fecisse videbitur. So werden denn Christi Verwandte und Brüder, seine Nachahmer, die Teilnehmer seines Verdienstes. Auch Bernhard fuhrt aus, dafs Christus in vano vollbracht hätte, was er leidend und sterbend gethan, wenn er allein dea Segen empfangen hätte, da ja die Herrlichkeit schon sein war. Christus wird aber nicht allein oder nicht für sich allein empfangen, sondern von ihm empfangen diejenigen, welche durch Geisteseinheit mit ihm eine Einheit bilden, oder welche seine Braut sind *.

1) p. U76. 1476 in cant. 3. 61. Quid tarn est ad mortem quod ■on Christi morte solTaturf Si ergo in mentem venit Um poteos tamqua efßcax medicameDtum, oulU iam posBum morbi tnaligDttate terreri. Et ideo liquet erratisc illum qui ait Gen. 4, 13: niRJor est iniguitas mea quam ut tcoiam mcrear. Ntsi quod nou erat de membrls Cliristi oec pertioebBt ad eum de Christi merito, ut Buum praesumereL Ego vero fldenter quod ex me mihi deest ugurpo mihi ei Tisceribus Domini qnoDiam miaericordia Bffiuunl.

2) p.ll&l. Quomodo noD ia Tsno o[nmaillape[fecit,Bi hie Bolus accipiat beaedictionem? Itane oportcbat Christum pati resurgere et sie totroire in gloriam fluam? Sua erat Quae ulililas in sanguine eiua, dum oedum dncendimug in corruptionem . . . Ät noa solus hie aceipiet aut certe BBgis noD soll aibi accipiet, si advertaa. Perge eaim per eacra v«cb& . . .

392 GOTTSCUlCKy

Mit dem Begriffe des Verdienstes wechselt bei Bernbaid der der Qenugthuung, mag er nun den Ausdruck oder die von Anseim auf ihn hinausgeführte Formel „quae non rapuit exsolvit'' brauchen. Ausdrücklich sagt aber Bernhard, dafs die mit der Übernahme des Todes geschehende Genug- thuung dem Vater geleistet sei. Durch sie ist die Ver- söhnung mit Gott oder die Versöhnung des durch die Sünde beleidigten Gottes vollzogen. So ist sein Tod die Erlösung überhaupt: aber auch der einzelne schon Gläubige findet für seine Mängel die Ergänzung in der Genugthuung Christi K

et vide quonammodo yelut occulte multitudinem subinducit ... ut in uno uon personae singularitateni intelligas, sed Spiritus unitatem. Nimi- rum bic sponsus et haec sponsa est et scimus quis dixeiit: Jam non sunt duo sed una caro. Ita ergo hie ascendct, bic accipiet benedictionem, sed ascendent etiam cum eo vel magis in eo qui ab eo accipient bene- dictionem . . . Atque hoc est propter quod oportebat Christum pati et resurgere a mortuis, ut praedicetur in nomine eius poeniteutia et re- missio peccatorum. Diese Stelle wiift zugleich einiges Liebt auf den Prozefs, in welchem der Begriff eines uns zu gute kommenden Ver- dienstes Christi entstanden ist. Die klassische Stelle Augustins, auf die dabei stets verwiesen wird, ist in Jo. tr. 104, 3 huroilitas claritatis est meritum, claritas humilitatis est praemium. Dem entspricht als biblische Autorität Phil. 2, 5 ff. Nun ist hier nur von einer Belohnung, die Christus für sich verdient l^at, die Rede. Der Gedanke, welcher weiter führt, ist der, dafs Christus ja die Herrlichkeit schon so wie so gehört, dafs sein Verdienst aber doch nicht unbelohnt bleiben darf und so an den Seinen die Vergeltung findet. Bernhard stützt diesen Gedanken auf eine Auslegung von Job. 3, 13. Das „Aufsteigen in den Himnier' ist die Christus zugesagte und durch seiuen Tod vi»n ihm erlangte Verherr- lichung: in ihm sind aber die Seinen als die Glieder seines Leibes oder als seine Braut, als eine geistige Einheit mit ihm, eingeschlossen und erlangen so den Anteil an dem Lohne seines Verdienstes. Auch hierfür bietet Augustin die Vorlage in Jo. tr. 12, 8 ff. Quia unus descendit, unus ascendit. Quid de caeteiis? quid intelligendiim nisi quia membra eius erunt, ut unus ascendatV . . . Si ergo nemo nisi ille descendit et ascendit, quac spes est ceterisV Ka spes est ceteris, quia ille propterea descendit ut in illo et cum illo unus essent, qui per illum ascensuri essent . . . Ergo istc unus commendat unitatem Ecclesiae . . . Descendit enim et mortuus est et ipsa morte liberavit nos a morte.

1) p. 789. Humanum genus pro quo quae non rapuit exsolvebat. p. 685. In cant 20, 3. p. 1327. Dum naturam prudenter selegit a culpa, etiam potenter mortem propulit a natura (N. B. cf. Aug.). In carnis

STUDIEN Zln VEÜSÖHNUNOSLEIIRE DES MITTELALTEES. 393

Die gleiche Wirkung der Versöhnung fuhrt Bernhard darauf zurück, dafs Christus in seinem Tode das gottgefällige Opfer ist '. Wohl sjiriclit er nach Jea. 53 aus, dafä ChriBtua ura unserer Sünden willen verwundet worden und dafs er unsere Krankheiten und Öchwäclien getragen; aber das Leiden, so breit es ausgemalt wird, beschränkt sich doch auf alle die leiblichen und Beeliachcn Schmerzen, die die Menschen Jesu anihun, und auf dag Mitgefühl mit der Sünde der Menschen. Das ISatiafaktoriBche ist, dafs dies Leiden eine passio uctlva war, Gehorsam gegen Gott, ein rückhaltloses Suchen der Ehre Gottes; denn darauf niufs wieder ein Anklang an Anselm der Mittler bei der Versöhnung ebenso bedacht sein, dafs über der Barmherzigkeit gegen die Menschen die Ehre Gottes nicht verkürzt wird, wie darauf, dafs über der Auf- rechterhaltung der letzteren die Menschen nicht zu Grunde gehen. Und wer wollte nun daran zweifeln, dafs Christi Tod zum Heil ao viel vermöge wie Adama Sünde zum Un- heil, dafs sein Gehoraam genüge, um uns die Freisprechung von dem durch Adams Übertroiuug herbeigeführten Reatus zu bewirken '.

assuinjitione coniiescendit nüUi, in culpae Titatione consulujt sibi, ia mortis susceiitioae aatisfocit paCri ... ut patri uos reconciUet, morleiu forlitcr sitliit et subigens, fundcns pretium nostrae redemlionis gaaguiuein suum ... jumit afTectioni ... et patienliam, qua placaret offensum Deum patrem. ib. 2:j, 7 p. 1336: tradidit in mortem aatmam suam et de proiiiiu latere protulit pretium satisfactionis . quo ptacaret patrein, per qiiod illum pltine ad se Tcrficulum traxit: Apud Domi- Dum misericordia et copiosa npud cum rcdemptio. Prorsus copioaa; quia nun gutta, Ged und Gaiiguinia largiter per quinque partes corporis emanafit In epiph. S. I, 4 p. 797: de te Dumine suppleo quud müius habeo in me. 0 duicissima reconciliatia ; o satisfactio Kuavissinia.

1) S. de pnssioue Domini p. SBG. Digna plane lam saocta, tim Immaculata hostia, tarn acceplabiiis. Dignus est Agnus ... facere ad quod Tenit, tollere peccata miindi. Ego autem dico peccatum triplex quod ioTaluit Buper terrnm ... oiipnale ... personale ... singulare (d. h. Ctirini Kreuzigung selbst). . . . 887: se ipsiim fecit peccatiim (d. h. SUnduprer nacli Riiin. 8, 3) ut de peccnto damnarct peecatum. Per hoc eaita omne peecatum tani oiiginale quam personale ddctuoi est et ipsum quoque singulare pliminatum est per se ipsiini.

2) ib. Nr. 4 p- ^^- peccata multorum tulit. Nr. 11 p. 888: vere

394 GOTTSCmCK,

Synonym mit der Versöhnung zwischen Gott und Mensch durch gleichmäfsige Berücksichtigung der Ehre Gottes und des Elends der Menschen und zugleich völlig augustinisch und anseimisch ist es^ wenn Bernhard in der ersten Predigt auf Maria Verkündigung in dramatischer Form schildert, wie in der Erlösung durch den Tod des GK>ttmenschai Barmherzigkeit und Gerechtigkeit Gottes gleichm&Tsig ihre notwendige Befriedigung finden. Barmherzigkeit und Friede auf der einen , Gerechtigkeit und Wahrhaftigkeit auf der anderen Seite streiten sich vor dem Throne Gk>ttea um das Schicksal des gefallenen Menschen. Während die letzteren im heiligen Eifer die Bestraftmg fordern, die Wahrhaftigkeif, weil Gottes Wort auf die Sünde die Strafe gesetzt, treten die ersteren für seine Verschonung ein. Gott muTs sich als debitor gegen die strengen Schwestern erklären. Non vide- batur quomodo simul possent erga hominem Misericordia et Veritas conservari. Da spricht denn Gott das lösende Wort: Fiat mors bona et habet utraque quod petit. Wenn näm- lich einer, qui nihil debeat morti, aus Liebe stirbt, so kann der Tod ihn nicht halten, ja nach dem Worte, dafs die Liebe stärker als der Tod, wird er den Starken bezwingen

languores nostros ipse tulit et infinnitates et dolores nostros ipse per- tSTit, Tir dolorum pauper et dolens, tentatus per omnia absque pecctto. Et in Tita passivam babuit actionem et in morte passionem actiTsm sustinuit. ib. Nr. 7 p. 887: tunc banc sufficere debes obedientiam qoie reatum omnem primae praevaricationis absoWat? S. in d. Palm. III, 5: se fecit bostiam salutarem, corpus ezponens tantis supplicüs et iigorüa, animum yero geminae cuiusdam humanissimae compassionis affectui (geiniDae d. b. mit den Frauen und den JQngern). ... In annunt Mariae S. II, 2 p. 977: in ipsa reconciliatione , consilio usus altissimo, medi&m non deseruit aequitatem, utrique tribuens quod oportebat, bonorem Deo, bomini miserationem. Haec enim optima inter offensum Dominum et reum seryum forma compositionis, ut nee bonorandi Domini zelo serrus opprimatur austeriori sententia; nee rursum dum buic immoderatios condescenditur , ille debito fraudetur bonore. ib. S. I, 4: nee dubiam quin potentior et efficacior sit mors illius in bonum quam peccata nostra in malum. 978: reconciliatori Cbristo nee spiritus timoris defuit, quo patri semper reverentiam exbiberet. semper ei deferret, semper gloriam eins quaereret nee spiritus pietatis quo miserieorditer compateretur bominibus.

STUDIEN ZUE VEK6ÖHNCN0SLEHBE DES MITTELALTEES. 395

und seine GefUfse rauben, d. h. die TodverlaUeneD befreien. £it] solcher wird vergebens auf Erden gesucht; so spricht denn Gott: mihi incumbit suetinere poeuam, poenitentiam agere pro homine, quem ureavi. Die durch Gea. 6, 7 ver- anlafste Vertauschung des natürlich aktiv gemeinten poenam ■ustinere mit poeniteutiam agere ist ein deutlicher Beweis für das Bewufstsein, dafs Bernhard das, was ChristuB im Tode für uns thut, als gleichartig mit dem empfindet, was wir in der Bufae zu thun haben. Ritschl (Rechtf. 2. A. I 8. bi) bat gemeint, dafs diese Deutung sich unter keines der bekannten Lehrschemata durchaus füge, und bat in ihr «Qe Kombination der Gedanken von Athanasius und Abä- lard zu erkennen gemeint. Aber Bernhard geht hier in nichts über Formeln und Gedanken von Augustin und Anselm hinaus. Vgl. cur Deus homo II, 21.

So viel Anklänge aber an Anselm sich hei Bernhard finden, auf einem Punkte bleibt er bei der augustinischen Tradition gegenüber der anselmiscben Neuerung: Gott hätte auch ohne die Erniedrigung des Güttessübnes in Fleisch und Kreuz sein Geschöpf wiederherstellen können. Er hat diesen schweren Weg aber gewählt, um den Menschen vor dem Laster der Undankbarkeit zu bewahren '. Es ist wohl nicht nur die Autorität Augustins , was ihn die anselmiache Steigerung von dessen convenicntia zur necessitas nicht hat mitmachen lassen, sondern ein religiöses Gefühl, das sich gegen die Erhebung des Glaubens zum Erkennen sträubt, ein Gefühl, dem die Beruhigung bei dem thatsächlichen TbuD Gottes Bedürfnis ist; es ist das dem Autoritätsglauben ent- sprechende Gefühl.

Über Anselm und Augustin hinaus geht aber Bernhard, indem er die im eigentlichen Sinne erlösende Thätigkeit Christi über sein ganzes Leben erstreckt, das von unver- dienten Leiden durchzogen, eine actio passiva war. Ins- besondere ist es das bei der Beachneidung vergossene Blut Christi, das ihm bereits aatisfaktorische Bedeutung für den ganzen Leib Christi ha^ obwohl er erklärt, dafs die Passion

1] S. in CAOt XI, 7 1S9& 1297.

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ein volleres Lösegeld oder Opfer ist, da in ihr das Blut Christi nicht tropfen weise , sondern in Strömen geflossen ^ Dagegen ist es wohl nur eine rednerische Abkürzung, die auf Ergänzung durch andere Gedanken rechnet, wenn er die reine Empfängnis Christi, die dieser den Seinen schenkt, als Befreiung von ihrer unreinen, also der Erbsünde be- zeichnet *.

Im Vergleich mit den Gedanken von Christi Verdienst und Genugthuung spielt der von der Erlösung aus der Ge- walt des Teufels in Bernhards Predigten eine Verhältnis- mäfsig geringe Rolle. Das ist die Folge davon, dafs ihm Gott ohne alle Frage der Empfänger des Lösegeldes, des pretium satisfactionis, ist (S. 392 Anm. 1). Demgemäfs kann er Sünde und Tod als die beiden Feinde bezeichnen, die für uns zu besiegen Christus gekommen ist. Und so bezieht er dann das Wort von der Bindung des Starken und dem Rauben seiner Gefafse auf die durch den Tod Christi er- folgte Erlösung von der Macht der Sünde und vom Recht des Todes (die gewaltsame Überwindung des Todes erfolgt durch die Auferstehung). Er betrachtet also die Befreiung von der Gewalt des Teufels als etwas, was mit der von der Gewalt der Sünde und dem Recht des Todes, d. h. mit der Versöhnung durch Christi Verdienst oder Genugthuung un- mittelbar als Folge gegeben ist; der Teufel ist ihm eben der übermächtige Verfuhrer zur Sünde und der Machthaber des Todes. Das alles sind Dinge, die sich schon bei Augustin finden ^. Dann wieder begegnet die Beziehung auf den aus-

1) S. in circumcis. I, 1. 3; III, 1. 3; de purif. Mariae S. III, 2.

2) In vigilia Nativ. Dom. IV, 3 p. 766: Divitias salutis habeo. quibus redimain propiiae conceptionis impiiiitatem. Christi purissimam concep- tionem. In festo pentec. S. II, 5: placebitne tibi ut dones mihi vitam tuam siciit dedisti conceptionem ? Quia nou solum conceptio mea im- munda, sed mors perversa, vita periculosa et post mortem restat mors jrravior, mors secunda. Non solum ait conceptionem meam, sed et vitam meam et hoc per singulos aetatum gradus, tibi donabo, adjiciens mortem resurrectioncm etc. Hoc autem ideo ut conceptio mea emundet tuam, vita mea instruat tuam, mors mea dostruat tuam etc.

3) In nativ. D. S. I, 4. Duo sunt tibi hostes, peccatum et mors i. e. mors corporis et animae. Iltramque debellaturus advenit et ab

STrDIEX ZUR VEnSÖHKÜNGSLElIRE DES MITTELALTEIiS. 397

drUclclich genannten Teufet und zwar in der Wendung, dafs ChriBtus ihn durch seine Klugheit getäuscht, in Zusammen- hängen, deren leitender Oedauke unzweifelhaft die durch Christi Genugthuung erwirkte Versöhnung Gottes ist. In der zwanzigsten Predigt über das Hohelied kommt er auf jene Über- listung zu sprechen, um zu zeigen, dafs wir in Christus uns vor des Teufels List nicht zu tVirchlen brauchen. Da dort alles vorher und nachher auf die Versöhnung mit Gott zu- gespitzt ist, so liat die Überlistung, wie ja auch bei Augustin, nur den Sinn, dafs der Teufel durch die Hülle des Fleisches verleitet ist, Christus in den Tod zu bringen und so zum Organ seines versöhnenden Thuns zu werden. Weiter reicht eine Stelle aus der zweiten Predigt auf Maria Ver- kündigung, wo es heifst, dafs Christus durch seine Klugheit den Teiitel des früheren Rechtes berauht hat '. Der Zusammen- hang ist folgender. Das ist die rechte Versöhnung mit Gott, wenn Gott seine Ehre gewahrt wird und dem Menschen Erbavmuug wideriährt. Um sie zustande zu bringen, ist da- her Ehrfurcht gegen Gott, Mitleid mit den Menschen, end- lich die Einsicht erforderlich, die beides richtig zu verteilen weifs. Christus hat alles dreies besessen. Und zwar hat er

utroque ealTabit te . . . El iam quidem peccslum in propria persona vicit. qiianJo hunianam natiiram eine ulk contuf^one tusceplt. Dehinc perseqiiitur inimicoB tuos . . . Cuntra peccatum dimicans in cuQTer- satiooe Hua verbis paiiter et exempljs oppURnat; seii in passioae sua ulligat illud, aI1ig»t plauc farteni et diiipit vasa eiua. Iam rero eudfui ordioc mnrteui quoque superat prius in Be ipao, cum resurgit . . . postroodiitn deticlUturus eatn paritur in omnibiis nobis qusodo . . . susci- tabit etc. FUr die Überwindung des Starken d. h. des Todes durch deu der Gerechtigkeit Guttea Genüge thueuden Tud Christi bexvr. die Er- duldiing der Strafe durch ileti Guttmeuscheu ist der Inhalt der ersten Piedigt auf Maria Verkündigung instruktiv.

1) In der Fortsetzung der S. 393 Anm. 2 mitgeteilten Stelle aus In annunt. 8. II, 2. 3 heifst es: Code et necessariiira habuit Spiritum quoque scientiae per quem timoris paiiter et pietatis distributiu fieret iacoufiiBa ... In bis igilur tribus timare, piciate et scientia mediatnr noster tecouL-iliavit bominea Deo; nam in consilio et TortitudiDe de inanue ad- Tersarii libcrarit. Consilio siquidem pristino jure privsTit bosteui, data potestate ut manus injiccret innocenti; fortitudiue prae- valuii, ue Tiotenter posset reiiuere redemptos, dura victor ab iaCecia Te4.V\U

398 GOTTSCHICK,

durch seine Einsicht, indem er sich trotz seiner Unschuld von ihm töten liefs, den Teufel seines früheren Rechtes be- raubt. Es ist klar, dafs hier die augustinische Liehre zu Grunde liegt, dafs der Teufel, indem er Christo g^enüber sein Recht überschritten, sein Recht oder seine Macht über die zu Christo Gehörigen verloren hat und dafs hier in noch höherem Mafse, als es schon bei Augustin der Fall war, eine Dublette zu der Versöhnung mit Gott durch eine der Satisfaktion in der Bufse analoge, der Gerechtigkeit ge- nügende Leistung Christi vorliegt. Denn die zur Versöh- nung erforderliche einsichtige Verteilung von Ehrfurcht gegen Gott und Mitleid gegen die Menschen vollzieht sich hier also durch diese dem Teufel g^enüber geübte Klug- heit ^ In Summa hat also Bernhard, indem er Augustins Lehre auf diesem Punkte beibehielt, sie doch dadurch ge- klärt, dafs er deutlich Gott, nicht den Teufel als Empftnger des Lösegeldes bezeichnet und die Besiegung des Teufels auf dem W^e des Rechtes auf die SatisfiB^Ltion an Gott hinausgeführt hat

Eine viel gröfsere praktische Bedeutung als dieser Ge- danke hat jedenfalls für Bernhard die Betrachtung des Todes Christi als einer uns zu gute kommenden verdienstlichen oder genugthuenden Leistung an Gott: die Zuflucht des Ge- tauften, der sich seiner fortdauernden Sünde bewulst ist, zu den Wunden Christi bedeutet, dafs er sich gegenüber Gott auf die Ergänzung seiner Leistungen durch Christi Verdienst oder Genugthuung stützt Daneben hat nun aber bei ihm eine nicht minder grofse Bedeutung die andere Betrachtimgs- weise, nach der Gottes Liebe als das letzte Subjekt der Sendung Christi und seiner Hingabe in den Tod angeschaut,

1) In der S. 392 Anm. 1 mitgeteilten Stelle aus In cant. 20, 3 heifst es in der ersten Lücke : nee vim nee fraudem metuo . . . uUam , quod me videlicet de manu eius possit eruere; qui et vmcentem omnia vicit mortem et seduetorem universitatis serpentem arte utique sanctiore delusit, isto prudentior, illa potentior. Camis quiddem assumit yeri- tatem, sed peccati similitudinem ; dulcem prorsus in illa exhibens con- solationem infirmo et in hac prudenter abscondens laqueum deceptionis diabolo. Porro ut patri etc.

STUDIEN ZUK V ERSÖHN' CNGSL EHRE DES MITTELALTERS. 399

im Tode Chrieti eia Beweis der göttlichen Liebe erblickt wird , der daa Herz mächtig zur Gegenliebe bewegt '. Bei Augnstin ist der Tod Christi ein Beweis der Liebe Gottes, in dem Siono, dafs diese in Christus das Versöbnungsopfer, welches der Gerechtigkeit Gottes Genüge that, selbst be- schaffte. So ist dieser Gedanke gar nicht im Gegensätze zu dem ÄnseliDs. Wenn nach diesem II, 21 Gott und Christus, quando nos ad Christianam fidem vocant et trabunt, sagen: „accipe unigenitum meum et da pro te, tolle me et redime te", so wird diese Rede als Beweis der gröfsten Barmherzig- keit angeführt; und der Glaube, zu dem die so gedeutete Gottesthat ruft und zieht, ist tlooli- die Gegenbewegung des Gemütes in Hoffnung und Liebe. Auch Bernhard aber hat, wenn er in dem Leiden und Sterben den grofsen, Gegenliebe heischenden und wirkenden Beweis der Liebe Gottes sieht, unzweifelhaft dabei immer im Sinne, dafs ihm Christi Tod eine l'iir uns genugthuecde oder das Heil verdienende Leistung an Gott ist. Das ist nach allem Bisherigen selbstverständ- lich und bewährt sich jedesmal durch einzelne Worte oder den Zusammenhang*. Es ist also nicht richtig, wenn See- berg (a. a. 0. II, S. 56) bei Bernhard ein Nebeneinander

1} Id cant. S. XI, 3 p. 1295. Et moduB quidcm (sc. redemptionis) Dei esinsuitio est; fructua vero nostri de illo repletio. Hoc inejitari sanctae sp^i seini&srtum est; illud summi amoria incentivum. S. in die S. Paschte 3 p. 093. S. in caot. 16, 6. loBtaiirst adversum me testes . . . buius corporis Tictum ... et aiiper omnia saiif^uinem diiecti fllii claman- tem de terra. Pudet iugratitudinJB quainguntii . . . arguar etiam reddi- dtsse odiuro pro dilectione.

2) L. de dilig, Deo cp. 3: admirautcs et amplexaates siiperemiDentetn scientiae charitatem in ipso . . . facite proinde plus dili^unt qui se smplius dilectcia intellii;uDt . . . Iiidaetis sive pnganua nequaquam talibna aculeia ineitatiir atnoris, qnalea Ecclesia experitiir ... videt ... mortem inortusm et mortis auctorem triumphatum. Vgl. Nr. 9 und 10. Oportet floa, Ei crebrum volumus habere hospitem Christum, corda uostra semper habere munita fidelibiis testimoiiiis , tarn de niiserieordia scüicet morientis quam de poteaiia resurgentis ... Christo utique moriente propter delicta nostra ... Hi florea quibus sponsa se interim slipari postulat, credo scntiena fädle virn in se amorls posse tepescere et languescerc quodammodo si non talibiia jiigiter foveattii' iowotiria.

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400 GOTTSCUICK,

der beiden Gedanken findet: ,, Christi Liebe erzeugt O^u- liebe ... und sein Blut erlöst uns von Sünde , Tod und" Teufel und bewirkt die Versöhnung des Vaters.*'

Wenn man sich die dargelegten Anschauungen Bern- hards gegenwärtig hält^ so stellt sich seine Polemik gegen Abälard, genauer gegen den Teil der Lehre desselben, den er überhaupt berücksichtigt, doch als eine von seinem Stand- punkte aus berechtigtere heraus, als es Ritschi , Hamack, H. Schultz erschienen ist. Was er * und vor ihm Wil- helm V. Thierry^ bei ihren Angriffen auf Abälard in dem Punkt der Erlösungslehre berücksichtigen , ist lediglich das von diesem zu Rlm 3, 25. 26 Ausgeführte mit den Parallelen aus dem angeblichen Sentenzenbucb Abälards, die wir jedenfalls im 23. Kapitel des von Rhein wald unter dem Titel ,yEpitome theologiae'' herausgegebenen Sentenzenbuches besitzen, mag dasselbe nun unmittelbar von Abälard ve^ verfafst sein oder nicht. Abälard bestreitet dort die Über- lieferung, nach der Christus Mensch geworden ist und gelitten hat, um uns von einem Recht zu befreien, das der Teufel über uns gehabt habe. Dieser habe nicht mehr Recht über die Sünder gehabt als ein carcerarius oder tortor ' über die ihm zur Bestrafung Ubergebenen, hätte daher keinen Ein- wand erfahren können, wenn Gott ihnen hätte verzeihen und einfach ihre Freilassung verfugen wollen. Abälard wirft dann weiter die Frage nach der necessitas und ratio der von Paulus gelehrten Versöhnung oder Rechtfertigung durch den Tod des Gottessohnes auf und führt Gegeninstanzen gegen dieselbe an. Wenn Gott nach seiner Barmherzigkeit

1) Tractatus de erroribus Abaelardi cp. 5 9, Nr. 11 26, bei Migne, P. L. t. 182 col. 1062 ff. Der Aufsatz von Seeberg, Die Versöbnungslehre Abälards und ihre Bekämpfung durch Bernhard, in Mitteil, und Nachr. für die ev. K. in Rufsl. 1888, ist mir nicht zugäng- lich gewesen. Seiue Ergebnisse, die Seebergs Dogmeugeschichte enthält, habe ich erwogen.

2) Disputatio de Abaelardo cp. 7 bei M igne, P. L. 1. 180 col. 269 ff. H. Kutter, Wilhelm von St. Thierry 1898, handelt S. 122—130 über dessen Lehre vom Heilswerk Christi mit sehr subjektiver Kritik, ohne die historischen Zusammenhänge zu beachten.

3) Bei Augustin heifst der Teufel supplicii exactor.

STUDIEN ZUR VEKSÖHNUNGSLEHRE DES MITTELALTERS. 401

pi einfach vei*zieh and so den Grund der Strafe wegschafite, Itwozu war dann noch Strafe nötig? Wie konnte Gott durch den Tod Christi versöhnt werden, dessen Kreuzigung seinen I gröfsten Zorn hervorrufen mufste? Mufs Gott, nicht dem : Teufel, dem blofsen tortor, der Lösepreis des Blutes Christi gegeben sein, wie verträgt sich das damit, dafs er selbst diesen Lösepreis beschafft hat? Erscheint es nicht grausam oder unbillig, Gefallen zu haben am Blut des Gottlosen? Und er giebt nun, unter Verweis auf eine spätere ausführ- liche Erörterung in seiner Theologia die vorläufige kurze Lösung: Nobis autem videtur, quod in hoc justificati sumus in sanguine Christi et Deo reconciliati, quod per hanc singu- larem gratiam nobis exhibitam quod Filius suus nostram susceperit naturam et in ipsos nos tam verbo quam exemplo instituendo usque ac mortem perstitit, nos sibi amplius per amorem astrixit, ut tanto divinae gratiae accensi beneficio nil iam tolerare ipsum vera reformidet charitas. Diese Liebe ist eben Gerechtigkeit; sie ist unsere Erlösung, weil sie uns nicht nur von der Knechtschaft der Sünde befreit, sondern auch über die knechtische Furcht hinaus in die Freiheit der Kinder Gottes hinaufhebt. . . . Das sind , wenn man noch aus Sent. cp. 23 den Satz binzunimmt: hoc multis denique aliis modis, sed nullo tam convenienti facere potuit, die Sätze, die Wilhelm und Bernhard berücksichtigen ; unbeachtet lassen sie nicht nur, was bei Abälard in cp. 23 der Sentenzen, sondern auch, was zu Rom. 5, 12 ff. und 8, 3 Ergänzendes bei ihm steht.

Was nun die leidenschaftliche Polemik Wilhelms und Bernhards hervorgerufen hat, ist in erster Linie die Methode Abälards, erst in zweiter die Sache. Es empört sie schon, dafs Abälard der Autorität der Väter seine individuelle Über- zeugung entgegenzustellen wagt ^ Die ganze dialektische Methode, die Probleme fühlbar macht, ist für Wilhelm nichts anderes, als mutwillige Gefahrdung der Seelen. Es ist ihnen eine frivole Uberhebung, dafs Abälard gegenüber der Aus-

1) B. Tract. Nr. 11. Omnes, inquit, sie, sed non ego sie. Quis ergo tu?

402 GOTTSCmCK,

sage des Apostels, dafs wir durch den Tod Christi gerecht- fertigt oder versöhnt sind, nach der necessitas und ratio su fragen wagt. Dafür haben sie keinen Sinn, dafs solche Fragen nur die logische Konsequenz aus dem auch für sie gültigen Satze Augustins sind; wonach Gott noch viele andere Wege zu unserer Herstellung zu Gebote gestanden h&tten. Aber diese Überzeugung ist bei ihnen ein Ausdruck der demütigen Beugung vor der Thatsache des göttlichen Ver- fahrens und der Dankbarkeit fiir die grofsen Wohlthaten, die sie für uns bedeutet ^ Die dialektischen Einwände Abälards erscheinen ihnen als seine ernstliche ÜberzeugoDgi um so mehr, als dieser nachher für sie keine Lösung giebt Wilhelm sieht das angebliche Gerede der Schüler Abälards, dafs Christus gratis gestorben sei, als des Lehrers eigene letzte Meinung an: astruere velle videtur quod Christas gratis mortuus sit.

Was Abälard bestreitet, dafs der Teufel ein Recht auf die Sünder beanspruchen könnte, und was er behauptet, dafs Gott, wenn er sich des Menschen erbarmen wollte, ihn durch einfaches Machtwort befreien konnte, das leugnen auch Wil- helm und Bernhard nicht ^. Und sie brauchten Abälards Kritik nicht, um diese Zugeständnisse zu machen. Diese lügte zu der Anselms wirklich nichts Neues hinzu. Auch was damit gegeben war, dafs nicht der Teufel, sondern Gott der Empfänger des Lösegeldes sein mufste, hatte Anselm zur allgemeinen Anerkennung gebracht *. Was sie noch , ab-

1) Tract. Nr. 19. Ratio huius facti fuit dignatio facientis. Quis negat Omnipotenti ad manum fuisse alios et alios modos nostrae re* demptionis . . . Verum hoc non praejudicat huius, quem e multis elegit, efficaciae. Et fortasse is praestat, per quem in terra oblivionis . . . Re- paratoris fortius et vivacius admoneremur. Nr. 20. Cur, inquis, per sanguinem, quod potiiit facere per sermonem? Ipsum interroga. Mihi scire licet quod ita: cur ita non licet. Numquid dicit figmentum ci qui se finxit: quid me iinxisti sie?

2) Tract. Nr. 19. Laborans docere et persuadere, diabolum nullum sibi ius in hominem vindicare potuisse aut debuisse nisi perroissu Dei, et quod sine injuria diaboli jure Deus profugum suum, si Teilet misereri. repetere et solo verbo eripere posset, quasi hoc quis diffiteatur.

3) Cur Deus homo I, 7, II, 20: quidquid ab illo debebatur, hoc Deo debebat, non diabolo.

STUDIEK KÜR VERSÖHNUNGSLEfTÜE DES MriTEL ALTERS. 403

gesehen von der Überzeugung der Unzulänglichkeit seiner positiven Aufstellung, gegen ihn in die Schranken niFt, ist der Umsland, dafs er zu zeigen unterlürat, inwiefern Chriafua uns, wenn auch nicht von einem dem Teufel zustehenden Recht durch eine Gabe an ihn, so doch von seiner Gewalt, der wir mit Recht unterstanden, erlöet hat. Von einer solchen Befreiung aus der Gewalt des Teufels reden Christus und die Apostel. Wenn Abälard davon schweigt, so er- weckt das ihren Verdacht, als ob er diesen nicht glaube '. So fühlen sie das Bedürfnis vor allein gegenüber seinen Problemen, die sie als seine definitive Überzengnng ansehen, und zwar nicht blofs gegenüber den auf den Teufel bezüg- lichen , eine gegen seine Einwände geschützte Darlegung za geben, wie Christus uns von der Gewalt des Teufels erlöst und uns durch seinen Tod mit Gott versöhnt hat. Wenn man diesen Zusammenhang der Dinge beachtet, so erscheint ihr Verfahren, insbesondere auch das Bernhards, nicht als so unberechtigt und verworren, wie es z. B. Ritschi beurteilt hat Andererseits wird es deutlich, dafs Abälard mit vollem Recht sagen konnte, dafs die gegen ihn geschriebenen capitula per malitiam vel ignorantiam vorgebracht seien; denn das von ihm dialektisch Gemeinte war als seine dogmatische Über- zeugung hingestellt *.

Wilhelms Verständnis der Erlösung ist folgendes. Die Gewalt des Teufels über die Menschen ist keine, die er rechtmäfsig erlangt hätte, sondern eine, die Gott als gerechte Strafe der Menschen zugelassen ; sie besteht in der Knecht- schaft der Begierden und hat zur Folge, dafs sie zu seiner Freude mit ihm die ewigen Qualen leiden müssen*. Dia

I) Wilhelm bei Migne, col. 370 B. Et huic hcimini quid diceuius qui aeque ipsi credit veritati neque apnatolis neque doctoribua aposto- ikia? Bernhard Tract. 12— H.

21 Vgl.Migne.P. L. 182 col. lOQO. Den! fle (Archiv für Litteratur- unil Kirch enges Chi cbte des Mittelalters I, ä. G93 Aocn.) hat dies Qbcr- sebeD, wenn er sigl: „So leugnet er durchweg, dafs er jene IrrtOmer gelehrt, die doch in seinen Bchriften stehen oder standen." Würde er etwa Thomaa alle die Anschanungen KUBchiehen wollen, die mit der Matke „videtur quod" in seinen Schriften stehen?

3] a. &. 0. coL 271. 272. Serritus baec servitus est coucupiscentia-

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404 GOTTSCHICK,

Versöhnung Gottes ist nicht, wie sie Abälard darstellt^ ähn- lich der eines zürnenden und unversöhnlichen Menschen, der nur durch das Blut seines unschuldigen Sohnes aich ve^ söhnen läfst oder es zur Genugthuung heischt Die Feind- schaft zwischen Gott und dem Menschen ist keine andere als die zwischen Gerechtigkeit und Sünde. Sein Zorn iit die gerechte Strafe des leidenschaftslosen Richters ^. Die Liebe, Güte oder Barmherzigkeit, die der Vater mit dem Sohne gemein hat oder die der heilige Geist ist, ist's, die sich in der Rettung des Menschen, d. h. des genus Christianum, der Prädestinierten, bewährt und zwar modo, quo id fieri oportebat: Christi obedientia, col. 275: Christi, des prä- destinierten zweiten Adam, der ebenso für seine geisthche Nachkommenschaft Bedeutung hat, wie Adam fiir seine leib- liche. Der Teufel hat nun nicht etwa das Blut Christi als Lösegeld erhalten, sondern es ist nur zugelassen, dafs er in boshafter Freude am Blutvergiefsen , als er ihn vergebens zur Sünde versucht, den Tod, die Strafe des Sünders über ihn brachte. Christus aber, der als Gott und Sündloser nicht zu sterben brauchte, ist freiwillig den zeitlichen Tod gestorben und hat dadurch, ebenso wie Adam durch seine Sünde Strafe über seine Nachkommen gebracht hat, die Strafe für alle Sunden der in ihm Wiederzugebärenden auf sich hinübergezogen (transtulit), so dafs sie dem verdienten ewigen Tode entgehen, wenn auch das Strafurteil des zeitlichen Todes zur Erziehung ihres Glaubens an die Ewigkeit für sie noch bestehen bleibt. Da im Tode Christi keine Sünde der in ihm Gerechtfertigten ungestraft geblieben, so ist im Reiche der Gerechtigkeit nichts Böses mehr ungeordnet. Als synonym mit der gehorsamen oder freiwilligen Über-

rum, qua vivit homo sccundum voluntatem seductoris, ciii nemo ralet resistere, nisi in regno gratiae.

1) Col. 273. Reconciliatio magistri Petri quam fingit in Deo ... procul fiat ab ipso . . . tamquam hominis irati et implacabilis nisi per mortem innocentis Filii. 274. Ira Dei cum tranquillitate omnia judi- cantis justa vindicta fuit peccati immissa peccatori; inimicitiae inter Deum et hominem non aliae quam quae esse solent iuter justitiam et pec- catum.

STUDIEN ZUB VKRSÖUNUNGSLEHBE DES MITTELALTERS. 405

nähme der Strafe der Sünde braucht Wilhelm die Formel, dafs Christus sich Oott als makelloses Opfer dargebracht und so ihm vollkommen genuggethan hat. Die Bedingung des Anteils an der Befreiung von der ewigen Strafe oder ein notwendiges Moment der Versöhnung ist die Aufhebung der Sünde, der Erbsünde wie der eigenen, oder die Rechtferti- gung der Prädestinierten. Da hat nun Christus, so wie Adam in seine Nachkommen durch die leibliche Zeugung die Erbsünde hinübergeleitet hat, durch die wiedergebärende Gnade in die ganze Nachkommenschaft des christlichen Glaubens die ursprüngliche Gerechtigkeit hinübergeleitet (transfudit), so dafs sie durch eine fremde Gerechtigkeit das Leben haben. Durch die Rechtfertigung werden sie dem Teufel entzogen, so dafs sie nun nicht zu seiner Freude mit ihm verloren gehen ^

Erscheint hier die Eingiefsung der Gerechtigkeit Christi

1) Col. 274. Cum peccati auctor peccatum ei persuadere non possit, occidit euin . . . poenam peccati infligens non peccatori. Et Dominus qui poterat, si Teilet, non mori, quia non homo tantum, sed Deus erat et ab omni remotissimus peccato, poenae peccati b. e. morti nihil debe- bat, sponte suecepit mortem ... et transtulit in se poenam omnium peccatorum in ipso spiritualiter regenerandorum. Transfuditque in omnem Christianae fidei posteritatem originalem justitiam per regene- rantem gratiam, sicut in omnem posteritatem camis peccati Adam trans- fuderat inficientem tabem originalis peccati per camalem generationem, Qt viTerent aliena justitia filii gratiae, sicut alieno moriebantur peccato filü irae. Sicque in regno justitiae malum non remansit inordinatum, cum in eo, qui pro peccatoribus mortuus est, nullum remansit justificati hominis peccutum impunitum tantique valuit pretium sanguinis illius innocentis, ut quicumque etiam ioterfcctorum eius per fidem Christo adhaererent, per indebitam eius mortem temporalem, aeternam debitam eiaderent. Nee, sicut queritur Petrus, sacer ille sauguis diabolo quasi in pretium redemptionis pro homine datur, sed appetenti malitiae est permissus, ut cum in gaudium eius funderetur, per justificationem eius innumera multitudo praedestinatorum , ne in gaudium eius cum eo perirent, ei tolleretur. Nee a Deo Patre quasi ad satisfaciendum est requisitus cum tarnen ei plenissime satisfecerit oblatus. Nam in coope- ratione humanae salutis manifeste se declaravit unitas Trinitatis, quando . . . Dens erat in Christo mundum reconcilians sibi et Christus in sanguine 8U0 reconciliabat nos Deo, cum effunderetur sanguis eius, qui per Spiri- tum S. semetipsum obtulit immaculatum Deo.

406 GOTTSCHICK,

als etwas, was nicht wie der Straferlafs durch den Tod Christi, sondern durch seine Einwirkung auf die Prädestinierten ver- mittelt ist, so knüpft er doch in einem zweiten Ansatz auch sie an diesen an. Dadurch, dafs Christus, wie es sich trotz der Barmherzigkeit Gottes geziemte, im voUkommenen Ge- horsam sündlos die Sündenstrafe erlitten, hat er eine neue Gerechtigkeit erlangt, die er als Gott nach seiner Allmacht und Güte dem Geschlecht der Christen schenkt, so dafs sie im Blute Christi durch die im Vergleich mit der leiblichen Erzeugung verborgenere Kraft eines Mysteriimis, natürlich die Taufe, gerechtfertigt werden und noch dazu verdienen den Geist der Eindschaft zu erlangen. Indem die Sünde, die der Gerechtigkeit feind war, so aufgehoben d. h. vet- geben ist, ist' auch die vollkommene Versöhnung zwischen Gott und Menschen und die Beendigung des Zornes hergestellte Das ist eine interessante, klärende und leise berichtigende Reproduktion augustinischer Gedanken, insbesondere der in de Trin. XIII, cp. 11 16 niedergel^en. Von dort stammt die Formel über die Gewalt des Teufels *. Dort hat Augustin, wenn auch der Ausdruck, dafd unsere Begierden die Ketten sind, an denen uns der Teufel gefangen hält, nur anderswo bei ihm vorkommt, es doch stark betont, dafs der Teufel uns durch unsere Sünde im zweiten Tode iesthielt, Nr. 21; und das

1) Col. 275. Homo Christus Dovam per eam (sc. obedientiam) obti- nuit justitiam patiendo poenam peccati sine peccato: quam cum etiam Deus esset omnipotens et bonos, largitus est Christiano generi, cum humano genere morienti in peccato sue ... In quibus postmodum origi- nales) justitia per regenerantem gratiam multo diguius ac potentius ob- tinuit regnum . . . cum qui filii irae erant, filii gratiae effecti in sanguioe Christi occultiore mysterii virtute justificati sunt non solum ab originali peccato. sed ab omni peccato et insuper accipere merentur Spirituro adop- tionis S. testimonium perhibentem conscieutiis eorum quod sunt filii Dei sicque sublato h. e. dimisso peccato, cui justitia inimicabatur, plena facta est Dei et hominum reconciliatio et finis irae h. c. justae Tindictae in Deo. Fit autem finis vindictae, sed aeternae eis, qui ad aetemitatem regenerantur, manente sententia poenae temporalis ad erudiendam fidem aetemitatis.

2) Nr. 16. Quod tantum permiserit, juste tamen. lllo enim dese- rente peccantem, peccati auctor illico invasit . . . Commissio peccatoram per iram Dei justam hominem subdidit diabolo.

STUDIEN ZUR VERSOflNUKOStJiHRE DES MITTELALTERS. 407

"Wort von der Bindung des Starken und dem Rauben seiner Geiafse, das er sonst auf die innere Befreiung bezieht, bringt er auch gerade hier, Nr. 19. Auffallend ist es, dafs die Gewalt des Teufels als praepoaitua mortis bei Wilhelm last ganz zu Gunsten seiner, d. h, der Sünde Gewalt über den Willen zurücktrilt und in eine Gemeinschaft des Verderbens verwandelt wird. Zwar heifst es bei Augustin Nr. 19: nee quemquam aecum ... peccatorum retibus in- volutum traheret ad secundac mortis exitium ; aber man wird nicht felil gehen, wenn man sagt, dafs Abälards ausschliefs- liehe Betonung dieses Momentes und sein Hinweis darauf, dafa dem Teufel da nur die Rolle des carcerarius oder tortor, nach Augustin des exactor supplicü zukomme, die stärkere Betonung des von Abälard übergangenen ersten Momentes herbeigeflihrt haben wird. Die Formeln über die Feindschaft zwischen Gott und Menschen , den Zorn , die Begründung der Versöhnung in der dem Vater, Sohn, Geist gleicbermafsen eignenden Liebe, die Gloichsetzung der Versöhnung mit Er- lafs der Sünden oder Rechtfertigung und Beendigung dea Zornes stammen alle aus dieser Stelle Auguatins ', Eben diese Stelle giebt auch die Formel, dafa die Erlösung durch den Leidensgehorsam des Sohnes das Geziemende war". Für diese Stelle Augustins ist es nun bezeichnend, dafs die Vorstellung von der Versöhnung mit Gott, d. h. soweit diese aufser der Vergebung, der Rechtfertigung oder Beseitigung der Sünde Aufhebung der Strafe des ewigen Todes durch den un- verdienten zeitlichen Tod Christi oder durch seine Bezahlung unseres debitum bedeutet, durch die andere von der BeJreiung aus der Gewalt des Teufels und zwar besonders seiner Gewalt im

1) Nr. 21. Ab ira Dri, quae nihü est aliud quam JuBta vinilJcta. NOQ enim sicut hoiciiiis aoimi perturbatio est iia Dei sed ... cum tranquillitate judicas ... Recnaciliatio dci quac recte iotclligitur nisi cum talis ira fiuitur? Nee iniiniui eramus Deo nisi quemadmnduia juBtitiac sunt inimica peccata, quibus remissis taics ioitnicitiae ficiuctur et ree^acJUantur juste quoE ipse justi&cat. Nr. 1&. Et antca Pater dileiit nos . , . Omnia . , . ergo simul e\ Pater et Filius et ambonim Spiritus pariter et concorJiter operantur.

2J St. 18. Postposuit quod potuit, ut prius ageret quod oportuit.

408 GOTTSCHICK,

Tode feBtzuhalten, erläutert wird; indem der Gedanke, dafs seiner an Christus begangenen Rechtsüberschreitung die Entziehung seines Rechtes über die an Christus Gläubigen von Rechts wegen entspricht eine Gleichsetzung, die nicht ohne einige Verwirrung abgeht. Wilhelm aber hat die auf die Versöhnung mit Gott bezüglichen Gedanken Auf- hebung der Sünde und Befreiung von dem ewigen Tode durch den unverdienten Tod Christi selbständig gemacht und die Beziehungen auf den Teufel in den Hintergrund gedrängt. Es ist bei Wilhelm eine doch wohl stillschwei- gende Umdeutung, die nm* durch Pressung der Worte mög- lich wird, wenn Augustin sagt: in hac redemptione tamquam pretium pro nobis datus est sanguis Christi, quo accepto non ditatus est diabolus, sed ligatus, und wenn Wilhelm sagt: nee, sicut queritur Petrus, sacer ille sanguis diabolo quasi in pretium redemtionis pro homine datur, sed appetenti ma- litiae est permissus, ut cum in gaudium eius funderetur etc. Aber immerhin hat Augustin auch in dieser Stelle die Ver- gebung einfach an die Vergiefsung des Blutes Christi ange- knüpft und die Befreiung vom Teufel auf die Vergebung begründet und hat er anderswo, Sermo 263, die Tötung Christi durch den Teufel durch seine Freude am Blutvergiefsen mo- tiviert.

Wilhelms Gleichsetzung des freiwilligen Todes Christi mit der Genugthuung hat ihre Anknüpfung daran, dafs Augustin auch hier Ps. 68, 5 „quae non rapui tunc exsol- vebam " citiert Sein Satz, dafs Christi Blut so viel galt, um auch die gläubig Gewordenen unter seinen Mördern vom verdienten ewigen Tode zu retten, hat seine Vorlage an Augustins Satz : tanti valuit sanguis ille ut neminem Christo indutum in aeterna morte debita detinere debuerit. Auf eine Ausführung Augustins an dieser Stelle Nr. 21 geht das Ar- gument zurück, das uns schon in Bernhards Schrift an die Templer begegnete und wohl wie der ganze dortige Gedanken- gang Bernhards durch Wilhelms Darlegung veranlafst ist, daft die Zulänglichkeit des Todes Christi, um alle durch Christi Vermittelung Wiedergeborenen von der Strafe zu befreien, durch die Analogie der Wirkungen der Sünde Adams bewiesen

BTCDIEN ZUR VERSOHNUKGSLEHRE DES MITTELALTEKS. 409

wird. Eine folgerechte ausdriicfelichD Anwendung augustinischer Gedanken auf Augustina Veratändnia der He Urbedeutung des Todes Christi, die Wilhelm mit Anaelm teilt, ist es, wenn er sagt, dafs durch den Tod Christi jede Unordnung des B'isen in der Weit der Gerechtigkeit aufgehoben sei, weil in ihm die Sünde keines Gerechtfertigten unbestraft geblieben sei. Dafs auch Wilhelm das Erleiden der Strafe durch ChristuB in der Analogie zu der aktiven Satisfaktion der Bufse meint, diese selbstverständliche Wahrheit empfängt hierdurch eine neue Bestätigung ', Endlich folgt Wilhelm auch darin nur Augufalins Vorgang in dieser Stelle, dafs er den Erlafs der Sünde, der immer auch effektiv gemeint ist, einerseits als direkte Wirkung Christi, sofern er Gott ist, ansieht, andereeits sie indirekt aus der Bedeutung des Todes Christi für Gott begreift '. Die Vermittelung liegt wohl darin, dafs es die Taufe ist, durch die Christus die Rechtfertigung ^ Wieder- geburt vollzieht; denn sie hat nach Augustins Lehre ihre Kraft vom Tode Christi, Eine Fortbildung durch Kombi- nation verschiedener auguatinischer Aussagen ist ea, wenn Wilhelnt davon redet, dafs Christus durch seinen Gehorsam bis zum Tode eine neue Gerechtigkeit erlangt hat, die Gott dem Cliriatengeschlecht schenkt, so dafa sie nun durch fremde Gerechtigkeit das Leben haben. Augustin sagt hier nur, dafs der Teufel durch die Gereclitigkeit Christi besiegt ist, nämlich indem er sich an dem Gerechten vergriff, sowie dafa wir durch Christi Blut gerechtfertigt und so von der ätrafe befreit sind, endlich dafs wir durch seine unbefleckte Gnade wiedergeboren sind. Andrerseits hat Augustin, in Ps. 21, 3. En. JI, die Formel: delicta nostra sua delicta fecit, ut Justitiaro suam nostram justitiam facerct. Aber diese Ge- rechtigkeit ist die, die er als Gottessohn von Ewigkeit und als Mensch von der Konzeption an hat.

Die positive Darlegung, welche Bernhard den kiitischen und dialektischen Ausführungen AhUlards gegenüberstellt, ist

1) Z. Th. K. 1901, S. 136ff, 17Gff.

2) Vgl. Anm. 1 und Nr, 21 ; dimisit ea ille qui ! Nr. 21: reconciliaotur iusto quoa ipse justificat,

410 GOTTSCHICK,

nach der Vorlage Wilhelms und mit eigener Benutzung der Kapitel aus Augustins 13. Buch de trinitate gearbeitet

Auch für Bernhard ist in Wahrheit die Gewalt des Teubk nichts als ein Ausdruck für die Knechtschaft der Sünde und die Verfallenheit an die göttliche Strafe der Verdammm Auch für ihn vollzieht sich die Befreiung aus ihr durch die Versöhnung mit Gott mittels der Vergebung oder Becht> fertigung und auf Grund der Bezahlung oder Satisfiiktiaii Christi ^. Aber er bemüht sich, von Augustins Aasdrfiekeii etwas mehr zu konservieren als Wilhelm. Er erweist aoi der Schrift, dafs der Teufel Gewalt über die Menschen hatl^ nicht nur sofern sie seinen Willen thun mulsten, sondern auch sofern er den Tod über sie bringen konnte. Pilstitf' Gewalt, die Christus Joh. 19, 11 anerkennt, ist ein Speiial- fall derselben. Knecht der Sünde und Gefangener des Teu- fels, debitum mortis und dominium diaboli, setzt er als deut- liche Synonyme nebeneinander, Kap. 6, 15. Diese Gewalt soll aber auch eine gerechte sein, ein gewisses Recht über den Menschen einschliefsen, freilich nur insofern, als sie eine gerechte Strafe Gottes über den Menschen bedeutete So fühlt Bernhard denn das Bedürfnis, indem er Augustins Formel konserviert, dafs es fiir den Befreier angemessen ge- wesen , statt Gewalt Gerechtigkeit gegen den Teufel ru biauchen , doch den klareren Grundsatz Augustins übff Gottes rettendes Verhalten voranzustellen, den Anselm auf die geschichtliche Erlösungsthat ausdrücklich angewandt hatte: die Befreiung ist durch die Barmherzigkeit geschehen, aber so, dafs dabei ein gewisses Mafs von Gerechtigkeit nicht ge- fehlt hat ^. Und der leitende Gesichtspunkt, unter den er

1) a. a. 0. Nr. 20. Ubi reconciliatio , et remissio peccatomn. Nam . . . manente peccato non est reconciliatio ... Et quid ipsa nsi justificatio? Sife igitur reconciliatio sive remissio sive justificatio sit; sive etiam redcmptio vel libcratio de vinculis diaboli, a quo captivi toie- bamur ad eins voluntatem: intercedente morte unigeniti obtinemas, justiticati gratis in sanguine ipsiiis.

2) Nr. 14. Hoc diaboli quoddam in hominem jus, etsl non jure acquisitum, sed nequiter usurpatum; juste tamen pennissum.

3) Nr. 15. Juste igitur homo addictus, sed misericorditer liberatus;

STUDIE» ZLK VEIISÜUNUNGSLEHUE DES MITTEL ALTEIiS. 411

nvm alles stellt, ist die Herstellung vou Gerechtigkeit des MeDschen durch das Blut Chrieti : dem Menschen , der sich die verlorene Gerechtigkeit nicht eelbst wiederver- Bchaffen kann, wird eine fremde zugerechnet und ge- schenkt, und zwar eine, die das Gegenstück sowohl zu dem reatua, wie zu der culpa oder dem peccatum ist, die sowohl EUgerechnete sntisfactio wie eingeSörste , wied ergebäre u de Gnade ist. Es ist das eine Weiterbildung Augustius auch Qber den von Wilhelm v. Thierry erreichten Punkt hinaus, die, soviel ich sehe, erst von den Reformatoren wieder auf- genommen ist. Was nun die Vermittelung dieses Erfolges durch Christi Tod anlangt, so holt Bernhard freilich Au- gußtins Formel wieder hervor, dafa der Teufel, weil er Christus zu Unrecht in den Tod gebracht, juatissime quos tenebat amisit, aber nur, um sofort die andere daf\ir einzu- setzen, dafa Christus durch die Bezahlung dessen, was der Mensch schuldig war, oder durch die Satisfaktion, die mit Beinern nicht erforderten Tode geschah, den Menschen von dem debitum mortis wie von der Herrschaft des Teufels beireit hat; redemtio und satisfactio sind lur ihn dasselbe '. Bernhard giebt sich nun besondere Mühe, zu zeigen, dafs dieser Erfolg nach dem Mafsstab der Gerechtigkeit sicher ist. Haupt und Glieder sind eins; so trägt das Haupt die Sünden der Glieder, d. h. übernimmt die Verantwortlichkeit

ibter, ut non defuerit justitia quaedam et in ipsa Itberaünne.

1] Ib. Quid ex se agere poterat, ut setnel amiKsam justttiam le- cuperaret homa scrvus pcccati, viactua diabali? Assigaata est ei proiade alieiHL, qui caruit sua; et ipsa sie e&L Vemt princeps huius nuadi et in Salvatore aon iavenit quldquam; et cuu oibiloiDinus innucenti Biuiua iajecit, juuisaime quos tenebat amisit: quanilo is qui morti nihit debebat, HCcepCa mortis injuria, jure illutn, qui obDoxiuB erat et mortis debito et ditiboli solvit domiDio. Qua eniui jtisütia id accundum bomo RigFretiir? Homo siquidem qui debuit, bomo qui solvit. Naui 2 Cor. B, 14, ut vidclicet sBti«factio unius omnibus iinputetur, sicut umniutn peccata unus ille poitavil; ncc alter iam Invetiiatur qui fiirefecit, alter qui sBtUfecit: quia caput et corpus unus est Cbri&lus. Salisfecit ergo Caput pro membris, Christus pro visceribus suis ... IT: llacc est justitia hominis in sanguiue Cbristi.

412 GOTTSCHICK,

ilir sie, und seine Satisfaktion wird ihnen angerechnet: wie sollte also die Zahlung zum zweitenmal vom Menschen ver- langt werden. Wenn der Teufel sich darauf beruft, da(s der Vater mich ihm zugesprochen, so verweise ich dar- auf, dafs mein Bruder mich losgekauft, d. h. dafs für mich gilt, was dieser gethan ^ Diese Rede und Qegenrede meint Bernhard übrigens schwerlich wie die Reformatoren als einen Vorgang im Gewissen, sondern als Veranscbaulichung der Rechtsgültigkeit der Leistung Christi fiir die Seinen. Ins- besondere beruft er sich dann wie Wilhelm nach Äugustins Vorgang darauf, dafs gerechterweise für Christus und die Seinen das Analogon zu dem gelten mufs, was für Adam und die Seinen gilt. Habe ich den reatus von anderswohefi von unserem Vater, wie sollte da nicht auch die Gerechtigkeit mir anderswoher kommen können, nämlich von meinem Bru- der! Wenn meine culpa d. h. die Sünde als thatsächliche Beschaifenheit auf mich übergeführt ist, warum nicht auch die Gerechtigkeit! Und es ist Thatsache, dafs ich, wie von Adam durch die fleischliche Zeugung mit der erbsündlichen Begierde infiziert, so von Christus durch die himmUsche Geburt mit seiner geistlichen Gnade erfüllt bin, ein Gerechter durch Christi Gerechtigkeit; wie sollte da der Geist nicht über das Fleisch im Rechtsstreit die Oberhand davon tra- gen^! Der Sinn ist kurz: denjenigen, welchen Christus

1) Nr. 16. Quodsi dixerit, Pater tuus addixit te, respondebo, sed frater meus redemit me.

2) Nr. 16. Cur non aliunde justitia, cum aliunde reatus? Alius qui peccatorem constituit, alius qui justificat a pcccato, alter in semine alter in sanguine. An peccatum in semine peccatoris et non justitia in Christi sanf^uine? Sed justitia, inquiet, sit cuius est: quid ad te? Esto. Sed sit etiam culpa, cuius est: quid ad me? An justitia justi super eura erit et impietas impii non erit super eum? Non convenit filium portare iniquitatem patris et fraternae fieri exsortem justitiae . . Non sie illi attineo, ut non et isti. Si illi per carnem; et per fidem huic: et si infectus ex originali concupiscentia; etiam Christi gratii spirituali perfusus sum. Quid mihi plus imputatur de praevaricatore? Si gencratio, regenerationem oppono; nisi quod spiritualis est ista, illa carnalis nee patitur ratio aequitatis ut ex aequo contendant: sed Tiacat necesse est Spiritus carnem et sit efficacior causa, cuius potior est na- tura . . .

STUDIEN ZÜB VEU&ÖHNUNGSLEHK£ DES MITTELALTERS. 413

seine effektive Gerechtigkeit mitteilt, wird die von ihm ge- leistete Genugthuung als Gereclitigkcit angerechnet, so dafs sie nicht verdammt werden können. Die schon bei Auguatin charakteristische Uoklarheit über das Verhältnis der einzu- flöfaenden Gerechtigkeit zum Tode Christi, die uns in Bern- hards Schrift an die Templer und bei Wilhelm wieder be- gegnet war, zeigt sich auch hier: inwiefern sie, duicli deren Mitteilung die Snechtachaft der Sünde und mit ihr der eine Teil der Gewalt des Teufels gebrochen wird, durch Christi Tod begründet ist, darüber sucht man vergebens nach Aus- kunft. Aber hier wird auch ein weiterer Grund dieser Ver- wirrung deutlich. Er liegt darin, dafs man sich durch Paulus' Lehre von der Rechtfertigung der Vielen durch den Tod Christi gebunden luhlt, während man doch die Rechtfertigung in einem ganz anderen Sinn als Paulus versteht. Dafs die äflli»faktion an Gott gerichtet ist, ein Merkmal, dessen Her- vorhebung Ritschi vermifst hat, ist selbstverständlich und ergiebt sich aus der synonymen Formel von dem dem Vater geopferten Blut Christi, Nr. 22; dafs sie, so gewifs sie auch ah Tragen der Strafe bezeichnet werden könnte, doch al» aktive Leistung gottgeßÜlig ist, zeigen Wendungen aus der sonst nichts Neues bietenden Widerlegung von Abälards dialektischen Fragen zur Versöhnung durch Christi Blut: was Gott am Tode Clirisli gefällt, ist nicht der Tod des Unschuldigen, sondern die voluntaa des freiwillig Sterbenden, die pietas des Leidenden, Nr. 21. Gott hat sie angenommen, nicht weil er nach Blut, sondern weil er nach unserem Heile durstete, das auf diesem beruhte, Nr. 22.

Abälard gegenüber bat Bernhard also nichts anderes über die Erlösung gelehrt, als was er auch sonst gelehrt hat, imd was ihm für die religiöse Belbslbeurteilung von fundamen- taler Bedeutung war: die durch die Mitteilung der Gerech- tigkeit Christi Wiedergeborenen dürfen sich auf Gnmd seiner Bezahlung ihrer Schuld oder seiner Satisfaktion von der Verdammnis frei wissen. Mit der Rechtfertigung und der damit um Christi willen gegebenen Sicherheit gegen die ewige Sündenstrafe ist die Erlösung von der Gewalt des Teufels vollzogen. Wichtig ist es, dafs hier bei Wilhelm z-iucbr. r. K,-ü. .\xn. s n

i

414 GOTTSCHICK,

-wie bei Bernhard klar zu erkennen ist, dafs diese Theologen sich der Identität der Gedanken Augustins und Anselms voll bewufst sind, dafs sie aber die Qedanken stillschweigend ablehnen, in denen Anselm wirklich Augustin überschreitet. Die Notwendigkeit des Todes Christi zur Befreiung des Menschengeschlechtes, genauer der Gemeinde Christi, und die Berechnung des Wertes, den nach dem Mafsstab strenger Gerechtigkeit die bezahlende oder genugthuende Leistung haben mufs und die der Tod Christi hat: beides geht ihnen nicht nur gegen die Tradition, sondern gegen ihr religiöses Gefühl, weil gegen die Souveränität Gottes: Gottes Wesen, das Einheit von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit ist, kommt zur Geltung, wenn nur ein gewisses Mafs von Gerechtigkeit bei der barmherzigen Befreiung nicht fehlt.

Und nun die Beurteilung der positiven Lösung des Pro- blems durch Abälard selbst! An diesem Punkte ist Wilhelm weniger scharf als Bernhard und zugleich wieder systema- tischer. Drei Dinge, sagt er, müssen die Gläubigen beim Heilswerk Christi verstehen, das Geheimnis der Erlösung oder Versöhnung aller, das Beispiel der Demut als Gegen- gewicht gegen den Hochmut und die provocatio charitatis, den Antrieb zur Liebe, als das für die in Weltliebe Be- fangenen Erforderliche. Abälard nun habe das erste nur ober- flächlich gestreift, das zweite gänzlich vernachlässigt, auf das dritte versteife er sich ganz und gar. Aber der hoch- mütige Mensch könne nicht zur Liebe Gottes provoziert werden, wenn er nicht zuerst in seiner Eigenliebe gederaütigt und vorher durch das Geheimnis (sacramento) der Erlösung von den Banden der Sünde gelöst sei ^ Es sind in der That

1) a. a. 0. col. 276. Cum in dispensatione mediatoris tria prae- cipue intelligenda sint fidelibus, sc. sacramentum redemptionis et recon- ciliationis omnium, et ad cos qui maxime per superbiam peribant, exeinplum humanitatis; et ad eos, quorum amor in terrenis computruerat, provocatio charitatis: primo leviter perstricto, secundo penitus neglecto, tertio totus incumbens, dicens hoc fuisse consilium, et hanc esse cau- sam incarnationis et passionis Domini, ut luce sapientiae suum mundiim illuminaret et ad amorem suum accenderet, tamquam posset provocari homo superbus ad amorem Dei nisi primo humiliaretur ab amore sui

STUDIEN ZUH VEßßÖUNUNGSIjaiKE DES MITTELALTERS. 415

Augustins entscheidende Gedanken, die M'ilhelni hier zu- sammenstellt. Und auch darin hat er recht: die Wirkung auf die einzelnen durch das Beispiel der Demut und den grufsen Erweis der GotteeUebe setzt bei diesem die allge- meine oder „objektive" Erlösung bezw. Versöhnung, die an Stelle der erwühlten Gemeinde geschehene und ihr die Be- freiung von der Strafe bezw. von der culpa sichernde süh- nende Leistung Christi voraus. Das ist in der That ein iiovuni gegenüber Augustin, dafs Abälard aua dem Gagen- liebe weckenden Liebesbeweia, den Gott durch Sendung und Tod Christi gegeben, die kurz gesagt sühnende Bedeutung dieses Todes, seine um der Gerechtigkeit willen erforderliche Wirkung nicht auf die Gesinnung, aber auf das Verhalten Gottes gegen die Gemeinde der Erwählten ausläfst. Nicht, dafa er den Tod Christi als Folge der Treue im Lehren durch Wort und Beispiel bezeichnet, ist das, was Anstofs erweckt. Die empirisch-geschichtliche Betrachtung des Todes Christi als eines Märtyrertodes ist schon als die notwendige Grundlage seiner ethiacheu Auflassung als eines Vorbildes seit Auguatin Geraeingut und tritt bei Anselm (II, 11 und 19) deutlich heraus; sondern das ist das Auffallende, dafs die religiöse Bedeutung, die Hervorhebung der Wirkung auf das Verhalten Gottes zur erwählten Gemeinde, fehlt. Auffallend ist das weitere Urteil Wilhelms, Abälard habe das erste Kloment nur oberflächlich gestreift, das zweite ganz beiseite gelassen; denn hei Rom. 3, 25. 2ij steht von beidem gai- nichts, und im 23. Kapitel der Sentenzen, wo in der That das sacramcntum redemptionis gesti-eift wird, ist ausfahrlich von dem Beispiel der Demut die Rede.

Bernhard nun hat drei Dinge au Abälard s eigener Lö- sung auszusetzen. Zuerst entrostet er sich darüber, dafs dieser Mensch werduiijj:, Lc;ben, Leiden, Tod und Erhöhung des Herrn auf den einen Zweck zurückführen wolle, den Menschen die rechte Gestalt des Lebens zu übcrÜefcru, sie durch Wort und Beispiel zu unterweisen. Dafs Christus

et Diii prius Gacramcnto ledemtiunia nnculo peccati.

i

416 GOTTSCHICK,

nach Abälard durch sein Leiden und Sterben ihnen die Liebe gezeigt (ostendit), deutet Bernhard darauf, dafs er das Ziel der Liebe gezeigt. Die provocatio ad amorem bedeutet ihm nur Lehre, Aufforderung zur Liebe, nicht Erweckung der- selben, nicht Mitteilung der Liebeskraft ^ Jene Lehre oder ostensio nützt nichts, so hält er Abälard entgegen, ehe nicht die Macht der Sünde in uns gebrochen ist ' : fateamur ne- cesse est, et a Christo nobis non institutione, sed regenera- tione restitutam justitiam et per justitiam vitam. „Von Christus haben wir nach Abälard die Erleuchtung und die Aufforderung, provocatio, zur Liebe, von wem aber die Er- lösung und Befreiung?"* Der Absicht Abälards thut Bern- hard hier Unrecht; es ist kein Zweifel, dafs dieser wie Au- gustin, wenn derselbe das persuadere dem blofsen suadere entgegenstellt und dem Eindruck Christi diese Kraft des persuadere zuschreibt, eine übermächtige Wirkung der Offenbarung von Gottes Liebe, eine schöpferische Erweckung von Gegenliebe und insofern eine Mitteilung der Gerechtig- keit meint. In cap. 23 der Sentenzen redet er auch davon, dafs Christus seine Liebe uns einflöfst (infundit, immittit). Aber anderseits bleibt Bernhard doch der dem Pelagianis- mus gegenüber gebildeten dogmatischen Formel Augustins treu, die die Mitteilung der Liebe oder Gerechtigkeit durch eine Gnadenwirkung geschehen läfst, welche sich nicht schon durch den Eindruck des Inhaltes des Evangeliums vollzieht, sondern durch eine hinzutretende verborgene Inspiration.

Ferner macht Bernhard Nr. 24 geltend, dafs wenn die Rechtfertigung durch das Blut Christi in jener provocatio

1) Nr. 17. Ad id solum putet et disputet redigendum, ut traderet homiuibus formam vitac vivendo et doccndo, patiendo autcm et moriendo charitatis metain pracfigeret. Ergo docuit justitiam et non dedit; ostendit charitatein, sed non infudit.

2) Nr. 23. Caeterum quid prodest quod nos instituit, si uon re- stituit? Aut numquid frustra instituimur, si non prius in nobis destruatur corpus peccati, ut ultra non serviamus pcccato. Si omne quod profuit Christus in sola fuit ostensioue virtutum, restat ut dicatur quod Adam quoque ex sola peccati ostensione nocuerit, si quidem pro qualitate vulneris allata est mediciua.

3) Ib.

STUDIEN zun VERSÜnNUKGSLEIlKE DES MITTELALTERS. 417

ad aiDorem aufgeht, die parvuli, die diese Liebe Gottes noch nicht verstehen und erwidei-n können, keinen Anteil an der Erlösung von der Sünde haben würden. Unter der Vor- aussetzung, dafs das Inkriminierte Äbälards ganze Lehre ist, ist das auf dem gemeinsamen Boden des Katholiciamus ein vollberechtigter Einwand.

Endlich (Nr. 25) zählt auch er wie Wilhelm drei Haupt- punkte auf, die er am Heilswerk Christi anschaut, das exem- plum der Demut, das exemplum der Liebe, die sich bis zum Kreuze eratreckt, redemptionis sacramentum, quo ipsam mor- tem quam pei-tulit, sustulit. Die beiden ersten ohne das dritte nennt er pictura super inane absque solido, ein blofses Pbantasiebild ; mit dem dritten fehle ihnen Fundament und Bestand, sei weder das eine noch das andere etwas. „Ich will mit allem Ernst dem demütigen Jesus nachfolgen; ich begehre den, der mich geliebt und sich tür mich gegeben, mit Armen der Gegenliebe zu umfassen ; aber um das Leben zu haben, mufs ich das Fleisch des Fassahlammes essen und sein Blut trinken." Mit diesen Sätzen hat er in der That seine sonst geübte Methode der Frömmigkeit, die sich von Jesu im Leiden erwiesener Liebe zur Oegenliehe reizen läfat, nicht verleugnet. Ihm ist wirklich die Liebesthat Gottes, die ihn zur Gegenliebe bewegt, die Erlösungsthat, die durch Hingabe Christi in den Opfertod oder zur Genugthuung für uns das auch auf der Gemeinde der Erwählten lastende Straf Verhängnis in einer der Gerechtigkeit Gottes entsprechen- den Weise aufhebt. Und er hat Recht gegen Abälard auch auf dem Boden der kirchlichen Tradition. Augustin hat den Tod Christi nur so als den grufsen Beweis der Liebe Gutteu gewürdigt, dafs er ihn dabei als die Bezahlung für dessen Schuld und damit als unsere Erledigung von der Strafe verstand.

Aber in dieser Polemik gegen AbäJarda positive Auf- stellung hätten die Gegner vom gemeinsamen Boden augusti- niflcher Überlieferung aus nur recht, wenn das, was Abälard zu Rom. 3, 25. 26 sagt, das Ganze seiner Anschauung wäre. Nun aber enthält seine Auslegung des Rjjmerbriefs in ihrem

418 GOTTSCniCK,

weiteren Verlaufe besonders bei 5^ 12iF. ergänzende Ausiuh- rungen, durch die die Sache ein ganz anderes Aussehen be- kommt; in denen von unserer auf dem Wege nicht nur der Barmherzigkeit, sondern auch der Gerechtigkeit erfolgenden Befreiung vom Qesetz durch das Verdienst Christi die Rede ist Auch die protestantischen Historiker kommen an diese Ausfuhrungen so sehr mit dem durch die Leidenschaft seiner Gegner erweckten Vorurteil heran, Abälard müsse doch von der Tradition in der allererheblichsten Weise abgewichen sein, dafs sie die genannte Stelle im Römerkommentar so- wie die parallelen Stellen eben dort, in cap. 23 der Sen- tenzen und in Abälards Sermonen, in einer Weise auslegen, durch die Abälards Gedanken ganz aus der Linie derjenigen Lehre von Christi Verdienst und Genugthuung herausgerückt werden, die als die anseimische bezeichnet zu werden pfl^ und deren Begründung bei Augustin, deren Fortwirken bei Bernhard und Wilhelm v. Thierry ich nachgewiesen habe. Nach H. Schultz^ soll Christi Tod den Wert als Opfer und Lösepreis und als Verdienst für Abälard nur in dem Sinne haben, dafs die Darstellung der Liebe Christi in seinem Wirken bis zum Tode Demut und Liebe und somit die Quelle von Verdiensten in uns zu stände bringt. Nach Harnack ist Christi Verdienst sein Liebesdienst. Nach Deutsch*, dem Harnack^ beistimmt, soll das Verdienst bei Abälard so eng mit der Person verbunden sein, dafs Christi Verdienst, das er aber als Wirkung auf Gott fafst, nicht wie eine Sache von ihm abgelöst und auf einen an- deren übertragen werden kann; Christus habe in seinem Sinn genug gethan, sofern er die göttliche Bestimmung der Menschheit verwirklichte und die Versöhnung, Vergebung wie neues Leben, beruhe dann auf der persönlichen Gemein- schaft mit ihm. Nach Ritschi* und Seeberg ^, auch nach Deutsch soll das Verdienst Christi nur die Bedeutung

1) a. a. 0. S. 263.

2) Deutsch, Peter Abälard (1883), S. 379-382.

3) DogmeDgeschichte, 3. Aufl., III (1897), S. 375.

4) a. a. 0. I, S. 50 ff.

5) Lehrbuch der Dogmengescbichte II (1898), S. 55.

STt'DIEK 7.VK VEBSiiHNUJJGSI.EHRE DES MITTELALTERS. 419

haben, dafa es die Mängel der durch Christi Lehre, Beispiel und den Eindruck seines 1'odes in uns entzündeten Liebe oder Gerechtigkeit, die als solche die Vergebung nach sich zieht, er- gänze. Wenn Äbälard in diesem Zusammenhang von Ge- rechtigkeit redet, so soll nach Kitschi deren Bogriff ethisch und nicht juristisch und nicht im Gegensatz zur Gnade, sondern ihr untergeordnet und darum auch nicht einer Ver- mittelung mit der Gnade durch den Begriff der Genugthuung bedürftig sein, wie bei Anselm ; der Begriff der Genugthuung liege vielmehr aufser Abälards Gesichtskreis, der kein Hinder- nis dagegen wahrnehme , dafa Gott seine Liebe zur Versöh- nung an den von ihm Erwählten bethätige.

Dem gegenüber komme ich zu dem Ergebnis, dafs Äbä- lard hier ganz und gar die Versöhn ungslehre vertritt, die, von AuguBtin stammend, bei Anselm, Wilhelm v. Thierry, Bernhard als Gemeingut nachgewiesen worden ist.

Es liandelt sich um die Parallele zwischen den Wir- kungen, die Adam und die Christus auf die beiderseitigen Menschengeschlechter, auf das, was einem jeden von beiden als das seinige gehört, auf die Nachkummen, Christus also auf seine „geisthchon Nachkommen", haben. Adam über- trägt (transfundit) durch seinen Ungehorsam auf die Nach- kommen die Sünde , Christus durch seinen Gehorsam die gratia justificationis. Abälard fafst diese beiden Wirkungen hier aber ganz in dem streng paulinisch-augustinischen Sinn, wonach es sich um unmittelbare Zurechnung der Sünde Adama zur ewigen Verdammnis, und bei der Rechtfertigung um die Lossprechung von der Strafe handelt '. Trotz der ewigen Liebe Gottes gegen die Erwählten steht es nämlich nicht so, dafs Abälard kein Hindernis wahrnähme, dafs Gott

1) Migne, Patrot. L. 178. Col 663: gratia Dei, i. e. grfttuitum doDum remissionis ex multis delictis tarn originali ac. quam propriis per Christum condonatis est nobia in jualifioatiouein i. e. ad poena- rum absolutionem. 861: per iicius justitiam agitur ad juatitica- tioaem vitae i. e. ad remissionem p. quae vitam conferat aeternacn. 6f6: coostitueutur juati i. e. ab omni pcccaci peiiitus immunes etiam per poenam. 860: dicnattir peccata dimitti i. e. poenae peceatorum condonari.

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420 GOTTSCHICK;

diese sofort an ihnen zur Versöhnung bethätigen sollte. Sie sind ftir ihn solche , die Gott trotzdem als Feinde ansieht, die bestraft werden müssen ^ Diese Strafe lastete auch auf den Qerechten des alten Bundes, sofern sie nicht ins himm- lische Paradies hineinkamen, weil Gott, wie seit Pseudo- Ambrosius (d. i. in diesem Falle Alcuin) aUgemeine Lehre ist, dies bis auf die Zeit, wo gewisse Bedingungen erfüllt sind, durch sein Dekret verschlossen hat: Christus aber hat diese Strafe weggeschafit und den Himmel geöffnet *. Das ist also eine ron Christus ausgehende Wirkung, die so ob- jektiv'^ d. h. unmittelbar auf Gottes Verhalten ohne den Um- weg über unsere subjektive Veränderung gerichtet ist wie nur möglich. Nun findet es Äbälard bemerkenswert, dals Paulus bei dieser Transfusion von Sünde und Gnade, die von Adam und Christus ausgehen, es als eine Forderung der Vernunft und Gerechtigkeit bezeichne, dafs durch Christus mehr Güter verliehen werden müfsten als durch Adam Übel ^. Es ist dieselbe Stelle Augustins De trin. XIII,

1) Col. 861: cum prius nos pro inimicis haberet ad puniendum.

2) Col. 898: damnavlt peccatum i. e. poenam peccati a nobis re- moyit, qua etiam justi tenebantur antea, et coelos aperuit. Nachher erläutert er das damuare p. als reatum omnem et culpam destruere und als delere peccatum, das ja auch bei Augustin zunächst die Auf- hebung des reatus, aber zugleich die der culpa bedeutet.

8) Ich setze der Übersichtlichkeit wegen gleich den ganzen Passus her. Col. 865. Non autem segniter praetereundum est quod hoc loco Apostolus de peccato et gratia per Adam et Christum iransfusis toties replicat, et quod quasi necessaria ratione ac manifesta justitia exigente astruit plura per Christum bona, licet non pluribus conferri quam per Adam mala, quasi plus in juyando iste potuerit quam ille in nocendo: quod apertum est. Sed ex hoc, ni fallor, contuendo nobis Apostolus reliquit Deum in incarnatione Filii sui id quoque sibi machinatum fuisse, ut non solum misericordia, verum et justitia per eum subveniret peccantibus, et ipsius justitia suppleretur quod delictis nostris prae- pediebatur. Cum enim Filium suum Deus hominem fecerit, eum pro- fecto sub lege constituit quam iam communem omnibus dederat homini- bus. Oportuit itaque hominem illum ex praiBcepto divino proximum ipsum tamquam se diligere, et in nobis cbaritatis suae gratiam exer- cere, tum instruendo nos, tum pro nobis orando. Praecepto itaque di- Tino et pro nobis et maxime pro dilectione ei adbaerentibus orare coge- batur, sicut in Evangelio Patrem saepissime interpellat pro suis. Summa

8TUD1KK zun VEHSÖHNUNGSLEIIKE DES U1TTELÄ1.TERS. 421

Nr. 21, vgl S. 382 Anm. 2, die (Ur Wilhelm und Bern- hard die leitende war, die auch Ihm die Betrachtung jenes Verhältnisses unter dem Gesichtspunkt der Gei-echtig- keit an die Hand giebt. Es ist die Vullkommenheit ChnstJ, die solche wohlthätjgen Folgen foidert, Folgen, die als Par- allele zu den von Gott verhängten ötraffolgen des Unge- sama Adams als von Gütt gewährter Lohn zu verstehen sind. Kurz, wir haben hier den Begriff der nach den Verdiensten vergeltenden Gerechtigkeit oder den vulgären „juristischen" als Mafsstab für die Beurteilung der Folgen von Adams und Christi Thun '. Und so definiert denn Abälard auch die Ge- rechtigkeit selbst auadrücklich '. Dieser Begriff der Gerechtig- keit ist freilich (gegen Ritschi) im Gegensatz zu der Barm- herzigkeit, deren Wesen es ist, umsonst Wohlthaten zu geben. Wenn nun Abälard forttUhrt, Gott habe bei der Mensch- werdung seines Sohnes es geplant, nicht nur mit Barmherzig- keit, sondern auch mit Gerechtigkeit den Sündern zu Hilfe zu kommen, so kann das gar nichts anderes heifsen, als was es bei Anselm und Bernhard in folgerechter Anwendung der augustinischen Formeln über das Verhältnis von Gottes Barmherzigkeit und Gerechtigkeit heilst, dafs die Barm- herzigkeit Gottes den Sündern zwar ohne ihr Verdienst in Christus die erforderliche Hilfe gewährt, aber doch bo, dafs

vero eiua iustilia eiigebat, ut in niillo eius oratin repulBam siistincret, quem tiibil nisi quod oportebat relle vd facere unita ei diTiiiitaB per- iiiitt«bat. Qund ipse Apostolus dwibiis aliia locos insiuu&Tit, scribcns OaL *, 5. Ebr. 5, 7. Humu itaque factus lege ipsa dilecliouiB prosimi constringitur, ut eo& qtii siib lege crant nee per legem poterant salvarj, Tedjmeret et quod in noatris non erat tneriüs, ex suis suppleret. Et sicut sanctitue siugularis eistitit, aingulavia ficret ulilitate in alinnira etiam Salute. Alioquin quid magnum H&actitas eiua promereretur, ai ■uae taotuTD salvatinni, non alieuac sufficeiet? Numquid Adam obe- dieiido sc ipsum ealTasset, qund unusquisque etiam tianctorum per gra- tiam Dei obtinct? Multo plus atiquid in ilb smgiilaii justn divina operari gratia debuit. Nou sunt etiam copioaae poteniis divitiae, quae alioa ditare dou gufticiuut.

1) Vgl. auch 663: multo couveDlentius et justius per unum Jesuin Christum omnium bonorum plenitudine perfcctum.

2) 864 ; Justitia quippe dicitur quae unicuique reddit , quod laniii eit.

422 GOTTSCHICK,

dabei durch den göttlichen Mittler die Forderung der gött- lichen Gerechtigkeit erfüllt wird, wonach eine ,, Bezahlung'', ein poenam dare, kurz eine Satisfaktion die Bedingung des Straferlasses, der Aufhebung des Zornes oder der Versöh- nung ist : donat unde sibi sacrificetur, ipse tribuit unde pU- cetur. Kurz, auch für Abälard will die Vergebung ver- dient werden durch eine Leistung, die nach Gottes Urteil solchen Lohnes wert ist. Da wir dazu nicht im stände sind, so tritt, wie es nachher heifst, Christi Verdienst er- gänzend ein. Dafs nun Abälard auch Christi Verdienste im vulgären Sinn einer von Gott zu belohnenden Leistung, also einer Wirkung auf Gott meint, nicht in der sonst un- erhörten Umdeutung einer Wirkung auf uns, die uns za Verdiensten befähigt, zeigt der ganze Zusammenhang un- serer Stelle. Denn Christi an Gott gerichtete Fürbitte er- scheint hier als der Mittelbegriff, durch den seine Gerechtig- keit, oder, was hier als Synonym zu dieser auilritt, seine Verdienste eine unsere Mängel ergänzende Wirkung be- kommen. Wenn Christi Gerechtigkeit die unbedingte Er- hörung seiner Gebete fordert, so kommt sie eben in ihrem Wert für Gott, als etwas Gottgefälliges in Betracht. Auf den gleichen gewöhnlichen Verdienstbegriff weist die Frage hin, was denn Christi Heiligkeit Grofses verdient habe, wenn sie nur für seine, nicht für fremde Rechnung genüge. Wenn man sich der seit Augustin eingebürgerten Anwendung des Verdienstbegriffes auf Joh. 17, 5, Phil. 2, 5 11 und der von Augustin begründeten Deutung von Joh. 3, 13 er- innert, so weifs man, dafs das bedeutet: „wenn er nnr seine eigene Verklärung verdient hat, nicht auch in seiner Erhöhung seine Gemeinde mit sich in den Himmel führte Mit direkten Worten spricht Abälard femer in seiner Er- klärung zu Rom. 8, 33 es aus, dafs die versöhnende Für- bitte Christi sich auf den Wert der in seiner Menschheit und spezieil im Leiden vollbrachten Leistung stützt: sie hält er allezeit dem Vater vor die Augen ^

1) CoL 908: ubl Umquam advocatus Patrem interpeUat pro oobis, ipsam Tidelicet, in qua tanta pro nobis passus est, hamanitatem oculis

STI'DIEN 7XU VEnsÖHKUXGSI.EHUE DES HITTELALTERS. 423

Aber auch die Meinung besieht die Probe weder am Zusammenhang noch am Wortlaut unserer Steile, dafs die VerdicQBte Cliristi nur als Ergänzung der Mängel unserer Ver- dienste, zu denen die von Christus erweckte Liebe uns befähigt, fiSr Abälard in Betracht kämen. Nicht am Zusammenbang. Schon die Parallele mit Adam fuhrt darüber hinaus. Und in dem unserer Stelle vorhergebenden Teil der Auslegung von Rom. 5, 12 ff. sagt Abälard, wo er die gratia Christi erklärt, mit dürren Worten, dafs wir alles, was wir an Gutem besitzen, Chrisli Verdiensten verdanken '. Sodann teilt er die Güter, die uns durch Christi Vollkommenheit der Gerechtigkeit gemäfa, also durch sein Verdienst zu teil werden, in Güter der Schenkung und der Gerechtigkeit; die ersleren sind die, welche MeuEchen ohne alle vorauf- gehende eigene Verdienste empfangen, uämUch die kleinen Kinder, die zweiten die, welche als Lohn für Verdienste ge- geben werden '. Also begründet für Abälard das Verdienst Christi die Taufgnade der parvuli, die Voraussetzung künf- tiger eigener Verdienste. Aber auch am Wortlaut besteht jene Ansicht, dals das Verdienst Christi nur eine Ergäuzung unserer vorhandenen, aber unzulänglichen Verdienste sei, keineswegs die Probe. Wo der Ausdruck „Ergänzen" das erste Mal vorkommt, ist sie schlechthin ausgeschlossen Denn da heifst es: ut ipsius justilia suppleretur, quod delictis nostris praepcdiebatur. Es ergänzt also oder füllt aus die X>ücke, nicht, die unsere Vei'dicnste gegenwärtig lassen, son- dern die unsere Delikte in der Vergangenheit geschaffen I hatten. D. h. was die Sünde der Menschen verbinderte und

Fatris seiaper praesentaoJo el sie nos ei tamquam mediator recon- ciliando.

1) Col. 863: noltis meritls suis impetrarit quidquid boui ha- bemus.

2) Col. 863. Vgl. das Citat Anm. 1. Ferner; multo jastius et convenientius per unuin Jesuni Cliristum omnium boDorum plenitudine perfcctuDi poEteri eins apiriUiales accipientea abuQdantiam diwoae gratiae i. e. plura bona super merita ipaonini eb catlata, bona dico donationis et juslitiae. Donaiionia solummodo illa dona dicuntur qaibiis nulluni est meritum adjunctum, sicut in parviilis; justitiae vero, ubi aliqiiid pro raeritis datur.

424 GOTTSCHICK,

was die Sünder mit eigener Kraft nicht erlangen konnten, den Gewinn der Gnade, das soll Christi Gerechtigkeit er- wirken. An der zweiten Stelle handelt es sich um den historischen Vorgang unserer Befreiung vom Gesetz, durch das wir nicht gerettet werden konnten. Wenn Abälard da das redimeret erläutert durch „quod in nostris non erat me- ritis, ex suis suppleret'^, so schliefst schon dieser nächste Zu- sammenhang den Gedanken an eine Ergänzung vorhandener Verdienste aus. Das supplere heifst, dafs Christus an unsere Stelle tretend das zur Befreiung vom Gesetz, d. h. seiner Strafe erforderliche Verdienst, das wir überhaupt nicht auf- bringen konnten, eingesetzt hat.

Abälard ist von Hamack gepriesen worden, weil „erst er wieder den apostolischen Gedanken der ständigen Für- bitte Christi für uns in die Erlösungslehre eingeführt " habe. Das ist unbegründet. Diesen Gedanken hat Augustin aus- giebig verwertet ^ Abälard hat ihn freilich auch, aber zu 8, 37, nicht an unserer Stelle. Hier ist von der Fürbitte die Rede, die Christus in seinem Erdenwandel bei Gott für uns einlegt und die auf Grund seiner Gerechtigkeit oder seines Verdienstes die gratia justificationis, insbesondere die Aufhebung des reatus poenae fiir seine ganze geisthche Kachkommenschaft geschichtlich erworben hat Auch das ist nicht ein neuer Gedanke oder auch nur eine Wieder- entdeckung Abälards. Es ist einfach die Ausführung des Gedankens Anselms, wonach es eine Forderung der Gerech- tigkeit ist, dafs Gott denen den Lohn des Verdienstes Christi giebt, welchen es der Sohn gegeben haben will *. Abälard zeigt hier, dafs der Sohn den Seinen zuwenden will, worauf er bei Gott Anspruch hat. Wenn er darauf hinweist, dafs Christus mit dieser Fürbitte nur Gottes Gesetz erfüllt, so will er dadurch die Sicherheit des Schlusses auf die Er- hörung der Fürbitte Christi verstärken. Christus handelt mit ihr im Sinne Gottes, dessen Barmherzigkeit ihn unter

1) Z. Th. K. 1901, S. 192. 204.

2) C. D. b. II: justum et necessarium intelligo, ut cui voluerit dare Filius, a Patie reddatur.

STUDIEN ZUR ^■ERSÖII^'r^■GSLEHRE DES MITTEL4LTEKS. 425

dies Gesetz geatellt hat. Im übrigen ist Abälard der Ge- danke durch eine Stelle Augustins nahe gelegt, die er frei- lich mifev erstanden hat, weil Augustin mit der Erfüllung des Gesetzes durch Christus nicht die Fürbitte Christi, son- dern die Erfüllung derselben an uns meint, sofern Christus durch seine Fürbitte wie durch sein Vorbild es zu Wege bringt, dafs das Gesetz in uns erfüllt wird '.

Worin besteht nun aber Christi verdienstliche Leistung? Nach der paulinisclien Stelle ist es sein Gehorsam bis zum Tode *. Für ihn tritt dann seine Gerechtigkeit als das ein, wodurch das durch unsere Sünden Verhinderte ergänzt wird. M'ie das gemeint ist, zeigt der Umstand, dafa Abälard an einer Keihe anderer Stellen die Erlöserkraft des Todes Christi in seinem Charakter als Opfer oder Lösepreis ^ und in dem Umstand findet, dafs der Unschuldige, der nicht zu sterben braucht] freiwillig in ihm die Strafe der Sünde auf sieb ge- nommen * oder den Fluch des Gesetzes mit uns geteilt

1) c. Faust Mun. 1. 19, cap, 7: i|)3iiis legis impletur Justitia per grAtiam Spiritus in eis, qiii dlscuDt s Christo miles esse atque bumilea corde ; qui venit ooa legem solvere, sed adimplere. Dpjnde quia etiam sub gratis positis ia hac mortali vita diflicUe est oiuDi mcido implere

quotl in lege scriptum est: Nun concupisceG; ille per carnia suae sacriticium sacerdos cQcctus, impetrat nobis iDdulgeuüain , eUam hinc adimplens legem, ut qund per Dostiam iuSnuitalein minus pussumus, per illius perfectioaem recupcremus, cuius capitis membra fauti aumus.

2) 875: obeiUentia mortis sibi injunctae a Patre immobilis exElitit. S) 674: ut ipsa regnat per justitiam l e. regnum justitiae

n nobia aedificct . . . praeparando ugs ita, iu vitam selernam et hoc per Cbriatum se ipsum pro nobis bostiam Offerenten). 866: peccatum dicitur i. e. liuatia pro peccato. 841: bubtia . .. soluta in effuaione TideUcet sanguinis Christi. 898: per banc hoatiam cainia quae dicitur pro peccato, damnavil i. e. delevit peccatum qiita remis&ioneni quoque peccaCorum nobis iu sauguine suo et recouciliationem operatus est Zu diesen Stellen aus dem Uiiuierkomuieutar kommt aus den Sen- tenzen cap. 23: ut enm a aerritute peccaü dilectionem auam ei iufuu- dens redimeret, se ipaum pretium et hoatiam purani Fatri offerendo et GolTendo.

4; 659: peccatum commisimus cuiua ille poeuam sustinuit . . . ut peccata nostra morienUo lollerct i. e. poeuam peccatorum, iutruducetis DOS in paradisum, pretio sitae mortis aufcrrct. 866: (dicitur) Dumiuua peccata uostra portasse i. e. poeuam peccatorum nostrortim susUuuisse.

426 GOTTSCIUCK,

hat ^ Es ist auch nicht der geringste Anlafs zu entdecken, ans dem man sich fiir berechtigt erachten könnte, diese Formeh irgendwie anders zu verstehen, als es bei Augustin, Ansehn, Bernhard der Fall ist. Der Märtjrertod, den Christus im Gehorsam gegen Gott und in Liebe zu uns übernimmt, ist ein Verdienst um Gott, die Hingabe des ganzen Menschen an Gott, und weil diese That überpflichtmäfsig war, von dem Gerechten nicht gefordert werden konnte, zugleich pö- nalen Charakter an sich trug, so „bezahlt Christas damit für unsere Schuld, d. h. leistet er die Satisfaktion, die er- forderlich ist, wenn die Strafe erlassen und der Himmel wieder geöflFnet werden soll. Die Gerechtigkeit Christi, Ton der es heifst, dafs durch sie ergänzt wurde, was durch un- sere Sünden verhindert wurde, und dals sie eine Nicht- erhörung seines Gebetes verbot, ist nach der Analogie des ganzen Vorstellungskreises, auf den alle diese Stellen hin- weisen, die Gerechtigkeit Christi, die ihn von jeder Ver- pflichtung zum Tode entband und darum das Verdienst seines Todes für andere disponibel machte. Es ist darum Modernisierung, wenn Deutsch meint, nach Abälard habe Christus insofern Gott genug gethan, als er den Willen Gottes als Mensch vollkommen erfüllte und damit die gött- liche Bestimmung der Menschheit verwirklichte. Christi Verdienst oder Genugthuung, sofern es unser Heil begründet, beginnt auch nach Abälard gerade erst da, wo jene Er- füllung uncV Verwirklichung ihren Abschlufs erreicht hat Und auch seine Übertragung auf andere meint er eben des-

898: de peccato i. e. de poena peccati quam ^ro nobis sustinuit in carne . . . damnavit peccatum i. e. pocnam peccati a nobis remoTit qua etiam justi tenebautur antea et coelos aperuit. Sermo X, 452: quod ea videlicet commiserimus ex culpa quae ille tarn graviter portavit in poena. Sic de ipso gaudeamus cum ipso, ut de nostris dolcamus offen- sis, quod (huius? sive?) scrvorum reatus commiserit, quod innocens Do- minus tantam poeuam sustinuit. 876: oblatus est quia yoluit Desi- deravit quidem anima hominis illius salutem nostram, quam in morte sua consistere sciebat et propter ülam quam desiderabat hanc tolerabat

1) Sermo XII, 481: et peccata nostra suscepisse seu portasse di- citur, i. e. peccatorum nostrorum pocnam tolerasse et sie quodammodo nostrae maledictioni communicasse.

8TUD1EK ZUR VERSÖHNUMaSLEHItE DES MITTELAL I'EUS. 427

balb in der ganz gleichen Weise, wie es der vulgären ka- tholischen VorstoUung entspricht, in der Weise, bei der uns dasselbe wie eine von der Person lostrennbare Sache ange- sehen zu werden scheint nur dafa wir die Voraussetzung mcht vergessen dürlen, die dabei gemacht wird, die Voraus- Betzung der moralischen Einheit von Haupt und Gliedern, oder der persönhchen Geineinschaft " der Gläubigen mit ChristuB, die nicht ein besonderer tiefer Gedanke Abälards, sondern seit Augustiii Gemeingut ist. Nun beruft man sich dafür, dafs für Abälard das Verdienst einen tieferen Sinn Labe, keine dingliche Leistung, etwas mit der Person eng Ver- bundenes, ja mit ihr Identisches sei, bei dem er nie an eine Summe bestimmter Leistungen, sondern an die Christus ein- wohnende Fülle der Liebe gegen Gott denke, auf die Sätze des Sentenzenbuchs , dafs das Verdienst auf der voluntas, nicht auf den Werken beruhe, die ja Guten und Bösen ge- meinsam seien, und dafs demgemäfs auch von Christus zu sagen sei, er habe in der Passion nicht mehr Verdienst als Qnmiltelbar von der Erapräagals an, da er schon damals Gott von ganzem Herzen gelieht habe '. An einer solchen Deutung dieser Aussprüche kann freilich die Thatsache schon irre machen, dafs jene Sätze Gemeingut der Späteren ge- bliehen sind, die doch alle jene „dingliche" Auffassung des Verdienstes haben. Dazu kommt, dafs Abälard ausdi-üeklich sagt, Christus habe den Tod übernommen, weil er gewufst, dafs auf ihm unsere Rettung beruhe, und dafs erst durch den Vollzug seines Opfer todes der Himmel wieder auf- geschlossen sei *.

1) Cap. 34, col. 1764; Dicitur meritum ipsa bona vuluntas quB meremur. Quoll autcm nieiitum iu Sdlii voluntate caualstat. Au^eusüdub multis mudis et exeiuplis . . . probat . . . Sic ijuoque de Christo sane asserimuG quod, qnando ad ptissionem adductus est et iii lieQi affiius est, Don plus meruit quam ab ipsa conceptione. Neque eniia timc melior afFectus quam ab ipsa pueritia exstitisset, cum ex tuuc Deum ex toto corde diligcreL Sic igitur iu vuluutate, non in opeiiltus quae biiDia et malis communia sunt, meritum omne consistit'

2) 8. 425 Anm. 4 am Schlufd. 644: qui modo baplizati statini moriuntur, regnum coelorum statim ingrediuntur; quod tuuc nou ficbat,

428 GOTTSCHICK,

Die Auskunft von Deutsch; dafs der Vollzug des Todes Christi notwendig gewesen sei nur wegen seiner ethischen oder psychologischen Wirkung auf uns, scheitert an der That- sachC; dafs für Abälard am Vollzug der Passion gerade die Heilswirkung hängt; deren diejenigen entbehren müssen; die vor ihr das erreicht haben ; was durch jene psychologische Wirkung bei uns erreicht wird, die Gerechtigkeit Wenn man sich die Qleichsetzung des Opfertodes Christi mit der freiwilligen Übernahme unserer Strafe vergegenwärtigt; so erledigt sich die Schwierigkeit einfach; freilich um den Preis des Verzichtes auf einen tieferen Begriff des Verdienste. Christus hat allerdings sittlich betrachtet nicht mehr verdient durch die von vornherein zweifellose wirkliche Aus- führung seiner Liebesabsicht gegen Qott; die doch auf diese Leistung von vornherein gerichtet war; aber die freiwillige Übernahme der Strafe, im Sinne einer Ersatzleistung; mufs nach der rechtlichen Betrachtung; die hier zu Grunde liegt, wirklich erfolgen; ehe das Strafverhängnis aufgehoben werden kann. So sehen es auch die späteren; von Alexander von Haies bis auf ThomaS; an.

So beschränkt sich die Abweichung Abälards von der geltenden Lehre über die Erlösung darauf; dafs er die Be- freiung von Sünde und Tod nicht ausdrücklich darauf hin- ausgeführt, dafs sie auch Befreiung aus der Gewalt des Teufels sei, und dafs er in der Reproduktion des augusti- nischen Gedankens von der Liebe weckenden Kraft des grofsen Liebeserweises der Gottheit den Hinweis auf die verdienst- liche oder satisfaktorische Kraft dieses Märtyrertodes unter- lassen; und die psychologische Wirkung dieses Liebeserweises der unvermittelten Ausgiefsung der Liebe zu Gott durch den heiligen Geist in die Herzen substituiert. Nur das letzte ist eine wirkliche Abweichung und einC; die wir vom Zu- sammenhang der evangelischen Heilslehre aus zu loben haben,

quia sc. hostia nondum erat soluta, in effusione videlicet sanguinis Christi, sicut ncc illi qui baptismo Christi baptizati fortassis ante pas- sionem eius mortui sunt, januae coelestis aditum adhuc habere poterant. 859 A. 898 B.

BTinilEN ZUR VEHSÖHKI'NGSLEHRE des MITTELALTERS. 429

ie doB Hamack mit Recht gegenüber Reuter thut. Die eiden Unterlassungssünden sind in keiner Weise in Abä- irds Gedanken begründet, sind zufällig. Und einmal we- igstens hat AbiLlard auch die objektive Aufhebung der träfe (und Schuld) durch den Tod Christi in die grofao Bttliche \\'ohlthat, die uns zur Liebe antreibt, ausdrücklich mge rechnet '.

M'ie begreift sich aber, dafs Wilhelm und Bernhard diese feile des Römerkommentars , an denen ihre Anklagen zer- :hellen muralen, ignoriert haben? Haben sie in ihrer bei- gen Entrüstung mit der Auslegung von 3, 25. ^6 ihre lekture beschlossen? Oder haben sie sich in dem einmal eacböpften Vorurteil gegen jede Korrektur verstockt? Jeden- üls sind sie nicht die letzten gewesen, die in der einen der linderen Weise es schlimmer gemacht haben, als wie !öm. 10, 2 gesclirieben steht.

In eigentümlicher Weise bat Hugo a St. Victore die ^re von der Erlösung vom Teufel mit der eigenartig ab- lawandelten Satisfaktionslehre Anselms verbunden *. Er stellt est, dafs, wenn im Rechtsstreit zwischen Gott, Mensch und ["eufel der letztere des Unrechts gegen Gott wie gegen den lensclien, der Mensch aber des Unrechts gegen Gott iiber- uhrt wird: injuste ergo diabolus tenet hominem, sed homo uate tenetur. Was der Mensch braucht, um mit Recht ^gen die Herrschaft des Teufels Einsprache erheben zu EÖnnen, ist also nur ein Patron, der genug Macht besitzt, iin den Teufel wegen seiner ungorechlen Vergewaltigung lea Menschen vor Gericht zu ziehen. Gott aber war nicht villens, das Patronat des Menschen zu übernehmen, da er ieni Menschen wegen seiner Schuld zürnte; der Mensch latte ihn also zunächst zu vei-söhnen. Dazu gehörte ratio-

1) Zu R5m. 8 , 3. 4. 8ü8 : . . . Jesum Chriatum tauquam Deum pSDtn prosimutn vere diligere humanuni illud benpücium quud nubis izliibuit compellit: quu<l est in nobis (leccatum danmare i. e. reatum imueiu et culpam destruere per cbarilatem ex boc siinmio benelicio.

2) De SacrrkniFiitia libpr 1, pars Till, csp. 4. ZciUekt. f. K.-a. IUI. 3.

430 GOTTSCUICK,

nellerweise sowohl Ersatz des Gott zogefugten Schadens, wie GenugthuuDg für die Qott erwiesene Verachtung ^ Die gleiche Forderung begründet Hugo noch auf eine andere Weise. Die Befreiung des Menschen von dem ewigen Tode, die letztlich dasselbe ist wie die von der Gewalt des Teufels , muTs so vor sich gehen, dafs der Teufel keine Gelegenheit zur Schmä- hung findet, dafs der Mensch derselben würdig ist, oder ein fiecht hat, dem ewigen Tode zu entgehen. Und das ist eben nur xmter jenen beiden Bedingungen der Fall Diese kann nun der Mensch nicht erfüllen. Die erste, hominem pro homine dare, nicht, weil der Mensch Gott den gerechten Menschen entzogen hatte und nun nur Sünder fand. Da greift denn Gott nach seiner Barmherzigkeit ein und schenkt dem Menschen in Christus den Menschen, der für ihn oder mit dem er die Ansprüche der Gerechtigkeit erfüllen kann. Die Existenz eines Menschen wie Christus innerhalb der Menschheit, also schon seine Geburt, ist der erforderliche Schadenersatz; Christus ist eben als Gottmensch noch mehr wert als der erste Mensch vor dem Sündenfall. Die zweite Bedingung, die Satisfaktion für die Gott bewiesene Verach- tung, findet am angemessensten statt, wenn der Mensch, um der Befreiung von der durch den Ungehorsam verdienten Strafe würdig zu werden, eine Strafe, die er nicht verdient hat, freiwillig und gehorsam auf sich nimmt. Auch dazu ist er aufser stände, weil er infolge seiner Verschuldung (reatus) ohnehin schuldig ist, jede denkbare Strafe dieser

1) Si homo talem patronum haberet, ciüus potentia diabolus in causam adduci posset, juste dominio eius homo contradiceret; quia nullam diabolus justam causam habuit, quare sibi jus in homine nndi- care debuerit. Patronus autem nullus talis inveniri poterat nisi sohis Deus , sed Deus causam hominis suscipere noluit, quia homini adhac pro culpa sua iratus fuit. Oportuit ergo, ut prius homo Deum pla- caret et sie deinde Deo patrocinante cum diabolo causam inii'et Sed Deum rationabiliter placare non poterat, nisi et damnum quod intulerat restauraret et de contemptu satisfaceret. Doch braucht Hugo das Wort satisfactio auch so, dafs es beide Momente, die recompensatio des Schadeos und die Sühne für die Beleidigung einschliefst: Gap. 8: con- silium erat in ratione satisfactionis, auxilium erat in effectu redemp- tionis.

STUDIEN ZUB VERSÖHNUNGSLEHKE DES HITTELALTERS. 431

Art ZU ertragen. Da tritt nun Christus stellvertretend ein, der keiner Strafe schuldig ist, und sühnt durch seinen Tod den reatus des Menschen. Mit beidem, mit der Bezahlung der Schuld an den Vater, und der Sühnung des reatus hat er unsere Sache geführt, Ps. 9, 5 ; unser Judicium aber, in- dem er zur Hölle herabsteigend und die Pforten des Todes zerbrechend die dort Qefangenen befreit Unmittelbar dar- auf heifst es jedoch, dafs schon in der Passion Christi das Judicium des Menschen gegen den Teufel sich vollzogen hat. Das Leiden Christi gilt aber für die menschliche Natur, weil das Opfer, das Christus darbrachte, von dieser Natur genommen war. Und der Erlösung wird teilhaftig, wer mit dem mittels des Fleisches uns geeinten Erlöser sich durch den" Qlauben vereint '. Es war dieser Modus der Erlösung ein rationeller und der Gerechtigkeit entsprechen-

1) Ib. Deus primum gratuito praevenit eum per solam miseri- cordiam, ut deinde liberaret per justitiam. Hoc est quia homo ex se justitiam evadendi non habuit; Deus homini per misericordiam, justitiam dedit. Neque enim ereptio hominis perfecte rationabilis esset, nisi ex utraque parte justa fieret ... Ut ergo Deus ab homine placari posset, dedit Deus gratis homini quod homo ex Deo Deo redderet. Dedit igitur homini hominem quem homo pro homine redderet, qui ut digna recom- pensatio fieret priori non solum aequalis, sed major esset . . . Quod . . . homini datus est Christus, Dei fuit misericordia. Quod ab homine redditus est Christus, fuit hominis justitia. In nativitate enim Christi juste placatus est Deus homini; quia talis homo inventus est pro ho- mine qui non solum . . . par, sed etiam major esset homine . . . Sed adhuc super erat homini, ut sicut restuurando daranum placaverat iram, ita quoque pro contemptu satisfaciendo dignus fieret evadere poenam. Sed hoc convenientius fieri non poterat, nisi ut poenam quam non de- bebat sponte et obedienter susciperet, ut de poena, quam per inobedien- tiam meruerat, eripi dignus fieret . . . Hanc autem poenam homo pec- cator solvere non poterat, qui quamcunque poenam susciperet non nisi digne et juste propter contemptus primi reatum sustineret . . . Christus ergo nascendo debitum hominis patri solyit et moriendo reatum hominis expiavit.

2) Cap. 7: Suscepit de natura hostiam pro natura, ut de nostro esset holocaustum offerendum pro nobis, ut in hoc ipso ad nos per- tineret redemptio : quia de nostro sumpta erat immolatio. Cuius quidem redemptionis participes efficimur, si ipsi redemptori per camem nobis sociato per fidem unimur.

432 GOTTSCHICK,

der. Nun aber will bei der Idee der Gerechtigkeit, soweit sie Gottes Handeln bestimmt, Gottes Machtstellung in Be- tracht gezogen werden. Hugo stellt cap. 8. 9 mehrere Distinktionen auf, um es zu begründen, dafs Gott gerecht ban- delt, wenn er nach seinem Belieben den Sünder bestraft oder rechtfertigt, und gerecht gehandelt haben würde, auch wenn er die, welche er jetzt rettete, verlassen und umgekehrt die, welche er jetzt verläfst, hätte retten wollen. Denn „potestas est in voluntate eins, quia sine injustitia facere illi licet quodcunque voluerit". Aus diesem Begriff von Gottes Ge- rechtigkeit folgert er nun, dafs Gott die Erlösung des Men- schengeschlechtes auch auf andere Weise als auf die vorhin angegebene unseren Mafsstäben der Vernunft d. h. der Gerechtigkeit gemäfs entsprechende hätte vollbringen können ^ Die convenientia der letzteren begründet er dann wie Augustin durch die heilsamen Wirkungen auf uns: das Herabsteigen des Gottessohnes zur Übernahme unserer Übel erweckt die Hoffnung, an seinen Gütern Teil bekommen zu können; sein Leiden giebt ein Vorbild für ein Verhalten, mit dem wir ihm Dank abstatten, seine Verklänmg zeigt uns, was auch wir als Lohn erreichen können *.

Es ist interessant zu sehen, wie auch hier ein Bernhard nahe stehender Theologe die Erlösung von der Gewalt des Teufels noch mehr wie Augustin und Bernhard in den Hintergrund geschoben und als blofse Folge der Erlösung von der Sündenstrafe aufgefafst und diese als Vereöhnung mit Gott verstanden hat. Dieselbe gewinnt eine Beziehung auf den Teufel nur beiläufig und unter zwei Gesichtspunkten, die sich nicht wohl in einen zusammenziehen lassen. Das eine Mal wird durch Christi Erfüllung der Rechtsverbind- lichkeit des Menschen gegen Gott Gottes Machthilfe gegen den Teufel gewonnen und der Triumphzug Christi in die Hülle, bei dem doch unmittelbar nur die vorchristlichen Frommen

1) Cap. lü: Propter quod veracitcr profitemur quod redemptionem geueris humaiii etiam alio inodo Dens pertlcere potuisset, si voluisset

2) Nach Sceberg a. a. 0. S. 57 hat Hugo hier auch als Grund angeführt, dafs uns so die Giöfse unserer Schuld vorgestellt wird. Da- von habe ich nichts gefunden.

STUDIEN ZUR VERSÖHKUNGSLEHKE DES MITTELALTERS. 433

befreit werden, veranschaulicht die Aufhebung der Gewalt, die der Teufel, soweit er selbst in Betracht kommt, usur- piert, als eine tyrannische geübt hat. Das andere Mal wird die Befreiung des Menschen von der Strafe dadurch be- gründet, dafs der Mensch durch Christi Erfüllung seiner Rechtsverbindlichkeiten dieser Befreiung würdig gemacht ist und auch die Schmähsucht des Teufels keine begründete Kritik an Gottes Verfahren üben kann. Dennoch führt auch Hugo die Vorstellung von der Täuschung des Teufels nocii fort *, obwohl sie natürlich nur den Sinn haben kann , dafs der Teufel Christus in den Tod gebracht hat, ohne sich über die Bedeutung dieser Person und dieses Todes klar zu sein. Ferner ist es interessant zu sehen, wie Hugo sich mit Anselm, ohne ihn zu nennen, auseinandersetzt und dabei dessen Formeln auf die Linie Augustins zurückführt. Er schliefst sich an ihn an, indem er das zur Versöhnung Gottes Erforderliche nach den Mafsstäben der Vernunft, speziell der vergeltenden Gerechtigkeit feststellt, und die Harmonie von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit darin erblickt, dafs Gottes Barmherzigkeit dem Menschen den Mittler schenkt, der dem Menschen die justitia evadendi ermöglicht, ja den der Mensch Gott als Ersatz geben kann. Aber nachdem er den that- sächlichen Modus der Erlösung nach diesem Gesichtspunkt gedeutet, beweist er aus der souveränen Macht Gottes, ver- möge deren dieser nie ungerecht handeln kann, er mag thun, was er will, dafs dieser Modus nicht, wie Anselm es meint, notwendig gewesen sei, sondern nur besonders angemessen und zwar mit Rücksicht auf uns. Weiter wandelt er den Begriff der Satisfaktion um. Auch Anselm hatte ursprüng- lich Ersatz für den Schaden, den Gott die Sünde gebracht, und Genugthuung für die Beleidigung Gottes gefordert, I, cap. 22 und 23. Unter dem Schadenersatz hatte er die AViederbringung oder Rechtfertigung der Anzahl von Men- schen verstanden, die zur Ausfüllung der Lücke in der Engelwelt nötig waren. Anselm hat aber dann diesen Ge-

1) Cap. 6: venit sapientia, ut vincerct nialitiam, ut hostis, qui astutia vicerat, prüden tia vinceretnr.

434 GOTTSCHICK,

danken nicht verfolgt, sondern die Zahlung des debitum oder die Satisfaktion in dem Tode Christi gesehen, wie er eine den Unweit der Sünde an Wert übersteigende überpflicht- mälsige Gabe oder Dienstleistung an Gott sein soIL Hugo aber sieht den Schadenersatz für den verlorenen ersten Men- schen in der Aufbringung eines gerechten Menschen seitens der Menschheit und die Genugthuung in der freiwilligen Übernahme einer sonst nicht verdienten Strafe. Und wenn Anselm die Brauchbarkeit aller denkbaren poenae der Boise und Verzichtleistung zur Satisfaktion mit der Erklärung ab- gewiesen hatte, zu diesen sei der Mensch verpflichtet, wenn es ihm Ernst mit dem Trachten nach dem ewigen Leben sei ^, so verbessert Hugo vielmehr stillschweigend Anselm, indem er sagt, dafs der Mensch zu jeder denkbaren Strafe dieser Art durch seine Sünde verpflichtet sei. Es ist das in der That eine Verbesserung vom gemeinsamen Boden der mittelalterlichen Ethik aus, den Anselm verlassen hatte, in- dem er jeden denkbaren schmerzlichen Verzicht als Pflicht des Menschen auffafst, der nach dem ewigen Leben strebt, während er nur der sicherere und rätlichere Weg ist In- dem Hugo in Christi Person, wie sie Gott auch im Leben zugewandt ist, den Schadenersatz, in seinem Tode die Über- nahme der satisfaktorischen Strafe sieht, das erste als sol- vere debitum, das zweite als reatum expiare bezeichnet, hält er sieh in gröfserer Annäherung an Augustins Formeln. Dieser bezeichnet das Opfer Christi als Selbstdarbringung an Gott und hat nebeneinander die Formeln „quac non ra- puit, exsolvit", oder „pronobis debitum solvit" und „poenam nostram suscepit", obwohl ihm das letztlich alles gleich- bedeutend ist. Es läfst sich vermuten, dafs Hugo sich zu jener Distinktion veranlafst gesehen hat durch die Absicht, den pönalen Charakter der Satisfaktion, der bei Anselm zu- rücktrat, stärker zu betonen. Aber es ist nun eine der liir den Sinn dieses Strafcharakters der Satisfaktion instruktivsten Beweisstellen, wenn er sagt, dafs das Mittel, um den Men- schen — denn um diesen, nicht schon um Christus handelt es

1; I, 20.

STUDIEN ZUR VERSÖHNÜNGSLEHRE DES MITTELALTERS. 435

sich hier der Befreiung von der verdienten Strafe der ewigen Verdammnis würdig zu machen, die freiwiUige Übernahme einer nicht verdienten Strafe gewesen sei ^. Die satisfaktorische Strafe ist nicht von weitem als Unter- stellung unter Gottes Gericht über die Sünde, sondern als Übernahme einer pönalen d. h. schmerzlichen Leistung ge- dacht Auch Hugo redet gelegentlich davon, dafs Christus ohne Sünde die Strafe der Sünde getragen habe ^ ; das be- deutet aber nur, dafs er den zeitlichen Tod, der bei uns Strafe der Sünden ist, und der für ihn keine Strafe, sondern nur eine Pein war, auf sich genommen '.

Mit dem Nachweis, dafs die Leistung Christi uns zu gute kommt, giebt sich Hugo nicht viel Mühe : Augustins Formel, dafs der Gottessohn, was er Gott für die Menschennatur opferte, aus dieser genommen, genügt ihm, um die allgemeine Gültigkeit dieser Leistung, der Hinweis auf die Bedingung der Einigung mit ihm im Glauben, um die Teilnahme der einzelnen an ihr zu begründen. Vgl. S. 431 Anm. 2. Steckt auch in dem zweiten die Idee des Leibes Christi, so hat er doch den Gedanken nicht, dafs Christus als das Haupt der Gemeinde vermöge der solidarischen Einheit mit ihr Subjekt der Satisfaktion ist, und ist bei der „schlaffen" Formel an- gelangt, dafs Christus für die ganze menschliche Natur das Opfer dargebracht, dafs aber die einzelnen durch den Glauben an ihn daran Anteil bekommen. Dafs ihm aber auch wie Anselm das Verdienst der selbstverständliche allgemeinere Begriff gewesen, dafs ihm Christi Anrecht auf Belohnung die Geltung der speziell satisfaktorischen Leistung für uns be- gründet, zeigt L. n, p. I, cap. 6, wo er die Frage erörtert und verneint, ob Christus habe sterben müssen, um sich die Verklärung zu verdienen. Er verneint sie, weil der

1) Vgl. S. 431 ÄDin. 1 gegen Ende: „poenam quam non debebat^^ mufs „eine Strafe", „poena quam meruerat" „die Strafe" tibersetzt werden. Das zeigen die Relativsätze.

2) L. II, p. I, cap. 5: qualiter sine peccato poenam peccati por- taverit.

3) Vgl. L. n. p. I, cap. 6: ergo Christus non potuit intrarc in gloriam, nisi transirct per poenam.

436 GOTTSCHICK,

Gottmensch vom ersten Augenblick der Empf&ngnis an die vollkommene Güte und den vollkommenen Gehorsam (d. h. die Leidens- und Sterbenswilligkeit) in seiner Gesinnung be- sessen, die das Verdienst konstituiert £s liegt ihm aber alles daran, dies festzustellen, weil die Übertragbarkeit des Lohnes für das opus seines Leidens auf uns daran hängt, dafs der Gott mensch, um für sich die Verherrlichung zu erlangen, nicht zu sterben brauchte. Hier ist also durchweg vom meritum oboedientiae patiendi die Rede. Ganz aber fällt fiir ihn der Nachweis aus, auf den Anselm so viel Mühe verwandt, dafs nur der Gottmensch die den unend- lichen Mifswert der Sünde kompensierende unendlich wert- volle Leistung aufbringen konnte. Wie schwer die frei- willige Strafe sein mufste, die zur Sühnung des reatus nötig war, zieht er überhaupt nicht in Erwägung. Bei der Frage nach dem Schadenersatz konnte eine ähnliche Frage nicht abgewiesen werden; aber die Sache ist rasch erledigt: dafs der Gottraensch, der major ist als der erste Mensch, eine digna recompensatio ist, das ist zweifellos.

Das hohe Mafs des consensus, das betreffs der Versöh- nungslehre schon in dieser Zeit bestand, mag noch ein Abä- lard näher stehender Theologe verauschaulichen, Robertus Fall US. Mit Entschiedenheit weist er den Gedanken als eine Blasphemie ab, dafs Christus dem Teufel den Lösepreis oder das Opfer gebracht; dieser hatte kein Recht auf den Menschen. Sondern Gott, dem Christus im Leiden ge- horsam gewesen und somit das Opfer des Leidens gebracht, hat es gefallen, um dieses Preises willen die Gefangenen zu befreien und den Verleumder zu demütigen ^ Dafs Christi Leiden ihm wirklich Erlösungsbedeutung besitzt, sofern es für Gott Grund zu einem sonst nicht eingetretenen Handeln wird, zeigt der einzige Gedanke, den er näher ausfuhrt, dafs die volle Vergebung der Sünden an das meritum passionis * Christi geknüpft ist, sofern erst nach dessen Vollzug der

1) Sent 1. 4, cap. 14 bei Migne P. L, Bd. 186, Col. 821.

2) Ein anderer, auf die Satisfaktionsidee hinweisender Terminus cap. 26: quae latro rapuit, cruce exsoWit.;

STUDIEN ZUR VERSÖHNUNGSLEHRE DES MITTELALTERS. 437

himmlische Palast wieder geöffnet wird ^ Aber freilich, Gott hätte uns ohne die Inkarnation oder auch durch die erstere, aber ohne die Passion befreien können 2. Wenn nämlich die Juden sich gescheut hätten, Christus zu kreu- zigen, so hätten doch die defectus nostrae mortalitatis , die Christus übernommen, genügt, um uns mit Gott zu ver- söhnen.

Der Gedanke, der zu Grunde liegt, ist also der, dafs freiwillige Übernahme von Leiden, zu denen keine Straf- verpflichtung stattfindet, von der verdienten Strafe befreit also satisfak torische Selbstbestrafung und dafs für die Gerechtigkeit Gottes es zwar nicht notwendig, aber ange- messen ist, auf diese Bedingung zu halten, dafs aber das Mafs der satisfaktorischen Strafe in Gottes Belieben steht.

Als gemeinkirchliche Anschauung über die Heils- bedeutung Christi ergeben sich somit für die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts folgende Gedanken. Die Erlösung von der Gewalt des Teufels hat Christus dadurch vollzogen, dafs er uns von Sünde und Tod oder Sündenstrafe erlöste, bzw. uns mit Gott versöhnte. Denn der Teufel hatte keinerlei Rechtsansprüche auf den Menschen und hat nicht etwa Christi Blut als Lösegeld empfangen ; bei seiner Gewalt kann von Recht nur insofern die Rede sein, als Gott über die Menschen eine gerechte Strafe verhängt hat, indem er ihn in des Teufels Gewalt, d. h. unter die Knechtschaft der Sünde und des Todes kommen liefs. Gott hätte nun wohl den Menschen aus diesem Zustand durch seinen blofsen Be- fehl oder sonstwie befreien können, ohne ungerecht zu han- deln, da er der Allmächtige ist. Aber um der Zweckmäfsig- keit willen hat er den Weg gewählt, dafs er in Barmherzig- keit der Menschheit oder der Gemeinde der Erwählten in dem Gottmenschen den Mittler gab, der als Haupt seiner

1) Ib. cap. 15.

2) Gap. 13: Adyersa ferebat et bcne agebat, tum quoniam nostrae sie competebat redemptioni , tum ut nostrae praeberet excmpla fragili- tati: morte tandem turpissima condemnatus. Non quod aliter redimere noD poterat; verum ut quantitate pretii quantitatem nobis innotesceret amoris nostrique peccati.

438 60TT8CHICK, STUDIEN ZUB VERSÖHNUNGSLEHRE.

Oemeinde an ihrer Stelle die Leistung an Gott vollbrachte^ die mit der Sündenvergebung zu erwidern der Gerechtigkeit Gottes gemäfs ist. Einerlei ob diese Leistung Lösegeld, Opfer, Verdienst, Genugthuung, Übernahme der Strafe für unsere Sünden genannt wird, es ist damit eine freiwillige oder nichtpflichtmäfsige, mit Schmerz oder Pein verbundene Handlung gemeint, deren Wert den Unwert der menschlichen Sünde aufwiegt. Der Tod, den Christus als Gottessohn und Gerechter nicht zu sterben brauchte, und den er im Gehorsam gegen Gott und Liebe zu uns als Märtyrer für die Gerech- tigkeit und indem er uns ein Vorbild gab, freiwillig ge- storben ist, hat zweifelsohne diesen Wert und erwirkt dem- gemäfs bei Gott objektiv die Aufhebung der ewigen Ver- dammnis oder die Eröffnung des himmlischen Paradieses (ur die Glieder des Leibes Christi: die einzelnen empfangen sub- jektiven Anteil an diesem Erwerb, indem sie durch die Taufe der Kirche einverleibt werden und in ihr nicht nur Erlafs des reatus, sondern auch effektive Tilgung der Sünde oder Wiedergeburt erlangen. Für die weitere Entwickelung des christlichen Lebens zu dem Ziele einer Gerechtigkeit, die im Gericht bestehen kann, bat Menschwerdung und Tod des Gottessohnes Bedeutung, indem der von ihnen ausgehende Eindruck auf das Bewufstsein die heilsamen subjektiven Wirkungen zur Folge hat, die Augustin schon aufgezählt, Demut, Liebe zu Gott, Hoffnung. Christus kommt hier als Exempel, der Liebeserweis, den Gott in der Menschwerdung und dem als Versöhnungstod gedachten Tode seines Sohnes gegeben, als provocatio amoris in Betracht. Die Mängel aber der subjektiven Gerechtigkeit finden in dem Wert der Todesleistung Christi für Gott ihre Ergänzung, sofern der- selbe immer erneute Vergebung begründet.

Neue Funde zur Gescliiclite der Kasten- ordnungeii des Landgrafen Philipp von Hessen.

y

Lic. Dr. Wilhelm Djehl,

riirt« la UlrMhhora.

Unter allen Kirchenord nungea der Reformationazeit er- freuen sich herkömmlicherweise die auf das Kastenwesen be- züglichen der geringateo Beachtung. Es ist das ein grofser Schaden, dessen direkte Folge darin besteht, dafe wir über die Armenpflege der Ref'armatiansgemeinden und über die ^^'erke der Gemeinde pflege, die in ihnen geschahen, vielfach vollstnndig im unklaren und somit aufser stände sind, einen wesentlichen Teil des kirchlichen Lebens zu verstehen. Zwar hat Uhthorn in seinem grundlegenden Werk über die christ- liche Liebesthätigkeit auch hier Ansätze geschaffen. Aber mehr als das hat er nicht geliefert, und konnte er nicht liefern. Denn hier ist vorher noch ein wichtiges Stück Arbeit EU thun, die Erforschung des Kastenwesens einzelner Territorien. Wenn ich jetzt für Hessen damit den An- fang mache, ho geschieht das nicht hlol's um deascnt willen, weil uns hier wertvolle Materialien zur Verfügung standen, sondern weil das Kastenwesen, das unter Philipp dem Grofa- mütigen ins Leben trat, auch fiir andere Territorien vor- bildlich gewesen ist und in seinen Grundgedanken von Prin- zipien geleitet wird, die bis zur Gegenwart noch nicht über- boten sind, ja die in der Gegenwart als Muster und Vorbild

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440 DIEHL,

gelten können. Letzterer Umstand rechtfertigt es auch, dafs wir eine solche, anfangs etwas lokalgeschichtlich beschränkt aussehende Studie hier an dieser Stelle einem weiteren Leser- kreis vorlegen.

1.

Wollen wir über die Zustände des Kirchenkastenwesens eines bestimmten Territoriums ins klare kommen, so gilt es vor allem, den etwa vorhandenen Ordnungen nachzugehen. Das ist nun hier auf unserem Arbeitsgebiet keine leichte Sache. Wir müssen deshalb mit Kritik beginnen und beim eigenen Aufbau Vorsicht zum obersten Gesetz der Forschung machen. Erleichtert wird uns dabei unsere Arbeit allerdings dadurch, dafs es uns gelungen ist; eine ganze Anzahl neuer Kastenordnungen in den Beständen des Grofsherzoglichen Staatsarchivs zu Darmstadt zu entdecken, welche die For- schung von vornherein auf einen gesicherten Boden zu stellen erlauben.

Von den althessischen Kastenordnungen aus dem IG. Jahr- hundert hat zuletzt Wilhelm Köhler in seinem 1894 er- schienenen Schriftchen „Hessische Kirchenverfassung im Zeit- alter der Reformation" gehandelt. Er unterscheidet darin zwei Ordnungen aus der Reformationszeit, nämlich eine aus dem Jahre 1527 und eine von 1530, welch letztere im Jahre 1533 nochmals erneuert worden sei. „Die erste ist von K. Köhler in der Zeitschrift für historische Theologie, XXXVII, S. 246 mitgeteilt, die andere von Freiherrn Schenk zu Schweinsberg im Archiv für hessische Geschichte N. F. I . . Die Erneuerung von 1533 bei Richter, Kirchenordnuugen I; S. 212.'* Diese Angaben sind bei genauerem Nachsehen etwas verdächtig, so dafs eine erneute Prüfung der ein- schlägigen Materialien gerechtfertigt ersclieinen dürfte. Vor- erst sei festgestellt, dafs die Urkunde, die in der Zeit- schrift für historische Theologie, Bd. XXXVII, mitgeteilt wird, den Namen einer Kastenordnung nicht verdient. Es ist diese Urkunde nichts anderes ab eins von den vielen in dieser Zeit vorkommenden „befelch schreiben durch das ganze land Gottes Gasten aufFzurichten ". So betitelt sie sich, und dies besagt auch ihr Inhalt: da sich

NEUE FUNDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNGEN. 441

ie „andächtigen und getreu wen" ;, gegen ihren Nechsten so althertzig erzeigen", dafs sie in der Aufrichtung „gemeiner asten ftir die armen" „nachlefslich" sind, werden sie nochmals ermahnt", sie sollen „daran sein, dafs allenthalben i stetten und dörffern im Ampt gemeine Gasten ufgericht, afs gelt; so bifs anher zum baw gefallen auch Calend binider- jhafften . . . vigill Seelmefsgeltt und ander dergleichen kirchen- öfell gesammelt, denselben in gemein fünf fromme redliche lan liirgesetzt" und also die Armen unterstützt werden. >ies „befelch schreiben" bewegt sich also auf der gleichen [öhe mit den von Rommel, Geschichte von Hessen, III. Teil, . Abteil. Anm. S. 261 ff. mitgeteilten Stellen über Einrich- mg von Kasten, die aus den Gewaltbriefen für den Visitator .dam Kraft vom 20. Januar 1530 und 29. Juni 1531 stammen, nd ist ebenso wenig wie diese eine „Kastenordnung". Die [astenordnung von 1527 mufs demnach, wenn es berhaupt eine solche gab, erst noch nachgewiesen nd aufgefunden werden. Freilich ist die von Köhler itierte Urkunde nicht ohne Wert. Sie legt uns die Frage ahe, ob die Kastenordnung, die Köhler an zweiter Stelle nfiihrt, die im Archiv für hessische Geschichte mitgeteilte, Qgeblich von 1530 stammende, nicht vielleicht falsch datiert t. Sie selbst trägt kein Datum. Aus einer später bci- efiigten Randbemerkung ersehen wir, dafs sie vor dem 6. Januar 1532 entstanden sein mufs (vgl. Archiv N. F. I, . 245 Anm.). Das in ihr vorausgesetzte Bestehen der Uni- srsität Marburg und der „Privilegien" (243) verweisen zwar icht nach dem 31. August 1529 (so von Schenk), da die rivilegien älter sind (vgl. Landesordnungen I, 56: „nach ermöge der Privilegien, so wir gemellter unnser Univeröität er wegen zugestellt haben". Schreiben vom 11. März 1529), ohl aber nach dem Jahr 1527. Sonstige Angaben macht ie Ordnung selbst nicht. Der Herausgeber derselben datiert e allem Anschein nach deshalb vom Jahr 1530, weil er ie von Rommel mitgeteilte Bemerkung im Gewaltsbrief Grafts vom 20. Januar 1530 für den ältesten Befehl über ie Aufrichtung von Kasten hielt. Auf Grund des von Köhler litgeteilten, oben besprochenen Schreibens müssen wir jedoch

442 DIEHL,

den Plan, Annenkasten zu errichten; ins Jahr 1527 verlegen, denn das ,,befelch schreiben'^ hat das Datum: ,, Freytag nach Bartholomaei Anno XXVII ^^ Es liegt mithin kein zwingender Grund vor, die von Schenk mit- geteilte Kastenordnung nun gerade aufs Jahr 1530 zu datieren. Was die dritte Ordnung, die von 1533, anlangt, so sieht Köhler in ihr eine Erneuerung der angeblich von 1530 stammenden und eben besprochenen Ordnung. Auch hier machen sich bei uns starke Bedenken geltend. Eine einigermafsen eingehende Vergleichung der beiden Ordnungen zeigt deutlich, dafs sie aber auch nichts miteinander gemein haben, dafs beide ihre Materie von ganz verschiedenen Gesichtspunkten aus behandeln. Die angeb- liche Ordnung von 1530 redet von den Personen, die mit der Verwaltung der Kasten zu thun haben, den Hauptein- nahmen und -ausgaben der Kasten, wobei die Armenpflege berührt wird und der Kastenrechnungsablage. Die Ordnung von 1533, wie sie Richter mitteilt, spricht von all diesen Dingen fast kein Woii;, sondern hauptsächlich vom Bau- wesen, Pfarrgütern, ETastenzehrung und einigen kleineren Dingen.

Unsere bisherige kritische Betrachtung zeigt uns also folgendes. Bereits im Jahre 1527 war der Visitator Adam Kraft aufgefordert worden, allenthalben Kasten aufzurichten. Ebenso erging bereits in diesem Jahre ein Befehlschreiben an die Ge- meinden, diesem nötigen Werk keinen Widerstand entgegen- zusetzen, vielmehr es nach Kräften zu fördern. Es liegt die Vermutung nahe, dafs zu gleicher Zeit oder doch bald nach- her eine Kastenordnung entstand, welche Anordnungen über die Aufrichtung und Verwaltung der Kasten gegeben haben wird. Von den bisher aufgefundenen Kastenordnungen ist die von Schenk mitgeteilte noch immer die älteste. Aufser ihr ist bis jetzt nur eine, die vom Jahre 1533, welche die Landesordnungen und Richter abgedruckt haben, bekannt.

Ich glaube nun, dafs wir die von Schenk in das Jahr 1530 datierte Ordnung schon in die Jahre 1527 oder 1528 zu datieren haben, und dafs sie auch weiterhin „die grundlegende älteste hessische Kastenordnung"

NEUE FUNDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNGEN. 443

bleibt. Zum Beweis fUr diese Annahme sei auf folgende Thatsachen hingewiesen. Die mehrerwähnte spätere Kasten- Ordnung; angeblich von 1533, nimmt in pos. 8. Bezug auf eine Eastenordnung^ die ;;die Ordnung^' schlechthin heifst. Ebenso fordert der Gewaltsbrief vom Jahre 1531: „Dafs der Kastenordnung gelebt werde". Beide Notizen sind nur unter der Voraussetzung verständlich^ dafs es damals auch wirklich nur eine Eastenordnung gab. Diese ist aber die von Schenk gefundene; denn sie ist vor 1530 schon da und auf sie pafst das Citat in pos. 8. der Ordnung von 1533. Dazu kommt eine Beobachtung; die sich in dem uns vorliegenden Original der Ordnung; die von Schenk veröffentlichte; machen läfst. Es wird uns da in einem ehemals zur Registratur der Pfarrei Wetter gehörigen Heftchen nacheinander eine Niederschrift 1. der Kastenordnung; 2. eines Anhangs zur Easten- ordnung; betr. ;;Auffiriechtunge und ordenunge des kastens der armen zu Wetter u. s. w." und 3. eines Nachtrags vom 26. Januar 1532 mitgeteilt. Der Nachtrag bietet vier Punkte; von denen die drei ersten inhaltlich mit Pos. 5 bis 7 der Eastenordnung von 1533 übereinstimmen. Sie wurden am 26. Januar 1532 bei Gelegenheit einer Visitation des Eastens nachgetragen; wie ja auch an den Rand des Wetterer Exemplares der älteren Eastenordnung eine diesbezügliche nachträgliche Notiz gemacht wurde. Der Anhang zur Eastenordnung; der mit dem eben erwähnten Nachtrag auf vier Blättern von gleichem Papier steht und allem Anschein nach nachträglich der Eastenordnung beigeheftet wurde ; ist datiert von dem ;;Sechtzehinde tage des herbstmon im jar funffzehin hundert und acht und ztwentzigk*^ Er enthält Nachrichten über die Summen; die der Easten zu Wetter den dortigen Pfarrern; Schulmeister, Opfermann ; Easten- meistern und Armen jährlich zukommen lassen soll und trägt den Charakter einer besonderen lokalen Ausführungsbestira- mung zu einzelnen unklaren Forderungen der allgemeinen Ordnung. Dafs dieser „Anhang" ganz selbständig gemacht worden ist, ist wohl nicht anzunehmen. Es bleibt doch immer die Frage ; warum steht in ihm nichts von der Art; wie der Easten zu Wetter verwaltet werden soll. Ich kann

444 DIEIIL,

den Gedanken nicht los werden, dafs der Anhang, der bei

Aufrichtung des Kastens gemacht wurde, eine Ordnung^

nämlich die bereits mitgeteilte, voraussetzt. Das heifst aber,

dafs die vonSchenk mitgeteilte Ordnung ausder

Zeit vor dem „sechtzehenden tage des herbstmon"

1528 stammt.

2.

Doch lassen wir das auf sich beruhen und wenden wir uns der Ordnung aus dem Jahre 1533 zu. Die „hessi- schen Landesordnungen" Bd. 2 veröffentlichen eine derartige Ordnung von allerdings merkwürdigem Aussehen und Richter druckt sie in seinen „Evangelischen Kirchenordnungen des 16. Jahrhunderts" ab. Nun liegt uns aber eine bis- her unbekannte Kastenordnung auch vom Jahre 1533 vor, die ganz anders aussieht als die er- wähnte. Sie ist zwar auch nur eine Kopie, aber immerhin eine aus dem Jahre 1628 und zugleich eine, welche den Ein- druck gröfster Genauigkeit macht. Dazu kommt, dafs sie im Gegensatz zu der Ordnung, welche die Landes- ordnungen bringen , genau datiert ist und wirklich einer Erneuerung und Erweiterung der alten Ordnung, welche Schenk mitgeteilt hat, so ähnlich sieht, dafs sie nur unter der Annahme eines Abhängigkeitsverhältnisses ver- ständlich ist. In Punkt 1 bis 25, sowie Punkt 49 ist unsere neue, 50 Punkte umfassende Ordnung völlig auf der Grundlage der Schenkschen Ordnung entstanden. Sie verändert zwar manchmal einen Aus- druck und schiebt ein Wort oder mehrere Worte ein, aber das alles geschieht in einer derartigen Weise, dafs wir den Eindruck gewinnen, der Autor unserer Ordnung hat einfach ein Exemplar der Schenkschen Ordnung vor sich liegen gehabt und in dieses seine Änderungen hineinkorrigiert. Er hat fast kein Wort der alten Ordnung weggelassen und seine Einschübe meist sehr mechanisch vollzogen. Seine Einschübe gehen aber alle von derselben veränderten An- schauung von der Stellung des Superintendenten und des Pfarrers zum Kastenwesen aus, wenn sie nicht schlecht- hin lediglich dem Streben nach deutlicherer Ausdrucks weise

KECE FVSDE ZTB GESCTIICHTE DER KASTENORDNVKGEN. 445

entsprangen. Er schreibt „Handzinfsregister" statt „Zins- register" und „Handregister" statt Register ", ist durchdrungen vom Gedanken, dafs nicht blofs der Pfarrer, sondern auch der Superintendent bei der Ernennung der Kastenmeister mitzu- wirken und ihnen ihre Pflichten einzubinden habe, und dafs der Pfarrer nicht blofs „oberster" Kasten ra ei ater, sondern der Vorgesetzte des Kastenmeisters sei und damit auf gleichem Niveau wie Renthin eister und Schultheiß" stehe, die ihm im anderen Fall vorgesetzt wären. Er hat darum nicht nur die Oberleitung, sondern schreibt selbst „die haubt- register", gemahnt den Kasten m eister in einem feierlichen Akte an seine Pflichten und nimmt an der Rechnungsabi age ale verantworilicher Vorgesetzter, nicht nur als Prüfungsorgan teil. Dies alles rechtfertigt unsere Annahme vollkommen. Wir wollen sie aber aucJi äufaerlicli begründen und drucken deshalb die neue Ordnung, die wir als A bezeichnen, in der Form ab, dafs alle, in Punkt I bis 25 und 49 neu hinzu- gekommenen Ausdrücke kursiv gedruckt, alle in der neuen Ordnung weggelassenen Ausdrücke in Klammern beigefügt sind.

Ordnuüif Wie sich die C aste nme ister halteu sollen in ihrem Ampt:

1) Item der Pfarrer soll allezeit Obrister Castenmeister sein, die knuptregister schreiben, also das man mit seinem wissen und willen alle Ding: handien soll, und nicht hiuder ibme.

2) Item es sollen beoehen dem Pfarrer un einem ie^licheo ende zwen dre; oder vier Castenmelster sein, darnach die Christ- lich gemein gros ist, welcher einer das /ia»(fzinßiegister haben, und alle Ziuß inmahnen und eigeDtlich ufschreiben soll, was er inmahnet (odir sonst) inuimbt und aaßgibl.

'i) Item dereelbigen Caatenmei^tei sollen ie zum wenigsten einer oder zwen schreiben und lesen können, uf das einer aus ihnen das Ztnßregister hüben, und die Zinß ingemahnen kann, wie oben stehet.

4) Item die andere Castenmeister, sollen dem, der das Hand- regist«r batt, und die Zinß inmahnet, zu der händ gehen, und ihm helfen, wan er Sie anspru^ht zu aller Zeit, was den Caaten belangt.

5) Item es soll ein ieglicher Ber.tbmeister oder Schultüeis den Cistenmeistern helfen, zu der bezabluug der Zinß, und ander in- kommens der Gasten, als dick Sie kommen und ibme ansagen, wer sein Ziuß nit geben wOU, die er Tormals gegeben bat, oder

Zilliebr. r. K.-O. IUI. 3. 29

446 DIEHL;

durch sein vorfahrn gegeben worden wehren, das also der Cast^ ime auch mit Ff'arrgefäU im besess were, die soll der Eenth- meister Pfenden, und die Castenmeister, mit den Pfänden bezehmen laßen, als bald za versetzen oder znverkauffen, nach notturffi des Castens, unangesehen alle gewonheit, so bis anhero mit den Pfänden gehalten worden ist, doch das hirin Christliche lieb nicht über- schritten werde, darhey nichts abgehen laßen,

6) Item es soll alle Jahr einer oder zwen aus den alten Castenmeistem, im Ampt bleiben, und ein oder zwen newen ihnen zugegeben werden, mit raht und hülf des Superintendenten, Pfarrners, Benthmeisters oder Schultheißen und der Eltisten und redlichsten aus der Christlichen gemein, und der Superintendens oder Pfarrer ihm vorlegen, was er sich sugehälten hat,

7) Item welchen der Superintendens, Pfarrer mit sambt dm Schultheißen und eltisten, aus der Christlichen gemein kiesen wtird, zu einem Castenmeister, also das er ein from, redlich, nnberfichtiger Mann sej, wie auch nit einen Opferman, der soll solch Ampt anzunehmen schuldig sein, bey bues zehen gülden, unserm gnedigen Herrn, unabbrüchlich zu geben, und soll kein weltlichen DM als büttel Stattknecht u, s, w, dahey versehen.

8) Item die Castenmeister sollen auch, mit rath nnd hülf eines Pfarrers, Benthmeisters oder Schultheißen, an einem ieglichen ort handeln, in allen dapfern und schweren Sachen, was ihnen von- nötten sein würd.

9) Item, man soll an einem ieglichen ort einen Casten haben, der in der kirchen stehe, und wohl verwahret sey, mit beschlag und schloßen, das niemands darzu schaden gethun kann.

10) Item in denselbigen Casten sollen gefallen alle Zinß der Brüderschafften, der kaiander, der Spende, Stipendien, und andere allmußen, was der gestifift weren bey den kirchen, Priestern, Eähten, oder gemeinen, auch der Spital Zinse, und was zum Baw der kirchen gehört hat, desgleichen die Pfarr Zinß , welche die Castenmeister umb gebührliche belohnung, wie die andere von Zwantzig gülden einen uff heben sollen, und aus dem Casten, den Pfarnern alle quartal reichen und Ufern, damit Sie ihrem studiren, und Ampts desto beßer U7iverhindert obligen können.

11) Desgleichen auch sollen alle Priester und (Geistliche Per- sohnen, die geistliche Lehen haben, nnd selbs nit Predigen, oder an den enden, da die Lehen sein, nit wohnen, die helffte ihrer Zinß, und alles inkommens, in den Casten Jährlich folgen lassen, ausgescheiden, die, so zu Marpnrgk im studio studirten, die sollen des privilegii, als unser genediger Fürst und Herr der Universität daselbst gegeben hat, gebrauchen, so lang sie da im studio sein und studiren,

12) Item aus dcmselbigen Casten, soll man versorgen die

NEUE FUNDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNQEN. 447

Prediger, und vorstender, der Christlichen Gemein, im wortt Gottes, und alle arme krancke nnd gebrechliche Leath, so an einem ieg- lichen ort sein, darzn soll man auch die kirchen, ans solchem Gasten in redlichem baw halten.

13) Item es soll der Pfarrer, einen schlflßel zum Gasten haben, und iegl icher Castenmeister auch einen haben, und wo ein Pfarrer Stirbt, oder abzeucht, den schli\ßel dem Superinten- denten oder Benthmeister zuhanden steilen, bis ein anderer JPfarrer aufgezogen, damit nichts verendert werde,

14) Itom es soll der Pfarrer oder Prediger das volck nf der Cantzel alle sontage vermahnen, das Sie den armen ihre allmnßen mittheilen wollen, nach dem gebott Gottes,

15) Item, es sollen auch die Castenmeister allen sontäge vor den Toren an der kirchen stehen, mit Taffein oder schusseln, und von den Christlichen menschen, die allmnfsen bitten, nnd samblen den armen, und was Sie kriegen, in gegenwertigkeit des Pfarrers zehlen, und aißdan in den kästen schütten oder stecken.

16; Item wan die Castenmeister den Gasten ufschlissen wollen, sollen Sie den Benthmeister oder Schultheißen, oder eitisten dar- bey nehmen, [lud in deßen gegenwertigkeit mit dem Pfarrer zehlen, was sie im Gasten funden, und so bald anfischreiben, in ihre register der innahme.

17) Item der Pfarrer soll mit den Castenmeistem in der Statt, Flecken oder Dorf umbhero gehen, und sehen helffen, wo arme Leutbe weren, die alters oder kranckheit halben sich nicht emeren könten, das man denselbigen aus dem Gasten gebe, ein zimlich Steuer, alle wochen, oder die ÄUmußen, nach Stifftung der Testament.

18) Item Sie sollen auch ein eigen Zettel machen, darin Sie die armen Leuth schreiben mit nahmen, denen Sie aus dem Gasten geben wollen, und solche Zetteln dem Rabt oder dem Obersten, in einer iglichen Statt, Flecken oder Dorff, anzeigen, und zu be- sichtigen geben, ob die angeschribene Lentb, auch arme, not- tfirfftige, frome Leuth sejen, und der Allmußen würdig.

19) Item Sie sollen auch eigentlich aufschreiben, waß Sie alle wochen einem ieglichen geben, an gelt oder (ander) wäre.

20) Item die Castenmeister sollen auch ihrem Ampt trewlich und fleißig vorstehen, und alle Ding nutzlich und wohl handeln, bej ungenediger straff, unsers genedigen Herrn, daran soll Sio niemands verhindern, weder Amptleuth, knecht, Bürgermeister, Raht, Heimberge, noch gemein, auch bej ungenediger straf unsers genedigen Herren.

21) Item der Pfarrer und Castenmeister, sollen auch alle Jahr, in gegenwertigkeit (des Pfarners) des Renthmeisters , oder Schultheißen, des Burgermeisters oder Heimbergen, an einem ieg-

29*

448 DIEHL,

liehen ort, und zweyer frommen Rahtsman, oder Bawersman, welche der Burgermeister oder Heimberger darza mit sich nimbt, ein gründliche Lauter, clare recbnung thun, von aller Innahm and Außgab, und was als dan der Gast, im Vorraht behalten wflrd, soll so bald in aller gegenwertigkeit, in den Gasten gelegt and geschloßen, und von niemands heraus genommen werden, es geschehe dan mit wissen und willen aller deren, die darza verordnet sein.

22) Item der Pfarrer soll auch daran sein, daß alle Jahr za rechter Zeit die recbnung durch die Gastenmeister geschehe, in Acht Tagen nach Michaelis, alß bald bezahlen , das Geld in Gasten legen, und die Castenmeister darauf quUtiren,

23) Item die Gastenmeister sollen nach gethaner recbnung, dieselbige rechenschaflft under eines renthmeisters oder Schultheißen Siegel verschloßen, und unverzüglich in acht tagen gen Marporgk in die Gantzley schicken.

24) Item es soll zu einer ieglichen rechenschafift einem ieg- lichen Gastenmeister, der das register geschriben gehatt, und die Zinß ingemahnet hatt, ingleichen sein belohnung geben werden, damit Sie desto williger sein, in ihrem Ampi (zwey und der andern einem itzlicbem ein pfandt gelts zu dranckgelt geben werden, dormit sie destewilliger sein in irem ampt).

25) Item es will auch unser genediger Fürst und Herr, ie über drey oder vier Jahr, Seiner F. Gn. Rähte, einen Geistlichen und einen weltlichen schicken, in alle Statt im Fürstenthumb za Hessen, zu visitiren und zu verhören, die Recbnung der Gasten, so mit der Zeit geschelien sind, und alle andere gebrechen, so in der Ghristlichen Gemein, befunden werden, und dieselbigen nach dem wortt Gottes endern, und rechtfertigen laßen, Gott dem All- mecbtigen zu lob, und allen Gbristglaubigen zu trost, und hejl, Ihres Ghristlichen lebens und wandeis.

26) Mann soll kein gelt aus dem Gasten nehmen, und in gemein Landstewer und nutzen wenden, auch nicht an gemeine weg, Steg zu verbawen, kein bergelt, noch Schätzung von Geist- lichen gühtern geben, sondern sie sollen deßen gefreyet sein,

27) Item Mann soll umb kein kircben- oder Geistlich gabt oder Zinß rechten, die man von alters hero geben hat, alte register, oder brif und siegel darüber bat, denen sollen die Ambtsknecht helffen, und ihnen Pftind geben, an einen ieden ort,

28) Manu soll auch den Hirten, der gemeinen nicht aus dem Gasten lohnen, und soll kein Pfarner von den Pfarren und kirchen Güettern, auch ihrer Persohn und Viehes halben, zu frönen oder zu dienen, schuldig sein, sondern frey gehalten werden, des soll ein ieder Statthalter, Amptman zu Handhabung der kirchen und Pfarrern freyheit ernstlich beystehen und würcklich verhelffen.

NEUE FUKDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNOEN. 449

29) Es sollen die Castenmeister keinen Baw anfangen, sonder der Pfarrer und Amptknecht wißen und besichtigong.

30) Wan die Castenmeister rechen, oder sonst von des Castens wegen znschaffen betten, sollen sie nicht unmäfsige noch nnnöttige Zehrong oder Bottenlobn machen.

31) Die Castenmeister sollen auch nicht abgesetzt werden, Sie haben dan zuvor alle schuld ingemahnt, bezahlt und genüg- same rechnung gethan, und wo sie säumig in der inmahnung würden, und verstorben, so soll man von ihren Gühtem wider nehmen, und dem Casten zustellen,

32) Item die Pfarrer, sollen durch Predigen das Volck er- mahnen, in den Casten zugeben, und ihre Testament darin zusetzen.

33) Wan an den kirchen oder Pfarrheusern, etwas zu bawen ist, so sollen die Gemein die fuhr, die arbeit und handraichung thnn, auch die Cost geben, und den Zimmermännern, Meurem, Steindeckem, nnd Schreinern aus dem Casten lohnen.

34) Item so sollen die Ambtsknecht fieissiglich uf die Casten sehen, und welche Zeit die Castenmeister Sie ansprechen würden, so sollen sie ihnen, iron stund ahn, behülflich sein, ohn allen Yerzugk, alß obs meines genedigen Herrn und Fürsten sach selbst antreffe, und wo Sie solches nicht thetten, und in Vergoß stelleten, will Sie unser genediger Herr ungenediglichen straffen nach seinen Fürstlichen willen.

35) Alle Spital und Sichenheuser, sollen besichtiget, und eines leden gebrechen und gelegenheit, auch wie ihme zuhelffen sej, dasselbig unserm gnedigen Herrn angezeigt werden,

36) Dieser Articuln, sollen die Amptleuth oder Superintendens ein abschrifft haben, und wan die Castenmeister rechen, sich wissen darnach zu richten,

37) Es sollen alle Castenmeister gefragt werden, was Sie dis Jahr im Casten fundeu, und gcsamblet haben.

38) So die Kirchthürn bawfellig werden, soll man dieselbige abbrechen, oder beßern.

39) Zu gedencken, was vor gelt ausgeliehen oder abgelöst, das solch Pension in die register geschrieben, und verrechnet werde, gewiße brief und Siegel gemacht, mit eigenen güthern, die nicht zuvor versetzt, noch theil gOhter seyen, zu underpfand verlegen, und brief und siege! also bald in Casten thun. Es sollen auch Pfarrern, eltiste und Castenmeister abgelöst gelt uf stund wider anlegen, und nichts an Hanptsummen, Pensionen oder Zinß abgehen laßen, es sej mit Casten, Pfarren, Schneien ein ieglirhes an sein ort, wider anlegen, wo aber kein Verlegung noch underpfand verzinsen seind, ohn allen Verzug dieselbige anhalten» das Sie newe Verlegung thun.

40) Es will auch nnser genediger FQrst und Herr haben, das

450 DIEHL,

kein Amptknecht, Helfgelt soll von Geistlichen gfihtern nehmen, vor Pfand, recht oder Versiglung.

41) Die unnöttige kelch und kleinod zuverkanffen, nnd dem Gasten zunutz anzulegen.

42) Es sollen auch die Pfarrer und Castenmeister, mit wissen des Superintendentis alle brief inveutiren nnd reponiren, glaubwürdige Verschloßene Copien machen, alles trewlich und ohne gefebrde.

43) Es soll kein Pfarrer, Castenmeister noch eltister macht haben, einiges Kirchenguht an Erbgühtem oder Erbzinsen erblich zuverleiben, zuvereusern, zovertauschen , noch zuverkaüffen, ohn vorwissen Seiner F. Gn. und Superintendentis, dan ob wohl das Kaufgelt, einen höhern Zinß, den das guth ertragen möcht, so ist doch mit Pfandscbaft und fahrender hab mißlich, das die Gasten, Pfarren mit der Zeit umb Zinß und haubtgelt kommen können, welcher gefahr man sich bey ligenden gühtern nicht xu- besorgen, auch ein Pfarrer sich seiner Pfarrgühter in seiner Haushaltung selber zugebrauchen halt.

44) Es sollen auch die Superintendentes, Pfarrer und Ambt- knecht mit nichten gestatten, das die, sonder kirchen eigene Erb- gühter, oder Erbzinß inhaben, Ihre besserung ihres gefall ens ver- kauffen, versetzen, vereusern, vertheilen, vertauschen, noch ihre kinder darmit ausstewern, ohn vorwißen der Vorgenanten, sondern die gühter, und Zinsen beyeinander laßeu, sich in auderm dagegen vergleichen, und uf gewiße anzahl der Jahren, umb gewißere Zinß oder Pfacht entnehmen und besteben, oder der kirchen Ihre gühter wider zu banden stellen, es sey dan von Uns, und unserm Super- intendenten, mit aigenen bänden underschriben.

45) Es sollen weiter, die kirchendienor macht haben, wo etliche Gasten- oder sonst Geistliche gühter, es sey an leyh oder theilgühtern , inhaben und nicht in gutem Baw und besserung halten, mit tung und arbeit, darzu etwas über kurtz oder lang davon versetzt, verpfend, verkauflft, oder vertauscht were, ohn er- legung einiges Pfennings oder beßorung, ohn alle einrede und ent- geltnus, zu sich nehmen, der kirchen zum besten gebrauchen, oder andern verleihen.

4G) Was auch albereit von Gasten und kirchengühtern in new- lichen Jahren, bey menschen gedencicen, sonderlich in der Zeit, so solcher Geistlicher gühter halber zu rechtem bestimbt ist, ver- theilt und zerrißen were, soll widerumb, so viel möglich zusammen und zu banden bracht werden,

47) Sie sollen auch Pfarrer, kirchen und Gastengühter, in ein bestendig Erbregister bringen, auch die gühter vereinen, und ver- steinen lassen, und die Persohnen, so die gühter underhanden haben, und was ein ieder zu Zinß gibt, in dasselbig register ver- zaichnen, desgleichen, so ofift andere Persohnen, zu den gühtern

NEUE FÜKDE ZUR GESCHICHTE DER KASTEKOHDNONQEN. 451

entweder nach absterben ihrer eitern oder sonst, in andere wege kflhmen, doa allweg dieselbige Perüohnen, sich bey den Super- intendenten, dem Pfarrer iedesinahlB nit ullein ihren güehter, sondern uuch ävn Zin&es liulben bey wem die kirchendiener den zo fordern gewiss sein möchten, ungebea,

4h) Es ist aiicli unser ernster befehl, diis ihr g»ntz und gar nichts: es seye wenig oder viel underm schein, als das es uns zam besten geschehe, von Gasten oder PfarrengQhtern entziehet, sondern inbalt der fundatioo, bey ein bleiben laßet, desgleichen keineswegs gestattet, noch zusehet, das die vom Adel, so die Col- lution haben, den kirchen und geii;tlichen gühtern, etwas entziehen, noch geschenckh oder Jährlich geding, Pension oder absent daron nehmen. __^

49) Es soll auch ein iegUcber Ämptman, Beiithmeieter, Togt, oder Schultheis ein fleißiges DFsehens haben, das ein ieder, der gesund und starck ist, m deui Wnrtt Gottes gehe, dasselbe mit andacht und Innigkeit seines Hertzens höre, sonderlich des Son- tags, und nicht uf dem Kirchhof oder andern ortten, under der Fredig stehe, schlaffe und wcscherey anrichte, noch däs wortt Gottes oder seine Diener, und (sonderlich) diese Ordnung des gemeinen Ca- Btens nit leaterlich verspreche, noch verachte, 100 aber einer solches, die Pfarrer und kirchendiener, mit beschwerlichen wortten oder wercken. Überfahren icürd, denselbigen anhätten, das er den Diener der kirchen, genügsame Versicherung thue, sich wort und werck gegen ihnen enthalten , das sie mit frUd wandeln , und ihr Ampt, wie hiliich, versehen und vertretten können: Die Übertretter in Bafft einziehet, und uns tuerkenncn gebet, vxAlen wir befehlen, was gegen ihn vorzunehmen sei/, Auch nicht zum gebranden wein, oder sonst zum Wein oder Bier die Zeit gehe, fiicb auch nnsers genodigen Forsten und Herrn Ordnung mit feyeren und heyligen, mit zimlicbem essen und drincken und andern darin Terleibt, lialte, welcher iiber dis nit huUen nnd Qbertretten wOrd, soll in hufft eingezogen (in Gefengknis gesetzt), und ein monüt lang, mit' waßer und brot gespeiset, und so er sich daran nicht beßern woit, soll er darnechst un leib und guht gestrafft werden.

50) Cbor diesen unsern Satzungen, sollen alle unsere Beampte, und ihre nachkommende mit fleiß halten, und alles exequiren, bey ungeuediger straff und solches ein iedcn Pfarrern verkQndigen laßen. Des haben wir unß, mit eigenen banden und erzeichnet, und unser secret Insigel wissentlich an diesen brif hencken laßen, Der geben ist Freytags Äntbonii Ao 1533.

leb liabe dieser Ordnung nichts mehr beizufügen, uin ibr Verhältnis zu der von Schenk mitgeteilten alten Ürdnung

j

452 DIEHL,

za charakterisieren. Alles, was die Schenksche Ordnung ent- hält, ist fast wörtlich in diese neuaufgefundene aufgenommen und zwar in derselben Reihenfolge. Es steht aufser Zweifel, dals in Punkt 1 bis 2b, sowie in Punkt 49 die Schenksche Ordnung dieser neuen von 1533 als Vorlage diente.

3.

Wie steht es dann aber mit den Punkten 26 bis 48 und 50? Wir stehen hier ohne Zweifel vor einem Problem. Wir wollen uns nur daran erinnern, dafs in der Schenkschen Ordnung Punkt 25 und 49 zusammengehören und dafs dies zweifeUoB das Ursprüngliche und Richtige ist Es ist ganz in der Ordnung, dafs, nachdem von der Fürsorge, die der Landgraf und seine Räte der neuen Ordnung zukoounen lassen, gesprochen ist, die Rede auf die Aufsicht der Amt- männer, Rentmeister und Schultheifsen kommt Nicht in der Ordnimg aber ist es, wenn in der Reihenfolge von 1533 Punkt 25 einen Abschlufs bringt, der nichts Weiteres mehr als einen Schlufs erwarten läfst und Punkt 26 dann mit einer Auseinandersetzung kommt, welche, in Punkt 48 jäh ab- geschlossen, in Punkt 49 und 50 einen doppelten Schlafs hat, der genau dasselbe zweimal sagt. Das Rätsel wird blofs dann gelöst, wenn wir annehmen, dafs dem Autor der Ordnung von 1533 noch eine andere Ordnung (oder auch mehrere!) vorlag, bei deren Verschmel- zung mit der Schenkschen der ursprüngliche Schlufs (Punkt 49) aus seinem Zusammenhang weichen mufste. Er hat die um den Schlufs verkürzte Schenksche Ordnung mit der (oder den) anderen verbunden und dann den ursprünglichen Schlufs nachgebracht Dafs diese Hypothese richtig ist, ersehen wir aus Verschiedenem. Vor allem sei an unsere obigen Ausführungen erinnert. Schon der Kastenordnung der Gemeinde Wetter (die v. Schenk ver- öffentlicht hat) ist ein Nachtrag „wie man sich forter halten sali mit bawen, caßtenzerung und pfarren gutter'^ beigefügt Es sind vier Punkte, die ganz kurz Richtlinien für die er- wähnten Dinge angeben. Aufserdem liegen uns mehrere Exemplare von Kastenordnungen vor, die sich

NEUE FUNDE ZUR QESCHICHTE DER SASTENOIiDNCNOEN. 453

mit Stellen aus Punkt 36 bis 4U aufs EngBte be- ruhreu. Unstreitig die interessanteste ist ebenfalls den Akten der Visitation von 162H, und zwar direkt hinter der oben mitgeteilten Ordnung von 1533, beigebunden und von una neu aut'gel'unden. Eine andere ist diejenige, welche dia Landesordnungeo und Richter angeblich als „Die Kasten- ordnung von 1533" veröffentlicht haben. Eine dritte endlich habe ich in einer Sammlung alter Verordnungen aus der Zeit von 1580 aufgefunden. Sie verdienen alle drei eine Besprechung. Beginnen wir mit der letztgenannten als der kürzesten. Sie findet sich im Grofslierzoglichen Staataarchiv Abt V, 1, Konvolut 3 und lautet:

Außzug der Ordnung Ober dia Gotteskasten oder AlmuBen durcli den Durcbleachtigen Hocbgebornen Fürsten unnd Herrn Herrn Phitipsen Landtgrauea zu Hessen Grauen zu Catzelenbogen Itzt affgericlit, die S. F. G. also Krnstlich gehallten und Einem Jeden bej den Pflichten damit er Irer F. G. zugethan und ver- wandt Ist deren gestracks und unwegerliuh zageleben bevolhenn babenn.

Erstlich soll man kein gelt auß dem Gotts Kastenu nemen unnd Inn den gemeinon Nuzen wenden, Audi nicht zuerbanwen, Steuer, Scbatzunge oder Hi3rzüge, deß Allen sollen die Cassten gefreyet sein.

Zum Andern soll mann umb kein Zinnß oder gQter des Kastens rechten, die man von Allterg her gegeben batt unnd liin den Allten Kegistern gerucden vterdeu, oder darüber brieffunnd Sigel vorhanden sindt, do sollen die Amptknecht eines Jeden Ortha belffen unnd Pfanndt geben.

Zum dritten soll den Hirtten kein gellt Auß dem Cassten gegeben werden, Auch sollen die CasatenmeistBr keinen Bauw Anfaben, sonder der Ambtkiieclit Wissen unnd Besichtigen, Unnd wann man an der Kirchen oder Pr^rrbeußern ettwus la Bawen batt, so soll die gemein die Fuhr, Auch die Hanndtreiiihung unnd die Coste geben unnd Auß dem Cassten den Zimerleuthcn Meurem Schreinern unnd Andern lohnen , Gs were dann das der Cussten gering were, oder die Gemein den Bauw zuerhailten schuldig ist.

Zum Vierten Wann die C aasten meist er rechnen oder sonst von des Cassten wegen zuschaffen haben , sollen sie nit mehr dann Einer Ein Alb. zuverzeren macht haben, unnd was sie weiter darüber verthun werden, das soll man Ihnen Ausstreichen, der- gleichen Auch unnötig Botten Lohn.

Zum Fünfften sollen die Amptknecht Ein VIeJßiges Uffsehen haben uff die Cassten unnd welcher Zeit die Casstenmeister sie

454 DIEHL,

Ansprechen werden, so sollen sie von Stondt an Ihnen behOlff- lich sein, ohn alle Wegemng Als ohs ünßers g. F. unnd Herrn Sachen Antreffe, unnd wo sie solches nit thun werden, nnnd Ion Vergoß stellen, will sie Unser g. F. und Herr üngenedigiich straffen, nach lanth des Fürstlichen Bevelchs.

Zum Sechsten sollen die Amptlenth unnd Pfarrherr difier Articel ein Abschrifft haben, unnd wenn die Casstenmeister rech- nen, sich wissen darnach zu richten.

Zum Sjbenden so die Thüm Ann Kirchen Bawfellig werden, soll mann dieselben Abbrechen unnd dem Cassten kein Unnotbig gellt verbawen.

Zum Achten den Amptleuthen zu gebieten, das sie den Ge- meinen Inn Stetten unnd Dorffem sagen, das entlehnet gellt Aoft dem Cassten, widerumb zustellen unnd ab zu lößen.

Zum Neundten, Es will auch ünnser gnediger Fürst unnd Herr haben, das kein Amptknecht soll von den Casstenmeisteni helffgelt nemen. Vor PCanndt recht oder vor Sigel.

Zum Zehenden die Uberige Kelch unnd Cleinot zuverkhauffen, unnd das Gellt dem Cassten zu Nutz Anzulegen/'

Soweit die Ordnung! Vergleichen wir sie mit dem zweiten Teil der oben mitgeteilten Eastenordnung von 1533 (A), so finden wir: l) Die neue Ordnung (B) hebt gerade da an, wo unsere Ordnung von 1533 anfängt, über die von V. Schenk gefundene hinauszugehen; 2) es stimmen, manch- mal mehr, manchmal weniger, miteinander überein Punkt 1 der neuen Ordnung mit Punkt 26 der alten, 2 mit 27, 3 mit 28, 29 und 33, 4 mit 30, 5 mit 34, 6 mit 36, 7 mit 38, 9 mit 40, 10 mit 41, 8 hat kein Analogon; 3) die Ord- nung von 1533 ist in ihrem Wortlaut öfters genauer und ausführlicher als die neue Ordnung, wie besonders Punkt 38 und die in der neugefundenen Ordnung nicht nachweisbaren Punkte 31, 32, 35, 37, 39 und 42 fF. beweisen.

Wir gehen zu der Ordnung, welche die Landesord- nungen und Richter mitgeteilt haben (C). Sie nimmt eine Mittelstellung zu den zwei erwähnten Ordnungen ein. Auf der einen Seite stimmt sie dem Wortlaut und der An- ordnung nach viel mehr mit der Ordnung B als mit der Ordnung A (1533) überein. Sie, die Ordnung C, ent- hält — von Blleinigkeiten abgesehen in den Punkten, welche mit B gemeinsam sind, blofs in ihrem vierten (dem

NEDE FüNDE ZUR GESCniCnTE DER KASTENORDXINGEK. 45B

dritten von B) und fünfzehnten Punkte (B Punkt 8) etliche Worte mehr als B; dort läfet sie auch dem Pfarrer das Recht der Baabeaichtigung und kündigt eine gewisse Strafe flir Nichtheachtung der Vorschrift an, hier fügt sie die Worte „aus dem Gasten in einer Kürtze" bei. Anderseits eind in ihr aber viel mehr Punkte der späteren Ordnung A (von 1533) zu finden als in B. Sie enthält aües, was B bietet, fast bis aufs Wort, und damit im woaeniliohen Punkt 26— SJ9, 33, 30, 34, 36, 38, 40 und 41 von A genau in derselben Reihenfolge wie B, aber sie schiebt zwischen Punkt 30 und 34 noch diePunkte31, 32 und 35, zwischen 3G und 38 noch Punkt 37, zwischen 38 und 40 Punkt 39 und hinter 41 Punkt 42 der Ordnung A, so dafs bei veränderter Reihenfolge schliefs- lich doch kein Punkt aus dem Cyklus 1'6 bis 42 von A in ihr fehlt. Diese Beobachtungen sind von grofser Wichtig- keit, sobald wir sie mit einer anderen Thatsache zusammen- halten. Die Ordnung C, welche die „Landesordnungen" und Richter darbieten, hat im Unterschied von A dieselbe Überschrift wie B, nur dafs letztere Ordnung sich als „Aus- zug", die Ordnung C aber als wirkliche „Ordnung der Gotteskasten" bezeichnet. Die Ordnung B ist deutlich ein späterer Auszug aus C; daraus folgt aber, dafs in einer bestimmten Zeit der Ordnung C der Charakter einer selbständigen für sich erlasse- nen Ordnung zugekommen sein mufs. Dies ist bei der Eigenart des Aktenstückes, in welchem uns B hand- schrifthch überliefert ist , die einzig mögliche Lösung. Es enthält dies nämlich in fortlaufender Reihe eine gröfsere Zahl Verfügungen der Landgrafen von 1559 an bis 1581, daneben aber auch spätere Auszüge aus alten Verord- nungen, z. B. der Verordnung gegen die Wiedertäufer, der Superintendenten- und Viaitationaordnung von 1537. Diese Auszüge sind aber alle nach dem Prinzip gemacht, das im Verhältnis der Oi-dnung B zu C zu Tage trat. Sie nehmen nur das auf, was für die weltlichen Beamten (Amtmann, Atntsknecht u- s. w.) , für welche unsere Handschrift be- ■finimt war, pafste und lassen dazu auch noch in den ein-

]

456 DIEHL,

zelnen Sätzen Worte weg; welche überflüssig erschienen. Der Mann, welcher die Ordnung C auszog und dem sie einer in unser Manuskript von 1580 nachschrieb, that dies in derselben Weise. Er liefs Punkt 7, ti, 9, 13 und 18 der Ordnung C weg, weil in ihnen allen von Dingen gehandelt wird; die entweder überhaupt oder nach der Praxis der späteren Zeit die weltlichen Beamten nichts angingen: die Absetzung der Kastenmeister; die Revision der Kasten und die Mahnung an die Pfarrer zur Förderung des Almosen- kastens. Im übrigen aber hielt er sich möglichst streng an seine Vorlage. In welchem Jahre er dies that, hat für uns hier kein besonderes Interesse. Wichtig ist uns nur, dafs es geschah. Die ThatsachC; dafs ims aus der Periode direkt nach Entstehung der Kastenordnungen ein Auszug aus einer Ordnung vorliegt; der mit A sich so wenig; mit C so sehr berührt; ist uns ein Beweis dafür; dafs C kein zufäl- liges Schreibwerk eines Kompilators oder Pfar- rers ist; sondern wieA eine landesherrliche Ord- nung von allgemeiner und selbständiger Bedeu- tung darstellt.

Eine selbständige Ordnung; die genau so begiimt wie C, begegnet uns, wie schon erwähnt; auch noch an anderer Stelle. Sie findet sieb in den Visitationsakten von 1628 (H.-St.-A.) und ist dort der Ordnung von 1533, die wir als A bezeichneten; beigebunden. 1628 glaubte man also, dafs es nicht blofs eine grofse Kastenordnang von 1533, sondern noch eine andere kleinere Ordnung der Kasten aus der Zeit Philipps des Grofsmütigen gegeben habe. Sehen wir diese Ord- nung, welche wir mit D bezeichnen, genauer an, so wird uns folgendes ohne weiteres klar. Die Annahme; dafs C ein selbständiges Werk war und als Nachtrag zu einer be- reits publizierten Kastenordnung selbständig erschien, wird aufs neue bestätigt. Auch die Ordnung D beginnt mit dem Satz: „Mann soll kein gelt auß dem Kasten nehmen'' wie die Ordnung C und ihr Auszug B. Auch sie ist wie C eine Ordnung von allgemeiner Bedeutung, keine Kompilation aus den Ordnungen von 1533 und 1530; keine Privatarbeit

KEUE FUNDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNQEN. 467

Wir wollen dies an der Hand ihres Inhaltes erläutern. Die Ordnung lautet nach der Kopie von 1628 in den Visitations- akten folgendermafsen :

Diser vclgenden Ärticul sollen alle Amptknecht und Pfarrer ein Ahschrifft haben, und sich darnach richten, wan die

Kastenmeister rechnen.

1) Mann soll kein gelt auß dem Kasten nehmen, und in gemeine nuzeu wenden, als za yerbranchen, oder zu Schazung und stewren.

2) Man soll umb kein guter und Zinß rechten, die man von alters her gegeben hat, und in alten regiestern finden oder be- grieffen, oder do man Siegel nnd brieff über hat, dess sollen ihn die Ambtknecht helffen und Pfand geben.

3) Man soll den Hirten kein geldt auß dem Gasten geben.

4) Es sollen die Castenmeister kein Vorwehr anfangen, sonder der Ambtknecht und Pfarrer wissen und besichtigung und wo sie es darüber theten, so soll maus ihnen in der Rechnung auß- streichen.

5) Wan die Castenmeister rechneten, oder sonst von des Gasten wegen zuschaffen hetten, sollen sie nit mehr dan 1 alb. zuverzehren macht haben, und wo sie weiter darober verthun, so soll maus ihn aoßstreichen, deßgleichen auch ohnnötig bottenlon.

6) Es sollen die Castenmeister in Rechnungen oder sonsten nicht über 1 alb. verzehren auch kein obnnötig Bottenlohn.

7) Es sollen die Castenmeister nit abgesetzt werden, sie haben dan zuvor alle schuldt eingenommen und abbezahlt, und wo sie seumig in der inmahnung würden sein, und verstorben soll maus von ihren gutem wieder nebmen, und dem Gasten zustellen.

8) Die Pfaffen, so ihre Lehen nit besietzen, sollen den halben Zins in Gasten geben.

9) Die Pfarrer sollen ein fleifsig vermahnen thun zum Volck, den Armen zusteuer in Gasten zugeben, und nach ihrem todt ihr Testament in kästen zu machen, Inhalt der H. Schrifft bej Ver- lust der Pfarr.

10) Alle Spital und Siechenheusser soll man besehen, und alle gebrechen erforschen, auch wie zu helffen, Sie dasselbig Meinem g. H. anzeigen.

11) Wan man an den kirchen oder Pfarrheusern etwas zu bauwen bette, so sollen die gemein die fuhr thun, auch die Handreichung, und der Pfarrer die Gost geben, den Zimmerleuthen, aber Mewerem, Steindeckern und Schrejnern, soll man auß dem Gasten lohnen.

12) Es sollen die Ambtknecht ein fleisig uffsehung haben,

458 DIEHL,

uff die CasteDy und welche Zeit die Castenmeister sie ansprechen werden, so sollen sie ihnen von stundan behfllfflich sein» ohn alle Weigerung, als obs M. g. Herrn sache selbst antreffe, und wo sie solches nit than werden, und in vergeß stellen, will äe mein g. ohngnediglich straffen, lauth fürstlichen befelchs.

12) Was für gelt angelegt nnd abgelöst, soll die Pension in die Register geschrieben nnd verrechnet werden.

13) Alle Kastenmeister soll man fragen, wie sie des Jahrs im Kasten fanden nnd gesamblet haben.

14) Die frembte Bettkr soll mann hinweg weißen.

15) Die leben, so die vom Adell zn leben haben gehabt^ und die in sterben ledig gefallen soll man m. g. H. anzeigen.

16) Den Amptleuthen soll man sagen, das sie den gemeinen in Dorffen sagen das entlehnete gelt ans den Kasten wieder in Kürz abzulößen.

17) In allen Amptem soll ein sonder bnch gemacht werden, dorinnen alle gebrechen nnd bescheid geschrieben nnd einem Jeglichen Visitatorn behendigt werden.

18) Die Armen soll man nmb Gottes willen auff nehmen in die Spital nnd also zn geschehen verfügen nnd nit die reichen allein nmb Gottes willen.

19) Die armen so noch freund haben, die vermöglich, sollen von ihren freunden underhalten werden, damit die Kirche nit beschwehret werde.

20) So ein armer vorbanden, der ein wenig nahrnng bette, und die freund ihn im leben nit versorgen zimlicher maßen ge- wolt, das er sich in Spital gethan, do er ufgenommen, soll der Kasten den Erbfall ziehen, domitt die Gemeinde ohnbeschwehrt bleibe.

21) Die ... so grofse Summa gelts aus den Gasten genom- men, wider m. g. F. und H. befelch vielfaltig beschehen, sollens wiedergeben oder verzinßen.

22) Es ist nfizlich angesehen, die recht armen zusammen in einen Spital oder sonst zu verschaffen, und dahin ihnen woch- licben geben in ein anzahl, dann das man (wie sonsten gewonheit) jungen starcken gesunden, die wohl arbeiten möchten, enthebt und faule Bettler ziehe.

23) Das wachs, das die ZQnfften vorhin zu kertzen geben, soll hinführe in Gasten folgen und damit soll man den armen ihre handwerck helfen anfangen.

24) Es ist M. g. H. meinung und Herz, wer etwas von Pfarren zustendig abgewißen, das er daßelbig wiedergebe.

25) Es gefeit unßerem g. F. und H., daß die Pfarr und Gastengüther nach Landsgebrauch Verliehen werden, auff das sie

KEUE FUNDK ZUR GESCHICHTE DER KASTE» ORDNUNGEN. 459

nit die Bauern zu sich reißen und die Ffikcren umb das Kigen- tbnm bringen.

26} Es acht tinßer g. F. und Hsrr billich sein, das dieweil den Pfarren alle accidentalia abgehen, das die Pastores sehr ihre göther Dffs nflEÜchst für Eich selber bniucben, geniefsen, zu aicb nehmen und arbeiten lauen, damit sie bleiben megen nnd kein weiter bescbwebrung furnehmen, doch das die beßerung abgelegt werde.

37) Wo sieb die Predicanten nicht still halten wollen mit den Sacramenten und Irrungen das Verwirrung des Voloka mit nffrubr sieb daraus folgen zu vermnthen wehr (weil ein izlicU part ibien anhang und derselbig gelat zu beiden selten weilt) soll muns dem Slattbalter nnd Bäthen anzeigen, die sollen weiter mit ihnen zn allem Friden bandeln.

21^) Wo sich Predicanten, die mit wortt and bösen tbaten berüchtiget , selbs intiingen . soll mann nit leiden , doch nnter rechter erführung.

29) So die pastores so ehrlich besoldet seind, andere uff- Btellen und ihres Ampts nach freundlichen Ermahnung nit warten wollen soll mans dem Statthalter und tiatben anzeigen, die sollen bebülfflich sein.

30) In Pfarren, Gasten, Schulen. Stipendien und andern stücken Färstl. befebia soll mann in Gebieten und Flecken, so verpfand sein gleicberweifs geparen wie in andern ohnverpfandeD und wo es die Dotb erfordert, soll man derhalben bülff suchen bey dem Statthalter.

Vergleichen wir diese Ordnung D mit C und A, so er- Bchen wir Folgendes: 1) Obwohl D in der Zahl der Punkte weit über C binausgeht, so bat sie doch mit der grofsea Ordnung A niclit einen einzigen Punkt mehr gemein als mit C; 2) in diesen (allen drei Ordnungen gemeinsamen) Punkten stimmt D im Wortlaut viel mehr mit C als mit A überein, cliarakleriatiscb erweise lassen C und D im Gegen- satz zu A einen Bau, der „aondor der Ambtknecht und Pfarrer wißen" begonnen ist, aus .jder Rechnung ausstrei- chen ", setzen sie den Lohn bei den K asten recbnungen genau auf einen Albus fest und verbieten die Anrechnung höherer Ausgaben, bringen sie den Satz über die Aulsicht der Amta- knechte nach dem Passus von den Siechenhfiusern , lassea eie den Punkt 9 (bei A) in viel ausführlicherer Gestalt auf- treten und haben sie nach dem Satz von der Absetzung der Kastenmeistei* den bei A unbekannten Punkt: „die Pfarrer,

j

460 DIEHL,

80 ihre Lehne nicht besitzen u. s. w/' und zum Schluis den bei A ebenfalls gänzlich fehlenden Satz: ,,den Amptleutheo soll man sagen u. s. w/^

Ehe wir es unternehmen, unsere Schlüsse aus diesen Be- obachtungen zu ziehen, vergleichen wir noch die über C hinausgehenden Punkte in D mit denen von A. Nach Punkt 16, in welchem die Berührungen zwischen C und D auf- hören, kommt in D eine Armen- und Spitalordnung. Ihr gehören an die Punkte 18 bis 23 der Ordnung. Auf sie folgen Anweisungen über Verpachtung der Pfarrgüter (24 bis 26) und endlich in Punkt 27 bis 30 über des Pfarren Wandel. Der Verlauf der Ordnung A ist ganz anders. Li Punkt 43 bis 48 bekommen wir da Anordnungen über Ve^ äufserung und Bewirtschaftung der Pfarrgüter und sonst nichts.

Wie kommen wir aus diesem Qe wirre heraus? Ich denke beim Fernhalten aller Phantasie und Festhalten der gemachten Beobachtungen. Wir haben gesehen, die v. Schenksche Ord- nung wird wohl die älteste Ordnung, die sich genau mit den Gotteskasten beschäftigte, gewesen sein. Sie ist eine Ordnung für die Kastenmeister und für sonst niemand. Sie betitelt sich: „Wie sich die Kastenmeister halten sollen in irem ampt^^ und enthält aufser dem Schlufs nur Anweisungen, die die Kastenmeister angehen. Wie das von Schenk benutzte Büchlein aus der Wetterer Registratur beweist, wurden schon bald einige Zusätze zu dieser Ord- nung für die Kastenmeister nötig. Es mufsten vor allem einmal die Artikel zusammengestellt werden, nach denen die Aufsichtsbeamten der Kasten- meister, nämlich Pfarrer und Amtleute, besonders auch in ihrem Verhältnis zu den Kastenmeistern zu ver- fahren hatten. Der Nachtrag in dem Wetterer Büchlein von 1532 enthält einen solchen über die Ordnung hinaus- gehenden „ muntlichen Befelle ". Er betrifft die Fragen „wie man sich forter halten sal mit bawen, caßtenzcerung und Pf harren gutter" und wird nicht den Kastenmeistem , son- dern „renthmeistern und schultessen yn gegen wert eyns schultessen, pfarherrn, burgemeinster und anderer, so in der

NECE FL'NDE ZUR GESCIUCilTE DER KASTEN ORDNUNGEN. 461

rechenschafft geweat syo", erteilt. Dieser mündliche Befehl Btammt deutlich aus einer bereits be- stehenden Ordnung. Er enthält, nie schon t. Schenk erwähnte, Pos. 5 bie 7 der Ordnung C dem Inhalte nach. Es steht hier also die Übereinstimmung des Inhaltes neben der der Reihenfolge, was das Vorhandensein einer Ordnung voraussetzt. Diese Ordnung enthielt Bestimmungen über Bauten, Esstenzehrung und Pfarrgüter, d. h. besser die Für- sorge für deren Erhaltung, also ohne Zweifel mehr als die Ordnung C und D. Sie berührt sich im letzten Punkte viel mehr mit A, welche Ordnung ja auch ein Jahr nach diesem Eintrag erschien. C und D sind ihrem Inhalt und Wortlaut nach mit A verglichen älter als A und älter als der Eintrag des Wetterer Buchleins. Sie stellen aber genau dasselbe dar, was auch der Nachtrag von Wetter aein will, Anordnungen, wie sich die Vorgesetzten der Kastenmeister zu verhalten haben. Daher steht in der Ordnung C: „Dieser Artickel sollen alle Amptleute und Pfarrer ein Abschrifft haben", und darum enthält sie nur Dinge, welche diese beiden angehen, nämlich Oberaulsicht bei der Verwaltung und Erhaltung der Kasten- güter.

Dalter steht auch über der Ordnung D die gleiche Überschrift und in ihr im Gegensatz zu der mehr von den Amtsknecbten redenden Ordnung C nichts anderes als Anordnungen über das, was der Amtmann und besonders der Pfarrer zu der Erhaltung und Benutzung der Kasten tbun können. D ist so sicher eine Kastenordnung für die Pfarrer (vgl. den Schlafs), wie C vornehmlich eine Kür- zung ftir die Ämtmänner zu sein scheint Es mufste jetzt blofs noch eine Ordnung entstehen, diejenige, welche von den Superintendenten handelte. Ihre Spuren sehen wir in A von Punkt 36 an, der Überschrift „Dieser Articuln «ollen die Amptleuth oder Superintendens ein abschrifft haben", welche Überschrift freilich besser vor Punkt 42 ge- hört. Da» Wort Superintendens, welches vorher fast nicht zu Jesen ist, begegnet uns in Punkt 42 bis 48 nicht weniger ZtiHcbi. E. K.-o im. i. 30

I

462 DIEHL,

als fünfmal. Ich glaube, das hier vorli^ende Problem ist BO zu lösen:

Die Ordnung von 1533 ist eine Zusammenarbeitung y<m

1) einer Eastenmeisterordnung (Schenksdbe),

2) einer Kastenordnung für Pfarrer und Amt- leute (C, D),

3) einer Eastenordnung für die Superintendenten. Mehr läfst sich allerdings vorderhand nicht ausmachen.

4.

Wir fassen alles zusammen. Die bisherige Ansicht über die althessischen Eastenordnungen ist durch die neuen Funde als eine irrige erwiesen. Die Ordnung von 1527 ist iibe^ haupt keine Eastenordniug, die von 1530 ist falsch datiert^ die von 1533 stammt nicht aus diesem Jahr und ist keine Erneuerung der alten Ordnung. Die richtige Ordnung von 1533 (A) umfafst 50 Punkte, sie ist entstanden durdi Zusammenarbeitung der Eastenmeisterordnung von 1528 (Schenksche), einer Ordnung für Amtleute und Pfarrer als Aufsichtsbeamte der Eastenmeister, sowie einiger Bestim- mungen über die Pflichten der Superintendenten, welche vielleicht auch einer besonderen noch aufzufindenden Ord- nung entstammten, oder auch von dem Verfasser der Ord- nung von 1533 den veränderten Verhältnissen entsprechend beigefügt sind. Die genauere Zerlegung ist Sache des wei- teren wissenschaftlichen Studiums.

Es sei mir verstattet, dieser geschichtlichen Studie noch einige Bemerkungen beizufügen. Man könnte fragen, ob die ganze Sache, um die es sich hier handelt, überhaupt so viel Aufhebens wert sei. Nun ich glaube, allerdings ist dies so. Wenn wirklich das, was Richter als hessische Eastenordnung mitteilt, die grundlegende Ordnung war, dann stand es mit dem ganzen Eastenwesen mäfsig. Dann war das ganze Unternehmen dazu vorhanden, etwas Ordnung in die Verwaltung der Barchengüter zu bringen. Dann kams dem Landgrafen bei Einsetzung dieses Amtes darauf an, Rechnungsbeamte zu haben, die keinen Pfennig vergeuden,

NEUE FUNDE ZUR GESCHICHTE DER KASTENORDNUNOEN. 463

die kein KircheDgat yerschleudem und kein Kirchengebäude ▼erwahrlosen lassen. Nach der von Schenk gefundenen Ordnung kommen wir zu ganz anderen Ergebnissen und erst recht nach den Ordnungen, die wir mitteilen konnten. Da schauen wir in eine Arbeit hinein, die von geradezu reformatorischen Ideen beherrscht ist, in die Arbeit der Or- ganisation des ganzen Gemeindelebens auch nach der so- zialen Seite hin. Philipps Ziel ist, jede Gemeinde auf sich selbst zu stellen auch in Sachen der Verwaltung, der Ge- meindepflege und des Armenwesens. Wie er das Gemeinde- leben in sittlicher und religiöser Beziehung organisiert hat durch die Aufrichtung einer wirklich evangelischen Zucht, durch Einfuhrung des Seniorenamtes und Schaffung von Institutionen wie der Konfirmationshandlung, wie er die Gemeinde rechtlich organisierte durch eine auf Weckung kirchlichen Lebens abzielende Kirchenverfassung, die auch die Oberleitung der Landeskirche organisch aus den leitenden Faktoren der Einzelgemeinde herauswachsen lälst (Definitorium und Synode), so hat er auch auf so- zialem Gebiete dies Gemeindeprinzip zum Durchbruch bringen und zum leitenden Gesichtspunkt machen wollen. Jede Gemeinde hat die Pflicht der Pflege ihrer Armen und Elranken, diese Pflege aber darf kein blofses wohlthätiges Geben und Schenken sein, wie sie ihre finanzielle Grund- lage nicht in zufälligen Gaben der Wohlthätigkeit haben darf. Sie ist eine aus dem Gemeinschaftsgedanken ge- borene und auf Erhaltung des Gemeinschaftssinnes abzie- lende Sorge für Leib und Seele (Leibsorge und Seelsorge) und hat ihren finanziellen Grund in Opfern aus den Ge- meindegottesdiensten und Stiftungen im Besitze der Gemeinde oder für die Gemeinde. Fremde Bettler werden nicht unter- stützt: jede Gemeinde hat die Pflicht der Fürsorge für ihre Glieder. Aber es werden die Gaben auch nicht so gegeben, dafs faule Bettler groi's gezogen werden; das macht allein schon das System der Beredung über jeden einzelnen Fall unmöglich.

Wir sehen hier wieder einmal, wie alle Gedanken der Reformation Landgraf Philipps aus dem Gemeindegedankea

^0*

464 DIEHL, ZUR GESCHICHTE DER KASTEN0RDNUK6EN.

hervorwachsen und in ihm ihr Ziel und ihre Verwirklichang finden. Hoffen wir nur, dals die vielen Notizen über die praktische Wirksamkeit dieser Kastenordnungen in den alten Eastenrechnungen gehoben werden und so die grofsea Ideale des Landgrafen immer deutlicher ans Licht rücken helfen.

ANALEKTEN.

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1.

Zu Matthäus de Cracovias kanzelredne- rischen Schriften.

Von

Dr. Gustav Sommerfeldt.

Die Frage nach der Abstammnog jener Persönlichkeit, die man unter dem Namen Matthaas Yon Erakaa kennt, ist in neuerer Zeit wiederholt eingehend erörtert worden. Es handelt sich um den Prager, später Heidelberger, Tbeologieprofessor und Politiker, der namentlich als Bischof von Worms und Ratgeber König Buprechts von der Pfalz eine bedeutende Uolle spielte, und der in BQcksicht auf die bisweilen unter seinem Namen gehende Schrift „De squaloribus curiae Bomanae*' zur Zahl der sogenannten »yVor- reformatoren" gerechnet worden ist ^.

Th. Sommerlad in seiner verdienstlichen Schrift fiber Mat- thäus von Krakau (Halle, Inaug.-Diss. 1891) hat, zum Teil in Anschlufs anJ. Loserths Ausführungen ', neue Gründe für die Herkunft des Matthäus aus der polnischen Reichshauptstadt Krakau beigebracht Die früher für wahrscheinlich gehaltene Herkunft des Matthäus aus dem pommerisch - westpreulsischen Adelsgeschlecht yon Krockow verwirft er und erblickt vielmehr in Matthäus den Spröfsling einer bestimmten Krakauer Familie, die den Geschlechts- namen „Stadtschreiber'' O^teinisch „Notarii") führte und dort zu der in Betracht kommenden Zeit urkundlich nachweisbar ist ^.

1) C. Uli mann, Reformatoren vor der Rcfoimation. Bd. I, Gotha 1866, S. 279—293.

2) J. Loserth in Sybels bist. Zeitschr. 64, 284.

3) Tb. Sommerlad, Matthäus von Krakau, S. 13—15.

466 ANALEKTEN.

So wichtig die Aufschlfisse Sommerlads nun sindy der dordi seine Schrift eine bedeutende Bereicherung unseres Wissens über Matthäus Yon Krakau herbeigeführt hat, so hat Sommerlad doch einen Punkt, der der Erörterung bedurfte, ganz übergangen, die mehrfachen Verwechselungen yon Schriften des Matthäus tod Krakau nrit denen des Matthias yon Liegnitz, der gleichwie Mit- thäus zuerst als Magister und Professor der Theologie an der Prager Universität wirkte ^, dann an die Universität zu Eraku aberging.

Die Übereinstimmung in den Lebensschicksalen beider Männer, die in der That eine überraschende ist, war es wohl, die seiner- zeit den gelehrten C. SanftP zu der nach dem heutigen Stand der Kenntnisse ganz zu verwerfenden Vermutung veranlafste, als könnten Matthäus von Krakau und Matthias von Liegnitz eine und dieselbe Person gewesen sein.

Das Buch Ad. Franz*, Der Magister Nikolaus Magni de Jawor (Freiburg 1898), hat die betrefifenden Umstände zum ersten Male in deutlicher Weise klargelegt. Als wichtigstes der Werke, die Franz mit Becht dem Matthias von Liegnitz ' auf Grund der HandschriftenQberlieferung zuerkennt, ist eine „Solemnis postilla' zu nennen, die Sommerlad^ noch dem Matthäus von Krakan glaubte zuschreiben za sollen. Die Postille des Matthias . von Liegnitz ist nach Franz' Meinung im Jahre 1401 verfafst ^ Sie findet sich in den Handschriften zahlreicher Bibliotheken über- liefert. Die Prager Universitätsbibliothek enthält sie in dem Codex V C 17, den Balbinus, Bohemia docta III, S. 81 näher beschreibt. Die Schlufsworte der Postille (fol. 194) lauten daselbst: „Expiicit postilla collecta super epistolas dominicales per circnlam anni per reverendum magistrum sacre theologie professorem Matbiam de Lignicz Pragensis studii ad honorem . . . Liber finitus fehl tercia in die sancti Ambrosii piissimi doctoris, hora quasi vice- sima etc.'* Es kommt hinzu, dafs die Schrift auch in einer An- zahl Handschriften der Müncbener Hofbibliothek unter dem Namen des Matthias von Liegnitz, nie aber unter dem Namen des Mat- thäus von Krakau, sich vorfindet. In Clm. 5636, fol. 1 203

1) Vgl. Monumcnta historica universitatis Carolo-Ferdinandcae Pra- gensis, Bd. I, S. 35. 159. 160. 184. 259. 265 und öfter; femer B. Bal- binus, Bohemia docta (Prag 1780), Bd. II, S. 205.

2) C. Sanftl, Catalogus veterum codicura manuscriptorum ad S. Emmeranum Ratisbonac (Regensbiirg 1809), Bd. I, S. 53.

3) Sein voller Familienname, mit dem er in lateinischen Handschriften erwähnt wird, ist Mathias Hildebrandi de Legnicz.

4) Sommer lad, a. a. 0. S. 61.

5) J. Fijalek, Matthias von Liegnitz (Der Katholik 78, I "^1898]. S. 381) hat jedoch nachgewiesen, dafs die Entstehung der PostiUe Tiel- mehr zum Jahre 1400 anzusetzen ist.

SOMMERFELDT, ZU MATTHÄUS DE CBACOVIAS SCHRIFTEN. 457

trägt das Stück die Überschrift: „Postilia epistolaram migiatri Unthie de Lignicz", beginot (wie auch Bonst): „Videte qaaniam oon michi soli laboravi aed omnibus"; es Echlierat fol. 203: „ei- plicit postilia colecta per rererendum magiatrum Matbiam doc- toremqae sacre theologie de Lingiucz aaper epistolas dominicalea per circulum aiiiii &d honorem beoedicte et individue trinitatis et gloriose virginis Marie tociuaqae celestis curie, ameo; et euDt finita in . . . aancti Thome per Nicolaum."

Id Clm. 18248, fal. 3—314 lautet die Cberachrift: „Postilia magistri Matbie de Lignicz in epistolae dominicalaa ", der Schlufa: „Eiplicit postilia parva collecta super epiatolaa dominicales per circulnm anni ad boDorem" ..., darunter nochmals „Postilia Uathie de Lignicz" und in fol. Ib (Inhal tsverzeichnia des Codei) heifst es von gleichzeitiger Hand: „Postilia magistri Uathie de Lig- niicE Pragensis super epistolis de tempore". Dasaelbe Stück findet sich auch Clm. 1420G. fol. 1—297. wo es auf der Innen- eeita des Deckels beifst: „Sermones dominicales Matbie de Lig- nicz", am SchluTs die Worte: „Dicta Uathie de Lignicz, finitum flono 1421 in vigilia Geiirii quasi hora secunda post mediam noctem", welche Jahreaangabe freilich nur auf die Zeit hinweist, in der die Abschrift in dem Codex angefertigt worden ist.

Aus Clm. 8H73, fol. 1 195 lernen wir eine der Quellen kennen, nach denen Matthias von Liegnitz die Postille gearbeitet bat. Auf dem Vorblatte des Codex am Beginn der Postille findet sich von zeitgenössischer Hand der Vermerk „Magistri Aimonis" ', und darunter vou anderer Hand „Ista postilia videtur esse magistri Mathie de Lignicz et non Haymonis", und von dritter Hand „lata candela est istius. ülrioua Harclo." Femer fand Franz die Postille in den Haudschriften Clm. 5847 und 15552.

In Codex 1329 der Königlichen Bibliothek zu Königsberg ist dieselbe Poatille enthalten. Der Schlufs lautet: „Eiplicit poatilla «pistotarum dominicalium per circulum anni compilata per magistrum Hathiam de Legnicz, sacre tlieologie professorem." Dasselbe Beaultat, dafu diese Postille nicht'! mit Matthäus von Erakau zu thun hat, wird uns durch die Handschriften der Krakauer Uni- versitätsbibliothek Nr. 1562, 1564, 1622 und 1632 bestätigt, die alle die genannte Postille unter dem Namen des Matthias

H flisdiof Hnimo voa Halberstadt, der im 9. Jahrhundert zahlreiche "Werke homiletischen Inhalts verfafile, ist Ton Maitliiai hei Uerstelluug Beiner Pustula vielfach herangezogen worden. Der Sachverhalt ergiebt rieh u. B. aus dem Explkit. Jus die Pastille in IIs. Nr. Iü22 der Krakauer ITiiiTersitätsbibliothek enthalt. Es heifst dort fut. 2U: „Matbie de IjcsKUca postilia ... auno domini 140G collecta per maiilatrum Mathiam Ücoictt ex Haymoue, Nycolao Gurram. pnucis interduu nobilioribiis interpoiitiB."

I

468 AKALEKTEN.

Ton Liegnitz enthalten. Ebenfalls unter seinem Namen findet sich die Postille in den vier Handschriften der Kaiserlichen öffent- lichen Bibliothek zu Petersburg I, F. eh. Nr. 51 , 52, 54, 60 (F^alek, Matthias von Liegnitz a. a. 0. S. 381), femer in sieben Handschriften der Breslauer Universitätsbibliothek, in Cod. Lai 574 der üniYersitätsbibliothek zu Leipzig, in St Florian Cod. XI, 314, Wilhering Cod. 20, fol. 1—141 und Stiftsbibliothek Schlägl Cod. 132, fol. 49—226 \ auch in je einer Handschrift der Stadt- bibliothek zu Trier und der Stadtbibliothek zu Braunschweig'.

Zweifelhaft könnte die Sachlage bei der Handschrift Chn. 14648 scheinen. Diese giebt fol. 197 235 eine nPostüla in passionem domini secundum quatuor evangelistas*'. Die Eingaog»- worte lauten: „Nota, quod Christus proditorem in generali pre- dixerif, der Schiulis: „et servit in omni opere bono. Explicinnt dicta super passionem domini, que composuit magister Mathens, doctor egregius/' Wahrscheinlich haben wir es auch hier mit Matthias von Liegnitz zu thun, denn auf dem von einer Hand des 15. Jahrhunderts geschriebenen Yorblatte heifst es: „De passione domini magister Mathias Lignicz.'* Will diesem Zeugnisse gegen- über schon die Yon Franz, Nicolaus Magni de Jawor S. 59, Anm. 2 ausgesprochene Meinung: „vermutlich ist der berfihmte Matthäus von Erakau der Verfasser dieser Postille", wenig halt- bar erscheinen, so erst recht angesichts des Umstandes, dals Codex Nr. 303 der Krakauer Universitätsbibliothek in fol. 313—371 mit ausdrücklicher Nennung des Liegnitzers die offenbar identische „Concordancia evangelistarum de passione domini per venerabilem magistrum Matbiam co Llegnicz ^ enthält '.

Eine dritte Postille des Liegnitzers endlich, die auch Franz als ein Werk des Matthias anerkennt, findet sich in der Stadt- bibliothek zu Braunschweig Cod. 63, fol. 1 82 als „Mattbie de Legenitz postilla aestivalis epistolarum dominicalium" über- liefert, deren Schlufs lautet: „Explicit postilla edita per venera- bilem Matbiam de Logenjtz sacre tbeologie doctorem.*'

Von sonstigen Schriften, die als unbestreitbares Eigentum des Matthias von Liegnitz feststehen, ergeben sich ein Werk „Quae- stiones", das in Clm. 17 784, fol. 127 145 mit dem Incipit „Queritur, ubi foit deus" und in Clm. 23 788, fol. 112—134 mit dem Incipit „Queritur, utrum persone circa triginta annos'*

1) A. Franz, Matthias von Liegnitz und Nicolaus Stoer von Schweid* nitz (Der Katholik 78, I [1898], S. 4 und S. 189); vgl. Baibin us a. a.O. III, S. 81 und J. A. FabriciuB, Bibliotheca Latina (Hamburg 1736), Bd. V, 8. 169.

2) Franz, Nie. Magui de Jawor S. 41, Anm. 4.

8) Vgl. Fijalek a. a. 0. S. 382, nach W. Wislocki, Katalog iQkopisow etc. (Krakau 1877), Bd. I, S. 105, Nr. 303.

SOMMEBFELDT, ZU MATTHAUS DE CRAOOVUS SCHRIFTEN. 469

sich yorfindet \ ferner in Hs. Nr. 104 der Stadtbibliothek xo Trier: j^Mathie de Legeniti oommentatio super epietolas beaü Paoli ad Bomanoe et ad Corinthios duae"; eine Abhandlung „Utnun agens contra conscienciam erroneam plos peccat quam eequens eam^ in einer Breslauer Handschrift '; ein „Sermo magistri Mathie de Leg- nicSy {actus coram archiepiscopo Pragensi in eiequlis** in Codex der üniyersitatsbibUothek xu Krakau Nr. 1761, fol. 181 182 \ endlich ^Sermo de annunciatione magistri Legini tx" in Sammel- band Ms. 55, foL 202—205 der Stadtbibliothek xn Braunschweig ^

Alle diese Werke müssen, soweit sie in litterargeschichtlichen Zusammenstellungen älterer Zeit unter dem Namen des Matthaus Ton Krakau angeführt sind, gestrichen und dem um ca. 20 Jahre jüngeren Zeitgenossen des Cracoviers, unserm Matthias yon Liegnitx, angeteilt werden.

Was des Matthäus Traktat „de celebratione missae'^ angeht, Ton dem Sommerlad a. a. 0. S. 76 83 eingehend handelt, 80 ist das daselbst Gesagte gleichwohl nicht erschöpfend. Ins- besondere yer dient heryorgehoben zu werden, dals Clm. 18315, fol. 161 175 diesen Traktat, der mit „Multorum tam dericorum" beginnt, unter der Überschrift „Dyalogus magistri Mathei de Cra- coyia de corpore Christi'* giebt, und yorausschickt die Worte „Incipit dyalogus magistri Mathei Cracoyiensis de corpore Christi'*, während Sommerlad S. 71 unter dem Titel „de corpore Christi" nur einen Traktat des Matthäus mit dem Anfang „Quomodo potest hie nobis dare camem** kennt. Von anderen Mflncbener Hand- schriften, die den obigen Traktat, jedoch mit Überschrift enthalten, die sich mehr dem Wortlaute Sommerlads nähert, nenne ich beispielsweise Clm. 14665, foL32— 46, Clm. 14886, fol. 120— 130, Clm. 15 183, fol. 186—202, Clm. 24804, fol. 92—104, und yon diesen Handschriften enthält 14886 auf fol. 130 unten dos Ex- plicit: „Finitos tractatus predictus in die Sabbati quarta Januarii de anno domini 1444 Basilee. Iste tractatus docet de ratione et consciencia ad utilitatem communicancium compilatus per yenera- bilem et egregium magistrum Mathiam, rectorem uniyersi- tatis studii Cracayiensis, sacre theologie professorem.'* Auf Matthias yon Liegnitz hat der Abschreiber hier schwerlich Bezug nehmen wollen. £8 ergiebt sich mitbin aus dieser Notiz, dafs

1) Über das Verhältnis der beiden Rezensionen dieser „Quaestiones'^ zu einander spricht sich Franz im ,,Katholik*' 78, I (1898), S. 9 aus- führlicher aus, indem er nachweist, dafs in Clm. 17784 die „Quaestiones'^ durch den Schreiber Heinricus Nyttnawer de Ruppinga überarbeitet und in systematischere Form gebracht worden sind.

2) Franz, Ebd. S. 16.

3) Fijalek a. a. 0. S. 382, nach Wislocki Bd. I, S. 423.

4) Franz, Nicolaus Magni de Jawor, S. 41.

470 AKALEKTEN.

Matthäus von Krakan, der an der Universität zu Xrakaa 1397 und die folgenden Jaiire thätig war ^ , nicht erst in Heidelberg das Rektorat einer Universität bekleidete, wie Sommerlad angiebt *, sondern bereits an der Universität zu Krakau '.

Auf verschiedene Handschriften des Matthäus, die Sommerlad far seine Arbeit nicht benutzt hat, und auf den seit lang« existierenden Abdruck des unter dem Namen des Matthäus fiber- lieferten Traktats „Speculum aureum de titulis beneficiomm'' wi« L. Schmitz in der ,,Bömischen Quartalschrift'' 8, 1894, 8. 505 hin. Dafs femer das „Speculum artis moriendi" dem Matthias von Krakau zukomme, wie Sommerlad annimmt, widerlegt Franx und weist darauf nach, dafs das „Speculum'' in den einzelnen Handschriften ganz verschiedenen Autoren zugeschrieben werde, z.B. in Clm.3661 dem Nicolaus Magni de Jawor K Endlich bestreitet Franz im Gegensatz zu Sommerlad die Autorschaft des Matth&os von Krakau auch für die Schrift „de squaloribus curiae Bomanae''^ ohne allerdings Gründe im einzelnen geltend zu machen, und ohne eine Vermutung über den wirklichen Verfasser aufsustellen.

Am schlimmsten sieht es mit den Notizen aus, die Sommerlad S. 72 73 (vgl. S. 24) über die von Matthäus in den 80er Jahren des 14. Jahrhunderts zu Prag gehaltenen Synodalreden giebt ^ Von den drei noch vorhandenen Synodalreden, die unter dem Namen des Matthäus von Krakau gehen, sind Sommerlad nor zwei bekannt geworden. Die in einiger Hinsicht interessanteste Bede, die Matthäus am 18. Oktober 1386 vor der in Frag ver- sammelten erzbischöflichen Synode hielt, und die mit den Worten „Digne ambuletis*' beginnt, ist Sommerlad entgangen. Sie liegt in vier Münchener Handschriften und einer Prager Handschrift vor. Es sind Clm. 4705, fol. 170—177, Clm. 8365, fol. 106—111, Clm. 19 742, fol. 17—20, Clm. 26 690, fol. 222—226 und Prag, Universitätsbibliothek Cod. Lat. X A 2, fol. 48 52.

1) Somraerlad S. 33 35; über die Krakauer Wirksamkeit des Matthias von Lieguitz vgl. Franz, Nie. Magni, S. 265 und Fijalek a. a. 0. S. 382.

2) Sommerlad S. 33.

3) Das Nähere hierüber festzustellen ist heute unmöglich, da bei H. Zeifsberg, Das älteste Matrikelbuch der Universität Krakau. Innsbruck 1872, S. 22 ff. nur die Rektoren für die Jahre seit 1400 ?e nannt werden, die Matrikel der Krakauer Universität für die Jahre 1364 bis 1399 dagegen verloren gegangen ist.

4) Franz, Nie. Magni, S. 197, vgl. auch Franz im „Katholik'' 80, I (1900), S. 132 flf.

5) Franz, Nie. Magni, S. 38.

6) Eine spätere Kanzel rede des Matthäus, die in die Zeit nach 1405 gehölt, ist von mir unter dem Titel ,,Ein kirchlicher Traktat des Mat- thäus von Krakau '* in der Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 1892, Heft 4, S. 725—728 mitgeteilt worden.

SOHMERFELDT, ZU MATTHÄUS DE CRACOVIAS SCHRIFTEN. 471

Von diesen Handschriften bietet der Foliokodex Clm. 26 690, wie es scheint, den besten Text dar. Er ist in der nachstehenden Wiedergabe des Textes dieser Synodalrede von mir auch in den meisten Fällen zn Gmnde gelegt worden. Die Aufschrift vorne und die Datierung am Schlüsse der Edition entstammen dagegen der Quarthandschrift Clm. 19 742, die im Jahre 1426 zur Nieder- schrift gelangte, wie eine Eintragung auf fol. 1 dieser Handschrift erg^ebt, wo die betreffende Notiz von der Hand des Schreibers von fol. 17 20 gegeben ist. In dem Foliokodex Clm. 4705 rfihrt die Niederschrift hingegen von einem Geistlichen, Wolfgang Klammer, her, der fol. 177 dem Codex die Datierung „Gmunden, ferie sexta post festum Sancti Udalrici episcopi 1454" gab. Clm. 8365 enthält etwas abweichend die Überschrift: i,Sermo magistri Mathei de Cracovia sinodalis.'' Die Prager Quarthandschrift Lat. X A 2 gehört ebenfalls dem 1 5. Jahrhundert an. Sie hat fol. 48 die Anfschrift: „Sermo magistri Mathei de Cracovia factns in sjnodo anno domini 1386.*'

Was die bei Sommerlad an erster Stelle genannte Sjnodalrede angeht, die nicht selten auch als „Sermo de emendatione morum cleri et populi" überliefert wird (Anfang: „Quid est, quod dilectus nieus")f so steht es fest, dafs dieselbe am 18. Oktober 1384 zu Prag gehalten worden ist Schon Pez^ und Höfler' nannten das Jahr 1384 für diese Bede. Franz spricht, den Angaben folgend, an zwei Stellen seines Werkes von der Synodalrede des Matthäus von Erakau mit Erwähnung des Jahres 1384 und skizziert den Inhalt der Rede '. Diejenige des Jahres 1386 ist ihm offenbar unbekannt geblieben. Franz weist die Bede: „Quid est, quod dil." auch aus Clm. 5361, fol. 221 233 nach *' und hat sie un- datiert und ohne Nennung des Autors inHs. 4215derHofbibIiothekzu Wien vorgefunden, wo sie unter 17 anonymen Reden (fol. 86 161) an zweiter Stelle (fol. 88 93) steht ^. Was ferner die Münchener Handschriften Clm. 5361 und Clm. 18 315 augeht, so haben diese, wie mir eine Durchsicht der Handschriften ergab, die richtige Jahreszahl 1384, nicht etwa, wie Sommerlad S. 72 annimmt, die Jahreszahl 1382 oder 1386. Ebenso findet sich die Synodalrede

1) B. Fez, Tbesaunis anecdotum. Vol. I. Auirustae Vindelicorum. 1721, Praef., S. VI; vgl. Balbinus a. a. 0. U, S. 285, Note 275.

2) C. V. Höfler, Concilia Praorensia 1353—1413; Prager Synodal- beschlüsse (Prag 1862), S. LH. Ebenda Anm. 2 teilt Höfler Bruch- stücke aus der Synodalrede von 1384 im Wortlaut mit.

3) Franz, Nie. Magni, S. 37 und 136—137. Das Jahr 1384 nennt für diese Synodalrede auch F. Hipler in Zeitschrift für die Geschichte des Ermlandes 111 (1866), S. 205.

4) Franz, Ebd. S. 137, Anm. 1.

5) Franz, Ebd. S. 136. Auf eine bezügliche Anfrage teilte mir die Direktion der K. u. K. Hofbibliothek zu Wien mit, dafs die Rede „Digne ambuletis" vom Jahre 1386 in Hs. Nr. 4215 nicht anzutreffen ist.

472 AKALEKTEN.

in dem Cod. Germ. Mon. Nr. 533, fol. 105 111 mit der richtigen Jahreszahl 1384. Die Prager Handschrift endlich Lat X A 2 ent- hält die Sjnodalrede Yon 1384 auf fol. 52 56, wo sie sich ohne besondere Datierung an die unmittelbar yoransgegangene Sjnodal- rede „Digne ambuletis'' yon 1386 anscbliefst, so dafs bei HOfler und anderen böhmischen Gelehrten, die diesen Codex benutzten, sehr leicht die Meinung entstehen konnte, „Quid est qnod dilec- tus*' gehöre, gleichwie „Digne ambuletis*', in das Jahr 1386. Über die in der Elbinger Handschrift (Pfarrbibliothek St Nicolai Ms. Nr. 3, fol. 123—132) angeblich enthaltene dritte Sjnodal- rede, deren Eingang nach Hipler ^ lautete: „Separayit yos de populo", wage ich nicht zu urteilen. Auf eine nach Elbing ge- richtete Anfrage erhielt ich wenigstens durch den dortigen Pro- fessor Herrn W. Behring zum Bescheid, daüs die Handschrift in der Pfarrbibliothek St Nicolai nicht aufzufinden ist Jeden&Us sei die bei Hipler gemachte Angabe, dafs Ms. Nr. 3 dieser Pfarrbibliothek die Rede „Separayit yos" enthalte, unzutreffend, denn Ms. Nr. 3 biete eine solche Rede, wie die Durchsicht der ein- zelnen Stücke der Handschrift ergab, nicht dar.

Der wörtliche Abdruck der Sjnodalrede yon 1386 , den wir nunmehr geben, wollte um so angemessener erscheinen, da damit ein neues Material zugleich geboten wird zur künftigen endgültigen Beurteilung der durch Franz' abweisende Bemerkungen wieder in Flufs gebrachten Frage, ob der Tractat „de squaloribus curiae Romanae'' ein Werk des Matthäus von Krakau ist, oder ihm ab- gesprochen werden mufs.

„Sermo Mathei de Cracoyia ad clerum Präge factus, ut infra."

Digne ambuletis, ad Ephesios 4. Dum, quid sit predicare in sinodo, diligenter inspicio, mirum est, quod non totua mente terreor, labiis tremo et corpore penitus inhorresco. quid enim est predicare in sinodo, nisi qoantum ad doctrinam archiepiscopale officium exercero et totum clerum debite expedire, jmo per clerum tocius provincie populum de preteritis malis corrigere, munire de futuris, ad ea, que facienda sunt, dirigere et omnibus pro desi- derio annuo ^ medicinam necessariam adhibere? sed quis ad hoc jdoneus? piesertim postquam morbus tantum invaluit, quod, nt

1) F. Hipler, a. a. 0. 3, S. 205, Anm. 1 (v?l. Sommeilad S. 73).- Aii drei verschiedenen Stellen enthält Codex Nr. 2244 der Krakauer üniversitätsbiblH.thek (vpl. Wislocki a. a 0. I, S. 537—538) Synodal- reden des Matthäus von Krakau, nämlich fid. 68 74; 79 84 und IGO— 166 des Codex. Davon heifst es bei der einen Rede (fol. 74): „Explicit sermo synodalis mapistri Mathei, sacre theologie professoiK sub anno domini 1387 in vii^ilia Epyfanye*^; vielleicht handelt es sich hier um eine vierte Synodalrede des Matthäus von Krakau.

2) In einijren Hss. : et quasi pro dimidio anno.

SOMMERFELDT, ZU MATTHÄCS DE CKACOVIAS SCHKIFTEN. 47S

verbis beati ÄugustiDi utar, necessarium esaet, ut magnos veniret medicaa, quia per totum mundum tarn magnua jacet egrotns, porro quia non videat, quia grave est ignem eitingwere, qiti ex omni parte in flammam eicrerit, sed dicat micbi, queso, aliquiH, nbi DDD ardeat, nlii non eit ignia malicie accensus in furare do- inini , quia ardebit eciiim usque ad infemi Dovissima, nisi iliod deuB misericorditer nperetur, de quo in Psalmo: pluviam volon- tariam segregabia, dene, bereilituti tue et inlirinata est, tu vero per- fecisti eam. unde r.onsiderata operis, quod pre manibua habeo, excellencia et arduitale, nbiqae insufQciencia ac cordia ariditate, precor toto desiderio, ut et meuum et pro me orure dii^nemini, quat«nas diiDO ejue , qui convertit petrum iu Gtangna aquarum, coDcrescat in pIuTiam doctrina mea, ymo pociua aua, per qnam iste inalignus ignia, m quo totna mundus est posittis. eitiugwatar in nobis tbI aaltem aliquateuua mitigetur, ad quod obtinendum iliam celesti rore madid»tam virginem gloriosam Mariam, in qnam sicut pluvia iu vellus descendit aalvator noster, devote salutemua diceutes nre Uaria.

Digne ambnlelia, Epbes. 4. Reverend! patrea et domini, si advertitnr, qnanta dignitato in presenti pollotia, qnantam gbriam digne ambutando acquiretis quantumque malum non faciendo in- curretia, sufficieus, ut puto, monitum babebltur. ut digne ambn- letia. dico primo, quod si advertitur, quunta dignitate polletia. aiqnidem triplicem dignitatem habetia, videlicet nature, gracie et presidencie, quod breviter inuuit acriptura Genes. 1, ubi dicit, faciamua hominem ad ymngiDem et eimilitudinem noetram , et presit univerae creature. dignitus nature deaigaatur per ;ma- ginem, mens enim noatra quedum ymago vel ad ymaginem dei facta est, per hoc quod in ea hec tria sunt: memoria, intelli- gencia, voluntas, que quiJem de natura aua sunt, congrue per ymaginem dignitaa nature deaignatur. dignitaa gracie designatur per eimilitndinem, tanto enim deo assimilamur ampliua, quanto ploa aibi in bonitate, sanctitate et virtutibns, qiias per grnciam habemua, conformamar, eicut predestinavit non conformes Geri ymagints filit sui, Rom. B. preaidencia satis eiprimitur in eo, quod dicitnr, ut presit univerae creature, unde in Psalmo 8 : con- stituisli eum super opera etc.

Prima igitur ejua dignitaa aature et illius excellencia patet flx causa operaote , ex loco continente et statu precellente. de primo loquitur auctor de spiritu et auima: quanta, inquit, dignitss homane condicionis esso dinoscitur, ut non solnm jubentia aer- mooe super alia sei opera dierum, sed consilio sancte trinitatia et opere divine majestatis creatus ait bomo, ut ex prime condi- cionis honore intelligeret, qaantum deberet conditori soo '. et

1} Cod. : condicioni suc.

^

474 AKAL£KT£N.

infra: creata est anima a deo, Tita a Tita, simplex a simplid, mortale ab inmortali, et nt non sit longe a creatore buo, coi apropinqnare yideretar simplicitate essende et perpetuitate Tite^ de aliis duobos, videlicet loco continente et stata precellente beatus BernhardDs sermone 3 super cantica sie dicit: habitabat bomo in paradiso et in loco volnptatis, consolacio ejoa niehü molestie, nichil indnlgencie sustinebat, odoriferis stipatos maus, fulcitus floribus, et constitntos snper opera mannom plasmatoris, magis antem ab insigni divine similitudinis precellebat, et erat sors ac societas cum plebe angelorum, cum omni milicia exer- citus. bec ille. secunda dignitas est gracie, ad quam se habet precedens dignitas sicut potencia ad actum, sicut yacnnm ad plenum, sicut mortuum ad vivum, sicut corpus ad animam. nam sicut corpus per animam, sie vivit anima per gradam. o qoanta dignitas, qua homo fit civitas patris summi, sponsa filii, templum Spiritus sancti, qua adoptatur in filium et beredem, in heredem quidem dei, coberedem autem Cristi, quia filiua stola prima in- duitur, annulus in manu ejus, calciamenta dantur in pedibns, ti- tulus saginatus occiditur, quia passio illius agni, qui, nt Apocal. 5 dicitur, occisus est ab origine mundi, sibi per graciam conmuni- catur, ita nt epulari et gaudere oporteat totam celestem cnriam. bec est dignitas, quam anima accipit, spiritus gustat et Tidet, quoniam suavis est dominus, fruitur bomo deo et fruendo de- lectatur, yivit deo et in ipsum transformatur. sie adherens deo unus Spiritus est cum eo, 1 Corinth 6. bec est nobilitas, bic honor, bec excellencia Status et nominis Cristiani, quam o utinam bomines diligenter adverterent et secundum eam digne ambu« larent. bec est dignitas, sine qua omnes alle dignitates nichil prosunt, sed magis obsunt, et qua sola habita parnm refert alias non habere, unde Sjmon de Cassia libro 9 de Tita Cristiana post magnam conmendacionem Cristiane justicie, que ntique non differt ab ejus dignitate, sie ait, ut breviter dicam et omnia di- cenda perstringam: Cristiana justicia est, que apponit super na- turalem et originalem justiciam, super legalem babundat, omnem excedit, omnem aliam justiciam sibi allicit, ipsa sola est, qae habet, procurat atque largitar, quidquid potest esse virtutis et gracie, et que solum tendit in legnum glorie. bec ille. quodsi placet habere majus testimonium, ecce beatus Augustinus libro de Tita Cristiana sie dicit: Cristum unctum interpretari sapientom et fidelium nullus ignorat, unctos vero non nisi sanctos yiros et satis deo dignos semper fuisse manifestum est, nee alios quam prophetas, sacerdotes aut reges, et tarn magnum fuit ipsius unccionis misterium, ut in Judaico populo non omnes istud sed satis pauci de pluribus mererentur accipere, usque ad adventam domini nostri Jhesu Cristi, ex quo tempore omnes Uli credentes

SOMUEBFELDT, ZU MATTnAlIS DE CRACOVIAS SCHRIFTEN. 475

btiptianiiiti ipsius sacrificacioDe purgati nnccioDem accipiunt. ex cujus nnccionia sacramento et Cristianornm omniüm in Criato credenfrinm vocabulum descendit et nomen, quod Domen frnatra Bortitiir, qai Criatam minime imitatur. ad bujrtsmodi di^itatia ostensioiiem voce electornm, qui membra Cristi et Cristiani sunt, Apocal. 5 dicitar: rsdemisti dos eaguine tuo et fecisti dos deo Dustro rcgnum et sacerdotes, et regnabimuB. super quo Beichardns ; re^um, qaoniBm non ut priua djabolus regnat Id nobis, eed deus et eaceidotes, ut qui Dosmet ipsos obtulimue et eicat prtus dja- bolo, deinrepa offeramos dos deo, et regnabimus , qaia, qnidqoid in Dobis terrenum et malnm eet, subicimus.

Tercia est dignitas presidencie, qaam vos, o domini rectores «t prelati, non Eicut precedeotea communem habetis cum ceteria, sed singularem pre aliia. hec eat prelacio, qna non preponitur bomo, ut presit piscibua raaria et vofatilibuB celi et beatiia terre, nt homini creatu dictum est Qenes. 1, sed qoa voa, qui eatJB preabiteri in popnlo dei, sie presidetia. Dt ex vobia peodeat aniiua iilorum, Judith 8. magna dignitas, in cDJua conparacione tarn digne creature dei, Criatiani videlicet, brutorum Domen babent, ut oves dicaDtur, et ntiquo dignum est, nt ait Bernhardus in epistola ad Honricum ZoDonenaem, ut in aliquo appareat paator disaimilis o?ibue. ' Tos itaque estis secuodum statom et secuDilum vitam esse

I debetis quasi splendor firmameDti et stelle celi, in perpetuaa eterni- tates lux tDQDdl, sa! terre, civitas supra montem posita, caude- labra aniea ;mo lurerna supra caDdelabrum exaltata, rectores popuH, paatoies gregis domiDici, pedagogi parvulorum, duces ce< corum, Inmen eorum, qui in tenebria, eruditores insipiencium, in- fancium patres, ymo et matres fidelium, judicea secali, augeli I domini eiercitnum, yicarii Cristi, qui si recte feceritia, potentes ) estis bomiuem tradere aatliaue vel intromittere ad regDum celo- Tom, quorum enim remiaeritis peccata, remittuDtur eis, et quorum retinueritis, retinentur '. si parum eaae videtnr, dum preaidetis in mnndo; faabetis regere dominium in Inferno, quia potestis, ut dictnm est, tradere satbane, judicatia de celo, quia saucta mater «cclesia habet sanclos canoniaare. ecce adbuc alia dignitas, quam, ut ait Bernbardus in tructatu de dignitate , sacerdotes audite me et stupentes ammiramini. nulli unquam videlicet angelorum, nulli arcbangelorum, ddIüs supernis spiritiboa, sed hominibus, non omni- bos sed tarnen ordini vestro, conmiasam esse celebracionem tanti sacramenti, ut uonsecratus in aacerdotem prorsua id ipaum con- lioiat in altari, quod Cristus manibus suis canfecit in c«na pascbali.

1) Cod. 8365 u. 19742 aetzeu zu: allegacioues giatia breTilatis obinitto, srientibuB enim legem loquoi'.

476 AKALEKTEN.

ita quodsi non sufficit habere potestatem super homines, ecce dens vobis potestatem dedit qoodammodo in seipsom. ad quid, dilecüssimi patres, tantam dignitatem et eminenciam creditis vobis datam? numqaid ad hoc, ut indnamini bisso et parpnra et epalemini cottidie splendide ^, ut cythara, lira, timpanum et tybia sint in convivüs vestris, ut in conmessacionibns et ebrietatibas, in cobi« libus et inpudiciciis y in contencione et emulacione, precium sa- guinis Cristi expendatis? absit, ut quis credat, quod hoc modo deus sit patronus tnrpitudiuis , causa sceleris, fautor crimlnis, auctor mali, sed magis ad hoc vos super populum constitutos ad- vertite, ut in jejunio et fletu et planctu, sicut oüm plorabant sacerdotes et levite, populi peccataque conmeditemini, deploretis et corrigatis et more bonorum pastorum vigilias noctis super gregem vestrum, pro quo estis racionem reddituri, in oracionibns YigUetifl. nam ut Bernbardus in epistola ad Hainricum Zenonensem : dignum est, ut in aliquo appareat pastor dissimilis ovibus, nee decet pastorem more pecorum sensibus inbiare corporeis, herere infimis, inbiare terrenis et non pocius erectum stare ut hominem, celum mente conspicere, et que sursum sunt, querere et sapere, non que super terram. et Yalerius Maximus libro 3: difforme, inquit, est, quos dignitate precedis, ab biis virtute superari; quid dico difforme: monstruosnm. unde Bemhardus 3 de consideracione ' ad Eugenium papam: monstruosa res est gradus summus, animos infimus, sedes prima et vita yma, lingua magniloqua et vita ociosa, sermo mnltus et fructus nullus, vultus gravis et actus levis, ingens auctor itas et mutans instabilitas. et hoc de primo.

Dixi secundo, quod si advertitur, quantum digne ambulando gloriam acquiretis, satis persuasum habebitur, ut digne ambuletis. unde apostolas 1 Thymot. 3 : qui bene presunt presbiteri, duplici faonore digni habeantur, maxime qui laborant in verbo et doctrina. duplici inquam in presenti et duplici in futuro. in presenti quidem honore spirituali, ut subditi eis obediant, et temporali, ut eis necessaria ministrent, in cujus Signum primogenito in lege duplicia debebantur, Deuteron. 21. unde advertendo, quod, si bene preesse et laborare in verbo facit presbiterum dignum pro- visione corporea et obediencia subditorum, numquid non con- sequens est, ut male regere et scandalisare per turpiloqnia aot laborare in facto dyaboli, eundem reddant indignum, non quod subditi non debeant sustentare [vel] revereri prelatos et distolos, sed quod ipsi recipiunt indigne stipendia et loco reverencie me- rentur, ut induantur sicut diploide confusione sua. nam si pec-

1) Cod. 83G5: et sie ingrediemini domum domini pompacitate.

2) Cod. 19742: consolacione.

SOMMERFELDT, ZU MATTHJiUS DE CRACOVIAS SCHRIFTEN. 477

catoT iion est di^ns pane, quo vescituT, quando Tdcans ocio vel malas operarius et deatructor dignuH est mercede, qui operario debetur? o bi adTcrteremus , qai tota die conquerJmur , qaod denis spoliatur, opprimitur, concultatur, quam digue boc tum in- digne ambulando merentur. uon quod inferentes jaste faciant, Bed ipfli in malum eorum, ut eis sint virga fvroris domini, qua DOS nt Blies corripit et castigat. ega certe coneiderata negli- gencia et mnticia clericorum magis miror, quod deus nos tarn pacienter et diu subportat, qui sie a domino percutimnr, et quod uon dolentes in ddUo emendamur. Jerem. 2: percusst eoa, et non doloeroiit. Teliementer autem timeo, niai emeDdaverimus, qood amplius paciemur. qub onim non timeat, quod salvator fiituruin prediiit, quod vldelicet cultor viuee malos operarios oole perdet et viDeam auam locabit aliis agricoüs, Mattb. 21 '. dabitqoe populo suo pastores juita cor auum, qui pascent eo9 Kieacia et doctriaa, Jerem. 3, dod conplacencia sive pompa. com enim manifeste in nobis videamus esse catisajn aut culpam, de qua dicitur Ezecb. 34: Don quesierunt gregem meam pastores, Wd pascebunt semetipsos et greges meos non pascent obi enim ndemus anum pastorem efBcaciter int end entern cur am animarum, «Dm prepositi jaceant in cunabuli», plebani Indunt taiillis et ja- eent in tabernis. episcopi curant maxime de magno statu pos- Mssionibns et castns. quid ergo restat nisi, quod dens inferat Bobis penam malis pastoribus conminatam? ut ibidem subditur: piopterea, pastores, audite verbum domini, hoc dicit dominus dena: «cce ego super pastores, cessare eos faciam et ultra non pascant pegem meum, nee pascant ampliua pastores semetipsos, et liberabo gregem meum de ore eorum, ne sit eis ultra in oscam. Ut antem malum operarium ex uro tuo te judices, conrenio to, 0 prelatum, canonicum vel curatum , qui do procio Bagoinis JbesQ Cristi centum, quinquaginta vel decem liabes seiagenas, •t noD est tibi eure aliud, nisi quomodo tollas porciones ant led- ditus ac eoa eipenderis eqnis et veatibua lautis, convivlis et con< tinuis Eolaciis, cum clientibus et mulierculis vilibus, mimie et jo- onlatoribus, et o utioam non cum scurria et meretricibus et adul- ieris ant adbuc forsan pejus eipendisl quero, inquam, a te, per quid putas to mereri Budores pauperum et dignnm esse patrimonio JtieBU Cristi? ai dicia, quia eccleaiam viaitas uut dlcis boras aut aliud tulium, die, queso, esto eciam quod baberes maximas mundi diviciaa, utrumne vel talem prebendam fundares, de qua Bciree BÜDpliciter eo modo, quo tu vivis, possesBores esee victuros? et qnia incredibile est, quod de tuis erigeres beneficia, qui de bene- ficiu amicoB ditare et Patrimonium dilatare conaris, binc est quod,

1) Andere Hs. (unrichtig): Malacb. 21.

ZtUicbr. f. 8.-0. Uli. t. Bl

478 ANALEKTEN.

nisi contra meutern dicere Yelis, aut tarn desperatos et dellros siB, qood pecuniis tois aliomm peccata fovere et tibi dampnado- nem emere desideres, scio te responsamm, qnod non. quid ergo boni potest cogitare laicns, cujus quondam patrimoniam sie con- sumis? certe si malus fnerit, indignabitur, odiet, persequetor, si bonus, saltem dolebit et te minus amabit ex hiis juste qoo- dam dei judicio dicitnr: venit miseria nostra et tribulacio, qood Tidelicet mali invadunt, boni non defendunt. sed dicis, ego de- fendi bona ecclesie. certe hoc faceret laicus eque ycI melius, male quoque modemis temporibus ecclesia in temporalibus defenditor, quando deus offenditur, spiritualia deficiunt et cum tirannis de- fendentibus temporalia consumnntur K et forte melius expediret sine culpa tua eorum yiolenciam tollerare quam cum pericnlo tuo, ut qualemtumque pacem haberes, dare voluntarie et eis so* culariter conversari. si autem vis bene defensus esse et ecclesie ac bonorum ejus defensionem habere, digne ambula in viis del Psalterista dicente: si populus meus audisset me, vel si in ?üfl meis ambulasset, pro nihilo forsitan inimicos eorum humiliassem, et super tribulantes eos misissem manum meam.

Quodsi forte modicnm reputas vite presentis honorem, qao digni sunt, qui bene presunt, alliciat te ad bene preessendum et digne ambulandum duplex honor : auree videlicet et aureole honor. auree erit iliud gaudium, ad quod invitacione dulcissima serram fidelem celestis paterfamilias Tocabit, quando, eum super omnit bona constituens, dicit ei: euge serve bone et fidelis, qaia in parvo fuisti fldelis, intra in gaudinm domini tui, intra inqoam, quia, ut ait beatus Augustinus libro 2 retractacionum : super mo- dum supererit gaudium, ita quod non totnm illud gaudium intrabit in gaudentes, sed toti gaudentes in gaudium intrabunt honor aureole erit, de quo dicit apostolns IThessal. 2: que est uosin spes et gaudium aut Corona, nonne vos ante dominum Jhesom estis in adventu ejus? vos enim estis gloria mea et gaudiom domini. o ubi tunc erit Corona mea vel gaudium. et ut verbis beati Gregorii utar, quid nos miseri dicturi uumus, qui pastoris nomen habemus et gregem non ducimus et ad dominum nostnim vacui redimus, putasne gaudium erunt socii tui Tel muliercule, cum quibus jam tripudias et exultas. sed ista erit gloria in confusione eorum, qui terrena sapiunt. Philipp. 3.

Si Tero nee dignitas, quam jam habetis, nee ea, quam pro- missam tenetis, sufficienter movet vos, ut digne ambuletis, com- pellat illud, quod tercio dixi, multiplex malnm, quod indigne am-

1) In Cod. 4705, 83G5 u. 19742 Zusatz: quid enim refert, si sc« culares bona ecclesie sibi conmissa non violenter aufferunt, quoniam ea te consenciente cousumunt.

SOHMERPELDT, ZD MATTHÄUS DE CRACOVIÄS SCHRIFTEN. 479

bulaDdo conmiltfltis , similiter et incarretis. quisqnia eoim ia magna dignitate converaatnr indigne, iufra se positos eiemplo Gormmpit, digoitati obprobrium Tacit et ipae ipsnm confundit ac deicit de primo dicit beatus Gregonua in pastorali: cum pastor per abrupln graditur, Kt ut ad proci|)ium grei sequatur. inde sauerdutihua dominus per propbetam ' dicit: cansa ruine populi Aacerdates mali facti sunt domui Israel iu offendicalum iniqui- tatis. nemo quippe ampliua in ecclesia nocet, quam qui perverse agens Domen vel ordinem sanctitatia habet deliqaentem nam huDC redarguere nullns preeumit, et in eiemplum calpa vehe- meiiter eitenditur, quando pro reveroncia ordinis peccator hono- tRtar. de aecundo, videliuet qaod indigne viveres, diguitati ob-

I probrium fiicit Boeciiis, tractan.s quurto: dignitas confundit ioprobos

. «t econtra inprobi dignitates. 2 da consolacicme proaa 6 sie ait: collata inprobis dignitas non modo non eflicit dignoE sed perdit pocius et ostontat indignoa, et quod magia eat ad propositum, et quasi probacio jam dicti 3 prosa 4 sie dicit: Ei eo abjeccior est, quo magis a pluribus contempnitur qnisque, reverendos facere nequeat, quoE pluribua ostentat deapecciores, pocius inproboa dignitas fucit, verum non impune. reddunt namqae inprobi parem digritatibus vicem, quas sua contagione conmaculant. etenim ei quo modü provenit, qaod omnes dignitates tacn seculares qnam Bpirituales, milicia, sacerdocium, doctoratns in scientiis vel ma-

. gisterium ita generaliter vjluernnt et cottidie vilescunt nisi ei eo, quod tarn molti indigne aasummnntur vel asaumpti tarn tnr- piter et miaere conversantur. cui enim racionali et boaesto Bon vilescat gradum aaaumere vel statum tenere, quem as- secontur et aasnmnnt neqnam , vilissimi , infainea , proditores

' kut qualicunque vicio irretiti, et vti est tarn miser et in- aiifHciens, quin, si laboraret, admitteretur. de tercio, videlicet qnod, qui in magna dignitate indigne converGatur, seipsum con- fimdit et deicit, advoitendum, quod quanto gradus alcior, tanto casus proclivior, et qaanto res quelibet in ossondo nobilior, tanto

, TÜior est conupta. quanto enim iiobilius vinum, tanto acetum ftcerbius, quanto delicaciora fercula, fetidiora aunt stercora. quia igitur dignitas Cristiana addit non parum super humanam et ec- desiaatica supra simplicitato CnsÜaua, liinc est quod bominea profunde Cristiani profundius, sed viri ecclesiastici cadunt pro- fandisäime, quando cadunt, siquidem homines, quando vivunt irra- (»onabiliter et viciose, finnt bruta, Cristiani viventea gentüiter et ■ceteiate, fiunt anticristi; sed viri ecclesiastici, viventes non cleri- caliter sed criminose, Aunt diaboli, sie aane quod bec tria non aabstantive sed adjective capiantnr. dnra videntur, que dico, sed

1} Kzecbiel 44, 12.

i

480 ANALEKTEN.

sostinete, queso, donec probem. fateor, horrendam est aadire Tel dicere, sed horribilios est facere vel de facto videre. et o oti- nam, quibos horrendam est audire tarn aspera, sie horrerent facta, quod pre horrore in se fugerent et in aliis inpedirent. quod aotem, ut primo dixi, homines viventes irracionabiliter et Yiciose fiont broti, patet per Boecinm 4 de consolacione prosa 3, sie dicentem: cam nltra homines quemque provehere sola probitas possit, necesse est, nt, quos ab humana condicione deicit, infra meritum hominis detrahat inprobitas. erenit ergo, ut, si qaem transformatum viciis videas, hominem estimare non possis. a?a- ricia si fervet alienarnm opnm, violentus aat raptor, Inpos etc. nt textn ^. ita fit, ut probitate deserta homo esse desierit, cum in di?inam condicionem transire non possit, yertatar in belnam. sed quid dico in beluam et non magis in belnas, qni multas condiciones corrogas bestiarum. unde Crisostomus super Math. 4 similem sentenciam prosequens in fine conclndit: quid dicam feram. sed fera ab una harum minoracionum in defectum detinetnr, ta simul omnes deferens longo ab illorum irracionabilitate recedis. nnde et in Psalm, dicitur: homo cum in honore esset, non intellexit, conparatus est jumentis etc. quod tractans Bichardos super ul- timo capitulo Ecclesiast: ecce qualem se fecit homo, ecce nnde et quo cecidit, de similitudine dei in similitudinem jumenti, et infra. 0 cum quanta confusione coram Creatore suo apparebit, qoi cum hie Tiveret, confusione digne egit, qui dei in se similitudinem conculcavit, fedavit, obligavit. quod Tero, ut secundo dixi, Cri- stiani viventes gentiliter et scelerose fiant antichristi, sie patet si enim anticristi sunt contrarii Cristo, nonne anticristi dici potuerint, qui doctrina, vita et intencione Cristo contrariantur et resistunt, dicente salvatore: qui non est mecum, contra me est, Luce 11. si anticristus est, qui verbis negat patrem et fllium, ut dicitur IJobannis 2: nonne et mali Cristiani, et si confitentur, se nosse deum, factis autem negant, cum sint ab- hominati et incredibiles et ad omne bonum opus reprobi, ITby- motb. 1. unde beatns Augustinus omelia 3 super 1. Johannis: latine anticristus dicitur contrarius Cristo , non quomodo nonnulli intelligunt, anticristnm ideo dictum quod [ante Cristum venturns Sit], anticristus idem est contrarius Cristo. unde interrogare debet unusquisque conscienciam suam, an sit anticristus, quia anticristi multi sunt, hec ille.

Demum quod, ut tercio dixi, Tiri ecclesiastici , dum yivunt non clericaliter et criminose, fiunt dyaboli, manifeste patebit, si consideretur, de quo et ex quibus causis dictum est Johannis 6: nonne duodecim vos elegi et unus ex yobis dyabolus est. de quo

1) In den beideu anderen Handschriften ausführlicher.

BOHHEItFELDT, ZD MATTHÄUS DE CRACOVIAS SCHRIFTEN. 481

«aim, nisi de discipulu olerico et preUto? talis Biquidem fuit Jadaa. ei quibus causie, nisi qnin avarus erat, traditor erat? placet aadire Hiniiles proprietates in clericis. ecce bealus Bernhardus super cantica sermone 4 sie inquit: qaanti hodie de hiis, qui animas legero SDScporuot , qaad sine mi'ericordiali gemitu diceadum non est, Cristi obprobria, sputs, flagella, clavoe, lanceam, crucem, mortem, bec omnia in forcace ' avaricio conflant, conflammant, jsm in arqui- aicione turpis qiiestuE et precium universit^tis sdJs marsupiia includeie featinant, hoc solo sane a Jiida Scbartotia difierentea, quod ii<te emoli- nentain cause borum denariorum miro conpensare, Jsti forciori ingluvie lucrorDiD infinitaa pecunian eiigunt. biis insaciabili desideiio intiiant, pro hiia insaciabiles, ne amittant, timent et, cum amittnnt, dolent. honim in amoie quiescunt. porro quid e^t djabolua nisi apoetata sngelns, cum ergo, ut eupra memnravi, et Malacb. 3 dicitnr, [eacerdos] Bit angelus domioi exercituutn, quid alind quam dyabolue fit? quando pürverse agena et dyabolice boni angaii officium derelinqoit et inetar demoTiom de custode hominum fit proditor animarum. demum filii naciscimtor nomina patium. si djabolua, qui homicida Tuit, ab iDiciu et in verilate non stetit, quia mendai est et primu ejus Jobannes 8: cur non filii hü, qui ei patre dyabolo sunt et Opera ejus volunt faceie, mentiri scilicet ab inicio et in veritate non Stare, dicentur ejus fiüi et bereditabunt nomen ejus, talea snnt, qui curam animarum vel ordJnem Bacerdocii soscipiunt et fldelea eese vel laudabillter vivoro in illo statu mendaciter pro- miltunt et per mcndaciuin seipsos occidunt. os enitn, quod meutitur, «ccidit animam, quia protunc concubinarii , ebriosi, lasorea sunt et aliis criminibiis irretiti, et ita non dimittore, aed magis cod- tiDuare proponunt nee mirum, si pro tarn magnb criminibus quia dicatur djabolua, cum princeps apostolorum pro multo minori, ut Tidetur, ait a salvatore satbanas appellatus, dicente ei, vade post me, aatfaana, scandalum mihi es, quia non sapis ea, qae dei sunt, Math. 16. 0 quot talea satbane, hominea carnales, animalea, spiri- tnm Don babentes, nam qui aecundum carnem aunt, que camis sunt, sapiunt, et deo placere non posaunt, Bom. 8; animalia enim liomo non percipit ea, que sunt Epiritus dei, Gtultitia enim est illi et non potest intelligere, 1 Corjutb. 2. unde Simon de Casala super iato verbo Mathei jam allegato libro 11 de vita CrisUana sie ait: refugit eoa Cristua et in suos sathanitea habet, non dnmtaxat quoa viderit perverse agere, aed et quos sapcro hu- tnaiie cognoverit, quorum sapiencia corporis vitaro moleatias, as- perum aensum effugere, que mundi sunt, querere, in delectacioni- bua ease, non doo saciari ', a carts plua declinare tristia quam

j

482 AKALEKTEN.

tarpe averti possis, presentibus ^ et transitoriis malis quam eternis bonis inhiare, foturis autem delectari modica re qnam spa melioris ista dimittere. quiqoe ab bamanis ad divina, ab ymu ad alciora mentis intelligenciam non attolluni nnde et Yenera- bilis ÄDdhelmDs, ostendens peccatorem in multis dyabolo horri- biliorem, in meditacionibus sie ait: hen miser demens homnndo, cujos ymaginem super impressisti super ymaginem dei! o cor Tel non puduit facere, quod sie expavesco dicere. o cur non odi ejus imitacionem, cujus sie horreo nomen. iste sponte cecidit', ego nolens sordni, sed iste nulla justa precedente yindicta pee- cati superveniens peccavit, ego yisa ejus pena contempnens pe- nam ad peccatum properavi. ille semel in innocencia consütutiu, ego restitutus. ille contra eum, qui se fecit, ego contra omn, qui me fecit et refecit ille dereliquit deum permittentem , ego eciam fugi prosequentem '. ille perstat in malicia, deo repro- bante, ego in illam cucnrri, deo revocante. ille revocatns ad increpantem, ego obduratus ad blandientem. et si ambo contra deum, ille contra non requirentem se, ego contra morientem pro me. ecce cujus jmaginis horrebam horrorem, in multis inspieio me horribiliorem. hec ille. qui autem snnt dyaboli officio Tel malicia, quid restat, nisi ut eciam jungatur eis et pena, et Ya- dant cum eis in ignem etemum, qui paratus est dyabolo et an- gelis ejus, Matth. 25, cum videlicet dicit messoribus: coUigite zizaniam et alligate eam in fasciculos ad conburendnm, Matth. 13, ut socii malorum sint eciam socii tormentornm. certe qnisquis es, qui hoc audis et non moveris vel incredulus dei verbo vel ob- stinatus in malo vel de bono desperatus esse probaris. nam qui crederet et non horreret malum, vel bonum non amaret, mo- veri non posset.

Quid enim ultra debuit deus facere, quod non fecit, per quod Yos ad digne ambnlandum inducoret. ecce natura inclinat, gracia adjuYat, et officium requirit, gloria promissa trahit, tarn mnltiplex confusio presens et miseria, tarn gravis pena in futuro inferenda conpellit quia igitur tam magna motiva, ymo et inpulsiYa ha- betis, ut statum vestrum digne faciatis, tantas indignitates e?i- tetis, in tam magnam gloriam et gaudium domini feliciter intretis, exinde audite precantem apostolum, ut digne ambuletis. que fuerint Yora etc.

In quibus Yerbis duo broYiter innuuntur, modus et motus, motus animalis excitans calorem et inducens sanitatem, quia ambuletis, modus autem realis inferens honorem et adducens yo-

1) Cod.: aparentibus.

2) Cod.: recedit

3) Cod.: permittentem persequentem.

80SIHERFELDT, ZU MATTHÄUS DE CRACOVIAS SCHRIFTEN. 483

BDStatem, quia ad digne. p»r primam innuitiiT pro fuctis, qui& ambuletis, Kphos. 2 : ambalate iu dileccione, Bicut et CriätLS dileiit Toa. sed qaia dicat se in Ctistu maneru, dubet, quem- admodum et Oristua ambuUvit, et ipse ambulure, IJoItaniiix i. Cristaa antem pruficiebut supiunuia et etiilo et gruciu apat deam et homines, Loce 2. per Becundum exuludilui', qaicDuque defectus, cum dicitur 1 Coriiith. 2, deprecani.ea vos et conso- tantes tos unius, ut difne ambaluretis dco, qtn vocavit vos in suum regnum et glnrium. quaiitum ad primom igitur debutia ambulaie Don currere por aDpeibium advei'aus deum et homiiiem, lub 17. id est precipitanter et indiscrete et sine timoce ngere, sicut faciunt litii bominum, qui, quia non perfertur, cito cuutra maloa summa absque ullo timore perpetntnt mala, Ecolesiaetea 8: Qon sedere cum conaiüo vanitatia et cum iniqna ageutibus non iutroire, odire ecclesiam raaligniincium et cum impiia non se- dere. a qua aesaione ad se soquendum vocaiit deua bominem nomine Math. 9, non jactare per cernia concupiscenciam et \o- luptatem, sicut Uulofenies jacebat in lectulo auo, tiimia ebrietale sopitus. QOD saltare cum filia Uerodiadis ad pincendum llerodi et mundaoia et JDmuudo. Marci G ': eicut faciunt amatarea mu- Herum, qui cum saltatiicibua as^idui sunt contra consilium sa- piencium. Ecclesiostes 9: cum ealtatrice ue assiduus eato, non serpere per simulacJonem et ypocriaim, aicut hü, qnorum sermo serpit nt Cancer, 2Tbymoth. 'i , quique per duices acrmouea et benediccionea sedacunt corda innocencium. addo ultimo, non stare in via peccatorum cum negligontibua et ociosis, quibua dicitur Ifatth. 20: quid hie statis tota die ociosi. noo equitare vel in Gunibue Pharaonis pergere vel per inanem gloriam, quandoqao, nt in Psalm, dicitur: iu curiibus et in equia, noa autem in nomine domini dei nostri invocamus. ^ aed ambulare, id est in via dei pioficero. unde beatas Augustinus de rerbis apostoli sermone 17: dicitJs, quid eat ambulare. dlco breviter pro&cere, et infra aemper ambula, semper profice, noli in via manere, noli retro redire, noli deviare. remanet, qui non proficit, retrocedit, qai ad ea devolvitur, unde jam recesserat, deviat, qui apostatat. melior est vel claudus in via quam Cursor extra viam. si vero ambniare rolueritis, videte, nt digne ambuletia, digne inquam na- ture, qua vivitia, ne sitia de natura illorum, lob 30, qui vita ipsa putabantur indigni. digne gracie et bene&ciia, que per- cepistis, semper memores illius, quod Thobie 13 dicitur: quid dignum poterit esse beneliciia ejus, digne ewangello, quod legiatia. Philipp. 1 : tantum digne conversamini ewangelio. Cristua est enim fldelia sermo et omni accepcione dignus, ITbymoth. 1, digne

1) Andere Hb.: Math. G.

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484 AKALERTEN.

glorie, ad quam tenditis, nt digne habeamini in regno dei, 2Th7moth. 1, digne statui, qnem tenetis. sicnt enim princepe ea, que digna sunt principi, cogitabat, Tsa. 32, sie sacerdos ea, que sacerdoti conveniunt. digne sacramento, qnod somitis, qui enim mandocat et bibit indigne, Judicium sibi etc., ICorinth. 11. digne deo, cui servitis, Coloss. 1. ambuletis digne deo, per omoia placentes in omni opere bono. digne ecclesie dei, cujus sponsi, paranimpbus \ filii et miuistri estis, ne forte possit ecclesia di- cere de Tobis, Thobie 3: illi non fuerunt digni mihi, quia for- sitan alii viro servasti me. quid enim faceret fidelia aerrus do- mino 8U0, quid amans et gratus filius pro matre, quid zelasB sponsus pro sponsa ' , si yideret eam Tiolari, dehonestari et ab- hominabiliter stuprari. certe resisteret, quantum poaset, clamaret, Judicium peteret, invocaret auxilium, et si plus non posset, flebi- liter doleret hoc, queso, facite, domini et magistri« vestre sponse Cristi, Tobis connüsse ecclesie sancte dei, quam incessanter * here- tici deflorant, scismatici prelati, curati ac principes prostituunt, adulterantnr clerici, tiranni denudant, perversi polluunt Cristiaiu. condolete, queso, ei et zelate pro ea, ne possit vel deus ipse Tel ejus sponsa conqueri illnd 1. Regum: non est, qui condoleat Ticem meam. quilibet igitur studeat, quantum potest, orando ad deum, corrigendo malum, hortando ad bonnm, quocienscunque po- terit, zelum suum ostendere et sie in omni studio Tirtutnm digne ambulare, ut ad dignitatem illam inestimabilem et perpetoam celestis glorie mereamur feliciter pervenire. quod nobis omnibos concedat Jhesus Ciistus in secula seculorum amen, eiplicit sermo, quem magister Matheus de Cracovia fecit ad clemm Präge in sinodo'* *.

Der Zusatz in Clm. 19 742, fol. 20 lautet: „Scriptna in Ti- gilia palmarum ad clausam in Griess in anno 1426 in stuba conyentuali horis 11 ante meridiem etc.; sermonem prescriptom predicavit magister Matheus de Cracovia predictus in synodo Pragensi in curia archiepiscopali suprascripta anno domini 1386 in festo Sancti Luce Ewaugeliste.*^

1) Andere Hss.: paranimphi.

2) Cod.: zelus sponsus et sponsa. 8) Andere Hs.: incestant

4) In Clm. 4705 sich die Datierung am Eingang der Synodalrede fol. 170: „Sequentem sermonem predicavit magister Matheus de Cra- covia predictus in synodo Pragensi curia archiepiscopali super terram anno domini 1386 in festo Sancti Luce Ewangeliste.*^

MISCELLE. 485

2.

Miscelle.

Ein Brief CalTlns.

Im ersten Heft des 22. Bandes dieser Zeitschrift (S. 159) habe ich einen knrzen and inhaltlich wenig bedeutenden Brief Calvins abgedruckt, der, aus Frankfurter Privatbesitz stammend, mir zur VerGfifentlichung übergeben worden war. Gegen die Echtheit dieses Briefes erhob Th^ophile Dufour, der frühere Ober- bibliothekar von Genf, in einer Zuschrift an das Journal de Ge- n^ve vom 4. Mai d. J. Einsprach ; er stellte den Brief auf Grund der sonst vGllig unbekannten Empfängerin, des Stils und der Ideenarmut mit zwei andoren, ihm bekannten unechten Calvin- briefen zusammen und nannte zugleich als Verfertiger einen ge- wissen Henri Favre (gest. 1891), über dessen Fälscherthatigkeit in einem längeren Aufsatz der Bevue savoisienne von 1897 Aus- kunft erteilt worden sei. Professor Lucien Gautier, vom Journal de Gend?e um seine Meinung über die Mitteilung Dufours be- fragt, teilte in der Nummer vom 22. Mai mit, dals sich in seinen Händen ein Brief befinde, der unzweifelhaft von jenem Fälscher stamme und an dieselbe „Noble Damoyselle Johanne de la Byve en Satigniez'' gerichtet sei. Herminjard besafs, wie Gautier mit eigenen Augen sah, denselben Brief in einer zweiten Auflage und Henri Favre hatte sich selber schriftlich als Verfasser des- selben bekannt. Gautiers Oheim, Adolphe Gautier, verwahrte einen dritten Brief aus Favres Werkstatt (jetzt im Besitze der Witwe), der wörtlich mit dem in dieser Zeitschrift veröffent- lichten übereinstimmte. Prof. Lucien Gautier kam deshalb zu dem Schluls, dafs der neue Calvinbrief verdächtig sei.

Ich hielt es unter diesen Umständen für das Beste, den frag- lichen Brief an Prof. Gautier zu schicken, damit eine Verglei- chnng stattfinden könne. Das Urteil, das daraufhin von Herrn Dnfoar und Prof. Gautier gefallt worden ist, geht dahin, dafs der Brief mit jenen anderen zusammengehöre und von Favres fälschender Hand sei. Ich habe unter diesen Umständen ledig- lich zu bekennen, dals ich mich getäuscht habe, und den Schweizer Gelehrten zu danken, daüs sie bei dieser Gelegenheit erwünschte Nachricht über einen Fälscher und seine Werke gegeben haben.

München. Dr. Walter GoetM.

Drnek ron Friedrich Andre»« Perthes In Gotbe.

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Clemens von Alexandiien als asketischer

Schriftsteller in seiner Stellung zu den

natürlichen Lebensgütern.

Von

Lic. theol. Markgraf,

Diakonus in Leipiig- Anger.

Einleitung.

Das Mönchtum hat den Wert der natürlichen Lebens- güter unterschätzt. Origenes war ein Vorläufer des Mönch- tums in seinen asketischen Lehren. Das Urchristentum lebte einseitig fiir das Jenseits und nahm keine Stellung zum dies- seitigen Leben; zum sozialen Leben. Zwischen dem Ur- christentum und Origenes stand; zeitlich angesehen; Clemens. Wie stellte er sich zum Kultur- und sozialen Leben, zu den natürlichen Lebensgüteiii?

Einzelne hierher gehörige Fragen sind behandelt worden. Die gesamte Ethik unseres Kirchenvaters hat Winter ein- gehend; aber ohne genügende historisch-kritische Auffassung dargestellt ^ Vor ihm hatte Funk über zwei Punkte der clementinischen Ethik geschrieben ^. Die Lehrbücher fair die Dogmengeschichte und die Geschichte der Ethik geben Ge- samturteile ab. Einen sehr wertvollen Beitrag zum Ver-

1) F.J.Winter, Die Ethik des Clemens von Alexandrien. Leipzig 1882. Derselbe in Zeitschr. f. kirchl. Wissensch. u. kirchl. Leben, 1880, über die Stellung des Clemens zur Ehe.

2) Clemens von Alexandrien aber Familie und Eigentum, in TheoL Quartalschrift 1871.

Z«ltMkr. f. K.-a. XXU, 4. ^^

488 IfARKGRAF,

ständnis des Clemens als Persönlichkeit hat jüngst Engine de Faye geliefert ^ Eine zusammenfassende Einzeldarstel- lung über das vorliegende Thema war bisher noch nicht vorhanden.

Einige Bemerkungen allgemeineren Inhalts seien vorausgeschickt.

Clemens' Ethik ist voll von Widersprüchen. Kaum ein ^weiter Schriftsteller der alten und der mittelalterlichen Kirche hat das soziale Leben so weitherzig und freundlich beurteilt wie er. Dabei kann er aber die strengste asketische Moral lehren; die sich in der Stoa je gefunden hat Der Ideal- Gnostiker ist kalt; gleichgültig gegen das Leben um ihn her; er lebt unter Menschen und doch wie in der Einöde.

Die Widersprüche erklären sich zum grofsen Teil aas den zeitgeschichtlichen Verhältnissen und aus Clemens' Le- bensgang. Er war erst Philosoph, dann wurde er Christ; aber als solcher hörte er nicht auf Philosoph zu sein. Die Philosophie war ihm göttliche Offenbarung, wenn auch eine unvollkommene; Clemens konnte meinen , griechische Philo- sophen hätten ihre Weisheit dem Alten Testament entlehnt

Die Philosophie des 2. Jahrhunderts war eklektisch; syn- kretistisch; nicht analytisch, kritisch. Sie suchte in jedem System ein Körnchen Wahrheit. Auf Widersprüche im einzelnen kam es nicht an. Die Philosophie Piatos und der Stoa waren schon früher in ein Bett zusammengeflossen. Die Philosophie war religiös gestimmt dies ein Erbe be- sonders von Plato ; sie war praktisch -kasuistisch -morali- sierende Popularphilosophie geworden; so z. B. bei MusonioB, Epiktet.

Diese Art Philosophie hat sich Clemens angeeignet; sie hat er in die Kirche eingeführt, besonders im Pädagogos und in den Stromata. Kein Wunder, dafs auch Clemens' Philosophie und Ethik kaleidoskopartig zusammengesetzt ist und viele Widersprüche enthält.

Besonders zeigt sieh dies an dem bunten Idealbilde des

1) Clement d'Alexandrie. Etüde sur les rapports du christiamsme et de la pbilosopbie au II« siecle. Paris. 1898.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 489

,^Gno8tikers'^ Als Piatos Schüler bezeichnet er als Ideal das Qottähnlichwerden ^y als Stoiker die unerschütterliche Apathie, Freiheit von jedem Affekt und jeder Leidenschaft. Anderseits aber stellt er auch die Liebe sehr hoch, unter dem Einflufs christlichen Geistes ^ ; die äyaTcrj , die nicht überall intellektuell zu verstehen ist, gehört mit zum Wesen des Gnostikers; dieser vergiebt Unrecht; liebt den Feind, übt Liebesthätigkeit u. s. w. '.

Sonst zeigt Clemens in den einzelnen Fragen des sitt- lichen Lebens meist ein Schwanken, Mangel an Entschieden- heit Aber will man ihm gerecht werden, so mufs man auch die Schwierigkeiten in Betracht ziehen, mit denen er zu kämpfen hatte, und man wird bei näherem Zusehen doch Clemens in manchem Punkte bewundern wegen seines Mutes, seiner Entschlossenheit, seiner Selbständigkeit

Alexandria war Hauptsitz der gnostischen Schulen, en- kratitischer Sekten. Clemens war Lehrer an der Katecheten- schule, Vertreter und Verehrer der griechischen Philosophie, die durch die Gnostiker diskreditiert war. Der streng asketische Marcion hatte einen gewaltigen Eindruck gemacht. Clemens nennt ihn d-eouayog yiyag * ; die Schrift des Epiphanes „Über die Gerechtigkeit*' charakterisiert er als vielbesprochen*; dessen Schriften waren überhaupt verbreitet ^. Die grofse Menge sah die Wissenschaft argwöhnisch, ängstlich, als ein Werk des Teufels an. Clemens mochte es nicht mit ihnen verderben; er suchte sie zu beschwichtigen. Heiden, philo- sophisch gebildet, wollten von Clemens die christliche Re- ligion kennen lernen; ihnen gegenüber konnte Clemens, ab- gesehen von seiner persönlichen Überzeugung, nicht sagen, ihre ganze Bildung, die ganze griechische Wissenschaft sei dämonischen Ursprungs. So wurde er von verschiedenen

1) iSouottoaig t^ ^f^;.

2) S. Faye a. a. 0. S. 263 ff. über die l^ofioüoaig] S. 274 ff. über die ttTttt&fut; S. 282 ff. Über die äytinr}.

3) z. B. Str. VII, 886.

4) Str. III, 522.

5) III, 514 nolv&QvXXrjTog.

6) III, 511 Ol' avyyQä^ufi€tTa xofit^iTai.

490 IfARKGRAF,

Seiten beeinflufst, er mufste Rücksichten nehmen nach ver- schiedenen Seiten hin. Sehen wir, wie er sich zu den einzelnen Lebensgütem stellt.

„Welt" und Materie.

Die Materie galt für Plato im Zusammenhang mit seiner Ideenlehre als das Nichtseiendc; als das Seiende nur die Idee; als böse galt die Materie bei Philo und den Gnostikera. Clemens ist hierin nicht von Plato ; Philo, den Gnostikan abhängig; ihm ist die „Welt" gut*. „Der ^Gnostiker' weib und bewundert; dafs alles, was Gott geschaffen, sehr schön ist" ^. „Plato hat einem Marcion nicht Anlafs gegebeui die Materie für schlecht zu halten^ denn Plato hat das über die Welt evaeßdig gesagt" *. Clemens beurteilt Welt und Materie nicht naturalistisch, pessimistisch wie die Gnostiker, sondern idealistisch, religiös, optimistisch. „Richtig weifs Plato, dab die Welt der Tempel Gottes ist" *. Die Welt ist der ver- wirklichte Wille Gottes^; und Gott hat nichts Böses ge- schaffen^; er thut nur Gutes, ist ein guter Vater'. Für den Menschen ist die Welt von dem guten Gott geschaffen, zu seinem Heile soll sie dienen ^; sie ist eine allgemeine Er- ziehungsanstalt ^.

Hier folgt Clemens der christlich-religiösen und der philo- sophisch-religiösen Auffassung ohne Schwanken.

1) Zahn, Supplem. Clement, p. 90: Nonne mundus et omnia, quae in mundo sunt, creatura Dei dicuntur et haec valde bona ? S. 92 : Adumbr. in ep. Joann. 5, 19: mundus omnis in maligno constitutus est, non creatura, sed saeculares homines et secundum coneupiscentias li- ventes.

2) ed. Potter, Strom. II, p. 457 (vgl. IMos. 1,31).

3) Str. III, 619; vgl. die Polemik gegen die Weltverachtang der Marcioniten, Str. III, 515.

4) Str. V, 691.

5) &^lfi/na avToO ^Qyov iarl xal xoöro xoafiog 6voudC€Tai.

6) Str. III, 527 ov^h xaxoO rivog yfyovs nonjrucdg [6 ^€Of]; p. 522. 631 f.

7) VI, 792 not&v Idltog Ayad-d' d^iog Övras xal nariiQ ctya&og..'

8) VI, 819.

9) Quis div. salv., cap. 33: rd xoiviw toOto naidivti^oy.

CLEMENS VOK ALEXANDRIEN. 491

Die Lehre vom Menschen.

Clemens betrachtet den Meoaciien idealistisch, rehgiös, ala eia Geschüpf Gottes, im Verhältnis zu Gott. Wie Plato und Plutarch bezeichnet er den MenBchen als himmlisches Gewächs '. „Von Natur ist der Mensch ein hohes Wesen, stolz, nach dem öchönen suchend, als Schöpfung des Einen" ". In der Cohortatio iveiat er oft in schwungvoller begeisterter Rede auf den hoben religiösen Beruf des Menschen hin '. Nach der herrschenden Redeweise der Philosophie spricht er von einer göttlichen Natur, der die Lust gänzlich fremd ist *. Gegenüber den Häretikern, welche die Schöpfung anfeinden und den Leib schmähen, weist er auf die ästhetische Seite hin, er betont die schöne Einrichtung des menschlichen Leibes*; ferner die sittliche Bestimmung des Menschen'', die sittliche Freiheit ' ; allen Menschen ist ein göttlicher Aus- flufs eingeträufelt, um deswillen sio auch wider Willen be- kennen, dafs Einer Gott ist *. Auch der Leib wird ge- heiligt ". Die Heiligung erfolgt durch gläubige Teilnahme nn der Eucharistie, indem der väterliche Wille die göttliche Mischung, den Alenschen, fivan/.Oi; mit dem Geiste und dem Logos vereint '".

Zur höchsten Vollendung kommt der Mensch das wird am „Gnostiker" gezeigt auf dem Wege der Kon-

1) oiptivioy ifvjüv Protr., p. 23. 80.

2) Paed. HI, 276,

3) p. 70: "vfvSpojnof il, xoinöiatoi' (mi^t^av, liy Ji/fiiov^ yijanvtä ai' vl6s i3, Wtc/ioioi' (fmj'viügiODv, jöv nnrfgn. p. 80: jiftfvM yäg ßlliof ö äv9iManai atxttios Ixfi" "p°f 9idv, p. 82: äv- ^gnnt ... inlyvmiC aov räv iSnfn6it]v' titoy tl nidofta loC 9ioD .. 'i . U^iif ärTias taiis ärSptinoii inoi.ufißdvaf. p. 73 ff. 83. Paed, p. lOlf. 130. I35r.; II, 166.

4) Paed. III, 276: itXXoT^uoxaiov tIJ; SiCa; ^funuK ^ tftlriSovCn.

5) Str. IV. cap. 2S Anfang; ib. p. 671; vgl. Paed. I, 101.

6) Str. VI, 788: navin .. jtQÜg «^r^{ «^ffif neifinaatv u. ö.

7) S. Winter, Die Ethik des Clemens vun Aleiaiidrien, S. 69 ff. B) Protr. cap. 6.

9) Sir. VI, 770: liyrliiin^ ii «ti ri aaua, cf. IV, 638: xmü lüy tijs ff-'X^i " '"' oiofio70( itymofiöv , . . ; Str. III. 532. 10) Paed, n, 178.

1

492 MARKGRAF^

templation, der d^ewgla, eTtÖTtreia, der yvQaig] so wird der Gnostiker Gott ähnlich, Gott gleich, selbst Gott. Diese Lehre ist inhaltlich und der Redeweise nach von Plato. Sodann auf dem Wege stoischer Askese, indem der Mensch jeden Affekt ausrottet und die d/ta^eia erringt; schliefslich auf dem Wege der Liebe, des Wohlthuns, das schliefslich nicht blofs Thätigkeit, sondern dauernder Zustand des Gnostikers ist K Hier tritt der Einflufs christlichen Geistes und Lebens bei Clemens zu Tage an der Gestalt des Gnostikers.

Das Verhältnis von Leib und Seele.

Plato stellt als höchste Aufgabe hin die Loslösung der Seele von allem Körperlichen, Erhebung aus der sinnlichen zur geistigen Welt, Befreiung von allem sinnlichen Empfinden, von der umstrickenden Materie; das Ziel ist die Ruhe des denkenden Erkennens. Philo ist Plato darin gefolgt. Auch Clemens hat sich ihnen im wesentlichen, oft im AVortlaut, angeschlossen. Er lehrt dualistisch und asketisch wie seine Vorgänger. Freilich systematische Klarheit und Einheitlich- keit darf man von Clemens ebensowenig erwarten wie sie Plato zeigt in der Lehre vom Verhältnis zwischen Körper- lichem und Geistigem. Dieser hat das erstere bald als Hindernis, bald als dienendes Werkzeug des zweiten, bald als Mitursache zum Guten angesehen. Clemens giebt kein System ; wir finden seine Aussagen einzeln hier und da zer- streut; so können auch wir seine Sätze nur nebeneinander- stellen.

Clemens argumentiert in seiner Polemik gegen die Gno- stiker: Der Leib kann nicht schlecht sein. Gott thut alles auf das Bessere hin; er würde nicht die Seele aus dem Besseren in das Schlechtere fuhren *. „Weder ist die Seele von Natur gut, noch der Leib von Natur böse." „Das bessere Teil am Menschen ist zugestandenermafsen die Seele,

1) z. B. VI, 770: des Gnostikers TiXt((oat.g iv afAiraßoltit t^H evnouag xaif öfio(ü)aiv tov ^toC ^lafi^vfc.

2) Str. III, 554: ovx «V nors l^ ufAiivovtov tlg /tiQ(o xarayoi xpv/ijv. IV, G40: oVxovv ovQavoS^fv xaranif^TifTat diCQo im ra ^ir« i//iyf»J' o d-idg yuQ Inl afAiCvta ndvja Igya^ixai.

CLEMENS VON ALEXANDUIEN. 493

das geriDgere der Lelb'^; ^^es mufste die Zusammensetzung des Menschen in der Sinnenwelt aus Verschiedenem bestehen, aber nicht aus Gegensätzlichem (od/, €§ ivavTtwv), aus Leib und Seele" ^ Zu Gal. 5, 17 wird gesagt: Oeist und Fleisch streiten miteinander, nicht wie Böses mit Gutem, sondern zum Nutzen {cjg av^Kpegövrcog) kämpfend *. Gegen die Häre- tiker macht er weiter geltend ' : Heilte nicht der Heiland wie die Seele so auch den Leib von den ndd^rj ? Er würde aber nicht, wenn das Fleisch der Seele feind wäre, das feind- liche (Fleisch) gegen diese befestigen, indem er es durch Gesundheit (= Freiheit vom nat>og) ausrüstete. „Der Leib hat es mit der Erde zu thun und strebt zur Erde ; die Seele aber ist Gott zugewandt" *.

Wiederholt citiert Clemens Plato * ; oft wendet er Piatos Worte an: Der Mensch sei an das Fleisch gefesselt^, ge- bunden an den irdischen Leib ^ ; die Seele mufs vom Leibe getrennt werden ** ; die fleischliche Fessel ist zu verachten ®. Clemens meint, solche Ideen in den heiligen Schriften zu finden ^^: „Es heifst, mir ist die Welt gekreuzigt und ich der Welt (Gal. 6, 14); ich lebe aber nun, im Fleisch lebend und doch wie im Himmel wandelnd." Ein Mittel, die Seele leicht dem Leibe zu entfuhren, ist die yLvqiaA}) Saxrfiig ^^. „Und wie bei Philo (de agricult. 14 u. a.), so befindet sich auch bei Clemens Str. IV, 639 die Seele des Frommen im

1) IV, 638. 2) IV, 591. 3) III, 559. 4) IV, 576.

5) IV, 580; VII, 880; III, 519; II, 486: ixäcrri ^Sov^ « xa\ Ivnri TtQognaaaalcl rfp avjfAaT^ ^l^v/riv toö yi fjiri »(foQl^ovrog xai änoarav' QoOvTog iavTüv tOv nad-Ov.

6) II, 470: aagxl mmdrifiivovg.

7) Midffiivot yoiQ Tq! ytiadu adtfjiaTi ... V, 647; VII, 854: atofiaxt

8) V, 679 : j^p^a* yäg xoifg xaS^agonocoüvrag anoXvuv toO atafiaxog xai Tfi>v TovTov (tficcQTfjfittTOJv f^v ^v/Tjv &gn(Q ToO diafAoO T^ n6dtt, IV, 569: TOÖ aiofAarog ttno rflg ipvxfjg xtoQta(Li6g 6 naQ* 8lov ittv ßCov fjiiXet(6fi€vog . . .

9) VII, 854: roö SiOfioO xaTa/ÄeyalotfQOvoOvrig roö aagxixoC.

10) IV, 569. Man lese die Stelle im Zusammenhang.

11) IV, 575: ^ xvQiaxTj äaxrjaig ändyn t^v rpvxny roö atofiarog sv^agfatiog.

494 MARKGRAF,

Leibe wie ia der Fremde und sehnt sich nach dem Ver* lassen dieses Kerkers'^ ^. ,,Hart an philonische Asketik' streifen auch andere Aussagen >. Als strenger Asket wiid der ;,GhDLOstiker'' geschildert: ,,Er wandelt fort zum Herrn.., und wenn seine Hütte auch auf Erden noch gesehen wird, sich selbst entfuhrt er nicht dem Leben (denn das ist ihm nicht erlaubt), aber die Seele entführt er den nd&ri (denn das ist ihm gestattet) und lebt bei ertöteten B^erden; dm Leibes bedient er sieh nicht mehr, er läfst ihm nur den Ge- brauch des Nötigsten zu, um nicht seine Auflösung herbei- zuführen^''. 7) Der Gnostiker verachtet alles, was sor Schöpfung und zur Ernährung des Leibes gehört'' ^ Zu- stimmend fuhrt Clemens Citate aus Plato und Philolaus an: Die Seele sei zur Strafe im Leibe; der Leib sei das Qrab der Seele ; um Strafen abzubüfsen sei die Seele an den Leib gebunden und gleichsam in diesem Leibe begraben; dei Philosophen Seele thue dem Leibe am meisten Unehre an und fliehe von ihm; sie sucht sich auf sich selbst zurück- zuziehen ^.

So folgt Clemens der dualistisch-asketischen Philosophie^ besonders Plato und Philo. Er hielt diese Anschauungoi für gut christlich ; er kombinierte sie mit urchristlichen, ohne sich des Unterschiedes bewufst zu werden. Er findet bei Plato das christliche Leben beschrieben ^ ; er fügt der an- geführten Stelle Str. IH, 518 hinzu, das dort Gesagte stimme mit Rom. 7, 24 zusammen, falls dort nicht der Ausdruck „Leib des Todes'' in übertragener Bedeutung als öfioq^^oai-^

1) Siegfried, Philo als Ausleger des Alten Testaments, 1875.

2) Str. V, 686: Inn^ri yvfAvrftf x^q iflucfj^ So^äg ytvofiivtfp r^r yvtaajixriv V^iz/V ^^^^^ ''^S otafAttJix^g ioQäg xai rOv na&Bv nurrvp... &nodva(tfi4vr)ftf tag aaqxixäg int^vfxiag r^ (f^orl xa^i^^oi^j^o» Avtcfi^ ib. ^vaCa (fi ij T^ &e(ß dixtri atofjLaxdg rc xa\ t(Dv jovjtav Tia&Bv ifü- TttPÖriTog xf^Q^Ofiög.

8) Str. VI, 777 f. 4) VII, 880.

5) III, 518. V, 707 meint Clemens, Plato beschreibe das christ- liche Leben im Theätet unter anderen in den Worten: rd aOfAu xtlr» avtoO (sc. ToO (fiXoa6<pov) xai iniirifiet, a^ög Si nirarai xara Jlivdm^ rag T€ yäg vnivi^iv.

6) V, 707 s. oben.

CLEMENS VON AI.EXANDHIEN. 495

ejf xßx/oc aufzufasaen aei. Also Stellen wie die angeführten Gal. 6, 14 ", Rom. 7, 24, ferner Matth. 5, 48 " (und : Kor. 3, 16?), 10, 39 ' wurden ihm die Brücke zwischen der philosophischen und christüchen Anschauung. Der chiist- liche Gedanke vom Ersterben des Leibea, vom Verlieren und Aufgeben des Lebens und die Lehre Plafos von der Be- freiung der Seele aus den Fesseln, dem Grabe des Leibes, erschienen ihm als identisch. Ein klassisches Beispiel fiir diese Verquickung findet man Str. IV, 626. Im Anschlufs an Matth. 5, 48 wird von dem Vollkommenen gesagt: „Diesem ist das Fleisch tot. Er lebt aber allein, nachdem er das Grab {^= Leib) dem Herrn zu einem heiligen Tempel ge- weiht, die alte sündige Seele Gott zugewendet hat" Dann fährt er, philosophisch-asketisch doderend fort: „Nicht mehr enthaltsam ist dieser, sondern im Zustande der äirä!>£ta, barrend, dafa er mit göttlichem Wesen bekleidet werde."

Die Lehre von den Affekten.

Die antike Philosophie war darin einig, dafa der einzige "Weg zur Glückseligkeit in der Ruhe des Gemütes bestehe. Das Ideal der Stoiker war die ä/cei.teia, der Epikureer die dta^a^la: Freiheit von allem Affekt, aller Leidenschaft. Dieses Ideal beherrscht auch die Ethik des Clemens; er kann gelegentlich sagen, von seinem verehrten Meister Plato beeinflufst, die Gottesfurcht lehre nicht ätccHteiai' , sondern fiezQtanä'Jtiav, nicht Affektlosigkeit, sondern einen raäfsigen Affekt; aber sonst ist die änälfEta sein Ideal*. Die deut- lichste Stelle ist Str. IV, 688: Man mufa den Gnoatiher allem seelischen Affekt entziehen . . . Dieser Zustand bewirkt die d:rä!^ita, nicht die ^iBVQionüi>tia . aTtä'Jtiav Öe noQTcoCiai

Clemens ist trotzdem nicht fern gewesen von der Ein-

1) IV, 569. 2) IV, 626. 3) II, 4Be.

4) Selten wi:d auf die üiagaita Bezug geuommen. Frapn., p. 1013 : XQ^" *^^ äXikUv dnävTiav Sit fidhaia Ttfial<(iaTator v ÖTBpof/n. Str. VII, 682; fn' oidM lolvw tUötuit toQtiaaiTtit tOv avfißoi- ifoyTOf (sc A jTiuoroftSr) ; VI, 751 wird Epikur ciliert: iixaioaCi/tK

496 MARKGRAF,

sieht, dalB es einen berechtigten Affekt giebt Wenn er ge- legentUch davon spricht, dafs manche die wahre von der falschen ^donj nicht unterscheiden können '; wenn er folgert: „wenn wir manche der fjdovai annehmen, andere fliehen, so ist nicht jede fjdo%'ri etwas Gutes"*; wenn er sagt: „es gehört sich für uns, dafs wir uns öO}(pQ6vwg erfreuen, wie im Paradies, in der That der Schrift folgend" (Paed. 11, 212), so liegt darin die, wenn auch nicht zum Bewufstsein ge- kommene Erkenntnis, dafs es eine berechtigte Weltlust giebt; Clemens hat gewifs im Leben nicht rigoristisch an der d/td&eia festgehalten, nur und selbst da nicht kon- sequent — in der Lehre, wie dies auch bei den Stoikern der Fall war; auch der Philosoph Philo hat in dieser Lehre geschwankt ^ ; aber mit Bewufstsein hat er nicht den Bann der antiken, intellektualistisch-asketischen Denkweise durch- brochen, vielmehr sich von ihr beherrschen lassen. Behauptet Philo von Moses, „er liebte nicht die ^levQiortad^eiay sondern die dndd^eia^^y so sagt Clemens von Gott, Christus, den Aposteln nach der Auferstehung, den alten Gerechten (seinen verehrten christlichen Lehrern ?), dem „Gnostiker", kurz von allen, die er hoch in Ansehen hält, sie seien d/tad^eig ^.

Clemens hat diese Lehre leicht mit der christlichen kom- biniert, dafs das Evangelium Ruhe und Frieden in Gott, Kraft und Leben durch Christus giebt So sagt er vom Logos-Pädagogus ^ : „Wie die leiblich Kranken des Arztes bedürfen, so brauchen die seelisch Schwachen den Pädagogas, damit er unsere TtdOiri heilt." Den christlichen Grufs elgiljinfi ooi fafst er auf als ein Anwünschen der dvaga^la^. Er unterscheidet zwischen der menschlichen, der hellenisch- philosophischen und der kirchlichen ey'AQdxeia. Die letztere lehrt „überhaupt nicht begehren: nicht dafs man sich der Begierde gegenüber standhaft zeigt, sondern dafs man sich ganz des Begehrens enthält". Er fügt hinzu: „Diese Ent-

1) II, 487. 2) II, 486.

3) Zell er, Die Philosophie der Griechen, III, 2, S. 400.

4) S. Winter a. a. 0., S. 63 und IIB; Str. VI, 775. Paed. I, 99. Vgl. auch Redepenning, Origenes. Bonn 1841. I, S. 181 f. 170 f.

6) Paed. I, 98. 6) ib. II, 203.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 497

haltsarokeit zu erlangen ist nicht anders möglich als durch Gottes Gnade." Aus Matlh. 7, 7 hat er dies heraus- gelesen *.

Vita activa und contemplativa.

Auch in diesem Punkte ist Clemens' Lehre nicht ein- heitlich. Er wurde von verschiedenen Seiten beeinflufst. Die Philosophie war aristokratisch. Das „philosophische", kontemplative Leben^ „die Abwendung vom Sinnlichen", „die Zurückziehung auf die reine Betrachtung" war Plato das Höchste; Aristoteles stellte das „philosophische" über das praktische Leben. Für beide war materielle Arbeit etwas Verächtliches. Das Christentum war von Anfang an demokratisch ; es adelte die Arbeit ^. Bei Musonius und £piktet finden wir das Vorurteil der Antike überwunden, „Nicht als eigene Ansicht ^ sondern als längst feststehende Erkenntnis spricht Epiktet es aus, dafs keine Arbeit^ sei sie auch noch so gering, den Menschen erniedrige" ^. Beide empfehlen als praktische Römer die landwirtschaftliche Ar- beit aufs wärraste *.

Clemens' Lehre trägt auch hier den Charakter der Über- gangszeit. Clemens ist von der Philosophie stark beeinflufst, welche geistige Tliätigkeit überschätzte; seine sittliche Auf- fassung ist aristokratisch^ aber auch demokratisch. Clemens hat mit der Philosophie das theoretische, philosophische Leben, die intellektuelle Thätigkeit sehr hoch geschätzt; letztere fuhrt zur höchsten Stufe der Vollkommenheit über die 7ciatig hinaus zur yv(boi<;'^ dafs der Intellekt über die Sinnlichkeit vollständig herrsche, ist das sittliche Ideal; das religiöse aber, endlos das wahre Sein zu schauen. Zu diesem Schauen kommt man durch intellektuelle Kontemplation und Askese. Ziel eines jeden ist die O^ecoola] es ist zwar nötig, richtig

1) Str. III, 537.

2) S. IThess. 2, 9. 4, Ilf.; 2Thess. 3, 8—12; Eph. 4, 28; iKor. 9, 14 f.; Zwülfapostellehre Kap. 12.

3) Bonhöffer, Die Ethik des Stoikers Epiktet. 1894, S. 73; cf. ib. p. 74 und 114.

4) ib. p. 73 UDd 115.

498 MARKGRAF^

im praktischen Leben zu handeln; &qia%0¥ di (pihxj<HpÜ9\ Man beachte die folgenden charakteristischen Sätze: ^^Die Armut zwingt, die Seele vom Notwendigen, die ^^s^ia meine ich , abzukehren und nötigt dazu, sich mit flrwerbs- thätigkeit zu befassen'' ^. y^Der Mensch ist in erster Linie für die Erkenntnis Gottes geschaffen; aber er widmet sich auch der Geometrie, Ökonomie und Philosophie'^ ^

Aber das Vorurteil gegen materielle Arbeit ist andrerseits gänzlich geschwunden; Clemens em- pfiehlt auch die gröbste Arbeit, für die Frau wie für den Mann ^. Man soll selbst arbeiten , nicht grofses Dienst- personal haben.

Zu beachten ist, dafs Clemens als wesentliches Charak- teristikum, selbst des Gnostikers, praktische Thätigkeit be- zeichnet, nicht nur einmal, sondern sehr oft Zwei W^ finden sich zur Vollendung des Heils, tqya tloi yyßkJig^. Die Schrift fordert uns auf, nach dem gnostischen Leben zu streben, durch That und Wort die Wahrheit zu suchend Wie der Glaube^, so erzeugt auch die Gnosis Werke*. „Die Werke folgen der Gnosis wie dem Körper der Schatten"'. Der Gnostiker ist unter Umständen verheiratet, sorgt für die Familie *^. Die ei/coita wird oft empfohlen und ge- priesen.

Berufsarbeit und religiöse Bethätigung werden als verein- bar vorausgesetzt. „Baue das Land, sagen wir, wenn du ein Landmann bist, aber erkenne Gott, während du das Land bebaust ! Segle, der du Lust zur Schiffahrt hast, aber rufe den himmlischen Steuermann an! Hat dich als Kriegs-

1) Str. I, 420. 2) IV, 573. 3) VI, 773.

4) Man lese das ganze Kapitel Paed. III, cap. 10; auch III, cap. 4 ; II, 219.

5) Str. IV, 581.

6) IV, 579; cf. IV, 612; VI, 779. 788. 792—794; VII, 696 u. ö.

7) V, 697.

8) VI, 774 : nQ/rj xal örifjuovQyög Tidarjg loyixijs nQti^fta^ ^ ^f&oii tYrj äv.

9) VIT, 882; cf. 874: ^ '^^Qaig ... nqodytav üg t/^ jf^g tvnoitci;

10) ib.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 499

mann die Erkenntnis erfafst? Höre den Heerführer, der Gerechtigkeit als Losung giebt ^'^ Dem Gnostiker ist das ganze Leben Gebet, Verkehr mit Gott*.

Man sieht, dafs Clemens' Anschauung unentwickelt ist; darum läfst sie auch, dialektisch beurteilt, unbefriedigt. Praktisch konnte Clemens nicht anders stehen. Er stand unter dem mächtigen geistigen Einflufs der philosophischen Tradition, er wie seine heidnischen Schüler. Dazu kommt, dafs er, der Antike folgend, geistige Bildung und sittliche Bildung identifizierte, Vergeistigung unter allen Umständen als Versittlichung ansah; femer, dafs „Philosophie'^ bei Clemens auch religiösen, theologischen und moralischen In- halt hat '. Dieser weite, umfassende Begriff der Philosophie erklärt leicht, dafs Clemens das philosophische '^ Leben sehr hoch schätzt.

Andrerseits mufste der Lehrer Rücksicht nehmen auf die grofse Menge der Christen, die mit der Hände Arbeit ihr Brot verdienen mufste: er mufste die materielle Arbeit für sittlich einwandsfrei erklären. Unterstützt wurde er dabei, wie gesagt, von der herrschenden Philosophie.

Wissenschaft und Kunst.

Nichts ist an Clemens so klar wie seine Stellung zur Wissenschaft. Die Wissenschaft war durch die gnostischen Schulen diskreditiert. Die grofse Menge sah sie mit Arg- wohn, ängstlich, feindlich an. Selbst Männer wie Tatian, Irenäus, Tertullian waren gegen sie. Clemens vertrat mit aller Entschiedenheit ihr Recht, ihren Nutzen, auch für den Christen. Darin steht er grofs und einzig da, wie ein Fels in den aufgeregten Wogen. Er hat die Gegner der Wissen- schaft bekämpft oder sie eines besseren zu belehren gesucht ^.

1) Protr. p. 80.

2) Str. VII, 854; cap. 7, Anfang.

3) Vgl. Faye, a. a. 0. S. 158f.; Winter, a. a. 0. S. 36flf.

4) Man lese den Anfang der Stromata; Str. VI, cap. 10. 11, auch Faye, a. a. 0. S. 126—137 und 177—184. Str. VII, 819: ovx äxonov xaX Trjv tfUoaotfCav Ix i^j ^iCag nQovolag ^(^öad-ai, ngonat- divovaav etg rrjv ^lä XgiaroO nXiCtoatv.

500 MARKGRAF^

In den Aulberungen über die encyklischen Wissenschaflen folgt er oft Philo \

Nicht 80 klar erscheint Clemens' Stellung zur Kunst; und doch ist er ein Freund der Künste.

Zunächst ein Freund der Musik. Diese rechnet er, wie seine Zeit überhaupt, zum vorbereitenden Wissen, zur ayviv'ikioq naidela, Sie hat erziehlichen Wert*; auch David hat musiciert *.

Die Poesie hat Clemens einer scharfen Kritik unter- zogen, wo es der Inhalt erforderte*; aber die Poesie schlechthin hat er nirgends verurteilt. Er hat wahrscheinlich selbst gedichtet. Er citiert gern die Dichter. Er weist darauf hin, dafs Paulus (Tit. 1, 12 f.) den Dichter Epimenides citiert, ohne Bedenken griechische Poesie mit benutzt hat^ Die Poesie enthält Wahrheit^, soll die Gebildeten zum tieferen Nachdenken und Finden der Wahrheit anregen, da- gegen die grofse Menge (nach der Absicht der Dichter) zer- streuen, vor ihr den tieferen geheimnisvollen Sinn, der in der Dichtung liegt, verhüllen'. Dichter haben, so meint Clemens , von den Propheten Theologie gelernt ® ; einzebe Vorstellungen soll die ganze poetische Muse wie die Philo- sophie aus der „barbarischen Philosophie" (= Christentum) entwendet haben ^.

Freilich für die litterarische oder künstlerische Form, fiir die ästhetische Seite hatte unser Philosoph kein Interesse; ihm kam es nur auf den Inhalt an, ob die Poesie „Wahr-

1) Str. I, 413; VI, 785; vgl. Winter, a. a. 0. S. 121, Anm. 1.

2) Str. VI, 785: um^ov üqu f4,ovaix^g etg xaraxacr/xijaiv ff^on X(tt xaTaaToXrjv.

8) VI, 784; sonst lies Protr. cap. 4; Paed. II, cap. 4; Str. I, 342. 376; VI, 780. 818.

4) Protr. cap. 7 und p. 52.

5) Str. 1,350: Paulus ... oifx fnata/vvirai TiQog t( oixoäofiTjtr xai TtQug IvxQonrjv dtuXfyo/Lievös rivuv ^EXXrjvtxolg avyj^Qffö^ai TioiTJiLiaac. Wahrscheinlich hat Clemens bei dieser Äufseruog die profse Menf^e der Altgläubigen im Sinne, die wohl der griechisch(3i Poesie gegenüber sich ebenso mifstrauisch und ablehnend verhalten mochte wie gegenüber der Philosophie.

G) ib. 7) V, 658 f. 8) ib. 9) V, 700.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 501

heit'% ,y Philosophie'^ enthielt, d. h. ob der Inhalt religiös, theologisch oder moralisch nutzbringend war. Darin war Clemens ein Kind seiner religiös gestimmton und auf das Praktisch-Ethische gerichteten Zeit.

Den Besuch des Theaters und der Rennbahn ver- wirft Clemens ^ wie die Schriftsteller der alten Kirche und auch heidnische, nicht aus asketischer Tendenz, sondern aus berechtigten sittlichen Bedenken. Dafs der Inhalt der Schau- spiele auch Gutes, Wahrheit '% enthält, verkennt Clemens nicht ^.

Dafs Clemens die Darstellungen der Malerei und Skulptur meist verwirft^, weil sie sittlich anstöfsig waren oder Götzenbilder darstellten, ist nicht ein Zeichen von Feindschaft gegen die Kunst an sich.

Allerdings hat er diese Gattungen der Kunst verworfen, aber nur aus religiösen Motiven, wie Justin ^ und Tertullian ^. Dasjüdische Bilderverbot war hier bestimmend ^ Clemens giebt dies selbst wiederholt als Grund an ^. Nach seiner Ansicht hat Numa, von Moses beeinflufst, bei den Römern das Bilderverbot erlassen ®. Py thagoras verbot Ringe zu tragen und Götterbilder einzugravieren, wie Moses in alter Zeit das Gesetz gab . . ." ^. Wirft Tertullian der Kunst Lüge vor, so Clemens Diebstahl ^^; ein gottloses Unter- fangen, das gestraft wird ^^ !

1) II, 465. Paed. III, 298 f.; II, 238. Protr. p. 79. Str. VU, 852.

2) Protr. cap. 7.

3) Protr. p. 50flf. Paed. II, 228; III, 289.

4) Dial. cum Tryph.

6) De spcctac. cap. 23 . . . ipsum opus personarum, quaero an Deo placeat, qui omnem similitudinem yetat fieri ...?

6) Exod. 20, 4.

7) Protr. p. 54. Paed. II, 258.

8) Str. I, 358. 9) V, 662. 10) a. a. 0.

11) Str. VI, 816. liier wird als Übertreter des 7. Gebotes bezeichnet 6 ^€Ta rßp t^ytav aifftfQiCofiivos ^ta t^/vtis fjroi TiXaarixfjg fj ygatftxfj^ xallfytov iavröv noirixipf ttvai tQv Cf^otv xal qvjOv,

12) ib. p. 817: „Wer sagt, er habe etwas von dem, was zur Schöpfung gehört, ersonnen oder geschafifen, wird büfscn für sein gott- loses Unterfangen.**

502 MARKGRAF^

Clemens selbst aber zeigt Sinn fdr das ästhetisch Schöne, wenn er sagt, es sei möglich, die wahre (= gute) Malerei von der gewöhnlichen, wahre Schönheit von der trügerischen zu unterscheiden ^; er hat ein Auge fUr die schöne Gestalt des Menschen ' wie für die schöne Landschaft '.

Es ist auch zu beachten, dafs er auf Siegelringen nicht jeglichen künstlerischen Schmuck, sondern nur die üblichen heidnischen und unsittlichen Embleme verwirft ^ ; an ihre Stelle sollen christliche Symbole treten, eine Taube, em SchiflF mit geschwellten Segeln u. s. w. *. Er verwirft also künstlerische Darstellung nicht schlechthin.

Wir kommen zur Kleinkunst, zum Kunstgewerbe. Prinzipiell spricht sich Clemens hier nicht aus. Er spricht nur über die Erzeugnisse dieses Kunstzweiges und zwar im 2. und 3. Buche des Pädagogus, wo er im Geiste, oft mit den Worten der herrschenden stoisch- asketischen Moral Einfachheit fordert, gegen Luxus und Prunksucht eifert, allen Schmuck verurteilt und nur das Notwendige gestattet Diese Moral belegt er mit Stellen aus den heiligen Schriften. Jesus selbst wird als Beispiel einer einfachen Lebensweise angeführt ^.

Von diesem Standpunkt aus verwirft er alle Erzeug- nisse des Kunstgewerbes. Der allgemeine Mifsbrauch, der mit ihnen getrieben ward, führte ihn wie die profane Philo- sophie zu dieser Moral.

Ehe und Familie.

Mit der schwierigen Frage: Ehe oder Ehelosigkeit? hat sich Clemens sehr eingehend beschäftigt und für die Ehe entschieden '.

Sehr vieles raufste gegen die Ehe stimmen. Die alte

1) VI, 818. 2) s. oben S. 491.

3) Str. VII, am Ende. 4) Protr. p. 53.

5) Paed. III, 289. 6) Paed. II, 190.

7) Ganz anders Origenes, z. B. Comm. in ep. ad Rom., p. 707 de la Rue: Qni ergo completis praeceptis addiderit etiam hoc, ut ?irgini- tatcm custodiat, non iam inutilis servus (Luk. 17, 10), sed servus bonos et fidelis (Matth. 25, 23) vociferetur.

CLEUKNS VON ALEXANDRIEN. 503

Kircbe war dem Cölibat günstig geatimait. Clemens fafst die herrachende Überzeuguug der Cliristen in dies Wort zu- BamlDen: „Wir preisen selig die Ehelosigke.'t und die, welchen dies von Gott gegeben iat; die Monogamie aber und das ehrbare Verhalten in einer Ehe bewundern wir" '. Die heidnischen Schriftsteller, Musonius auBgenommen , vertraten fast einstiroraig das ehelose Leben. Die Frauen waren zucht- los, sittenlos; darin stimmen die christlichen mit den heid- nischen Berichten überein. Dazu kam die sittliche Schwach- heit der Menge. „Die grofse Menge kennt nicht Enthalt- samkeit; dem Leibe leben sie, nicht dem Geiste" *. Clemens hat selbst das unsittliche Treiben beobachten können in der antiken Grofssladt ' und den Bäderu bei Alexandria *. Paulus' Rat * schien auch nicht l'ür die Ehe zu sprechen. Nur die Gnostiker, die fast alle, entweder streng asketisch oder zügellos 11 bertin istisch die Ehe beurteilten, reizten zu scharfer Opposition. Enkratitische Sekten behaupteten, dafs sie den Herrn nachahmten, der nicht geheiratet hat *. Andere warfen den ehelosen Christen vor, sie fürchteten nur die Mühe, die mit dem Erwerb des Lebensunterhaltes verbunden sei ', nicht ohne alles Reclif, wie die augeführte Stelle (Str. III, 542) zeigt. Die Polemik gegen sie finden wir im .3. Buche der Stromata und im letzten Kapitel des 2. Buches. Alles ver- fügbare Material verwendet Clemens gegen sie: sachliche Gründe und persönliche Leidenschaft, Citate aus der Lit- te rat ur. Wie kam Clemens zu dieser bewundernswerten, einzigartigen Stellungnahme? Mir scheint, die Irische ideale Begeisterung, mit der er das Leben in Ehe uud Familie schildert, giebt Grund zu der Annahme, dafs er ein gutes, glückhches Leben bei Eheleuteu gesehen hat; er spricht aus,

I) Su. Hl, 511. 2) 111, 532.

3) Mun lese Paed. III, cap. 3.

4) Ib cap. 5.

5} lEor. 7, 7; et Str. III, 542: ivJQi j-lvj) Jtü ffcoC ä^fiiSCttai AlXä titr (Ciaivös jif ihei 9H.'), oii^ algov/ifvo; itj»' Ttationotia* iiii ripi tr naiionottit 6a);oUav, Miv/jbi, ipijaiv 6 ünöatoi-o;, äynfio; äis *4r"-

6) Str. Ill, 533. 7) UI, cap. 2.

504 MABKGRAF,

was er selbst erlebt hat ^ W. Bomemann vermutet nicht mit Unrecht, Clemens sei selbst glücklich verheiratet ge- wesen. Clemens läfst dabei jedem volle Freiheit ' ; aber entschieden spricht er seine Meinung aus: ,,...in der That erweist sich einer nicht darin als Mann, dafs er ein ein- sames Leben erwählt, sondern der übertrifft die Anderen, der ohne Lust und ohne Schmerz (stoisch) die Ehe fuhrt, Kinder zeugt, für sein Haus sorgt und dabei immerdar in der Liebe Gottes beharrt und jeder Versuchung, die durch Kinder, Weib, Sklaven und Besitz kommt, Widerstand leistet" ^. Er weist auf Petrus und Philippus hin, die Kinder zeugten; Philippus hat auch seine Töchter verheiratet *; auch auf Paulus ^ Presbyter, Diakonus und Laie dürfen nach des Apostels Meinung heiraten, wenn sie in der Ehe un- tadelig leben ^. „Ehelosigkeit ist nicht tugendsam, wenn sie etwa nicht aus Liebe zu Gott erwählt wird" ^.

Für die zweite Ehe ist Clemens nicht; er schliefst sich mit diesem Urteil an Paulus an ** ; aber er ist dabei mild, duldsam. Die Gefahr der Sinnlichkeit hat Clemens nicht aufser Acht gelassen ^; awffQÖviog soll man sich in der Ehe erfreuen *^ Man beachte das Wort: Der Herr trennt nicht notwendig von der Kinderzeugung *^; hier scheint die naidonoita ihm im Grunde genommen nicht wohl vereinbar mit dem Evangelium. Redepenning fafst zusammen **: „Auch

1) Man lese Stellen wie Paed. II, 212; III, 293. 277. 283. 288.

2) Str. III, 541: xvQiog exaaTog rjjLißv Tvy/ävei rrjg Titol r^xiixir yovfjg alQ^ahiog. Ib. der Herr meint: Iff rjutv itvai ... ijroc rrjv (y'XQfi- Ttiav fi xttl Tüv ydfÄOp; cf. III, 550.

3) Str. Vll, 874 4) III, 535. 5) Ib. und IV, 606 f. 6) III, 552. 7) III, 534.

8) III, 511. 548. Origenes war hierin viel schroffer; „er klagt über solche, die sich zum dritten, vierten und fünften Male verheirateten und doch in der Kirche blieben.'*

9) Paed. III, 302; cf. auch II, 227—231.

10) II, 212; cf. Str. III, 546: ... fiUCova a^{av Iv &((fj aiid; iaiT(p motTioii^atrai, xa&aQdg itfia xa\ kiloy io fJLivtog iyxQti- r ( V a (i fi i V o g.

11) III, 548.

12) a. a. 0. S. 180, nach Str. VI, 790; IV, 631.

CLEMENS VON ALEXANDBIEN. 505

darf man in der Ehe leben, wenn man ohne alle sinnliche Neigung, allein um der Ordnung Gottes willen, zu Erhaltung des Geschlechts, sie vollzieht und einer völligen Enthaltung den Vorzug läfst."

Clemens' wesentliche Meinung ist klar: er ist nicht ftir die Virginität; er ist nicht Asket.

Staat und Vaterland.

Clemens stand dem politischen Leben nicht so schroff ablehnend gegenüber wie Tertullian und Origenes. Ersterer meinte, dem Christen liege nichts ferner als die Politik; letzterer „hält Kriegsdienst und obrigkeitliche Amter für den Christen unpassend''; er höhnte über das Staatsamt, das das Recht gebe, anderen die Köpfe abzuschneiden, nannte es vielmehr eine Schande als eine Ehre. Die ältesten Christen waren gleichgültig gegen das politische Leben. Ihr Sehnen war auf das himmlische Vaterland und die Parusie gerichtet ; sie waren eschatologisch gestimmt. Aufserdem brachte das obrigkeitliche Amt seine Träger mit heidnischem Kultus in Berührung; das war zu meiden. Matte Nachklänge der urchristlichen enthusiastischen Jenseitigkeitsstimmung finden wir hie und da bei Clemens ^ „Deshalb haben wir kein Vaterland auf Erden, damit wir den irdischen Besitz ver- achten" *. Aber im wesentlichen war es philosophische, stoische Asketik, die ihn lehrte, das irdische Vaterland und das politische Leben zu verachten. Diese Asketik legte er in die heiligen Schriften hinein. „Deutlich zeigt der Herr an Abraham, dafs der, welcher Gott gehorcht, Vaterland . . . verachten soll; er machte ihn zu einem Fremdling"*. Jo- hannes wandte sich ab von der TtoXizi/Jj dXaLOveia, ging in die Einsamkeit der Wüste, verkehrte in Ruhe mit Gott, fern von dem eitlen Treiben*. Matth. 19, 29 (Wer verläfst Vater oder Mutter...) wird dahin ausgelegt, man solle alles

1) Str. IV, 642. Paed. III, 311. 310. 293. Protr. p. 85. Bür- gerinnen des göttlichen Staates; Bürger des Himmels; der Himmel das Vaterland, Gott der Gesetzgeber.

2) Paed. III, 278. 3) III, 259. 4) III, 237.

33*

506 MARKGRAF,

verlassen diä ä7tQoa7cad^Cii; ßiotv. Unter Mutter versteht Clemens das Vaterland, unter Väter die vd^ioi (oi7U)v6fiOt?) 7toki,Tiy.oi. ;,Dies mufs der grofsinütige Gerechte gern ver- achten, um Gott Freund zu werden" ^ In einer poetischen Schilderung in Piatos Theätet findet er ein Bild des Leb^u der Christen, der wahren Philosophen, entworfen: „Sie kennen den Weg zum Markte nicht, nicht das Dikasterion oder Buleuterion oder irgendeine andere Versammlung i&c Stadt. Gesetze und Resolutionen sehen sie nicht, hören sie nicht . . . Ob sich etwas Gutes oder Schlimmes in der Stadt zugetragen, ob einem seiner rrgöyoroi ein Unglück zugestofflen, ist ihnen unbekannter als die Zahl des Sandes am Meere../' ^ Die Gerichtsstätten werden wie die Theater als Sitz des Ve^ derbens bezeichnet, weil man dort den bösen und den schimpf- lichen Mächten folgt und an deren Werken teilnimmt l Der Idealgnostiker „nimmt hier an diesem Leben teil als an etwas Fremden, soweit er eben mufs"*. „Dieser ist ganz Fremdling und Pilgi^im im ganzen Leben; er wohnt im Staate, verachtet aber die Angelegenheiten des Staates, die andere bewundem, und er lebt im Staate wie in einer Einöde... "^

Man sieht an fast allen angeführten Stellen, wie in Clemens' Bewufstseiu die Idee der philosophisch -asketischen Weltflucht mit der christlich-religiösen Weltflucht, dem Ge- danken: wir sind hienieden Fremdlinge und Pilgrime, gana zusammenfliefst ; er nahm keinen Unterschied wahr; bei Plato findet er das christliche Leben geschildert; in die biblischen Schriften trug er philosophische Asketik ein.

Wenn er weiter Matth. 22, 21 als Norm für das politische Verhalten des Christen Linsteilt ^, so giebt er keine Aus-

1) Str. IV, 670. 2) Str. V, 706. 3) VII, 877.

4) p. 879; ib.: ndvrcjv tQv iv raO&a xaTafityaXofpQovCiv . , , iv- awiCSriTog nQÖg t^v i^oSop xai &il itotfiog üv, wg &v nttQfndf^og xal ^(vog (Eph. 2, 19) xQv rgcTc xkrjQOvofirjf^aTiav , fAOvov jQv M/wr fjLffivrjfi^vog ' Ta dk tvraOd'a nävra akXÖTQia ^yovfifvog.

5) p. 878; es heilst dann weiter: ö yvfoarixdg ovrog avtfdorn eimiv rriv an oaroktxriv anovolav avravankrjgoi.

6) Paed. III, 306.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 507

legUDg; der Slatei-, der dem Zöllner gegeben wird, hat ver- schiedene Bedeutung, aber Clemena gelit niclit näher auf diesen Punkt ein '. Sicher hat er unter dem, was man dem Kaiser geben soll, niclit mehr verstanden als Steuern zahlen und paaaiven Gehorsam, nicht revolutionieren. Auf Gleich- gültigkeit der Christen gegen das ätast3oberhau{)t und das Staatsleben Ittfst vielleicht auch die Stelle Paed. I, 149 Bchliefäen ^

tifitzc, die auf ein gewisses Interesse am Staate schliefsen lasscu, wie die: man mufa heiraten um des Vaterlandes willen ", damit die Staaten nicht durch Entvölkerung zu Grunde gehen *, sind der philosophischen Litteratur ent-

Clemeus ist, sagten wir, nicht so schroff ablehnend, wie Tertullian und Origenes gewesen; er versichert wenigstens, der Gnostikor sei geduldig, thue nichts fiir das Gemeinwesen Störendes, er sei vorsorglich ^ Kloses hat einem Staatswesen gedient ". Clemens rechnet sogar mit der Möglichkeit, dafs der Gnoätiker zu Ötaatsämtern berufen wird und sie an- nimmt '. Zu dieser relativ treuudlichen Stellung unseres Lehrers trug wohl auch der Umstand das Seine bei, dafs längere Zeit die Christen im grofaen und ganzen von Ver- folgungen verschont gebheben wai-en, während TertuIHan und Origenes nach dem blutigen Jahre 202 schrieben.

Also Clemens war gleichgültig gegen das politische Leben wie damals alle Christen, er verachtete es infolge allgemeiner philosophischer Welt Verachtung ; aber er war freundlicher als BOnat die Christenheit vor ihm und zu seiner Zeit.

1) 11, 173, rgl. Matth. 17, 37.

2) EbrfurcLt „ecigcn Bürger gegen pute Klllirer und wir gegen Gott".

3) Str. II, B04-

i) U, 505. 5) VI, 773.

e) II, 421.

7) VII, 85ö: iixuajiit fü» d löyo; «uij . . . yivö/xmis; besonders VII, 837 „vrenn or iii cioe amtliche Siellunfr boüifun werden sollte, wird er wie Moses zum Wohle der Untertbanen gebieten . . ."; Paed. XII, 26S: il . . . i(oi xal ^ftäc tfinoUTivo/tfroft . . .

J

508 MARKGRAF;

Luxus.

Den Luxus verwarf Clemens unter dem Einflüsse der stoisch- asketischen Moral , die seine Zeit beberrschta Hun- derte von Beispielen lassen sich dafür im zweiten und dritten Buche des Pädagogus anführen. Er dringt auf Einfachheit: Nur das Notwendige ! ist sein Grundsatz für Haushalt, Klei- dung; Speise und Trank.

Pasten und Easteiung.

Eine Sonderstellung in der alten Kirche nimmt Clemens in seinem Urteil über das Fasten ein. Das Fasten war Sitte in der Kirche, bei Enkratiten, Montanisten; bei gnosti- schen Schulen; Origenes hat sich freiwillig aufs strengste kasteit; auch die Philosophie forderte Elasteiung.

Clemens hielt nichts vom Fasten und Kasteien. Gegen enkrati tische Sekten argumentiert er: ^^Auch die Verehrer der Götzen enthalten sich der Speise und des Liebesgenusses. Das Reich Gottes aber ist nicht Essen und Trinken (Rom. 14; 17). So wie die Demut sich durch Sanftmut offen- bart; nicht aber durch Kasteien des Körpers (xazot'X'ö <yw- fiavog), so ist auch die Enthaltsamkeit eine Tugend der Seele ; nicht im Aufsern, sondern im Innern gegründet'* ^ Stellen aus dem Neuen Testament; welche das Fasten als bedeutungslos hinstellen; werden citiert *. Zwischen diesen Citaten finden wir den Satz: ädid(fOQog liqa t) qcoiAf) XQ^i^^'^ Tfjg TQoq>?jg. Aus Act. 10; 10 ff. wird gefolgert: ^jf.uv . . . döidcpOQog fj xQf^oig^. Jes. 58 wird angeführt; wo anstatt des leiblichen Fastens sittliches Verhalten gefordert wird *. Unter Fasten versteht Clemens in Tob. 12, 9 Enthaltung von allem Bösen, in That, Wort und Gesinnung *.

Er ist konsequent in der Ablehnung des Fastens. Was

1) Str. III, 533.

2) Paed. II, 1G9 cltiert Clemens IKor. 8, 8. Mattli. 15, 11. 1 Kor. 9, 4. 3) II, 175. 4) III, 305.

5) Str. VI, 791: vriaxhlat öi anoxag xaxGiv /xrjtfvovai ndvxtav . . . cf. VII, 877. Eingehende Vorschriften über Speise und Trank findet man Paed. II, cap. 1.

CLEMENS VON ALEXANDUIEX. 509

den Genufs von Fleisch und Wein betrifft, so meint Cle- mens trotz Rom. 14, 21 und gegen die Verwerfung der Pythagoreer, der Genufs sei keine Sünde ; man soll nur Mafs halten ^ Allerdings erregt das Fleisch sinnliche Lust , es verfinstert die Seele, den Verstand *. Der Wein ist gut als Arzenei, zur Erheiterung und Anregung, besonders für das Alter ; die Jugend soll ihn meiden ^. Wasser wie Wein sind Schöpfungen Gottes \ Clemens stimmt dem Satze zu : Der Wein ist als eine Freude für die Seele und das Herz von Anfang an erschaffen . . ." \ „Gegen die sogen. En- kratiten" wird festgestellt, dafs der Herr selbst Wein ge- trunken hat; Wein segnete er bei der Einsetzung des Herren- mahles. Auch auf Luk. 7, 34 wird hingewiesen ^ Clemens bewundert die, welche ein strenges Leben gewählt haben und sich mit Wasser begnügen ^. Er sah also darin eine anerkennenswerte sittliche Leistung, etwas Aufsergewöhn- liches.

Über den Schlaf lehrt Clemens asketisch®. Was Ori- genes später that, lehrte Clemens : man soll sich vom Schlaf möglichst viel abkargen, in der Nacht schon aufstehen, nachts sich häufig vom Lager erheben und Gott preisen, den gröfsten Teil der Nacht hindurch wachen, bei Tage nicht schlafen *. Die Asketik ist philosophisch, Plato wird entweder ausdrück- lich als Gewährsmann genannt oder stillschweigend aus- geschrieben ohne Angabe der Quelle. Odysseus' und Jakobs Beispiel, wie Luk. 12, 35 37 werden in asketischer Ten- denz verwendet *®. Clemens lehrt hier in manchem nicht anders als z. B. Cicero »^ In Stellen wie Spr. 8, 34, iThess.

1) II, p. 170 sq.

2) Ib. Str. VII, 849. 850, cf. III, 550.

3) Paed II, 179. 180.

4) Ib. 5) p. 180. 6) II, 186. 7) II, 178.

8) Das neunte Kapitel von Paed. II behandelt diesen Gegenstand.

9) Man lese Paed. II, cap. 3, p. 217-220.

10) Die Stelle aus Homer, Iliade 11: ov xqh ^ttwvxiov iviiiv ßov XrjffÖQov ävdqa Ändert Clemens dahin um: ov xQh nawvx^ov ivSitv jovq ivoixov txovtag röv koyov töv iyQi^yoQov.

11) De sencctute cap. 22: ... videtis nihil esse raorti tarn simile quam somnum etc.

510 MAUKQRAF,

5y 5 8y Luk. 12; 35 ff. u. a. hat er die antike Asketik hin- eingelegt; sie hat er in jenen zu finden geglaubt ^

Der irdische Besitz und freiwillige Armut.

Soweit Clemens im Banne der stoisch-asketischen Philo- sophie stand; lehrte er Verachtung alles Irdischen, Sinn- lichen ; man soll den Besitz verachten ; aufgeben ^. Diese asketische Moral fand er in den heiligen Schriften ^.

Soviel man braucht , soll man besitzen. ,;Da8 Hafs fiir den irdischen Besitz ist für jeden das körperliche Bedürfnis wie fUr den Schuh der Fufs^' ^. Reichtum bringt sittliche Gefahr; er ist; ;; nicht gut verwaltet; eine Akropolis der Sünde ^'^ ;; Traget keinen Seckel; keine Tasche ; keinen Schuh ^'; sagte der Herr; ;;d. h. erwerbet keine Reichtümer; die man nur im Geldsack aufhebt! Füllet nicht eure Scheunen wie der Säemann seine Tasche; sondern teilt den Dürftigen mit!''^ ;;<^ls beste Lehre mufs man stets diese anpreisen : Der gutC; der weisC; der gerechte Mann sammelt Schätze für den Himmel. Er entäufsert sich des irdischen Gutes und schenkt es den Armen'' ^.

Die Frage: Besitz oder Armut? war damals aktuell. Freiwillige Armut wurde gefordert. Die Gegner wandten ein: ,;Wer geniefst den Reichtum, wenn alle die Armut wählen ? " Clemens erwidert : Die Menschen; wenn sie xw^'5 fCQogrcaO^eiag vial diacpogdg den Reichtum gebrauchen ^. En- kratitische Sektierer sagten, dafs sie den Herrn nachahmten, der nichts Irdisches besessen habe (Str. HI; 533). Anderen wurde bange um ihr Seelenheil ; Clemens sucht diese Reicben, die (von Gott) „berufen" sind, zu beruhigen und ihnen durch Erklärung der Aussprüche des Herrn zu zeigen, „dafs ihnen

1) II, 218.

2) III, 278; II, 191; II, 243.

3) Paed. III, 259; Str. IV, 570: änokimtv . . . ova{av xa\ xrijatv näaavt Siä ängoanad^dg ßioöv . . . & 6^ vniQonxiov . . .

4) Paed. III, 277.

5) II, 191. 6) III, 276f.

7) III, 274.

8) II, 243.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 511

das Erbe des Himmclreicha nicht vollständig abgeBchaitten ist, wenn sie den Geboten gehorchen" '.

Cleinens hat in seiner Beurteilung des Rcicbtums eine Wandlung durchgemacht in der Zeit zwischen der Abfassung des Pfldagogua und der Homilie T/g i5 aai'^öfi Evoi; rcXoiaiot;. Im Pädagogus erkennt er den Reichtum nur in einer Hin- sicht aU berechtigt und gut au: wenn man ihn benutzt, um den Almen zu schenken. Auf diese soziale Seite hat er grofses Gewicht gelegt*, wie Musonius, dem er selbst hie und da gefolgt ist (z. B. Paed. III, 243). Aber der Ein- flufs christlichen Geistes, die in der Praxis unter den Chri- sten geüble Liebestbätigkeit tritt gerade hierbei zu tage, und zwar im Pädagogus, in den Slromaten wie in Quis div. flalv. Mit warmem Herzen kommt er immer wieder auf diesen Punkt zu sprechen. Almosengebcn ist ihm verdienst- lich ^ nach Stellen wie Matth. lU, 11, Luk. 16, y*, Spr. 13, 8 ", Matth. ly, 21 « u. a.

In Quis div. salv. wendet er eich an die Heichen. Diese mufsten allerdings durch die in Paed. II u. III vorgetragene asketische Mornl beunruhigt sein. Es gab Debatten '. Die in Verwirrung geratenen Keichen bedurften der Beruhigung, der Autklärung über die Aussagen Jesu. Wer sollte sie geben? Kein anderer als Clemens schien dazu besser ge- eignet. So entstand die Homilie Quis div. salv , die aus- geht von Matth. td, der Geschichte vom reichen Jüngling. Hier führt Clemens aus, dafs nicht der Reichtum an sich, sondern die innere Gebundenheit an diesen vom Heile trennt. Schlagende Grunde gegen die freiwillige Armut fuhrt er ins Feld. In Matth. 19 beüehlt Jesus nicht den Reichtum auf- zugeben, sondern die Sucht nach Reichtum. Käme es auf die Armut an, dann wären die Bettler die GottgeltlUigsteu. Auch ist es nicht etwas Neues, den Reichtum aufzugeben;

1) Quis div. salv., cap. 3. 4.

2) Paed. II, 173. 242. 243; 111, 274. 275. 277 i

3) III, 277. 274. Quis div. aalv., cap. 31 sqq. i) Ib. cap. 31.

6) Paed. III, 277. 6) p, 274. T) Das ersieht maa aus 11, 242f.

512 MARKGRAF,

das bat ein AnaxagoraS; ein Demokrit; ein Krates auch ge- than ^ Wer in materieller Not ist; wird schliefsiich am Geist gebrochen '. Wer kann noch Almosen geben , wenn keiner mehr etwas hat?^ Man darf nicht den Reichtum beschul- digen; dieser ist weder gut noch bösC; er ist unschuldig; auf den Menschen kommt es an, wie er ihn gebrauchte In den Stromata hat Clemens schon vorher der sittlichen Gefahren der Armut gedacht ^.

Clemens' Aussagen über den Reichtum zeigen eine £nt- Wickelung seiner Lehre, die zusammenhing mit dem praktisch- pädagogischen Bedürfnis: den Reichen, die als An&nger Clemens hörten, empfahl er entschieden (stoisch - asketische) Weltverachtung, Verachtung, ja Entäufserung des Besitzes; 80 im Pädagogus. Später, in den Stromata, lehrt er eben- falls Weltverachtung, Aufgeben aller Habe; aber er beachtet doch andrerseits wenigstens an zwei Stellen, dafs auch die Armut Nachteile hat ^. In Quis div. salv., wo er sich an die zu Christen gewordenen Reichen wendet, die durch die stoische Asketik die Clemens für christlich (biblisch) ausgab beängstigt waren, in Quis div. salv. zeigt er ein- gehend die Wertlosigkeit der freiwilligen Armut, dafs der Reichtum an sich nicht das Heil der Seele raubt

Asket ist Clemens geblieben, auch in dieser Schrift, in- sofern er „über eine negative Stellung zu der Sinnlichkeit und den irdischen Gütern nicht hinauskommt". Er kennt den Reichtum auch hier nur dann als berechtigt an, wenn er im Dienste der Wohlthätigkeit verwendet wird; sodann kehren die stoisch- asketischen Gedanken des öfteren wieder: Sei innerlich gänzlich frei von aller Leidenschaft, die aut irdisches Gut gerichtet ist, sei ein Herr des Reichturas; die Vernunft herrsche über die Leidenschaft ! * Anknüpfungs- punkte an die christliche Moral boten Clemens leicht Stellen

1) Quis div. saly., cap. 11.

2) Ib. cap. 12. 3) cap. 13.

4) cap. 14. Man lese überhaupt cap. 11—20.

5) Str. IV, 577: ov ^övov nXovxov . . . aXkä x«l mvCag r^ fih <f4Q0VTi fAVQitti (f'QOvriJeg, cf. p. 573.

6) Siehe z. B. Quis di?. sah., cap. 14. 15. 16. 20. 21.

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 513

wie Phil 4, 12 *, Matth. 5, 29 *. Einen Nachweis im einzelnen zu führen, inwieweit christliche, inwieweit philosophische Ideen auf Clemens hier eingewirkt haben, ist nicht möglich. Beide fliefsen unmerklich zusammen, gehen ineinander über. Cle- mens schied nicht; in seiner Moral sind beide zu einer Ein- heit verschmolzen, verflochten.

Über Darlehen und Zins lehrt unser Kirchenvater jüdisch-philonisch ^.

Schlufs.

Nichts wäre leichter, als in Clemens' Lehre eine Menge von Widersprüchen aufzuweisen. Wir sehen davon ab. Schwieriger ist es, Clemens als Persönlichkeit psychologisch zu verstehen. Wie konnte er so viele Widersprüche in seiner Person vereinigen?

Er ist weltfreundlich, hat Sinn für Kunst und Wissen- schaft, hat ästhetischen Sinn, Gefühl und Verständnis für das Leben in Ehe und Familie, für Geselligkeit; er ver- urteilt Fasten und Kastei ung, wendet nichts ein gegen Fleisch- und Weingenufs, ist nahe daran, eine gewisse Weltlust als berechtigt, gut anzuerkennen, bekämpft die enkratitischen Sekten, die das chelose und arme Leben des Herrn nach- zuahmen behaupteten, sowie die grofse Menge, welche der Wissenschaft abgeneigt war. Dabei lehrt er andrerseits Welt- flucht, Welt Verachtung, einfaches, bedürfnisloses, streng -as- ketisches Leben, Gleichgültigkeit gegen das öffentliche Leben.

Es ist kein Zweifel,, dafs unser Autor weltfreundlich ist, das Kultur- und soziale Leben sympathisch, wohlwollend be- urteilt. Wo er als Mensch seinem persönlichen na- türlichen Empfinden Ausdruck giebt, ist er welt- offen; er ist Asket, wo er als wissenschaftlicher Lehrer im Bannkreise der griechischen Philo- sophie, ihrer Lehre oder ihrer Stimmung steht.

1) cap. 20 Anfang.

2) cap. 24.

3) Str. II, 473; cf. ib. Pottcrs Note 1; Paed. I, 154 wird vom Christen gesagt: „sein Geld wird er nicht auf Zinsen leihen und ein Hehr wird er nicht nehmen,"

514 MARKGRAF,

Diese dachte von Plato bis zum Neuplatonismus nach den Eategorieen Vernunft: Sinnlichkeit; Geist: Materie; das sitt- liche Streben ging aus auf Herrschaft der Vernunft über die Sinnlichkeit; des Geistes über die Materie ; der Seele über den Leib.

Clemens war in der Kirche der erste, der ein wissen- schaftliches System der £thik aufzustellen versuchte; die kirchlichen Schriften vor ihm dienten einem praktischen Interesse; der Apologetik oder Polemik. Clemens wollte für Gebildete schreiben ; er mufste versuchen, ihren Wissenschaft^ liehen Ansprüchen gerecht zu werden. Er hat nicht blols mit klarem Bewufstsein die antike Litteratur verwendet; er hat mit ihrem wissenschaftlichen Apparat, ihren Be- griffen und Kategorieen des Denkens gearbeitet Seine wissenschaftliche Weltanschauung war die der Philo- sophie seiner Zeit. So hat er die Philosophie in die Kirche verpflanzt und ihr in der Kirche Geltung und Recht ver- schafft. Mit Hilfe der allegorischen Auslegung hat er dann die antik-asketische Philosophie in den kirchlichen Schrillen finden können. Er hatte um so weniger Ursache, über diese Verquickung Bedenken zu tragen, als ihm die Philosophie nur graduell, nicht prinzipiell von der christlichen „Philo- sophie", dem Christentum verschieden war; auch die grie- chische Philosophie war ihm eine, wenn auch unvollkommene Offenbarung Gottes. Er achtete, dem synkretistischen Zug der Zeit folgend, nicht auf das Trennende, die Unterschiede, sondern auf das, was ihm als das Gemeinsame erschien.

Clemens hat wohl das Unzulängliche der antiken intel- lektualistischen Denkart dunkel gefühlt ^ , aber nicht klar

1) Am besten zeigt dies Str. IV, 573, wo Clemens „licbtig folgert, dafs weil manche Affekte sittlich yerwerflich scieo, nicht dieser an sich selbst gut sein könne, sondern das Wissen, wodurch die Billigung und Verwerfung des Affekts bestimmt wird", aber er hält „[den darin be schlossencn Gedanken nicht fest, dafs der Affekt an sich sittlich in- different ist . . .*'. Winter a. a. 0. S. 65; und II, 487, wo er argu- mentiert: „wenn wir manche der tj^ovai annehmen, andere fliehen, so ist nicht jede ij^ovi] etwas Gutes**. Den hier sehr nahe liegenden Schlufs, dafs es eine berechtigte ij^onj giebt, hat er nicht formell

CLEMENS VON ALEXANDRIEN. 515

erkannt, geschweige denn diese Denkart überwunden, in der er aufgewachsen war. Praxis und Theorie gingen bei ihm weit auseinander. Im Leben war er sicher weltoffen; aber ebenso sicher Asket, sobald er als Philosoph lehrte, sich als Philosoph fühlte, wissenschaftlich dachte, wenn ihn nicht wie in der Auffassung des Begriffes „Welt" und in dem Urteil über das eheliche Leben der Gegensatz zur As- ketik enkratitischer Sekten trotz der Philosophie auf anti- asketische Bahnen wies.

Vorstehende Untersuchung soll nicht mehr sein als ein kleiner Beitrag zur Geschichte der Entstehung des Mönch- tums, soweit der Einflufs der alexandrinischen Religions- philosophie in Betracht kommt. War Clemens wie seine Nachfolger an der Katechetenschule Asket, ein Vorläufer des Mönchtums? auf diese Frage suchten wir im letzten Grunde eine Antwort.

Das Ergebnis ist : Clemens war so weltfreudig, weltoffen, wie kein anderer Vertreter der alten Kirche. Trotzdem hat er dem Mönchtum den Weg gebahnt. Er war Asket, im wesentlichen insofern und insoweit als er im Banne der antik- philosophischen Denkweise und Stimmung stand.

gezogen. Das antik-pbilosopbische Axiom, dals jeder Affekt Terwerflich, nur die Vernunft und yernunftgemäfses Leben sittlicb berecbtigt ist, hat ihn daran verhindert.

Cliiny und Macon.

Ein Beitrag zur Geschichte der pKpstlichen

Exemtionsprivilegien.

Von Dr. A. Hesse! in Göttingen.

Die interessante Frage nach der Entwickelung der päpst- lichen Exemtionspriviiegien ist his heute ungelöst. Von vornherein darf mau annehmen; dafs die Intentionen des Ausstellers und der Wunsch des Empfängers die treibenden Faktoren gewesen sind. Wie aber im einzelnen Falle der eine stärker, der andere schwächer gewirkt hat, wie, mit anderen Worten, die Machtansprüche Roms und die lokalen Interessen der Klöster u. s. w. in Wirksamkeit getreten, darüber wird eine endgültige Entscheidung erst möglich sein, wenn einmal die Urkunden der Päpste gesammelt und ge- sichtet vorliegen, wenn ferner die Rechtswissenschaft noch mehr, als bisher geschehen, die praktische Anwendung des Rechts in den Kreis ihrer Betrachtung gezogen. Wenn den- noch im Folgenden die Dai-stellung des Kampfes eines Bllosters mit seinem Diözesanbischof versucht wird, so geschieht es in der Überzeugung, dafs die Bedeutung Clunys und die Fülle des zu Gebote stehenden Materials auch eine vorläufige Lösung des Problems wünschenswert erscheinen lassen.

Schon der fürstliche Stifter hatte Cluny unter den päpst- lichen Schutz gestellt ^ Einundzwanzig Jahre später erfolgte

1) Vgl. Sackur, Die Cluniacenser I, 41.

CLUNY UND MACON. 517

die BestätigUDg durch Johann XI. , ohne dafs die Rechte der Abtei gegenüber dem Ordinarius näher berührt wurden ^. Erst Gregor V. erliefs folgende Bestimmung: ^^ut nullus episcopus seu quilibet sacerdotum in eodem venerabili coenobio pro aliqua ordinatione seu consecratione ecclesiae presbyte- rorura vel diaconorum missarumve ceiebratione nisi ab abbate eiusdem loci invitatus fuerit venire ad agendum praesumat sed liceat monachis ipsius loci cuiuscunque voluerint ordinis gradum suscipere ubicunque tibi tuisque successoribus pla- cuerit^' '. Da bisher und auch in der nächsten Zeit die Beziehungen Clunys zu Macon nur günstige waren ^^ so hat Weifs * wohl recht , wenn er den Vorgang aus der Politik des Papstes erklärt.

Erst im Jahre 1025 brach zwischen Erlöster und Bischof der Streit aus. Auf der Synode von Anse ^ klagte Macon de Burchardo Viennensi archiepiscopo qui sine licentia et assensu suo contra canonum statuta ordinationes de monachis fecerat in episcopatu suo scilicet in Cluniacensi coenobio. Als der Abt sein päpstliches Privileg ® vorlegte, erklärte die Versammlung die Bulle als den Kanones widersprechend und darum &Xr wirkungslos. Abt Odilo reiste zwei Jahre später nach Rom ^ und erwirkte bei Johann XiX. zwei Briefe; an den Erzbischof von Lyon und den Bischof von Macon ; die den Unwillen des Papstes über die voran- gegangenen Ereignisse ausdrücken ^, dann ein Schreiben an

1) J-L 3584, Bernard et Bruel, Recueil des cbartes de Glun}', nr. 391.

2) J-L 3896, Bruel nr. 2312.

3) Sackur II, 190 und 1.

4) Die kirchlichen Exemtionen. Berner Diss. 1893, 52 und 3.

5) Die Akten beiServetius, Historia Lugdunensis archiepiscopatus (=s I), Lyon 1627, 200; Ragut, Cartulaire de S. Vincent de Macon, Macon 1864, 304 (vgl. hier und im Folgenden auch XLIff.); vgl. Sackur II, 189ff.; Hefele, Konziliengeschichte IV, 680; Brefslau, Konrad II., I, 147; Ringholz, Odilo von Cluny (Studien zum Bened. Orden 1884), 295 ff.

6) Nämlich das Gregors V.

7) Vgl. Sackur II, 192.

8) J-L 4082 und 3, Bruel nr. 2786 und 7; an Lyon: Gauslenum

518 HESSEL,

den französischen König; das Klage fuhrt über das Ver- halten der Bischöfe qui . . . mutilos opponunt canones vide- licet nescio quorum conciliorum decreta . . . ignorantes . . . quod . . . sanctae sedis decreta . . . sunt . . . veneranda ut

tanquam regulae canonum hoc Privilegium apo-

stolica auctoritate filio nostro charissimo Odiloni et sibi snc- cedentibus in perpetuum facere voluimus quod vestrae no- bilitati . . . mittimus ut . . . praeceptoque regali . . . firmetur K In dem hier erwähnten Privileg, das zwar, wie die drei obigen Stücke, die Datierung nicht bewahrt bat, aber nach dem 26. März 1027 verliehen sein mufs, werden zuerst die von Gregor V. verliehenen Rechte wörtlich wiederholt, dann hinzugesetzt: „Interdicimus autem sub simili anathematis promulgatione ut isdem locus sub nullius cuiuscumque episcopi vel sacerdotis dcprimatur interdictionis titulo seu excommoni- cationis vel anathematis vinculo. Non enim patitiir sanctae sedis apostolicae authoritas ut ullius cuiuscumque persoDae obligatione proscindatur a se cuilibet concessa liberalis libertas neque ipsius loci fratres ubicumque positi cuiuscumque epi- scopi maledictionis vel excommunicationis vinculo teneantar astricti. Inhonestum enim nobis vidctur ut sine nostro iudido a quoquam anathematizetur sanctae sedis apostolicae filios veluti cuiuscumque subiectae ecclesiae discipulus. Si qua vero competens ratio ad versus eos queraquam moverit et hoc aliter determinari vel diffiniri nequiverit iudicium apostolicum quod nuUi praeiudicium pretendere patitur super hoc patienter prestoletur et humiliter requiratur" *, Die Veranlassung zu

Matisconensem suffraganeum vestrum Cluniacensis monasterii nostri ordinationem et consecrationem avide cootra privUegia apostolica usur^ pare quaerentem . ..; an Macon: Coenobium ... commoTes ... abbaten appetis fratres . . . sollicitas apostolica priyilegia cassare contendis.

1) J-L 4081, Bruel nr. 2785. König Robert kam dem Wunsdie •des Papstes nach: (Bruel nr. 2800) ... notum esse Yolumus quod Cla- niacense coenobium per precepta regum et antecessorum nostronim et per piivilegia apostolica ab omni inquietudine yel dominatu omniaii bominum est absolutum.

2) J-L 4066, Bruel nr. 2806. llinscbius' (Kirchenrecht V, 972) Behauptung: Der Sprachgebrauch der Urkunde entspräche nicht dem 11., sondern dem ausgehenden 12. Jahrhundert, ist unrichtig. Denn der

CLUNY UND M4C0N.

diesen feierlichen Bestlmmungeii über die Beschränkung dei bischöflichen Strafgewalt ersieht raan aus dem an die allgemeine

Trat lehnt sich eng an die Bulle Gregora T. an, ferner ist er dadurch TerbUrst, dafa er ia dem PriTileg Alexuiders II. (J-L 4Q13, Bruel nr. 3389), das im Original erhalten, wörtlich wiederholt wird. Bedenken erregt nur folgender Zusatz: „ob InterTentum doimii invicUssiini et pii ■Conradi imperatoris augusti eiusque remediura animae." In einer Ab- schrift des 13. Jahrhunderts (indet sieb statt Conradi: Heinrici, ebenso in der Bibliotheca Cluniacensis (Paris 1614, app. 136) und im Bullarium Cluniacense [Lyon 1.G80, 8), in dem aber in der Anm, eine gleichlautende Urkunde mit der Interrentinn Kaiser Konrads erwähnt wird. Da Kaiser Beioricb schon gestorben , als Jubaun den päpstlichen Stuhl bestieg, nimmt Bruel an, dafs das Pririleg mit Auslassung des kaiserlichen Namens ausgefertigt, dann iu mehrereo Exemplaren mit den Namen Heinrichs und Koorads abgesandt sei. Das ist eine Erklärung der Schwierigkeit, die selbst der Erklärung bedarf. In der über Cluny gut unterrichteten Chronik des Albericb von Troisfontsines (Mü,, SS. XXIII, 779] heilst es zum Jahre 1005 mit offenbarer Bezugnahme auf unsere Urkunde: Auf Bitten Kaiser Heinrichs habe Johann XVllI. dem Abt Odilo prJTilegium mirabüe gegeben. Aber seine Behauptung ist un- richtig, da damals Heiurich nncb nicht Kaiser war (vgl, Sackur U, T, Anm. 3). Suckur [II, 191, Anm. 5) hält es für „sehr wahrscheinlich, dafs die Urkunde mit der Intervention Kaiser Heinrichs schon unter Benedikt VIII. gefordert, aber infolge irgendwelcher Schwierigkeiten oder des Todes des Papstes erst unter Johann XIX. ausgestellt sei". Ks ergäbe sich dann folgender Sachverbalt: Im Jahre 1023 herrschte zwischen Clunj und Macon noch Frieden (vgl. Bruel nr. 2783), 1025 erfolgte die isyiiode von Anse, wo die bischöfliche Strafgewalt mit keinem Worte berQhrt wurde. Du soll im Jahre 1024 Johann, der zur selben Zeit durch seine schmählichen Verhandlungen mit Byzanz alles in Auf- r^ung veisetzte (vgl. Sacknr II, 1T2), ebne jede Veranlassung, ohne jede persönliche Beeinflussung durch den Abt von Cluny, jene pomp- hafte und ausfuhrliche Bestimmung erlassen haben. Hier liegt der Widerspruch zu Tage. Die Urkunde kann nur ob Interventum Conradi imperatoris, also nach dem 26, März 1027, ausgestellt worden sein. Und di«>en Eaiseruamen trägt die Abschrift im Chartular C de Cluny, das in den bieihergeböiigen Parlieen noch im 11. Jahrhundert geschrieben ist (»gl, Bruel I, Preface XXIX), Die beiden oben genannten Drucke zeigen hinter Heinrici einige Punkte, die, da kein Wort ausgefallen sein kann (vgl. die gleichlautende Interventionsformel in der Bulle Gregors V.), bedeuten mQssen, dal^ ihre Vorlage an dieser Stelle nicht in Ordnung ■war. Die Abschrift des 18. Jahrhunderts behauptet, nach dem bullierten Original angefertigt zu sein. Wie kann aber dann die Datierung gänz- lich fehlen? Also das Chartular allein hat den echten Johann be-

ZailKkr, f, K.-O. ZIH, i. H

i

620 HESSEL,

Christenheit am 38. März 1027 gesandten Schreiben. Dort heifst es: ^^Praeterca pervenit ad nos quod qoidam episco- porum temere et sine aliqua rationabili causa consultu pravo excommunicant sibi subjectos non solum saeculares perrersa agentes sed et religiöses sobriam et deo placitam vitam da- cere cupientes quod de monachis Cluniacensibus omnino fieri prohibemus" ^ Auf welche Vorfalle hier angespielt wird, ist nicht überliefert.

Die Mahnungen Papst Johanns blieben wirkungslos. Als der Bischof von Le Puy in Cluny einen Altar geweiht, be- gann der Streit von neuem. Er soll von 1031 1040 ge-

wahrt. Die mit dem Namen Heinrichs versehenen Überlieferungen sind Verfälschungen, deren Zweck sich unserer Erkenntnis entzieht

1) J-L 4079, Bruel nr. 2797. Trotz der gröfsten Bemühungen konnte ich mir das Bullariuni Clun. nicht vei-schaffen. Bei Bniel werden die gedruckten Papststurkunden nur in Regestform wiedergegeben. So bin ich Herrn Ph. Lauer in Paris, der mir eine Abschrift der Urkunde gütigst verschaffte, zu gröfstem Danke verpflichtet. Sackurll, 193 Anm. , bemerkt zu dem Passus : a pracdecessoribus . . . Formoso Joanne Benedicto item Benedicto Gregorio Silvestro meo etiam non modo spirituali patre scd et camali fratre Benedicto ... confirmatum : ,,Murs diese genaue Aufzählung an sich befremden, so kommt noch hinzu, dals sie zu Bedenken Anlafs giebt. Als Formosus Papst war, existierte Cluni noch gar nicht, mithin kan.i von einer Bestätigung seiner Rechte durch ihn nicht die Rede sein. Ferner fehlen die Bestätigunr^sbullen Leos VII. und Agapits IL gänzlich. Unter Benedicto, item Benedicto können nur Benedikt V., VI. oder VH. gemeint sein, von denen Privilegien für Cluni nicht existieren und bei dem ungünstigen Urteil der Cluniacenser über sie und der Stellung Climis zu Rom in jener- Zeit sehr unwahrscheiulich sind. Endlich existiert auch von Sylvester IL für Cluni keine Ui- künde." Da die Daturazeile tadellos überliefert ist und mit der in der Urkunde geschehenen Erwähnung der eben erfolgten Krönung Kon- rads zum Kaiser vortrefflich übereinstimmt, da ferner die Stilisierung des ganzen Stücks eigentümlich, aber dem römischen Kanzleigebrauch zu Anfang des II. Jahrhunderts nicht widersprechend ist, kann nur eine Interpolation an der citiertcn Stelle angenommen werden. Mit der Bulle des Formosus kann nur das Privileg für Gigny (J-L 3499) das mit Cluny stammverwandte Kloster, das aber erst 1075 (vgl. J-L 497G) in seinen Besitz gelangte gemeint sein. Die übrigen Vorurkunden liefsen sich zur Not folgendermafsen belegen: J-L 3584. 3796. 4048. 8896. 3929. 4013. Die Aufzählung au sich und das Fehlen von Vor- urkunden ist in keiner Weise anstöfsig.

CLUNY UND MACON. 521

dauert und mit einem schmählichen Rückzuge des Abtes geendigt haben. Wie weit der stark gefärbte Bericht der Vorgänge ^ auf Wahrheit beruht^ läft sich nicht feststellen. Offenbar aber geschah es unter dem Eindruck der letzten Ereignisse^ dafs Leo IX. im Jahre 1049 die Rechte der Abtei folgendermafsen definierte: ;;Quod etiam de omnibus ecclesiasticorum graduum ordinationibus et altarium sive ec- clesiarum consecrationibus praecipimus et confirmamus ut liceat Yobis vestrisque successoribus a quocumque ea velitis episcopo gratis exposcere nuUusque vobis audeat contradicere. Quam praerogativam a praedecessoribus nostris monasterio vestro concessam et a nobis merito confirmatam . . /' ^.

Mehrere Jahre später heifst es von dem Bischof von Macon: ^^ecclesiam S. Maioli quae contigua est monasterio et plures ipsius monasterii monachos inconsulto anathemate praegrayayit/' Abt Hugo fuhrt Klage in Rom. Alexander IL verleiht ihm im Mai 1063 ein Privileg ^, das die Bulle Jo- hanns XIX, wiederholt ^. Zugleich sendet er Petrus Damiani als Legaten nach Frankreichs^ der im Hochsonmier ^ zu Chalons eine Synode abhält. Es werden Clunys Privilegien verlesen^ unter besonderem Hinweis darauf, dafs sub ana- tbematis intentione cautum est ne cuilibet episcoporum liceat in prefati coenobii monachos excommunicationis promulgare sententiam. Die anwesenden Bischöfe erklären die Bullen für verbindlich und der Bischof von Macon versichert eid- lich, er habe die päpstlichen Urkunden nicht wissentlich verletzt. Am nächsten Tage versucht er vergeblich, auf Grund eines von Agapet an Macon verliehenen Privilegs ', Rechte über die Abtei zu erlangen ^.

1) Servetiiis, Historia diocesis Matisconensis (= II), Lyon 1627, 94; Ragnt 305 und 6.

2) J-L 41G9, Bruel, nr. 2976. Original.

3) J-L 4513, Bruel, nr. 3389. Original.

4) Ein bei diesem Papst nicht vereinzelt dastehendes Verfahren.

5) Vjjl. J-L 4516 und 4586.

6) Vgl. Neumann, De S. Hugone, Breslauer Diss. 1870, 18ff.; 2^eukirch, Das Leben des Petrus Damiani, Göttinger Diss. 1876, 102.

7) J-L 3657, in dem auch wirklich nichts Diesbezügliches enthalten ist.

8) Vgl. den Bericht bei Servetius 11, 104; Ragut, 306 und 7.

34*

522 HESSEL,

Die Bemühungen Alexanders und seines Legaten y^- mochten nicht, den Frieden herzustellen. Zu Gregor VH kam der Bischof von Macon und klagte, dafs ihm ecde&ae suae iura auferri. Näheres ist nicht bekannt Der Papst befahl dem Abt von Cluny, sich mit Macon zu einigen oder dem Bischof von Die den Streit zur Entscheidung Tor- zul^en ^. Auch der Erzbischof von Lyon war an der An- gelegenheit beteiligt '. Bald danach exkommunizierte der Bischof capellas et capellanos contra Romana privilegia. Am 2. Februar 1080 kam Petrus von Albano nach Cluny und hob die Mafsregel wieder auf. Am 6. versammelte er in Anas eine Synode. Dort iührte der Erzbischof von Vienne Klage, dafs er, weil er in Cluny einige Mönche zu Priestern ordiniert habe, von den Kanonikern von Macon insultiert worden sei Der Kardinal verlas darauf ein Privileg Gregors VIL ' und suspendierte den Bischof bis auf weiteres ^. Im März des- selben Jahres verkündete der Papst feierlich auf der Lateran- synode die Unabhängigkeit Clunys ^, im Herbst sandte er ein Schreiben voller Vorwürfe an den Bischof: er solle die Streitigkeiten beilegen und die päpstlichen Privilegien an- erkennen ^. Und wirklich scheint in der nächsten Zeit Friede geherrscht zu haben ^.

Das päpstliche Amt bekleidete zur Zeit Urban IL, ein clunyscher Mönch, der sein Kloster in jeder Weise schützte und förderte. Im Jahre 1097 stellte er ein Privileg aus, in dem er die von Gregor V. der Abtei verliehenen Rechte

Dazu kommen (vgl. Neukirch, 9) 1) Bibliotheca Cluu., 509 511, die offizielle Syuodalakte (Bruel, nr. 3S95 und 6), 2) Mai, Scr. Tel noT. coli. VI, 6, 103, ein von einem Begleiter des Petrus abgefafster Bericht Vgl. Hefele, IV, 858.

1) J-L 5124; Bruel, nr. 3534 und 3462.

2) J-L 5147.

3) Wahrscheinlich J-L 4974, Bruel, nr. 3498.

4) Bibl. Glun., 511—514. Die Chronologie legt klar Bruel, nr. 3549 und Neumann, 30, Anm. 1.

5) Bruel, nr. 3551.

6) J-L 5182, Bruel, nr. 3641. J-L 5183 ist eine grob« Fälschung.

7) Bruel, nr. 3667 zum Jahre 1093 (?).

CLOSY UND ilkCOS. 523

gegenüber den iura pontificalia auf alle ihre Besitzungen ausdehnte '. Unter Pascbal IL kam es zu neuen Reibungen, über die aber nicbts Näheres bekannt geworden '. Dann herrschte, so lange Abt Hugo lebte, Frieden. Sein Nachfolger erwirkte beim Papst im Oktober 1109 das Vorrecht: „chrisma si (ipportunitas exegerit in vestro faciatis monasterlo con- secrari vel a quibus volueritis episcopis accipietis" '. Etwas später aber die Zeit ist ungewifs nahm Paschal die Bcütiminung zurück und furderte den Abt auf, mit Macon Frieden zu halten *.

1) J-L GGTÖ, Bruel, Dr. 37*20. Ea sind fast die glduben Aus- drücke nie fulgendeu Ziisälzeu: (coenobio) Deqiie oniDiuo iii aliquo luco huic Eiibdito, vel prioribiis eidem coenobio siibdJtis; (moiiathis) ubicum- que positis. Er eilüf^t dann uocli fulgende BestEminungen: Liceat qiioque Tobis aeii fratribus Testrig in ecclesiis veatris preabyleroB eligere ita lamea ut ab episcopis vel ab episcoporuoi vicariis animarum curam ■bsque vaeoalitate auscipiant Andernfalls presbyteri ex apoatolicae fledis beoignitate ofßcia celebraudi licentiain assequautur- Ecdcsiarum vero seu altarium consecratiouea ab episcopis iq quorum diasLesibiis BtiDt locorum Testrnrum fatrcs accipiant siquidem gralis et dne pra- Titste Toluerint alinquin von jedem beliebicen Bischof. Mit Recht setzt l'HLillier (Vie de S. Hugo, Paris 1B88, 434) diese Bestimmungen in Be- ziehung zu den auf dem Konzil von Clcrmont «erlassenen Verordnungon, die die im Besitze Ton Kltistern befindlichen Farochialkircheu betreffen (Decrelum Gratiani, c. C, C. XVI, q. 2).

2) Der Erzbischuf von Lyon sandte an das Kloster und an benach- barte Bischöfe Schreiben (Scrvetius, IT, 122; Ragut, 34B und ». Der erste Druck ist voriueiehen, da dem zweiten nur moderne Ab- schriften als Vorlage gedient haben), iu denen nur gesagt wird, dafa CluDjr HacoDS iustitia verletze. Sie s'wä nicht datiert, doch ennüglicheu die darin geoaunten Personen eine zeitliche Fixierung auf 1096 1106. Auf denselben Fall darf wohl eine Notiz Qber Hacon in dem Placitum zum Streite Clucys mit dem Bischof von Autun vom Jahre 1103 (Bruel, nr. 38191 bexogten werden.

3) J-L 62il, Bruel, nr. 3876.

4) J-L 6280, Bruel, nr. 3893. Wen dieses wiedcrsp ruchsvolle Terbolten hei einem Paschal Wunder nimmt, den vervreise ich auf einen analogen Fall in St. Denis: Alexander II. J-L 4GG5: ne quis corum episcoporum a quibus ista postukre vuluerint eis oleum crisma ete. presumat denegare et iie quis epiacoporum Parisiace urbis hec eis deaeget rel alitim qui eis coutulertt pro hoc tnterpellare temptet. Pascbal II, J-L 6902; Crisma oleum etc. a catbolids accipietis episcopis

524 HES8EL;

Aber die Gegensätze wurden nur gespannter. Auf dem Rheimser Konzil vom Jahre 1119 verkündete der Erzbischof von Lyon: y^Hasconensis episcopus... clamorem fecit, quod Poncius . . . ipsum ecclesiamque suam danmis multisque in- iuriis afiecit, aecdesias decimasque suas debitasque subiec- tiones sibi violenter abstulit et congruas dignitates suonimqne ordinationes clericorum denegavif Der Abt berief sich auf die Privilegien und forderte den Papst selbst zum Schatze auf. Am folgenden Tage liefs Ealixt die Privilegien des EUosters feierlich bestätigen ^ Bald darauf aber veranlafste der Fortgang des Streites ' sehr wahrscheinlich den Papst, die Rechte der Abtei zu vermindern: die volle Freiheit in der Wahl des Bischofs zur Ordinierung der Mönche u. s. w. wird räumlich auf das Gebiet des bannus sacratus Clunp' beschränkt, und somit die Verfügung Urbans II. wieder rückgängig gemacht ^. Wenn auch in den nächsten Jahren der Kampf noch einmal heifs entbrannte ^^ so hatte Kalixt dennoch die richtige Lösung der Streitfrage gefunden Denn Lucius IL, Eugen III., Urban III., Clemens III. und Inno- cenz III. ^ haben seine Bestimmungen bestätigt.

quemadmodum predecessorum nostrorum caiionice equitatis pnrilegüs institutum est. Und derselbe J-L 6063: Gomperimus quia vos praeter ipsius (=s Bischof von Paris) licentiam pro sacri olei et chrismatis ac* ceptione etc. quoslibet episcopos adeatis etc. Quae profecto sacris canonicis yalde contraria sunt.

1) M. Q., SS. XX, 73 u. 4.

2) Migne Patr. lat, CLXXXVIII, 894.

3) Vgl. Pignot, Histoire de Pordre de Cluny, III, 30.

4) Sane pro abbatis monachorum seu clericorum iafra predictos ter- minoa habitantium ordinatione pro crismatis confectioue pro sacri olei ecclesiarum altarium et cimiteriorum consecratione Cluniaccnse mo« nasterium quem maluerit antistitem convocet. J-L 6821, Bruel, nr. 3945.

5) J-L 6821 und 7112 (Bruel, nr. 3955). Die Einzelheiten können übergangen werden.

6) J-L 8621, 8859, 15574, 16157; Potthast, nr. 2371.

Die Quellen zur Geschichte des hl. Franz von Assisi.

(Erster Teil.)

Von

Walter Goetz.

(Schlafs.) 1

3. Die Briefe.

Siebzehn Briefe sind seit Waddings Ausgabe von 162U für Franz in Anspruch genommen worden: je zwei an alle Christen, an die hl. Klara und ihre Schwestern , an Bruder CliaSy an das Generalkapitel, je einer an Antonius von Padua, an den Generalminister, an die Provinzialminister, an die Priester des Ordens, an alle Kustoden des Ordens, an alle Kleriker, an die Obrigkeiten, an Bruder Leo und an Jakoba de Septemsoliis alle siebzehn ohne Datum.

Die handschriftliche Überlieferung bietet nur bei einem dieser Briefe, bei dem an Bruder Leo, Anhaltspunkte für die Echtheit; es ist oben (S. 370) ausgefuhi*t worden, dafs dieser Brief im Originale vorhanden zu sein scheint Drei andere Briefe (an alle Christen, an das Generalkapitel, an alle Kleriker) liegen in einer Handschrift vor, die Sa- batier auf die Zeit um 1240, Faloci-Pulignani ^ auf etwa 1250 beide mit nicht genügend deutlicher paläographi- scher Begründung ansetzen möchten, während Ehrle

1) S. oben S. 363.

2) Miscell. Frances. VI, p. 94.

526 GOETZ,

816 ins 14. Jahrhundert setzt K Ehrles Annahme ist sanldit wahrscheinlicher als die andere. Immerhin giebt diese hand- schriftliche Überlieferung die Möglichkeit^ die Briefe in ihrer ursprünglichen Form wieder herzustellen in späterer Zek sind sie in einzelne, anscheinend selbständige Teile zerlqjt worden.

Dafs Franz sich öfters in Briefen geäulsert bat, bezeoga die Quellen. Thomas von Celano erwähnt in der ersten Vita II, 5, dafs Franz mehrfach an den Kardinal von Ostia, den Ordensprotektor, geschrieben habe; vorhanden ist von solchen Briefen nichts. In derselben Vita I, 29 spricht Thomas von Briefen, die Franz „salutationis vel admonitionis gratia facerei scribi" *.

Die Zahl der von Wadding zum erstenmal zusammen- gestellten Briefe vermindert sich zunächst dadurch, dafs der eine (kurze) Brief an das Generalkapitel (n. 10) irrtümlich als selbständig angesehen worden ist; er besteht nur aus einigen herausgerissenen Sätzen der beiden bei Wadding nachfolgenden Briefe. Diese beiden aber (an das Oeneral- kapitel und an die Priester des Ordens) bilden vielleicht nur einen, später auseinander gerissenen Brief. Femer gehören auch die Schreiben an alle Christen in eins zusammen. So bleiben vierzehn, höchstens fünfzehn übrig.

Es ist das Ui*teil ausgesprochen worden, dafs diese Briefe, auch wenn sie vielleicht echt seien, dennoch kaum etwas zur näheren Kenntnis des Heiligen beitrügen ^. Ein wenig günstiger kann man das Urteil doch vielleicht fassen, so dafs die Untersuchung der Echtheit nicht nur einen philo- logischen Wert besitzt; die Briefe geben einen Einblick in das naive Sorgen und Hoffen des Heiligen, in seine teil- nehmende Fürsorge für andere aber freilich sind sie

1) Vgl. oben S. 378 Anm. 2.

2) Es sei erwähnt, dafs im Speculum Perfectionis c. 90 und c. lOB Terlorene Briefe an die hl. Klara erwähnt werden die Torhandenen sind damit nicht gemeint. Vgl. Sabatier, Yie de FranQois (1894)» p. 273, Note 20.

3) Sabatier, Speculum Perfectionis, p. CLXV.

4) K. Müller, Anfänge, S. 3 Anm. 1.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VOK ASSISI. 527

nichts mehr als bescheidene Beiträge, kleine Zusätze zu dem, was anderweitig berichtet ist.

Eine kritiecbe Ausgabe dieaer Briefe fehlt ebenso wie «ne Prüfung ihrer Echtheit. Was für einzelne Briefe in beiderlei Hinsicht geleistet worden iat, wird bei Besprechung derselben angeführt werden das meiste hat natürlich auch auf diesem Gebiete Sabatier geboten. Über die vorlmndenen Ausgaben s. oben S. 36'J. Wadding fügt seiner Auegabe viele wertvolle Notizen über Handschriften und Drucke bei; aber seine Arbeit ermangelt der strengen Kritik die ihn abgedruckt haben, sind (wie z. B. die kleine, am leichteslea zu erlangende Ausgabe der OpuscoÜ von Fivjzzano, Klorena 1880) in nicht' über ihn hinausgekommen. Eine kritische Ausgabe der bnefe müfate an die Handschriften und an dia ältesten Drucke gehen das lag aufserhalb dos Bereicha der nachfolgenden Untersuchungen. Es ist zu hoffen, dafa bei dem lebhaften Fortgang der Forschungen über Fran« nach und nach alle Briefe so eingehend untersucht werden, wie es bisher nur für drei derselben {vgl. unten a, h und 1) geschehen iat.

a) Der Brief an Bruder Leo '. Er ist b^laubigt durch den Aulographen. Selbst ohne Idieses Zeugnis würde aber der Brief zu keinen Bedenken :Anlar8 geben '. Sein kurzer Inhalt, der Seelenkämpfe Leos Terrät und Franzens väterlich besorgten Auteil ein Zeug- tÖB für das enge Verhältnis der beiden bietet zu wenig

1) Mit Äuenabme des tdd Faluci-Pulignani gegebenen (Mise. Fnu- cesc. VI, p. 30) ist keiner der gedruckten Tcüle genau nach dem Auto- graphen : b^i Wadding und iciaen Nachfnlgern, hei Sabatier finden sich kleine Abweichungen , wie Eie der Text in andern Handschriften auf- weist.

12) Dafs der Brief beginnt: „F. Leo f. Francisco tuo salutem et ^ftcem" hat ja mit Becbt zunächst Zweifel hervorgerufen; aber üeae ■eltaame Ausdrueksweise spricht wohl gerade fttr die Echtheit tuo «Ire Gonst ganz sinnlos. Man wird bei diesem auffallendeu Dativ an die italienische Form Franceaeo denken müssen. Franz schrieb keitt klassisches Latein und man mufs übersetzen; „0 Bruder Leo, dela Bruder Franz wUnicht dir Heil und Friede."

628 GOETZ,

Konkretes, als dafs er erfunden sein könnte. Die Beziehaog auf ein soeben unterwegs geführtes Gespräch, die blofse An- deutung der Armutsfrage als Grund der inneren Kämpfe Leos ohne irgendwelche bestimmte Beziehung auf etwaige Meinungsverschiedenheiten im Orden macht den vollen Ein- druck der Echtheit. Der Stil des Briefes in seiner rasch ge- schriebenen Unbeholfenheit klingt an den Stil des Testamentes an er ist noch mehr gesprochene Rede wie dieses und zeigt ebenso die Vorliebe, die Sätze mit „Und'' anzufangen. Sabatier hat den Brief genauer zu datieren versucht^; ich kann mich doch nicht entschliefsen , so bestimmte Ve^ nmtungen aufzustellen und den Brief mit den Streitigkeiten im Orden in Zusammenhang zu bringen. Es kann sich sehr wohl nur um die allerpersönlichsten Konflikte Leos handeln. Sabatiers Deutung ist möglich; aber mit Bestimmt- heit läfst sich nur sagen, dafs der Brief ein Dokument fiir die herzlichen Beziehungen Leos zu Franz ist und dafs er in die letzten Jahre des Heiligen gehören wird, denn nur in dieser Zeit sehen wir Leo in seiner Nähe ^.

b) Der Brief an Antonius von Padua.

Wadding (S. 15) hat aus älteren Schriftstellern zusammen- gestellt, dafs Antonius nur mit Franzens Erlaubnis das ihm von den Brüdern aufgetragene Lehramt in Bologna habe übernehmen wollen; mit diesem kurzen Briefe habe Franz seine Zustimmung gegeben.

Gegen die Echtheit des Briefes in der vorliegenden Form läfst sich einwenden, dafs nach Waddings Angaben die über-

1) Vie de S.;FranQois (1894), p. 300 sq.

2) Sabatier, Speculum Perfectioni8 , p. LXV. Sichere Nach- richten, seit wann Leo dem Orden angehörte, liegen nicht vor; die späte Angabe der Chronica XXIV generalium (Ann. Francesc. HI, p. 8) ist weder bestimmt noch zuverlässig. In der Vita Leonis, die sich in derselben Chronica findet (a. a. 0. S. 65 ff.), stehen nur Nachrichteo, die sich auf die letzten Jahre Franzens beziehen; über Leos frQhere Zugehörigkeit zum Orden war nichts bekannt. Dadurch verliert jene erste Angabe an Wert, wie denn die Chronica überhaupt keine zuver- lässige Quelle ist.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISL 529

lieferten Lesarten stark auseinandergehen, und femer dafs Thomas von Celano in der zweiten Vita III, 99 ein Schreiben Franzens an Antonius erwähnt, das mit den Worten be- gonnen habe: „Fratri Antonio episcopo meo". Diese An- rede hat der erhaltene Brief nicht aber man kann frei- lich auch nicht beweisen, dafs Franz nur diesen einen Brief an Antonius geschrieben habe.

Der Inhalt des Briefes erweckt nicht den Verdacht einer Fälschung, sondern pafst zu den Anschauungen Franzens: er giebt die Erlaubnis unter der Bedingung „ut neque in te, neque in ceteris (quod vehementer cupio) extinguatur sanctae orationis spiritus juxta regulam, quam profitemur'^ Der Stil des Briefes ist soweit sich aus dem einen Satze, der den Inhalt ausmacht, urteilen läfst glatter als der des Testaments und des Briefes an Bruder Leo; aber den- noch nicht so, dafs die Echtheit daraufhin zu bestreiten wäre.

Die Abfassungszeit des Briefes fallt zwischen 1222 und Ende 1225 ein engerer Termin ist nicht zu bestimmen *.

Der Gewinn, den die Forschung aus diesem Briefe zieht, ist nicht eben grofs; diifs Franz die gelehrte Thätigkeit innerhalb des Ordens nicht gerne sah, wissen wir genugsam, und ebenso dafs er das Gebot höher stellte; immerhin ist diese Aufserung in einem konkreten Falle nicht ohne Wert: das „quod vehementer cupio" und der Hinweis auf die Regel klingen wie eine Sorge, die Franz im Herzen trug. Und da diese Sorge durch andere Zeugnisse bestätigt wird, 80 stützt und verstärkt ein jedes das Gewicht des andern.

c) Die beiden Briefe an die hl. Klara und ihre

Schwestern.

Beide Briefe befinden sich in der gleichen Handschrift n. 338 zu Assisi (s. oben S. 373), und da sie der Regel

1) Vgl. Lempp, Zcitschr. f. Kirchengesch. Xll, S. 425 Anm. 2 und S. 438 ff. Lempp halt den Brief ebenfalls für echt und meint, dafs Elias mit seiner Sympathie für das Theologiestudium den Heiligen zum Schreiben dieses Briefes veranlafst habe. Darüber kann man nichts Bestimmtes sagen.

530 GOETZ^

der Klarissen von 1253 einverleibt sind % so ist an ihrer Echtheit nicht zu zweifeln. Der zweite der beiden kurzen Briefe, beginnend mit ^^Ego frater Franciscus pannilus'", der das Bekenntnis zur Armut enthält und die Schwestern zum gleichen ermahnt, ist inhaltlich und stilistisch den bis- her als echt erkannten Dokumenten enge verwandt er enthält gesprochene^ nicht sehr flüssige Rede, von den drei äätzen beginnen zwei mit^Ef während der andere sti- listisch einen etwas anderen Charakter hat Er wird in der Kegel der Klarissen auch nicht als Brief bezeichnet, sondern es heifst von Franz: ,,scripsit nobis formam vivendi in hunc mo- dum . . /' (folgt der mit ,,Quia divina inspiratione^' beginnende Brief). In der Überlieferung ist dann beiden Dokumenten eine Überschrift und ein Schlufs („Valete in Domino'^) hin- zugefügt worden, deren Echtheit höchst zweifelhaft ist; aller Wahrscheinlichkeit nach ist die Regel der Klarissen doch die älteste Quelle. Ob freilich die beiden Stücke vollständig sind oder nur Bruchstücke, ist nicht bestimmt zu entschei- den; die „forma vivendi'' macht allerdings den Eindruck des Bruchstücks ^.

In dieser Regel finden sich zugleich die Daten der beiden Schriftstücke: die „forma vivendi" sei „paulo post conver- sionem" des Heiligen, als Klara und ihre Schwestern ihm freiwillig Gehorsam gelobt hätten, geschrieben (also etwa 1211/1212)^, der andere Brief „paulo ante obitum" als

1) Seraphicae legislationis Textiis originales (Quaracchi 1897). p. 62 u. 63. Thomas von Celano kannte in der zweiten Vita III, 132 den einen dieser Biicfc bereits, denn er benutzt ihn bei seiner Erz&hluog mit stark wörtlicher Anlehnung.

2) Ein genauer Text bei Sabaticr, Speculum Perfectionis, S. 182 Anm.

3) Von dem Briefe „Ego frater Franciscus** sapt Klara in der Hegel, dafs Franz ihn kurz vor seinem Tode als ,, ultimam voluntatem suani" geschrieben habe. Im Speculum Perfectionem c. 108 ist tod dem letzten Briefe Franzens an Klara und ihre Schwestern die Rede, aber nach dieser Angabe habe der Brief Segen und Absolution enthalten. Ob Klara diesen Schlufs etwa weggelassen hat? Er pafste allerdings in die Regel nicht hinein.

4) Vgl. Lempp, Zeitschr. f. Kirch?ngesch. XIII, S. 182/183.

QUELLEN ZUR GESCBICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 531

„ultima voluntas" (also 1226) gesctirieben. Diesen zweiten Brief mit den Konflikten innerhalb des Ordens in einen be- stimmteren Zusammenhang zu bringen , wie Sabatier es Ihut ^, liegt kein zwingender Grund vor. Doch mufs fest- gestellt werden, dafä die Mahnung zum Festhalten an der Armut dringlich auegesprochen wird die Sorge um die Bewahrung seines Ideals erkennt man aus diesen Zeilen und so geben sie einen Einblick in sein Inneres in der letzten Zeit vor dem Tode.

d) Der Brief an alle Christen'.

Zwei derartige Briefe sind überliefert, doch ist der kui-ze erste der beiden, wie Wadding bereits bemerkt, in anderen Quellen lediglich als Teil des zweiten viel längeren behan- delt. Das erscheint nach der Form desselben das richtigste, denn er hat weder den Anfang eines Sendschreibens, noch ist sein Inhalt derart, dafs man ihn für ein „Hclireiben an alle Christen'' ansehen könnte: er fordert in drei Sätzen auf, Gott zu lieben und anzubeten. Und das wesentlichste seines Inhalts steht mit zum Teil gleichen Worten im dritten Ka- pitel des anderen Briefe«.

Dieser andere, längere Brief ist in den Drucken einge- geteilt in i;^ zumeist kleine Kapitel und eine peroratio. "Wie die kirchlichen öchriflsteller , so hat ihn auch Sabatier für echt genommen *.

Bei Franzens Gedankengängen, die ja das Heil der ganzen Welt umfafsten und mit höchster Naivität ohne Kuckaicht auf die Schranken der Wirklichkeit sich zu äufsern strebten (man bedenke seinen Bekehrunga versuch vor dem Sultan in Ägypten !), wäre ein Appell an die ganze Christenheit nichts Unmögliches ; aber es ist dennoch nicht ganz leicht, ihn auf

1) Vie de S. Frati(oia (1894), p. 273, wo der Brief auf Ende 1220 angesetEt wird, dem widerspiicht aber ElaraB Angabe in der Regel di- rekt; der Brief gehört ins Jabr 1226.

2) Über die liandschrif Hiebe Überlieferung, ans der sieb docb nichts für die Echtheit folgern läCst, vgl. Sabatier, Speculum Perfeetionis, p. CLXVsqq.

3) Sabatier, Vie de S. Francois (1894), p. 373sqq.

i

532 QOETZ,

Franz zui*ückzufuhren. Der Stil dieses Schreibens ist ein anderer als der des Testamentes und der für echt erkannten Schreiben; er ist nichts weniger als unbeholfen, sondern kann nur von jemand stammen ^ der in solcher Ausdrucks- weise geübt ist. Es kommt hinzu, dafs dieses ganze Schreiben eine gewandte Aneinanderreihung von Bibelcitaten ist, wie sie dem Theologen und Prediger auf der Zunge liegen, wie man sie aber bei dem einfachen, ungelehrten, Erlebtes wieder- gebenden Sinne des Heiligen nicht ohne weiteres vermuten möchte. Anderseits erinnert einzelnes, besonders in der An- rede und in der Nachrede und dann in manchen Ausdrücken und Gedanken (c. 7 : Stellung des Priesters als Verwalters des Sakraments) wohl an Franz (Testament!).

Dieses Schreiben für echt zu erklären, ist ein folgen- schwerer Schritt, denn vieles andere, was Franz zugeschrieben wird, trägt einen ähnlichen, von der Einfachheit des Testa- mentes und der kleinen unzweifelhaft echten Briefe verschie- denen Charakter ^ Der Kreis der möglicherweise echten Schriften erweitert sich erheblich, während andej*nfalls nur das Testament, die kleinen Briefe und die nicht anzufech- tende Regel von 1221 als echte Dokumente übrig blieben. Aber gerade diese Regel von 1221 mit ihrem gewandteren Stil, mit ihren Bibelcitaten giebt die Warnung, sich nicht allzu starr an blofse Stilkritik zu halten denn diese ist, wie sich auch bei allen später zu besprechenden Quellen immer wieder zeigen wird, ein unsicherer Führer. Die An- nahme ist nicht ausgeschlossen, dafs Franz in den rascli hingeworfenen kleinen Briefen und im Testamente, das viel- leicht auf dem Krankenbette entstand, mit weniger Kunst stilisierte als da, wo er Zeit hatte, sorgialtiger zu kompo- nieren. Auch das ist ja denkbar, dafs ihm bei diesen Kund- gebungen an weitere Kreise schriftgelehrte Jünger zur Seite standen und die einfacheren Sätze des Heiligen redigierten,

1) Und klingt im Ausdruck (wie z. B. das Schreiben an das Ge- neralkapitel) an das vorliegende Schreiben an. Man müfste denn gleich an eine geraeinsame Fälschung einer ganzen Gruppe von Schriftstücken denken. Vgl. unten S. 539.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. b3'6

60 wie nach der Angabe des Jordanus a Jano ^ der Bruder Caesarius die von Franz in einfachen Worten yerfafste R^el „mit den Worten des Evangeliums ausschmückte '^

Obwohl die Anschauungen des Schreibens derart sind, dafs sie später sehr leicht zusammengestellt und mit dem Scheine der Echtheit Franz zugeschoben werden konnten, so glaube ich mich doch für die Echtheit entscheiden zu dürfen, sowohl um des vorliegenden Schreibens selbst; als um der verwandten Gruppe von Schriftstücken willen, gegen deren einfache Verwerfung denn doch zu viele Gründe sprechen ist doch das Vorhandensein von Briefen, die admonitionis gratia von Franz geschrieben wurden, schon durch die erste Vita des Thomas von Celano (I, 29) be- zeugt. Es kommt hinzu, dafs zwischen diesem Schreiben und der Regel von 1221 in den Gedanken und in den Bibel- citaten eine gewisse Berührung besteht nicht so enge, dafs man den Brief mit Benutzung der Regel angefertigt glauben könnte, sondern nur soweit, dafs man den Gedanken- kreis, in dem Franz lebte, in beiden gleichmäfsig wieder- erkennt *.

Ein anderes Schreiben, das erst neuerdings durch Sa- batier bekannt gegeben ist ^, steht mit dem Schreiben „An alle Christen*' in engster Beziehung. Es besteht aus zwei Teilen: „De iliis qui faciunt paenitentiam '' und „De Ulis qui non agunt paenitentiam ''. Die Überschrift des Ganzen ist der Schlufssatz der Admonitiones (s. unten S. 553) * ein auffälliger Umstand! Ein Empfanger ist nicht genannt, aber der Schlufs kennzeichnet das Schriftstück als Brief*.

Der Anfang berührt sich enge und zum Teil schon wörtlich mit c. 5 des Briefes „An alle Christen"; vom zweiten Satze an bis zum Schlufs des ersten Teiles ist eine

1) Analecta Franciscana I, p. 5/6 (n. 15).

2) Vgl. unten S. 551 bei den Admonitiones.

3) Sabatier, Francisci Bartholi Tractatus, p. 132—134; vgl. S. CLIV.

4) „Haec sunt verba vitae et salutis, quae siquis legerit et feceiit inveDiet Titam et hauriet salutem a Domino.^'

6) Omnes illos quibus litterae istae penrenerint . . ."

534 QOETZ,

von Satz zu Satz zunehmende und schlielfllich ganz wört- liche Übereinstimmung mit c. 10. Der zweite Teil gidM zunächst so gut wie wörtlich das c. 12 wieder , dann aiuh zugsartig c. 13 mit kleinen Veränderungen. Nur der Schlals ist selbständig ^

Sabatier vertritt die Meinung, dafs trotz der starken wörtlichen Übereinstimmung mit dem Briefe „An alle Chri- sten '' das vorliegende Schreiben als eine selbständige Kund- gebung zu betrachten sei; er weist darauf hin, dals diese beiden Teile durch ihre Zusammenstellung, durch den Oega- satz zwischen Gerechtem und Sünder ihre gewollte Selb- ständigkeit neben dem Briefe „An alle Christen'' behaup- teten. Es fallt vielleicht ebenso stark ins Gewicht, dafs der selbständige Schlufs des Schreibens die Eigenart Franzens deutlich an sich trägt, in Stil und Inhalt Undenkbar ist es gewifs nicht, dafs Franz zweimal dieselben Gedanken mit fast gleichen Worten ausgesprochen habe. Dafs der Brief ,,An alle Christen '^ die zeitlich vorangehende Kundgebang war, erscheint deshalb näher liegend, weil die Zusammen- fassung und Abkürzung der dort getrennten Kapitel natürlicher ist als die Zerlegung eines Ganzen und die Erweiterung der Teile zu einzelnen Kapiteln. Über die Entstehungszeit wage ich nichts zu sagen ; Sabatier meint , dafs diesa Schreiben ein gutes Stück vor den letzten Jahren des Hei- ligen liegen müsse, da die volle Klarheit des Tages darüber liege. Die Beziehungen zwischen dem Schreiben „An alle Christen" und der Regel von 1221 geben aber vielleicht das Jahr 1221 als frühesten Termin.

e) Der Brief an alle Kleriker.

Der Brief liegt handschriftlich vor in dem Manuskript 338 xu Assisi, im Cod. Maz. 1743, Cod. Maz. 989. Von diesen Hand- schriften weichen die älteren Drucke insofern ab, als sie am An- fang und am Schlüsse noch je einen Satz bringen ^. Sein Inhalt

1) Wie am Anfang des Briefes „An alle Christen'* wird auch hier von den „odorifera verba Domini" gesprochen.

2) Vgl. Wadding, Opuscula, p. 46; Sabatier, Vle de S. Frtn-

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON A8SI8L 535

l>e8chäftigt sich mit der würdigen Aufbewahrung der Ho- stien und der nomina et scripta Domini und zwar in enger Anlehnung an die verwandte Stelle des Testamentes ^ Man könnte in Anbetracht des Gebrauchs zum Teil der gleichen Worte wie im Testament auf den Gedanken kommen, dafs der Brief daraus hergestellt worden sei, denn die andern, den gleichen Gegenstand behandelnden Aufserungen Fran- zens berühren sich nicht so sklavisch mit dem Testament

Aber da der Brief zu einer Gruppe von Briefen gehört, gegen deren Echtheit ich keine Bedenken habe, so ist der genannte Grund nicht stark genug zur Verwerfung.

Wichtig ist an dem Briefe nicht der Inhalt, der durch das Testament bereits geboten ist, sondern der Appell an alle Geistlichen der Kirche es liegt etwas rührend ein- flütiges in dieser Sorge um den Leib des Herrn, um gött- liche Namen und Schriften, und nur die Kenntnis des ganzen Mannes lehrt den grofsen Inhalt dieser naiven Gedanken verstehen.

Über den Zeitpunkt dieses Briefes wird unten gesprochen -werden (S. 537).

f) Der Brief an die Obrigkeiten der Völker (Ad

populorum Rectores).

Dieser im vorangehenden Schreiben erwähnte Brief lag Wadding in einem spanischen handschriftlichen und einem lateinischen, in Spanien gedruckten Exemplare vor. Eine hindere Handschrift ist nicht bekannt

Franz mahnt die Obrigkeiten, Gott und seine Befehle nicht zu vergessen, das Abendmahl gerne zu empfangen und jeden Abend überall das Lob Gottes verkünden zu lassen. Der Stil dieses Briefes zeigt wieder die charakteristische Vor- liebe, die Sätze mit „Ef zu beginnen; die Ausdrucksweise ist einfach, wenn auch mit mehr biblischen Reminiszenzen

^ois, p. 376 Note 2 und Speculum Perfectionis , p. CLXVI; Faloci- Piilignani, Mise. Franc. VI, p. 95 giebt den Biief nach Cod. Assis. 338, abgesehen von der genannten Abweichung fast ebenso wie Wadding.

1) Sabatier, Speculum Perfectionis, p. 310.

ZeitMlu. f. K..0. XXII, 4. 35

636 GOETZ,

durchsetzt als die früheren Briefe. Die AuffbrderuDg an die Obrigkeiten berührt sich mit dem, was Franz einstmals dem Kaiser nahe legen wollte: ein Oesetz zum Schutze derLer chen und zur besonderen Fürsorge für Vögel, Ochsen und Esel in der Christnacht '.

Die Naivität dieser Aufforderung sowie die Zugehörig- keit zu dem unter g) behandelten Briefe sprechen für di» Echtheit dieses Schreibens. Über seinen Wert gilt das gleiche, was oben unter e) gesagt wurde. Über den Zeit- punkt dieses Briefes unten S. 537.

g) Der Brief an alle Kustoden der Minderbrüder.

Alle Kustoden werden ersucht, den (vorangehenden) Brief an alle Bischöfe und Kleriker zu geben, und ebenso einea zweiten, für alle Obrigkeiten bestimmten Brief (siehe den fol- genden) nach Möglichkeit zu vervielfältigen und an die ge- eigneten Stellen gelangen zu lassen.

Dieser Brief liegt nur in einer von Wadding angefertigten lateinischen Übersetzung vor. Wadding hatte, wie er angiebt, eine spanische Vorlage ; handschriftlich scheint der Brief nicht mehr vorhanden zu sein.

Einen stark abweichenden und nur in seinem Anfang gleichen Text eines Briefes an alle Kustoden hat Sabatier aus dem Volterraner Cod. Guarnacci 225 gegeben *. Ein- zelne Satzteile stimmen wörtlich mit dem von Wadding ge- gebenen Brief an alle Kleriker überein, wie denn überhaupt dieser Text des Briefes an die Kustoden nicht ein Begleit- schreiben für andere Briefe ist, sondern inhaltlich in seiner ersten Hälfte das Gleiche giebt wie der Brief an alle Kle- riker. Die zweite Hälfte trägt den Kustoden auf, das Volk zur Verehrung des Altarsakraraents zu ermahnen, ferner zur Danksagung an Gott, sobald die Glocken ertönen das ist inhaltlich im wesentlichen dasselbe was der Brief an alle Obrigkeiten enthält; einzelne Satzteile stimmen sogar wört- lich überein.

1) 2. Celano III, 128.

2) Sabatier, Francisci Bartholi Tractatus de indulgentia, p. CLIV, Der Text des Briefes S. 135.

QUELLEN ZUB GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON A88ISI. 537

Es giebt nun zwei Möglichkeiten: entweder wurden aus diesem einen Briefe des Cod. Guarnacci drei gemacht oder aus den drei Briefen (an alle Elleriker, an alle Obrigkeiten, an alle Kustoden) einer. Die zweite Möglichkeit ist sehr viel wahrscheinlicher als die erste auf eine solche Ver- schmelzung konnte ein Kompilator wohl eher verfallen als auf eine bei diesen Adressaten doch recht auffällige Zer- teilung. Ich glaube deshalb, dafs Sabatiers Vorschlag, diesen von ihm entdeckten Brief des Cod. Guarnacci (neben dem Waddingschen Briefe an alle Kustoden !) fiir echt anzusehen, nicht annehmbar ist. Dagegen kann man sich wohl für die Echtheit des von Wadding überlieferten Briefes entscheiden. Denn dafs er erfunden sei, läfst sich bei seinem Inhalt nicht vermuten; was hätte es für einen Zweck gehabt, dieses an sich völlig bedeutungslose Begleitschreiben ohne selbständigen Inhalt zu erfinden?

Die drei unter e), f) und g) besprochenen Briefe sind, wie der Brief an die Kustoden zeigt, zu gleicher Zeit ge- schrieben worden. Als allgemeiner Zeitpunkt ergeben sich die Jahre, in denen auch die übrigen für weitere Kreise be- rechneten Kundgebungen entstanden sind, denn sie entspringen, wie ihr Inhalt glauben macht, alle dem gleichen Wunsche Fran- zens, die Gedanken seines Lebens noch einmal in dringender Mahnung auszusprechen, ehe seine Laufbahn zu Ende geht

Vielleicht läfdt sich noch ein engerer Termin aufstellen. Im Speculum Perfectionis c. 65, dessen Zurückgehen auf die älteste Überlieferung allerdings erst später begründet werden kann und hier einstweilen vorausgesetzt werden mufs, wird erzählt, dafs Franz in die Ordensregel eine Bestimmung aufnehmen wollte, „quod ubicunque fratres invenirent nomina Domini et vcrba illa, per quae conficitur corpus Domini, non bene et honeste reposita ipsi ea recolligerent et honeste reponerent honorantes Dominum in sermonibus suis. Et licet non seriberentur haec in regula quia ministris non vide- batur bonum ut fratres haec haberent in mandatum , tamen in testamento suo et in aliis scriptis suis voluit relinquere fratribus voluntatem suam de hiis'' ^ Diese Stelle ist nicht

1) babatier, Speculum Perfectionis, p. 119.

35

538 OOETZ,

nur ein indirekter Beweis für die Ek^htheit der TorliegendeD unter e) und h) besprochenen Schreiben, in denen die Für- sorge ftir die verba et nomina domini eingeschärft wird, son- dern sie läfst auch vermuten, dals sie nach der endgultigeD Abfassung der Regel, also frühestens 1223, entstanden sind. Vielleicht ist gerade 1223 der richtigste Zeitpunkt: nachdem die Aufnahme der gewünschten Bestimmung in die Regel gescheitert war, gab Franz auf andere Weise zu erkennen, was ihm am Herzen lag, und so entstanden die obigen drei Schreiben.

h) Der Brief an das Generalkapitel.

Wadding (Nr. 10 und 11) und seine Nachfolger geben zwei derartige Briefe, einen kürzeren und einen l&ngeren. Der kürzere hat in seiner ersten Hälfte drei in dem Brief Ad sacerdotes (s. u.) enthaltene Sätze, im zweiten Teil zwei Sätze, die in dem längeren Briefe (Wadding Nr. 1 1) stehen. Wadding hat die schon vor ihm ausgesprochene Vermutung^ dafs dieser kurze Brief nicht als selbständig anzusehen sd, abgelehnt; Sabatier hat, gestüzt auf die Handschriften (Nr. 338 zu Assisi, Cod. Ognissanti, Cod. Quamacci und Cod. Ma- zarinus 1743) und auf Ubertino von Casale, zudem auf ältere Drucke, gezeigt, dafs es sich nur um einen Brief handelt, zu dem auch der Brief Ad sacerdotes totius ordinis ' und zwar als Anfang hiezugehört *.

Es folgt im Cod. Assis. 338 und bei Ubertino dem Briefe, d. h. den beiden, die Wadding als Nr. Jl und 12 giebt, noch das Gebet, das mit den Worten beginnt: „Omnipotens^ aeteme, juste et misericors Deus" '.

Ob diese sämtlichen Stücke zusammengehören, scheint auch auf Grund der handschriftlichen Überlieferung nicht sicher entscheid bar zu sein ^ jedenfalls hat man sie schon

1) Bei Wadding n. 12.

2) Sabatier, Specuium Perfectionis , p. CLX.V, und Frandsd Bartholi Tractatus, p. CXXXV, CLIV.

8) Bei Wadding S. 101.

4) Sabatier a. a. 0. nimmt es an; Faloci-Pulignani, der Mise. Franc. VI, p. 94 f. den Brief „Ad sacerdotes totius ordinis'*

QUELLES ZUR GESCHICHTE DES HL, FBANZ VON ASSrSI. 539

frühzeitig (Ubertino) zusammengestellt, und dafs der kürzere (der von Wadding als Nr. 10 gegebene) keinen selbstän- digen Wert besitzt, ist wohl unzweifelhaft.

Einen Unterschied zeigen die beiden titiicke; der unter dem Namen Ad capilulum generale gehende Teil enthält nur ein ßibeicitat und einen Anklang an eine Bibelstelle; der andere Teil (Ad sacerdotes totius ordinisj wimmelt von Ci- taten und Anklängen. Dennoch machen beide Stücke den Eindruck der Echtheit: die Ausdrücke, mit denen Franz von sich selber apricht (ignorana, idiota, liomo viÜs, indigna creatura), die demütige Beichte, die er vor dem ganzen Orden ablegt, die Wiederkehr der in dem Schreiben an alle Kleriker und im Testamente geäufserten Wünsche (betr. divina verba scripta, strenge Einhaltung der Regel, Verehrung für den Leih und das Blut des Herrn, hohe Stellung der Priester infolge der Verwaltung dea Sakraments), die eindringhche, mit immer neuen Imperativen und bittenden Ermahnungen belebte Sprache zeugen dafür, dafa Franz sie geschrieben oder doch veranlafst hat. Es lUltt allerdings auf, dafs in beiden Stücken die Sprache nicht den einfachen Charakter bat, der als crates Kennzeichen der Echtheit angesehen werden konnte ^ aber man darf bei den so stark iur die Echtheit sprechenden Gründen vielleicht auf zwei Auswege

a. h. uia Oeneralkapitel, auch Cud. As^^. S38 abdriiclct, bält mit dem TJrtdl darüber zurück. Der Schluf* des Briefes Ad sacerdotes und der dauQ nach Sab atiera Angabe Tulgende AofanK dea Briefes „Ad ca|ii- tulum geueiale" passen nicbt selir einleucbtend zusammoD. Der Brief „Ad sacerdotes" bat eiaea völlig gescblosseoen luhalt: er haudctt aur von der Eucbaiistik. Möclite inao ibii deshalb für aclbstäiidig auseben, so stellt sieb Doch entgegeu, iah er keiaea rechten Scblufs hat. Einen solchen gielit der Biisf „An das Generalka|)itel " iu würdigster Form.

I) Eiuzelnc Ausdiücke des Testameates wie das bekräftigende „fir- mitcr" kfbren wieder; die Wendung ,.cum osculo pcdutn" findet sich auch am Scblufs der Regel von 1321. Im Teil „Ad cup. gen." beginnen die Sätze zum Teil mit dem beliebten „Et''. Der Teü „Ad sacer- dotea" erecheint den ersten Dokumenten im Stil fast weniger verwandt als der andere; aber die Beurteilung des Stils ist etwas zu subjektives, als daCs ich in cineni so wenig ausgeprägten Fülle einen bestimmten Schlufs daraua ziehen mQchte. Vgl. oben S. 532.

J

640 GOETZ,

verfallen: entweder schrieb Franz bei dieser Kandgebong für das Oeneralkapitel also für den ganzen Orden mit strengerer Wägung des Ausdrucks ^, oder das Schreiben ist von seiner Umgebung redigiert worden dafs er krank war, als er es schrieb, sagt die Überschrift im Cod. Assis. 338.

Wann ist dieses Schreiben entstanden? Dafs es nach dem Herbste 1220 fUllt, wird durch die Erwähnung des Generalministers in der Anrede bewiesen. Dafs es für ein Generalkapitel bestimmt gewesen sei, ist die alte Überliefe- rung (z. B. laut Überschrift im Cod. Assis. 338) und wird durch den Inhalt des Schreibens unterstützt Leider wird der Generalminister selber nur durch den Buchstaben A be- zeichnet — dafs es sich um Elias handle und dafs der spSter so verhafste Name nicht genannt werden sollte, ist eine an- sprechende Vermutung *. Dadurch würde Pfingsten 1221 der früheste Termin. Aber da es sich um ein Kapitel handelt, dem Franz wegen Krankheit fernblieb, so kann es sich nur um das Kapitel von 1226 handelnd Nur in die letzten Jahre, wo dauernde Krankheit ihn niederhielt und er sein Ende nahe fühlte, wo ihn die Sorge um die Zukunft des Ordens quälte, kann dieses Schreiben, an dessen Anfang die infirmitates erwähnt werden, (und ebenso das inhaltlich ver- wandte Testament) fallen.

Für diese Sorgen, für die unermüdliche Arbeit seines

1] Wogegen allerdings der Stil des Testamentes, das doch auch für den ganzen Orden bestimmt war, spricht.

2) Faloci-Pulignani, Mise. Franc. VI, p. 94. Vgl. Sabatier, Speculum Perfectionis, p. CLXXI. Freilich aus dem A zu schlicfspo, dafs es den Anfangsbuchstaben des zur Zeit der Manuskripts&bfassung regierenden Generalmioisters bedeute und danach den Zeitpunkt dieser Abfassung auf c. 1240 anzusetzen, ist eine etwas gar zu kühne Hypo- these (Sabatier, Vie de S. Frangois, p. 370 Note).

3) Faloci-Pulignani setzt (a. a. 0. p. 93) 1221 an mit Be- rufung auf Jordanus a Jano c. 17 (Anal. Franc. I, p. 6). Aber Jor- danus erzählt, dafs Franz auf dem Kapitel zugegen war, den Brfldem predigte und nur einmal debilis wurde und deshalb Bruder Elias, zu dessen Füfsen er sich setzte, für sich reden liefs. Unter diesen Um- ständen kann 1221 nicht in Betracht kommen.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSI8L 641

InoereD ist dies Schreiben ein neues Zeugnis; es enthält im «inzeloen auch einige neue, Bonst nicbt bekannte Gedanken ^z. B. die Mahnung, dafa nur eine Messe täglich gelesen ■werden aolle, wo Brüder zusammen seien '), und es fügt mit der General beichte vor dem ganzen Orden einen neuen Zug XU der Fcrsönlicbkedt des Heiligen hinzu.

i) An die Provinzialminister des Ordens.

Wadding fand diesen Brief lediglich in einem spanischen Franziskaner buche (Rebolledo) in einer spanischen Über- aelzung. Irgendein anderer Text ist, so viel ich finde, bis heute nicht zum Vorschein gekommen; Sabatier bat bei seinen vielen Forschungen in Handschriften keine Spur da- von entdeckt. Dieser Mangel jeglicher handachriftlichen Unterlage bat bereits Wadding zu Zweifeln veranlafst. Er iiat auf die Verwandtschaft mit der 27. CuUatio monastica ^^De conditionibus ministrorum provincialium ") hingewiesen, die im Inhalt (jedoch gar nicht im Ausdruck) Ahnliches bringt. Diese Coliatio ist aber nichts anderes als eine Ver- vandlung vom 2. Celano HI, 117 in direkte Rede (siebe unten S. 558) auf die etwaige Ableitung des Briefes aus dieser Stelle des Celano oder umgekehrt käme es also an. Die Berührungspunkte sind aber doch zu gering, als dafs man sich für das eine oder das andere entscheiden könnte. Die Frage bleibt offen.

Ich vermag auch aus dem Stil des Schreibens nichts für seine Echtheit zu folgern, denn erst Wadding bat ja den epaniachen Text ins Lateinische übersetzt. Es tällt aber auf, dafa zwei sonst nicht eben häufige Worte („ acceptatores personarum" und „verba eruere") und ferner die Warnung, nicht zu rasch die Hand ans Schwert zu legen, gebraucht »nd, die vielleicht auf Franz zurückgehen, da jene beiden

1) Daraus eine Waffe Keßen die PrivatmeMen zu schmieden, wie es Melancbllinn gethan, erscheiat nicht anhängig. Die Erkläruag, die schon Waddiag giebt, dafä mit dieser Bestimmung lediglich die Demut der Hü)derbrQder gegenüber dem äakraroent zum Ausdruck kommen sollte, hat mehr für sich als die Annahme einer Polemik gegen die Kirche. Denn eine solche lag für Franz zu fern.

642 GOETZ,

im Speculum Perfectionis c. 80 und dieser in c. 49 ^ gaos fthnlicher Fassung) vorkommen K Fand Wadding etwa in einer spanischen Vorlage jene Worte, deren lateinische Form lediglich hispanisiert war und die er nun wieder k- tinisierte?

Wie es nun auch mit der Echtheit des Briefes steht er bringt, da wir jenes Elapitel bei Thomas von Celano haben, nichts Neues, und er kann deshalb beiseite gelassen werden.

k) An Jakoba de Septemsoliis.

Diese Aufforderung des Sterbenden an seine Freundin Jakoba, rasch zu kommen, wenn sie ihn noch lebend an- treffen wolle, und Tuch für seinen Leichnam, Wachs fiir sein Begräbnis und femer einen bestimmten römischen Lecker- bissen mitzubringen, trägt die Kennzeichen der Erfindung deutlich an sich *. Franz stellt darin den Termin seines Todes so bestimmt fest, dafs man daraus die spätere Le- gende, die ihm diese richtige Prophezeiung natürlich zum Ruhme anrechnete ', erkennen mufs.

Der Brief scheint entstanden aus der Erzählung, die über den Besuch der Jakoba an Franzens Sterbebette vorhanden war. Denn in dieser Erzählung (Speculum Perfectionis c 112) ist der Brief, den Franz habe schreiben lassen, in indirekter Rede gegeben; er enthält jene Wünsche, aber die Prophe- zeiung seines Todes für einen bestimmten Tag fehlt. Wie aus den Erzählungen des Thomas von Celano (und des Spe- culum Perfectionis) später die Collationes und anderes an- gefertigt worden sind (siehe unten S. 558), so ist wohl auch dieser Brief dem Bedürfnis, so viel wie möglich direkte Zeugnisse des Heiligen bekannt zu geben, entstanden. Der Zusammenhang und die Abhängigkeit der Berichte über den

1) Der Ausdruck ,,acceptatio personarum" ist auch durch 2. Ce- lano III, 122 als von Franz gebraucht bezeugt.

2) Der Brief ist ohne Schlufs; Wadding schlofs daraus, dafs Frani, als er soweit gekommen war, die Ankunft der Jakoba Yorausahnte und deshalb aufhörten

8) So Pisanus, L. III, Conform. 4, p. 2.

QUELLEN ZVU QESCBICHTE DES HL. ERANZ VON ABSIBI. 543

£esuch der Jakoba am Sterbebette Franzens wird später noch behandelt werden. Diese späteren AuBfUhruDgeQ wer- den ebenfalls beweisen, dafs der vorliegende Brief nicht echt sein kann.

1) Die Briefe an Elias und an den Geiieralminister.

Wadding hat zwei Briefe an Bruder Ehas „totius ordlnis Ticarium" und einen „Ad generalera ministrum fratrum mi- noren" (ohne Namen, statt dessen ein N.) veröffentlicht ', Neuerdings hat der P. Ed. d'Alen^on den Brief an den Generalminister nach dem Cod. Vat. 7650 (mit Heran- ziehung eines Manuskripts aus Spello-Foligno) in einer neuen Form veröffentlicht *, und Sabatier brachte dieaelhe neue Lesart wie Alen9on nach dem Cod. Ognissanti '.

Die drei Waddingschen Briefe, die lauter Ermahnungen zur Liebe und Geduld gegenüber den Brüdern enthalten, fallen dadurch auf, dafs der dritte (VIII) der umfang- reichste — den gröfsten Teil des ersten (VI) und einen Satz des zweiten (VII) inhaltlich genau so und in ganz ähnlichen Wortlaut wiedcrgiebt. Es ist nicht recht denkbar, dafs Franz dieselben Dinge und Ausdrücke bei verschiedenen Gelegen- heiten verschiedenen Personen aus offenbar gleichen Qründeu geschrieben habe; die nächstliegende Folgerung wäre des- halb, dafs alle drei Briefe an dieselbe Persönlichkeit also an den zweimal ausdrücklich genannten Elias gerichtet sein müfsten dann wären diese Wiederholungen erklär- lich. Aber nach den nun schon mehrfach gemachten Be- obachtungen liegt es nahe, auch in diesen drei Briefen zu- anmmengehörige , aber durch die Hände der Überlieferung verstreute Gheder zu sehen. Sind doch Waddings Quellen Bo unsicherer Natur, dafs er selber die Zweifel nicht ganz onterdrücken konnte: den einen (VI) fand er nur in einem

1) Opuscula, p. 19sqq. (n. VI. TU. VIII).

2) P. Eduaidus Aljncunius. Epislola S. Frsncisci ad mi- nistrum generalcm in sua fuMiia oulhcntica, cum aiipendice de fr. Pctro Cat&nii, Roiuae 1899.

S) Sabatier, Francisci Battboli Tractatua, p. llSsqq. Subatier emäbnt S. 121 Anm. 1 noch drei andere BandschriCteD des Briefes.

1

544 GOETZ,

späten Druck, den andern (VII) wieder nur in einer spa- nischen Übersetzung, die er erst ins Lateinische übertrug, den dritten (VIII) in den donformitates des Bartholomeus von Pisa Handschriften fand er für keinen.

Auf Handschriften stützen sich nun Alen9on und Sa- batier. Der von ihnen nach der dreifach vorliegenden hand- schriftlichen Überlieferung gegebene Brief hat den Text von Wadding Nr. VIII mit einem kleinen Zusatz am Anfang ^ und neben einigen weniger wichtigen Varianten, mit drd sehr bedeutungsvollen Zusätzen in der zweiten Hälfte, die auf das bevorstehende Pfingstkapitel hinweisen, wo über die Behandlung der in Todsünde gefallenen Brüder verhandelt werden solle; der ganze Brief erhält dadurch ein neues Aussehen, einen anderen Zweck.

Hält man den von Wadding nach unsicherer Uberiiefe- rung gegebenen Brief mit diesem auf Handschriften sich stützenden vollständigeren zusammen, so mufs der zweite den Vorzug verdienen: die auf das bevorstehende Pfingst- kapitel hinweisenden Stellen konnten später eher weggelassen als erfunden und hinzugefügt werden '. So erscheint der Waddingsche Brief nur als eine Verstümmelung, die weiter- hin nicht mehr als Gegenstand der Untersuchung gelten darf'.

Stammt aber jener vollständigere Brief von Franz? Ich glaube, dafs man sich mit AIen9on und Sabatier dafür ent- scheiden kann. Der Stil erinnert durchaus an die zuerst besprochenen kunstlosen Briefchen, die Franz an Leo und an die hl. Klara schrieb: ein gesprochenes Latein, in dem beinahe jeder Satz mit Et anfängt und in dem das beliebte

1) Der sich auch in der italienischen Übersetzung des Briefes in c. 72 der rekonstruierten Leg. tr. Soc. findet, die sonst ganz mit- Wad- dings Text übereinstimmt.

2) Vgl. für alles Folgende die eingehende Untersuchung Sabatiers über diesen Brief in Francisci Bartholi Tractatus, p. 113—131. Dafs ich mit ihren Ergebnissen nicht ?öllig übereinstimme, zeigen die folgen- den Ausführungen.

3) Dafs der Waddingsche Text nicht genau ist, zeigt im zweiten Satze das einmalige ,,sive**, dem das zweite ^ergänzende „sitc** fehlt; in der neuen Lesart heilst es richtig: „sive fratres, sive alii".

QUELLEN ZOB OESCHICHTE DES BL. FRANZ VON A8SISL 545

„firmiter" des Teetametita nicht fehlt. Ebenso passen die Anschauungen des Briefes ganz zu Franz: die Mahnungen zum Mitleid und zur Liebe gegenüber den irrenden Brüdern entsprecben seiner Natur und sind in derselben Weise durch zuverlässige Überlieferung bezeugt '.

Noch wichtiger ist, dafs sich für den Brief eine ganz be- st immte Entslehungszeit ansetzen läfat. Franz giebt Rat- schläge, die der Empfänger des Briefes bis zum nächsten Ptingstkapitel aufheben soll und die dort bei dem Abschnitt der Kegel über die Todsünden berücksichtigt werden sollen. Damit ergeben sich sogleich zwei Grenztermine: der Brief kann nicht vor Herbst 1220 (denn eher wurde über eine neue Regel nicht verhandelt) und nicht nach Pfingsten 1223 ent- standen sein (denn ira November 1223 wurde die Kegel von Honorius III. bestätigt). Nun enthält aber die sogen. Regel von 1221, was Franz liier vorschlägt, nicht; dagegen hat die endgültige Kegel von ]223 einzelnes davon mit ähnlichen Worten. Die Grenzen werden dadurch noch enger: der Brief entstand erst nach dem Zeilpunkt, an dem der Ent- wurf einer neuen Kegel (sogen Regel von 1221) abgefafst wurde, und vor der Regel von 1223, für die seine Wünsche in gewisser Weise berückaichligt wurden. Mit voller Sicher- heit ist der Abfaasungstermin der Regel von 1221 nicht zu bestimmen; jedenfalls aber entstand sie erst nach MSrz 1221, nach dem Tode des Generalministera Petrus Cntaneus *. So bleibt die Zeit von etwa Herbst 1221 bis Winter 1222/23, späte- stens Frühjahr 1223 für die Abfassung des Briefes als wahr- scheinlichste ', und Elias mufs der Empfänger gewesen sein.

Entscheidet man sich für die Echtheit dieses Briefes, so

1) -i. Celano lU, III. Von einer direkten Beziehung des Briefes zu dieser Stelle (Aiifcrliguog danach !J kann niclit die Kede sein. Vgl. femer die Regel von 1221 und Speculum Perfectiuniä c. 80. Im Gegen- satz eil diesen milden Anscliaiiun^en steht allerdings die im Testamente gegen ungchorBame Brüder geforderte Strenge; mir scheint nach den angeführten Zeugnissen kein anderer Ausweg übrig, als dafs Franz sich CUT Zeit der Tcstamentsabfasaung in einer qiilLlendeu Sorge um seia Werk befand, die ihn im .Augenblicke die sonst geübte Milde vergessen liefs.

2) Näheres darüber in dem Abschnitt über die Regel.

3) Petrus Cataneus als Empßnger des Briefes aneusehea, wie

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646 GOETZ,

ergiebt sich allerdings eine schwerwiegende Folge nach einer anderen Richtung hin. Der Brief bildet in der Form, wie Wadding ihn giebt^ lediglich erweitert um einen kleinen Zu* satz am Anfangs das c. 72 der von Marcellino da Civezza und Teofilo Domenichelii rekonstruierten Legenda triam So- ciorum. Ist nun dieser Text des Briefes eine Verstümme- iung; so kann dieses Kapitel nicht von denjenigen, die dea wahren Text kannten, in die Legenda trium Sociorum ge- setzt sein. Es wird später ausführlich auf diesen Punkt zurückzukommeu sein. Sabatier (a. a. O. S. 129) hat in- sonderheit eine Lesart seines neuen Textes 0,Et in hoc dilige eos et non velis quod sint meliores christiani'') gegenüber der Waddingschen Lesart Gv ut vclis ...'0 ^^ besser hervorgehoben. Waddings Quelle, Bartolomeo de Pisa oder schon dessen Vorgänger, haben sieh die mit Et non velis unverständliche Stelle durch ein Ut verständlich gemacht Aber auch das wäre ein Argument gegen die l^egenda trium Sociorum c. 72, denn da heifst es: „et in questo ama loro che vogli sieno migliori christiani^*, was auf denselben latei- nischen Text zurückgeht, den Wadding vor sich hatte. Übrigens deutet Sabatier diese etwas schwierige Stelle des Briefes dadurch, dafs er christiani mit leprosi gleichsetzt so habe Franz das Wort gebraucht. Ich roufs demg^en-

Alen9on (s. oben S. 543 Anm. 2) event. thun möchte, erscheint auch aus anderen Gründen nicht angängig. Der Titel Generalminister, der in der Überschrift und in einer Handschrift auch am Anfang des Briefes (io den anderen nur „ministro'*) steht, ist nicht beweiskräftig; entweder ist das ein Zusatz späterer Abschriften (weil man Elias nur als Ge- neralminister kannte) oder ein gar nicht unrichtiger Titel f(ir denjenigen, der die Geschäfte des verstorbenen Generalministers oder Generalnkars Petrus Catancus übernommen hatte. Der Brief setzt, wie mir scheint, voraus, dafs Franz die Thätigkeit des Adressaten eine gute Weile bereits beobachtet hatte; da aber Petrus nur wenige Monate, vom 29. Sep* tember 1220 bis zu seinem Tode am 12. März 1221, das Amt verwal- tete, so wären die Mahnungen mit einer bei Franz auffälligen Raschheü erfolgt. Da ferner, wie oben weiter ausgeführt wird, ein anderer an Elias gerichteter, mahnender Brief vorhanden ist, so mufs wohl auch der zweite ihm gegolten haben. Vgl. jetzt noch das während der Drucklegung dieses Aufsatzes erschienene Buch von Leropp, Elie de Cortone, p. 159 sqq., wo der Biief ebenfalls als echt angesehen wird.

qUELLKN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 547

über auf die Regel von 1221 c. 16 hinweisen, wo cbrUtiani nur mit Christen übersetzt werden kann. Die Überschrift des Briefes An alle Christen, in der es ebenfalls so gebraucht ist, Bei als vielleicht nicht auf Franz selber zurückgehend beUeite gelassen. Dafs Franz die Leprosen christiaoi ge- nannt hat (Speculum Perfectionis c. 58), schliefst noch nicht ein, dafs er jedesmal mit dem Worte christiani die Leprosen meinte. Es scheint mir aber doch sehr zweifelhaft, die Stelle auf die Leprosen zu deuten es liegt sonst kein Anhalts- punkt dafür in dorn Briefe vor, und nach den vorangehen- den Sätzen kann man das eos nur auf die vorher genannten fratres deuten. Die Lesart ut velis wäre jedenfalls verständ- licher; will man aber die Lesart der Handschriften vor- ziehen, 80 bleibt dieselbe Möglichkeit einer Lösung, wie sie Sabatier gegeben hat: „Du darfst nicht immer wollen, dafs diese Christen besser seien, als sie nind." Es fällt damit der Versuch, auch das Prinzip der Leprosen pflege zu einem Gegenstände des Konfliktes zwischen Franz und Elias zu machen (Sabatier a. a. 0. S. 129).

Sabatier hat angenommen, dafs dieser Brief zu den Quellen gehöre, die uns einen Einblick in die Konflikte der letzten Jahre gewähren ; den ganzen Gegensatz des Elias zu Franz sucht er darin zu erkennen: Elias wird hier wie anderwärts bei Sabatier zum Anti - Franz" '. Ohne dafs ich die Verschiedenheiten der beiden Männer leugnen möchte, 'will mir doch scheinen, dafs man den Gegensatz nicht über- treiben und dafs man aus dem vorliegenden Briefe nicht mehr machen darf, als er enthält. Sein Anfang * läfst er- kennen, dafs sich Elias über den Zustand seines Inneren bei Franz (brieflich oder mündlich) ausgesprochen hatte: über die Unmöglichkeit, Vergehen der Brüder mit Geduld zu er- tragen. Dafs er es dennoch thun müsse, ist der Inhalt der Mahnungen Franzens. Man mag daraus folgern, dafs Elias

1) Sabatier a. a. 0. S. 121f 128.

2) „Dico tibi sicut possum de facto animae tuae, quod ea quae te impediimt amaie Dominum Deum et quicunque tibi impedimenlum feceriut sire fratres sive alii etiam si te verberaverint , omnia debes habere pro gratia et ita velis et dou aliud."

548 GOETZ;

eine herrische Natur war; aber aus diesem Briefe darf, ohne Anwendung von Zwang, noch nicht gefolgert werdeo, dafs ein sachlicher Gegensatz zwischen den beiden Männern bestanden oder dafs Franz in schwerem persönlichen Kummer geschrieben habe. Einen solchen Eindruck empfinde ich beim Studium dieses Briefes nicht ; er giebt warme väterliche Er- mahnungen und Ratschläge, wie ein für allemal eine Norm zur Behandlung irrender Brüder aufgestellt und der subjek- tive Unwille eines Oberen ausgeschaltet werden könne. Es soll an Elias unzweifelhaft eine Mahnung erteilt werden; aber der Brief zeigt die scharfe Spitze nicht, die Sabatier darin erkennen möchte; ich finde sie auch in dem. späteren Verhalten Franzens zu Elias nicht in dem Mafse wie Sabatier. Was Franz beklagt, was ihn in seinen letzten Lebensjahren quält, ist das Abweichen der Brüder von seinen strengen Idealen; nur entsprach es seiner Natur nicht, mit schrofier Energie dagegen einzuschreiten solche Strenge, wie Elias sie üben wollte, verletzte sein weiches Oemüt ^. Und schon deshalb konnte Franz den Elias für wenig geeignet zur künftigen Leitung des Ordens ansehen ' ohne dafs man notwendig an gröfsere sachliche Gegensätze zwischen ihm imd dem Manne, der bis zu seinem Tode in seiner nächsten Nähe weilte, zu denken braucht.

Höchst wichtig ist ein anderes Ergebnis, das aus diesem Briefe gefolgert werden mufs: was Franz zur Aufnahme in die Regel in ganz bestimmter Fassung vorschlägt, ist, wie die Regel von 1223 zu erkennen giebt, nur in Bruchstücken aufgenommen worden. Was wegfiel, ist die Mahnung an die Brüder, den in Todsünde gefallenen Bruder nicht herab- zusetzen, sondern Mitleid mit ihm zu haben und seine Sünde möglichst diskret zu behandeln, damit ihm um so eher ge- holfen werde ^. Und ebenso wurden die Vorschläge für das formale Verfahren etwas verändert, und das Urteil, das er

1) Vgl. Speculum Perfectionis c. 71 und sonst!

2) Wie 2. Celano III, 116 (und ebenso Speculum Perfectionis c. beweisen.

3) Ähnlich stand das bereits in der Regel Ton 1221 c. 5; und nor in dieser Form wurde es in die neue Regel aufgenommen (c. 7).

qrELLEN ZUR GESCHICHTE DES UL, PBAKZ VON ASSISI. 549

jedem Priester gegenüber dem Irrenden anraten wollte: Gehe und Bündige nicht weiter, fiel weg. Immerhin mufs man feststellen, dafs auch die Regel von 1223 (c. 7) Mitleid mit den Irrenden empfiehlt und vor jedem Zorn über fremde Sünde warnt. Wenn in die Regel nicht jene Straflosigkeit hineingesetzt wurde, die Franz mit den Worten: „Gehe und Bündige nicht weiter" einfuhren wollte, so hatten die realer denkenden Brüder auf dem Generalkapitel wohl ein Recht dazu ein Gegensatz braucht darin noch nicht gesehen zu werden, sondern nur eine etwas nüchternere Betrachtung der Welt Franz selber blieb nicht immer in der milden Stim- mung dieses Briefes: mit welcher Schärfe forderte er ira Testamente die Bestrafung jedes ungehorsamen Bruders! ' Ich kann deshalb nicht zugeben, dafs dieser Brief, ver- glichen mit der Regel von 1223, den Konflikt zwischen den Ideen Franzens und der seinen Lehren untreuen Mehrheit des Ordens illustriere " das ist eine zu weitgehende Deu- tung der schlichten Worte dieses Briefes. Damit soll der Konflikt selber keineswegs geleugnet werden; aber er darf nicht am unrichtigen Orte festgestellt werden *.

Wie aber steht es mit den anderen beiden an Elias ge- richteten Briefen (Wadding Nr. VI und VII)? Es wurde erwähnt, dafs der erste (VIJ sich bis auf seinen Anfang (Ai rede und zwei ganz kurze Sätze) vollständig in dem nun-

1] Sabalter bat diesen Einwand vorausgesehpD ; er meiat (a. S. 128 Anw. 1), Franz habe im Teatament keine Strafe, sondern die Überlieferung an den Ordensproiektor Kardinal Hugolin befohlen. Aber gaux abReeehen davon, dafs diese Stelle mit ihrer Vorschrift eines peinlich formalen Verfahren; nur in dem Gedanken an strenge Strafe verständlich ist, so steht doch auch aUfidrUcklich und sogar zweii darin, dsfs man den Ungehursamen bewachen soll „sicnt hominem in TiDculis die noctuque". Zu dein Qelste dieser Worte pafst das „Vade etc." nicht mehr.

2) SftbAtier a. a. 0. 8. 128.

S) Weil der Brief nicht so bedeutungSToll für die inneren Kämpfe des Ordens ist, sehe ich auch darin, dafs Bonaventura diesen Brief (und doch auch die anderen!) nicht erwithül, noch keine Tendenz das waren Dinge, die aiifserhalb der Aufgabe, die er sich gestellt batte, lagen.

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550 GOETZ,

mehr für echt angenommenen, gröfseren Briefe an Elias be- endet ; ich glaube, dafs er dadurch seinen Wert verliert und lediglich als ein späterer Auszug betrachtet werden molk. Der zweite dagegen berührt sich obwohl er einen fthn- liehen Zweck der Ermahnung zur Milde hat nur an «iner Stelle direkt und wörtlich mit dem gröfseren Briefis^ und zwar ist diese Stelle ein biblisches Gitat, das sich auch in der Regel von 1221 c. 5 findet also offenbar Frans geläufig war ' ; der übrige Inhalt ist in seiner Ausdrucks- weise ganz selbständig. Ich möchte deshalb auch diesen Brief, dessen Stil an die anderen echten Briefe erinnert', für echt ansehen ; die Thatsache einer wiederholten Mahnung an Elias ist an sich sehr wohl möglich. Und zwar würde dann dieser Brief wohl zeitlich vor den anderen fallen; da- für spricht die Nichterwähnung des Antrages an das General- kapitel dieser Antrag war das Ergebnis der beiden Briefe und der dazwischen liegenden Qespräche beider Männer. Geht man mit Vermutungen zu weit, wenn man annimmt, der erste, kürzere und weniger herzliche Brief habe zu der Aussprache geführt, auf die am Anfang des zweiten Briefes hingedeutet wird? Dann hätte Franz seine Überlegung^ scbliefslich zu dem für das Generalkapitel bestimmten An- trag verdichtet; dafs er Elias diesen Antrag mitteilte und ihn bat, das Schriftstück bis Pfingsten aufzubewahren, darf auch als ein Zeichen des Vertrauens angesehen werden.

Der erste Brief (Wadding VII) würde also nicht allza lange vor dem ausführlicheren geschrieben sein; auch für ihn würde die Abfassungszeit ungefähr zwischen Herbst 1221 und Winter 1222/23 fallen.

1) In dem als echt erkannten Briefe an Elias und in der Regel von 1221 stimmt das Gitat ganz aberein: „non est sanis opus medicos sed male habentibus^'; in dem noch strittigen Briefe (VII) heifst es: „non est opus bene babentibus medicus, sed male habentibus^^ Viel* leicht kann auch das als ein Beweis für die Selbständigkeit des strit* tigen Briefes angesehen werden.

2) Nur der Scblufs mit seinen sieben Imperativen (Yigila, admooei labora, pasce, ama, ezpecta, time) hat etwas Rhetorisches, das bisher noch in keinem Briefe hervortrat.

qUELLEX ZDR OESCnJCHTE DES IlL. FRANZ VON ASSISl. 551

4. Die Regein.

TJDzweifelhaft ist die von Franz fiir den Orden ge- Bchriebene Regel einea der yornehmsten Dokumente seiner PerEÖnlichkeit. An die verschiedenen Fassungen dieser Regel, die uns vorliegen, knüpfen sich Zweifel und Streitfragen, die nur im Zusammenhang mit den ältesten Leb ensbescli reib un gen betrachtet werden können; denn gerade was darüber nach Karl Müllers Untersuchungen noch Neues gesagt werden könnte, hängt mit dem Speculum Perfectionia und der Echt- heit seiner Nachrichten zusammen. So möge dieser Abschnitt iiir später zurückgeschoben werden. Doch sei im voraus bemerkt, dafs die sogen. Regel von 1221 wohl auf alle Fälle von Franz entworfen und wenn nicht ganz von ihm selber, 80 doch unter seiner beherrschenden Mitarbeit redigiert wor- den ist.

5. Die Admonitiones '.

Die „Veiba aacrae admonitionis b. Patris Francisci ad omiics fratres suos" enthalten in 27, bis auf das erste kurzen, Kapiteln Ermahnungen des Heiligen und Seligpreisungen, diese wie jene in enger Anlehnung an biblische Stellen, Wadding (Opuscula p. 70 sqq.) hat für diese Admonitionea sowolü Handschriften wie alte Dnicke als Unterlage benutzt. Sie sind in einer ganzen Reihe von Handschriften vorhan- den *, olinc dafs doch dadurch eine Beglaubigung ihrer Echt- heit gewonnen wäre.

Sabatier hat die Vermutung ausgesprochen, dafs diese Admonitiones die Grundlage für die Regel von 1221 seien, so enge sei die Berührung im Stil und Gedankengang; die Auseinandersetzungen, die in jener Zeit zwischen Franz und

1) Gedruckt noch Waddiogs Test in allen Ausgaben der ÜpiiscuU; das erste Kapitel in einer zum Teil besseren Lesart in den Miscell. Franceacana VI, p. 96.

2) Vgl. darüber Sab atier im Spcculum Perfectionis und im Tractatus de Indulgentia , beidemal im Re^iäter unter AdmoLitiones. Auf den Cod. 338 2U Aasisi ist kein höherer Wert zu legeu ah auf an- dere Handschriften, solange niclit seine EutstehuDg um 1240 (s. oben S. 373 Anm. 2) beglaubigt ist.

Ziitubt. t K.-a. ixu, i. ä6

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552 GOETZ,

Kardinal Hugolin über die neu zu schaffende Regel statt- fanden; hätten in diesen Admonitiones ihren tagebuchartigen Niederschlag gefunden: die Einwände, die man gegen seine Ideen machte und die er in seinem Innern verarbeitete^ klängen zwischen den Zeilen hervor ^

Man mufs doch in erster Linie fragen: sind diese Ad- monitiones in der ältesten Überlieferung beglaubigt? In der ersten Vita des Thomas von Celano könnte eine Stelle auf Kenntnis der Admonitiones gedeutet werden beweiskräftig wäre sie allein wohl nicht *. In der zweiten Vita des Tho- mas ist dagegen die Thatsache, dafs Franz an das Qeneral- kapitel schriftliche Ermahnungen zu richten pflegte , un- zweideutig bezeugt: „Pro generali commonitione in quodam capitulo scribi fecit haec verba . . ." (folgt ein Citat) \ Die Legenda trium Sociorum giebt an einer Stelle, deren Her- kunft aus anderen Quellen van Ortroy bei seinem zerstören- den Angriff nicht hat nachweisen können ^ und die also doch nicht ohne weiteres wegdisputiert werden kann; die Nachricht, dafs Franz auf den General kapiteln „faciebat ad- monitiones, reprehensiones et praecepta" ^

So ist es wohl unzweifelhaft, dafs Franz auf den General- kapiteln Ermahnungen gab, die vorher oder gleich nachher aufgezeichnet wurden. JSind die überlieferten Admonitiones die echten?

Das Citat, das Thomas von Celano in der zweiten Vita bringt, ist der nächstliegende Anhaltspunkt: es findet sich

1) Sabatier, Vie de S. Fran^ois (1694), p. 297sq.

2) 1. Celano I, 29: ,,Cum litteias aliqnas salutationis Tel admoni- tionis gratia faceret scribi, non patiebatur ex bis deleii litteram ali- quam . . /*

3) 2. Celano III, 68. Ich lasse auch hier das Speculum Perfectic- nis, das in c. 96 Ahnliches giebt, zunächst beiseite. Vgl. auch ebenda c. 87 (Schlufs).

4) Vj/1. Anal. Bullandiana XIX, p. 190.

6) Legenda trium Soc. c. 14 (nach alter Zählung, c. 20 in der Re- konstruktion). Dafs in der rekonstruierten Leg. tr. Soc. die c. 46 und 47 aus der zweiten Hälfte der Admonitiones (c 14 26), den Selig- preisungen, besteht, sei erwähnt, ohne dafs daraus zunächst irgendwelcher Schlufs gezr-ifon werden soll.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 553

nicht in den vorliegenden Admonitiones. Zwar bat c. 27 derselben einen verwandten Inhalt, aber der Wortlaut ist ein ganz anderer ^ Thatsächlicb steht nun das Citat Celanos in der Kegel von 1221 c. 7 (am Schlufs), und es bleibt der Zweifel; wie Celano dazu kam, anstatt ,;in regula^' zu schreiben ;,pro generali common! tione in quodam capitulo'^

Eine unanfechtbare Bestätigung der vorhandenen Ad- monitiones durch die älteste Überlieferung liegt also zu- nächst nicht vor *, freilich auch kein die Echtheit beein- trächtigendes Moment. Es fragt sich; ob sie nach ihrem Inhalt echt sein können?

Sabatier hat in der erwähnten Stelle auf die Berührungs- punkte dieser Admonitiones mit der Kegel von 1221 hin- gewiesen; Faloci-Pulignani hat das 1. Kapitel der Admoni- tiones mit dem Schreiben des Heiligen an das Generalkapitel (einschliefslich des sogen. Schreibens an alle Kleriker) zu- sammengestellt und den enge verwandten Inhalt (Verehrung der Eucharistie) betont ^. Man kann als drittes hinzufügen, dafs sich das Schreiben An alle Christen sowohl mit der Regel von 1221 wie mit den Admonitiones in den Gedanken- gängen mehrfach berührt und doch nicht so, dafs man das Schreiben und die Admonitiones etwa als spätere Ableitungen aus der Regel ansehen könnte *.

1) Dagegen bringt Speculum Perfectionis c. 96 denselben Wortlaut ivie die Admonitiones und es leitet das Citat ohne Hinweis auf ein Generalkapitel mit den Worten ein: „Undc in quadam sua admoni- tione clarius expressit, qualis debet esse laetitia servi Dei, ait enim . . /^

2) Denn das Citat im Speculum Perfectionis c. 96 kann gegenüber den Angriffen gegen seine Echtheit und gegenüber den immerhin etwas bedingten Ergebnissen, zu denen später unsere Untersuchung kommen wird, nicht als unanfechtbar gelten.

3) Miscellanea Francescana VI, p. 93 sqq. Freilich setzt Falod- Pulignani die Frage der Echtheit dabei voraus.

4) Es berührt sich Admonitiones c. I mit An alle Christen c. 4; c. III mit Regel von 1221 c. 5; c. IV mit Regel 1221 c. 4 und An alle Christen c. 9; c. IX mit Regel c. 22 und An alle Christen c. 8; c. X mit Regel c. 22; c. XI mit Regel c. 5; c. XXV mit An alle Christen c. 7. Es sei ferner darauf hingewiesen, dafs in c. XXV das- selbe gefordert wird wie im Testamente: unbedingte Verehrung der

36*

554 OOETZ,

Es liegt in dieser Berührung mit echten Stücken dne gewisse Gewähr für die Echtheit der Admonitiones.

Sie gehören in die Klasse derjenigen Schriften, die gidch dem Brief An alle Christen nicht die kunstlose Abfassasg»- weise der unanfechtbar echten Gruppe (Testament, Briefe an Leo, EJara, Antonius) zeigen, sondern in gefeilterer Sprache und geschmückt mit vielen Bibelstellen einhergehen. Es will mir scheinen, als sei eine stilistische Verwandtschaft zwischen den Briefen an weitere Kreise, der Regel von 1221 und den Admonitiones vorhanden, als sei der Stil noch immer bei weitem einfacher und gedrängter als in anderen Schrift- stücken der damaligen Zeit.

Über die Entstehungszeit der Admonitiones läTst sich ebenso wenig etwas sagen wie über ihre Vollständigkeit. Die vorliegende Form eines in 27 Kapitel eingeteilten Ganzen ist wohl sicher erst durch die spätere Sammlung und Zu- sammenstellung der einzelnen Ermahnungen entstanden, ob- wohl diese Kapitel bis auf eins * keine Wiederholungen bringen. In mehreren Handschriften folgt noch ein 28. Ka- pitel mit der Überschrift: ;,De rcligiosa habitationc in eremi- toriis'^, das Wadding nach der Handschrift in Assisi als dritte seiner Collationes monasticac giebt ^. Man kann nicht sagen, dafs es zu den vorangehenden Kapiteln irgendwie pafste; denn es enthält nicht wie diese lediglich allgemeine Ermahnungen, sondern genaue Bestimmungen über das Leben und die Tageseinteilung der in Eremitorien weilenden Brüder. Derartiges entspricht dem Charakter der Admonitiones nicht; eher möchte man glauben, dafs diese Vorschrift über das Leben in den Eremitorien als eine Vorarbeit oder Ergänzung der Ordensregel entstanden ist.

Sabatier hat, wie erwähnt, angenommen, es handle sich bei den Admonitiones um einen tagebuchartigen Entwurf für

Priester der römischen Kirche, weil sie den Leib und das Blut des Herrn verwalten.

1) Kap. XXII und XXIII bringen zum Teil das gleiche.

2) Vgl. Sabatier, Speculum Pei fectionis , p. CLXXI. CLXXXII et p. 26 Note 1; Francisci Bartholi Tractatus, p. CXXXV. CXLVII; Vie de S. Fran^ois (1894), p. 125 Note 1.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 555

die Regel von 1221; aber dafür fiode ich doch die Zahl der Beriihrungspuokte zu gering, und vor allem widersprechen dem die angeführten Zeugnisse der ältesten Überlieferung und die Aagaben der Handschriften, in denen es mehrfach heifst; Admonitiones ... ad omnea fratres."

So ist e3 doch vielleicht besser, daran festzuhalten , dafs diese Ermahnungen mit der Regel von 1221 in keinem di- rekten Zusammenhang stehen, sondern dafs sie bei Gelegen- heit der Ordenskapitel in ihren einzelnen Teilen entstanden Bind und nach dem Tode des Heiligen zusammengestellt wurden.

Unbekannte Einblicke in die Anschauungen des Heiligen bringen die Admoniliones nicht, aber doch eine Reihe von Ergänzungen. Noch in keiner der bisher besprochenen Schriften ist die Gefahr des eigenen Willens, die Notwendig- keit der Unterordnung unter den Willen des geistlichen Oberen, auch wo seine Meinung anfechtbar erscheint, so Btark betont worden {c. HI); auch die gelehrte Forschung Qber das Bibelwort wird, falls der Geist des Wortes nicht ergriffen und befolgt wird, a!s wertlos und todbringend be- zeichnet (c. VII). Dafs der Korper, weil er sündigt, der Feind jedes einzelnen sei, wird ausgesprochen; glücklich ein jeder, der diesen Feind immer gefangen halte und sich vor ihm schütze.

Wadding läfst auf die Admonitiones eine Exhortatio ad bumilitatem , obcdientiam, devotionem et patientiam folgen. Da sie lediglich eine Aneinanderreihung der c. XIX, XX und XXII der Admonitiones ist, so kann ihr ein selbstän- diger Wert, ein Anspruch auf Echtheit nicht zugebilligt iverden.

Ein anderes kurzes Schriftstück ist in älteren Werken der Franziskanerhtteratur ebenfalls den Admonitiones (als c. 26) eingereiht': der aus elf Sätzen bestehende Traktat

1) Nähere Nachricht ilaruber bei Waddiue, Opuscula, p. 6S; abatier, Vie de S. Frau^ois (1894), p. XL gicbt aus dem Cod. 338 1 Aasisi eine Lesart, die nur die vier eratea S&tze eutb&lL Vgl. Spe-

656 GOETZ,

,,De virtutibus quibus decornta fuit S. Virgo." Zu den Ad- monitiones gehört er nach seiner ganzen Art nicht; Thomas von Celano (2. Vita III, 119) nennt ihn richtiger ,,Laudes, quas de virtutibus fecif ; denn auch Maria hat, abgesehen von der Überschrift, keine weitere Beziehung dazu. Dafs es sich um eine echte Aufzeichnung Franzens handelt, wird durch das Citat des ersten Satzes, das Celano giebt (a. a. 0.), bestätigt und ebenso durch die für Franz charakteristischen Bezeichnungen „Soror sancta humilitas'^, „soror sancta obe- dientia". Vgl. unten Nr. 9 (S. 560 £ Dichtungen).

Verwandt mit den Admonitiones ist vielleicht die Aus- einandersetzung „De Vera et perfecta laetitia fratrum Mi- norum" sie enthält Ermahnungen an die Brüder, wie sie sehr wohl auf einem Generalkapitel von Franz einmal aus- sprechen sein könnten. Er giebt ein Beispiel, wie die wahre Laetitia beschaffen sein müsse: in Schnee oder Regen, bei Kälte und Hunger in der Nacht trotz dreimaligen Bittens um Aufnahme abgewiesen und beschimpft vom Pförtner der Portiuncula und schliefslich mit Peitschenhieben von der Pforte vertrieben sollen die Brüder dennoch fröhlich bleiben.

Wadding, der dieses kleine Schriftstück bringt (S. 93), kann sich nur auf spätere Quellen berufen; Handschrüteu sind seitdem nicht zum Vorschein gekommen.

Die Prüfung nach stilistischen Merkmalen deren Wert nicht überschätzt werden soll läfst auch hier die Wag- schale zu Gunsten der Echtheit sinken. Die Sprache ist einfach, und sie erinnert an das gesprochene Wort, in ihrer Schlichtheit und in ihrer Eindringlichkeit. Ebenso ist der Gedankengang dem Sinne des Heiligen entsprechend. Tho- mas von Celano hat in der 2. Vita III, 83 eine ähnliche Erzählung gegeben ^: auch da will Franz bei allen De- mütigungen sich die laetitia mentis bewahren, wie es sich für einen rechten Minderbruder gezieme. Ein nicht ganz unwichtiges Zeugnis für die Echtheit ist eine Redewendung

culura Perfectionis p. CLXXII und Francisci Bartholi Tiactatus, p. CXXV. CXXX. CXLVII.

1) Dasselbe im Speculum Perfectionis c. 64. Vgl, dazu auch c. 96.

QUELLEN ZUU GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISL 557

«des Traktats: der Pförtner weist die bittenden Brüder ab und sagt ihnen: ;;Ite ad hospitale/^ Diese Aufforderung, zum Hospital der Leprosen zu geben, weist aus Gründen; die Sabatier vielfach erörtert hat und auf die bei Prüfung des Speculum Perfectionis noch zurückzukommen sein wird, auf die älteste Zeit hin, denn die Leprosenpflege hat später nicht mehr die Rolle gespielt ^ die Franz selber ihr zuwies, und vor allem die Wendung „ad hospitale'' ohne einen erläuternden Zusatz ist nicht gut anders denkbar als im Munde desjenigen, der damit eine ganz bestimmte ört- liche Vorstellung das Hospital Rivo Torto nahe bei der Portiuncula verband ^ Die Echtheit des Traktates er- scheint dadurch gesichert.

6. Die Gebete.

Die von Wadding S. 97 120 aus Handschriften und aus der älteren Franziskanerlitteratur zusammengestellten (13) Gebete des Heiligen samt einer „Expositio super orationem Dominicam" mögen zum Teil von Franz sein aber ich wage darüber kein Urteil. Der Stil des Gebetes ist ein so anderer, dafs die Möglichkeit zu Vergleichen fehlt. In einigen dieser Gebete stehen Wendungen, die man Franz würde zuschreiben können, einzelne jedoch, wie die „Oratio S. Francisci in suae conversionis initio" und die „Oratio pro commendanda sua familia" erwecken berechtigtes Mifs- trauen wer hätte jenes erste Gebet aufzeichnen sollen? Das zweite aber steht, nicht als isoliertes Gebet, sondern als Worte, die Franz nach dem Verzicht auf das Generalminister- amt vor dem Generalkapitel sprach, im Speculum Perfectionis c. 39; der Titel „Gebet" stammt erst von Wadding. Auch hier sieht man die Absicht, aus den Aufzeichnungen über das Leben des Heiligen möglichst viele originale Worte und Aufzeichnungen zu erheben. Da man aber nicht zu sagen vermag, wie viel die Verfasser der Legenden hierbei eigen-

1) Pisanus hat in den Conformitates L. 1 Conf. 6 u. 12 am An- fang dieses Traktats und an den beiden Stellen, wo der ImperaÜT fyScribe*' vorkommt, die Lesart: „o frater Leo scribe*^

558 OOETZ,

mächtig gestaltet haben ^ so sind diese angeblich direktea Zeugnisse wohl alle mit Vorsicht aufzunehmen. Wie wäre es möglich gewesen ; ein jedes der Worte des Heiligen, die bei der und jener Gelegenheit fielen, genau festzuhalten?

Der nachfolgende Abschnitt über die CoUationes mo- nasticae fuhrt noch stärker zu den gleichen Betrachtungen. Der Wert der Gebete ist nicht so grofs, dafs man nicht ohne Schaden an ihnen vorübergehen könnte ^

7. Die CoUationes Monasticae.

Diese 28 CoUationes sind von den bisher betrachteten Werken des Heiligen durchaus zu scheiden. Es besteht für sie keine gesonderte Überlieferung, sondern erst Wadding hat sie unter diesem Titel zusammengestellt, indem er sie aus den verschiedensten Schriften herauslöste und ihnen ohne weitere Prüfung Authenticität zuschrieb. Den Namen Col- lationes monasticae, d. h. Gespräche für Ordensleute, gab er ihnen, weil er bei Bonaventura in seiner Legenda major das Wort doch ganz ohne direkten Zusammenhang mit dem, was Wadding giebt fand ^ und ebenso noch bei anderen Schriftstellern, und dann weil Bonaventura zwei seiner Schriften mit dem gleichen Titel bezeichnet hat.

Bis auf die dritte CoUatio die schon erwähnte De re- ligiosa habitatione in eremitoriis (siehe oben S. 554) sind alle mosaikartig und willkürlich zusammengesetzt. So ist z. B. von der ersten Collatio der erste Satz aus Bonaventura, der zweite aus Rodulphus, alles weitere aus 1. Celano I, 11 (zum Teil jedoch in der Lesart, die Marianus giebt). Die

1) Vgl. über die „Oratio praeponenda horis canonicis** unten S. 561 Anm. 1. Ein echtes, aber für die geschichtliche Würdigung des Hei- ligen belangloses Werk ist' das Officium Passionis Dominicae (Wad- ding S. 880 ff.); es ist bezeugt durch die Vita S. Clarae, die Thomas von Celano yerfafste.

2) Bonayeutura c. 4 n. 1: Während Franz unterwegs den Ge- nossen die Regel ans Herz legt, ihnen den Weg der Heiligkeit und Ge- rechtigkeit beschreibt und sie ermahnt, sich selbst zu fördern und an- dern ein Beispiel zu sein , diutius coUatione protracta hora per* trangiit *^

QUELLEN ZUR GESCOICHTE DES HL FRANZ TON ASSISI. 669

zweite CoUatio etammt aus der Legenda trium Sociorum c. 10 und c. 9, aus Piaanus, aus Bonaventura c. HI und Rudulphus; die dritte Collatio aus Speculura PerfectioniB c. 47 und Bona- Tentura c. VI u. s. f. Wadding hat seine Queüeu überall gewiBseuhaft notiert; häufig hat er, was die Vorlage in in- direkter Rede gab, in direkte umgesetzt.

Ea bedarf keiner weiteren Ausführungen , dafs diese Kompilation nicht zu den „Werken" des Heiügen gerechnet werden kann. Im einzelnen zu untersuchen, ob auf Franz zurückgehen kann, was die von Waddiiig genannten Quellen als seine Worte geben , ist eine unmögliche Arbeit ; von vornherein ist der stärkste Zweifel, dafs es sich dabei um eine vollkommen treue Überlieferung handle, am Platze ', Das eine oder andere Wort mag ja auf Franz zurückgehen, aber als authentische Zeugnisse können diese Reden nicht angesehen werden *,

8. Apophthegmata, Colloquia, Prophetiae, Parabolae, Exempla, Oracula.

Für diese ganze Gruppe gilt das Gleiche wie für die CoUationea: es handelt sich dabei lediglich um Zusammen- BtelluDgen Woddings aus der älteren Überlieferung. Die

1) Nlc:ht ganz begreiflich ist die VermutuDg MaiiJonnHs {Mise. Franc. VII, p. 66), dnfs die Colhtinnes Zirkulai brit:fe und Erix^sh- nnogen" Franzens, besonders au die Kapitel gewesen seien, die freilich nur in Bruch stücken vorliegen, deren Originale aber lielleiuht Ton Leu redigiert seien t Diese Collatinnes halten sowohl den Verfassern des Speculura Fei fectionis wieTbomas vrn Celano bei Abfassung der zweiten Vit» vorgelegen! Es bediirf nach der Angabe Waddings keines Wortes gegenüber diesen Irrtümern.

2) Wadding geht bei der Sammlung der Collationes vielfach auf Marianus zurück, dessen Aiitniität, obwohl er erst Anfang des 16. Jahr- hundertB schrieb, neuerdings vun Sabatter, Franc. Uarth, Trnctatus, p. 187—164 für nicht ganz verächtlich erklärt «iid. Was diitch Ma- rianus vielleicht an altem echten Mateiial itbei liefert worden ist und sam Teil also auch in den Collalioncs durchscheint, kann freilich nicht eher geprüft werden, als bis seine soeben erst wieder in den Hand- ■cfarifleo aufgefundenen Werke zugänglich gemacht sind. Inwieweit in diesen Zusammeostellungen Waddiugs ein echter Kein steckt, wiid sich auch bei dfn Untersuchungen über das Speculum Feifectionis ergeben.

560 GOETZ,

Authenticität dieser Stücke hängt ab von dem Werte, den man den ältesten Legenden und den Conformitates des Pi- sanusy der Chronik des Marianus u. s. w. zubilligen will Auch bei dieser Gruppe Waddings ist deshalb der Zweifel berechtigter als das Vertrauen; der allenfalls vorhandene echte Kern dieser Zeugnisse kann iiir sich nicht untersucht werden^ sondern nur die Zuverlässigkeit der Vorlage , aus der sie jeweils entnommen sind K

9. Die Dichtungen des Heiligen.

Dafs Franz Gedichte (Landes) verfafst hat, ist genugsam bezeugt und wird von keiner Seite bestritten bestritten ist nur; ob die unter seinem Namen gehenden Proben echt sind ^.

Als ältestes Zeugnis haben die Landes auf der Rück- seite der Benedictio Leonis zu gelten, die Franz mit eigener Hand geschrieben hat ^. Freilich ist dieser Auto- graph zu einem grofsen Teil verderbt; er mufs nach an- deren Handschriften, deren eine ganze Reihe vorhanden sind, ergänzt werden *.

1) Über die Prophezeiungen vgl. Sabatiers Urteil, Speculum Per- fcctionis, p. LXXX. Sabatier neigt dazu, in allen später überlieferten Prophezeiungen einen authentischen Kern zu sehen, aber sicher hat die Heiligenlegende doch vieles ganz frei hinzugeschaffen. Wadding giebt (S. 491 ff.) noch einige Benedictiones , von denen nur die Benedictio Leonis auf direkte Überlieferung zurückgeht; über sie ist oben (S. 370) gesprochen worden. Die andern sechs Benedictiones sind zusammen- gestellt wie die Apophthegmata u. s. w.

2) Zugeschrieben werden Franz Laudes in Prosa, der in altitalie- nischer Sprache geschriebene „Sonnengesang'' und in Verbindung mit ihm wurden auch öfters die in einem entwickelteren Italienisch ver- fafsten gröfscren Gedichte „In foco Pamor roi mise*^ und „Amor de caritate*^ als echt genannt.

3) S. oben S. 370. Dafs Franz diese „Laudes Dei" geschriebea bat, bezeugt auch 2. Celano II, 18.

4) Faloci-Pulignani hat in den Miscell. Franc. VI, p. 36sq. mit den Bruchstücken des Autographs fünf andere handschriftliche Les- arten zusammengestellt, die alle etwas voneinander abweichen. Auch Waddings Lesart (S. 101) hat kleine Verschiedenheiten, giebt aber im wesentlichen den gleichen Text wie der ^ von Faloci-Pulignani ebenCdb angeführte Cod. Fulign. (Kapuzzinerkonvent).

QÜKLLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 561

Diese Probe der Laudes ist in Prosa geschrieben, aber in einer ekstatischen Sprache: in fast lauter Ausrufen von zwei oder drei oder wenig mehr Worten („Tu es fortis. Tu es magnus. Tu es altissimus. Tu es omnipotens ... Tu es humilitas. Tu patientia. Tu pulchritudo" u. s. w.). Diese eigenartige Form verstärkt das Zeugnis des Autographen: man wird darin die Natur Franzens, seine oft ekstatische Religiosität wiedererkennen dürfen ^

In der Fonn nahe verwandt mit diesen Laudes Dei sind die Laudes de Creaturis - oder, wie er gewöhnlich genannt wird, der Sonnengesang (Canticus fratris Solis). Dafs Franz einen solchen Gesang verfafst hat, berichtet Thoraas von Celano (2. Vita III, 138 und 139), und dieses Zeugnis ver- liert dadurch nicht an Wert, dafs Thomas in der ersten Vita und Bonaventura darüber schweigen. Die Frage der Echtheit der überlieferten Texte des Sonnengesanges ist seit dem Erscheinen des Speculum Perfectionis von neuem in Flufs gekommen: das Entstehen des Sonnengesangs wird darin an mehreren Stellen erzählt und die Handschriften geben als c. 120 einen altitalienischen Text ^ Die Hoff- nung Sabatiers, dafs nunmehr aller Zweifel beendet und die Echtheit des Textes allseitig anerkannt sein werde, ist frei- lieb nicht in Erfüllung gegangen: der alte Gegner der An-

1) Den Charakter von Pr()sa<redicliten trugen auch die oben S. 556 bereits besprochenen ., Laudes de viitutibus** und die ., Oratio prac- ponenda Horis canonicis*' (Waddinj? S. 103), die im Specuhim Per- fectionis c. 82 als .»Laudes Domini^* bezeichnet sind. In c. 90 des Spe- culum Perfectionis werden noch .,quaedam sancta verba cum cantu" erwähnt, die Franz „pro consolatione et aedificatione pauperum Do- minarum'* d. h. der Klarissen bchrieb; davon ist nichts erhalten.

2) „Laudes de creaturis tunc quasdam coniposuit et eas utcunque ad creatorem laudandum accendit *. Und im c. 139: ,,Invitabat omnes creaturas ad laudem Dei et per verba qunedani, quae olini composuerat, ipse eas ad divinum hortabatur anioreni". Die Entstehun;r des Sonnen- gesangs ausführlich erzilhlt im Speculum Perfectionis c. 100, 101, 123.

3) Sabatier giebt in einer besonderen Unteisuchunjj über das Ka- pitel (Speculum Perfectionis p. 277 291) eine ganze Reihe von Texten der verschiedenen Handschriften; im Texte seiner Ausgabe des Speculum hat er den des Cod. Assis. 338 gegeben, der offenbar gröfseren Anspruch auf Echtheit macheu darf als irgend ein anderer.

562 GOETZ^

nähme y dafs uns eine auf Franz zurückgehende Form des Sonnengesangs vorliege, Della Giovanna, bleibt bei seinem Widerspruch y um so mehr, als er die Echtheit des ganzen Speculum Perfectionis bestreitet ^

Nur der Sprachforscher wird diese Frage mit Aussicht auf Erfolg beantworten können. Ist der Text des Sonnen- gesangs seiner Sprache nach fUr die Zeit um 1226 in An- spruch zu nehmen, dann ist es gleichgültig, ob das Speculum Perfectionis von Bruder Leo stammt oder eine Kompilation des Jahres 1318 ist. Dann enthält es eben den alten, echten Text. Ehe eine solche sprachwissenschaftliche Untersuchung nicht von kompetenter Seite bis zur Beseitigung aller Zweifel geführt ist, vermag der Historiker nur zu bestimmen, ob die äulsere Beglaubigung der Überlieferung für die Möglichkeit der Echtheit spricht. Die Untersuchung darüber kann nur stattfinden bei der Prüfung des Speculum Perfectionis, denn nur dieses giebt als einzige unter den ältesten Legen- den — den Text und die Erzählung seines Entstehens*. Dals Faloci Pulignani 1895 gerade mit den damals noch nicht von Sabatier herausgegebenen Kapiteln des Speculom

1) Giornale stör. d. letteratura ital. XXXIII (1898). Ausführlicher hat Giovanna in derselben Zeitschrift XXV (1895) die Frage behan- delt, vgl. auch Bd. XXIX. Gegen Giovanna ist zuletzt Faloci- Pulignani in den Mise. Franc. VI, p. 43 sqq. u. VII, p. 17 sqq. auf- getreten; er nimmt sich lebhaft der Echtheit des Sonnengesangs, wie er im Speculum Perfectionis vorliegt, an. Vgl. Sabatiers besondere Studie über diese Frage: Speculum Perfectionis p. 277 291 und ferne: Vie de S. Frau^ois (1894), p. 348 sqq. Ferner Thode, Franz von Assisi, S. 68 (Litteraturangaben).

2) Der Beweis Faloci-Pulignanis, Mis. Franc. VI, p. 45, dafs der Sonnengesang im Cod. Assis. 338 steht und dafs dieser Codex un- zweifelhaft vor 1255 geschrieben sei, weil bei einer Aufzählung der Feste der Tag der hl. Klara ursprünglich gefehlt habe und erst am Rande nachgetragen sei (wie Faloci - Pulignani annimmt, nachdem sie 1255 heilig gesprochen war), weil das um diese Zeit erst eingeführte Fronleichnamsfest noch fehle und ebenso der Name der hl. Elai-a in einer Liturgie, erscheint noch nicht gesichert. Ehrle hat, wie schon erwähnt wuide (S. 373), den Codex ins 14. Jahrhundert gesetzt und dieses Uiteil eines in paläographischen Fragen erfahrenen Forschers läfst die Frage trotz der Beweise Faloci-Pulignanis noch offen.

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL FRANZ \ON ASfilSI. 563

Perfectionis die Echtheit des Sonnengesanga gegenüber Della Giovanna verteidigte, ist zwar ein persönliches Mifsgeachick, weil Faloci apäter die Autorität des Sabatierachen Speculum mit aller Kraft zu bekämpfen strebte, aber es zeigt, weiche Bedeutung eine zuverlässige Wertung des Speculum Per- fectionis auch für die Frage nach der Echtheit des Sonnen- gesanges hat. Einstweilen sei auch hier vorausgenommen, dafa man sich doch wohl für die Echtheit wird entscheiden dürfen.

Dafs die beiden Dichtungen In foco anior mi mise und Amor di caritate in ihrer jetzigen Form nicht von Franz verfafst sein können, erscheint aufser Zweifel, Schon Affö hat sie 1777 dem Jacopone da Todi zugeschrieben. Sie stehen beide weit ab von den Laudea Domini und dem Sonnengeaaug ihre Form ist viel lyrischer, die Verse sind in wohl abgewogenem Vcramafä gereimt, ihre Sprache ist modemer, ihr Inhalt in Gefühl zerfliefsender, so dafs der letzle Teil von Amor di caritate nur noch eine dutzendfache Wiederholung des Wortes Amore ist. Es ist eine Über- tragung der Gedanken sinnlicher Liebe auf das religiöae Ge- biet. Bei aller Weichheit der Empfindungen war solche manierierte Süfsigkeit Franz doch fremd; er verliei-t nichts, wenn man ihm diese beiden Gedichte abspricht

10. Von Wadding als zweifelhaft bezeichnete

Schriften. Wadding hat (Opuacula p. 508-523) sieben Predigten und zwei kleine Traktate ' abgedruckt, deren Echtheit ihm in Anbetracht ihrer unsicheren Überlieferung verdächtig er-

1) Das Buch von Görrea, Der hl. Frauziskiis ala Troubadour (2. Ausg., Uegeneburg 1879) acbteibt ohne einen Versuch der Kritik alle dicGC Dichtungen Franz nu, ja fQgl sie sogar, in Teile zerlegt, be- ■tiininten Perioden seines Lebens ein, d, b. die innere Eutwickelung Franzens ist dann an einem bestimmten Zeitpunkt genau so, wie Görrei eie für lue Einfügung einer Gedichtätelle braucht. Die Schrift ist in- folgedessen vollkommen wertlos.

2) „Sex praecipuac rationes quare Deus opt. max. Reli^ionem Mi- norum suae cunccsserit ecciesiac" und „Opusculiim decein perfectionum viri religiosi et perfecti ChrisUani".

564 QOETZ;

schien. Die Predigten finden sich in spanischer Sprache nur in der Chronik des ReboUedO; eines späten und unzuverlässigen spanischen Autors; die Traktate liegen zwar bandschriftlich vor, aber nach Waddings Angaben unter Umständen, die Franz als Verfasser ausschliefsen. Hinsichtlich der Predigten meint Wadding allerdings, dafs ihnen ein echter Kern zu Grunde liegen könne; in der That sind einzelne (z. B. ü, IV, V) inhaltlich in der Art der Admonitiones, und ein solcher Name pafste auch iiir sie besser als die Bezeichnung Sermones. Wadding hat Rebolledos Texte aus dem Spa- nischen ins Lateinische übersetzt; deshalb kann der Stil dieser Stücke nicht geprüft werden. So sehr auch Teile des Inhaltes an Franz anklingen, so wenig können aus diesen Sermones irgendwelche Schlüsse gezogen werden.

11. Ergebnisse.

Die Untersuchung über die Werke des Heiligen hat zu folgenden Ergebnissen geführt. Als unzweifelhaft echt dürfen angesehen werden: Das Testament, die Benedictio Leonis. Folgende elf Briefe:

einer an Bruder Leo,

einer an Antonius von Padua,

zwei an die hl. Klara und ihre Schwestern,

einer an alle Christen,

einer an alle Kustoden der Minderbrüder,

einer au die Obrigkeiten,

einer an alle Kleriker,

einer (zwei?) an das Generalkapitel,

zwei an Elias, die Regel von 1221, die Traktate:

De Vera et perfecta laetitia fratrum Minorum,

De religiosa habitatione in eremitoriis, die Dichtungen:

Landes Dei,

Laudes de Creaturis (Sonnengesang),

QUELLEN ZUR GESCHICHTE DES HL. FRANZ VON ASSISI. 565

Oratio praeponenda boris canonicis (=LaucIeBDomiDi), Laudes de virtutibus (quibus decorata fuit s. virgo), Officium Passionis Dominicae. Als unecht oder zweifelhaft sind anzusehen: Der kürzere Brief an alle Christen (Wadding Nr. I), der kürzere Brief an Elias (Wadding Nr. VI), der Brief an die Provinzialminister (Wadding Nr. IX), der kürzere Brief an das Generalkapitel (Wadding Nr. X), der Brief an Jakoba de Septerasoliis, die Gebete,

die Exhortatio ad humilitatem etc., die Laudes „In foco amor" und „Amor di caritate". Lediglich Zusammenstellungen Waddings aus älteren und späteren Legenden und deshalb ohne gesicherten Wert sind die

CoUationes Monasticae, Apophthegmata, Colloquia, Pro- phetiae, Parabolae, Exempla, Oracula.

Die als echt erkannten Werke scheinen, wenn man be- reits von den ältesten Legenden herkommt, nicht allzu viel Neues zur Kenntnis des Heiligen hinzuzufügen. Aber gerade darum handelte es sich, von den ältesten Legenden, deren geschichtlicher Wert in Anbetracht so mancher Zweifel von neuem untersucht werden mufs, vollständig abzusehen und einen zwar bescheideneren, aber unanfechtbaren Mafsstab für die Persönlichkeit des Heiligen zu gewinnen. Die wich- tigsten Züge seines Wesens sind trotz der Enge dieses Quellen- materials aus seinen eigenen Schriften zu gewinnen. Die Legenden müssen die unentbehrlichen Ergänzungen dazu sein: sie geben die Farben für die leichte Umrifszeichnung.

Festzustellen, welchen Wert die einzelnen Legenden be- sitzen, wird die Aufgabe der weiteren Untersuchungen sein.

Die Wahl des letzten kaiserlichen Gegeo- papstes (Nikolaus V. 1328).

Von

Julius V. Pflugk-Harttung.

Die Erhebung des Gegenpapstes Nikolaus V. im Jabn 1328 ist nicht unwichtig. In ihr gipfelt einerseits der letzte Kampf zwischen Erone und Kurie , und anderMÜi bringt er den Anspruch der Römer zum Ausdruck, dab & Residenz des Papstes Rom sei und nicht Avignon. ErschÖBt das Ereignis dort als Abschlufs, so hier als Anfang an« bestimmten Entwickelung, einer rückläufigen Bew^ung; beide zusammen bilden den geschichtlichen Hintergrund einer in sich nebensächlichen Episode.

Auch sonst ist die Bedeutung jenes greisen Minoriten, den Ludwig der Bayer zum Nachfolger Petri machte , nur gering; sowohl hinsichtlich seiner Stellung als seiner Person* lichkeit ^ Ihm ist das unglückliche Los der Oegenpäpste in vollem Mafse zu Teil geworden. Zeigte sich schon der Anhang seines Meisters gering; so erstreckte sich sein eigener Einflufs nicht einmal so weit. Noch war kein voUei Jahr ins Land gegangen , als Nikolaus schon seine letzte Urkunde ausstellte (am 4. März 1329). Von Ludwig ve^ lassen, verbarg ihn mitleidig ein vornehmer Pisaner, bis die Kunde von seinem Aufenthalte nach Avignon drang und Johann XXII. zu Ohren kam. Am 25. August 1330 warf

1) Vgl. K. Eubel, Der Gegenpapst Nikolaus V. und seine Hierarchie, in Eist. Jahrb. XII. 277 ff.

WAHL DES LETZTEN KAISERUCHEK GEOENPAPSTES. 567

sich der gebrochene Greis reumütig seinem siegreichen Gegner zu FüTsen und erhielt in Avignon eine ehrenvolle Haft. AuTser seiner Erhebung ist eigentlich nur noch seine Unterwerfung denkwürdig geworden.

Den Kernpunkt bei der Übernahme des Amtes bildet neben der Frage nach der Macht die nach der kanonischen und formellen Gültigkeit seiner Wahl, die also nach der Be- rechtigung des neuen Earchenfiirsten. Letzterer lohnt es sich näher zu treten, um so mehr, als wir gut über sie unterrichtet sind, und eine Menge allgemeiner Vorkommnisse >der Papstwahlen in dem Sonderfalle zur Geltung gelangten.

1) Die Vorberatung. Die Vorberatung pflegte gleich .nach nach dem Tode des Papstes, noch vor der Bestattung, durch die Wahlberechtigten zu geschehen ^ Wahlberechtigt war in der ältesten Zeit gewesen: das römische Volk und <lie römische Geistlichkeit, aus welcher sich als mehr und mehr mafsgebender Faktor die Kardinäle erhoben. Die Wahlbeteiligung des Volkes ging thatsächlich auf den Adel über, der sich bald gewaltthätig bald gesetzlich durch die Konsuln oder sonst geltend machte, so dafs eine regel- rechte Wahl in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts durch die Kardinäle und Konsuln erfolgt zu sein scheint ^. Dann setzte Alexander III. die Elardinäle als allein zuständiges Wahlkollegium fest, mit stillschweigendem Ausschlüsse des „Volkes '^ Nicht mehr einfache, sondern zwei Drittel Mehrheit der Stimmen sollte entscheiden. Schliefslich that Gregor X., .im Jahre 1274, den letzten Schritt durch Einführung des sogenannten Konklave, wonach die Kardinäle zu einer be- stimmten Zeit in einem bestimmten Räume des päpstlichen Sterbeortes zusammentreten mufsten und nicht eher aus- einander gehen durften, bis eine Einigung erzielt war. Mit einigen Zusätzen seitens Clemens V. galt dies als Recht zur Zeit Ludwigs des Bayern. In älteren Jahrhunderten bei geringerer Festlegung der Dinge, war eine Vorberatung er-

1) Zopf fei, Die Papstwahlen 5—28, 121; Hinschius, Kirchen- recht I, 262 flf.; Phillips, Kirchenrecht V, 729 ff.

2) Auf Einzelheiten, wie auf den theoretischen Vorrang der Kar- dinalbischöfe etc. gehen wir nicht ein.

ZciUcbr. f. K.-G. XXn, 4. 37

568 V. PPLUGK-HARTTÜNG,

forderlich gewesen, worin beschlossen wurde, welche Form der Wahl, ob die in corpore oder mit Übertragung der Stimmen angewendet werden, wann und wo sie geschehen sollte. Seit der Ausscheidung der Kardinäle und gar nach Einrichtung des Konklave wurde solche Vorberatung nicht selten überflüssig, weshalb sie mehr in Wegfall kam, oder richtiger, gewöhnlich erst im Konklave selber und zwar als dessen erste Handlung vorgenommen wurde.

Bei der Wahl Nikolaus' V. ist uns nichts von einer eigentlichen Vorberatung überliefert und es erweist sich auch zweifelhaft, ob eine solche stattgefunden hat £s scheint vielmehr, dafs man sich zwangloserweise über die in Betracht Kommenden einigte, und zwar in einem Zusammenwirken von Klerus, Volk und Kaiser.

2) Die eigentliche Erwählung, bestehend aus der De- liberatio und Nominatio, welche unter der Bezeichnung Tractatio zusammengefafst wurden ^ Als tbatsächliche Wahlstätten galten in der ältesten Zeit der Lateran, dann die Peterskirche, doch vermochten beide sich nicht aus- schliefslich in ihrem Vorrange zu behaupten. An dem be- stimmten Orte zur festgesetzten Zeit versammelten sich die Wahlberechtigten und machten den oder die Walilkandidaten durch Abgabe ihrer Stimme namhaft. Nachdem die Vota zusammengestellt und ihre Ergebnisse eröffnet waren, begann die Beratung, um die Mehrheit auf eine Person zu vereinigen. Wenn dies erreicht, so war die eigentliche Erwählung voll- zogen, weil der Denominierte zugleich als Electus galt. Im Laufe der Zeit, zumal seit Alexander III. die Zahl der De- liberierenden fest bestimmt hatte ^, bildete sich ein Schlufs- akt, eine formelle Abstimmung, aus. Durch das abgeschiedene Beisammensein im Konklave klärte und vereinfachte sich der ganze Hergang ^.

1) Zöpffel S. 29-122.

2} Zöpffel S. G5 giebt ungefähr 50 Wähler an; bei der Wahl Jobanns XXII. waren 24 Kardinäle thätig, Müller, Der Kampf Lud- wigs des Bayern I, 13.

3) Näheres über den Wahlvorgang bietet der Ordo Romanns aus dem Ende des 13. Jahrhunderts, bei Mabillon, Museum Italicum II, 246sq.

(

WAHL DES LETZTEN KAISERLICHEN GEGENPAPSTES. 569

Die Wahl Nikolaus' V. geschah nun folgendermafsen : Durch Johann, den Sohn des Sciarra Colonna, und durch Marsilius von Padua; den kaiserlich päpstlichen Vikar für Rom ^, wurden die Römer veranlafst; eine Art Wohlfahrtsausschufs von Geistlichen der Stadt zu ernennen. Diesen Ausschufs bewogen beide Männer , sich als Wahlkörper zu gestalten. Die Wahl soll erst auf einen Mönch gefallen sein, der aber ablehnte und die Stadt verliefs, dann wurde sie auf Be- treiben der genannten Machthaber auf den Minoriten Peter von Corvara gelenkt ^. Ist dies richtig, so hätten zwei zeit- lich getrennte Wahlhandlungen stattgefunden, oder der Mönch müfste zugegen, bezw. sofort zu erreichen gewesen sein und hätte auch sofort abgelehnt ^. Den Rechtsgrund für ihr Ein- wirken scheinen Colonna und Marsilius darin gefunden zu haben, dafs sich jener als Vertreter des römischen Volkes *, dieser als der des Kaisers ansah. Über den Platz, auf welchem die Wahl stattfand, sind wir nicht unterrichtet.

In selbständiger Gestaltung griff man bei der Erhebung Nikolaus' auf die älteste Wahlart zurück, wonach Volk und EJerus von Rom zur Bethätigung kamen. Dafs die Sache so aufgefafst wurde, zeigt das Bekenntnis des Gegenpapstes, worin dieser sagt, er sei durch einige weltliche und geist- liche römische Grofse und ihren Anhang in Klerus und Volk zum Papste erhoben worden ^. Es galt bei dem Hergange einerseits dem Volke und Klerus von Rom seine ursprüng- lichen Rechte wiederzugeben, anderseits sah man sich aufser Stande kanonisch zu verfahren, weil keine Kardinäle vor- handen waren. Man machte also aus der Not eine Tugend. Die Römer, d. h. Volk und Klerus von Rom, ernannten jenes Kollegium zur zeitweisen Leitung der Stadtgeschäfte. Es wurde nun angenommen, dafs die Wahl eines Papstes

Ij Das Amt war ihm vom Kaiser übertragen. Müller I, 201.

2) Chroust S. 154; Müller I, 193.

3) Der Ordo Romanus schreibt vor: „si fuerit (electus) absens ... ad locuni, in quo cardinales sunt in consistorio, venire debet vocatus, et eo electioni de sc factae consensum praestante etc." Mabillon. Museum II, 252

4) Sciarra Colonna war capitano del popolo, Chroust S. 115.

5) Baluze, Vitae I, 147.

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570 V. PPLUGK-HARTTÜNG,

in den Kreis dieser Geschäfte gehöre, und demnach von dem Ausschusse rechtskräftig vollzogen werden könnte. Schon dies mufste als durchaus anfechtbar erscheinen. Formell war die aristokratische Ordnung der letzten Jahrhunderte demokratisch umgestaltet worden, der Hergang weniger auf rechtlichem als auf geschichtlichem Boden erbaut Zweifels- ohne widersprach er dem Geiste der Zeit, denn nach den Anschauungen des damaligen Abendlandes vermochte ein so einseitig ernanntes Kollegium niedriger Geistlicher unmög- lich einen berechtigten Papst zu erheben. Dieser Gedanke fand augenscheinlich auch im Kollegium selber Eingang, doch beugte sich dasselbe vor dem Willen der beiden Macht- haber. In Wirklichkeit war Peter nicht der Erwählte der Römer ^ , sondern wesentlich der des Kaisers. Wären die römischen Wahlmänner unbeeinflufst geblieben, würden sie sich schwerlich für den wenig bekannten Minoriten ent- schieden haben, der keinen Anhang in der Stadt besafs^

Die Zustimmung oder die Laudatio '. Zur Zeit Kaiser Heinrichs IV. begannen die höheren Kardinäle, und zwar die Kardinalbischöfe, -Presbyter und -Diakonen, sich das eigentliche W^ahlrecht mehr und mehr anzueignen, wodurch die niederen Kardinalordines : die Akolyten, Subdiakonen und Diakonen ohne bestimmte Kirche in den übrigen Klerus Roms zurücksanken. Es ist dies ein Wandel, der sich un- mittelbar nachher auch auf den Zeugenlisten der Papstbullen vollzog. Die Kardinalswürde wurde auf diese Weise zum Amte der Universalkirche, weit abgerückt von der übrigen römischen Geistlichkeit, die nur noch ein kirchliches Stadt- amt bekleidete *. Letztere umfafsten nunmehr: die verschie- denen Kreise des Palatinalklerus, die Geistlichkeit der ein- zelnen Kirchen und Klöster und den Regionarklerus Roms.

1) Vgl. die Laudatio.

2) Er war einer der Geistlichen, welche Rom beim Nahen Ludwigs des Bayern nicht verlassen hatten. Eubel in Hist. Jahrb. XII, 278.

3) Zopf fei, Papstwahlen 123—165.

4) Vgl. meine Schrift: Die Bullen der Päpste bis zum Ende des 12. Jahrhunderts, S. 258. 265. 280; Sägmüller, Die Thätigkeit und Stellung der Kardinäle, S. 131 ff.

WAJIL DES LETZTES KAISERLICHEN GEGENPAPSTES. 571

Diesen stand ein Zustinimungsrecht zu. Da nun aber die Hunderte von Leuten nidit einzeln gefragt werden konnten, so scheinen sie ihre Zustimmung zeitweise durch einen Aus- achufs oder bezw. und durch Beleihgung an dem Fufskusse bewirkt zu haben. Die Voratelier der Kirchen unterzeichneten dann die Konfirmationsurkunde des Neugewählten noch mit und beki'ältigten dadurch das stillschweigende Gelübde des Ge- borsams schriftlich. Diese Zustimmung des römischen Klerus galt nicht als blofse Püimsache, sondern als eine wirklich Eugehörige Handlung. Bei der zwie.apältigen Wahl Alexan- dere DI. geschieht jener Laudatio zum letztenmale Erwähnung. Von da an wurde die Besetzung des Stuhls allein durch die Kardinille vollzogen. Zur Anerkennung des Klerus gesellte dch die des „römischen Volkes", welche ebenfalls durch das Dekretale Alexanders IIL hinlalUg wurde, weil danach der mit zwei Drittel Kardinalsmnjorität GewiLhltc rechtmäfaiger Fapat war. Die Art und Weise, in der das Volk dem Neu- gewählten seine Huldigung darbrachte, geschah folgender- malsen: Das „Volk" wartete aufBerhalb der Wahlstätte auf die Entscheidung innerhalb. War dieselbe erfolgt, so trat einer der Kurialbeamten, gewöhnlich der prior diaconorum ins Freie, verkündete den Anwesenden das Ergebnis und fragte dreimal, ob das Volk mit der Wahl einverstanden sei. Da in der Frage gewöhnlich schon der neue Name des Papstes genannt wurde, so kann die Zustimmung des Volkes in dei- Kegel erst nach der Namensänderung geschehen sein. Die übliche lieihentolge war wohl: Wahl, Anerkennung durch den Klerus und Akklamation durch das Volk. Die Verkündigung der Wahl durch den „prior diaconorum" blieb auch, als das Volk nicht mehr um seine Zustimmung befragt wurde.

Das zustimmende „Volk" bestand aus den Biirgern und dem Adel, Geistliche konnten beigemengt sein. Oft gaben sich die grofsen römischen Familien nicht mit der blofsen Zustimmung zufrieden, sondern erzwangen die Wahl durch Bewaffnete nach ihrem Willen. Zeitweise acheinen sie auch gesondert ihre Zustimmung zum Ausdrucke gebracht zu haben, doch kam dies alles durch Alexander 111. in Wegfall.

Gehen wir zur Erhebung Nikolaus' V. über. Am

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572 V. PFLÜGK-HARTTUNG,

Christi- HimmelfahrtstagCy den 12. Mai; versammelte sich das römische Volk auf dem Petersplatze. Ludwig der Bayer erschien im vollen Kaiserornate mit vielen Welt- und Kloster- geistlichen ^ dem Capitano des römischen Volkes, umgeben von seinem Baronen. Er setzte sich auf einen Thronsessel, veranlafste Peter von Corvara, vor ihn zu treten, erhob sich vor demselben und liefs ihn mit unter seinem Baldachine Platz nehmen. Alsdann stand der Bruder Nicola da Fabriano auf und hielt eine Predigt über den Text: Petrus kehrte zurück und sprach: ,, Gekommen ist der Engel des Herrn und hat uns befreit aus der Hand des Herodes und aller Parteien der Juden" (Apg. 12, 11), worin Ludwig als Engel, Papst Johann XXH. als Herodes dargestellt wurde. Nach Beendigung dieser Rede trat der Bischof von Castello vor und rief dreimal dem Volke zu, ob es Peter von Corvara zum Papste haben wolle. Die Kömer antworteten mit Ja! obwohl sie in ihrer Erwartung, einen Römer als Papst zu erhalten, getäuscht waren. Nunmehr stand der Kaiser auf und liefs durch den Bischof ein Dekret verlesen, welches den Papst bestätigte.

Wir haben hier wieder eine Zurück Versetzung in die Zeit vor Alexander UI. Peter von Corvara erscheint von vornherein als wirklich erwählter Papst, wie daraus erhellt, dafs er sich neben den Kaiser setzt. Die drei Fragen an das Volk erfolgten freilich nicht durch den „prior diaconorum'^, weil kein solcher vorhanden war; sie geschahen deshalb durch einen Bischof. Die Fragen erhielten die obligate Ant- wort. Damit war den Ansprüchen des römischen Volkes formell Genüge gethan. Von einer Adoration der Geistlich- keit vernimmt man nichts, sondern sie wurde als überflüssig erachtet, einerseits weil die Wahl selber schon durch Ver- treter der römischen Geistlichkeit geschehen war, und ander- seits betrachtete man sie in der Handlung des Volkes ein- begriffen. Nun erfahrt man auch, dafs das Volk von der Person des Erwählten enttäuscht sei. Hieraus ist zu folgern, dafs das Wahlergebnis nach aufsen hin möglichst geheim gehalten wurde, wohl um unangenehmen Weiterungen zu entgehen, und dafs die Wahlhandlung zeitlich der Zustimmung

WAHL DES LETZTEN KAISEKLICHEN GEGENPAPSTES. 573

nahe stand. Sie mag am Tage vorher geschehen sein, wenn nicht gar erst in der Morgenfrühe.

Eine ganz eigene Gestalt erhielt alles durch die An- wesenheit und Teilnahme des Kaisers. Dadurch dafs er in- mitten des Volkes den Thron bestieg, war er gewissermafsen der Vorsitzende, der Leiter der Versammlung; dadurch dafs er Peters Erscheinen verfügte; er vor ihm aufstand und ihn neben sich sitzen liefs, erkannte er thatsächlich die Wahl als vollzogen an. Die Rede Fabrianos feierte ihn als Engel des Herrn, der Rom befreit habe. Die Zustimmung des Volkes erschien in dieser Umgebung als vorausbedingt, auch gegen dessen Wunsch bewerkstelligt. Sie wurde in ihrem Werte noch mehr abgeschwächt durch die Anerkennung des Kaisers und dessen weitere Mafsnahmen.

Um das Verhalten des Kaisers richtig würdigen zu können, müssen wir die älteren Wahlhergänge betrachten, die in Gegenwart eines Kaisers geschahen. Es sind deren nicht viele, und wir sind leider sehr ungenau über sie berichtet. Bei der Erhebung Leos VIII. ging es folgendermafsen zu. Im Jahre 963 hatte Kaiser Otto I. eine grofse Synode nach der Peterskirche berufen. Sie wurde gebildet durch die ge- samte römische Geistlichkeit, den römischen Adel und die den Kaiser begleitenden deutschen Bischöfe. Der Kaiser er- hob Anklage gegen Papst Johann XII. Darauf erwiderte die Synode (welche als „gesamtes römisches Volk" bezeichnet wird), sie bäte, dafs dies Ungeheuer aus der römischen Kirche entfernt und ein anderer an seine Stelle gesetzt würde. Der Kaiser antwortete: „Erwählt einen der würdig ist und ich werde ihn euch gerne gewähren " Darauf wurde von der Gesamtheit, „sowohl Geistlichkeit als Laien", der Kanzler Leo erwählt. Alle wiederholten dies dreimal, der Kaiser stimmte zu, worauf man den Neuerhobenen unter Liobgesängen in den Lateranpalast führte ^

Auch hier haben wir also : Wahl durch Klerus und Volk von Rom, dreimaligen Aufruf und Bestätigung durch den Kaiser.

1) Köpke-Dammler, Kaiser Otto der Grofse, S. 353.

574 V. PPLUGK-HABTTÜNG,

Im Jahre 1046 tagte wieder eine Synode in Rom. Nack den römischen Annalen wurde sie gebildet aus den Bischöfen, Äbten und dem gesamten Klerus der Stadt, wozu noch an- gesehene römische Laien kamen. Den Vorsitz führte der Kaiser. Papst Benedikt IX. wurde abgesetzt und dann ,,]n einstimmiger Wahl des Klerus und Volks'' Suidger von Bamberg erhoben. Es scheint, dafs in der Vorberatung auf Wunsch des Kaisers an Adalbert von Bremen gedacht wurde, da dieser aber ablehnte, so vereinten sich in einer zweiten Sitzung die Stimmen auf Suidger. Am nächsten Tage, dem ersten Weihnachtstage, erhielt er die Weihe ^

Die Erhebungen der folgenden drei Päpste und die de» Cadalus von Parma (1061) geschahen auf deutschem Boden imter vielfach anderen Verhältnissen, so dafs auf sie hier nicht näher eingegangen zu werden braucht. Wibert von Ravenna wurde von den zu Brescia versammelten deutschen imd italienischen Bischöfen und Grofsen, unter Zustimmung eines Kardinalpriesters auf Befehl König Heinrichs IV. ein- gesetzt

Die besten Vergleichungspunkte bietet die Einhebung Gregors VIII. Im Jahre 1118 versammelte Kaiser Heinrich V. die Römer in der Peterskirche. In Gegenwart des Kaisers, des römischen Volks und der römischen Geistlichkeit, wurde die Antwort Gelasius' IL, welche derselbe den kaiserlichen Gesandten gegeben hatte, mitgeteilt Die Römer fanden die- selbe ungenügend, namentlich waren sie erzürnt, dafs der Papst die Ehre Roms nach auswärts verlegt hatte. Sie forderten deshalb nach weltlichem und kanonischem Rechte eine Neuwahl. Der gelehrte Warnerius von Bologna und andere Rechtskundige stimmten darin mit dem römischen Volke überein. Warnerius entwickelte der Versammlung die alten Rechte der römischen Kaiser, aus denen erhellte, dafs des Gelasius Wahl wegen der mangelnden kaiserlichen Zustimmung ungültig sei. Ein Lector verkündete von der Kanzel S. Petri die Dekrete der Päpste über den Ersatz eines Papstes. Nachdem dieselben verlesen und erklärt waren,

l)Steindorff, Jahrbücher des Deutschen Reichs unter Heinrich lU^ I, 815.

WAHL DES LETZTEN KAISERLICHEN GEOEN PAPST ES. 575

wählte die VeiBammlung den Epanischen Erzbischüf Moritz von Braga, der mit dem Kaiser zugegen war. Der Kaiser führte iliD zar Kanzel, viü er nach seinem Namen befragt wurde, den er verkündete. Darauf fragte einer von den auf der Kanzel anwesenden Geistlichen dreimal das Volk: ob sie Mauritius zum Papst haben wollten. Dreimal erscholl die Antwort: „Wir wollen!" Nunmehr wurde er mit dem päpstlichen Mantel bckleitet, und der Rufer mit den übrigeu umstebenden Geistlicben öffnete die Bibel über dem Neu- gewählten, und rief mit lauler Stimme: „Und wir huldigen (laudamus) und beatätigeu den Herrn Gregor." Der Kaiser seinerseits bestätigte ebenfalls sogleich die Wahl und ge- leitete den Erkorenen nach dem Lateran, wu derselbe die feierhche Mahlzeit einnahm und übernachtete. Am nächsten Tage begab sich der Kaiser wieder in den Lateran und kehrte mit dem Papste nach dem Petersdume zurück, wo dieser vor und auf dem Altare in Gegenwart des Kaisers und vieler Römer vom Klerus geweiht wurde, und dann ^e Messe los '. An der Wahl hatten sich ein grofser Teil des römischen Adels und wohl auch drei Wibertia tische Kardinäle beteiligt Fast scheint es, dafs einer derselben es irar, der das Volk befragte und die Namensänderung ver- kündigte.

Der Hauptunlerschied zwischen der Wahl Gregors VIII. und der Nikolaus' V. besteht darin, dnfa bei letzterer die eigentliche Wahlhandlung von einem aus römischen Klerikern bestehenden Wahlausschusse, in Gegenwart und beeinilufst von einem Vertreter des Volkes und einem des Kaisers ', vorgenommen wurde, und von ihr getrennt das Übrige er- folgte, während die Wahl Gregors VIII. in Gegenwart des KaiBers selbst durch die Versammlung, von Volk und Geist- lichkeit, geschah. Seit dem Augenblicke der erfolgten Wahl zeigt sich dann hier und dort grofse Verwandtschaft, die Abweichungen wurden teilweise durch die verschiedenen Örtlichkeiten bedingt; den Dom St Peters bei Gregor, den

1) Den auslühilichglea Bericht bietet Lundulpb bei Wattericb, Tit. Pont. II, lOT; vgl. Bucb Gibsebrecht, K&iserzeit III, 3,3.66».

2) Nicht gans: stcber. Vgl. darüber vorn.

576 V. PPLUGK-HARTTÜNG,

Petersplatz bei Nikolaus. Heinrich V. führte den Neu- gewählten auf die Kanzel, Ludwig der Bayer erhob sich vor ihm und liefs ihn neben sich auf den Thron nieder- setzen. Gregor mufste sich auf der Kanzel der Versamm- lung erst vorstellen, welche ihn grofsenteils nicht kannte, bei Nikolaus V. unterblieb dies. Die dreimalige Frage mit ihren Antworten erfolgte. Thatsächlich trat bei der späteren Wahl der Kaiser stärker als bei der früheren hervor, schon dadurch, dafs er den ganzen Vorgang einleitete und der Papst neben ihm safs, während bei Gregor die Blicke mehr nach der Kanzel gerichtet waren. Auch die Bestätigung durch den Kaiser trat später schärfer hervor.

An die Anerkennung schlofs sich die Namensände- rung *. In der Regel bestimmte der Erhobene den neuen Namen sofort noch an dem Wahlorte vor den Wählern, worauf ein Glied der Kurie denselben aufserhalb vor dem gesamten Volke verkündete. Wie es scheint, war dies das Amt des Archidiakons bezw. Prior diaconorum.

Eng mit der Namensänderung pflegte die Immantation verbunden zu sein, die Bekleidung des Papstes mit dem pur- purnen Mantel. Sie geschah durch den Archidiakon. An die Immantation knüpfte eich noch die Übergabe der übrigen päpstlichen Insignien, insbesondere des Ringes, den der Vorgänger des Neugewählten getragen hatte, und der Mitra.

Sehr wichtig war, dafs man die echten Insignien besafs. Wer diese hatte, galt im Falle einer doppelten Besetzung des Stuhles Petri als der richtige Papst.

Die Reihenfolge der einzelnen Handlungen war somit ge- wöhnlich : die Akklamation des Volkes, die Namensänderung, die Immantation u. s. w. ; doch findet sich auch, dafs letztei^e vor der Namensänderung geschah. Den Schlufs dieser Cere- moniengruppe bildete die Adoration. Sie bestand darin, dafs der Papst, auf einem erhöhten Platze sitzend, den Fufs- kufs entgegennahm und alsdann den Friedenskufs erteilte, wobei Wühl das „Te Deum laudamus** gesungen wurde. In

1) Zöpffel S. 166—190.

WAHL DES LETZTEN KAISERLICHEN QEGENPAPSTES. 577

der älteren Zeit konnte die Adoration gleich dem Wahlakte folgen, und zwar im Lateran; später verlegte man sie auch in die Peterskirche, wenn hier die Wahl vollzogen war, oder nach S. Pietro in Vincoli. Sie pflegte dann mit der In- thronisation verbunden zu werden und bildete, wie ge- sagt, oft den Schlufs der Ceremoniengruppe. In jenen beiden Kirchen befand sich eine „sedes apostolica^', von denen die Überlieferung wufste, dafs sie von dem Apostel Petrus be- nutzt worden sei. Man ersuchte nun den Neugewählten, sich dadurch als Nachfolger Petri zu erweisen, dafs er von dem Stuhle Besitz ergreife. Er liefs sich auf den erhöhten Sessel nieder, bestieg also gewissermafsen den Thron, und hier- mit war die Bedingung für die Adoration gegeben, welche alsbald erfolgte. Als in der älteren Zeit die Neuwahlen noch im Lateran geschahen, bestieg der Erkorene den Bischofs- stuhl des Lateran und nahm die Adoration entgegen. Wählte man später nicht in einer der Peterskirchen, so pflegte man den neuen Papst in jeder Kirche, welche als Wahlort ge- dient hatte, auf einem dazu hergerichteten Sitz zu erheben oder niedei*sitzen zu lassen. Zunächst scheint insbesondere der Laienstand seine Huldigung dargebracht zu haben, später der Klerus; der Ordo Romanus aus dem Ende des 12. Jahr- hunderts nennt nur noch: alle Bischöfe und Kardinäle. Nach seinem Gutbefinden konnte der Papst einige Laien oder niedere Geistliche zum Fufskusse zulassen. Im 13. Jahr- hunderte war das Recht der Adoration zu einer Pflicht ge- worden seitens der Kardinäle, des Klerus und des Volks.

Die Erhebung Nikolaus' V. hat sich nun folgender- roafsen fortgesetzt: Nach Verlesung der Bestätigungsurkunde, -welche der Kaiser stehend angehört hatte, verlieh er dem Gewählten den Namen Nikolaus V., gab ihm den Ring, legte den päpstlichen Mantel auf seine Schulter und liefs ihn zu seiner Rechten niedersitzen. Dann erhoben sich beide und betraten mit grofsem Gepränge die Kirche St. Peters, hier fand die Messe mit grofser Feierlichkeit statt, worauf man sich zum Schmause begab.

Wir haben hier der Reihe nach die Verkündung der Namensänderung, die Überreichung des Ringes 4ind die Im-

578 V. PPLUGK-HAETTÜNG,

mantation. Aber während diese Dinge sonst durch einen Geistlichen, und zwar gewöhnlich durch den Prior diaco- noruni; vorgenommen wurden, ist nunmehr der Kaiser an die Stelle getreten. Dies zeigte freilich mit voller Deutlichkeit, dafs der Papst nur ein Geschöpf des Kaisers sei, was Ludwig augenscheinlich auch beabsichtigte; aber anderseits mufste das Ansehen des Papstes, der Glaube an seine Rechtmäfsig- keit tief durch solche Handlungen eines Laien erschüttert werden, ganz abgesehen davon, dafs man die echten In- signien nicht besafs. Ob das Niedersitzen auf dem Throne zur Rechten des Kaisers als Inthronisation gefalst werden mufs, oder ob sie erst nachher in St. Peter stattgefunden hat, läfst sich nicht entscheiden. Wahrscheinlich ist ersteres ^; sie wu*d mit einer unordentlichen Adoration verbunden ge- wesen sein, welche in Zurufen der anwesenden Römer be- stand. Möglicherweise hat man sie auch ganz weggelasseD, weil die Krönung später vorgenommen wurda Ist aber ersteres, die Inthronisation auf dem Petersplatze, richtig, so trat wieder die Person des Kaisers in einer sonst nicht vorkommenden Weise hervor: er ist es, der den Papst niedersitzen läfst, während dies regelrecht der Prior diacono- rum zu thun pflegte; er, der Kaiser, sitzt neben dem Neu- gewählten, die Zurufe gelten ihm gewissermafsen mit Alles geschieht weithin sichtbar auf dem Petersplatze, nicht wie bei Gregor in dem beschränkten Räume der Peterskirche. Sehr bezeichnend schrieben die Florentiner an Johann XXII.: der Bayer erhob einen gewissen Minoriten Peter von Corbara zum Idol (erexit in ydolum) und wagte ihm die Bezeichnung Papst beizulegen *.

Für das Folgende können wir uns kurz fassen, weil wir über die nächsten Hergänge nur ungenau unterrichtet sind.

Seit dem 12. Jahrhundert war es Regel, dafs auf die ge- schilderten Ceremonien erst die Weihe folgte, dann der

1) Nicht blofs nach dem Zusammenhange bei Villani^ sondern auch nach der Aufeinanderfolge der Ceremonien im Ordo Romanus. Ma- billon, Museum II, 253.

2) Ficker, Urk. zur Gesch. des Römerzugs Kaiser Ludwigs des Bayern, S. 70.

WÄHL DES LETZTEN KAISERLICHEN 6E0ENPAPBTE8 579

feierliche Einzug in den Lateran, oder in den Vatikan, als dieser die bevorzugte Wohnung der Päpste wui-de. Den SchluCs der Introduktion pflegte eine Mahlzeit zu bilden, bei der dem Neuerkorenen besondere Ehren zu teil wurden, Inthronisation und Weihe pflegten schon dadurch seit dem 12. Jahrhundert eng verbunden zu sein, dafs beide möglichst in St. Peter vorgenommen wurden, also örtlich zusammen- Belen, wenn nicht besondere Verhinderungagründe obwalteten. Gewöhnlich ging die Weihe der Inthronisation voraus, doch keineswegs immer.

Von der Weihe des Papates Nikolaus berichtet unsere Häuptquelle, Villani, nichts, doch werden wir an einem an- deren Orte sehen , dafs sie woht alsbald nach dem Einzüge in St Peter durch den Bischof von Castello in Gegenwart des Kaisers erfolgt ist '. Eine blofse Messe mit grofeer Feier- lichkeit, die Villani nennt, hätte in diesem Augenblicke, etwa gar durch einen ungeweihten Papst, gar keinen Sinn gehabt. Den Schlufs der Ceremonien bildet derSchraaua. Da wir nun wissen, dafs derselbe im Vatikan zu geschehen pflegte, und wir an einem anderen Orte von Villani er- fahren, dafs der Kaiser seinen Papst im Vatikan gelassen habe, als er von Rom nach Tivoli zog, so dürfen wir an- nehmen, dafs nach der Weihe die Introduktion mit ihren Ceremonien stattgefunden hat.

Fast sieht es aus, als wenn Villani oder sein Gewährs- mann auf dem Peteraplatze zugegen gewesen: das, was dort geschah, schildert er genau, über das Sonstige, was er also wohl nicht aelber sah, geht er kurz hinweg, so über die Wahlhandlung und über alles, was sich seit dem Eintritt in St. Peter vollzog. Gut zeigt er sich dann wieder über den letzten Akt des Ceremoniells unterrichtet.

Dieser bestand in der Krönung des Papstes. Die häufigere Erwähnung einer solchen beginnt erst mit dem 12. Jahrhundert. Sie scheint die Wichtigkeit der Inthroni- sation zunehmend mehr verdrängt zu haben, bis diese ganz in Wegfall kam. Dabei zeigte sich, dai'a sie nicht wie die Inthronisation an einen bestimmten Ort gebunden war. 1) Vgl. den Exkurs über die Weibe S. ß82ff.

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580 V. PFLUGK-HARTTÜNG,

Die Krönung des Papstes Nikolaus V. vollzog sich in der \\'eise, dafs der Kaiser am 21. Mai von Tivoli zurück- kehrte und aufserhalb der Stadtmauern bei S. Lorenzo mit seiner ganzen Umgebung übernachtete. Am nächsten Tage^ am Ffingstsonntage^ hielt er seinen feierlichen Einzug in Kom, der Papst ritt ihm mit den inzwischen ernannten Kardinälen bis zum Lateran entgegen ^, durchzog mit ihm gemeinsam die Ötrafsen der Stadt bis S. Pietro und stieg hier vom Pferde, worauf der Bayer dem Papste das Scharlachkäppchen und dünn der Papst dem Kaiser die Krone aufsetzte, indem er ihn als würdigen Kaiser bestätigte. Nachdem dies geschehen war, bestätigte Ludwig den Rechtsspruch Kaiser Heinrichs VI gegen Robert von Neapel, gegen die Florentiner und sonstigen Feinde des Reiches.

Der Hergang vollzog sich augenscheinlich im Dome St. Peters, also am denkbar besten Orte, war an sich aber höchst eigenartig dadurch, dafs der Kaiser den Papst krönte, während dies sonst dem Prior diaconorum zustand, und dafs die Krönung nicht mit der päpstlichen Krone, sondern mit dem geringeren Hauptschmucke, dem Scharlachkäppchen bzw. der Scharlach - Infula , geschah *, also gewissermafsen nur eine „kleine Krönung'* war. Der Grund hierfür wird ein dop- pelter gewesen sein: 1) besafs man die echte Krone nicht, und 2) wollte der Kaiser auch wohl nicht die Ansprüche seines Papstes durch Verleihung der grofsen Krone zu sehr erhöhen. Die Zeitgenossen und der Papst selber fafsten den Hergang als wirkliche Krönung auf ^. Dafs dem Kaiser die

1) Bei solcher Gelegenheit war selbst der Schmuck der Pferde vor- geschrieben. Vgl. Mabillon, Museum 11, 267.

2) Villani X, 74 sagt: „mise allo Antipapa la lerriuola dello scarlatto in capo". Bei Ludwig heifst es: „e poi PAutipapa coroDo da capo Lodovico." Vgl. auch Chroust S. 162 Anm. 1. Im Ordo Romanus wird scharf zwischen der Corona und der mitra unterschieden, die der Prior diaconorum dem Papste feierlich aufsetzt, und der infula rubea de scarleto, die der Papst in seiner camera nimmt, nachdem er die mitra abgelegt hat. Mabillon, Mus. II, 253. 258. 267.

3) Brief der Florentiner: „ut (Bavarus) intersit coronationi ydoli, quod antipapa dicitur". Ficker S. 71. Unteiwerfungsgelöbnis: „et

WAHL DES LETZTEN KAISERLICHEN GEGENPAPSTES. 581

Krönung nicht zustand^ selbst dann nicht; wenn er allseitig anerkannt gewesen^ mufste Nikolaus bei seiner Unterwerfung später ausdrücklich bezeugen.

Thatsächlich erscheint am Pfingstfeste in Rom nicht der Papst; sondern der Kaiser als Hauptperson , seine Krönung als Hauptsache; ja; die des Kirchenfursten ist wohl wesent- lich ihretwegen so weit zurückverlegt worden, weil jene in der Regel gleich bei der Investierung geschah; und hier kein formeller oder örtlich zwiugender Qrund vorlag; es anders zu machen. Die Kaiserkrönung wurde deshalb auch mög- lichst nach altem Brauche zugeschnitten. Die Reise nach Tivoli geschah nur; um den feierlichen Einzug; mit dem Übernachten vor den Thoren RomS; bewerkstelligen zu können. Es war das eine uralte Feierlichkeit; die bis auf den festlichen Empfang der griechischen Statthalter zurück- ging; und von ihnen durch die fränkischen Könige und die deutschen Herrscher übernommen wurde ; bis sie seit der ersten Kaiserkrönung; der Ottos I.; dem Kaiserceremoniell angehörte K Dafs der Papst dem zu Krönenden mit sämt- lichen Kardinälen entgegenritt, war eine besondere Ehrung. Von den Einzelheiten der Krönung, die in eine ganze Reihe feierlicher Akte zerfiel ^, vernehmen wir nichts. Sie werden zum grofsen Teile unterblieben seiu; weil Ludwig schon einmal gekrönt war und sich bereits lange Zeit in Rom auf- hielt Namentlich scheint man sich auf die Krönung be- schränkt und nicht auch die Salbung vorgenommen zu haben. Beruht diese Vermutung nicht auf der ungenügenden Dar- stellung Villanis ; so dürfen wir als Absicht bei der Unter- lassung vermuten; dafs der Kaiser dem Papste möglichst wenig Rechte sich gegenüber einräumen; das Ganze auf die blofs äufserlich formelle Krönung durch die Hand eines Nachfolgers Petri beschränken wollte. Dafs der Kaiser nach

coroDari a diclo heretico Ludovico de Bavaria me permisi**. Martene II, 811c.

1) Näheres: Köpke-Dümmler, Otto I., S. 328.

2) Vgl, z. B. Die Krönung Friediichs L, bei Prutz, Kaiser Fried- rich I., Bd. I, S. 72; Dettloff, Der erste Römerzug Kaiser Fried- richs I., S. 35 u. a.

582 V. PFLÜGK-HARTTÜNG,

der Krönung urkundliche Rechtshandlungen vornahm, ge- hörte zu den formellen Hergängen.

Überblicken wir den Qesamthergang der Erhebung Niko- laus' V., so erkennen wir in ihm eine Handlung, welche nach dem Ordo Roman us, aus der älteren Überlieferung und den gegenwärtigen Verhältnissen zusammengesetzt war, wobei das demokratische Volk von Rom zwar mitwirkte, aber doch nicht eigentlich selbständig, wogegen der augenblicklich herrschende Kaiser die entscheidende Rolle spielte. Fonndl oder kanonisch verbindlich war die Wahl des Papstes in keiner Weise.

Exkurs.

Die Weihe Nikolaus' V.

Villani, der in seiner Istor. Fior. eingehend über die Vorgänge in Rom, während des Aufenthaltes Ludwigs des Bayern, und so auch über die Erhebung Peters von Cor- vara zum Papste berichtet, sagt nichts von dessen Weihe, und doch ist dieselbe erfolgt, wie wir aus dem eigenen Ge- ständnisse des Papstes erfahren, und es sachlich notwendig erscheint.

Bei solchen Verhältnissen verlegen Müller I, 193, 196 und Chroust S. 158, 161 die Weihe auf den 22. Mai, bringen sie also mit der Krönung zusammen , während Eubel ^ sie an die Wahl reiht und sie demgemäfs dem 12. Mai über- weist. Gründe fuhren jene für ihre Einreihung nicht an, während Eubel sich darauf stützt, dafs Nikolaus V. bereits am 18. Mai „als gekrönter '^ Papst urkundet, wobei er nach Pontifikatsjahren rechnet Dies wird unterstützt, worauf ich im Histor. Jahrb. XX, 766 hinwies, dafs die älteren Päpste sich bis zur Weihe (nicht Inthronisation oder Krönung) blofs als Gewählte'^ bezeichneten und bisweilen sogar ihren an- gestammten Namen beibehielten.

1) Hist. Jahrb. XII, 279.

WAHL DES LETZTEN KAtSEKLICHEN OEGENPArSTES. 583

Nach Villani benimmt Nikolaus sich eeit dem 12. Mai ganz als fertiger bzw. als geweihtei- Papst. Er empfttngt und giebt Benelizien, erteilt Privilegien, ernennt Kardinäle und uragiebt sich mit einem Hofe und einer Kanzlei. Ala blofs „Erwähltem" hätte ihm dies schwerlich zugestanden, namentlich konnte alsdann die Ernennung der Kardinäle nicht verbindlich erscheinen. Ein Grund zum Aufschieben der Weihe vom 12. auf den 22. Mai lag nicht vor; im G^enteil, nachdem man so weit gegangen war, mufate Papst und Kaiser gleichmäfsig daran liegen, die Einsetzung des neuen Kircbenfursten sobald als möglich rechtskräftig zu machen. Nach der Darstellung Villanis galt der Hergang am 12. Mai dem Papste, der am 22. vornehmlich dem Kaiser. Am 12. erfolgte die Wahl, die Zustimmung, die Namens- änderung, die Iramantation, die Inthronisation, der Einzug in St. Peter, wo eine Messe mit grofsera Festgepränge abgehalten wurde. Am 22. geschah nur die päpstliche Krönung. In dieser Umgebung kann man kaum umhin, die Weihe auch auf den 1 2. zu verlegen , und zwar in den Dom St. Peters, verbunden mit der feierlichen Messe. Das Papstceremoniell weist ebenfalls in diese Richtung. Wenn die Wahl in oder bei St. Peter stattfand, ao pflegte die Weihe sich sofort anzuschliefaen, vorausgesetzt, dafs es ein Sonntag oder wie hier ein hoher Festtag war {Zöpffel, S. 243 ff.); im besonderen wurden gern Weihe und Thron- besteigung gleich hintereinander vorgenommen (ZöpflFel, S. 259ff.) Die feierliche Messe, von der Villani spricht, wird jene Messe sein, die der neue Papst persönlich nach vollzogener Weihe abzuhalten pflegte. Jene Erwähnung dürlle also darauf hinweisen, dafs die andere Ceremonie be- reits stattgefunden hatte. Villani berichtet, wie wir bereits Torne erwähnten (S. 579), alles, was sich nicht auf dem Petersplatze vollzog, nur kurz und ungenügend. Bei der Weihe mag das Verschweigen noch den weiteren Grund gehabt haben, dafs er, auf gegnerischer Seite stehend, in der Erhebung des Gegenpapstes überhaupt eine acheufsliche Ketzerei sah. Wenn nun die Weihe verschwiegen wurde, so r. E.-o. XIII. t. BS

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584 y. PFLUOK-HABTTUNO,

erschien die Wahl für den Leser als kirchlich unverbindlich, und eben diesen Eindruck wünschte Vellani hervorzubringen. Als zweite Quelle von höchstem Werte, weil völlig gleich- zeitig, erscheint ein Brief der Florentiner an den Papst vom 19. und fortgesetzt am 23. Mai. Zum 19. berichten sie die Erhebung Peters von Corvara zum Papste in einer Weise, die nur als vollzogene Handlung aufgefafst werden kamu Wäre er nicht geweiht, würden sie dem meistinteressierteo Manne dies doch wohl geschrieben haben. Zum 23. erzählen sie die Krönung des Papstes. Verkürzt decken sie sich in diesen Hergängen also ganz mit Villani. Die Weihe galt den Florentinern als so selbstverständliches Zubehör zur Wahl, zur Qesamterhebung des KircheniUrsten, dafs sie an- nötig erachteten, dieselbe eigens mitzuteilen.

Bei seinem Unterwerfungsgelöbnisse sagte der Gegen- papst später: „consequenter consecrari immo exsecrari ab haeretico et schismatico Jacobo dudum Castellano episcopo excommunicato et deposito, et coronari a dicto haeretico La- dovico de Bavaria me permisi" ', Peter von Corvara unter- scheidet hier also scharf zwischen Weihe und Krönung. Die Weihe ist vorgenommen durch den Bischof von Castello. Qerade dieser Bischof war es, der am 12. das Volk dreimal fragte, ob sie den Petrus zum Papste wollten. Auch am 22. war er zugegen, doch jetzt nicht mehr als Bischof von Castello, sondern als Kardinal - Bischof von Ostia -Velletri. Hätte er erst am 22. geweiht, so hätte dies genau ge- nommen anders ausgedrückt werden müssen. Natürlich läfst sich hierauf kein Qewicht legen, doch weist es immerhin zu- nächst in die gegebene Richtung. Das „dudum episcopus'^ bezieht sich auf seine Bannung und Absetzung durch Jo- hann XXII.

Für die Weihe am 22. läfst sich eigentlich gar nichts geltend machen. Höchstens, dafs der 12. als Himmelfahrts- tag kein wirklicher Sonntag war, wohl aber der 22. (Zöpffel, S. 250) und dafs man Weihe und Krönung gewöhnlich zu- sammen vornahm (Zöpflfel, S. 259), während hier zehn Tage

1) Marlene, Thes. II, 811c.

WAHL DES LETZTEN KAISERLICHEN OEGENPAPSTE8. 585

dazwischen lagen. Dagegen läfst sich aber wieder an- führen, dafs man der ELrönung durch die Gegenkrönung des Kaisers eine besondere Feierlichkeit verleihen wollte, und dafs das Ceremoniell nach Inthronisation (?) und Weihe am 12. als abgeschlossen gelten konnte, dem die Krönung in kleiner Form nur noch als neue Prunkhandlung an- gehängt wurde.

Unser Ergebnis lautet mithin : Papst Nikolaus V. ist am 12. Mai in St Peter Ton der Hand des Bischofs Jakob Ton Castello -Venedig geweiht worden.

Schliefsen wir uns somit der Vermutung Eubels an, so widersprechen wir ihm darin, dafs auch die „gebräuchUchen kirchlichen Krönungsceremonien^' am 12. erfolgten. Da an eine Doppelkrönung nicht zu denken ist, so kann nach den ausdrücklich vorliegenden Berichten kein Zweifel sein, dafs dieser Akt erst am 22. stattfand.

88'

Der Caminer Bistumsstreit im Beformationszeitalten

Von

Hermann Waterstraat,

Rektor in Stettin.

Quellen:

I. Staatsarchiv Stettin:

a) Stettiner Archiv (St. A.):

P. I, Tit 1, Nr. 22; Tit 2, Nr. 28;

Tit 81, Nr. 5, 3, Nr. 5, 6, Nr. 16, Nr. 60a; Tit. 82, Nr. 1, Nr. 5; Tit. 111, Nr. Ic, Nr. 45a. P. m, Tit. 2, Nr. 43; Tit. 6, Nr. 19; Tit. 9, Nr. la, Nr. 2. Depon. A, Bezirksausschafs Köslin, B. 313.

b) Wolgaster Archiv (W. A.):

Tit. 1, Nr. 2;

Tit. 2, Nr. 23 a, Nr. 23 b;

Tit. 3, Nr. 11, Nr. 12;

Tit. 5, Nr. 49;

Tit 25, Nr. 2, Nr, 3, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 11,

Nr. 36, Nr. 39; Tit 39, Nr. 14.

c) Bohlensche Sammlung, Manuskr. 686, 687,

1706. n. Geh. St A. Berlin, R 30, Nr. 111.

DER CAHINER BISTUMSSTREIT. 587

I.

Bischof Erasmus Manteufel (1534—1544).

Wie bei fast allen Fürsten der Reformationszeit kann man auch bei den pommerschen Herzögen sehr schwer entschei- den, wie weit religiöse und wie weit politische Gründe sie ZU ihrem öffentlichen Übertritt zum Luthertum veranlafst haben. Den äufsern Anstofs hierzu gaben unzweifelhaft poli- tische Verhältnisse; die Beziehungen Pommerns zu den ^ wen- dischen Hansestädten ; in denen die radikalen Elemente das Übergewicht gewonnen hatten, und die mit der religiösen ver- bundene soziale Bewegung im eigenen Lande. Wollten nun die beiden Herzöge Barnim XI. und Philipp sich nicht um Land und Leute bringen, so mufsten sie sich an die Spitze der reformatorischen Bewegung stellen. Ihre Angst vor dem Kaiser wurde durch das Bewufstsein neutralisiert, dafs sie mit der Evangelisation des Landes einen bedeutenden Machtzu- wachs gewannen, der sich nicht zum geringsten in ihrer gröfseren Unabhängigkeit den Ständen gegenüber äufsern würde. Sie eröffneten daher Verhandlungen mit den Land- ständen und beriefen zum 13. Dezember 1534 einen Landtag nach Treptow an der Rega^, „darmit der Zweispalt so der Religion, Ceremonien und all dem lenig, das daran hanget und dazu horich, auch der gebrechen und mangel, die itzt Im weltlichen wefsen und unser policii sich erzeigen, abgethan, re- formeret, und Im christlichen, einmutigen erbarn stand ge- bracht werde."

Über den Verlauf der Verhandlungen im einzelnen in der Woche vor dem Landtage und während desselben haben wir keine Kenntnis, da sich bisher kein darauf bezügliches Akten- stück gefunden hat, mit Ausnahme des Protokolls ^ vom

1) Am 14. Januar 1525 war noch auf dem wendischen St&dtetage zu Lübeck ein Beschluss gegen die neue Lehre gefasst worden.

2) Einladung an Bischof Erasmus zum Landtage. St. A. GeistL Urk. Nr. 744 a.

3) St A., P. I, Tit 103, Nr. 8, abgedruckt bei Medem, Einfüh- rung der ev. Lehre in Pommern, Nr. 28.

588 WATER8TRAAT,

Montag nach Nicolai (7. Dezember), das nur einen Teil der fürstlichen Vorlage erledigt. Infolge des Widerspruchs, den der materielle Teil derselben bei dem katholischen KlemSy dem Adel und auch den Städten hervorrief, deren Vertreter zum Teil schon Tor dem Landtagsschlufs unklugerweise Trep- tow rerliefsen, konnte es naturgemäfs zu keinem von Fürsten und Ständen gemeinsam verfafsten Abschied kommen; vielmehr traten an dessen Stelle der angefochtene ^ und von den fürstlichen Räten den Vorschlägen * der Städte entsprechend modifizierte „Vorbescheid'', auf Qrund dessen und der uns unbekannten Verhandlungen mit den Geistlichen und Bngen- hagen die von letzterem redigierte Kirchenordnung entstand, die in der Folgezeit häufig als „Treptowsche Landordnung'' oder „Treptowsche Ordeninge" bezeichnet wird.

Charakteristisch ist es, dafs in Glaubenssachen kaum eine Verschiedenheit ' sich bemerkbar machte ; auch über die Stellung des Bischofs, die Berufung und Ehe der Prediger, die Aufhebung der Bettelklöster, die vorläufige Überweisung der Feldklöster und Earthausen an die Fürsten bis zur Ab- haltung eines allgemeinen Konzils einte man sich; dagegen waren die Städte diu*cbaus nicht mit dem landesherrlichen Visitationsrecht und der bischöflichen Ehegerichtsbarkeit einverstanden, einerseits weil die städtischen Machthaber ihre Befugnisse erweitern wollten, andrerseits weil zu viele von ihnen sich einen guten Griff in das Kirchenvermögen ge- stattet hatten, der durch die Visitation offiziell offenbar wer- den mufste. Der Adel aber war unzufrieden darüber, dafs ihm nichts vom geistlichen Gut zufallen, bzw. dafs er das annektierte Kirchengut wieder herausgeben sollte. Insgeheim vom Bischof und den Prälaten angestachelt, ermahnte daher der Adel gleichfalls die Fürsten, sich vor des Kaisers Un- gnade zu hüten, und bat, als Vorstellungen nichts nützten, um Frist, damit eine gründlichere Beratung der Sache er-

1) Medem Nr. 41, S. 215.

2) Me dem Nr. 27; St. A., P. I, Tit. 103, Nr. 2.

3) Darum ist in der Vorrede zur Kirchenordnung auch der Satz richtig, dafs die Ordeninge van der gantzen landschop angenomen js.^^

DEli CAMINER BISTCMSRTHEIT. 589

möglicht würde. Die Fürsten sahen nicht ungern, dafs die Gegner der Einigung vorzeitig vom Landtag „verritten", da sie fest entschlüBsen waren, aiicli ohne förmliche Beistimmung des Adels das Reformationswerk \n seinen Grundzügen fest- zulegen. So Üefaen sie denn den Vorbescheid bindende Kraft annehmen und hielten an den vorläufigen, nur mit einzelnen getroffenen Vereinbarungen fest, zumal da die Widersacher ohne förmliche Rechts Verwahrung den Landtag verlassen hatten. Dio Politik der Fürsten war von Erfolg gekrönt, denn die Städte, mit Ausnahme Stralsunds, vollzogen bald eine Schwenkung zu Gunsten der Herzöge, da die politischen Verhältnisse des Nordens und des Reichs sie ängstlich machten, und gaben sich damit zufrieden, dafs von Bugenhagen unter Zuziehung nirstlicher Räte die Visitation vorgenommen wurde. Dagegen blieb die Frage ' der bischöflichen Ehegerichtsbarkeit, der Verwendung der unverkürzten Einkünfte der städtischen Kirchen zur Versorgung der Kirchendiener sowie der Stadt- klöster zu Gunsten von Schulen und Hospitalen der durch die Fürsten in Aussicht gestellten güthchen Einigung noch vorbehalten. Vorläufig verharrten die hohe Geiatlichkeit und der Adel bei ihrer ablehnenden Stellung und ermahnten schriftlich, wenn auch vergebhcli, die Herzüge, keine Ver- änderung der geistlichen Güter vorzunehmen. Allmählich waren sie nämlich von dem Wahn zurückgekommen, dafs ihre Einwilligung zu den Treptower Beschlüssen auch in Kückaicht auf die kirchlichen Anordnungen von den Her- zügen eingeholt werden würde. Der Adel wandte sich daher an das Reichskammergericht, das später die Aufhebung der Treptower Beschlüsse befahl, suchte auch wohl einen Rück- halt an den mifsvergnügten Stadtobrigkeilen und dem katho- lischen Klerus, ohne indessen seinen Protesten mehr als einen platonischen Charakter verleiben zu können.

Der einzige, der aus dem Widerspruch der unzufriedenen Stände Vorteil zog, war der Caminer Bischof, den man □icht zu einer bindenden ^ Erklärung auf dem Landtage ver-

1) Medem Nr. 32. 33; Eantzovr ed. Bübmer p. 217.

3) In einem Brief an Oearg von Anhalt schreibt Justus Jonaa den

^

1

590 WATERSTRAAT,

mocht und wahrscheinlich auch vorzeitig hatte ziehen lassen müssen. Ihm hatte man aber eine Frist bis Quasimodo- geniti 1535 (4. April) zugestanden, bis zu welcher Zeit er sich mit den Stiftsständen über eine Antwort schlüssig machen wollte. Nur so viel war allen klar geworden, dafs der Ein- führung der „reinen Lehre" auch von dem Bischof kein Widerstand mehr entgegengesetzt werden würde, während die Erledigung der politischen Machtfrage noch Weiterungen erwarten liefs. Volle Unterstützung fand der Bischof bei den Ständen des Bistums, die am 9. März 1535 in Kolberg za- sammentraten und die „Antwort ^ yp den Landtag so de Herren von Stettin tho Treptow vp de Rega mit dem Bischoppe, Ebten vnd Prälaten, Ritterschop vnd Stetten des gantzen Landes von wegen Buggenhagens Ordenunge vnd Nyemog der Religion" berieten und darauf dem Bischof folgendes Schreiben zur Mitteilung an die Herzöge zustellen liefsen:

„Erstlich hebben sich de van adel unde steden hir mit ent- schuldiget, dat disse saken grot, hoch unde wichtich weren, ihres vorstand wit awergingen onde ihn hir tho in der eile tho radende bofswerlicb, were wol von noten, hetteu Dilation zu bidden.

Jdoch de wile si von M. Q. H. von Camin bi ihren gidem, reden und pflichten vorwandt zint worden, hebben fse disse schrift- liche antwort rades Wifse J. F. G. gegewen.

Dat J. F. G. gut wetint drogen, wo si Key. Maj. und dem hilgen Bomischen Bike vorwand, vono dersolbigen J. G. stifte ock Stifts regalien, Privilegien unde gerechtigkeit to Ihene betten, ock mit watterlei gestalt de nigernng der reJigion unde kerken gudere Veränderung vonne derselbigen wurde widerfuchten.

Dar um konden si J. F. G. personen up vorgeholdene artikel boslutlick hir in to willigende ihrer vorwantnifse nha nicht rades up de mede J. G. Stifte nicht dat durch in tokamenden Tiden to einem uuTorwinlichen schaden, noth und bedruck kamen unde fallen mochte,

Wat awer die reine lere des Evangel. betrifft, weten sze dat solwige nicht to vorvechten, Dat dat snlvige Inter, klar, ane upror im Stiebte ock möge gepredigt werden.'^

19. Februar 1535, dass nach einer Mitteilung Bugenhagens der Bischof erklärt habe: „se inscio Caesare novare nihil posse nee audere**. S. Ge* Bchichtsqu eilen der Provinz Sachsen XVII: K awer au, Briefwecbsd des Dr. Justus Jonas I, 221.

1) St. A., Dep. A., Bezirksaussch. Köslin B. 313, S. 239.

DER CAMfNEE BISTUM SSTRE IT.

W Also die Prälaten und die anderen Stiftaständc hätten

BJcli oni liebsten gar nicht gefiufBert, konnten aber in Rück- ^ sieht auf den Bischof diesem nicht allein die Verantwortung

überlassen. Seltsam in Rücksicht auf die thatsächlicben Verhältnisse berührt es nun, wie die Stände darauf hin- weisen, dafs der Bischof vom Kaiser ' die Regalien, Pri- vilegien und Gerechtigkeiten zu Lehn trüge, der jede Ände- rung der Religion und Kirchengüter ungnädig vermerken wurde. Daher konnten sie auch dem Bischof nicht raten, die fürstliche Vorlage endgültig anzunehmen, damit er in Zukunft nicht in Verlegenheit käme. Was dagegen die reine Lehre des Evangeliums beträfe, könnten sie nicht die Verantwortung dafür übernehmen, dafa sie lauter und klar ohne Aufruhr in den stiftischen Ländern gepredigt würde.

Von dieser Meinungsäufserung der Stiftsstände waren die Fürsten natürlich nicht besonders erbaut; befremdend aber mufate es sie berühren, dafs der Kaiser als Lehnsherr in Anspruch genommen und somit ihr angestammtes Patronats- recht ganz beiseite gesetzt wurde. Deshalb raufste der Bischof, der schon im Jahre " 1527 zur direkten Zahlung der Reichs- Bteuern und sogar zur Beschickung der Reichstage aulgefor- dert war, verantafst werden, Farbe zu bekennen. Für die Herzoge war es eine Frage von der gröfaten Wichtigkeit,

1) St. A., Oeistl. Uikd. Biitum Camin, Nr. 729b. Bischof Eras- muB war selbsläodig zur Zahlung seiner Quote fQr den Unterhalt des Reichska mm er Berichts reranlagt worden, hatte aber den Termin nicht inne gehalten oder die Zahlung durch die fili'BtUche Eamtner bewirkt und war deshalb prnzediert worden. Nach Orduung dieser Angelegenheit aetite Karl V, den Bischof Erasmus wieder in die ihm entzogenen Regalien und Freiheiten ein. Speyer, 26. Februar I&29. Damit erledigt eich die Anmeikung in Bartholds „Geschichte von Rillen und Pommern" IV, 2, S. 374. Die Kegalien waren (etwa 1348) von ICaiser Karl IV. den Caminer Bischof entzogen worden. Mencken, Script rer. germ. III, 2024. 202S.

2) St. A , P. I, Tit. 111, Nr. 45a. 1501 den 3. April sendet da» Reich sregiment dem Bischof Maitin von Camin die Beschlüsse des Reichstages vom 1. März zu und fordert ihn zur Bezahlung der Steuern auf. I&Ol den 16. Apiil wird vou ihm der BeitiSg zur Unterhaltuug des Kauimergeiichts verlangt.

592 WATERSTRAAT,

dafs die stiftischen Lande, die fast ein Sechstel des ganzen Pommerns ausmachten , sich von ihnen nicht loslösten oder dem Kaiser eine Handhabe boten , sich in die Angelegen- heiten des Landes einzumischen. Landesherrschaft und Klerus standen durch den Grundbesitz im denkbar engsten Verh&Itnis, das durch die Verwandtschaft der hohen geistlichen Würden- träger mit den ersten Familien des Landes noch fester ge- knüpft werden mufste. Bischof und Prälaten waren also gleichzeitig Vertreter des Landes und Volkes und machten damit eine Entlassung des Bistums aus dem staatlichen Ver- bände der pommerschen Herzogtümer ganz unmöglich. Da^ her wurde der Bischof zu einer Zusammenkunft mit den Herzögen an der Swine (24. Juni 1535) entboten, bei der dieser den Patronat ^ der Fürsten ausdrücklich anerkannte und sein Schreiben damit entschuldigte, dafs er sich die kaiserliche Ungnade nicht durch offene Stellungnahme für die Reformation zuziehen wolle. Persönlich erklärte der in die Enge getriebene Bischof Erasmus sogar': „Es sollten Ihre fürstl. Gnaden sich der Abwendung seiner Gnaden und des Stifts Verwandten in keinem Wege nicht versehen, sm Gnaden wolle eher seinen Kopf lassen entzwei schlagen, solches würden seiner Gnaden Verwandten sonder Zweifel auch thun.^' Daneben bat er, dafs man ihn nicht zwingen möchte, öffentlich in die Religionsveränderung einzuwilligen, wenn er auch der Einführung der Kirchenordnung ' nichts

1) Spahn: ,, Verfassungs- und Wirtschaftsgeschichte des Herxog- tums Pommern** berichtet S. 41 ohne Quellenangabe über diese Zu- sammenkunft, dafs keine Verständigung zu stände kam, „weil Karl V. sich der Wünsche sowohl des Adels wie der Prälaten annahm**. Vgl Barthold, Geschichte von Pommern IV, 2, S. 282.

2) St. A., Tit. 111, Nr. 45 a.

8) Am 8. April 1538 empfiehlt Bischof Erasmus dem Camioer Domkapitel den evangelischen Pfarrherrn Greifenbergs, Jakob Kro* low, für das erste erledigte Lehen oder Beneficium. Elia solches war dem Krolow nämlich nach seiner Verehelichung vom Domkapitel ent- zogen worden (St. A., P. I, Tit. 111, Nr. Ic). Der evangeL Pfarrer an St. Georg in Eolberg, Lukas Sauhel, wurde von Erasmus examiniert und ordiniert, worüber er Institution empfing, die er der Visitations* kommission 1554 vorlegte (St. A., P. I, Tit. 111, Nr. 45 a, S. 114; St. A., P. III, Tit. 1, Nr. 22).

DER CAMINER BiaTt'MBRTREIT. 593

in den Weg legen wollte. Einen Grund für seine Weige- rung bildete der Verwand, dafs der Herzog von Mecklen- burg und der Kurfiirst von Brandenburg, in deren Länder der biachöfliche Sprengel ' hineinreichte, Gegner der Refor- mation waren und die Reichung der kirchlichen Abgaben * an ihn eventuell ganz untersagen würden.

Ein Punkt, der mit den kirchlichen VerhältniBaen an und für sich nichts zu thun hatte, war in den Verband- lungen an der Swine auch berührt worden, nämlich die Ab- lieferung der ReichBäteuern für das Bistuni.

Schon 1422 * und 1431 war der Caminer Bischof zur besonderen Stellung von Bewaffneten aufgefordert worden, an

1) Vgl. Wiesener, DieGrenzen des Bistiima Camin. Balt Stiid. 43.

2] Wie von dea pominerschen Adeligen der kirchliche Zehute schon Yor dem Treptower Landtage verweigert wurde, so geschah es auch seitens der M&rker. Nach einer Anzeige des Bischnfa an die HerzDga Bamitn und Philipp hatte sogar der brandenburgische Kurfürst schon 1633 seinen Unterthaneu verboten, dem P&sewalker Arehidiakon Sub- tidien zu reichen (St A., P. I, Tit. 111, Kr. 46a). Vgl. Schnell, Heckleuburi; im Zeitalter dur UeformatioD, S. 69 ff. lOÖ ff.

3) Bogislaw VIII. hatte es nicht biudern künnea, dafa der Ca- ininer Bischof Magnus am IG. Mai 1417 <ron Kaiser S.giatnuod Beleh- nuQg erhielt für die Reaalieu des Stifts. (Neben den feudalen Rechten die Befugnis, Unheitsrechte anszuUbeti, VermÖgenseinkOnfte zu beziehen, die dem Bischof zustehen, selbst wenn sie eine Konsequenz seiner kirch- lichen Stellung waren, die Eigentumsbefugnisse an den allodialen Gü- tern der bischöflichen Kirche auszuüben.) Vgl. Barthold IV, 1, ß. 61 II. 93. Ein Streit uui die SiiftsgUtcr führte aber wieder zu einer Beschränkung der bischöflichen Macht, indum analog dem Vertrage vom 29. Juni 13G6 zwischen Bogi^law IX. und Bischof Siegfried am t. Mai 1436 ein Vergleich zu stände kam. Dieser erkannte den Landes- berm als den Schutzherrn des Bistums an und verpflichtete das Kapitel, bei Erledigung des bischüflicheu Stuhls einen redlichen ehrlichen Herrn aus seiner Mitte zu wählen, der der Kirche, dem Lande und der Ilerr- ■cfaaft nützlich wäre und heim Herzog die Ucstüligung nachzusuchen bfttte. Nach Etlangung derselben sollten Kapitel und Herzog bei dem päpstlichen Stuhl die Konfirmation beantragen; falls aber der erwählte Bbchof den Herzog nicht geSel, sollte ein anderer erkoren werden. Ebenso sollte es mit der Besetzung der DompfrUnden gehalten werden, „wen de Eäre tho en ateit". Im September 1480 scblnss Bogistav X. niit Stift und Bischof einen Vertrag, der das Kapitel verpflichtete, keinen Bischof, Prllaten oder Domherrn ohne Wissen und Bewilligung der

594 WATEßSTKAAT,

deren Statt natürlich auch eine entsprechende Summe dem kaiserlichen Ffennigmeister gezahlt werden konnte. Einmal in den ' Reichssteuer- Registern aufgeführt, blieb der Kschof jedenfalls darin verzeichnety denn 1471 wird berichtet, dab er auf Grund dessen zu dem Reichstage * geladen wurde. Später schickte Bischof^ Martin Earith (1498—1521) dnmal den Orafen Georg von Eberstein als seinen Vertreter auf den Reichstag. Wie die älteste im Stettiner Staatsarchiv vorhandene Übersicht über die Reichsanschläge ^ vom Jahre 1521 und der Folgezeit erweist, wurde der Caminer Bischof stets besonders unter den ,, Bischöfen'' vor den pommerscheD Herzögen aufgeführt , die damit dasselbe Schicksal teilten, das z. B. die Beherrscher Brandenburgs, Sachsens und Jü- lichs in Rücksicht auf ihre Landesbistümer traf. In Wirk- lichkeit indessen hatte dies wenig zu bedeuten, da die be- treflfenden Fürsten immer geltend zu machen wuIsten, dab die Reichssteuern der Bistümer von ihnen „ausgezogen'^ würden ^ Im Jahre 1527 und 1530 wurde der Camin» Bischof wieder zum Reichstag geladen, ebenso auch 1531 und 1532. Zu den Reichstagen von Speier und Augsburg (1531) hatte Erasmus * besondere Vertreter gesandt, wäh- rend er selbst in Nürnberg gewesen war. Die Namen seiner Vertreter sind aber nicht unter den Reichstagsabschieden lu finden. Jetzt , wo sich ein Streit zwischen den Herzögen und dem Bischof anbahnte, der um Sein oder Nichtsein ging, durften die ersteren ihr landesherrliches Recht in keiner Weise antasten lassen, noch eine ideelle Stärkung der poli-

Herzöge zu wählen, die als des Stiftes Schutzherm anerkannt wurdoi' Die Abhängigkeit des Caminer- Bistums von Bogislav X. wurde in sdnen späteren Regierungsjahren eine vollständige.

1) Vgl. Deutsche Reichstags- Akten , jüngere Reibe II, S. 428 f; Neue und vollständige Sammlung der Reichsabschiede I, S. 284, 291, II, S. 21.

2) S. Lehmanns „Chronik von Speyer**, S. 893.

3) Am 22. September 1602 lädt der Kaiser Maximilian Bischof Martin von Camin zum Reichstag nach Gelnhausen.

4) St. A., P. I, Tit. 5, Nr. 49; W. A.. P. I, Tit. 82, Nr. 6.

5) St. A., P. I, Tit. 111, Nr. 45 a. G) St. A., P. III, Tit. 12, Nr. 20.

DEIi CAMIKElt BISTUMSSTUEIT. 595

tischen Macht des Biachofs durch unzcitige Nachgiebigkeit herbeiführen. Auf seiner Seite hatte der Bischof nicht nur die Mehrzahl der Prälaten, die gleichfalls eine Schniülerung ihrer Rechte und Einkünfte befürchteten, sondern auch den •tiftiachen Adel und die Stadt Kolberg, denen eine Ver- stärkung der fürBtUchen Macht höchst unerwünschat war. Die fürstlichen Räte verlangten also, dafa die Reichgabgaben vom Stift in die fürstliche Kammer und nicht direkt an den kaiserlichen Pfennigmeister abgeliefert würden. Den Btil- tischen Vertretern erschien eine bindende Antwort in dieser Hinsicht nicht opportun; sie vermochten daher die fürst- lichen Räte, bei ihren Herren einen Aufschub zur Er- ledigung dieser Sache zu beantragen. Da die Fürsten die Hauptsacbe, nämlich die Anerkennung ihres lau dcsberrh eben Patronats durch die Stiftsstände, erreicht hatten, legten sie auf die Frage der Steuerzahlung nicht denselben Wert und erfüllten daher die Bitte der Stände.

Die zur Augsburgischen Konfession gehörenden Stände des Reichs fanden in dem Nürnberger Religionsfrieden von 15:i2 ihre Existenz rechtlich begründet, insofern ihnen Sicher- heit vor gewaltsamen Angriffen und rechtmäfstger Procedie- ning durch das Reichakammergericht gewährt wurde. Im Jahre 1540 wurden in Regensburg die Nürnberger Bestim- mungen auch auf die nach 1532 übergetretenen Stände ausgedehnt. Zudem versprach der Kaiser in einer geheimen Erklärung, dafa das Reichskamme rgoricht protestantische Bei- sitzer erhalten sollten, und dafs auch die neu übergetretenen Stände die in ihren Ländern gelegenen Klöster und Stifter zu christlicher Reformation anhalten könnten. Von dieser „kaiserlichen Declaration" leiteten nun die Protestanten die Berechtigung ihrer Säkularisationen und Visitationen her.

Die pommerachen Fürsten hatten am 27. November 1539 auf dem Stettiner Landtag feierlich erklärt ', dafs sie keine Änderung im Stift willkürlich vornehmen würden, falls man nur die Treptower Ordnung und das Augsburger Bekenntnis handhabte, aber sich die Nomination von Kandidaten für

1) Hedem n. a, 0., Nv. 64.

596 WATERSTKAAT,

erledigte Kanonikate, Präbenden und Dignitftten neben ihreo alten Rechten vorbehalten. Eine genauere Umgrenzung ihres Verhältnisses zu dem Bistum erfolgte in dem zweiten Land- teilungs -Vertrage * vom 8. Februar 1541, der dem Bischof und den Stiftsständen am 17. November desselben Jahres zu Camiu unterbreitet wurde. Die Herzöge als Patrone bekräftigten hierin noch einmal ihre Zusage, dafs sie die materiellen Verhältnisse des Bistums , die Prälaturen, Ka- nonikate, Präbenden u. s. w. nicht ändern wollten, verlangten aber, dafs evangelische Ceremonien, der Augsburgischen Konfession und der Apologie entsprechend, sowie die Kirchen- ordnung vom Bischof und den Prälaten als den obersten Gliedern der pommerschen christlichen Versammlung sor Richtschnur genommen und angewendet würden. Ebenso wie keiner untauglic^hen Person mehr geistliche Würden übertragen werden sollten, wurde auch dem Bischof und den Kapitelmitgliedern untersagt, ihre Pfründen oder Gerecht- same ohne Erlaubnis der Herzöge an andere abzutreten. Ihre Einkünfte (Provision) sollten sie dagegen ungeschmälert behalten, soweit sie diese rechtlich besäfsen; widerrechtlich besetzte Prälaturen sollten indessen ihren Inhabern entzogen werden. Hinsichtlich der Wahl des Bischofs war die von dem früheren Gebrauch abweichende Bestimmung getroffen, dafs dieser von den Fürsten dem Kapitel zu nominieren sei; würde keine Einigung zwischen den erstercn binnen vier Wochen erzielt, billigte das Los einem Fürsten allein das Recht der Nomination zu, während dem anderen nur das Recht der Konfirmation blieb. Nachdem diese erfolgt, werde der Bischof, der beiden Fürsten zu huldigen und ihnen in jährlichem Wechsel Ratsdienste zu leisten habe, eingeführt Diese Artikel ^ wurden nicht stillschweigend von selten des Bischofs und der Stiftsstände angenommen, sondern riefen im einzelnen heftigen Widerspruch hervor, da sie ihrem iStreben nach Reichsunmittelbarkeit stracks entgegen waren.

1) Schöttgen u. Kreissig III, Nr. 814.

2) Vgl. Barthold IV, 2, S. 310. St. A., Akten des Bexirkstus- Schusses Eöslin. Dep. B. 313.

DER CAMINEK BISTUUSSTKEIT.

Daher verlangten die Herzöge vom Bischof, kurz und bündig auf den Reich Bfü ratenstand und die direkte Zahlung der lieich&steuern zu verzichten. Wie Üblich, liefs man ihm bis zum nächsten Tage Zeit, worauf die biBchöflichen Kommissare die Erklärung abgaben, dafs BiBchof und StiftBstäiide sich nicht von dem Herzogtum zu trennen beabsichtigten, aber auf die „Ordinalio" (die Bestimmungen des Teilungavertragea binaichtlich des Caniiner Stifts) ohne Zustellung einer Ab- schrift im einzelnen nicht eingehen könnten, zumal da die Funkte etwas hart und auch wider die Privilegien wären. Nun wurde eine neue Versammlung auf den 23. April 1542 anberaumt; aber die Stiftsstände erschienen nicht, sondern protestierten ' am 11. April 1542 von Körlin aus gegen die Annahme des Erbvertiagea, da sie sich nur Spott und Hohn vom heihgen römischen Reiche zuziehen würden, dem alle Caminer Bischöfe unmittelbar unterständen. Deshalb baten sie um Verachonung mit solcher Kirchenordnung und um BelassuDg bei dem alten, „wohlhergebrachten" Herkommen, den Gewohnheiten und Privilegien. Diese Autwort der Stiftsstände, die den Bischof ihren „gnädigen Fürsten und Herrn" nannten, stand in völligem Gegensatz zu ihrer Srklärung vom 18. November 1541. Bischof Erasmus war zwar nicht abgeneigt gewesen, die Artikel des Erbvertrages anzunehmen, wurde aber durch den Grafen Eberstein, einen Rat Herzogs Barnim, brieflich und auch mündlich in einer geheimen Unterredung zu Gülzow umgestimmt.

Dafs der Bischof es nicht auf einen völligen Bruch mit den Herzögen ankommen lassen wollte, geht aus den Verhandlungen des nicht lange darauf folgenden Kolberger Stiftslandtages her- vor, in denen die Fürsten ausdrücklieb als die Schirmherren des Stifts anerkannt wurden. Dagegen wünschte Erasmus eine Ab- ILndening der Nomination derart, dafs das Kapitel sich vor der "Wahl bei den Herzögen in betreff einer genehmen Person er- kundigen und diese dann zur Bestätigung präsentieren sollte. Auf die Beschickung der Reichstage und die direkte Einsen- dung der Reichssteuern empfahl Erasmus, ganz zu verzich-

1) SebOttgen UI, 31G.

598 WATEKSTRAAT,

ieuj da es dem Stift nur Kosten einbrächte. Wie wenig die Stände von der fürstlichen Obergewalt wissen wollten, ergiebt sich auch daraus, dafs sie durchaus nicht den gerichtlichen In- stanzenzug vom Bischof an die Herzöge, sondern das Reichs- kammergericht haben wollten. Die Herzöge sahen sich also zu weiteren Unterhandlungen genötigt, die für die Woche nach Exaudi (21. Mai) 1542 in Stettin in Aussicht genommen wurden. Hier legte man nun dem Bischof die Frage vor, ob er etwas vom Reich oder vom Kaiser als Lehen erhalten hätte und privilegiert worden sei, und ob er den Herzogen oder dem Kaiser den Lehnseid geleistet hätte. Die Antwort der bischöflichen Räte lautete etwas trotzig, da sie nicht nötig zu haben glaubten, die Privilegien nachzuweisen. Ihre Beweisführung gipfelte in der Erklärung: S. fiirstl. Gnaden ist ein Fürst des Reichs. Das Bistum ist dem Kaiser und dem Reich verwandt, jedoch mit dem iurament verschont worden und hat die Reichsabgaben immer direkt abgeliefert Jetzt wandte sich Erasmus an den adeligen Ständeausschufs mit der Bitte um Unterstützung; aber dieser riet zur Nach- giebigkeit und teilte ihm „aus sonderlicher Gunsf mit, dafs Herzog Philipp öffentlich gesagt habe: „Ehr sine F. G. dat Bistum overgewen und faren lathen, wolde S. F. Gn. land und lüde und alles wat ehre F. G. In der Jopen hedde, darahn setten und strecken." Ferner erinnerte man Bischof Erasmus daran, dafs sein Vorgänger immer die Reichssteuern in die fürstliche Kammer abgeliefert hatte, und schlug ihm die Annahme folgender Artikel vor:

1) der Bischof soll nicht zum nächsten Reichstag nach Nürnberg reisen oder Gesandte schicken;

2) er soll die von ihm zu stellende Mannschaft mit der fürstlichen vereinen und

3) die Reichssteuem an die fürstliche Kammer einliefern.

Anfangs wollte sich Erasmus zur Annahme keines Ar- tikels verstehen, ging aber schliefslich auf den ersten Punkt ein, während über die beiden anderen Punkte eine Verhand- lung im Herbst zu Camin in Aussicht genommen wurde Am 5. Oktober fanden nun in dem Caminer Rathaase die bezüglichen Verhandlungen statt, an denen seitens der

DER CAXmER BISTCXSSTREIT. 599

teilnahmen: Wobeaer, Radiger Massow und Bar- tholomäus Suave, a^tens des Bischofs Jakob Puttkamer, Wilhelm Natzmer, Lorenz ManduTel^ Thesanar Eameke, der Eol- berger Bürgermeister ühich Damitz sowie der Syndikus Johann Andree, der Kösliner Bürgermeister Ghave und ein Frankfurter Doktor und Ordinarius Ehren Christoph von der Strafsen ^, 4er an£Emgs abgelehnt, aber schliefalich zugelassen wurde. Hier wurde nun durch B. Suave, den Kanzler Herzogs Barnim, im Beisein der beiden Fürsten dem Bischof nahe- gelegt, „den gefiBLfsten whan, das er ejn Fürst des Reichs, fallen zu lassen vnnd sich als der gehorsame zu verhalten/' „Ohn meigliche Verletzung der ehren ^ glaubte der Bischof aber hierauf nicht eingehen zu können, zumal da nach seiner Ansicht der ganze Streit vor den Kaiser gehöre. Diese Hart- näckigkeit des Bischofs, der es weder seinen Ständen, noch den Herzögen recht zu machen verstand, erregte den höchsten Zorn ' der Landesherren. Sie wollten dem Bischof auf den Weg helfen, ihnen die schuldige Reverenz zu erweisen. Der jugendlich hitzige Herzog Philipp drohte sogar: „dat sick 8. g. mal vorßehen, dat de bisschop de gnade vnd woldaet 80 em sin Herr vader erteget, bedacht vnd sick in s. f. g. G^enwart des Fürstentitels nit angematet hebben.^' Bei dieser Stimmung der Herren hielten es daher ihre Räte fUr das Beste, dafs diese sich nicht mehr zur Konferenz ein- fanden, um die Rechtfertigung des Bischofs entg^enzunehmen. Schliefslich liefs man ihm eine herzogliche Resolution zustellen, in der ausdrücklich hervorgehoben wurde, dafs die Herzöge nicht auf die Nomination des Bischofs verzichteten, im übrigen aber die Privilegien mit der durch die Reformation gebotenen Einschränkung bestätigen wollten. Die Stände sollten die alte Appellation an den Bischof behalten, aber in Profansachen vom Bischof nicht mehr an den Papst, son-

1) S. Friedländor, Matrikeln derlUniversit&t Frankfurt a. 0. 1556. Christophorus von der Strafsen utriusque iuris doctor et eius- dem facultatis Ordinarius rector magnificus. Gest. 22. If&rz 1560. Christoph von der Strafsen wurde namentlich als kurbrandenburgischer Rat abgelehnt.

2) W. A., Tit. 25, Nr, 10.

Z«ltMhr. f. K..Q. XXU. 4. S9

600 WATERSTRAAT,

dem an den Herzoge bzw. das Eammergericht appellieren. Vom Bischof persönlich wurde wiederum verlangt, dais er sich der Augsburgischen Eonfession gemäfs verhalten, den Fürsten zu Dienstleistungen verpflichtet sein, Steuern und Eriegsvolk an die Fürsten weisen und sich nicht „stantz im Reich anmaßen^' sollte. Als sich aber der Bischof und die Vertreter der Stiftsstände hierauf nicht einlassen wollten, da das Stift nach ihrer Meinung „gänzlich vom Reich ge- teilt'^ werden würde, sondern um Aufschub baten, damit die Sache allen Stiftsständen vorgetragen werden könnte, rils den Fürsten endlich die Geduld, und sie schickten noch spät am Abend ihre Kommissare mit dem Befehl an den Bischof^ sich an die iura statuta sowie an die Kirchenordnung zu halten imd von einem Besuch des Reichstags Abstand zu nehmen. Eine Antwort des Bischofs wurde abgelehnt, und so endigten die fünftägigen Verhandlungen ^ mit einem negativen Ergebnis. Einen wie grofsen Nachdruck jetzt die Herzöge auf ihre Forderung legen mufsten, dafs der Bischof nicht die „Stantz" auf dem Reichstage in Anspruch nahm, erklärt sich daraas, dafs der Bischof schon im Frühjahr 1542 den Kapitular Otto Manow als seinen Vertreter zum Speyerer Reichstag geschickt hatte, um die confirmatio der Privilegien zu be- treiben. Trotz aller Bemühungen erreichte der Caminer Domherr aber nicht seinen Zweck, da der Kaiser in Person nicht zugegen war; immerhin übte Manow aber wirklich die Session ^ aus, so dafs die pomraerschen Gesandten Suave und Wolde förmlichen Protest ^ bei dem König Ferdinand

1) Wie Görigk in seiner nicht ohne sachliche Fehler kompilierten Broschüre: „Erasmus Manteuffel von Arnhausen" etc. dazu kommt (S. 30), von einem Vergleich zu reden, „in welchem die Herzöge die reichsständischen Rechte des Bischofs stillschweigend anerkannten ", kann nur darin seine Erklärung finden, dafs er entweder nicht einmal das einzige von ihm citierte Aktenstück des Stettiucr Staatsarchivs (Dep. B. 313) selbst durchgesehen oder das Niederdeutsch nicht verstanden hat.

2) Görigk in „Erasmus Manteuffel von Arnhausen" behauptet da- gegen, ohne den Beweis zu erbringen (S. 31), dafs der Bischof Manow nach Speyer sandte, nicht um sich vertreten zu lassen, sondern zur Bestätigung der Privilegien. S. dagegen St. A., P. III, Tit. 12, Nr. 26.

3) W. A , Tit. III, Nr. 12, Nr. 25, 2. 11.

DER CAMINER BISTUMSSTREIT. 601

und dem Reichstag mit der Drohung erhoben, die Hilfe Pommerns zum Feldzuge gegen die Türken zu versagen. Manow hatte den Licentiaten und kaiserlichen Kammer- gerichtsadvokaten Christoph von Schwabach zum bischöf- lichen Anwalt bestellt und war darauf in seine Heimat zurückgekehrt; wo man mit Sehnsucht auf die kaiserliche Bestätigung der Caminer Privilegien wartete. Ahnlich wie den Pommemherzögen war es indessen auch Moritz von Sachsen mit dem Merseburger Bischof ergangen; aber seine Gesandten verhandelten so geschickt mit den bischöflichen Vertretern; dafs diese sich in der Reichskanzlei gar nicht anmeldeten. Deshalb riet Zitzewitz ; der auf dem Nürn- berger Reichstag ^ 1542 den Protest namens seiner Herren hatte wiederholen müssen, in einem Schreiben vom 31. März 1543; beim Reiche nicht grofsen Lärm wegen dieser An- gelegenheit zu schlagen, damit sie nicht bekannter würde, sondern Erasmus in Güte zu bewegen; den Reichstag nicht zu beschicken. Infolgedessen wurde das Protestscbreiben nicht dem Reichstag, sondern nur der kaiserlichen Kanzlei übermittelt, ohne allerdings eine Erledigung der Angelegen- heit herbeizuführen ; denn durch den Reichstagsabschied * vom 23. April 1543 wurden alle Stände, die wegen der Session miteinander im Streit lagen ; auf den in demselben Jahre noch in Aussicht genommenen zweiten Reichstag ver- wiesen. Wenn auch der Bischof im Mai dieses Jahres die Confirmation durch seinen Anwalt erhielt; so hatte dies prak- tisch doch wenig zu bedeuten, wenn er nur den Reichstag nicht selbst beschickte.

Ein eifriger Förderer des Gedankens der stiftischen Reichs- unmittelbarkeit war der streng lutherisch gesinnte Kolberger Magistrat, der nicht nur den Bischof, seinen „gnädigsten Fürsten und Herrn", aufforderte, von seinen Rechten nichts aufzugeben, sondern auch noch den Kösliner Magistrat und die vornehmsten Adligen, wie den Grafen von Eberstein und die Herren von Wedel, aufreizte, den Bischof in dem- selben Sinne zu beeinflussen. Daher war auch die auf den

1) St. A., P. I, Tit. 81, Nr. 5, Nr. 3; W. A., Tit. 25, Nr. 2.

2) W. A., Tit. 2, Nr. 23 a.

39*

602 WATERSTRAAT; DER CAMINER BISTUMSSTREIT.

23. April 1543 in Camin angesetzte Verhandlung resultatlos, zumal da die vornehmsten Stiftstände ausgeblieben waren. Auch jetzt war Graf Eberstein derjenige gewesen, der jedes Entgegenkommen des Bischofs vereitelte.

Erasmus aber war nach wie vor zu entschlossenem Han- deln wenig geneigt; dies zeigte auch deutlich sein Verhalten auf dem zum 10. Dezember 1543 berufenen Stiftslandtag in Körlin, wo er nur die Zahlung der von den Herzögen aus- gelegten Kriegssteuern und den Unterhalt des Reichskammer- gerichts zur Beratung stellen liefs. Die Kolberger hatten zwar die HoflFnung gehegt, dafs der Bischof auch über die Beschickung des Reichstages Mitteilungen machen würde, da er deswegen „nicht wenig anstoß und betrübung tragen und leiden müssen"; zu ihrem Ärger erklärte er aber, dafs er nicht gesonnen sei, den Reichstag selbst zu besuchen oder durch Gesandte zu beschicken, „weil bis anhero uflf solchen reichstagen gar wenig oder nicht fruchtbarliche leere auf- gerichtet worden". Trotzdem suchten einige Tage darauf die Kolberger, mündlich und schriftlich, den Bischof zu einer Sinnesänderung zu bewegen, erhielten indessen die verdriefs- liche Antwort, dafs er niemand zum Reichstag schicken wüi'de, „wollte Jemandt anderfs aber sich dis understehn, müfste er geschehen lassen". So war es also doch den Her- zögen gelungen, entsprechend dem klugen Rat von Zitzewitz, den Kirchenfürsten zu bewegen, von einer Beschickung des Reichstags Abstand ^ zu nehmen, sehr zum Leidwesen der Kolberger, die gern auf eigene Faust ^ einen Vertreter für Camin gesandt hätten, wenn nur ein Schein des Rechts auf ihrer Seite gewesen wäre.

1) Barthold schreibt IV, 2, S. 315, dafs die Klagen der pommer- schen Gesandten am Reichstag und die Verwendung des mitbeteiligten Kurfürsten Joachim II. gewirkt zu haben scheinen. Wie schon bemerkt, wurde aber die Erledigung aller Streitsachen wegen der Session auf den nächstfolgenden Reichstag verschoben; dafs Kurfürst Joachim IL sich raitverwendet hat, wäre wegen seines Interesses an Pommern erklärlich.

2) St. A., Bezirksausschufs Köslin A., Dep. B. 313, S. 370.

[Fortsetzung im nächsten Heft.]

ANALEKTEN.

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1.

Ein interessanter Ablafsbrief.

Mitgeteilt

von

Otto Giemen in Zwickau

Im Jahre 1503 bewilligte Alexander VI. auf drei Jahre den Ablafs, den der Ordensmeister des deutschen Ritterordens in Livland durch seinen Kanzler Eberhard Schelle und seinen Sekretär Christian Bomhaner zu einem Kreuzzuge gegen die Russen erbeten hatte. Derselbe sollte in den Kirchenprovinzen Magdeburg, Bremen und Riga sowie in Livland gepredigt worden; Schelle und Bomhauer wurden zu Oberkommissaren ernannt. Julius II. bestätigte die Bnlle, doch konnte die Verkündigung des Ablasses erst im Herbst 1504 beginnen. Unter den Subkommissaren war Johann Tetzel der bedeutendste. Er wirkte 1504—1506 in den zur Kirchen- provinz Magdeburg gehörenden Diöcoscn Merseburg und Naum- burg ^ Am Sonnabend nach Philippi- Jakobi (3. Mai) 1505 führte er den Livländer Ablafs in Zwickau ein ^. Ende 1505 und Anfang 150G ist er in Leipzig nachweisbar'. Dazwischen

1) Nikolaus Paulus, Johann Tetzel der Ablafsprcdiger (Mainz 1899), S. 6ff.; Derselbe, Katholik (1901) I, 457ff.

2) Paulus, Tetzel, S. lOff. Das genaue Datum ergiebt sich aus Peter Schumanns Annalen (Handschrift LIX der Zwickauer Ratsschul* bibliothek II, fol. 16^). In diese Zeit mufs auch der von Herzog aus dem Zw. Ratsarchiv im Archiv für die Sächsische Geschichte V (1867), S. 411 mitgeteilte undatierte Originalbrief Tetzels fallen, in dem dieser bei Kurfürst Friedrich sich beklagt über den Stadtsyndikus Dr. Joh. Koch (gestorben 10. Juli 1512 nach Schumann II, fol. 51*), der ihn kürzlich „czu Zeitz vor eim Notario schendlich ... gescholten^* habe.

3) Paulus S. 10.

604 ANALEKTEN.

in der ersten Hälfte des Dezembers 1505 scheint er in Glanchan thätig gewesen zn sein, wenn anders der im Folgenden mitgeteilte Ablafsbrief von ihm ausgehändigt worden ist ^.

Uni?ersis et singolis praesentes litteras inspectnris Eber- hardos Szelle decretorum doctor in Burtninge * et Cristianos Bonhower in Roien ' locormn Bigennet Tarbaten. diocesis pi- rochialinm ecclesiamm etc. rectores sanctissimi in Christo patris et domini Jolii divina Providentia pape secundi accoliti capellaoi et ejasdem ac sancte sedis apostolice ad Magdeborgenses Bre- menses Bigenses pro?incias illaromque et Pomeraniae necnon Li- vonie civitates diocesis opida terras ac dominia etiam stangnal* et dehensa ^ nuncupatur [!] nuncii et commissarii specialiter et qui- libet in solid am deputati salntem in domino.

Et quia deioius Midiael Umtgroffe ejus vxor (z a Jia^ Mogwecxin Barbara lantgraff^ ad ipsius fidei piam ßabventionem juita pretacta [I] sanctissimi domini nostri intentionem et nostram deditam ordinationem de bonis suis contribaendo se grato^ ex- hihuerunt et liberalem prout praesentes litteras in hujusmodi testi- monium a nobis sibi traditas approbamus Ideo eadem auctoritate apostolica nobis commissa et qua fungimur in hac parte ipsis at dictis graciis et indulgentiis uti et eisdem gaudere possit et va- leat merito constat esse concessom. Datum jn glaucJi Sub sigillo per nos ad bec ordinato die 12 Mensis decemhris anno domini MCCCCC Vto,

Forma absolutionis in vita tociens quociens: Misereatur tui etc. Dominus noster Jhesus Christus per meritum sue passionis absoluat auctoritate cuius et apostolica mihi in hac parte com- missa ac tibi concessa Ego te absoluo ab omnibus peccatis tuis In nomine patris et filii et Spiritus sancti Amen.

Forma absolutionis et plenissime remissionis semel in vita et in mortis articulo :

Misereatur tui etc. Dominus noster Jhesus Christus per sue passionis merita te absoluat Et ego auctoritate ipsins apostolica mihi in hac parte commissa et tibi concessa te absoluo Primo ab omni sentencia excommunicationis maioris vel minoris si quam

1) Von einem Aufenthalt Tetzels in Glauchau, aber im Jahre 1510, berichtet nach C. G. Eckardt, Beitr. z. Gesch. d. kirchlichen Zustande in den Schönburgischen Recefsherrschaften bis zur Einführung der Reform, in denselben 1542 (Waidenburg 1842), S. 39 f., [auch G. C. Kröbne (gest. 1773 als Regierungs- und Eonsistorialdirektor in Glauchau) in seinen handschriftl. Diplomatoria schoenburgica ; die Notiz ist jedoch ganz konfus.

2) Burtneck. 3) Rujen. 4) ?

5) Ob Katharina? (Vermutung Schmidts.)

6) Das in obigem Druck hervorgehobene ist handschriftlich.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 605

incorristi Deinde ab omnibos peccatis tois: conferendo tibi ple- nissimam omnium peccatorum taoram remissionem Bemittendo tibi penas porgatorii in qaantam clanes sancte matris ecclesie se ex- tendont In nomine patris et filii et spiritus sancti Amen ^.

1) Original: Einblattdruck auf Pergament mit anhängendem sehr xerbrochenem Siegel im Fürstlichen Hausarchiv Schleiz. Die Kopie verdanke ich Herrn Archivrat Dr. Schmidt daselbst. Ein ähnlicher Ablalsbrief von Schelle und Bomhauer wird bei Ed. Winkelmann, Bibliotheca Livoniae Histoiica (Berlin 1878), p. 222, Nr. 5147 aus ^,A. Cohns CXIV. Katalog, Nr. 1087'' erwähnt. Winkelmann bezweifelt, weil Julius II. genannt wird, die Druckangabe: MGCGGC; sie ist aber richtig, die Einerstelle wurde handschriftlich ausgefüllt.

2.

Amsdorfiana

aus dem Codex chartaceus Nr. 43 der Dorpater

Universitätsbibliothek

Mitgeteilt

von

Carl Eichhorn in st. Petersburg.

Einleitung.

Der Codex 43 der Dorpater Universitätsbibliothek ist ein Co- pialbnch, das Briefe nnd sonstige Schriften protestantischer Theo- logen, aber auch anderer, diesen Kreisen nahe stehender Persön- lichkeiten Deutschlands aus den Jahren 1539 1549 enthält.

Die erste Kunde von ihm erhielt die wissenschaftliche Welt durch die Publikation des früheren Dorpater Professors Waltz, der in dieser Zeitschrift Band II, einen gröfseren Teil der im Codex enthaltenen Briefe veröffentlichte und ihnen dabei einige ein- leitende Worte über den Codex selbst voranstellte.

Der vorliegenden Arbeit nun sei es gestattet, einigen Fragen über den Codex weiter nachzugehen und darauf eine Anzahl der wichtigeren Briefe zu veröffentlichen, über die übrigen aber, so weit sie nicht schon von Professor Waltz besprochen, kurze An-

606 ANALEKTEN.

gaben za geben. Zunächst tritt einem die Frage entgegen, wie der Codex in die Dorpater Universitätsbibliothek gelangt sei.

Waltz sagt darüber M Möglicherweise st4unmt der Codex aus dem Nachlafs des rigaschen Geistlichen Immanuel Jnstus von Essen (vgl. Caroli Morgenstemii narratio de qnadam epistolarum aato- grapharum congerie p. 3 im Dorpater Lectionsverzeignis v. J. 1807), dessen reiche Manuskriptensammlung im Jahre 1806 an die Dor- pater Bibliothek gelangte.

Carl Morgenstern, Professor der Beredsamkeit zu Dorpat, bat im Jahre 1806 den Nachlafs Essens, der in 12 Volaminibns be- stand, zum Geschenk erhalten und der Dorpater Universitäts- bibliothek einverleibt.

In der angeführten narratio nun hat Morgenstern den Inhalt eines dieser Volumina angeführt und einige der drin enthaltenen Briefe vollständig herausgegeben.

Dieses Volumen befindet sich, eingebunden in ein Exemplar des Lectionskataloges, auf der Dorpater Universitätsbibliothek nnd bildet den Codex charteus42. Vergleicht man die Codices 42 und 43, so mufs sofort die Gleichartigkeit des Einbandes auffallen, doch ergiebt eine genauere Untersuchung noch weit schlagendere Be- weise für die Annahme des Professors Waltz.

Zum Schutze der Handschrift sind nämlich beim Einbinden des Codex 43 zwischen die Deckel und die beschriebenen Blätter je 5 starke Papierblätter eingeschaltet worden. Diese Blätter haben zwei wiederi?ehrende Wasserzeichen, bald „Fabrique S", bald ei- nen springenden Löwen, über dem „pro patria" steht und hinter welchem eine behelmte weibliche Gestalt steht, die einen Hut auf einem Stabe über den Löwen hält.

In dem Codex 42 nun, der ja nach Morgensterns narratio aus dem Essenschen Nachlafs stammt, finden sich zwischen Deckel und Text gleichartige Fapierblätter, die dieselben Wasserzeichen tragen, wie diejenigen im Codex 43.

Aufserdem findet sich, mit Blei geschrieben, auf der Innen- seite des vorderen Deckels des Codex 43 hinter einigen unleser- lichen Worten deutlich die Jahreszahl 1806, also des Jahres, in welchem die Essensche Manuskriptensammhing an die Biblio- thek gelangte. Aus Obigem scheint klar zu erhellen, dafs der Co- dex 43 der Essenschen Manuskriptensammlung angehörte.

Die äufsere Gestalt des Codex chart. ist bereits von Waltz be- schrieben worden. Er hat Quartformat, der Einband stammt wohl aus dem Jahre 1807 oder einem der nächstfolgenden.

Die Briefe umfassen jetzt 210 Blätter, von denen jedoch viele ganz oder zum Teil unbeschrieben sind. Das vom angefügte, nach

1) a. a. 0. S. 117 Anm.

EICHHORN, AMSDOKFIANA. 607

den Anfangen der Briefe alphabetisch geordnete Inhaltsverzeichnis bat 24 Blätter. Ans diesem Index ist ersichtlich, dafs der Codex ursprünglich wenigstens 225 Blätter stark war, vier Schriftstücke sind verloren gegangen. Die Briefe rühren bis auf einen ^ viel- leicht von derselben Hand her und sind recht leserlich geschrieben. Viele von ihnen zeigen Randbemerkuugen, Korrekturen und Zu- sätze, welche letztere meist in Hinzufügung der Namen der Brief- steller, Zeit- und Ortsangaben bestehen, jedoch ebensowenig wie der Index von einer anderen Hand herzurühren brauchen.

Was den Veranstalter der Sammlung betrifft, so hat Waltz auf Nicoläus von Amsdorf hingewiesen.

Von den 140 Briefen und anderen Schriften des Codex gehen circa 90 von Amsdorf aus oder sind an ihn gerichtet; von einer grofsen Anzahl anderer läfst sich leicht nachweisen, wie sie in seine Hände gekommen sein können, kein einziges der einzelnen Schriftstücke ist der Interessensphäre Amsdorfs fremd; die meisten beziehen sich auf den religiös-politischen Kampf, in dem Amsdorf lebte und webte.

Noch mehr aber weisen andere Momente darauf hin, dafs die Sammlung von Amsdorf veranstaltet, dafs sie ihm gehört hat, ja vielleicht zum grofsen Teil von ihm selbst geschrieben ist.

Das Hauptargument liegt in den Glossen und Zusätzen. So findet sich, wie schon oben berührt, bei sehr vielen Briefen Ams- dorfs die Unterschrift, das Datum und der Ausstellungsort später hinzugefügt. Das konnte nur einer thun, der rait den Verhält- nissen Amsdorfs aufs genaueste vertraut war. Noch mehr sprechen andere Belege. Das Schreiben Amsdorfs vom 26. Juni an Georg Maior ündet sich dreimal, jedesmal etwas anders stilisiert, das dritte Mal durch eine Auslassung über das Interim vermehrt, in unserem Codex. Das erste Mal ist es ohne Unterschrift und durchstrichen, das zweite Mal ist „Nicol: Amsdorfüus. Wimariae 1548" hinzugefügt, beim dritten Male aber ist es überschrieben: ,,Epistola cuiusdam amici ad amicum", und nutorschrieben : „N. N. amico suo N. et N.** Über dem Worte „amici** stellt, t^päter hinzu- gefügt, „N. ab A'\ über „amicum** „Ge: Maio":

Wäre diese Sammlung nicht im Besitze Amsdorfs gewesen, nicht durch ihn veranstaltet worden, so könnte sich der Brief, der doch sicher nur in einer Form au den Adressaten gelangt ist , nicht in dreien , nur stilistisch voneinander verschiedenen, Bedsiktiunen im Codex befinden. Es ergiebt sich aber hieraus vielleicht noch eine andere Folgerung: Amsdorf hat den Codex auch als Couceptbuch benutzt*, die erste, durchstrichene Ke-

1) Fratres Venetorum ad Martinum Lutherum, f. 191 201.

2) Dafür spricht auch das angefangene, durchstrichene Ordinations- zeugnis auf f. 95.

608 ANALSKTEN.

daktion des Briefes ist von ihm verworfeD und nicht abgeschickt worden, in der zweiten Form gelangte der Brief an den Adres- Baten, die dritte war vielleicht zu einer Flugschrift bestimmt

Ein fernerer Beweis ist die Bandglosse znm Briefe Lothera an Jostus Jonas vom 16. Dezember 1543 ^: »,Prophetia illa de exitn belli, qaod aliquante post gestum est ab optimo Principe Electore Saxoniae Jo: Frid: cum tandem a suis equitibos tor- piter derelictus venit in postestatem Caesaris." Dieser Note steht es an der Stirn geschrieben, dafs sie von Amsdorf stammt, der oft in seinen Briefen von der Yerräterei der korsäcbstschen Truppen spricht und dessen nahes Verhältnis zu Luther bekannt ist. Es liefse sich vielleicht noch mehreres anfahren, doch dürfte es genfigen.

Dafs der Codex von Amsdorf zum grofsen Teil selbst geführt ist, kann der Schreiber dieser Zeilen nicht beweisen, doch scheinen die drei verschiedenen Redaktionen des Briefes an Major dafür zu sprechen, da sie von derselben Hand herrühren, die den gröüsten Teil des Codex geschrieben. Leicht wäre dieses durch ein notorisches Autograph Amsdorfs, deren sich viele im emesti- nischen Gesamtarchiv zu Weimar befinden müssen, zu erweisen.

Bei der Frage nach der Entstehungsweise des Codex rnuDs zu- nächst die Begellosigkeit in der Aneinanderreihung der Briefe auffallen. Chronologische Ordnung fehlt fast vollständig. Gleich zu Beginn des Codex folgen sich die Jahresdaten der einzelnen Briefe folgendermafden: 1546, 1544, 1542, 1543, 1546, 1544 n. s. w. Schon von vornherein ist es daher klar, dafs es sich hier nicht um ein planmäfsig angelegtes Kopialbuch der ein- und ausgelaufenen Schreiben Amsdorfs handeln kann. Dem wider- spricht schon die Verschiedenheit der Lagen. Es giebt ihrer von einem, von zwei, von sieben Bogen. Bei einer Lage ist es deutlich erkennbar, dafs sie ursprünglich zu einem anderen Zweck bestimmt war, als Briefe über kirchliche Streitigkeiten auf die Nachwelt zu bringen. Zwar durchstrichen, aber deutlich lesbar, steht auf den einzelnen Blättern dieser Lage: „Trinkgefesse*', „zinnerne Candeln*', „hülzerne Schüsseln*', „Bettlakenn", „Hembde^ „Nacht-Hauben*' u. s. w. Vielleicht sollte daraus einst ein Verzeichnis Amsdorfschen Hausrats werden. Die einzelnen Lagen sind wohl meist gesondert entstanden, denn es läfst sich in ihnen ein innerer oder chronologischer Zusammenhang zum Teil nachweisen. Später wurden die Lagen dann aneinandergeheftet, die Blätter nnmmenert und das Ganze mit einem Index versehen.

In welche Jahre die Abfassungszeit der Kopieen fallt, läfst sich nicht genau festsetzen. Vor das Jahr 1546 wird wohl die

1) Luthers Briefe, von de Wette V, 610.

EICnnORN, AHSDOBFIANA. 609

Abfassung keiner einzigen Kopie zn eetzen sein, denn seibat inner- halb der einzelnen Lagen sind die Briefe aus den Jahren vor 1546 chronologisch völlig zusammengeworfen. Einigermafeen findet man chronologiscba Ordnung erst in den Briefen ron 1546 nnd 1549. Hier wird auch die Sammlung voller, hier kann mau zum Teil nachweisen, wie zwischen dritten Personen gewechselte Briefe in die Hände Amsdorfa gelangt sind. Hier kann man zum Teil sofortige Abschrift annehmen, was besonders aus dem Üriefe des Theodor Fabriciua an Lucas Rosontal ' erhellt. Fabncius überschickt dem Letzteren das „Indicinm Pbilippi Melanchthonia de matatione ceremoniarum" ' und bittet ihn, es ihm spater wieder zurück- zuschicken. Amsdorf, der das Schriftstllck wahrscheinlich in Magdeburg von Boaental zur Einsicht erhielt, wird daher wohl sofort die Kopie genommen haben, die sich im Codex lindet.

Die Verfertigung des Inhal tsverzoicfanissea wird auch in keine viel spätere Zeit zu setzen sein. Ein Brief Luthers an Amsdorf ', in welchem der Absender nicht genannt ist, wird im Inhalts- verzeicbnis richtig als Brief Luthers angegeben. Dieses setzt eine 80 genaue Kenntnis voraus, iais man annebmeu kann, das In- hal tsveraeicbnis sei gleichfalls durch Amsdorf oder unter seiner Lflitang entstanden.

Die Bedeutung der im Codex enthaltenen Briefe ist wohl camentlicb in dem hellen Liebte zu suchen, das sie auf die Stim- mung der Lutherischen nach dem Scbmalkaldischeu Kriege, auf die interimistischen und ndiaphor istischen Streitigkeiten und nament- lich auf die Person Nikolaus von Amsdorfs werfen.

Nr. 1.

Luther an N. v. Amsdorf, nach dem 2Ü. Junuar 1543. Bei de Wette, Martin Luthers Briefe V, 429. Im Codex 43 ist der Brief nicht bis zu Endo kopiert, die letzten Worte sind: „Nam et Magdeburgae". Varianten kommen nicht vor, selbst der im Original fehlerhafte Passus „larva est nos" findet sich aach in luserer Kopie, ein nener Beweis, dafs direkt nach dem Original kopiert worden ist. ^odei chart. bibl. Dorp. 43, f. 16.

Nr. 2.

Luther an Justus Jonas, 1543 December 16. B«i de Wette, V, 610. Über die Eandbemerkiing „Propbetia iUa" etc. siebe oben S. 608. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 97''.

1) f. 179. i) f. lao. 3) f. 16.

610 ANALEKTEN.

Nr. 3.

Ordinationszeugnis Amsdorfs, 1547 September 28, Weimar.

Zeugnis über die Ordination des Wigand Grofsherr.

Codex cbart. bibl. Dorp. 43, f. 42.

Nr. 4.

Nikolai v. Amsdorf an Anders N., 1547 November 23, Weimar.

Der Brief beginnt : „Er Anders mein lieber gefatter. Ich höre, das bey euch und zu Einbeck ein doctor komeu ist, ein Sacra- mentirer , und wiewol ehr wegk sein sol , so hat ehr doch ein Sacramentirer hinder sich gelassen.''

Nun führte Amsdorf an, das käme daher, dafs die Pfarren ohne Vorwissen des Superintendenten Prediger annähmen, ehe sie examiniert und probiert. Amsdorf legt dem Adressaten ans Herz, dafs er neben dem Superintendenten diesem Unwesen steuern helle.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 26.

Nr. 5.

Amsdorf an Georg Maior, 1548, Weimar.

Ad Georg: Maiorem ^ S. Quid bis turbulentissimis et pessimis temporibus scriberem aut dicerem, mi amatissime in Christo frater? Omnia perfide et malitiose fiunt et aguntur etiam ab iis, qui volunt esse optimi et pii. Quare nihil dico aut scribo, audio, video et mirabunde mirabilia cogito de nostris stipendiatis , et iiulicis et scholasticis. Video enim divum Paulum vere scripsit>se: Avaritia radix est omnium malorum. Quid cnim non facit avarus contra dominum suum, cui est addictus et juratus, si adsont coronati. Quid non contra patriam ! Quid non contra deum! Quid non contra fratres et optimos amicos tentant et praesumunt, quibus dona et munera promittuntur et dantur. Nihil est apud istos jusiurandum, nihil deus, modo habeant aurum et argentum, deum illum magnuro, quem venter colit et adorat. En quod plus est, haec jam aguutur non secrete in abscondito, sed publice et manifeste, et tarnen au- tores venerantur et coluntur etiam ab iis, quos prodideruut et tradiderunt. Hi enim non audeut hiscere erga istos gloriosos Thrasones. Idee melius est de iis rebus cogitare, quam loqui aut scribere, cum Principes ipsi ta<:eant. Illud, quod de Po- merano scribis, valde miror. velim enim scire, quis ei persuasit aut unde sit persuasus Mauritium suum dominum mansurum esse

1) Späterer Zusatz.

EICHHORN, AMSDORFIAKA. 611

cum verbo dei, cum omnia eius opera, signa et facta contrarium probent et SDmmam bominis impietatem arguant. Primum video initium suae religionis, qui propter bona temporalia mox negavit Christum et adoravit Antechristum Bomanorum, quando propter Episcopatum Merseburgeusem sacrißculis ibidem sacrificare con- cessit ac promisit etiam datis literis et sigillo. Deinde rapuit alienti ^ patruo, imo patri bene merito de se, 8uam paternam hereditatem sine omni causa, et id propter verbum dei, licet huc usqno finxerunt contra ipsorum conscientiam nescio quam inobe- dientiam, sed fictio illorum jam patefit ex operibus ipsorum, quod bellum hoc non susceptum sit nisi contra et propter solum ver- bum dei süiente et consciente Mauritio, imo urgente et im- pellente, ut in secreto consilio Pragensi videbis. Adde et hoc, quod haec omnia fecerunt contra omnia jura et juditia Romani imperii, quod non citatum, non accusatum, non auditum, nullo minus convictum bonis suis hereditariis et dignitate spoliaverunt ^, inter quos Mauritius primus executor banni fnit. An habentes verbum tam atrocia crimina facere possunt? Audi alia similia, si non majora. In initio belli sui scripto invulgato promisit suis verbum, se quoque cum verbo velle mauere. Et ecce mox fit defensor, ein schirmlierr, ut in suo reverso se ipsum vocat, sacri- ficulorum Magdeburgensium et Halberstadensium, promittens eos cum suis missis et antiqua religione volle defendere. Est ne hoc manere cum verbo? Et quod plura, cur ejecit et expulsit Epis- copum Evaiigelicum ^, et papisticum , a sacrificulis electum et a Bomano Antichristo confirmatum *, intrusit ? Haec omnia cum sint notoria et manifesta, miror, quod scripto invulgato asserere andet Pomeranus Manritium mansurum esse cum verbo. In summa Mauritius non habet verbum, nee unquam habuit, ideo impossibile est ipsum manere cum verbo. Et timeo, ne unquam sit habi- turus, quia blasphemia ejus est blasphemia in spiritum sanctum. Eant igitur et adulentur ei, qui volunt, in brevi videbunt, in quem transfixerunt. Hie bene vale. etc.

Vinariae 1548. Nicol: Amsd. ^

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 19 ^

Nr. ö.

Joh. Friedrich der Mittlere und Johann Wilhelm

an Amsdorf, 1548 Januar 10, Weimar.

Dem Erwirdigen, unserm lieben Andechtigen Errn Niclansenn von Amsdorfif. Bischoffen etc.

1) ? 2) Vgl. Amsdorfs Brief an Maior vom 26. Juni 1548.

3) Nicoloi von Amsdorf. 4) Julius von Pfluß.

5) Ort, Datum und Unterschrift sind später hinzugefügt.

612 AKALEKTEN.

Von gottes genaden Jobans Friderich der miildr nnd Johans Wilhelm, gebrader, Herzogen za Sacbsen etc.

ÜDsem gflnstigen grus zayor. Ehrwirdiger, lieber Andech- tiger. Nach deme wir yorlangst mit euch yon wegen der Maidlein Schulh allhier haben reden lassen, als wollen wir each genediger maynuDg nicht bergen, daß uns itzo Christina Pinwitzin dorch einliegende Schrifft, derhalben anch angelanget hatt, wie Ihr daraus befinden und sehen werdet. Darauff ist unser genediges begeren, Ihr wollet za ewer gelegenheit den Supperattendenten nnd Bath allhier, auch die Pinwitzin bescheiden, anch Er Lorentzen zn euch ziehenn und die ding yerhOren und bedenken, wie sie zu erhal- tung zucht und Christlicher lehr selten furzunehmen sein, uns auch alsdann darauff ewer bedencken anzeigen. Darum thut Ihr uns Zugefallen und wir seindt euch mit genaden und allem gutthenn genaigt.

Datum Weimar unter nnsers genedigen lieben herm und yathers uns zugestelltem Sigill.

Dienstags nach Erhardi. Anno Domini 1548.

Codex bibl. Dorp. 43, f. 32 ^

Nr. 7.

Jus tu s Menius an N. y. Amsdorf. 1548 Januar 29, Gotha.

Justus Menius Beverendo in Christo patri et domino d. Ni- coiao Amsdorfio, Episco Naumburgensi, domino suo obseryando.

Gratiam et pacem a deo patre nostro per Christum.

Etsi, Reyerende in Christo pater et domine, ad B. T. D tar- dius, scribo, nun tarnen tui memoriam animo meo excidere patior, sod pro Ecclesiae Christi salute gemitus et suspiria mea tuis aliorumque piorum precibus incessantes adjungo, ut qui in eodem naufragio omnes juxta pericliiamur, ac sporamus filium dei breri appariturum in majestate et gloria, ut Eccleaiam pium seryet, ab Omnibus malis liberet atque glorificet. Amen.

In mundo aliam spem nullam nee audio, nee yideo, nee cre- dere , nee expectare aut petere possum , cum contra dei yerbom non liceat. Dens dot, nt in patientia pla, consolationibus yerbi sui acquiescamus. M. Borarius, cujus oflßcia et diligentia in colligendis Sanctissimi d. M. Lutheri piis sermonibus ^ tibi no- tissima sunt, babuit ex redditibus collegii Canonicorum Gk)tensiam in singulos annos X 11., quos petit ab Ulustrissimis Principibus sibi prorogati, misi ipsius literas iam in aulam B. d. Basilio ac d. Francisco cancellario optimi viri causam commendayi. Itaque

1) Ein derartiges Werk des Borarius scheint nicht auf die Nach- welt gekommen zu sein.

EICHHORN, AU5DORFIANA. 613

eJDsdem nomine te quoqne oro, ut, quantum licebit, illius caussam JQvea. Ad moernrem, qnem hactenoB ex pnblicia calamitatibas §nt>tiDeo, hoc etiam accessit, quod ante aliquot septimanaa orbatus sim fidelissima vitae socia, cujus promptissimia ofticiis ego certe cum parvulia GIüb aegerritue carere posaum. Sed hie quoque dolor, nt leuieudus est consolatioDibns, qaas doctrina caeloatis proponit, oro tarnen, at meam imbecillitatem precibus tuis cod- firmes *. Misi ante menses aliquot ECriptum oonsolaturiam Cle- mentissiniae dominae nostrae, an vero illias celsitndini redditum, quoque animo acceptum sit, nihil resctvi. Etsi autem liberius mnlta a me dtcta sint, non puto tarnen hac ingenuitate mea aut dominam ipaam, aut Frincipes Juniores olTensoa. Pro IIlustriäsiiiiD Principe capüvn iirdentisBimia et inde^inentibus Totis oramns. Biaudiat te dominus in tempore tribulivtionis et speramus preues nostraa non perpetno fore irritas, adeoque optimum Principem eiperturum praesentiesimum dei anxilium.

Haec prolixius omnia, quam volueram, ad B. D. T. sctipsi, qaae ut garrulitatem meam boni consulat oro. Beneque ac feli- citer in domino valete. Datae Gotliae ' dominiva pust Agnetis. Anno salutis 1548. R. D. T.

deditisaimus Justuä MeniuB. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. ac. Nr. 8. Jnatus Menins an N. y. Amsdorf, 1548 Februar 1, Gotha.

Beverendo in Chriato patri et domino d. Nicolao Amadorfio, Episccpo Naumburgenai, domino observundo auo.

G. et P. per Christum. Revorende in Christo pater, domine obeervande, gratias ago quam ' maximus R. D. T., quod ad literas meas tarn prolixe responderit et spem et expectationom meam, imo desiderium meum ardentissimum de instante liberatione nostra * per gloriosum filii dei domino noatri Jbeeu Christi adventum confirmavit. Eot enim haec unica et erit conatans aemper et perpetua conaolatio ineu in triatiasima illa rsmm omnium perturbatione et conrusione, qn.ie haud dnbie indies pcrturbatior futura est, donce tandem uni- versam lioc Sathanae regnnm corruit.

Tentent, conentur, moliantur, conaultent tam nostri (ut videii Toinnt), quam adveraarü quidquid possunt, colloquia, concilia, munebit turnen lia illa et inimicitia indirempta, qnain

1) In diesem Satz mOssen einige Worte auagelassen sein.

2) Ootbac späterer Zusatz.

3) quam spütere Eorrcktur.

4) Im Codex nosti.

614 ANALEKTEN.

inter mulieris semen Christam et serpentem deus posait qnam din hie mundas darabit. Feramus igitur fortibus animis serpentis sibilos et morsue, sed fortioribus animis caput illius collidamus et conteramus fide in Christum, qai jam caput illins contririt, hoc se, vere peccatum, mortem, mundnm, carnem, inferum et Sa- thanam superavit ac vicit nobisque beatam illam et gloriasam victoriam per Evangelium donavit, qua fide apprehensa süperbe etiam universo Sathanae regno insultamus ac videmus praeposteram et penrersam illam sapientiam, h. e. stultissimam stultitiam dia- boli et mundi, qui victi et fracti adhuc minitantur nescis quid mali victori Christo et credentibus. De Colloquio fiat, quod volet dominus, cujus est causa. Me autem illo mitti incousultissimum fuerit. Quid enim ego faciam homunico, qui in scholis, ubi de questionibus disputari solet, nunquam versatus snm et nihil aliud quam deformare causam possim, dum ineptus responderem. Sed quid, dominus Jhesus ipse suam causam agat et Organa sibi pla- centia eligat ad nominis sui gloriam et £cclesiae snae salutem. Amen. In quo R. D. T. bene ac feliciter valeat. Datae Gothae, prima Februarii, Anno salutis 1548.

E. D. T.

deditissimus

Justus Menius. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 37.

Nr. 9.

Justus Jonas an N. v. Amsdorf, 1548 Februar 18, Nordhausen.

Über den Augsburger Reichstag von 1548. Der Papst weigere sich hartnäckig, dem Konzil mehr Freiheit zu gewähren. Man fürchte, auf dem Reichstage werde ein neues hartes Edikt des Kaisers zustande kommen.

Codex cliart. bibl. Dorp. 43, f. 38.

Nr. 10.

N. V. Amsdorf an Georg Maior, 1548 Februar 20, Weimar,

D. Georgio Maiori doctori ^ S. Ex conventa Augustano hie nihil scimus. Extrahitur enim de mense in mensem. Nee est dnbium, quin panet monstrosum exitum simulac impium. Sed dominus est, qui vivit et regnat ac adversariornm corda in manu sua habet, ille erit snae Ecclesiae patronus, custos et conservator. Papam non volle habere Con- cilium liberum et Christianum valde credo, imo ante multos annos

1) Späterer Zusatz.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 615

scripsi tale concilium prorsus esse impossibile. Ad haec a Pon- tifice iniquissima petit Caesar, nempe, uc eo vivente consentiat in novum Pontificem seu Coadjutorem, hoc est in electionem noyi Pontificis. Quid hoc sibi velit, intelliguut Itali, nolunt itaque consentire in hoc neque in illud. Videbimas ergo in brevi mi- rabilia et inaudita. Audimus enim jam nihil nisi prelia et ru- mores bellorum; sed nondum finis, sed persecutiones isiae magnae seqnentur, quales non fuerunt ab initio mundi, ut etiam electi in errorem sedacerentur, si possibile esset. Haec tempora expecto, in qnibus nemo salvaretur, nisi dies isti abbreviarentur.

Qnae enim Matheus capite 24 scripsi t ^, Jam jam futura Tideo. Deus misereatnr nostri ot nos sua virtute confortet ac confirmet in üde et confessione yerbi sui. amen.

De yaletudine tua illud dico: Junge weiber machen schwache beine eim alden manne ^.

Caesai habet suos legales jam Erfordiae et Wittebergae, quid illi illic agant, in brevi audiemus.

Et in summa nobis est revocandum aut moriendum, dixit Granvella. Tu ergo vide, ut sis paratus, tu cum uxore suaviter vives et habebis in Germania summum et maximum sacerdotium ^ Hie bene vale. Wimariae XX Februarii 1548.

T. Nicolaus Amsdorflßus.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 39.

Nr. 11.

N. y. Amsdorf an Johann Voit, 1548, Weimar.

Ermahnung zur Geduld in den schweren Zeiten.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 40.

Nr. 12.

N. V. Amsdorf an Christina Pinnewitz*,

1548, Weimar.

Er hätte mit der Schule nichts mehr zu schaffen ^ Er sei G«ist und habe keinen Befehl und kein Hegiment.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 40 ^

1) Matth. 24, 21—23.

2) Vpl. Waltz in Bricgers „Zeitschrift für Kirchengeschichte", Bd. II, 170 n. 3.

3) Der Ton des ganzen Briefes weist darauf bin, dafs schon jetzt Anfisdorfkein starkes Vertrauen zu der Festifikeit Majors hat.

4) Über die Adresse später hinzupefüjrt: dcutzsche schulmeisterin in der raaidelen Schule zu Weimar. Ebenso sind Ort und Datum Zusatz.

5) Vgl. die Briefe der jungen Herzöge an Amsdorf. Nr. 6, S. 611..

Zeitsebr. f. K.-O. IXII, 4. 40

616 AK ALERTEN.

Nr. 13.

Jastus Menius an N. y. Amsdorf, 1548 März 22, Gotha.

Wegen der Ordination des Johannes Teichhart. Gotae 5 post Judica. 1548. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 41.

Nr. 14.

Ordinationszengnis Amsdorfs, 1548 April 8, Weimar.

Amsdorf bezeugt die Ordination des Leonhard Pelhover.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 42.

Nr. 15.

Ordinationszengnis Amsdorfs, 1548, April.

Amsdorf bezeugt die Ordination des Martin Meilandt.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 42 ^

Nr. 16.

N. Y. Amsdorf an Georg Maior, 1548 April 19, 1548.

Egregio Yiro d. Georgio Maiori, sacrae Theologiae doctori, suo amico magno.

S. Quotidie ob oculos habeo faturam illam persecntionem magnam, qua conabuntur delere, opprimere et extirpare yerbum dei, quod melius perficere non potuerunt nisi prius deleto Tero Principe duco Saxoniae Electore. Optimum autem remedium ad delendum hunc fait, quod inobedientiam erga eum fingerent, id quod Mauritius optime scivit, quantumvis dissimularet impius homo. Deinde necesse erat opiniune illorum neutralium (si saltem possi- bile Sit neutrales esse), ut aperte contra nostrum Principera Elec- torem orarent Mauritani tui , ut deus auimum ejus mutaret et obediret Caesari, sed percacata illorum oratio non est (deo lans et gratiarum actio) exaudita, animus ejus non est mutatns, sed constans perseverat in confessione Christi, propter quam solam etiam est bauuitus, debellatus et captus. Hoc voluistis, en habetis voluntatem vestram, habetis Caesarem dominum, obedite igitur ei, satis habetis, ut obediatis, hoc enim clamastis, dcsiderasüs et vo- luistis, Caesari esse obediendum. AUoquor enim his vcrbis Mau- ritanos neutrales, imo adulatores Caesaris. Quanto longius de iis rebus cogito, tanto magis crucior propter illorum iufidelitatem, qui volunt esse optimi et laudati Evangelici, si diis placet. Sed quid plura, Caesarem voluernnt, Caesarem habent cum Judaeis. Noster certe Princeps, etiam si in custodia teneatur, tamen alio-

EICHHORN, AMSDORFI ANA. 617

rum Principnm comparatione vere über est, nam isti nihil audent dicere ant facere, quam id, quod ynlt Caesar. Sunt igitur ipsi Tere captivi, corpore et animo, cam noster solo corpore sit captus, mente yero liberrimus, cum quo et ego manebo vere liber. Ger- maniam patriam et se ipsos prodiderunt miserrimi Principes. Coguntur enim negare Christum et omnia facere, quae mandat Caesar et non contra mutire. Vera scribo. Hie bene vale. XIX Aprilis 1548. Wimariae. N. Amsdorffius.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 43**.

Nr. 17.

Ordinationszeugnis Amsdorfs, 1548 Mai 20 (Weimar).

Amsdorf bezeugt die Ordination des Georg PQchelius.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 46.

Nr. 18.

Caspar Aquila an Amsdorf, 1548 Mai 13 (Saalfeld).

Celeberrimo atque Beyerendissimo viro virtute, pietate, eru- ditione ac animi fortitudine praestanti, domino Nicoiao ab Ams- dorf: Integerrimo totius Tburingensis proyinciae Archiepiscopo ^ divinitus electo, etiam vero Christi apostolo, suo sincerissimo do- mino, patrono atque amico summo.

Bitte, den Conrad Viola, der als Diakon nach Allendorf be- rufen sei, zu ordinieren. Ferner über die theologischen Streit- fragen der Zeit, er selbst sei mit allen Neryen seiner Seele, wie Amsdorf, gegen alle papistischen Idole. Dominica Exaudi 1548.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 45*.

Nr. 19.

Justus Menius an Amsdorf, 1548 Mai 20, Gotha.

Da Menius gehört hut, Ausdorf sei vom Grafen von Gleichen die Engagierung eines Pädagogen für dessen Sohn übertragen worden, so empfiehlt er ihm zu diesem Amte den Magister Christo- phorus DQrfeldius. ^^^^^ ^^^^^ ^^^^ ^^^^ 43^ ^ ^g,

Nr. 20.

Ordinationszeugnis Amsdorfs, 1548 Juni 3, Weimar.

Amsdorf bezeugt die Ordination des David Verber.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 47 ^

1) siel

40*

618 ANALEKTEN.

Nr. 21.

(N. V. Amsdorf an Georg Major.)

(1548 Juni 26, Weimar.)

Es iät das die erste Redaktion des Briefes an Georg Major,

über den in der Einleitung gesprochen worden ist K Sie weicht

von der zweiton nur stilistisch ab.

Codex bibl. Dorp. 43, f. 48 ^

Nr. 22. N. V. Amsdorf an (Georg Maior.) 1548 (Juni 26), Weimar«.

S. Plnra N. de Caesaris dementia scribis, quam certe noii audivi neque vidi, ipsa forsan est invisibilis et inpalpabilis. Ty- rannidem vero ejus sentimus et palpamus quotidie, quamvis pro majori sua parte adhuc abscondita latet, quod jam suis meditatio- nibus dissimulare optime novit Simulator et dissimulator egregius. Quod si clementiam esse putas, quod bannivit innocentem Im- perii Principem, nullo crimine infaraatum, propter solam fictam inobedientiam, quam extra causam Eeligionis nomiuare non possunt. Etsi eam quoquo modo nominaro jiosseut, tamen non citatum nee vocatum, nee accusatum, nee auditum, mnlto minus conyictum contra jura, leges, consuetudinem et privilegia Roman! Imperii bannivit Clementissimns Caesar et tale bannum tam crudeli hello executus est

Qnamquam nihil egregie fecit, sed optimum illum Principem solitarium, ab equitibus ejus turpi fuga derelictum, cepit et cap- tivum tenet ipsumque suis terris et provinciis spoliavit atqoe dignitate sua prlvavit et altori impio homini tradidit, ncc adhuc ejus captivitatem vult solvere magna illa Caesaris dementia, quam alii Tyrannidem et suuimam inclementiara praedicant, vix a se- cuüs mnltis auditam, praecipue in talem iunocentem ac tantam personain. Insignem oportet hanc esse inobedientiam, quae tantas poonas, profecto inauditas, meruit. Inobedientiam summam et maximam necesse est es^o, ctium majorem, quam crimen laesae Mujestatis, quod ccrte mitius punitur, capite tantum, bonis relictis haerodlbus; hie omnia tolluntur, omnibus spoliatur, captivos tenetur et adhaec quoque periclitatur. In summa, nihil crudelius excod- tari possit. Ideo, inquam, eam inobedientiam oportet esse sum- mam et maximam, quae major excogitari non potest. Quae nam est illa? Audi, dicam tibi. Erga purpuratam meretricem supra boi^tiam septicipem sedeutom mandato et procipio domini nostri Jhosu Christi fuit inobedieus. Ilanc deus mundi et Romanae

1) S. G07.

2) 1548 und Wfiniar sind spätere Zusätze, das Monatsdatum fii.dri sich erst in der dritten Redaktion; vielleicht gehört das Moiiatsdatum speziell der letzten Redaktion au, doch sind auch dann die beiden ersten nur wenig früher zu setzen.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 619

cnriae, Sathan ipse, ferro non potest. Ideo hie fremit, farit et insanit Sathan in suis squamis seu membris.

Propterea etiam caeteri omnes» quantumvis mali et inobedientes sint, qai Romano Antichristo obedientiam promiserunt, data pe- cunia sunt liberi et retinent suas possessiones. Solus ille innocens sine omni crimine Princeps (quod universo orbi notum est) cogitur talia et tanta pati, quibus nuUus latro, parricida, adolter, incen- diarins patriae, pacis publicae perturbator, propriae Religionis blasphemus nunquam punitus est. Imo quod est majus, qui omnium illorum et plurium reus est, hie est summus amicus et dilectos filius, hie honoratur, restituitur et exaltatur in viram justitia et dementia Caesaris summa, qua contra jusjurandum suum filienum populum in Germaniam introducit et omnia tarn paterne et clementer cum patria sua Germania amantissima ogit ot fecit, sie cum solet loqui et scribere. Sed quid egit? Audi, dieam tibi, igne et ferro Franeiam et Sueviam et Saxoniam vastavit et ipsam totam Germaniam Turcarum Imperatori tanquam prae- dam objeeit, huic jam liberum introitum et ingressum patefeeit, et nulla civitatum (praeter unam et sanctam Magdeburgam, inno- centissimam civitatem, quae neminem offendit, neminem laesit, nullum crimen commisit), ei se opponero ausit neque possit. Nam omnes reliquas civitates suis munitionibus et privilegiis spoliavit Clementissimus Caesar, ut ex magno amore patriam suam charissi- mam tanquam pater patriae in Hispanicam et Sclavieam servi- tutem et quidem perpetuam redigeret et sibi subjiceret, Prin- cipes quam Germaniae perpetuos servos haberet, ne josta antiqua jura, privilegia, consuetudinem et libertatem imporii Germaniae nationis Caesarem amplius eligere ausint aut possint. 0 patrem patriae clementissimum ! Hie multa plnra dicerem, sed contineo me donec prodeat monstrum illnd marinum monstrosissimom. Hie bene vale et tibi opto Clementiam Caesaris, a qua deus me custodiat et liberet per Jliesum Christum dominum nostrum. Amen atque iterum Amen. Wimariae 1548. Nicol: Amsdorffins.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 50^

Nr. 23.

N. von Amsdorf an Georg Major,

1548 Juni 26, Weimar *.

Epistola cujusdam amici ad amicum ^ XXVI Junii 1546. De Clemeutia Caesaris et de paternaVoluntate erga Germaniam pa- triam suam umantissimam, ut in omnibus suis scriptis palam adulatur.

1) Weimar ist Zusatz, ursprünglich ist nur gesapt ex aedibus nostiis.

2) Über die Zusätze zu diesen Worten vgl. oben S. 607.

620 ANALEKTEK.

Wie schon oben bemerkt, weicht auch diese Redaktion nur wenig Yon den vorhergegangenen ab. Doch ist sie durch einige Zusätze vergrGfsert. So heifst es: Ideo sie fremit, furit et in- sanit in suis membris et squamis, et ipsam obedientiam apod Lutheraoos gladio et igne restanrare praesumit Der Passus über Magdeburg lautet hier : et hanc quoque innocentissimam ciyitatem, quae neminem laesit, neminem ofifendit, nullum crimen commisit, spoliasset S nisi se opposuisset atque sua privilegia, quae ultra mnltos centenos annos a Caesaribus habuit, defendisset. Et qnia nullo pacto suam munitionem vult demoliri, ne Turca facilem aditum et ingressum habere possit, eam bannivit dementia Caesahs.

Der Passus „hie multa plura dicerem" etc., der auf das In- terim zielt, ist natürlich ausgelassen, da sich hier folgende Aus- lassung Ober das luterim findet: Et qnod summum est ac omnium aliorum damnorum maiimum, quod patriam suam charissimam Yult spoliare verbo dei et eam cogere ad abominationes et idolatrias papisticas, ad Bomani Antichristi impias traditiones. Nam illud INTEBIM nihil aliud est, quam restauratio papatns, propter quam et hoc bellum incaepit Caesar, ut Germaniam patriam suam non solum, sed et Satanae in praedam abjiceret, quod facta sua jam manifeste ostendunt et declarant. Bogo enim, quaenam est illa inobedientia Electoris Saxoniae, propter quam bellum hoc mo?it Caesar, nisi illa, qua Optimum Principem jam a multis annis accusaverunt, quod Bomanum Antichristum audire noluerit, quod Lipsenses tui et Misnenses scientes impie et perfide dissimulabant et aliam inobedientiam callide et insidiose contra innocentem Principem cum suo Mauritio finxerunt, quod ipsos jam nobiscom sentire puto, si saltem sensum communem habeant et si hoc careaut, tarnen Conscientia ipsorum, contra quam haec omnia fecerunt, eos tempore suo accusabit atque nimis clare eis indicabit opus egregium, qnod extruxerunt in suam ipsorum proditionem et damnationem.

Der Schlufssatz ist dem in der zweiten Bedaktion gleich.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 205.

Nr. 24.

N. von Amsdorf an Job. Friedrich den Aelteren,

1548 Juli 21, Weimar.

Amsdorf spricht dem gefangenen Fürsten mit eigenen Worten und verschiedenen Bibelsprüchen Trost ein. Unterschrieben: E. F.G. Niclas von Amsdorf, itzt zu Weymar undertheniger Caplan.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 52 ^

1) sc. munitionibiis et privilogiis.

EICHHORN; AMSDOBFUNA. 621

Nr. 25.

Oeorg ?. Anhalt an die ihm unterstellten Super- intendenten \

1548 Juli 23, Merseburg.

Ermahnt die Superintendenten, die Lehre des g6ttlichen Worts lauter und rein nach der Schrift vorzutragen , auch die Sakra- mente nach der Einsetzung Christi zu verwalten, an den Feier- tagen die „Lytanias" und in der Woche das vorgeschriebene Gebet fleifbig zu halten. Auf den Kanzeln solle der Kaiser und andere hohe Obrigkeit nicht mit beschwerlichen und heftigen Worten angegriffen werden.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 66^.

Nr. 26.

Hans Georg v. Mansfeld an einen Fürsten,

1548 Juli 28, Mansfeld.

Vom Kapitel des Erzbistums Magdeburg sei ihm ein kaiser- liches Mandat zugegangen, wonach einigen Kurfürsten und Fürsten, auch dem Adressaten, neben den anderen Ständen und Städten der Stifte Magdeburg und Halberstudt die Exekution gegen die rebellische Stadt Magdeburg anbefohlen wird. Er zeigt ihm da- her «in, dafs in dieser Angelegenheit ein Tag nach Aschersleben auf den 20. August ausgeschrieben sei.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 57.

Nr. 27.

Joh. Friedrich d. Aeltere an Amsdorf, 1548 August 2, Augsburg.

Johann Friedrich bittet, man möge seiner im Kirchengebet gedenken, besonders dafs er bei Erkenntnis des göttlichen Worts bis ans Ende erhalten werde.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 72.

Nr. 28.

Albrecht von Mansfeld an Amsdorf, 1548 August 4, Bremen.

Bittet, Amsdorf möge von dem Gel de, von welchem der Graf Anzeige gethan, dem RQcker von Alstedt, einem ünterthanen des Grafen, 100 Gulden gegen Quittung auszahlen. Bücker wäre darch den Krieg verjagt und um all sein Gut gekommen.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 81.

1) Die Adressaten nicht angegeben, im Index mit N. bezeichnet.

622 ANALEKTEN.

Nr. 29.

Albrecht von Mansfeld an Amsdorf,

1548 Angast 4, Bremen.

Zeigt an, dafs Christoffel von Amsdorf ^ im gaten ans seinem Dienst geschieden sei, da er, der Graf, in seinen jetzigen schweren Verhältnissen ihm sein Qehalt nicht habe erhöhen können.

Danach erwähnt Albrecht von Mansfeld, dafs der Kaiser dem gefangenen Enrfürsten anbefohlen hätte, das Interim anzunehmeo, dieser wäre aber beständig geblieben. Der Herzog Moritz habe für seine Person das Interim angenommen, seine Landschaft aber darein nicht gewilligt. Qern wollte er noch mehr schreiben, aber die „Sachen und lenffte" seien „also geschwinde*', dafs über Land der Feder nicht viel anzuvertrauen -sei.

Zum Schlnfs bittet Mansfeld Amsdorf um seine YermitteluDg. Zur Zeit des Krieges hätte er dem Kurfürsten 10000 Gulden geliehen, die er jetzt wenigstens zum Teil zurückerhalten möchte. Alles hätte er in dem Kriege um des frommen Kurfürsten und des göttlichen Wortes willen verloren, auch jetzt nähme er allein das Interim nicht an, gedenke auch auf die vorgeschlagenen Ar- tikel keine Gnade vom Kaiser anzunehmen. Bisher sei ihm sein Gesuch um die Summe abgeschlagen worden, daher bittet er Ams- dorf um seine Vermittelung, damit er wenigstens zu einem Teil der- selben gelange. Codex chart. bibl. Dorp. 43, f. 82.

Nr. 30. Mathias Batzeberger an Cruciger und Rorarius.

1548 August 9, Nordhausen.

S. P. Keverende d. doctor Crucigere et d. Magister Borari. Quum his diebus amicorum meornm literas revolverem, reperi et hanc d. Friderici Mjconii epistolam, cujus copiam hie praenotare curavi. Mo- verunt autem me ad hoc institum verba, qoae ad calcem adscripta saut: Et confirma Clementissimum Principem et patres omnes in domino. Sed cum de hoc satis in praefixa Copia sit, transeundnm est ad aliod.

Et optarim mihi dari dulcius argumentum ad scribendum, sed cum hoc injungatur, nolo repugnare voluntate domini. Oro autem, ut vestrae Beverentiae hanc meam intempestivam et duram inter- pellationem aequo animo accipiant. Non enim potui huic man- dato bona conscientia non parere. Fio certior per multomm literas, quosdam ex vobis, qui volunt esse et haberi columnae Ecclesiae, qnos non pudet omnem culpam hujus tragediae et calamitatum in virum dei atque adeo in deum ipsum rejicere et zelum illius (piXoyuxiar appellare ^ et hac ratione sapientibus et

1) Arasdorfs Neffe. Vgl. Waltz a. a. 0. S. 160, Nr. 1.

2) Vgl. Melanchthons Brief an Christoph von Carlowitz vom 28. April 1548. Corp. ref. VI, 879, Nr. 4217. Waltz a. a. 0. S. 173.

EICHBOnS, AMSDOriFIANA.

potentibus hujus mondi adulari, quod factniu ego blaspliemiam notoriaca et InsigDem exiBtjmo. Qais eniin nescit hunc Tirum a deo ad revelandum Anticliristura raissum? Quis ignoröt ce- leUerrimu ipsiai et maiitna facta, imn miracula? Quis nescit quam deosis teuebns eimus per eiim de; singulari gratia translati in luCBm? &ed qui ignoret ignorubitur. Miior tarnen, quod Li, qui baec fnciuct, illoruDi CarmiDum, quorum simt authüres, tum facile ubiiti snot:

Est patefacta iterum Christi monstrante Luthero

Gratia, quae tenebris ante sepnlta fuit. Forsitan blc vere est postremaa iietutia Elias, Tanto aniiDO bellum pro pletate ciet.

Perpendere potius debahaut qiiae de Elia scribontar Ec- clesiast: 48: Et surrexit Elias propbeta quaüi ignis et verbiiui ejus quasi fax ardebat. Qui induxit io ülus famem et imitantes illam invidia pauci facti sunt. Non enim poteraiit suätinere |>raece]>ta domini. Verbo dümini continuit caelum et dejecit a se jgiiem. atc.

Et paulo post: Qui dejeciati reges ad pernitiam et cimfregisti fädle potentiam ipsoruu et glorio^o» de tecto suo. Deinde et qua de Helisneo Guribuntur; In diobus suis non pertimait I'rin- cipem et potentia nemo vicit ilhim nee auperavit illutn vertium aliqaod. In umuibns non pnenituit populuH et non recesserunt a peccatts sui^, iiüque dum ejecti sunt de terra soa et dispersi sunt in omnem tevram.

Hoc conferle, quaesc, et nostri Eliae Ijistoriam et videte, an cum bis conveniant, mibi enim videtur non multum discrepare. Sed ut bic eliam de peccatis populi ' quid addam, an^Lm atqne alteram historiolam reconsebo. Ex nuptiis uelebratis ante quin- quenninm apud vos meorum amicorum quidam inter aliu liaec ad me scripsit verba: Ipsi vero negotiis seu rebns intcnti hujns viri calamitates non cunGiderant alqna adeo perparum istius cura iid- ficiuntur, nisi faite post interltnm ejus intelligere cogentur, quantn bona deuH ex mira misericordia nobis largilus sit, verum tum prorsus inutile fuerit impendere, quod oportuit ante. Ex nuptiis ne bolum quidem unicum uut guttulam ei miserunt, quam- qnam sponsu» ipse a me oa de causa diltgenter et obnixe erat TOgatus et monitorem ei.quoque dederim, sed fTustra omnia. Ibi tum poeuitnit mei taleri et pesi^ime me habuit, doctorem dono eo niisisse aureum. 0 ingrutitudiuem, o cuecitatem, o perfidiam, iniquitatem et impietatem bominuro!"

In Teetitu tantus luxus et fastus erat in bis nuptiis, ut nibil sapra. Carte Lutkorus fastum et laTLum illam summe execrubatur,

1) Im Coilp.t popule.

2) Oie gauze Geschichte von der Hui-hieil mufs unseren modernen Anschauungen sehr sonderbar erscheinen.

i

624 AKALEKTEK.

Dei et Propbetarum ejus ibi nulla cora, de Deo et diräiis rebus altissimom silentiam, strenois potationibas adjoa^baiiter scmrilii et tarpia yerba sicqoe finitaa sont Doptiae. lUe hactenits.

Haec acta sunt in nnia nuptüs, quid de alüs conjectandiun, facile cüiris apparet Za dem weiß Ich acch noch vol, was mir der man klaget, da ehr durch solch leben tod Wittenber^k Ter- trieben wardt, Mersporgi in grabatalo a balneis. Frant nan, wo die straff her kom. Es ist auch noch nnTorgesseo, was num ihm zn Merßpuigk hat zngesaget nomine Ecclesiae et Reipoblicae etc. ^

Bejicite nanc cnlpam in yirnm Dei et nominate ^iXornrnp et multiplicate peccata et iniqaitates vestras nt AmorraeL Ego snm in ea sententia per concessiones et adnlationes non placari iram dei, sed augeri potios, accendi et inflammari. Per poeni- tentiam vero placatar ira Dei. Proinde obsecro tos per miseri- cordiam Dei, audite sermones Domini et agite poenitentiam, plos satis peccatum est bactenas ante lacem et snb Ince, non sine poena.

Haec autem peccata post lucem scilicet blaspbemia illa et obscuratio nomlnis Prophetae Dei desolatio seqaetor. Quin re- miniscamini et attendite diligenter Terba Christi Matth : 1 1 ', qoae de ciTitatibas Contemptricibas Eyangelii dicnntnr, de Coro- zain, Bethsaida, Tjro et Sjdoni asserens remissins futurum quam illis et de Capemao, qaod terrae Sodomorum remissius erit quam Uli in die jaditii. Postremo et quae de destructione Hjerosolimat praedixit Lncae 19 ^: Quia venient dies saper te etc. eo qaod non cognoveris tempus visitationis tuae. In qnibas clare osten- ditur causas motuum istorum, bellornm, excidionim, calamitatoiD denique extremarum non esse verbam, acthorem Terbi et Pro- phetam, sed contemptum verbi et neglectom, sicut Christas bic aperte dicit, eo quod non cognoveris tempas Tisitationis tuae etc. Perpendite igitar, viri Clarissimi, accuratissime , quantnm pecca- tum Sit contra haec divina oracula ordinem invertere, certe de hoc animus meus abhorret cogitare et dicere.

Proinde, Reverendi domini, obtestor vos, nt pro Testra pro- dentia omnem moveatis lapidem et omnia tentetis, ut isd ab in- cepto pessimo desistant, proponentes istis exemplam Petri et qnaa ad haec utilia sunt et commoda.

Ego miser orabo cum Ecclesia, ut vestrum hoc opus sit efficax ad persuadendum, ut resipiscant, ut brevi de eis audiamas hoc verbum, quod de eo scribit Evangelista: Etexiens flevit amare^ Dominus noster Jhesus Christus respiciat illos bis oculis, qaibas respexit Petrum. Amen.

1) Vgl. darüber Luthers Brief an seiue Frau, Ende Juli 1545. deWette V, 752.

2) Matth. 11, 21—25. 3) Luk. 19, 43—46. 4) Mattb. 26, 75.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 625

Sin autem pertinaces resistent Tobis, quod absit, et persistent in hoc proposito suo mores istos horribiles defendendo, ab istis snadeo ut exeatis. Si enim Dominos peccata, quae ante Incem et snb luce perpetrata, non impunita esse volnit, quanto magis haec, quae post lacem committuntur, extrema desolatione pani- turus est, quae haud dubie impendet bis regionibus et civitatibus, nbi non poenitaerint , Eed in praefatis delictis perstiterint. Do- minus avertat malum a nobis. Amen. Haec ad vos scribo, viri optimi et patres reverendi, nt sitis actores et simul testes coram Deo et bominibus. Instituo enim Canonicum processnm admonendi. datae Northu: 9 Augusti 1548.

Ad haec ne quid vos in gravi bae causa fugiat, subjiciam et sequentia, quae ea de re ad d. Pbilippum perscripsi, eum ad- monens modeste, antequam illa essent mihi comperta, sed ista in suis literis silentio praeter praeteriit ^

Reve: v. deditissimus

M. R. D. (Mathias Ratzenberger) ^. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 69.

Nr. 31.

Caspar Aquila an N. v. Amsdorf, 1548 September 1 (Saalfeld).

Bittet, den Georg Götz, der als Pastor nach Eicbicb(t) berufen, zu erdinieren. Aufserdem enthält das Schreiben Äufsernngen gegen das Interim, welches bezeichnet wird als „virulenta Sphinx, Chymera, Interim cerberus". Datiert ist der Brief „Egidii, ubi Njmrothi saeviunt in foras deserti^\ Unterschrieben: Caspar Aquila, Pastor in Salfeld, sed quam diu ignoro.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 76^.

Nr. 32.

Albrecht von Mansfeld an Amsdorf, 1548 September 4, Bremen ^

Dem hochwirdigen Fürsten und hern Niclasen Bischof zu Nanmbnrgk, unserm lieben hern und freundt.

Gnade und friede von gott dem vater durch Christum zuvorn sampt mein freantlichen dinst. Hochwirdiger Fürst, lieber her und freundt. Ich habe unlangos E. L. geschrieben und gebeten, das wider das unchiistliche Interim geschrieben möcht werden, wir hoffen, solcher briff sey E. L. wol zu kommen, und bitt nochmals, so nichts bestendiges, in welchem das vom deuffel selbst erdicht Interim nit nach notturfift und allen umbstenden

1) Über das Postskript vgl. Waltz a. a. 0. S. 174, n. 1.

2) Mathias Ratzenberger mit anderer Tinte di*übergeschriebeu.

3) Bremen späterer Zusatz.

626 ANALEKTEN.

mit göttlicher Schrift yorleget, E. L. wollen an Ihr ampt ge- dehcken und solches dahin fordern, dadurch es nach und förder- lich gesehen, dann solt es unwiderleget bleiben, wQrde mancher unvorstendiger, auch der kegenteyl selbst gedenken, man möcht oder kündt es nit widerfechten und ob wol die Sachen an Ihme selbst klar, doch gott und seinem heiligen wort zu Ehren solt man solchen öffentlichen vorfQrung mit göttlicher schriflft und gnade ablenen, dardnrch die schwachen Christen getrost und das, so man zu bekenn tnis Christi schul digk were, nit nach bleibe ^.

Und den, weil man vor gott solches schuldigk, so solt man dennest ' darneben erwogen die grosse barmherzigkeit gottes, das der Eeyser durch solch ungeschicktes Interim sich soweit hat er- kleren müssen.

Dadurch man auch greiffen möge. Er habe geleuckent, was er gewolt habe, das doch nichts anders, dan die Unterdrückung des göttlichen worts gemeint sej und Christum ungeacht aller umbstendt klar bekant muß werden, dardurch der sententz nit auff uns fal, wer Ihnen yerleuckent vor den menschen, das er des vor seinen himlischen vater auch nit bekant sein wil. Dem- nach so bitt Ich, wie gemelt, freuntlich zu fördern, dardurch eine stadtlich vorlege wider solche Interim förderlich ausgehen möchte.

So kan Ich euch nicht vorhalten als einem, so ich weiß, mein fromon Churfürsten. gewogen, daß mich dünket nunmalß Zeit sein, dieweil das Interim vorhanden, noch newe, der Kayser, hefftig in die Haltung desselbigen dringet, das nit underlassen möcht wer- den, förderlich zu diesem wergk, eher die Herzöge erkalden, ge- than wurdo etc.

Die Sachen stehen also mißlich, das man nit genau weiß, wem zu vertrawen. Die probe, so ich habe, stehet alleiu welchen ich befindt, so viel umb gotts willen verloren haben Aber die noch alles haben, was sie zusammengekratzet, den Kejser hoch fürchten und achtenn, auch allerley beschwert, diß und Ihenes vorwenden, zu solchen habe ich nit grossen vortruwen, das die Christum meinen, Ihr guth und Christlich wolfurth nit gelibder haben sollen etc. Unser gott crhalde unsern frommen hern, schicke seinen f. g. und uns allen veterliche errettung. Dem almechtigen iu sein genedigen schütz befohlen. Amen, mein haut In Eyl meyn handt. Am 4 Sept. Anno 48.

Gelanget was an euch, Datum Bremen

Bit gebet Ihm glauben. Albrecht grawe zu Mansfeld.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 79.

1) Amsdoif hatte schon am 31. Juli 1548 seine „Antwoit, Glaub und Bekenntnifs auf das Fcliöne liebliche Interim** heraupgegeben. Pressel, Amsdorf, S. GO. Meier, Amsdoifs Leben, S. 205.

2) demnächst?

EICHHORN; AMSTORFIANA. 627

Nr. 33.

In imaginem EJectoris Saxoniae Joannis Friderici Christi martjris. 1548, September 28 K^

Diesen lateinischen Distichen gehen die bei Waltz a. a. 0. 3. 180 erwähnten, „Veritas ad tumulum Lutheri" betitelten, voraus. Wie diese stammen wohl die Distichen auf Johann Friedrich yon Stigelius. Die deutsche Übersetzung beider hat wohl Amsdorf zum Verfasser, wie Waltz a. a. 0. vermutet. Die hier mitgeteilten Gedichte sind gleichfalls bei Waltz, S. 169, Nr. 2 erwähnt: Qui stetit impavido confessus pectore Christum,

Dum fuit imperio praesidiisque potens. Nunc etiam Christum media inter vincla triumphans

Fraedicat et damnat dogmata dira Papae. Non promissa viro, non Caesaris ora minacis Excussere ducum nee leve schisma fidem. Unus hie invictus Christi pro nomine Martyr Ferstat. In aeternum gloria digna cani.

Von hertzog Hans Fridrich, dem rechten Churfursten,

blut und stamm zu Sachsen. 1548 September 28, Weimar*.

Wie der on schew freidig hat bekant, Do ehr mechtig war au leuth und landt, Christum und sein heiligs tewrs wort, Das er von Jugent auff ghort, So hat er auch itzt in seiner shar, Do er ins Kejsers schwere hofften war. Mit unerschrocken hertze bekant Christum, von dem er sich uit want Und also mit der that verdampt Des Bapsts erschregklich lehr und ampt, Ließ sich kein vorheissung bewegen JMoch kein drawen sich erlegen, An der Fürsten zwißpalt ehr sich nicht karth, Er blieb bej der Apostel arth. Er blieb Im glauben gantz feste stehn, Wies auch Ibm drüber hett soln gehn. Den nahmen Christi hat er bokandt XJnangesehn den grossen widderslandt. SÖlchs mit singen und reichem schall Man ewig rühmen und preisen sali. Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 88 ^

1) Randbemerkung auf f. 88: 1548 27 die Septemb: accepi.

2) Weimar Zusatz.

628 ANALEKTEN.

Nr. 34. Einladung zur öffentlichen Prüfung in der Schule

zu Weimar. 1548 Oktober 14, Weimar.

unterschrieben: Ludi literarii praeceptores Wimariensis scholae^

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 90\

Nr. 35.

Albrecht v. Mansfeld an N. von Amsdorf,

1548 Oktober 18, Bremen ^

Einige Nachrichten aus dem Beich. Des Kaisers Sohn soll gefangen sein, doch zweifelt Albrecht selbst daran. In Bremen gedenke man das Interim nicht anzunehmen. Dem braun- schweigischen Rate soll der Kaiser befohlen haben, man solle keine Figur, Druck noch Gemälde gegen das Interim zum Ver- kauf stellen.

Dem Kaiser würde es wie Pharao ergehen „also das das hertz mit Tyranuisiren nicht aufhören wird, biß gott der sachen ein ende machen wirt." ^^^^^ ^^^^^ ^.^^^ I^^^p ^3^ ^ ^^,

36.

Carl V. an die Grafen v. Mansfeld^,

1548 Oktober 18, Brüssel.

Die Grafen haben sich bereit erklärt, so yiel möglich, das Interim einführen zu wollen. Nun begehrt der Kaiser, sie sollten es nicht allein in den von ihnen bewilligten Artikeln, sondern auch in den übrigen ins Werk richten. Die Prediger sollen ver- anlafst werden, nicht gegen das Interim zu reden und zu schreiben.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 107.

Nr. 37.

Victorinus Strigelius an N. v. Amsdorf,

1548 Oktober 23, Jena.

Bittet Amsdorf, zwei Zöglinge der Universität zu Jena, Job. Tcuchelius und Fabian Kain *, zu ordinieren.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 93 ^

Nr. 38.

Martin Gorolitius an Amsdorf,

1548 Oktober 23, Jena.

Dieselbe Bitte wie in Nr. 37.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 95.

1) Die beiden letzten Worte späterer Zusatz.

2) Bremen späterer Zusatz.

3) Die Adiessc ist später hinzugesetzt.

4) Kim (?) da', übergeschrieben.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 629

Nr. 39.

Anfang eines Ordinationszengnisses Amsdorfs,

1548 Oktober 25 (Weimar).

Amsdorf bezeugt die Ordination des Teachelins ^ Diese Kopie (oder Konzept ?) ist nicht zu Ende geführt, sondern dorchstrichen.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 95.

Nr. 40.

N. y. Amsdorf an Joh. Friedrich den Mittleren und

Joh. Wilhelm, 1548 November 4.

Nur das Ende des Briefes. Durchstrichen. Der ganze Brief herausgegeben in der Zeitschrift für bist. Theologie 1868, S. 469. Varianten nicht yorhanden.

Codex Chart bibl. Dorp. 43, f. 97.

Nr. 41.

Georg Carlo an N. y. Amsdorf, 1548 Noyember 16, Stettin.

Optimo et vere in Christo reyerendo yiro domino Nicoiao Amsdorfio, Ecclesiae Numburgensis Episcopo, domino suo et amico ac fautori Charissimo.

S. P. In Christo unica nostra et yera salute. Optime mi puter ac Episcope Bevorende yere in Christo, non potui committere, quin yestrae dignitati seriberem yel extempore, post quam Apo- thecarius nostri principis, civis Wimarieosis, sese ad yos nuncium habere significavit, yolui et yestram Beyerentiam scire me nunc hie in aula optimi et pii principis ßarnimi medicum agere. Ac animadveito hactenus illos ipsos principes constanter tueri ac confiteri yerbam Dei syncernm. Quamvis enim, ut placare possint avarissimum Caesarem, pecunias Uli coUigunt missis jam legatis pro capitulatione deliberanda, tarnen illud imprimis cantum est, iie quid conseniiatur in Interim , nisi quod Coborgensis ' ciyi- tus per suum syndicum, Islebii Interimistae generom, recepe- runt omnia Caesaris jussa, etiam in repudiando Episcopo Cami- nensi conjugato, neqne raso neque uncto.

Tarnen reliqua dioceseos ejus Proyincia nullo modo id comprobatura videtur. Etsi susurrari audio ab aliquibus id agi, ut Julius ille ^ vester successor fiat Camini Episcopus, forte Marchionum yicinorum studio ot consilio, ut yel sie Pomeranis reliquis noyi aliquid adferant. Quod Deum maximum precor, ut prohibeat. Legi ayidissime scriptum tuum contra Interitum, nam

1) Vpl. Nr. 37 und 38.

2) Colbergcnsis? 3) Jul. v. Pflug.

630 ANALEKTEN.

Interim et interitum nihil est discriminis inior,

Interim enim interitus Kelligionis erit,

Dum studet optatam Caesar componere pacem,

Interit interea Belligionis honor. Bone Christe, quam rotunde, quam exqnisite agis hie omnia, utinam ejusmodi plnra aederes, ut confundantnr ministri Satanae. Aquilae etiam fortitadinem laude in reprobando Islebio. Qai si quid postea etiam aedidit, obsecro communicate nobis. Philippi molliciem seu maus Philosophiam , Pomerani autem, Cnicigeri et Majoris aliorumqne silentiam et dissimulationem demiror et odL Miror, qnod tu, Amstorphi, neu admones eos officii sni, qui pro- lixe tibi olim dediti erant rebus secundis. Obsecro y. homa- nitatem rescribere diguemini, nam tabellarius hie a vobis hac post dies paucos redibit. Est enim aulicus noster. Communi- cate nobis, quid spei habeatis de liberatione sanctissimi Electoris nostri, ac quid judices de nuptiis illis Torgensibus proximis.

Saluta mihi amanter notos et amicos, d. Pontanum, M. Jo. Aurifabrum, M. Martinum Gorolitiumy doctorem Titelebiam ^), affinem tuum, dominum Basilium^), Mag. vestrum Franciscum, doctorem medicum, etsi forte ignotum.

Optime ac feliciter vale. Scriptis die Veneris post Martini. 1548. Stetini. Vester Georgius Curio. d.

Codex Chart bibl. Dorp. 43. f. 127.

Nr. 42. K. Y. Amsdorf an Job. Friedrich den Mittleren und

Job. Wilhelm ^\ 1548 November 29, Weimar.

Nur das Ende des Briefes im Codex. Durchstriclien. Der Bischof y. Mainz greife die umliegenden Pfarrer mit seinen Man- daten und dem Banne an.

Codex Chart, bibl. Dorp 43. f. 101.

Nr. 43.

Sebastian Werner an N. y. Amsdorf.

1548 Dezember 4, Magdeburg.

Clarissimo Theologo Nicoiao Amsdorffio, patri suo in Christo obseryandissimo.

S. D. P. Clarissime pater, mitto tibi aliqua exemplaria excosa, quae a concionatoribus Juniorum Principum scripta sunt contra INTERIM. Praeterea scias me cum uxore mea gratia Dei adhoc yalere. Pestis aliquantulum desiit, praeterita septimana tantam 50 habuimus funera, Deus omnipotens suam iram a nobis ayertere

1) Teiitleben. 2) Basilius Monner.

3) Die Adressaten nicht genannt, aber die Unterschrift „untertheniger und gehorsamer Caplan*' macht es wahrscheinlich, dafs sie es sind.

EICHHORN, ÄH8D0BFUNA.

Teilt. Ex &edibua nostri pastorie bac peate septem sunt mortui. Ex adrersoriis nostris nemo ost, qui adoo Dobis molestus est, atque ille Marcbio, Dens illi lopendat.

Malta iDAla de Caesars nobie minantui, sed omnia in mann Dei sunt posita, itle Sit naster defensor per Christnm servatorem Dustrum. Amen.

Senatus noster sciipsit loanni Brentio, qui jam apud Basi- lieuses exulat, ut apud hob Episcopi officio fun^i velit, quid futurum Bit, i^oro Deas velit suam Ecclesiam, jam uudiqua cruci subjectam, defendere, liberare ac gnbernare. Orabimua omnea sedulo, qui etiam te in utilitatem Ecclesiite din incnlumem conserret. Amen. Salutat te uior mea, Joannes Stengel et Johannes bau.

Datum Magdeburgae 4. Dec. Änno 1548.

T. p, obsequentissimua

Sebastian US Werner. Nr. U. M. Vitus Winahemius an Hemetanus Tücher. 1549 Januar 10, Wittenberg.

Clarissimü et optimo viro domino Hemetano Tuchero, civi Qtbis Neapolitanue amico auo suavissimo et amantlgsimo.

9. D. P. Pro literia tuia ad me datis grati:i3 aga tibi, com enim literaa a vobis accipio, EoUicitudice nou oihil levar, quam pro vobia multiplicem austineo, et opto precorque quotidie, ut deus vos ei bia periculis atqne ex hoc meta aliquando liberet, etdi ita misera uc calumitosa sunt haec tempora, ut Dullua pene locua metu aut poriculo vacet, pr:tesertim püs, qui boc tempore in mundo re vera sunt, id quod in sacris literis dicuntur, nempe oves mactationi destinatae. Mitto ad vos epistolas a M. Hieronjrmo Besoldt ei Noriberga ante paucos dies scriptum ', ande intelli- getis V03 uon solos misieroa esse sed ilios hominea longe vobis miserlorea esse, nee nostra eane conditio fa<^ilior est. Egimus anto dies octo conTeotnm Lypsias^, nbi quid actum ait, tob jam scire arbitror. Primum quaedam ceremoniae, festa quaedani et statuta recepta sunt, nt Imperator, ai possit, placstur, quod tarnen mutti nostrum vii futurum esse credunt. Inter quae statuta et Con&rmatio est, sed ita, ut \a pium ritum eiaminis ait mutata. Inest et unctio , spd non est approbata a Tbeologia vel Populari- bus, verum, ut dixi, inserta ad placandum Caesaris unimum. Caetera ejusmodi sunt, ut nullam mutationem in nostris Ecclesüs sint paritura, sed utrum Caeaar hie placari poasit, de eo valda adliuc dubitatur.

In Wirte nbergensi ditione ad nnum omnea concionatores ac

1) Cod. cbart. bibl. Dorp. i3, f. 109i>- Waltz a. a. 0. S. 182£f.

2) Aunabme des Leipziger luteritus 24. Decembcr 1648. Ziiuebi. r. K.-S. XXll, I. 1\

I

632 AKALEKTEN.

Ministri ficclesiarom pii expalsi snnt, dicimtar ingenti nnmero in exiliam emigrasse Tiri, mnlieres, parvi liberi, miserabile Tulgns; factum hoc est yel mandato Caesaris, yel quod Consiliarii, qoi g^bernanty forte alium statnm requiront.

Quid Bostris nobisqüe adeo expectandum sit, intelligetis. Hac- teBus de Ecclesiaram miserando sane statu. Pergo ad reliqoa. In conyentu Lypsico consnltatüm est etiam de bello inferendo Testrae nrbi, sed plus valuit benevolentia popularium et eqnestris sane etiam ordinis ac Principom erga tos, qnam aliornm homi- num odinm, qui sednli impulsores ac instigatores fuere. Becn- satum est igitnr prorsnm, ut det Dous etiam porro talem mentem nostris, cum popolaribus, tam Principibos.

Tertio de tribato actum est, quod sane pro horum temporom difficultate adhuc mediocre ac tolerabile imperatum est Habes de conventn.

Imperatoris filium cum magna manu famelicomm Busianorum Medioianum in die Tbomae ^ ingressum afßrmant ac nunc in Ger- maniam ad absumendum, si quid adhuc reliquum est, tendere. Sane Noribergenses ejus adventnm neu sine ingenti motu expec- tant. Obsecro te, ut mihi scribas de conventu urbium Saxoni- carum, si quid habebis, quid ibi decretum yel deliberatum dt Mitte vobis Intimationis exempla quatuor, aliud enim novi nihil erat, quod mitterem. Distribue ea ut yoles, ita ut Stephane etiam unum detur.

Deus aeternus ae clementissimns pater domini nostri Jhesu Christi yos ac nos in fide vera verboque sno sjncero salvos atqne incolumes conseryet. Amen.

Salutem precor conjugi tuae ac familiae, Joauni Gallo et Petro scribae et M. Gnilielmo Gjmnasiarcbae. Saluta, quaeso, meis verbU amanter Clarissimum virum d. Levinum ab Embden atqne illi literas M. Hieronjmi ostende. 10. Januar Anno 1549. Wittenbergae '.

M. Vitus Winshemius. Nr. 45.

Victorinus Strigelius an N. y. Amsdorf.

1549 Jan. 10, Jena.

Reverendo viro pietate, doctrina et virtute praestanti d. Nicoiao Amsdorfio, domino et patrono sno colendo et obseryando.

S. D. Precor a Deo aeterno patre domini nostri Jesu Christi, ut hujus novi anni auspicium et universae Ecclesiae, quae nunc vere sustinet dolores parturientis, et tibi, qui dolos super contri- tione Joseph, faustum, felix et salutare sit. Amen. Non scleo yiris gravibus, qui diu Ecclesiam gubernarunt, missione mearum

1) 21. Dec. 1548.

2) Wittenbergae und die Namensunterschrift sind spätere Zusätze.

EICHHOBN, AMSDORFIANA. 633

literarum molestas esse, cum intelligam eos loDge majoribns cogitationibus implicatos esse. Sed quia non semel animad?erti meas qaalescunque literas tibi, Reverende pater, gratas esse, ideo nune scribam audacins et de Lypsico conyentu et de nepotiboSy qni mibi curae sunt. Joacbimns Camerarius non solum doctrina, sed etiam fide et pietate, ut opinor, praestans ante paucos dies d. Stigelio epistolam mislt, in qua haec verba leguntnr: Actiones hcyus conventus non modo non reprebendae yidentur, sed etiam fayorem et approbationem recte judicantium merentor.

Praeclara est enim in omnem partem culpa yacare, qua nostri adhuc carent ^. Haec ille. Moveor autem d. Francisci oratione, nt haec ita esse existimem. Cum enim nuper apud nos esset, affirmabat se vidisse ac legisse consilia Theologorum proposita in conventu Lypsico eaque consentire dicebat cum aliis delibe- rationibus, quae sunt habitae Misnae ', Cellae ' etc. Hactenns pauca de conventu scripsi, quae ideo certa puto, quod ea a certis hominibus cognoverim. Nunc ad domestica yenio. Nepotes tui ex fratre ^ mandatis praeceptoris in discendo et regendis moribus diligenter parent et obediunt. Quod si Dens umbra manus texerit hunc nostrum hortulum, educabimus in eo multas plantulas, cele- bratnros ipsum ad omnem aetemitatem. Etsi autem de singnlis bene mereri studemus, tamen praecipua quadam cura tuos nepotes complectemur, memores non solum naturalis, sed etiam civilis obligationis, qua Beverendae tuae paternitati devincti sumus. Ea enim, quae discedenti recepimus atque promisimus re ipsa com- probare conabimcr, ut certum nostrae erga te observantiae extet Aeternum patrem domini nostri Jesu Christi oro, ut Ecclesiam sfflictam et miseris modis oppressum consoletur, aut mitigatione poenarum aut integra liberatione et te clarissime et optime meri- tun ejusdem Ecclesiae doctorem diu nobis servet incolumem. Amen. Salutem tuae dignitati reverenter optat d. Stigelius, collega et compater mens carissimus. Jenae, 10 Januarii. Anno Christi 1549.

T. dignitatis studiosissimus

Victorinus Strigelius. Codex Chart bibl. Dorp. 43, f. 115.

1) Die Worte des Camerarius mit gröfseren Buchstaben geschrieben.

2) 2. Juli 1548.

3) 16,-20. November 1548.

4) Abraham und Friedrich von Amsdorf, die in Jena studieren. Abraham war auch in Wittenberg immatrikuliert gewesen. (Immatriku- liert am 3. Mai 1546. Förstemann. Album Academicum Vitebergense S. 231).

41»

634 AKALEKTEK.

Nr. 46.

N. Y. Amsdorf an Victorinus Strigelins.

1549 Januar 19, Magdeburg.

Clarissimo et doctissimo yiro d. Yictorino Sirigelio, amico suo magno.

S. Joannem ministrum nostnim misi ad te, ut a te discat diligentiam praeceptoris nepotum meorum et quid ipsi agant, eos tibi commendo, ut vel uno yerbo ipsos et praeceptorem eonim gubernes. Mitto tibi copiam inclusam, quomodo Cancellario scribere debeas. Nam ego a Caesare bannitus ad aulicos scribere non andeo, ne bannitorum fautores yideantur ^

Qaare rogo, ut scribas ad Cancellarium et mitte hunc Joannem nomine tuo ad eum, ut res meas advehat. De Lypsico conventa tibi nihil respondere possum. Mira de illius impietate hie dicon- tur, sed nondum vidi. INTERIM Augustense gennit INTERIM Lipsense, Interitus Interitum, sed hac adulatione Imperatoris animum non placabunt, imo magis irritabunt, etiam si minimum articulum in INTERIM reprehenderent Hie bene yale et crede Joanni, quae tibi dicet.

Medeburg freitag nach Anthoni 1549.

N. Amsdorf&QS.

Joannem Stigelium amicum nostrum salvum esse cnpio et opto TOS duos scholam Jhenensem feliciter gubemare. Datum ut supra. Codex chart. bibl. Dorp. 43» f. 111.

Nr, 47.

Georg Major an Amsdorf.

1549 Januar 19, Wittenberg.

Beglückwünscht ihn, daß er zu der Kirche zurückgekehrt, die er gepflanzt ^. In der Kirche sei keine Veränderung ge- schaffen ^. Er wisse, daß durch die Handlungen einiger viele beleidigt seien und harte Reden führten, wenn sie aber die ganse Sache kennten, würden sio billiger urteilen.

Femer über Geldangelegenheiten Amsdorfis.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 113\

No. 48. Nicolai v. Amsdorf seiner Schwester Sophia v. Teut-

leben. 1549 Januar 20, Magdeburg. Überschrieben: Meiner lieben Schwester Sophia von Teitleben Witwe zu banden. Trostbrief. Wahrscheinlich ist ihr Majn,

1) Von einer persönlichen Achtunpf Amsdorfs ist nichts bekannt. Er schreibt als augenblicklicher Magdeburger.

2) Magdeburg.

3) Dieses wie das Folgende geht auf das Leipziger Interim.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 635

der Doctor Teatleben, der noch im Briefe Cnrios au Ämsdorf vom

16. November 1548 ' als lebend erwahDt wird, in dieser Zeit

e^^^^^^- Codes Chart, bibl. Dorp. 43, f. 112.

Nr. 49.

Nicolai V. Amsdorf seinen Neffen' Abraham und

Friedrich v. Amsdorf.

1549 Januar 20, Magdeburg.

Ermahnungen zu Fleiß und Gotteafnrcht.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 112''. Nr. 50. Theodorua Fabricius an Lucas Rosental. 1540 Januar 27. Venerando seni domiuo M. Lucae Koaental * oruditione ac pietate claro Magdeburgae apud. S. Joannem pastori, amico plari- mum observando.

S. D. Audio, Reverende pastor Christianornm ovinm et frater, □oe Cemenses * apud voa esse traduc tos , quod multa in Ecclesiis noatris mutassemus, Quare committeie non possum, qnin vos hac de re ceitiores faciam Apud nos hactenus Baptismi et Eacbaristiae Sacrumentum satis pueriliter sine ullu admonitione administratum est, permultos etiam offendit illa ministrornm nuditas, qnae interdam illis partim cngitantibus circa Sacramentorum ad- mioiatratLonem contingere seiet. Ideoque Principe» nostri institue- runt, ut in administratione Sacramentorum ad astantem popuium breves ac pia3 adhortationes faceremus, quasi forte brevi videbis. Fraeterea, ut in eorum et sacri verbi adminiBtratione linea tunica uteremur.

Nihil aliud apud nos mutiitiim est, quod ad Ceremonias per- tineat. Cnpierunt etiam Principes nostri Trophaeam Christi ante funeia ferri et confirmatjonem puerorum per pastoree fieri , sed nondum adbuc fit, fortassis eii^im nun facile ßet. Mitto etiam hie tuae Reverentiae ludicium domini l'bilippi de mutalione Cere* moniumm ^, quod jam jam venit ad manus meas, adeo tempus transcribendi non Labeam. Fiecor postea ad me remiltas quam legeria °. Duminua sit cum omnibus vohis auxiliator et dcfenbor.

1) Cf. S. 629.

2) Im Üriefe nennt er sie: meine liobe Vctlern und Süne. a\ Lucae BpMerer Zusatz,

4) Drüber Beschrieben „Zerwest" = Zcibst.

5) Dieses ludiciiim findet sicli in unserem Codex auf f. lEO. Es üt ediert bei Pezel. Fhilippi Melancbthonis consilia sive judicia. II. S. 81.

") Vgl. Einleitung S. 609.

636 ANALEKTEN.

Amen. Dominum Alberum nt yirom candidom vobis commendatom cupio. Datae anno domini 1549. 27. JanuariL

Theodorns Fabricias.

Codex Chart bibl. Dorp. 43, f. 179.

Nr. 51. N. Y. Amsdorf an Georg Major. 1549 Febmar 11, Magdeburg.

Egregio et ezimio viro d. Georgio Majori, sacrae Theologiae doctoriy amico suo et fratri in Christo carissimo.

S. Grata fuerunt mihi literae tuae et libenter eas legi et non dnbito, quin animus Tester sit integer et intentio yestra bona et scio eam ad tranquill itatem et pacem Ecclesiarum respicere, sed haud scio an eam istis consiliis vestris praestabitis. Nam certam est Caesarem yelle omnia papistica restituta. Ego enim ?idi suarum literarum copiam, in quibus omnia servari severe prae- cepit, non aliquot sed omnes articulos ipsius Interim ^. Ideo frustra omnia fingnntur, nisi quod sanior et purior doctrina Christi istis consiliis et remediis apud multos obscurabitur et post nostn tempora penitus eztinguetur.

Caesaris filium hereditarium Caesarem ad Gennaniam yenisse nondum scimus, fama non est coustans, sed yariat. Etsi venis- set, tamen ejus coronatio non impediet magnam illam Ecclesiae persecutionem futuram et inauditam sanguinis effusionem in bis terris. Caesar enim mox omnia perficiet, quae yult, nolint, velint Principes, quos non tanti facit. Coguntur enim hunc filium suam adorare et salutare Regem Bomanorum et contra non mutire quidem. Hie bene yale.

Magdeburgae 11. febraarii 1549.

N. AmsdorfQus '.

Et in summa tu noyisti, quid in adiaphoris cedendum est infirmis, ne offendantnr et scandalisentur. Coram illis non debe- mos uti nostra libertate Christiana. Sed durae ceryicis homini- bus, Pharisaois, Pontificibus, Begibus yel ipso Caesari, qui iUa praecipiunt et mandant, caedere» plane est impium, sed eis etiam cum periculo yitae est resistendum. Sic sentimus nos indocti, sie judicamus nos nihil intelligentes et nihil curamus yestra per- suabilia humanae sapientiae. Verba, quibus Christi doctrina magis obscuratur quam illustratur, ut yidimus in articulo Justificationis; quanto magis est ezplicatus, tanto magis est obscuratus. Sitis

1) Amsdorf meiot wohl das Schreiben Carls V. an die Grafen Yon Mansfeld. S. 628.

2) Das folgende Postskript trägt keine Unterschrift, doch gehören die beiden Schriftstücke sicher zusammen.

EICHHORN, AHSDOBPUNA. 637

igilur mollea et caedtt«, dos cum Cbriäto et Paulo nuDebiniaa duri et Stoici contra Pharifieos et PnDcipes Indeonim , quibus adhiic non cesBernnt. ne Evangelü veritas obficnraretur.

Tu ipse GD^ta, mi Oeorgi, aa coasiliis Teatria Caesarem placare poleritia, qui totam Interim servari et totum papatam restitui manüat et praecipit Etsi dolo et ostutia aliquid admiseritis, ut Caesar putet tos reetituisse omnia, an hoc ait ingenue Bt aperte Gonfiteri Christam?

Missa veatra, etiamsi Comraunionem additis, fiet spectaculum, hoc eet cultus Dei eiternua , aadjendua et videndiis. Nam cum tempore Commauio populi omittetur, imo Miüsa ipsa propter Commu- niiioem populi Don est institata, et aemper sine communione po- pali est celebrata, rarissime vero post fineni Missae populus est communicatus in magnia festivitatibus. Ideo per commanionem vestra Miasa eicuaari non potest. Idem aeutio de esu camium, sciiicet quod prohil>itio Caeaaria nullo pacto pciteat esse civilis, cum ipae eam sextis ferüs tanquam Beligionem aerrandam prae- «ipiat. Id enim rult Papa, id vult Rei, id volunt Episcopi et exemplo vestro omnes demuniorum doctrinaa in sula Ecclesiia Teataurabunt. An hoc eine scandalo et offensione conacientiarum fieri poteat, tu ipae jndicato.

Codex cbart. bibl. Dorp. 43, f. 116^

Nr. 52.

Oeorg Maior an K. v. Amsdorf.

1549 Februar 12, Wittenberg.

Beverendo in Cbriato domino, domino Nicoiao ab Ämadorff Epiacopo Numburgenai, domino et patri suo obaervando.

S. Quanquam mihi reapunaum, Bevereüde domine et compater observande, ad priores literaa expectandum erat', tamen cum quidam studioai Tiseodae iuclftae et celeberrimae arbia vestrae gratia hinc proficiscerentiir , putavi ueutiquam scribendi ofGciam intermittendum ease. Baailiscua Bobemicus indtxit conventum Pragae, quod uertum est. De Ilunnia eqaitibaa, quoa Husaeroa Tocant, fama qiiidem spargitur veuturos cum aliia ad obsidiouem ▼estrae urbis, sed iata iacerta sunt, imo non credo, aicuti ei qoibusdam aodivi. Noster ' 19 Januarii venit Augnatam, unde cum Episcopo profectus eat obriam filio Imperataris, qni jam BaTariam attigisse fertnr.

Ei Brema ante 5 dies quidam vir dootas et pius ecripait nobia tales literas, tarn pleuas coDsolationia , non spiritualis, sed

537 1

mna '

638 ANALEKTEN.

corporaliSy quales in biennio non legimus ^. Yidetor bre?i maxima conyersio rerum fotnra.

Hodie legi literas Begis danici ad d. Pomeranum, plenas pie- taüs et Christiaiiae constantiae. D. Schnepfius pulsas ex Tubinga, nbi Supeiattendens fait, exulat apud comitem de Beineck, ecripsit ante bidaum d. Philippo ' et petit conditionem Ecclesiasticam. Exulant hie quidam ex Saevia pii Concionatores. Nos in hac senectnte oramus, qood unicum possumos et veterem doctrinae et religionis statnm retinere et adserere pro nostris conamor.

Si qoid aedendls talibus famosis libellis, ubi autor nomen sunm fateri non audet, proficitar, qualis nnper apud yos aeditos esty aedantur sane plares. Sed credo toae Excell: talia seripto non probari. Erit fortassit, qui aliquando confutationem adorna- bit. Si rernm momenta talium librorum authores nossent, non IIa praecipitarent ad aeditionem. Bene vale, pater Beyerende et obsenrande.

Wittemb.: 12 febraarii Anno 1549. T. Georg: Maior.

Discerpe, qnaeso, literas mox postqaam legeris.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 118^

Nr. 63.

Georg Maior an N. y. Amsdorfl 1549 Februar 21, Wittenberg.

Beyerendo in Christo domino, domino Nicoiao ab Amsdorff, Episcopo Numburgensi, domino et patri suo cum reyerentia ob- seryando.

S. Scripsi superioribus literis, Beyerende yir, satis copiose omnia et misi praeterea quaedam scripta, quibus te mitigah posse sperabam, addidi etiam d. d. Pomeranum et me (fortassis qood duriores sententias dixeramus) Lipsiam ad conyentum neque in Güter bok ' fnisse yocatos et quaedam esse in Ulis actia , quae ne ilii ipsi probent, qui bis interfuerunt, sed tarnen talium sna- sores non fuerunt. Praeterea monui considerandum esse prae- sentium temporum statum et tristem nostram seryitutem, item quo nostra consilia spectent. Sed quia nos prorsus damnari et publice aeditis libris, maledictis, calumniis et mendaciis conspoi et percacari ab iis, qoi minime debebant, yidemus, committemns hace omnia ei, qui scrutatur corda et judex erit yiyorum et mortuorum. Et quantum ista distractio Ecclesiarum sit profutura, eyentus tandem docebit.

Was das gelt belanget, habe Ich sider der Zeit yon der

1) Vgl. M. Amsdorf an Aurifaber. S. 642.

2) Dieser Brief findet sich weder im Corpus reformatorum, noch bd Bindseil. Ph. Melanchthons epistolae.

3) 16. und 17. Dezember 1548.

EICHHORN, AMSDORFIANA. 639

XTniyersitet zu mir genommen, nemlich 32 fl. 18 ort, die mag E. g. bey einem gewissen boten holen lassen, dan Ichs aaff meine fahr za dieser Zeit nicht habe dörffen wagen. Bit auch E. g. wollen mir ein qnitantz überschicken, welche ich der üniversitet habe fQrzolegen, welches auch der üniversitet rechnong halben Ton nOthen ^.

Obtestor antem tnam Ex(cellentiam) , ut veterem tuum, hoc est patris animum perpetao erga me retineas. Filius Imperatoris ad huc est Mediolani. Hestemo die promoyimus Magistros 43, et qnotidie adhuc crescit schola.

Dens det Ecclesiae suae pacem.

Bene vale, observande pater. Wittenbergae 21. febrnarii 1549.

T.(uae) E.(zcellentiae).

ad:(dictns).

Georgius Maior.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 130.

Nr. 54. Erasmns Sarcerius' an Amsdorf. 1549 März 9, Annaberg. Oberschickt ein Schreiben über den traurigen Zustand der Kirche am Rhein, das er drucken zu lassen bittet. Vor einigen Wochen habe er die Schrift eines frommen und gelehrten Mannes, eine Widerlegung des Interims, nach Magdeburg zum Druck ge- schickt, nun habe er den Namen des Druckers vergessen und bitte daher, Nachforschungen anstellen zu lassen. Da er gehört, in Magdeburg würden viele Bücher zur Stärkung der Frommen herausgegeben, so bittet er um Übersendung dieser Schriften. Anlserdem übersendet er zur Beurteilung seine Schrift de cruce.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 126.

Nr. 55. Albrecht y. Mansfeld an Amsdorf. 1549 März 9, Bremen. Die Stadt Bremen gedenke festiglich beim göttlichen Wort SQ Terharren. Codex chart bibl. Dorp. 43, f. 131.

Nr. 56. Yitns Winshemius an Hemetamus Tucher. 1549 März 17, Wittenberg». Yiro optimo Domino Hemetano Tuchero, civi Neapolitano, amico suo Charissimo.

8. D. P. Miror qui fiat, quod tam diu nihil a vobis literarum

1) Von denselben Geld&ngelefrenheiten bandelte Majors Brief an Amsdorf vom 19. Januar 1549. V<rl. S. 634.

2) Eine kurze Biographic des Sarcerius bei Melchior Adam. Yitae Theologorum. S. IbQ^-

3) Wittenberg späterer Zusatz.

640 ANALEKTEN.

accipio neque etiam Stepbanus noster, cum moltom aliis scribat» nos amplius suis literis vel saltem salute nunciata dignetur. Bütto in praesentia yobis libellos, duos tibi, Stephano unam et Petio unum. Oro yos, ut baec prae exilia boni consnlatis, donce dem aliqaando occasionem obtulerit, qua majoribus et gravioribus offi- oiis amorem meum erga vos declarare possum.

Hie adbuc is rerum Status est, quem antehac fuisse scitis. Principem domum rediisse ferunt, stipatores bino a?ocati ad ipsum redierunt, in Italia atque apud Aquilae grandis filium^ fuisse ferunt In Belgico miri adparatus jam fieri dicuntur ad excipiendum ingenti honore eundem Aquilae filium. Dicant edicto denunciatum esse, si quis quid novum ad honoris signi- ficationem excogitare possit, eum accepturum regium munos. Graecum hoc est. Et cum ad hujusmodi fastigia res advene- runt, tum plaerunque corruere solent Sed multum interim lugent, multis locis Ecclesiarum ministri pelluntur, Ecclesiae clausae sunt, populus doctoribus destituitur. Mundus ridebit, in- quit Christus, vos plorabitis, sed tristitia yestra in gaudium, laeti- tia mundi in aeteruos luctus vertetur. Urbes et oppida foris in nostra Germania prorsus in Epicurismum degenerant et est miser- rima rerum facies, denique Satanas ut doctor triumphat Ex Brema adhuc laeta nunciantur et spes aliqua rfg ivrgdaiotj ostenditur ' , quae ut lata sit atque etiam ne diu emaneat effec- tus Christum precor. Nostri Theologi et item alii harum regio- num fuere in dessau ' , ubi et princeps Georgius Analdinus fait Disputatum est, ut audio, de ordine Ceremoniarum in Ecclesüs, quid actum sit yel cajusmodi sit ille ordo nondum scio, nisi quod ex d. Philippe audiyi nullum mutationem hunc ordinem pariturum esse Ecclesüs nostris. Neque adhuc certum est, quan- do is ordo proditurus sit in publicum. De Imperatore ipso altissi- mum est silentium, de ingenti apparatu et pompa in Belgico magna fama, de armorum aut belli adparatu hie quidem adhuc nihil auditur. Ex Brandeburgo Parochus alter nempe Andreas yel cessit yel pulsus est. Eum ego bis diebus Jenam transferre statui, sed et Principes Wimarienses yalde urgentur, ut Interim recipiant. Egerunt eam ob causam bis diebus conventum popu- larium suorum et a d. Philippo consilium petiverunt Dens has difficultates clementer mitiget per Christum. Amen. De yobis scire cupio, quid jam agatis et ut agatis, quoye loco res vestrae sint, nam me cogitatio de yestra urbe non mediocriter angit

1) Eine Gebeimsprache: Aquila grandis = Carl V., Aquilae graodis filius = PriDZ Philipp.

2) Vgl. Amsdorf an Aurifaber. S. 642.

3) In der Zeit zwischen dem 7. und 15. März 1549. Cf. Corp. ref. VII. Annales vitae Melanthonis. YIII.

EICHHORN, AMSOORFIAKA. 641

Stephan! valetudo et tna nt nunc sit, mihi indicari ^elim. Quare dun occasio scribendi ad me dabitor, ne, quaeso, eam omitte. Et ego, com quid erit scriptione dignüm, ad ^ quod ad vos per- üneat, non negligam. Saluta meis verbis Stephanuaiy coDJugem ac familiam toam, item Petrum scribam et Joannem Gallum, ntnim pestis recrudescat cupio scire. Salutant vos conjus mea et filii amanter. In Christo faeliciter vale. Ipsa dominica Be- miniscere 1549. Witebergae K ^.^^ Winshemius. M.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 128*».

Nr. 57. De adiaphoris Epistola ad amioum quendam in Marcbia yerbi ministmm. ^^^^ ^^^^ 20, N.

Dieser Brief ist \on Gahrtze dem Vooltersdorp ' nach Magde- burg geschickt worden, wo ihn wohl Amsdorf in die Hände bekam.

Der Autor des Briefes spiicht sich scharf gegen das Interim ans und hofft, die Wittenberger würden bald in offener Schrift zeigen, daß sie keine Interimisten seien. Femer wird im Brief dargelegt, was wirklicli adiaphora seien und was nicht.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 134.

Nr. 58. J. Gahrtze an M. Joachim Yuoltersdorp ^

1549 März 28. Zeigt sich als Gegner des Interims. Überschickt ihm die „de adiaphoris Epistola etc", den Brief des Brenz an Melanch- thon ^ und die „Epistola Philippi Melanthonis ad Concionatores NQrenbergi etc." ^, letztere damit sie in Magdeburg gedruckt werde. Hat das Gerücht gehört, daß in kurzer Zeit die Belagerung Magdeburgs bevorstände.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 131^

Nr. 59. N. von Amsdorf an Job. Aurifaber. 1549 Mai 1, Magdeburg. Venerando viro d. Magistro Joanni Aurifabro frati suo in domino charissimo.

S. Besponsum, quod in proximo conventu Wimariensi Caesari dederunt principes, ad me pervenit in feriis Pascatis ex Stagnali

1) Dieses ad ist ein Schreibfehler.

2) Witebergae späterer Zusatz.

3) Vgl. die folgende Nummer.

4) Pastor zu St. Sebastian in Magdeburg. Dieses Schreiben ist erwähnt und ein gröfserer Passus daraus angeführt bei Waltz a. a. 0. 8. 140, Nr. 3.

5) Vgl. Waltz a. a. 0. S. 185, n.

6) Vgl. Waltz a. a. 0. S. 140.

642 ANALEKTEN.

ciyitaie, idem qnod tu perscribis, sed com satis p«ricalo60y im quid aliud dicam, appendice, quem tu taceas, quo consflio haud 86io. Deus nostri misereatur, utinam ingenue et libere sine con- ditionibus et dolis confiteremur Christum. Caesarem statim yidebis, tum intelliges, quem morbum habuit

Quod scribis A. ^ esse in armis, nihil est, hodie yenit nun- cius ab eo, qui attulit literas illius, sed yerbum nullum de armis et nuncius dicit eum quieto animo esse. Scripsit et mihi ante biduum nihil de armis '. Utinam breyi liberaretur princeps noster, sed non yideo modum ant yiam.

Filius Caesaris longe durior est patre, ubi pater yirgis, ibi ipse scorpionibus flagellare Germanos minatus est.

Utinam et me yocaret dominus, ne imminentes calamitates sentire cogerer. Nos certe pro yobis diligenter oramus. Pergite igitur in orando et jungamus simul yota nostra et expectemus in patientia auxilium de Caelo.

Cur me yocas superattendentem? Ego sum totus priyatos, nullum officium habeo et yiyo in summo otio.

Alkoranum Wittenbergensem nondum yidi, mox tamen yisumSi deo yolente. Vollem, ut de rebus istis magnis et multis ac ar- duis ad me scriberes, possunt enim tuto hnc yenire literae.

Hie bene yale cum tota familia. Prima Maii 1549. Magde- bur(gae) '.

N. yon Amsdorif.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 174.

Nr. 60. N. yon Amsdorf an Margaretha yon Treskow.

1549 Juni 2, Magdeburg.

Adresse: Der Erbarn frawen Margarete Joachim yon Treskaw zu Bugckaw nachgelassene witfraw, meiner guthen freundin.

Ermahnung, das reine Eyangelium ohne Furcht zu bekennen, das Interim nicht anzunehmen, in keinen interimistischen Pfarrer zu willigen, nicht dem Fürsten gegen die beständigen Christen zu dienen und dieselben zu bekriegen.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 18b\

Nr. 61.

N. y. Amsdorf an Job. Voit.

1549 Juli 4, Magdeburg.

Amsdorf klagt, daß so wenige dem Interim gegenüber be-

1) Drüber geschrieben: Albertum Comitein Mansfeldensexn.

2) Vgl. den Brief Majors an Ainsduif S. 638 und den des Wins- hemius an Tucher S. 640.

3) Magdebui*: späterer Zusatz.

EICHHOBNy AMSDORFIANA. 643

ständig sind, er fürchtet auch für Thüringen. In Magdeburg erwartet man täglich die Belagerung.

Codex chari bibl. Dorp. 43, f. 188.

Nr. 62.

N. y. Amsdorf an Sebastian Steude^

1549 Juli 29, Magdeburg.

Adresse : d. Sebastiane Steude olim concionatori Neunburgensi, jam Erfordiae in exilio degenti. Erwartung der Belagerung in Magdeburg, „yivimus igitur pendentes inter spem et timorem'^ Die Brandenburger die ärgsten Feinde.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 189.

Nr. 63.

N. y. Amsdorf an Günther Heerwagen.

1549 August 5, Magdeburg.

Amsdorf yertraut dem „rentschreiber" Heerwagen die Sorge für seine Neffen an, er soll an seiner Statt ihr Vater sein. Femer über die politische Lage. Amsdorf fürchtet eine große Veränderung in Thüringen und Meißen. Käme es zum Beichs- tag in Erfurt, so werde man bis an die Knöchel im Blute waten.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 189^.

Nr. 64*.

De concilio Tridentino ad Romanum

Pontiflcem Magistri Joannis Stolsii

1545.

Accipe pro buUa, foedissime Papa, poema, Successum Sjnodi quo tibi pingo parem.

Concilium cito tam sancto, non pectore falso, Poscere te caepit spes bona Christiadas.

1) Der Brief erwähnt bei Waltz a. a. 0. S. 172, Nr. 2.

2) Das folgende, stilistisch nicht gerade musterhafte Gedicht des Magisters Johannes Stolz ist zwar schon bei Waltz a. a. 0. S. 163 erwähnt, sei aber seines merkwürdigen Charakters wegen hier vollständig ▼eröffentlicht. Liest man es nämlich rückwärts, so Terwandelt sich das Lobgedicht auf den Papst in Schmähungen auf denselben. Rückwärts gelesen würden also die ersten Distichen lauten:

Simplidtas tua quam nobis dat stercora bullam Foetida, non laudes, hanc super injicimus. Offerimus decet ut nates, non oscula sancta, Crimina, non grates, nos tibi pontifici. u. s. w. In den beiden Distichen, die er Canon und alius (sc. canon) überschrieben, erklärt Stolsius diese Eigenschaft seiner Verse. In dem angehängten Gedicht an Ambrosius Claviger setzt Stolsius die Motive zu seinem Ge- dicht auseinander. Schliefslich sei im Anschlufs an die Verse Stolzens auch ein Gedicht Luthers gegen die Epicuräer, das sich gleichfalls im codex Chart. 43 befindet, angeführt.

644 ANALEKTEK.

Mens pia, non mala mens, longo jam cognita fecit

Tempore spem tantam non sine laetitia.

Caesareos ita vis fieri, non ludere caeco

Turbine conventus aut struere insidias.

Es bonus, haud malus es, paces, non prelia qoiris,

Gaudia, non luctus vel mala Tentonicae.

Solipotens tibi dat snmmo de vertice Cliristus

Dogmata, nee Sathanae sunt tua Tartarei.

Conspicitur, bene quod longo jam tempore Inxit

Candida, nee periit te duce Religio.

Concipiont tua te (non?) turbare dextera mentes

Dogmata, non miseris es lupus horribilis.

Contribuis tibi, quae sancto sub nomine Christi

Gratia, non sedes has dedit impietas.

Attribuit deus hos titulos haud perfidos astus

Demonis, at virtus non tua Inxnries.

Teutonico bene vult regno, non foedera damnat,

Commoda non spectat mens tua dissidium.

Dispereas male ne Christo non demone firmnm

Vindice munire vis tibi praesidium

luditio tua sunt stabili, quae dogmata Christum (Christi?),

Dicere non mavis te (tu?) grave juditium.

Propterea nos tibi vitam carmine mortem

Supplice possemus tam bene promerito

Pontifici tibi nos grates, non crimina, sancta

Oscula, non nates, ut decet offerimns.

Injicimus super hanc laudes, non foetida bullam

Stercora dat nobis quam tua simplicitas.

Canon.

Falleris asscripto si perlegis ordine Carmen, At verum retro si legis invenies.

Ali US.

Si scripsisse tibi videor mendatia forsan. Mos versus Cancri noveris ire gradu.

Ambrosio Clavigero s. ex tempore ^

Forsan inverso miraberis ordine Carmen Posse legi, id fiat qua ratione petis. Accipe dissidium monstrat grave temporis hnjns, Inter se populi quo duo bella gerunt Pontificem una pars colit, colit altera Christnm,

1) Späterer Zusatz: M. Joannes StolBius.

EICHHORN, AMSDOBFUNA. 646

Et fera diyersa prelia mente cieni

Altera PoDtificis probat omnia dog^ata Ceci,

Altera Pontificis dogmata cnncta negat.

Salvificam illa negat fidem, tristissima Christi

Vulnera deridet ludibriumque vocat

Eyehit at pars nostra fidem fovet inclyta Christi

Yulnera et haec vitam justitiamque vocat

Sic animis igitar pugnatnr ntrinque paratis

loditiainque fovent utraeque tnrbae säum.

Altera pars sed falsis scriptnrae nititor ombris,

Altera synecra dexteritate prior.

lUine coUuvies Monachoram lerna malorum

Pagnat et hoc Satanas signifer agmen agit,

Nostra Luthems agunt, Pomeranns atqne Melanchton

Agmina, sed Christo vindice bella gerunt.

Christas at aeterni soboles aetema parentis,

Adventu pugnas dirimet hasce soo

Mersit et nt refloi Pbaraona voragine ponti,

Traduxit sicco sed sua castra pede,

Sic fera papatus vel hiantibus agmina terris

Opprimety at salvos ducet ut ante suos.

Tu modo, Christe, vim finemqae impone qaerelis,

Perfidiam puni, jnstitiamque foye.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 91.

Nr. 65. Yitam quae facinnt Antimartiale. d. M. L ^.

Vitam quae faciunt beatiorem Porcis, haec Epicurus ille tradit. Ne spectes hominum deiye mentem, Non est, qui regat atqoe cnret orbem. Spem yitae bene yideas futurae, Quamvis mens Batioque sana monstrant. Finge tibi soll esse procreatum Certus cuncta tuo esse nata yentri Silenus placeat nihil malis Yiyas ut tua suus tuusque porcus Et tandem moriaro porcus et sus. Sic sie itur ad insulas beatas, Aeternus quibus igne carcer ardet Et tales coquit ustulatque porcos. Tunc malles, Epicure, non fuisse, Sed sero yenient eae querelae.

1) Das Inhaltsyerzeichnis nennt Luther als Verfasser.

646 ANALEKTEK.

Et dlsces aliud fuisse qulddam, Qaam quod viseris hie inane nomen.

Amen.

Codex Chart, bibl. Dorp. 43, f. 93.

Zum Schlüsse seien diejenigen Schriften angeführt, die wohl im Inhaltsverzeichnis genannt, selbst aber verloren gegangen sind:

1. Besponsum delegatorum Cardinalium ad propositionem Car- dinalis Tridentini Eomae. 1548.

Der Anfang des Briefes: „Beverendissimis dominis deputatis Visum est, qaod cum sanctitas vestra patema charitate*' etc. f. 211.

2. Zeitung auß Cosnitz. „Unser sach hanget noch aller Dinge und wird nichts außgerichtet." 29. December 1548. f. 212.

3. de coena domini Philippus Melan: „Variae sunt appol- lationes huius sacramenti, sed Paulus vocat coenam Domini, pos- tea etc. f. 215.

4. „Admodum saepe in sacris literis conjunctio Ecclesiae et dei comparatur matrimonio."

3.

Miscelle.

Ein angedruokter Brief Laihers.

In den Protokollen der im sächsischen Kurkreise im Jahre Jahre 1555 abgehaltenen Kirchen- und Schul Visitation findet sich eine Abschrift des folgenden meines Wissens bisher nicht ver- öffentlichten Briefes M. Luthers:

Gnad und fride in Christo Gestrenger Emvhester Lieber Herr, Ich hab einer schrifft der pfarr halben zu Scbonwald empfangen, wie die gemein doselbst begern, Magister Joachim zum pfarrer, das ich denselbigen solte bestetigen, Darauff fuge ich euch xa wissen, das ich keinen bevelh habe, unterwinde mich auch solchs dings nit, Doch hab ich bei der Vniversitet lassen handelr, welche des orts die pfarr zu bestettigen und zu bestellen hatt, am fürstlicher stiftunge, So haben mir dieselbigen herrn der Yni« versitet die Rachen heimgestelt und beuolhen, drinnen zu handien in Ihrem nameu, wie ichs für das beste ansehe. Weil dann ob- genanter Joachim solch zeugnis hatt seiner lehre vnd lebens, ist

HISCELLE. C17

mein bitt anstatt obgenanter berrn der Tniversitet, Ibr wollet denselbigen Joachim in die pfarr zu Schonewald von ampt« wegen einweisen und bevehlen und solch ampt wie gewonheit iet, damit lassen bestettiget sein. Im namen gotts, Meiner hand und Zei- chen, am andern tag nach Egidj 1528.

Muitinne Lutber. Dem gestrengen und Ern»besten Bern- hard Ton Mylen Bitter, Hauptmann zu Schweinitz meinem gun- stigen heru vnd freunJe.

Der Torstebende Brief ist in dem Protokoll Ober das Städt- chen Scbönwald verzeichnet und wird durch folgende Mitteilungen Ober den dortigen Pfarrer eingeleitet : M. Joachimus Pfuhl ist anno 23 ordinirt von Herrn Hieronymo, Bischoffen zu Brande- butg, hat zuvor anno 18 zu Witteberg studirt und ist 27 iar nff diser pfarr gewesen, in die 60 iar alt, bat noch 5 lebendige kinder und wolgeschickt in der lehr befunden, ist von D. Mar- tine Luthero herrn Bernhardt von Mila, ritter, commandirt wor- den, laut seiner bandschrift wie votget.

Der obeustebende Brief wird also durch die Tisitatoren (da- lunter Johanueu Forsteras und Paulus Eberus) als Abschrift des Lutherschen Originals beglaubigt. An seiner Echtheit ist daher nicht zu zweifeln. -^ Ober den Adressaten Bernhard von Uylen oder Myla erfahren wir aus dem Protokoll nur, daß er im Jahre lb5b noch lebt, und daß er dem gemeinen Kasten seiner Zeit «ine Summe von 134 fl. schuldig geblieben sein soll. Diese Schuld scheint sein Nachfolger als Hauptmann zn Schweinitz, Michael vom Ende, Qbernommen zu haben, will aber über die Höhe des Schuldbetrages noch genauere Erkundigung hei Herrn Bernhard von Myla einziehen. Nach anderweitigen Nachrichten war dieser spater Hanptmann zu Wittenberg und wurde von den säcbsiscben Kurfürsten mehrfach zu wichtigen diplomatischen Uissionen verwandt.

Im übrigen bedarf der Brief keiner Erläuterung. Seine Be- deutung liegt in der für Luthers Denkart charakteristischen schonenden Bückaicbtuahme auf die bestehenden rechtlichen Ver- hältnisse.

Berlin. Oberlehrer Schmidt.

r- f, K.-Q. iin. <

1

REGISTER

I.

Verzeichnis der abgedruckten Qnellenstflcke.

1386: Matthaeus de Cracovia, Sermo ad cleram Präge factos

472—484. 1401: Matthias von Liegnitz, Postille [Excerpte] 466 ff. 1505 Dez. 12: Äblafsbrief [Neudruck'] 604 f. 1522 Januar: Bericht über die Wittenberger Unruhen 152l\22

124—126.

1522 [Febr. 16 März 6]: Bericht über die WUterAerger Unruhen (Neudruclc) 121 123.

[1522] Mai 16: Johannes Magenhuch an Rychardua 126 129.

1523 Mai 20 1524 Jan. 17: Vier Briefe SpaXatins an Stephan Both 143 f.

[1523/24] Franz Lambert v. Avignon „Juditiom de ministris ecclesie dei etc." 133—138.

1523 Dez. 15: derselbe an Stephan Both 138 143.

1525 1545: Aktenstücke zur Reformationsgeschichte Naum- burgs 145—159. 278—330.

1528 Sept. 2: Luther an Bernhard v. Mylen (Kopie) 646 f.

1533: Hessische Kastenordnung nebst zwei Vorarbeiten 445 bis 451. 4o3f. 457—459.

1542 Jan. 20 1549 Aug. 5: Amsdorfiana 609—646.

BEGISTBS.

649

IL

Verzeichnis der besprochenen Schriften.

Bardenhewer, Der Name Maria 79 E

Bentsch, Peter Abälard 418ff.

Elze, Tb., Luthers Beise nach Born 78 f.

Erbes, Die Todestage der Apostel Paulos und Petras und ihre rö- mischen Denkmäler 2 fr.

Faloci'PnlignanifMiscellanea Francescana 365 f.

Franz, Ad., Der Magister Niko- laus Magni de Jawor 466.

O ottschick, Angustins An- schaanng von den Erlöserwirkun- gen Christi 378 f.

Harnack, Chronologie 206. , Dogmengeschichte 3. A. III.

418 f. Hansrath, Luthers Romfahrt 78 f.

Köhler, Wilh., Hessische Eirchen- verfassung im Zeitalter der Re- formation 440 fif.

O er gel, G., Vom jungen Luther 70 ff.

Sabatier, Vie de S. Fran9oi8 363 ff.

S a c k u r , Die Cluniacenser U. 516 ff.

Scheel, Die Anschauung Angus- tins über Christi Person und Werk 379.

See her g, Lehrbuch der Dogmen- geschichte II. 418 f.

Sommerlad, Tb., Matthaeus von Krakau 465 ff.

deWaal, Die Apostelgruft ad Catacumbas an der Via Appia 199.

Waltz, 0., Epistola reformato- rum 605 ff.

III.

Sach- ond NamcDregister.

Abälard 400ff. Ablafs 603 ff. Acta: Petri et Pauli 161 ff. Adiaphora s. Amsdorf. Agrippa: Stadtpräfekt? s. Acta Petri et Pauli.

Ailli s. Annaten.

AI bin US s. Acta Petri et Pauli.

Albrecht v. Mansfeld 621 f. 625 f.

628. Aleman Ademat v. Pisa 8.

Annaten.

4\*

650

REGISTER.

Alezander IL: 521; UL: 8. Ni- kolaos V.; YL: 603.

Alezandria s. Clemens v. AI.

Amsdorf, Abraham v. 635.

Amsdorf, Friedr. v. 635.

Amsdorf, Nik. v. 308fif.; Korre- spondenz (1542 1549) 605 bis 646.

Anicetus s. Petras.

Annaten 48—70.

Anselm v. Canterbnry s. Versöh- nong (bes. 382).

Antioc bien s. Jobannes Maa- rosii.

Antonius v. Padua 528f.

Aquila, Casp. 617. 625.

Arianiscber Streit 337fr.

Askese s. Clemens v. Alex.

Anfsefs, Hans y. 330ff.

Angnstin: s. Versöhnang.

Angnstiner: s. Luther als No- vize.

Auri faber, Joh. s. Amsdorf.

Babylon s. Petrus. Barnabas s. Petrus (bes. S. 30 fL). Bartholomäusnacht 106. Benedikt IX. 574. Bernhard v. Clairvauz 361; s.

Versöhnungslehre 384 ff. Bischofslisten: s. Petrus. Bistümer: Macon s. Cluny; s.

Naumburg. Bolckenhain s. Langer. Bomhauer, Christ. 603. Bonaventura s. Franz v. Assisi. Brandenstein, Ewald v. 305f. Breslau s. Brieg. Brieg: die Herzöge v. Br. u. die

geistlichen Patronatsherren 84 bis

105; 254—272. Brück 278.

Calixt IL 524.

Calvin: gefälschter Brief 159 f.

485. Camin: Bistumsstreit 586—602. Casati s. Veltlin. Cistercienser s. Florenserorden. Clemens: 1. Brief s. Petrus (bes.

21 fr.). Cemens IIL 356. 524. Clemens V. Alexandrien 487—515. Cluny 516—524. Cruciger 622ff. CuriOi Georg s. Amsdorf.

Damasus 333—842. Deutschherren s. Ablats. Dionysius v. Eorintb: Schrttbes

an Soter v. Rom 5 f. Dominikaner 87. Dürfeid, Christoph 617.

Elias V. Cortona 543ff. Ende, Michael vom 647. Epiphanius s. Petrus. Efsling, Heinrich 132. Eugen m. 524. Evangelium, aetenmm 343£L Exemtion s. Cluny.

Fabricius, Theod. 635f. Feldkirch, BarthoL Bemhardi

von 121t Feria, Herzog v. s. Veltlin. Florenserorden 858. Franz v. Assisi 362—377. 525

bis 565. Franziskaner s. Franz t. AssisL Frech, Henning 306 ff.

Gahrtze, S. 641.

Gajus B. Petrus.

Gallicanismus s. Annaten.

Gallus s. Gründling.

Georg V. Anhalt 621.

Georg V. Mansfeld 621.

Georg V. Sachsen 123 f.

Gerhard v. Borgo San Domino 343.

Gerson 58.

Gnostiker s. Clemens v. Alexan- drien.

Gorolitius, Martin 628.

Gotteskasten: in Naumburg 289

Gregor V.: 517; VIL: 522; VllL: 574 f.

Gründling, Gallus 155. 278.

Günther, Franz 122.

Halle: Reformation 304. Harduinus S. J. 208. Heerwagen, Günther 643. Hegesipp s. Petrus. Hermas s. Petrus. Hessen s. Kastenordnungen. Hugo v. St. Victor 429 ff.

Ignatius s. Petros (bes. S. 26f.). Innocenz III. 524.

REGISTER.

651

Interim 8. Anisdorf. Iren aus 8. Petras.

JTacoba de Septemsoliis 542. Jacobus Qraecas Syllenaeus 351. Jenatscb, Georg 113. 118. Jerusalem s. Petrus. Joachim v. Floris 343—361. Johann Friedrich v. Sachsen d.

Alt. u. d. Mittl. 8. Amsdorf; s.

Naumburg. Johann Wilhelm v. Sachsen s.

Amsdorf. Johannes: Evangelium Kap. 21

B. Petrus; bes. 206. Johannes XI.: 517; XIX.: 517;

XXII. 8. Nikolaus V. Johannes de Bonatio 346. Johaunes Maurosii, Patriarch

y. Antiochien s. Annaten. Johanniter: im Herzogt. Brieg

254 ff. Jonas, Just US 281. 283. 286.

28831: 8. Amsdorf. Julius IL 603. Justin s. Petrus.

Kardinal s. Nikolaus V.

Karl V. 628.

Karlstadt I20if.

Kastenordnungen 439if.

Kirche: katholische 8.

Kirchenverfassung s. Kasten- ordnung.

Klara, d. hl. 529f.

Klöster, Breslauer 85 ü ; Cluny 516—524; Curatium 351; St Denis 523; Floris 343 ff.; Treb- nitz 99.

Kolberg s. Camin.

Konzile u. Synoden: Konstanz (1414 1418) 48-70; Trient 643 f.

Korinth 6.

Kraft, Adam 442.

Kreuzherren v. roten Stern zn Breslau 105.

Ijambert y. Avignon, Franz 129

bis 143. Langer, Job. 149. 279. Leo VIIL: 573; IX.: 521. Leo, Franziskaner s. Franz y.

Assisi. Lossen s. Brieg.

Lucas Consentinas 349.

Lucius IL 524.

Ludwig d. Bayer 8. Nikolaus V.

Luther: als Noyize71— 78; Rom- reise 78 f.; über den Namen Maria 79-83; in Leipzig 124; 285 ff.; Brief an Bemh. v. Mylen 646 f.; Gedicht gegen die Epi- kuräer 643. 645 f.; Sequenzen zu seinem Preis 120; s. Amsdorf, Lambert y. Ayignon, Magenbuch, Naumburg.

Magenbuch, Job. 126ff.

Maior, Georg s. Amsdorf.

Malteser s. Johanniter.

Manow, Otto 600 f.

Manteufel, Erasmus v. 587ff.

Marcion 9. 489.

Maria: Namendeutung 79 83.

MarkuB s. Petrus (bes. 20 f.).

Martin y. Arras 58f.

M a r ty r 0 log i um : Syrisches 200 ff.

Mathesius 75.

Matthaeus de Cracoyia 465 bis

484. Matthias y. Liegnitz 466 f. Med 1er, NicoL 283ff Meilandt, Martin 616. Melanchthon s. Magenbuch; in

Naumburg 150. 280 ff.; 646. Meletius 339f. Menius, Justns s. Amsdorf. M ich e lau s. Brieg. Mönchtum s. Clemens y. Alex. Mollwitz 8. Brieg. Morgenstern, Karl 606 f. Mylen, Bernh. y. 646 f.

IVaselwitz s Brieg.

Naumburg: Reformation 145 bis 159. 278—330; s. Amsdorf.

Nero: Christenyerfolgung s. Pe- trus.

Nikolaus V. 566-585.

Ohrenbeichte s. Magenbuch. Orient s. Daroasus. Ossa 308.

Papias y. Hierapolis 205 ff. Papst wähl s. Nikolaus V. Paschalis IL 523. Passio 8. Acta. Patronat s. Brieg.

652

REGISTER.

Paul V. 8. Veltün.

Paulus d. Apostel: s. Petrus; bes. Römer Kap. XVI 27 ff. 224-231 ; Paulusakten 177 ff.; 500; s. Da- masus.

Pegau 310ff

Pelbover, Leonh. 616.

Peter v. Corvara s. Nikolaus V.

Petrus d. Apostel: nicht in Rom, sondern in Jerusalem gestorben 1—47. 161—231; s. Damasus.

Petrus V. Albano 522.

Petrus Damiani 521.

Petrusbrief: erster s. Petrus (bes. 8. 16 ff).

Pflug, Julius V. 304. 308.

Pfuhl, Joach. 647.

Philipp V. Hessen s. Eastenord- nungen.

P i n n e w i t z , Christina s. Amsdorf.

Planta s. Veltlin.

Plato s. Clemens v. Alex.

Plick, Simon 310ff.

Polykarp v. Smyrna s. Petrus (bes. S. 8 ff.).

Pommern: Reformation s. Camin.

Prämonstratenser 85ff.

Jlgd^dS ITavXov 177 ff.

Pudentiana 37 f.

Püchelius, Georg 617.

Ratzeberger, Mathias 622 ff. Ritterorden s. Ablafs. Robertus Pullus 436f. Robaste lli, Jakob s. Veltlin. Rom: erste Christengemeinde s.

Petrus. Rorarius 622ff. Roschütz (Rotschitz), Wolg. v.

156. 29iff. Rosental, Lucas 635 f. Roth, Stephan 131 ff. Rychardus 126ff.

Sarcerius, Erasmus s. Amsdorf. Schelle, Eberh. 603. Schönwaid 647. Schumann, Martin 152. 287. 304. Schurff, Hieron. 155.

Schwebinger, Sebast. 303. Scbwenkfeld 101. Setzer, Johann 121. Simon d. Magier s. Petrus. Soter 8. Dionysius v. Korinth. Spalatin: an Stephan Roth 143f. Spiritualen 365. Stauder, Sebast. 330. Steude, Sebast. 642. S tri gel, Vict. s Amsdorf. Stolz, Johann 642f. Straufs, Jakob 133. Streb len: Konvent (1534) 84. Suaye, B. s. Camin.

Tertullian s. Petrus. Tetzel, Joh. 603f. Teuchel 629.

Teutleben, Sophia v. 634f. Thomas v. Celano 362ff. Thomaskirch s. Brieg. Treptower Ordnung 590 ff. Treskow, Margarctbe v. 642. Tue her, Hemet 631 f. 639f.

Universitäten: Leipzig s. Naum- burg (307); Paris s. Annaten. ürban IL: 522; IIL: 524.

Veltlin: d. V. Mord 106-119. Verber, David 617. Versöhnung: im MA. 378-438. Villani 582ff Viola, Konrad 617. Voit, Johann s. Amsdorf.

Well er, Hieron. 281. Werner, Seb. s. Amsdorf. Wilhelm v. Thierry 400ff. Wilschkowitz s. Brieg. Winsheim. Vitus 631 f. 639f. Wittenberg: Unruhen 1521/22

120—129. Wolckenhain s. Langer. Woltersdorf, Joach. 641.

Zabarella s. Annaten. Zinsnehmen s. Lambert Zitzewitz 601.

Druck Yon Friedrich Andreas Perthes in Gotha.

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